Martin Opitz - Paul Fleming - Simon Dach: Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas 9783412211226, 9783412206482


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Martin Opitz - Paul Fleming - Simon Dach: Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas
 9783412211226, 9783412206482

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Klaus Garber Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach

Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas Herausgegeben von Klaus Garber und Axel E. Walter

Band 4

Klaus Garber

Martin Opitz Paul Fleming Simon Dach Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: Martin Opitz, Paul Fleming, Simon Dach in zeitgenössischen Portraits (v.l.n.r.)

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20648-2

George Schulz-Behrend Marian Szyrocki Erich Trunz in memoriam

Inhalt Vorwort ................................................................................................ XIII

D APHNIS Ein unbekanntes Epithalamium und eine wiederaufgefundene Ekloge von Martin Opitz in einem Sammelband des schlesischen Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen in der litauischen Universitätsbibliothek Vilnius Vorbemerkung .......................................................................................... 3 1. Das katholische Vilnius und seine Universitätsbibliothek ..................... 5 Im Bibliothekssaal des Pranciškus Smuglevičius – Gegenreformatorisches gelehrtes Vilnius – Aufstieg der akademischen Bibliothek – Im Katastrophen-Jahrhundert

2. Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen an der Oder und ein zeitgenössischer Sammelband aus seinem Umkreis ................ 15 Eine Zimelie aus der Bibliothek des Dominicus Siwicki – Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen – Inspektion eines Sammelbandes – Beiträger-Philologie – Die Beiträger und ihr Repertoire

3. Amor fatalis – Amor coniugalis. Ein Epithalamium des jungen Martin Opitz ...................................... 36 Text und Übersetzung – Liebeslyrik als nationalliterarischer Auftakt – Eingeschriebene poetologische Diskurse – Das Haus der Venus und der ständische ordo – Verblendung poetologisch – amor coniugalis – Das Epithalamium im sozialen Raum

4. Der mythische Hirtensänger Daphnis in der Tradition der europäischen Ekloge ........................................... 46 Die Ekloge im Werk Opitzens – Aufstieg der Ekloge im Späthumanismus – Passio des Daphnis – Römische Adaptation – Daphnis in der neulateinischen Ekloge – Eobanus Hessus – Euricius Cordus – Joachim Camerarius – Daphnis-Revue – Lotichius Secundus

5. Opitz’ ›Daphnis Ecloga‹ für Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, gen. Scultetus ..................................... 63 Die Opitzsche Ekloge unter den Berliner Neolatinistica – Der Erstdruck in Vilnius – Text und Übersetzung – Böhmisch-schlesisches Kräftefeld – Tobias Scultetus im Blickfeld von Henel von Hennenfeld – Ausbildung und Hofmeisterdienste – Schlesisch-pfälzischer Brückenschlag: Scultetus in Heidelberg – Reisejahre – An der Schwelle zur Katastrophe – Rahmen der Ekloge – Geschicke der Hirtenflöte – Bescheidenheits-Topik und dichterischer Lebensentwurf – Scultetus Patronus – Daphni o Daphni omnia clamant – Das ›laudabile carmen‹ des ›grati Iolae‹

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Inhalt

Anhang Verzeichnis bio-bibliographischer handschriftlicher und gedruckter Hilfsmittel zur schlesischen Personenkunde der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Späthumanismus ........................ 97 1. Gedruckte bibliographische Hilfsmittel ............................................ 102 2. Handschriften-Verzeichnisse ............................................................ 104 3. Bio-bibliographische Sammelhandschriften nebst handschriftlichen Presbyterologien und sepulkralen Inschriftenwerken .............. 112 Christian Ezechiel – Martin Hanke – Nicolaus Henel von Hennenfeld – Christian Friedrich Paritius – Georg Thebesius – Andreas Senftleben / Sebastian Alischer

4. Gedruckte bio-bibliographische Hilfsmittel ...................................... 127 5. Epigramm-Sammlungen und Verwandtes ........................................ 129 Melchior Adam – Melchior Agricola – Andreas Calagius – Caspar Cunrad – Balthasar Exner – Melchior Haus – Johannes Heermann – Nicolaus Henel von Hennenfeld – Jacob Monau – Johann Paritius – Daniel Rindfleisch – Thomas Schramm

P AUL F LEMING IN R IGA Die wiederentdeckten Gedichte aus der Sammlung Gadebusch Vorbemerkung ...................................................................................... 1. Die Gottorfer Gesandtschaft auf dem Weg nach Rußland ................ 2. Fleming-Drucke in Rußland und im Baltikum ................................. 3. Porträt des Sammlers und Gelehrten Friedrich Konrad Gadebusch ........................................................... 4. Ein Sammelband aus den Bibliotheken Gadebusch und Schwartz in Riga .....................................................

161 164 167 173 179

Edition der wiederaufgefundenen Fleming-Texte nebst Übersetzung und überlieferungsgeschichtlicher Kommentar 1. Die Flemingschen Texte .................................................................. 2. Übersetzung der lateinischen Texte .................................................. 3. Bibliographischer Kommentar ......................................................... Referenzliteratur ............................................................................... Fleming-Drucke ................................................................................ Kommentar ......................................................................................

187 281 298 298 299 300

Inhalt

4. Ausblick ........................................................................................... 5. Bibliographischer Anhang ................................................................ Werke zur Grundlagenforschung ........................................................ Arbeiten zur Fleming-Forschung ........................................................ Arbeiten zu Friedrich Konrad Gadebusch und seinem Umkreis ............ Institutionenkundliche Arbeiten .........................................................

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321 322 322 327 332 334

D IE ZERSTOBENE K ÜRBISHÜTTE Eine Studie zur Überlieferung des Werkes von Simon Dach nebst einer Präsentation unbekannter Gedichte Vorbemerkung ...................................................................................... 339

Teil I: Rezeptionshistorische, bibliographische und editorische Voraussetzungen. Skizze eines Forschungsberichts 1. Die fehlende Werkausgabe zu Lebzeiten ........................................... 342 2. Die posthume Werkausgabe ............................................................. 345 Memorialwerk im Zeichen des Kurbrandenburgischen Hauses – Ein Paratext in der Königsberger Ausgabe von 1696

3. Übergänge ins 18. Jahrhundert. Stimmen zum Autor und zu einer Edition seines Werkes ................. 355 Die Stimmen von Hoffmannswaldau, Morhof und Neukirch – Umschwung im Zeichen Boileaus: Dach unter den ›Vortrefflichsten Teutschen Poëten‹

4. Sammlerischer Eifer und Bemühungen um eine DachAusgabe im Dreieck Königsberg – Leipzig – Breslau ........................ 364 Die erste Dach-Biographie nebst einer ›Nachlese‹ – Die Königsberger DachSammlung des Heinrich Bartsch – Gottscheds ›Nachricht von den bekanntesten preußischen Poeten‹: Dach-Sammlungen in Leipzig – Die Dach-Sammlung Arletius in Breslau – Rückkehr nach Königsberg

5. Ausgaben der Gedichte Dachs auf der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert .............................................. 379 Dach in der Anthologie – Die Königsberger in Wilhelm Müllers ›Bibliothek‹ – Christian August Gebauers Edition Königsberger Dichter

6. Dach und die Königsberger Dichter in den großen nationalen Editionsreihen des 19. Jahrhunderts ................................ 387 Das Werk Hermann Oesterleys – Oesterleys Dach-Ausgabe in der ›Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart‹ – Die Dach-Ausgabe in Kürschners ›Deutscher National-Litteratur‹

Inhalt

X

7. Der editorische Beitrag der Musikwissenschaft ................................. 396 Fischers Text-Edition von Alberts ›Arien‹ und Eitners ›Musik-Beilagen‹ – Bernoullis und Kretzschmars Edition der ›Arien‹ – Die ›Musicalische Kürbs= Hütte‹ – Die unzureichende Anthologie Müller-Blattaus

8. Teil-Ernte vor der Katastrophe. Walther Ziesemers Dach-Edition ..................................................... 406 Porträt Walther Ziesemers – Probleme der methodischen Fundierung

Anhang: Verspätete buchkundliche Ernte. Gerhard Dünnhaupts Bibliographie der Drucke Simon Dachs .............. 417

Teil II: Simon Dach in Litauen, Rußland und Polen. Die Wiederentdeckung der großen sammlerischen Einheiten vornehmlich aus dem alten Königsberg 1. Königsberger Vorkriegsbestand an Dach-Drucken. Versuch einer Rekonstruktion .......................................................... 423 Dach-Drucke in der Staats- und Universitätsbibliothek – Carmina casualia – Die Signaturengruppe ›Pa‹ und ihre Umsignierung – Katalogisierung der Gottholdschen Bibliothek – Die Königsberger Dichter in der Wallenrodtschen Bibliothek – Schätze aus der Königsberger Stadtbibliothek – Eine Dach-Handschrift im Königsberger Staatsarchiv

2. Wallenrodiana mit Dach-Drucken in der Bibliothek der Staatlichen Immanuel-Kant-Universität Kaliningrad ........................ 442 Heimgekehrte Bücher aus Moskau – Die Sammelbände RR 5 (W) und RR 6 (W) – Der Sammelband S 204 (W) – Ein Königsberger Rundblick

3. Dach-Drucke und anderweitige ausgewählte Königsberger Zimelien in der litauischen Hauptstadt Vilnius ................................ 456 Vilnius als Hort Königsberger Bücher – Ein Blick in die Litauische Nationalbibliothek – Altdrucke in der Litauischen Akademiebibliothek – Musikalien aus der Gottholdtschen und Wallenrodtschen Bibliothek – Intimationes und Polonica – Die Sammelbände D 85 (W) und D 399 (W) – Der Sammelband SS 41 (W) – Gedichte aus der Feder Dachs: Dach als Bräutigam – Der Sammelband RR 15 (W)

4. Simon Dach in der National- und in der Akademiebibliothek zu St. Petersburg .............................................. 482 Kriegs-Trophäen in St. Petersburg – Eine Bibliothek von Weltrang als originärer Hort deutschen Klein- und Gelegenheitsschrifttums – Königsberger Drucke in der Russischen Nationalbibliothek – Die Akademiebibliothek als Sammelzentrale deutscher Bücher nach 1945 – Der Sammelband D 435 (W) – Der Sammelband SS 40 (W) – Dach im Sammelband SS 40 (W) – Der Sammelband H.B.S.5 aus der Königsberger Stadtbibliothek – ›Gedichte auf Sim: Dachens Absterben‹

Inhalt

XI

5. Verstreute Dachiana in der Königsberg-Kollektion der jungen Universitätsbibliothek zu Thorn ..................................... 519 Bücher aus dem Umkreis des ›mare balticum‹ – Dach-Drucke aus Pommern – Der Sammelband Tit. XXII 8° – Der Sammelband Tit. II D. 16 – Der Sammelband Tit. XXII 79 – Kleinschrifttum aus der Königsberger Stadtbibliothek – Sammelbände aus der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek – DachDrucke in Sammelbänden aus Elbing, Kulm und Mitau – Dach als Bedichteter

6. Werke Simon Dachs und seiner Freunde aus der alten Königsberger Stadtbibliothek in der Nationalbibliothek zu Warschau ......... 547 Eine Silberbibliothek im fahlen Aschen-Licht – Spiegel der Schicksale ihres Landes – Bücher aus dem alten deutschen Sprachraum des Ostens – Hort der Königsberger Stadtbibliothek und der Albertina – Dach als Verfasser von geistlichen Festund Programm-Schriften – Dach und Thilo im gelehrten Metier – Verstreutes und unikates Gut im Sammelband XVII 3. 6205–6421 – Nachlese – Lobpreis Tilsits

7. Die alte Breslauer Stadtbibliothek als Hort der größten Dach-Sammlung. Das Werk des Arletius ............................ 576 Gelehrtes Breslau im 18. Jahrhundert – Porträt des Johann Kaspar Arletius – Der Sammler Arletius – Das Werk Dachs in der Sammlung Arletius – Die ›Chur= Brandenburgische Rose‹ – Hochzeitsgedichte – Trauergedichte – Geistliche Poesie – Gratulations- und Lob-Gedichte nebst Jokosem – Eine Zimelie – Eine verlorene Handschrift

8. Epilog: Blick zurück und Aufgaben für die Zukunft ......................... 619 Dachiana in Berlin – Dach in der Bibliothek Kaldenbach und anderwärts – Dach im Ausland – Blick in die Zukunft

Personenregister .................................................................................... 631

Vorwort Die drei in diesem Band vereinigten Studien haben ihren Verfasser in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger kontinuierlich begleitet. Sie gründen in Entdeckungen, die ihm auf Bibliotheksreisen im Osten Europas gelangen. Insofern steht auch dieses Buch im Zeichen des Aufbruchs in eine untergegangene Welt, die zu erkunden und spurensichernd zu durchmessen inzwischen einen Gutteil des reifen beruflichen Lebens ausgemacht hat. Zusammen mit dem ›Alten Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents‹ (2006) und den ›Schatzhäusern des Geistes. Alte Bibliotheken und Büchersammlungen im Baltikum‹ (2007) bildet es eine Trilogie, in der zusammengeführt ist, was dem Reisenden vordringlich berichtenswert dünkte. Er nimmt – schweren Herzens und womöglich nur für eine Weile – Abschied von Gedanken und Erfahrungen, Menschen und Institutionen, die ihn über eine lange Zeit fast übermächtig herausforderten und emotional bewegten, um anderweitigen, vielfach in die sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichenden Arbeiten endlich gleichfalls zu ihrem Recht zu verhelfen. Entstehungsgeschichtlich und publizistisch haben die drei Studien ein sehr verschiedenes Schicksal. Die Opitz gewidmete Arbeit gehört in den Umkreis einer Biographie des Dichters, die in den siebziger und frühen achtziger Jahre parallel mit einem Buch zur europäischen Arkadien-Utopie in Göttingen vorbereitet wurde. Beide – soeben wieder aufgenommene – Vorhaben wurden durch die in der Mitte der achtziger Jahre einsetzenden regelmäßigen Bibliotheksreisen zumal in die Sowjetunion ebenso wie die zahlreichen dem Werk Walter Benjamins geschuldeten Verpflichtungen unterbrochen. Die beiden Projekte sind in dem vorliegenden Opitz-Beitrag unverkennbar gegenwärtig – hier in einem dem Schönaichianum gewidmeten Kapitel, das im Mittelpunkt der abgeschlossenen, aber unpublizierten Biographie des jungen Opitz stand; dort in der Interpretation einer seiner beiden neulateinischen Eklogen, die zurückführte zu dem vielleicht gewichtigsten Zweig der europäischen Arkadiendichtung, der lateinischen wie volkssprachigen Ekloge, der in der europäischen Grundlegung des Arkadienbuchs ein großes, vom Hellenismus bis an die Schwelle des 17. Jahrhunderts sich erstreckendes und seit langem abgeschlossenes Kapitel vorbehalten ist. Derzeit wird die Geschichte der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts neu aus den Quellen geschrieben, die in der mittleren Position des dreibändigen Arkadienwerkes steht, das mit einem weiteren Teil zum 18. Jahrhundert schließt. Die Entdeckung bzw. Wiederentdeckung der beiden Opitzschen Texte erfolgte im Jahre 1987 anläßlich eines ersten Aufenthalts in der litauischen

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Vorwort

Hauptstadt Vilnius und ihrer traditionsreichen Universitätsbibliothek. Dem Verfasser war sogleich klar, welche Bedeutung dem Fund zukam. Und das nicht nur im Blick auf die beiden Texte, sondern mehr noch in Hinsicht auf die methodischen Probleme ihrer angemessenen Behandlung. Sie führte tief hinein in die gelehrte Personen-, Bildungs- und Institutionsgeschichte des Späthumanismus zumal in Schlesien, wie sie dem Verfasser allenthalben im Zuge seiner Opitz-Studien vor Augen trat. An einem Exempel die Linien zusammenzuführen, der Barockforschung eine Textlesung zuzuführen, in der exegetische und kontextuelle Elemente wie selbstverständlich zusammentreten, war das seinerzeitige Anliegen in einer besonders regen Phase der literaraturgeschichtlichen Bemühungen um das 17. Jahrhundert. Die Studie wurde daher gleich nach Rückkehr aus der Sowjetunion ausgearbeitet und war für die Festschrift zu Ehren von George Schulz-Behrend (12. Februar 1988) vorgesehen. Da es indes dem Verfasser nicht gelang, verbleibende biographische Probleme hinsichtlich des Widmungsempfängers der Opitzschen Ekloge aufzuklären, blieb sie unpubliziert. Ihre Veröffentlichung, erweitert um einen quellenkundlichen Anhang, wie er in den beiden letzten Jahrzehnten erarbeitet werden konnte, dürfte weiterhin willkommen sein, auch wenn die Texte selbst inzwischen im ersten soeben erschienenen Band des überaus verdienstvollen ›Opitius latinus‹ von Veronika Marschall und Robert Seidel bereits zugänglich geworden sind. Die sich anschließende Fleming-Studie fällt entstehungsgeschichtlich in die gleiche Zeit. Der Fund, der ihrer Ausarbeitung zugrundeliegt, wurde schon 1984 auf einer ersten Reise in die baltischen Staaten gemacht. Er verbindet sich gleichermaßen mit der alten Stadtbibliothek und nachmaligen Akademischen Bibliothek wie mit der seinerzeitigen Staats- und nachmaligen lettischen Nationalbibliothek zu Riga. Anders als in der Opitzforschung war der Entdecker in der auf Fleming gerichteten Forschung nur am Rande zu Hause. So währte es geraume Zeit, bis sich ihm die Dimensionen seiner wie zufällig erfolgten Begegnung mit einer seit mehr als zwei Jahrhunderten verschollenen und besonders reichen Fleming-Quelle erschlossen. Als dies aber geschehen war, zögerte er ausnahmsweise nicht. Im gleichen Jahr wie George Schulz-Behrend war Marian Szyrockis 60. Geburtstages zu gedenken. Dank freundlicher Mithilfe, derer am Ort gedacht ist, konnte die Studie zu Ehren des verehrten Kollegen eben noch rechtzeitig unter Dach und Fach gebracht werden. Ihr wurde seither gelegentlich bescheinigt, erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder einen Blick in eine bis dato hermetisch verschlossene kulturelle Landschaft des alten Europa gewagt zu haben, die schon vor Einsatz des Zweiten Weltkriegs dem Untergang geweiht war. Sie ist die einzig publizierte unter den drei hier vorgelegten, hat jedoch in der jetzigen Publikation eine neue Gestalt empfangen. Die wiederent-

Vorwort

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deckten Texte werden – bis auf die ›Rubella‹ – zum ersten Mal im originalen Wortlaut der Erstdrucke und in einer von Dr. Beate Hintzen (Bonn) herrührenden deutschen Übersetzung der interessierten Leserschaft zugänglich gemacht. Zudem ist in einem Anhang die einschlägige Forschung der vergangenen 25 Jahre zusammengeführt. Tres faciunt colloquium. Schwerlich zu Unrecht und kaum zufällig erfreut sich die Trias publizistisch durchaus wahrnehmbarer Beliebtheit. Der Verfasser hängt ihr gleichfalls an, wie auch über seine drei Walter Benjamin gewidmeten Bücher und seine in Kürze vorliegenden drei Sammelbände zur europäischen Kultur- und Literaturgeschichte ersichtlich. Als sich abzeichnete, daß das ›Alte Buch im alten Europa‹ einen nur noch schwer vertretbaren Umfang annahm, wurden die auf das Baltikum bezogenen Studien ebenso wie die Opitz und Fleming gewidmeten ausgegliedert. Zugleich eröffnete sich derart die Chance, einem dritten Großen der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts neben Opitz und Fleming die ihm gebührende überlieferungsgeschichtliche Beachtung zu sichern. Wie häufig waren wir Simon Dach begegnet, seit wir in den sechziger und siebziger Jahren immer wieder in der alten Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden geweilt und 1979 dann erstmals eine große Bibliotheksreise in die DDR und nach Polen angetreten hatten. Wie bewegend war die Wiederbegegnung mit seinem verschollen geglaubten Werk in Warschau und Thorn nicht anders als in den achtziger Jahre in Vilnius und St. Petersburg. Wie oft rührten die Bände, die durch unsere Hände gingen, aus vormaligen Königsberger Bibliotheken. Die Stadt aber, der sie entstammten, blieb uns hermetisch verschlossen. Welch ein Erlebnis sodann aber, als 1992 auch in der alten preußischen Kapitale, in der sich der Untergang des alten Deutschland wie an keiner anderen Stelle sonstwo flektiert, Dachiana und Regiomontana zumal aus der Bibliothek der von Wallenrodts zum Vorschein kamen. Ein ganzer Kosmos von überlieferungsgeschichtlichen Daten, Querverbindungen, Verweisungen tat sich auf, der endlich nach darstellerischer Vergegenwärtigung verlangte. Eine Studie vom Umfang der Opitz und Fleming gewidmeten Arbeiten sollte es werden. Rasch indes wuchs sich das Vorhaben unter den Händen des die Fäden behutsam zusammenziehenden Historikers zu einem kleinen Buch aus. Die Versuchung war groß, es zu separieren und selbständig seinen Weg in die Welt nehmen zu lassen, so wie dies mit einem Buch zum ›alten Königsberg – Erinnerungsbuch einer untergegangenen Stadt‹ (2008) geschah. Schließlich machte sich die Trinität neuerlich gebieterisch geltend und behielt die Oberhand. Der Verfasser hofft, daß die getroffene Entscheidung der Studie selbst wie dem Buch als ganzem zugute gekommen ist. Manch eine parallele Linienführung, die andernfalls nicht in gleicher Deut-

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Vorwort

lichkeit erkennbar geworden wäre, zeichnete sich erst in einer gemeinsamen Umgebung ab. So mag sie den ihr zugewiesenen Platz mit Fug und Recht behaupten. Zugedacht aber war sie stets einer Person, mit deren Namen sich das Werk Simon Dachs für den Verfasser seit Studienzeiten verband wie mit keinem anderen sonst. Er war des Glücks teilhaftig geworden, seit der Mitte der sechziger Jahre mit Erich Trunz in lebhaftem Kontakt zu stehen. Richard Alewyn hatte seinen Doktoranden mit dem berühmten Kieler Kollegen bekannt gemacht. Wie häufig führte der Weg seither – wiederholt begleitet von Irmgard Böttcher – in die Ostseestadt zu Austausch und Gespräch, zugleich aber immer auch zu behutsamem Fragen, verbunden mit der Bitte, aus der Vorkriegs- und Kriegszeit, aus dem alten Königsberg und dem heimatlichen Ostpreußen zu erzählen. Was gäbe man im nachhinein darum, die Chance häufiger ergriffen, den tiefverehrten Menschen und Gelehrten noch öfter besucht zu haben – das bittere, im Alter nur allzuoft sich meldende und nicht abzuweisende Eingeständnis. Dem neunzigjährigen Erich Trunz galt eine Simon Dach und den Königsberger Dichtern gewidmete Vorstudie. Im Gedenken an den am 6. Juni 2005 sich jährenden 100. Geburtstag wurde diese Studie im Sommer des nämlichen Jahres im Anschluß an eine Simon Dach gewidmete Tagung im litauischen Klaipėda in einem Zuge niedergeschrieben. Die Erinnerung an Erich Trunz hat sie beflügelt. Der Band hätte nicht geschrieben werden können ohne die Schätze, auf die sein Verfasser neuerlich im Osnabrücker Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit zurückgreifen konnte. Die auf den zahlreichen Reisen aufgetane Textwelt war in Tausenden von Titeln filmisch reproduziert und an die heimatliche Universität überführt worden. So gut wie alle im vorliegenden Buch namhaft gemachten Werke sind im Osnabrücker Filmarchiv und häufig in Papierabzügen, wohlverwahrt in einem mächtigen Raum mit Archivboxen, zugänglich. Während der Niederschrift dieser Zeilen wird ein Antrag erarbeitet, der der katalogischen und digitalen Erschließung des reichen und vielfach unikaten Materials gilt. In hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft ins Internet gestellt, wird die kulturwissenschaftliche Forschung vieler Sparten der Frühen Neuzeit mit Gewißheit von dem zumal aus Polen, den baltischen Staaten und Rußland herrührenden Fundus, in der Mehrzahl alten deutschen Bibliotheken des Ostens entstammend, profitieren. Daß dieses Dokumentationszentrum sukzessive aufgebaut werden konnte, ist gleichermaßen staatlichen wie stiftungsförmigen Institutionen zu verdanken. Der Verfasser ergreift auch hier die willkommene Gelegenheit, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Bundesministerium des Innern und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der VolkswagenStiftung, der Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung und der Fritz

Vorwort

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Thyssen-Stiftung für zeitweilig überdurchschnittliche Förderung den aufrichtigen Dank der Osnabrücker Wissenschaftler – zusammengeschlossen in der Forschungsstelle zur Literatur und im Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit – auszusprechen. Insbesondere die vielen jungen Menschen, die in beiden Institutionen zumeist in Drittmittelprojekten arbeiten, wissen um die Bedeutung gerade dieser Quellen für ihre tägliche Arbeit. Aller Personen, die zum Zustandekommen der Publikation dieser drei Arbeiten beitrugen, ist am jeweiligen Ort gedacht. An deren Schlußredaktion haben insbesondere Ingrid Arp, Katharina Beckmann und Renate Westrup sowie in einer frühen Phase neuerlich auch Dr. Martin Klöker tätigen Anteil genommen. Unterstützung erfuhr der Verfasser darüber hinaus von Andreas Gieseker und Astrid Menke. Die letzten Ermittlungen, die abschließende Durchsicht und die professionelle Einrichtung des Manuskripts wurde wie immer durch Stefan Anders besorgt. Der Hilfe der Institutionsbibliothek und ihrer so engagierten wissenschaftlichen Bibliothekarin Beate Mrohs nebst ihren studentischen Hilfskräften durfte sich der Verfasser jederzeit versichert halten. Der Verfasser dankt dem Böhlau-Verlag und vor allem Harald S. Liehr für das Interesse an dem Buch, das wie sein Vorgänger zur baltischen Buchund Bibliotheksgeschichte in die gemeinsam mit Axel E. Walter neu aufgebaute Reihe ›Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas‹ Eingang finden sollte. Prof. Walter, in der Mitte des Jahrzehnts auf dem Wege von Osnabrück nach Klaipėda, das alte Memel, wo ihn die Übernahme eines Lehrstuhls und der Aufbau eines Instituts erwarteten, pendelt seit geraumer Zeit zwischen dem mare balticum und seiner alten akademischen Wirkungsstätte Osnabrück. Hier baut er ein Forschungsprojekt zur mitteldeutsche Hofkultur mit auf, für das die DFG wiederum die Voraussetzung schuf. Er hat als Mitherausgeber der Reihe gleichfalls seines Amtes als kritischer Leser und Berater gewaltet. Allen Helferinnen und Helfern sei Dank gesagt. Möge der Band dazu beitragen, die Verpflichtung zu bekräftigen, für die Überlieferung gerade auch unserer älteren Literatur im Fach zu wirken. Dies aber bedeutet, Anteil zu nehmen an der allfälligen Aufgabe, der – Erinnerung, Sprache und schriftstellerischer Vergegenwärtigung widerstreitenden und allzu oft sich versagenden – Vernichtung von Menschen und kulturellen Gütern im Gefolge der Nazi-Barbarei eingedenkend, sehenden Auges und dem Schmerz trotzend, zu begegnen. Klaus Garber Osnabrück im Frühjahr 2013

Martin Opitz D APHNIS

D APHNIS Ein unbekanntes Epithalamium und eine wiederaufgefundene Ekloge von Martin Opitz in einem Sammelband des schlesischen Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen in der litauischen Universitätsbibliothek Vilnius George Schulz-Behrend, dem verdienstvollen Opitz-Herausgeber, in dankbarer Erinnerung und verehrend zugeeignet

Vorbemerkung Die vorliegende Abhandlung wurde 1988 anläßlich des 65. Geburtstages von George Schulz-Behrend geschrieben. Sie war für die Festschrift des verehrten Kollegen gedacht. Vgl. Opitz und seine Welt. Festschrift für George Schulz-Behrend zum 12. Februar 1988. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam etc.: Rodopi 1990 (= Chloe. Beihefte zum Daphnis; 10). Wenige fehlende biographische Daten zur Biographie des Tobias Scultetus ließen es dem Verfasser seinerzeit – törichterweise – geraten erscheinen, auf eine Publikation zu verzichten, zu der insbesondere Barbara Becker-Cantarino und Jörg-Ulrich Fechner beharrlich ermunterten, denen für Zuspruch, Geduld und Verständnis zu danken war. Die Mitteilung eines bis dato unbekannten Opitz-Gedichts und einer lange verschollenen und nun an anderer Stelle unvermutet wiederaufgefundenen Erstfassung einer der beiden neulateinischen Eklogen Opitzens sowie ihrer beider Interpretation dürfte unabhängig von der inzwischen verstrichenen Zeit weiterhin willkommen sein. Der Beitrag war und ist dem inzwischen verstorbenen George SchulzBehrend in unwandelbarer Verehrung zugedacht. Die so arg verspätete Zueignung verbindet sich mit der Hoffnung aller Opitz-Freunde und -Forscher, daß die von ihm überzeugend konzipierte, mit größter philologischer Akribie ins Werk gesetzte und bis zum Jahr 1630 herangeführte Ausgabe des Begründers der neueren deutschen Kunstdichtung in absehbarer Zeit zu einem Abschluß gebracht werden kann. Sie wird mit dem Namen SchulzBehrends verbunden bleiben. Der Beitrag integriert Elemente verschiedener Arbeitsvorhaben zum alten Buch im alten Europa, zur Bukolik-Bibliographie, zur europäischen Hirtendichtung und zu Leben und Werk Martin Opitzens, die einstmals dem – zu groß angelegten – Arkadien-Projekt des Verfassers zugeordnet waren und

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Martin Opitz

sich mittlerweile zu einzelnen Buchvorhaben verselbständigt haben, die teils inzwischen realisiert werden konnten, teils in Vorbereitung sind. Auf die näheren Einzelheiten ist jeweils am Ort verwiesen. Sehr nachdrücklich zu danken für vielfältige Unterstützung bei der seinerzeitigen Vorbereitung der Studie habe ich Wolfgang Adam (Osnabrück), Armin Grundke (Nürnberg), Stephan Heilen (Osnabrück), Wilhelm Kühlmann (Heidelberg), Gregor Maurach (Osnabrück), Lothar Mundt (Berlin), Fidel Rädle (Göttingen), Eckart Schäfer (Freiburg/Breisgau), Bernd Schneider (Osnabrück), Robert Seidel (Frankfurt a.M.) und Hermann Wiegand (Mannheim). Bei der Nachbereitung der Arbeit standen mir in verschiedenen Phasen Debora Batram, Katharina Beckmann, Imke Hans, Astrid Menke und Katja Prinsen zur Seite. Die überaus komplizierte Schlußredaktion besorgte die Altphilologin Renate Westrup. Ihr kam die wiederholt in Anspruch genommene und stets großmütig gewährte Hilfe von Hartmut Laufhütte (Passau) zugute. Axel E. Walter (Klaipėda, Osnabrück) bin ich für förderliche Hinweise auf dem Feld der litauischen Druck- und Bibliotheksgeschichte sowie der Epistolographie verpflichtet. Mein langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter Stefan Anders hat auch dieser Untersuchung die endgültige Gestalt verliehen, wofür ein besonderes Wort des Dankes für die selbstlose Hilfe auszusprechen ist. Darüber hinaus gilt mein Dank meinen Gesprächspartnern und Helfern in den Bibliotheken von Vilnius. In der Universitätsbibliothek stand mir vor allem Nojus Feigelmanas zur Seite (vgl. unten Anm. 8). Frau Direktorin Birutė Butkevičienė versorgte mich mit zahllosen erbetenen Mikrofilmen. In der Akademiebibliothek gewährte mir Direktor Juozas Marcinkevičius jede erdenkliche Erleichterung; in der Nationalbibliothek lernte ich in Herrn Juozas Tumelis einen exzellenten Kenner der litauischen Buchgeschichte kennen. Auf allen meinen Gängen während der knappen Woche im Dezember 1987 in Vilnius – und seither während aller Besuche in der einzigartigen Stadt – begleitete mich als Dolmetscherin (sowie leidenschaftliche GoetheLeserin und -Rezitatorin) Ona Bliudžiutė von der Akademiebibliothek. In Wrocław begegnete ich dem inzwischen verstorbenen Adam Skura wieder, dessen Lebenswerk dem ohne Parallele dastehenden und leider nicht ganz vollendeten Katalog der Altdrucke in der Biblioteka Uniwersytecka zu Wrocław galt. Adam Skura verdanke ich nicht nur viele Hinweise für die Bibliographie der Bukolik des 17. Jahrhunderts, sondern zahlreiche mündliche Berichte zur Geschichte der gleichfalls inkommensurablen Breslauer Universitätsbibliothek, vor allem aus den entscheidenden ersten Jahren des Aufbaus nach Kriegsende. Darüber hinaus halfen mir seinerzeit Ewa Pietrzak und Mirosław Grudzień nach einer vorzeitigen Abreise aus Wrocław durch zusätzliche Informationen.

Daphnis – Eine wiederentdeckte Ekloge

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Die in den vergangenen Jahren erschienene Literatur wurde nach Maßgabe des Möglichen eingearbeitet. Auf die Verzeichnung der zahlreichen inzwischen erschienenen Arbeiten des Verfassers insbesondere zu seinen Bibliotheksreisen nach Mittel- und Osteuropa wurde jedoch verzichtet. Diese Arbeiten sind jetzt zugänglich in den folgenden drei Büchern: Nation – Literatur – Politische Mentalität. Beiträge zur Erinnerungskultur in Deutschland. Essays, Reden, Interventionen.- München: Fink 2004; Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006; Schatzhäuser des Geistes. Alte Bibliotheken und Büchersammlungen im Baltikum.- Köln [etc.]: Böhlau 2007 (= Aus Bibliotheken, Archiven und Museen Mittel- und Osteuropas; 3).

1. Das katholische Vilnius und seine Universitätsbibliothek Im Bibliothekssaal des Pranciškus Smuglevičius Eine Reise durch die Bibliotheken und Archive Mittel- und Osteuropas beglückt den Buchliebhaber immer zugleich durch beides: Die Begegnung mit reichen genuinen Altbeständen an deutscher Literatur, gerade auch des 17. Jahrhunderts, und die Wiederentdeckung verschollen geglaubter Bestände aus deutschen Bibliotheken, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf vielfach verschlungenen Pfaden vor allem in die Sowjetunion gelangten. Leningrad und Vilnius waren in der ehemaligen Sowjetunion die beiden Städte, in denen – wie auf andere Weise Thorn und Warschau in Polen – Althergebrachtes und Neuhinzugeströmtes das Bild der jetzigen Bibliothekslandschaft in besonderer Weise prägen, wohingegen Moskau aus vielerlei Gründen nochmals eine Sonderstellung einnimmt. Vilnius, seit je in engstem sprachlichen und kulturellen Austausch mit dem alten Preußenland, ist im Zuge weitreichendster bibliothekarischer Umschichtungen neben Thorn, Warschau und St. Petersburg zum wichtigsten Sammelzentrum Königsberger Bücher aufgerückt. Über dieses vielleicht ergreifendste Kapitel mitteleuropäischer Buch- und Bibliotheksgeschichte der neueren Zeit ist inzwischen an anderen Stellen eingehend gehandelt worden. Hier und heute sei zu Ehren des Begründers der neueren deutschen Kunstdichtung wie seines Editors der Blick auf die genuinen Schätze der traditionsreichen Universitätsbibliothek zu Vilnius gelenkt. Jeder Bibliotheksreisende weiß von dem Glück, das die Göttin des Zufalls für den passionierten Sammler und Spurensuchenden stets wieder bereithält, so, als wollte sie selbst der Trauer über das Untergegangene zuweilen Einhalt gebieten und den Resignierenden mit neuen Kräften beflü-

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geln. Routinemäßig blätternd im Katalog der reichen Altdrucke der Universitätsbibliothek Vilnius in einem der schönsten Bibliothekssäle der Welt, stieß ich 1987 auf ein langgesuchtes Kleinod von Martin Opitz, dem sich sogleich noch ein unbekanntes Stück hinzugesellte. Ihrer beider Entdeckung kam schon seinerzeit zu spät für die chronologische Plazierung in der mustergültigen Opitz-Ausgabe, die George Schulz-Behrend der gelehrten philologischen Welt zubereitet hat.1 Doch werden sie neben manchem anderen inzwischen wieder Aufgefundenem gewiß in einen Nachtragsband eingehen, den wir uns – zusammen mit den Briefen von und an Opitz! – zum Abschluß jahrzehnteglanger Bemühungen aus den Händen des Jubilars so lebhaft erwünschen.2 –––––– 1

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Zum Widerhall der großen Opitz-Ausgabe von George Schulz-Behrend in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vgl. z.B. Horst Nahler.- In: Germanistik 10 (1969), S. 348 f.; 20 (1979), S. 785 f. Jörg-Ulrich Fechner.- In: Euphorion 64 (1970), S. 433– 440. Leonard Forster.- In: German Life & Letters 24 (1970), S. 122–123. Volker Meid: Literatur des 17. Jahrhunderts in der Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart.- In: Monatshefte 72 (1980), S. 175–180, S. 175 ff. Gerald Gillespie.- In: The Germanic Review 47 (1972), S. 143–145. Ulrich Maché.- In: The Germanic Review 55 (1980), S. 82–83; 57 (1982), S. 84–85; Journal of English and Germanic Philology 79 (1980), S. 292–294; 81 (1982), S. 84–86. Karl F. Otto.- In: The German Quarterly 53 (1980), S. 472–473; 54 (1981), S. 90–91. Peter Skrine.- In: The Modern Language Review 75 (1980), S. 292–294, S. 445–446; 76 (1981), S. 746– 747. Barbara Becker-Cantarino.- In: Michigan Germanic Studies 7 (1981), S. 303– 306. Klaus Garber.- In: Martin Opitz. Studien zu Werk und Person. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino.- Amsterdam 1982 (= Daphnis; 11), S. 701–708. Christian Wagenknecht.- In: Colloquia Germanica 18 (1985), S. 165–168. – Dazu die wichtigen Äußerungen des Herausgebers selbst: George Schulz-Behrend: On Editing Opitz.- In: Modern Language Notes 77 (1962), S. 435–438; ders.: Die Opitz-Ausgabe.- In: Quellen der Barockforschung. Symposion in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 11.–13. September 1972 (= Jahrbuch für Internationale Germanistik IV/2 (1972), S. 9–106), S. 74–75. Die hier ausgesprochenen Erwartungen und Hoffnungen haben sich zwischenzeitlich unerwartet rasch und in anderer Weise als seinerzeit vorauszusehen erfüllt. Parallel zur Opitz-Ausgabe von George Schulz-Behrend (die nun in andere Hände übergehen muß) ist eine höchst verdienstvolle kommentierte zweisprachige Edition der lateinischsprachigen Werke Opitzens in Angriff genommen worden. Sie ist auf drei Bände konzipiert, von denen der erste Band vorliegt: Martin Opitz. Lateinische Werke. Bd. I: 1614–1624. In Zusammenarbeit mit Wilhelm Kühlmann, Hans-Gert Roloff und zahlreichen Fachgelehrten hrsg., übersetzt und kommentiert von Veronika Marschall und Robert Seidel.- Berlin, New York: de Gruyter 2009 (= Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). In diesen Band sind auch die beiden vom Verfasser 1987 aufgefundenen Stücke Opitzens erstmals zum Abdruck gelangt. Vgl. dazu unten die Anmerkungen 40 und 79.

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Gegenreformatorisches gelehrtes Vilnius Das Stadtbild in seinen klerikalen wie seinen kulturellen Manifestationen ist in Vilnius geprägt durch die Gegenreformation und – wie in ungezählten anderen Orten im polnisch-böhmisch-habsburgischen Grenzraum – speziell durch den Jesuitenorden. Zusammen mit dem Jesuitenkollegium wurde ______ Darüber hinaus wurde eine bahnbrechende Edition aller bislang ermittelten Briefe von und an Opitz erarbeitet, mit der die Opitz-Philologie insgesamt auf eine neue Grundlage gestellt wurde: Martin Opitz. Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. An der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Bd. I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009. Vorangegangen war eine quellenkundliche Grundlegung des Vorhabens. Vgl. Klaus Conermann, Andreas Herz, unter Mitarbeit von Olaf Ahrens: Der Briefwechsel des Martin Opitz. Ein chronologisches Repertorium.In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 28 (2001), S. 3–133. Damit sind weitere Bausteine für eine große Opitz-Monographie vorhanden, an der vom Verfasser gearbeitet wird. Neben der auf Opitz bezogenen editionswissenschaftlichen Grundlagenforschung hat die parallele bibliographische ebenfalls entscheidende Fortschritte gemacht. Der Ausgang in den siebziger und achtziger Jahren war stets von den Arbeiten von Marian Szyrocki und Erich Trunz sowie ihrer verdienten Mitarbeiterin Irmgard Böttcher zu nehmen. Vgl. Marian Szyrocki: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4). Hier S. 161–197 eine Bibliographie der gedruckten Werke Opitzens und S. 197–207 ein Verzeichnis der Handschriften und Briefe von und an Opitz. Im Anschluß daran findet man S. 209–213 eine Auswahl-Bibliographie der wissenschaftlichen Literatur über Opitz, der sich S. 213 f. eine seinerzeit erste und deshalb besonders willkommene Information über vorhandene und verlorene Handschriften von und über Opitz in der Universitätsbibliothek Breslau sowie der Jagiellonen-Bibliothek und der Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau anschließt. Außerdem werden eine Reihe von maschinenschriftlichen Dissertationen über Opitz aufgeführt. Dieser wichtige Anhang ist in der zweiten Auflage des Werkes, die 1974 im Beck-Verlag zu München erschien, unbegreiflicherweise weggefallen. Die Faksimile-Ausgabe letzter Hand der Werke Opitzens, die Erich Trunz veranstaltete, ist in allen drei Bänden mit wichtigen Beigaben ausgestattet, auf die stets wieder zu verweisen ist. Vgl. Martin Opitz. Geistliche Poemata 1638. Hrsg. von Erich Trunz. 2., überarb. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1975 (= Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 1). Hier im Anhang S. 29*–45* eine systematisch gegliederte Bibliographie der wissenschaftlichen Literatur. Des weiteren: Martin Opitz. Weltliche Poemata 1644. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Christine Eisner hsrg. von Erich Trunz. 2., überarb. Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1975 (= Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 2). Hier findet sich S. 11*–22* eine hilfreiche ›Zeittafel zu Martin Opitz’ Leben und Werk‹. Der abschließende dritte Band der Ausgabe: Martin Opitz. Weltliche Poemata 1644. Zweiter Teil. Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hsrg.

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1570 in Vilnius auch die Bibliothek eingerichtet.3 Die Bücher des Suffragan-Bischofs zu Vilnius, Georgius Albinius, sowie des Großfürsten von Litauen, Sigismund II. August, bildeten den Grundstock der Bibliothek, die ––––––

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von Erich Trunz.- Tübingen: Niemeyer 1975 (= Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 3). Dieser Band ist neben einem großen Nachwort von Erich Trunz ausgestattet mit ›Materialien zur Textkritik‹ von Irmgard Böttcher (S. 115*–163*) sowie einer revidierten Version der Szyrockischen Bibliographie (S. 164*–225*), an deren Zustandekommen Irmgard Böttcher maßgeblichen Anteil besitzt. Diese Bibliographie bildete die einschlägige Grundlage für den Opitz-Eintrag in dem bibliographischen Handbuch Gerhard Dünnhaupts, das in der ersten Auflage zu Beginn der achtziger Jahre gleichfalls vorlag: Gerhard Dünnhaupt: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts. Bd. I–III.- Stuttgart: Hiersemann 1980–1981 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 2.1–3). Hier im zweiten Band (unter fortlaufender Paginierung!) der Opitz-Eintrag mit der wissenschaftlichen Literatur und den Opitz-Drucken S. 1322–1385. Das in den neunziger Jahren auf sechs Bände erweiterte Werk brachte auch einen wesentlich erweiterten Opitz-Artikel: Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verb. u. wesentlich verm. Aufl. des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur. Bd. I– VI.- Stuttgart: Hiersemann 1990–1993 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 9.1–6). Hier im vierten Band (1991) der Opitz-Eintrag S. 3005–3074. Ein entscheidender Fortschritt ist schließlich auch nochmals in der Verzeichnung der wissenschaftlichen Literatur zu Leben und Werk Opitzens erfolgt. Im Rahmen der Neubearbeitung der bekannten Barock-Bibliographie von Hans Pyritz aus dem Jahr 1935 wurde auch der Opitz-Artikel wesentlich erweitert. Vgl. Bibliographie zur deutschen Literaturgeschichte des Barockzeitalters. Begründet von Hans Pyritz. Fortgeführt und hsrg. von Ilse Pyritz [und Reiner Bölhoff!]. Zweiter Teil: Dichter und Schriftsteller – Anonymes – Textsammlungen. Bearb. von Ilse Pyritz [und Reiner Bölhoff].- Bern: Francke 1985. Hier der systematisch gegliederte Opitz-Eintrag S. 508–524. Die Verzeichnung der wissenschaftlichen Literatur zu Opitz wurde schließlich nochmals auf eine neue Grundlage gestellt durch eine chronologisch angeordnete und bis in das Jahr 1800 zurückreichende Studie, in der man fortan alles Einschlägige aus dem Berichtzeitraum zuverlässig zusammengeführt findet: Julian Paulus, Robert Seidel: Opitz-Bibliographie 1800–2002.- Heidelberg: Palatina 2003. Ich beziehe mich im folgenden vor allem auf einen kleinen deutschsprachigen, reich bebilderten Führer, der mir dankenswerterweise (wie manche andere Vilnius-Zimelie) von dem seinerzeitigen Direktor der Universitätsbibliothek Siegen, Dr. Manfred Hancke, zugänglich gemacht wurde: Zofija Petrauskienė: Bibliothek der Universität Vilnius, Vilnius: Mintis 1970. Vgl. darüber hinaus Friedhilde Krause: 400 Jahre Wissenschaftliche Bibliothek der Staatlichen Vincas-Kapsukas-Universität in Vilnius.- In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 85 (1971), S. 275–280; dies.: Bibliotheken in der Litauischen SSR. Bericht über eine Studienreise.- In: Der Bibliothekar 25 (1971), S. 828–836. Jetzt mit zahlreicher weiterer Literatur der Eintrag im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. VII/2: Finnland, Estland, Lettland und Litauen. Bearb. von Cornelius Hasselblatt.- Hildesheim, Zürich, New

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mit diesen Donationen zugleich ihr zukünftiges Profil gewann. Die Literatur des katholischen Kulturkreises im weitesten Sinn und die des europäischen neulateinischen Späthumanismus prägen ihre Physiognomie ganz merklich bis heute.4 Schon neun Jahre später wurde das Kollegium in eine Akademie ––––––

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York: Olms 1998, S. 202–214. – Zu der aufs engste mit der Bibliothek verknüpften Geschichte der Universität vgl. die maßgebliche Jubiläumsdarstellung: Vilniaus Universiteto istorija. Bd. I: 1579–1803, Bd. II: 1803–1940, Bd. III: 1940–1979.- Vilnius: Mokslas 1976–1979 (mit deutsch- und englischsprachigen Inhaltsverzeichnissen, leider jedoch ohne die sonst üblichen Resümees; deshalb hinzuzunehmen:) A Short History of Vilnius University.- Vilnius: Mokslas 1979. Diese Darstellung wird jetzt ergänzt durch das – auch ansprechend illustrierte – Werk: Vilniaus Universiteto istorija. 1579–1994.- Vilnius: Valstybinis Leidybos Centras 1994. Eine Bibliographie zur Geschichte der Universität liegt vor in Henryk Baranowski: Bibliografia Wilna. Bd. I. Uniwersytet Wileński 1579–1939.- Toruń: Uniwersytet Mikołaja Kopernika 1996. Vgl. auch die selbständig erschienene, reichhaltige Bibliographie: Vilniaus Universitetas Bibliografija 1940–1977.- Vilnius: Mintis 1979. Hier S. 22–23, 35– 36, 62–63, 72–73, 97, 104, 155 f., 181–191 eigene Abschnitte zur Bibliothek. Seither erschienene Literatur verzeichnet die Lietuvos bibliografija = Litauische Bibliographie in ihren einzelnen Jahrgängen. Eine Fortsetzung des eben genannten Werkes wäre dringend zu wünschen. Zum kulturellen Leben Litauens insgesamt neben der schönen gleichnamigen Einführung von Mykolas Požarskas: Das kulturelle Leben Litauens.- Vilnius: Gintaras 1967, jetzt Bronius Genzelis: Lietuvos kultūros istorijos metmenys.- Kaunas: Vytauto Didžiojo Universiteto Leidykla 2001. Außerdem jetzt mit englischen Zusammenfassungen der Beiträge - der instruktive Band anlässlich der Wahl von Vilnius zur Kulturhauptstadt 2009: Vilnius. Kultūrinė-literatūrinė refleksija. Hrsg. von Audinga Peluritytė-Tikuišienė.- Vilnius: Vilniaus Pedagoginio Universiteto Leidykla 2009 (= Acta litteraria comparativa; 4). Für den hier behandelten Zeitraum immer noch sehr instruktiv Juozas Jurginis, Ingė Lukšaitė: Lietuvos kultūros istorijos bruožai (Feodalizmo epocha. Iki aštuonioliktojo amžiaus).- Vilnius: Mokslas 1981. – Schöne Einblicke in die reichen historischen Bestände dieser Bibliothek gewähren der auch in deutscher Sprache erschienene Ausstellungskatalog: Das alte Buch in Litauen. 16.–18. Jahrhundert. [Ausstellung der Universitätsbibliothek Vilnius. Ausstellung und Katalog zusammengestellt von Alma Braziūnienė].Vilnius: Baltos Lankos 1997, sowie die CD-ROM (mit Begleitheft in litauischer, englischer und französischer Sprache): Vilniaus Universiteto Bibliotekos istoriniai rinkiniai. Historical collections of the Vilnius University Library.- Vilnius 1998. Die Altdruckabteilung der Universitätsbibliothek erschließt die wertvollen historischen Sammlungen sukzessive in einer Reihe von vorbildlich gearbeiteten Katalogen, zuletzt Bibliotheca Sapiehana. Vilniaus universiteto bibliotekos rinkinys. Katalogas. Hrsg. von Aušra Rinkūnaitė.- Vilnius: Lietuvių literatūros ir tautosakos inst. 2010 (= Fontes Historiae Universitatis Vilnensis). Der Reichtum der Bibliothek zeigt sich etwa auch in den Drucken von Aldus Manutius, vgl. dazu: Vilnius universiteto bibliotekos aldai. Katalogas. Hrsg. von Petras Račius. Vilnius: E. Karpavičiaus 2008 (= Fontes Historiae Universitatis Vilnensis). Zu den Anfängen des Buchdrucks unter besonderer Berücksichtigung der jesuitischen Produktion vgl. aus der deutschsprachigen Literatur den wichtigen Artikel von

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im Range einer Universität umgewandelt. Vilnius trat neben die protestantischen Schöpfungen Herzog Albrechts und Gustav Adolfs als eine zentrale Bastion des Katholizismus mit naturgemäß engen Kontakten zu Lissa, Krakau und Prag, in regem Austausch jedoch zugleich mit dem nahegelegenen Königsberg; die jeweils universitätseigenen Buchdruckereien versorgten sich wechselseitig mit ihrer Produktion. Um 1620 erschien in Vilnius (nach einem schon 1595 bzw. 1599 vorliegenden Katechismus) das erste weltliche Buch in Gestalt eines polnisch-lateinisch-litauischen Wörterbuchs von Konstantinas Širvydas; in der Mitte des Jahrhunderts lag handschriftlich das erste deutsch-litauische Wörterbuch vor, das inzwischen in einem prachtvollen Faksimile nebst gedruckter Transkription wieder zugänglich ist – Zeugnis der gemeinsamen preußisch-litauischen Vergangenheit, die wie überall im Baltikum nach einer schon vor dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Entfremdung nun mit neuem Sinn für die kulturelle Identität des alten Europa in einer jungen Generation die geschichtlich allein angemessene Würdigung und Rehabilitierung erfährt und naturgemäß im deutsch-baltischen Transfer ihr eigentliches Kräftefeld besitzt.5 Aufstieg der akademischen Bibliothek Bereits zu Ende des 16. Jahrhunderts galt die Bibliothek als eine der größten in Osteuropa, bevor in der Mitte des 17. Jahrhunderts eine Stagnation ein––––––

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Zenonas Ivinskis: Die Druckerei der Jesuiten in Vilnius und die ersten litauischen katholischen Bücher.- In: Commentationes Balticae 1 (1953/54), S. 27–67 (mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen). Die maßgebliche Darstellung stammt von Irena Petrauskienė: Vilniaus Akademijos spaustuvė (1575–1773).- Vilnius: Mokslas 1976. Dazu auch die von derselben und Kostė Čepienė herausgegebene Bibliographie: Vilniaus Akademijos spaustuvės leidiniai 1576–1805.- Vilnius: Lietuvos TSR Mokslų Akademijos 1979, die insgesamt 2685 Titel verzeichnet. Von Irena Petrauskienė schließlich auch der Band: Vilniaus Akademijos spaustuvės šaltiniai. XVI– XIX a.- Vilnius: Mokslas 1992. Die Anfänge des litauischen Buchdrucks lagen bekanntlich in Königsberg, das über die Jahrhunderte auch ein Zentrum der litauischen Buchproduktion blieb. Die grundlegende Darstellung dazu vom ersten Fachmann Domas Kaunas: Mažosios lietuvos knyga. Lietuviškos knygos raida 1547–1940.- Vilnius: Baltos Lankos 1996 (= Mažosios Lietuvos fondo leidinys; 6) (mit deutschsprachiger Zusammenfassung). Vgl. auch als schönen Überblick in deutscher Sprache ders.: Die Rolle Königsbergs in der Geschichte des litauischen Buches.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte. Hrsg. von Axel E. Walter.- Köln [etc.]: Böhlau 2004 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas – Studien, Editionen, Verzeichnisse; 1), S. 157–167. Die Anfänge des litauischen Buchdrucks in Königsberg und

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setzte. Als der Jesuitenorden 1773 aufgelöst wurde, gelangten Universität und Bibliothek unter die Obhut einer Erziehungskommission, die die Mo______ ihre Wirkungen auf das Großfürstentum sind inzwischen gut untersucht. Vgl. Axel E. Walter: Die Anfänge des litauischen Schrifttums im 16. Jahrhundert im Zeichen von Reformation und Humanismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Protestantismus im Herzogtum Preußen.- In: Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Stefan Kwiatkowski und Janusz Małłek.- Toruń: Uniwersytetu Mikołaja Kopernika 1998, S. 209–229. Die Bedeutung des ersten litauischen Buches, des 1547 in Königsberg gedruckten Katechismus von Martynas Mažvydas, für die litauische Kulturgeschichte und das nationale Bewußtsein dieses Landes wird deutlich an der Dokumentation der zu diesem Jubiläum erschienenen Veröffentlichungen: Pirmosios lietuviškos knygos sukaktis. Dokumentai, bibliografija, kronika. Hrsg. von Rasa Būdvytytė [u.a.].- Vilnius: Pradai 1998. Die reiche litauische Forschung zur Kultur des sogenannten Kleinlitauens, über das sich die kulturellen Austauschprozesse zwischen dem deutschen Sprachraum und dem Großfürstentum vollzogen, ist hier nicht zu referieren. Diese selbst werden deutlich erkennbar in der bislang in den ersten drei Bänden vorgelegten kleinlitauischen Enzyklopädie Mazosios Lietuvos enciklopedija. Bd. 1 ff.- Vilnius: Mokslo ir Enciklopediju Leidybis Inst. 2000 ff. Ein umfangreicher, reich illustrierter kulturgeschichtlicher Führer durch die kleinlitauische Geschichte liegt vor von Martynas Gelžinis: Musų, gimtinė Mažoji Lietuva.- Vilnius: Baltos Lankos 1996 (= Mažosios Lietuvos fondo leidinys; 5). Maßgeblich zur Reformationsgeschichte in Kleinlitauen und im Großfürstentum jetzt Ingė Lukšaitė: Reformacija Lietuvos Didžiojoje Kunigaikštystėje ir Mažojoje Lietuvoje. XVI a. trečias dešimtmetis – XVII a. pirmas dešimtmetis.- Vilnius: Baltos Lankos 1999. Eine deutschsprachige Zusammenfassung dieser Habilitationsschrift unter dem Titel: Reformation im Großfürstentum Litauen und in Kleinlitauen. Von den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts bis zum ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts.Vilnius: Lietuvos istorijos instituto leidykla 2000. – Zu Širvydas’ Lexikon vgl. Pirmasis lietuvių kalbos žodynas. Konstantinas Širvydas: Dictionarium Trium Linguarum. Hrsg. von Kazys Pakalka.- Vilnius: Mokslas 1979 (mit deutschsprachigem Vorwort und entsprechender Zusammenfassung). Lexicon Lithuanicum. Rankraštinis XVII a. vokiečių – lietuvių kalbų žodynas. Lexicon Lithuanicum. Handschriftliches deutschlitauisches Wörterbuch des 17. Jahrhunderts. Hrsg. und mit einer Einleitung von Vincentas Drotvinas.- Vilnius: Mokslas 1987 (mit deutschsprachiger Zusammenfassung). Außerdem liegt ein Faksimile der Ausgabe von 1642 vor: Senasis Konstantino Širvydo žodynas.- Vilnius: Mokslo ir enciklopediju leidybos inst. 1997 (= Kalbos ugdymo programa). Vgl. auch Ernst Sittig: Der polnische Katechismus des Ledezna und die litauischen Katechismen des Dougsza und des Anonymus vom Jahre 1605.Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1929, sowie die faksimilierte Wiedergabe des Elbinger und des Grunauschen Vokabulars nebst dreier altpreußischer Katechismen in: Prūsų kalbos paminklai. Hrsg. von Vytautas Mažiulis.- Vilnius: Mintis 1966 (mit deutschsprachigem Vorwort). Dazu die oben angeführten Titel. – Der großlitauische Katechismus von Mikalojus Daukša 1595, der knapp 50 Jahre nach dem Königsberger Katechismus von Mažvydas erschien und damit ganz am Anfang des litauischen Buchdrucks im Großfürstentum steht, liegt ebenfalls in einem Faksimile vor: Mikalojaus Daukšos 1595 metų katekizmas.- Vilnius: Mokslo ir enciklopediju leidybos

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dernisierung der Bibliothek nach Kräften betrieb. Neben naturwissenschaftlichen und medizinischen Werken kamen jetzt auch Bücher aus der Bibliothek Georg Forsters hinzu, der von 1784–1788 an der Universität wirkte.6 1780 wurde das Pflichtexemplar eingeführt. Als das ehemalige Großfürstentum Litauen dann nach der dritten polnischen Teilung 1795 an Rußland geriet, vertauschte die alte Akademie ihren Namen mit dem einer Kaiserlichen Universität; die Bibliothek selbst wurde erstmals einem Fachmann, dem Altphilologen Ernst Groddeck, unterstellt.7 Der Bestand wuchs jetzt auf mehr als 60 000 Bände an; ein Zettelkatalog wurde geschaffen; 1830 ging von Vilnius die Etablierung der Bibliographie im zaristischen Rußland aus. Schwer zu büßen hatte die florierende Universität und mit ihr die Bibliothek für die Teilnahme zahlreicher Professoren am polnischen Aufstand von 1830/31. Die Universität wurde geschlossen, die Bestände der Bibliothek wurden auf diverse wissenschaftliche Institutionen im zaristischen Rußland verteilt bzw. deren Nachfolgeorganisationen, der Medizinisch-Chirurgischen und der Geistlichen Akademie am Ort, übergeben und nach deren Auflösung gleichfalls anderwärts hin (zumeist nach St. Petersburg) verbracht. Umgekehrt strömte nach 1865 neues Bibliotheksgut aus aufgelösten Schulen, Klöstern, Gutshöfen und Privatbibliotheken nach Vilnius, so daß tatsächlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein Gesamtbestand von ca. 200 000 Bänden gezählt wurde. Nach der Kaiserlichen und der Akademiebibliothek in St. Petersburg sowie der Rumjancev-Bibliothek im Paškov-Palais zu Mos––––––

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inst. 1995 (= Bibliotheca Baltica. Lithuania). In dieser verdienstvollen Reihe sind auch der Katechismus von Mažvydas und der Pruzzische Katechismus (Königsberg 1545) erschienen. Allen Bänden dieser Reihe gehen jeweils instruktive Einleitungen voran. Die bis heute grundlegende Biographie zu Daukša stammt von Jurgis Lebedys: Mikalojus Daukša. Monografija.- Vilnius: Valstybine Grozines literaturos leidykla 1963. – Die bedeutende Rolle, die die baltischen Universitäten über die Jahrhunderte für die kulturellen Austauschprozesse zwischen West und Ost spielten, beleuchten eingehend die Beiträge in dem Band: Die Universitäten Dorpat/Tartu, Riga und Wilna/Vilnius 1579–1979. Beiträge zu ihrer Geschichte und ihrer Wirkung im Grenzbereich zwischen West und Ost. Hrsg. von Gert von Pistohlkors [u.a.].Köln, Wien: Böhlau 1987 (= Quellen und Studien zur baltischen Geschichte; 9). Vgl. Georg Steiner: Johann Reinhold Forsters und Georg Forsters Beziehungen zu Rußland.- In: Studien zur Geschichte der russischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Helmut Graßhoff und Ulf Lehmann. Bd. I–II.- Berlin/DDR: AkademieVerlag 1963–1968, Bd. II, S. 245–311, 430–450. Vgl. auch die schöne Biographie von Klaus Harpprecht: Georg Forster oder Die Liebe zur Welt. Eine Biographie.Reinbek bei Hamburg: rowohlt 1987, S. 337 ff.: ›In sarmatischer Verbannung‹. Dazu die litauische Dokumentation Georgo Forsterio laiškai iš Vilniaus. [Hrsg., aus dem Deutschen übersetzt und eingeleitet von Jonas Kubilius.]- Vilnius: Mokslas 1988. Zu ihm vgl. den Artikel Bursians in der ADB IX (1879), S. 707–708.

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kau nahm die Öffentliche Bibliothek in Vilnius nun den vierten Platz im alten Kaiserlichen Rußland ein. Im Katastrophen-Jahrhundert Wie für so viele baltische Archive und Bibliotheken kündigten sich die Katastrophen des 20. Jahrhunderts auch in Vilnius schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs an. Vor den herannahenden deutschen Truppen wurden große Teile des wertvollen Altbestandes in das Innere Rußlands verlagert. Nach dem Kriege ging der weitere Ausbau der Bibliothek – und damit vor allem die Pflege der gesellschaftswissenschaftlichen und politischen Fächer – kurzfristig in die Hände der litauischen Sowjets über, bevor Wilna an die Polen zurückfiel. Als Hauptstadt der nun selbständigen Republik Litauen fungierte bekanntlich Kaunas. Die Universität wurde unter dem klangvollen Namen Stephan Báthorys mitsamt der Bibliothek restituiert und letzterer bedeutende Schenkungen (u.a. die Handschriften und Büchersammlung Joachim Lelewels) zugeführt. Nicht weniger kurzfristig blieb die zweite Phase der Kulturpolitik der erneuerten Sowjetmacht in Litauen und Vilnius nach dem Hitler-Stalin-Pakt im Jahre 1940. Dieses Mal reichte die Zeit nicht, um die Schätze der Bibliothek vor den deutschen Okkupanten in Sicherheit zu bringen. Zahllose Manuskripte (über deren Anzahl offensichtlich keine verläßlichen Zahlen vorliegen) und knapp 160 000 Bücher verschwanden – ein Verlust, wie ihn in den benachbarten Sowjetrepubliken etwa auch Minsk in Weißrußland und Lemberg in der Ukraine erlitten. Immerhin konnten nach dem Kriege von den litauischen Bibliothekaren umfassende Suchmaßnahmen im gesamten Raum der Sowjetunion eingeleitet und die im 19. wie im 20. Jahrhundert anderwärts verbrachte Literatur in einem gewissen Umfang an den angestammten Platz zurückgeführt werden. So wurden allein zwischen 1956 und 1959 15 000 Bände aufgefunden, darunter zahlreiche Altdrucke zwischen 1600 und 1800. Mit über 150 000 alten und raren Büchern gehört die Universitätsbibliothek Vilnius heute zu den maßgeblichen Reservoiren alteuropäischer Druckkunst in Mittelosteuropa. Der langgestreckte ovale Saal, in dem der Benutzer diese Kostbarkeiten unter dem Patronat des Inkunabel-Spezialisten Nojus Feigelmanas damals vorgelegt erhielt, ist selbst ein Zeuge der bewegten Geschichte der Universität und Bibliothek.8 Ehemals Sitzungs- und Versammlungsraum der eben –––––– 8

Vgl. die eindrucksvolle Bibliographie von Nojus Feigelmanas: Lietuvos inkunabulai.Vilnius: Vaga 1975, mit einer großen druck-, buch- und sammlungsgeschichtlich für Vilnius und Litauen gleich wichtigen Einleitung (mit Summary!). Dieses Werk ist vom Verfasser fortgeführt und nach seinem Ausscheiden aus der Bibliothek von Ire-

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gegründeten Universität, wurde er im 19. Jahrhundert zur Aula der Universität umgewandelt und mit klassizistischen, bis heute erhaltenen Fresken von Pranciškus Smuglevičius geschmückt. Napoleon und Mickiewicz weilten in ihm. Der polenfreundlichen Aristokratie diente er zur Zeit des Aufstands als Versammlungsort. Anläßlich der 350-Jahr-Feier der Universität Vilnius wurde der alte Deckenschmuck der Tonnenwölbung aus der Gründungszeit restauriert, der sich heute harmonisch mit der klassizistischen Innengestaltung verbindet und wie ein Sinnbild der zeitenüberdauernden Macht des Schatzes wirkt, den er birgt.

–––––– na Daugirdaitė und Petras Račius abgeschlossen worden für die Post-Inkunabeln: Vilniaus universiteto bibliotekos paleotipai. Katalogas.- Vilnius: Lietuvių literatūros ir tautosakos institutas 2003 (= Fontes Historiae Universitatis Vilnensis) (mit einer Einführung auch in englischer Sprache). Ich danke Herrn Feigelmanas auch an dieser Stelle für die vorbildliche fachliche Betreuung während meiner Arbeiten in der Universitätsbibliothek zu Vilnius. Der große Buchkundler ist bereits in den 80er Jahren nach Israel emigriert. – Zugleich nehme ich die Gelegenheit wahr, aus der imponierenden buchkundlichen Literatur Litauens einige Kostbarkeiten zu erwähnen: Edmundas Laucevičius: Popierius lietuvoje XV–XVIII a.- Vilnius: Mintis 1967 (mit englischsprachigem Vorwort und Summary sowie eingehender Bibliographie); ders: XV–XVIII a. knygų įrišimai Lietuvos bibliotekose.- Vilnius: Mokslas 1976 (mit reichhaltigster Literatur, knapp 600 Abbildungen und Summary); Vincas Kisarauskas: Lietuvos knygos ženklais 1518–1918.- Vilnius: Mokslas 1984 (mit reichhaltiger Bibliographie und gleichfalls mit Summary). Neueren Datums der gleichfalls hervorragend gearbeitete Beitrag zum Buchschmuck von Eglė Patiejūnienė: Brevitas ornata. Mažosios literatūros formos XVI–XVII amžiaus Lietuvos Didžiosios Kunigaikštystės spaudiniuose.- Vilnius: Lietuvių Literatūros ir tautosakos inst. 1998 (= Senoji Lietuvos literatūra; 7). Schließlich sei nicht vergessen, daß Litauen noch zu Sowjetzeiten eine Nationalbibliographie erhalten hat, die seinerzeit einzigartig dastand: Knygos lietuvių kalba. T. 1: 1547–1861; T. 2 [in zwei Teilbänden]: 1862–1904.Vilnius: Mintis 1969–1988 (= Lietuvos TSR bibliografija. Serija A). Vgl. seither auch die allen Wünschen gerecht werdenden bibliographischen Arbeiten von Daiva Narbutienė und Sigitas Narbutas: XV–XVI a. lietuvos lotyniškų knygų sarašas.- Vilnius: Lietuvių literatūros ir tautosakos inst. 2002 (= Senoji Lietuvos literatūra; 12); dies.: XVII a. lietuvos lotyniškų knygų sarašas.- Vilnius: Lietuvių literatūros ir tautosakos inst. 1998 (= Senoji Lietuvos literatūra; 8). Daraus hervorgegangen die nunmehr grundlegende Darstellung von Daiva Narbutienė: Lietuvos Didžiosios Kunigaikštijos lotyniškoji knyga XV–XVII a.- Vilnius: Lietuvių literatūros ir tautosakos inst. 1998 (= Senoji Lietuvos literatūra; 15). – Zur Universitäts-Architektur (und damit den Lesesälen der Universitätsbibliothek): Vilniaus universiteto rūmai. Albumas.Vilnius: Vaga 1979 (in litauischer, russischer, englischer und deutscher Sprache mit Bibliographie).

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2. Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen an der Oder und ein zeitgenössischer Sammelband aus seinem Umkreis Eine Zimelie aus der Bibliothek des Dominicus Siwicki Zu unbekannter Zeit, wahrscheinlich im Zuge der Klosterauflösungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist aus der Bibliothek des PredigerKonvents in Grodno aus dem benachbarten Weißrußland auch ein Band mit Beuthener Drucken aus der Gründungsphase des dortigen Gymnasiums nach Vilnius gelangt. Das Dominikanerkloster in Grodno wurde 1633 gegründet und existierte bis 1832. Die Bibliothek des Klosters erfuhr im Jahr 1772 vor allem Zuwachs durch die Bibliothek des Bibliophilen Dominicus Siwicki, der sich seinerseits maßgeblich am Aufbau der Ordensbibliothek beteiligte. Zum Zeitpunkt ihrer Schließung waren rund 15 000 Bände zusammen. Sie zeichnete sich durch eine Reihe äußerst rarer Drucke aus, wie auch der hier zur Rede stehende Sammelband belegt. Aus der Bibliothek Siwickis herrührende Bücher sind durch sein Exlibris zu identifizieren: ›Fr. Dominicus Siwicki O.[rdo] P.[raedicatorum] Prov.[inciae] Litv.[aniae]‹. Die Bestände wurden nach der Schließung des Klosters zerstreut. Zahlreiche Bücher kamen – teilweise über Zwischenstationen – in die Universitätsbibliothek Vilnius, darunter der vorliegende Sammelband III-8283 mit Siwickis Exlibris. Er wurde gegen Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch in Grodno eingebunden. Es handelt sich um einen marmorierten Pappband mit Halblederrücken. Das eingeklebte Etikett ›Bibliothecae Conventus Grodnensis Ordinis Praedicatorum‹ ist späteren Datums. Der Band läßt Spuren zu den Ostrorógs in Großpolen erkennen. Auf der Rückseite des vorletzten Stücks findet sich von unbekannter Schreiberhand ein einseitiger biographischer Eintrag. Das illustre Geschlecht – berühmt für seine in der Geschichte der Alchemie hervorgetretenen Mitglieder – spielte bei der Sicherung des protestantischen Bekenntnisses in Polen eine bedeutende Rolle. Insbesondere das reformierte Bekenntnis fand in ihm um 1600 potente Schirmherren. So stellt sich zwanglos eine Brücke zu der Schönaichischen Schöpfung her.9 –––––– 9

Die vorstehenden Informationen sind zu Teilen einem Brief von Herrn Feigelmanas vom 16. August 1989 entnommen, dem Vf. auch in dieser Hinsicht dankbar verpflichtet ist. Zu dem Exlibris von Siwicki vgl. die entsprechenden Einträge bei Kisarauskas: Lietuvos knygos ženklai (Anm. 8), S. 20 und 115 f. Das eingeklebte Etikett hier S. 16. Vgl. auch Wiktor Wittyg: Ex-libris’y bibliotek polskich. XVII i XVIII wieku. Nachdruck der Ausgabe Warschau 1903.- Warszawa: Wyd. Artystyczne i Filmowe 1974. Hier S. 13 der Eintrag ›Dominikanów w Grodnie‹. Schließlich sei ein Sammelwerk erwähnt: Adam Łysakowski (Red.): Biblioteki Wilenskie. Praca Zbio-

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Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen Das Gymnasium Schönaichianum ist in den letzten Jahren in das helle Licht der Forschung getreten.10 Es ist nicht nur als wichtigste Bildungsinstitution ––––––

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rowa.- Wilno: Zakłady Graficzne ›Znicz‹ 1932. Hierin der einschlägige Beitrag von Stanisław Lisowski: Starodruki Uniwersyteckiej Biblijoteki Publicznej, S. 38 ff., und Mikołaj Dzikowski: Zbior Kartograficzny Uniwersyteckiej Biblioteki Publicznej, S. 41 ff., mit Nachweisen von Exemplaren aus der Bibliothek Siwickis. Zu Siwicki und Grodno vgl. Michał Brensztejn: Bibljoteka Uniwersytecka w Wilnie do roku 1832. 2. Aufl.- Wilno: Bibljoteki Publicznej i Uniw. 1925 (= Wydawnictwa Bibljoteki Publicznej i Uniwersyteckiej w Wilnie; 2), S. 8 f. Vgl. auch Rudolf Kotula: Właściciele rękopisów i starodruków zbiorów wielkopolskich Z. Czarneckiego, mieszczących się obecnie w ›Baworovianum‹ we Lwowie.- Lwów: Goldman 1929, S. 10: Bibljoteki klasztone. Hier auch ein Eintrag zur Dominikanerbibliothek in Grodno. Der Schreiber der Kurzbiographie von Sendivogius (Sędziwój) von Ostroróg (1568–1624) und anderen Mitgliedern des Geschlechts ist nicht bekannt. Die – gewiß kühne – Vermutung, daß möglicherweise Opitz selbst die Notiz verfaßt haben könnte, bedürfte der weiteren Untersuchung. Daß die Biographie in ein Buch aus dem Umkreis der Schönaichs geriet, ist, wie gesagt, schwerlich ein Zufall. Ostroróg hatte bis 1598 in Straßburg studiert und war später Vorsteher der Synode der Calvinisten in Polen. Vgl. hierzu den Eintrag in: Polski słownik biograficzny XXIV (1979), S. 523 f. Vgl. auch Estreicher: Bibliografia Polska XXVII (1929), S. 332–342. Der ungemein faszinierende, selbstverständlich auch Opitz umgreifende Kontext kann hier – selbst nur literaturdokumentierend – nicht entfaltet werden. Auszugehen hat jede Beschäftigung mit dem Beuthener Gymnasium von einer an versteckter Stelle erschienenen und bislang von der germanistischen Barockforschung nicht wahrgenommenen Skizze aus dem Jahre 1782. Sie verbirgt sich in einer der größten (und heute auch in Fachkreisen vergessenen) Leistungen der Historiographie und Personenkunde des protestantischen Schlesiens der Frühen Neuzeit, in Siegismund Justus Ehrhardts Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens. Teil I–IV [in fünf Bänden].- Liegnitz: Pappäsche 1780–1790. Dieses Werk gehört heute zu den Rarissima in den deutschen Bibliotheken. Selbst die SuUB Göttingen, Schwerpunktsammlung für das gelehrte 18. Jahrhundert, besitzt nur die Teile I (Hauptstadt Breslau (1780) und Fürstentum Breslau (1781)) und II (Fürstentümer Brieg, CarolathBeuthen und Crossen (1782)). Ich bin Herrn Pfarrer Johannes Grünewald (Göttingen), dem wir selbst zahllose Arbeiten zur schlesischen Presbyterologie verdanken, die vor seinem Tod nicht mehr zu einem Gesamtwerk zusammentraten, für die freundliche Überlassung der Teile III (Fürstentümer Groß-Glogau (1783) und Jauer (1784) in zwei Bänden) und IV (Stadt und Fürstentum Liegnitz, 1789–1790) anläßlich der Vorbereitungen dieser Studie in dankbarem Gedenken verpflichtet. Die Bände I, II und IV sind zwischenzeitlich auch im Original in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. – Das Tausende von Namen auf über 3000 Seiten umfassende Werk (mit der gesamten älteren Literatur) ist (vorläufig) erschlossen durch: Ein Inhaltsverzeichnis zu Sigismund Justus Ehrhardts ›Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens‹ [von Christian Friedrich Paritius, 1775–1849, Stadtrat in Breslau].- In: Der Schlesische Familienforscher.

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Schlesiens zwischen 1617 und 1629 erkannt, sondern auch als die primäre Keimzelle der Opitzschen Reform im Osten identifiziert worden. Georg von ______ Nr. 10, 1934, S. 221–242, 264–275, 277–299, 309–329, 368–378. Die entsprechende Handschrift aus der Breslauer Stadtbibliothek hat sich nebst einigen Fortschreibungen von Paritius’ Hand erhalten (R 2668 und R 2669) und ist in Osnabrück auf Mikrofilm verfügbar. Zu Ehrhardt selbst vgl. Heinrich Schubert: Sigismund Justus Ehrhardts Leben und Schriften.- In: Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Schlesiens 28 (1894), S. 81–98; 31 (1897), S. 276–284; ADB V (1877), S. 713 (Schimmelpfennig). Zur handschriftlichen Fortführung des leider unvollendet gebliebenen Werkes vgl. das Grundwerk der schlesischen Bibliographie des 19. Jahrhunderts von Johann George Thomas: Handbuch der Literaturgeschichte von Schlesien. Eine gekrönte Preisschrift. Teil I–II [mit durchgehender Paginierung].- Hirschberg: Krahn 1824, S. 294: »Ehrhardts Presbyterologie, Bd. 5 [= Teil V, Bd. VI], die Fstth. Münsterberg, Schweidnitz und der Grfsch. Glatz enthaltend, wurde 1792 in der Bunzl. Mon. und in der lit. Beyl. z. d. Pzbl. 1793 Jan. als vollendet angekündigt, ich kann aber nicht sagen, ob dieser Band wirklich gedruckt worden ist oder nicht, da ich ihn nie gesehen habe.« Er ist nicht gedruckt worden und verschollen. Vgl. das Vorwort von Karl Schlawe zum Inhaltsverzeichnis von Ehrhardts Presbyterologie, S. 226. Ehrhardts Werk bezieht die Schulgeschichte dankenswerterweise stets mit ein. Entsprechend im ›zweiten Haupt = Abschnitt‹ des zweiten Teils seines Werkes, ›welcher die Protestantische Kirchen = und Prediger = Geschichte des Fürstenthums Carolat = Beuthen in sich fasset‹ (Liegnitz: Pappäsche 1782), S. 557–608, ein eigenes Kapitel ›Vom ehmals illüstren Lycäo sowohl, als Akademischen Gymnasio zu Beuthen‹, S. 575–588, das im folgenden in seinen reichhaltigen biographischen Informationen ausgewertet wird. Ehrhardt schien das Schicksal der evangelischen Kirche im Fürstentum Carolath-Beuthen exemplarisch für den Status der evangelischen Kirche in den drei Jahrhunderten seit der Reformation, ja, das kleine Fürstentum vermittelte ihm in Politik, Religion und Gelehrsamkeit gleich wichtige paradigmatische Exempel, die in seinen Augen eine eingehende Studie erforderten, die er selbst sich in seinem Werk versagen mußte. Vgl. den ›Vorbericht‹, S. 559. Hieran schließt sich die umfassende und materialreiche (seinerzeit jedoch nur von Schulz-Behrend wirklich konsultierte, weil äußerst selten gewordene) Studie von Daniel Heinrich Hering an: Geschichte des ehemaligen berühmten Gymnasiums zu Beuthen an der Oder. Erste (Zwote, Dritte, Vierte und letzte) Nachlese.- Breslau: Graß 1784–1787. Doch noch eine Nachlese, welche die fünfte ist: Breslau: Graß 1788. Diese Nachlese wurde notwendig, nachdem Hering in den Besitz der BeuthenSammlung von Johann Kaspar Arletius kam. »Der vormalige verdienstvolle Rector und Professor des hiesigen elisabethanischen Gymnasiums Johann Kaspar Arletius, der bey seiner großen litterarischen Kenntniß auch unermüdet im Sammlen war, hat von dem beuthnischen Gymnasium viele kleine einzelne Stücke zusammen gebracht, die jetzt von der äußersten Seltenheit sind, weil sie größtentheils aus kleinen Gelegenheits-Schriften bestehen, die sich leicht verliehren, und nach anderthalbhundert Jahren wenigen mehr zu Gesichte kommen. Diese Stücke hat der Herr Prorector und Professor Scheibel [...] aus der großen hinterlassenen Bibliothek des sel. Mannes, seines Oheims, zusammengesucht, und eben in der Absicht, sie zur Geschichte des Gymnasiums noch zu benutzen, mir mitgetheilt. [...] Hiezu kommt, daß der Herr

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Schönaich darf heute innerhalb der sozial- und konfessionsgeschichtlich orientierten Barockforschung als eine der Leitfiguren religiöser Irenik aus spät______ Ecclesiastes und Professor Scholz, mit gleicher Gütigkeit, mir dasjenige aus seiner ansehnlichen Bibliothek auch noch hat zukommen lassen, was er ebenfalls von hieher gehörigen Schriften zusammen gebracht hat; und daß ich in einigen andern zu Beuthen ehemals gedruckten Schriften, die mein gutes Glück mir noch in die Hände lieferte, auch manches noch fand, was ich vorher nicht gewust hatte.« (V, 3 f.) Zu Arletius vgl. mit der gesamten einschlägigen Literatur: Klaus Garber: Ein Sammler im Breslau des 18. Jahrhunderts und seine Verdienste um die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts. Johann Caspar Arletius und seine Sammlung der Dichtungen Simon Dachs.- In: Aufklärung. Stationen – Konflikte – Prozesse. Festschrift Jörn Garber. Hrsg. von Ulrich Kronauer und Wilhelm Kühlmann.- Eutin: Lumpeter & Lasel 2007, S. 63–104. Vgl. auch unten die entsprechenden Passagen im siebten Kapitel von Teil II der Dach-Abhandlung, S. 576–619. Es muß als entscheidende Aufgabe der buch-, schul- und literarhistorischen Beuthen-Forschung gelten, den Spuren dieser zuletzt von Hering bezeugten Sammlung vornehmlich von Casualia in den unermeßlichen Breslauer Schätzen, jetzt vereinigt in der Biblioteka Uniwersytecka zu Wrocław, nachzugehen. Vgl. dazu unten Anm. 12. Hering hat übrigens noch einen weiteren ›Anhang zur Geschichte des beuthnischen Gymnasiums‹ (Breslau: Kreuzer 1789), folgen lassen. Der merkwürdige und allzu bescheidene Untertitel ›Nachlese‹ erklärt sich aus dem Umstand, daß Hering nur Zusätze zur Darstellung Ehrhardts bieten wollte, die sich zu einer eigenen und nun grundlegenden Schulgeschichte ausweiteten. Vgl. im übrigen die schöne Würdigung des Freundes Hering bei Ehrhardt: Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens, Bd. I, Teil I, S. 491–492. Das hier benutzte (und Vf. bereits 1978 filmisch überstellte) komplette Exemplar (Yy 230) entstammt der Bibliothek der ›Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur‹, die in der Universitätsbibliothek Breslau als Depositum verwahrt wurde und sich offensichtlich weitgehend erhalten hat. Die nach dem Krieg in der BU Wrocław eingerichtete SchlesischLausitzische Abteilung ist vielfach mit Exemplaren dieser Provenienz bestückt. Glücklicherweise haben sich auch die Schulprogramme des Friedrich-Gymnasiums komplett erhalten. Auch hier ein vollständiges Exemplar des Heringschen Werkes (Signatur: Yu 1060/1, Nr. 26, 27, 28, 30, 31, 32). Das dritte wichtige Dokument stellt dann dar: Geschichte des berühmten Schönaichischen Gymnasiums zu Beuthen an der Oder, aus den Urkunden des Fürstlich = Carolathischen Archivs und den besten darüber vorhandenen Schriften gesammelt von C.D. Klopsch, Rector des evangelischen Gymnasiums zu Groß = Glogau.- GroßGlogau: Günter 1818. (Fehlt bei Loewe in der ansonsten mustergültigen Verzeichnung der auf Beuthen bezogenen Schriften, S. 431; Loewe kennt nur die 24seitige Einladungsschrift, Nr. 5883. Viktor Loewe: Bibliographie der Schlesischen Geschichte.- Breslau: Priebatsch 1927 (= Schlesische Bibliographie; 1)). Klopsch konnte erstmals voll aus den ihm persönlich zugänglich gemachten Schulakten des Hauses Carolath schöpfen, was schon Hering als unerläßliche Voraussetzung für eine gediegene Schulgeschichte erklärt hatte. Erwähnt seien schließlich die diesen drei maßgeblichen Werken noch vorausgehenden knappen Äußerungen in den beiden schlesischen Landeskunden von Nicolaus Henel von Hennenfeld: Silesiographia Renovata. Bd. I–II. [Hrsg. von Michael

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humanistischem Geiste gelten, in deren Zeichen ebenso wie in den Niederlanden und Frankreich sowie in Böhmen und Polen auch in Deutschland ______ Joseph Fibiger].- Breslau, Leipzig: Bauch 1704, Bd. I, S. 693–706: ›Silesiorum Scholae‹, S. 702–703: ›Gymnasium Bethaniense celebratur‹ (Exemplar aus der Fürstensteinschen Bibliothek und dessen Bibliothekars Johann Gottlieb Klose im Besitz der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück). Des weiteren Friedrich Lucae: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober = und Nieder = Schlesien. Teil I–VII [mit durchgehender Paginierung].- Frankfurt a.M.: Friedrich Knoche 1689, S. 546–627: ›Von denen Gymnasiis und Schulen in Schlesien‹, S. 568–570: ›Gymnasium in der Stadt Beuthen an der Oder‹. Hier S. 1024 auch eine der (seltenen) Beschreibungen des Gebäudes des Gymnasiums (»Nunmehro stehen die Lehrstuben von Anno 1629. an gantz wüste/ ausser daß unten herumb etliche Gemächer von eingemieteten Handwerckern bewohnet werden.«). Vgl. von Lucae auch das etwas versteckte, gleichwohl ergiebige Kapitel ›Von Denen Gymnasiis Academicis‹ in ders.: Academischer Helicon.- Frankfurt a.M.: Hocker 1711, S. 774–843. Hier – neben Bremen, Herborn, Zerbst, Steinfurt, Coburg, Hamm, Halle, Bayreuth – auch ein Kapitel über Beuthen (S. 821–826). Bereits in seiner frühen ›Schlesischen Fürsten = Krone‹ (Frankfurt a.M. 1685), gleichfalls einer in ›Discursen‹ vorgetragenen Landeskunde, die zu dem 1689 erschienenen Hauptwerk umgearbeitet wurde, hatte Lucae einen ›Discurs Von Schlesiens Gymnasiis und Schulen‹ eingebaut, in dem auch ein Beuthen-Abschnitt plaziert war (S. 206–263, hier S. 218 f.). Erwähnung verdient schließlich auch das bedeutende gymnasial- und bibliothekskundliche Werk Johann Christian Kundmanns: Academiae Et Scholae Germaniae, praecipuè Dvcatvs Silesiae, Cvm Bibliothecis, In Nvmmis. Oder: Die Hohen und Niedern Schulen Teutschlandes, insonderheit Des Hertzogthums Schlesiens, Mit ihren Bücher = Vorräthen, in Müntzen.- Breslau: Korn 1741. Es enthält ein besonders eingehendes Beuthen-Kapitel (S. 507–522), worauf schon in der Vorrede verwiesen wird: »Insonderheit habe ich umständlich das Beuthnische Gymnasium Academicum beschrieben, weil man von diesem nirgends rechte Nachricht findet; in meine Hände aber das Fundations = Instrument in originali von 188. Seiten in fol. gerathen, wie es der preißwürdige Stiffter auf dasiges Rath = Haus geleget; welches zugleich als eine Vorschrifft zu Errichtung einer wolbestellten Schule anzusehen ist.« (Bl. π4v). Diese liegt neugedruckt vor in: Stiftungsurkunde der Schule und des Gymnasiums zu Beuthen an der Oder aus dem Jahre 1616. Hrsg. von Konrad Kolbe.- In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 3 (1893), S. 209–268. Die Stiftungsurkunde ist datiert auf den 18. Januar 1616. Vorausgegangen war – vermutlich aus der Feder des Gründers selbst stammend und sodann in der Redaktion durch den ersten Rektor der Anstalt, Adam Liebig, publiziert –: Legum et annuarum operarum illustris Scholae Schoenaichianae, quae est Bethaniae ad Viadrum, nova recensio suscepta et instituta ab Adamo Liebigio, eiusdem illustris scholae Rectore.- Liegnitz: Sartorius 1614. Diese unter dem Titel ›Ordnung des Gymnasiums zu Beuthen, 1614‹, wiederabgedruckt in: Die evangelischen Schulordnungen des siebenzehnten Jahrhunderts. Hrsg. von Reinhold Vormbaum. Bd. II.- Gütersloh: Bertelsmann 1863, S. 109–135. Vgl. Anm. 15. Weitere ältere Arbeiten in dem erwähnten unerschöpflichen, die gesamte ältere Literatur grundsätzlich vereinigenden (in der Germanistik jedoch so gut wie nicht

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die Anfänge der neueren klassizistischen Kunstdichtung in bewußter Abwehr der nachtridentinischen Hegemoniebestrebungen Spaniens und Habsburgs ______ verwendeten) Handbuch der Literaturgeschichte von Schlesien aus der Feder von Johann George Thomas, S. 94 f. Das hier verwendete Exemplar – vgl. den ausführlichen Eintrag im Anhang zu dieser Abhandlung – war für die geplante Vorbereitung einer zweiten Auflage des Werkes durchgearbeitet. Eine solche kam allerdings nicht mehr zustande, möglicherweise auch, weil Gustav Adolf Stenzel in dem Organ der Gesellschaft, den Schlesischen Provinzialblättern des Jahres 1824, eine harsche (und vielfach unberechtigte und überzogene) Kritik des über alle Maßen verdienstvollen Werkes herausbrachte. Thomas hat in einem wichtigen Anhang zu seinem Werk bereits mit der Publikation teilweise sehr reichhaltiger Zusätze begonnen (S. 328 ff.), die er fortzusetzen gedachte und die stets mit heranzuziehen sind. Zu Beuthen vgl. S. 349 f. Aus der neueren Literatur: Herbert Schöffler: Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung. Von Martin Opitz zu Christian Wolff. 2. Aufl.Frankfurt a.M.: Klostermann 1956, S. 36 f. (grundlegende Problem-Perspektive); Marian Szyrocki: Martin Opitz (Anm. 2), S. 15 ff.; 2., überarb. Aufl.- München: Beck 1974, S. 16 ff.; Jörg-Ulrich Fechner: Der Lehr- und Lektüreplan des Schönaichianums in Beuthen als bildungsgeschichtliche Voraussetzung der Literatur.- In: Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Albrecht Schöne.- München: Beck 1976, S. 324–334 (ohne Kenntnis von Ehrhardt und Herings ›Anhang‹; Hering selbst und Klopsch konnten nicht eingesehen werden; mit wichtigem Hinweis auf das Stammbuch von Sebastian von Schönaich (1598–1650)); Heinz Entner: Zum Kontext von Martin Opitz’ ›Aristarchus‹.- In: Acta Universitatis Wratislaviensis No 617 (= Germanica Wratislaviensia; 47) (1982), S. 3–58; Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters.- Tübingen: Niemeyer 1982, S. 140 ff., 165 ff.; Leonard Forster: Martin Opitz und das Album von Michael Wider.- In: Barocker Lust-Spiegel. Studien zur Literatur des Barock. Festschrift für Blake Lee Spahr. Hrsg. von Martin Bircher, Jörg-Ulrich Fechner, Gerd Hillen.- Amsterdam: Rodopi 1984 (= Chloe. Beihefte zum Daphnis; 3), S. 75–99; Manfred P. Fleischer: Späthumanismus in Schlesien. Ausgewählte Aufsätze.- München 1984, S. 120 f. Vgl. wegen der in dem anonymen Text enthaltenen Abbildungen auch: Die Universität in Beuthen (Bezirk Liegnitz). Eine Schöpfung Georgs von Schönaich-Carolath und ein kurzer Hochschultraum Niederschlesiens.- In: Heimatkalender für den Stadt- und Landkreis Glogau 1940, S. 60–63. Nach Abschluß dieser Studie erschien das grundlegende, aus der Schule Wilhelm Kühlmanns hervorgegangene und keineswegs nur der Person Caspar Dornaus gewidmete, sondern den gesamten schlesischen Späthumanismus einbeziehende Werk von Robert Seidel: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk.- Tübingen: Niemeyer 1994 (= Frühe Neuzeit; 20). Die Studie, als eine umfassende lebens- und werkgeschichtliche Biographie fast zu anspruchsvoll für einen jungen Nachwuchswissenschaftler konzipiert, wertet erstmals das gesamte um Dornau gruppierte Gelegenheitsschrifttum sowie das in Schlesien vielfach zeitgleich entstehende und wiederum vor allem bio-bibliographisch orientierte Referenzschrifttum aus. Auch wenn über einzelne Einschätzungen ein gelegentlicher Dissens denk-

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sich formten.11 Eine Sammlung und Edition der Beuthener Drucke aus der Presse Johann Dörffers muß daher als ein Desiderat der gleichfalls regional ––––––

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bar sein sollte, so kann es doch keine Frage geben, daß mit dieser Studie die späthumanistische Biographie überzeugend rehabilitiert wurde. Was gäben wir darum, ähnlich gediegene Studien etwa zu Cunrad, Exner, Henel oder eben auch Scultetus zu besitzen. Möglich, daß die jetzt mit neun Bänden eröffnete Ausschöpfung des (unerschöpflichen) Breslauer Personalschrifttums im Rahmen des Osnabrücker Projekts eine Wende herbeiführt. Die Arbeit Seidels enthält auch ein ergiebiges eigenes Kapitel zu Beuthen (S. 230–264). Der Autor hat dankenswerterweise in allen einschlägigen Fällen den Bezug zu der ihm seinerzeit bereits im Manuskript zugänglichen und erst jetzt gedruckten Studie Vf. hergestellt. Ich habe umgekehrt darauf verzichtet, die vielen in der vorliegenden Studie figurierenden Namen aus Beuthen in dem Werk Seidels im nachhinein noch nachzuweisen. Sie sind problemlos über das Register nachzuschlagen. Die zweite hier zu erwähnende und nach Abschluß unserer Arbeit erschienene Studie zum Schönaichianum ist vor allem hinsichtlich des von uns für Scultetus erschlossenen großpolnischen adligen Gelehrten- und Mäzenatenkreises von Bedeutung. Sie stammt von Siegfried Wollgast: Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 35 (1994), S. 63–103. In diesem Kontext von Wollgast jetzt auch: Johann Johnston (1603–1675). Ein Arzt zwischen Schottland, Polen und Schlesien.- In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 20 (2001), S. 474–518. Dazu Klaus Garber: Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche ›Barock‹-Literatur. Zu den konfessionspolitischen Ursprüngen der deutschen Nationalliteratur.In: Die reformierte Konfessionalisierung – Das Problem der ›Zweiten Reformation‹. Hrsg. von Heinz Schilling.- Gütersloh: Mohn 1986 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 195), S. 317–348. Hier über Beuthen S. 331–341. Unveröffentlicht ein eingehendes Beuthen-Kapitel in einer in den siebziger Jahren vorbereiteten Opitz-Biographie Vf. Dazu vorläufig Klaus Garber: Martin Opitz.- In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Harald Steinhagen, Benno von Wiese.- Berlin: Schmidt 1984, S. 116–184, 118 f., 123 ff. Dazu die erwähnte Studie von Kühlmann (Anm. 10) sowie ders.: Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation.- Herne 1991 (= Schriften der Martin-Opitz-Bibliothek; 1), S. 19 ff. 2. Aufl.- Heidelberg: Manutius 2001. Hier das Kapitel: Voraussetzungen und Impulse. Opitz in Schlesien und in der Pfalz, S. 18 ff. Vgl. auch Rudolf Drux: Die Dichtungsreform des Martin Opitz zwischen nationalem Anspruch und territorialer Ausrichtung.- In: Dichter und ihre Nation. Hrsg. von Helmut Scheuer.Frankfurt a.M. 1993 (= suhrkamp taschenbuch; 2117), S. 53–67. Zum Kontext Klaus Garber: Der deutsche Sonderweg – Gedanken zu einer calvinistischen Alternative um 1600.- In: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Hrsg. von Albrecht Schöne. Bd. IX: Deutsche Literatur in der Weltliteratur – Kulturnation statt politischer Nation? Hrsg. von Franz Norbert Mennemeier, Conrad Wiedemann.- Tübingen: Niemeyer 1986, S. 165–172. Dazu auch Garber: Konfessioneller Fundamentalismus und späthumanistischer Nationalismus. Die europäischen Bürgerkriege in der poetischen Transformation um 1600: Opitzens ›Trost-Getichte in Widerwärtigkeit des Krieges‹.- In: Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im

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sich neu formierenden Literaturgeschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts gelten.12 ––––––

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europäischen Mächtesystem um 1600. Hrsg. von Heinz Schilling unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner.- München: Oldenbourg 2007 (= Schriften des Historischen Kollegs; 70), S. 23–46. Dazu der wichtige Sammelband: - In: Germania latina – Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späteren Mittelalter bis in unsere Zeit. Hrsg. von Eckard Keßler, Heinrich C. Kuhn. Bd. I–II.- München: Fink 2003 (= Humanistische Bibliothek, Reihe I: Abhandlungen; 54). Hier ein Beitrag Vf.: Späthumanistische Verheißungen im Spannungsfeld von Latinität und nationalem Aufbruch, S. 107–142. Jetzt im Blick auf den Perspektivenreichtum und die zutreffende konfessionspolitische Verortung Opitzens grundsätzlich auch heranzuziehen die Einleitung, den Abschnitt ›Zum Epochenstil‹ und das grundlegende Opitz-Kapitel ›Kampf für Freiheit und Frieden‹, in: Hans-Georg-Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4/I: Barock-Humanismus: Krisen-Dichtung.- Tübingen: Niemeyer 2006, S. 1–13, 14– 101, 130–184. Die weitere in diesem Zusammenhang einschlägige Literatur findet man zusammengestellt bei Klaus Garber: Die Idee der Nationalsprache und Nationalliteratur in der Frühen Neuzeit Europas.- In: ders.: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit.- München: Fink 2009, S. 107–213. Hier das abschließende Kapitel: Verspätete Einbürgerung der klassizistischen Literatursprache in Deutschland – Opitz im Kontext des europäischen Humanismus, S. 188 ff. Dazu die Literatur in Anm. 170 sowie in dem Opitz-Artikel in der zweiten Auflage des Killyschen Literaturlexikons. Vgl. Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. 2., verbesserte und ergänzte Auflage.- Wiesbaden: Harrassowitz 1982 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen; 12), S. 55: »Es sind nur einige wenige Drucke bekannt geworden« [!]. Vgl. auch Hering: Zwote Nachlese (Anm. 10), S. 4 f.: »Und damit dem beuthnischen Musensitze nichts fehlete: so sorgte der erlauchte George [von Schönaich] auch dafür, daß eine gute Buchdruckerey bey demselben angeleget würde, und zog zu solchem Ende den Buchdrucker Johann Dörffer aus Wittenberg dahin. Dies geschah 1617. Des Dornavius Rede, die er ›Charidemus‹ nannte [...], war das Erste, was in dieser Druckerey herauskam, daher sie auch auf dem Titel ›Primitiae chalcographicae Joannis Dörferi Witebergensis, typographi Schoenaichii‹ heißt.« Tatsächlich sind erheblich frühere Drucke aus Dörffers Offizin bekannt, wie sogleich ersichtlich. Vgl. das Titelblatt des Dornauschen Charidemus in der Sammlung Faber du Faur (Nr. 64) mit der handschriftlichen Widmung Dornaus an Johann Matthäus Wacker von Wackenfels, sowie Klopsch: Geschichte des berühmten Schönaichischen Gymnasiums (Anm. 10, im folgenden als Klopsch ausgewiesen), S. 63 f. Aus der Reimannschen Bibliothek der Kirchenbibliothek zu St. Peter und Paul in Liegnitz (R 244) besitzt die Universitätsbibliothek zu Wrocław einen einzigartigen, Dutzende von Beuthener Drucken umfassenden Sammelband (BU Wrocław 426391–426450). Er enthält zahllose Werke Dornaus und müßte auf mögliche Dornau-Provenienz hin untersucht werden. Eine Reihe qualifizierter Ergänzungen, insbesondere Namen von Beiträgern, können nur von einem zeitgenössischen Kenner stammen. Der Band enthält eine Reihe von Beuthen-Drucken, die gleichermaßen

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Inspektion eines Sammelbandes Der in diesem Zusammenhang in aller gebotenen Kürze vorzustellende Sammelband aus der Bibliothek von Dominicus Siwicki aus Grodno vereinigt sieben neulateinische Gelegenheitsdrucke aus den Jahren 1617–1625:13 Ein Epithalamium auf die Hochzeit Heinrich Rethels mit Abigaele Hos––––––

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bei Hering wie bei Klopsch fehlen. Es handelt sich also um eine Kollektion aus anderer Quelle. Die gesamte Folge – beschlossen von Opitz’ Aristarchus! – befindet sich auf Mikrofilm in Osnabrück. Die BU Wrocław verfügt über einen reichhaltigen Zettelkatalog der Schlesischen Drucke, gegliedert nach Druckorten. Der entsprechende Katalog der Beuthener Drucke wäre der geeignete Ausgangspunkt für eine dringend benötigte (und durchaus im Bereich des Möglichen liegende) Bibliographie der Beuthener Drucke des 17. Jahrhunderts. Derzeit steht der Schlesien umfassende Band II des imponierenden Werkes zu den polnischen Druckern in der Frühen Neuzeit noch aus, dessen Vorbereitung in den Händen des ersten Sachkenners Adam Skura und seiner Mitarbeiter lag: Drukarze Dawnej Polski. Bd. I–VI.- Warszawa: PAN 1959 ff. Vgl. auch Bronisław Kocowski: Zarys dziejów drukarstwa na Dolnym Śląsku (Abriß der Geschichte des Buchdrucks in Niederschlesien).- Wrocław: Nakładem Biblioteki Uniwersyteckiej we Wrocławiu 1948 (Separatdruck aus Sobótka 2 (1947), S. 200–276). Hier S. 61–62 auch über Beuthen. Dazu das programmatische Wort von Maria Burbianka zur Schaffung einer schlesischen Bibliographie in: Roczniki biblioteczne 3 (1959), S. 371 f. (deutsche Zusammenfassung). Jetzt weitere wichtige Informationen zur Geschichte der Breslauer Universitätsbibliothek mit weiterer Literatur aus der Feder von Julian Fercz im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. VI: Polen. Bearb. von Marzena Zacharska unter Leitung von Jan Pirożyński.- Hildesheim, Zürich, New York: OlmsWeidmann 1999, S. 179–203. Hinzuzunehmen die beiden Abhandlungen von Klaus Garber: Die Biblioteka Uniwersytecka in Wrocław. Morphologie der Bestände, Umrisse der Provenienzen und Charakteristik der Personalschrifttums-Sammlungen.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. I: Breslau / Wrocław – Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. I: Stadtbibliothek Breslau (Rhedigeriana/St. Elisabeth). Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Martin Klöker.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2001, S. 17–49 und S. 51–80: Kommentierte Bibliographie zur Universitätsbibliothek Wrocław und ausgewählter in sie eingegangener deutscher Vorkriegs-Bibliotheken; ders.: Bücherhochburg des Ostens. Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft, ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und ihre Rekonstruktion im polnischen Wrocław.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber. Redaktion: Stefan Anders, Holger Luck und Winfried Siebers.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 111), S. 539–653. Letztere Abhandlung auch in ders.: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 313–438. Vgl. zu den im folgenden verwendeten bio-bibliographischen Hilfsmitteln die im Anhang aufgeführten und wiederholt eingehender kommentierten handschriftlichen und gedrucken Werke, für die daher in der Regel nur Kurztitel verwendet werden.

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mann aus Breslau (1617),14 ein weiteres anläßlich der Hochzeit der ältesten Tochter Elisabeth des Beuthener Professors für Theologie, Adam Liebig, mit Elias Charisius im Jahre 1625;15 ein Epicedium auf den Tod Dorothea Sybilles, der Gattin Herzog Johann Christians von Liegnitz und Brieg, welcher auch Opitz im gleichen Jahr huldigt;16 eine Sammlung von zwölf anagrammatischen Gedichten für Johann Georg von Brandenburg, zusammengestellt von Michael Aschenborn im Jahre 1618;17 ein Hochzeitsgedicht für Andreas von Dambrowicz und Marianne Przyjemska aus dem Jahre 1623;18 die Arae –––––– 14 15

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Bl. A4–C4. Vgl. unten Anm. 23 ff. Ebd., Bl. A4. Inkomplett; der Kustos »ETEO-«, Bl. A4v findet keinen Anschluß. Zu Adam Liebig vgl. Ehrhardt II, 569 f.; Hering I, 6; II, 7; V, 13 f.; Klopsch, S. 16 ff., 60 f., 246 ff. Hinzuzunehmen – wie im folgenden stets – die Zuschriften in: Caspar Cunrad: Theatrum Symbolicum I–X (1622–1632), hier: Centurie VIII, S. 375 f. Sodann stets Johann Heinrich Cunrad: Silesia Togata (1706), hier: S. 172. Von Liebig für Beuthen vor allem von Bedeutung die schon erwähnte Schulordnung: Legum et annuarum operarum illustris Scholae Schoenaichianae, quae est Bethaniae ad Viadrum, nova recensio.- Liegnitz: Sartorius 1614 (BU Wrocław 446165 u.ö.). Hierzu Hering V, 13 f., Klopsch, S. 29 ff. Liebigs gleichfalls 1616 in Beuthen erschienene monumentale Rhetorik finde ich bibliographisch nirgends erwähnt (BU Wrocław 302733). Sie ist mit einer langen Widmungsvorrede für Tobias Scultetus versehen. Caspar Dornau schickt ihr ein gleichfalls längeres Vorwort voraus. Balthasar Exner und Jonas Melideus steuern poetische Zuschriften bei. – Elias Charisius zeichnet mit dem Zusatz ›Beuthaniensis Sil‹ – zusammen mit Gottfried Schneeweiss, Matthias Saltzsieder, Caspar Steinberger und Sigismund Rosaeus – in der bei Dörffer erscheinenden Trauerschrift für Peter Titz (549926). Unvollständig, nur Bl. A4 und Bl. B1 und damit nur der Beitrag Dornaus komplett erhalten; der Kustos »Pudica« Bl. B1v ohne Anschluß. Vgl. Schulz-Behrend: Martin Opitz. Gesammelte Werke. Bd. II. 2. Teil. 1979, S. 417–422. Vgl. jetzt die Einleitung im: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XIX: Breslau / Wrocław – Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. IV: Bestände aus Liegnitz und Brieg. Mit einer kultur- und bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Klaus Garber.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2007, S 17–101. Hier insbesondere im vorliegenden Zusammenhang Anm. 39 auf S. 69 f. mit der Zusammenstellung des Trauerschrifttums für Dorothea Sybilla von Liegnitz und Brieg. Bl. A4, B2. Zu Michael Aschenborn vgl. unten die eingehende Anmerkung 30. Gedruckt bei Caspar Friese, vermutlich in Thorn; Bl. A4. Zu dem Rektor des Thorner Gymnasiums und Drucker Caspar Friese vgl. Christoph Hartknoch: Preußische Kirchen = Historia.- Frankfurt a.M., Leipzig: Beckenstein 1686, S. 891 f.; Jakob Heinrich Zernecke: Summarischer Entwurff Des Geehrten und Gelehrten Thorns.Thorn: Nicolai 1712, S. 34; Ephraim Praetorius: Athenae Gedanenses.- Leipzig: Gleditsch 1713, S. 201 ff.; Georg Christoph Pisanski: Entwurf einer preußischen Literärgeschichte in vier Büchern. Hrsg. von Rudolf Philippi.- Königsberg: Hartung 1886. Reprint Hamburg 1994 (= Schriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen; 80/1), S. 126 und S. 236. – Andreas Firleius, Baron von

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Exsequiales anläßlich des Todes von Georg von Schönaich im Jahre 161919 und schließlich das hier zu besprechende Einzelstück von Martin Opitz. Zwei weitere gesonderte Drucke aus Beuthen enthalten Opitzens Propemptikon für Johannes von Landskron, das bislang nur aus dem von Jörg-Ulrich Fechner entdeckten Widmungsexemplar Opitzens an Janus Gruter aus der ––––––

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Dambrowicz, hielt 1604 in der Universität zu Heidelberg eine große ›Oratio De Peregrinatione‹ (Heidelberg: Voegelin 1604), die dem gleichnamigen Vater gewidmet ist und Zuschriften von Marquard Freher und Janus Gruter sowie am Schluß ein Gedicht des gekrönten Dichters Heinrich Walter aus Schlesien für Salomon Neugebauer enthält (BU Wrocław 356392*). Von Johannes Firleius liegt aus dem gleichen Jahr eine keinem Geringeren als Friedrich IV. gewidmete ›Valedictio ad Heidelbergam‹ (Basel: Waldkirch 1604) vor (BU Wrocław 356392). Vgl. auch Estreicher XVI (1898), S. 226 f., 228 f., sowie Polski słownik biograficzny VI (1948), S. 476. Von Melchior Adam leider derzeit nicht nachweisbar: Ad ... Salomonem Neugebauer, de oratione ab Joh. Firlego memoriter feliciterque recitata carmen.- o.O., o.J. (Bibl. der PAN Gdańsk. Vermißt. Vgl. Die Deutsche Literatur. Biographisches und bibliographisches Lexikon. Reihe II: Die Deutsche Literatur zwischen 1450 und 1620. Hrsg. von Hans-Gert Roloff. Bd. I.- Bern etc.: Lang 1991, S. 160, Nr. 1.15.01). Zur Genealogie Melchior Adam: Encomium Genealogicum Illustris Et Perantiquae Familiae Firleiae, Carmine Heroico Adumbratum.- Heidelberg: Voegelin 1602 (BL Library London; 11405 aaa 43 (5)). Ich bin David Paisey für die – 1989 erfolgte – Bereitstellung dieses seltenen Druckes sehr verpflichtet. Bl. A4–D4. Zu Georg von Schönaich und dem Geschlecht der Schönaichs neben der in Anm. 10 zitierten Literatur Henel: Silesiographia Renovata (Anm. 10), Bd. II, S. 479–483, hier S. 480–482; Lucae: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten (Anm. 10), S. 1031 f.; Johannes Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung.Leipzig: Fleischer 1720, S. 148–154, hier S. 152 f.; ders.: Des Schlesischen Adels Anderer Theil.- Leipzig, Breslau: Rohrlach 1728, S. 216; Christian David Klopsch: Geschichte des Geschlechts von Schönaich. Heft I–IV.- Glogau: Gottschalk 1847– 1856, Heft III (1853), S. 11 ff.; Günther Grundmann: Georg Freiherr von Schönaich.- In: Schlesier des 16. bis 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andrae, Erich Graber, Max Hippe.- Breslau: Priebatsch 1931 (= Schlesische Lebensbilder; 4), S. 68–74; ders.: Die Lebensbilder der Herren von Schoenaich auf Schloss Carolath.In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 6 (1961), S. 229–330, 255–264. Zur Verfassungsgeschichte der Herrschaft vgl. auch Wilhelm Barth: Hans Carl Fürst zu Carolath = Beuthen, Reichsgraf von Schönaich etc. Ein Beitrag zur Geschichte des Fürstenhauses Carolath auf Grund der fürstlich Carolather Archivacten. (Als Manuscript gedruckt.).- Beuthen 1883, S. 10 ff. Zur Konfessionsgeschichte der Standesherrschaft ders.: Die Familie von Schönaich und die Reformation. Festschrift zur einhundertfünfzig jährigen Erinnerungsfeier der Erhebung der freien Standesherrschaft Carolath und Beuthen zum Fürstenthum.- Beuthen 1891. Hier S. 26 ff. ein ausführliches Kapitel zu Georg von Schönaich. Weitere Literatur bei O. Gundlach: Bibliotheca familiarum nobilium. Bd. I–II. 3., vollst. umgearb., verb. und bedeutend verm. Auflage.- Neustrelitz 1897, S. 938. Dornaus berühmte Trauerschrift für Georg von Schönaich, betitelt: Evergetes Christianus, hoc est, De Vita Et Morte [...] Dn. Georgii à Schönaich, [...]: Panegyri

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Bibliotheca Vaticana bekannt war,20 sowie die Epithalamia für Jeremias Coler, Theologieprofessor in Beuthen, und Maria Müller.21 ––––––

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cus Parentalis, Die Altero Exsequiarum Dictus.- Beuthen: Dörffer (1619), eröffnet im zitierten Sammelband R 244 aus der Kirchenbibliothek zu St. Peter und Paul die Folge der Trauerschriften für Georg von Schönaich (R 244/40a = 426433). Sie ist Johann von Nostitz und Johann Fabian von Kottwitz gewidmet. Tobias Scultetus und Jeremias Coler beehren den Autor durch Zuschriften; Janus Gruter steuert abschließend einen großen ›Lessus‹ bei. Die Dornausche Arbeit ist das maßgebliche primäre Zeugnis zu dem einzig dastehenden Fürsten geblieben, da eine Leichenpredigt nicht bekannt ist. Die nachfolgenden Exsequiae werden von Tobias Scultetus bestritten (426434). Er zeichnet die Zuschrift an Johann von Schönaich, von ihm dürften die ›Monodia‹ und die ›Inscriptio Funebris‹ herrühren. Das abschließende ›Eidyllion‹ ist wieder von ihm gezeichnet. Dann folgen die Piae Lacrymae [...] ab Illustris illustri ejus magnificentia constituti & dotati Gymnasii Professoribus Et Paedagogii Praeceptoribus Fusae (R 244/40b = 426435). Das gesamte Gymnasium ist präsent. Georg Vechner als Rektor eröffnet, Dornau und Jeremias Coler gestalten Epitaphien, Friedrich Schosser beschließt den Reigen. Zu den sich anschließenden Arae Exsequiales, die auch in unserem Sammelband vorliegen, tragen nicht weniger als 29 Autoren bei, mehrfach aus der Ferne grüßend (R 244/40c = 426436). Die Beiträger sind wiederholt identisch mit denjenigen zu unserem Gedicht. Die Beiträger aus Nr. 40c und 40b (in dieser Reihenfolge!) verzeichnet bei Richard Mende: Katalog der Leichenpredigten = Sammlungen der Peter = Paul = Kirchenbibliothek und anderer Bibliotheken in Liegnitz.- Marktschellenberg: Degener 1938–1941 (= Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen; 9), S. 464 (irrtümlich als Nr 39 statt 40)). Hier auch der Verweis auf den Sammelband R 100 aus der Reimannschen Bibliothek der Kirchenbibliothek zu St. Peter und Paul (BU Wrocław 421838–421975), der die poetischen Beiträge gleichfalls, aber in umgekehrter Reihenfolge enthält (Position 70 und 70a = BU Wrocław 421919, 421920), nicht jedoch Dornaus ›Panegyricus Parentalis‹. Im Sammelband R 244 schließen sich weitere Arae Exsequiales für Johann Georg von Schönaich an, die ebenfalls – undatiert – bei Dörffer erschienen und von Dornau eröffnet werden (R 244/40d = 426437). Vgl. auch: Briefe G.M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Nach Handschriften hrsg. und erläutert von Alexander Reifferscheid.- Heilbronn: Henninger 1889 (= Quellen zur Geschichte des Geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts; 1), S. 741 (ad 79, 37). Das auf Georg von Schönaich bezogene Schrifttum – und keinesfalls nur das Funeralschrifttum – müßte geschlossen ediert werden. Es ist eine personen- und bildungsgeschichtliche Quelle ersten Ranges für Beuthen und Schlesien. Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner.- Stuttgart 1970 (= sammlung metzler; 88). S. [33]–[40]. Dazu der Kommentar S. 10* ff. Zum Geschlecht der von Landskron vgl. ergänzend Sinapius I, 567–573. Zu den beiden Schwestern Anna und Elisabeth von Landskron und ihren Ehemännern Friedrich von Kreckwitz und Wigand von Gersdorff – den beiden Widmungsempfängern von Opitzens Aristarchus – vgl. Sinapius I, 552 und I, 571 (in Ergänzung zu Rubensohn, Euphorion 6 (1899), S. 226 – nicht, wie Fechner schreibt: S. 48 – sowie zu Faber du Faur, PMLA 69 (1954), S. 576 f. und zu Schulz-Behrend I, 53, Anm. 3). Zu Jeremias Coler vgl. die Abschriften von Nicolaus Henel von Hennenfelds ›Silesia Togata‹ (Handschriften-Abteilung der BU Wrocław: R 571 und IV F 127), Bl. 387–

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Beiträger-Philologie Der Kreis der Beiträger rekrutiert sich naturgemäß vor allem aus der Professoren- und Schülerschaft des Beuthener Gymnasiums. Die Mehrzahl der Gedichte dürfte bislang unbekannt sein. Ihre zufällige Entdeckung bestätigt, was inzwischen viele Male konstatiert wurde und offensichtlich auf absehbare Zeit eine nicht zu überwindende Hürde in der Philologie der Frühen Neuzeit darstellt: Solange wir nicht komplette, nach Druckorten gegliederte und für Beiträger und Adressaten aufgeschlüsselte Verzeichnisse der neulateinischen wie der deutschsprachigen Gelegenheitsdichtung zwischen Späthumanismus und Frühaufklärung besitzen, bleiben historisch-kritische Editionen – wie die zu Martin Opitz – mit dem Makel des Zufalls vor allem in diesem Genre behaftet. Und da sich der Übergang vom Neulateinischen zum Deutschen so gut wie ausschließlich in der Kasualproduktion abspielt, das Neben- wie das Nacheinander nach Maßgabe des Möglichen jedoch komplett dokumentiert und wenigstens alle erhaltenen Zeugnisse ausgewertet werden müßten, sind selbst Basisprobleme der frühneuzeitlichen Literaturgeschichte bis auf weiteres nur im Rückgriff auf ein nicht voll ausgeschöpftes textuelles Instrumentarium zu bearbeiten – eine Situation, wie sie offensichtlich nur in den wissenschaftsgeschichtlich jüngeren neueren Philologien klaglos und kaum bemerkt hingenommen wird. Die Reihe der Textzeugen bleibt auch für Autoren vom Range Opitzens unabgeschlossen, solange das überlieferte Kasualschrifttum weltweit nicht gesichtet und erschlossen ist.22 Wir dürfen uns hier mit Blick hinüber zu Opitz auf das erste und das letzte Stück des kleinen Beuthener Sammelbandes beschränken. ––––––

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390 bzw. 607 f. und 610–612 (vgl. unten den Anhang); Ehrhardt II, 593; Hering II, 6; III, 10; IV, 11; Klopsch, S. 19 ff., 209 ff. Vgl. auch C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie V, S. 225, sowie J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 43. Das Epithalamium auch in der BU Wrocław 444210. Diese in den achtziger Jahren geschriebenen Sätze standen auch hinter den Bemühungen um die Einwerbung von Drittmitteln zur Beseitigung des hier angedeuteten Problems. Inzwischen liegen 26 Bände des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven im Verlag Olms-Weidmann vor, darunter neun mit Beständen aus der jetzigen Universitätsbibliothek Wrocław (fünf weitere, den Stettiner Beständen gewidmete Bände befinden sich in Vorbereitung). Vgl. Göttin Gelegenheit. Das Personalschrifttums-Projekt der Forschungsstelle ›Literatur der Frühen Neuzeit‹ der Universität Osnabrück. Hrsg. von der Forschungsstelle ›Literatur der Frühen Neuzeit‹ der Universität Osnabrück unter redaktioneller Bearbeitung von Stefan Anders und Martin Klöker.- Osnabrück: Rasch 2000 (= Kleine Schriften des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit; 3). Vgl. auch Matthias Asche: Kontinuität des Humanismus. Bildungs- und Lebensentwürfe in gelehrten späthumanistisch-barocken Netzwerken. Erträge und Forschungsperspektiven

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Die Beiträger und ihr Repertoire Das Epithalamium zur Hochzeit von Heinrich Rethel und Abigaele Hosmann23 wird eröffnet mit drei elegischen Distichen des zweifellos berühmtesten Mitglieds des Beuthener Lehrkörpers: Caspar Dornau.24 Ihm folgen ––––––

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eines Osnabrücker Editionsprojekts für die frühneuzeitliche Kulturgeschichtsforschung.- In: Historisches Jahrbuch 128 (2008), S. 439–468. Vgl. künftig auch die Internetpräsentation des Werkes. Favori, Hon. & Felicitati Nuptiarum Praestantiss. V. Henrici Rethelii Sagani Philosoph. Magistri & Illis Schönaichianae Praeceptoris; Cum Virgine amabiliss. Abigaele Hosmania Cl. V. Joach: Hosmanni apud Uratisl. quondam JCti & Practici p.m. filia Sagani celebrandar. ad d. XV. August. A. Christi M.DCXVII. D.D. Evlogia Bethaniae Ad Oderam Johannes Dörfferus Excudebat. – Zum Adressaten des Epithalamiums vgl. J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 235: ›prius Illustr. Paedagogii Bethaniens. Classicus Praeceptor, deinde Schol. Patriae Rector‹ (in den erwähnten Piae Lacrymae ad funus Georgii à Schönaich 1619, zeichnet er als: ›M. Henricus Rethelius in illustri Bethanéo Praecept. Publ.‹; auch zu den Arae Exsequiales für Johann Georg von Schönaich (40d) trägt er mit gleicher Amtsbezeichnung bei); Hering I, 7; IV, 11; Klopsch, S. 266 f. Vgl. auch das Gedicht Balthasar Exners auf Rethel (›Patritium Saganum, Illustris Paedagogii Schönaichiani Collegam‹) in den Carmina Miscellanea (1619), S. 248 f. Joachim Hosmann, Ratskonsul in Breslau und der Vater Abigaeles, ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen gekrönten Dichter, der bereits 1611 verstorben ist. Vgl. zu diesem letzteren Caspar Cunrad: Epigrammatum Centuria Prima (1609), Bl. C3r–v; II (1610), Bl. C2v., sowie jetzt Flood II, 920 f. (Anm. 26). Caspar Dornau darf als der einflußreichste Wegbereiter für das Opitzsche Literaturprogramm gelten. Dieser Sachverhalt steht in denkwürdigem Kontrast zu der Aufmerksamkeit, die ihm die Germanistik bis in die neunziger Jahre hat angedeihen lassen, in denen erst durch die Seidelsche Arbeit eine Wende herbeigeführt wurde (vgl. Anm. 10). Das Ausführlichste (hier und im folgenden stets bis zum Erscheinen des Seidelschen Werkes) nach wie vor bei Hering I, 10 ff.; II, 8; IV, 9; V, 4 ff. (mit ergänzender Bibliographie zu Ehrhardts Presbyterologie II, 581–583, auf der Basis der Vita in Neomenius’ Leichenpredigt) sowie bei Klopsch, S. 47 ff., 214 ff. (mit reichhaltiger Bibliographie). Eine solche auch in Gottlieb Friedrich Ottos Lexikon der seit dem funfzehenden Jahrhunderte verstorbenen und jetztlebenden Oberlausitzischen Schriftsteller und Künstler. Bd. I–III.- Görlitz: Anton 1800–1803 [ab Bd. II: Burghart]. Supplementband von Johann Daniel Schulze.- Görlitz, Leipzig: Zobel 1821, Bd. I, S. 265–269, sowie in dem grundlegenden Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae. Bd. I–V. Opus ab Antonio Truhlář et Carolo Hrdina inchoatum. Josef Hejnic et Jan Martínek continuaverunt.- Pragae: Academia 1966–1982, Bd. II (1966), S. 56–68. Zuletzt eine in vier Abteilungen nebst drei Annexen gegliederte große Dornau-Bibliographie (selbständige Werke, unselbständige Texte, also zumeist Gelegenheitsgedichte, Stammbucheinträge, Briefe von und an Dornau) bei Seidel, S. 397–481. Zuwachs aus dem Gelegenheitsschrifttum über das erwähnte Osnabrücker Personalschrifttums-Projekt, das mit Breslau eröffnet wird. Vgl. des weiteren auch den Artikel von Hermann Palm in der ADB V (1877),

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drei griechische elegische Distichen seines Kollegen Georg Vechner, der die gleichfalls ohne Vorbild neu geschaffene Professur für Frömmigkeit (pietas) innehatte.25 Dann ergreift Caspar Cunrad, ein unermüdlicher Sammler und ––––––

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S. 351 f., sowie die vielen Notizen bei Reifferscheid (hier S. 708 Korrektur Palms: »in Carolath ist gar nichts Handschriftliches von Dornau«). Jetzt der Eintrag von Robert Seidel in der zweiten Auflage von Killys Literaturlexikon, Bd. III, S. 88 f. Zur Görlitzer Periode Dornaus: Samuel Grosser: Lausitzische Merckwürdigkeiten. Teil I–V.- Leipzig, Bautzen: Richter 1714, Teil IV, S. 123 f.; Schütt: Zur Geschichte des städtischen Gymnasiums zu Görlitz bis zu Baumeister’s Amtsantritt.Progr. Görlitz 1865 (anl. des 300jährigen Jubiläums), S. 27 f., 53 f. Zum Prager Kontext: R.J.W. Evans: Rudolf II and His World. A Study in Intellectual History 1576–1612.- Oxford: Clarendon Press 1973, S. 148 ff. In der deutschen Ausgabe: Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit.- Graz, Wien, Köln: Styria 1980, S. 104. Von pädagogischer Seite: Adolf Sellmann: Caspar Dornau, ein pädagogischer Neuerer im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.- Diss. phil. Erlangen 1897. Hinzuzuziehen sodann die oben Anm. 10 und 11 zu Beuthen und dem Aristarchus zitierte Literatur. Vgl. dazu auch die immer noch lesenswerte Einleitung von Georg Wittkowski zur Ausgabe des ›Aristarchus‹ und der ›Poeterey‹.- Leipzig: Veit 1888, insbesondere S. 21 ff., 26 ff. (jetzt auch Schulz-Behrend (Hrsg.) I, 26 f. u.ö.) sowie die Beiträge von Curt von Faber du Faur: Der ›Aristarchus‹: Eine Neubewertung.- In: PMLA 69 (1954), S. 567–590; ders.: German Baroque Literature. A Catalogue of the Collection in the Yale University Library.- New Haven/Conn.: Yale University Press 1958, Nr. 63–71. Einiges auch bei Rubensohn: Der junge Opitz.- In: Euphorion 6 (1899), S. 44 ff., 224 ff., 229 ff. Die Leichenpredigt von Neomenius (Brieg 1632) in der BU Wrocław 539293 u.ö., die Arae Exsequiales BU Wrocław 431556 u.ö. Der Kreis der Beiträger – darunter Melchior Lauban, August Buchner, Christopherus Colerus – bei Mende: Katalog der Leichenpredigten-Sammlungen (Anm. 19), S. 94. Dornau dürfte einer der ganz wenigen Späthumanisten sein, dem eine Ausgabe seiner Hauptschriften gewidmet wurde. Antonius Schmiedt, Subrektor am Görlitzer Gymnasium, veranstaltete sie 1677 zweibändig bei Christoph Zipper in Görlitz (Oktav). (Exemplar aus der Rhedigerschen Stadtbibliothek (8 E 1202/1–2) in der Universitätsbibliothek Wrocław (317930/I und II)). Die Ausgabe ist in beiden Bänden mit einem Sach- und Wortindex ausgestattet und in alter Tradition nochmals reichlich mit Zuschriften bestückt, darunter Christian Funcke und Martin Richter als Repräsentanten des Gymnasiums. Dazu wie immer C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie II, S. 72 f. und J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 59. Dieser Beitrag Vechners aus dem Rethel-Epithalamium ist der einzige bislang bekannt gewordene. Ehrhardt erwähnt ihn im zweiten Teil seiner Presbyterologie (S. 65), verbindet ihn jedoch irrtümlich mit dem Amtsantritt Rethels am 15. August 1617, so daß Hering I, 7, der das Stück offenbar nicht kennt und außerdem David mit Georg Vechner verwechselt, folgert: »... woraus man die Zeit ersieht, wann er bey der Schule sey angesetzt worden« (Anm. kk). Vgl. auch Hering II, 7 f., IV, 9 f.; V, 6 f., 15. Sodann: [J.G. Peuker:] Kurze biographische Nachrichten der vornehmsten schlesischen Gelehrten[,] die vor dem achtzehnten Jahrhundert gebohren wurden, nebst einer Anzeige ihrer Schriften.- Grottkau: Evangelische Schulanstalt 1788, S. 141. Maßgeblich wiederum (mit reichhaltiger Bibliographie und richtigem Ansatz

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einer der Nestoren der späthumanistischen nobilitas literaria Schlesiens, in einem längeren Gedicht aus Hendecasyllaben das Wort.26 Der Beuthener Pro––––––

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des Vechnerschen Beitrages für Rethel) Klopsch, S. 318 ff.; K.J. Schönwälder, J.J. Guttmann: Geschichte des Königlichen Gymnasiums zu Brieg.- Breslau: Nischkowsky 1869, S. 169 f. Dazu C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie VII, S. 309, und J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 319. Von Vechner ist hervorzuheben – neben einem Discvrsvs De Nobilitate (1612) (BU Wrocław 304749 = 376446) – eine ›Laudatissima Gymnasii Bethaniensis Institutio‹ sowie seine programmatische Rede zum Antritt der Professur für Frömmigkeit, die Georg von Schönaich bezeichnenderweise neben dem theologischen Lehrstuhl eingerichtet hatte: Singulare Gymnasii Schönaichiani Charisma: H.E. Professio Pietatis Pro Fundatoris ΜΑΚΑΡΙΤΟΥ Intentione Dilucidè â Professionibus caeteris Theologicis distincta.- Beuthen: Dörffer (1620) (BU Wrocław 313065 (= 8 B 8402); 421844 (= R 100/7); 426418 (= R 244/25); 443370). Ihr ist im Exemplar R 244/25 ein ›Typus Dissertationis De Pietatis Professione‹ beigebunden. Außerdem existiert von Vechner ein – möglicherweise beschnittener – Einblattdruck ›Pietatis Professionem, In Illustri Schonaichiano [!] Gymnasio, exorsurus‹ (datiert vom 12. September 1619 zu Beuthen), der in dem Exemplar der Stadtbibliothek (313065 = 8 B 8402) enthalten ist. Das Indicium Professionis Theologicae.- Beuthen: Dörffer 1617 (BU Wrocław 353284; 421845 (= R 100/8); 426416 (= R 244/24a)) fehlt bei Klopsch. In dem Exemplar R 244 ist unter Position 24b eine ›Recensio Praelectionum Exercitiorumque‹ für das Wintersemester 1619 dokumentiert. Unter der Signatur L.i. 401673 ist Vechners unter Christoph Jungnitz in Heidelberg verteidigte Dissertation erhalten, die David Pareus, dem Beuthener Pastor Peter Titz, Bartholomäus Pitiscus und Abraham Scultetus, ›Dnn. Patronos & fautores suos‹ gewidmet ist, den schlesischpfälzischen Brückenschlag also erneut eindrucksvoll bezeugt. Auch für Caspar Cunrad fehlt die dringend benötigte Biographie. Sie hätte in den Hunderten von poetischen Zuschriften für diese Zentralgestalt des schlesischen Späthumanismus, die die BU Wrocław zumeist verwahrt – angefangen bei der Gratulationsschrift zur Dichterkrönung (Liegnitz 1601) und zur medizinischen Promotion (Basel 1604) über die Epithalamia zu den drei Hochzeiten bis hin zu den Arae Exsequiales (Breslau 1634) – ein reichhaltiges Material verfügbar. Der Laureats-Nachweis und die Promotionsschrift im Enchiridion renatae poesis Latinae I, S. 516–518, hier S. 516. Die Trauerschrift – mit deutschsprachigen Beiträgen u.a. von Andreas Tscherning, Carl Friedrich, Georg Ernst, Johann Friedrich, Daniel und Christian Cunrad – in der BU Wrocław (8 E 1071a = 317774). Vgl. das schöne Porträt des Freundes und historiographischen Weggefährten Nicolaus Henel von Hennenfeld in den unpubliziert gebliebenen ›Silesiae Togatae Libri XII‹ (Handschriften-Abteilung der BU Wrocław: IV F 127), Buch VI, Bl. 399–404. Sodann J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), Bl. c4v–d1v (Anhang zu Schindlers Vita Johann Heinrich Cunrads mit Schriftenverzeichnis), sowie S. 49; Martin Hanke: Vitae Silesiorum, S. 66– 69 (vgl. Anhang!); Johann Sigismund John: Parnassi Silesiaci Sive Recensionis Poëtarvm Silesiacorvm Qvotqvot Vel In Patria Vel In Alia Etiam Lingva Mvsis Litarvnt Centvria I–II.- Wratislaviae: Rohrlach 1728–1729, I, 51–54; II, 14–15; Hering IV, 4 f.; J.F.A. Gillet: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte. Theil I–II.- Frankfurt a.M.: Brönner 1860, Teil II, S. 414 f.; Ernst Höpfner: Martin Opitz in Straßburg.- In: Beiträge zur Deutschen Philologie. Fest-

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fessor für Rhetorik, Balthasar Exner, liefert eine Horaz-Parodie (wie sie Cunrad gleichfalls bevorzugt pflegte) und schließt ihr Sapphische Hendekasylla______ gabe Julius Zacher.- Halle: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1880, S. 295 f.; Reifferscheid, S. 731 f., 741; Pfotenhauer: Schlesier als kaiserliche Pfalzgrafen und schlesische Beziehungen zu auswärtigen Pfalzgrafen.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 26 (1892), S. 319–363, S. 327 f.; Rubensohn, II, 231 ff.; Schulz-Behrend (Hrsg.) I, 3 ff.; Manfred P. Fleischer: Späthumanismus in Schlesien, passim; Opitz: Lateinische Gedichte S. 432 f., 461. Vgl. jetzt den erstmals grundlegenden Beitrag von John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-Bibliographical Handbook. Bd. I–IV.- Berlin, New York: de Gruyter 2006, Bd. I, S. 395–401 (mit Werkverzeichnis). Ich muß es mir versagen, das für die Personengeschichte des schlesischen Späthumanismus grundlegende Werk Cunrads, das in den Arbeiten seines Sohnes Johann Heinrich, von Nicolaus Henel von Hennenfeld, Martin Hanke, Caspar Theophil Schindler, Joh. Chr. Leuschner (dem Fortsetzer von J.H. Cunrad) u.a. seine Fortsetzung findet und Schlesien zu der besterforschten Gelehrtenrepublik des alten deutschen Sprachraums macht, hier näher zu charakterisieren, und behalte mir eine weitere Behandlung vor. Einiges hierzu vorläufig in meinen Artikeln im Killyschen Literaturlexikon. Der gesamte Komplex bislang am besten gesehen in den Publikationen Fleischers. Dringend erwünscht wäre ein Reprint des ›Theatrum Symbolicum‹ (1622–1632) und des ›Prosopographiae Melicae Millenarivs I–III‹ (1615–1621) sowie des nur handschriftlich vorliegenden ›Epigrammatum Liber I[–]XI‹ (Handschrift B 1916 aus der Bernhardiner-Bibliothek). Vgl. zu Cunrad auch den ausführlichen Eintrag unten im Anhang S. 132–144. In diesem Zusammenhang darf angemerkt werden, daß auch andere wiederholt herangezogene handschriftliche bio-bibliograpische Kollektaneen der Forschung leicht zugänglich zugeführt werden müßten. Das gilt an erster Stelle für Henels ›Silesia Togata‹ (Handschriften-Abteilung der BU Wrocław: R 570, R 571; IV F 127; B 1716; Klose 177; Akc 1949/1283) ebenso wie für Martin Hankes ›Annales de Silesiorum rebus‹ (R 774–778; Personen 1551–1660 betreffend, Fortsetzung 1661– 1700: R 779) in der Abschrift Kloses, welch letztere vor dem Krieg als viel konsultiertes biographisches Nachschlagewerk dem Benutzer zur Verfügung stand. Dazu der grundlegende Artikel von dem so verdienstvollen Bibliothekar und Archivar Hermann Markgraf: Martin Hanke, einer der großen Rektoren des 17. Jahrhunderts, und seine Bedeutung für die schlesische Geschichtschreibung.- In: ders.: Kleine Schriften zur Geschichte Schlesiens und Breslaus.- Breslau: Morgenstern 1915. (= Mitteilungen aus dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek zu Breslau; 12), S. 30– 52, dort S. 48 f. Auch zu Henel grundlegend Hermann Markgraf: Nikolaus Henel’s von Hennenfeld (1582–1656) Leben und Schriften.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 25 (1891), S. 1–41, mit eingehender Charakteristik des Nachlasses. Dazu Henels Autobiographie in: Chr. G. Jachmann: Beiträge zur juristischen Literatur in Schlesien.- Breslau: Korn 1782, S. 1–60. Zu Klose wiederum Markgraf: Zur Erinnerung an Samuel Benjamin Klose. 1730–1798.- In: Silesiaca. Festschrift Colmar Grünhagen.- Breslau: Morgenstern 1898, S. 1–22 (und ADB 16 (1882), S. 226 f.). Jetzt Lucyna Harc: Samuel Beniamin Klose (1730– 1798). Studium historiograficzno-źródłoznawcze.- Wrocław: Wydawnictwo Uniwer-

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bia an.27 Jonas Melideus bedient sich der Pindarischen Ode.28 Abraham Scultetus, Diakon an der Beuthener Pfarrkirche – und natürlich nicht zu ver––––––

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sytetu Wrocławskiego 2002 (= Acta Universitatis Wratislaviensis; 2389; Historia; 157). Vgl. auch unten Anm. 81. – Diese Hinweise im Vorgriff auf die eingehenden näheren Ausführungen im Anhang! Exner hat merklich mit Cunrad konkurrieren wollen und gleichfalls ein ergiebiges personalgeschichtliches Schrifttum zusammengebracht. Vgl. vor allem: Carminum Miscell. Libri XII.- Beuthen: Dörffer 1619 (Titelauflage: Schediasmata Poetica.Beuthen: Dörffer 1620, mit alphabetischem Personenregister!) sowie in Analogie zum Theatrum Symbolicum Cunrads: Anchora Vtrivsqve Vitae: Hoc est Symbolicum SPERO MELIORA. Centvria I–III.- Hanau: Aubry & Schleich1619. Dazu Evans: Rudolf II (1980) (Anm. 24), S. 103 f. Zu Exner vgl. Henels ›Silesia Togata‹ (Handschriften-Abteilung der BU Wrocław: IV F 127), Buch XII, Bl. 756; ders.: Silesiographia Renovata (Anm. 10), Bd. I, S. 218–220; J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 67; John I, 65–67, II, 16; Ehrhardt II, 585–586; Hering I, 8; II, 9 ff.; V, 11; Kurze biographische Nachrichten (1788), S. 25; Klopsch, S. 29 ff., 229 ff. (mit reichhaltiger Bibliographie, zu ergänzen vor allem um das – schon bei Ehrhardt und Hering erwähnte – wichtige Werk: De Rerump. Regnorum, Imperiorum Conversione Et Eversione oratio.- Beuthen: Dörffer 1620) (R 244/32 = 426425); Enchiridion renatae poesis Latinae II, 112–117 (mit vielfachen Aufschlüsselungen der Adressaten und Beiträger und wichtigen Standortangaben der Nachkriegszeit, vor allem zu den Beständen der BU Wrocław!); Schulz-Behrend (Hrsg.) I, 117 ff.; Flood II, 497–499 (mit Werkverzeichnis); Killys Literaturlexikon, 2. Aufl., Bd. III, S. 343 f.; Opitz: Lateinische Werke S. 387 f. Die ›Oratio de illustri Gymnasio Schoenaichiano‹ Exners war schon Hering nicht mehr zugänglich (II, 11 γ). Zu Jonas Melideus, zunächst Professor für Rhetorik und Poesie, dann (nach seiner Rückkehr aus Goldberg) Dornaus Nachfolger in der Professur ›morum‹ in Beuthen, vgl. C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie IV, S. 191 f.; J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 186; Ehrhardt II, 587, IV, 475–476; Hering II, 13 f.; IV, 10 f.; V, 9 f.; Klopsch, S. 58 ff., 253 ff.; Reifferscheid, S. 841; Flood III, 1306 f. Vgl. auch die beiden Opitz-Beiträge bei Schulz-Behrend (Hrsg.) I, 35 f., 115 ff. mit dem Kommentar des Herausgebers, sowie das Epithalamium zur Hochzeit mit Anna Koschwitz, Liegnitz 1627 (BU Wrocław 355088), bei Schulz-Behrend (Hrsg.) IV/2, 87–89. Die beiden ersteren Beiträge jetzt auch in den ›Lateinischen Gedichten‹ von Martin Opitz (Anm. 2), S. 44–47 und S. 138–141 mit den Kommentaren S. 308 f. und 365 f. Melideus war in erster Ehe mit Ursula Koschwitz verheiratet. Das entsprechende Epithalamium (Liegnitz 1618) hat sich in Wrocław erhalten: 421899 (= R 100/53). Entsprechend ist Schulz-Behrend I, 115 f. zu ergänzen. Der gesuchte Opitz-Beitrag findet sich in ihm nicht, wohl aber steuert Nüßler ein Gedicht bei. Seine ›Parallela Oratorum Poetarumque veterum & hodiernor‹ (Beuthen: Dörffer 1617) ist u.a. Tobias Scultetus gewidmet und enthält am Schluß den lateinischen Beitrag von Opitz [Inc.: »DIstrahitur binis doctorum natio sectis«] (426424 = R 244/31). Eine Reihe von aufgefundenen Melideus-Zuschriften sollen hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. Sie sind – wie alle sonstigen erwähnten Titel dieser Abhandlung – in Osnabrück auf Mikrofilm und vielfach in Kopie sowie auf CD-ROM verfügbar. Vgl. den

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wechseln mit seinem berühmten Namensvetter und Hofprediger Friedrichs V. von der Pfalz – steuert erneut elegische Distichen bei.29 Das in Hochzeitsgedichten so beliebte anagrammatische Spiel eröffnet der Lissaer Rektor, Pfarrer und gekrönte Dichter Michael Aschenborn,30 das drei Positionen später wiederaufgenommen und weitergeführt wird in den ›Lusus anagrammatismales‹ des aus Görlitz gebürtigen und jetzt gleichfalls am Schönaichianum wirkenden Ambrosius Schneeweiss.31 Dazwischen ist ein ironisches –––––– 29

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Beitrag von Melideus in dem unten Anm. 109 zitierten Beitrag von Bruchmann zu den Flugschriften auf Friedrich I. in der Breslauer Stadtbibliothek, S. 28–29. Vgl. C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie VIII, S. 382 (›Diaconus Bethaniensis‹); Ehrhardt II, 570 f. (»Man muß nicht vergessen ihn von dem berühmten Dokt. Abrah. Sculteto, Reformirten Theologen, seinem Zeitgenossen, sorgfältig zu unterscheiden«); Hering I, 6; Klopsch, S. 281 f. (zu Joachim Scultetus). Scultetus taucht mehrfach als Beiträger auf, z.B. in den Piae Lacrymae ad funus Georgii à Schönaich, wo er als ›Ecclesiae Beutanienses Diaconus‹ zeichnet. Vgl. zu Michael Aschenborn (außer J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 8 f., und Ehrhardt II, 593, Anm. c) eingehend Theodor Wotschke: Das Lissaer Gymnasium am Anfange des siebzehnten Jahrhunderts.- In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 21 (1906), S. 161–197, S. 164, Anm. 4, S. 180 ff. (»Seine Gedichte sind vielleicht die besten, die die neulateinische Dichtung Lissaer Lehrern verdankt«, S. 180). Tobias Scultetus krönte ihn am 28. November 1613 in Beuthen als Dichter. Das Thema ›Abrahamus sacrificans‹ – Jahre vorher von Théodore de Bèze in einem großen Drama behandelt – bildete den Vorwurf seiner Rede zu diesem Anlaß: Abrahamus Sacrificans, Carmine heroico descriptus, & in theatrum publicum productus In Illustri Schönaichiano novo à Mich. Aschenborn, Bethan. Sil. Scholae Lesn. R. Cùm ibidem ab Ill. Magnif. & Nobilissimo Viro Dn. Tobia de Schvvanensee & Bregoschitz, cognomento Sculteto [...] Lauru Caesareâ actu solenni coronaretur. Anno 1613. 28. Nov.- Beuthen: Dörffer o.J. (BU Wrocław 353283 u.ö.). Das Werk ist Raphael von Lissa und Johann von Schönaich sowie den Söhnen von Lissas, Andreas und Raphael, gewidmet. Angehängt ist eine gleichfalls Scultetus gewidmete ›Petitio Laureae‹ (Bl. C1r+v). Es schließen sich (nach einem weiteren Beitrag Aschenborns) Zuschriften der Freunde und Kollegen an. Exner, Melideus, Wilhelm Blothner (›Scholae Fraust. Rector‹), Christoph Preiss (›Rorsdorffensis Ecclesiae pastor & P.L.‹), Jacob Hesius (›Thorunensis Bor. Illustr. Com. Lesn. jun. Ephorus‹), Martinus Hentschelius und Ambrosius Schneeweiss (›Gorlicius, Collega illustris Scholae Schönaichianae‹) fügen Glückwunschgedichte hinzu. Bei Wotschke (S. 182 ff.) auch weitere Schriften von Aschenborn, u.a. die Markgraf Johann Georg von Brandenburg gewidmete, in unserem Sammelband erhaltene und oben erwähnte Anagrammatum Peculiaris Dodecas.- Beuthen: Dörffer 1618 (BU Wrocław 507491), sowie eine Elegie zum Tode Georg von Schönaichs. Auch den Tod des Grafen Sendivogius (Sędziwój) von Ostroróg hat er besungen. Vgl. Estreicher XII, 248 f. Und schließlich sei verwiesen auf den Eintrag im Polski słownik biograficzny I (1935), S. 169 f., sowie jetzt bei Flood I, 103. Zu Ambrosius Schneeweiss vgl. C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie VIII, S. 393 f.; Hering I, 7; IV, 11; V, 16; Klopsch, S. 271 ff.; Wotschke, S.

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›Epicedion‹ des Kantors im Schönaichianum, Abraham Bernhardi,32 und eine 18zeilige Elegie eines aus Thorn stammenden und jetzt gleichfalls aus Lissa schreibenden Jacob Hesius ›Illustrium Comitum de Lieshno Ephorus‹ plaziert.33 Lokal wie beruflich nicht ausgewiesen ist der sich anschließende Michael Schmid,34 während Friedrich Schosser ausdrücklich als Präzeptor am Schönaichianum eingeführt ist.35 Am Schluß sind eine Reihe von Alumnen des Gymnasiums vereinigt: Gottfried Schneeweiss, Matthias Saltzsieder aus Platovia in Pommern, Caspar Steinberger aus Beuthen, Andrzej Węgierski aus Ostroróg in Polen, Sigismund Rosaeus, Georg Ordtmann aus Glogau, nochmals ein Lissaer Beiträger, Christoph Hoffmann, und schließlich Balthasar Hänsel.36 ––––––

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181 f. Schneeweiss beteiligt sich selbstverständlich an den Funeralschriften für Georg von Schönaich. Auch Tobias Scultetus hat er ein ›Epicedium‹ anläßlich des Todes von dessen Tochter gewidmet (Glogau: Funk 1608) (Exemplar SB Berlin Xc 570). Das Datum des Anlasses und Druckes einem ›Distichon Chronologicum, annum, mensem, & diem emortualem exhibens‹ entnommen. Die Existenz einer Tochter des Scultetus scheint nur über dieses Epicedium bezeugt zu sein. Der Vater Gregorius Schneeweiss war Lehrer am Gymnasium zu Görlitz. Vgl. Schütt: Zur Geschichte des städtischen Gymnasiums zu Görlitz (Anm. 24), S. 47, 51. Scripta Epithalamia für Gregorius Schneeweiss, ›Collegae Scholae Gorlicensis‹, und Anna Willer aus Görlitz erschienen 1596 in Görlitz mit einem Beitrag u.a. von Elias Cüchler (BU Wrocław 549395). Ein Sohn von Ambrosius Schneeweiss ist Gottfried Schneeweiss, der wiederholt als ›Gorlicio-Lusatus‹ zeichnet. Schon 1619 ist er als Beiträger in den Arae Exsequiales für Schönaich vertreten und erscheint 1620 in Beuthen als Respondent der Theses Exegeticae In Primum Hoschehae Caput (426423 = R 244/30). Unter den Widmungsempfängern ist selbstverständlich – wie bei all diesen Beuthener Schulschriften – auch wieder Tobias Scultetus. Vgl. C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie VIII, S. 389 f.; J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 19; Hering I, 7; II, 12; IV, 8 f., 14; Klopsch, S. 55 f., 206 ff., sowie seine Beiträge in den Piae Lacrymae für Georg und für Johann Georg von Schönaich. Vgl. C. Cunrad: Theatrum Symbolicum (Anm. 15), Centurie VIII, S. 391, und Wotschke, S. 181. Hesius war Magister in Thorn und Ephorus der beiden jungen Grafen von Lissa, Andreas und Raphael Leszczyński. Vgl. auch Altpreußische Geschlechterkunde N.F. 7 (1972/73), S. 156. Michael Schmid gehört zu den Gratulanten der Hochzeit Balthasar Exners mit Eva Barth und unterzeichnet hier als ›Michael Schmid Gorl.‹ Vgl. ›Anchora Vtrivsqve Vitae Cent. III‹, S. 243 (siehe Anhang). 1616 zeichnet er in einem Sacrum Conjugale für Martin Moller und Sophie Ritter als ›Michaël Schmid Gorl. Lus. Praga mittebat‹ (444120). Vgl. Hering IV, 12; V, 16; Klopsch, S. 44 f., S. 279 ff., sowie seinen Beitrag in den Piae Lacrymae für Georg von Schönaich. Hier zeichnet er als ›Beuth. Sil. Paedagogii Patrii Collega‹. Zu den Alumnen in Beuthen Hering III, 5 f. Zu Gottfried Schneeweiss vgl. oben Anm. 31. Saltzsieder zeichnet wiederholt in den Kasualdrucken der BU Wrocław als

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Ist es ein abwegiger Wunsch, die Namen dieser Personen wie die von ihnen zu dem Anlaß genutzten Formen in einer Datenbank zur Literatur- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit aufgehoben zu wissen? Kombiniert mit den Informationen schon der benachbarten Texte unseres Bandes wie mit denen naher und entfernter anderweitiger wird in mehr als einem Fall das Profil der Produktion bislang namenloser Autoren Gestalt gewinnen und den bekannten Namen gewiß der eine oder andere auch gewichtigere poetische Beitrag in Zukunft zuverlässig zuzuschreiben sein. So auch im Falle Martin Opitzens. Denn der Reihe der Zuschriften aus dem Kreis der Alumnen des Gymnasiums geht ein 58 Zeilen umfassendes Hochzeitsgedicht voraus, ohne nähere Statusangabe lapidar gezeichnet ›Martinus Opitius Silesius‹.37 Opitz weilte im August 1617 – nach allem was wir wissen – in Beuthen.38 Es ist das Jahr, in dem er seinen Aristarchus verfaßte ––––––

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Pommeraner, so etwa in den Arae Exsequiales für Georg von Schönaich (›PlatoviaPomeranus‹) oder in der unter Vechners Präsidentschaft von Johann Franzius als Respondent in Beuthen verteidigten Disputatio ›Cosmologiae Mosaicae Initium‹ (1619) (BU Wrocław 426420 = R 244/27). Steinberger erscheint auch als Beiträger zu Melideus’ ›Quadrigae Emanuelis‹ (Beuthen: Dörffer 1618; BU Wrocław 442745). 1630 tritt er mit einem ›Sacrum Nuptiale‹ für Matthaeus Pischel (›Scabinus primarius‹ in Schweidnitz) und Catharina Rumbaum (Tochter des Syndicus Georg Rumbaum in Schweidnitz) hervor (Breslau: Baumann 1630; BU Wrocław 533910). Zu Andrzej Węgierski, dem nachmaligen großen reformierten Kirchenhistoriker, vgl. Hering IV, 5 f.; Wotschke, S. 163 f., 184. Seine Libri quatuor Slavoniae Reformatae.- Amsterdam: Jansson-Weesberg 1679 in der BU Wrocław 443198 (Reprint hrsg. von Janusz Tazbir.- Warschau 1973). Vgl. auch Estreicher XXXII (1938), S. 286–293. Zahlreiche Werke Węgierskis erschienen bei Friese in Thorn. Sigismund Rosaeus trägt auch zu den Arae Exsequiales Schönaichs als ›Illustris Schönaichiani Alumnus‹ bei. Desgleichen gratuliert er anläßlich der Theses Theologicae. De Bonis Operibus.- Beuthen: Dörffer 1620 dem ›sincero amico‹ Christoph Hoffmann (BU Wrocław 26422 = R 244/29). Über Georg Ordtmann aus Glogau konnte bislang nichts Näheres ermittelt werden. Christoph Hoffmann zeichnet in den Arae Exsequiales für Georg von Schönaich als ›Lesnensis Polonus‹. Vgl. zu ihm Wotschke, S. 184. Balthasar Hänsel zeichnet als ›Bethaniensis Silesius Scholae patriae alumnus‹. Das Gedicht findet sich Bl. B4v–C1r. Dazu neben der in den Anmerkungen 10, 11 und 24 zitierten Literatur an den jeweiligen Stellen des weiteren heranzuziehen Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften. Teil I–II.- Hirschberg: Krahn 1740–1741. Teil I, S. 154 ff.; Max Rubensohn: Der junge Opitz.- In: Euphorion 2 (1895), S. 57–99; Euphorion 6 (1899), S. 24–67, 221–271. In der letzteren Abhandlung S. 44 ff., S. 224 ff. Vgl. jetzt mit dem schönen Nachwort des Herausgebers die Neuedition beider Abhandlungen in: Max Rubensohn: Studien zu Martin Opitz. Mit einem wissenschaftshistorischen Nachwort hrsg. von Robert Seidel.- Heidelberg: Winter 2005 (= Beihefte zum Euphorion; 49).

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und im Gymnasium vortrug. Er wird auch das Gedicht in Beuthen verfaßt und überreicht haben.

3. Amor fatalis – Amor coniugalis. Ein Epithalamium des jungen Martin Opitz Text und Übersetzung

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EST locus haud ulli visus, (nisi forte Poetis, Queis Lunae quoque regna patent, et mystica divûm Consilia, ignotique etiam sine nomine mundi) Quà nostri firmo amplexu confinia caeli Concurrunt, fictis Atlas queis consulit armis. Hic Veneris stat sancta domus, hic mollis Amorum Gens habitat: tristi pars miscet dulce venenum Ambrosiae, nectarque gravi confundit aceto: Pars rigidas parat ista faces: Pars ista sagittas, Dissimiles per cuncta sui, variique tenoris Conficit: hae fatuas stulto mucrone lacessunt Mentes, ut persaepe suae contagia vitae Ignorent, generisque sibi majoris amorem Affectent, poenasque suis dent moribus ipsi: Aut oblita etiam non raro stemmatis alti Nobilis occaecant praecordia capta juventae, Vt positas infra majorum nomina sordes Defigant animo, mediaque è faece popelli Obscuri servas mercentur munere noctes. Hae vultus feriunt, et visus lumina damnant, Vt credant Helenae exemplar se perdere, cum vix Virginis os et membra gerat. Confecta suprema Si macie fugiunt deformia vulta, tenellam Dicunt: aut nimio si se vix pondere molis Suffartae trahit, eximia gravitate superbit. Si lusca est, blandum patrantes frangit ocellos, Et vultu loquitur; si vix quoque noctua cernit, Dissimulat Veneris lusus, et deijcit ora. Scilicet haud opus est nimium tum posse videre, Cum facimus quod tentat Amor: quaeque omnia claudit Nox non multum oculos, quia caeca est ipsa, requirit. Hae, nec enim nostri teneant oblivia mentem, Vatum corda petunt, qui quod non vidimus unquam

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Doctis prosequimur lacrymis, auramque papyro Credimus aeternae, nec nostro insania cordi Displicet, atque ipso revocantur pectora morbo. Quosdam, lucidior queis risit ab aethere Phoebus, Ancillae mendax depictae vexat imago, Ne nil prorsus ament: sic Thrax gladium, Italus hastam, Ignem Persae, Arabes lapidem vice numinis orant. Infelix amor ô nimium solaque beatus Hac facie, tutô quod plane Henrice, timemus, Ne quis ad incautam tendat rivalis amicam, Ingratusque hospes nostra se jactet in aula. At tibi felicis multo gratissima teli Mentem animi, praeclare virùm, confixit arundo. Cerne tuae vultùs et caelica lumina Nymphae, Cerne comas, ac labra rosis, et colla pruinae AEmula: quicquid habet soli tibi subdere discet Sponsa, tibi casti deponet signa pudoris. O dulces animae. Vobis latitantia caelo Sidera praecipitant: ite ultum Cypridos ignem, Sit gravis ille licet, vel gutta extinguet amoris. O par formosum vestro indulgete calori: Casta ligustra cadant, vacinia nigra legantur: Nec vos poeniteat thalamo trivisse labella, Et laetos dulci pugna committere flores. Sed quid ego haec frustra, quae nox docet ipsa, revolvo? Martinus Opitius Silesius. Es gibt einen Ort, den niemand gesehen (es sei denn die Poeten, denen sogar die Reiche der Luna offenstehen sowie die geheimnisvollen Beratungen der Himmlischen und auch unbekannte Welten ohne Namen), wo in fester Umarmung die Grenzlinien unseres Himmels* [5] zusammenlaufen, um die sich Atlas kümmert mit seinen Schultern, von denen die Sage kündet. Hier steht das heilige Haus der Venus;** hier wohnt das sanfte Volk der Liebesgötter: Teils mischt es süßes Gift zu trauerbringender Ambrosia, und den Nektar vermengt es mit scheußlichem Essig, teils bereitet es unerbittliche Hochzeitsfackeln, teils fertigt es Pfeile an,

–––––– * **

Äquator und Ekliptik. Gemeint ist anscheinend die Waage, Tierkreiszeichen des Herbstäquinoktiums an der Schnittstelle von Äquator und Ekliptik (den Grenzlinien des Himmels, confinia caeli) und zugleich ›Haus‹ der Venus in der antiken, frühneuzeitlichen und modernen Astrologie.

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[10] sehr unterschiedliche in allem und mit unterschiedlichem Ziel: Die hier reizen die einfältigen Gemüter mit ihrer törichten Spitze, so daß sie oftmals den üblen Einfluß für ihr Leben verkennen, für sich die Liebe eines höheren Standes zu gewinnen suchen und dann Strafe zahlen für ihr eigenes Verhalten. [15] Nicht selten machen sie blind auch die verblendete Brust edler Jugend, die ihren hohen Stammbaum vergessen hat, so daß sie sich Personen niedrigen Standes, die tief unter der Würde ihrer eigenen Ahnen stehen, in den Kopf setzen und mitten aus dem Bodensatz des namenlosen kleinen Volkes dienstwillige Nächte durch eine Gefälligkeit erkaufen. [20] Die Pfeile da treffen den Blick und schaden dem Licht der Augen, so daß sie glauben, ein Ebenbild der Helena zu verlieren, obwohl sie doch kaum das Gesicht und die Glieder eines Mädchens trägt. Wenn sie vor einem ungestalten, von äußerster Magerkeit verzehrten Gesicht fliehen, nennen sie sie ›zierlich‹. Oder wenn diese sich kaum noch wegen allzu großen Gewichts [25] ihrer verfetteten Masse dahinschleppt, dann prangt sie in ausnehmender Stattlichkeit. Wenn sie schielt, läßt sie schmeichlerisch ihre lüstern gebrochenen Blicke schweifen, und spricht mittels ihres Ausdrucks; und wenn sie – wie die Nachteule – kaum gucken kann, so tut sie, als triebe sie nicht die Spiele der Venus, und senkt verschämt ihren Blick. Freilich ist es auch nicht allzu nötig, dann sehen zu können, [30] wenn wir tun, was Amor in die Wege leitet: und die Nacht, die alles verschließt, verlangt nicht nach den Augen, ist sie selbst doch blind. Diese Pfeile – denn es soll auch nicht unser eigener Fall in Vergessenheit geraten – zielen auf die Herzen der Dichter, die wir das, was wir nie sahen, mit gelehrten Tränen verfolgen und einen flüchtigen Hauch dem immerwährenden Papier anvertrauen. [35] Auch unserem Herzen mißfällt der Wahnsinn nicht, und doch wird unsere Empfindung durch eben diese Krankheit wiederhergestellt. Manche, denen vom heiteren Himmel ein allzu glänzender Phoebus lachte, quält das trügerische Bild einer gemalten Magd, so daß sie nichts fernerhin lieben. So betet ein Thraker das Schwert, ein Italier die Lanze, [40] die Perser das Feuer und die Araber einen Stein als Gottheit an. O allzu unglückliche Liebe, durch nichts als dies eine Gesicht beglückt, weil wir, Heinrich, doch ganz gewiß fürchten, daß ein Rivale zur unachtsamen Freundin hinstrebt und sich als unwillkommener Gast an unserem Hofe brüstet. [45] Dir aber durchbohrte der bei weitem willkommenste Pfeil eines glückbringenden Geschosses dein Herz und deinen Sinn, herrlicher unter den Männern. Betrachte den Anblick und die himmlischen Augen deiner Braut, betrachte ihre Haare und die Lippen, die mit den Rosen wetteifern, betrachte den Hals, der mit dem Schnee wetteifert: Was auch immer die Braut besitzt, Dir allein wird sie es hingeben lernen, [50] für Dich wird sie die Zeichen der keuschen Scham ablegen. O süße Seelen,

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für euch eilen die Sterne am Himmel dem Untergang zu, um sich dort zu verbergen.* Geht, um Euch am Feuer der Cypris zu rächen; mag es auch heftig sein – schon ein Tropfen Eurer Liebe wird es löschen! O schönes Paar, gebt Eurer Hitze nach! [55] Der keusche Liguster möge fallen; es mögen die schwarzen Hyazinthen gesammelt werden!** Und es soll Euch nicht reuen, im Brautgemach Eure Lippen zu reiben und im süßen Gefecht üppige Blumen*** sprießen zu lassen.**** Aber was roll’ ich hier vergebens auf, was die Nacht selbst euch lehrt? Martin Opitz, Schlesier.

Liebeslyrik als nationalliterarischer Auftakt Die neulateinische wie die deutschsprachige, anlaß- wie nichtanlaßbezogene Lyrik des jungen Opitz steht beherrschend im Zeichen der Liebesthematik. Das ist in der verzerrten Form der biographischen Auslegung stets gesehen worden. Die der Sache angemessene poetologische Deutung steht aus und ist nur in enger Verschränkung mit den dichtungstheoretischen Äußerungen Opitzens zu bewerkstelligen, in denen wiederum nicht zufällig die amatoria einen prominenten Platz einnehmen.39 Der Durchbruch in der ›volks‹-spra–––––– * **

D.h. für Euch vergeht die Nacht wie im Fluge; latitantia (V. 51) = proleptisch. Paronomasie vacinia – vagina (V. 55)? Vgl. Verg. ecl. 2,18: »alba ligustra cadunt, vaccinia nigra leguntur« (dort von echten Pflanzen in einem erotischen Gleichnis); hier steht also der weiße Liguster für die Leibwäsche, die schwarzen Hyazinthen für die Scham. *** Sie sind Attribut der Liebesgöttin Venus. **** »Et laetos dulci pugna committere flores« (V. 57) Abwandlung von militärisch ›acies committere‹ = Schlachtreihen aufeinanderprallen lassen. 39 Eine sachlich befriedigende Darstellung der Opitzschen Liebeslyrik fehlte, als die folgenden Passagen vor mehr als 20 Jahren abgefaßt wurden. Eine große komparatistisch angelegte Gesamtdarstellung steht nach wie vor aus, gleichwohl ist ein deutlich erkennbarer Wandel eingetreten, und das vor allem – wie nicht anders zu erwarten – über Einzelstudien im europäischen Kontext. Die biographische Auslegung, ständig praktiziert in der Anm. 38 zitierten Abhandlung Rubensohns, wie sie auch vielfach noch in die Untersuchung von Janis Little Gellinek: Die weltliche Lyrik des Martin Opitz.- Bern, München: Francke 1973, hineinspielt, darf als definitiv überwunden gelten. Als mustergültige Einzelanalyse eines Opitzschen Epithalamiums lag seinerzeit vor: Wilhelm Kühlmann: Militat omnis amans. Petrarkistische Ovid imitatio und bürgerliches Epithalamium bei Martin Opitz.- In: Daphnis 7 (1978), S. 199–214 (mit weiterer Literatur). An gleicher Stelle auch Stephen Zon: Imitations Petrarch. Opitz, Fleming.- In: Daphnis 7 (1978), S. 497–512. Des weiteren: Ulrich Maché: Die Unbegreiflichkeit der Liebe. Das Petrarca-Sonett von Martin Opitz.In: Gedichte und Interpretationen. Bd. I: Renaissance und Barock. Hrsg. von Volker Meid.- Stuttgart: Reclam 1982 (= Reclams Universal-Bibliothek; 7890), S. 124–135; Wulf Segebrecht: Rede über die rechte Zeit zu lieben. Zu Opitz’ Gedicht ›Ach Lieb-

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chigen bzw. ›national‹-sprachigen weltlichen Kunstdichtung des neueren Europa war am frühesten in der Liebeslyrik mit Petrarcas Canzoniere gelungen ______ ste/ laß vns eilen‹.- In: Gedichte und Interpretationen, S. 136–147; George Schoolfield: Some Thoughts in Opitz’ ›Elegia‹.- In: Martin Opitz. Studien zu Werk und Person. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino.- Amsterdam: Rodopi 1982 (= Daphnis 11 (1982)), S. 463–476. Für den Kontext konnte zurückgegriffen werden auf Eberhard Berent: Die Auffassung der Liebe bei Opitz und Weckherlin und ihre geschichtlichen Vorstufen.- The Hague, Paris: Mouton 1970 (= Studies in German Literature; 15). Seither gingen wichtige Impulse bezeichnenderweise von der Romanistik aus. Vgl. etwa Klaus W. Hempfer: Die Pluralisierung des erotischen Diskurses in der europäischen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts (Ariost, Ronsard, Shakespeare, Opitz).- In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 38 (1988), S. 251–264; Ulrich Schulz-Buschhaus: Emphase und Geometrie. Notizen zu Opitz’ Sonettistik im Kontext des europäischen ›Petrarkismus‹.- In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hrsg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz.- Tübingen: Niemeyer 2002 (= Frühe Neuzeit; 63), S. 73–87. Zum Kontext einschlägig Klaus W. Hempfer: Probleme der Bestimmung des Petrarkismus. Überlegungen zum Forschungsstand.- In: Die Pluralität der Welten. Aspekte der Renaissance in der Romania. Hrsg. von Wolf-Dieter Stempel, Karlheinz Stierle.- München: Fink 1987 (= Romanistisches Kolloquium; 4), S. 253–277, sowie der Artikel ›Petrarkismus‹ von Gerhard Regn in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), S. 911–921. Des weiteren: Der petrarkistische Diskurs. Spielräume und Grenzen. Hrsg. von Klaus W. Hempfer, Gerhard Regn.- Stuttgart: Steiner 1993 (= Text und Kontext; 11); Petrarca-Lektüren. Gedenkschrift für Alfred Noyer-Weidner. Hrsg. von Klaus W. Hempfer, Gerhard Regn.- Stuttgart: Steiner 2003 (= Text und Kontext; 17); Questo leggiadrissimo Poeta! Autoritätskonstitution im rinascimentalen Lyrik-Kommentar. Hrsg. von Gerhard Regn.- Münster: LIT 2004 (= Pluralisierung & Autorität; 6). Von neulateinischer Seite aus ist Robert Seidel: Zwischen Architextualität und Intertextualität. Überlegungen zur Poetik neulateinischer Dichtung am Beispiel von Martin Opitzens ›Hipponax ad Asterien‹.- In: ›Parodia‹ und Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Reinhold F. Glei, Robert Seidel.- Tübingen: Niemeyer 2006 (= Frühe Neuzeit; 120), S. 171–207 hervorzuheben. Von germanistischer Seite aus sind es vor allem die stets intertextuell angelegten Arbeiten von Thomas Borgstedt, die soeben ihre Krönung in einer großen Monographie zum Sonett gefunden haben: Topik des Sonetts. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte.- Tübingen: Niemeyer 2009 (= Frühe Neuzeit; 138). Hier das Kapitel: Topik des deutschen Petrarkismus, S. 269–362, mit einem expliziten Opitz-Abschnitt S. 289 ff. Die zahlreichen vorangegangenen Einzelstudien von Borgstedt findet man im Literaturverzeichnis zusammengeführt. Vgl. von Borgstedt auch den Artikel ›Petrarkismus‹.- In: Petrarca. 1304–1374. Werk und Wirkung im Spiegel der Biblioteca Petrarchesca Reiner Speck. Hrsg. von Reiner Speck, Florian Neumann.- Köln: Dumont 2004, S. 127–151. Sodann ist nachdrücklich auf das Opitz-Kapitel in Hans-Georg Kempers großer Geschichte frühneuzeitlicher Lyrik zu verweisen: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4/II: Barock-Humanismus: Liebeslyrik.- Tübingen: Niemeyer 2006, S. 52–79.

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Weder die große epische Form nach Art von Dantes Commedia, noch die novellistische Kranzbildung nach Art von Boccaccios Decamerone war umstandslos assimilierbar; die Dantesche Vision konnte ohnehin nicht fortgeschrieben werden, für das Experiment Boccaccios fehlten lange die spezifisch oberitalienischen gesellschaftlichen Voraussetzungen einer aristokratisch geprägten Laienkultur. Zudem waren beide Formen in der ihnen verliehenen Ausprägung nicht direkt auf die Antike zurückzuführen. Nur Petrarca verschmolz die provençalisch-sizilianischen neueren Vorgaben mit dem Erbe der antiken Liebessprache zu einer neuen Schöpfung, die gerade in ihrer durchgängigen Verpflichtung einer gesamteuropäischen Tradition gegenüber nun auch in der neulateinischen wie in der nationalsprachigen Version ein so gut wie unerschöpfliches Experimentierfeld bot. Unter dem Titel der petrarkistischen Systembildung und -Entfaltung sind diese Zusammenhänge in den letzten Jahrzehnten deutlicher ins Bewußtsein der Philologien getreten. Doch abgesehen davon, daß der Petrarkismus und seine diversen Kontrafaktionen ohnehin nur eine, wenngleich gewiß dominante, Spielart der frühneuzeitlichen Liebesdichtung Europas bildet, ist stets gegenwärtig zu halten, daß es auch anläßlich ihrer Behandlung darum gehen muß, in den Mikrokosmos der einzelnen Texte vorzudringen. Eingeschriebene poetologische Diskurse In methodischer Hinsicht ist von der Prämisse auszugehen, daß die großen, ihrerseits traditionsbildenden Dichter sich gerade dadurch von den schlichten Nachschreibern unterscheiden, daß sie das vorgängige Motivrepertoire _____ Hinzuzunehmen die mit unseren Überlegungen sich vielfach treffende ›Einleitung‹ zu dem Band, S. 1–9, sowie der Abschnitt ›Liebe in der frühen Neuzeit – sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte‹, S. 10–51. Vgl. von Kemper schließlich: Hölle und ›Himmel auf der Erden‹. Liebes-, Hochzeits- und Ehelyrik in der frühen Neuzeit.In: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Hrsg. von Walter Haug.- Tübingen: Niemeyer 1999 (= Fortuna vitrea; 16), S. 30–77. An Einzelstudien hervorzuheben: Jürgen Stenzel: ›Venus/ komm vnd frewe dich‹. Hochzeitsgedichte von Opitz, Klopstock und Goethe.- In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1997, S. 1–27; Markus Fauser: Bild und Text bei Martin Opitz. Beschreibung und mentale Bilder in den Liebesgedichten.- In: Martin Opitz (s.o.), S. 123–153; Achim Aurnhammer: Martin Opitz’ petrarkistisches Mustersonett ›Francisci Petrarchae‹ (Canzoniere 132), seine Vorläufer und Wirkung.- In: Francesco Petrarca in Deutschland. Seine Wirkung in Literatur, Kunst und Musik. Hrsg. von Achim Aurnhammer.- Tübingen: Niemeyer 2006 (= Frühe Neuzeit; 118), S. 189–210. Vgl. auch Fritz Wagner: Opitz e Petrarca.- In: ders.: Sulla fortuna di Petrarca in Germania e altri studi.- Firenze: SISMEL. Ed. del Galluzzo 2005 (= Millennio medievale. Strumenti e studi: N.s.; 12), S. 155–169.

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sehr wohl versteckt in den Dienst gelehrt-humanistischer Poetologie und Bewußtseinsbildung zu stellen vermochten. Die Gedichte der Großen sind allemal poetische Fingerübungen und zugleich durchsetzt mit bedeutungsvollen Signalen, die im Kontext der Normen- und Identitätsbildung dieser frühneuzeitlichen nobilitas literaria entfaltet und mit den entsprechenden traditionsgeschichtlichen Beständen vermittelt sein wollen. Und dazu bietet das hier vorgelegte Opitzsche Epithalamium – wie jedes andere seiner anlaßund nichtanlaßgebundenen Liebesgedichte – die gehörige Veranlassung. Die einleitende Schilderung der entfernten Himmelsregionen, in denen das Haus der Venus steht, ist reich an Reminiszenzen. Das bedarf hier keiner eigenen Untersuchung.40 Beachtenswert, so will es scheinen, ist die gleich in der ersten Zeile eröffnete und bis zum Ende der vierten Zeile sich erstrekkende Klammer-Angabe. Es gibt keinen auf die Liebe bezogenen Diskurs im Werk Opitzens, der nicht (wie verborgen auch immer) auf einen entsprechenden über Poet und Poesie bezogen und mit ihm vermittelt wäre. Noch weiter als das Reich der Venus erstreckt sich das Reich der Dichter. Den Dichtern ist es vorbehalten, nicht nur über den Ort der Venus und die von ihm ausgehenden Wirkungen zu singen, ihnen sind auch die noch namenlosen Regionen zugänglich, die sie im dichtenden Wort erst erschaffen und so als literarisierte namengebend in den Kreislauf der Überlieferung einfügen. Sie sind es, an die die Herausforderung der Venus im Blick auf Leben und Werk ergeht, die diese annehmen und – wie das Opitzsche Beispiel zeigt – ihre dämonische, dunkle Gewalt zu brechen wissen, sofern nur Kunstverstand, Umsicht und humanistisches Selbstbewußtsein zusammenkommen, welche die ›mystica divina consilia‹ ins helle Licht aufgeklärter Vernunft zu rücken verstehen. Das Haus der Venus und der ständische ordo Heilig ist das Haus der Venus. Und doch widmet Opitz den überwiegenden Teil seines Hochzeitsgedichts den unheiligen, zumindest zwielichtigen und gelegentlich verwerflichen Wirkungen der Liebe. Daß dem süßen Gift von –––––– 40

Das Epithalamium Opitzens konnte dem ersten Band der lateinischen Werke von Opitz (vgl. Anm. 2) zusammen mit der vorliegenden Abhandlung lange vor dessen Erscheinen zugeführt werden. Es ist dort mit einer Übersetzung von Georg Burkard, S. 48–53, abgedruckt. Der Kommentar von Robert Seidel, auf den hier ein für alle Mal verwiesen werden muß, findet sich S. 312–315. Die Charakteristik des Kommentators zu dem vorliegenden Text: »Dort werden auch die einzelnen Beiträger des Sammelbandes ausführlich vorgestellt. Garber geht in seiner Interpretation des Gedichtes im übrigen stark auf die sozialethische Akzentsetzung der Sprecherinstanz ein.« (S. 313).

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Ambrosia ein trauerbringender Saft beigemischt, der Nektar der Liebe vermengt ist mit bitterem Essig, prägt die poetische Liebessprache seit Sappho. Opitz pointiert die Folgen dieses Sachverhalts im Zusammenleben der Menschen. Amor – und dies ja ein überall bemühter Topos – wirbelt die Ordnungen der ständisch gefügten Welt durcheinander. Opitz hält auch hier eine Variante bereit, um die es innerhalb der Schemata stets gehen muß. Die Liebesgötter reizen dazu, die Standesgrenzen sowohl nach oben wie nach unten zu überschreiten. Der Akzent liegt auf dem Frevel am guten Namen der Ahnenfolge der Geschlechter in der (käuflichen) Liebe mit dem ›namenlosen‹ Volk. Daraus ist keine – womöglich konfessionell tingierte – Prüderie abzulesen. Der Dichter gibt dem Adel und der gelehrten Oberschicht dezent zu erkennen, daß insbesondere die Jugend in den Händen der Poetenzunft, welche die heidnisch-antike Dichtung reaktualisiert, gut aufgehoben bleibt. Der Dichter agiert auch in der Liebesdichtung unaufdringlich, aber deutlich, als jener verständnisvolle und wissende Präzeptor, der er nach poetologischem Zeugnis zu sein beansprucht. Niemals nach unten, sehr wohl aber nach oben weiß er bei passender Gelegenheit die ständischen Schranken gegenüber dem Geburtsadel zu umkreisen und dessen Meriten einmal deutlicher, einmal verdeckter ins Spiel zu bringen. Aber dieser Königsweg im Blick auf den privilegierten Adelsstand verläuft stets über Vernunft, Tugend und Kompetenz, niemals aber über Sinnlichkeit, Leidenschaft und Hörigkeit. Daß die ›nobilis iuventas‹ das ›stemma altum‹ beobachtet und wahrt, die ständische Hierarchie nicht von oben ins Rutschen gerät, vielmehr nur dem Tüchtigen der Aufstieg offen bleibt, dafür verbürgt sich der gelehrte Sprecher noch im unscheinbaren Epithalamium. Ihn kann und darf man sich mit Fug lehrend, erziehend, bildend an der Seite der adeligen Jugend vorstellen. Verblendung poetologisch Verblendung, Eifer und Wahn bringt Amor allein über die ihre Vernunft verabschiedenden Diener der Venus. Der ständische Frevel an den Ahnen aus Leidenschaft findet seine Fortsetzung in der blinden Verhaftung an die nichtswürdige Megäre. Das Sein mit dem Schein zu verwechseln, liebesblind dem Schein zu verfallen, hat im Rahmen des bekannten Argumentationsschemas aus dem 16. und 17. Jahrhundert auch in einem Kontext wie dem angedeuteten die Konnotation des Unzuverlässigen, Unregulierten, ja des sozial Unberechenbaren. Mehr als eine Untersuchung hat uns die Kehrseite der anspruchsvollen, neuplatonisch gefärbten petrarkistischen Liebeskonzeption in der petrarkistischen Kontrafaktur und Karikatur sehen gelehrt. Das Opitzsche Bild ist weniger eine Frauensatire als vielmehr eine Travestie des

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vor den Reizungen der Venus seines klaren Augenlichts verlustig gehenden Mannes. Nimmt es noch Wunder, daß der Dichter in der Reihe der Angefochtenen nicht nur nicht fehlt, sondern den herausgehobenen letzten Platz behauptet? Nur vordergründig steht das sittliche Treiben des Poeten zur Rede, um das sich die gleichzeitige Poetik so besorgt zeigt. Zur Rede steht die Integration der Erotik, mehr noch: der heidnischen alltagsweltlichen Lebensformen, der antiken Sittlichkeit schlechthin, in das System der nachantiken humanistischen Kunstdichtung inmitten einer dieser Voraussetzungen entbehrenden Umwelt. Der junge gelehrte Dichter demonstriert auch mit seinem Beitrag in der ihm eigenen programmatischen Gebärde, daß und auf welche Weise er angesichts der unübersehbaren Kluft poetisch zu agieren gedenkt. Wahrung des dichterischen Auftrags und Verhaftung an das trügerische Bild der bemalten Magd schließen sich aus. Insofern verrät mehr als ein Gedicht von Opitz, daß die Antithese Venus/Phoebus ihm zum Leitbild einer Entfaltung der dichterischen Berufung aufrückte, dem er die kurrente neostoizistische Philosophie zu integrieren wußte und deren soziale Implikationen er gerne mit vorwies. War der ›infelix amor‹ nicht auch eine Chiffre für die Gefahren, die dem gewagten Experiment der Humanisten insgesamt drohten? amor coniugalis Opitz hätte sie nicht überzeugender bannen können als im abschließenden Preis des amor coniugalis. Der scheinhaften Liebe korrespondiert der Wechsel. Aus diesem ehernen Gesetz zieht Opitz seine satirische Kraft. Der blind dem Liebesgott verfallene Liebhaber ist närrisch in seiner Vergötzung der Angebeteten. Die Kluft zwischen Sein und Schein liegt für jedermann offen zutage, nur eben nicht für ihn. Die Welt Amors ist für ihn doppelt bitter, weil er wohl die Kluft kraft seiner irregeleiteten Sinne zu überspielen vermag, nicht aber geschützt ist vor dem Einbruch des Konkurrenten von außen. Der Hochzeiter – und Opitz nimmt dies mottoartig noch vor dem Schlußpassus vorweg – darf sich sicher wähnen. Und das gewiß nicht aufgrund der dem Ehebrecher drohenden Sanktionen, sondern weil die Ehe anderen Gesetzen gehorcht. In den Preis der lieblichsten Nymphe, als welche sich die Braut präsentiert, mischt sich die vor allem durch den Neuplatonismus bekräftigte Überzeugung einer vollkommenen Koinzidenz von Innen und Außen. Von den Augen und den Haaren, den Lippen und dem Hals ist der nur äußerliche Schein abgefallen, weil ihre Schönheit eine von innen geprägte und wo nicht im modernen Sinn beseelte, so doch von Tugend in dem unübersetzbaren alteuropäischen Sinn durchwaltete ist. Nicht ist das

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Gesicht des Hochzeiters geblendet, sondern das Innerste seines Geistes von den Geschossen Amors durchbohrt. Diese Liebe darf sehend bleiben, weil ihr ein Paradoxon zu schauen vergönnt ist: Schönheit als dauernde. Ihrer wird nur dasjenige Auge ansichtig, dem Geist und Seele beigesellt sind. Die Gaben der Schönheit sind einem Einzigen geweiht; sie sind eben darin mehr als Glanz und Schein. Und der Liebende ist sich bewußt, daß er mehr bricht als nur die Früchte der Lust. Die beiden Liebenden wissen sich im wechselseitigen Versprechen ihr eigen. Darum ist die poetische Formel von den Liebenden als den Rächern an der Venus nicht nur billige poetische Münze. Rache meint hier Überwindung, die zugleich Erfüllung ist. Denn den Liebenden ermangelt nichts, was den Venus-Verfallenen vorbehalten wäre. Für den Bräutigam legt die ›sponsa‹ die ›casti signa pudoris‹ ab. Ein einziger Tropfen wahrer Liebe löscht alle Flammen der Venus, um sie als geläuterte neu auflodern zu lassen. Das schöne Paar, das ›par formosum‹, wird vom Dichter ermuntert, seiner Hitze nachzugeben. Das Epithalamium im sozialen Raum Das alles wäre mißverstanden, wo diesem auch nur der Anschein des Erzieherischen angeheftet würde. Das Gedicht ist wie jedes gelungene humanistische von einem falschen belehrenden Ton so frei wie von einem noch mißlicheren eifernden. Es gehorcht schlicht den Gesetzen des Epithalamiums, zu dessen vornehmsten Ingredienzien die Antithese gehört. An ihr ist die Makrostruktur des kleinen Beitrags orientiert. Und doch will das Arrangement insgesamt verstanden sein. So wenig sich der Dichter zur Geißelung der freien Liebe herabläßt, so wenig schwingt er sich auf zum Propagator der ehelichen. Sein Hochzeitsgedicht markiert als adressatenbezogenes einen sozialen Raum, hier den gelehrten, ein anderes Mal den adeligen, ein drittes Mal den höfischen, und vielfach sind sie durch geheime Verstrebungen verschränkt. Der Dichter integriert sich diesem Raum. Dies aber nicht so, daß er nur ratifiziert, was man von ihm erwartet, sondern indem er aus dem weiten Angebot der Tradition das ihm und seinem Kreis Gehörige und Gemäße zusammenfügt. »Nicht alle Poeten die von Liebessachen schreiben (seien) zue meiden«, hatte Opitz in seiner Poetik betont.41 Auch er wollte Muster eines wohlgefälligen, die humanistische Tradition wahrenden und fortentwickelnden Dich–––––– 41

Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu hrsg. von Richard Alewyn. 2 Aufl.- Tübingen: Niemeyer 1966 (= Neudrucke deutscher Literaturwerke; N.F. 8), S. 13.

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tens auch und gerade in der Liebespoesie geben. Sie sollten Teil haben an dem, was ihm als schönster »lohn« der Mühe der Poeten vorschwebte, daß sie nemlich inn königlichen vnnd fürstlichen Zimmern platz finden/ von grossen vnd verständigen Männern getragen/ von schönen leuten (denn sie auch das Frawenzimmer zue lesen vnd offte in goldt zue binden pfleget) geliebet/ in die bibliothecken einverleibet/ offentlich verkauffet vnd von jederman gerhümet werden.42

Noch das Kasualgedicht, dem kleinsten Kreis zugedacht, erfüllte diesen Anspruch, weil es der tonangebenden Schicht einen Spiegel bot, in dem sie sich geläutert zu erblicken vermochte.

4. Der mythische Hirtensänger Daphnis in der Tradition der europäischen Ekloge Die Ekloge im Werk Opitzens Gattungstypologisch und -geschichtlich klar geschieden vom Epithalamium ist die Ekloge. Wenn zwischen beiden Formen ungezählte Fäden verlaufen, so nicht nur deshalb, weil auch die Ekloge als anlaß- und adressatenbezogene Gattung gerne für Hochzeitsfeiern verwendet wurde, sondern in dem subtileren Sinn, daß sie – wie das Epithalamium und andere (unter diesem Gesichtspunkt noch zu wenig untersuchte) Kleinformen – humanistisches Standesethos birgt, das die Gattungen übergreift und sich ihren jeweiligen Konventionen schwer wahrnehmbar (weil den Stoffschichten eingesenkt) assimiliert. Wir könnten beliebig viele Proben auf dies Exempel machen, werden das an anderer Stelle tun und beschränken uns neuerlich auf das Einzelstück aus der Gattungsreihe. Opitz hat keine deutschsprachige Ekloge hinterlassen. Er hat (in der Nachfolge vor allem der Franzosen) das schäferliche Liebesgedicht gepflegt, hat das pastorale autobiographische Gedicht (in der Nachfolge von Daniel Heinsius) weitergeführt, hat übersetzend den pastoralen Großformen des Romans und dem Drama bzw. der Oper sein Interesse zugewandt, hat sich um die theoretische Fixierung der Gattung bemüht, hat der benachbarten Form der Landlebendichtung mit besonderer Intensität gehuldigt und ihr originäre Schöpfungen abgewonnen. Und er hat schließlich mit der Schäferei von der Nymphe Hercinie einen neuen pastoralen Erzähltyp in die europäische Literatur eingeführt, dem zumindest in der deutschen Literatur ein überraschender, eben durch das Muster verbürgter Erfolg beschieden war. In ihm –––––– 42

Ebd., S. 55.

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fand auch das monologische wie das dialogische schäferliche Versgedicht seinen Platz. Als selbständige Form ist die Ekloge vor allem in der vorherrschenden Ausprägung des pastoralen Gesprächs oder Wettgesangs von Opitz in deutscher Sprache jedoch nicht überliefert, sondern nur als schäferlicher Monolog – einmal mit, einmal ohne erzählerischen Rahmen – in der neulateinischen Sprache.43 Opitz findet auch mit seiner ›Daphnis Ecloga‹ und seiner ›Nisa Ecloga‹ erneut Anschluß an eine weitverzweigte, in der neueren Zeit bekanntlich auf Dante zurückdatierende europäische Tradition. Sie ist – was Deutschland angeht – bislang nur unzureichend erschlossen. Die Namen der maßgeblichen Bukoliker des späten 15. und des frühen 16. Jahrhunderts sind spätestens seit Ellinger bekannt. Einzelne Stücke wurden neuerdings ediert und interpretiert, wobei sogleich hervortrat, daß es sich auch und gerade in diesem Zweig der neulateinischen Produktion um weit mehr handelte als schülerhafte Fingerübungen, nämlich um pastoral verschlüsselte Verarbeitungen persönlicher und standesspezifischer ebenso wie politischer und sozialer, konfessioneller und poetologischer Fragen, deren geschichtliche Signifikanz in allen authentischen Stücken überhaupt gar nicht in Abrede gestellt werden kann und die sie (richtig gelesen) einreiht in die ungeschriebene Geschichte frühmodernen allegorischen Schreibens. Aufstieg der Ekloge im Späthumanismus Die Masse der Eklogendichtung setzt jedoch erst mit der Inthronisation der Kasualdichtung in großem Stil im Späthumanismus der sechziger und siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts ein. Wer nur genügend Sammelbände mit Gelegenheitsdichtung zwischen Reval und Zürich, Breslau und Straßburg durchgeblättert hat, der ist auf Hunderte von neulateinischen und seit den späten zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts zunehmend auch deutschsprachigen Verseklogen gestoßen, von denen bislang niemand bibliographisch oder gar exegetisch Notiz genommen hat. Die Produktion dieser Gattung in deutscher Sprache wird man zu gegebener Zeit in einer ›Bibliographie der deutschsprachigen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts‹ –––––– 43

Die Opitzsche Ekloge in ihrer neulateinischen und deutschsprachigen Ausprägung gelangt in dem Arkadien-Werk des Verfassers zur Darstellung, das vor geraumer Zeit wieder aufgenommen und in allen drei Teilen – Europäische Tradition, 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert – nach Gattungen gegliedert ist. Dort im mittleren Teil ein – inzwischen abgeschlossenes – Kapitel zur schäferlichen Liebeslyrik Opitzens. Das gesamte Material selbst wird in einer parallelen ›Bibliographie der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts‹ mitgeführt. An dieser Stelle wird daher auf einzelne Nachweise verzichtet.

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versammelt finden. Die neulateinische Schäferdichtung – und also vor allem die Ekloge – harrt der Verzeichnung und Auswertung. Sie versiegt – entgegen landläufiger Vorstellung – im 17. Jahrhundert keineswegs, sondern erfreut sich weiterhin merklicher Beliebtheit, auch bei den Größten des Zeitalters. Noch im 18. Jahrhundert ist sie gelegentlich anzutreffen. Sie will folglich als Gattung sui generis der Frühen Neuzeit über mehr als fünf Jahrhunderte im europäischen und über wenigstens drei Jahrhunderte im deutschen Sprachraum behandelt werden und findet hoffentlich eines Tages ihren Bibliographen, Editor und Exegeten.44 Wie in allen anderen Gattungen ist also auch in der Ekloge die stichhaltige Auslegung eines jeden einzelnen Gattungsexemplars nur in Kenntnis nicht nur der antiken und der volkssprachigen neueren, sondern insbesondere der neulateinischen Überlieferung möglich. Da niemand sie übersieht, bleibt jede Behandlung fragmentarisch, und die überraschendsten Referenzen sind jederzeit zu gewärtigen. Immerhin gibt es eine Reihe distinguierter Konnotationen. Wie für jeden Pastoraldichter gilt dies auch für Opitz mit seinem unerhörten Gespür für ausgezeichnete, zur Nobilitierung seines Dichtens beitragende und also durch Tradition beglaubigte Allusionen. Schon der Titel von Opitz’ Ekloge, die uns hier alleine beschäftigen soll, ist Programm, birgt er doch nichts weniger als eine pastorale Poetologie in nuce. Daphnis lautet er lakonisch auf dem Titelblatt. In der Wiederholung vor dem Text erfolgt der Zusatz ›Ecloga‹. Damit ist dem Kenner der europäischen Gattungstradition Genüge getan. Passio des Daphnis Daphnis ist die arche- bzw. prototypische Gestalt der europäischen Bukolik, ja noch ihrer vorliterarischen bzw. literarisch nicht bezeugten Überlieferungen.45 Daphnis gilt nicht nur als Erfinder der Bukolik, er ist selbst auch ganz –––––– 44

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Eine Geschichte der neulateinischen Ekloge Europas – ein glänzendes Kapitel im Rahmen einer europäisch votierenden Literaturwissenschaft – fehlt. Ansätze (ohne die unumgängliche interpretative Vertiefung) bei W. Leonard Grant: Neo-Latin Literature and the Pastoral.- Chapel Hill: University of North Carolina Press 1965. Vgl. des weiteren Margarethe Stracke: Klassische Formen und neue Wirklichkeit. Die lateinische Ekloge des Humanismus.- Gerbrunn b. Würzburg: Lehmann 1981 (= Romania occidentalis; 2), sowie die Einleitung zu dem der Bukolik gewidmeten Eröffnungsband des Organs für vergleichende Literaturwissenschaft von Michael Jakob: Bukolik als Reflexionsgrund des Dialogs.- In: Compar(a)ison 1 (1993), S. 7– 17. Vgl. des weiteren unten die Anmerkungen 56 ff. Zur Gestalt des Daphnis vgl. die gleichnamigen Artikel in Roschers Ausführlichem Lexikon der griechischen und römischen Mythologie I (1884–1886), S. 955–961, von Stoll sowie in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie VIII (1901), Sp. 2141–2146,

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offensichtlich Gegenstand der nicht mehr erhaltenen Dichtung des Stesichoros gewesen.46 Gleich die erste literarisch faßbare Hirtendichtung räumt ––––––

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von Knaack und im Kleinen Pauly I (1964), Sp. 1384, von v. Geisau. Im Neuen Pauly III (1997), Sp. 315, ein äußerst verknappter Eintrag von Gerhard Baudy. In der Realenzyklopädie für Antike und Christentum III (1957) ist wohl ein Artikel über ›Daphne‹ vorhanden, ein entsprechender über ›Daphnis‹ und damit über eine Zentralfigur antik-christlicher Symbiose fehlt jedoch! Hier jeweils die gesamte ältere, an dieser Stelle nicht zu wiederholende Literatur. Dazu die nach wie vor klassische Abhandlung von Carl Wendel: De nominibus bucolicis.- Leipzig: Teubner 1900 (Vgl. den ›Conspectus nominum bucolicorum‹, S. 65 ff. sowie den ›Index rerum potiorum‹). Es ist das große, schwerlich zu überschätzende Verdienst der Jugendarbeit von Erwin Rohde, in der über Hunderte von Seiten sich erstreckenden Entfaltung der Vorgeschichte des griechischen Romans auch der Figur des Daphnis den ihr zukommenden Platz angewiesen zu haben. Vgl. Erwin Rohde: Der griechische Roman und seine Vorläufer. Reprint der dritten Aufl.- Leipzig: Breitkopf & Härtel 1914 mit einem Vorwort von Karl Kerényi.- Darmstadt: Wiss. Buchges. 1974, S. 30 ff. Vgl. auch die Untersuchung des Merkelbach-Schülers Günter Wojaczek: Daphnis. Untersuchungen zur griechischen Bukolik.- Meisenheim/Glan: Hain 1969. Dazu Reinhold Merkelbach: Roman und Mysterium in der Antike.- München, Berlin: Beck 1962, S. 192 ff. Vgl. ders.: Die Hirten des Dionysos. Die Dionysos-Mysterien der römischen Kaiserzeit und der bukolische Roman des Longus.- Stuttgart: Teubner 1988. Hinzuweisen ist auch auf Graham Anderson: The origins of Daphnis. Virgil’s Eclogues and the ancient Near East.- In: Proceedings of the Virgil Society 21 (1993), S. 65–79; sowie Hans-Peter Müller: Daphnis. Ein Doppelgänger des Gottes Adonis.- In: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 116, Heft 1 (2000), S. 26– 41. Als Spezialuntersuchung neuerdings Bernd Roling: Tod und Grabmal in der neulateinischen Eklogendichtung.- In: Katarina Petrovićová, Irena Radová (Hrsg.): Erant in quadam civitate ... Na počest Daši Bartoňkové.- Brno: Masarykova Univerzita 2009 (= Graeco-Latina Brunensia; 14, 1/2), S. 235–260. Dazu die Artikel ›Bukolik‹ von Knaack in der RE V (1897), Sp. 998–1012, Suppl. XI (1968), Sp. 1253–1256 (Max Treu) und von Ernst Günther Schmidt im Kleinen Pauly I (1975), Sp. 964–966, sowie ›Stesichoros‹ von Maas in der RE VI (A) (1929), Sp. 2458–2462, und von Walther Kraus im Kleinen Pauly V (1975), Sp. 367 f. Jetzt hinzuzunehmen die Eintragungen von Marco Fantuzzi, Marten Stol und Karl-Heinz Stanzel im Neuen Pauly II (1997), Sp. 828–835, und von Klaus Garber im Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft I (1997), S. 287–291. Zur Frage des Ursprungs und damit der vortheokritschen, um die Gestalt des Daphnis gruppierten Bukolik immer noch höchst lesenswert das Kapitel ›Daphnis im bukolischen Lied‹ in Richard Reitzenstein: Epigramm und Skolion. Ein Beitrag zur Geschichte der alexandrinischen Dichtung.- Giessen: Ricker 1893, S. 243–263 (im Rahmen eines größeren Kapitels ›Die Bukolik‹, S. 193–265). Dazu die bekannte Arbeit von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Sappho und Simonides. Untersuchungen über griechische Lyriker.- Berlin: Weidmann 1913, S. 233–242: ›Der Dichter mit dem Namen Stesichoros‹. Weitere Literatur bei Philip Brize: Die Geryoneis des Stesichoros und die frühe griechische Kunst.- Würzburg: Triltsch 1980 (= Beiträge zur Archäologie; 12), S. 109, Anm. 15; David Martin Halpering: Before Pastoral. Theocritus

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Daphnis einen prominenten Platz ein. Die Sammler haben dem Rechnung getragen: die poetische Verklärung des Hirtenheros Daphnis steht fortan am Eingang der Theokritschen eidyllia. Der hintergründige, nur aus der Nachgeschichte sich erschließende, in der Altphilologie selbst nur vereinzelt wahrgenommene Gehalt ist wie immer in der Bukolik kunstvoll in das formale Arrangement verwoben und kann hier nur angedeutet werden.47 Es ist ein den Musen geweihtes, in ihnen gründendes, unter ihrem Beistand sich formendes bukolisches Lied, welches der Hirte Thyrsis vorträgt: »Ἄρχετε βουκολικᾶς, Μοῖσαι φίλαι, ἄρχετ’ ἀοιδᾶς.« Siebenmal erfolgt dieser Anruf des singenden Hirten, bevor er übergeht in ein leicht abgewandeltes achtmaliges »ἄρχετε βουκολικᾶς, Μοῖσαι, πάλιν ἄρχετ’ ἀοιδᾶς«, dem dann die viermal wiederholte Schlußformel »λήγετε βουκολικᾶς, Μοῖσαι, ἴτε λήγετ’ ἀοιδᾶς« korrespondiert.48 Zwischen diesem Refrain aber entfaltet sich das Drama der Leidenschaft und ihrer Überwindung. Daphnis widersetzt sich der allesbeherrschenden Macht der Liebe und zahlt seine Herausforderung der Liebesgöttin mit dem Tod. Damit ist die fortan unlösliche Verbindung von Hirtentum und Liebe durch den Archegeten der Gattung im Rückgriff auf ältere Überlieferungen als tragische exponiert. Daß poetisches Hirten––––––

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and the Ancient Tradition of Bucolic Poetry.- New Haven: Yale University Press 1983; Brill’s Companion to Greek and Latin Pastoral. Edited by Marco Fantuzzi, Theodore Papanghelis.- Leiden, Boston: Brill 2006. Die Theokrit-Literatur in: Theokrit und die griechische Bukolik. Hrsg. von Bernd Effe.- Darmstadt: Wiss. Buchges. 1986 (= Wege der Forschung; 580), S. 442–453, sowie bei: Bernd Effe, Gerhard Binder: Die antike Bukolik. Eine Einführung.- München, Zürich 1989 (= Artemis Einführungen; 38), 2. überarb. und erweiterte Auflage unter dem Titel: Antike Hirtendichtung. Eine Einführung.- Düsseldorf, Zürich: Artemis & Winkler 2001, so daß hier auf Wiederholungen verzichtet werden kann. Vgl. auch das in Anm. 46 zitierte Handbuch aus dem Jahr 2006 mit reicher Literatur. Zuletzt Mark Payne: Theocritus and the Invention of Fiction.- Cambridge: Cambridge University Press 2007. Zitiert nach: Theocritus. Edited with a Translation and Commentary by A.S.F. Gow. Bd. I–II. Second Edition.- Cambridge: Cambridge University Press 1952, Bd. I, S. 8 ff. In der deutschen Übersetzung Emil Staigers: »Hebt, ihr freundlichen Musen, o hebt das bukolische Lied an!« Die leicht abgewandelte Wendung: »Hebt das bukolische Lied, ihr Musen, wieder das Lied an!« Die Schlußwendung: »Enden laßt das bukolische Lied nun, enden, ihr Musen!« (Theokrit. Die echten Gedichte. Deutsch von Emil Staiger.- Zürich, Stuttgart: Artemis 1970, S. 32 ff.). Vgl. aus der jüngeren Literatur: Clayton Zimmerman: The pastoral Narcissus. A study of the first idyll of Theocritus.- Lanham, MD [u.a.]: Rowman & Littlefield 1994 (= Greek studies). Immer noch höchst lesenswert (und seinerzeit aus verlagsrechtlichen Gründen leider nicht eingegangen in den Sammelband 355 der Wege der Forschung: Europäische Bukolik und Georgik.- Darmstadt: Wiss. Buchges. 1976): Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Daphnis.- In: Reden und Vorträge. Bd. I. 4. umgearb. Aufl.Berlin: Weidmann 1925, S. 259–278.

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tum ein heiteres, wunschloses und ungefährdetes, letztlich existenz- wie geschichtsloses Dasein verkörpere, gehört zu jenen Gattungsmythen, die schon durch das Werk Theokrits durchgängig widerlegt werden. Die Hirtendichtung Europas entspringt im Gegenteil einem tragischen Verständnis des Lebens, das sich gleichermaßen in der aporetischen Version des Eros wie in der – mit Vergil einsetzenden – tragischen Erfahrung von Geschichte bekundet. In der Bukolik Europas geht es nicht um die Tilgung oder gar Leugnung dieses von Nietzsche hellsichtig wahrgenommenen Ursprungs der Gattung, sondern um dessen Bewältigung und womöglich Überwindung im individuellen wie im geschichtlichen Leben. So auch schon im Thyrsis-Daphnis-Idyll Theokrits. Schakale, Wölfe, Löwen beweinen den sterbenden Daphnis ebenso wie Rinder und Stiere, Fersen und Kälber, Götter und Hirten. Daphnis vereint die klagende, sich befriedende und versöhnende Natur mit den Menschen und Göttern so um sich wie sonst nur Orpheus. Er ist der Erbe und Bruder des Orpheus als singender und musizierender Hirt, und dieser Macht allein ist die Überwindung der Liebesqual vorbehalten. Nicht antwortet er auf die Vorhaltungen des Priapos, am Liebesreigen sich zu beteiligen: »ἀλλὰ τὸν αὑτῶ ἄνυε πικρὸν ἔρωτα, καὶ ἐς τέλος ἄνυε µοίρας« (V. 92 f.).49 Die Vollendung aber liegt gleichermaßen im Tod wie im Lied. Im Lied schleudert er der Venus seine Absage an die Liebe entgegen; im Lied nimmt er Abschied von der sympathetischen Natur; im Lied gelangt sein Gesang ans Ende. Sein letztes Werk besteht in der Rückgabe seiner Hirtenflöte an den Hirtengott Pan, während er selbst von Eros in den Hades gerissen wird. Sein Gesang aber wie sein Schicksal leben fort in den ›βουκολικᾶς ἀοιδᾶς‹ des Thyrsis und der Hirtengemeinschaft Europas. Im Gesang ist das Schicksal des Unglückseligen aufgehoben, bewahrt, gedeutet, eben in Hirtengesang verwandelt. Die ›moisai‹ sind ›philai‹, weil sie diese Transformation ermöglichen; die Bukolik ist diejenige Gattung, in der Erinnerung als poetische Verklärung ihren genuinen Ort hat wie in keiner anderen Gattung Alteuropas sonst. Sie feiert den Gesang, das Handwerk des Dichtens und des Dichters im Vollzug des schönen bukolischen Gesangs selbst, in dem das Leid nicht getilgt, wohl aber objektiviert, anschaubar geworden, in Kunst überführt und in diesem Sinn als blinde Macht paralysiert und der menschlichen Welt assimiliert ist.

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In der Übersetzung Staigers: »Die bittere Liebe | Ließ er reifen und ließ zu Ende reifen das Schicksal.« (S. 34).

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Römische Adaptation Hier ist nicht der Ort, die Metamorphosen der Gestalt des Daphnis in der europäischen Bukolik zu verfolgen – es wäre ein lohnendes Thema. Unter dem Aspekt der europäischen Nachgeschichte muß neben dem hellenistischen Archegeten freilich stets der römische Nachfahre als der wirksamste Umformer des griechischen Erbes miteinbezogen werden. Wie alle bukolischen Themen so hat Vergil auch den Daphnis-Mythos aus neuem Geist vertieft, und das heißt für den römischen Dichter vor allem, um die geschichtlich-politische Dimension erweitert. Zwei Hirten treten in der fünften Ekloge zusammen, um die poetische Verklärung des Daphnis zu vollziehen.50 Mopsus der Jüngere hat Menalcas den Älteren zu einer von Reben und Trauben umrankten Höhle geführt – unauffälliges, für den Kenner jedoch unübersehbares räumliches Symbol für die Sphäre des Dionysos, in dessen Zeichen der Gesang des Mopsus statthat. Wie Dionysos als Triumphator heimkehrte mit gebändigten Tigern als Zugtieren, so lehrt Daphnis armenische Tiger dem Wagen vorzuspannen, lehrt er den Reigen des Bacchus und die Thyrusstäbe mit Efeu und Weinlaub zu umranken (V. 29– 31). »Hirtendichtung, von Daphnis gelehrt, bringt deshalb nichts Geringeres als den Nachvollzug dionysischer Wirklichkeit, wie sie die Mysten des Dionysos erfahren: Überwindung des Wilden und Bösen, Glückszeit und Hoffnung auf Unsterblichkeit.«51 Nicht nur die Nymphen (in deren Gestalt die Vorstellung der Musen mitschwingt) beklagen Daphnis erneut, nicht nur das Weidevieh und die Hirten trauern um ihn – auch die punischen Löwen stimmen in die Klage ein, Wald und wildes Gebirge bezeugen es. So stellt sich zugleich auch die orphische Assoziation wieder her. Daphnis vereinigt in sich pastorale, orphische und dionysische Elemente.52 Pales, –––––– 50

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Auch hier muß ein Verweis genügen: Ward W. Briggs: A Bibliography of Virgil’s ›Eclogues‹ (1927–1977).- In: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II: Principat XXXI/2.- Berlin, New York: De Gruyter 1981, S. 1267–1357. Zur 5. Ekloge S. 1325–1327. Die neuere Literatur jetzt leicht greifbar in: Michael von Albrecht: Vergil. Bucolica – Georgica – Aeneis. Eine Einführung.- Heidelberg: Winter 2006 (= Heidelberger Studienhefte zur Altertumswissenschaft). Vgl. auch Franz Witek: Vergils Landschaften. Versuch einer Typologie literarischer Landschaft.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms 2006 (= Spudasmata; 111). Vinzenz Buchheit: Der Dichter als Mystagoge (Vergil, ecl. 5).- In: Atti del Convegno Virgiliano sul Bimillenario delle Georgiche Napoli 17–19 dicembre 1975.- Napoli: Istituto universitario orientale 1977, S. 203–219, S. 209. Dazu die tiefdringende Untersuchung des gleichen Verfassers: Der Anspruch des Dichters in Vergils Georgika. Dichtertum und Heilsweg.- Darmstadt: Wiss. Buchges. 1972 (= Impulse der Forschung; 8). Vgl. Buchheit: Der Dichter als Mystagoge (Anm. 51), S. 210.

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Göttin der Fruchtbarkeit, und selbst Apollo verlassen bei seinem Tod die Triften. Die schöne Natur verkehrt sich in eine häßliche und unwirtliche. Den Hirten jedoch ist von Daphnis selbst aufgetragen, seiner zu gedenken. Dann erfolgt der Umschwung im Lied des Menalcas. Daphnis ist zu den Göttern im Olymp erhoben worden. Und nun blickt er danieder auf eine verwandelte Welt: ergo alacris silvas et cetera rura voluptas Panaque pastoresque tenet Dryadasque puellas. nec lupus insidias pecori, nec retia cervis ulla dolum meditantur: amat bonus otia Daphnis. ipsi laetitia voces ad sidera iactant intonsi montes; ipsae iam carmina rupes, ipsa sonant arbusta: ›deus, deus ille, Menalca!‹ (V, 58–64)53

Das ist auch eine Apotheose der den Sänger überdauernden und verwandelnden Macht des Gesangs, der noch einmal und wie schon bei Theokrit die Tierwelt, zugleich aber auch Mensch und Natur versöhnt in orphischer Tradition. Darüber hinaus aber sind die Assoziationen an die späteren politischen Eklogen unüberhörbar. Frieden liebt Daphnis; befriedet liegt die Welt dar und trägt die Züge der messianischen aetas aurea-Vision in der vierten Ekloge. So wie Tityrus in der ersten Ekloge sein ›otium‹ einem Gott verdankt, so nimmt der die Muße liebende Daphnis nun die Gestalt eines Gottes an. Diese Symbolik ist nicht auf den dionysisch-orphisch-poetischen Bereich einzugrenzen, sondern verschmilzt in der nur Vergil eigenen Weise mit dem öffentlich-politisch-geschichtlichen. Es bleibt zulässig und gewiß im Sinne Vergils, den verklärten Daphnis auch im Blick auf Oktavian zu betrachten, der eben nach Caesars Tod einen vehementen Kampf um die Deutung des ›astrum Caesaris‹ zu seinen Gunsten führte und darin von Vergil prophetisch verschlüsselt bestärkt wurde. In der neunten Ekloge wird der Daphnis-Mythos dann direkt mit dem Caesar-Kult verknüpft, und wieder stellt sich das für Vergil so eminent politisch besetzte Bild befriedeter ländlicher Natur ein: ›Daphni, quid antiquos signorum suspicis ortus? ecce Dionaei processit Caesaris astrum, astrum quo segetes gauderent frugibus et quo duceret apricis in collibus uva colorem. insere, Daphni, piros: carpent tua poma nepotes.‹ (IX, 46–50).

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Zitiert nach P. Vergili Maronis Opera. Ed. Friedrich Arthur Hirtzel.- Oxford: Clarendon Press 1959 (= Scriptorvm Classicorvm Bibliotheca Oxoniensis).

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»Es ist etwas Neues, was mit diesem Doppelthema [der fünften Ekloge] in die Bukolik tritt. Und dieses Neue setzt sich in die Daphnis-Verse des neunten Gedichts, in das erste und das vierte und darüber hinaus in Georgica und Aeneis hinein fort. Es hat etwas mit der Einheit des Lebenswerkes, mit der Sorge um Heil und Unheil der Welt zu tun, worin der Dichter lebt, das heißt: der römischen Welt.«54 Daphnis in der neulateinischen Ekloge Die Nachfolger Vergils – Calpurnius, der unbekannte Verfasser der Carmina Einsidlensia und Nemesian – haben an der Fortbildung der prominenten Daphnis-Figur nicht mitgewirkt, und auch in der nur fragmentarisch erhaltenen und aufs ganze gesehen spärlichen mittelalterlichen Ekloge spielt sie keine nennenswerte Rolle. Ihre Stunde kommt mit der Renaissance, wie hier nur für Deutschland mit ganz knappen Strichen angedeutet werden kann, um die Brücke zu Opitz zu schlagen, der das eine oder andere Stück mit Gewißheit gekannt hat.55 Eobanus Hessus Zu den frühen, einflußreichen und vor allem in Nürnberg gerne gelesenen Bukolikern gehört Eobanus Hessus.56 Schon 1509 lagen seine im Bucolicon –––––– 54

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Friedrich Klingner: Virgil. Bucolica – Georgica – Aeneis.- Zürich, Stuttgart: Artemis 1967, S. 95. Reinhold Merkelbach: Roman und Mysterium (Anm. 45), S. 192, Anm. 4, vereinigt noch die dionysische mit der caesaristischen Lesung. In seinem späteren Buch Die Hirten des Dionysos (Anm. 45) heißt es dann S. 37, Anm. 35, lakonisch: »Ich glaube das nicht mehr«. Es ist schon aufschlußreich, daß Ernst A. Schmidt: Poetische Reflexion. Vergils Bukolik.- München: Fink 1972, in seiner 50 Seiten umfassenden exemplarischen Interpretation der fünften Ekloge (S. 186–238: ›Daphnis: Der Grund der Dichtung‹) dieses für die Deutung der Ekloge doch kardinale Problem mit keinem einzigen Wort berührt. Der Bezug zur zeitgenössischen politischen Sphäre wird schlicht gekappt. Vgl. dazu programmatisch (und problematisch) Ernst A. Schmidt: Bukolik und Utopie.- In: ders.: Bukolische Leidenschaft oder Über antike Hirtenpoesie.- Frankfurt a.M. etc.: Lang 1987 (= Studien zur klassischen Philologie; 22), S. 13–28. Gar nicht eingehen möchte ich an dieser Stelle auf die geistliche Daphnis-Adaptation, die der weltlich-panegyrischen in keiner Weise nachsteht und noch das 17. Jahrhundert (nicht nur bei Balde und von Spee) beherrscht. Auch können die nachopitzschen, gleich mit Christian Cunrad und Paul Fleming einsetzenden deutschsprachigen Daphnis-Eklogen hier nicht berührt werden. Das gesamte Material findet man in der Bukolik-Bibliographie vereinigt und in der Arkadien-Arbeit interpretiert. Es ist das große Verdienst von Harry Vredeveld, die Bemühungen um das Eklogenwerk von Eobanus Hessus in den letzten Jahren energisch vorangetrieben zu haben,

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gesammelten elf Eklogen vor, die 1528 um eine zwölfte und um fünf weitere, für sich stehende Eklogen ergänzt und schließlich 1539 um aufschlußreiche Annotationen bereichert wurden. Hessus nahm für sich in Anspruch, auf den Spuren der beiden großen antiken Vorgänger die Gattung in Deutschland heimisch gemacht zu haben, was im Blick auf die zyklische ______ so daß wir in Kürze die dringend erwünschte Neuausgabe auch seines Eklogenzyklus erwarten dürfen. Vgl. ders.: Pastoral Inverted. Baptista Mantuanus’ Satiric Eclogues and Their Influence on the ›Bucolicon‹ and ›Bucolicorum Idyllia‹ of Eobanus Hessus.- In: Daphnis 14 (1985), S. 461–496; ders.: A Neo-Latin Satire on LoveMadness. The Third Eclogue of Eobanus Hessus’ ›Bucolicon‹ of 1509.- In: Satire in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino (= Daphnis 14, Heft 4, 1985), S. 673–719; ders.: The ›Bucolicon‹ of Eobanus Hessus. Three Versions of Pastoral.- In: Acta Conventus Neo-Latini Guelpherbytani. Proceedings of the Sixth International Congress of Neo-Latin Studies Wolfenbüttel 1985. Ed. by Stella P. Revard, Fidel Rädle, Mario A. di Cesare.- Binghamton/NY 1988 (= Medieval & Renaissance Texts & Studies; 53), S. 375–382. In diesen Arbeiten die (spärliche) Literatur, die hier deshalb nicht nochmals aufgeführt zu werden braucht. Weiteres im NDB-Artikel (IV (1959), S. 543–545) von Hans Rupprich. Die maßgebliche Biographie stammt bekanntlich von Carl Krause: Helius Eobanus Hessus. Sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur Cultur- und Gelehrtengeschichte des 16. Jahrhunderts. Bd. I–II.- Gotha: Perthes 1879. Reprint Nieuwkoop: De Graaf 1963. Edition und Übersetzung der zwölf Eklogen bei Horst Witeschnik: Die Idyllendichtung des Helius Eobanus Hessus.- Diss. phil. Wien 1971 (Masch.). So weit die Hinweise zu Ende der achtziger Jahre. Die angekündigte Edition der Eklogen durch Vredeveld ist in dem avisierten Rahmen nicht erschienen. Von der auf sechs Text- und vier Kommentarbände berechneten Ausgabe ist nur zustandegekommen: Helius Eobanus Hessus: Dichtungen. Lateinisch und Deutsch. Hrsg. und übersetzt von Harry Vredeveld. Bd. III: Dichtungen der Jahre 1528–1537.- Bern etc.: Lang 1990 (= Mittlere Deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken; 39). In ihm sind keine Bucolica enthalten. Von der sehr viel später neu ins Leben gerufenen Hessus-Ausgabe, die wiederum chronologisch angelegt und nun mit englischsprachigen Übersetzungen versehen ist, liegen die beiden ersten Bände vor: The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus. Edited, translated, and annotated by Harry Vredeveld. Bd. I: Student Years at Erfurt, 1504–1509; Bd. II: Journeyman Years, 1509– 1514.- Tempe/Az.: Arizona Center for Medieval and Renaissance Studies 2004– 2008 (= Medieval and Renaisssance Text and Studies; 215, 333. Renaissance Text Serie; 18, 20). Im ersten Band findet sich ein Abdruck des Bucolicon von 1509 (S. 265–381), begleitet von einem eingehenden Kommentar (S. 453–546). Die Literatur zu Hessus selbst ist inzwischen leicht zugänglich in den Einträgen des Verfasserlexikons: Deutscher Humanismus 1480–1520, Bd. I (2008), Sp. 1066–1122 (Gerlinde Huber-Rebenich, Sabine Lütkemeyer), und in der zweiten Auflage des Killyschen Literaturlexikons, Bd. V (2009), S. 374–379 (Harry Vredeveld). Zur Bukolik von Hessus zuletzt Gernot Michael Müller: Poetische Standortsuche und Überbietungsanspruch. Strategien der Gattungskonstitution im ›Bucolicon‹ des Helius Eobanus Hessus zwischen intertextueller Anspielung und autobiographischer Inszenierung.- In: ›Parodia‹ und Parodie (Anm. 39), S. 111–170.

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Form gelten darf.57 Die sechste Ekloge ist ein ›Epitaphium Iolae‹ und führt Daphnis als Gesprächspartner von Meleterus ein. Selbstverständlich war Hessus die antike Daphnis-Tradition geläufig; die Deutung der fraglichen Caesar-Apotheose bei Vergil ist für ihn kein Grund zur Diskussion; der Bezug zu Caesar-Oktavian für den Humanisten eine Selbstverständlichkeit. Hoc Idyllion Epitaphium, id est, funebre carmen Iolae inscribitur, qualia apud Theocritum quoque quaedam sunt ut Bionis et Adonidis, et apud Vergilium Iulij Caesaris sub persona Daphnidis. Hic uero per Iolam laudatißimus princeps Hessorum Guilielmus, huius nostri fortißimi principis Philippi pater, intelligitur, nam et huius Philippi genethliacon, hoc est, natalicium carmen et laus à materno genere inseruntur, cum eo tempore quo haec primum scribebantur, ille ad modum adhuc esset puer, quae omnia diligens lector facilius agnoscet quàm hic, ut in argumento, indicari debeant.58

Der gehuldigte Fürst, Vater Philipps von Hessen, trägt also nicht selbst den Namen des Hirtenheros, sondern wird seinerseits durch eben den über Opitz uns bereits vertrauten und erstmals von Calpurnius in der dritten Ekloge eingeführten Hirten Iolas repräsentiert. Indem Opitz eine Umkehrung des pastoralen Arrangements vornimmt – Daphnis als Gefeierter, Iolas als Sprecher – liegt die Annahme einer Bekanntschaft mit dem berühmten (und vielfach wiedergedruckten) deutschen pastoralen Vorgänger nahe. Eobanus’ Ekloge zeigt sogleich zu Beginn des 16. Jahrhunderts, was sich im Daphnis-Epicedium des 16. wie des 17. Jahrhunderts immer wieder beobachten läßt. Die von Vergil vorgegebene Erhöhung eröffnet dem Kasualdichter eine gerne ergriffene Möglichkeit, einen Strahl der Hoffnung in die dunkle Todesszenerie fallen zu lassen. Weit weist der moderne Daphnis das Thema Liebesleid von sich. Dem fürstenstaatlich orientierten Humanisten geht es um erhabenere Angelegenheiten in der Bukolik. »Est alius qui corda dolor premit, altaque curis | Pectora corrodit mordacibus« (V. 12 f.). Der Fürst als guter Hirte seiner Schafe. Diese viele Male aktualisierte alttestamentarische Davids-Metaphorik weiß auch Eobanus für seine Zwecke zu nutzen – und zugleich hoffnungskündend auf den Thronnachfolger Philipp auszudehnen. Denn die freudebringende Vergilsche Caesar-Botschaft wird nun in panegyrischer Zuspitzung, wie sie schon Calpurnius eigen ist, auf die legitime Sukzession bezogen, und damit zugleich (wie schon bei Calpurnius) –––––– 57

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Vgl. Georg Ellinger: Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im sechzehnten Jahrhundert. Bd. I–III/1.- Berlin, Leipzig: De Gruyter 1929–1933, Bd. II: Die neulateinische Lyrik Deutschlands in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts (1929), S. 4 f.; Vredeveld: Pastoral Inverted (Anm. 56), S. 461 ff. Opervm Helii Eobani Hessi Farragines Dvae.- Halae Svevorvm (Schwäbisch Hall) 1539 (Ex. SuUB Göttingen P. lat. rec. II. 1025) Bl. 18v.

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die puer-Symbolik der vierten Ekloge dynastisch konkretisiert. »Viuite, et in patriam pueri coalescite sortem« (V. 90). Euricius Cordus Auch der zweite Dichter des Erfurter pastoralen Triumvirats, Euricius Cordus, hat der Gestalt des Daphnis in seine Eklogen Eingang gewährt, und dies in wohlkalkulierter Abweichung. 1514 erschien die erste, 1518 die zweite umgearbeitete Fassung seines Bucolicon, die später in seine Werkausgaben – darunter die bekannteste aus dem Jahr 1564 – einging.59 Die Spannbrei–––––– 59

Cordus’ Eklogen – seinerzeit vom Vf. in der Leipziger Ausgabe von 1518 (Ex. SuUB Göttingen P. lat. rec. II. 848) und einer nicht lokalisierten und undatierten Ausgabe seiner Werke (Ex. SuUB Göttingen P. lat. rec. II. 839 = VD16, Nr. C 5064, versehen mit dem Zusatz ›Leipzig: Valentin Papst 1550?‹) benutzt – liegen inzwischen gleich in zwei zeitgleich erschienenen Ausgaben vor. Ist dies angesichts der Fülle der editorischen Aufgaben gewiß eine unglückliche Konstellation, so profitiert der Bukolik-Forscher durchaus doch von beiden Ausgaben. Armgard Müller: Das ›Bucolicon‹ des Euricius Cordus und die Tradition der Gattung. Text, Übersetzung, Interpretationen.- Trier: Wissenschaftlicher Verlag 1997 (= Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium; 27). Die zweisprachige Edition bietet die zehn Eklogen in der zweiten Fassung von 1518. Die drei ersten erfahren zudem eine eingehende Interpretation. Die Arbeit bietet auch eine Biographie und eine knappe Textgeschichte. Sodann Ioanna Paschou: Euricius Cordus, ›Bucolicon‹. Kritische und kommentierte Ausgabe.- Hamburg: LIT 1997 (= Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie; 1). Paschou bietet einen Paralleldruck der beiden Ausgaben von 1514 und 1518 und zieht außerdem Einzeldrucke der ersten und zehnten Ekloge sowie die späteren Werkausgaben für den textkritischen Apparat heran, ohne diese freilich näher zu charakterisieren. Eine deutsche Übersetzung wird nicht geboten. Das Werk enthält gleichfalls eine Biographie und einen knappen Vergleich der beiden Fassungen sowie eine Bibliographie. Alle zehn Eklogen sind mit einem im wesentlichen den Inhalt resümierenden Kommentar versehen. Seinerzeit konnte die soeben erschienene Studie von Gisela Möncke: Der hessische Humanist Euricius Cordus und die Erstausgabe seines ›Bucolicon‹ von 1514.In: Daphnis 14 (1985), S. 65–98, herangezogen werden, in der zugleich die Erstausgabe der Eklogen erstmals ausgeschöpft wurde. Außerdem lag Vf. ein Manuskript von Eckart Schäfer mit dem Titel ›Idylle und Realität. Die Hirtendichtung des Euricius Cordus‹ vor, in dem erstmals ein Umriß der beiden Zyklen von 1514 und 1518 gegeben und dabei der durchgehend allegorischen Verschlüsselung auch der Eklogen des Cordus gebührend Rechnung getragen wurde. Vf. dankt Herrn Schäfer für die freundliche Erlaubnis, das Manuskript einsehen zu dürfen. In beiden Arbeiten gleichfalls die einschlägige Literatur. Dazu NDB III (1957), S. 358 f. (Helmut Dolezal). Die – freilich sehr viel knappere – Biographie wiederum von C. Krause: Euricius Cordus. Eine biographische Skizze aus der Reformationszeit.- Hanau: König 1863. Vgl. auch die herausragende Interpretation von Gerhard Binder, Armgard Müller: Est propior cantu fletus. Die 6. Ekloge des Euricius Cordus und die vergili-

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te pastoralen Sprechens tritt auch in der Adaptation des Daphnis hervor. In der dritten Ekloge vergegenwärtigt der Hirte Thyrsis dessen Gestalt, um an seinem Schicksal die Macht der Venus zu demonstrieren. Sprechend und agierend wird Daphnis direkt von dem singenden Hirten in Szene gesetzt. Die mythische Gestalt ist zu einem armen, um das Überleben ringenden Bauern heruntergekommen. Lange vorbei sind die Tage, in denen das Hirtentum von den Farben des Goldenen Zeitalters umspielt schien. Daphnis, Urbild des Hirten, ist es vorbehalten, die große Zeit des Hirtentums, gründend gleichermaßen im antiken Mythos wie in den beiden biblischen Testamenten, erinnernd heraufzurufen. Daß sie endgültig vorbei sei, das eiserne Zeitalter in seine Rechte eingetreten ist, wer wollte daran einen Zweifel hegen. Die Aura der Verklärung ist von den Hirten des Cordus gewichen, und Daphnis, dem vielgeprüften, bleibt es vorbehalten, davon Kunde zu geben. Dies aber in werbender Absicht. Einem Liebenden von derartiger Abkunft – und nun denn doch gesegnet auch mit bäurischem Reichtum – darf sich die Geliebte nicht versagen. Auch sie aber, dies eine weitere variierende Wendung, verzehrt sich in Liebe zu Daphnis. Ihrer beider Trennung bringt unsägliche Leiden mit sich, nicht die Absage an die Liebe durch einen der Partner. Auch der fünften Ekloge ist eine Daphnis-Reminiszenz integriert. Hier ist Daphnis »nemorum et ruris decus« als Hochzeiter gegenwärtig (V. 140), der keine Geringere als die Göttin Astrea zur Braut empfängt. In der achten Ekloge schließlich wird Daphnis mit der Gestalt des Faunus zusammengebracht.60 Wieder ist die Zweigliedrigkeit der Ekloge auffällig. Während Faunus seinem Freund Daphnis zunächst den Tod seines Jagdhundes beschreibt, revanchiert sich Daphnis mit der Erzählung von einer unter seinen Schafen grassierenden Krankheit. Sie ist der Sorglosigkeit des Pächters geschuldet. Solange Daphnis sein wachsames Auge auf die Herde hatte, war sie nicht gefährdet. Ein expliziter Bezug zur Daphnis-Tradition und damit eine allegorische Explikation sind nicht erkennbar. Nur der abschließende Wunsch des ––––––

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sche Bukolik.- In: Compar(a)ison 1 (1993), S. 193–215, und den grundlegenden Artikel – eine Neugestaltung des oben erwähnten Manuskripts – von Eckart Schäfer: Euricius Cordus: Vergil in Hessen.- In: Candide Iudex. Beiträge zur augusteischen Dichtung. Festschrift Walter Wimmel. Hrsg. von Anna Elissa Radke.- Stuttgart: Steiner 1998, S. 283–313. Die neuere Literatur jetzt in den Einträgen von Peter Dilg im Verfasserlexikon: Deutscher Humanismus 1480–1520, Bd. I (2008), Sp. 470– 496, sowie in der zweiten Auflage von Killys Literaturlexikon, Bd. II (2008), S. 482– 483. In der ersten Auflage von 1514 steht diese Ekloge an sechster Stelle. Vgl. zu dem Stück neben dem Kommentar von Paschou vor allem die oben Anm. 59 zitierte Untersuchung von Binder und Müller. Dazu Ellinger II, 25.

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Daphnis, sein hilfsbereiter Gesprächspartner möge »bonis avibus« viele Jahre im Glück verbringen, weist in spiegelbildlicher Verkehrung auf das eingeführte Motiv zurück. Joachim Camerarius Dem dritten großen Bukoliker aus dem Erfurt-Nürnberger Kreis, Joachim Camerarius, gebührt das Verdienst, Theokrit edierend und kommentierend in Deutschland im Zusammenwirken mit Eobanus Hessus eingeführt zu haben.61 1540 trat er erstmals mit zwei eigenen Eklogen hervor, möglicherweise schlossen sich weitere Einzelpublikationen an.62 1568 legte sein Sohn Ludwig – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Enkel, dem später eine so bedeutende Rolle in der Pfälzisch-Böhmischen Politik zufallen sollte – den aus zwanzig Stücken bestehenden Eklogenkranz vor. Sie sind – über ein Jahrhundert vor den barocken Pegnitzschäfern entstanden – ein Ergebnis der Nürnberger Jahre mit Eoban im Zeichen der Bukolik und Fortset-

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Die Literatur zu Camerarius ist mit großer Sorgfalt zusammengebracht und kommentiert in der jüngst erschienenen Edition der Eklogen: Joachim Camerarius: Eclogae/Die Eklogen. Mit Übersetzung und Kommentar hrsg. von Lothar Mundt unter Mitwirkung von Eckart Schäfer und Christian Orth.- Tübingen: Narr 2004 (= NeoLatina; 6). Mit diesem Werk kommt die Bukolik-Trilogie, wie sie seinerzeit zwischen Vf. und Lothar Mundt für die Reihe Frühe Neuzeit vereinbart war, zu einem glücklichen Abschluß. Eine bibliographische Dokumentation erübrigt sich im Blick auf die von Mundt erbrachte Leistung. Auch im Falle des Camerarius hat erst die neuere Forschung einen Umschwung der Erkenntnis im Blick auf den – stets am Allegorismus haftenden – zeitgeschichtlichen Gehalt gebracht. Vgl. Eckart Schäfer: Bukolik und Bauernkrieg. Joachim Camerarius als Dichter.- In: Joachim Camerarius (1500–1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation. Hrsg von Frank Baron.- München: Fink 1978 (= Humanistische Bibliothek; I/24), S. 121–151. Auch hier sowie NDB III (1957), S. 104 f. (Friedrich Stählin; mit wichtigen Hinweisen zum Nachlaß) und in Killys Literaturlexikon, 2. Aufl., Bd. II (2008), S. 337–341 (Lothar Mundt) wiederum die Literatur. Vgl. zum Kontext auch Eckart Schäfer: Der deutsche Bauernkrieg in der neulateinischen Literatur.- In: Daphnis 9 (1980), S. 1–31; jetzt ders.: Camerarius. Anonymität und Engagement. Von den Reformationseklogenpaaren zu ›Luthers Klage – ein Traum‹.- In: Joachim Camerarius. Hrsg. von Rainer Kößling, Günther Warthenberg.- Tübingen: Narr 2003 (= Leipziger Studien zur Klassischen Philologie; 1), S. 133–173. Dazu die große Untersuchung von Joachim Hamm: Servilia bella. Bilder vom deutschen Bauernkrieg in neulateinischen Dichtungen des 16. Jahrhunderts.- Wiesbaden: Reichert 2001 (= Imagines Medii Aevi; 7). Wichtig zum Kontext auch der Sammelband: Die Musen im Reformationszeitalter (Anm. 67) mit den einschlägigen Beiträgen. Vgl. Schäfer: Bukolik und Bauernkrieg (Anm. 61), S. 149, Anm. 25, unter Bezug auf Johann Albert Fabricius: Bibliotheca Graeca, Bd. XIII, Hamburg 1726, S. 521 f.

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zung der im Erfurter Humanistenkreis begonnenen Tradition deutscher Hirtendichtung.63

Zwei der Eklogen, die neunte und die dreizehnte, tragen den assoziationsreichen Namen ›Daphnis‹. In der neunten Ekloge ist der Titel durch den Rückgriff auf das Motiv tragischer Liebesleidenschaft nahegelegt. Ohne daß ausdrücklich ein schäferlicher Sprecher eingeführt würde, nimmt sich der Erzähler vor, »Lipside silva [...] Arbore sub patula viridi prostratus in herba«, die »tristia« des Daphnis zu besingen (V. 6, 10 f.). Nicht Venus, sondern Cupido ist es nun, dem die Schmähung gilt, bringt er doch nur Verderben unter die Menschen. Daphnis figuriert als Exemplum seines zerstörerischen Wirkens, und der Dichter scheut sich nicht, mahnend, aufrüttelnd und die verhängnisvollen Konsequenzen einer falschen Wahl ausmalend, erzieherisch seine Stimme verlauten zu lassen. Das Bild des betrogenen Liebenden gleicht auf eine denkwürdige, hier jedoch nicht zu vertiefende Weise demjenigen, das Opitz zeichnen wird. Eine Arbeit, die uns diesen Aspekt des humanistischen Liebesdiskurses umfassend entfaltete, steht aus, und Daphnis behauptete in ihr eine prominente Stellung.64 In der 13. Ekloge – ausdrücklich und sehr ungewöhnlich ›Daphnis II‹ betitelt – erfährt der Hirte Daphnis Belehrung von einem alten Landmann über das Wirken des Sohnes der Venus, höchste Wonne, aber eben auch höchste Qual und Verstrickung für den Menschen bereithaltend.65 Daphnis-Revue Auch neben dieser illustren Trias begegnet das Daphnis-Motiv in der Ekloge durchgängig. Johann Stigel hat eine seiner Eklogen wiederum Daphnis betitelt.66 Schon in der Ekloge Iolas hatte er Karl V. unter der Hirtenmaske ein–––––– 63 64

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Schäfer (Anm. 61), S. 125 f. Die Charakteristik Ellingers: Es weist der Verfasser »auf die üblen Folgen der Liebesleidenschaft hin; er erwägt unter heftigen Anklagen gegen den unheilvollen Cupido, den Urheber von Trauer und Verderben, der die Mutter gegen die Kinder, die Schwester gegen den Bruder bewaffnet, das Schicksal seines Freundes Daphnis. Dieser ist in eine Nymphe verliebt, aber sie treibt bloß ihr grausames Spiel mit ihm; alle Versuche, den Jüngling von der verderblichen Neigung zu heilen, sind vergeblich.« (II, 53). Ellinger (II, 53 f.) zählt die von ihm gleichfalls ausführlicher besprochene Ekloge ›Illus‹ als dreizehnte. Tatsächlich ist sie an vierzehnter Stelle positioniert. Ioannis Stigelii Poetae Facvndissimi Daphnis Ecloga.- S.l. 1552. (VD16, S 9047, mit dem Zusatz: [Nürnberg: Joachim Heller]; Ex. SuUB Göttingen Poet. lat. rec. II. 1535). Vgl. Ellinger II, 88 f. Vgl. jetzt auch Bärbel Schäfer: Mit den Waffen der Dichtkunst für die Reformation. Melanchthons Schüler Johann Stigel.- In: Humanismus und Wittenberger Reformation. Hrsg. von Michael Beyer und Günther War-

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geführt; in der Ekloge Daphnis tragen Polydamas und Philondas der Titelgestalt ihren Gesang vor. Johann Friedrich von Sachsen (der sich hinter der Gestalt des Aristaeus verbirgt) ist abwesend, und nun nimmt die Natur inmitten des Schmalkaldischen Krieges die trauernden Züge aus der DaphnisMythologie an. Mit der Gattin trauert die ganze Natur; erst wenn der Fürst zurückkehrt, wird sie den alten Glanz wiedergewinnen. In Simon Lemnius’ vierter Ekloge betrauern die Hirten den Tod des Daphnis, der nun niemand Geringerer ist als Franz I.!67 Heinrich Kranichfeld zeigt in einer an Klajs Schäfergedicht in den Nördgauer Gefilden gemahnenden Weise die beiden Hirten Daphnis und Meliboeus auf ihrem Weg in die Stadt zum Gottesdienst. Daphnis nimmt in geistlicher Manier die Züge eines Prädikanten an und macht sich um die Bekehrung des ungläubigen Corydon verdient; im––––––

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tenberg unter Mitwirkung von Hans-Peter Hasse.- Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1996, S. 389–407; Stefan Rhein: Johannes Stigel (1515–1562). Dichtung im Umkreis Melanchthons.- In: Melanchthon in seinen Schülern. Hrsg. von Heinz Scheible.- Wiesbaden: Harrassowitz 1997 (= Wolfenbütteler Forschungen; 73), S. 31–49. Inzwischen liegt auch für Lemnius die maßgebliche Edition seines Eklogenwerkes vor, mit der die Mundtsche Trilogie eröffnet wurde: Simon Lemnius: Bucolica. Fünf Eklogen. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Lothar Mundt.- Tübingen: Niemeyer 1996 (= Frühe Neuzeit; 29). Mundt konnte die Ausgabe seinerzeit als die »bislang erste wissenschaftliche Edition ihrer Art auf dem Gebiet der neulateinischen deutschen Eklogendichtung« bezeichnen (S. VII; abgesehen selbstverständlich von Editionen einzelner Stücke) – Indiz für den Stand der Erschließung des neulateinischen Zweigs der Gattung auf deutschem Boden bis in die neunziger Jahre hinein, mit dem auch Vf. in den achtziger Jahren anläßlich der Abfassung einer europäischen Gattungsgeschichte zu kämpfen hatte. Dem Werk ist – im Anschluß an eine Biographie des Dichters – ein großes Kapitel zur neulateinischen Ekloge vorangestellt, in dem ein Forschungsbericht, ein eingehenderes Kapitel zur Geschichte der Eklogendichtung in Deutschland bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts sowie schließlich eine Charakteristik der Spezifika der Eklogen des Lemnius geboten werden. Die seinerzeitige Festellung: »Eine Untersuchung zu den Eklogen fehlt bislang leider« ist damit obsolet geworden. Die Edition ist selbstverständlich mit einem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis ausgestattet. Vorausgegangen zu Lemnius war von dem Herausgeber bereits (mit der einschlägigen Literatur): Lothar Mundt: Von Wittenberg nach Chur. Zu Leben und Werk des Simon Lemnius in den Jahren ab 1539.- In: Daphnis 17 (1988), S. 163–222. Vgl. von Mundt jetzt auch: Die sizilischen Musen in Wittenberg. Zur religiösen Funktionalisierung der neulateinischen Bukolik im deutschen Protestantismus des 16. Jahrhunderts.- In: Die Musen im Reformationszeitalter. Hrsg. von Walther Ludwig.- Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001 (= Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; 1), S. 265– 288. Hinzuzunehmen der Lemnius-Eintrag von Mundt in der 2. Aufl. von Killys Literaturlexikon, Bd. VII (2010), S. 325–328. – Eine Biographie liegt vor mit Paul Merker: Simon Lemnius. Ein Humanistenleben.- Straßburg: Trübner 1908. Vgl. auch Ellinger II, 103 f.

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mer ist sein Name mit einem gewissen Nimbus verbunden.68 Etwas ähnliches läßt sich auch bei Johannes Major beobachten, der ihm die Züge des Dichters inmitten einer korrumpierten Welt verleiht, in der auch dem Unschuldigen vielerlei Mißgeschick nicht erspart bleibt.69 Haslob beklagt in vier Eklogen den Tod von Luther, Melanchthon, Sabinus und Lotichius. Der Heimgang des verehrten Reformators Melanchthon wird in einer großen geistlichen Ekloge, der zweiten in dem Zyklus, von Daphnis poetisch zelebriert.70 Johannes Schosser nutzt seine ›Ecloga Daphnis‹ (1552) zur Huldigung an Friedrich von Brandenburg,71 Bocer wird den Tod des Lotichius, einer Daphnis ebenbürtigen Gestalt, beweinen.72 Lotichius Secundus So mag es erlaubt sein, abschließend einen Blick in die Daphnis-Ekloge dieses vielleicht größten deutschen Neulateiners des 16. Jahrhunderts zu werfen.73 Daphnis ist in Lotichius’ fünfter (und vorletzter) Ekloge wiederum –––––– 68

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Henrici Graniveldi Ecloga. De Nativitate Filii Dei Christi Iesv Domini Et Salvatoris Omnium credentium unici & sufficientissimi. Anno 1558.- Wittenberg 1558. (Ex. SuUB Göttingen P. lat. rec. II. 21142b). Vgl. auch Ellinger II, 118. Vgl. Ellinger II, 125. Idyllia Qvatvor[.] Amyntas[,] Philetas[,] Aeglvs[,] Alcon[.] De Clarissimis Viris Martino Lvthero[,] Philippo Melanthone[,] Georgio Sabino[,] P. Lotichio Secvndo. Scripta Per Michaelem Haslobivm Berlinensem.- Frankfurt/Oder: Eichorn 1561. (Ex. SuUB Göttingen Poet. lat. rec. II. 2114/10). Vgl. Ellinger II, 320 ff., spez. S. 321 f. Poemata Iohannis Schosseri Aemiliani.- Leipzig: Voegelin o.J. [VD16, S 3988: Um 1561] (Ex. SuUB Göttingen Poet. lat. rec. I. 1940). Hier zu Eingang des ›Heroicorvm Carminum Liber‹ die ›Ecloga Daphnis‹, S. 200–205. Vgl. auch Ellinger II, 290–292 (keine Behandlung seiner Eklogen). – Eine Ausgabe der Werke und Briefe von Johannes Schosser ist inzwischen, herausgegeben von Anton F.W. Sommer, in zwei Bänden erschienen (Wien: Eigenverlag Sommer 2009). Vgl. Ellinger II, 315 f. Auch für Bocer liegt nun die fortan maßgebliche Edition vor. Vgl. Johannes Bocer: Sämtliche Eklogen. Mit einer Einführung in Leben und Gesamtwerk des Verfassers hrsg., übersetzt und kommentiert von Lothar Mundt.- Tübingen: Niemeyer 1999 (= Frühe Neuzeit; 46). Hier S. 81 ff. ›De Morte Trium Praestantissimorum Germaniae Poëtarum et clarissimorum virorum D. Georgii Sabini, U.I. Doctoris, et D. Iohannis Stigelii et D. Petri Lotichii Secundi, Medicinae Doctoris, Aegloga.‹ Die Klage des Hirten Aegon um Daphnis hier S. 96 ff. Vgl. auch Ellinger II, 315 f. Vgl. jetzt auch den Bocer-Eintrag von Lothar Mundt in der 2. Aufl. von Killys Literaturlexikon, Bd. II (2008), S. 3 f., sowie von Sabine Pettke (Hrsg.): Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. III (2001), S. 18–23. Dazu Bernd Henneberg: Die Hirtengedichte von Petrus Lotichius Secundus (1528– 1560). Text – Übersetzung – Interpretation.- Diss. phil. Freiburg/Br. 1985. Henneberg behandelt leider nur die ersten fünf Eklogen des Lotichius, nicht jedoch die

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Gegenstand des Gesangs, nicht selbst Sprecher oder Sänger. Lotichius hat vermutlich einem aus Padua bekannten und im Rhein ertrunkenen Dichter namens Hilarius Cantiuncula ein poetisches Denkmal gesetzt.74 Gattungsgeschichtlich von besonderem Interesse ist die Integration des PharmaceutrionMotivs, vorgegeben durch Theokrits zweites Idyll und Vergils achte Ekloge, in die neulateinische Daphnis-Ekloge. Sie füllt den erzählenden Gesang des einen Hirten-Sprechers im wesentlichen aus, während der bukolische Respondent Myrtilus die Figur des Unglücklichen noch einmal beschwört. Der heimatliche Kinzig-Fluß und der Acis-Quell trauern mit den Najaden um den Toten. Wie der Vergilsche Daphnis jedoch ist er nun in den Himmel erhoben; der Freund darf hoffen, ihm dort wiederzubegegnen. Neben der zum pastoralen Epicedium führenden Trauer, wie sie sich mit der Gestalt des Daphnis verbindet, steht wie in der Antike die unaussprechliche Verehrung des Orpheus gleichenden Hirtenheros, die die panegyrisch-allegorische Daphnis-Ekloge auszeichnet und natürlich nicht an den funeralen Anlaß gebunden bleibt. In dieser hier mit knappsten Strichen angedeuteten Tradition steht die gleichnamige Opitzsche Ekloge.

5. Opitz’ ›Daphnis Ecloga‹ für Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, gen. Scultetus Die Opitzsche Ekloge unter den Berliner Neolatinistica In dem ersten Band der historisch-kritischen Opitz-Ausgabe, mit glücklicher und kundiger Hand chronologisch nach Maßgabe des Möglichen angelegt, hat Schulz-Behrend auch Opitzens Ekloge ›Daphnis‹ unter den Drucken des Jahres 1617 plaziert.75 Hier – wie in anderen Fällen – war es ihm nicht möglich, auf den Erstdruck zurückzugreifen; er mußte den Text der von Nüßler veranstalteten Ausgabe der Silvae von Opitz benutzen, die genau wie alle ––––––

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sechste, weil er den Vergils vierter Ekloge folgenden (scheinbaren) Gattungswechsel mißdeutet, denn Lotichius greift nun zum Thema des Fürstenlobes. Vgl. Petri Lotichii Secvndi Opera omnia.- o.O.: Gotthard Voegelin 1609, S. 206 ff.: In nuptias. Illvstriss. Principvm DD. Ioannis Gvilielmi et Svsannae Dorotheae Illvstriss. Principis Friderici Elect. Pal. Ad Rhenvm, Boiariae Dvcis & c. Filiae. (Ex. SuUB Göttingen Poet. lat. rec. II. 1284). Die fünfte Ekloge, von dem Jäger Celadon sowie dem Vogelfänger Myrtilus gesprochen, steht S. 200–206. Zum Ganzen wiederum auch Ellinger II, 379 ff. Vgl. Henneberg, S. 170 f. Die Interpretation der Ekloge S. 160-174. Bd. I: Die Werke von 1614 bis 1621 (1968), S. 77–80.

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anderen Gedichtsammlungen Opitzens zugunsten der chronologischen Präsentation aufgelöst werden.76 In diesem Fall jedoch hatte einst wenigstens ein Erstdruck in der Preußischen Staatsbibliothek Berlin existiert, und George Schulz-Behrend verwies darauf in der stets exakt recherchierten Textgeschichte. Max Rubensohn, unermüdlich auf den biographischen Spuren des jungen Martin Opitz und insbesondere seiner Geliebten, hatte an versteckter Stelle und ohne Angabe einer Signatur auf den »bisher nicht beachteten Sonderdruck« in Berlin hingewiesen.77 Schulz-Behrend konnte der knappen Anmerkung den Titel, den Ort, den Drucker, das Erscheinungsdatum, einen Ausschnitt der Widmung und den Umfang, nicht jedoch Textsubstanz selbst entnehmen. Das Stück gehörte zu der einzigartigen Sammlung neulateinischer Casualia, die die Berliner Staatsbibliothek zusammengebracht und zumeist in Sammelbänden zusammengefaßt hatte. Sie wurde – wie die neulateinische Literatur unserer alten ›Nationalbibliothek‹ insgesamt – stärker durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogen als die parallele, gleichfalls einzigartige – weil nach literarischen Landschaften geordnete! – der überwiegend deutschsprachigen Casualia. Während man letztere zumindest mehrheitlich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin sowie in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau studieren kann, haben sich Überreste der neulateinischen Kollektion – soweit zu sehen – nur in Berlin, nicht jedoch in Krakau erhalten. Wohl aber stößt der Bibliotheksreisende in Polen und Rußland, ja gelegentlich auch im Baltikum, auf Berliner Sammelbände aus der Sammlung der Neolatinica. Darüber kann an dieser Stelle nicht berichtet werden. Die neulateinische Literatur der Staatsbibliothek war vor allem nach Altmarrin und Parsow in Hinterpommern ausgelagert. Über das Schicksal gerade dieser Bestände ist man in Berlin nach wie vor bislang besonders unzureichend informiert; definitive Aussagen können nicht gemacht werden. Sicher ist nur, daß der Band Xc 504, der das gesuchte Opitzsche Stück an achter Stelle enthielt, nicht in die Bibliothek zurückgekehrt ist und bis auf weiteres, wie Schulz-Behrend korrekt bemerkt, als »verschollen« gelten muß.78 –––––– 76

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Mart. Opitii Silvarvm Libri III. Epigrammatvm Liber Vnvs. E Museio Bernhardi Gvilielmi Nüssleri.- Frankfurt a.M.: David Müller 1631, S. 75–78. Hier S. 78–80 auch die ›Nisa Ecloga‹. Beide Stücke wiederabgedruckt in dem einzigen Nachdruck der Silvae in der dreibändigen Gesamtausgabe der Opitzschen Werke bei Fellgiebel in Breslau 1689 bzw. der vermutlich als Titelauflage zu klassifizierenden Ausgabe 1690 (Szyrocki-Böttcher Nr. 276 bzw. 277). In letzterer Band II, S. 311–404. Hier die beiden Eklogen S. 364–367 bzw. S. 367–368. Rubensohn: Der junge Opitz II (Anm. 38), S. 48, Anm. 3. Zu der Sammlung überwiegend deutschsprachiger Gelegenheitsdichtung – vielfach aus der unerschöpflichen Bibliothek Meusebachs stammend! – wurde eine größere

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Der Erstdruck in Vilnius So wird es den Opitz-Kennern willkommen sein, daß nun der Text des Erstdrucks nach dem bislang offensichtlich einzig bekannten Exemplar in der Universitätsbibliothek Vilnius erstmals dokumentiert werden kann. Den inzwischen verstorbenen George Schulz-Behrend erreicht diese Mitteilung leider nicht mehr.79 ––––––

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Dokumentation im Rahmen einer Rekonstruktion der Berliner Barock-Bestände vorbereitet. Vgl. als ersten Hinweis vom Verfasser: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 12), S. 625 ff. Zu den Neolatinica in Sammelbänden (Xc 500 ff.) vgl. jetzt den entsprechenden Passus S. 622 ff. Als Vf. die Kollektion seinerzeit bearbeitete, waren die in Berlin verbliebenen Bestände noch auf die beiden Häuser der Staatsbibliothek verteilt. Sie sind heute im Haus I der Staatsbibliothek zu Berlin versammelt. Der verschollene Band Xc 504 mit der ›Daphnis Ecloga‹ von Opitz enthielt zwölf Stücke. An neunter Stelle war Opitz’ ›Hipponax ad Asterien‹ untergebracht. Eine Reihe von Sammelbänden war – ohne daß die Gründe für die Auswahl hier namhaft zu machen wären – der Rara-Abteilung der Staatsbibliothek zugeordnet. Diese Rara-Bestände der Signaturengruppen ›X‹ und ›Y‹ waren nach Gauernitz, Gröditzburg und Fürstenstein (später Grüssau) ausgelagert. Nur die letzteren sind nach Krakau gelangt. Über das Schicksal der Gauernitzer und Gröditzburger Bestände herrscht nach wie vor Unklarheit. Auch zahllose der deutschsprachigen Casualia in Sammelbänden sind dorthin gelangt und bislang verschollen. Zu diesen drei Auslagerungsorten vgl. Werner Schmidt: Die Verlagerung der Bestände im Zweiten Weltkrieg und ihre Rückführung.- In: Deutsche Staatsbibliothek 1661–1961. Bd. I–II.- Leipzig: Verlag für Buch- u. Bibliothekswesen 1961, Bd. I, S. 77–86, hier S. 80, 82. Jetzt zusammenfassend Werner Schochow: Bücherschicksale. Die Verlagerungsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek. Auslagerung – Zerstörung – Entfremdung – Rückführung. Dargestellt aus den Quellen. Mit einem Geleitwort von Werner Knopp.Berlin, New York: de Gruyter 2003 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; 102). Der Band Xc 504 wird zu jenen Nicht-Rara-Beständen gehört haben, die »erst Ende 1943/Anfang 1944 unverpackt ausgelagert worden sind, wobei Bestände aus der Gruppe X sowohl nach Schloß Parsow als auch nach Schloß Altmarrin gebracht wurden. Über deren Schicksal und Verbleib nach dem Kriege ist leider nichts Näheres bekannt. Es ist aber nicht auszuschließen, daß abgesplitterte Bände auch an andere Orte gelangt sind.« (Brief von Herrn Peter Kittel, Abteilungsdirektor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin vom 3. März 1988. Ich danke Herrn Kittel auch an dieser Stelle für zahlreiche Auskünfte während der regelmäßigen Treffen in der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin während der siebziger und achtziger Jahre). Zu Parsow und Altmarrin der Artikel von Schmidt, S. 82, sowie jetzt Schochow, S. 130 ff. Auch dieser Hinweis ist seit jüngster Zeit wieder zu modifizieren. Die Opitzsche Ekloge Daphnis ist nach dem vom Verfasser aufgefundenen Erstdruck inzwischen in dem ersten Band der lateinischen Werke Opitzens (vgl. Anm. 2) zur Publikation gelangt. Hier S. 90–97 der Text mit der Übersetzung von Georg Burkard. Dazu der eingehende Kommentar von Robert Seidel S. 337–342.

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Text und Übersetzung MARTINI OPITII | DAPHNIS. | [Titel-Vignette] | BETHANIAE | ad | Oderam, | L I T E R I S J O A N N I S D Ö R F E R I . | [Strich] | A N . cIɔ. Iɔ CXVII. [Bl. 1v:] ILLUSTRI MAGNI- | FICO ET NOBILISSIMO | VIRO, DN. | T O B I A E à S C H V V A N N E N S E E | ET BREGOSCHITZ, | cognomento S C U L - | T E T O | Bellaquimontii & Hirschfeldae Haeredita- | rio, Sac. Lateranensis Palatii Comiti, Caes. | Maj. Consiliario & Commissario, Fisci Re- | gii per Sil. & Lusatiam Patrono & J.Cto, | Heroi Literatissimo, Moe- | cenati domestico | D. C. Q. | Autor. [Bl. 2r–3v:] DAPHNIS ECLOGA.

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FOrte sub egelidis quercûs prostratus Iolas Frondibus, irriguis Viadrus quà labitur undis, Et rauco pulsat montis concussa susurro Oppositi latera, ac cedentia dorsa fatigat; Illic hos tenui ludebat arundine cantus: Hic tibi, Daphni pater mitissime, pauper Iolas, Silvestres calamos quercûs de robore pendit. Da veniam, si plura nequit. His Tityrus olim Demulsit rigidas dilectae Amaryllidis aures. Haec mihi pastorum liquit solatia noster Tityrus. O quoties dulcis Galatea canenti Favit, et obliquis arrisit Alexis ocellis. Saepe illum tenerae charis cum matribus agnae, Saepe etiam sanctae stupuerunt numina silvae. Haec abiens mihi dona dedit, hoc pignus amoris, Dixit, habe: ecce Siracosii tibi munera vatis, Munera parva quidem, sed non incognita nymphis Naiasin, Panique tibi; te sacra Lycaei Culmina non tenuere, et tanti Maenalus ipse Vix fuit, ac suavis Siculi pastoris avena. Tu quoque, nostra licet curis sint cantica, Daphni, Inferiora tuis, tenues ne despice cannas, Et non excultae modulamina rustica Musae. Nec te poeniteat, pecoris quia pauperis haeres Incedo, sub tecta meas intrasse capellas. Crescet ager mecum, crescent armenta gregesque,

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Quantum vere novo florem flos trudit, et arbos E tenui radice venit, ex arbore sylva, Sylva olim seris factura nepotibus umbram. Non indigna cano, nec degener incola campi Pastorum vereor cantûs, et nuper Hyella Nympharum flos atque decus prolixa favoris Argumenta dedit: Pan has laudavit avenas, Et Satyri, Faunique, et monticolae Sylvani. Sunt Musis, sunt et Phoebo mea carmina curae, Hic mentem intrepidam de sordibus eximit aevi, Et me simplicibus curis beat: unica virtus Inclyta, et augusti clementia caelica vultûs, Daphni, tuas me sponte mea deduxit in oras. Jam sex ferme pater Titan per signa cucurrit, Cum mihi fausta tuos persuasit ab ilice cornix Aspirare lares, et idem quoque charus Amyntas, Spemque metumque inter, dilecto in cortice scripsit. Nec mens laeva fuit. Satis ô satis omnia votis Respondere meis; juverunt sidera sortem. Non alibi licuit numen praesentius ullum Cernere: tu nostrae concedis dulcia Musae Otia, et ô utinam sint longa, nec improba lappae Semina se loliumque istis immisceat agris. Tu pastorales cantus et rustica verba Aspicis his oculis, patriae quîs commoda nostrae Collustrare soles, rebusque occurrere fessis. Tu quando tenerae fastûs recitamus Hyellae, Crudelesque oculos, et durae spicula formae, Oblitum revocas ignem, et suspiria docta, O inter lacrymas suspiria exhalata, Aphrosynaeque dolos, Sophiaeque adamantina corda: Quae te sub caeli tulerunt vaga sidera, mollis Ante genas certa lanugine vestiit aetas. Fortunate virûm, longae indulgentia Famae Concessit se tota tibi, tua praetulit annis Gloria primaevis meritae virtutis honorem. Non modo vicinos saltus, vicinaque circum Litora, Daphni, tuos laudavit cunctus amores Pastor: et Arcadiae cecinit gens omnis in aruis Ingenii monimenta tui. Te Tibridis undae, Te Rhodanus stupuit; te pulcra Garumna Tagusque Plausibus excepit laetis: Nordvvicides agnae

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Exiliere tibi: Benaci fluminis exul Infelix, soboles magnorum invicta deorum, Omnia rura, tuos retulerunt omnia cantus. Jam quoque, solicitae post mille negotia vitae, Si libet ad lucos et amoena vireta reverti, Te veniente nemus gaudet, tibi sacchara sudat, Ambrosiis arbusta madent saltusque pruinis, Mentitur ros mella: tuis elementa polusque Conjurata favent umbris. Audisne canoro Ceu volucrum ingeminat gens candida gutture carmen? Non tot in aurata lusit testudine voces Ingenioso Orpheus Thrax pollice, non tot Iopae Criniti musaea chelys, non tibia diae Euterpes, quot sola modos Philomela sequaces Caelesti ore facit. Tibi laude oppleta loquuntur Avia voce notha: Daphni ô Daphni omnia clamant, Omnia clamabunt, raucis dum rura cicadis, Dum suavi volucrum resonabunt litora cantu. Ipse ego, si te fortè movent mea munera, purum Quotquot erunt anni, mactabo altaribus agnum, Et lauri foliis, hederaque altaria cingam: Ac cum jam Superae fueris pars nobilis aulae, Atque aliquis laetas ibit novus hospes in oras, Narrabit grati laudabile carmen Iolae, Cum Daphnin campi et segetes, cum lustra vocabunt. Te mea Musa canet; quamvis sit rustica, nullo Per sylvas et rura tamen reticebitur aevo. Interea hos calamos, cantor quae Tityrus ipse Simichidae mihi dona dedit, facili aspice vultu, Sic, ô Daphni, tuis responsent omnia votis. Haec projectus humi secum cantabat Iolas, Cantanti eripiunt surgentia sidera lucem, Sesamaque è sudo spargunt super arbuta rore.

Hingestreckt einmal unter dem kühlenden Laub einer Eiche, dort, wo die Oder mit netzenden Wellen dahingleitet, mit dumpfem Getön an die bedrängten Flanken des gegenüberliegenden Berges schlägt und die zurückweichenden Bergrücken zermürbt, [5] dort sang Iolas die folgenden Lieder auf zartem Rohr: ›Dir, mildester Vater Daphnis, schenkt hier der arme Iolas eine ländliche Flöte aus Eichenholz. Verzeih, wenn er mehr nicht vermag. Mit ihr

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schmeichelte einst Tityrus den verhärteten Ohren der geliebten Amaryllis. [10] Unser Tityrus ließ mir diesen Trost der Hirten zurück. O, wie oft war die süße Galatea dem Sänger wohlgesonnen, und wie oft lächelte ihn Alexis mit seinen Äuglein von der Seite an. Oftmals bestaunten ihn die zarten Schafe mit ihren lieben Müttern, oftmals sogar die Gottheiten des heiligen Waldes. [15] Im Weggehen gab er mir dies als Geschenk und sagte: ›Nimm dies als Unterpfand der Liebe! Siehe, eine Gabe des Sängers von Syracus für dich, zwar ein kleines Geschenk, aber nicht unbekannt den Wassernymphen und Dir, dem Pan: Dich hielten die heiligen Bergspitzen des Lycäon nicht zurück, und kaum bedeutete Dir Mänalus selbst [20] so viel wie die süßklingende Flöte des sizilischen Hirten.‹ Auch Du, Daphnis, – auch wenn unsere Gesänge unbedeutender sind als das, was Dir am Herzen liegt – verachte nicht das zarte Schilfrohr und die ländlichen Weisen einer kunstlosen Muse! Auch soll es Dich nicht verdrießen, daß unter das Dach meine Ziegen getreten sind, [25] weil ich ja der Erbe nur einer ärmlichen Herde bin. Der Acker wird mit mir wachsen, wachsen werden das Großvieh und die Herden, so viel, wie im Frühling Blüte um Blüte treibt und der Baum aus zarter Wurzel hervorkommt, aus dem Baum aber der Wald, ein Wald, der einstmals den späten Enkeln Schatten gewähren wird. [30] Nichts Unwürdiges singe ich. Nicht als schwächlicher Bewohner der Feldflur fürchte ich die Gesänge der Hirten; und neulich noch gab mir Hyella, die Blüte und Zierde der Nymphen, reichliche Zeichen ihrer Gunst. Pan lobte diese Flöte, ebenso die Satyrn, die Faune und die bergbewohnenden Waldgötter. [35] Meine Lieder liegen den Musen, liegen dem Phöbus am Herzen. Er entreißt den furchtlosen Geist den Widrigkeiten der Zeit und beglückt mich mit einfachen Verrichtungen, denen ich mich widme. Allein die weithin bekannte Tugend und die himmlische Milde des erhabenen Antlitzes, Daphnis, führten mich nach meinem Willen in Deine Gefilde. [40] Fast schon sechs Zeichen durchlief Vater Titan, seitdem eine glückbringende Krähe von einer Eiche mich bewog, mich Deinem Haus zu nähern, und dasselbe schrieb auch der liebe Amyntas, zwischen Hoffnung und Furcht, auf geliebter Rinde. Auch war mein Sinn nicht unempfänglich für die Vorbedeutung.* Genug, mehr als genug, [45] entsprach alles meinen Wünschen; es halfen die Sterne dem Schicksal. Nicht anderswo war es vergönnt, eine hilfsbereitere Gottheit zu erblicken: Du gewährst unserer Muse süße Muße, und wenn sie doch lange währte und sich diesen

–––––– *

Vgl. Verg. ecl. 1,16–17: »saepe malum hoc nobis, si mens non laeva fuisset, | de caelo tactas memini praedicere quercus«, wo umgekehrt der Hirte Meliboeus sagt, er sei für die üblen Vorzeichen nahenden Übels blind gewesen.

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Äckern nicht der schlimme Samen von Klette und Lolch einmischten!** [50] Du blickst auf die Hirtengesänge und die bäuerlichen Worte mit den Augen, mit denen Du das Wohlergehen unseres Vaterlandes zu beobachten und dem Elend zu Hilfe zu kommen pflegst. Wenn wir vom Stolz der zarten Hyella singen, von ihren grausamen Augen und den Lanzen ihrer hartherzigen Schönheit, [55] rufst Du vergessenes Feuer und gelehrte Seufzer ins Gedächtnis, o Seufzer, ausgehaucht unter Tränen, sowie die Listen der Aphrosyne und das eiserne Herz der Sophia. Dies trug Dich unter die schweifenden Sterne des Himmels hinan, bevor noch ein zartes Alter die Wangen mit deutlichem Bartflaum bekleidete. [60] Glückseligster der Männer, die Gunst weitreichenden Ruhmes gewährte sich Dir ganz; dein Ruhm trug schon den frühen Lebensjahren verdienter Ehre Tugend voran. Nicht nur in den benachbarten Triften und an den Stränden ringsum, Daphnis, pries jeder Hirt Deine Liebeslieder; [65] und das ganze Volk besang auf den Gefilden Arkadiens die Zeugnisse Deines Talentes. Vor Dir erstaunten die Wellen des Tibers, vor Dir die Rhône. Dich empfingen mit freundlichem Beifall die schöne Garonne und der schöne Tajo; vor dir sprangen die Schafe von Nordvijk auf. Der unglückliche Flüchtling des Benakischen Flusses, [70] der unbesiegte Sprößling großer Götter, und alle Felder klangen wider von Deinen Gesängen. Bald auch, nach tausend Geschäften eines unruhigen Lebens, wenn es beliebt, zu den Hainen und lieblichen Gebüschen zurückzukehren, freut sich der Hain Deiner Rückkunft. Dir schmilzt der Zuckersaft; [75] es triefen Gebüsche und Gebirgstriften von ambrosischem Reif; der Tau scheint wie Honig; die Elemente und der Himmelspol begünstigen – miteinander verschworen – Deinen Geist. Hörst Du, wie die reine Schar der Vögel das Lied mit wohltönender Kehle zum wiederholten Mal singt? Nicht so viele Töne spielte auf vergoldeter Laute [80] mit erfindungsreichem Daumen der thrakische Orpheus, nicht so viele die musische Leier des langgelockten Iopas, nicht die Flöte der Göttlichen Euterpe, wie allein Philomela mit himmlischem Mund geschmeidige Weisen erzeugt. Es sprechen, durch dich mit Ruhm erfüllt, die weglosen Gefilde mit erborgter Stimme: ›Daphnis, o Daphnis‹, so ruft alles, [85] so wird alles rufen, solange das Gefilde von rauhtönenden Zikaden, solange das Gestade vom süßen Gesang der Vögel ertönen wird. Wenn Dich vielleicht meine Geschenke bewegen, werde ich selbst Dir ein reines Schaf am Altar schlachten, wie viele Jahre mir auch immer bleiben. Und den Altar will ich kränzen mit Lorbeerblättern und Efeu.

–––––– **

Vgl. Verg. georg. 1,153–154: »[...] lappaeque tribolique, interque nitentia culta | infelix lolium et steriles dominantur avenae.«

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[90] Und wenn Du einst ein edler Teil des himmlischen Hofsaals sein wirst, und ein neuer Gast schreiten wird in die üppigen Gefilde, wird er das löbliche Lied des dankbaren Iolas erzählen, wenn die Felder und Korntriften den Daphnis, wenn ihn das wilde Gebüsch rufen wird. Dich wird meine Muse besingen; mag sie auch ländlich sein, [95] so wird sie doch zu keiner Zeit verstummen durch Wälder und Felder hin. Inzwischen schaue mit mildem Gesicht auf diese Flöte, die der Sänger Tityrus selbst mir als Geschenk des Simichides gab. So, o Daphnis, möge alles deinen Wünschen entsprechen.« Dies sang Iolas, dahingestreckt auf der Erde, so für sich hin. [100] Dem Singenden entreißen die aufgehenden Sterne das Licht und streuen Sesam aus wolkenlosem Tau über die Erdbeerbäume hin.

Böhmisch-schlesisches Kräftefeld Die Opitzsche Ekloge ist – wie so viele Eklogen und insbesondere die um Daphnis gruppierten – einer bestimmten Persönlichkeit gewidmet. Personengeschichtliche Forschung ist kein positivistisches Relikt in der Literaturwissenschaft, sondern insbesondere in der Frühen Neuzeit eine unerläßliche Voraussetzung zur Bestimmung des bildungsgeschichtlichen, konfessionellen, sozialen und literarischen Kräftefeldes, in denen ein Text steht und in dem er sich entfaltet. Auch Opitz’ ›Daphnis Ecloga‹ bleibt über weite Strekken unverständlich, sofern man sie nicht im Blick auf den Adressaten liest. Der aber ist wie ungezählte andere Späthumanisten nur unter erheblichen Anstrengungen dem Dunkel der Überlieferung zu entreißen. Kaum ein Gelehrten- und Dichterlexikon verzeichnet seinen Namen, keines widmet ihm einen ausführlicheren Eintrag. Keine Bibliographie erschließt sein Werk, kein Repertorium die erhaltenen ungedruckten Zeugnisse seines Wirkens. Und doch war er einer der Großen zu seiner Zeit. Neben dem sechs Jahre jüngeren Caspar Cunrad und dem um siebzehn Jahre jüngeren Henel von Hennenfeld – von der älteren Generation um Crato von Crafftheim, den Rhedigers und Monaus hier nicht zu reden – gehörte er zu den Leitfiguren des europäischen, des deutschen und insonderheit des schlesisch-pfälzischen Späthumanismus. Und das ungeachtet seines schmalen dichterischen Œuvres. Damit ein Gelehrter zu einer solchen Leitfigur in der späthumanistischen nobilitas literaria aufzusteigen vermochte, mußte er mehr aufzuweisen haben als poetisches Talent. Entscheidend blieben die personellen Konstellationen, in denen er sich bewegte, die renommierten Kontakte, über die er verfügte, die konfessionellen Optionen, die er getroffen hatte und – vielfach daraus resultierend – die politischen Missionen, derer er von den Mächtigen der Zeit gewürdigt wurde.

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Scultetus war durch seinen langen Aufenthalt im Südwesten des Reiches – genau wie Cunrad, wie Henel, wie Dornau und andere – der gegebene Mittelsmann für die nachfolgende, mit Opitz in den Westen schauende Generation. Er war als Kammerfiskal für Schlesien zugleich mit guten Verbindungen nach Prag und Wien ausgestattet. Er gab als umfassend gebildeter Adliger das Vorbild für die vielfach mittellosen bürgerlichen Gelehrten ab. Und als Pfalzgraf wuchs er in die Rolle eines von Huldigungen überhäuften Mäzens hinein, der überdies in seinem herrschaftlichen Schloß jene um 1600 auch in Deutschland ersehnte Symbiose aus adligem und humanistischem Ethos überzeugend vorlebte. Seine Stunde – wie die ungezählter anderer Schlesier – kam, als die Pfalz sich nach Böhmen wandte, der Erwerb der böhmischen Königskrone als politisches Ziel näherrückte und den großen schlesischen Juristen in einflußreichen Stellungen eine Schlüsselrolle zufiel. Wer auch nur ein wenig in den nach Zehntausenden zählenden Gelegenheitsdichtungen in Breslau sich umgetan hat, wird bestätigen, daß sein Name als Dichter wie als Adressat zwischen 1610 und 1620 in Breslau und den angrenzenden Fürstentümern Liegnitz und Brieg und nicht zuletzt im Fürstentum Beuthen-Carolath im Zentrum gestanden hat. Wir können hier nur einige Andeutungen machen. Auch das Werk eines Tobias Scultetus harrt der Edition, die dieses dichte Geflecht seines Wirkungsraumes zu rekonstruieren hätte.80 –––––– 80

Die Informationen über Scultetus sind aus verstreuten Quellen zusammenzutragen. Es bleibt zu bedauern, daß die Recherchen Vf. in dem Killyschen Literaturlexikon nicht mehr in einem eigenen Eintrag verarbeitet werden konnten. Das Werk – in seiner frühneuzeitlichen personalen Substanz von Wilhelm Kühlmann, Volker Meid und dem (vorzeitig ausgeschiedenen) Verfasser aufgebaut – hat sich gerade für die bislang lexikalisch so stiefmütterlich behandelte späthumanistische nobilitas literaria zu einem respektablen und gerne konsultierten Nachschlagewerk entwickelt. In der von Wilhelm Kühlmann betreuten Neuauflage des Lexikons wird auch ein Eintrag zu Scultetus zu lesen sein. Gleiches gilt für das in Vorbereitung befindliche Verfasser-Lexikon des 16. Jahrhunderts, mit dem vor allem für die neulateinische Literatur im deutschen Sprachraum eine empfindliche Lücke geschlossen wird. Der erwähnte Eintrag bei John II, 154–157, Nr. 84 (vgl. Anm. 26). Natürlich hatte es sich Melchior Adam mehr als ein Jahrhundert vorher nicht nehmen lassen, dem geistes- und glaubensverwandten großen Landsmann in seinem Lexikon, das sich sukzessive zu dem bedeutendsten Memorialwerk der späthumanistischen Generation erhob, ein Denkmal zu setzen. Es geschah dies, indem Adam neben drei anderen bedeutenden Adligen – Melchior von Rechenberg, Christoph Georg von Bergk und Johann von Bergk – auch Tobias Scultetus als Widmungsempfänger seiner ›Vitae Germanorum Philosophorum‹ (Heidelberg: Jonas Rosa; Druck: Johann Lancelot 1615) bestimmte. Schließlich sei der Korrektheit wegen notiert, daß der Name des Tobias Scultetus auch in Johann Heinrich Cunrads ›Silesia Togata‹ (1706), S. 282, im zweiten Teil von Sinapius’ ›Schlesischen Curiositäten‹ (1728), S. 976, in Fülde-

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Tobias Scultetus im Blickfeld von Henel von Hennenfeld Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, stets als Tobias Scultetus zeichnend und so in den Zuschriften auch tituliert, wurde am 29. Oktober 1565 ______ ners ›Bio- & Bibliographia Silesiaca‹ (1731), S. 33, sowie im Zedlerschen UniversalLexikon (Bd. XXXVI, 1743), Sp. 772, figuriert. Auch in Johann Gottlieb Jachmanns ›Centifolivm Scholtzianvm‹ (Hirschberg: Krahn s.a.) findet sich auf Bl. b3 ein Eintrag zu Scultetus. In Hankes ›Vitae Silesiorum‹ (R 2664) ist der Eintrag ›Scultetus‹ nur noch über das Register zu erschließen (Nr. LIV). Die Textsubstanz selbst ist in der Handschrift leider erheblich beschädigt. Vgl. auch den Eintrag zu Scultetus auf S. 492 in dem großen Viten-Werk, das die Bernhardiner-Bibliothek verwahrte (B 1849) und das dringend einer näherer Untersuchung bedürfte. – Der wichtigste Eintrag ist nicht zum Druck gelangt: Henels ›Silesia Togata‹ mit dem Scultetus-Porträt im zweiten Buch, aus dem wir zitieren. Die offensichtlich immer noch substantiellste neuere biographische Information – freilich ohne Kenntnis des Itinerariums des Scultetus – findet sich an kaum zu vermutender Stelle in einer Anmerkung bei Ernst Koch: Böhmische Edelleute auf dem Görlitzer Gymnasium und Rektor Dornavius.- In: Neues Lausitzisches Magazin 93 (1917), S. 1–48, S. 31 f. mit Anmerkung 1 (ich danke Wilhelm Kühlmann für diesen seinerzeit weiterführenden Hinweis). Knappe und informationsreiche Zusammenfassung aus jüngster Zeit auch bei Seidel: Späthumanismus (Anm. 10), S. 313 f., Anm. 24. Vgl. jetzt auch Flood IV, 1923–1925. Die personellen Beziehungen werden vor allem über das aus der alten Stadtbibliothek Breslau ausgehobene und aufgeschlüsselte Gelegenheitsschrifttum erkennbar. Hier kann nur das Wichtigste Berücksichtigung finden. Hinzu tritt die reiche Scultetus-Sammlung aus der erwähnten Neolatinistik-Abteilung in der Staatsbibliothek zu Berlin. Als Briefquellen kommen vor allem die Kollektion Frey-Grynaeus in Basel sowie die entsprechenden Abschriften aus derselben in der Uffenbach-Wolffschen Sammlung in Hamburg in Betracht. Ich wiederhole im Blick auf mancherlei Hilfe gerade im epistolarischen Bereich meinen Dank an Axel E. Walter. Wie schon oben angedeutet, ist Scultetus’ Einfluß auch aus der Fülle der Widmungsadressen zu ersehen. Caspar Cunrad widmet Scultetus – neben Georg von Schönaich und Caspar von Metzeradt – sein ›Prosopographiae Melicae, Millenarivs I.‹ (Frankfurt a.M.: Anton Humm 1615). Hier auch S. 164 ein Eintrag zu Scultetus. Cunrad bedichtet ihn auch wiederholt und wurde seinerseits von Scultetus durch Zuschriften gewürdigt. Vgl. die entsprechenden Einträge im Anhang s.v. ›Caspar Cunrad‹. Das ›Pratum Evangelicum‹ (Freiberg: Hoffmann 1616) ist fünfzehn Jünglingen »summae spei atque exspectationis« gewidmet, darunter dem einzigen Sohn des Tobias Scultetus, Hieronymus Kaspar Scultetus, während der Vater Tobias eine Zuschrift zum Werk beisteuert (Bl. d1r, 2. Foliierung!). Henel huldigt ihm u.a. in seinem ›Epigrammatum Liber [II]‹ (Brieg: Siegfried 1615, Bl. A8v). Melchior Adam eignet ihm seine ›Julii Caesaris Scaligeri Oratio‹ (Heidelberg: Lancelot 1618) zu (BU Wrocław 336876; SB Berlin 4° Mw 13020). Balthasar Exners ›Anchora Vtrivsqve Vitae: Hoc est Symbolicum SPERO MELIORA. Centvria I–III‹ (Hanau: Aubry & Schleich 1619) enthält eingangs der ersten Centurie eine große ›epistola dedicatoria‹ für Scultetus, der seinerseits wiederholt mit Einträgen im Exnerschen Werk vertre-

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in Oschatz in Meißen geboren. Obgleich also nicht gebürtiger Schlesier, betrachtete er sich doch als solchen und galt den Schlesiern als einer der Ihren. ______ ten ist. Exners ›Carminum Miscell. Libri XII‹ (Beuthen: Dörffer 1619) sind durchzogen von lyrischen Zuschriften an Scultetus. Vgl. wiederum die Angaben im einzelnen im Anhang. Exners ›Flores ex epistolis C. Plinii Junioris‹ (Frankfurt/Oder: Foltz 1618) sind dann Hieronymus Kaspar Scultetus gewidmet, der auch sonst von Exner bedichtet wird. Abraham Hossmann aus Lauban widmet Scultetus im Jahr 1615 sein Werk ›Nützlicher vnd nothwendiger Bericht Von Academien, Universiteten vnd berümbten Schulen/ in der gantzen Christenheit‹, das bei Nikolaus Schneider in Liegnitz erscheint. Es ist zugleich Georg von Schönaich sowie Bürgermeistern, Richtern und Rat der Stadt Beuthen an der Oder zugeeignet und enthält ein großes Lob auf den Schöpfer des Beuthener Gymnasiums (BU Wrocław 494868 u.ö.). Michael Aschenborn verfaßt – wie erwähnt – sein ›Carmen Heroicum‹ mit dem Titel ›Abrahamus Sacrificans‹ als Dank für die aus der Hand von Scultetus empfangene LaureatenWürde. Gottfried Schneeweiss widmet u.a. ihm, wie gleichfalls erwähnt (Anm. 31), seine ›Theses Exegeticae In Primum Hoschehae Caput‹ (1620), Melideus seine ›Parallela Oratorum Poetarumque veterum & hodiernor‹ (1617; BU Wrocław 426424 = R 244/31). Desgleichen Jakob Bartsch aus Lauban im Jahr 1617 sein ›Charisterion‹ als ›Gymnasii Vratisl. Alum.‹ (BU Wrocław 352051; 532943). Es ist zugleich dem ebenfalls von Scultetus gekrönten Christoph Schwartzbach gewidmet, der sich wie der Autor Bartsch selbst wenig später unter den dem ›Winterkönig‹ Huldigenden befindet. So wird auch hier wieder eine aufschlußreiche Spur sichtbar. Ein ›Carmen Graecum De Sanctis Angelis Et Eorum Officiis‹ von Nicolaus Isemer (Liegnitz: Sartorius 1614) führt Scultetus unter den Widmungsempfängern auf (BU Wrocław 425768). Selbst in einer Trauerschrift auf Friedrich Taubmann wird Scultetus als ein von Taubmann Bedachter erwähnt (336040, Bl. 3r). Johann Steinberg, Sohn des Ratskonsulenten Melchior Steinberg in Görlitz, eignet seine nicht datierten, gleichfalls bei Dörffer in Beuthen erscheinenden ›Epigrammatum Miscellorum Decades Quinqve‹ Scultetus zu. Ein Exemplar dieses offensichtlich besonders seltenen Werkes befindet sich in der Universitätsbibliothek zu Budapest (OSD 121 (85)). Ich danke Herrn Péter Kulcsár, Budapest, für diesen 1989 erfolgten brieflichen Hinweis. Außer im Blick auf Mitglieder der Familie Žerotin steht das Werk ganz im Zeichen des Scultetus (Decas 1) sowie von Dornau (Decas 2), Caspar Cunrad (Decas 3) und Balthasar Exner (Decas 4), während die fünfte und letzte Dekade vor allem Mitgliedern der Familie Steinberg vorbehalten ist (darunter Anna Maria Glich von Milziz, einer geborenen Steinberg!). Beliebt waren Genesungswünsche. Sie haben auch Scultetus erreicht. Das ist ausnahmsweise bekannt, weil sich auch Opitz mit einem großen ›Carmen Heroicum‹ unter die Beitragenden zur ›Quaternio Votorum Pro Salute‹ (Beuthen: Dörffer o.J.) mischt. Es liegt inzwischen im Neudruck im Rahmen der Ausgabe von SchulzBehrend vor (I, 40 f.). Der Abdruck erfolgt nach dem Breslauer Exemplar (4 E 515 (89), 355151). Nicht entnehmen kann man der schönen Ausgabe die Position des Gedichts in der Sammelschrift und die sonstigen Beiträger. Der Sohn Hieronymus Kaspar sowie Balthasar Exner und der uns gleichfalls schon bekannte Michael Schmid vereinigen sich. Opitz tritt als letzter auf und zeichnet – auch das sollte in der Ausgabe vermerkt werden – schlicht als ›Martinus Opitius‹. Vgl. jetzt den weite-

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Auch Scultetus arbeitete sich über das Studium in den Adelsstand empor und gab damit eines von ungezählten Beispielen in der Sozialgeschichte des europäischen Humanismus für den Aufstieg in der Gesellschaftspyramide über Leistung und Vernunft – Kernmotiv der vera-nobilitas-Konzeption seit Dante, über das die bürgerliche Gelehrtenschaft ihren Eintritt in die Adelswelt flankierte und legitimierte. Henel von Hennenfeld, dessen ›Silesia Togata‹ ungedruckt in mehreren Abschriften noch heute in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Wrocław lagert, hat diesen Aspekt (wie ungezählte andere humanistische Biographen bis in die Tage Gottscheds hinein) programmatisch an den Anfang seiner Vita des verehrten älteren Freundes gestellt; sie war dem gelehrten Humanisten, der seiner Heimat eine große Topographie des kommunalen gelehrten Schlesiens schenkte und diese noch vor die Darstellung des adlig-dynastischen Schlesiens rückte, ganz offensichtlich ein Herzensanliegen. Qvemadmodum armorum scientia, sic liberatae sapientiae disciplina cultores suos haud rarò âb infimo plebejae conditionis subsellio in ampliss:[imum] Nobilitatis ordinem cooptavit. Nequè id sanè immeritò. Qvis enim adeò barbarus, qvi viris excellenti ingenio cumulatâquè multarum rerum, atquè artium ingenuarum cognitione praeditis ornamentum illud adimat? qvos egregiae animi dotes cum immortalis Dei laude conjungunt, viva Divinae bonitatis et sapientiae simulacra. Qvis eruditioni aditum ad ampl:[issimum] dignitatis ordinem occludat? qvae, ut ille ait, magistra virtutis, obstetrix humanitatis, praesidium vitae, custos legum et disciplinae, perfugium adversitatis, ornamentum prosperitatis, domina omnium rerum homini cumulatam bonorum complexionem largitur. Cum praesertim ipsae quoquè leges viros praestantium rerum scientiâ excellentes Nobilissimos nominare non dedignentur. Ejus rei en clarum tibi specimen Magnificum illum ac Nobiliss:[imum] virum, quamquam vir Ossitii in Misniâ natus, tamen et Silesium se esse contendit, unde hoc ei natum distichon ad Andr:[eam] Geisl:[erum] Canc:[ellarium] Lign:[icensem] Mysia me genuit Mater sed Patre Sileso Cur non Silesios Myso Silesis amem? ut potiorem vitae partem cum dignitate conjunctam in Silesiâ exegit.81

–––––– 81

ren Abdruck im ersten Band der lateinischen Gedichte Opitzens (vgl. Anm. 2) mit einer Übersetzung (S. 52–55) und einem Kommentar (S. 315 f.) Robert Seidels. Hier zitiert nach der Hankeschen Abschrift von Henels ›Silesia Togata‹ aus der Rhedigerschen Bibliothek (R 570), S. 337–342, unter Hinzuziehung der Abschrift aus der alten Universitätsbibliothek Breslau (IV F 127, ff. 202–204) sowie der Abschrift Ezechiels aus der Bernhardiner Bibliothek (B 1716), die heute in der Handschriftenabteilung der BU Wrocław verwahrt werden; Filme aller handschriftlichen Textzeugen in Osnabrück. Vgl. die näheren Angaben im Anhang. Für seinerzeitige Hilfe in den späten achtziger Jahren bin ich Mirosław Grudzień (Wrocław) sowie jetzt Hartmut Laufhütte (Passau) dankbar verpflichtet. Vgl. auch den Scultetus-Eintrag in Henels ›Silesiographia Renovata‹ in der Bearbeitung Fibigers, Bd. II, S. 1203–1204. Hier auch S. 1205–1209 ein ›Summarium‹ seines ›Tractatus de Fisco‹.

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Auf diese Weise haben die Kenntnis des Kriegswesens und der Dienst an der freien Wissenschaft ihre Diener nicht selten von der Bank der untersten Volksschicht in den höchsten Adelsrang erhoben, und das wahrlich nicht unverdient. Wer nämlich wäre so roh, den mit ausgezeichneter Begabung, reicher Kenntnis vieler Dinge und edler Künster ausgestatteten Männern jene Auszeichnung nehmen zu wollen? Ihre hervorragenden Geistesgaben vereinigen sie als lebendige Abbilder der göttlichen Güte und Weisheit zum Lobe des unsterblichen Gottes. Wer wollte der Bildung den Zugang zum höchsten Rang der Würde versperren? Sie ist, wie jener sagt, die Lehrerin der Tugend, die Hebamme der Menschlichkeit, der Schutz des Lebens, der Hüter von Gesetz und Ordnung, die Zuflucht bei Widerwärtigkeiten, der Schmuck des Wohlergehens, die Herrin aller Dinge: Sie schenkt dem Menschen den vollkommenen Inbegriff alles Guten. Wie denn auch insbesondere die Gesetze nicht verwerfen, diejenigen, die sich durch die Kenntnis vorzüglicher Dinge auszeichnen, Hochedle zu nennen. Ich präsentiere dir als hochrühmliches Beispiel dafür diesen erhabenen und Hochedlen Mann. Obwohl er in Oschatz in Meißen geboren ist, behauptet er

–––––– Zu Henel vgl. die bereits Anm. 26 zitierte grundlegende Darstellung von Hermann Markgraf: Nikolaus Henel’s von Hennenfeld (1582–1656) Leben und Schriften.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 25 (1891), S. 1–41. Es ist schwer verständlich, daß diese Arbeit nicht einging in die Gesammelten Schriften Markgrafs. Sie verdiente zusammen mit anderen nicht wieder gedruckten des Autors einen Reprint. Hier S. 26 ff. eine Beschreibung des handschriftlich überlieferten Werks Henels und der von ihm gefertigten Abschriften. Zu Henels ›Silesia Togata‹ und ihrer Überlieferung S. 35 f. Das Werk fand Nachfolge in den – teilweise gleich lautenden – Arbeiten von Johann Heinrich Cunrad, Martin Hanke und Christian Ezechiel. Der Krieg hat empfindliche Lücken gerissen. Vgl. dazu die näheren Angaben im Anhang. Inzwischen liegt eine grundlegende Studie von polnischer Seite vor, die ebenfalls Auskunft über den geretteten Bestand erteilt. Vgl. Wojciech Mrozowicz: Handschriften von und über Nikolaus Henel von Hennenfeld in der Universitätsbibliothek Breslau.- In: Die oberschlesische Literaturlandschaft im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Gerhard Kosellek.- Bielefeld: Aisthesis 2001 (= Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien; 11), S. 269–315, sowie Klaus-Peter Möller: Oberschlesische Autoren 1450–1620.- In: Oberschlesische Dichter und Gelehrte vom Humanismus bis zum Barock. Hrsg. von Gerhard Kosellek.- Bielefeld: Aisthesis 2000 (= Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien; 8), S. 487–547. Hier der Eintrag zu Henel S. 510–515. Vgl. zu Henel darüber hinaus: Wolfgang Kessler: Nikolaus Henel als Historiograph.- In: Oberschlesische Dichter und Gelehrte (s.o.), S. 205–219; Gunhild Roth: Nikolaus Henel und seine Stellung in der schlesischen Geschichtsschreibung.- In: Die oberschlesische Literaturlandschaft (s.o.), S. 247–268. Hinzuzunehmen die Porträts von Julian Janczak: Mikołaj Henelius Jako Geograf Śląska.- In: Śląski kwartalnik historyczny Sobótka 13 (1958), S. 207–221; Klaus J. Heinisch: Nikolaus Henel. Ein schlesischer Gelehrter der Barockzeit.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 20 (1979), S. 111–131. Dazu die Einträge von Manfred P. Fleischer: Nikolaus Henel (1582–1656).- In: Schlesische Lebensbilder 6 (1990), S. 61–66; Klaus Garber: Henel von Hennenfeld, Nicolaus.- In: Killys Literaturlexikon, Bd. V (1990), S. 211 f.; 2. Aufl., Bd. V (2009), S. 260 f. (jeweils mit weiterer Literatur).

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trotzdem, auch ein Schlesier zu sein; daher diese Distichen von ihm an Andreas Geisler, Kanzler in Liegnitz, Die Mutter Meißen gebar mich, aber von einem schlesischen Vater. Warum sollte ich, schlesischer Meißner, nicht die Schlesier lieben, wie er auch den wichtigsten und mit seiner Würde verbundenen Teil seines Lebens in Schlesien verbracht hat.

Ausbildung und Hofmeisterdienste Nach dem Besuch der Lateinschule in seiner Heimatstadt wechselte er hinüber an die Universität Leipzig, wo wir ihn zum Winter 1577 eingeschrieben finden.82 Scultetus hat sich sein ausgebreitetes Studium ganz offensichtlich über Hofmeister-Tätigkeiten verdient, die ihn zugleich in der Tradition des europäischen Humanismus auf weite Reisen führten. Henel, ansonsten in seiner Biographie so sparsam mit Namen und Daten, hat die Namen seiner adligen Adepten überliefert. Und ein ebenso glücklicher Umstand will es, daß sie alle (mit Ausnahme der Borcks) in Scultetus’ einzig bekannter größerer Gedichtsammlung aus Heidelberg, über die sogleich ein Wort zu sagen ist, als Adressaten bzw. als zumeist mehrfach Bedichtete wieder auftauchen.83 Es sind dies Laurentius Wacholt, Tessen von Parsow und Martin Parlovius aus Pommern, Christoph und Andreas Pflugk aus Meißen sowie schließlich und vor allem Sigismund und Franziskus von Burghaus aus Schlesien.84 Nachdem er schon vorher die beiden jungen Edelleute Chri–––––– 82

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Vgl.: Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809. Hrsg. von Georg Erler. Bd. I.- Leipzig: Giesecke & Devrient 1909, S. 420: ›Tob. al. Schultetus Oschacen.‹ Der Verweis auf die Wittenberger Matrikel, wie er in den später zu zitierenden Baseler und Genfer Matrikeln für den 2. April 1581 erfolgt, beruht auf einem Irrtum. Der Eintrag in der Wittenberger Matrikel gilt einem ›Tobias Schultetus Reichenbacensis‹. Vgl. Album Academiae Vitebergensis Ab A. Ch. MDII Usque Ad A. MDCII. Volumen Secundum (1560–1602). Hrsg. von Otto Hartwig.- Halle: Niemeyer 1894, S. 297. Entsprechend ist der Verweis in der Matrikel zu Basel (vgl. Anm. 100) bzw. im ›Livre du Recteur‹ zu Genf (vgl. unten Anm. 96) zu präzisieren und damit im Blick auf den Lebensweg des hier gemeinten Tobias Scultetus doch wohl zu korrigieren. Ein Aufenthalt in Wittenberg ist über die Matrikel nicht gesichert! Wohl aber ist ›Franciscus a Burckhaus et Stoltz Silesius‹ 1596 in Wittenberg inskribiert. Vgl. unten S. 81 f. mit Anm. 92. Vgl. auch die entsprechenden Einträge in der Leipziger Matrikel. Nikolaus II. von Burghaus ist 1578 inskribiert, Sigismund 1591; ein Nachweis für Franziskus von Burghaus für Leipzig fehlt. Ein ›Passow a Tißenius‹ ist für 1584 nachgewiesen. Andreas und Christoph Pflugk zu Eiter inskribieren im Wintersemester 1586. ›Laurentius Wacholt Dargslanensis Pomeranus‹ erscheint 1587 in der Matrikel Frankfurt/ Oder. Vgl. Ältere Universitäts-Matrikeln. [Abt.] I.: Universität Frankfurt a.O. Unter Mitwirkung von Georg Liebe und Emil Theuner hrsg. von Ernst Friedlaender. Er-

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stoph und Andreas Pflugk in Eythra bei Leipzig unterrichtet hatte, begleitete er sie 1586 nach Leipzig.85 Im Herbst 1587 erwarb er dort den baccalaureus artium, im Wintersemester 1588/89 den Magister.86 Das Jahr 1587 zeitigte auch eine erste aufsehenerregende Publikation. Ein politisches Ereignis in der Nähe von Leipzig, das Zusammenkommen sächsischer, brandenburgischer, hessischer, anhaltischer und braunschweigischer Fürsten in Naumburg, wo sie eine alte Erbverbrüderung erneuern wollten, im Juli 1587, veranlaßte ihn mit einem längeren lateinischen Gedichte an die Öffentlichkeit zu treten; es feierte den Einzug dieser Fürsten und wurde in Leipzig gedruckt.87

Schon in Leipzig hat sich Scultetus gern poetisch betätigt, um seinen Freunden anläßlich erworbener akademischer Würden zu huldigen. Speziell mit der Gattung des Epigramms stellte er sich damit in eine Tradition, die in keiner Landschaft des alten deutschen Sprachraums lebhafter ausgebildet war ––––––

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ster Band (1506–1648).- Leipzig: Hirzel 1887 (= Publicationen aus den KöniglichPreußischen Staatsarchiven; 32), S. 326. Desgleichen ist ›Fridericus a Bork in Labis Pomeranus‹ daselbst bezeugt (S. 355). So nach Koch: Böhmische Edelleute (Anm. 80), S. 31. Dazu der oben Anm. 82 gegebene Matrikel-Nachweis. Vgl. Jüngere Leipziger Matrikel, Bd. I (Anm. 82), S. 420. Die mit dem Erwerb der Magisterwürde einhergehenden Ehrungen haben sich in der einst größten NeolatinaSammlung zu Berlin glücklicherweise erhalten, die ansonsten, wie erwähnt, im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen wurde. Vgl. Elegidia Qvatvor Ornatissimo Ivveni, Tobiae Scvlteto Ossitiensi, Philosophiae recens creato Magistro in Acad. Lipsiensi Anno 1589. Nvncvpata Pr. à Disc. & amicis. Impressa Lipsiae, Typis Abrahami Lambergi. Anno M.D.XIC. (Xc 555R (72)). Es gratulieren Andreas Pflugk, Arnold Stuter, Sebastian Ulrich und Jakob Quelwitius; die beiden letzteren gebürtige Leipziger. Des weiteren: Tobiae Scvlteto Ossitiensi, Cvi Rectore Magnifico Viro Balthasare Gitlero, D. Decano Spectabili Viro Iohanne Albino, M. Procancellario Eximio Viro Iohanne Neldelio. M. In Celeberrima Lipsiensivm Academia Mense Ianvario Anno M.D. XIC, Svmmvs Philosophicae Dignitatis Gradvs Pvblica Renvnciatione Decernebatvr. In Virtvtis Meritvm, Doctrinae Praemivm, Amicitiae Testimonivm: Ab Amicis Et Favtoribvs Nvncvpatae Gratvlationes. Lipsiae Imprimebat Abraham Lamberg. Anno M.D.XIC. (Xc 555R (73)). Die kleine Sammelschrift vereinigt zwölf Beiträge zu Ehren von Scultetus. Die Beiträger kommen aus Leipzig und den nahegelegeneren Orten sowie aus Scultetus’ Heimatstadt und sodann aus Schlesien und Pommern. Bekanntere Namen sind nicht darunter. Möglicherweise gab es noch eine Ehrung von seiten des engeren Freundeskreises. Koch: Böhmische Edelleute (Anm. 80), S. 31. Vgl. De Illvstriss. Ac Potentissimorvm Principvm, Atqve Electorvm splendidissimo in vrbem Nvmbvrgvm ingressu, III. die Iulij, Anno M.D.XXCVII. facto. Carmen Scriptvm à Tobia Sculteto Ossitiense. Lipsiae, Imprimebat Iohannes Steinman. (Ex. Sächsische Universitäts- und Landesbibliothek Dresden; H. Sax. H, 538,3; SB Berlin, Xc 568 (5) (Widmungsexemplar)). Der Titel auch bei Rudolf Bemmann: Bibliographie der Sächsischen Geschichte. Bd. I, Halbbd. 1.- Leipzig, Berlin: Teubner 1918, S. 224.

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als in Schlesien. Eine bislang unbekannte kleine Sammlung aus seiner Leipziger Feder mit fünfzehn Beiträgen hat sich ebenso erhalten wie ein aufwendigeres und gleichfalls bislang nicht erwähntes Korpus mit Panegyrika.88 Scultetus machte sich also durchaus schon in Leipzig einen Namen als Dichter. Schlesisch-pfälzischer Brückenschlag: Scultetus in Heidelberg Entscheidend wurde für ihn die Begegnung mit den Gebrüdern Franziskus und Sigismund von Burghaus – insbesondere mit letzterem. Dieser schon mit 37 Jahren (1611) verstorbene Sproß aus der alten schlesischen Familie war zum Winter 1591 in Leipzig immatrikuliert und brach dann – vermutlich in Begleitung von Scultetus – nach Heidelberg auf, wo er am 17. März 1592 bezeugt ist, während Scultetus selbst am 4. Juli 1593 als ›Magister Ossitiensis Misnicus‹ in der Heidelberger Matrikel zeichnete.89 So absolvierte er –––––– 88

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Vgl. Gratvlatio Jn honorem Pietate, Ervdita Doctrina, Virtvte Singvlari, Ingenii Dexteritate, Morvmqve Integritate Ornatissimorvm Iuuenum XV, quibus summus Philosophiae & liberalium Artium gradus in celeberrima Lipsiensium Academia publicè decernebatur, Anno M.D.LXXXVIII. 8. Cal. Feb. Autore Tobia Sculteto Oßitiensi. Lipsiae Ex Officina Typographica Abrahami Lambergi. (Widmungsexemplar SB zu Berlin, Xc 555R (58)). Zwischen zwei den Rahmen schaffenden Gedichten werden 15 Personen in jeweils 15 Distichen besungen. Die engeren Bezugspersonen von Scultetus befinden sich nicht darunter. Mehrfach gilt die Ehrung einem gebürtigen Leipziger. Die Wahl gerade dieser Personen läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Das poetische Spiel scheint in Leipzig beliebt gewesen zu sein. Ein Jahr später erscheint z.B. gleichfalls bei Lamberg eine ΕΥΦΗΜΙΑ , in der wieder 15 Adepten gehuldigt wird. Scultetus beteiligt sich an zweiter Stelle (352979). Vgl. auch: Panegyricus Clarissimis Viris, Sapientia, Dignitate, Doctrinae Ervditione & virtute ampliss. Dominis, L. Iohanni Oetvino, L. Esaiae Heidenreichio, L. Andreae Homelio, L. Iohanni Mayero, L. Valentino Franco, Summum in vtroque Iure Gradum, publica renunciatione, frequenti omnium eruditorum conuentu in celeber. Lipsiensium Academia Prid. Calend. Nouemb. Anno χρισογονίας M.D.XXCIIX. adeptis Cantatvs À Tobia Scvlteto Ossitiensi. Haeredes Ioannis Steinmanni Imprimebant (Widmungsexemplar des Autors für Andreas Pflugk, ›amico suo‹, SB Berlin, Ee 525). Es handelt sich um einen großen, 450 Hexameter umfassenden Panegyrikus auf die in Leipzig beheimateten Wissenschaften und ihre fünf eifrigen Adepten. Das Berliner Exemplar ist mehrfach annotiert und korrigiert, möglicherweise durch Scultetus selbst oder den Empfänger des Exemplars, Andreas Pflugk. Vielleicht handelt es sich bei diesen – und möglicherweise anderen – Texten um die von Koch (Böhmische Edelleute, S. 31, Anm. 80) gesuchten ›Juvenilia‹ des Scultetus. Vgl. Jüngere Leipziger Matrikel, Bd. I (Anm. 82), S. 55; Nachweis für das Wintersemester 1591. Für den Heidelberger Aufenthalt vgl.: Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662. Bearb. und hrsg. von Gustav Toepke. Zweiter Theil. Von 1554 bis 1662.- Heidelberg: Winter 1886, S. 158 (Sigismundus à Borkhaus, Si-

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seine lebensbestimmenden Lehrjahre gleich ungezählten gebürtigen Schlesiern im Umfeld des westeuropäischen Calvinismus, der für die Schlesier, die schließlich unter katholischer Oberhoheit standen, eine so vitale Attraktivität besaß, weil er besser gerüstet war für die Herausforderungen, die vom nachtridentinischen Katholizismus ausgingen. Organisiert war der Aufenthalt nach dem Zeugnis Henels offensichtlich von dem gebürtigen Schlesier und nun als Hofprediger in Heidelberg wirkenden Theologen David Pareus. Pareus war bekannt für sein Wirken um den Ausgleich zwischen Calvinismus und Luthertum, wie er für die Heidelberger reformierte Theologie so typisch ist. Es bestand ein elementares konfessionspolitisches Interesse, die protestantischen Bekenntnisse gegenüber dem Katholizismus zusammenzubringen.90 Entscheidend aber wurde auch für Scultetus die Begegnung mit Schede Melissus. Dieser wirkte nach einem langen Wanderleben inzwischen als Kurpfälzischer Rat und Bibliothekar der Palatina und als hochgefeierter ––––––

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lesius); S. 168 (M. Tobias Scultetus, Ossitiensis Misnicus). Für das gleiche Jahr 1592 ist hier auch ›Fridericus Bork, nobilis Pomeranus‹ nachgewiesen (S. 158). Vier Jahre später (13. Februar 1596) erscheint ›Franciscus a Borckhaus nobilis Silesius‹ in Marburg: Catalogus Studiosorum Scholae Marpurgensis. Ed. Iulius Caesar. Pars tertia. A medio anno MDLXXI usque ad extremum annum MDCIV pertinens.- Marburg: Elwert 1882, S. 99. Zu den Burghaus vgl. auch unten Anm. 94. Zu Pareus vgl. das besonders gelungene Porträt von Gustav Adolf Benrath in: Schlesische Lebensbilder. Bd. V: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Helmut Neubach, Ludwig Petry.- Würzburg: Holzner 1968, S. 13–23, mit ergiebigem Werkund Schrifttumsverzeichnis. Dazu die letzten lexikalischen Einträge mit weiterer Literatur in der vierten Auflage von Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. VI (2003), Sp. 935 f. (Markus Matthias), und in der zweiten, von Wilhelm Kühlmann herausgegebenen Auflage von Killys Literaturlexikon, Bd. IX (2010), S. 93–95 (Volker Hartmann). Heranzuziehen zu Leben, Werk und Kontext ist zudem jetzt grundsätzlich: Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Abt. I: Die Kurpfalz. Bd. II: David Pareus, Johann Philipp Pareus und Daniel Pareus. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann, Susann El Kholi, Björn Spiekermann.- Turnhout: Brepols 2010 (= Europa Humanistica; 7). Ergiebig auch (und zumeist weniger beachtet): Walther Baumann: David Pareus und seine genealogischen Beziehungen zu Herborn.- In: Mitteilungsblatt des Herborner Geschichtsvereins 11 (1963), S. 34–39. Zum (hier nicht neuerlich zu entfaltenden) Kontext vgl. die bereits erwähnte grundlegende Abhandlung von Georg Hecht: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, N.F. 42 (1929), S. 176–222. – Als Pareus 1593 in Heidelberg unter Daniel Tossanus die theologische Doktorwürde erwirbt, ist auch Scultetus mit einem ›Elegidion‹ unter den Gratulanten. Vgl. Gratulatio amicorum Jn Doctoratvm Davidis Parei Silesii. Qui ei summa Solennitate in Academia Heidelbergensi à facultate Theologica conferebatur 5 Iulij Anno 1593. Promotore Reuer. & clariss. Viro D. Daniele Tossano S. Theologiae Doctore & professore ordinario. Heidelbergae, Ex officina Iosuae Harnisch. Anno M.D.XCIII. (BU Wrocław 356388). Hier der Beitrag des Scultetus Bl. a2v–a3r.

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Dichter in Heidelberg.91 Ihm eiferte Scultetus mit seiner ersten und offensichtlich einzigen größeren Gedichtsammlung Subsecivorum poëticorum tetras prima nach, erschienen 1594 bei Abraham Smesmann in Heidelberg.92 Sie –––––– 91

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Zu Schede Melissus zuletzt die Kurzvita, das Werkverzeichnis und die um Vollständigkeit bemühte Zusammenstellung der wissenschaftlichen Literatur in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch. In Zusammenarbeit mit Christof Bodamer, Lutz Claren, Joachim Huber, Veit Probst, Wolfgang Schibel und Werner Straube ausgewählt, übersetzt, erläutert und hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel, Hermann Wiegand.- Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1997 (= Bibliothek der Frühen Neuzeit; 5), S. 1395–1402. Die umfassende Biographie stammt von Ludwig Krauß: Paul Schede Melissus. Sein Leben nach den vorhandenen Quellen und nach seinen lateinischen Dichtungen als Beitrag zur Gelehrtengeschichte jener Zeit. Bd. I–II.- Nürnberg 1918 (Hs. Original UB Erlangen, Ms. 2254; Kopie IB Osnabrück). In der Reihe Die deutschen Humanisten. Abt. I: Die Kurpfalz (vgl. Anm. 90) ist auch ein Band zu Schede Melissus und seinem Kreis zu erwarten. Vgl. demnächst den Eintrag von Eckart Schäfer in der zweiten Auflage des Killyschen Literaturlexikons mit weiterer Literatur. Vgl. Tobiae Scvlteti Ossitiensis Subsecivorum Poëticorum Tetras Prima; In qua Suspiria; Phaleuci; Philotesia; Epigrammata. Myrtilleti Ad Nicrvm, Typis Abrahami Smesmanni, Anno MDXCIV. Leicht greifbares Exemplar in der Sammlung Faber du Faur Nr. 33. Es entstammt der Maria-Magdalenen-Bibliothek zu Breslau und wurde also als Dublette veräußert. Die alte Signatur: 8 N 401/3. Aus der Magdalenen-Bibliothek rührt noch heute eines der Breslauer Exemplare her (336781 = 8 N 1016/2). In Breslau liegt der vierte Teil des ›Epigrammatum Libellus‹ überdies in einem Sammelband aus der Magdalenen-Bibliothek auch selbständig vor, einsetzend mit dem Bogen ›H‹ (336714 = 8 N 969/13). In der ›Rudolphina‹ zu Liegnitz (4654) befand sich ein Widmungsexemplar für Laurentius Scholtz, das heute in der BU Wrocław bewahrt wird (412390). Ein weiteres Exemplar aus einem Sammelband der Frankfurter Viadrina, der in die Universiätsbibliothek Breslau überging (Lit. rec. oct. 450), wird heute unter der Signatur 458497 in der BU Wrocław verwahrt. Der Titel im übrigen auch schon bei Draudius: Bibliotheca classica, 1625, S. 1558. Auf weitere Nachweise der in erheblichem Umfang erhaltenen Exemplare soll hier verzichtet werden. Janus Gruter befindet sich unter den Beiträgern von poetischen Zuschriften im Vorspann. In die von ihm auf den Weg gebrachte große Anthologie neulateinischer Lyrik hat selbstverständlich auch Scultetus Eingang gefunden. Vgl. Delitiae Poetarvm Germanorvm Hvivs Svperiorisqve Aevi illustrium Pars VI. Collectore A.F.G.G. Francofvrti Excudebat Nicolaus Hoffmannus, sumptibus Iacobi Fischeri. M.DC.XII. Hier S. 34–68 die ›Suspiria ad Sophiam‹ und einige seiner an Personen gerichteten Gedichte. Ein Textvergleich mit der Erstfassung soll hier nicht durchgeführt werden. Er gehört in eine zu schaffende Scultetus-Ausgabe. Die Gedichte auf die Freunde stehen vielfach auch hier. Gruter selbst wird zweimal bedichtet. Vgl. auch die Beiträge von Scultetus zu Gruters Werken in: Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Abt. I: Die Kurpfalz. Bd. I/2: Janus Gruter. Hrsg. und bearb. von Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann, Susann El Kholi.- Turnhout: Brepols 2005. Hier S. 588 auch eine Kurzbiographie von Scultetus. Auch in Dornaus ›Amphithea-

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erlaubt uns einen Blick auf den ihm nahestehenden Personenkreis und dessen sozialen und lokalen Radius. Die weitaus meisten Gedichte sind an Adelige, bevorzugt aus Pommern, gelegentlich aus Meißen, gerichtet; zahllose adlige und bürgerliche Namen entstammen Leipzig und Umgebung; Schlesien ist in dieser frühen Sammlung durchaus noch unterrepräsentiert. An der Spitze aber figuriert der Name von Schede Melissus. Der erste Teil ›Suspiriorum ad Sophiam Libellus‹ seiner Subsecivorum poëticorum tetras prima ist dem Haupt des Pfälzer Späthumanismus zugeeignet (datiert vom 25. Juli). Die Widmung erfüllte ihren Zweck. Im Oktober 1594 verlieh Schede in seiner Eigenschaft als Kaiserlicher Pfalzgraf Tobias Scultetus den poetischen Lorbeer. Scultetus zeigte sich neuerlich erkenntlich mit einer poetischen Zuschrift für Schede, die im März 1595 in Genf gedruckt wurde.93 Zwei der drei weiteren Widmungs––––––

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trum Sapientiae Socraticae Joco-Seriae‹ (Teil I–II.- Hanau: Wechel 1619; Reprint hrsg. und eingeleitet von Robert Seidel; Goldbach: Keip 1995 (= Texte der Frühen Neuzeit)) hat Scultetus Eingang gefunden. Vgl. S. 391 f.: ›Lvscinia‹, S. 418: ›Gallvs Gallicanevs‹, S. 461 f.: ›Passer; sed non Catvllianvs.‹ Alle drei Beiträge unter dem Titel ›Ex Iuuenilibus‹. Auf S. 624 sodann Scultetus’ viel beredeter Beitrag ›In Caseos Ovillos Silesiae ad Melpomenen Horatianam‹. Dazu Koch: Böhmische Edelleute (Anm. 80), S. 31. Vgl. Tobiae Scvlteti, Hermvndvri Lavrea Melissaea. Ad Gregorivm Bersmanvm V. Et Poet. Clariss. Cum amicorum Epigrammatis. Genevae, Excudebat Joannes Le Preux. M.D.XCV. (Ex. SB Berlin, Xd 9603 (3) R). Vgl. Draudius: Bibliotheca classica 1625, S. 1595. Das kleine, sieben Blatt umfassende Werk ist dem Rektor des Zerbster Gymnasiums, Gregor Bersmann, gewidmet. Das calvinistische Anhalt bildet einen Brückenkopf zwischen den ›cryptocalvinistischen‹ Enklaven im Osten, zumal in Schlesien, und dem reformierten Oberrhein bis hinauf nach Genf. Die konfessionelle Orientierung erweist sich derart immer wieder als Schlüssel personeller Verbindungen über die Räume hinweg. Die Widmung ist auf den März 1595 datiert. Die kleine Schrift wird eröffnet mit der poetischen Zuschrift von Schede Melissus: ›Melos Ad Tobiam Scvltetvm, Ossitiensem, Cum ei Lavream Poeticam L.M. Conferrem.‹ Sie ist auf den 20. Oktober 1594 in Heidelberg datiert. In der Mitte steht Scultetus’ große ›Elegia‹ ›Ad Pavlvm Melissvm Francvm, Comit. Palat. Eqvit. & civ. Roman. &.‹ Glückwünsche zur Laureatenwürde beschließen den seltenen Text, der sich erstaunlicherweise weder am Druckort in Genf selbst noch auch in Basel, Hauptfundort für akademisches Kleinschrifttum um 1600, erhalten hat. Ich danke Herrn Dr. Steinmann in Basel und Herrn Lökkös in Genf für entsprechende briefliche Auskünfte im Jahr 1989. Das Werk liegt vor in der Sächsischen Universitäts- und Landesbibliothek Dresden (Lit. Lat. rec. A 1375, misc. 2) und in der Staatsbibliothek zu Berlin (Xd 9603 (3)). Beide Exemplare waren dem Verfasser schon vor der Wende zugänglich. Der Dank dafür war seinerzeit dem inzwischen verstorbenen Direktor der Sächsischen Landesbibliothek, Burghard Burgemeister, sowie Frau Dr. I. Stolzenberg in der Handschriften-Abteilung und Frau Dr. R. Mahlke in der Benutzungs-Abteilung der Staatsbibliothek Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz auszusprechen.

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adressen seiner Tetras blieben seinen Zöglingen vorbehalten. Der zweite Teil mit den ›Phaleuci‹ ist dem nach Italien aufbrechenden Christoph Pflugk ›in Eutern, & Equiti Misno‹, der dritte mit den ›Philotesia‹ dem ihm besonders nahestehenden und immer wieder bedichteten Sigismund von Burghaus und der vierte Teil mit den Epigrammen Friedrich Borck von Labes gewidmet.94 ––––––

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Wie aus einer Anmerkung für den Leser hervorgeht, plante Scultetus, die kleine Schrift mit weiteren Epigrammen zu zieren. Sie erschienen jedoch nur noch verstreut. Eine weitere Sammlung seiner diversen Epigramme – signalisiert auch durch die Qualifikation seines Hauptwerkes als ›Tetras Prima‹! – scheint nicht mehr zustandegekommen zu sein. Es blieb bei Zuschriften für einzelne Adressaten. Vgl. Tobiae Scvlteti Ossitien. Hermvnd. Decas Epigrammatum Ad Gvolfgangvm Zvndelinvm, V. Excellentiss. Consiliar. Palatin. Heidelbergae, Apud Abrahamum Smesmannum M.D.XCIV. (BU Wrocław 426987, Widmungsexemplar für Daniel Bucretius aus der Reimannschen Bibliothek R 259 (27) = 535886; SB Berlin Ee 525-4 (2)). Des weiteren: Tobiae Scvlteti Poetae Laureati, Strenae. Ad Iacobvm Monavivm V. Nob. & Clariss. Argentorati, Excudebat Antonius Bertramus M.D.XCV. (Ex. in der BNU Strasbourg, R 102.445. Vf. ist Mme Levy verpflichtet für den 1989 erfolgten Hinweis auf den Titel und seine Verfilmung.) Weitere Exemplare in der Staatsbibliothek zu Berlin (Xd 9603 (2)) sowie in der BU Wrocław (8 N 1528/3 = 372542 und 8 B 7736/2 = 312727* u.ö.). Es handelt sich wiederum um in ›Tetras‹ gegliederte Epigramme. In jeder der drei Abteilungen findet sich je ein hebräischer, griechischer, lateinischer und französischer Beitrag. Tetras I: ›In qua Anagrammatismi quatuor linguarum in Nomen Iacobi Monauij‹, Tetras Secunda: ›In qua Insignia Monauij earundem Linguarum Epigrammatis celebrantur‹, Tetras Tertia: ›In qua Epigrammata earundem Linguarum in Symbolum Monauij.‹ Die Epigramme sind auch eingegangen in Monaus Sammlung zum Motto ›Symbolvm IPSE FACIET‹ (Görlitz: Rambau 1595). Hier gibt es S. 204 ff. einen ›Appendix Ad Tres De Symbolo Carminvm Libellos‹, in dem sich – neben Beiträgen von Utenhove – auch Scultetus’ Epigramme für Monau wieder abgedruckt finden (S. 224–230). Vgl. auch die entsprechenden Angaben im Anhang. Die Widmung des vierten Teils gilt also nicht Andreas Pflug, wie Koch: Böhmische Edelleute (Anm. 80) fälschlich S. 31 schreibt. Der erste Adressat in dem wieder durchgehend an Personen gerichteten Gedicht-Zyklus ist Christoph Pflug. Ihm, im Begriff nach Italien aufzubrechen, hat Scultetus ein eigenes Abschiedsgedicht gewidmet. Vgl. Tobiae Scvlteti Ossitiensis, Melos Apopempticon; Ad Nobile Par Amicorvm, Christophorvm Pflvgivm; Equit. Misn. Petrvm Ivgertvm Hambvrg. Saxon. Juvenes Genere & Genio; Virtute & Eruditione Nobil. Euntes in Italiam Magnam studiorum Matrem. Acceßit ad eundem Iugertum Jani Kotteritii Equ. Sax. Carmen. Heidelbergae, Apud Abrahamum Smesmannum. M.D.XCIV. (Ex. SB Berlin Ee 525-4 (1)). Dem Vater der Gebrüder widmete Scultetus 1589 eine Trauerschrift. Vgl. Exeqviae Christophoro Pflvgio, In Mavsitz, & Electorali In Vrbe Qvedlinbvrga Praesidi, Viro Longe Nobiliss. Et Fortiss. VIII. Febrvarii Die Hvivs XIC. Anni Pie Defvncto Habitae. Avctore M. Tobia Sculteto Oßitiensi. Impressae Lipsiae, Typis Abrahami Lambergi. Anno M.D.LXXXIX. (Ex. SB Berlin Ee 551-2, sowie Xc 563R (50)). Die auf Bitten seiner Schützlinge zustandegekommene Schrift ist Johannes Löser in Pretzsch, ›Haereditario Saxonici Electoris Mareschallo, Dn. & Patrono suo plu-

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Schon kurze Zeit zuvor, im Januar des Jahres 1595, hatte Scultetus in Straßburg einen Panegyrikus Vlysses: Seu Parua Odyssea vorgetragen, den er den ______ rimum colendo‹, gewidmet. Scultetus hat sich auch in diesem Fall zu einem umfänglichen Werk in elegischen Distichen veranlaßt gesehen. Es wird beschlossen mit einem Epitaph sowie mit acht Distichen auf das Wappen der Familie. Zu dem Geschlecht von Burghaus vgl. Sinapius: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung (Anm. 19), S. 10–19, Zweite Vorstellung, S. 50 f. Die grundlegende Darstellung ist im Status eines Manuskripts verblieben, das sich in der BU Wrocław erhalten hat. Vgl. ›Martini Hankii de Imperii Romani Comitibus Burghausiis Opus Historicum‹ (R 740). Auch in Hankes handschriftlichen ›Vitae Silesiorum‹ (R 2664) findet sich sowohl ein Eintrag zu dem 1619 verstorbenen Nikolaus von Burghaus (S. 264) wie zu Sigismund von Burghaus (S. 281–282 mit dem Zusatz ›Sigism. fil.‹). Ein weiterer Eintrag zu letzterem auch in einer Abschrift an gleicher Stelle (mit zweiter Paginierung), S. 395–396. Eine Fortsetzung des Hankeschen Werkes lieferte Christian Gottfried Klose. Auch sie verblieb im Status der Handschrift (R 590). Ein wichtiger Eintrag auch in Henels ›Silesia Togata‹ (R 570; Anm. 21). Hier S. 115– 119 zu Sigismund von Burghaus d.Ä., S. 190–192 zu Nikolaus von Burghaus, S. 308–312 zu Sigismund von Burghaus. Darauf fußend der Eintrag von Henel in der Fibigerschen Version der ›Silesiographia Renovata‹ (Anm. 10), Bd. II, S. 344–354. Vgl. auch die Einträge in J.H. Cunrad: Silesia Togata (Anm. 15), S. 32 f. Auch in Henels ›Decas Elogiorum Silesiacorum Prima [–] Decima‹ (R 2155a) spielt der Name der Burghaus wiederholt hinein. In der zweiten Dekade wird Sigismund von Burghaus bedichtet; die zehnte ist Nikolaus von Burghaus d.Ä. (›Patrono suo clementi‹) gewidmet. Vgl. die näheren Angaben im Anhang. Die Bildungsgeschichte des Geschlechts ist bekanntlich auch mit jener der Hoffmannswaldaus verknüpft. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus Vater Johann wurde wie Scultetus für Erzieherdienste engagiert, und zwar für Nikolaus III. von Burghaus. Zu diesem Kapitel vgl. den vorzüglich aus den Quellen gearbeiteten Bericht zur Geschichte des Geschlechts in Schlesien von Lothar Noack: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616–1679). Leben und Werk.- Tübingen: Niemeyer 1999 (= Frühe Neuzeit; 51), S. 12 ff. mit einem ergiebigen Apparat. Hier S. 14 f. der Hinweis auf die peregrinatio academica von Nikolaus (III.) mit Johann Hoffmann und über Nikolaus II. sowie über die Brüder Sigismund und Franziskus von Burghaus in Siena. Nikolaus II., der 1587 in der Matrikel der Deutschen Nation zu Siena zeichnete, wurde 1611 zum Präsidenten der Kammer für Ober- und Niederschlesien bestellt. Kein Geringerer als Henel hat ihm ein Porträt gewidmet, wie man es aus seiner Feder in gedruckter Form eben auch gerne für Scultetus gesehen hätte: Burghausio-Mnema, Hoc Est, Laudatio Posthuma [...] Dn. Nicolai Lib. Baronis De Bvrckhavs, Et Stoltz [...].- Brieg: Gründer 1632 (BU Wrocław 437387; 557951). Die Bedeutung des Werkes spiegelt sich in den Zuschriften: Jakob Schickfuß, Christoph Rössler, Caspar Cunrad, Johannes Neomenius und Christopherus Colerus gratulieren. Im Anhang versammelt sich die gesamte nobilitas literaria Schlesiens zur Bekundung von Trauer, darunter auch Opitz (»Quod rerum Annales, quod libri mille loquuntur,«). Das Henelsche Werk ist seinerseits dem Sohn, Nikolaus III., gewidmet. Als dieser 1632 zum Landeshauptmann des Münsterbergischen Fürstentums und Frankensteinischen Weichbilds erhoben wurde, gratulierte wiederum kein Geringerer als Opitz, der schon zu der Schrift Henels acht Distichen beigetragen hat-

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polnischen Edelleuten und Brüdern Wenzel und Raphael Leszczyński widmete.95 Reisejahre Bevor die Amtspflichten auf Scultetus zukamen, standen ihm noch ausgedehnte Reisen bevor, von denen die Literatur bislang keine Kenntnis gibt, die jedoch in gewissem Umfang über Matrikel-Einträge, briefliche Zeugnisse und nicht zuletzt die Opitzsche Dichtung selbst zu rekonstruieren sind. Während Opitz und andere Dichter des 17. Jahrhunderts allenfalls noch die Niederlande besuchen konnten, schloß sich für Scultetus – genau wie später ––––––

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te (Bl. R1v–R2r). Vgl. Inauguratio Perillvstris Dn. Dn. Nicolai Baronis A Burghaus & Stoltz; [...] Ad Ducatus Monsterbergici & Territorii Francosteinensis Praefecturam, Auctore Martino Opitio. [Kolophon:] Gedruckt zu Breßlaw durch Georgium Bauman Jm Jahr 1632 (507764; 535156). So führt auch über die Burghaus und Stoltz ein wichtiger Pfad in die ungeschriebene Geschichte der deutschen Literatur Schlesiens im Zusammenspiel von Fürstentum, Adel und Gelehrtenschaft im Zeitalter des Späthumanismus. Vgl. Tobiae Scvlteti P.C. Vlysses: Seu Parua Odyssea: Peregrinationis Adeoqve Totivs Vitae Hvmanae Specvlvm. Panegyricus: Avgvstae Trebocorvm In Conuentu Academico habitus, Anno M.D.XCV. M. Ianuario. Argentorati Excudebat Antonius Bertramus MDXCV. (BU Wrocław 444456a; SB Berlin Bibl. Diez 8° 826). Eine kommentierte Edition mit deutscher Übersetzung wird von Christina Meckelnborg und Bernd Schneider (Osnabrück) vorbereitet. Einer der beiden Gratulanten anläßlich des Erscheinens des Werkes ist Christopherus Colerus mit einem zweizeiligen Epigramm, das am Ende des Textes plaziert ist. In der Vorrede nimmt Scultetus Bezug auf eine thematisch verwandte Arbeit seines Freundes und Reisegefährten Sigismund von Burghaus, die zur gleichen Zeit in akademischer Façon an der Straßburger Hohen Schule dasjenige behandelt habe, was er selbst in poetischer mit dem Vlysses versuchte. Auf dem Titelblatt wird dieser Bezug gleichfalls hergestellt und auf den nachfolgenden Druck verwiesen. Es handelt sich offenkundig um eine Gemeinschaftsarbeit. Vgl. Sigismvndi à Bvrckhavs in Stoltz, & Equitis Silesij. Oratio De Peregrinatione, In Qva Multa praeclara, de illa rectè & vtiliter Homini Praesertim Nobili instituenda. Habita in Publico Argentinensis Academiae conuentu. Anno M.D. XCV. M. Ianuario. Adjunctus est ob argumenti similitudinem Tobiae Scvlteti P.C. Vlysses, Peregrinationis Speculum: Ita tamen, vt separatim etiam ista haberi poßint. Argentorati Excudebat Antonius Bertramus. M.D.XCV. (BU Wrocław 444456). Vgl. Erman-Horn I, 7732. Dort auch weitere Drucknachweise. Das Werk ist u.a. Nikolaus II. von Burghaus gewidmet. Schede Melissus hat es sich nicht nehmen lassen, ein ›Melos Ad Sigismundum à Burghaus Nob. Silesium Peregrinantem‹ beizusteuern. – Zu den Widmungsempfängern, den Gebrüdern Leszczyński, vgl. Polski słownik biograficzny XVII (1972), S. 135–139, S. 147–149, sowie Estreicher XXI (1906), S. 210 f. Sie sind im übrigen dem Opitz-Leser aus seinen letzten Thorner und Danziger Jahren nicht unbekannt.

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für Henel, Cunrad und Dornau – nach seinem Aufenthalt im Südwesten eine Reise in die Schweiz, nach Italien, Frankreich und Spanien an, die ihm zweifellos sein Schützling Sigismund von Burghaus ermöglichte. Im März bzw. April 1595 und bis in den Mai hinein finden wir die beiden im Herzen des europäischen Calvinismus an der Genfer Akademie eingeschrieben.96 Théodore de Bèze hatte selbst die Empfehlung an die Pfarrerschaft in Schaffhausen ausgesprochen. Burghaus hat hier zugleich seine Ausbildung als Assessor am Königlichen Gerichtshof vervollständigt. Die Rückreise von Genf nach Schlesien nahm Scultetus – wie durch Kaspar Schoppe bezeugt – über Ingolstadt, wohingegen nicht bekannt ist, welche Umstände Scultetus und Burghaus 1596 nach Köln geführt haben.97 Noch vor seinem Aufbruch nach –––––– 96

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Le Livre du Recteur de l’Académie de Genève (1559–1878). Publié sous la direction de Sven Stelling-Michaud. Bd. II: Notices biographiques des étudiants A–C. Rédigées par Suzanne Stelling-Michaud.- Genève: Droz 1966 (= Travaux d’Humanisme et Renaissance; 33,2), S. 379 zu Sigismund von Burghaus (Matrikel-Nummer 1369.17), mit dem Zusatz: »Avec son précept. Tobias Scultetus (1336), recommandé par Th. de Bèze aux past. de Schaffhouse 18/28 mai 1595. Assess. au Trib. de la cour royale.«; Bd. V: Notices biographiques des étudiants N–S.- Genève: Droz 1976 (= Travaux d’Humanisme et Renaissance; 33,5), S. 540 zu Scultetus (MatrikelNummer 1336), mit dem Zusatz »précept. de Sig. v. Burghauss. (1369.17). Inscr. L.[iber] a.[micorum] Chr. Noviomagus [Nummer 1310 in der Genfer Matrikel] 11 mai 1595.« Der hier erwähnte Stammbucheintrag unter Verweis auf: Åke Davidsson: Några Stamböcker i Lunds Universitetsbibliotek.- In: Nordisk Tidskrift för bok- och biblioteksväsen 55, Nummer 2 (1968), S. 33–58. Hier S. 39–41 der Hinweis auf Noviomagus und sein Stammbuch. Der Eintrag von Scultetus – einer Mitteilung Vello Helks in der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen folgend – hier Blatt 95r+v. Christian Noviomagus stieg später zum Hofprediger des dänischen Königs auf. Vgl. Le Livre du Recteur V, 35 (Matrikelnummer 1310). Die hervorragend gearbeitete Matrikel gibt einschlägige Literaturangaben und Matrikelverweise. Der – dem Baseler Matrikel-Eintrag (Anm. 100) folgende – Verweis auf das ›Album Academiae Vitebergensis‹ mit dem Scultetus-Eintrag (s.o. Anm. 82) hier bezeichnenderweise ohne den Matrikel-Zusatz ›Reichenbachensis‹, der eben einem Namensvetter gilt, welcher ausdrücklich mit diesem Zusatz zeichnet. Vgl. etwa: Disticha Latino Germanica, In Evangelia Dominicalia & Festiualia totius anni, scripta à Tobia Scvlteto Reichenbachensi Silesio. [...] Vratislaviae, In Officina Typographica Georgii Bavmanni. Anno M.D.XCVI. (ULB Dresden Theol. ev. gen. 635m, misc. 12). Vgl. zum Genfer Aufenthalt auch die Briefe an Grynaeus vom 16. III., 26. III., 31. III. und 7. V. 1595 (UB Basel G II 10, S. 951 f., 867 f., 945 f., 865). – Ein möglicherweise von Scultetus selbst herrührendes Stammbuch konnte leider nicht mehr untersucht werden. Vgl. Wolfgang Klose: Corpus Alborum Amicorum – CAAC – Beschreibendes Verzeichnis der Stammbücher des 16. Jahrhunderts.- Stuttgart: Hiersemann 1988 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 8), S. 159 f. Vgl. Kaspar Schoppe: Autobiographische Texte und Briefe. Bd. I. Teilbd. 1–2. In Zusammenarbeit mit Ursula Jaitner-Hahner und Johann Ramminger bearb. von Klaus Jaitner.- München: Beck 2004 (= Bayerische Gelehrtenkorrespondenz; 2).

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Italien hat sich Scultetus im Umkreis von Burghaus und Johann Matthäus Wacker von Wackenfels in Prag aufgehalten.98 Im Januar 1599 war Scultetus zum Studium der Rechte in Padua eingeschrieben.99 Den Doktorhut beider ––––––

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Hier S. 244–247 der einschlägige Passus über Schoppes Ingolstädter Zeit in den Jahren 1595 und 1596 sowie seine Begegnung mit von Burghaus und Scultetus. Vgl. auch Frank-Rutger Hausmann: Zwischen Autobiographie und Biographie. Jugend und Ausbildung des Fränkisch-Oberpfälzer Philologen und Kontroverstheologen Kaspar Schoppe (1576–1649).- Würzburg: Königshausen & Neumann 1995, S. 85 ff. mit einem wichtigen Zeugnis Schoppes über Scultetus, S. 87 ff. Zum Kölner Aufenthalt vgl. Koch: Böhmische Edelleute (Anm. 80): »Im Jahre 1596 oder 1597 weilte Scultet mit seinem Sigismund von Burghaus in Köln. Von dort schrieb er an den jungen in Ingolstadt studierenden, aber durch seine Kritik altklassischer Texte bereits rühmlich bekannten Philologen Kaspar Schoppe oder Scioppius, den er vielleicht schon in Heidelberg kennen gelernt hatte, und dieser antwortete mit der Verbesserung einer Plautus-Stelle. Bald darauf, und zwar noch 1597, brachte er in Prag diesen seinen Freund mit dem Mäcen humanistischer Gelehrten, dem Kaiserlichen Rate Johann Matthäus Wacker von Wackenfels, zusammen und war so die Veranlassung, dass Scioppius im Jahre darauf den Rat Wacker auf seiner Gesandtschaftsreise an den päpstlichen Hof begleiten durfte. Ob Scultet von Wacker gefördert schon in Prag die Beamtenlaufbahn angetreten hat, ob erst in Schlesien, wo er sich der Gunst der Burghausischen Familie erfreuen durfte, vermag ich nicht zu sagen.« (S. 31 f.). Der Aufenthalt von Scultetus in Köln auch belegt durch den Brief an Grynaeus vom 26. IX. 1596 (UB Basel G II 10, S. 949 f.). Vorher hatte er sich u.a. in Straßburg (9. VII. 1595; G I 47, Bl. 27r+v) und in Augsburg aufgehalten (12. VIII. 1595; G I 47, Bl. 28r+v, beide Briefe gerichtet an Johann Jakob Rüeger). Von Köln führte der Weg dann über Nürnberg und durch Böhmen zurück nach Schlesien, wo Scultetus mit seinem Schützling im Oktober 1595 auf dem Sitz der Burghaus anlangte (Brief an Grynaeus vom 6. III. 1596; G II 10, S. 873 f. In diesem Brief auch die Ankündigung der Reise nach Köln ohne nähere Angabe von Beweggründen). Ob der über Schoppe bezeugte Aufenthalt von Scultetus in Ingolstadt vor oder nach dem in Köln fiel, muß offen bleiben. Natürlich ist Scultetus in der Ingolstädter Matrikel nicht bezeugt. Vgl. Hausmann: Zwischen Autobiographie und Biographie, S. 86 ff. Die Erwägung einer möglichen Konversion von Scultetus (Hausmann, S. 87) ist mit Gewißheit auszuschließen. Vgl. auch den an Scultetus gerichteten Brief von Schoppe in den ›Suspectarum Lectionum Libri Quinque‹ (Amsterdam: Pluymer 1664), S. 166–169. Der Kreis um Scultetus – Sigismund von Burghaus, Christoph Pflugk, Christoph von Kreckwitz etc. – wird auch von Schoppe bedacht. Die Beziehungen zwischen ihm und Scultetus bedürften einer eingehenderen Untersuchung. Vgl. Hausmann (Anm. 97), S. 117 und S. 152 f.; Schoppe: Autobiographische Texte und Briefe (Anm. 97), S. 31 f., S. 252 f. Vgl. ›Matricula germanorum Juridicae Facultatis Patavii‹, Nr. 259. Ms. 459 im ›Archivio dell’ Università di Padova‹. Der Nachweis bei Stelling-Michaud im Livre du Recteur V, 540 (vgl. Anm. 96). Vgl. jetzt auch Claudia A. Zonta: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte.- Köln [etc.]: Böhlau 2004 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte; 10). Hier S. 116 der entsprechende Eintrag. Vgl. auch das ›Biogramm‹, S. 400.

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Rechte holte auch er sich im Oktober 1599 in Basel.100 Daraufhin ging es über Verona in die Toskana.101 Im April 1600 finden wir Scultetus mit den beiden Brüdern von Burghaus wieder zusammen in Siena.102 Des weiteren wurden in Italien u.a. Genua, Venedig und Rom besucht.103 Der Fortgang der Reise ist gleichermaßen postalisch wie auch über die Opitzsche Ekloge selbst zu verfolgen.104 Die Route führte u.a. über Orange, Avignon und Arles nach Marseille. Von dort wurde der Übergang nach Spanien vollzogen. Hier führte der Weg u.a. nach Valencia und Madrid, Toledo und Pamplona sowie zurück über Kastilien und Aragón. Die letzte Station bildete Frankreich, wo neben anderen Städten Limoges, Bordeaux und selbstverständlich Paris besucht wurden. Der vorletzte Brief an den großen Reformator Johann Jakob Grynaeus, dem wir die vorliegenden Daten entnahmen, rührt eben her aus Paris.105

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Vgl.: Die Matrikel der Universität Basel. Hrsg. von Hans Georg Wackernagel unter Mitarbeit von Marc Sieber und Hans Sutter. Bd. II: 1532/33–1600/01.- Basel: Verlag der Universitätsbibliothek 1956, S. 483 (Nr. 53): ›Tobias Scultetus Misnus, philosophiae magister et poeta coronatus‹, mit dem Eintrag: ›In Basel: 1599 23. X. dr. iur. utr.‹. Seine Dissertation hat sich – außer in Berlin (Fi 144 (2)) – auch in Basel selbst in der Universitätsbibliothek erhalten: Theorematvm In Iure Controversorum, Pentades X. [...] proponit Tobias Scvltetvs Ossitiensis Ph. M. Et P.C. In aula Iuridica Ad diem XXII. Octobris. Basilieae, Typis Conradi Waldkirchii M D XCIX. (Le Livre du Recteur V, 540: Akad. Kat. et Diss. 209, nr. 65). Ich danke Dr. Martin Steinmann für den seinerzeitigen Hinweis ebenso wie für den Nachweis von 13 Briefen des Scultetus an Johann Jakob Grynaeus aus den Jahren 1595–1602 sowie zwei weitere an Johann Jakob Rüeger aus dem Jahr 1595 (Brief vom 4. August 1989). Erlaubt sei nochmals der Hinweis auf den Auszug aus Scultetus’ ›Tractatus de fisco‹ bei Henel: Silesiographia Renovata (Anm. 10), Bd. II, S. 1205–1209. Vgl. den entsprechenden Brief aus Verona vom 5. I. 1600 (G II 48, Bl. 122–128). Vgl.: Die Matrikel der Deutschen Nation in Siena (1573–1738). Hrsg. und erläutert von Fritz Weigle. Bd. I–II.- Tübingen: Niemeyer 1962 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; 22. 23), Bd. I, S. 149, Matrikel-Nummer 3124. Unter den Nummern 3122 und 3123 finden sich Sigismund und Franz von Burghaus eingetragen, unter den Nummern 3097 und 3098 Friedrich und Sigismund von Bock. Christoph Pflug ist unter der Nummer 3321 nachgewiesen, Tessen von Parsow unter der Nummer 2930. Vgl. zum Kontext auch die oben Anm. 94 zitierte Arbeit von Lothar Noack, S. 14 f. Vgl. Brief an Grynaeus aus Lyon vom 12. X. 1600 (G II 10, S. 869 f.). Vgl. Brief an Grynaeus vom 27. III. 1601 aus Paris (G II 10, S. 935–938). Vgl. den Anm. 104 erwähnten Brief vom 27. III. 1601. Dem Brief ist auch zu entnehmen, daß eine Weiterreise nach Belgien und England geplant war. Zeugnisse dafür liegen bislang nicht vor.

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An der Schwelle zur Katastrophe Wann Scultetus den Rückweg in die Heimat angetreten hat, ist nicht bekannt. Die Folge der mit Grynaeus gewechselten Briefe endet am 12. März 1602.106 Am 10. Juni 1608 heiratete er Catharina, die Tochter des Hieronymus Treutler von Kroschwitz, und seither ist sein Wirkungs- und Freundeskreis über das reichlich bezeugte schlesische Kasualschrifttum im einzelnen erschließbar, ohne daß an dieser Stelle eine entsprechende Dokumentation erfolgen kann.107 –––––– 106

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Der Brief in der Sammlung Frey-Grynaeus unter G II 10, S. 1057 f. Der Brief lokalisiert und datiert ›Ex aula. XII. Martij ao 1602‹. Er dürfte folglich aus Prag herrühren. Schon in Leipzig ist Scultetus 1587 als Beiträger zu einer Hochzeitsschrift für Georg Winter und Katharina Clausbruch anzutreffen (Leipzig: Beyer 1587; BU Wrocław 425756). In Heidelberg ist er unter den Glückwünschenden anläßlich der Promotion von David Pareus (Heidelberg: Harnisch 1593; BU Wrocław 356388). Er zeichnet: ›ex Acad. Lipsiensi Magistri‹. Schon 1607 anläßlich der Hochzeit von Caspar Cunrad und Christiana Tilesius zeichnet er dann – gleich im Anschluß an Konrad Rittershusius! – als ›JC. S.C. Majest. Consiliarius, Regiique; Fisci per Inferiorem Silesiam Advocatus.‹ (Glogau: Funk; BU Wrocław 360052). Im Beuthener Kreis um Georg von Schönaich, Dornau und Exner ist Scultetus ständig präsent. Seine Zuschriften zu den Werken Dornaus findet man bei Seidel aufgeführt. Zu den letzten Beiträgen gehören seine Trauerschrift für Georg von Schönaich (BU Wrocław R 244/40 = 426434); vgl. oben Anm. 19) und sein Epithalamium für den Freund Henel anläßlich von dessen Heirat mit Anna Partsch im Jahr 1619 (Breslau: Baumann; BU Wrocław 545933; 545934 u.ö.) – beide aus dem Jahr 1619, dem letzten vor seinem Tod. Nun nimmt sich sein Kurzporträt in der Zuschrift für Henel wie folgt aus: Tobias de Schvvanensehe & Bregoschitz; cognomento SCVLTETVS, Hereditarius in Hirschfelda: II. Augustiß. Caes. Consiliar. & Commiß. Comes Sacri Palatii: Regii per Silesiam & Lusatiam Inferior. Fisci Patron. & ICtus. Auch als selbständiger Verfasser (und nicht nur als Beiträger) erscheint er gelegentlich, so mit einem Epigramm auf einem Einblattdruck zur Hochzeit des Görlitzer Syndikus Gottfried Glich von Milziz mit Dorothea Wendler im Jahr 1615 (Görlitz: Rambau 1615; BU Wrocław, seinerzeit noch unkatalogisiert. Ein weiteres Exemplar im Nationalmuseum zu Prag (10 A 55)). Oder – gleichfalls in Gestalt eines Einblattdrucks – mit einem Threnus für Peter Titz, den Beuthener Pastor und Professor für Theologie am Beuthener Gymnasium, dem wir eingangs bereits begegneten (Beuthen: Dörffer o.J.; BU Wrocław 444130). Sein Gewicht kommt aber auch darin zum Ausdruck, daß er 1612 ein Prosphonematum für Georg Rudolf von Zedlitz mit einer großen Prosazuschrift und einem Epigramm auf das Wappen der Familie eröffnet. Später ist er mit einem bukolischen ›Eidyllion‹, betitelt ›Alphesiboeus‹, einer Horaz-Parodie und einem ›Elegeidion‹ präsent. Möglicherweise geht auch noch der Vierzeiler zum Emblem ›Ne Pungant‹ auf ihn zurück. Im übrigen sind die späteren Beuthener Gymnasiasten reich vertreten (Glogau: Funk 1612; BU Wrocław 4 F 435 = 358524).

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Im Jahre 1611 war er Kaiserl. Rat und Kammerfiskal in Schlesien. Den in diesem Jahre in Breslau zur Huldigung einziehenden Kaiser Matthias begrüsste er mit einem lateinischen Gedichte ›Acclamationes votivae‹, auf dessen Titelblatte er sich ›Tobias Scultetus von Bregoschitz und Schwanensee, Comes Sacri Palatii‹ nannte. Er besass also die Würde eines Kaiserl. Pfalzgrafen und damit das Recht andere mit dem dichterischen Lorbeer zu schmücken.108

Scultetus hat seine Dienste der böhmischen Krone gegenüber auch noch dem jungen Friedrich V. von der Pfalz angedeihen lassen können. Nach dem glänzenden Huldigungszug durch Breslau, der langgehegte Sehnsüchte der reformierten Intelligenz in der schlesischen Hauptstadt endlich stillte, gedachte der König auch die Huldigung der lausitzischen Stände noch entgegenzunehmen.109 Doch die Prager Bedrohung zeichnete sich nach dem –––––– 108

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Koch: Böhmische Edelleute (Anm. 80), S. 32. Vgl. Acclamationes Votivae in publicâ Silesiae laetitiâ, Sub Adventum Sereniss. Ac Potentiss. Principis ac Domini Dn. Matthiae Secundi, Hungariae Et Bohemiae Regis, [...] Domini nostri Clementiss. Qvi Ingressus est Vratislaviam Silesiae Metropolin a.d. XVIII. VIIbris, Anno MatthIâ SeCVnDo gVbernante. Vratislaviae, Sub incude Typographicâ Baumanniana. Anno, DeVs nobIsCVM. [1611] (BU Wrocław 426979 und 537625; ersteres Exemplar aus der Reimannschen Bibliothek R 259 (18), gefolgt von handschriftlichen ›Epigrammata Gratulatoria‹ zum gleichen Anlaß von Melchior Agricola, letzteres aus der Bernhardiner Bibliothek 4W 114/5). Vgl. auch die Nachweise im Wendtschen ›Katalog der Druckschriften über die Stadt Breslau‹ (Breslau: Morgenstern 1903), S. 3, wo auch die anderweitigen poetischen Huldigungen aufgeführt sind. Hier der Nachweis für die beiden Exemplare im heutigen Schlesisch-Lausitzischen Kabinett Yb 25/6, Yb 26/6. Ein weiteres Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin, Xc 528 (21). Das kleine Werk ist Abraham von Dohna gewidmet. Scultetus zeichnet am Ende der vier ›Acclamationes‹ als ›Tobias Scultetus De Bregoschitz & Schvvanensehe, ICtus. S. Caesariae, Regiaeque in Hungariâ & Bohemiâ Majestatis Consiliarius, Fiscique Regii per Silesiam & Lusatiam Inferiorem Patronus, Comes Sacri Palatii.‹ Scultetus’ Tätigkeit als Kaiserlicher Pfalzgraf bedürfte einer eingehenden Untersuchung. Ein erster Hinweis dazu bei Pfotenhauer: Schlesier als kaiserliche Pfalzgrafen (Anm. 26), S. 347 mit dem Eintrag zu Scultetus und dem Hinweis auf Personalpapiere zu Scultetus im Breslauer Staatsarchiv sowie die Dichterkrönung von Abraham Paritius im Jahr 1614. Vgl. zu letzterem Ereignis die ›Votivae Amicorum Acclamationes‹ (Oels: Bössemesser (1614)), die sich in der BU Wrocław erhalten haben (547996). Natürlich handelt es sich nur um eine von mehreren Krönungen, die Scultetus vornahm. Vgl. etwa oben die Anm. 30 zu Aschenborn. Vgl. jetzt fortlaufend auch die Nachweise im Osnabrücker Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums sowie Flood (Anm. 26). Vgl. Karl Bruchmann: Die Huldigungsfahrt König Friedrichs I. von Böhmen (des ›Winterkönigs‹) nach Mähren und Schlesien.- Breslau: Hirt 1909 (= Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte; 9). Zu den Flugschriften, die dem Ereignis gewidmet wurden, vgl. ders.: Die auf den ersten Aufenthalt des Winterkönigs in Breslau bezüglichen Flugschriften der Breslauer Stadtbibliothek.- Progr. WilhelmsGymnasium Breslau 1904/05. Scultetus hat sich an diesen Huldigungen nicht mehr

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Einfall der Truppen Bucquoys bereits ab. Über Görlitz und Zittau eilte er nach Böhmen zurück. Friedrich mußte seine Getreuen mit der Aufgabe betrauen, die Huldigung stellvertretend entgegenzunehmen. Unter den derart Ausgezeichneten befand sich auch Scultetus. Und solcher Gestalt ist erwehntem König Fridrico, wegen der darzwischen kommenden Hindernisse, in Ober = Lausitz gar nicht specialiter gehuldiget, in Nieder = Lausitz aber seine Commissarii Philipp und Heinrich Grafen von Solms, Gottfried Kerck und Tobias Scultetus von Schwansee, nach ausgestelltem Revers die Huldigung abgenommen worden.110

Es war einer der letzten Dienste, die er seinem jungen Herrn erweisen durfte. Ihm blieb es erspart, die Prager Katastrophe zu erleben, die die schlesischpfälzische Gelehrten- und Dichterschaft des Späthumanismus ins Herz traf. Am 26. April, ein halbes Jahr vor der über alles entscheidenden Schlacht am Weißen Berg, starb er in seiner Wahlheimat Breslau.111 Rahmen der Ekloge Wir kehren zurück zur ›Daphnis Ecloga‹. Opitz hat darauf verzichtet, ein einleitendes bukolisches Szenarium zu entwerfen. Der Hirte Iolas hat keinen Partner. Er singt allein. Der Preis des Sängers und seines Gesangs, in der dialogischen Ekloge stets dem Gegenüber anvertraut, muß hier unterbleiben oder in den Gesang selbst integriert werden. Der Erzähler gestaltet einzig in den einleitenden fünf und den abschließenden drei Versen den bukolischen Rahmen. Er beschränkt sich auf Ort und Zeit und Namen; selbst die genaue pastorale Spezifizierung des Sängers bleibt offen und darf offen bleiben, denn um so enger ist seine Verwandtschaft mit dem Dichter. Der Ort der Ekloge bestimmt sich in der Gelegenheitsdichtung so gut wie immer durch den Gefeierten. Das Schloß ›Bellaquimontium‹ des Tobias von Schwanensee und Bregoschitz liegt an der Oder in Beuthen. Der Dichter fügt als pastorale Reminiszenz die schattenspendende Eiche hinzu. Im Schatten der Eiche hatte Daphnis bereits im Eingang zu Vergils siebter Ekloge geruht (VII, 1). ––––––

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beteiligt. Er stand in den diplomatischen Diensten des Winterkönigs. So fehlt sein Name unter der illustren Schar bei Wendt und Bruchmann, die durchgängig heranzuziehen sind. Das gesamte Flugschrifttum ist in Osnabrück auf Mikrofilm und in Kopie verfügbar. Samuel Grosser: Lausitzische Merckwürdigkeiten. Teil I–V.- Leipzig, Bautzen: Richter 1714, Teil I, S. 229. Eine Leichenpredigt oder eine sonstige umfassendere Funeralschrift ist nicht bekannt. Von Ambrosius Schneeweiss liegt ein Epicedium vor, das in Glogau bei Funck erschien (SB Berlin Xc 516 (7)). Falls es bei dieser Fehlanzeige bleiben sollte, dürften vor allem die politischen Ereignisse des Jahres 1620 in Anschlag zu bringen sein.

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Baum und Wasser sorgen nicht nur für die willkommene Kühlung, sondern auch für die liebliche Unterhaltung des Ohrs. Die Umgrenzung des amönen Lustorts übernimmt der Bergrücken. Was in der Versekloge denkbar knapp und umrißhaft bleibt, wird in der von Opitz geschaffenen Prosaekloge in Dutzenden von Gattungsexemplaren zu detailgesättigten, lokalspezifischen, ›realistischen‹ Ortsschilderungen ausgebaut – die Schäferdichtung als literarischer Prototyp frühneuzeitlicher Landschaftsgestaltung. Daß sich die Kunst des Pastoraldichters darüber hinaus in der Gestaltung der Schlußverse beweisen mußte, war seit Vergils erster Ekloge mit dem eindrucksvollen, über die Jahrhunderte bewahrten Abendbild allen die Gattung pflegenden Dichtern bewußt. Dem jungen Opitz ist hier eine besonders zarte abschließende Wendung gelungen. Geschicke der Hirtenflöte Der Daphnis-Text selbst ist in zwei kürzere rahmenähnliche und sprecherbezogene Passagen sowie eine zentrale um den Adressaten kreisende Mittelpartie gegliedert. Die Einführung des Sängers Iolas ist an das Schicksal seiner Hirtenflöte geknüpft, die er dem Gefeierten überreicht. Bislang fehlt eine Geschichte der Hirtenflöten-Symbolik und -Semantik in der europäischen Pastoraldichtung. Theokrit und Vergil hatten sie gerade auch mit ihren Daphnis-Stücken eröffnet, schon ihre antiken römischen Nachfolger hatten sie aufgenommen und die Florentiner Eklogendichter das Spiel fortgeführt. Der einflußreichste Dichter der neueren Bukolik, Sannazaro, nahm in seiner Arcadia die weitreichendste – weil Antike und Neuzeit kontaminierende – Adaptation vor. Opitz wäre nicht der Literaturstratege als den wir ihn kennen, wenn er die Chancen der pastoralen Genealogie nicht sogleich in seinem ersten Stück ergriffen hätte. Auf der Hirtenflöte des armen Hirtensängers Iolas hatte einst kein Geringerer als Tityrus geblasen. Mit Tityrus verband die gesamte europäische Pastoralgemeinschaft den glücklichen, von einem Gott beschenkten Hirten der ersten Ekloge Vergils und identifizierte ihn mit dem von Oktavian im Bürgerkrieg verschonten Dichter. Friedlich hatte er einst im Schatten einer Buche die geliebte Amaryllis besungen – eben jene, die Iolas dezent in Erinnerung zu bringen weiß. Auf dieser Flöte war der Gesang des Alexis in der zweiten Ekloge erklungen. Dieser Flöte war der von Theokrit überkommene Name Galateas wohlvertraut, vor allem die dritte und achte Ekloge hatten auf ihn angespielt und die neunte hatte Theokrit bewußt zitiert. Eben ihr hatte in der Vergilschen Daphnis-Ekloge der Hirt Menalcas Töne entlockt, die sich dem Kenner als Vergilsche Selbstzitate aus eben der Alexis-Ekloge und der Wettkampf-Ekloge mit der Gestalt Galateas zu erkennen gaben (V.

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85 ff.) – sie ging nun in der Daphnis-Ekloge Vergils aus Menalcas Hand in die des Mopsus über. Die Hirtenflöte aber war dem großen römischen Dichter schon von dem Sänger von Syrakus überkommen, der niemand anders ist als Theokrit. Mit der Hirtenflöte Vergils werden dem jungen, am Anfang seiner dichterischen Laufbahn stehenden Dichter also zugleich die Theokritschen Idyllen übereignet. So suchen in der Frühzeit der jeweiligen ›nationalen‹ Gattungsschöpfungen die Schäferdichter ihren Führungsanspruch durch den Rückbezug auf die antiken Archegeten zu begründen; Opitz macht da keine Ausnahme. Die Gattung war das selbstreferentielle poetische und poetologische Medium der europäischen Literatur par excellence. Da konnte es nicht Wunder nehmen, daß die Dichter ihre pastoralen Symbole zur dichterischen Selbstaufwertung hüteten und sorgfältig – das heißt variierend – ausbauten. Bescheidenheits-Topik und dichterischer Lebensentwurf Zur niederen Gattung gehört seit Vergil die Bescheidenheits-Topik. Auch Iolas entschuldigt sich bei dem berühmten Adressaten ob seiner geringen Gaben. Die Demut wird freilich sogleich aufgewogen durch die Vergil-Referenz. Zur Dialektik von stilus humilis und argumentum grande gehört der ständische Ausgleich über den schönen, preisenden, verewigenden Hirtengesang. Der Sänger ist der Erbe einer ärmlichen Herde, nämlich Abkömmling des kleinstädtischen zünftigen Bürgertums, und also weit unterhalb des Kaiserlichen Rates und Kammerfiskals, Pfalzgrafen und gekrönten Dichters angesiedelt. Ihm ziemt daher vorerst nur die vermeintlich anspruchslose ländliche Muse. Aber schon ist der Anspruch auf die hohe Form wie bei Vergil angemeldet. »Crescet ager mecum, [...]« (V. 26). Bereits drei Jahre später wird der junge Dichter ihn einlösen. Sein Trostgetichte ist ein Lehrgedicht gewiß, aber mit explizitem nationalem Vorwurf in geschichtlicher Tiefenperspektive und also von epischer Dignität. Der mittleren Gattung des ländlichen Lehrgedichts wird gleichfalls frühzeitig mit der Trias der Horaz- und Fischart-Paraphrase, insbesondere mit Zlatna und später dann mit Vielguet, Genüge getan. Dem bescheidenen pastoralen Erstling ist es vorbehalten, diesen Ausgriff in eine visionäre dichterische Zukunft vorzutragen und ihn zugleich mit dem versteckten pastoral verklausulierten Eigenlob zu verbinden. »Non indigna cano, [...]« (V. 30). Die anderen Hirten braucht dieser selbstbewußte Sänger nicht zu fürchten (womit zugleich die Geringschätzung der eigenen Produktion gegenüber der des Adressaten relativiert wird). Hyella gewährt ihm Zeichen ihrer Gunst. Der junge Dichter hat die Erstlinge seiner Liebespoesie bereits vorgelegt, und die arkadischen niederen Schutzgötter der Hirten und Sänger sind beifallspendend ebenso gegenwärtig, wie die

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Schafe und die Gottheiten des heiligen Waldes den römischen Begründer der Gattung ehemals bestaunt haben. Zufälle gibt es im Mikrokosmos der Ekloge nicht. Sie ist seit ihrem ersten Hervortreten im Hellenismus als antiepische Kleinform poetisch restlos durchgearbeitet. Scultetus Patronus So aufgewertet in der eigens dafür in der europäischen Literatur vorgesehenen Gattung darf der junge, fast namenlose ›niedere‹ Dichter den Kreis des splendiden Gönners betreten. »Sunt Musis, sunt et Phoebo mea carmina curae« (V. 35). Auch die Begegnung mit dem Patron steht noch im Zeichen Vergils und aller Humanisten, die sein Bild aufnahmen. Die Krähe auf der Eiche hat den Sänger Moeris in Vergils neunter Ekloge vor dem hereinbrechenden Kriegsvolk gewarnt und ihm sein Leben gerettet. Bei Opitz wird daraus ein glückbringender Rabe auf der Eiche, der den mittellosen Poeten zu dem Weg ermutigt. Im Schutz der höchsten Autoritäten vollzieht sich die Begegnung. Dornau dürfte den Kontakt vermittelt haben; so fehlt der Dank an Amyntas so wenig wie in Vergils fünfter Ekloge. Nimmt es noch Wunder, daß das bescheidene Ereignis im Leben des Dichters durch Vergil-Reminiszenzen erneut erhöht und stilisiert wird? Sie sind um so eher erlaubt, als sie nicht nur dem Sprecher, sondern immer zugleich auch dem Adressaten zugute kommen. So wie Tityrus im Schutze eines Gottes sich geborgen weiß, so entfaltet sich der junge Dichter unter der Obhut des poeta laureatus Scultetus als hilfreicher Gottheit; »tu nostrae concedis dulcia Musae | Otia« singt der Dichter in unüberhörbarer Anlehnung an Vergil. Und ist nicht in den »improba lappae | Semina [...] loliumque« (V. 47 ff.), die dieser mußevollen ländlichen Welt fern sein mögen, noch der Bezug zur unglückseligen Existenz des Meliboeus vernehmbar, involviert in Bürgerkrieg und Not? Entsprechend dürfte es mehr als ein Zufall sein, daß die erste, allein der Gestalt des Daphnis geltende Lobpreisung in wiederum Vergilscher Manier poetische und politische Wirklichkeit verschränkt. Die mäcenatische Sorge um den Gesang ist nicht zu trennen von der öffentlichen Verantwortung um das Vaterland. »Tu pastorales cantus et rustica verba | Aspicis his oculis, patriae quîs commoda nostrae | Collustrare soles, rebusque occurrere fessis.« (V. 50 ff.) Keine Generation war prädestinierter, dieser verschlüsselten Einzeichnung der politischen in die pastorale Welt bei Vergil gewahr zu werden als die späthumanistische Opitzianische um 1600 im Angesicht der konfessionspolitischen Bürgerkriege. Das patriotische wie das pazifistische Erbe Vergils hat sie daher in der Bukolik des 16. wie des 17. Jahrhunderts – neben den vor allem in den Bauernkriegen und dann im späten 18. Jahrhundert akzentuierten sozialkritischen Elementen – in seltener Eindringlichkeit

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aktualisiert. Auch der den Belangen des Vaterlandes wie den Musen zugewandte Daphnis des frühen Opitz steht dafür ein. Daphni o Daphni omnia clamant Erst danach wendet sich die Aufmerksamkeit dem Poeten Scultetus zu. Dichten in der Pastoralpoesie zu vergegenwärtigen heißt, den Dichter als Liebesdichter einzuführen. Ländliches Singen ist Singen von der Liebe. Diese Gleichsetzung gehört zu den Gattungskonventionen. Das flüchtigste Thema wird der niedersten Gattung zugeordnet. Daraus ein konstitutives Merkmal im Sinne einer materialen Gattungsbestimmung zu machen, geht nicht an. Jeder Kenner im Umkreis des Humanismus wußte, daß in der Gattung Schäferdichtung Themen anderer Observanz ihren genuinen Platz hatten. Die vermeintliche Beschränkung auf die amatoria reiht sich den gattungstypischen Bescheidenheitsfloskeln ein. Je reger ihr Gebrauch, um so größer die Lizenz, weit über den Bereich Amors auch in der Bukolik hinauszugehen. Die petrarkistische Liebessprache, wie die jungen Dichter um Opitz sie noch einmal probieren, schult sich an der vorangehenden Generation um Melissus. Scultetus gehört ihr zu, und Melissus selbst wie auch Gruter, Posthius und andere Späthumanisten haben dies in ihren Zuschriften zu Scultetus’ Sammlung seiner neulateinischen Gedichte bekundet. Damit dürften die feinsinnigen Anspielungen Opitzens hinlänglich verständlich sein. So wie der Vergilsche wird der Opitzsche Daphnis im und durch den Gesang unter die schweifenden Sterne des Himmels erhoben. Zum humanistischen Dichter- und Gelehrtenlob gehört die Vergegenwärtigung des Itinerariums. Opitzens Ekloge ist auch da eine ergiebige Quelle. Das Lob der Arkader, seit Vergil Zeichen höchster poetischer Würde, spezifiziert sich in der Ekloge vielfach lebensgeschichtlich. Am Tiber, an der Rhône, der Garonne und dem Tajo ist der Dichter ebenso gefeiert worden wie in Noordwijk und den Ufern des ›Benakischen Flusses‹, also am Mincio Vergils, der in den Gardasee mündet. Erst spät war Scultetus nach Schlesien zurückgekehrt und hatte sich 1615 sein Schloß an der Oder gebaut. So darf der Dichter die Rückkehr in die heimatlichen Gefilde als eine noch bevorstehende fingieren und als lebhaften Wunsch bekräftigen. Daß die Gefilde ringsum alsbald Züge der aetas aurea annehmen, gehört zu jenen Gesetzen panegyrischer Weiterbildung des Vergilschen Motivinventars, wie sie verbindlich war in der kasualen Adaptation der Gattung. Sie sollte kritischpoetologisch nicht überbewertet werden, zeigt doch auch das Opitzsche Beispiel, daß dem Dichter genügend Spielraum zur selbstgeprägten Formulierung im vorgegebenen Rahmen blieb. Natürlich ist ihm die Verwandtschaft des Daphnis mit Orpheus vertraut. Das Gesetz der Überbietung fordert, daß

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der Hirtenheros den mythischen Sänger noch übertrifft. Wenn der Gesang des Daphnis sich verdoppelt im Gesang der Vögel, so schafft der Dichter auf diese Weise zugleich den kunstvollen Übergang zur Philomela und damit zur ›Philotesia‹ des Scultetus, die das dritte Buch seiner Gedichte ausmachen. »Daphni ô Daphni omnia clamant« hatte es bei Vergil – Theokrit aufnehmend – geheißen, und bei Opitz tönt es als Huldigung des gefeierten Dichters wider. Das ›laudabile carmen‹ des ›grati Iolae‹ So wendet sich die Ekloge am Schluß zu dem Sprecher Iolas zurück. Jede Verrichtung ist in der bukolischen Welt allegorisiert – zum Kummer von selbsternannten Kritikern der Literatur im Zeichen von ›Erlebnis und Dichtung‹, zum Vorzug der Gattung, die ihre Offenheit, ihre nahezu unbegrenzte Fungibilität, ihre immer wieder bewährte Aktualität allein ihrem Allegorismus verdankt. Schlachtet der Dichter dem Gepriesenen ein Schaf, so wirkt darin erneut der Opferkult der ersten Ekloge und damit die Assoziation an Oktavian nach, die nun dem Gefeierten zugute kommt. Daß zugleich noch einmal die Anspielung auf das zukünftige Werk zur Geltung kommt, wird man vermuten dürfen. Hatte der kundige junge Dichter vorher die Parallele zu Orpheus anklingen lassen, so tritt nun die zu Dionysos über den Efeu hinzu, während der Lorbeer Daphnis-Apollon zugehört. Dem Dichter ist Gewißheit, was der Literaturstratege sein Leben lang wiederholen wird: Ist Daphnis in den Himmel erhoben, so wird hier auf Erden das »laudabile carmen« des »grati [...] Iolae« seinen Ruhm verewigen; das niedere Hirtengedicht ist dazu wahrlich nicht zu gering. »Te mea Musa canet; quamvis sit rustica, nullo | Per sylvas et rura tamen reticebitur aevo« (V. 94 f.). Theokrit und Vergil, Scultetus und Opitz eint die weitergereichte Hirtenflöte des Simichides der ›Thalysia‹. Der junge Dichter hat die vollkommene Beherrschung der zweitausendjährigen Gattung in seinem pastoralen Erstling unter Beweis gestellt. Sein Lebenswerk wird es sein, sie selbst und mit ihr den Formenkosmos der europäischen Literatur dem Deutschen anzuverwandeln.

Anhang Verzeichnis bio-bibliographischer handschriftlicher und gedruckter Hilfsmittel zur schlesischen Personenkunde der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Späthumanismus Die Vorbereitung der hier zum Abdruck gelangenden Abhandlung, breiter angelegten Opitz-Forschungen entstammend, ging in den achtziger Jahren einher mit gleichfalls umfassender betriebenen Recherchen zur schlesischen Personenkunde der Frühen Neuzeit mit Schwerpunkt im schlesischen Späthumanismus. Dank großzügiger Unterstützung des Bundesministeriums des Innern sowie der VolkswagenStiftung konnten frühzeitig einschlägige Bestände der Universitätsbibliothek Wrocław in Handschrift und Druck verfilmt werden. Diese Maßnahmen traten zu Anfang des Jahres 2000 in ein neues Stadium, als das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur dem Osnabrücker Frühneuzeit-Institut – einer Empfehlung der Wissenschaftlichen Kommission des Landes folgend – für den Zeitraum von fünf Jahren ungewöhnlich reichhaltige Mittel zur Fortführung dieser und verwandter Arbeiten gewährte. Es entstanden in Osnabrück eine Bibliothek und ein parallel geführtes Mikrofilm- und Aufsatzarchiv mit reichen Beständen aus Bibliotheken und Archiven des alten deutschen Sprachraums im Osten mit Schwerpunkten in Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen sowie dem Baltikum. Diese Regionen sind in den inzwischen vorliegenden 26 Bänden des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven (Verlag Olms-Weidmann, Hildesheim 2001 ff.) daher zunächst bevorzugt dokumentiert. Alle drei dem Osnabrücker Frühneuzeit-Institut angegliederten Institutionen bergen indes ein Vielfaches an weiteren Titeln, die auch thematisch weit über das kasuale Druckaufkommen hinausreichen und bevorzugt seltenes bzw. unikates Kleinschrifttum der Frühen Neuzeit umfassen. Es ist die Hoffnung des inzwischen emeritierten Gründungsdirektors, daß es längerfristig gelingt, die Schätze im Internet wohlerschlossen zugänglich zu machen. Sie rühren her von inzwischen fast ein halbes Jahrhundert währenden Bibliotheksreisen mit Schwerpunkt in Mittel- und Osteuropa einschließlich Rußlands bzw. der ehemaligen Sowjetunion. In Breslau selbst konnten die Forschungen und entsprechenden Mikroverfilmungen nach der Ausschöpfung einschlägiger Druckbestände auch auf die im Zweiten Weltkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Handschriften ausgedehnt werden. In Fachkreisen ist bekannt, daß die vor Ort wirkenden Germanisten Marian Szyrocki und Konrad Gajek ganz erhebliche An-

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strengungen unternahmen, besonders wichtige handschriftliche Materialien filmisch zu sichern und nach Maßgabe des Möglichen zu erschließen. Die Hoffnung darf nicht aufgegeben werden, daß die vom Germanistischen Institut in Breslau bearbeiteten Materialien, in die der Verfasser dank freundlichen Entgegenkommens von Mirosława Czarnecka Einsicht nehmen konnte, in nicht allzu ferner Zukunft der Forschung zur Verfügung gestellt werden können. Wir haben uns bemüht, im Zusammenwirken mit der Universitätsbibliothek und insbesondere der langjährigen Leiterin der Sondersammlungen Frau Aniela Kolbuszewska und ihrer Nachfolgerin und langjährigen Leiterin der Handschriften-Abteilung Frau Edyta Kotyńska, diese gleichermaßen auf die filmische Sicherung wie die Erschließung der Handschriften sich erstreckenden Maßnahmen nach Kräften fortzuführen. Sie betrafen schwerpunktmäßig drei Komplexe, die dem Projektleiter besonders dringlich erschienen. Die Biblioteka Uniwersytecka in Wrocław ist – ungeachtet erheblicher Verluste – noch immer im Besitz eines vermutlich weltweit einzig dastehenden Aufkommens an handschriftlichen historischen Katalogen der in sie eingegangenen Bibliotheken, an der Spitze der Breslauer Stadtbibliothek. Sie standen einst in den Herkunftsbibliotheken zusammen und sind heute über den Gesamtbestand verstreut und nur äußerst mühselig über Akzessionsbücher etc. zu ermitteln. Die Eruierung und Rekonstruktion dieses kostbaren und vielfach fragmentierten Katalogbestands wurde durch den Verfasser dieses Buches die Jahre über selbst vorgenommen, anschließend konnte deren Verfilmung veranlaßt werden. In einer Abhandlung zum Breslauer Bibliothekswesen wurde erstmals der Versuch unternommen, eine Übersicht über das Gerettete zu vermitteln.112 –––––– 112

Diese Forschungen sind zu Teilen eingegangen in: Klaus Garber: Bücherhochburg des Ostens. Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft und ihre Rekonstruktion im polnischen Wrocław.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber. Redaktion: Stefan Anders, Holger Luck, Winfried Siebers.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 111), S. 539–653. Wieder abgedruckt in: Klaus Garber: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 313–438. Die Dokumentationen sind größtenteils in den reichhaltigen Anmerkungen untergebracht. Vgl. insbesondere die Anmerkungen 4–5 und 13–14 (Rhedigersche Bibliothek und in sie eingegangene Stiftungs-Bibliotheken); Anmerkungen 26 und 34–35 (Bibliothek Maria Magdalena); Anmerkungen 36–37, 39 und 41–45 (Bibliothek St. Bernhardin); Anmerkungen 67–71 (Staats- und Universitätsbibliothek nebst Vorgänger-Institutionen); Anmerkungen 154–155 (Milichsche Bibliothek), Anmerkung 162 (Piastenbibliothek Brieg), Anmerkung 165 (Rudolfina Liegnitz). Hinzuzunehmen sind die vom Verfasser erarbeiteten Bibliographien zur Universitätsbibliothek Wrocław und zu ausgewählten in sie eingegangenen Sammlungen der Vorkriegszeit in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. I (Anm. 12), S. 51–80; Bd. XIX (Anm. 16), S. 87–

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Sodann wurden einzelne große Gelehrtennachlässe gesichert. Hier konnte und durfte vorerst eine Beschränkung auf das den eigenen Arbeiten affine Material statthaben. Namen wie diejenigen der Cunrads, Henels, Colerus’, Hankes, Arletius’, Ezechiels, Kloses, Paritius’ etc., die alle auch in diese Abhandlung hineinspielen, standen im Vordergrund. Daß in diesem Zusammenhang die großen Briefcorpora insbesondere aus der Rhedigerschen Bibliothek das Interesse immer wieder auf sich zogen, versteht sich von selbst.113 Damit aber ist schon der Übergang zu der dritten Gruppe an Handschriften gegeben, die gleich bei dem ersten Besuch im Jahre 1979 ins Auge des Reisenden fiel. Gemeint sind die ungezählten gelehrten Bemühungen, der schreibenden schlesischen Zunft ein Denkmal in Gestalt von enzyklopädisch angelegten Viten-Kollektionen zu setzen. Wir müssen es dahingestellt sein lassen, ob es sich hier um eine in diesem Ausmaß singuläre schlesische Besonderheit handelt. Die vielfach lebhafte Pflege der Gattung ist in allen literarischen Landschaften insbesondere während des 18. Jahrhunderts zu beobachten. Keine aber dürfte ein solches Maß an gelehrten Talenten auf vergleichweise engem Raum versammelt haben wie eben Schlesien. An die Enzyklopädisten waren folglich besondere Anforderungen gestellt. Schlesien –––––– 113

101. Vgl. auch die einleitenden Skizzen zu Bd. IX (Abt. II: St. Bernhardin.- 2003, S. 17–22) und Bd. XVII (Abt. III: St. Maria Magdalena.- 2005, S. 17–26). Vgl. dazu neben der bereits erwähnten Abhandlung ›Bücherhochburg des Ostens‹ vom Verfasser auch: Der Zweite Weltkrieg und seine bibliothekarischen Spätfolgen. Noch immer geteilte Sammlungen deutscher Literatur in großen historischen Bibliotheken Europas und ihre Restitution als europäische Aufgabe.- In: Das alte Buch im alten Europa, S. 611–663. Hier S. 633–641 der Abschnitt Breslau/Berlin mit der Dokumentation zum Schicksal der Rhedigerschen Briefsammlung. Es bleibt zu bedauern, daß dem hochverdienten Herausgeber der Opitz-Briefe diese Arbeit ebenso wie die erwähnte Abhandlung ›Bücherhochburg des Ostens‹ nicht bekannt geworden ist. Vgl. das einschlägige Kapitel ›Handschriftenverzeichnis‹ in: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hrsg. von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. Band I–III.- Berlin, New York: de Gruyter 2009, Band I, S. 61–87. Hier vor allem die Einträge zu Breslau und Berlin. Vorangegangen war die gleichfalls wichtige Dokumentation: Klaus Conermann, Andreas Herz unter Mitarbeit von Olaf Ahrens: Der Briefwechsel des Martin Opitz. Ein chronologisches Repertorium.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 28 (2001), S. 3–133; hier S. 12–28 ein Verzeichnis der Handschriften. – Ein systematischer Abgleich der vielfach einander überschneidenden Recherchen ist an dieser Stelle nicht möglich. In einigen wenigen Fällen sind aufgrund der neueren Forschungen von Conermann und seinem Team Korrekturen im Blick auf die Ermittlungen des Verfassers vorzunehmen. Umgekehrt enthalten die Mitteilungen des Verfassers in vielen Fällen wünschenswerte Ergänzungen bereit. Der Benutzer tut also gut daran, die zitierten Arbeiten nebeneinander zur Hand zu nehmen.

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hat sie besessen. Die besten Köpfe stellten sich in den Dienst der Bezeugung gelehrter Tradition vor Ort – selbstverständlich immer wieder kommunizierend mit der Fremde. Dabei waren verschiedene Impulse am Werk. Wir vermeinen vor allem einen bekenntnissichernden zu gewahren, und dies insbesondere im Umkreis der gefährdeten ›cryptocalvinistischen‹ Intelligenz. Die wenigsten dieser Summen sind zum Druck gelangt, und wenn, dann nicht in der authentischen Gestalt – auch dies vielfach den konfessionellen Wirren geschuldet, in deren Bann das 17. Jahrhundert stand. Für die Erkenntnis der Gelehrten- und Dichterkreise, ihrer Filiationen und ihrer mäzenatischen Netze sind sie ebenso wie die sie begleitenden kasualen Produkte aller Art von unschätzbarem, weil singulärem Wert. Ihre Einspeisung in den Kreislauf gerade auch der Literaturwissenschaft ist daher ein selbstverständliches Gebot kulturwissenschaftlicher Memorialkunde.114 Aus dem Einzugsbereich des hier nur eben angedeuteten umfassenderen forscherlichen Kontextes erfolgt an dieser Stelle eine Zusammenstellung der für die Ermittlung und Charakteristik der in der Abhandlung erwähnten Personen vor allem ausgeschöpften bio-bibliographischen Hilfsmittel. Zu ihnen zählen nicht nur die explizit unter diesem Titel laufenden Arbeiten, sondern vor allem auch die personengeschichtlich besonders ergiebigen EpigrammSammlungen sowie die Presbyterologien und Epitaphien-Sammlungen. Die maßgeblichen bio-bibliographischen Kompendien selbst sind so gut wie alle ungedruckt geblieben. Das hat sich überlieferungsgeschichtlich als verhängnisvoll erwiesen. Im Zweiten Weltkrieg sind auch in diesem Zweig des einstmaligen handschriftlichen Bestandes gravierende Verluste eingetreten. Sie betreffen die drei wichtigsten Vorkriegs-Verwahrungsorte gleichermaßen: Die Stadtbibliothek Breslau, die Staats- und Universitätsbibliothek Breslau und die Fürstensteinsche Bibliothek der von Hohbergs. Eine Synopsis des einst Vorhandenen und des Erhaltenen gehörte zu den dringlichsten Aufgaben der auf Schlesien bezogenen kulturgeschichtlichen Forschung.115 –––––– 114

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Vgl. Klaus Garber: Nation – Literatur – Politische Mentalität. Beiträge zur Erinnerungskultur in Deutschland. Essays, Reden, Interventionen.- München: Fink 2004. Vgl. Klaus Garber: Forschungen zur schlesischen und lausitzischen Literatur der Frühen Neuzeit im Rahmen eines Projekts zur Erschließung von personalem Gelegenheitsschrifttum.- In: Sammeln – Erforschen – Bewahren. Zur Geschichte und Kultur der Oberlausitz. Ernst-Heinz Lemper zum 75. Geburtstag. Hrsg. von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz.- Hoyerswerda, Görlitz 1999 (= Sonderheft des Neuen Lausitzischen Magazins), S. 380–393; ders.: Schlesiens Bildungslandschaft zwischen Barock und Aufklärung im Kontext des Späthumanismus.- In: Schlesische Gelehrtenrepublik. Hrsg. von Marek Hałub, Anna MańkoMatysiak.- Wrocław: ATUT 2004, S. 288–301; ders.: Aspekte gelehrter Kommunikation im schlesisch-lausitzischen Raum in der Frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Morphologie und Restitution mitteleuropäischer Überlieferungen.- In: Die Oberlau-

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Auch die bio-bibliographischen und sonstigen poetischen Sammelhandschriften sind ebenso wie die einschlägigen und im folgenden aufgeführten Drucke in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive für Osnabrück verfilmt worden und stehen – systematisch geordnet – durchweg auch als digitale Images auf CD-ROM dem Benutzer zur Verfügung. Sie bilden ihrerseits ein Segment in einem zu schaffenden Deutschen Bio-Bibliographischen Archiv der Frühen Neuzeit, das – richtig angelegt – eben gleichermaßen handschriftliche und gedruckte Verzeichnisse umfassen müßte.116 Eine ausführlichere Beschreibung und Kommentierung der einzelnen Titel ist an dieser Stelle nicht möglich. Wo mehrere Abschriften bzw. mehrere Ausgaben von Drucken vorliegen, werden jeweils die verwendeten Exemplare nachgewiesen. Für das Nähere muß vorläufig – neben den oben in Anm. 11 aufgeführten Arbeiten des Verfassers – verwiesen werden auf ein noch ungedrucktes Repertorium der bio-bibliographischen Nachschlagewerke des alten deutschen Sprachraums, in dem bislang rund 1500 Titel zusammengeführt sind und das über das Osnabrücker Frühneuzeit-Institut verfügbar ist.117 Ausgewiesen werden in der Regel die alten Vorkriegs-Signaturen der ––––––

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sitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Leipzig: Verlag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften; Stuttgart: Steiner (Komm.) 2007 (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 30), S. 243–255. Dazu Klaus Garber: Literaturwissenschaftliche Forschungen zum alten deutschen Sprachraum des Ostens in der Forschungsstelle zur Literatur der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück.- In: Deutsche Literatur und Sprache im östlichen Europa. Hrsg. von Carola L. Gottzmann.- Leipzig 1995, S. 31–39; ders.: Ephemeres Kleinschrifttum und lexikalisch-literarhistorische Großprojekte. Forschungspolitische Erwägungen für den alten deutschen Sprachraum des Ostens.- In: Deutsche Literatur im östlichen und südöstlichen Europa. Konzepte und Methoden der Geschichtsschreibung und Lexikographie. Hrsg. von Eckhard Grunewald, Stefan Sienerth.München: Verlag Südostdeutsches Kulturwerk 1997 (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B: Wissenschaftliche Arbeiten; 69), S. 43–53; ders.: Literaturgeschichte als Memorialwissenschaft. Die deutsche Literatur im Osten Europas.- In: Probleme und Methoden der Literaturgeschichtsschreibung in Österreich und in der Schweiz. Hrsg. von Wendelin Schmidt-Dengler.- Wien: Edition Praesens 1997 (= Stimulus. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik. Beiheft 1, 1997), S. 39–53 (wieder abgedruckt in: Garber: Nation – Literatur – Politische Mentalität (wie Anm. 114), S. 207–225). Zum Kontext ders.: Der Bibliograph als Wegebahner für eine Kulturraumkunde des alten deutschen Sprachraums.In: ›Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen‹ und die bibliographische Erschließung literarischer Texte. Gespräch mit Freunden. Herbert Jacob zum 26. Dezember 2004. Hrsg. von Hans-Albrecht Koch.- Overath: Bücken & Sulzer 2004, S. 65–81. Klaus Garber: Allgemeine und regionale Gelehrten- und Dichter-Biobibliographien des alten deutschen Sprachraums der Frühen Neuzeit. 144 S., Typoskript.

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Breslauer Bibliotheken sowie die aktuellen der heutigen BU Wrocław. Unter den Handschriften steht – den Gepflogenheiten der Breslauer Stadtbibliothek entsprechend – die Sigle ›R‹ für ihre Herkunft aus der Rhedigerschen Bibliothek, die Sigle ›M‹ für die Maria-Magdalenen-Bibliothek und die Sigle ›B‹ für die Bernhardiner-Bibliothek. Provenienzen von Handschriften und Drucken sind gelegentlich notiert.118 Vollständigkeit auch nur im Breslauer Exemplarnachweis wurde keinesfalls angestrebt. Nachdrücklich ist darauf hinzuweisen, daß aus umfänglichen Sammlungen eine für die Zwecke der Untersuchung getroffene Auswahl vorgelegt wird. Keine Landschaft war reicher an bio-bibliographischen Kompendien aller Art als Schlesien. Ihre – dringend benötigte – Zusammenstellung und Kommentierung würde ein Buch füllen. Für ein solches fehlt es so gut wie an allen Vorarbeiten. Das Förderlichste entstammt (wie fast immer in quellenkundlicher Hinsicht für die Frühe Neuzeit) dem 18. und frühen 19. Jahrhundert.119 Mit einer knappen Revue ist daher zu beginnen.120

1. Gedruckte bibliographische Hilfsmittel Johann Jacob Füldener: Bio- & Bibliographia Silesiaca, Das ist: Schlesische Bibliothec Und Bücher = Historie [...]. Repositor. I. Volumen I. Gedruckt zu Lauban. Zufinden in Breßlau Anno MDCCXXXI. [Mehr nicht erschienen.] Dieses vor allem für die Historiographie Schlesiens wichtige Werk (das im 18. Jahrhundert in Christian Runges Notitia Historicorvm Et Historiae Gentis Silesiacae. Teil I.- Breslau: Korn 1775, eine Fortsetzung fand und so wenig wie dieses über einen ersten Teil hinauskam) ist auch personenkundlich von erheblichem Interesse über einen eingehenden ›Vorbericht‹ (S. 3–50), in dem die im weitesten landeskund-

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Für alles Nähere ist jetzt zu verweisen auf die grundlegende und unten aufgeführte Arbeit von Lesław Spychała. Das wurde exemplarisch gezeigt von Klaus Garber: Ein Sammler im Breslau des 18. Jahrhunderts und seine Verdienste um die Literatur des 17. Jahrhunderts. Johann Caspar Arletius und seine Sammlung der Dichtungen Simon Dachs.- In: Aufklärung. Stationen – Konflikte – Prozesse. Festschrift Jörn Garber. Hrsg. von Ulrich Kronauer, Wilhelm Kühlmann.- Eutin: Lumpeter & Lasel 2007, S. 63–104; ders.: Litterärgeschichte und Aufklärung. Das Werk Georg Christoph Pisanskis.- In: Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Hanspeter Marti, Manfred Komorowski unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach.- Köln [etc.]: Böhlau 2008, S. 345–378. Die weiteren Hilfsmittel findet man ausführlicher zusammengestellt in der in Anm. 112 aufgeführten Bibliographie zum Breslauer Bibliothekswesen. Hier einschlägig der einleitende Abschnitt: ›Bibliographische Hilfsmittel‹, S. 52–55, sowie der Abschnitt ›Allgemeines‹, S. 56–58.

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lichen Sinn vorliegende Literatur aufgeführt und gelegentlich annotiert wird. Es wird eröffnet mit Melanchthons bekanntem Diktum, daß keine Region mehr gelehrte Leute hervorgebracht habe als Schlesien. Entsprechend läßt sich auch Füldener die Gelegenheit nicht entgehen, eingehend von ihren Meriten Kenntnis zu geben. Ein entsprechendes ergiebiges Verzeichnis hier S. 21 ff. und S. 28 ff.

Johann George Thomas: Handbuch der Literaturgeschichte von Schlesien. Eine gekrönte Preisschrift. Teil I–II.- Hirschberg: Krahn 1824. Durchschossenes, mit reichhaltigen Zusätzen versehenes Exemplar aus der Bibliothek der ›Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur‹ (ehemals Depositum der SuUB Breslau). Vorkriegs-Signatur: Cod. Ms. Schles. Gesch. I. Qu 4. Auf einem Vorsatzblatt der Vermerk aus dem Jahr 1848, daß es sich um das Handexemplar des Autors handele, der in ihm für eine zweite Auflage Notizen gesammelt habe. Es bleibt zu beklagen, daß eine zweite Auflage dieser alle Gebiete umfassenden Bibliographie nicht zustandegekommen ist. Das Unikat wird heute in der HandschriftenAbteilung der BU Wrocław verwahrt: Akc 1949 KN 847. Mikrofilm und gebundene Kopie in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück (R-SIL-025 4729-635/636). Hier das Kapitel XVIII: ›Genealogien und Biographien‹, S. 107–139. Es ist das ergiebigste Werk, das für die zeitgenössische Literatur aller Sachgebiete der Frühen Neuzeit mit Bezug auf Schlesien zur Verfügung steht. Erwähnung finden dankenswerterweise wiederholt auch Manuskripte. Das Werk von Thomas verdiente eine Edition unter Einarbeitung der zahllosen Zusätze.

Heinrich Nentwig: Silesiaca in der Reichsgräflich Schaffgotsch’schen Majoratsbibliothek zu Warmbrunn.- Leipzig: Harrassowitz 1902. Die Schaffgotsch’sche Bibliothek in Warmbrunn war so gut wie komplett auf dem Gebiet der ›Silesiaca‹. Der von ihrem Bibliothekar Nentwig sehr sorgfältig erstellte Katalog darf daher – in gewissem Umfang und natürlich mit Einschränkungen – auch als retrospektive landeskundliche historische Bibliographie angesprochen und als solche benutzt werden. Entsprechend sind auch die personenkundlichen Abschnitte mit Gewinn heranzuziehen. Vgl. die Kapitel ›Gelehrtengeschichte‹, S. 3–8, sowie – ganz am Rande – auch ›Personenverzeichnisse‹, S. 43–48; sodann an späterer Stelle die weiteren Kapitel ›Genealogie‹ (S. 256–262), ›Fürstengeschichte‹ (S. 262– 267), ›Familiengeschichte‹ (S. 267–276) und – wiederum am Rande – ›Biographie‹ (S. 276–308). Warmbrunn war freilich an Handschriften sehr viel ärmer als Fürstenstein. Es bleibt zutiefst zu beklagen, daß ein Katalog der auf Schlesien bezogenen Handschriften und Bücher vor der – Fürstenstein im Gegensatz zu Warmbrunn massiv ereilenden – Katastrophe für die Hochbergsche Bibliothek nicht mehr zustandegekommen ist. Der verdienstvolle Bibliothekar Karl Johann Endemann bietet in seiner Darstellung – Die Reichsgräflich von Hochbergsche Majoratsbibliothek in den ersten drei Jahrhunderten ihres Bestehens 1609–1909.- Breslau: Hirt 1910 (= Darstellungen und Quellen zur Schlesischen Geschichte; 11) – entschieden zu wenige Informationen diesbezüglich. Die Fürstensteiner Bestände, die einst in Schlesien einzig dastanden, sind vernichtet, verschollen und – sofern gerettet – zerstreut.

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Vgl. in diesem Zusammenhang von Klaus Garber: Adelsbibliotheken in Schlesien – eine Annäherung.- In: Adel in Schlesien. Band I: Herrschaft – Kultur – Selbstdarstellung. Hrsg. von Jan Harasimowicz, Matthias Weber.- München: Oldenbourg 2010 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; 36), S. 479–497. Vgl. auch ders.: Die Piastenhöfe in Liegnitz und Brieg als Zentren der deutschen Barockliteratur und als bibliothekarische Schatzhäuser.- In: Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim – Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg. Hrsg. von Jan Harasimowicz, Aleksandra Lipińska.- Legnica: Muzeum Miedzi 2007 (= Źródła i materiały do dziejów Legnicy i księstwa Legnickiego; 4), S. 191–209.

Viktor Loewe: Bibliographie der Schlesischen Geschichte.- Breslau: Priebatsch 1927 (= Schlesische Bibliographie; 1). Dieser die – von der Historischen Kommission für Schlesien zu später Stunde ins Leben gerufene – Schlesische Bibliographie eröffnende erste Band Loewes ist selbstverständlich auch personenkundlich zu konsultieren. Vgl. vor allem Kapitel XXXI: ›Familiengeschichten und Personaliensammlungen‹, S. 349–374. Hier eine Abteilung ›Quellenkunde und Bibliographie‹ (S. 349 f.), eine weitere ›Allgemeine Sammlungen von Personaldaten und Biographien‹ (S. 350 f.), eine dritte ›Sammlungen von Personaldaten und Biographien speziell von Gelehrten Schriftstellern‹ (S. 351 f.) und schließlich zu ›Sammlungen speziell betr. den Adel‹ (S. 352–355) sowie ›Wappen und Siegel des Adels‹ (S. 355). – Im Gegensatz zu dem Handbuch von Thomas, aber auch zu einer landeskundlichen historischen Bibliographie wie der von Eduard Winkelmann für das Baltikum, finden Handschriften – von Ausnahmen abgesehen – keine Berücksichtigung.

Eine neuere Untersuchung und Verzeichnung der bio-bibliographischen Quellen fehlt. Reiche bibliographische Informationen zu Handschriften und gedruckten Hilfsmitteln im Umkreis der Schlesischen Bibliotheken neben den oben aufgeführten Arbeiten des Verfassers jetzt in der grundlegenden Kompilation: Lesław Spychała: Wegweiser durch die Handschriftenbestände der Universitätsbibliothek Wrocław/Breslau.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber. Redaktion: Stefan Anders, Holger Luck, Winfried Siebers.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 111), S. 655–746.

2. Handschriften-Verzeichnisse Die Ermittlung der handschriftlichen Bio-Bibliographien in der BU Wrocław steht – nicht anders als die von Handschriften überhaupt – vor erheb-

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lichen Schwierigkeiten, weil ein Gesamtverzeichnis des Bestandes nicht existiert. Man tut daher gut daran, zu den zumeist noch aus der Vorkriegszeit herrührenden Verzeichnissen zurückzugehen. Der Ausgang ist dabei stets von der Stadtbibliothek zu nehmen und innerhalb ihrer von der alten Rhedigerschen Bibliothek. Die Erschließung ihrer reichen Bestände verbindet sich vor allem mit den Namen von Moritz Adolf Guttmann und Hermann Markgraf, auf andere Weise sodann mit dem von Alfons Hilka. Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Alfred Rüffler: Die Stadtbibliothek Breslau im Spiegel der Erinnerung. Geschichte – Bestände – Forschungsstätte.Sigmaringen: Thorbecke 1997 (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 28), S. 61 f. Der Eintrag ist leider gerade an dieser Stelle allzu knapp und teilweise mißverständlich geraten. Wieso Rüffler angibt, der »Verfertiger« des ersten Bandes sei nicht zu ermitteln, bleibt unerklärlich. Hinzuweisen bleibt auf die wichtige Arbeit des ersten Spezialisten vor Ort: Wojciech Mrozowicz: Handschriftenkunde.- In: Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2005 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte; 11), S. 29–52 (mit Bibliographie). Katalog der Handschriften der Rehdigerana. Erste Abtheilung bis Nr. 502. Von Moritz Adolf Guttmann 184... Akc 1967/3/1 (heutige Signatur in der Referenzbibliothek der Handschriften-Abteilung, alte Signatur: nicht ausgewiesen) Der Titel in der vorliegenden Form stammt von Markgraf. Es geht aus dem Zusatz »184...« hervor, daß mit der Katalogisierung in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen wurde.

Hermann Markgraf: Katalog der Handschriften der Rehdigerana. Zweite Abtheilung von Nr. 503 ab. Geschrieben im December 1890. Akc 1967/3/2 (alte Signatur: nicht ausgewiesen) Der Titel in der vorliegenden Form wiederum von der Hand Markgrafs.

Katalog der Handschriften der Rehdigerana[.] Dritte Abteilung: von Nr. 3101 ab. Akc 1967/3/3 (alte Signatur: nicht ausgewiesen) Der Titel in der vorliegenden Form von neuerer Hand. Die Bände sind durch Register erschlossen. Ein erstes steht nach Handschrift R 502 und umfaßt die von Guttmann verzeichneten Handschriften. Es folgt – noch von Guttmanns Hand – eine Folge ›Silesiaca. II.‹ Sie reicht bis R 693 und hat wiederum ein Register. Dieses Verzeichnis ist seinerseits eingegangen in den Markgrafschen Katalog R 550 ff. Die letz-

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ten Einträge im dritten Band betreffen die Nummern R 3093–3100. Sie stammen nicht mehr von Markgrafs Hand. Das Register für die Bände II und III befindet sich zu Ende des zweiten Bandes. Verfasser des letzteren Registers war der Stadtarchivar Heinrich Wendt, dem auch das erwähnte Verzeichnis der auf die Stadt Breslau bezogenen Druckschriften zu verdanken ist. Ein sechs Schuber umfassender Zettelkatalog hat sich gleichfalls erhalten. Er war stärker systematisch angelegt. Ein Eintrag wie etwa derjenige zu den Bibliotheken stellt eine Fundgrube dar.

Für die zweite Stammbibliothek der Breslauer Stadtbibliothek, die Bibliothek Maria Magdalena, greift man zurück auf die Verzeichnisse des langjährigen Rektors Carl Schoenborn, die in zwei Ausfertigungen vorliegen: Catalog der Handschriften der Magdalenen-Kirchen-Bibliothek mit zu Grunde Legung der früheren im Jahre 1729 angefertigten[,] gemacht und dictirt von dem zeitigen Bibliothecar Dr. Carl Schoenborn[.] Director des Magdalenen-Gymnasiums. Breslau 1847. Akc 1967/4 (alte Signatur: Cat 368a)

Verzeichniss der auf der Kirchenbibliothek zu St. Maria Magdalena in Breslau vorhandenen Handschriften, angefertigt von M. Gottlieb Wilhelm Keller, Prorector und Professor des Magdalenen-Gymnasiums im Jahre 1729, berichtigt und vervollständigt von dem jetzigen Bibliothecar Karl Schoenborn, Director und Professor des Magdalenen = Gymnasiums, im Jahre 1847. Akc 1967/5 (alte Signatur: Cat. 368b)

Auch für die dritte Stammbibliothek der Breslauer Stadtbibliothek, die Bibliothek zu St. Bernhardin, liegt ein Verzeichnis vor: [Vorsatzblatt:] Stadtbibliothek Breslau[.] Handschriften der Kirchenbibliothek zu St. Bernhardin[.] Kat. 220[.] [Haupttitel:] Verzeichniß der in der Kirchen-Bibliothek zu St Bernhardin in Breslau aufbewahrten Handschriften[.] 1847. Akc 1967/6 (alte Signatur: Kat. 220)

Nach der Zusammenführung der drei Bibliotheken, die an der Wiege der Stadtbibliothek standen, wurde eine einheitliche Verzeichnung notwendig. Dieser Aufgabe unterzog sich insbesondere der Mittellateiner Alfons Hilka. Dreizehn Bände konnte er fertigstellen, ohne einen Abschluß zu erreichen. Fünf Bände sind der Rhedigerschen Bibliothek gewidmet, drei der Bibliothek Maria Magdalena, drei weitere gleichfalls der Bibliothek St. Bernhardin, zwei abschließende Bände verzeichnen den Neuzugang in der Stadtbibliothek, die nun ›von Rhedigersche Stadtbibliothek‹ hieß, so daß auch die Bände unter diesem Titel firmieren.

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Alfons Hilka; Udo Lincke: [Katalog der Handschriften der Stadtbibliothek Breslau.] Band I–XIII. Band I–V: Rhedigersche Bibliothek Band VI–VIII: Maria Magdalena Band IX–XI: Bernhardina Band XII–XIII: Rhedigersche Bibliothek: Neuzugänge. Akc 1967/7 Das Werk setzt mit der Handschrift R 164 ein. Vermutlich wurden die vorangehenden Handschriften nicht beschrieben, weil entsprechende gedruckte Kataloge der griechischen und lateinischen Handschriften vorlagen. Möglicherweise muß aber auch mit dem Verlust von Vorgänger-Bänden gerechnet werden.

Für die Universitätsbibliothek, die mehrfach auch in unser Repertorium hineinspielt, ist man verwiesen auf die beiden historischen Kataloge von Johann Christoph Friedrich und Willi Göber. Die beiden bislang einzig im Druck vorliegenden Verzeichnisse betreffen in unserem Zusammenhang nicht einschlägige Bestandseinheiten, dokumentieren indes den Reichtum auch der Breslauer Staats- und Universitätsbibliothek vorzüglich und werden um der Vollständigkeit wegen mit aufgeführt: Die Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Breslau. Band 1.Leipzig: Harrassowitz 1938 (= Verzeichnis der Handschriften im Deutschen Reich; 1). Catalogus manu scriptorum codicum medii aevi latinorum signa 180–260 comprehendens. Compositus a Constantino Cl. Jażdżewski.- Wratislaviae etc.: Institutum Ossolinianum. Officina Editoria Academiae Scientiarum Polonae 1982. Das letztere Werk stellt eine Fortsetzung des 1938 noch unter deutscher Ägide erstellten Verzeichnisses dar. Beide Werke sind vorzüglich gearbeitet. Geringfügige numerische Differenzen erklären sich aus dem Umstand, daß Jazdzewski auch eine Neubearbeitung des ersten Bandes plante und zu einer geringfügig variierenden Zählung seines Vorgängers kam. Die ersten beiden Bände des Göberschen Kataloges sind verloren und werden durch die gedruckten Kataloge ersetzt. Das mächtige – teils maschinenschriftlich, teils handschriftlich vorliegende – Werk umfaßt 26 Bände (Akc 1967/2). Der Vorgänger Friedrichs – ›Catalogus codicum scriptorum qui in Bibliotheca Regia ac Academica Wratislaviensi servantur‹ – ist ein zweibändiges Verzeichnis mit einem zweibändigen Index (Akc 1967/1).

Hinzuweisen ist erneut auf das mächtige Abschriften- und Regestenwerk Samuel Benjamin Kloses, das gerade für die Überlieferung der bio-bibliographischen wie für die epistolarischen Corpora der alten Breslauer Stadtbiblio-

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thek von nicht zu überschätzender Bedeutung ist. Vielfach haben sich nur dank Kloses unermüdlicher Transkription Zeugnisse von Handschriften erhalten, die seit 1945 verschollen sind. Und da sich alle seine handschriftlichen Arbeiten durch größte Akribie und hervorragende Lesbarkeit auszeichnen, ist er in der Nachkriegszeit unversehens zum wichtigsten Gewährsmann der schlesischen Gelehrtengeschichte aufgerückt, insoweit sie in der Breslauer Stadtbibliothek ihre zentrale Dokumentationsstelle besaß. Auch die Klosesche Sammlung ist vom Krieg massiv betroffen worden, der einstige Bestand von 248 Bänden ist keineswegs mehr komplett beisammen. Es ist daher außerordentlich zu begrüßen, daß eine junge Historikerin sein Werk zum Gegenstand einläßlicher Untersuchungen gemacht hat. Vgl. Lucyna Harc: Samuel Beniamin Klose (1730–1798). Studium historiograficzno-źródłoznawcze.- Wrocław: Wydawn. Uniwers. Wrocławskiego 2002 (= Acta Universitatis Wratislaviensis; 2389 / Historia; 157). Die Arbeit ist mit eingehendem Literaturverzeichnis und deutscher Zusammenfassung ausgestattet. Eine ausführliche Darstellung der Forschungsresultate findet sich bei ders.: Der wissenschaftliche Nachlaß von Samuel Benjamin Klose.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber. Redaktion: Stefan Anders, Holger Luck, Winfried Siebers.Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 111), S. 747–775. Ein Begleitband mit der Dokumentation des Geretteten und Verschollenen steht in Kürze zu erwarten. Der Verfasser ist Frau Harc verpflichtet für die Möglichkeit einer Einsichtnahme des noch unpublizierten Teils. Weiterhin stets heranzuziehen ist zudem Hermann Markgraf: Zur Erinnerung an Samuel Benjamin Klose 1730–1798.- In: Silesiaca. Festschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens zum siebzigsten Geburtstage seines Präses Colmar Grünhagen.- Breslau: Morgenstern 1898, S. 1–22. Es existierten zwei Verzeichnisse der Kloseschen Manuskriptbände, eines offensichtlich früher, das andere ersichtlich nach vollzogener Trennung der Sammlung gefertigt: Klose’sche Handschriften-Sammlung. Hs. 1–248. Akc 1967/17

Katalog der S.B. Klose’schen Handschriften-Sammlung, umfassend Hs. Kl. 1 bis 248. Hs. Kl. 1 bis 159 befinden sich im Stadtarchiv, Hs. Kl. 160–248 in der Stadtbibliothek. Akc 1967/16 Aus einer voranstehenden Notiz geht hervor, daß in den Jahren 1877 und 1878, also unter der Ägide von Hermann Markgraf, eine Neuordnung der Sammlung vorgenommen wurde und im gleichen Zuge vermutlich auch ihre ansprechende Bindung

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erfolgte. Die Sammlung war zunächst geschlossen im Stadtarchiv plaziert. Dann wurde im Zusammenhang mit der institutionellen Trennung von Stadtarchiv und Stadtbibliothek nach dem Tode Markgrafs eine Trennung vollzogen. Die Bände 1– 159 wurden im Stadtarchiv belassen, die Bände 160 bis 248 der Stadtbibliothek überwiesen. Der vorwiegend auf die Gelehrtengeschichte bezogene Fundus kam damit in die Stadtbibliothek, wo in Handschrift und Druck vielfältige Anschlüsse bestanden, waren doch die Abschriften in der übergroßen Mehrheit aus den Beständen der Rhedigerschen Bibliothek gefertigt worden. Die von der Sache her also gewiß sinnvolle Maßnahme wurde der Sammlung als ganzer zum Verhängnis. Die im Stadtarchiv verbliebenen Bände überstanden den Krieg unversehrt; die in die Stadtbibliothek gelangten Bände wurden hingegen wie alle aus der Stadtbibliothek ausgelagerten Handschriften schwer getroffen.

Die Kloseschen Handschriften waren durch diese Verzeichnisse aus der Feder von Ernst Volger, dem verdienstvollen Bearbeiter so vieler Zimelien der Breslauer Stadtbibliothek, sehr gut erschlossen. Besondere Bedeutung kam den in der Stadtbibliothek verbliebenen Handschriften 160 ff. zu. Und zwar existierten in der Stadtbibliothek zwei Verzeichnisse der Bände 160 ff., das eine eine ausführlichere Angabe zu dem jeweiligen Inhalt bietend, das andere offensichtlich eine komprimierte Abschrift. In der ersteren war der Nachtrag angebracht: »160–248 gehören der Stadtbibliothek.« Das Verzeichnis war also vor der Trennung verfaßt worden. In beiden Handschriften stand vor der mit Nr. 160 bzw. Nr. 232 einsetzenden Folge die gleichlautende Angabe: Zur Gelehrtengeschichte und Litteratur Schlesiens u. namentlich Breslaus. a. Abschriften der Briefsammlungen des 16. u. 17. Jahrh. der Werke von Henel, Hanke, Czepko etc. 160–199[.] b. Materialien zu Gelehrtenbiographien in alphab. Folge 200–231. Hs. Kl. VI. 160–231 Abschriften von Handschriften aus der Stadtbibliothek, die keine Beziehung zur Schlesischen Geschichte haben. a. deutsche 232–239. b. lateinische 240–248. Hs. Kl. VII. 232–248«

In diesen Verzeichnissen wurden von den polnischen Bibliothekaren nach 1945 die geretteten Bände markiert. Demnach konnten von den 89 Bänden 53 gerettet werden; das Bild hat sich seither noch geringfügig verschoben (vgl. oben Harc: Der wissenschaftliche Nachlaß, S. 755). Ein gutes Drittel gilt als verschollen und ist entweder nach Rußland gelangt oder – und dies leider wahrscheinlicher – definitiv vernichtet und nur in dem Umfang rekonstruierbar, wie sich die Originale erhalten haben. Vielfach sind die Volgerschen Regesten die letzte Quelle der Information.

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Es liegt auf der Hand, daß die erste Gruppe Nr. 160 ff. die für die Humanismusforschung Schlesiens einschlägige ist. Sie enthält – ohne daß wir an dieser Stelle ins einzelne gehen könnten – die Briefabschriften und Regesten Kloses – an erster Stelle eben der berühmten Bände R 241–249 (der Band R 242 schon zur Zeit Volgers verschollen) einschließlich des Indexbandes R 250 –, die Abschriften der landeskundlichen, biographischen und sonstigen Hauptwerke vornehmlich Henels und Hankes, einen Großteil des vielfach nur im Manuskript überlieferten Werkes Czepkos, Bibliotheksverzeichnisse und Kollektaneen zu diversen Gelehrten, angefangen bei Johann Aurifaber und Peter Eschenloer, über Petrus Vincentius und Martin Gerstmann, Johannes Heß und Petrus Kirstenius, Laurentius Corvinus und Crato von Crafftheim bis hin zu Ambrosius Moibanus und Jacob Monau, den Familien Rhediger und Rindfleisch, Thomas Sagittarius und Andreas Scultetus, Nikolaus Steinberg und der Biographie Daniel Czepkos. Diese Namen aufzurufen ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis, daß die Klosesche Hinterlassenschaft schlechterdings grundlegenden Charakter für die Vergegenwärtigung der schlesischen Gelehrtenkultur in ihrer Blütezeit besaß und ungeachtet der eingetretenen Verluste immer noch besitzt. An dieser Stelle muß die Gelegenheit genutzt werden, um auf zwei weitere und für die Personenkunde wiederum unschätzbare Verzeichnisse hinzuweisen, das eine in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vorstehenden erwachsen, das andere in der Nachbarschaft angesiedelt. Die berühmte Rhedigersche Briefsammlung R 241 bis R 249 war durch ein Register (R 250) erschlossen. Dieses ist im Krieg wie einzelne Bände der Briefsammlung selbst verschollen. Klose hatte 1763 einen Index gefertigt, der sich erhalten hat: Index Virorum illustrium et eruditorum Quorum epistolae MStae IX. Voluminibus compactae in Bibliotheca Rhedigeriana exstant. Klose 168; Akc 1949/592 Das Manuskript ist mit dem Zusatz versehen: »Copia Mnscr. ex bibliotheca Bernhardina.« Es handelt sich um nicht mehr als ein sechs Blatt Folio umfassendes Verzeichnis der Briefschreiber mit Verweis auf die jeweiligen Bände. Volgers Verdienst bestand nun in der nicht von der Hand zu weisenden Einsicht, daß es geboten war, das gesamte Corpus der in der Rhedigerschen Bibliothek vorhandenen älteren Briefe in den Blick zu nehmen. Das im eigentlichen Sinn erschließende Werk der epistolarischen Literatur aus den drei Stammbibliotheken der alten Stadtbibliothek wurde folglich von ihm erarbeitet. Es gehört zu den großen Leistungen der in ihrem Umkreis konzentrierten Späthumanismus-Forschung und stellt eine unschätzbare Quelle vornehmlich für die schlesische Gelehrtengeschichte dar. Volger berichtete über sein Vorhaben eingehend. Vgl.:

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Ernst Volger: Mittheilungen aus der Stadtbibliothek zu Breslau.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 15 (1880), S. 235–245. I: Gelehrte Correspondenzen aus dem XVI. Jahrhundert, S. 235– 238. Volger bearbeitete zunächst die in der Rhedigeriana, der Bibliothek Maria Magdalena und der Bernhardina vorgefundenen Briefe des 16. Jahrhunderts. Rund 6000 Nummern wurden derart erschlossen. Die Briefe des 17. Jahrhunderts wurden in einem zweiten Arbeitsschritt erarbeitet. Insgesamt 28 große Briefsammlungen aus den drei Stammbibliotheken wurden ausgeschöpft, worüber in den Einleitungen zu dem jeweils ersten Band eingehend berichtet wird. Der Löwenanteil entstammte selbstverständlich der Rhedigeriana. Schließlich lag – ohne eigens vergebenen Titulaturen – ein achtbändiges Foliowerk in gestochener Handschrift vor, vier Bände nebst einem Register den Briefen des 16. Jahrhunderts gewidmet (Akc 1967/8), zwei nebst einem Register dem 17. Jahrhundert (Akc 1967/9). Für ungezählte Briefe ist es das letzte Zeugnis, das von ihnen existiert. Das Werk in den beiden Folgen ist alphabetisch nach den Schreibern angeordnet. Datum, Ausstellungsort, Bestimmungsort sowie Schreiber und Adressat werden aufgeführt. Wo ein Druck erfolgte und dieser sich ermitteln ließ, wird abschließend der entsprechende Hinweis gegeben. Die Registerbände sind alphabetisch nach den Adressaten sortiert. Der Aussteller des Briefes ist hinzugefügt mit Verweis auf die laufende Nummer in dem Hauptwerk. Gäbe es ein Max Planck-Institut für Grundlagenforschung im Einzugsbereich der Frühen Neuzeit – die Drucklegung dieses Standardwerkes gehörte mit Gewißheit zu seinen Aufgaben.

Von Volger liegen außerdem Verzeichnisse und Register der reichen Stammbuch-Sammlung der Breslauer Stadtbibliothek vor. Auch sie sind ein willkommenes personenkundliches Auskunftsmittel. Vgl. dazu wiederum: Ernst Volger: Mittheilungen aus der Stadtbibliothek zu Breslau.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 15 (1880), S. 235–245. II: Stammbücher, S. 238–240. Ders.: Über die Sammlung von Stammbüchern (77 Stück) in der Stadtbibliothek zu Breslau.- In: Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift 3 (1880), S. 445–475. Im einzelnen liegen die folgenden Verzeichnisse vor: Verzeichniss über die Sammlung von Stammbüchern in der Stadtbibliothek zu Breslau. [Datiert:] Breslau d. 10. Octb. 1879. Akc 1967/14 Es handelt sich um eine Beschreibung von 77 Stammbüchern mit Biographien ihrer Besitzer in alphabetischer Reihenfolge. Druckvorlage für den oben zitierten Aufsatz Volgers aus Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift (1880).

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Verzeichniss der nachstehend citirten Stammbücher der Stadtbibliothek zu Breslau. Akc 1967/13 1-2 Hier werden die 77 Stammbuchhalter erneut aufgeführt. Darauf folgt ein unschätzbares Verzeichnis aller Beiträger zu diesen 77 Stammbüchern in zwei Bänden. Knapp 8000 Einträge werden aufgeführt!

Beschreibung der Paritianischen Stammbücher. Akc 1967/11 Angeschlossen mit fortlaufender Paginierung an das Handexemplar von Volgers Aufsatz in Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift. Beide Titel sind mit einem offensichtlich aus der Stadtbibliothek herrührenden Vorsatzblatt zusammengebunden: ›Katalog der Stammbücher der Stadtbibliothek Breslau[.] Band 1 Nummer 1–230‹. Die Numerierung der Paritius-Stammbücher reicht bis Nr. 230, daher offensichtlich der gewählte Obertitel. Die Beschreibung der einzelnen Stammbücher ist neuerlich sehr eingehend. Das Werk verdiente einen Druck. Erschlossen ist es durch ein Register der Stammbuchhalter.

Schließlich sei des Zusammenhangs wegen darauf hingewiesen, daß noch ein Teilverzeichnis existiert, das jedoch nicht von Volger herrührt. Es umfaßt – ohne eigenen Titel – die Nummern 151–181 (Akc 1967/12). Damit ist der Zeitpunkt gekommen, den Übergang zu einigen ausgewählten und besonders für unseren Zusammenhang einschlägigen bio-bibliographischen Sammelhandschriften zu vollziehen.

3. Bio-bibliographische Sammelhandschriften nebst handschriftlichen Presbyterologien und sepulkralen Inschriftenwerken Wie erwähnt, ist nur ein Bruchteil der handschriftlichen Gelehrten-Verzeichnisse zum Druck gelangt. Die Breslauer Gymnasialbibliotheken und nachfolgend die Breslauer Stadtbibliothek waren – wie überall im alten deutschen Sprachraum – die gegebenen Verwahrungsstätten für die umfänglichen Kollektaneen. Sie wurden vor Ort für personenkundliche Ermittlungen lebhaft benutzt, gleichwohl reichten Kräfte und Mittel in der Regel nicht, um sie zum Druck zu befördern. Keine Untersuchung belehrt darüber, welch ein immenser Fundus an Wissen in ihnen gespeichert war und mit ihrem Verlust für immer unterging. Neben den gedruckten Gelegenheitsgedichten und den sepulkralen Inschriftenwerken, auf die im folgenden gleichfalls ein Blick fällt, stellten sie das personenbezogene Gedächtnis in Stadt und Region dar.

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Memorialkundliche Forschung hat ihnen daher besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die nachfolgenden Ausführungen greifen mehrfach zurück auf ein zusammen mit den Osnabrücker Altphilologen und Editoren Christina Meckelnborg und Bernd Schneider der DFG vorgelegtes Forschungsprojekt, das aufgrund gutachterlicher Einwände nicht zum Zuge kam. Das Material befindet sich so gut wie ausnahmslos auf Mikrofilm und vielfach als Digitalisat im Osnabrücker Frühneuzeit-Institut. CHRISTIAN EZECHIEL

Wie Klose und Arletius hat sich Ezechiel unermüdlich abschreibend und kompilierend betätigt und sich zugleich durch eigene Arbeiten gleichermaßen um die schlesische Geschichte und Gelehrtengeschichte sowie die Presbyterologie und Inschriftenkunde verdient gemacht. Vgl. Hermann Markgraf: Christian Ezechiels Leben und Schriften.- In: Zeitschrift für Schlesische Geschichte 12 (1874), S. 163–194. Viele seiner Handschriften gelangten nach Fürstenstein und sind im Zweiten Weltkrieg verschollen. Eines seiner Hauptwerke, gleichfalls auf Schloß Fürstenstein verwahrt, hat sich wie manche andere über die Abschrift eines Wahlverwandten erhalten. Silesiae Literatae Volumen I [–] IV. Continens Viros Literatos non tam gente Silesiacos quam etiam illic per aliquod vitae tempus degentes Scriptisque variis in lucem editis clarescentes studiis et curis C[hristian]. E[zechiel]. collectos. R 2666 (Abschrift Paritius) Das Werk, dessen Original aus der Fürstensteinschen Bibliothek (Man Q. 31) verschollen ist, läßt den geschulten Bibliographen erkennen. Den einzelnen GelehrtenPorträts stehen grundsätzlich zunächst die ›Scripta‹ sowie ›Vita et Mors‹ voran. Dann folgen in wechselnder Zusammensetzung und Auszeichnung Abschnitte im Blick auf ›Epitaphium vel Effigies‹ sowie ›Encomium et Symbolum‹. Das Werk setzt ein mit Joachim Curaeus, Nicolaus Henel, Jakob Schickfuß und Elias Major. Ein Artikel zu Cunrad ist auf S. 34 f. zu lesen. Scultetus ist nicht unter den Hunderten von Gelehrten. Ein Eintrag auf Seite 334 gilt dem Namensvetter aus Reichenbach, der – wie gezeigt – auch in den Matrikeln für Verwirrung sorgte. Gleich im Anschluß (S. 345) wird der Abschreiber Paritius tätig: »Ad Silesiam Litteratam Christiani Ezechielis Annotationes collegit, Christianus Fridericus Paritius, Vrat: Sil. [...] 1804«. Er eröffnet sein kommentierendes Werk mit einem umfänglichen Artikel zu Cunrad (S. 347). Merkwürdigerweise ist er nicht darüber hinausgekommen. Die Blätter 180–238, die für entsprechende Einträge reserviert waren, sind weiß. Am Schluß steht das unschätzbare Register von Paritius zu dem monumentalen Werk von Ezechiel. Der Zusatz darf hier Platz finden, daß sich unter R 2674 ein Band des zweibändigen Kataloges der Bibliothek Ezechiel erhalten hat.

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Monumenta et Inscriptiones Vratislavienses. Pars prima. Enthaltend die Epitaphia und andre Inscriptionen der Römisch Catholischen Kirchen zu Breslau. R 2799 (Abschrift Paritius) Aufgenommen sind die Epitaphien und weitere Inschriften von insgesamt 24 Kirchen, die in einem Index zu Anfang ausgewiesen werden. Die große Masse der Einträge entfällt naturgemäß auf den Breslauer Dom, der damit hervorragend erschlossen ist: ›Monumenta et Inscriptiones, in Templo Cathedrali Johannis Bap. oder Epitaphia und Inschriften in der Dohmkirche zu St. Johannis in Breslaw.‹ Ezechiel hat, nach dem Zeugnis von Paritius, dem die Abschrift aus dem Jahr 1802 zu verdanken ist, den ersten vorliegenden Teil seines Werkes am Magdalenen-Gymnasium unter dem Rektorat von Christian Gryphius wieder aufgenommen und die neuen Einträge in eine numerische Folge gebracht. 154 Einträge innerhalb der Kirche mit einem Annex zu Inschriften außerhalb ihrer, verbunden mit detaillierten Angaben zu den Inschriftenträgern, liegen vor. Es handelt sich also um eine für das katholische Breslau – gleichermaßen im Blick auf die Kathedrale wie die zahlreichen weiteren Kirchen, angefangen mit der benachbarten Kreuzkirche – unschätzbare personenkundliche Quelle.

Monumenta et Inscriptiones Vratislavienses. Pars secunda. Enthaltend die Epitaphia und andern Inscriptionen, der Evangelisch lutherischen Kirchen zu Breslau. R 2800 (Abschrift Paritius) Wie auf dem Titelblatt ausgewiesen, das evangelische Gegenstück zu dem katholischen Breslau. Wurde jenes mit dem Dom eröffnet, so dieses selbstverständlich mit der Elisabeth-Kirche. Die Seiten 485 bis 676 in der fortlaufenden Paginierung gelten ihr nebst der Krappischen Kapelle. Im Jahre 1800 hatte Paritius die nachfolgend aufgeführte Handschrift aus der Elisabeth-Kirche bearbeitet. Zwei Jahre später widmete er sich der Abschrift des Werkes seines Vorgängers und trug derart auf seine Weise bei zur Vergegenwärtigung auch des evangelischen Breslau. Im Anschluß an die Präsentation der Elisabeth-Kirche erhalten die Kirchen St. Maria Magdalena, St. Bernhardin, St. Barbara, St. Christopherus, St. Hieronymus, St. Trinitatis und Zu den Elftausend Jungfrauen ihre Erschließung. Eine Reihe von nachgeschalteten ›Inscriptiones Vratislavienses‹ und ein unschätzbares großes Personenregister beschließen das weit über 1000 Seiten umfassende monumentale Werk.

Monumenta et Inscriptiones Pars tertia. R 2801 Bearbeitung einer im Kirchenarchiv zu St. Elisabeth vorgefundenen Handschrift von Paritius aus dem Jahr 1800. Paritius rüstete sich mit diesem Werk für die eingehende Beschäftigung mit dem handschriftlichen sepulkralen Nachlaß seines Vorgängers Ezechiel und legte zugleich die Grundlage für sein späteres eigenes großes Inschriftenwerk (siehe unten!). Die durch Wappenzeichnungen, Skizzen der Monumente und ihrer künstlerischen Ausstattung sowie die Nachbildung der Epitaphien und In-

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schriften, schließlich durch Grund- und Aufrisse der Kirche reich gezierte und durch diverse Register hervorragend erschlossene Handschrift dürfte dank des unermüdlichen Wirkens von Paritius nochmals ein singulär dastehendes Zeugnis skripturaler Inschriften-Kultur des alten Breslau und seines prominentesten Sakralbaus neben dem Dom darstellen. Unter R 2801a liegen ›Nachträge zu Monumenta et Inscriptiones Vratisl. Collectore Chr. Ezechiele‹ von Paritius’ Hand vor.

MARTIN HANKE

Wie kein zweiter hat der langjährige Rektor des Elisabeth-Gymnasiums Martin Hanke das gelehrte Leben Breslaus in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts und im Übergang zum 18. beherrscht. Wenn es einen Namen gibt, der in der Nachfolge der Trias Scultetus, Cunrad und Henel – von Monau nicht zu reden – noch einmal mit Fug im Blick auf Rang und geistige Weite genannt werden darf, so ist es derjenige Hankes. Markgraf – Martin Hanke, einer der großen Rektoren des 17. Jahrhunderts, und seine Bedeutung für die schlesische Geschichtschreibung.- In: ders.: Kleine Schriften (1915), S. 30–52 – hat sich eher skeptisch über seine historiographischen, der Frühgeschichte Schlesiens geltenden Arbeiten geäußert. Der Rang seiner biographischen Kompendien ist über jeden Zweifel erhaben. Silesiorum et intra Silesiam Exterorum Vitae. Ab Anno 1695. ad 1705. R 770 Zweiter Band einer von 1663 bis 1705 reichenden Folge. Band I (R 769), die Jahre 1663 bis 1694 umfassend, ist verschollen! Überraschenderweise nicht eigens behandelt in Markgrafs grundlegender Abhandlung zu Hanke.

Annales de Silesiorum Rebus ab a. 1350 ad a. 1500. R 771 Handschrift mit gelegentlichen Eintragungen zu Personen, teilweise durchgestrichen. Es handelt sich offensichtlich um Vorarbeiten für ein das (späte) Mittelalter umfassendes Repertorium und damit um einen Vorläufer zum nachstehenden, zeitlich sich anschließenden Werk.

[Vitae Eruditorum Silesiacorum.] [Eintrag Markgraf:] »Annales de Silesiorum rebus. 7 voll. et Index. 1501– 1703. Biographien nach Ordnung der Todesjahre.« [Eintrag Volger zu den Handschriften Kloses:] »Martini Hankii Vitae eruditorum Silesiacorum. Band I A° 1550–1620. Band II A° 1621–1660. Band III Index alphabeticus dazu. Orig. Hs. 773–780.«

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Von diesem achtbändigen Hauptwerk Hankes, mit dem er die Nachfolge Henels antrat, haben sich gerade drei Bände erhalten, R 774, R 775 und R 780. Die Lage wäre desolat, wenn nicht frühzeitig ein Abschreiber in die Bresche gesprungen wäre, dem neuerlich die Rettung des Großteils der Manuskripte zu danken ist: Samuel Benjamin Klose. Bis auf das (tragischerweise) verlorene Register ist das Werk nahezu komplett zu rekonstruieren. Denn für die Zeit bis 1550 liegt ein von Hanke selbst überwachter Druck vor und ab 1550 setzt Klose mit seinen Abschriften ein. Zu beklagen bleibt der Verlust der Handschrift R 783. Dazu unten. Vor Eintritt in die nähere Präsentation muß Markgraf das Wort gegeben werden, der sich als einziger der Überlieferung der Hankeschen Manuskripte in neuerer Zeit angenommen hat. Hanke hatte seine dem Mittelalter gewidmeten und bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts sich erstreckenden biographischen Forschungen erst 1707, zwei Jahre vor seinem Tod, in zwei Bänden zum Druck bringen können: De Silesiis indigenis eruditis und De Silesiis alienigenis eruditis, in denen er 85 in Schlesien geborene und 16 außerhalb geborene und später hier heimisch gewordene Gelehrte aus der Zeit von 1150–1550 mit Zusammenstellung aller ihm erreichbaren Nachrichten bearbeitete, jede Biographie in die Abschnitte ›Vita‹, ›Mors‹, ›Scripta‹ einteilend und die Biographien selbst nach den Todesjahren der Helden ordnend. Die Fortsetzung zum Druck zu bringen, erlebte er nicht mehr; seine Manuskripte gingen in die Rehdigersche Bibliothek über. Hier findet sich unter dem täuschenden Titel ›Annales de Silesiorum rebus‹ (Stadtbibl. Breslau Hdschr. R 774–778) noch größtenteils fertig ausgearbeitet in fünf Bänden die Fortsetzung von 1551 bis 1660, die S.B. Klose seiner Zeit mit Recht einer Abschrift wert erachtet und mit einem Register versehen hat. Diese schöne, bequem zu lesende Abschrift Kloses bietet jetzt in der Stadtbibliothek ein häufig benütztes Nachschlagewerk für die schlesische Personengeschichte. Eine weitere Fortsetzung von 1661 bis 1700 (Hdschr. R 779) ist in den Vorarbeiten stecken geblieben. Auch ist noch ein ziemlicher Foliant (Hdschr. R 783) vorhanden, in den er diejenigen eingetragen hat, deren Todesjahr nicht ermittelt war, und die er deshalb in die Reihe nicht einordnen konnte.« (Kleine Schriften (1915), S. 48 f.)

Im einzelnen nimmt sich das heutige Bild der Überlieferung wie folgt aus: [Annales ab anno 1501 ad annum 1550.] R 773 Die Handschrift ist verschollen. Sie ist nur über den pauschalen Katalogeintrag Markgrafs bezeugt. Klose hat sie – wie aus dem obigen Eintrag Volgers ersichtlich – nicht abgeschrieben. Seine Abschrift setzt, wie durch Volger selbst und sodann durch Markgraf bezeugt, mit der 1550 beginnenden Folge II ein. Und das mit gutem Grund. Denn bis 1550 lag ja das gedruckte Werk vor. (Siehe unten!) ›Annales‹ meint das annalistische Vorgehen nach dem Sterbedatum der jeweiligen Person.

Annales ab anno 1551 ad 1580. R 774 Das Werk setzt mit dem 1551 verstorbenen Johannes Hofmann ein. Verweise erfolgen durchgängig auf Henels und auf Cunrads ›Silesia Togata‹. Weitere Verweise auf

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die Erwähnung der jeweiligen Person fließen ein. Das Werk ist durchsetzt von gelehrten Marginalien. Hanke zitiert gerne aus den von ihm porträtierten Autoren, hier aus Martin Hofmanns Epicedien des Jahres 1572. Das Gedicht selbst ist datiert auf den 27. Dezember 1564.

Vitae Ervditorvm Silesiacor. [!] a M.H. Ab Anno 1551 ad 1580. Klose 179; Akc 1949 KN 614 Hier handelt es sich um die Abschrift des obigen Werkes. Klose fügt durchgehend den Verweis bei: »Jo Henr Cunradus in Sil. Ms. Tog.« Auch Klose nutzte also das von uns gesuchte Manuskript mit Gewißheit noch. Vgl. dazu unten!

Annales ab anno 1581 ad 1600. R 775 Das Werk enthält u.a. einen großen Artikel über Petrus Vincentius. Hanke zitiert ausführlich aus dessen Wittenberger ›Oratio‹, und zwar nach einem Görlitzer Druck der Orationes aus dem Jahr 1565.

Vitae Ervditorvm Silesior. a M.H. Ab Anno 1581 ad 1600. Klose 179; Akc 1949 KN 614 Abschrift Kloses der Hankeschen Handschrift R 775.

Vitae Silesiorvm ab Anno 1601–1620. a M.H. Klose 179; Akc 1949 KN 614 In dem gleichen Kloseschen Heft liegt auch die Abschrift der verlorenen Hankeschen Handschrift R 776 vor, die auf diese Weise – in der gestochenen Handschrift Kloses – vor der (sehr wahrscheinlichen) Vernichtung bewahrt wurde.

Vitae Silesiorvm ab Anno 1621. ad 1640 a M.H. Klose 180; Akc 1949 KN 600

Vitae Silesiorvm Ab Anno 1641 ad 1660 a M.H. Klose 180; Akc 1949 KN 600 Mit diesen Abschriften wurde Klose auch zum Konservator der verlorenen Hankeschen Handschriften R 777 und 778. Der letzte Eintrag gilt Daniel Czepko jun.

[Vitae Silesiorvm ab Anno 1661 ad 1700.] R 779 Fragment gebliebene Fortschreibung des Werkes. Siehe die obigen Bemerkungen Markgrafs. Die Handschrift ist verloren. Die Fragmente wurden von Klose nicht abgeschrieben. Nähere Zeugnisse fehlen.

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Martin Opitz

[Fragment.] R 780 Der Text setzt auf S. 64 mit einem Eintrag zu Gregorius Mosenberg ein. Es handelt sich um ein durchschossenes Exemplar mit Zusätzen von Volger, Markgraf u.a. zu weiteren Gelehrten mit Verweis auf Leuschner, John, Streit, Schummel, Paritius etc. Das Werk wird auf diese Weise zu einem aktuellen und umfassenden schlesischen Gelehrten-Lexikon in der Nachfolge Hankes ausgebaut. Auf dem letzten Blatt des einst acht Bände umfassenden Werkes wird eine ›Summa Summarum‹ gezogen. 1567 Viten und fünf Nachträge, also insgesamt 1572 Gelehrtenporträts sind in ihm versammelt. Seine Fragmentierung gehört zu den tragischen Aspekten der schlesischen Gelehrtengeschichte. Der große Vorgänger wird ganz am Schluß nochmals namhaft gemacht: »Iohannis Henrici, Casparis Filii Cunradi, Wratislaviâ-Silesii, Silesia Togata: In quâ Virorum genere, virtute et doctrina clarissimorum Vita et Fama singulis distichis utcunque delineatur: Cum Elencho Nominum eorum in calce adiecto.« Auch Hanke dürfte also wie Klose das Manuskript des Cunradschen Werkes vorgelegen haben.

[Register zum dem vorliegenden Werk.] Klose 181 Klose fertigte im dritten Band seiner Abschriften der Hankeschen Viten nach Ausweis von Volger einen ›Index alphabeticus‹ dazu. Die Handschrift ist verschollen. Das monumentale Werk hat seinen Schlüssel verloren. Ein Register müßte zusammen mit einem Neudruck des Hankeschen Werkes erarbeitet werden.

[Viten von Gelehrten mit unbekanntem Todesdatum.] R 783 Offensichtlich im Zuge der Arbeiten an Hankes biographischen Lexikon entstandenes Arbeitsexemplar mit Personen, deren Todesdaten nicht zu ermitteln waren und die deshalb in dem Werk nicht plaziert werden konnten. Die Handschrift ist verschollen. Eine Abschrift Kloses existiert nicht.

Monumenta Exterorum Intra Silesiam. R 782a

Monumenta Silesiorum Extra Silesiam. R 782b

Monumenta Silesiorum Intra Silesiam. R 782c

Monumenta Silesiorum Honoraria. R 782d

Monumenta Exterorum Intra Silesiam mortuorum Honoraria. R 782e

Bio-bibliographischer Anhang

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Vratislavienses Eruditi. R 782f Es handelt sich um eine fünf Hefte umfassende Folge nebst einer Art Anhang. Das Werk gehört in die große Tradition der schlesischen Memorialkultur in Gestalt der Inschriftenkunde und stellt einen wichtigen Beitrag zu ihr dar. Hanke gibt zu den Einträgen jeweils das Sterbedatum des Verewigten sowie den Fundort der Inschrift an. Besonders wichtig für die schlesische Personenkunde ist naturgemäß der dritte Band, der 382 Eintragungen versammelt. Er reicht von 1376 bis in die Hankesche Gegenwart. Für die gelehrten Breslauer hat Hanke eine berufsspezifische Strukturierung versucht. Das Werk ist komplett erhalten. Es verdiente dringend eine Edition.

Vratislaviense Diarium, mortuorum Silesiorum et intra Silesiam Exterorum, Ab. A. 1599. ad A. 1676. R 784 Hier handelt es sich um Auszüge aus den Kirchenbüchern von St. Elisabeth. Sie erstrecken sich auf die Jahre 1599 bis 1676. Während für 1599 nur drei Einträge vorliegen, sind es für 1600 schon achtzehn. Die Zusätze sind denkbar knapp. Hanke schuf sich offensichtlich ein Personen-Repertorium, aus dem dann für die umfassenderen Viten eine Auswahl erfolgte.

[Eintrag Markgraf:] Biographica in 3 Mappen alphabetisch geordnet. I. A–E. II. F–G. III. H–O u. S. R 785-787 Erhalten haben sich nur Fragmente, die im Einzelfall mit Gewinn herangezogen werden können.

Memorabilia De Rebus Silesiorum. Ab A.C. 1695. R 788 Es handelt sich um eine Chronik der jüngsten Zeit, die bis zum 13. Januar 1709 geführt wird. Notiert werden Hochzeiten, Todesfälle, Besuche, Ordinationen etc. Obgleich kein biographisch angelegtes Werk, für die Zeit um 1700 gleichwohl im Einzelfall zu konsultieren. Eine Abschrift liegt mit Klose 183 (Akc 1949/593) vor.

Vratislavienses Eruditionis Propagatores: Id est, Vratislaviensium Scholarum Praesides, Inspectores, Rectores, Professores, Praeceptores, Tabulis Chronologicis comprehensi, Ab Anno Christi M.D.XXV. ad M.DCC. Cum Annotationibus & tribus Indicibus.- Leipzig: Bauch 1701. R 789 Grundlegendes Nachschlagewerk für die Breslauer Schulgeschichte, hier in einem mit handschriftlichen Zusätzen versehenen Exemplar, die vielfach eingingen in die von Hieronymus Scholtz besorgte zweite Auflage des Werkes (Breslau: Korn 1767).

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Martin Opitz

Weitere, handschriftlich ergänzte und annotierte Exemplare: R 2330, R 2330a, R 2330b.

De Silesiis Alienigenis Eruditis Ab Anno Christi 1170 Ad 1550. Liber Singularis. Additi sunt sex Indices.- Leipzig: Bauch 1707. R 792 Offensichtlich Hankesches Handexemplar mit Korrekturen und reichen Zusätzen, teilweise auf eingelegten Zusatzblättern in Folio. Das Werk daher bevorzugt in diesem Exemplar zu benutzen. Einer der letzten und besonders ausführlichen Einträge (Caput XIV) ist Johannes Heß gewidmet. Vgl. auch das Parallelwerk von Hanke: De Silesiis Indigenis Eruditis Post Literarum Culturam, Cum Christianismi Studiis, Anno 965 Susceptam, Ab Anno 1165 Ad 1550. Liber Singularis. Additi sunt sex Indices.- Leipzig: Bauch 1707.

[Vitae Silesiorum.] R 2664 Der Titel dem Markgrafschen Eintrag im Katalog der Rhedigerschen Handschriften entnommen, mit dem Zusatz versehen: »Theils vom Vf. th. von Schreiberhand geschr. Mit Index von Paritius.« Der Band selbst ohne eigenes Vorsatzblatt. Offensichtlich ein Vorläufer zu Hankes großem Viten-Werk, wie zahlreiche Ausstreichungen zeigen. Die Handschrift weist mehrere Schreiberhände auf. Zu Beginn finden sich u.a. Einträge zu Jacob Monau (Bl. 31–33), zu Petrus Vincentius (Bl. 63–66), zu Caspar Cunrad (Bl. 66–69) und zu Reinhard Rosa von Rosenigk (Bl. 77–79). Bl. 119 setzt ein neuer Schreiber ein mit Einträgen z.B. zu Johannes von Hoeckelshoven (Bl. 139–145), zu Opitz (Bl. 153–156) und zu Exner (Bl. 187 f.). Bl. 206 erfolgt eine Rückkehr zur ersten Hand etwa mit einem weiteren Eintrag zu Hoeckelshoven (Bl. 232) sowie zu Matthäus Apelles von Löwenstern (Bl. 240–242). Wiederum von anderer Hand erfolgen Verweise vor allem auf Henels ›Silesia Togata‹ mit Angabe des Buches und der laufenden Nummer. Die Cunradsche ›Silesia Togata‹ scheint nicht benutzt. Die Namen sind oftmals mit fortlaufenden Numerierungen versehen. Zwischendurch ist ein Register eingeschaltet. Es weist auch Tobias Scultetus aus (Bl. 77; Nr. LIV). Der Text selbst ist an dieser Stelle beschädigt und vermutlich nicht mehr restlos rekonstruierbar. Ein Verweis III.40 führt zu Henels Eintrag. Auch hat sich ein Schreiber mit dem Verweis auf den Druck einiger seiner Gedichte in der Gruterschen Anthologie verdient gemacht. Die Reihe der Autoren läuft jedoch fort. Die Anordnung erfolgt in den späteren Passagen nach dem Sterbedatum. Offensichtlich schält sich dieses Prinzip sukzessive als das der Wahl heraus. Nikolaus von Burghaus (Bl. 264, Nr. 247), Abraham von Bibran (Bl. 275), Friedrich von Kreckwitz (Bl. 279 f.), Sigismund von Burghaus (Bl. 281 f.), Heinrich von Stange und Stonsdorf (Bl. 284, Nr. 321), Johannes Conradus (Bl. 312, Nr. 498), Valentin Senftleben (Bl. 318 f.), Johannes Neomenius (Bl. 329) und Daniel Czepko (Bl. 338) werden u.a. behandelt. Bl. 349–360 findet sich ein weiteres Inhaltsverzeichnis. Danach setzt Bl. 361 eine neue Abschrift mit Nr. I ein, ohne daß diese identisch wäre mit der der ersten Folge. Nüßler (Bl. 363–367), Tscherning (Bl. 368–370), Balthasar von Promnitz (Bl. 380), Sigismund von Burghaus (Bl. 395 f.) und Peter Monavius (Bl. 422 f.) werden u.a. behandelt. Verbindungen im Werk erschweren leider

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die Benutzung. Bl. 464 setzt eine weitere Folge ein, nun mit einem ausdrücklichen Titel, der offensichtlich zu dem oben wiedergegebenen Eintrag im Katalog führte: ›Martini Hankii Vitae Silesiorum Scriptorum Mstae.‹ Neuerlich erscheinen z.B. der 1588 verstorbene Peter Monavius (Bl. 480 f.), der 1603 verstorbene Jacob Monavius (Bl. 514–518) und der 1618 verstorbene Johannes von Hoeckelshoven (Bl. 562 f.). Es schließen sich u.a. an: Melchior Adam (Bl. 569 f.), Balthasar Exner (Bl. 580– 582), Melchior Sebisch (Bl. 587–589), Melchior Lauban (Bl. 606 f.), Caspar Cunrad (Bl. 608 f.), Martin Opitz (Bl. 628–639), Christopherus Colerus (Bl. 656–660) und Andreas Tscherning (Bl. 660–662). Die Ausstreichungen dürften auf erfolgte Abschrift verweisen. Mit Nr. CIV und dem Eintrag zu dem 1666 verstorbenen Nikolaus Goldmann (Bl. 664 f.) endet diese Folge. Es wird jedoch noch eine weitere Sequenz, wiederum mit dem Titel ›Vitae Silesiorum Scriptae a Martino Hankio‹, eröffnet, die einen früheren Zeitraum betrifft und Bl. 720 mit einem Porträt des 1583 verstorbenen Abraham Seiller (Nr. XXII) endet. Von anderer Hand ist eine weitere Opitz-Bibliographie (Bl. 721–728) angehängt. Ein dreiseitiges Register aller Namen beschließt das Werk. Es bedürfte eingehenderer Untersuchungen besonders im Hinblick auf die siebenteilige Folge des oben aufgeführten Viten-Werkes Hankes.

NICOLAUS HENEL VON HENNENFELD

Die Arbeit an dem erhaltenen handschriftlichen Werk Henels ist durch das jüngst erstellte Repertorium von Wojciech Mrozowicz: Handschriften von und über Nicolaus von Hennenfeld in der Universitätsbibliothek Breslau.In: Die oberschlesische Literaturlandschaft im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Gerhard Kosellek.- Bielefeld: Aisthesis 2001 (= Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien; 11), S. 269–315 auf eine neue Grundlage gestellt worden. Der Verfasser schätzt sich glücklich angesichts der Übereinstimmung mit seinen in den achtziger Jahren durchgeführten Ermittlungen. Das verdienstvolle Repertorium läßt die notwendige und in gewisser Hinsicht überfällige Behandlung weiterer großer Autoren mit reichem Nachlaß nur um so dringlicher erscheinen. Im folgenden wird aus umfänglichen eigenen Ermittlungen ein Ausschnitt mit Blick auf das bio-bibliographische Œuvre Henels geboten. Insbesondere das reiche handschriftliche landeskundliche Schrifttum Henels kann hier nicht ausgebreitet werden. Ergänzungen aus der Untersuchung von Mrozowicz wurden den folgenden Annotationen dankbar integriert, die ansonsten vor zwanzig Jahren notiert wurden und hier erstmals dargeboten werden. Die aus den Quellen gearbeitete und oben zitierte Abhandlung Hermann Markgrafs ist weiterhin hinzuzuziehen: Nikolaus Henel’s von Hennenfeld (1582–1656) Leben und Schriften.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 25 (1891), S. 1–41. Silesiae Togatae Liber Primus [–] Sextus. R 570 (Abschrift Hanke)

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Silesiae Togatae Liber Septimus [–] Duodecimus. R 571 (Abschrift Hanke) Der erste, 718 Seiten umfassende Band bietet 376 Biographien. Der zweite, 672 Seiten umfassende Band führt keine eigene Zählung der Autoren. Dem ersten Band steht zusätzlich ein 10 Blatt umfassender Namensindex für beide Bände voran. Der zweite Band bietet am Schluß vier Blatt umfassende ›Supplementa ad Nicolai Henelii ab Hennenfeld Silesiam Togatam.‹ Die beiden Bände sind neu gebunden. Eine vermutlich vorhandene Rückenbeschriftung ist leider nicht bewahrt. Nach Mrozowicz handelt es sich nur zu Teilen um eine Abschrift Hankes. Die Foliierung erstreckt sich jeweils über alle sechs Bücher der beiden Bände. Im ersten Band findet man u.a. Sigismund von Burghaus (Bl. 115–119), Abraham von Dohna (Bl. 177 f.), Georg von Schönaich (Bl. 188–190), Nikolaus von Burghaus (Bl. 190–192), Abraham von Bibran (Bl. 255–259), Friedrich von Kreckwitz (Bl. 300 f.), Sigismund von Burghaus (Bl. 308–312), Tobias Scultetus (Bl. 337–342 mit der Ordnungsnummer III.39), Andreas Geisler (Bl. 347–350), Heinrich von Stange und Stonsdorf (Bl. 351 f.), Peter Monavius (Bl. 425–428), Hieronymus Treutler (Bl. 430 f.), Daniel Rindfleisch (Bl. 445–448), Reinhard Rosa (Bl. 464–470), Abraham Scultetus (Bl. 580– 590), Melchior Sebisch (Bl. 590–601), Jakob Schickfuß (Bl. 622–626), Petrus Naudé (Bl. 638) und Caspar Kirchner (Bl. 700–704). Im zweiten Band sind u.a. Petrus Rosa (Bl. 33–35), Nikolaus Steinberg (Bl. 69–72), Daniel Bucretius (Bl. 133–137), Melchior Lauban (Bl. 143–157), Johannes von Hoeckelshoven (Bl. 251–266), Jeremias Coler (Bl. 387–390), Johannes Conradus (Bl. 412–418), Melchior Steinberg (Bl. 460–462), Johannes von Hoeckelshoven (Bl. 499–501), Valentin Senftleben (Bl. 610–619), Apelles von Löwenstern (Bl. 631–635), Hieronymus Rosaeus (Bl. 650) und Balthasar Exner (Bl. 673–680) untergebracht. Es geht daraus auch hervor, daß Henel nicht eine alphabetische Folge beobachtete, sondern offensichtlich jeweils aktuelle Einträge ohne Beachtung eines vorgängigen Schemas vornahm. Gelegentliche Doppeleinträge sind erkennbar. Das Werk legt in einzigartiger Weise Zeugnis ab von dem evangelischen und vielfach zum Calvinismus tendierenden gelehrten Schlesien in dem entscheidenden Achsen-Jahrhundert zwischen 1550 und 1650. Es verdiente eine Neuedition.

Silesiae Togatae Libri XI [recte: XII]. IV F 127 Provenienz: Staats- und Universitätsbibliothek Breslau. Auf dem Rücken ein aufgeklebtes Schild: ›Nicol Henelii ad Hennefeld Silesiae togatae Libri XI. [Strich] cod. chart. IV. F. 127.‹ Darunter als Rückentitel auf dem Ledereinband: ›Henelii Silesia Togata‹. Auf dem Innendeckel die Notiz »Hs 7. August 1744 im Matthias Stift abgeschlossen«. Weiter der Zusatz: »Aus der Bibliothek des St. Matthias-Stifts zu Breslau.« Der obige Titel auf dem Rückenschild ist inkorrekt. Tatsächlich enthält der Band alle zwölf Bücher der ›Silesia Togata‹. Auf Blatt 732 beginnt ein ›Liber Duodecimus‹. Am Schluß findet sich ein sechs Blatt umfassendes Namensregister, das alle zwölf Bücher umfaßt. Die Foliierung erstreckt sich über die Bücher hinweg. Es handelt sich nach Markgraf nicht um das Henelsche Original. An der Abschrift dürften mehrere Schreiber beteiligt gewesen sein. Michael Joseph Fibiger verwendete das Manuskript anläßlich seiner Bearbeitung der Henelschen ›Silesiographia Renovata‹, der

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er die Henelschen Biographien aus dessen ›Silesia Togota‹ (in konfessionell gereinigter Form) integrierte. Georg von Schönaich wird im ersten Buch porträtiert (Bl. 96– 99), Scultetus im dritten (Bl. 202–204), Melchior Sebisch im sechsten (Bl. 399– 404), Johannes von Hoeckelshoven im achten (Bl. 543–549), Melchior Adam und Jeremias Coler im neunten (Bl. 607 f. bzw. Bl. 610–612), Apelles von Löwenstern im elften (Bl. 727–730) und Balthasar Exner im abschließenden zwölften (Bl. 756).

Silesia Togata, sive Silesiorum, qvi Litterarum Militiae, aliarumque Artium et Virtutum togatarum Fama claruerunt, Evlogia et Memoriae. Libri Sex Priores. B 1716 Die ersten sechs Bücher des Henelschen Werkes in der Abschrift Ezechiels. Die Abschrift stammt aus dem Jahr 1712. Der Titel Bl. IIIr. Auf dem Rücken des Einbandes: ›Nicolai Henelii Silesiae togatae libri 12 priores.‹ Ein siebzehnseitiger Anhang bietet ein Register der Personen, schematisiert nach zehn Dekaden. Vgl. dazu unten zu R 2155a. Außerdem enthält der Anhang den Auszug eines Briefes Cunrads an Henel mit Distichen auf 25 Personen. Der letzte Eintrag zu Ende des sechsten Buches hatte Cunrad gegolten. Der zweite Teil der Abschrift Ezechiels, die Bücher sieben bis zwölf umfassend (B 1717), zählt zu den Kriegsverlusten. Er dürfte weitere erschließende Instrumentarien enthalten haben.

Silesia Togata. Klose 177; Akc 1949/1283 Die Bücher VII–XII der ›Silesia Togata‹ in der Abschrift Kloses. Abschrift von 680 Biographien in der gestochenen Kloseschen Schrift. Am Schluß (Bl. 341r–348r) ›Supplementa ad Nicolai Henelii ab Hennenfeld Silesiam Togatam‹. Daran anschließend ein zehn Blatt unfassendes Personenregister. Das Exemplar durch Einwirkung von Wasser und Feuer schwer beschädigt; vielfach stark gebräunt – aber gerettet. Das Exemplar ist mit einem neuen Einband versehen, so daß Rückenbeschriftungen nicht mehr kenntlich sind. Nach Markgraf (Henel, S. 35 f., Anm.) enthält Hankes Abschrift ein Supplement von 40 Viten, die in das Klosesche Manuskript eingingen. – Die Klosesche Abschrift der Bücher I–VI (Klose 176) ist verschollen!

Decas Elogiorum Silesiacorum Secunda [–] Decima. R 2155a Hier handelt es sich um eine – möglicherweise erste – Schematisierung für Henels ›Silesia Togata‹, die einen Eindruck gewährt, welche Abfolge Henel – zumindest zeitweilig – vorschwebte. Vorhanden sind – gegliedert in zehn Dekaden – die Namen derer, denen er Porträts widmen wollte, sowie ausformulierte Widmungszuschriften für die einzelnen Dekaden – nicht mehr, aber auch nicht weniger. So komprimiert wie an gewiß keiner anderweitigen Stelle sonst wird der Kreis der Henel vertrauten und teuren Menschen in dieser Synopse kenntlich. Fast alle Namen haben für den Kenner einen vertrauten Klang und sind aus anderweitigen Zusammenhängen über Henel bekannt. Scultetus fehlt unter den Adressaten. Die Handschrift

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Martin Opitz

setzt mit der zweiten Dekade ein. Nach der zehnten Dekade und der Widmungszuschrift für Caspar Cunrad folgt eine Widmung an Nikolaus von Burghaus. Sie war offensichtlich für das Gesamtwerk konzipiert. Die anschließende Prosazuschrift ist auf den April 1617 datiert. Die konzeptuelle Arbeit schloß sich also unmittelbar an den Druck der unten aufgeführten Epigramm-Trias 1615/16 an. Der Widmung folgt wiederum die Aufführung der zehn Adressaten für eine ›Decas Elogiorum Silesiacorum Prima‹. Eine einzige Eloge ist ausgeführt und durchgestrichen, diejenige für Martin Gerstmann. Die heutige Handschrift R 2155a ist nur noch ein Fragment der einstigen R 2155. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sie möglicherweise Textsubstanz für weitere Elogen barg. Wahrscheinlich ist dies jedoch nach der Kurzcharakteristik im Markgrafschen Katalog der Rhedigerschen Handschriften nicht.

CHRISTIAN FRIEDRICH PARITIUS

Paritius, dessen hauptsächliche Wirkungszeit in das frühe 19. Jahrhundert fällt, gehört in der Nachfolge eines Klose, eines Arletius, in gewisser Weise auch eines Ezechiel, in die Reihe der um Sicherung von Tradition bedachten Figuren, zugleich jedoch in der Nachfolge eines Georg Thebesius und wiederum eines Ezechiel in die Reihe der großen schlesischen Presbyterologen, Sepulkral-Archäologen und Gelehrtenkundler. Es liegen eine Reihe von einschlägigen und überaus ergiebigen Handschriften vor, so – um nur ein Beispiel zu geben – Gelehrten-Kollektaneen mit 2400 Einträgen im ersten Band (R 2688) und 890 im dritten (R 2689a); ein zweiter Band (R 2689) ist wieder verschollen. Eine Untersuchung des reichhaltigen Materials unter genetischen und filiationsbezogenen Aspekten muß einer Spezialarbeit vorbehalten bleiben. Leider sind einige Handschriften schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Das gilt gleich für das erste hier aufzuführende Stück. [Presbyterologie.] R 2693b Paritius ist, wie erwähnt, der Verfasser des weitläufigen Registers zur Ehrhardtschen Presbyterologie. Er ist in der Nachfolge Ehrhardts selbst tätig geworden, hat sein Werk jedoch nicht zum Druck gebracht. Es ist nicht komplett überliefert. Hier liegt der zweite Band vor. Er ist Wohlau sowie den Standesherrschaften Trachenberg, Militsch und Wartenberg gewidmet. Der erste Band galt dem Fürstentum Schweidnitz. Er ist verschollen (R 2693a). Das ist besonders bedauerlich, weil auch das Ehrhardtsche Manuskript, das der Verfasser nicht mehr zum Druck befördern konnte, schon im 19. Jahrhundert nicht mehr auffindbar war. Vgl. von Paritius in diesem Zusammenhang: Alphabetisches Register zu S.J. Ehrhardt’s Presbyterologie. Verfasst von Chr. Fr. Paritius (Zusatz von neuerer Hand: »(Bandweise), I, II, III, IV«). (R 2668), sowie: Namen und Oerter Verzeichnis über S.J. Ehrhardts Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens [...] von Christian Friedrich Paritius (R 2669). Schließlich erfolgt auch hier nochmals ein Hinweis auf das – leider wiederum fragmentierte –

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Verzeichnis der Bibliothek des Paritius: Verzeichnis seiner Bücher (R 2809). Es handelt sich um einen zweiten Teil. Der erste Teil (R 2808) ist verschollen.

Monumenta Vratislaviensia oder Grabschriften zu Breslau, aufgenommen von 1822–1824 durch Christian Friedrich Paritius. R 2531 Der Titel ist einem Vorsatzblatt der Handschriften-Abteilung der BU Wrocław entnommen, der seinerseits in Anlehnung an einen zweiten und erhaltenen Teil des Werkes gebildet wurde. Ein separater Titel hat sich nicht erhalten. Darüber hinaus sind insbesondere die ersten Seiten vor allem am oberen Rand beschädigt, am schwersten die erste Seite. Der Eintrag im Handschriften-Katalog der Breslauer Stadtbibliothek von Markgrafs Hand ist identisch mit dem obigen. Das Werk wird eröffnet mit 72 bzw. 73 Einträgen infolge einer Doppelzählung, die der Elisabeth-Kirche einschließlich der Krappischen Kapelle gewidmet sind. Eine Identifizierung der mitgeführten und durchgestrichenen römischen Ziffern ist infolge des Verlusts von R 2802 (siehe unten) vermutlich nicht mehr möglich. Es handelt sich um ein Arbeitsheft mit vielen Ausstreichungen, möglicherweise einer Vorstufe von R 2802. Nach einem Namens-›Register zum Anfange‹ erfährt das Werk seine Fortsetzung mit einer detaillierten Beschreibung der Sepulkralkunst in der ›Pfarrkirche zu St. Maria Magdalena‹. Geboten wird – und nun in Reinschrift – neben den Inschriften selbst jeweils eine einläßliche materiale und ikonologische Beschreibung des Inschriftenträgers, teilweise ergänzt um eine Skizze des Grundrisses der Anlage. 169 teils sehr ausführliche Einträge weist das Grundwerk aus. Dann folgen jeweils mit neuer Zählung weitere Einträge zur großen Sakristei und zu Denkmälern außerhalb der Kirche mit nochmals 14 bzw. 58 Positionen. Für die zweite Hauptkirche Breslaus liegt damit ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer ehemaligen sepulkralen Ausstattung vor. Und so nicht anders in den nachfolgenden Passagen zu elf weiteren Kirchen, angefangen mit der ›Pfarrkirche zu St. Bernhardin in der Neustadt‹, gefolgt von Einträgen zu St. Barbara, St. Christopherus, Kirche und Hospital zur Hl. Dreifaltigkeit, Kapelle und Kirchen-Hospital zum Heiligen Grab, zu St. Salvator, Kirche und Hospital zu AllerHeiligen, zu den Kirchen in Domslau, Potrich, Riemberg und Schwoitsch sowie schließlich zu den Gedenkstätten im Umkreis des Breslauer Rathauses.

Monumenta Vratislaviensia oder Grabschriften zu Breslau, aufgenommen von 1822–1824 durch Dr. Christian Friedrich Paritius. Tomus II. R 2803 Unter dem obigen originären Titel liegt ein zweiter Teil des Inschriftenwerkes von Paritius vor, dessen erster Teil (R 2802) verloren ist, aber möglicherweise durch den oben beschriebenen Band R 2531 in gewissem Umfang Ersatz findet. In diesem Band werden nochmals 17 Kirchen erfaßt und in ihrer sepulkralen Ausstattung erschlossen: S. Adalbert, S. Anna, S. Antonius, S. Clara, S. Corpus Christi, S. Dorothea, S. Jacob, S. Joseph, S. Lazarus, S. Maria, S. Mathias, S. Mauritius, S. Michael, S. Nicolai, S. Trinitatis, S. Vincentius sowie die Kirche der Jesuiten. Ein Register der erfaßten Kirchen und der Personen steht voran.

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Martin Opitz

GEORG THEBESIUS

Monumenta Sepulchralia Silesiaca. Tom: I[.] Num: I–XXV. R 2671, R 2672 Das zweibändige Werk ist laut Eintrag Markgrafs von Georg Thebesius erarbeitet worden, dem berühmten Verfasser der ›Liegnitzschen Jahrbücher‹, entstammt also dem 17. Jahrhundert. Überliefert ist es über die Sammlung Paritius und stand wie der Großteil seiner Hinterlassenschaft in der Breslauer Stadtbibliothek bis zum Zweiten Weltkrieg komplett zusammen, bevor auch dieses Werk die Katastrophe ereilte. Erhalten hat sich nur der erste Band (R 2671). Der zweite Band (R 2672), gleichfalls ein voluminöser Foliant, ist restlos zerfallen, darf nicht mehr geöffnet werden und wird eingehüllt in Packpapier in der Handschriften-Abteilung verwahrt. Der erste Band setzt im Anschluß an vorgeschaltete Register mit der Verzeichnung der Sepulchralia in der Johanniskirche zu Breslau ein – die naheliegende und auch später in Geltung bleibende Eröffnung. ›In Insula Vratislau.‹ gelegene Denkmäler schließen sich an. Dann erfolgt der Übergang zur ›Vratislauiae Inarena‹. Derart schreitet das Werk räumlich wie sachlich ebenso überzeugend fort. Selbstverständlich gibt es umfassende Einträge zur Elisabeth-, zur Maria Magdalenen- und zur Bernhardiner-Kirche, teilweise sogar mit einem Blick in die Bibliothek. Denkmäler außerhalb Breslaus und aus ganz Schlesien folgen. Bunzlau, Goldberg, Liegnitz und zahlreiche andere Städte findet man in dem fast 900 Seiten umfassenden Werk in ihrer sepulkralen Überlieferung porträtiert. Es bleibt zutiefst zu beklagen, daß das Schlesien ausnahmsweise in seiner Ganzheit erschließende große Werk aus der Blütezeit der schlesischen Gelehrtenkultur sich nicht komplett erhalten hat. Auf das Werk von Simon Grunaeus, einem Wahlverwandten, kann hier nicht eingegangen werden.

ANDREAS SENFTLEBEN SEBASTIAN ALISCHER

Elogia Virorum Boleslav: Eruditorum conscripta ab Andrea Senfftlebio et Sebast. Alischero. R 2703 Es handelt sich um eine Abschrift von Christian Ezechiel aus dem Jahre 1714, dem Besitz von Christian Friedrich Paritius entstammend. Die Handschrift ist alphabetisch angeordnet. Sie beschließt unsere kleine Revue, weil sie zurückführt zu dem Geburtsort des Dichters, von dem wir in unserer Abhandlung den Ausgang nahmen. Nicht nur die aus der Opitz-Philologie vertrauten Namen – ein Christopherus Colerus, ein Caspar Kirchner, ein Bernhard Wilhelm Nüßler – sind in ihr präsent. Auch die gelehrten Angehörigen der Gerstmanns, Namslers, Seilers, Senftlebens, Tschernings etc. spielen hinein. Und natürlich die Opitzens selbst, darunter der das Geschlecht Verewigende: ›Martinus Opitius[.] Poëta atque Historicus celebris.‹

Bio-bibliographischer Anhang

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4. Gedruckte bio-bibliographische Hilfsmittel Im folgenden werden einige allgemeine Nachschlagewerke aufgeführt. Alle zeitlich, regional, berufsspezifisch, konfessionell etc. eingegrenzten Hilfsmittel, welche nach Hunderten zählen, bleiben ausgespart. Sie sind in der vorliegenden Abhandlung, sofern erforderlich, jeweils am gehörigen Ort herangezogen. Nicolai Henelii Ab Hennenfeld, Sac. Caes. Maiest. Consiliarii, JCti & Syndici olim Wratislauiensis, Silsiographia Renovata, Necessariis Scholiis, Observationibvs Et Indice Avcta. Pars I-II.- Breslau, Leipzig: Bauch 1704. Aus dem Nachlaß Henels von dem Prälaten Michael Joseph Fibiger herausgegeben. Fibiger bediente sich der ungedruckt gebliebenen 2. Auflage von Henels ›Silesiographia‹, die als schmaler Band erstmals 1613 erschienen und von Henel zu einer umfassenden Landeskunde umgearbeitet worden war. Fibiger fügte in dieses Manuskript an jeweils geeigneter Stelle die aus Henels gleichfalls ungedruckter ›Silesia Togata‹ herrührenden Biographien schlesischer Persönlichkeiten ein. Da sie in diesem Zuge bearbeitet wurden, ist der Rückgang zu den Abschriften des Henelschen Werkes geboten, die unten aufgeführt sind. Deren kritische Edition nebst Übersetzung bleibt ein dringendes Desiderat. Fundamentales landeskundliches und bio-bibliographisches Werk aus dem Geist des Späthumanismus. Vgl. den Eintrag im ersten Band des Osnabrücker Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven (2001), S. 56 f.

Jo. Henrici, Casp. Fil. Cunradi Silesia Togata, Sive Silesiorum doctrina & virtutibus clarissimorum Elogia, Singulis distichis comprehensa; Quibus Dies omnium natales & emortuales, Officiorumque ab ipsis gestorum Tituli subjunguntur. Ex Avctoris Mscto, Quod in Bibliotheca Paterna viderat, edidit Caspar Theophil. Schindlervs, Lignicensis Silesius.- Liegnitz: Rorlach 1706. 4 A 33; 337104 Bis heute maßgebliches gedrucktes Nachschlagewerk für die ältere schlesische Personenkunde bis an die Schwelle des 18. Jahrhunderts. Es enthält rund 1500 auf Schlesier bezogene Distichen von Caspar Cunrad und seinem Sohn Johann Heinrich. Die 3000 Distichen des Vaters – ohne spezifischen Bezug auf Schlesien – waren publiziert worden in dessen Prosopographiae Melicae, Millenarivs I–III (s.u.). Dieses Sammelwerk Caspar Cunrads wurde von seinem Sohn auf 10 000 Distichen vermehrt. Eine Publikation scheiterte. Vgl. den eingehenden Bericht in der Vita Johann Heinrich Cunrads, die dem Werk vorangestellt ist (Bl. c1r–d1r). Über den Verbleib des unschätzbaren Manuskripts ist augenscheinlich nichts bekannt. Der langjährige Direktor der Breslauer Stadtbibliothek versäumte es, entsprechende Auskunft zu erteilen (vgl. Max Hippe: Christian Cunrad, ein vergessener schlesischer Dichter (1608– 1671).- In: Silesiaca. Festschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens zum siebzigsten Geburtstage seines Präses Colmar Grünhagen.- Breslau: Morgenstern 1898, S. 253–288, S. 254 f.). Hier heißt es in einer Anmerkung: »Durch

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die Arbeit des Vaters begeistert, hat sein vierter Sohn Johann Heinrich im Verein mit einer Anzahl gleichgesinnter Gelehrter das unglaubliche Wagestück, auf weitere 7000 Gelehrte ebensoviele Disticha zu verfertigen, unternommen und glücklich vollendet. Die 10 000 nunmehr vorhandenen Elogia zu drucken, hatte aber kein Verleger Muth genug; man mußte sich entschließen, mehr als drei Viertel des Stoffes, d.h. alle Nicht-Schlesier zu streichen, und brachte den immerhin noch stattlichen Rest 1706 – zwanzig Jahre nach dem Tode Johann Heinrichs und wohl ein Jahrhundert, nachdem dessen Vater Caspar das erste Distichon für das Werk entworfen hatte, – zum Druck.« Hier S. 282 der Eintrag zu Scultetus. – Das vorliegende Exemplar aus der alten Rhedigerschen Bibliothek in der Elisabethkirche ist mit zahlreichen Zusätzen im Text und einem reichhaltigen Anhang versehen, hat also den Status eines Unikats. Die Bearbeitung rührt her von Christian Ezechiel. Zwei Exemplare in Mikrofilm und Kopie in Osnabrück. Hier auch – gleichfalls in zwei gebundenen Kopien – ein Exemplar aus der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zugänglich, das herrührt aus der Bibliothek des Hamburger Polyhistors Johann Albert Fabricius (Hlb I, 3239).

Johann Christian Leuschner: Ad Cvnradi Silesiam Togatam Spicilegivm Primvm [–] XXXXVIII.- Hirschberg: Krahn [Nr. 33: Hirschberg: Reimer; ab Nr. 34: Breslau: Grass] 1752–1784. 442246 Fortschreibung des Cunradschen Werkes vornehmlich für das 18. Jahrhundert. Die nicht ganz einfach zu handhabende Kompilation in 48 Einheiten erschlossen durch Register nach dem 12., 24. und 36. Spicilegium. Für die bei Grass in Breslau im Rahmen der Schulprogramme des Gymnasiums Maria Magdalena erschienenen Spicilegia 37 bis 48 liegt kein Register mehr vor. Benutzt wurde ein Exemplar aus der Bibliothek der ›Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur‹ (Depositum der Staats- und Universitätsbibliothek Breslau), das heute in der BU Wrocław verwahrt wird. Es ist mit einem sehr hilfreichen handschriftlichen Gesamtregister versehen und weist auch sonst handschriftliche Annotationen (vor allem in den gedruckten Zwischenregistern) auf. Kopie dieses Unikats in Osnabrück. Maßgeblich gebliebenes Nachschlagewerk für die – ungeschriebene – schlesische Gelehrtengeschichte des 18. Jahrhunderts.

Johann Sigismund John: Parnassi Silesiaci Sive Recensionis Poëtarvm Silesiacorvm Qvotqvot Vel In Patria Vel In Alia Etiam Lingva Mvsis Litarvnt Centvria I [–] II.- Breslau: Rohrlach 1728–1729. 8 A 164/1-2; 307220/1-2 Erstes als solches eingeführtes schlesisches Dichter- und Gelehrtenlexikon der Frühen Neuzeit. Noch einmal in lateinischer Sprache abgefaßt. Zweimalige Alphabetfolge. Verdienstvoll wegen der ausführlicheren Einträge einschl. bibliographischer Hinweise, jedoch zu schmal im Einzugsbereich der berücksichtigten Personen. Die Konsultation daher zu ergänzen durch die oben aufgeführten Werke. Hier nachgewiesen ein durchschossenes Exemplar aus der alten Rhedigerschen Bibliothek mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen. Gebundene Kopie dieses Exemplars in Osnabrück.

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[J.G. Peuker:] Kurze biographische Nachrichten der vornehmsten schlesischen Gelehrten[,] die vor dem achtzehnten Jahrhundert gebohren wurden, nebst einer Anzeige ihrer Schriften.- Grottkau: Evangelische Schulanstalt 1788. Gleichfalls Kurzbiographien mit bibliographischen Hinweisen, jetzt auf deutsch, jedoch mit wiederum 200 Einträgen zu schmal im Blick auf den zur Sprache kommenden Personenkreis (ein Eintrag etwa zu Caspar Cunrad fehlt). Wertvoll wegen zahlreicher Hinweise auf Manuskripte und Nachlässe. Das Werk ist nach wie vor weit verbreitet.

5. Epigramm-Sammlungen und Verwandtes In der voranstehenden Abhandlung wurden auch die personengeschichtlich wichtigen Anagramm-, Epigramm- und Distichensammlungen in Auswahl herangezogen, wie sie für Schlesien besonders typisch sind und in großer Anzahl hervorgebracht wurden. Den Sammlungen letzter Hand der einschlägigen Autoritäten gingen vielfach kleinere, nach Dekaden bzw. Centurien gegliederte Ausgaben voraus. Sie werden hier nur ausnahmsweise aufgeführt, sind jedoch alle in Osnabrück in Mikrofilm und Kopie vorhanden und vor allem im Blick auf Widmungen herangezogen worden. Bevorzugt aufgeführt – und für Osnabrück medial akquiriert – wurden annotierte Exemplare zumeist aus der Stadtbibliothek Breslau und ihren drei VorgängerBibliotheken, der Rhedigerschen Bibliothek, der Bibliothek Maria Magdalena und der Bernhardiner Bibliothek. Wichtig sind stets auch Exemplare aus der Bibliothek der ›Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Kultur‹, die als Depositum in der Staats- und Universitätsbibliothek Breslau verwahrt wurde. Das gesamte gerettete Material ist heute vorbildlich in der Biblioteka Uniwersytecka zu Wrocław zugänglich und wurde dem Verfasser großzügig über Mikrofilme für Osnabrück zur Verfügung gestellt.

MELCHIOR ADAM

Der große Bio-Bibliograph hat sich am Rande auch der epigrammatischen Kunst der Gelehrtenverewigung gewidmet. Diese Teilnahme am gelehrten Spiel führte weiter zur ausgebildeten Viten-Kultur, die Adam mit verwandten Geistern seiner Heimat verband. Keiner von ihnen aber verlegte sich so entschieden raumübergreifend auf die Dokumentation aller Großen, ausgebildet und vielfach wirkend in allen vier Fakultäten. Vgl. Robert Seidel: Melchior Adams Vitae (1615–1620) und die Tradition frühneuzeitlicher

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Gelehrtenbiographik. Fortschritte und Grenzen eines wissenschaftlichen Paradigmas um 1600.- In: Oberschlesische Dichter und Gelehrte vom Humanismus bis zum Barock. Hrsg. von Gerhard Kosellek.- Bielefeld: Aisthesis 2000 (= Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien; 8), S. 179–204. Anagrammatopoeia. Praeceptoribvs Bene Meritis: Maecenatibvs Observandis: Amicis Honorandis. Nvncvpata.- Liegnitz: Sartorius 1598. 4 E 1,6; 352012 Das kleine Erstlingswerk versammelt 13 Anagramme. Die Schar der Bedachten ist namhaft. Es wird eröffnet mit vier Distichen, die das Anagramm ›Vi Boni Acvo Mvsas‹ für den ›Patricivs Vratislaviensis Primarivs, Et Rarvs Mvsarvm Maecenas [...] Iacobvs Monavivs‹ umspielen. Der Superintendent des Fürstentums Liegnitz, Georg Bezold, der Liegnitzer Ratskonsulent Bartholomaeus Gerstmann sowie der Syndikus Crispin Rieter, der ›Poliatrus‹ von Brieg Johannes Fersius, die Doktoren beider Rechte Valentin Thilo und Andreas Geisler, die Rektoren der Gymnasien bzw. Schulen von Brieg Melchior Tilesius (dieser mehrfach), von ›Ludi apud Ligios‹ Nicolaus Ludovicus und von Strehlen Daniel Talvencelius, der ›Minister‹ von St. Peter und Paul in Liegnitz Simon Grunaeus sowie die Adligen Christoph von Zedlitz und Samuel von Winterfeldt werden bedacht. Melchior Adam selbst ziert seinen Erstling mit anagrammatischen Zuschriften von Andreas Geisler und Simon Grunaeus sowie am Schluß von Daniel Vechner auf seinen Namen.

Decas Metagrammatica: Memoriae Ac Honori Fautorum Et Amicorum Votiva.- Heidelberg: Vögelin 1601. 4 E 1,7; 352013 Es handelt sich um ein Widmungsexemplar von Melchior Adam für den in LiegnitzBriegschen Diensten stehenden Magister Daniel Talwenzel aus Strehlen. Das zehn Personen bedenkende kleine Werk ist den polnischen Adligen Johannes und Nikolaus von Potocki sowie Johannes von Bagatzko gewidmet. Nun tritt der pfälzische Wirkungsraum Adams – viele wie er selbst aus Schlesien in pfälzische Dienste getreten – stärker hervor. Janus Gruter, Bartholomäus Pitiscus, Abraham Scultetus, Simon Grunaeus, Johann Philipp Pareus, Ludwig Olevian (Student der Theologie), Georg Ostenius, Caspar Peucer, Philipp Ernst Vögelin (Student der Juristerei) und Johann Casimir Gernand tauschen anagrammatisch ihren Namen.

Parodiae & Metaphrases Horatianae, Continentes argumenta sacra & scholastica; adeoque poëtica progymnasmata.- Frankfurt/Main: Unckel 1616. UB Erlangen: The. XV,84/6 Das Werk ist Simon Grunaeus, Caspar Cunrad und Gregor Martin gewidmet, die alle drei auch bedichtet werden. Adam hat das kleine Werk genutzt, um seine vergleichsweise wenigen personenbezogenen Gelegenheitsarbeiten zusammenzuführen. Durchsetzt sind sie von geistlichen Gedichten. Die anschließenden ›Metaphrases‹ sind ohne speziellen personalen Bezug. Johann Philipp Pareus, Zacharias Ursinus,

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Philipp Ernst Vögelin und Sigismund von Niebelschütz sind unter den bekannteren Personen in den Parodien. Die schlesische Gelehrtenschaft war zum Zeitpunkt der Publikation schon im Begriff, in den seit 1615 erscheinenden Viten verewigt zu werden. Wenige Jahre vorher hatte sich Adam mit seinem ›Apographum Monvmentorvm Haidelbergensivm‹ (1612) als Meister sepulkraler Memorialkunst einen Namen gemacht (395294).

MELCHIOR AGRICOLA

Strena Poetica Sive Collectanea Votorvm Ex Codice Biblico Stilo Poetico Conscriptorum Pro Nobilissimis & Optimis Musar. & Gratiarum Moecenatib. & Nutriciis.- Oels: Bössemesser 1608. 8 N 2135/9; 373379 8 V 1554/14; 382786 Melchior Agricola (1581/85–1614), Sohn des Glogauer Pastors Michael Agricola, wirkte am Schweidnitzer Gymnasium und später am Rosenberger Gymnasium in Böhmen. Er legte mehrere kleine Sammlungen mit Epigrammen vor. Die hier aufgeführte scheint unbekannt zu sein. Sie ist im vorliegenden Zusammenhang von Interesse, weil die erste Zuschrift Georg von Schönaich gilt und der ihm nahestehende Kreis eingehend dokumentiert wird. Unter den Gewürdigten befinden sich Caspar von Metzeradt, Wenzel von Zedlitz, Johann von Nostitz, Nikolaus von Rhediger, Hieronymus Treutler, Johannes von Hoeckelshoven, Simon Grunaeus u.a.

ANDREAS CALAGIUS

Andreas Calagius (1549–1609) gehört zu den großen Späthumanisten in Schlesien und Umkreis, die mit calvinistischen Vorstellungen sympathisierten. Beide Breslauer Gymnasien, an denen Calagius wirkte, boten dafür einen Nährboden. Wie immer ging die geistige Orientierung einher mit dem Bemühen, verwandte Geister in Kontakt zu bringen und das bevorzugte Medium dafür war das Epigramm. Zur regen Epigrammproduktion im Umkreis der Breslauer leistete er einen beträchtlichen Beitrag. Die Vor-Opitzsche Generation ist in seinem Werk eindrucksvoll gegenwärtig. Epigrammatvm Farrago.- Wittenberg: Welack 1583. 317327 Exemplar aus der Bibliothek Maria Magdalena: P.O.1118. R 38.3; ausgezeichnet jedoch in der Stadtbibliothek mit 8 E 666b. Seltene erste Epigrammsammlung von Calagius, durchaus schon mit merklich schlesischem Einschlag. Die ältere Generation eines Joachim Hoffmann, Nikolaus Rhediger, Hieronymus Arconatus etc. findet Eingang.

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Epigrammatum Horatianorvm Libellvs.- Görlitz: Fritsch 1588. 8 E 666c; 317328 Das Werk ist den Mäzenen des Autors gewidmet. Es hat das erste Odenbuch von Horaz als Vorlage. Jedes Gedicht steht unter einem Motto, anhebend mit ›Studia hominum varia‹. Besungen werden u.a. Laurentius Scholtz, Georg Sebisch, Nikolaus Rhediger, Jacob Monau, Andreas Dudith, Johann Matthäus Wacker von Wackenfels und Johannes Heermann. 28 Stücke sind in der kleinen Sammlung vereinigt.

Epigrammatvm [...] Centuriae Sex.- Frankfurt/Oder: Eichorn 1602. 8 E 666; 317321 8 E 666a/1; 317324 Hist E 773 (2); 302636

Epigrammatum [...] Centuriae Sextae continuatio, cum Septima.- Oels: Bössemesser 1605. 8 E 666/2; 317322 8 E 666a/2; 317325

Epigrammatum [...] Centuria Octava & Nona.- Frankfurt/Oder: Voltz 1609. 8 E 666/3; 317323 8 E 666a/3; 317323 Der Beitrag des Calagius ist weniger spezifisch zur Aufschlüsselung der im vorliegenden Zusammenhang verfolgten Personenkreise. Die Gruppe um das Gymnasium Schönaichianum spielt nur ganz am Rande etwa über die Person Exners hinein. Die Namen von Georg von Schönaich und Caspar Cunrad tauchen erstmals in der sechsten, Rudolf II. gewidmeten Centurie auf, danach freilich weiterhin gelegentlich; derjenige von Scultetus fehlt. Zentral für die letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts und einschlägig für die Biographie des Calagius und seines familiären Umfeldes.

CASPAR CUNRAD

Anagrammatismorum Centuria.- Oels: Bössemesser 1606. 8 E 1,98; 316160 8 V 1554/9; 382782 Das Werk ist Heinrich Wenzel und Karl Friedrich von Münsterberg-Oels gewidmet. Vorausgegangen waren separate Publikationen jeweils von einzelnen Dekaden, die offensichtlich schon frühzeitig zu besonderen Raritäten zählten. In der alten Stadtbibliothek standen – teils in Mehrfachexemplaren – die Dekaden 1–5 (4 N I 34/1), 2– 6 (4 V 4/61–64), 4 (4 E 1,205), 7 (4 E 1,207; 4 V 7/8) und 8 (4 E 1,206; 4 V 7/10). Ein heute in der BU Wrocław anzutreffendes und aus der Staats- und Universitätsbibliothek Breslau herrührendes Exemplar (Lat. rec. II. Oct. 824h; 440138) ist seinerseits unvollständig; es bietet nur die Folgen 1, 3 und 6 sowie eine Nova Decas. Die Einzelstücke müssen also aus verschiedenen Überlieferungsschichten der BU

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Wrocław rekonstruiert werden. Sie behalten als frühe Zeugnisse des personenbezogenen Interesses von Cunrad ganz besonderen Wert und sind entsprechend in Osnabrück (vielfach gleichfalls in Mehrfachexemplaren) versammelt. Cunrad nutzte die dichte Folge von kleinen Publikationen zur unermüdlichen Lancierung von Widmungsadressen – eine Kunst, die die Jüngeren wie Opitz auch von einem Mentor wie Cunrad lernen konnten. Die erste bis fünfte Dekade erschien 1600 in Liegnitz bei Sartorius (Exemplar aus der Bibliothek Maria Magdalena: 4 N I 34/1; 395111). Die erste ist Konrad von Hoberg auf Fürstenstein gewidmet, die zweite Friedrich von Gelhorn, die dritte Johann von Mühlheim auf Pleßwitz, die vierte Daniel Bucretius und die fünfte Jakob Chimarrhäus. Die sechste Dekade (440138) – Liegnitz: Sartorius 1602 – hat Jacob Monau als Widmungsempfänger, die siebte (352171) und achte (352169) – beide Liegnitz: Sartorius 1605 – sind an Johann Haunold und Valentin Matern gerichtet. Eine Nova Decas (440138) erschien 1604 in Basel bei Waldkirch und gilt Wolrad von Waldeck. Der Adel ist also anvisiert, aber noch nicht durchgängig zum Widmungsempfänger gemacht. Die zeitlich noch vorangehende Threnodia Sev De Tristissimis Seculi hujus plusquám ferrei Calamitatibvs.- Liegnitz: Sartorius 1598 (4 E1,209; 352173) hatte Cunrad gleichfalls Konrad von Hoberg auf Fürstenstein und darüber hinaus Johann von Gruttschreiber und Sebald von Saurma gewidmet. Die 100 Anagramme in der Ausgabe Oels 1606 sind durchgezählt. Die Nummer 31 gilt Tobias Scultetus.

Epigrammatum Centuriae I [–] IV.- Oels: Bössemesser 1609–1611. 8 E 1058; 317756 Exemplar der Rhedigerschen Bibliothek mit wechselnden alten Signaturen. Auf dem Titelblatt der ersten Centurie ist mit Bleistift vermerkt: 8 E 1058/1–4. Eine konkurrierende Signatur zu Ende des Werkes verweist auf 8 E 1,99. Die zweite Centurie trägt auf dem Titelblatt die Notiz: 8 E 1057/2. Die dritte Centurie ist ausgezeichnet: 8 E 1058/2. Die vierte und letzte Centurie hat auf dem Titelblatt den Vermerk 8 E 1061/2. Das Werk ist also, wie häufiger in der Rhedigerschen Bibliothek üblich, aus verschiedenen Einzelstücken zusammengesetzt.

[Dasselbe.] 8 E 1058a/1-4; 317757 Gleichfalls Exemplar der Rhedigerschen Bibliothek. Das Titelblatt der ersten Centurie fehlt. Das Exemplar der zweiten Centurie ist ein Widmungsexemplar für Servatius Reichel, ›Patritio VratisL.‹

[Dasselbe.] 300829 Exemplar der Teile I–III der Cunradschen Epigramme aus der SUB Breslau: Lat. rec. II Oct. 823. In diesem Werk sind Cunrads Epigramme gesammelt, sofern sie nicht Bezug hatten auf seinen Wahlspruch ›Domini est Salus‹ (s.u.). Auch diesem Werk gingen wieder Publikationen einzelner Centurien voraus, die hier nicht aufgeführt werden, in Os-

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nabrück jedoch versammelt sind. Die erste Centurie (1609) ist Wenzel von Zedlitz gewidmet, die zweite (1610) Nikolaus von Rhediger, die dritte (1610) Abraham von Promnitz und die vierte (1611) Adalbert Poppel von Lobkowitz. Der Adel wird also planmäßig in das gelehrte Werk einbezogen. Alle im folgenden von Cunrad mit poetischen Zuschriften bedachten Adressaten sind mit näheren Angaben zur Person versehen. Scultetus wird in der ersten (Bl. B1v–B2r), in der zweiten (Bl. B1v) und in der dritten Centurie (Bl. A6v) gehuldigt. Das eine Epigramm gilt seiner Genesung nach dem Tod seines künftigen Schwiegervaters Hieronymus Treutler, das andere seiner Hochzeit mit Catharina Treutler und das dritte seinem Wahlspruch ›Unde et Qvo‹ (dazu unten!). Leider ist das Werk nicht durch Register erschlossen. Es muß sich großer Beliebtheit erfreut haben, wie die dichte Folge der drei Fortsetzungen belegt. Das Werk lief zunächst parallel zu dem anderen großen über seinen Wahlspruch und wurde offensichtlich zunehmend von ihm abgelöst. Interessieren dürfte der Hinweis, daß die Brieger Gymnasialbibliothek ein Widmungsexemplar der ersten Centurie für Johann Christian von Liegnitz und Brieg besaß, das jetzt in der BU Wrocław verwahrt wird (402579).

Prima [–] Decima Qvarta [+] Ultima Psalmodiae Davidicae Decas, Vario carminum genere reddita, à M. Casp. Conrado Vratisl. P.C.L. & Med. Cand.Frankfurt/Oder: Eichorn [e.a.], Liegnitz: Sartorius 1602–1606. 8 E 1062,7-19; 317768 Das erste große Sammelwerk Cunrads muß an dieser Stelle aus zwei Gründen eingeführt werden, obgleich es personengeschichtlich nur am Rande von Belang ist. Mit ihm wird Cunrads Wahlspruch aus dem 3. Psalm, der ihn lebenslang begleitete und zu großen Werken anregte, eingeführt: ›Domini Est Salus‹. Allen 15 Dekaden – dies der weitere belangvolle Aspekt – sind Beiträge von befreundeten Kollegen etc. beigegeben, die den Cunradschen Wahlspruch poetisch umspielen und ihm derart anläßlich der Herausgabe einer neuen Dekade huldigen. Schließlich hat Cunrad diesen Dekaden stets Widmungen vorangestellt, die im Blick auf die Auswahl der bedichteten Personen Interesse beanspruchen dürfen. Für den Späthumanismusforscher sind die darin erkennbar werdenden Beziehungen und personellen Netzwerke allemal von hohem Wert. Zusammen mit der näheren Spezifizierung der Daten des wechselnden Impressums seien daher einige nähere Informationen gegeben. Die erste Dekade, in der Cunrad noch als Magister, aber schon als ›Poeta Laureatus Caesareus‹ zeichnet, ist Johann von Nostitz gewidmet. Zu seinem Wahlspruch steuert u.a. ein medizinischer Kollege (auf dem Titelblatt) bei. Auch am Schluß finden sich – wie in allen folgenden Dekaden – Zuschriften. Eben dieser Umstand erheischt personenkundlich Beachtung. Die ein Jahr später bei Voltz in Frankfurt/ Oder vorgelegte Dekade kennt Friedrich von Gelhorn als Widmungsempfänger. Die dritte Dekade fehlt in dem vorliegenden Exemplar. Die vierte ist undatiert und wird wieder von Eichorn gedruckt. Melchior Lauban gratuliert Cunrad, der seinerseits keinem Geringeren als Georg von Schönaich widmet. Die fünfte Dekade (Voltz 1604) ist ausgezeichnet durch einen Beitrag von Jacob Monau für Cunrad und wird von Cunrad Sebastian von Schönaich in Altendorf zugeeignet. Die sechste geht an Konrad von Saurma. Sie weist kein Impressum auf und ist von Cunrad auf den 6. Februar 1604 datiert. Die siebte (Eichorn 1604) empfängt Wolfgang von Waldau und Schwanwitz, die achte Heinrich von Senitz. Der Görlitzer Rektor Martin Myli-

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us sendet seinen Glückwunsch herüber. Der Verlagsort hat gewechselt. Fortan erscheint das Werk bei Sartorius in Liegnitz, der vermutlich von Cunrad am längsten bemühte Drucker. Die neunte Dekade weist Sebald von Saurma als Empfänger aus. Die zehnte (1605) gilt einer uns wohlbekannten Person, nämlich Sigismund von Burghaus. Johannes Heermann, Daniel Rindfleisch, Caspar Firling u.a. erweisen ihre Reverenz; man ist endgültig auf das kontinuierlich fortschreitende Werk aufmerksam geworden. Die elfte gilt dem Abt des Klosters zur Heiligen Jungfrau in Breslau. Christoph Neander, Professor für Ethik in Frankfurt/Oder, nimmt die Gelegenheit zu einem Glückwunsch wahr. Endlich aber – und lange erwartet – läßt sich auch Tobias Scultetus herbei. Die Widmung ist auf den Juni 1605 datiert. Zu dieser Zeit zeichnet Scultetus ohne Nennung eines Ortes als ›J[uris] C[onsultus]‹ und ›Consiliarius Caesareus‹. Wie immer also lohnt sich die nähere Inspektion eines Sammelwerkes auch für die Verfolgung speziellerer Fährten. Die 12. Dekade ehrt Julius Land, Dekan am Dom zu Breslau, die 13. – nun im Jahr 1606 – Nikolaus Haunold. Elias Cüchler ist unter den Beiträgern zu Ehren Cunrads. Die 14. Dekade ist Johann und Peter Haunold gewidmet, die abschließende 15. dem verehrten Kollegen und Vorgänger im Amt des Stadtphysikus Daniel Rindfleisch. Cunrad zeichnet selbstverständlich inzwischen als Doktor. Wir wünschten uns, daß Zugänge dieser Art als nicht ganz unerheblich betrachtet würden. Das folgende Jahr brachte eine Neuauflage (Oels: Bössemesser 1607), nun unter Verzicht auf das Prinzip der Einteilung nach Dekaden, das eben so viel Spielraum für Widmungsadressen eröffnete (8 V 460,1; 381362). Das Werk ist nun Johann Heinrich von Blankenburg gewidmet. Zur neuen Auflage tut sich ein Kreis von Freunden und Kollegen zusammen, um dem Nestor der Humanisten in Schlesien zu huldigen. Daniel Rindfleisch, Johannes von Hoeckelshoven, Andreas Calagius, Tobias Aleutner, Balthasar Exner, Nicolaus Pelargus und Melchior Agricola sind unter den Huldigenden.

Anzumerken bleibt, daß anderweitige große geistliche Gemeinschaftswerke Cunrads unter dem hier verfolgten Gesichtspunkt nicht zu berücksichtigen sind. Sein ›Pratum Evangelicum‹ (Freiberg: Hoffmann 1616) versammelt 15 Autoren zu einer poetischen Feier der Sonn- und Festtage des Kirchenjahres (8 E 1064; 317770). Sie sind literaturgeschichtlich von erheblichem Interesse, folgt doch jeweils auf das lateinische Distichon eine vierzeilige deutsche Paraphrase. Tobias Scultetus ist unter den Mitwirkenden. Die einzigen bislang von ihm bekannten deutschen Verse muß man also an dieser Stelle suchen. Cunrads vorangegangene ›Gnomologia Latino-Germanica Super Lectiones Evangelicas‹ (Breslau: Baumann 1611) ist nach dem gleichen Prinzip gearbeitet (8 E 1059; 317758). Scultetus ist an dem wiederum 15 Autoren vereinenden Werk nicht beteiligt. Dafür lernen wir den Initiator Caspar Cunrad selbst hier als Dichter in deutschen Versen kennen. Schon fünf Jahre zuvor hatte er eine ›Tetrasticha Latino-Germanica Super Evangelia‹ (Oels: Bössemesser 1606) den Söhnen von Daniel Rindfleisch zugeeignet (302644). 1615 konnte er sein ›Annualium Evangeliorum Paraphrasis Latino-Germa-

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nica‹ (Oels: Bössemesser) seinen Söhnen widmen (380940). Und noch spät kam er auf diese offensichtlich lebenslänglich praktizierte und erfolgreiche geistlich-poetische Inszenierung in seiner ›Periocharum Evangelicarum Latino-Germanicarum Ogdoas‹ (Brieg: Gründer 1631) zurück, welches er seinen Kindern zueignete (317762). In allen drei Werken fungiert er freilich als alleiniger Autor. Ad Casparis Cunradi Phil. & Med. D. Symbolum Domini Est Salus. Epigrammatum Ab Amicis & Fautoribus scriptorum Centuria. I [–] V.- Oels: Bössemesser 1606–1615. 8 E 1065/1-5; 317771 Mischexemplar aus der Rhedigerschen Bibliothek, zusammengebunden aus Stücken der Bernhardiner-Bibliothek (8 V 1554/13; Teil I; Widmungsexemplar für David Rhenisch), der Magdalenen-Bibliothek (8 O 349/5; Teile II und III; Widmungsexemplare für Paul Fiebinger), und nochmals der Bernhardiner-Bibliothek (8 V 490/10; Teil IV und 8 V 1520/6; Teil V). 8 N 534/1-5; 336029 Mit diesem Werk beginnt Cunrad die Sammlung von Zuschriften zu seinem Wahltext und Motto ›Domini est Salus‹, die schon so nachhaltig in die ›Psalmodia Davidica‹ hineingespielt hatten. Auch hier besticht neuerlich die Akribie, mit der die nötigen Daten zu den Beitragenden dokumentiert werden. Cunrad rückt damit zum größten Personenkundler des schlesischen Späthumanismus auf. Die Widmungsstrategie wird konsequent weiter verfolgt. Die erste Centurie (1606) ist Abraham Sandeck ›Phil. & Med. D. Poliatro VratisL.‹ gewidmet, die zweite (1608) dem Kaiserlichen Rat Nikolaus Haunold, die dritte (1609) dem Breslauer Patrizier Servatius Reichel, die vierte (1612) Christoph Oelhafen und die fünfte (1615) Johann von Hess und Stein. Gelten sie also zunächst bekannten Geschlechtern in Breslau, so tritt hernach der Adel hervor. Gleich in der ersten Centurie ist Scultetus mit einem Beitrag aus Breslau, datiert auf den Februar 1605, vertreten. Der Zusatz von Cunrad lautet ›JC. & Consiliarius Caesarius‹. Der Beitrag kam in der späteren Folge des Werkes, wiederum am Beginn der ersten Centurie, neuerlich zum Abdruck. Cunrad konnte jetzt den vollen Titel hinzufügen: Regis Bohemiae Consiliarius & Commissarius, Director & Consiliarius Camerae in Super. & inf. Sil. Sacri Palatii Comes & I.U.D. (Bl. A2r+v).

Casparis Cunradi Phil. & Med. D. Theatrum Symbolicum In Qvo Sacrum Illud Davidicum Domini Est Salus À Viris [...] Celeberrimis Per IX. integras Centurias Vario enodatum Carmine visitur.- Oels: Bössemesser s.a. [1622 (Teil I) bis 1624 (Teil II–IX).] 8 E 1061; 317760

[Ohne eigenes Titelblatt und Kolophon zu Beginn eines neuen Bogens ›A‹:] In Casparis Cunradi Lemma Symbolicum Domini Est Salus. Centuria X. 8 E 1061; 317760*

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Cunrad war es vergönnt, das – offensichtlich nachgefragte – Werk fortzuführen und zehn weitere Centurien vorzulegen. Vereinzelt gingen Zuschriften aus dem vorangegangenen Werk in die neue Schöpfung ein. Alle zehn Centurien erhielten wiederum eigene Widmungen und wurden mit Zuschriften von Freunden geschmückt. Es traten derart rund 1500 Zuschriften zusammen, die das – einzig im Späthumanismus Schlesiens dastehende – Wirkungsfeld Cunrads dokumentieren. Es dürfte in diesem Zusammenhang wiederum von Interesse sein, die Widmungsempfänger aufzuführen, unter ihnen mehrfach illustre Namen. Die erste Centurie ist Franz von Zedlitz und Johann Heinrich von Hoberg gewidmet, die zweite Johann Cirenberg ›Reipub. Dantiscanae Consuli‹, die dritte Abraham von Bibran, die vierte Konrad von Niemitz und die fünfte Heinrich von Stange und Stonsdorf. Die sechste Centurie gilt dann Christoph von Zedlitz, die siebte Leuthold von Saurma, die achte Johann Ernst von Nostitz & Noes und die neunte Johann von Hess und Stein. Im Anschluß daran wird ein hochwillkommenes Register für alle Beiträger geliefert (Oels: Bössemesser 1625). Die zehnte und abschließende Centurie erschien auch separat:

In Casparis Cunradi [...] Lemma Symbolicum Domini Est Salus Meletematum Melicorum â Viris [...] Clarißimis datorum Centuria X.- Oels: Bössemesser 1632. 8 N 538; 336046 Widmungsexemplar Cunrads für Carl Freiherrn von Žerotin aus der Bibliothek Maria Magdalena. Das Werk ist keinem Geringeren als Reinhard Rosa von Rosenigk gewidmet, ›U.J. D. Comiti Palatino Caesario, Sacrae Imperatoriae Majestatis, Uti & Jllustr. Lignic. Ducis Consiliario, Reipub. Vratislaviensis Syndico, & Ducatus Pro-Cancellario, Domino & Fautori Suo Honoratissimo‹. Es führt kein eigenes Register mehr. Johann Ernst von Nostitz und Abraham von Franckenberg, letzterer mit einem großen Beitrag, eröffnen das Werk. Die Auszeichnung der Personen mit Angabe vor allem von Berufen bleibt durchgehend gewahrt. Die poetischen Zuschriften entstammen überwiegend der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre und den frühen dreißiger Jahren, erreichten Cunrad also in seinen letzten Lebensjahren.

[Bruchstücke einer handschriftl. Erstfassung des Theatrum Symbolicum.] Mil. IV. 32 Mil. IV. 33 Im Anschluß an die Charakteristik eines der großen Werke Cunrads sind zwei Handschriften in die Forschung einzuführen, die auch für die Opitz-Philologie Bedeutung besitzen. Sie entstammen der Milichschen Bibliothek in Görlitz und gelangten infolge kriegsbedingter Auslagerung nach dem Krieg in die BU Wrocław. Ihre alten Signaturen wurden beibehalten. Teile des Nachlasses von Caspar Cunrad und seinem Sohn Johann Heinrich sind in die Milichsche Bibliothek gelangt, die besonders reich war an Handschriften. Dazu zählt ein Band Mil. 242, von bibliothekarischer Hand betitelt »Conrad’sche Correspondenz (im Anhange einige hebräische Fragmente)«, der Teile der Korrespondenz Johann Heinrich Cunrads birgt. Und dazu gehören die beiden Handschriften mit der obigen Signatur.

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Martin Opitz

Die Handschrift Mil. IV. 32 enthält von Caspar Cunrads Hand eine Folge von 166 Zuschriften zu seinem Wahlspruch ›Domini est Salus‹. Diese sind nicht – wie das gedruckte Werk – nach Centurien gegliedert, vielmehr werden die Beiträge durchgezählt. Sie entstammen in der überwiegenden Mehrzahl der zweiten Hälfte des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts, die meisten vermutlich dem Jahr 1617. 1615 war die fünfte Centurie seines Wahlspruchwerkes erschienen. Cunrad sammelte in der Handschrift also Beiträge für eine Fortsetzung, wie sie 1622 zu erscheinen begann. Am Rand der Beiträge sind nachträglich vielfach die Nummern der Centurien sechs, sieben, acht und neun notiert, in denen sie ihren Platz finden sollten. Eine Centurie zehn ist noch nicht ausgewiesen. Ein näherer Abgleich zwischen Handschrift und Druck muß an dieser Stelle unterbleiben. Von besonderem Interesse ist nun, daß sich auch in der Handschrift Mil. IV. 33 ein weiteres Bruchstück aus dem Wahlspruchwerk findet. Sie wird eröffnet mit einem ersten Heft, betitelt ›Joan. Henr. Cunradi Juvenilia.‹ Den Großteil bilden – nochmals überwiegend lateinische – Gelegenheitsgedichte, begleitet zuweilen von brieflichen Zuschriften und geistlichen Liedern und Betrachtungen. Teilweise mitgeführte Ziffern 2 und 3 am Rande der Gedichte verweisen möglicherweise wiederum auf eine Gliederung des Materials in einem Druck. Friedrich Bergius, Caspar Dornau, die Danziger Petrus Kirstenius, Peter Krüger, Johann Mochinger, des weiteren Johannes Heermann, Elias Major, Bernhard Wilhelm Nüßler, Daniel und Georg Vechner, also illustre Namen, sind ebenso unter den Bedichteten wie eine Reihe von Adligen, darunter Abraham von Franckenberg. Es handelt sich um eine veritable, offensichtlich dreiteilig konzipierte Epigrammsammlung. Ein weiteres schmales Heft enthält nochmals einige Briefe, vor allem an den Bruder Christian. Auch am Schluß des Bandes stehen nochmals vor allem lateinische Gelegenheitsgedichte. Den gewichtigsten Bestandteil des Bandes macht ein umfängliches Heft in Quart aus, von alter Hand paginiert S. 15–218, S. 229–230 (in der Paginierung des Gesamtbandes von neuerer bibliothekarischer Hand S. 127–304). Es handelt sich um eine weitere Folge mit Zuschriften zu Cunrads Wahlspruch ›Domini est Salus‹, anhebend mit einer Nummer 166 aus dem September 1617, die der Centurie acht zugewiesen ist. Bis zur Nummer 247 erstreckt sich die numerierte Sequenz. Fast alle Stücke entstammen den frühen zwanziger Jahren, rühren also her aus der Zeit unmittelbar vor Wiederaufnahme der Drucklegung des großen Wahlspruch-Zuschriftenwerkes oder reichen unmittelbar in dessen Anfänge hinein. Der vorletzte, 246. Beitrag ist auf den 21. März 1623 datiert, der letzte, vorgesehen für die neunte Centurie, ist ein Fragment, da das Manuskript einen Sprung von S. 218 zu S. 229 aufweist. Hier stehen drei weitere nicht gezählte Stücke, darunter das mittlere für Johann Christoph Schickfuß, datiert auf den 18. März 1633 und also in einen anderen Zusammenhang zugehörig. Diese knappen und ergänzungsbedürftigen Hinweise waren vonnöten, um herüberzugeleiten zur Gestalt Martin Opitzens und um einige neue Erkenntnisse in die Opitz-Philologie einzuführen. Opitz ist nämlich in allen drei lyrischen Corpora präsent. In der neunten Centurie seines Wahlspruchwerkes aus dem Jahre 1624 hatte Cunrad bekanntlich zwei Beiträge Opitzens plaziert. Der erste ist überschrieben ›Martinus Opicius Bolislav. Aulae Ducalis Lignic. Familiaris‹ und auf den September 1615 (Breslau) datiert. Ein zweiter – ohne Überschrift – rührt her aus Opitzens Zeit in Alba Julia in Siebenbürgen. Der erste der beiden Beiträge war schon drei Jahre vorher in Cunrads drittem ›Millenarium‹ seiner Prosopographiae Melicae erschienen, die von ihm – nun datiert auf den April 1621 – eröffnet wurden.

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Der eigentliche Bestimmungsort dieser Zeilen aber war das Theatrum Symbolicum mit den Zuschriften zu Cunrads Wahlspruch. Titel und Inhalt der Opitzschen Huldigung an Cunrad im Vorspann zum dritten ›Millenarium‹ verweisen eindeutig darauf: ›Carmen Heroicvm Casparis Cvnradi V.C. symbolo dictum, vbi obiter de Prosographicis eius.‹ In der Handschrift Nr. IV. 32 aus der Milichschen Bibliothek nun eröffnet das Opitzsche ›Carmen Heroicum‹ tatsächlich unter Beibehaltung des aus dem dritten ›Millenarium‹ der Prosopographiae Melicae bekannten Titels, aber mit dem korrekten Postscriptum »Vratislaviae scripsit M. VIIbri Anno M.DCXV. P[rae]s.[entavit] Martinus Opicius, Bolislaviensis« die Folge der Beiträge zu Cunrads Wahlspruch ›Domini est Salus‹ und findet damit nur in ihr den ihm zukommenden Platz. Dies in Ergänzung zum Kommentar in der Ausgabe des Textes bei SchulzBehrend (Band I, S. 2–5) sowie in den ›Lateinischen Werken‹ bei Veronika Marschall und Robert Seidel (Band I, S. 232–235; auch bei diesem Eintrag vor »Martinus Opicius, Bolislaviensis« mit anderer Tinte »ps.:«). Der zweite Opitz-Beitrag in der neunten Centurie des Cunradschen Theatrum Symbolicum trägt keinen Titel. Am Schluß ist er jedoch lokalisiert und datiert: »Albae Juliae Dacorum, ubitum Professorem Ordinarium agebat, 17. Jan. 1624«. Diese Datierung ist unzutreffend, wie in der Opitz-Forschung bekannt und zuletzt von Schulz-Behrend im Kommentar zur Neuedition des Textes (Band II/1, S. 57) bekräftigt. An dieser Stelle kann nun ein authentischer Beleg für eine zutreffende Datierung eingeführt werden. In dem zweiten Block mit Zuschriften zu Cunrads Wahlspruch, überliefert in der Handschrift Mil. IV. 33, findet sich unter der vorletzten Nummer 245 tatsächlich auch der zweite Opitzsche Beitrag aus der neunten Centurie des Cunradschen Theatrum Symbolicum. Dort trug er keine Überschrift und entsprechend fehlt eine solche auch bei Schulz-Behrend. Die Handschrift bietet sie: »Ad Nob. & CL. Virum CASPARUM CUNRADUM, de ipsius Symbolo DOMINI EST SALUS.« Und auch die Datierung ist korrekt: »P[rae]s:[entavit]. Martinus Opitius Professor in Collegio Albano Ordinarius. Scrips. Albae Juliae Dacorum 17. d. Jan. 1623.« Ein näherer Abgleich der bislang in der Opitz-Philologie nicht berücksichtigten Handschriften mit den erwähnten Drucken des Opitzschen Textes kann hier ebensowenig vorgenommen werden wie eine Kollationierung der in die Handschrift eingegangenen Gedichte für Cunrad. Wohl aber ist abschließend eines in den erwähnten Epigrammen der Handschrift Mil. IV. 33 plazierten Beitrags (S. 86 f. in der Paginierung von alter Hand, S. 196 f. in der von bibliothekarisch-archivalischer) auf den Boberschwan zu gedenken, den wir gleichfalls fortan gerne der Opitz-Philologie zugeführt sehen würden, gleichgültig, ob von Vater oder Sohn Caspar Cunrad herrührend. MARTINUS OPICIUS. Philologus & Poëta, Maro Germanicus JO! IS CARPIT MUNUS. ET meritò carpis, Celeberrime, munus, Opici, Munera cui Genii tradere tanta datum. Ausoniis Maro qvod; Grajis qvod dius Homerus; Hoc Lyra Teutoniis est tua Teuto tuis. Nec Teuto tantùm; Maro sed; sed es ipsus Homerus: Sic pia fama canit; sic tua plectra docent.

Martin Opitz

140 Jò (Lýcophron meritò fatur). Jò! munus is ingens Carpit, Hiantaeae nobile laudis epos. Carpe, qvod es meritus, carpe munus et, optime OPICI! Pluria qvae carpas munera, Phoebus habet.

Martinus Opicius. Philologe und Dichter, der deutsche Vergil. Welche Freude! Dieser nimmt den Preis. Und mit Recht nimmst du den Preis dahin, hochberühmter Opitz, Dem gegeben ist, so große Geschenke des Genius zu überbringen. Was den Italienern Vergil, den Griechen der göttliche Homer war Das, Teuto, ist deine Leier deinen Deutschen. Und nicht allein Teuto bist du, bist vielmehr Vergil, bist Homer selbst: So singt es das fromme Gerücht, so lehren es deine Gedichte. Welche Freude! (Lycophron wird er zu Recht genannt.) Welche Freude! Einen gewaltigen Preis nimmt er dahin, ein klassischen Lobes würdiges Epos! Nimm dahin, was du verdienst hast, nimm dahin den Preis, bester Opitz! Und mehr Preise, als du ‹jetzt › dahinnimmst, hält Phoebus bereit.

Ad Q. Horatii Flacci Odarum Librum I [–] II. Parodiae.- Oels: Bössemesser 1609–1610. 8 E 1057/1-2; 317754 Auch dieses Werk Cunrads ist personenkundlich von Interesse. Jede Parodie wird einem anderen Adressaten zugedacht. Das erste Buch ist Christoph von Hoberg auf Fürstenstein gewidmet, das zweite Friedrich von Gelhorn. Das Exemplar aus der alten Rhedigerschen Bibliothek war 1641 im Besitz von Karl Siegismund von Reichel, dann (1647) in dem von Elias Hilscher. Vorausgegangen war ein kleines, vier Blatt umfassendes Stück ›Ad Horatii Flacci Melpomenen Parodiarum Heptas‹ (Liegnitz: Sartorius 1605) (4 E1,208; 352172 und 4 E1,210; 352174), das Daniel Rindfleisch gewidmet ist, immerhin aber auch schon eine Parodie ›Ad Famam de Jacobo Monavio Viro ClariS.‹ barg, die zukünftige Anlage also bereits anzeigte.

Parodiarum Ad Horatii Flacci Melpomenen Variorum Auctorum, & argumenti varij Centuria Jntegra. Cum appendice Parodiarum ad Od. IX. Lib. III. Carm. Horat.- Oels: Bössemesser 1606. 8 V 460/2; 381363

Parodiarum Ad Horatii Flacci Melpomenen Variorum Auctorum, & argumenti varij Centuria Prima, Collecta & edita studio Casparis Cunradi [...] Ad [...] Danielem Rindfleisch Bucretium Patritium & Physicum VratisL. Dominum ac Fautorem aeternum colendum.- Leipzig: Glück 1614. 8 N 534/6; 336030

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Parodiarum Ad Horatii Flacci Melpomenen Variorum Auctorum, & argumenti varij Centuria Secunda, Collecta & edita studio M. Nathanaelis Tilesii P.L. Ad [...] Danielem Rindfleisch Bucretium Patritium & Physicum VratisL. Dominum ac Fautorem aeternum colendum.- Leipzig: Glück 1614. 8 N 534/7; 336030 Auch im Blick auf seine Horaz-Parodien beobachtete Cunrad das Prinzip, Freunde und Kollegen in einem Gemeinschaftswerk zu vereinen. Hatte er die Oden-Parodien der Jahre 1609–1610 selbst besorgt, so war er schon frühzeitig damit befaßt, Zuschriften zu sammeln und diese in bewährter Manier mit Informationen zu den Beiträgern auszustatten, um derentwillen sie hier aufzuführen sind. Das 1606 erschienene Werk – das 1605 bereits einen kleinen Vorgänger in einer ›Parodiarum Heptas‹ (Liegnitz: Sartorius) hatte, die Cunrad freilich alleine verantwortete (s.o.) – machte offenkundig Schule. 1614 wurde das Werk Cunrads in Leipzig wiederaufgelegt, nun jedoch vermehrt um eine zweite Centurie, herrührend von Nathanael Tilesius, der als ›Poeta Laureatus‹ zeichnet. Der 1616 verstorbene Tilesius wirkte zuletzt als Superintendent in Militsch. Er war u.a. 1604 mit einem Beitrag für Daniel Rindfleisch hervorgetreten, dem auch Cunrad sein Werk bereits 1605 bzw. 1606 gewidmet hatte. Beide Centurien tragen auch 1614 wieder den Namen des illustren Stadtphysikus und sind reich bestückt mit Beiträgen von Cunrad selbst sowie aus seinem Freundeskreis. Auch Scultetus ist mit drei Beiträgen zur ersten Centurie vertreten, darunter seine Parodie ›In Caseos Ovillos Silesiae‹ (Nr. XCIII). Beide Teile des Werkes sind jeweils durch Register erschlossen.

Prosopographiae Melicae, Millenarivs I [–] II. In Qvo Virorvm Doctrina & virtute clarissimorum vita ac fama singulis distichis vtcunque delineatur. Cum Elencho nominum eorum in calce adiecto.- Frankfurt/Main: Humm 1615. – Prosopographiae Melicae, Millenar. III.- Hanau: Eifried 1621. 8 E 1066[/1-3] (Rhedigersche Bibliothek St. Elisabeth); 317772 Exemplar aus der Bibliothek von Johann Ephraim Scheibel mit Vorbesitzervermerk aus Breslau auf dem Titelblatt des ersten Millenariums von 1620. 8 N 535/1-3 (Bibliothek Maria Magdalena); 336042 8 V 461/1-3 (Bernhardiner Bibliothek); 381364 Reichhaltig annotiertes Exemplar mit ungezählten äußerst informativen Zusätzen in allen drei Millenarien; einer zu wünschenden Edition zugrundezulegen. Bibliotheca Rudolphina (Nr. 4297); 411859 (Teil I–II) Bibliotheca Rudolphina (Nr. 4298); 411860 (Teil III) Beide Exemplare aus der Rudolphina – soweit zu sehen – ohne Benutzerspuren; der dritte Teil zusammengebunden mit Caspar von Barths Pornoboscodidascalvs Latinvs von 1624 (411861). Parallel zu seinen Epigrammbüchern und den Sammlungen von Zuschriften zu seinem Wahlspruch ›Domini Est Salus‹ legte Cunrad eine große Sammlung von Distichen auf lebende und verstorbene Gelehrte ungeachtet von Fach und Herkunft an, die schließlich auf 3000 Einträge anwuchs. Sie verdankt – ganz abgesehen von den poetischen Meriten – neuerlich ihren herausragenden Wert den Zusätzen mit Informationen zu der jeweils bedichteten Persönlichkeit. Neu ist, daß der schlesische

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Bezug nicht mehr verbindlich hervortritt. Insofern ist Max Hippes Feststellung, daß Cunrad mit diesem Werk einen ›Literaturkalender‹ geschaffen habe und über diesen sich seinen Namen als den »eines Begründers der schlesischen Gelehrtengeschichte für immer gesichert« habe (S. 255), gleich in doppelter Hinsicht schief. Richtig wird sie, wenn man sie in Zusammenhang bringt mit dem Werk seines Sohnes Johann Heinrich Cunrad. Dessen oben aufgeführte ›Silesia Togata‹ in der Redaktion Caspar Theophil Schindlers bietet in der Tat einen auf Schlesien bezogenen Auszug aus den gedruckten und ungedruckt gebliebenen Gelehrtenporträts in der epigrammatisch auf ein Distichon konzentrierten Verknappung. Dieses doch wohl als Hauptwerk Cunrads zu qualifizierende opus magnum ist selbstverständlich nochmals prominent durch Widmungsempfänger geziert. Das erste Millenarium – das in dem ersten aufgeführten Exemplar mit einem Besitz- (oder Widmungs-)Eintrag aus dem Jahr 1620 vorliegt und aus der Bibliothek Johann Ephraim Scheibels herrührt – ist Georg von Schönaich, Caspar von Metzeradt und Tobias Scultetus zugeeignet: »Dominis ac Fautoribus suis submissa obseruantia colendu.« Der Mittelteil des Werkes ist an Nikolaus von Burghaus, Georg Rudolf von Zedlitz und Janus Gruter adressiert; der abschließende dritte, sechs Jahre später vorgelegt, ist Christoph Georg von Bergk, Christoph von Hoberg und Christoph Oelhafen von Schöllenbach zugedacht. Der erste Teil ging noch ohne Zuschrift für Cunrad in die Welt, der zweite ist durch eine Zuschrift von Thomas Schramm geziert, der dritte weist einen Kranz von Huldigenden – teilweise aus der Ferne – auf. Martin Zeidler und Melchior Hausius aus Lauban, Conrad Bavarus aus Leipzig und Friedrich Zamehl aus Elbing gratulieren. Die prominenteste Zuschrift ist separiert: ›Carmen Heroicvm Casparis Cvnradi V.C. symbolo dictum, vbi obiter de Prosographicis eius.‹ Sie ist hier auf den April 1621 (Breslau) datiert. Von Cunrad wurde sie auch in sein Theatrum Symbolicum aufgenommen und fand dort in der neunten Centurie (1624), datiert auf den September 1615, verknüpft mit einer zweiten Zuschrift aus Alba Julia in Siebenbürgen, datiert auf den Januar 1624 (statt richtig 1623, wie oben, S. 139, erläutert), ihren Platz. George Schulz-Behrend hat das große Gedicht des jungen Opitz, versehen mit einer mustergültigen Biographie des Adressaten, als zweites Stück in seiner kritischen Opitz-Ausgabe (I, 5–8) ediert; jetzt auch in den lateinischen Gedichten der Ausgabe Marschalls und Seidels (S. 230–235, Kommentar S. 432–435). Unbekannt geblieben ist den Editoren die handschriftliche Version aus der Milichschen Bibliothek, über die oben zu berichten war. Opitz hat den in seinem Werk seltenen Begriff ›Carmen Heroicum‹ wenig später, wie erwähnt, noch einmal für Tobias Scultetus benutzt. Alle drei Millenarien sind mit Namensregistern am Schluß ausgestattet. Sie sind freilich nur bedingt hilfreich, denn angeordnet wird – inzwischen schon ungewöhnlich – noch einmal nach den Vornamen. Scultetus ist in den beiden ersten Millenarien je einmal vertreten. Die nach seinem Tod erschienene dritte Folge führt seinen Namen nicht mehr.

Casparis Cunradi Silesii Epigrammatum Liber I [–] XI. B 1916 Zum Schluß des Caspar Cunrad gewidmeten – und notgedrungen, der Bedeutung des Autors entsprechend umfänglicheren – Abschnitts ist eine Handschrift in die Forschung einzuführen, die bislang – soweit zu sehen – gleichfalls unbeachtet blieb,

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obgleich der Sohn Johann Heinrich sie in seinem kleinen Verzeichnis der Schriften des Vaters ausdrücklich unter den unpublizierten Arbeiten aufgeführt hatte (Silesia Togata, 1706, Bl. d1r). Sie entstammt der Bernhardiner-Bibliothek, die ein Hort besonderer Kostbarkeiten speziell der schlesischen Gelehrtengeschichte war, weil sie insbesondere im 18. Jahrhundert in der Obhut von Gelehrten sich befand, die um den Rang auf Schlesien bezogener Werke wußten. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine im Gesamtwerk einer herausragenden Gelehrten- und Dichtergestalt des schlesischen Späthumanismus nochmals singulär dastehende Zimelie, die auch für die Personenkunde des Landes, um die es hier geht, von wiederum herausragendem Interesse ist. Cunrad hat mit ihr eine Sammelhandschrift geschaffen, in der er seine verstreut erschienenen Gelegenheitsgedichte systematisch nach Gattungen und Themen gegliedert zusammenführte. Diese Handschrift bietet – wie naturgemäß keines der gedruckten Werke – eine Summe seines Lebenswerkes, flektiert in der Lieblingsgattung seines Lebens, die seinem freundschaftsstiftenden Genie wie keine sonst entgegenkam, dem Epigramm. Cunrad hat in ihr mit eigener Hand dokumentiert, was er an epigrammatischen Zuschriften zu Wahlsprüchen, Hochzeiten, Todesfällen und sonstigen Anlässen als immer wieder geforderter Autor an einen weitläufigen und zugleich hochrangigen und ständisch differenzierten Adressatenkreis auf den Weg brachte. Für die Erkenntnis des schlesischen Späthumanismus und seiner sozialen Verankerung sowie des kulturpolitischen Votierens seiner Repräsentanten stellt gerade dieses Werk eine Quelle ersten Ranges dar. An Sammelwerken dieses Zuschnitts orientierten sich die Großen des 17. Jahrhunderts, von Opitz angefangen, als es darum ging, auch der deutschen Dichtung durch gewichtige Synopsen Rang und Geltung zu verschaffen. Es wirft ein Licht auf den Stand der neulateinischen und speziell der späthumanistischen Studien in Deutschland, daß einem Fundamentalwerk wie dem vorliegenden bisher keine Beachtung geschenkt wurde, entsprechend auch eine dringend benötigte Edition nicht ins Auge gefaßt werden konnte. Die elf Bücher umfassende Handschrift hat den Status einer Reinschrift. Eine Notiz auf dem Titelblatt des ersten Buches weist ausdrücklich darauf hin, daß das Werk von dem Verfasser geschrieben sei (›Ipsius Autoris Manu Scriptus‹). Die beiden ersten Bücher sind geistlichen Themen und Zuschriften zu Wahlsprüchen gewidmet (›Sacrorum & Symbolicorum‹). Der ständische Ordo wird durchgehend beachtet. Nach den geistlichen, zumeist Jesus gewidmeten Gedichten ist das erste weltliche an Rudolf II. gerichtet und gilt seinem Wahlspruch ›Adsit‹. Später wird das eigene Symbol ›Domini Est Salus‹ gleich mehrfach bedichtet. Auch Tobias Scultetus ist unter den Bedachten des ersten Buches: ›In Symbolum Tobiae de Schwanensee Et Bregoschitz, cognomento Sculteti JC. Consiliarii Caesarii, Fisci Regii per inferiorem Silesiam Advocati, Comitis Palatini. Unde Et Qvo.‹ (Bl. 7v). Man ersieht auch aus diesem Eintrag wiederum die Akribie, die in der Wiedergabe der Titulaturen beobachtet wurde. Sechs Distichen widmet Cunrad dem Gefährten aus verwandtem Geist. In der dritten Centurie seiner Epigramme ist es gedruckt worden (s.o.). Das dritte Buch bietet eine Folge von ›Basilicorum Sub Regium D. Matthiae II Vratislaviae adventum scriptorum‹. Natürlich finden sich auch die Piasten und gleich dreimal auch Georg von Schönaich unter den Bedachten. Ein Übergang zu einem Buch IV und damit zu einer eigenen titularischen Auszeichnung fehlt. Die Bücher fünf und sechs sind gefüllt mit einem großen Strauß ›Basiorum & Amorum‹. Cunrad schreibt keine Liebesdichtung im Stil der großen Erotiker, sondern Epithalamia. Auch sein Beitrag zur Hochzeit von Scultetus mit Catharina Treutler findet sich hier

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Martin Opitz

wieder (Bl. 92v). Die Bücher sieben und acht bestehen aus ›Manalium & Memorialium‹. So gut wie ausschließlich Gedichte zu Todesfällen werden hier versammelt. Scultetus, für den wir keine Leichenpredigt und keine Sammel- oder Einzelschrift mit Trauergedichten kennen, ist nicht darunter, wohl aber etwa Georg von Schönaich oder Nikolaus von Burghaus. Die letzten drei Bücher vereinen eine reichhaltige Ernte ›Miscellaneorum‹. Natürlich bedürfte es eingehender Studien im Blick auf Vollständigkeit hinsichtlich der auch im Druck vorliegenden Beiträge und damit im Blick auf die zeitliche Erstreckung des in den elf Büchern vereinten poetischen Guts. Als Dokumentation eines reichen Lebenswerkes ist es allemal imponierend und fortan aus der schlesischen Literatur- und Gelehrtengeschichte schwerlich noch wegzudenken. In Osnabrück ist es auf Mikrofilm, CD-ROM und in einer gebundenen Kopie – wie das sonstige Werk Cunrads – verfügbar.

Der voranstehende Beitrag zu Caspar Cunrad in Ergänzung und in einem Fall auch in Korrektur meiner Cunrad-Einträge im Killyschen Literaturlexikon (Band II, S. 486 f.). Der vom Verlag unmittelbar vor der Drucklegung fälschlich Caspar statt Christian Cunrad zugeordnete biographische Artikel von Max Hippe ist entsprechend umzustellen. Er sei auch hier nochmals aufgeführt: Max Hippe: Christian Cunrad, ein vergessener schlesischer Dichter (1608–1671).- In: Silesiaca. Festschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens zum siebzigsten Geburtstage seines Präses Colmar Grünhagen.- Breslau: Morgenstern 1898, S. 253–288. Die Korrektur jetzt auch in der zweiten Auflage des Lexikons unter der Obhut von Wilhelm Kühlmann (Band II, S. 517–519).

BALTHASAR EXNER

Von Exner liegt ein weitverzweigtes lyrisches, gelegenheitsbezogenes Werk vor. Er hat – Cunrad folgend – die nach kleinen numerischen Einheiten gegliederte Sammlung permanent gepflegt und aufbauend auf ihr sodann größere Synopsen gebildet. Diese stehen – anders als bei Cunrad – nicht als klar voneinander abgrenzbare Werke da. Vielmehr ist das Bild durch Titelauflagen, Umstellungen und Neukompositionen unscharf und teils verwirrend. Ein diesen Wachstums- und Verzweigungsprozeß nachbildendes Verzeichnis wäre ein umfassendes Unternehmen. Wir müssen uns darauf beschränken, die späten großen Sammelwerke anzuführen, die auch unserer Untersuchung zugrundelagen, und stellen die Erarbeitung einer Exner-Bibliographie einer jüngeren Kraft anheim. Daß eine solche nur in Breslau erstellt werden kann, versteht sich. Schon die alte Stadtbibliothek war reich an Drucken Exners. Durch die Vereinigung zahlreicher schlesischer Bibliotheken ist der Bestand noch gewachsen. Anderseits sind in Einzelfällen, so wie bei allen Dichtern,

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durchaus auch Verluste zu beklagen, zumindest von einzelnen Exemplaren. Auch das könnte hier wie in anderen Fällen nur über eine die Vorkriegsverhältnisse berücksichtigende Bestandsverzeichnung dokumentiert werden. In Osnabrück ist das Werk in größtmöglicher Vollständigkeit auf Mikrofilm und in Kopie – durchweg aus Breslau – versammelt. Carminum Miscell. Liber I. [und] Liber II.- Beuthen: Dörffer 1617. 301128 Exner hat seit den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine kaum übersehbare Zahl von durchweg schmalen Bändchen mit Miszellaneen vorgelegt. Darunter etwa Anagrammatvm Decades Tres Priores (Liegnitz: Sartorius 1598) (352225), Epigrammata (s.l. s.a.) (301136), Carminum Iuvenilium Octernio I [–] IX. (Frankfurt/Oder: Eichorn, später Hartmann 1599 f.) (300591, 301118, 301133, 301137, 305088), Carminum Iuvenilium Sylvula I (Frankfurt/Oder: Hartmann 1600) (301117), später dann Carminum Miscellorum decermina (Liegnitz: Sartorius 1605) (352228), Carminum Miscellorum Sylloge (ebd. 1605) (532462), Carminum Miscellaneorum Odarion (ebd. [1606/07]) (301129), Carminum Miscellorum Analecta (Prag: Othmar 1606) (535341), Anagrammatum & Epigrammatum Involucrum primum (Prag: Schumann s.a.) (381508), Carminum Miscellorum, Foetura nov-antiqua und Foetura nova (Wittenberg: Meißner (1607)) (301134, 301131, 373382, 373381), Epigrammatum Liber [I –] II (Oels: Bössemesser 1608) (373383, 373384) sowie eine Sylloge Poetica (Wien: Bonenberger 1612) (301130); für den zeitweiligen Dienstherrn Friedrich Wilhelm von Teschen, auch sonst schon von Exner bedacht, wurden Poëmatia (303806), eine Sectio Poëtica (303808), Ramenta Poetica (303809), ein Fragmentum Poeticum (301124) und ein Tristium sive Funebrium Liber (301126) komponiert, sie alle in Oels bei Bössemesser 1609 erschienen. Auch an HorazParodien versuchte Exner sich (Leipzig: s.p. 1601) (301116). Mangelnden Erfindungsreichtum im Blick auf immer neue Titel wird man ihm also nicht nachsagen können. Und mangelndes Talent in der Lancierung von immer neuen Widmungsadressen auch nicht. Beides hat so wenig wie der unermüdliche Fleiß vor dem Vergessen geschützt. Wenn sich bis heute mit dem Wirken Exners kein Bild verbindet, so ist dies womöglich auch dem allzu umtriebigen Produzieren geschuldet. Hier kann es nur um die Ernte der späteren Jahre gehen, die sich mit seinem Wirken am Schönaichianum vor seinem unfreiwilligen Exodus verbindet, der seine Gestalt gleichfalls in Zwielicht hüllt. Im vorliegenden Fall liegen die ersten beiden Folgen der gesammelten Carmina Miscellanea in einem Autoren-Widmungsexemplar aus der vormaligen Staats- und Universitätsbibliothek Breslau vor. Cunrad liefert zu den ›Insignia‹ Exners vier Distichen, die Exner – ganz ungewöhnlich und wenig überzeugend – in gleichem Wortlaut vor beide Bücher stellt. Das erste Buch ist Georg Rudolf von Zedlitz gewidmet, das zweite Melchior von Rechenberg. Georg Vechner steuert eine Huldigungsadresse zum ersten Buch bei, Caspar Dornau zum zweiten. Ständisch orientiert setzt es mit Zuschriften an das Kaiserhaus ein und geht dann über zu Huldigungsadressen an Mitglieder fürstlicher Häuser. Die Piasten werden natürlich besonders bedacht. Epithalamia und Horaz-Parodien werden gleichfalls dargeboten. Auch das Hochzeitsgedicht für Georg von Schönaich findet sich hier. Es handelt sich also tatsächlich um ›Miscellanea‹. Tobias Scultetus wird in beiden Büchern angesprochen, das eine Mal

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Martin Opitz

(S. 45) ohne, das andere Mal (S. 74 f.) mit Angabe eines Anlasses: ›Cum Viennam iret â Caes. Mat. vocatus.‹ Und: ›Ad Eund. Cum ex Aulâ Caesariâ rediret.‹ Eine Datierung des Ereignisses ist nicht vorhanden.

Carminum Miscell. Libri XII.- Beuthen: Dörffer 1619. 301114 Wieder liegt ein Exemplar der vormaligen Staats- und Universitätsbibliothek Breslau vor, dieses Mal ohne Widmungsadresse. Im Gegensatz zu der Ankündigung auf dem Titel setzt sich das Werk aus 14 Büchern zusammen, die beiden letzteren freilich besonders schmal. Die beiden ersten Bücher sind identisch mit der Beuthener Ausgabe von 1617. Auch jetzt bilden die vier Distichen Cunrads den Eingang. Das Werk ist nun dem ›Capitaneum‹ sowie den ›Senatores‹ der ›Augustae Reipub. Vratisl.‹ gewidmet. Gruter, Dornau, Georg Vechner u.a. huldigen eingangs. Die einzelnen Bücher werden überraschenderweise nicht nochmals mit Widmungsadressen versehen. Doch sorgt Exner dafür, daß hochgestellte Persönlichkeiten immer am Anfang eines neuen Buches stehen. Der Kreis der angesprochenen Personen ist eingeschränkter als die weiträumige und ehrgeizige Anlage des Buches vermuten läßt. Eine ganze Reihe von Personen, vor allem aus dem Beuthener Einzugsbereich, taucht immer wieder auf. Für die Mitglieder des Beuthener Gymnasiums liegt in Exners Werk eine besonders reichhaltige Quelle vor. Auch Scultetus ist in fast jedem Buch bedacht worden. Im dritten Buch wird das Epithalamium zur Hochzeit mit Catharina Treutler wieder gedruckt (S. 136–141). Im vierten und achten Buch steht ein Geburtstagsgedicht für Scultetus (S. 195–199; 344 f.), im fünften eines für seine Frau (S. 264). Im sechsten Buch ist eine Hommage an Scultetus’ berühmte Bibliothek untergebracht (S. 290 f.), im siebten eine Grußadresse des Gymnasiums (S. 310) sowie ein Geburtstagsgedicht für den Sohn Hieronymus Kaspar (S. 314 f.) und wiederum die Ehefrau (S. 323 f.). Das siebte Buch birgt übrigens auch eine Zuschrift Exners zu Opitzens Wahlspruch ›Ecquantum Restat!‹ (S. 326). Im neunten Buch hat Exner zur Abwechslung ein Anagramm für Scultetus verfaßt (S. 420 f.). Im elften umspielt er Scultetus’ Wahlspruch ›Unde Et Quo‹ (S. 421 f.). Im vorletzten dreizehnten Buch schließlich wird Scultetus’ Genesung gefeiert: ›Ex morbo & morte quasi redivivum.‹ (S. 490–492). Das Werk ist durch Register nicht erschlossen und offensichtlich eilig zum Druck befördert worden, wie die angehängten zwei Bücher vermuten lassen, die nicht mehr zu einer Änderung des Haupttitels führten. Exner, von Ehrgeiz getrieben wie wenige sonst, hat sich nicht gescheut, ein Jahr später eine Titelauflage des monumentalen Werkes zu veranstalten, für das Dörffer in Beuthen sich neuerlich hergab. Nun lautet der Titel Schediasmata Poetica. Es ist Johann Christian von Liegnitz und Brieg gewidmet. So wurden die Spitzen der Stadt Breslau und die Piastenherzöge gleichermaßen umworben (301120; Exemplar der Staats- und Universitätsbibliothek Breslau mit zeitgenössischem Vermerk, daß das Werk aus dem Besitz von ›Liber B.V.M. in Heinrichau‹ 1729 in die Bibliothek kam).

Anchora Vtrivsqve Vitae: Hoc est Symbolicum SPERO MELIORA[.] A trecentis, qua genus, qua doctrinam Illustribus & Clariss. in Europa Viris Carmine celebratum: Cvi Accesservnt Amores Conivgales Et Analecta Encomi-

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astica Ab Illustribus quibusdam & Clarissimis passim Viris scripta. [Centvria Prima –] Centvria III.- Hanau: Aubry & Schleich 1619. 8 N 1016/3; 336782 Bibliotheca Rudolphina (Nr. 4343); 411914 Exner hat seine diversen kleinen Lyriksammlungen, von denen einige aufgeführt wurden, in der Regel schon auf dem Titelblatt mit seinem Wahlspruch versehen und einen Beitrag dazu von befreundeter Hand abgedruckt. Nachdem Cunrad eine so eindrucksvolle Reihe von Zuschriften zu seinem Wahlspruch zusammengebracht hatte, mußte es Exner reizen, dem großen Vorbild nachzueifern. Das Ergebnis ist das vorliegende Werk. Gibt es einen zweiten Autor, der sich zu der Mitteilung verstanden hätte, daß sich die Kapazitäten Europas herbeigelassen hätten, um dem Autor und seinem Wahlspruch zu huldigen? Und damit nicht genug. Was an Beiträgen zur Hochzeit mit Eva Barth beizubringen, ja was sonst an Huldigungen jedweder Art für Balthasar Exner der Gelehrtenschaft abzugewinnen war, wurde von dem Autor in maßloser Selbstüberschätzung und ohne Sinn für ein ziemliches Decorum seiner Anchora einverleibt, um derart ein selbst errichtetes Denkmal bei Lebzeiten zu produzieren. Das hier ausgewählte Exemplar aus der Magdalenen-Bibliothek ist Caspar Cunrad vom Autor zugeeignet. Die erste Centurie des Werkes ist keinem anderen als Tobias Scultetus gewidmet und mit einer großen sechzehnseitigen Widmungsadresse ausgestattet. Das gilt auch für die Widmungen der zweiten (Jakob Bornitz) und der dritten (Jakob Schickfuß und Caspar Dornau) Centurie. Im Anschluß an die Widmungsschrift zur ersten Centurie folgen nicht weniger als fünf Register, den Beiträgern zu den drei Centurien sowie zur Feier der Hochzeit und den sonstigen Anlässen gewidmet. Was für die Miszellaneen verabsäumt wurde, wird nun, da es um das Vorzeigen illustrer Namen geht, extensiv praktiziert. Natürlich stehen Beiträge aus dem Adel voran. Gleich darauf folgen jedoch Jacques-Auguste de Thou, Joseph Justus Scaliger und sodann Tobias Scultetus mit einem auf das Jahr 1598 datierten Zweizeiler. Hieronymus Arconatus, Jakob Chimarrhäus, Janus Dousa, Obertus Giphanius, Jacob Monau, Paul Melissus Schede, Elisabetha Johanna Westonia folgen, und auch im Fortgang weiß Exner immer wieder klangvolle Namen aufzubieten. Da alle Beiträge nicht nur mit Informationen zu den Einsendern, sondern auch mit Datierungen der Zuschriften versehen sind, liegt also neuerlich eine wichtige personengeschichtliche Quelle vor. Speziell für den Beuthener Kreis ist das von Bedeutung. In manchem Fall ist bislang nur über den Umweg Exners eine personelle Identifizierung über die poetische Zuschreibung möglich. Auch das selbstkomponierte (und außerordentlich üppige) Epithalamium kennt – nach einer Widmungsadresse und einer Eröffnung durch Christoph Baron von Kittlitz – Scultetus sogleich als Beitragenden. Auch hier sollen die Namen im einzelnen nicht aufgeführt werden; fünfzig Beiträger hatte der rührige Bräutigam gewinnen können. Es ist bekannt, daß auch der junge Opitz mit einem Glückwunsch in Gestalt eines ›ΕΡΩΤΩΠΑΙΓΝΙΟΝ ‹ und eines Epigramms an vorletzter Stelle sich einfand (S. 245 f.; Schulz-Behrend I,117–120; Lateinische Gedichte S. 164–167, Kommentar S. 387–390). Die ›Analecta Encomiastica Adoptiua‹ schließlich sind Janus Gruter und Johann Philipp Pareus gewidmet. Auch hier ist Scultetus noch einmal mit einem Epigramm dabei. Ansonsten überwiegen Beiträge von Caspar Cunrad. Auch Dornau kann mehrfach zitiert werden. Den Reigen beschließt Melideus.

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MELCHIOR HAUS

Epigrammatum Centuria Una.- Bautzen: Zipser 1616. 8 N 534/11; 336032 Die Epigrammsammlung des – lexikalisch nicht faßbaren – gekrönten Dichters und zur Zeit der Publikation in Frankfurt/Oder Theologie studierenden Melchior Hausius (›Hexapolitae‹, nämlich aus Zittau) ist Georg von Schönaich gewidmet und damit von besonderem Interesse. Die Kaiser Rudolf II. und Matthias werden zunächst ebenso besungen wie Johann Georg von Sachsen, Moritz von Kassel, Georg Rudolf von Liegnitz und Brieg und andere Große. Georg von Schönaich findet sich noch mehrfach bedacht, und auch sein Gymnasium wird besungen. In diesem Umkreis dürfen Cunrad, aber auch Scultetus nicht fehlen. Fünf Distichen gelten dem Pfalzgrafen, Kaiserlichen Rat und ›supremi per utramque Silesiam & Lus. Fisci Patr.‹ (Bl. B8r). Vier kleine Zuschriften an Mitglieder der Familie hat Hausius dem Werk beigefügt, darunter ein Epithalamium von Matthaeus Zuber. Er selbst schließt mit einem Anruf an die Dreifaltigkeit. Im Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums ist Hausius inzwischen vielfältig bezeugt. Ein Verweis auf die entsprechenden Registereinträge muß an dieser Stelle genügen.

JOHANNES HEERMANN

Heermann ist in der Geschichte der schlesischen wie der deutschen Literatur als großer geistlicher Dichter gegenwärtig. Zwischen Luther und Gerhardt gilt er als zentrale Figur vor allem über die Gattung des Kirchenliedes. Weniger bekannt ist, daß er auch ein reichhaltiges anagrammatisches und epigrammatisches Werk hinterließ. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war er zeitweilig jedes Jahr mit einer neuen kleinen Sammlung präsent. Wir müssen es uns neuerlich versagen, den Wachstumsprozeß dieses Zweiges seines Werkes im einzelnen zu verfolgen und detailliert zu dokumentieren. Ein erhebliches lyrisches Aufkommen wäre zu kollationieren. Osnabrück hält gerade auch dieses kleine Schrifttum wieder nach Maßgabe des Möglichen und zumeist aus Breslau, teilweise auch aus London herrührend, auf Mikrofilm und in Kopie verfügbar. Ebenso wie bei Cunrad wurden die Epigramme zunächst in einzelnen Büchern zusammengeführt, von denen Heermann drei vorlegte (1608, 1614 und s.a. [1618]). Dann war es dem Autor vergönnt, 1624 eine neun ›Libelli‹ umfassende Ernte einzufahren. Parva Parvo In Arvo natis & collectis Aliquot Metagrammatum Flosculis contexta Coronula.- Oels: Bössemesser 1605. 4 O 485/65; 509673 4 V 9,39; 532636

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Die kleine Folge von Distichen ist Christoph Bielich, einem Freund Heermanns, gewidmet. Sie erhebt keine Ansprüche im Blick auf die Bedichteten. Zwölf Personen, zumeist aus Schlesien stammend, werden bedacht. Zur Dokumentation der Sequenz erfolgt an dieser Stelle die Notiz.

Poetica Anagrammatum Messis In Amoeno Apollinis Campo Passim Ex Rapto Collecta, Et Sacrae Poeseos curru, in pulcerrima Maecenatum Horrea deportata.- Frankfurt/Oder: Hartmann 1605. 4 E 1,140; 352343 4 O 485/6; 509615 4 V 9,38; 532635 Schon in dieser Sammlung Heermanns sind von ihm wiederholt bedichtete Figuren gegenwärtig: Melchior Eckard, Jakob Schickfuß, Valerius Herberger, Melchior Agricola, Heinrich von Stange und Stonsdorf etc.

Lemmatum Symbolicorum Libellus Primus.- Oels: Bössemesser 1606. 301868 SUB Breslau: Lat. rec. II. Oct. in 836

Lemmatum Symbolicorum Libellus Secundus.- Oels: Bössemesser 1607. 301868.2 SUB Breslau: Lat. rec. II. Oct. in 836 8 N 2135/8; 373378 Auch Heermann hat sich der Mode der Wahlspruchzuschrift angeschlossen. Unter den zwölf Personen des ersten Büchleins werden u.a. – und teils mehrfach – Melchior Eckard, Daniel Rindfleisch, Jakob Schickfuß und Caspar Cunrad besungen, unter den zwölfen des zweiten Büchleins Andreas Sartorius, Johannes und Christoph Scholtz. Das erste Büchlein ist von einer Zuschrift Melchior Agricolas begleitet. Es ist von Interesse, wie das personelle Geflecht sich sukzessive verdichtet.

Horarum Subcesivarum, Fasciculus Primus.- Glogau: Funck 1607. 301871 SUB Breslau: Lat. rec. II. Oct. in 836 8 N 2135/17; 373387 Hist E 773; 303813 Die kleine Schrift ist drei Adligen zugeeignet. Sie wird eröffnet mit zwei Trauergedichten, Epithalamia folgen nach; die Mischung der Gattungen bleibt gewahrt. Melchior Eckard und Caspar Cunrad sind unter den Bedichteten. Zu notieren bleibt, daß die Freude am Anagramm wiederholt zu deutschsprachigen Wendungen geleitet, hier wie in der vorangehenden Sammlung.

Meletematum [...] Dragma.- Oels: Bössemesser 1608. 301874 SUB Breslau: Lat. rec. II. Oct. in 836

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8 N 2135/19; 373389 Hist E 773; 303812 In dem kleinen Werk, Abraham von Tschammer, Johann Georg von Langenau und Siegismund von Franckenberg gewidmet, werden u.a. Wenzel von Zedlitz, Melchior von Senitz, Johann von Nostitz und Elisabetha Johanna Westonia bedichtet. Unter den Gelehrten werden u.a. Cunrad, Taubmann, Schickfuß, Calagius und Melchior Agricola bedacht.

Epigrammatum Noviter elaboratorum Eicosidyas.- Oels: Bössemesser 1608. 301873 SUB Breslau: 8° Lat. rec. II. Oct. in 836 8 N 2135/18 Die vorliegende Sammlung ist Jakob Chimarrhäus gewidmet. Die ständische Ordnung bleibt gewahrt. Rudolf II., Heinrich IV., Elisabeth und Jakob I., Sigismund III. Wasa und Christian IV. eröffnen. Dann erfolgt der Übergang zu den Landesherren des Reichs. Der Anspruch ist also beträchtlich. Caspar Cunrad, Johannes Timaeus und Matthaeus Zuber gratulieren. Die Gelehrtenschaft selbst bleibt als Adressat noch ausgeklammert.

Parodiarum ad Horatii Flacci Melpomenen Decas.- Glogau: Funck 1609. 301872 SUB Breslau: 8° Lat. rec. II. Oct. in 836 Auch an dieser Spielart anlaßbezogenen Dichtens hat Heermann sich beteiligt. Daniel Rindfleisch, dem das Werk gewidmet ist, Jakob Chimarrhäus, Caspar Cunrad, Jakob Schickfuß, Johannes Brachmann und Balthasar Nigrinus werden poetisch angesprochen.

Carminum Ioannis Heermanni, Rautenatis Silesii, Poëtae L. Caes. Merges.Straßburg: Bertram 1609. UB Giessen: Rara 159 (7) Vermutlich erste in Straßburg erschienene Gedichtsammlung Heermanns. Gewidmet ist sie Johannis von Cölln, ›Equiti Silesio‹. Die Gratulation, auf dem Titelblatt plaziert, stammt von Henel. Der erste Beitrag gilt Johann Christian von Liegnitz und Brieg. Adam von Stange und Stonsdorf, Marcus Florus, Professor für Recht und Beredsamkeit an der Straßburger Akademie, und Balthasar Exner sind unter den Bedichteten. Der Anteil der Schlesier überwiegt in der kleinen Sammlung.

Micarum Poëticarum [...] Quasillus.- Straßburg: Martin 1609. BL London: 11403.aa 40 (1) Die Widmung an Joachim Geraltowsky von Geraltowitz datiert auf den Dezember 1609, ›Anni ferè elapsi‹. Folglich vermutlich zweite in Straßburg zum Druck gelangende Sammlung Heermanns überwiegend mit Epigrammen und Beiträgen zu

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Wahlsprüchen. Gruter erhält ein Anagrammgedicht, Cunrad eine Zuschrift zu seinen Horaz-Parodien; Matthaeus Zuber wird bedacht und der junge Nicolaus Henel, ›Neostad. Siles. J.U. Cand.‹ So war die Sammlung ebenso wie die vorangehende und die nachfolgende dazu angetan, den Brückenschlag zwischen Schlesien und dem Südwesten zu befestigen.

Carminum Iani Heermanni Silesii, P.L.C. Semuncia.- Straßburg: Martin 1610. BL London: 11403.aa 40(2) UFB Erfurt-Gotha: 32-Rad H 0010 (3) Dritte in Straßburg zum Druck gelangende Epigrammsammlung Heermanns, ErnstFriedrich und Wilhelm von Rhediger, ›Fautoribus et Amicis meis‹, gewidmet. ›Salve Jesu, Delicium Et Salus Humani Generis‹ – unter diesem Motto steht die wiederum schmale Sammlung. Melchior von Senitz, Leonhard von Kottwitz, Theodor von Baruth und der gekrönte Dichter Georg Fabricius der Zweite sowie der Professor für Griechisch am Brieger Gymnasium, Johann Günther, sind ebenso unter den Bedachten wie der eben gewählte Rektor der Straßburger Akademie Daniel Rixingerus, Matthias Bernegger und einige weitere Persönlichkeiten aus Straßburg und dem Elsaß. Heermann gehört zu den schlesisch-pfälzischen-oberrheinischen Vermittlergestalten, von denen Schlesien so viele illustre Namen besaß und denen es vielfach gegeben war, eine von großen Hoffnungen umspielte gelehrte Gemeinschaft poetisch zu verewigen.

Epigrammatum Liber I.- Glogau: Funck 1611. 8 E 1,184; 316229 8 V 490/13; 381418

Epigrammatum Liber II.- Frankfurt/Oder: Hartmann 1614. 8 N 534/12; 336033

Epigrammatum Liber III.- [Frankfurt/Oder:] Eichorn s.a. 8 N 534/13; 336033 Buch III in einem Widmungsexemplar für Caspar Cunrad aus der Bibliothek Maria Magdalena. Mit den vorliegenden drei Büchern – Liber III war bislang in keinem Exemplar nachgewiesen – geht Heermann zur Sammlung seiner Epigrammproduktion in neuer Schematisierung über. Widmungsempfänger des ersten Buches sind Sebastian und Leonhard von Kottwitz, Cunrad leistet die Zuschrift. Fabian von Kottwitz, ›Dominum & Mecoenatem meum augustum‹, widmet Heermann das zweite Buch. Unter der Gelehrtenschaft figurieren Nikolaus von Rhediger, Daniel Rindfleisch, Georg Rambau, Melchior Lauban, Melchior und Nathanael Tilesius, Jakob Schickfuß, Simon Grunaeus, Daniel Vechner, Elias Cüchler und natürlich Nicolaus Henel und Caspar Cunrad, letzterer gleich mehrfach. Im dritten Buch – Wenzel und Friedrich von Rothkirch und Panthenau zugeeignet – durfte Heermann sich eingangs bereits der Belobung durch Gruter und Henel erfreuen. Der Durchbruch war erfolgt.

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Epigrammatum Libelli IX.- Jena: Beithmann; Breslau: Eyring & Perfert 1624. 301864 Aus der Milichschen Bibliothek zu Görlitz, von dort in die BU Wrocław gelangt; Exemplar Benjamin Schmolck, wie handschriftlich auf dem Titelblatt ausgewiesen. 8 V 931/2; 381914 Exemplar aus der Bernhardiner Bibliothek. 301865 Exemplar aus der SUB Breslau: Lat. rec. II Ddz 303, mit der handschriftlichen Zueignung auf dem Titelblatt: ›Pro Conuentu Nissensj S.M. in Rosis‹. Heermann hat seine die weltliche Dichtung resümierende und abschließende Sammlung seinen beiden Brüdern sowie Otto Konrad von Nostitz gewidmet. Caspar Cunrad – als erster – und Henel sind unter den Gratulanten. Der erste, dem inmitten des geistlichen Eingangs eine Zuschrift zuteil wird, ist wiederum Henel. Er wird noch wiederholt bedacht werden. Die Präsenz geistlicher Beiträge im Wechsel mit eher eingestreuten Zuschriften an einzelne Personen ist das Kennzeichen des ersten Buches der Heermannschen Sammlung. Die weltlichen Großen, angefangen bei Rudolf II. und Heinrich IV., figurieren jetzt erst im zweiten Buch. Treten alsbald Moritz von Kassel, August von Anhalt-Plötzkau und Johann Christian von Liegnitz und Brieg hinzu, so liegt eine wie auch immer verdeckte konfessionspolitische Option nahe. Christoph Pelargus, Jakob Chimarrhäus, Friedrich Taubmann, Caspar Cunrad, Jakob Schickfuß, Johannes von Hoeckelshoven und Nathanael Tilesius sind unter den ersten, denen der poetische Gruß gilt. Sie werden fast alle im Fortgang des dichtgewebten Werkes neuerlich begegnen. Andere berühmte Namen, darunter z.B. Gruter und Bernegger, treten hinzu. Reich bedacht ist die Pfarrerschaft. Vielfach begnügt sich Heermann mit einem Hinweis auf die Herkunft des Bedichteten. Häufig aber stehen auch zusätzliche Angaben bei dem Namen. Tobias Scultetus ist ganz am Schluß im neunten Buch in sein Blickfeld geraten (S. 527). Da figurieren ansonsten all jene noch einmal, denen er besonders nahestand: Nikolaus Rhediger, Janus Gruter, Melchior Eckard, Johannes Neomenius, Caspar Cunrad, Nathanael Tilesius, Melchior Sebisch, Simon Grunaeus, Nicolaus Henel, Johannes von Hoeckelshoven u.a. Auch Melchior Hausius begegnet wieder, versehen mit dem Zusatz ›P.L. Scholae Lauben. Rector.‹ So zeichnet er vielfach auch als Beiträger zu Sammelschriften. – Auch Heermanns Werk ist aus der zukünftig zu leistenden Rekonstruktion der nobilitas literaria Silesiae nicht wegzudenken.

NICOLAUS HENEL VON HENNENFELD

Epigrammatum Liber I.- Oels: Bössemesser 1615; Liber II.- Brieg: Siegfried 1615; Liber III.- Oels: Bössemesser 1616. 8 N 534/8-10; 336031 Buch I und III der Henelschen Epigramme erschienen 1615 bzw. 1616 in Oels; das zweite Buch der Epigramme kam 1615 ohne ausdrückliche numerische Spezifizierung in Brieg heraus. Im vorliegenden Exemplar ist der Zusatz ›II.‹ von offensicht-

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lich alter Hand erfolgt. Der zeitweilige verlegerische Wechsel im gleichen Jahr bedürfte der näheren Untersuchung. Henel steht von gleichem Rang und Gewicht neben Cunrad. Zu beiden gesellt sich als dritte Leitfigur Scultetus. Henel hat große Zurückhaltung in der Publikation seiner Werke walten lassen. Sein mächtiges schriftstellerisches Werk ruht im Nachlaß. Der öffentliche Raum war seinem politischen Wirken vorbehalten. Die gelehrten Studien blieben abgeschirmt. Und das – wie das Schicksal der ›Silesia Togata‹ beweist – mit gutem Grund. Henel hat schon auf dem Titelblatt des ersten Buches die Beweggründe für eine Publikation deutlich gemacht. Es handele sich um ein Buch mit Epigrammen, »qvae vel animi caussâ & ultrô, vel amicorum etiam rogatu aliqvando fecit«. Der letztere Aspekt dürfte schwerlich zu überschätzen sein. Die Epigramme sind nicht eingeschränkt auf den schlesischen Einzugsbereich. Henel bedichtet die politische und intellektuelle Spitze Europas. Heinrich IV. von Frankreich und Ludwig II. von Ungarn und Böhmen werden ebenso bedacht wie Casaubon oder Jacques-Auguste de Thou oder Bongars. Am Schluß des ersten Buches ist ein großes Gedicht auf Johann Matthäus Wacker von Wackenfels plaziert. Eine eigene Abteilung im dritten Buch ist großen Juristen des Altertums vorbehalten. Die schlesischen Eliten befinden sich also in bester Gesellschaft. Am häufigsten dürften Cunrad und Georg Schönborner von Henel bedichtet worden sein. Tobias Scultetus hat seinen Platz im zweiten Buch (Bl. A8v). Ganz am Schluß wird Opitzens und seines Wahlspruchs ›Ecqvantum restat!‹ gedacht (Buch III, Bl. B7v). Die titularische Präsentation ist akribisch. Die Widmungsempfänger sind ausgesucht und erlaucht. Andreas von Kochtitz und Nikolaus Rhediger ist das erste Buch gewidmet, Georg Rudolf von Liegnitz und Brieg das zweite und Wenzel von Rothkirch und Panthenau das dritte. Hinzuweisen ist darauf, daß sich im mächtigen Nachlaß von Henel auch eine Handschrift mit Epigrammen erhalten hat.

Carminvm Miscellorvm Liber. R 572 (Bl. 78r–166v) Die Abschrift ist Bestandteil eines in gewisser Weise einzig dastehenden sammlerischen Vermächtnisses, das herrührt von einem der großen Stifter von Tradition im Breslau des 18. Jahrhunderts, von Christian Ezechiel. Er hat die Anlage umfassender Kollektaneen auch Henel zuteil werden lassen, dem mit Gewißheit seine besondere Verehrung galt, sahen die Köpfe, die um die Bergung des Schlesischen Erbes im Zeitalter der Aufklärung bemüht waren, in Henel doch einen ihrer maßgeblichen Gewährsleute. Ezechiel hat für eine einleitende Verzeichnung von Henels ›Scripta‹ ebenso Sorge getragen wie für die Integration eines Lebenslaufes, eine Version darunter auf Henel selbst zurückgehend. Er hat in Handschrift und Druck an Henel gerichtete Huldigungsadressen und sonstige Zeugnisse über ihn zusammengetragen. Und er hat vor allem gleichfalls in Druck vorliegende, ebenso aber in handschriftlicher Version verbliebene Werke und Briefe in Abschrift und gelegentlich im Original zu einem umfänglichen Corpus gefügt. Dabei galt sein Interesse in diesem Fall gerade nicht den großen Werken, die er in dem Werkverzeichnis aufgeführt hatte, an denen schon andere und im übrigen, wie gezeigt, auch Ezechiel selbst sich abschreibend und gelegentlich kommentierend versucht hatten. Die gar nicht hoch genug zu schätzende Bemühung war statt dessen auf das eher am Rande Verbliebene gerichtet. ›Opuscula‹ sollten vor Verlust und Zerstreuung geschützt werden. Es gehört zu den großen Glücksfällen der Schlesischen Kulturgeschichte der Frühen Neu-

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zeit, daß das Konvolut gerettet werden konnte. Für eine Henel-Monographie steht gerade auch über diesen Band R 572 (in unmittelbarer Nachbarschaft zur ›Silesia Togata‹ in der Rhedigerschen Bibliothek) eine reiche Überlieferung zur Verfügung. Dazu gehört das oben aufgeführte Werk mit lyrischer Gelegenheitsdichtung Henels. Die Abschrift ist nicht identisch mit den drei Büchern der Henelschen Epigramme. Doch tauchen zahlreiche zum Druck gelangte Texte auch in der Handschrift wieder auf. Sie wird z.B. eröffnet mit den beiden Gedichten auf Heinrich IV., denen sich der Beitrag für Casaubon anschließt. Es muß bis auf weiteres offen bleiben, ob dem Abschreiber Henelsche Originale verfügbar waren oder welche Quellen er für seine Sammelhandschrift nutzte. Nähere Klärung wird nur über einen detaillierten Vergleich mit den drei gedruckten Epigrammbüchern zu erzielen sein. Sie liegt außerhalb der Möglichkeiten dieser Skizze. Ein Hinweis auf diesen Zweig der lyrischen Produktion Henels durfte jedoch an dieser Stelle nicht fehlen. Vgl. auch den Eintrag zu Henel oben S. 121–124.

JACOB MONAU

Iacobi Monawi Symbolvm. Ipse faciet: Virorum Clarissimorvm, Et Amicorvm Carissimorvm Versibvs Celebratvm Et Exornatvm.- s.l. 1581. 8 N 1324; 372253 Widmungsexemplar für Johann von Žerotin aus der Bibliothek Maria-Magdalena. Schmaler, in der Anlage jedoch bereits auf das nachfolgend aufgeführte Werk vorausweisender Vorläufer. Unter anderen tragen bei: Andreas Dudith, Johann Crato von Crafftheim, Johannes Sambucus, Johannes Sturm, Theodor Beza, Lambertus Danaeus, Matthaeus Usbecius, Theodor Zwinger, Peter Monavius, Petrus Vincentius, Johannes Caselius, Nikolaus Rhediger, Johann Matthäus Wacker von Wackenfels, Melissus Schede, Johannes Posthius, Johannes Schosser, Nathan Chytraeus, Nicolaus Reusner, Nicodemus Frischlin, Georg Calaminus, Georg Vechner und Hieronymus Arconatus. Die meisten der Beiträge sind in das 14 Jahre später erschienene große Sammelwerk eingegangen. Der weite Kreis bedeutender Autoren zeichnet sich schon in dem ungemein seltenen Erstling ab.

Symbolvm Iacobi Monawi. IPSE FACIET[.] Variis Variorvm Avctorvm Carminibvs Expressvm Et Decoratvm. Cum nonnullis appendicibus.- Görlitz: Rambau 1595. 303038 Widmungsexemplar aus der Augustiner Chorherren-Bibliothek Auf dem Sande! Signatur in der SUB Breslau: Lat. rec. I. Poet. 15. Daß ein Autor von dem Ansehen Monaus eine Sammlung der zu seinem Wahlspruch verfaßten Beiträge vorlegte, war für den Nimbus der Gattung und damit für ihre Fortentwicklung in Schlesien von großer Bedeutung. Der Autor hat seinem Werk einen Holzschnitt seines Symbols in den vier ›heiligen‹ Sprachen vorangestellt. Darüber hinaus hat er die Stellen aus dem Alten und dem Neuen Testament zusammengestellt, in denen sein Wahlspruch das Fundament besaß. Voran steht ein

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geistliches Gedicht in sechs Distichen: ›Domino Deo Nostro Potenti Et Veraci: Mυϑων Pητηριαµα Και Πρηκτηρι Sacr.‹ Tatsächlich atmet das Werk besonders über die nachhaltige Präsenz des Griechischen den Geist des 16. Jahrhunderts. Dem kommt entgegen, daß eine Reihe von Zuschriften auch mit deutschen Versen ausgestattet ist. Es ist ein zentrales Dokument des Abschlusses und zugleich des Übergangs in eine neue Epoche. Das in drei ›Libelli‹ und einen ›Appendix‹ gegliederte Werk ist Joachim vom Berge, Gregor Tribell (›Cvranti Venas Metall. Smelnic. & Scepvsii‹) und Johann Müllner von Mühlhausen (›S.C.M. à Secretis In Consilio Regni Bohemiae‹) gewidmet. Der ›Appendix Ad Tres De Symbolo Carminvm Libellos‹ trägt den Namen von Abraham Ortelius (›Secvli Nostri Cosmographorvm Principi‹) als Widmungsempfänger. Ein angehängtes ›Γλυκυπικρον Siue Dvlc-Amarvm‹ ist Johann von Nostitz, Georg von Dyhern und Nikolaus von Burghaus gewidmet. Nochmals sich anschließende ›Parodiae Varii Generis Et Argvmenti‹ tragen die Namen Nikolaus Rhedigers, Martin Schillings und Sebald von Saurmas als Widmungsempfänger. Ein Index der beitragenden Autoren sowie ein Druckfehlerverzeichnis nebst Zusätzen beenden das Werk. Die letzten Worte entstammen dem 112. Psalm. Das Werk ist wohltuend durchkomponiert. Jedem Buch sind zu Anfang und zu Ende ein Spruch aus den Psalmen – bzw. in einem Fall aus der Genesis – und eine Dankesadresse an die Beiträger bzw. eine Grußadresse an den Leser beigegeben. Nicht erkennbar ist, nach welchen Prinzipien Monau eine nähere berufliche Charakteristik der Beiträger vorgenommen hat. Sie ist vielfach vorhanden, fehlt aber auch wiederholt. Durchgängig vorgenommen ist die Datierung, gelegentlich ergänzt um eine Lokalisierung. Angesichts des Ansehens des Sammlers ist leicht verständlich, daß wiederum illustre Namen begegnen. Caspar Peucer, Theodor Beza und Nikolaus Rhediger eröffnen die Sammlung. Franciscus Portus bietet eine Übersetzung des Bezaschen Textes ins Griechische, Aemilius Franziskus Portus einen griechischen Beitrag. Wenig später folgen Heinrich Meibohm und Johannes Sturm, Zacharias Ursinus und Melissus Schede, David und Nathan Chytraeus, Petrus Vincentius und Johann Jakob Grynaeus. Den ersten viersprachigen Beitrag steuert Peter Monavius bei. Das zweite Buch eröffnen Joseph Justus Scaliger, Justus Lipsius und Janus Dousa, das dritte Andreas Dudith und Heinrich von Rantzau. Drei deutschsprachige Beiträge von Melissus Schede (aus dem Jahr 1578!), von Nathan Chytraeus und Sebastian Ambrosius beschließen den Appendix. Der Einzugsbereich ist weitgespannt und international. Für die Rekonstruktion des Netzes der nobilitas literaria kurz vor 1600 und insbesondere der Knotenpunkte, wie sie Schlesien und der Oberrhein bilden, ist das Monausche Werk eine Fundgrube ersten Ranges. Hier ist es vor allem im Blick auf Scultetus aufgeführt. Denn tatsächlich hat Monau – im Anschluß an Beiträge u.a. von Karl van Utenhove (die dem verdienstvollen Biographen Leonard Forster entgangen sind) – die ihm gewidmeten Strenae des Scultetus an dieser Stelle (S. 224 ff.) eines Wiederabdrucks gewürdigt. Sie waren gleichzeitig in Straßburg erschienen und fügten sich dem Werk hervorragend ein, waren sie doch polyglott angelegt. Des Hebräischen, Griechischen, Lateinischen und Französischen bedient sich Scultetus. Das Deutsche, zu dem er doch u.a. einen Opitz später anregen sollte, meidet er noch. Vornehm hat Monau die ihm zugedachte Huldigung aus dem Separatdruck fortgelassen. – Caspar Cunrad hat den Manen des Monavius ein eindrucksvolles Erinnerungsbuch gewidmet, das er seinerseits seinem Vorgänger im Amt des Stadtphysikus Daniel Rindfleisch in die Hände legte und in dem er die Großen aus dem Umkreis Monaus mit poetischen Zuschriften bedachte (Exemplar aus der Bernhardiner Bibliothek 8 V 1545/15; 382787).

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Martin Opitz

JOHANN PARITIUS

M. Iohan. Paritii [...] Symbolum: Fiat Divini Volvntas. [...] Piis amicorum meditationibus, diversis carminum generibus efformatum: Centuria Prima.Breslau: Georg Baumann. [Kolophon:] Wratislaviae, Ex Officina Calcographica Georgii Bauman. Anno reparatae salutis 1607. In der BU Wrocław sind eine Reihe von Exemplaren verfügbar. Das benutzte Exemplar entstammt einem geplünderten Sammelband der Bernhardiner-Bibliothek, in dem schon zu deutscher Zeit die Stücke 1, 4, 8, 13 und 17 fehlten. Er trug die Signatur 8 V 1554/1-19. Das Werk von Paritius steht in der 12. Position. Die heutige Signatur in dem wie immer einzeln durchgezählten Sammelband: 382785. Weitere Exemlare aus der Rhedigerschen Bibliothek (n[eu]) 8 E 1, 271a (540753), sowie gleichfalls aus der Stadtbibliothek Breslau, infolge neuer Bindung jedoch die Vorgänger-Bibliothek nicht mehr ermittelbar (316313). Aus einer weiteren VorgängerBibliothek ist ein Sammelband unter der alten Signatur Hist E 773 in die BU Wrocław gelangt, in dem das Werk des Paritius an fünfter Stelle platziert ist (302639).

Paritius (1570–1644) wirkte mehr als 40 Jahre als Diakon bzw. Archidiakon und Senior an der Maria-Magdalenen-Kirche in Breslau und stand in der entscheidenden Phase der schlesischen und Breslauer Gelehrten- und Literaturgeschichte mit vielen Persönlichkeiten in Kontakt. Diese flektieren sich in einer Sammlung zu seinem Wahlspruch ›Fiat Divina Volvntas‹ aus dem Jahr 1607, die offensichtlich eine Folge weiterer Kollektionen eröffnen sollte. Das Werk ist Heinrich Mochinger und Heinrich Gretsch in Thorn gewidmet. Unter den Beiträgern befinden sich Melchior Agricola, Elias Cüchler, Caspar Cunrad, Daniel Czepko [sen.!], Balthasar Exner, Simon Grunaeus, Johannes von Hoeckelshoven, Laurentius und Nicolaus Ludovicus, Martin Mylius und Jakob Schickfuß. Die kirchliche und schulische Elite Breslaus und Schlesiens versammelt sich zu Ehren des angesehenen Kollegen.

DANIEL RI NDF LEI SCH

Danielis Rindfleisch Bucretii [...] Lemma Symbolicum Vinco ferendo, Variis Amicorum Epigrammatis Illustratum. Cui addita sunt sub finem nonnulla ex ejusd. nomine Anagrammata.- Liegnitz: Sartorius 1604. 8 E1,308; 316343 8 V 1554/11; 382784 Hist E 773; 303800 Noch die kleinste Sammlung zeigt, daß der berühmte und mit allen einschlägigen Personen des Späthumanismus kommunizierende Bucretius stets seine Freunde gewinnen konnte, wenn es um die Wahrnehmung eines eingeführten poetischen Spiels

Bio-bibliographischer Anhang

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ging. Cunrad liefert die Zuschrift, Gruter, Chytraeus, Smetius, Grunaeus, Hoeckelshoven, Lauban, Calagius, Daniel Vechner u.a. tragen bei. Cunrad macht auch den Schluß: ›Daniel Rindfleisch. Seid aln freindlich.‹ Vgl. von Cunrad auch die den Manen des Monavius gewidmete und Bucretius zugeeignete Sammlung mit Gedichten auf Personen aus dem Umkreis von Monau, die bei Sartorius in Liegnitz erschien und mit zwei Epigrammen zu Cunrads Werk von Simon Grunaeus vom 20. Juli 1605 eröffnet wird (8 V 1554/15; 382787).

THOMAS SCHRAMM

Epigrammatum Miscellorum. Promvlsis.- Leipzig: Kober 1614. 8 N 534/14; 336034 Widmungsexemplar des Autors für Caspar Cunrad aus der Bibliothek Maria Magdalena. Das Werk ist durchsetzt mit Beiträgen für Daniel Rindfleisch, dem es auch gewidmet ist. Zweite Leitgestalt ist Caspar Cunrad. Auch Daniel Vechner wird wiederholt bedichtet. Wir notieren das Werk auch, weil in ihm zu wiederholten Malen Johann Theodor von Tschesch mit einer Zuschrift beehrt wird und er am Schluß auch selbst mit sechs Epigrammen hervortritt.

Anagrammatvm Decas.- Brieg: Siegfried 1615. Exemplar aus der Reimannschen Sammlung (R 259 (31); 426991) Das kleine Werk des von Opitz wiederholt bewidmeten Thomas Schramm enthält u.a. Beiträge auf Nikolaus von Burghaus, Nikolaus von Rhediger, Daniel Rindfleisch und Daniel Vechner. Das vierte Stück ist Tobias Scultetus gewidmet. Schramm legte eine weitere Anagramm-Sammlung vor, die 1621 bei Johann Jäger in Schweidnitz erschien (R 259 (37); 426997). Der Band aus der Reimannschen Bibliothek ist reich bestückt mit Anagramm-Sammlungen, darunter mit mehreren des Liegnitzischen Rates Michael Bartsch aus Lauban, der sie vor allem in seiner Straßburger Zeit verfaßte und zahlreichen Schlesiern – darunter Abraham von Bibran, Simon Grunaeus, Johannes von Hoeckelshoven, David Schickfuß, Nicolaus Henel von Hennenfeld, Daniel Bucretius, Caspar Cunrad – ein poetisches Denkmal setzte. Wie die Epigramm- bedürften auch die Anagramm-Sammlungen dringend einer personengeschichtlichen Erschließung.

Paul Fleming P AUL F LEMING IN R IGA

P AUL F LEMING IN R IGA Die wiederentdeckten Gedichte aus der Sammlung Gadebusch Marian Szyrocki, dem seinerzeitigen Jubilar und Hüter barocker Schätze, zum Gedenken

Vorbemerkung Die vorliegende Abhandlung wurde 1988 in unmittelbarem Anschluß an eine zweite große Bibliotheksreise durch die Sowjetunion geschrieben, die – wie zwei weitere in den Jahren 1984 und 1989 – im Zusammenwirken mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion unternommen werden konnte. Alle drei Reisen führten jeweils auch in die baltischen Staaten. Naturgemäß währte der Aufenthalt in Riga jeweils am längsten, waren daselbst doch mehrere Bibliotheken und Archive zu besuchen. Der Ertrag dieser Forschungen konnte erst 20 Jahre später in einem eigenen Buch dokumentiert werden.1 Mit einer Ausnahme. 1988 war des 60. Geburtstages von Marian Szyrocki zu gedenken.2 Szyrocki hatte den Verfasser 1979 zu einem Aufenthalt nach Breslau eingeladen, an den sich eine Bibliotheksreise nach Warschau, Thorn, Danzig und Stettin anschloß. Seither galten regelmäßige Besuche der unerschöpflichen Universitätsbibliothek in Wrocław. Auch diese – durchweg wiederum mit Unterstützung der DFG durchgeführten – Reisen gehen erst jetzt in ihrem forscherlichen Ertrag in die Publikationen des Verfassers ein. Ihre Umrisse sind nicht nur in der Opitz-Abhandlung des vorliegenden Bandes, sondern auch in den Einleitungen zu den Breslau gewidmeten Bänden des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven und einer großen, der Universitätsbibliothek Wrocław gewidmeten Abhandlung erkennbar.3 –––––– 1

2

3

Schatzhäuser des Geistes. Alte Bibliotheken und Büchersammlungen im Baltikum.Köln [etc.]: Böhlau 2007 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 3); vgl. den Anhang, S. 322 f. Daß eine Nation die ander verstehen möge. Festschrift für Marian Szyrocki zu seinem 60. Geburtstag. Hrsg. von Norbert Honsza und Hans-Gert Roloff.- Amsterdam: Rodopi 1988 (= Chloe. Beihefte zum Daphnis; 7). Die Biblioteka Uniwersytecka in Wrocław. Morphologie der Bestände, Umrisse der Provenienzen und Charakteristik der Personalschrifttums-Sammlungen [und] Kommentierte Bibliographie zur Universitätsbibliothek Wrocław und ausgewählter in sie

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Paul Fleming

Die Besuche in Breslau standen bis zu dem allzu frühen Tod des verehrten Kollegen im Zeichen der Begegnungen mit Marian Szyrocki.4 So war es eine Selbstverständlichkeit, zu der ihm gewidmeten Festschrift beizutragen. Eben erst war dem Verfasser die Bedeutung seines Rigaer Fleming-Fundes bewußt geworden. Es bedeutete ein erhebliches Wagnis, die Ausarbeitung der Notizen binnen kurzer Frist vorzunehmen, ohne die in Frage kommenden Institutionen in Riga nochmals konsultieren zu können. Dennoch wurde es riskiert und unter Einarbeitung der Kontexte, in dem die Entdeckungen standen, eine Fassung für die Festschrift erstellt. Derart kam mit der Arbeit für Szyrocki zu einem glücklichen Abschluß, was mit der OpitzAbhandlung für George Schulz-Behrend leider nicht gelang. ––––––

4

eingegangener deutscher Vorkriegs-Bibliotheken.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. I: Breslau / Wrocław – Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. I: Stadtbibliothek Breslau (Rhedigeriana/St. Elisabeth). Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Martin Klöker.- Hildesheim etc.: Olms-Weidmann 2001, S. 17–49 und S. 51–80; Skizze zur Geschichte der Bibliothek zu St. Bernhardin.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. IX: Breslau / Wrocław: Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. II: Stadtbibliothek Breslau (St. Bernhardin). Hrsg. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- Hildesheim etc.: Olms-Weidmann 2003, S. 17–22; Skizze zur Geschichte der Bibliothek zu St. Maria Magdalena.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XVII: Breslau / Wrocław: Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. III: Stadtbibliothek Breslau (St. Maria Magdalena). Hrsg. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- Hildesheim etc.: Olms-Weidmann 2005, S. 17–26; Das Liegnitzer und Brieger Bibliothekswesen im kulturellen Kontext [und] Bibliographie.- In: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XIX: Breslau / Wrocław: Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. IV: Bestände aus Liegnitz und Brieg. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Klaus Garber. Hildesheim etc.: Olms-Weidmann 2007, S. 17–85 und 87–101; Bücherhochburg des Ostens. Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft, ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und ihre Rekonstruktion im polnischen Wrocław.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 111), S. 539–653; wieder abgedruckt in: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 313–438. Vgl. auch: Die ›Bibliotheca Rudolphina‹ zu Liegnitz.- In: Geistiges Leben in Liegnitz vom 17. bis 20. Jahrhundert. Aufsätze zur Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte. Hrsg. von Edward Białek und Hubert Unverricht.- Dresden, Wrocław: Neisse Verlag 2010, S. 9–32. Vgl. Marian Szyrocki – Ein Werk-Porträt.- In: Memoria Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928–1992). Hrsg. von Mirosława Czarnecka, Andreas Solbach, Jolanta Szafarz und Knut Kiesant.- Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2003, S. 37–51.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Bei der seinerzeitigen Vorbereitung des Manuskripts waren mir Dr. Renate Jürgensen von Nürnberg aus sowie Hannelore Becker, Gisela Drewes, Hartmut Rohlfs und Ute Széll in Osnabrück behilflich. Desgleichen wurde der Verfasser von den Fachkräfte der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen, der Deutschen Staatsbibliothek Berlin (DDR) und der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie von Frau Henriette Eisinger vom Herder-Institut in Marburg unterstützt. Wilhelm Kühlmann, im Jahr der Vorbereitung der Arbeit in Osnabrück residierend und schon seinerzeit dem Verfasser freundschaftlich verbunden, unterzog das Manuskript einer kritischen Lesung. Allen Helfern galt und gilt der aufrichtige Dank des Verfassers. Die Abhandlung aus dem Jahr 1988 wird in der nun vorliegenden Form in wesentlich erweiterter Fassung geboten. Sie sollte sich neben den beiden unpublizierten Arbeiten zu Martin Opitz und Simon Dach als selbständige dritte Einheit behaupten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die textliche Darbietung auf eine neue Grundlage gestellt. Die Erstfassung bot eine bibliographische Beschreibung der wiederaufgefundenen Texte nebst den entsprechenden Referenzen, einen überlieferungsgeschichtlichen Kommentar und – sofern möglich – einen Lesarten-Apparat. In der jetzt vorliegenden Publikation gelangen die Texte selbst nach den Vorlagen aus der Sammlung Gadebusch und in der Reihenfolge, die sie in dem Band aus der Sammlung Schwartz innehaben, zum Abdruck – mit einer Ausnahme. Für die Flemingsche Rubella – in dem Exemplar von Gadebusch fehlt der erste Bogen A – wird derzeit von Dr. Beate Hintzen (Bonn) eine zweisprachige kommentierte Edition vorbereitet, die weit fortgeschritten ist. So schien es nicht ratsam, an dieser Stelle eine parallele editorische Initiative zu ergreifen. Alle anderen Texte werden hier vielfach erstmals im originalen Wortlaut der Erstdrucke geboten. Die lateinischen Texte sind mit deutschen Übersetzungen versehen. Diese rühren her von Beate Hintzen, der ich für dieses kollegiale Entgegenkommen außerordentlich verbunden bin. Die Arbeiten verstehen sich auch als Markierung einer ersten Etappe auf dem Weg zu einer neuen Ausgabe der lateinischen und deutschen Texte Paul Flemings, wie sie wiederholt gefordert wurde und während der Neubearbeitung der vorliegenden Abhandlung konkrete Gestalt annimmt. Angesichts der Vorlage der Flemingschen Texte selbst konnte die seinerzeit vorgelegte analytische Bibliographie gekürzt werden. Selbstverständlich wurde der Referenz-Apparat beibehalten und – wo notwendig – aktualisiert. Nur ausnahmsweise wurde in den überlieferungsgeschichtlichen Kommentar eingegriffen, und auch dies nur, sofern zwischenzeitlich neue Forschungen einzuarbeiten waren. Das in der Regel knappe Lesarten-Verzeichnis

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Paul Fleming

wurde gleichfalls überarbeitet. Die Überprüfung, Bearbeitung und redaktionelle Einrichtung der Texte lag in der Hand von Renate Westrup, der der Verfasser für die gewohnt sorgfältige und gründliche philologische Betreuung gleichfalls sehr zu Dank verpflichtet ist. In den Dank eingeschlossen ist der soeben nach Osnabrück berufene Altphilologe Stephan Heilen, der den Anhang auch seinerseits kritisch gegengelesen hat. Ein weiterer Arbeitsschritt, wie er im Anhang dokumentiert wird, betrifft die Verarbeitung der wissenschaftlichen Literatur. Die seinerzeit erstmals unter literatur- und buchkundlicher Perspektive in die Frühe Neuzeit des Baltikums zurückführende Arbeit war reichhaltig mit Literatur ausgestattet, um insbesondere die Anschlüsse an die Vorkriegsforschung herzustellen. Dieser Anmerkungsapparat wurde – von stilistischen Verbesserungen abgesehen – ebensowenig wie der Text selbst für den vorliegenden Neudruck angetastet. Es sollte kenntlich bleiben, welcher Stand der Ermittlungen im Jahrzehnt vor der Wende von einem aus dem Westen anreisenden Wissenschaftler erstmals in der Nachkriegszeit erzielt werden konnte. In der Zwischenzeit ist die Forschung lebhaft fortgeschritten. Es wäre verfehlt gewesen, einen Versuch zu unternehmen, die relevanten Ergebnisse der vorliegenden Abhandlung zu integrieren. Statt dessen wurde ein alternativer Weg beschritten. Im Anhang findet man einen komprimierten Hinweis auf die neuere Forschung in Gestalt einer Zusammenführung der einschlägigen Arbeiten, die es dem interessierten Leser erlaubt, Einsicht in den gegenwärtigen Stand der mit dem Thema des Beitrags kommunizierenden Arbeiten zu nehmen. Eine irgend geartete Vollständigkeit wurde nicht angestrebt. Und dies um so weniger, als inzwischen von kompetenter Hand fortlaufend bibliographisch berichtet wird, auch wenn die Aktualität im jahresförmigen Rhythmus noch nicht erreicht werden konnte.5 Für die Mithilfe bei der Literatur-Dokumentation ist der Verfasser Dr. Martin Klöker (Osnabrück) dankbar verpflichtet.

1. Die Gottorfer Gesandtschaft auf dem Weg nach Rußland Fleming hat den Boden Rigas nur kurz betreten. Am 8. November 1633 schiffte sich eine Gesandtschaft des Herzogs Friedrich III. von Schleswig–––––– 5

Baltische Bibliographie: Schrifttum über Estland, Lettland, Litauen. 1994 ff. mit Nachträgen. Hrsg. vom Herder-Institut in Marburg in Verbindung mit der Baltischen Historischen Kommission. Zusammengestellt von Paul Kaegbein.- Marburg: Herder-Institut 1995 ff. (= Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas; 16 ff.). Der letzte Band in gedruckter Form erschien für das Berichtsjahr 2000 im Jahr 2005.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Holstein in Travemünde ein, um in Moskau über einen Handelsweg zwischen Persien und dem Herzogtum und die Anlage von Stapelplätzen zu beraten.6 Fleming gehörte der Delegation als Hofjunker an. Adam Olearius, dem wir die einzigartige Beschreibung des Unternehmens verdanken, hatte dem Freund und mittellosen Leipziger Kandidaten der Medizin, Magister und gekrönten Poeten die Stelle verschaffen können. In und um Leipzig tobte der Krieg nach der Schlacht von Lützen, in welcher der auch von Fleming wiederholt bedichtete Gustav Adolf fiel.7 Fleming, auf dem Weg zum medizinischen Doktor, muß – so wenig wie Olearius selbst – eine Perspektive in dem nicht endenden konfessionspolitischen Ringen auf deutschem Boden erblickt haben. Die Reise versprach Neues und ließ hoffen, dem Leiden in der Heimat, das mehr als einmal zum Thema seiner Dichtungen ge–––––– 6

7

Zum folgenden vgl. das Nachwort von Dieter Lohmeier in: Adam Olearius: Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen vnd Persischen Reyse. (Zuerst Schleswig 1656). Hrsg. von Dieter Lohmeier.- Tübingen: Niemeyer 1971 (= Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock; 21), S. 9* ff. Hier und in: Bibliographie zur deutschen Literaturgeschichte des Barockzeitalters. Begründet von Hans Pyritz, fortgef. und hrsg. von Ilse Pyritz.- Bern, München: Francke 1980, S. 173 ff. die einschlägige Literatur. Hervorzuheben: Albert Bornemann: Paul Fleming. (Veranlassung zu seiner Reise. – Seine Gelegenheitsdichtung).- Programm Stettin 1899; Michail P. Alekseev: Ein deutscher Dichter im Novgorod des 17. Jahrhunderts.- In: ders.: Zur Geschichte russisch-europäischer Literaturtraditionen. Aufsätze aus vier Jahrzehnten.Berlin/DDR: Rütten & Loening 1974 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 35), S. 32–60, S. 349–361 (Erstdruck 1935). Dazu als Rezension: Dietrich Gerhardt: Paul Fleming und Rußland.- In: Germanoslavica 3 (1936), S. 310–317; Hans Rodenberg: Paul Fleming und seine Rußlandreise.- In: Sinn und Form 5 (1953), S. 232–254; Paul Johansen: Der Dichter Paul Fleming und der Osten.- In: Hamburger mittel- und ostdeutsche Forschungen 2 (1960), S. 9–46; Dieter Lohmeier: Paul Flemings poetische Bekenntnisse zu Moskau und Rußland.- In: Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 9.–17. Jahrhundert. Hrsg. von Mechthild Keller.- München: Fink 1985, S. 341–370. Zu Fleming, Gustav Adolf und dem zeitgeschichtlichen Kontext u.a.: Stölten: Gustav Adolf und seine Zeit in Paul Fleming’s Gedichten.- In: Deutsch-evangelische Blätter 21 (1896), S. 401–414; Walter Schlesinger: Paul Fleming.- In: Sächsische Lebensbilder. Bd. II.- Leipzig: Verlag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 1938, S. 133–148, S. 139 f.; G.L. Jones: The Mulde’s ›Half-Prodigal Son‹: Paul Fleming, Germany and the Thirty Years War.- In: German Life and Letters N.S. 26 (1972/73), S. 125–136; Dietmar Schubert: ›Man wird mich nennen hören ...‹. Zum poetischen Vermächtnis Paul Flemings.- In: Weimarer Beiträge 30 (1984), S. 1687– 1706, S. 1690 ff. Zuletzt umfassend: Marian R. Sperberg-McQueen: Ein Vorspiel zum Westfälischen Frieden. Paul Flemings ›Schreiben vertriebener Frau Germanien‹ und sein politischer Hintergrund.- In: Simpliciana 6/7 (1985), S. 151–172. Zur motivgeschichtlichen Tradition: Werner Milch: Gustav Adolf in derdeutschen und schwedischen Literatur.- Breslau: Marcus 1928 (= Germanistische Abhandlungen; 59), Reprint Hildesheim: Olms 1977.

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Paul Fleming

worden war, für eine Weile zu entrinnen. Sechs Tage nach dem Aufbruch, am 14. November, erreichte die vierunddreißigköpfige Delegation die livländische Metropole. »Wir seynd in der Stadt fünff Wochen stille gelegen/ biß der Frost und Schnee über die der Orter herumb liegende Moraste uns gute Bahn zur Schlittenfahrt gemachet. Von dannen gieng die Reise nach der Stadt Dorpet/ [...].«8 Während Olearius der eben von Gustav Adolf eingerichteten Universität in Dorpat und ihrer ersten Professoren gedenkt, fällt über das ein Jahr zuvor der alten Rigaer Domschule angegliederte Gymnasium kein Wort. Auch als die Delegation mehr als ein Jahr später Riga erneut streift, und dort vom 6. bis 13. Februar 1635 verweilt, ist zwar von »guten Freunden« die Rede, die sie empfangen, nicht aber von einzelnen Professoren. Weder Hermann Samson, Professor der Theologie, noch Johann von Höveln, Professor der Physik und Ethik, finden Erwähnung.9 Fleming kannte sie und andere, und widmete ihnen manche seiner Gedichte.10 Epoche aber machte in seinem Leben die estnische Handelsstadt Reval, in der er vom 10. Januar 1635 bis zum neuerlichen Aufbruch der persischen Gesandtschaft am 2. März 1636 verharrte, und die er nach deren Rückkehr aus Persien im Jahre 1639 nochmals für einige Monate im vorletzten Jahr seines kurzen Lebens sah.11 –––––– 8 9

10

11

Olearius: Vermehrte Newe Beschreibung (Anm. 6), S. 8. Vgl. G. Schweder: Die alte Domschule und das daraus hervorgegangene Stadt-Gymnasium zu Riga. I. Teil 1211–1804, in zweiter, bedeutend erweiterter Auflage, und II. Teil 1804–1896.- Riga, Moskau 1910, Teil I, S. 19 ff., S. 57 ff.; Kurt Tiersch: Deutsches Bildungswesen im Riga des 17. Jahrhunderts.- München: Reinhardt 1932, S. 38 ff. Dazu Erich Trunz (Rez.) in: Deutsche Literaturzeitung 54 (1933), S. 838–843; Bernhard Hollander: Geschichte der Domschule, des späteren Stadtgymnasiums zu Riga. Hrsg. von Clara Redlich.- Hannover-Döhren: Hirschheydt 1980 (= Beiträge zur baltischen Geschichte; 10), S. 28 ff. (abgefaßt 1934). Zu Samson als treibender Kraft der Gymnasial-Gründung vgl. Chr. Aug. Berkholz: Mag. Hermann Samson. Eine kirchenhistorische Skizze aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.Riga: Götschel 1856. Vgl. etwa das Gedicht Flemings auf Hermann Samson in: Paul Flemings lateinische Gedichte. Hrsg. von Johann Martin Lappenberg.- Stuttgart: Litterarischer Verein 1863 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 73), Reprint Amsterdam: Rodopi 1969, S. 360 [= Epigramme V, 24] sowie den Kommentar ebd., S. 570, und das Sonett auf Johann von Höveln in: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hrsg. von Johann Martin Lappenberg. Bd. I–II [mit durchlaufender Paginierung!].- Stuttgart: Litterarischer Verein 1865 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 72– 73), Reprint Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1965, Bd. I, S. 466 [= Sonette III, 10] sowie den Kommentar ebd., Bd. II, S. 771. Vgl. neben den in Anm. 6 genannten Arbeiten: Julius Kirchner: Paul Flemmings Leben und Dichtungen, nach den Quellen dargestellt. Erste Abtheilung [mehr nicht erschienen].- Reval: Lindfors’ Erben 1855, S. 54 ff. (erstmalige Sicherung des Reval-

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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2. Fleming-Drucke in Rußland und im Baltikum Zu den vielen Reizen, die den westlichen Besucher in der Sowjetunion erwarten, der erstmals mehr als 40 Jahre nach dem Krieg aufbricht, um nach deutschen Texten aus dem 17. Jahrhundert Ausschau zu halten, gehört die Möglichkeit, am Rande den Spuren Paul Flemings zu folgen. Das ist bislang immer nur in biographischer Absicht geschehen. Nicht minder wichtig aber ist die Sicherung der Überlieferungsgeschichte. Sie ist auch von Hamburgs großem Archivar und Historiker Johann Martin Lappenberg anläßlich seiner bis heute gültigen Fleming-Ausgabe nur unzureichend vorgenommen und seither kaum weiter verfolgt worden.12 Marian R. Sperberg-McQueen gebührt das Verdienst, den lange vernachlässigten Quellenfragen in der Fleming-Forschung erstmals wieder die ihnen gebührende Aufmerksamkeit gewidmet und erste Ergebnisse bekanntgegeben zu haben.13 Wie sehr wünschten wir, sie alsbald unter den Barock-Reisenden in der Sowjetunion zu wissen, denn Bibliotheken wie Archive halten viele Überraschungen auch im Blick auf Fleming bereit. –––––– 12

13

Aufenthaltes 1635/36); F. Amelung: Der Dichter Paul Fleming und seine Beziehungen zu Reval.- In: Baltische Monatsschrift 28 (1881), S. 361–390. Vgl. die in Anm. 10 zitierte Ausgabe mit der wichtigen Bibliographie und Biographie in: Paul Flemings deutsche Gedichte, Bd. II, S. 835 ff. Zu Lappenberg vgl. die meisterhafte Studie des vergessenen Bibliothekshistorikers und Bibliographen Friedrich Lorenz Hoffmann: Hamburgische Bibliophilen, Bibliographen und Litterarhistoriker. XVIII.: Johann Martin Lappenberg.- In: Serapeum 28 (1867), S. 209–216, S. 225–235. Jetzt die Monographie von Rainer Postel: Johann Martin Lappenberg. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert.- Lübeck, Hamburg: Matthiesen 1972 (= Historische Studien; 423). Hier S. 267–273 über Lappenbergs Fleming-Ausgabe. Vgl. auch ders.: Johann Martin Lappenberg – Wegbereiter der hamburgischen Geschichtswissenschaft.- In: Gelehrte in Hamburg im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Hans-Dieter Loose.- Hamburg: Christians 1976 (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs; 12), S. 157–178. Vgl. vor allem Marian R. Sperberg-McQueen: Gedichte von Paul Fleming in der Stolbergschen Leichenpredigten-Sammlung.- In: Jahrbuch der Deutschen SchillerGesellschaft 26 (1982), S. 1–8; dies.: Neues zu Paul Fleming: Biobibliographische Miszellen.- In: Simpliciana 6/7 (1985), S. 173–183. In der Fleming-Bibliographie von Gerhard Dünnhaupt: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts. Erster Teil.- Stuttgart: Hiersemann 1980 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 2.1), S. 611–627, wird erstaunlicherweise der wichtigste bibliographische Beitrag des 19. Jahrhunderts neben demjenigen Lappenbergs zu Fleming nicht ausgewertet: M. Geyer: Zur Bibliographie Flemings.- In: Schönburgische Geschichtsblätter 2 (1895), S. 165–169. Auf den Angaben Geyers beruhen einige der Dünnhaupt in ihrer Provenienz unerklärlichen Titel-Angaben in der reichhaltigen Fleming-Bibliographie in: Deutsches Literatur-Lexikon. Bd. V. 3., völlig neu bearb. Aufl. 1978, Sp. 210–217.

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Paul Fleming

Das beginnt sogleich in Moskau, wo sich im Buchmuseum mit alten und wertvollen Drucken der Lenin-Bibliothek ein Exemplar von Reiner Brockmanns Discursus Valedictorius de natura et constitutione historiæ erhalten hat, auf den Napiersky die Fleming-Forschung erstmals hinwies, weil sich unter den Beiträgern auch Paul Fleming mit 29 Scazontes verbirgt.14 In St. Petersburg verwahrt die unvorstellbar reichhaltige ehemalige Kaiserliche, spätere Saltykov-Shchedrin- und heutige Nationalbibliothek einen Panegyricus von Johann Nihusius auf die beiden Leiter der Persischen Delegation, Philipp Crusius und Otto Brüggemann, anläßlich der Rückkehr in die Heimat im Frühjahr 1639, der – als einzige Zuschrift! – am Schluß ein achtzeiliges Epi–––––– 14

Discursus Valedictorius Quem De Natura Et Constitutione Historiæ [...] Conscripsit Reinerus Brocmannus.- Reval: Westphal 1639. A4–D4, E2. Der Beitrag Flemings findet sich Bl. D3v–D4r, unterzeichnet: ›Fecit Revaliæ postrid. Nonas Maij 1639. Paulus Flaminius, Variscus‹. Abdruck nach der Wolfenbütteler Handschrift der Silvae bei Lappenberg: Paul Flemings lateinische Gedichte (Anm. 10), S. 84 f. [= Sylvae V, 10] unter dem Titel: ›Scazontes Reinero Brocmano a professione gymnasii Revaliensis ad Tristferensium parochiam abeunti a Paulo Abrahamide Flaminio exarati.‹ Dazu der Kommentar S. 512. Lappenberg verdankte die Kenntnis des Erstdruckes einer brieflichen Mitteilung Napierskys, über den offensichtlich auch die Textvarianten ermittelt wurden. Erste lexikalische Erwähnung des Fleming-Beitrags in der wichtigen, zumeist auf Lappenberg beruhenden, aber eben »mit einem Paar kleiner Zusätze« versehenen Fleming-Bibliographie von Johann Friedrich von Recke und Karl Eduard Napiersky: Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland. Bd. I–IV.- Mitau: Steffenhagen 1827–1832; Nachträge und Fortsetzungen unter Mitwirkung von C.E. Napiersky, bearbeitet von Theodor Beise. Bd. I–II.- Mitau: Steffenhagen 1859–1861. Hier Bd. I, S. 191–196, S. 195 (fehlt bei Dünnhaupt!). Der gesamte gymnasiale Kreis Revals – an der Spitze wie stets Heinrich Vulpius, Timotheus Polus und Heinrich Arninck – vereint sich, um dem mit seiner Abschiedsrede aus dem Gymnasium scheidenden Brockmann zu huldigen. Hinzugefügt sind dem Discursus Valedictorius Brockmanns die Propemptica anläßlich seines Aufbruchs von Rostock nach Reval im Jahre 1634, die damals ungedruckt blieben und jetzt mit vorgelegt werden: ΠΡΟΠΕΜΠΤΙΚΑ , Quibus Reinero Brocmanno, Cygnea-Megapolitano, de suscipienda Græcæ Linguæ in Gymnasio Esthonico apud Revalienses Professione, Gratulantur Amici & Fautores. Scripta Anno reparatæ salutis 1634. mense Majo.- Reval: Westphal 1639. – Zu Brockmann jetzt eingehend mit allen wichtigen Referenzen: Kaja Altof: Reiner Brockmann Tallinnas ja ›Lasnamäe Lamburid‹. [Reiner Brockmann in Reval und die ›Laaksberger Schäfer‹].- In: Looming 11 (1987), S. 1556–1562. Kaja Altof (Tallinn) und Marju Lepajõe (Tartu) haben eine Ausgabe der Werke Brockmanns vorbereitet, zu welcher der Verfasser dieser Zeilen den Discursus Valedictorius aus der Russischen Staatsbibliothek zu Moskau (ehem. Lenin-Bibliothek) beisteuern konnte. Ein weiteres Exemplar fand er im Staatsarchiv Riga. Auch Flemings Ode auf Maria Eleonora von Schweden (Dünnhaupt I, S. 616, Nr. 17 ohne Exemplarnachweis) befindet sich in der Russischen Staatsbibliothek zu Moskau.

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gramm Flemings birgt.15 In Tallinn selbst haben sich – soweit bislang zu sehen – neben einigen der posthumen Fleming-Ausgaben von Olearius die folgenden selbständigen Stücke erhalten: Das – in Tallinn leider unvollständige – Gymnasium Revaliense in Gestalt von zehn Huldigungsgedichten zumeist auf die Professoren des soeben (1631) von Gustav Adolf neu eingerichteten Revaler Gymnasiums, denen er, wie die ungezählten WidmungsAdressen in seinem Werk zeigen, durchweg freundschaftlich verbunden war; der – Jahrzehnte von dem Bukolik-Bibliographen vergeblich gesuchte – Revaler Erstdruck seiner von Opitz’ Hercinie inspirierten Prosaekloge auf die Hochzeit von Dorothea Temme und Reiner Brockmann sowie schließlich – unter einer Sammlung von Folio-Drucken verborgen – seine Ode auf den Tod Maria Schürers.16 Diese drei Stücke entstammen der Bibliothek der ›Estländischen Literärischen Gesellschaft‹, die bis zur Repatriierung der Deutschen die wissenschaftliche und bibliothekarische Mitte des intellektuellen Lebens in Tallinn bildete, und aus deren Beständen sich die neu errichtete und glänzend geführte Akademiebibliothek in Tallinn heute vor allem in ihren Altdrucken speist.17 Daneben aber besaß auch das Revaler Gymnasium eine Bibliothek. –––––– 15

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Panegyricus Ad Jllustrissimi ac Celsissimi Principis ac Domini, Dn. Friderici, Heredis Norvvegiæ, Ducis Schleswici, Holsatiæ, [...] Consiliarios Intimos, Ex Persia Per Moscoviam In Livoniam Reduces, Legatos Magnos [...] Dn. Philippum Crusium, J.U. Licentiatum, Et Dn. Otthonem Brughemannum, Scriptus â Johanne Nihusio, Hamburgense, [...].- Reval: Westphal 1639. A4–C4. –Bl. C4v das Epigramm Flemings, unterzeichnet: ›Testando sincero affectui faciebam M. Paulus Flaminius, Variscus‹. Wiederabgedruckt bei Lappenberg: Paul Flemings lateinische Gedichte (Anm. 10), S. 453 [= Epigramme X, 40]: ›Joanni Nihusio meo peroranti.‹ Dazu der Kommentar S. 593. Der Titel des Panegyricus von Niehus bei Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. III, S. 314. Der Fleming-Nachweis erst in: Napiersky-Beise: Nachträge (Anm. 14), Bd. I, S. 195. Fehlt in allen bisherigen Fleming-Bibliographien. Die beiden ersten Drucke bereits für Tallinn bezeugt und eingehend beschrieben bei Sperberg-McQueen: Neues zu Paul Fleming (Anm. 13), S. 177–180. Die Trauerode auf Maria Schürer mit Verweis auf das Revaler Exemplar bei Lappenberg: Paul Flemings deutsche Gedichte (Anm. 10), Bd. II, S. 839, Nr. 11 (Bibliographie), danach bei Dünnhaupt I, S. 616, Nr. 19 mit Verweis auf Goedeke III, S. 61, Nr. 11 und dem unzutreffenden Zusatz »zit. Unikum früher in Gymnasialbibl. Reval«. Modernisierter Abdruck auch bei Eduard Pabst: Zwei revalsche Gedichte Paul Flemings, nach dem seltenen revalschen Originaldruck.- In: Das Inland (1850), Nr. 26, Sp. 401–406. Pabst vermittelte Lappenberg für seinen Abdruck in: Paul Flemings deutsche Gedichte (Anm. 10), Bd. I, S. 250–252, einige Lesarten des Erstdrucks. Vgl. den Kommentar zu: Oden II, 3, Bd. II, S. 734 f. Zur Geschichte der Gesellschaft vgl. Paul Jordan: Geschichte der ehstländischen literärischen Gesellschaft für die Zeit von 1842 bis 1892. Zu der am 10. Juni 1892 stattfindenden Feier des 50jährigen Bestehens der Gesellschaft verfaßt.- Reval: Ver-

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Sie wurde im Jahre 1900 sogar katalogisch dokumentiert, bevor auch sie in den Strudel der baltischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts hineingerissen und zerstreut wurde.18 Überreste findet man heute u.a. in dem gleichfalls hervorragend geführten Staatlichen Archiv zu Tallinn.19 Hier haben sich ne––––––

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lag der Revel’skago Nabliudatelia 1892. Danach die Tätigkeitsberichte der Gesellschaft in: Beiträge zur Kunde Ehstlands [Bd. I (1868) – Bd. VIII (1915): Ehst-, Livund Kurlands]. Bd. I–XXI.- Reval: Lindfors’ Erben, Kluge 1868–1938. In der Abhandlung von Jordan auch S. 24–26, S. 49–50 zur Geschichte der Bibliothek der Gesellschaft. Dazu W. Greiffenhagen: Geschichte der ehstländischen öffentlichen Bibliothek.- In: Beiträge zur Kunde Ehst-, Liv- und Kurlands 4 (1894), S. 343–350; O. Greiffenhagen: Verzeichnis der in zwei Revaler Bibliotheken und im Stadtarchiv vorhandenen Inkunabeln.- In: Beiträge zur Kunde Est-, Liv- und Kurlands 7 (1910), S. 64–85; Hellmuth Weiss: Zur Bibliotheksgeschichte Revals im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Syntagma Friburgense. Historische Studien Hermann Aubin dargebracht zum 70. Geburtstag.- Lindau: Thorbecke 1956, S. 279–291; Kyra Robert: Tallinna linna Oleviste raamatukogu ajaloost. [Über die Geschichte der Olaibibliothek in Reval].- In: Keel ja Kirjandus (1979), S. 229–235. Eine eingehende Studie der besten Kennerin der Revaler Bibliotheksgeschichte Kyra Robert ist noch unveröffentlicht. Der Verfasser dankt Frau Robert für vielerlei Hilfe während der Arbeit in der Akademie-Bibliothek zu Tallinn. Hilfreich war desgleichen ein Besuch in der Redaktion der estnischen Nationalbibliographie, wo Endel Annus und Anne Viljus den Besucher in das Unternehmen einer kompletten retrospektiven Nationalbibliographie einführten. Schließlich dankt der Verfasser seinen Dolmetscherinnen und Helferinnen vor Ort, Siria Eskola, Medea Jerser und Heide Klementi, herzlich. Catalogus Librorum Bibliothecae Fundamentalis Gymnasii Revaliensis Imperatoris Nicolai I.- Reval: Rewelskich Iswstii 1900. Vgl. dazu insbesondere J.C.Ph. Willigerod: Die Bibliothek des Gymnasiums in Reval.- In: Dorpater Jahrbücher für Litteratur, Statistik und Kunst, besonders Rußlands 2 (1834), S. 468–470. Im übrigen sind die geschichtlichen Darstellungen Willigerods zum Gymnasiums selbst heranzuziehen: Gedrängter Abriß der Geschichte und der Einrichtungen des Gouvernements-Gymnasium zu Reval.- Progr. Reval 1836; Das Gouvernements-Gymnasium zu Reval betreffende historische Notizen.- In: Das Inland (1838), Nr. 49, Sp. 791– 794; (1839), Nr. 25, Sp. 385–390; Nr. 42, Sp. 657–662; (1840), Nr. 16, Sp. 244– 247; Nr. 17, Sp. 262–264; Nr. 48, Sp. 753–758; Nr. 49, Sp. 769–773; (1841), Nr. 39, Sp. 617–624. Die eingehendste deutschsprachige Darstellung stammt von Gotthard von Hansen: Geschichtsblätter des revalschen Gouvernements-Gymnasiums zu dessen 250jährigen Jubiläum am 6. Juni 1881.- Reval: Kluge 1881. Auf S. 179–252 befindet sich ein hilfreiches ›Lehrer-Album des revalschen Gouvernements-Gymnasiums 1631–1862‹, das zunächst von Alexander J. Berting (Programm des Gymnasiums Reval 1862), zusammengestellt worden war und durch von Hansen erweitert und bis 1881 fortgeführt wurde. Die maßgebliche Darstellung von estnische Seite: Tallinna 1. Keskkool 1631–1981. Hrsg. von Endel Laul.- Tallinn: Valgus 1981. Der Verfasser dankt Endel Laul für ein hilfreiches Gespräch zur Geschichte des Gymnasiums. Vgl. Kaja Altof: Tallinna Riiklik Keskarhiiv – Tallinner Staatliches Zentralarchiv 1883–1983.- Tallinn: Eesti Raamat 1983. Hier S. 66–68 die einschlägige Literatur

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ben zwei wichtigen Bänden mit gymnasialem Programmschrifttum vor allem die in der älteren Forschung wiederholt erwähnten und für die früheste Revaler Druckgeschichte eminent wichtigen zwei Sammelbände ›Vota nuptialia‹ mit insgesamt 84 Drucken erhalten.20 Unter ihnen befindet sich auch ––––––

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zur Geschichte des Archivs sowie eine Zusammenstellung der aus dem Archiv hervorgegangenen Publikationen. Der maßgebliche Katalog, der in seinem ersten Teil auch für den Buchhistoriker von Bedeutung ist, stammt von G.[otthard] von Hansen: Katalog des Revaler Stadtarchivs. 2., umgearb. und vermehrte Auflage. Hrsg. von O. Greiffenhagen. I. Abteilung: Codices und Bücher.- Reval: Estländische Druckerei Aktiengesellschaft 1924; II. Abteilung: Akten.- Reval: Estländische Druckerei Aktiengesellschaft 1925; III. Abteilung: Urkunden-Regesten und Register.- Reval: Estländische Druckerei Aktiengesellschaft 1926. Die letzte Darstellung in deutscher Sprache hat Wilhelm Lenz geschrieben: Das Revaler Stadtarchiv. Bemerkungen zu seiner Geschichte, seinen Archivaren und seinen Beständen.- In: Reval und die Baltischen Länder. Festschrift für Hellmuth Weiss zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Jürgen von Hehn und Csaba János Kenéz.- Marburg/Lahn: J.G. Herder-Institut 1980, S. 233–242. Der Verfasser dankt Kaja Altof für liebenswürdige und kenntnisreiche Förderung seiner archivalischen Studien in Tallinn. Die beiden Sammelbände mit gymnasialen Programmschriften sind in dem zitierten Katalog (Reval 1900) in der Abteilung 3 Paedagogica unter der Signatur IX. 49 (S. 119) aufgeführt. Im heute maßgeblichen Findbuch ›ENSV Tallinna Riiklik Keskarhiiv. Tallinna magistraat. Revaler Magistrat 1248–1889‹, Fonds nr. 23I, nimistu nr. 1. I. Abt.: ›Codices und Bücher 1257–1889‹ (auf der Basis des Hansenschen Katalogs) findet man die beiden Bände unter den Nummern 60a und 60b, Htr 47 und 48. Der erste Halbband umfaßt nach der Beschriftung auf dem Rücken des Halbledereinbandes den Zeitraum von der Gründung 1631 bis 1710, der zweite den Zeitraum von 1720 bis 1804. Tatsächlich setzen die Drucke jedoch erst im Jahr 1664 ein. Die Drucke aus der Frühzeit des Gymnasiums gehören zu den großen Raritäten der baltischen Buchgeschichte. Leider gelang es nicht, einen in der Forschung bislang nicht wahrgenommenen, von Gotthard von Hansen zusammengestellten und der Gymnasialbibliothek übergebenen Sammelband, der in Abteilung XVIII Miscellanea, A. Russica. Baltica. Revaliensia unter dem Titel ›Gymnasium Revaliense: Fünfzehn aus dem Rev. Gymn. hervorgegangene Gedichte, Reden u. Actuseinladungen des 17. und 18. Jahrhunderts‹ (Sign.: XV, 56) untergebracht war, wiederaufzufinden, der auch zwei Stücke aus den dreißiger Jahren enthielt. Möglicherweise ist er nach St. Petersburg gelangt. – Der Katalog-Eintrag für die zwei Bände mit Hochzeitsgedichten lautet: »Vota nuptialia (Nr. 1–105), conscr. et impr. Revaliæ ab a. 1637 usque ad a. 1644 (auctoribus Paulo Flemmingo, R. Brockmanno, Tim. Polo ac multis aliis et professoribus et alumnis Gymn. Revaliensis). 2 vol. 4°« (Sign. XV. 209). In dem neu angelegten Findbuch: Nr. 57, Htr 45: Vota nuptialia Nr. 1–59. 1637–1641. 139 Bl.; Nr. 58, Htr 45a. Nr. 60–105. 1642–1644. 145 Bl. Tatsächlich liegt in dem alten wie dem neuen Verzeichnis ein gravierender Zählfehler vor, der aus einer unsachgemäßen Einrichtung des Sammelbandes herrührt. Das erste Stück des ersten Bandes ist unvollständig. Es fehlt das Titelblatt, außerdem sind die Blätter C1 und C2 an eine spätere Stelle gelangt. Es handelt sich um die Hochzeitsschrift für Elsabe Niehus und Salomon Matthiae aus dem Jahre 1637. Sie umfaßt auf neun

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das späte Revaler Epithalamium Flemings auf den Freund, Reisegefährten und Arzt Hartmann Grahmann und seine Braut Elisabeth Fonne, das also definitiv gerettet ist.21 Und schließlich darf ich bestätigen, daß sich in dem ehemaligen Provinzial- und jetzigen Historischen Museum zu Tallinn in der Stammbuch-Sammlung auch das Stammbuch des Reisegefährten und Dolmetschers Johann Arpenbeck mit Einträgen u.a. von Zesen, von Olearius und eben auch von Fleming (aus dem Jahre 1637) erhalten hat; der Flemingsche Eintrag, wie schon von Johannes Bolte bemerkt, infolge Beschneidung des Bandes nicht ganz komplett.22 ––––––

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Blatt (A4–B4, C2, A1 fehlt) 22 poetische Beiträge, die sinnwidrigerweise einzeln gezählt wurden. Tatsächlich liegen also nur 59 minus 21, also 38 Titel vor, zu denen die 46 des zweiten Bandes treten, so daß insgesamt 84 zumeist Revaler Drucke verfügbar sind. Eine eingehendere Analyse der beiden wichtigen Sammelbände muß ich mir an dieser Stelle versagen. Die einzelnen Beiträger sind alphabetisch aufgeführt in einer (vermutlich von von Hansen stammenden) Handschrift aus dem Revaler Stadtarchiv, die sich heute im Bundesarchiv Koblenz befindet (B O 10. Varia, Bl. 200–207). Ich danke Marian R. Sperberg-McQueen für diesen Hinweis und Dr. Wilhelm Lenz (Koblenz) für die Übersendung einer Kopie dieser Handschrift. Erwähnung der beiden Sammelbände bereits in der älteren Literatur, z.B. bei Amelung: Der Dichter Paul Fleming und seine Beziehungen zu Reval (Anm. 11), S. 362, und Theodor von Riekhoff: Livländische Gelegenheitsdichtung im 17. Jahrhundert.- In: Baltische Monatsschrift 55 (1903), S. 255–276 (2., verbesserte Aufl. einer Programmschrift Fellin 1892), S. 257 ff. Vgl. Lappenbergs Fleming-Bibliographie (Anm. 10), S. 844, Nr. 30. Hier bereits der Hinweis auf das Exemplar in der Gymnasial-Bibliothek zu Reval und dessen Wiederabdruck in der zitierten Arbeit von Pabst (Das Inland [1850], Nr. 26, Sp. 401– 404, mit Kommentar). Danach Goedeke III, S. 62, Nr. 28, gleichfalls mit Vermerk des Fundorts, und Dünnhaupt I, S. 623, Nr. 48. Neudruck: Paul Flemings deutsche Gedichte (Anm. 10), Bd. I, S. 320–322; Paul Flemings lateinische Gedichte (Anm. 10), S. 453. Dazu die Kommentare S. 744 bzw. S. 593 (hier die Begründung für die Datierung der lateinischen Zuschrift, die – entgegen Dünnhaupt – korrekt bei Lappenberg erfolgt, während Goedeke – wiederum korrekt und entgegen Dünnhaupt – nur das Datum der Hochzeit und damit des deutschsprachigen Beitrags aufführt). Vgl. J. Bolte: Zwei Stammbuchblätter Paul Flemings.- In: Zeitschrift für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 34 (1890), S. 78–80. Zweiter Eintrag Flemings im Stammbuch Johannes Kniper (Reval) in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg. Bolte verweist erstaunlicherweise nicht auf Gotthard von Hansen: Die Sammlungen inländischer Alterthümer und anderer auf die baltischen Provinzen bezüglichen Gegenstände des Estländischen Provinzial-Museums.- Reval: Lindfors’ Erben 1875. Hier wird S. 75 ff. die Autographen-Sammlung des Museums bereits eingehend beschrieben und in diesem Zusammenhang S. 85 f. auch von den ›Autographen in Stammbüchern‹ gehandelt. Der verdienstvolle Revaler Archivar hat alle »historisch bekannten und hervorragenden Persönlichkeiten« des ArpenbeckStammbuchs namhaft gemacht, und darüber hinaus auch schon auf die Stammbücher von Johann Philipp Weisse mit Eintragungen u.a. von Bürger und Kant verwie-

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Das weitaus wichtigste Fleming-Dokument, seit fast zwei Jahrhunderten verschollen, befindet sich nicht in seiner Lieblingsstadt und Wahlheimat Reval, sondern in der zweiten, soeben in neuem Glanze erstrahlenden baltischen Metropole, in der lettischen Hauptstadt Riga. Unsere Überlieferung der frühneuzeitlichen Literatur beruht zu einem guten Teil auf der Sammeltätigkeit der großen Universalgelehrten des 18. Jahrhunderts. Ihre Bibliotheken, fast alle über Auktionskataloge rekonstruierbar, bargen neben reichhaltigen Handschriften-Kollektionen den frühneuzeitlichen Buchdruck aller Disziplinen in großer Vollständigkeit. Keine Stadt zwischen Riga und Zürich, zwischen Breslau und Straßburg, die nicht wenigstens einen dieser rastlosen Sammler und Schreiber in ihren Mauern beherbergt hätte. Ohne ihre Vermächtnisse wären die Stadtbibliotheken Deutschlands nicht zu dem geworden, als was sie bis zum Kriege de facto galten, die unersetzliche und unerschöpfliche Quelle für die stadtgeschichtliche Forschung jedweder Provenienz. Die Portraits dieser ehrwürdigen Gestalten von Brotze in Riga bis hin zu Usteri in Zürich, von Arletius in Breslau bis hin zu Wencker in Straßburg, verdienten wohl, der Vergessenheit entrissen zu werden, und dies um so mehr, als der letzte Krieg kaum eine der mit so viel Liebe angelegten und zumeist in den Stadtbibliotheken verwahrten Sammlungen unversehrt ließ. – In Dorpat, einem der drei Zentren der baltischen Aufklärung neben Riga und Mitau, wirkte Friedrich Konrad Gadebusch.

3. Porträt des Sammlers und Gelehrten Friedrich Konrad Gadebusch Gadebusch war – wie so viele Gelehrte des 17. und 18. Jahrhunderts – aus Deutschland in das inzwischen (seit 1710) unter russischer Herrschaft befindliche Livland gekommen.23 Geborener Rügener, hatte er seinen ersten ––––––

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sen (vgl. Recke-Napiersky [Anm. 14], Bd. IV, S. 484 f.). Die ›Estländische Literärische Gesellschaft‹ besaß eine beträchtliche Stammbuchsammlung, aus der zuletzt 1933 eine Auswahl gezeigt wurde. Vgl. Katalog der Familienkundlichen Ausstellung zu Reval 1933.- In: Beiträge zur Kunde Estlands 18 (1932/34), S. 187–270, S. 224. Das Historische Museum zu Reval ist auch sonst – etwa im Blick auf Jakob Michael Reinhold Lenz – eine ergiebige, wenig erschlossene literaturgeschichtliche Quelle. – Der Verfasser dankt Frau Sirje Annist, der liebenswürdigen Bibliothekarin des Museums, für freundliche Hilfe. Die Literatur über Gadebusch ist, wie die über andere große Sammler und Historiker des 18. Jahrhunderts, von der bekannten Spärlichkeit und Dürftigkeit. Eine bedeutendere Arbeit aus dem 20. Jahrhundert ist mir nicht bekannt; eine monographische Darstellung fehlt. Das energischste und weitsichtigste Plädoyer, Gadebusch die fällige Anerkennung nicht zu versagen und sie in entsagungsreicher Quellenarbeit zu bewähren, stammt bezeichnenderweise von dem Verfasser der gediegensten Biblio-

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Unterricht in Stralsund erhalten, bevor er 1733 nach Hamburg ging, wo er sich vier Jahre aufhielt und auf dem noch einmal in Blüte stehenden Gymnasium die großen über Deutschland hinaus bekannten Koryphäen Edzardi, Fabricius, Richey, Wolf und Reimarus hörte, die gewiß das Ihrige dazu beitrugen, die antiquarische Neigung und Sammelleidenschaft in dem Jüngling zu entfachen.24 Schon in Hamburg begann die Hauslehrertätigkeit. Johann Ulrich Paulli, den er unterwies, hat in Hamburg eine maßgebliche Rolle bei der Einrichtung der ›Patriotischen Gesellschaft‹ und der Gründung der Hamburger Freimaurerloge gespielt.25 In Greifswald hörte er nach eigenem Zeugnis seit 1738 bei Stenzler, Westphal, Nettelbladt und Balthasar – Namen, die sich nur allzu gut mit dem späteren Wirken Gadebuschs verbinden.26 ––––––

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graphie, welche die baltische Historiographie hervorgebracht und die 100 Jahre nach Erscheinen in der zweiten Auflage ihren nach wie vor grundlegenden Charakter nicht eingebüßt hat: Eduard Winkelmann: Bibliotheca Livoniae Historica. Systematisches Verzeichnis der Quellen und Hülfsmittel zur Geschichte Estlands, Livlands und Kurlands. 2., verbesserte und vermehrte Ausgabe.- Berlin: Weidmann 1878 (Reprint Hildesheim: Olms 1969). Als Präsident der Gelehrten Estnischen Gesellschaft zu Dorpat ergriff er 1869 anläßlich ihres fünfzigjährigen Bestehens die Gelegenheit, des Dorpater Gelehrten Gadebusch zu gedenken. »Ohne seine ›Abhandlung von livländischen Geschichtschreibern‹, welche gleichsam die Vorbereitung zu der umfassenden ›Livländischen Bibliothek nach alphabetischer Ordnung‹ war, und ohne diese selbst würde es niemals zu dem von Recke und Napiersky verfaßten ›Schriftstellerlexikon‹ gekommen sein, welches nach Napiersky eigenem Urtheil von seiner Arbeit den Antrieb empfangen hat, würde auch die ›Bibliotheca Livoniae historica‹ [...] eine Unmöglichkeit gewesen sein.« (Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen Gesellschaft zu Dorpat 1869.- Dorpat: Mattiesen 1870, S. 1–9, S. 4 f.). Die sonstige Literatur in dem leider überaus knapp gehaltenen, aber stets für den Zeitraum seit dem 18. Jahrhundert zu konsultierenden Werk: Deutschbaltisches Biographisches Lexikon 1710– 1960. Im Auftrage der Baltischen Historischen Kommission begonnen von Olaf Welding und unter Mitarbeit von Erik Amburger und Georg von Krusenstjern herausgegeben von Wilhelm Lenz.- Köln, Wien: Böhlau 1970, S. 232 f. Vgl. C.H. Wilh. Sillem: Die Matrikel des Akademischen Gymnasiums in Hamburg 1613–1883.- Hamburg: Gräfe & Sillem 1891, S. 106, Nr. 2315 (für 1734). Vgl. Hans Schröder: Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart. Bd. VI (1873), S. 4 f. Zuletzt mit der gesamten einschlägigen Literatur Franklin Kopitzsch: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona. Teil I–II.- Hamburg: Christians 1982 (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs; 21), S. 331 ff. Vgl. den zitierten autobiographischen Artikel in: Livländische Bibliothek (Anm. 37), Bd. I, S. 382. Sein Name ist in der noch ungedruckten jüngeren Matrikel bezeugt. Vgl. Friedrich v. Keußler: Biographisches über Friedrich Konrad Gadebusch.- In: Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen Gesellschaft zu Dorpat 1912–1920.- Dorpat: Mattiesen 1921, S. 149–154, S. 150 f. Zum folgenden immer noch einschlägig Joh. Gottfr. Ludw. Kosegarten: Geschichte der Universität Greifswald mit urkundlichen Beilagen. Zwei Teile.- Greifswald: Koch 1856 und 1857 (Nachdruck Aalen:

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Während Laurentius Stenzler zunächst noch Logik und Metaphysik las und erst 1741 den theologischen Lehrstuhl übernahm, begegnete er in Andreas Westphal dem ›vaterländischen‹ Historiker Pommerns, der er selbst später für Livland werden sollte. Fachspezifische Anregungen dafür konnte er bei dem Rechtshistoriker Christian Nettelbladt erwerben, der 1721 seine Differentiae iuris feudalis Livonici et communis Langobardi in Greifswald vorgelegt hatte. Die überragende Gestalt aber war Augustin Balthasar, der weit über sein juristisches Fach hinaus wirkte. Er war der Begründer der ›Deutschen Gesellschaft in Greifswald‹ (1740), welcher 1742 die Gesellschaft der ›Collectores historiae et iuris patrii‹ folgte, die sich die Sammlung und Erschließung der Quellen für die Landesgeschichte und das Landesrecht zur Aufgabe gesetzt hatte. Balthasars rege Sammeltätigkeit bildete einen Grundstock für die genealogisch-biographisch-bibliographische Kollektion der ›Vitae Pomeranorum‹. Es kann keinen Zweifel geben, daß Gadebusch in Greifswald entscheidende Anregungen für seine spätere Sammler- und Forschertätigkeit erhielt. In Danzig wie auch in Königsberg setzte er seine Hauslehrertätigkeit fort, die ihn schließlich nach Livland führte. Hier avancierte er über ein Notariat im Kreis Dorpat und eine Advokatur beim Land- und Stadtgericht in Dorpat zum Notar des Kaiserlichen Oberkirchenvorsteheramtes und im Jahre 1766 zum Syndikus der Stadt Dorpat. In dieser Funktion nahm er im folgenden Jahr an der von Katharina II. einberufenen Gesetzeskommission in Moskau teil, an der auch sein Rigaer Freund Johann Christoph Schwartz –––––– Scientia 1986). Hier Teil I, S. 284–299 das Kapitel für die Zeit von 1720–1751. Manches auch in: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald 17.10.1956. Bd. I–II.- Greifswald: Verlag der Volksstimme 1956 (ohne Register!). Vgl. vor allem Bd. I, S. 265 ff.; Bd. II, S. 9 ff., S. 77 ff., S. 239 ff. Die Werke der Hochschullehrer in der einzigartigen Kompilation von Joh. Carl Dähnert: Academiae Grypeswaldensis Bibliotheca. Catalogo auctorum et repertorio reali universali descripta. Bd. I–III.Greifswald: Röse 1775–1776. Leider unvollendet (nur bis zum Buchstaben M): Diederich Hermann Biederstedt: Nachrichten von dem Leben und den Schriften neuvorpomerisch-rügenscher Gelehrten seit dem Anfange des achtzehenten Jahrhundertes bis zum Jahre 1822. Erste Abtheilung.- Greifswald: Kunike 1824. Hier über Balthasar S. 15–19. Ansonsten für ihn wie für Nettelbladt und Westphal die Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie und das reichhaltige Material im Deutschen Biographischen Archiv (Saur). Schließlich als glänzendes Hilfsmittel: Die Greifswalder Sammlung Vitae Pomeranorum. Alphabetisch nach Geschlechtern verzeichnet von Edmund Lange.- Greifswald: Abel 1898 (= Baltische Studien, Erste Folge, Ergänzungsband). Ergänzungen dazu in: Baltische Studien N.F. 9 (1905), S. 55–136. Vgl. auch ders.: Greifswalder Professoren in der Sammlung der Vitae Pomeranorum.- In: Baltische Studien 44 (1894), S. 1–42. Seinem Lehrer Nettelbladt hat Gadebusch ein Denkmal gesetzt in: Abhandlung von Livländischen Geschichtschreibern.- Riga: Hartknoch 1772, S. 249–255.

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mitwirkte.27 Der Aufstieg zum Beisitzer im Stadtkonsistorium, zum Justizbürgermeister und zum Stadtältesten in Dorpat bezeichnet die weiteren Stationen seiner Karriere, bevor er sich krankheitshalber aus dem Berufsleben zurückziehen mußte und ganz seinen gelehrten Studien lebte. Schon neben seiner beruflichen Tätigkeit war er den ausgebreitetsten, universalhistorisch orientierten Forschungen nachgegangen, die – wie bei so vielen Gelehrten des 18. Jahrhunderts – nur zum geringsten Teil ihren Niederschlag in Publikationen fanden. Seine Abhandlung von Livländischen Geschichtschreibern, 1772 bei Hartknoch in Riga erschienen, hat sich als erste gediegene Einführung in die livländische Historiographie behauptet. Seine dreibändige Livländische Bibliothek, gleichfalls bei Hartknoch 1777 herausgekommen, ist das unentbehrliche bio-bibliographische Standardwerk zum Baltikum aus dem 18. Jahrhundert geblieben. Und seine neunbändigen Livländischen Jahrbücher (1780–1783) haben in ihrer strengen historisch-kritischen Ausschöpfung der Quellen in Form der Annalistik überhaupt erst die Grundlage für eine überlieferungsgeschichtlich gereinigte Aufarbeitung der baltischen Geschichte geschaffen. »Livlands Urkunden haben mehr als einmal ein unmenschliches Verderben erdulden müssen, des Feuers nicht einmal zu gedenken, welches viele verzehret hat.« Dem suchte er sammelnd und dokumentierend entgegenzuwirken, bewußt die anspruchslose Form des ›Jahrbuchs‹ wählend, »weil ich glaubete, daß man noch nicht Materialien genug hätte, zu einer vollständigen Geschichte.« Das schloß eine Gewichtung nach Maßgabe aufgeklärter Staatsideen keineswegs aus. Nicht so sehr habe ich auf Kriege mein Augenmerk gerichtet, als auf das, was zu Friedenszeiten geschehen, wie der Staat nach und nach eingerichtet worden, was für Regeln man erwählet, denselben zu befestigen, oder zu untergraben, was zum Glück und Unglück des Landes, der verschiedenen Einwohner, der Stände, der einzelnen Glieder, zum Wachsthum und zur Abnahme beygetragen, was der Handel und die damit verknüpften Fabriken und Manufackturen für einen Gang genommen, und wie die Einwohner so oft ihr eigenes Verderben befördert haben, durch die Uneinigkeit und die daraus entspringenden innerlichen Unruhen, welche oft in blutige Kriege ausgeschlagen sind.28

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Vgl. G[eorg]. B[erkholz].: F.K. Gadebusch in der Reichsversammlung zu Moskau.In: Baltische Monatsschrift 5 (1862), S. 143–153; Anonym: Ein Bürgermeister der Deutschen Hansestadt Dorpat. 1767.- In: Livländischdeutsche Hefte [Lübeck] 2 (1876), S. 69–79; sowie unten Anm. 45. Alle Zitate aus der unpaginierten Vorrede zu Friedrich Konrad Gadebusch: Livländische Jahrbücher. Erster Theil von 1030 bis 1561. Ersterer Abschnitt von 1030 bis 1399.- Riga: Hartknoch 1780, die zugleich als Widmungsschrift für Johann Christoph Schwartz konzipiert ist. Sie gehört in die Geschichte der Manifestationen landesgeschichtlicher Forschung in Deutschland als ein wichtiges Dokument. Hupels bekannter gewordene Nordische Miscellaneen wären ohne die Vorarbeit Gadebuschs

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Daß Gadebusch sich mit diesem Programm in die Tradition der aufgeklärten Historiographie des Baltikums würdig einfügte, dürfte außer Zweifel stehen.29 Zu bedauern bleibt, daß sich unter seinen gedruckten Werken nicht auch seine große Reichsgeschichte befindet, die bis zum Tode Leopolds I. herangeführt war und 1755 mit anderen Manuskripten und seiner Bibliothek das Opfer einer Feuersbrunst in Dorpat wurde.30 Erst sein Nachlaß läßt die ganze Spannbreite seiner Interessen ermessen, die sich keineswegs nur auf den Bereich der Livonica erstreckte, ja sogar den Radius der deutschen Geschichte überschritt.31 Eine achtbändige Geschichte des Livländischen Adels samt 19 Material- und Belegbänden, 15 Bände historisch-juristische Kollektaneen insbesondere zu Livland, zahlreiche Zusatzbände zur Gelehrtengeschichte, aber auch geographische, fortifikatorische, sprach-, literatur-, bibliotheksgeschichtliche Arbeiten und Sammlungen etc. sind bekannt – insgesamt 33 Manuskriptbände in Folio und 64 in Quart: Dimensionen, wie man sie von Richey und anderen universalen Gelehrten des 18. Jahrhunderts kennt.32 Das gedruckte und insbesondere lexikalische ––––––

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schwerlich denkbar gewesen. Erwähnt seien an dieser Stelle auch Gadebuschs noch zum Druck gelangte quellenkundliche: Versuche in der livländischen Geschichtskunde und Rechtsgelehrsamkeit. Bd. I–II.- Riga: Hartknoch 1779–1785. Zu diesem interessanten, in unserem Zusammenhang nicht zu verfolgenden Aspekt vgl. Julius Eckardt: Livland im 18. Jahrhundert. Umrisse zu einer livländischen Geschichte. Bd. I.- Leipzig: Brockhaus 1876; N. Wihksninsch: Die Aufklärung und die Agrarfrage in Livland. Bd. I: Die ältere Generation der Vertreter der Aufklärung in Livland.- Riga: Walters & Rapa 1933 (zugl. Diss. phil. Berlin 1933), S. 304 ff.; Heinrich Schaudinn: Deutsche Bildungsarbeit am lettischen Volkstum des 18. Jahrhunderts.- München: Reinhardt 1937 (= Schriften der Deutschen Akademie; 29), S. 123 ff.; Hubertus Neuschäffer: Katharina II. und die baltischen Provinzen.- Hannover-Döhren: Hirschheydt 1975 (= Beiträge zur Baltischen Geschichte; 2), S. 285 ff. Zum historiographischen Kontext: Erich Donnert: Die Leibeigenschaft im Ostbaltikum und die livländische Aufklärungsgeschichtsschreibung.- In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 10 (1960/61), S. 239–247; Georg von Rauch: Die Französische Revolution von 1789 und die Baltischen Provinzen.In: Zeitschrift für Historische Forschung 3 (1976), S. 51–59; Hubertus Neuschäffer: Deutsch-Baltische Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert.- In: Journal of Baltic Studies 11 (1980), S. 71–77. Zuletzt mit umfassender Literatur: ders.: Die Geschichtsschreibung im Zeitalter der Aufklärung.- In: Geschichte der Deutschbaltischen Geschichtsschreibung. Hrsg. von Georg von Rauch.- Köln, Wien: Böhlau 1986 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart; 20), S. 63–85. Hier überall auch Einschlägiges zum Werk Hupels. Gadebusch: Livländische Bibliothek (Anm. 37), Bd. I, S. 383. Das Schriftenverzeichnis von Gadebusch einschließlich des Nachlasses in: Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. II (1829), S. 3–7. Vgl. auch die Zusammenstellung in: Nordische Miscellaneen XXVII/XXVIII (1791), S. 280–304; sowie unten Anm. 36. Die Zahlen zuletzt in: Deutschbaltisches Biographisches Lexikon (Anm. 23), S. 233.

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Werk ruht auf diesem, der Zerstreuung besonders ausgesetzten Fundus, und natürlich auf der universalen privaten Bibliothek. Niemand übersieht derzeit offensichtlich das Schicksal der Handschriften und Bücher.33 Große Teile des handschriftlichen Nachlasses, aber auch der Bibliothek, gelangten in die zweite große Sammelzentrale neben der Stadtbibliothek in Riga, die ›Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands‹, und sind heute im Manuskriptbestand zum Teil im Staatsarchiv zu Riga erhalten.34 Andere Manuskripte kamen an die parallele Organisation der ›Gelehrten Estnischen Gesellschaft‹ in Dorpat und fanden den Weg ins heutige Zentralarchiv Dorpat.35 Eine Schlüsselrolle für den Nachlaß einschließlich –––––– 33

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Wichtige Informationen in: Napiersky-Beise: Nachträge (Anm. 14), Bd. I (1859), S. 204 f., sowie in dem zitierten Gadebusch-Beitrag von E. Winkelmann (vgl. Anm. 23), S. 6 ff. Vgl. auch Olaf Welding: Das baltische genealogische Schrifttum 1700– 1939.- In: Ostdeutsche Familienkunde 6 (1958), S. 49–54, S. 90–94; 7 (1959), S. 109–113, S. 137–139. Hier insbesondere S. 49 f. mit der Anmerkung 1. Vgl. Katalog der Handschriften der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde Riga. Bd. I–III. Film und Kopie des handschriftlichen Verzeichnisses im HerderInstitut Marburg. Dazu K. Dülfer: Die baltischen Archivfilme.- In: Baltische Briefe 6 (1953), Nr. 11, S. 9–10; 7 (1954), Nr. 6, S. 8; 8 (1955), Nr. 6, S. 12; 9 (1956), Nr. 11, S. 11–12, hier 8 (1955) Nr. 6, S. 12. Der Nachlaß Gadebusch in Bd. III, Nr. 1171. Im Historischen Staatsarchiv zu Riga (Latvijas PSR Centrālais valsts vēstures arhīvs) liegt ein bearbeitetes Repertorium der Handschriften der ›Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands‹ vor, aus dem die heutigen Besitzverhältnisse hervorgehen; der Handschriftenbestand der Gesellschaft wurde 1936 in das Lettische Staatsarchiv zu Riga überführt. Bedeutende Bestandteile des Gadebusch-Nachlasses haben sich erhalten. Eine einläßlichere Behandlung dieses Fragenkomplexes muß ich mir an dieser Stelle ebenso versagen wie eine Charakteristik der einschlägigen literaturwissenschaftlichen Materialien zur Frühen Neuzeit im Staatsarchiv Riga. [Vgl. dazu jetzt das im Anhang zitierte Werk des Verfassers.] Zur Charakteristik der Gesellschaft zuletzt mit der einschlägigen Literatur Hellmuth Weiss: Die Historischen Gesellschaften.- In: Geschichte der Deutschbaltischen Geschichtsschreibung (Anm. 29), S. 121–139, S. 124 ff. – Mein Dank gilt Frau Sarmīte Pijola für die liebenswürdige und fachkundige Unterstützung meiner Arbeit im Dezember 1987 im Staatsarchiv zu Riga. Vgl. Napiersky-Beise: Nachträge (Anm. 14), Bd. I, S. 205. Das Estnische Historische Archiv – Eesti Ajalooarhiiv – in Tartu konnte ich während meiner beiden jeweils eintägigen Aufenthalte in Tartu im Herbst 1984 und im Winter 1987 noch nicht besuchen; der Gadebusch-Hinweis dank freundlicher Auskunft von Arvo Tering. Ich nutze die Gelegenheit dieser ersten Publikation aus dem Umkreis meiner beiden Reisen in die Sowjetunion für ein Wort des Dankes an die Leiterin der Universitätsbibliothek Tartu, Frau Laine Peep, sowie an Ene Jaanson, Marju Lepajõe, Olev Nagel und Arvo Tering für die unermüdliche Hilfe während der jeweils wenigen Stunden in der neu errichteten Universitätsbibliothek. Auf die reichhaltige wissenschaftliche Produktion, insbesondere die wichtigen Arbeiten von Arvo Tering zur baltischen Universitäts- und Gelehrtengeschichte im 17. Jahrhundert, werde ich an

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der Bibliothek spielte der Rektor der vereinigten ›KronStadtschule‹ zu Dorpat und spätere Diakon der dortigen Johanniskirche, Johann Martin Hehn, der 1767 eine Pflegetochter von Gadebusch geheiratet hatte. Er verfaßte 1789 ein Verzeichnis der Bücher und Münzen aus dem Besitz von Gadebusch, das zugleich die Basis für den sechs Jahre später erschienenen und bislang nicht nachgewiesenen Auktionskatalog der Bibliothek Gadebusch abgab, nachdem alle Versuche, die Bibliothek in Riga zusammenzuhalten, gescheitert waren.36 Wir wenden uns einem Ausschnitt aus der fälligen Rekonstruktion der Bibliothek und des Nachlasses Gadebusch im Baltikum zu.

4. Ein Sammelband aus den Bibliotheken Gadebusch und Schwartz in Riga Wie in vielen anderen Fällen ist es auch beim Studium der baltischen Gelehrtengeschichte angezeigt, wo immer möglich, über das 19. Jahrhundert zurück in das 18. Jahrhundert zu schreiten und die im Zeitalter der Aufklärung bereitgestellten Hilfsmittel zu konsultieren. Denn auch die dreibändige Livländische Bibliothek von Gadebusch ist durch das Erscheinen des großen Allgemeinen Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikons der Provinzen Livland, Esthland und Kurland von Recke, Napiersky und Beise nicht überholt, sondern ––––––

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anderer Stelle zurückkommen. Im Dezember 1987 konnte ich in der Universitätsbibliothek Tartu eine Ausstellung über die Beziehungen der Universität Göttingen zum Ostbaltikum im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie eine parallele Ausstellung zu den Anfängen der estnischen Sprachtheorie besuchen – Ausdruck für die allenthalben erkennbare Bemühung, den europäischen und insbesondere den deutsch-baltischen kulturellen Beziehungen wieder die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Verzeichniß der Bücher und Münzen des Justizbürgermeisters der kaiserlichen Stadt Dorpat, Herrn Friedrich Konrad Gadebusch. Nach seinem Tode herausgegeben von J.M. Hehn.- Dorpat: M.G. Grenzius 1789. Ich danke Arvo Tering für Zusendung einer Kopie des in der Universitätsbibliothek Tartu vorhandenen Exemplars. Hier S. 13–18, Nr. 187–243 (Folio) und S. 64–70, Nr. 537–654 (Quarto) die m.W. umfänglichste Zusammenstellung des handschriftlichen Gadebusch-Nachlasses. Hehn hatte die für die Geschichte Livlands einzigartige Bibliothek seines Schwiegervaters einschließlich der Handschriften 1789 noch komplett zusammen und bereitete den Katalog im Blick auf einen nach seinem Willen geschlossenen Verkauf der Bibliothek vor. Der Titel des bislang nicht wieder aufgetauchten Auktionskataloges bei Winkelmann: Bibliotheca Livoniae Historica (Anm. 23), S. 2, Nr. 28 [vgl. Anhang!]. Zu Hehn vgl. Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. II, S. 207 f.; NapierskyBeise: Nachträge (Anm. 14), Bd. I, S. 243; Deutschbaltisches Biographisches Lexikon (Anm. 23), S. 307. Über weitere Gadebusch-Materialien im Besitz der Familie Hehn vgl. Napiersky-Beise: Nachträge (Anm. 14), Bd. I, S. 205.

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hält immer noch eine Fülle zusätzlicher Informationen bereit, die von seinen Nachfolgern im lexikalischen Prozeß ausgeschieden wurden, im Einzelfall jedoch durchaus mit Gewinn zu reaktivieren sind.37 So gesehen behält der reichhaltige bibliographische Referenzen-Apparat seinen guten Sinn. Entsprechend auch für Paul Fleming. Man wird es mir nicht verdenken, wenn ich diesen berühmten Dichter zu den livländischen Schriftstellern rechne. Er ist nicht nur in Livland eine Zeitlang gewesen; er hat sich auch in Livland verlobet; ja er hat ein Theil seiner Gedichte in Livland gemacht; er ist zum Stadtphysikus in Reval ernennet worden; ein livländischer Kaufmann, der nicht kaufmännisch dachte, sondern einen schönen Geist zu schätzen wuste, hat die flemmingischen Gedichte zum Druck befördert.38

Auch Gadebusch hat von dem längeren Reval-Aufenthalt Flemings im Anschluß an die erste Moskauer Gesandtschaftsreise noch nichts gewußt, dieser ist wohl erst durch Kirchner bekannt geworden. Desgleichen hat er sich von Dorpat aus nicht an eine Gesamtbibliographie des Flemingschen Werkes wagen dürfen. Er erwähnt neben dem Prodromus (1641) eine in seinem Besitz befindliche Gesamtausgabe der Werke Flemings aus dem Jahr 1660 sowie die Auswahl in der Anthologie Zachariaes, die ja auch den Hinweis auf die Existenz der Wolfenbütteler Handschrift mit dem ungedruckten lateinischen Gedichtcorpus enthielt.39 Statt dessen hat er sich darauf beschränkt, die von ihm gesammelten Einzeldrucke Flemings aufzuführen, und ist so in die Geschichte der Fleming-Philologie eingegangen. Recke und Napiersky, Schröder, Lappenberg, Goedeke und jüngst wieder Dünnhaupt mußten sich auf Gadebusch zurückbeziehen, weil er über 200 Jahre der einzige Zeuge für fast ein Dutzend bislang verschollener Gedichte Flemings geblieben war.40 –––––– 37

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Die immer wieder beklagte Weitschweifigkeit Gadebuschs darf heute als willkommenes, vielfach hilfreiches Komplement gegenüber dem üblichen lexikalischen Abbreviatur-Stil angesehen werden. Auch unter diesem Aspekt will die Kritik von C.E. Napiersky: Über die Quellen und Hülfsmittel der livländischen Geschichte.- In: Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Ehst- und Kurland’s 1 (1840), S. 61–89, S. 74, gelesen werden. Vgl. auch die auf der gleichen Linie liegende Vorrede von von Recke und Napiersky zum ersten Band (1827) ihres Lexikons (Anm. 14), S. V. – Die Livländische Bibliothek von Gadebusch ist in einem Reprint (Hannover-Döhren: Hirschheydt 1973) heute wieder leicht zugänglich. Livländische Bibliothek (vgl. die vorherige Anm.), Bd. I, S. 354. Auserlesene Stücke der besten Deutschen Dichter, von Martin Opitz bis auf gegenwärtige Zeiten. Mit historischen Nachrichten und kritischen Anmerkungen versehen von Friedrich Wilhelm Zachariä. Bd. II.- Braunschweig: Waisenhaus 1771, Vorbericht S. LXII f. Vgl. jedoch schon J. Moller: Cimbria Literata. Bd. II (1744), Artikel ›Paulus Flemmingius‹, S. 193–197, S. 194. Die entsprechenden Nachweise in unserer kleinen Bibliographie im Anhang. Die verdienstvolle Bibliographie Lappenbergs in seiner Edition: Paul Flemings deutsche

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Der Bibliograph, im Besitz der verbürgten Nachricht, daß ein verschollenes Werk bzw. eine verschollene Werkgruppe einst in den Händen eines seriösen Gewährsmannes war, wird bis zum Erweis des Gegenteils die Hoffnung nicht aufgeben, das Bezeugte eines Tages wieder aufzufinden. Planmäßiges Suchen ist hier eines, der glückliche Zufall ein anderes. Den zwischen beiden Polen obwaltenden Zusammenhang kennt ein jeder von der passio des Aufspürens und Sammelns Ergriffene. Der Zufall beschert häufig das Unerwartete und belohnt damit die ehrliche, womöglich ein Leben währende Bemühung um ein anderes Gewünschtes, das sich auf immer verborgen hält. Auch ich habe – mit Ausnahme der Brockmann-Schäferei im Revaler Erstdruck – niemals systematisch nach Fleming gesucht, wußte sein Werk in der Obhut und glücklichen Hand verehrter Kolleginnen und Kollegen und habe daher die Provenienz meines Fundes erst am heimatlichen Schreibtisch enträtseln können – zu spät für weitere, dringend erforderliche Forschung vor Ort und damit die Klärung manches wichtigen Details, die nun weiteren Reisen vorbehalten bleiben muß. Die baltische Bibliotheks- und Archivlandschaft ist zerklüftet. Zwei Kriege und ein mehrfacher kurzfristiger Wechsel der politischen Oberhoheit in allen drei baltischen Staaten im 20. Jahrhundert haben tiefe Spuren im Organismus der kulturellen Überlieferung hinterlassen. In einer gesonderten, einläßlicheren Studie zum städtischen literarischen Leben des 17. Jahrhunderts am Paradigma des Gelegenheitsschrifttums wird dies in absehbarer Zeit im einzelnen gezeigt werden. Am schwersten getroffen sind Mitau und Riga. Unser Beispiel aus Riga ist eines von ungezählten, und in diesem Sinn durchaus repräsentativ. Die Stadtbibliothek zu Riga gehörte einst zu den reichhaltigsten im alten deutschen Sprachraum; sie war mit Abstand die bedeutendste Sammelstätte im Baltikum.41 Drei Jahrhunderte lang im Kreuzgang der ––––––

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Gedichte (Anm. 10), Bd. II, S. 835–850 (Die römische Bandzählung von Lappenberg selbst trotz durchgehender Paginierung der zweibändigen Ausgabe stets benutzt, um die Unterscheidung zur vorangehenden Ausgabe der lateinischen Gedichte sicherzustellen). Weil die baltischen Bibliotheken in den Bibliotheksadreßbüchern von Petzholdt, Schwenke und Praesent nicht erscheinen können, dürfte die Aufführung der wichtigsten Literatur auch zur Geschichte der Stadtbibliothek Riga willkommen sein. Die erste einschlägige gedruckte Äußerung stammt von Johann Friedrich Willisch: Die bisshero unbekannt und verborgen gewesene Bibliotheque Der ehemals Königlichen, Nunmehro Käyserl. Kauf- und Handels-Stadt Riga.- Riga: Fröhlich 1743. Darauf Bezug nehmend [Karl Gottlob Sonntag:] Beyträge zur Geschichte und Kenntniß der Rigischen Stadtbibliothek. Allen patriotischen Mitbürgern gewidmet.- Riga: Müller 1792. Im 19. Jahrhundert ist keine größere Darstellung zustande gekommen. Dafür ist die mit der Geschichte der Stadtbibliothek eng verbundene Geschichte des Buchdrucks heranzuziehen, für die mit Arend Buchholtz: Geschichte der Buchdrucker-

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Domkirche untergebracht, wurde sie 1891 in das freigewordene Rathaus überführt. Wie die Petrikirche und das überreiche Schwarzhäupterhaus ging auch das alte Rathaus in Flammen auf, als Hitlers Truppen die Sowjetunion überfielen und den alten Stadtkern um die Dünabrücke in Schutt und Asche legten. Die unersetzlichen großen Sammlungen mit Gelegenheitsschriften und damit Tausende von Unikaten wurden, wie in so vielen anderen Städten, zerstört. Mühsam muß der Forscher heute an vielen Stellen die letzten Zeugnisse eines einstmals blühenden kommunalen Literaturbetriebs des 17. Jahrhunderts zusammensuchen.42 Dabei stößt er auf einen Sammelband, der ––––––

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kunst in Riga 1588–1888. Festschrift der Buchdrucker Rigas zur Erinnerung an die vor 300 Jahren erfolgte Einführung der Buchdruckerkunst in Riga.- Riga: Müller 1890, eine hervorragende Untersuchung vorliegt. Wenig bekannt, doch sehr gehaltreich das Kapitel ›Die Stadtbibliothek‹ von A. v. Boehlendorff in: Der Stadt Riga Verwaltung und Haushalt in den Jahren 1878–1900. In Veranlassung des 700jährigen Bestehens Rigas. Hrsg. von N. Carlberg.- Riga: Müller 1901, S. 195–207 (Gesamtdarstellung mit wichtigen Angaben zur Provenienz). Leider hat einer der letzten Leiter und besten Kenner der Stadtbibliothek nur noch Bruchstücke zu einer neueren Bibliotheksgeschichte liefern können: Nicolaus Busch: Nachgelassene Schriften. Redigiert von L. Arbusow. Bd. II: Schriften zur Bibliotheks- und Büchergeschichte.Riga: Rigaer Stadtverwaltung 1937. Die heute maßgebliche lettische Darstellung ist in russischer Sprache abgefaßt, enthält jedoch auch deutsche und englische Zusammenfassungen: Biblioteke 450 k yubileynu fundamentalnoiy biblioteki Akademii nauk Latviyskoiy SSR. 1524–1974. [450 Jahre einer Bibliothek. Zum Jubiläum der Fundamentalen Bibliothek der Akademie der Wissenschaften der Lettischen SSR. 1524–1974].- Riga: Zinātne 1974. Der Verfasser dankt dem seinerzeitigen Direktor der Bibliothek, Juris Kokts, sowie dem seinerzeitigen Leiter der Altdruck-Abteilung, Ojārs Zanders, für das wiederholt bekundete Interesse an seiner Arbeit. Ausma Bērziņa, Aja Melle und Meta Taube (†) ist er für unermüdliche Hilfe während der schwierigen Recherchen zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Und gerne erinnert er sich der vielen förderlichen historischen und kulturpolitischen Gespräche mit Teodors Zeids (†), von dem im Zusammenwirken mit Meta Taube eine Edition der Sammlung Liefländischer Monumente des mit der Geschichte der Stadtbibliothek eng verbundenen Johann Christoph Brotze zu erwarten ist. [Vgl. dazu jetzt die Ausführungen im Anhang.] Die letzte Spur dieser bislang in Riga nicht wieder aufgefundenen großen Sammlungen aus der Stadtbibliothek und der ›Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands‹ bei Erich Seuberlich: Leichenpredigten und Trauerreden in der Stadtbibliothek zu Riga.- In: Familiengeschichtliche Blätter 42 (1944), Heft 3/4, Sp. 51–56, Sp. 89–92, Sp. 111–120 und Sp. 151–166. Von Seuberlich stammt auch der heute in der Zentralstelle für Genealogie zu Leipzig verwahrte (und von Herbert Jacob in: Goedeke XV [1964], S. 13, Nr. 7 im einzelnen spezifizierte) Katalog der Gelegenheitsschriften der Bibliothek der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde zu Riga. Bd. I–III.- Riga 1937–38 (Masch.). Vgl. auch die erwähnte Arbeit von Kurt Tiersch (Anm. 9), Kapitel ›Die Gelegenheitsdichtung‹, S. 93 ff.; sowie Gertrud Schmidt: Lettische Gelegenheitsgedichte aus dem

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ehemals den ersten Band einer ›Sammlung Kleiner Liefländischer Schriften‹ bildete, wie eine alte Rückenaufschrift zeigt, und dann einer offensichtlich neu gebildeten größeren ›Sammlung Livonica‹ als Band 16 integriert wurde.43 Er gehörte der Stadtbibliothek und hat sich zuvor im Besitz der Rigaer Familie Schwartz befunden, wie der Stempeldruck ›J.C. Schwartz‹ beweist. Er dürfte von Johann Christoph Schwartz (1754–1824) herrühren, der die Bibliothek seines gleichnamigen berühmten Vaters geerbt hatte.44 Johann Christoph Schwartz, im Jahre 1722 in Riga geboren, entstammte einer angesehenen Rigaer Ratsfamilie, hatte in Leipzig die Rechte studiert, im Anschluß eine ausgedehnte Bildungsreise durch Deutschland, die Niederlande und England absolviert, und war dann als Sekretär und späterer Ratsherr in den Dienst seiner Vaterstadt getreten. Wie Gadebusch Dorpat, so vertrat Schwartz Riga als Deputierter in der von Katharina II. bestellten Moskauer Gesetzeskommission, die den aufgeklärten Ideen verpflichtet war und doch schon den Keim für die Unterwerfung der baltischen Städte in ––––––

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17. Jahrhundert. Mit linguistischem Kommentar von V. Kiparsky.- In: Jahrbuch der Volkskundlichen Forschungsstelle 2 (1938), S. 115–147. Die Arbeit von Riekhoff zur livländischen Gelegenheitsdichtung wurde bereits erwähnt (vgl. Anm. 20). Trotz der Verluste halten insbesondere die Rigaer und Dorpater Bibliotheken und Archive immer noch ein reichhaltiges Material bereit, über das an anderer Stelle berichtet wird. Nachdem schon Buchholtz eine Bibliographie des ersten Druckers Mollyn bot, die jetzt von Ojārs Zanders zum 400. Jubiläumsjahr überarbeitet wird, bereitet Meta Taube eine Bibliographie des zweiten Rigaer Druckers Gerhard Schröder vor, in der nach Maßgabe des Möglichen natürlich auch das Gelegenheitsschrifttum berücksichtigt wird [vgl. Anhang!]. Es dürfte bekannt sein, daß die Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen mit dem Sammelband ›Poet. Coll. 168‹ eine respektable Sequenz Königsberger und baltischer, vornehmlich Rigaer Drucke besitzt, aus der Goedeke schöpfte. Heutige Signatur: 2463 (Livonica XVI). Zur Familie Schwartz vgl. die vermutlich bedeutendste familiengeschichtliche Darstellung des deutschsprachigen Baltikums von Arend Buchholtz: Geschichte der Rigaschen Familie Schwartz.- Berlin: [o.V.] 1921. Hier S. 609–639 ein eingehendes Porträt von Dr. phil. Johann Christoph Schwartz, Bürgermeister von Riga, 1722– 1804, S. 640–643 über seinen Sohn Johann Christoph Schwartz, Bürgermeister von Riga, 1754–1824. Da Buchholtz seiner Darstellung S. 673 ff. einen ausführlichen Anhang mit den Quellen, der Bibliographie, der Literatur und den Anmerkungen hinzugefügt hat, in dem S. 707 ff. die Literatur über Johann Christoph Schwartz und S. 711 diejenige über seinen Sohn zusammengestellt ist, soll an dieser Stelle auf eine nochmalige Aufführung verzichtet werden. Auf S. 637 die Notiz über den Schwartzschen Nachlaß einschließlich der Bibliothek und ihrer Weitergabe an Johann Christoph Schwartz d.J. Daß dieser ein Jahr nach dem Tod seines Vaters 500 Bücher und Manuskripte, hauptsächlich Livonica, der Stadtbibliothek Riga vermachte, ist bezeugt in der herangezogenen Darstellung von von Boehlendorff (Anm. 41), S. 198.

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sich trug.45 Sein Engagement für die hergebrachten Rechte Rigas ist mehrfach bezeugt. 1782 wurde Schwartz Bürgermeister und bekleidete damit die höchste politische Position, legte sein Amt freilich wie andere Ratsherrn nieder, als »die alte Verfassung der Stadt umgestoßen, der alte Rath beseitigt und ein Gouvernementsmagistrat eingesetzt wurde [...]; es war dem alten Patrioten unmöglich, an den neuen Institutionen, die er als rechtswidrig ansah, sich zu betheiligen. Seitdem lebte er in völliger Muße, ganz den Studien sich hingebend.«46 So bewährt sich, wie bei so vielen anderen Bürgern der städtischen Führungsschicht im 18. Jahrhundert, auch bei Schwartz die Symbiose aus patriotischem kommunalem Wirken und umfassender Gelehrsamkeit. Mit Gadebusch stand er in engstem, freundschaftlich-gelehrtem Verkehr; die Livländischen Jahrbücher eignete dieser dem Rigaer Kollegen zu, der sich vergeblich gegen die Ehrung sträubte.47 Die baltische Historiographie verdankt Schwartz u.a. den Versuch einer Geschichte der Rigischen Stadtrechte (1785), den Versuch einer Geschichte der liefländischen Ritter- und Landrechte (1794) und die Begründung der altlivländischen Diplomatik und Urkundenlehre.48 Noch heute ist seine Vollständige Bibliothek kurländischer und piltenischer Staatsschriften (1799) nebst den vielen handschriftlichen Annexen nicht nur die reichhaltigste Kompilation dieses Genres, sondern zugleich das letzte Zeugnis der großen, zumeist in der Rigaer Stadtbibliothek verwahrten Kollektion.49 Seine handschriftlichen Materialien zur livländi–––––– 45

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Dazu die Kapitel ›In der Gesetzkommission‹ und ›Die Einführung der Statthalterschaftsverfassung‹ in der Darstellung von Buchholtz (Anm. 44), S. 616 ff.; sowie Bernhard A. Hollander: Die Aufzeichnungen des Rathsherrn J.C. Schwartz über seine Thätigkeit in der Gesetzes-Commission zu Moskau 1767–1768.- In: Sitzungsberichte der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen Russlands (1885), S. 81–90. Vgl. den Artikel von Diederichs: Schwartz, Johann Christoph S.- In: ADB XXXIII (1891), S. 210–212, S. 211. Vgl. das schöne Kapitel ›Friedrich Konrad Gadebusch und Johann Friedrich Recke‹ bei Buchholtz (Anm. 44), S. 630 ff. Bibliographie der gedruckten Werke ebd., S. 706 f. Vgl. auch Arend Buchholtz: Verzeichnis meiner [sc. Joh. Chr. Schwartz’] kleinern und grössern Aufsätze, welche im Drucke herausgekommen sind [mit einem Zusatz zu den Manuskripten!].- In: Sitzungsberichte der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen Russlands (1889), S. 83–85. Hinzuzunehmen Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. IV (1832), S. 160–163; Napiersky-Beise: Nachträge (Anm. 14), Bd. II, S. 186; Deutschbaltisches Biographisches Lexikon (Anm. 23), S. 712 f. Vgl. Katalog der Juristischen Abtheilung der Rigaschen Stadtbibliothek.- Riga: L. Weyde 1874, S. III f. Vgl. auch Winkelmann: Bibliotheca Livoniae Historica (Anm. 23), S. 2, Nr. 29 und Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. IV, S. 162. Die zweibändige handschriftliche Fortsetzung des Werkes, die aus dem Besitz von Reckes in das Kurländische Provinzial-Museum zu Mitau überging, dessen Handschriften-Fonds

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schen Gelehrtengeschichte, Steckenpferd aller Sammler und Historiker des 18. Jahrhunderts, gingen in das Werk von Recke und Napiersky ein.50 Daß diese gelehrte Arbeit nur auf der Basis einer intakten Bibliothek möglich war, versteht sich. Der erwähnte Sammelband aus der Bibliothek Schwartz in der Rigaer Akademiebibliothek ist u.a. von Interesse, weil er eine Reihe von Revaler Drucken aus der Frühzeit der 30er und 40er Jahre enthält, darunter wiederum Beiträge von Brockmann und sogar zwei mit handschriftlicher Widmung für Brockmann.51 So weckt er die Neugierde auf weitere Stücke der Reihe, wie sie durch die Angabe eines Bandes in einer offensichtlichen Reihe geschürt wird, in der Akademiebibliothek selbst jedoch nicht befriedigt werden kann. Stößt dann der Forscher – stets ja bei denkbar knapp bemessener Zeit – unter Tausenden von Altdrucken in der benachbarten Staatsbibliothek zu Riga auf einen zweiten Band der ›Sammlung Kleiner Liefländischer Schriften‹, so winkt dem rastlos Stöbernden wieder der Glücksstern.52 Auch dieser Band entstammt der Schwartzschen Bibliothek, weist jedoch keinen Stempel der Stadtbibliothek auf. Der Band enthält 42 Stücke, die auf einem handschriftlichen, vermutlich von Schwartz stammenden Vorsatzblatt im einzelnen spezifiziert werden. Unter ihnen befinden sich nicht nur Dorpater Universitäts-, sondern auch Revaler Gymnasial-Schriften, und zwar auch aus den anderweitig selten bezeugten 30er Jahren, sodann ein polyglottes Epithalamium Brockmanns, die Hochzeitsschrift auf die Eheschließung von Flemings erster Geliebten Elsabe Niehus mit dem Dorpater Orientalisten Salomon Matthiae (1637) sowie das Epithalamium zur Hochzeit von Adam Olearius mit Katharina Müller, Tochter des Revaler Kaufmanns und Rats––––––

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1936 gleichfalls nach Riga gelangte, hat sich im Historischen Staatsarchiv Riga erhalten. Das gedruckte Werk der Berliner Staatsbibliothek (Uf 5358) ist verschollen. Ein Exemplar in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (Hll IV 7531). Vgl. Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. I, S. VII und Bd. IV, S. 162. Vgl. die Stücke Nr. 16 und 22 des Sammelbandes sowie die Brockmann-Schrift Nr. 23 (Brockmann-Beitrag auch in Nr. 13). Signatur des Sammelbandes: R Bs/694. Ich danke Andris Vilks für freundliche Unterstützung meiner Arbeiten 1984 und 1987 in der lettischen Nationalbibliothek und für die zügige Übersendung von Kopien. Zur Geschichte der 1919 gegründeten Staats- und heutigen Nationalbibliothek vermag ich in einer westeuropäischen Sprache nur zu verweisen auf: Ministry of Culture of the Latvian S.S.R. The Vilis Lācis State Library of the Latvian S.S.R.- In: Proceedings 4 (1973), S. 104–109. Vgl. auch: Library Work. Aspects of Librarianship. Hrsg. von Vilis Lācis State Library of the Latvian S.S. R.- Riga: Avots 1984. Die Staatsbibliothek Riga ist heute neben der Universitätsbibliothek Tartu die zweite große Sammelstelle für Baltika und gerade mit Kleinschrifttum, das im deutschsprachigen Raum anderweitig nicht nachweisbar ist, hervorragend bestückt.

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herrn Johann Müller (1640).53 Auch Timotheus Polus ist in diesem livländischen Sammelband mit seiner Vergegenwärtigung der Gestalt Gustav Adolfs als eines Retters der protestantischen Kirche in Deutschland gegenwärtig.54 Die größte Kostbarkeit hat sich der Kompilator des Sammelbandes jedoch für den Schluß aufgespart und dort, wo nicht der Chronologie, so doch der Autorschaft nach, sachlich zusammenhängend vereinigt. Die Sequenz beginnt mit dem 32. und endet mit dem 42. Stück. Wir wollen sie in der vorgefundenen Abfolge belassen und erstmals im originären Text der Erstdrucke nebst Übersetzungen darbieten.55

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Der Beitrag von Brockmann zur Hochzeit von Heinrich Vulpius bildet das zwölfte Stück des Sammelbandes, die Hochzeitsschrift für Flemings erste Braut und Salomon Matthiae – gleichfalls mit einem Brockmann-Beitrag – steht an 25. Stelle des Sammelbandes, die Hochzeitsschrift für Olearius (1640, nach dem Tode Flemings) an 15. Stelle. Vgl. Nr. 21 des Sammelbandes sowie Recke-Napiersky (Anm. 14), Bd. III, S. 435. Übernommen aus der Erstfassung sind die auf die Übersetzung folgenden einschlägigen bibliographischen und überlieferungsgeschichtlichen Daten. Sie wurden ihrerseits nicht nochmals aktualisiert. Hier ist auf den Anhang mit der Aufführung der neueren Forschung zu verweisen. Vgl. auch das Vorwort zum Gesamtwerk sowie die Vorbemerkung zum vorliegenden Text.

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Edition der wiederaufgefundenen Fleming-Texte nebst Übersetzung und überlieferungsgeschichtlicher Kommentar 1. Die Flemingschen Texte 1 Paull Flemings | ODE | Auff des Ehrnvesten vnd Wolgelarten | Herrn Timothei Poli/ P. C. der | Poëtic Professorn am Gymnasio zu Revall/ | newgee e bornen Tochterleins | CHRJSTJNEN | ableben. | An die betrubte Eltern. | [Strich] | Zu Revall/ druckts Chr. Reusner. 1635. | den 3. Maij. C L . V. | T I M O T H E O P O L O , P.L. | P O E T I C E S P R O F E S S O R I I N | G Y M N A S I O R E V A L I E N S I , | M.P. F L E M I N G U S S . SUbitus ille ac præmaturus C H R I S T I N U L Æ tuæ obitus prævenit absolutionem eucharistici carminis, quô nativitatem ejus gratulaturus tibi eram, Clariss. P O L E . quod, ne vulnus hoc tibi exasperet dilatetque, imperfectum morietur in lituris nostris. Interea temporis, & in ejus vicem hoc accipe, certum obsidem seriæ condolentiæ, quam amicus tecum communem habet. super quâ ne ambigas, ipsi turbati confusique rhythmi fidem tîbi facient de genio domini sui. Vale, et hunc dolorem evapora. Scribeb. Revaliae, Dominicâ Vocem jucunditatis, quæ nihil minùs jam tibi est, quàm quod audit. cIɔ Iɔ cxxxv .

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JSts denn wider schon verlohren? War es doch kaum recht gebohren/ e Kind? Das geliebte schone Ja! so bald es vor ist kommen/ So bald ist es auch genommen/ Schawt doch/ was wir Menschen sind. e Etwan/ wie ein Tausentschonlein/ e Das gemahlte Lentzensohnlein/ e Mit dem fruhen Tag’ entsteht; Welches/ wie es mit ihm wachet/ Mit jhm scheinet/ mit jhm lachet/ So auch mit jhm vntergeht.

Also hast du dich verborgen/ e Blumlein/ vmb den sechsten morgen. Liegest tod nun außgestreckt/ Vnd hast durch das schnelle scheiden/

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Deinen frommen Eltern beyden/ Ein sehr langes Leid erweckt.

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e wie jhr sollet; Klagt/ Betrubte/ Sie ist doch/ da jhr hin wollet. e Vns ist ubel; jhr ist wol. Jhr Geist der ist voller prangen. Nur jhr Leib ist hingegangen/ Wohin alles ist/ vnd soll.

Wo selbst die Natur hinstehet; Wo die Grosse Welt hingehet/ Da eilt auch die Kleine zu. Sterben vnd gebohren werden/ Jst das stete thun der Erden. Nur jhr tod ist jhre Ruh. Babels Mawren sind versuncken; Rhodus sein Coloß ertruncken; Nilus wercke gingen ein. Sterblich waren alle Wunder/ Wie die Meister; wie jtzunder e Wir/ vnd kunfftig alle seyn. Assur wurde theil dem Persen. Diß dem Griechen. dessen Fersen Eilte nach die ewge Stadt. Doch/ wie ewig sie gewesen/ e sehn vnd lesen. Kan man horen/ Schein ists/ was sie ewigs hat. Alles wird darumb gebohren/ Daß es wider sey verlohren. Nichts bleibt allzeit/ was so ist. Alles/ was sich angefangen/ Das geht stets in dem verlangen/ Daß es seinen tod erkiest. Sterben ist der weg zum leben. e Phenix wird deß zeugnuß geben/ Selbst sein Vater/ selbst sein Kind. Sol es Morgen wieder tagen/

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So wird Heute hingetragen/ Wo viel tausent Gestern sind. 55

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Es ist alles Gottes Gabe. Alles was ich jtzund habe/ Hab’ ich vormals nicht gehabt. e Der jrrt/ wer es ewig glaubet. Wucher ists/ so lang’ es bleibet/ Das vns vnsern sinn erlabt. Als Gott Sie Euch vberreichet/ Habt jhr Euch mit Jhm vergleichet/ Daß sie dennoch seine sey. Daß er/ wenn er auch nur wolte/ Sie hinwider nehmen solte/ Mustet jhr jhm lassen frey. Vnd die warheit rauß zu sagen/ Neid ists/ daß wir sie beklagen. Wol dir! o du kurtzer Gast! Wol dir! die du in sechs tagen Eines jeden Alters plagen e e Gantzlich uberstanden hast. Kleine Tochter/ sey nun seelig/ e Vnd zeuch vns auch stets allmahlig Nach dir auff/ vnd Himmel an; Daß auch wir der zahl der Frommen/ Jn die du bist auffgenommen/ Balde werden zugethan. Diesen Korb voll Anemonen/ Der der Frost stets soll verschonen/ Strewen wir auff deine Grufft. e Schlaffe ruhsam in dem kuhlen/ Vmb dich her soll ewig spielen Die gelinde Meyenlufft.

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2 I N | N O M I N A L E M | T I M O T H E I P O L I , | V. CL. | O D E G E R M A N I C A . | R E V A L I Æ | [Strich] | cIɔ Iɔc X X X V I . | M. J A N U A R I O | C H R I S T O P H . R E U S N E R U S | imprimebat. P. F L E M I N G I PROSPHONESIS.

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PRæstò! præstò! Joci, Sales, Cachinni, Præstò cum Salisubsalis Lepores, Risus, Gaudia, Jubili, Venustas, Liber, Come, Venus, Cupido, Lusus, Et facunda cohors Lubentiarum, Et plebs risibilis Facetiarum, Et gens mobilium frequens Amorum; Præstò, præstò Dij Deæque cunctæ, Et quicquid lepidum per astra vivit; Hâc Polus Genio litabit horâ. IIX. KAL. FEBR.

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JA/ er hat es weit gebracht/ Vnsrer sprache werther Meister/ Durch den witz der klugen Geister Hat er vns den weg gemacht/ e Daß wir nun die hochsten sinnen e e Vieler Volcker trutzen konnen. Vnser wird/ was andern war. Tass/ Torquat/ Petrarche weichen. Vnsern Deutschen mag nicht gleichen Bartas/ Sidney/ Sannazar. Wenn Catz/ Heins/ vnd Opitz singen/ So wil gantz nichts frembdes klingen. e Auch das alte wird verjungt. e Der Pelasger schones wesen/ Vnd was Rom zuvor gelesen/ e Hort man/ wie mans bey vns singt. Venus vnd jhr gantzer Orden Jst nun kurtz auch hochdeutsch worden.

Du durchrennst deß lobes bahn/ e Freund/ mit abgeschossnem Zugel.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch e Jch auch setz’ in vollem bugel e Auff das schone Wesen an/ Von dem Dafnens edle sprossen Vmb mein braunes Haar geschossen.

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Castalis/ dein thewrer fluß Sol durch mich auch sich ergiessen/ e Vnd mit vollern Vfern fliessen e Fuß. Vmb Cytherons grunen Cyrrha sol mir anlaß geben/ Was mein Meissen kan erheben. Heute laß vns vnser seyn. e Der tag/ dein tag/ der so schone/ e Rufft vns trewe Musensohne Von vns auß/ vnd zu dir ein. Der tag/ dein tag/ den wir ehren/ Sol vns newe frewde lehren. Dann so laß vns alles leid/ Allen kummer/ in die gaben Des gesunden Evans graben. Dann gedenck’ an keinen Neid/ Der/ in den er vns verletzet/ Auff sich selbst sein Messer wetzet. e dich ein Maul/ Was bekummert Das nichts anders kan als klaffen/ e Vnd auß gutem boses schaffen/ Schnell’ auff schmach/ auff loben faul. Laß sie sagen/ was sie wollen/ Wenn nur wir thun/ was wir sollen. e Wenn der Reben guldner safft e Jn den liechten Romern springet/ Vnd vns in die Stirne dringet e Seiner Starcke heisse Krafft/ Da vergessen wir der sachen/ Die die Hertzen jrrdisch machen.

Das ist vnser Pegasus/ Der vns von dem schweren Volcke

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Hoch setzt vber eine Wolcke/ Daß vns niemand schaden muß. Ehren vns Thymbreus Schwestern/ e So laß jene sicher lastern. Recht so/ Polus/ ruffe laut. Her die Hand/ dieweil ich trincke. Doch vom hertzen geht die Lincke/ Wie man jtzt wil seyn getrawt: e Wer vns heute wird betruben/ Den sol Phebus nimmer lieben. Grahman wird nicht ferne seyn/ Grahman vnser dritter trewer/ Der jhm vmb das Schorsteinfewer e Wol laßt schmecken deinen Wein. e Was du schenckest deinen Gasten/ e Das kommt dennoch dir zum besten. Sind der Freunde mehr noch hier/ Wol! so laß sie alle kommen. Keiner muß seyn außgenommen/ Der dich ehrt vnd liebt/ wie wir. Du/ vnd Er/ vnd ich/ vnd alle e Wollen frolich seyn mit schalle. Sa/ jhr Freunde/ machts wie ich. e Leeret die gefullten Schalen. Polus mag das Mahl bezahlen. e Sa/ jhr Bruder/ seht auff mich. Thut mirs nach/ wie ich Euchs weise/ Auff die Wolfahrt vnsrer Reise.

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3 e M. Paull Flemings | Keyserl. gekronten Poëtens | Ode | Auff des Ehrnvesten vnd Wolgelarten | Herrn Heinrich Arnincks/ | Professorn der Oratori am Gymna = | sio zu Revall/ | Mit der Erbarn Vieltugendreichen | Jungfr. Elsaben von Schoten | Hochzeit. AD SPONSOS.

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CRedibile est, ipsam leve quid lacrymare Cachinnum, Cùm nova sub primâ nocte puella gemet. Illa quidem madidum quid ab îstis fundet ocellis: Sicca sed hôc bibulus basia ror at Amor. Sponse nihil, nil Sponsa time. feliciter itis, Vestraque sidereus gaudia Risus amat. Quos nox sera rudes timido se condere lecto, Lætius è thalamo surgere manè videt. Script. | XVI. KAL. FEBR. | XXXVI. SUPRA cIɔ ET Iɔ c. | REVALIÆ.

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e VEnus sah den Brautgamb sitzen Auff den Spitzen e Des gehornten Helicons/ Da man sich pflegt zu versichern e Jn den Buchern e Fur den listen jhres Sohns. e Komb/ Kind/ sprach sie/ laß die starcke Vnsrer Wercke Allen heute werden klar. Pindus ists/ der mich nicht ehret; Dich versehret Der Gelehrten blasse Schaar.

Eilends nahm das Kind zusammen Pfeil’ vnd Flammen; Eilends saß er auff zu jhr; Eilends fuhr er durch die Wiesen Der Othrysen/ Edles Thessalis/ zu dir/ Alle funden sit am Reyen Voller schreyen/ Voller jauchtzen/ wie man lacht. Alle sahen sie sich spritzen

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194 e Aus der pfutzen/ e Die das Flugelpferd gemacht.

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Eh sich jemand deß versahe/ Traten nahe Venus vnd der Cypripor. e e jhr/ sprachen sie/ mehr Gaste Durfft Zu dem Feste? Nein sprach Clejo; das darvor! Amor both jhr bald die spitze Mit dem flitze/ Den er gleich auch schnelte loß. e e vnser Brautgamb eben Drauff fallt Ohne leben e e Jn der Krauter grunen schoß. e Da kam Cynthius/ der schone/ e Mit gethone Durch den dicken Dannenwald. Alle die gesamten Feinde Wurden freunde/ Vnd der tode lebte bald. e es/ sprach Cythere/ Mich betrubt e Daß ich hore/ Wie der Frembde ward verletzt. e Er ist wurdig meiner gnade. Dieser schade Sol jhm reichlich seyn ersetzt. e Bey den gulden Charitinnen Ward sie innen Einer menschlichen gestalt/ Diese/ sprach sie/ sol jhn hertzen e die schmertzen/ Fur e Fur die schimpffliche gewalt.

Erato lieff mit Melposen/ Vnd brach Rosen e e Fur das newvermahlte paar. Vnd die andern schrien auß frewden:

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Wol sey Beyden! e Daß die Lufft voll thonens war. e Seyd erfrewt/ jhr Hochzeitgaste/ Auff das beste: Paphos vnd Olymp sind eins. e Vnser Brautgamb hat die Beuthe. Schont auff heute Keiner Kost vnd keines Weins. e Schone Braut/ seyd ohne sorgen e Fur dem Morgen/ Der Euch ewren Nahmen nimbt. e Vmb was jhr euch halb betrubet/ Vnd doch liebet/ Jst vns allen so bestimbt. e Die gestirnten Luffte schertzen; Tausent Kertzen/ Tausent liechter Fackeln stehn; e Diß sind Hymens guldne Bothen. Die von Schoten Sol alsbald zu Bette gehn. e e Trostet nun/ durfft jhr euch trawen/ Jhr Jungfrawen/ e die Braut zum letzten nun; Kußt Vnd das andre/ was jhr lasset/ Sie nicht hasset/ Das sol jhr der Liebste thun.

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4 P . F L E M I N G I | G Y M N A S I U M | R E V A L I E N S E . | [Inschrift in einem Lorbeerkranz] Ingens G yMnasII | sIet aVCtor DVX- | qVe IehoVa. | Typis exscriptum à Christophoro Reusnero | Gymnasij Typographo. Anno cIɔ Iɔ C X X X V . AD GYMNASI REVALIENSIS PROFESSORES Dedicatorium.

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HActenus obticui. nunc pigra silentia rumpo, Et vos Ausonij scribere more paro. Ille Professores patriæ celebraverit urbis: Urbs me vestra, licet sim peregrinus, amat. Ac licet ad tantum nequeamus surgere culmen, In magnis quædam est laus voluisse tamen. Quod pietas illum functis præstare jubebat, Hoc meus in vivos vos mihî suasit amor. Scribb. Non. Aprilib. | Anni X X X V . supra M . & D C . | R E V E L Æ , | M. Paullus Flemingus Hartensteinius, | P.L.C.C. Medic. Addict. Ad Calliopam.

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TAndem molesti sit modus otij. Vacuna cessit. Murcia transijt. Creber vocate, jam benignus Ad mea vota venis, Agoni. Nunc rumpe plausæ per sonitum manûs Somnos inerteis. pollice nunc levi Sopore pressis terge turpem, Mens vigil, ex oculis veternum. Cedò Latinam conscia barbitum, Regina Thressæ, Calliope, Lyræ. Diu sat ægrè feriatum Sollicitis ebur hæsit uncis. Quiritet aër mollia, saucius Pulsante clari verbere pectinis, Ictuque vocum vulneratæ Dulce quid illacrymentur auræ.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch M. H E N R I C O V U L P I O , GYMNASIARCHÆ, ET PHILOS. PROF.

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ILle labor tuus est, Schola quòd Revalensis in isto Flore nitet, celsisque altum caput inserit astris. Rostochium tria lustra tibi, tres Revelis annos Favit, utræque tui dominæ candoris amantes, Et studij, quod abundè probas. huc quando venires, Barbaries tuus hostis erat, fera bestia Musis, Et gravius nocitura suis Livonibus olim. Illa Mycenæâ pestis truculentior hydrâ Esthoniam latè, pavidumque ferissima Nereûm Terruerat, refugasque metu tremefecerat auras. Tu novus Alcides, Aretæ septemplice scutô Tectus, & Aonidum radians face, flebile monstrum Aggrederis, pugnasque diu. cruor inficit artus. Nunc caput hoc, nunc illud hiat de vulnere ferri. Quotque cadunt capitum, generata tot ora videres Ocyus, & duplices sumsisse à sanguine vires. Nil trepidas; quod ab ense feris, picis oblinit ardens Humor, & obductis coëunt vibicibus ictus. Donec ovans doctæ prosternis robore dextræ Fortiter, & Stygiô pestem submergis avernô. Sic olim innumeris tumidum Pythona sagittis Thymbræus sanctis legitur necuisse Poëtis. Fac, quod agis, crescensque tuâ pietate Lycæum Temperie moderare bonâ. tibi præscius æther Officij dedit hoc, animôque & corpore vires, Volvere Sisyphium scholicô sub pulvere saxum. Cernis, ut invidiâ rumpens ringatur Aëllo, Atque colubrini distentus fæce veneni Livor ab impuro fœda evomat ilia ventre. Dulcia laurigeræ post niceteria famæ Hoc quoque carmen habe, certi grave pignus honoris, Quod, majora licet, possum donare, merenti. Non moriêre omnis. nec Te Cocytia mergent Flumina; sed serus gratis eris incola terris. TIMOTHEO POLO P.L. POETICÆ PROFESSORI. TU linis æternas vivaci carmine chartas, Jugeque mortali pollice scribis opus.

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Ingenium natura dabat, labor impiger artem, Pallidus & madidô sudor ab ore pluens. Quum comes insomnis nox pervigilata diei Mutatis toties iret & iret equis. Bilbilici redoles genium facilesque salinas, Oxonij lepidum vatis acumen habes. Hunc gravitate studes, illum superare nitore, Vincit utrumque tuus sub brevitate labor. Quòd si grande magis mentem tibi perculit œstrum Ingentes simili res animare tubâ, Et vel in Hexametrô, numerô vel in impare sudas, Pieriumvé feris musicus autor ebur; Mantua Te stupeat, miretur Sulmo canentem, Abjiciat Flaccus, Te modulante, lyram. Adde, quòd ingenuos dilectæ Matris honores Nobiscum studiô scis reparare pari. Germanum modularis epos, quod O P I T I U S ipse Approbet, & similem me cecinisse velim. Singula si referam, referam tamen omnia nunquam. Est rudis ad Phœbum noster Apollo tuum. HENRICO ARNINGO ORATORIÆ PROFESSORI.

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DIserte Rhetor, eloquentiæ latex, Pithûs cor & Suadæ jecur, Quid ausus? ipsos inter hæreo, tuas Dum tento laudeis, limites, Et mentis anceps, quâ viarum prodeam, Tot inter ambages tremo. Confundor omnis. hinc tuarum me vocat Callis serenus dotium. Hinc doctus ardor, quô juventuti faves, Me semitâ acclamat suâ: Amœnus illinc trames, ut sequar volens, Amoris invitat tui. Et hinc, & hinc, & captus illinc, ambigo, Quà primus inflectam gradum. Densi tot elegantiarum te chori, Scientiarum tot greges Vivunt in unô. cuncta te virtus amat, Et hospitem vocat suum. Hinc ignis ille, totus in te quo flagro, Virtutis accensus face.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch Nil addo laudis, hujus impar, & minor, Ne te levans, premam magis. REINERO BROCMANNO, GRÆCÆ LINGVÆ PROFESSORJ.

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TE mihi cum primus hâc in urbe junctus est amor, Ille doctus, ille pulcer, ille virtutis puer. Hic adultas inter altè corda radices agit, Indies magis magisque pullulans robustior, Vitis instar, quem sepulcrô vernus evocat tepor. Ille blandâ lætus aurâ molle prominet caput, Atque solis ad salubre cor apricatur jubar, Pingue donec huc & illuc pandat usque brachium, Et pusillos osculetur uvidâ botros genâ. Tunc, quod assolent amantes, serio volens dedi Omne mentis, omne cordis, omne pignus dexteræ. Scilicet virtus amicum te mihi fecit tua. Mel sub actu, mel sub ore, mel subest scriptis tuis, Mel, quod exsudant Athenæ, mel, quod à Româ pluit, Quale noster, noster ille largus hausit M A X I U S . Melleus diu juventæ, sis mihi dulcis diu. Sic tibi diu suavis, sic diu sit mellea, Illa svavis, illa dulcis, illa tota mellea, Cui Venus, Juno, Cupido floreum struunt torum, Candidatus nuptialeis præparat faces Hymen, Et Meduseum canorus inchoat Phœbus melos. Scriptum tum temporis S P O N S O . ALHARDO BOENDELIO G. P.

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TE versu memoramus inficeto, Candidissime candidissimorum, Quem Phœbus colit, & colunt Novenæ, Et Mater Venus, & Puer Cupido. Ac, quamvis memoremus inficetô, Quum nobis sit iners Minerva, versu, Non tamen memoramus inficetum, Sed doctum, sed Apollinis ministrum, Sed curam Charitum Novensilumque, Et decus Venerum Cupidinumque Cunctarumque cor elegantiarum; Quam dispar ratio mei tuique est,

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Qui te scribere non verebar antè, Tantò pessimus omnium poëta, Quantò tu optimus omnium docentum. DAVIDI GALLO MUSICO.

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TEr docte G A L L E , pulmo musici cœtûs, Et svave guttur; infimo tibi scribo, Qui primus inter principes Scholæ Patres Poni merebas. ordini locum debes, Ambo tibi se, quos serenus illustras. Amamus illud diligentiæ culmen, Quod eruditus inscij gregis doctor Impendis omne, quicquid est opus factu. Doces, refutas, sublinis, redintegras, Fidique Præceptoris omne fers punctum. Agnosce mentem Te colentis à dextra. Quod illa sentit, hæc fidelis obsignat. AD STUDIOSOS JUVENES ibidem.

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Nec vestrum reticens decus Suspendet vetitô muta silentiô Cleio, laudis apex meæ, Quæ pridem per epos me vetuit mori. Vestras audierat minas, Nuper sollicitis fervere jurgijs; Dat quivis specimen sui, Quantus barbarieî prodeat in necem. Tunc nec cedere cereum, Nec vinci facilem, quod decuit viros, E vobis videt unicum. Est cunctis similis par animi vigor. Hæc affert comitum chorô, Et pulchrô juvenis de studiô gregis, Testis non simulans rei, Totô facta redux prædicat in jugo. Ergò dissiliunt citæ Directore novem cum patre virgines, Et lauri rapiunt comam, Et victura pari serta plicant manu. Ne parvæ pigeat moræ,

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch Si tàm certa manent pignora gloriæ. Quod vobis Hodiè negat, Pendet cum duplici fœnore Cras decus. AD ÆTERNAM SAPIENTIAM Votum PRO GYMNASIO REVALIENSI.

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HEîc equinarum memor ungularum Molle ludentis fugit agmen undæ: Doctus hîc Aon salit eruditas Subter arenas. Frater agnati procul Othrys Æmi, Inde Parnasso socius Cytheron, Annuunt pinis, & hiulcus alto Pindus Olympo. Diva, stellatô residens inani, Innubô Patris generata partu, Cælibi Patris generanda semper Filia partu, Da perennanti, Dea, da favore, Currat æternis ea lympha rivis, Frondeant illi vireantque docti Jugia saltus. FINIS.

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5 P. F L E M I N G I | O D E E T P R O P E M P T I C O N | G E O R G I O G V I L I E L M O | P O E M E R O | Donata | M O S C O V I Æ , | A. cIɔ Iɔ C X X X I V . | [Zierstück] | R E V A L I Æ | dyTis Chr. Reusneri Sen. Gymnasij Typographi. Nobilissimo Præstantissimoque | Dn. G E O R G I O G V I L I E L M O P O E M E R O , | Patritio Norimbergensi, | P. F L E M I N G U S S.P. P R E C O R .

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PAr erat Aonium digno Tibi mittere carmen, Atque Medusæo tinctile fonte melos, Flos juvenum; nam tale meres, qui sæpius ipse Elicis Othrysias ad tua plectra Deas. Ast inimicus obest tepidis Septentrio Musis. Sic hyemi nullæ mellificatis apes. Aspice, quod ferimus, nihil est nisi frigus & algor Ut valeat, Veneris est opus igne tuæ. Scrib. M O S C O V I Æ | v. Eid. V I I bres cIɔ Iɔ C X X X I V . Georgius Wilhelmus Pœmerus, Norinbergiacus Patritius; Est per anagramma, Verus Nobilis, egregius merâ virtute; gnarus Moschi populi. T. P.

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PHœbus optato mihi risit ore, Et suis junctæ Charites Novenis, Et salus, & lux, & amans volantum, Mater amorum. Festa Sors albas agitans quadrigas Ibat apricis comitata Fatis, Mille centenô sociata pone Gaudia risu; Qvum tuo primi frueremur ore, Chare dilectis G V I L I E L M E Musis, Et mihi tecum socias liceret Jungere voceis. Ocyus sævi tepuere Soles, Ocyus blandis bonus Annus Horis, Ocyus pulcher stetit in pudicis, Julius Herbis. Risit in primum ter honora littus Barbaræ Mater Neogardis auræ;

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Udus ulvosis ter item Chesinus Risit ab antris: Junximus dicta bis in urbe dextras, Bis mihi totas Heliconis arces, Bis procul terrâ mihi visus omnem Cernere Pimplam. Jam licet junctis magis esse nobis, Jam magis firmo licet ire gressu; Vnit optanteis habitata longis Moscua vicis. Seu pigri propter vada lenta Mosquæ, Seu vagum flexæ gremium Neglinæ Imus, & blandè socij fugaces Sistimus horas. Ilicet circum saliunt euntes Fratribus mixti salibus lepores, Et jocis Risus, & agens cachinnos Mille voluptas. Hîc merâ lucens Aganippis undâ Inter umbrosi cadit antra luci: Hîc statim surgunt duo fabulosi Cornua Pindi. Tu caballini sitiens fluoris Ilicet totas patris ebibisti Aonis venas, & avarus omnem Helluo Cirrham. Virgo pubentes tibi forma malas Lacte confusô violavit ostrô, In tuo blandè juvenilis ardet Gratia vultu. Docta facundo tibi Suada melle Tinxit acceptæ Genium loquelæ, Fascinat menteis pluvius disertô Nectare sermo. Talibus ridet Cypris ex ocellis, Phœbus à tali facit ore verba, Qvum refert festus sua canditatis Carmina Musis. Sanguinis celsi generosus humor Pectoris pulchram cui replet arcem, Lœtus admittit, capiente totum Pectore, Phœbum. Inter excelsas similes Camœnas

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Patrios blandè videt ire Mores, Et genus splendens, & ovans avitô Stemma Trophæô. Qvicquid antiqui meruére Patres, Cum verecundis bonus omne musis Dividit judex, vetus & recenti Oblinit aurô. Sic meris junctos onyches beryllis Mutuis scimus radiasse flammis, Alba sic rubris nituisse juxtim Lilia Bulbis. Celsa sublimeis secat ales auras, Ros amat guttam, capit ignis igneis, Prima virtutem trahit hoc secundam Fœdere virtus. Nobilißimo Doctißimoque | G E O R G I O G V I L I E L M O P O E M E R O | P A T R I T I O N O R I C O , | visâ Moscoviâ Germaniam repetenti, | Felix iter precor P. F L E M I N G U S .

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EXcelse sanguis, germen Heroum patrum Quos stemma tollit, at magis virtus levat, Debemus omne, quicquid est nostrum, Tibi, Si quid tenellum præter est nostrum melos, Quod serus æstimas amator, & probas; Hoc namque totô jure fecisti tuum. Favoris omne fructus illud est tui. Abibis ergò, patriæ novum jubar Mox additure, quod negatores polos Desiderante poscit hactenus prece, Huc usque frustrà. certa respondent suis Jam facta spebus. pronus immines viæ, Iterque totum versus in tergus paras. Dolemus ægri. dulcis abscedis comes, Vocate sæpe, post vocande sæpiùs. I sospes, inter mille cœlitum choros Illuc reductus, quo tuorum te vocat Devotus ardor. nos, quod in nobis ames, Pro te viales thure placamus Lareis, Papaverinas atque Termino dapes Cum lacte mistas lance libamus cavâ. I noster, & Vatis tui longum memor Felicis ævi candidos vide dies. Scrib. M O S C V Æ

I I X . K A L . I X bres,

| cIɔ Iɔ C X X X I V .

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e BJß hieher war dein Ziel/ nun zeuchstu/ susser Freund/ Mit Ehren wider heim/ wo deine Sonne scheint e e e Zwar/ were wundschen konnen/ Vnd meine hoffnung bluht. Vnd were wollen thun/ du soltest nicht von hinnen e Vnd so den Ruckzug thun. ich lege dir stets an/ e ohn dich gethan. Darmit mein langer Weg nicht wurd’ e e brunstig/ O du mein Pylades/ mein Phæbus wurde e e e Sang hoher als zuvor/ weil du jhm werest gunstig/ An dem es jhm sonst fehlt. Kein Eckel/ kein Verdruß e Des Reisens stieß mich an/ den ich sonst furchten muß. Zeuch aber wie du thust/ weil ja der Rath der Sternen e gehn. Der muß mehr sehn vnd lernen/ Dich heist zu rucke Der noch nicht gnugsam kan. Du/ dieser Jahre Pracht/ Hast die Vollkommenheit selbselbsten leer gemacht. Dein weises Thun thut kundt/ worzu du bist gebohren/ Zu nichts als was dir gleicht. hast keine Zeit verlohren Beym spiel’ vnd umm ein glaß. nicht/ wie wol mancher pflegt/ Der mehr Hertz in dem mund’/ als Mund im hertzen tregt/ e zu Frawen; Der eh nicht ist ein Man/ als biß er kompt Bist jung gegangen hin vmb nicht nur anzuschawen/ Was Feind mit Feinden thut/ bist selbst gebrochen rauß/ Hast deinen Gegentheil voran gefodert auß/ e e ist. Der newlich grosse Konig Das Kriegern ruhmlich e War dir nach Wurden hold. So zeugstu auch nicht wenig/ Wie wol du deine zeit bey dem hast angelegt/ e Der vnsers Landes Last auff seinen Axeln tragt/ e Ein Atlas dieser Zeit: Die Bluhte deiner Jugend Strewt von sich weit vnd breit den Ruch von aller Tugend. e e Buch geht auß/ du weist es/ eh es kompt/ Kein schones e Vnd kanst es/ eh es der kaum in die Hande nimpt. e Thuanus lebt in dir/ des Grotij Gemuthe/ e Des Heinsius sein Geist/ bewohnen dein Gebluthe. Vnd solte gleich durch Neid Barclajus vntergehn/ e er doch durch dich hinwider gantz da stehn/ So wurd’ So fertig bistu sein. Du liebst was werth zu lieben Vnd setzest es in dich. Was Opitz hat geschrieben/ Vnd vnser Werther singt/ das kanstu ohngefehr/ Vnd sagst es ohne Buch auff einem Nagel her/ Das keiner von vns kan. Jch wunder mich der Gaben: Denn was wir andern halb/ vnd kaum nur einzeln haben/ e Wissenschafft/ Beredsamkeit/ Verstand/ Gedachtniß/ Das hat der Himmel gantz allein auff dich gewandt. Diß thut ein Geist/ wie du; er adelt seinen Adel/

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e Wie hoch er durch sich selbst; helt diß fur einen Tadel/ Zwar vom Geschlechte groß/ doch klein am Wissen seyn; Den Stamm/ das Rittergut/ das erbt man in gemein; Kunst wil gelernet seyn. Den Helm/ das Feld/ die Fahnen Sind der verdiente Lohn der Ritterlichen Ahnen/ Wird jhre Tugend nicht den Kindern eingesenckt/ So ist es wie ein Traum/ an den man sehnlich denckt/ Vnd sich mit schmertzen frewt. Die Ehre wird zu schande e e Die ohne Wurden ist. Der Hohn wachst mit dem Stande. Der ist gedoppelt groß/ wo Adel vnd Verstand e e Jn gleicher Hohe stehn. Dein schones Vaterland/ e Das grosse Nurnberg lacht/ jetzt mitten in dem weinen/ Vnd blicket schon nach dir/ Die hocherfrewten Deinen e e Sehn auff dich/ wann du kommst/ Die schone Pegnitz leufft/ e Sie weiß nicht was fur Zier sie in der eil ergreifft/ Reist Pohl = vnd Ackley auß/ bricht Rosen vnd Violen e Mit Neglein vntermengt; Des Gluckes Schwestern holen e e Die guldnen Faden her. Apollo bricht ein Reiß Von seinem Lorber ab; Der Ehren kind/ der Preyß e e Versetzt dir einen Krantz/ den tragt dir das Geruchte e Auch jtzt entgegen schon. Diß seynd der Tugend Fruchte. Der Ruhm der wird dein Lohn. Nun weise deiner Stadt e Was dein geubter Sinn so viel erfahren hat; e Dein Lob das stirbet nicht. Jch werde weiter mussen. e e Mein Sinn ist vnvergnugt an Moskaw jhren Flussen/ e e Wil starcker Wasser sehn/ ist wie schon auff der Rha e Jn Amphitritens Schoß/ der Gottin von Sala/ Vnd was er jtzt nicht weiß. Gott gebe seinen Segen/ e Jch ziehe forderhin/ Matuta dir entgegen: Sey Titan mir geneigt/ ich beuge mich vor dir/ e Wann du auß Thetis Schoß zu morgen tritst herfur.

FINIS.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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6 PAULLI FLEMMINGI | ODE GERMA= | NICA | AD LEGATOS GERMAN O S V E C O S | I N R U S S I A M P E R S I A M Q . I T U R O S . | [Strich] | H A M B U R G I , | Ex Officinâ V V E R N E R I A N A . N O B B . E T A M P L L . V . V . | Dn. P H I L I P P O C R V S I O , J . U . L . & | Dn. O T T O N I BR VGM A N NO , | Illustrißimi Ducis Holsatiæ | Dn. F R I D ER I C I & c. Consiliariis, | ad Russicam Persicamque aulam | L E G A T I S eminentissis | hâc Odâ | Fortunatum iter precatur | M. P A U L L U S F L E M I N G U S | P.L.C.

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HÆc ea sunt vestri, R E G U M S A C R A C U R A , clientis, Quæ pia pro vestrâ vota salute facit. Ac quamvis meliore queant hæc carmine condi, His majora tamen nemo vovere potest. Quæ bona Christiadæ Vobis abeuntibus optant, Illa, sed in parvo carmine, magna loquor. Sumite, dum sacri puter esse vicarius orbis. Non aliô poterat scilicet ore loqui. scrib. Hamburgi, | pridiè Eidus Octobres | cIɔ Iɔc X X X I I I .

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NVnmehr bricht die zeit heran/ Daß du/ Christ/ dich einst solst rechen/ e brechen/ Vnd dem seine Kraffte Der dir alles leid thut an/ Der so offt dein Blud gelecket/ Vnd mit blossem nahmen schrecket. e Himmel weist/ Der versohnte Wie er wieder wolle segnen. Lesst vns seine Gunst begegnen/ Wo vns noch sein Eyffer schmeist. Was vns jtzt noch denckt zu dempffen/ e e vnser Leben kampffen. Sol fur

Diese Zwey/ diß trewe Paar/ e e Das die hochsten Haupter lieben/ Vnd an ein solch Werck verschrieben/ Dem gleich keines wird/ noch war/ Dieses Paar hat Gott versehen/ Zu dem/ was sol bald geschehen.

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e e Das Verhangn uß ist bedacht Dieses lange Kriegeswetter/ Das der frommen Rauten bletter Nahe nicht hat vmbgebracht/ Vber ein solch Kraut zu treiben/ Das jhm ewig denckt zu bleiben. e Gnung/ jhr Bruder/ werdet freund. e Dort naus/ dort/ wo Phebus zaumet/ e e Wann vns hier noch susse traumet/ Dort nauß/ dort ist ewer Feind. e last vns wieder holen/ Kunfftig Das der Dieb vns abgestolen.

Was ernehrn wir vnsern Tod? Lasst vns jhm die vortheil nehmen/ e Vnd die starcken Nerven lahmen. e Her die Rustung/ Krauth vnd Loth. Wachet/ wie Soldaten ziehmet. Zeit vnd orth wird jtzt beniehmet. Deucht michs/ oder seh’ ichs schon/ Wie die lauten Feldposaunen/ Vnd die donnerden Carthaunen e Vnter mangen jhren thon/ Daß des Bosphors seine wellen Furchtsam sich als steine stellen? e Hellespont Der entfarbte Schlingt in sich die blassen Heiden. Fahnen/ Spiesse/ Schwerd vnd Scheiden e Fuhrt der bebende Propont. Sions wurtzeln/ Jebus spitzen e Werden zitternd fur vns schwitzen.

Vnsre Donaw fleust vns vor/ Leitet mit erfrewten wellen Vnsre tapffern Bundsgesellen Biß fast vor des hundes thor. Bizanz/ du solst vnser heissen/ Ehe du dich denckst zu schmeissen.

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Landsman/ Deutscher/ thu alsdann/ Was du bist an dir gewohnet. Es gilt hier nicht/ daß man schonet. Jtzund hast du deinen Mann. e Vor/ vnd jtzt noch/ schlagst du/ Blinder/ Auff dich selbst vnd deine Kinder. Diß Schwerd/ das du jtzund schon/ e Hast auff deinen Freund gezucket/ Sol dem/ der sich kaum drauff schicket/ Geben seinen wahren lohn. e Das auff dich gegossne Stucke e Sol noch kommen dir zu glucke. Thut indessen/ was jhr thut/ e O jhr zwey getrewen Wachter! e Bahnt den Weg vor vnsre Fechter. e Diß fangt an kein feiges Blut. Was jhr grossen Leute dichtet/ Jst/ als wer’ es schon verrichtet. Was ist ewrem Ruhme gleich? Jhr seyd unbesorgt/ das Leben Jn fast nahen tod zu geben e Fur das heilge Christenreich. Dieses lob kan nicht verderben/ Soltet jhr auch jtzt schon sterben. Eol vnd Neptun stehn hier/ e Schweren mit gebotnen Handen/ Das sie alles wollen wenden/ e e Was sich Euch wil schutzen fur. Belth vnd Bachu sind verbunden/ Euch zu liefern alle stunden. e Das bewohnt’ vnd ode Land Wil Euch allen vorschub schaffen. Gantz kein Tarter sol die waffen Nehmen wieder Euch zur hand. Euch hat GO TT/ der vor Euch wachet/ Auch das wilde zahm gemachet.

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Die gemeine Christenheit e e nicht ab fur Euch zu bitten. Lasst Euch folgt nach auff allen tritten/ Was sie wil/ vnd Euch erfrewt. Es wird Euch auff allen seiten e begleiten. Manch beseufftzter Wundsch Zieht/ zieht hin/ jhr frommen jhr. GOtt vnd Menschen/ die Euch schicken/ e Lassen alles wohl gelucken. e Vnd stellt Euch diß stettig fur: Was der Himmel heist vollbringen/ Wird/ vnd sol/ vnd muß gelingen.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

7 [Rubella.] Kommt an dieser Stelle nicht zum Abdruck. Vgl. die Bemerkung oben, S. 163.

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8 TÆDÆ

| SCHOENBURGICAE, | PAULLI FLEMMINGI. e

I L L U S T R I | D O M I N O , D O M I N O | C H R I S T I A N O , | L.B. à Schonburgk/ jamS P O N S O , | εὐγαµεῖν. SIne munere & votô S P O N S U S à me salutari non debebas, D O M I N E . dignum erat Ei gratulari, de cujus favore & benivolentiâ jam olim mihi. Sed munera ubi? talium ego egenus, nec tu egens. quæ verò habeo, heic habe. & hujus & illius vicem explere debent hæc, quæ his diebus tibi scripsi, Epithalamia, hoc est, lusus artis minimè severæ. A Fescenninis [im Druck: Fescenniis] fortean haut nulla mutuò sumsisse videbimur; sed ideò malè fecimus, si fecimus? non puto. arcendo fascino olim canebantur illiusmodi compositionis carmina; concedatur & mihi hic prætextus. Respice hanc ætatem, quæ propensior est ad amatoria. Juvenis sum, & concessum puto alludere ad concessas voluptates. Celebritas nuptialis non adeò rigida est, quæ jocos non admittat. Verborum petulantiam notus vetere instituto ludus Ausonio admittit. Absit autem à me, ut tibi offeram merè Fescennina, hoc est, talia quæ à Theologo, vel in virginum chorô non poßint debeantvé legi. D I prohibeant talem impudentiam! Reverentior sum tuæ sublimitatis, illorum sanctitatis, harumque castimoniæ. Sed & Epithalamia, inquit magnus Grotius, habent quod excusent, suam nimirum, id est nuptialem linguam, sine quâ ne Epithalamia quidem sunt. Quôd si fortassean & nostris jocis alicujus severitatem laceßiverimus, nuptias severa non amare sciat. Legat, ut γαµικὰ, ut eadem probet, & ignoscat; sin minus, ne limis quidem obtueatur. Omni judicio heic non satisfacitur. nolit velit, perinde est, aliter hæc non fiunt, nec debent. Tu, SPONSE, cum JUNONE TUA, utere, quod per ætatem & tempus licet. Deincipem tuam faventiam mihi polliceor, qui sum tuus humilis P. Flemming Harttenstein. Ad Musas & Amorem, Ithyphallicum.

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TRipla triga Viraginum, fletis invidenda Jura Mortis adhuc trucis? J U L I A M M A R I A M *Lacrumatis adhuc, poli sedibus receptam? Dedolete, rogo, à feris temperate vobis Planctibus, volo, lacrymis abstinete tamdem. Non, ut antè, mihi dabit scriptionis ansam Lugubris Libitina, non squallidum feretrum. Nec Jovis tonitru crepam, nec canam Gradivum. Quid boni inde fuat? Deum sed potentiorem Omnibus mage D I s canam. quem? Cupidinillum.

*Visum ad A R A S nostras, funeri D . MARIÆ JULIAN Æ , Sponsæ, exstructas.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch Hujus uranimas faceis atque factiones Expedibo. Sed heus! meæ te volunt Camenæ, Magne pusio. si voles scribier, venito, Et præi melos. hoc quidem si nevis, tacebunt. DIs NUPTIALIBUS S.

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NUmina quæ vestris ardentem nutibus Orbem Ducitis, atque tori jura cupita datis, Si juvat alternô dare mollia pœgnia versu, Blandaque lascivô carmina ferre pede; Si fas splendidulas, ea vestra negocia, tædas Dulcisonis noviter rumiferare modis, Huc faciles cita ferte pedes. nam, cernite, vestra Res agitur. vestris rebus adeste, rogo. Nempe nihil vestrô nisi fotum substat ab igne. Tactaque de vestrô cuncta calore calent. Impetus ille datur vobis, quod amare vocamus. A vobis, quod habet semina amoris, habet. Æquora connubent terris. ambos perit aër, Huncque vocare queunt illa, nec illa suum. Sidera sideribus nictant. quod carus amanti Præstat amans, stellæ lucida stella facit. Excipit Auroram Phaëton. Phaëthonta crepusca Nox. noctem sequitur rursus amica dies. Scilicet omne, quod est, ad amorem accline videmus, Et socias in se cuncta tenere faces. Cernis, amatrices ederæ redamentur ut ulmo. Ut teneræ fago vinca procetur amans. Solsequium sequitur vultum fugientis amici, Et rosa narcissum basia blanda petit. Consociâ Philomela suâ (quid majus amore?) Cum vivâ vivit, cum pereunte perit. Turtur item suprema sui post fata mariti, Triste tuens, vitæ non superesse cupit. Quis docuit lepores, &, amantes agmina, cervas Coganimo certis igne favere viris? Quin pecus undivagis squamosum fluctibus errans In mediis stimulos sentit amoris aquis. Purpura purpuram amat. socio murænula gaudet. Et similem, quâ se trutta maritet, habet. Omnia adunat amor. frons frondem, guttula guttam

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Deperit, & flammam flamma corusca capit. Auspiciis fiunt hæc, maxima Numina, vestris, Omnia quæ suavi jungitis igne frui. Plena boni, res plena favi, res cœlite plena Ambrosiâ, tenerô tactus amore capi. Scilicet astrimici laqueata palatia cœli Ardentem nequeunt rettinuisse Jovem, Nunc auri, nunc cornigeri sub schemate tauri, Nunc arsit visas falsa Diana viras. Cœligena plebs omnis amat. quin plurimus almò Dicitur illorum factus amore Deus. Vejovis, Hippotades, Salisubsalus, Evius, Orpheus, Leucadius, Siculus, Plutus, Apollo duplex, Pan, Hymen, Nereus, Satyri, Sylvanus, & omnis, Qui fuit, aut nunc est, fertur amâsse, Deus. Juno, Ceres, Cybele, Thetis, Ida, Diana, Calisto, Dicier hoc almæ commeruére Deæ. Solus homo frigeret, & insociabilis esset, Quem penes est hujus flamma sat aucta foci. Hinc grandæva Parens fabrefecit opus mirandum, Cûj dedit in cunctos fortia jura viros. Cûj dedit indomitos juvenum domitare lacertos. Et cicurare feri sensa severa maris. Illud opus virgo est. illa blandissima plebes, Quæ solô mentes fascinat intuitu. Virgine quid potiùs nos nobis surripit? aut quid Externat nobis corque animumque magis? Aspice vincentes clarorem Solis ocellos, An poteris visûs compos adesse tui? Mala vide malas imitantes picta pudicas, Et, quæ non poterat comptior esse, comam. Lactea sed taceam modò colla, manusque tenellas, Atque leves, doctâ quos movet arte, pedes. Nec pallas Afro bis tinctas murice dicam, Quævé tegunt niveum suppara picta femur. Queis aliàs multùm cœci capiuntur amantes. Gratior ornatâ virgine gliscit amor. Aspice divinæ venerandum frontis honorem, Hæc est, jurabis protinùs, ipsa Venus. Tantus ab aspectu si solô raptus amanti est, Quam dabit illius ecstasin alloquium? A collô cum pendet amans, Dominæque opponit Ignea defixis lumina luminibus.

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Quando medullitrahô jungunt ferrumine languidi Udula semhîulcis ambo labella labris. Et queî non arderet homo, cum dædala cuivis Congenitum dederit Mater habere jecur. Fomes amoris hic est. quòd si prolexerit ignem Ex oculis Veneris pusio virgineis, Incipit extemplò scintilla latere sub isto Innocui juvenis parva parenchymate. Hæc quotiens tacitis impulsus motibus, aurea Conspicit in blandis sidera luminibus, Flamma fit; hinc sumptis immensus viribus ignis, Quam dominæ solô pascit ab intuitu. Officiperdus erit, redamet nisi quisquis amatur, Talis & haut hominis nomine dignus erit. Et qui non stimulos sentiscit amoris amicos, Is quoque, se nullum, credat, habere jecur. Euge sagittipotens Empusa, Deique Deæque, Qui facitis sociâ cuncta flagrare face, Huc faciles citò ferte pedes, & vestra canentem Munia, vosque ipsos igne juvate sacro. Lusus ad Amorem.

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JAmque puellularum Blandula concio nobilium Cerere abstinuit, Cymbiisque Jacchô Spumantibus trimô juvenum chorus Modum posivit inclitus. Huc Paranymphule, blandule, vinnule, Bellule, parvule, delicate Veni, citusque virginellas Nitentiore visu, Decentiore risu, Placentiore nisu, Ausu procaciore, Plausu expeditiore Lætifica roseas, Hillaritudinibusque lepidis Onera tuos clientes, Sexusque masculini, Sexusque fœminini Onera tuos clientes.

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Quin & impera choréas, Quin & ipse duc choréas, Audaculas, Venustulas, Jocularias choréas, Et comitate dulci, Et procacitate molli, Et protervitate gratâ, Et loquacitate culta & Saltatione multa, Reciprocatione, Adlusitatione, Dissuaviatione Supparasitare puellulis. Donicum summô redeunte manè Rubor pœniceus coloret aureæ Auroræ roseam axem. Quin & novum Maritum, Quin & novam Maritam, Ambos novos Maritos, Prænobiles Maritos, Et vinnulos, Et melleos, Et musteos Maritos, Tuosque Candidatos In geniali conde torô, Sociumque brachiali Compar hoc ferrumina nexu. Ibi mille, mille, mille Dissuaviationes, Susurruli, cachinni, Amabilesque lusus Petentur & dabuntur, Dabuntur & petentur. Ibi, quos vocabulorum Partitudine Jocos novellâ Serie sacer sat auctâ *Tarræus expedivit, Omnes, ad unum omnes, Dabuntur & petentur, Petentur & dabuntur. Sed st! Hymen faces!

*vide ipsum in amphitheatr. Gratiar, l.3.p.33.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch Hyporchema. Sponsus ad Sponsam.

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TOripeta mea, mea torivena, Animiclepa mea, mea Meula, Vide, jubarivomus, oculipotens Maria subit aquifrema Phaëthon. Ruit oculitega, radijneca Opica tenebra pede citivolô. Pelagigena, nitidicoma Dea Jubare placidula radijmicô Domicilia repetere satagit. Hilaricana viridia nemora Celeriter avicula repetiit. Latibulicola latera sinuant Frutice pecua. Venus age mea, Age Venere nitidividior Puerula, puerula tenerior Helenâ, age, choreisequula fuas Mea. agilia, cita, strepitipeda, Rapida tripudia dare lepidum est. Canere, petere, joca dare puta, Labiola dare veneribibula, Rosidula repetere labiola, Properiter hoc agere, lepidulum est. Vocat ibi Barybromius, Evius, Femorigena; Dea fretigenita, Pharetrigerulus Amor ibi vocat. Ubi reciprocipeda tripudia Iterum & iterum, & iterum, & iterum, Repetierimus, adhibuerimus Iterum, & iterum, & iterum, & iterum, Meraque ubi labiola labiolis Tepidula dederimus ebriolis, Celerifugere, properiruere Decet epulithalamisociolos In ea loca, habitat ubi requies Tenerula, calidula, placidula, Benivola, Venere data requies. Toripeta mea, tibine placet hoc, Animiclepa mea, mea Meula?

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VAgæ perennicirculator ætheræ, Luminis dator, tenebræ Destructor, auræ ventilator purime, Unus arbiter dierum, Quid non penetriangulô cernis tuô, Quidve non lustras, ocello? E quom lacertis mane Conjugis tuæ Exsilis, & flammicondâ Metiris aërem citigradus face, Ad meridiem usque, donec Sub vesperuginem Quadrigam divite Abluis fessam fluentô; Hoc non videres, quando cras rediveris, Virginem fuisse Sponsam. Ad Serta.

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COloribus corollulæ divitibus nitidæ, Quas variis variè pingit puella floribus, Et indicinam haud mortuæ virginitatis eas Flammeolis capitis comis adaptat aurei. Lugete, florum Filiæ, vos uti Sponsa gemit. Condocefecit Amor, vittam decere Fœminam. Ad Morbonam & Senectam, Moloßicum.

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MUltô turpatæ corpus tabô, Larvæ, rugâ multâ, Torvæ, macratæ, turpifrontes, Spissô tardæ gressu, Quæ tandem, quicquid restat nobis, Exsorbetis, succi; Heic quid vobis vultis, Larvales, Exestote, itote hinc, Expugnatrices vitæ, vitæ Exstinctrices nostræ. Heic Sponsam Sponsi, Sponsæ Sponsum Suaves pascunt nutus. Heic risus, heic saltus; heic Bachus, Heic daps heic Empusæ Partrix, heic vafri cornu, telum, Cum telorum thecâ.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Quid vobis cum Sponsâ? cum Sponsô? Cum saltu? cum risu? Exestote hinc, perturbatrices Risus, omnis risus. Sic ægrotabunt numquam Sponsi, Sic numquam canescent. Ad Mortas.

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VAripediclaudæ, confracticrurigradivæ, Gibbeidorsigeræ, pellidraconiferæ, Hydrivenenilabræ, Basilisciferocilacertæ, Tabidilumbimanæ, collichimærimitæ, Luminitorvituæ, liventicolubrisusurræ, Raucisonibaubæ, linguibisulcifibræ, Horricerasticomæ, turpißimibusticolonæ, Imimedullivoræ, crudicruoribibæ, Laneifilisecæ, contortibipennitenentes, Nullivirimiseræ, cuncthominijugulæ, Appagete, appagete hinc, Pestes, estote nec umquam CHRISTIANAGNESISPONSIVENUSTINECÆ. Alcæus, ad Famam pro perennitate S C H O E N B U R G I C O R U M ; in quo reflexio fit ad Illustrem S P O N S U M .

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QUæ sæculorum perpete volvitas Cursum rotatu, Diva loquax, citum. Quæ clara temporum rubricis Vindicibus memoraris acta; Per te vetustum non latuit Chaos, Nec primus imber, nec bona sæcula, Nec qui Diespitrem volebant Pellere sede suâ, Gigantes. Quod cana Mundo nota Semiramis, Et victor omnis Dux Macetûm Soli, Celsisque Mausoléa tectis. Et Pharus, & Rhodius Colossus, Per nota te sunt. nempe perennium Fastos Deorum promis, & unica Eliminare Gentis ausa Cælitenentis habes patrata. Si virtuosis provida mentibus

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Es, ut ferunt, quæ calcibus additis Laxâque tenderunt habenâ Vivere post sua fata firmæ; S C H O E N B U R G I C O R U M longa supermanet Heroa virtus, serus & incluta Nepos eorum cum futuris Nomina participabit annis. Nam mens Avorum, seu toga, seu sagum Virum poposcit, prompta tamen sequi, Sexcenta nil pavit pericla, Nec Lare marcuit expiatô. Sic ferrifrangus non catulum Leo Gignit latracem, nec tonitrucrepi Ales ministra motacillam Progenerat Jovis imbecillam. Vultus Nepotes namque parentium Veri suorum non referunt modò, Simul sed alma adæmulantur Ætheriæ simulacra mentis. C H R I S T I A N E , tantis digna parentibus Propago, purum sanguen & inclutum, Miraculum Famæ juventæ Delicium, Clariis voluptas, Testor Camœnas & latices sacros, Quam multa dotîum divitium penus, Et entheatæ in te favilla Emicuit bene-larga mentis. Tu non secundus, stemma quod attinet Ullis Avorum, quod veneres tuas Et dona, de prioritate Cum Tritavis Abavisque certas. Jam post tot annos, quos studiis vigil Raris dedisti, dum loca dissita Moresque multæ discolores Gentis alacri animo videbas, Adoriosus tecta reverteris Paterna, & hæres dignus & integer Ad-subditos-natâ gubernas Almitie patriâque curâ. Nunc intimaris totus amoribus, Dum ducis almam stemmate de tuo, Avi sinistrâ, virginellam, Dotibus eximiis politam.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Hæc chara vitam Caja deincipem Dulcoret, oro, cordolium tibi Futura suave. prole vincat Hæc Hecubam*, Masinissam & ipse. Porrò celebris sic Calipyrgia Magmenta sumet plurima! plurima! Bispellio nec funerabit Nomina vestra rigente cippô.

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*vid. theatr. Histor. poët. R. Textoris pag. 127.

e = HochzeitGedichte | welches | Auff derer Wolgebornen | Herrn Herrn Fruelings e e e Frawlein Agnesen/ | Beyder von Schonburgk/ etc. | Christianen | Vnd | Frawlein herrliches Beylager zu Harttenstein/ | von Leipzig vbersendet | Paull Flemming.

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An die Wolgeborne e Braut vnd Brautigamb/ Sonnet. e DAs susse Thun/ das wir die Liebe nennen/ Den freyen Dienst/ den Wundenlosen Streit/ Den besten Schmack/ die Zuckerung der Zeit/ Den lieben Tod/ das angenehme brennen/ e Vnd was wir sonst noch bessers konnen kennen/ Das leset hier/ Jhr Haß der Einsamkeit/ Jhr edles Paar/ die Jhr gesonnen seyd Zu gehen ein/ was auch kein Todt kan trennen. e e Gluck zu/ Gluck zu! schreyt meine Poësie/ Wie schlecht sie ist. Zwar was jhr leset hie/ e Das ist nur Schrifft/ vnd blosses Worterschertzen; Doch sol sie auch seyn eine Zeigerinn/ Daß ich bereit Euch auffzuwarten binn. e Den hochsten Wundsch den trag’ ich noch im Hertzen. E. E. Gn. Gn. gehorsamber Paull Flemming von Hartenstein. e = Hochzeitgedichte. Fruelings e DEr Winter ist furbey/ der Feind der buntten Awen/ Vnd aller Blumen Tod. was Thetis kan beschawen Auff diesem breiten Rund’/ ist alles Jammers frey/ e e Der von der Kalte war. Der Winter ist furbey. Der angenehme Lentz ist jetzt schon angekommen/ Hat jenem alle Macht vnd Leidseyn abgenommen/

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Vnd gar von vns verweist. Der liebe Freund der Lust Hat von der Erden noth vnd vbel wol gewust/ Drumb bricht er so herein. Die beste Zeit der Zeiten/ Des Jahres Marck vnd Safft/ die Gunst der Fruchtbarkeiten/ Das Wohnhauß aller Pracht/ daß nichts als Lustigseyn Hat sich nun wiederumb bey vns gestellet ein/ e werden Vnd machet alles froh. Seht/ wie so grune e Die Glieder vberall der breitgebrustten Erden/ Feld/ Wiesen/ Berge/ Thal. jetzt regt sich die Natur/ Sie bildet jhre Zier/ wo man hin siehet nur. Wie prangt sie mit der Saat/ wenn mit gesunden Reiffen e Die fromme Cynthia bey Nachte sie muß tauffen/ e Darvon das Graß vnd Korn fruh’ aller truncken sind/ Vnd taumeln hin vnd her/ wenn sie ein Westenwind e Wenn es beginnt zu tagen/ Mit sanfftem Odem schwanckt. e e buntter Wagen/ Vnd furchtsam tritt herfur der Rothin Vnd zeigt jhr braunes Liecht der auffgeweckten Welt/ e Da geht die Wollust an/ die mir vnd dir gefallt. Das leichte Federvieh verlest die warmen Nester/ e Aester/ Begibt sich jhrer Burg/ der halbbegrunten e an. Spatziert durch freye Lufft/ singt Schaf’ vnd Schafer Denn auch diß gute Volck nicht lange schlaffen kan/ e der Sonnen auß. Die Tawe sincken nieder/ Geht fur Beperlen Laub vnd Graß. Der Philli laute Lieder/ Die in dem Pusche graßt/ die wecken Echo auff/ Daß manchen hellen Schrey sie durch das Thal thut drauff. Die lautere Fontein/ entsprungen auß der Erden/ e werden/ Mit der Cristallen nicht verglichen mogen Ergeusst das helle Quell/ vnd rauschet durch den Grund/ e Mund/ Darinnen mancher Hirsch benetzt den durren e e e Vnd schlurfft jhn nuchtern nein. Der Walder Raub/ die Hinden Gehn vngescheucht zur Kost[.] Der Has’ ist noch zu finden e Korn’/ in das er gestern lieff’/ Jn jenem stucke Vnd asse sich so voll/ daß er auch da entschlieff’. Jn dessen steigen auff des muntern Phebus Pferde/ Die nichts als Fewer seyn. Da wird das Punct der Erde Von newem gantz belebt. Diß ist die liebe Zeit. e = vnd Menschlich ist/ das wird durch sie erfrewt. Was Gott e Die geilen Satyren die springen auß den Waldern/ e Vnd lassen sehen sich auff allen grunen Feldern/ e e sind. Pan kompt zu seiner Schaar. Wo Schafferinnen e Empanda nimpt fur sich deß Ackerbawes wahr. e e Bawmen Pomona giebet vmb den Safftgefullten

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e e e Den grunen weissen Flor. lesst jhre Gartten raumen. Die weichen Najaden stehn auff von jhrer Ruhe/ e e geputzt auff jhre Bader zue/ Vnd gehen schon Die Marmorsteinern sind. Diana stellt die Netze/ Daß sie den langen Tag mit hetzen sich ergetze. Der gantze Helicon ist schon vmb diese Zeit e her/ vnd dichtet allbereit Vmb seine Bucher e e muß. Die schonen Pierinnen/ Das/ was man ruhmen e Die nun durch Opitzs Gunst auch Hochteutsch reden konnen/ e Vnd lieber seyn/ als vor/ die sagten mir auch fur e Bey fruher Tageszeit diß/ was ich schreibe hier/ Wie schlecht es jmmer ist. die stillen MorgenStunden Sind den Poeten recht/ was hohes zu erkunden/ Vnd es zu setzen auff. Was lange bleiben sol/ e Zeit bedacht seyn offt vnd wol/ Das wil bey fruher e e Vnd weil man nuchtern ist. Fraw Flora schlafft nicht lange/ e Nimmt dieser Zeiten wahr. Kompt mit geschwindem Gange Auff jhre Wiesen zu/ beblumet Feld vnd Wald/ Vnd machet Berg vnd Thal mit Farben wolgestalt. Sie braucht nach jhrer Lust die warmen Sonnenstralen/ Darmit sie wunderlich die Tulipen kan mahlen/ e e fruhe Zier. sie streicht so artlich an Der Garten e Den schonen Ritterssporn/ als wohl kein Mahler kan. e e auff gonstige Narcissen/ Auff buntte Nagelein/ e Auff schonen Hyacynth ist sie schon jetzt beflissen. Der Veilgen liebe Gunst/ der Anemonen Pracht Macht daß die kluge Fraw offt’ in sich selbsten lacht/ Vnd denckt: ist das nicht Lust? Des Himmels Angesichte Jst blaw vnd Wolckenfrey. Die Lufft ist hell vnd lichte. Kein Nebel zeucht sich auff. Kein Regen vnd kein Wind Bey dieser Stettigkeit jtzt zu befahren sind. e e Zeit! ja freylich ist sie schone! O wunderschone e Cupido weiß es wohl/ zeucht schon an seine Frone/ e Schreibt jhm zu eigen zue die gantze frulings Zeit/ e wie er pfleget stets/ in seinen alten Streit. Laufft/ e Jn den Streit/ da er jhm kan vnterwurffig machen/ Was jhm wil widrig seyn; in den Streit/ da er lachen An statt des schiessens braucht. Der Kugeln darff er nicht. Man hat jhm Pfeile zwar vnd Bogen angedichtt/ Jedoch nur angedichtt. Er selbst ist ein Gedichte e Vnd blinde Fantasey. Die glaubliche Geschichte Von diesem WunderGott ist der Poeten Spiel/ e selbst/ von dem sie melden viel. Die minstes glauben

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Doch sey jhm/ wie jhm sey. er mag ein Gott verbleiben. Jch wil das gute Kind nicht auß dem Himmel treiben. Lieb’ ist ein grosses Ding. Diß wil mir nur nicht ein/ Daß er ein kleiner Knab’ vnd blind darzu sol seyn. Jst er ein schwaches Kind/ wie daß er denn kan zwingen e Ritter Mars/ Jhn zu der Mutter bringen/ Den starcksten e kriegt/ Vnd zusehn/ wie Vulcan ein groß paar Horner Der doch sein Vater war? Diß heist ja obgesiegt. Vnd ist der Knabe blind? er muß mir ja vor zielen/ Jm fall er wolle denn nur mit den Pfeilen spielen/ Vnd einen Fehlschuß thun. er spannet in der Welt/ e Vnd scheust/ daß Jupiter auch selbst vom Himmel fallt. Es sey. ich kan jhn doch nicht groß vnd sehend machen. Ein Gott muß er wol seyn/ weil auch in denen Sachen/ e seine Krafft. Die unbeseelet sind/ er ubet e Die Steine lieben sich/ vnd halten Schwagerschafft. Der Forst besaamet sich. ein Zweig buhlt mit dem andern. e Jst Liebe nur ein Fewr/ wie daß in Flussen wandern Die Fische paar vnd paar/ vnd treiben/ was der muth Vnd Lust zu mehren sich im Wasser rahten thut. e es/ daß das Lieben Jst Liebe denn ein Frost/ wie kompt Auch mitten in dem Schnee von allem wird getrieben/ Was sich nur lieben kan? Jch finde mich nicht drein. Es muß ein seltzem Ding vmb Lieb’ vnd Lieben seyn. Jst es der Geist der Welt/ von dem man viel wil sagen/ e Plagen/ Vnd kennt doch niemand jhn? man nennt es susse Die Sinnenmeisterinn/ die Wollustvolle Noth/ Der Freyheit Vntergang/ den angenehmen Todt/ Vnd was der Namen mehr die ewigen Poëten e e nohten. Sehr weißlich dichten an den sawersussen Was Lieb’ ist/ weiß ich nicht/ vnd schreibe doch darvon. Was hilffts/ Vnwissenheit ist meiner Einfalt Lohn. e Diß ist der schone Zweck/ darauff wir alle dencken/ Dahin wir Tag vnd Nacht die leichten Sinnen lencken/ Wenn wir erwachsen sind. Es muß geliebet seyn/ e gehen ein. Sol dieses Alles nicht in kurtzen Der hohe Himmel liebt die tieffe Schoß der Erden. e Mit jhr vnd mit der See muß Lufft vermahlet werden/ e Die beyde schwangert itzt. Diß macht der Liebe Band/ Daß allzeit Tag vnd Nacht so bleiben im Bestand’/ Vnd wechseln friedlich vmb. Die Zeiten tauschen abe e Einigkeit. Die Sonne steigt herabe/ Mit hochster Macht/ daß sich alles liebt. Der Widder vnd der Stier/

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e Darinnen sie jetzt laufft/ die sind verbuhlte Thier’/ Als wol ein jeder weiß. Die Zwillinge die wollen/ Daß wir vmb diese Zeit vns auch vmbfangen sollen/ Vnd gehen paar vnd paar. Der Silberblasse Mond’ Heist vns dem folgen nach/ was sie noch nicht gewohnt/ Weil sie stets Jungfer bleibt. Der lieben Sterne blincken Das lehrt vns/ wie auch wir der Liebsten sollen wincken. Jn Summa/ was in sich Lufft/ See vnd Erde hellt/ Das heist vns lieben jetzt/ vnd mitte seyn gesellt. e Seht/ wie der Eppich kan die grunen Arme schlingen e Ringst vmb den Rustbaum her/ vnd jhn zur Liebe zwingen. Seht/ was die Wicke thut/ das buhlerische Kraut/ e den Stengel anvertrawt/ Wie sie jhr brunstiglich e Vnd hangt sich fest’ an jhn. Die stummen Wasserschaaren Die reissen durch den Strand/ vnd thun sich freundlich paaren; Wie denn das Lufftvolck auch. da manche Fraw vnd Mann e e e zuchtiglich vmb susse Hochzeit an. Sich schnabeln e Diß ist die susse Lust/ die auß dem Himmel brachte Den heissen Jupiter; die jhn zum Stiere machte. Der hochverliebte Gott ließ seinen Donner stehn/ Jm fall er muste fort nach andrer Weide gehn. Man kennet keinen Gott/ der nicht geliebet hette. Diß ist der Nymphen Kunst/ sie lieben in die wette. e hellt seine Syrinx fest? Der geile SchaferGott Eh wird Neptun ein Pferd/ eh er die Ceres lesst. Die Kugelrundte Welt muß vnbestraalet liegen/ Wenn Phebus listig meynt die Daffne zu betriegen/ Wiewol vergebens nur. Die Winde reissen loß/ Weil Eolus sich legt in seiner Liebsten Schoß. e Auch wir sind Gottern gleich durch vnsrer Liebe Gaben. Da meynt ein jeder schon ein Himmelreich zu haben/ Der fest vnd stette liebt/ wenn die jhm/ die er liebt/ Ein trewes Vnterpfand der Gegenliebe giebt. Das liebliche Geschlecht/ das wir die Jungfern nennen/ Was kan es nicht bey vns? was kan man sonst wol kennen/ Daß einem Manne mehr die strengen Sinnen bricht/ Vnd macht sie jhme zahm? an diß Volck denckt man nicht Ohn’ jnnerliche Lust. Jhr Nahme machet rege/ Was inn vnd an vns ist. Wer’ einer noch so trege/ Durch Lieben wird er frisch/ vnd krieget einen Muth. e der Faulheit gar nicht gut. Cupido ist furwar e gnung beschreiben/ Da kan ein Buhler nicht die Schonheit Die an der Liebsten ist. muß manchen Tag vertreiben

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e Mit jhrer Gaben Lob’? er fangt von oben an/ e Vnd ruhmbt der Glieder Pracht/ wie sehr er jmmer kan. Des jrrdischen Gestirns/ der frischen Augen Blicke e Seyn jhre grosse Kunst/ damit sie jhm entzucke Der matten Sinnen Rest. der glatten Stirnen Ziehr e zu Jhr. Jst Amors sein Magnet/ der jhn stets ruckt e Das Haar/ das schone Haar/ sind jhre starcke Binden/ Darmit sie jhm das Hertz vnd Geister kan vmbwinden. Die Wangen sind Beryll/ die Lippen ein Rubin/ Die jhn zu jhrer Gunst/ auch wider willen ziehn. Das Kinn ist Perlen voll/ der Hals von Alabaster. Die Kehle Chrysolith. der Brust erhabnes Pflaster Der reinste Marmorstein. die Arme Helffenbein. Die Finger pures Gold; vnd was sonst mehr mag seyn. e Er weiß nicht/ was er saget. Er ist aus sich verzuckt. Bald ist er guttes Muths/ bald hebt er an/ vnd klaget. e Er heist sie in der Angst wol gar die Zauberinn/ e e vnd Sinn. Die jhm durch scharffen Gifft verlahme Krafft’ e Vnd es ist ohne nicht. Die starcksten Krieges = Helden Kan zwingen eine Fraw. Die wahren Schrifften melden/ Daß Alexandern nie enthertzet eine Schlacht/ Noch hat jhn doch ein Weib zu einer Fraw gemacht; e Persepolis die hat durch Thais brennen konnen. Der Liebe zogen nach auch die Amazoninnen/ Wie frey sie waren sonst. Achilles war nicht starck/ e Marck. Wenn seine Briseis jhm nahm aller Kraffte Der Paris wurde blind durch Zierath einer Frawen/ e als auff die Tugent schawen. Er muste mehr auff Schon’/ e Ja auch die Gotter selbst/ wie mehrmahls ist gesagt/ e Weiber = Lust aus jhrer Burg gejagt/ Hat offter Daß sie jhr giengen nach. Wer wolte dann nicht Lieben? Wo wir nur sehen hin/ da werden wir getrieben e Werck. Wer will denn nun ein Stein/ An dieses susse Ein Stieff = Kind der Natur/ ein Sichselbst Hasser seyn? Vergebens ist vns nicht die Leber einverleibet/ Sie/ sie ist vnser GOtt/ der vns zum Lieben treibet. Wer gar nicht Lieben kan/ der wisse/ daß an stat Der Leber er faul Holtz vnd einen Bofist hat. Vnd Jhr habt recht gethan/ Jhr wolgepaarten Beyde/ e Joch der angenehmen Frewde Daß jhr das susse e Natur/ Wollt zeitlich gehen ein. die gonstige e Des Allerhochsten Magd/ weist Euch auff diese Spur/ e Vnd leitet Euch hierzu. Der grossen Ahnen Falle

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Ersetzet sie durch Euch/ daß Jhr an jener Stelle Sollt andre pfropffen ein/ die nachmals durch die Zeit Auch reissen/ wie vor Sie/ durch frische Tapfferkeit. Ach solte! solte doch der werthe Hugo sehen/ e es nur geschehen/ Was jetzt noch sein Gemahl! O kont’ e Daß nun der seelige Herr Wolff herwieder kahm’/ Vnd dieses liebe Paar zu beyden Armen nehm’/ e an seine Brust! Die grosse Frewde machet/ Vnd druckt Daß jetzt die frome Fraw/ die Mutter weinend lachet. Sie trawet Kind vnd Freund. gibt jhrer Liebe Pfand/ e mit eigner Faust durch die gepaarte Hand/ Vnd schlagt e Schwestern lachen. Vnd spricht: Es sey also. Die schonen e e e Die Bruder wundschen Gluck zu diesen hohen Sachen Euch/ Jhr Verliebten/ Euch. Wo jhr nur sehet hin/ e ziehn. Da seht jhr auff Euch zu beschenckte Wundsche Jsts aber jetzo Zeit durch Heyrath sich verbinden/ Jetzt/ da der tolle Mars vns drewet forn’ vnd hinden? Jetzt da das Teutsche Volck jhm selbst die Degen wetzt/ Vnd sein Rebellisch Schwerdt selbst an die Kehle setzt? Jhr wollet auch in Krieg. Ach wer’ in jenem kriegen So leichte/ wie in dem/ das vngewisse Siegen! e als bey Euch/ Wer’ vnsre Feindschafft nur nicht grosser/ e So kont’ ein Wincken nur die Sache machen gleich. Doch fahret jmmer fort. Lasst ander’ jetzt sich schlagen. e Ewren Leib nicht wagen Jhr kriegt mit guter Ruhe. durfft e Jn das verlogne Gluck/ in einen glatten Streit. Der Streit/ in dem Jhr seyd/ ist lauter Einigkeit e Man spricht auch sonst/ im Meyen Mit Freundligkeit vermahlt. Da sey es gar nicht gut zu stellen an ein Freyen. e Euch nicht drumm/ Nichts minder thut Jhrs doch? doch kummert Jch habe nachgesucht/ ich finde nicht warumb. e jetzt/ daß wir diß solten halten. Wir seyn nicht Romer Wir richten vns nach vns. Was schaffen vns die Alten. Es ist nicht balde wahr/ was der vnd jener spricht. Gewisser Tagewahl wil Gott zum Freyen nicht. Jhr habt der besten Zeit der Zeiten wahr genommen. Der Lentz heisst Ewren Lentz der Jugend jetzt willkommen. e e euch Gluck zu dem/ Diß alles/ was jetzt liebt/ das wundscht Was Euch vnd Jhme nun von Hertzen angenehm. e Das Wind = vnd Wasservolck/ die außgeschlagnen Walder/ e e Der schone Meyenschein/ die newbegrunten Felder/ e als vor. die Flora gibt Euch Lust. Sind frolicher e Eins an des Andern Brust. Cytheris drucket schon’

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Die frischen Najaden/ die Muldeinwohnerinnen/ e e e e O Paar! Gluck! Gluck! so sehr sie kunnen. Die ruffen: Gluck/ Das gantze Harttenstein erschallt von dem Geschrey/ e zu/ jhr Liebten Zwey! Vnd jauchtzet mitte drein: Gluck e Gluck zu/ Jhr Liebten Zwey! schreyt auch mein Phebus mitte/ Vnd stellt sich bey Euch ein. Er hat auff meine Bitte Diß Brautlied Euch gemacht. jetzt stimmts der werthe Mann e ewrer Taffel an: Mit seiner Schwestern Schaar fur e e Braut/ HalbGottinne/ Frawlein e weichen/ Der Cassandra muste e Helena nicht konte gleichen/ e Rom noch schoners nie geschawt/ Zehnde bey der Musen Schaar/ Vierte Charis dieser Jahr’/ Andre Venus/ sihstu nicht/ Wie Cupido stettig wincket/ Wie das Liecht der Fackeln blincket/ Wie der Linde Zephyr bricht Tulpen/ Nelcken/ Roßmarin/ Wirfft sie auff den Tantzplatz hin. e Auff O werthe schone Braut/ Auff/ an Tantz ist zeit zu gehen/ Siehstu schon den Liebsten stehen/ Den dir Amor hat vertrawt/ Den dir hat in keuscher Brunst Zugethan des Himmels Gunst. Werthes Paar/ so tantzet nun/ e e kusst vnd liebet/ Liebt vnd kusset/ Was ein Lieb dem andern giebet/ Gott der wird das seine thun/ Daß Euch Phebus balde schaw’ Jmmer fruchtbar/ langsam graw. Vnd nun/ nun ist es Nacht. der Renner ist entwichen/ e geschlichen/ Der alles liechte macht. Fraw Luna kompt e e Vnd steckt Jhr Silber auff. der schone Nachtstern kompt. Die angelegte Glut der blancken Sterne glimmt. e e e Christian/ auff/ Jhr gar ein Sinn/ hort auff mit ewren Tantzen. Hort e e e Agnes/ Ermudet Euch nicht gar. die Lust konnt Jhr ergantzen Christian/ Auff einen andern Tag. jetzt seht/ was Hymen dort’ Agnes; Jn jener Kammer zeigt. Geht/ Liebte/ geht nur fort/ Ach gar ein Vnd gebet gute Nacht. Die Venus steht von ferne/ Sinn! Einigst nach Lacht Ewrer Wegerung. Cupido sehe gerne e e Rasst. Daß Jhr nur machtet fort. Er tragt die Fackeln fur/

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e Vnd wartet sehnlich auff vor jenes Zimmers Thur’/ Jn dem Jhr schlaffen solt. Geht/ geht/ Jhr hertze Hertzen/ Vereinigt mehr den Sinn. beflammt die Liebes Kertzen. Geht/ geht zu Ewrer Rast/ nach der Jhr einigst steht/ Vnd mercket wie es Euch in dieser Ruh’ ergeht.

Auß Herrn C. Barthen Lateinischem Liebsschertze. e redet. Der Brautigamb DV hast/ O liebstes Lieb/ mein Hertz’ in deinem Hertzen. e sehr/ Jn dir/ in dir es ist/ nach dem ich wundsche Das ich such’ vberall mit ach wie grossen Schmertzen. Jn dir/ in dir es ist/ vnd sonsten nirgends mehr. e Ach Liebste/ lasse mich dein Mundelein betrachten/ Thue doch die Lippen auff/ auff daß ich sehe drein. e Ach! ach/ wie angstet sichs! jetzt wird es gar verschmachten/ Weil es so mit Gewalt dir muß gefangen seyn. Doch gieb mirs wieder nicht/ behalt’ es in dem deinen. Mein Hertze/ bleibe drinn’/ hinfort darauß nicht weich’/ Vnd endre diesen ort. deßgleichen findstu keinen. e Hier ist dein Vaterland/ hier ist dein Konigreich. Vor/ da du warest noch an meinen Leib verbunden/ e Da fehltestu der Thur? hier giengstu ein/ dort auß. Nun du verwichen bist von mir/ so hastu funden e Hauß. Das rechte Vatterland/ das vielgewundschte H. Dan. Heinsius sein Lateinischer Liebs = schertz in Teutsche Reime v = bersetzet. e Der Brautigamb redet wieder. MEin Lieb das gabe mir/ als Sie mich gestern liebte/ e e e Kusselein/ noch susser als der Wein/ Ein susses e e Der sonst der sussste heist. Jch/ als sie diß verubte/ e e e Entfarbte gantzlich mich. ich nam Jhr Halselein/ Vnnd hieng mich sehnlich dran. Jch sah in einem sehen Jhr in jhr Angesicht’; ich sah jhr stettig drein/ e Vnd hieng das Haupt nach jhr. ach/ sprach ich/ kans geschehen/ e Daß du/ mein Leben/ kanst mir armen gunstig seyn? e Worauff sie lachend was von jhrem schonen Munde/ Aus tieffster Seelen raus/ weiß noch nicht/ was es war/ Mir bließ in meinen Mund. Sie bliesse mehr zur stunde/ Noch etwas/ weis nicht was/ das feucht vnd laulecht gar.

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So bald ich dieses nur befund’ in meinem Hertzen/ Beraubt’ es mich der Seel’ vnd aller Sinnen Krafft. Daher ich ohne Seel’ vnd ohne mich/ mit Schmertzen/ Lauff jmmer hin vnd her in einer frembden Hafft. Ach Lieb/ ich suche mich mit weinen aller enden! e denn so thewer einen Kuß? Ach! ach! verkauffstu Ach! freylich thustu mir die Seel’ vnd Hertz’ entwenden. Nun ich in deiner Seel’ vnd Hertzen leben muß. Ach wein’ ich/ oder nicht? was sol ich doch beginnen? e Mit Thranen Sie doch nicht erweichet werden kan. e Sie nehret sich vielmehr von meinem Thranenrinnen. Jch wil vmb einen Kuß sie freundlich sprechen an. Jch wil sie sehen an. ich wil fort jmmer weiden Jn jhrem Odem mich/ Sie in dem meinen sich. So werd’ ich meine Seel’ antreffen voller Frewden/ e So offt’ ich jhrer muß begeben gantzlich mich. Vberschrifft An den Lustgarten zue Wechselburgk. Eben derselbte redet. BJßher hat dich bestrahlt die allgemeine Sonne/ Noch hastu Blumen bracht nach Hertzens Lust vnnd Wonne; e e Was wirstu forderhin fur Blumen bringen mir/ Wenn mein’ Hertzeigne Sonn’ auch seyn wird eigen dir? An die Nacht. Ob du schon wickelst ein das halbe Rund der Erden Jn dein berustes Tuch/ du schwartze finstre Nacht/ So mag ich doch von dir gar nicht bedunckelt werden/ Dich nur ein Auge mir der Liebsten lichte macht.

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Vom Amor. e Der Brautigamb redet. JSt dennoch Amor blind? Es wil mir schwerlich ein. Er mag wol sonsten nichts als lauter Auge seyn. Vorgestern sah’ ich Jhn/ von hinden zu/ spatzieren/ Jch schlich’ Jhm leise nach/ vermeynt’/ er merck’ es nicht/ e Daß jemand wer’ vmb jhn. Da zog der Bosewicht e e Den Bogen vber Haupt/ vnd thet mein Hertze ruhren. Wie? ist denn Amor blind? es wil mir gar nicht ein. Er muß ja warlich nichts als lauter Auge seyn.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

Wechselgedichte. e Der Brautigamb. SO viel dein Langer Strom/ du *Fichtelbergerinne/ Jnnwohner Fische hat/ e So viel mich fruh’ vnd spat e e e MenschGottinne. Ergotze meine Braut/ die schone

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Die Braut. e So viel der dicke Wald/ das grune Hauß der Thiere/ Der Zweig’ jetzt bringen mag/ So viel mich Nacht vnd Tag e Mein allerliebstes Lieb in seinem Hertzen fuhre. e So manches Feder = Volck durch freyer Luffte Gassen Bald hin/ bald her sich schwingt/ Vnd Buhler = Lieder singt/ e So offte mich mein Schatz doch mochte nur vmbfassen. e Der Brautigamb. e So manches Bienelein der buntten Awen Saffte e Zu Stocke fuhrt mit sich/ So offte hertze mich e Mein hertzes Hertz’/ vnd geb’ hinfort mir newe Kraffte.

Die Nymphen. e O Gluck! Jhr Liebtes Paar! woran Jhr euch wollt laben/ Dasselbe wolln auch wir; Dasselbe sollet Jhr/ Vnd tausentmahl noch mehr der Frewde von vns haben. ENDE.

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9 e Klagegedichte/ | Auff den fruzeitigen doch seeligen | Hintritt auß diesem Leben | Der Erbarn vnd Vielehrentugendsamen | Frawen | Elisabethen/ | e Gebohrnen Mullerinn/ | Des Ehrnvesten vnd Wolgeachten Herrn | Michael e e Paulsen/ | Furnemen Burgers vnd Handels = | mannes in Revall/ Hertzlieben | Ehgenossens/ | Welche den 12. Tag nach jhrem vierdten Kindel = | bette/ als den 26 December des 1634 Jahres/ vnd also acht | Tage nach jhrem seee e ligen Tochterlein/ in jhrem Erloser | sanfft vnd seelig verschieden. | Zu bee e zeugung eines Christlichen Mitleidens/ | dem hochstbetr ubten Wittber vnd vornemen | Freundschafft zu ehren vnd troste | Von etlichen guten Freunden auffgesetzt. | [Strich] | Gedruckt in Revall/ M D C X X X V . im Januar. | Durch Chr. Reusner Gymnasij Typograph. Mors omnia solvit.

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JSt etwas in der Welt/ wird jergends was gefunden/ Wie vest es die Natur zusammen hat verbunden/ e Das nit mit seinē Grimm gar plotzlich trennen kan Der bittre Lebens feind/ er fellt es alles an. Es sey gleich wie es wil/ geziert mit allen Gaben e e Des Leibes/ des Gemuts/ vnd von Gluck hoch erhaben/ e e Des Konigs grosser Saal/ des Betlers Hutelein Helt der Todt beyde gleich/ er bricht bey beyden ein. Er siehet auch nicht an/ wie sehr sich Menschen lieben/ e e Jhm ist die groste Lust/ wann er nur mag betruben Den Ehman durch die Fraw/ die Eltern durch das Kind/ e Weil in der gantzen Welt nicht großre Lieben sind. Ach Leser/ der du diß zu handen wirst bekommen/ Treib mich nicht auff Beweiß/ der etwa sey genommen Auß der Vernunfft Kunstbuch/ darauß man lernen muß/ e folg ein wolgemachter Schluß. Wie auß zwey Satzen Komm folge mir nur nach/ wir wollen gehen fragen Jn Herren Pawlsen Hauß/ darauß man todt getragen Sein liebes Ehgemahl/ die fromme Lisabeth/ e Die der bleichgelbe Todt erwurgt im Kindelbett. Jedoch du diesen Fall so schlecht nicht must beschawen/ Als wann sonst jemand stirbt/ bey Abgang dieser Frawen/ Sieh ob der Todt die Zeit genommen nicht in acht/ Dadurch er dieses Creutz hat dreyfach schwer gemacht. Der gute fromme Mann/ nach seines Standes weise e Nahm jhm vor kurtzer zeit fur eine ferne Reise/ Doch sagte er zuvor diß seiner Liebsten an/ e Darauff er sein gantz Hauß frey kondte lassen stahn.

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e Nam Abschied drauff von jhr/ befahl sie Gottes Gute/ e Sie jhn hinwiderumb/ sprach/ Schatz dich Gott behute/ Vnd leite dich allzeit mit seiner Engel schar/ Daß ich dich sehen mag gesund auffs newe Jahr. e heiß vermischet/ Gab jhm auch einen Kuß mit Thranen Die er durch einen Kuß von jhren Wangen wischet. Damit schied er von jhr/ sie sah’ jhm sehnlich nach. Das war der letzte Tag/ da sie jn letztens sprach. e Jn dessen kam die zeit/ daß sie entbunden wurde e Vom Segen jhrer Eh’ vnd weibelichen Burde/ e zu/ schenckt jhr ein Sohnelein/ Da gab Gott Glucke Diß/ sprach sie/ soll mein Trost des Vaters Frewde sein. e aller Frewden Sieh aber was geschieht? der Rauber Schleicht sich in dieses Hauß/ kan diese Lust nicht leiden. e Fengt an ein Trawerspiel/ wirfft jhrem Tochterlein Die Kindersucht an Hals/ daß es muß todkranck seyn. Das fromme Mutterhertz das nimmer ohne sorgen Jn jhrer Schwacheit war/ so bald der liebe morgen e Des Tages nur brach an/ so fragt sie angstiglich Nach jhrem lieben Kind’/ obs nicht gebessert sich. Vnd ob man jhr gleich sagt; es hat mit seinem Leben Wils Gott wol keine noth/ sie solte sich nur geben Zu frieden/ dennoch sie das kondte gleuben nicht/ Jhr Muth war viel zu schwer/ was man jhr auch bericht. Vnd weil man jhr das Kind zu zeigen trug bedencken Wie hoch sie darumb bath/ vmb sie nicht mehr zu krencken/ So brauchet sie die List/ eh’ man es nimpt in acht/ e selbst auffgemacht. Hat sie in grosser eil die Thur Vnd zwar gleich zu der zeit/ da man das Kind entkleidet/ Das jammerlich sicht auß/ vnd grosse Schmertzen leidet e Sucht; die Mutter hoch erschrickt/ Von dieser bosen Da sie jhr liebes Kind in solcher Angst erblickt. Jhr Hertz verstarret gantz/ der gantze Leib erkaltet/ Die Augen werden matt/ kein Glied sein Ampt verwaltet/ e war/ Vnd die von der Geburt noch schwach vnd krancklich Die wird mit Todes Angst vmbgeben gantz vnd gar. Da gehet nun erst an ein heulen/ weinen/ klagen/ Das Kind stirbt noch darzu/ vnd darffs doch niemand sagen Der sterbekrancken Fraw/ ein jeder dencket nur/ e e Angst/ was doch fur eine Cur So viel er kan fur Zu finden mochte sein/ daß man noch mocht’ erhalten Die Mutter/ derer Leib fieng an schon zu erkalten Fast alle Augenblick’/ vnd nam zusehens ab

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e An Krafften/ daß es scheint/ als eilte sie ins Grab. Jnmittelst trug sich zu daß in des Revels Mawren Die Eltern kamen an/ gantz frey von allen Trawren/ Jhr sinn war/ jhren Freund/ der/ wie man kundt gethan/ Nun nicht mehr ferne war/ mit lust zu nemen an. Da ist die erste Post/ das Kind ist schon verblichen/ Die Mutter ist todkranck/ die Geister sind gewichen/ O Vater seumpt euch nicht/ O Mutter kemmet bald/ Eh’ ewer Tochter Hertz wird von dem Tode kalt. e e O Mutterlicher Schmertzen! O Vater hochbetrubt/ Von Steinen muß der sein/ dem diß nicht geht zu hertzen/ e helffen nicht/ Sie finden kranck jhr Kind vnd konnen e Fur jhrem Angesicht der Todt das Hertze bricht. Sag nun/ O Menschenkind/ mustu nun nicht bekennen/ Daß nichts nicht sey so starck/ der Tod der kan es trennen/ Allhier hat er erweckt ein dreyfach Leid zugleich/ Er trennt ein dreyfach Band behend auff einen streich. Die Ehfraw reisset er dem Ehman’ auß den Armen/ Verschont der Kinder nicht/ bey jhm ist kein erbarmen/ Den Eltern raubet er mit grosser Grausamkeit Jhr Kind. kehrt jhre Frewd’ in lauter Hertzeleid. Das siebenfache Band von Schwesterlicher Trewe Der Schwestern dieser Zahl/ die alle morgen newe/ Vnd nimmer nicht ward alt/ zerreist des Todes Neid/ e Trawrigkeit. Vnd setzt die andern Sechs’ in hochste Die ander Sieben Zahl/ der Mutter die gebohren e hat/ die hatte schon zuvoren Auch sieben Sohne Der Todt zerbrochen auch/ dieweil er subtrahirt. Von sieben viere weg/ daß drey auß sieben wird. Nun wil der Todt auch hier die Rechenkunst probiren. Der doch nichts anders kan dann nur das subtrahiren. Von sieben Schwestern er die eine reisset ab/ e sie mit sich hin in ein ein finster Grab. Vnd fuhret Wo aber zu/ sprichstu/ dient dieses zu erzehlen: Du thust ja anders nichts/ dann daß du nur wilst quelen Des Ehmans trawrigs Hertz/ du machest threnen voll e soll/ Der Eltern Angesicht/ die man jtzt trosten e Hor aber das ich dir hierauff zur Antwort gebe/ Hier kanstu sehen klar/ daß nichts auff Erden lebe e herumb die Sterbligkeit/ Das nicht im Busem tragt Vnd alle Frewde sey vermischt mit vielem Leidt’. Auch daß durch Creutz vnd Todt wir werden zubereitet e Welt/ zur Frewde die bereitet Jn dieser bosen

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Jst in des Himmels Saal/ das Leiden dieser Zeit Jst gantz vnd gar nicht werth des Himmels Herrligkeit. Drumb O Herr Ehman Euch dem Trawren nicht gantz gebet Das liebe Ehgemahl ist nicht todt/ sondern lebet/ e Sie ist gegangen vor mit jhrem Tochterlein/ Jns Himmels Paradiß/ da Frewd’ ist ohne Pein/ e Erinnert euch dabey da sie euch zugefuhret Ward durch des Priesters Hand/ daß Gott da protestiret, Von seinem guten Recht/ zu fodern sie von euch Wanns jhm/ vnd nicht wanns euch gefiel/ hin in sein Reich. So sehet euch auch vmb/ Jhr seyd es nicht alleine e e trifft/ ein ander fuhlt das seine/ Den dieses Vngluck Es ist der alte Bund/ der Mensch doch sterben muß/ Vnd machte solches gleich der gantzen Welt verdruß. Jhr Eltern/ die euch Gott in Ehstand hat gesetzet Vnd mit der Kindergab’ euch viertzehnmahl ergetzet/ Stelt ewer Trawren ein/ Gott fodert von euch ab/ Was er euch nur vertrawt vnd nimmer eigen gab/ Gott hat allein darumb die Kinder auch gegeben Daß jhr sie pflegen solt/ so lange sie hie leben/ Vnd ziehen Christlich auff/ damit durch Sie vnd Euch e das Himmelreich. Nach Gottes Willen werd’ erfullt e die da fliessen Jhr Schwestern/ wischet ab die Thranen/ Von ewren Eugelein/ vnd heuffig sich ergiessen. Die Schwester auß der Angst Gott hat gerissen weg/ Wir werden allzumahl auch tretten diesen Steg. Vnd so die Geister sich auch nach dem Tode lieben/ e e wolt betruben? Was ist dann daß jhr euch so hochlich Ob gleich der Leib ist hin/ so stirbt doch nicht bey euch Jhr Nahm. Jhr dencket stets nach jhr ins Frewdenreich. Das liebe Ehgemahl/ die Tochter hochgeliebet/ e Die Schwester lieb vnd werth/ die euch so hoch betrubet/ Die lebt in stoltzer Ruh’/ in Fried’/ in Frewd’/ ohn Ach. Wolan/ wanns Gott gefellt/ so folgen wir jhr nach. Contestandæ Condolentiæ causa fundebat non absimili calamitate tactus J.D.H.C. & L.P.C.L. e JCh hatte wol verhofft/ wann ich zurucke keme/ Vnd meinen Weg durch dich/ du liebes Revall neme/ e Daß mich mein Freund allda empfing’ in froligkeit/ e Vnd trostete darmit stets meine rauhe Zeit.

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Paul Fleming e e Mit Threnen mussen wir jtzt Mund vnd Hande netzen/ Beklagen vnser Leid ist vnser best’ ergetzen. e bey jhm ein: Mit breitem Fusse tritt das Vngluck Ein Elend (wie sonst pflegt) wil nicht alleine sein. e Wasserwogen/ Eins treibt das andre fort/ wie wuste e Wann Sturmwind als ein Feind mit macht kompt angezogen/ e Sie schlagen vmb vnd ein/ bald drowen sie den Todt/ Das Anckertaw bricht ab/ das Schiff hat grosse Noth. e hatte kaum recht vberhand genommen/ Ein Vngluck So war ein ander Creutz schon wider angekommen/ e Der Todt bricht bey jhm ein/ verwustet Bett’ vnd Hauß/ Raubt da den besten Schatz nimmt Weib vnd Kind hinnauß. e Schmertzen Diß grosse Hertzeleid der vberhauffte Dringt jhm durch Marck vnd Bein: Jhm gehts noch nicht zu Hertzen/ Daß als sie sich von vns hatt auß der Welt gemacht/ Nicht jhm auch hatt zuvor gegeben gute Nacht. Sein Hertz so voller Angst/ in lauter Flammen stehet/ Vnd weiß jhm keinen Rath/ er als im Traume gehet/ Sagt man jhm viel vom Trost/ drauff er zwar antwort gibt/ e Weiß doch nicht/ was er sagt/ so hoch ist er betrubt. e Die Kinder konnen sich in diesen Fall nicht finden/ e winden/ Mit weh vnd ach sie stets die zarten Handlein Vnd wissen noch nicht recht/ was mit der Mutter Todt e Noth. Auch stirbet; was er wird gebehren noch fur Die Freunde/ derer Hertz’ in jhr man kondte sehen/ e Mit hochbetrubtem Geist in Trawerkleidern gehen/ e jhr Gesicht/ Sie weinen bitterlich/ verhullen e Vnd gonnen keinen Tag den rothen Augen nicht e Post/ die mir von Hauß ist kommen/ Die offtgewunschte Daß Mars, Gott lob/ von vns nun Abschied hat genommen/ Hat kaum so grosse Frewd’ in meinem sinn erweckt/ Als dieser Todesfall mich hertzlich hat erschreckt. Zwar Leiptzig ist mir lieb/ von der ich auß bin gangen/ Doch zog mich nicht zu sehr zu jhr ein solch verlangen/ e Stadt/ Als/ Revall/ her zu dir/ o du gewunschte Mit der sich Kunst vnd Recht gar hoch verbunden hat. Die Gratien seind hier/ Apollo wil vergessen e Platz/ hier wil er seyn gesessen. Des Pindi schonen Hier ist Thessalien, hie ist der Amathus, e suchen muß. Hier ist was manches Land mit Muhe e Drumb wann ein tuchtig Glied von dir wird abgerissen/ Wenn ich hier einen Freund in solcher Noth soll wissen/ e Geht mirs auch an mein Hertz/ ich bin mit jhm betrubt/

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e Wie zu geschehen pflegt/ da man recht Freundschafft ubt. e Soll ich nun vber dich nicht/ o Verhengknuß/ klagen? Daß Frommigkeit so hart muß seyn von dir geschlagen/ Vnd wird gleich als ein Ball/ den man treibt hin vnd her/ Vnd findet keine stat/ da er recht sicher wer. Es hat das Meer sein Ziel/ vnd seine stoltze Wellen/ e Wie weit sie sollen gehn/ das Vfer kan sie fallen. e Herr Paulsens Vngeluck ist gar kein Ziel gesteckt/ Es wird je mehr vnd mehr auff seinen Hals erweckt. Was soll man aber thun? wer darff darwider sprechen e Muth des grimmen Todes brechen? Was kan den stalern Fortuna vber vns zu hoch die Segel treibt/ Wer wil jhr eingriff thun? Jhr Hochmuth dennoch bleibt. e Drumb hilfft nichts als Gedult/ wir mussen stille halten/ e Vnd dem/ der alles schafft/ daruber lassen walten. Er gibt vnd nimpt das Creutz/ Er weiß wol maß vnd ziel/ e Die Kraffte sieht er an/ thut keinem nicht zu viel. e Klagt nicht daß ewr Gemahl zu fruh ist weg gekommen/ Danckt viel mehr Gott/ daß er sie nicht hat ehr genommen/ Denn also gab er sie/ daß sie noch bliebe sein/ Er nimpt sie wider hin/ wer redet jhm was ein. Der lieben Seel’ ist wol/ sie geht in vollen springen/ e Wir mussen vns noch hier durch Furcht vnd Hoffnung dringen/ e Mars drowet/ daß er wil mit einer rothen Flut Befeuchten dieses Land/ gleich wie der Nilus thut. e Gott wend’ es gnadig ab! vnd gebe nach dem Regen/ Nach harten Sturm vnd Wind/ nach schweren Donnerschlegen Den klaren Sonnenschein/ Er wechselt alles Leid e e Luft/ mit grosser Froligkeit. Mit Engel susser Jch hoffe dieses Jahr wird Gott noch gnade geben/ e Daß ewr geschlagnes Gluck sich wider wird erheben/ Vnd kommen an den Port/ Euch geben stoltze Ruh e e Jch werd’ erfrewet sein/ vnd wuntschen Gluck darzu.

M. Adamus Olearius Facult. Phil. quæ est in Acad. Lipsiensi, Adsessor, ibidemque Collegij minoris Princ. Collegiatus.

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FAusta paris. mox festa peris. bis sextaque Nato Quæ lux ad vitam, nox tibi mortis erat. Sic genito genitrix vitam pro morte relinquens Tendis in Elysias, dulcis E L I S A , domos. Pulchra cadis. parit ille poli tibi gaudia partus.

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DAs letzte deiner Macht hat doch endlich erstritten/ O du grausamer Todt/ die Zierath guter Sitten/ e blumen pracht Den Reichthumb keuscher Lieb/ der Schonheit e Durch deinen bosen Grimm das schwartze Grab bewacht. Die Erd ist jhr Gesicht/ so vor mit freundlich blicken e Himmel auch vermochte zu erquicken; Den truben e e Kalt erstarrt/ Zur Waysen wird die Welt/ die nun fur Weil jhres Fewres Hitz jtzt ist in sie verscharrt/ Beweint sich selbst durch sich. der bleiche Vater klaget/ Die blasse Mutter heult/ Sechs Schwestern sind verzaget/ Jhr Liebster/ dessen Hertz sie mitgenommen hat/ Weiß fast von keinem trost/ wird gantz von ohnmacht matt. Nicht so. Sie ist nicht todt: Die Zier der Frawen lebet/ e Name schwebet/ Kein Todt hat macht an jhr. Jhr schoner Vnd bleibet in der Welt. das lobens wehrte Weib Gab jhre Seele Gott/ dem Grabe nur den Leib. e die Welt. Jhr ist recht wol geschehen. Sie sieht Gott fur Nun kan man jhren Glantz des guten Ruhmes sehen Vmb so viel mehr als vor/ so viel jhr ewger schein Dem/ der noch sterblich ist/ mag vorzuziehen sein. J. S. ALLOCUTORIUM.

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Ast Tu terreni mulier pertæsa laboris Pergis in æthereas facta beata domos. Et vitam pro morte tenes, pro marte quietem, Gaudia pro lacrymis, proque labore decus. Nos procul à vestro, quod habes nunc enthea, cœlô Inter anhelantes flevimus ista plagas. Sis fœlix, sis semper ovans, & in axe beata, Consortesque tuæ nos citò lucis habe.

ODE. e SOll ich trosten/ oder klagen? Was denn thu’ ich erstlich nun? Hier ist jammer/ da verzagen/

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e Dort’ ein schmertzlichs klaglichthun. Vnd wir sehn auff allen seiten Tod vnd Ohnmacht auff vns streiten.

Kind vnd Mutter sind erblichen/ Jhrer Jugend glantz wird greiß. Sie sind todfarb angestrichen/ e Hand vnd Hertzen werden eiß. Wir auch sterben hin mit jhnen/ Die wir jtzt jhr Grab bedienen. Hier stehn die verweinten Alten/ e Beyder Hertzen sind zerstuckt/ Vnd durch einen hieb gespalten. e Zwey der Liebsten sind entzuckt. Zwey der Liebsten aller Lieben/ Kind vnd Kindskind/ sind geblieben. e Wie des Atlas Tochter gehen e Vmb des Sternenochsens haupt/ Wenn sie vnvmbnebelt stehen/ Vnd kein Sudwind sie vertreibt: Wie die sieben helle Kertzen/ Die sich in dem Arcas hertzen:

Also stunds vmb vns noch gestern. Heute strewt sichs in die Lufft. Zwey mahl drey erblaste Schwestern e vmb die Grufft. Gehn vnd achtzen e Sie voll thranen sehn von fernen Jhren theil stehn in den Sternen. e e der betrubten Der betrubtste Jst alleine nur nicht hier. Die sich vor so einig liebten/ e e Sind getheilt nun fur vnd fur/ Biß auch Er wird angelangen/ Wo die Liebste hin ist gangen.

Waar ists/ daß sein furchtsam Hertze e Manch betrubter traum erschreckt/ Wenn Jhn der geheime schmertze

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Auß dem schwerem schlaf’/ erweckt. Vnd das traurige Gesichte Schwebt stets vor der augen liechte. Vrsach’ ist vollauff zu weinen/ Wenn wir sehn/ was vor vns liegt. Doch so sollen wir nicht scheinen e Als mit zagen vnvergnugt/ Vnd den Heyden vns vergleichen/ Die kein trost nicht kan erweichen. Meine Freunde/ klagt mit massen. Sie sind/ wo man ewig bleibt. e Da wir Sie doch mussen lassen. Thut doch/ was jhr denckt vnd gleubt. Welche seelig sind gestorben/ Sind vnd bleiben vnverdorben. Sterben vnd gebohren werden Jst das alte thun der welt. Dieses ist der brauch der Erden/ Daß sie ewig nichts nicht helt. Was die zeit vor hat gebohren/ Wird mit jhr durch sie verlohren. Lasst dem Himmel seinen willen. e Gebt jhm gutlich/ was er gab. e Diß muß doch die erde fullen/ Was nicht gerne wil ins Grab. Das ists/ das wir einig wissen/ e Daß wir einmal sterben mussen. Wie viel sind jhr hin gefahren/ Wo auch diese zogen hin/ Jn den sechsthalbtausent jahren? Alle waren/ was ich bin. Alle wurden so zu erden/ Wie wir alle werden werden. Zwar/ es ist ein grosser schmertze. e Aber denckt des Schopffers auch. Er/ das liebe Vaterhertze

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch e Halt stets diesen seinen brauch/ Daß Er die auch hertzlich liebet/ e Die Er hertzlich hat betrubet.

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Feind der welt/ du kanst den Seelen Gantz mit keiner sichel zu. e e die Leiber sind die Holen. Fur e Aber/ schoner Himmel/ du Bist/ als wie du heissest Meister/ Herr/ vnd Wirth auch/ vnsrer Geister. Weil die frommen Leichen rasten/ Vnd in jhren Kammern ruhn/ Abgethan von allen lasten/ Die vns stets den tod an thun/ Vnter deß sind jhre Seelen/ Wo man weiß von keinem quelen. Die erfrewten Seraphinnen Streichen jhre Zehren ab. Vnd ein theil der Cherubinnen e Gehn als Wachter vmb jhr Grab/ Daß das schlummernde Gebeine Gantz behalte/ was ist seine. Was vns zeitlich wird entnommen/ Soll einst ewig vnser seyn. Wenn der grosse Tag wird kommen/ Der schon jtzund bricht herein/ e Denn so wollen wir stets kussen/ e Deß wir stets jtzt mangeln mussen. M. Paull Fleming P.L.C. EPITAPHIUM. PAULLA TORO, MÜLLERA DOMO, TEGOR INTUS

ELISA;

OCCUBUI QUARTO FRACTA PUERPERIO.

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S A N C T I S , | Viri admodum Clarißimi ac Excel- | lentißimi D . P A U L I F L E M I N G I , | Hartensteinensis Misnici, Phil. & Med. Docto- | ris, nec non Poetæ Coronati Laureati | eminentissimi, | M A N I B U S , | [Strich] | H A M B U R G I , | Excudebat H E N R I C U S W E R N E R U S , | Anno M.DC.XL.

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FLos tua vita fuit, roseus, qui mortis acuta, F L E M I N G I extinctus, vi, tinctus sangvine C H R I S T I Ast Paradisiacis, lætus, florescit, in oris, Vita & navigium, mundus mare, Gloria, portus Cælestis, raptus quò, post pium agona peractum, P A V L E , tuum, in triplici cernis nunc numine numen. Vita & pugna fuit, Suecis, Persisque Polonis, Lustratis Batavis, Moscis, Anglis quoque Gallis, Vicisti in cœlis, sequitur, tua fata, triumphus. Qvadruplicem, C H R I S T I , quem saltum, carmine casto: Virginis in gremium, ê gremio in durum præsepe, Inque crucis sanctam ê præsepi, P A V L E pie, aram, Ex arâ in tumulum, struxisti, pignora famæ, Posteritas celebrans mirabitur, atque videntur, Christolis doctis, hæc mira poëmata, quorum hoc ἐικὼν τοῦ χριστοῦ, dignum Lectore frequenti. Ergo Senex G E N I T O R , quoque tu N E V H V S I A Sponsa, Gnatum, linque D E O , Sponsum, cui, fœdere primo, Relligio voluit, sacrum. Sat. thura sepulchro, Addo: C H R I S T E veni! nox imminet aspera secum Damna vehens, celera! tua, fac nos, regna subire! Ad contestandam συµπάθειαν erga Rev. Parentem, | Sponsam, & cognatos, pauca hæc Affinis sui, designati Phy- | sici Revaliensis, desideratissimi apposuit, | M . H E N R I C U S J A N I C H I U S Ecclesiastes Hamb. | in æde D. Cathar. 1640. Fer. 2. Pasch. D. Bernh. Serm. 15. in Cant. SI scribas, non sapit mihi, nisi legero ibi I E S U M : si disputes aut conferas, non sapit mihi, nisi sonuerit ibi J E S U S . J E S U S mel in ore, in aure me los, in corde Jubilus. Quam pingis digitis, litera nil Sapit, Nî J E S U referat nomen amabile, Quæ fingis labijs, verba nil juvant, Nî J E S U M resonent sensibus intimis: Corde, ori, auribus hic, jubila, mel, melos.

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Paull. Flemings Klag = Gedicht vom Vnschuldigen Leiden Christi. e e AN diesem oden Ort/ dahin kein Thier auch kommet/ Den Sonn’ vnd Mon nicht weiß. da nie kein Stern nit glimmet: e Narcissen gegend sind. Da nichts als fluchtige e Da stets gebucket geht der matte Hiacynth An dieser stillen Bach. da kein Silvanus springet. Da keine Nachtigal sich in die Lufft erschwinget/ Vnd singt jhr liebes Lied. da stette Demmerung Mit Nebel ist vermengt/ doch stille Lufft genug: Komm/ komm/ Melpomene/ mit deiner schwartzen Schaube/ e Bekrantzet vmb das Haupt mit frischem Myrthenlaube/ Bring’ Harff’ vnd Seiten mitt’/ vnd setze dich zu mir e vns stehet hier. An den Cypressen Stock/ der fur e Du/ meiner Thranen Lust/ die mir noch bleibet alleine/ Weil ich alleine bin; du weist/ von wem ichs meyne. Setz’ vnser Werck hindan/ daß dein’ vnd meine Zier Zu guter letzte noch begehrt von dir vnd mir/ Als sie gab gute Nacht. vnd selbte zu betawren e vns ewig zwar. doch laß vns mitte trawren Gebuhrt e Vmb den/ vmb den so thut der großre Theil der Welt/ Der jhm gleich jetzt das Grab vnd letzsten Dienst bestellt. Hier sind wir auß der Welt. hier ist der Ort zu klagen/ Den/ den die tolle Welt nach so viel tausend Plagen Zum Creutze hat verdampt. den/ den die grimme Welt e e Vom hochsten Himmel auß biß in das Grab gefallt. e e Den wahren Gott auß Gott. den frommen Sundenbusser. Den Zahler aller Schuld. den trewen Himmelschliesser. e Das breite Trawerfeld/ die gantze wuste statt Klagt mit vns dessen Todt/ der sie erschaffen hat. Er war zugegen schon/ eh’ als die Himmel waren/ Vnd aller Zeiten Zeit. Er kam herab gefahren Auß seines Vaters Schoß/ vnd ward der Mutter Pfand/ Der Mutter/ der er selbst der Vater wird genand. Er ist des Vaters Wort/ dadurch er erstlich machte/ Was er von Ewigkeit zu machen jhm gedachte. e Die Last die gab er an/ so Atlas auff sich tragt/ e Das grosse Weltgebaw/ vnd was sich drinnen regt. Der Vater war in Jhm/ er war sein Bild vnd Wesen/ Der gantzen Gottheit Glantz/ von Gott ein Gott erlesen. e rath/ als Evens Apffelbiß Er war der Sohnungs Vns vmb den Eden bracht’/ vnd in diß Elend stieß’.

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Paul Fleming e e Er bothe sich fur vns das Losegeld zu werden/ Das niemand zahlen kunt’ vff dieser breiten Erden. e wolt’/ Der muste selbst Gott seyn/ der Gott vergnugen Vnd in das erste Reich vns Arme setzen solt’. Auff Jhn hofft alle Welt. Er macht’ es zimlich lange/ Eh’ er diß Werck fing’ an. es ward den Alten bange/ e e Wunsch/ daß der doch kam’ einmahl/ Es war jhr hochster Der jhre Seelen hielt in stetter Honungsqual. Vnd endlich kam er auch nach vorbestimmten Zeiten/ Vnd hielte seine Wort/ als feyer von den streitten Hatt’ vnser gantzen Rund/ hieß’ er sich melden an/ Ohn welchen nichts/ was ist/ in Friede leben kan. Die Botschafft’ Gabriel der Jungfraw muste bringen/ Die Sohn jhn heissen solt’/ vnd jhm das Sause singen; Der Geist/ der werthe Geist/ der zeugt’ in der die Frucht/ Die keinen Mann erkandt/ die stets gelebt in Zucht; e das Gifft der ersten Frucht wird gessen. Die Frucht/ die fur Er kam/ vnd ward ein Kind/ als jederman vermessen e Sich seiner nicht versah’. ob man gleich gabe fur/ e Man warte stets vff jhn. jetzt war zu Thor vnd Thur. Er ward in einen Stall verwissen zu den Thieren/ e alles ist. den Wiegen solten zieren/ Der uber e vnd Frost Der ward der Krippen Last. der must in Kalt’ Geworffen werden hin/ vnd seyn an schlechter Kost/ e e Der Kalt’ vnd Warme giebt/ der alles reichlich speiset/ Was Speise nur bedarff. doch wird er noch gepreiset Von Tityrus Schalmey. im fall kein Musicant’ e wolt’/ als Er kam in sein Land’ Herodes horen Vnd zu den Seinigen/ die jhn doch nie erkandten/ Ob sie Messias stets in jhren Schuelen nandten/ e seyn/ Jetzt sieht man jhn nicht an. der muß geschatzet Der vor Augustus hatt’ ins Reich gesetzet ein/ Der ewigfreye Printz. Er fing schon an zu leiden/ Als er gebohren kaum: Er liesse sich beschneiden. e Des Vaters Zimmeraxt/ der Mutter Naterey Erwurben jhm mit Noth den halbgemachten Brey Am Mangel mangelts nicht: Noch blieb er nicht zu friden Jn seiner Kindheit Lentz. Er muste seyn geschieden/ Von Freund vnd Vaterland. Aegyptus Haußgenoß Jst der/ der alle Welt behausst in seiner Schoß. Herodes tobte sehr/ er furchte seiner Crone/ Beginge Kindermord. die List ward doch zu Hohne. e e durch Sabel nicht. das Kind fleucht bey der Nacht. GOtt fallt

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Tyrannen sind doch nichts vor Gott mit jhrer Macht/ e Der Konig wurde faul. starb hin bey frischem Leben. So ward der Kinder Todt dem rechten Tode geben. Das Kind lest Nilus stehn/ kehrt vmb nach Nazareth; e e e Tag: folgt Joseph fruh vnd spat’. Wird weiser Tag fur e Es war sein hochste Lust/ daß er zu Tempel ginge/ e Gab zuverstehen schon/ was er an kunfftig finge/ Die Ceremonien hielt’ er in allem mitt’/ e gerne zu/ wenn etwa fiel ein Streitt Vnd horte e Jhr blinden Phariseer/ Jn Glaubenssachen fur. Vnd du verstocktes Volck/ jhr dummen Sadduceer/ Was halff euch Moses Schrifft/ vnd der Propheten Wort/ Weil jhr erkantet nicht den wahren Lebens Hort. Er war euch vnterthan. doch mustet jhr jhn neiden. Er war zwar ewer Sohn/ doch auch das Liecht der Heiden/ Weil jhr jhn stiesset auß. was hilfft euch Abraham. e Jetzt geht euch Japhet fur/ nun jhr seyd worden Cham. Wie offte kam er doch in ewre Synagogen/ Allda jhr seiner Lehr vnd Vnterrichts gepflogen. Wie war euch da zu muth’/ als er/ doch noch ein Kind Mit euch befragte sich? Jhr waret sehend blind. Der Jordan teuffet’ jhn. der Geist fuhr sichtbar nieder/ e e hort’ ein jeder/ Vnd satzte sich auff jhn: das Zeugnuß Das jhm sein Vater gab. Johannes weiste frey/ e e vnsre Sunde sey. Daß er das Gottes Lamb fur Er tratt ins Predigampt/ beglaubte mit viel Zeichen Das Evangelium. erheile [!] manche Seuchen. e Denn Blinden gab er Liecht; den Tauben das Gehor. Er speiste wunderlich die Folger seiner Lehr’. Er kostete kein Brott in zweymal zwantzig Tagen; Das Wasser war jhm Land/ die See die must jhn tragen; Es ist jhm vmb ein St/ so fleuget Eolus, e Jhm erstummen muß. Neptunus wildes Feld fur e e Er weckt den Jungling auff. Jairus Tochter schnaubet/ Vnd Lazarus/ sein Freund/ wird wieder new beleibet/ Ob er schon riechend ist/ nur durch ein eintzig Wort; e Hier trieb’ er Teuffel auß/ den Kruppelt halff’ er dort’. Er stieß die Wechßler auß/ vnd die deß Tempels Ehren e e verletzt. Er kunte krafftig lehren. Durch Kramerey e e Er nam kein Blat furs Maul; die Juden schalt er frey/ Vnd meldete sich selbst/ das er Messias sey. e Noch halff’ es alles nichts. Jhr kundtet jhn nicht horen/ An Geistes Ohren taub. doch gleichwol auch nicht wehren.

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Paul Fleming e Was wart jhr gegen Gott? das Volck beschamet euch. Verachtet ewren Bann/ wird Seelenfrey vnd reich. Jetzt trugt jhr Steine zu/ vnd woltet jhn entleben; e Jetzt sturtzen von dem Velß’; jetzt in die Bande geben. Doch stricht jhr in die Lufft. Wer streitet wider Gott/ e e sich selbst auffs Maul/ vnd wird deß Pobels Spott. Der schlagt Jhr brauchtet manchen Fund. erdachtet glatte Fragen. e Ruhm mit euch anheim getragen! Was aber jhr fur e Deß ruhmt euch jo nur nicht. es bleibet doch darbey/ e Gott nur Narrerey. Der Menschen Klugheit ist fur Biß daß die Zeit kam an/ daß er/ vmb wessen willen e e hinauß. der Esel vnd das Fullen Er kommen/ fuhrt’ Bracht jhn zu Jebus ein. daß zweyerley Geschlecht’ e Er zu dem Testament’ vnd newen Rechte bracht’. e Hosanna singt man jhm. es spreitet mancher Jude e der rechte Friede. Die Palmen auff den Weg/ weil kompt e vnd Bart Als er zu Tische saß/ erfeuchtet Haupt Das Nardenwasser dem/ der vor gesalbet ward Zu dem gedritten Ampt’. Er ließ vns noch zur letzte/ e setzte/ Als er zum letzten sich mit seinen Jungern Vnd aß das Osterlamb/ ein hohes Liebespfandt Ein rechtes Ostermahl/ das er selbst wird genandt/ Das grosse Sacrament/ da wir Gott selbsten essen Jn vnd mit Brot’ vnd Wein’. Ob schon der Feind besessen e er jhn doch/ Jscharioth/ den Dieb/ so wurdigt’ Daß er jhm reichte zu den letzten Bissen noch. e Drauff wird er Teufflisch gantz. steht auff bey Nacht/ vnd ubet e Das rechte Werck der Nacht. betrubt den/ die jhn liebet. e e Verkauffet Gott vmb Koth. der schandliche Gewin Macht daß der Geitzhalß hier gibt Seel’ vnd HErren hin. Jetzt geht die Marter an/ jetzt muß der Heiland schwitzen/ e e fur Grimmeshitzen/ Bey frischer Lentzenlufft. Er glut e zu. Darmit sein Vater brennt/ vnd wir stets schuren e Die schwere Hollenangst lest jhm nicht so viel Ruh. Der Schweiß ist nicht ein Schweiß. Blut sehn wir von jhm rinnen. e nehrlich’ an. wie ist jhm doch zu sinnen! Der Pulß schlagt e das Abba in der Loh/ Er betet brunstiger Das Abba/ welches vns in letzter Angst macht froh. e Der herbe SundenKelch/ den er jetzt auß muß trincken/ Der machet jhn so schwach/ daß auch im letzten sincken Jhm Krafft ein Engel gibt. der starcke Zebaoth/ Der vor die Engel schuff/ ist jetzt in solcher Noth. e Johannes/ kanstu rasten? Jacobus/ schlaffestu?

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Auff Simon/ dencke doch an deines Meisters Lasten! e e e Schlaffer auff! Jetzt kompt der Capitain Auff Schlaffer! Auff das Getsemane: jetzt lest man jhn gleich ein? e Schelm/ in Pluto Grufft erzogen/ Du Morderischer Du hast beym Phlegeton Erynnis Brust gesogen/ e e Die blawe Neydes Milch. du kompst bey spater Nacht e Jetzt von Avernus her/ gerustet mit der Macht Der tollen Furien. was sind die Spiess vnd Stangen/ Als der Tisiphone Gifftauffgelauffne Schlangen? Alecto brennend Pech vnd Schwefel vmb sich schwingt/ Wenn man die Fackeln sicht. Jetzt ist der H E R R vmbringt. Jhr frischen Krieger jhr/ fallt jhr von einem Worte Das doch kein Donner war? wie kricht jhr nach der Pforte. e Jch bins/ das hat die Krafft/ daß jhr frey lassen musst/ Die der wil/ der doch jetzt von euch gefangen ist. e Der zwingt euch/ den jhr zwingt. tritt her/ tritt her/ Verrather/ e Vnd raffet euch doch auff/ Jhr nichts/ als Vbelthater/ e e Juda/ dich? laß horen deinen Gruß/ Was saumstu/ Vnd gieb/ du falscher Hund/ das Zeichen/ einen Kuß. e e sturtzet/ Diß ist der Augenblick/ der dich zur Hollen e Jn dein recht Vaterland/ der Strick/ der dir verkurtzet Dein Leben hat hernach/ wird dir ein Leben seyn/ Das nichts als Todt doch ist in vngeendter Pein. Vnd wer es nur ein Todt. Wo wird doch Minos finden e e dich? Man wird dich mussen binden/ Gnung Straffen nur fur Wo Tityus muß seyn/ vnd wo sein Geyer ist/ Der dir die falsche Zung’ vnd jhm die Leber frisst. Jxion frewet sich/ daß du wirst sein Geselle An seinen Schlangenrad’. Es muß die gantze Helle Dir eine Helle seyn. Styxt speyet Pech auff dich/ Cocytus brennend Hartz vnd Schweffel grimmiglich. e man jhn gefangen Nun greifft man Jesus an; jetzt fuhr e Fur Cayphas Gericht’/ allda die zarten Wangen e Der wird des Hannas Spiel/ Den Backenstreich gefuhlt. e freyen wil. Der vns vom ewigen Gespotte e e e Die Konigliche Hand muß Rohr fur Scepter fuhren. Die Cron’ ist Dornen Reiß. Der Purpur muß jhn zieren/ e dem die Knie/ Doch nur zu Spott’ vnd Schmach. man beugt fur e e Man grusset Konig den/ den man geehret nie. Er wird der Knechte Spott/ der vns zu Herren machet. e Der jetzt in hochster Angst/ wird noch darzu verlachet. Von Koth vnd Speichel fleust das heilig’ Angesicht. e die Haut von Geisseln bricht. Von Dornen schmertzt das Haupt;

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Seht/ welch ein Mensch ist das! geht/ fragt/ ob man auch finde e e vns stunde Ein’ Angst/ die dieser gleicht. Er ist/ als fur Sein Schatten/ vnd nicht Er. Wie macht jhn doch so naß/ e vnd Schmertzen Schweiß. Seht welch ein Mensch ist das! Der wust e erkennen/ Seht/ welch ein Mensch ist das! so jhr noch kont Daß er nicht sey vielmehr ein Wurm/ als Mensch/ zu nennen; Wie elend ist er doch/ wie kranck! wie mat! wie blaß! Wie wund! wie zugericht! Seht welch ein Mensch ist das! Der Leib ist Beulen voll. Geliefert Blut vnd Eiter e heuffig von jhm weg. Die Wunden brechen weiter. Runnt Die Strimen lauffen auff in vngezehlter Zahl. e nicht/ das habe nicht ein Mahl. Da ist kein Platzlein O Modul aller Angst! O Exemplar zu dulden! Wir/ wir sind Streiche werth/ denn vnser sind die Schulden. Wie kanst du so den Sohn/ O Vater/ richten zu? e Ruh. Halt jnne/ schlag auff vns/ vnd gib dem Burgen e O Qual/ O hochste Qual! O Marter aller Plagen/ e Die du/ O Bruder/ must fur vns jetzunder tragen! Du bist Emanuel/ von vnsern Wunden wund/ Durch welche Wunden du die vnsern machst gesund. e e dich/ die Thranen/ scheußlich machen/ Die Schmertzenstochter e lachen. Sie fliessen als ein Strom/ auff das wir mochten e Doch schweigstu wahres Lamb/ vnd sagst kein Wortlein nicht/ e e Auff das wir kunfftig nicht erstummen fur Gericht. O wahrer Menschen Freund/ die doch sind deine Feinde/ e Sie? Ein Freund/ der seinem Freunde Was thustu nicht fur e e das ist die hochste Trew. Durch sich den Todt versohnt/ e Hier sieht man wie ein Freund/ Fur Feind ermordet sey. Diß muß jo seyn ein Freund. diß muß jo lieben heissen! Er schonet seiner nicht/ lesst weidlich vff sich schmeissen/ Daß vns in Plute Grufft Alecto peitzsche nicht/ e Gesicht. Vnd Rhadamantus wir nicht kommen fur Hie hilfft kein helffen nicht. Jhn kan jetzt niemand retten. Die Straffe liegt auff jhm/ auff daß wir Friede hetten. Des Vaters Zornes Fluth fehrt vber jhn mit grauß/ Vnd wil jhn auß dem Land’ vnd Leben rotten auß. Man wil jhn haben todt. vnd wird doch nichts erwiesen. e Der Zeugen Zeugnuß wanckt. Er wird gerecht gepriesen/ e Vom Pflager Pontius. noch sol vnd muß er dran/ Ob man gleich keine Schuld auff jhn erzwingen kan. Herodes lacht jhn auß. Pilatus fast erzwungen Spricht Jhn dem Tode zu. die Alten mit den Jungen e Erbitten Barrabas. Der Morder wird erkiest

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e e Fur dem/ der doch fur sich das wahre Leben ist. e O Vrtheil ohne Recht! O Straffen ohne Sunden! Messias muß nun fort. Er muß sich lassen binden. Zum Creutz’ ist er verdampt. der wahre Todes Tod e Des Lebens Leben selbst kompt jetz in solchen Spott. Der Segen wird ein Fluch/ auff daß wir Segen hetten/ Vom Fluche franck vnd quit: die Freyheit geht in Ketten/ e frey. Sein Blut durchstreicht den Brieff/ Auff daß wir wurden Der wider vnser Blut zu Gott stets schrie vnd rieff. Er muß auff Golgatha das Creutz’ jhm selber tragen/ e Er wird daran geschlagen/ Der vnser Creutze tragt. e e weg/ der doch in seiner Macht/ Streckt Hand’ vnd Fusse Was Auff = vnd Niedergang/ was Mitter = Tag vnd Nacht e zwischen Dieben/ Jn sich bearmet/ helt. Der hanget e e e Der ohne Sunde war. denckt/ denckt/ was konnt uben/ Jhr Hertzen ohne Hertz’/ Jhr nichts als Ottergifft! e e der Fall/ der jhren Schopffer trifft/ Die Sonne trubt Sie macht den Tag zur Nacht. das blawe Schloß des Himmels e e e sich ob der That. von Sturmen des Getummels Entfarbt e Erblasste Cynthia sampt jhrer guldnen Schaar/ Vnd eilet’ an die Wacht/ als es noch hoch Tag war. Nocturnus wuste nicht/ welch Pferd er satteln solte. Auch Atlas bebete/ gleich ob er fallen wolte. Die Wolcken drungen sich/ vnd flogen schneller fort. e Neptunus kunte selbst fur Sturmen nicht zu Port’. Es zittert die Natur/ weil jetzt jhr Vater zaget. e klaget. GOtt reisset sich von GOtt. vor durst der Schopffer e Das Gallgefullte Rohr/ der Essigvolle Schwamm Muß mehren seinen Schmertz. An dem verfluchten Stamm’ e e Hangt vnser Lebensbaum. Die hier voruber giengen/ Die klatzschten mit der Hand. auch selbst die mit jhm hingen/ Die schalten auff jhn zu. Es bliebe mancher stehn/ e e Gehon’. Vnd laß die Vberschrifft mit spottlichem e Hier hanget vnser Ruhm/ hier leidet vnser Prangen/ Hier krancket vnser Artz/ durch den wir Heil erlangen/ Jst das der Wunderbaum? ist diß das werthe Holtz/ e vnd so stoltz. Darauff wir Christen seyn so prachtig Der Even erster Wundsch/ des Abrahams Verlangen/ Die Hoffnung Jsaacs/ den Jacob hat vmbfangen/ e Die Himmelsleiter die/ der Trost der Koninge/ e Hangt hier in Schmach/ in Angst/ in Schmertz/ in Ach/ in Weh’. Es kunte niemand nicht ein Beyleid mit jhm haben/ Das war die doppelt’ Angst. Maria sampt dem Knaben

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e Beweinten Freund vnd Sohn. Da ist kein Junger nicht/ Kein Petrus ist nicht da mit seiner hohen Pflicht/ e jhn sterben wil. Ach! wie ist dir zu Hertzen/ Der fur Du nie erkandtes Weib/ wenn du in solchen Schmertzen e winseln deinen Sohn? Wie offte zeuchstu hin Horst Jn Ohnmacht/ Stimmeloß/ erstarret/ ohne Sinn’. e Hier hangt dein Wunder Kind/ in so viel hundert Wunden/ e Jn angsten vber Angst/ gebissen von den Hunden/ e sind/ als Hund’. O Weib/ o armes Weib/ Die arger Jetzt dringet dir das Schwerdt durch deine Seel vnd Leib? Du niemandgleiche Fraw/ du must von fernen heulen; e Ach durfftestu doch nur verbinden seine Beulen/ Ach were dir vergunt/ daß du zu guter letzt’ e e e seinen Mund/ mit Thranen eingenatzt. Jhm kusstest Was hilffts/ es kan nicht seyn. Du must in Jammer stehen/ Vnd zuesehn/ wie man spielt. Jetzt mustu gar vergehen/ Weil dir dein Trost vergeht. Weil er wird Sinnenloß/ Weil jhm die Todes angst giebt manchen harten Stoß. O Alles/ schawe zu/ Jehova muß jetzt sterben/ Der vns durch seinen Tod das Leben kan erwerben/ e Gott erblasst. der H E R R der Herrligkeit Gott rochelt/ Muß so elendiglich jetzt enden seine Zeit. Vnd nun/ nun ist er hin. Das Firmament erzittert/ e e springt/ der grosse Punct erschuttert. Der Felsen Starcke Nord/ Osten/ Sud vnd West/ die rissen auß der Klufft/ e See vnd Land. drey mal mehr in die Lufft Besturmbten Spieh’ Etna Fewer auß. Die Elementen dachten/ Es wer’ jhr Ende da. des Tempels Sparren krachten. e brachen auff; Der Teppich riss entzwey. die Graber Auff dich/ O Solyme/ war vieler Todten Lauff. Ach Leben/ bistu tod? je kan denn Gott sich enden/ Der Anfang anfangsloß/ das End’ ohn End’ vnd wenden? Wie? mangelt der jhm selbst/ der nichts als alles hieß? Jst denn die Seele hin/ die vns die Seel’ einbließ’? e neigst du dich? Die krausen Locken hangen/ O Hochster/ Der Rosenliebe Mund/ die Wollustvolle Wangen Verlieren jhren Glantz. die Augen brechen ein/ Die Augen/ die der Welt sind mehr als Sonnenschein. e werden welck/ der Beine Marck erkaltet/ Die Hande e Blutrunstig ist die Haut/ geliefert vnd veraltet; e e du außgespannt/ geadert/ abgefleischt/ Hier hangst Zerstochen/ Striemenvoll/ entleibet/ außgekreischt. O wahrer Pelican/ der seine todten Jungen

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Durch sein selbst Blut belebt. vns ists durch dich gelungen/ Du Ehrne Schlange du/ du edle Medicin/ Die Leviathans Gifft vnd Bisse nimmet hin. O mehr als Jonathan/ O trewer als Orestes/ Trew’ vber alle Trew’? hier suchstu vnser bestes/ e Leid. O Priester/ O Levit/ Vnd thust dir hochstes Der vns/ wie Aaron/ beym Vater stets vertrit. e Du stirbest als ein Mensch/ auff daß du vberwundest Den Todt/ als wahrer Gott. vnd daß du/ Shiloh/ bindest Den starcken Cerberus/ so steigstu in die Grufft/ e kecklich zu vff Pluto schwartze Klufft. Vnd sturmest e auß Juda kommen/ Du starcker Simson du/ du Low’ Wie hat doch deine Krafft so gar bald abgenommen? O Stern wo ist dein Glantz? O Schatz/ wo ist dein Gold? O HErr/ ist das dein Ehr’! O Artzt ist das dein Sold! Kein Tieger ist so grimm. so grawsam ist kein Drache/ Der einem seiner Art ein solches Quelen mache; e liebt den Artzt. Wir Menschen seyn so toll/ Der Lowe e Vnd todten den/ der vns vom Tode helffen sol. e Volck/ Jhr gar verstockter Sinnen/ Jhr gantz vergalltes e Noch thierischer als Thier’? je werdet jhr nur kunnen Erkennen ewre Schuld? Jn Gottes Sohnes Blut’ Habt jhr den Speer genetzt/ daß er auch euch zu gut’ Jetzt fliessen lest von sich. beherzet doch die Zeichen: Doch jhr seyd Eisenart/ Euch kan doch nichts erweichen. Den Demant zwinget Blut/ den Stal zerschmeltzt die Glut/ Kein Demant vnd kein Stal gleicht ewrem harten Muth? e thaten/ Jetzt gebt jhr Gott den Danck/ wie ewre Vater e Das vngezahmte Volck/ das Volck dem nicht zu rahten. e auß Pharus Hand; Der dich/ O Jsrael/ erlost’ Der dir das RotheMeer in blaches Feld gewandt/ Vnd Jordans wilde Fluth. der jnner viertzig Jahren Dich wie ein Adler trug. da keine Wege waren/ e Kein Proviant/ kein Hauß; nichts als nur Wusteney/ Hielt er dich/ hartes Volck/ in Speiß vnd Kleidern frey. Die Winde musten Fleisch/ die Klippen Wasser geben. Das Manna stunck euch an. Er selbst Gott/ ewer Leben/ e e euch/ noch furchtet jhr jhn nicht/ Stund allzeit uber Das Kalb das war euch mehr als Gottes Wolck vnd Liecht. Biß daß euch Josua in Jdumeen brachte/ e machte/ Vnd alles Canaan euch vnterthanig Das Milch = vnd Honigland. Es war euch niemand gleich. e auß euch. Gott macht’ ein grosses Volck vnd Konigreich

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Er stieß euch vielmal auß/ vnd holt’ euch vielmal wieder/ e jhm nieder. So offt jhr kehrtet vmb/ vnd fielet fur e Jhr seyd der Vater Har’; Jhr heufft noch jhre Schuld; Jhr Teuffelisches Volck/ solt’ euch denn Gott seyn huld. e euch zu wenig/ So viel Propheten Blut ist noch fur e e Jetzt todtet jhr Gott selbst/ Gott selbst! Gott ewren Konig/ O du verdamptes Volck/ der euch von anbeginn Zu seinem Reich erwehlt/ dem jhr stets lagt im Sinn. Vnd diß noch was jhr seyd/ seyd jhr durch seine Gnade. Jetzt gebt jhr jhm den Lohn. Ach daß doch ewer Schade Euch noch zu Hertzen gieng’! jedoch jhr habt kein Hertz’. e es ist euch nur ein Schertz. Es ist euch eine Mahr/ Du Volck von Hagar her/ du nicht der Freyen Same/ Du bist nicht mehr ein Volck/ dein Nam’ ist mehr kein Name. Du jedermannes Grewl/ so weit schwebt eine Wolck’ e Hastu kein stetes Hauß/ du gantz zerstortes Volck. Lufft/ Fewer/ Erd’ vnd Meer die ruff ich an zu Zeugen/ Daß jhr/ Halstarrigen/ mit nichts nicht seyd zu beugen/ Wie Gott selbst von euch sagt. Weil jhr denn starrt so sehr/ So beug euch dermal eins Lufft/ Fewer/ Erd vnd Meer. e O Creutz vns nicht ein Creutz/ an dem wir konnen haben/ e e e Fur Creutz’ Ergotzligkeit/ fur Armuth reiche Gaben/ e e Bande freyen Paß/ fur Schrecken Sicherheit/ Fur e e Todt Unsterbligkeit. Fur Helle Himmelsgunst/ fur e Diß heist ja wol getauscht. Jetzt stehn des Himmelsthuren e e Geoffnet angelweit. Gott wil vns mit sich fuhren Jn sich/ vnd durch sich selbst. Wir sind den Engeln gleich/ Ja mehr als Engel noch in vnsers Heilands Reich’. e dich muß ein jeder ehren/ O Creutze sey gegrusst. Jn allem was er thut. Du kanst den Teuffel wehren/ Durch den der dich geweiht. O heilige Figur/ An der wir haben stets noch vnsers Elends Cur. Weg/ Moses/ mit dem Fluch’. hier hat Gesetz’ ein Ende. Der Decke darff man nicht/ daß vns der H E R R nicht blende. Hier ist des Lebens Buch/ das Newe Testament; e Jehova selbst ist hier/ den noch kein Jude nennt. Hin ist nun alles Leid. Gott hat nun außgestanden/ Was außzustehen war. Gebet Linderung den Banden/ e e auß. nempt Gottes Corper ab/ Vnd zieht die Nagel Thut jhm das letzte Recht/ versenckt jhn in ein Grab. Vnd Joseph/ du thust wohl/ daß du wilst den begraben/ e haben/ Durch dessen Wundergrab wir keine Graber e Weil der gestorben ist/ so sturbet nun kein Christ/

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Weil vns der Todt ein Schlaff/ das Grab ein Ruhbett’ ist. Ach hett’ ich auch gelebt zu Nicodemus Zeiten/ Jch hette wollen wohl des HErren Grab bespreiten e Lorbeerlaub Mit blawen Veiligen/ das grune e Hett’ ich hieher gestrewt. Fur Erde/ Sand vnd Staub Hett’ ich die Roßmari vnd Amaranthen geben Mit Tolpen vntermengt/ dir/ aller Blumen Leben. e Das frembde Benzoe hett’ ich gezundet an; Vnd wormit sonsten man die Todten ehren kan. e hilfft mich nichts. Jehova nim vorwillen/ Das wundschen e Weil ich doch meinen Wundsch kan jetzund nicht erfullen. Nim an diß Sterbelied/ nim an den Grabgesang/ e Den/ hochster Freund/ auß mir dein grimmer Todt erzwang. e e sey gelobet; Erloser habe Danck; Blutburge/ Ruhstiffter/ ruhe sanfft; ob gleich vmb dein Grab tobet e ohne Wacht. Schlaff ein/ biß weder Tag/ Der Wachter Noch Wacht/ noch Siegel dich im Grabe halten mag. ENDE.

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10a Klag = vnd Trost = Gedicht | Zu letztem Ehrn = Gedechtnis in dieser Welt | Dem Weiland/ Wol = Ehrenvesten/ Vor = Achtba = | ren/ vnd Hochgelahrten/ Herren | P A U L O F L E M M I N G O | Med. D. vnd Poët. L. C. | Welcher im e Jahr nach vnsers Erlosers heilwer = | tigen Geburt/ Anno 1609. den 12. Octobr. zu Hartten = Stein in Meis = | sen gelegen/ in diese Welt gebohren/ vnd e e nach vieljahrigen beschwer = vnd | gefahrlichen Reisen von hier in Holland nach Leyden sich begeben/ ist er den | 7. Martii dieses jetztlauffenden 1640. Jahres wieder von dannen/ den 20. | ejusd. hier in Hamburg angelanget/ e e sich wegen außgestandener Kalte/ jetzi = | ger ZeitJahrs vngestummen Wetters vnd anderer discommoditeten halber | beklagend/ den 27. kranck vnd Bettlagerig worden/ vnd nach dem die Schwach = | heit vberhand genome men/ den 2. Aprilis am Grunen Donnerstage 4. Vhr | vor Mittag in festem Glauben an Jesum Christum vnd hertzlicher An = | ruffung zu Gott sanfft e vnd seeliglich ent = | schlaffen. | Dessen seelig verblichener Corper den 6. ejusd. am H. | Ostermontag in S. Cathrinen Kirche/ mit hochansehnlichem e Comi = | tat, vnd allen Christ = ublichen Ceremonien beygelegt | worden. Auß e schuldiger Condolentz | verfertiget | Durch | Johannem Georgium Richterum Pirnâ- | Misnic. Artis Machaoniæ Cultorem. | [Zierstück] | Hamburg/ | Gedruckt bey Jacob Rebenlein/ Jm Jahr 1640. [I.] e WAs nutzest du dir denn/ du hochgeubte Faust/ Jn der Poësi schon/ nun dich hat angestraust/ Der vngewohnte Kampff? Was hilfft dein hohr Verstand Jn Medicinâ groß/ nun du must in den Sand? Vermochte sie denn nicht den Vnhold zu bewegen/ e dir lieffe nicht entgegen/ Daß er so vngestumm Vnd machte Nichts aus dir? So kundstu nichts denn nicht/ Dadurch der Ohnefleisch die strengen Sinnen bricht/ Vnd lernet milder seyn? Ja so/ so geths vns Armen. e Wann wir nun heben an in Kunsten zu erwarmen/ e der Bleckezahn/ Vnd recht beseelt zu seyn/ so kommt e vns blasses Volck/ vns zarte Menschen an/ Vnd strangt e wachen/ Vnd zeucht zum Grab vns zu. So mancher Nachte So viele lange Reysn/ so offt vmbgangnes Lachen/ Vnd selbst = erkiester Bann/ so thewre Wissenheit/ e in einem Hauch/ vnd folgt der Eitelkeit. Verstaubt Man wendet viel an vns/ verschickt vns hier vnd dar/ e wohnhafft sind. Bestellet alles klar/ Da Kunste Versiehet alles wol. Wir halten vns auch so/ e Daß uber vnsrer Lust die Vnsern werden froh/ e

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Auch wol ein gantzes Volck. Man rufft vns denn herwieder/ Vnd wil vns machen groß. Da legen wir vns nieder/ Vnd thun den langen Schlaff. Wie/ Werther/ dir geschehn/ Daß dich dein Vater = Land mit nichten kan ersehn/ e Wie sehr es nach dir gwunscht. Wie wird doch dieses Seumen e Des alten Vaters Hertz ermatten in den Traumen/ e Die nachtlich seyn von dir! wie wird Er von der Post/ Die dich schon todt schreyt auß/ Dich seiner Seelen Kost/ e Seele/ Jn Ohnmacht ziehen hin. Jch hochbetrubte e Kan nicht ein mehrers thun/ als hin zu deiner Hole/ e Jn schuldig’n Leyde gehn/ vnd auff den Leichen = stein/ Der letzten Trewe Pfand/ die Reime/ stechen ein: Hier liegt Astreen Sohn’/ Ein Außbund von Gelehrten/ e ehrten. Den doch zu letzte nur die Todten = Graber II. WAs sind doch wir allhier? Was ist doch vnser Leben? e es auffgeben/ Ein Schatten/ nichtig Ding/ wir mussen Wann Gott vns fodern thut/ da hilfft kein Kraut nur nicht/ Kein Witz vnd kein Verstand/ des Todes Vorsatz bricht. Diß haben wir an Euch Herr Flemming wol erfahren/ e e im Fruhling ewrer Jahren Der Jhr auch viel zu fruh Entrucket worden vns. Wie wann von zarter Handt Ein blawes Veyelchen beim Garten wirdt entwandt: Wie wenn auff Phœbus Schein erfolget Regenwetter: e e e Wie wenn ein schoner Baum verleust die grunen Blatter. e Ewr Schall floh uberweit. Kein Landsmann sang Euch gleich. e e keiner Muhe bleich. Von Reisen hoch gepreist. Fur e Jung/ Wachsam/ Vnbesorgt. Mann wird euch nennen horen e Biß daß die letzte Glut diß alles wird verstoren. e Moscaw vnd Persien wird klaglich murmeln all/ e Todes = Fall. Wenn jhnen wird vorkommn der b’trubte e Ehr Leyden/ wird wundern sich/ (da jhr die hochste Der Medicin erlangt)/ vnd klagen hefftig sehr Jn Summa weit vnd breit. Drumb trawren billich wir e e Ach daß Euch Gott doch noch hatt mogen lassen hier! e e Das Wunschen ist vmbsonst/ die zahren/ Angst/ vnd flehen/ e e Gestalt/ das jammerliche Drehen Die klagliche Bringt Euch nicht wider her. Ach Leiptzig vnd Liefflandt Vernehmt die trawrig Post/ von dem so Euch bekandt e Hett machen konn noch mehr. Er ist nun weg von hinnen e Der Liebsten Auffenthalt/ die jhm jhr Jahr wolt gonnen/ Jhrs lieben Vaters Trost/ der Mutter eben so

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Von dem sie erst recht Frewd vermeint zu haben do. e e mogn sehn die Frewd all dieser Hertzen Jch sag wer hatt e e Mocht wol mittn in dem Todt/ sich han konnen ergetzen: Aber so gefiel es Gott/ ohn welchem mag nicht kommen Ein Mensch auff diese Welt/ wird auch keinr weggenommen Ohn wenn es Jhm geliebt. Denn keiner jhm selbst lebt Auch stirbet keiner Jhm. Darnach Er hie gestrebt Das hat Er nu erlangt/ vnd kan jetzund verstehn e vns. Gott helft auch daß wir gehn Was vnergrundtlich e Bald mogen diesen Weg/ weil auff vns fallen zu All Jammer/ Angst vnd Noth/ im Himmel nur ist Ruh. Sehnliche Klage wegen seiner hertz = vielgeliebten Braut A. N. H.

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DV/ der du soltest seyn/ deiner Liebsten einig Zier/ e Wie ligstu da so blaß/ so gantz vnahnlich dir? Die Fenster sind entzwey/ der Mund/ die Zung erstarret/ e Die Hande hangen dir/ der Leib wil seyn verscharret. Wo ist (wird sagen sie) mein Sonn deinr Liechter Schein? e e e Wo ist/ O mein Brautgam/ die schone Schonheit dein? e Die Schmertzens = Schwestern mir/ die Thranen thun außbrechen e e Augen = Angst/ Haupt = Schmertzen/ Seiten = Stechen/ Hertz = Qualen/ e e Die Sturmen alle bald einmuthig zu mir ein/ Weil ich dich nit mehr seh/ sondrn nur muß dencken dein. Dein werd ich dencken stets/ drumb werd auch steten Schmertzen e e Jch fuhln in meinem Haupt/ in Seiten/ Augn vnnd Hertzen/ Vnd werds auch lassen nicht/ Mir wirds stets ligen an Zu dencken Dein/ solt ich gleich noch mehr Schmertzen han: e Diß werd ich nur drumb thun/ daß durch solch stetes qualen/ Die Seel auch mir vergeh/ vnd folge deiner Seelen. Aliud.

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EHeu res miseras! Eheu miserabile Tempus! Eheu quæ rerum lubrica conditio! Heu date lugubres lugubria carmina Musæ, Tuque unâ intonsâ Phœbe superbe comâ. F L E M M I N G I nostri rupêrunt stamina Parcæ, F L E M M I N G U S tristes solvitur in cineres. Hincque dies, rapitur, qui dignus vivere multos Immò Sibyllinos vivere dignus abit. In lacrymas omnes, omnes vellemus in imbrem

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Pectoribus nostris ire redire piè Tu fusis rursum lacrymis, oculis simul udis Si posses vitæ reddier ipse tuæ, Sed sto; jam quid ago? vescentem munere terræ Seriùs aut citiùs mors sua quemque vocat. Colligo me; mecum reputando nonne ferendum Mente piâ, quod lex omnibus æqua tulit? Corporis exuviis duris Mortisque solutus Legibus, æthereâ vivit in axe poli. Nos miseri in mundo curarum tundimur æstu Illumque effugiunt inferiora mala. Nunc medios inter regni cœlestis alumnos Pectore decerpit gaudia mille suo. F L E M M I N G E ergo vale mundi perpesse pericla, Lætus in Empyreo vive valeque choro.

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10b Paul Flemming eines gebohrnen Meisners/ | der Philosophi und Medicin e Doctoris, | Des beruhmten Teutschen Poëten, | Jn der/ von der Christlichen Kirche wiederholeten | Leidenszeit Christi/ | vorgestelletes | Thun und Leie den | des Heylandes und Erlosers | des Menschlichen Geschlechtes/ | in e nachdenckliche langere Reime beschlossen. | Welche Er nach vielen in seiner Jugend volbrachten schweh = | ren Reisen, in Asiâ und Europâ, auff seinem Kranken- und | Todt = Bette/ in der Marterwoche/ verfertiget/ seiner Verloe beten | Braut eingehandiget/ bey seiner Beerdigung/ (welche am | Ostermontage geschehen ist) außzutheilen befohlen/ | und solches auch seinem Beichtvater | angezeiget hat. | Anjetzo geendert/ gebessert/ und in 444. Reime satzen außgefertiget: | manniglich dadurch zur Andacht auffzumunteren. | e [Strich] | Er starb in Hamburg/ im 1640 Jahre in der Marterwoche am Grue nen Don = | nerstage/ welcher war der 2 Aprilis, nach 14 tagiger Krankheit/ im 31 Jahre | seines alters/ und ward am mittelsten Osterfeyrtage/ (war der | 6 des Monaths April) daselbst in der Catharinen Kirche | beerdiget. | [Strich] | R E D E M P T O R C O R O N A B I T . | [Strich] | H A M B U R G / | in der Drukkerey des Gymnasij, im 1682 Jahre der Christen. JESUS.

Charfreytages Andacht. O Hilf/ Christe Gottes Sohn/ Durch dein bitter Leyden/ Daß wir/ Dir/ stets unterthan/ All’ Untugend meiden. Tituli Honorum. habitâ ratione Personarum præsentium.

Discipulis, Gymnasij Studiosis.

[1.]

Deinen Todt und sein’ Uhrsach/ Fruchtbahrlich bedenken/ e wiewohl arm und schwach/ Dafur/ Dir Dankopffer schenken.

Jhr Herren/ lasset uns des Heylands Todt betrauren/ e Beweinen unse Sund’: Jm Guten stehn’ und dauren. Wir wollen/ zu dem Creutz/ in tiefster Demuth gehn/ e Und endlich/ hochstbegnadt/ zu seiner Rechten stehn. e Jhr Schuler/ lernet stets Den HErren recht erkennen/ Der so viel that und litt’/ und seinen Nahmen nennen e Jn aller Niedrigkeit. Zum horen seyd bereit/ Last dringen tief ins Hertz/ die Worte dieser Zeit.

e e e e Klage/ uber das Leiden Messiæ fur uns und unse Sunde. Bußfartige Eingang. KOmm/ traurige Freundinn/ in einer swartzen haube/ Bekrentzet um dein Haupt mit frischen Myrten Laube/

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Dein traurspiel bringe mit/ und setze dich zu mir/ An den Cypressentopf/ der bey uns steht allhier. e Lust/ die mir noch bleibt alleine/ Du meiner Trahnen Weil ich alleine bin/ du weist/ von wem ichs meine. Befordere das Werk/ das dein’ und meine Zier/ e Mit hochstem Recht/ zu letzt/ begert von dir und mir/ Als sie gab gute Nacht. Dieselbe zu bedauren/ e billig uns/ ach laß uns hertzlich trauren Gebuhret Um den/ den jetzt betraurt/ der kleine Theil der Welt/ Der Jhm/ in Swachheit noch/ den letzten Dienst bestellt. Wir sind in Einsahmkeit. Gut ist der Ort zu klagen/ Den/ Den die tolle Welt/ nach so viel tausend Plagen/ Bracht’ an den KreutzesBaum/ Den/ Den die grimme Welt/ Weil Er es ließ geschehn/ biß in das Grab gefellt. e e Den Wahren Gottes Sohn/ den Frommen Sundenb usser/ Den Zahler aller Schuld/ den treuen Himmelsschliesser/ Bach/ Strom/ und weites Meer/ Berg/ Feld/ Wald/ Dorff und Stadt/ e hat. Beklage dessen Todt/ Der uns erloset Handelung. Er war zugegen da/ eh’ als die Himmel waren/ Vor Anfang aller Zeit. Er kam herab gefahren/ Aus Seines Vaters Schoß/ ward seiner Mutterpfand/ Mariæ/ deren Er der Vater wird genandt. Er ist des Vaters Wort/ wodurch Er alles machte/ Was die DreyEinigkeit zu machen vorbedachte. e Seht Seiner Hande Werk/ was Atlas bey sich tregt/ e Das grosse Weltgebau und was darin sich regt. Er war beym Vater auch von Ewigkeit gewesen: Der Vater war in Jhm. Wie wir beschrieben lesen. e e Er war der Sonungsrath/ als sich vom Hochsten riß Der Mensch/ durch seinen Fall/ den GOtt ins Elend stieß. e e uns das Losegeld zu werden/ Er bote sich fur e Der solches zahlen wolt/ fur Menschen dieser Erden/ e e Der muste Selbst GOT T seyn/ der GOTT vergnugen wolt/ Und in das erste Reich uns Arme setzen sollt. Auff Jhn gehoffet ward/ Er macht’ es ziemlich lange/ Eh’ Er diß Werck fing’ an. Es ward den Alten bange: e e Weil diß der hochste Wunsch/ daß Der doch kahm’ einmahl/ Der ihre Seelen hielt in steter Hoffnungsquaal. Und endlich kam Er auch/ nach vorbestimmten Zeiten/ Und hielte seine Wort. Wie feyrte von dem Streiten Der Erden grosses Rund/ liess’ Der sich melden an/

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Ohn welchem/ nichts was ist/ im Friede leben kan. Die Bottschafft Gabriel der Jungfer muste bringen/ Die Jhn gebern solt’ und Seinem Nahmen singen. e von GOttes Krafft/ die Frucht/ Die uberschattete Gebracht hat in die Welt/ die stets gelebt in Zucht. e das Gifft verbotner Frucht wir essen. Die Frucht/ die fur Er kam/ Er ward ein Kind/ als mancher Sein vergessen/ e Sich Seiner nicht versah. Ob man gleich gabe fur. e Man wartete stets Sein. Jetzt war zu/ Thor und Thur. Der ward in einen Stall verwiesen/ zu den Thieren/ e alles ist. Den Wiegen solten zieren/ Der uber e und Frost/ Der ward der KrippenLast. Er must’ in Kalt’ Geworffen werden hin/ und essen schlechte Kost: e e und warme giebt/ Der alles reichlich speiset/ Der Kalt’ Was Speise nur bedarf. Doch hat Jhn noch gepreiset Des Hirtenvolks Schalmey: weil doch kein Musicant Herodis achtet’ Jhn/ als Er kam in sein Land: Und zu den Seinigen. Die Jhn auch nicht erkandten/ Und doch Messiam stets in Schul’ und Tempel nandten: e seyn/ Die sahen Jhn kaum an. Der muß geschatzet Der den Augustus hat ins Reich gesetzet ein: Der Ewigfreye Printz. Der fing bald an zu leyden/ Als Er geboren war. Er lies Sich auch beschneiden. e Des Vaters Zimmeraxt/ der Mutter Naterey/ Erwurben Jhm zur Noth/ den schlechtgemachten Brey. Am Mangel mangelts nicht. Noch blieb Er nicht zufrieden e sein geschieden Jn seiner Kindheit Lentz. Er muste Von Freund und Vaterland: Ægyptens Haußgenoß Muß seyn/ der alle Welt behaust in Seinem Schoß. e e befurchtend seiner Krone/ Herodes wutete/ Beging den Kindermord. Die List ward doch zu Hohne. e durch Sebel nicht. Das Kind fleucht bey der Nacht. GOtt falt e GOTT mit ihrer Macht. Tyrannen sind doch nichts/ fur e Der Konig wurde faul/ fiel weg aus diesem Leben/ Und ward der Kindertodt dem rechten Todt gegeben. Das Kind vom Nilusstrom kehrt’ um nach Nazareth/ e e e Tag/ folgt Joseph fruh’ und spath. Ward weiser Tag fur e Das war Jhm hochste Lust/ daß Er zum Tempel ginge/ e finge. Gab zu verstehen schon/ was Er an = kunftig Die Ceremonien hielt’ Er in allem mit/ e gerne zu/ wenn etwa fiel ein Streit Und horte e Jhr blinde Phariseer/ Jn Glaubenssachen fur. Und du verstoktes Volck/ ihr dumme Saduceer/

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Was hilfft euch Mosis Schrift und der Propheten Wort? Die zeugen insgesampt von Diesem Lebenshort. Und Er erweiset Sich. Doch woltet ihr Jhn neiden. Er war aus Davids Stamm/ und auch das Licht der Heyden/ Der/ Den ihr stiesset aus. Was hilfft euch Abraham? e nun ihr seyd worden Cham. Euch gehet Japhet fur/ Kam Er nicht offt genug in eure Synagogen/ Allda ihr Seiner Lehr und unterrichts gepflogen? e e ahrig Kind Wie war euch da zu muth/ als ein zwolfj Mit euch befragte Sich. Jhr waret sehend blind. e Jhn. Der Geist fuhr sichtbahr nieder Der Jordan tauffet’ e e hort’ ein jeder/ Und satzte sich auff Jhn: das Zeugnuß Daß Jhm sein Vater gab. Johannes zeigte frey/ e e unse Sunde sey. Das Er/ Das GOtteslamm/ fur Er trat ins Predigampt/ beglaubte mit viel Zeichen Das Evangelium. Heilt’ unheilbahre Seuchen. e Gab blinden das Gesicht/ den Tauben das Gehor/ Und speiste wunderlich die Folger seiner Lehr. Er kostete kein Brodt in zweymahl zwantzig Tagen. Das Wasser war ihm Land/ die See die must’ Jhn tragen. Es kostet Jhm ein Wort: fort leget sich der Wind/ e macht erstaunen muß geschwind. Und seines Wutens e Er wekt den Jungling auf/ Jairi Tochter treibet Er aus des TodesMacht. Und es wird neu beleibet Der Lazarus der stank/ durch sein durchdringend Wort. e halff Er dort. Hie trieb Er teufel aus/ dem Kruppel Er stieß die Wechsler weg/ die Seines Tempels Ehren/ e leren Durch Kremerey verletzt. Er kunte kraftig Und redete getrost. Die Juden schalt Er frey/ Bewieß und meldete/ daß Er Messias sey. e e Jhn nicht horen/ Diß war bey euch wie nichts. Jhr kontet An Geistes Ohren taub/ doch gleichwol auch nicht wehren. e euch/ Was seyd ihr gegen G OTT? Das Volck beschamet Verachtet euren Bann/ wird Seelenfrey und reich. Jhr traget Steine zu/ ihr wollet Jhn entleben/ e von dem Fels/ Jhn in die Bande geben. Jhn sturtzen Jhr streichet in die Luft. Wer streitet wieder GOtt/ e Spott. Der schlegt sich selbst aufs Maul und wird des Pobels Jhr brauchtet manchen Fund/ erdachtet glatte Fragen. e Ruhm mit euch nach Hauß getragen/ Was aber ihr fur e Des ruhmet euch nur nicht. Es bleibet doch dabey/ e GOtt/ ist lauter Narrerey. Sophisten Witz fur Biß daß die Zeit kam an/ daß Er/ um wessen willen/

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Paul Fleming e e Er kommen/ fuhrt’ hinnaus. Der Esel und das Fullen/ Bracht’ Jhn in eure Stadt: weil zweyerley Geschlecht/ Er zu dem Testament und Neuen Bunde brecht. Man Hosianna singt/ es spreitet mancher Jude/ e der rechte Friede. Die Palmen auf den Weg/ weil kompt Als Er zu Tische saß/ befeuchtet Haupt und Haar/ e gesalbet war/ Das Nardenwasser/ Dem/ der hochst Zu dem Gedritten Ampt. Er ließ uns noch zu letzte/ e setzte/ Als Er zum letzten mahl/ sich mit den Jungern Und aß das Osterlamm/ das Hohe Liebes = Pfand/ Und Grosses Wunder = Mahl/ Sein Leib und Blut genandt Das Werthe Sacrament. Wir essen und wir trinken e wir versinken? Das unter Brodt und Wein/ wie konnen e Jscharjoth war sehr boß/ den warnete Er doch/ Kurtz/ ernstlich reichend ihm den letzten Bissen noch. e Und der ward teuflisch gantz. Stund auff bey Nacht und ubet e e Das Werk der Finsternuß: betrubet was ihn liebet. e Drek. Der schendliche Gewinn Verkauffte GOTT fur Macht/ daß der Geitzhalß hier/ gibt Seel’ und HErren hin. Jetzt geht die Marter an; jetzt muß der Heyland schwitzen e e e Lentzenluft. Er gluet fur Zornes Hitzen Bey kuhler e zu/ Damit Sein Vater brennt/ und wir stets schuren e e Der Menschen Sund’ und Straff/ last Jhm nicht so viel Ruh. e bringt Schweiß. Blut sehen wir abrinnen. Die Hollenangst Pulsadern schlagen kaum. Wie ist Dir/ HERR/ zusinnen? e das Abba in der Loh/ Du betest brungstiglich Das Abba/ welches uns in letzter Angst macht froh. e den Er jetzt aus = muß trinken/ Der herbe Sundenkelch/ Der machet Jhn so schwach/ daß auch im Tieffen sinken Ein Engel sterket Jhn. Der starke Zebaoth/ Der Aller Engel HErr ist jetzt in solcher Noth. e viertausend Jahren/ Der alles wolgemacht/ schon fur e erfahren. Mus solchen Elendstand mus hollenangst e seyn/ Ohn dessen Allmachtshand/ nie etwas kondte e Der ist in solcher Noth/ in hochster Angst und Pein. Jacobe schleffest du/ Johannes kanstu rasten? Auf Petre/ denke doch/ an deines Meisters lasten! e e e Schlafer auf! da kompt der Capitein Auf Schlafer/ Trit in Getsemane/ jetzt lesset man ihn ein. e in der Haut/ in swartzer Gruft erzogen/ Du Morder e der Drachen Brust gesogen/ Der in der Finsternuß e Nacht/ Und tunkle Neidesmilch. Du kommst bey spater e e Jetzt von der Hollen her gerustet mit der Macht

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e Der Morder Schaar. Was sind die Spiesse; was die Stangen? e Gift dik aufgeswollne Schlangen Sie sein vom Hollen Auch satan/ brennend Pech und Swefel um sich schwingt/ Wenn man die Fakkeln sieht. Jetzt ist der HErr umringt. Jhr frische Krieger/ ihr/ fallt ihr von einem Worte/ Das ist euch Donners gnug. Wie kricht ihr nach der Pforte. e Jch binns/ hat solche Kraft/ das ihr frey lassen musst/ Die der wil/ der doch jetz von euch gefangen ist. Der zwingt euch den ihr zwingt. Trit her/ trit her/ Verrether/ e Und raffet euch doch auf/ ihr nichts als Ubelthater. e Was seumstu Juda dich? laß horen deinen Gruß/ Und gib/ du loser Mann zum Zeichen einen Kuß. e e sturtzet/ Diß ist der Augenblik/ der dich zur Holle Baß nie geboren Dir. Verzweifelung verkürtzet Dein Leben bald darauf. Da mustu ewig seyn/ Da nichts als Noth und Todt/ in ungeendter Pein. e Jhn gefangen Nun greifft man JESUM an/ und fuhret e Fur Caiphas Gericht/ allda die zarte Wangen/ e Der wird des Hannas spiel/ Den Bakkenstreich gefuhlt. e freyen wil. Der uns vom ewigen Gespotte e e Skepter fuhren/ Hier mus/ H ERR/ deine Hand/ das Rohr fur Die Kron’ ist Dornen reiß. Auch muß Dich Purpur zieren e Dir die Knie/ Doch nur zu Spott’ und Schmach. Man beugt fur e e Man grusset Konig Dich/ Den man geehret nie. Hie wird der Knechte Spott/ der uns zu Herren machet. e Angst/ bespottet und verlachet. Der wird in hochster e Angesicht/ Vom Koth und Speichel fleust sein schones Vom Dornen smertz das Haupt/ die Haut vom Geisseln bricht. Seht welch ein Mensch ist das! geht/ fragt; ob man auch finde e uns stunde Ein’ Angst/ die dieser gleicht. Jst doch ob fur Sein Schatten und nicht Er. Wie macht Jhn doch so naß/ e unflath/ kalter Sweiß? Seht welch’ ein Mensch ist daß! Wust/ e erkennen/ Seht/ welch ein Mensch ist das! so ihr noch konnt Daß Er nicht sey vielmehr ein Wurm als Mensch zu nennen. Ein Scheusahl ist Er doch? krank/ ausgemergelt/ blaß/ Matt/ wund; wie zugericht? Seht/ welch ein Mensch ist das! Der Leib ist Beulenvoll. Vermenget Blut und Eiter Rennt heuffig von Jhm weg. Der Wunden Mund bricht weiter. Die Striemen swellen auf/ in ungezehlter Zahl/ e nicht/ das habe nicht ein mahl. Da ist kein Platzlein e O Modul aller Angst/ ô Exemplar zu dulden/ e Wir/ wir sind Streiche werth/ denn unsre sind die Schulden. (Hilf Vater! Der Den Sohn lest also richten zu/

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Paul Fleming e Hilf daß wir dankbahr seyn! durch seine Noth kompt Ruh!) e O Qual! ô hochste Qual! ô Ausbund aller Plagen! e deine Feinde tragen! Die Du/ ô Bruder/must fur (Hilf/ hilf Jmmanuel/ von unsern Wunden wund! Durch Deine Wunden Du/ die unsern machst gesund.) e e Dich/ die Trahnen/ scheuslich machen/ Die Smertzens Tochter e lachen. Sie fliessen als ein Strohm/ auf daß wir mochten e nicht Du sweigst/ du stilles Lamm/ Du sagst kein Wortlein e e Auf daß wir kunftig nicht erstummten fur Gericht. O wahrer Menschen Freund/ die doch sind deine Feinde/ e sie? Ein Freund der seine Freunde Was thustu nicht fur Beym Leben sterbend helt/ beweiset grosse Treu/ e Feind’ ermordet sey. Hier sieht man/ wie ein Freund fur e e Lieben heissen. Hie ist der Groste Freund/ das mag Hochst Er schonet Seiner nicht/ lest weidlich auff sich smeissen. e uns satan peitsche nicht/ Daß in der Hollengruft/ Und wir am Grossen Tag nicht kemen ins Gericht. Hie hilft kein helfen nicht. Jetzt kan Jhn niemand retten/ Die straffe liegt auf Jhn/ auf daß wir Frieden hetten. e Jhn mit Grauß/ Des Vaters Zornesfluth/ fehrt uber Und wil Jhn aus dem Land’ und Leben rotten aus. Der Jude Zeugen sucht/ von denen nichts erwiesen. Das falsche Zeugnuß wankt. Er wird gerecht gepriesen Vom Pfleger Pontius. Noch sol und muß Er dran/ Ob man gleich keine Schuld auff Jhn erzwingen kan. Herodes lacht Jhn aus. Pilatus fast erzwungen Spricht Jhn dem Tode zu. Die Alten mit den Jungen e wird erkiest/ Erbitten Barrabam. Der Morder/ e e ist. Fur dem/ der ohne Schuld/ und frey von Sunden e Hier Urtheil ohne Recht/ hier Straffen ohne Sunden. Messias wird gejagt/ und muß Sich lassen binden. Zum Creutze wird verdampt/ der wahre todes Todt/ Des Lebens Leben Selbst/ kompt jetzt in Todesnoth. Der Segen wird ein Fluch/ auf daß wir Segen hetten Vom Fluche frank und quit. Die Freyheit geht in Ketten Auf daß wir wurden frey. Sein Blut durchstreicht den Brief e schrie und rief. Der wieder unser Blut/ zum Hochsten Der muß nach Golgatha des Creutzes Querholtz tragen e tregt: wird Selbst daran geschlagen. Der unse Sunde e weg/ der stets in Seiner Macht/ Strekt Hend’ und Fusse Was Auf- und Niedergang/ was Mittertag und Nacht Jn sich bearmet helt. Der henget zwischen Dieben e e e und schand. Was konnt ihr nicht veruben/ Der ohne sund’

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e Jhr aller Boßheit voll/ ihr nichts als Ottergift? e e der Fall/ der Jhren Schopffer trift; Die Sonne trubt Sie macht den Tag zur Nacht. Das blaue Schloß des Himmels e e des Getummels Wird schwartz ob solcher That. Vom Wuten e Der Silberweisse Mond/ und seine guldne Schaar/ Forteilet an die Wach/ als es noch hochtag war. Es zittert die Natur. Weil jetzt ihr Vater zaget/ e klaget. Jst alles traurensvoll. Den Durst der Schopffer Der Gallenbittre Trank/ der eßigvolle Schwamm Muß mehren seinen Schmertz. An dem verfluchten Stamm e gingen/ Hengt unsers Lebensbaum. Die da voruber Die klatschten mit der Hand/ auch selbst/ die bey ihm hingen/ Die schalten schmehlich Jhn: es bliebe mancher stehn e e Gehohn. Und laß die Uberschrifft mit spotlichem Hier henget Unser Ruhm/ hier leidet Unser Prangen. Hier kranket unser Artzt/ durch den wir Heil erlangen. Er ist der Wunderbaum/ der Christen Freud’ und Lust/ Der Frommen Christen Schaar/ beliebet und bewust. Der Evæ Wundsch und Freud/ des Abrahams Verlangen/ Die Hoffnung Jsaacs/ den Jacob hat umfangen. e Die Himmelsleiter und der Trost der Konige/ Hengt hier/ in Schmach/ in Angst/ in Schmertzen/ Ach und Weh’. e kaum ein Mensch/ recht Beyleyd mit ihm haben/ Es durfte Die Feinde sahen zu. Die Jhn verlassen haben/ Sehr langsahm traten an. Bistu der sich verspricht? Wo bistu/ Petre/ nu/ mit deiner theuren Pflicht: e Jhn sterben wollt? Ach/ wie ist dir zu Hertzen/ Der fur Du Mutter und Jungfrau: wenn Du in solchen Schmertzen/ e hin/ Betrachtest deinen Sohn? du sinkest ofters e Jn Ohnmacht/ Stimmeloß/ todtfarbig/ ohne Sinn. Hier hengt dein Wundersohn/ mit so viel hundert Wunden/ e Angst und Noth/ gebissen von den Hunden/ Jn hochster e Weib/ Die vol von Frevel sind. O sehr betrubtes Jetzt dringet dir ein Schwerth/ durch deine Seel’ und Leib! e heulen/ Du Traurensvolle must gequelet klaglich Es schweben immer Dir vor Augen Seine Beulen. e daß du zu guter Letzt/ Es ist dir nicht vergonnt/ e e eingenetzt. Jhm kussest seinen Mund/ mit Trahnen Was hilfft/ es kan nicht seyn. Du must voll Jammers stehen/ Und schauen diese Noth: must dieses Thun ansehen/ e e satansspiel/ zur Zeit der Finsternuß/ Das bose Daß er den Kinderen/ und seinen Knechten hieß. e Schmertz/ dennoch an deine Schmertzen/ Er denkt im hochsten

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Johannes stund dabey/ (der lag an Seinem Hertzen/) Der soll dein Vormund seyn/ dein Pfleger/ Rath und Sohn/ e und Hohn. Sich deiner nehmen an/ in Durfftigkeit O Alles/ schaue zu! Jetzt GOttes Sohn muß sterben/ Er wil durch seinen Todt/ das Leben dir erwerben/ Hauptneigend Er erblast. Der H ERR der Herrligkeit/ Lautruffend e Fur uns/ durch solchen Todt/ schleust Seine Lebenszeit. Und nun/ verscheidet Er. Das Firmament erzittert. e Der Felsenberg zerspringt/ der Erden = Ball erschuttert. e Nord = Osten = Sud = und West Wind/ reissen aus der Klufft/ e Land und See. Dreymahl mehr in die Lufft/ Besturmen Speit’ Ætna Feur von sich. Die Menschenkinder dachten/ Es wer’ ihr Ende da. Des Tempels Mauren krachten. e brachen auff: Der Teppich riss’ in zwey. Die Graber Zu dir/ Jerusalem/ war vieler Todten Lauff. e e GOttes Sohn fur uns sein Leben enden: So muste e e Straffe wenden. Der Mitler muste so der Hollen So tief erniedrigt Sich/ Der HERR/ der alles hieß. e uns den Geist aufgibt/ der uns die Seel’ einbließ. Fur Der Starke neigt sein Haupt/ die Lokken blutig hangen/ Der mehr als Rosenmund/ die Gnadenvolle Wangen Verlieren Glantz und Lust. Die Augen fallen ein Und brechen/ die der Welt sind mehr als Sonnenschein. Die Hende werden welk/ der Beine mark erkaltet/ e ist die Haut/ gerunzelt als veraltet. Blutrunstig Hier hengt Er ausgespannt/ gemartert und zerfleischt/ Zerschlagen/ strimenvoll/ zermergelt ausgekreischt. O wahrer Pelican/ der Seine Todte Jungen/ Durch Sein Selbst Blut belebt. Uns ists durch Dich gelungen/ Du Ehrne Schlange Du/ Du rechte Medicin/ Die alter schlangen Gifft und Bisse nimmet hin. Hier mehr als Jonathan! ô gehe fort Orestes! O Wundergrosse Treu/ Er suchet unser Bestes e e Leyd! O Konig/ Priester mit! Und thut Jhm hochstes e O Hochsterpriester/ Der beym Vater uns vertrit. e e undest Du stirbest/ Wahrer Mensch/ auff daß du uberw Den Todt/ Du Wahrer GOtt/ und daß du Schilo bundest e Welt/ du steigest in die Grufft/ Den gott der bosen e Und sturmest keklich zu/ auff seine schwartze Klufft. e aus Juda kommen/ Du starcker Simson Du/ Du Low’ Verbirgest deine Krafft/ und schaffst uns Menschen frommen. O Stern/ wo ist der Glantz? ô Schatz/ wo ist dein Gold?

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O HER R/ ist das die Ehr’? ô Artzt/ ist das der Sold? So arg kein Tyger ist/ so grausam ist kein Drache/ Daß einem seiner Art er solch ein Quelen mache. e liebt den Artzt. Die Menschen sein so toll/ Der Lowe Und todten Den/ Der sie vom Sterben retten sol. Jhr gantzvergaltes Volk/ ihr hartverstokte Sinnen/ e Noch Thierischer als Thier. O hettet ihr doch konnen Erkennen eure Schuld/ in GOttes Sohnes Blut/ Habt ihr den Speer genetzt/ daß Er auch euch zu gut/ e von Sich. Behertzet doch die Zeichen. Noch fliessen last Doch ihr seyd Eisenart. Euch kan doch nichts erweichen. Den Demant zwinget man/ den Stahl zerschmeltzt die Glut/ Kein Diamant/ kein Stahl/ gleicht eurem harten Muth. e Messiæ danket ihrs/ wie eure Vater thaten/ Das ungezaumte Volck/ ohn Helfen und ohn Rathen/ Gott macht’/ ô Jsrael/ dich los aus Pharons Hand/ Und hat des Meres Grund/ in flaches Feld gewand/ Wie auch des Jordans Fluth. Der/ Zeit von vierzig Jahren Dich wie ein Adler trug; da keine Wege waren; e Kein Proviant kein Hauß. Da nichts als Wusteney/ Hielt’ Er dich/ hartes Volck/ in Speis’ und Kleidern frey. e e musten Fleisch/ die Felsen Wasser geben/ Die Lufte Das Manna stunk euch an. GOtt selbst/ in dem wir leben/ e e euch. Noch furchtet ihr Jhn nicht/ Stund vor/ hielt’ uber Ein Kalb war mehr bey euch/ als Wolke/ Feur und Licht. Biß daß euch Josua ins Land der Freude brachte/ e machte: Und das Verheissene euch unterthanig Das Milch = und Honig = Land. Wo war ein Volck euch gleich? e aus euch. GOtt macht’ ein grosses Volk und Konigreich Er ließ euch dienend seyn/ stieß aus/ und holte wieder/ e Jhm/ in Reu’ und Glauben fielet nieder. Wenn ihr fur e e haar’ und haufft die schwere Schuld Jhr seyd der Vater Jhr Gottsvergessene/ wie kan euch GOtt sein Huld? e euch zu wenig/ So viel Propheten Blut/ ist noch fur e e Jhr todtet GOttes Sohn/ ermordet euren Konig. O du verdamptes Volck! Der euch von Anbeginn Zu seinem Reich erkiest. Dem ihr stets lagt im Sinn/ Und das/ und was ihr seyd/ seyd ihr durch seine Gnade. Dem gebet ihr den Lohn. Ach das doch euer Schade/ Euch recht zu Hertzen ging! Jedoch ihr habt kein Hertz/ e und ein belachter Schertz. Es ist euch eine Mahr’ Du Volk von Hagar her/ und nicht der Sara Sahme/ Du bist nicht mehr ein Volk/ dein Nahm’ ist mehr kein Nahme/

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Von jederman entkand/ so weit schwebt eine Wolk’ e Volk. Hastu kein stetes Hauß; Du gantz zerstortes Den GOTT / Der Ewig ist/ den ruffen wir zu Zeugen/ Daß euch Halstarrige/ wir gerne wollen beugen/ GOtt beug’ euch; seufzen wir. Jhr in dem Frevelsinn/ Verblendet und verstokt/ fortfahrend fahret hin. e Lufft/ Erde/ Feur und Meer/ die mussen es bezeugen/ Daß ihr gesteifete/ mit nichtes seyd zu beugen. e GOTT Selbst klagt uber euch. Wo ihr fort starrt so sehr/ So wird euch beugen einst/ Lufft/ Erde/ Feur und Meer. Schluß. e O Kreutz/ uns nicht ein Kreutz/ an dem wir konnen haben/ e e e Fur Kreutz Ergotzligkeit/ fur Armuth reiche Gaben/ e e Fur Bande freyen Paß/ fur schrekken Sicherheit/ e e Abgrund Himmelslust/ fur Todt Unsterbligkeit. Fur e Das heisse: wohlgetauscht. Noch stehn des Himmels Thuren/ e e Geoffnet Angelweit. GOtt wil uns mit sich fuhren/ e Uns seine Glaubige. Wir sind den Engeln gleich/ e e Wir Hochstgeadelte/ im schonen Himmelreich. e e O Kreutze sey gegrust. Ach mocht’ ein jeder ehren Dich O Gekreutzigter. Du kanst dem teufel wehren/ e Du grosser GOtt und Mensch. O wurdige Figur/ Bey der wir denken/ an den grossen ElendsCur. Uns trifft kein Mosis Fluch. Hie/ des Gesetzes Ende. Der Deke darf man nicht/ daß uns der HErr nicht blende. Hie ist das LebensBuch/ das Neue Testament/ JEHOVAH bey uns ist/ Den noch kein Jude kennt. Hin ist nun alles Leyd. Der HErr hat ausgestanden Was auszustehen war. Er ist befreyt von Banden/ e e Sie ziehen Nagel aus. Den Corper nehmen ab/ Thun Jhm das Letzte recht/ versenken Jhn ins Grab. So Joseph/ wolgethan/ daß Du wilst Den begraben/ e haben. Durch dessen Wundergrab wir keine Graber Weil Er gestorben ist/ so stirbet nu kein Christ/ Den uns der Todt ein Schlaff/ das Grab ein Ruhbett’ ist. Und hett’ ich auch gelebt/ zu Nicodemus Zeiten/ e Jch hatte wollen wol des HErrn Grab bespreiten e Mit Blumen ohne Zahl. Das grune Lorberlaub/ e e Hatt’ ich fein auffgestreut/ fur Erde/ Sand und Staub. e e Jch hatte grunes Gras und Amaranthen geben/ Blumen Mit Hyacinth vermengt/ Dir aller Leben. Kreuter

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e e Ein Rauchlicht hatt’ ich auch/ Dir/ HErr/ gezundet an/ Und womit sonsten man die Todten ehren kan. e e mogen wanken Jch sprech’ in Unverstand. Jch hatte Und klein von Glauben seyn/ gar weichen aus den Schranken e Voll Furcht und Schwachheit voll/ Der rechten Schuldigkeit. Wachtscheuend/ wie Er nicht wil daß mans machen soll. Jch bin im Glauben da. Mein JESU nim vor willen/ e Du wollest deine Gnad’ in deinem Knecht’ erfullen. Nim an diß Sterbelied/ nimm an den Grabgesang/ Den/ O mein Auffenthalt/ dein grimmer Todt erzwang. e e habe Dank. Blutburge sey gelobet. Erloser Ruhstiffter ruhe sanft. Ob gleich um dein Grab tobet Der Wechter ohne Wacht. GOtt lob! am dritten Tag/ Kein teufel dich/ kein Mensch/ verhindert halten mag. e e Sey Brautigam gepriesen/ Gesalbter sey geruhmt/ e Der sich fur seine Braut so Gnadenreich erwiesen. Sey ewiglich bedankt. Am Ostersontags Tag/ Noch Wacht noch Siegel Dich/ im Grabfels halten mag. Ende dieser Traurzeilen/ und bald darauff D. Flemmings LebensEnde.

P. F. R. C.

Schlus. SO hat der Flemming/ Lied/ Leid/ Leben/ hier beschlossen/ Verbessert geb’ ich es/ dazu gantz unverdrossen. Die ich/ mit Hertzenslust/ hier in der Andacht seh’/ Den und mehr Andern es sehr tief ins Hertze geh! So sang mir Flemming vor/ ich hab’ Jhm nachgesungen/ Und wen des Creutzeslied/ in vieler Hertz gedrungen. So hab’ ich meinen Zweg. Jetzt sol mir noch allein/ e Ein schones LeidensLied/ end’ und Beschliessung seyn. e

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[1.] J E S U / deine tieffe Wunden/ 4. Ja/ fur alles was mich tranket Deine Quaal und bittrer Todt/ Geben deine Wunden Krafft/ Geben/ mir/ zu allen Stunden/ Sich darin/ mein Hertze sencket/ Trost/ in Seel’ und Leibesnoth. Und kriegt neuen Lebenssaft. e e Deines Trostes Sussigkeit/ Fallt mir/ etwas Arges ein: Denk’ ich fort an Deine Pein/ Jn mir wendet alles Leid. Die erlaubet meinem Hertzen/ Du hast mir das Heyl erworben/ e e Weil Du bist fur mich gestorben. Mit der Sunde nicht zu schertzen. 2. Wo sich/ wil in Wollust weiden 5. Auff Dich/ setz’ ich mein Vertrauen/ Mein verderbtes Fleisch und Blut/ Du bist meine Zuversicht/ So gedenk’ ich an dein Leyden/ Dein Todt hat den Todt zerhauen/

Paul Fleming

270 Bald wird alles wieder gut. e Kompt der satan und setzt mir e Heftig zu/ halt’ ich ihm fur/ Deine Gnad’ und Gnadenzeichen/ So mus er von hinnen weichen. e 3. Wil die Welt mein Hertze fuhren Auff die breite Wollustbahn/ Da nichts ist als jubiliren/ Alsdan schau’ ich emsig an/ Deiner Marter Centnerlast/ Die Du ausgestanden hast. So kan ich in Andacht bleiben/ e Und die bose Lust vertreiben.

ENDE

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Daß er mich kan todten nicht. Daß ich an Dir habe Theil/ Bringt mir Trost/ Schutz/ Freud’ und (Heil. Deine Gnade wird mir geben/ Auferstehung/ Licht und Leben. 6. Weil ich dich hab’ in dem Hertzen/ e Du Brun aller Gutigkeit/ So empfind’ ich keine Schmertzen/ Auch im letzten Kampf’ und Streit. Jch verberge mich in Dich/ Kein Feind kan verletzen mich. Wer sich legt in deine Wunden/ e e Der hat gluklich uberwunden.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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11 e e e unschungen | Auff froliche Geburt vnd Namenstage | Des EhrnGluckw vesten/ Achtbarn vnd Hochgelarten/ | [Inschrift in einem Lorbeerkranz] e Holst. Gesandten wolbestalten MEHerrn | Hartman | Gramans | Furstl. DJCJ/ | von seinen guten Freunden | Jn Moskaw vnd Revall geschrieben. | [Strich] | Zu Revall/ druckts Chr. Reusner. 1635.

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Chor der Nimfen. WOl dir/ aller Freunde Freund/ Dem jtzt seine Sonne scheint/ Dem wir diese Blumen binden/ Dem wir diese Schlingen winden/ Dem wir diesen Tag begehn. e Kom herfur/ kom hieher stehn/ Hieher da die Nimfen schertzen/ e Da sich Hirt’ vnd Schaffrin hertzen/ Da die buhlerischen Winde Bald geschwinde/ bald gelinde e Jhre leichte Flugel schwingen/ Da sich Schaff’ vmb schaffe dringen/ Da die Erde/ See vnd Lufft Laut in einem ruffen rufft; Lange lebe dieser Freund/ Dem jtzt seine Sonne scheint. So viel Tropffen der Neglinen/ So viel in gantz Reußland Bienen/ So viel Moskaw schritte weit/ So viel man da Glocken leutt/ So viel man in Jahres frist Wein vnd Lauch da trinckt vnd isst/ e So viel hundert schoner Tage/ So viel tausent Lust ohn Klage/ So viel hundert tausent Freuden/ Ohne das geringste Leiden/ e Musse der allzeit empfinden/ Dem wir diese Blumen binden/ Dem wir diese Schlingen winden/ Der ist aller Freunde Freund/ Dem jtzt seine Sonne scheint. Florelle. Driopea. Flaminia. Melinde.

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HErr Graman/ dieser Tag/ darin man Ewren Namen Hartman genandt (der auch herkommt auß Edlem Samen) Nun im Calender steht/ treibt mich zu diß Gedicht/ Daß ich zu schreiben Euch kan vnterlassen nicht. Ey sagt/ wie kompt es doch/ daß Graman jhr genennet/ Weil an Euch schwartze Haar vnd keine graw man kennet? Vielleicht treff ich es recht/ vnd thue selbst auff die Frag Ein gute Antwort/ die nicht sey ein schlechte sag. Man nennet Graman Euch/ weil man den alten Glauben e An Euch selbst spuren thut/ der selten ist wie Tauben e Meer; Jhr machet Leute alt Auffm wilden wusten Durch ewre Medicin/ daß sie nicht werden kalt. Dieß eins thu ich hinzu/ daß Euch Gott woll erhalten/ Biß man Euch zehlen thue auch vnter grawe Alten: So werdet jhr alsdann ein rechter Grawman seyn/ e die Grube gehn hinein. Vnd auch mit grawen Haupt A. H. C. M. K. M. JSt schon nichts nicht mehr zu finden/ e binden/ Darmit wir Euch konnen Als diß eingelegte band/ Das von Dreyer Schwestern hand Jn einander ist gewunden/ So ist doch das Hertze gut/ e Das Euch diese wurde thut. Seht die angenehmen Stunden/ Diese Stunden/ die vns Allen Machen einen wolgefallen/ Tausent vnd noch tausent mahl. Der gestirnte Himmelssaal Wil sein Jawort auch drein geben/ e e Daß Jhr vnbetrubt mogt leben: Wie denn auch die drey Geschwister/ Welche halten das Register e Vber Leben/ uber Todt/ e spinnen/ Die vns vnser Glucke e e Gonnen euch/ was wir euch gonnen/ e Was Euch gonnet selbsten Gott. Wie viel schlechter ist das Band/ So viel besser ist der Rath/ Vnd der Dreyen Schwestern hand/ Die Euch das geschrieben hat. N. A. E. L.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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e ODE | auff frolichen Namenstag | Des Ehrnvesten/ Hochgelarten vnd Vielere fahrnen | Herren Hartman Grahmanns/ | Beyder Medicin Candidat. Furstl. Holsteinischer | Gesandten MEDJCJ/ | Begangen in Revall den 8. April/ 1635.

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e Stunden DV nur wilst die sussen Stille lassen gehn vorbey? Denck/ ob dieses billich sey/ Trawrig seyn vnd angebunden. Da vorauß diß grosse Gantze Selbsten gehet wie zum Tantze. e Das erhohte Rad der Sonnen Strewt sein Liecht erfrewter auß. Thetis jhr gefrohrnes Hauß Hat nun wieder Lufft gewonnen. e Jn den Garten/ auf den Awen e Jst verjungte Lust zu schawen.

Stadt vnd Dorff ist auf dem sprunge. Reich vnd Arm ergetzt die brust. Mann vnd Weib braucht dieser Lust. Gleich erfrewt sind Alt’ vnd Junge. e Denn die schonste Zeit der Zeiten Lehret sie vmb Frewde streiten. Hewer nimb darzu ingleichen/ Was Du vor dem Jhar’ erspart/ Da jhr lieben Leute wart/ Wo ich nicht kundt’ hin gereichen. Wir wolln vns in solcher sachen e Zwiefach mit Dir frolich machen. e Laß die schonsten Jungfern bitten. Setz vns vor Confect vnd Wein. Heute wolln wir lustig seyn/ e Nach der schonen Leute sitten/ Die nur/ auf den hohen Schulen/ e Trincken uben vnd das Buhlen.

Lasse gleichsfalls zu vns kommen e Das beruhmbte Seitenspiel. Es mag kosten/ was es wil.

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Alles dient zu deinem frommen. e Daß man von dem schonen TAGE Durch das gantze Jahr durch sage. Nicht daß wir Dir vor zuschreiben e Vns hiermitte nehmen fur. Nein. Freund/ es steht gantz bey dir. Du wirst dich wol selbsten treiben. Wir versprechen/ daß wir wollen e Frolich seyn/ als wie wir sollen. Deß Herren gute Freunde vnd CAMERADEN H.V.S. H. S. H.C.V.V. H.A.B. M.F. L.B. H.B.H. W.K.V.B.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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12 e e e Liefflandische Schnee = | grafinn/ | auff H. Andres Ruttings/ | Vnd | Jungfr. Annen von Holten | Hochzeit. | [Strich] | Revall/ 1636.

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e ES war ein schoner Tag im Himmel/ wie auff Erden/ Zur zeit/ wenn Delius mit seinen Fewerpferden Steigt algemach Berg an. Wenn vns bereifft das Haar/ e Vnd fur den Hornung dient ein guter Februar; e Zur Zeit/ wenn Lieffland sich im Schlittenfahren ubet/ Vnd auch den Schiffern fast zu Lande nichts nach giebet/ Jn dem ein munter Pferd mehr eine stunde zeucht/ Als manches schnelles Schiff vor vollen Segeln fleugt. Da trug sichs eben zu/ daß etliche der Ritter Die Solthein außgesandt/ vnd hier das Vngewitter So lange zeit hielt’ auff/ sich machten auff das Land Vmb einmahl froh zu seyn/ zu machen sich bekant. So bald die Venus diß von jhrem Sohn’ erfahren/ e Vnd sonst die Gotter meist auch nicht zu Himmel waren/ e Hieß sie den Schwanenzeug alsbalde tragen fur/ Der stracks ward angeschirrt. Kom/ sprach sie/ Kind/ mit mir/ e Vnd wer mir folgen wil. Alsbald ward ein getummel Von jhrer kleinen Schaar durch den Saphirnen Himmel. Vorauß jhr eltster Sohn nam vmb sich seinen Rock. Das Pferd/ darauff er saß/ das war ein Hasselstock. e Sie namen jhren weg durch Junons weite Kluffte/ e Vnd durch das lere Feld der außgespanten Luffte. Sie fuhren in die Welt/ vnd sprachen/ auff den schein/ e Als kahm’ es vnversehns/ bey diesen Rittern ein. Das gantze Hauß ward froh. Alsbalde ward gesessen/ Vnd vmb den langen Tisch getruncken vnd gegessen. e lust/ vnd was sonst mehr steht frey/ Bey schertz vnd susser War eben jtzo kaum der erste gang vorbey. e Sieh/ da kommt Bacchus her mit seinen zweyen Panthern/ e Die er jhm jagen laßt weit bey den Garamantern. e e Er ruckte fur das Hauß; stieg alsobalden ab/ Vnd nahm in seine Hand den langen Traubenstab. Willkommen/ liebster Freund/ sprach Venus zu Osiren/ Geht ein/ kombt alle her/ helfft vnsre frewde zieren. Jm fall jhr habet nur zu essen mit gebracht/ e So dorfft jhr zahlen nichts/ als was das trincken macht. e Der Gaste waren viel/ die mit Evasten kamen/ Vnd jhren abtritt hier bey diesen Rittern namen.

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Paul Fleming e Nach dem die hoffligkeit/ vnd alles war gethan/ Vnd nun gesessen ward/ hub Comus also an: Wie bin ich doch so froh/ daß ich mich zu euch setzen/ Vnd mich auff diesen Tag mit euch sol recht ergetzen. Wolan/ da habt jhr mich/ jhr rechten Deutschen jhr/ Wer das nicht glauben wil/ der setz’ vns Wein vnd Bier Vnd nasse Wahre vor. Vmb Kannen Lantzen brechen/ Thurnieren vmb ein Glaß/ vnd kalte Schalen stechen/ e Jst vnser Ritterspiel. Wer hier am strengsten laufft/ e e Den andern ubereilt/ zu Gottes Boden saufft/ e Der ist der beste Mann. Wir reitten in die schamme/ e e Vnd baden Mund vnd Bauch. Wir fuhren grosse Damme. e e e Von Glasern vor vns auff. Wir spielen fur vnd fur. Das Kraut ist hier der Wein/ das Loth ein frisches Bier/ e Das man das beste heisst. Wir fewren auß den stucken/ e Die vns ein Glaser geusst. Wir bawen gleichsam Brucken. e Bewachen allen Paß; Wir rucken an den Feind/ Der feindlich ist in dem/ daß er sich nennet Freund. e man Krieg. Wir machen nacht zu tage/ Vmb freundschafft fuhrt e von keiner klage/ Zu nachte manchen Tag. Man hort Als wenn man nicht mehr kan. Wir fallen wie wir stehn/ Wir wollen keinen schritt auß vnsern Gliedern gehn/ Das Krigern schimpflich ist. Man sieht die Troupen schwingen/ Vnd machen Caracoll. Wir lachen/ jauchtzen/ singen; e vns. Dort zeigt sich ein Squadron/ Das Feldspiel dient fur Hier eine Compagnie/ vnd ist gefasset schon/ Daß sie dem Feinde steh’. Es geht zu/ wie im Kriegen. Der anbruch wird gemacht. Wir kommen/ sehen/ siegen. e wil vns wol. Bald sind wir Freund/ bald Feind; Das Glucke e thun/ so ist es gut gemeynt. Wenn wir am argsten e Wir Fechten ritterlich. Vergiessen das gebluhte/ e Wie wirs getruncken ein. Das durstige gemuhte e Erwuntscht jhm stets den Feind/ mit dem sichs rauffen kan/ Das beyde fallen hin auff den besagten Plan. e loben wir/ die einen schimpff verstehen/ Die Glaser e gehen/ Vnd wider Tisch vnd Wand mit vnsern Kopffen Vnd fester sind/ als sie. Wir schencken ehrlich ein/ Vnd trincken redlich auß. Wenn denn der blancke Wein e Glaß in liechtem Golde blincket/ Durch das beruhmte e Da wachßt vns erst der Muht/ das man behertzter trincket. e Der trunck macht alle gleich. Wir stifften Bruderschafft. Die Feigen werden frisch/ die armen werden Reich e sich keiner schertzen/ Durch das geliebte Glaß. Es laßt

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Wenns der gesundtheit gilt; er hebt von gantzem hertzen/ Vnd leert die Schale wol. Er macht es redlich auß/ e jhm schweiß vnd Bier/ vnd alles andre rauß/ Vnd drang’ Es muß geleeret seyn. Wir trincken auff viel weisen/ e Die nicht gemeine sind bey schlechter Leute schmausen. Beym trincken ist auch Kunst. Vnd daß mans ja wol kan e eins zehn Liechter an. Besehen/ stecken wir fur Das recht erfordert das. Wer sagt nicht/ das wir schiessen? e Der rauchende Taback wird dieses zeugen mussen/ Der vns vmbnebelt gantz. Der auffgefahrne Dampff/ Von vielen orten her/ macht/ daß man diesen Kampff e Von fernen nicht erkennt. Der Feind wil uberlegen/ Der Freund ingleichen seyn. Wir greiffen nach den Degen/ e e Die man sonst Rohren heißt. ein glasernes Pistol Tantzt manchen vmb den Mund/ daß er hin sincken sol. e Tod/ der bald nach sieben stunden Das ist ein schoner e Wir schlagen frische wunden/ Vns wider leben laßt. Vnd heilen vns durch sie. Kein Pflaster ist so gut/ e Als wenn man Hundeshaar’ auff diese schaden thut. e e Wir meynens Bruderlich. ein jeder gonnt dem andern/ e sind zum wandern Mehr als er selbsten hat. Die Glaser Zum stehen nicht gemacht. Wir wetten auff den Mann/ Der etwan/ wie man meynt/ nicht mehr bestehen kan. Man singt/ man pfeiffts jhm ein. Das ist die rechte Katze. Man brauchet manchen fund/ wie man das Bier nein schwatze. Der bringet einen schwanck. Der schneidet einen fleck/ Den Polyphemus selbst nicht solte tragen weg. Der saget newe Mehr/ der Papst sey Luthrisch worden. Zu/ weiß nicht wo/ komm’ auff ein Nagelnewer Orden. Der giebet Retzel auff/ worein wol alles geht; Was lieget/ wenn wir stehn/ vnd wenn wir liegen/ steht; e schabt. Was eine bunte Ziege Warumb man Kase e Wol habe fur ein Fell. Vor was die Elster fliege. Was doch wol dieses sey/ das nicht hat Haut/ nicht Haar/ e zur Welt/ so brumt es wie ein Bahr. Vnd wenn es kompt e Warumm der Fuchs nicht fleugt. Was zwischen beinen wachset/ e Vnd was der schnacken mehr. Man lachet/ daß man lachset/ Vom tieffsten Bauche rauff. Wir springen auff den Tisch; e Wir tantzen vmb ein Glaß. Verkauffen vnterm Wisch/ e Jm fall’ es greiffens gilt. Das zehrlein macht vns kuhne. e Ein jeder ist bemuht/ zu haben eine Fine/ Der er zu diensten steht. Der sonst so keck kaum war/ e e e grußt/ vmbfanget sie jtzt gar/ Daß er sie nuchtern

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Paul Fleming e Vnd giebt ein hertzen drein. Vns frewden vollen Gasten e Ermangelt keine lust. Wir thonen nach dem besten Ein Waldlied auß dem Schein’. vnd sein Studenten schmauß Muß gantz von fornen an gesungen werden auß. e e Kunste steigen Wir Figuriren wol. Die schonen e Auch mit dem truncke stets. Diorben/ Floten/ Geigen e e Sind vnser taglichs Spiel. Vnd konnen wir mehr nicht/ So muß das A BC auch kommen vor das Liecht. e Compagnie/ danck habe deiner ehre/ Du schone e were/ Daß du mich auch nimbst ein. Wenn was zu wundschen So wolt’ ich/ daß der Tag/ da ich euch wohne bey/ Von tausent jahren nur der allererste sey. Ey ja das were frey/ sprach Cyprie mit lachen. e machen. Wolauff/ wir wollen vns recht heute frolich Sprach Bacchus. Holla/ ha/ schenckt ein/ schenckt hurtig ein e Das Neckarsusse Bier/ den Ambrosiner Wein. Jch weiß nicht/ wie es kam/ daß in die Badestuben Von offner Tafel weg sich diese zwey erhuben/ e Sohn Die heute sind getrawt. Der Venus guldner Schlich jhnen heimblich nach. Das war jhr rechter Lohn. Da ward der Kauff gemacht/ da ward der Raht geschlossen. Cupido kam gelacht. Sind/ sprach er/ das nicht possen. Ey Mutter/ seht doch her/ vnd zoch das gute Paar/ Das den Gesichtern nach fast gantz erstorben war/ e e e alle Gaste vor. Was kanst doch du nicht ruchen/ Fur Sprach Venus/ lieber Sohn. Wer wil sich nun verkriechen/ Weil auch ein solcher ort nicht sicher ist vor dir/ Auff den man nie gedacht. Was saget aber Jhr? Die Braut/ bald roth/ bald blaß/ fing endtlich an zu reden: Wat schal ich arme Kind. Gott weht/ wat sy my theden. Das ander/ Ycks/ Kacks/ Koll/ hub sie auff Vndeutsch an/ Das ich noch nicht versteh’/ vnd auch kein Gott nicht kan. Wolan/ sprach Paphie/ das geht nach meinem sinne. e Wie schickt sichs doch so wol. Jtzt sey sie Schneegrufinne/ Vnd vbermorgen Braut. Da ward erst laut gelacht. Da ward die gantze Nacht mit frewden hin gebracht. e Karten. Da ging das schertzen an. Die spielten der funff Die jagten Fluchs ins Loch in dem beschneiten Garten. Das Kalb ward außgetheilt. Des Schuchs/ der blinden Kuh/ e auch darzu. Des Richters ward gespielt/ des Konigs Drauff ging das tantzen an. Der Reyen ward geschwungen Auff sein gut Polnisch her. Da ward volauff gesprungen/ Nach der/ nach jener art. Das Trara war nicht schlecht.

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e Der Staht = vnd Schaffertantz ward auch gefuhrt/ wie recht. Das beste/ das noch kam/ das war die bunte reye/ Die Venus machen hieß auff einer weichen strewe. Ein jeder schmiegte sich an seinen Nachtbar an. e ward gesperrt. Die Liechter außgethan. Die Thure Da ging es recht bund zu. Diß lob’ ich hier zu Lande/ Daß mancher seinen wundsch so bringen kan zu stande. Der harte Vater schilt/ die Mutter ist zu scharff. e sprechen darff/ Die er sonst in der Stadt nicht kuhnlich e Die legt er neben sich/ vnd laßt die guten alten Zu Hause/ wo sie sind/ nach jhrem willen walten. Er braucht der kurtzen Zeit/ die alles bald vergißt; e Das schlechtste/ das er thut/ ist daß er hertzt vnd kußt. Die volle morgenzeit begunte sich zu zeigen/ e e rad almahlich vor zu steigen. Vnd Titans guldnes e e uck’ her. Auff/ auff/ sprach Venus/ auff/ vnd bringt das fruhst e Es reist sich nuchtern nicht. Vmb sieben ohngefehr Muß ich wo anders seyn. Der Abschied ward genommen/ Sie wolten ingesampt heut’ auff die Hochzeit kommen. e Lebens satt/ Mit diesem schieden sie/ deß sussen e Die Gotter in die Lufft/ die Ritter in die Stadt. Braut/ dieses ist der Tag/ den Venus angesetzet/ Daß jhr die Jungfrawschafft zu letzte noch ergetzet. e e ist der Tag/ der offentlich euch giebt/ Diß/ Brautgamb/ Was jhr so lange zeit vnd heimblich habt geliebt. Auff heute kommen wir/ wie wir euch denn versprochen. e vnd Keller auff. Laßt Backen/ Brathen/ Kochen. Schließt Kuch’ Schont keiner kosten nicht. Der Himmel hats versehn/ Daß dieses/ weil jhr lebt/ nur einmahl sol geschehn. e e nicht Euch vnd Vns. Der Sonnen guldner Wagen Versaumt Hat an die helffte schon den tag von vns getragen. Wir haben kurtze zeit. Thut die versehung ja/ Daß vns sonst mangle nichts/ als was da nicht ist da. e e mißgefallet/ Eins ist es/ das mir hier an Kosten e Daß solche susse zeit zu bald wird abgestellet. e an/ Was macht doch ein tag froh. Eh man recht fanget So ist es gantz vnd gar vmb alle lust gethan. Mein Deutschland hat in dem weit eine bessre sitte/ Nimbt auff den andern tag auch noch den dritten mitte. Der erste macht bekandt. Der andre sterckt den muht/ e thut. Daß man den dritten offt wie Braut vnd Brautgamb e Da wird manch newes paar. Jst einer noch nicht mude/ Wolan/ der vierdte dient auch noch zu seinem friede/

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e e Der fur die Braut gehort/ vnd die jhr auffgedient. e Wer denn noch nicht hat satt/ der hat sich viel erkuhnt. Was aber sol ich thun in einer frembden sachen/ Man wird hier newes nichts vmb meinetwillen machen. e Jch muß nur lustig seyn. Es nemen/ wie es kombt; Zu frohseyn ist der Tag/ zu rechten nicht bestimbt. Wolan/ ich mache mitt. Jhr Jungfern vnd Gesellen/ Vnd die jhr gerne sitzt vor/ bey/ vnd in der Hellen/ Nehmt diesen Tag in acht/ der Tag geht euch auch an. Seyd lustig/ wie jhr thut/ biß keines nicht mehr kan. Der tag zwar endet sich/ nicht aber vnsre frewde. e vns/ ob gleich die newen Beyde Die Nacht ist auch fur e nein/ Braut/ nein. Vns lieber sehen gehn. Nein/ Brautgamb/ e e seyn. Jhr mußt ein wenig noch bey ewren Gasten Was aber hilfft es vns/ daß wir euch sollen hindern/ e lust mit vnserm halten mindern. Vnd euch die susse Geht/ Liebste/ wie jhr wolt/ geht/ fangt das streiten an/ Ohn welches zwischen euch kein friede werden kan. e O Braut/ daß ich von Kriegen/ Doch/ seyd nur vnverfuhrt/ e Von streiten was gedacht. Es kommet doch zum Siegen. e Jch wil euch Burge seyn auff alles/ was jhr wolt/ Daß jhr auß dieser Schlacht das Leben bringen solt. Es ist auff nichts gemeynt/ als nur auff lauter Leben. Nichts als der Tod bleibt todt. Wolt jhr mir glauben geben. e Der Feind/ der Euch so trutzt/ vnd fordert stoltz herfur/ e Der hat so dunne Haut/ so weiches Fleisch/ als Jhr. e leget euch in Gottes namen nider/ Geht/ Brautgamb/ Vnd wenn jhr morgen denn steht auff/ so sagt mirs wider/ e schmeckt/ Ob nicht der Liebsten Mund noch zehnmal susser Als ewer bestes thun/ vnd edelstes Confect. Zwar wißt jhrs doch vorhin. Das andre muß ich schweigen/ Das jhr gewißlich thun/ vnd keinem werdet zeigen. e e mit der Braut/ geht/ trefft die rechte Thur. Geht/ Brautgamb/ e Vnd daß euch niemand jrrt/ so steckt den Plocken fur.

Der Dichter. e Nehmt meine Schneegrafschafft/ jhr frohen Hochzeitgaste/ Vnd deutet selbe mir nicht anders/ als auffs beste. Laßt vnter dessen Euch die Zeit nicht werden lang. e Bald solt jhr kommen auch auff meinen Stromlingsfang.

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2. Übersetzung der lateinischen Texte 1 Den erlauchten Mann | Timotheus Polus, den gekrönten Dichter, | Professor der Poesie im | Gymnasium von Reval, | grüßt Magister Paul Fleming. Der plötzliche und frühzeitige Tod Eures Christinchens kam der Vollendung eines Dankgedichtes zuvor, mit dem ich Euch zu ihrer Geburt gratulieren wollte, erlauchter Polus. Damit Euch dieses Gedicht nicht Eure Wunde noch bitterer macht und vergrößert, wird es unvollendet unter meinen Streichungen zugrunde gehen. In der Zwischenzeit nehmt statt dessen dies als ein deutliches Zeichen ernsthaften Mitleids, das ein Freund mit Euch fühlt. Damit Ihr Euch darüber nicht im Zweifel seid, werden gerade die ungeordneten und verworrenen Rhythmen von der Verfassung seines Schöpfers Zeugnis ablegen. Lebt wohl und heilt Euch von diesem Schmerz. Am Sonntag in Reval schrieb ich die ›Stimme des Frohsinns‹, die Euch nichts weniger mehr bedeutet, als man von ihr sagt. 1635. 2 Deutsche Ode | auf den Namenstag des | erlauchten Mannes | Timotheus Polus. | In Reval. | 1636 | im Januar | druckte | Christoph Reusner. Paul Flemings | Widmung. Hierher, hierher, Scherze, Witze, Kichern, hierher Anmut und tanzende Salier, Lachen, Freuden, Jubelgesänge, Liebreiz, Bacchus, Festumzug, Venus, Cupido, Spiele, [5] und die beredte Truppe der Vergnügungen und das belachenswerte Volk der Spottreden und die zahlreiche Schar der wankelmütigen Amoren, hierher, hierher, Götter und Göttinnen alle und alles Heitere, was bei den Sternen existiert, [10] in dieser Stunde opfert Polus seinem Namenspatron. 25. Januar.

3 An die Brautleute Wahrscheinlich weint selbst das leichfertige Kichern, wenn die junge Braut vor der ersten Nacht seufzt. Zwar mag sie einige Tropfen aus ihren Augen vergießen, doch damit benetzt der immer durstige Amor trockene Küsse. [5] Bräutigam und Braut, fürchtet nichts. Mit Glück geht Ihr und das Lachen der Sterne liebt Eure Freude. Diejenigen, welche die späte Nacht sich ohne Erfahrung auf furchtsamem Lager betten sieht, die sieht sie am Morgen glücklicher vom Bett aufstehen. Geschrieben am | 17. Januar | 1636 | in Reval.

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4 Des Paul Fleming | Gymnasium | zu Reval. | Der große Stifter und Leiter | des Gymnasiums | sei Jehova. | Gedruckt von Christoph Reusner, | dem Drucker des Gymnasiums, 1635. Widmung | an die Lehrer | des Gymnasiums zu Reval. Bis jetzt habe ich geschwiegen, nun breche ich das untätige Schweigen und mache mich daran, Euch in der Art des Ausonius darzustellen. Er pries die Lehrer seiner Heimatstadt, mich liebt Eure Stadt, obwohl ich ein Fremdling bin. [5] Mag ich auch nicht in der Lage sein, einen so hohen Gipfel zu erklimmen, so bedeutet es doch einen gewissen Ruhm, Großes versucht zu haben. Was ihn das Pflichtgefühl Verstorbenen zu erweisen hieß, dazu rät mir meine Zuneigung zu Euch, da Ihr lebt. Dies schrieb ich am 5. April | des Jahres 1635 | in Reval, | Magister Paul Fleming aus Hartenstein, | gekrönter Dichter und Mediziner. An Kalliope. Es mag endlich ein Ende der langweiligen Muße sein. Die Göttin der Freizeit ist fort, die Göttin der Trägheit ging vorüber. Häufig angerufener Vorsteher der Arbeiten, schon kommst du wohlwollend auf meinen Wunsch hin. [5] Nun beende durch das Geräusch des Händeklatschens den untätigen Schlaf. Mit leichtem Finger wische nun, wacher Geist, die schändliche Schläfrigkeit aus den vom Schlaf geschlossenen Augen. Bring mir die latinische Laute, Kalliope, [10] kundige Königin der thrakischen Lyra. Lange genug hing das elfenbeinerne Instrument gegen seinen Willen untätig am bekümmerten Haken. Möge die Luft getroffen vom Schlag des glänzenden Griffels sanft erschallen, [15] und vom Schlag der Töne verwundet mögen die Lüfte einige liebliche Tränen weinen. Für Magister Heinrich Vulpius, | den Leiter des Gymnasiums | und Lehrer der Philosophie. Es ist Euer Verdienst, daß die Schule von Reval in solcher Blüte steht und ihr Haupt hoch zu den Sternen in der Höhe erhebt. Rostock war Euch fünfzehn, Reval drei Jahre gewogen, beide Herrinnen schätzen Eure Redlichkeit [5] und den Eifer, den Ihr in hohem Maße an den Tag legt. Als Ihr hierher kamt, war Unbildung Euer Feind, eine wilde Bestie, schädlich für die Musen und einst noch viel schädlicher für ihr Lettland. Dieses Ungeheuer, das noch furchtbarer ist als die mykenische (gemeint: lernäische) Schlange hatte einst weithin Estland und in seiner außerordentlichen Wildheit das furchtsame Meer [10] erschreckt sowie die Lüfte von Furcht erzittern und zurückfliehen lassen. Ihr greift als neuer Herakles, gedeckt vom siebenfachen Schild der Tugend und die Fackel der Musen schwingend, das entsetzliche Monstrum an und kämpft lange. Blut färbt die Glieder. Bald klafft das eine, bald das andere Haupt von der Wunde des

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Schwertes. [15] Ebenso viele Köpfe, wie fallen, hätte man rascher wiederentstehen und doppelte Kräfte aus dem Blut aufnehmen sehen können. Ihr zittert in keiner Weise. Die Wunden, die Ihr mit dem Schwert schlagt, verschließt flüssiges, brennendes Pech, und die Schläge treffen auf Schwielen, die sie bedecken, bis Ihr jubelnd mit der Kraft Eurer gelehrten Hand [20] das Ungeheuer tapfer niederschlagt und im Unterweltsee ertränkt. So hat einst der thymbrische Apoll den aufgeblähten Python mit unzähligen Pfeilen erlegt, wie die heiligen Dichter erzählen. Tut, was Ihr tut, laßt das Gymnasium durch Eure treue Pflichterfüllung gedeihen und leitet es mit Augenmaß. Euch übertrug der vorausschauende Äther [25] diese Pflicht sowie die geistigen und körperlichen Kräfte, den Fels des Sisyphus über den Schulstaub zu rollen. Ihr seht, wie die sturmschnelle Harpyie vor Neid platzend die Zähne fletscht und wie der Neid, geschwollen vom Bodensatz des Schlangengiftes, aus seinem unreinen Bauch die ekligen Eingeweide auswirft. [30] Nach der angenehmen Siegesfeier des lorbeertragenden Ruhmes nehmt dieses Gedicht, das ich Euch als wichtiges Zeugnis offensichtlicher Ehre schenken kann, mögt Ihr auch Größeres verdienen. Ihr werdet nicht gänzlich sterben und werdet nicht im Kokytos untergehen, sondern spät Einwohner der seligen Gefilde sein. Für Timotheus Polus, den gekrönten Dichter, | Lehrer der Dichtkunst. Ihr beschreibt mit lebendigem Gedicht beständiges Papier und schreibt mit sterblichem Finger ein Werk für die Dauer. Die Begabung gab Euch die Natur, unermüdlicher Fleiß und bleicher, vom feuchten Gesicht rinnender Schweiß die Kunstfertigkeit, [5] wenn als Begleiterin des schlaflosen Tages die durchwachte Nacht immer wieder dahinging, nachdem sie die Pferde so oft gewechselt hatte. Ihr erinnert an den Geist des Mannes aus Bilbilis (Martial) und seinen sprühenden Witz und habt die feine Pointiertheit des Oxforders (Barclay). Den einen versucht Ihr an Bedeutung, den anderen an Ruhm zu übertreffen. [10] Beide übertrifft Eure Sorgfalt in der Kürze. Aber wenn Euch starke Raserei eher die Seele antreibt, gewaltige Taten auf entsprechender Trompete zu blasen, und Ihr Euch entweder im Hexameter oder im ungleichen Versmaß (Distichon) schwitzend bemüht oder das elfenbeinerne Instrument der Musen als Sänger schlagt, [15] dann soll Mantua Euch bestaunen und Sulmo bewundern, wenn Ihr singt, und Flaccus soll seine Lyra fortwerfen, wenn Ihr spielt. Außerdem versteht Ihr, die heimische Ehre der geliebten Mutter mit gleichem Eifer wie ich zu erneuern. Ihr verfaßt ein deutsches Gedicht, dem selbst Opitz [20] Beifall zollte, und ich wünschte, ich hätte vergleichbar gedichtet. Wenn ich Einzelnes berichtete, könnte ich doch niemals alles berichten. Vor Eurer Dichtung ist meine kunstlos.

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Für Heinrich Arninck, | Lehrer der Rhetorik. Wortgewandter Rhetor, Quell der Beredtsamkeit, Herz der griechischen und römischen Überzeugungskunst, was für ein Wagnis habe ich unternommen! Direkt am Eingang bleibe ich stehen, da ich mich an Eurem Lob versuche, [5] und unentschlossen, welchen Weg ich einschlagen soll, fürchte ich mich angesichts so vieler Nebenwege. Ich bin ganz verwirrt. Hier ruft mich die heitere Trift Eurer Begabungen, hier ruft mich der gelehrte Eifer, mit dem Ihr die Jugend fördert, [10] von seinem Weg aus an, dort lädt mich der liebliche Pfad der Zuneigung zu Euch ein, ihm willig zu folgen. Von hier und hier und dort ergriffen, bin ich mir uneins, wohin ich den Schritt zuerst lenken soll. [15] So viele dicht gereihte Äußerungen feinen Geschmacks, so viele Herden von Kenntnissen leben in einem einzigen. Ganz liebt Euch die Tugend und nennt Euch ihren Gastfreund. Daher wurde diese feurige Liebe, von der ich gänzlich zu Euch brenne, [20] durch die Fackel der Tugend entzündet. Da ich ihr nicht gewachsen und zu gering bin, füge ich kein Lob hinzu, damit ich nicht, indem ich Euch erhebe, Euch zu sehr niederdrücke. Für Reiner Brockmann, | Lehrer der griechischen Sprache. Seit Euch und mich in dieser Stadt die Freundschaft verbindet, treibt dieser kluge, dieser schöne Knabe, dieser Knabe der Tugend hier tief im Herzen starke Wurzeln und läßt sie von Tag zu Tag immer mehr und immer stärker hervorsprossen, [5] wie eine Weinrebe, welche die Frühlingswärme aus ihrer Ruhestätte hervortreibt. In der schmeichelnden Luft streckt sie fröhlich ihr biegsames Haupt empor und wärmt ihr Herz in den heilsamen Strahlen der Sonne, bis sie hierhin und dorthin ihre fruchtbaren Arme ausstreckt und die Weinträubchen auf die feuchte Wange küßt. [10] Dann habe ich, was Freunde zu tun pflegen, ernsthaft und willig meine ganze Seele, mein ganzes Herz, ganz das Pfand meiner Rechten gegeben. Natürlich machte Euch Eure Tugend mir zum Freund. Honig liegt in Eurem Tun, Honig in Eurem Reden, Honig in Euren Schriften, Honig, den Athen ausschwitzt, Honig, der von Rom herabträufelt, [15] wie ihn unser, unser reicher [David] Maxius trank. Honigsüß mögt Ihr der Jugend lange sein, süß auch lange mir. So sei Euch auch lange süß, so sei lange honigsüß jene süße, jene liebliche, jene ganz honigsüße Frau, der Venus, Juno und Cupido das blumige Hochzeitslager errichteten, [20] der glänzende Hochzeitsgott die hochzeitlichen Fackeln vorbereitet und der wohltönende Phöbus das Lied des Pegasus anstimmt. Für ihn in der Zeit geschrieben, als er Bräutigam war. Für Alhard Böndel, | Lehrer des Gymnasiums. Euer gedenke ich in witzlosem Vers, Glänzendster unter den Glänzendsten, den Phöbus ehrt und die neun Musen ehren und die Mutter Venus und ihr Knabe Cupido. [5] Doch obwohl ich Euer in witzlosem Vers gedenke, da Minerva für

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mich nicht tätig ist, gedenke ich Euer nicht als eines Witzlosen, sondern als eines gelehrten Dieners des Apoll, als eines Lieblings der Chariten und der neun Musen, [10] als eines Schatzes der Liebesgöttinnen und -götter, als des Herzens aller Feinheiten. Wie ungleich schätze ich Euch und mich ein, der ich mich zuvor nicht scheute, über Euch zu schreiben, ich, der ich ebenso der schlechteste unter den Dichtern bin, [15] wie Ihr der beste unter den Lehrern. Für David Hahn, | den Kantor. Dreifach gelehrter Hahn, Lunge der Musikerschar und süße Kehle, Euch schreibe ich als letztem, obwohl Ihr verdientet, als erster unter den obersten Schulvorstehern zu rangieren. Der Hierarchie verdankt Ihr den Platz, [5] beide schulden Euch Dank, denen Ihr durch eure Heiterkeit Glanz verleiht. Ich schätze diese äußerste Sorgfalt, daß Ihr als gebildeter Lehrer der unkundigen Masse alles aufwendet, was nötig ist zu tun. Ihr lehrt, weist zurück, streicht an, wiederholt [10] und habt den allgemeinen Beifall eines zuverlässigen Lehrers. Erkennt die Gesinnung dessen, der Euch ehrt, am Druck seiner Hand. Was sie fühlt, besiegelt sie getreulich. An die ebendort studierende | Jugend. Auch Euren Ruhm verschweigt Klio nicht, die höchste Stufe meines Ruhmes, die vor Zeiten durch ein Epos verhinderte, daß ich verging, und hält ihn nicht stumm in verbotenem Schweigen zurück. [5] Sie hatte Eure Drohungen neulich gehört, Euch in Streit zu erregen und aufzubrausen. Ein jeder legt Zeugnis seiner selbst ab, wie sehr er der Unbildung an den Kragen geht. Da sieht sie keinen einzigen von Euch fügsam weichen oder willig besiegt werden, [10] wie es Männern zukommt. Alle besitzen die gleiche geistige Kraft. Dies berichtet sie dem Reigen der Begleiterinnen und wird über den ehrenvollen Eifer der jugendlichen Schar [15] zum wahrhaftigen Sachzeugen und verkündet die Angelegenheit auf dem Rückweg im ganzen Gebirge. Also trennen sich rasch die neun Jungfrauen und ihr Leiter, pflücken das Laub des Lorbeer ab [20] und flechten mit geschickter Hand Siegeskränze. Eine kleine Verzögerung möge keinen Verdruß erregen, wenn so deutliche Zeichen des Ruhms Euch erwarten. Die Ehre, die Euch das Heute verweigert, wird Euch das Morgen mit doppeltem Zins zahlen. Wunsch | an die unvergängliche Weisheit | für das Gymnasium zu Reval. In Erinnerung an die Roßhufe flieht hier der sanft fließende Zug der spielerischen Quelle (Hippokrene). Hier tanzt die gelehrte böotische Quelle unter gebildetem Ufer. [5] Othrys, der Bruder des nachgeborenen Hämus in der Ferne, dann der Kithairon, der Gefährte des Parnaß, nicken mit ihren Fichten, und, gespalten vom hohen Olymp, auch der Pindus. Göttin, die du im bestirnten Himmel wohnst, [10] entstanden aus väterlicher Zeugung ohne Ehe, Tochter, die du immer aus eheloser Zeugung des Vaters entstehen mußt, gewähre, Göt-

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tin, mit immerwährender Gunst, daß dieses Wasser aus nie versiegenden Quellen sprudelt und [15] daß diese gelehrten Wälder auf ewig grünen und blühen.

5 Des Paul Fleming | Ode und Abschiedsgedicht | Für Georg Wilhelm | Pöhmer. | Überreicht | in Moskau | 1634. | Reval, | im Haus des Druckers Christian Reusners d.Ä. Dem edelsten und vorzüglichsten | Herrn Georg Wilhelm Pöhmer, | gebürtig aus Nürnberg, | wünscht P[aul] Fleming alles Gute. Es wäre passend gewesen, Euch ein böotisches Gedicht zu schicken, und zwar ein Lied, das in die Musenquelle eingetaucht wurde, Blüte der Jugend. Denn Ihr hättet ein solches verdient, der Ihr öfter die Göttinnen vom Othrys zu eurem Plektron lockt. [5] Aber der Norden ist den milden Musen schädlich. So sammelt ihr Bienen keinen Honig für den Winter. Seht, was ich Euch bringe, ist nur Kälte und Frost. Damit es Wirkung hat, braucht es das Feuer Eurer Liebe. Geschrieben in Moskau, | am 9. September 1634. Georg Wilhelm Pöhmer, | gebürtig aus Nürnberg, | ist im Anagramm: Ein wahrhaftig Edler, herausragend durch reine Tugend, Kenner des Volkes von Moskau. | T[imotheus] P[olus] Phöbus lachte mir mit gefälligem Lächeln zu und zusammen mit ihren Schwestern, den Musen, die Chariten und Heil und Licht und die liebreiche Mutter der geflügelten Liebesgötter. [5] Das festliche Los trieb das weiße Viergespann an und fuhr in Begleitung des heiteren Schicksals sowie hinterdrein tausend Freuden zusammen mit hundert Lachen, als ich zum ersten Mal Eures Antlitzes gewahr wurde, [10] Wilhelm, der Ihr den geliebten Musen teuer seid, und ich mit Euch gemeinsam die Stimme erheben durfte. Schneller wurden die grimmigen Tage warm, schneller das Jahr gut durch freundliche Stunden, [15] schneller stand der schöne Juli da in keuschen Gräsern. Es lächelte dreimal auf den Uferrand die edle Mutter der rauhen Luft von Nowgorod, ebenso lächelte dreimal der feuchte Chesinus [20] aus der schilfreichen Höhle. Zweimal reichten wir uns in der genannten Stadt die Hände, zweimal glaubte ich alle Höhen des Helikon, zweimal fernab von der Heimaterde ganz Pimpla zu erkennen. [25] Schon dürfen wir enger verbunden sein, schon dürfen wir mit festerem Schritt gehen, uns eint nach Wunsch der Aufenthalt in Moskau in langen Häuserreihen. Ob wir nun an den trägen Fluten der langsam fließenden Moskva [30] oder an unsteter Krümmung der gewundenen Neglina entlang gehen und gemeinsam höflich die flüchtigen Stunden anhalten, gleich hüpfen um uns Scherze und unter ihnen ihre Brüder, die Witze, [35] dann zusammen mit den

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Späßen das Lachen und das Vergnügen, das tausend Kichern mit sich führt. Hier stürzt von reinem Wasser glänzend Aganippe zwischen den Höhlen des schattigen Waldes herab, hier erheben sich sofort die beiden Gipfel [40] des sagenumwobenen Pindus. Ihr dürstetet nach der Roßquelle (Hippokrene) und habt sogleich alle Quelladern des böotischen Vaters ausgetrunken und als gieriger Prasser das ganze Cirrha. [45] Die schöne56 Jungfrau übergoß Euch die milchstrotzenden Wangen mit Röte, in Eurem Antlitz brennt schmeichelnd jugendliche Anmut. Die gelehrte Überzeugungskraft [50] tränkte Euren Geist mit dem Honig der Rede und machte Euch beredt, Euer Redefluß behext die Seelen mit dem Nektar der Beredsamkeit. Aus solchen Augen lacht Kypris, Phöbus redet aus solchem Mund, [55] wenn er fröhlich den glänzenden Musen seine Gedichte vorträgt. Wem edler Strom erhabenen Blutes die schöne Burg des Herzens erfüllt, der läßt Phöbus mit Freuden ein, [60] da sein Herz ihn gänzlich aufnimmt. Unter den hochragenden Camenen sieht er gleichrangig die Charaktere der Väter höflich gehen und das strahlende Geschlecht und die Tafel der Ahnen, die über den Triumph der Vorfahren jubeln. [65] Welche Verdienste auch immer die Vorväter erworben haben: wenn er als guter Richter alles auf ehrwürdige Gesänge verteilt, überzieht er Altes mit neuem Gold. So funkelt, wie wir wissen, der Onyx zusammen mit reinem Beryll [70] in wechselseitigem Leuchten; und so glänzen gemeinsam mit roten Tulpen weiße Lilien. Der erhabene Adler durchschneidet die Lüfte in der Höhe, der Tau folgt dem Tropfen, Feuer nimmt Feuer auf, [75] und nach dieser Bestimmung hat die erste Tugend die zweite im Gefolge. Dem edelsten und gelehrtesten | Georg Wilhelm Pöhmer, | gebürtig aus Nürnberg, | wünscht, als er nach seinem Moskau-Aufenthalt nach Deutschland zurückkehrt, | P[aul] Fleming | glückliche Reise. Hervorragender Abkömmling, Sproß heldischer Vorfahren, die ihre Ahnentafel erhebt, aber noch mehr ihre Tugend, ich verdanke Euch alles, was mein ist, wenn überhaupt noch ein einziges Gedichtchen mein ist, [5] das Ihr als später Liebhaber schätzt und billigt. Denn Ihr habt dies mit vollem Recht als das Eure bewirkt, all dies ist Frucht Eurer Gunst. Ihr geht also fort und werdet bald der Heimat ein neues Licht hinzufügen, was diese vom Himmel [10] mit heißer Bitte bis heute vergeblich fordert und er verweigert. Schon entsprechen sichere Tatsachen den auf sie gerichteten Hoffnungen. Ihr tretet schon beinahe den Weg an, habt Euch ganz abgewandt und bereitet die Reise vor. Krank vor Schmerz bin ich. Ihr scheidet als lieber Gefährte, [15] den ich oft rief und demnächst noch öfter rufen muß. Geht wohlbehalten, unter tausend Reigen der Himmlischen dorthin zurückgeführt, wohin Euch die ergebene Liebe zu den Euren ruft. Ich werde, wenn Ihr etwas an mir liebt, für Euch die Wegegötter –––––– 56

Formus hier wohl nicht ›warm‹ (nach Paul. ex Fest. 83,11; 84,3; 91,13), sondern auf Grund des Metrums für formosus.

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mit Weihrauch besänftigen [20] und dem Gott der Grenzmarken Mohnspeise mit Milch mischen und aus gewölbter Schale opfern. Als der Unsre sollt Ihr gehen, Euch lange an Euren Dichter erinnern und glänzende Tage eines glücklichen Lebens verbringen. Geschrieben in Moskau, am 25. August, | 1634.

6 Des Paul Fleming | deutsche | Ode | an die deutsch-schwedischen Gesandten, | als sie nach Rußland und Persien aufbrachen. | Hamburg, | aus der Offizin Werner. Den edlen und bedeutenden Männern, | Herrn Philipp Crusius, beider Rechte Lizentiat, und | Herrn Otto Brüggemann, | des erlauchten Herzogs von Holstein | Herrn Friedrich usw. Ratgebern, | den herausragenden Gesandten nach Rußland | und an den persischen Hof, | wünscht mit dieser Ode | eine glückliche Reise | M[agister] Paul Fleming, | gekrönter Dichter. Dies sind die frommen Wünsche, ehrwürdige Lieblinge von Königen, Eures Schützlings, die er für Euer Heil ausspricht. Auch wenn sie in einem besseren Gedicht festgehalten sein könnten, kann doch niemand Größeres wünschen. [5] Von den großen Gütern, die Euch Christen bei der Abreise wünschen, spreche ich, wenngleich in einem kleinen Gedicht. Nehmt sie, da ich als Stellvertreter des heiligen Landes gelten mag. Aus einem anderen Mund konnte nämlich nicht von ihnen gesprochen werden. Geschrieben in Hamburg, | am 14. Oktober | 1633.

7 [Rubella.] 8 Die Schönburgischen | Hochzeitsfackeln | des Paul Fleming. Dem erlauchten | Herrn, Herrn | Christian | Baron von Schönburg, dem frischgebackenen Bräutigam, | gute Wünsche zur Hochzeit. Ohne Geschenk und Glückwunsch, hättet Ihr, Herr, von mir nicht als Bräutigam begrüßt werden dürfen. Angemessen wäre es gewesen, dem zu gratulieren, zu desssen Gunst und Güte einst mir gratuliert wurde. Aber wo bleiben die Geschenke? An solchen Geschenken bin ich arm, Ihr aber seid es nicht. Was ich jedoch zu bieten habe, soll hiermit Euer sein. Als Gegengabe für das eine oder andere müssen diese Epithalamien dienen, die ich dieser Tage geschrieben habe,

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d.h. eine Spielerei einer überhaupt nicht ernsthaften Kunst. Daß ich stillschweigend einiges aus den Fesceninnen verwendet habe, wird wohl sichtbar werden. Doch habe ich etwas falsch gemacht, wenn ich das tat? Ich glaube es nicht. Lieder dieser Art wurden einst zur Abwehr von Behexung gesungen. Auch mir mag dieser Vorwand zugestanden sein. Habt Verständnis für dieses Alter, das Liebesdingen stärker zugeneigt ist. Ich bin noch jung, und daher ist es mir, wie ich glaube, erlaubt, auf erlaubte Vergnügen anzuspielen. Eine Hochzeitsfeier ist nicht so steif, daß sie keine Scherze zuläßt. Das durch alten Brauch tradierte Spiel erlaubte dem Ausonius freche Worte. Es soll mir aber fernliegen, Euch nur Fesceninnen zu offerieren, d.h. solche, die von einem Pfarrer oder in einer Jungfrauenschar nicht gelesen werden können oder dürfen. Mögen die Götter eine solche Schamlosigkeit verhüten! Dazu habe ich zuviel Achtung vor Eurer Erhabenheit, der Ehrwürdigkeit der Pfarrer und der Keuschheit der Mädchen. Aber auch Epithalamien haben, wie der große Grotius sagt, etwas, was sie entschuldigt, natürlich ihre Sprache, d.h. die der Hochzeit, ohne die sie nicht einmal Epithalamien sind. Wenn ich aber vielleicht jemandes Ernsthaftigkeit auch durch meine Scherze verletzt haben sollte, mag er wissen, daß Hochzeit und Ernsthaftigkeit nicht zueinander passen. Er mag es in der Weise lesen, daß er das Hochzeitliche billigt und verzeiht; wenn nicht, daß er wenigstens nicht schief guckt. Jedem Urteil kann hier nicht Genüge getan werden. Es mag einer wollen oder nicht, es ist so, anders werden diese Dinge nicht gemacht und dürfen es auch nicht. Ihr, Bräutigam, mögt zusammen mit Eurer Juno von dem Gebrauch machen, was nach Alter und Zeit vergönnt ist. Ich verspreche mir weiterhin Eure Gunst, Euer | ergebener | P[aul] Fleming | aus Hartenstein. Ithyphallisches Gedicht | an die Musen und an Amor. Dreifache jungfräuliche Dreiheit, weint ihr noch über das beneidenswerte Recht des furchtbaren Todes, *beweint ihr noch Julia Maria, nachdem sie in den Himmel aufgenommen wurde? Macht bitte eurem Kummer ein Ende, hört bitte auf mit euren wilden [5] Klagen, weint endlich nicht mehr! Nicht wie beim letzten Mal wird mir die trauervolle Leichengöttin den Anlaß zu schreiben liefern, nicht die schauerliche Totenbahre. Nicht mit Jupiters Donner werde ich tönen, nicht den Gradivus (Mars) besingen. Was sollte es von dieser Seite Gutes geben? Vielmehr werde ich einen Gott besingen, [10] der viel mächtiger als alle Götter ist. Wen? Den kleinen Cupido. Von seinen himmlischen Fackeln und seinem Tun werde ich berichten. Aber siehe, meine Camenen wünschen dich, großer Kleiner. Wenn du willst, daß von dir geschrieben wird, komm her und geh meinem Lied voran. Wenn du das nämlich nicht willst, werden sie schweigen. *Siehe unsere Altäre, die zum Begräbnis der Herrin Julia Maria, der Braut errichtet wurden.

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Gruß an die Hochzeitsgötter. Gottheiten, die ihr durch eure Befehle die liebende Menschheit führt und erwünschte Ehesatzungen gebt, wenn es euch gefällt, zärtliche Scherzgedichte in wechselndem Vers (Distichon) zu machen und schmeichelnde Lieder in ausgelassenem Versmaß hervorzubringen, [5] wenn es recht ist, hellglänzende Hochzeitsfackeln auf neue Art in süß klingenden Weisen bekannt zu machen – das ist doch euer Geschäft –, dann eilt willig herbei. Denn, seht, es geht um eure Angelegenheit. Steht bitte euren Angelegenheiten bei! Denn nichts besteht, was nicht durch euer Feuer gewärmt wird, [10] berührt von eurer Hitze glüht alles. Von euch wird jener Antrieb gegeben, den wir Lieben nennen. Was den Samen der Liebe hat, hat ihn von euch. Das Meer vermählt sich der Erde, beides umgibt die Luft, und die einen können die andere rufen, aber nicht die einen ihr eigen. [15] Sterne blinzeln Sternen zu. Was der teure Liebende für die Liebende leistet, das tut der helle Stern für den Stern. Die Sonne löst die Morgenröte ab, die dämmrige Nacht die Sonne, der Nacht folgt wiederum der befreundete Tag. Natürlich sehen wir alles, was ist, zur Liebe geneigt [20] und alles Fackeln gegenseitigen Bündnisses tragen. Du siehst, wie das Liebchen, der Efeu, von der Ulme wiedergeliebt wird, wie die liebende Bärwurz um die zarte Buche freit. Die Sonnenblume (Heliotropium) folgt dem Antlitz des fliehenden Geliebten (der Sonne), und die Rose bittet die Narzisse um sanfte Küsse. [25] Mit ihrer Gefährtin lebt die Nachtigall – was gibt es Größeres als die Liebe? –, solange sie lebt, und stirbt mit ihr, wenn sie stirbt. Ebenso wünscht die Taube nach dem Tod des Gatten, traurig blickend, nicht weiterzuleben. Wer lehrte die Hasen und liebende Hirschkühe im Rudel [30] mit herzbewegendem Feuer, für bestimmte Männchen Neigung zu empfinden? Ja, sogar das schuppige Fischvolk, das in der hin und her wogenden Flut umherschweift, fühlt mitten im Wasser die Stacheln der Liebe. Die eine Purpurschnecke liebt die andere, die kleine Muräne freut sich ihres Gefährten, und auch das Thunfischweibchen57 hat seinen Partner, dem es sich vermählt. [35] Alles vereint die Liebe. Das Laub geht im Laub, der Tropfen im Tropfen auf, die zuckende Flamme nimmt die Flamme auf. Unter eurer Leitung, größte Gottheiten, geschieht dies, daß alles, was ihr verbindet, sich an einem süßen Feuer erfreut. Eine Sache voll von Gutem, voll von Honigsüße, voll von himmlischem [40] Ambrosia ist es, von zärtlicher Liebe berührt und erfaßt zu werden. Natürlich kann der getäfelte Palast des sternglänzenden Himmels den verliebten Jupiter nicht zurückhalten. Bald unter der Maske von Gold, bald unter der eines horntragenden Stieres, bald als falsche Diana entbrannte er zu Frauen, die er gesehen hatte. [45] Das ganze Volk der Himmelsbewohner liebt. Ja, die meisten Götter sollen durch deren holde Liebe

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Trutta verstanden als Thunfisch nach Lappenberg (S. 530), der sich auf Hadrianus Junius’ Nomenklator s.v. tructa, trutta beruft.

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geschaffen worden sein. Der kleine Jupiter, Äolus, Mars, Bacchus, Orpheus, der Leukadier, der Sizilier, Plutos, der doppeldeutige Apoll, Pan, Hymen, Nereus, die Satyrn, Silvanus und jeder [50] Gott, der war oder ist, soll geliebt haben. Juno, Ceres, Kybele, Thetis, Venus, Diana, Kallisto, die holden Göttinnen haben verdient, genannt zu werden. Einzig der Mensch hätte frieren und ohne Gefährten sein sollen, obwohl bei ihm die Flamme dieses Herdes hinreichend genährt wurde? [55] Daher erschuf die uralte Mutter ein wunderbares Werk, dem sie eine starke Macht über alle Männer gewährte, dem sie gewährte, unbesiegbare Arme von Männern zu besiegen und den harten Sinn eines wilden Mannes zu bezähmen. Dieses Werk ist die Frau, jenes überaus schmeichelnde Volk, [60] das nur durch einen einzigen Blick den Verstand bezaubert. Was entzog uns uns selbst eher als die Frau, oder was brachte uns Herz und Seele mehr aus der Fassung? Schau dir die Augen an, die den Glanz der Sonne übertreffen! Wirst du da Herr deiner Sehkraft bleiben können? [65] Sieh die schamhaften Wangen, die roten Äpfeln gleichen, und das Haar, das nicht besser gekämmt hätte sein können! Doch ich schweige nur von dem milchweißen Hals, von den zarten Händen, von den leichten Füßen, die sie mit gelehriger Kunst bewegt. Ich spreche auch nicht von dem Kleid, das zweimal in afrikanischem Purpur gefärbt wurde, [70] und dem bunten Mantel, der die schneeweiße Hüfte bedeckt. Dadurch werden auch sonst Liebende oft gefangen und blind. Noch stärkere Liebe geht von einer schönen Frau aus. Sieh die verehrungswürdige Schönheit des göttlichen Gesichtes: Sie ist, du wirst es gleich schwören, Venus selbst. [75] Wenn allein durch den Anblick der Besinnungsverlust für den Liebenden so heftig ist, welche Ekstase wird das Gespräch mit ihr verursachen? Wenn der Liebende am Hals der Herrin hängt und seine brennenden Augen auf ihre gesenkten Augen richtet, wenn beide matt mit markheraufziehendem Leim [80] feuchte Lippen auf halbgeöffnete Lippen pressen? Und wie sollte ein Mann nicht entbrennen, da die fleißige Mutter jedem mit der Geburt ein Herz gab? Dies ist der Zündstoff der Liebe. Denn wenn das Knäblein der Venus das Feuer aus den Augen der Frau hervorgelockt hat, [85] verbirgt sich sogleich zu Beginn ein kleiner Funke direkt im Herzen58 des unschuldigen Jünglings. Der Funke wird, sooft der Jüngling von unvermerkten Stößen getroffen goldene Sterne in den schmeichelnden Augen erblickt, zur Flamme. Hierdurch gewinnt ein unermeßliches Feuer Kräfte und [90] nährt die Flamme allein durch den Anblick der Herrin. Pflichtvergessen wird jeder sein, der, wenn er geliebt wird, nicht wiederliebt. Ein solcher ist der Bezeichnung Mensch nicht würdig. Und wer die freundlichen Stacheln der Liebe nicht spürt, der soll auch glauben, daß er gar kein Herz besitzt.

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Parenchyma bedeutet nach Lappenberg (S. 530) Leber. Die Leber aber ist als Sitz der Gefühle in antikem Sinne Äquivalent des Herzens.

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[95] Gut so, pfeilmächtige Empusa, Götter und Göttinnen, die ihr bewirkt, daß alles von der Bündnisfackel lodert, kommt willig und rasch herbei und unterstützt den, der von euren Werken singt, und von euch selbst mit heiligem Feuer. Spielerei für Amor. Schon hat die liebliche Versammlung der Mädelchen aufgehört, Brot zu essen, und hat, da die Näpfe schäumen von [5] dreijährigem Wein, die ruhmreiche Schar der jungen Männer das Maß aufgegeben. Hierher, Brautführerlein reizendes, liebliches, schönes, kleines, sanftes, komm und erfreue [10] mit ganz glänzendem Blick, anmutigem Lachen, gefälligem Nicken, frechem Wagnis, bereitwilligem Beifall [15] rosige Mädchen, mit allerliebsten Heiterkeiten überschütte deine Schützlinge männlichen Geschlechts, deine Schützlinge weiblichen Geschlechts [20] überschütte! Ja, ordne auch selbst Reigentänze an, ja, sei auch selbst der Anführer von Reigentänzen, von frechen, anmutigen, [25] spaßigen Reigentänzen und mit angenehmer Begleitung und zärtlicher Zudringlichkeit und willkommener Unverschämtheit und mit eleganter Geschwätzigkeit, [30] mit reichlich Tanzen, Wechselgespräch, Scherzen, Küsserei schmeichle den Mädelchen, [35] bis endlich der Morgen zurückkehrt und Purpurröte die rosige Achse der goldigen Aurora färbt. Ja, und leg den frisch gebackenen Ehemann und die frisch gebackene Ehefrau, [40] beide frisch gebackenen Eheleute, die hochedlen Eheleute, die lieblichen, süßen, frisch gebackenen Eheleute, [45] deine Kandidaten, ins eheliche Bett und schweiße dies Ehebündnis durch enge Umarmung zusammen. Dort werden tausend, tausend [50] Küsse, Lächeln, Kichern und liebliche Spiele erbeten und gegeben, gegeben und erbeten. [55] Dort werden alle Scherze, die der ehrwürdige *Tarraeus (Caspar von Barth) durch Wortneuschöpfungen – die neue Reihe ist reichlich lang – darlegte, bis auf einen alle gegeben und erbeten, erbeten und gegeben. Doch, pst, Hochzeitsfackeln! *Siehe ihn selbst im Amphitheatr[um] Gratiar[um], Buch 3, S. 33[–35]. Hyporchema. | Der Bräutigam zur Braut. Meine Braut, meine künftige Gattin, Diebin meiner Seele, meine kleine Meine, siehe, die strahlensendende, augenmächtige Sonne geht im wassertosenden Meer unter. [5] Es naht die augenbedeckende, strahlentötende, musenfeindliche Dunkelheit auf schnellem Fuß. Die meergeborene, glanzhaarige, milde Göttin mit hellem Strahlenkranz bemüht sich, in ihren Wohnsitz zurückzukehren. [10] In die heiter singenden grünen Wälder ist das Bienchen rasch zurückgekehrt. Das schlupfwinkelbewohnende Wild krümmt seine Flanken ins Strauchwerk. Wohlan, meine Venus, Mädchen, glänzender als Venus, [15] Mädchen, zarter als Helena, wohlan, folge meinem Reigen! Hurtige, rasche, fußlärmende, rasende Dreischritte zu tanzen macht Spaß. Erwäge zu singen, Scherze zu erbitten und zu machen! [20] Liebegetränkte Lippen zu bieten, tauige Lippen im Gegenzug

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zu erbitten, dies eilends zu tun macht Spaß. Dort ruft der schwer donnernde, schenkelgeborene Bacchus, die meergeborene Göttin [25] und der kleine köchertragende Amor rufen dort. Nachdem wir Dreischritte hin und zurück wieder und wieder und wieder und wieder wiederholt und wieder und wieder und wieder und wieder getanzt haben, [30] wir reine warme Lippen trunkenen Lippen gaben, sollten die Bett- und Tischgenossen rasch dorthin fliehen und eilen, wo die zärtliche Ruhe zu Hause ist, [35] die hitzige, sanfte, gütige, die von Venus gewährte Ruhe. Meine Braut, gefällt dir das, Diebin meiner Seele, du meine kleine Meine? An die Sonne Dauerumrunder des flüchtigen Äthers, Spender des Lichts, Vertreiber der Dunkelheit, reinster Umwälzer der Luft, alleiniger Beobachter der Tage, [5] was siehst, was durchmusterst du nicht mit deinem beinahe dreieckigen Auge? Auch wenn du frühmorgens aus den Armen deiner Gattin forteilst und bis zum Mittag mit flammender Fackel schnellfüßig die Luft durchmißt, [10] bis du am Abend das erschöpfte Viergespann mit reichlich Flußwasser abwäschst, würdest du dies nicht sehen, wenn du morgen zurückkehrst, daß die Braut Jungfrau gewesen ist. An die Kränze. Kränzlein, die ihr leuchtet von reichen Farben, die das Mädchen aus verschiedenen Blumen bunt zusammenstellt und als Zeichen ihrer unversehrten Keuschheit auf das flammende Haar ihres blonden Kopfes setzt, [5] trauert, Blütentöchter, wie die Braut über euch seufzt. Amor wies sie an, daß sie als Frau eine Kopfbinde tragen müsse. An die Kränklichkeit und das Alter, | in Molossern. Von viel Eiter am Körper und vielen Falten entstellte, grausige, magere Gespenster mit schändlichen Gesichtern und trägem, langsamem Schritt, [5] die ihr am Ende alles aussaugt, was uns an Lebenssaft übrig ist, was wollt ihr hier, Gespenster, verschwindet, geht weg von hier, ihr Überwinderinnen des Lebens, [10] ihr Auslöscherinnen unseres Lebens! Hier erhält süßes Verlangen des Bräutigams die Braut, das der Braut den Bräutigam. Hier sind Lachen, hier Tanz, hier Wein, hier Schmaus, hier der Empusa [15] Mutter59, hier das Horn des Pfiffikus und sein Geschoß mit der Hülle der Geschosse. Was habt ihr mit der Braut zu schaffen, mit dem Bräutigam, mit Tanzen, mit Lachen? Verschwindet von hier, Störerinnen [20] des Lachens, jeden Lachens! So werden die Brautleute niemals krank sein, niemals altern.

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Empusa scheint hier unpassend. ›Mutter der Empusa‹ meint vielleicht Hekate als Hochzeits- und Geburtsgöttin.

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An die Parzen. Bald auf dem einen, bald auf dem anderen Fuß lahme, uralte mit gebrochenen Beinen, bucklige, drachenhäutige mit schlagengiftgetränkten Lippen, eidechsenarmige, hüftvereiterte, chimärenhalsige, [5] finsteräugige, blauschlangenzischende Rauhtonbellerinnen, spaltzüngige, schauderhornhaarige, schändliche Gräberbewohnerinnen, Markverschlingerinnen, Frischblutsäuferinnen, Wollfadenabschneiderinnen, kraftvolle Schleuderaxtträgerinnen, [10] mitleidlose Mörderinnen aller Menschen, weg, weg von hier, ihr Ungeheuer, ihr sollt niemals Mörderinnen von des reizenden Bräutigams Christian Agnes sein. Alkaios | an Fama | für den dauerhaften Bestand der Schönburger, | worin er auf den erlauchten Bräutigam anspielt. Die du den raschen Lauf der Jahrhunderte in ewiger Drehung herumwälzt, geschwätzige Göttin, die du die großen Taten der Zeit unter vergeltenden Gesetzestiteln verzeichnest, [5] durch dich wurde das ursprüngliche Chaos nicht vergessen, nicht der erste Regen, nicht die guten Jahrhunderte, nicht die Giganten, die Jupiter von seinem Thron vertreiben wollten. Was die alte weltbekannte Semiramis [10] und der Sieger über jedes Land, der Führer der Makedonen ist (Alexander), was das Mausoleum mit hochragenden Dächern und Pharos und der Koloß von Rhodos, ist durch dich bekannt. Tatsächlich verkündest du den Festkalender der unsterblichen Götter, und als einzige [15] hast du es zustande gebracht, die Wagestücke der Familie, die den Himmel bewoht, über deren Schwelle hinauszutragen. Wenn du, wie man behauptet, besorgt um tapfere Seelen bist, die vom Sporn getrieben und bei verhängtem Zügel [20] nach ihrem Tod dauerhaft leben wollen, bleibt die Heldentugend der Schönburger lange erhalten, und spät wird der Nachfahr mit den künftigen Jahren am berühmten Namen teilhaben. [25] Denn der Sinn der Vorväter war, ob nun Frieden oder Krieg den Mann forderten, gleichwohl bereit zu folgen, fürchtete nicht unzählige Gefahren und wurde nicht schwach nach der Reinigung des Hauses. So zeugt der eisenbrechende Löwe [30] kein bellendes Hundejunges und der Adler, der Diener des donnerdröhnenden Jupiter, kein schwaches Bachstelzchen. Denn echte Nachfahren bringen nicht nur die Gesichter der Eltern zurück, sondern ahmen auch das segenspende Vorbild einer hohen Seelen nach. Christian, würdiger Sproß so bedeutender Eltern, reines und weit bekanntes Blut, Wunder guten Rufs, der Jugend [40] Liebling, Vergnügen für die Musen, ich bezeuge bei den Camenen und den heiligen Quellen, wieviel Vorrat an reichen Gaben und welch reicher Funke begeisterter Seele in dir ist. [45] Du stehst, was den Stammbaum angeht, keinem der Vorfahren nach; was deinen Liebreiz und deine Gaben angeht, wetteiferst du mit deinen Vorfahren und Vorvorfahren um den ersten Platz. Nach so vielen Jahren, die du aufmerksam [50] vortrefflichen Studien gewidmet hast, indem du weit entfernte Gegenden

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und verschiedene Sitten vieler Völker mit freudigem Eifer kennenlerntest, kehrst du nun ehrenvoll ins väterliche Haus zurück und regierst als würdiger und unbescholtener Erbe mit einer [55] angeborenen Güte für die Untertanen und mit väterlicher Fürsorge. Jetzt wirst du ganz erfüllt von Liebe, da du ein holdes Mägdelein von deinem Stamm heiratest, zur linken Seite des Großvaters, [60] das durch besondere Gaben ausgezeichnet ist. Diese liebe Braut möge dir dein künftiges Leben versüßen und, darum bitte ich, dein süßes Herzchen sein. An Kinderreichtum mag sie Hekabe übertreffen* und du selbst Massinissa. [65] Weiterhin möge die so gefeierte Schönburgerin viele, ganz viele Ehrungen erfahren, und kein Leichenträger möge eure Namen unter kahl aufragendem Grabstein bestatten. *Siehe das Theatr[um] histor[icum et] poet[icum] des [Johannes] R[avisius] Textor, S. 127.

9 Glücklich gebärt Ihr, bald sterbt Ihr in Freuden. Der zwölfte Tag nach dem Geburtstag Eures Kindes war Euch die Todesnacht. Indem Ihr Eurem Kind als Mutter so das Leben für den Tod überlaßt, geht Ihr, liebliche Elisabeth, in himmlische Gefilde ein. In Ehren sterbt Ihr. Diese Geburt verschafft Euch die Freuden des Himmels. Außerdem habt Ihr den Ruhm zu großer Fruchtbarkeit. So zu sterben frommt. Es frommt, so zu sterben, aber ich bitte, daß Euren Kindern längere Zeit zuteil wird. Hartmann Graman, | Arzt. Anrede Aber Ihr, Frau, überdrüssig der irdischen Mühe, brecht, selig geworden, in himmlische Gefilde auf. Statt des Todes habt Ihr das Leben, statt des Krieges den Frieden, statt der Tränen die Freude, statt der Mühe die Herrlichkeit. [5] Weit fort von Eurem Himmel, den Ihr, Glückliche, nun habt, beweinen wir auf der stöhnenden Erde das Diesseits. Möget Ihr glücklich sein und fortwährend frohlocken und selig sein im Himmel, und nehmt uns bald als Teilhaber Eures Lichtes auf. Epitaph. Verheiratete Paulsen, geborene Müller, werde ich hierin als Elisabeth bewahrt. Ich starb im vierten Kindbett.

10 Für die unschuldige Seele | des ganz ausgezeichneten und hervorragenden Mannes, | Herrn Paul Flemings | aus Hartenstein in Meißen, der Philoso-

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phie und Medizin | Doktor und überdies hervorragenden gekrönten | Dichters, | druckte in Hamburg | Heinrich Werner, | 1640. Euer Leben, Fleming, war eine Rosenblüte, die, ausgelöscht von der Schneide des Todes, vom Blut Christi getränkt, dennoch heiter im Paradies blüht. Euer Leben war auch eine Schiffahrt, die Welt das Meer und der Ruhm [5] der himmlische Hafen, in den Ihr nun entrückt seid, nachdem Ihr Euren frommen Kampf durchfochten habt, und wo Ihr Gott in der heiligen Dreifaltigkeit seht. Euer Leben war ebenso ein Kampf mit Schweden, Persern, Polen, den Batavern, die Ihr saht, Moskauern, Engländern und Franzosen. Ihr habt im Himmel den Sieg errungen, Eurem Tod folgt der Triumph. [10] Die vier Sprünge Christi, die Ihr in reinem Gedicht als Pfand Eures Ruhmes nacheinander getan habt, frommer Paul, in den Schoß der Jungfrau, aus dem Schoß in die rauhe Krippe, aus der Krippe zum heiligen Altar des Kreuzes, vom Altar ins Grab, wird die Nachwelt preisen und bewundern und den gelehrten Christen werden [15] diese Gedichte wunderbar erscheinen, zu denen dies Bild Christi gehört, das eine zahlreiche Leserschaft verdient. Also alter Vater und auch Ihr, Braut aus der Familie Niehus, überlaßt den edlen Bräutigam Gott, dem er nach dem ersten Bündnis gemäß dem Willen der Religion gehört. Es ist genug Weihrauch für das Grab, [20] ich sage noch: Komm, Christus! Die grausige Nacht naht und bringt Unheil, beeile dich! Laß uns in dein Reich kommen! Um sein Mitgefühl gegenüber dem ehrwürdigen Vater, der Braut und den Verwandten zu bekunden, hat diese wenigen dringenden Wünsche für seinen Schwager, den designierten Physikus von Reval, hinzugesetzt Magister Heinrich Janich, Diakon der St. Katharinenkirche zu Hamburg, 1640, am 2. Osterfeiertag. Des Herrn Bernhard 15. Hoheliedpredigt. Wenn du etwas schreibst, bedeutet es mir nichts, wenn ich dort nicht Jesus lese; wenn du etwas erörterst oder vorbringst, bedeutet es mir nichts, wenn dort nicht Jesus erklingt. Jesus ist Honig im Mund, in den Ohren ein Lied, im Herzen Jubel. Der Buchstabe, den du mit dem Finger zeichnest, bedeutet nichts, wenn er nicht Jesu lieblichen Namen wiedergibt; die Worte, die du mit den Lippen formst, nützen nichts, wenn sie nicht Jesus aus tiefster Seele erklingen lassen: Er ist in Herz, Mund und Ohren Jubel, Honig und Lied.

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10a Ein anderes Ach, wie jammervoll ist das Leben, wie jammervoll die Zeit, wie unsicher die Bedingung des Lebens! Ach, Trauer-Musen, gebt Trauerlieder, und zusammen mit ihnen auch du Phöbus, voll Stolz auf dein ungeschnittenes Haar! [5] Die Schicksalsgöttinnen haben den Lebensfaden unseres Fleming abgerissen, Fleming wird zu trauriger Asche. Von hier wird der fortgerissen, der wert war, viele Tage zu leben, ja, der wert war, die Tage einer Sibylle zu leben, geht von uns. Tränen, Ströme von Tränen wollten wir alle, alle fromm [10] von Herzen vergießen, wenn Ihr durch das Vergießen von Tränen und auch durch unsere nassen Augen Eurem Leben wieder zurückgegeben würdet. Aber ich bleibe stehen. Was soll ich nun tun? Jeden, der das Geschenk des Erdenlebens genießt, ruft früher oder später sein Tod. [15] Ich sammle mich. Muß ich nicht, wenn ich es bei mir bedenke, frommen Sinnes ertragen, was das Gesetz auferlegt hat, das für alle gleich ist? Befreit vom harten Kleid des Körpers und den Gesetzen des Todes, lebt er in der ätherischen Höhe des Himmels. Wir Elenden werden auf der Erde von Sorgen hin- und hergeworfen, [20] ihn gehen die irdischen Übel nichts an. Jetzt genießt er unter den Zöglingen des himmlischen Reiches tausend Freuden. Also Fleming, lebt wohl, nachdem Ihr die Gefahren der Welt überstanden habt, lebt heiter im himmlischen Reigen und lebt wohl!

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3. Bibliographischer Kommentar Referenzliteratur Moller Johannis Molleri Flensburgensis Cimbria Literata. Sive Scriptorum Ducatus Utriusqve Slesvicensis Et Holsatici, Qvibus Et Alii Vicini Qvidam Accensentur, Historia Literaria Tripartita. Cum Præfatione Joannis Grammii. Nec Non Indice Necessario. Bd. I–III.- Kopenhagen: Kisel 1744.

Gadebusch Friedrich Konrad Gadebusch: Livländische Bibliothek nach alphabetischer Ordnung. Theil I–III.- Riga: Hartknoch 1777. Reprint: Hannover-Döhren: Hirschheydt 1973. Recke-Napiersky; Napiersky-Beise Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland. Bearb. von Johann Friedrich von Recke und Karl Eduard Napiersky. Bd. I–IV.- Mitau: Steffenhagen 1827–1832. – Nachträge und Fortsetzungen, unter Mitwirkung von C.E. Napiersky, bearb. von Theodor Beise. Bd. I–II.- Mitau: Steffenhagen 1859–1861. Reprint: Berlin: Haude & Spener 1966. Schröder Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart. Im Auftrage des Vereins für hamburgische Geschichte ausgearbeitet von Hans Schröder. Fortgesetzt von F.A. Cropp, C.R.W. Klose und A.H. Kellinghusen. Bd. I–VIII.Hamburg: Perthes-Besser und Mauke (Kommission) 1851–1883. Goedeke Karl Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Zweite, ganz neu bearb. Auflage. Bd. III: Vom dreißigjährigen bis zum siebenjährigen Kriege.- Dresden: Ehlermann 1887. Dünnhaupt Gerhard Dünnhaupt: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts. Teil I–III.- Stuttgart: Hiersemann 1980–1981 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 2.1).

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Fleming-Drucke Erstdruck (E) Für den Vergleich der Lesarten dient die Sigle E zur Kennzeichnung des jeweils herangezogenen Erstdrucks. Prodromus (P) D. Paul Flemings Poetischer Gedichten So nach seinem Tode haben sollen herauß gegeben werden. Prodromus. Hamburg Gedruckt bey Hans Gutwasser/ in Verlegung Tobiæ Gundermans Buchhändlers/ Anno M.DC.XLI. Teütsche Poemata (TP) D. Paul Flemings Teütsche Poemata. Lübeck Jn Verlegung Laurentz Jauchen Buchhl. [s.a.]. Reprint: Hildesheim: Olms 1969. Epigrammata Latina (EL) Pauli Flemingi Germani Medic. Doct. & Poetæ Laur. Cæsar: Epigrammata Latina ante hac non edita. Hamburgi Apud Johannem Naumannum. 1649. Pabst 1850 Zwei revalsche Gedichte Paul Flemings, nach dem seltenen revalschen Originaldruck. Hrsg. von Eduard Pabst.- In: Das Inland (1850), Nr. 26, Sp. 401– 406. Pabst 1854 Auf Herren Timothei Poli neugebornen Töchterleins Christinen ihr Absterben. Aus dem älteren Deutsch des Originals umgesetzt von Eduard Pabst.- In: Das Inland (1854), Nr. 50, Sp. 827–828. Lappenberg (L) Paul Flemings Lateinische Gedichte. Hrsg. von J.M. Lappenberg.- Stuttgart: Litterarischer Verein 1863 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 73). Reprint: Amsterdam: Rodopi 1969. Paul Flemings Deutsche Gedichte. Hrsg. von J.M. Lappenberg. Bd. I–II.- Stuttgart: Litterarischer Verein 1865 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 82–83). [Mit durchlaufender Paginierung!] Reprint: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1965.

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Kommentar* 1 Paull Flemings | ODE | Auff des Ehrnvesten vnd Wolgelarten | Herrn Timothei Poli/ P. C. der | Poëtic Professorn am Gymnasio zu Revall/ | newgee e bornen Tochterleins | CHRJSTJNEN | ableben. | An die betrubte Eltern. | [Strich] | Zu Revall/ druckts Chr. Reusner. 1635. | den 3. Maij. Kollation: 4°: A4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: Lateinische Zuschrift: Cl. V. Timotheo Polo, [...]. Bl. A2r–A4r: 14 Strophen mit jeweils sechs trochäischen Vierhebern und dem Reimschema aabccb: Text der Ode. Bl. A4v: [vacat] Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 361, Nr. 5; Lappenberg II, 843, Nr. 24: Der »Originaldruck ist nur aus Gadebusch [...] nachgewiesen.«; Napiersky-Beise: Nachträge I, 192; Schröder II, 324, Nr. 17; Goedeke III, 62, Nr. 22: »Ein Exemplar ist nicht nachgewiesen.«; Dünnhaupt I, 622, Nr. 41: »Kein Exemplar bekannt.« Kommentar: Der Titel des Erstdrucks (E ) war bislang – wie nahezu alle folgenden – nur in der unvollständigen Version aus Gadebuschs Livländischer Bibliothek (I, 361 f.) bekannt. Auch Eduard Pabst hatte nur einen gekürzten Titel sowie einen modernisierten und damit textkritisch wertlosen Abdruck geboten (Das Inland [1854], Nr. 50, Sp. 827–828). Da die lateinische Prosa-Zuschrift auf der Rückseite des Titelblatts an den Freund Polus in den zeitgenössischen Ausgaben der deutschen Gedichte Flemings nicht enthalten war, Fleming ein eigenes lateinisches Gedicht an Polus gerichtet und die Prosa-Zuschrift nicht noch einmal in seine Handschrift der lateinischen Gedichte aufgenommen hatte, Gadebusch umgekehrt keinen Hinweis auf sie gab, und Pabst auf ihren Druck verzichtete, mußte sie bislang in allen Fleming-Editionen und -Bibliographien fehlen.

–––––– *

Die Varianten in der Orthographie und insbesondere in der Interpunktion – teilweise gravierend – würden Seiten füllen. Auch die Druckfehler werden nicht verzeichnet. Für unsere Zwecke einer ersten Information reicht die Hinzunahme der ersten Lübecker Gesamtausgabe und womöglich des Prodromus sowie der Ausgabe Lappenbergs. Zum Problemkomplex noch immer einschlägig Albert Bornemann: Die Überlieferung der deutschen Gedichte Flemmings.- Diss. phil. Greifswald 1882. Die lateinischen Gedichte sind in der Hamburger Ausgabe der Epigrammata Latina von 1649 und der Ausgabe Lappenbergs verglichen. Ein Sachkommentar ist selbstverständlich hier nicht möglich.

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Drucke: Teütsche Poemata, Oden II, Nr. 9, S. 324–327. Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Oden II, Nr. 14, S. 276–278; Kommentar Bd. II, S. 737 f., Nr. 14, mit Verweis auf das (lateinische) Epigramm zum gleichen Anlaß; Neudruck in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Epigrammatum liber V, Nr. 36, S. 364; Kommentar S. 571, Nr. 36. Lesarten: Die lateinische Prosa-Zuschrift Die lateinische Zuschrift des Einzeldrucks ist in den nachfolgenden Ausgaben nicht erneut zum Abdruck gelangt. Die deutsche Ode III, 3 außgestreckt E hingestreckt TP L IV, 2 da E wo TP L V, 3 Da E der TP dem L V, 6 Nur E Nun TP nur L VII, 1 dem E den TP L VII, 3 Eilte E folgte TP L VIII, 5 Das geht E gehet TP L IX, 2 deß E es TP L X, 4 wer E der TP L X, 6 Das E was TP L XI, 6 lassen E stellen TP L XIV, 6 gelinde E gesunde TP L

2 I N | N O M I N A L E M | T I M O T H E I P O L I , | V. CL. | O D E G E R M A N I C A . | R E V A L I Æ | [Strich] | cIɔ Iɔc X X X V I . | M. J A N U A R I O | C H R I S T O P H . R E U S N E R U S | imprimebat.

Kollation: 4°: π4 Gliederung: Bl. π1r: Titel Bl. π1v: Zuschrift; 10 phaläkische Elfsilbler: P. Flemingi Prosphonesis. Bl. π2r–π4r: 14 Strophen mit jeweils sechs trochäischen Vierhebern und dem Reimschema abbacc: Text der Ode. Bl. π4v: [vacat] Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 361 f., Nr. 8 [mit Zitation der ›lateinischen Vorrede‹]; Lappenberg II, 844, Nr. 27: »Der Einzeldruck ist nur aus Gadebusch [...] bekannt«; Schröder II, 324, Nr. 22: Titel in deutscher Übersetzung wie in der Oden-Fassung; Napiersky-Beise: Nachträge I, 193 [Titel ebenfalls in deutscher Übersetzung. Fälschlicher Verweis auf einen nicht existierenden Ab-

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druck durch Pabst in: Das Inland (1850) Nr. 26]; Goedeke III, 62, Nr. 25: »Ein Exemplar nicht nachgewiesen«; Dünnhaupt I, 622, Nr. 45: »Kein Einzeldruck bekannt.« Kommentar: Dieses Gedicht Flemings war als eines von zweien der hier vorgestellten bereits von Olearius für den Prodromus ausgewählt worden. So wurde ausnahmsweise einmal der Zusammenhang zwischen dem lateinischen und dem deutschen Beitrag gewahrt. Er ist typisch für die Erstdrucke, wurde aber durch die Aufteilung in lateinische und deutsche Gedichte innerhalb der Sammelhandschriften und der auf ihnen beruhenden Ausgaben zumeist zerstört. Olearius wußte natürlich um die besonders enge Freundschaft zwischen Polus und Fleming, und trug ihr nicht nur durch diesen Druck, sondern auch durch die Wiedergabe des ergreifenden Epicediums auf Fleming schon am Schlusse des Prodromus Rechnung (Bl. E5v–E8r). Der Neudruck in den wichtigen ›Beilagen‹ zu Lappenbergs Ausgabe der deutschen Gedichte Flemings (Bd. II, S. 630–633). Dazu der stets hilfreiche Kommentar Lappenbergs mit dem Vermerk »Diese Ode ist von mir aus dem Prodromus entlehnt.« (ebd., S. 821, Nr. 25). Drucke: Paul Flemings Poetischer Gedichten [...] Prodromus, Bl. E1r–E2v [Exemplar der SUB Göttingen: Poet. Germ. II, 5211. – Ein zweites Exemplar aus dem Jahr 1642 existiert entgegen der Angabe von Dünnhaupt I, 623, Nr. 50a in Göttingen nicht, sondern nur die neue Errata-Liste aus dem Druck von 1642, die an den von 1641 angehängt ist; so schon richtig Lappenberg in seiner FlemingBibliographie im zweiten Band der deutschen Gedichte (S. 846)]. Teütsche Poemata, Oden IV, Nr. 34, S. 458–461. Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Oden IV, Nr. 33, S. 370–373; Kommentar Bd. II, S. 751–752, Nr. 33. Abdruck des lateinischen Epigramms außer im Prodromus und in der Sammlung Gadebusch auch in Pauli Flemingi [...] Epigrammata Latina, Bl. E1v (IV, 6) [Exemplar der DSB Berlin: 8 W 30], sowie in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Epigrammatum liber IV, Nr. 44, S. 347; Kommentar S. 566, Nr. 44. Dünnhaupt I, 622, Nr. 45 korrigiert die Lappenbergsche Angabe des Namenstages von Timotheus Polus vom 25. in den 24. Januar – zu Unrecht: Der erste des jeweiligen Monats ist bei der Umrechnung des römischen Kalenders jeweils mitzuzählen, die Lappenbergsche Angabe also korrekt. Lesarten: Die lateinische Zuschrift P. F L E M I N G I P R O SP H ON E S I S . E P προσφώνησις Super nominale T IM O T HE I P O - | LI, V. C. EL L V. 2 Salisubsalis E P Salibus salis EL Salisubsulis L V. 6 risibilis E P L visibilis EL [Unterz. E P ] I I X . K A L . F E B R . [Unterz. EL] Revaliæ. IIX. Cal: Febr: cIɔ Iɔc X X X V I . Die deutsche Ode IV, 5 Dafnens E P Dafners TP Dafnes L

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X, 4 Fehlt P X, 4 Daß E da TP L XIII, 4 ehrt vnd liebt/ E P also liebt TP ehrt und liebt L XIV, 5 ich Euchs E P ichs euch TP L

3 e M. Paull Flemings | Keyserl. gekronten Poëtens | Ode | Auff des Ehrnvesten vnd Wolgelarten | Herrn Heinrich Arnincks/ | Professorn der Oratori am Gymna = | sio zu Revall/ | Mit der Erbarn Vieltugendreichen | Jungfr. Elsaben von Schoten | Hochzeit. Kollation: 4°: π4 Gliederung: Bl. π1r: Titel Bl. π1v: Zuschrift; vier elegische Distichen: Ad Sponsos. Bl. π2r–π4r: 14 Strophen mit jeweils sechs Versen und dem Reimschema aabccb: Text der Ode. Bl. π4v: [vacat] Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 361, Nr. 7; Lappenberg II, 844, Nr. 29 [unter Bezug auf Gadebusch, »der allein diesen Einzeldruck anführt.«]; Napiersky-Beise: Nachträge I, 193; Schröder II, 324, Nr. 23; Goedeke III, 62, Nr. 27: »Ein Exemplar nicht nachgewiesen.«; Dünnhaupt I, 622 f., Nr. 47: »Kein Einzeldruck bekannt. [...] Amüsante Hochzeitsdichtung.« Kommentar: Gadebusch hatte nur den Hinweis gegeben, daß der Erstdruck »mit einer lateinischen Dedikation« versehen sei. Lappenberg und – ihm folgend – Schröder sowie Napiersky und Beise konnten die entsprechende lateinische Zuschrift aufgrund des Flemingschen Titels in der Ausgabe seiner lateinischen Epigramme sinngemäß der deutschen Ode zuordnen. Drucke: Abdruck der lateinischen Zuschrift in den Epigrammata Latina, Bl. C4v– C5r (III, 4). Danach bei Lappenberg in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Epigrammatum liber III, Nr. 43, S. 327; Kommentar S. 559, Nr. 43, mit Verweis auf Flemings Ode auf Arninck (ebd., Sylvarum liber VII, Nr. 5, S. 98 f.). Abdruck der deutschen Ode in Teütsche Poemata, Oden III, Nr. 13, S. 381–384, sowie in Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Oden III, Nr. 16, S. 310–312; Kommentar Bd. II, S. 742, Nr. 16. Lesarten: Die lateinische Zuschrift AD SPONSOS. E HENRICO ARNINGO & ELSABÆ VAN SCHOTEN odæ vernaculæ inscriptio. EL L

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V. 2 puella E marita EL L V. 3 quidem E scias EL scias, L V. 4 Sicca sed hôc bibulus basia rorat Amor. E Et quod siccabis, Sponse, rigabit Amor. EL et quod siccabis, sponse, rigabit Amor. L V. 8 Lætius E Doctius EL doctius L [Unterz. E ] Script. XVI. KAL. FEBR. XXXVI. SUPRA cIɔ ET Iɔc. REVALIÆ. [Unterz. EL] Revaliæ Harridis Esthonicæ cIɔ Iɔc X X X V I . [Unterz. L] Revaliæ Harridis Esthonicæ MDCXXXVI. Die deutsche Ode I, 4 pflegt zu versichern E vermeynt zu sichern TP vermeint zu sichern L V, 1 deß E das TP L V, 2 Treten E traten TP L V, 3 der E ihr TP L e VIII, 1 Mich betrubt es/ E Mir ists leide/ TP Mir ists leide, L VIII, 3 Wie E daß TP L XIII, 6 Sol alsbald E XII, 6 soll nun stracks TP L Am Schluß des Gedichts hat Fleming eine Umstellung der Strophen vorgenome men. Die 12. Strophe (»Schone Braut/ seyd ohne sorgen«) des Erstdrucks rückt in den Teütschen Poemata als 13. Strophe an die vorletzte Stelle, die 13. Strophe aus dem Erstdruck figuriert entsprechend in den Teütschen Poemata als 12. Strophe.

4 P . F L E M I N G I | G Y M N A S I U M | R E V A L I E N S E . | [Inschrift in einem Lorbeerkranz] Ingens G yMnasII | sIet aVCtor DVX- | qVe IehoVa. | Typis exscriptum à Christophoro Reusnero | Gymnasij Typographo. Anno cIɔ Iɔ C X X X V .

Kollation: 4°: A4, B2 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: Zuschrift; vier elegische Distichen: Ad Gymnasi Revaliensis Professores Dedicatorium. Bl. A2r: vier alkäische Strophen: Ad Calliopam. Bl. A2v–A3r: 34 Hexameter: M. Henrico Vulpio, [...]. Bl. A3v: 11 elegische Distichen: Timotheo Polo P.L. [...]. Bl. A4r: 11 Distichen aus jambischen Trimetern und Dimetern: Henrico Arningo [...]. Bl. A4v: 21 trochaïsche Septenare: Reinero Brocmanno, [...]. Bl. B1r: 15 phaläkische Elfsilbler: Alhardo Bœndelio [...].

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Bl. B1v: 12 jambische Senare: Davidi Gallo [...]. Bl. B2r: vier Asklepiadeische Strophen: Ad studiosos juvenes [...]. Bl. B2v: vier Sapphische Strophen: Ad æternam sapientiam [...]. Bibliographische Referenzen: Moller II, 196; Gadebusch I, 361, Nr. 4; Lappenberg II, 843, Nr. 22: »Dieser Druck ist mir nicht vorgekommen.«; Napiersky-Beise: Nachträge I, 192; Schröder II, 323, Nr. 16; Dünnhaupt I, 621, Nr. 38: »zitiert bei Gadebusch [...] nach einem seither verschollenen Privatexemplar.« Kommentar: Die Huldigung Flemings an das neu gegründete Revaler Gymnasium und seine Professoren wurde zuletzt von Marian R. Sperberg-McQueen auf der Basis des unvollständigen, nur einen Bogen umfassenden Exemplars in Tallinn besprochen; hier kann jetzt die bislang einzig bekannte komplette Version präsentiert werden. Schon Gadebusch hatte eine erste Charakteristik des Drucks gegeben. »Es ist den revalischen Lehrern gewidmet, und enthält besondere Stücke an die Calliope, Vulpius, Pol, Arninck, Brocmann, Böndel, Gallus, die studirende Jugend und die ewige Weisheit, um die Erhaltung des Gymnasiums. Alles macht anderthalben Bogen aus.« Auf dieser Basis konnte Lappenberg die handschriftliche Version, die er seinem Neudruck zugrundelegte, als komplett ansprechen. Drucke: Paul Flemings Lateinische Gedichte, Sylvarum liber VII, in quo Gymnasium Revaliense, S. 95–102; Kommentar S. 514–516, mit Bemerkungen zum Personenkreis bzw. Verweis auf entsprechende anderweitige Kommentarstellen. Lesarten: Die lateinische Zuschrift [Unterz. E ] Scribb. Non. Aprilib. | Anni X X X V . supra M . & D C . | R E V E LÆ , | M. Paullus Flemingus Hartensteinius, | P.L.C.C. Medic. Addict. [Unterz. L] Scribb. Non. Aprilib. | Anni X X X V . supra M . et D C. Revelæ. Ad Calliopam. V. 4 Ad E in L M. Henrico Vulpio, [...]. M. H E N R ICO V U L P I O , | G Y M NA S I A R CH Æ , | E T P H I L OS . P R O F . E M. Henrico Vulpio, Gymnasiarchæ, Theologo et | Philosopho. L V. 11 Aretæ septemplice E Aretes septemplici L Timotheo Polo P.L. [...]. T I M O T H E O P O L O P.L. | P O E T I C Æ P R O F E S S O R I. E Timotheo Polo Poetæ L V. 13 Hexametrô E heroo L V. 21 tamen E tam L

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Henrico Arningo [...]. H E N R I C O A R N I N G O | O R A T OR I Æ P R O F E S S O R I. E Henrico Arningo Rhetori. L V. 13 Et hinc, & hinc, & captus E Et hinc, et captus L Reinero Brocmanno, [...]. R E IN ER O B R O C M A N N O , | G R Æ C Æ L I N G V Æ PROFESSORJ. E Reinero Brocmano, Historico, et Linguar. Prof. L V. 4 Indies E indicens L V. 8 pandat E pandet L V. 16 diu E die L Alhardo Bœndelio [...]. A L H AR D O B O E N D E L I O | G.P. E Alhardo Boendelio, Grammatico. L F I N I S . E fehlt in L

5 P. F L E M I N G I | O D E E T P R O P E M P T I C O N | G E O R G I O G V I L I E L M O | P O E M E R O | Donata | M O S C O V I Æ , | A. cIɔ Iɔ C X X X I V . | [Zierstück] | R E V A L I Æ | dyTis Chr. Reusneri Sen. Gymnasij Typographi.

Kollation: 4°: A4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: Zuschrift; vier elegische Distichen: Nobilissimo Præstantissimoque Dn. Georgio Gvilielmo Pœmero, [...]. Bl. A1v: Anagramm auf Georg Wilhelm Pœmer von Timotheus Polus. Bl. A2r–A3r: 19 Sapphische Strophen: Text der Ode. Bl. A3v: 23 jambische Senare: Nobilißimo Doctißimoque Georgio Gvilielmo Pœmero [...]. Bl. A4r–A4v: 74 Alexandriner: Text des Gedichts. Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 361, Nr. 3 [irrtümlich datiert 1633]; Schröder II, 323, Nr. 15; Napiersky-Beise: Nachträge I, 192; Lappenberg II, 843, Nr. 21 [Kollationierung und Beschreibung des Exemplars der SB Berlin mit korrekter Datierung]; Goedeke III, 62, Nr. 20; Dünnhaupt I, 621, Nr. 37: mit unzutreffendem Hinweis: »Berlin SB.« Kommentar: Auch dieses Exemplar ist das derzeit einzig bekannte, denn der Verweis auf das Exemplar der Berliner Staatsbibliothek, den alle Bibliographen des 19. Jahrhunderts zu Recht gaben, ist seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr zutref-

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fend. Die gesamten lateinischen Stücke Flemings gehörten zur einzigartigen, neulateinischen Sammlung der Berliner Staatsbibliothek (Xc–Xh), die ihres besonderen Wertes wegen ausgelagert war (vorwiegend nach Gauernitz und Gröditzburg) und – von Ausnahmen abgesehen, über die an anderer Stelle zu berichten sein wird – bis auf weiteres als verschollen gelten muß. Das hier zur Rede stehende Werk führt die Signatur Xe 5740. 4°. In der Deutschen Staatsbibliothek zu Ost-Berlin sind von den lateinischen Stücken Flemings nur die Aræ Schœnburgicæ (1630) (4° Xe 5696 Rara) sowie die Tædæ Schœnburgicæ (1631) (an 4° Xe 5696 Rara) erhalten geblieben. Die ehemals in der Amsterdamer (Xe 5748. 8°) wie in der Hamburger Ausgabe (Xe 5749. 8°) vorhandenen Epigrammata Latina (1649) konnten zudem in der letzteren Fassung aus der Bibliothek des Joachimsthaler Gymnasiums (8 W 30) ersetzt werden. In die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in West-Berlin bzw. in die Jagiellonen-Bibliothek zu Krakau sind m.W. keine lateinischen Fleming-Drucke gelangt. Die Westberliner Sammlung ist vergleichsweise arm an Neolatina gemessen an dem einstigen Schatz; in Kraków fehlt die Gruppe Xc–Xh gänzlich. Etwas günstiger nimmt sich das Bild bei den deutschsprachigen Einzeldrucken aus. Hier ist der Leipziger Nachdruck der Schäferei auf Reiner Brockmann und Dorothea Temme (1635) in die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz gelangt (Yi 551 R); der Helmstedter Druck von Davids Bußpsalmen (1635) (81 in Yf 6847 R), die Ode auf Daniel Döring und Rosine Schwendendörffer (1632) (Yi 541 R), die NeuJahrs-Ode (1633) (Yi 546 R), Die schöne Müllerin-Stimme (1635) (Yi 556 R) und der Prodromus (1641) (Yi 571 R) befinden sich heute in Krakau. – Ich möchte auch an dieser Stelle dem Direktor der Biblioteka Jagiellónska zu Kraków, Herrn Dr. Jan Pirożyński, meinen aufrichtigen Dank sagen, daß mir schon 1981 alle einschlägigen Informationen über die damals noch unbekannte Verwahrung von Drucken aus der Staatsbibliothek Berlin in Krakau anläßlich meiner bibliographischen Forschungen zugänglich gemacht wurden. Eine eingehendere Studie zur Überlieferung der deutschen Dichtung des 17. Jahrhunderts aus der Deutschen Staatsbibliothek Berlin ist vorbereitet und wird zu gegebener Zeit publiziert werden. Vgl. unten S. 519 mit Anm. 325. Drucke: Während Gadebusch in seiner Beschreibung des Gedichts das Anagramm von Timotheus Polus überhaupt nicht erwähnt, fehlt in der Lappenbergschen Charakteristik der Verweis auf die Initialen ›T.P.‹, so daß der Benutzer keine Erklärung für den Sachverhalt erhält, daß nur dieser eben von Polus stammende Teil in den lateinischen bzw. den deutschen Gedichten Flemings keine Entsprechung hat. Wie so viele andere Einzeldrucke präsentieren sich auch ›Ode‹ und ›Propemptikon‹ für Pöhmer heute nicht mehr in der einstmals geschlossenen Form. Das lateinische Epigramm auf Pöhmer war als 44. Stück in die Epigrammata Latina (Bl. F1r) von 1649 eingegangen, in Lappenbergs Edition der lateinischen Gedichte steht es als Nr. 34 im ›Epigrammatum liber IV‹ (S. 344; Kommentar S. 565, Nr. 34). Die lateinische Ode war außer in dem Einzeldruck nur handschriftlich überliefert. Abdruck in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Sylvarum liber III, Nr. 9, S. 59–61; Kommentar S. 504, Nr. 9 (einläßlicher zum

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Adressaten). Handschrift und Erstdruck sind verglichen. Das ›Dedicatorium‹ zum deutschsprachigen Alexandrinergedicht (Bl. A3v) ebd., Sylvarum liber VI, Nr. 5, S. 91–92; Kommentar S. 514, Nr. 5. Handschrift und Erstdruck wiederum verglichen. Das deutschsprachigen Alexandrinergedicht steht bereits im Prodromus, Bl. C3v–C4v (zweite Foliierung), danach in Teütsche Poemata, Poetische Wälder II, Nr. 7, S. 46–48, und Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. II, Poetische Wälder IV, Nr. 23, S. 135–137; Kommentar Bd. II, S. 706 f., Nr. 23. Erstdruck und Prodromus sind verglichen. Lesarten: Das lateinische Epigramm (4 elegische Distichen) Nobilissimo Præstantissimoque | Dn. GE O R GIO G V I L I E L M O P O EM E RO, | Patritio Norimbergensi, | P. F LE M INGU S S.P. P R E C OR . E G E O R G I O GU ILIE LM O | P O E H ME R O nobili Juventutis | Odæ Romanæ dedicatorium. EL L V. 2 Atque E Jnque EL inque L V. 8 valeat E caleat EL L Die lateinische Ode Z. 17 primum E pronum L Z. 30 flexæ E flexi L Z. 34 mixti E misti L Z. 53 Cypris E lepor L Z. 74 igneis, E ignem. L Das ›Dedicatorium‹ zum deutschsprachigen Alexandrinergedicht Nobilißimo Doctißimoque | GE O R GIO G V I L I E L M O P O EM ER O | PAT R IT IO N O R ICO , | visâ Moscoviâ Germaniam repetenti, | Felix iter precor | P. F L E M IN GU S . E Dedicatorium carminis propemptici Georgio Guilielmo | Pöhmero, Patritio Norico, scripti Moscuæ. L V. 2 tollit, at E clarat, sed L V. 6–7 Hoc namque totô jure fecisti tuum. Favoris omne fructus illud est tui. E favoris omne fructus illud est tui. Hoc namque toto jure fecisti tuum. L V. 9 additure, E additurus, L V. 11 certa E Facta L V. 12 facta E vota L V. 22 longum E semper L [Unterz. E ] Scrib. M O S C V Æ I I X . K A L . I X bres, | cIɔ Iɔ C X X X I V . [Unterz. L] M D C X X X I V . Das deutschsprachige Alexandrinergedicht Z. 8 zuvor/ E vorhin P vorhin/ TP zuvor, L werest E warest P wärest TP L Z. 9 kein Verdruß E L vnd Verdruß/ P und Verdruß/ TP

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Z. 10 Des E Deß P Das TP des L den ich sonst E L die ich so P TP Z. 21 selbst E L jung P TP Z. 26 Der E Den P TP der L Z. 28 Strewt von sich weit vnd breit den Ruch von aller Tugend. E Streut von sich den Geruch von Kunst vnd aller Tugend. P Streut von sich den Geruch von Kunst und aller Tugend/ TP streut von sich weit und breit den Ruch von aller Tugend. L Z. 37 Vnd E Was P TP was L Werther E Werder P wehrter TP Werder L Z. 40 vnd E ja P TP L Z. 42 auff E in P TP auf L Z. 43 Diß E Das P TP L Z. 47 Den E Der P TP L Z. 51 zu E zur P TP L Z. 55 grosse E edle P TP große L jetzt E auch P TP ietzt L Z. 58 Zier E L Schmuck P TP Z. 60 Neglein E Nelcken P TP Näglein L Des E P L Die TP Z. 68 Moskaw jhren E Moskaws kleinen P Moßkaws kleinen TP Moskau ihren L Z. 71 er E L ich P TP Z. 74 zu morgen E des morgens P deß Morgens TP zu Morgen L FINIS. E fehlt in P TP L

6 PAULLI FLEMMINGI | ODE GERMA = | NICA | AD LEGATOS GERMAN O S V E C O S | I N R U S S I A M P E R S I A M Q . I T U R O S . | [Strich] | H A M B U R G I , | Ex Officinâ V V E R N E R I A N A .

Kollation: 4°: A4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: Zuschrift; vier elegische Distichen: Nobb. et ampll. V.V. Dn. Philippo Crvsio, [...]. Bl. A2r–A4v: 17 Strophen mit jeweils sechs trochäischen Vierhebern und dem Reimschema abbacc: Text der Ode. Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 361, Nr. 2; Lappenberg II, 842, Nr. 19: »Dieser Druck, in dessen Titel die Beziehung auf Schweden sehr auffällig erscheint, ist nur aus Gadebusch [...] bekannt.«; Napiersky-Beise: Nachträge I,

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192; Schröder II, 323, Nr. 13; Goedeke III, 62, Nr. 19: »Ein Exemplar nicht weiter nachgewiesen.«; Dünnhaupt I, 620, Nr. 35: »Kein Einzeldruck bekannt.« Kommentar: Die unter dem Titel Ode Germanica noch in Hamburg erschienene Dichtung war gleichwohl dem in Hamburg wirkenden Lappenberg und allen folgenden Bibliographen nur aus der Dorpater Sammlung Gadebuschs bekannt und kann hier erstmals komplett präsentiert werden. Gadebusch hatte die lateinische Zuschrift an die Gesandten erwähnt, jedoch nicht zitiert; gleichwohl schloß Lappenberg richtig auf das Epigramm IV, 21 ›Ad Patronos duos‹, das auch in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Sylvarum liber IX, Nr. 13: ›Ad illustriss. Ducis Holsatiæ Legatos Odæ Germanicæ Dedicatio‹ wiederkehrte. Drucke: Der lateinische Text in den Epigrammata Latina, Bl. E7v (IV, 37) und in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Epigrammatum liber IV, Nr. 21, S. 340; Kommentar S. 563, Nr. 21. Dasselbe in der Wolfenbütteler Handschrift und danach in Lappenbergs Ausgabe der lateinischen Gedichte (Sylvarum liber IX, Nr. 13, S. 212; Kommentar S. 536, Nr. 13). Der deutsche Text in Teütsche Poemata, Oden IV, Nr. 47, S. 478–481, und in Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Oden IV, Nr. 21, S. 358–360; Kommentar Bd. II, S. 749 f., Nr. 21. Lesarten: Die lateinische Zuschrift N O B B . E T A M P L L . V.V. | Dn. P H I L I P P O C R V S I O , J.U.L. & | Dn. O T T O N I B R V G M A N N O , | Illustrißimi Ducis Holsatiæ | Dn. F R I D E R I C I & c. Consiliariis, | ad Russicam Persicamque aulam | L E GA T IS eminentissis. | hâc Odâ | Fortunatum iter precatur | M. P A U L L U S F L E M M IN G U S | P.L.C. E AD PATRONOS DUOS. EL Z. 1 S A C R A E pia EL L Z. 3 carmine E L carmina EL [Unterz. E ] scrib. Hamburgi, | pridiè Eidus Octobres | cIɔ Iɔc XXXIII. [Ohne Datierung in EL und L] Die deutsche Ode e E vor TP L II, 6 fur IV, 4 Nahe nicht hat E kaum nicht gantz TP kaum nicht ganz L V, 4 ewer E unser TP L V, 6 Das E was TP L VI, 2 die E den TP L VII, 6 Furchtsam E furchtsam TP furchtbar L IX, 6 Ehe E eh daß TP eh’ daß L e XI, 6 Sol noch kommen dir zu glucke. E soll ihm brechen sein Genicke. TP L e XIII, 6 Soltet jhr auch jtzt schon E und last ewig euch nicht TP und läßt ewig euch nicht L XVI, 3 tritten/ E Schritten/ TP Schritten, L XVI, 4 Was sie wil/ E was ihr wollt/ TP L Euch E sie TP L

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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e XVII, 2 Menschen/ E Fursten/ TP Fürsten, L

7 [Rubella.]

8 TÆDÆ

| SCHOENBURGICAE, | PAULLI FLEMMINGI.

Kollation: 4°: A4–D4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: Lateinische Zuschrift: Illustri Domino, Domino Christiano, [...]. Bl. A2r–B3v: neun lateinische Gratulationsgedichte. Bl. B4r: Zwischentitel: Fruelings = HochzeitGedichte [...]. Bl. B4v: Widmungssonett: An die Wolgeborne [...]. Bl. C1r–D1v: Text des Gedichts: Fruelings = Hochzeitgedichte. Bl. D2r: 16 Alexandriner: Auß Herrn C. Barthen Lateinischem Liebsschertze. [...]. Bl. D2r–D2v: 28 Alexandriner: H. Dan. Heinsius sein Lateinischer Liebsschertz [...]. Bl. D2v–D3r: 4 Alexandriner: Vberschrifft An den Lustgarten zue Wechselburgk. [...]. Bl. D3r: 4 Alexandriner: An die Nacht. Bl. D3r 8 Alexandriner: Vom Amor. [...]. Bl. D3r–D3v: Wechselgedichte Bl. D4r–D4v: [vacat] e

e

Bibliographische Referenzen: Moller II, 196; Gadebusch I, 362, Nr. 9; Schröder II, 322, Nr. 3; Napiersky-Beise: Nachträge I, 191; Lappenberg II, 836 f., Nr. 3; Goedeke III, 61, Nr. 5; Dünnhaupt I, 614, Nr. 8. Kommentar: Gadebusch führt dieses Werk am Schluß seiner Fleming-Drucke auf, da in dem Exemplar aus seinem Besitz das Kolophon auf Bl. D4r fehlt; er vermutete als Erscheinungsjahr Leipzig 1629. Schon Lappenberg hatte bemerkt, daß nicht nur das Wolfenbütteler Exemplar nur zwei Bogen enthält, sondern auch das Berliner Exemplar kein Kolophon besitzt. Zu beachten ist freilich – auch als Ergänzung zu Dünnhaupt –, daß die Staatsbibliothek zu Berlin drei Exemplare besaß (Xe 5696 R, an Xe 5724 R, an Xe 5724a R), von denen sich nur das erstere erhalten hat. Lappenberg selbst war im Besitz eines Exemplars mit Kolophon, ebenso wie Faber du Faur (I, 315): Leipzig/ | Jn verlegung Elias Rehe feldt/ | Buchhandlers. | [Vignette] | Gedruckt bey Abraham Lambergs | S. Erben. | [Strich] | Jm Jahr M. DC. XXXI.

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Paul Fleming

Drucke: Der lateinische Bestandteil der Schrift auf der Basis der Wolfenbütteler Handschrift und des Erstdrucks in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Sylvarum liber IX, Nr. 3, S. 174–184; Kommentar S. 529–531, Nr. 3. Die deutschen Bestandteile des Hochzeitsgedichts, ohnehin schon vom lateinischen Text getrennt, sind ihrerseits nochmals zerstreut. Die Zuschrift an die Hochzeiter und das ›Frülings = Hochzeitgedicht‹ als 1. Stück in Teütsche Poemata, Poetische Wälder IV, S. 148–157, die Zuschrift wiederholt im 47. Stück der ›Überschrifften‹ (ebd. S. 281). Die Übersetzung aus Caspar Barth ist als 3. Stück des fünften Buchs der ›Poetischen Wälder‹ plaziert; die Heinsius-Übersetzung und die drei übrigen Gedichte fehlen in der Ausgabe der deutschen Gedichte Flemings ganz. Lappenberg löst die beiden Übersetzungen aus dem Kontext und plaziert sie als 1. und 2. Stück in dem fünften Buch der ›Poetischen Wälder‹ (Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, S. 208 und S. 208 f.; Kommentar Bd. II, S. 725 und S. 726, wo die Provenienz aus den Tædæ vermerkt ist) und druckt die Zuschrift und das Frühlingsgedicht selbst – unter Einschluß der drei letzten Gedichte – als 1. und 2. Stück des dritten Buchs der ›Poetischen Wälder‹ (Bd. I, S. 58–68; Kommentar Bd. II, S. 689–693). Gäbe es einen überzeugenderen Beleg für den Wunsch, eine Fleming-Ausgabe auf der Grundlage der Erstdrucke zu schaffen? – Der Nachweis von Varianten erübrigt sich angesichts der weiten Verbreitung des Erstdrucks aus der Sammlung Faber du Faur.

9 e Klagegedichte/ | Auff den fruzeitigen doch seeligen | Hintritt auß diesem Leben | Der Erbarn vnd Vielehrentugendsamen | Frawen | Elisabethen/ | e Gebohrnen Mullerinn/ | Des Ehrnvesten vnd Wolgeachten Herrn | Michael e e Paulsen/ | Furnemen Burgers vnd Handels = | mannes in Revall/ Hertzlieben | Ehgenossens/ | Welche den 12. Tag nach jhrem vierdten Kindel = | bette/ als den 26 December des 1634 Jahres/ vnd also acht | Tage nach jhrem seee e ligen Tochterlein/ in jhrem Erloser | sanfft vnd seelig verschieden. | Zu bee e zeugung eines Christlichen Mitleidens/ | dem hochstbetr ubten Wittber vnd vornemen | Freundschafft zu ehren vnd troste | Von etlichen guten Freunden auffgesetzt. | [Strich] | Gedruckt in Revall/ M D C X X X V . im Januar. | Durch Chr. Reusner Gymnasij Typograph. Kollation: 4°: A4–B4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: [vacat] Bl. A2r–A4r: 148 Alexandriner: Mors omnia solvit. Bl. A4v–B1v: 80 Alexandriner: Text des Gedichts. Bl. B1v–B2r: Vier elegische Distichen: Grahmann-Zuschrift.

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Bl. B2r: 20 Alexandriner: Text des Gedichts. Bl. B2v: Vier elegische Distichen: Allocutorium. Bl. B2v–B4v: 17 Strophen mit jeweils sechs trochäischen Vierhebern und dem Reimschema ababcc: Text der Ode. Bl. B4v: Epitaphium. Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 361, Nr. 6; Schröder II, 324, Nr. 19; Napiersky-Beise: Nachträge I, 193; Lappenberg I, 844, Nr. 26; Goedeke III, 62, Nr. 24: »Ein Exemplar nicht nachgewiesen«; Dünnhaupt I, 622, Nr. 44. Kommentar: Auch dieses Stück darf derzeit wiederum den Status des Unikats beanspruchen, nachdem das bei Napiersky-Beise und Lappenberg bezeugte Exemplar aus der ehemaligen Gymnasialbibliothek zu Reval bislang nicht wieder aufgetaucht ist. Da sich alle Bibliographen des 19. Jahrhunderts – mit Ausnahme Goedekes, der auch nicht auf das Revaler Exemplar verweist – der pauschalen Charakteristik Gadebuschs anschlossen, derzufolge Flemings »Ode auf Elisabeth Paulsen, geb. Müllerinn, in den gesammelten Klagegedichten auf den Hintritt derselben« zu finden sei, niemand aber den Titel des Revaler Exemplars exakt zitierte, wird er hier erstmals wiedergegeben. Das kleine, bislang nicht untersuchte Werk hält eine Reihe von Überraschungen bereit. Allein nachgewiesen wurde bislang die deutsche Ode Flemings in Teütsche Poemata, Oden II, Nr. 13, S. 335–338) und Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Oden II, Nr. 16, S. 279– 282; Kommentar Bd. II, S. 738, Nr. 16). Das große Gedicht von Olearius ist in der Lohmeierschen Bibliographie sowie bei Dünnhaupt nicht nachgewiesen und ist offensichtlich bislang unbekannt. Vgl. die Olearius-Bibliographie von Lohmeier in: Adam Olearius: Vermehrte Newe Beschreibung der Muscowitischen vnd Persischen Reyse. Schleswig 1656. Hrsg. von Dieter Lohmeier.- Tübingen: Niemeyer 1971 (= Deutsche Neudrucke. Reihe: Barock; 21), Anhang S. 63*– 77*. Wer sich hinter den anderen Initialen verbirgt, bedarf der Untersuchung. Wichtig ist, daß Fleming auch als lateinischer Dichter an dem Epicedium beteiligt ist. Das von Hartmann Grahmann unterzeichnete Stück findet sich unter Flemings Epigrammen in Paul Flemings Lateinische Gedichte, Epigrammatum liber V, Nr. 39, S. 365; Kommentar S. 571, Nr. 39, ebenso wie das nicht gezeichnete ›Allocutorium‹ (ebd., Nr. 38, S. 364 f.; Kommentar S. 571, Nr. 38 mit Verweis auf Nr. 29 in ›Manium Glogerianorum liber VII‹ (ebd., S. 278 f.), das freilich in dem Einzeldruck keine Entsprechung hat). Es ist nicht auszuschließen, daß das nicht gezeichnete Schluß-Epitaph gleichfalls von Fleming stammt. Erstdruck der beiden lateinischen Stücke Flemings in den Epigrammata Latina, Bl. F5r–v (V, 2, 3). Drucke: Siehe oben. Lesarten: Grahmann-Zuschrift Ad eandem a quarto puerperio excedentem. EL L Diese Überschrift fehlt im Erstdruck.

Paul Fleming

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V. 3 Sic E Pro EL L pro morte E ter fida EL L V. 4 Tendis E Pergis EL pergis L V. 6 laudem nimiæ E nimiæ laudem EL L V. 7 oro, E opto, EL L [Unterz. E ] Hartmannus Graman. | Med. Pract. [Unterz. fehlt in EL und L] Allocutorium Allocutorium E Dedicatorium Odæ Germanicæ super obitu Elisabetæ Paullæ Revaliæ EL L V. 1 Ast E At EL L V. 2 Pergis E Tendis EL tendis L domos. E domus. EL domus, L V. 4 Gaudia pro lacrymis, E Pro lacrymis risus EL pro lacrymis risus L V. 5 vestro, E fausto, EL L Die deutsche Ode Ode. E Auff Fr. Elisabeth Paulsens in Revell Ableben. TP L VI, 5 angelangen E hingelangen TP L VII, 4 schwerem schlaf’ E schweren Traum’ TP L VII, 6 der E dem TP L e IX, 4 denckt vnd gleubt. E feste glaubt: TP feste gläubt: L IX, 6 Sind E seyn TP sein L X, 4 ewig E ewigs TP Ewigs L XIII, 2 Aber denckt E Doch gedenckt TP doch gedenkt L XVI, 4 jhr E das TP L XVII, 1 entnommen E genommen TP L XVII, 6 Deß wir stets jtzt E das wir itzt stets TP L [Unterz. E ] M. Paull Fleming P.L.C. [Unterz. fehlt in TP und L]

10

n

S A N C T I S , | Viri admodum Clarißimi ac Excel- | lentißimi D . P A U L I F L E M I N G I , | Hartensteinensis Misnici, Phil. & Med. Docto- | ris, nec non Poetæ Coronati Laureati | eminentissimi, | M A N I B U S , | [Strich] | H A M B U R G I , | Excudebat H E N R I C U S W E R N E R U S , | Anno M.DC.XL.

Kollation: 4°: A4–B4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: 21 Hexameter nebst Subscriptum Bl. A2r–B4v: 444 Alexandriner: Paull Flemings Klag = Gedicht [...].

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 357 f.; Schröder II, 323, Nr. 9 und S. 321, Anm. 2; III, 472, Nr. 11; Napiersky-Beise: Nachträge I, S. 192; Lappenberg II, 839, Nr. 12; Dünnhaupt I, 617, Nr. 20b. Fehlt bei Goedeke, der III, 61, Nr. 12 nur den Erstdruck des Klagegedichtes von 1632 verzeichnet. Kommentar: Die Bedeutung des Eingangs zum vorletzten Stück in dem beschriebenen Sammelband hatte Gadebusch sogleich erkannt und durch Zitation in seiner Livländischen Bibliothek unterstrichen. Es handelt sich um ein Epicedium aus der Feder Heinrich Janichs, der Fleming in der Katharinenkirche zu Hamburg, wo er als Diakon seit 1630 wirkte, bestattete (vgl. Schröder III, 470–472). Janich hatte in seinem Epicedium nicht nur behauptet, daß Fleming Frankreich und England besucht habe, sondern auch bezeugt – und war eben deshalb von Gadebusch zitiert worden –, daß Fleming noch vor seinem Tod zum Stadtphysikus in Reval (und nicht in Hamburg) erwählt worden war. Janich vereinigte sein Epicedium mit einer Neuauflage von Flemings erstmals 1632 bei Rehefeld in Leipzig in zwei Titelauflagen erschienenem Klagegedichte Vber das vnschüldigste Leiden vnd Todt vnsers Erlösers J E S V C H R J S TJ (so der korrekte Titel der Göttinger Exemplars 8° Poet. Germ. II 5254 im Gegensatz zu Dünnhaupt). Die Sammelschrift war in der Hamburger Stadtbibliothek vorhanden, wurde jedoch ihrer besonderen Kostbarkeit wegen nach Lauenstein ausgelagert und ist vorerst nicht zugänglich (SCa VIII. 55). Ein zweites Exemplar neben demjenigen aus Riga konnte in der Commerzbibliothek in Hamburg aufgefunden werden (H 297/3. 4°; Neue Signatur S 281, Bd. I, Nr. 37). Ein defektes Exemplar befindet sich in Wolfenbüttel (Cod. Guelf. 234 Gud. lat. f. 102). Lappenberg dürfte das Exemplar der Hamburger Stadtbibliothek benutzt haben, äußert sich aber nicht zur Provenienz. Das dem Epicedium von Janich folgende und zitierte Subscriptum aus Bernhard von Clairvaux’ Sermones super Cantica Canticorum ist weder bei Gadebusch noch bei Lappenberg erwähnt.

10a Klag = vnd Trost = Gedicht | Zu letztem Ehrn = Gedechtnis in dieser Welt | Dem Weiland/ Wol = Ehrenvesten/ Vor = Achtba = | ren/ vnd Hochgelahrten/ Herren | P A U L O F L E M M I N G O | Med. D. vnd Poët. L. C. | Welcher im e Jahr nach vnsers Erlosers heilwer = | tigen Geburt/ Anno 1609. den 12. Octobr. zu Hartten = Stein in Meis = | sen gelegen/ in diese Welt gebohren/ vnd e e nach vieljahrigen beschwer = vnd | gefahrlichen Reisen von hier in Holland nach Leyden sich begeben/ ist er den | 7. Martii dieses jetztlauffenden 1640. Jahres wieder von dannen/ den 20. | ejusd. hier in Hamburg angelanget/ e e sich wegen außgestandener Kalte/ jetzi = | ger ZeitJahrs vngestummen Wetters vnd anderer discommoditeten halber | beklagend/ den 27. kranck vnd Bettlagerig worden/ vnd nach dem die Schwach = | heit vberhand genome men/ den 2. Aprilis am Grunen Donnerstage 4. Vhr | vor Mittag in festem Glauben an Jesum Christum vnd hertzlicher An = | ruffung zu Gott sanfft

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Paul Fleming

e vnd seeliglich ent = | schlaffen. | Dessen seelig verblichener Corper den 6. ejusd. am H. | Ostermontag in S. Cathrinen Kirche/ mit hochansehnlichem e Comi = | tat, vnd allen Christ = ublichen Ceremonien beygelegt | worden. Auß e schuldiger Condolentz | verfertiget | Durch | Johannem Georgium Richterum Pirnâ- | Misnic. Artis Machaoniæ Cultorem. | [Zierstück] | Hamburg/ | Gedruckt bey Jacob Rebenlein/ Jm Jahr 1640.

Kollation: 4°: π4 Exemplar: Commerzbibliothek Hamburg. Alte Signatur H 297/3. 4°, neue Signatur S 281, Bd. II, Nr. 43. Gliederung: Bl. π1r: Titel Bl. π1v: [vacat] Bl. π2r–π3r: zwei Gedichte; 34 und 38 paarreimige Alexandriner Bl. π3v: 16 Alexandriner: Sehnliche Klage [...]. Bl. π4r: Lateinisches Trauergedicht; 12 elegische Distichen: Aliud. Bl. π4v: [vacat] Bibliographische Referenzen: Napiersky-Beise: Nachträge I, 196; Schröder II, 327 [jeweils mit Verweis auf ein Exemplar der StB Hamburg. Alte Signatur an SCa VIII. 55 (verlagert)]. Kommentar: Neben das Epicedium Janichs tritt das Klag- und Trost-Gedicht (1640) von Johann Georg Richter, das in der Forschung gleichfalls nicht mehr bekannt zu sein scheint, und von dem ein Exemplar in der Commerzbibliothek Hamburg aufgefunden werden konnte.

10b Paul Flemming eines gebohrnen Meisners/ | der Philosophi und Medicin e Doctoris, | Des beruhmten Teutschen Poëten, | Jn der/ von der Christlichen Kirche wiederholeten | Leidenszeit Christi/ | vorgestelletes | Thun und Leie den | des Heylandes und Erlosers | des Menschlichen Geschlechtes/ | in e nachdenckliche langere Reime beschlossen. | Welche Er nach vielen in seiner Jugend volbrachten schweh = | ren Reisen, in Asiâ und Europâ, auff seinem Kranken- und | Todt = Bette/ in der Marterwoche/ verfertiget/ seiner Verloe beten | Braut eingehandiget/ bey seiner Beerdigung/ (welche am | Ostermontage geschehen ist) außzutheilen befohlen/ | und solches auch seinem Beichtvater | angezeiget hat. | Anjetzo geendert/ gebessert/ und in 444. Reime satzen außgefertiget: | manniglich dadurch zur Andacht auffzumunteren. | e [Strich] | Er starb in Hamburg/ im 1640 Jahre in der Marterwoche am Grue nen Don = | nerstage/ welcher war der 2 Aprilis, nach 14 tagiger Krankheit/

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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im 31 Jahre | seines alters/ und ward am mittelsten Osterfeyrtage/ (war der | 6 des Monaths April) daselbst in der Catharinen Kirche | beerdiget. | [Strich] | R E D E M P T O R C O R O N A B I T . | [Strich] | H A M B U R G / | in der Drukkerey des Gymnasij, im 1682 Jahre der Christen. Kollation: 4°: A4 Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: 16 Verse: Charfreytages Andacht. Bl. A1v–A4v: 444 Alexandriner: Bußfärtige Klage über das Leiden Messiæ [...]. Bl. A4v: Acht Alexandriner und sechs Strophen mit jeweils acht trochäischen Vierhebern: Schlus. Exemplare: Commerzbibliothek Hamburg H 608/6 = S 846, Nr. 38; Staatsarchiv Hamburg A 710/802 (S. 147–154). Bibliographische Referenzen: Moller II, 197; Recke-Napiersky I, 585; Schröder I, 504, Nr. 64 und II, 323, Nr. 9; Dünnhaupt I, 617, Nr. 20c [ohne Nachweis eines Exemplars]. Kommentar: Schon Lappenberg hatte auf die Existenz eines »dritten Abdruck(s) oder vielmehr die geschmackloseste Umgestaltung« von Flemings Klagegedichte aufmerksam gemacht. Die Fleming-Forschung hat sich bislang nicht um eine Überprüfung dieser Charakteristik bemüht. Der Titel des Werkes ist (offensichtlich in Anlehnung an Richter) mit biographischen Details angereichert und wird deshalb hier erstmals im Wortlaut zitiert. Das Motto erlaubte dem Bearbeiter die unauffällige Plazierung seiner Initialen. Rudolf Capelli wirkte seit 1660 als Professor für Beredsamkeit am Hamburger Gymnasium und hinterließ ein reichhaltiges, vor allem aus gymnasialen Programmen zusammengesetztes Schrifttum (Schröder I, S. 500–506). Er hat sich keinesfalls bearbeitend nur an Fleming versucht, sondern sich auch als Kompilator und gelegentlicher Übersetzer vorzugsweise geistlicher Texte betätigt. Während seine Wahre Pfingst-Feyr (Hamburg 1679) u.a. eine ›Ode Pindarica De spiritu sancto‹ des Zesenschen Genossenschaftsmitglieds Daniel Klesch in lateinischer und deutscher Version enthält, hat Capelli in seiner Achtmahligen unterschiedenen Ubersetzung und Heilsamen Betrachtung Des 91. Psalms (Hamburg 1682) Übersetzungen und Bearbeitungen u.a. von Lobwasser, Opitz, Harsdörffer, Dach und Albert zusammengestellt. Er nimmt also am Ausgang des 17. Jahrhunderts eine wichtige Vermittlerrolle der geistlichen Dichtung in Hamburg wahr. Die strophische Gliederung des Flemingschen Textes und seine Einfassung in einen paränetischen Rahmen kam nicht nur dem Fassungsvermögen seiner Schüler entgegen, die er als Zielgruppe seiner Paraphrase vor allem im Auge hatte. Die frühpietistische Wendung, die er dem Flemingschen Text und seinen eigenen Beigaben verleiht, stellt vielmehr zugleich eine wichtige Etappe in der Transformation der geistlichen Sprechhaltung im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert dar. Im Namen einer verinner-

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Paul Fleming

lichten Rezeption wagt sich Capelli an eine der Zeit entsprechende Überarbeitung der Vorlage. An diesen Ton vermochte der Kreis um Richey, Mattheson und Telemann aus dem Geist der Empfindsamkeit sehr wohl anzuknüpfen. Auch deshalb ist es mehr als ein Zufall, daß der vielleicht größte Aufklärer und Sammler, den das Hamburg des 18. Jahrhunderts hervorgebracht hat, Michael Richey, sich auch des verstreuten Werkes seines Vorgängers Capelli am Hamburger Gymnasium annahm. Ein von ihm zusammengestellter voluminöser Band ›Rud. Capelli. Varia.‹ hat sich in der Commerzbibliothek zu Hamburg erhalten (H 608/6 = S 846, Nr. 38) und enthält nicht nur zahlreiche Capelli-Drucke – darunter die Fleming-Bearbeitung –, sondern auch, wie es sich für einen rechten Sammler geziemt, die Zuschriften an Capelli vom Antritt seiner Professur am Gymnasium bis hin zu seinem Tod. Ein weiterer Capelli-Sammelband hat sich im Staatsarchiv Hamburg erhalten (A 710/802), auch er mit dem Fleming-Druck versehen. Capelli verdiente es, nicht nur von der Fleming-Forschung wahrgenommen zu werden. Drucke: Das Epicedium des Janichius findet man außer in der Sammlung Gadebusch (I, 357 f.) auch abgedruckt im Rahmen der ›Beilagen‹ der Lappenbergschen Ausgabe: Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. II, Nr. 52, S. 604 f.; Kommentar Bd. II, S. 814. Das Flemingsche Klagegedichte – in der 1. Auflage 1632 in zwei Titelauflagen vorliegend (vgl. Dünnhaupt I, 617, 20 und 20a) – eröffnet Flemings Teütsche Poemata, Poetische Wälder I, S. 2–15. In Lappenbergs Ausgabe figuriert es erst an 9. Stelle (Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. II, S. 15– 27; Kommentar Bd. II, S. 684–686, Nr. 9) und verliert damit seine herausragende kompositorische Stellung zugunsten des chronologischen Prinzips. Fortgefallen in der Ausgabe Janichs ist die Dedikation an Buchner zur ersten Auflage von 1632. Vgl. Epigrammata Latina, Bl. L1v (IV, 4), und Paul Flemings Lateinische Gedichte, Epigrammatum liber VIII, Nr. 16, S. 409 f.; Kommentar S. 582, Nr. 16. Lappenbergs Edition beruht auf einem Vergleich der 1. und 2. Auflage des Klagegedichtes. Ein nochmaliger Vergleich erübrigt sich an dieser Stelle; ein Vergleich mit der Capellischen Version wäre erwünscht. In Janichs Epicedium ist mit Lappenberg in Zeile 3 ›laetus‹ (statt ›laedus‹ bei Gadebusch), in Zeile 15 ›Christolis‹ (statt ›Christicolis‹ bei Lappenberg) zu lesen.

11 e e e Gluckw unschungen | Auff froliche Geburt vnd Namenstage | Des Ehrnvesten/ Achtbarn vnd Hochgelarten/ | [Inschrift in einem Lorbeerkranz] e Herrn | Hartman | Gramans | Furstl. Holst. Gesandten wolbestalten MEDJCJ/ | von seinen guten Freunden | Jn Moskaw vnd Revall geschrieben. | [Strich] | Zu Revall/ druckts Chr. Reusner. 1635. Kollation: 4°: A4

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Gliederung: Bl. A1r: Titel Bl. A1v: [vacat] Bl. A2r–A2v: 31 trochäische Vierheber mit Paarreim: Chor der Nimfen. Bl. A2v: 16 Alexandriner mit Paarreim: Text des Gedichts. Bl. A3r: 24 trochäische Vierheber mit Paarreim: Text des Gedichts. Bl. A3v–A4v: sieben Strophen mit jeweils sechs trochäischen Vierhebern und dem Reimschema abbacc: Ode auff frolichen Namenstag [...]. e

Bibliographische Referenzen: Nicht vorhanden. Kommentar: Das letzte 42. Stück unseres Sammelbandes ist der Fleming-Philologie bislang unbekannt; auch Gadebusch hatte es in seiner kleinen Fleming-Bibliographie nicht mit aufgeführt, handelte es sich doch um ein nur durch Initialen und Pseudonyme geschmücktes Gemeinschaftswerk zum Geburts- und Namenstag Hartmann Grahmanns, der als Mediziner an der Gesandtschaftsreise nach Rußland und Persien teilnahm und von Fleming als enger Freund wiederholt besungen wurde. Fleming, häufig in Gemeinschaftsarbeiten zurücktretend, ist auch in dieser Gratulationsschrift für Grahmann der maßgebliche Beiträger gewesen, und hat dies durch das Pseudonym ›Flaminia‹ im einen, und durch seine Initialen ›M.F.‹ im andern Fall dezent bedeutet. Den ›Chor der Nimfen‹ findet man folglich unter dem Titel ›Chor der Moßkawischen Nymfen/ | auff eines guten Freundes Gebuhrts = tag‹ unter den ›Glückwünschungen‹ in Teütsche Poemata, Poetische Wälder II, S. 49 f., und in Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Poetische Wälder IV, Nr. 22, S. 134); die Ode unter dem Titel ›Auff H. Hartman Grahmans | Nahmens =Tag‹ wieder abgedruckt in Teütsche Poemata, Oden IV, Nr. 9, S. 408 f., und in Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Oden IV, Nr. 25, S. 364 f. Doch auch den drei Schwestern Grahmanns hat Fleming seine Feder geliehen: ›Vor drey Jungfrauen | Auff dero guten Ehren = Freundes | Geburts =Tag‹ lautet der Titel der Zuschrift, gleichfalls in Teütsche Poemata, Poetische Wälder II, S. 88, und in Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Poetische Wälder IV, Nr. 19, S. 127 f. Lappenbergs Vermutung, daß das Gedicht für den Geburtstag Otto Brüggemanns verfaßt sei (Bd. II, S. 704, Nr. 19), ist also unzutreffend und das Gedicht entsprechend falsch plaziert. Diesen beschwingten drei Gedichten in vierhebigen Trochäen gegenüber fällt der ungelenke AlexandrinerBeitrag merklich ab; er kann nicht von Fleming stammen und findet sich in der posthumen Ausgabe seiner Gedichte nicht. Lesarten: Chor der Nimfen Z. 7 die E wir TP L Z. 10 Bald geschwinde/ bald gelinde E Bald gelinde/ bald geschwinde/ TP bald gelinde, bald geschwinde L Z. 18 in E durch TP L Z. 19 Moskaw schritte E Schritte Moßkaw TP Schritte Moskaw L

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Z. 22 Wein vnd Lauch E Lauch und Wein TP L Z. 30–31 Der ist aller Freunde Freund/ | Dem jtzt seine Sonne scheint. E Dem itzt seine Sonne scheint/ | Der ist aller Freunde Freund. TP dem itzt seine Sonne scheint, | der ist aller Freunde Freund! L [Unterz. E ] Florelle. | Driopea. | Flaminia. | Melinde. [Unterz. fehlt in TP und L] 24 trochäische Vierheber (Vor drey Jungfrauen) Z. 1 Jst schon nichts E Jst denn schoon TP Ist denn schon L [Unterz. E ] N.A.E.L. [Unterz. fehlt in TP und L] Die deutsche Ode II, 3 gefrohrnes E erfrohrnes TP erfrornes L II, 5 auf den Awen E in den Auen TP L III, 1 Dorff E das TP Dorf L VII, 4 selbsten treiben. E selbst antreiben. TP L VII, 5 versprechen/ E sprechen/ TP nur sprechen, L e VII, 6 Frolich E lustig TP L [Unterz. E ] Deß Herren gute Freunde vnd | CA M E RAD E N | H.V.S. H.S. H.C.V.V. H.A.B. M.F. L.B. | H.B.H. W.K.V.B. [Unterz. TP ] Begangen in Revall den viii. Aprill | m.dc.xxxv. [Unterz. L] Begangen in Reval den viii. April MDCXXXV.

12 e e e Liefflandische Schnee = | grafinn/ | auff H. Andres Ruttings/ | Vnd | Jungfr. Annen von Holten | Hochzeit. | [Strich] | Revall/ 1636. Kollation: 4°: π4 Gliederung: Bl. π1r: Titel Bl. π1v–π4v: 244 Alexandriner: Text des Gedichts. Bl. π4v: vier Alexandriner: Der Dichter. Bibliographische Referenzen: Gadebusch I, 362, Nr. 10; Lappenberg II, 844, Nr. 28; Napiersky-Beise: Nachträge I, 193; Schröder II, 324, Nr. 24; Goedeke III, 62, Nr. 26; Dünnhaupt I, 622, Nr. 46: »Unikum früher in der Gymnasialbibliothek Reval.« Kommentar: Mit diesem berühmten Gedicht Flemings erreichen wir das zwölfte und letzte von Gadebusch aufgeführte Stück, das in unserem Sammelband in 14. Position und also von dem Fleming-Korpus getrennt plaziert ist. Fleming hatte es an den Schluß des vierten Bandes seiner ›Poetischen Wälder‹ mit den Hochzeitsgedichten gestellt. Lange Zeit galt das von Gadebusch erwähnte Ex-

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emplar als Unikat. »Neuerdings«, so berichtet Lappenberg, »hat sich zu Reval ein sehr verstümmeltes Exemplar auf 4 Quartblättern gefunden, dessen Abschrift Hr. Pabst mir mitzutheilen die Güte hatte. Die Vergleichung ist nicht ohne Nutzen gewesen« (Kommentar Bd. II, S. 844, Nr. 28). Es ist bislang nicht wieder aufgetaucht, so daß das Rigaer Exemplar derzeit wieder als Unikat zu betrachten ist. Drucke: Teütsche Poemata, Poetische Wälder IV, S. 163–170. Paul Flemings Deutsche Gedichte, Bd. I, Poetische Wälder III, Nr. 7, S. 94–100; Kommentar Bd. II, S. 697–699, Nr. 7. Lesarten: Das große Alexandrinergedicht V. 49 schamme E schwamme TP Schwemme L V. 87 Beym E Bey TP Bei L e e V. 140 Neckarsusse E Neckar = suße TP nectarsüße L V. 162 Fluchs E TP Fuchs L V. 198 an E auff TP auf L e

e

4. Ausblick Damit ist der Fundus an Fleming-Gedichten in dem Rigaer Sammelband ausgeschöpft. Die Titel waren identisch mit den bei Gadebusch aufgeführten. Nur in einem einzigen Fall hatte der Gelehrte offensichtlich versäumt, die gewiß in seinem Besitz befindliche Grahmann-Gratulationsschrift auf Fleming-Beiträge hin zu untersuchen. So liegt der Schluß nahe, daß der Sammelband in der Staatsbibliothek Riga die Fleming-Drucke aus der Bibliothek Gadebusch vereint. Ganz offensichtlich hatte Gadebusch die einzelnen Drucke noch nicht in einem Sammelband zusammengefaßt, sondern sie als »einzelne gedruckte Gedichte«, wie er sie selbst beschrieb, verwahrt. Darauf dürften sich vielleicht auch die jeweils aus dem Buchstaben A und folgender Zahl zusammengesetzten Numerierungen beziehen, die jeweils auf dem unteren Ende des Titelblatts stehen und in der Sequenz des Sammelbandes keinen Sinn geben, sondern im Rahmen einer anders aufgebauten und eben vermutlich aus Einzeldrucken bestehenden Kollektion ihren Zweck erfüllten.60 Ob Johann Christoph Schwartz noch zu Lebzeiten Gadebuschs in den Besitz der –––––– 60

In Hehns Katalog der Bibliothek Gadebusch (Anm. 36) findet man auf S. 166 den vielsagenden Hinweis: Nr. »1622 f.f. Noch ungebundene Sachen, in 4 und 8.« Nicht ausgeschlossen, daß sich darunter auch die Kasualia und damit die Fleming-Drucke befanden. Die übliche Geringschätzung des Klein- und Gelegenheitsschrifttums hat eine alte bibliothekarische Tradition.

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kostbaren Drucke kam, er sie auf der Auktion der Bibliothek Gadebusch erwarb oder diese zunächst durch die Hände eines Dritten gingen, muß vorläufig ebenso offen bleiben wie die Frage, ob er selbst den Sammelband in der vorliegenden Form zusammenstellte, oder ob er seine jetzige Gestalt durch seinen Sohn oder zu einem anderen Zeitpunkt erhielt; der Bucheinband und die Schriftzüge des Vorsatzblattes helfen hier vermutlich in Zukunft weiter. Genug, wenn dieser Beitrag nach der Wiederentdeckung eines Dutzend von Erstdrucken, an denen die Fleming-Philologie nicht eben reich ist, dazu ermutigte, das große Werk einer Revision und neuen Einrichtung einer historisch-kritischen Fleming-Ausgabe voranzutreiben. Die Historiker und Philologen der Frühen Neuzeit bleiben aufgefordert, Mittel- und Osteuropa auch zukünftig in ihre Erkundungen mit einzubeziehen. Die Fülle der sich abzeichnenden Aufgaben übersteigt die Kräfte eines Einzelnen. Geht es doch nicht nur um die Rettung einzelner Texte und Textgruppen, sondern um die Bergung des kostbaren und vielfach unikaten Gutes ganzer kultureller Landschaften des alten deutschen Sprachraums. Schon vor dem Kriege war es vielfach nur mangelhaft erschlossen. Aber es war doch in den gewachsenen Bibliotheken bewahrt. Nach der größten Katastrophe, die über die deutschen wie die mitteleuropäischen Bibliotheken in ihrer Geschichte hereinbrach, sind die Quellen – gerade in Gestalt des kasualen Gebrauchsschrifttums – dezimiert, zerstreut, sachfremden neuen Funktionseinheiten integriert. Um so dringender bedürfen sie unserer Bemühung. Der Trauer um das Zerschlagene ist der Wille zur Rettung verschwistert. Möge es gelingen, auch jene Zeugnisse dem Vergessen zu entreißen, die nicht der Name eines Dichters vom Range Paul Flemings ziert.

5. Bibliographischer Anhang Werke zur Grundlagenforschung Wenn für dieses Buch auf eine Neubearbeitung des Textes verzichtet wurde, so in erster Linie auch deshalb, weil zwischenzeitlich ein weiteres abgeschlossen werden konnte, in dem ausführlich über die meisten der hier nur knapp angeschlagenen Themen gehandelt wird und das mit einem eigenen, weit über 100 Seiten umfassenden quellen- und literaturkundlichen Teil ausgestattet ist: Garber, Klaus: Schatzhäuser des Geistes. Alte Bibliotheken und Büchersammlungen im Baltikum.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2007 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 3). XIII, 474 S.

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Das Buch ist in den Jahren 2003 bis 2005 abgefaßt worden, beruht durchgehend auf Recherchen in Archiven und Bibliotheken vor allem in Riga, aber auch in Tallinn und Tartu, Vilnius und St. Petersburg, am Rande auch in Jelgava, und dokumentiert hinsichtlich der systematischen Rekonstruktion von ausgewählten Handschriften und Altdrucken – insbesondere historischen Sammelbänden mit Kleinschrifttum – den neuesten, vielfach erstmals den Anschluß an die 30er und frühen 40er Jahre des 20. Jahrhunderts wieder herstellenden Forschungsstand. In diesem Buch findet man den in der vorgelegten Abhandlung zugrundegelegten Sammelband nochmals eingehend beschrieben (Eine livländische Zimelie aus der Bibliothek von Johann Christoph Schwartz, S. 213–225). Zudem sind in dem quellenkundlichen Anhang weitere wichtige Handschriften und Drucke aus der Kollektion Schwartz beschrieben (S. 391–402). In einem Quellenverzeichnis wurden auch die Fleming-Drucke aus den baltischen Bibliotheken und Archiven nochmals aufgelistet (S. 421–423). Ist es die Hoffnung des Verfassers, daß mit der voranstehenden Monographie die buch- und bibliotheksgeschichtliche Forschung für Livland, Estland und Kurland in der Frühen Neuzeit auf eine neue Grundlage gestellt wird, so gilt dies mit Sicherheit für das literarische Leben in Reval zur Zeit des Aufenthalts von Paul Fleming in der alten Hansestadt, die eine neu aus den Quellen erarbeitete Darstellung erfahren hat: Klöker, Martin: Literarisches Leben in Reval in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Institutionen der Gelehrsamkeit und Dichten bei Gelegenheit. Teil 1: Darstellung, Teil 2: Bibliographie der Revaler Literatur. Drucke von den Anfängen bis 1657.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 112) (zugl. Diss. phil. Osnabrück 2004).

Das Werk Klökers enthält u.a. ein 250 Seiten umfassendes Kapitel zu den ›Institutionen der Gelehrsamkeit‹ in Reval sowie der mit ihnen verknüpften literarischen Gattungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, bietet eine Zusammenstellung der Revaler Gedichte Paul Flemings und der Widmungen in Flemingschen Werken, präsentiert Kurzbiographien von rund 500 am literarischen Leben Revals im weitesten Sinn beteiligten Personen und wird beschlossen durch eine – einen eigenen Band füllende – Bibliographie der Revaler Drucke von den Anfängen bis in die 50er Jahre des 17. Jahrhunderts, umfaßt also den Wirkungsraum auch Flemings zur Gänze. Die Arbeit ist daher zur Vertiefung der hier gebotenen Untersuchungen unter allen denkbaren Aspekten stets heranzuziehen. Vgl. von Klöker auch: Literarische Kultur in Reval in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.- In: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Hrsg.

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von Klaus Garber unter Mitwirkung von Stefan Anders und Thomas Elsmann.- Tübingen: Niemeyer 1998 (= Frühe Neuzeit; 39), S. 822–841.

Sodann ist auf ein drittes Grundlagenwerk zu verweisen, das gleichfalls nach Publikation der vorliegenden Arbeit entstand, und das das literarische Leben wiederum im Livland, Estland und Kurland der Frühen Neuzeit bis an die Schwelle der Moderne (1800) nach Maßgabe der heute in Archiven und Bibliotheken Rigas, Tallins und Tartus verwahrten Bestände erschließt: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. VII: Reval / Tallinn – Estnische Akademische Bibliothek / Eesti Akadeemiline Raamatukogu, Estnisches Historisches Museum / Eesti Ajaloomuuseum, Estnische Nationalbibliothek / Eesti Rahvusraamatukogu, Revaler Stadtarchiv / Tallinna Linnaarhiiv. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Martin Klöker. Hrsg. von Sabine Beckmann und Martin Klöker unter Mitarbeit von Stefan Anders.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2003. Darin: Klöker, Martin: Bibliotheken und Archive in Reval / Tallinn. Die Überlieferung der frühneuzeitlichen literarischen Kultur im kommunalen Gelegenheitsschrifttum [und] Bibliotheks- und Archivwesen in Reval / Tallinn. Eine kommentierte Bibliographie, S. 21–41, 43–61. Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. VIII: Dorpat / Tartu – Universitätsbibliothek / Ülikooli Raamatukogu, Estnisches Literaturmuseum / Eesti Kirjandusmuuseum, Estnisches Historisches Archiv / Eesti Ajalooarhiiv. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Martin Klöker. Hrsg. von Sabine Beckmann und Martin Klöker unter Mitarbeit von Stefan Anders.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2003. Darin: Klöker, Martin: Bibliotheken und Archive in Dorpat / Tartu. Frühneuzeitliche Literaturlandschaft und personales Gelegenheitsschrifttum [und] Bibliotheks- und Archivwesen in Dorpat / Tartu. Eine kommentierte Bibliographie, S. 21–48 , 49–76. Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XII–XV: Riga / Rīga – Akademische Bibliothek Lettlands / Latvijas Akadēmiskā bibliotēka, Historisches Staatsarchiv Lettlands / Latvijas Valsts vēstures arhīvs, Spezialbibliothek des Archivwesens / Valsts arhīvu Speciālā bibliotēka, Nationalbibliothek Lettlands / Latvijas Nacionālā bibliotēka, Baltische Zentrale Bibliothek / Baltijas Centrālā bibliotē-

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ka. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Martin Klöker. Hrsg. von Sabine Beckmann und Martin Klöker unter Mitarbeit von Stefan Anders.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2004. Darin: Klöker, Martin: Bibliotheken und Archive in Riga. Literarische Kultur im Spiegel der rekonstruierten Sammlungen personalen Gelegenheitsschrifttums der Frühen Neuzeit [und] Bibliotheks- und Archivwesen in Riga. Eine kommentierte Bibliographie, S. 21–54, 55–80.

Das Werk ist – wie aus der bibliographischen Angabe ersichtlich – von umfänglichen Einleitungen in die Geschichte der herangezogenen Archive und Bibliotheken sowie mit erschöpfenden Bibliographien gemäß der Anlage des Handbuchs begleitet, so daß es auch aus Sicht der vorliegenden Abhandlung das maßgebliche Referenzwerk darstellt. Zu seiner Anlage, Genese und längerfristigen Perspektivik ist heranzuziehen: Göttin Gelegenheit. Das Personalschrifttums-Projekt der Forschungsstelle ›Literatur der Frühen Neuzeit‹ der Universität Osnabrück. Hrsg. von der Forschungsstelle ›Literatur der Frühen Neuzeit‹ der Universität Osnabrück, unter redaktioneller Bearbeitung von Stefan Anders und Martin Klöker.Osnabrück: Rasch 2000 (= Kleine Schriften des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit; 3). Darin: Speziell zum Baltikum-Segment des Handbuchs im Kapitel ›Projektbereiche und beteiligte Institutionen‹ der Bericht von Martin Klöker: Tallinn, Tartu, Riga, S. 103–123.

Hinzuzunehmen zu den nach Erscheinen der Abhandlung herausgekommenen fundierenden Werken ist der einschlägige Band im Fabianschen Handbuch historischer Buchbestände: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Hrsg. von Bernhard Fabian. Bd. VII/2. Finnland, Estland, Lettland, Litauen. Register von Karen Kloth.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 1998. Darin: Noodla, Kaja: Bibliotheken in Estland (S. 57–65); Aru, Rein: Eesti Rahvusraamatukogu [Estnische Nationalbibliothek] (S. 75–83); Reimo, Tiiu: Eesti Akadeemiline Raamatukogu [Estnische Akademische Bibliothek] (S. 85– 92); Kõiv, Lea: Tallinna Linnaarhiivi Raamatukogu [Bibliothek des Revaler Stadtarchivs] (S. 92–98); Tankler, Hain; Rand, Mare: Tartu Ülikooli Raamatukogu [Universitätsbibliothek Dorpat] (S. 98–127); Šor, Tatjana: Eesti

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Ajalooarhiivi Raamatukogu [Bibliothek des Estnischen Historischen Archivs] (S. 127–132); Laidvee, Leida; Pelkonen, Imbi: Eesti Kirjandusmuuseumi Arhiivraamatukogu [Archivbibliothek des Estnischen Literaturmuseums] (S. 132–136); Kongo, Linda: Eesti Looduseuurijate Seltsi Raamatukogu [Bibliothek der Estnischen Naturforschergesellschaft] (S. 136–139); Zanders, Viesturs: Bibliotheken in Lettland (S. 145–148); Zanders, Viesturs: Latvijas Nacionālā bibliotēka [Nationalbibliothek Lettlands] (S. 151–155); Larose, Laima: Latvijas Universitātes bibliotēka [Universitätsbibliothek Lettlands] (S. 155–159); Sander, Ojar: Latvijas Akadēmiskā bibliotēka [Akademische Bibliothek Lettlands] (S. 159–165); Vasermane, Ligita: Valsts arhīvu speciālā bibliotēka [Spezialbibliothek des Archivwesens Lettlands] (S. 165–167).

Man tut gut daran, die beiden angeführten Handbücher grundsätzlich parallel zu benutzen. Die bibliographische Tiefenerschließung und die Bestimmung von Provenienzen sind in dem Osnabrücker Werk sehr viel weiter vorangeschritten, so daß es vielfach komplementäre Funktionen einzunehmen vermag. Der Vorzug des Fabianschen Werkes besteht in der Hinzuziehung von Fachkräften vor Ort, die vielfach wichtige Interna beisteuern konnten. Die Estland und Lettland gewidmeten Beiträge zeigen freilich, daß von dieser Chance in sehr unterschiedlichem Maß Gebrauch gemacht wurde, ohne daß hier Differenzierungen im einzelnen vorgenommen werden sollen. Von lettischer Seite ist jetzt im Blick auf die bibliographische Grundlagenforschung vor allem zu verweisen auf die hervorragend gearbeitete Bibliographie der lettischen Drucke der Frühen Neuzeit: Seniespiedumi latviešu valodā 1525–1855. Kopkatalogs. [Die älteren Drukke in lettischer Sprache 1525–1855. Gesamtkatalog.] Hrsg. von [einer] Verfassergruppe unter der Leitung von Silvija Šiško. Wissenschaftlicher Redakteur Aleksejs Apīnis.- Rīga: Latvijas Nacionālā bibliotēka 1999.

In der lettischen Nationalbibliothek wird derzeit an einer Bibliographie der fremdsprachigen Drucke gearbeitet, die aus den Offizinen von derzeit in Lettland liegenden Druckorten herausgingen. Mit diesem Werk wird – genau wie in Estland – die Nationalbibliographie nicht nur Lettlands, sondern des mitteleuropäischen Raumes und speziell Deutschlands um ein hochbedeutsames Segment bereichert. Der gegenwärtige Stand wie der Fortgang des Werkes ist im Internet (http://roze.lanet.lv:8991) zu verfolgen. Abschließend sei an dieser Stelle auf ein Sammelwerk verwiesen, das erste Bausteine für eine allfällige Kulturgeschichte des baltischen Raums liefert, zu der auch die zahlreichen in ihm enthaltenen Arbeiten zur Buch- und Bibliotheksgeschichte beitragen:

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Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit. Mit einem Ausblick in die Moderne. Hrsg. von Klaus Garber und Martin Klöker.- Tübingen: Niemeyer 2003 (= Frühe Neuzeit; 87).

Arbeiten zur Fleming-Forschung Die jüngere Fleming-Literatur ist umfassend eingegangen in ein zum 400. Geburtstag geschriebenes Porträt des Dichters, das seinerseits einer Sammlung mit den Arbeiten des Verfassers zur Frühen Neuzeit integriert ist: Klaus Garber: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit.München: Fink-Verlag 2013.

Seit kurzem liegen zwei wichtige Sammelbände zu Werk und Wirkungsraum Flemings vor, letzterer vereint die Akten einer ebenfalls dem 400. Geburtstag gewidmeten internationalen Fachtagung im September 2009 in Erlangen: Paul Fleming und das literarische Feld der Stadt Tallinn in der Frühen Neuzeit. Studien zum Sprach, Literatur- und Kulturkontakt einer Region. Hrsg. von Mari Tarvas unter Mitwirkung von Heiko F. Marten, Aigi Heero, Merle Jung, Helju Ridali und Maris Saagpakk.- Würzburg: Königshausen & Neumann 2011. Was ein Poëte kan! Studien zum Werk von Paul Fleming (1609-1640). Hrsg. von Stefanie Arend und Claudius Sittig in Verbindung mit Sonja Glauch und Martin Klöker.- Berlin, Boston: de Gruyter 2012 (= Frühe Neuzeit; 168).

In den vergangenen 20 Jahren ist die Spezial-Forschung zu Fleming erheblich vorangeschritten. Die vor allem Marian R. Sperberg-McQueen, Dietmar Schubert und Klaus Garber zu verdankenden Entdeckungen der jüngsten Zeit konnten in die 2. Auflage der Bibliographie der deutschen Barockliteratur von Gerhard Dünnhaupt eingearbeitet werden, ohne daß freilich in allen Fällen die erforderlichen forschungsgeschichtlichen Referenzen erfolgt wären – eines der kardinalen Übel des verdienstvollen Werkes: Dünnhaupt, Gerhard: Fleming, Paul (1609–1640).- In: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Zweite, verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur. Teil II: Breckling-Francisci.- Stuttgart: Hiersemann 1990 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher, 9/II), S. 1490–1513.

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Eine für den Studiengebrauch konzipierte Ausgabe Flemingscher Texte legte Volker Meid vor: Fleming, Paul: Deutsche Gedichte. Hrsg. von Volker Meid. Bibliographisch ergänzte Ausgabe.- Stuttgart: Reclam 2000 (= RUB; 2455).

Das Desiderat einer Neuausgabe der lateinischen und deutschen Werke Flemings bleibt unverändert bestehen und hat an Dringlichkeit nichts eingebüßt. Die Voraussetzungen für die Inangriffnahme haben sich im Blick auf die quellenmäßige Fundierung erheblich verbessert. Vgl. insbesondere die folgenden Beiträge jüngeren Datums: Becker-Cantarino, Barbara: Drei Briefausgaben von Paul Fleming.- In: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 4 (1981), S. 191–204. Sperberg-McQueen, Marian R.: Gedichte von Paul Fleming in der Stolbergschen Leichenpredigten-Sammlung.- In: Jahrbuch der Deutschen SchillerGesellschaft 26 (1982), S. 1–8. Bircher, Martin: Paul Fleming. Zwei unbekannte Gedichte auf Martha Elisabeth Aeschel, geb. Herold (1631).- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 11 (1984). Sperberg-McQueen, Marian R.: Neues zu Paul Fleming: Bio-bibliographische Miszellen.- In: Simpliciana 6/7 (1985), S. 173–183. Paas, John Roger: Ergänzende Einzelheiten zu Paul Flemings deutschen Einblattdrucken.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 11 (1984), S. 14–15. Sperberg-McQueen, Marian R.: Paul Fleming’s Inaugural Dissertation in Medicine. A ›Lost‹ Work Found.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 11 (1984), S. 6–9. Sperberg-McQueen, Marian R.: Paul Fleming: A Report on a Newly-Found Poem and Imprints in Zwickau and Wroclaw.- In: Michigan Germanic Studies 12/2 (1986), S. 105–132. Sperberg-McQueen, Marian R.: Zu Paul Fleming. Erstdrucke seiner Gedichte in Erlangen.- In: Simpliciana 11 (1989), S. 263–265. Entner, Heinz: Die Paul-Fleming-Werkhandschrift der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 17 (1990), S. 73–82. Sperberg-McQueen, Marian R.: An Autograph Manuscript of Early Poems by Paul Fleming in the Ratsschulbibliothek in Zwickau.- In: Humanistica Lovaniensia 42 (1993), S. 402–450.

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Klöker, Martin: Paul Fleming anonym in Riga. Der bislang unbekannte Erstdruck von Oden IV, 31.- In: Garber/Klöker (Hrsg.): Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit (2003), S. 283–301. Martin, Dieter: Fortgesetzte Trauer. Ein unbekannter Druck mit Begräbnisgedichten Paul Flemings.- In: Daphnis 35 (2006), S. 695–711.

Die Fleming-Biographie wurde wesentlich befördert durch: Entner, Heinz: Paul Fleming. Ein deutscher Dichter im Dreißigjährigen Krieg.- Leipzig: Reclam 1989 (= RUB; 1316).

Die Leipziger Phase Flemings ist Gegenstand einer jüngst erschienenen Dissertation aus der Schule des verdienstvollen Fleming-Forschers Dietmar Schubert: Frey, Indra: Paul Flemings deutsche Lyrik der Leipziger Zeit.- Frankfurt a.M. [u.a.]: Lang 2009 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur; 1987).

Speziell die Gesandtschaftsreise und Flemings Teilnahme an ihr hat die Forschung weiterhin mehr oder wenig nachhaltig beschäftigt. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf: Bok, Václav: Einige Bemerkungen zu Adam Olearius’ Bericht über die Reise nach Russland und Persien.- In: Paul Fleming. Werk und Wirkung. Wissenschaftliches Kolloquium anlässlich des 375. Geburtstags des Dichters am 5. Oktober 1984 auf Schloß Stein in Hartenstein/Erzgeb. Hrsg. vom Rat des Bezirks Karl-Marx-Stadt.- Zwickau: Pädagogische Hochschule ›Ernst Schneller‹ Zwickau 1986, S. 54–62. Schubert, Dietmar: Paul Flemings poetische Chronik seiner Russlandreise.In: Karlheinz Hengst und Dietmar Schubert: Paul Fleming in Russland.Zwickau: Pädagogische Hochschule 1990 (Forschungsinformation), S. 5– 20. Kemper, Hans-Georg: ›Denkt, dass in der Barbarei / Alles nicht barbarisch sei!‹ Zur ›Muscowitischen vnd Persischen Reise‹ von Adam Olearius und Paul Fleming.- In: Beschreibung der Welt. Zur Poetik der Reise- und Länderberichte. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 8. bis 13. Juni 1998 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter Mitarbeit von Rudolf Schulz.- Amsterdam: Rodopi 2000 (= Chloe, 31), S. 315–344. Haberland, Detlef: Paul Fleming – Reise, Rhetorik und poetische ratio.- In: Spiegelungen. Entwürfe zu Identität und Alterität. Festschrift für Elke Meh-

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nert. Hrsg. von Sandra Kersten und Manfred Frank Schenke.- Berlin: Frank & Timme 2005, S. 413–431. Schubert, Dietmar: ›Zeuch in die Mitternacht/ in das entlegne Land‹. Rußlandbilder in den Gedichten Paul Flemings und in der Reisebeschreibung des Adam Olearius.- In: Spiegelungen (2005), S. 433–452.

Die große, Leben und Werk Flemings erschließende Darstellung steht aus. Bausteine zur exemplarischen Analyse einzelner Texte, die ihrerseits den Radius der von Fleming gepflegten Gattungen jenseits des lyrischen Formenkanons umgreifen, lieferte vor allem Marian R. Sperberg-McQueen. Sie wurden zusammengeführt in einer Monographie, die den bedeutendsten Beitrag zur Fleming-Forschung der jüngeren Zeit darstellen dürfte: Sperberg-McQueen, Marian R.: The German Poetry of Paul Fleming. Studies in Genre and History.- Chapel Hill, London: The University of North Carolina Press 1990 (= University of North Carolina Studies in the Germanic Languages and Literatures; 101).

Alle vier Kapitel, unter denen die einzelnen – vielfach neu für den Band geschriebenen – Forschungsbeiträge rubriziert wurden, sind auch für die vorliegende Untersuchung einschlägig. Sie wurden, soweit bis in die Mitte der 80er Jahre erschienen, bereits am Ort herangezogen. Im ersten Kapitel sind Arbeiten zum frühen Fleming im Umkreis des Hauses Schönburg plaziert, im zweiten steht die Untersuchung zu Flemings ›Schreiben vertriebener Frau Germanien‹, das dritte gilt Flemings Brockmann-Schäferei und stellt nach wie vor eine gewichtige Äußerung zu diesem Juwel pastoraler Poesie in Deutschland dar, das abschließende Kapitel betrifft Flemings ›Epistolae ex Persia: The Poetic Epistles Written during the Persian Journey (1636– 1638)‹. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das wichtige Kapitel ›Ausländer in Reval‹ bei Klöker: Literarisches Leben in Reval, S. 427 ff. Hier S. 453–466 auch die bislang einläßlichste Zusammenführung aller derzeit eruierbaren Daten über ›Paul Fleming in Reval‹ (gefolgt von einem besonders innovativen Passus über ›Philipp von Zesen in Reval‹!). Hinzuzunehmen ist weiterhin auch: Erpenbeck, Dirk-Gerd: Das Album des Revaler Bürgers Hans Arpenbeck, Dolmetscher der holsteinischen Gesandtschaft nach Persien.- In: Ostdeutsche Familienkunde Band 8, Jg. 26 (1978), S. 131–139, 161–168, 193–198. Robert, Kyra: Der Büchernachlaß Paul Flemings in der Bibliothek der estnischen Akademie der Wissenschaften.- In: Daphnis 22 (1993), S. 27–39.

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Die zahlreichen zwischenzeitlich erschienenen Studien zur Lyrik Flemings sollen hier nicht aufgeführt werden. Man findet sie in den drei eingangs zu diesem Abschnitt aufgeführten Werken verarbeitet. Nachdrücklich zu verweisen ist auf die letzte große Arbeit des besten Kenners der Leipziger Lyrik und allzufrüh verstorbenen Kollegen: Harper, Anthony J.: German secular song-books of the mid-seventeenth century. An examination of the texts in collections of songs published in the German-language area between 1624 and 1660.- Aldershot [u.a.]: Ashgate 2003. Darin: Nach einer großen Einleitung ein grundlegendes Kapitel: ›Pan-German Models: Opitz and Fleming‹, S. 35 ff.

Flemings Revaler Schäferei auf die Hochzeit von Reiner Brockmann und Dorothea Temme wurde zuletzt behandelt von: Garber, Klaus: Das Erbe Opitzens im hohen Norden. Paul Flemings Revaler Pastoralgedicht.- In: Garber/Klöker (Hrsg.): Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit (2003), S. 303–317.

Unter den Freunden Flemings ragt, wie geschildert, Reiner Brockmann hervor. Die schon seinerzeit avisierte Edition seiner Werke ist zwischenzeitlich in vorbildlicher Ausarbeitung vorgelegt worden: Reiner Brockmann: Teosed. Peinepoy Bpokmannoy: Poihmata. Reineri Brocmanni Opera. [Reiner Brockmanns Werke]. Koostanud ja toimetanud Endel Priidel [Zsgest. und hrsg. von Endel Priidel].- Tartu: Ilmamaa 2000.

Zu Brockmann vgl. jetzt zusätzlich zu der seinerzeit gebotenen Literatur: Klöker, Martin: Griechisch-Professor und estnischer Dichter: Reiner Brockmann.- In: ders.: Literarisches Leben in Reval (s.o.), S. 300–314. Garber, Klaus: Brockmann, Reiner.- In: Killy-Literaturlexikon II (1989), S. 243, und zusammen mit Martin Klöker neu in: Killy-Literaturlexikon II. Zweite vollständig überarbeitete Auflage. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann.Berlin, New York: de Gruyter 2008, S. 209 f. Lepajõe, Marju: Reiner Brockmann und die Anfänge der estnischen Kunstpoesie.- In: Garber/Klöker (Hrsg.): Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit (2003), S. 319–335. Lepajõe, Marju: Reiner Brockmann. A Neo-Latin or an Estonian Poet?- In: Acta Conventus Neo-Latini Hafniensis. Proceedings of the Eighth International Congress of Neo-Latin Studies. Copenhagen 12 August to 17 August 1991. Hrsg. von Rhoda Schnur.- Binghamton, New York: Medieval & Ren-

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aissance Texts and Studies 1994 (= Medieval & Renaissance Texts and Studies; 120), S. 597–606.

Arbeiten zu Friedrich Konrad Gadebusch und seinem Umkreis Auch die Gadebusch-Forschung ist in den vergangenen Jahren ganz entschieden vorangeschritten. Und das vor allem im Blick auf die unerläßliche Grundlagenforschung. Vgl. die im Herder-Institut in Marburg erarbeitete vorbildliche Dokumentation: Briefe an den livländischen Historiographen Friedrich Konrad Gadebusch (1719–1788). Regesten. Bearb. von Friedrich von Keußler. Hrsg., eingeleitet und mit Registern versehen von Christina Kupffer und Peter Wörster.- Marburg: Herder-Institut 1998 (= Sammlungen des Herder-Instituts zur Ostmitteleuropa-Forschung; 5).

Der Nachlaß von Gadebusch wurde einläßlich beschrieben von: Garber, Klaus: Schatzhäuser des Geistes. Alte Bibliotheken und Büchersammlungen im Baltikum.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2007 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 3), S. 383–391.

Von der an dem Marburger Regestenwerk beteiligten Mitarbeiterin liegt inzwischen die einschlägige Monographie vor: Kupffer, Christina: Geschichte als Gedächtnis. Der livländische Historiker und Jurist Friedrich Konrad Gadebusch (1719–1788).- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2004 (= Quellen und Studien zur baltischen Geschichte; 18).

Eine Kurzfassung der zentralen Ergebnisse ist nachzulesen in: Kupffer, Christina: Friedrich Konrad Gadebusch (1719–1788). Vater der modernen livländischen Geschichtsschreibung?- In: Garber/Klöker (Hrsg.): Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit (2003), S. 421–440.

Der Auktionskatalog anläßlich der Versteigerung der Bibliothek Gadebusch wurde in der Bibliothek der Lettischen Akademie der Wissenschaften aufgefunden (R 8310, D1/11-1) und ist als Film in der Bibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück leicht zugänglich:

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Verzeichnis der Bücher des weyland Justizbürgermeisters zu Dorpat Herrn Friedrich Konrad Gadebusch welche nebst denen im Anhange angezeigten [...] des 1796sten Jahres zu Riga öffentlich den Meistbietenden verkauft werden sollen.- Riga: Müller 1795.

Zu der verwandten Gestalt Hupels vgl. die Arbeit des gleichfalls allzufrüh verstorbenen estnischen Historikers Indrek Jürjo: Jürjo, Indrek: Liivimaa valgustaja August Wilhelm Hupel 1737–1819.- Tallinn: Riigiarhiiv 2004.

Die Arbeit erschien auch in deutscher Version: Jürjo, Indrek: Aufklärung im Baltikum. Leben und Werk des livländischen Gelehrten August Wilhelm Hupel (1737–1819).- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2006 (= Quellen und Studien zur baltischen Geschichte; 19) (zugl. Diss. phil. Hamburg 2005).

Zur Aufklärung generell neuerdings: Aufklärung in den baltischen Provinzen Rußlands. Ideologie und soziale Wirklichkeit. Hrsg. von Otto-Heinrich Elias in Verbindung mit Indrek Jürjo, Sirje Kivimäe und Gert von Pistohlkors.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996 (= Quellen und Studien zur baltischen Geschichte; 15).

Schließlich ist die seinerzeit avisierte Brotze-Edition zwischenzeitlich eröffnet und mit fünf Bänden zu einem – vorläufigen? – Abschluß gebracht worden: Johans Kristofs Broce: Zīmējumi un apraksti piecos sējumos; 1. sējums: Rīgas skati, ļaudis un ēkas; 2. sējums: Rīgas priekšpilsētas un tuvākā apkārtne; 3. un 4. sējums: Latvijas mazās pilsētas un lauki; 5. sējums: Estonica [Johann Christoph Brotze: Zeichnungen und deren Beschreibungen in fünf Bänden. Band I: Rigaer Ansichten, Menschen und Gebäude; Band II: Die Vorstädte und die Umgebung Rigas; Band III und IV: Lettlands Kleinstädte und Land; Band V: Estonica], sējuma redaktori Teodors Zeids, Rita Brambe, Gvido Straube, Muntis Auns, Ants Hein, Lauri Suurmaa, Ivar Leimus, Raimo Pullat, Ants Viires.- Rīga: Zinātne, Latvijas Vēstures Institūta Apgāds / Tallinn: Estopol 1992–2007.

Die Edition ist auch als Datenbank mit digitalisierten Bildern im Internet zugänglich (http://www3.acadlib.lv/broce) und auf zehn CD-ROM erhältlich.

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Paul Fleming

Institutionenkundliche Arbeiten Die Literatur zu den Archiven und Bibliotheken Rigas, Tallinns und Tartus ist ebenso wie diejenige zu den Gymnasien in Riga und Reval sowie zur Universität in Dorpat in jüngster Zeit in den oben aufgeführten Arbeiten Garbers und Klökers im einzelnen namhaft gemacht. Vgl. für die Bibliotheken auch die entsprechenden Abschnitte im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Im vorliegenden Zusammenhang reichen daher im Blick auf die vorhandenen Hilfsmittel wenige gezielte Hinweise. Zu den Beständen im Historischen Staatsarchiv zu Riga vgl.: Pijola, Sarmīte: Deutschbaltische Archivalien im Historischen Staatsarchiv Lettlands.- In: Berichte und Forschungen 1 (1993), S. 177–185.

Zur Stadtbibliothek vgl. die reichhaltige Dokumentation mit erschöpfender Bibliographie und ansprechendem, illustrativem Material in dem Jubiläumswerk: Bibliotheca Rigensis – 480. Latvijas Akadēmiskā bibliotēka gadsimtu liecībās [Die Akademische Bibliothek Lettland im Laufe der Jahrhunderte]. Bibliogrāfijas sastādītājas Dagnija Ivbule, Jana Klebā, Svetlana Čvanova, Aija Taimiņa. Atbildīgā redaktore Līga Krūmiņa.- Rīga: Latvijas Akadēmiskā bibliotēka 2004.

Zur Staats- bzw. jetzigen Nationalbibliothek Riga und zur GesellschaftsBibliothek vgl. Klaus Garber: Schatzhäuser des Geistes (s.o.), S. 85–104 und S. 285–312, sowie Einleitung und Bibliographie im Bd. XII des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums (2004), und den einschlägigen Artikel im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Das siebenbändige Werk von Erich Seuberlich befindet sich als Film und gebundene Kopie in der Forschungsbibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Katalog der in gebundenen Bänden enthaltenen Gelegenheitsdrucke in der Bibliothek der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde zu Riga. Teilband I–II.- Riga 1937 (Typoskript). Katalog der Gelegenheitsdrucke der Bibliothek der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde. Abt. Ungebundene Drucke. Band I–IV.- Riga 1938 (Typoskript). Katalog der Gelegenheitsdrucke der Bibliothek der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde. Abt. Leichenpredigten.- Riga 1938 (Typoskript).

Gedichte aus der Sammlung Gadebusch

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Zu den Rigaer Erstdruckern Mollyn und Schröder vgl.: Sander, Ojar: Nicolaus Mollyn, der erste Rigaer Drucker. Sein Schaffen in Riga von 1588 bis 1625.- In: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. Band I–II. Hrsg. von Klaus Garber unter Mitwirkung von Stefan Anders und Thomas Elsmann.- Tübingen: Niemeyer 1998 (= Frühe Neuzeit; 39), S. 786–800.

Dazu: Zanders, Ojārs: Tipogrāfs Mollīns un viņa laiks. Pirmās Rīgā iespiestās grāmatas 1588–1625. [Mit dt. Zusammenfassung: Typograph Mollin und seine Zeit].- Rīga: Zinātne 1988. Zanders, Ojārs: Senās Rīgas grāmatniecība un kultūra hanzas pilsētu kopsakarā (13.–17. gs.). [Mit dt. Zusammenfassung: Die Buchdruckerkunst und die Kultur Altrigas in ihrer Wechselwirkung mit den deutschen Hansestädten (13.–17. Jahrhundert)].- Rīga: Zinātne 2000. Taube, Meta: Die Arbeiten des Rigaer Buchdruckers Gerhard Schröder (1625–1657).- In: Garber (Hrsg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit (1998), S. 801–812.

Zum Revaler Bibliothekswesen vgl. gleichfalls das wiederum reichhaltige und ansprechende Jubiläumswerk: Bibliotheca Revaliensis ad D. Olai. Tallinna Oleviste raamatukogu. Revaler Bibliothek zu St. Olai. Näitus ja kataloog / Ausstellung und Katalog: Lea Kõiv, Mare Luuk, Tiiu Reimo.- Tallinn: Eesti Akadeemiline Raamatukogu, Tallinna Linnaarhiiv 2002 [Ausstellungskatalog zum Jubiläum der OlaiBibliothek].

Für den Revaler Frühdruck ist vor allem zu verweisen auf die grundlegenden Arbeiten von Kyra Robert. Vgl. Robert, Kyra: Raamatutel on oma saatus. Kirjutisi aastaist 1969–1990 [Bücher haben ihr Schicksal. Aufsätze aus den Jahren 1969–1990].- Tallinn: Eesti Teaduste Akadeemia Raamatukogu 1991 [Mit deutschen Zusammenfassungen]. Robert, Kyra: Christoph Reusner der Ältere. Revals Erstdrucker im 17. Jahrhundert.- In: Garber (Hrsg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit (1998), S. 813–821.

Aus der Literatur zum Dorpater Bibliotheks- und Druckwesen hervorzuheben:

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Jaanson, Ene-Lille: Tartu Ülikooli trükikoda 1632–1710. Ajalugu ja trükiste bibliograafia. [Druckerei der Universität Dorpat 1632–1710. Geschichte und Bibliographie der Druckschriften.] Toimetanud [Redaktion] Mare Rand.Tartu: TÜR 2000. Jaanson, Ene: Die Bibliotheca Reckiana in der UB Tartu.- In: Buch- und Bibliothekswissenschaft im Informationszeitalter. Festschrift Paul Kaegbein. Hrsg. von Engelbert Plassmann, Wolfgang Schmitz und Peter Vodosek.München [u.a.]: Saur 1990, S. 407–414. Jaanson, Ene: Auf der Suche nach Frühdrucken aus der Druckerei der Universität Tartu (Dorpat).- In: 23. ABDOS-Tagung.- Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin - Preussischer Kulturbesitz 1994, S. 76–78.

D IE ZERSTOBENE K ÜRBISHÜTTE Eine Studie zur Überlieferung des Werkes von Simon Dach nebst einer Präsentation unbekannter Gedichte Erich Trunz, dem gebürtigen Ostpreußen und Liebhaber Simon Dachs, zum Gedenken

Vorbemerkung Die nachfolgende Abhandlung wurde im Sommer und Herbst 2005 geschrieben. Ihre Publikation mußte wie die der beiden Vorgänger angesichts paralleler Buchvorhaben, über die im Vorwort berichtet wird, zurückgestellt werden. Den Anstoß bot eine Tagung, die von Axel E. Walter im Juli 2005 anläßlich des 400. Geburtstages von Simon Dach in der neugegründeten Universität Klaipėda – dem alten Memel, der Geburtsstadt Dachs – abgehalten wurde. Die meisten der daselbst gehaltenen Vorträge sind inzwischen in einem Tagungsband erschienen, der in mancherlei Hinsicht einen Meilenstein der Dach-Forschung bezeichnet. Auf die auch für unseren Versuch einschlägigen Texte wurde in den Anmerkungen noch hingewiesen: Simon Dach (1605–1659). Werk und Nachwirken. Hrsg. von Axel E. Walter.Tübingen: Niemeyer 2008 (= Frühe Neuzeit; 126). Bereits während der Niederschrift lag ein grundlegender Sammelband mit Beiträgen zur Buch- und Bibliotheksgeschichte Königsbergs vor, der auf ein 1999 an der Universität Osnabrück abgehaltenes Symposion zurückgeht und die umfänglichste forscherische Leistung darstellt, die zu dem Thema bislang zustandegekommen ist. Sie erschien als erster Band der neu eröffneten und gemeinsam von Klaus Garber und Axel E. Walter herausgegebenen Buchreihe Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte. Hrsg. von Axel E. Walter.Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2004. Zurückgegriffen werden konnte des weiteren auf einen Sammelband zur Kulturgeschichte Ostpreußens, der zurückgeht auf eine im Jubiläumsjahr der ›Albertina‹ 1994 in Rauschen bei Königsberg abgehaltene Tagung. Er wird eröffnet mit Beiträgen zur Buch- und Bibliotheksgeschichte – darunter eine über hundertseitige, reichhaltig mit Literatur ausgestattete Abhandlung des Verfassers: ›Apokalypse durch Menschenhand. Königsberg in Altpreußen – Bilder einer untergegangenen Stadt und ihrer Memorialstätten‹ –, die gleichfalls zur Entlastung des vorliegenden Werkes beitragen: Kulturge-

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schichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber, Manfred Komorowski und Axel E. Walter.- Tübingen: Niemeyer 2001 (= Frühe Neuzeit; 56). Noch im Jahr der Abfassung erschien der Königsberg gewidmete Band im Rahmen des Osnabrücker Personalschrifttum-Projekts. Er ist der einzige, in dem die aus dem alten Königsberg herrührenden Bestände bislang dokumentiert werden konnten: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XVI: Königsberg / Kaliningrad: Bibliothek der Russischen Staatlichen Immanuel Kant-Universität / Biblioteka rossiiskogo gosudarstvennogo universiteta imeni Immanuila Kanta. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Axel E. Walter. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber und Axel E. Walter unter Mitarbeit von Stefan Anders.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2005. Für die großen Sammelbecken der Nachkriegszeit, in denen Königsberger Bibliotheksbestände heute vor allem aufzusuchen sind – Warschau und Thorn, Vilnius und St. Petersburg – steht dieses Projekt-Segment im Rahmen des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums noch aus. Entsprechend konnten in der nachfolgenden Darstellung keine Verweise plaziert werden. Neben den am Ort zitierten Arbeiten darf auf eine größere Abhandlung verwiesen werden, die in absehbarer Zeit im Rahmen eines Begleitwerkes zum Handbuch im Olms Verlag erscheinen wird. Im Blick auf einen Teilaspekt der vorliegenden Arbeit ergab sich eine ungewöhnliche Situation am Rande, deren restlose Aufhellung den beiden beteiligten Akteuren bislang nicht zufriedenstellend gelang. Eben war die Rezeptionsgeschichte Dachs für dieses Buch im Spätsommer 2005 abgeschlossen, als im Jahr 2007 in Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Oldenburger Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa eine ähnlich ausgerichtete, hundert Seiten umfassende Arbeit von Axel E. Walter erschien. Die Koinzidenz der Arbeitsvorhaben war zumindest dem Verfasser der hier vorgelegten Studie nicht bewußt; die Informationslücke dürfte dem Überwechseln Walters nach Klaipėda geschuldet sein. Für die Dach-Forschung indes sollte sich die Vorlage gleich zweier rezeptionsgeschichtlicher Studien eher stimulierend auswirken. Der Verfasser konnte sich nicht entschließen, auf den ersten Teil seiner Untersuchung zu verzichten, in welchem dem nachfolgenden zweiten, auf dem das eigentliche Gewicht des Simon-Dach-Beitrags liegt, vielfach vorgearbeitet wird. Verwiesen sei daher an dieser Stelle ein für alle Mal auf die große Abhandlung von Axel E. Walter: Bemühungen um Simon Dach. Eine wissenschaftsgeschichtliche Darstellung zu den Dach-Ausgaben und zur Rezeption eines ›ostpreußischen‹ Dichters.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinsti-

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tuts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 14 (2006), S. 7–106. Genutzt sei an dieser Stelle auch die Gelegenheit, auf eine im gleichen Jahr erschienene und hervorragend gearbeitete Bibliographie hinzuweisen, in der auch die Buch- und Bibliotheksgeschichte gebührend berücksichtigt ist: Jens Stüben: Die historische Literaturregion Ostpreußen – Westpreußen – Danzig in der Forschung. Eine Auswahlbibliographie.- In: Ostpreußen – Westpreußen – Danzig. Eine historische Literaturlandschaft. Hrsg. von Jens Stüben.- München: Oldenbourg 2007 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; 30), S. 607– 723. Hier S. 642–660 ein gehaltreicher Abschnitt zur Buch- und Bibliotheksgeschichte. Inzwischen hat eine neuerliche kleine Tagung zu Ehren Simon Dachs anläßlich seines 350. Todestages stattgefunden. Eingeladen zu ihr hatte dankenswerterweise die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Bonn. Der Verfasser kam der Bitte der Stiftung selbstverständlich nach, für die Ausrichtung des Vorhabens die wissenschaftliche Leitung zu übernehmen. Die Tagung stand unter dem Thema ›Simon Dach im Kontext preußischer Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit‹. Die Kulturstiftung pflegt eine ansprechende wissenschaftliche Publikationsreihe Literarische Landschaften, in der die Dokumentation der Tagung soeben erscheinen ist: Simon Dach im Kontext preußischer Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber, Hans-Günther Parplies.- Berlin: Duncker & Humblot 2012 (= Literarische Landschaften; 13). Auch an dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, daß sich die Dach-Texte ebenso wie die sonstigen Quellen und die gesamte wissenschaftliche Literatur so gut wie ausnahmslos in der Bibliothek sowie den Archiven für Mikrofilme und unselbständige Aufsatzliteratur des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück befinden. Osnabrück ist damit für die Vorbereitung einer neuen Dach-Ausgabe gerüstet, mit der zugleich neue Wege in der Nutzung der Technologie beschritten werden könnten. Vgl. dazu Axel E. Walter: Dach Digital? Vorschläge zu einer Bibliographie und Edition des Gesamtwerks von Simon Dach nebst einigen erläuterten Beispielen vernachlässigter bzw. unbekannter Gedichte.In: Simon Dach (1605–1659) (s.o.), S. 465–522. Abschließend sei auf ein Buch des Verfassers verwiesen, das nach Abfassung der vorliegenden Abhandlung geschrieben wurde und diese in vielfacher Hinsicht flankiert: Das alte Königsberg. Erinnerungsbuch einer untergegangenen Stadt.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2008.

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Teil I Rezeptionshistorische, bibliographische und editorische Voraussetzungen. Skizze eines Forschungsberichts 1. Die fehlende Werkausgabe zu Lebzeiten Mit allen großen Dichtern des 17. Jahrhunderts verbindet sich die Kenntnis einschlägiger Titel, die gleichsam zur Physiognomie ihrer Porträts gehören. Opitzens Poeterey, Rists Monats-Gespräche, unter den Gedichten aber auch seine Galathee oder seine Florabella, Flemings Liebesgedichte an die Schwestern Niehus, Gryphius’ Lissaer Sonette oder seine Dramen, Hoffmannswaldaus Heldenbriefe, Harsdörffers Poetischer Trichter oder seine Gesprächspiele sind solche Namen von Werken, mit denen ihre Erfinder Glück hatten. Sie prägten sich ein, setzten sich durch und blieben der Literaturgeschichte zusammen mit ihren Schöpfern bewahrt. Wechselten wir dann herüber in die Gattung des Romans, wäre diese Verweisung zwischen Autor und Titel im einen oder anderen Fall womöglich noch prägnanter. Auch die Literatur des 17. Jahrhunderts kennt auf einzelne Werke gegründete Autoren-Profile. Nur im Fall Simon Dachs führt eine entsprechende Referenz gleich mehrfach in die Irre. Als Dichter des ›Ännchens von Tharau‹ ist er nicht nur in die Literaturgeschichte, sondern auch in das Bewußtsein (einstmals) gebildeter Leserschichten eingegangen. Es stammt nicht von ihm. Und selbst wenn es dies täte, so änderte es nichts an dem Sachverhalt. Ein Gedicht kann nicht einen Autor repräsentieren, der hunderte geschrieben hat. Seine beiden allegorischen Festspiele mit musikalischen Einlagen, die zu seinen Lebzeiten aufgeführt und gedruckt wurden, zeigen einen anderen Dichter als den des ausgebreiteten lyrischen Werkes, können alleine also nicht charakteristisch für ihn sein. Und die lange nach seinem Tode, aber noch im 17. Jahrhundert veranstaltete Auswahl-Ausgabe war so sehr auf den Dichter des Brandenburgisch-Kurfürstlichen Hauses ausgerichtet, blendete den in den drei städtischen Gemeinden und im umliegenden Land wirkenden Verfasser von poetischen Zuschriften so prononciert aus, daß wiederum eine irgend geartete Vorstellung von dem Spezifischen seines Werkes über seine Chur = Brandenburgische Rose sich gleichfalls nicht ausformen konnte. Wir haben von Simon Dach keine zu seinen Lebzeiten erschienene und sein Werk in hinlänglicher Vielfalt und Vollständigkeit dokumentierende Ausgabe. Das ist eine für die Zeit untypische und vermutlich nicht mehr restlos aufklärbare Situation. Sie wäre eine andere, wenn uns handschriftliche Zeugnisse zur Verfügung stünden, die zumindest einen sammlerischen Impetus im Hinblick auf eine zu schaffende Ausgabe erkennen ließen. Sol-

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che existieren nicht und dürften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals vorhanden gewesen sein. Es gibt keine Nachrichten, weder von seiten des Autors, noch aus der Umgebung seiner Freunde und vor allem nicht aus der späteren gelehrten Überlieferung, die darauf hindeuteten. Gerade verhinderter Werkprojekte pflegt sich die wissenschaftliche Phantasie jedoch gerne zu bemächtigen. Es wären zumindest Vermutungen in dieser Richtung durchgesickert, wenn Ähnliches von Dach oder seinen Freuden geplant gewesen wäre. Von Christopherus Colerus, von Paul Fleming, von Sigmund von Birken, um nur drei gewichtige Namen zu nennen, wissen wir, daß sie auf eine Ausgabe ihrer Gedichte setzten, Vorarbeiten teilweise beträchtlichen Umfangs existierten und die Pläne sich zerschlugen bzw. im Stadium der handschriftlichen Fixierung verblieben. Nichts dergleichen ist von oder über Simon Dach bekannt. Die Ausgabe seiner Werke scheint eine ihn selbst oder auch seine Freunde nicht primär beschäftigende Obliegenheit gewesen zu sein. Warum? Dieser Frage nachzugehen ist deshalb keine müßige, weil der Befund auf der einen Seite ein eher untypischer im Zeitalter ist, und weil er auf der anderen Seite zugleich einen ersten Wink zum Selbstverständnis des Dichters Simon Dach enthalten könnte. Den Begründern der neuen Kunstdichtung war es selbstverständlich, auf eine Ausgabe ihrer Werke hinzuarbeiten. Bereits 1618 ließ Weckherlin eine Sammlung seiner Oden und Gesänge herausgehen. Opitz folgte 1625 mit seinen Teutschen Poemata nach. Die dritte der großen Gründergestalten, Julius Wilhelm Zincgref, mühte sich uneigennützig in Gestalt einer Anthologie um die Dokumentation der neuen Richtung in der Lyrik, wie sie 1624 im Anhang zu der von ihm veranstalteten Ausgabe der Opitzschen Gedichte erschien. Eine dichte Folge lyrischer Sammelwerke zeitigten dann – wenn man absieht von Caspar von Barths in eine andere Richtung führendem Deutschen Phoenix (1626) – die dreißiger Jahre. 1630 kamen Plavius’ Gedichte in Danzig heraus. 1634 sammelte Johann Rist seine lyrische Ernte erstmals in seiner Musa Teutonica ein, der zahlreiche weitere Sammlungen geistlicher und weltlicher Lyrik folgten. Und 1635 erschienen Finckelthaus’ Lob- und Liebes-Gedichte. Sie eröffneten die lange Reihe der aus Leipzig und dem Umkreis Leipzigs herrührenden Lyriksammlungen, die in dieser Dichte keine Parallele im 17. Jahrhunderts haben und selbstverständlich auch in Königsberg bekannt waren. Am Anfang der vierziger Jahre standen die posthumen Teutschen Poemata Paul Flemings, von ihm selbst noch entworfen und sodann als Vermächtnis des einzig dastehenden Dichters von seinen Freunden zum Druck gebracht. Im Norden traten 1642 zeitgleich Andreas Tscherning mit seiner schon titularisch so ansprechenden Sammlung Teutscher Getichte Früling und Zesen mit seiner titularisch nicht minder reizvollen Frühlings-Lust hervor. In den vierziger Jahren meldeten

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sich die Straßburger im Konzert der lyrischen Landschaften mit Johann Matthias Schneubers Gedichten (1644) und Rompler von Löwenhalts Ersten gebüsch Reim-getichte (1647) zu Wort. Die Nürnberger ließen bekanntlich länger auf sich warten. Birkens schmales Heft mit Lob- und Liebesliedern (1653) markierte den ersten Beitrag in dieser Richtung, der kaum Verbreitung gefunden haben dürfte. Was gerade bei ihnen an lyrischer Sprachkunst zu bewundern war, konnte man jedoch in ihren seit 1644 vorgelegten pastoralen Sammelschriften gewahren. Die lyrische Ernte der Schlesier fiel indes in ihrer Mehrzahl erst in die zweite Jahrhunderthälfte. Die kleine rhapsodische Erinnerung an einige Titel lyrischer Sammelschriften freilich sehr verschiedenen Zuschnitts zeigt, daß es ein ausgesprochenes Bewußtsein für die Möglichkeiten der mehr oder weniger durchkomponierten und zumeist selbst verantworteten lyrischen Anthologie gab. Es war den Dichtern in der Nachfolge ihrer so häufig verehrten neulateinischen und nationalsprachigen Zeitgenossen eine Selbstverständlichkeit, auf die Einsammlung und nicht selten auf die gediegene Struktur in Auswahl und Anlage ihrer lyrischen Produktion hinzuwirken. Die Sammlung und nicht das verstreute einzelne Werk bekräftigte Nimbus und Profil der lyrischen Handschrift eines Dichters und rückte ihn ein in die Reihe der europäischen Lyriker, die das Gedichtbuch gepflegt hatten, das sich eben in dieser Variante neben den Gattungen des genus grande zu behaupten vermochte. Dach profitierte von diesem Gattungs-Prestige nicht. Er hat sich seinen Namen als Beiträger zu Gelegenheitsschriften und als Verfasser von Einzelschriften zu bestimmten Anlässen gemacht. Daß ihm dies à la longue nicht zum Schaden geriet, gehört zu den Geheimnissen, von denen sein Werk umgeben bleibt. Dabei war die lyrische Sammelschrift zumindest mit Noten gerade in Königsberg lange eingeführt und erfreute sich offenkundiger Beliebtheit. Johannes Eccard, Johann Stobaeus und schließlich Heinrich Albert selber waren als prominente Vertreter dieses lyrisch-musikalischen Liederbuchs hervorgetreten. Dach steuerte zu Alberts Arien und Melodeyen, in acht Teilen zwischen 1638 und 1650 erschienen und dann wiederholt aufgelegt sowie über Raubdrucke verbreitet, immer wieder Gedichte bei. Niemand ist unter den von Albert versammelten Autoren häufiger vertreten. Es ist nicht auszuschließen, daß Dach sich in dieser liedhaften Anthologie seines Freundes zureichend repräsentiert sah und deshalb auf eigene Versuche zur Zusammenführung seines Werkes verzichtete. Auf der anderen Seite mußte ihm bewußt sein, daß mit dem Albertschen Werk nur ein, nämlich der liedhafte Typus seines Schaffens zur Geltung kam. Die weiträumigen Gelegenheitsgedichte ohne liedhafte Strophik blieben ausgespart. Seine mehr als einmal einen erheblichen Bogen spannenden Freundschaftsgedichte waren vielfach überhaupt nicht gedruckt, geschweige denn geeignet für

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das Unternehmen Alberts. Auch seine größeren geistlichen Gedichte und Übersetzungen verharrten im Status des Einzeldrucks, kamen also gleichfalls nicht in den Genuß der Teilhabe an einer wie auch immer vom Autor disponierten Gesamtausgabe. Nicht auszuschließen, daß Dach das Gelegenheitsgedicht, wie er es vor allem pflegte, tatsächlich der jeweils einmaligen Gelegenheit vorbehalten wissen wollte, in ihr aufgehoben sah und eben deshalb für sein weiteres Fortleben keine Vorsorge traf. Das wäre im Zeitalter des 17. Jahrhunderts ein sehr ungewöhnliches Verhalten, und zumal von seiten eines Dichters, der wußte, daß er es war, der die Musen in der neuen Opitzschen Schreibart in Preußen heimisch gemacht hatte. Dach hat seine Zeit und seine Kräfte nicht auf die Anlage einer fortan mit seinem Namen sich verbindenden Ausgabe gewandt. Auf eine denkwürdige Weise entspricht dieser Sachverhalt dem Bild, unter dem er uns in ungezählten Facetten in seinem Werk entgegentritt. Der begnadete Dichter in den Genera des stilus humilis verharrte in einer Gebärde der Bescheidenheit gegenüber seinem Werk.1

2. Die posthume Werkausgabe Memorialwerk im Zeichen des Kurbrandenburgischen Hauses Zu einem unbekannten Zeitpunkt kam eine erste Ausgabe der Werke Simon Dachs heraus. Sie erschien frühestens zu Anfang der achtziger Jahre bei Friedrich Reusners Erben. Eine um die beiden Schaustücke erweiterte Ausgabe blieb gleichfalls undatiert. Auch sie wurde bei Friedrich Reusners Erben vorgelegt. Die erste zeitlich exakt dingfest zu machende Ausgabe aus dem 17. Jahrhundert datiert auf das Jahr 1696. Sie ist die einzige, die durch einen Reprint in weiteren Umlauf gelangte.2 –––––– 1

2

Teilweise in verwandte Richtungen gehende Erwägungen etwa bei Wulf Segebrecht: Simon Dach und die Königsberger.- In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hrsg. von Harald Steinhagen und Benno von Wiese.- Berlin: Erich Schmidt 1984, S. 242–269. Ders.: Unvorgreifliche, kritische Gedanken über den Umgang mit Simon Dachs Gedichten.In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber, Manfred Komorowski, Axel E. Walter.- Tübingen: Niemeyer 2001 (= Frühe Neuzeit; 56), S. 945–962. Vgl. auch das ansprechende Nachwort von Alfred Kelletat in: Simon Dach und der Königsberger Dichterkreis. Hrsg. von Alfred Kelletat.- Stuttgart 1986 (= Reclams Universal-Bibliothek; 8281), S. 331–420. Weitere Spezialliteratur jeweils unten am Ort. Ein Reprint erschien im Olms-Verlag 1970. Zu näheren Einzelheiten vgl. unten. Die beiden früheren und undatierten Auflagen tragen den bekannten, 1696 abge-

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Den beiden undatierten und im Titel identischen Ausgaben – auf die Titel ist sogleich zurückzukommen! – steht eine gleichfalls undatierte Zuschrift an den Widmungsempfänger, den Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, voran, der von Dach immer wieder besungen worden war. Sie ist von des »Seel. Simon Dachens Wittwe und Erben« unterzeichnet, macht sich also die direkten Bande zum Kurfürstlichen Hause zunutze. Wie alle Paratexte im Umkreis des Humanismus bedarf auch sie, obgleich nur ein knappes Quartblatt umfassend, einer eingehenderen Inspektion. Bislang ist sie nur für die Datierung der Ausgabe herangezogen worden. ES sind bereits viertzig Jahr verfloßen/ da Ew. Churfürstl. Durchl. Jhre höchst = beglückte Regierung angetreten/ und mit unvergleichlichem Weltkündigem Ruhm Dero hohen Thron beseßen/ auch denselben erweitert/ und mehr als alle Jhre höchst = löbliche Vorfahren erhöhet haben.3

Die Ausgabe ist also im Jahr 1680, spätestens im Jahr 1681 erschienen. Es liegen folglich mehr als zwanzig Jahre zwischen dem Tod Dachs und der ersten Teil-Edition seiner Schriften. Gleich mit dem zweiten Satz wird der Bogen zu dem großen Toten geschlagen. Was in solcher Zeit an Freude und Leydwesen/ nach des großen GOttes Schickung/ dem hohen Churfürstl. Hause zugestoßen/ dabey hat allemahl E. Churfürstl. Durchl. gewesener Unterthänigster treuer Diener Simon Dach/ nach Erheischung seiner Profession, und zu Darstellung seiner demüthigsten devotion, mit seinen Reimen sich hören laßen/ auch dagegen E. Churfürstl. Durchl. hohen Gnade sich die Zeit seines Lebens zu erfrewen gehabt.4

Nur knapp die Hälfte der bis 1680 vergangenen Regierungszeit vermochte der Dichter poetisch zu begleiten. Dieser – hier bewußt kaschierte – Sachverhalt änderte nichts an der Feststellung, daß kein anderer Dichter ein so enges und poetisch fruchtbares Verhältnis zum Kurfürstlichen Haus Bran––––––

3 4

wandelten Titel Chur = Brandenburgische Rose/ Adler/ Löw und Scepter/ [...] Königsberg/ Gedruckt bey Friedrich Reußners Churfl. Br. P. und Academischen Buchdruckers Erben. Die erste Auflage ist für die Staatsbibliothek zu Berlin (Yi 871a; nicht bei Kelletat, vgl. Anm. 7) und die Universitätsbibliothek Leipzig nachgewiesen. Die – in eckige Klammern gerückte – Angabe Dünnhaupts ad Nr. 6.1 seiner Dach-Bibliographie, derzufolge das Werk 1681 erschienen sein soll, ist nicht zu belegen und bleibt deshalb arbiträr. Die erweiterte Auflage ist häufiger anzutreffen. Auch hier bleibt der Dünnhauptsche Hinweis ad Nr. 6.2 ›[ca. 1690]‹ ohne eine kommentierende Stütze. Ein Exemplar aus der Gottholdschen Bibliothek und SUB Königsberg, angezeigt im Katalog 62, Nr. 18, des Antiquariats Wolfgang Braecklein, Berlin Friedenau. Im folgenden wird zitiert nach dem Breslauer Exemplar der zweiten Auflage aus der Bibliothek des Arletius (4 E 220; 353528; dazu eingehend unten S. 589 ff.). Ebd., Bl. π1r der Widmung. Ebd.

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denburg in der entscheidenden Zeit um die Mitte des Jahrhunderts unterhalten hatte wie eben Dach. Die zwischen Regent und Dichter obwaltende Beziehung ist denn auch in den Augen der die Widmungsadresse Formulierenden eine wechselseitiger Verpflichtung. Der Dichter hat sich zum Ruhme des Kurfürsten vernehmen lassen, und dieser erfreut sich fortan dessen gnädiger Zuwendung. Im Vertrauen auf diese mustergültig verwirklichte Interaktion bringen die Nachfahren ihr Werk auf den Weg. Nach dem wir nun solche Arbeit nach seinem Tode vor uns gefunden/ haben wir selbige nicht im verborgen bleiben laßen/ sondern zu Bezeigung unserer Schuldigkeit/ voran die jenigen Gedichte/ welche höchst = bemeldtem Großen Chur = Hause zu Ehren/ von ihme verfertiget/ in Ordnung bringen/ und zum Druck befördern/ niemanden aber billiger/ als Ew. Churfürstl. Durchl. wohin sie anfangs gewidmet/ gnädigst auffgenommen/ auch mächtig gehandhabet und geschützet worden/ zueignen sollen.5

Die von der Witwe und den Erben veranstaltete Ausgabe der Werke Dachs bietet also eine Auswahl. Vorgelegt werden jene Werke, die einen Bezug zum Kurfürstlichen Haus aufweisen. Die Herausgeber nehmen für sich in Anspruch, das diesbezügliche Werk nicht nur einzusammeln, sondern auch »in Ordnung [zu] bringen«. Es wird sich erweisen, daß sie damit nicht zu viel versprochen haben. Widmungsempfänger selbst aber kann nur der Kurfürst sein. Er war der am häufigsten bedachte Adressat, und er hielt seine schützende Hand nicht nur über das Leben, sondern zugleich über das Werk des Dichters. Auch Dach profitierte von dem durch die Humanisten allenthalben inaugurierten Bündnis zwischen dem Herrscher als Mäzen und dem Dichter als Sachwalter geziemenden Ruhms, wie es Opitz zu Anfang des Jahrhunderts ebenso glänzend wie wirkungsvoll erneuert hatte. Demnach legen zu E. Churfürstl. Durchl. gnädigsten Füssen wir dieses geringfügige Werck in tieffster Demuth nieder/ unterthänigst bittende/ dasselbe nicht allein mit vormahliger Gnade anzusehen/ und dabey in hoher Huld Jhres Unterthänigsten Dieners und Poëten Sich zu erinnern/ sondern auch Uns seinen hinterlaßenen mit beharrlicher hoher Gnade zugethan zu seyn/ alß die wir nicht weniger denn er es Zeit seines Lebens gethan/ für E. Churfürstl. Durchl. und Dero hohen Hauses stets blühendes hohes Wolergehen den Allerhöchsten täglich anflehen.6

Die Edition hat den Charakter eines Memorialwerks. Und als solches übernimmt es vielfältige Funktionen. Wäre es in erster Linie um die Stiftung von Gedächtnis im Blick auf den Autor Simon Dach gegangen, hätte man sich selbstverständlich um eine repräsentative Auswahl aus seinem gesamten Œuvre bemüht. Das ist jedoch ersichtlich nicht der Fall. Dem 18. Jahrhundert –––––– 5 6

Ebd., Bl. π1r f. Ebd., Bl. π1v.

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blieb es vorbehalten, diesen Aspekt – wenn nicht editorisch, so doch sammlerisch – zur Geltung zu bringen. Die Ausrichtung der Ausgabe auf das Kurfürstliche Haus erfolgte mit der Intention, den Namen des Dichters auch fortan mit ihm zu verbinden und zugleich die produktiven Energien zu entbinden, die dieser ständisch limitierten Gedächtnisstiftung eigneten. So erstrahlt das Haus Brandenburg über die Zeiten hinweg auch in den Farben, mit denen Simon Dach es zu schmücken verstanden hatte. Die Erben empfahlen sich mit ihrer Darbringung als Wahrer dieser Tradition. Sie verbürgten sich für Kontinuität und durften eben deshalb dieselbe Protektion und tätige Zuwendung sich erhoffen, die ihrem großen Vorfahren zuteil geworden war. Knapp fünfzig Gedichte Dachs enthält die Sammlung. Teilweise handelt es sich um Kompositionen aus mehreren Einzelstücken zu einem Anlaß. Die tatsächliche Anzahl an einzelnen poetischen Beiträgen ist insgesamt also größer. Fast alle der zum Abdruck gelangten Titel sind auch aus früheren Einzeldrucken bekannt. Von einigen in dem Sammelwerk stehenden Arbeiten konnten Vorgänger bislang nicht nachgewiesen werden oder müssen definitiv als verschollen gelten. In diesem Fall bietet die Sammelausgabe den einzig bekannten Text. Umgekehrt sind auch Gedichte auf Mitglieder des Kurfürstlichen Hauses oder Bedienstete in seinem Umkreis vorhanden, die nicht in die Anthologie eingingen. Dann lagen sie entweder den Herausgebern nicht vor oder wurden bewußt aussortiert. Unsere Vermutung geht dahin, daß der letztere Fall häufiger in Anschlag zu bringen ist. Insgesamt sind offensichtlich alle einschlägigen Titel versammelt. Die Herausgeber haben gründliche Arbeit geleistet. Mit ihrer Ausgabe vermochten sie es, ihrer öffentlich bekundeten Intention entsprechend, das Bild des höfischen Dichters Simon Dach zu befestigen. Es gehört zu den großen Reizen in der Rezeptionsgeschichte des Dichters, daß es sich auf lange Sicht hin nicht zu behaupten vermochte gegenüber anders gearteten Zügen, wie sie in wechselnder Akzentuierung in der Geschichte hervortraten. Hier muß die Feststellung genügen, daß das auf das Kurbrandenburgische Haus gerichtete Werk dringlich einer erstmaligen eingehenden Untersuchung bedürfte. Sie wäre mit Gewißheit geeignet, dem Bild höfischen Dichtens im 17. Jahrhundert in Deutschland insgesamt neue Seiten abzugewinnen.7 In der Anordnung, die zu ihrem Geschäft gemacht zu haben die Herausgeber ja signalisiert hatten, wird eine chronologische Abfolge beobachtet. –––––– 7

Vgl. in diesem Zusammenhang: Alfred Kelletat: ›Churbrandenburgische Rose, Adler, Löwe und Scepter‹ poetisch besungen. Simon Dach und sein Kurfürst.- In: Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten in Brandenburg (1640–1688). Hrsg. von Gerd Heinrich.- Berlin: Duncker & Humblot 1990 (= Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft; 8), S. 167–190.

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Doch kommt es wiederholt vor, daß in bezug auf Person, Anlaß oder Thema verwandte Stücke zu kleinen Einheiten zusammengezogen werden, so daß die Chronologie gelegentlich unterbrochen wird. Der erste datierte Beitrag entstammt dem 23. September 1638. Er ist einem Besuch des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg und seines Sohnes Friedrich Wilhelm in Königsberg gewidmet, fällt also noch in die Zeit vor der Berufung Dachs an die Universität. Der letzte Beitrag ist nicht mehr datiert. Es handelt sich um die berühmte ›Unterthänigste letzte Fleh = Schrifft an Seine Churfürstl. Durchl. meinen gnädigsten Churfürsten und Herrn‹ aus dem letzten Lebensjahr Dachs, mit dem der unbekannte Herausgeber die Sammlung eindrucksvoll beschließt. Thematisch überwiegen Glückwünsche an Mitglieder aus dem Kurfürstlichen Haus zu Geburtstagen, an der Spitze zu dem des Kurfürsten Friedrich Wilhelm selbst, aber auch anläßlich von Geburten bzw. glücklichen Entbindungen und Taufen. Häufig ist sodann der traurigen Ereignisse im Umkreis des herrschaftlichen Hauses zu gedenken. Hinzu treten Epithalamien. Die Eheschließung Jakobs von Kurland mit der preußischen Prinzessin Luise Charlotte zeitigt ein großes Hochzeitsgedicht, nachdem schon vorher die Anwesenheit des Bräutigams in Königsberg zur Vorbereitung der Hochzeit bedichtet worden war. Die Hochzeit Hedwig Sophies mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel ist ebenso zu besingen wie die seines Landesherrn Friedrich Wilhelm mit Prinzessin Louise Henriette aus dem Hause Nassau-Oranien. Schließlich ist der Dichter – wie schon im Eingangsgedicht – immer wieder zur Stelle, wenn der Kurfürst mit seinem Hofstaat in Königsberg eintrifft oder die Residenz wieder verläßt. Insbesondere die Universität läßt es sich nicht nehmen, ihren Landesherrn bei solchen Gelegenheiten zu ehren. Musikalische Aufzüge werden dann bevorzugt, zu denen Dach den Text liefert. Für die späten dreißiger sowie die vierziger und fünfziger Jahre lassen sich die um die Präsenz des Kurfürstlichen Hauses gruppierten Ereignisse im Festtagskalender Königsbergs über die Dachschen Gedichte sehr genau verfolgen. Aber auch unspektakuläre Begebenheiten würdigt der Dichter seiner Aufmerksamkeit, um sie festzuhalten und poetisch zu umspielen, so etwa, wenn die ›hohe Churfürstl. Herrschafft sich eins in einem Lust = Bötchen auffm Pregel ergetzeten‹ oder wenn ›Churfürstl. Durchl. dem Bürgerlichen Scheiben = schiessen der Kneiphöffer gnädigst beygewohnet und König worden‹. Schließlich gibt es Gedichte ohne speziellen Anlaß, in denen der Dichter seiner besonderen Verbundenheit mit dem Kurfürstlichen Hause Ausdruck verleiht. So etwa in einem ›Hertzlichen Bethlied/ umb fernern Auffwachs des HochFürstl. Hauses zu Brandenburg‹ oder auch in der Auslegung des Kurfürstlichen Wahlspruchs ›Domine fac me scire vias tuas.‹

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Damit kehren wir zurück zum Titel des Werkes, den die Herausgeber ihm gegeben haben und der im Eingang zu ihm nach der Widmungsadresse wieder aufgenommen wird, so daß auch an dieser Stelle der Ansatz einer kompositorischen Linienführung erkennbar bleibt: Chur = Brandenburgische Rose/ Adler/ Löw und Scepter von Simon Dachen/ Weyland Prof. Poëseos auff Chur = Brandenburgischer Preußischer Academie Königsberg Poëtisch besungen. Mit sonderbahr ertheiletem hoch und gnädigstem Churfürstl. Privilegio.

Diesen vier heraldischen Emblemen des Kurfürstlichen Hauses ist der einleitende Beitrag des Werkes gewidmet. Sie werden der Reihe nach in ihrem Sinngehalt vergegenwärtigt, gleichen also ihrem Charakter nach den emblematischen subscriptiones. Ihren urspünglichen Platz hatten die entsprechenden Strophen in einem akademischen Festakt auf der Universität: ›Bey Oratorischem Act, Am Churfürstl. hohen Geburt = Tage/ von vier Preußischen von Adel in der Königsbergischen Academie angestellet‹.8 Die Herausgeber haben darauf verzichtet, diesen Actus zu datieren. Er sollte, losgelöst von seinem Anlaß und konzentriert auf die Dachsche Textsubstanz, als zeitloses Sinnbild und womöglich als Ersatz für das fehlende Titelkupfer am Eingang des Werkes figurieren. Tatsächlich fand der feierliche Akt am 16. Februar 1649 in der Universität Königsberg statt.9 Er war – wie so häufig – dem Geburtstag des Kurfürsten gewidmet. Valentin Thilo und Dach zeichneten gemeinsam für die Ausrichtung verantwortlich, wobei der Hauptanteil Thilo zukam, der denn auch im Titel allein Erwähnung fand. Vier Angehörige des preußischen Adels trugen vier von Thilo in seiner Eigenschaft als Professor für Rhetorik verfaßte Reden in deutscher Sprache vor. Dach, Professor für Poesie, wurde für die Beibringung von vier Gedichten bemüht, die in musikalischer Begleitung verlauteten. Man wird der Witwe Dachs und dem bzw. den sonstigen Herausgebern bescheinigen dürfen, daß sie großes Geschick bewiesen, gerade diese Verse an den Anfang ihrer Ausgabe zu rücken. Denn der Dichter hatte seinerzeit den Anlaß neuerlich aufgegriffen, um sein Verständnis fürstlicher Herrschaft, das ein ausgeprägtes war (und deshalb untersuchungswürdig bleibt), den vier Denkbildern einzuschreiben. Von den Editoren mit glücklicher Hand an den Anfang gesetzt, mag man sie auch als Leseanweisungen für die nachfolgenden – und nun eben fast durchweg von distinkten Anlässen bestimmten – Beiträge nehmen. Daß dich kein Krieges = Brand verhert/ Und keine Last zu sehr beschwert/

–––––– 8 9

Chur = Brandenburgische Rose (Anm. 2), Bl. A1r. Zu dem Einzeldruck mit der angegebenen Datierung vgl. unten S. 573.

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Daß Trew und Recht nicht wancken/ Und dir kein Feind das Deine rafft/ Das hast du ihrer Tugend Krafft Und GOTT allein zu dancken.

So eine Strophe aus dem der Rose gewidmeten vierstrophigen Gedicht. Und dazu der erste der beiden Sechszeiler auf den Löwen: DIeser Brandenburger = Löw Jst durchaus gezähmter Sinnen/ Weiß von keiner Tiranney/ Lässt durch Güte sich gewinnen/ Fasst das schwach in treue Hut/ Und bekriegt den Ubermuth.10

Das ist Dachsche Fürstenspiegel-Philosophie in nuce poetice. Sie sollte wenigstens einen Moment lang anläßlich der Vorstellung seines posthumen Denkmals für das Brandenburger Fürstenhaus im Originalton verlauten – und vielleicht einladen zu näherer Erkundung. Das Werk erfüllte ganz offensichtlich die Erwartungen der Herausgeber. Es fand Anklang und mußte nachgedruckt werden. Wann das erfolgte, entzieht sich unserer Kenntnis. Für die Dünnhauptsche Datierung »ca. 1690« gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Die unveränderte Vorrede ist neuerlich unterzeichnet »Seel. Simon Dachens Wittwe und Erben.« Die Witwe Dachs verstarb am 24. Juni 1685. Ob sie an der Ausgabe noch Anteil hatte oder nicht, ist nicht zu entscheiden, ein terminus adquem also nicht auszumachen. Es handelt sich um einen satzidentischen Abdruck der Erstausgabe. Diesem Druck nun sind die beiden allegorischen Schaustücke Dachs, der Cleomedes und die Sorbuisa, hinzugefügt. Da die Foliierung des lyrischen Werkes mit Bogen Z endete, setzt mit dem Cleomedes eine neue Foliierung ein. Sie reicht von Bogen A bis zur ersten Hälfte des Bogens K. Ein separates Titelblatt für diese zweite Folge fehlt. Die Titel der beiden Schaustücke und die Verzeichnisse der Personen nebst den entsprechenden Schlüsseln beanspruchen jeweils eine volle Seite. Während die Sorbuisa in vorangehenden Einzeldrucken bekannt war, fehlte ein solcher lange für den Cleomedes. Er schien nur in der Fassung überliefert zu sein, die die hier charakterisierte Sammelausgabe und ihre Nachfolgerin bot. Im Jahr 1979 gelang es jedoch, auch den Cleomedes in der Erstfassung von 1635 und mit dem Impressum des Jahres 1636 in der Akademiebibliothek zu Danzig aufzufinden.11 Leider –––––– 10 11

Die beiden Strophen Bl. A1r bzw. Bl. A1v. Vgl. Klaus Garber: Kleine Barock-Reise durch die DDR und Polen.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 7 (1980), S. 2–10, S. 50–62. Hier S. 59. Wieder abgedruckt in Klaus Garber: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den

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sind für beide Stücke nur musikalische Rudimente überliefert.12 Dem Sänger Preußens und treuergebenen Diener des Brandenburgischen Kurfürsten wie des polnischen Königs war mit dieser Zugabe auf einen Schlag ein Gewinn an formaler Varietät und damit an poetischer Kompetenz beschert, der unverfänglich blieb, solange Dichten im Umkreis von Hof und Regentschaft nicht als rufschädigend, sondern umgekehrt als ehr- und ruhmbringend galt. Ein Paratext in der Königsberger Ausgabe von 1696 Die dritte Ausgabe erschien gleichfalls in Königsberg. Mit ihr erfolgte eine Änderung des Titels und des Impressums: Simon Dachen/ Weyland berühmten Poëseos Professoris bey der Königsbergischen Academie Poetische Wercke/ Bestehend in Heroischen Gedichten/ Denen beygefüget zwey seiner verfertigten Poetischen Schau = Spiele/ Anitzo auf vielfältiges Verlangen zum Druck herausgegeben. Königsberg zufinden bey Heinrich Boyen Buchhändlern/ Anno 1696.

Der explizite Bezug auf das Haus Brandenburg war getilgt. Folglich entfiel auch die Widmungsschrift an den Kurfürsten. An ihre Stelle trat die Vorrede des Buchhändlers. Dieser hatte den Rest der vorangehenden Auflage aufgekauft, mit einem neuen Titel und einem neuen Vorsatz versehen und ansonsten keine Veränderungen vorgenommen. Die undatierte und namentlich nicht gezeichnete Vorrede dürfte mit Sicherheit von dem neuen Rechteinhaber des Werkes herrühren. Er verabschiedet sich von dem Leser, dem die Vorrede zugeeignet ist, als dessen »dienstgeflissenster Knecht«. Wie immer lohnt sich ein Blick in das neu vorgeschaltete Dokument. Es ist nicht das eines gelehrten Fachmanns, aber auch nicht das eines an der Grenze des Illiteratentums sich bewegenden Mannes. Vielmehr gibt sich die vergleichsweise geringere Versiertheit in der ins Allgemeine und Weite schweifenden Rede zu erkennen. Unter dem Stern der Vergänglichkeit zu stehen, sei Bestimmung alles Seienden und also auch des Menschen, der stets wieder versucht sei, dagegen zu rebellieren. Die Trennung der »beyden be––––––

12

Schatzhäusern des alten Kontinents.- München: Fink 2006, S. 97–123, hier S. 122. Das Werk lag auch dem Verfasser der – bei Ziesemer angefertigten – Königsberger Vorkriegs-Dissertation nicht vor, war also offensichtlich selbst in Königsberg nicht vorhanden. Vgl. Herbert Bretzke: Simon Dachs dramatische Spiele. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts.- Diss. phil. Königsberg 1922 (Masch.) (Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin). Hier Kapitel 1: ›Die Überlieferung der Spiele‹, S. 1–7. »Der ›Cleomedes‹ ist uns allein in den ›Poetischen Wercken‹ überliefert, es findet sich auch nirgends eine Andeutung auf einen älteren Druck« (S. 2). Vgl. dazu jetzt Andreas Waczkat: Simon Dachs Liederspiele und die Anfänge der deutschen Oper.- In: Simon Dach (1605–1659). Werk und Nachwirken. Hrsg. von Axel E. Walter.- Tübingen: Niemeyer 2008 (= Frühe Neuzeit; 126), S. 321–336.

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sten Freunde nemlich Leib und Seele« und die Zerstörung des ersteren, so daß »dadurch beyde gleichsahm aus jedermans Augen verschwunden«, sei seit Menschengedenken tagtägliche Erfahrung. Folglich musten andere Arten vor die Hand genommen werden/ dadurch man zum minsten das Gedächtniß der Menschen und ihren Nahmen von der vergänglichen Zeit und von der Vergessenheit so viel möglich befreyen möchte.

Man ahnt also schon, in welche Richtung der Autor sein Schifflein zu steuern gedenkt, muß aber noch erhebliche Geduld aufbringen, bis es in den rettenden Hafen einläuft. »Dieser Arten aber [seien] vielerley« dort zu beobachten, dem Gesetz, unter dem menschliches Leben stehe, zu begegnen. Bei denen »nach der Sündflucht Lebenden« war »wenig Sorge« für das Fortleben in gestalt dem Tode widerstreitender Werke anzutreffen. Das lag auch an allerhand Ungelegenheit/ (theils wegen Entbehrung vieler wichtigen Wissenschafften/ und zu einem guten Leben gehörenden Erfindungen; theils auch wegen unmüglicher Vermeidung einiger boßartigen Menschen zugefügeten Widerwillens) [...] denen die meisten ihrer Trägheit oder Einfalt halber keinen Widerstand zu thun vermochten.

Andere hingegen, »die ein wenig geschickter und nachdencklicher waren«, taten sich entweder »mit ihrer guten Anstalt auch tapferem Muhte« oder aber »mit ihren erfundenen und dem menschlichen Leben höchst vortheiligen Künsten« hervor, »dadurch sie ihren Zweg/ nemlich ihren Nahmen der Vergänglichkeit zu entreissen/ mehr als sie es verdienet erlangeten.« Derart wächst sich die kleine dreiseitige Vorrede zu einer geschichtsphilosophischanthropologischen Rhapsodie in nuce aus, so wie sie sich in den Augen eines beflissenen Amateurs malt. Der Pferdefuß dieser nachsintflutlichen Bemühungen? Sie sind gezeichnet von Abgötterei und heidnischem Wesen, das »hier zu erzehlen zu weitläufftig fallen würde«, obgleich es den Autor doch reizen würde, dem Leser Kunde zu geben davon, daß unter die Zahl dieser Götzen auch Sonn/ Mond und Sterne/ ja Lufft und die übrige so genandte Elemente/ bey einigen auch welches mehr zu beklagen als zu belachen/ Thiere und Erdgewächse ihre Stelle öffters antreffen.

Nachdem man aber »begunte klüger zu werden«, was ganz offensichtlich auf den Eintritt in die christliche Ära datiert, legte sich dieses Unwesen. Nun wurden denen umb das menschliche Leben sich/ es sey durch Tapferkeit/ Gelahrtheit oder andere ersonnene Nutzbahrkeit verdient = gemachten Leuten nach ihrem Tode die Gottheit zwar nicht an sich selbst zugeleget/ sie wurden aber als wie Halbgötter fast der Papisten canonisirten Heiligen gleich beehret.

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Regt sich da neuerlich eine Reserve auf seiten unseres gewiß gut protestantischen Gewährsmannes gegen einen derartigen Kult, den er mit einer kühnen Wendung in die Nähe zu der Erhebung der Heiligen bei den »Papisten« rückt? »Ehren = Pforten/ Seulen/ Bildnisse etc.« würden hergerichtet, Bücher verfaßt, auf daß der Name der Großen »die Zeit selbst überwältigen möchte«. Zu diesen Mitteln gehöre auch, wackerer Leute Thaten der Welt durch Schrifften vor die Augen zu legen; oder auch gelahrter Geister Schrifften/ wenn es bey ihren Lebzeiten von ihnen selbst aus Demuht nicht geschehen/ nach ihrem Tode zum wolverdienten Nachruhm ihres Nahmens durch den Druck zu beförderen[.]

Damit ist der Autor nach dieser tour de force am Ziel. Denn wie in allen anderen Wissenschaften und Künsten, so ist es dementsprechend auch in der Dichtkunst gehalten worden, »indem man sinnreicher Dichter ihre lesenwürdige Arbeit wo nicht eher/ so doch nach ihrem Tode der gelahrten Welt nicht gemißgönnet hat.« Es schien uns nicht unstatthaft, einen Königsberger Buchhändler einen Moment lang ausführlicher zu Wort kommen zu lassen, sind doch Äußerungen auf der Schwelle zum ungelehrten Milieu, die Welt- und Geschichtssicht im städtischen Raum des 17. Jahrhunderts spiegeln, nicht allzu häufig anzutreffen und allemal geeignet, Aufschlüsse über Mentalität und Bildungshorizont, aber auch über Sprachstand und stilistischen Habitus zu vermitteln. Hier aber geht es um Simon Dach. Und da wartet unser Gewährsmann mit einer interessanten, bislang nicht gewürdigten Mitteilung auf. Auch das Dachsche Werk solle für die Nachwelt gesichert werden. Die in diesem Band vorgelegten Gedichte würden als ›Heroische‹ tituliert, »weil sie mehrentheil hohen Häuptern« gewidmet seien. Aber – und dies ist die Novität – mit ihnen würde nur ein Anfang gemacht. Der Buchhändler Heinrich Boye kündigt nämlich an, daß eine »ausführliche Lebens = Beschreibung« Simon Dachs folgen werde. Dies allerdings erst nachdem die »Ausfertigung seiner Oden« erfolgt sei, »in denen keine gemeine Liebligkeit enthalten ist«. Zu Ende des 17. Jahrhunderts ist also in Königsberg eine Ausgabe der Werke Dachs geplant gewesen. Näheres über den Stand der Vorarbeiten scheint ebensowenig bekannt wie über die Namen derjenigen, die sich dieser Aufgabe zu widmen gedachten. Daß aber das Bedürfnis sich regte, für den Dichter, »dessen Nahme nicht allein in seinem Vaterlande (in welchem Er ohne Ruhm der erste gewesen so in Deutschen Gedichten sich etwas unterfangen hat) bey Hohen und Nidrigen/ sondern auch bey denen Auswärtigen rühmlich bekandt ist«, editorisch tätig zu werden, ist damit zweifelsfrei gesichert. Zu den repräsentativen Stücken auf das Kurfürstliche Haus und zu den beiden Schaustücken sollte das liedhafte lyrische Werk treten, ohne daß

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sich Näheres über den Umfang des ins Auge Gefaßten sagen ließe. Auch mit Blick darauf fände die durchaus ungewöhnliche Tilgung der KurfürstlichBrandenburgischen Referenz in Titel und Vorrede ihre Erklärung.13

3. Übergänge ins 18. Jahrhundert. Stimmen zum Autor und zu einer Edition seines Werkes Um 1700 wird poetologisch wie historisch ein erstes Fazit der reichen Produktion gezogen, welche das 17. Jahrhundert zeitigte. Die Kodifizierung der großen Namen und Werke erfolgt, die Verteilung der Gewichte wird vorgenommen, die kritischen Maßstäbe finden sich explizit bzw. implizit in die Debatte eingeführt. Es erfolgen mit anderen Worten Weichenstellungen, an denen das ganze 18. Jahrhundert sich abarbeiten wird. Für die Erkenntnis der Literatur des 17. Jahrhunderts dürfte es kaum ein anderes Terrain geben, auf dem sich so viele für die Konstitution der Epoche einschlägige Aspekte gewinnen lassen wie am Beispiel dieser von aktuellen Interessen geleiteten Verlautbarungen. Geht es doch immer auch um die Markierung der Fluchtlinien, in denen sich das eigene Schreiben vollzieht und das eigene Verständnis von Literatur bewegt. Beides begründet Reiz wie Notwendigkeit rezeptionshistorischer Studien. Im Gegensatz zur Zeit um 1800 steht die große Monographie für den Zeitraum um 1700 aus. Sie bleibt der Forschung in einer Situation aufgetragen, da die Debatten um die antithetische Figuration von Barock und Aufklärung lange beigelegt sind und die Strukturen und Zäsuren innerhalb einer longue durée – wie über die Kategorie der Frühen Neuzeit nahegelegt – und also Brückenschläge über die Epochengrenzen hinweg ein neues Interesse gewinnen. Hier und im folgenden geht es um einen einzigen Autor und die ihm gewidmeten editorischen Bemühungen. Das nötigt zu Konzentration und Abschirmung gegenüber allenthalben sich eröffnenden Perspektiven.14 –––––– 13

14

Die vorgelegten Zitate alle in der schmalen unfoliierten dreiseitigen Vorrede an den ›Hochgeneigten Leser!‹ Zurückzugreifen immer noch mit besonderem Gewinn auf: Sigmund von Lempicki: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 2., durchgesehene, um ein Sach- und Personenregister sowie ein chronologisches Werkregister vermehrte Auflage.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968, S. 146 ff.; S. 235 ff. Des weiteren sei verwiesen auf: Manfred Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts.- Stuttgart: Metzler 1966 (= Germanistische Abhandlungen; 15), S. 376 ff.; Herbert Jaumann: Die deutsche Barockliteratur. Wertung – Umwertung. Eine wertungsgeschichtliche Studie in systematischer Absicht.- Bonn: Bouvier 1975

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Die Stimmen von Hoffmannswaldau, Morhof und Neukirch Ein Jahr vor der dritten Edition der Dachschen Gedichte war Erdmann Neumeisters lexikalisches Kompendium De Poëtis Germanicis erschienen. Die Einträge sind bekanntlich in aller Regel denkbar knapp. So auch im Falle Dachs. Die wenigen Zeilen reichen immerhin, um ein ausdrückliches Wort des Bedauerns zu formulieren, »daß von unserem Dichter, der allenthalben voll Geist und Kraft war, nichts in einem Einzelband zusammengestellt wurde.« Neumeister vermag auf Alberts Arien und Melodeyen zu verweisen, die er nur in Gestalt der beiden Raubdrucke Poetisches Lust-Gärtlein (1645) und Poetisches-Musicalisches Lust-Wäldlein (1648) kennt, sowie auf die Poetik Kaldenbachs, in denen Gedichte Dachs zu finden seien. Außerdem erwähnt er die posthume Dach-Ausgabe mit dem Kurztitel einer der beiden ersten Auflagen. Die beiden Schaustücke finden ebensowenig Erwähnung wie Dachs geistliche und weltliche lyrische Dichtung.15 Die literarhistorische Situierung und Bewertung der Koryphäen des 17. Jahrhunderts hatte bekanntlich Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau ––––––

15

(= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft; 181), S. 61 ff.; Alberto Martino: Daniel Caspar von Lohenstein. Storia della sua ricezione. Volume primo (1661–1800).- Pisa: Athenaeum 1975 (= Athenaeum). Deutsche Übersetzung von Heribert Streicher unter dem Titel: Daniel Casper von Lohenstein. Geschichte seiner Rezeption. Bd. I: 1661–1800.- Tübingen: Niemeyer 1978 [mehr nicht erschienen]. Hier in der deutschen Fassung insbesondere die Kapitel II und III, S. 175 ff., S. 291 ff.; Klaus Garber: Martin Opitz – ›der Vater der deutschen Dichtung‹. Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik.- Stuttgart: Metzler 1976, S. 43 ff.; Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat. Sozialgeschichtliche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert.Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978 (= Palaestra; 269), S. 161 ff.; Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung.- Tübingen: Niemeyer 1983 (= Studien zur deutschen Literatur; 75), S. 426 ff.; Europäische Barock-Rezeption. Bd. I–II. Im Zusammenwirken mit Ferdinand van Ingen, Wilhelm Kühlmann, Wolfgang Weiß hrsg. von Klaus Garber.- Wiesbaden: Harrassowitz 1991 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 20), S. 185 ff.: ›Barock und Aufklärung. Zum Problem nationaler Selbstverständigung‹; Peter-André Alt: Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller.- Tübingen: Niemeyer 1995 (= Studien zur deutschen Literatur; 131), S. 351 ff. Erdmann Neumeister: De Poëtis Germanicis Hujus seculi praecipuis Dissertatio Compendiaria.- S.l. 1695. Mit deutscher Übersetzung sowie einer Bio-Bibliographie der von Neumeister behandelten Personen als Reprint neu hrsg. von Franz Heiduk in Zusammenarbeit mit Günter Merwald.- Bern, München: Francke 1978. Hier der deutschsprachige Eintrag mit dem vorgelegten Zitat S. 158. Der lateinische Eintrag bei Neumeister S. 26: »[...] ut omnino dolendum sit, nil certum in volumen redactum fuisse a Poëta nostro spiritus ubique et succi pleno.«

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eröffnet. Das äußerst anregende geistige Milieu der intellektuellen Metropole des Ostens nach dem Niedergang Prags ermutigte den Dichter offenbar, seine Sicht der Dinge in sympathischer Offenheit darzulegen. Spätestens seit 1679 ist das Spiel um die Vergabe der Trophäen eröffnet, an der sich alle Kunstrichter von Rang und Namen nicht anders als die kleinen Lichter fortan mit erkennbarem Vergnügen beteiligen. Kaum einer, der nicht eine eigene Nuance hinzuzufügen hätte. Dach macht davon keine Ausnahme, auch wenn das Bild, das er den Nachfahren bietet, erstaunlich stabil bleibt, freilich auch sehr eingeschränkt und wenig entwickelt, wie schon bei Neumeister zu erkennen. Hoffmannswaldau behauptet wie gegenüber der eigenen Produktion so auch gegenüber der der Kollegen eine souveräne Freiheit im Urteil. Ja, er kann es sich erlauben, die Entfaltung der neueren deutschen Poesie mit seinem eigenen Lebensgang zu verknüpfen. Meine Jugend traff gleich in eine Zeit/ da der gelehrte Mann Martin Opitz von Boberfeld/ der berühmte Schlesische Buntzlauer/ durch der Frantzosen und Holländer poetische Wercke angeleitet/ mit seiner Feder in das Licht trat. Meiner Natur gefiel diese reine Schreibens = Arth so sehr/ daß ich mir auß seinen Exempeln Regeln machte/ und bey Vermeidung der alten rohen Deutschen Art/ mich der reinen Liebligkeit/ so viel möglich gebrauchte.16

Wann hätte es derartiges im 17. Jahrhundert gegeben, daß ein angesehener Gelehrter seinen poetischen Lernprozeß zu Protokoll gegeben hätte? Doch damit nicht genug. Der weltläufige, weitgereiste Mann ist mit den lateinischen, italienischen, französischen, niederländischen und englischen Autoren gleichermaßen vertraut. Erst über sie, und keinesfalls alleine über Opitz, gerät er auf »die sinnreichen Erfindungen/ durchdringende Bey = Wörter/ artige Beschreibungen/ anmuthige Verknüpffungen/ und was diesem anhängig«.17 Nun kann es hier nicht in unserem Interesse liegen, das Bild des 17. Jahrhunderts zum Abschluß seiner berühmten literarhistorischen Revue näher zu charakterisieren, geht es doch um Simon Dach. Symptomatisch indes ist schon die Erwähnung des knappen Dutzends an Namen, die er für die Aufnahme und Weiterführung der Opitzschen Reform in Anschlag bringt. Es ist dies in Schlesien selbst die Trias Tscherning (der sich seiner Meinung nach besonders eng an Opitz anlehnt), Colerus und Czepko. –––––– 16

17

C.H.V.H. Deutsche Vbersetzungen und Getichte.- Breslau: Fellgibel 1679, Bl. π2r. Reprint mit editorischen Beigaben: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Deutsche Übersetzungen und Getichte. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Franz Heiduk. Teil 1.- Hildesheim, Zürich, New York 1984 (= Gesammelte Werke; I/1). Ebd.

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Nach welchem auch Dach ein Preusse/ dem die Lieder nicht übel gerathen/ und Flemming ein Meißner/ so vor andern ein Sonnet gar wol geschrieben/ wie auch Rist ein Hollsteiner/ so viel Geistliche Gesänge herauß gegeben/ dann Titz und Mühlpfort als Poeten bekand worden.18

Das ist eine strenge Auswahl, die den Dichter sogleich zu dem Eingeständnis nötigt, daß weitere Namen zu nennen wären. Immerhin, Dach ist als Liederdichter und als einziger aus dem Nordosten dabei. Sein Name hat auch im gesegneten Schlesien Nimbus. Denn dies ist ja unverkennbar: Schlesien behauptet wie selbstverständlich die literarische Vormacht. Und das je länger, desto nachhaltiger. In Gryphius und Lohenstein – »deß weitbekandten Harßdörfers unvergessen« – kulminiert die Poesie des 17. Jahrhunderts. »Wie ich mich dan frey zusagen erkühne/ daß wan man vor siebenzig Jahren/ das gantze gelehrte Deutschland auffgefodert hätte/ es nichts dergleichen in der Mutter = Sprache würde haben verrichten können.«19 Deutschland steht zu Ende der siebziger Jahre ebenbürtig neben den großen Literatur-Nationen, zumal Italiens und Frankreichs. Dieser mit Hoffmannswaldau vorgegebene Rahmen war in aller Kürze abzustecken, weil er Orientierungen anbot und Akzente setzte, mit denen seine Nachfolger sich auseinanderzusetzen hatten. Das ist sogleich bei dem Begründer einer neueren europäischen und deutschen Literaturgeschichte zu erkennen. Wie im Falle Hoffmannswaldaus, so wäre es auch im Blick auf den einstigen Rostocker und nachmaligen Kieler Professor der Poesie Daniel Georg Morhof reizvoll, den europäischen Aufriß mitzubedenken, den beide ihren Entwürfen verleihen. Das aber muß an dieser Stelle unterbleiben und einer Historiographie frühneuzeitlicher Literatur Europas vorbehalten werden. Wieder ist deutlich, wie landschaftliche und ständisch-berufliche Bindungen auch literaturgeschichtlich durchschlagen. Bei Morhof steht in der nachopitzschen Phase neben Fleming (den er besonders hoch schätzt) der aus Schlesien nach Rostock herüberwechselnde Tscherning obenan, Morhofs Vorgänger im Amt des Professors der Rhetorik und sein Lehrer. Über diese Brücke findet auch Matthäus Appelles von Löwenstern Erwähnung. Schließlich hat Tscherning dem Verfasser der Frühlings-Mayen seine eigenen Gedichte Teutscher Gedichte Frühling zugeeignet, und Daniel Major hat sie in Kiel neuerlich zur Publikation gebracht – Imponderabilien mit weitreichenden Folgen für die Sicherung und Überlieferung von Namen und Werktiteln. Und wären Colerus und Czepko genannt, wenn Hoffmannswaldau nicht vorangegangen wäre? Auch Morhof ist voll des Lobs für das illustre Dreigestirn der späteren Schlesier. Insgesamt aber steht sein Schlesien-Porträt –––––– 18 19

Ebd., Bl. 2π5r. Ebd., Bl. 2π5r f.

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doch unter dem leichten Vorbehalt, »daß von ihnen nicht eben rechte vollständige Wercke hervorkommen« seien, wobei einzuräumen ist, daß dies eher auf die unmittelbaren Opitz-Nachfolger und nicht die späteren gemünzt sein dürfte.20 Und Preußen? Bevor er dahin gelangt, geziemt es sich, des Holsteiners Rist zu gedenken. Das geht nicht ohne ein deutliches Monitum ab. Seine frühe Musa Teutonica aus dem Jahr 1640 »laufft [noch] sehr wieder die Regeln der Kunst.« Erst in seinen späteren Werken habe er »eine fliessende Art Lieder zu schreiben gehabt«.21 Man war also sehr hellhörig. Herüberwechselnd nach Preußen wartet Morhof mit einer Überraschung auf. »Simon Dach hat auch sehr gute Oden geschrieben«. So eröffnet Morhof und beschließt zugleich das über Dach zu Sagende. Der Dichter ist literaturgeschichtlich eingeführt, aber doch weit davon entfernt, ein näheres Interesse auf sich zu ziehen, wie es Opitz oder Fleming oder Tscherning zuteil wird. Dies gilt nicht dem an erster Stelle genannten Simon Dach, sondern seinem »Nachfolger in der Professione Poëseos zu Königsberg/ Herr[n] Röling«. Dieser hatte bei Tscherning Poesie studiert. Daher dürfte die Bekanntschaft mit Morhof rühren, der ihn nun als meinen »lieben Freund« titulieren kann, der gar zu frühe uns durch den Tod entrissen ist. Seine Geistlichen Lieder/ deren ein Theil heraußgegangen/ sind voll tieffsinniger Einfälle/ und führen eine Flemmingische Art bey sich/ als die er jederzeit beliebet hat. Es ist zu beklagen/ daß nicht alle seine Verse in ein vollständig Werck versamblet werden sollen/ die fähig sind unter die treflichsten Geister dieser Zeit ihn zu setzen/ und der Nachwelt vorzustellen.22

Analoges und doch wohl noch ein wenig mehr wäre zu Dach zu sagen gewesen. Der Generations-Unterschied machte sich bemerkbar und ließ Dach in den Hintergrund treten. Während aber der Name Rölings alsbald verschwand, blieb derjenige Dachs bewahrt und erlangte in der kommenden Zeit vernehmbareren Klang. –––––– 20

21 22

Daniel George Morhofens Unterricht Von der Teutschen Sprache und Poesie, Deren Ursprung, Fortgang und Lehr = Sätzen, Sammt dessen Teutschen Gedichten/ Jetzo von neuen vermehret und verbessert, Und Nach des Seligen Autoris eigenem Exemplare übersehen, Zum drittenmahle von den Erben heraus gegeben.- Lübeck, Leipzig: Kloß und Wiedemeyer 1718. Hier das vorgelegte Zitat S. 391. Hinzuweisen ist auf den Neudruck nach der Ausgabe Lübeck und Frankfurt 1700, der mit einem ausführlichen Nachwort des Herausgebers versehen ist: Daniel Georg Morhofens Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie. Hrsg. von Henning Boetius.- Bad Homburg, Berlin, Zürich: Gehlen 1969 (= Ars poetica. Texte und Studien zur Dichtungslehre und Dichtkunst; 1). Hier das Kapitel ›Von der dritten Zeit der Teutschen Poeterey‹ S. 211–222. Im folgenden die Zitate nach der Ausgabe von 1718. Daniel George Morhofens Unterricht (Anm. 20), S. 393. Die vorgelegten Zitate ebd.

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Ein Jahr nach der dritten Edition der Dachschen Gedichte lag der erste Band von Benjamin Neukirchs Anthologie vor, dem bekanntlich wiederum eine gewichtige Vorrede vorangestellt ist. Mit ihr soll wie schon bei den Vorgängern der Beweis angetreten werden, daß die Deutschen inzwischen den Franzosen wenigstens ebenbürtig geworden sind. Das wäre schon lange evident, wenn man nur auf die lateinische Dichtung, etwa die der Jesuiten, blickte. Richtet man den Blick aber auf Deutschland, so muß man selbstverständlich mit Opitz beginnen, dem der ausführlichste Passus in der Vorrede gewidmet ist. Gleich im Anschluß daran aber macht Neukirch wiederum eine Trias namhaft, die er mit deutlichen wertenden Akzenten versieht. Nach Opitzen sind Tscherning/ Dach und Flemming gefolget/ deren erster ihm aber nicht beykommet: Der andere ist unvergleichlich in geistlichen liedern und ungemein glücklich in übersetzung der psalmen/ und ist nur schade/ daß man seine sachen der welt nicht mehr bekandt gemacht: Den dritten ziehet Herr Morhoff nicht allein Opitzen/ sondern auch fast allen andern vor. Allein meines erachtens ist er zwar ein guter Poet/ und behält noch wohl heute den ruhm/ daß er unter seinen lands = leuten am besten gesungen; wenn ich ihn aber bey die drey berühmten männer/ Gryphius, Hoffmannswaldau und Lohenstein stelle/ so dürffte ich fast von ihm und seines gleichen das urthel fällen/ was man vorzeiten von denen helden des königs Davids sagte: Sie waren zwar grosse helden/ aber sie kamen nicht an die zahl der drey. Denn diese haben nicht allein dem Opitz weit glücklicher als Flemming gefolget; sondern in gewissen stücken auch übertroffen.23

Man sieht, das Literaturgespräch ist eröffnet. Der Kampf um die Bewertungen beginnt, in deren Zeichen die auch fortan gerne in Vorreden und sonstigen Paratexten geführten Debatten um 1700 stehen werden. Die sehr wichtige Passage Neukirchs kann hier nur unter drei Aspekten berührt werden. Sie ist nochmals überraschend rigide in der Benennung kanonfähiger Autoren. Die Namen der Norddeutschen mit der einen Ausnahme Tschernings, der Südwestdeutschen und der Nürnberger fehlen sämtlich. Sodann –––––– 23

Benjamin Neukirchs Anthologie. Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster theil. Nach einem Druck vom Jahre 1697 mit einer kritischen Einleitung und Lesarten. Hrsg. von Angelo George de Capua, Ernst Alfred Philippson.- Tübingen: Niemeyer 1961 (= Neudrucke Deutscher Literaturwerke. Neue Folge; 1), S. 12. Vgl. auch Erika A. Metzger, Michael M. Metzger: Opitz und seine Zeitgenossen in der siebenbändigen Anthologie ›Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen ... Gedichte‹.- In: Opitz und seine Welt. Festschrift für George Schulz-Behrend 1988. Hrsg. von Barbara BeckerCantarino, Jörg-Ulrich Fechner.- Amsterdam, Atlanta/GA 1990 (= Chloe; 10), S. 367–381. Hier auch die entsprechenden Dach-Nachweise. Dazu die bekannte grundlegende Untersuchung von Franz Heiduk: Die Dichter der galanten Lyrik. Studien zur Neukirchschen Sammlung.- München, Bern: Francke 1971. Aufführung der Dach-Gedichte hier S. 41.

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muß die Relativierung Flemings, ja in gewisser Weise und überaus vorsichtig sogar Opitzens angesichts des strahlenden Dreigestirns der späteren Schlesier bemerkt werden. Und dies schließlich in unserem Kontext auch nur deshalb, weil mit Dach einer der frühen Dichter von Kritik gänzlich verschont bleibt. Freilich um den Preis, daß seine unvergleichliche poetische Fertigkeit eingeschränkt erscheint auf die geistliche Produktion. Daß dieser Aspekt jedoch nicht überbetont werden darf, zeigt ein Blick in Neukirchs Anthologie. Nur wenigen nichtschlesischen Autoren hat Neukirch einen so prominenten Einzug in sie gewährt wie eben dem weltlichen Liederdichter Simon Dach. Auch dieser Zweig seiner Lyrik also wurde ersichtlich hoch geschätzt. Entscheidend aber bleibt, daß Neukirch es ist, der nun – deutlicher noch als Neumeister – ein Wort des Bedauerns äußert, daß Dachs Werke der Öffentlichkeit bislang so unzureichend bekannt gemacht worden seien. Immerhin hat Neukirch das im Rahmen einer Anthologie Mögliche getan, um vorläufige Abhilfe zu schaffen. Umschwung im Zeichen Boileaus: Dach unter den ›Vortrefflichsten Teutschen Poëten‹ In unserer typologisch und nicht explizit historisch angelegten kleinen Synopsis gewinnt die Frage an Bedeutung, was an der Stellung Dachs womöglich in dem Moment sich ändert, da die literarhistorische Linienführung zugunsten der späteren Schlesier abbricht und die illustre Trias zusammen mit anderen ›Spätlingen‹ ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Diese Frage wird sogleich an einschlägigen Zeugnissen aus dem Umkreis der Editionsgeschichte Dachs wieder aufgegriffen werden. So mag es statthaft sein, an dieser Stelle nur eine prominente theoretische und sodann eine aus praktischem Anlaß verlautende Stimme zu Wort kommen zu lassen. Der Vorgang selbst ist zur Genüge bekannt und braucht hier nicht rekapituliert zu werden. Wiederum eine Verlautbarung sei exemplarisch betrachtet. Johann Ulrich König hat der von ihm neu bearbeiteten und herausgegebenen Ausgabe der Gedichte des Freiherrn von Canitz (1727) seine einflußreiche ›Untersuchung Von dem Guten Geschmack In der Dicht = und Rede= Kunst‹ im Anhang beigefügt, die mit einem Rückblick auf die Perioden des guten Geschmacks in ästhetischen Angelegenheiten und den genauso häufigen des Verfalls eröffnet wird. Deutschland hat an die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste in Italien, für welch letztere der Name Petrarcas einsteht, im Bereich der Künste mit Opitz Anschluß an die europäische Entwicklung gefunden – der wie selbstverständlich in Kraft bleibende Fixund Haftpunkt literarhistorischer Orientierung. Von Italien breitet sich indes mit Marino neuerlich die »Pest« aus und »zog sich dieses Gifft mit den

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Marinischen Schrifften, auch nach Teutschland.«24 Der Opitzsche Impuls – einer »des edlen Geschmacks« – versiegt. »Die Lohensteinische Schule bekam auch bey uns die Oberhand über den guten Geschmack, und verleitete fast gantz Teutschland so wohl, als die meisten seiner Lands = Leute.«25 Doch nur für eine kurze Zeit. Der Berichterstatter ist Zeuge eines neuerlichen Umschwungs, wie er sich im Zeichen Boileaus vollzieht und soeben auch Deutschland erreicht. Besser, Canitz und Wernicke macht König als Repräsentanten des neuen Stils in einer Fußnote namhaft und verspricht im übrigen »in der besondern Geschichte des guten Geschmacks in der Dicht = und Rede = Kunst bey den Teutschen, umständlichere Nachrichten [zu] ertheilen.«26 Bei dieser Ankündigung scheint es geblieben zu sein. König hat die Ausgabe der Gedichte des Freiherrn von Canitz von den poetischen Beigaben befreit, die ihr seit der 2. Auflage anhafteten, darunter einigen Gedichten Dachs. Ein spezielles Wort zu Dach verlautet nicht. Mit Sicherheit wären Person und Werk in der angekündigten ›besonderen Geschichte‹ präsentiert worden. Das blieb anderen vorbehalten, wie sogleich zu zeigen. König mochte sich schmeicheln, die Grundlagen für eine in die Zukunft weisende Betrachtung mit seiner Untersuchung über den guten Geschmack gelegt zu haben. An dieser Stelle sei nur noch eine Stimme aufgerufen, welche zugleich hinüberleitet in das nachfolgende Kapitel. Der Vortrefflichsten Teutschen Poëten verfertigte Meister = Stücke, Wobey Jedesmahl das Leben eines solchen Tichters, Der den Nahmen eines Vortrefflichen Bey der Galanten Welt Durch seine Geschicklichkeit verdienet. Rostock/ Bey Georg Ludwig Fritschen/ 1731.27

Diese ungewöhnliche Anthologie setzt sich aus vier Teilen zusammen: Eine undatierte Erste Piece ist Martin Opitz Als Eines vortrefflichen Teutschen Poëten gewidmet, dessen Verfertigte Meister = Stücke, Nebst Desselben Lebens = Beschreibung geboten werden. An zweiter Stelle sind Tscherning und Dach plaziert. Dann folgt ein Blick zurück auf Hans Sachs. Auch ein Dichter des 16. Jahrhunderts vermag also in einer offenen Situation durchaus einer Blü–––––– 24

25 26 27

Des Freyherrn von Caniz Gedichte, Mehrentheils aus seinen eigenhändigen Schrifften verbessert und vermehret, Mit Kupffern und Anmerckungen, Nebst dessen Leben, und Einer Untersuchung Von dem guten Geschmack in der Dicht = und Rede = Kunst, ausgefertiget von Johann Ulrich König [...].- Leipzig, Berlin: Haude 1727. Die Untersuchung von König S. 227–322. Das Zitat S. 235 f. Ebd., S. 236. Ebd., S. 239 (Fußnote). Exemplar in der Meusebachschen Bibliothek in der Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Yf 2236/1–4 R).

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tenlese integriert zu werden. Zum Schluß kommen freilich erneut zwei weitere Repräsentanten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Wort, Paul Fleming und Johann Rist. Insgesamt ist also eine gewisse Privilegierung des norddeutschen Raumes unverkennbar. Hier geht es nur um das Porträt Dachs. Der Titel lautet: Andres Stück Der Poëtischen Meister = Stücke, enthaltend: Andreas Tscherningen Und Simon Dachen Lebens = Beschreibungen, und Beste Verse. Rostock und Parchim/ Bey Georg Ludwig Fritschen/ Buchhändl. 1724.

Die kleine Anthologie ist ihrerseits also eine aus vier Einzelpublikationen zusammengewachsene Arbeit. Die erste Sammlung, so erfahren wir jetzt in einer Vorrede, wie sie auch schon der Opitz-Sammlung voranstand, war 1721 erschienen. Drei Jahre später geht es nun um Tscherning und Dach. Nicht ihres »gleichen Vaterlandes«, wie es fälschlich in der Vorrede heißt, sondern ihres »gleichen Verhängnisses« wegen, wie es in einer handschriftlichen Korrektur lautet, sind die beiden Dichter zusammengestellt worden. Der – nach wie vor nicht genannte – Herausgeber sei auf zwei Männer gestoßen, »die sich wegen ihres gleichen Verhängnisses und Ehren = Amptes gar woll zusammen schicken«. Er setzt bei seiner Auswahl dies einzige dabey voraus/ daß die heutigen delicaten Geister sich nicht ärgern müssen/ wenn die angegebenen Meister = Stücke von diesen Männern nicht alle Vollkommenheit haben; Er hat nemlich dieselben ihrer besonderen Verdienste halber nicht vorbey gehen wollen noch können/ obwoll er gerne gestehet/ daß er Mühe gehabt sich in der Wahl der besten Gedichte zu überzeugen/ denn es mit denenselben so bewandt/ daß ob sie gleich öffters voll schöner Gedancken/ dennoch die gantze Ausführung nicht gleich zierlich und geschickt.28

Das leise anklingende Problem kehrt sogleich im Dach-Passus wieder. Nicht aber allein ist er von denen Gelehrten seiner Zeit hochgeschätzet/ sondern sein Ruhm bleibet noch biß heute/ da man zwar in Entgegenhaltung der besser = gesetzten Gedichte als wie seine Hinterbliebene sind/ sagen muß/ es sey diß und jenes daran auszusetzen; Aber dennoch auch da bey gestehen/ Nach Maaßgebung seines Seculi, sey ihnen die Unvergleichlichkeit und angenehme Zierde nicht abzusprechen.29

Eine gewisse Distanz ist also unverkennbar. Gemessen wird offenbar mit der modernen klassizistischen Elle. Eine Reflexion auf den Stand von Sprache und poetischer Fertigkeit in der ersten Hälfte des vorangehenden Jahrhunderts ist nur im vergleichenden Blick auf die Zeitgenossen erkennbar. Insgesamt dürfte eher die Stimme eines Außenseiters, wo nicht eines Autodidak–––––– 28 29

Andres Stück Der Poëtischen Meister = Stücke, S. 4 f. Der Dach-Abschnitt steht auf den Seiten 45–80. Das vorgelegte Zitat hier S. 45.

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ten verlauten. Er druckt unter der Rubrik ›Weltliche Gedichte‹ drei Gedichte auf das Kurbrandenburgische Haus, eines auf Thilo sowie ein Epicedium auf Erhard Schönfeld aus dem Jahr 1649. Mit Blick auf die ›geistlichen‹ Gedichte wird nur ein ›Register derselben‹ nebst einem Incipit und einem Verweis auf die Quelle geboten. Der abschließende Hinweis auf die Neukirchsche Anthologie signalisiert, wo der unbekannte Anthologist von Bildung und Geschmack her zu Hause ist. Auf der Ebene der Blütenlese war indes das Problem der Sammlung und Überlieferung der Dachschen Gedichte auf die Dauer nicht zu lösen. Es bedurfte professioneller Zurüstung. Und eben der haben wir uns nun zuzuwenden.

4. Sammlerischer Eifer und Bemühungen um eine DachAusgabe im Dreieck Königsberg – Leipzig – Breslau Das 18. Jahrhundert, gerne als Zeitalter des Aufbruchs und der Tilgung von Fesseln apostrophiert, hat eine weniger bekannte Kehrseite. Es ist ein Zeitalter der Bilanzierung und der Ernte. Als solches ist es zurückgewandt, um die Nominierung und Bewahrung von Tradition bemüht. Wenigstens drei Jahrhunderte seit der ›Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste‹, um eine gerne verwendete zeitgenössische Formel zu bemühen, liegen zurück. Der Ertrag will gesammelt und gesichtet, verzeichnet und bekannt gemacht werden. Das geschieht in den westlichen Nationalstaaten in den großen Vorhaben der Akademien. In Deutschland liegt der Schwerpunkt ungeachtet vereinzelter nationaler Projekte bei den Städten und Regionen. Was hier an Bestrebungen sich regt, an gelehrtem Eifer entfacht, an vielfach grandiosen Leistungen zuwege gebracht wird, hat keine synoptische Untersuchung bislang zu bilanzieren vermocht.30 Man braucht nur Stadt für Stadt, Territorium für Territorium abzuschreiten und wird mit Sicherheit überall fündig werden. Immer steht der lokale, um nicht zu sagen der heimatliche Bezug im Zentrum. Stets aber weiß man, über die Hebung der Schätze eines übersehbaren Raums zugleich dem Ruhm und Ansehen der Nation zu dienen. Es sind ›patriotische‹ Studien in dem unverächtlichen Sinn, den das 18. Jahrhundert dem Wort verlieh, der die Bemühungen eint und beflügelt. Nie wieder ist so viel quellensichernde und verarbeitende Leistung vollbracht worden wie im 18. Jahrhun–––––– 30

Das Ausführlichste, wenn ich recht sehe, in den sechs Porträts kommunaler Bibliotheken – Straßburg, Hamburg, Nürnberg, Breslau, Danzig, Königsberg – mit ausführlichen Abschnitten jeweils zu Sammlern und Gelehrten vor Ort im 18. Jahrhundert bei Garber: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 183–596.

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dert. Das 19. Jahrhundert bringt die großen nationalen Vorhaben auf den Weg. In die Tiefe der weitverzweigten lokalen Überlieferungen ist nur das 18. Jahrhundert gelangt. Und immer sind es umfassend gelehrte Figuren, die das unscheinbare und häufig im Status der Handschrift verbleibende Werk der Anlage und Magazinierung von Wissensspeichern verrichten. Bis heute zehren wir von ihren Kompilationen auf allen Gebieten – sofern sie denn die Fährnisse der Zeit überstanden haben. Denn insbesondere der Zweite Weltkrieg hat diesen zumeist in den städtischen Bibliotheken, Archiven und gelehrten Gesellschaften lagernden Materialien schwerste Verluste zugefügt. Unsere Untersuchung wird das auch am Exempel Simon Dach lehren. Die erste Dach-Biographie nebst einer ›Nachlese‹ Zu beginnen ist mit einem kurzen Blick auf seine Biographie. Auch in dieser Gattung ist die maßgebliche Leistung im frühen 18. Jahrhundert zustande gekommen. Die Leichenpredigt für Simon Dach, gehalten von Georg Colbe in der Kneiphofischen Kirche, ist erstaunlicherweise offensichtlich nicht erhalten. Nur schwer vorstellbar, daß sie nicht zum Druck gelangt sein sollte, aber es existiert nur die Einladungsschrift für die akademischen Exequien. Niemand unter den vor Ort anwesenden Fachleuten hat es in den nachfolgenden 300 Jahren bis zur Katastrophe für nötig erachtet, diesem doch auffälligen Sachverhalt nachzugehen. Colbe war immerhin eine anerkannte Autorität. Er wirkte seit 1620 als Rektor im Löbenicht, seit 1625 als Diakon am Dom. Zwei Jahre vor Dachs Tod legte er 1657 seine kirchengeschichtlich für Preußen bahnbrechende Episcopo-Presbyterologia Prussico-Regiomontana, [...] Ab Anno M.D.XX ad Ann. M.DC.LVI in Königsberg vor. Sie wurde später ins Deutsche übersetzt, bis 1699 fortgeschrieben und lag bereits im gleichen Jahr in Leipzig gedruckt vor.31 –––––– 31

Vgl. den Eintrag von Schwarz in der Altpreußischen Biographie (APB) I (1941. 2. Aufl. 1974), S. 107 f. Dazu der Eintrag in der ADB IV (1876), S. 398. Hinzuzunehmen – wie im folgenden stets – die gelehrtengeschichtlichen Standardwerke aus dem 18. Jahrhundert von Arnoldt und Pisanski. Daniel Heinrich Arnoldt: Ausführliche und mit Urkunden versehene Historie der Königsbergischen Universität. Teil I–II.- Königsberg: Hartung 1746. Ders.: Zusätze zu seiner Historie der Königsbergschen Universität, nebst einigen Verbesserungen derselben, auch zweyhundert und funfzig Lebensbeschreibungen Preußischer Gelehrten.- Königsberg: Hartung 1756. Ders.: Fortgesetzte Zusätze zu seiner Historie der Königsbergischen Universität, nebst Nachrichten von dreyhundert und eilf Preußischen Gelehrten, auch Zusätzen zu des Herrn Profeßor Hambergers itztlebendem gelehrten Deutschland, und Verbeßerungen desselben.- Königsberg: Hartung 1769. [Beigaben:] Nachrichten von der Königlichen Universität zu Königsberg in Preußen und den daselbst befindli-

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An die Stelle der Leichenpredigt trat im frühen 18. Jahrhundert eine ausführliche Biographie, die sehr wahrscheinlich noch aus der Leichenpredigt schöpfte. Die Präsenz vieler zeitgenössischer Details ist anders schwer erklärlich. Sie erlangte – zusammen mit einigen sehr wichtigen Nachträgen – rasch den Status einer primären Referenzschrift für alle folgenden und eben deshalb zumeist entbehrlichen Lebensabrisse. Man wird ihr größtmögliche Genauigkeit und knappe gefällige Präsentation offensichtlich aller verfügbaren Daten und vor allem der den Dachschen Lebens- und Bildungsweg begleitenden Personen attestieren dürfen. Das ist kein Zufall. Sie entstammt der Feder eines Mannes, der an einer Stelle wirkte, da ihm das erforderliche Material aus erster Hand verfügbar war. Und sie läßt einen Duktus erkennen, der auf außergewöhnliche gelehrte Befähigungen verweist. Sie sollten alsbald zu einer glanzvollen, weit über Königsberg und Preußen hinausreichenden wissenschaftlichen Karriere ermächtigen. Insofern war es der späteren Philologie vergönnt, die Biographie Simon Dachs in den Händen eines Sachkundigen mit Blick für das Wesentliche und Wissenswerte aufgehoben zu wissen. Man wird nicht behaupten wollen, daß ihr dieses Erbe zum Segen ausschlug. Die ungezählten nachfolgenden Rekapitulationen der Dachschen vita sind von einer erschreckenden Öde und Dürftigkeit. Die große DachBiographie, eingebettet in das intellektuelle Leben der Zeit, steht bis heute aus. Der Autor der ersten und bis heute einzig maßgeblichen Dach-Biographie war Gottlieb Siegfried Bayer.32 Bayer wurde 1694 in Königsberg geboren und erhielt seine Ausbildung am Friedrichs-Kolleg, bevor er 1710 die ––––––

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chen Lehr = Schul = und Erziehungsanstalten. Hrsg. von J[ohann]. F[riedrich]. Goldbeck.- o.O. (in Komm.) 1782; (Johann Daniel) Metzger: Über die Universität zu Koenigsberg. Ein Nachtrag zu Arnoldt und Goldbeck.- Königsberg: Hering 1804. Reprint dieser Werke von Arnoldt nebst den Beigaben in einem mit detaillierten Inhaltsverzeichnissen versehenen vierbändigen Werk Scientia-Verlag Aalen, 1994. Hier zu Colbe II, 493; Zusätze, S. 96. Daniel Heinrich Arnoldt: Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den Lutherischen Kirchen in Ostpreußen gestandenen Predigern. Hrsg. von Friedrich Wilhelm Benefeldt.- Königsberg: Hartung 1777. Hier der Eintrag zu Colbe S. 53. G[eorg]. C[hristoph]. Pisanski’s Entwurf einer preußischen Literärgeschichte in vier Büchern. Mit einer Notiz über den Autor und sein Buch hrsg. von Rudolf Philippi.- Königsberg: Hartung 1886 (= Publicationen und Republicationen der Königsberger literarischen Freunde; 1). Reprint mit einem Geleitwort von Reinhold Heling.- Hamburg: Selbstverlag des Vereins 1994 (= Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen; 80/1). Hier zu Colbe S. 341 f. Vgl. auch S. 594. Zu Bayer vgl. den ausführlicheren Eintrag von H. v. Glasenapp in der APB I, 35. Hier reichliche Literaturhinweise, so daß sich Wiederholungen erübrigen. Vgl. auch die Einträge in der ADB II (1875), S. 187, und in der NDB I (1953), S. 678.

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Universität am Ort bezog. Städtische Stipendien ermöglichten ihm ausgedehntere und vor allem orientalistischen Studien gewidmete Aufenthalte in Berlin, Frankfurt/Oder, Halle und Leipzig, wo er 1717 seinen Magister erwarb. Ein Jahr später wurde er Bibliothekar der Altstädter Ratsbibliothek, 1720 Konrektor und 1721 Prorektor an der Domschule. Im Jahr 1726 verließ er Königsberg, um einem Ruf als Professor für Altertumskunde an der Kaiserlichen Akademie in Petersburg zu folgen. Hier entfaltete er eine reiche wissenschaftliche Produktion vor allem in der Indologie und Sinologie, aber auch auf dem Gebiet der russischen Vor- und Frühgeschichte. Die Abfassung der Dachschen Biographie und zahlreicher weiterer Beiträge zur Preußischen Geschichte und Kulturgeschichte rührte her aus seiner Königsberger Zeit. Als er 1724 im dritten Band des eben gegründeten Periodikums Erleutertes Preußen seine Studie ›Das Leben Simonis Dachii eines Preußischen Poeten‹ erscheinen ließ, wirkte er noch an der städtischen Bibliothek.33 Sie verschaffte ihm die notwendige bibliothekarische Ausstattung für seine biographischen Porträts aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die in rascher Folge erschienen. Gestützt auf die lokalen Quellensammlungen der Bibliothek, plante er ebenfalls eine Sammlung aller preußischen Geschichtsschreiber unter dem Titel Monumenta Prussica, die – wegen mangelnden verlegerischen Interesses? – nicht zustande kam. Hier ist nicht der Ort, die Bayersche Biographie Dachs zu rekapitulieren.34 Einige wenige Schlaglichter müssen reichen. Leider hat Bayer seiner Arbeit keine Nachweise beigegeben, was möglicherweise auf Benutzung einer einzigen einschlägigen Quelle zurückgehen könnte, eben der Leichenpredigt. Jedenfalls frappiert Bayer wiederholt durch Kenntnis von Personen, denen Dach auf seiner kurzen Bildungsreise nach Wittenberg und Magdeburg begegnete. Auch die griechischsprachige Disputation findet sich schon erwähnt, obgleich Bayer sie in Königsberg selbst nicht verfügbar hatte. Die Professorenschaft an der Königsberger Universität, die auf Dachs Werdegang Einfluß nahm, wird aufgeführt. Erstaunlich ist nur, daß von den über Bayer bezeugten Predigten und Disputationen aus der Zeit der Rückkehr von Wittenberg und Magdeburg nach Königsberg nichts anderwärtig bekannt geworden ist.35 Der bereits zu Dachs Lebzeiten umlaufenden Rede, –––––– 33

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Vgl. dazu Christian Krollmann: Geschichte der Stadtbibliothek zu Königsberg. Mit einem Anhang: Katalog der Bibliothek des M. Johannes Poliander 1560.- Königsberg Pr.: Magistrats-Druckerei 1929. Hier S. 44 ff. zu Bayer. Die Biographie findet sich als 10. Beitrag im »Dritten Stück« des ersten Bandes des Erleuterten Preußen (Königsberg: Hallervord 1724), S. 159–195. Vgl. ebd., S. 163 f.: »Durch seinen Fleiß, öffters abgelegte Predigten, geschicktes Disputiren und netten Vers [während seiner Studienzeit], setzte er sich bey Christian Polikein, einem Rahtsherrn im Kneiphoff, in so viel Ansehen, daß er anfänglich sei-

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er sei ein schlechterer neulateinischer als deutscher Dichter gewesen, widerstreitet Bayer vehement. Schon dies nimmt für ihn ein. Woher er freilich wiederum die vergleichsweise genauere Kenntnis der für Dach einschlägigen Autoritäten unter den neueren Lateinern hat, bleibt offen. Auch die geistlichen Autoren, die Dach bevorzugt las, weiß er namhaft zu machen. Wertvoll ist zudem die Liste der Dachschen Gönner aus fürstlichem Hause und vor allem der Freunde, mit denen der Autor Umgang pflegte. Roberthin spricht er das eigentliche Verdienst zu, Dach über den Oberburggrafen von Preußen, Bernhard von Königseck, auf die Stelle des Professors für Poesie an der Albertina gebracht zu haben. Auf Bayer geht auch die Erwähnung der von Dach gehaltenen »öffentlichen Erklährungen«, sprich: Vorlesungen, zurück.36 Schließlich spielt Zeitgeschichtliches wiederholt hinein. »Bey allen Theologischen Streitigkeiten unterhielt unser Dach mit denen Partheyen eine ungestöhrte Freundschafft.«37 Dies und vieles andere macht seine Biographie zu einer vertrauenswürdigen, allen folgenden Repetitionen überlegenen Quelle. Erstaunlicherweise hat Bayer kein Wort über die editorische Situation im Blick auf Dach verloren. Es dauerte indes nicht lange, bis sich ein Anonymus mit einer gelehrten ›Nachlese zum Leben des Preußis. Poeten, Simonis Dachen‹ vernehmen ließ, in der er bereits auf »Zusätze und Verbesserungen« im Erstveröffentlichungsort der Bayerschen Unternehmung verweisen konnte.38 Beide Stücke sind in der Forschung bislang kaum je beachtet worden, fehlen – mit Ausnahme Goedekes! – in den einschlägigen Bibliographien, insonderheit bei Dünnhaupt, enthalten jedoch gerade für unsere Frage bemerkenswerte Hinweise. Zunächst wird durch sie die Existenz einer gedruckten Fassung der Colbeschen Leichenpredigt bestätigt.39 Die anonyme ›Nachlese‹ aus dem zweiten Jahrgang (1731) der gleichfalls soeben eröffne–––––– 36

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ne Kinder zu unterrichten bekam, und nachmahlen durch dessen Beforderung Anno 1633. an der Cathedral = Schule der vierte Collega wurde.« Vgl. ebd., S. 172: »Jn denen öffentlichen Erklährungen ist er den Horatium, Senecam, Ovidii Metamorphosin und Juuenalem durchgegangen.« Ebd., S. 192. Vgl. Anonym: Nachlese zum Leben des Preußis. Poeten, Simonis Dachen.- In: Acta Borussica 2 (1731), S. 942–946. Die Zusätze in: Erleutertes Preußen, Bd. I, Zwölfftes Stück (1724), S. 855–857 unter dem Titel ›Zur X. Oberservation.‹ Angefügt ist S. 857 ein lateinisches Epigramm Dachs. Vgl. S. 944 der ›Nachlese‹: »Den im Erläut. Preussen Tom 1. p. 193. 194 bemerckten Umbstand, von der Ancken von Tharau, hat zwar der Kneiphöfische Diaconus Colbius, in der dem Dachen gehaltenen Leichen = Predigt, publice angeführet; es haben ihn aber deshalb die Erben actione injuriarum belangen wollen, weil es Dach nicht soll gesagt haben.« Man sieht, die Auseinandersetzung um das berühmte Lied hat eine lange Geschichte; sie setzt gleich nach dem Tode Dachs ein.

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ten Acta Borussica nimmt sodann erstmals die Gelegenheit wahr, die Frage der Edition des Dachschen Werkes in den Mittelpunkt zu rücken. Seine »auf die Landes Herrschafften und mancherley publique Begebenheiten« bezogenen Arbeiten seien 1681 – so die nicht diskutierte fixe Datierung! – in Königsberg erschienen. Die weiteren Auflagen finden keine Erwähnung. Seine »geistlichen Lieder« seien zu einem »gut Theil« in die Albertschen Arien »eingerücket« worden, die 1657 wieder erschienen. Hier also schleicht sich in die Überlieferung der Fehler ein, daß das Albertsche Werk nur geistliche Texte Dachs enthalte, was eben nicht der Fall ist.40 Dann aber erfolgt der Übergang zum ungedruckten Werk, verbunden mit dem Hinweis auf sammlerische und editorische Bemühungen jüngsten Datums. Jedoch ausser diesen ist noch ein groß Theil seiner geist = und weltlichen Lieder vorhanden, welche von ihm, auf einzelnen Bogen, und halben Bogen, bey gegebener Gelegenheit, sind heraus gegeben worden. Der verstorbene Königsbergische Secretair und Registrator Bartsch, hat dieselbe mit grosser Mühe gesammlet, und an den Herrn Professorem Gottscheed gen Leipzig gesendet, der Hoffnung gemachet hat, dieses seines Landsmanns denen wenigsten bekannte Poetische Schrifften zusammen drucken zu lassen. So haben auch die Herren Schlesier eine Sammlung seiner Schrifften heraus zu geben im Sinne gehabt, worauf man aber bisher vergebens gewartet hat.41

Die Königsberger Dach-Sammlung des Heinrich Bartsch Damit geraten wir auf ein schwieriges, für die Dach-Philologie jedoch fundamentales Terrain, das neu zu bestellen ist. Auszugehen ist von der Figur des Heinrich Bartsch. Er hat im Königsberg des frühen 18. Jahrhunderts kulturpolitisch eine zentrale Stellung innegehabt, wie insbesondere über die Bibliotheksgeschichte ersichtlich, und verkörpert den lokalen Patrioten, wie ihn die Frühaufklärung hervorbrachte, auf die einnehmendste Weise.42 Er wurde 1667 als Sohn des gleichnamigen Ratsherrn und der Ratsherrntochter Regina Löbel geboren. Sein Studium absolvierte er seit 1684 in seiner Heimatstadt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät, um sich erst im Anschluß daran auf ausgedehnte Reisen zu begeben, wie sie einem Mitglied der städtischen bürgerlichen Oberschicht jener Zeit möglich waren. Frankfurt an der Oder, Wittenberg und Altdorf wurden in Deutschland besucht, Holland, –––––– 40 41 42

Beide Zitate ›Nachlese‹, S. 945. Ebd. Zu Bartsch vgl. den Eintrag von Krollmann in der APB I, 32, sowie Krollmann: Geschichte der Stadtbibliothek (Anm. 33), S. 34 ff. Wichtig auch die Biographie in den Acta Borussica 2 (1731), S. 923–931.

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Brabant, die Schweiz, Italien, Österreich, Ungarn und Böhmen sodann bereist. Es handelte sich um ausgesprochene Studienreisen. Wo immer Bibliotheken anzutreffen waren, wurden diese aufgesucht, Titel notiert, Exzerpte gefertigt, Aufzeichnungen verfaßt – ganz so, wie es sich für einen den Büchern ergebenen Adepten geziemt. Im Falle von Bartsch war eine Leidenschaft des Vaters auf den Sohn übergegangen; auch jener besaß bereits eine große Bibliothek. Zurückgekehrt nach Königsberg, wurde Bartsch jun. vom Altstädtischen Rat zum Advokaten ernannt und zum Adjunkt des Altstädtischen Stadtsekretärs bestellt. Der Aufstieg zum hauptamtlichen Stadtsekretär folgte bald darauf. Und als die drei Städte 1724 zusammengelegt wurden, erhielt er den Posten des Registrators und Archivars, für den er wie geschaffen war, kam er doch seinen antiquarischen Neigungen entgegen. Er beschäftigte sich mit genealogischen Studien, fertigte Bibliographien, pflegte Austausch mit Gelehrten des In- und Auslands und gab sich dem Sammeln von Handschriften und Büchern, mathematischen Instrumenten und Bildern vor allem in Gestalt von Ölgemälden hin. Wie so häufig verband sich der sammlerische Impetus mit einem auf den öffentlichen Nutzen bedachten, was nach Lage der Dinge nur heißen konnte, der Stadt eine gediegene bibliothekarische Stätte zu verschaffen. In diesem Bestreben hat er sich verzehrt und nicht geruht und gerastet, bis die von Poliander begründete Institution des Rats sich zu einer öffentlichen Bibliothek in einem angemessenen Quartier mit geregelten Öffnungszeiten, einem bestellten Bibliothekar, einer verbindlichen Bibliotheksordnung, brauchbaren Katalogen und einem wie immer minimalen Etat gemausert hatte. In der Geschichte der Königsberger Stadtbibliothek steht sein Name nach demjenigen des Reformators Poliander ganz obenan. Und wie es sich wiederum für einen vermögenden Sammler geziemt, vermachte er aus seinem sammlerischen Besitz immer wieder Kostbarkeiten an die von ihm mit großem Einsatz geförderte Bibliothek. Am Schluß befand sich seine eigene stolze Kollektion nicht anders als die seines Vaters in städtischem Besitz. Das Ölgemälde des ersten Rektors der Universität Georg Sabinus, welches er besaß, schmückte das Lesezimmer der Stadtbibliothek im Schatten des Domes auf dem Kneiphof bis in das Jahr 1945. Die Nachricht also, daß sich Bartsch auch auf die Sammlung Dachscher Gedichte verlegte, ist vor diesem Hintergrund umstandslos nachzuvollziehen. Das aber ist auch bereits alles, was sich verbindlich konstatieren läßt. Über ihren Umfang, ihre Physiognomie, ihre bibliophile Statur gibt es keinerlei Nachrichten. Gern wüßte man, ob sich Bartschs Interesse als Sammler auch auf andere Königsberger oder preußische Autoren erstreckte oder ob es auf Dach beschränkt blieb. Zu der ihm offensichtlich eigenen Uneigennützigkeit paßt indes sehr wohl, daß er sich von der Kollektion trennte, um sie

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seinem berühmten Landsmann nach Leipzig zwecks weiterer editorischer Pflege zu überstellen. Gottscheds ›Nachricht von den bekanntesten preußischen Poeten‹: Dach-Sammlungen in Leipzig Wir wechseln damit das Terrain, um überzugehen zu Johann Christoph Gottsched in Leipzig. Seine Verdienste um die geschichtliche Erschließung der deutschen Literatur, lange Zeit verdunkelt durch die Kontroverse mit den Schweizern, sind inzwischen in ein hinlänglich klares Licht gerückt. Gerade um die Literatur des 17. Jahrhunderts hat er sich porträtierend, verzeichnend und edierend nachhaltig verdient gemacht. Seine Hochschätzung Opitzens, wie sie in seiner großen Gedächtnisrede anläßlich des 100. Todestages am sinnfälligsten zum Ausdruck kam, ist bekannt. Natürlich aber hat er es sich nicht nehmen lassen, den Dichtern der preußischen Heimat seine Aufmerksamkeit zu widmen.43 Im Jahre 1725 gab er die Gesamleten Poetischen Schrifften seines Landsmanns Johann Valentin Pietsch heraus.44 Pietsch, obgleich studierter Mediziner, wirkte seit 1717 als Professor für Poesie an der Albertina, stand also in der Reihe von Dach und Röling, die dem Lehrstuhl ein so großes Ansehen verschaffte.45 Gottsched hatte bei ihm gehört und wußte sich als sein Schüler. Über die Parteiungen hinweg hielt sich sein Ansehen bis über die Jahrhundertmitte hinaus. Gottscheds editorische Tat war auch ein Bekenntnis zu seiner intellektuellen und poetischen Heimat. Es wurde bekräftigt durch eine Vorrede an den Leser, die sich zu einer Darstellung um die Verdienste der Preußischen Nation, gegen die ›teutsche‹ Poesie auswuchs. »Die Liebe meines Vaterlandes und die Ehre so ich habe, dieses grossen Mannes Landsmann zu seyn«, habe ihm die Feder geführt.46 Die schönsten Worte weiß der vielgescholtene Autor zu finden für die Bindung eines jeden Wesens an die heimatlichen Wurzeln. ›Landschaft‹ als natürliche wie als geistige –––––– 43

44

45

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Zu diesem häufig erwähnten, jedoch offensichtlich systematisch nicht entfalteten Aspekt im Wirken Gottscheds vgl. Garber: Martin Opitz (Anm. 14), S. 43 ff. Herrn D. Johann Valentin Pietschen [...] Gesamlete Poetische Schrifften Bestehend aus Staats = Trauer = und Hochzeit = Gedichten, Mit einer Vorrede, Herrn le Clerc übersetzten Gedancken von der Poesie und Zugabe einiger Gedichte, von Johann Christoph Gottsched, A.M.- Leipzig: Grosse 1725. Zu Pietsch vgl. den Eintrag von Lehnerdt in der APB II (1942–1944 [Lieferung I– III], 1967), S. 501; Arnoldt II, 404; Pisanski S. 65, S. 654 f. Vgl. jetzt jetzt auch Manfred Komorowski: Poesie und Beredsamkeit an der Universität Königsberg im 17. Jahrhundert.- In: Simon Dach (1605–1659) (Anm. 12), S. 47–66. Beide Zitate Bl. π6r des oben Anm. 44 zitierten Werkes.

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– sie hat in der Aufklärung ihre unverächtlichen Fürsprecher gefunden. Hätte er also Raum genug, er würde die Schar der Dichter vor den Augen des Lesers vorbeiziehen lassen. Mit wem aber wäre zu beginnen? Ich würde mich nicht ohne Grund auf den berühmten Simon Dachen berufen, der es dem grossen Lichte der Schlesier Martin Opitzen, zu einer Zeit zuvorgethan, in welcher noch gantz Teutschland in allen seinen Provintzen, lauter elende Meister = Gesänge schallen hörete. Ich würde ferner dieses treflichen Vaters wohlgerathene Söhne, einen Etmüller, Derschau, Kongehl und andre mehr erzehlen, die nicht nur dem gemeinen Wesen in wichtigen Aemtern, herrliche Dienste geleistet; sondern auch durch ihre beliebte Federn, einem Schlesischen Flemming, Abschatz und Tscherning gleich geworden. Ich würde dem Preußischen Frauenzimmer zu Ehren, der berühmten Königsbergischen Muse, Gertraut Möllerin gedencken, welche noch zur Zeit von keiner andern Teutschen Poetin übertroffen worden.47

Der Wetteifer um die literarischen Trophäen in den an vorderster Stelle rangierenden Regionen war erwacht, und Gottsched tat das Seinige, den Beitrag Preußens herauszustreichen. In der deutschen Dichtung wird Simon Dach von Gottsched die Rolle eines Stammvaters zuerkannt. Er ist der Opitz des hohen Nordens. Man wird gut daran tun, seine Hochschätzung noch über Opitz hinaus nicht überzubewerten. Sie hat ihren Grund in den Vorgaben der Landschafts-Panegyrik. Über die herausragende Position Dachs in den Augen Gottscheds kann es indes keinen Zweifel geben. Von Dach bis hin zu den Zeitgenossen Gottscheds, Pietsch an der Spitze, spannt sich der Bogen poetischer Meister – nicht zu vergessen des Beitrags der Frauen –, den der Historiker und Kritiker aus der Ferne gewahrt. Und so nimmt es nicht Wunder, daß er zwanzig Jahre später noch einmal auf das Thema zurückkam und wiederum Preußens Anteil an der Geschichte der neueren deutsch–––––– 47

Ebd., Bl. π6r f. Pietsch hatte seinerseits die Fertigung eines Kupferstichs des Dachschen Portraits durch Wolfgang Philipp Kilian (auf der Grundlage des in der Wallenrodtschen Bibliothek befindlichen Gemäldes von Philipp Westphal) zum Anlaß genommen, diesen durch ein Epigramm zu schmücken. Vgl. den wichtigen Beitrag im ersten Band der Acta Borussica unter der Rubrik ›Nova Literaria‹, S. 304. Hinzuzunehmen Johann Friedrich Lauson: Das Lorrbeerwürdige[!] Andenken eines vor hundert Jahren verstorbenen großen Preußischen Dichters, M. Simon Dach [...], Königsberg: Driest 1759, S. 40 f., sowie die lexikalischen Einträge bei ThiemeBecker-Vollmer XXXV (1942), S. 456, und Singer VII (1932), S. 18. – Das Epigramm von Pietsch lautet: Jst nicht der theure Dach der späthen Ehre wehrt? Der durch der Sünder = Hertz mit Donner = Stimmen fährt; Der, wenn er vom Gericht/ Todt, Höll und Himmel singet, Sich über allen Ruhm der eitlen Tichter schwinget; Nun steht er vor dem Lamm, und rührt die Harffen an, Sprecht, ob sein hoher Geist wohl höher steigen kan?

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sprachigen Literatur in Erinnerung rief. Das dafür einschlägige Dokument ist die ›Kurzgefaßte historische Nachricht von den bekanntesten preußischen Poeten voriger Zeiten‹, die ihm zugeschrieben wird.48 Dach figuriert dort in der chronologisch geordneten Galerie an vierter Stelle. In der Kostprobe, die hier mitgeteilt wird, würde man, so der Kommentator, »einen recht opitzischen Geist und Geschmack, aber noch einen etwas reinern Vers darinnen finden, als Opitz selbst in den Oden zu machen pflegte.«49 Ein größeres Lob ist aus dem Mund des Opitz-Verehrers nicht denkbar. Keinem anderen Autor wird so viel Platz in der kleinen Revue eingeräumt, keiner kommt so ausgiebig durch eigene Verse im weltlichen Genre zu Wort. Zugleich aber gilt: Eben diesen lebhaften Schwung, und opitzischen Geist hat Dach in seinen vortrefflichen Kirchenliedern bewiesen, die fast alle in Alberts Arien befindlich sind, und nicht nur in Preußen, sondern fast in allen evangelischen Kirchen noch itzo gesungen werden.50

Gottsched war also der gegebene Adressat für ein Dach betreffendes Vermächtnis im Blick auf eine in Leipzig vorzubereitende Edition seiner Schriften. Sie ist nicht nur nicht zustande gekommen. Vielmehr knüpft sich an den Namen Gottscheds der Verlust der Königsberger Dach-Sammlung des Heinrich Bartsch. Seit dem frühen 18. Jahrhundert ist diese Feststellung viele Male wiederholt worden. Für eine Verifizierung besteht keine Möglichkeit. Wohl aber für die Anstellung einer Erwägung, wie sie im Zusammenhang von Verlust-Meldungen grundsätzlich erfolgen sollte. Denn ist es von vornherein auszuschließen, daß die Kollektion, nachdem sie Gottsched nach eigenem Zeugnis nicht erreichte, andere Wege genommen hat? Sie kann beispielsweise in andere Leipziger Sammlungen eingegangen sein. Erste Adresse wäre die Bibliothek der von Gottsched ins Leben gerufenen und geleiteten ›Deutschen Gesellschaft‹. Deren Bestände sind frühzeitig katalogisiert worden. Sie enthalten demnach nur die undatierte Sammlung der Dachschen Schriften aus den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, nicht aber Einzelschriften in nennenswertem Umfang.51 –––––– 48

49 50 51

Vgl. Kurzgefaßte historische Nachricht von den bekanntesten preußischen Poeten voriger Zeiten.- In: Neuer Büchersaal 4 (1747), S. 371–384, S. 429–451. Ebd., S. 377. Ebd., S. 379. Vgl. Bibliotheca Societatis Teutonicae Saeculi XVI–XVIII. Katalog der Büchersammlung der ›Deutschen Gesellschaft‹ in Leipzig. Nach dem von Ernst Kroker bearbeiteten handschriftlichen Bestandsverzeichnis der Universitätsbibliothek Leipzig hrsg. vom Zentralantiquariat der DDR in Leipzig. Mit einem Vorwort von Dietmar Debes. Bd. I–II.- Leipzig 1971. Der Dach-Eintrag, Bd. I, S. 135 f. Das Exemplar

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Nun existiert jedoch eine bislang nicht ausgewertete Notiz zu einem sogleich näher zu besprechenden Artikel aus dem Jahr 1748. Sie rührt, wenn wir irgend recht sehen, her von der Redaktion des in Leipzig erscheinenden Neuen Büchersaals. Gottsched gab dieses zwischen 1745 und 1750 erscheinende Periodikum bekanntlich selbst heraus, und so ist nicht auszuschließen, daß die Miszelle aus seiner Feder stammt. Aus ihr nun geht hervor, daß man auch in Leipzig im Besitz eines erheblichen Aufkommens an Gedichten von Dach war. In der Notiz wird zunächst die Existenz einer Dach-Ausgabe im Besitz der ›Deutschen Gesellschaft‹ bestätigt. Es dürfte die von Kroker in seinem Katalog aufgeführte sein. Außerdem habe man selbst ein weiteres Exemplar mit den beiden hinzugefügten Dachschen Schaupielen in Händen. »Außer diesem besitzen wir Albrechts [!] Arien nicht nur in Folio ganz und unverderbt; sondern auch den Abdruck derselben in 8. der hier in Leipz. 1657 in 8. heraus gekommen ist.« Dann aber erfolgt die Mitteilung, die ganz besondere Beachtung verdient. »Ferner haben wir verschiedene Stücke dachischer Oden und Lieder in Folio, nach den ersten königsbergischen Abdrücken, in einer ziemlichen Sammlung, in Händen«.52 Eine solche Sammlung mit Einzelstücken gelangt nicht sukzessive in eine fern vom Druckort gelegene Region. Es muß ein Sammler zur Stelle gewesen sein, der sich speziell dieses Streuguts annahm. Möglich, daß es in der Bücherhochburg einen solchen auf Dach erpichten Sammler gab. Aber ist es auszuschließen, daß es sich bei den von der Redaktion des Neuen Büchersaals erwähnten Dachiana um einst über Bartsch aus Königsberg nach Leipzig gelangte Stücke handelt? Die Frage zu stellen heißt sogleich, ihre Unbeantwortbarkeit einzuräumen. Sie ist dennoch keine rhetorische, enthält sie doch die Anweisung, den Spuren von Dachschen Gedichten und möglicherweise gar eines Sammelbandes an Ort und Stelle nachzugehen. Dieser Grundsatz gilt stets, und erst wenn die Nagelprobe erfolgt ist, darf ein Fazit gezogen werden. Wir kommen also im zweiten Teil unserer Abhandlung auf Leipzig zurück. Die Dach-Sammlung Arletius in Breslau Noch ein dritter Ort spielt bedeutsam in die frühe Dach-Philologie hinein: Breslau. Auch hier scharen sich im 18. Jahrhundert die passionierten Samm–––––– 52

der Chur = Brandenburgische Rose (o.J.) aus der Bibliothek des Begründers der ›Königlichen Deutschen Gesellschaft‹ in Königsberg Cölestin Christian Flottwell. Es handelt sich um die redaktionelle ›Anmerkung‹ zu einem Artikel, der unten Anm. 54 zitiert wird. Die beiden vorgelegten Zitate hier S. 266 und S. 266 f. Nicht irritieren sollte die Angabe, daß es sich um Folio-Drucke handle. Es dürften de facto nach späterer bibliothekarischer Gepflogenheit Quartdrucke gewesen sein.

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ler, gelehrten Kommentatoren und Exzerptoren. Das Fundament für ihr Wirken bildet das hochentwickelte Schulwesen. Die Gymnasien zu St. Elisabeth und St. Maria Magdalena sowie die Schule zu St. Bernhardin haben alle drei im 18. Jahrhundert eine große Zahl hervorragender Köpfe gewinnen können, die aus der Geschichte des Breslauer Buch- und Bibliothekswesens nicht wegzudenken sind. Der Aufschwung, den alle drei den Kirchen und Schulen assoziierten Bibliotheken nahmen, aus denen dann die Breslauer Stadtbibliothek als eine der reichsten im alten deutschen Sprachraum hervorging, ist nicht zuletzt ihr Werk. Sie haben für ihre gelehrten Kollektaneen mächtige Privatsammlungen aufgebaut, die über kurz oder lang auf den verschiedensten Wegen den Bibliotheken ihrer Wirkungsstätten mehr oder weniger vollständig zufielen. Hunderte von Sammelbänden mit Kleinschrifttum aller Art gehen vielfach auf sie zurück. Wir müssen es uns an dieser Stelle versagen, von diesen Personen zu sprechen, deren Name vielfach weit über Breslau hinaus einen guten Klang hatte. Nur eines Mannes und seines auf Dach bezogenen Werkes ist zu gedenken und damit Rapport zu erstatten von einer gelehrten Interaktion, wie sie nicht aller Tage zu beobachten ist. Im zweiten Teil wird dann Gelegenheit sein, wiederum ins Detail zu gehen und die Kollektionen im einzelnen in Augenschein zu nehmen.53 Die Leipziger Einlassung zur Existenz von Dachgedichten vor Ort steht als »Anmerkung« zu einem ›Artikel‹, der 1748 in Gottscheds Neuem Büchersaal erschien. Er ist betitelt: ›Zuverläßige Nachricht von der Ausgabe einiger trefflichen deutschen Dichter des vorigen Jahrhunderts, durch Herrn Prof. Arlet in Breslau‹, versehen mit dem Zusatz »Diese Nachricht ist uns mit eben so vielen Worten aus Breslau eingesandt worden.«54 Man ist in Leipzig also nur redaktionell-bearbeitend tätig geworden. Der Artikel gibt Kenntnis von drei großen sammlerischen Bemühungen in Breslau, von denen uns nur die letzte näher zu beschäftigen hat. Sie dürfte die eigentliche Veranlassung geboten haben, den Beitrag nach Leipzig auf den Weg zu bringen. Zu Breslau ist Herr Johann Caspar Arlet, Professor des Gymnasii zu Maria Magdalena, schon in seinen Schuljahren, am allermeisten aber nach seiner Zurückkunft von Universitäten, in Nebenstunden beschäfftiget gewesen, die hier und da zerstreueten und herum irrenden Musen, oder annoch in keine Sammlung gebrachte Gedichte der besten schlesischen, und auch anderer Dichter; besonders derjenigen, welche dem unverbesserlichen Muster, des großen Martin Opitz von Boberfeld glücklich nachgeeifert haben, fleißig aufzusuchen und zu sammlen.55

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55

Vgl. unten die eingehendere Untersuchung im siebten Kapitel von Teil II (S. 576619) mit den entsprechenden Annotationen. Der Artikel im Neuen Büchersaal 7 (1748), S. 253–267. Titel und Anmerkung auf S. 253. Ebd., S. 253.

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Der Artikel führt also hinein in die Rezeption der schlesischen Literatur des 17. Jahrhunderts im nachfolgenden 18. – eines der großen Kapitel aus der Literaturgeschichte der Aufklärung (einschließlich der daran sich anknüpfenden Kontroversen mit den Schweizern), das wir hier wiederum nicht aufschlagen dürfen. Die Namen eines Tscherning, Matthäus Appelles von Löwenstern, Christopherus Colerus und Daniel Czepko figurieren in ihm neben demjenigen Opitzens – und zu ihnen allen wäre vielerlei gerade auch im Hinblick auf die Vorbereitungen zur Edition ihrer Werke zu sagen. Endlich kann Herr Arlet nicht umhin, den Freunden und Liebhabern der deutschen Dichtkunst zu gefallen, zu melden; daß er durch besondere Gewogenheit eines werthesten Gönners und Freundes, das Glück gehabt, allem Vermuthen nach, die stärkste und vollständigste Sammlung von deutschen und lateinischen Gedichten des großen Preußischen, besonders Liederdichters und guten Freundes und Nachahmers, unsers unsterblichen Martin Optizens von Boberfeld, nämlich Simon Dachs, ehemaligen Professors der Poesie zu Königsberg in Preußen, zu erhalten und zu besitzen.56

Sodann folgt eine genaue Verzeichnung des Inhalts der einzelnen Sammelbände sowie der sonstigen, teilweise auch handschriftlichen Annexe dieser Kollektion. Die von Arlet herrührende Mitteilung stellt also eine unschätzbare zeitgenössische Quelle für eine in statu nascendi sich befindende DachSammlung in Breslau in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dar. Als solche wird sie uns zusammen mit dem Porträt ihres Urhebers im zweiten Teil ausführlich beschäftigen. An dieser Stelle ist allein von Bedeutung, daß die Eingabe des Arletius an eines der prominenten Organe in der Literaturhauptstadt Leipzig erhebliche Beachtung und eine produktive Fortführung fand. Zwei Jahre nach Publikation der Nachricht aus Breslau konnte der Neue Büchersaal mit einem ›Alphabetischen Verzeichniß der deutschen und lateinischen Gedichte von Simon Dachen‹ aufwarten.57 Wieder hatte der penible Arletius sich zu Wort gemeldet. Seine Dach-Sammlung war immens, gleichwohl scheute er – wie im Falle Opitzens – vor einer Edition zurück, da er fürchtete, noch nicht vollständig genug zu sein. Dabei stand doch schon jetzt fest, daß er eine starke Sammlung von des berühmten Simon Dachs Gedichten in Händen habe; die zu einer weit vollständigern Ausgabe derselben den Vorrath darbieten könnte, als man im vorigen Jahrhunderte davon zu Königsberg gemacht.58

–––––– 56 57 58

Ebd., S. 261 f. Neuer Büchersaal 9 (1750), S. 349–361. Ebd., S. 349.

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Also fertigte der rührige Mann eine Liste der in seinem Besitz befindlichen Gedichte an, alphabetisch geordnet nach den Incipita und selbstverständlich lateinische wie deutsche Gedichte gleichermaßen umfassend. Er versprach sich davon ein Doppeltes. Die gelehrte Welt sollte Kenntnis erhalten, was in Breslau für den preußischen Sänger bereits geschehen sei. Vor allem aber waren Sammler von Texten Dachs aufgerufen, einen Abgleich mit den von Arletius aufgeführten Titeln vorzunehmen und möglichen zusätzlichen Besitz nach Breslau zu melden. Er hoffet dieses sonderlich von der königl. deutschen Gesellsch. in Königsberg, die ihn neulich zu ihrem Ehrenmitgliede erkläret hat, als welche am ersten im Stande seyn dörfte, dergleichen Ergänzungen aufzutreiben; da Simon Dach an ihrem Orte gelebet hat, und daselbst gestorben ist.59

Mit dieser Aktion war ein wiederum zweifacher Gewinn verbunden. Auf der einen Seite wurde erstmals ein Verzeichnis Dachscher Gedichte erstellt, wie es in dieser Vollständigkeit noch nicht vorgelegen hatte. Auf der anderen Seite wurde die ›Deutsche Gesellschaft‹ in Königsberg ermuntert, Nachforschungen an Ort und Stelle in die Wege zu leiten. Der erhoffte Erfolg blieb nicht aus. Schon ein Jahr später ließ sie sich wiederum im Neuen Büchersaal, der binnen drei Jahren zum wichtigsten Organ der Dach-Philologie aufgerückt war, vernehmen: ›Der königl. deutschen Gesellschaft zu Königsberg in Preußen Schreiben, auf das, von Hrn. Professor Arlet ausgefertigte Verzeichniß, der deutschen und lateinischen Gedichte von Simon Dachen‹.60 Sie muß nach Einsichtnahme in das Verzeichnis des Arletius einbekennen, daß wir keine so vollständige Sammlung, weder in den öffentlichen, noch einer einzigen Privatbibliothek vorzuzeigen vermögend sind, und haben wir daher soviel mehrere Ursache, dem Hrn. Professor zu einer so zahlreichen Sammlung der Dachischen Gedichte Glück zu wünschen, glauben auch, daß ihn die Vorsicht aufbehalten, die gerechte Klage des Herren Pastor Neumeisters zu stillen, und das zur Wirklichkeit zu bringen, was bereits vor so vielen Jahren, die Herren Schlesier im Sinn gehabt, und dazu des Hrn. Professor Gottscheds Hochedelgebohren, dem sel. Secretair Henrich Bartschen vor mehr denn zwanzig Jahren Hoffnung gemacht, als jener demselben die mit großer Mühe gesammlete Dachische Gedichte nach Leipzig zugefertiget.61

Es war nach der Sammlung Bartsch in Königsberg keine zweite vergleichbaren Umfangs wieder zustande gekommen. Die Hoffnungen hatten sich auf Schlesien und zeitweilig auf Leipzig gerichtet. In Leipzig aber war die Königsberger Sammlung vorgeblich verloren gegangen. Und in Schlesien war es –––––– 59 60 61

Ebd., S. 350. Neuer Büchersaal 10 (1751), S. 149–156. Ebd., S. 150.

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bei dem Wunsch nach einer Edition der Dachschen Schriften, wie ihn Neukirch artikuliert hatte, geblieben, wenn man absieht von den Einsprengseln in Anthologien. So war Arletius also der Mann, der alleine imstande gewesen wäre, die Ehrenschuld gegenüber dem Königsberger Dichter einzulösen. Der Fortgang unserer Untersuchung wird lehren, daß sich an dieser Situation in gewisser Hinsicht bis heute nichts geändert hat. Arletius blieb insgeheim (und nur von wenigen gekannt) Jahrhunderte über die zentrale Figur der Dach-Philologie. Rückkehr nach Königsberg Immerhin standen die Königsberger nicht mit gänzlich leeren Händen da. Auch sie vermochten ihr Scherflein beizutragen. Cölestin Christian Flottwell, Verehrer Gottscheds und Begründer der ›Deutschen Gesellschaft‹ in Königsberg (dem, wie erwähnt, die Leipziger Schwester-Gesellschaft das von Flottwell herrührende Exemplar der Dachschen auf das Kurfürstliche Haus gerichteten Gedichte verdankte), war in der Lage, »beygehende Nachlese von mehr denn neunzig Gedichten« zur Verfügung zu stellen, die in der Kollektion Arletius nicht anzutreffen waren. Sollten uns mehrere aus desselben Güte zu Theile werden, so verbinden wir uns, selbige ohne den geringsten Zeitverlust an den Hrn. Arlet nach Breßlau zu übermachen, um auch dadurch nicht nur ein so werthes Mitglied unsrer Bereitwilligkeit zu versichern; sondern auch die gelehrte Welt zu überzeugen, wie unerschöpflich die Quelle gewesen, aus der dieser große Poet geschöpfet: der in den lateinischen Gedichten wo nicht größere doch fast gleiche Stärke besessen, und manche heutige gar zu prosaische Poeten beschämet.62

Auch in Königsberg war also immer noch reichhaltig Dachsches Gedichtgut vorhanden, und schwerlich hätte es anders sein können. Gleichwohl überließ man das Feld neidlos dem Schlesier. Ja, man gab darüber hinaus der Hoffnung Ausdruck, daß auch Dachs Nachfolger Röling auf dem Lehrstuhl für Poesie bald in den Genuß einer Ausgabe seiner Gedichte kommen möge. Wie intakt der Draht zwischen Königsberg und Breslau war, geht daraus hervor, daß auch die Königsberger eine Liste der in ihrem Besitz befindlichen, bei Arletius jedoch nicht aufgeführten Gedichte Dachs fertigten. Sie hat in der Geschichte der Bemühungen um das Dachsche Werk und seine Edition, die wir hier rekonstruieren, erhebliche Bedeutung erlangt, finden sich in ihr doch eine ganze Reihe von Incipita zu Titeln, die schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht mehr nachweisbar waren. Sie wären mög–––––– 62

Ebd., S. 151.

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licherweise gänzlich unbekannt geblieben, wären Königsberg und Breslau – vermittelt über Leipzig – nicht in einen so fruchtbaren gelehrten Austausch eingetreten. Gar nichts Näheres hingegen wissen wir über die Dach-Sammlung, die ein anderer Großer der Königsberger Gelehrtenschaft des 18. Jahrhunderts, der spätere Präsident der ›Königlich Deutschen Gesellschaft‹ zu Königsberg, Georg Christoph Pisanski, zusammenbrachte. Ihr gehörten u.a. zwei mächtige Sammelbände mit rund 600 Einzeltiteln Dachscher Gedichte an. Das dürfte die Ernte gewesen sein, die man in der ›Deutschen Gesellschaft‹ in Königsberg schließlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingefahren hatte. Bekannt geworden ist sie nur über den Auktionskatalog der Bibliothek Pisanski, die 1791 auf den Markt kam.63 Wie die Bartschsche Sammlung wird diejenige Pisanskis in der Forschung mit dem stereotypen Zusatz ›Verlust‹ bedacht. Auch für sie aber gilt, daß sie sehr wohl auf dem Wege der Versteigerung in eine private oder öffentliche Bibliothek gelangt sein kann und beitrug zu dem Schatz, den Königsberg bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts sein eigen nannte.

5. Ausgaben der Gedichte Dachs auf der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Ein eigenes Kapitel einer jeden Bibliographie und der auf ihr beruhenden Editionen ist die Präsenz eines Autors oder einer Gattung in den florierenden Kompilationen. Schon das 18. Jahrhundert ist auch eines der Anthologien gewesen. Dieser Sachverhalt fügt sich ein in das Bild des Jahrhunderts –––––– 63

Vgl. Catalogus Bibliothecae, omni scientiarum genere, praesertim libris rarissimis & rarioribus, nec non ad Theologiam & Borussiae Historiam spectantibus & manuscriptis instructae, Viri [...] Georgii Christophori Pisanski, Consistorii Prussici a Consiliis S.S. Theologiae Doctoris & Cathedralis Scholae Rectoris. [...] 1791, [...] distrahendae. Regiomonti, Typis Driestianis. Exemplar aus der ›Königl. Deutschen Gesellschaft‹ zu Königsberg, heute in der Universitätsbibliothek zu Thorn (Pol. 8. II 2940). Hier (S. 164 f.) in der Abteilung ›V. Libri Hist. Pruss. Poetae & Musici Prussici‹ in der Rubrik ›Folio‹ unter der Nummer 5 der Eintrag: »Eine Sammlung von 80 Gedichten der Königsbergischen Professoren der Poesie, Georgi, Vogt, Boy und Dach.« In der Rubrik ›Quart‹ die folgenden, im einzelnen bezifferten Einträge: »2 Sim. Dach Churbrandenburgische Rose, Adler, Löw und Scepter, Königsb. 680[!] 3. 4 Desselben einzelne Gedichte auf mancherley Vorfälle, mehr als 600 Stücke, Volumina II. Nebst seiner in griechischer Sprache verfaßten und in derselben zu Magdeburg 1625 verteidigten Disputation. 5 Ein geschriebenes Verzeichnis der sämtlichen Gedichte des Sim. Dach.« Auf den Eintrag hatte Hermann Oesterley (unten Anm. 88, S. 5) aufmerksam gemacht.

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als eines solchen, das auf allen Gebieten gerade auch konservierend wirkt. Für das 19. Jahrhundert ist die Attraktion dieser Form der Präsentation seit langem bekannt. Entsprechend gehörte es zu den Aufgaben einer gründlichen bibliographischen Dokumentation im speziellen Fall, Rechenschaft im einzelnen über die Dach-Drucke und ihre editorische Behandlung in diesen Sammelwerken zu geben. Das aber ist an dieser Stelle selbstverständlich nicht vonnöten. Wir verharren bei den Meilensteinen und großen Wegmarken der Dach-Philologie. Immerhin aber soll ein kurzer Blick in die Ausgaben der Werke Simon Dachs geworfen werden, wie sie sich nun zu Anfang des neuen Jahrhunderts mehren, und das bevorzugt wieder im Rahmen umfassenderer Serien und Reihenbildungen. Wir sind in der glücklichen Lage, dieses fruchtbare Terrain seit kurzem hervorragend zu überblicken.64 Dach in der Anthologie In Justus Friedrich Wilhelm Zachariaes und Johann Joachim Eschenburgs bekannter dreibändiger Reihe Auserlesene Stücke der besten deutschen Dichter von Martin Opitz bis auf gegenwärtige Zeiten (1766–1778) findet Dach noch keinen Platz. Man wird das auf den vorzeitigen Abbruch dieser weiträumig angelegten Anthologie zurückführen dürfen, nicht auf Vorbehalte des Geschmacks. Das von Zachariae begründete und von Eschenburg fortgeführte Unternehmen blieb auf den Eingang des Jahrhunderts mit Opitz im Mittelpunkt beschränkt. Ihm war der gesamte erste Band vorbehalten. Der zweite brachte Texte Flemings und des soeben von Lessing entdeckten Scultetus, der seither für ein paar Jahrzehnte editorisch Karriere machte. Der dritte, nun von Eschenburg verantwortet, griff – unter dem zwischenzeitlich zur Geltung gelangten Einfluß Herders – auf Weckherlin und Zincgref zurück und fügte Proben von Tscherning und aus der Geharnschten Venus hinzu. In Herders Volkslieder-Sammlung (1778–1779) waren die Königsberger hingegen gut vertreten. Der erste Band brachte Lieder von Dach, der zweite –––––– 64

Zu verweisen ist nachdrücklich auf die quellenkundlich ausgezeichnet fundierte und in der Auswertung vorbildliche Arbeit von Dieter Martin: Barock um 1800. Bearbeitung und Aneignung deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts von 1770 bis 1830.Frankfurt a.M.: Klostermann 2000 (= Das Abendland. N.F.; 26). Das Werk ist mit einem hilfreichen Anhang zu den Quellen versehen, in dem in einem ersten Abschnitt ›Editionen und editorische Bearbeitungen barocker Dichtung zwischen 1766 und 1830‹ zusammengestellt und im einzelnen hinsichtlich der in ihnen dargebotenen Texte aufgeschlüsselt sind. Ein Einzelnachweis erübrigt sich im Blick auf die hier geleistete Arbeit daher im folgenden. Das Verzeichnis ist chronologisch angeordnet, ein Auffinden der Anthologien und der Editionen einzelner Verfasser daher mühelos gewährleistet.

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von Albert, Dach und Roberthin. Völlig singulär indes steht das auf Preußen zugeschnittene Editions-Vorhaben Ludwigs von Baczko da. Nachdem schon im Teutschen Merkur von 1779 Dach und Roberthin einen Platz gefunden hatten, versammelte Baczko in seinem Preußischen Tempe bei Kanter in Königsberg die beiden Protagonisten des Kreises gleich in zwei Bänden, der erste mit Gedichten Dachs, der zweite mit Gedichten Dachs und Alberts angefüllt. Baczko gehört in die lange Reihe der Anthologisten, die sich diesem Zweig literarischer Produktion nicht zuletzt aus finanziellen Notlagen heraus verschrieben.65 Als überzeugter Katholik hatte er im Herzogtum Preußen keine Chance, eine Anstellung an der Universität zu finden. 1756 geboren, kam er erst 1799 auf der Artillerieakademie und Divisionsschule in Königsberg unter. Sein Name ist mit der sechsbändigen Geschichte Preußens (1792–1800) und der Beschreibung der Stadt Königsberg (1787–1790) verbunden. Seine Anthologie war diesen monumentalen Werken in den Jahren 1780–1781 vorausgegangen. Für die Wahrnehmung der Königsberger als eines Kreises mit eigener Physiognomie hat die Sammlung Baczkos wichtige Schrittmacherdienste geleistet. Aus der Schweiz trat Hans Heinrich Füßlis Allgemeine Blumenlese der Deutschen bei Orell, Geßner und Füßli in den Jahren 1782 bis 1788 hinzu. Wieder war den Königsbergern ganz erheblicher Raum vorbehalten. Die sechsbändige Anthologie war professionell nach Gattungen angeordnet. Wie in den Lyriksammlungen der großen Autoren des 17. Jahrhunderts standen die geistlichen Gedichte unter dem schönen Titel ›Der Heilige Gesang‹ in den beiden ersten Bänden zusammen. Nach Paul Gerhardt war der zweite Band ausschließlich für Dach und Albert reserviert. Die Königsberger kehrten unter dem Titel ›Lieder‹ im fünften Band mit Dach und Röling noch einmal wieder. Beide Seiten ihrer Produktion waren also angemessen repräsentiert. Überschreiten wir die Jahrhundert-Grenze, so darf Friedrich Matthissons Lyrische Anthologie nicht fehlen, die es immerhin auf zwanzig Bände – wiederum bei Orell und Füßli – brachte. Band 1 und Band 18 enthalten Lyriker aus dem Barock. Und beidemal sind Königsberger dabei. Im einen Fall Dach, im anderen Albert, Dach, Roberthin und Titz. Auch in Grambergs Blumen deutscher Dichter aus der ersten Hälfte des 17ten Jahrhunderts (Oldenburg 1805) wird die illustre Trias aus der Gründungszeit des Kreises aufgeboten. In von Arnims und Brentanos Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder (1806–1808) finden sich Beiträge Alberts und Dachs, desgleichen in Büschings und von der Hagens Sammlung Deutscher Volkslieder (1807) sol–––––– 65

Zu Baczko vgl. APB I, 25 f. Hinzuzunehmen ders.: Geschichte meines Lebens. Bd. I–III.- Königsberg: Unzer 1824.

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che von Dach. Und so fort. Kaum eine der größeren Anthologien führt nicht wenigstens einen Namen der Königsberger, und zumeist läuft es auf Dach bzw. Dach und Albert hinaus. Die Königsberger in Wilhelm Müllers ›Bibliothek‹ In den zwanziger Jahren tritt das Anthologie- und Reihenwesen in eine neue Ära ein. Das ehrgeizigste Vorhaben mit Blick auf das 17. Jahrhundert wurde von Wilhelm Müller bei Brockhaus in Leipzig ins Leben gerufen. Müller – bekannt geworden durch seine diversen lyrischen Sammlungen mit Liedern der Griechen (daher sein Beiname Griechen-Müller) – verfügte als Bibliothekar der Herzoglichen Bibliothek zu Dessau mit ihren reichhaltigen Beständen über eine hervorragende Plattform für seine auf die deutsche Dichtung gerichteten herausgeberischen Bemühungen.66 Er hatte im Jahre 1816 schon eine Blumenlese aus den Minnesängern veranstaltet, bevor er 1822 seine Bibliothek der deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts eröffnete. Sie kam bis 1826 in kurzer Folge auf neun Bände, denen später noch ein zehnter folgte, und blieb damit das umfangreichste diesbezügliche Projekt vor Einsatz der noch weiter ausgreifenden Unternehmungen von Goedeke, Tittmann und Braune. Auch Müller begann mit Opitz, stellte ihm jedoch jeweils eigene Bände zu Gryphius, Fleming und Weckherlin zur Seite. Mit Band 5 wurde das autorenbezogene Verfahren durch ein regionales abgelöst. In ihm kamen die Königsberger mit Dach, Albert und Roberthin zu Wort. Band 6 galt den Schlesiern Abschatz und Logau, Band 7 Gerhardt, Homburg, Tscherning und Zincgref, Band 8 Morhof und Rist, Band 9 schwerpunktmäßig den Nürnbergern mit Harsdörffer, Klaj und Birken; hinzu traten Angelus Silesius, Olearius, Schottelius und Scultetus. Erst Band 10 war mit Johann Christian Günther wieder einem einzigen Autor gewidmet. Karl August Förster setzte die Serie mit vier weiteren Bänden zwischen 1827 und 1838 fort. Es ist sofort ersichtlich, daß eine überzeugende Disposition in den zu Gruppen –––––– 66

Zu Müller vgl. die beiden grundlegenden Einträge der beiden Hauptverantwortlichen für den Fortgang und den schließlichen Abschluß des Goedeke, Alfred Rosenbaum und Herbert Jacob. Rosenbaum hat der so gut wie erschöpfenden Bibliographie eine Biographie vorangestellt; Jacob hat die vorhandene Literatur mit großer Akribie aktualisiert. Vgl. in der zweiten Auflage des Goedeke, Bd. VIII (Dresden: Ellermann 1905), S. 255–278, sowie den letzten Band von Goedekes Grundriss, Bd. XVII, Zweiter Halbbd., bearb. von Herbert Jacob.- Berlin: Akademie-Verlag 1991, S. 947–953. Hier auch der Rückverweis auf die vorangegangenen Einträge bei Goedeke (VII, 255–278, 707–709; XI/1, 316; XIII, 18–194). Vgl. auch die Einträge in der dritten Auflage des Kosch (X, 1534–1536) sowie im Killyschen Literaturlexikon (VIII, 279–280) von Detlef Haberland.

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geordneten Bänden nur marginal erkennbar, im Gegenteil Heterogenes mehr als einmal zusammengezwungen wird. »Der fünfte Band unsrer Bibliothek vereinigt das im Leben und in der Kunst treu verbundene Kleeblatt der Königsberger Dichter: Simon Dach, Robert Roberthin und Heinrich Albert.«67 »Im Leben und in der Kunst treu verbunden« – das kann in den Niederungen romantischen Gebarens nur Schönes verheißen. Und tatsächlich sind die drei Lebensbeschreibungen, die man der Präsentation der drei Autoren vorangestellt findet, getragen von Sympathie und Anerkennung. »Simon Dach gehört zu den besten Liederdichtern, nicht nur seines Jahrhunderts, sondern der Deutschen aller Jahrhunderte.« So läßt Müller sich lakonisch vernehmen. Das eigentliche und singbare Lied ist die ihm von der Natur angewiesene Sphäre, in welcher seine Muse sich mit anmuthiger Leichtigkeit bewegt. Innigkeit, Herzlichkeit, oder vielmehr Treuherzigkeit, naives, kindlich natürliches Aussprechen der ganzen vollen Seele sind die innern Charakterzüge seiner Gesänge, und eine in seinem Jahrhundert beispiellose Gefälligkeit und Leichtigkeit der Sprache und des Verses vollendet den liebenswürdigen Dichter.68

Ausgestattet mit diesen Prädikaten, durfte Dach auf Resonanz im 19. Jahrhundert rechnen. Und dies um so mehr, als die allegorischen Schaustücke selbstverständlich der Kritik verfielen. Müller hat jedoch nicht versäumt, gleich zu Anfang die Textzeugen aufzuführen, aus denen er in seiner Anthologie schöpft. Diese kleine Synopsis ist in unserem Zusammenhang von Bedeutung, weil sie einen Hinweis auf die Berliner Dach-Sammlung enthält. Schon in den frühen zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts lagen in der Königlichen Bibliothek in »drei starken Quartanten« die »einzeln gedruckte(n) Carmina von Simon Dach in lateinischer und deutscher Sprache, größtentheils auf Hochzeiten, Kindtaufen, Sterbefälle etc. zusammengebunden« vor.69 Sie dürfte also auf einen der großen Sammler des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Auch über die Sammlungen des Arletius in Breslau und Gottscheds Bemühungen um eine Dach-Ausgabe in Leipzig zeigt sich Müller informiert. Neben das Müllersche Projekt trat das weniger bekannt gewordene, ungleich monumentalere, schließlich auf 84 Bände angeschwollene Unternehmen von Friedrich Rassmann, betitelt: Deutsche Anthologie oder Blumenlese aus den Klassikern der Deutschen (1821–1827). Wieder bewährte sich die bi–––––– 67

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Auserlesene Gedichte von Simon Dach, Robert Roberthin und Heinrich Albert.Leipzig: Brockhaus 1823 (= Bibliothek deutscher Dichter des siebzehnten Jahrhunderts; 5), Vorrede, S. [VII]. Ebd., S. XXXIV. Ebd., S. X.

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bliothekarische Affinität. Raßmann war der Sohn eines in der gräflich Stolbergschen Bibliothek zu Wernigerode wirkenden Bibliothekars.70 Zugleich war der Vater Rektor der Martinischule zu Halberstadt, an der auch der Sohn zeitweilig einen Unterschlupf fand, bevor er sich entschloß, den Weg des freien Schriftstellers einzuschlagen. Dabei kamen ihm seine freundschaftlichen Kontakte zu Gleim und Klamer Schmidt zustatten. Er fungierte als Herausgeber der in Halberstadt erscheinenden Neuen Anzeigen vom Nützlichen, Angenehmen und Schönen sowie der Allgemeinen Zeitung der Merkwürdigkeiten, nahm nebenher Korrektoren-Tätigkeiten wahr, wechselte später nach Münster herüber, wo er den Merkur oder neueste Nachrichten von politischen, literarischen, ökonomischen und Handlungssachen übernahm, letztlich aber eine existenzsichernde Basis sich nicht zu verschaffen vermochte. Seine Anthologie fällt bereits in eine Phase zunehmender körperlicher Gebrechlichkeit. Wir erwähnen sie hier, weil sie zeigt, daß das Fortleben Dachs und der Königsberger in den großen Reihenwerken zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keineswegs gesichert war. Die Bändchen 8 bis 16 innerhalb der Serie sind vornehmlich dem 17. Jahrhundert gewidmet (Zwickau: Schumann 1822–1824). Der 8. Band gilt Fleming, der 11. Gryphius, Logau und Wernicke, der 12. Abraham a Sancta Clara, der 13. Opitz und Weckherlin und der 16. schließlich Canitz. Ganze Barockprovinzen sind also nicht vertreten, das dichterische Vermächtnis des 17. Jahrhunderts noch keinesfalls kanonisiert und, wie sich am Beispiel Raßmanns zeigt, der herausgeberischen Willkür preisgegeben. Christian August Gebauers Edition Königsberger Dichter Um so wichtiger, daß noch in den zwanziger Jahren ein Band herauskam, der nun erstmals ausschließlich den Königsbergern gewidmet war, dazu angetan, ihre Stellung literaturgeschichtlich und editorisch zu festigen. 1828 legte Christian August Gebauer einen Band Simon Dach und seine Freunde als Kirchenliederdichter bei Osiander in Tübingen vor. Auch Gebauer schlug sich als Privatgelehrter und Herausgeber durch, nachdem er nur kurzfristig eine Position als Professor für Philosophie in Bonn und anschließend die Stelle eines Erziehers des Erbprinzen Alexander von Sayn-Wittgenstein bekleidet hatte.71 Seine Anthologie ist Karl Wilhelm Justi, Oberkonsistorialrat –––––– 70

71

Zu Raßmann vgl. wiederum die Goedeke-Einträge von Rosenbaum (IX, 352–361; hier Nr. 56: Nominierung von »87 Bändchen«) und Jacob (XVII/2, 1114–1115). Dazu die Einträge in der dritten Auflage des Kosch (XII, 605–606) und in Killys Literaturlexikon (IX, 299). Vgl. zu Gebauer wiederum den Eintrag von Rosenbaum in der zweiten Auflage des Goedeke (IX, 234–239) und von Jacob (XVI, 121–124). Außerdem für eine Kurz-

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und Superintendent in Hessen sowie Professor der Theologie und Oberpfarrer in Marburg, gewidmet; Gebauer versprach sich also Wirkung vor allem in theologischen Kreisen. 1827 war in zwei Bänden sein Deutscher Dichtersaal von Luther bis auf die Gegenwart erschienen. Ein Jahr später hatte er noch vor der Königsberg-Anthologie eine weitere mit dem Titel D. Martin Luther und seine Zeitgenossen als Kirchenliederdichter herausgehen lassen. In der Vorrede zu seiner jetzigen Auswahl versprach er, daß sich ihr in Kurzem eine andere ›Paul Gerhard und seine Zeitgenossen als Kirchenliederdichter‹ anreihen, der dann Ringwaldt, Gellert und Andere mit ihren Zeitgenossen folgen werden, bis der weite Kreis unserer geistlichen Liederdichter dadurch beschlossen ist.72

Er hatte sich also ein weites und offensichtlich gewinnbringendes Feld erschlossen. Mit seiner auf die Königsberger gemünzten Anthologie hoffte er, so die Vorrede, sich »den Dank Aller derjenigen, welche die Darstellung religiöser Gefühle mit uns für die schönste und höchste Weihe der Poesie halten, verdient zu haben.«73 Dem Porträt des geistlichen Dichters sollte sich im fünften Band des Deutschen Dichtersaals das des weltlichen Dichters anschließen. Er ist nie erschienen. Das Unternehmen kam über vier Bände nicht hinaus.74 Zugrunde legte Gebauer Alberts Arien und Melodeyen, »die von 1648 [!] bis 1650 zu Königsberg erschienen und dann zu verschiedenen Malen neu aufgelegt, auch nachgedruckt wurden.« Er kann zusätzlich aber auch »auf wenige, die uns von einem Freunde geistlicher Gesänge in Preussen zugeschickt wurden«, zurückgreifen.75 Und er weiß sich einer Tradition verpflichtet, wie sie sich speziell in der geistlichen Dichtung bereits herausgebildet hatte. Zwei geistliche Lieder von Valentin Thilo, die ihm aus Elbing zugesandt wurden, standen auch bereits in August Jakob Rambachs Anthologie christlicher Gesänge aus der neueren Zeit, die gleichfalls soeben in drei Bänden (1817–1822) herausgekommen war und Gebauer in seinem Vorhaben bestärkt haben dürfte. Interessant ist das Einbekenntnis, daß er es gleichwohl nicht bei geistlichen Gesängen alleine belassen werde. Der ›weltliche‹ Dichter Dach ist zu attraktiv, als daß sich sein Herausgeber die Perlen entgehen lassen möchte. –––––– 72

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Information wiederum heranzuziehen die dritte Auflage des Kosch (VI, 103–104). Vgl. auch ADB VIII (1878), S. 449 (ohne Kenntnis der vorliegenden Anthologie). Simon Dach und seine Freunde als Kirchenliederdichter. Hrsg. von August Gebauer.- Tübingen: Osiander 1828, Vorrede, S. VIII. Ebd., S. V. Vgl. Martin: Barock um 1800 (Anm. 64), S.596; Goedeke IX, 238, Nr. 30. Simon Dach und seine Freunde als Kirchenliederdichter (Anm. 72), S. V f.

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Die Lieder kamen mir aber so gediegen und herrlich vor, daß ich sie, wenn sie auch nur leis’ an den Ton des Kirchenliedes streifen, nicht ausschließen mochte und konnte. Welcher Leser möchte wohl das schöne ›Lied der Freundschaft‹ entbehren wollen? So hoffe ich auch in dieser Hinsicht gerechtfertigt zu seyn, und überlasse das Büchlein nun getrost der ihm innwohnenden Anziehungskraft. Es wird der Freunde und Freundinnen gewiß viele finden!76

Darauf war es geeicht, und Bedenken in bezug auf reinliche Scheidungen der Gattungen obsolet. Tatsächlich hat Gebauer ›Simon Dachs Freunde‹ Roberthin mit drei, Albert mit zehn, Thilo, Mylius und Titz mit je zwei Liedern zu Wort kommen lassen. Die große Menge der Gedichte (62 Nummern) fiel auf Dach selbst. Nur ihm wird einleitend eine Biographie gewidmet. Die Gaben der Freunde haben also den Charakter eines Anhangs. Das Bekenntnis zu Dach als eines geistlichen Dichters ist ein überschwengliches. Wir verehren in Simon Dach einen der vorzüglichsten unsrer Kirchenliederdichter. Hat er die Tiefe des Geistes und die starke Gluth der Empfindung nicht, die einen Flemming und Gerhard zugesprochen werden müssen, so entschädigt er durch edle Einfalt und eine Wärme, die sich dem Herzen wohlthuend mittheilt, reichlich, so erhebt er sich durch Gleichheit des Tons und der Sprache merklich über den letztern.77

Der Rückgriff auf die Albertsche Anthologie erklärt zur Genüge, warum nur liedhafte Texte zum Abdruck kommen. Der Herausgeber hat darauf verzichtet, ihre Stelle bei Albert nachzuweisen. Die aus anderer Quelle stammenden Lieder sind als solche nicht gekennzeichnet. Textkritische Annotationen fehlen. »Weglassungen kommen nirgends vor. Nur einige Male hielten wir es für durchaus nöthig, eine kleine Änderung vorzunehmen; haben aber unter dem Texte die alte Lesart gewissenhaft angeführt.«78 Meist sind es veraltete Wörter, gelegentlich Verstöße gegen das Versmaß, die den Herausgeber vermeintlich zum Eingriff nötigen. Das ganze Vorhaben ist darauf abgestellt, einen homogenen, durch und durch geistlich gestimmten, zumeist leicht eingängigen Dichter in seinen schönsten Texten zu zeigen, dem Leser also allenthalben entgegenzukommen.

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Ebd., S. VII f. Ebd., S. 13 f. Ebd., Vorrede, S. VI f.

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6. Dach und die Königsberger Dichter in den großen nationalen Editionsreihen des 19. Jahrhunderts Im 19. Jahrhundert treten zu den editorischen Reihen, wie sie in großem Stil erst in der zweiten Jahrhunderthälfte ins Leben gerufen werden, die zumeist mehrbändigen, der Evolution der ›Nationalliteratur‹ gewidmeten Literaturgeschichten. Sie florierten – aus inzwischen gut erforschten Gründen – wie niemals vorher, aber auch niemals später wieder. Groß bleibt daher die Versuchung, auch in sie einen Blick zu werfen. Aber die Stellung, die einzelne Personen oder Gruppen in ihnen innehaben, ist grundsätzlich nur vor dem Hintergrund der Gesamtkonstruktion mit Gewinn zu studieren. Das ist vor längerer Zeit am Beispiel Opitzens geschehen. Für Dach und die Königsberger darf es schon deshalb keine Reprise geben. Ohnehin ist unser Vorhaben ein anders geartetes; Wiederholungen wären folglich doppelt unstatthaft. Belassen wir es bei wenigen Sätzen, um den Rahmen für das folgende abzustecken. Das wichtigste Werk liegt mit Gervinus’ fünfbändiger Geschichte der poetischen National = Literatur der Deutschen vor. Man wird stets wieder staunen über die Meisterschaft der Disposition und die Prägnanz der Linienführung. Ein Werk vergleichbarer Geschlossenheit ist in Deutschland nicht ein zweites Mal zustande gekommen. Die klare Positionierung des liberalen Vormärzlers, der schließlich als Historiker das Wort ergriff, begünstigte die Organisation des Stoffes, die teleologisch ausgerichtet blieb auf Aufklärung und Klassik (und vor der Romantik gänzlich versagte). So ist es kein Zufall, um nur diesen einen Aspekt anzudeuten, daß Gervinus ein sympathisches Wort für Dach und die Königsberger findet, die geistliche Poesie als ihre Domäne zu rühmen weiß, für die gelegentlich sich regende Weltfreudigkeit in der schlichten Liedlyrik ein Ohr hat, die Gelegenheitsdichtung jedoch heftig geißelt. Gemeint ist damit ausschließlich die an die Brandenburger gerichtete, die ihm a priori als Fürstendienerei verdächtig ist, so daß ihm das Besondere, das Dach dieser Gattung abzugewinnen wußte, entgeht.79 Daß sich Heinrich Kurz, getreu auf Gervinus’ Spuren wandelnd, diesem Urteil an–––––– 79

Vgl. Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. Dritter Theil. Vom Ende der Reformation bis zu Gottsched’s Zeiten. 2. Aufl.- Leipzig: Engelmann 1842 (= Historische Schriften; 4). Wer den Dichter geistlicher Lieder, oder auch der »Naturlieder« im Ohr habe, »der lese ja nicht seine Gelegenheitsgedichte, wo er als Hofpoet in langweiliger Leerheit, mit poetischem Bilderschwall, seinen Heldenfürsten oder dessen ›Frau Mutter und Groß = Frau = Mutter‹ in Lobgesängen zu preisen sich abquält, in denen Niemand kurz sein will und Niemand lang sein kann. Hier kann man alle guten Eindrücke wieder völlig verlieren, die man dorther mitgebracht hat« (S. 257).

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schloß und die Kurfürstlichen Dichtungen Dachs als seine bei weitem »unbedeutendsten Erzeugnisse« bezeichnete, verwundert nicht.80 Hier hatte am Anfang des Jahrhunderts selbst Wachler in seiner Geschichte der poetischen National = Literatur klarer gesehen – natürlich aufgrund einer politischen Disposition, die ihn nach Fürstenliebe und Vaterland Ausschau halten ließ. An Gelegenheitsgedichten, meist Hofgedichte[,] verfertigte Dach eine große Menge, welche den gewöhnlichen, auch besseren, in Ton und Sprache sehr überlegen sind; sie unterscheiden sich von diesen durch Wärme vaterländischer Gesinnung und treue Fürstenliebe, oft durch volksthümlichen Bürgergeist.81

Koberstein konstatierte, daß von Dachs Liedern »manche den besten ihrer Zeit zur Seite gestellt werden« dürften.82 Und Scherer schließlich, um mit ihm die kleine Reprise schon zu beenden, zeigte sich gleichfalls grundsätzlich geneigt; die Kritik von Gervinus und insbesondere von Kurz, der sich besonders zurückhaltend geäußert hatte, war verschwunden. Dachs Gedichte haben mit denen Flemings die Glätte und Leichtigkeit, das Melodische und Fließende gemein, das sich oft allzu geläufig ergießt. Seine geistlichen Gesänge neigen sich der Betrachtung des Todes zu; aber er malt ihn nicht in grellen Farben, sondern nur in leichtem Umriß; und nicht Furcht ist seine Muse, sondern eine sanfte Schwermut, die nicht ungern in das Jenseits blickt.83

Editorisch haben wir uns nun den großen Unternehmungen vornehmlich der zweiten Jahrhunderthälfte zuzuwenden, die alle auch Dach und den Königsbergern zugute kamen. 1849 hatte Adelbert von Keller in seiner Eigenschaft als Präsident des ›Litterarischen Vereins zu Stuttgart‹ die gleichnamige Bibliothek des Vereins begründet. Sie wuchs sich zur bedeutendsten, bis heute existierenden Editionsreihe der deutschen Literatur aus. Karl Goedeke fand die Kraft, neben seinem ins Monumentale sich erweiternden Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, wie er seit 1859 sich herausformte, zwei neuere Textreihen zum 16. und sodann zum 17. Jahrhundert ins Leben zu rufen und zusammen mit Julius Tittman zu betreuen. 1876 lag der erste –––––– 80

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Heinrich Kurz: Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller. Bd. II. 5. Aufl.- Leipzig: Teubner 1870, S. 265. Ludwig Wachler: Vorlesungen über die Geschichte der teutschen Nationallitteratur. Zweiter Theil.- Frankfurt a.M.: Hermann 1819, S. 39. August Koberstein: Geschichte der Deutschen Nationalliteratur. Bd. II. Vom Anfang des siebzehnten bis zum zweiten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts. 5., umgearb. Aufl.- Leipzig: Vogel 1872, S. 207 f. Wilhelm Scherer, Oskar Walzel: Geschichte der deutschen Literatur. Mit einer Bibliographie von Josef Körner. 3. Aufl.- Berlin: Askanischer Verlag 1921, S. 248.

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Band der deutschen Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts vor, die vornehmlich Wilhelm Braunes Werk waren. Und seit 1882 trat Joseph Kürschner im Verlag Spemann in Berlin und Stuttgart mit seinem wiederum monumental angelegten Projekt der Deutschen NationalLitteratur hervor. An allen diesen Vorhaben partizipierten die Königsberger als Gruppe und insonderheit Simon Dach. Und das vermöge eines Privatgelehrten, der es verstand, drei der vier Reihen seine Kräfte im Dienste Dachs und der Königsberger zur Verfügung zu stellen – ein in der Editionsgeschichte der deutschen Philologie gewiß seltener, wo nicht einmaliger Fall. Das Werk Hermann Oesterleys Hermann Oesterley, gebürtiger Göttinger, hatte an seiner Heimatuniversität mit einer Dissertation zur Geschichte des philosophischen Gottesbeweises 1855 promoviert.84 Nach einem kurzen Zwischenspiel als Privatdozent für theoretische Musik an der Universität Kiel kehrte er an die Göttinger Universitätsbibliothek zurück, wo er von 1862 bis 1872 als Gehilfe und Sekretär tätig war. Schwer vorstellbar, daß die bedeutendste jüngere akademische Bibliothek nicht einen nachhaltigen Eindruck bei dem im bibliothekarischen Milieu offensichtlich besonders heimischen Privatgelehrten hinterlassen haben sollte. Er verblieb in diesem Wirkungsfeld auch, als er aus unbekannten Gründen nach Breslau herüberwechselte und an der dortigen Universitätsbibliothek von 1873 bis zu seinem Tod im Jahr 1891 eine Anstellung fand. Die Nähe der für die ältere Literatur viel reichhaltigeren Stadtbibliothek dürfte hier wie vorher in Göttingen seine editorischen Neigungen beflügelt und ihm in der praktischen Arbeit gute Dienste geleistet haben. Mehrfach gelang es ihm, für seine mittelalterlichen, mittellateinischen und frühneuzeitlichen Editionen unbekannte Handschriften aufzutun. In die Historiographie ist er bekanntlich eingegangen durch sein bis heute benutztes Historischgeographisches Wörterbuch des deutschen Mittelalters (1883) sowie durch seinen zweibändigen Wegweiser durch die Literatur der Urkundensammlungen (1885). Fritz Milkau hat ihm in seiner Geschichte der Breslauer Universitätsbibliothek ein Denkmal gesetzt.85 –––––– 84

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Zu Oesterley vgl. den Eintrag von André Schnyder in der NDB XIX (1999), S. 461, mit der einschlägigen, vornehmlich lexikalischen Literatur. Sehr sprechend die familiengeschichtlichen Erinnerungen von K. Oesterley: Die Familie Oesterley im Hause der Väter 1852–1891.- In: Hannoversche Geschichtsblätter N.F. 11 (1957), S. 95– 153. Vgl. Fritz Milkau: Die Königliche und Universitäts-Bibliothek zu Breslau.- Breslau: Hirt 1911, S. 98.

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Zeitgleich lagen 1876 in Goedekes Deutschen Dichtern des Siebzehnten Jahrhunderts als Band 9 und in Adelbert von Kellers Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart (Band 130) Ausgaben von den Gedichten Dachs vor. Während aber die vergleichsweise schmale Auswahl, dem vorgegebenen Rahmen gemäß, im Unternehmen Goedekes nur noch wissenschaftsgeschichtliches Interesse beansprucht, ist die Ausgabe im Literarischen Verein Stuttgart aus gutem Grund bis heute in der Forschung präsent und in mancherlei Hinsicht bis auf weiteres unentbehrlich. Oesterley krönte seine Bemühungen um die Königsberger rund zehn Jahre später mit einer Edition Simon Dach, seine Freunde und Johann Röling in Kürschners Deutscher NationalLitteratur. Durch diese Arbeiten war die Dach-Philologie mit einem Schlag auf eine neue Grundlage gestellt; der Name Oesterleys ist aus ihr nicht mehr wegzudenken. Die Edition in der Reihe von Goedeke und Tittmann braucht uns nur kurz zu beschäftigen. Sie ist offensichtlich ein Nebenprodukt der größeren Arbeit. Die voranstehende Biographie des Herausgebers ist bis in den Wortlaut hinein identisch mit jener der größeren Unternehmung. Auch die sich anschließende Charakteristik von Dichter und Werk schöpft aus den gleichen Quellen und ist über weite Strecken ein Duplikat. Die Überlieferung der Dachschen Gedichte ist komprimiert, während der Forschungsbericht verständlicherweise ganz fortgefallen ist. Welches »die drei größern Königsberger Bibliotheken« sind, die da reich sein sollen an Einzeldrucken Dachs, verrät der Editor nicht.86 »1260 einzelne Nummern« hat er ermitteln können, aus denen er eine Auslese trifft. »Es wurde dabei vom Herausgeber der Grundsatz befolgt, soweit wie möglich auf die ältesten und besten Quellen zurückzugehen und diese mit möglichster Treue wiederzugeben.«87 Was darunter zu verstehen sei, erfährt kein erläuterndes Wort. Auch die Versicherung, die Treue des Wortlauts sei eine ›absolute‹, die der Schreibung hingegen den Gepflogenheiten der Reihe angepaßt, wird in bezug auf die letztere Einschränkung nicht detailliert erklärt. Ein Blick in das insgesamt schmale Bändchen belehrt, daß zumindest Groß- und Kleinschreibung gewahrt sind – keineswegs eine Selbstverständlichkeit, wie sich sogleich zeigen wird. Die ›Anmerkungen‹ beschränken sich in aller Regel auf Worterklärungen. 151 Gedichte bietet Oesterley, zunächst ›Geistliche Lieder‹, sodann ›Weltliche Lieder‹, schließlich ›Vermischte Gelegenheitsgedichte‹. Den Standards der Reihe Goedekes und Tittmanns war damit Genüge getan. –––––– 86

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Gedichte von Simon Dach. Hrsg. von Hermann Oesterley.- Leipzig: Brockhaus 1876 (= Deutsche Dichter des siebzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen und Anmerkungen; 9), S. LV. Ebd., S. LVI.

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Oesterleys Dach-Ausgabe in der ›Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart‹ Oesterley wird allgemein bescheinigt, mit seiner Edition im Stuttgarter Literarischen Verein eine neue Etappe in der Dach-Philologie eröffnet zu haben. Zu Recht. Die Edition ist dreiteilig aufgebaut. In einem ersten Teil in Gestalt eines knapp neunzig Seiten umfassenden Vorspanns wird die Überlieferung der Dachschen Gedichte zusammengefaßt und eine Vita des Autors geboten. Im zweiten Teil findet man auf weit mehr als 800 Seiten die Dachschen Texte präsentiert. Der abschließende Teil ist der Verzeichnung der Dachschen Gedichte und dem Namens-Register gewidmet. Es lohnt sich, bei allen drei Einheiten einen Moment lang zu verweilen.88 Die einleitende Überlieferungsgeschichte ist die ausführlichste geblieben, die wir bis zur Erarbeitung des vorliegenden Versuchs besaßen. So detailliert wie nie zuvor und nie wieder danach ist zunächst das wichtigste Corpus der Überlieferung analysiert worden: das Arletsche Vermächtnis in Breslau. Hier saß Oesterley direkt an der Quelle und konnte aus unmittelbarer Anschauung schöpfen. Wir werden im zweiten Teil unserer Untersuchung anläßlich einer Schilderung der jetzigen Situation in Wrocław auf Oesterleys Ermittlungen zurückkommen. Sie sind insbesondere für die handschriftliche DachÜberlieferung von großem Wert und mehrfach die einzigen uns verbliebenen Zeugnisse. Vom Verschwinden der Bartschschen und der Pisanskischen Sammlungen spricht auch er kommentarlos und ohne Erwägung von Alternativen. Über mögliche Provenienzen der Berliner Sammlung äußert er sich nicht, sondern spricht der Königlichen Bibliothek das Verdienst zu, diese Sammlung sukzessive aufgebaut zu haben. Aus Göttingen, Dresden, Mitau und Weimar sowie aus der Privatsammlung von Maltzahns habe er zusätzlich schöpfen können. Die musikalischen Sammlungen vor allem in Königsberg, Berlin und Breslau seien herangezogen worden, ohne daß ins Detail gegangen würde im Rechenschaftsbericht. Für Königsberg bleibt hinsichtlich der Musikalia Josef Müller erste Autorität, nun ergänzt eben um Bestände in den beiden anderen großen Leitbibliotheken für Dach. Gänzlich unzureichend ist Oesterleys Bericht über die Situation in Königsberg. Hier hat er offensichtlich nicht selbst gearbeitet, sondern war auf Auskünfte von Rudolf Reicke in der Königlichen und Universitätsbibliothek und Friedrich Adolf Meckelburg im Staatsarchiv angewiesen, denen er in der Vorrede dankt, die sich beide aber offensichtlich nicht hinreichend gut in der komplizierten Materie auskannten. –––––– 88

Vgl. zum Folgenden: Simon Dach. Hrsg. von Hermann Oesterley.- Tübingen: Fues 1876 (= Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart; 130). Reprint Hildesheim, New York: Olms 1977.

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Eine weitere sammlung von originaldrucken in öffentlichen bibliotheken ist mir nicht bekannt geworden, namentlich hat die vermuthung, dass derartiges in Königsberg vorhanden sei, sich als irrig erwiesen; die dortigen bibliotheken besitzen nur einen allerdings sehr reichen schatz von einzelnen, vielfach in den verschiedensten sammelbänden verstreuten und daher nur mit großer mühe aufzufindenden stücken.89

Diese Äußerung ist entschieden zu ungenau und – wie sich zeigen wird – im Entscheidenden, nämlich im Blick auf größere geschlossene Kollektionen, auch unrichtig. Die Unschärfe, um nicht zu sagen, Laxheit an dieser Stelle ist zutiefst zu beklagen. Die Dach-Philologie stände anders da, wenn von Oesterley gründlicher recherchiert und berichtet worden wäre. Die an dieser Stelle sich auftuende Lücke wurde im weiteren Fortgang der Forschung nicht mehr geschlossen. Und nach 1945 waren nur noch Indizienbeweise zu führen, wie wir sie erstmals ausführlich anstellen werden. Umgehen wir den Hauptteil noch für einen Moment und schauen zunächst in die wissenschaftlichen Beigaben am Schluß. Das Bild ist, wie wir schmerzlich feststellen müssen, ein desolates. Hier ist mit gutem Willen ein Amateur am Werk gewesen, dem offensichtlich von keiner Seite qualifizierte Hilfe zuteil wurde, wie sie möglicherweise ja auch gar nicht erbeten wurde. Oesterley beabsichtigt, alle ihm bekannt gewordenen Gedichte Simon Dachs zu verzeichnen. Das ist dankenswert. Aber die Art, wie es geschieht! Er trennt zunächst die deutschen von den lateinischen, was selbstverständlich ganz gegen die Usancen des Zeitalters ist, das eine solche Scheidung nicht kennt. Und dann ordnet er beide Gruppen nach den Gedichtanfängen! Etwas Widersinnigeres ist schwerlich denkbar. Der Leser möchte die Titel der Gedichte kennenlernen, und zwar gleichermaßen der in der Ausgabe publizierten wie der nicht berücksichtigten. Die chronologische Anordnung wäre das Mittel der Wahl gewesen. Sie wurde erwogen, aber verworfen, weil allzu viele Gedichte ohne Datierung vorlägen, was ersichtlich aufs Ganze gesehen nicht der Fall ist. Die Incipita hätte man dann gerne in einem zusätzlichen Register aufgeführt gesehen. So aber kommt eine Mischaufnahme zustande, mit der dem Benutzer nicht gedient ist. Im Anschluß an das Incipit steht statt des diplomatischen Titels ein selbstgebastelter Kurztitel mit Angabe der bedichteten Personen und des Datums bei Gelegenheitsgedichten sowie einer Nennung der Quelle, aus der geschöpft wurde, und zwar mit Angabe der Signatur bei Einzeldrucken (dies jedoch keinesfalls immer) bzw. Nummer von Band und Stück in Sammelbänden. Eine irgend geartete Vorstellung über die prozentualen Anteile der ausgeschöpften Sammlungen ist auf diese Weise nicht zu gewinnen. Und dies um so weniger, als in aller Regel auch bei Mehrfachaufkommen nur ein Verweis geliefert wird. Willkommen –––––– 89

Ebd., S. 5.

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ist das abschließende Register der bedichteten Personen. Ein Kommentar indes fehlt durchgehend. Der abschließende Apparatteil ist mit anderen Worten zu schmal geraten, zugleich aber auch zu unprofessionell gearbeitet. 1261 Stücke hatte Oesterley in seiner Bibliographie aufgeführt, 1002 deutschsprachige, 259 lateinische. Die Edition selbst bietet nur deutschsprachige Texte. Eine qualifizierte Begründung für diese zutiefst zu bedauernde Entscheidung fehlt. Was den eigentlichen text anlangt, so habe ich alle gedichte aufgenommen, die entweder ihrer poetischen, oder ihrer litterärgeschichtlichen bedeutung wegen auch für die gegenwart noch von werth sind; doch bezieht sich dieser grundsatz nur auf die deutschen gedichte; von den lateinischen haben nur diejenigen aufnahme gefunden, die entweder mit deutschen dichtungen eng verknüpft waren, oder ihrer litterärgeschichtlichen wichtigkeit wegen nicht außer acht bleiben durften.90

Ein Gespür für die Problematik dieser Entscheidung ist nicht erkennbar. Auch bleibt eine Reflexion über die Prinzipien der Auswahl ausgeklammert. Oesterley hat auch unter den deutschsprachigen Gedichten eine Auslese getroffen. Das durchgezählte Werk umfaßt 413 Nummern, also weniger als die Hälfte. Begrüßen wird man seinen Grundsatz, nur vollständige Texte darzubieten. Der Preis, den er dafür entrichten zu müssen glaubte, gewährt am Rande auch Einblick in sein Dichtungs-Verständnis, das in Übereinstimmung mit seiner Zeit dem Gelegenheitsgedicht nicht eben zuträglich ist. In keinem Fall sollten »bruchstücke« mitgeteilt werden. Es läßt sich nicht leugnen, dass dadurch mancher schöne vers bei seite geworfen ist, der wohl werth gewesen wäre, erhalten zu bleiben, denn Dach beginnt seine gedichte sehr häufig mit einigen wahrhaft poetischen strophen, um sich demnächst seitenlang in reimen der gewöhnlichsten art zu ergehen; aber ich habe mich nicht für befugt gehalten, diese gedichte unnöthig zu zerstückeln und umzuarbeiten, zumal des schönen doch noch genug übrigblieb.91

Diese Sätze sprechen für sich selbst. Am liebsten hätte der Editor die unschönen, weil nur der Gelegenheit geschuldeten Verse gekappt. Hier handele es sich schließlich doch nur um versificationen über die lebensumstände der besungenen und ihrer angehörigen, ohne irgendwelchen höheren poetischen oder geistigen inhalt [...], die schon bei ihrer entstehung nur einen momentanen werth besaßen, und daher für die gegenwart und zukunft um so weniger anspruch auf bedeutung erheben können, namentlich in den nur zu häufigen fällen, in denen auch die besungenen personen keinerlei interesse mehr zu erregen vermögen.92

–––––– 90 91 92

Ebd., S. 15. Ebd. Ebd., S. 14.

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Nur »pietät«, welche nun auch bemüht wird und die »eher zu viel, als zu wenig« gewaltet habe, gebot schließlich der Versuchung Einhalt, eingreifend, sprich: kürzend tätig zu werden.93 Da lag eine große Aufgabe ganz offensichtlich nicht in den rechten Händen. Aber wo wären die in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zur Stelle gewesen? Die Edition selbst ist in sechs Abteilungen untergliedert: ›Geistliche Lieder‹, ›Weltliche Lieder‹, ›Dramatisches‹, ›Dach und das Kurfürstliche Haus‹, ›Dach und sein Freundeskreis‹, ›Vermischte Gelegenheitsgedichte‹. Die Anordnung innerhalb dieser Gruppen folgt sinnvollerweise im wesentlichen der Chronologie. Gelegentlich wird zeitlich Auseinanderliegendes, jedoch thematisch Zusammengehöriges beisammen gelassen. Undatiertes ist jeweils am Schluß plaziert. Die Scheidung in geistliche und weltliche Gedichte erfolgt ohne ein erläuterndes, von irgend geartetem Problembewußtsein getrübtes Wort. In der Abteilung ›Dramatisches‹ – welch ein Titel! – steht »nur das einzige schauspiel Cleomedes, da dieses völlig genügt, um Dach als dramatiker [!] kennen zu lernen, und zudem sein zweites drama ›Prussiarchus‹ oder ›Sorbuisa‹ im dialoge gar nicht ausgearbeitet ist.«94 Die Chance, die verschiedenen Versionen des letzteren Schaustücks zu präsentieren, wurde also nicht genutzt. Wie für die Kasualia fehlte für die allegorisch-panegyrische Anlage dieser mit Musik dargebotenen Schaustücke jedes Verständnis. Im vierten Abschnitt sind nur die auf das Kurfürstlich-Brandenburgische Haus gerichteten Gedichte abgedruckt; dagegen die gedichte an andere fürstliche personen unterdrückt, um diese abtheilung, die überhaupt weniger ihres dichterischen gehalts, als ihrer geschichtlichen bedeutung und der darin niedergelegten gesinnung hingebender unterthanentreue wegen werthvoll ist, nicht allzusehr anschwellen zu lassen.95

Ein Gattungsbegriff wie derjenige des paneygrischen Fürstenspiegels im Gewande des Gelegenheitsgedichts wäre vermutlich bei dem Herausgeber auf Unverständnis gestoßen. Der »hingebenden unterthanentreue« verdankten diesbezügliche Texte in Auswahl ihr editorisches Überleben. In der fünften Abteilung sind die an die Freunde gerichteten und die »vorwiegend persönliche verhältnisse Dachs berührenden und ihn als dichter charakterisierenden stücke« aufgenommen.96 Daß persönliche Bewandtnisse in ganz ungewöhnlicher Vielfalt und Prägung auch in die Kasualia hineinspielen, wird nicht erörtert. Die letzte Gruppe schließlich präsentiert sich als ein wenig schöner Gemischtwarenladen, nämlich als –––––– 93 94 95 96

Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. Ebd. Ebd.

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eine auswahl von gelegenheitsgedichten der verschiedensten art, die theils ihres alters [?], theils ihrer form oder ihres inhalts wegen, theils aber nur deshalb aufnahme gefunden haben, um einzelne weniger hervortretende eigenschaften in Dachs charakter [!], z.b. das neckische und schelmische, urkundlich zu belegen, wie denn auch, um keinerlei lücke in dem gesamtbilde zu laßen, selbst einige stücke aus der masse der nichtssagenden lohnarbeitsgedichte mitgetheilt worden sind.97

Hinsichtlich der Darbietung der Texte gibt Oesterley zu Protokoll, daß keine Eingriffe in den Wortlaut erfolgt seien. Die redaktionelle Zurichtung, um »durch größere lesbarkeit die gedichte der gegenwart näher« zu bringen, ist gleichwohl eine beträchtliche.98 Daß i und j, v, u und ü modernen Gepflogenheiten ebenso angeglichen wurden wie Bindestriche und Interpunktion, mochte eben noch hingehen. Daß jedoch die auch von Oesterley favorisierte Kleinschreibung der Substantiva nun den Dachschen Texten aufoktroyiert wurde, war ein philologischer Sündenfall ersten Ranges. Anläßlich der der Zeit geschuldeten Aversion gegen die Gelegenheitsdichtung nimmt es kaum noch Wunder, daß die Titel der Gedichte, und sei es auch nur in Kurzform, vor den Texten selbst nicht erscheinen. Sie stehen entweder nackt und bloß da oder sind versehen mit titularischen Handreichungen, denen beim besten Willen nicht anzusehen ist, was da des Dichters Wortwahl sein könnte und was Substitut des Herausgebers ist. In den meisten Fällen dürfte es sich um Verschnitte handeln – ein unhaltbarer und auf Dauer von einem Fach, in dessen Zuständigkeit auch die Pflege der Texte des 17. Jahrhunderts gehört, nicht hinnehmbarer Zustand. Die Dach-Ausgabe in Kürschners ›Deutscher National-Litteratur‹ Die Ausgabe in Kürschners Deutscher National-Litteratur erhob nicht die gleichen Ansprüche wie die Stuttgarter. Der Gesamtherausgeber hatte sie als 30. Band in der Reihe unter eine absurde Rubrik gestellt: Die erste schlesische Schule V.99 Innerhalb dieser gab es überhaupt nur einen Vorgänger Nr. IV mit diesem Reihen-Untertitel, Andreas Gryphius gewidmet. Die beiden anderen Vorgänger – Band 27, die Weltliche und geistliche Dichtung Opitzens enthaltend, sowie Band 28 mit Texten von Fleming, Logau und Olearius, beide gleichfalls von Oesterley betreut – trugen den Untertitel Die erste schlesische Schule noch nicht. Mit Blick auf diese Bände war offensichtlich die Numerierung erfolgt, wobei die Zählung um einen Band verrutschte (wenn –––––– 97 98 99

Ebd. Ebd., S. 17. Simon Dach, seine Freunde und Johann Röling. Hrsg. von H. Oesterley.- Berlin, Stuttgart: Spemann o.J. (= Deutsche National-Litteratur; 30. Die erste schlesische Schule; V).

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anders man nicht auch noch Aegidius Albertinus im Band 26 der Reihe zuordnen wollte). Die Abteilung selbst aber war offensichtlich im nachhinein gebildet worden, um ein Gegengewicht zur Zweiten schlesischen Schule zu schaffen, für die zwei Bände reserviert blieben, Hoffmannswaldau und der späten schlesischen Lyrik sowie Zieglers Asiatischer Banise und Kostproben aus dem Romanschaffen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts vorbehalten. Hier herrschte also erhebliche, dem Herausgeber Oesterley gewiß nicht anzulastende Konfusion. Die Ausgabe bot eine Auswahl des ›Königsberger Freundeskreises‹, wie er einleitend kurz präsentiert wird: 125 Gedichte von Dach, acht von Roberthin, sechs von Albert, jeweils zwei von Kaldenbach und von Adersbach, zwei Anonyma und 54 von Röling, der mit dieser Ausgabe recht eigentlich der Literaturgeschichte erstmals gewonnen wurde. Den einzelnen Abteilungen stehen kurze Porträts der Dichter voran. Die Kleinschreibung der Substantiva ist rückgängig gemacht worden. Die Orthographie der Originale ist ausweislich einer ›Notiz zum Text‹ durchgehend »festgehalten«, nur ›ht‹ wurde stets in ›th‹ verwandelt.100 An der Darbietung der Titel und Überschriften zu den Gedichten hat sich nichts Eingreifendes geändert. Wohl aber hat Oersterley offensichtlich mit eigenmächtigen Eingriffen des ›Korrektors‹ auf den ersten Bögen zu kämpfen gehabt, die sinnigerweise am Schluß wieder rückgängig zu machen waren. In der einleitenden Dach-Biographie wird die unrichtige Behauptung neuerlich in Umlauf gesetzt, wonach »die Königsberger Bibliotheken nur eine große Anzahl von ungesammelten Einzeldrucken besitzen«.101 Im übrigen kann der Herausgeber auf die bereits vorliegende Ausgabe im Stuttgarter Literarischen Verein verweisen, welche »das dichterisch wirklich Wertvolle« versammle.102 Wie sehr bewundern wir ihn ob dieser von keinem Zweifel heimgesuchten Gewißheit.

7. Der editorische Beitrag der Musikwissenschaft Königsberg stand in der musikalischen Landschaft des alten deutschen Sprachraums in gewisser Hinsicht einmalig da.103 Die Pflege der Musik da–––––– 100 101 102 103

Ebd., S. 345. Ebd., S. XVIII. Ebd. Vgl. hierzu den Eintrag ›Königsberg‹ von Hans Engel in: Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Bd. VII (1958), Sp. 1369–1380; in der 2. Aufl. Bd. V (1996), Sp. 559–563 mit der einschlägigen Literatur. Grundlegend Joseph Müller-Blattau: Geschichte der Musik in Ost- und Westpreußen von der Ordenszeit bis zur Gegenwart.- Königsberg: Gräfe & Unzer 1931 (2., erg. und mit 15 Abb. versehene Aufl.-

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tierte zurück auf das ungewöhnliche Interesse, das Herzog Albrecht an ihr nahm. Die Bestellung einer Hofkapelle, die Verpflichtung herausragender Musiker und die Sammlung von Musikalien gingen schon frühzeitig zusammen. Hinzu kam, daß der höfische Impetus sich bruchlos mit einem gelehrten verband, als die Pflege der neueren Dichtkunst in Königsberg, gefördert durch Universität, Kirche und Schule, eine wohlgegründete Heimstatt fand. Die herausragende Rolle des Liedschaffens unter den deutschen Dichtern des 17. Jahrhunderts ist nur aus der engen Verbindung mit den vor Ort wirkenden Musikern erklärlich. Vonnöten sind jedoch immer auch Personen, die sich sammelnd und ordnend des Erbes der Vergangenheit annehmen. Mit Blick auf die Texte Dachs wurde von ihnen berichtet. Die Musikkultur Königsbergs wurde zur lebensbestimmenden Passion des langjährigen Rektors des Friedrichkollegs Friedrich August Gotthold (1778–1858).104 Er brachte im Rahmen einer universal gepflegten Bibliothek eine musikalische Kollektion bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen, der wenig in Deutschland zur Seite gestellt werden konnte. Die Pflege der Königsberger Musikkultur der Frühen Neuzeit mit ihrem Schwerpunkt um 1600 nahm einen bevorzugten Platz im sammlerischen Werk Gottholds ein. Kam dann – nach einer Reihe von wenig glücklichen Versuchen, seine unmittelbare Wirkungsstätte zu beschenken – eine Institution wie die Königliche Universitätsbibliothek vor Ort in den Genuß der Schätze, so rückte sie mit einem Schlag zu einer der führenden Musikbibliotheken im Reich auf. Um diesen Ruf jedoch zu befestigen, bedurften die aus verschiedenen Quellen herrührenden ––––––

104

Wolfenbüttel, Zürich: Möseler 1968). Ders.: Die Musik im Zeitalter der Reformation und des Barock.- In: Deutsche Staatenbildung und deutsche Kultur im Preußenlande. Hrsg. vom Landeshauptmann der Provinz Ostpreußen.- Königsberg: Gräfe und Unzer 1931, S. 221–274. Zur Hofkapelle: Albert Mayer-Reinach: Zur Geschichte der Königsberger Hofkapelle in den Jahren 1578–1720.- In: Sammelbände der Internationalen Musik-Gesellschaft 6 (1904/05), S. 32–79. Dazu die Miszelle von Paul Ziemann: Königsbergs musikgeschichtliche Bedeutung.- In: Programmbuch zur 17. Generalversammlung des Diözesanverbandes der Cäcilienvereine Ermlands.- Königsberg 1932, S.17–20. Zum Kontext: Erwin Kroll: Musikstadt Königsberg. Geschichte und Erinnerung.- Freiburg/Br., Zürich: Atlantis 1966; Kurt Rattey: Die Musikkultur des deutschen Ostens im Zeitalter der Reformation.- In: Bericht über den 1. Musikwissenschaftlichen Kongreß der Deutschen Musikgesellschaft Leipzig 1925.- Leipzig: Breitkopf & Härtel 1926, S. 393–396. Zur Forschungsgeschichte ergiebig J[oseph] H. Müller-Blattau: Die Erforschung der Musikgeschichte Ostpreußens.- In: Altpreußische Forschungen 3 (1926), S. 70–108. Vgl. Ernst Wermke: Friedrich August Gotthold und seine Bibliothek.- In: Königsberger Beiträge. Festgabe zur vierhundertjährigen Jubelfeier der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg Pr.- Königsberg: Gräfe und Unzer 1929, S. 354–373. Dazu der Beitrag von Werner Braun: Mitteldeutsche Quellen der Musiksammlung Gotthold in Königsberg.- In: Musik des Ostens 5 (1969), S. 84–96.

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Sammlungen der katalogischen Erschließung. Joseph Müller hat sich dieser entsagungsvollen Tätigkeit gut zehn Jahre nach Vereinnahmung der Gottholdschen Bibliothek unterzogen.105 Seit 1870 stand die Universitätsbibliothek im hohen Norden mit ihren prachtvollen Ausgaben aus dem 16. und 17. Jahrhundert vor allem dank des Herzogs und später dann dank Gottholds Wirken fortan neben den maßgeblichen Häusern in Berlin, Breslau, Dresden und Hamburg. Der Ruf Königsbergs als musikalischer Metropole in ihrer Blütezeit und als herausragender Stätte der bibliothekarischen Dokumentation war gesichert und hielt sich bis 1945. Fischers Text-Edition von Alberts ›Arien‹ und Eitners ›Musik-Beilagen‹ In Braunes Neudrucken deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts bei Niemeyer in Halle, der vierten der hier in Anschlag zu bringenden großen Reihen, waren als Nr. 46 und Nr. 47 in zwei schmalen Bänden 1883 und 1884 Gedichte des Königsberger Dichterkreises aus Heinrich Alberts Arien und musikalischer Kürbshütte (1638–1650) erschienen. Als Herausgeber zeichnete Leopold Hermann Fischer, der sich in seiner Eigenschaft als Stadt- und Kreisschulinspektor zu Berlin durch eine Reihe von pädagogischen und musikpädagogischen Werken hervorgetan hatte, in die Geschichte der deutschen Philologie jedoch durch seine Editionen von Logau, Titz, Johann Leonhard Frisch und eben der Königsberger einging.106 Ihm kommt das Verdienst zu, die komplizierte Überlieferungsgeschichte der Albertschen Arien und Melodeyen erstmals auf eine bibliographisch fortan verwendbare Grundlage gestellt zu haben, wobei ihm die reichen Bestände der Königlichen Bibliothek zur Verfügung standen. Auch verdankt man ihm eine aus der Königsberger Intimatio erstmals geschöpfte Biographie Alberts, den er – mit anderen Forschern – beharrlich als »Alberti« tituliert. Gründlich gear–––––– 105

106

Joseph Müller: Die musikalischen Schätze der Koeniglichen und Universitäts-Bibliothek zu Koenigsberg in Pr. aus dem Nachlasse Friedrich August Gotthold’s. Nebst Mittheilungen aus dessen musikalischen Tagebüchern. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Tonkunst.- Bonn: Marcus 1870. Reprint Hildesheim, New York: Olms 1971. Dem Reprint ist eine 1923/24 im sechsten Band der Zeitschrift für Musikwissenschaft auf S. 215–239 erschienene Abhandlung von Müller-Blattau hinzugefügt: Die musikalischen Schätze der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg i.Pr. Vgl. zum näheren Klaus Garber: Apokalypse durch Menschenhand. Königsberg in Altpreußen – Bilder einer untergegangenen Stadt und ihrer Memorialstätten. – In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 3– 116, S. 56 f. Anm. 89. Zu Leopold Hermann Fischer vgl. den Eintrag in der 3. Aufl. des Deutschen Literatur-Lexikons von Wilhelm Kosch, Bd. V (1978), Sp. 135. Fischers gesammelte Aufsätze Aus Berlins Vergangenheit erschienen 1891.

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beitete Kurzbiographien von Roberthin, Titz, Kaldenbach, Wilkau, Mylius, Behm, Sand, Koschwitz, Linemann und Thilo einschließlich Notizen zu ihrem Werk traten hinzu. Der Königsberger Dichterkreis wurde damit erstmals wissenschaftlich fundiert greifbar und alle Zeugnisse über ihn in einem eigenen Abschnitt beigebracht, so daß Goedeke wenig später daraus mit Gewinn schöpfen konnte, wie seinem Porträt dieses Zirkels deutlich anzumerken. Auch bot Fischer erstmals eine Zusammenstellung der ihm bekannt gewordenen Gedichte und Tonsätze Alberts in Einzeldrucken. Schließlich schlüsselte er die Beiträger zu dem Albertschen Sammelwerk mit genauen Angaben ihres Vorkommens darin auf. Die Gedichte aus den acht Bänden der Albertschen Arien und Melodeyen nebst seiner Musikalischen Kürbs = Hütte waren erstmals textkritisch hervorragend aufgearbeitet greifbar. Es mangelte allein an der Musik. Und das Verlangen nach ihr konnte durch die vorbildliche Textausgabe nur befördert werden.107 Ihm kam der Doyen der bio-bibliographischen Grundlagenforschung in der Musikwissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Robert Eitner, persönlich entgegen. 1884 bot er wiederum bei Niemeyer in den Neudrucken unter der Nummer 48 mit dem Titel Heinrich Albert. Musik-Beilagen zu den Gedichten des Königsberger Dichterkreises eine schmale Auswahl von Melodien, die eine erste Vorstellung von dem musikalischen Gepräge der ja liedhaft verfaßten Texte bot. Eitner hatte bei der Auswahl gleichermaßen »den musikalischen Wert als [auch] die musikhistorische Bedeutung der Tonsätze berücksichtigt«. Er fügte, einer Empfehlung Alberts in der Vorrede zu seinem Werk entsprechend, zu der Melodie und dem bezifferten Baß eine Klavierbegleitung hinzu, die das Arienwerk nun auch zum häuslichen Musizieren tauglich machte. Einige der Lieder waren in späteren Ausgaben bereits mit mehrstimmigem Satz versehen worden, den Eitner seinerseits dann zugrundelegte. Wir möchten nicht versäumen, die wenigen Sätze, die Eitner seinem kleinen Büchlein vor weit mehr als hundert Jahren mit auf den Weg gab, in Erinnerung zu rufen: Wenn den Liedern auch noch die symmetrisch abgerundete Form fehlt und es mehr noch ein Tappen nach dem richtigen Ausdruck ist, so können wir doch in Albert den ältesten Liederkomponisten bewundern, der fast ohne Vorbild aus eigener schöpferischer Kraft das Gedicht in meist treffender Deklamation zum melodischen

–––––– 107

Es mag erlaubt sein, auf die fast 50 Seiten umfassende Einleitung pauschal zu verweisen: Gedichte des Königsberger Dichterkreises aus Heinrich Alberts Arien und musicalischer Kürbshütte (1638–1650). Hrsg. von L.H. Fischer.- Halle: Niemeyer 1883 (= Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 44–47).

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Ausdruck bringt. [...] Diese kleinen Perlen waren die Wegweiser für die Künstler und an ihnen lernten sie Form und Ausdruck beherrschen.108

Bernoullis und Kretzschmars Edition der ›Arien‹ Natürlich aber vermochte die schmale Auswahl keinen Ersatz zu bieten für eine Gesamtausgabe des geschichtlich so wirkungsreichen Albertschen Arienwerkes und damit für die musikalische Präsenz der Dichter der Königsberger Kürbishütte. 1903 kamen die Albertschen Arien und Melodeyen in den Denkmälern deutscher Tonkunst in einer von Eduard Bernoulli besorgten zweibändigen kritischen Ausgabe heraus. Die Einleitung hatte der erste Sachkenner der preußischen Musikgeschichte ebenso wie der Gattung des Liedes Hermann Kretzschmar übernommen. Das Werk erfuhr 1958 in der gleichen Reihe eine kritisch revidierte Neuauflage, für die nun ein anderer Experte, Hans Joachim Moser, zeichnete. Bernoulli selbst, der krankheitsbedingt im ersten Band nicht zu Wort kommen konnte, lieferte zu Beginn des zweiten einen eingehenden ›Revisionsbericht‹, mit dem die textkritische Fundierung des Unternehmens gegeben wurde. Man hatte sinnvollerweise die Erstauflage des achtteiligen Werkes in einem Exemplar der Königlichen Hof- und Staatsbibliothek zu München zugrundegelegt und mit ihr die letzte Auflage in einem in der Stadtbibliothek Leipzig vorhandenen (und im Zweiten Weltkrieg vernichteten) Exemplar kollationiert. Darüber hinaus mußte Ausschau gehalten werden nach weiteren Varianten zwischen der ersten und der letzten Auflage. Insgesamt aber galt für die musikalische Behandlung, wie sie von Albert über die Auflagen hinweg beobachtet worden war: Varianten der späteren Auflagen deuten zwar hie und da auf Verbesserungen H. Alberts, aber öfter noch darauf, daß sich die erste, teilweise auch die spätere Auflage seiner Arien vielfach in Einzelheiten auf das Notwendigste beschränkte. Gerade die figurierende Ausschmückung des Gesanges und des begleitenden Basses blieb einigermaßen der Improvisation überlassen.109

Moser bescheinigte im knappen Vorspann zur Neuauflage später, daß »der Züricher Privatdozent Eduard Bernoulli (gest. 1927) als Kretzschmars Schüler die Text- und Notenwortlaute der Arien mit bewährter Zuverlässigkeit –––––– 108

109

Beide Zitate in der unpaginierten einseitigen ›Vorbemerkung‹ zu: Heinrich Albert. Musik-Beilagen zu den Gedichten des Königsberger Dichterkreises. Hrsg. von Rob[ert]. Eitner.- Halle/Saale: Niemeyer 1884 (= Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts; 48). Heinrich Albert: Arien I [und] II. Einleitung von Hermann Kretzschmar. Hrsg. von Eduard Bernoulli.- Leipzig: Breitkopf & Härtel (1904) (= Denkmäler Deutscher Tonkunst; 12), Bd. II, S. V.

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übertrug«, monierte hingegen, daß »Kretzschmar in der Wahl des Generalbaß-Aussetzers nicht glücklich gewesen« sei.110 Hier war ein Eingriff Mosers in der Neuauflage vonnöten. In Kretzmarschs großer Einführung in die neue Edition lautete der erste, im folgenden sogleich eine gewisse Einschränkung erfahrende Satz: »Heinrich Alberts Arien werden hier im Neudruck vorgelegt, weil mit ihnen die Geschichte des modernen deutschen Liedes, des begleiteten Sololiedes beginnt.« Michael Praetorius, Johann Hermann Schein und Melchior Franck, Johann Nauwach und Thomas Selle, waren mit einzelnen Proben vorangegangen. »Aber Albert ist der erste Spezialist des neuen Lieds und hat ihm durch die Nachhaltigkeit, mit der er seine acht Arienbände vertreten, zuerst das musikalische Bürgerrecht erworben. [...] Erst der hier vorgelegte Band der Denkmäler wird den Namen Alberts zu der allgemeinen Geltung bringen, die ihm gebührt.«111 Damit war der aufwendigen Edition mehr als ihre Legitimation gesichert. Der Musikwissenschaft stand fortan eine grundlegende Ausgabe für den musikalischen Repräsentanten des 17. Jahrhunderts aus Königsberg zur Verfügung, von der auch die Nachbardisziplin der Germanistik hätte profitieren können, wenn anders es zu einem Austausch über die Fachgrenzen hinweg gekommen wäre, wie sie versuchsweise erst über die erneuerte Barockforschung der späten sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zustande kam. Der Band wurde mit einer eingehenden Vita Alberts eröffnet. Wechselte der Musikwissenschaftler dann freilich das Terrain und äußerte sich – einer langen Tradition gemäß – über den Königsberger Dichterkreis, so geriet er rasch in die Irre. Den »Gästen« der Albertschen Kürbishütte dichtete er an, »daß es sich hier um einen Bund von Männern handelt, der sich ex officio mit Trauerangelegenheiten beschäftigt. [...] Einer solchen Fraternität, aus zwölf ordentlichen Mitgliedern bestehend, ist die Dichtung der ›Musikalischen Kürbishütte‹ gewidmet.«112 Da versagte die Kunst des Entzifferns emblematischer Figurationen – und das, nachdem wenige Sätze vorher von Winterfelds These zurückgewiesen worden war, »daß die Spezialität dieses Königsberger Dichterkreises Sterbegedanken gewesen seien.« »An und für sich waren diese Begräbnisgesellschaft – die der Kürze wegen ›Kürbishütte‹ genannt werden mag – und der Königsberger Dichterkreis ganz getrennte –––––– 110

111 112

Heinrich Albert: Arien I [und] II. Einleitung von Hermann Kretzschmar. Hrsg. von Eduard Bernoulli. In Neuauflage hrsg. und kritisch revidiert von Hans Joachim Moser.- Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1958 (= Denkmäler Deutscher Tonkunst; 12), S. [XXI]: ›Zum Neudruck 1958‹ im Anschluß an die Einleitung Kretzschmars. Ebd., S. V. Ebd., S. XI.

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Institute.«113 Es bleibt zu bedauern, daß an prominenter Stelle in einer eingeführten Reihe der Musikwissenschaft derart absurde Behauptungen den Weg in die Öffentlichkeit fanden, die auch in der Neuauflage kommentarlos wieder abgedruckt wurden. Gibt die Rede vom Königsberger Dichterkreis einen irgend gearteten Sinn, so ist sie auf eben jene Personen zu beziehen, die sich zeitweilig in Alberts Gärtchen zusammenfanden und darüber hinaus durch freundschaftliche, berufliche und poetisch-musikalische Bande in mehr oder weniger enger Verbindung standen. Gerne hingegen würden wir dem Musikwissenschaftler folgen, wenn er mit Blick auf die Musikalische Kürbishütte feststellt, daß in ihrer Musik Alberts Tiefe der Empfindung vielleicht zum vollsten Ausdruck kommt. Sie ist aber nicht, wie das neuerdings wiederholt dargestellt worden ist, eine Sammlung von Liedern, aus der man einzelne als Proben herausgreifen darf, sondern eine zusammenhängende, aus zwölf, abwechselnd von hohen und tiefen Stimmen gesungene, je ein Mitglied der Gesellschaft feiernden Terzetten gebildete Kantate. In der Folge der Sätze und in ihrer Gesamtwirkung liegt ein Hauptteil ihres Wertes.114

Die ›Musicalische Kürbs = Hütte‹ Damit ist Gelegenheit, zur Edition dieses besonders reizvollen Stückes und einiger mit ihm verknüpfter Probleme herüberzuwechseln. Schon in der Ausgabe der Arien von Fischer hatte auch der Text der Musicalischen Kürbs = Hütte, Welche vns erinnert Menschlicher Hinfälligkeit gestanden, geschrieben vnd Jn 3 Stimmen gesetzt von Heinrich Alberten. 1641.115 Er bildete das Werk, mit dem sich Name und Wirken des Königsberger Dichterkreises fortan in erster Linie verbanden. Dazu trug nicht zuletzt das Titelkupfer bei, mit dem es in die Welt trat. Freilich gelang es schon Fischer nicht, die mit seinem Erscheinen verbundenen bibliographischen Probleme aufzuklären. Ihre Behandlung ist heute noch schwieriger geworden. Fischer erwähnt zwei Exemplare der Kürbs = Hütte in Berlin, eines in Tübingen und eines in Wien. Er selbst hatte nur die beiden Berliner Exemplare in der Hand gehabt. Aus seiner Beschreibung ist nicht ersichtlich, ob es sich um zwei identische Exemplare der Ausgabe handelt oder ob nur das zweite Exemplar (A 262) der Beschreibung zugrundegelegt, eine Kollationierung also verabsäumt wurde: –––––– 113 114 115

Ebd. Ebd., S. XIV. In der Ausgabe Fischers S. 299–303. Zu den im folgenden diskutierten Problemen vgl. zuletzt eingehend Werner Braun: Emblemata musica. Zu Heinrich Alberts ›Musicalischer Kürbs = Hütte‹.- In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 561–578.

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Auf der Vorderseite des ersten Blattes dieser Ausgabe befindet sich ein ca. 12 1/2 cm breiter, ca. 10 cm hoher Kupferstich. Derselbe stellt einen Garten dar, in dessen Mitte eine Kürbishütte sich erhebt. Die Kürbisse sind mit Inschriften versehen. Im Hintergrunde des Gartens erblickt man ein Häuschen. Ganz vorn liegt in der Mitte, am Boden des Gartens ein Totenkopf, gekrönt von einer geflügelten Sanduhr. Auf einem Banner, der von der Höhe der Laube vor derselben herniederhängt, befindet sich folgender Titel: Musicalische Kürbs = Hütte, Welche vns erinnert Menschlicher Hinfälligkeit, geschrieben vnd Jn 3. Stimmen gesetzt von Heinrich Alberten. Unten rechts am Boden des Gartens steht kaum erkennbar die Jahreszahl 1641. Die Rückseite des ersten Blattes ist leer; auf dem zweiten Blatte findet sich oben, von einem Kranze umgeben der zweite Titel; sogleich darunter beginnt die Vorrede. Die Ausgabe besteht aus 2 1/2 Bogen Folio ohne Blattzählung.

Dieser zweite Titel aber wird erst in einer Anmerkung anläßlich des Abdrucks des Werkes wiedergegeben. Man muß annehmen, daß er einem der beiden Berliner Exemplare entnommen ist: PARTITURA oder TABVLATVR Heinrich Alberts Musicalischer Kürbs = Hütten Mit 3. Stimmen, Worauß selbige Stücklein auff einem Positif oder Jnstrument, nach Beliebung, können mit musiciret vnd gespielet werden.

Für die Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek und für die Hofbibliothek in Wien wird sodann eine Ausgabe der Kürbs = Hütte im Anhang des undatierten Nachdrucks der Arien namhaft gemacht, von der es heißt: »derselbe ist beinahe genau, nur fehlt der Holzschnitt und die Subscription über den Drucker und Druckort.«116 Von einer solchen ›Subskription‹ aber war mit keinem Wort die Rede anläßlich der Beschreibung der Berliner Exemplare. Eines der beiden Exemplare wird eine solche ›Subskription‹, also ein Kolophon, besessen haben, datiert auf das Jahr 1645. Der Widerspruch zwischen dem auf das Jahr 1641 datierten ›Holzschnitt‹ (sprich: Kupfertitel) und der Datierung im Kolophon [Gedruckt zu Königsberg bey Pasche Mensen/ im Jahr 1645.] wird mit keinem Wort gestreift. Fischer äußert sich zum Problem der Datierung und damit der möglichen Existenz zweier Ausgaben verschiedenen Datums nicht.117 Wir kommen auf den zentralen kleinen Text im zweiten Teil unserer Untersuchung zurück. –––––– 116 117

Die drei Zitate ebd., S. XXXXV f., S. 299, Anm. 1, und S. XXXXVI. Der Exemplarnachweis bei Fischer S. XXXXVI f. In Wien sind in der Österreichischen Nationalbibliothek (SA 76 A 9 (II) Mus 31) und in der ›Gesellschaft der Musikfreunde zu Wien‹ (II 15829) jeweils ein Exemplar des Nachdrucks vorhanden, nicht jedoch – wie Fischer und Dünnhaupt (Eintrag Albert 18.2) angeben – ein Exemplar des Originals mit Kupfertitel. Der Irrtum dürfte auf den Eintrag im RISM zurückgehen. Die einst in Berlin vorhandenen Exemplare liegen heute – unter den alten Signaturen Mus. ant. pract. A 262 bzw. A 264 – in der Jagiellonen-Bibliothek zu Krakau. Es handelt sich in der Tat um zwei verschiedene Exemplare, das eine (A

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Die vollständige, also auch die musikalischen Beigaben mit einschließende Edition erfolgte überhaupt erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts durch Joseph Müller = Blattau im Bärenreiter-Verlag.118 Dort heißt es einleitend: Der vorliegende Kantatenkreis Heinrich Alberts ist bisher zu Unrecht unbekannt geblieben. Denn er bildet in seiner Schlichtheit und Geschlossenheit den Höhepunkt in dem Schaffen dieses Großmeisters des ostdeutschen Barockliedes. Heinrich Schütz, der Vetter, und Johann Stobäus, der Lehrer Alberts sind wohl die Vorbilder. Aber Gehalt und Form des Ganzen sind dennoch so eigenartig und bedeutsam, daß ein Neudruck und die Wiederbelebung des schönen Werkes im Singen und Spielen durchaus lohnt.119

Müller-Blattau interessiert, wie naheliegend, die musikalische Seite des Werkes; die mit ihm verbundenen bibliograpischen Probleme kennt er nicht. Er datiert auf das Jahr 1641, diskutiert die Existenz des Kolophons nicht und gibt auch nicht an, nach welchem Exemplar der Neudruck erfolgt. Um so enthusiastischer die musikologische Einschätzung: Mannigfaltiger und in sich geschlossener ist kaum ein anderes zyklisches Chorwerk der deutschen Barockmusik. Handeln auch alle Sprüche von Leben, Tod und Vergänglichkeit, so sind sie doch in sich ganz verschieden geformt und von Albert ebenso verschieden vertont.

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262) mit dem Kupfertitel und dem Kolophon, welches – im Gegensatz zu Dünnhaupt Eintrag Dach 18.1 und 18.2 – diplomatisch korrekt lautet: Gedruckt zu Königsberg bey Pasche Mensen/ im Jahr 1645. Der zitierte zweite Titel vor der Vorrede ist mit Virgeln versehen, nicht, wie bei Fischer, mit Kommata. Der undatierte Druck (A 264) hat vor der Vorrede einen neu gesetzten, jedoch wortgleichen Titel. Drei minimale Differenzen sind auszumachen: Der Ziffer ›3‹ folgt kein Punkt, nach ›Instrument‹ steht keine Virgel, ›mit musiciret‹ ist in zwei Wörtern wiedergegeben. Auch innerhalb der Texte liegen in Orthographie und Zeichensetzung geringe Abweichungen vor; die Textsubstanz selbst ist jedoch identisch. Die Überlieferungslage nimmt sich gegenwärtig wie folgt aus: datierte Drucke befinden sich in Den Haag, London (Exemplar aus der Bibliothek Hirsch mit Vorbesitz-Stempel der Königlichen Bibliothek zu Berlin!), München (BSB), Tübingen und Wolfenbüttel; undatierte Drucke befinden sich in Den Haag, in Göttingen, wiederum in London und in München (BSB), in Paris (BN, mit Titelkupfer, jedoch ohne Kolophon!) und – wie oben gezeigt – in Wien. Alle Exemplare in Film und Kopie in der Forschungsbibliothek des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Musicalische Kürbs = Hütte welche uns erinnert menschlicher Hinfälligkeit geschrieben und in drei Stimmen gesetzt von Heinrich Albert. Mit ausgesetztem Generalbaß hrsg. von Joseph M. Müller-Blattau.- Kassel, Basel: Bärenreiter o.J. (= Bärenreiter = Ausgabe; 609). Ebd., ›Zur Einführung‹, S. [2].

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Die textliche Unterlegung zu den Noten nahm Müller-Blattau mit Unterstützung Hans Joachim Mosers selbst vor, »da die zum Spielgebrauch bestimmte Partitur Alberts die Worte nicht unterlegt. Die Motivsprache des Werkes ist jedoch so klar, daß Zweifel nur selten entstanden.«120 Die zwölf sinnbildhaft knappen Texte der Kürbs = Hütte waren damit auch musikalisch wieder zugänglich. Daß Kritik sich artikulierte, erstaunt angesichts des mutigen Zugriffs des Herausgebers nicht. Die unzureichende Anthologie Müller-Blattaus Zu leisten blieb schließlich eine musikwissenschaftliche Edition der zeitgenössischen Vertonungen ausschließlich Dachscher Texte. Hier war von Ziesemer sehr weitblickend vorgesorgt worden anläßlich der Vorbereitung seiner Dach-Ausgabe. Ihre – leider nur partielle – Edition nahm wiederum Müller-Blattau in die Hand, bei dem die Fäden der ostpreußischen Musikgeschichte seit den späten zwanziger Jahren zusammenliefen. Unter dem Titel Preussische Festlieder kamen sie 1939 wiederum im Bärenreiter-Verlag in Kassel heraus, nun der Reihe Die Landschaftsdenkmale der Musik in Ostpreußen und Danzig integriert, die unter der Leitung von Hans Engel stand.121 Der seltsame und durchaus in die Irre führende Titel Preussische Festlieder hatte Tradition in der preußischen Musikgeschichte. Eccard und Stobaeus hatten ihn für ihre Arbeiten gerne verwendet. Als wissenschaftlich gehandhabter im 20. Jahrhundert erweckte er höfische Assoziationen, meinte jedoch die herausragenden Feste im bürgerlichen Leben, zu denen eben Gelegenheitsgedichte mit Musik verfaßt wurden. »Denn diese Tonsätze erklangen zu den großen Festen des menschlichen Lebens, zu Hochzeit und Begräbnis.«122 Zehn ›geistliche Lieder‹ und zehn ›weltliche Lieder und Tänze‹ bot Müller-Blattau in seiner Edition dar. Die Texte waren aus der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek sowie in je einem Fall aus der Preußischen Staatsbibliothek Berlin, der Stadtbibliothek Breslau und der Universitätsbibliothek Uppsala geschöpft. Die aus Königsberg herrührenden Exemplare beschäftigen uns weiter unten. Ein ›kritischer Bericht‹ bot zu jedem der zwanzig Stücke einen Kurztitel, Angabe des Sterbe- bzw. Hochzeitsdatums, Nennung des Komponisten, Verweis, wo möglich, auf entsprechende Vertonungen in Alberts Arien und weitere, nicht unter den Noten stehende Texte ausgewählter Strophen. –––––– 120 121

122

Beide Zitate ebd. Preussische Festlieder. Zeitgenössische Kompositionen zu Dichtungen Simon Dachs. In Auswahl hrsg. von Josef Müller = Blattau.- Kassel: Bärenreiter 1939 (= Landschaftsdenkmale der Musik. Ostpreussen und Danzig; 1). Ebd., Vorwort S. [III].

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Die Ausgabe reihte sich ein in die »Pflege des großen Erbes deutscher Musik« in Ostpreußen, wie sie – institutionell gestützt durch das »neue Staatl. Institut für deutsche Musikforschung« in Königsberg – »nach der Erneuerung von Reich und Volk« möglich geworden war. »Schaffen und Eigenart einer bestimmten Landschaft« – hier Ostpreußens mit »seiner großen musikalischen Vergangenheit« – konnten nun repräsentiert werden.123 Das war ein auf lange Zeit projektiertes Vorhaben. Wenige Jahre später waren die Quellen zerstoben und nie wieder zusammenzubringen. So bleibt es zu bedauern, um von den Begleittönen zu schweigen, daß Müller-Blattau sich nicht dazu durchringen konnte, die von Ziesemer ermittelten und vielfach bereits kopierten musikalischen Notierungen vollständig zu edieren, sondern sich auf die »schönsten und bezeichnendsten« Vertonungen beschränkte.124 In einem Anhang bot er ein ›Verzeichnis der sämtlichen zu Simon Dachs Dichtungen erhaltenen Kompositionen ‹ nach Komponisten geordnet ›‹.125 98 Kompositionen wurden auf der Basis der Vorarbeiten Ziesemers namhaft gemacht. Albert, Kaldenbach, Stobaeus und Weichmann waren jeweils mit mehr als einem Dutzend Vertonungen vertreten. Hinzu traten Georg Hucke, Georg Colbe, Johann Knutzen, Konrad Matthäi und Friedrich Schweitzer, letzterer mit einem Fragezeichen versehen. Die Edition Müller-Blattaus bot also nur ein Fünftel des Bestandes, der nie wieder in dieser Geschlossenheit zusammenzubringen war. Wir aber haben nun, bevor von den Verheerungen die Rede sein muß, Veranlassung, das letzte vor der Katastrophe zustande gekommene Editionswerk eingehend zu inspizieren, das in unsere Betrachtung bereits hineinspielte und schließlich noch die Basis für ein Vorhaben im Nachbarfach der Musikwissenschaft abgab. Dieses war dem Gewährsmann denn auch dankenswerterweise zugeeignet, wie aus dem letzten Satz des ›Vorworts‹ ersichtlich.

8. Teil-Ernte vor der Katastrophe. Walther Ziesemers Dach-Edition Aus dem über Jahre mit Fleiß gesammelten »material dem großen dichter Preußens ein literarisches denkmal von dauerndem werthe zu errichten«, war das Ziel von Hermann Oesterley gewesen.126 Es zeigte sich, daß alle Anstrengung nicht hingereicht hatte, die auf Dauer verbindliche Ausgabe der –––––– 123 124 125 126

Ebd. Ebd. Ebd., S. 31 f. Ausgabe der Werke Dachs im Literarischen Verein Stuttgart (Anm. 88), S. 13.

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Dichtungen Simon Dachs zu schaffen. Einige methodische Gründe wurden im voranstehenden angedeutet. Letztlich aber war ausschlaggebend, daß die Ausgabe fern von Königsberg veranstaltet worden war, nach Lage der Dinge, also der Überlieferung, aber eben nur am Wirkungsort des Dichters und Druckort seiner Werke erstellt werden konnte. Die wissenschaftliche Forschung darf sich daher mit einer, wenn auch fleißigen und verdienstvollen Auswahl, wie Oesterley sie gab, nicht begnügen. Sie muß vielmehr besonders bei dem verstärkten Interesse an der Dichtung der Barockzeit das ganze erreichbare Material der deutschen Gedichte Dachs zur Verfügung haben. [...] Da ferner inzwischen eine große Anzahl Gedichte neu aufgefunden und unsere Kenntnis von Simon Dach und dem Königsberger Dichterkreis dadurch nicht unwesentlich bereichert worden ist, so erscheint eine vollständige Ausgabe der deutschen Gedichte Dachs gerechtfertigt. Wir erfüllen damit eine lange vernachlässigte Pflicht gegenüber einem deutschen Dichter des deutschen Ostens.127

So der Wissenschaftler, dem es vorbehalten bleiben sollte, ein letztes Mal alles auf Dach bezogene Material nochmals für eine Edition des großen Königsberger Dichters verfügbar zu haben. Die Töne klangen ähnlich wie bei dem soeben zu Wort gekommenen Musikwissenschaftler. Der Erste Weltkrieg hatte das territoriale Band mit dem Reich zerschnitten. Ostpreußen geriet in eine isolierte Lage. Und die Intelligenz kompensierte die Insellage allenthalben mit einer forcierten deutschnationalen Orientierung, die in mehr als einem Falle bruchlos in die nationalsozialistische Bewegung überführt wurde. Die Zusammenhänge sind vor allem mit Blick auf die Geschichtswissenschaft umfassend bearbeitet worden. Für die Germanistik und die ihr affinen Fächer wie die Volkskunde steht diese Arbeit für Königsberg im einzelnen aus.128 Überhaupt nicht zu unterschätzen ist die zeitweilige Anwesen–––––– 127

128

Simon Dach: Gedichte. Erster Band: Weltliche Lieder. Hochzeitsgedichte. Hrsg. von Walther Ziesemer.- Halle/Saale: Niemeyer 1936 (= Schriftenreihe der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Sonderreihe; 4), Einleitung, S. IX. Vgl. zuletzt das Kapitel ›Willfährige Gelehrte‹ bei Jürgen Manthey: Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik.- München: Hanser 2005, S. 655 ff. mit weiterer Literatur. Für die Situation der Germanistik ist der ›Fall Hankamer‹ symptomatisch. Vgl. Helmut Kunigk: Paul Hankamer in Königsberg (1932–1936).- In: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 48 (1996), S. 166–204; Wolfgang Harms: Die studentische Gegenwehr gegen Angriffe auf Paul Hankamer an der Universität Königsberg 1935/1936. Ein Versuch der Verteidigung einer Geisteswissenschaft.- In: Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie. Hrsg. von Martin Huber, Gerhard Lauer.- Tübingen: Niemeyer 2000, S. 281–301. Vgl. auch die Einträge von Friedrich Ohly in der NDB VII (1966), S. 617, sowie von Wolfgang Harms in: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, Bd. II (2003), S. 666 f., jeweils mit weiterer Literatur.

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heit Josef Nadlers vor Ort.129 Er lieferte der landschaftsbezogenen Kulturwissenschaft die Stichworte, die so geartet waren, daß ein richtiger, den deutschen Verhältnissen angemessener regionalhistorischer Ansatz durch stammeshafte und rassische Theoreme diskreditiert und in Bahnen gelenkt wurde, die nur allzu rasch mit nationalsozialistischen Blut- und Boden-Parolen ein gefährliches Gemisch eingehen konnten. Die kulturwissenschaftlichen Unternehmungen, wie sie in den zwanziger und dreißiger Jahren – nicht selten massiv gefördert durch Berlin – aus dem Boden schossen, waren in wechselnden Graden durchweg tingiert von nationalen Optionen, die in Königsberg wie anderswo auf demonstratives Herzeigen des Deutschtums im Osten hinausliefen. »Dem deutschen Osten gilt auch diese Arbeit!«130 So hieß es im letzten Satz der ›Einleitung‹ zum ersten Band der neuen Simon-Dach-Ausgabe. Und sogleich war deutlich, daß dieses neuerliche Bekenntnis die gravierendsten Folgen für das editorische Unternehmen mit sich brachte. Porträt Walther Ziesemers Walther Ziesemer, gebürtig aus Löbau in Westpreußen (1882), hatte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bei den Koryphäen des Fachs, nämlich bei Albert Köster und Eduard Sievers in Leipzig sowie bei Heusler, Roethe und Erich Schmidt in Berlin studiert und 1906 bei Roethe mit einer Dissertation zu dem Chronisten des Deutschen Ordens Nicolaus von Jeroschim promoviert.131 Die Habilitation war 1911 bei dem Germanisten und Nordisten Rudolf Meissner in Königsberg u.a. mit einer Edition des Ausgabenbuchs des Marienburger Hauskomturs für die Jahre 1410–1429 erfolgt. Ihr schlossen sich weitere grundlegende Editionen der Konvents- und Ämterbü–––––– 129

130 131

Verwiesen sei auf Ralf Klausnitzer: Krönung des ostdeutschen Siedelwerks? Zur Debatte um Josef Nadlers Romantikkonzeption in den zwanziger und dreißiger Jahren. In: Euphorion 93 (1999), S. 99–125. Nadlers Rückblick auf die ›Königsberger Zeit‹ in: Josef Nadler: Kleines Nachspiel.- Wien: Österreichischer Bundesverlag 1954, S. 54–64; vgl. außerdem Hans-Christof Kraus: Josef Nadler (1884–1963) und Königsberg.- In: Preußenland 38 (2000), S. 12–26. Zu Nadler jetzt auch Irene Ranzmaier: Stamm und Landschaft. Josef Nadlers Konzeption der deutschen Literaturgeschichte.- Berlin: de Gruyter 2008 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte; 48). Dach: Gedichte I (Anm. 127), S. XVI. Zu Ziesemer vgl. den Eintrag von Erhard Riemann in der APB II, 841. Dazu die Nekrologe von Walther Mitzka in der Zeitschrift für Ostforschung 1 (1952), S. 279– 281; Helmut Motekat im Jahrbuch des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung 75 (1952), S. 138–141, und Bruno Schumacher im Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. 2 (1952), S. 29–36. Jetzt: Internationales Germanistenlexikon 1800–1970, Bd. III (2003), S. 2099–2100 (Jelko Peters) mit weiterer Literatur.

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cher des Deutschen Ordens an, die Ziesemers Ruf als erste Autorität spätmittelalterlicher Quellen aus dem Umkreis des Ordens befestigten. Im gleichen Jahr 1911 wurde er von der Preußischen Akademie der Wissenschaften über Roethe mit der Erarbeitung eines Preußischen Wörterbuchs beauftragt, das publizistisch nur bis zum Buchstaben ›Fi‹ gedieh und dessen weitere Vorarbeiten wie in so vielen vergleichbaren Groß- und Langzeit-Unternehmungen ein Opfer des Krieges wurden. Der Verlust des Zettelmaterials in den letzten Kriegstagen muß ebenso wie die Einbuße der Vorarbeiten für das Schlesische Wörterbuch als eine der vielen Katastrophen begriffen werden, die die Philologien mit Schwerpunkt im alten deutschen Sprachraum des Ostens hinzunehmen hatten, als die ›deutsche Sendung‹ daselbst sich erfüllt hatte. Nachdem Ziesemer zunächst als Privatdozent und sodann als außerordentlicher Professor für Deutsche Philologie an der Universität Königsberg gewirkt hatte, erhielt er 1922 den Ruf auf eine neugeschaffene Professur für Deutsche Philologie, Deutsche Volkskunde und Heimatkunde des deutschen Ostens. Das war ersichtlich ein dezidiert kulturpolitischer Akt im Gefolge der angedeuteten Umschichtungen nach 1919. Ziesemer erlangte damit an der Albertina eine Schlüsselstellung in den Kulturwissenschaften, wie sie bereits zwei Jahre später in der von ihm betriebenen Gründung eines ›Instituts für Heimatforschung‹ zum Ausdruck kam, das alsbald zum ›Institut für Heimatforschung und Volkskunde‹ umgetauft wurde. Dem Institut war eine Schausammlung sowie eine Spezialbibliothek, u.a. mit Sondersammlungen für Volkslieder, Sagen, Märchen, Flurnamen und Mundarten etc. angegliedert – Gebieten, auf denen Ziesemer intensiv tätig wurde. Er galt in den zwanziger Jahren als die Autorität in allen die Volkskunde Altpreußens im weitesten Sinn betreffenden Fragen und wurde nach Ausweis vieler Zeitzeugen gerne konsultiert. Dem Glauben an die Mission des Deutschtums im Osten verpflichtet, hat er wiederum nach glaubhaften Berichten dem Nationalsozialismus geistig ferngestanden und in unermüdlicher quellenkundlicher Arbeit Abstand zur ›Bewegung‹ zu halten gewußt – dies z.B. in merklichem Kontrast zu einem wissenschaftlichen Weggefährten wie Müller-Blattau. Den Untergang seiner Heimat und damit seines Lebenswerkes hat er sehenden Auges erlebt. Er erhielt an der Universität Marburg, die – wie sonst nur Göttingen – zu einem neuen Zentrum für die auf die ehemaligen Ostgebiete bezogenen Forschungen heranwuchs, einen Lehrauftrag und ab 1949 eine Honorarprofessur, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1951 wahrnehmen konnte. Die – teilweise ergreifenden – Nachrufe sind durchweg von tiefer Verehrung und oftmals von freundschaftlicher Verbundenheit geprägt. Das kleine Porträt schien uns vonnöten, um zugleich den Geist anzudeuten, aus dem heraus eine der letzten großen Arbeiten Ziesemers erwuchs.

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Man wird davon ausgehen dürfen, daß sie ihn Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vor der Publikation beschäftigte. Offensichtlich bedurfte es erheblicher Anstrengungen, bevor die vierbändige Edition der Werke Dachs im Rahmen der ›Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft‹ gesichert war und bei Niemeyer in Halle in einer der letzten großen Vorkriegs-Unternehmungen publiziert werden konnte. Sie ist zu einem memorialen Monument des alten Ostpreußen geworden, als welchem ihm – unabhängig von vorzutragender Kritik – jeder vom Flügelschlag der Geschichte Berührte über die Zeiten hinweg begegnen wird. Die große Ära der Barockforschung war vorbei. Sie stand in ihren besten Leistungen den von Heimatverbundenheit und Volkskunde inspirierten philologischen Aspirationen denkbar fern. Zugleich wird man feststellen müssen, daß sie auf dem Gebiet der bibliographischen und editorischen Grundlagenforschung im Vergleich zum älteren Positivismus und zu den späteren Jahrzehnten der Barockforschung in der Nachkriegszeit wenig Förderliches vorzuweisen hatte. Hier tat sich eine Kluft auf zwischen anspruchsvoller geisteswissenschaftlicher Synthetisierung und ins Abseits verbannter philologischer Kärrnerarbeit, die beiden Seiten nur zum Schaden gereichen konnte. Es war in der Hochphase der Barockforschung nicht gelungen, Maßstäbe für die Edition von Gebrauchstexten zu entwickeln, die nun als verbindliche auch in der ›Provinz‹ hätten zur Anwendung gebracht werden können. Einem großen editorischen Unternehmen wie der jetzt ins Leben gerufenen Dach-Ausgabe haftete ein erstaunlich amateurhafter Duktus an, der in den Handschriften-Editionen, wie sie auch Ziesemer betrieb, lange überwunden war. Auch das muß erinnert werden, um nicht mit falschen Erwartungen an das Editionswerk Ziesemers heranzutreten. Daß mit ihr ein neuer forscherlicher Anspruch in bezug auf die Eruierung der Quellen einherging, ließ die dem ersten Band vorausgestellte ›Einleitung‹ sogleich erkennen. So konnte Ziesemer im ersten Absatz auf eine im Preußischen Staatsarchiv zu Königsberg lagernde Handschrift verweisen, die offenkundig noch im 17. Jahrhundert zur Vorbereitung einer Edition der Gedichte erstellt, der Dach-Philologie vor ihm jedoch unbekannt geblieben war und nun erstmals von ihrem Entdecker ausgeschöpft wurde. Dabei tat es nichts zur Sache, daß sie partiell mit einer bekannten in der Arletschen Sammlung überstimmte. Die anläßlich des Oesterleyschen Versuchs geäußerte Vermutung, daß die ersten Autoritäten vor Ort, die doch konsultiert worden waren, nur halbherzige Arbeit geleistet hatten, fand eine zu Ernüchterung veranlassende Bestätigung. Umgekehrt muß zugleich vorausgeschickt werden, daß die offenkundige Mißlichkeit in bezug auf die bibliographische und damit die quellenfundierende Vorarbeit auch von Ziesemer selbst nicht wirklich beseitigt wurde. Es gibt in der Ziesemerschen Edition nicht eine einzige Stelle, an der alle verwendeten Dach-Drucke geschlossen aufgeführt

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würden. Hier also war sogar ein Rückfall gegenüber Oesterley zu konstatieren. Ziesemer weist zwar sehr wohl den jeweils verwendeten Druck in den Anmerkungen zu dem jeweiligen Text nach. Er verzichtet jedoch auf eine zusammenhängende Beschreibung der Textzeugen. Zumindest die in den verschiedenen Institutionen Königsbergs lagernden Quellen, die niemand besser kannte als Ziesemer, hätten von dem Herausgeber im einzelnen vorgestellt werden müssen. Hier wurde eine Chance vertan und wenige Jahre später war offenkundig, daß sie nie wiederkehren würde. Die Dach-Philologie stände anders da, wenn an dieser Stelle Weitsicht gewaltet hätte. Der gesamte zweite Teil unserer Arbeit wird dem Versuch vorbehalten sein, dieses Versäumnis nach Maßgabe des Möglichen zu kompensieren. Probleme der methodischen Fundierung Die editorische Grundentscheidung war offensichtlich frühzeitig getroffen, von keinem Zweifel begleitet und zeugte von einer bestenfalls losen Fühlung mit der neueren Barockforschung. Diese hatte die durchgängige intertextuelle Verflechtung der deutschsprachigen Dichtung vom Opitzschen Typus mit der vorangegangenen und gleichzeitigen neulateinischen Dichtung herausgearbeitet, auch wenn es nur im Einzelfall bereits zur Demonstration der hier obwaltenden strukturellen Homologien gekommen war. Die neulateinische Matrix als Bedingung der Entstehung und Entfaltung aller volkssprachigen Literaturen im Umkreis des europäischen Humanismus war inzwischen communis opinio in den Philologien. Daß es hier Kontinente weitesten Ausmaßes zu entdecken galt, war bekannt und als zukünftige Forschungsaufgabe viele Male benannt. So mußte es wie ein Schlag ins Gesicht wirken, daß in der größten Ausgabe eines Dichters des 17. Jahrhunderts, die zu Ende der ›heroischen Phase‹ der neueren Barockforschung zustande kam, die lateinischen Gedichte Simon Dachs nahezu kommentarlos ausgespart blieben. Das war ein durch nichts zu rechtfertigender verhängnisvoller Fehlgriff. Aber er war nur allzu erklärlich. Denn in die beabsichtigte Ehrenrettung des deutschen Dichters Simon Dach als eines Repräsentanten der blühenden Literaturprovinz Preußen, eingebettet in die Stimmenvielfalt des ›deutschen Ostens‹, fügte sich der lateinisch dichtende Poet nur bedingt. Oder besser und genauer: die von der Volkskunde immer schon vindizierte Nähe der Texte zum lebensgeschichtlichen Milieu ihrer Verfasser vermochte mit einem Minimum an Plausibilität bestenfalls für einige der deutschsprachigen Gestaltungen durchgehen. Die internationale Koine der Latinität verweigerte sich dieser unterstellten Referentialität. Daß letztlich die beiden sprachlichen Äußerungsformen anderen Gesetzen als den von der Volkskunde unterstell-

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ten gehorchten, trat nicht in das Blickfeld und brachte das editorische Unternehmen von vornherein in eine nicht mehr zu korrigierende Schieflage. Ein Institut für Volks- und Heimatkunde war nicht der Ort, an dem das elaborierte Werk eines im Deutschen wie im Lateinischen gleich versierten späthumanistischen Dichters in den dreißiger Jahren in professionelle editorische Obhut genommen werden konnte. Dazu paßte, daß der titularische und also ganz auf Repräsentation abstellende Rahmen eines jeden einem Anlaß verschriebenen Barockgedichts wie schon bei Oesterley so nun auch bei Ziesemer gekappt wurde. Die Texte standen ohne die ihnen anhaftende Aura da und verloren damit wenn nicht ihr Bestes, so doch ihr Typisches, das ihre Physiognomie prägte wie nichts sonst. Ziesemer hatte die Anlage der auf vier Bände berechneten Ausgabe frühzeitig festgelegt: Bd. 1 und 2 sollen die weltlichen Lieder, Hochzeitsgedichte, die an das kurfürstlich brandenburgische Haus gerichteten Gedichte sowie die beiden Schauspiele (Singspiele), Band 3 und 4 die geistlichen Lieder und die Trostgedichte umfassen. Eine scharfe Trennung von weltlichen und geistlichen Liedern läßt sich nicht bis in jede Einzelheit durchführen, da vielfach auch die ›weltlichen‹ Lieder von der frommen, geistlichen Gesinnung getragen sind, die Simon Dach eigen war.132

Damit war ersichtlich der Bauplan in Frage gestellt, bevor mit dem Bau selbst begonnen worden war. Die Gliederung war viel zu grob, als daß aus ihr eine überzeugende Disposition hätte gewonnen werden können. Wenn denn schon geschieden werden sollte, so wäre in einer gewiß schwierigen Operation das rund tausend Titel umfassende Textcorpus Stück für Stück durchzugehen und nach den diversen Anlässen zu sortieren, wären die verbleibenden Stücke in möglichst enger Fühlung mit der zeitgenössischen Poetik zu rubrizieren gewesen. Dann wäre dem Formenreichtum der Dachschen Lyrik Genüge getan und die gedankenlose Rede in bezug auf sein schlichtes handwerkliches Rüstzeug schon über die textsortenspezifische Vielfalt ihrer Haltlosigkeit überführt worden. Das wäre ein mutiger und gewiß von vielen Anfechtungen begleiteter Schritt gewesen, der zugleich grundsätzlich über Oesterley hinausgeführt hätte. Naheliegender aber wäre eine chronologische Präsentation des Materials gewesen. Sie hätte den Vorzug gehabt, den tagtäglichen Obliegenheiten des Dichters auf der Spur zu bleiben und der Vielfalt seines poetischen Geschäfts direkt ansichtig zu werden. Gewiß wären auch Aspekte der dichterischen Entwicklung zur Geltung gekommen. Wichtiger aber wäre der Nachvollzug des ständigen Changierens in kürzesten Fristen gewesen – der permanente Zwang zur variatio als Vorbedingung einer über die Maße beanspruchten –––––– 132

Dach: Gedichte I (Anm. 127), S. IX.

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Muse. Die Nähe zur produktions- wie zur rezeptionsspezifischen Konfiguration der Dachschen Texte hätte sich als Vorteil dieses nur auf den ersten Blick schlichten annalistischen Verfahrens wie von selbst eingestellt. Sorgen in bezug auf die nicht datierten und nicht datierbaren Stücke sollten nicht allzu stark ins Gewicht fallen. Auch die zeitlich nicht fixierten Arbeiten sind, wenn nicht auf den Tag, so doch in aller Regel auf das Jahr festzulegen. Eine chronologische Präsentation der über drei Jahrzehnte sich erstreckenden Dachschen Produktion scheint uns nach wie vor das Mittel der Wahl zu sein, wenn anders denn eine dritte Edition nochmals auf den Weg gebracht werden könnte. Daß in ihr die lateinischen neben den deutschen Texten zu stehen kämen, ist eine bare Selbstverständlichkeit. Und auch in dieser linguistischen Perspektive wären Relationen und Gewichtungen am überzeugendsten über die chronologische Anordnung des Materials erkennbar und nachvollziehbar. Ziesemer brachte ein chronologisches Prinzip innerhalb der drei Abteilungen, die er gebildet hatte, zur Geltung und nahm selbstverständlich die beiden Schaustücke davon aus, die einen gesonderten Platz zu Ende des zweiten Bandes angewiesen erhielten. Er bietet die Namen der Hochzeiter und das Datum ihrer Heirat bzw. den Namen des Verstorbenen und das Datum seines Todes bzw. seiner Bestattung. Gelegentlich sind Bruchstücke des Titels oder Überschriften zu den einzelnen Gedichten mit verzeichnet. Vor allem in den Gedichten an das Kurfürstliche Haus sind umfänglichere Titelangaben anzutreffen. Auch tauchen gelegentlich die zeitgenössischen Monatsnamen auf. Diese wenigen authentischen Einsprengsel vermögen den Verlust der originären titularischen Substanz nicht zu kompensieren. Die Behandlung eines Anlasses beginnt nicht mit der ersten poetischen Textzeile, sondern mit der Anlage des Titelblatts. Daß sie typographisch nur sehr eingeschränkt im modernen Neusatz zu reproduzieren ist, versteht sich. Ihr Wortlaut ist allemal zu wahren und Bemerkungen zum Format, zum Umfang, zur typographischen Ausstattung und zum beigegebenen Schmuck gehören zum Standard einer hinlänglichen beschreibenden Reproduktion. Die Dachschen Gedichte, so Ziesemer in der Einleitung zum ersten Band, bilden »ein bedeutsames Kulturdokument.«133 Dafür steht auch ihre äußere Erscheinungsform. Und daß auch diese eine Entwicklung kennt, dafür zeugen die Dachschen Gedichte auf das Sprechendste. Je länger der Dichter fortschrieb, je mehr seine Autorität sich befestigte, um so schlichter wurde die Aufmachung seiner Texte. Am Schluß war es sein Name, der für Besonderes bürgte und vom Drucker wie eine Zimelie behandelt wurde. Wer möchte den Weg, der hier typographisch zurückzulegen war, missen? Die an der Ak–––––– 133

Ebd., S. XIII.

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tenbearbeitung orientierte Edition, die da buchhalterisch die um ihre Titel gebrachten Gedichte in einer stummen numerischen Folge aufmarschieren ließ, war nicht dazu angetan, die historische Phantasie zu mobilisieren. Wie aber stand es um die Apparate? In der Tat ist für jedes Gedicht eine ›Anmerkung‹ vorgesehen. Sie bietet in einem einheitlich gehaltenen Doppelblock zunächst mit wiederaufgenommener Numerierung das Versincipit in Fettdruck sowie (in der zweiten Zeile) die dem Herausgeber bekannten Fundorte des Textes und – sofern möglich – den Verweis auf Oesterley. Dann erfolgt die Wiedergabe eines Kurztitels, bei der jedoch nicht immer deutlich ist, was aus originärer Textsubstanz herrührt und was durch den Herausgeber bereits konjiziert ist. Die auf den Anlaß bezogenen Daten sind allemal vereinheitlicht, obwohl nicht deutlich erkennbar von dem Kurztitel unterschieden – eine bibliographisch denkbar unglückliche Situation. Ziesemer hat auch bei Ausweis von Mehrfachexemplaren darauf verzichtet, das Exemplar, nach dem der Abdruck erfolgte, auszuweisen. Differenzen zwischen den Textzeugen und insonderheit zu der von Ziesemer mitgeführten Handschrift aus dem Königsberger Staatsarchiv kommen nicht vor, man muß also davon ausgehen, daß solche nicht existieren – eine wenig wahrscheinliche Annahme. Ausgewiesen werden hingegen grundsätzlich die differierenden Lesarten Dachscher Texte in den Albertschen Arien und Melodeyen und innerhalb der verschiedenen Drucke von ihnen. Der Hauptbestandteil der denkbar knappen Annotation wird grundsätzlich durch die Angabe zu der Person bzw. den Personen gebildet. Wiederum einleitend hatte Ziesemer festgestellt, »daß Dachs Gedichte für die familiengeschichtliche Forschung Königsbergs, Preußens und des brandenburgischen Kurfürstenhauses von besonderem Wert sind.«134 Diese in der genealogischen Forschung seit jeher herausgestrichene Qualifikation des Gelegenheitsgedichts führt nun auch bei Ziesemer zu einer ausgesprochenen Bemühung um eine Identifizierung der Adressaten. An dieser Stelle ist die größte forscherliche Leistung des Herausgebers zu suchen. Ziesemer hat über Jahrzehnte eine Personendatei aufgebaut. Sie hat sich, herrührend möglicherweise aus dem Preußischen Staatsarchiv in Königsberg, im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin erhalten und dürfte das eigentliche Arbeitsinstrument für den personenkundlichen Apparat der Dach-Ausgabe gebildet haben.135 –––––– 134 135

Ebd. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin wird unter der Signatur 509 dieses Verzeichnis unter dem folgenden alten Königsberger Akteneintrag verwahrt: »Ziesemer: Kartei zu Gelegenheitsgedichten 17. Jahrh. vielfach von Simon Dach (1. Ausgabe von Ziesemer). Signaturen: Rhed. = Rhediger-Sammlung in der Staatsbibliothek [!] Breslau. Pb = Staatsbibl. Königsberg (Pr.). Az 89/1938.« Es dürf-

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Mit dem nächsten und schon letzten Block innerhalb der jeweiligen Anmerkung kommen wir zu einem besonders prekären Sachverhalt. Bei Gelegenheitsschriften ist bekanntlich zwischen Verfasser- und Sammelschriften zu unterscheiden. Letztere sind in der Regel wohlkomponierte Einheiten. Und das gleichermaßen im Blick auf die Abfolge der Beiträger, die gewählten Sprachen, die zur Verwendung gelangenden Formen und Themen. In einem Handbuch wie dem Osnabrücker zum personalen Gelegenheitsschrifttum wird entsprechend großer Wert auf eine Reproduktion dieser Konfiguration gelegt. In einer Autoren-Bibliographie oder -Edition gelten andere Regularien, der Text des einen Autors steht im Mittelpunkt, nicht die Gesamtschrift. Gleichwohl sind Vorkehrungen für ein Mindestmaß an Informationen zu treffen. Ziesemer entzieht sich dieser Verpflichtung nicht, von der Oesterley nichts wußte. Aber auch hier greift er zu kurz. In denkbar knapper Form wird die Existenz weiterer Gedichte und ihrer Verfasser notiert; sofern die Sammelschrift mehrsprachig ist, werden die verwendeten Sprachen ausgewiesen. Die Stellung des jeweiligen Dachschen Beitrags innerhalb der Gesamtkomposition bleibt unerwähnt. Der Wechsel, der auch hier statthat, nämlich beispielsweise vom nebengeordneten Autor unter anderen zum prominenten Sprecher an der Spitze aufzurücken, ist über die Edition Ziesemers nicht nachzuvollziehen. Auch das ein gravierendes Manko, das mit geringer Mühe und unter Beanspruchung schmalster Raumreserven leicht hätte umgangen werden können. – Ein Sachkommentar war offensichtlich nicht vorgesehen. Nur ganz vereinzelt gibt Ziesemer Hinweise, zumeist bezogen auf Pseudonyme oder auf Ortsnamen. Ein jeder Band wird durch ein Verzeichnis der Gedichtanfänge und der erwähnten Personen beschlossen. Bemerkenswert sind die Beigaben im zweiten und vierten Band, die jeweilige Abteilungen beenden. Hier stehen zunächst die undatierten und die nicht sicher zuzuschreibenden Stücke. Dann folgt eine Abteilung ›Lateinische Prosa‹. Ihr verdanken wir im zweiten Band die Wiedergabe der Einladung zur Antrittsvorlesung aus dem Jahr 1639 so–––––– te von Interesse sein, daß sich im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin auch eine weitere wichtige Quelle erhalten hat: Staatsarchiv Königsberg Akten [.] Leichenreden [.] Signatur 508. Sie ist mit einem handschriftlichen Vorsatz versehen: »Das Verzeichnis der Leichenpredigten und sonstigen Gelegenheitsschriften, die im Band 5 des Sachbibliothekskatalogs verzeichnet sind, wurde 1925 und 1926 von Amtsgehilfen Büttner angelegt. Er hat sich dabei nach den in den einzelnen Bänden befindlichen alten Registern gerichtet, bzw. bei Fehlen von solchen, die Leichenpredigten etc. selbst herangezogen. So ergaben sich zu dem Verzeichnis im Bibliothekskatalog Berichtigungen und Nachträge.« Kopie dieses wiederum alphabetisch angelegten Verzeichnisses – ein 83 Seiten umfassendes Typoskript mit durchschnittlich dreißig Namenseinträgen – ebenfalls im Osnabrücker Frühneuzeit-Institut.

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wie der Magisterdisputation aus dem Jahr 1640.136 Weshalb die griechischsprachige Wittenberger Disputation aus dem Jahr 1626 fehlt, ist nicht ausgewiesen und also nicht verständlich. Sodann schließt sich ein Verzeichnis der ›Lateinischen Gratulationsgedichte‹, also der ›Lateinischen Hochzeits = und Glückwunschgedichte‹ an.137 89 Stücke werden geboten. Das Prinzip der Anordnung ist identisch mit dem der deutschsprachigen Gedichte. Sie erfolgt gemäß der Chronologie. In Fettdruck wird das Versincipit gegeben. Dann erfolgt der Exemplarnachweis und – sofern möglich – der Verweis auf Oesterley. Wiederum wird ein mehr oder weniger ausführlicher Kurztitel gebildet. Angaben zu den bedichteten Personen erfolgen nur ausnahmsweise. Dagegen sind die Namen weiterer Beiträger ausgewiesen. In zwei Fällen kommt ein Dachscher Beitrag zum Abdruck. Schließlich findet man die Beiträger zu Dachs Magisterpromotion und die Gratulanten zu Dachs Hochzeit aufgeführt.138 Auch im Anhang zum vierten Band findet man – unter Verweis auf den entsprechenden Passus im zweiten Band – die lateinischen Gedichte zu Trauerfällen aufgeführt.139 Die Form der Präsentation ist die nämliche. Angaben zu den Personen sind freilich häufiger gegeben. In fünf Fällen wird der Dachsche Beitrag im Wortlaut geboten. 115 Stücke führt Ziesemer auf. Das ergibt eine Gesamtzahl von 204 Stücken. Oesterley hatte 259 Titel präsentiert. Es muß offen bleiben, ob Vollständigkeit in der Wiedergabe der lateinischen Gedichte durch Ziesemer angestrebt war und wenn nicht, nach welchen Gesichtspunkten ggf. eine Auswahl erfolgte. Wiedergabe findet schließlich die Akademische Trauerschrift zu Dachs Tod.140 Dagegen verzichtet Ziesemer unbegreiflicherweise auf die Verzeichnung der ihm doch vorliegenden Beiträge auf Dachs Tod. Sie waren von verschiedenen Sammlern der Aufmerksamkeit für würdig befunden worden. Ziesemer scheint sie schlicht vergessen zu haben. So entläßt er den Benutzer mit einem neuerlichen Rätsel im Rahmen einer Edition, die mit großem forscherlichen Aufwand im Alleingang angelegt worden war und der freudigen wie der ärgerlichen Überraschungen zur Ge–––––– 136

137 138 139

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Simon Dach: Gedichte. Zweiter Band: Weltliche Lieder. Gedichte an das kurfürstliche Haus. Dramatisches. Hrsg. von Walther Ziesemer.- Halle/Saale: Niemeyer 1937 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Sonderreihe; 5), S. 334–343. Ebd., S. 344–361. Ebd., S. 362 f. Simon Dach: Gedichte. Dritter [und] Vierter Band: Geistliche Lieder. Trostgedichte. Erster [und] Zweiter Teil. Hrsg. von Walther Ziesemer.- Halle/Saale: Niemeyer 1937–1938 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Sonderreihe; 6.7). Bd. IV, S. 507–526. Ebd., S. 527–531.

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nüge bereithält. Die von Ziesemer erarbeitete Ausgabe der Werke Simon Dachs stellte das letzte auf ostpreußischem Boden zustande gekommene philologisch-kulturwissenschaftliche Großprojekt dar. Auf das Jahr 1938 war der letzte Band datiert. Sechs Jahre später legten englische Bomber die Stadt in Schutt und Asche. Wenige Monate später war die ›Festung Königsberg‹ nahezu gänzlich vom Erdboden verschwunden. Nach ihrem Untergang blieb sie fremden Händen schutzlos preisgegeben. Die Institutionen, die das geistige Erbe von mehr als sieben Jahrhunderten und damit auch der Königsberger Dichter des 17. Jahrhunderts bargen, hatten aufgehört zu existieren und sollten nie wieder zum Leben erweckt werden.

Anhang: Verspätete buchkundliche Ernte. Gerhard Dünnhaupts Bibliographie der Drucke Simon Dachs Die bibliographische Verzeichnung des Dachschen Werkes gehört zu den schwierigsten philologischen Aufgaben der auch in dieser Hinsicht an Problemen nicht eben armen Epoche des 17. Jahrhunderts. Sie war aus gutem Grund immer nur dilatorisch erfolgt. Eine wirkliche Inangriffnahme hätte generalstabsmäßig durchgeführt werden müssen und wäre in jedem Fall mit großem Aufwand verbunden gewesen. Das vermutlich größte Problem stellte die Diversifikation der Überlieferung dar. Es war offensichtlich zu keinem Zeitpunkt möglich, der Gesamtheit nicht nur der einzelnen Texte, sondern auch aller erhaltenen Exemplare synoptisch ansichtig zu werden, wie unerläßliche Voraussetzung für eine gediegen gearbeitete Werkbeschreibung. So mußte sich die Philologie wie in ungezählten anderen Fällen auch in demjenigen Dachs mit bibliographischen Fragmenten begnügen. Fragmente aber im bibliographischen Gewerbe sind eine contradictio in adiecto. Der zünftige Bibliograph tritt mit dem Anspruch auf Vollständigkeit an oder er hat von vornherein kapituliert. Niemand weiß besser um die Uneinlösbarkeit dieses Anspruchs als er selbst. Eben darum sein stets neuerlich mit Überzeugung vorgetragenes Credo. In ihm verbirgt sich die Kraft, die ihn stählt für sein entsagungsvolles Geschäft, auf das stets nur eine Minderheit sich verstand und eben deshalb allein zur Würdigung befähigt ist. Als Figur am Rande weiß sich der Bibliograph, wo andere im gleißenden Licht der Fachöffentlichkeit erstrahlen. Die Zeit indes entschädigt allemal für entgangene Meriten. Die solide errichteten Kellergewölbe pflegen erhalten zu bleiben, auch wenn die auf ihnen ruhenden Prachtbauten lange verschwunden sind. Gerhard Dünnhaupt hat in der ersten Auflage seines Bibliographischen Handbuchs der [deutschen] Barockliteratur auf eine Verzeichnung der Dachschen Drucke verzichtet. Zwischen der ersten Auflage des ersten Bandes aus

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dem Jahr 1980 und der zweiten Auflage des nun für Dach einschlägigen zweiten Bandes lagen genau zehn Jahre – entscheidende Jahre, wie man im Rückblick wird feststellen dürfen. In die achtziger Jahre waren die ersten systematischen Erkundungen nach dem Verbleib Königsberger Bücher in der Sowjetunion gefallen, nachdem schon 1979 die DDR und Polen besucht werden konnten. Diese Recherchen, über die seit den späten achtziger Jahren erste Berichte vorlagen, die im speziellen Fall ergänzt wurden um mündliche Nachrichten, haben in der Bibliographie durchaus ihre – freilich namenlosen – Spuren hinterlassen. Ihre Auswertung erfolgte freilich nur partiell und nach nicht nachvollziehbaren Prinzipien der Auswahl. Der ganze Fundus der weit über Dach hinausführenden Entdeckungen vermochte auch in der am Eingang der neunziger Jahre publizierten Bibliographie Dünnhaupts keinesfalls gehoben zu werden. Wir sagen dies einleitend prononciert. Und das keinesfalls nur, um der Historiographie die Ehre zu geben, der sich der Bibliograph in besonderer Weise verpflichtet weiß. Vielmehr auch, um sogleich zu signalisieren, daß die Vorstellung des monumentalen Dach-Eintrags in dem Dünnhauptschen Werk nicht in der Absicht geschieht, ein forscherliches bibliographisches Fazit zu ziehen, mit dem ausgerüstet sodann zu anderen Problemen der DachPhilologie herübergeleitet werden könnte. Im Gegenteil ist wie im Falle der Editionen nun auch im Fall der bis dato umfassendsten bibliographischen Bemühung um das Werk Simon Dachs zu konstatieren, daß entscheidende Aufgaben auch auf diesem Felde der Bearbeitung noch harren. Die Bewunderung angesichts der erbrachten Leistung wird von dieser Feststellung nicht berührt.141 Dünnhaupt bietet bekanntlich im Anschluß an die Kurzbiographien zunächst grundsätzlich die vorhandenen Werkausgaben bzw. zeitgenössischen Sammelwerke mit Teildrucken, sodann die bibliographischen Verzeichnisse, schließlich die wissenschaftliche Literatur. Es kann nicht in der Absicht dieser kleinen abschließenden Porträtierung liegen, Ergänzungen beizubringen oder anderweitige Ausstellungen zu notieren. In einem ersten Block sind sodann die ›Zeitgenössischen Sammelausgaben mit Dichtungen von Dach‹ zusammengeführt, also im wesentlichen die Dachschen Arien und Melodeyen in den bekannten Ausgaben nebst Nach- und Raubdrucken, sodann die einschlägigen preußischen Gesangbücher und die posthumen Ausgaben aus den achtziger und neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Dann folgen die ›Aka–––––– 141

Vgl. Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur. Bd. I–VI.- Stuttgart: Hiersemann 1990–1993 (= Hiersemanns Bibliographische Handbücher; 9/1–6). Teil II: Breckling–Francisci (1990), S. 996– 1230.

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demischen Festdichtungen‹, wie sie Dach seit seinem Dienstantritt als Professor der Poesie an der Königsberger Universität alljährlich zu den kirchlichen Festen in lateinischer Sprache vortrug. Sie werden erstmals einer näheren Verzeichnung gewürdigt. Leider sind dem Bibliographen ausgerechnet das erste und das letzte posthume Stück der Reihe entgangen. Eine dritte kleine Gruppe enthält ›Sonstige Veröffentlichungen (außer Gelegenheitsgedichten)‹. Hier sind die beiden allegorischen Schaustücke, die MalapertiusÜbersetzung, der Lobgesang Jesu Christi und die beiden akademischen Zeugnisse, nämlich die Einladung zur Antrittsvorlesung aus dem Jahr 1639 und die Magister-Disputation aus dem Jahr 1640 zusammengeführt, letztere mit dem Ausweis eines einzigen Exemplars der Akademiebibliothek St. Petersburg, das dort jedoch niemals nachweisbar war. Es fehlt die Magdeburger Übungsschrift aus dem Jahr 1626, die hier ihren Platz gehabt hätte. Daß die erstmalige bibliographische Präsentation des 1979 entdeckten Erstdrucks des Cleomedes aus dem Jahr 1636 ohne Nennung des Namens des Finders erfolgt, widerspricht dem aus guten Grund pietätvoll gepflegten Ehren- und Standeskodex unter Bibliographen. Die eigentliche Leistung liegt in der Verzeichnung der ›Zeitgenössischen Einzeldrucke der Gelegenheitsgedichte‹. 1140 Titel kann Dünnhaupt hier namhaft machen. Mehrfach gelingt der Nachweis von Stücken, die entweder bei Oesterley oder bei Ziesemer oder bei beiden fehlen. Daß auch diese Liste keineswegs vollständig ist, wird sich im zweiten Teil unserer Untersuchung herausstellen. Diese Feststellung stellt keinen Einwand dar. Kasualia produktiver Dichter sind im 17. Jahrhundert so verstreut, daß grundsätzlich keine Chance besteht, alles je Produzierten im nachhinein wieder ansichtig zu werden. Wie immer muß es um die Methodik gehen. Dünnhaupt versucht keine Differenzierung nach Gattungen oder nach Sprachen, sondern ordnet alle ermittelten Titel fortlaufend chronologisch an – eine sachgerechte und zu begrüßende Entscheidung. Das vorgefundene, nicht selten aber auch erschlossene Datum des Anlasses steht im Fettdruck vorweg. Es schließt sich der Titel an. In aller Regel werden Kurztitel gebildet, und zwar gleichermaßen von Einzeldrucken wie von Beiträgen zu Sammelschriften. Wo solche fehlen, tritt das Incipit an die Stelle, das gerne auch zusätzlich gebracht wird, wenn ein Titel vorliegt. Die Präsentation der vollständigen Titel der von Dach herrührenden Gelegenheitsgedichte bleibt also weiterhin ein Desiderat. Erstaunlich für eine Fachbibliographie ist das Fehlen der Drucker. Die Stellung der Dachschen Beiträge in Sammelschriften ist nicht ausgewiesen. Die Namen weiterer Beiträger sind nur ganz gelegentlich notiert. Hier harren also weitere Aufgaben ihrer Erledigung, wie sie offensichtlich nur in einer einem Autor speziell gewidmeten Personal-Bibliographie mit Fug erwartet werden dürfen.

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Ein abschließender Block ist der Angabe des Formats – die Kollationsformeln fehlen zumeist –, dem Nachweis besitzender Bibliotheken und den bibliographischen Referenzen gewidmet. Gelegentlich treten Annotationen und Verweise hinzu. Daß eine Kompilation von mehr als tausend Titeln mit Fehlern behaftet ist, bedarf keiner Erwähnung. Auf einzelnes wird jeweils beispielhaft an späterer Stelle zurückzukommen sein. Wie in der gesamten Dünnhauptschen Bibliographie, so kehrt auch in dem Dach-Eintrag ein Problem wieder, das in einer diesem Autor gewidmeten Arbeit zu besonders gravierenden Verwerfungen Anlaß gibt. Dünnhaupt hat in seiner Bibliographie grundsätzlich darauf verzichtet, möglichst komplette Exemplarnachweise zu liefern. Das ist bei Autoren, die reich in Bibliotheken vertreten sind und bei denen zu jedem Titel genügend Exemplare vorliegen, verständlich. Es sind dies bekanntlich jedoch im 17. Jahrhundert die Ausnahmen. Dach gehört mit Gewißheit zu den Autoren, deren Titel selten und kostbar sind, so daß größtmögliche Vollständigkeit allemal erwünscht und der Forschung förderlich ist. Diese Feststellung hatte schon vor 1945 ihre Berechtigung. Seither gilt sie gerade auch im Blick auf die deutsche Bibliotheksgeschichte noch ausdrücklicher und praktisch alternativlos. Jedes heute auf der Welt nachgewiesene Dach-Exemplar, möglichst unter Kennzeichnung der Provenienz, stellt einen Beitrag zur Heilung einer versehrten Tradition dar. Ein Großteil der lange in Königsberg verloren geglaubten Dach-Einzeldrucke hat sich inzwischen anderenorts wiedergefunden, oder konnte durch inzwischen aufgefundene Zweitexemplare wettgemacht werden. Mehr oder minder gewichtige Bestände an Dach-Drucken finden sich heute in Berlin SB (PK), Berlin SA, Dresden LB, Erlangen UB, Gdańsk, Göttingen UB, Halle UB, Jena UB, København KGB, Kraków BU, Leningrad AK, Leningrad BS, London BL, München SB, Preetz PS, Toruń BU, Tübingen UB, Vilnius AK, Wrocław BU, Yale UL und Zwickau RB.142

Nun, das ist eine stattliche Reihe. Die vielen, lange Zeit »verloren geglaubten Dach-Einzeldrucke« haben sich aber natürlich nicht von selbst »andernorts wiedergefunden«. Dazu bedurfte es menschlicher Bemühung, wie sie sich an Namen zu knüpfen pflegt, von denen unser Gewährsmann schweigt. Sind aber verloren geglaubte Texte wieder zugänglich, dann ist es die erste Pflicht des Bibliographen, von ihnen Kenntnis zu geben. Und dies ausnahmslos. Dünnhaupt aber ist keinesfalls darum bemüht, die in den aufgeführten Institutionen verwahrten Exemplare komplett zu verzeichnen. Wo eine Reihe von Exemplaren vorliegt, trifft er nach nicht nachvollziehbaren Kriterien eine Auswahl. Sie scheint allein dem Prinzip des Zufalls zu gehorchen. Das ist im Blick auf eine jede ausdrücklich eingangs erwähnte, nun aber nur partiell in ihrem Exemplaraufkommen berücksichtigte Bibliothek –––––– 142

Ebd., S. 997.

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ein Akt verabsäumter Sorgfaltspflicht, darf eine jede Bibliothek doch zu Recht erwarten, wenn schon erwähnt, dann auch in ihrem Besitz komplett dokumentiert zu werden.143 Ganz besonders ärgerlich wird die hier obwaltende Großzügigkeit, wenn es sich um Exemplare handelt, die aus Königsberger Bibliotheken stammen und nun »anderenorts wiedergefunden« wurden. Hier wäre besondere Sorgfalt in ihrer Dokumentation doch ein selbstverständliches Gebot gewesen. Dünnhaupt verfährt keinesfalls ihm entsprechend. In dutzenden von Fällen weist er ehemalige Königsberger Exemplare nur dort nach, wo ihm kein anderweitiges Exemplar bekannt ist und unterdrückt die Existenz weiterer Exemplare an eben demselben Fundort, wo er auf anderweitiges Aufkommen zurückgreifen kann. Für den Benutzer muß somit der Eindruck entstehen, daß die eben nur okkasionell herangezogenen Bibliotheken über nicht namhaft gemachte Exemplare auch nicht verfügen – eine dokumentarisch wie bibliothekarisch unhaltbare Situation. Und dann die stereotypen Zusätze »ex Königsberg UB«! Erstens setzten sich die Bestände der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg aus ganz verschiedenen Teilbeständen gerade unter den Altdrucken zusammen, wie sogleich darzulegen. Und zweitens stammen keinesfalls alle der mit diesem Etikett versehenen Exemplare aus der Staats- und Universitätsbibliothek. Hier also wäre Stillschweigen willkommen oder eingehende Forschung vonnöten gewesen. Tertium non datur. Die Zuweisung von Königsberger Exemplaren zu den jeweils ausgewiesenen Bibliotheken ist so gut wie durchgängig unzutreffend. Schließlich und letztens: Wie ist es zu begreifen, daß eine seit 1980 in Umlauf befindliche Information über ein reiches Königsberg-Aufkommen in der Warschauer Nationalbibliothek bibliographisch nicht verwertet wird? Dünnhaupt kennt die entsprechende Abhandlung aus den leicht zugänglichen Wolfenbütteler BarockNachrichten, zitiert sie (ohne Nennung ihres Verfassers) sogar in seiner Bibliographie und schöpft sie gleichwohl nicht aus. Das reiche, aus der Stadtbibliothek Königsberg herrührende und heute vorzugsweise in Warschau lagernde Schrifttum ist damit in der Dünnhauptschen Bibliographie nicht präsent. Welche Konsequenzen auch daraus für die Dach-Philologie folgen, wird sogleich deutlich werden. Auch die Dach-Bibliographie ist mit heißer Nadel gestrickt, wie nicht anders möglich bei knapp 300 zu bewältigenden Personal-Bibliographien. Natürlich sind wir dankbar für das Gebotene. Wie in anderen Fällen, so ist jedoch auch im Falle Simon Dachs die Arbeit an einer vollständigen Biblio–––––– 143

Nur ganz am Rande weisen wir darauf hin, daß dieser Grundsatz selbstverständlich auch für den Referenzapparat gilt, der gleichfalls in der gesamten Dünnhauptschen Bibliographie arbiträr gehandhabt wird.

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graphie seines Werkes neu in Angriff zu nehmen. Bausteine zu ihr zu liefern, mag ein willkommenes Nebenprodukt der folgenden Untersuchungen sein. Wir wünschten uns, daß eine zukünftige Bibliographie wie eine zukünftige Edition gleichermaßen von den jetzt zu präsentierenden Recherchen profitierten. Für den ›preußischen Sänger‹, als den er sich selbst so gerne sah, wirkend in der Stadt, deren Untergang in einer seiner größten Dichtungen der Dichter prophetisch antizipiert hatte, scheint keine noch einmal einsetzende Bemühung zu aufwendig, geht es doch um die Restitution eines Erbes, das wir über Gräbern, zerstörten Städten und entwurzelten Landstrichen fortwirken sehen möchten in einem um diese geschichtlichen Verwerfungen wissenden Europa.

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Teil II Simon Dach in Litauen, Rußland und Polen. Die Wiederentdeckung der großen sammlerischen Einheiten vornehmlich aus dem alten Königsberg 1. Königsberger Vorkriegsbestand an Dach-Drucken. Versuch einer Rekonstruktion Wie gezeigt, ist vor dem Krieg keine Bibliographie der Drucke Simon Dachs zustande gekommen, die den in Königsberg vorhandenen Bestand im einzelnen nachwiese und die vorhandenen Quellen insbesondere provenienzgeschichtlich exakt beschriebe. Die Aufgabe wurde offensichtlich nicht als vordringlich angesehen. Man durfte hoffen, den Quellenfundus, sofern benötigt, zur Hand zu haben und im jeweiligen vorgegebenen Zusammenhang ausschöpfen zu können. Entsprechend waren die Dach gewidmeten Editionen ebenso wie die eine oder andere Spezialuntersuchung angelegt. Man wies die benutzten Quellen jeweils am Ort und im Einzelfall nach. Ein systematisch angelegter Führer mit ausführlichen Beschreibungen der buch- und bibliothekskundlichen Kontexte lag außerhalb des Horizonts der häufig so verdienten, um Grundlegung und Quellensicherung bemühten Forscher. Also ist das einst Verabsäumte zu später Stunde und unter ungleich erschwerten Bedingungen nachzuholen. Der Leser bleibt eingeladen, sich an sehr ins einzelne gehenden, große Bögen meidenden Untersuchungen zu beteiligen, die unter einem einzigen Vorsatz stehen, der da lautet: Jede sich eröffnende Spur ist penibel zu verfolgen, jedes sich auftuende Problem zu artikulieren, jeder ermittelte Befund in Sorgfalt und Umsicht dem größeren Bauplan zu integrieren. In zahlreichen Fällen wird unser Bemühen in Bezirke führen, in die nach gegenwärtigem Stand der Dinge kein Licht mehr zu bringen ist. Auch sie müssen in der imaginären Kartographie jedoch ihren Platz finden. Entmutigung darf unter keinen Umständen das letzte Wort behalten. Unprätentiöse und gediegene Arbeit im Dienst der Sache bleibt gefordert. Und auch sie führt wie ihre eigenen Gesetze, so auch ihre eigenen Genugtuungen mit sich. Dach-Drucke in der Staats- und Universitätsbibliothek Die größte Bibliothek in Königsberg war die Staats- und Universitätsbibliothek. Universitätsbibliotheken sind in der Regel nicht der Ort, wo sich lokale Überlieferungen in Handschrift und Druck in größerem Umfang zu sammeln pflegen. Für sie sind die städtischen Archive und Bibliotheken die ge-

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eigneten Reservoire. Und so durchaus auch in Königsberg. Mit der Staatsund Universitätsbibliothek indes hatte es in Königsberg eine besondere Bewandtnis. Sie war hervorgegangen aus Impulsen und Initiativen, die auf den Gründer des Staates wie der Universität, Herzog Albrecht, zurückführten. Der aber war als ein vielseitig interessierter und um geistige Belange lebenslang bemühter rex eruditus auch ein passionierter Sammler von Büchern. Da spielten neuerlich viele Antriebe hinein. Im vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist allein, daß schon über den Herzog lokale Überlieferungen bibliothekarisch zu Buche schlugen, wie sie sich auf der einen Seite über die Musik und – sehr viel wichtiger – auf der anderen Seite über die Reformation geltend machten. Ist aber in einer Bibliothek erst einmal ein regionaler Schwerpunkt ausgeformt, so pflegen sich Sammler vor Ort daran zu orientieren. Sie sind dann eher geneigt, eine Institution mit entsprechendem Ruf als Bestimmungsort der eigenen Kollektion in Betracht zu ziehen. Es wirkt dann ein unscheinbares, gleichwohl effektives Gesetz der Gravitation.144 Entsprechend hat auch die Universitätsbibliothek – vielfach vermittelt über die ältere herzogliche Schloßbibliothek – immer wieder das Glück gehabt, in den Genuß gestifteter Bibliotheken zu kommen, die zu ihrer lokalen Profilierung beitrugen. Das ist bibliotheksgeschichtlich inzwischen gut aufgearbeitet, so daß sich Wiederholungen an dieser Stelle wie in parallelen Fällen erübrigen. Wir haben uns strikt auf unser Anliegen zu konzentrieren. Zwei Ereignisse sind in diesem Licht von herausragender Bedeutung. Im Jahr 1858 gelangte die Gottholdsche Bibliothek in die Universitätsbibliothek. Und im Jahr 1909 nahm die Wallenrodtsche Bibliothek den selben Weg. Die eine war einzigartig bestückt mit Musikalien, auch und gerade aus dem Königsberger Einzugsbereich. Die andere nannte wiederum einzigartige Bestände zur Königsberger und ostpreußischen Personengeschichte ihr eigen. Letztere rührten vor allem her aus Leichenpredigten und Gelegenheitsschriften, die Gedichte eben vielfach von Königsberger Dichtern – darunter auch Simon Dach – verfaßt. Beide Bibliotheken blieben separat aufgestellt, besaßen eigene Stempel, waren also provenienzgeschichtlich vergleichswei–––––– 144

Vgl. zur Geschichte der Königsberger Universitätsbibliothek zuletzt die Einleitung von Axel E. Walter zu der Dokumentation der im heutigen Kaliningrad verwahrten Kasualdrucke in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XVI: Königsberg / Kaliningrad – Bibliothek der Russischen Staatlichen Immanuel Kant-Universität / Biblioteka rossiiskogo gosudarstvennogo universiteta imeni Immanuila Kanta. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Axel E. Walter. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber und Axel E. Walter unter Mitarbeit von Stefan Anders.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2005, S. 21–92. Angesichts der kompletten Dokumentation der vorliegenden Literatur erübrigt sich eine Wiederholung.

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se leicht auszumachen. Das aber ist in einer universal angelegten Bibliothek eher die Ausnahme. Und existieren von ihr ohnehin nur noch Fragmente, so sind nachträgliche Bestimmungen der Herkunft nur noch gelegentlich und mit viel Glück möglich.145 Wir greifen hier wie im folgenden in erster Linie zu den Editionen von Oesterley und vor allem Ziesemer sowie den besonders ergiebigen musikwissenschaftlichen Arbeiten Joseph Müllers und Joseph Müller-Blattaus und versichern uns der von ihnen ausgeschöpften Quellen. Gezielt sind dann anderweitige, mehr als einmal an abgelegenem Ort niedergelegte Informationen beizuziehen. Nach Ausweis Ziesemers gab es in der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg nur einen einzigen Sammelband, der ausschließlich mit Gedichten Dachs bestückt war. Er trug die Signatur Pb 6196, rührte her aus der Sammlung Ostermeyer und führte damit – wie so häufig – zurück in das 18. Jahrhundert.146 Gottfried Ostermeyer hatte zwischen 1737 und 1740 Theologie in Königsberg studiert und nebenher bereits ausgiebige Sprachstudien betrieben.147 Sie erstreckten sich vor allem auf das Litauische. Dieses Interesse kam auch publizistisch zur Geltung. Als Pfarrer in Trempen blieb ihm genügend Zeit für heimatkundliche Studien, die sich vor allem auf das alte Preußen und seine religiösen Überlieferungen erstreckten. Verdient machte er sich denn auch durch Übersetzungen ins Litauische, so etwa von Thomas a Kempis’ Todesgedanken. Auch verfaßte er eine Neue litauische Grammatik (1791) und eine Erste Littauische Liedergeschichte (1793). Seine heimatkundlich und sprachgeschichtlich orientierten Studien wurden flankiert von dem Aufbau einer Bibliothek, die zu unbekannter Zeit in die Universitätsbibliothek kam und besagten Dach-Sammelband enthielt. Nach ihm also war besonders Ausschau zu halten. Denn Sammelbände sind stets die ergiebigste Quelle im 17. Jahrhundert. An ihnen orientiert sich der Forschende in jedem historischen Bibliotheksquartier zunächst und bevorzugt. Und wenn er dann auf Sequenzen solcher Sammelbände stößt, weiß er, daß in jedem Fall reiche Ernte zu halten ist. –––––– 145

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Zur Gottholdschen Bibliothek jetzt grundlegend der unten aufgeführte Sammelband zur Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180). Zur Wallendrodtschen Bibliothek liegen aus der Vorkriegszeit die beiden Darstellungen von Juntke und Vanselow vor (vgl. Bibliographie Walter, S. 82 f.), die jedoch den Anforderungen an detaillierteren Informationen über die Bestände und ihre sukzessive Akkumulation (wie so häufig in der Bibliotheksgeschichte) nicht genügen können. Die nach 1945 zustande gekommenen Darstellungen gleichfalls bei Walter S. 82 ff. Vgl. Ziesemers Einleitung zum ersten Band der Gedichte Dachs (Anm. 127), S. VIII. Vgl. den Eintrag in der APB II, 485 (Lehnerdt).

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Carmina casualia Derartige Sammelband-Sequenzen gab es in der Staats- und Universitätsbibliothek gleich mehrere. Wir stellen sie an dieser Stelle erstmals geschlossen vor, soweit unsere Informationen reichen. Wir nehmen dabei angesichts der Wichtigkeit des zur Verhandlung stehenden Gegenstandes in Kauf, den über die Lebensdaten Dachs vorgegebenen zeitlichen Rahmen gelegentlich zu überschreiten. So gleich im Blick auf die erste hier einschlägige Reihe. Schon 1916 legte Walther Ziesemer eine Untersuchung mit dem Titel ›Königsberger Hochzeitsgedichte aus den Jahren 1671–1751‹ vor.148 Sie interessierten ihn im Blick auf niederdeutsche Beiträge, die er denn auch reichlich im originalen Wortlaut darbot. Für uns ist allein die einleitende knappe Bemerkung zur Quellenlage bedeutsam. Die einschlägigen Gedichte entstammen – fast wäre man versucht zu fragen: Wie sollte es anders sein? – »starken Sammelbänden der ›Carmina nuptialia, funebria, gratulatoria‹, die die hiesige Königl. Universitätsbibliothek bewahrt.«149 Sie hatte also die große Masse der Gelegenheitsgedichte – in Übereinstimmung mit vielfach auch anderwärtig beobachteter Praxis – unter die drei wichtigsten Anlässe subsumiert und aus ihnen Sammelbände gebildet. Wann das geschah, ist ebensowenig bekannt wie die damit zusammenhängende Frage zu beantworten, ob einzelne Sammelbände – wie zu vermuten – von älterer Hand herrührten. Ziesemer hatte nur niederdeutsche Hochzeitsgedichte gesucht. Also wähnte er sich der Aufgabe enthoben, näheres über die Sammelbände mit ›Carmina funebria‹ bzw. ›Carmina gratulatoria‹ mitzuteilen. Das geschah nur im Blick auf die ›Carmina nuptialia‹. Um es vorweg zu sagen: Es gibt u.W. keine einzige Quelle, die über den gesamten Umfang der einst in der Königsberger Universitätsbibliothek vorhandenen Sammelbände mit Gelegenheitsschriften und gegliedert nach Gattungen informieren würde. Ziesemer spricht von »rund 3000 Hochzeitsgedichten«.150 Er findet die 29 von ihm mitgeteilten niederdeutschen Hochzeitsgedichte in einer Sammlung von Gelegenheitsgedichten verschiedenen Inhalts aus der Zeit von ca. 1660 – ca. 1710 (Sign. Pb 30 fol.); es sind 7 Bände vorhanden, deren jeder einen Buchstaben enthält: B D H K L M S [... sowie] in 6 Schweinslederbänden, die den Rückentitel Carmina nuptialia tragen (Sign. S 2 fol. I–VI); die ersten vier Bände tragen in Golddruck die Aufschrift Fridericus Wilhelmus Rex Pruss. 1736 und enthalten in alphabetisch nach den Namen des Bräutigams geordneter Reihenfolge Hochzeitsgedichte von ca. 1705 bis 1736 [...]; die zwei letzten Bände haben den

–––––– 148

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Walther Ziesemer: Königsberger Hochzeitsgedichte aus den Jahren 1671–1751.- In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 42 (1916), S. 1–42. Ebd., S. 1. Ebd.

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Golddruck Fridericus Rex Prussiae 1752, in ihnen sind Gedichte von 1736 (nebst einigen älteren) bis 1752 gesammelt.151

Das heißt, es gab wenigstens zwei verschiedene Reihen mit Gelegenheitsgedichten. Eine erste in der Abteilung ›Pb‹, die offensichtlich nicht nach Gattungen, sondern nur nach Adressaten geordnet war. Und eine zweite in der Abteilung ›S‹, die gleichfalls dem Adressatenprinzip gehorchte, darüber hinaus aber nach Gattungen sortiert war, vermutlich also Bände unbekannter Anzahl wenigstens auch mit Trauer- und mit Gratulationsgedichten enthielt. Das ist eine lückenhafte, aber doch überaus wertvolle Information. Diese ist nun zu kombinieren mit einer aus den Jahren 1924/25 herrührenden. Sie entstammt der Feder des Königsberger Musikwissenschaftlers Joseph Müller-Blattau, dem das Verdienst zukommt, systematisch Erhebungen nach historischen Musikalia in der Königsberger Universitätsbibliothek und der in sie eingegangenen Stiftungen bzw. Schenkungen durchgeführt und darüber eingehender berichtet zu haben. Sowohl die von Ziesemer angesprochene Abteilung ›Pb 30‹ wie auch die von ihm berührte Abteilung ›S 2‹ kehren bei Müller-Blattau wieder, nun jedoch teilweise eingebettet in größere und für uns wichtige Zusammenhänge. Er bestätigt zunächst die Existenz der Gruppe ›Pb 30 fol.‹ mit sieben Bänden für die von Ziesemer ausgewiesenen sieben Buchstaben. Keiner von beiden fragt nach dem Verbleib weiterer Bände, Adressaten mit anderen als den sieben erwähnten Anfangsbuchstaben gewidmet. Es muß sie gegeben haben. Sie sind entweder nicht in die Universitätsbibliothek gelangt oder ihr zu unbekanntem Zeitpunkt verloren gegangen. Die Frage führt also ins Ungewisse, was nicht hindern darf, sie zu artikulieren. Müller-Blattau spricht von »Einzel(Blatt = )Drucken in Folio oder Quart«.152 Man wird davon ausgehen dürfen, daß in den Bänden angesichts des übergeordneten Adressaten-Bezugs keine Scheidung nach Formaten vorgenommen wurde. Das wäre ungewöhnlich für Sammler des 18. Jahrhunderts und würde eher auf bibliothekarische Praxis aus dem 19. Jahrhundert verweisen, als die Fühlung mit der einst kostbar erachteten und nun verächtlich betrachteten Druckware schon verloren gegangen war. Müller-Blattau macht weitere Einzelbände mit Musikalien aus der Gruppe ›Pb‹ für die Signaturen Pb 13, Pb 113, Pb 120 und Pb 148 namhaft. Wichtiger noch sind seine Informationen für die Signaturengruppe ›S‹. Ziesemer erwähnte für seine Zwecke nur die Gruppe ›S 2 fol.‹ mit sechs Bänden ›Carmina nuptialia‹. Müller-Blattau gibt nun weitere zwölf Foliobände in der Abteilung ›S 1‹ und fünf andere in der Abteilung ›S 3‹ an. Dem wißbegierigen (und zugleich ungehaltenen) Leser bleibt es vorbehalten zu –––––– 151 152

Ebd., S. 2. Müller-Blattau: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 229.

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rätseln, ob die 12 Foliobände vielleicht ›Carmina funebria‹ und die fünf Foliobände vielleicht ›Carmina gratulatoria‹ enthielten und ob auch sie durchgängig in Schweinsleder gebunden und mit einer königlichen Provenienz versehen waren. Dem Musikwissenschaftler mangelte es offenkundig an Interesse für diese literaturwissenschaftlich wie buchkundlich gleich wichtigen Fragen. Wir möchten vermuten, daß es zumindest eine partielle Richtigkeit mit unserer Annahme haben könnte. Dann wäre die Universitätsbibliothek im Besitz mächtiger Sammlungen mit Gelegenheitsschriften aller Gattungen gewesen, die vor allem offenkundig aus der zweiten Hälfte des 17. und der erste Hälfte des 18. Jahrhunderts herrührten. Müller-Blattau macht weitere Sammelbände mit Texten zu Gelegenheitsmusiken ohne die dazugehörige Musik für die Signaturen S 4, S 5 und S 73 namhaft. Andere Gedichte mit Musik lägen in S 43, S 44 fol., S 99 fol., S 104 fol, S 151 und S 322 qu. vor.153 Die Signaturengruppe ›Pa‹ und ihre Umsignierung Man darf gewiß sein, daß allen diesen Informationen im weiteren Fortgang unserer Untersuchung aufmerksam nachgegangen wird. Die für unsere eingeschränktere, auf Simon Dach und seinen Umkreis bezogene Fragestellung wichtigste Quelle war offensichtlich eine Sammelband-Sequenz in der Abteilung ›Pa‹ mit Texten und Vertonungen aus dem Königsberger Dichterkreis. Hunderte von Stücken müssen in ihnen vereint gewesen sein. Ziesemer und Müller-Blattau geben denn auch beide über sie Auskunft, der erstere beiläufig, der letztere systematisch. Wir beginnen also mit Müller-Blattau. Demnach standen unter den Signaturen Pa 127–131 »Stimmbücher mit Gelegenheitskompositionen von Albert, Eccard, Huck, Kaldenbach, Kolb, Knutz, Matthäi, Sebastiani, Stobaeus, Schwenckenbecher«.154 Sie ergänzten damit den reichen musikalischen Bestand, der aus der Herzoglichen bzw. später Königlichen Bibliothek herrührte. Auch den einstigen Besitzer weiß MüllerBlattau namhaft zu machen: ›Sammlung Bläsing‹ heißt es lakonisch in einer Angabe in Klammern. Wir kommen damit für einen Moment lang – neben Gotthold und den Wallentrodts – zu einer speziell für die Geschichte der Universitätsbibliothek zentralen Gestalt. David Bläsing gehörte als Mathematiker zu den prägenden Figuren der Königsberger Universität im 18. Jahrhundert.155 Schon ihr erster und größter zeitgenössischer Historiker Daniel Heinrich Arnoldt wußte freilich, daß –––––– 153 154 155

Ebd. Ebd. Vgl. APB I, 60 (Krollmann) mit den entsprechenden Nachweisen.

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mit ihm recht eigentlich auch die Geschichte der Universitätsbibliothek überhaupt erst begann, die bis dato ein Dasein im Schatten der Schloßbibliothek geführt hatte. 3000 Bände hinterließ er ihr bei seinem Tod im Jahr 1719. Das war mehr als sie in ihrer über zweihundertjährigen Geschichte bislang zusammengebracht hatte. Vor allem aber und allein für uns einschlägig: Bläsing gehörte zu den Sammlern, die diesen Namen mit besonderem Recht in Anspruch nehmen dürfen. Er verlegte sich nämlich mit so vielen anderen großen Figuren, wie sie allein das 18. Jahrhundert in diesem Umfang hervorbrachte, auf das Einsammeln von Kleinschrifttum. Zahlreiche der Sammelbände, die anläßlich dieser Untersuchung durch unsere Hand gehen werden, entstammen seinen Kollektionen. Müller-Blattau spricht denn auch summarisch von einer »gewaltigen Sammlung von Gelegenheitsschriften, die der Universitätsbibliothek aus Bläsings Vermächtnis zufielen«.156 In seiner an späterer Stelle vorgenommenen und von uns beigezogenen Aufstellung weist er Herkunft aus der Sammlung Bläsing jedoch nur für die hier zur Rede stehende Sequenz Pa 127–131 aus. Diese hat auch Ziesemer vorgelegen. Aber nur die ersten drei Bände aus ihr waren für seine Edition einschlägig, also nennt er nur sie und vermag damit keinen zureichenden Einblick in die gesamte Folge zu geben. Dafür bietet er en passent eine weitere Information, die uns zu einem erheblichen Umweg nötigt, wie er uns unumgänglich dünkt, wenn Licht in das obwaltende Dunkel gebracht werden soll – und das auch auf die Gefahr möglicher Irrtümer und Fehlschlüsse hin. Er schöpft für seine Dach-Edition aus den Bänden Pa I 127, Pa I 128 und Pa I 129. Der Ordnungsbuchstabe ›P‹ mit den Unterabteilungen ›a–c‹ war in der Systematik der Staats- und Universitätsbibliothek der ›Kunst und schönen Literatur‹ vorbehalten, wie aus einer Notiz Kuhnerts zu entnehmen.157 Der grundsätzlich nachfolgende kleingeschriebene Buchstabe verwies auf die innere Gliederung des jeweiligen Fachgebiets. Kuhnert, stets mehr an Verwaltungs- denn an substantiellen buchkundlichen Fragen interessiert, schweigt sich über seine Bedeutung aus. Müller-Blattau identifiziert die Sigle ›Pa‹ als ›Schöne Wissenschaften und Künste im allgemeinen‹.158 Diese drei – Texte und Musikalien enthaltenden – Bände wurden – gewiß zusammen mit anderen wie etwa Pa 130 und Pa 131 – umsigniert. Ziesemer nämlich spricht ohne irgend ein erläuterndes Wort in der Einleitung zu seiner Dach-Ausgabe von drei »wertvolle[n] Bänden Rd 5, Rd 6, Rd 7 –––––– 156 157

158

Ebd., S. 228. Ernst Kuhnert: Geschichte der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg. Von ihrer Begründung bis zum Jahre 1810.- Leipzig: Hiersemann 1926, S. 244. Müller-Blattau: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 218.

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(früher Pa 127, 128, 129)«, also eben den von uns hier ins Auge gefaßten.159 Wann diese Umsignierung geschah, ist unbekannt. Müller-Blattau weiß in seiner Abhandlung aus den Jahren 1923/1924 nichts von ihr, hält sie aber möglicherweise nicht für erwähnenswert. Sicher ist indes nur, daß sie nach Erwerb der Gottholdschen Bibliothek erfolgte. Der Vorgang ist mit Rätseln behaftet, die exemplarisch an dieser Stelle dargelegt werden sollen, weil er zum einen auch parallele Fälle betrifft, zum anderen geeignet ist zur Demonstration, mit welch banalen Fragen der gewissenhafte Bibliothekshistoriker sechzig Jahre nach Untergang der Königsberger Bibliotheken sich herumzuschlagen hat, der nicht mehr das Glück hat, über Kenntnisse vor Ort zu verfügen, in deren Licht Fragen wie die folgenden umstandslos zu beantworten gewesen wären (und womöglich heute von Fachleuten noch sind; daher ihre penible Artikulation). Katalogisierung der Gottholdschen Bibliothek Joseph Müller, der erwähnte Bibliograph der musikalischen Schätze der Universitätsbibliothek und ihrer Legate aus dem Jahr 1870, Amateur durch und durch und unfähig, sich klar und eindeutig zu artikulieren, weiß über den Stand der Verzeichnung der Musikalien innerhalb der Gottholdschen Bibliothek zu berichten: »Ein Drittel derselben war mit den Jahren inventarisirt, in dilettantisch eingerichteten Realcatalogen eingetragen, mit Signaturen versehen und zugänglich gemacht worden«160 Gerne wüßte man, was es da ›mit den Jahren‹ auf sich hat. Hatte die – den Berichterstatter nicht zufriedenstellende – Katalogisierung schon zu Gottholds Zeiten begonnen und war sie womöglich von ihm selbst vorgenommen worden, oder setzte sie erst nach seinem Tode ein, erfolgte also nach Übernahme durch die Universitätsbibliothek? Waren möglicherweise auch beide Vorgänge gemeint? Ernst Wermke, dem Altmeister der Preußischen Bibliographie, kommt das Verdienst zu, sich eingehend mit dem komplizierten Vermächtnis Gottholds befaßt zu haben. Ihm ist die genaue Zahl der an die Universitätsbibliothek gelangten Bände zu verdanken: Es waren 37.200, und nicht, wie bis in jüngste Zeit zu lesen, 55.000 Bände. Die Literatur zur Musik umfaßt 800 Werke, an praktischer Musik sind 3300 Nummern vorhanden. In der mit großer Sachkenntnis und viel Sammlerglück zusammengebrachten Musiksammlung liegt der Hauptwert der Gottholdschen Bibliothek.161

–––––– 159

160 161

Vgl. Ziesemers Einleitung zum ersten Band der Gedichte Dachs (Anm. 127), S. VIII. Müller: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 1 der unpaginierten Vorrede. Wermke: Friedrich August Gotthold (Anm. 104), S. 373.

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Dieser Hinweis ist mit einer weiteren und für unsere Frage einschlägigen Angabe zu kombinieren. In die Zeit der Übernahme der Gottholdschen Bibliothek fiel auch die Neukatalogisierung der Bestände der Universitätsbibliothek. In die damals betriebene Neuaufnahme der Bestände der Kgl. Bibliothek wurde nach und nach auch die Gottholdsche Bibliothek einbezogen. Doch mußte diese Arbeit vor dringenderen Aufgaben immer wieder zurücktreten, nachdem Oberbibliothekar Rödiger 1876 einen neuen Anlauf genommen hatte, gelang es endlich Direktor Schwenke sie im Jahre 1898 zu Ende zu führen. Allerdings verzichtete er darauf, den größten Teil der Musikalien zu signieren und in die Fachgruppen einzuordnen, diese sind noch heute [1929] nach den Nummern des alten Gottholdschen Standortkataloges aufgestellt.162

Den Musikalien der Universitätsbibliothek war also eine katalogische Sonderbehandlung vorbehalten. Um dies in seinen Konsequenzen würdigen zu können, muß eine weitere Aussage Wermkes hinzugenommen werden. Die Gottholdsche Bibliothek blieb dem Willen ihres Stifters gemäß separat aufgestellt. Gleichwohl lag es nahe[,] die Neuordnung der Gottholdschen Bibliothek in Anlehnung an die Fachgruppenaufstellung der Kgl. und Universitätsbibliothek vorzunehmen. Demgemäß wurde ein neuer systematischer Standortkatalog in 5 Bänden angelegt, dessen Einteilung und Signaturen, im einzelnen allerdings stärker differenziert, dem Muster der Kgl. Bibliothek folgten.163

Die nichtmusikalischen Werke – und damit rein numerisch die überwiegende Anzahl – nahmen also einen genau entgegengesetzten Weg wie die Musikalien. Wurden jene dem Signaturen-Schema der Universitätsbibliothek angepaßt, so blieben für diese die älteren Gottholdschen Signaturen in Kraft. Was aber geschah mit den Musikalien der Staats- und Universitätsbibliothek? Ganz offensichtlich wurde bei der Neusignierung für diese gleichfalls der Ordnungsbuchstabe der Gottholdschen Bibliothek vergeben. Die Gottholdsche Bibliothek hätte demnach ihre Prägekraft auch den Beständen der Universitätsbibliothek aufgedrückt. Das ergibt sich, wenn unser Indizienbeweis nicht in die Irre führt, aus der Kombination der einschlägigen Passagen bei Wermke, Müller und Ziesemer. Wermke berichtet, daß Gotthold durch einen Famulus in den Jahren 1845 und 1846 einen Standortkatalog anlegen ließ, der schließlich fünf Bände umfaßte. Später kamen ein sechster und siebenter Band hinzu, in denen die systematische Ordnung wieder aufgegeben war. Hinzu trat danach –––––– 162 163

Ebd., S. 371. Ebd.

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ein zweibändiger alphabetischer Katalog, der bis zur Neukatalogisierung der Bestände der Universitätsbibliothek nach Wermke seine Dienste tat. Leider versäumt es Wermke, die Prinzipien der zunächst betriebenen systematischen Aufstellung und die entsprechende Vergabe von Buchstaben zu erläutern. Hier nun springt Müller für die Gottholdschen Musikalien ein.164 Für sie war der Buchstabe ›R‹ vergeben. Er wurde durch lateinische und griechische kleine Buchstaben gleichermaßen weiter ausdifferenziert. Das begann bei ›Ra‹ mit ›Zeitschriften, Sammlungen, Lexica, Miscellaneen zur Musik‹ und führte bis ›Rfβ‹: ›Instrumentalmusik seit 1750‹. Müller bietet nun in seinem Katalog, der offensichtlich unter großem Zeitdruck erstellt werden mußte, teils Aufnahmen nach Autopsie, teils aber auch nach von anderer Hand gefertigten Einträgen – eine denkbar mißliche Situation. Außerdem kam sein katalogisches Unternehmen als ganzes nicht zum Abschluß. Statt dessen erfährt der Benutzer: »Zu der Gotthold’schen Bibliothek zog ich auch diejenigen Werke hinzu, welche die Königl. und Universitäts-Bibliothek besitzt, weil dieselben doch einmal vereinigt werden müssen.«165 Materialiter ›vereinigt‹ oder katalogisch? Nur das letztere war stiftungskonform zulässig und also vom Verfasser wohl auch gemeint. Diese Musikalien aus der Universitätsbibliothek, die Müller in seinem Katalog verzeichnet, »tragen die Signaturen Ce, Pa, Pb und S.«166 Sie sind in dem Müllerschen Katalog also als aus der Universitätsbibliothek herrührend noch erkennbar. Dann aber müssen sie in die Umsignierung, wie sie in der Universitätsbibliothek durchgeführt wurde, einbezogen worden sein. Das eben lehrt ja das erwähnte Zeugnis unseres letzten Gewährsmannes Ziesemer, wonach die von ihm ausgeschöpften Bände Rd 5, Rd 6 und Rd 7 früher die Signatur Pa 127, Pa 128 und Pa 129 getragen hätten. Sie waren also, genau wie von Wermke berichtet, gemäß einer Entscheidung Schwenkes in dem neu entstehenden Realkatalog mit den Gottholdschen vereinigt worden – wohlgemerkt und nochmals: nicht materialiter, sondern allein katalogisch. Die Systemstelle ›Rd‹ bezeichnete bei Gotthold die Abteilung ›Hymnologie und Choralmusik‹. Dahin kamen völlig sachgemäß die drei Sammelbände aus der Universitätsbibliothek – und gewiß auch die anderen. Fortan also war es nicht mehr möglich, originäre Gottholdsche Bestände von solchen aus der Universitätsbibliothek herrührenden zu unterscheiden. Und doch ist auch diese Feststellung wieder zu differenzieren. Sie gilt nur für identische Signaturen mit zwei Buchstaben. Wo – wie in ungezählten Fällen – ein dritter griechischer Buchstabe hinzu trat, war die Herkunft aus der Gotthold–––––– 164 165 166

Müller: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 1 der unpaginierten Vorrede. Ebd., S. 1 f. Ebd., S. 2.

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schen Bibliothek evident. In Königsberg stellten sich diese zuletzt angedeuteten Probleme nicht. Die Gottholdsche Bibliothek war separat aufgestellt und damit für jeden Band die Provenienz gesichert. Aber diese idealtypische Situation liegt sechzig Jahre zurück – eine für alte Bibliotheken kurze Zeit, für uns jedoch um Äonen entrückt. Damit sollten wir gerüstet sein, den Angaben Ziesemers hinsichtlich des Nachweises von Dach-Drucken aus der Universitätsbibliothek mit hinlänglichem Verständnis zu begegnen. Bestände mit der Sigle ›Pa‹ kommen bei ihm nicht mehr vor (sie waren eben zu ›Rd‹ umsigniert worden); wohl aber zwei der drei anderen von Müller ebenso wie von Müller-Blattau ausgewiesenen Systemgruppen. Tatsächlich finden sich aus den Gruppen ›Pb‹ und ›S‹ besonders viele Dach-Drucke in der Ziesemerschen Edition nachgewiesen, wohingegen ›Ce‹ nicht vertreten ist. Die Buchstaben ›Pb‹ verweisen ganz offensichtlich innerhalb der Schönen Künste auf die Abteilung Literatur. Der Buchstabe ›S‹ hingegen bezieht sich nach Auskunft von Reinhold aus dem Jahre 1906 auf ›Sammelwerke und Zeitschriften‹, der Buchstabe ›C‹ nach der gleichen Quelle auf Theologie.167 Zusätzlich findet man Nachweise aus den Abteilungen ›Bb‹ (Philologie), ›Ca‹, ›Cdβ‹, ›F‹ (Philosophie), ›Oa‹, ›Oe‹ (O: Geschichte), ›Q‹ (Litterärgeschichte), ›Tl‹ (Vermischte Schriften), wobei zumindest die dritte Kennziffer wieder auf Herkunft aus der Gottholdschen Bibliothek verweisen dürfte. Darüber hinaus sind Dach-Drucke aus der alten Gottholdschen Ordnungsnummer ›R‹ für die Gruppen ›Re‹ und ›Reα‹ ausgewiesen. Die erstere ist als solche bei Müller nicht ausgezeichnet, sondern nur die letztere, ›Geistliche Vocalmusik mit oder ohne Begleitung bis 1750‹ umfassend.168 Insgesamt also bleibt es rückblickend zu beklagen, daß Müller Bücher aus der Gottholdschen Bibliothek mit denen aus der Universitätsbibliothek in einer Folge aufführt, ohne klar erkennbare Scheidungen hinsichtlich der Provenienzen vorzunehmen. Sie ist nur gelegentlich über die mitgeführten Signaturen in der erwünschten Eindeutigkeit feststellbar und erschwert die ohnehin mühselige Suche zusätzlich. Die Königsberger Dichter in der Wallenrodtschen Bibliothek Anders steht es um die aus der Wallenrodtschen Bibliothek stammenden Bestände. Sie waren gleichfalls separat in der Staats- und Universitätsbibliothek aufgestellt. Die sog. Dubletten hatten in stilvollem historischen Ambiente –––––– 167

168

Vgl. Hugo Reinhold: Die Königliche und Universitäts-Bibliothek zu Königsberg i. Pr. Ein Vortrag.- Königsberg: Hartung 1906, S. 11. Müller: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 1 der unpaginierten Vorrede.

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Aufstellung in einem Zimmer des Domes gefunden. Die Wallenrodiana waren neben der Signatur mit einem zusätzlichem ›(W)‹ im Inneren des Buchdeckels gekennzeichnet. Wieder liegt uns keine Darstellung vor, die die systematische Ordnung der Bibliothek wiedergäbe und erläuterte. Auffällig ist, daß wiederholt mit großen Doppelbuchstaben gearbeitet wurde. Verwies diese Praxis womöglich darauf, daß man das Schema der Universitätsbibliothek zugrundelegte und durch Doppelung des gleichen Buchstabens Herkunft aus der Wallenrodtschen Bibliothek signalisierte? Wie aber war denn die Existenz von Signaturen mit nur einem Buchstaben erklärlich? Wir tappen bislang im Dunkeln. 1979 trafen wir zu unserer Freude den langjährigen Bibliothekar der Wallenrodtschen Bibliothek in Königsberg, dem wir auch eine geschichtliche Darstellung der Bibliothek verdanken, hochbetagt in der Marienbibliothek zu Halle in gewohnter rüstiger Tätigkeit begriffen. Fritz Juntke hätte das Rätsel sofort lösen können. Aber damals, auf einer Bibliotheksreise durch die DDR und Polen, war es noch nicht in unser Blickfeld getreten. Auf die einzigartige Bibliothek wurden wir erst fünf Jahre später im seinerzeitigen Leningrad aufmerksam ... In jedem Fall stammen die weitaus meisten Dach-Drucke – wie unser erster Gewährsmann Ziesemer sie in seinen Anmerkungen okkasionell ausweist, sofern aus der Wallenrodtschen Bibliothek herrührend – aus Systemgruppen, die mit einem Doppelbuchstaben belegt sind. Es sind demnach zwei Gruppen, denen fortan unsere besondere Aufmerksamkeit zu gelten hat. Nicht weniger als fünf Sammelbände, aus denen Ziesemer immer wieder schöpft, werden gebildet durch die Folge SS 40 (W), SS 41 (W), SS 42 (W), SS 43 (W) und SS 44 (W). Der Ordnungsbuchstabe ›S‹ – so erfuhren wir, wie erwähnt, zufällig bei einem Zeugen aus der täglichen Praxis in der Universitätsbibliothek zu Königsberg – verwies auf Sammelbände. Also würde, wenn unsere Vermutung zuträfe, die Sigle ›SS‹ auf Sammelbände in der Wallenrodtschen Bibliothek hindeuten. Wir vermögen mit Gewißheit nicht mehr zu sagen, als daß es sich tatsächlich bei den Bänden, wie Mehrfachnutzung bei Ziesemer zeigt, um Sammelbände handelt bzw. gehandelt haben muß. Nämliches gilt für zwei weitere Bände mit einer aus Doppelbuchstaben zusammengesetzten Signatur: RR 4 (W) und RR 6 (W), zu denen ein bei Ziesemer nicht genannter Sammelband mit der Signatur RR 5 (W) tritt. Dann ergäbe sich in gewisser Analogie zur Universitätsbibliothek die dreiteilige Sequenz RR 4 (W) – RR 6 (W). Gesprochen hatten wir soeben mit Blick auf die Universitätsbibliothek von den Bänden Rd 5 bis Rd 7. Wir ersehen daraus, daß in der Wallenrodtschen Bibliothek keine Untergliederung nach einzelnen Fachabteilungen üblich war, signalisiert durch angehängte kleine Buchstaben, und die Gottholdsche Praxis einer dritten Systemstelle,

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indiziert durch griechische Buchstaben, dann selbstverständlich auch nicht in Frage kam. Den sechs von Ziesemer erwähnten Sammelbänden, sowie dem von uns vorab hinzugezogenen siebten aus der Wallenrodtschen Bibliothek wird unsere besondere Aufmerksamkeit im Verfolg unserer weiteren Recherchen zu gelten haben. Ein neuerlicher Blick herüber zu Müller-Blattau lehrt nun, daß es auch in diesen beiden für unsere Zwecke besonders wichtigen Abteilungen weitere Bände gab, die möglicherweise keine Dach-Drucke bargen und deshalb von Ziesemer wiederum nicht erwähnt wurden, für eine auf die Königsberger Dichter und Musiker in Dachs Umkreis bezogene Recherche jedoch gleichfalls im Blick behalten werden müssen. Müller-Blattau spricht in diesem Zusammenhang von »Folio- und Quartbänden der ›Carmina‹ und ›Intimationes‹ aus der Wallenrodtschen Bibliothek« und tut daran recht.169 Denn in der Tat wird sich zeigen, daß einige der im folgenden aufgeführten Bände einer – überhaupt gar nicht hoch genug zu schätzenden – Eigenart der Wallenrodtschen Bibliothek entsprechend besonders reichhaltig mit Intimationes und anderweitigen akademischen Schriften angefüllt sind. MüllerBlattau macht im Blick auf Gelegenheitskompositionen in der Gruppe ›RR‹ die Bände RR 5, 6, 13–15, 17, 51, 53a, 61 und 62 namhaft. Aus der Gruppe ›SS‹ erwähnt er nur die Bände 5, 29 und 40.170 So zeigt sich neuerlich, wie wichtig es ist, die Angaben des Literatur- und des Musikwissenschaftlers zusammenzuführen für eine systematische Recherche. Dementsprechend obliegt es uns, indem wir unseren Bericht über die Universitätsbibliothek damit zu einem vorläufigen Abschluß bringen, auch die weiteren aus der Wallenrodtschen Bibliothek herrührenden Bände zu erwähnen, die Ziesemer für seine Dach-Edition heranzieht. Es sind dies Bände aus den folgenden Systemgruppen: D 85 (W), D 399 (W), D 435 (W) sowie K 251 (W). Die Sigle ›D‹ verweist in der Universitätsbibliothek auf die Systemstelle Rechtswissenschaft, die Sigle ›K‹ auf die Systemstelle Naturwissenschaften. Es scheint also wenig wahrscheinlich, daß eine durchgehende Homologie zwischen der Wallentrodtschen und der Universitätsbibliothek im System der Aufstellung herrschte. Wir vermögen das hier sich auftuende Problem nicht zu lösen. Zu konstatieren ist schon an dieser Stelle, daß uns auf unserer Wanderung, für die wir an dieser Stelle die notwendigen Zurüstungen treffen, noch eine Anzahl höchst wichtiger weiterer Wallenrodiana auch im Blick auf Dach begegnen werden. Ziesemer hat unbegreiflicherweise nicht alle ihm in den zwanziger und dreißiger Jahren mühelos in Königsberg verfügbaren –––––– 169 170

Müller-Blattau: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 230. Ebd.

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Quellen ausgeschöpft bzw. sie zumindest in seinem wissenschaftlichen Apparat nicht ausgewiesen. So ergibt sich die paradoxe Situation, daß wir nach der Katastrophe selbst aus Königsberg vielfach über Nachweise von Drucken verfügen, die Ziesemer nicht namhaft macht. Auf der anderen Seite wird sich zeigen, daß bislang keineswegs alles wieder aufgetaucht ist, was der Herausgeber in der Hand hatte. Drittens aber – und letztlich entscheidend – wird sich nach den Versäumnissen Ziesemers und anderer sowie dem Verlust so gut wie aller Kataloge nie wieder mit letzter Sicherheit angeben lassen, was bis 1945 in den Mauern Königsbergs tatsächlich vorhanden war. Wir können nur Mitteilung machen von dem, was bezeugt war und was womöglich zusätzlich zu dem Bezeugten aus Königsberger Bibliotheken und Archiven seither durch unsere Hände ging. Schätze aus der Königsberger Stadtbibliothek So ist nunmehr der Zeitpunkt gekommen, zu der zweiten – oder, wenn man die Gottholdsche und Wallenrodtsche Bibliothek separat zählt – zur dritten bzw. vierten Bibliothek vor Ort, der Stadtbibliothek Königsberg, überzugehen. Sie war sehr viel kleiner als die akademische Schwesterinstitution. Zählte diese 1940 ausweislich des Jahrbuchs der deutschen Bibliotheken knapp 700.000 Bände, so jene etwas über 100.000. Hinsichtlich unserer Fragestellung besagen solche Zahlen gar nichts. Die Stadtbibliotheken waren die zentralen Fonds für die regionalen Überlieferungen, in unserem Falle also auch der Königsberger Dichter. Auch wenn sie formell später gegründet wurden, vereinigten sie doch in aller Regel ältere Sammlungen. An der Bestandsgeschichte der Königsberger Stadtbibliothek sind zahlreiche Sammlerpersönlichkeiten beteiligt, die vor Ort wirkten, landeskundliche Interessen verfolgten und ihre Aufmerksamkeit selbstverständlich auch auf eines der besonders illustren Beispiele aus der Königsberger Kulturgeschichte richteten, eben auf die Dichter des Königsberger Kreises um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Sofern es sich um Sammler Dachs handelte, wurde von ihnen schon gesprochen. Was die Sammler generell anging, die die Königsberger Stadtbibliothek mit ihren Kollektionen bedachten bzw. aus deren Sammlungen Buchgut auf anderem Weg in die kommunale Institution floß, so ist dieses Kapitel jüngst von uns eingehend behandelt worden. Neuerlich erübrigen sich Wiederholungen. Der interessierte Leser bleibt aufgerufen, die einschlägigen Abschnitte in den Publikationen aufzusuchen, auf die hier verwiesen werden darf.171 –––––– 171

Vgl. neben der oben Anm. 33 nachgewiesenen Geschichte der Königsberger Stadtbibliothek von Krollmann und dem Versuch des Verfassers in dem oben Anm. 1 zitierten Sammelband zur Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit, S. 60

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Zunächst ist die Feststellung zu treffen, daß die innere Gliederung der Stadtbibliothek nur über zufällige Bemerkungen zu erschließen ist. Wir stehen vor der merkwürdigen Situation, daß die ältesten, in die Gründungszeit des 16. Jahrhunderts zurückführenden systematischen Kataloge einschließlich der Ordnungsbuchstaben bekannt sind, ein Verzeichnis der bis 1945 verbindlichen Aufstellung jedoch fehlt. Den verdienten Bibliothekshistorikern, Christian Krollmann an der Spitze, waren sie so selbstverständlich über die tägliche Arbeit vertraut, daß sie offensichtlich gar nicht auf die Idee kamen, ihr Wissen zukünftigen Generationen mitzuteilen. Und die Ahnung, daß systematische Kriterien der Aufstellung und ihnen zugehörige Siglen eines gar nicht so fernen Tages als die einzigen Zeugen des gewachsenen Baues verbleiben könnten, streifte sie offensichtlich nicht. Uns zumindest ist kein entsprechender vor 1945 gearbeiteter systematischer Plan der ehrwürdigen Königsberger Stadtbibliothek bekannt, die im Gebäude der alten Universität gemeinsam mit dem Stadtarchiv auf dem Kneiphof im Schatten des Domes bis zum August 1944 ein malerisches Unterkommen gefunden hatte. Nach Krollmanns Zeugnis stellte ein Gutachten aus dem Jahr 1897 fest, daß es einen alten Bücherbestand gab, der nach dem Muster der Königlichen Bibliothek in 27 Fächern nach den Buchstaben A–T (mit der Untergliederung Ba, Bb, Bc usw.) in vier Formaten bis zum Jahre 1875 aufgestellt war.172

Wir dürfen für den Altbestand also von einer systematischen, in den Signaturen sich spiegelnden Koinzidenz mit der Staats- und Universitätsbibliothek ausgehen. Diese Ermächtigung wird sogleich im konkreten Fall bestätigt. Der wichtigste Band mit Dach-Drucken aus der Stadtbibliothek ist mit der Sigle ›S‹ versehen. Tatsächlich handelt es sich um einen Sammelband. Die Systemstelle ›S‹ fungierte also hier wie dort als Symbol für Klein- und Sammelschrifttum. Im speziellen Fall ist der Signatur ein Zusatz ›H.B.‹ beigefügt. Wir übersetzen uns das Kürzel – einem (brieflichen) Vorschlag des verehrten bibliothekswissenschaftlichen Kollegen Manfred Komorowski folgend – mit Heinrich Bartsch, können aber auch in die Irre gehen. Von Bartsch war im ersten Teil unserer Untersuchung ausführlich die Rede. Er hatte Dachsche Gedichte gesammelt, sie angeblich an Gottsched weitergegeben, der sie angeblich nie empfangen hatte. Der hier einschlägige Band ––––––

172

ff., jetzt vor allem Manfred Komorowski: Die Stadtbibliothek Königsberg von 1870 bis 1945 und ihr Nachkriegsschicksal.- In: Bibliotheca Publica – Civitas Lubecensis – Mare Balticum. Bibliothek – Hansestadt – Ostseeraum. Festschrift Jörg Fligge. Hrsg. von Robert Schweitzer, Bernd Dohrendorf.- Lübeck: Bibliothek der Hansestadt Lübeck 2005 (= Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Lübeck. Dritte Reihe; 50), S. 1–18. Krollmann: Geschichte der Stadtbibliothek (Anm. 33), S. 91 f.

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trägt die Signatur H.B. S 5. I. Mehr als 100 Mal verweist Ziesemer auf ihn in den Anmerkungen seiner vierbändigen Edition. Es handelt sich um ein für die Dach-Philologie – ob erhalten oder nicht, ist im Moment noch nicht von Interesse – grundlegendes Dokument. Und es bleibt wiederum im nachhinein unbegreiflich, daß sich keiner der Literaturwissenschaftler vor Ort aufgerufen fühlte, ihn einer näheren Beschreibung zu würdigen. Die Stadt war – wie andere deutsche Orte mit historischen Bibliotheken – ganz offensichtlich so reich an Quellen, daß man sich der Mühe einer ins Detail gehenden Analyse enthoben glaubte. Äußerungen freilich wie die Oesterleyschen von der Nichtexistenz gehaltreicher Sammelbände in bezug auf DachDrucke in Königsberg werden durch Kostbarkeiten ersten Ranges wie im vorliegenden Fall sichtlich Lügen gestraft – kein gutes Zeugnis für die Philologie, ob vor Ort oder anderwärts. Neben der Systemstelle ›S‹ waren die Systemstellen ›O‹ und ›Q‹ einschlägig für die Bestückung mit Dach-Drucken und damit gewiß die Königsberger Dichter überhaupt. In der Abteilung ›O‹ wurde in der Königlichen und späteren Staats- und Universitätsbibliothek das Fachgebiet Geschichte verwaltet. Und so offenkundig auch in der Stadtbibliothek. Hier gab es ausweislich Ziesemers zwei Bände Oe 31 und Oe 337, aus denen er schöpfen konnte. Aus der Systemstelle ›Q‹ – in der Staats- und Universitätsbibliothek laut Kuhnert der Litterärgeschichte gewidmet – erfolgte ein Zugriff auf die Bände Q 39, Q 54.2, Q 110, Q 182.4, Q 192.4, Q 337 (dieser freilich an anderer Stelle mit gleicher Signatur für die Universitätsbibliothek ausgewiesen) und Q 399. Welche Bedeutung den teilweise nachgestellten Ziffern zukam, ob sie eine Binnenzählung, eine fachliche Binnendifferenzierung oder womöglich Formate markierten, wir vermögen es nicht zu sagen. Nach dem bislang Vorgetragenen ist keineswegs auszuschließen, daß auch die Stadtbibliothek Königsberg weitere Dach-Drucke an anderer Stelle besaß. Die Verzeichnung, wie zu wiederholen, blieb okkasionell, sie war nicht auf Vollständigkeit der Dokumentation bedacht. In jeder Bibliothek, an die nach 1945 Bücher aus Königsberg gelangten, ist also stets auch Ausschau nach weiteren Dach-Drucken auch aus der Stadtbibliothek Königsberg zu halten. Eine Dach-Handschrift im Königsberger Staatsarchiv Schließlich zur dritten großen sammlerischen Institution vor Ort, dem Preußischen Staatsarchiv. Es hatte noch in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein neues Gebäude bezogen, das in seiner nüchternen Sachlichkeit schwerlich einen Eindruck von den Schätzen vermitteln konnte, die es barg. Doch vielleicht war gerade die betonte Nüchternheit gewollt. Wo allenthalben die historischen Bauten fielen, blieb dies Gebäude aus der jüng-

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sten Geschichte der Stadt weitgehend erhalten und konnte folglich nach 1945 das Gebietsarchiv aufnehmen. Entleert war es freilich von seinen ältesten und wertvollsten Stücken, die ausnahmsweise rechtzeitig die Reise in den Westen angetreten hatten. Auch das ist bis in jüngste Zeit hinein wohldokumentiert worden, und wir kommen auf das sachlich Einschlägige zurück.173 Hier ist nur um der Ordnung und Vollständigkeit willen die Feststellung zu wiederholen, daß auch das Königsberger Staatsarchiv im Besitz einer Dach-Zimelie besonderer Art war. Ihr alleine ist das Glück einer ausführlichen Beschreibung zuteil geworden. Wir wiederholen dies in aller Kürze, denn sie ist unser erstes und zugleich letztes Zeugnis von ihr. Schon im Jahr 1839 war im 22. Band der Preußischen Provinzialblätter ein Aufsatz zu lesen gewesen, betitelt ›Verzeichnis der bis jetzt gesammelten Gedichte des Simon Dach‹. Er rührte – wie wir hier nachzutragen haben – her von einem Quartett (darunter der bereits bekannte Büchersammler Gotthold), das sich zur Vorbereitung einer Ausgabe der Werke Simon Dachs zusammengetan hatte.174 Die Bemühungen waren, wie so viele andere voran–––––– 173

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Grundlegung durch Kurt Forstreuter: Das Preußische Staatsarchiv zu Königsberg. Ein geschichtlicher Rückblick mit einer Übersicht über seine Bestände.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1955 (= Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung; 3). Die weitere Literatur bei Garber: Apokalypse durch Menschenhand (Anm. 105), S. 36 ff., S. 97 ff. (Zum Kriegs- und Nachkriegsschicksal). Verzeichniß der bis jetzt gesammelten Gedichte des Simon Dach. Angefertigt von Dr. A. H. Brillowski und F. J. Horn.- In: Preußische Provinzial-Blätter 22 (1839), S. 458–475. Eine redaktionelle Notiz zum Schluß des Artikels liefert die entsprechenden Informationen über die hinter dem Unternehmen stehenden Personen: »Es haben die Herren Oberlehrer Dr. Brillowski, Gymnasial-Direktor Dr. Gotthold und Oberlehrer Horn sich mit dem Unterzeichneten zur Herausgabe der Simon Dachschen Gedichte verbunden. Ich ersuche daher alle Freunde vaterländischer Dichtkunst ergebenst, das bereits begonnene Werk durch geeignete Mittheilungen und freundliche Theilnahme kräftig zu unterstützen. Richter.« (S. 475) Entsprechend lautete eine Vorbemerkung zu dem Artikel: »Zur beabsichtigten Herausgabe der Werke des genannten Dichters wird dieses Verzeichniß den Freunden der vaterländischen Dichtkunst vorgelegt, um hieran die ergebenste Bitte zu knüpfen, die in ihren Händen befindlichen Gedichte, welche hier nicht aufgeführt sind, durch die Redaktion der Preußischen Provinzial-Blätter gütigst mittheilen zu wollen.« (S. 458) Die Bestandsaufnahme bot einen Querschnitt der auf der Wende der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts in Königsberg nachweisbaren Dachiana. Die Ermittlungen waren jedoch keineswegs abgeschlossen, so daß der Mitteilung durchaus vorläufiger Charakter zukam. Einleitend gaben die präsumptiven Herausgeber Kenntnis von den ihnen bekannt gewordenen Exemplaren der Albertschen Arien und der Chur = Brandenburgische Rose, wobei ihnen ein Exemplar der einzig datierten Ausgabe aus dem Jahr 1696 bislang nicht zu Gesicht gekommen war! Auch die sonstigen angemeldeten Desiderata erweckten nicht den Eindruck, daß schon umfassendere Recherchen stattgehabt hätten, Lausons Biographie fehlte ihnen ebenso wie »›Wichmanns‹ [!]

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gegangene, nicht von Erfolg gekrönt. In dem Beitrag stand jedoch die folgende Notiz, deren Bedeutung erst Ziesemer zu würdigen wußte: Im geheimen Archiv zu Königsberg befinden sich einige Notenbücher in Querfolio, von denen einige bereits verglichen sind, doch noch nicht alle. Auch enthält das geheime Archiv ein Manuscript in 4., worin Jemand viele Gedichte theils aus Alberts Arien, theils aus einzelnen Abdrücken Dachischer Gedichte zusammengetragen hat, darunter sind einige, welche wir sonst noch nicht kennen.175

Niemand war der verheißungsvollen Fährte nachgegangen, auch Oesterley nicht, der gleichwohl einige Texte aus dieser Quelle bot, vermutlich vermittelt über Meckelburg, der aber offensichtlich keine genaueren Nachforschungen vor Ort angestellt hatte. Ziesemer gebührt das Verdienst, den Faden wieder aufgenommen zu haben. An zwei Stellen berichtete er vielfach gleichlautend darüber.176 Er konnte zunächst bestätigen, daß die Handschrift im Staatsarchiv Königsberg noch vorhanden sei und die Signatur 301.4° trüge. Sie entstammte der »Churfürstl. Brandenb.-Preuß. Kanzlei«. Die Handschrift bestand ehemals aus zwei Teilen, beschriftet von zwei verschiedenen Händen und erst zu einem späteren Zeitpunkt zusammengebunden. Der erste Teil der Handschrift war nach Ziesemers Zeugnis in einem Zuge geschrieben und konnte durchaus noch aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammen. Er enthielt 110 Gedichte von Dach, von denen nicht weniger als 59 Gedichte bis zur Vorlage der Edition Ziesemers unbekannt waren. Die Texte reichen bis in das ––––––

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›die Sorgenlegerin‹ oder ›Sorgenlägerin‹, wie Pisanski [...] schreibt« oder Voigtländers »Odeen [!] und Lieder« etc. Zusammen mit den Drucken Dachs in den Albertschen Arien, der Chur = Brandenburgische Rose und dem Preußischen Gesangbuch aus dem Jahr 1690 wußten sie wenig über 300 deutschsprachige und nur 18 lateinische Gedichte namhaft zu machen, waren also weit entfernt von den im 18. Jahrhundert in Umlauf befindlichen Zahlen. Wertvoll ist der Bericht wegen der gelegentlich mitgeteilten Signaturen einzelner Sammelbände, so aus der Königlichen Bibliothek die Bände S 327 und C.a.16.II und aus der Wallenrodtschen Bibliothek die Bände RR 4 und S 4. Die Arbeit an den Intimationes funebres in verschiedenen Sammelbänden der Wallenrodtschen Bibliothek dauerte an, entsprechend fehlten auch Angaben von Signaturen. Nur ein einziger Sammelband mit Gedichten Dachs aus der Bibliothek »des Herrn Schulrath Lucas zu Königsberg« ist ihnen bekannt, 59 »einzelne Gedichte« umfassend. Es ist anzunehmen, daß Oesterley von daher seine Information bezog, in Königsberg seien keine Sammelbände mit Gedichten Dachs vorhanden. Die wichtigste Mitteilung bezog sich auf das »geheime Archiv zu Königsberg«. Ebd., S. 460. Vgl. Walther Ziesemer: Simon Dach.- In: Altpreußische Forschungen 1 (1924), S. 23–56; hier S. 35 ff.; ders.: Neues zu Simon Dach.- In: Euphorion 25 (1924), S. 591–608; passim. Hier S. 591 f. (mit einigen Modernisierungen der Orthographie) auch der zweite Teil des oben vorgelegten und in Anm. 174 nachgewiesenen Zitats.

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Jahr 1653 hinein. Nur einer findet sich in Dachs Arien wieder. Auch für den zweiten Teil der Handschrift nimmt Ziesemer Entstehung im 17. Jahrhundert an. Die Hand wechselt jedoch wiederholt. Schon in ihr wird der Versuch einer sachlichen Anordnung nach Gattungen und Adressaten gemacht. Er umfaßt 200 Gedichte, die – soweit datiert – aus der Zeit bis 1651 stammen. Die letzten Jahre der Dachschen Produktion sind also in beiden Fällen nicht repräsentiert. 79 Gedichte standen bereits bei Albert, darunter einige Anonyma. Ein Dutzend Gedichte waren auch Oesterley unbekannt geblieben. Zieht man die Anonyma und die anderweitig gesicherten Texte hinzu, so barg die Handschrift insgesamt 74 unbekannte Gedichte Dachs.177 Das bedeutet eine nicht unwesentliche Bereicherung unserer Kenntnis der Persönlichkeit wie der Dichtung Dachs. Namentlich wertvoll und aufschlußreich sind die beiden umfangreichen Episteln an Albert und Roberthin.178

Dieser Feststellung ist uneingeschränkt zuzustimmen – nicht zuletzt mit Blick auf die ›Klage‹ über den Untergang der Kürbishütte (die von Ziesemer so betitelte ›Epistel‹ an Albert) und die große Dankesadresse an Roberthin aus dem Jahr 1647, die Ziesemer beide schon lange vor Erscheinen seiner Ausgabe in den erwähnten Abhandlungen abdruckte.179 Ziesemer greift für seine Edition in jeweils einem Fall auch auf einen weiteren Druck aus dem Staatsarchiv sowie auf das Generallandschaftsarchiv zurück. In einem – nicht ganz deutlichen – Nachweis kommt das Stadtarchiv Königsberg zum Zuge. Sodann wird in einem Fall eine ›Fundation von Tilse‹ berücksichtigt. Schließlich geht ein Druck aus dem Stadtgeschichtlichen Museum Königsberg und ein weiterer aus der Bibliothek der Fürsten Dohna in Schlobitten in die Ausgabe ein. Das alles bedarf hier nicht eingehenderer Dokumentation. Wir beenden unseren Rückblick auf das vor dem Untergang Königsbergs Bezeugte und fragen in einem ersten Schritt nach dem im heutigen Kaliningrad – womöglich noch oder zwischenzeitlich wieder – Verfügbaren. Es schien uns ein Gebot der Pietät, die Schilderung unserer Wanderung in der Stadt anheben zu lassen, der unsere Bemühung – –––––– 177

178 179

Im Euphorion-Beitrag Ziesemers wird irrtümlich zunächst von 73 Gedichten gesprochen. Dieser Irrtum ist S. 608 in einem ›Nachtrag‹ korrigiert. Ebd., S. 594. Die ›Epistel an Roberthin‹, teilweise abgedruckt in der Abhandlung Simon Dach (Anm. 176), S. 41 f., komplett dann in Neues zu Simon Dach (Anm. 176), S. 602– 607; die ›Epistel an Albert‹ ebd. S. 44–49, mit Verbesserungen nochmals in: Neues zu Simon Dach, S. 598–601. Ein nochmals verbesserter Abdruck dann bekanntlich in der großen Abhandlung von Albrecht Schöne: Kürbishütte und Königsberg.- In: Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Albrecht Schöne.- München: Beck 1976, S. 601–660. Hier der Text S. 602–608.

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durchgehend beruhend auf eigenen Erkundungen – insgesamt gewidmet ist, auch wenn wir sie realiter erst zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt betreten konnten.

2. Wallenrodiana mit Dach-Drucken in der Bibliothek der Staatlichen Immanuel-Kant-Universität Kaliningrad Heimgekehrte Bücher aus Moskau Die Geschichte der Auslagerung wie die der Rettung einzelner Bestände aus Königsberger Bibliotheken ist eine eigene, die inzwischen viele Seiten, ja ganze Bücher füllt. Nach einem ersten Vorstoß noch in den fünfziger Jahren kehrte eine lange Pause ein, bis in den späten siebziger und sodann in den achtziger Jahren die Fährten wieder aufgenommen wurden und nun so viele neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten, daß eine kontinuierliche Befassung mit den Problemen sich durchsetzte, an der inzwischen eine Reihe von Fachleuten beteiligt sind bzw. längere Zeit über beteiligt waren. Es dürfte von einem gewissen Reiz sein, diese Erkundungen nun einmal auf einen speziellen Fall zu konzentrieren und damit zugleich zu dokumentieren, wie sich die Lage der Überlieferung am Beispiel eines prominenten Königsberger Dichters des 17. Jahrhunderts derzeit darbietet. Es kann auch jetzt nur eine Momentaufnahme sein. Die Arbeiten werden fortschreiten und hoffentlich zu weiteren Erfolgen in der Ermittlung führen. Immerhin sind inzwischen so reiche Ergebnisse zu verbuchen, daß ein Fazit sich lohnt.180 Daß wir das Königsberger Umfeld Dachs mit im Auge haben, wird willkommen sein. Es ist allemal für jedwede auf den Dichter konzentrierte Bemühung mit zu aktivieren. Wir erinnern uns: rund 10.000 Bände aus der Bibliothek Wallenrodt standen bis 1945 in Königsberg zusammen, rund 6500 – seit 1909 – in der Universitätsbibliothek, rund 3500 im Dom.181 Von den in die Universitätsbibliothek überführten Werken wurden sukzessive Zettelaufnahmen angefertigt und diese in den alphabetischen Zettelkatalog sowie den Sachkatalog der –––––– 180

181

Der Ertrag der Forschung in zahlreichen Einzelstudien und einem Forschungsbericht des Herausgebers zusammengefaßt in: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte. Hrsg. von Axel E. Walter.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2004 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 1). Weitere bibliographische Hinweise erübrigen sich damit an dieser Stelle. Vgl. hierzu Kuhnert: Geschichte der Staats- und Universitätsbibliothek (Anm. 157), S. 246, Anm. 2, unter Bezug auf die Chronik der Universität Königsberg 1909, S. 73 ff.

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Universitätsbibliothek eingefügt.182 In den Räumen der Universitätsbibliothek sind alle Kataloge verbrannt oder anderweitig verschollen. Wir besitzen daher keine modernen Katalogisate der Wallenrodtschen Bibliothek und sind alleine auf Funde angewiesen, um ein Bild von der Bibliothek zurückzugewinnen, werden dabei seit neuestem freilich unterstützt durch wiederaufgefundene historische Kataloge.183 Die Wallenrodiana, die im Dom verblieben waren, dürften weitgehend verbrannt sein. Die Wallenrodiana hingegen, die in die Universitätsbibliothek gelangt waren, standen verpackt in 200 Kästen bereit zum Abtransport, haben Königsberg jedoch nicht mehr verlassen. Sie fielen Russen und Litauern in die Hände, und dann erst begann ihre Wegführung. Wir werden den Spuren der Bibliothek auf unserer Wanderung am Leitfaden Dachs daher immer wieder begegnen. Hier geht es zunächst um die Situation in Kaliningrad, so wie sie sich – seit geraumer Zeit mehr oder weniger unverändert – derzeit darstellt. Was heute in der Bibliothek der Staatlichen Immanuel-Kant-Universität zu Kaliningrad an Wallenrodiana anzutreffen ist, hat einen Umweg über Moskau eingeschlagen. Und es wäre bis heute kein einziges Wallenrodtsches Buch an seinen Herkunftsort zurückgekehrt, wenn sich nicht eine leidenschaftlich couragierte Frau aus Kaliningrad aufgemacht hätte, um in Moskau nach wertvollen Altdrucken zu suchen und das schließlich Aufgestöberte auf persönliches Risiko in Rucksäcken und anderen Behelfsmitteln nach Kaliningrad zurückzubringen. Ihr Name ist Olga Krupina, zu Beginn der achtziger Jahre Leiterin des in der Universitätsbibliothek untergebrachten KantMuseums, wo wir die Bücher noch Anfang der neunziger Jahre in einem von den Manen Kants beherrschten und liebevoll hergerichteten Gedenkraum zu Gesicht bekamen, bevor sie – sehr zum Schmerz der alten Dame – in bibliothekarische Verwahrung genommen wurden.184 Wieviel sie auf mehreren Expeditionen an Altdrucken zusammenbrachte? Eine Liste mit 388 Titeln, soeben gefertigt, wurde uns 1992 vertrauensvoll ausgehändigt. Inzwischen sind es ein paar mehr geworden. 336 Bände entstammen der Wallenrodtschen Bibliothek – also ein verschwindend kleiner Bruchteil des einst in –––––– 182

183

184

Vgl. Fritz Juntke: Geschichte der v. Wallenrodtschen Bibliothek.- Leipzig: Harrassowitz 1927, S. 103 f. Hier auch nochmals Bestätigung der von Kuhnert ausgewiesenen Zahlen. Vgl. Kazimir K. Lavrinovic: Kataloge der Königsberger Bibliotheken aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 325–351. Vgl. Klaus Garber: Auf den Spuren verschollener Königsberger Handschriften und Bücher. Eine Bibliotheksreise nach Königsberg, Vilnius und Sankt Petersburg.- In: Altpreußische Geschlechterkunde 23 (1993), S. 1–22. Wiederabgedruckt in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 151–182. Hier S. 3 ff. bzw. S. 155 ff.

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Königsberg, jedoch der weitaus größte Teil des heute an Altdrucken in Kaliningrad Vorhandenen. Und zugleich ein Hort des Kostbarsten! Denn unter dem Zurückgekehrten befinden sich eine Reihe von Sammelbänden, wie sie für die Wallenrodtsche Bibliothek typisch waren, angefüllt mit ungezählten Unikaten. Wir haben seinerzeit eine erste Beschreibung gegeben. Sie konnte inzwischen wesentlich verfeinert werden.185 Wir dürfen also erneut verweisen und sogleich zu dem hier Einschlägigen übergehen. Waren es in der Vorkriegszeit in der Staats- und Universitätsbibliothek Sammelbände mit den Siglen ›R(d)‹ und ›S‹ und aus der Wallenrodtschen Bibliothek mit den Siglen ›RR‹ und ›SS‹, so kehren genau aus diesen beiden Abteilungen nun auch vereinzelt Sammelbände in Kaliningrad wieder. Und zwar liegen aus der Abteilung ›RR‹ die Sammelbände RR 5, RR 6, RR 14, RR 16, RR 17, RR 38 und RR 41 vor; aus der Gruppe ›S‹ bzw. ›SS‹ die Sammelbände SS 28 VI und S 204. Sie sind alle ausgezeichnet mit einem ›(W)‹, entstammen also zweifelsfrei den nach 1900 katalogisierten Wallenrodiana aus der Universitätsbibliothek. Bei Ziesemer hatten wir aus diesem Aufkommen die Bände RR 6 und S 204 ausgewertet gefunden – also nur einen Bruchteil. Das lag einerseits daran, daß nicht in allen oben aufgeführten Bänden Dach-Drucke vorhanden waren. Es hatte seinen weiteren Grund aber eben auch darin, daß Ziesemer nicht alle Dach-Drucke auswies, sofern Mehrfachbesitz vorlag. Eben dieser Verzicht ist zumindest im Blick auf in Königsberg vorhandene Exemplare im nachhinein nur schwer nachvollziehbar. Wir haben also – hier wie in den folgenden Kapiteln – Veranlassung zu einer sorgfältigen Inspektion Band für Band. Die Sammelbände RR 5 (W) und RR 6 (W) Der Sammelband RR 5 ist der umfänglichste unter den hier namhaft gemachten. Er umfaßt nach Ausweis des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums, in dem er soeben, zeitgleich mit der Niederschrift dieser Zeilen, ausgewertet wurde, knapp 500 (genau 496) Stücke – also mehr, als Wallenrodiana-Titel insgesamt auf der provisorischen Liste für Kaliningrad ausgewiesen, was eben seinen Grund darin hat, daß Sammelbände in ihr nicht aufgeschlüsselt wurden. Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob diese seinerzeit verabsäumte Arbeit inzwischen nachgeholt werden konnte. In jedem Fall leistet das Handbuch entscheidende Schrittmacherdienste, auch wenn selbstverständlich nur projektrelevantes, eben personales Gelegenheitsschrifttum in ihm verarbeitet wird – insgesamt 389 Stücke! Unter den weit über tau–––––– 185

Vgl. Walter: Die Bibliothek der Staatlichen Immanuel Kant-Universität (Anm. 144), S. 46 ff.

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send Einzelbeiträgen ist kein einziger von Dach, daher das Fehlen bei Ziesemer. Der Band ist der Gelegenheitsdichtung in den beiden letzten Jahrzehnten des 17. und dem ersten des 18. Jahrhunderts gewidmet, fällt also nicht in die Zeit der Dichter, die sich in der Mitte des Jahrhunderts in der Kürbishütte und danach anderwärtig vereinten. Ist die Forschung im Besitz eines Bandes dieses Umfangs, so ist damit gewährleistet, daß sich das literarische Leben für ein paar Jahrzehnte in einer Stadt und ihrem Umland hinlänglich genau nachzeichnen läßt. Alles was Rang und Namen hat im gelehrten Leben auf der einen, im administrativ-politischen auf der anderen Seite ist so oder so als Verfasser und Adressat in einer derart feinmaschigen Kollektion präsent. Das macht ihren Reiz aus und natürlich ihre Unersetzbarkeit. Sie ist als ganze wie hinsichtlich zahlreicher ihrer Einzeldrucke ein Unikat. Wir müssen für alles Nähere auf das Handbuch186 verweisen, wo die Aufschlüsselungen bis ins einzelne hinein erfolgen und zusätzlich diverse Register verfügbar sind. Daß der Band bislang in der Forschung Erwähnung, geschweige denn eine Behandlung erfahren hätte, ist uns nicht bekannt. Mit dem Sammelband RR 6 kommen wir in die dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts und damit unmmittelbar zu Simon Dach und seinen Freunden. Er enthält 78 Stücke und ist für den Königsberg-Kreis von großer Bedeutung. Seine Rettung gehört zu den Glücksfällen der auf ihn ausgerichteten Philologie und Kulturgeschichte. Der Band ist – wie so viele andere – persönlich von Ernst von Wallenrodt der Bibliothek übergeben und möglicherweise auch von ihm selbst eingerichtet worden. »Volumen hoc diversarum orationum bibliothecae avitae insereri voluit Ernestus à Wallenrodt Tribunalis quod in Borussia est Consiliarius ac Assessor.« So der Vermerk auf dem ersten Titelblatt. Ähnlich lautenden Angaben aus seiner Feder werden wir noch wiederholt auf unserer Wanderung begegnen. Zwei Schwerpunkte zeichnen sich in dem Band ab: Huldigungen an das polnische Königs- und das Kurbrandenburgische Fürstenhaus. Daneben stehen ganz gelegentlich Stücke auf das Haus Oranien und die Grafen von Nassau sowie an die Herzöge von Kurland. Ein jeder dieser Bände ist eine sammlerische Individualität und verdiente als solche behandelt zu werden. Es lohnt sich allemal, ihn Stück für Stück beschreibend und annotierend durchzugehen. Für eine Kulturgeschichte des Königsberger Dichterkreises ist es von Interesse zu verfolgen, wie sich seine Repräsentanten – Valentin Thilo an der Spitze – zwischen den beiden politischen Oberhoheiten zu behaupten wissen. Trifft dann der Arkadien-Forscher en passant auf ein Ballet, Von der Feld-Lust zu Ehren von Herzog Gustav Adolf zu Mecklenburg (Nr. 57; –––––– 186

Hier die Einträge Nr. 0001 bis 0389 des Königsberg-Bandes im Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums (Anm. 144).

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1650), so ist sichergestellt, daß auch die lebenslang gepflegte Bukolik-Bibliographie wieder um ein seltenes Stück bereichert wird. Derartige Überraschungen hält ein jeder Sammelband von Statur bereit. Die Wallenrodiana machen da keine Ausnahme. Im Gegenteil, wie sich bei Gelegenheit zeigen wird. Unsere Aufmerksamkeit muß auf den einen Königsberger Dichter gerichtet bleiben. Sechs Dach-Drucke zu verschiedenen Anlässen in insgesamt sieben Exemplaren können wir ihm entnehmen, wie nun das Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums (mit einer Ausnahme) ausweist, und nicht nur zwei, wie seinerzeit nach einer ersten Durchsicht in Kaliningrad angegeben. Die Hochzeit von Władysław IV. mit Cäcilia Renata von Österreich im September 1637 war ein Ereignis, das selbstverständlich auch die Königsberger Dichter auf den Plan rief. Albert trat als Musiker hervor. Dach steuerte fünf lateinische Beiträge bei.187 Die Noten fehlen in den drei bekannten Exemplaren aus Danzig, Königsberg und Tübingen. In unserem Sammelband steht das Werk an Position 20. Nur der in der Mitte stehende Beitrag trägt einen Titel: ›Dialogus Vat. & Mus. de laude Sponsi & Sponsae‹. Er wird gerahmt durch jeweils zwei Oden, also ein wohlkomponiertes Stück der beiden Königsberger Wortführer. Daß es anläßlich eines Besuchs des Königs und seiner Braut in der Königsberger ›Academie‹ vorgetragen wurde, ist anzunehmen. Thilo war mit einer Einladungsschrift (Nr. 18) zu einem akademischen Festakt mit drei Orationes seiner Eleven (Nr. 19) vorangegangen. Nicht ein solcher Besuch ist jedoch der Anlaß, wie Dünnhaupt fälschlich angibt, sondern natürlich die Hochzeit selbst. Da Ziesemer und Dünnhaupt den Titel unvollständig und fehlerhaft wiedergeben, sei er wenigstens hier korrekt reproduziert: Odae Sub Gratulatione Academica, Super Auspicatissimo Thalamo Vladislai Maximi Polonorum Regis, Musicis numeris ita decantatae, ut Orationvm Argvmentvm Exprimant, Autore Simone Dachio: Modos faciente Henrico Alberti. Regiomonti Typis Laurentii Segebadii M. DC. XXXVII.

Die bisher unbekannten Texte harren der Edition; auf Microfiches reproduziert, sind sie im Rahmen des Osnabrücker Personalschrifttum-Projekts inzwischen verfügbar. –––––– 187

Vgl. Ziesemer II, 347, Nr. 20, mit Verweis auf die fünf einzelnen Nachweise bei Oesterley. Dünnhaupt (Nr. 147) versetzt Bücher aus Königsberg wahlweise und abwechslungsreich nach Vilnius oder Sankt Petersburg, hier nach Vilnius. Der Band ist aus Moskau nach Kaliningrad zurückgekehrt und entsprechend an keiner der beiden Stellen zu finden. Der Titel konnte von Ziesemer nur noch für Danzig nachgewiesen werden, wo er sich erhalten hat. Dünnhaupt bringt ein weiteres Exemplar für Tübingen bei (leider grundsätzlich ohne Angabe von Signaturen).

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Der zweite Dach-Beitrag ist gleichfalls einer hochgestellten Persönlichkeit gewidmet. Er gilt der Beisetzung Kurfürst Georg Wilhelms in Königsberg im März des Jahres 1642. Dieses Mal dichtet Dach in einer namentlich gekennzeichneten Verfasserschrift auf deutsch. Zwanzig Strophen zu jeweils zwölf paarreimigen Trochäen gewinnt er dem Ereignis ab. Das Werk war dem Anlaß entsprechend reichhaltig überliefert. Gleich drei Exemplare weiß Ziesemer allein für die Wallenrodtsche Bibliothek in den Sammelbänden RR 4, RR 6 und RR 15 namhaft zu machen.188 In Kaliningrad hat sich der Titel in dem Sammelband RR 6 gleich zweimal erhalten.189 Aber auch in die von den Erben veranstaltete Dach-Ausgabe ist der Titel eingegangen (Bl. D1v ff.). Über die Sammlung Faber du Faurs ist er als Foliodruck im originalen Ambiente bereits einzusehen (Nr. 363). Das Ensemble der dem Ereignis gewidmeten poetischen Begehung ist in dem Osnabrücker Editionswerk inzwischen übersehbar. Zum Geburtstag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm im Februar 1647 greift Dach im Anschluß an eine Einladung und die Lobrede Thilos nebst poetischen Beiträgen (Nr. 50) wieder zum Lateinischen (Nr. 51): Devotissima Pietas Qva Avspicatissimvm Natalem Serenissimi Et Potentissimi Principis Ac Domini Domini Friderici Wilhelmi [...] Domini Svi Clementissimi Hvmillime Celebrat Simon Dachius Poës. P.P. MDC XLVII. XIV. Calend. Mart. [Kolophon:] Regiomonti Borvssorvm Excvdit Paschalis Mensenivs Typographvs Electoralis.190

114 Hexameter widmet der Dichter dem Ereignis, anhebend: QVem Tibi sum quondam tenui, FRIDERICE, Thalia Natalem ignaro socij gratatus amoris, Nunc laeto thalami optata face grator eundem,

–––––– 188

189

190

Vgl. Oesterley, S. 580–587, Nr. 257; Bibliographie Nr. 168; Ziesemer II, 160–163; S. 384, Nr. 112. Dünnhaupt (Nr. 306) versetzt die Königsberger Exemplare wieder pauschal in die Akademiebibliothek nach Vilnius ohne nähere Nachweise. Es handelt sich um die Nummern 25 und 45 in dem Sammelband RR 6 (W). Unter Nr. 25 bzw. 44 steht die akademische Einladungsschrift, unter Nr. 24 bzw. 43 wird ein poetischer Beitrag zu den Exequien dokumentiert. Unter Nr. 27 findet man die Leich-Prozession, unter Nr. 29 die Lobrede Thilos auf den Kurfürsten. Nr. 31 enthält eine Ehren-Pyramide Thilos und die Einladung zur akademischen Trauerfeier mit den daselbst wiederum von seinen Eleven vorgetragenen Reden. Es ist der einzigartige Vorzug der Bände aus der Wallenrodtschen Bibliothek, derartige Sequenzen sichtbar werden zu lassen. Dünnhaupt Nr. 486 A. Ziesemer, dem der Band doch vorlag, hat es aus unbekannten Gründen nicht aufgenommen in sein Verzeichnis der lateinischen Gedichte Dachs. Oesterley (Nr. 1181) kennt es nur aus einem Manuskript der Sammlung Rhediger, was bei Dünnhaupt zur ungeprüften und unzutreffenden Angabe »Wrocław BU« führt. Eingesehen hat Dünnhaupt das Tübinger Exemplar.

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Et ritu majore colo, quo munere firmae Laetior hic pacis potiorque prioribus exstat.

Zwischenzeitliche weitere Geburtstagsgedichte Dachs für den Kurfürsten, wie wir sie kennen, fehlen in diesem Sammelband aus der Wallenrodtschen Bibliothek erstaunlicherweise. Erst 1653 kommt Dach in ihm neuerlich mit zwei lateinischen Gedichten, zusätzlich jedoch auch mit einem deutschen Beitrag zu Wort (Nr. 60).191 Der Druck ist entschieden aufwendiger gestaltet als sein sechs Jahre zurückliegender Vorgänger. Und da er bislang unzureichend und mißverständlich, um nicht zu sagen fehlerhaft in der spärlichen Literatur figuriert, sei hier ein Moment lang bei ihm verweilt. Er setzt sich aus vier Blatt in Folio zusammen. Der Kurztitel: Humillimus Cultus Qvo [...] Dn. Fridericum Wilhelmum [...] Dominvm Svvm Clementissimvm Cum M.DC.LIII. VI/XVI Februarii Avspicatissimum Suum Natalem Celebraret Devotissime Proseqvebatur Simon Dachivs Poët P.P. [Zierleiste] Typis Johannis Reusneri, Ser: Elect: Brandenb. Et Academ: Typogr.

Da auch der vorangehende Beitrag Thilos schon dem Ereignis gewidmet war, kann auf dem letzten leeren Blatt verso bereits das Kurfürstliche Wappen abgebildet werden, das auch auf der Rückseite des Titelblatts wiederkehrt. Es ist geschmückt mit dem bekannten Motto des Kurfürstlichen Hauses Brandenburg: Domine scire fac me Viam, per qvam ambulem. Dach hat es sich nicht nehmen lassen, ihm einen lateinischen Sechszeiler zu widmen. Er findet sich – außer im Osnabrücker Handbuch – nirgendwo erwähnt und sei deshalb hier eingerückt:192 DIvis orte bonis, optime Prussicae Custos gentis, abes jam nimium diu, Maturum reditum pollicitus patrum Votis & populi redi. Lucem redde tuae, Dux bone, Prussiae, Instar veris enim vultus ubi tuus Affulsit, melior gentibus it dies Et sol splendidius nitet.

Dann folgt die Gratulationsschrift zunächst in lateinischer Sprache. Dieses Mal sind es 130 Hexameter, die Dach dem freudigen Ereignis widmet. Im Gegensatz zu dem Stück aus dem Jahr 1647 hat er jetzt einen deutschspra–––––– 191

192

Ziesemer II, 361, Nr. 86, kennt nur dieses Exemplar; Oesterley bietet für den lateinischen Text gar keinen Nachweis. Dünnhaupt (Nr. 854 und 855) reißt die beiden Gedichte bibliographisch auseinander und versetzt das Königsberger Exemplar neuerlich nach Vilnius. Vgl. den Eintrag Nr. 0399 im Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums (Anm. 144).

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chigen Beitrag hinzugefügt. Er trägt keinen eigenen Titel, statt dessen findet eine Schmuckinitiale Verwendung. 13 Strophen in jeweils sechs vierhebigen Trochäen, verbunden durch das Reimschema aabccb, gestaltet Dach, anhebend: FVrsten von gerechtem Muth Sind ein allgemeines Gut. Was von jhnen sey zu halten Wird an meisten dar erkant Wo man über Leut vnd Land Einen Wüttrich siehet walten/ Dem die Herrschafft nur behagt/ Der nach keiner Satzung fragt/ Der nur wil gefürchtet werden/ Vnd auff seinen Nutz nur schawt/ Ja der beydes Woll vnd Haut Abzeucht seiner armen Herden.

Da die posthume Ausgabe grundsätzlich nur deutsche Drucke bietet, fehlen die lateinischen Texte daselbst wieder, wohl aber hat der deutschsprachige, neuerlich zum Fürstenspiegel sich erhebend, Eingang gefunden.193 Schließlich ist noch eines bürgerlichen Anlasses zu gedenken. Im August des Jahres 1653 heiratet Dachs Kollege Christoph Tinctorius.194 Er hatte im Gegensatz zu Dach eine Ausbildungsreise nach Holland, England und Frankreich machen können und seinen Doktorhut in Basel erworben. 1636 erhielt er die Professur für Medizin an der Albertina, der er ein Jahr nach dem hier gefeierten Ereignis auch als Primarius der Fakultät diente. Dach hat den offensichtlich geschätzten Kollegen wiederholt mit poetischen Zuschriften bedacht. Die hier in Rede stehende folgt aufgrund der zeitlichen Nähe in unmittelbarem Anschluß an den Kurfürstlichen Glückwunsch (Nr. 61). Es ist der große Vorzug von qualifizierten Sammelbänden, solche Rhythmen der Produktion unmittelbar an den Texten (und nicht nur – bestenfalls – über Schriftenverzeichnisse) nachvollziehen zu können. Er gilt der Hochzeit von Tinctorius mit der verwitweten Regina Scharff, geb. Schimmelpfennig. Der akademische Wirkungsort des Hochzeiters legt zunächst ein lateinisches Epi–––––– 193

194

Der Text steht in der posthumen Ausgabe auf Bl. Qu4r. Von hier übernimmt Dünnhaupt (nicht ganz fehlerfrei) seinen Einzeltitel (Nr. 854), den es als solchen eben nicht gibt. Auch Oesterley (S. 646–649, Nr. 280), kennt nur den posthumen Druck (Bibliographie Nr. 309). Ziesemer II, 231 f., Nr. 139, mit Kommentar S. 387 zu Nummer 139, der als einziger den Einzeldruck in der Hand hatte, versäumt den Hinweis auf den fehlenden Titel im Einzeldruck und bedient sich bei der Textwiedergabe gleichfalls des späteren Titels aus der posthumen Ausgabe. Vgl. APB II, 736 (Eintrag von Selle) mit Verweis auf Arnoldt und Pisanski.

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thalamium nahe, dem jedoch wiederum ein deutschsprachiges folgt.195 Dach hat eine derartige bilinguale festliche Begehung um diese Zeit gerne verwendet. Sie ist für vergleichende Beobachtungen besonders ergiebig. Was wird dem lateinischen Beitrag anvertraut, was dem deutschen? Das sind Fragen für eine ausstehende Dach-Biographie ebenso wie für eine auf Dach bezogene poetologische Untersuchung.196 Hier geht es um die Fundamente für derartige (und andere) Vorhaben. Und die beginnen bei der sorgfältigen Registratur. 153 Hexameter hat Dach den Hochzeitern gewidmet. Der deutsche Beitrag ist wieder schlicht und sangbar gestaltet. Elf achtzeilige Strophen im jambischen Versmaß (ababcdcd) treten zusammen. War schon das Titelblatt mit dem Namen des Dichters versehen, so wiederholt sich der Eintrag am Ende des deutschen Gedichts. Dach tritt in der überwiegenden Mehrzahl seiner Gelegenheitsgedichte in der späteren Zeit nur noch als alleiniger Verfasser auf. Schließlich zu einem letzten Dach-Beitrag in unserem ergiebigen Band. Er ist im Osnabrücker Handbuch nicht ausgewiesen, in dem Prosaarbeiten ebensowenig wie Leichenpredigen etc. berücksichtigt werden. In Bibliotheken mit reichen Altdruckbeständen, wo Tausende von Katalogeinträgen und häufig ebenso viele Bände durchzusehen sind, ist strikte Begrenzung geboten, wenn das Scheitern nicht vorprogrammiert sein soll. Auf dem Feld der Personalbibliographie sieht es anders aus. In ihr ist jeder Spur nachzugehen. Unser Band, der später auch über die Jahrhundertmitte hinausreicht, ist voll mit Arbeiten von Valentin Thilo. Der hat eine nur ihm gewidmete Bibliographie noch nicht erhalten. Wir möchten die Vermutung wagen, daß viele seiner in diesem Band abgedruckten Reden bislang unbekannt sind, mehrfach vielleicht sogar unikaten Status haben. In ganz anderer Weise als der Kollege im poetischen Fach war derjenige im rhetorischen zuständig für die rednerische Begehung feierlicher Anlässe vor allem im landesherrlichen Haus. Wo jener poetisch hervortrat, da dieser unermüdlich durch Orationen, die dann gerne durch Mitglieder des preußischen Adels vorgetragen wurden. Wir können die diesem Band zu entnehmenden Titel hier nicht aufführen. Es sind Dutzende – durchweg in lateinischer Sprache, gelegentlich aber interessanterweise auch mit einem deutschen Zusatz. Das reiche Werk Thilos ist eine bislang nur ausnahmsweise wahrgenommene Quelle poetischer Zuschriften aus der Feder der ersten Garnitur der Barockdichtung, viele darunter bislang unbekannt. –––––– 195

196

Vgl. Ziesemer II, 18 f.; Kommentar S. 366, Nr. 13. Dünnhaupt Nr. 895 wiederum mit falschem Exemplar-Nachweis für Vilnius. Vgl. dazu jetzt Robert Seidel: Zur ›Poetik‹ Simon Dachs.- In: Simon Dach (1605– 1659) (Anm. 12), S. 115–138.

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So auch im vorliegenden Fall.197 Die Ausstattung ist die immer nur leicht abgewandelte Reusnersche dieser Jahre. Der Verfassername pflegt in Kurrentschrift gehalten zu sein. Hinzu tritt ein Schmuck-Emblem (hier drei blühende Tulpen), versehen mit dem Zusatz ›Pandvntur Sole Benigno‹. Das Stück ist Friedrich Wilhelm gewidmet: »Qvem [...] Genialis Sacri Loco, Ipsa Natalis Solennitate Pvblica, Generosi Aliqvot E Nobilitate Borvssa Jvvenes M.D.C.XLIX. Exhibvervnt, Dirigente Valentino Thilone.« Drei Jünglinge aus dem Geschlecht der von Königseck, einer aus dem der von Kreytzen, werden die vier Reden übernehmen. Dach selbst ist mit einem lateinischen Achtzeiler eingangs dabei: HAEc est illa dies, quae fatis nostra benignis Gaudia parturiens, Te, FRIDERICE, dedit. Aurea tunc festis micuerunt sidera flammis, Vos quoque Phoebéi laetiùs istis equi. Nil ita magnificum praedixit amabilis aether, Quin superent mores, id, GVLIELME, Tui. Vive diu, Princeps! sint quamvis ferrea nobis Tempora, non deêrit Te superante salus.

Ein zum gleichen Anlaß erschienenes festliches Bouquet, in dem Dach mit vier deutschen Beiträgen vertreten ist, fehlt in diesem Band.198 Sie waren den Herausgebern der posthumen Ausgabe so wichtig, daß sie sie an deren Anfang rückten. Wir werden sie bei unserer Wanderung aus anderer Quelle kennenlernen. Der Sammelband S 204 (W) Sodann haben wir noch einen Blick in den Sammelband S 204 (W) zu werfen. Er wird – genau wie der gleichfalls in dieser Hinsicht so wichtige Band Db 348 – eröffnet mit Königsberger Dissertationen, die wir seit langem in der fachkundigen Hand Manfred Komorowskis wissen und deshalb auch von diesem Fund sogleich Mitteilung machten. Mit Stück 43 erfolgt – im Anschluß an eine Aufführung der Judith durch Eleven der Altstädter Schule –––––– 197

198

RR 6 (W), Nr. 56. Dünnhaupt Nr. 610 und Ziesemer II, 361, Nr. 83, kennen beide nur das Exemplar aus der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (Hist. Bor. 13, Nr. 24). Das mag im Fall Dünnhaupts verständlich sein, nicht so im Falle Ziesemers. Oesterley kennt den Titel nicht. Seine Kenntnis der Königsberger Überlieferung ist sehr begrenzt. Dünnhaupt Nr. 609; Ziesemer II, 383, Nr. 104 mit Verweis auf Dresden (Hist. Bor. 13. Brand. Tom 1,23; StB Danzig Nl 63.4.71, StA Königsberg 301.4.455); Oesterley Nr. 706 kennt die Sequenz wieder nur aus der Chur = Brandenburgische Rose.

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– der Übergang zur Gattung des Gelegenheitsgedichts. Die Folge wird eröffnet mit einem Gedicht auf den Namenstag des polnischen Kammermusikers Johannes Stanislaus Baczalski aus dem Jahr 1655: Corona Rosacea ex odoriferis Nobilissimi Generosique Viri Domini Johannis Stanislai Baczalski, Sacrae Regiae Majest. Polon. & Svec. Musici cubicularij Rosis, intermixtis apprecationum olfactoriis, Contexta, et eidem Bącżalscio, cùm Natalitia 24. Jun. daret, Oblata à Matthia Stanislao Skrodzki Eq. Pol. SS. Theol. & Phil. Studioso. Anno 1655. [Zierleiste] Regiomonti, Excudit Johannes Reusnerus, Sereniss. Elect. Brandenb. Et Acad. Typogr.

Als Verfasser ist ersichtlich nur der polnische Adelige Matthias Stanisław Skrodzki als Student der Theologie und Philosophie ausgewiesen, der sich ein Jahr vorher an der Albertina immatrikuliert hatte. Man muß also in das Werk hineinschauen, wenn man zu weiteren Autoren vorstoßen möchte. Das uns vorliegende Exemplar aus der Wallenrodtschen Bibliothek ist nur unvollständig überliefert. Der Kustos am Ende des ersten Bogens (Blatt 4 verso) verweist auf eine nicht vorhandene Fortsetzung. De facto umfaßt die Schrift zwei Bogen, wie aus einem Tübinger Exemplar ersichtlich. Die Schrift trägt auf der Rückseite des Titelblatts die ›Insignia Domus Bącżalscianae‹. Sie werden von Skrodzki in einem lateinischen Achtzeiler poetisch umspielt. Dann folgen zwei als solche nicht eigens ausgewiesene Zuschriften an Skrodzki, an erster Stelle eine große deutschsprachige Simon Dachs, der als »Der Poesi Prof. itzt der Philos. Facultät Decanus« zeichnet; als zweiter ein lateinischer von Andreas Concius, seines Zeichens Professor für Mathematik an der Albertina. Zehn Strophen zu sechs Zeilen in vierhebigen Jamben (ababcc) hat Dach dem Verfasser, vor allem aber dem Adressaten und seiner Kunst gewidmet. Sodann folgt die ›Rosa Musicae eminentiae‹ aus der Feder Skrodzkis. Mit der Gesamtkomposition der Schrift sind Probleme verbunden, die um ihres exemplarischen Charakters im Blick auf die DachPhilologie an dieser Stelle berührt sein wollen, und dies um so mehr, als die beiden Editoren nicht anders als der Dach-Bibliograph sich durch schwerlich zufriedenstellende lakonische Kürze auszeichnen, die zu Irrtümern Anlaß geben.199 LAß/ Herr Skrodzki/ laß uns preisen Diesen Anmuht = reichen Mann/ Der mit seinen süssen Weisen Ohr und Hertz bezaubern kan/ Vnd mich gäntzlich mir entführt Wenn er nur die Seiten rührt.

–––––– 199

Dünnhaupt Nr. 1026; Ziesemer II, 373, Nr. 55; Oesterley Nr. 560.

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So setzt Dach ein. Es dürfte leicht ersichtlich sein, daß er den hochgestellten Studiosus, der die Ehrung möglicherweise in die Hand genommen hatte, anspricht, um sich mit ihm zum Preise des Ohr und Herz gleichermaßen bezaubernden Musikus zu vereinen. Kennt man nur diesen Text, nicht den Kontext, den Oesterley wie Ziesemer unterdrücken, muß man nach ihren Informationen meinen, Adressat der Gesamtschrift sei Skrodzki und nicht Baczalski. Oesterley tut das seine, um diese Vermutung zu bestärken. Er druckt das Gedicht nach der Berliner Dach-Sammlung (Nr. 402, S. 930 f.). Eine – wie durchweg in seiner Edition – denkbar knappe Anmerkung weist den Fundort wie folgt aus: »Berl., 1,37. Originalhandschrift, unterzeichnet: Simon Dach, der poësie prof. itzt der philos. facultät decanus.« Die Berliner Sammlung ist dreibändig. Man darf also die Vermutung hegen, daß der erste Band gemeint ist. Sie ist zutreffend. Die Stücke sind durchgezählt. Es sollte also das 37. Stück sein. Diese Vermutung ist falsch. Es ist das 11. Stück, das auf Blatt 37 beginnt und sich über Blatt 37 recto und verso bis auf Blatt 38 recto erstreckt. Die Angabe hätte also zu lauten gehabt: ›Berlin, Band I, Stück 11, Blatt 37 f.‹ Hier findet sich in der Tat – chronologisch falsch plaziert – handschriftlich das fragliche Gedicht. Es ist, so weit wir sehen, das einzige handschriftlich überlieferte Gedicht in der Berliner Sammlung. Oesterley scheint nur diese Handschrift zu kennen, keinen Druck. Ziesemers Nachweis lautet: »Berl. 1, 37. S 204 (W) 43.- Oest. S. 930.« Er kennt also zusätzlich auch nur den unvollständigen Druck aus der Wallenrodtschen Bibliothek, der ihn jedoch in den Stand gesetzt hätte, über Oesterley hinauszukommen und den Kontext darzubieten. Statt dessen lautet der Zusatz zur eben wiedergegebenen Referenz »An Hn. Matthias Stanislaus Skrodzky. M. St. Skr. aus Polen, wurde am 30. Juni 1654 immatrikuliert. Vgl. 2,32«. Der letztere Zusatz verweist auf das 32. Stück im zweiten Band der Ziesemerschen Edition. Hier findet man in der Anmerkung zu der entsprechenden Nummer (S. 369) die folgende Information: »Bonsialsky: Joh. Stan. Bączialsky, poln. Musiker, vgl. 2,55.« Nur für Skrodzky führt Ziesemer also (mittels der Matrikel) über das Titelblatt hinaus, in bezug auf den Musiker bleibt er hinter dem Druck zurück. Dieser ist nicht zufriedenstellend konsultiert. Die handschriftliche Berliner Fassung des Gedichts ist mit einer Überschrift versehen. Sie lautet: Ad Dn: Matthiam Stanislaum Skrodzky. Eq. Pol. SS. Theol. et Philos. Studiosum, cum Ao. 1655, 24. Junij in Natalitijs DN: IOH. STANISL. BĄCZALSKy, S.R.M. Pol. et Svec: Musici cubicularij coronam rosaceam & contexeret.200

–––––– 200

Oesterley (S. 930) bringt den Titel gleichfalls. Der Leser mag sich von den vielen Abweichungen gegenüber unserer diplomatischen Umschrift überzeugen: »Ad dn.

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Unterzeichnet ist das Gedicht korrekt: »Simon Dach, der Poësi Prof. itzt der philos. facultät Decanus.« Das Gedicht wird also als an Skrodzki gerichtet aufgefaßt. Dafür gibt es nur sehr begrenzte Veranlassung. Einzig der erste Vers der ersten Strophe sowie die zwei letzten Strophen sind Skrodzki gewidmet. Das Gedicht selbst preist die überirdische Musik Baczalskis und ihren Schöpfer, welche nun durch Skrodzki verewigt werden. Oesterley spricht kommentarlos von einer »Originalhandschrift«. Soll damit gesagt werden, daß sie von Dachs Hand stammt? Dann wäre der Beweis anzutreten. Sehr viel wahrscheinlicher ist, daß es sich um eine Abschrift handelt und damit auch die Überschrift auf den Schreiber zurückgeht. Im Druck führt das Dachsche Gedicht keinen Titel. Aber selbst wenn Schrift und Titel von Dach herrühren sollten, täte dies nichts grundsätzlich zur Sache. Aufgabe der Editoren oder doch zumindest Ziesemers wäre es gewesen, den Sachverhalt zu diskutieren und die Feststellung zu treffen, daß die Schrift insgesamt dem Musiker gewidmet ist und nicht dem Studiosus. Entsprechend hätte man auch von dem Bibliographen, der ausweislich das vollständige Tübinger Exemplar in der Hand gehabt hat (und im übrigen stereotyp unrichtig auf ›Vilnius AK (ex Königsberg UB)‹ verweist) mehr und anderes erwartet als das Versincipit des Dachschen Gedichts (fälschlich: ›vns‹ statt ›uns‹) mit dem Zusatz »In: Matthias Stanislaus Skrodzki, Corona Rosacea ... Johannis Stanislai Baczalski ...- Königsberg: Johann Reusner 1655, Bl. A2r–A3r.« Die Dach-Philologie, so wird immer wieder zu konstatieren sein, bedarf der durchgehenden Reinigung und vielfach der Neueröffnung. Ein Königsberger Rundblick Das ist die Ausbeute an Dach-Drucken im heutigen Kaliningrad. So dankbar wir für jedes Stück vor Ort sind, so nachhaltig berührt sind wir von der Einbuße, die die Stadt als einstiger Lebensraum des Dichters hat hinnehmen müssen. Und doch! Welch ein Reichtum tut sich insgesamt gerade in den in die geschundene Stadt zurückgekehrten Sammelbänden auf. Sie sind immer noch vielfach geschmückt mit den Exlibris der Wallenrodtschen Bibliothek. Viele von ihnen tragen auf dem Innendeckel, aber auch im Inneren Vermerke und Notizen, insbesondere von der Hand Ernst von Wallenrodts. Überhaupt müssen wir uns bewußt halten, was es bedeutet, daß hier Angehörige eines preußischen Adelsgeschlechts sammlerisch tätig waren. Das hat zu einem Aufkommen gerade auch an poetischen Quellen geführt, wie wir sie –––––– Matthiam Stanislaum Skrodzky, eq. pol., s. s. theol. et philos. studiosum, cum anno 1655, 24 Junii in natalitiis dn. Joh. Stanisl. Bączalsky, s. r. m. Pol. et Suec. musici cubicularii coronam rosaceam contexeret.«

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anderwärts nur ausnahmsweise zur Verfügung haben. Mitglieder des Adels sind hier nicht nur wie sonst Adressaten von Huldigungen, sie nehmen auch selbst vielfach teil an dem poetischen Spiel. Für eine Geschichte der deutschen Literatur des Adels, zumal im späteren 17. und frühen 18. Jahrhundert, liegt heute auch in Kaliningrad wieder ein ergiebiges Material bereit. Auch ist hinzuzufügen, daß Sammler von dieser Statur wußten, daß man um Vollständigkeit mit Blick auf einzelne Personen bedacht sein muß, sich also nicht mit der Poesie bescheiden darf. Diese Wallenrodtschen Bände sind reichhaltig ausgestattet mit Leichenpredigten, Reden zu bestimmten feierlichen Anlässen, Einladungen etc., Quellen also, die häufig als einzige nähere Auskünfte über Personen vermitteln und das Bild der literarischen Zirkulation überhaupt erst konstituieren. Dieses Material harrt der Erschließung im Anschluß an den Vorstoß auf dem Feld der Kasualpoesie. Auffällig bleibt die Massierung der Überlieferung um 1700 auch auf heutigem Königsberger Boden, sie will als Chance genutzt sein. Hunderte von Stücken verbergen sich wiederum vor allem in den Bänden RR 5, RR 14 und RR 17. Die Generation der Dichterinnen und Dichter vom Schlage Gertrud Möllers, Johann Rölings, Jacob Reichs, Jakob Kleins und wie sie heißen, wartet auf eine Erschließung. Wie ergiebig eine solche auch monographisch sich ausnehmen könnte, lehrt der gleichfalls in Kaliningrad immer noch gut vertretene Michael Kongehl.201 Ein besonderer Reiz der aus der Wallenrodtschen Bibliothek herrührenden Stücke sind sodann ihre beigegebenen Musikalien. Dutzende solcher aus Text und Musik gefügten Werke sind in den in Kaliningrad anzutreffenden Sammelbänden aufbewahrt, darunter keineswegs nur Preziosen, die es inzwischen zu einiger Berühmtheit brachten, wie das musikalische Verliebte Schäffer-Spiel zu Ehren Gerhard von Dönhoffs und seiner Braut Anna Beata von Goldstein, das sich in einem Textbuch ohne Noten auch in Königsberg erhalten hat.202 Und wie glücklich sind wir, unter den einigen hundert Titeln wenigstens ein Liederbuch aus der großen Königsberger Zeit der Musik um 1600 wiedergefunden zu haben.203 Im An–––––– 201

202

203

Vgl. Andreas Keller: Michael Kongehl (1646–1710). ›durchwandert ihn/ gewiß! ihr werdet anders werden ...‹ Transitorische Textkonstitution und persuasive Adressatenlenkung auf der Basis rhetorischer Geneseprinzipien im Gesamtkunstwerk des Pegnitzschäfers in Preussen.- Berlin: Weidler 2004 (= Studium litterarum; 2). RR 17 (W), Nr. 18. Das Werk ist jetzt in der Musikfassung wieder zugänglich in einer gediegenen Edition: Johann Sebastiani: Pastorello musicale oder Verliebtes Schäferspiel. Hrsg. von Michael Maul.- Beeskow: ortus musikverlag 2005. Vgl. das schöne Vorwort des Herausgebers mit der entsprechenden Literatur. Hinzuzunehmen Werner Braun: Johann Sebastiani (1622–1683) und die Musik in Königsberg.- In: Norddeutsche und nordeuropäische Musik. Kassel 1965, S. 113–119, S. 118 f. SS.28.VI.

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schluß an einen Cantvs Chorus Secundus Sedecim Psalmi von Theodor Riccio (Venedig 1590) findet sich eine Folge von 23 Epithalamia zumeist von Johannes Eccard, aber auch von anderen Autoren, darunter Johann Stobaeus, ausklingend mit einigen handschriftlichen Beigaben.204 Stellen wir daneben den auf die Wallenrodts gemünzten Band in Handschrift und Druck aus der Feder Balthasar vom Grünendemwaldes, den wir schon in den neunziger Jahren als einzigen etwas näher beschreiben konnten (RR 41), nehmen wir die mit Wallenrodtschen Urkunden und Akten bestückten Bände RR 16 und RR 38 hinzu, so dürfte andeutungsweise deutlich werden, daß es sich inzwischen lohnt, auch wieder in die Stadt der Königsberger Dichter aufzubrechen, um sie und ihre Verehrer und Mäzene, Adressaten und Sammler vor Ort zu studieren.205

3. Dach-Drucke und anderweitige ausgewählte Königsberger Zimelien in der litauischen Hauptstadt Vilnius Vilnius als Hort Königsberger Bücher Wir verlassen das heutige Kaliningrad und beginnen unsere Wanderung. Einen Kompaß für sie gäbe es nur, wenn wir uns vorab entschließen würden, im folgenden strikt nach Provenienzen und Signaturenfolgen vorzugehen. Das soll nicht geschehen. Wir wollen zusammen mit den Texten die bibliothekarischen Kontexte im Auge behalten, gehen also nach Bibliotheken und den in ihnen geborgenen Schätzen aus Königsberg vor. Dabei ist nur eine Wegmarke zu beachten. Zunächst sollen vornehmlich aus Königsberger Bibliotheken herrührende Bestände beschrieben werden, bevor wir zu originärem bibliothekarischen Besitz Königsberger und also vor allem Dachscher Drucke weiterschreiten. Die Route indes auf den Spuren von Königsberger Vorkriegsbesitz ist eine nicht mehr schematisch festzulegende. Mehrere Wege bieten sich an. Wir hatten Wallenrodtschen Besitz in Kaliningrad in der Hand. Also wenden wir uns zunächst den beiden Bibliotheken zu, die am meisten von dem unfreiwilligen Exodus auch der Bibliotheca Wallenrodiana aus dem einstigen Königsberg profitiert haben. –––––– 204 205

Der Band, wenn wir recht sehen, nicht in dem Müllerschen Katalog (Anm. 105). Der Bukolik-Bibliograph konnte in den Kaliningrader Beständen auch ein pastorales Trauer= und Trost=Gespräch Zweyer Hirten zur Hochzeit Martin Siegmund von Wallenrodts mit Catharina Dorothea von Teuffel nachweisen (RR 17 (W), Nr. 76). Der ungewöhnliche Titel erklärt sich aus dem Umstand, daß die Hirten durch die Hochzeit eine Schäferin verlieren. In dem gleichen Band befindet sich unter Nummer 89 eine pastorale Klaj-Ode zum Tod von Magdalena Rappe, geb. von Oeynhausen.

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Wir räumen ein, dieser Bibliothek der Wallenrodts besonders verbunden zu sein, seit wir 1984 erstmals Bücher aus ihr in Händen hielten und deren zumeist hervorragenden Erhalt bestaunten. Heute wissen wir, daß überwiegend wohlverpacktes Gut in die Hände der Finder fiel, nicht durch Feuer und Wasser beschädigtes, wie sonst so häufig. Zurück aus den beiden Städten, war der Vorsatz gefaßt, das Mögliche zur Rettung dieser einzigartigen Bibliothek zu tun. Die Bücher sollten systematisch gesucht, verzeichnet, verfilmt und die entstehenden Microfiches womöglich verlegerisch angeboten werden. Der letztere Plan hat sich nicht realisieren lassen. Alles andere konnte in Angriff genommen werden, zunächst in eigener Regie, dann über einen Schüler, der die Idee aufgriff und seither mit einem Team das Projekt verfolgt.206 So mag es verständlich sein, wenn wir unseren Rundgang im Blick auf die Wallenrodiana beginnen. Erste Station ist das katholische Vilnius, wie Königsberg seit dem 16. Jahrhundert mit einer illustren Hochschule ausgestattet, geistiges Zentrum des polnisch-litauischen Großreichs wie sonst nur Krakau.207 Die Verbindungen zwischen den beiden akademischen Zentren Vilnius und Königsberg blieben angesichts der konfessionellen Scheidelinien rudimentär. Um so lebhafter waren die Verbindungen Königsbergs zum gleichfalls protestantischen Klein-Litauen. Hier gab es seit je Affinitäten. Als wir erstmals aus Vilnius zurückkehrten und der damaligen Direktorin der Berliner Staatsbibliothek Friedlinde Krause von unseren Königsberger Erfahrungen erzählten, versicherte sie sogleich, daß Königsberg nach 1945 einen anderen Weg genommen hätte, wäre es unter die Oberhoheit Litauens gekommen. Jahrhundertelang geknüpfte Fäden über das verwandte protestantische Nachbargebiet wären wieder aufgenommen worden, der preußischen Königsstadt ihr definitiver Untergang nach 1945 womöglich erspart geblieben. Eine von Trauer umschattete Reminiszenz. In Kaunas zunächst und sodann in Vilnius hat man sich des aus Archiven und Bibliotheken herrührenden Erbes nach Kräften und in dem Wissen um die geschichtliche Verantwortung angenommen. Wir haben von Vilnius zu berichten, bemüht darum, rasch auf die Königsberger Dichter und zumal Simon Dach zuzusteuern. Einige wenige Vorbemerkungen erscheinen jedoch unerläßlich, um die Relationen zwischen den einzelnen Bibliotheken und dem Stand der Forschungen kenntlich zu machen. –––––– 206

207

Vgl. Axel E. Walter: Die virtuelle Rekonstruktion der versunkenen Königsberger Bibliothekslandschaft.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 695–786. Die entsprechende Literatur ist umfassend zusammengestellt in der in diesem Band zum Druck gelangenden Abhandlung ›Daphnis. Martin Opitz in Vilnius‹ (vgl. S. 5– 14). Entsprechend erübrigen sich Wiederholungen an dieser Stelle.

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Von Königsberg nach Vilnius herüberwechselnd, wird sofort deutlich, daß wir in der litauischen Hauptstadt ganz andere Dimensionen in bezug auf Altdrucke aus ehemaligem Königsberger Buchbesitz zu gewärtigen haben als im heutigen Kaliningrad. Litauische Fachleute sind schon im Sommer 1945 nach Königsberg und Ostpreußen aufgebrochen und kehrten mit reichen Funden zurück.208 Es gab Schwierigkeiten mit dem Transport, und manches Aufgespürte nahm dann doch den unerwünschten Weg in die russischen Weiten. Das hinderte nicht, daß Vilnius heute mit wenigen anderen Städten in Mittel- und Osteuropa erste Adresse für das Studium aus Königsberg herrührender Handschriften und Bücher ist und gewiß bleiben wird. Die Geschichte der Entdeckungen ist inzwischen viele Male erzählt. Jetzt ist der überfällige Zeitpunkt für die Auswertung und die Darlegung von Zusammenhängen gekommen. Denn auf diesem Felde mangelt es eklatant an einschlägigen Arbeiten. Schließlich sind alle Bemühungen um das Aufspüren der ungezählten Fährten doch angestellt worden, um Erkenntnisse nicht nur über den Verbleib, sondern vor allem zum Gehalt von Handschriften und Büchern aus dem Umkreis Königsbergs zu gewinnen. Sie müssen jetzt in den Mittelpunkt rücken und Ergebnisse zeitigen. Und das in dreifacher Hinsicht. Die computergestützte Verzeichnung der Altbestände muß rascher als bislang übliche Praxis voranschreiten. Sie muß, wo immer möglich, verbunden werden mit Angaben zu den Provenienzen. Und schließlich bedürfen einzelne Komplexe der genaueren Untersuchung. Eben dieses letztere Desiderat wünschten wir durch unsere Untersuchung in seiner Dringlichkeit bekräftigt zu sehen. Drei große und für die Geisteswissenschaften gleich wichtige Bibliotheken waren in Vilnius bei allen Besuchen stets zu konsultieren. Die ehrwürdige und in ihrem Aufbau- und Überlebenswillen immer wieder durch die politischen Umstände in Frage gestellte Universitätsbibliothek bot auch für den deutschen Barockforscher ungeachtet aller Verheerungen immer noch viele bislang unbeachtet gebliebene Anknüpfungspunkte. Eine eigene Abhandlung in diesem Band macht das sinnfällig. Für auf Königsberg gerichtete Forschungen ist nicht sie die erste Adresse. Diese Rolle teilen sich die beiden anderen und entschieden jüngeren Institutionen. Die eine ist als Staatsbzw. Nationalbibliothek nach Erlangung der Unabhängigkeit Litauens im Jahr 1919 in die Welt getreten, die andere als Akademiebibliothek nach dem Muster der parallelen sowjetischen Institutionen überhaupt erst im Jahre –––––– 208

Dazu zuletzt der Beitrag des Direktors der Akademiebibliothek zu Vilnius Juozas Marcinkevičius: Auf der Suche nach Archivalien und alten Drucken in Ostpreußen nach dem Zweiten Weltkrieg.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 469–481.

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1941. Beide sind in den Genuß zahlreicher Königsberger Bücher und Handschriften gekommen, beide also auch für unsere Fragestellung im engeren Sinne zu konsultieren – bis heute freilich mit durchaus unterschiedlichem Erfolg. Dabei müssen wir einen Moment lang verweilen. Ein Blick in die Litauische Nationalbibliothek Rund 500 Drucke aus dem 16. Jahrhundert, eher mehr denn weniger als 1000 aus dem 17. Jahrhundert und eine schlechterdings nicht zu schätzende Zahl von Drucken aus dem 18. Jahrhundert waren dem Besucher in den achtziger Jahren von dem Fachmann vor Ort, Juozas Tumelis, als vermuteter Besitz aus Königsberger Bibliotheken in der seinerzeitigen Staatsbibliothek unter allem Vorbehalt genannt worden.209 Daß sich darunter gleichermaßen Bücher aus der Wallenrodtschen wie der Gottholdschen Bibliothek befanden, wurde gleich beim ersten Besuch offenkundig. Eine auch nur ungefähre Zahl war zu keinem Zeitpunkt in Erfahrung zu bringen. Auffällig blieb schon seinerzeit, daß eine Reihe von im Katalog ermittelten Werken mit verheißungsvollem Titel dem Besucher nicht vorgelegt werden konnten – ein stets zu Beunruhigung Anlaß gebender Sachverhalt. Inzwischen liegt der Eintrag zur nunmehrigen ›Litauischen Martynas Mažvydas Nationalbibliothek‹ (LNB) im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa vor. In ihm findet eingangs in dem Beitrag von Klemensas Sinkevičius die Übernahme von Königsberger Büchern durchaus Erwähnung. »In den Jahren 1945 bis 1946 wurden durch Expeditionen in das Gebiet von Königsberg zahlreiche Bücher aus verschiedenen Bibliotheken vor der Vernichtung gerettet und in die Bestände der Bibliothek eingegliedert.«210 Auch der so verdienstvolle und zu früh verstorbene Direktor der Institution, Vladas Bulavas, der unsere Forschungen stets unterstützte, berichtet im Zusammenwirken mit Sinkevičius im einleitenden Artikel zum litauischen Bibliothekswesen, daß »Bücher aus dem zerstörten Königsberg nach Litauen gelangten, u.a. aus der Bibliothek der Königsberger Universität, aus der Stadtbibliothek, aus dem Staatsarchiv sowie aus den Privatbibliotheken Gotthold und von Wallenrodt.«211 In der allgemeinen Bestandsbeschreibung wie auch in dem für uns einschlägigen Kapitel über die Rara-Bestände der Bibliothek – letzterer eben –––––– 209 210

211

Vgl. Garber: Auf den Spuren (Anm. 184), S. 15 bzw. S. 172. Klemensas Sinkevičius: Bestandsgeschichte (der Litauischen Nationalbibliothek).In: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. VII/2: Finnland – Estland – Lettland – Litauen. Bearb. von Cornelius Hasselblatt.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 1998, S. 185–188, S. 187. Ebd., S. 177.

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aus der Feder von Juozas Tumelis – wird dieser Hinweis mit keinem Wort aufgenommen. Es liegt das gewiß auch an der Konstruktion des Handbuchs, das in erster Linie auf Zahlen und Prozente setzt, statt auf genetische Untersuchungen und Provenienzen. Nachdem dieser Sachverhalt jedoch seit langem bekannt und auch zwischen dem Verfasser und dem Fachmann vor Ort immer wieder diskutiert worden war, stellt das Schweigen über Königsberger Bücher in der Nationalbibliothek und ihre nähere Kennzeichnung eine herbe Enttäuschung dar. In der jüngst in Form eines Sammelbands zur Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte vorgelegten Synopsis ist die Nationalbibliothek Vilnius denn auch mit keinem eigenen Beitrag vertreten. Erst jetzt werden die Arbeiten zur Katalogisierung der Altdrucke und zur Ermittlung der aus Königsberg herrührenden Bestände systematisch vorangetrieben. Jolita Steponaitienė ist für diese Arbeiten zuständig. Wir dürfen ihnen mit großer Erwartung entgegensehen – und dies auch im Blick auf die einst unter Vorbehalt bekanntgegebenen geschätzten Zahlen. Sogleich bei unserem ersten Besuch im Jahr 1987 wurde deutlich, daß vor allem Gottholdiana in die Bibliothek gekommen waren. Demgegenüber schienen Wallenrodiana in der Minderzahl zu sein. Die Bekanntgabe der Titel und Relationen bleibt abzuwarten. Mögen vor allem sämtliche katalogisch bezeugten Bücher tatsächlich am Platz vorgefunden und den Besuchern vorgelegt werden können. Altdrucke in der Litauischen Akademiebibliothek Ganz anders die Situation in der Akademiebibliothek zu Vilnius. Hier waren die in den Katalogen verzeichneten Bücher einzusehen. Hier wurden dem Benutzer schon in den achtziger Jahren immer wieder Filme gefertigt. Hier war sogar ein Besuch in den Magazinen der Altdrucke möglich, so daß die starke Präsenz Königsberger Bücher, vor allem aus der Wallenrodtschen Bibliothek, sogleich ins Auge sprang.212 Das frühzeitig vereinbarte gemeinsame Forschungsprogramm ist denn auch sukzessive umgesetzt worden und schreitet weiter voran. Die Ermittlung und Verfilmung der Wallenrodiana des 16. Jahrhunderts ist seit geraumer Zeit abgeschlossen, die des 17. Jahrhunderts erfolgt während der Niederschrift dieser Zeilen, die des 18. Jahrhunderts wird sich anschließen.213 Im Handbuch-Artikel ist über das Vorhandensein von Königsberger Büchern vor allem aus den Bibliotheken Gotthold und –––––– 212 213

Vgl. Garber: Auf den Spuren (Anm. 184), S. 16 f. bzw. S. 174 f. Vgl. Dalia Bikauskienė, Ona Bliudžiutė: Drucke Königsberger Provenienz in der Akademiebibliothek Vilnius – Das 16. Jahrhundert.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 519–546.

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Wallenrodt ordnungsgemäß berichtet.214 Genaue Zahlen konnten seinerzeit nur für die Inkunabeln angegeben werden. Demnach rührten 30 Inkunabeln aus Königsberger Besitz, 26 aus der Wallenrodtschen Bibliothek, eine aus der Stadtbibliothek.215 Das sind Informationen, und seien es zunächst noch so wenige, auf die der Buchforscher leidenschaftlich wartet. Für die folgenden Jahrhunderte waren genaue Angaben zunächst noch nicht zu machen. Wir konnten daher seinerzeit auch nur Schätzungen wiedergeben. Inzwischen – Dalia Bikauskienė und Ona Bliudžiutė haben darüber jüngst berichtet – liegen sie wenigstens für das 16. Jahrhundert vor. Demnach werden »heute 1797 Drucke Königsberger Provenienz aus dem 16. Jahrhundert« in der Akademiebibliothek zu Vilnius bewahrt.216 Das ist auch dann noch eine imponierende Zahl, wenn nach Abschluß der Projektarbeiten eine leichte Korrektur vorgenommen werden mußte und heute von mehr als 1.200 Drucken aus dem 16. Jahrhundert auszugehen ist. Sie gibt auch für die beiden folgenden Jahrhunderte zu großen Hoffnungen Anlaß. Die weitaus größte Zahl der Drucke rührt her aus der Bibliothek Wallenrodt. Wir verbinden diese Mitteilung mit dem Dank an den ehemaligen Direktor der Institution Juozas Marcinkevičius, der unsere Forschungen über zwanzig Jahre mit größter Teilnahme begleitet hat und dem wir uns freundschaftlich verbunden wissen. Sein Bericht über die litauischen Expeditionen in das Niemandsland 1945/46 ist ein Schmuckstück in dem jüngsten Sammelwerk zur Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte. Eingeschlossen in den Dank ist Ona Bliudžiutė, die Germanistin in der Bibliothek, die uns zwanzig Jahre dolmetschend und Fachliteratur übersetzend zur Seite stand. Wir beschränken uns also auf die Recherche in der Akademiebibliothek, getreu unserem Vorsatz, in die Tiefe statt in die Breite zu gehen, und konzentrieren uns nach den stets zu treffenden Vorbemerkungen auf das Werk Simon Dachs. Dabei müssen wir die Größenordnungen im Auge haben, in deren Rahmen sich die Erkundungen vollzogen haben und weiterhin vollziehen. »Die Bibliothek besitzt 63 Inkunabeln, ca. 600 Drucke des frühen 16. Jhs, ca. 3300 des späten 16. Jhs, ca. 15.000 Drucke des 17. Jhs, mehr als 20.000 Drucke des 18. Jhs und ca. 8000 Drucke des 19. Jhs.« So der knappe und präzise Eintrag im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa.217 Damit gehört die Akademiebibliothek zu den bedeutenden Bi–––––– 214

215 216 217

Vgl. den Eintrag von Daiva Narbutiene und Juozas Marcinkevičius im Bd. VII/2 des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände (Anm. 210), S. 217–223, hier S. 218: ›Bestandsgeschichte‹, insbesondere Absatz 1.6. Ebd., S. 219, Absatz 2.8. Drucke Königsberger Provenienz (Anm. 213), S. 519. Narbutiene, Marcinkevičius: Handbuch deutscher historischer Buchbestände. Bd. VII/2 (Anm. 210), S. 219, Absatz 2.2.

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bliotheken Mitteleuropas im Blick auf das Aufkommen an Altdrucken. Signifikant ist die Zahl für das 19. Jahrhundert. Hier ist der Besitz schmal. Das verweist auf eine Besonderheit der Bibliothek. Sie wird vor allem durch bedeutende historische Bibliotheken mit reichem Altdruckbestand gespeist. Die vergleichsweise neuere Literatur aus dem 19. Jahrhundert (im Handbuch wenig glücklich mit unter die ›historischen‹ Buchbestände gezählt) ist vor Ort eher in andere Bibliotheken gelangt. Der Sachverhalt war beim Einstieg über die Kataloge und bei der Durchsicht der ersten Sammelbände sogleich evident. Immer wieder tauchten Bände – durchaus auch mit reichen Königsberger Drucken! – aus der Bibliothek der Evangelisch-reformierten Synode in Wilna auf.218 Sodann gab sich ein Sammler Wróblewski stets wieder in den von uns auf den Zufall hin georderten Bänden zu erkennen.219 Und schließlich hatten wir wiederholt Bände der ›Gesellschaft der Freunde der Wissenschaft‹ und des Katholischen Priesterseminars zu Wilna in der Hand.220 Diese und andere Sammlungen haben maßgeblich zu dem reichen Bestand an Altdrucken in der Akademiebibliothek beigetragen. Schon am ersten Tag unseres Besuchs jedoch kamen – und das nun ganz überwiegend – Bücher aus der Gottholdschen und der Wallenrodtschen Bibliothek auf den Tisch. Und über sie formte sich rasch eine Anschauung der Schwerpunkte im Blick auf unsere den Königsberger Dichtern und Musikern geltenden Erkundungen um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und innerhalb des 17. Jahrhunderts selbst. Musikalien aus der Gottholdtschen und Wallenrodtschen Bibliothek In überwältigendem Reichtum traten die Musiker hervor – herrührend gewiß in erster Linie aus der Gottholdschen Bibliothek, jedoch keineswegs nur aus ihr. Vor allem im Katalog mit den Altdrucken aus dem 16. Jahrhundert verbergen sie sich. Solche Sammelbände gruppieren sich bevorzugt, aber keineswegs allein, um Johannes Eccard und Johann Stobaeus. Wir haben sogleich, wie der Stempel ausweist, einen Band aus der Gottholdschen Bibliothek in der Hand: Newe Lieder Mit fünff vnd vier Stimmen/ gantz lieblich zu singen vnd auff allerley Jnstrumenten zugebrauchen: Durch Iohannem Eccardum Mulhusinum, F. D. in Preussen Musicum vnd ViceCapellenmeister componirt/ corrigirt/ vnd in Druck verfertiget. Altvs. Gedruckt zu Königsperg in Preussen bey Georgen Osterbergern/ M. D. LXXXIX. (V16/1-1048–1109).

–––––– 218 219 220

Vgl. Anm. 214, S. 218, Absatz 1.2. Ebd., Absatz 1.3. Ebd., Absatz 1.4 und Absatz 1.5.

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Er ist mit einer Widmungsschrift Eccards an die politische Spitze Danzigs versehen, weist also zurück auf seine frühere Wirkungsstätte. Sie selbst aber ist – datiert auf den 13. April 1589 – bereits in Königsberg ausgefertigt. 14 Lieder zu fünf Stimmen und 11 zu vier Stimmen enthält das Werk. Entscheidend ist nun, daß ihm zahlreiche weitere Lieder – zumeist Epithalamia und vielfach wiederum von Eccard, durchaus aber auch schon von Stobaeus herrührend – angebunden sind, darunter gelegentlich solche in Handschrift. Für die Ausformung der spezifischen Variante der Königsberger Gelegenheitsdichtung, wie sie dann in Albert und Dach kulminieren wird, sind diese Lieder um 1600 von unschätzbarer Bedeutung. Auch der Sammelband V16/1-1191–1205 wird mit eben diesem Eccardschen Werk eröffnet, dem das Titelblatt fehlt. Ein altes Rückenschild aus der Gottholdschen Bibliothek lautet ›Eccard Lieder 2‹. Es handelt sich also neuerlich um die Partitur im ›Altus‹. Liederbücher von Gregor Lang (Frankfurt/Oder 1586), Johann Kelscher (Königsberg 1600), Valentin Haussmann (Nürnberg 1600) und anderen, teils in Handschrift, schließen sich an, bevor der Übergang neuerlich zu den in Musik gefaßten Kasualia mit Eccard an der Spitze erfolgt. Das Aufkommen an handschriftlichen Beiträgen ist besonders hoch. In diese Reihe gehört auch eine Sequenz, die mit einer beglückenden Wiederbegegnung eröffnet wird (V-16/1-1146–1190). Der starke Sammelband trägt nämlich eine alte Signatur, die wir bereits aus Kaliningrad kennen: SS 28.I Er entstammt also der Wallenrodtschen Bibliothek und wird mit dem Diskant von Riccios Sedecim Psalmi (Venedig 1590) eröffnet. Im Anschluß folgen von Eccard Der Erste Theil [und] Der Ander Theil Geistlicher Lieder/ Auff den Choral oder gemeine Kirchen Melodey durchauß gerichtet/ vnd mit Fünff Stimmen componiret, die 1597 bei Osterberger in Königsberg erschienen, 23 bzw. 29 Lieder enthalten und heute in Vilnius wiederum im Diskant vorliegen (V-16/1-1147 und 1148). Dem Band aber sind wiederum zahlreiche weitere Lieder vor allem Eccards beigebunden (daher die Sammelsignatur), nun jedoch erneut Epithalamia – darunter die Hochzeitslieder für Martin von Wallenrodt (1172) und Johann Stobaeus (1178a) –, teils aber auch von anderen, zumeist in Königsberg wirkenden Musikern komponiert wie dem Kantor Paul Emmelius an der Altstädter Schule. Auch Stobaeus ist wieder darunter. Gleich der nächste Band, wie die meisten der Vorgänger neuerlich aus der Gottholdschen Bibliothek herrührend, ist dann ein Gemeinschaftswerk der beiden großen Musiker, führt also in unmittelbare Nähe der Dichter um die Kürbishütte (V-17/1-1447). Er enthält Geistliche Lieder Auff gewöhnliche Preissische[!] Kirchen = Melodeyen durchauß gerichtet/ vnd mit fünff Stimmen Componiret, die 1634 bei Georg Rhete in Danzig erschienen. Das uns vorliegende Exemplar mit 101 Liedern enthält die Baß-Stimme. Eine ›Litania‹ für Chor (Nr. 102) beschließt das Werk.

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Von Stobaeus liegen sodann die Cantiones Sacrae Harmonicae in der ›Sexta Vox‹ vor, die 1624 in Frankfurt a.M. bei Daniel und David Aubray und Clemens Schleich erschienen (V-17/1-1307). Sie entstammen nochmals der Wallenrodtschen Bibliothek, wie das Exlibris und die alte Signatur SS.27.II erkennen lassen, sind aber – wie fast alle Gottholdschen Bände und im Gegensatz zu den sonstigen Wallenrodiana – in einem beklagenswert schlechten Zustand. Immerhin bleibt zu vermerken, daß ein Werk wie die Albertschen Arien mit zwei wichtigen Annexen, nämlich Voigtländers Oden und Liedern (Lübeck 1647) und Weichmanns dreiteiliger Sorgen-Lägerin (Königsberg 1648), auf das wir seinerzeit sogleich aufmerksam machten, aus originärem Besitz in Vilnius, nämlich der Bibliothek des Geistlichen Priesterseminars stammen (V-17/2-14). Gar nicht eingehen dürfen wir auf den reichen Schatz an Musikalien, zumeist aus der Gottholdschen Bibliothek, der über Königsberg hinausführt. Seine Präsentation fällt in die Zuständigkeit der Musikwissenschaft.221 Intimationes und Polonica Bevor wir zu Simon Dach übergehen, müssen noch zwei weitere Beobachtungen Platz finden. Was schon ansatzweise in Kaliningrad zu erkennen war, bestätigt sich nun in Vilnius. Wir meinen die ganz ungewöhnliche Dichte der Überlieferung aus Wallenrodtschen Beständen im Blick auf Leichenpredigten und Intimationes auf der einen, publizistische und akademische Literatur aller Art auf der anderen Seite. Und da der zentrale Aufbau der Bibliothek in das 17. und frühe 18. Jahrhundert fiel, ist die Ausbeute für diese Zeit und speziell für Preußen, Brandenburg und Polen, am Rande auch für Livland und Kurland, besonders hoch. Bände etwa wie der Sammelband mit der alten Signatur D 85 (W) (V-17/1612), D 399 (W) (V-17/1-1288), S 216b (W) (V-17/1906), 279.4° (V-17/1-1437) (W), S 216a (W) (V-17/ 1633), die uns gleich bei unserem ersten Besuch auf der Suche nach Sammelbänden aus Königsberg in die Hände fielen, geben ein hervorragendes Bild von der akademischen Kultur und zeitgenössischen politischen Situation. Hier ist ein üppiger Quellenfundus aus dem angedeuteten Einzugsbereich verfügbar. Auf die auch in Vilnius reichhaltig anzutreffende Sachliteratur – vgl. etwa die Bände RR 21 und RR 22 mit Colers Oeconomia aus der Wallenrodtschen Bibliothek – wollen wir hier gar nicht zu sprechen kommen. –––––– 221

Die reichen Musikalia haben in dem Artikel des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände in Europa noch keine erkennbaren Spuren hinterlassen. Hier wartet eine große Aufgabe auf die internationale Musikwissenschaft.

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Sodann soll en passant aus der Sicht des Barockforschers auf einen anderen Aspekt verwiesen werden. Die Akademiebibliothek gehört heute auch zu den Bibliotheken, die immer dann zu konsultieren sind, wenn auf der Grenze zwischen deutschen, polnischen und litauischen Überlieferungen zu recherchieren ist. Das liegt an dem reichen Erbe aus polnisch-litauischen Bibliotheken und verbindet sie mit Bibliotheken wie denen in Thorn oder Danzig – von Krakau gar nicht zu reden –, in denen sich diese kulturelle Assimilation gleichfalls eindrucksvoll ausprägt. Man muß einschlägige Titel dieser Art stets bevorzugt unter den Polonica (›P‹) suchen, nicht unter den westeuropäischen Drucken, für die der Buchstabe ›V‹ steht. Opitz etwa ist – genau wie in Danzig oder Thorn – gerade auch in seinem Spätwerk in der Akademiebibliothek Vilnius gut vertreten. Insbsondere die Bibliothek des Orthodoxen Priesterseminars zu Vilnius hat in der jetzigen Akademiebibliothek ihre Spuren in mächtigen Sammelbänden zum politischen Schrifttum aus dieser Grenzregion hinterlassen. Wir stießen darauf in Sammelbänden wie P-17/181, P-17/290, P-17/802, P-17/852–898, P-17/915, P-17/932 etc. Reich diesbezüglich ist zudem die Abteilung Lituanistik (›L‹). Aber auch Wallenrodiana sind durchaus in die Abteilung Polonica gewandert. Man schaue etwa in einen Sammelband wie P-17/289 (alte Wallenrodtsche Signatur X 242), auch er von Ernst von Wallenrodt persönlich ausgezeichnet. Angesichts z.B. der zahlreichen Thilo-Titel, die sich unter den Polonica, aber auch den Lituanistica verbergen (im Handbuch nicht eigens angesprochen) schien uns diese Abschweifung erlaubt. Wann wird uns das reiche publizistische Schrifttum der Frühen Neuzeit und insbesondere des 17. Jahrhunderts jenseits der Flugblatt-Literatur gut aufbereitet zugänglich sein? Die Sammelbände D 85 (W) und D 399 (W) Doch zurück zu unserem Thema. Die Suche nach Simon Dach endete mit einer erheblichen Überraschung in der Akademiebibliothek. So reich die Bibliothek an Drucken aus Königsberg war, so schien doch einer ihrer prominenten Dichter nicht darunter. Ganze zwei Dach-Drucke konnten wir über den dem 17. Jahrhundert gewidmeten Katalog ermitteln, und zwar Einzeltitel. Es handelte sich zunächst um zwei Blatt Vber frühzeitigen Hintritt Hn. Licentiat Johan Bartholomeen Crügers Seel. hinterlassenen einigen Töchterleins ANNEN CATHARJNEN. Königsberg/ bey Segebaden Erben. 1639.222 Er entstammt dem schon erwähnten Band D 85 mit dem Exlibris der Wallenrodt–––––– 222

Signatur in der Akademiebibliothek Vilnius: V 17-1612/26a. Vgl. Oesterley Nr. 738 (ohne Kenntnis eines Königsberger Exemplars); Ziesemer III, 35–37 mit S. 465, Nr. 30; Dünnhaupt Nr. 202 (mit zwei fehlenden Zeilenbrechungen).

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schen Bibliothek und wird – freilich mit der Nummer 26 – auch von Ziesemer (als einziges Exemplar in Königsberg) aufgeführt. Der Band selbst ist bestückt mit Leichenpredigten nebst Einladungen, vor allem aus dem Umkreis des Kurfürstlichen Hauses und des preußischen Adels, anhebend mit der Leichenpredigt von Johannes Bergius für Georg Wilhelm von Brandenburg anläßlich der Überführung der Leiche aus der Schloßkirche in den Dom im Jahr 1642. Unter den Druckorten befindet sich neben Königsberg wiederholt auch Elbing mit Bodenhausen als Drucker. Einen prominenten Platz behauptet Johann Bartholomäus Crüger, Professor für Medizin und Dekan der Medizinischen Fakultät im Jahr 1638, in unserem Band. Nur er vermittelt eine Ahnung, in welch gewichtigem Kontext der Dachsche Text steht. Vorangeht die Leichenpredigt von dem Diakon auf dem Kneiphof Joachim Babatius.223 Sie ist der Witwe gewidmet und wird, wie üblich, begleitet von einer Vita des Verewigten. Im Anhang ist sogar ein deutsches Poem des Verstorbenen zu lesen, betitelt ›Nichtigkeit des Menschlichen Lebens‹, anhebend: DA ist Frewde/ da ist Lust Wenn sich nach der Morgenröthe Hat die Sonne außgerüst Daß sie nach dem willen thäte Jhres Schöpffers der die stätt Jhr gar hoch gesetzet hat.

Zwei lateinische Epicedien beschließen das Dokument. Drei Einzelstücke schließen sich daran an, das eine von Christoph Wilkau, das andere von Georg Mylius und das dritte von Christoph Kaldenbach herrührend. Der Kaldenbach-Philologie ist der Triumph des Todes Vber den Gebeinen H. Licentiat Johan = Bartholomeen Crügers/ vornehmen Artztes. 1638. unbekannt. Sodann kommt die akademische Gemeinschaft in einer lateinischen Sammelschrift zu Wort. 15 Beiträge, wohlgegliedert, treten da zusammen. Am Schluß sind ein deutsches Anagramm und zwölf holprige deutsche Alexandriner von einem Studenten der Medizin plaziert. Schließlich hat der Sammler die akademische Einladungsschrift zu gewinnen vermocht. Mit ihr wird diese Folge beendet. Dach ist nicht dabei, sein von Stobaeus vertontes Trawr-Liedlein zu dem Anlaß hat der Sammler nicht besessen.224 Gleich im Anschluß setzt je–––––– 223

224

Sie fehlt schon in dem Vorkriegs-Eintrag der APB I, 118 von Schwarz. Damit ist die Forschung der wichtigsten Quelle beraubt. Nochmals die Nachweise: Oesterley S. 110–112 mit Nr. 911; Ziesemer III, 23 f. mit S. 462, Nr. 15; Dünnhaupt Nr. 160. Das Werk – herrührend aus der Universitätsbibliothek Königsberg (Pa 127. 4° (40) = Rd 5.4. III 40) – wird heute im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin verwahrt.

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doch eine zweite Folge ein. Die Tochter Crügers ist ein Jahr nach ihrem Vater verstorben. Nun kommt Dach zu Wort. Nicht auf dem Titelblatt selbst, sondern erst am Schluß der 103 Alexandriner zeichnet der Dichter ›Simon Dach‹. Die Vermutung liegt nahe, daß der Drucker Segebade das Titelblatt gestaltete. Er verwendet es nämlich gleich beim nächsten Stück noch einmal. Neuerlich ergreift Kaldenbach das Wort und trägt zu dem traurigen Anlaß mit einem schlichten fünfstrophigen Lied bei.225 Wieder vermag der Sammler der Nachwelt das Ereignis auch über die akademische Intimatio zu überliefern. Es dürfte das eingehendste Testimonium der Verstorbenen geblieben sein. Ist es unbillig, derartige Informationen im Kontext einer Dach-Bibliograhie bzw. einer Dach-Edition zu erwarten? Bei dem zweiten Stück handelt es sich um ein – viel späteres – Christliches Denckmal für Catharina Susanna von Ölssen, geb. Truchsess von Wetzhausen, die im Dezember 1649 gestorben war und im Juni des folgenden Jahres in der Kirche zu Rudau beigesetzt wurde.226 Es entstammt dem anderen erwähnten Band D 399 aus der Wallenrodtschen Bibliothek. Dieser wurde als »bey vornehmen Leüten BeErdigung gehaltenen Leichpredigten« vorgetragen, von Ernst von Wallenrodt ausgezeichnet und in die Bibliothek eingestellt. Ziesemer erwähnt aus Königsberger Besitz nur wieder eben dieses Exemplar. In dem Umfeld des Dachschen Gedichts sind dann selbstverständlich wieder auch die anderweitigen Funeralien enthalten, von denen die Dach-Forschung bislang nichts weiß. Mit der Leichenpredigt von Friedrich Vetter, Pfarrer am Begräbnisort Rudau, wird die Folge eröffnet. Sie ist dem hochgestellten Ehegemahl gewidmet. Dann haben die trauernden Angehörigen und Verwandten einen der ihren für ein Klag = vnd Trauer = Ge–––––– 225

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Dünnhaupt III, 2219, Nr. 18. Es handelt sich keineswegs um eine anonyme Sammelschrift, sondern um einen von Kaldenbach gezeichneten Einzeltitel. Das Stück steht also nicht mit dem Dachschen Titel unter einem gemeinsamen Sammeltitel. Signatur in der Akademiebibliothek Vilnius: V 17/1-1288 (33). Vgl. Oesterley Nr. 859 (ohne Kenntnis des Wallenrodtschen Exemplars); Ziesemer III, 319-321 mit S. 493, Nr. 222; Dünnhaupt Nr. 688 (mit diversen Transkriptionsfehlern, nicht vermerkten Auslassungen, fehlenden bzw. fälschlich hinzugefügten Virgeln, fehlenden Zeilenbrechungen; als Titelaufnahme bibliographisch nicht verwertbar). Der (erstmals mitgeteilte) korrekte Wortlaut: Christliches Denckmal | Der Weiland Hoch = vnd Wolge = | bohrnen Frawen/ | Frawen | Catharinen Susannen | Truchsessin/ des Heil. Röm. Reichs | Gräffinnen von Wetzhausen etc. | Des HochEdlen Gestrengen Vesten vnd | Mannhafften | Herrn Dieterich von Ölssen | Der Reiche Schweden verwittibten Königinn etc. | wolbedienten Hoffmarschalln etc. gewesenen | hertzliebsten Gemählin. | Welche 1649. 29. Christmonat zu Bir = | ckenfeld/ in hertzlicher Anruffung ihres Erlösers selig | eingeschlaffen/ vnd selbigen Jahres 16. Brachmon. in der | Rudawischen Kirchen Christlich vnd hochan = | sehnlich beygesetzet worden. | Den hinterlassen Gräfflichen vnd Adelichen An = | verwandten zu Trost gestiftet | von | Simon Dachen. | [Zierleiste] Königsberg/ | Gedruckt durch Johann Reusnern.

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sprech gewinnen können, der beherzt zum Alexandriner greift. Ein weiterer Adeliger, Botho von Lehndorff, fühlt sich zur »bezeugung eines mitleidenden Gemüthes« zu einer Klag = vnd Trauer = Schrifft aufgerufen, in der Alexandriner mit liedhaften Strophen wechseln. Eben dieser poetische Beitrag des Adels läßt sich in den Wallenrodtschen Kollektionen hervorragend studieren. Dann erst folgt Dach. Die Introduktion, den Topos Tod und Adel umspielend: WAs Wunder ist es doch/ daß wir Ohn Vnterscheid von hinnen eilen? Der Tod erlegt des Adels Zier Ja Graffen selbst mit seinen Pfeilen.

Doch damit immer noch nicht genug. Ihm folgt noch ein Student der Theologie nach, der seine poetischen Künste auf lateinisch und deutsch ausstellt. So oder ähnlich nimmt sich die pastorale und poetische Verewigung einer hochgestellten Person aus dem Adel aus. Der Sammler hat auch im vorliegenden Fall dafür Sorge getragen, daß das ihr gewidmete Funeralschrifttum zusammenblieb und geschlossen auf die Nachwelt kam. Wo immer möglich, ist kasuales Schrifttum also als Ensemble zu würdigen. Der Sammelband SS 41 (W) Wir hätten an dieser Stelle unseren Bericht schließen müssen und den Leser gewiß enttäuscht zurückgelassen, wenn anders uns nicht das Glück zu Hilfe gekommen wäre. Die Suche nach weiteren Dach-Drucken blieb in den achtziger Jahren eine vergebliche, weil die Sammelbände in Vilnius erst teilweise erschlossen waren. Wie aber hätten wir ahnen können, daß wir einen Titel von Marcus Zuerius Boxhorn Character Amoris aus dem Jahr 1637, in der zweiten Auflage erschienen bei David Lopez de Haro in Leiden, hätten bestellen sollen, um fündig zu werden? Und das womöglich gar nicht im Katalog der Drucke des 17. Jahrhunderts, sondern dem des 16., denn gleich der zweite Druck in dem Band führte zurück in das Königsberg des 16. Jahrhunderts mit einem Daubmann-Druck aus dem Jahr 1566. Nein, es bedurfte bei einer noch im Flusse befindlichen katalogischen Situation des Zugangs in die Magazine der Altdrucke, um unbekannte Titel ausfindig zu machen. Dieses außergewöhnliche vertrauensvolle Entgegenkommen ist Axel E. Walter und seinem Osnabrücker Forschungsteam viele Jahre später für die tägliche Arbeit zuteil geworden. Nur so konnte es gelingen, der Wallenrodiana ansichtig zu werden und sie für die Erschließung und Verfilmung in größtmöglicher Geschlossenheit auszuheben. Und eben dieser Begünstigung ist auch der Fund des nun vorzustellenden Bandes geschuldet, der in dem

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Mosaik der Dach-Philologie, das wir rekonstruieren, nicht mehr wegzudenken ist. Seine Rettung stellt neuerlich ein verpflichtendes Geschenk dar. In einem erst jüngst in Moskau wiederaufgefundenen Katalog der Wallenrodtschen Bibliothek aus dem Jahr 1758 – basierend auf einem unmittelbaren Vorgänger von Johann Heinrich Daniel Moldenhauer und gefertigt während der russischen Besetzung im Siebenjährigen Krieg – findet sich auf Blatt 197v, das uns noch wiederholt Schrittmacherdienste leisten wird, unter der Ordnungsnummer 277 der folgende Eintrag: Marc. Zuer. Boxhornii Character amoris Lugd. B. 1637 et Intimationum et carminum funebr. T. I.227

Es ist ersichtlich, daß hier das erste Stück eines Sammelbandes aufgeführt wird, das wir soeben berührten. Tatsächlich konnte in den Magazinen der Akademiebibliothek zu Vilnius ein Band ausfindig gemacht werden, auf den diese Angaben paßten. Er trug oben auf dem Rücken von bibliothekarischer Hand die Aufschrift: »Boxhorn Character amoris Ed. 2. 1637 und 220 Personalschriften«. Hinzu trat auf dem Rücken auf dem unteren Rand das alte Schild mit der Signatur ›SS 41 (W)‹.228 Erstmals auf unserer Wanderung begegnen wir damit einem Sammelband aus der besonders gesuchten Folge SS 40 ff., auf die wir über Müller-Blattau und Ziesemer aufmerksam gemacht worden waren. Es handelt sich um einen der typischen voluminösen Wallenrodtschen Sammelbände mit Exlibris, in dem sich einer der Stammväter dieser Bibliothek neuerlich verewigt hat: »Volumen hoc primum tam Carminum Nuptialium quam intimationum funebrium bibliothecae avitae insereri voluit Ernestus à Wallenrodt«. Es liegt uns also der erste Band einer Folge von Personalschriften aus der Wallenrodtschen Bibliothek vor, den schon Moldenhauer in der Hand gehabt und mit einer katalogischen Kurzcharakteristik versehen hat. Es wird sich zeigen, daß Ernst von Wallenrodt zutreffender in seiner knappen Information ist. Wir wissen wiederum nicht, ob Wallenrodt den Band selbst einrichtete bzw. einrichten ließ oder ob er ihn bereits vorfand. Entscheidend ist, daß er ihm eine Stelle in einer Sequenz anwies. Es bleibt im nachhinein unbegreiflich, daß die Historiker der Wallenrodtschen Bibliothek ebensowenig wie die Musik- und Literaturwissenschaftler vor Ort Veranlassung sahen, diese für die Morphologie der Bibliothek und insonderheit ihres Kleinschrifttums entscheidenden Informationen bekannt zu –––––– 227

228

Vgl. Walter: Die virtuelle Rekonstruktion (Anm. 206), S. 775 f. Zum Kontext vgl. auch die Anm. 183 zitierte Untersuchung von Lavrinovič. Der Katalog Moldenhauers stammt aus dem Jahr 1757. Vgl. Juntke: Geschichte der v. Wallenrodtschen Bibliothek (Anm. 182), S. 42 f. Die neue Signatur des Bandes in der Akademiebibliothek zu Vilnius: V1-257.

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geben. Mußte erst eine Katastrophe eintreten, um den Wert derartiger dokumentarischer Zeugnisse für die historische Buchkunde zu gewahren? Der Band ist von bibliothekarischer Hand durchgezählt. Er enthält 233 Stücke.229 Vielfach ist am unteren Rand der Titelblätter noch eine ältere Zählung erkennbar. Einzelne Titel waren demnach schon Bestandteile älterer Sammlungen. Nur ausnahmsweise ist es möglich, die Sammler zu ermitteln, die sich da verewigt haben. Hier stammen sie entweder von Mitgliedern oder Bibliothekaren aus dem Hause Wallenrodt oder aber von anderweitigen Sammlern, über die die Titel an die Wallenrodts kamen. Als Ernst von Wallenrodt (1651–1735) den Band auszeichnete, waren sie in jedem Fall bereits vorhanden. Der Band setzt nach dem Boxhornschen Werk ein mit zehn noch in das 16. Jahrhundert fallenden Titeln. Mit Nr. 12 erscheint der erste Titel aus der Druckerei Osterberger aus dem Jahr 1600. Vier Drucke zwischen 1600 und 1608 liegen von ihm vor. Dann erfolgt ein Sprung von fünf Jahrzehnten hin zu Johann Reusner. Im folgenden werden neben der beherrschenden Reusner-Dynastie vor allem Segebade und Pascha Mense hervortreten. Die ganz überwiegende Anzahl der Drucke rührt aus diesen drei Königsberger Offizinen des 17. Jahrhunderts. Ihre Druckproduktion, sofern erhalten, eines Tages in einer Bibliographie zusammenzutragen, wäre ein überaus verdienstvolles Unternehmen. Auch unser Band leistete seinen respektablen Beitrag dazu. Ansonsten trifft man auf Titel aus dem benachbarten Elbing vor allem mit Bodenhausen- oder Corell-Drucken, und aus Danzig vor allem mit Arbeiten aus der Offizin Rhete. Am Anfang stehen ein paar Titel aus Greifswald, Frankfurt/Oder und Fürstenwalde, später einer aus Berlin oder gar aus Giessen – das typische Bild eines um einen Druckort zentrierten Sammelbandes mit Annexen aus der näheren und gelegentlich weiteren Umgebung, wie sie sich in aller Regel über Anlässe und Adressaten leicht aufklären lassen. Gleich nach der – griechischen! – Gratulatio für Gotthard von Kurland beginnt mit dem dritten Stück die Folge der Epithalamia. Mit dem ersten Reusner-Druck erscheint das Deutsche. Die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts über werden aber auch in diesem Band lateinisch und deutsch gleichermaßen verwendet, vielfach in einer Sammelschrift, ja mehrfach auch von einem Autor zum selben Anlaß nebeneinander, also gleichfalls das gewohnte Bild. In einem Fall findet das Niederdeutsche Verwendung (Nr. –––––– 229

Die Rekonstruktion der Zählung ist kompliziert. Die Ziffern sind vielfach verblaßt. In einem Fall (Nr. 12a) mußte für einen selbständigen Druck eine Zusatzziffer vergeben werden, um in der vorgegebenen Folge zu verbleiben. Die letzte erkennbare Bezifferung betrifft das 228. (von Dach herrührende) Stück. Es folgen vier weitere, dem das zusätzlich bezifferte hinzuzufügen ist. Die Zahlenangabe in Übereinstimmung mit Walter (Anm. 206), S. 767.

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30); in einem anderen steht es neben dem Lateinischen (Nr. 73). Die Epithalamia sind chronologisch angeordnet, so daß sich die Dichte der Produktion pro Jahr und Jahrzehnt überblicken läßt. Aus den dreißiger Jahren zählen wir acht Drucke, aus den vierziger Jahren dann schon knapp fünfzig. Aus den fünfziger Jahren liegen knapp 70 Titel vor, denen noch fünf aus dem Jahr 1660 folgen. Das Königsberger Epithalamium, zumal der vierziger und fünfziger Jahre – den überall entscheidenden Jahren im Wechselspiel zwischen dem Lateinischen und Deutschen – ist daher auch über diesen Band sehr schön übersehbar. Es bleibt ein Rätsel, daß offensichtlich schon Moldenhauer selbst – und ihm folgend selbstverständlich der Abschreiber – keinen Hinweis auf die starke Repräsentanz der Gattung Hochzeitsgedicht gab. Denn die Intimatio ist ja im Rahmen dieses Anlasses nicht gebräuchlich. Hier hatte schon Ernst von Wallenrodt sehr viel klarer gesehen. Schließlich war doch weit mehr als die Hälfte des Bandes mit Nuptialia gefüllt. Die beiden ersten Reusner-Drucke (Nr. 15 und Nr. 16) sind Epicedien aus dem Jahr 1652. Im Blick auf die Gesamtkomposition des Bandes sind sie textsortenspezifisch wie chronologisch falsch plaziert. Sie hätten in den zweiten Teil des Bandes gehört und dort eine neue Sequenz eröffnet. Denn mit dem Stück Nr. 146 setzt eine Folge von Epicedia und Intimationes ein, die sich nun bis zum Schluß erstreckt. Das Stück ist das letzte der ReusnerDrucke aus dem Jahr 1660. Es hätte seinen Platz am Schluß des Bandes gehabt. Denn die beiden Stücke aus dem Jahr 1652 im Auge, beginnt die nun durchgängige Folge Funeralia mit Stück 147 im Jahr 1653. Sie erstreckt sich über nur fünf Jahre bis in das Jahr 1658. Epicedien aus den dreißiger und vierziger Jahren liegen ebensowenig vor wie solche aus den sechziger Jahren mit Ausnahme des einen markierten Stücks. Die Mischung aus Trauergedichten in deutsch und latein und – selbstverständlich lateinischen – Intimationes hält sich in etwa die Waage. Die Präsenz gerade der letzteren ist für die personenkundliche Forschung von hohem Wert. Die Wallenrodtsche Bibliothek ist besonders reich an ihnen. Aber natürlich sind auch Leichenpredigten selbst dem Band integriert. Für knapp drei Jahrzehnte gehört er zu den maßgeblichen Dokumenten der Königsberger Kultur- und Dichtungsgeschichte und selbstverständlich auch zur Königsberger und altpreußischen Geschlechterkunde, der er womöglich in den Augen seines Traditors überhaupt sein Dasein und seine Obhut verdankte. Ob es ein Zufall ist, daß seine druckgeschichtlichen Daten in so denkwürdiger Weise mit denen des Dachschen Werkes zusammenfallen? In den frühen dreißiger Jahren setzt seine Produktion ein, in den späten fünfziger Jahren endet sie. Hier waltet gewiß ein Zufall. Wir aber dürfen ihn uns zunutze machen. Ein Band mit Hunderten von Gedichten in diesem Zeitraum kann nicht ohne Zeugnisse aus der Feder Dachs sein. Niemand hat sie ge-

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zählt. Niemand hat ihre Titel unverstümmelt überliefert, ihr textuelles Umfeld in den Blick genommen. Wäre der Band in den Strudel des Untergangs hineingerissen worden, so wäre auch eine stattliche Zahl von offenkundigen Unikaten verschollen, die lateinischen unter ihnen nicht einmal textlich bezeugt. Natürlich können wir in unserem auf Übersicht bedachten Bericht weder bibliographisch noch gar editorisch tätig werden. Resümees, erste zusammenfassende Charakteristiken und vereinzelte Schlaglichter müssen hier wie im folgenden genügen. Wir wollen neugierig machen und der DachPhilologie einen neuen Anstoß verleihen. Gedichte aus der Feder Dachs – Dach als Bräutigam Um es mit einem Satz vorwegzunehmen: Der Band enthält 27 Gedichte aus der Feder von Simon Dach. Er gehört damit zu den rund ein Dutzend herausragenden Fundorten für Dach-Drucke. Als solche sind grundsätzlich nur Sammelbände anzusprechen. Darum die besondere Aufmerksamkeit, die wir ihnen angedeihen lassen. Zum ersten Mal stehen wir folglich vor der Aufgabe, ein größeres Corpus kurz und prägnant zu charakterisieren. Die erste stets zu stellende Frage lautet, ob es sich um einzelne Verfasserschriften oder aber um Beiträge zu Sammelschriften handelt. Die Antwort, daß beide Typen auszumachen sind, wird nicht überraschen. Wir zählen 19 selbständige Titel und sieben unselbständige Beiträge. Die numerische Differenz zu der oben genannten Angabe rührt daher, daß eine Verfasserschrift zwei Beiträge des Dichters enthält, und zwar zunächst einen deutschen und sodann einen lateinischen. Aber damit ist noch wenig gesagt. Wir müssen weitere Feststellungen treffen, sie alle so geartet, daß nicht der einzelne Text und seine Struktur von ihnen betroffen wird, sondern eben die Gruppe in ihren inneren Relationen. Unter den Verfasserschriften sind sechs Hochzeits- und 13 Trauergedichte. Während die Hochzeitsgedichte sich über die vierziger und fünfziger Jahre erstrecken, rühren die Trauergedichte eben nur aus den Jahren 1653 bis 1658. Es sind also aus der hier vorliegenden Überlieferung keinerlei Rückschlüsse auf die prozentuale Verteilung der den beiden Anlässen gewidmeten Gedichte generell statthaft. Gleichwohl ist bekannt, daß die Trauergedichte in der Dachschen Produktion insgesamt deutlich überwiegen. Es wird rückwirkend niemals mehr aufzuklären sein, warum in einem Sammelband wie dem vorliegenden die Relationen so gelagert sind wie angedeutet. Dies hat gewiß auch mit dem Umstand zu tun, daß der Sammelband keineswegs spezifisch auf den Dichter Simon Dach ausgerichtet ist. Aus beiden Gattungen geraten Stücke von ihm mit hinein. Diese aber prägen den Band keineswegs signifikant, drücken ihm nicht ihren Stempel auf. Das ist auch schon daran

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zu erkennen, daß überhaupt nur sieben unselbständige Stücke Dachs in ihn eingegangen sind. Hier ist die Relation eine andere. Den fünf Hochzeitsgedichten stehen zwei Trauergedichte gegenüber. Das aber hat seinen Grund wiederum in einer wichtigen Verlagerung der Schwerpunkte innerhalb der Dachschen Produktion, bezogen auf die Relation zwischen selbständigen und unselbständigen Schriften. Je weiter Dach fortschreitet, desto deutlicher tritt die Verfasserschrift in seinem Schaffen hervor. Die selbständigen Trauerschriften aus seinen letzten Jahren sind deshalb auch in diesem Band durchaus in der Überzahl gegenüber den unselbständigen, während das Verhältnis in den vorangegangenen Jahren ausgeglichener ist, wie an den Hochzeitsgedichten andeutungsweise zu erkennen. Dieser für die Poetologie des Kasualgedichts stets einschlägige Befund darf auch an dieser Stelle ein wenig weiter vertieft werden, nicht zuletzt, um die Richtung anzudeuten, in die künftige Untersuchungen geführt werden sollten. Dach ist in diesem Sammelband zunächst als Beiträger in lateinischer Sprache präsent. Und dies durchaus unspektakulär. Er reiht sich in den beiden ersten Beiträgen zu Epithalamien aus den Jahren 1635 (Nr. 18) und 1640 (Nr. 27) unter die anderen Beiträger ein, nimmt keinerlei prominente Stellung am Anfang oder am Schluß ein.230 Im Epithalamium aus dem –––––– 230

Es handelt sich um die folgenden beiden Stücke: Oesterley Nr. 1259; Ziesemer II, 346, Nr. 15; Dünnhaupt Nr. 129. Die bei Dünnhaupt immer wiederkehrende und auch im vorliegenden Fall verwendete Formel: ›In: Anon.‹ ist selbstverständlich unzutreffend. Es handelt sich um die übliche Sammelschrift mit gezeichneten Einzelbeiträgen und einem Titelblatt, auf dem die Verfasser grundsätzlich nicht aufgeführt werden. Im vorliegenden Fall wird die beliebte Formel ›a Fautoribus(?) ac Amicis‹ gewählt. Fehler und unverständliche Kurztitelbildungen bei Dünnhaupt – so auch im vorliegenden Fall (›Annam Caesaris‹!) – werden im folgenden nur ausnahmsweise vermerkt.- Am Schluß steht der einzige deutschsprachige Beitrag ›An die Jungfraw Braut‹. Ziesemer kommt das Verdienst zu, die lateinischen Beiträge aufzuführen; der deutschsprachige fällt unter den Tisch. Die Komposition der Schrift ist also aus der vorliegenden Literatur nicht zu entnehmen. Der Dachsche Beitrag – 13 Distichen – steht unter den 14 lateinischen Beiträgen genau in der Mitte an siebter Position. Nachdrücklich ist darauf hinzuweisen, daß Oesterley, Ziesemer und Dünnhaupt kein weiteres Exemplar kennen. – Der zweite Titel: Oesterley Nr. 1044 (ohne Kenntnis des vorliegenden Exemplars); Ziesemer II, 350, Nr. 36, mit Aufführung der weiteren lateinischen Beiträger; Dünnhaupt Nr. 248. – Hinzuweisen ist darauf, daß sich in unserem Sammelband (Nr. 28) eine – nun tatsächlich! – anonyme Verfasserschrift zum gleichen Anlaß anschließt: Auff H. Erici Paisen Vnd J. Annae Mevinn Hochzeitlichen Ehrentag. Den 12. Junii 1640. Königsbergk Gedruckt durch Johan Reusner. Es handelt sich um ein Gedicht aus neun Strophen zu sechs Zeilen in vierhebigen Trochäen, anhebend: TRewes Paar/ ihr feste Hertzen/ Die ihr so beständig liebt/ Daß ihr alles könt verschmertzen

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Jahr 1644 (Nr. 56) tritt Dach erstmals mit einem deutschen Beitrag am Ende einer ersten Sequenz von acht lateinischen Beiträgen hervor, bevor eine zweite Folge mit lateinischen und deutschen Zuschriften eröffnet wird.231 In dem folgenden Druck aus dem Jahr 1648 (Nr. 66), dem ersten selbständigen Epithalamium, liefert der Dichter zunächst ein großes deutsches Gratulationsgedicht, zeigt seine Künste im lateinischen dann aber in einem zweiten Beitrag – gewiß mit Blick auf den Bräutigam, der als Professor des Griechischen an der Universität wirkt.232 Daß hier selbstverständlich überhaupt keine modernen entwicklungsgeschichtlichen Vorstellungen statthaft sind, vielmehr strikte Beobachtung der situativen Bezüge, zeigt das folgende Epithalamium aus dem Jahr 1649 (Nr. 68), in dem Dach sich als dritter lateinischer Beiträger unter die übrigen Verfasser mischt, freilich eine prominente Stellung insofern bewahrt, als er nach Valentin Thilo als zweiter Sprecher der Universität (ohne Titulatur im Gegensatz zu Thilo) das Wort zu Ehren des Diakons Andreas Loelhoefel und seiner Braut ergreift.233 In den fünfziger Jahren überwiegen die selbständigen Hochzeitsgedichte ebenso wie die an späterer Stelle plazierten selbständigen Trauergedichte aus dem gleichen Zeitraum, was wiederum Beiträge in beiden Sprachen selbstverständlich nicht ausschließt.234 ––––––

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Das sonst andre sehr betrübt/ Wa[!] Euch dieser liebe Band Mehr ist als das Vaterland. Es könnte dem Duktus nach sehr wohl von Dach stammen. Auch diese Figur gedoppelter Autorschaft – lateinischer Beitrag, deutsche selbständige Schrift – hat in seinem Werk Parallelen. Vgl. Oesterley Nr. 345 mit dem schönen Zusatz »Mit fremden gedichten.« Oesterley kennt das Exemplar aus der Wallenrodtschen Bibliothek wiederum nicht. Er verweist auf eines aus der Universitätsbibliothek mit der Signatur S. 325. Qu. (76), leistet sich also auch noch bei der Wiedergabe von Signaturen seine Eigenwilligkeiten. Dieses Exemplar auch bei Ziesemer I, 341 f., Nr. 130, hier jedoch als 81. Beistück ausgewiesen (S 325.4.81). Ziesemer kennt auch unser Exemplar. Unter den von ihm aufgeführten lateinischen Beiträgern fehlt der Verweis auf den Pastor von Tragheim Johann Benedict Reichard. Ziesemer bietet am Ort ein zum gleichen Anlaß geschriebenes Gedicht von Paul Gerhardt, auf das auch Dünnhaupt (Nr. 385) ohne Rückverweis auf Ziesemer rekurriert. Oesterley Nr. 694 und Nr. 1049 (ohne Kenntnis des Exemplars); Ziesemer I, 350, Nr. 196; II, 355, Nr. 57 (Nachweis des lateinischen Beitrags); Dünnhaupt Nr. 572. Oesterley 1013; Ziesemer II, 357 f., Nr. 61, mit Aufführung der weiteren lateinischen Beiträger; Dünnhaupt Nr. 627. Zwei weitere Sammelschriften zum gleichen Anlaß bieten ausschließlich deutschsprachige Beiträge. Derartige Konstellationen sind nur in Sammelbänden zu fassen. Die bislang vorliegenden Hilfsmittel geben in aller Regel keine Kenntnis von solchen Rahmenbedingungen. Wir geben für den interessierten Dach-Forscherkreis eine knappe Zusammenstellung der vorliegenden Texte. Weitere lateinische Beiträge: Nr. 99 (Epithalamium. Oester-

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Ganz besonders untersuchungsbedürftig bleibt die Verwendung der gewählten Sprache. Hierbei ist offensichtlich mit Vorgaben der Arrangeure zu rechnen, wenn es sich um Sammelschriften handelt. Bricht dann aber ein Dichter aus dem Schema aus und steht er mehr oder weniger alleine mit einem deutschen Beitrag unter seinen lateinisch schreibenden Mitverfassern, so ist dies ein zu Beobachtungen und Überlegungen herausfordernder Befund. Bedient er sich indes in eigener Regie in einer von ihm herrührenden Schrift beider Idiome, so wollen auch dafür Erklärungen ausfindig gemacht werden, ohne daß man dem Zwang sich unterwerfen sollte, allenthalben dem Dichter auf die Spur zu kommen. Die Freude an der Demonstration der Fertigkeit in beiden Formen der Äußerung ist ebenso zu kalkulieren wie die der Dignität beider Sprachen, die eine über Jahrhunderte in Geltung, die andere soeben neben ihr um Ansehen und Gefolgschaft bemüht. Insgesamt läßt sich feststellen, daß sich Dach in der selbständigen Schrift eher der deut–––––– ley Nr. 1067; Ziesemer II, 359 f., Nr. 76, mit Angabe der weiteren lateinischen Beiträger. Beide kennen nur das vorliegende Exemplar. Dünnhaupt Nr. 1054, mit Angabe eines weiteren Tübinger Exemplars). Nr. 151 (Epicedium. Oesterley Nr. 1178; Ziesemer IV, 524, Nr. 92 mit Angabe der weiteren lateinischen Beiträger; Dünnhaupt Nr. 927). Nr. 213 (Epicedium. Oesterley Nr. 1079; Ziesemer IV, 507, Nr. 3, mit Angabe der weiteren lateinischen Beiträger. Fehlt bei Dünnhaupt). Selbständige Hochzeitsgedichte: Nr. 91 (Oesterley Nr. 615; Ziesemer II, 370, Nr. 36; Dünnhaupt Nr. 981; alle drei Bibliographen kennen nur dieses Exemplar!). Nr. 103 (Oesterley Nr. 754; Ziesemer II, 375, Nr. 64; Dünnhaupt Nr. 1053. Vgl. dazu unseren Kommentar unten!). Nr. 109 (Oesterley Nr. 92; Ziesemer II, 378, Nr. 77; Dünnhaupt Nr. 1113). Nr. 120 (Oesterley Nr. 907; Ziesemer II, 381 f., Nr. 98, mit Verweis auf einen weiteren lateinischen Beitrag Dachs zu dem Anlaß ohne Exemplar-Angabe; Dünnhaupt Nr. 1193.I. Unter Nr. 1193.II wird der lateinische Beitrag in einem Breslauer Exemplar (wie bei Oesterley Nr. 1027) aufgeführt. Der Zusatz »fehlt bei Ziesemer« ist, wie gezeigt, nicht korrekt. Der Beitrag wird erwähnt und deshalb vermutlich in der Zusammenstellung der lateinischen Gedichte nicht nochmals aufgeführt. Vgl. unsere Ausführungen zu dem Text unten). Nr. 121 (Oesterley Nr. 585; Ziesemer II, 382, Nr. 99; Dünnhaupt Nr. 1194). Selbständige Trauergedichte: Nr. 170 (Oesterley Nr. 327; Ziesemer IV, 556, Nr. 139; Dünnhaupt Nr. 982). Nr. 173 (Oesterley Nr. 20; Ziesemer IV, 560, Nr. 162; Dünnhaupt Nr. 1039). Nr. 175 (Oesterley Nr. 90; Ziesemer IV, 560, Nr. 160; Dünnhaupt Nr. 1034). Nr. 181 (Oesterley Nr. 247; Ziesemer IV, 561, Nr. 164; Dünnhaupt Nr. 1043). Nr. 184 (Oesterley Nr. 772; Ziesemer IV, 561, Nr. 168; Dünnhaupt Nr. 1051). Nr. 188 (Oesterley Nr. 112; Ziesemer IV, 561 f., Nr. 169; Dünnhaupt Nr. 1057). Nr. 195 (Oesterley Nr. 676; Ziesemer IV, 567, Nr. 195; Dünnhaupt Nr. 1095). Nr. 199 (Oesterley Nr. 592; Ziesemer IV, 563, Nr. 177; Dünnhaupt Nr. 1069). Nr. 205 (Oesterley Nr. 367; Ziesemer IV, 567, Nr. 197; Dünnhaupt Nr. 1097). Nr. 220 (Oesterley Nr. 422; Ziesemer IV, 571, Nr. 219; Dünnhaupt Nr. 1133). Nr. 224 (Oesterley Nr. 955; Ziesemer IV, 572, Nr. 227; Dünnhaupt Nr. 1152). Nr. 225 (Oesterley Nr. 934; Ziesemer IV, 572, Nr. 229; Dünnhaupt Nr. 1153). Nr. 228 (Oesterley Nr. 678; Ziesemer IV, 574, Nr. 241; Dünnhaupt Nr. 1171).

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schen als der lateinischen Sprache bedient und in den unselbständigen Beiträgen häufiger zur lateinischen greift, letzteres gewiß eben auch nach Maßgabe von Vorgaben. Unser ganz zufällig mit Dach-Drucken bestückter Band läßt auch das erkennen, ohne daß das Ergebnis verallgemeinert werden dürfte. Die selbständigen Schriften aus seiner Feder in diesem Band stehen alle in deutscher Sprache – von der einen erwähnten Ausnahme abgesehen, daß er ein selbständiges Hochzeitsgedicht mit einem deutschen und einem lateinischen Beitrag bestückt. Unter den unselbständigen Beiträgen stehen sechs auf lateinisch und nur einer auf deutsch – all das wäre im einzelnen zu würdigen. Wir aber dürfen, wenn wir unser Pensum nicht aus den Augen verlieren wollen, nicht weiter ins Detail gehen. Drei um Dach gruppierte Beobachtungen anläßlich der Inspektion dieses Sammelbandes verlangen noch nach Mitteilung. Unter den Epithalamia befindet sich eine der Hochzeitsschriften, die Simon Dach und Regina Pohl anläßlich ihres Ehebündnisses im Jahr 1641 gewidmet wurden. Ziesemer erwähnt sie, würdigt sie aber so wenig eines Neudrucks wie die anderweitigen – vermutlich, weil sie überwiegend im Lateinischen verfaßt sind.235 Ein deutschsprachiges von Roberthin aus einem anderen Kontext wird hingegen wieder vorgelegt.236 In unserem Band handelt es sich um eine Sammelschrift.237 Vier Beiträger aus Elbing tun sich zusammen. Alle vier ehren den eben zum Professor Berufenen und seine Braut auf Latein. Den Anfang macht Friedrich Zamehl, Elbinger Ratsherr, gekrönter Dichter und unbestrittener Doyen im Elbinger Dichterkreis vor allem im Fach der neulateinischen Poesie, mit einem großen Beitrag in 68 Hexametern.238 Es folgt Magister Balthasar Voidius mit zwei Beiträgen in acht bzw. sechs Distichen. Er wirkte als Pfarrer an der Marienkirche zu Elbing und seit 1632 als Senior am geistlichen Ministerium daselbst. Dach vermochte sich drei Jahre später für die empfangene Ehre zu revangieren, indem er im Zusammenwirken mit seinem Amtskollegen Valentin Thilo den Geistlichen und Freund Zamehls in der Königsberger Universität zum –––––– 235 236

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Vgl. Ziesemer II, 362. Aus dem wichtigen Berliner Sammelband (Mus. ant. pract. S 1600 Nr. 8), Ziesemer II, 362 f., der sich gegenwärtig in Krakau befindet. Sie ist auch bei Ziesemer (II, 362) unter dem Stichwort ›Elbinger Freunde‹ aufgeführt. Ziesemer kennt neben einem Breslauer Exemplar ein weiteres aus der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek (Pb 112.4.84c.) und eben das hier vorliegende aus der Wallenrodtschen Bibliothek SS 41 (W) 38. Der Titel: Monvmenta Nvptiis Simonis Dachii Reginam Pohliam domum ducentis erecta ab Amicis & Fautoribus Elbingensibus MDCXLI. IV. Kal. Aug. Regiomonti Palaeopoll. Typis haered. Segebadianorum. Das Gedicht ist auch in seinen Charitilliden enthalten. Vgl. den Eintrag in der APB II, 831 f.

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poeta laureatus erhob.239 Anschließend steuert Christoph Reimann drei Distichen bei, ausdrücklich ›Dn: Sponso Affini cariß:‹ gewidmet. Reimann war gleichfalls an der Marienkirche tätig und zeichnete entsprechend als ›Pastor Ecclesiae Elbing.‹240 Fehlt also nur das illustre Gymnasium. Es kommt, vertreten durch seinen Rektor Michael Mylius, mit vier Distichen am Schluß zu Wort.241 Die nobilitas literaria Elbingensis hatte es sich nicht nehmen lassen, den Dichter in der Nachbarstadt, dessen Name Nimbus gewonnen hatte, nebst seiner Braut zu ehren. Über die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder hat bereits Dachs erster Biograph Bayer berichtet. Unter den fünf Söhnen sei einer gewesen, »der dem Vater in der Poesie sehr nahe gekommen seyn soll«. Er sei »in Italien auff der Reise gestorben.«242 Unser Band enthält ein Gedicht, das von dem Sohn stammt, untergebracht an versteckter Stelle und so wenig wie irgend ein anderes zwischenzeitlich wieder zugänglich gemacht. Immerhin, einmal fündig geworden, stellte sich dann doch ein beglaubigendes Zeugnis ein. »Simon, geboren am 18 October 1643, studierte jura, schrieb unter dem namen Simon Dach junior lateinische und deutsche gelegenheitsgedichte (z.b. Rhed. 2,1317; Wallenr. SS 41.4°, 118; Königsb. univ.-bibl. Tl 2 (G) fol. 3.) und starb hochbetagt in Bladiau.« So Oesterley in der Einleitung zu seiner Dach-Ausgabe.243 1658 heirateten Magister Andreas Concius, Professor für Mathematik und Kurfürstliche Inspektor Primarius, und Catharina Meyenreis, Tochter des kneiphöfischen Bürgermeisters (›Senator‹) Johann Meyenreis. Ob Dach seinen Sohn bat, den Part zu übernehmen, ob der Beitrag auf eigene Initiative zustande kam – wir wissen es nicht. Zusammen mit einem Studenten ›Daniele Lehmanno L.L. Stud.‹ überreichte er die festliche Gabe. »Praeceptori suo observando debiti cultus ergo scripsit Simon Dachius Junior.« So zeichnet er seinen an zweiter Stelle plazierten Beitrag. Er war dem Hochzeiter also persönlich verpflichtet, und ähnliches dürfen wir bei –––––– 239

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Vgl. APB II, 759 (Eintrag Friedrich Gause mit weiterer Literatur). Hinzuzunehmen der Artikel von Edwin Jacobs in der ADB XL (1971), S. 200–203, der auch ein Lebensbild in der Altpreußischen Monatsschrift gab (VI (1869), S. 1–34). Vgl. zu ihm Christoph Eduard Rhode: Presbyterologia Elbingensis. Die evangelischen Geistlichen im Kirchenkreis Elbing von 1555 bis 1883 nebst Ergänzungen und Nachträgen bis 1945. Hrsg. von Walther Hubatsch.- Hamburg: Selbstverlag 1970 (= Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen; 14), S. 39 f. Vgl. Georg Daniel Seyler: Elbinga literata.- Elbing: Preuß 1742, S. 25–29; Nicolaus Alexander Tolkemit: Elbingscher Lehrer Gedächtniß.- Danzig: Schreiber 1753, S. 259–261. Bayer: Das Leben Simonis Dachii (Anm. 34), S. 175. Simon Dach: Werke. Hrsg. von Hermann Oesterley (Anm. 88), S. 44 f. Vgl. auch Nachlese zum Leben des Preußis. Poeten, Simonis Dachen (Anm. 38), S. 943.

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dem Studenten der Rechte annehmen. Beide bedienen sich des Lateinischen. Der eine verfaßt 37 Hexameter, der andere 31.244 Angesichts der hochgestellten Hochzeiter waren sie nicht die einzigen, die zur Feder griffen. Unser Sammelband läßt uns neuerlich nicht im Stich. Über ihn wird das gesellschaftliche Umfeld sichtbar, in dem die Hochzeiter sich bewegten. Vorangegangen war ein Thalassvs [...] ab Auditoribus Quibusdam, unter denen sich auch ein Adeliger aus dem benachbarten Kurland befindet (Nr. 117). Mit Gewißheit wüßten wir in aller Regel nicht von diesen Menschen, wenn ihre poetische Gabe nicht den Weg zum Drucker gefunden hätte und – in der Regel eher zufällig – bewahrt wäre. Auch ein »patruelis & domesticus« hat in einer eigenen Schrift das Wort ergriffen (Nr. 119). Seine beiden Beiträge sind durch ein Anagramm voneinander abgesetzt: »Andreas Concius Matheseos P.P. Anagr: Ac Sapiens Ac Prudens Homo Est.« Das alles vollzieht sich auf Latein, in dem man sich ganz offensichtlich weniger leicht eine Blöße gibt. Auf deutsch in einer eigenen Verfasserschrift ist allein Simon Dach sen. in einem seiner letzten Hochzeitsgedichte zur Stelle (Nr. 120).245 Zehn achtzeilige Strophen widmet er dem Anlaß. Auch das Hochzeitsgedicht, und keineswegs nur das dem Trauerfall gewidmete, verwandelt sich zusehends ins geistliche Poem, hält aus dem Glauben empfangene Weisheit über die Zeiten hinweg fest und bekräftigt sie im Blick auf die Angesprochenen. Der Hochzeiter, zu hohen Ehren gelangt, ist auf der Karriereleiter doch »nicht fort gerücket | Ohn durch der Demuth Bahn« und empfängt nun den schönsten Lohn. Das Gedicht aber hebt das Individuelle ins Allgemeine, bekräftigt das Gesetz spirituellen Lebens sogleich in der Eingangsstrophe: WEr selbst ihm hie auff Erden Erwehlt die Niedrigkeit/ Der wird erhöhet werden/ Man warte nur der Zeit: Hingegen wer für allen Gern wil erhaben seyn/ Der wird mit Schanden fallen Vnd gehen plötzlich ein.

Abschließend möge ein Dachsches Epithalamium aus dem Sammelband zur Sprache kommen, das uns im Blick auf die spätere poetische Karriere der Braut erwähnenswert dünkt (Nr. 103).246 Es ist dem Mediziner Peter Müller –––––– 244

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Die ›Vota‹ stehen, wie schon aus der Angabe Oesterleys ersichtlich, als Nr. 118 in dem Sammelband. Vgl. die bibliographischen Referenzen oben in Anm. 234 zu Nr. 120. Vgl. die bibliographischen Referenzen zu Nr. 103 (Epithalamia) oben in Anm. 234.

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und der Tochter des illustren Professors für Logik und Metaphysik an der Albertina Michael Eifler anläßlich ihrer Hochzeit im Februar 1656 gewidmet. Verfasser ist Simon Dach, und natürlich greift er zur Feder im Blick auf seinen Kollegen in der philosophischen Fakultät. Eigentlicher Gegenstand des Gedichts aber ist der Preis der poetischen Fertigkeiten der Braut Gertrud, die – noch nicht zwanzigjährig – doch schon einen Namen besaß, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Zehnde Musa dieser Zeit/ Welcher Fleis bringt dich so weit? Oder schenckte Clio dir Als du jung wardst solche Zier: Auff sprich deine Seiten an/ Mach beschämet manchen Mann/ Nimm dir von der Sorge frist Die des Hausstands eigen ist. Wer den Himmel fühlt wie du Findet leicht zu schreiben Ruh/ Denn auch wol ein Feldmann singt Wenn sein Pflug den Acker zwingt.

Doch ihr Heranwachsen als Dichterin fällt in eine Zeit, in welcher der Krieg nun auch den hohen Norden erreicht hat. Wo immer Dach auf das Thema kommt, läßt er sich nicht nehmen, die Ruchlosigkeit, wie sie mit dem Krieg einhergeht, zu geißeln und der Ermahnung sein Wort zu leihen, daß eine jede Tat rechenschaftspflichtig sein wird, nicht zuletzt die der Mächtigen. Der werdenden Dichterin aber weiß er dezent zu bedeuten, daß es Aufgabe der Poesie ist und bleibt, dieser Wahrheit, die eine immer gleiche und unverrückbare ist, zu ihrem Recht zu verhelfen. Sag auch unverzagt und frey Daß der Höchste Richter sey/ Der es keinem noch geschenckt Welcher nicht zurück gedenckt/ Vnd vermeint daß seinem Wahn Alles seyn müß untterthan/ Weder Recht noch Einred hört Ohn was die Gewalt ihn lehrt. Bring der späten Nachwelt ein Vnsre Zehren/ unsre Pein/ Daß sie sieht wie gar nicht new Gottlos und ein Christ seyn sey.

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Vnd erkenn daß dieser Fleis Dir gebehre grossen Pr[e]is/ Vnd daß dieser Arbeit Lohn Sey der Ewigheiten Kron.

Erst danach wird der Bräutigam angesprochen. Der möge eingedenk sein, welches Glück ihm zuteil wird mit dieser Braut, welche Verpflichtung ihm aber auch zuwächst, das junge Talent zu beflügeln und ihm den Freiraum zu sichern für sein musisches Geschäft. Vnd/ Herr Doctor/ reitz sie an/ Was dich laben sol und kan/ Jst das dir wird beygelegt Die so reiche Gaben trägt. Heb’ ihr süsses Spiel empor Gieb ihr ein geneigtes Ohr/ Wer vermehren wil die Kunst Der ertheil’ ihr Ruhm und Gunst.

Die Hoffnungen sollten sich auf das schönste erfüllen. Viele Kinder wurden dem Paar geboren. Und doch verblieb der Gattin und Mutter Muße für ihr ausgebreitetes, vornehmlich geistliches Werk. Gilt es, eine Handvoll Namen aus dem Königsberg des 17. Jahrhunderts neben demjenigen Simon Dachs zu nennen, so ist derjenige Gertrud Möllers allemal dabei. Ein Seelenfischer und Literaturstratege vom Schlage Sigmund von Birkens wußte, warum er sie als ›Mornille‹ in den ›Pegnesischen Blumenorden‹ aufnahm. Versagten seine Künste im Werben um Catharina von Greiffenberg, so fand er ein verwandtes, durch Glauben und Kunst geläutertes Wesen in Gertrud Möller. Ihr Wirken erstreckte sich weit über dasjenige Dachs hinaus und geleitete noch in das neue Jahrhundert hinüber. Ihre Parnassblumen (1672–75) waren noch mit dem poetischen Zuspruch Birkens geziert. Ihre späteren Geistlichen Sonette (1693) und Geistlichen Oden (1696), ihr geistliches Freudenspiel Die Geburt des Heilandes und ihre Sonn- und Feiertagsevangelien in Gestalt eines geistlichen Kräuter- und Blumengartens (1704) bezeichnen einen Höhepunkt in dem an geistlicher Dichtung so reichen 17. Jahrhundert – gerade auch aus der Feder von Frauen. Wir müssen uns glücklich schätzen, daß es Simon Dach vergönnt war, den Weg der Dichterin eine kurze Weile zu begleiten und auch ihr die Bahn zu weisen, die seinem Verständnis von Poesie zutiefst entsprach.247 –––––– 247

Vgl. zu Gertrud Moller den Eintrag in der APB II, S. 444. Ein Porträt gab Ernst Kaminski in der Altpreußischen Monatsschrift 57 (1920), S. 171–209, S. 217–234. Die ältere Literatur bei Goedeke III, 324 f., Nr. 38. Neuere lexikalische Einträge bei Jean M. Woods, Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte

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Der Sammelband RR 15 (W) Länger als geplant haben wir uns dem Band SS 41 aus der Wallenrodtschen Bibliothek zugewandt. Wir haben daran zu erinnern, daß uns neben der Signaturengruppe ›SS‹ eine weitere verheißungsvoll dünkte angesichts der vielerlei Rückgriffe auf sie, die in der Literatur vor 1945 erfolgten. Es sind Sammelbände aus der Abteilung ›RR‹, nach denen gleichfalls bevorzugt Ausschau zu halten ist. Wieder bedurfte es des Abstiegs in die Katakomben des Magazins, um einem von ihnen ansichtig zu werden, auch er nirgendwo bislang im einzelnen gewürdigt. Oesterley kannte ihn noch nicht. Ernst Bolte machte in seinen wichtigen Nachträgen auf ihn aufmerksam, und Ziesemer wertete ihn dann aus.248 Wie andere Sammelbände ist auch er auf dem Vorsatzblatt mit einer allgemeinen Charakteristik versehen: »Volumen Concionum aliqvot etc. utplurimum verò carminum funebrium. Qvorum omnium seriem in fine deprehendes!« Tatsächlich werden 173 Stücke in einem handschriftlichen Anhang ausgewiesen, die ersten fünf unspezifizierte Titel, die folgenden alle unter der Rubrik Epicedia. Das erste Stück, eine Leichenpredigt, ist neuerlich mit der Notiz Ernst von Wallenrodts versehen, wonach er den Band der großväterlichen Bibliothek hinzufügen wolle. Man wird also davon ausgehen dürfen, daß die regestenförmige Auszeichnung auf ihn zurückgeht. Königsberg ist der überwiegende, aber keinesfalls ausschließliche Druckort. Auffällig ist die große Zahl der Einblattdrucke unter den Epicedien, darunter eine Reihe von Osterberger-Drucken noch aus dem 16. sowie aus dem frühen 17. Jahrhundert. Osterberger war bislang nur bis 1605 bezeugt. Unser Band belehrt uns, daß unter seinem Namen bis 1607 gedruckt wurde (vgl. die Stücke Nr 12 und 13). Aber auch Anton Bertram aus Straßburg etwa ist mit einem frühen Druck vertreten (Nr. 9; 1604). Insgesamt überwiegt jedoch die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. So nimmt es nicht wunder, daß die Namen von Jakob Klein, Michael Kongehl, Gertrud Möller, Bernhard von Sanden und anderer zumeist mehrfach begegnen. Für das literarische Leben nach dem Erlöschen der Kürbishütte ist es ein wichtiger Band. Dazu trägt auch bei, daß der Sammler es neuerlich verstanden hat, eine große Zahl von Einladungsschriften zusammen zu bringen. ––––––

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Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon.- Stuttgart: Metzler 1984, S. 70–71, und von Renate Jürgensen in Killys Literaturlexikon VIII (1990), S. 195. Eine umfangreiche Edition ihrer Gelegenheitsdichtung wird in Zukunft mit der Dissertation von Ingrid Arp vorliegen. Vgl. Johannes Bolte: Nachträge zu Alberts und Dachs Gedichten.- In: Altpreußische Monatsschrift 23 (1886), S. 435–457, S. 453 f. Der Band trug offensichtlich früher die Signatur W 275. Sie ist auf dem Blatt, das auch das Exlibris trägt, durchgestrichen und ersetzt durch ›RR 15‹. Die jetzige Signatur lautet: V-16/2-536.

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Unterbrochen wird die Serie der zunächst durchweg lateinischen Einblattdrucke in der 21. Position mit einer deutschsprachigen Verfasserschrift Simon Dachs zum Tod Georg Wilhelms von Brandenburg von 1642, die bei Reusner erschien und uns aus Kaliningrad bereits bekannt ist.249 Das Oesterley noch unbekannte und von Bolte entdeckte Abschieds = Liedchen für Fr. Elisabeth/ gebohrnen Pärsinn/ Seel. Herrn Thomas Jennicken/ etc. hinterlassenen Witwen aus dem Jahr 1652 steht an 24. Stelle. Auch Ziesemer kannte nur dieses eine Exemplar.250 Wir schätzen uns glücklich, mitteilen zu dürfen, daß es sich in der Vertonung von Johann Weichmann in der Akademiebibliothek zu Vilnius als offenkundiges Unikat erhalten hat.

4. Simon Dach in der National- und in der Akademiebibliothek zu St. Petersburg Kriegs-Trophäen in St. Petersburg Haben wir unsere Wanderung, von Königsberg kommend, in Vilnius begonnen, so liegt es nahe, die lettische wie die estnische Hauptstadt zunächst zu umgehen und sogleich die Schritte in die alte russische Hauptstadt zu lenken. Kulturell seit je im Wettstreit mit der jüngeren Metropole Moskau, war unter den Verantwortlichen im Umkreis des Kreml nach dem Zweiten Weltkrieg zu keinem Zeitpunkt fraglich, daß die berühmten Institutionen der Hauptstadt aus der Zarenzeit an dem kulturellen Zufluß aus dem Feindesland massiv zu beteiligen seien. Moskau und Leningrad waren die Stätten der ersten Wahl, als es an die Verteilung der Zimelien aus dem besiegten Deutschland ging. Alles Erlesene nicht nur an Gemälden und Musikalien, sondern ebenso an Handschriften und alten Büchern kam hierher, und nur ausnahmsweise verirrte sich Kostbarstes in andere Provinzen des Reichs. Für diese war die große Masse des als zweitrangig Eingestuften vorgesehen. Aber was hieß dies und wer entschied über Erst- und Zweitklassiges? Es blieb eine Katastrophe undenkbaren Ausmaßes, daß das ohnehin herrenlose wertvolle Gut, einmal seinen originären Stammhäusern entfremdet, sofern überhaupt gerettet, mehreren Siegermächten in die Hände fiel und dann in ihren Ländern nochmals vielfach bis heute nicht aufgeklärte Wege nahm.251 –––––– 249

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Oesterley Nr. 168; Ziesemer II, 384, Nr. 112 (mit Kenntnis auch dieses Exemplars); Dünnhaupt Nr. 306 (mit dem dieses Mal zutreffenden Zusatz »Vilnius AK«). Ziesemer IV, 532, Nr. 5. Dünnhaupt (Nr. 793) ist im vorliegenden Fall vorsichtig und gibt keinen Exemplar-Nachweis. Dazu mit speziellem Bezug zu Königsberg zuletzt – neben dem bereits zitierten Beitrag von Juozaz Marcinkevičius (Anm. 208) – die Arbeiten von Vadim Kurpakov

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Die Zersplitterung des Zusammengehörigen war offenbar unaufhaltsam und führte in vielen Fällen zu grotesken Konsequenzen. In dieser gänzlich unübersichtlichen Lage ist wohl auch ein Grund dafür zu suchen, daß die Versuche, Licht in das Dunkel zu bringen, so spärlich blieben und bis heute Durchgreifendes und Erhellendes durchweg noch zu leisten bleibt. Wir bekennen – nach Jahrzehnten der Spurensuche ebenso beglückt über die vielen Funde wie resigniert über die vielen erfolglosen Missionen – am Ende in dem Wissen, uns bescheiden zu müssen, daß unser Bemühen durch und durch Fragment bleiben wird. Simon Dach, der Dichter und Sänger der untergegangenen Stadt, ist ganz wider Erwarten und Vorsatz zum Exemplum dessen aufgerückt, was uns sechzig Jahre nach der Katastrophe mit viel Geduld gelang und was vermutlich auf immer verschüttet bleiben wird. Eine Bibliothek von Weltrang als originärer Hort deutschen Klein- und Gelegenheitsschrifttums An anderer Stelle haben wir von unseren Begegnungen mit der Nationalbibliothek zu St. Petersburg berichtet, die inzwischen mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegen.252 Der erste Eindruck in dem mächtigen historischen Gebäude am Nevski-Prospekt ging dahin, daß es prall angefüllt sei mit wertvollen alten Büchern aus deutschen Bibliotheken. Dieser Eindruck jedoch trog. Hier war Entlegenstes aus dem gesamten deutschen Sprachraum über eine weitsichtige Einkaufspolitik vor allem im 19. Jahrhundert zusammengeströmt. Die zentrale Bibliothek im russischen Bibliothekssystem bis zum Jahr 1918, mit der Pflege und vollständigen Sammlung der russischen Schriftkultur betraut, hatte ihr europäisches Profil im 18. und – auf die Breite gesehen – im 19. Jahrhundert gewonnen. Es war ein letztes Mal im alten Europa, daß die Quellen üppig sprudelten, und wie sonst nur London und Berlin schöpfte die Nationalbibliothek in St. Petersburg aus ihnen. Daß tatsächlich auch ›Beutekunst‹ in das traditionsreiche Haus gelangt war, erfuhren wir erst Jah–––––– 252

und Jerzy Serczyk in: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 449–467 bzw. S. 483–494. Garber: Auf den Spuren (Anm. 184), S. 18 ff. bzw. S. 177 ff. Vgl. auch den Abschnitt über St. Petersburg in: Königsberger Bücher in Polen, Litauen und Rußland.- In: Nordost-Archiv 4 (1995), S. 29–61. In erweiterter Fassung wieder abgedruckt in: Festschrift für Erich Trunz zum 90. Geburtstag. Hrsg. von Dietrich Jöns, Dieter Lohmeier.- Neumünster: Wachholtz 1998, S. 223–255, S. 53 ff. bzw. S. 248 ff. Die Literatur zur Geschichte der Nationalbibliothek jetzt zusammengeführt in: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. VIII/1: St. Petersburg. Bearb. von Boris F. Volodin.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2001, S. 47–155, hier S. 152–155.

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re später.253 Sie war separiert. Der einmal gewonnene Eindruck nach jahrelangem Umgang mit den originären Beständen konnte nicht mehr gemodelt werden. Indikator der Tiefendimensionen einer Bibliothek im Blick auf ihre Bestände in der Frühen Neuzeit ist auf der einen Seite die Dichte an präsenten Autoren. Auf der anderen Seite bleibt das Kleinschrifttum, das sie zu gewinnen vermochte, Ausweis ihrer profunden Ausstattung. Und das deshalb, weil es nicht herrührt aus dem Bestreben nach Gewinn von Zimelien, sondern im Gefolge einer auf Breite und Tiefe zielenden Anschaffungspolitik beiläufig mit anfällt. Das ist der Unterschied zwischen der universal konzipierten Bibliothek und der allein in der Stadt oder Region verwurzelten. Wo diese quasi naturwüchsig vom lokalen Druckaufkommen profitiert und daher auch das Kleinschrifttum wie selbstverständlich mitführt, ist jene auf flächendeckende Akquisition bedacht. Anläßlich dieser Bestrebungen geraten auch die lokal geprägten Druckbestände in die großen Häuser, eben weil Bibliotheken mit vielfältigen Beständen ihnen inkorporiert werden. Die Bibliothek des British Museum, die Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, in gewissem Maße sogar die Library of Congress in Washington sowie die New York Public Library und eben nicht zuletzt die Russissche Nationalbibliothek zu St. Petersburg sind unserer Erfahrung nach weltweit die herausragenden Institutionen, in denen der Kundige jenseits der imponierenden Bestückung mit der literarischen Weltkultur auch den Regionen des alten deutschen Sprachraums in seinen ganz unspektakulären Überlieferungen, dem Tage geschuldet und nicht auf Verwahrung hin angelegt, begegnen wird – gepaart mit nicht endenden Überraschungen. In St. Petersburg stießen wir 1984 in der Nationalbibliothek erstmals auf ein offenkundiges Nest von Kleinschrifttum. Seine Dimensionen waren allerdings nicht zu übersehen, solange es an Realkatalogen mangelte, die Größenordnung und Zusammensetzung des Bestandes hätten erkennen lassen. Daß eines Tages ein direkter Zugang zu ihm möglich werden würde – im Traum hätten wir daran nicht zu denken gewagt. Nachdem wir Hunderte von Stücken die Jahre über auf Verdacht hin über Signaturenfolgen bestellt hatten, die uns in größter Selbstverständlichkeit herangebracht wurden, kam im Oktober 1992 der Tag, da wir uns ein Bild der Schätze vor Ort selbst machen konnten. Darüber ist ein Jahr später sogleich berichtet worden. Es waren Tausende von Gelegenheitsgedichten, die die alte Petersburger Bibliothek zusammengebracht hatte, und zwar gleichermaßen im deutschen wie im lateinischen. Beide Abteilungen waren getrennt; die lateinischen Stücke standen im Saal VI ›Belles Lettres‹ in den Schränken 1–6, die deutschen im –––––– 253

Vgl. Garber: Auf den Spuren (Anm. 180), S. 20 ff. bzw. S. 180 ff.

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gleichen Saal ›Belles Lettres‹ in den Schränken 34–36.254 Da die Gedichte nicht in Sammelbänden verwahrt wurden, sondern als einzelne in Pappumschläge gefaßt waren, konnte diese Trennung weitgehend beobachtet werden. Der Sache tat sie keinen Abbruch. Es war der gleiche Saal in herrlichem Empire-Mobiliar, wo sie lagerten und über alte handgeschriebene Kataloge, die dem normalen Benutzer nicht zugänglich waren, gewiß auch nur ausnahmsweise nachgefragt wurden, nun aber in ihrer ganzen Vielfalt leicht überschaubar sich darboten. Rund 8000 deutschsprachige und mehrere tausend lateinischer Gelegenheitsgedichte standen hier zusammen; die letzteren verstreut in einem unübersehbaren Meer an neulateinischer Literatur.255 Der Eindruck, der sich in geduldigem stunden- und tagelangem Blättern im Lesesaal herausgebildet hatte, wurde im Angesicht der Kataloge und beim neuerlichen Blättern in den kleinen Schriften, die nun bequem zugänglich waren, aufs schönste bestätigt. Am meisten überraschte uns die starke Präsenz von Straßburger Drucken aus dem 17. Jahrhundert. Wir wußten schon damals um den Verlust gerade dieser Drucke, die in der alten Straßburger Stadtbibliothek ihre natürliche Bleibe gefunden hatten und im Schreckensjahr 1870 so gut wie komplett vernichtet worden waren. Sogleich regte sich die Vermutung, daß hier unter den mächtigen Petersburger Sammlungen vielerlei Ersatz für Verlorengegangenes zu finden sein könnte. Und so nicht anders für andere, im Zweiten Weltkrieg untergegangene Bibliotheken. An erster Stelle die Hamburger Stadtbibliothek, die ihre gleichfalls überaus reichen Sammlungen 1943 zumeist einbüßte. Hier vermochte zwar die Commerzbibliothek vielfach Ersatz zu bieten, die in den Besitz der Richeyschen Kollektionen gelangt war. Eine jede Sammlung jedoch birgt ungezählte Exemplare, die bestenfalls ein oder zweimal anderwärtig auf der Welt überliefert sind. So durfte die Hoffnung sich regen, daß unter den Dutzenden von Gelegenheitsgedichten aus Hamburg wiederum manche wären, die Ersatz für die in der Hansestadt eingetretenen Verluste stellen könnten. Erfahrungen solcher Art waren es, wie die Wiederbegegnung gerade auch mit Petersburger Notizen aus den achtziger Jahren zeigen, die die Vorstellung reifen ließen, durch Kataloge und Verfilmungen der Kasualia in den großen Bibliotheken des Ostens ihre dauerhafte Verfügbarkeit zu sichern und damit –––––– 254

255

Vgl. die Paragraphen I.55 und I.56 (›Belles Lettres‹) und I.63–I.67 (›Polygraphie‹), S. 60–62, im Anm. 252 zitierten Handbuch deutscher historischer Buchbestände. Es liegt also nahe, daß die im Handbuch (S. 95, Paragraph 2.141) genannte Zahl von »ca. 8000 bibliographischen Einheiten« an »Gelegenheitsschriften« sich auf die Abteilung mit vorwiegend deutschen Drucken bezieht, unter denen sich selbstverständlich auch lateinische befinden, die lateinischen selbst aber an dieser Stelle nicht mit ausgezählt wurden. Wir vermöchten uns die offenkundige numerische Differenz im Blick auf unsere eigenen Ermittlungen anderweitig nicht zu erklären.

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beizutragen zur Linderung der Wunden, die drei Kriege geschlagen hatten, in denen das alte Europa ausgeblutet war. Numerisch die größte Anzahl an Gelegenheitsgedichten in der Petersburger Bibliothek rührten ganz eindeutig her aus der Ostseeregion. Hier bewährte sich ein alter geo- und kulturpolitischer Brückenschlag auch druckgeschichtlich neuerlich. Über Bremen, Hamburg, Lübeck, Rostock reichte die Kette der Zeugnisse hinauf bis nach Danzig, Elbing, Thorn und Königsberg. Wie sehr verwunderten wir uns schon seinerzeit, daß die baltischen Druckorte Riga und Mitau, Reval und Dorpat nicht darunter waren. Es bedurfte weiterer Besuche, um das Rätsel zu lösen. Diese Drucke stehen in der Rossica-Abteilung der Bibliothek.256 Ihre Beschreibung ist daher eingegangen in ein eigenes, dem Baltikum gewidmetes Buch. Hätte es aber noch eines Beweises bedurft, was an Schätzen die Bibliothek im eigenen politischen Einzugsbereich zusammenzubringen vermochte, die Drucke aus den ›Ostseeprovinzen‹ Rußlands hätten ihn überwältigend zu erbringen vermocht. Kenner wie Eduard Winkelmann bekannten schon in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, daß sie ihre bis heute maßgeblichen retrospektiven bibliographischen Ermittlungen mit Aussicht auf hinlängliche Vollständigkeit nicht hätten durchführen können, wenn ihnen die Schätze der Kaiserlichen Bibliothek in der Sektion der Baltika nicht verfügbar gewesen wären. Mit einem Wort – die Russische Nationalbibliothek ist eine der ganz wenigen Bibliotheken in Europa, in denen sich das Druckgeschehen und das literarische Leben des alten deutschen Sprachraums in seinem vornehmsten Medium, dem Gelegenheitsschrifttum, umfassend spiegelt. Königsberger Drucke in der Russischen Nationalbibliothek Der Name Königsbergs ist gefallen. Unsere Notizen, im Blick auf unser spezielles Thema neuerlich befragt, halten wiederholt während des Blätterns die zunehmend sich verdichtende Beobachtung fest: »Vermutlich aus keinem anderen Druckort so viele Kasualia wie aus Königsberg«. Eben diese Beobachtung hatte ja zu der Vermutung geführt, es sei aus der ›Festung Königsberg‹ herrührendes Schrifttum, das hier verwahrt würde. Nein, es war – so vermuten wir – unter den großen Bibliothekaren Korf und Walther, beide ausgestattet mit exzellenten Verbindungen nach Westeuropa und seinen großen Antiquariatshäusern, im 19. Jahrhundert ins Haus gekommen (wenn es nicht schon in der einzigartigen Bibliothek der Załuskys in Warschau vorhanden und 1795 nach St. Petersburg abtransportiert worden war) und hat–––––– 256

Vgl. die Paragraphen I.68–I.72 (S. 62 f.) im Anm. 252 zitierten Handbuch deutscher historischer Buchbestände.

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te die Zeiten der beiden Weltkriege wie die gesamte Bibliothek unbeschädigt überstanden.257 So also ist an dieser Stelle zu bekräftigen, was seinerzeit bereits angedeutet wurde, daß wir mit der Nationalbibliothek zu St. Petersburg eine exzellente Fundstätte aus Königsberg herrührender Drucke der Frühen Neuzeit auf dem Sektor des Kleinschrifttums besitzen. Ist sie reich an kasualem personalem Gelegenheitsschrifttum wie wiederum nur wenige sonst, so gilt diese Feststellung in ganz besonderem Maße für Königsberg. Das wird erst hervortreten, wenn die Titel im einzelnen erfaßt und womöglich über Microfiches allgemein zugänglich geworden sind. Eben dies ist Aufgabe des Osnabrücker Projekts. Auch andere untergegangene Bibliotheken wie Straßburg oder Hamburg werden davon eminent profitieren. Hier kann es uns nur um Königsberg und speziell um Simon Dach zu tun sein. Die Nationalbibliothek zu St. Petersburg ist in der Dach-Philologie und im weiteren Sinn der der Königsberger Dichter bislang nicht präsent. Weder Oesterley noch Ziesemer noch Müller-Blattau haben ihre Schätze der Aufmerksamkeit gewürdigt. Dünnhaupt führt sie in seinem Verzeichnis der konsultierten Bibliotheken sehr wohl auf, berücksichtigt sie de facto jedoch nicht. Das muß notgedrungen zu Fehlschlüssen führen und ist ein Verstoß gegen das ungeschriebene bibliographische Gesetz, demzufolge namhaft gemachte Bibliotheken komplett auszuschöpfen sind oder aber Hinweise über Grenzen der Nutzung erfolgen müssen. Entsprechend ist auch von uns sogleich eine Vorbemerkung vonnöten. Wir haben bei unseren Aufenthalten in St. Petersburg Dutzende von Königsberg-Drucken notiert. Zu keinem Zeitpunkt stand uns eine Zuarbeit im Blick auf eine zukünftige Dach-Bibliographie vor Augen. D.h., wir haben weder speziell nach Dach Ausschau gehalten noch von ihm herrührende Drucke, derer wir ansichtig wurden, notiert. Dieses letztere Versäumnis konnte behoben werden über eine Umfrageliste mit namhaften Autoren, die gleich im Anschluß an den ersten Aufenthalt im Herbst 1984 an die eingangs erwähnte Saltykov-Shchedrin-Bibliothek ging und postwendend gewissenhaft beantwortet wurde. 14 Einzeldrucke Simon Dachs waren zu ermitteln. Hinzu traten aus dem 18. Jahrhundert eine Auswahlausgabe, erschienen 1724 in Rostock, sowie aus dem 19. Jahrhundert die beiden Oesterleyschen Ausgaben. Das also sind die 17 Dach-Drucke, die neuerdings nun auch im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa Erwähnung finden.258 Es scheint uns ein Gebot philologischer und bibliographischer Ehrenpflicht, diese 14 Einzeldrucke aus der Nationalbibliothek St. Petersburg erstmals bekannt zu geben. Und das um so mehr, als –––––– 257

258

Zu Walther vgl. Paragraph I.66 und I.67 (S. 62) des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände; zu Korf Paragraph I.19 ff., S. 52. Das ›goldene Zeitalter‹ der Bibliothek wird auf seinen Eintritt in die Bibliothek im Jahr 1849 datiert. S. 90, Paragraph 2.116; die Ausgabe aus dem 18. Jahrhundert nicht spezifiziert.

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selbstverständlich auch die große Petersburger Bibliothek mit Überraschungen aufwarten, also Unikate und in einem Fall gar einen unbekannten Erstdruck birgt. Aus dem Jahr 1639 liegt das frühe Gedicht Dachs zum Aufbruch des Hofstaats nach Ortelsburg ins ›Galinder Land‹ vor, woselbst man den polnischen König Władysław IV. erwartete. Ziesemer – stets am stärksten, wenn es um Kommentare zu Personen oder Sachen geht – belehrt den Benutzer seiner Ausgabe darüber, daß es sich um die »altpreußische Landschaft Galindien im Süden Ostpreußens« handelt, »(heute meist Masuren genannt), in ihr liegt Ortelsburg.«259 Ziesemer entnehmen wir auch, daß ihm nur die Fassung aus der Handschrift des Königsberger Staatsarchivs bekannt war sowie die Abdrucke im zweiten Teil der Albertschen Arien und später in der Chur = Brandenburgischen Rose. Einen Einzeldruck kannte er ebensowenig wie sonst einer der Dach-Bibliographen. Eine Titelangabe, wie sie Dünnhaupt bietet (Nr. 183), kann daher nur aus einer sekundären Quelle geschöpft sein, hier eben der Rose, was selbstverständlich auszuweisen wäre. Der Zusatz »Erstdruck in Heinrich Albert, Arien II (1640), Nr. 8« war in jedem Fall gewagt und ist fortan nicht mehr gültig. St. Petersburg besitzt den Erstdruck und darf sich bis auf weiteres eines Unikats rühmen.260 Reich ist auch die Ausbeute an weiteren selbständigen und frühen Zuschriften Dachs an das Kurfürstliche Haus aus dem Jahr 1638. Nur aus London kannte Ziesemer (II, 383, Nr. 106) die Huldigung anläßlich des Besuchs von Georg Wilhelm in der Königsberger Universität, der in einem Musicalischen Auffzug gefeiert wurde. Dünnhaupt (Nr. 161) vermochte einen Erlanger Druck hinzuzufügen. St. Petersburg ist gleichfalls im Besitz des Erstdrucks. Für das große Empfangs-Gedicht Dachs aus Anlaß des Einzugs von Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm am 23. November 1638 in Königsberg vermochte Ziesemer (II, 383, Nr. 105) gar keinen Einzeldruck beizubringen. Er mußte sich mit einem Abdruck aus der Rose behelfen (II, 146– 155); eine grundsätzlich mißliche Situation. Dünnhaupt (Nr. 164.I) konnte inzwischen ein Exemplar aus Tübingen nachweisen. Ziesemer jedoch hätte auch in St. Petersburg fündig werden können. Unbekannt ist ein weiteres vierseitiges Gedicht auf Georg Wilhelm aus dem Jahr 1638, das näherer Beschreibung harrt.261 –––––– 259 260

261

Ziesemer II, 383, Nr. 108. Signaturen vermögen wir für St. Petersburg nicht anzugeben; sie wurden auf der Umfrageliste nicht mitgeteilt und im nachhinein aus Zeitgründen vor Ort nicht mehr recherchiert. Hinzu treten die folgenden selbständigen Trauergedichte Dachs: Eine – bislang unbekannte – Schuldige Trew für Konrad von Burgsdorff aus dem Jahr 1646, eine Klag = vnd Trost = Schrifft für Regina Rösenkirch aus dem Jahr 1648 (Oesterley Nr. 495;

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Das aber sind natürlich nicht alle Dach-Titel, über die die Nationalbibliothek verfügt. Noch gar nicht in den Blick getreten ist bislang der Beiträger Simon Dach. Er verbirgt sich in den zumeist aus Königsberg herrührenden Sammelschriften. Wir haben sie seinerzeit gewiß in der Mehrzahl in der Hand gehabt, aber nur ausnahmsweise notiert. Mit zufälligen Befunden ist jedoch niemandem gedient. Der gesamte Bestand an deutschen und neulateinischen Gelegenheitsgedichten muß zunächst einmal verzeichnet und auf Beiträger hin erschlossen sein, bevor auch die Präsenz Dachs in ihnen definitiv festgestellt werden kann. Das ist eine Aufgabe für die Zukunft. Die Nationalbibliothek zu St. Petersburg steht unter den zwanzig im Osten zu bearbeitenden Bibliotheken seit Beginn auf dem Programm des Osnabrücker Personalschrifttum-Projekts. So muß an dieser Stelle der Verweis vorerst genügen. Natürlich hegen wir im Blick auf jede der ausgewählten Bibliotheken die Hoffnung, daß sich bislang unbekannte Titel gerade auch von bekannten Autoren unter den Beiträgen verbergen. Nur selten wird diese Hoffnung enttäuscht. Es wäre bemerkenswert, wenn es sich in der Bibliothek mit dem reichsten Altdruck-Aufkommen aus Westeuropa in Rußland anders verhalten sollte. Die Akademiebibliothek als Sammelzentrale deutscher Bücher nach 1945 Mit der zweiten großen historischen Bibliothek vor Ort kommen wir zu unserem Thema im engeren Sinn zurück, das die ersten fünf Kapitel dieses zweiten Teils unserer Abhandlung durchzieht: der Verbleib aus Königsberg herrührender Bücher mit Gedichten des Königsberger Dichterkreises und speziell Simon Dachs. Es ist die Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg. Sie wurde als erste Staatliche Bibliothek Rußlands im Jahr 1714 gegründet, ist also entschieden älter als die Natio–––––– Ziesemer III, 483, Nr. 152; Dünnhaupt Nr. 541), eine Letzte Pflicht für Johannes Behm aus dem gleichen Jahr (Oesterley Nr. 668; Ziesemer III, 484 f., Nr. 165; Dünnhaupt Nr. 559), ein Ehrenklang für Michael Friese aus dem Jahr 1651 (Oesterley Nr. 623; Ziesemer III, 497, Nr. 247; Dünnhaupt Nr. 729), ein Trost zum Tode von Barbara Bierwolff aus dem gleichen Jahr (Oesterley Nr. 936; Ziesemer III, 501, Nr. 266; Dünnhaupt Nr. 755), eine Trostschrift für Christoph Tinctorius anläßlich des Todes einer Tochter aus dem Jahr 1652 (Oesterley Nr. 799; Ziesemer IV, 537, Nr. 31; Dünnhaupt Nr. 820), ein Ehren = Gedächtniß für Coelestin Myslenta aus dem Jahr 1653 (Oesterley Nr. 262; Ziesemer IV, 545, Nr. 66; Dünnhaupt Nr. 871.II) sowie aus dem gleichen Jahr ein Trost = Liedchen für Friedrich Pöpping (Oesterley Nr. 336; Ziesemer IV, 547, Nr. 81; Dünnhaupt Nr. 898) und eine Klage für Daniel Beckher (Oesterley Nr. 981; Ziesemer IV, 549, Nr. 89; Dünnhaupt Nr. 906.I), zu guter letzt eine – nochmals unbekannte – Gedanck = vnd Trost = Schrifft für Martin Sigismund Truchzeu(?) aus dem Jahr 1656.

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nalbibliothek.262 Auch in dieser Eigenschaft war sie dazu prädestiniert, daß ihre ohnehin reichen deutschen und westeuropäischen Bestände durch ›Trophäen‹ ergänzt würden. Diese sind durchweg in die ›Handschriften- und Rara-Abteilung‹ gelangt, die eigens 1992 geschaffen wurde. Unter den heute namhaft gemachten 35.655 bibliographischen Einheiten aus dem deutschen Sprachraum, die diese Abteilung verwahrt, dürfte die Mehrheit aus Beständen deutscher Bibliotheken herrühren. Der Eintrag im Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa hält diesen Sachverhalt in wünschenswerter Deutlichkeit fest, auch wenn die Provenienzbestimmungen noch nicht so weit fortgeschritten sind, daß bereits genaue numerische Größenordnungen gegeben werden könnten. Die Rara-Abteilung mit ihren westeuropäischen Drucken war auch Auffangbecken für Bücher aus Deutschland, insbesondere den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Eine große Anzahl von Drucken stammten aus Königsberger Bibliotheken wie der Universitätsbibliothek und der Stadtbibliothek, vor allem Sammelbände mit Personalschriften und Gelegenheitsgedichten, aber auch aus Sachsen oder Elbing [Elbląg]. Das personale Gelegenheitsschrifttum wird z.Z. systematisch von der Forschungsstelle zur Literatur der Frühen Neuzeit unter Leitung von Klaus Garber in einem Katalog erschlossen.263

Der Eintrag von Elena Alekseevna Saveljeva und Natalja Michajlovna Baženova dürfte erkennen lassen, daß zwischen der russischen und der deutschen Forschungseinrichtung und ihren Leitungen enge Beziehungen bestehen. Sie gehen zurück auf den ersten Besuch im Jahr 1984. Während in Moskau, wo die Reisen stets angetreten wurden, zwar Dresden als Fundort in der LeninBibliothek sogleich hervortrat, nicht aber Königsberg, war die Dominanz Königsberger Bücher in der Akademiebibliothek zu St. Petersburg mühelos erkennbar. Wenn es eine konkurrierende Provenienz gab, so führte sie tatsächlich, wie im Handbuch angegeben, nach »Sachsen«. Es waren ungezählte Sammelbände aus der von Gersdorffschen Bibliothek zu Baruth, die auf den Tisch kamen und inzwischen – auf unseren Wink hin – einen Liebhaber und Interessenten gefunden haben, der sich des näheren um ihre Erschließung bemüht.264 Auch über Bücher aus der untergegangenen Elbinger Stadtbiblio–––––– 262

263 264

Vgl. den – freilich unvergleichlich viel knapperen – Eintrag im Bd. VIII/1 des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände (Anm. 252), S. 155–164, mit der Literatur S. 163 f. Ebd., S. 160 f., Paragraph 2.38 In unseren Berichten an die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde seit 1984 auf die Existenz der von Gersdorffschen Bibliothek in St. Petersburg hingewiesen. Vgl. auch die Kurzcharakteristik in: Königsberger Bücher in Polen, Litauen und Rußland (Anm. 252), S. 57 f. bzw. S. 252 f. Vgl. auch den schönen Beitrag zu einer anderweitigen Sammlerfigur des weiterverzweigten Geschlechts von Walter Schmitz: Der Bü-

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thek konnte 1984 bereits berichtet und in diesem Zusammenhang der vermutlich einzig dastehende Zamehl-Sammelband vorgestellt werden.265 Wir schätzen uns glücklich, die seinerzeitigen Recherchen inzwischen bestätigt zu sehen und dürfen, nachdem die Umrisse im Allgemeinen in hinlänglicher Deutlichkeit sich abzeichnen und in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft für den Gesamtbestand an Personalschriften sich konkretisieren, ins Detail gehen und erstmals zusammenhängend über unsere auf das Jahr 1984 datierenden Funde aus dem Umkreis des Königsberger Dichterkreises mit Simon Dach im Zentrum berichten. Der Sammelband D 435 (W) In Vilnius sind wir bei unserer Suche nach Gedichten von Simon Dach in der Abteilung ›D‹ der Wallenrodtschen Bibliothek in zwei Sammelbänden vorwiegend mit Leichenpredigten fündig geworden. Schon vorher waren uns gleich bei unserem ersten Besuch im seinerzeitigen Leningrad mehrere Bände zu Gesicht gekommen, die ebenfalls aus dieser Abteilung mit dem einschlägigen Zusatz ›(W)‹ stammten. Es handelte sich durchgehend um Sammelbände, ebenfalls zumeist mit Leichenpredigten angefüllt. In einem dieser Bände mit der alten Signatur D 435 (W) verbarg sich wiederum auch Simon Dach. Ziesemer hat den Band in der Hand gehabt. Es ist der letzte aus der Gruppe ›D‹, den er erwähnt. Sofern sie Dach-Drucke enthielten und von Ziesemer verarbeitet wurden, sind sie damit alle fortan der Dach-Philologie wieder verfügbar. Im vorliegenden Fall entnahm er dem Band D 435 (W) Titel von Dach, die er nur an dieser Stelle in Königsberg vorfand. Dem Band kommt also neuerlich große Bedeutung zu. Dünnhaupt verlegt alle von Ziesemer erwähnten Wallenrodiana großzügig nach Vilnius. So auch Stücke aus diesem Band. Die Information ist also gleich doppelt falsch. Der Band gehört nach St. Petersburg. Und streng genommen entstammt er nicht, wie bei Dünnhaupt stereotyp zu lesen »ex Königsberg UB«, sondern eben der Wallenrodtschen Bibliothek. Penibilität gehört zu den vornehmsten Tugenden des Bibliographen. Insgesamt 27 Stücke enthält der Band nach Ausweis des Bibliothekars, der vermutlich in der Wallenrodtschen Bibliothek wirkte. Die Bibliothekare in St. Petersburg haben eine etwas differenziertere Zählung vorgenommen, ––––––

265

chersammler Hans von Gersdorff (1630–1692) und seine Bibliothek.- In: Regionaler Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internet. Festschrift für Klaus Garber. Hrsg. von Axel E. Walter.- Amsterdam, New York, Rodopi 2005 (= Chloe; 16), S. 797–824. Die Signatur des Sammelbandes, der hier leider nicht eingehender präsentiert werden kann: 9846q./27796–27819 R.

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wie aus der heutigen Signatur erkennbar (726q./9316–9358). Das braucht uns nicht zu beschweren. Uns ist es um die Koinzidenz mit den Ziesemerschen Angaben zu tun, die übereinstimmen mit den bibliothekarischen der Vorkriegszeit. Die Herkunft aus der Wallenrodtschen Bibliothek ist übrigens auch an dem Exlibris im Band wieder leicht zu erkennen. Auf dem Einband aus Schweinsleder ist noch ein weiterer Vermerk, nun von alter und womöglich Wallenrodtscher Hand, erkennbar: »Standes-Persohnen. Leich-Predigten.« Man vermutet also nicht unbedingt, in einem solchen Band auch auf selbständige Verfasserschriften zu stoßen, rechnet allenfalls mit Epicedien im Anhang zu Leichenpredigten. Es gehört jedoch zu den Eigenheiten vieler Sammelbände, daß sie mit einer bestimmten Schrifttumssorte beginnen und später unvermittelt zu andersgearteten übergehen. In der Wallenrodtschen Bibliothek gibt es immer wieder Sammelbände, die mit Leichenpredigten anheben, dann aber Gelegenheitsgedichte bieten. Sie sind gewiß bevorzugt Trauerfällen gewidmet, jedoch keineswegs ausschließlich. So auch im vorliegenden Fall. Der Band setzt ein mit Trauerschriften zum Tod von Gustav Adolf. Es folgen Leichenpredigten auf Mitglieder oder Bedienstete des Kurfürstlichen Hauses, die alle in Königsberg um die Mitte des 17. Jahrhunderts – zumeist bei Reusner – zum Druck gelangten. Dann setzt eine Folge von poetischen Trauerschriften ein, der Adressatenkreis wechselt und alsbald ist Dach dabei. ›Klage = Thränen‹ werden Elisabeth Gräfin von Wetzhausen anläßlich des Todes ihres Mannes Albrecht von Schlieben, ›Obristen = Leutnandt‹ in Diensten des Königs von Polen und Schweden, in den Mund gelegt, der sich seiner mit einer ›Antwort‹ revanchiert, worauf sie nochmals poetisch repliziert. Wir kennen den Verfasser nicht, wissen nicht, ob es der gleiche ist, der anschließend ›Ein schön Geistlich Lied/ Von der Eitelkeit dieses Lebens‹ zum gleichen Anlaß beisteuert und mit den Initialen ›H.B.‹ zeichnet, oder ob sich hinter dem Anonymus womöglich ›Sebastian Dietrich von Lehndorff/ ErbHerr auff Kelchen‹ verbirgt, der gleichfalls ein paar Strophen darbietet. Sicher ist nur, daß Simon Dach sich an diesem Spiel nicht beteiligte. Er ist im gleich folgenden Stück (Nr. 17) am 16. August 1656 anläßlich der Beerdigung von Albrecht von Schlieben mit einer seiner umfänglichsten poetischen Gedenkschriften zur Stelle.266 100 Strophen zu vier Versen in vierhebigen Jamben (abab) hat er aufgewandt, die Hoch = Wolgebohrne Fraw/ Fr. Elisabeth/ Truchsessinn/ Des Heil. Röm. Reichs = Gräffin von Wetzhausen/ in etwas auffzurichten. Sammelbände mit Stücken zum gleichen Anlaß von verschiedenen Verfassern fordern zum Vergleich heraus, nicht zuletzt, um den –––––– 266

Oesterley Nr. 53; Ziesemer IV, 566, Nr. 192; Dünnhaupt Nr. 1088 (mit falschem Vilnius-Verweis).

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erreichten Stand in der poetischen Verarbeitung von Anlässen im Medium der deutschen Sprache um die Mitte des 17. Jahrhunderts zu erkunden. Auch an dieser Stelle bietet sich Anlaß dazu, und dies um so mehr, als ein adeliger Verwandter der Witwe sich zu Wort meldet. Um solcher für die Literaturgeschichte ergiebiger Einsichten willen führen wir unsere Erhebungen durch. Es gehört zum Geschäft des Buchkundlers und Bibliographen, daß er selbst sich in aller Regel Zurückhaltung auferlegen muß. Bei anderer Gelegenheit, befreit von der unerläßlichen Arbeit an den Fundamenten, wird er um so lieber textentziffernd und kritisch tätig werden. Ob auch das folgende Trauergedicht Simon Dachs in den August des Jahres 1656 fällt? Auf dem Titelblatt ist keine Jahreszahl angegeben. Eine handschriftliche Notiz in der Berliner Dachsammlung, auf die schon Ziesemer aufmerksam machte, sowie die Plazierung des Stückes in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem voraufgegangenen sprechen dafür.267 Dünnhaupt versetzt das Stück wiederum nach Vilnius in die Akademiebibliothek, wo es vergeblich gesucht werden dürfte.268 Es ist einem besonders schmerzlichen Ereignis gewidmet. Der ›Referendar‹ seiner Königlichen Majestät zu Schweden Jeremias Beinstürtzer war kurz vor der Hochzeit mit der Tochter eines Königsberger Gewürzhändlers verstorben. Keine Rede also von »StandesPersohnen«. Dach hat denn auch nicht gezögert, einleitend das trügerische Wesen der ›Frau Welt‹ zu geißeln: O Du Betrug der Erden! O Welt voll Eitelkeit! Schön bist du von Geberden/ Jnwendig gram und Leid: Was ist in dir zu heben Rein ohn Verdacht der Noht? Wir greiffen nach dem Leben Vnd kriegen offt den Tod.

Umgekehrt hat er darauf verzichtet, sogleich die Gegenrechnung aufzumachen. Das Sterben des Mannes, der aus dem Witwerstand neuerlich in den des Bräutigams herüberwechseln sollte, war ebenso zu vergegenwärtigen wie der Schmerz der jungen Braut. Erst danach erfolgt wie stets die Spendung von Weltdeutung und in eins damit von Trost, wie er in allen Gedichten Dachs nur aus der metaphysischen Glaubensgewißheit zu gewinnen ist. Die Segnungen, die aus dem ›Unglück‹ herrühren, gilt es zu gewahren, und so –––––– 267

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Vgl. Ziesemer IV, 579, Nr. 267. Oesterley Nr. 651 kennt das Berliner Exemplar nicht. Vgl. Dünnhaupt Nr. 1092. Dünnhaupt übernimmt die Ziesemersche Datierung mit Verweis auf das Berliner Exemplar, unterläßt jedoch den Hinweis, daß Ziesemer diese wichtige Information zu verdanken ist.

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vermag die Begegnung mit ihm in der Jugend sich unversehens in ein Geschenk zu verwandeln, das es anzunehmen gilt. Es ist kein abstraktes. Dach weiß es den individuellen Bewandtnissen zu vermählen, die er dem Gang des Gedichts stets integriert. Er scheint als geistlicher Dichter so unerschöpflich wie sonst nur die Passionsmusik eines anderen Großen im Zeitalter des Barock, Johann Sebastian Bach. Wo immer man ihm begegnet, zufällig in einem alten Sammelwerk auf Bibliotheks-Tournee blätternd, erklingt seine Stimme über die Zeiten hinweg anrührend, sinn- und gedankenbefördernd. Es wird dir Vortheil bringen. Was in dem Alter muß Erst mit dem Vnglück ringen Dem ursacht es Verdruß/ Den keine Christen hegen/ Bey welchen ihre Pein Des Creutzes Sturm und Regen Sol Will und Liebe seyn. Du weist umb seine Gaben/ Vmb sein Gemüt und Kunst/ Vnd was ihn mehr erhaben Zu grosser Herren Gunst/ Wie er durch Eis und Eisen Sich offtmals fort gebracht/ Vnd wie er ihm mit Reisen Die Welt bekant gemacht. Deß Lieb bist du gewesen. Fehlt es an Kindern? nein/ Noch wardest du erlesen Sein liebstes Hertz zu seyn. Daß er dir wird genommen Führ darumb keinen Gram/ Dieß bringt dir Ehr und Frommen/ Er stirbt dein Bräutigam.269

Auch das folgende Trauergedicht Dachs datiert auf den August 1656 (Nr. 20).270 Es ist dem Tod eines Kindes gewidmet. Zu diesem Anlaß hat Dach gleichfalls immer wieder tätig werden müssen. Dann weiß er sich stets aufgerufen, »Die Hochbetrübten Eltern auffzurichten«. Und auch hier ist er um Modulation bemüht. Das individuelle Geschehen ist gerahmt von der Hoff–––––– 269

270

Auch die ›Preussische Nation‹ hat sich zu dem Anlaß vernehmen lassen. Drei deutsche Gedichte, darunter ein Sonett, folgen auf das Dachsche Trauergedicht in einem separaten Stück, auch dieses nicht datiert. Oesterley Nr. 879; Ziesemer IV, 566, Nr. 193; Dünnhaupt Nr. 1089 mit dem falschen Exemplar-Nachweis Vilnius.

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nung auf Frieden, dem auch die trauernden Eltern sich anheimstellen sollen, denn dann mögen dem verstorbenen Erstgeborenen weitere folgen, denen ein glücklicheres Los auf Erden beschieden sein wird. Doch auch das verstorbene Kind will vergegenwärtigt, sein Fortleben im Gedächtnis der schmerzensreichen Eltern im deutenden Wort ausgelegt und zugleich bewahrt sein. Wie gerne hätten die Eltern ihr Kind behalten, wenn es denn der Wille des Herrn gewesen wäre. Das macht daß er euch offt erfreut Durch seine süsse Wercklicheit Vnd Anmuht so die Kinder haben/ Voraus daß ihr bereit gespürt Den Geist der mercklich sich gerührt Jn seines Sinnes edlen Gaben.

Der Trost, den der Dichter bereit hält? Bedenckt wie wol ihm müsse seyn/ Er fühlt nun ewig keine Pein/ Was er hie nimmer können werden Das ist er dort/ schön/ herrlich/ reich/ Gesund/ gelehrt den Engeln gleich/ Vnd lacht der Eitelkeit der Erden. Vnd ist es gleich der eine Sohn. GOtt woll’ uns nur aus seinem Thron Den güldnen Friede wieder geben/ Vnd unserm Angstgeschrey Gehör/ Jhr sollt für einen zween und mehr Auff hocherfrewten Händen heben.

Die letzten Einfältigen Leich = Reime dieses Bandes aus der Feder von Simon Dach sind dem Tod der Gattin wiederum eines Gewürzhändlers in der Altstadt Königsberg gewidmet (Nr. 21).271 Den Dachschen Gedichten ist die Beschränkung auf das gelehrte Milieu fremd. Das mittelständische Bürgertum, in der Barockdichtung nur ausnahmsweise präsent, ist als Empfänger poetischer Gaben wie selbstverständlich gewürdigt. Der vergleichsweise enge Radius der Zirkulation bei unermüdlicher Produktion hat dazu geführt, daß ständische Schranken nicht existieren, die Meister wie Opitz sorgsam zu beachten pflegten. Wieder ist es der Verweis auf das allgemeine Unglück im gegenwärtigen Leid des Krieges, der als Grund des Trostes bemüht wird. Nur zwei Stätten bieten Sicherheit im allgemeinen Wüten, das Dach neuerlich geißelt. –––––– 271

Oesterley Nr. 378; Ziesemer IV, 565, Nr. 186; Dünnhaupt Nr. 1078 mit falschem Verweis auf Vilnius.

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Simon Dach

Das Grab birgt unsern Leichnam ein Der Himmel unsre Seelen.

Kein Gedicht aber, das nicht des jeweils Besonderen sich annähme. Alle sieben Kinder sind der Gattin und Mutter verstorben. Die Kinder/ die sie trug/ hat sie Nun alle sieben wieder.

Es ist diese stets genaue Bekanntschaft des Dichters mit den Lebensverhältnissen der bedichteten Personen, die einem jeden Gedicht sein nicht wiederholbares Gepräge verleiht und mitwirkt an der Überzeugungskraft, die den Dachschen Texten auf eine denkwürdige Weise eigen ist. Ihre Authentizität hat sie über die Zeiten hinweg lebendig gehalten. Damit ist die Sequenz Dachscher Gedichte beendet und der Sammler, der den Band zusammengestellt hat, fährt fort mit der Dokumentation von Leichenpredigten. Die dreißiger und vierziger sowie die sechziger und siebziger Jahre sind gleichermaßen vertreten. Ist es 1630 einmal Lorenz Segebade, der druckt, so sind es in den späteren Jahrzehnten üblicherweise die Reusners. Die letzte der Leichenpredigten ist Rosina von Wallenrodt gewidmet, der Tochter Martin von Wallenrodts und seiner Frau Rosina, geb. Freifrau von Eulenburg (Nr. 26). Sie schließt mit einem geistlichen Lied, das das junge Mädchen, »die Seel. Jungfr. Rosina von Wallenrodt in jhrem letzten gesungen.« Da hapert es auch im Jahr 1641 noch mit dem Versmaß, wir aber nehmen die in ihrer Art seltene Gabe aus dem Munde des Kindes gerne entgegen. JEsu/ der süsse Nahme dein/ Erquicket mir das Hertze mein Wann ich gantz trawrig worden bin/ Vnd mir dein Nahm nur kompt in Sinn So erfrewet sich wiederumb mein Hertz.

Ein Student der Theologie ergreift am Schluß das Wort, um der Mutter, die ihren Mann und ihre einzige Tochter verloren hat, Trost zuzusprechen. So gelangt ganz unversehens über ›Ein Klag vnd TrostGespräch der nunmehr seelig verstorbenen vnd in Gott ruhenden Hertzlieben Tochter mit jhrer vielgeliebten Fraw Mutter in dem sie jhr Hertzleid anfänget‹ sogar der Alexandriner in diesem Band nochmals zu Ehren. Was aber mochte den Sammler bewogen haben, einem einzigen Dichter, eben Simon Dach, wiederholt Aufnahme in den Band zu gewähren? Hatte er die Gedichte nur eben zur Hand? War er ein Verehrer seiner Kunst? Oder ließ er sich womöglich von dem Gedanken leiten, die Reihe der Leichenpredigten aufzulockern durch eingestreute Gedichte des berühmten Dichters?

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Ein vermutlich abwegiger und jedenfalls nicht verifizierbarer Gedanke. Uns hat der Kompilator mit einigen Juwelen beschenkt. Und der Band als ganzer wird ob seiner hauptsächlichen Materie, der Predigten, auch seine Leser und Benutzer wieder finden, die womöglich ihm anderes entnehmen möchten als stumm aufgereihte Daten nach fixen Kategorien von seiten der professionellen und auf die Gattung geeichten soziologischen Zunft. Wir schätzen uns glücklich, ihn dem Ensemble der Königsberger Drucke aus dem 17. Jahrhundert wieder zugesellen zu dürfen. Ein jeder Baustein trägt bei zur Rekonstruktion des Gebäudes, das allemal von den Wunden und Narben zeugen wird, und seien der Fundstücke im einzelnen noch so viele. Der Sammelband SS 40 (W) Wir verlassen damit die Sammelstelle ›D‹ der Wallenrodtschen Bibliothek, verbleiben aber in dem Einzugsbereich eben dieser. Die Akademiebibliotheken zu Vilnius und St. Petersburg sind die ergiebigsten Fundorte für Wallenrodiana. Wir wissen von Ziesemer, wie reichhaltig gerade diese Bibliothek mit Dachiana bestückt war. Also muß die Ausschau nach Dach und seinen Freunden hier besonders sorgfältig angelegt sein. Wir erinnern uns, daß es Bestandseinheiten mit den Signaturengruppen ›RR‹ und ›SS‹ waren, in denen sich Königsberger Gelegenheitsgedichte und von Musik begleitete Lieder in ungewöhnlicher Dichte zusammengefunden hatten. Mit einem solchen Wissen ausgestattet, pflegt man jedoch nicht auf Bibliotheksreisen zu gehen. Es formt sich erst sukzessive heraus. So mag es geschehen, daß dem Rechercheur vor Ort die herausragende Bedeutung eines Werkes oder Sammelbandes sogleich beim ersten Blättern bewußt wird, auch Zusammenhänge bereits erahnbar sind, das Bild vorerst jedoch fragmentarisch bleibt. Einer der ersten Bände, die 1984 in den kleinen Lesesaal der Altdruckabteilung gebracht wurden, war bestellt worden, weil er ganz offensichtlich nach Ausweis des Zettelkatalogs eine Folge Königsberger Drucke enthielt. Die in den Band eingelegte Nummernfolge bestätigte, daß mit mehr als 200 Titeln zu rechnen sei: 1278q/10864–11074. Eine erste Notiz hielt die Präsenz zahlreicher Gedichte der bekannten Königsberger Autoren fest, darunter zahllose lateinische einschl. von Einladungen zu akademischen Trauerfeierlichkeiten, und schloß mit der Frage, in welcher Form die lateinischen Beiträge Dachs in der Ziesemerschen Ausgabe verarbeitet seien. Immerhin wurde eine eigene Karte unter dem Stichwort ›DACH‹ angelegt, auf der sich auch dieser Sammelband als einer von drei einschlägigen aufgeführt fand. Hier nun war neben der nochmals aufgeführten neuen Signatur eine weitere notiert: ›SS 40 (W)‹, verbunden mit dem offensichtlich dem Band selbst entnommenen Zusatz ›204 Stück‹. Dazu der Vermerk: »Vor dem ersten

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Stück ein hs. lateinischer Eintrag unterz. ›Ernestus à Wallenrodt‹. Also eindeutig Provenienz Wallenrodtsche Bibliothek. Kaufpreis 100 Rubel. Also ist auch die Wallenrodtsche Bibliothek zerstreut.« Ende der Notiz im Jahr 1984. Das ist die Situation eines Bibliotheksreisenden, der in wenigen Tagen umfängliche Katalogrecherchen und eine erste Einsichtnahme in ungezählte Werke, darunter eben bevorzugt Sammelbände, zu bewerkstelligen hat. Die Hauptsache anläßlich solch erster und zumeist flüchtiger Begegnungen bleibt, daß eine Erinnerung an die Besonderheit des einen oder anderen Fundstücks sich eingeprägt hat. Dann ist die Gewähr gegeben, daß man zu erstbester Gelegenheit zurückkehrt, um eine vertiefte Inspektion vorzunehmen. Diese Gelegenheit kam im späten Herbst 1987. In der Zwischenzeit war dem Reisenden klar geworden, welch heiße Spur er da mit der Wiederentdeckung von Wallenrodiana aus Königsberg im seinerzeitigen Leningrad gefunden hatte. Fortan galten die Bemühungen gezielt dieser Bibliothek und ihrer möglichen Rekonstruktion. Entsprechend viel ausführlicher und ergiebiger sind die Notizen im Gefolge der zweiten Reise. Die Bemühung mußte zunächst der Entzifferung des Eintrags aus der Feder einer der Wallenrodts gelten: »Volumen hoc secundum tam intimationum quam Carminum Funebrium bibliothecae avitae insereri voluit Ernestus à Wallenrodt Tribunalis, quod in Borussia est, Consiliarius ac Assessor«. Es handelte sich also um den zweiten Band einer Reihe mit einer unbekannten Anzahl von Bänden. Sicher war nur, daß ein erster Band voranging. Handelte es sich um einen chronologischen oder thematischen Vorgänger? Diese sogleich gestellte Frage konnte erst viele Jahre später beantwortet werden. Zu dem Band SS 40 (W) in St. Petersburg mußte der Band SS 41 (W) in Vilnius treten. Und da ergab sich die Merkwürdigkeit, daß die Signatur SS 41 für den ersten Band der Folge, die Signatur SS 40 für den zweiten Band innerhalb ihrer vergeben worden war. Und dies nun in ganz offenkundigem Widerspruch zu der Verzeichnung im Moldenhauerschen Katalog aus den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Denn in ihm figuriert der uns vorliegende Band SS 40 unter der laufenden Nummer 278 sowie dem Eintrag »Jntimationum et carminum tam funebrium quam nuptialium Tom. II.« sachgemäß nach dem ersten, der in der Wallenrodtschen Bibliothek mit der Signatur SS 41 versehen worden war.272 Offensichtlich rührte die Verwirrung her von der ungenauen Bezeichnung des Inhalts durch den Katalogisator wie auch auf dem Rückenschild des Bandes in Vilnius. –––––– 272

Vgl. Walter: Die virtuelle Rekonstruktion (Anm. 206), S. 775 mit der Wiedergabe des entsprechenden Eintrags. Walter hat auch eine Beschreibung des Bandes vorgenommen; vgl. S. 766.

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Wir haben in Leningrad im Jahr 1984 also den zweiten Band einer Folge aufgetan, zu der später der erste in Vilnius trat. Der Katalog Moldenhauers belehrt uns, daß ihr im 18. Jahrhundert – und vermutlich bis 1945! – noch sechs weitere Sammelbände angehörten, die die Signaturen SS 42–SS 47 getragen haben dürften. Die Bände SS 45, SS 46, SS 47 sind zwischenzeitlich gleichfalls wieder aufgetaucht.273 Innerhalb eines Fragments also hat sich eine gerettete Eröffnungs- und Schlußsequenz herausgeformt. Gerade die bislang vermißte mittlere Folge SS 42–SS 44 ist jedoch, wie wir von Ziesemer wissen, im Gegensatz zu der abschließenden für die Dach-Philologie nochmals ergiebig gewesen. So bleibt das beglückende Ereignis der Wiederentdeckung ein von Schmerz begleitetes – die immer wiederkehrende Situation auf unseren Reisen die Jahrzehnte über. Der Band ist von alter Hand, möglicherweise derjenigen Ernst von Wallenrodts selbst, paginiert und von neuerer bibliothekarischer Hand durchnumeriert. 1227 Seiten sind ausgewiesen, ohne daß gewisse Unregelmäßigkeiten hier notiert werden sollen. Auf den letzten Blättern ist eine Paginierung nicht mehr vorhanden bzw. nicht mehr erkennbar. Die Numerierung der 204 Stücke erfolgt fortlaufend. Auch hier sollen die Differenzen zur Zählung der russischen Bibliothekare nicht thematisiert werden. Letztere weist, wie aus der Sammelsignatur erkennbar, 210 Stücke auf. Gelegentlich sind alte Signaturen bzw. Zählungen am unteren Rand der Titelseiten erkennbar. Das ist wie immer als Hinweis darauf zu werten, daß auch in diesen Band Teile älterer Sammlungen eingegangen sind, die in der Regel von vorangegangenen Sammlern stammen. Angesichts der Wanderbewegungen ist nur ausnahmsweise eine Identifizierung möglich. Dafür müßten die Gepflogenheiten der einzelnen Sammler bei der Auszeichnung bekannt und in einem Repertorium mit ihren Schriftzügen zusammengeführt sein. Über derartige Hilfsmittel verfügt die frühneuzeitliche Philologie jedoch nicht, und es muß fraglich bleiben, ob sie jemals noch zustande kommen werden. Für das Profil der großen Sammler und ihrer sammlerischen Bemühungen wären sie unschätzbar. Noch vor Einsatz der Sequenz sind zwei Blatt vorgebunden. Das eine trägt eine offenkundig mit dem Band keine Verwandtschaft aufweisende Notiz. Auf dem zweiten sind eine Reihe von Namen festgehalten, die gewiß dem Band entnommen wurden. Stobaeus, Roberthin, Behm befinden sich beispielsweise darunter. Der Rückseite des zweiten Blattes ist der oben zitierte Eintrag Wallenrodts anvertraut. Auch der Raum am Schluß wird für handschriftliche Beigaben und Notizen genutzt. Schon im vorletzten 203. Stück für Johann Albert von Rauschke auf Nadrau-Sergitten versucht sich –––––– 273

Ebd., S. 767, mit der Tabelle 2.

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ein Anonymus im Entwerfen von Schriftproben. Auf der Rückseite des letzten 204. Stücks, das überraschend im Jahr 1617 nach Braunschweig führt und dem Tod Dorotheas von Braunschweig-Lüneburg, der Gattin des schon 1592 verstorbenen Herzogs Wilhelm gewidmet ist, kehren sie wieder. Das vorletzte (siebte Blatt) ist gleichfalls für Notizen genutzt, während das letzte Blatt leer ist. Der erste Titel läßt sogleich das entscheidende Charakteristikum des Bandes erkennen. Der Sammler hat sich in einer selten anzutreffenden Intensität darum bemüht, der akademischen Einladungen für die Trauerfeierlichkeiten habhaft zu werden. Wo immer möglich, werden diese mit poetischen Trauerschriften zusammengeführt. Sie bilden sammlerisch wie sachlich eine Einheit. Der Zuwachs an erkenntnisstiftender Information aus dieser Duplizität ist schwerlich hoch genug zu veranschlagen. Sie hat ihre Parallele in der Trias von Leichenpredigt, Lebensgang und beigefügten Epicedien. Liefert die Intimatio vielfach die einzig überlieferten biographischen Informationen, so gibt sich in dem Kranz der Trauergedichte der Kreis der dem Verstorbenen bzw. der Verstorbenen zugetanen Personen zu erkennen. Hinter einem jeden Sammelband, der in dieser Weise mit poetischen und akademischen Huldigungen zugleich ausgestattet ist, steht allemal ein Sammler von Profession. Zu diesem Geschlecht gehören auch die Wallenrodts und insbesondere Ernst von Wallenrodt. Der Band ist chronologisch angelegt. Er umspannt die Jahre 1626 bis 1648. Am Schluß sind einige Nachträge untergebracht, der eine, wie erwähnt, bis 1617 zurückführend. Das erste Stück ist eine ›Intimatio Academica‹ für die verwitwete Elisabeth Behm und nachmalige Elisabeth Eiser, datiert auf den 9. März 1626. Die Behms waren ein illustres Geschlecht der Dreistädte-Stadt und insbesondere über den älteren Johannes und den jüngeren Michael Behm in der theologischen Fakultät mit der Universität verbunden.274 So lag eine akademische Ehrung nahe, in der diese Bezüge herausgestellt werden konnten. Trauergedichte sind mit der Intimatio in dem vorliegenden Band jedoch nicht verknüpft. Zu der nächsten Intimatio im gleichen Jahr für Daniel Halbach, Sohn des Diakons der Königsberger Altstadt Isaac Halbach, sind dann auch die dem Anlaß gewidmeten Trauergedichte überliefert, sechs an der Zahl, alle in lateinischer Sprache. Im nächsten Stück für Georg Mylius fehlt umgekehrt die Intimatio. Nur vier Blatt des Bogens B und zwei Blatt des Bogens C sind überliefert. Auf ihnen haben nicht weniger als 13 lateinische Trauergedichte Platz gefunden, darunter Beiträge mit illustren Namen aus der akademischen Zunft. Sodann schließen sich sechs weitere Intimationes aus den Jahren 1628 bis 1642 an, sie al–––––– 274

Vgl. APB I, 40 f. mit den entsprechenden Referenzen.

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le ohne nachfolgende Gedichte. Man ersieht daraus, daß die gleichzeitige Überlieferung von akademischer Einladung und poetischer Huldigung einen Glücksfall darstellt, der jeweils besonderer Registratur bedarf. Mit dem elften Stück aus dem Jahr 1642 setzt die deutschsprachige poetische Überlieferung ein. Christoph Kaldenbach ist der erste, der gleich mit zwei Trauergedichten zum selben Anlaß zu Wort kommt. Der Tod eines Sohnes des Pfarrers der deutschen Gemeinde zu Sackheim hat Kaldenbach zu zwei interessanten alttestamentarischen Rollengedichten inspiriert.275 Im folgenden Jahr verlor der offensichtlich beliebte Pfarrer Georg Neuschilling seinen gleichnamigen Sohn Hieronymus und im nachfolgenden seine Tochter Elisabeth. Nun hat sich ein aus Thüringen stammender Christoph von Lohen zu einem Rollengedicht anregen lassen, in dem das so früh verstorbene Kind seine Mutter anredet. Und auch das Trauergedicht für die Tochter stammt von ihm. Es ist verfaßt »Nach Anleitunge der Worte Hiobs am 14. Der Mensch vom Weibe gebohren etc.« Deutlich wird also, daß der ansonsten bislang als Poet unbekannte Adelige aus Thüringen seine Inventio mit hoher Wahrscheinlichkeit derjenigen seines berühmten Königsberger Vorgängers verdankt. Solche Filiationen sind nur über Sammelbände zu rekonstruieren. Und nur dieser Aspekt rechtfertigt die Abweichung vom Thema. Denn wir haben zurückzukehren zu Simon Dach. Und das geschieht, indem wir eine weitere Intimatio aus dem Jahr 1644 (Nr. 15) ebenso überspringen wie eine große lateinische poetische Huldigung von dem erwähnten Georg Neuschilling für den illustren Mediziner Rotger Hemsing, datiert auf den 8. Februar 1645, und mit Stück 17 vom 2. Juli des Jahres 1646 wieder zu unserem Protagonisten gelangen. Dach im Sammelband SS 40 (W) Mit einem Sammelband wie dem vorliegenden in der Hand ist sichergestellt, daß der philologischen Befassung mit einer jeden zu Rede stehenden Gattung oder Person ein Gewinn an Erkenntnis zufallen wird. So auch im Falle Simon Dachs. Der Band enthält 30 selbständige und vier unselbständige Beiträge von ihm. Die Anzahl der Gedichte selbst ist jedoch größer, weil –––––– 275

Vgl. Nr. 32 des Kaldenbach-Eintrags bei Dünnhaupt. Dünnhaupt kennt nur das zweite undatierte Stück, nicht die gesamte auf den 19. November 1642 datierte Verfasserschrift, obgleich er das Exemplar ›Leningrad AK (ex Königsberg UB)‹ erwähnt! Er zerstümmelt die wohlkomponierte Doppelfolge. Vgl. auch die Notiz zur Stelle von Axel E. Walter: Caldenbachiana in St. Petersburg – Ein Beitrag zur Bibliographie des Königsberger Dichterkreises.- In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 963–993, S. 978 f., Nr. 4. Hier S. 972 f. wiederum eine knappe Charakteristik des Bandes.

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Dach seiner Gepflogenheit entsprechend in Verfasserschriften auch in diesem Band – freilich nur ausnahmsweise – zweimal das Wort ergreift und dann gerne einmal in lateinischer und einmal in deutscher Sprache. Seine Verfasserschriften sind – von dieser Ausnahme abgesehen – alle auf deutsch verfaßt. Nur die beiden von Dach gezeichneten Einblattdrucke stehen im Lateinischen. Als Beiträger kommt er dagegen, von einer Ausnahme abgesehen, auf Latein zu Wort – Indiz dafür, daß er sich mit anderen im akademischen Milieu bewegt. Gerhard Dünnhaupt kennt alle 34 Titel. Sie alle sind stereotyp mit dem Besitznachweis ›Vilnius AK (ex Königsberg UB)‹ versehen. Dieser ist durchgängig unzutreffend. Dünnhaupt hat den ihm unbekannten Sammelband, den er offensichtlich nur aus der Ausgabe Ziesemers kennt, vermutlich aufgrund der dort ausgewiesenen Wallenrodtschen Provenienz nach Vilnius versetzt. Er wähnt die meisten aus Königsberg herrührenden Exemplare in Vilnius. Tatsächlich ist der Band aber nach St. Petersburg gelangt. Obgleich der Bibliograph ausdrücklich auf die dortige Akademiebibliothek rekurriert, fehlt der Petersburger Nachweis entsprechend durchgängig. Mit Sorge und einem gewissen Maß an Unverständnis muß das offenkundig allzu rasche und flüchtige Arbeitsverfahren konstatiert werden. Für alle 34 Stücke ist folglich eine Umgruppierung der Besitznachweise von Vilnius nach St. Petersburg vorzunehmen. Und wenn denn schon ein Zusatz – wie durchweg bei Dünnhaupt – erfolgen soll, so hat er korrekt zu lauten: ›ex Bibliotheca Wallenrodiana‹.276 Daß jeder der 34 Dachschen Titel zu Korrekturen bei Dünnhaupt nötigt, kann hier nur angedeutet werden. Dieser Sachverhalt gehört in eine neu anzulegende Dach-Bibliographie als Voraussetzung einer neuen Edition. Wir müssen uns wie immer auf einige signifikante Beobachtungen beschränken und tun dies in der Hoffnung, daß sie Dach-Kennern willkommen sind und den Prozeß der Erschließung seines Werkes befördern. Gleich das erste Stück im Band für Gertrud Montfort vom 2. Juli 1646 ist von älterer Hand annotiert und wiederholt mit einem ›NB‹ versehen –––––– 276

Diese Umwidmung betrifft die folgenden Nummern bei Dünnhaupt (in der fortlaufenden Folge des Bandes): 456, 460, 462, 463, 464, 477, 479, 485, 507, 531, 522, 495, 511, 487, 502, 513, 525, 524, 534, 535, 536, 549, 551, 552.2 (Verwechslung bei Dünnhaupt mit 552.1!), 554, 553, 557, 556, 558 (Es handelt sich um eine Fassung mit Noten, bei Dünnhaupt nicht erwähnt, da die bibliographische Angabe ohne Autopsie von Ziesemer übernommen wurde, der gleichfalls das Notenexemplar dieses Sammelbandes trotz Erwähnung eben dieses Exemplars nicht ausweist!), 559, 560, 561, 568 (ohne Nachweise des lateinischen Beitrags), 570. Die einzigen in diesem Zusammenhang erfolgenden Nachweise für die Nummern 567.1. und 567.3 ›Leningrad AK (ex Königsberg UB)‹ sind unzutreffend. Vgl. unseren Kommentar unten!

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(Nr. 17).277 Dabei ist die Tinte ausgelaufen, so daß der Druck Schaden genommen hat. Es bedarf keines Wortes, daß solche Benutzerspuren in einer Bibliographie und Edition zu berücksichtigen sind. Bislang erfährt man darüber in den Dach gewidmeten Editionen und bibliographischen Hilfsmitteln jedoch nichts. Ziesemer hat darauf verzichtet, das jeweilige Exemplar anzugeben, nachdem er seinen Neudruck veranstaltete. Entsprechend entfallen Angaben zu Provenienzen und selbstverständlich auch zu Annotationen. Eine Synopsis annotierter Dach-Exemplare gehört gleichfalls zu den künftigen Aufgaben. Unterstreichungen von offensichtlich alter Hand sind ebenfalls zu beobachten. Hier ist ein speziell auf Dach erpichter Kenner am Werk gewesen. Als der Professor für griechische Sprache Matthäus Reimer 1646 stirbt, vereinigt sich die akademische Gemeinschaft zur Bezeugung von Ehre und Trauer. Der Einladungsschrift (Nr. 21) folgt ein Kranz lateinischer Trauergedichte der Professoren (Nr. 22). Zehn Gedichte stehen zusammen, eröffnet von zwei Beiträgen der beiden Theologen Johannes Behm und Coelestin Myslenta. Die Reihenfolge der Fakultäten ist also beachtet. Der achte Beitrag stammt von Dach.278 Er ist mit zwanzig Distichen nicht nur der längste, sondern auch der einzige, der Unterstreichungen aufweist. Der gleiche Sachverhalt ist in dem – nun an erster Stelle stehenden – lateinischen Beitrag Dachs für Stephan Koch aus Rostock zu beobachten (Nr. 36).279 Nach einem Creütz = vnd Trost = Liedchen Aus dem 19. Verse Des 94. Psalms von Dach (Nr. 25)280 folgt sogleich am nächsten Tag Dachs berühmtes Klag = –––––– 277

278 279

280

Oesterley Nr. 558; Ziesemer III, 476, Nr. 115 (mit unzutreffendem Zusatz »7«, statt richtig »17«); Dünnhaupt Nr. 456. Oesterley Nr. 1072; Ziesemer IV, 513, Nr. 48; Dünnhaupt Nr. 462. Oesterley Nr. 1119; Ziesemer IV, 513, Nr. 49; Dünnhaupt Nr. 477 (alle mit falschem Incipit; ›arte‹ statt richtig ›arce‹). Eine Unterstreichung auch in Nr. 38, einer Verfasserschrift! (Oesterley Nr. 54; Ziesemer III, 478, Nr. 124; Dünnhaupt Nr. 479. Alle mit fehlerhaftem Incipit; Dünnhaupt zudem mit falschem Verweis auf Oesterley). Voller Unterstreichungen und einem Strich an der Seite auch Nr. 51 als Verfasserschrift (Oesterley Nr. 507; Ziesemer III, 480, Nr. 136; Dünnhaupt Nr. 507; alle mit fehlerhaftem Incipit). Unterstreichungen und Kreuze (die sich doch wohl nur auf Zeilen beziehen) auch in Nr. 53 (Oesterley Nr. 698, Ziesemer III, 481 f., Nr. 145; Dünnhaupt Nr. 531; Oesterley mit systembedingtem, Ziesemer und Dünnhaupt mit inkorrektem Incipit). Nr. 82 [die Ziffer im Band offensichtlich doppelt vergeben] wiederum Annotationen und Kreuzchen (Oesterley Nr. 628, Ziesemer III, 480, Nr. 135; Dünnhaupt Nr. 502). Unerklärlich ist der Sachverhalt, daß in Nr. 100 sowohl das Titelblatt als auch die beiden ersten der fünf Strophen durchgestrichen sind (Oesterley Nr. 846; Ziesemer III, 481, Nr. 144; Dünnhaupt Nr. 524 (nur hier korrektes Titelincipit)). Reichhaltige Annotation wiederum in Nr. 106; die beiden letzten Zeilen durchgekreuzt (Oesterley Nr. 731; Ziesemer III, 482, Nr. 148 (fehlerhaftes Titelincipit); Dünnhaupt Nr. 534 (fehlerhaftes Titelincipit)). Etc. Oesterley Nr. 229; Ziesemer III, 477, Nr. 117; Dünnhaupt Nr. 463.

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Lied auf den Tod Meines gewesenen lieben vnd werthen Freundes. 1646. 14. Herbstm.281 Wieder gewinnt das Gedicht auf Stobaeus in dem Sammelband eine in allen Dach-Ausgaben nicht kenntliche besondere Position dadurch, daß ihm sogleich eine Memoria Stobaeana Valentini Thilonis Proposita 1646 folgt.282 Sie nun wird eröffnet (nach dem Titelkupfer mit Sarkopharg) mit dem berühmten Porträt des Stobaeus von Johann Herman aus dem Jahr 1642, wie es im ersten Teil der Preussischen Fest-Lieder bei Bodenhausen in Elbing 1642 zu betrachten ist.283 Hier ist es mit einer Umschrift versehen: »Iohannes Stobaevs Grvdentinvs Borvssvs Aetatis Svae LXII.« Es zeigt den großen Komponisten also vier Jahre vor seinem Tod. Auch dies ist dem Porträt selbst noch zu entnehmen, denn die Lebensdaten sind ihm nachträglich eingraviert worden: »Natus Anno 1580. die 6. Julij. Obijt Anno 1646. die jj. Sept.« Darunter haben drei Distichen von Georg Lothus Platz gefunden. In dieser Form also ist es nur im Kontext der Trauerschrift überliefert. Sofern denn überhaupt Nachweise des Porträts existieren – im Singerschen Porträtkatalog etwa ist es ebensowenig nachgewiesen wie im Wolfenbütteler Bestandsverzeichnis – wird dieser Besonderheit natürlich nicht gedacht. Sie erschließt sich nur über den Sammelband. Die Lavdatio Thilos selbst, dem Kapellmeister des polnischen und schwedischen Königs Marco Scacchi gewidmet, dürfte neben der in dem Band nicht enthaltenen Leichenrede die früheste zeitgenössische Äußerung über Stobaeus darstellen. Am Ende der Rede ist die Einladung Thilos für die akademische Trauerfeierlichkeit plaziert. Mitabgedruckt auf einem freien Blatt des vier Quartbogen umfassenden Werkes wurde eine vierstimmige ›Laus Dei‹.284 Einhalten möchten wir sodann, da ja nur einzelne Akzente gesetzt werden können, bei den Funeralia anläßlich des Todes von Robert Roberthin. –––––– 281

282

283

284

Oesterley Nr. 705; Ziesemer III, 477, Nr. 119 (fälschlich als Nr. 27 des Bandes ausgewiesen); Dünnhaupt Nr. 464 (fälschlich auf den 15. September datiert). Vgl. dazu die – wie gewohnt, ungemein gehaltvolle – Miszelle von Robert Eitner in: Monatshefte für Musik-Geschichte 3 (1871), S. 130 f. Eitner bezieht sich auf einen Druck in einem Sammelband der Königlichen Bibliothek zu Berlin mit dem Text Thilos – leider ohne Angabe einer Signatur. Die Auswertung der ›Leichenrede‹ auf Stobaeus aus einem zweiten Band (Nr. 116) mit ›Intimationes funebres‹ aus der Königlichen und Universitätsbibliothek Königsberg – gleichfalls ohne Angabe einer Signatur – bei L.H. Fischer: Biographisches über Johann Stobaeus.- In: Monatshefte für Musik-Geschichte 15 (1883), S. 67–69. Auch hier die Erwähnung der Memoria Stobaeana von Thilo mit dem unten näher beschriebenen Porträt. Da es sich um das Stück 116b des Sammelbandes handelt, kann es nicht unserem Sammelband entnommen sein, den Eitner und Fischer nicht erwähnen. Vgl. MGG XII (1965), Sp. 1362–1365, Sp. 1363; Thieme-Becker XVI (1923), S. 498, Nr. 12. Sie wird am Schluß von Thilos Rede als ein letztes Werk des Stobaeus erwähnt.

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Man weiß, welche Bedeutung der Tod des Freundes für Dach besaß. Die ihm verbleibenden Lebensjahre waren umschattet von diesem Verlust. Kein bekanntes und eingeführtes bibliographisches Hilfsmittel gibt uns Kenntnis von der sechs Blatt umfassenden Einladungsschrift des Rektors und Senats der Academia Regiomontana zur akademischen Trauerfeierlichkeit. Sie trägt keinen Namen, dürfte aber von Thilo herrühren. In unserem Band wird die Roberthin gewidmete Sequenz von Trauerschriften ordnungsgemäß mit der Intimatio eröffnet (Nr. 132). Wiederum dürfte sie die erste Quelle für die Lebensgeschichte des Verewigten darstellen. Sie ist am Rande mehrfach mit Anstreichungen versehen. Dann folgt Dachs berühmte achtstrophige Christliche Todes = Errinnerung [...] H. Robert Roberthins/ [...] Auff dessen Begehren schon vor etzlichen Jahren geschrieben.285 Sie ist also bereits zu Lebzeiten Roberthins verfaßt worden und Dach in Gestalt eines Rollengedichts zu einem bleibenden Zeugnis großer geistlicher Dichtung des 17. Jahrhunderts geraten. JCh bin ja/ HErr/ in deiner Macht/ Du hast mich an dieß Licht gebracht/ Du unterhältst mir auch das Leben/ Du kennest meiner Monden = Zahl Weist wenn ich diesem Jammerthal Auch wieder gutte Nacht mus geben/ Wo/ wie und wann ich sterben soll Das weist du/ Vater/ mehr als woll.

So hebt das Gedicht an. Seine musikalische Fassung durch Heinrich Albert kann man in dem Band der Wallenrodts nicht studieren. Sie war ihnen offensichtlich nicht mehr greifbar. In anderen sammlerischen Kontexten hatte sie sich erhalten.286 Statt dessen folgt eine sechsstrophige eigenständige Verfasserschrift eines nur durch die Initialen ›C.L.‹ sich zu erkennen gebenden –––––– 285

286

Oesterley Nr. 436; Ziesemer III, 484, Nr. 160; Dünnhaupt Nr. 552.I, mit fehlender Zeilen-Brechung nach ›Des‹ in der dritten Zeile und dem unzutreffenden Hinweis »dieser Druck fehlt bei Ziesemer«. Ziesemer kennt im Gegenteil neben einem – bei Dünnhaupt nicht erwähnten – Breslauer und einem – bei Dünnhaupt erwähnten – Berliner Exemplar (Yi 851 R, Nr. 109) eben dieses uns vorliegende Exemplar aus Königsberg. Der Dünnhauptsche Nachweis für Vilnius ist unzutreffend und vermutlich eben nur aus der Angabe Ziesemer III, 484 Nr. 160 ›SS 40 (W)‹ erschlossen. Ziesemer seinerseits hatte versäumt, einen Einzeldruck nachzuweisen, und sich mit einem Verweis auf die musikalische Version im siebten Teil der Arien begnügt. Sie befand sich als 13. Stück in dem bislang noch nicht wieder aufgetauchten Sammelband Pa 128 4° der SuUB Königsberg. Vgl. Müller-Blattau: Die musikalischen Schätze (Anm. 105), S. 84, Nr. 12.

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Dichters. Daran schließt sich ein von Dach verfaßtes Epitaph in Gestalt eines Folio-Einblattdruckes an.287 Ziesemer hat es im Anhang seiner Edition der Dachschen Trauerschriften neugedruckt. Obgleich nur fünf Distichen umfassend, ist der offensichtlich nach unserem Exemplar erfolgte Abdruck nicht fehlerfrei bzw. unzulässig modernisiert.288 Wie in allen Fällen der Ziesemerschen Edition ist dementsprechend ein Rückgang zu den Erstdrucken – sofern noch möglich – erforderlich. Ein weiterer lateinischer Einblattdruck von Siegismund von Weier, Professor der Historie und vormaliger Rektor der Universität, schließt sich an.289 Dann hat Dach erneut das Wort. Unter Nr. 137 ist seine große, 35 Strophen umfassende Bittere Klage auf den Tod Roberthins plaziert.290 Auf dem Titelblatt hat er vier Distichen ›Ad pios manes Defuncti‹ untergebracht, in denen – wie in dem Epitaph – bezeichnenderweise die antiken mythologischen Reminiszenzen bemüht werden, von denen das große deutsche Gedicht so gut wie gänzlich freigehalten wird.291 Doch auch damit nicht genug, hat der Sammler noch ein weiteres lateinisches Epitaph – wiederum in einem Einblattdruck – beibringen können, das von Rektor Stephan Müller herrührt (Nr. 138). Auch dieses ist bislang nirgendwo erwähnt. Eine solche Sequenz aus einem ergiebigen Sammelband im Blick, wird der Fachmann stets Ausschau zu halten haben, ob andere Sammler weiteres personenkundliches Material zu finden und an einer Stelle zu vereinigen vermochten. Daß der Sammler keineswegs die Integration von Musikalien in seinen Sammelband verschmähte, zeigen auch die folgenden Dach-Drucke. Zum Tod des Kanzlei-Verwandten Georg Blum im April 1648 legt Dach ein strophisch wie versifikatorisch auffallend abwechslungsreiches Gedicht vor (Nr. 140).292 Es hebt ungewöhnlich beschwingt an: –––––– 287

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Oesterley Nr. 1031 mit Verweis auf das vorliegende Exemplar aus der Wallenrodtschen Bibliothek; Ziesemer IV, 514 f., Nr. 59, mit Abdruck des Textes; Dünnhaupt Nr. 554 ohne Kenntnis des St. Petersburger Exemplars aus Königsberg, das neuerlich fälschlich nach Vilnius versetzt wird. Zeile 2: ›Quidquid‹ statt ›Quicquid‹. Zeile 6: ›Viros,‹ statt ›Viros.‹ Die von Ziesemer zum Namen Dachs hinzugesetzte Jahreszahl ›1648‹ ist dem Impressum des Drucks entnommen. Der Rückverweis am Ort auf Ziesemer III, Nr. 100 f. ist fehlerhaft. Er muß lauten: III, 160 f. Vgl. Arnoldt II, 106. Oesterley Nr. 39; Ziesemer III, 484, Nr. 161; Dünnhaupt Nr. 553 mit falscher Exemplar-Angabe für Vilnius. Vgl. Oesterley Nr. 1215. Erwähnung auch bei Dünnhaupt Nr. 553. Abdruck des lateinischen Textes bei Ziesemer III, 207, Nr. 161 (fälschlich mit Punkt nach ›Defuncti‹). Oesterley Nr. 27; Ziesemer III, 484, Nr. 163; Dünnhaupt Nr. 557 (mit falschem Verweis auf Vilnius).

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ALso weichen Vnd verbleichen Meine gutten Freünde mir/ Diese wandern Nach den andern Vnd verlassen mich alhier/ Auch Herr Blum eilt jhnen nach Jn sein liebes Grab = Gemach.

Mit Strophe acht und neun wechselt Dach zum jambischen Vierheber, um die letzten fünf Strophen im jambischen Dreiheber zu gestalten. Die gleiche Varietät ist dem Reimschema eigen. Der Dichter hat sodann zum gleichen Anlaß nochmals zur Feder gegriffen, nun aber, um sich mit seinem Freund und Kollegen Heinrich Albert zu einem fünfstimmigen Lied zu vereinen.293 Alle fünf Stimmen werden unter stets wiederholtem Obertitel und unter jeweiliger Nennung der beiden Autoren abgedruckt. Benutzerspuren sind sowohl beim Text als auch bei den Noten erkennbar. Das Stück ist in den siebenten Band der Albertschen Arien eingegangen. Man darf gespannt sein, ob es sich auf unserer Wanderung ein weiteres Mal als Einzeldruck findet. Zum Tode von Catharina Pöpping, Gattin des Altstädtischen Ratsverwandten Friedrich Pöpping, hat sich Dach im gleichen Monat mit Johann Weichmann vereinigt. Wieder liegt im Anschluß an die Intimatio die fünfstimmige Sequenz komplett vor (Nr. 146).294 Ein Ereignis von hohem gesellschaftlichem Rang stellte der Tod des großen Theologen Johannes Behm im Jahre 1648 dar. Er hatte es vermocht, sich sukzessive aus dem Fahrwasser der lutherischen Scharfmacher zu befreien (worüber er in heftige Fehde mit deren Anführer Coelestin Myslenta geriet) und sich dem Calixtschen Gedankengut zu öffnen, wie es sein Sohn Michael eindrucksvoll zusammen mit Christian Dreier in Königsberg vertreten sollte.295 Wir wenden uns dem Ereignis wieder ausschließlich aus Gründen der Bemühung um die Stellung der Figur Dachs und seines poetischen Werkes im Gefüge der Huldigungs- und Memorial-Szenarien zu. Es ist dieser im weitesten Sinn morphologische Aspekt, wie er stets nur über Sammelschriften erkennbar wird und als solcher gleichermaßen in die Zuständig–––––– 293

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Oesterley Nr. 834; Ziesemer III, 484, Nr. 162; Dünnhaupt Nr. 556 (mit falschem Verweis auf Vilnius). Oesterley Nr. 30 (ohne Verweis auf die Musikfassung und ohne Kenntnis des Wallenrodtschen Exemplars); Ziesemer III, 484, Nr. 164 (mit Verweis auf das vorliegende Exemplar, jedoch ohne Hinweis auf die Vertonung); Dünnhaupt Nr. 558 (mit falschem Verweis auf Vilnius und ohne Kenntnis der Musik-Version). Vgl. zuletzt Thomas Kaufmann: Theologische Auseinandersetzungen an der Universität Königsberg im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit (Anm. 1), S. 243–318, S. 310 ff.

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keit des Bibliographen wie des Editoren fällt, der uns interessiert und in die Dach-Philologie Eingang finden sollte. Den Anfang macht die sechs Quartblatt umfassende und annotierte Einladungsschrift (Nr. 147). Dann folgen Lachrymae [...] Fortissimi Orthodoxias Assertoris Fvsae Ab Amicis. Rektor Michael Eifler eröffnet den Reigen mit sechs lateinischen Distichen. Der Dekan der Juristischen Fakultät wagt sich mit einem großen deutschen Alexandrinergedicht hervor. Es folgt eine Reihe weiterer lateinischer Gedichte aus dem Umkreis von Universität, Konsistorium und Kirche sowie von poetischen Zuschriften, für die nicht aus Königsberg stammende Verfasser zeichnen. Nur ein deutsches Gedicht ist noch darunter, verfaßt von ›Michael Throntke/ Theosophiae Studios.‹ Die Erwartung, daß Dach sich beteiligen könnte, wird nicht erfüllt. Er hat es sich vorbehalten, eine große eigene Verfasserschrift beizusteuern, Rang und Selbstanspruch wie Würde des Anlasses und Größe des Verstorbenen derart gleichermaßen unterstreichend (Nr. 149).296 41 sechszeilige Strophen in vierhebigen Jamben und zwölf lateinische Distichen widmet er dem Ereignis, integriert also gleichermaßen die neue volkssprachige Huldigung sowie die eingeführte akademische im Lateinischen in einem Werk und steht in dieser Kombination einzig dar, und zwar gleichermaßen zu diesem Anlaß speziell wie in dem Sammelband generell. Welche Stellung Behm innehatte, wird daraus erkennbar, daß sich nicht weniger als fünf akademische nationes anschließen. Doch auch damit nicht genug. Am Schluß der Sequenz kommt nochmals Dach zu Wort mit einem lateinischen Einblattdruck. Oesterley, Ziesemer und Dünnhaupt verzeichnen ihn.297 Gedruckt ist er seither nicht wieder. Der funerale Reigen zu dem hohen Anlaß aber, so viel dürfen wir abschließend feststellen, ist auch formaliter weitestmöglich ausgeschöpft, Dach beteiligt sich maßgeblich daran und der Sammelband bezeugt dies. Als dann der Bruder Christoph Behm, Altstädtischer Gerichts-Verwandter, im Mai 1648 stirbt, laden Rektor und Senat ein (Nr. 175) – und nun ist nur Dach mit einem großen Trauergedicht vertreten (Nr. 176).298 Ob noch weitere Schriften zustande kamen, vermögen wir nicht zu sagen. Unser Band bezeugt solche nicht. Wie wohlbedacht und abgestuft Dach operiert, geht aus dem vorletzten Beitrag hervor. Zum Tode des aus Livland stammenden und auf dem Kneiphof als Kaufmann wirkenden Röttger von Tieffenbrock hat der Sammler wieder eine Sequenz zu bilden vermocht (Nr. 186 ff.). Der –––––– 296

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Oesterley Nr. 668; Ziesemer III, 484 f., Nr. 165; Dünnhaupt Nr. 559 (mit falschem Verweis auf Vilnius). Der lateinische Beitrag Oesterley Nr. 1081; Ziesemer IV, 515, Nr. 60; Dünnhaupt Nr. 559. Vgl. Oesterley Nr. 1164; Ziesemer IV, 515, Nr. 61; Dünnhaupt Nr. 560 (mit dem obligatorischen falschen Vilnius-Verweis). Vgl. Oesterley Nr. 505; Ziesemer III, 485, Nr. 166; Dünnhaupt Nr. 561 (...).

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vier Blatt umfassenden Einladung folgt zunächst eine Ehren Gedächtnüs Seule [...] Von seinen Herrn Landesleuten aufgerichtet/ und zu drukken angeordnet. Ein Student der Theologie aus Livland sowie die Rigaer Vinzent Fuchs und Johann Benckendorf lassen sich mit deutschen und lateinischen Beiträgen vernehmen. Aus Königsberg kommen in einem Liebes und Ehren = Gedächtnis nur der Königliche Sekretär Rotger zum Bergen in einem vierzeiligen Epitaph und Dach in einem zehnstrophigen deutschen Gedicht zusammen (Nr. 188).299 Dach hat also auf eine eigene Verfasserschrift verzichtet. Sein einziger deutschsprachiger Beitrag in diesem Sammelband behauptet indes de facto diese Funktion. Ein weiterer Beitrag Dachs zu dem Ereignis fehlt in diesem Band ebenso wie eine musikalische Version im Zusammenwirken mit Albert.300 Dafür bietet der Band abschließend noch ein deutschsprachiges anonymes Gemeinschaftsgedicht der ›Chur und Lieffländischen Nation‹. Beschließen wir unsere kleine Revue mit dem letzten Dach-Gedicht dieses Bandes. Er gilt dem Diakon der Altstädter Gemeinde Isaac Halbach. Senat und Rektor entbieten die Einladung. Dann bezeugen ›Fautores, Collegae & Amici‹ ihre Lacrymae – angeführt von Michael Eifler und alle im Latein verharrend. Ein weiterer Lvctvs [...] Ab amicis & cognatis vereinigt nochmals drei lateinische Gedichte. Dach behält sich am 5. Brachmonat die eigenständige deutschsprachige Verfasserschrift vor (Nr. 193).301 Keineswegs die gesamte deutsche und lateinische lyrische Ernte Dachs in der Gattung des Trauerschrifttums ist in dem kurzen Zeitraum zwischen dem 2. Juli 1646 und dem 5. Juni 1648 in den Sammelband eingegangen. Doch ist sie reich. Und sie ist in zahlreichen Fällen in einem gewiß einzigartigem Umfeld plaziert, so daß auch dieser Band in Zukunft aus der Dach-Philologie nicht mehr wegzudenken sein dürfte. Wir sind glücklich, ihn gerettet zu wissen. Der Sammelband H.B.S.5 aus der Königsberger Stadtbibliothek Die größte Überraschung haben wir uns für den Schluß unseres Berichts über Simon Dach in St. Petersburg vorbehalten. Diese Plazierung ist jedoch weniger der Freude an der Pointe geschuldet als einem fälligen Wechsel in der bibliothekarischen Szenerie. Wir verlassen nämlich an dieser Stelle die Wallenrodtsche Bibliothek, die uns bislang als das wichtigste Reservoir für Dach-Drucke diente, und wechseln erstmals zur Stadtbibliothek Königsberg herüber. Wir können es nicht hindern, daß uns dieses Kleinod der Königsberger Bibliothekslandschaft besonders anrührt, vermutlich weil die Stadtbi–––––– 299

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Oesterley Nr. 358; Ziesemer III, 485, Nr. 171; Dünnhaupt Nr. 568 (...). Alle drei Bibliographen ohne Erwähnung des lateinischen Beitrags Rotgers zum Bergen. Vgl. Dünnhaupt Nr. 567.1–3. Nr. 1 und 3 für Leningrad nachgewiesen. Oesterley 649; Ziesemer III, 486, Nr. 172; Dünnhaupt Nr. 570 (...).

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bliothek mitsamt der alten Universität spurlos vom Erdboden verschwunden ist. Daß auch von ihren Altbeständen sehr viel mehr gerettet wurde als im allgemeinen Bewußtsein gegenwärtig, wird unser Bericht bezeugen. Aber die rekonstruktiven Bemühungen standen die Jahrzehnte über hinter denen um das Staatsarchiv und die Staats- und Universitätsbibliothek zurück. Jedem Fund und jedem Baustein zur Vergegenwärtigung ihrer Vorkriegs-Physiognomie kommt somit eine besondere Bedeutung zu. Daß jedoch niemand – außer aus dem Kreis der Osnabrücker Schülerschaft – der vielleicht doch eindrucksvollsten Dach-Zimelie Aufmerksamkeit geschenkt hat, die wir besitzen, nimmt Wunder und zeigt zur Genüge, wie es um die Philologie dieses Großen der deutschen Literatur in praxi bestellt ist. Wir sprechen von dem oben schon eingeführten Band ›H.B. S 5‹ und lüften damit also das Rätsel, ob er sich denn wohl erhalten habe. Er ist es, wurde 1984 von uns in der Akademiebibliothek zu St. Petersburg aufgefunden und sogleich in die Sicherheitsverfilmung genommen. Daß erst so spät eingehendere Kunde gegeben werden kann, ist den vielen Verpflichtungen geschuldet, wie sie immer neue Bibliotheksreisen und nicht zuletzt darauf basierende große Drittmittelprojekte mit sich bringen. Doch Grundlagenforschung ist unabhängig von den schnell wechselnden Moden der Zeit. So mag die Verspätung gelassener hinzunehmen sein. Noch viele Entdeckungen und Lesefrüchte langer Reisen im alten Europa der Mitte und des Ostens harren der Bekanntmachung. Und auch wir möchten teilnehmen an der darstellerischen Erschließung und Vergegenwärtigung von Texten – und besonders gerne bislang unbekannter oder selten behandelter. Der voluminöse Quart-Lederband trägt ein kaum noch lesbares Rückenschild, möglicherweise lautend ›Carmina Var. Sim. Dachii & Chr. Kaldenbachii‹. Von der Signatur auf dem Rücken ist nur noch ein ›S‹ erkennbar. Die weiteren Informationen liefern Eintragungen auf dem vorderen Innendeckel des Bandes. Hier findet man eine vermutlich alte Bandzählung, lautend auf die Nummer ›386‹. Darunter steht von neuerer bibliothekarischer Hand mit Bleistift der zweizeilige Eintrag ›H.B. | S. 5. 4°‹. Nach dem Krieg ist die neue St. Petersburger Signatur hinzugefügt worden: 10816q./31953– 32093 R. Wollten wir also einer kühnen Spekulation einen Moment lang Raum geben, so würde sie lauten, daß wir womöglich den 386. Band aus der Bibliothek des Heinrich Bartsch vor uns hätten. Nichts aber vermöchten wir zur Stütze einer solchen Annahme beizubringen. Daß es einen Gelehrten wie Ziesemer nicht gereizt hat, einen Band dieses Kalibers näher zu inspizieren und aus dem reichen Schatz seines Wissens und seiner Erfahrung heraus zu charakterisieren sowie auf seine Herkunft und Überlieferung hin zu befragen, bleibt uns ein nicht auflösbares Rätsel. Er schöpft schließlich doch unentwegt aus ihm.

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Auf dem ersten Vorsatzblatt erfolgt von alter Hand eine pauschale Charakteristik des Inhalts. Der Sammler verbirgt sich hinter Initialen. Es müßte Ziesemer ein leichtes gewesen sein, ihn zu identifizieren. Keiner der Königsberger Bibliothekare hat jedoch eine Ergänzung vorgenommen. Und wir wagen keinerlei Vermutung. Lauteten die Initialen ›J.J.Q.‹, wir würden auf den ersten Präsidenten der ›Deutschen Gesellschaft‹ zu Königsberg Johann Jakob Quandt schließen. Aber so? Der Eintrag lautet: »Simon Dachens; | Profeß: der Dichtk. | zu Königsb: | Begräbniß = Gedichte, nebst Zweÿen Hochzeits carminibus; | wie auch | einigen Leichen = Gedichten | Christoph Kaldenbachs; | gesammlet | von | J.J.S. | 1757.« Wer immer der glückliche Besitzer gewesen sein mag – selbstverständlich hat auch er auf Vorbesitz zurückgegriffen. Dafür werden sogleich Indizien namhaft gemacht werden können. Womit wiederum nicht mehr angedeutet sein soll als eben dies, daß der zitierte Sammler-Vermerk eine etwaige Herkunft z.B. aus der Bibliothek von Vater und Sohn Heinrich Bartsch keineswegs ausschließt. Sodann folgt ein acht Blatt umfassender handschriftlicher Vorspann, auf dem der Inhalt – wohl durch den Sammler – Stück für Stück aufgeführt ist. Wir geben nur Überschrift und Zwischenüberschriften und einige zusätzliche Informationen. Die Überschrift lautet: ›Verzeichniß der in diesem Bande enthaltenen Gedichte.‹ Es wird sogleich eröffnet mit einer ersten Rubrik: ›1 Simon Dachen Gedichte‹. 94 Titel werden in chronologischer Reihenfolge (von zwei Ausreißern am Anfang abgesehen) aufgeführt. Auf Blatt 6r folgt eine weitere Abteilung: ›II Anhang von S. Dachen Leichen = Gedichten.‹ Sie umfaßt wiederum chronologisch die Nummern 95–114. Nr 113 birgt zwei Titel. Die Nummer 114 verweist pauschal auf ›Gedichte auf Sim: Dachens Absterben.‹ Auf Blatt 7v unten folgt die dritte Abteilung: ›III Christoph Kaldenbachs Leichen-Gedichte.‹ Das sind die Stücke 115–129. Die Nummer 127 umfaßt wieder zwei Titel. Eine neuere bibliothekarische Zählung aus der Vorkriegszeit weist 141 Stücke aus. Der Band trägt keinen Stempel der Stadtbibliothek. Die Zuweisung ist also nur über Ziesemer gewährleistet, der fast alle Dach-Titel auch dieses Bandes in den Anhängen seiner Edition ausweist. Auf dem Innendeckel am Schluß ist der Preis der Erwerbung notiert: 65 Rubel. Wir vermögen uns nur schwer vorzustellen, daß alle diese Bände, die doch schließlich von Suchtrupps aufgespürt worden sein dürften, über den Antiquariatsmarkt gegangen sein sollen. Womöglich handelt es sich um eine Schutz- und TarnungsMaßnahme. Für uns ist allein entscheidend, daß er die Kriegsfurie überstanden hat. Es gibt keinen zweiten Band aus der Stadtbibliothek Königsbergs, der für die Dach-Philologie eine auch nur entfernt ähnliche Bedeutung besessen haben dürfte. Gerhart Dünnhaupt kennt den Band nicht. Es fehlen also neuerlich fast 100 Besitznachweise für St. Petersburg. Wir können selbst-

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verständlich die einzelnen Stücke nicht aufführen und müssen uns auf eine generelle Charakteristik beschränken. Alles andere ist Aufgabe einer erneuerten Dach-Bibliographie. Der Band hat eine gänzlich andere Physiognomie als die uns von den Wallenrodts her bekannte. Der Sammler hat nicht versucht, um einen Anlaß herum möglichst viele Zeugnisse zu gruppieren. Er sammelt strikt autorenbezogen, d.h. ausgerichtet auf Dach und am Rande auf Kaldenbach. Entsprechend fehlen anderweitige Trauergedichte. Auch sind sie in keinem Fall begleitet von Einladungen. Es handelt sich durchweg um Verfasserschriften. Titel, in denen Dach nur als Beiträger figuriert, kamen ihm nur ausnahmsweise zu Gesicht oder wurden als nicht sammlungswürdig erachtet. In jedem Fall ist älteres Sammlungsgut in den Band eingegangen. Die einzelnen Stükke sind von alter Hand durchnumeriert. Und zwar befinden sich die Ziffern am unteren Rand des jeweiligen Titelblatts. Sie wurden bei der Bindung offensichtlich beschnitten und dann darüber vielleicht von der gleichen Hand wiederholt. Wieder ist unklar, wer die Ziffern vergab. Zumindest spricht bis zum Einsatz fachkundiger Forschungen nichts dagegen, auch an die Bartschs als Urheber zu denken. Rechts oben auf dem Titelblatt stehen die jüngeren bibliothekarischen Numerierungen. Mit Stück 25 geht die Koinzidenz von alter und neuer Zählung verloren, weil der Bibliothekar den Einblattdruck Nr. 24 nicht mitzählt. Es muß also ordnungsgemäß eine doppelte Bezifferung für die Einzelstücke vergeben werden, wie von uns praktiziert.302 Sonstige Benutzerspuren haben wir nicht ausmachen können. Musikalien sind in dem Band nur für Nr. 42/41 vom 13. März 1653 enthalten, herrührend vom Kantor der Altstadt Georg Hucke.303 Das erste Stück weist Simon Dach als Verfasser aus, ist jedoch auf das Jahr 1665 datiert, dürfte also von dem Sohn stammen.304 Es ist ein Epitha–––––– 302 303

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Ziesemer führt stets nur die neuere Nummer auf. Vgl. Oesterley Nr. 67 (mit Verweis auf ›Königsb.-stadtbibl.‹ ohne Angabe einer Signatur); Ziesemer IV, 542 f., Nr. 56 (mit Angabe nur dieses vorliegenden Exemplars und Abdruck eines verwandten Gedichts aus der Handschrift Rhed 25a zu Breslau). Dünnhaupt (Nr. 860) kennt den Druck nur von Oesterley und Ziesemer, vermag selbst keinen Exemplarnachweis beizubringen. Es handelt sich bis auf weiteres um ein Unikat. Das Gedicht setzt sich aus einem lateinischen Beitrag und einem deutschen Alexandrinergedicht zusammen. Es folgt ein Gespräch Apollos mit den Musen und wird beschlossen durch einen ›Chor der Musen‹. Der Titel: Schuldige Auffwartung/ Bey der erwünschten und liebreichen Heyraht/ Deß WolEhrenvesten/ GroßAchtbahren und Hochgelahrten Herrn Friedrich Pöppings/ Und der aller Ehr = und Tugendreichen Jungfrauen Anna gebohrnen Nauwerkin/ Poetisch erwiesen von Simon Dachen. Königsberg. Gedruckt durch Sr. Churfl. Durchl. zu Brand. und Dero Acad. wolbestalten Buchdr. Johann Reusner. 1665. Oesterley verzeichnet den lateinischen Bei-

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lamium genauso wie das zweite Stück, das auf den 18. November 1658 datiert ist und nun von dem Vater gedichtet wurde.305 Der Sammler hat diese verschiedene Provenienz nicht erkannt und bei der Erwähnung der beiden ›Hochzeits carminibus‹ entsprechend nicht ausgewiesen. Es sind die beiden einzigen Epithalamia des Bandes. Sodann erfolgt der Sprung zurück in die frühen fünfziger Jahre. Titel Nr. 3 ist auf den 14. März 1650 datiert. Es handelt sich wie bei allen folgenden Stücken bis Nr. 90/89 um ein Trauergedicht. Der Band schließt also beinahe nahtlos an den soeben besprochenen aus der Wallenrodtschen Bibliothek an, der Gedichte der Jahre 1646 bis 1648 vereinigte. Der Band aus der Stadtbibliothek führt bis zum 30. Brachmonat 1654. Dann erfolgt mit Stück 64/63 aus unbekannten Gründen ein Sprung in das Jahr 1657. Das zeitlich letzte Stück Nr. 90/89 stammt aus dem Januar 1659. Es ist – soweit bislang zu sehen – Dachs letzte Veröffentlichung zu Lebzeiten.306 Wir hatten sie seinerzeit oben vermißt. Jetzt tritt sie uns entgegen. Der Sammler hat sich offenkundig nur für den deutschsprachigen Dichter Simon Dach interessiert. Die Ausbeute an lateinischen Titeln oder Gedichten ist verschwindend gering. In Nr. 31/30 vom August 1652 liegt ein Trauergedicht Dachs vor, in dem auf den deutschen Beitrag ein lateinischer folgt.307 In Nr. 81/80 folgt umgekehrt auf einen lateinischen ein deutscher, dem sich Stephan Gorlovius noch mit einem lateinischen Sechszeiler anschließt.308 In Nr. 58/57 gibt Dach ein sechszeiliges Motto aus Senecas Hercules Oetaeus.309 In Nr. 64/63 folgen auf einen deutschen Beitrag Dachs in ––––––

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trag (Nr. 1139) mit Verweis auf einen Druck in der ›Königlichen Deutschen Gesellschaft‹ zu Königsberg. Die Incipita der deutschen Gedichte fehlen, möglich also, daß ihm ein Einzeldruck vorlag. Die Verfasserfrage wird nicht diskutiert. Ziesemer und Dünnhaupt verzeichnen den Titel nicht. Insbesondere die Handhabung des Alexandriners dürfte auf Verfasserschaft durch den Sohn hinweisen. Oesterley Nr. 384; Ziesemer II, 382, Nr. 102; Dünnhaupt Nr. 1206. Oesterley Nr. 873; Ziesemer IV, 579, Nr. 264; Dünnhaupt Nr. 1209. Die numerische Verteilung über die Jahre: Mit Nr. 12 Einsatz 1651, mit Nr. 20 1652, mit Nr. 39/38 1653, mit Nr. 57/56 1654, mit Nr. 64/63 Sprung in das Jahr 1657, mit Nr. 73/72 Übergang zu 1658, mit Nr. 90/89 zu 1659, das einzige und letzte Stück dieser Folge, dann erfolgt Nr. 91/90 ein Sprung zurück zu 1651. Dieses Stück ist nirgendwo nachweisbar. Oesterley Nr. 975 und 1227; Ziesemer IV, 535, Nr. 22 und IV, 521, Nr. 87; Dünnhaupt Nr. 811. Oesterley Nr. 299 und Nr. 1250; Ziesemer IV, 576, Nr. 271; Dünnhaupt Nr. 1187. Ziesemer ist der einzige, der den lateinischen Beitrag des Gorlovius erwähnt und damit die Sammelschrift in ihrer Ganzheit kenntlich macht. Bei Dünnhaupt hat diese Vorarbeit keine Spur hinterlassen. Oesterley Nr. 980; Ziesemer IV, 552, Nr. 113; Dünnhaupt Nr. 936. Das Motto bei keinem der Bibliographen erwähnt.

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einer unter lateinischem Sammeltitel angekündigten Trauerschrift ein deutscher und ein lateinischer Beitrag – wiederum von Gorlovius – sowie wenigstens zwei weitere lateinische Gedichte.310 Ob es mehr ist als ein Zufall, daß ausgerechnet diese Beiträgerschrift inkomplett vorliegt? In jedem Fall bleibt der Autor Simonius Dachius Latinus die schlechthinnige Ausnahme in diesem Band. Und eine Ausnahme stellt es auch dar, wenn sich in einer ausdrücklich mit Dachs Namen verbundenen Verfasserschrift einmal ein zweiter Beiträger zu Wort meldet, wie etwa in Nr. 34/33 oder in Nr. 53/52.311 Dünnhaupt vermerkt solche Besonderheiten nur ausnahmsweise. Entsprechend fehlt auch bei den beiden erwähnten Stücken ein entsprechender Hinweis, obgleich im zweiten Fall doch kein Geringerer als Rotger zum Bergen ein lateinisches ›Epitaphiolum‹ beisteuert. Eine veränderte Situation ergibt sich mit Nr. 91/90 und folgenden. Jetzt löst sich die vorher wohlbeachtete chronologische Folge auf, und es kommt zu mehreren kleinen Sequenzen, teilweise begleitet von einem neuen Zuschnitt der Titel. Wir müssen also notgedrungen ins einzelne gehen. Das erste Stück der neuen Folge (Nr. 91/90) rührt her vom 23. August 1651. Es stellt in unseren Augen eine kleine Sensation dar. Es ist nicht nur unbekannt, sondern es repräsentiert zugleich einen für Dach bislang unbekannten Gattungstypus, dem vermutlich seinerseits eine singuläre Stellung in seinem Werkcorpus zukommt. Es handelt sich um ein Amicum alloquium in Gestalt einer sechs Quartseiten unfassenden lateinischen Prosaschrift, in der Dach den ›Amicum & Fautorem meum magnum‹ anredet und ihm Trost angesichts des Verlusts seiner Ehefrau zuspricht. Der Witwer Johann Sand (1606–1654) war eine hochgestellte Persönlichkeit als Sekretär des Hochadeligen Hofgerichts in Preußen. In seinem Todesjahr heiratete er erneut, und auch diesen Anlaß beging Dach in einem deutschsprachigen Hochzeitsgedicht.312 Es ist schwer verständlich, daß Ziesemer es sich entgehen ließ, –––––– 310

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Oesterley Nr. 841; Ziesemer IV, 568, Nr. 205; Dünnhaupt Nr. 1105. Nur Ziesemer macht das lateinische Umfeld wieder kenntlich. Die beiden lateinischen Gedichte von Andreas Ottho und Christoph Tartzsch fehlen im vorliegenden Exemplar. Der Kustos ›Ad‹ findet keinen Anschluß. – In Nr. 78/77 findet sich ein lateinisches Motto auf dem Titelblatt. Vgl. Oesterley Nr. 257; Ziesemer IV, 576, Nr. 248; Dünnhaupt Nr. 1181 (mit falscher Datierung auf den 4. statt den 19. Mai). Das Motto zitiert bei Ziesemer und von Dünnhaupt fälschlicherweise zum Kurztitel gezogen. Oesterley Nr. 741; Ziesemer IV, 536 f., Nr. 27 (mit Hinweis auf den Beitrag des Bruders der Verstorbenen und biographischen Angaben!); Dünnhaupt Nr. 816 (ohne Erwähnung des Beitrags von Christian Reimer). Und: Oesterley Nr. 981; Ziesemer IV, 549, Nr. 89 (gleichfalls ohne Vermerk des lateinischen Beitrags Rotgers zum Bergen); Dünnhaupt Nr. 906.I. Oesterley Nr. 582; Ziesemer II, 368, Nr. 24; Dünnhaupt Nr. 956. Bei Ziesemer die einschlägigen Informationen zu Johann Sand.

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diese vermutlich unikate ›Prosaconsolatio‹ in die leider allzu schmale Abteilung ›Lateinische Prosa‹ seiner Edition mit aufzunehmen. Zumindest ein Hinweis im Kommentar zum späteren Hochzeitsgedicht hätte nicht fehlen dürfen. Wir behalten uns eine weitere Behandlung und nähere Charakteristik dieses schönen Fundes vor. Die beiden folgenden Stücke aus den Jahren 1651 und 1652 sind lateinische funerale Einblattdrucke Dachs. Der erste gilt dem Tod der beiden Söhne Christoph und Johann. Dach hat die memoriae dulcissimis suis filiis in Gestalt von neun Distichen mit der ergreifenden Schlußwendung herausgehen lassen: »non tam doloris quam futurae spei plenus posuit SIMON DACHIVS Poës. Prof. Publ. Parens.« Ziesemer hat das einzig dastehende Stück eines Neudrucks gewürdigt und ihm das hier vorliegende Exemplar zugrundegelegt.313 Dem zweiten lateinischen Gedicht zum Tod von Anna Trojens ist dieser Vorzug bislang nicht zuteil geworden.314 Nur das deutsche Gedicht zum gleichen Anlaß liegt im Neudruck vor.315 Das darauf folgende gehört zu den wenigen unselbständigen und zudem lateinischen Stücken unseres Bandes, in dem Dach als Beiträger im Anschluß an Eifler und Linemann und vor Gorlovius figuriert.316 Ein Schlußbeitrag in syrischen Schrifttypen von einem gewissen Georg Andreae, möglicherweise Kommilitone des verstorbenen Studenten der Theologie Elias Myhmer, findet sich nirgendwo erwähnt. ›Gedichte auf Sim: Dachens Absterben‹ Mit den folgenden Beiträgen gelangen wir in die vierziger Jahre zurück. Zwanzig deutschsprachige Verfasser-Trauerschriften aus den Jahren 1644, 1646, 1647 (4 Titel) und 1648 (14 Titel) sind unter den Nummern 95/94– 114/113 vereinigt. Das letzte Stück, von alter Hand als ›113.b‹ ausgezeichnet und dann (von anderer Hand?) in ›114‹ verbessert, ist das uns bekannte –––––– 313

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Vgl. Ziesemer IV, 520 f., Nr. 83. Dünnhaupt (Nr. 753) kennt es nur über Oesterley und Ziesemer und versieht es mit dem zutreffenden Zusatz ›Früher Königsberg StB.‹ Vgl. auch Oesterley Nr. 1203. mit dem Zusatz ›Königsb.-stadtbibl.‹ Es ist offenkundig ein Unikat geblieben. Oesterley Nr. 1130 (wiederum mit Verweis auf die Königsberger Stadtbibliothek); Ziesemer IV, 521, Nr. 88 (nur das vorliegende Exemplar); Dünnhaupt Nr. 838 (wiederum mit Verweis auf früheren Besitz der Königsberger Stadtbibliothek). Vgl. Ziesemer IV, 67 f., mit S. 539, Nr. 42. Vgl. auch Oesterley Nr. 277; Dünnhaupt Nr. 837. Es handelt sich um das 37. bzw. 36. Stück in unserem Band. Oesterley Nr. 1178; Ziesemer IV, 524, Nr. 92 (mit Erwähnung der weiteren lateinischen Beiträger); Dünnhaupt Nr. 927 (mit (dieses Mal) zutreffendem Verweis auf die Akademiebibliothek Vilnius (SS 41 (W) Nr. 151, wie bei Ziesemer ausgewiesen, der als einziger das Exemplar auch der Stadtbibliothek kennt).

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für Röttger von Tieffenbrock mit dem lateinischen ›Epitaphiolum‹ von Rotger zum Bergen. Es ist das einzige dieser Folge mit einer weiteren Zuschrift, bestätigt also unsere Beobachtung, wie sie aus der ersten Sequenz gewonnen wurde. Damit ist der »Anhang von S. Dachen Leichen = Gedichten« beendet. Erwähnt werden soll, daß mit Nr. 104/103 Dachs Christliche Todes = Errinnerung für Roberthin aus dem Jahr 1648 neuerlich vorliegt. Schließlich zur letzten und vielleicht wertvollsten Sequenz unseres Bandes. Es handelt sich um die »Gedichte auf Sim: Dachens Absterben.« Oesterley hat aus dem verschollenen Sammelband der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek S 322 ein Kurztitel-Verzeichnis in einer Fußnote ohne ein irgend geartetes erschließendes Wort geliefert.317 Ziesemer schweigt sich gänzlich aus. Unser Band gibt erstmals auf unserer Wanderung Veranlassung, einer wiederum selbstverständlichen Ehrenpflicht nachzukommen und genauere Kunde zu geben. Die Gedichte standen ursprünglich vermutlich hinter der ersten, bis Nr. 95 reichenden Folge. Das geht aus einer alten ursprünglichen Auszeichnung ›95 a.‹ hervor, die ihrerseits durch die Ziffer ›114.‹ ersetzt, dann gleichfalls durchgestrichen und durch eine ›Nr. 115‹ überschrieben wurde. Beide alten Nummern waren für die Gesamtheit der Trauergedichte vergeben, denn weitere Ziffern von alter Hand finden sich in dieser Folge nicht mehr. Eine Sammlung sollte ganz offenbar mit ihr sinnvoll beschlossen werden, während später Nachträge hinzu traten, die zu den Umnumerierungen führten. Und wieder können wir nicht umhin, vielleicht die ordnende Hand von Bartsch senior bzw. junior hinter dieser so einleuchtenden, sammlerischen Gepflogenheiten entsprechenden Maßnahme zu vermuten. Aufgrund der später nachgeschobenen Stücke geriet die Anordnung durcheinander. In dem mit Sicherheit späteren Inhaltsverzeichnis ist dieser neue Zustand reproduziert. Hier werden die Trauerschriften auf Dach unter der Nummer 114 im Anschluß an die zweite Folge der Dachschen Trauergedichte pauschal aufgeführt. Diese Abfolge stimmt zusammen mit der fortlaufenden Numerierung oben rechts auf dem Titelblatt. Die alte Signatur ›95 a.‹ bzw. ›114.‹ ist jedoch – wie erwähnt – gleichfalls von späterer Hand durch ›Nr. 115‹ ersetzt worden, so daß es für dieses Stück wieder zu der uns bekannten numerischen Versetzung kommt. Sie hat jedoch zur Folge, daß auch die folgenden Stücke – nun jedoch am oberen Rand – korrigiert wurden, mit Nr. 116 forlaufen und bis zum letzten Stück Nr. 124 führen. Doch endlich zum Gehalt! Das erste Stück (115/114) sind Lessus Quibus Luctuosissimum Obitum [...] Simonis Dachii [...] Flebant Collegae Et Amici, die undatiert bei Reusner erschienen. 14 lateinische Beiträge sind versammelt, einer darunter von dem –––––– 317

Vgl. Oesterley S. 57 f., Anm. 1.

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uns schon bekannten Stephan Gorlovius mit anschließendem vierstrophigen deutschen Gedicht. Ein Magister Henrich Bussenius steuert als einziger ein alleinstehendes deutsches Gedicht bei, das er unter das Dach-Anagramm »Hîc Musas indo« stellt. Wieder überschreitet es den gesetzten Rahmen, die Verfasser im einzelnen aufzuführen, ihren Viten und ihren Beziehungen zu dem großen Toten nachzugehen. Daß erste Äußerungen aus seinem Umkreis zu den vornehmsten Zeugnissen gehören, versteht sich von selbst. Um so erstaunlicher, daß eine auch nur bibliographische Verzeichnung und Aufschlüsselung bislang fehlt.318 Man wird das Konvolut im Osnabrücker Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums zu gegebener Zeit aufgeschlüsselt und mit den stets so ergiebigen Beigaben der Unterzeichnenden verzeichnet finden; dem soll hier nicht vorgegriffen werden. Wie weit die Wirkung Dachs in das katholische Litauen hineinreichte, bezeugt eindrucksvoll der folgende Foliodruck unter dem Titel Prutenus Virgilius, der herrührt von dem aus Bayern gebürtigen und nun an der Universität Vilnius wirkenden Professor der Rechte Simon Dilger.319 Er schreibt ›svb patrocinio‹ des großen Wohltäters und Mäzens Johann Schimmelpfennig, der auch mit Dach eng befreundet war und die Ehrung veranlaßt haben dürfte.320 Auch der folgende lateinische Einblattdruck des Kurfürstlichen Rats Fabian Calovius für Dach ist an Schimmelpfennig gerichtet.321 Nur mit seinen Initialen ›T.W.D.‹ hat sich der folgende, Dach mit einem lateinischen Epitaph und einem dreiundzwanzigstrophigen deutschen Gedicht Ehrende zu erkennen gegeben. Seine Entdeckung ist zu später Stunde erfolgt. Die Dach-Forschung verdankt sie einem der großen Bibliographen und exzellenten Kenner des 17. Jahrhunderts, David Paisey. Er konnte wahrscheinlich machen, daß sich hinter den Initialen ›Theodor Wolder Doktor‹, ein Cousin Dachs, verbirgt.322 Der Vater, Dach seit frühester Jugend unterstützend zugetan, hatte den Jungen nach Wittenberg zur weiteren Ausbildung auf den Weg gebracht. »The two families were very close, and notable Wol–––––– 318

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Hingewiesen werden darf immerhin auf eine Osnabrücker Staatsexamensarbeit aus dem Jahr 1999 von Karin Hagena: Die Epicedien auf den Tod Simon Dachs. In dieser Arbeit sind insbesondere sehr sorgfältige Recherchen zu den einzelnen Verfassern und Adressaten angestellt worden. Vgl. Pisanski: Entwurf einer preußischen Literärgeschichte (Anm. 31), S. 407. Vgl. APB I, 607 f. (Fritz Gause mit weiterer Literatur). Zu den in Frage kommenden Namen vgl. Hagena: Die Epicedien auf den Tod Simon Dachs (Anm. 318), S. 81 f. mit Verweis auf zwei gleichnamige Einträge in der Königsberger Matrikel (hrsg. von Georg Erler, Leipzig: Duncker & Humblot 1910), Bd. I, S. 285 und S. 292. Vgl. David L. Paisey: A hitherto unattributed German elegy on the death of Simon Dach, 1659.- In: The British Library Journal 2/2 (1976), S. 177 f. Dieser Nachweis noch nicht bei Hagena: Die Epicedien auf den Tod Simon Dachs (Anm. 318).

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der occasions were naturally celebrated in vers by Dach«. Der jüngere Wolder war also prädestiniert für ein Epicedium. Das sich anschließende große Alexandrinergedicht von ›Johanne Crusio, Reg. Bor.‹ ist Dach »als seinem gewesenen hochgeneigten Herrn Hospiti« zugedacht. Mit ›Johann Christoff Cramero, Svinf. Franc.‹ und ›Ernst Dizeln/ der H. Schrifft Befliss:‹ kommen offensichtlich zwei Studenten an der Königsberger Universität in Gestalt deutschsprachiger Verfasserschriften zu Wort. Im ersteren schließt sich ein Adliger mit einem Epigramm an, im letzteren werden anspruchsvoll ›Apollo Samt seinen Kunst = und Huld = Göttinnen‹ zur Ehrung aufgeboten. In dem nachfolgenden Folio-Einblattdruck hat ein mit den Initialen ›A.B.‹ zeichnender Verehrer dem Sophiae Doctor Magnus Septentrionis Poeta Simon Dachius ein Denkmal gesetzt. Am Schluß läßt sich Rotger zum Bergen gleich mehrfach vernehmen. In deutscher Sprache richtet er sich mit einem ›Trost = schreiben‹ in Prosa zunächst an die Witwe Dachs. Dann wendet er sich in seiner Eigenschaft als Kurfürstlich-Brandenburgischer Rat in einer lateinischen Rede, begleitet von zwei Epigrammen, den Studenten der Academia Regiomontana zu. Heinrich Caesar, Pastor in Leuenhagen, beschließt die Schrift mit zwei Gedichten in chronogrammatischer Manier. Der Sammler hat eine reiche Sequenz zu bilden vermocht. Die Intimatio freilich ist ihm entgangen. Sie hat sich glücklicherweise anderweitig erhalten. Die Kaldenbach-Kollektion, die den Band beschließt, darf uns nicht beschäftigen. Sie ist an anderer Stelle ausgewertet worden.323 Auch in ihr ist – von der Ausnahme eines polyglotten Trauergedichts für den Bruder abgesehen – nur der deutschsprachige Dichter in Verfasserschriften präsent. Das Bild ist also das nämliche wie im Falle Dachs. Wir hoffen, mit dem Vorstehenden die Akademiebibliothek zu St. Petersburg als gediegene Institution der künftigen Dach-Forschung gewonnen zu haben. In Moskau sind die Dinge nach wie vor zu sehr im Fluß, als daß wir zusammenhängend schon über Königsberger Bücher mit Dach-Drucken berichten könnten. Wie für ungezählte andere deutsche Städte, die ihre wertvollsten Altbestände im Krieg durch Auslagerung oder Abtransport verloren haben und ihre Hoffnungen auf Moskau setzen, gilt auch für Königsberg, daß vermutlich erst Bruchstücke in die russische Enklave am Pregel zurückgekehrt sind. Hier müssen die zukünftigen Entwicklungen geduldig abgewartet werden.

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Vgl. Walter: Caldenbachiana in St. Petersburg (Anm. 275).

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5. Verstreute Dachiana in der Königsberg-Kollektion der jungen Universitätsbibliothek zu Thorn Bücher aus dem Umkreis des ›mare balticum‹ Als letztes der drei Länder, die nach dem Krieg in den Besitz von Büchern aus deutschen Bibliotheken der Vorkriegszeit gelangten, betreten wir jetzt Polen. Das Thema ist in jeder Hinsicht facettenreich und in einem Fall massiv überschattet. Man weiß, daß die beiden reichsten deutschen Bibliotheken im jetzigen Nordosten und Südwesten Polens eine im ganzen glanzvolle Auferstehung erlebt haben. Die alte Danziger Stadt- und heutige Danziger Akademiebibliothek sowie die alte Breslauer Stadtbibliothek, eingegangen in die heutige Breslauer Universitätsbibliothek, stellen wieder Schatzhäuser ersten Ranges für Handschriften und Bücher aus dem alten Europa dar. Darüber ist jüngst eingehend berichtet worden.324 Der Schatten liegt über Berlin und Krakau. Daß wertvollste Bestände der schwer geschädigten Deutschen Staatsbibliothek nicht nur nach wie vor in Moskau, sondern auch in der alten polnischen Kapitale lagern, ist in einem werdenden Europa ein nicht hinnehmbarer Zustand. Auch das wurde jüngst en détail in seinen Konsequenzen gezeigt.325 Aber auch Polen selbst als erstes Land, das Opfer eines verbrecherischen Regimes wurde, ist mit diffizilen bibliothekarischen Nachkriegsproblemen behaftet, die sich in der Zukunft immer wieder geltend machen werden. Damit kommen wir bereits zu unserem Thema im engeren Sinn. Zu den spektakulären akademischen Neuschöpfungen im NachkriegsPolen gehören die Universität und die Universitätsbibliothek zu Thorn. Die Fundamente der letzteren sind, was ihren wertvollen Altbestand angeht, im –––––– 324

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Vgl. Klaus Garber: Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen Königlich Polnischen Anteils. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte.- In: Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sabine Beckmann, Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 103), S. 301–355. Wiederabgedruckt in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 439–489. Sodann Klaus Garber: Bücherhochburg des Ostens. Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft, ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und ihre Rekonstruktion im polnischen Wrocław.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Bd. I–II. Hrsg. von Klaus Garber.- Tübingen: Niemeyer 2005 (= Frühe Neuzeit; 111), S. 539–653. Wiederabgedruckt in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 313–438. Vgl. Klaus Garber: Der Zweite Weltkrieg und seine bibliothekarischen Spätfolgen. Noch immer geteilte Sammlungen deutscher Literatur in großen historischen Bibliotheken Europas und ihre Restitution als europäische Aufgabe.- In: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 611–663.

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wesentlichen auf den Beständen ehemaliger deutscher Bibliotheken errichtet worden.326 Vor allem die Gymnasial- und Kirchenbibliotheken Pommerns und Westpreußens waren nach 1945 herrenlos und fanden, sofern sie den Krieg überstanden hatten, bevorzugt eine neue Bleibe in Thorn. Hiervon kann man sich schon bei einem Blick in den historischen Lesesaal überzeugen. Dort stehen die alten deutschen landesgeschichtlichen Organe, vor allem die Zeitschriften und Vereinsschriften, komplett bis in die kleinen Lokalgazetten hinein zusammen; sie rühren ganz überwiegend aus deutschen Magazinen her. Doch nicht nur dies. Auch große Bibliotheken wie die alte Stadt- und Landesbibliothek Stettin haben infolge Auslagerungen und gezielten Abzugs in das Innere des Landes noch nach Kriegsende namhafte Bestände u.a. an die Thorner Universitätsbibliothek abgegeben. Die Stimmen sind nicht verhallt, die fordern, das in die alte Pommersche Landeshauptstadt Gehörige auch dahin zurückzuführen. In einem Fall ist ein solcher Akt der Restitution soeben erfolgreich vollzogen worden. Die alte Elbinger Stadtbibliothek hat ihre in der Universitätsbibliothek Thorn deponierten Bestände, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zurückerhalten. Dem traditionsreichen Haus steht ein Neuanfang bevor. Osnabrück schätzt sich glücklich, produktiv daran mitzuwirken.327 Wiederum anders liegen die Dinge im Blick auf das dritte große Bibliotheksquartier im Osten neben Breslau und Danzig, eben auf Königsberg. So wie Litauer und Russen haben sich Polen gleich nach Kriegsende lebhaft an der Suche auch nach Königsberger Handschriften und Büchern beteiligt und Erkleckliches in ihren Gewahrsam bringen können.328 Thorn hat auch –––––– 326

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Auch hier ist jetzt zu verweisen auf den Eintrag in: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. VI: Polen und Bulgarien. Bearb. von Marzena Zacharska, Todorka Nikolova.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 1999, S. 171–175. Vgl. hierzu die erste großangelegte Darstellung zur Elbinger Stadtbibliothek nach ihrer Rekonstruktion durch Fridrun Freise in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XXI: Elbing / Elbląg – Elbinger Cyprian-K.-Bibliothek / Biblioteka Elbląska im. Cypriana K. Norwida – Archäologisches Museum Elbing / Muzeum Archeologiczno-Historyczne w Elblągu – Staatsarchiv Danzig / Archiwum Państwowe w Gdańsku – Universitätsbibliothek Thorn / Biblioteka Uniwersytecka w Toruniu. Elbinger Bestände unter Berücksichtigung der historischen Sammlungen des ehemaligen Elbinger Stadtarchivs. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Fridrun Freise. Hrsg. von Fridrun Freise unter Mitarbeit von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2008; hier S. 21–71 die bibliotheksgeschichtliche Einleitung mit reichhaltigem AnmerkungsApparat, im Anschluß daran S. 73–87 eine Bibliographie. Der letzte diesbezügliche Bericht von Maria Strutyńska: Alte Drucke Königsberger Provenienz in den Beständen der Universitätsbibliothek Torun.- In: Königsberger

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von diesem massivsten bibliothekarischen Umschichtungsprozeß der jüngsten Zeit erheblich profitiert. Königsberg stellt – bis vor kurzem gefolgt von Elbing – das größte Kontingent unter den rund 48.000 Bänden an alten Drucken in der jetzigen Universitätsbibliothek. Von 8539 Altdrucken in 4286 Bänden ist die Rede.329 Kein Vernünftiger wird in diesem Fall Erwartungen hinsichtlich von Rückführungen hegen, und am wenigsten an dieser Stelle, an der wir Rekonstruktionen vollziehen, nicht Restitutionen zu erörtern haben. So nehmen wir endlich Gelegenheit, wiederum im Jahre 1979 begonnene und seither stetig verfolgte Forschungen bekanntzugeben und dabei des Paradigmas uns zu bedienen, das sich auch im Falle Thorns als ein ergiebiges erweisen wird. Wohlgemerkt und immer wieder erinnert: Auch Thorn kennt eine große bibliothekarische Vergangenheit, die sich an die alte Gymnasial- und Ratsbibliothek sowie zu Teilen auch an die alte Kopernikus-Bibliothek knüpft.330 Auch in diesen weitgehend erhaltenen historischen Bibliotheken findet man in erheblichem Umfang Königsberger Drucke und auch solche von Simon Dach. Aber sie rühren her aus altem Besitz, sind über die jahrhundertelang intakten Wanderwege im Ostseeraum nach Thorn gelangt, nicht aber das Produkt der jüngsten Geschichte. Nur letztere ist in ihren auf Königsberg und seinen prominentesten Dichter des 17. Jahrhunderts bezogenen Aspekten Gegenstand unseres Versuchs. Zu den größten forscherlichen Herausforderungen der polnischen Bibliotheken mit namhaftem Besitz nach 1945 gehören provenienzgeschichtliche Untersuchungen. Sie wurden auch in Thorn seit Jahrzehnten durchgeführt und haben in dem Werk der Leiterin der Altdruck-Abteilung Maria Strutyńska eine vorbildliche Publikation gezeitigt.331 Das im gleichen Jahr 1999 ––––––

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Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 547–562 (mit Abbildung von Provenienz-Stempeln). Verwiesen werden darf auch auf das Thorn-Kapitel bei Garber: Königsberger Bücher in Polen, Litauen und Rußland (Anm. 252), S. 39–44 bzw. S. 233–238. Vgl. jetzt auch Freise (vorangehende Anm.), S. 29 ff. Vgl. Strutyńska: Alte Drucke Königsberger Provenienz (Anm. 328), S. 549. Vgl. den Eintrag im Bd. VI des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände in Europa (Anm. 326), S. 175–179. Detailliert zur Geschichte vor allem der alten Thorner Gymnasialbibliothek die bibliotheksgeschichtliche Einleitung von Sabine Beckmann in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. III: Thorn / Toruń – Öffentliche Wojewodschaftsbibliothek und Kopernikus-Bücherei / Wojewódzka Biblioteka Publiczna Książnica Kopernikańska. Abt. I: Gymnasialbibliothek Thorn. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von Sabine Beckmann. Hrsg. von Stefan Anders und Sabine Beckmann.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2002, S. 17–35, mit ausführlicher Bibliographie S. 37–46. Maria Strutyńska: Struktura proweniencyjna zbioru starych druków Biblioteki Uniwersyteckiej w Toruniu. Przewodnik po zespołach. Problemy badawcze i metodolo-

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erschienene Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa weiß von dieser bahnbrechenden Arbeit nichts, auf die die wenigen Spezialisten jahrzehntelang geduldig gewartet haben und nun reich belohnt wurden. In dem Handbuch gibt es dankenswerterweise einen eigenen Absatz, in dem die Bibliotheken aufgeführt sind, aus denen sich der Altdruckbestand speist. Wird der entsprechende Paragraph (1.2) eingeleitet mit dem Satz: »In der Bibliothek befinden sich Bestände aus folgenden Bibliotheken:«, so darf der Benutzer Vollständigkeit erwarten.332 Sie ist keineswegs erreicht. Die Herkunft aus einer Reihe von Bibliotheken, die wir schon 1979 identifizierten, fehlt auch 1999 immer noch.333 Das prominenteste Beispiel stellt unser Paradigma selbst. In dem Paragraphen wird die »Universitätsbibliothek Kaliningrad [Königsberg]« als gebende Bibliothek aufgeführt. Das ist schon nomenklatorisch ein Unding, denn selbstverständlich sind nicht aus der Universitätsbibliothek Kaliningrad, sondern ausschließlich aus der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg Bücher nach Thorn gelangt. Und vor allem: nicht erwähnt wird die Existenz von Büchern aus der Königsberger Stadtbibliothek in der jetzigen Universitätsbibliothek Thorn. Eine so kardinale Fehlinformation darf in einem auf Dauer angelegten Handbuch nicht hingenommen werden. Es sei also auch im Blick auf das folgende nachdrücklich auf die Arbeit von Maria Strutyńska verwiesen, die alle Wünsche bis hin zu exakten Zahlenangaben befriedigt.334 Und noch ein zweiter Hinweis. In dem fraglichen, für uns eben besonders wichtigen Absatz findet sich der folgende gar nicht zu überschätzende Schlußpassus: »Außerdem befindet sich hier die von der Universitätsbibliothek in Poznań [Posen] übergebene Sammlung der ›Sammelstelle für baltendeutsches Kulturgut‹, die zahlreiche ehemalige Rigaer Bibliotheksbestände einschließt.«335 Man weiß, daß diese für die baltische Bibliotheks- und Kulturgeschichte der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre entscheidende Schaltstelle ––––––

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giczne.- Torun 1999. Ich danke Fridrun Freise für eine Übersetzung der einschlägigen Passagen. Hinzuzunehmen der oben in Anm. 327 aufgeführte deutschsprachige Beitrag der gleichen Verfasserin. Ich bin Frau Strutyńska für vielerlei Informationen während wiederholter Aufenthalte in Thorn zu Dank verpflichtet. Vgl. den Eintrag von Marzena Zacharska in dem oben Anm. 326 zitierten Handbuch, S. 171. Ich bin auch Frau Zacharska für eine Reihe wichtiger Informationen dankbar, die sich insbesondere auf Fragen zu Bibliotheken in Krakau bezogen, die im vorliegenden Zusammengang unerheblich sind. Vgl. Garber: Kleine Barock-Reise (Anm. 11), S. 57 f. bzw. im Wiederabdruck in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 120 f. Daß schließlich etwa Besitz aus der alten Danziger Stadtbibliothek in Thorn nicht erwähnt wird, gehört gleichfalls zu den Kuriosa der ›Bestandsgeschichte‹ im Artikel ›Torun 1‹ des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände. Zacharska (Anm. 332), S. 171.

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eine bis heute nicht aufgeklärte Entwicklung genommen hat. Sie beherbergte wertvollstes Schrifttum gerade auch im Blick auf das hier bevorzugt zur Rede stehende Klein- und Kasualschrifttum in umfänglichen Sammelbänden, die aus Riga und Mitau in den frühen vierziger Jahren dahin verbracht worden waren. Darüber ist jüngst in einer parallelen Studie, gleichfalls in der vorliegenden Reihe erschienen, eingehend berichtet worden.336 Mit der Räumung Posens setzte auch der Exodus und in eins mit ihm die Zerstreuung der ›Sammelstelle‹ ein. Teile gelangten zurück nach Riga und im Einzelfall wohl auch in das zerstörte Mitau. Teile kamen, wie gehört, in die Universitätsbibliothek Posen. Teile – und vermutlich die umfänglichsten! – landeten auf dem Antiquariatsmarkt und waren teilweise noch in den neunziger Jahren im Handel. Schließlich dürften zudem nicht unerhebliche Bestände von den deutschen Experten mit auf die Flucht in den Westen genommen worden sein. In dem erwähnten Werk, das parallel zu dem hier vorliegenden abgefaßt wurde, ist gezeigt worden, daß die größten Personalschrifttums-Sammlungen, über die die baltischen Staaten verfügten, spurlos verschwunden sind. Sie rührten her aus der alten Stadtbibliothek Riga, die 1941 beim Einmarsch der Deutschen zerstört wurde, sowie aus der ›Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands‹ und aus dem Kurländischen Provinzial-Museum zu Mitau nebst der ihm assoziierten ›Kurländischen Literarischen Gesellschaft‹.337 Seither ist eine jede Nachricht über möglichen Verbleib einzelner dieser Sammelbände für die Forschung von größter Bedeutung. Wenn nun eine Bibliothek wie die junge universitäre in Thorn in den Besitz solcher Sammelbände gekommen ist, muß in einem Handbuch mehr erwartet werden als ein pauschaler und zu Teilen irreführender Hinweis. Wir haben bei unserer Suche, die immer nur über die Kataloge und also auf Verdacht erfolgen konnte, Sammelbände aus der ›Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde‹ in Riga, aus der parallelen Mitauer ›Literarischen Gesellschaft‹ und schließlich aus dem Mitauischen Provinzialmuseum in der Hand gehabt. Diese Entdeckungen zählten zu den gewichtigsten, weil sie eben verschollen geglaubtes und in jedem Fall vielfach unikates Material betrafen. Dem Werk von Frau Strutyńska entnehmen wir, daß immerhin 2749 Bände aus der ›Sammelstelle‹ nach Thorn gelangt sind.338 –––––– 336

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Vgl. Garber: Schatzhäuser des Geistes. Alte Bibliotheken und Büchersammlungen im Baltikum.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2006 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 3), insbes. S. 273 ff. Ebd., S. 205 ff., S. 285 ff., S. 313 ff. Vgl. Strutyńska: Struktura proweniencyjna (Anm. 331), S. 64.

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Dach-Drucke aus Pommern Thorn also ist für vielerlei Überraschungen gut. Im Blick auf unsere Untersuchungen folgt daraus, daß ein Wechsel in der Anlage des Vorgehens geboten ist. Wir dürfen uns nicht länger auf Bestände aus den beiden Königsberger Bibliotheken beschränken, sondern müssen aus anderweitigen Quellen herrührende mit berücksichtigen. Und hier ist sogleich mit einem Rätsel zu beginnen, das im Handbuch selbst keinerlei Spuren hinterlassen hat, aber auch von den wenigen Fachleuten, die zu seinem Aufschluß hätten beitragen können und deshalb von uns konsultiert wurden, bis vor kurzem nicht gelöst werden konnte. Dies ist wahrscheinlich erst soeben durch Maria Strutyńska gelungen. Der umfangreichste Besitz an Dach-Drucken, von dem aus Thorn zu berichten ist, rührt nämlich nicht aus einer der beiden Königsberger Bibliotheken, sondern aus einer bislang nicht identifizierten Bibliothek und vermutlich aus der Kollektion eines bis dato nicht dingfest gemachten Sammlers. Mehrere Sammelbände gingen im Laufe der Jahre durch unsere Hände, die immer gleich gebunden und mit einer im Grundbestand identischen Signatur versehen waren, nämlich einem Kürzel ›Tit.‹ nebst römischer Numerierung. Was hatte es mit ihm auf sich? Niemand vermochte Auskunft zu geben. Insbesondere war es in Thorn selbst nicht möglich, die Bibliothek zu benennen, die den Schatz einst ihr eigen nannte. Daß es sich um eine alte deutsche Bibliothek handeln würde, war die stillschweigende Voraussetzung. Aber welche? Wir wußten es bislang nicht. Maria Strutyńska hat nun wahrscheinlich machen können, daß die Bücher der Marienbibliothek zu Stargard entstammen.339 Dem Kürzel ›Tit.‹ hat auch sie keinen überzeugenden Sinn abgewinnen können, daß es in ›Titel‹ aufzulösen sei, verwiese doch auf eine gänzlich ungewöhnliche Praxis. Wir beginnen in jedem Fall und mit gutem Grund mit der Präsentation von Sammelbänden aus der Kollektion ›Tit.‹. Wir folgen dabei ohne weitere Hierarchisierungen im Blick auf vermeintliche Wichtigkeit und Bedeutung unseren Aufzeichnungen, nicht zuletzt, um zu signalisieren, daß derartige Qualifizierungen bei Sammelbänden ohnehin den Schein des Willkürlichen schwerlich abstreifen können. Ein jeder von ihnen ist eine unwiederholbare Individualität. Der Sammelband Tit. XXII 8° Setzen wir also ein mit einem gut erhaltenen Pappband, der auf dem Rükken die noch gut erhaltene Auszeichnung ›Tit. XXII 8°‹ trägt und heute unter der Signatur Pol. 7. II 3970–4073 in der Universitätsbibliothek Thorn –––––– 339

Ebd., S. 31, S. 34 f.

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eingestellt ist. ›Pol.‹ verweist im Sinne Estreichers auf Polonica, also von Drucken aus dem polnischen Sprachraum (wozu Königsberg ausdrücklich selbstverständlich nicht gehört!), gefolgt von der Angabe des Jahrhunderts, hier also des 17., dem Format, hier also Quart, und schließlich den einzeln ausgewiesenen Stücken, denen von deutscher Hand auf den Titelblättern 104 gezählte Nummern gegenüberstehen. Der Band ist ganz überwiegend zusammengesetzt aus Königsberger Drucken vor allem aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und damit unmittelbar einschlägig für uns. Aber auch andere Druckorte wie Liegnitz, Rostock, Bremen, Zerbst, Dessau, Heidelberg, Basel u.a. begegnen, wobei insbesondere die starke Präsenz von Zerbst und Dessau auffällig und bemerkenswert ist. Diese Ausrichtung auf Drucke aus dem mittel- und südwestdeutschen Raum mit gelegentlicher Tendenz zum Calvinismus ist, wie an anderer Stelle gezeigt, ein typisches und selbstverständlich nicht zufälliges Charakteristikum für den sammlerischen Einzugsbereich der alten Danziger Stadtbibliothek und seines zeitweilig calvinistisch aspirierten Gymnasiums.340 So lag es denn nahe, der Vermutung einen Moment lang Raum zu geben, daß sich vielleicht doch eine so prominente Figur wie Johann Peter Titz hinter diesen Sammelbänden verbergen könne, dessen Interesse an Königsberg und seinem Dichterkreis ebenso verbürgt ist wie an über Danzig verlaufenden Verbindungen zu den Zentren der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ und denen des reformierten Südwestens. Diese Vermutung dürfte sich erledigt haben, verweist aber darauf, daß weitere Untersuchungen zu dem ›Tit.‹-Bestand in Thorn angestellt werden müssen. Der Band beginnt gattungstypologisch unspezifisch, profiliert hingegen druckgeschichtlich eben mit dem Akzent auf Königsberg. De S.S. Evcharistia Positiones unter dem Präsidium von Abraham Calovius in einem Einblattdruck bei Reusner aus dem Jahr 1640 stehen dem Band voran. Wo sollte man sie finden, wenn nicht in einem Sammelband mit Kleinschrifttum? Das nachfolgende Stück dürfte einen der letzten Osterberger-Drucke aus dem Juli 1609 repräsentieren. Es handelt sich um ein großes Epicedion des poeta laureatus und Professors für Poesie ›in Bregelana Academia‹ Joachim Cimdarsus für Maria Eleonore von Preußen mit beigefügtem Epitaph und den Lebensdaten der Verstorbenen (1550–1608).341 Dann wechseln Drucker –––––– 340

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Vgl. Klaus Garber: Das alte Buch im alten deutschen Sprachraum des Ostens. Schlesien – Pommern – Altpreußen – Baltikum. Stand und Aufgaben der Forschung am Beispiel des städtischen Gelegenheitsschrifttums, in: Deutscher Buchdruck im Barockzeitalter. Teil I–II. [Hrsg. von Gillian Bepler und Thomas Bürger.-] Wiesbaden: Harrassowitz 1997 (= Wolfenbütteler Barock-Nachrichten; 24, Heft 1–2/1997), S. 445–520, S. 478 f. Wiederabdruck in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 679–748, S. 709 f. Vgl. Jöcher I (1750), Sp. 1917.

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und Druckort für einen Moment zu Friedrich Hartmann in Frankfurt/Oder mit einem Druck aus dem Jahr 1618. Doch gleich mit dem nächsten Stück erfolgt die Rückkehr nach Königsberg. Der Sammler hat einen KaldenbachTitel von 1640 mit dem verheißungsvollen Titel Helicon Borussiacus für den Rektor der Universität Daniel Beckher aufgefunden.342 Mit Stück fünf erfolgt der Übergang zum Deutschen, und sogleich ist Simon Dach mit einem späten Hochzeitsgedicht aus dem Februar 1658 zur Stelle.343 Oesterley, Ziesemer und Dünnhaupt kennen das Gedicht nur aus Breslau. Sie alle haben unseren Band nicht in der Hand gehabt, der hier erstmals der Dach-Philologie zugeführt wird. Daß damit automatisch wenigstens ein unbekanntes Gedicht zu erwarten sein dürfte, ist eine Faustregel, die sich auch in unserem Fall sogleich bewährt. Sehr gerne würden wir so fortfahren und Stück für Stück knapp annotieren. Für den Einzugsbereich der Autoren des Späthumanismus würde allemal Einschlägiges abfallen. So aber muß auf das Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums verwiesen und das Erscheinen der Bände zur Universitätsbibliothek Thorn abgewartet werden, während wir allein Simon Dach und am Rande die Königsberger Dichter im Auge behalten. Für die ersten drei Dezennien des Königsberger, aber auch des Frankfurter Buchdrucks im 17. Jahrhundert und des – von wenigen Ausnahmen abgesehen – durchweg noch im Lateinischen sich vollziehenden Dichtens stellt der Band eine wichtige Quelle dar. Und es ist schön zu sehen, wie häufig auch Angehörige der Wallenrodts an dem literarischen Geschehen teilhaben. Manche Titel sind annotiert. Vielleicht, daß über diese Schriftspuren das Geheimnis des Sammlers zu entschleiern ist. Wechselt das Idiom dann, wird das Deutsche benutzt, so ist Dach alsbald wieder dabei. Am 10. Februar 1648 begehen Nicolaus Rittershausen, ›Pfarrer zu Creutzburg‹, und Maria Dechant, Tochter des ›Churfürstl. Verwalters im Hofe Kobbelbude‹, das Hochzeitsfest. Mehrere Drucke zum Ereignis liegen vor. In einem ersten gratulieren der Diakon von Kreuzburg und ein Beiträger aus Wittenberg auf Deutsch (Nr. 21). Es folgen Zwey Heyrahts = Gedichte [...] von zweyen guten Freunden. (Nr. 22) Einer von beiden ist ein Unbekannter aus dem Umkreis des Hofes, der andere ist Simon Dach. Er eröffnet mit einem bis dato unbekannten zehnstrophigen Gedicht. SEy erfrewt/ mein Rittershusen/ Amor geht dir gnug zur Hand Venus schleüsst jhr wehrtes Pfandt/

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Vgl. Dünnhaupt III, 2219, Nr. 20. Vgl. Oesterley Nr. 491; Ziesemer II, 124 f. mit S. 380, Nr. 91; Dünnhaupt Nr. 1166.

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Deine Braut/ in deinen Busen/ Das sie mög in Lieb’ vnd Pein Deine Rhue vnd Frewde seyn.

Das ist anmutig gesagt. Wie aber vermag es der Dichter auf knappstem Raum, aus dem antiken Szenario herüberzuwechseln in den christlichen Bereich? Indem er von einem schlichten Spaziergang am Pregel in der frühen Jahreszeit erzählt, der ungewöhnlich verläuft, weil die Enten schon im ansonsten stets vereisten Fluß sich tummeln. Im Volksglauben deutet ein so milder Vorfrühling auf einen gefährlichen, womöglich von Krankheit und Pest begleiteten Sommer. Jch bin feind dem Aberglauben/ Bleibe bey des [konjiziert statt ›das‹] Wortes Liecht/ Meiner festen Zuversicht Wird mich keine Furcht berauben/ Was des Höchsten Satzung will [›.‹ getilgt] Nehm ich an getrost vnd still. Bin ich aber auch zu schelten/ Wenn ich sprech: jhr wehrtes Paar Dieses Wetter das so klar Warm vnd lieblich/ wird euch gelten So fern/ das es ewrer Trew Jn der Heyraht vorbild sey. Bleibt an GOtt mit gantzem Hertzen/ Gebet seinem weisen Raht Auch im Creutzgewitter stat/ Lasst das Glück euch jmmer schertzen Wisst in aller Trawrigheit Das jhr seine Stifftung seyd.

So integriert der Dichter mit leichter Hand den im Zeichen Amors und Venus’ stehenden Glückwunsch mit der Situation eines ungewöhnlichen Wintermonats und gewinnt dieser eine geistliche Wendung ab, die im Begriff der ›Stiftung‹ eine womöglich nun auch in seiner Hochzeitsdichtung singulär dastehende Wendung erfährt. Ein jeder Fund also bereichert unser Bild. Und das auch dann, wenn Hunderte von Zeugnissen gleichen Typs vorliegen. Wir möchten das kleine Stück zukünftig nicht mehr missen. Deutlich erkennbar wird freilich auch, daß es einem jeden Zeitgenossen oder Nachfahren sammelnd möglich war, Gedichte des Königsberger Dichters aufzutun, die womöglich nur ihm zugefallen waren. Zur Hochzeit von Jakob von Kurland und Luise Charlotte von Brandenburg schließen sich dann wieder Rektor und Professoren der Universität zusammen und verständigen sich offensichtlich auf das Lateinische als ge-

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Simon Dach

meinsame poetische Verkehrsform (Nr. 24). Mit einem Gedicht in 36 Hexametern beschließt Dach den Reigen.344 Verwundert ist man einen Moment, wenn er zu Frey = Gedancken für seinen berühmten Kollegen, den Mathematiker Albert Linemann, ebensowenig unter den Beiträgern auftaucht wie unter einer großen griechisch-lateinisch-deutschen Sammelschrift (Nr. 26 und Nr. 25). Doch ist eben stets mit der Existenz von mehreren Stücken zu rechnen. So auch im vorliegenden Fall. Zum folgenden Hochzeit = Wunsch hat Dach im Anschluß an ein ›Lob des Ehestandes‹ von Christoph Wilkau und ein ›Problema Astronomicum Nuptiale & Iocosum an den Herrn Breutigam‹ eines nur mit Initialen zeichnenden Verfassers ein großes Alexandrinergedicht beigesteuert, nach üblicher Dachscher Manier nicht betitelt und gefolgt von einem gleichfalls in Alexandrinern abgefaßten Gedicht Heinrich Alberts, dem noch zwei Werke vom Bruder der Braut zu einem wiederum nur mit Initialen (›G.B.v.B.‹) zeichnenden Verfasser folgen (Nr. 27).345 Wie wichtig Dach das Ereignis war, wird auch daraus ersichtlich, daß er zu einer weiteren Gemeinschaftsschrift nochmals beitrug (Nr. 28). Unter einer Reihe lateinischer Beiträger ist er der einzige, der abschließend in einer ›Parodia‹ zum Deutschen greift.346 Das folgende Gedicht Heinrich Alberts zu einer Hochzeit des Freiherrn Johann Casimir von Eulenburg, in dem er nach drei kleinen lateinischen Beiträgen abschließend unter den Initialen ›M.H.A.‹ das Wort ergreift, ist gleichfalls bislang nicht bekannt (Nr. 29). In den sechs Strophen wird vornehmlich der Hochzeiter angesprochen. Vernehmen wir die dritte, in der der Dichter und Musiker dem Motiv des Liebesgartens eine innige Wendung zu geben vermag: Jhrer solt jhr in dem Garten Den die zarte Liebe bawt Auff das aller beste warten Als ein Brautgam seiner Braut: Alles last jhr zugefallen Jn dem steten Dienste wallen/ Jhr begehren vnd jhr wincken Solt jhr frewdig richten auß Biß der Monden gehet nach Hauß Vnd die bleichen Sterne sincken.

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Vgl. Oesterley Nr. 1131; Ziesemer II, 360, Nr. 80; Dünnhaupt Nr. 421. Vgl. Oesterley Nr. 446; Ziesemer I, 30–33 mit S. 322, Nr. 26 (unter Angabe der weiteren Beiträger); Dünnhaupt Nr. 128. Das Albertsche Gedicht bei Dünnhaupt I, 180, Nr. 9. Oesterley S. 841 f. mit Nr. 305; Ziesemer I, 29 f. mit S. 322, Nr. 25; Dünnhaupt Nr. 127.

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Zur Hochzeit des eben als Verfasser erwähnten Christoph Wilkau tun sich drei Beiträger zusammen (Nr. 30). Dach hat die Stellung in der Mitte inne und findet wieder einen bezaubernden Eingang, wie er in dieser Form allenfalls noch Fleming im Jahrhundert gelang: WJrd es nicht zu späte sein/ Bruder mein/ Jetzt erst sich der Eh ergeben? Liebe/ die auff Kinder sieht/ Heischt die Blüht Vnd das beste von dem Leben.347

Als Peter Oelhafen, Inspektor am Danziger Gymnasium und seit kurzem Professor beider Rechte, die Doktorwürde an der Academia Regiomontana erwirbt, gratulieren 1640 Kollegen und Freunde aus Königsberg und Danzig zahlreich und bis auf eine Ausnahme im Lateinischen (Nr. 32). Die Ausnahme macht dieses Mal jedoch nicht Simon Dach. Der steuert vielmehr acht bislang unbekannte Distichen bei: ›Ad Petrum Ölhafium, In Electorali Ad Pregelam Academia summo utriusque Juris gradu donatum‹, anhebend: MAgna fuit multis de telis mota Deabus, OELHAEI, quae te diceret esse suum?

Das darauf folgende Stück Nr. 33 ist erstaunlicherweise als Verfasserschrift nicht eigens ausgezeichnet, vereinigt jedoch zwei Gedichte von Dach, ein lateinisches ›Ad Illustrem Dn. Sponsum‹ und ein deutsches ›Vnter der Person Jhrer Gnaden des Herren Bräutigams an die HochEdle Jungf. Braut‹, beide ausnahmsweise – aber natürlich auseinandergerissen – neugedruckt.348 Beendet wird diese erste Dach-Sequenz mit einer Segens = Vermuhtung für seinen orientalistischen Kollegen Stephan Gorlovius anläßlich seiner Hochzeit mit Anna Derschau im Jahr 1658 (Nr. 35).349 –––––– 347

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Oesterley Nr. 970; Ziesemer I, 117 f. mit S. 339, Nr. 115; Dünnhaupt Nr. 340. Auf Ziesemer geht die Fehlinformation zurück, daß die Sammelschrift neben dem Gedicht von Dach und einem deutschen Gedicht von Georg Werner auch ein deutsches Gedicht von Kaldenbach enthält. Dünnhaupt wiederholt diesen Fehler. Schlägt man im Eintrag Kaldenbach unter dem 26. Januar 1643 nach (III, 2222, Nr. 34), so stößt man auf eine bibliographisch im Blick auf das 17. Jahrhundert gewiß singulär dastehende Angabe. Demnach soll Kaldenbach an diesem Tag ein ›Dt. Trauergedicht‹ zu der Hochzeit Wilkaus abgeliefert haben. Es handelt sich um ein Phantom. Der dritte Beiträger ist ›Johannes Henrich Hönicke LL. Stud:‹. Oesterley Nr. 681 (deutscher Beitrag), Nr. 1224 (lateinischer Beitrag); Ziesemer I, 78–80 (Neudruck des deutschen Beitrages) mit S. 331 f., Nr. 74 (hier der Neudruck des lateinischen Beitrags); Dünnhaupt Nr. 219. Oesterley Nr. 384; Ziesemer II, 140 f. mit S. 382, Nr. 102; Dünnhaupt Nr. 1206.

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In der Folge treten dann andere Druckorte hervor, die wir eingangs namhaft machten. Der Band ist also ganz offensichtlich – anders als manche der bislang besprochenen – nicht wirklich strukturiert, was aber seinem Gehalt im einzelnen natürlich keinen Abbruch tut. Immerhin bleibt der Bezug zu Königsberg auch dort wiederholt gewahrt, wo aus anderweitigen und im einzelnen durchweg nachvollziehbaren Gründen der Druckort wechselt. Gewahren wir dann in einem Rostocker Druck aus dem Jahr 1647 en passant für den Theologen der Regiomontana Johann Latermann einen unbekannten Beitrag Tschernings, so sind wir es zufrieden, dürfen freilich den allenthalben sich auftuenden Seitenpfaden unter gar keinen Umständen folgen (Nr. 38). Erst mit den Drucken Nr. 60 und Nr. 61 – stets nach der alten deutschen Zählung im Band! – kehren wir nach Königsberg im engeren Sinn und das heißt als Druckort zurück. Zu den Naeniae für Georg Heinrich von Wallenrodt kann Dach im Jahr 1660 ebensowenig wie zu einer zum gleichen Anlaß erscheinenden deutschsprachigen Sammelschrift noch beitragen.350 Am 19. Mai 1657 war Anna Catharina von Kreytzen, geb. von Pfuhl, gestorben, am 18. Juli ist sie begraben worden. Sebastiani komponierte ein Trost = Trauer = und Begräbnüß = Concert [...] mit 5. Vocal = und 4. Instrumental = Stimmen musiciret, das sich komplett in unserem Sammelband erhalten hat (Nr. 62). Dach hat zu diesem Anlaß zweimal zur Feder gegriffen. Eines der beiden Trauergedichte findet sich auch in unserem Sammelband, das damit dem bislang einzig bekannten Exemplar aus Breslau hinzugefügt werden kann (Nr. 63).351 Nämliches gilt für das Christliche Sterb = Lied für Christoph Rappe (Nr. 64), während die Schuldigen Tröst = Reime für einen jung Verstorbenen aus dem Geschlecht der von Eulenburg bezeichnenderweise wieder häufiger überliefert sind, also weitere Verbreitung fanden (Nr. 68).352 In derartigen Fällen bleibt dann freilich wiederum zu überprüfen, ob andere Kollektionen auch die große lateinisch-deutsche Beigabe von Stephan Gorlovius sowie anderweitige Stücke zum gleichen Anlaß mit sich führen, die –––––– 350

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Das Stück kehrt als Nr. 65 im Band nochmals wieder. Die Ordnungsnummer ist dann jedoch durchgestrichen, da der Sammler oder Bibliothekar es als Dublette offensichtlich nicht mitzählen wollte. Der bibliothekarische Umgang mit diesem Sammelschrifttum ist also immer wieder von Willkür und Dilettantismus geprägt. Natürlich hätte hier wie in anderen Fällen eine Dublette in die Zählung des Sammelbandes einbezogen werden müssen. Oesterley S. 328 f. mit Nr. 709; Ziesemer IV, 387 mit S. 570, Nr. 214; Dünnhaupt Nr. 1124. Oesterley S. 333 f. mit Nr. 517; Ziesemer IV, 432 mit S. 574, Nr. 240; Dünnhaupt Nr. 1168. Oesterley Nr. 986; Ziesemer IV, 447–450 mit S. 576, Nr. 250; Dünnhaupt Nr. 1184.

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unser Band im Anschluß bietet (Nr. 69–72). Gleich das nächste Stück Dachs (Nr. 73) für Ludwig Wilhelm von Pudewels, das die gleiche Überlieferung aufweist, steht zumindest in unserem Band alleine, während Dach in seinem lateinischen Gedicht für Johann Albert Rauschke, einer eigenständigen Verfasserschrift, wieder in reger Gesellschaft ist, ganz offensichtlich provoziert durch den Sterbefall in adeligem Hause (Nr. 78).353 Wir könnten so fortfahren, dürfen aber Raum und Geduld nicht allzu sehr beanspruchen. Deshalb nur noch das Folgende. Die lange Reihe der Königsberger Drucke vornehmlich der vierziger Jahre, in der wir uns bewegen, kennt Dach nur noch einmal als lateinischen Beiträger in der Funeralschrift für Wolfgang Friedrich Truchsess von Wetzhausen mit einem an Georg von Rauschke gerichteten Beitrag (Nr. 80).354 Hinzu tritt der erstaunlicherweise anonyme deutsche Beitrag in der Christlichen Erinnerung für Wolff von Kreytzen (Nr. 81).355 Als Verfasserschrift Dachs aber ist dann seine Trauerschrift für Catharina von Brandt, geb. Freifrau zu Eulenburg gekennzeichnet (Nr. 97).356 Immerhin: Eine Überraschung hält der Band nochmals am Schluß bereit. Als der Ratsverwandte Johann Albrecht Feyerabend hochbetagt im August 1658 stirbt, tut sich Dach mit dem Musiker Zacharias Meißner zu einem fünfstimmigen Christlichen Leich = Lied zusammen (Nr. 100). Das Stück ist nicht nach Breslau gelangt, wo so viele andere Texte unseres Bandes sonst zu finden waren. Es ist daher unbekannt geblieben. Fünf Strophen hat Dach dem Anlaß gewidmet. Die Lesung des Textes der ersten und zweiten Strophe ist leider mehrfach verderbt, die der ersten jedoch unter Zuhilfenahme der beigegebenen Musikfassung insgesamt zuverlässig zu rekonstruieren: ES ist nicht schlechte Gnad auf Erden/ Lang leben ohne Kranckheit Qual/ Geliebet und geehret werden Auch von der Enckel grossen Zahl/ Noch mehr als achzig Jahr erreichen/ Vnd endlich satt der Eitelkeit

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Oesterley Nr. 551; Ziesemer IV, 446 f. mit S. 576, Nr. 249; Dünnhaupt Nr. 1183. Oesterley Nr. 1201; Ziesemer IV, 513, Nr. 47; Dünnhaupt Nr. 457. Oesterley Nr. 1187; Ziesemer IV, 510 f., Nr. 25 (mit Angabe der weiteren Beiträger); Dünnhaupt Nr. 322. Oesterley S. 216 f. mit Nr. 632; Ziesemer IV, 504 f. mit S. 581, Nr. 294. Dort der zutreffende (vorsichtige) Zusatz: »Ohne Dachs Namen überliefert, aber wahrscheinlich von ihm.« Dünnhaupt Nr. 602 mit der schwerlich zutreffenden Annotation, daß die Anonymität von dem Auftragscharakter des Werkes herrühre. – Der Text auch im achten und letzten Band der Albertschen Arien. Oesterley Nr. 965; Ziesemer IV, 97 f. mit S. 543, Nr. 58; Dünnhaupt Nr. 863.

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Simon Dach

Des Lebens und der bösen Zeit Jn sein geliebtes Grab entweichen.357

Ganz zum Schluß läßt sich Dach nochmals mit einem späten Hochzeitsgedicht aus dem Herbstmonat des Jahres 1658 vernehmen (Nr. 101).358 Der Sammelband Tit. II D. 16 Der folgende näher zu inspizierende Sammelband hat die nämliche Herkunft: ›Tit. II D. 16‹ ist auf dem Buchrücken zu lesen. Unter der Signatur Pol. 7. II 2155–2246 ist er in die Thorner Universitätsbibliothek eingegangen. Wie unmittelbar ersichtlich, birgt er knapp 100, genauer 92 von alter deutscher Hand ausgezeichnete Drucke. Nicht ersichtlich ist aus der schlichten numerischen Angabe dagegen, daß es sich ganz überwiegend um DachDrucke handelt. Der Sammler muß ein Interesse an diesem Autor gehabt haben. Wir zählen 87 Dach-Drucke in dem Band. Auch er ist allen DachEditoren und -Bibliographen bislang unbekannt geblieben. In zahlreichen Fällen ist also weiterer Dach-Besitz erstmals auch für Thorn in Anschlag zu bringen – herrührend vermutlich aus Stargard. Wiederum handelt es sich viele Male um das zweite bekannte Exemplar. Und in einem Fall darf Thorn bis auf weiteres den Zusatz ›Unikat‹ für sich reklamieren. Wir verdanken mit anderen Worten auch diesem Band neuerlich einen bislang unbekannten Dach-Titel. Bei ihm müssen wir es in unserer Präsentation im wesentlichen belassen. Alles weitere muß einer revidierten Dach-Bibliographie vorbehalten bleiben. Zuvor aber ist die Feststellung zu treffen, daß es sich bei den DachDrucken ausnahmslos um Verfasserschriften handelt. Und zwar wiederum ausnahmslos um deutschsprachige. Nur ein einziger Druck – die Nummer 2176 – setzt sich aus einem deutschen und einem lateinischen Gedicht zusammen.359 Trauerschriften überwiegen ganz merklich. Wir zählen 70 selbständige Titel. Ihnen stehen 14 Hochzeitsgedichte und ein Gratulationsgedicht gegenüber. Einmal besingt Dach die Einweihung der neuerbauten –––––– 357

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Ziesemer IV, 458–460 mit S. 577, Nr. 254, und entsprechend Dünnhaupt Nr. 1192 kennen nur ein anderes Dachsches Gedicht zum gleichen Anlaß ohne Musik, das häufiger überliefert ist. Von Dünnhaupt wird das Stück wieder nach ›Vilnius AK (ex Königsberg UB)‹ versetzt, weil Ziesemer als ehemaligen Fundort ›SS 44 (W) 33‹ angibt. Der Band SS 44 aus der Wallenrodtschen Bibliothek ist, wie erwähnt, leider bislang nicht wieder aufgetaucht. Oesterley Nr. 585; Ziesemer II, 135 f. mit S. 382, Nr. 99; Dünnhaupt Nr. 1194. Oesterley Nr. 975 und Nr. 1227; Ziesemer IV, 37–39 (mit Abdruck des lateinischen Beitrags!); IV, 535, Nr. 22; Dünnhaupt Nr. 811 (wieder kühn (und unzutreffend) aus der Ziesemerschen Angabe: SS 43 (W) 53 nach Vilnius versetzt).

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Kirche auf dem Sackheim in Königsberg (Nr. 6; 2161).360 Und dann hat in dem Band auch Dachs Lobgesang Jesv Christj wegen seiner Sieg = und Frewdenreichen Aufferstehung Von den Todten aus dem Jahr 1652 – der Kurfürstin Louise Henriette von Brandenburg gewidmet – Platz gefunden, auch dieser eine Rarität (Nr. 14; 2168).361 Die zeitliche Marge erstreckt sich über das gesamte Schaffen Dachs, mit natürlichem Schwerpunkt in den vierziger und fünfziger Jahren. Das unbekannte Hochzeitsgedicht ist das Stück Nr. 80 in der alten Zählung (jetzige Signatur: 2234) und stammt vom 9. Februar 1654. Zugedacht ist es Gregor Schubert, dem Rektor der Schule zu Bartenstein. Dach hatte ihn zur ersten Hochzeit mit Dorothea Beckschlager im Jahr 1648 besungen.362 Jetzt greift er neuerlich zur Feder anläßlich der Heirat mit Christine Colbe, Tochter des Diakons der Gemeinde auf dem Kneiphof Georg Colbe, eben des schon erwähnten verdienstvollen Verfassers der Königsberger Presbyterologie. Sieben Strophen schenkt er dem Paar. Und wieder hat er es sich nicht nehmen lassen, einleitend den düsteren Zeitbezug herzustellen, selbstverständlich auch im Blick auf den Umschwung anläßlich des freudigen Ereignisses. Stets aber vor allem, um den theologischen Gehalt als eine schlichte Erfahrung gelebten Glaubens zu erinnern: HAt Gott uns wund geschlagen Und durch die Pest verhert/ Flieht über Jhn zu klagen Wir waren dessen wehrt: Rühmt seine Güte wieder/ Er stellt die Rutten ein/ Und kehrt in Frewden = Lieder Die Thränen unsrer Pein.

Wir aber wollen den Band nicht verlassen, bevor wir nicht noch einen Blick auf die wenigen anderen Titel geworfen haben, stammen sie doch teils von illustren Autoren. Der Sammler muß mit der Königsberger, aber auch mit der Danziger Literaturszene vertraut gewesen sein. Denn die Zusammenstellung wird eröffnet mit Gertrud Möllers großem lyrischen, den Alexandriner nochmals rehabilitierenden Erbauungswerk Die wunder = vollen Liebes = Wercke Des DreyEinigen Großen Gottes, das undatiert bei Reusner in Königsberg er–––––– 360

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Oesterley S. 225–228 mit Nr. 951; Ziesemer III, 292–294 mit S. 490, Nr. 206; Dünnhaupt Nr. 644. Oesterley S. 262–288 mit Nr. 468; Ziesemer III, 435–459 mit S. 503, Nr. 282; Dünnhaupt Nr. 71. Oesterley S. 197 f. mit Nr. 77; Ziesemer I, 209 f. mit S. 349, Nr. 192; Dünnhaupt Nr. 539. Der Einzeldruck war aus der Abschrift im Königsberger Staatsarchiv bekannt. Wiederabgedruckt in Alberts Arien VII, 15.

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schien.363 Am Schluß (Nr. 89; 2243) hat der Sammler Titzens gleichfalls seltene Lucretia plaziert, die wiederum undatiert bei Hünefeld in Danzig erschien.364 Das Werk weist Unterstreichungen und Annotationen auf. Leider ist es nicht komplett, nur die jeweils vier Quartblätter A4–C4 sind vorhanden. Das Szenarium zu Kongehls Der verkehrte und wiederbekehrte Printz Tugendhold, einem Lust = Spiel, das 1691 ›Von denen Lernenden der Kneiphöfischen Thumb = Schulen [...] auf dem Kneiphöfischen Juncker = Hofe‹ zur Aufführung kam, schließt sich an (Nr. 90; 2244). Dünnhaupt kennt es ebensowenig wie der verdiente Biograph des Dichters Andreas Keller, der so überaus sorgfältig recherchiert hat.365 Sollte es ein Unikat sein? Von Kongehl geht es weiter zu Georg Neumark. Stück Nr. 91 des Sammelbandes bietet sein illustres Pastoral Oder Schäfer = Gedichte mit dem Titel auf dem Vorsatz-Blatt: Der Hochbetrübt = verliebte Hürte Myrtillus wegen seiner Edlen und Holdseligen Schäferin Eufrosillen anläßlich der Hochzeit von Achatz von Bork und Euphrosina von Schlieben, die im November 1649 ›auf dem Hoch = Adelichen Hause Wandlakken‹ mit musikalischer Untermalung begangen wurde. Der mit der Musik des Autors ausgestattete Notendruck ist selten geblieben, seit Heinrich Meyer ihn in die Forschung einführte.366 Wir schätzen uns glücklich, ein weiteres bislang unbekanntes Exemplar der Bukolik-Bibliographie zuführen zu können. Wenn der Band dann schließt mit einem Königsberger Druck aus dem Jahr 1725, so ist sichergestellt, daß er frühestens im dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eingerichtet worden sein kann. Der Sammelband Tit. XXII 79 Noch einen dritten Sammelband aus der mysteriösen, aber so gehaltvollen ›Tit.‹-Reihe, angefüllt mit Dach-Drucken, vermögen wir zu präsentieren, ohne uns für Vollständigkeit verbürgen zu wollen. Denn wir arbeiten ja nicht über Wochen in Magazinen Band für Band durch, sondern wir blättern anläßlich von Bibliotheksreisen, am jeweiligen Ort auf wenige Tage berechnet, in Katalogen und hoffen, daß das Finderglück uns hold ist. Die gründliche Arbeit muß den heimischen Bibliothekaren vorbehalten bleiben. Vielleicht, –––––– 363

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Pisanskis: Entwurf einer preußischen Literärgeschichte (Anm. 31), S. 420; Woods, Fürstenwald: Schriftstellerinnen des deutschen Barock (Anm. 247), S. 70, Nr. 12. Dünnhaupt VI, 4034, Nr. 17, mit Exemplar-Nachweisen für Danzig, London und Tübingen. Vgl. die großangelegte Bibliographie in dem Werk von Keller (Anm. 201), S. 729 ff. Zum Kontext jetzt das schöne Kapitel ›Gelegenheitsdichtungen der Königsberger Zeit‹ und die ›Poetischen Tafeln‹ in: Michael Ludscheidt: Georg Neumark (1621– 1681). Leben und Werk.- Heidelberg: Winter 2002 (= Jenaer Germanistische Forschungen; 15), S.112 ff.

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daß dann auch das Rätsel um die Sigle ›Tit.‹ sich definitiv lösen würde. In jedem Fall kommt es darauf an, daß verschiedene Personen sich die Hände reichen. Jetzt geht es um den Sammelband mit der alten Aufschrift ›Tit. XXII 79‹ und der jetzigen Signatur Pol. 7. III 353–422. Auch er wird uns nicht enttäuschen, enthält er doch fast ausschließlich wiederum Königsberger Drucke des 17. Jahrhunderts, darunter zahllose von Valentin Thilo. Und auch für ihn gilt, was für die Vorgänger festzustellen war: Der Dach-Philologie ist er unbekannt. Eröffnet wird der Band mit einer rektorialen Einladungsschrift aus dem Jahr 1636 zu den Trauerfeierlichkeiten für Hans Truchsess von Wetzhausen, Supremi Prussiam Regentis Consiliarij ac Bvrggravii laudatissimi, Magni Musarum Patroni. Der sich anschließende Druck von Heinrich Albert zum Tod (1641) und Begräbnis (1642) von Ernst Rappe hat keinen Bezug zu dem Vorgänger. Die Einladungsschrift ist also nicht begleitet von poetischen Beigaben, nach denen in Sammelbänden stets besonders Ausschau zu halten ist. Das Gedicht Alberts, acht sechszeilige Strophen mit vierhebigen Jamben, begleitet von Noten, ist unbekannt. Auch die Albert-Bibliographie bedarf also der Erneuerung. Es folgt Dachs große Alexandrinerdichtung Der Neuerbaueten Evangelischen Kirchen auff Churfürstl. alten Freyheit Sackheim in Königsberg/ Vnterthänigste Rede/ An den Durchläuchtigsten Fürsten und Herrn/ Hn. Friedrich Wilhelmen aus dem Jahr 1653, die als Einzeldruck bislang nur aus einem Tübinger Exemplar bekannt war und später in die posthume Ausgabe einging.367 Weiter hinten in dem Sammelband – nach einer ganzen Reihe Władysław IV. gewidmeten Huldigungen – ist Dach neuerlich mit einem bibliographisch bislang nicht geführten Gedicht, einem Glückwunsch zur Taufe von Georg Friedrich von Brandenburg am 29. April 1655, zur Stelle.368 29 Strophen sechszeilige trochäische Vierheber widmet Dach dem geistlichen Akt, anhebend: GOTT entbrennet im Gemüte Nie so hefftig auff ein Land/

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Dünnhaupt Nr. 920.I. Nicht bei Oesterley und Ziesemer. Es nimmt Wunder, daß der Einzeldruck in Königsberg nicht vorhanden gewesen sein soll. Hielt Ziesemer seine Erwähnung nicht für nötig, da der Text ja in der posthumen Ausgabe vorlag? Pol. 7. III 366, adl. 14. Der Titel: Vnterthänigste Glücksvermuhtung/ Welche bey des Durchläuchtigsten Fürsten und Herrn/ Herrn Georg Fridrichs/ Marggraffen und Churprintzen zu Brandenburg/ [...] Meines gnädigsten Fürsten und Herrn Heiligen Tauffe So 1655. 29. Ostermon. altes Calenders höchstfeyerlich zu Cölln an der Spree verrichtet worden/ Zu Königsberg in Preussen demütigst geschöpffet Simon Dach. Königsberg/ Gedruckt durch Churfl. Brandenb. Preuss. und Academ. bestalten Buchdr. Johann Reusnern. Das Titelblatt ist mit einem Emblem geschmückt. Die Inscriptio: Rebvs Malis Des Et Bonis Constantiam Mihi Devs[.]

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Daß nicht väterliche Güte Stets dabey werd’ eingewandt: Da ist Straff auff unsre Schuld/ Hie Erbarmen und Gedult.

Nur das schon einen Tag später fällige, nahezu identische Gedicht zur Taufe von Karl Emil von Brandenburg war bislang als Einzeldruck bekannt.369 Und nur dieses ging in die spätere Ausgabe mit Gedichten auf das Kurfürstliche Haus ein. Der vorangehende Druck kann nun erstmals der Dach-Philologie zugeführt werden. Die mit dem Zusammenhang der beiden Texte verbundenen Probleme können hier nicht diskutiert werden. Das Geburts = Getichte für Prinz Friedrich von Brandenburg aus dem Jahr 1657 war nach 1945 bislang nur aus der Predigerbibliothek zu Preetz bekannt.370 Vor dem Krieg stand es in der Universitätsbibliothek Königsberg unter der Signatur Tl 2 (G) 4. Das weisen Oesterley und Ziesemer aus.371 Auch in Stargard hat das Geburts- und Taufgedicht geschlummert, bevor es nach Thorn kam (23. Beistück, Nr. 373). Dach hat es aus einem deutschen und zwei lateinischen Gedichten zu einer repräsentativen Verfasserschrift gefügt. 19 Strophen mit sechs trochäischen Vierhebern wendet er in dem deutschen Gedicht auf das Ereignis. Oesterley führt die beiden lateinischen Zugaben noch auf (Nr. 1133 und Nr. 1113). Ziesemer (II, 361, Nr. 87) hat nur noch eines der beiden lateinischen Gedichte der Verzeichnung gewürdigt. Einen Grund kann es nicht geben, sind beide Gedichte doch titulatorisch klar voneinander abgehoben: ›Ad recens natum Serenissimum & Celsissimum Infantem Principem ac Dominum meum Clementissimum, Lustrali aqua Christo & Ecclesiae solenniter insertum.‹ [Gezeichnet:] ›Simon Dachius.‹ [Und:] ›Textus Genethliaci harmonici eidem Principi Infanti decantati.‹ [Gez.:] ›idem qui suprà.‹ Auch Lohmeier erwähnt im Blick auf das Preetzer Exemplar (so wie Ziesemer für das einstige Königsberger) nur das zweite der beiden lateinischen Gedichte. Dünnhaupt führt sie indessen korrekt auf, freilich ohne Titel und nur mit verstümmelten Incipita. Die Dach-Philologie bleibt also voll des Rätselhaften. Ein sehr viel früheres Gedicht zur glücklichen Geburt von Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm aus dem –––––– 369

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Dünnhaupt Nr. 1019.1. Oesterley kennt den Erstdruck nicht. Ziesemer (II, 388, Nr. 142) weist – im Gegensatz zu der Aussage von Dünnhaupt – das auch bei Dünnhaupt erwähnte Berliner Exemplar des Einzeldrucks sehr wohl nach. Dünnhaupt kennt zusätzlich ein Tübinger Exemplar. Vgl. Dieter Lohmeier: Simon-Dach-Drucke in der Predigerbibliothek des Klosters Preetz.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 3 (1976), S. 172–174, Nr. 2. Vgl. Oesterley S. 681–684 mit Nr. 546; Ziesemer II, 249 f. mit S. 388, Nr. 149. Hier auch Verweis auf den lateinischen Beitrag, der S. 361, Nr. 87 aufgeführt ist; Dünnhaupt Nr. 1127.

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Jahr 1638 war bislang wiederum nur aus dem so ergiebigen Tübinger Fonds bekannt.372 Oesterley und Ziesemer hatten es in Königsberg offensichtlich nicht gesehen.373 Es handelt sich um eine umfängliche Verserzählung im Wechsel von Blöcken aus Alexandrinern und vierhebigen Trochäen – eine von Dach nur selten verwendete Form. Dach hat dem Text im Einzeldruck sechs lateinische Distichen ›Ad Serenissimos & Celsissimos Principes‹ vorangestellt. Deren Nachweis sucht man bei Dünnhaupt wieder vergeblich. Entsprechend muß für so gut wie jeden Titel nachgearbeitet werden. Das nachfolgende große lateinische Hexametergedicht gilt der ersehnten Ankunft Friedrich Wilhelms am 23. September 1638 in der Königsberger Universität. Es befand sich in einem einzigen Exemplar in der Königsberger Universitätsbibliothek (Pb 13.2.18) und ist als solches über Oesterley (Nr. 1041) und Ziesemer (II, 360, Nr. 79) bezeugt. Es ist jedoch verschollen. Ersatz war bislang nicht bekannt. Dünnhaupt (Nr. 157) weist einen Einblattdruck aus, den er in die Akademiebibliothek nach St. Petersburg mit dem obligatorischen Zusatz ›ex Königsberg UB‹ versetzt und mit dem keinen Sinn ergebenden Zusatz versieht »Einblattdruck zum gleichen Anlaß wie die vorige Nr.« In St. Petersburg ist ein solcher nicht bekannt. Und der vorangehende Titel ist einem anderen Anlaß gewidmet. In Thorn liegt ein vier Blatt umfassender Quartdruck vor. Drei Blatt sind gefüllt mit Titel und lateinischem Text. Es folgt auf einem vierten Blatt eine ›Schuldigste Dienst = Erweisung Jhrer Churfürstlichen Durchläuchtigkeit zu Brandenburgk Georg Wilhelmen/ etc. etc. etc. Durch einen Musicalischen Auffzug zu Königsberg in Preussen Von den sämptlichen Studiosis dero Churfürstl: Durchläuchtigk. Vniversitet daselbst vnterthänigst bezeuget. Jm Jahr 1638. den 7. Tag des Wintermonats.‹ Sie gilt einem späteren Anlaß und ist aus der Literatur bekannt.374 Wenig später (Nr. 389) findet sich Dachs späte große Trostschrift für Martin Siegismund von Wetzhausen. Sie war einst nur für die Universitätsbibliothek Königsberg in dem soeben berührten Band Tl 2 (G) 85 nachgewiesen und entsprechend durch Oesterley (Nr. 297) und Ziesemer (IV, 577, Nr. 257; der Text IV, 462–466) bezeugt. Dünnhaupt versetzt einstige Königsberger Titel wie wir wissen wahlweise nach Vilnius oder Leningrad, diesmal ist das heutige St. Petersburg begünstigt. Das Werk ist dort nicht, es –––––– 372 373

374

Dünnhaupt Nr. 164.1. Der Titel steht als 33. Beistück unter Pol. 7. III 382. Vgl. Oesterley S. 557–572 mit Nr. 132; Ziesemer II, 146–155 mit S. 389, Nr. 155, jeweils nur mit Verweis auf die posthume Ausgabe. Dünnhaupt Nr. 161 mit vielfach abweichendem Titel und Nachweis für Erlangen und London. Ziesemer II, 155 f. mit S. 383, Nr. 106 unter Verweis auf das Londoner Exemplar. Oesterley Nr. 830 ohne Exemplar-Nachweis und Verweis auf von Maltzahn. Es muß eine Kollationierung der nunmehr drei bekannten Exemplare durchgeführt werden.

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mußte bislang als verschollen gelten. Wir können nun aus vermutlich originärem Stargarder Besitz ein komplettes Exemplar erstmals nach 1945 wieder nachweisen. Der funerale Kontext ist durch die akademische Einladungsschrift und weitere selbständige poetische Zuschriften hervorragend dokumentiert. Die musikalische Version Matthäis findet sich gleichfalls in dem Band (Nr. 394). Ob das bei dem Königsberger Exemplar auch so war, entzieht sich unserer Kenntnis. Niemand hat sich darüber im Zusammenhang mit Dach geäußert. Auch Dachs Klage auf den Tod Friedrichs von Dönhoffs konnte man nach 1945 nicht mehr im Original lesen. Das Königsberger Exemplar muß bis auf weiteres als verschollen gelten.375 Dünnhaupts Leningrader Exemplar (Nr. 708) führt nur eine Phantom-Existenz; der Titel ist – mit einigen Varianten (die wohl Nähe zum Original vortäuschen sollen) und Kürzungen – Ziesemer entnommen, der seinerseits bereits einen flüchtigen Umgang mit dem Titel des ihm vorliegenden Originals pflegte. Zukünftig wird man sich wieder über das Thorner Exemplar an den originären Dachschen Wortlaut in Titel und Text halten können (Nr. 413). Damit ist die Haupt-Quelle für Drucke Simon Dachs in Thorn ausgeschöpft. Erstmals auf unserer Wanderung ist also nicht eine alte Königsberger Bibliothek an ihrer neuen Heimstatt von uns zu konsultieren gewesen, sondern eine aus dem pommerschen Stargard, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gut eines uns bisher unbekannten Sammlers barg – eine zu weiterer Nachforschung dringend herausfordernde Situation. Was im folgenden zu vermelden ist, betrifft nicht mehr ganze Dach-Sequenzen, sondern nur mehr Einzelstücke. Aber auch diese Aufgabe will mit Akribie erledigt sein, wobei Vollständigkeit, um es zu wiederholen, nach Kräften angestrebt wurde auf den Reisen, mit Gewißheit aber nicht erreicht werden konnte. Und das um so weniger, als immer zahlreiche andere Fährten auch verfolgt sein wollten. Kleinschrifttum aus der Königsberger Stadtbibliothek Zu den besonders beglückenden Erlebnissen in Thorn gehörte die Begegnung mit Kleinschrifttum aus der Königsberger Stadtbibliothek, jeweils in einzeln eingeschlagenen Heften. Dieses Genre in dieser Aufmachung gehörte zu den Spezialitäten der alten deutschen Stadtbibliotheken. Es war ein zumeist um Personen gruppiertes Schrifttum, das gut greifbar präsent gehal–––––– 375

Das Königsberger Exemplar: S 92.2.13. Vgl. Ziesemer III, 495, Nr. 236 mit dem Text III, 345–348; Oesterley Nr. 352 mit möglicherweise kryptischem ExemplarNachweis ›k.d.g.‹, einem nicht weiter ausgewiesenen Zusatz, der sich auf die ›Königlich Deutsche Gesellschaft‹ beziehen dürfte.

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ten werden mußte, um auf Nachfragen aus dem lokalen Nutzerkreis verfügbar zu sein. Vielfach war es in einer eigenen Abteilung Genealogica zusammengefaßt, alphabetisch nach Adressaten sortiert, denn um die ging es der genealogisch interessierten Klientel ja. Ob die Königsberger Stadtbibliothek sich gleichfalls dieser Gepflogenheit anbequemte, vermögen wir nicht zu sagen. Gemeinsame Verwahrung an einer Systemstelle dürfte aber doch wohl vorauszusetzen sein. Natürlich sind es stets nur Einzelstücke, die derart faßbar werden, aber auch sie zählen. Sie werden in großer Menge in der Stadtbibliothek vorhanden gewesen sein. Heute sind sie, sofern überhaupt erhalten, zerstreut. In Thorn haben wir von allen Königsberger Dichterinnen und Dichtern des 17. Jahrhunderts solche Einzelstücke in der Hand gehabt. Die Dachiana unter ihnen sind besonders selten und kostbar. Mehrheitlich handelt es sich dabei, sofern aus der Königsberger Stadtbibliothek herrührend – dürfen wir sagen: symptomatischerweise? –, um Beiträge über Dach. Zu dieser in Thorn besonders ausgeprägten Überlieferung sogleich und abschließend. Zu den von Dach stammenden Titeln gehört sein Christliches Leichgedächtniß für Albrecht Rohde aus dem Jahr 1653.376 Dieser war der Sohn des gleichnamigen Altstädtischen Bürgers und hatte den Aufstieg in den Altstädter Rat bewerkstelligt, der nun die Ehrung zur Folge hatte. Dach nimmt darauf ausdrücklich Bezug. Gottesfürchtig habe der Verewigte sein Leben zugebracht: Die lehrt jhn friedlich leben/ Sah’ jhm die Ehgenossen aus Bracht Heyraht = Pflantzen in sein Hauß/ Vnd wust’ jhn zuerheben Biß in den Raht, jhr schreib’ ich zu Auch seines schönen Alters Rhu[!].

Ziesemer kennt nur zwei Exemplare, eines aus der Breslauer und eines aus der Königsberger Stadtbibliothek. Es dürfte das uns vorliegende sein. Die Signatur lautete Q 399 in der Stadtbibliothek. Es war also nicht Bestandteil eines Sammelbandes, sondern wie das unsere ein Einzelstück. Unter ›Q‹ war, wie erwähnt, in der Universitätsbibliothek die Literaturgeschichte untergebracht und so wohl auch in der Stadtbibliothek. Ziesemer kennt sieben solcher ›Q‹-Drucke, also verschwindend wenig im Blick auf die Masse der Dach-Gedichte. Hier kommt uns eines aus der kleinen Schar zu Gesicht und wir begrüßen es dankbar. Besonders reich mit Einzeldrucken war die Kaldenbach-Sammlung der alten Stadtbibliothek ausgestattet. Das ist auch heute noch in Thorn zu be–––––– 376

Oesterley Nr. 399; Ziesemer IV, 106–108 mit S. 544, Nr. 61; Dünnhaupt Nr. 866. Signatur der UB Thorn: Pol. 7. II 4525.

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merken. Eine ganze Reihe von Stücken ist durch unsere Hände gegangen. Ob sie alle schon Eingang in die kurrenten Kaldenbach-Bibliographien gefunden haben? Wir fürchten nein. Unter der Signatur Pol. 7. II 4543 ist eine Huldigung der Academia Regiomontana für ihr hochangesehenes Mitglied aus dem Jahr 1655 überliefert, an der sich Dach mit einem lateinischen Beitrag beteiligt. Es handelt sich wieder um ein Einzelstück aus der Stadtbibliothek. Ziesemer (II, 359, Nr. 72) erwähnt es nicht, sondern greift – wie bereits Oesterley (Nr. 1020) – auf einen bislang verschollenen Sammelband aus der Wallenrodtschen Bibliothek zurück (SS 42 (W) 125), den Dünnhaupt (Nr. 1008) als Phantom-Exemplar wiederum nach Vilnius versetzt, will sagen: er bedient sich der Eintragungen seiner Vorgänger, ohne dies kenntlich zu machen, und zieht sodann falsche Schlüsse aus ihnen. Wir gäben viel darum, über die Systemstelle und Signatur gerade dieses Thorner Exemplars aus der Stadtbibliothek, das bislang unbekannt blieb, Auskunft erteilen zu können. Zwei weitere Dachiana haben einen längeren Weg genommen. Es handelt sich um zwei Drucke, die nicht aus alten Sammlungen herrührten, sondern auf dem Antiquariatsmarkt erworben wurden. »Gekauft aus dem Antiquariat von J.A. Stargardt. Kat. 220. Nr. 552.602.« steht in akkuratester Schrift und bester deutscher bibliothekarischer Vorkriegs-Tradition auf dem Vorsatzblatt. Dort ist auch die alte Signatur offenbar von gleicher Hand notiert: »Oe 1223. 80«. Von Ziesemer wissen wir, daß diese Signatur in der Universitäts- und in der Stadtbibliothek in Umlauf war. Beide Einrichtungen kämen also in Frage. Die Art der Bindung dürfte jedoch auf die Stadtbibliothek verweisen. Zwei Gedichte Dachs hat Stargardt feilgeboten, und die Königsberger griffen erfreulicherweise zu: Seine Schuldige Klag vnd Trost anläßlich des Todes der Gattin des Geheimen Rats Georg von Rauschke, der uns schon wiederholt begegnete, und seine Trostreimchen für Regina Schimmelpfennig, die den Tod ihres Mannes Sigismund Scharff zu beklagen hatte.377 Das letztere ist auf dem Titelblatt als Dublette gekennzeichnet, möglicherweise der UB Tübingen. Der Sachverhalt, ohnehin ein wenig am Rande angesiedelt, müßte von Fachleuten weiter verfolgt werden. Die heutigen Thorner Signaturen lauten: Pol. 7. II 14518 und 14519. –––––– 377

Vgl. Oesterley Nr. 375; Ziesemer III, 354–356 mit S. 496, Nr. 242. Ziesemer kennt aus Königsberg nur das Exemplar aus dem Sammelband der Stadtbibliothek H.B. S 5. Dünnhaupt Nr. 715.- Zu dem zweiten Druck vgl. Oesterley Nr. 987; Ziesemer IV, 57–60 mit S. 538 Nr. 35 (ohne Kenntnis eines Königsberger Exemplars); Dünnhaupt Nr. 828 (unter Nominierung eines Exemplars in der AB Vilnius ›ex Königsberg UB‹, woselbst ein solches nicht vorhanden ist).

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Sammelbände aus der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek Aus der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek sind sehr viel mehr Bände als aus der Stadtbibliothek nach Thorn gelangt – wohlgemerkt immer nur in bezug auf die Altdrucke, die bis 1800 überall in Mittel- und Osteuropa als solche firmieren. 8539 bibliographische Einheiten in 4286 Bänden weist Maria Strutyńska für die Universitätsbibliothek aus, 2105 bibliographische Einheiten in 1972 Bänden für die Stadtbibliothek, wobei man wissen muß, daß die in der Universitätsbibliothek aufgestellte Bibliothek Bläsing extra gezählt wurde.378 Erstaunlicherweise haben wir keine Sammelbände aus der Universitätsbibliothek in der Hand gehabt, die Dach-Drucke in größerem Umfang enthalten hätten, so reich das Königsberger Umfeld aus der fraglichen Zeit ansonsten auch bestellt war. Einzuräumen ist freilich, daß es in vielen Fällen nicht gelang, die Herkunft der Sammelbände mit Sicherheit zu bestimmen. Durchaus möglich, daß sich solche aus der Universitätsbibliothek darunter verbargen. Zu diesen gehört etwa der Sammelband Pol. 7. II 2427–2448. Er fiel uns auf, weil er einen Abris Deß Newen Vngewöhnlichen Cometen enthält, der im Jahre 1652 gesichtet worden war, worüber aus Hamburg berichtet wurde (2438). Ein Jahr später lag dann eine Flugschrift vor, in der Auskunft über Die Bedeutung Des Cometen der bey dem Sieben = Gestirn ist Anno 1652. den 11./21. Decemb. gesehen worden, erfolgte. Sie erschien ohne Druckort 1653 (2439). Umstandslos wechselt der Band sodann herüber zu klassischem akademischen Schrifttum aus Königsberg. Das 14. Stück birgt die Intimatio für die Trauerfeierlichkeit des Altstädter Pfarrers Martin Wolder mit anschließenden lateinischen Gedichten zu diesem Anlaß, unter denen Dach nicht zu finden ist. Dann aber bringt der Band drei der auch von Dach so lebhaft gepflegten geistlichen Programme, die eine besondere Kostbarkeit darstellen. So auch im vorliegenden Fall. Es handelt sich um das Osterprogramm des Jahres 1648 (Nr. 2442) sowie die Pfingstprogramme der Jahre 1657 (2443) und 1654 (2444). Alle drei werden in üblicher Praxis durch einen längeren geistlichen Beitrag in lateinischen Versen beschlossen. Dünnhaupt (Nr. 32, 60 und 54) führt diese ohne die Programme selbst auf, denen sie doch zugehören, und kennt in zwei von drei Fällen nur Breslau als Verwahrungsort. Wie stets empfiehlt sich für die Überlieferung der Rückgang zu Ziesemer.379 Dieser kennt alle drei Stücke aus einem Sammelband der Universitätsbibliothek Königsberg (Ca 59.4.12), die beiden ersten auch aus Breslau sowie das erste zusätzlich aus der Universitätsbibliothek Königsberg (Cdβ 460) und aus der –––––– 378 379

Vgl. Strutyńska: Struktura proweniencyjna (Anm. 331), S. 11 und S. 16. Vgl. Ziesemer IV, 515, Nr. 64; IV, 525, Nr. 106; IV, 524, Nr. 98.

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Stadtbibliothek Königsberg (Q 182. 4°), das letzte zusätzlich aus der Landesbibliothek Dresden. Die hier vorliegende Folge, ausgezeichnet im Sammelband mit den alten Numerierungen 16, 17 und 18, entstammt also einer anderen Quelle. Ob sie in Königsberg sprudelte oder anderwärts, muß offen bleiben. In jedem Fall ist zusätzlicher Besitz für Thorn fortan gesichert. In einem Sammelband Pol. 7. II 5366–5379, vorwiegend mit Königsber ger Leichenpredigten und Kasualia bestückt, ist ebenfalls ein Druck Dachs hineingeraten, die Trauerschrift für Otto Wilhelm von Pudewels aus dem Jahr 1647 (5370; Dünnhaupt Nr. 550), die laut Ziesemer (III, 484, Nr. 159) in Königsberg nur in dem uns wohlbekannten Sammelband H.B. S 5 aus der Stadtbibliothek (jetzt St. Petersburg) stand. In einem anderen mächtigen Folio-Band, der von der Bindung her Ähnlichkeiten mit unseren ›Tit.‹-Bänden aufweist, steht unter fast 200 Stücken zumeist aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein einziges, das den Namen Simon Dachs trägt.380 Es stammt aus dem Jahr 1685, muß also von dem Sohn herrühren, der seinen Bibliographen noch nicht gefunden hat. Unter das Motto ›Wie ist Gott abermahl im Zorn auff mich entbrant‹ mit Bezug auf Psalm 42, Vers 6., hat er sein Lied gestellt, das am 7. Juni 1685 zum Tod Philipp Jacob Zimmermanns gesungen werden sollte. Dach-Drucke in Sammelbänden aus Elbing, Kulm und Mitau Gleichfalls zu den schönen, weil beruhigenden Erlebnissen gehörte die Begegnung mit den Bänden aus Elbinger Bibliotheken und Archiven, an erster Stelle der alten Stadtbibliothek. Sie sind, wie gesagt, in der ganz überwiegenden Mehrzahl nach Elbing zurückgekehrt. In den achtziger und neunziger Jahren, nachdem wir 1979 erstmals auf sie aufmerksam geworden waren, wurden sie uns im Lesesaal der Altdrucke in Thorn vorgelegt. Natürlich waren die Sammelbände, um die es bevorzugt wieder gehen mußte, vor allem mit Elbinger Drucken gefüllt, und die Elbinger Professoren-, Pfarrer- und Dichterschaft prägte das Bild. Die Nähe der Metropole Königsberg machte sich im Druckaufkommen aber durchaus bemerkbar und erheischte Beachtung. Sieben solcher Miscellanea-Bände haben wir seinerzeit ausfindig machen können.381 Hinzu trat ein weiterer, der ganz im Zeichen der Zamehls stand.382 Sogleich war klar, daß auf dieser Basis eine Rekonstruktion des Elbinger literarischen Lebens in der Frühen Neuzeit geleistet werden könnte. –––––– 380 381

382

Ob 7 III 1–192, hier die Nummer 187. Pol. 6. II 346–371; Pol. 6. II 372–391; Pol. 6. II 392–426; Pol. 6. II 444–494; Pol. 7. II 1898–2006; Pol. 7. II 2248–2284; Pol. 7. III 281–352. Pol. 7. II 453–469.

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Inzwischen liegen die genauen Zahlen vor. 9312 bibliographische Einheiten in 8306 Bänden waren aus Elbing nach Thorn gelangt und sind zwischenzeitlich zum größten Teil an ihren Herkunftsort zurückgekehrt.383 Fridrun Freise hat sich des dankbaren Themas in einer Dissertation angenommen.384 Die einschlägigen Kasuldrucke werden von ihr ausgewertet und sind zudem mit Verfassern und Beiträgern, Adressaten und angesprochenen Personen, Druckern und Verlegern etc. der Forschung inzwischen erstmals im Rahmen des Osnabrücker Handbuchs zugänglich.385 Auf Simon Dach sind wir seinerzeit anläßlich unserer Elbing-Recherchen in Thorn nicht gestoßen. Aus Elbing stammt jedoch eines der Exemplare von Dachs Rose in dem undatierten Königsberger Druck (Pol. 8. II 396). Sodann ist des Zuflusses aus den Gymnasien zu gedenken. Im Gymnasium zu Kulm stand beispielsweise ein Sammelband, der reich bestückt war mit Drucken aus Königsberg, aber auch aus Wilna und über Wilna herüberführte zu Władysław IV. (Pol. 7. III 956–983). Das erste Stück stammt aus der Offizin Osterbergers in Königsberg aus dem Jahr 1596. Die Gymnasien im alten deutschen Sprachraum waren eben vielfach zugleich auch bibliothekarische Schatzhäuser. Boeclers Oratio Fvnebris (Straßburg 1640) ist in den Band geraten (Nr. 962). Mit Nr. 964 erfolgt der Übergang nach Königsberg. Die Königsberger Gelehrtenschaft kondoliert anläßlich des Todes des Brandenburgischen Geheimen Rats Michael Adersbach im Dezember 1640 im Anschluß an die lateinische Vita, der leider das Titelblatt fehlt. Man bedient sich des Lateinischen. Dann setzt eine zweite Folge mit deutschen Gedichten ein. Sie wird mit einem ›Denckmal‹ Dachs eröffnet – »Seinem grossen Wolthäter aus schuldiger Danckbarkeit auffgerichtet«.386 Solche Stücke an hochgestellte Persönlichkeiten pflegten weitere Verbreitung zu finden, wie sie vor allem durch Ziesemer u.a. für Königsberg mit gleich drei Exemplaren bezeugt ist. Unser Beispiel lehrt, daß sie auch im gymnasialen Einzugsbereich verwahrt werden konnten. Die folgenden Stücke sind ganz überwiegend dem Brandenburgischen Fürstenhaus gewidmet. Wieder dürfte es schwerlich ein Zufall sein, daß es hier das lateinische Schrifttum ist, das vorzugsweise gesammelt wird. In einer großen Folge funeraler Bezeugungen für Joachim Sigismund und Georg Wilhelm von Brandenburg ist Dach mit einer repräsentativen Verfasserschrift für den letzteren zwei Jahre nach seinem Dienstantritt an der Uni–––––– 383 384

385 386

Vgl. Strutyńska: Struktura proweniencyjna (Anm. 331), S. 9. In der in Vorbereitung befindlichen Osnabrücker Dissertation ›Gedächtnis und Gelegenheit – Studien zur Praxis urbaner Kasualdichtung‹ widmet sich Fridrun Freise der Analyse der Elbinger Gelegenheitsdichtung. Vgl. den Nachweis Anm. 327. Oesterley Nr. 234; Ziesemer III, 55–57 mit S. 467 Nr. 50; Dünnhaupt Nr. 246.1.

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versität dabei (Nr. 974).387 Im Grunde gewinnt das Gedicht erst in diesem repräsentativen Kontext als Beitrag des Professors der Poesie an der Albertina sein Gewicht. Dafür aber bedarf es sammlerischer Initiative, um dessen gewahr zu werden. Davon erfährt man in den bislang vorliegenden Bibliographien und Editionen nichts. Im Januar des nächsten Jahres wird Thilo zur Ehrung von Friedrich Wilhelm von Brandenburg einladen (Nr. 980). Dach läßt zu diesem Anlaß ein kleines vierstrophiges Lied zu Gehör bringen, »von Achatius Brandten gesungen vnd gespielet worden 1643. den 8. Jenner.« Kürzlich wurde ein Erlanger Exemplar bekannt.388 Ein zweites lagerte jahrhundertelang im fernen Kulm. Der Preußische Gesamtkatalog berücksichtigte die Gymnasialbibliotheken nicht und war daher von vornherein zur Unvollständigkeit verurteilt. Schließlich ein letzter Blick. Wie sprachen von der Präsenz von Sammelbänden aus Mitau und Riga im jetzigen Thorn. Diese Bände bedurften aus vielerlei Gründen ebenfalls der Inspektion. Hier geht es um die Königsberger und Dach. Unter Pol. 7. III 743–887 liegt beispielsweise ein voluminöser Sammelband aus dem Kurländischen Provinzialmuseum zu Mitau vor. Wir haben in einem Führer durch das Baltikum solche Bände aus dem untergegangenen Mitau, von deren Existenz wir wußten, schmerzhaft vermißt.389 In Thorn kommt uns nun einer von ihnen zu Gesicht. Er ist, wie es bei deutschen Bibliothekaren üblich war, mit einem Vorsatzblatt versehen und ausgezeichnet: »Sammelband von Gelegenheitsschriften aus der Zeit von 1654 bis 1724.« 152 Stücke und ein Anhang sind penibel und bis ins Detail hinein aufgeschlüsselt. Mit so einem Band konnte vor Ort mit Gewinn gearbeitet werden. Alle Titel sind mit dem Rundstempel ›E Mvseo Cvron.‹ versehen. Zumindest die Bibliothekare wußten also um den Wert eines solchen Bandes (die wenigen Literaturhistoriker, die sich ans Werk machten, weni–––––– 387

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Oesterley S. 580–587 mit Nr. 168; Ziesemer II, 160–163 mit S. 384, Nr. 112; Dünnhaupt Nr. 306. Vgl. Dünnhaupt Nr. 339. Wir arbeiten erneut nach. Es ist wenig wahrscheinlich, daß sich das Erlanger Exemplar unterscheiden sollte. Die letzte Zeile des TitelVorsatzes lautet: »gesungen und gespielet worden 1643. den 8. Jenner.« Dann folgt die Zierleiste. Hernach folgt der Text. Ein Vermerk »Gedruckt durch Johann Reusnern« existiert nicht. Das Gedichtincipit lautet korrekt: ALso wird/ Du werther [!] Heldt/ Diß herumb betrübte Feld Eine Zeitlang Dich nicht sehen: Wir nutzen die Gelegenheit für einen neuerlichen Verweis auf ein parallel entstandenes Buch, das den baltischen Bibliotheken gewidmet ist. Auch in ihnen stießen wir auf Dach-Drucke aus originärem Besitz. Sie sind am gegebenen Ort dort namhaft gemacht und beschrieben worden, gehören also hinein in ein möglichst reichhaltiges Tableau der Dachiana im mittleren und östlichen Europa. Vgl. Anm. 336.

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ger...). Der baltische Einzugsbereich überwiegt naturgemäß mit Mitau, Riga und Königsberg im Zentrum. Die zeitliche Erstreckung ist so geartet, daß man mit ein wenig Glück Dach eben noch erwarten darf. Die Erwartung wird nicht enttäuscht. Dach ist mit einem Braut = Tantz zur Hochzeit von Christian Hempel und Anna Fahrenheid 1654 dabei (Nr. 818).390 Kaldenbach komponiert einen fünfstimmigen Satz für das sechsstrophige Lied. Ziesemer (II, 369, Nr. 29) kennt das Mitauer Exemplar tatsächlich noch. Was an Überraschungen man in solchen Sammelbänden erwarten darf, sei am Rande gestreift. Ein Bayreuther Druck von Johann Gebhard ist in den Band geraten (Nr. 857). Er birgt das Epithalamium für Birkens Hochzeit mit Clara Catharina Weinmann ›von dem Blumen-Schäfer Filadon.‹ Auch Mitau und neuerdings Thorn dürfen in einem ordnungsgemäßen Verzeichnis der deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts eben nicht fehlen. Dach als Bedichteter Zum Abschluß unserer kleinen Thorner Dach-Revue neuerlich ein Blick in Schriften, die dem Dichter und seiner Familie gewidmet wurden. Das Bild ist überraschend bunt und vielgestaltig, und nicht alles ist bisher in der Forschung bekannt, geschweige denn bereits verarbeitet. Das beginnt mit einer bislang unbekannten lateinischen Hochzeitsschrift für Simon Dach und Regina Pohl. Sie wird aus Elbing auf den Weg gebracht (Kolophon: Typis Elbinganis. M.DC.XLI.), tritt also neben die uns bereits bekannte Elbinger Zuschrift aus der Wallenrodtschen Bibliothek (SS 41 (W) 38), zu der Zamehl, Voidius, Reimann und Mylius beitrugen. Der Titel: Viro Clarißimo & Excellentißimo Dn. M. Simoni Dachio In Almâ Regiomontanâ P.P. ac Philosophicae Facult. p.t. Decano Spectabili: Cum Regina Pohlia Virgine Lectißimâ Nuptiarum Solemnia 29. Iul. celebraturo, Honoris ergo haec Sacra sunt ab Amicâ Manu (Pol. 7. II 6398). Das kleine Stück ist kunstvoll aus sechs kleinen Elementen komponiert, betitelt: ›Ad Musam. Ad Clarissimum Dn. Sponsum Amicum Honoratissimum. Ad Eundem. Votum Connubiale. Votum Paradoxon. Peroratio.‹ Es befand sich gemäß Stempel in der Stadtbibliothek zu Königsberg. Wie ist es möglich, daß es Ziesemer entgehen konnte? Derselben Quelle entstammen auch die folgenden Funeralia, die Ziesemer – mit Ausnahme der akademischen Einladungsschrift zu Dachs Tod – keiner Erwähnung für würdig befindet. Diese stellt die früheste biographische Quelle zu seinem Leben dar und hat folglich, solange wie die Leichenpredigt Georg Colbes nicht zugänglich ist, für die Dach-Forschung eine her–––––– 390

Oesterley S. 499–501 mit Nr. 170; Ziesemer II, 44 f. mit S. 369, Nr. 29; Dünnhaupt Nr. 967.

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ausragende Stellung inne. Ziesemer hat sie im Anhang zu den Dachschen Trauerschriften abgedruckt (IV, 527–531). Er verweist neben Breslau auf die Universitätsbibliothek (S 322.4.73). Das Einzelstück aus der Stadtbibliothek ist ihm neuerlich entgangen (Ob. 7. II 5266). In einem Sammelband oder einer Sammlung hat es einst die Nummer 35 von alter Hand getragen. Die Intimatio ist auf den 20. April 1659 datiert. Gezeichnet ist sie nicht. In diesen Tagen vollzog sich der Übergang vom Winter- zum Sommersemester und damit vom Rektorat Christan Dreiers zu jenem von Adam Riccius. In Wittes bekanntes Memorialwerk ist sie eingegangen.391 Goedeke befand sie noch wichtig genug, um eigens auf sie zu verweisen.392 Unsere neueren Bibliographen kennen bzw. verzeichnen sie nicht mehr. Schließlich entstammen der biographischen Sammlung der Stadtbibliothek in Einzeldrucken die Elegie von Titz auf Dach und Roberthin (Pol. 7. II 6390) sowie die Lessus für Simon Dach, die wir bereits aus St. Petersburg aus dem Wallenrodt-Band SS 40 kennen (Pol. 7. II 6388). Thorn hält jedoch weitere Überraschungen bereit. So stoßen wir in einem Sammelband unbekannter Herkunft (Pol. 7. III 655–724) mit Drucken aus dem nördlichen Ostseeraum neuerlich auf einen solchen des Jahres 1670 aus Danzig. Nichts weiter als der Titel lockt uns an: Orpheus Prutenus (Nr. 694). Von ihm gleitet der Blick auf den Untertitel: Sive Laudes Posthumae Clarissimi Viri Dn. Simonis Dachii. Calamô excitatae Schlaviciano. Die gängigen biobibliographischen Hilfsmittel helfen nicht weiter, aber auch die lokalen versagen, soweit wir sehen. Gewiß wird Näheres über den Autor und seine personellen Kontakte in Erfahrung zu bringen sein, sobald die Danzig gewidmeten Bände des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums vorliegen. Immerhin gratulieren ein ›Paramontanus‹ und vor allem kein geringerer als Rotger zum Bergen dem Autor zur Abfassung der Oratoria metrica. Die Widmungsschrift an Rektor und Senat der Academia Regiomontana ist auf den 20. März 1670 datiert. 455 Hexameter hat Johannes Schlavicius zu Ehren des Orpheus Prutenus verfaßt – die umfänglichste poetische Huldigung, die dem Dichter je zuteil wurde. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, Text und Verfasser einer intensiveren Betrachtung zu unterziehen.393 Eine nähere Bekanntmachung würden wir uns gerne vorbehalten. –––––– 391

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Vgl. Henning Witte: Memoriae Philosophorum. [...] Decas Septima.- Frankfurt a.M.: Hallervord 1679, pp. 330–337. Im Dach-Eintrag des dritten Bandes (1887), der gerade infolge der gewissenhaften Verzeichnung der alten Dach-Literatur immer noch heranzuziehen ist. Vgl. hier S. 125. Die oben ausgesprochene Hoffnung hat sich erfüllt. Vgl. die Einträge Nr. 688–690 in dem inzwischen vorliegenden Danzig-Segment im Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. XXIII: Dan-

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Selbiges gilt auch für einen Stettiner Druck, den wir in einem Sammelband wiederum aus der Bibliothek der Academia Culmiensis aufgetan haben (Pol. 7. II 5303–5345, hier 5342). Es handelt sich um die Metamorphoses Sacrae eines aus Schleswig-Holstein stammenden und am Stettiner Gymnasium als Professor für Poetik und Griechisch wirkenden Henricus Schaevius.394 Hinter dem wiederum verheißungsvollen Titel verbirgt sich eine Folge von poetischen Huldigungen, die jeweils einer Person gelten und jeweils unter ein Motto gestellt werden. Der Stettiner Drucker Georg Götzke hat die einzelnen Drucke unter dem genannten Sammeltitel vereinigt. Zwölf solcher ›Themata‹ werden da verhandelt. Das sechste ist Dach, dem ›Poëtarum ocellum‹, gewidmet und lautet: ›Ex terra viventibus, naufraga cadavera‹. Die 86 Hexameter lassen sehr schön erkennen, wie sich der Genius Dachs in der Provinz spiegelt. Auch Caspar Barth oder Johann Micraelius werden solcher poetischer Zuschriften gewürdigt. Humanistisch-akademisches Schrifttum dieses Zuschnitts fand in gymnasialen Kontexten verständlicherweise besondere Aufmerksamkeit und überdauerte derart die Zeiten. Für Simon Dach bleibt es in einer zu schreibenden Rezeptionsgeschichte auszuschöpfen.

6. Werke Simon Dachs und seiner Freunde aus der alten Königsberger Stadtbibliothek in der Nationalbibliothek zu Warschau Eine Silberbibliothek im fahlen Aschen-Licht Die Begegnung mit der Nationalbibliothek in Warschau und speziell ihrer Altdruck-Sammlung im Krasiński-Palais ist für einen Deutschen ein Erlebnis, das begleitet bleibt von Erinnerungen besonderer Art. So häufig wir seit 1979 über den Seiteneingang in den mächtigen Palast gelangten, vorbeischritten an den grüßenden Wachbeamten der Bibliothek und hinaufgelangten in den ersten Stock mit seinen Lesesälen, Fotos und Ausstellungs-Stücken, so unausweichlich stellten sich die Bilder fahlgrauer Bücher ein, die da in Reih und ––––––

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zig / Gdańsk – Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften / Biblioteka Gdańska Polskiej Akademii Nauk. Abt. I: Gedanensia. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Klaus Garber unter Mitarbeit von Stefania Sychta.- Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2009. Vgl. Henning Witte: Diarium Biographicum (1688), f. Qqq 3 (1661); Ephraim Praetorius: Athenae Gedanenses [...].- Leipzig: Gleditsch 1713, S. 213; Johannes Moller: Cimbria Literata, Tom. I (1744), S. 584 ff. Vgl. auch die Einträge in den demnächst erscheinenden und Stettin gewidmeten Bänden des Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums.

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Glied auf den Regalen standen, jedoch das eine scheuten, wonach sie in der Regel zu verlangen pflegen, nämlich aufgeschlagen und eingesehen zu werden. Eine jede Berührung bewirkte ihren endgültigen Tod. Sie zerfielen zu Asche. Der schöne Schein, der sie ein letztes Mal umgab, erwies sich als Trug. Als todgeweihte Attrappen waren sie zu Emblemen der Hinfälligkeit geworden. Die polnischen Kulturfunktionäre und Bibliothekare, Fachleute inmitten eines Volkes, das um die Kunst wie die Würde des Erinnerns weiß wie nur wenige sonst in Europa, hatten den hintergründigen Charme dieser verführerisch in schmuckem Grau sich darbietenden Buchkolonnen erkannt und für immer im Bild gebannt. Solche Bilder konnte nicht vergessen, wer über das Schicksal dieser besonderen Spezies Buch einmal belehrt worden war und seither nicht aufgehört hatte, in endlosen Gesprächen mit den Bibliothekaren vor Ort das Unfaßbare zu umkreisen und zu bedenken. Mehr als eine der älteren Personen unter ihnen war Zeuge des Geschehens gewesen. Die Schrecken der Jahre 1944 und 1945 standen wieder auf und prägten die Züge der gleichfalls unvergeßlichen Gesichter. Spiegel der Schicksale ihres Landes Die Nationalbibliothek zu Warschau ist ein getreuer Spiegel der Geschicke des Landes geblieben, das in ihr einen kollektiven Speicher seiner Geschichte besitzen sollte, sofern sie in Schrift und Druck sich sedimentiert hatte.395 Ihre Anfänge geleiteten zurück in das letzte große Jahrhundert der stolzen Nation, das zugleich ihren Niedergang besiegelte und seine Ohnmacht vor der europäischen Öffentlichkeit zur Schau stellte. Die Gebrüder Jozef Andrzej (1702–1774) und Andrzej Stanislaw Załuski (1695–1758) hatten gemeinschaftlich eine Bibliothek zusammengebracht, die zu den bedeutendsten des an splendiden adeligen Schöpfungen so reichen 18. Jahrhunderts gehörte.396 Sie war konzipiert als Sammelstätte der polnischen Handschriften und Bücher von ihren Anfängen an. De facto erstreckte sie sich weit über diesen vorgezeichneten Radius hinaus und nahm, wie ein letztes Mal im 18. Jahr–––––– 395

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Der Artikel zur Nationalbibliothek Warschau ist erstaunlich knapp geraten im Bd. VI des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände in Europa (Anm. 326), S. 55–61. Gerade drei Titel werden zur Geschichte der Bibliothek nachgewiesen. Sehr viel ausführlicher die zu konsultierenden Nachweise im einleitenden Beitrag des ersten Fachmanns Jan Pirożyński zu den ›Bibliotheken in Polen‹. Erlaubt sei der Verweis auf den Bericht der ersten Begegnung mit der Warschauer Nationalbibliothek bei Klaus Garber: Kleine Barock-Reise durch die DDR und Polen (Anm. 11), S. 56 f. mit Anm. 22; im Wiederabdruck (2006), S. 119. Die Literatur zur Bibliothek der Gebrüder Załusky zusammengefaßt in dem erwähnten Eingangskapitel zu Bd. VI des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände in Europa (Anm. 326), S. 43, Anm. 50.

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hundert möglich, den Charakter einer universalen, das alte Europa nochmals in seiner Buchkultur zusammenführenden Schau- und Lesestätte an. Mit mehr als 200.000 Bänden gehörte sie auch numerisch zu den Spitzensammlungen in Europa. Sie war in jeder Hinsicht qualifiziert, dem Lande in seiner blühenden Hauptstadt ein nationales bibliothekarisches Herz zu verschaffen. Die Geschichte fügte es anders. Die Gebrüder waren eben verstorben, als die polnischen Teilungen über das leidgeprüfte Land hereinbrachen. Nach der dritten dieser unsäglichen fürstlichen Machinationen des Ancien Régime beorderte Katharina II. die Załuskische Bibliothek als Trophäe in die russische Hauptstadt. Die Gründung der alsbald famosen russischen Nationalbibliothek im Jahr 1795, die 200 Jahre später zu einem spektakulären Jubiläum Anlaß gab, wäre nicht denkbar gewesen ohne die erzwungene Mitgift des die Jahrhunderte über als problematisch eingestuften Nachbarn. Die russische Nationalbibliothek zu St. Petersburg, die im 19. Jahrhundert zu einer Sammelstätte von Weltrang emporwuchs, ruht nicht zuletzt auf einem polnischen Erbe, welches sich bis heute in den phantastischen Beständen geltend macht. Der seinerzeitige Direktor der Warschauer Nationalbibliothek, ein Historiker eminenten Ranges, versäumte 1995 in St. Petersburg nicht, hinter vorgehaltener Hand diesen Sachverhalt mit einer Mischung aus Trauer und Sarkasmus uns gegenüber zu erinnern. Polen also blieb die Schöpfung einer nationalen bibliothekarischen Institution ungeachtet aller immer wieder unternommenen Anläufe im historischen 19. Jahrhundert, das nicht zuletzt eines der Bibliotheken war, versagt. Um so erstaunlicher, was nach endlich zurückgewonnener nationaler Autonomie in der kurzen Spanne zweier Jahrzehnte im 20. Jahrhundert erwirkt zu werden vermochte. Denn natürlich war die Idee nicht vergessen und der nationale Antrieb unvermindert am Werk. Als im Jahr 1929 der Erlaß zur Gründung der Nationalbibliothek erging, wurde aus dem In- und Ausland zusammengetragen, was irgend Bezug hatte zur jungen Schöpfung. Wie sonst nur in Böhmen und in gewisser Weise auch in Ungarn rührte der Reichtum an Buchgut in Polen her von den grandiosen Sammlungen des Adels. Dieser wurde nun reaktiviert. Hinzu traten die Sammlungen der Personen und Vereine des polnischen Exils mit Paris und New York an der Spitze. Endlich fanden diese über solch weite Räume sich erstreckenden Kreise eine Möglichkeit, ihren Patriotismus im Medium kultureller Güter zu manifestieren. Aber auch Restitutionen wurden möglich. Das Revolutionsregime in Rußland verstand sich immerhin dazu, zumindest Teile der Załuskischen Bibliothek mit explizitem polnischen Bezug nach Warschau zurückzuführen. Auch Teile der einst verschleppten Bibliothek der Warschauer ›Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften‹ kehrten aus Rußland zurück. Diese Gesellschaf-

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ten waren überall im Land Agenturen nationaler Selbstbehauptung gewesen, die einen Rückhalt nicht zuletzt in beachtlichen Bibliotheken besaßen. Als 1939 Revision gemacht wurde, war die Bibliothek binnen eines Jahrzehnts auf 650.000 Bände angewachsen, darunter fast 100.000 Bände an Altdrucken und Handschriften. Die Warschauer Vorkriegs-Bibliothek war neben der in der alten Hauptstadt Krakau zur bedeutendsten Bibliothek des Landes aufgestiegen. Sie muß Schätze von ganz besonderer Güte in ihren Mauern vereinigt haben. Das blieb den deutschen Besatzern nicht verborgen. Sie hatten die schöne Idee, die Sondersammlungen an Handschriften, alten Drucken, Musikalien, Karten, Graphiken etc., auf denen der europäische Nimbus der Warschauer Bibliothek beruhte, in einem separaten Gebäude zu vereinen und wählten dafür eben das Palais Krasiński, in dem sich bereits eine gleichnamige bedeutende und nun beschlagnahmte Adelsbibliothek befand.397 Vier Jahre währte die Pracht. Als der polnische Aufstand niedergeschlagen war, wurde der Krasiński-Palast in Brand gesteckt. Die Fotos der aschgrauen Bücherreihen rühren her von diesem barbarischen Akt. Die Deutschen hinterließen bei ihrem Abzug eine dem Erdboden gleichgemachte Stadt, der vorsätzlich auch ihr bibliothekarisches Herz genommen worden war. Das sind die Erbschaften, um die es bis heute in Europa geht. Bücher aus dem alten deutschen Sprachraum des Ostens Nach 1945 erfolgte ein dritter Anlauf. Und nun kam eine Schöpfung zuwege, an der die Deutschen unfreiwillig den doch wohl maßgeblichsten Anteil hatten. Warschau, sogleich wiederum nominiert als Ort einer nationalen Bibliothek, für die einen Moment lang sogar das wieder aufgebaute Schloß in der Altstadt bestimmt war, wurde Sammel- und Verwahrungszentrum des aus deutschen Bibliotheken jenseits von Oder und Neiße herrührenden kulturellen Guts. Nur wo – wie in Danzig oder in Breslau, am Rande auch in Stettin oder Posen – bibliothekarische Zentren weitgehend intakt geblieben waren oder doch rekonstruiert werden konnten, blieben Quartiere mit vorwiegend deutschem Buchgut bestehen. Ansonsten schuf man neue Bibliotheken, bestückt mit Buchgut aus Gymnasien, Kirchen, Vereinen, Museen, Administrationen vornehmlich ehemals deutscher Provenienz. Lublin, Lodz, Allenstein etc. haben davon profitiert, am meisten aber – neben der jungen Universitätsbibliothek in Thorn – die Nationalbibliothek in Warschau. Wer immer über historische oder kulturgeschichtliche Themen aus dem Raum Pommerns, West- und Ostpreußens sowie Schlesiens –––––– 397

Dazu die in Anm. 58 (S. 43) angeführte Literatur des Einleitungs-Kapitels zu den polnischen Bibliotheken von Pirożyński.

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und am Rande auch des Baltikums arbeiten will, muß in Polen, gerade wenn es um überregonale Synopsen zum alten deutschen Sprachraum des Ostens geht, zuerst nach Warschau aufbrechen. Hier sind Quellen in vielfach unvorstellbarem Reichtum aus diesen Regionen nochmals zusammengeströmt, viele von ihnen aus entlegenen Orten und Verwahrungsstätten herrührend, die niemals zuvor umfassend dokumentiert waren und nun mit einem Schlag greifbar wurden. Rund 150.000 Altdrucke sind heute in Warschau wieder zusammen – weit mehr also als 1939. In allen Jahrhunderten überwiegen Titel mit deutschen Druckorten eindeutig. Im 16. Jahrhundert rechnet man unter den rund 13.000 Titeln und im 17. Jahrhundert unter den rund 50.000 Titeln mit jeweils rund 60 Prozent aus dem deutschen Sprachraum, im 18. Jahrhundert unter den rund 90.000 Titeln sogar mit 65 Prozent.398 Warschau ist heute für die deutschen und lateinischen Drucke mit Schwerpunkt im deutschen Sprachraum des Ostens wieder eine erste Adresse der internationalen Forschung. Um so überraschter waren wir, im Gegensatz etwa zu Breslau, kaum jemals einem Kollegen zu begegnen. Für uns war es seit dem ersten Besuch im Herbst 1979 selbstverständliches Gebot, stets wieder Station zu machen in Warschau und Platz zu nehmen im wiederaufgebauten Krasiński-Palais. Von dort aus ließ sich die wiedererstandene Altstadt bequem zu Fuß erreichen. Der Mut und Erfindungsreichtum des polnischen Nachbarn war nicht genug zu bewundern, die zur Rückgewinnung von historischen Ensembles in der Hauptstadt geführt hatten, wo in Deutschland Abriß und geschichtsferner Neuaufbau die Szene beherrschten. Wie in Breslau und Danzig geriet auch in Warschau die intensive bibliothekarische Arbeit zugleich zu einem Lehrstück in historischer Pragmatik. Über die politischen, ideologischen, ja rassistischen Greuel und Verwerfungen hinweg behauptete sich die kulturelle Substanz des alten Europa in seinen Bauzeugen und Bibliotheken, von denen ein Strahl der Hoffnung für die Zukunft sich mitteilte. Warschau ist offensichtlich noch nicht so weit wie Thorn in der Bestimmung der Provenienzen im einzelnen. An der allfälligen Aufgabe wird indes seit langem gearbeitet, wie aus vielen Gesprächen zu erfahren. Ist sie einmal erledigt, so werden der Reichtum und vor allem die Vielfalt der Herkünfte aus ehemals deutschen Bibliotheken prägnant gegenwärtig sein. Noch mehr vielleicht als in Thorn gehört es zu den Merkmalen der Nationalbibliothek, daß man auch aus Bibliotheken des jetzigen Polen wie etwa aus Stettin oder Danzig oder Elbing, ja selbst aus Breslau Drucke vorfindet, von den Bestän–––––– 398

Diese überaus wichtigen Angaben in dem hochverdienstvollen knappen Kapitel ›Bestandsbeschreibung‹ des Artikels zur Warschauer Nationalbibliothek im Bd. VI des Handbuchs deutscher historischer Buchbestände in Europa (Anm. 326), S. 57 f.

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den aus untergegangenen deutschen Vorkriegsbibliotheken gar nicht zu reden. Wenn Thorn vor allem aus dem nordöstlichen Einzugsbereich Polens, also vor allem Pommerns und Preußens sich speiste, so Warschau zusätzlich vor allem aus den schier unerschöpflichen Reservoirs Schlesiens. Dort standen die größten Adelsbibliotheken des Ostens, mit der Schaffgotsch’schen und der Hochberg’schen an Zahl und Wert an der Spitze. Es waren dies Institute von singulärem Rang für die schlesische Kultur, gleichermaßen in Handschrift und Druck. Insbesondere der Untergang der Hochberg’schen Bibliothek auf Schloß Fürstenstein ist ein nie zu verschmerzender Verlust im Blick auf ungezählte Handschriften, darunter solche von so gut wie allen Großen des Goldenen Zeitalters der schlesischen Literatur, des 17. Jahrhunderts. Was gerettet werden konnte – und dies ist wenig genug – ist verstreut über Polen und Rußland, und keinerlei Synopsis über das Erhaltene ist bislang verfügbar. Immerhin zeichnet sich ab, daß Warschau neben Breslau zu den bevorzugten Erben der Hochbergschen Bibliothek gehört. Das gleiche gilt für die gerettete Schaffgotsch’sche Bibliothek, die wie durch ein Wunder unberührt in Warmbrunn stehen blieb. Leider wurde sie nicht geschlossen an eine neue Verwahrungsstelle gebracht, sondern geteilt. Namhafte Bestandteile befinden sich heute gleichermaßen in Breslau und in Warschau. Auch hier ist ein moderner Katalog mit den gegenwärtigen Besitzverhältnissen ein dringendes Desiderat. Hort der Königsberger Stadtbibliothek und der Albertina Wir aber müssen zurückkehren zu Königsberg, vermeinen jedoch, daß es dem Leser willkommen sein möchte, ein paar zusätzliche Informationen am Rande zu erhalten, geeignet, das Profil derjenigen Bibliothek, in der wir jeweils Station machen, ein wenig näher kennen zu lernen, und sei die Skizze notgedrungen noch so knapp. Warschau ist auch für Königsberg eine zentrale Adresse geworden. Nach Vilnius, St. Petersburg und Thorn betreten wir mit der Nationalbibliothek der polnischen Hauptstadt die vierte und letzte Kapitale Königsberger Buchdrucks und Bibliotheksbesitzes aus dem Zeitraum der Frühen Neuzeit.399 Und wie in allen vorangegangenen Fällen gilt es auch an dieser Stelle, sich der Besonderheiten der Überlieferung eingangs zu versichern. Wenn an irgendeinem Ort auf der Welt, so schlägt das Herz der untergegangenen Königsberger Stadtbibliothek vernehmbar heute noch in Warschau. Aus Gründen, die wir nicht kennen, weil wir über die Auslagerungspraxis der Stadtbibliothek zu wenig wissen, ist die große Masse –––––– 399

Dazu Klaus Garber: Königsberger Bücher in Polen, Litauen und Rußland (1995) (Anm. 252), S. 32 ff.; in der Festschrift Erich Trunz (1998), S. 227 ff.

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des ausgelagerten und geretteten Bestandes nach Warschau gelangt. Knapp 9000 Bände, so wurde uns seinerzeit signalisiert und so wird es nun durch das Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums bestätigt, sind aus der Königsberger Stadtbibliothek nach Warschau gelangt, 1100 Bände aus dem 16., 2700 Bände aus dem 17. und 4100 Bände aus dem 18. Jahrhundert, dazu 12 Inkunabeln und 1000 Bände Zeitschriften. Die Bestände aller anderen Bibliotheken mit stadtbibliothekarischem Buchgut nehmen sich gegenüber dieser imponierenden Zahl marginal aus. Lange Zeit war unklar, ob überhaupt von seiten der Stadtbibliothek Evakuierungsmaßnahmen getroffen worden waren oder ob die Bibliothek im englischen Luftangriff des August 1944 komplett untergegangen war, als die alte Königsberger Universität, in der sie mit dem Stadtarchiv eine Bleibe gefunden hatte, in Schutt und Asche versank. Diese Befürchtungen haben sich jedoch nicht bestätigt. Wie über wertvolle Bücher aus der Wallenrodtschen und der Staats- und Universitätsbibliothek verfügen wir über kostbarste und unersetzliche Stücke auch aus der alten Stadtbibliothek. Das zur Gänze zu zeigen, wäre wiederum Stoff für ein eigenes Buch, in dem dann auch die geretteten Handschriften zu berücksichtigen wären. Uns kann es wie immer nur um das Kleinschrifttum und insbesondere das anlaßbezogene zu tun sein, unter dem Simon Dach nochmals eine Sonderstellung einnimmt. Anders zu verfahren hieße, die Einläßlichkeit mittlerer Dichte preiszugeben, um die es uns zu tun ist. Wir nähern uns Dach ausnahmsweise einmal über den explizit akademischen Weg. Für die Schritte auf ihm hält bezeichnenderweise die alte Stadtbibliothek das qualifizierteste Material bereit, das heute weltweit verfügbar sein dürfte. Zum wiederholten Male darf gesagt werden, daß die Affinität zwischen städtischer Bibliothek und städtischem Gelehrtenwesen und dessen Institutionen im alten Deutschland die innigste war. Und das einfach deshalb, weil Sammler und Bibliothekare, Produzenten und Rezipienten vielfach identisch waren oder doch einander nahe standen. Im Gymnasium kommt diese Referentialität am sinnfälligsten zum Ausdruck. Wo aber die Universität so bestimmend von der Gelehrtenschaft geprägt war wie in Königsberg, wiederholte sich das Zusammenspiel. Mehr noch als die Universitätsbibliothek scheint die Stadtbibliothek offenbar Sammelstätte für das auf die Regiomontana bezügliche Schrifttum gewesen zu sein, jedenfalls so weit unsere Kenntnis bezogen auf den geretteten Nachkriegsbestand reicht. Das ist kaum bekannt, weil Erman-Horn sich neben der Berliner Staatsbibliothek vor allem auf die Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek beziehen. Der von uns aufgefundene akademische Fundus der Stadtbibliothek ist in der Regel bei den beiden großen Universitätshistorikern und -bibliographen nicht verzeichnet. Um so mehr Veranlassung, ihn einläßlich die lange Wanderung über – und stets im Blick auf unseren Autor – zu inspizieren.

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Wir beginnen mit dem Sammelband Q 136 aus der Stadtbibliothek. Wir erinnern uns der Systemstelle ›Q‹, die in der Universitäts- ebenso wie in der Stadtbibliothek auf das Grundlagenfach der Frühen Neuzeit, die Litterärgeschichte, verwies, in welcher also akademisches Schrifttum vor allem zusammenkam. Auf der Rückseite des ersten Titelblatts steht der Stempel der Stadtbibliothek. Die Herkunft ist also zweifelsfrei gesichert. Heute trägt der Band die Signatur XVII 3. 7802–7822. Die vorangestellte römische Zahl steht in der Nationalbibliothek für das Jahrhundert, dem die Drucke entstammen, die nachgestellte Ziffer gibt das Format an und sodann werden in Sammelbänden die laufenden Nummern ausgewiesen, während bei Einzelstücken eben nur ein numerischer Eintrag erfolgt. Der Band hat ein Vorsatzblatt von bibliothekarischer Hand, betitelt: ›Secularia Acad. Regiomontana‹. 21 Stücke sind ausgewiesen. Sie sind auch von alter Hand gezählt. Die Zählung konkurriert wiederholt mit einer zweiten gleichfalls noch erkennbaren. Der Band ist vermutlich von einem Sammler im 18. Jahrhundert zusammengestellt worden, den wir nicht namhaft machen können. Das Jubiläum der Academia Regiomontana nach einem Jahrhundert ihres Bestehens im Jahr 1644 war das Ziel seiner sammlerischen Bemühungen. Er bediente sich offensichtlich – wie so häufig – älteren Sammlungsguts. Es braucht kein Wort darüber verloren werden, daß solche Sammelbände von unschätzbarem Wert für den Universitätshistoriker sind. Was im 18. Jahrhundert eben noch weitgehend geschlossen greifbar sein mochte, war schon im 19. Jahrhundert nur noch vereinzelt zugänglich, wenn eben Sammelbände wie die vorliegenden nicht in eine Bibliothek gelangt waren, sondern auf dem Antiquariatsmarkt auftauchten. Der Band setzt ein – fast möchte man inzwischen sagen: wie es sich geziemt – mit einer Einladungsschrift von Rektor und Senat. Sie ist im Impressum auf das Jahr 1644 datiert, am Schluß jedoch, wie sonst üblich, nicht nochmals kalendarisch näher spezifiziert. Erman-Horn setzen dieses wichtige Dokument, das den Rahmen der Festivitäten absteckt, gleichfalls an den Beginn ihrer bibliographischen Dokumentation des Saecular-Jubiläums.400 Sie kennen jedoch nur einen Einblattdruck aus der Universitätsbibliothek Königsberg, nicht die hier vorliegende – und vermutlich gleichlautende – vier Blatt umfassende Quartschrift aus der Stadtbibliothek Königsberg. Sie haben es versäumt, unseren ganz besonders reichhaltigen und von Kennerhand zusammengestellten Band zu konsultieren. Das ist angesichts der auch im Königsberg-Eintrag obwaltenden Gründlichkeit und Gediegenheit der In–––––– 400

Vgl. den auch für die Geschichte der Universität schlechterdings fundamentalen Eintrag bei Erman-Horn, Bd. I, S. 620–653. Hier S. 624, Nr. 11130, der zur Rede stehende Titel.

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formation zu bedauern und hat gravierende Fehlanzeigen in der bibliographischen Dokumentation zur Folge. Angesichts der Wichtigkeit der Materie dürfte es willkommen sein, wenn wir einen Moment bei dem festlichen Ereignis verharren und bekannt geben, was der Band zu bieten hat. Als erster ergreift Thilo als Dekan der Philosophischen Fakultät und Professor für Rhetorik das Wort in einer Einladungsschrift zu den JubiläumsFestlichkeiten (Nr. 2). Die Schlußformel ›PP. ipsa S.S. Trinitatis solennitate, Anno Academiae Seculari‹ ist von alter Hand am Rand annotiert: ›22. May‹. Dann erst treten die Dekane der Oberen Fakultäten hervor: Coelestin Myslenta für die Theologie, Adam Riccius für die Jurisprudenz und Daniel Beckher für die Medizin (Nr. 3). Auch dieser Gemeinschaftsbeitrag ist bei Erman-Horn nicht zu finden. Zwischengeschaltet findet sich dann eine Einladungsschrift Thilos zu Examina in der Philosophischen Fakultät im August 1644, die ausdrücklich dem festlichen Geschehen integriert sind, den Rang, den die akademische Übung von alters her innehat, öffentlich demonstrieren sollen und auch deshalb wiederum bei Erman-Horn nicht hätte fehlen dürfen (Nr. 4). Auch die folgende Einladungsschrift unseres Bandes (Nr. 5) ist kommentierungsbedürftig. Erman-Horn weisen sie aus (Nr. 11137) und qualifizieren sie in ihren wertvollen Annotationen wie folgt: »Erstes Festprogr. z. Jubelfeier 1644. Einladung zur Eröffnungsrede (des Rektors Weier) auf dem 27. Aug. früh 7 Uhr in Auditorio Majori.« Sie kennen nur den Einblattdruck, der an späterer Stelle auch in unserem Band zu finden ist, nicht aber den vier Blatt umfassenden gleichlautenden Quartdruck, beide auf den 21. August datiert. Ausdrücklich nehmen Rektor und Senat Bezug auf das Haus Brandenburg, dem die Stiftung der ehrwürdigen Institution zu verdanken sei. Der Quartdruck ist wieder handschriftlich annotiert, ein Zeichen dafür, daß er genau durchgearbeitet wurde bzw. die Blätter vor Bindung in kundigen Händen waren: »in forma patenti quoque impressum. Cf. N° 8.a.« So steht es auf dem Titelblatt zu lesen. Das eben ist der unter Nr. 8 im handgeschriebenen Inhaltsverzeichnis ausgewiesene Einblattdruck. Er steht hier neben einem weiteren, von Erman-Horn als ›zweites Festprogramm‹ apostrophierten (Nr. 11138), in dem die Veranstaltungen zwischen dem 29. August und 3. September angekündigt werden. Wir halten also einen kleinen zeitgenössischen Festkalender in der Hand. Manche der Veranstaltungen sind auch in unserem Band dokumentiert, andere leider nicht. Auf jeden Fall ist die Ausbeute sehr viel reicher als bei Erman-Horn dokumentiert. Das beginnt mit einer Jubel = Predigt von Myslenta im Festmonat August, die aber erst 1645 bei Reusner zum Druck kommt. Erman-Horn wissen nichts von ihr. Oder sollten sie sich – schwer verständlich – zum Verzicht einer bibliographischen Aufnahme entschlossen haben? Es handelt sich um

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ein mächtiges, achteinhalb Bogen umfassendes, vor Marginalien und Verweisungen nur so strotzendes schriftgelehrtes Dokument. Am 27. August 1544 sei die »Erste [...] Fundation oder Anlegung vnd Stifftung der löblichen vnd weitberühmten Universitet allhie zu Königsberg in Preussen/ Vom Ersten Hochlöblichen Hertzogen daselbst Albrecht Marggraff zu Brandenburg« erfolgt. Also wird die Fest- und Memorialpredigt am 27. August 1644 Jn Ansehnlicher Gegenwarth der Chur = vnd Fürstlichen Abgesandten/ auch anderer ablegirten von der Erbahren Landschafft/ von Königsberg/ vnd anderen Städten im löblichen Hertzogthumb Preussen; Auch sonsten in sehr Volckreichen Versamblung; Jn der Kneiphoffischen ThumbKirchen

gehalten. Sie ist den Herren Bürgemeistern/ vnd Rathsverwandten/ Jtem: Herren Schöppmeistern vnd Gerichts = Verwandten: Wie auch Allen Erbahren Zünfften/ dero Eltermännern/ sampt der gantzen löblichen Bürgerschafft/ der dreyen Churfl. weitberühmbten Handels vnd See = Städte Königsberg/ etc. etc.

gewidmet, begreift sich also als repräsentative Verlautbarung stellvertretend für die gesamte Bürgerschaft. Schmerzlichen Verzicht leisten wir, indem wir es uns versagen müssen, einen Blick in sie zu werfen. Wir haben wenige Dokumente gleich eindringlichen Zeugniswerts für die mentale Befindlichkeit und konfessionelle Disposition im Königsberg um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Angekündigt für den 29. August war Johannes Behm mit einer ›Oratio publica‹. Tatsächlich finden sich Dvae Orationes Historicae De Duplici Divinae Gratiae fundamento, derer sich die Akademie erfreuen darf, in unserem Band (Nr. 9). Sie stammen beide von Behm. Von alter Hand ist das Datum der Rede hinzugefügt. Die für den gleichen Tag angesetzte Rede von Adam Riccius ist nicht dabei, und es wäre zu prüfen, ob sie überhaupt zum Druck gelangte oder ob nur Behm dieses Vorzugs gewürdigt wurde. Auch ErmanHorn kennen nur diesen Druck und nur dieses eine Mal mit Verweis auf die Stadtbibliothek.401 Umfassend hat Behm in einem wohl für den Druck vorbereiteten Vorspann die Chance genutzt, die Gründung und Geschichte der illustren Anstalt zu rekapitulieren. In der ersten Rede selbst wird verständlicherweise des Anteils der Theologen besonders gedacht. Die Rede ist eine Quelle ersten Ranges für die bewegte Geschichte der Fakultät und die divergenten theologischen Positionierungen. Die zweite Rede ist als historiographisch-politische angelegt und räumt der Ordensgeschichte sowie der Staatsgründung breiten Raum ein. –––––– 401

Vgl. Nr. 11131, wie immer ohne Angabe von Signaturen, so daß nicht deutlich ist, ob das uns vorliegende Exemplar gemeint sein könnte, wie wenig wahrscheinlich.

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Dann ist Thilo in seiner Eigenschaft als Dekan wieder an der Reihe mit einer Einladung zu einer von ihm selbst inszenierten Feierlichkeit, die auch im Festprogramm für den 30. August ausgewiesen war (Nr. 10 und Nr. 11). Es handelt sich um die berühmten Secvlaria Borvssa, in denen – eingeleitet von Thilo – im wesentlichen neun lateinische Reden, zumeist von Studierenden, zusammengefaßt sind. Erman-Horn (Nr. 11134) kennen aus Königsberg nur eine Ausgabe ohne Vortitel. Hier in der Stadtbibliothek hätten sie – genau wie in Berlin – die vollständige vorgefunden. Für uns ist das Werk von ganz besonderem Interesse, weil es von ›Deutschen Oden/ Welche bey diesem Actu gesungen/ geschrieben von Georg Schreibern‹ beschlossen wird. Es handelt sich um fünf Stücke. Sie sind in dem vorliegenden Exemplar zweifach annotiert. Eine der Angaben betrifft den druckgeschichtlich und bibliographisch einschlägigen Hinweis, daß die hier angehängten Oden auch separat erschienen seien. Man wird also um so mehr nach ihnen Ausschau halten, als Erman-Horn ihre ehemalige Existenz für die Universitätsbibliothek Königsberg bestätigen (Nr. 11135). Der andere Zusatz ist folgenschwerer. Er lautet im Anschluß an den ausgewiesenen Verfasser der Texte: »Und zum Singen und Spielen gesetzt von Heinrich Alberten«. Ist er als Komponist dieser Oden bekannt? Dünnhaupt weiß von einem Einzeldruck nichts. Und auch in den Arien finden wir die fünf Oden nicht. Die Noten selbst sind leider nicht dabei. Dann lädt der Orientalist Hieronymus Ernesti zu einem Festakt am 3. September, der Linguis Orientalibus zelebriert werden soll (Nr. 12). Tatsächlich weist unser kleiner Festführer für diesen Tag neben einer griechischen Rede von Matthäus Reimer einen ›Actum Linguarum Orientalium‹ unter Ernesti aus. Bezeugt ist er selbst nicht. Schon einen Tag später erfolgt eine weitere Einladung, nun wiederum von Thilo zu einem Actum oratorium mit elf Kandidaten der Philosophischen Fakultät am 8. September (Nr. 13). Der Herbst war angefüllt mit memorialen Aktivitäten aller Art, und der Band erlaubt uns, deren Umrisse zu gewahren. Erman-Horn wissen neuerlich nichts von beiden Programmen, das eine als Quartschrift, das andere in Gestalt eines Einblattdrucks. Dann vermochte Thilo im Oktober erneut fünf Redner aufzubieten. Überliefert sind ihre Orationes in den unter seinem Namen als Einladendem firmierenden Secvlaria Regiomontana (Nr. 14). Stephan Müller aus Osterburg in Brandenburg steuert einen lateinischen Glückwunsch bei. Darauf folgt noch einmal ein Einblattdruck Thilos, der im Inhaltsverzeichnis zu unserem Band als Testimonium seculare Depositionis ausgewiesen (Nr. 15) ist, bevor jenes Ereignis in das Blickfeld tritt, auf das wir seit langem hinsteuern. Unter der Nummer 16 unseres Bandes nämlich findet sich das Szenarium zu Dachs und Alberts Jubiläums-Festspiel, das zweifellos den Höhe-

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punkt dessen darstellte, was die Wochen über in dichtgedrängter Folge zu hören und zu sehen war: Vnterricht Das Schawspiel PRVSSIARCHVS Welches zum Beschluß des Jubelfests der Löblichen hohen Schul zu Königsberg in Preussen gespielet werden soll desto besser zuverstehen. Gedruckt durch Johann Reusnern/ 1644.402

Ziesemer kennt zwei Exemplare aus der Stadtbibliothek (T 753 und Od 206.V.17), nicht jedoch das vorliegende. Besitz für die Universitätsbibliothek weiß er nicht namhaft zu machen. Dünnhaupt wartet für den einzigen Besitznachweis mit der notorisch falschen Notiz auf ›Leningrad AK (ex UB Königsberg)‹. In St. Petersburg gibt es kein Exemplar, und in der Königsberger Universitätsbibliothek hat es offensichtlich keines gegeben. ErmanHorn kennen das Szenarium nicht. Schon der Besitzer des Bandes hatte auf dem Titelblatt vermerkt: »Dieses steht unter des Sim. Dachen Gedichten: Brandenburgische Rose, Adler, Low und Scepter mit dem Nahmen: Sorbuisa«. Danach veranstaltete Ziesemer seinen Neudruck.403 Das Szenarium, dem leider die Musik nicht beigegeben ist, scheint, so weit im Moment zu sehen, den Status eines Unikats einzunehmen. In unserer kleinen, wiederholt herangezogenen Festannonce hatte es geheißen: »Die II. Septembris Hora IX. matutina [...] Dn. Simon Dachivs Poëseos PP. Carmen Seculare nomine Academiae publice recitabit.« Von ihr wissen Erman-Horn so wenig wie Ziesemer oder Dünnhaupt. Diese Spur scheint sich bedauerlicherweise verloren zu haben. Um so willkommener, daß der zweite Dachsche Beitrag zu dem säkularen Ereignis in Kooperation mit Albert überliefert wurde, auch wenn die Musik nicht mehr zu vernehmen ist. Die Aufführung des Festspiels fand statt am 21. September 1644 im Auditorium maximum und wurde wie üblich von Studenten der Universität durchgeführt.404 »Jm folgenden Jahre 1645 wurde das Stück nochmals gespielt, worüber ein durch Paschen Mense 1645 hergestellter Druck Auskunft gibt (Kgb. Univ. Bibl. Q 3184)«, so Ziesemer. Dieser Druck scheint tatsächlich verloren zu sein. Der Dünnhauptsche Hinweis auf die Akademiebibliothek in Leningrad entpuppt sich neuerdings als Produkt der Phantasie, nicht der Recherche. Eine weitere Aufführung für 1655 ist bezeugt und ein entsprechender Text erhalten.405 –––––– 402

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Ziesemer II, 390, Nr. 161, und Dünnhaupt Nr. 69.1 lesen beide fälschlich: ›zu verstehen‹. Vgl. Ziesemer II, S. 311–318. Vgl. Ziesemer II, 390 f. Nr. 161, unter Verweis auf eine Notiz in den Acta Borussica, II (1731), S. 944 f., die auch von Erman-Horn herangezogen wird (Nr. 11132). Ziesemer weist ein Exemplar für die Stadtbibliothek Königsberg aus: Oe 46, Nr. 131, also ein starker Sammelband; Dünnhaupt verweist – Lohmeier folgend – auf Preetz

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Ihren Abschluß aber fanden die Festivitäten auch mit diesem Gemeinschaftswerk Dachs und Alberts noch nicht. Das erweist sich ebenfalls an unserem Sammelband. Denn gleich im Anschluß folgt ein Szenarium, betitelt: Kurtzer Jnhalt Derselben Comoedien, Von Krieg vn¯ Friede Welche zum letzten Beschluß des ersten Königsbergischen Jubelfests von etzlichen Studiosen daselbst praesentiret worden. Gedruckt bey Pasche Mense Jn[!] Jahr 1644. (Nr. 17). Eine Einladung existiert nicht. Erman-Horn wissen von der Aufführung nichts. Datiert ist das Szenarium nicht. Auch dem Sammler scheint das Datum unbekannt geblieben zu sein. Es handelt sich um eines der gängigen Friedensspiele, hier nun eingepaßt in das akademische Jubiläumsjahr, in das es sich locker, aber durchaus nicht als ein Fremdkörper fügt. Wo der Frieden poetisch zu begehen ist, ist auch die Pastorale nicht fern. Tatsächlich bietet unser Band auch ein kleines, bislang unbekanntes Schäferspiel, dieses Mal mit vollem Text (Nr. 18). Es wird an anderer Stelle präsentiert werden. Der Bezug zum Jubiläum ist ausdrücklich hergestellt. Dann setzen die poetischen Rückblicke auf das festliche Jahr ein, so von Balthasar Voidius aus Elbing (Nr. 19; Erman-Horn 11138b mit einem Nachweis nur für Breslau) und von Friedrich Möller, Doktor der Medizin, der sein umfängliches Carmen drei Gönnern in Danzig widmet (Nr. 20; Erman-Horn 11138a). Den Beschluß macht Albert Linemann, uns als Professor der Akademie für Mathematik inzwischen wohlbekannt, mit einer Memoria Secularis Acad: Mathematica Sapienti Ac Serae Posteritati Sacra. M.DC.XLIV. Praelo Reusneriano. (Nr. 21). Erman-Horn kennen den Druck nicht. Der Band findet mit ihm einen überzeugenden Abschluß. Der Sammler hat ihm Rundung und Gewicht zu verleihen gewußt. Gewiß steht er in dieser Aufmachung alleine dar. Das dürfte seine eingehendere Präsentation rechtfertigen. Die Fachleute und verehrten Kollegen, die wir am Werk wissen, werden aus ihm mit Gewißheit weiter schöpfen.406 Dach als Verfasser von geistlichen Fest- und Programm-Schriften Wir bleiben zunächst bei Dach als akademischem Festredner und Festdichter, denn als solcher ist er am unbekanntesten. Vor uns liegt ein mächtiger, ––––––

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(Nr. 3) und auf ein Exemplar der Sammlung Faber du Faur. Hinzuzuziehen stets auch Bretzke: Simon Dachs dramatische Spiele (Anm. 11), S. 1 ff., wo die Exemplare schon vor Ziesemer namhaft gemacht wurden, der denn auch darauf verweist. Besonders wichtig wäre eine Wiederauffindung des Drucks von 1645. Vgl. auch den aus der Stadtbibliothek Königsberg herrührenden und heute in der Nationalbibliothek Warschau einsehbaren Band mit den Privilegien der Universität aus dem Jahr 1646 (XVII 3. 16722), sowie die Leges Academia Regiomontana aus dem Jahr 1668 (XVII 3. 3946).

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über 200 Stücke umfassender Quart-Sammelband, den wir uns gerne auch aus der Stadtbibliothek herrührend vorstellen würden, obgleich sichere Indizien fehlen. Seine jetzige Signatur in der Warschauer Nationalbibliothek lautet: XVII 3. 6205–6421. Eröffnet wird er mit einer Folge von Intimationes, deren starkes Aufkommen für den gesamten Band typisch bleibt. Dann folgen schon ab Nr. 6213 poetische Trauerschriften zumeist Königsberger Provenienz, die ersten aus den späten dreißiger Jahren, also einer im Blick auf Dach und die Königsberger verheißungsvollen Zeit. Der erste Dach-Druck erscheint unter der Nr. 6224. Es ist das Sterb = Lied für Anna Schimmelpfennig, geb. von Weinbeer, im Jahr 1639 noch nicht mit Dachs Namen auf dem Titelblatt, wie später fast durchgängige Gepflogenheit, sondern im Anschluß an den Text.407 Später vereinigen sich Dach und Wilkau im Anschluß an eine Einladungsschrift zu Trauergedichten für den frühverstorbenen Sohn von Lorenz Ribau (Nr. 6265).408 Ein drittes Trauergedicht für Reinhold von Eggerdt, wiederum im Anschluß an ein Programm, zeichnet Dach 1640 alleine (Nr. 6289).409 Doch diese Stücke sollten nur en passent Erwähnung finden. Der Band ist für uns aus anderen Gründen bedeutungsvoll. Mit Nr. 6298 – in der alten Bandzählung die Nummer 85 – setzt eine neue Folge von Programmen ein, um die es hier geht. Es handelt sich nun nicht mehr um Einladungen zu funeralen Anlässen. Vielmehr begeht die Universität feierlich das geistliche Jahr. Dabei ist der bestallte Professor für Poesie eine unentbehrliche Figur. Diesem obliegt die Einladung, gerne begleitet von einem poetischen Beitrag. Und er fungiert genau wie sein Kollege vom oratorischen Fach gerne auch als Redner. Der Dichter Simon Dach in dieser amtlichen Obliegenheit ist so gut wie unbekannt. Eine Edition seiner diesbezüglichen Hinterlassenschaft steht aus. Aber selbst ihre bibliographische Registratur läßt zu wünschen üb–––––– 407

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Vgl. Oesterley S. 118 f. mit Nr. 672; Ziesemer III, 32 f. mit S. 464, Nr. 25; Dünnhaupt Nr. 191. Es fehlt der selbständige Musikdruck von Stobaeus mit dem lateinischen Epicedium Dachs (Dünnhaupt Nr. 190). Ziesemer kennt neben dem Breslauer Druck nur einen aus der UB Königsberg Rd 5.4.I.51. Dieser Musikdruck wird heute im Geheimen Staatsarchiv – Preußischer Kulturbesitz zu Berlin verwahrt. Oesterley Nr. 858; Ziesemer III, 27 mit S. 462, Nr. 19; Dünnhaupt Nr. 179. Ziesemer und Dünnhaupt kennen nur ein Exemplar in London, kein originäres aus Königsberg. Bei Ziesemer fehlt – im Gegensatz zu Dünnhaupt – der Verweis auf den Wilkau-Beitrag. Oesterley S. 142–144 mit Nr. 166; Ziesemer III, 46 mit S. 466, Nr. 40; Dünnhaupt Nr. 224. Ziesemer erwähnt (neben Berlin und Breslau) ein Exemplar aus der Gottholdschen Bibliothek (Reα 30 (G)) mit der Musik von Stobaeus, das Dünnhaupt selbständig (Nr. 223) mit dem uns schon bekannten unrichtigen Verweis auf Leningrad führt und dessen Kenntnis Ziesemer zu Unrecht abgesprochen wird. In unserem Exemplar im Gegensatz zu dem Gottholdschen keine Musik!

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rig. Wir sind also neuerdings auch auf diesem Feld – wie stets: nur interimistisch – gefragt. Mit einer Einladung zur Feier des Geburtsfestes Christi im Jahr 1637, wie immer zu Beginn des neuen Jahres gedruckt, setzt die Folge ein (Nr. 6298, alte Zählung 85). Da ist Dach noch nicht Angehöriger der Universität. Christoph Eilard verrichtet das Amt. Die Professur für Poesie hatte er da schon zwanzig Jahre inne.410 ›Sub Exordium Anni 1638.‹ ist sein Beitrag gezeichnet. Auch die nachfolgenden Oster- und Pfingst-Programme des Jahres 1638 übernimmt er ebenso wie die zwei folgenden zu Weihnachten 1638 und Ostern 1639. Der Wechsel setzt im Sterbejahr Eilards mit dem Pfingstfest 1639 ein (Nr. 6303, alte Numerierung Nr. 90). Der wie immer eingehenden Einladung folgt ein ›Carmen Solemnibus Pentecostes sacrum‹, das nun erstmals ›Simon Dachius‹ zeichnet. Es ist der Forschung bislang unbekannt geblieben. Oesterley hat unter Nr. 1144 einen nichtssagenden Eintrag »Non violant divina fidem (k.d.g.).« Ziesemer und Dünnhaupt kennen den Beitrag nicht. Mit seiner Wiederauffindung ist sichergestellt, daß Dach seine Tätigkeit als geistlicher Festredner im Jahr seiner Berufung an die Universität aufnahm und nicht erst im Jahr 1640, aus dem die ersten diesbezüglichen Beiträge bislang bekannt waren. Die Annotation Dünnhaupts zur Pfingstdichtung [recte: Osterdichtung] 1640 (Nr. 8) »Früheste akademische Festdichtung Dachs« ist also entsprechend zu korrigieren. Auch das folgende Programm (Nr. 6304, alte Zählung Nr. 91) bedarf eines Kommentars. Es muß auf das Weihnachtsfest 1639 bezogen werden, wie die Sequenz in unserem Band zeigt, und stellt damit das früheste Programm dar, das uns bislang bekannt war. Ziesemer (IV, 509, Nr. 14) verweist auf Breslau und auf ein Exemplar aus der Universitätsbibliothek Königsberg, möglicherweise der Gottholdschen Bibliothek (Cdβ 461.4.12.). Dünnhaupt (Nr. 10 mit chronologischer Plazierung auf Weihnachten 1640) kennt nur das Breslauer Exemplar. Dem aber fehlen die Bogen A–B. Nur der Dachsche Versbeitrag ist erhalten. Sehr wohl möglich also, daß wir in dem hier vorliegenden und bislang unbekannten Exemplar das derzeit einzig greifbare vollständige vor uns haben. Das nachfolgende Stück (Nr. 6305, alte Zählung Nr. 92) ist wiederum ein Programm In Honorem Gloriosae Dn: Jesu Resvrrectionis Quâ potenter se â morte vindicavit, propriâque virtute resurrexit. Das Gedicht ist überschrieben: ›Solemnibus Resurrectionis Dominicae‹. Nach gemeinchristlichem Verständnis beziehen sich Programm und Gedicht also auf das Osterfest. Es –––––– 410

Die Intimatio zur Trauerfeierlichkeit für Eilard war in der Stadtbibliothek Königsberg unter Q 39 (2) 4° Nr. 166 vorhanden. Vgl. den Artikel von Lehnerdt in der APB I, 161.

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wird von Dünnhaupt (Nr. 8) zum Pfingstfest erhoben. So muß er 1640 mit zwei gleichnamigen Festen operieren. Ebenso wie Ziesemer (IV, 509, Nr. 12) kennt er nur ein Breslauer Exemplar. Hier kommt also eines unbekannter Herkunft fortan für Warschau hinzu. Und so auch in den meisten folgenden Fällen. Unser gehaltreicher Band beschert uns den geistlichen Redner und Versifikator aus seiner frühesten akademischen Zeit offenbar als einziger komplett. Im folgenden bietet er die Programme und hinzugehörigen Gedichte für Pfingsten 1640 (Nr. 6306, alte Zählung Nr. 93; Dünnhaupt Nr. 8a; fehlt bei Ziesemer!), Weihnachten 1640 (Nr. 6310, alte Zählung Nr. 97; Ziesemer IV, 509, Nr. 13; Dünnhaupt Nr. 9) und Ostern 1641 (Nr. 6311, alte Zählung Nr. 98; Ziesemer IV, 509, Nr. 18; Dünnhaupt Nr. 11). Dann setzt die Dokumentation der Dachschen Programme aus. Wir verlassen also den Band für einen Moment, um für die nötigen Anschlüsse zu sorgen. Sie bieten sich in der Nationalbibliothek überraschend an anderer Stelle dar. Wieder ist es ein Sammelband, der weiter hilft und von uns im folgenden noch mehrfach heranzuziehen sein wird. Es handelt sich um einen alten Lederband. ›Disputationum Theologicarum Volumen 134‹ ist auf seinem Rücken zu lesen. Eine Herkunft gibt sich nicht zu erkennen. XVII 3. 8818– 8939 lautet seine jetzige Signatur. Wieder also sind mehr als 100 Stücke zusammen. Wir verharren in den Schlußpartien. Ab Nr. 8921 setzt eine dichte Folge von Königsberger Programmen ein. Sie führen weit über Dach hinaus, sind aber auch im Blick auf ihn ergiebig. Und da die Überlieferung insgesamt äußerst schmal ist, bedarf jedes zusätzlich aufgefundene und bislang unbekannte Exemplar der Registratur. Nr. 8921 – alte Zählung auf dem Titelblatt: 25 – ist Dachs Pfingstprogramm für das Jahr 1647 (Ziesemer IV, 514, Nr. 57; Dünnhaupt Nr. 30); Nr. 8922 (alte Zählung: 26) das Weihnachtsprogramm 1646 (Ziesemer IV, 514, Nr. 53; Dünnhaupt Nr. 28) und Nr. 8923 (alte Zählung 27) das Pfingstprogramm 1650 (Ziesemer IV, 520, Nr. 81; Dünnhaupt Nr. 39). Der Befund ist also zufälliger, die Stringenz des Vorgängerbandes nicht neuerlich erreicht. Doch nutzen wir die Gelegenheit für den Hinweis, daß sich zwischen Nummer 8933 bis 8939 (alte Zählung 37 ff.) sieben bislang offensichtlich unbekannte Programme aus der Königsberger Wirkungszeit von Johann Valentin Pietsch finden. Dach und Thilo im gelehrten Metier Neben dem in Festreden und -gedichten hervortretenden Dichter ist der im akademischen Raum sich qualifizierende Gelehrte zu beachten. Drei Schriften sind es, um die es der Dach-Philologie vor allem zu tun ist. Seine Magdeburger Disputation war auch seinen frühen Biographen nicht mehr zu-

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gänglich. Dünnhaupt und Ziesemer erwähnen sie beide nicht. Wir haben sie in einem Exemplar aus der Staatsbibliothek zu Berlin in der Hand gehabt und nach Osnabrück überführt. Sodann ist die Einladung zu der ersten seiner Vorlesungen aus dem Jahr 1639 ein gesuchtes Stück. Nur das Breslauer Exemplar war bislang bekannt.411 Wir konnten ein weiteres in unserem mit Programmen bestückten Sammelband unbekannter Herkunft auffinden, das wir mit Genugtuung der Dach-Philologie zuführen (XVII 3. 6325). Das größte Problem stellt Dachs pro loco-Magisterdisputation aus dem Jahr 1640 dar, die bekanntlich ein poetologisches Thema aufgreift und deshalb besonderes Interesse beanspruchen darf. Ziesemer hat sie wie die Einladungsschrift – obgleich lateinisch – ausnahmsweise gleichfalls eines Neudrucks gewürdigt. Er weist (II, 394, Nr. 182) ein Exemplar aus der Universitätsbibliothek Königsberg nach (F 118.4.73) und eines aus der Bibliothek des Kollegiatsstifts zu Guttstadt (Nr. 847). Beide gelten als verschollen. Für letzteres besteht womöglich Hoffnung in Allenstein. Dünnhaupt operiert wieder mit einem Exemplar in St. Petersburg, das nicht existiert. Die Forschung aber bleibt auf den Nachweis eines Originals angewiesen, auch um Kollationen mit Ziesemers Edition durchführen zu können. In Warschau konnten wir im Zuge unserer Recherchen 1993 ein Exemplar in Gestalt eines Einzelstücks entdecken (XVII 3. 7608). In die Entdeckerfreude mischte sich freilich sogleich Schmerz. Ziesemer bietet keine Angaben zum Umfang. Vermutlich umfaßt der Originaldruck sechs Blatt in Quart. Wir hatten ein Exemplar mit einem Bogen A4 in der Hand. Der Kustos ›III.Castum‹, der auf den dritten und letzten Passus des Dachschen Textes verweist, findet im tatsächlich vorhandenen Bogen B aber keine Entsprechung. Es ist just an dieser Stelle zu einer Mischung zweier nicht zusammengehöriger Texte verschiedener Herkunft gekommen. Die Suche muß also fortgeführt werden. Immerhin wird auch der nun wieder aufgetane erste Bogen der Dachschen Magisterdisputation der Forschung willkommen sein. Wir sehen mit Erwartung der zweisprachigen kommentierten Edition beider Dachscher akademischer Texte durch den ersten Sachkenner Hanspeter Marti zusammen mit der Übersetzung von Lothar Mundt entgegen.412 –––––– 411

412

Vgl. den Nachweis bei Ziesemer II, 394, Nr. 181, mit dem Breslauer Exemplar Rhed. 4 E 225a, 1. Vgl. unten S. 612 ff. Die seinerzeit ausgesprochene Erwartung hat sich erfüllt. Hanspeter Marti und Lothar Mundt haben inzwischen eine zweisprachige Edition der Einladungsschrift und der pro loco-Dissertation vorgelegt, wobei sie für den fehlenden Text des Originaldrucks auf die Edition Ziesemers zurückgreifen konnten. Die Edition ist mit einer ausführlichen Einleitung versehen. Vgl. Hanspeter Marti, Lothar Mundt: Zwei akademische Schriften von Simon Dach aus den Jahren 1639 und 1640 – Analyse und Dokumentation.- In: Simon Dach (1605–1659) (Anm. 12), S. 67–114.

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Einmal auf die akademische Fährte gelangt, reizt es uns, auf ihr zu verharren, da bislang nur so wenige Spuren verfolgt wurden. Die Nationalbibliothek Warschau bietet aufgrund ihrer reichen Bestände aus der Königsberger Stadtbibliothek dafür heute die vermutlich besten Voraussetzungen. Hier lohnt sich vor allem ein Blick auf das Werk von Dachs Kollegen Valentin Thilo im Fach der Eloquenz.413 Es ist im Schatten seines von Königsberg nach Tübingen herüberwechselnden Kollegen Christoph Kaldenbach verblieben. Die Literatur über ihn ist dürftig, die lexikalische Information völlig unzureichend, selbst wichtige Titel seines ausgebreiteten Werkes fehlen in den bibliographischen Anhängen. In Warschau ist Thilo reich vertreten. Er war der Nachfolger von Samuel Fuchs auf dem Lehrstuhl für Rhetorik, den er seit 1634 innehatte und bis 1662 bekleidete. Auch das Werk seines Vorgängers ist selten geworden. Seine Metoposcopia et Ophthalmoscopia, Fragen der die Zeit bewegenden Physiognomik gewidmet, die bereits 1615 in Straßburg erschien, hat sich in einem Exemplar der Stadtbibliothek ebenso erhalten (XVII 2. 23089) wie sein gewiß berühmtestes Werk In Honorem Divorum Principum Borussiae Brandenburgensium Pars I. Academicorum scriptorum Edita â M. Samuele Fuchsio. Regiomonti, Typis Lavrentii Segebadii. Anno M DC XXVIII., das das auf Brandenburg und Preußen bezügliche panegyrische Schrifttum in einer umfänglichen Dokumentation für die Jahre 1545 bis 1619 vereinigt (XVII 3. 5866).414 In gewisser Weise stehen sowohl Thilo mit seinen großen und vielfältigen Sammelschriften wie auch Dach mit der Chur = Brandenburgischen Rose, ja selbst noch ein späterer Nachfahre im rhetorischen Fach an der Albertina, Jacob Reich mit seinen Kunstreden (1691), in dieser von Fuchs begründeten akademischen Tradition Königsbergs. Hier kann es wieder nur um den – zumeist noch unbekannten – poetischen Beitrag Dachs im Blick auf Thilo gehen, um dessentwillen der Einschub erlaubt sein mag. Von Thilos beiden Werken zum akademischen Fest des Jahres 1644, den Secvlaria Borvssa und den Secvlaria Regiomontana, war bereits die Rede. Ein Jahr später ließ er seine in drei Abteilungen schemati–––––– 413

414

Vgl. dazu die oben Anm. 45 aufgeführte Arbeit von Manfred Komorowski. Hinzuzunehmen jetzt die wichtige, nach Abschluß unseres Textes erschienene Untersuchung von Wilhelm Kühlmann. die im folgenden für Thilo generell heranzuziehen ist: Theorie und literarische Hermeneutik der rhetorischen Affektenlehre im 17. Jahrhundert. Zu Konzept und literarischem Umkreis von Valentin Thilos Lehrbuch ›Pathologia Oratoria‹ (Königsberg 1647) – Mit dem Abdruck zweier lateinischer Gedichte von Simon Dach.- In: Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Hanspeter Marti und Manfred Komorowski unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach.- Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2008, S. 116–138. Vgl. Erman-Horn Nr. 11074. Vgl. von Fuchs auch seine große Leichenrede auf Anna von Brandenburg (Königsberg: Segebade 1626), die sich in Warschau erhalten hat (XVII 3. 6800). Sie ist u.a. Martin von Wallenrodt gewidmet.

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sierten Exercitia Oratoria herausgehen. Sie erfreuten sich offenbar erheblicher Beliebtheit. 1663 wurden sie in Helmstedt und Jena wiederaufgelegt. Die Erstauflage ist in einem Exemplar aus der Gymnasialbibliothek Stargard nach Warschau gelangt (XVII 2. 1093). Keiner der Dach-Forscher hat sich die Mühe gemacht, in das Werk des unmittelbar benachbarten Fachkollegen einen Blick zu werfen, das doch in Königsberg gewiß zusammenstand. Johannes Mochinger hat es von Danzig aus mit einer Einleitung versehen. Wie sollte Dach es sich da nehmen lassen, nicht auch seinerseits dem ›Cordimperator‹ zu huldigen und seinen Beitrag zur Akkulturation in Preußen zu würdigen? Im Anschluß an ein griechisches Gedicht folgt ein 92 Hexameter umfassender Beitrag des Professors für Poesie, betitelt ›Ad Valentinum Thilonem Rhetorum sacra hoc tractatu ipsis secularibus Academiae ludis vulgantem.‹ Der Dichter war darauf bedacht, die holländische Lehrzeit des Freundes und die Bedeutung des Faches in den Händen seines gegenwärtigen Vertreters vor dem Hintergrund der Tradition in Königsberg herauszustreichen und dabei Fuchsens wiederholt zu gedenken. Ein solches auch für die akademische Historiographie wichtige poetische Dokument möchte man schwerlich missen; es scheint jedoch bislang nicht wahrgenommen worden zu sein. Ein Jahr später lag sein zweites Lehrbuch vor, dem die wohl größte Verbreitung beschert war, vermutlich, weil es ein Muster bot, wie eines der großen Werke der römischen Historiographie, die Geschichte Alexanders des Großen von Q. Curtius Rufus, über eine Analyse seiner eingeschalteten Reden dem akademischen Fach dienstbar gemacht werden konnte: Valentini Thilonis Cvrtivs Orator, Sive Orationes Cvrtianae, Brevi Analysi & Pleniori Locorvm Commvnivm Evolvtione Illvstratae, Königsberg 1646. Dach ist neuerlich der erste, der huldigend das Wort ergreift. Mit 27 elegischen Distichen hat er das Werk geschmückt. Die Dach-Philologie wußte bis vor kurzem davon nichts. Wieder ein Jahr später lag die Pathologia Oratoria dieses so produktiven Autors vor, ebenfalls in Königsberg gedruckt und später wiederholt neu aufgelegt, ging es doch um ein Kernstück der Rhetorik, die Lehre von der angemessenen Erregung der Affekte. Das Exemplar aus der Stadtbibliothek ist nach Warschau gelangt (XVII 1. 468). Dieses Mal leitet Michael Behm ein, gefolgt von Johann Sand, dem Sekretär des Königsberger Hofgerichts. Erst an dritter Position ist Dach plaziert, gefolgt von Magister Jacob Teucher. Hätte Joachim Dyck nicht auf den Dachschen Beitrag aufmerksam gemacht, er wäre vermutlich so unbekannt geblieben wie seine Vorgänger und Nachfolger. So aber ist ausnahmsweise auch eine bibliographische Referenz möglich.415 –––––– 415

Dünnhaupt Nr. 527. Vgl. den wichtigen Beitrag von Joachim Dyck: ›Lob der Rhetorik und des Redners‹ als Thema eines Casualcarmens von Simon Dach für Valen-

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Mit den 1650 in Königsberg erschienenen Panegyrici Academici schloß Thilo an das Werk seines Vorgängers Fuchs an. Das polnische Königs- und das Brandenburgische Fürstenhaus stehen im Mittelpunkt der nun durchweg von ihm stammenden Huldigungen. Wieder ist das Exemplar (bzw. wie wir ja stets einschränkend sagen müßten: eines der Exemplare) der Stadtbibliothek glücklicherweise nach Warschau gelangt (XVII 3. 3882). Die alte Signatur ist noch erkennbar: Q 117. Insgesamt 19 Prunkreden, zumeist begleitet von den Einladungsschriften, sind hier zusammengefaßt. Thilo befand sich auf dem Höhepunkt seines Wirkens und allseitiger Anerkennung. Das spiegelt sich getreulich auch in den poetischen Zuschriften, die er seinem Werk beizugeben vermochte. Der Kreis der Beiträger reichte weit über Königsberg hinaus. Christoph Tinctorius als Rektor der Universität, Joachim Pastorius als Königlicher Historiograph, August Buchner (ohne Zusatz), Johannes Mochinger aus Danzig und abschließend ein Lizentiat der Rechte verleihen dem großen Werk den Rahmen. An vorletzter Stelle – gleichfalls ohne weiteren Zusatz der Wirkungsstätte und der Position – kommt Simon Dach neuerlich zu Wort. ›In Valentini Thilonis, Viri Clarissimi Panegyricos‹ sind seine 14 Distichen überschrieben, auch sie bislang nirgendwo aktenkundig. Ziesemer, dem lateinischen Werk Dachs nicht eigentlich gewogen, hatte es versäumt, dem akademischen Kreis um Dach die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, und seither schleppte sich das Versäumnis in der bibliographischen Dokumentation fort. Ein Jahr später lag sein Lehrbuch Rvdimenta Rhetorica, de Periodis, Amplificatione, Connexione vor. Wiederum nur zwei Jahre später erschien ein neues Erfolgsbuch, die Topologia Oratoria, zunächst 1653 in Königsberg aufgelegt und sogleich in Amsterdam nachgedruckt und schließlich nach weiteren Drucken in Frankfurt (1659) und Halle (1666) im Jahre 1687 an den Druckort Königsberg zurückkehrend. Sie war im Erstdruck aus der Bibliothek in Reichertswalde – wie so viele andere Bücher mit Königsberger Impressum – nach Warschau gekommen (XVII 2. 720–721). Dach hatte hier ausnahmsweise darauf verzichtet, seine Reverenz zu erstatten. Vielleicht war eine Vereinbarung mit Kaldenbach erfolgt, der mit einer – gleichfalls unbekannten – poetischen Zuschrift in dem Werk vertreten ist. Für das folgende Jahr 1654 stießen wir auf eine in Königsberg gedruckte und in der Stadtbibliothek verwahrte Arbeit Thilos, seine Ideae Rhetoricae, für die wir überhaupt keinen einschlägigen bibliographischen Nachweis beibringen können (XVII 3. 23015).416 Ausgesprochenen Bezug auf das akademische Leben Kö–––––– 416

tin Thilo.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 5 (1978), S. 133–140. Zur Pathologia Oratoria vgl. die in Anm. 413 angeführte Arbeit von Kühlmann. Sie sind erwähnt bei Dyck: Lob der Rhetorik (Anm. 415), S. 139, Anm. 17. Vgl. jetzt auch Kühlmann: Theorie und literarische Hermeneutik (Anm. 413), S. 121.

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nigsbergs besaßen Thilos 1653 in Königsberg erschienenen Orationes Academicae, die als Pendant zu seinen oben erwähnten Königs- und Fürsten-Eulogen angesehen werden dürfen. Sie stellen für das gelehrte Leben Königsbergs in den zwanzig Jahren der Wirkungszeit Thilos zwischen 1634 und 1653 ein wichtiges Zeugnis dar. Das Werk, das offensichtlich keine weitere Auflage erlebte, ist selten. Es war auch in Warschau von uns nicht aufzutun, obgleich es doch mit Gewißheit in der Stadtbibliothek stand. Dach hat es aus unbekannten Gründen nicht mit einem Beitrag geziert.417 Verstreutes und unikates Gut im Sammelband XVII 3. 6205–6421 Nun aber ist die Rückkehr zu Dach als dem gefragten Dichter zur poetischen Begleitung festlicher Ereignisse im Rhythmus des menschlichen Lebens zu vollziehen. Denn auch in dieser Sparte hat die Nationalbibliothek in Warschau Unbekanntes und Seltenes zu bieten. Wir nehmen zunächst die Behandlung unseres eingangs eingeführten Sammelbandes (XVII 3. 6205– 6421) wieder auf, den wir verlassen mußten, um die Präsentation von geistlichen Programmen über die Sammelbände hinweg zu verfolgen. Das soll nicht geschehen, ohne darauf hingewiesen zu haben, daß er auch sonst mit wertvollen Texten bestückt ist, die zu den größten Kostbarkeiten der deutschen Barockliteratur zählen. Bleiben wir noch für einen Moment bei Thilo. Unter Nummer 6366 dieses voluminösen Bandes sind Gratulationes Clarissimorvm Virorvm, Super Faustitate Svpremi Hvivs Philosophici Honoris, Paßim Institutae. Regiomonti, Typis Laurentii Segebadii, Anno 1638. vereint. Einen solchen Druck tut man nur zufällig auf. Er erschließt sich nicht einer systematischen Suche. Eben zum Finden beim Blättern laden Sammelbände ein. Der Geehrte ist niemand anderer als Thilo, der nun schon ein paar Jahre in Königsberg wirkte. Unsere Vermutung geht dahin, daß das Stück in einem näher zu untersuchenden Zusammenhang mit dem Aufenthalt Opitzens in Königsberg in eben diesem Jahr steht. In jedem Fall hat man den berühmten Dichter und Gelehrten dazu gewinnen können, wie auf andere Personen des Königsberger Kreises so auch ein Gedicht auf Thilo zu verfassen. Mit ihm wird unsere kleine Festschrift, zu der ansonsten Mochinger aus Danzig, ein Anonymus (›An. Am.‹) sowie aus Elbing Balthasar Voidius, Balthasar von Grünendemwalde und Christoph Reimann beitragen, eröffnet: ›Ad spectabilem Clarißimumque Virum, M. Valentinum Thilonem Professorem Elo–––––– 417

Das Werk enthält gleichfalls keine poetische Zuschrift von Dach. Dyck führt in der Anmerkung gleichfalls Thilos Topologia Oratoria auf. Das Werk ist erwähnt bei Dyck: Lob der Rhetorik (Anm. 415), S. 139, Anm. 23, wo auch die Beiträger aufgeführt werden. Erwähnung findet es ebenfalls bei Kühlmann: Theorie und literarische Hermeneutik (Anm. 413), S. 120.

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quentiae, Facultatis Philosophicae in Academia Regiomontana Decanum, Cùm supremos honores Philosophicos Doctißimis quibusdam Viris & Juvenibus conferret.‹ Daß Opitz sich zu dieser Ehrung herbeiließ, bezeugt, welche Stellung Thilo zwischenzeitlich in Königsberg erlangen konnte. Die acht Distichen können nun auch der Opitz-Philologie zugeführt werden – nicht zu spät für die chronologisch ausgerichtete Werkausgabe, die leider seit langem im Jahr 1630 verharrt, und im Blick auf den ›Opitius Latinus‹ unter der Stabführung von Robert Seidel gewiß willkommen. Wir nutzen die Gelegenheit zudem für die folgenden zusätzlichen und vermutlich willkommenen Informationen. Der Band enthält ein Exemplar von Opitzens Trostgetichte (Nr. 6346). Unter der Nr. 6347 ist eine große, Dutzende von Beiträgen vereinende Trauerschrift auf einen gewissen Konrad Noss von Grabau aus dem Jahr 1637 plaziert. Am Schluß stehen einige deutsche Beiträge. Der letzte ist signiert ›H[?].A.‹. Es handelt sich um ein achtzehnstrophiges Gedicht, beginnend: ALler vngewissen sachen Die gewissest’ ist der Todt/ Nur Zeit/ Orth vnd Weise machen Daß wir vns der Sterbens Noth Stetz versehen müssen/ denn Welcher weiß wo wie vnd wenn?

Sollte es aus der Feder Heinrich Alberts herrühren, vermöchten wir ein ausgesprochen moralphilosophisch angelegtes Stück seinem insgesamt schmalen Œuvre zukünftig hinzuzugesellen. Gleich anschließend unter der Nummer 6348 findet sich Andreas Gryphius’ ›Carmen Heroicum‹ Dei Vindicis Impetus. Et Herodis Interitvs, das 1635 bei Rhete in Danzig erschien. Bislang war nur ein einziges vollständiges Exemplar aus der Stadtbibliothek in Danzig bekannt.418 Hier kommt nun ein zweites hinzu. Im Anschluß (Nr. 6349) folgt ein weiteres, nämlich die früheste der Huldigungen von Gryphius für seinen Gönner Georg von Schönborner, auch dieses bislang nur einmal für Danzig bezeugt: Parnassus Auspice & Praeside Phoebo. Svadente & Dirigente Pallade. Spectante & Favente Augustissimo Mvsarvm Deorvmqve Collegio Virtvte [...] Domini Georgii Schönborneri a Schönborn, [...] Renovatus. Es kam 1636 wiederum bei Rhete in Danzig heraus.419 Doch zurück zu unserem Autor. Dach ist nämlich auch als Beiträger in unserem Band gegenwärtig. So unter der Nummer 6351 mit einem lateini–––––– 418

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Vgl. Dünnhaupt III (1991), S. 1862 f., Nr. 6.II; Marian Szyrocki: Der junge Gryphius.- Berlin: Rütten & Loening 1959 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 9), S. 157, Nr. 2 (ohne Standortnachweis). Dünnhaupt Nr. 7; Szyrocki Nr. 3 (ohne Standortangabe).

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schen Beitrag für Thomas Hopfer,420 unter der Nummer 6356 mit einem deutschsprachigen Sonett für Ursula Behm,421 der Nummer 6360 mit einem selbständigen Trauergedicht für Elisabeth Reimer,422 der Nummer 6362 mit einem weiteren für Justina Kuhn423 und schließlich der Nummer 6365 zum Tod der Tochter von Johann Bartholomäus Krüger.424 Als ein Kind Coelestin Myslentas, kein Jahr alt, im Mai 1641 stirbt, sind Kollegen, Freunde und Gönner aufgerufen, sich tröstend zu artikulieren, wobei Johannes Behm begreiflicherweise vorangeht (Nr. 6373). Dach zeichnet seinen lateinischen Beitrag – den längsten mit 35 Versen in der Sammelschrift – als derzeitiger Dekan.425 Zum gleichen Anlaß hat Dach dann auch eine selbständige deutsche Trauerschrift vorgelegt, die in unserem Sammelband gleich anschließend erscheint (Nr. 6374).426 Zu finden ist sodann die Trauerschrift Dachs für Reinhold Boy aus dem Jahr 1640 (Nr. 6381),427 desgleichen diejenige für die Gattin Michael Behms, Anna Pohl (Nr. 6401),428 diejenige für Johann Babatius (Nr. 6404)429 und Georg Casseburg (Nr. 6409),430 schließlich für Agnes Möller (Nr. 6420).431 Beiträger ist Dach dann wieder in der Trauerschrift für Matthäus Eifler (Nr. 6402)432 sowie in der für Johannes Tragner (Nr. 6419).433 Doch auch unbekannte Dachiana hält unser so gehaltreicher Band bereit. Als Johann Masius am 14. März 1640 die akademischen Weihen in der Medizin unter dem Dekanat von Christoph Tinctorius empfängt, gratulieren ›Fautores‹ und ›Amici‹ in großer Zahl und durchweg in der lateinischen Sprache (Nr. 6389). Abraham Calovius macht den Anfang. Dach steuert 34 –––––– 420 421

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Oesterley Nr. 1145; Ziesemer II, 347, Nr. 21; Dünnhaupt Nr. 150. Oesterley S. 847 mit Nr. 134; Ziesemer III, 26 mit S. 462, Nr. 17 (mit Angabe der weiteren Beiträger); Dünnhaupt Nr. 154. Oesterley S. 112–114 mit Nr. 216; Ziesemer III, 24–26 mit S. 462, Nr. 16; Dünnhaupt Nr. 162. Oesterley Nr. 431; Ziesemer III, 31 mit S. 463, Nr. 22; Dünnhaupt Nr. 185. Oesterley Nr. 738; Ziesemer III, 35–37 mit S. 465, Nr. 30; Dünnhaupt Nr. 202. Oesterley Nr. 1042; Ziesemer IV, 509, Nr. 16; Dünnhaupt Nr. 276. Oesterley S. 158 f. mit Nr. 330; Ziesemer III, 67 mit S. 469, Nr. 60; Dünnhaupt Nr. 277. Oesterley S. 140 f. mit Nr. 434; Ziesemer III, 50 mit S. 466, Nr. 44; Dünnhaupt Nr. 230. Oesterley Nr. 223; Ziesemer III, 59–61 mit S. 468, Nr. 53; Dünnhaupt Nr. 269. Oesterley Nr. 1011; Ziesemer IV, 508, Nr. 7; Dünnhaupt Nr. 213. Oesterley Nr. 947; Ziesemer III, 48 mit S. 466, Nr. 42; Dünnhaupt Nr. 226. Oesterley S. 853 f. mit Nr. 621; Ziesemer III, 61 f. mit S. 468, Nr. 54; Dünnhaupt Nr. 271. Oesterley Nr. 1208; Ziesemer IV, 508, Nr. 8; Dünnhaupt Nr. 214. Oesterley S. 139 f. mit Nr. 566; Ziesemer III, 54 f. mit S. 467, Nr. 49; Dünnhaupt Nr. 245.

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Verse bei und stellt sie unter den Titel ›Ad Johannem Masium, summum in Medicina gradum modestè acceptantem.‹ Wenig später heiratet Masius. Der zu diesem Anlaß entstehende Beitrag Dachs ist im Gegensatz zu dem voraufgehenden bekannt.434 Als im selben Jahr fünf Kandidaten mit den höchsten Ehren der Oberen Fakultäten ausgezeichnet werden, tun sich Freunde zu einer Panegyrin Solennem zusammen, darunter auch Dach (Nr. 6391). Dieses universitätsinterne Schrifttum scheint nicht nach Breslau gelangt zu sein und war möglicherweise auch in Königsberg nicht präsent. Unser Band bietet die Festschrift, in denen 25 unbekannte Distichen Dachs stehen, anhebend: »ERgo dies optatus avis, nunc ritè colendus, | Post genitis sanctè semper habendus adest.« Konfusion herrscht sodann über die Trauerschrift für den Diakon der Königsberger Altstadt Urban Lepner anläßlich des Todes der Frau, zu der Dach lateinisch beiträgt, einsetzend: »COnfecta tantis membra laboribus, | Et mille morbis suppositum caput« (Nr. 6415). Ziesemer erwähnt den Text im Anschluß an Oesterley (Nr. 1026) im Kommentar zu der zum gleichen Anlaß verfaßten deutschen Trauerschrift Dachs (Nr. 6416).435 Dünnhaupt hat sich beide Texte entgehen lassen. Statt dessen bringt er unter Nr. 247 ein Klag = vnd Trostlied zum gleichen Anlaß, das auch in unserem Band sogleich auf das eben zitierte folgt (Nr. 6417). Dünnhaupt bringt es jedoch in falschen Zusammenhang mit zwei Trauergedichten auf Michael Adersbach, die mit dem vorliegenden nichts zu tun haben. Außerdem weist er dieses kommentarlos – wie vorher schon Oesterley Nr. 407 – Dach zu, wofür es im Titel und im Text keinen sicheren Anhaltspunkt gibt. Es fehlt daher sicher nicht ohne Grund bei Ziesemer. Hier geht es um den deutschsprachigen Beitrag für Urban Lepner, in dem Dach der Todkranken das Wort leiht: Rede Eines durch vielfältige Kranckheit abgematteten vnd numehr sterbenden Menschen bey seligem Ableiben Der [...] Brigitten Decimatorin/ Des [...] Hn. M Vrban Lepners etc. Ehelichen lieben Haußfrawen geschrieben also Daß sie auff die Weise des 38. Psalms im Lobwasser mag gesungen werden.

Wieder hat Dach es verstanden, den Monolog aus der illusionslosen Vergegenwärtigung des körperlichen Verfalls hinüberzugeleiten in den Ausdruck freudiger Erwartung angesichts der dem Glaubenden gewissen Transfiguration. –––––– 434

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Oesterley Nr. 1190; Ziesemer II, 349, Nr. 29; Dünnhaupt Nr. 220 mit Verweis auf ein Exemplar im Staatsarchiv Berlin. Vgl. Ziesemer III, 57 f. mit S. 467, Nr. 51. Hier auch die Erwähnung der sonstigen lateinischen Beiträger.

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1. ALles läufft mit mir zum Ende/ Meine Hände Füß’ vnd Arme sind verdorrt/ Auch die Fackel meiner Augen Wil nicht taugen/ Geist vnd Leben eilen fort. 2. Wo der Todt/ die Pest der Erden/ Recht kan werden Anzusehen abgemahlt/ Müssen jhm die Arm vnd Beine Recht wie meine Vnd nicht anders sein gestalt. [...] 5. Laß dich seine finstre Hecken Nicht erschrecken/ Süß vnd sanfft zwar thut er nicht/ Aber eh wir es verstehen Wird auffgehen Des gewünschten Lebens Licht.

Nachlese Wir müssen auf den Abschluß zustreben, auch wenn aus Warschau noch mancherlei zu berichten wäre. Wie weit die Suche auch hier auszugreifen hätte, sei an zwei, drei einschlägigen Beispielen gezeigt. Aus der Bibliothek zu Reichertswalde haben wir einen Band in der Hand gehabt, der die alte Signatur 3.50 trug, also offensichtlich bei den Genealogica untergebracht war. Heute besitzt er die Signatur XVII 3. 6014–6036. Er setzt überraschend ein mit Drucken aus Amberg. Der Fachmann erwartet Titel von Abraham Scultetus – und wird nicht enttäuscht (vgl. die Nummern 6020 ff.). Dem reformierten Kontext wird es zu verdanken sein, daß eine Leichenpredigt für Balthasar von Brunnen, Mitglied des Geheimen Rats sowie des Hof- und Kammergerichts, in den Band gelangt ist (Nr. 6028). Der Anlaß der Predigt: Als derselbe zu Königsberg in Preussen/ am 20. Julij, des 1643. Jahres/ im HErrn sanfft vnd selig verschieden/ Vnd den 24. Novembr. desselben Jahres/ sampt seinem Adelichen Töchterlein Juliana Charlotta/ So den 5. Augusti jhrem Herrn Vater gefolget/ Auff der Reformirten Gemeine Kirchhoff daselbst/ zur Erden bestattet ward/ [...].

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Der Kurfürstlich-Brandenburgische Hofprediger Adam Christian Agricola hält die Predigt und formuliert auch das ›Epitaphium‹, zunächst auf lateinisch, dann auf deutsch. Anschließend ist die akademische Gemeinschaft am Zuge. Die Einladung zu den Feierlichkeiten in der Universität hat sich erhalten (6029). Sie ist auf den 24. November datiert. Dann folgt Dach mit einem großen deutschsprachigen Gedicht in Gestalt einer vier Blatt umfassenden Verfasserschrift (6030). Dünnhaupt (Nr. 370) weist das Stück als Anhang zur Leichenpredigt aus. Unserem Druck ist sie nicht als Epicedium beigefügt. Aus Ziesemers Angabe (III, 472, Nr. 84) ist nicht zu ersehen, ob er einen selbständigen Druck oder das Epicedium mit möglicherweise gleichlautendem Titel in der Hand gehabt hat. Niemand hat bislang der Intimatio Erwähnung getan. So muß überall nachgearbeitet werden, und bislang unbeachtete Exemplare in unbekannten Sammelbänden leisten dabei ihre guten Dienste. In einem Sammelband aus der mächtigen Liebeherrschen Bibliothek zu Stettin, die jetzt zerschlagen ist und aus der gleichermaßen Bestände nach Thorn und nach Warschau gelangt sind, finden wir einen einzelnen DachDruck. Es handelt sich um einen Pappband mit der alten Signatur 40 Lieb. 474 und mit dem Zusatz ›verarbeitet Grube 1929‹ (jetzige Signatur: XVI Q 4647–4677). Die Ehrung gilt Thomas Hopfer, der unter dem Rektorat von Tinctorius und dem Dekanat von Thilo mit der Laureatenwürde ausgezeichnet wurde. Nicht weniger als 25 jeweils namentlich gezeichnete lateinische Beiträge und einen griechischen zählen wir unter den Carmina Votiva, die unser Band versammelt (Nr. 4657). Dach ist nicht dabei. Er behält es sich schon 1638 – und also vor Eintritt in die Academia Regiomontana – vor, einen großen separaten lateinischen Beitrag zu verfassen: In Honorem Thomae Hopferi Augustani summô Philosophiae titulô donati. Anno 1638. d. 8. Aprilis (Nr. 4658). Wenn wir Ziesemer glauben können (II, 347, Nr. 21), war der Druck in Königsberg nicht vorhanden, sondern nur in Breslau. Hier kommt also aus der Liebeherrschen Bibliothek ein Exemplar hinzu. Vor allem aber wird erstmals über diesen Band der Kontext der Beiträger faßbar, in dem Dach steht und von dem er sich zugleich auf eine so bemerkens- und klärungsbedürftige Weise frühzeitig absetzt. Ganz zum Schluß soll unser Weg zurückführen zur Königsberger Stadtbibliothek. Zwei Sammelbände sind es vor allem, deren Rettung wir dankbar begrüßen. Sie trugen in der Stadtbibliothek die Signaturen Oe 45 und Oe 46. Es handelt sich um gut erhaltene und ansprechende grüne Halblederbände. Der erste Band ist mit einem Vorsatzblatt versehen, auf dem die im Band auftauchenden Personen verzeichnet sind. Die schon in der Signatur deutlich werdende biographische Zuordnung findet also zusätzliche Bekräftigung. 62 Stücke sind für den Band ausgewiesen (neue Signatur: XVII

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4. 3793–3868). Er wird eröffnet mit einem repräsentativen Paneygrikus von Thilo auf Władysław IV. im Jahr 1635, jenem Jahr also, in dem Dach seinen Cleomedes für den König schrieb, den wir in Danzig in einem 350 Jahre verschollenen Erstdruck wiederfanden. Als der König stirbt, hält Thilo in der Universität die Gedenkrede (3805). Nun aber auf dem Zenit Dachs geht sie nicht heraus, ohne daß auch der Professor der Poesie sich hätte vernehmen lassen. Sieben elegische Distichen ›Ad Manes Vladislai IV. Invictissimi Qvondam Polonorvm Regis etc. etc.‹ aus seiner Feder stehen dem Druck voran. Oesterley (Nr. 1239) und Ziesemer (IV, 515, Nr. 62) kennen einen anderweitigen datierten Druck aus einem Sammelband der Universitätsbibliothek Königsberg (Qa 106.2.15) und Ziesemer zusätzlich aus einem Einzeldruck der Stadtbibliothek (Q 54.2). Diese der akademischen Feierlichkeit gewidmete Schrift haben sie offensichtlich nicht in der Hand gehabt, in die der Dachsche Text wieder Eingang fand. Er ist der derzeit einzig bekannte Zeuge auf das spektakuläre Ereignis.436 Thilo ist es auch, der die akademische Festlichkeit für Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Februar 1649 anläßlich des 29. Geburtstages des Kurfürsten ausrichtet. Sie wurde mit Musik und Reden begangen. Das entsprechende Dokument ist uns schon bekannt.437 Hier nun liegt die Dokumentation des Festakts in der von Thilo verantworteten Komposition vor. Wieder geht Dach mit einem Beitrag voran, bevor Thilo mit wenigen ZueignungsZeilen in Vers und Prosa folgt, denen sich die vier lateinischen Reden der adeligen Studenten anschließen. Unser Band hält den Zusammenhang exakt fest, der sich aus den bisherigen Hilfsmitteln nicht rekonstruieren läßt. Leider ist der Text nicht ganz komplett; inmitten der vierten Rede bricht er auf Blatt G2 ab (3809). Um so dankbarer sind wir, ihn in Kaliningrad aus der Wallenrodtschen Bibliothek (RR 6 (56)) komplett bewahrt zu wissen.438 1654 fand eine Svpplicatio academica unter Thilos Regie statt (3821). ›E Museo, 1654 Prid. Id. Febr.‹ ist seine Widmungsschrift datiert. Seiner Rede zu dem festlichen Ereignis sind neun Distichen Dachs vorangesetzt. Sie standen offensichtlich in einer Handschrift der Breslauer Bibliothek.439 In die Verzeichnisse von Ziesemer und Dünnhaupt haben sie keinen Eingang gefunden, sind also aus der Überlieferungsgeschichte des Dachschen Werkes –––––– 436

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Dünnhaupt Nr. 562 versetzt den von Oesterley und Ziesemer erwähnten Druck wieder nach Leningrad, wo es ihn nicht gibt. Vgl. S. 451 mit Anm. 197 und S. 482 mit Anm. 249. Der Dachsche Text – ohne den Kontext – bei Ziesemer II, 361, Nr. 83 mit Verweis auf den Beitrag Thilos und zwei Exemplare aus der UB Königsberg und der LB Dresden; bei Dünnhaupt Nr. 610 mit Verweis auf das Dresdener Exemplar; ohne Spezifizierung des Kontextes. Vgl. Oesterley Nr. 1037 mit Verweis auf Rhed. Ms. 57.

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seit mehr als 100 Jahren verschwunden. Ziesemer hat wiederum unbegreiflicherweise unseren Sammelband aus der Königsberger Stadtbibliothek nicht konsultiert. Seine Ausgabe, so muß leider zu wiederholtem Male konstatiert werden, war nicht sorgfältig und umfassend genug hinsichtlich der verfügbaren Textzeugen fundamentiert. Der Band, der in der Stadtbibliothek neben dem soeben eingesehenen stand und die Signatur Oe 46 2° trug, bedarf gleichfalls eines letzten Moments des Verweilens (XVII 4. 2495–2655). Er steht zunächst ganz im Zeichen Simon Dilgers, der – wie erwähnt – an der Universität Vilnius wirkte, aber in Königsberg drucken ließ. Der Autor zeigt eine bemerkenswerte Neigung für die Ekloge. Gleich das erste Stück des Bandes aus seiner Feder aus dem Jahr 1656 ist programmatisch Simon Dach, Rotger zum Bergen, Johann Georg Straßburg und Hieronymus Roth gewidmet. 27 Stücke von ihm enthält der Band. Der Autor verdiente eine nähere Behandlung. Erst sehr viel später stoßen wir noch einmal auf Simon Dach. Und dies in seiner Funktion als Festdichter, der stets besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Unter der Nummer 131 des wieder von alter Hand ausgezeichneten Bandes begegnet uns Dachs Prussiarchus neuerlich (Nr. 2630), nun jedoch in der Ausgabe des Jahres 1656. Bretzke und Ziesemer haben beide dieses Exemplar aus der Stadtbibliothek in der Hand gehabt, und zwar als einziges ihnen bekanntes. Es hat sich also in diesem mächtigen, nun in Warschau lagernden Sammelband erhalten, den wir leider sogleich schon wieder verlassen müssen. Lobpreis Tilsits Ein letzter Hinweis soll zum Abschluß unseres Rundgangs einem Titel gelten, über den die Wanderung, die unsere Texte nahmen, nochmals besonders sinnfällig wird. Dach hat sich auch in der Gattung des laus urbis versucht. Ein großes eigenständiges Stück kam freilich nicht für seine Geburtsstadt Memel zustande, sondern für die benachbarte Stadt Tilsit. Sie beging 1652 ihren 100. Geburtstag, ein Ereignis, das Dach sehr dezent mit einer Huldigung an Herzog Albrecht und das Haus Brandenburg verknüpfen konnte. Ziesemer hat das Gedicht daher in die Abteilung ›Gedichte an das kurfürstliche Haus‹ eingestellt, wo es aber nicht eigentlich hingehört (II, 262–268). Es ist neuerlich von geistlichen Motiven sehr viel nachhaltiger durchwirkt als von dynastisch-panegyrischen. Die Probleme des Aufbaus der Ziesemerschen Ausgabe machen sich also auch hier im Einzelfall wieder geltend. Der Herausgeber hatte eine reiche Überlieferung in Königsberg zur Verfügung.440 In der Universitätsbibliothek stand es (S 92 fol. 7), im Stadtarchiv –––––– 440

Vgl. die Nachweise Ziesemer II, 389 f., Nr. 157.

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wurde es verwahrt (13917 III Fundation Tilse); im stadtgeschichtlichen Museum gehörte es möglicherweise zu den Ausstellungsstücken. Die Spuren aller drei Exemplare haben sich verloren. Man darf gespannt sein, ob sie sich im einen oder anderen Fall wieder auftun. Ein Exemplar der Stadtbibliothek Königsberg hatte Ziesemer nicht erwähnt. Warum das nicht erfolgte, ist wie in so vielen anderen Fällen nicht nachvollziehbar. Es gab dort ein Exemplar. Unter den Foliodrucken war es unter der Signatur Pb 11 eingestellt. Zwei Stempel der Stadtbibliothek waren auf dem Titelblatt angebracht, einer ergänzt um den Verweis auf den Magistrat der Stadt. Dazu war ein dritter getreten: ›Aus der Bibliothek des Prof. Dr. Rudolf Reicke. 1906.‹ Außerdem war die Akzessions-Nummer hinzugefügt. Reicke war Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek der Universität.441 Ihn verbanden verwandtschaftliche Beziehungen mit der Stadt. Seine Mutter stammte aus Tilsit, während der Vater, ein Seemann, in Dachs Geburtsstadt Memel lebte. Auf welchen Wegen ein Exemplar dieses kostbaren Drucks in seine Hände gelangte, ist selbstverständlich nicht nachvollziehbar. Als er im Jahr 1905 starb, gelang es dem rührigen Direktor der Stadtbibliothek August Seraphim, die Bibliothek für sein Haus zu sichern.442 Reicke war Begründer und langjähriger Herausgeber der Altpreußischen Monatsschrift, auch Herausgeber der Werke Kants. Seine Bibliothek hatte folglich für die Geschichte Altpreußens und die Erforschung Kants gleichermaßen Bedeutung. 2150 Bände und 3250 kleine Schriften umfaßte sie. Eine der letzten großen Bibliotheken mit regionalem Einschlag kam damit an den gegebenen Bestimmungsort in der Stadt. Wie viele Bücher aus Reickes Vermächtnis mögen dem Inferno entgangen sein? Lob vnd Auffwachs Der Churfürstlichen löblichen in dem Hertzogthum Preussen gelegenen Handels = Stadt Tilse/ Welche Von dem Durchlauchtigen und Lobwürdigsten Fürsten vnd Herrn Herrn Albrechten/ Marggraffen zu Brandenb. etc. etc. ersten Hertzogen in Preussen 1552. 2/22 Wintermonat erbawet/ Vnd in hundert Jahren bey allerthand Wiederwertigkeit vnd Betrübniß durch GOttes Gnade dermassen erhalten vnd zugenommen Daß sie itzt 1652 2/12 Wintermonat Jhr Erbawungs vnd Danckfest in zimlichem Wolstand erfrewlich begangen. Geschrieben von Simon Dachen. Königsberg. Gedruckt durch Johann Reusnern/ 1652.

So der Titel. Wir würden ihn im originalen kompletten Wortlaut nicht kennen, wenn sich dies eine Exemplar nicht erhalten hätte. Er war bis 1945 von niemandem diplomatisch verzeichnet worden. Heute lagert es in der Nationalbibliothek Warschau. Der Schmutz des ausgelagerten Stücks hängt noch an den Blättern. Das kostbare, nur vier Folioblätter umfassende Werk, hat 1944/45 irgendwo in feuchter Erde gelegen, bevor es aufgefunden und in –––––– 441 442

Vgl. den Eintrag Götz von Selles in der APB II, 547. Vgl. Krollmann: Geschichte der Stadtbibliothek (Anm. 33), S. 94 f.

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den bergenden Hafen einer Bibliothek zurückgeführt wurde. Daß es der Katastrophe entkam und seine Aura, wie sie alleine dem Original eignet, sich über die Jahrhunderte hinweg bewahrte, zählt letztlich allein. Geschichte, Mord und Totschlag hafteten auch an dieser Region und ihrem Fluß. Offt hast du/ edler Strom/ dein nasses Haupt versteckt Vnd deinen Rücken gantz mit Leichen zugedeckt. Es lagen Roß vnd Mann im Stanck vnd vnbegraben[.]

Und das nicht nur zu heidnischer Zeit. Auch die Stadt Tilse hat Gottes Strafgericht für Sünde, Verstocktheit und Unbußfertigkeit zu spüren bekommen. Erst 100 Jahre ist sie alt. Fürsten wie Magistrat haben sich gleichermaßen um ihr Wohl verdient gemacht. Wie mag es in einem weiteren Jahrhundert um den Flecken bestellt sein? Wird er aufblühen, sich womöglich zu einem »andren Königsberg« erheben? Jch werd’ umb selbte Zeit zwar längst schon seyn begraben/ Vnd die Verwesung wird mich längst verzehret haben/ Noch gleichwol wünsch’ ich/ daß/ wer dich alsdann erhöht/ Gesteh’/ ich sey nur hie gewesen ein Poet.

So klingt der kleine Text, der auf seine Weise ein Juwel des Städtelobs darstellt, aus im Gedenken an das über die Zeiten hinweg Zeugnis ablegende, Sinn stiftende Wort. Keiner anderen Verpflichtung sind auch unsere, lebendiger Überlieferung auf anderen Pfaden gewidmeten Bemühungen geschuldet.

7. Die alte Breslauer Stadtbibliothek als Hort der größten Dach-Sammlung. Das Werk des Arletius Gelehrtes Breslau im 18. Jahrhundert Wir könnten fortfahren, den Spuren Simon Dachs in weiteren Bibliotheken Polens nachzugehen und dabei insbesondere Ausschau zu halten nach Exemplaren Königsberger Provenienz. Doch würden wir, so weit derzeit zu sehen, nur noch Einzelstücke zu Gesicht bekommen. Sie aufzutun und zu beschreiben, fällt in den Aufgabenbereich einer Bibliographie. Eine Darstellung hat Proportionen und Gewichte zu wahren und darf als abgeschlossen gelten, wenn die Prinzipien des Verfahrens sich abgezeichnet haben und die wesentlichen Ergebnisse zur Sprache gekommen sind. Das sollte nach dem bisher Vorgetragenen geschehen sein. Wir haben nicht die Überlieferung des Dachschen Werkes als ganzes ins Auge zu fassen uns vorgenommen, sondern

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die bis dato vielfach verschüttete in den Ländern Mittel- und Osteuropas. Den alten deutschen Sprachraum im Osten, dessen geistige und bibliothekarische Zentren heute überwiegend in Polen liegen, dürfen wir aber nicht verlassen, ohne einen Blick nach Breslau geworfen zu haben. Dies nun jedoch in anderer Absicht. Nicht mehr soll es darum gehen, verschlagenen Beständen anderweitiger Herkunft nachzuspüren. Vielmehr ist des Wirkens eines Mannes zu gedenken, der sich um Dach wie nur wenige andere verdient gemacht hat und auf den allein es zurückzuführen ist, daß Breslau in unsere Erzählung immer wieder hineinspielte. Was hat es auf sich mit dieser bemerkenswerten Gestalt? Und wie ist es um seine Dach-Sammlung bestellt, die schließlich zu der umfassendsten heranwuchs, die wir kennen? In Breslau hat im 18. Jahrhundert eine besonders nachhaltige restaurative Bewegung Platz gegriffen. Das Bewußtsein war lebendig, ein großes Erbe zu besitzen, das der Pflege bedurfte. Kristallisationspunkte der gelehrten Bemühungen waren Kirchen, Gymnasien und Bibliotheken. Die personellen Verflechtungen waren intensiv. Man wußte, wer was gesammelt hatte und welche Arbeiten sich daraus speisten. Die ersten periodischen Organe standen bereit, um Kenntnis von den Forschungen zu geben, fast mehr aber noch, um Aufrufe, Anfragen, Bittgesuche zu lancieren. Es dürfte keine zweite Stadt im deutschen Sprachraum gegeben haben, in der sich eine gleich starke intellektuelle Elite zusammengefunden hätte, die im weitesten Sinne lokalgeschichtlich operierte. Die schlesische Landeskunde zu befördern war erklärtes Ziel. Es war gleichbedeutend mit der Sichtung, Sicherung und Auswertung der verfügbaren Quellen. Und die waren in unerhörter Dichte in privaten Kollektionen sowie in den Bibliotheken bei den Kirchen und Gymnasien zusammengeströmt. Der gelehrte und sammlerische Aufbruch, der überall in den Städten des 18. Jahrhunderts zu gewahren ist, stets verbunden mit herausragenden Köpfen eigenwilliger Statur, verdichtet sich geradezu paradigmatisch in einer gelehrten Metropole wie Breslau. Die Magazine der alten Stadtbibliothek und insbesondere die der Handschriften gaben eindrucksvoll Zeugnis von diesen Aktivitäten, von denen nur die wenigsten den Weg zum Drucker und Verleger fanden. Wiederum vor allem Einzelgänger waren bis 1945 bestrebt, diese Katakomben zu betreten und Kunde zu geben von dem Geleisteten. Auch diese Versuche blieben Fragment. Wir übersehen nur ganz umrißhaft, was an Bleibendem zuwegekam und schließlich die Katastrophen in der Mitte des 20. Jahrhunderts überdauerte. Dieses übergroße Kapitel darf hier nicht einmal angetippt werden.443 –––––– 443

Die Zeichen mehren sich, daß dieses wichtige Kapitel der Breslauer Gelehrtengeschichte des 18. Jahrhunderts von deutscher wie von polnischer Seite ins Blickfeld rückt. Vgl. das voranschreitende Werk: Republika uczonych (= Schlesische Gelehr-

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Porträt des Johann Kaspar Arletius Zu den Mitspielern in dem bewegten Treiben gehörte – hochgeachtet unter seinen Mitbürgern und selbst vom preußischen König ob seiner gelehrten Meriten geladen – Johann Kaspar Arletius (1707–1784).444 Er kam aus schulischem Milieu. Der Vater Kaspar Arletius wirkte am Maria-Magdalenen-Gymnasium. Als dritter Professor daselbst legte schon er Wert auf die Pflege einer distinguierten Bibliothek. Die Mutter entstammte gewerblichen Kreisen. Dem Vater, Tuchmacher Matthias Hänsel, war der Sprung in den Rat der Stadt geglückt. Der Sohn konnte das erste Gymnasium am Platz zu St. Elisabeth besuchen. Nebenan in der Kirche stand die bedeutendste Bibliothek, die die Stadt ihr eigen nannte, die Rhedigersche. Es war die Zeit, da der Sachwalter, Historiker und erste Kenner dieser Bibliothek und insbesondere ihrer Handschriften, Gottlob Krantz, zugleich als Rektor des Gymnasiums fungierte. Bei ihm wurde der Eleve eingeführt in die Welt der Geschichte. Der Prorektor Gottfried Pohl vermittelte Griechisch und Latein. In Theologie wurde er unterrrichtet von dem Inspektor des Schulwesens und großen Büchersammler Johann Friedrich Burg. Vom benachbarten Gymnasium zu Maria Magdalena kam Gottfried Runge als erste Kapazität in Schle–––––– 444

tenrepublik), 3 Bde., hrsg. von Marek Hałub, Anna Mańko-Matysiak.- Wrocław: ATUT 2004–2008. Zur Vita und zum Bildungsweg von Arletius vgl. Johann Ephraim Scheibel: Lebenslauf des weyland Herrn Johann Caspar Arletius zweyten Jnspectors der Breslauischen Evangelischen Schulen A.C. Rectors des Elisabetanischen Gymnasii, Professors der exegetischen und ascetischen Gottesgelahrheit, der Hebräischen und Griechischen Sprache, Aufsehers der öffentlichen Rehdigerischen Bibliothek, und Mitgliedes der Königlichen Deutschen Gesellschaft zu Königsberg.- Breslau: Graß 1789 (das Exemplar im Schlesisch-Lausitzischen Kabinett der BU Wrocław unter der alten – von Heinrich Wendt vergebenen – Vorkriegs-Signatur: Yv 1050/12,4). Scheibel schöpft aus der Selbstbiographie des Arletius in der Rhedigerschen Bibliothek (R 2811). Die folgenden Darstellungen sind an dieser primären Quelle orientiert und enthalten nur vereinzelte Zugaben. Vgl. Julius Schmidt: Johann Caspar Arletius.- In: Schlesische Provinzial = Blätter 113 (1841), S. 95–106, S. 189–195, S. 295–300; Carl Rudolph Fickert: Der Rector zu St. Elisabet Johann Caspar Arletius und seine Stiftungen.- In: Sammlung der Abhandlungen, mit welcher zu der am 29. Januar 1862 stattfindenden 300jährigen Jubelfeier des Elisabet-Gymnasiums die Hohen Königlichen und Städtischen Behörden sowie andere Gönner und Freunde der Schule ehrerbietigst eingeladen werden von Rector und Lehrer-Collegium bei St. Elisabet.- Breslau: Graß, Barth und Co. 1862, S. 1–22 (Yu 1050/16). Dazu der Eintrag in der ADB 1 (1875), S. 530–532, von Schimmelpfennig. In der NDB hat sich die Spur des Gelehrten verloren. In den bislang acht Bänden der Schlesischen Lebensbilder fehlt sein Name ebenso wie die der meisten anderen Gelehrten des 18. Jahrhunderts. Ein Porträt des Vaters bei Joh. Chr. Leuschner: Ad Cunradi Silesiam Togatam Spicilegivm Dvodecimvm.- Hirschberg: Krahn s.a., Bl. A3v f.

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sischer Geschichte zum Vortrag herüber, seinerseits Inhaber einer der bedeutendsten Silesiaca-Kollektionen in Handschrift und Druck. Die Schönen Künste lagen in den Händen von David Hoffmann. Diese und andere Namen zu hören ist gleichbedeutend damit, eine Schar illustrer Gelehrter aufzurufen, wie es sie in dieser Dichte eben nur in Breslau mit seinen beiden akademischen Anstalten gab, die beide den Rang einer Universität innehatten und zu denen, wie nie zu vergessen, die Schule bei St. Bernhardin trat, die auch nochmals gerade sammlerische Koryphäen an sich zu binden wußte. Kurzum – und nur deshalb diese Erinnerung – der Lebensweg eines aufnahmebereiten jungen Menschen war in diesem Milieu vorgezeichnet und mündete wie selbstverständlich, aller möglichen Widerstände zum Trotz, in die von langer Hand geebneten Bahnen ein. Ab 1728 studierte er in Leipzig und Jena Theologie und kam 1732 nach erfolgreich absolvierter Disputation und einem Hallenser Zwischenaufenthalt in seine Vaterstadt zurück. Den Weg eines Pfarrers schlug er nach kurzer Probezeit aus. Statt dessen setzte er seine Studien – vor allem im Hebräischen, Jiddischen und Arabischen – fort. Experte für die beiden ersteren Sprachen war Christian Weinisch am Elisabethanum. Arletius entwickelte sich zur ersten und zunehmend gefragten Kapazität in der Stadt. Sodann verdingte er sich als Hofmeister. Er hatte das Glück, Zugang zum Haus von Maximilian Ferdinand von Fürst und Kupferberg zu finden. Dort wiederum stand eine exzellente, gerne benutzte Bibliothek. Zudem konnte der Kontakt mit den gelehrten Pfarrern der umliegenden Ländereien gepflegt werden, an denen Schlesien so besonders reich war. Hier gab es ein nahezu unerschöpfliches Potential. Rötzscher in Rankau, Pantke in Kleinknignitz unterhielten gepflegte Bibliotheken für ihre Studien. Zu dieser Zeit setzten die eigenen gezielten sammlerischen Bemühungen um die schlesische Literatur ein, von denen gleich zu sprechen ist. Über kurz oder lang indes mußte der Privatier zur Schule zurückfinden. An den Gymnasien liefen die gelehrten Studien schließlich zusammen. Als Johann Christian Nimptsch im Jahr 1743 vom Magdaleneum als Rektor an das gleichfalls illustre Gymnasium nach Brieg berufen wurde, gelang Arletius dank der Fürsprache von Kapazitäten wie dem Ratspräses Albrecht von Sebisch, dem Historiker Friedrich Wilhelm von Sommersberg und dem Syndikus Wolf der Sprung in das gleichfalls illustre Haus und hier auf die vakante zweite Professur. Bald folgte nach dem Tod Runges der Übergang auf die dritte Professur. 1749 bekleidete Arletius in der Nachfolge von Johann Sigismund John, dem verdienstvollen Lexikographen der schlesischen Dichter, das Prorektorat und 1755 ging das Rektorat von Weinisch auf ihn über. Doch damit nicht genug, wurde er wenig später auch zum Vortrag des Hebräischen an das Elisabeth-Gymnasium gebeten. 1761 wechselte er als Rek-

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tor und Professor zu ihm herüber – dem Endpunkt einer gelehrten Karriere in der Stadt. Der Kontakt zur Bibliothek blieb nicht aus. Das Amt des Inspektors dieses ersten Instituts am Platz in der Nachfolge von Hanke, Krantz und anderen Kapazitäten wurde ihm ebenso übertragen wie das des zweiten Inspektors der Breslauer Schulen an der Seite eines Gelehrten vom Range eines von Burg. Bereits ein Jahr später war das zweihundertjährige Jubiläum des Elisabeth-Gymnasiums zu feiern. Es ist glücklicherweise umfassend dokumentiert.445 Der Beitrag des Rektors im Gefolge der Einladung setzte sich aus einem 201 Hexameter umfassenden lateinischen Gedicht, einer großen ›Oratio Bissaecvlaris De Saecvlo Gymnasii Vratislaviensivm Elisabetani Secvndo‹ und – zwischen beiden plaziert – einer deutschsprachigen Abhandlung zusammen, die einem denkwürdigen Thema galt: ›Historischer Entwurf von den Verdiensten der Evangelischen Gymnasiorum in Breßlau um die deutsche Schaubühne‹. Ist es erlaubt, einen Moment lang abzuschweifen und bei dem Stück zu verharren? Es läßt erkennen, was Arletius fortan in seinen Bann ziehen sollte und welcher Impetus ihn dabei leitete.446 Man merkt es dem Verfasser förmlich an, wie er von der Sorge umgetrieben wird, in nah und fern möchte nicht genügend Kenntnis vorhanden sein –––––– 445

446

Vgl. Heinrich Wendt: Katalog der Druckschriften über die Stadt Breslau.- Breslau: Morgenstern 1903, S. 305. Die Schrift des Arletius wurde auch separat publiziert (Yu 1050/10,80) (hiernach im folgenden zitiert). Der Titel der gewichtigen Festschrift: Sammlung der Jubelschriften, welche bey der Feyer des zweyhundertjährigen Andenken der Stiftung und Einweihung des Elisabetanischen Gymnasii zu Breslau am 29ten Tage des Jänners im Jahre 1762. von Lehrenden und Lernenden, theils vorgetragen, theils verfertiget, auch anderwertsher zugeschickt worden, nebst einer Vorrede Sr. Hochw. des Hrn. Oberconsistorialrath, Prof. und Inspector Burg und einer kurzgefaßten Geschichte dieses Musensitzes.- Breslau: Korn 1762. Der Titel des Gedichts bei Scheibel: Lebenslauf des [...] Johann Caspar Arletius (Anm. 444), S. 43, Nr. 7 der ›Einladungsschriften in Folio‹: »Gloria Gymnasii Vratislauiensium Elisabetani Saeculo eiusdem secundo, [...]. Carmen bissaeculare. 1762. 2 Bogen.« Es scheint noch eine zweite Version dieser 1762er Jubelschrift zu geben. Vgl. Wendt: Katalog der Druckschriften (Anm. 445), S. 305. Hier auch ein kurzes Verzeichnis der wesentlichen Bestandteile des Werkes, das heute – unter den alten Wendtschen Signaturen – gleichfalls im Schlesisch-Lausitzischen Kabinett verwahrt wird (Yu 833 und Yu 834). Die auf dem Titelblatt angekündigte »kurzgefaßte Geschichte dieses Musensitzes« rührt her von Carl Benjamin Stieff, »der Geschichtkunde und lateinischen Sprache ordentl. Lehrer in gedachtem Gymnasio, wie auch verschiedner gelehrter Akademien und Gesellschaften Mitgliede.« Sie beschließt die Festschrift. Der Titel: Kurzer Abriß einer Geschichte des Elisabetanischen Gymnasii in Breslau, bey Desselben zweiter Jubelfeier als ein Beytrag zu denen dabei verfertigten Schriften. Vgl. auch die vorangehende Abhandlung von Johann Ernst Stieff über die Öffentlichen Professoren der Hebräischen Sprache zu Breslau.

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»von den Verdiensten unser werthesten Vaterstadt Breßlau«, wie sie nicht zuletzt in denen »der Evangelischen Schulen um die deutsche Schaubühne« hervortritt, welche von den meisten entweder gar nicht, oder nicht auf rechte Art erkannt und geschätzt zu werden pflegen; und doch sowohl in dem vorigen als itzigen Jahrhundert, ohne alle Pralerey so beschaffen sind, daß sie wenigstens unser dankbares Andenken und ein nicht ungegründetes Lob, am allerwenigsten aber eine schändliche Vergessenheit oder gar ungerechte und parteiische Verkleinerung verdienen oder vertragen.447

Dieser Vergessenheit entgegenzuwirken, das kulturelle Erbe der heimischen Vergangenheit ins rechte Licht zu rücken, ist Antrieb in guter patriotischer Manier der Aufklärung, wie sie diese Geister inspiriert. Jch werde mich glücklich schätzen, wenn dieser kleine Versuch etwas zur Erneuerung des würdigen Ruhms unser ruhmwürdigen Vorfahren, zur Erläuterung dieser den meisten Auswärtigen und auch vielen Einheimischen unbekannten Sache, und zum Reitze grosser Gönner und reichlicher Besitzer der hieher gehörigen Nachrichten beytragen möchte [...].448

Sich in den Dienst einer großen Tradition zu stellen, dafür zu sorgen, daß die Fäden weiter gesponnen werden, die Gleichgesinnten sich zusammenschließen im Wissen, aus einer großen Vergangenheit heraus zu leben, steht als beherrschendes Ethos hinter solchen Zeilen, das auch Arletius in Bescheidenheit und der Bereitschaft zum Opfer für den schönen Zweck verkörpert. Und wo gäbe es mehr zurechtzurücken als beim städtischen Schultheater, an das die Größten in Deutschland gefesselt blieben, wie an Breslau offenkundig? Schon Arletius weiß von den Aktivitäten eines Adam Puschmann in den Mauern der Stadt, »Hanns Sachsens nicht unglücklicher Schüler und Nachahmer«.449 Die Stunde des Schauspiels aber kommt erst im 17. Jahrhundert. Die sog. Actus Scholastici der ersten vierzig Jahre sind »mehrentheils Rednerübungen, ohne Schaubühne, Verkleidung und Handlung gewesen, und auch nachhero lange Zeit geblieben«.450 Erst mit dem Eindringen der Jesuiten gelangen am Matthias-Stift nicht anders als auf der Kaiserlichen Burg »lateinische Lust = und Trauerspiele mit den möglichsten Verzierungen« zur Aufführung.451 Alsbald formiert sich das Theaterwesen auch in der Stadt, und zwar zunächst in Privathäusern, wie Arletius zu berichten weiß, dann an –––––– 447 448 449 450 451

Arletius: Sammlung der Jubelschriften (Anm. 446), Bl. A1v. Ebd. Ebd. Ebd., Bl. A2r. Ebd.

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den Schulen. Neben dem Rektor Elias Major sind Christopherus Colerus und Georg Fechner die treibenden Kräfte seit den frühen vierziger Jahren. Breslau hat das Glück, daß so gut wie alle diese Versuche in den lückenlosen gymnasialen Programmschriften bewahrt sind, die erst zu später Stunde der Forschung zugeführt wurden.452 Mit einer deutschen Tragico = Comödie Argenis wird von Major der Anfang gemacht. Colerus hat sich in ungezählten Programmen mit Barclay und seiner Welt befaßt. Dicht ist die Folge der Aufführungen, die Arletius nach 1648 für beide Anstalten namhaft zu machen weiß, wobei vermerkt wird, daß sie sich teilweise großen Zulaufs erfreuten und »so gar bey der Hauptprobe sich einige Rathsherren und vornehme Frauen einfanden.«453 Im Magdaleneum erleidet Rektor Klose während einer Aufführung der Judith von Opitz und Tscherning einen Schlaganfall und verstirbt kurz darauf. Dann kommt die Stunde des Gryphius, der freilich, wie Arletius gleichfalls zu berichten weiß, gegen Widerstand im Rat sich durchsetzen muß. Hernach bricht »der Lohensteinische und endlich auch der Hallmannische Zeitpunkt an, von welchen beyden ich wohl einige zuverläßige, aber keine vollständige Nachricht ertheilen kan.«454 Lohenstein war ohnstreitig ein grosser Geist, der ohngeachtet seiner Fehler, in die ihn die grosse Kenntniß und Liebe zum Wälschen oder Spanischen Geschmack verführet, die verkleinerlichen Spottreden seiner viel kleinern Feinde nicht verdienet.455

Vor allem aus Elias Majors ›Schreibkalendern‹ schöpft Arletius seine Informationen. Jch mag und kan hier keinen Kunst = oder Schiedsrichter von den unterschiedenen Gaben und Verdiensten dieser drey Schauspieldichter abgeben; denn dieses gehört an einen andern Ort. Aber so viel wird doch iedermann zugestehen, daß alle drey die

–––––– 452

453 454 455

Die ›Programme der einzelnen Gymnasien und Realgymnasien‹ konnten von Wendt nur summarisch aufgeführt werden, vgl. seinen Katalog der Druckschriften (Anm. 445), S. 313 ff. Da in der Regel wenigstens zwei Exemplare vorhanden waren, wurde durchweg wenigstens eines gerettet. Die Ausschöpfung unter dem hier angesprochenen Gesichtspunkt erfolgte durch Konrad Gajek: Das Breslauer Schultheater im 17. und 18. Jahrhundert. Einladungsschriften zu den Schulactus und Szenare zu den Aufführungen ›förmlicher Comödien‹ an den protestantischen Gymnasien. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Konrad Gajek.- Tübingen: Niemeyer 1994 (= Ex Bibliothecis Silesiis; 3). Arletius: Sammlung der Jubelschriften (Anm. 446), Bl. A2r. Ebd., Bl. A2v. Ebd. Das Zeugnis auch in dem einschlägigen großen Werk von Alberto Martino: Daniel Casper von Lohenstein. Geschichte seiner Rezeption. Bd. I: 1661–1800. Aus dem Italienischen von Heribert Streicher.- Tübingen: Niemeyer 1978 (Erstausgabe Pisa 1973), S. 168 ff.

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deutsche Schaubühne, und besonders in Breßlau empor gebracht, da man anderwärts fast gar nicht daran gedachte.456

Das ist der Skopus der kleinen Einlassung. Nie würde ein antiquarischer Geist wie Arletius sich auf das Terrain der Literaturkritik begeben, so merklich am Rande auch hier und da ein kritisches Bedenken einfließen mag. Er bescheidet sich im Faktischen, dies aber keineswegs interesselos. Die »Ehre Schlesiens und Breßlau [!]«457 und damit ihrer beider Vorreiterrolle im 17. Jahrhundert ist im nachfolgenden 18. zu erinnern, da die Zentren sich so merklich verschoben haben und so viel ungerechte Kritik gerade an den späteren Schlesiern zwischenzeitlich laut geworden ist. Der Sammler Arletius Arletius ist unter der Vielzahl der vaterländischen Schatzgräber in Breslau derjenige, der am ausgeprägtesten sich den literarischen Quellen zuwandte. Er ist vor Hoffmann von Fallersleben der tatsächlich literarhistorisch Aspirierte in Schlesien. Aber es drängt ihn nicht oder nur ausnahmsweise zu Darstellung und geschichtlicher Spezifizierung, sondern zum Zusammentragen, Ordnen und womöglich Edieren. Doch schon für dieses letztere Geschäft waren die Skrupel zu groß, die Kräfte vielleicht auch zu schwach. Die vielerlei Pläne in dieser Richtung sind alle nicht zustande gekommen. Wie aber stände es um Opitz und Czepko, Tscherning und Colerus, schließlich um Dach, wenn der Zögerliche beherzt genug gewesen wäre, all das, was er ein Leben lang in Handschrift und Druck zusammengetragen hatte, nun auch wieder aus der Obhut des Sammlers zu entlassen und heraustreten zu lassen in die Welt, auf daß es zu wirken vermöchte. Statt dessen machten Figuren wie Triller das Rennen, die auch Größeren wie den Schweizern den Mut raubten. Das Bild der Genannten wäre im 19. und 20. Jahrhundert ein anderes gewesen, wenn Arletius uneigennützige Freunde zur Seite gehabt hätte, die assistierend tätig geworden wären und wenigstens Teile auf den Markt gebracht hätten. An den Versäumnissen krankt die Barock-Philologie bis heute. Und in mehr als einem Fall ist es definitiv zu spät. Die um Czepko, um Colerus bemühten Kollegen bekommen dies bitter zu spüren. Insbesondere unter den Handschriften, aber durchaus auch dem einen oder anderen unikaten Druck des nicht zuletzt von Arletius mühsam Zusammengetragenen hat der Zweite Weltkrieg grausame Ernte gehalten.458 –––––– 456 457 458

Arletius: Sammlung der Jubelschriften (Anm. 446), Bl. A3r. Ebd., Bl. A4r. Dazu die Abhandlung von Klaus Garber: Bücherhochburg des Ostens (Anm. 324), S. 539–653. Auch in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 313–438.

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Die lebenslängliche sammlerische und editorische Bemühung von Arletius galt dem Landsmann und Wortführer der neueren deutschen Literatur Martin Opitz. Schon sein erster Biograph, nämlich sein Neffe Johann Ephraim Scheibel, bescheinigte ihm: Am meisten aber beschäftigte er sich mit der Geschichte des Lebens und der Schriften des Schlesischen Vaters der Deutschen Dichtkunst, Martin Opitzes von Boberfeld; sammlete und copirte, was er nur von ihm und über ihn auftreiben konnte, und unterstützte D. Caspar Gottlieb Lindnern bey der Ausgabe seiner ›Umständlichen Nachricht von Opitzes Leben, Tode und Schriften, Hirschberg 1740 f II Theile, in 8.‹459

Die Rhedigersche Bibliothek legte davon einstmals Zeugnis ab. Hier waren in der Handschriften-Abteilung unter den Nummern R 2305 und R 2306 ›Opitiana‹ zusammengeführt. Vor allem R 2305 dürfte sich auch, wenn nicht sogar vornehmlich aus Kollektionen des Arletius gespeist haben. Sie ist verschollen. Erhalten hat sich unter Nr. 5 2305a eine zeitgenössische Abschrift von Opitzens Trostgetichte. Unter Nr. R 2305b finden sich weitere Abschriften von Opitzens zumeist lateinischen Gedichten. Unter R 2306 waren vor allem Gedichte auf ihn und Briefe an ihn gesammelt. Sie rührten vorrangig her aus den Sammlungen von Ezechiel. Nur ein spärlicher Rest in Gestalt eines einzelnen Briefes ist erhalten.460 –––––– 459 460

Scheibel: Lebenslauf des [...] Johann Caspar Arletius (Anm. 444), S. 15 f. Vor der Katastrophe hat sich – soweit zu sehen – nur ein Forscher die Opitz-Sammlungen der Rhedigeriana gründlich zu eigen gemacht, dem wir nach wie vor die gediegensten biographischen Mitteilungen verdanken. Vgl. Hermann Palm: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Mit einem Bildnisse von M. Opitz.- Breslau: Morgenstern 1877. Reprint Leipzig 1977. Hier S. 129 ff. im ›V. Beitrag‹ eine Reihe grundlegender Untersuchungen zu Martin Opitz, einsetzend mit der in unserem Zusammenhang einschlägigen Arbeit ›Zur Opitzliteratur‹, S. 129–149. Dort S. 133 f. zu Arletius und S. 134 f. zu Ezechiel mit den beiden wichtigen Bemerkungen. Zu Arletius: »Alle seine vorarbeiten [zu einer OpitzEdition] ruhen noch heut unter den handschriften der Breslauer stadtbibliothek unter nummer 2305 unediert und versprechen jedem gründlichen forscher noch mancherlei ausbeute.« (S. 134) Und zu Ezechiel: »Ein zweiter gelehrter, der wie Silesiaca aller art, so auch Opitiana sammelte, war der überaus fleißige Christian Ezechiel, pastor zu Peterwitz bei Jauer (1678–1758). Seine genealogischen sammlungen, so weit sie heut der Breslauer stadtbibliothek einverleibt sind (mcspt.-nummer 2306), enthalten von Opitz außer der genealogie der familie auch noch eine anzahl autographa, namentlich briefe aus dessen früherer zeit (1623–29). Fast alles vorhandene hat aber Ezechiel selbst noch in dem ›Schreiben an einen Gelehrten in Schlesien, das Leben und die Schriften Martin Opitzens von Boberfeld betreffend‹, im 25. stück der ›Beyträge zur Critischen Historie‹ u.s.w. (1741) anonym veröffentlicht« (S. 134 f.). Dieser Beitrag im Band VII der erwähnten Beyträge, 25. Stück, Beitrag Nr. IV, S. 54– 74. Leider wird aus dem Beitrag des doch wohl etwas kauzigen Pastors zu Peterwitz

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Vater und Sohn Arletius waren zum 100. Todesjahr Opitzens im Jahre 1739 selbst in die Fußstapfen ihres großen Vorgängers Christopherus Colerus getreten. Kaspar Arlet hatte einen Schulactus zu Ehren Opitzens organisiert, zu dem er das Programm vorlegte und in deren Verlauf er eine Rede hielt, auf die der Sohn in seiner soeben zitierten Sammlung anläßlich einer lückenlosen wertvollen Aufzählung dieser Übung in Breslau in den Jahren zwischen 1690 und 1755 selbst noch hingewiesen hatte:461 Das hundertjährige Gedächtnißfest Der durch Martin Opitz von Boberfeld verbesserten Deutschen Poësie. Der Sohn hatte ein großes, 9000 Hexameter umfassendes Gedicht zu diesem Anlaß verfaßt: Memoria Saecularis Martini Opitii a Boberfeld; Poetarum Germanorum Principis et Poëseos Germanicae hodiernae auctoris et statoris incomparabilis carmine heroico celebrata a I.C.A. Es war unter der Nummer R 975 in der Rhedigerana der Breslauer Stadtbibliothek untergebracht und ist im Zweiten Weltkrieg spurlos verschwunden.462 ––––––

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nicht recht deutlich, was von seinen Opitz-Sammlungen dem Brand des Pfarrhauses im Jahr 1733 zum Opfer fiel, von dem er so lebhaft berichtet, und was er hat retten können. Es handelt sich bei den vorliegenden Dokumenten um eine Blütenlese aus Briefen von und an Opitz, Elogen und biographischen Zeugnissen über ihn und eine Bibliographie seiner Werke, soweit sie Ezechiel einsehbar, also doch wohl in seiner Sammlung vorhanden waren. Im Anschluß daran (S. 74–78) unter Nr. V gleichfalls von Ezechiel: ›Einige Stücke von Martin Opitzens aus seinen Originalen abgeschrieben.‹ – Zur handschriftlichen Überlieferung Opitzens vgl. zudem Marian Szyrocki: Martin Opitz.- Berlin: Rütten & Loening 1956 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4), S. 197 f. (leider insgesamt zu knapp in der Charakteristik der erhaltenen handschriftlichen Zeugnisse). In der zweiten Auflage (München: Beck 1974) ist diese wichtige Dokumentation unbegreiflicherweise weggefallen. Die verdienstvolle Auflistung der Briefe ab S. 198 ff. fehlt desgleichen. Beide nicht ersetzt durch die – unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher – neubearbeitete Opitz-Bibliographie Szyrockis im Anhang des Reprint des zweiten Teils der Weltlichen Poemata durch Erich Trunz, Tübingen: Niemeyer 1975 (= Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock; 3), S. 164* ff. Jetzt grundlegend: Klaus Conermann, Andreas Herz, unter Mitarbeit von Olaf Ahrens: Der Briefwechsel des Martin Opitz. Ein chronologisches Repertorium.In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 28 (2001), S. 3–133. Vgl. auch die Hinweise im Eingang der Opitz-Abhandlung dieses Bandes. Arletius: Sammlung der Jubelschriften (Anm. 446), Bl. A3 f. Abdruck des Arletschen Programms (das in der Literatur gelegentlich fälschlich dem Sohn zugesprochen wird) bei Gajek: Das Breslauer Schultheater (Anm. 452), S. 419– 422. Arlet hat – dank Vermittlung Scheibels – den der Aufführung zugrundeliegenden Text dem Opitz-Sammler und -Panegyren Lindner in Hirschberg zur Verfügung gestellt, der ihn ausführlich beschrieb. Vgl. Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Ihn. Teil I–II.Hirschberg: Krahn 1740–1741. Hier im ersten Teil, S. 28 ff., eine Charakteristik. Das Schauspiel »ist theils in gebundner, theils in ungebundner Rede abgefasset, und

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Eine Ausgabe Opitzens kam nicht zustande. Die Trillersche Ausgabe schreckte ab, während die Ausgabe Bodmers und Breitingers, von der nur ein Band erschienen war, umgekehrt einlud, das so reizvolle Unterfangen zu wagen, also ihr Werk wiederaufzunehmen und aus ihrem Geist zu vollenden. Arletius hat sich ungeachtet vielfältiger Ermunterung nicht dazu durchringen können, das von ihm lebenslänglich Zusammengebrachte für den Druck freizugeben. Unsere Vermutung geht dahin, daß die in der Rhedigerschen Bibliothek unter E 513 und E 515 massierten und nach Hunderten zählenden Opitz-Drucke vielfach auf seine Sammlungen zurückgehen. Arletius war aber auch sonst um die sammlerische Sicherung und Edition der schlesischen Literatur des 17. Jahrhunderts bemüht, wie hier nicht im einzelnen ausgeführt werden kann. Schon Scheibel bezeugt neben seinem Interesse an Opitz dasjenige an Johann Christian Günther. Unter welch obwaltenden Bedingungen des Geschmacks das geschah, wird freilich aus seiner Äußerung gleichfalls deutlich. Mit gleicher Sorgfalt sammlete er die Reliquien Günthers, der die lezte Epoche in der Schlesischen Dichtkunst gemacht hatte, und gab sie, doch ohne seinen Nahmen, als ›Nachlese‹ Breslau 1741, gr. 8. auf 226 Seiten heraus, von welcher 1751 eine

–––––– durch und durch gutt und rein deutsch geschrieben« (S. 29). In zwölf Auftritte war der Actus gegliedert und eindeutig literarhistorisch angelegt. Hier abschließend auch die Bemerkung: »Bey dieser Gelegenheit muß ich noch anführen, daß dieser Hr. Prof. Arlet und sein fleissiger Herr Sohn seit etlichen Jahren her alles, was nur zu erhalten gewesen, von unserm Opitz mit vieler Mühe aufgesucht haben, und allso eine Sammlung besitzen, dergleichen wenig haben werden. Es hat auch der jüngere Arlet erst neulich ein heroisches lateinisches Gedichte auf unsern Opitz verfertiget, welches wohl ehstens gedruckt erscheinen möchte« (S. 30 f.). Es ist eben das erwähnte Gedicht zu dem nämlichen Anlaß, das nicht zum Druck gelangte. Auszüge, die eine Anschauung vermitteln, dankenswerterweise bei Lindner, Teil II, S. 335–340, unter dem Titel: ›Epilogus Carminis Panegyrici Saecularis in memoriam Mart. Opitii A Boberfeld, Poëseos & Poëtarum Germaniae Auctoris & Principis.‹ Auch hier der Wunsch nach einem Druck des Gedichtes, der sich nicht erfüllte, verbunden mit einer skeptischen Einschätzung über die Zukunft der lateinischen Sprache: »So sehr, als in Schlesien, ja wohl in Deutschland die lateinische Poesie ins Abnehmen und Verachten zu kommen scheint; so sehr werden gleichwohl diejenigen, die ihre Anmuth und Stärke kennen, dennoch wünschen, daß dieses Gedicht bald öffentl. gedruckt werden möge« (S. 336). Ein Hinweis auf die Handschrift mit Titel auch bei Fickert: Der Rector zu St. Elisabet Johann Caspar Arletius und seine Stiftungen (Anm. 444), S. 8 f. mit Anm. 21. Bei Lindner, Teil II, S. 150–159, auch ein deutsches Lobgedicht von Arletius auf Opitz: ›Martin Opitz von Boberfeld, der Vater der deutschen Poesie, als das beste Muster aller deutschen Dichter.‹ Es eröffnet die Folge von ›Lobschriften auf Opitzen von itzigen Zeiten.‹ Weitere Gedichte von Arletius auf Opitz befinden sich nicht in dem Band. Insofern ist die Angabe Palms, S. 134, zu korrigieren.

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neue Ausgabe besorgt ward. Mich wundert es, daß, ohnerachtet er schon viele äußerst schlüpfrige Stellen darinnen ausgelassen, dennoch nicht alle unterdrückt und junge Leser mehr geschont habe.463

Das Schwergewicht des sammlerischen Eifers von Arletius lag jedoch im früheren 17. Jahrhundert und also im Umkreis Opitzens. Um das Werk Tschernings hat er sich gekümmert. Colerus’ Spuren hat er ebenso verfolgt wie diejenigen Czepkos. Es ist zu vermuten, daß die reichen handschriftlichen Kollektionen, die die Stadtbibliothek von beiden Dichtern besaß und die im Krieg gleichfalls schwer getroffen wurden, auch auf sein Wirken zurückgingen. Eine Liebe bewahrte er sich auch für den Späthumanisten Hieronymus Arconatus.464 Der Zuwachs, den die Rhedigersche Bibliothek mit seinem Vermächtnis erfuhr, ist schwerlich zu überschätzen. Wir sind im Besitz eines fünf Blatt umfassenden handschriftlichen Verzeichnisses aus der Feder Scheibels, welches die Preziosen im einzelnen ausweist: ›Catalogus Librorum et Scriptorum Singularium atque rariorum tam sciptorum, quam typis expressorum ex ultima Voluntate Johannis Casparis Arletii Scholar. A.C. Insp. Gymnasii Elis. Ant. et Prof. atque Biblioth. publ. Rehdig. Praef. d. 25. Jan. 1784 beate defuncti Bibliothecae Rehdigerianae insertorum et in Scrinie novi prope fenestram orientalem partis superioris seriam secundam et tertiam collecatorum ab eius exsorore nepote et in muneribus tam ab a. 1784 itum ab a. 1788 funestoribus M. Johanne Ephraim Scheibel‹.465 Markgraf versah es mit einem Vorsatzblatt : »Katalog der von Joh. Casp. Arletius der Rehdigerschen Bibliothek vermachten Bücher und Handschriften. Arletius † 1784 Jan. 25.« Es enthält – in dieser Reihenfolge – die ›Arconatiana‹, ›Coleriana‹, ›Tscherningiana‹, ›Opitiana‹, ›Czepkoniana‹ [!], ›Delitiae Poëtarum Silesiorum‹ und schließlich die ›Dachiana‹, die Arletius zusammenbrachte, wobei die ›Opitiana‹ den weitaus größten Posten ausmachen. Scheibel konnte denn auch –––––– 463 464

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Scheibel: Lebenslauf des [...] Johann Caspar Arletius (Anm. 444), S. 16. Die Bemühungen des Arletius um eine Opitz-Ausgabe schildert auch Palm u.a. mit Rückgriff auf einen Brief von Arletius an Ezechiel. »Zunächst begann er mit den größeren werken von Opitz, die alle schon im druck vorhanden waren; daneben aber copierte er auch, was ihm sonst von Opitianis irgend zugänglich war, vor allem lateinische gedichte, ungedruckte wie gedruckte, die zu seiner zeit schon schwer zusammen zu bringen waren. Er beabsichtigte davon eine ausgabe zu veranstalten, während er die deutschen werke aufgab, als Bodmer und Triller 1745 und 1746 ihre ausgaben der letzteren veröffentlicht hatten. Desto lebhafter wünschte er, daß die lateinischen ihm überlaßen bleiben möchten. Im j. 1747 schreibt er an Ezechiel, er zittre beim erscheinen jedes messkatalogs eine ausgabe derselben angekündigt zu finden. Nun eine solche ist bis heut noch nicht erfolgt« (S. 133 f.). Handschriften-Abteilung der BU Wrocław (Akc 1949/659).

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am Ende seiner Einführung in die ›Merkwürdigkeiten der Rehdigerischen Bibliothek‹, die im wesentlichen eine schätzenswerte Aufstellung der vielen Legate bot, bevor er zu einer Beschreibung der Handschrift des Froissart überging, den Gewinn konstatieren, den die Bibliotheca Rhedigerana infolge des segensvollen Wirkens seines Oheims zu Ende des 18. Jahrhunderts noch einmal erfahren hatte. Aus seiner Bibliothek rührten her: Alle gedruckte und geschriebne Schriften Arconati, Coleri, von Czepko, Dachs, Opitzes, Tschernings; die ohnstreitig vollständigste Sammlung aller hiesigen Schul = Programmatum; Münzbücher; einzle sehr seltne Bücher und Copien von solchen; die zahlreiche Sammlungen neuer Lateinischer Dichter, ganzer Werke und noch ungezählter einzler Gedichte; Lateinischer Redner; Lat. Briefsteller; alle gedruckte und geschriebne chymische und alchymische, diese zu steter Vergessenheit; alle Silesiaca zur Ergänzung des D. Sachsischen Vorraths, insonderheit Genealogica, von diesen viele aus dem Nachlaß Past. Ezechiels, woraus ich ein Schlesisches Genealogisches Archiv in einem besondern Behältnis eingerichtet habe, wie aus den Schles. Provincialbl. zu ersehen ist, mit dem Erfolg, daß durch die Beyträge des Hr. Graf von Burghauß auf Laasen und des Hr. Geh. R. von Mützschepfahl ein sehr guter Anfang zu dessen Vermehrung gemacht worden.466

–––––– 466

Johann Ephraim Scheibel: Nachrichten von den Merkwürdigkeiten der Rehdigerischen Bibliothek zu Breslau. Erstes Stück.- Breslau, Hirschberg, Lißa: Korn 1794, S. IX f. Vgl. dazu den von Scheibel angesprochenen und von ihm stammenden Beitrag: Bibliothecarischer Gesuch an den Schlesischen Adel und andre Mitpatrioten.- In: Schlesische Provinzialblätter 14 (1791), S. 133–145. Es handelt sich, das wird man dem ehrgeizigen Mann einräumen müssen, um das erste sichtbare Gründungsdokument der später mächtigen genealogischen Sammlung der Rhedigerschen Bibliothek, wie sie dann überging in die Stadtbibliothek. Sie rührte vor allem her aus personalem Gelegenheitsschrifttum, wie es erst in jüngster Zeit gründlich erschlossen wird. Dazu Scheibel in dem oben erwähnten Beitrag: »Diese Arletische Stiftung verdient den Dank der Nachwelt. Ich habe es an keiner Mühe fehlen laßen, alle diese einzele Schriften, Blätter etc. zu sammlen, viele Miscellanbände, um des Verzeichnißes und Platzes willen, zu zerschneiden [!!!], und nebst den Ezechielischen vorhandnen Lagen in alphabetische Ordnung zu bringen. So kann ich mir schmeicheln, zuerst den Grund zu ›Einem öffentlichen allgemeinen Schlesischen genealogischen Archiv‹ gelegt zu haben, mit welchem itzt ein ansehnliches Behältniß auf der Bibliothek angefüllt ist, das ich jederman vorzeigen kann.« (S. 134 f.) Zum Kontext die meisterhafte Abhandlung von Hermann Markgraf: Zur Geschichte der genealogischen Studien in Breslau.- In: Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift 3 (1879), S. 353–363. Wiederabgedruckt in Markgraf: Kleine Schriften zur Geschichte Schlesiens und Breslaus.Breslau: Morgenstern 1915 (= Mitteilungen aus dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek zu Breslau; 12), S. 62–80. Die Namen von Arletius und Scheibel (selbstverständlich auch von Ezechiel) spielen wiederholt in die Abhandlung hinein. Sie selbst gilt dem Original der Reichelschen ›Genealogie‹ aus dem 17. Jahrhundert, die Markgraf bei Nachfahren des Geschlechts auffand und genau beschrieb, um sodann ihrem wechselvollen Schicksal und am Rande auch dem der Abschriften nachzugehen. Zwei solche befanden sich in der Stadtbibliothek und sind seit 1945 verschollen (R

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Das Werk Dachs in der Sammlung Arletius Wie aber gelangt Dach aus Königsberg nach Breslau? Aus einer Vorliebe des Arletius auch für ihn, natürlich. Wie aber mag diese Präferenz zu erklären sein? Schließlich ist Dach der einzige, der dieser Schätzung und lebenslänglichen sammlerischen Bemühung unter den nicht aus Schlesien stammenden Autoren gewürdigt wird. Wir besitzen, so weit zu sehen ist, keine Zeugnisse, die uns einen Wink geben würden. Wir müssen uns also indirekter Indizien bedienen. Arletius, wir hörten es, teilte die Abneigung seiner Zeitgenossen gegen die ›welsche‹ Manier, der die Literatur in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sich partiell verschrieben hatte. Seine Heimat war davon nicht ausgenommen, sondern figurierte im Gegenteil als ständig bemühtes Paradigma. Er hat sich um die großen Schlesier der zweiten Jahrhunderthälfte sammelnd nicht bemüht. Es waren die Gründergestalten der neuen Poesie in seiner Heimat, denen sein Interesse galt. Daß er Czepko mit im Auge hatte, beweist seinen Blick für Qualität. Richtete der Blick sich aber über Schlesien hinaus, so brauchte er nicht zwangsläufig nur auf den Königsberger Dichter zu stoßen. Fleming, Rist, Rompler etc. hätten sich ebenso angeboten. Sie aber hatten durchweg für ihr dichterisches Werk selbst Sorge getragen oder waren in den Händen getreuer Freunde. Dach war im Sinne des späten 18. Jahrhunderts ganz untypisch ediert als Hofpoet der Brandenburger. Auf der anderen Seite kam er dem aufgeklärten Ideal ›natürlichen‹ Schreibens ebenso entgegen wie dem empfindsamen dezenter emotionaler Tönung. Noch seine unpolemische, wie selbstverständlich allen seinen Äußerungen sich mitteilende Frömmigkeit mochte über die Zeiten hinweg ansprechen. An dem reichen Werk Dachs wurde evident, welche Früchte die von Schlesien ausgehende Reform der Dichtung in weiten Teilen des deutschen Sprachraums gezeitigt hatte. Wenn es außerhalb Schlesiens einen Dichter gab, der sich umstandslos zu Opitz bekannte und eine reiche Produktivität in seinem Zeichen entfaltet hatte, so war es im hohen Nordosten Simon Dach. Der schlesisch-preußische Brückenschlag, wie ihn schon Gottsched programmatisch vollzogen hatte, wiederholte sich auf ganz andere Weise zu Ende des Jahrhunderts in Breslau noch einmal. Dieser aber war begründet in der Überlieferung des Dachschen Werkes. Einen Sammler von Passion mußte es reizen, die verstreute, kleinförmige, dem Tag geschuldete literarische Produktion noch einmal in größtmöglicher Geschlossenheit zusammenzuführen. Wie das in diesen Ausmaßen von Schlesien aus möglich war, wird immer ein Geheimnis bleiben. Genug, daß es gelang und daß der –––––– 928, R 928a). Vgl. auch Ernst Samuel Sachs von Löwenheim: Zur Geschichte und Genealogie von Schlesien.- Breslau: Korn 1785.

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Bemühung die Gunst der Zeit zugute kam. Zu berichten ist von einem der größten Wunder der Literatur des 17. Jahrhunderts unter den Auspizien ihres Fortlebens.467 In der Abteilung E der alten Breslauer Stadtbibliothek war die Schöne Literatur aus der Rhedigerschen Bibliothek so zusammengeführt wie unter dem Buchstaben ›N‹ die der Bibliothek St. Maria Magdalena und unter dem Buchstaben ›V‹ die der Bibliothek St. Bernhardin. In der jungen Breslauer Universitätsbibliothek sind diese Drucke alle – sofern vor 1800 erschienen – in der vorgegebenen Reihenfolge wieder aufgestellt worden. Man kann also auch die Sammlung Simon Dach immer noch unter der alten Signatur 4° E 220–225a bestellen und erhält das Gewünschte. Was ließe sich Schöneres über ein Wiederaufbauwerk sagen? Unter dem Titel ›Sammlung Arlet Rhediger 1–7‹ ist sie mit der hinzugehörigen Signatur in dem alten erhaltenen Bandkatalog der Stadtbibliothek ausgewiesen. Wir haben es uns nicht nehmen lassen, die Jahre über Mittel zusammenzutragen und eine Digitalisierung des ehrwürdigen Zeugnisses schlesischer Buch- und Bibliothekskultur zu veranlassen. Der Katalog der Breslauer Stadtbibliothek ist heute in Osnabrück ebenso verfügbar wie die Tausende von Gelegenheitsgedichten – darunter selbstverständlich auch die Sammlung Simon Dach des Arletius. Gerne wüßten wir, ob die Einrichtung der Bände auf Arletius zurückgeht oder späterer, vielleicht aber auch früherer Zeit entstammt. Zu wiederholten Malen ist festzustellen, daß Sicherheit hier nur über paläographische Untersuchungen zu erreichen ist, die von uns nicht durchgeführt werden konnten. Erneut finden sich gelegentlich Numerierungen am oberen Rand eines jeden Blattes. Sie rühren von alter Hand und könnten also von Arletius stammen, durchkreuzen sich aber mehrfach mit anderweitigen, die ganz offensichtlich aus anderen sammlerischen Kontexten herrühren – der übliche und nur ausnahmsweise aufzuklärende Befund bei alten Sammelbänden. Außerdem sind neuere Stück- und Blattzählungen vorhanden. Das Bild ist also verwirrend. Arletius, wenn wir seine Hand dann als privilegierte voraussetzen dürfen, hat teilweise ein doppeltes Prinzip verfolgt. Er zählt die Stücke und zugleich die Seiten (wiederum also nicht die Blätter!). So kommen auf einem Titelblatt zwei Zahlen zu stehen: 7/33 verweist dann beispielshalber auf den siebten Titel in einem Band, der auf Seite 33 einsetzt. Wir wären froh, wenn es bei dieser unkomplizierten Sachlage sein Bewenden hätte und dies ganz unabhängig von der Frage der Urheberschaft. Zusätzlich aber stehen auf den Seiten häufig zwei Zahlen nebeneinander, die mit großer Wahrscheinlichkeit wenigstens zwei verschiedenen Prinzipien der Vergabe gehorchen. Ihre ge–––––– 467

Wir dürfen rückverweisen auf die oben in Kapitel 4 des 1. Teils aufgeführten Beiträge zum Literaturgespräch zwischen Breslau, Königsberg und Leipzig.

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nauere Spezifizierung ist jedoch schon dadurch erheblich erschwert, daß die Stücke bei der Bindung zu knapp beschnitten worden sind und die Numerierungen vielfach beschädigt bzw. ganz gekappt wurden. Das würde darauf verweisen, daß die Bindung nachträglich erfolgte. Die Bände sind in Halbleder gebunden und in marmorierte Pappe eingefaßt. Sie tragen Rückenschilder, die jedoch vielfach abgesprungen oder anderweitig beschädigt sind. Auf den oberen größeren wird der Inhalt ausgewiesen: ›Simon Dach, Gelegenheits = Gedichte‹. Darunter erfolgt die Angabe des jeweiligen Bandes mit der Ziffer des Teilbandes. Außerdem gibt es unten auf dem Rücken – wie bei allen Bänden der Stadtbibliothek üblich – ein kleines Schild mit der alten Signatur der Stadtbibliothek. Wir vermuten, daß die Bindung aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert herrührt. Die Buchbinderei Ed. Gebauer in Breslau ist auf den Innendeckeln ausgewiesen. Zu dieser Zeit dürften auch die Zählungen von bibliothekarischer Hand erfolgt sein, die auf jedem Titel oben stehen und mit der numerischen Abfolge in der Rhedigerschen Bibliothek übereinstimmen. Die gesamte Problematik muß weiteren Ermittlungen vorbehalten bleiben. Auch ist zu konstatieren, daß Arletius erstaunlicherweise keine Vorsatzblätter gefertigt hat. Dies würde vielleicht darauf verweisen, daß er eine Einrichtung der Bände nicht selbst vornahm. Nicht ganz auszuschließen ist aber auch, daß die Bände nach seinem Ableben auseinandergenommen wurden – Scheibel hielt sich auf diese von ihm leidenschaftlich verfolgte Praxis große Stücke zugute, wie wir hörten! – und erst später wieder zusammenkamen. Die ›Chur = Brandenburgische Rose‹ Doch nun haben wir einen Blick in die Bände selbst zu tun! Unter der Signatur 4 E 220 (heutige laufende Nummer und Signatur 353528) steht die Chur = Brandenburgische Rose/ Adler/ Löw und Scepter in der undatierten, bei Friedrich Reusner erschienenen und um den Cleomedes und die Sorbuisa erweiterten Königsberger Ausgabe. Das erhaltene Rückenschild weist den Band als ersten der Folge aus. Das Titelblatt trägt von neuerer bibliothekarischer Hand ebenfalls die Ziffer ›1.‹ Was eine unten auf dem Titelblatt stehende Ziffer ›835.‹ zu besagen hat, ist nicht bekannt. Ansonsten ist der Band von alter Hand bis S. 213, und also sehr wahrscheinlich von Arletius selbst, paginiert; dann setzt eine offensichtlich neuere Seitenzählung mit Bleistift ein, die bis zum Schluß reicht. Ansonsten sind im Band keine Benutzerspuren zu erkennen. Der Band ist gebräunt, im übrigen jedoch gut erhalten. Seite 1 trägt den Titel jenes Stücks, das wir eingangs besprachen: ›Bey Oratorischem Act, Am Churfürstl. hohen Geburts = Tage/ von vier Preußischen von Adel in der Königsbergischen Academie angestellet.‹

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Hochzeitsgedichte Die Signatur 4 E 221, so stellt sich alsbald heraus, verweist auf zwei Halbbände. Es handelt sich wie durchweg im folgenden um Sammelbände. Der erste Band umfaßt die Stücke 1–114, der zweite die Stücke 115–227. Die neuen Signaturen lauten dementsprechend: 353529–353638 und 353639– 353751. Eines der beiden Rückenschilder, den Band 2.2. indizierend, ist erhalten. In beiden Bänden sind Hochzeitsgedichte gesammelt. Sie sind alphabetisch nach Adressaten angeordnet. Die Hochzeit von Heinrich Albert mit Elisabeth Stark 1638 eröffnet die Folge, diejenige von Georg Wosegin mit Regina Wolder im Jahr 1655 beschließt sie. 223 Epithalamia stehen zusammen. Die vier letzten Stücke 224 bis 227 sind Gedichte zur Hochzeit von Dach mit Regina Pohl. Das gesamte Material liegt inzwischen aufgeschlüsselt im Rahmen des Osnabrücker Personalschrifttum-Projekts in Katalog und Film vor. Wir dürfen es also im wesentlichen bei einer kurzen Charakteristik belassen.468 Wie nicht anders zu erwarten, ist die ganze Bandbreite des Dachschen Schaffens präsent. Das früheste bekannte Epithalamium Dachs ist ebenso vorhanden wie das späteste. In beiden Fällen kennen Oesterley, Ziesemer und Dünnhaupt nur dieses Exemplar aus der Sammlung Arletius. Ihr besonderer Wert wird also sogleich sinnfällig. Die meisten der Epithalamia sind Dachsche Verfasserschriften, in denen er alleine das Wort ergreift. 167 solcher Stücke stehen in den beiden Bänden – wenn wir recht gezählt haben. Dabei taucht Dach selbstverständlich nicht immer namentlich bereits auf dem Titelblatt auf. Vielfach unterzeichnet er nur. Die überwiegende Mehrzahl ist gleichwohl als titularisch ausgewiesene Verfasserschrift zu qualifizieren. Doch ist die ausgewiesene Zahl nicht ganz zweifelsfrei. Wiederholt steht der Titel nicht auf einer eigenen Seite, sondern direkt vor dem Text. Nun gibt es wenigstens einen Fall (353612), wo der Dachsche Text mit eigenem Titel auf einem Bogen D einsetzt. Es ging ihm also sehr wahrscheinlich Text anderer Beiträger voraus. Solche Zusammensetzungen begegnen wiederholt. Und zwar bevorzugt in der Kombination, daß zunächst eine lateinische Folge mit Zuschriften gebildet wird, der sich – mit eigenem Titel – eine mit deutschen Beiträgen oder ggf. auch nur einem einzigen anschließt. Die Vermutung, daß der Sammler nur an dem Dachschen Beitrag interessiert gewe–––––– 468

Vgl. Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bd. I–II: Breslau / Wrocław – Universitätsbibliothek / Biblioteka Uniwersytecka. Abt. I: Stadtbibliothek Breslau (Rhedigeriana/St. Elisabeth). Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber. Hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Martin Klöker.Hildesheim, Zürich, New York: Olms-Weidmann 2001.

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sen wäre und die Vorgänger unberücksichtigt ließ, fände also keine Bestätigung. Immerhin bedarf der auffällige Sachverhalt der Erwähnung. Die Mehrzahl der Verfasserschriften ist deutschsprachig. Nur drei lateinische Verfasserschriften lassen sich nachweisen. Und unter ihnen steht eine in Kombination mit einem vorangehenden deutschen Text auf die gleichen Adressaten. Nur gelegentlich kommt es darüber hinaus vor, daß einem deutschen Text noch ein lateinischer Dachs vorausgeht oder nachfolgt. Es gehört wiederum zu den Eigenarten der Dach-Philologie, daß diese lateinischen Beigaben nicht immer Erwähnung finden. Besonders dankbar wird man begrüßen, daß die Texte gelegentlich mit Musik dargeboten werden. Dreimal tritt Dach mit Albert auf, einmal mit Johann Knutzen. Das Hirten-Lied, das sich unter den Hochzeitsgedichten findet, ist leider nicht in vertonter Version zu lesen (353676). Als wohltuend empfindet der Leser es hier wie in den nachfolgenden Bänden, die variationsreiche und von Dach gewiß mit Bedacht gewählte Form der Titelgestaltung auf sich wirken lassen zu können. Es gibt bekanntlich bislang keine Ausgabe, in der dieser – barocken Gepflogenheiten gemäß – textkonstitutive Bestandteil der Gedichte Berücksichtigung gefunden hätte. Die zweibändige Epithalamien-Sammlung des Arletius ist die umfassendste authentische Zusammenführung dieses Dachschen Zweiges seiner Produktion geblieben, die wir besitzen. Schon ein Reprint würde folglich gebührende Wirkungen zeitigen. Ein Rätsel bleibt es, wie Arletius an die Schriften herangekommen ist, in denen Dach nur als Beiträger auftritt. Er hat entweder in Königsberg Mittelsmänner gehabt, die ihn mit dem Einschlägigen versorgten, konnte auf Königsberger Sammelgut zurückgreifen oder sammelte viel umfassender und sonderte das von Dach Herrührende für diesen speziellen Zweck aus. In beiden Bänden ist Dach also auch als Beiträger von Hochzeitsgedichten gegenwärtig. Wir zählen 28 deutschsprachige und 26 lateinischsprachige Beiträge. Das sind kahle Daten. Zu sprechen heben sie an, wenn man sie einrückt in eine Analyse der Sammelschriften, von denen eine jede ihr eigenes Gesicht hat. Eben deshalb ja unsere Klage, daß sie editorisch wie bibliographisch zu wenig Berücksichtigung finden. Natürlich gibt es ganz unspezifische Fälle, in denen Dach sich als einer unter vielen unter die Beiträger mischt. Sie sind in der Minderheit. Die Mehrzahl enthält für den aufmerksamen Leser einen speziell auf Dach gemünzten Wink. Die Positionierung in der Sammelschrift und der Sprachstand sind die beiden signifikantesten Indizien. Wenn Dachs Name am Anfang oder am Ende einer Schrift steht, ist das ebenso zu bedenken wie wenn er in einer Trias die Mittelposition einnimmt. Wichtiger noch ist der linguistische Befund. Natürlich gibt es ausschließlich deutsche oder ausschließlich lateinische Sammelschriften. Wenn sich eine akademische Gemeinschaft aber ausschließlich im Lateinischen artikuliert und nur Dach das

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Deutsche wählt, sein Beitrag einen mächtigen Schlußakkord bildet (353698, 353733 u.ö.) oder sogar sein deutsches Sonett in einer lateinischen Hochzeitsschrift Platz findet (353673), dann kommt solcher Praxis programmatischer Charakter zu. Zugegeben, die Fälle sind nicht häufig, aber es gibt sie, und an eine künftige Dach-Monographie bzw. Dach-Edition wird man die Erwartung richten, daß sie gebührende Berücksichtigung erfahren. Sogar das Gegenteil läßt sich beobachten, daß nämlich Dach in einer Verfassergemeinschaft mit Wilkau den lateinischen Part übernimmt (353712). Auch muß auffallen, wenn Dach inmitten kurzer lateinischer Beiträge mit einem ungewöhnlich langen Gedicht die Aufmerksamkeit auf sich lenkt (353655). In jedem Fall hat eine solche Rollenverteilung autorenbezogene Signalwirkung. Prominentestes Beispiel in der ersten Jahrhunderthälfte ist Opitz. Dach ist dieses humanistische Spiel sehr wohl vertraut. Uns ist es natürlich besonders um die Zuschriften auf Dach aus Anlaß seiner Hochzeit zu tun. Wir wiederholen, daß Dünnhaupt sie gar nicht erwähnt und Ziesemer sie wohl verzeichnet, nicht aber – bis auf eine Ausnahme – des Neudrucks für würdig erachtet. Arletius hat die folgenden Stücke zusammenbringen können: Titzens aus Danzig übersandtes und in Königsberg bei Segebade gedrucktes Hochzeitsgedicht, das sich aus einem kurzen lateinischen und einem langen deutschsprachigen Beitrag zusammensetzt, das große Alexandrinergedicht von Andreas Adersbach; die aus Elbing herübergesandte (und wieder bei Segebade gedruckte) lateinische Ehrung von Friedrich Zamehl, Balthasar Voidius, Christoph Reimann und Michael Mylius, die uns schon mehrfach begegnete; schließlich das große lateinische Hexametergedicht von Kaldenbach, bei Reusner erschienen. Schaut man zu Ziesemer, so ergibt sich, daß der Beitrag von Adersbach auch ihm nur aus Breslau bekannt war. Kaldenbach, Titz und die Elbinger Zuschrift fanden sich auch in Königsberg. Den von Ziesemer darüber hinaus namhaft gemachten einzelnen Beitrag von Mylius besaß Arletius offensichtlich nicht. Trauergedichte Wir kommen zu den Trauergedichten. Sie füllen die Bände III und IV jeweils in zwei Teilbänden und sind entsprechend auf den Rückenschildern ausgewiesen, sofern erhalten.469 Man sieht, daß es vorteilhaft ist, um numerische Größenordnungen rasch zu übersehen, stets auch die alten Signaturen der Rhedigerschen Bibliothek mitzuführen. Im übrigen wiederholen sich auch bei den Trauergedichten die Probleme mit alten Numerierungen und –––––– 469

4 E 222/1–120 = 355752–353871; 4 E 222/121–236 = 353872–353987; 4E 223/ 1–94 = 353988–354082; 4E 223/95–188 = 354083–354174.

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Paginierungen. Wir wollen sie auf sich beruhen lassen. Nur noch ausnahmsweise sind die alten Ziffern erhalten – leider. Die neuere bibliothekarische Zählung weist, wie ersichtlich, 424 Titel aus. Wieder gilt, daß kein anderer Sammler Vergleichbares zusammenbrachte. Dem Leser wird es willkommen sein, wieder einige Hinweise zur Struktur der Gesamtkollektion zu erhalten. Dabei läßt sich niemals genau für die einzelne Zahl verbürgen. Entscheidend sind vielmehr die Größenordnungen. Hinzuweisen ist auch an dieser Stelle darauf, daß das aus der Universitätsbibliothek Wrocław stammende Trauerschrifttum im Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums nicht verarbeitet werden konnte. Rudolf Lenz hatte sich zu einem frühen Zeitpunkt das alleinige Verfilmungsrecht für das gesamte funerale Schrifttum einschließlich der Leichenpredigten in Breslau gesichert. Im Gegensatz zu allen sonstigen im Handbuch ausgeschöpften Bibliotheken, in denen selbstverständlich das gesamte versifizierte personale Gelegenheitsschrifttum Berücksichtigung findet, kann für Breslau nur ein Segment geboten werden. Kein Breslau gewidmeter Band des Osnabrücker Projekts geht heraus, ohne der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die Funeralschriften aus der Universitätsbibliothek bald in dem Marburger Vorhaben bearbeitet werden können und sodann ergänzend zu den inzwischen neun Breslau gewidmeten Bänden des Osnabrücker Handbuchs der Fachöffentlichkeit zur weiteren Nutzung verfügbar sind. Erst dann wird das auf Breslau bezogene Bild sich runden. Die Trauergedichte der Sammlung Arletius liegen indes filmisch komplett (wie alle anderen Stücke der Kollektion) in Osnabrück vor. Die Anordnung erfolgt wieder alphabetisch nach Adressaten. Das bislang jeweils bekannte früheste und späteste Stück – von dem Magdeburger ›Ausreißer‹ abgesehen – hat sich Arletius wiederum sichern können.470 Das lateinische Epicedium für den uns schon bekannten Samuel Fuchs aus dem Jahr 1630 hat ausweislich von Oesterley und Ziesemer wiederum nur Arletius besessen (353851). Dach zeichnet hier noch als ›Simon Dachius, Memel. B.‹ Die Verfasserschrift für Heinrich Dechant aus dem Januar 1659 ist dagegen mehrfach überliefert (353808). Noch deutlicher überwiegt unter den Trauergedichten die Verfasserschrift. Wir zählen 366 deutschsprachige und elf lateinischsprachige Gedichte, die sich alleine mit Dachs Namen verbinden. In einem Fall hat Rotger zum Bergen, mit dem Dach so gerne zusammen auftritt, dem deutschen Gedicht Dachs noch ein ›Epitaphiolum‹ hinzugefügt –––––– 470

Zu dem frühen Magdeburger Beitrag Dachs vgl. Michael Schilling: Simon Dach in Magdeburg. Ein unbekanntes Epicedium aus der Schulzeit des Königsberger Poeten.- In: Memoriae Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928– 1992). Hrsg. von Mirosława Czarnecka, Andreas Solbach, Jolante Szafarz, Knut Kiesant.- Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2003, S. 367–377.

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(353763). Und auch Dach selbst beschließt (353765; 354069) oder eröffnet (353874) ein deutschsprachiges Trauergedicht gelegentlich mit einem lateinischen Beitrag. Interessant ist zudem, daß Dach einmal zu einem deutschsprachigen Folio-Einblattdruck greift (353883), dann jedoch in einer sich anschließenden lateinischen Sammelschrift nochmals dabei ist. In besonderen Fällen behält er sich die große lateinische und die deutsche Trauerschrift (mit lateinischem Vorsatz) allein vor, so etwa für Robert Roberthin (354039; 354040). Ein einziges Mal ist Musik (von Georg Colbe) zu einem deutschen Gedicht von Dach anläßlich der Bestattung von Stobaeus mit überliefert (354099). Dach hat zum gleichen Anlaß auch zum Lateinischen gegriffen (354100). Im Blick auf die Beiträge überwiegen unter den Trauergedichten die lateinischen erheblich. Wir zählen 27 lateinische Beiträge und neun deutschsprachige. Wir könnten die oben angestellte Betrachtung wiederholen. Sie würde ein wenig unergiebiger ausfallen. Der Normalfall ist, daß Dach sich unter die lateinischen Beiträger mischt, ohne eine besondere Position zu behaupten. Auffällig ist höchstens die wiederholt zu beobachtende besondere Länge der Beiträge. Bemerkenswert ist auch, daß er sich an einer Sammelschrift beteiligt, dann aber nochmals in einem separaten Gedicht das Wort ergreift. Die lateinischen Drucke enden übrigens gern mit einem deutschen Gedicht, das dann aber nur ausnahmsweise von Dach herrührt (353928; 354137). Auch eine – von einer Ausnahme abgesehen – durchgehend lateinische Gemeinschaftsarbeit kann von Dach mit einem deutschen Beitrag eröffnet werden (354061). In anderen Fällen nimmt die Sammelschrift de facto den Charakter einer Verfasserschrift an, so wenn Rotger zum Bergen kurz introduziert und Dach mit einem großen Beitrag folgt (353906; 354114). Den gemeinsamen Auftritt mit einem Freund, sei es mit Mylius (353825), sei es mit Wilkau (353863) oder anderen hat Dach gelegentlich gerne wahrgenommen. Aus Anlaß des Todes von Tinctorius hat Dach nicht nur ein großes lateinisches Gedicht verfaßt (354119), sondern sich auch an der lateinischen Gemeinschaftsschrift beteiligt. Hier nun hat er offensichtlich doch Wert darauf gelegt, die Spitzenposition zu besetzen (354118). Auch die Frau wird dann noch mit einem deutschen Beitrag bedacht (354116). Einige wenige Schlaglichter. Genau wie bei den Hochzeitsgedichten würde die Sammlung des Arletius dazu verlocken, eine Typologie der funeralen Redeformen zu entwickeln. Nur hier bei Arletius ließe sie sich kombinieren mit einer Analyse der Titelblätter und der gelegentlichen bildlichen Zugaben, von denen keine Dach-Edition und -Bibliographie etwas weiß. Mit einer in diesem Zeitalter einzig dastehenden Beharrlichkeit hat Dach vollendetes menschliches Leben in Schrift überführt. Wie niemand sonst in seinem Zeitalter wußte er bei diesem zeitweilig tagtäglichen Geschäft den Nachvoll-

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zug individuellen Lebens im Kreise der Familie und der Verwandten, der Freunde und der Kollegen zu verbinden mit der Artikulation von Weisheit und Trost. Wie kein anderer hat er als Dichter in der Königsberger Bürgerschaft das Amt des Stifters von Gedächtnis wahrgenommen. Das Gegenüber, der Andere und Nächste, sollte nicht wort- und grußlos dahingegangen sein, solange wie der eigene Lebensodem währte. Einmal tritt Poesie überzeugend nicht primär in den Dienst von Mehrung des auktorialen Ruhms, sondern bequemt sich ihrer seit Urzeiten eigenen Aufgabe der – kultisch präformierten – memorialen Funktion im Dienste der Gemeinschaft an. Blätternd und sinnend über den mächtigen Konvoluten der Sammlung Arletius, währenddessen der Trauerzug an uns vorbeigleitet, teilt sich dieser die Zeiten überdauernde Duktus großer Poesie unmittelbar mit. Dach hat in Arletius einen kongenialen Partner gefunden, der wußte, daß ein jedes einzelne Stück zählte und wert sei, als Mosaiksteinchen das Juwel Dachscher Poesie mit auszuformen. Und das selbstverständlich auch im Blick auf den Dichter selbst. Arletius hat sich ebenfalls um die Trauerschriften für Dach und seine Frau bemüht. Indem wir aufführen, was er zusammenbrachte, tun wir erneut der Ehrenpflicht Genüge, die seine Editoren und Bibliographen verabsäumten. Das zum Abschluß der vier Bände plazierte Konvolut wird eröffnet mit einer Zimelie, der Einladung zur akademischen Trauerfeierlichkeit für Dach. Sie ist uns ein einziges Mal in Thorn begegnet, herrührend aus der Königsberger Stadtbibliothek. Zu Arletius nach Breslau ist sie gleichfalls gelangt – auf welchen Wegen auch immer (354164). Ziesemer kannte auch das Breslauer Exemplar (IV, 527). Dünnhaupt, wie gesagt, weiß von der frühesten und wichtigsten funeralen Äußerung zu Dach nichts mehr. Sie ist übrigens, wenn die Überlieferung uns nicht trügt, ohne poetische Beigaben herausgegangen. Datiert auf den 20. April 1659, füllt sie immerhin sechs Quartblätter. Angeschlossen hat der Sammler die uns schon bekannten Lessus der ›Collegae Et Amici‹, die Reusner in seine Obhut nahm (354165). Adam Riccius, Georg Lothus, Sigismund Pichler, Stephan Gorlovius und Bernhard von Sanden sind unter den Trauernden. Die lateinischen Beiträge überwiegen, doch stehen, wie erwähnt, auch zwei deutsche – der eine herrührend von Gorlovius, der andere von Henrich Bussenius – darunter. Dann folgen die drei deutschen Verfasserschriften von Theodor Wolder (T.W.D.), Johann Christoph Cramer (mit einem abschließenden Epigramm von Johann Friedrich von Schlieben) und Johann Crusius, denen sich wenig später (354171) eine weitere von Ernst Ditzel anschließt. Auch hat Arletius die beiden gewichtigen Beiträge Rotger zum Bergens, seine Zuschrift an die Witwe und seine akademische Rede, für die Sammlung gewinnen können, letztere geziert mit zwei Chronogrammen (354169; 354170). Nicht nachzuvollziehen vermö-

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gen wir, warum in diese Sequenz als Nachtrag eine lateinische Prosaschrift von Dach für Johann Sand anläßlich des Todes seiner Ehefrau Anna Winnenfennig eingefügt ist, die auf den 23. August 1651 datiert ist. Ziesemer hat sie in seine Dokumentation lateinischer Prosa nicht mit aufgenommen. Dünnhaupt ist die Schrift nicht bekannt. Dach tituliert den Geheimen Rat als ›Amicum & Fautorem meum magnum‹. Den Sammler muß der persönliche Bezug zur Plazierung an dieser Stelle bewogen haben (354172). Im anschließenden Fall ist dieser unmittelbar gegeben: 1641 richten Freunde Carmina Lugubria an die Witwe von Christoph Pohl (354173). Dach befindet sich zwar nicht unter den Beiträgern, Kaldenbach aber adressiert sein Gedicht, mit dem die kleine Folge abschließt, an ›Clarissimo D. Dachio, post scriptam ei nuperrime Myrtum, Socrum inhumanti‹. Einen Schlußakkord hat der Sammler sich vorbehalten. Johann Peter Titz’ große Elegie auf Roberthin und Dach – undatiert bei Hünefeld in Danzig erschienen – beschließt das mächtige, einzig dastehende Funeralwerk Dachs (354174). Geistliche Poesie Mit der alten Signaturenfolge 4 E 224/1–121 (354175–354275) und 4 E 225/1–43 (354276–354318) kommen wir zur vorletzten Abteilung in der Sammlung Arletius. Ziesemer spricht lakonisch von »anderen Gelegenheitsgedichten«, die hier versammelt seien (I, VIII). Wir bewundern die lockere Hand, mit der da operiert wird. Eine genauere Inspektion, wie sie unerläßlich ist, weil sie niemand vollzogen hat und weil sie ergiebig ist, wird ein anderes Bild vermitteln. Perlen der Dachschen Poesie verbergen sich auch hier und – wie sollte es anders sein – Unbekanntes, noch nie seit mehr als 300 Jahren Erwähntes, es sei denn in dem Verzeichnis, das Arletius selbst von den Texten in seinem Besitz fertigte. Wir orientieren uns an der vorgegebenen Abfolge. In dem Band sind zunächst Trauergedichte nachgetragen. Vielleicht aber waren sie von vornherein vom Sammler separiert. Sie sind mehrfach mit Noten versehen. Das auffällige Fehlen von musikalischen Versionen in den vorangehenden Bänden erklärt sich von daher. Wie sonst nur ausnahmsweise, sind wiederholt alle Stimmen bewahrt. Johann Weichmann, Georg Hucke und Konrad Matthäi sind jeweils mehrfach unter den Komponisten. Auch wo Noten fehlen, kehren im Titel die Begriffe ›Lied‹ und Verwandtes häufig wieder. 45 Trauergedichte sind nochmals zusammengekommen. Die von deutscher bibliothekarischer Hand ausgewiesene Zahl von 65 Stücken darf nicht irritieren. Der gewissenhafte Hüter zählt jede Stimme einzeln. Es handelt sich durchwegs um Verfasserschriften und ausschließlich um deutschsprachige.

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Mit der Nummer 354220 (bibliothekarische Zählung: 66) auf der von alter Hand paginierten Seite 269 setzt unauffällig, aber desto gewichtiger, eine neue Folge ein. Der Sammler wechselt ins geistliche Schrifttum Dachs ohne Bezug auf einen konkreten Anlaß herüber. Wir gelangen damit – und dies zusammenhängend erstmals auf unserer langen Wanderung – zu einer besonders kritischen und prekären Station der Überlieferung des Dachschen Werkes. Wie andere Dichter des 17. Jahrhunderts ist Dach als Autor geistlicher Texte und bevorzugt geistlicher Lieder lebendig geblieben. Die Forschung hat diesem Umstand kaum je Rechnung getragen, zumindest nicht editorisch oder bibliographisch. Oesterley eröffnet seine Edition mit einer Abteilung ›Geistliche Lieder‹. Sie verdankt ihre Existenz gewiß auch der Abneigung gegenüber dem kasualen Schrifttum, das insgesamt weniger in seine Ausgabe hineinspielt und zur beinahe ersatzlosen Tilgung des personenbezogenen Funeralschrifttums führt. Für das geistliche Liedschaffen indes ist Oesterley die wichtigste Quelle geblieben. Daß er auch diese Texte ohne Titel und mit den oben aufgewiesenen Eingriffen bietet, ist selbstverständlich. Ziesemer läßt den dritten und vierten Band seiner Dach-Edition unter dem gemeinsamen Titel Geistliche Lieder[.] Trostgedichte herausgehen. Er bedarf einer Übersetzung. Mit den ›Trostgedichten‹ dürften die Trauergedichte auf Personen gemeint sein. Weit entfernt davon aber, beide Gattungen herausgeberisch klar zu trennen, vermischt Ziesemer sie unaufhörlich. Man muß also die ›Geistlichen Lieder‹ unter den fast 600 Stücken mühsam zusammensuchen. Ziesemer äußert sich mit keinem Satz zu den Prinzipien der Anordnung. Er müht sich um eine chronologische Abfolge. Bei zahllosen undatierten geistlichen Gedichten erfolgt die Einreihung ohne ein erklärendes Wort. Der Leser tappt im Dunkeln und muß sich der von Ziesemer gewählten Plazierung blind anvertrauen. Er verwendet das Vorwort ausschließlich darauf, die Eigenart der Dachschen geistlichen Lyrik zu umkreisen. Editorische Erwägungen und Probleme sind ausgeblendet. Das Fehlen der geistlichen Prosa wird mit keinem Satz begründet. Und auf seiten der Bibliographie? Nehmen wir Dünnhaupts Werk als Maßstab des gegenwärtig Verfügbaren, das Urteil könnte nicht zurückhaltender ausfallen. Die desolate editorische Situation potenziert sich im Blick auf die bibliographische Erschließung. Sie ist nämlich de facto schlichtweg nicht vorhanden. Es gibt, um dies im vorliegenden Zusammenhang zu erinnern, vier Abteilungen in dem umfänglichen Dach-Eintrag: ›Zeitgenössische Sammelausgaben‹, ›Akademische Festdichtungen‹, ›Sonstige Veröffentlichungen‹ und ›Zeitgenössische Einzeldrucke der Gelegenheitsgedichte‹. Da ist für die geistliche Dichtung kein Raum. Sie müßte, wenn sie denn ins Blickfeld getreten wäre, unter ›Sonstige Veröffentlichungen‹ rangieren. Daß diese Vermutung richtig ist, belegen einige sogleich zur Sprache kommende Einzelfäl-

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le. Es scheinen die Dünnhaupt einzig bekannten zu sein. Das geht aus einer Notiz ›Undatierte Dichtungen aus dem handschriftlichen Nachlaß‹ hervor: »Weitere zu Dachs Lebzeiten nie einzeln veröffentlichte geistliche Lieder finden sich im Preuß. Gesangbuch von 1657 bzw. 1675; einzeln verzeichnet bei Ziesemer IV, 579–581.«471 Mit einem Federstrich wird die Existenz selbständig erschienener zeitgenössischer Einzeldrucke geistlicher Lyrik Dachs in Abrede gestellt, und der Bibliograph ist damit entsprechender Bemühungen enthoben. Dünnhaupt, der unaufhörlich auf die Sammlung Arletius zurückgreift, hat sie offensichtlich nicht selbst konsultiert. Und wenn, so geschah es nicht gewissenhaft. Er wäre gerade an dieser Stelle mehrfach fündig geworden, nämlich auf selbständige Schriften gestoßen, die allemal hätten berücksichtigt werden müssen. Wir haben die Arbeit in der gebotenen Kürze nachzuholen. Das erste Stück im Band ist eine undatierte Klage Sions Vber den Verzug Jhres Breütigams JEsu Christi (354220). Oesterley kannte es aus der Sammlung des Arletius und dem Abdruck in den Albertschen Arien, Ziesemer fügt eine Abschrift aus der eingangs beschriebenen Handschrift im Preußischen Staatsarchiv hinzu.472 Die Varianten aus Alberts Arien werden verzeichnet. Dünnhaupt führt den Titel unter ›Falsche und zweifelhafte Attributionen‹ (F 10) unter Verweis auf ›Wrocław BU‹ auf und gibt dazu folgenden Kommentar: »Bei Fischer/Tümpel III, 61 (T) Simon Dach zugeschrieben und auf 1642 datiert, ohne Anhaltspunkte der Zuschreibung. Nicht bei Oesterley u. Ziesemer. Attribution unwahrscheinlich, doch nicht ausgeschlossen.« Ein Kommentar unsererseits sollte sich erübrigen. Das Stück ist von Simon Dach unterzeichnet. Die von Dünnhaupt großzügig eliminierten Gewährsleute wußten, was sie taten, als sie diesen Titel den Sammlungen und Editionen Dachs integrierten. Darf man an den unvergeßlichen Eingang zu dem 14 Strophen umfassenden Lied erinnern – und zugleich erstmals den originären Text nicht nur im Wortlaut, sondern zugleich auch in der Schrift beibringen? DEr Tag beginnet zu vergehen/ Die Sonne lest des Himmels Saal Versetzt mit Sternen ohne Zahl Wie einen bunten Teppich stehen/ Der Schlaff trit Wald’ vnd Städten zu/ Gönnt Vieh’ vnd Menschen jhre Ruh.

–––––– 471 472

Dünnhaupt, II, S. 1227. Vgl. Oesterley Druck Nr. 52, S. 171–174; Bibliographie Nr. 148; Ziesemer III, 68– 70 mit S. 469, Nr. 63.

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Das nächste Stück (354221) ist betitelt: Zwey Fried = vnd Frewden = Getichte/ GOtt vnserm gnädigen Vater zu Ehren gemacht wegen deß vnverhofft verliehenen Friedens in vnserm lieben Vaterlande Preussen/ vnter welchen das erste kan gesungen werden in der gewöhnlichen Melodey des Morgen = gesanges: Auß meines Hertzens grunde/ sag Jch dir lob vnd danck. Gedruckt zu Königsberg/ bey Lorentz Segebaden/ 1635.473

Der Text ist nur aus Berlin und eben der Sammlung Arletius bekannt. Dach hat die beiden jeweils siebenstrophigen Gedichte als zusammengehörig empfunden und daher nur das zweite unterzeichnet. Wie die persönlichen Trauergedichte rücken die politischen Ereignisse, ob erfreulich oder leidbringend, für den Dichter ein in religiöse Kategorien und Deutungsmuster. Die Qualifizierung als geistliches Lied ist insofern korrekt. Die von Dünnhaupt vorgenommene Beziehung auf den Prager Friedensschluß dürfte plausibel sein. Wiederum eine Kostprobe aus dem Erstdruck, die letzte Strophe des ersten Gedichts: O Vater/ laß vns Preussen Durch jetzigen Vertrag Auch Friedens = Kinder heissen Biß auff den Jüngsten Tag/ Dempff allen Zanck vnd Zwist/ Vnd laß vns ewig schawen/ Daß du/ wie wir jetzt trawen/ Deß Friedens Hertzog bist.

Der folgende Titel ist durch unsachgemäße Beschneidung des Buchbinders leider beschädigt. Das ist um so bedauerlicher, als Oesterley und Ziesemer – wie bekannt – keine oder nur fragmentarische Titel bieten und Dünnhaupt ihn nicht kennt. Der hier aufzuführende, dem möglicherweise eine Kopfzeile fehlt, steht vor dem Text und lautet: »Nach Anleitung der ersten Worte des 9. Capittels Esaie: Das Volck so im finstern wandelt/ siehet ein grosses Liecht etc. Geschrieben von Simon Dachen« (354222). Er ist also undatiert. Oesterley (S. 356–359 mit Nr. 190) und Ziesemer (IV, 480–482 mit S. 579, Nr. 268) haben ihn daher ziemlich an das Ende der jeweiligen Abteilungen gerückt. Dünnhaupt erspart sich aus unbekannten Gründen seine Verzeichnung, bei Oesterley und Ziesemer hätte er das Stück vorgefunden. Nur das aus der Sammlung Arletius stammende Exemplar ist heute noch bekannt. Das einst von Ziesemer für die Universitätsbibliothek Königsberg nachgewiesene Exemplar (Ca 59.4.1) ist verschollen. Zu überprüfen bleibt die Exi–––––– 473

Oesterley S. 842–846 mit Nr. 105 und Nr. 857; Ziesemer III, 16 f. mit S. 461, Nr. 9 und 10; Dünnhaupt Nr. 121, unvollständig, mit fehlerhafter Interpunktion und Zeilenbrechung. Datiert auf den 30. Mai, das Datum des Prager Friedensschlusses.

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stenz eines Exemplars in der einstigen Dresdener Landesbibliothek. Auch hier mag der Duktus der geistlichen Sprache Dachs ebenso wie die gedankliche Linienführung erinnert werden. Die Eingangsstrophe lautet: DJe wir in Todes Schatten So lang gesessen sind Vnd kein’ Erleuchtung hatten Jn GOttes Sachen blind/ Vnd kunten nichts verstehen/ Nicht Gnade noch Gericht Sehn über uns auffgehen Anietzt ein helles Liecht.

Der nächste Titel ist auf den 22. August 1649 datiert (354223). Das verweist auf einen Anlaß. Der ist mit der Einweihung der Sackheimschen Kirche gegeben und wird Vnter der Persohn Des Ehrwürdigen/ Achtbarn vnd Wolgelarten Herrn M. Georg Newschillings/ Dieners am Göttlichen Wort daselbst/ als Welcher vmb selbige Newe Kirche/ der er sich mit grosser Sorgfältigkeit angenommen/ höchst verdient gemacht hat

begangen. Oesterley (S. 225–229 mit Nr. 951) kennt ihn nur aus Breslau, Ziesemer (III, 292–294 mit S. 490, Nr. 206) weist zusätzlich ein Berliner Exemplar in der Dach-Sammlung nach. Dünnhaupt gibt beide an.474 Über dieses oder das Thorner Exemplar ist der in Breslau in der ersten Zeile verstümmelte Titel zu rekonstruieren: Hertzliches Danck = vnd Beht = Lied/ gerichtet zu GOtt dem Allmächtigen/ wegen der Newerbaweten Kirchen auff Churf. alten Freyheit Sackheim in Königsberg/ [...]. Wieder gelingt es dem Dichter, das Ereignis umstandslos in den geistlichen Bereich zu transponieren. Der Eingang des siebzehnstrophigen Liedes: WJr armen Leute meinen/ Das Hauß/ dem Gott sich trawt/ Besteh’ aus Holtz vnd Steinen Durch Menschen Hand gebawt? Es werd’ es der beziehn Des Hauß sind Licht vnd Flammen; Die Himmel allzusammen Sind viel zu klein vor Jhn.475

–––––– 474

475

Vgl. Dünnhaupt Nr. 644 (mit falscher Zeilenbrechung nach ›Allmechtigen‹; fälschlich ›Wegen‹ statt ›wegen‹; fehlender Zeilenbrechung nach ›Newer = ‹ und ›Freyheit‹; das Erscheinungsdatum nicht aus dem Impressum herrührend, sondern aus dem Anlaß). Ziesemer (III, 292) hat fälschlich ein Komma nach ›beziehn‹.

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Der sich anschließende Titel (354224) gehört zu den großen Stücken geistlicher Dichtung im Werk Dachs: Christliche Weinacht = Frewde/ Welche über der frölichen vnd Gnadenreichen Geburt Vnsers Höchst = Verdienten Erlösers JEsu CHristi empfunden/ Vnd hertzliche Andacht bey frommen Christen in unserm lieben Vater = Lande zu erwecken[.] Zum Druck verfertiget Simon Dach Am Ende des 1648. Jahres. Königsberg/ Gedruckt durch Johann Reusner.

Nur über die Sammlung Arletius ist es im originalen Wortlaut noch zu lesen, denn das parallele Exemplar aus der Universitätsbibliothek Königsberg (Ca 59.4.1) ist verschollen.476 Freilich hat der Text neuerlich Schaden am oberen Rand genommen. Die erste Zeile ist mehrfach beschädigt und von alter Hand substituiert. Nur ausnahmsweise hat sich Dach dazu verstanden, den akademischen Rahmen zu verlassen und in einem großen deutschsprachigen Gedicht das Weihnachtsfest und den Segen des dem Ende entgegen gehenden Jahres unabhängig von einem bestimmten Anlaß zu besingen. Hier liegt ein solches Zeugnis vor. 416 Alexandriner wendet er auf das Ereignis. Der sich anschließende Rückblick auf das Jahr – Preussisches Lob vnd Danck = Lied/ für die erwiesene Wolthaten in diesen Vergangenem Jahre/ nach dem 91. Psalm im Lobwasser zu singen – ist durchaus konkret: 2. Wer hätte kurtz zuvor gemeint/ Dem Höchsten Lob = zu = singen? Als Furcht war/ daß der wilde Feind Sucht’ vns auch zu verschlingen/ Sein Sebel fraß Ohn alle Maß Der Nachbarn Gutt vnd Leben/ Wir schryen: Ach Jetzt wird die Rach Jetzt über vns auch schweben!477

Der »Königliche Stul« ist wieder aufgerichtet. Rathaus, Kirche und Schule haben den Krieg wohlbehalten überstanden. Das Stück reiht sich ein in die Reihe großer Dichtungen, die der Friedensschluß in so gut wie allen literarischen Landschaften des alten deutschen Sprachraums zeitigte. –––––– 476

477

Vgl. Ziesemer III, 487, Nr. 182. Der Druck S. 241–251. Vgl. auch Oesterley S. 213, Annotation zu Nr. 81, sowie Bibliographie Nr. 529; Dünnhaupt Nr. 587 mit mehreren falschen Lesungen: ›vber‹ statt ›über‹, ›vnsers‹ statt ›Vnsers‹, ›vnserm‹ statt ›unserm‹. Oesterley S. 213–216; Bibliographie Nr. 192; Ziesemer III, 250 f. (mit falscher Lesung ›Gut‹) und S. 487, Nr. 183; Dünnhaupt Nr. 588 (fälschlich ›Lob-‹ statt ›Lob‹, ›Nach‹ statt ›nach‹, sowie ein Phantasie-Impressum ›... .- Königsberg 1649.‹ Weder läuft die Titelangabe fort noch gibt es ein Impressum in dem über dem Text stehenden Titel).

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Gleich im Anschluß (354225) folgt die umfänglichste geistliche Dichtung Dachs, mit der er – Opitz, Fleming und anderen folgend – ein erhabenes Thema geistlicher Dichtung wieder aufgreift: Lobgesang JESV CHRJSTJ wegen seiner Sieg = und Frewdenreichen Aufferstehung Von den Todten geschrieben von Simon Dachen. [Zierleiste] Königsberg/ Gedruckt durch Johann Reusnern/ [...] 1652.478

Wieder also sollte ein herausragendes Ereignis des geistlichen Jahres wenigstens einmal auch in deutscher Sprache gefeiert werden. Dach hat das Werk Kurfürstin Louise Henriette von Brandenburg gewidmet und sich auch damit einer Gepflogenheit anbequemt, derzufolge geistliche Dichtung, sofern denn adressiert, gerne Frauen zugeeignet wurde. Die Widmung ist auf den 19. März 1652 datiert. Dach zeichnet als ›auff der Churfl. hohen Schulen zu Königsberg in Preussen der Poesie Professor P. und jetziger Zeit der Philosophischen Facultät Decanus.‹ Selbstverständlich wird der eingeführte und geräumige Alexandriner gewählt. 16 Quartbögen umfaßt das früher auch in Königsberg verwahrte Werk. Das Exemplar aus der Universitätsbibliothek (Pb 6196.29) ist verschollen. Zeitweilig war nur das Exemplar Arletius bekannt, bevor ein weiteres aus Preetz hinzu trat.479 So fragil nimmt sich die Überlieferung auch großer Texte der deutschen Barockliteratur aus. Der Lobgesang beschließt die Folge geistlicher Texte Dachs in der deutschen Sprache. Mit dem nächsten Stück eröffnet der Sammler die Abteilung der akademischen und also lateinischen geistlichen Produktion Dachs, wie sie uns bereits anderweitig zu Teilen begegnete. Wir verzichten daher an dieser Stelle auf eine Aufführung im einzelnen. Das früheste Stück, das Ziesemer und Dünnhaupt namhaft machen,480 entstammt der Quelle des Arletius. Wir haben zeigen können, daß es noch einen Vorgänger gibt. Auch die Beiträge der späten fünfziger Jahre sind teilweise nur über Arletius gesichert. Der Wert der Sammlung auch für diesen Zweig der Dachschen Produktion ist damit evident. 47 akademische geistliche Festdichtungen hat Arletius zusammengebracht (das erste Stück aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt, die von Dünnhaupt fälschlich zweimal Weihnachten 1640 zugeordnet werden; 354226–354227). Die weitaus größte Zahl war damit in seinem Besitz. Es gibt keine andere Sammlung, die eine auch nur annähernd vergleichbare Vollständigkeit aufwiese. Erstaunlicherweise erfolgt die Anordnung nicht in chronologischer Reihenfolge. Die Gründe sind unbekannt, insbesondere, ob –––––– 478

479 480

Oesterley S. 262–288 mit Nr. 468; Ziesemer III, 435–459 mit S. 503, Nr. 282; Dünnhaupt Nr. 71 (fälschlich ›Wegen‹ statt ›wegen‹, ›vnd‹ statt ›und‹, ›Freudenreichen‹ statt ›Frewdenreichen‹, ›Geschrieben‹ statt ›geschrieben‹). Vgl. Lohmeier: Simon-Dach-Drucke (Anm. 370) Nr. 6. Ziesemer, IV, 509, Nr. 12; Dünnhaupt Nr. 8.

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dieser auffällige Befund auf Arletius selbst zurückgeht oder der Folgezeit geschuldet ist. Die Paginierung von alter Hand stimmt mit der im Band vorgefundenen Reihung zusammen. Der lateinischen Sequenz geistlicher Texte zu den großen Festen des Kirchenjahrs hat der Sammler noch einen deutschsprachigen von 1635 hinzugefügt: Christi Rede/ da er vor die Sünde der gantzen Welt sterben soltte[!]. Ge¯ 1635 schrieben von Simon Dachen. [Zierleiste] Gedruckt zu Königsberg/ An: (354274).481 Es ist wiederum das einzig bekannte Exemplar, nachdem die Abschrift des Königsberger Staatsarchivs verschollen ist. Neuerlich ist Textverlust der obersten Zeile zu beklagen, der Text ist jedoch wiederholt handschriftlich substituiert. 35 sechszeilige Strophen mit vierhebigen Jamben hat Dach dem Ereignis gewidmet. Hören wir ein letztes Mal Dach als geistlichen Sprecher in der Rolle Jesu Christi: DJe Zeit ist hie/ das grosse Leiden Jst länger nun nicht zu vermeiden/ Die Centner = schwere Sünden = last/ So je die Sterblichen auff Erden Begangen/ vnd begehen werden/ Lest mir nun länger keine Rast. Was war es groß den Himmel lassen/ Der hohen Gottheit aller massen Sich eüssern/ vnd erniedrigt gehn? Was war es grosses sich nicht schämen/ Des Menschen Wesen anzunehmen/ Mit Fleisch vnd Blut bekleidet stehn? Jn sein selbst Eigenthumb zukommen/ Vnd doch nicht werden auffgenommen/ Jn tieffster Armut jmmerdar Vernichtet vnd verachtet leben/ Sich müssen auff die Flucht begeben/ Erdulden Kummer vnd Gefahr?482

Der Band wird beschlossen mit der Übersetzung von Carl Malaperten Leidender Christus ins Deutsche übersetzt von Simon Dachen/ 1651. 2. Aprill.483 –––––– 481

482

483

Oesterley S. 98–105 mit Nr. 191; Ziesemer III, 18–22 mit S. 461, Nr. 12; Dünnhaupt Nr. 118 (Unter ›Gelegenheitsgedichte‹ rubriziert! Fälschlich ›Da‹ statt ›da‹, ›sollte‹ statt ›soltte‹; fehlende Zeilenbrechung nach ›Geschrieben‹; falsches Impressum ›Anno 1635.- o.O. [Königsberg].‹ mit irriger Angabe, daß der Druckort fehle). Beschädigte Zeile 1 nach Ziesemer unter Zuhilfenahme der handschriftlichen Zusätze und Wahrung der Dachschen Gepflogenheiten. Ziesemer I, 5: ›Begangen‹ statt ›Begangen/‹; II, 3 ›eussern‹ statt ›eüssern‹; III, 1 ›zu kommen‹ statt ›zukommen‹. Oesterley S. 237–253 mit Nr. 838 (dort die falsche Angabe, die Übersetzung rühre von Stobaeus her); Ziesemer III, 370–383 mit S. 498, Nr. 251; Dünnhaupt Nr.

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1616 war die Vorlage in den Poemata des Jesuitendichters Carolus Malapertius in Antwerpen erschienen. Dach leistete demonstrativ einen die Konfessionen übergreifenden Akt in der Ausformung einer geistlich-humanistischen Koine, in der sich die verschiedenen Lager treffen konnten. Dieter Breuer hat dem gewichtigen Text soeben eine eingehende Interpretation gewidmet, auf die an dieser Stelle verwiesen werden darf.484 Dach hat für die deutsche Version den Alexandriner gewählt. Beschlossen wird sie mit einem schlichten achtstrophigen Lied, das auf den 8. Februar 1651 datiert und von Dach gezeichnet ist. Der Eingang: Huc me sidereo descendere jussit olympo, etc. DIe Lieb’ hat mich auff Erden Aus dem Gestirn gebracht/ Sie heisst mich Blut = arm werden/ Sie hat mich Wund gemacht.

Das Werk ist dem Dach befreundeten Ratsherrn der Königsberger Altstadt Reinhold Langerfeld zugeeignet. Die Widmung ist auf die ›IV. Nonas Apriles‹ des Jahres 1651 datiert. Der Druck war ausweislich Ziesemers bis zum Krieg auch in Königsberg (SuUB Pb 6196.19). Heute ist das Exemplar Arletius der einzig verfügbare Textzeuge (354275). Gratulations- und Lob-Gedichte nebst Jokosem Der letzte Band 4 E 225/1–43 (354276–354318) versammelt Gelegenheitsgedichte Dachs, die anderen Anlässen als Hochzeiten und Trauerfällen gewidmet sind, also insonderheit Gratulationsgedichte zu verschiedenen Ereignissen, bevorzugt im akademischen Raum. Neuerlich – und nun ein letztes Mal – stoßen wir auf ein gravierendes Problem der Darbietung Dachscher Texte. Das Gratulationsgedicht mit einer Reihe von verwandten Ablegern ist ein eigenes humanistisches Genus mit langer Tradition, das – wo nicht bibliographisch, so doch editorisch – eine gesonderte Präsentation erheischt, sofern nicht strikt ein chronologisches Prinzip für die gesamte Produktion eines Autors gewählt wird. Ziesemer stellt den ersten Band seiner Ausgabe ––––––

484

70 (fälschlich ›Jns‹ statt ›ins‹; Zeilenbrechung nach ›Deutsche‹ nicht ausgewiesen; fälschlich ›Dachen.‹ statt ›Dachen/‹, ›April‹ statt ›Aprill‹. Druckort und Druckjahr im Original auf dem Titelblatt nicht ausgewiesen, Dünnhaupts Angabe also in eckige Klammern zu setzen. Das vorhandene – und von Dünnhaupt als solches nicht ausgewiesene – Kolophon: Königsberg/ Gedruckt durch Johann Reusnern. 1651.). Vgl. Dieter Breuer: Simon Dachs Übersetzung des ›Christus Patiens‹ von Carolus Malapertius SJ.- In: Simon Dach (1605–1659) (Anm. 12), S. 337–348.

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unter den Titel Weltliche Lieder[.] Hochzeitsgedichte und den zweiten unter den Titel Weltliche Lieder[.] Gedichte an das kurfürstliche Haus[.] Dramatisches[.] Der Titel ›Weltliche Lieder‹ ist als Gegenbegriff zu ›Geistliche Lieder‹ zu verstehen. Dort erfolgte der Zusatz ›Trostgedichte‹, womit Trauergedichte gemeint waren. Hier folgt der Zusatz ›Hochzeitsgedichte‹. In beiden Bänden muß jedoch der Begriff ›Weltliche Lieder‹ mitgeführt werden, weil sich die ›weltliche‹ lyrische Produktion eben nicht auf Hochzeitsgedichte beschränkt. Im Auge hat der Editor selbstverständlich – neben den Gedichten an das Kurfürstliche Haus – vor allem Gelegenheitsgedichte in Gestalt von Gratulationen. Statt jedoch für sie eine eigene Abteilung zu bilden, werden sie den überwiegend zu dokumentierenden Hochzeitsgedichten in der laufenden Chronologie (sofern möglich) hinzugesellt, verlieren also ihre Gruppenzugehörigkeit und unterbrechen im übrigen die Sequenz der Epithalamia ihrerseits. Der Sammler – besser vertraut mit humanistischen Gepflogenheiten – wußte, was er tat, als er ihnen einen eigenen Band reservierte, nicht mehr von gleichem Umfang, aber von erheblichem Gewicht, wie durch ein paar Verweise darzutun. Der Band wird eröffnet mit Pans vnd Apollens Streit. Den 9. Junij 1639. In Actu Oratorio vorgestellet (354276). Ein Zusatz auf dem Titelblatt, möglicherweise von Arletius, lautet: ›Von Simon Dach‹. Es handelt sich um fünf Strophen zu sechs Zeilen mit paarreimigen Alexandrinern zu Anfang und zu Ende und paarreimigen vierhebigen Jamben in der Mittelposition.485 Auch Ziesemer kennt nur das vorliegende Exemplar. Ein bestimmter Anlaß ist dem Gedicht nicht zu entnehmen. Vielleicht, daß der Sammler das Gedicht deshalb an den Anfang gerückt hat. Das Gedicht handelt von der Kunst des rechten Richtens in Dingen des Gesangs, an der es Midas so sehr mangelt und ohne daß das Thema kennerhafter Kritik an Aktualität verloren hätte. Entsprechend lautet die Quintessenz: Wie mancher giebt sich noch mit Midas Frechheit an/ Der in Music vnd Kunst nichts ist/ nichts weiß/ nichts kan: Vnd wil doch über sein gebühren Von allem kühnlich iudiciren. Da raget denn auch wol ein schändlich Esels Ohr (Wo ja nicht alle beyd’) an manchem Kopff hervor.

–––––– 485

Nicht bei Oesterley. Ziesemer II, 331 f. mit S. 393, Nr. 178 (mit mehrfach ungenauer Titelwiedergabe und dem Zusatz »Darunter von einer Hand des 17. Jahrh.: von ›Simon Dach.‹ Wahrscheinlich von Dach.« Vgl. auch Dünnhaupt Nr. 182 (mit fehlender Zeilenbrechung nach ›Apollens‹, ›1639.‹ und ›Oratorio‹; fälschlich ›im‹ statt ›In‹, ›vorgestellt‹ statt ›vorgestellet‹). Kein Impressum auf dem Titelblatt, wie durch Dünnhaupt nahegelegt; auch kein Kolophon.

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Hier ist auch der Platz, Einzeldrucke auf das Kurfürstliche Haus unterzubringen, sofern sie anderen Anlässen als Hochzeiten und Todesfällen gelten. Das im folgenden Stück zu feiernde Ereignis gilt der Belehnung Friedrich Wilhelms mit dem Herzogtum Preußen durch Johann II. Kasimir im Jahr 1649, die über den preußischen Gesandten in Polen Wolff von Kreytzen erfolgte.486 Dach hat die Gelegenheit genutzt nicht nur zu einer Huldigung der beiden Fürsten, sondern auch der Georg Wilhelm nahestehenden Berater. Und selbstverständlich schimmert die Klage um den verstorbenen Gesandten durch, welcher das dem Herzogtum und seinen Untertanen zugute kommende Werk zuwege brachte. Ein Stück jokoser und keineswegs allein von Dach herrührender Poesie in bester humanistischer Gepflogenheit ist unter der Position drei eingestellt (354278).487 Anlaß ist der Tod des Hundes ›Schwanchen‹ Rotger zum Bergens. Der hochfürstliche Kurfürstliche Rat hat es sich nicht nehmen lassen, dem Ereignis eine große Trauerschrift zu widmen, auf die er zu verpflichten wußte, was poetischen Rang und Namen in Königsberg hatte, bot sich doch nicht eben häufig Gelegenheit, der musa iocosa ›antiquo Candore‹ zu huldigen. Editoren, die sich auf das Deutsche verschworen haben, erhalten ihre Quittung. Sie müssen auch die Dachschen Beiträge zerstückeln. Rotger zum Bergen hat der Sammelschrift eine lange Widmung an Joachim Pastorius vorangestellt, seines Zeichens Königlicher Historiograph, Doktor der Medizin und Stadtphysikus zu Elbing. Gleich nach zum Bergen erhält Dach das Wort für zwei ›Epitaphia‹, das eine auf lateinisch in Form von zwei Epigrammen, das letztere mit dem Zusatz versehen ›Epigramma secundum tam argutum atque acutum visum est, ut in vernaculam nostram id transferendum mihi sumpserim.‹ Es ging also immer noch – und welcher Anlaß wäre geeigneter als ein ausgefallener – um den Erweis, daß die deutsche Sprache zu allem und also auch zu ›argutem‹ und ›acutem‹ Verlauten in der Lage sei. Noch drei weitere Epigramme steuert Dach je auf lateinisch und auf deutsch bei. Ziesemer hat sich nicht entblödet, die lateinischen Texte in seiner Edition zu unterdrücken und damit auch die deutschen um ihren Witz zu bringen. Der Freund Rotger hat sich zu dem gleichen Spiel von Dach anregen lassen. Kaldenbach ist mit einem lateinischen Epicedium und einem großen –––––– 486

487

Oesterley S. 884–888 mit Nr. 207; Ziesemer I, 226–228 mit S. 351, Nr. 208; Dünnhaupt Nr. 614 (mit drei Fehlern in dem Kurztitel, fehlender Wiedergabe des Datums auf dem Titelblatt (1649. 18. März) und fehlender eckiger Klammer um das erschlossene Impressum ›Königsberg 1649‹. Der Kommentar zur ersten Zeile nicht nachvollziehbar. Beklagt wird das Ausbleiben des Frühlings, nicht des verstorbenen Gesandten. Oesterley Nr. 498; Ziesemer I, 315 f. mit S. 363, Nr. 301–305; Dünnhaupt Nr. 847.

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Alexandrinergedicht dabei. Michael Eifler, Valentin Thilo, Sigismund Pichler, Balthasar Voidius, Fabian Calovius und Stephan Müller sind desgleichen mit von der Partie – sie alle wohlbestallt in Amt und Würden und offenbar dankbar für ein momentanes Ausweichen in Scherz und Ulk und augenzwinkerndes Sich-Grüßen. Was gäben wir darum, die einzigartigen – und nur noch in Breslau vorhandenen! – Simulachra Silenorvm in einer zweisprachigen Ausgabe kennerhaft kommentiert genießen zu dürfen! Wir dürfen nicht bei jedem Titel so lange verweilen, sondern müssen uns umgekehrt sputen, unser Ziel zu erreichen, ohne den geduldigen Leser weiterhin zu beschweren. Die folgenden drei Stücke sind an den KurfürstlichBrandenburgischen Oberkammerherrn Konrad von Burgsdorff gerichtet. Sie gelten nicht einer Hochzeit oder einem Todesfall, also haben sie hier ihren Platz. Einmal ist der Repräsentant eines alten angesehenen Geschlechts zu loben (354279),488 einmal eine Reise anläßlich einer Begleitung des Kurfürsten zu würdigen (354280)489 und einmal der Genesungswunsch in schwerer Krankheit in einer kleinen Trilogie poetisch zu artikulieren (354281).490 Später werden Gerhard von Dönhoff (354284)491 oder Otto von Schwerin (354299)492 als Gönner Dachs geehrt werden. Sodann sind in einem adeligen Haus, dem Kurfürstlichen nahestehend, Geburt und Taufe freudig zu begehen (354288; 354297).493 Der Namenstag will ebenfalls bedacht sein (354300).494 Hier ist der Ort, da Dachs Danck = Reyme an den Rat der Stadt Königsberg wegen Zuweisung einer Wohnung am Pregel ihren geziemenden Platz erhalten (354289).495 Als sich dann Freunde bei seinem ›Herrn Gefatter‹ Andreas Knobloch einstellen, hält Dach das Ereignis in Reimchen fest (354290).496 Auch Dachs berühmtes Gedicht auf Opitzens Besuch in Königsberg am 29. Juli 1638 ist hier im Original nachzulesen (354293).497 –––––– 488

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Oesterley Nr. 808; Ziesemer I, 137–139 mit S. 343, Nr. 134; Dünnhaupt Nr. 391 (mit unzutreffendem Nachweis für Vilnius). Oesterley Nr. 983; Ziesemer I, 156–159 mit S. 345, Nr. 149; Dünnhaupt Nr. 454. Oesterley Nr. 133, Nr. 81, Nr. 324; Ziesemer I, 149–151 f. mit S. 344, Nr. 145a–c; Dünnhaupt Nr. 424, 451, 452. Oesterley Nr. 437; Ziesemer I, 211–214 mit S. 349, Nr. 194; Dünnhaupt Nr. 546. Oesterley Nr. 389; Ziesemer II, 27–30 mit S. 367, Nr. 18; Dünnhaupt Nr. 935. Oesterley Nr. 98 und Nr. 212; Ziesemer II, 47–49 mit S. 369, Nr. 32, und I,296 f. mit S. 359, Nr. 262; Dünnhaupt Nr. 971 und Nr. 836. Oesterley Nr. 70; Ziesemer II, 40 mit S. 368 Nr. 26; Dünnhaupt Nr. 958. Oesterley S. 779–785 mit Nr. 338; Ziesemer I, 129–132 mit S. 341, Nr. 129; Dünnhaupt Nr. 380. Oesterley S. 714–716 mit Nr. 824; Ziesemer I, 179 f. mit S. Nr. 167; Dünnhaupt Nr. 494. Oesterley S. 712–714 mit Nr. 535; Ziesemer I,51 f. mit S. 325 f., Nr. 50; Dünnhaupt Nr. 153.

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Desgleichen Dachs Lob = Spruch auf Diederich von dem Werder (354313).498 Ausnahmsweise gelangt auch ein Geburtstagsgedicht für Kurfürst Friedrich Wilhelm in den Band (354316).499 Alle diese Stücke sind zumeist nur für Breslau nachzuweisen, ohne daß wir noch auf Einzelheiten eingehen und die allerorten fälligen bibliographischen Korrekturen vornehmen könnten. Das muß einer Dach-Edition und -Bibliographie vorbehalten bleiben. Insgesamt handelt es sich um verstreute Einzelstücke, denen gegenüber eine andere Spielart kasualen Votierens in diesem Schlußband deutlich die Oberhand gewinnt: das gemeinhin lateinische Gratulationsgedicht im Rahmen einer akademischen Feierlichkeit, zumeist zum Erwerb eines akademischen Grades, aber auch aus Anlaß der Ehrung durch die Laureatenwürde. Damit geraten wir wiederum auf eine Überlieferungsschicht Dachscher Texte, der editorisch bislang keine Pflege zugewandt wurde. Dach ist da in der Regel Beiträger unter anderen. Seine Gedichte zeichnen sich freilich wiederholt durch besondere Länge aus. Hin und wieder verliert sich auch ein deutsches Stück darunter, keines freilich der Feder Dachs entstammend. Eines – für Balthasar Meier unter dem Rektorat Daniel Halbachs – liegt dagegen auf griechisch vor (354292).500 Es entstammt dem Jahre 1632, stellt also einen frühen poetischen Beitrag Dachs dar, und ist nur mit den Initialen ›S.D.‹ gezeichnet. In unserem Breslauer Exemplar ist der Nachname – vermutlich durch Arletius – handschriftlich ergänzt worden. Insgesamt 18 unselbständige Dachsche Carmina hat der Sammler seiner Kollektion zuführen können, und wieder würde man besonders gerne wissen, auf welchem Wege ihm dies im fernen Breslau möglich war. Dach ist aber auch als Verfasser einzelner Schriften zu akademischen Anlässen hervorgetreten. Der vorliegende Band dokumentiert diese Form gleichfalls und vielfach wiederum unikat. So etwa ein Propemptikon für Abraham Calovius (354283),501 eine Zuschrift für Thomas Hopfer ›summô Philosophiae titulô donati‹ (354287),502 eine weitere für Joachim Timmermann ›Summis in Medicina honoribus sacrum‹ (354305)503 sowie schließlich eine Ode für Christoph Tinctorius ›Cum Magnificum Academiae Magistratum deponeret‹ –––––– 498

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Oesterley Nr. 783; Ziesemer I, 151–154 mit S. 344, Nr. 146; Dünnhaupt Nr. 435 (»Epische Lobdichtung auf Diederich von dem Werder« [!]). Oesterley S. 674–676 mit Nr. 633; Ziesemer II, 246 mit S. 388, Nr. 146; Dünnhaupt Nr. 1108. Oesterley Nr. 1125; Ziesemer II, 344, Nr. 4; Dünnhaupt Nr. 85 (mit unzutreffendem Nachweis für Vilnius; es handelt sich auch im vorliegenden Fall um ein Unikat). Oesterley Nr. 1114; Ziesemer II, 353, Nr. 45; Dünnhaupt Nr. 363. Oesterley Nr. 1145; Ziesemer II, 347, Nr. 21; Dünnhaupt Nr. 150. Oesterley Nr. 1030; Ziesemer II, 350, Nr. 37; Dünnhaupt Nr. 270 (fälschlich Exemplar-Angabe Vilnius).

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(354311).504 Als Thilo zum Empfang der Magisterwürde am 20. April 1634 geehrt wird, greift Dach zur deutschen Sprache, um dem verehrten Kollegen zu gratulieren (354303).505 Zum gleichen Anlaß melden sich auch Freunde und Kollegen aus Leiden, darunter Markus Zuerius Boxhorn, Albert Linemann, Christoph Tinctorius und Vincentius Fabricius. Und in dieser Sammelschrift kommt Dach tatsächlich ein einziges Mal mit zwei Vierzeilern in Alexandrinern auf deutsch zu Wort (354304).506 Schließlich ist ein lateinisches Gedicht auf die Geburt eines Kindes, ›in Putkameri filiam‹, in den Band gelangt, wie aus einem handschriftlichen Nachtrag auf der Kopfzeile zu ersehen, welcher den fehlenden gedruckten Titel ersetzt (354296).507 Alle diese äußerst kostbaren Sammel- und Einzelschriften sind in dem Osnabrücker Handbuch im Rahmen einer Erschließung der alten Rhedigerschen Bibliothek aus der Elisabethkirche im einzelnen samt ihrem Kontext aufgeführt, so daß der Leser nähere Informationen rasch gewinnen kann. Sie liegen zudem inzwischen in einer Mikrofiche-Edition vor.508 Wir erinnern uns, daß der Sammler am Ende von sammlerischen Einheiten Beiträge auf Dach plazierte. Davon hat er auch im vorliegenden Fall keine Ausnahme gemacht. Das vorletzte und letzte Stück vereinigen die Glückwünsche zur Magisterpromotion, die am 12. April 1640 erfolgte (354317). Ziesemer hat das Stück im Anhang zu seiner Edition der ›Weltlichen Gedichte‹ namhaft gemacht und die Beiträger aufgeführt.509 Der Reigen beginnt mit Abraham Calovius und Michael Behm. Robert Roberthin und Valentin Thilo, Balthasar Voidius und Balthasar von Grünendemwalde sind unter den Beiträgern. Das gewichtige Werk war in Königsberg offensichtlich nicht vorhanden. Ziesemer greift auf das Exemplar in der Sammlung Arletius zurück und weist nur dieses nach. Eine musikalische Version zum gleichen Anlaß von Stobaeus findet sich hier nicht. Sie wird in Berlin verwahrt.510 Nicht für würdig erachtet hat Ziesemer den Hinweis auf das große lateinische Gedicht, das kein Geringerer als Christoph Kaldenbach dem gleichen Anlaß widmete: Daphne, Ad Virum Clarißimum Simonem Dachivm Prof. Poes. P. –––––– 504 505

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Oesterley Nr. 1209; Ziesemer II, 358, Nr. 65; Dünnhaupt Nr. 683. Oesterley Nr. 405; Ziesemer I, 19–23 mit S. 321, Nr. 16; Dünnhaupt Nr. 105 (mit Fehlattribution eines weiteren Exemplars für Vilnius). Oesterley Nr. 806; Ziesemer I, 23 mit S. 321, Nr. 17; Dünnhaupt Nr. 106 (falsche Exemplar-Zuweisung für Vilnius). Oesterley Nr. 1195. Nicht bei Ziesemer und Dünnhaupt. Insgesamt 255 Dach-Einträge enthalten allein die Bände 1 und 2 des oben (Anm. 468) aufgeführten Handbuchs mit dem Nachweis der Bestände aus der Bibliothek des Elisabeth-Gymnasiums – und dies ohne die Trauerschriften Dachs. Sie entstammen ganz überwiegend der Sammlung Arletius. Vgl. den Eintrag bei Ziesemer II, 362. Mus. ant. pract. S 1600, 8. Vgl. Ziesemer II, 362. Derzeit in Krakau.

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Philosophiae Magistrum. Typis Haeredum Segebadij. 1640. (354318). Aulich, Dünnhaupt und Walter kennen es nicht. Es scheint in die Dach- und Kaldenbach-Philologie bislang nicht Eingang gefunden zu haben. Uns aber gibt es willkommenen Anlaß zur Überleitung in eine kleine Nachlese, die nochmals Überraschungen birgt. Eine Zimelie Sie verbirgt sich unter der Signatur 4 E 225a/1–9 (354319–354327). Es handelt sich um neun einzelne Stücke in Quart, die in einen gefalzten braunen Umschlag lose eingelegt und in eine Pappkassette gesteckt wurden, welche mit einem Rückenschild beklebt ist, dessen Titel der Sammlung angeglichen wurde: ›Dach Gelegenheits-Gedichte 4 E 225a.‹ Auf dem Umschlag oberhalb des Stempels der Breslauer Stadtbibliothek ist von deutscher bibliothekarischer Hand notiert: »Inhalt: 9 einzelne Stücke.« Die alte deutsche wie die neue polnische Signatur finden hier gleichfalls Platz. Auf dem Innenfalz findet sich der Zusatz wiederum von deutscher bibliothekarischer Hand: »Nachtrag: 9. Einzeldrucke von Simon Dach.« Ziesemer führt den kleinen Band irrtümlich gelegentlich unter 4 E 226 auf. Das würde darauf verweisen, daß die kleine Sammlung nach seiner Ausgabe zusammengestellt wurde. Wir halten das für wenig wahrscheinlich und vermuten, daß Ziesemer einfach in der Folge 4 E 220–4 E 225 fortzählte. Größte Sorgfalt in der Sicherung des Befundes zu beobachten, besteht, wie gleich zu zeigen, wiederum gegebener Anlaß. Wir schlagen die Sammlung mit den Einzeldrucken auf und erstaunen nicht wenig. Hier unter der Nachlese liegt als Nummer 1 ein in Fachkreisen berühmtes und vielgesuchtes Stück: Dachs Einladung zu seiner Antrittsvorlesung. Ziesemer hat sie, wie erwähnt, neugedruckt.511 Er kannte nur dieses vorliegende Exemplar. Das bei ihm fehlende und bei Dünnhaupt (Nr. 67) ohne Verleger nur mit ›Königsberg 1639‹ ausgewiesene Impressum lautet: Regiomonti Typis Haeredum Segebadii, 1639.512 Atemstockend blättern wir weiter. Sollte sich der Sammler auch die Magisterdisputation noch gesichert haben können? Nein, sie fehlt auch unter den Nachträgen. Sie ist entweder –––––– 511 512

Vgl. Ziesemer II, S. 334–337. Die üblichen Fehler bei Dünnhaupt, von denen nicht einer seiner über 1200 DachTitel verschont ist: Fehlende Markierung der von ihm doch stets ausgewiesenen Zeilenbrechung nach ›Inavgvralem‹, ›publicis‹, ›Poëtica‹, ›praemittendam‹, ›Cives‹, ›Officiosissimè‹; fälschlich ›Maecenates‹ statt ›Moecenates‹. Der Ziesemersche Zusatz (II, 394, Nr. 181) »S. Dach behandelte im SS 1640 Seneca, im SS 1641 Ovids Metamorphosen, im SS 1646 Senecas Tragödien, im SS 1647 Juvenals Satiren« ohne Angabe der Herkunft der Information bei Dünnhaupt wiederkehrend.

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nicht nach Breslau gelangt oder ihres unvergleichlichen Werts wegen frühzeitig abhanden gekommen. Sie wurde, wie erwähnt, von Ziesemer in einem Neudruck dargeboten.513 Ziesemer kannte sie, wie wir angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit wiederholen, aus der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (F 118.43.73) und aus der Bibliothek des Kollegiatsstifts zu Guttstadt. Das Königsberger Exemplar ist verschollen. Dünnhaupt versetzt das Stück, wie immer, wenn es um alten Königsberger Besitz geht, wahlweise nach Vilnius oder Leningrad. Sein Leningrad-Nachweis ›ex UB Königsberg‹ führt hier wie auch in Dutzenden anderer Fälle ins Leere. In der Akademiebibliothek zu St. Petersburg ist der Titel nicht vorhanden. Für das Guttstädter Exemplar besteht Hoffnung in Allenstein. Wir verweisen zurück auf unseren oben beschriebenen Warschauer Fund. Dort lag der erste Bogen dieser Schrift vor. Die Suche und die Hoffnung dürfen nicht aufgegeben werden; vielleicht, daß es doch der Dach-Forschung komplett wieder zugeführt werden kann.514 Der Sammler hat für seine Kollektion noch ein Stück aus der Serie der lateinischen geistlichen Festgedichte gewinnen können, hier das zur Geburt Jesu aus dem Jahr 1647 (354320).515 Des weiteren gibt es einen lateinischen Folio-Einblattdruck anläßlich des Todes von Johannes Behm aus dem Jahr 1648 (354321),516 Epicedien zum Tod Caspar Fröbners, zu denen Dach eine große lateinische Elegie beisteuert (354322),517 und ein deutschsprachiges Hochzeitsgedicht für Bruno König und Catharina Vogt, zu dem Dach sechs sechszeilige Strophen in vierhebigen Trochäen schreibt (354323).518 Das folgende Stück hat keinen Titel, setzt jedoch auf Bogen B ein, hatte also vorangehende Beiträge (354324). Die handschriftlich erfolgte Zuweisung ist beschnitten, lag aber Oesterley und Ziesemer offensichtlich noch komplett vor –––––– 513 514 515 516

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Vgl. Ziesemer II, S. 337–343. Vgl. oben S. 563 mit Anm. 412. Oesterley Nr. 1200; Ziesemer IV, 514, Nr. 58; Dünnhaupt Nr. 31. Oesterley Nr. 1164; Ziesemer IV, 515, Nr. 61; Dünnhaupt Nr. 560 (mit einer fehlenden Zeilenbrechung im Kurztitel, fälschlich ›assertoris‹ statt ›Assertoris‹ und unzutreffender Exemplar-Attribution für Vilnius; das Werk – herrührend aus der Wallenrodtschen Bibliothek – befindet sich in St. Petersburg). Oesterley Nr. 1094; Ziesemer IV, 510, Nr. 22 (mit den weiteren Beiträgern); Dünnhaupt Nr. 309 (zu korrigieren im Incipit: ›ILiadem‹ statt ›Iliadem‹; im Sammeltitel: Epicedia ad perennem [fehlt bei Dünnhaupt] memoriam [... Auslassung nicht bezeichnet] DNI: (statt: ›Dn.‹) Caspari Fröbneri (statt: ›Froebneri‹) [...] Juventutis (statt: ›juventutis‹) & studiorum (statt: ›studiosum‹) [...]). Oesterley Nr. 285; Ziesemer I, 80 mit S. 332, Nr. 75; Dünnhaupt Nr. 228 (zu korrigieren im Incipit: ›Euch‹ statt ›EVch‹, ›Breutgam‹ statt ›Brewtigam‹, ›Kind/‹ statt ›Kind‹; im Sammeltitel: ›Auf‹ statt ›Auff‹, ›Des‹ statt ›des‹, ›Wolgelahrten‹ statt ›Wolgelarten‹, ›Vnd‹ statt ›vnd‹. Kein Impressums-Vermerk ›Königsberg‹).

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bzw. wurde sinngemäß von ihnen ergänzt.519 Zu dem folgenden lateinischen Epithalamium sendet Dach einen lateinischen Beitrag ebenso wie zu dem sich anschließenden Trauergedicht.520 Die Zahl seiner lateinischen unselbständigen Beiträge erhöht sich also über diesen Nachtrag um weitere drei, die der deutschsprachigen um zwei. Den Beschluß machen Heyrahts = Reimchen zur ehelichen Verbindung von Thomas Vogt und Elisabeth Seidel aus dem Jahr 1647 (354327).521 Damit ist die Sammlung Arletius ausgeschöpft. So präzise wie an keiner anderen Stelle sonst gewinnt man über sie eine Anschauung von der Struktur der Dachschen Formenwelt. Und das vermöge der Souveränität, mit der das reiche Werkcorpus der Einzeldrucke wie der Beiträge gegliedert und in durchweg sinnvolle Sequenzen gebracht wurde. Insofern enthält die Sammlung auch indirekte Winke für kommende editorische Bemühungen. Wir wollen sie nicht verlassen, ohne den Hinweis zu geben, daß in der Breslauer Universitätsbibliothek natürlich weitere Gedichte Dachs verwahrt werden. Eine besonders ergiebige Quelle ist die Musik-Abteilung. Doch soll dieses Terrain hier nicht mehr betreten werden. Wir haben Titel und Textproben zur Genüge geboten. Auch die Kunst des Ponderierens will beobachtet sein. Wohl aber ist Veranlassung, ein gravierendes Problem zum Schluß unserer Breslau-Exkursion anzusprechen. Eine verlorene Handschrift Verbunden mit der Sammlung von Dach-Drucken des Arletius war eine offensichtlich reiche handschriftliche Überlieferung, vielfach von diesem selbst herrührend, aber auch Stücke von anderer Hand umfassend. Unsere Kenntnisse sind rudimentär. Um so wichtiger, das Überlieferte einer um Aufklärung bemühten Inspektion zu unterziehen. Der alte Handschriften-Katalog der Rhedigerschen Bibliothek aus der Feder von Moritz Adolf Guttmann sowie die Einlassungen von Oesterley und Ziesemer sind heranzuziehen. –––––– 519

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Nuptiis auspicatiss. Dn. (Oesterley: ›hom.‹ [!]) Reimari Leonis 1649, Lubecae, litter. Jaeger. (Oesterley S. 480–483, Nr. 219; Bibliographie Nr. 474; Ziesemer I, 244 f. mit S. 353, Nr. 222; Dünnhaupt Nr. 668). Vgl. Oesterley Nr. 1185 und Nr. 1072; Ziesemer II, 355, Nr. 55 und IV, 513, Nr. 48 (jeweils mit den weiteren Beiträgern); Dünnhaupt Nr. 489 und Nr. 462 (mit falscher Exemplar-Zuweisung des zweiten Titels nach Vilnius, statt nach St. Petersburg). Oesterley Nr. 862; Ziesemer I, 178 f. mit S. 347, Nr. 166; Dünnhaupt Nr. 493 (fehlende Zeilenbrechung im Kurztitel nach ›Bey‹; ›Ehren-Tag‹ statt ›EhrenTage‹, ›Hn.,‹ statt ›H.‹, ›Vogten‹ statt ›Vogten/‹, ›vnd‹ statt ›Vnd‹, ›J.‹ statt ›Jungfr.‹, ›Seidelin‹ statt ›Seidelinn‹. Ohne Angabe des Druckers).

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Der Guttmannsche Katalog wurde vor der Gründung der Stadtbibliothek erstellt.522 Er spiegelt also die Verhältnisse in der alten Rhedigerschen Bibliothek in der Elisabethkirche wieder. Dort findet sich in der Abteilung ›Codices Manuscripti Forma maxima. Scrinium IV. Series 2, posterior‹ der Eintrag: ›31. Gelegenheits = Gedichte von Simon Dach. Chartac. 1637‹. Links am Rand ist eine ›225‹ hinzugefügt, ihrerseits mit dem Zusatz ›Ben. v. Kahlert. 1843. Oesterley 1873.‹ versehen.523 Die Ziffer 225 verweist auf die neue Ordnungsnummer nach Überführung der Rhedigerschen Bibliothek in die (mit dieser Überführung konstituierte) Breslauer Stadtbibliothek. Aus einem mit der Ordnungsnummer 31 versehenen Stück in der ehemaligen Aufstellung ist die für Dachkenner wohlbekannte Rhedigersche Handschrift R 225 geworden. Schaut man sodann in den vor dem Krieg gefertigten Zettelkatalog der Rhedigerschen Handschriften, der sich erhalten hat, so findet man dort den Eintrag: »Dach. Simon. Gelegenheits-Gedichte. Papier. fol. 1637 geschrieben.« Damit sind wir gerüstet, die vielfach kryptischen Äußerungen des Autodidakten Oesterley zumindest zu Teilen zu entschlüsseln. Und dies unter Zuhilfenahme von späteren Äußerungen Ziesemers. Neben der Sammlung gedruckter Dachscher Texte besaß Arlet noch ein heft mit abschriften Dachischer gedichte, welches jetzt in der Rhedigerschen bibliothek unter der signatur S. IV, 2, pag. 31 aufbewahrt wird. Das heft enthält zuerst abschriften nach originaldrucken, die Arlet nicht in seinen besitz bringen konnte, von s. 23 bis 58 aber gedichte unter der überschrift: ›Herrn Simon Dachen Lust-Reymen, welche noch nicht gedruckt worden.‹524

Oesterley zitiert also die alte Guttmannsche Signatur. Wir sind orientiert, daß es sich um die Handschrift R 225 handelt. Über sie nun ist Ziesemer zu konsultieren. In der – viel zu knappen – Einleitung zur Ausgabe der Dachschen Gedichte liest man im ersten Band: Zu der Arletschen Sammlung der Dachschen gedruckten Schriften »kommt noch ein Heft ›Herrn Simon Dachen Lust = Reymen, welche noch nicht gedruckt worden‹ (früher: Rhed. Ms., –––––– 522

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Vgl. zum folgenden Klaus Garber: Bücherhochburg des Ostens (Anm. 324), S. 547 ff. (wiederabgedruckt in: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 322 ff.), sowie Leslaw Spychala: Wegweiser durch die Handschriftenbestände der Universitätsbibliothek Wrocław/Breslau.- In: Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit (Anm. 324), S. 656–746, insbes. S. 656–671. Sehr ergiebig auch: Wojciech Mrozowoicz: Stan opracowania ksiaszki rekopismiennej ze zbiorow Biblioteki Uniwersyteckiej we Wrocławiu [Zum Bearbeitungsstand des handschriftlichen Buches in der Universitätsbibliothek Wrocław].- In: Roczniki biblioteczne 32 (1988), S. 93–106. Vgl. in diesem Zusammenhang August Kahlert: Mittheilungen über Simon Dach. nach Handschriften der Rhedigerschen Bibliothek in Breslau.- In: Jahrbuch für Deutsche Literaturgeschichte 1 (1855), S. 42–61. Oesterley, Vorwort, S. 3.

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jetzt: Hs. R 225), welches in naher Beziehung zu der erwähnten Handschrift des Königsberger Staatsarchivs steht.«525 Man muß also zurückgehen zu den separaten Publikationen Ziesemers aus den Jahren 1924 und – wichtiger! – 1925.526 Aus ihnen geht hervor, daß die von Oesterley namhaft gemachten und erst von Ziesemer mit 27 bezifferten Dachschen Gedichte auf den Seiten 23 bis 58 der Breslauer Handschrift R 225 alle auch in der Handschrift Ms 301.4° des Königsberger Staatsarchivs standen, und zwar in gleicher Reihenfolge. Sie war Oesterley unbekannt geblieben. Es ist das große Verdienst der Ziesemerschen Abhandlung, die von Oesterley verabsäumte Aufgabe nachgeholt und die Versincipita der zugleich in der Breslauer und Königsberger Handschrift vorliegenden Dachschen Gedichte im einzelnen aufgeführt zu haben.527 Auch bietet er eine Zusammenstellung der nur in der Königsberger Handschrift überlieferten Gedichte.528 Das ist nötig, weil schon vorher die entscheidende Feststellung zu treffen war: »Nur enthält das Kgb. Msk. zwischen den auch im Rhed. Msk. vorhandenen Gedichten noch andere Gedichte, die dort fehlen.«529 Ziesemer diskutiert eine Reihe von Möglichkeiten im Blick auf denkbare Abhängigkeiten der beiden Handschriften voneinander, vermag eine definitive Lösung jedoch nicht vorzutragen. Er neigt dazu, die Königsberger Handschrift als Vorlage für die Breslauer anzunehmen, vermag das Fehlen einiger Gedichte in der letzteren jedoch nicht zu erklären. Zum Schreiber der Breslauer Handschrift äußert er sich nicht. Auch erfolgt weder bei Oesterley noch bei Ziesemer eine Spezifizierung der handschriftlich in R 225 überlieferten Dachschen Gedichte, die Arletius nicht in seinen Besitz zu bringen vermochte. Alle mit der Handschrift R 225 verbundenen Probleme werden sich nicht mehr aufklären lassen. Die Handschrift ist seit 1945 ebenso verschollen wie diejenige aus dem Königsberger Staatsarchiv, die aus unbekannten Gründen 1945 nicht mit in den Westen gelangte, heute also im Geheimen Preußischen Staatsarchiv nicht nachweisbar ist. Damit scheint der Sachverhalt aufgeklärt. Er ist es aber nicht. Niemand hat sich dem an dieser Stelle auftuenden Problem gewidmet. Wir müssen für einen weiteren Moment im Umkreis der Rhedigerschen Handschrift verbleiben. In dem Guttmannschen Katalog findet sich an der angegebenen Stelle nämlich der Verweis auf eine weitere Handschrift ›Collectanea zu Simon –––––– 525 526 527 528 529

Ziesemer I, S. VIII. Vgl. die entsprechenden Nachweise in Anm. 176. Vgl. Ziesemer: Neues zu Simon Dach (Anm. 176), S. 593. Ebd., S. 595 ff. Ebd., S. 592.

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Dach. Abschriften des 18. Jhs. 4°‹. Dazu tritt auf der linken Seite der Eintrag ›225a‹, wiederum versehen mit dem Zusatz ›Hs: 18. Jh. cf. Bibl. d. Lit. V. Stuttgart.130. T. 3.‹ Damit werden wir neuerlich auf Oesterley verwiesen. Wir erinnern uns, daß Arletius ein Register mit den Versincipita der in seinem Besitz befindlichen Dach-Drucke angefertigt hatte, das er mit der Bitte um Ergänzung an die ›Deutsche Gesellschaft‹ in Königsberg sandte und das sodann im Neuen Büchersaal Gottscheds zum Abdruck kam. Es wäre merkwürdig, wenn von seinen eben auch auf Dach gerichteten sammlerischen und registrierenden Bemühungen sich keine Spuren in Breslau erhalten hätten. Ziesemer erwähnt solche nicht, wohl aber Oesterley. Die Stücke aus der ›Deutschen Gesellschaft‹, die nicht im Besitze des Arletius waren und die ihm auf seine Anfrage hin mitgeteilt wurden, scheinen, so Oesterley, materialiter nicht in seine Hände gelangt zu sein. Gleichwohl hat er nach der veröffentlichung seines registers nicht aufgehört, zu sammeln, vielmehr noch von verschiedenen seiten zusendungen an originaldrucken und abschriften empfangen. Diese bilden ein augenblicklich noch ungeordnetes und unverzeichnetes convolut der Rhedigerschen bibliothek (ich bezeichne es daher Rhed. 7 [in Ergänzung zu den sechs Bänden mit Drucken]), welches zuerst das einladungsprogramm Dachs zu seinen Vorlesungen (1639), dann eine reihe gedruckter gedichte, endlich die nur abschriftlich mitgetheilten stücke nebst Arlets litterarischem apparat enthält. Die handschriftlichen gedichte sind theils nach einzeldrucken, theils nach ungedruckten originalen oder copien davon abgeschrieben. Der apparat besteht aus abschriften der lebensbeschreibung Dachs im ›erleuterten Preußen‹ und des ›honor exequialis‹ nach dem abdrucke in H. Wittens memoriae philosophorum (während Arlets große sammlung den originaldruck enthält), einem verzeichnisse der in Alberts arien enthaltenen gedichte, und dem handschriftlichen register über das gesammte material, in welchem die nach veröffentlichung desselben hinzugekommenen stücke (aus Rhed. 7) von Arlets eigner hand nachgetragen sind.530

Dem Leser wird nicht entgangen sein, daß es sich um die Beschreibung eines Konvoluts handelt, aus dem einzelne Teile später unter der Signatur R 225a der Arletschen Sammlung der Druckschriften Dachs integriert wurden. Sie setzte genau mit der Einladungsschrift ein, die auch Oesterley als erstes Stück erwähnt. Er hat es wiederum verabsäumt, die Anzahl der Drucke zu nennen. Lagen auch ihm neun vor? Es gibt keinen Grund, anderweitiges zu vermuten. In jedem Fall enthielt das Konvolut reiches handschriftliches Material. Einer Notiz im Zettelkatalog der Rhedigerschen Handschriften, der noch aus der Zeit der Breslauer Stadtbibliothek herrührt und im Einzelfall gute Dienste leistet, entnehmen wir die folgende Angabe zur Handschrift R 225a: –––––– 530

Oesterley, Vorwort S. 3 f.

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Collectanea zu Simon Dach. Register der deutschen u. lat. Gedichte von Sim. Dach, nach den Anfangsworten alphabet. geordnet. Biographisches. Lateinische u. deutsche Gedichte von Dach und auf Dach. Bei weitem die meisten Stücke sind Abschriften aus Drucken. Manches von der Hand des Joh. Casp. Arletius, das übrige von verschiedenen Händen des 18. Jahrhunderts. Papier. 4°; 143 Blätter. [Zusatz im unteren rechten Feld der Katalogkarte:] Die Hs. wurde im Jan. 1904 aus losen Papieren über Simon Dach ‹ursprünglich Hs R 2288› zusammengestellt.

Sie enthielt also überwiegend handschriftliches Material und nur vereinzelt Drucke. Heute haben sich nur die Drucke – wenn es denn nicht mehr als neun waren – erhalten, die wir im einzelnen aufführten. Die Suche nach den handschriftlichen Zeugnissen, seit 1904 unter R 225a versammelt, blieb vergeblich. Ihr Verlust ist wahrscheinlich. Es müssen zu einem unbekannten Zeitpunkt im 20. Jahrhundert, möglicherweise überhaupt erst anläßlich der Sicherungsmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg, die handschriftlichen Zeugnisse der Sammlung Arletius von denen der Drucke separiert und die Drukke in die Sammlung der Drucke der Stadtbibliothek integriert, also zu den übrigen Dach-Sammelbänden gestellt worden sein. Das Schicksal der Handschriften ist an anderer Stelle von uns beschrieben worden. Wenigstens ein Drittel des handschriftlichen Bestandes der Stadtbibliothek – eine der größten und kostbarsten Kollektionen im alten Deutschland – ist im Gefolge des Zweiten Weltkriegs verschollen. Die Bücher, die vielfach in der alten Stadtbibliothek am Roßmarkt verblieben, wurden zum weitaus größten Teil gerettet. So spiegelt sich im Schicksal von Handschrift R 225 und R 225a im kleineren, der Sammlung Arletius E 220–225a im größeren, das der alten Breslauer Stadtbibliothek.531 Wir sind von Dankbarkeit erfüllt, daß sich die einzigartige Dach-Sammlung des Arletius in den Mauern Breslaus erhalten hat. Und wir trauern – wie im Falle Opitzens, Colerus’, Czepkos und ande–––––– 531

Diese Mitteilungen in Bezug auf die Breslauer Dach-Handschriften erfolgen hier m. W. erstmals und unter allem notwendigen Vorbehalt. Ihnen gingen sehr aufwendige und teilweise komplizierte Sucharbeiten voraus, die hier nicht im einzelnen geschildert werden sollen. Sie wurden im März 1993 gemeinsam mit Wojciech Mrozowicz angestellt, dem wiederholt auf das herzlichste zu danken ist. Bis auf weiteres ist also davon auszugehen, daß auch die Handschriften R 225 und R 225a zu den Verlusten der alten Breslauer Stadtbibliothek im Zweiten Weltkrieg zählen, wobei einzuräumen ist, daß das Verhältnis beider zueinander aus den bislang vorliegenden Daten nicht hinlänglich genug zu bestimmen ist. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob sich Ziesemer tatsächlich nur, wie angegeben, auf R 225 bezieht. Auch bei Oesterley scheint es, wie die Beschreibungen vermuten lassen, zu Kontaminationen der beiden Handschriften gekommen zu sein. Die durchaus vorläufigen Recherchen erheischen also dringend eine Fortführung vor Ort. Dazu jetzt die eingangs aufgeführten Arbeiten Conermanns.

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rer großer schlesischer Dichter – um die verlorenen handschriftlichen Zeugnisse aus dem unmittelbaren Wirkungskreis der großen Dichter und Gelehrten. Es ist dies die Situation, vor die sich die Forschergemeinschaft allüberall in Mitteleuropa seit dem Machtantritt Hitlers gestellt sieht. Eben deshalb die nicht ablassende Bemühung, sehenden Auges den Verheerungen der geistigen Überlieferung entgegenzuwirken.

8. Epilog: Blick zurück und Aufgaben für die Zukunft Unser Rundgang ist beendet. Er ist damit nicht abgeschlossen. In der Bundesrepublik Deutschland wäre er überhaupt erst aufzunehmen. Und wie er ausgriff auf die großen Sammelstätten der Nachbarn im Osten, so hätte Vergleichbares im Blick auf den Westen zu geschehen. Ein Buch wenigstens gleichen Umfangs würde zustande kommen, aber eben ein neues. Hier sollte es vorrangig um das Aufspüren ehemals in Königsberg vorhandener DachDrucke in Bibliotheken jenseits von Oder und Neiße gehen. Dieses Kapitel schien uns der Bearbeitung besonders bedürftig zu sein, und für seine Inangriffnahme fühlten wir uns hinlänglich gerüstet nach Jahrzehnten des Reisens. Selbstverständlich aber haben wir auch die großen Häuser im Westen stetig besucht, und das weit über die Grenzen Europas hinaus. Wie viel wäre aus ihnen auch über Simon Dach und den Königsberger Dichterkreis zu berichten! Wie nach Opitz, nach Birken, den Leipziger Dichtern und ›unseren‹ Schäferdichtern haben wir auch nach Dach kontinuierlich Ausschau gehalten. Ein abschließendes knappes Wort mag daher am Platz sein. Dachiana in Berlin Der erste Weg führte seit den frühen sechziger Jahren in die geteilte und zerschlagene Preußische Staatsbibliothek zu Berlin und in ihr stets zu den noch verfügbaren Katalogen, dem alphabetischen Zettelkatalog (der alphabetische Bandkatalog ist verschollen) und dem systematischen – zu großen Teilen erhaltenen – Bandkatalog, diesem in Deutschland einzig dastehenden Zeugnis bibliothekarischer Kultur.532 Der Dach-Einträge waren hier wie dort ungezählte. Unter der Systemstelle ›Yi‹ wurde – und wird – in der Berliner Staatsbibliothek die deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts geführt. Die insgeheim –––––– 532

Verwiesen werden darf nochmals auf das Berlin-Kapitel in der Abhandlung des Verfassers: Der Zweite Weltkrieg und seine bibliothekarischen Spätfolgen. Noch immer geteilte Sammlungen deutscher Literatur in großen historischen Bibliotheken Europas und ihre Restitution als europäische Aufgabe.- In: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 611–663, S. 613–633. Hier auch die einschlägige Literatur.

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um den Titel einer Nationalbibliothek bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts ringende und in ihrer Weise einzigartige Bibliothek war auch auf diesem Gebiet so vollständig wie keine andere Bibliothek auf der Welt sonst. Wie die Geschichte der neulateinischen Lyrik war die der deutschen an den dichten und vielfach lückenlosen Einträgen im alten Realkatalog abzulesen. Die Bibliothek, von ersten Fachleuten geführt, war nicht darauf bedacht, einen Autor bzw. ein Werk nur in einer Auflage zu dokumentieren, so es denn mehrere gab. Jede erschienene Auflage wurde der Verwahrung für würdig befunden, angeschafft und in dem Katalogwerk angezeigt. Lyrische Sammelbände wurden in gesonderten Abteilungen geführt. Von dieser Regel gab es nur eine Ausnahme, wenn sie mit Titeln nur eines Autors bestückt waren. Zu diesen Ausnahmen gehörte Dach. Drei voluminöse Sammelbände waren unter der Signatur Yi 851 eingestellt und später in die Rara-Abteilung überführt worden, daher Yi 851 R. Auch sie waren im Krieg wie fast alle Bücher ausgelagert, haben die Katastrophe – wie die meisten der Abteilung – überstanden und werden heute wohlbehalten in der Abteilung für wertvolle alte Drucke im Stammhaus ›Unter den Linden‹ verwahrt. Zwischen den sechziger und den frühen neunziger Jahren haben wir sie immer wieder im Handschriften-Lesesaal am Potsdamer Platz in den Händen gehabt. Oesterley und Ziesemer geben an, daß die Berliner Bibliothek selbst die Sammlung sukzessive zusammengebracht und dann hätte binden lassen. Das erstere ist ganz unwahrscheinlich. Wer sollte das mühselige Geschäft in der Bibliothek verrichtet haben? Große geschlossene Sammlungen gehen in aller Regel auf Privatpersonen zurück, wie wir ihnen auch auf unserer Wanderung immer wieder begegneten. Gerade die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts ist über große Sammler – an der Spitze figuriert der Freiherr von Meusebach – in die Berliner Bibliothek gelangt. So vermuten wir auch im vorliegenden Fall Einkauf über eine Auktion oder Erwerb einer Privatbibliothek. Damit kommen prinzipiell auch alle die großen Sammlungen in Betracht, die wir eingangs namhaft machten. Wer vermöchte den gegenteiligen Nachweis zu führen, daß es sich beispielsweise nicht um die Pisanskische Dach-Sammlung handelt, die 1791 mit zur Auktion gelangte? Gewiß, sie umfaßte – neben anderem – zwei und nicht drei Bände. Aber wer tritt den Beweis an, daß die alte Bindung erhalten wurde? Dies nur als Marginalie, um anzudeuten, in welche Richtung bei Kollektionen unbekannter Herkunft stets auch zu fragen ist. Hilfe kann, wie so oft, über Benutzerspuren erfolgen. Sie sind auch in den Berliner Bänden nicht nur über Unterstreichungen, sondern auch über gelegentliche Anmerkungen auszumachen. Doch das ist ein eigenes Feld, auf dem der Spezialist für Handschriften von Sammlern, zumal aus dem 18. Jahrhundert, gefragt ist. Heute ist die Sammlung in moderne Halblederbände gefaßt. Immerhin sind die vorgefundenen Zeugen der

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vormaligen Verwahrung im hinteren Deckel eingeklebt: die alten Rückenschilder der Königlichen Bibliothek, eine offensichtlich alte laufende Nummer (Z 10,903) und – besonders kostbar – die alte Systemstelle: Litt VII Germ 3, Poetae Sec. 17. Die Berliner Sammlung ist für uns auch deshalb von besonderem Interesse, weil sie einem anderen Prinzip der Anordnung gehorcht. Sie ist chronologisch angelegt, nicht nach Gattungen wie diejenige des Arletius. Damit kommt das einzig sinnvolle alternative Verfahren zur Anwendung. Es ist mit einigen Unsicherheiten behaftet, gewiß, läßt jedoch das jeweils absolvierte dichterische Pensum und vor allem die Varietät der Veranlassungen, zu denen der Dichter tätig wurde, gut nachvollziehen. Größtmögliche Vollständigkeit ist dann freilich besonders erwünscht. Wie die Sammlung Arletius kennt die Berliner Kollektion eine alte Blattzählung und eine neuere Stückzählung. Demnach umfaßt der Band I – eröffnet mit der besonders wertvollen griechischen Dissertation aus dem Jahr 1633 – 154 Titel und 467 Blatt, der Band II 112 Titel und 377 Blatt und der Band III 121 Titel und 242 Blatt. Der bislang unbekannte Berliner Sammler hat demnach knapp 400 Titel zusammengebracht. Die Fehlstellen? Der Sammler hat sich so gut wie nicht für die unselbständigen Stücke Dachs interessiert oder sie eben nicht aufgefunden, weil sie sich nicht umstandslos mit dem Dachschen Namen verbanden. Darin lag ja die besondere Auszeichnung der Sammlung Arletius, daß ihm auch der Zugriff auf dieses schwieriger auszumachende Sammelgut gelang. Er hat darüber hinaus nur ganz vereinzelt lateinische Verfasserschriften in seinen Besitz gebracht. Die deutschsprachigen bestimmen das Bild fast konkurrenzlos, vermitteln also ein einseitiges. Und er hat nur ganz gelegentlich die gleichfalls lateinischen geistlichen Festdichtungen, wie sie in der Universität vorgetragen wurden, für seine Kollektion gewinnen können. Musikalia finden sich gleichfalls nur ganz spärlich. Man muß sich also, um den ganzen Dach kennenzulernen, weiter umtun, und dazu bietet die Berliner Bibliothek gleichermaßen Anlaß. Wir denken zuerst an die reiche Musikalien-Abteilung mit unikaten Beständen der Königsberger Dichter; an die deutschen wie die neulateinischen Sammelbände, vielfach aus der Sammlung Meusebach herrührend, auch sie selbstverständlich reich an Regiomontana; und, den Radius der Staatsbibliothek überschreitend, an die Zimelien im Preußischen Geheimen Staatsarchiv, aus Sammlungen zumal des Königsberger Staatsarchivs herrührend.533 Mit den drei Sammelbänden und den vielfältigen Annexen verfügt Berlin und zumal –––––– 533

Man vgl. die erste Synopsis bei Klaus Garber: Wertvolle Altdrucke aus Königsberg im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 180), S. 583–612.

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seine Staatsbibliothek immer noch über den reichsten Bestand an DachDrucken auf deutschem Boden. Das ist für ungezählte andere Barockautoren und für die meisten Gattungen des Zeitraums auch sonst der Fall. Der erste Weg führt also auch auf den Spuren Dachs nach Berlin. Wir wollen ihn selbstverständlich nicht mehr betreten. Unser Pensum ist absolviert. Dach in der Bibliothek Kaldenbach und anderwärts Eine weitere Spitzenadresse im Lande ist Tübingen mit seiner ehrwürdigen Universitätsbibliothek. Das wird überraschen, läßt sich aber leicht erklären. 1656 wechselte Christoph Kaldenbach von der Königsberger herüber an die Tübinger Universität, wo er den Lehrstuhl für Rhetorik, Poetik und Historie übernahm.534 Da war die Glanzzeit des Königsberger Dichterkreises bereits überschritten. Wer diese Zeit miterlebt und mitgestaltet hatte wie Kaldenbach und zugleich sammlerischen Neigungen frönte, konnte reiche Ernte halten. Kaldenbach muß diese Chance genutzt haben. Er besaß offenkundig eine gediegene Bibliothek, die er mit nach Tübingen brachte und die an Ort und Stelle dann weiter wuchs. Er hatte zeitgenössischer Gepflogenheit entsprechend Sammelbände in seiner Bibliothek, die mehrfach so gut wie ausschließlich den Königsberger Dichtern und Gelehrten gewidmet waren. Eine ganze Reihe auch Dachscher Texte ist nur über die Sammlung Kaldenbachs in Tübingen bezeugt. Wie es sich aber für einen Gelehrten mit sammlerischen Aspirationen geziemt, ist sein Blickpunkt nicht auf die einstige Stätte des Wirkens beschränkt geblieben. Königsberg stand in lebhaftem Austausch mit Danzig, Elbing, Thorn, darüber hinaus mit Riga, Frankfurt/Oder, Rostock, schließlich mit dem gesamten Ostseeraum. Dieser ist insbesondere mit Blick auf die städtische Trias im Preußen Königlich Polnischen Anteils hervorragend in der Kaldenbachschen Bibliothek repräsentiert. Es dürfte keine Stelle im Westen Deutschlands geben, an der man so reiche Königsbergund speziell Dachbestände antreffen könnte wie in Tübingen. Eine potente gelehrte Gestalt mit weitreichendem Wirkungsradius vermochte hier Ungeahntes. Dach und seinen Freunden ist dieser Umstand glücklich zu Buche geschlagen. Und das um so mehr, als Kaldenbachs Sammlungen geschlossen erhalten blieben und nicht in den Strudel der Vernichtung hineingerissen wurden, wie es das Schicksal so vieler Sammlungen im Osten blieb. Wir könnten so fortfahren, auch wenn es in Deutschland keine dritte Dach-Kollektion vergleichbaren Umfangs gibt wie Berlin und Tübingen sie –––––– 534

Dazu die ergiebige Einleitung von Wilfried Barner in: Christoph Kaldenbach: Auswahl aus dem Werk. Hrsg. von Wilfried Barner.- Tübingen: Niemeyer 1977 (= Neudrucke deutscher Literaturwerke; Sonderreihe 2), S. XI–LII, besonders S. XXVI ff.

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ihr eigen nennen dürfen. Bekannt geworden ist dank Goedeke vor allem der Göttinger Bestand. Er rührt wieder im wesentlichen her von einem einzigen Sammelband, hier Poet. Coll. 168. Goedeke hat ihn ausnahmsweise einmal ausgeschöpft und Dach – mit Oesterley als Gewährsmann im Hintergrund – in den Mittelpunkt gerückt.535 Wie das literarische Kräftefeld ausschaut, in dem ein Dichter wie Dach steht, zeichnet sich auch über einen qualifizierten Einzelband deutlich ab. Selbst die Dichter der ›Ostseeprovinzen‹ Rußlands, also Estlands, Livlands und Kurlands, vermag Goedeke ihm vielfach zu entnehmen. Wie aber wäre der um Vollständigkeit bemühte Bibliograph verfahren, wenn er Kenntnis gehabt hätte von den Sammelbänden, die uns allein bei unserem Rundgang begegneten? Der Versuch, auch das Gelegenheitsgedicht mit zu dokumentieren, war aller Ehren wert, konnte aber nur zu einer ausschnitthaften und eher zufälligen Präsentation führen. Findet sich beispielsweise ein in Dresden verwahrter Titel nachgewiesen? Zumindest nicht, wie sonst so gerne von Goedeke beobachtet, mit Signatur. Aber auch die alte Sächsische Landesbibliothek, heute mit der neugegründeten Universitätsbibliothek fusioniert, barg manchen Druck, der wiederum nur in ihr zu finden war.536 Und das nicht zur Überraschung des Bibliothekshistorikers, gelangten doch über ihre poetisch versierten Bibliothekare schon im 17. und 18. Jahrhundert die bekannten Namen der Kollegen ins Haus. Kurzum – im kulturell und bibliothekarisch so feingegliederten und engmaschigen alten deutschen Sprachraum mit ungezählten sammlerischen Zentren muß immer an verschiedensten Stellen Ausschau gehalten werden. Überraschungen warten überall und häufig an der unvermutetsten Stelle. Dach im Ausland Geht der Blick über Deutschland hinaus, so bevorzugt nach London. Die British Library hat im 19. Jahrhundert genau wie Berlin oder St. Petersburg durch eine systematische Einkaufspolitik die überraschendsten Titel erwerben können. Kleinschrifttum wurde nicht verschmäht, sondern gern mitgenommen. Heute, da es forscherliches Interesse auf sich zieht, steht London daher unter den großen universalen Häusern ganz obenan. Und so auch im Falle Dachs. Seit den sechziger Jahren bestand ein reger Kontakt mit dem Sachwalter der älteren deutschen Literatur in dem einzigartigen Haus, zu –––––– 535

536

Vgl. das Königsberg-Kapitel im dritten Band der zweiten Auflage des Goedeke, das im § 184 (S. 121 ff.) untergebracht ist und fortgesetzt wird mit einem weiteren über Danzig (S. 137 ff.) und schließlich einem über die ›Ostseeprovinzen‹ mit Riga, Reval, Mitau und Dorpat (S. 140 ff.). Im alten alphabetischen Zettelkatalog sind unter dem Namen Dachs immerhin noch elf nachgewiesen.

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David Paisey.537 Er hat den Sammler bukolischer Literatur die Jahrzehnte über beharrlich und in nie ermüdender Freundlichkeit mit Titeln versorgt, immer in Form von handschriftlichen Botschaften, stets von kennerhaften Aperçues begleitet. Der Tag der Ausbreitung dieser Perlen wird kommen. Die Ehrenschuld aber kann nicht abgegolten werden. Enthusiastisch durfte der ständige Besucher des British Museum am Russell Square, wo auch die Bibliothek untergebracht war, bis sie in einen Neubau ausquartiert wurde, daher das Erscheinen des Katalogs der Deutschen Drucke des 17. Jahrhundert, magaziniert in der British Library, begrüßen.538 Er ist das Lebenswerk dieses ebenso großen wie bescheidenen Gelehrten und Bibliothekars und trägt doch nicht einmal seinen Namen auf dem Titelblatt. Hier im ersten Band ist ein Sammelband (C.40.9.6) unbekannter Provenienz mit Dutzenden von Dach-Drucken aufgeführt und in seinen einzelnen Bestandteilen präsentiert. Weit über 100 Titel werden von Paisey aufgeführt. Es handelt sich ganz überwiegend um Trauergedichte. Sie sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – chronologisch angeordnet. Der Zeitraum erstreckt sich von 1638 bis in das Todesjahr Dachs hinein. Die Bibliothek hat einen Sammelband einkaufen können. Er ist wie so häufig von älterer und jüngerer Hand durchgezählt. Die älteren Numerierungen sind vielfach durchgestrichen, weil sie in der neuen Folge funktionslos geworden waren. Es müßte möglich sein, den älteren Schreiber zu ermitteln. Und das um so eher, als die Sequenz mitten in einer laufenden Zählung einsetzt. Das erste Stück trägt – von der jüngeren Hand – die Nummer 159; das letzte die Nr. 284. Entsprechend weist Paisey in seinem Katalog 125 einzelne Nummern aus. Es ging also mit großer Wahrscheinlichkeit ein Band voran, der über–––––– 537

538

Vgl. die ihm gewidmete Festschrift: The German Book 1450–1750. Studies Presented to David L. Paisey in his Retirement. Edited by John L. Flood and William A. Kelly.- London: The British Library 1995. Hier S. 361–365 ein Verzeichnis der Schriften Paiseys. Catalogue of Books Printed in the German-Speaking Countries and of German Books Printed in Other Countries from 1601 to 1700 now in The British Library. Bd. I–V.- London: The British Library 1994. Hier liest man im Vorwort des Jahres 1994: »Our German collections, from all centuries of printing, are extraordinarily rich, and the seventeenth-century holdings, with over 26,000 items, are among the most important outside the German-speaking countries themselves. [...] No German library has so far produced a full catalogue of its seventeenth-century books, so we are happy to be setting an example, as well as providing valuable input into the German national union catalogue of seventeenth-century books which is now in its early stages of compilation.« Das Vorwort endet mit dem Dank an David Paisey und dies nicht zuletzt »for the scholarship he has brought to his work«. Im Vorwort des verdienstvollen Verfassers liest man: »The catalogue has been compiled over more than twenty years, for only the last of which was it my sole library duty«. – Dazu die Anzeige des Verfassers in: Germanistik 36 (1995), Heft 3/4, Nr. 3904.

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wiegend die Hochzeitsgedichte Dachs vereinigt haben dürfte. Wohin mag er gelangt sein? Wieder erhebt sich die Frage, ob der vorhandene wie der zu erschließende Band aus originärem Königsberger Besitz stammen könnten, möglicherweise die zweibändige Sammlung Pisanskis repräsentieren. Wenigstens dieses Rätsel müßte sich über Schriftproben lösen lassen. Wir müssen uns darauf beschränken, den einzuschlagenden Weg anzudeuten. Die Londoner Dach-Kollektion dürfte die größte außerhalb des deutschen Sprachraums sein. Wie immer aber muß der Bibliograph sich weit umgetan haben, um alles Einschlägige zu Gesicht zu bekommen. Beispielsweise in Straßburg. Die alte Stadtbibliothek ist 1870 einem frevelhaften Angriff der preußischen Truppen zum Opfer gefallen. Danach aber spendeten zahlreiche deutsche Bibliotheken, um einen Wiederaufbau zu ermöglichen. So nicht zuletzt die Königsberger Universitätsbibliothek aus ihrem reichen Dubletten-Bestand. Darunter auch Dachiana. Auch die Bodmeriana in Genf, die Königlichen Bibliotheken in Kopenhagen und Stockholm, die Universitätsbibliothek in Uppsala, die Schottische Nationalbibliothek in Edinburgh etc. bergen wertvolle Dach- und Königsberg-Juwelen. Und wer das Glück hatte, die großen amerikanischen Bibliotheken zwischen New York und Los Angeles zu bereisen, in Princeton und Philadelphia, in Cornell, Yale und Harvard, in Washington und Chicago, in Madison und Bloomington, Urbana und Cincinnati, schließlich in Stanford, Berkeley und Santa Monica Station machte, der weiß, wie viel aus dem 17. Jahrhundert und nicht zuletzt aus Königsberg auch sie und andere Häuser bergen. Der sammlerische Auftrag gleichermaßen im Blick auf eine Bibliographie wie auf eine Edition ist ein universaler. Es kann nicht anders sein angesichts rarer Exemplare und häufiger Abweichungen im Druck, von handschriftlichen Beigaben und sonstigen Benutzerspuren gar nicht zu reden. Blick in die Zukunft Womit wir zum Schluß gelangen. Unseren Ausgang hatten wir vor Jahrzehnten mit einem Satz im Kopf begonnen, der geeignet war, traumatische Erfahrungen zu nähren. Der erste Sachkenner und gebürtige Ostpreuße Erich Trunz hatte ihn formuliert. »Dachs Gedichte befanden sich handschriftlich und in Einzeldrucken hauptsächlich in Königsberger und Breslauer Archiven und Bibliotheken (die Königsberger Bestände im 2. Weltkrieg vernichtet).«539 Auch der Neuling auf dem Gebiet der Barockforschung lernte rasch, daß Dichten in der Region stets auch hieß: Verwahrtwerden in der Region. –––––– 539

Vgl. Erich Trunz: Artikel ›Simon Dach‹.- In: MGG, Bd. 15 (1973), Sp. 1681–1683, Sp. 168.

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Wenn also eine Stadt mit ihren Archiven, Bibliotheken, Museen untergegangen war, mußte auch für die Überlieferung der älteren und seltenen Literatur das Schlimmste befürchtet werden. Erich Trunz, hochbetagt 95jährig gestorben und bis zum Ende rege tätig und lebhaft Anteil nehmend, hat die partielle geistige Wiederauferstehung seiner Studienstadt Königsberg noch miterlebt. Das muß ihn mit Freude und Genugtuung erfüllt haben. Und sie ihm bereiten zu können, war eine der vielen beglückenden Erfahrungen, wie sie sich mit der Trauerarbeit verbanden. Wir sind verarmt wie nie zuvor in unserer Geschichte. Dennoch besteht kein Anlaß zu tatenloser Resignation. Genug dichterische Materie ist auch im Falle Dachs und der Königsberger vorhanden, um daraus ein konturenreiches gefestigtes Bild für die Zukunft zu gewinnen. Es wird auf absehbare Zeit kein endgültiges sein können. Und das nicht nur aus Gründen ständigen hermeneutischen Perspektivenwechsels, sondern auch im Blick auf die Fundamentierung angesichts eines weiterhin in Bewegung befindlichen Quellenflusses. An dieser aber fortzuwirken, sollte keine Anstrengung zu mühevoll sein. Der verbleibenden Aufgaben, so viel dürfte deutlich geworden sein, sind viele. Philologische Arbeit beginnt nun einmal mit der Sicherung und Verfügbarmachung von Texten. Auf beiden Feldern sind Fachleute gefordert. Wir haben uns ungezählte Male auf die letzte Bibliographie zu Simon Dach zurückbezogen, herrührend aus der Feder Gerhart Dünnhaupts. Wenn gleichfalls ungezählte Male Anlaß zu Korrekturen bestand, so tut dies der Bewunderung keinen Abbruch angesichts der herkulischen Aufgabe, welcher der Bibliograph sich verschrieben hatte. Im Grunde erwies die gleichermaßen dankbare wie kritische Benutzung, daß es nach den Verwerfungen des bibliothekarischen Systems im Gefolge des Nationalsozialismus zu Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr möglich war, eine Epochenbibliographie über Hunderte von Personalbibliographien zu erstellen. Zu viele Umschichtungen waren zu kalkulieren, zu viele Tücken der Überlieferung zu gewärtigen, zu viele lange Zeit gesicherte Informationen neu zu erheben und den gewandelten Verhältnissen anzupassen. Das mußte die Kräfte eines einzelnen notgedrungen überfordern. Das gleichfalls zu Ende des Jahrhunderts in die Wege geleitete und auf Jahrzehnte ausgelegte Projekt eines elektronischen Verzeichnisses der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts als Segment einer retrospektiven Nationalbibliographie macht deutlich, in welchen Dimensionen hier zu operieren ist.540 Ungezählte Bibliotheken und Stäbe von Bibliothekaren müssen zu–––––– 540

Vgl. zuletzt Thomas Bürger, Ines Wolf: Die Schmelze des barocken Eisberges. Das Verzeichnis der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts [VD 17].- In: BIS. Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen 2 (2009), S. 162–166.

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sammenkommen, um sukzessive ein Werk zu schaffen, dessen Größenordnungen niemand verläßlich bezeichnen und beziffern kann. Und das allein im Blick auf die deutschen Bibliotheken, die es gemäß Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft tragen sollen und entsprechende Förderung erfahren. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, daß die einschlägigen Bibliotheken jenseits der bundesrepublikanischen Grenzen mitbeteiligt werden müssen, wenn anders dem Ziel einer nationalbibliographischen Dokumentation des noch Vorhandenen Genüge getan werden soll. Die deutsche Nationalbibliographie wird in dem Maße wachsen, wie in Europa und in Übersee die historischen Buchbestände elektronisch erschlossen und damit Zuweisungen von Autoren, Sprachen, Druckorten etc. möglich werden. Unsere These, daß ein rundes Drittel der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts außerhalb der Bundesrepublik Deutschland verwahrt wird, sähen wir langfristig gerne verifiziert oder falsifiziert, am liebsten aber numerisch möglichst exakt qualifiziert.541 Für die Bibliographie des 17. Jahrhunderts folgt aus dem Angedeuteten, daß sie eine Chance auf bestmögliche und fehlerfreie Anlage nur in klug kalkulierter Beschränkung haben dürfte. Die bibliographischen Königsdisziplinen bleiben für die Frühe Neuzeit die Verzeichnung von einzelnen Druckorten, Gattungen und Personen. Im vorliegenden Fall geht es folglich um die Schaffung einer neuen Personalbibliographie Simon Dach. Das mag angesichts einer vorliegenden Bibliographie mit rund 1200 Titeln absurd klingen, ist jedoch bei genauerem Hinsehen, wie es uns wiederholt und zumeist nur paradigmatisch abgefordert wurde, ein unabweisbares Desiderat. Auch die Dach-Bibliographie muß angesichts der vielen schon erfolgten und für die Zukunft weiterhin zu erwartenden Funde neu aufgebaut werden. In einer Personalbibliographie aus dem Zeitraum der ersten drei Jahrhunderte des Buchdrucks darf nicht abgerückt werden von dem Ziel, aller Titel, aber eben auch aller Exemplare eines Dichters habhaft zu werden und diese einer vergleichenden Analyse und Beschreibung zuzuführen. Nicht aus Vollständigkeitswahn heraus, sondern um Überlieferungsverhältnisse in ihren diversen Aspekten zu dokumentieren. Für den Bibliophilen und Bibliographen ist es keine Last und auch kein enervierendes Muß, ein jedes überlieferte Exemplar in einer zuallermeist ja nicht eben langen Reihe erhaltener Stücke zu inspizieren und den Wegen seines Geschicks nachzusinnen. In einer Bibliographie sollte daher nicht stumme und mechanische Aufzählung des schließlich allen Fährnissen der Zeit zum Trotz Erhaltenen das letzte Wort haben, –––––– 541

Vgl. Klaus Garber: Schmelze des barocken Eisberges? Eine Zwischenbetrachtung anl. der Studie von Wolfgang Müller: Die Drucke des 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum. Untersuchungen zu ihrer Verzeichnung in einem VD 17.- In: Das alte Buch im alten Europa (Anm. 11), S. 54–90.

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sondern annotierendes und kommentierendes Präsentieren. Und dies mit einem gehörigen Schuß Entdeckerfreude und mit connisseurhaftem Beigeschmack. Die Buchkunde in all ihren Verzweigungen, zu denen nicht zuletzt die Exemplarkunde gehört, kennt ihre eigenen Gesetze. Sie hochzuhalten im Zeitalter des Internet, ist eine Ehrenpflicht. Es ist nicht unsere Absicht, hier am Schlusse in die Diskussion bibliographischer Regularien einzutreten. Mit Gewißheit gilt die alte und bewährte Regel auch fortan, daß eine jede wohlgegründete Edition auf einer ebenso wohlgegründeten Bibliographie zu ruhen hat. Daß auch sie dem Fach in seinen auf das 17. Jahrhundert gewandten Bemühungen für die großen Autoren und also auch für Dach neuerlich abgefordert werden wird, sollte nach dem Vorgetragenen kaum einer weiteren Begründung bedürfen und wird im übrigen hier nicht das erste Mal artikuliert. Die lateinischen Titel Dachs bedürfen erstmals einer vollständigen Sammlung und Herausgabe. Eine zweisprachige Ausgabe wäre der rasch formulierte und doch so schwer einzulösende Wunsch. Erst damit wäre das Werk des so produktiven Dichters, dem Zweisprachigkeit in Übereinkunft mit seinen Zeitgenossen eine Selbstverständlichkeit war, in Gänze überschau- und assimilierbar. Aber auch innerhalb der deutschsprachigen Produktion ist nachzuarbeiten, wie wiederholt von Kollegen und von uns bemerkt. Gesteht man zu, daß der Titelgestaltung im 17. Jahrhundert eine besondere Pflege durch die Autoren, gelegentlich aber auch durch Freunde und Herausgeber, Drucker und Verleger, ja noch von seiten der Adressaten und Widmungsempfänger zukam, so müssen sie in vollem Wortlaut in einer Ausgabe eines Dichters dieses Zeitraums dokumentiert werden. Daß gleiches für Vorreden, auch von seiten anderer Personen, Marginalien, auch von fremder Hand, überhaupt Beigaben aller Art gilt, sollte sich gleichfalls inzwischen von selbst verstehen. Insgesamt ist der Grundsatz zu beachten, daß gerade die kleine und zumeist gelegenheitsbezogene Schrift, von Dach wie von keinem anderen Autor des 17. Jahrhunderts in großer Sorgfalt gepflegt, einlädt auch zur editorischen Präsentation des Kontextes und des Umfeldes, in dem sie steht. Wir haben auf Beobachtungen in dieser Richtung viel Zeit und Raum gewendet. Nur im Einzelfall ist jeweils triftig zu entscheiden, was davon editorisch umzusetzen ist. Normalerweise wird ein arbeitsteiliges Verfahren mit dem Bibliographen erfolgen – auch das ein Argument mehr für die idealtypische Option, Bibliographie und Edition in einer Hand bzw. einem Team zu belassen. Wiederum ist hier nicht der Platz, Prinzipien bzw. mögliche Modelle einer künftigen Dach-Ausgabe zu entwerfen. Entsprechende Winke und Signale sollten dem Vorstehenden zur Genüge zu entnehmen sein. Am Ende eines absolvierten Pensums muß und darf sich auch der Katalog des zukünftig Erwünschten in Grenzen halten.

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Wohl aber ist zu konstatieren, daß diese und andere Aufgaben aus dem Umkreis einer allfälligen Grundlagenforschung im Dienste der Erkenntnis des dichterischen Werkes eines Autors und seiner historischen Situierung stehen. Auch für Simon Dach bleibt die große Monographie, Leben und Werk integrierend, zu schaffen. Lebensbeschreibungen unterliegen anderen Anforderungen als denen, die die Erzähler auch von Dachs Vita bislang beobachteten. In und mit ihnen soll ein Bild des Wirkungsraumes entstehen, in dem das Werk entstand und zirkulierte. Der Kontexte aber sind auch in einer kaum ins Weite ausgreifenden Existenz, wie sie sich mit dem Namen Dachs verbindet, ungezählte. Sie nicht in relativer Eigenständigkeit und Autonomie, sondern in dichtem Konnex mit dem Porträtierten zu entfalten, begründet die Kunst des Biographen. Auch nicht in Umrissen genügt das Vorhandene solchem Anspruch. Doch will es zu denken geben, daß das bislang Förderlichste über eine genaue Textlesung zuwege gebracht wurde. So führen die Wege so oder so zurück zum Werk. Die gediegene Biographie wird sich die Verschränkung von Leben und Werk zur Aufgabe setzen. Für sie gibt es keine vorab zu statuierenden Regeln. Und gäbe es sie, wäre hier wiederum nicht der Ort, über sie zu handeln. Sie wollen in engster Fühlung mit der jeweils zu bewältigenden Aufgabe entwickelt und schreibend vollzogen werden. Eine Opitz-Biographie, uns seit langem beschäftigend, gründend im Späthumanismus um 1600 und beständig ausgreifend auf das konfessionell und politisch aufgewühlte Mitteleuropa, stellt andere Anforderungen an den Biographen als ein im wesentlichen für drei Jahrzehnte im Schatten Königsbergs verlaufendes Leben. Wo dort in der Weite des Raums und der Vielfalt der Kontakte die Fäden zusammenzuhalten sind, wird hier Schicht für Schicht einer städtischen Gemeinde freizulegen und die Bewegung des Dichters im kommunalen Verband nachzuvollziehen sein. Die Aufgabe ist im einen Fall so schwer wie im anderen. Dazu trägt nicht zuletzt bei, daß Schreiben sich allemal im Rahmen eines Jahrhunderte alten und höchst komplexen literarischen Systems abspielt, das jeder individuellen Artikulation seine Impulse vermittelt. Wo anders sollte die Verschränkung von Region und Kontinent, von Königsberg und Europa sinnfälliger in Erscheinung treten als in der tausendfach gebrochenen Koine alteuropäischen Schreibens, wie sie in jedem Gedicht neu sich aktualisiert? Womit ein letzter und nun unverhohlen aktueller Sachverhalt diesem Buche eingeschrieben sein mag. Opitz, Fleming und Dach als drei große Autoren des 17. Jahrhunderts verlangen dem Forscher, schließlich aber auch der Kulturgemeinschaft Aufgaben und Opfer ab. Ihre Bewältigung trägt bei zur Ausformung einer regionalen und nationalen kulturellen Tradition, in der sich immer zugleich europäische Erbschaften geltend machen. Europa

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bleibt angewiesen auf solche den Regionen und Nationen entwachsenen Bilder, weil sie beitragen zu seinem Vermächtnis, das eines der Einheit in der Vielheit und zugleich der Vielfalt in der Einheit ist. Diejenige Nation wird am besten gerüstet sein, welche sich ihres rechtverstandenen nationalen Auftrags als eines immer zugleich europäisch bestimmten versichert hält. Kulturpolitisch kann das nur heißen, Stätten der Forschung zu schaffen, in denen den allfälligen Aufgaben bestmöglich Genüge getan wird. Deutschland verfügt über kein Max-Planck-Institut für Literaturwissenschaft, in dem Arbeiten wie die hier angedeuteten langfristig zur Durchführung gelangen könnten. Unsere Akademien sind finanziell zu dürftig ausgestattet, als daß sie auch nur alle qualitativ als exzellent bewerteten Projektvorhaben tragen könnten. Der Überhang zwischen Erwünschtem und aktuell Realisierbarem ist erschreckend. Unsere Universitäten aber, in denen genügend qualifiziertes Personal in Gestalt junger Nachwuchswissenschaftler vorhanden ist, die in der Lage wären, die Aufgaben anzupacken, leiden unter einer schleichenden und sich kontinuierlich perpetuierenden Auszehrung. Exzellenz-Initiativen können diesen Sachverhalt bestenfalls kaschieren, nicht kurieren. An einer jeden Universität, hinlänglich mit Ressourcen ausgestattet, ist exzellente geisteswissenschaftliche Arbeit durchzuführen, von ausgewiesenen Forschern projektförmig ausgeformt und von jungen Köpfen tatkräftig in die Hand genommen, über deren Elan und Einfallsreichtum zumeist keine zutreffenden Vorstellungen jenseits der akademischen Mauern bestehen. Auch ein Dichter wie Simon Dach wäre in einer solchen Forschergemeinschaft, die überall im Land sich zusammenfinden kann, mit Gewißheit gut aufgehoben. Wann kommt der Zeitpunkt, da die Politiker erkennen, welch kostbares Gut und forscherliches Potential im Lande schlummert, das jene Eliteforschung zu begründen in der Lage ist, die sich nicht herbeireden und verordnen läßt, sondern nur auf gesundem, politisch verantwortlich bestelltem Boden gedeihen kann? Zum Wohle der Geisteswissenschaften als unverächtlichem Zweig geschichtlicher Kultur eines Landes. Zur Rückgewinnung lebendiger Überlieferung. Und nicht zuletzt zur geistigen Ausrüstung Europas, das sein Bestes aus dem unversiegbaren Bestand seiner kulturellen Tradition empfängt.

Personenregister Abraham a Sancta Clara 384 Abschatz, Hans Assmann von 372, 382 Adam, Melchior 25, 72, 73, 121, 123, 129–131

Adam, Wolfgang 4 Adersbach, Andreas 396, 594 Adersbach, Michael 543, 570 Agricola, Adam Christian 572 Agricola, Melchior 90, 131, 135, 149f., 156

Agricola, Michael 131 Albert (geb. Stark), Elisabeth 592 Albert, Heinrich 317, 344, 356, 369, 373f., 381–383, 385f., 396, 398–406, 414, 428, 439–441, 446, 463f., 488, 505, 507, 509, 528, 531, 533, 535, 557–559, 568, 592f., 600, 617 Albertinus, Aegidius 396 Albinius, Georgius (Suffragan von Vilnius) 8 Albrecht von Brandenburg-Ansbach (Herzog von Preußen) 10, 397, 424, 556, 574f.

Aleutner, Tobias 135 Alischer, Sebastian 126 Altof, Kaja 168, 171 Ambrosius, Sebastian 155 Anders, Stefan 4 Andreae, Georg 515 Angelus Silesius 382 Anna von Preußen (Kurfürstin von Brandenburg) 564 Annist, Sirje 173 Annus, Endel 170 Arconatus, Hieronymus 131, 147, 154, 587f.

Arletius, Johann Kaspar 17f., 99, 113, 124, 173, 346, 374–378, 383, 576, 578–591, 593–598, 600, 604f., 607, 610, 614–618, 621 Arletius, Kaspar 578, 585 Arnim, Achim von 381

Arninck (geb. von Schoten), Elisabeth (Elsabe) 193, 195, 303

Arninck, Heinrich 168, 193, 198, 284, 303–306

Arnoldt, Daniel Heinrich 365f., 428 Arp, Ingrid 481 Arpenbeck, Johann 172 Aschenborn, Michael 24, 33, 74, 90 Aubray, Daniel 464 Aubray, David 464 August (Fürst von Anhalt-Plötzkau) 152 Augustus (Oktavian, röm. Kaiser) 53, 56, 92, 96

Aulich, Reinhard 612 Aurifaber, Johann(es) 110 Ausonius 196, 212, 282, 289 Babatius, Joachim 466 Babatius, Johann 569 Bach, Johann Sebastian 494 Baczalski, Johannes Stanislaus 452–454 Baczko, Ludwig von 381 Bagatzko, Johannes von 130 Balde, Jakob 54 Balthasar, Augustin 174f. Barclay, John 205, 283, 582 Barth, Caspar (von) 141, 229, 292, 311f., 343, 547

Barth (verh. Exner), Eva 34, 147 Bartsch, Heinrich d.Ä. 370, 511f., 516 Bartsch, Heinrich d.J. 369f., 373f., 377, 437, 510–512, 516

Bartsch, Jakob 74 Bartsch, Michael 157 Bartsch (geb. Löbel), Regina 369 Baruth, Theodor von 151 Batram, Debora 4 Bavarus, Conrad 142 Bayer, Gottlieb Siegfried 366–368, 477 Baženova, Natal’ja Michajlovna 490 Becker, Hannelore 163 Becker-Cantarino, Barbara 3 Beckher, Daniel 489, 526, 555 Beckmann, Katharina 4 Beckschlager (verh. Schubert), Dorothea 533

Personenregister

632 Behm (Familie) 500 Behm (geb. Pohl), Anna 569 Behm, Christoph 508 Behm (verh. Eiser), Elisabeth 500 Behm, Johannes 489, 500, 503, 507f., 556, 569, 613

Behm, Michael 399, 499f., 507, 565, 569, 611

Behm, Ursula 569 Beinstürtzer, Jeremias 493 Beise, Theodor 179, 303 Benckendorf, Johann 509 Berge, Joachim vom siehe Vom Berge Bergen, Rotger zum siehe Zum Bergen Bergius, Friedrich 138 Bergius, Johannes 466 Bergk, Christoph Georg von 72, 142 Bergk, Johann von 72 Bernegger, Matthias 151f. Bernhard von Clairvaux 242, 296, 315 Bernhardi, Abraham 34 Bernoulli, Eduard 400 Bersmann, Gregor 82 Berting, Alexander J. 171 Bertram, Anton 481 Bērziņa, Ausma 182 Besser, Johann von 362 Bèze (Beza), Théodore de 33, 86, 154f. Bezold, Georg 130 Bibran, Abraham von 120, 122., 137, 157 Bielich, Christoph 149 Bierwolff, Barbara 489 Bikauskienė, Dalia 461 Bion von Smyrna 56 Birken (geb. Weinmann), Clara Catharina von 545 Birken, Sigmund von 343f., 382, 480, 545, 619

Blankenburg, Johann Heinrich von 135 Bläsing, David 428f. Bliudžiutė, Ona 4, 461 Blothner, Wilhelm 33 Blum, Georg 506f. Boccaccio, Giovanni 41 Bocer, Johannes 62 Bock, Friedrich von 88 Bock, Sigismund von 88

Bodenhausen, Wendelin d.J. 466, 470, 504

Bodmer, Johann Jacob 586f. Boec(k)ler, Johann Heinreich 543 Boileau Despréaux, Nicolas 361f. Bolte, Ernst 481f. Bolte, Johannes 172 Böndel (Boendelius), Alhard 199, 284, 304–306

Bongars, Jacques 153 Borck (Geschlecht) 77 Borck von Labes, Friedrich 78, 80, 83 Borckhaus siehe Burgkhaus Borgstedt, Thomas 40 Bork, Achatz von 534 Bork (geb. von Schlieben), Euphrosina von 534 Bornitz, Jakob 147 Bössemesser, Johann 145 Böttcher, Irmgard 7f. Boxhorn, Marcus Zuerius 468–470, 611 Boy, Reinhold 379, 569 Boye, Heinrich 352, 354 Brachmann, Johannes 150 Brandt, Achatius von 544 Brandt (geb. von Eulenburg), Catharina von 531 Braune, Wilhelm 382, 389, 398 Breitinger, Johann Jakob 586 Brentano, Clemens 381 Bretzke, Herbert 574 Breuer, Dieter 606, Brillowski, Anton Heinrich Jakob 439 Brockmann (geb. Temme), Dorothea 169, 307, 331

Brockmann, Reiner 168f., 171, 181, 185f., 199, 284, 304–307, 330f.

Brotze, Johann Christoph 173, 182, 333 Brüggemann, Otto 168, 207, 288, 310, 319

Brunnen, Balthasar von 571 Brunnen, Juliana Charlotta von 571 Buchholtz, Arend 183 Buchner, August 29, 318, 566 Bucquoy, Karl Bonaventura von 91 Bucretius (Rindfleisch), Daniel 83, 122, 133, 135, 140f., 149–151, 155–157.

Personenregister Bulavas, Vladas 459 Burg, Johann Friedrich 578, 580 Burgemeister, Burghard 82 Bürger, Gottfried August 172 Burghaus (Geschlecht) 80, 84f., 87 Burghaus, Franz (Franziskus) von 77, 79f., 84, 88

Burghaus, Niklas August Wilhelm von 588

Burghaus, Nikolaus I. von 84 Burghaus, Nikolaus II. von 77, 84f., 120, 122, 124, 144, 155, 157

Burghaus, Nikolaus III. von 84, 142 Burghaus, Siegismund von d.Ä. 84 Burghaus, Siegismund von d.J. 77, 79, 83–88, 120, 122, 135

Burgsdorff, Konrad Alexander Magnus von 488, 609 Burkard, Georg 42, 65 Büsching, Johann Gustav Gottlieb 381 Bussenius, Henrich 517, 597 Butkevičienė, Birutė 4 Cäcilia Renata von Österreich (Königin von Polen) 446 Caesar (röm. Kaiser) 53, 56 Caesar, Heinrich 518 Calagius, Andreas 131f., 135, 150, 157 Calaminus, Georg 154 Calov(ius), Abraham 525, 569, 610f. Calov(ius), Fabian 517, 609 Calpurnius Siculus, Titus 54, 56 Camerarius, Joachim 59 Camerarius, Ludwig 59 Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von 361f., 384

Cantiuncula, Hilarius 63 Capelli, Rudolf 317f. Casaubon, Isaac 153f. Caselius, Johannes 154 Casseburg, Georg 569 Cats, Jacob 190 Charisius, Elias 24 Charisius (geb. Liebig), Elisabeth 24 Chimarrhäus, Jakob 133, 147, 150, 152 Christian IV. (König von Dänemark) 150 Chytraeus, David 155

633 Chytraeus, Nathan 154f., 157 Cimdarsus, Joachim 525 Cirenberg, Johann 137 Clausbruch (verh. Winter), Katharina 89 Colbe (verh. Schubert), Christine 533 Colbe, Georg d.Ä. 365f., 368, 533, 545 Colbe, Georg d.J. 406, 428, 596 Coler, Jeremias 26, 122f. Coler, Johannes 464 Coler (geb. Müller), Maria 26 Colerus, Christopherus 29, 84f., 99, 121, 126, 343, 357f., 376, 582f., 585, 587f., 618 Concius, Andreas 452, 477f. Concius (geb. Meyenreis), Catharina 477 Conermann, Klaus 99

Conradus, Casparus siehe Cunrad Conradus (Cunradus), Johannes 120, 122 Cordus, Euricius 57f. Corell, Achatius d.Ä. 470 Corvinus, Laurentius 110 Cramer, Johann Christoph 518, 597 Crato von Crafftheim, Johannes 71, 110, 154

Crüger, Anna Catharina 465 Crüger, Johann Bartholomäus 465–467 Crusius, Johann 597 Crusius, Philipp 168, 207, 288, 309f. Cüchler, Elias 34, 135, 151, 156 Cunrad, Caspar d.Ä. 21, 29–32, 71–74, 84, 86, 89, 99, 113, 115, 118, 120f., 123f., 127, 129–130, 132–153, 155– 157 Cunrad, Caspar d.J. 139 Cunrad, Christian 30, 54, 138, 144 Cunrad (geb. Tilesius), Christiana 89 Cunrad, Daniel 30 Cunrad, Johann Heinrich 30f., 76, 99, 117f., 127f., 137f., 142f. Curaeus, Joachim 113 Curtius Rufus, Quintus 565 Czarnecka, Mirosława 98 Czepko, Daniel d.Ä. 156, 357f., 376, 583, 587–589, 618 Czepko, Daniel d.J. 109f., 117, 120

Dach, Christoph 515

Personenregister

634 Dach, Johann 515 Dach (geb. Pohl), Regina 346, 350f., 476, 518, 545, 592

Dach, Simon d.Ä. 163, 317, 337–630 Dach, Simon d.J. 477 Dambrowicz siehe Firlej Danaeus, Lambertus 154 Dante Alighieri 41, 47, 75 Daubmann, Hans 468 Daukša, Mikalojus 11f. Dechant, Heinrich 595 Dechant (verh. Rittershausen), Maria 526 Decimator (verh. Lepner), Brigitte 570 Derschau (verh. Gorlovius), Anna 529 Derschau, Friedrich von 372 Dilger, Simon 517, 574 Ditzel, Ernst 518, 597 Dohna, Abraham von 90, 122 Dönhoff (geb. von Goldstein), Anna Beata von 455 Dönhoff, Friedrich von 538 Dönhoff, Gerhard von 455, 609 Dörffer, Johann 21f., 24, 26, 74, 146 Döring, Daniel 307 Döring (geb. Schwendendörffer), Rosine 322

Dornau (Dornavius), Caspar 20, 22, 24, 25f., 28f., 32, 72, 74, 86, 89, 94, 138, 145–147

Dorothea von Dänemark (Herzogin von Braunschweig-Lüneburg) 500 Dorothea Sibylle von Brandenburg (Herzogin von Liegnitz und Brieg) 24 Dousa, Janus 147, 155 Dreier, Christian 507, 546 Drewes, Gisela 163 Du Bartas, Guillaume de Salluste 190 Dudith, Andreas 132, 154f. Dünnhaupt, Gerhard 8, 167, 180, 327, 346, 351, 368, 403f., 417–421, 446– 451, 465, 473f., 482, 487f., 491, 493f., 501–503, 505, 508, 511–515, 526, 529, 531, 534, 536–538, 540–542, 557f., 560f., 563, 570, 572f., 592, 594, 597–602f., 604, 606f., 611–613, 626 Dyck, Joachim 565, 567 Dyhern, Georg von 155

Eccard, Johannes 344, 405, 428, 456, 462f.

Eckard, Melchior 149, 152 Edzardi, Sebastian 174 Eggerdt, Reinhold von 560 Ehrhardt, Sigismund Justus 17f., 29, 124

Eichorn, Andreas 134 Eifler (geb. Möller), Gertrud 372, 455, 479–481, 533

Eifler, Matthäus 569 Eifler, Michael 479, 508f., 515, 609 Eilard, Christoph 561 Eiser (geb. Behm), Elisabeth 500 Eisinger, Henriette 163 Eitner, Robert 398f., 504 Elisabeth I. (Königin von England) 150 Ellinger, Georg 47, 60 Emmelius, Paul 463 Endemann, Karl Johannes 103 Engel, Hans 405 Ernesti, Hieronymus 557 Ernst, Georg 30 Eschenburg, Johann Joachim 380 Eschenloer, Peter 110 Eskola, Siria 170 Estreicher, Karol Józef Teofil 525 Ettmüller, Johann Erhard 372 Eulenburg (Geschlecht) 530 Eulenburg (verh. von Brandt), Catharina von 531 Eulenburg, Johann Casimir von 528 Eulenburg (verh. von Wallenrodt), Rosina von 496 Exner, Balthasar 21, 24, 28, 31–34, 73f., 89, 120–123, 132, 135, 144–147, 150, 156 Exner (geb. Barth), Eva 34, 147 Ezechiel, Christian 75f., 99, 113–115, 123f., 126, 128, 153, 584f., 587f.

Fabricius, Georg d.J. 151 Fabricius, Johann Albert 128, 174 Fabricius, Vincentius 611 Fahrenheid (verh. Hempel), Anna 545 Fechner, Georg 582 Fechner, Jörg-Ulrich 3, 25f.

Personenregister Feigelmanas, Nojus 4, 13-15 Fellgiebel, Esaias 64 Fersius, Johannes 130 Feyerabend, Johann Albrecht 531 Fibiger, Michael Joseph 122, 127 Fiebinger, Paul 136 Finckelthaus, Gottfried 343 Firlej (geb. Przyjemska), Marianne 24 Firlej (von Dambrowicz), Andreas 24f. Firlej (von Dambrowicz), Johannes 25 Firling, Caspar 135 Fischart, Johann 93 Fischer, Leopold Hermann 398f., 402– 404, 504

Fleischer, Manfred P. 31 Fleming, Paul 54, 159–336, 342f., 358– 361, 363, 372, 380, 382, 384, 386, 388, 395, 529, 589, 604, 629 Florus, Marcus 150 Flottwell, Cölestin Christian 374, 378 Fonne (verh. Grahmann), Elisabeth 172 Forster, Georg 12 Förster, Karl August 382 Forster, Leonard 155 Franck, Melchior 401 Franckenberg, Abraham von 137f. Franckenberg, Siegismund von 150 Franz I. (König von Frankreich) 61 Franzius, Johann 35 Freher, Marquard 25 Freise, Fridrun 520, 522, 543

Friedrich von Brandenburg (Bischof von Magdeburg und Halberstadt) 62 Friedrich I. (König in Preußen) 536 Friedrich II. (König von Preußen) 427 Friedrich III. (Herzog von HolsteinGottorf) 164f., 207, 288, 310 Friedrich IV. (Herzog von Liegnitz und Brieg) 25 Friedrich V. (Kurfürst von der Pfalz, als Friedrich I. König von Böhmen) 33, 90f.

Friedrich Wilhelm (Herzog von Teschen) 145

Friedrich Wilhelm (Kurfürst von Brandenburg) 346, 349, 447, 451, 488, 535–537, 544, 573, 608, 610

635 Friedrich Wilhelm I. (König in Preußen) 426

Friedrich, Carl 30 Friedrich, Johann 30 Friedrich, Johann Christoph 107 Friese, Caspar 24, 35 Friese, Michael 489 Frisch, Johann Leonhard 398 Frischlin, Nicodemus 154 Fröbner, Caspar 613 Froissart, Jean 588 Fuchs, Samuel 564–566, 595 Fuchs, Vinzent 509 Füldener, Johann Jacob 103 Funck, Joachim 91 Funcke, Christian 29 Fürst und Kupferberg, Maximilian Ferdinand von 579 Füßli, Hans Heinrich 381 Gadebusch, Friedrich Konrad 163, 173– 180, 183f., 300, 303, 305, 307, 310– 313, 315, 319f., 321, 332 Gajek, Konrad 97

Gallus, David siehe Hahn Garber, Klaus 42, 327, 334, 339, 490 Gebauer, Christian August 384–386 Gebauer, Eduard 591 Gebhard, Johann 545 Geisler, Andreas 75, 77, 122, 130 Gelhorn, Friedrich von 133f., 140 Gellert, Christian Fürchtegott 385 Georg Friedrich von Brandenburg 535 Georg Rudolf (Herzog von Liegnitz und Brieg) 148, 153 Georg Wilhelm (Kurfürst von Brandenburg) 349, 447, 466, 482, 488, 536f., 543, 608

Georgi, Hieronymus 379 Geraltowsky von Geraltowitz, Joachim 150

Gerhardt, Paul 148, 381f., 385f., 474 Gernand, Johann Casimir 130 Gersdorff (geb. von Landskron), Elisabeth von 26 Gersdorff, Wigand von 26 Gerstmann (Familie) 126

Personenregister

636 Gerstmann, Bartolomaeus 130 Gerstmann, Martin 110, 124 Gervinus, Georg Gottfried 387f. Geyer, M. 167 Giffen, Hubert van (Giphanius, Obertus) 147

Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 384 Glich von Milziz (geb. Steinberg), Anna Maria 74 Glich von Milziz (geb. Wendler), Dorothea 89 Glich von Milziz, Gottfried 89 Göber, Willi 107 Goedeke, Karl 180, 183, 313, 368, 382,

Gruter, Janus 25f., 81, 95, 130, 142, 146f., 151f., 157

Gruttschreiber, Johann von 133 Grynaeus, Johann Jakob 86–89, 155 Gryphius, Andreas 342, 358, 360, 382, 384, 395, 568, 582

Gryphius, Christian 114 Günther, Johann 151 Günther, Johann Christian 382, 586 Gustav Adolf (Herzog von MecklenburgGüstrow) 445 Gustav II. Adolf (König von Schweden) 10, 165f., 169, 186, 492

Guttmann, Moritz Adolf 105, 614, 616

388, 390, 399, 546, 623

Goethe, Johann Wolfgang von 4 Goldmann, Nikolaus 121 Goldstein (verh. von Dönhoff), Anna Beata von 455 Gorlovius (geb. Derschau), Anna 529 Gorlovius, Stephan 513–515, 517, 529f., 597

Gotthard I. (Herzog von Kurland) 470 Gotthold, Friedrich August 397f., 428, 430–432, 434, 439

Gottsched, Johann Christoph 75, 69, 371–375, 377f., 383, 387, 437, 589, 617 Götzke, Georg 547 Grahmann (geb. Fonne), Elisabeth 172 Grahmann (Graman), Hartmann 172, 192, 238, 271–273, 295, 312–314, 318f., 321

Gramann, Johann siehe Poliander Gramberg, Gerhard Anton Hermann 381

Grass, Friedrich Sigismund 128 Greiffenberg, Catharina Regina von 480 Gretsch, Heinrich 156 Groddeck, Gottfried Ernst 12 Grotius, Hugo 205, 212, 289 Grudzień, Mirosław 4, 75 Grunaeus, Simon 126, 130f., 151f., 156f. Grundke, Armin 4 Grünendemwalde, Balthasar von 456, 567, 611

Grünewald, Johannes 16

Hagen, Friedrich Heinrich von der 381 Hagena, Karin 517 Hahn (Gallus), David 200, 285, 305 Halbach (von der Pforten), Daniel 500, 610

Halbach (von der Pforten), Isaac 500, 509 Hancke, Manfred 8 Hanke, Martin 31, 76, 84, 99, 109f., 115– 123

Hanke, Martin 580 Hans, Imke 4 Hänsel, Balthasar 34f. Hänsel, Matthias 578 Hansen, Gotthard von 170–172 Harc, Lucyna 108 Harsdörffer, Georg Philipp 317, 342, 358, 382

Hartknoch, Johann Friedrich 176 Hartmann, Friedrich 526 Haslob, Michael 62 Haunold, Johann 133, 135 Haunold, Nikolaus 135f. Haunold, Peter 135 Haus(ius), Melchior 142, 148, 152 Haussmann, Valentin 463 Hedwig Sophie von Brandenburg (Landgräfin von Hessen-Kassel) 349 Heermann, Johannes 132, 135, 138, 148– 152

Hehn (Familie) 179 Hehn, Johann Martin 179, 321 Heilen, Stephan 4, 164

Personenregister Heinrich IV. (König von Frankreich) 150, 152-154 Heinrich Wenzel (Herzog von Münsterberg-Oels) 132 Heinsius, Daniel 46, 190, 205, 229, 311f. Helk, Vello 86 Hempel (geb. Fahrenheid), Anna 545 Hempel, Christian 545 Hemsing, Rotger 501 Henel von Hennenfeld (geb. Partsch), Anna 89 Henel von Hennenfeld, Nicolaus 21, 27, 30–31, 71–73, 75–77, 80, 84, 86, 89, 99, 109f., 113, 115f., 120–123, 127, 150–154, 157 Henneberg, Bernd 62 Hentschelius, Martinus 33 Herberger, Valerius 149 Herder, Johann Gottfried 380 Hering, Daniel Heinrich 17f., 32 Herman, Johann 504 Hesius, Jacob 33f. Heß, Johannes 110, 120 Hess(en) und Stein, Johann von 136f. Hessus, Helius Eobanus 54–56, 59 Heusler, Andreas 408 Hilka, Alfons 105f. Hilscher, Elias 140 Hintzen, Beate 163 Hippe, Max 142, 144 Hitler, Adolf 182, 619 Hoberg, Christoph von 140, 142 Hoberg, Johann Heinrich von 137 Hoberg, Konrad von 133 Hoeckelshoven, Johannes von 120-123, 131, 135, 152, 156f.

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 583 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian 84, 342, 356–358, 360, 396 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Johann 84 Hoffmann, Christoph 34f. Hoffmann, David 579 Hoffmann, Joachim 131 Hofmann, Johannes 116 Hofmann, Martin 117

637 Hohberg (Geschlecht) 100 Holten (verh. Rütting), Anne von 275, 320

Homburg, Ernst Christoph 382 Homer 139f. Hönicke, Johannes Henrich 529 Hopfer, Thomas 569, 572, 610 Horaz 31, 89, 93, 132, 141, 145, 151, 198, 283, 368

Horn, F.J. 439 Hosmann (verh. Rethel), Abigaele 23f., 28

Hosmann, Joachim 28 Hossmann, Abraham 74 Höveln, Johann von 166 Hucke, Georg 406, 428, 512, 598 Hünefeld, Andreas 534, 598 Hupel, August Wilhelm 176f., 333 Isemer, Nicolaus 74 Jaanson, Ene-Lille 179 Jacob, Herbert 382 Jäger, Johann 157 Jakob (Herzog von Kurland) 349, 527 Jakob I. (König von England) 150 Janich, Heinrich 242, 296, 315f., 318 Jażdżewski, Constantin Clemens 107 Jennicke (geb. Pärs), Elisabeth 482 Jennicke, Thomas 482 Jeroschim, Nicolaus von 408 Jerser, Medea 170 Joachim Sigismund (Markgraf von Brandenburg) 543 Johann Christian (Herzog von Liegnitz und Brieg) 24, 134, 146, 150, 152 Johann Friedrich I. (Kurfürst von Sachsen) 61 Johann Georg von Brandenburg (Herzog von Jägerndorf) 24, 33 Johann Georg I. (Kurfürst von Sachsen) 148

Johann II. Kasimir (König von Polen) 608

Johannis von Cölln 150 John, Johann Sigismund 118, 579 Jungnitz, Christoph 30

Personenregister

638 Junius, Hadrianus 290 Juntke, Fritz 425, 434 Jürgensen, Renate 163 Jürjo, Indrek 333 Justi, Karl Wilhelm 384 Juvenal 368, 612 Kahlert, August 615 Kaldenbach, Christoph 356, 396, 399, 406, 428, 466f., 501, 510–512, 529, 545, 564, 566, 594, 598, 608, 611, 622 Kant, Immanuel 172, 443, 575 Kanter, Johann Jakob 381 Karl V. (röm.-dt. Kaiser) 60 Karl Emil von Brandenburg 536

Karl Friedrich (Herzog von MünsterbergOels) 132 Katharina II. (Zarin von Rußland) 175, 183, 549

Keller, Adelbert von 388, 390 Keller, Andreas 534 Kelscher, Johann 463 Kerck, Gottfried 91 Kilian, Wolfgang Philipp 372 Kirchner, Caspar 122, 126 Kirchner, Julius 180 Kirstenius, Petrus 110, 138 Kittel, Peter 65 Kittkitz, Christoph Baron von 147 Klaj, Johann 61, 382, 456 Klein, Jakob 455, 481 Klementi, Heide 170 Klesch, Daniel 317 Klöker, Martin 164, 323, 334 Klopsch, Christian David 18 Klose, Christian Gottfried 84 Klose, Johann Gottlieb 19 Klose, Samuel Benjamin 31, 99, 107f., 110, 113, 115–118, 123f., 582 Kniper, Johannes 172 Knobloch, Andreas 609 Knutzen, Johann 406, 593, 428 Koberstein, August 388 Koch, Ernst 79 Koch, Stephan 503 Kochtitz, Andreas von 153 Kokts, Juris 182

Kolb(e), Georg siehe Colbe Kolbuszewska, Aniela 98 Köler, Christoph siehe Colerus Komorowski, Manfred 437, 451 Kongehl, Michael 372, 455, 481, 534 König, Bruno 613 König (geb. Vogt), Catharina 613 König, Johann Ulrich (von) 361f. Königseck (Familie) 451 Königseck, Bernhard von 368 Korf, Modest A. 486f. Koschwitz (verh. Melideus), Anna 32 Koschwitz, Jonas Daniel 399 Koschwitz (verh. Melideus), Ursula 32 Köster, Albert 408 Kottwitz, Fabian von 151 Kottwitz, Johann Fabian von 26 Kottwitz, Leonhard von 151 Kottwitz, Sebastian von 151 Kotyńska, Edyta 98 Kranichfeld, Heinrich 61 Krantz, Gottlob 578, 580 Krause, Friedlinde 457 Kreckwitz (geb. von Landskron), Anna von 26 Kreckwitz, Christoph von 87 Kreckwitz, Friedrich von 26, 120, 122 Kretzschmar, Hermann 400f. Kreytzen (Familie) 451 Kreytzen (geb. Pfuhl), Anna Catharina von 530 Kreytzen, Wolff von 531, 608 Kroker, Ernst 373f. Krollmann, Christian 436f. Krüger, Johann Bartholomäus 569 Krüger, Peter 138 Krupina, Olga 443 Kühlmann, Wilhelm 4, 20, 72f., 144, 163, 564

Kuhn, Justina 569 Kuhnert, Ernst 429, 438, 443 Kulcsár, Péter 74 Kundmann, Johann Christian 19 Kürschner, Joseph 389f., 395 Kurz, Heinrich 387f. Lamberg, Abraham 79

Personenregister Land, Julius 135 Landskron (Geschlecht) 26 Landskron (verh. von Kreckwitz), Anna von 26 Landskron (verh. von Gersdorff), Elisabeth von 26 Landskron, Johannes von 25 Lang, Gregor 463 Langenau, Johann Georg von 150 Langerfeld, Reinhold 606 Lappenberg, Johann Martin 167–169, 180f., 290f., 300, 302f., 305, 310–312, 315, 317–319, 321 Latermann, Johann 530 Lauban, Melchior 29, 121f., 134, 151, 157 Laufhütte, Hartmut 4, 75 Laul, Endel 170 Lauson, Johann Friedrich 439 Lehmann, Daniel 477 Lehndorff, Botho von 468 Lehndorff, Sebastian Dietrich von 492 Lelewel, Joachim 13 Lemnius, Simon 61 Lenz, Jakob Michael Reinhold 173 Lenz, Rudolf 595 Lenz, Wilhelm 172 Leopold I. (röm.-dt. Kaiser) 177 Lepajõe, Marju 168, 178 Lepner (geb. Decimator), Brigitte 570 Lepner, Urban 570 Lessing, Gotthold Ephraim 380 Leszczyński, Andrzej 33f. Leszczyński, Rafał 33f., 85 Leszczyński, Wenzel 85 Leuschner, Johann Christian 31, 118 Liebig, Adam 19, 24 Liebig (verh. Charisius), Elisabeth 24 Lindner, Kaspar Gottlieb 584f. Linemann, Albert 399, 515, 528, 559, 611 Lipsius, Justus 155 Löbel (verh. Bartsch), Regina 369 Lobwasser, Ambrosius 317 Loelhoefel, Andreas 474 Loewe, Viktor 18, 104 Logau, Friedrich von 382, 384, 395, 398

639 Lohen, Christoph von 501 Lohenstein, Daniel Casper von 358, 360, 582

Lohmeier, Dieter 536, 558 Lökkös, Antal 82 Lopez de Haro, David 468 Löser, Johannes 83 Loth(us), Georg 504, 597 Lotichius Secundus, Petrus 62f. Louise Henriette von Nassau-Oranien (Kurfürstin von Brandenburg) 349, 533, 604

Löwenstern, Matthäus Apelles von 120, 122f., 358, 376 Lucae, Friedrich 19 Lucas, Ludwig 440 Ludovicus, Laurentius 156 Ludovicus, Nicolaus 130, 156 Ludwig II. (König von Ungarn und Böhmen) 153 Luise Charlotte von Brandenburg (Herzogin von Kurland) 349, 527 Luther, Martin 62, 148 Mahlke, Regina 82 Major, Daniel 358 Major, Elias 113, 138, 582 Major, Johannes 62 Malapertius, Carolus 419, 605f. Maltzahn, Wendelin von 391, 537 Manutius, Aldus 9 Marcinkevičius, Juozas 4, 461, 482 Maria Eleonora von Brandenburg (Königin von Schweden) 168 Maria Eleonore von Jülich-Kleve-Berg (Herzogin von Preußen) 525 Marino, Giambattista 361 Markgraf, Hermann 76, 105f., 108f., 115–119, 121f., 125f., 587f.

Marschall, Veronika 139, 142 Marti, Hanspeter 563 Martial 283 Martin, Gregor 130 Masius, Johann 569f. Matern, Valentin 133 Matthäi, Konrad 406, 428, 538, 598 Mattheson, Johann 318

Personenregister

640 Matthiae (geb. Niehus), Elisabeth (Elsabe) 171, 185

Matthiae, Salomon 171, 185f. Matthias (röm.-dt. Kaiser) 90, 143, 146, 148

Matthisson, Friedrich von 381 Maurach, Gregor 4 Maxius, David 199, 284 Mažvydas, Martynas 11 Meckelburg, Friedrich Adolf 391, 440 Meckelnborg, Christina 85, 113 Meibohm, Heinrich 155 Meid, Volker 72, 328 Meier, Balthasar 610 Meissner, Rudolf 408 Meißner, Zacharias 531 Melanchthon, Philipp 62, 103 Melideus (geb. Koschwitz), Anna 32 Melideus, Jonas 24, 32f., 35, 74, 147 Melideus (geb. Koschwitz), Ursula 32 Melissus Schede siehe Schede Melissus Melle, Aja 182 Menke, Astrid 4 Mense, Pascha 403f., 470, 558 Merkelbach, Reinhold 49 Metzeradt, Caspar von 73, 131, 142 Meusebach, Karl Hartwig Gregor von 64, 620

Mevius (verh. Paisen), Anna 473 Meyenreis (verh. Concius), Catharina 477

Meyenreis, Johann 477 Meyer, Heinrich 534 Mickiewicz, Adam 14 Micraelius, Johann 547 Milkau, Fritz 389 Mochinger, Heinrich 156 Mochinger, Johann(es) 138, 565–567 Moibanus, Ambrosius 110 Moldenhauer, Johann Heinrich Daniel 469, 471, 499

Möller, Agnes 569 Möller, Friedrich 559 Möller (verh. Eifler), Gertrud 372, 455, 479–481, 533

Moller, Martin 34 Moller (geb. Ritter), Sophie 34

Mollyn, Nicolaus 183, 335 Monau (Monavius), Jacob 83, 110, 115, 120f., 130, 132–134, 140, 147, 154f., 157 Monavius, Peter 120–122, 154f. Montfort, Gertrud 502 Morhof, Daniel Georg 356, 358–360, 382

Moritz (Landgraf von Hessen-Kassel) 148, 152

Mosenberg, Gregorius 118 Moser, Hans Joachim 400f., 405 Mrozowicz, Wojciech 76, 121f., 618 Mühlheim, Johann von 133 Mühlpfort, Heinrich 358 Müller (verh. Paulsen), Elisabeth 232, 237, 241, 295, 312–314

Müller, Johann 186 Müller, Joseph 391, 398, 425, 430–433 Müller (verh. Olearius), Katharina 185 Müller (verh. Coler), Maria 26 Müller, Peter 478 Müller, Stephan 506, 557, 609 Müller, Wilhelm 382f. Müller-Blattau, Joseph 404–406, 409, 425, 427–430, 433, 435, 469, 487

Müllner von Mühlhausen, Johann 155 Mundt, Lothar 4, 59, 61, 563 Mützschefahl, Karl Friedrich Christian von 588 Myhmer, Elias 515 Mylius, Georg d.Ä. 500 Mylius, Georg d.J. 386, 399, 466, 596 Mylius, Martin 134f., 156 Mylius, Michael 477, 545, 594 Myslenta, Coelestin(us) 489, 503, 507, 555, 569

Nadler, Josef 408 Nagel, Olev 178 Namsler (Familie) 126 Napiersky, Karl Eduard 168, 174, 179f., 185, 303

Napoleon I. Bonaparte (Kaiser von Frankreich) 14 Naudé, Petrus 122 Nauwach, Johann 401 Nauwerk (verh. Pöpping), Anna 512

Personenregister Neander, Christoph 135 Nemesian 54 Nentwig, Heinrich 103 Neomenius, Johannes 28f., 84, 120, 152 Nettelbladt, Christian 174f. Neugebauer, Salomon 25 Neukirch, Benjamin 356, 360f., 378 Neumark, Georg 534 Neumeister, Erdmann 356f., 361, 377 Neuschilling, Elisabeth 501 Neuschilling, Georg 501, 602 Neuschilling, Hieronymus 501 Niebelschütz, Siegismund von 131 Niehus (Familie) 242, 296 Niehus, Anna 342 Niehus (verh. Matthiae), Elisabeth (Elsabe) 171, 185, 342 Niehus (Nihusius), Johann 168f. Niemitz, Konrad von 137 Nietzsche, Friedrich 51 Nigrinus, Balthasar 150 Nimptsch, Johann Christian 579 Noss von Grabau, Konrad 568 Nostitz, Johann von 26, 131, 134, 150, 155

Nostitz, Johann Ernst von 137 Nostitz, Otto Konrad von 152 Noviomagus, Christian 86 Nüßler, Bernhard Wilhelm 32, 63, 120, 126, 138

Oelhafen von Schöllenbach, Christoph 136, 142

Oelhafen, Peter 529 Oesterley, Hermann 379, 389–393, 395f., 406f., 410–412, 414–416, 419, 425, 438, 440f., 446–449, 451, 453f., 465, 467, 473f., 477f., 481f., 487, 503, 508, 512, 515f., 526, 535–537, 540, 561, 570, 573, 592, 595, 599–602, 605, 613–618, 620, 623

Oeynhausen (verh. Rappe), Magdalena 456

Oktavian siehe Augustus Olearius, Adam 165f., 169, 172, 185f., 237, 302, 313, 382, 395

Olearius (geb. Müller), Katharina 185

641 Olevian, Ludwig 130 Ölssen, Dieterich von 467 Ölssen (geb. Truchsess von Wetzhausen), Catharina Susanna von 467 Opitz (Familie) 126 Opitz, Martin 1–157, 161–163, 169, 190, 198, 205, 223, 283, 317, 342f., 345, 347, 357, 359–363, 371–373, 375f., 380, 382, 384, 387, 395, 411, 465, 495, 567f., 582–589, 594, 604, 609, 618f., 629 Ordtmann, Georg 34f. Ortelius, Abraham 155 Ostenius, Georg 130 Osterberger, Georg 463, 470, 481, 525, 543 Ostermeyer, Gottfried 425 Ostroróg (Geschlecht) 15 Ostroróg, Sędziwój (Sendivogius) von 16, 33 Ottho, Andreas 514 Ovid 368

Pabst, Eduard 169, 300, 321 Paisen (geb. Mevius), Anna 473 Paisen, Erich 473 Paisey, David L. 25, 517, 624 Pantke, Adam Bernhard 579 Pareus, David 30, 80, 89 Pareus, Johann Philipp 130, 147 Paritius, Abraham 90 Paritius, Christian Friedrich 16f., 99, 112–115, 118, 120, 124–126

Paritius, Johann 156 Parlovius, Martin 77 Pärs (verh. Jennicke), Elisabeth 482 Parsow, Tessen von 77, 88 Partsch (verh. Henel von Hennenfeld), Anna 89 Paschou, Ioanna 57f. Pastorius, Joachim 566, 608 Paulli, Johann Ulrich 174 Paulsen (geb. Müller), Elisabeth 232, 237, 241, 295, 312–314

Paulsen, Michael 232, 237, 312 Peep, Laine 178 Pelargus, Christoph 152

Personenregister

642 Pelargus, Nikolaus 135 Petrarca, Francesco 40f., 361 Petzholdt, Julius 181 Peucer, Caspar 130, 155 Pflugk, Andreas 77–79, 83 Pflugk, Christoph 77f., 83, 87f. Pfuhl (verh. von Kreytzen), Anna Catharina 530 Philipp I. (Landgraf von Hessen) 56 Piasten (Dynastie) 143, 146 Pichler, Sigismund 597, 609 Pietrzak, Ewa 4 Pietsch, Johann Valentin 371f., 562 Pijola, Sarmīte 178 Pirożyński, Jan 307, 548 Pisanski, Georg Christoph 365, 379, 440 Pischel (geb. Rumbaum), Catharina 35 Pischel, Matthaeus 35 Pitiscus, Bartholomäus 30, 130 Plautus 87 Plavius, Johannes 343 Pohl (verh. Behm), Anna 569 Pohl, Christoph 598 Pohl, Gottfried 578 Pohl (verh. Dach), Regina 346, 350f., 476, 518, 545, 592

Pöhmer (Poemerus), Georg Wilhelm 202, 204, 286f., 306–308

Poliander (Gramann, Johann) 370 Polikein, Christian 367 Polus, Christine 187, 281, 300 Polus, Timotheus 168, 171, 186f., 190, 192, 197, 281, 283, 300–302, 304–307

Poppel von Lobkowitz, Adalbert 134 Pöpping (geb. Nauwerk), Anna 512 Pöpping, Catharina 507 Pöpping, Friedrich 489, 507, 512 Portus, Aemilius Franziskus 155 Portus, Franciscus 155 Posthius, Johannes 95, 154 Potocki, Johannes von 130 Potocki, Nikolaus von 130 Praesent, Hans 181 Praetorius, Michael 401 Preiss, Christoph 33 Prinsen, Katja 4 Promnitz, Abraham von 134

Promnitz, Balthasar von 120 Przyjemska (verh. Firlej), Marianne 24 Pudewels, Ludwig Wilhelm von 531 Pudewels, Otto Wilhelm von 542 Puschmann, Adam 581 Putkamer (Tochter) 611 Pyritz, Hans 8 Quandt, Johann Jakob 511 Quelwitius, Jakob 78 Rädle, Fidel 4 Rambach, August Jakob 385 Rambau, Georg 151 Rantzau, Heinrich von 155 Rappe, Christoph 530 Rappe, Ernst 535 Rappe (geb. Oeynhausen), Magdalena 456

Rassmann, Friedrich 383f. Rauschke, Georg von 531, 540 Rauschke, Johann Albert von 499, 531 Rechenberg, Melchior von 72, 145 Recke, Johann Friedrich von 174, 179f., 184f.

Rehefeld, Elias 315 Reich, Jacob 455, 564 Reichard, Johann Benedict 474 Reichel, Karl Siegismund von 140 Reichel, Servatius 133, 136 Reicke, Rudolf 391, 575 Reimann, Christoph 477, 545, 567, 594 Reimarus, Hermann Samuel 174 Reimer, Christian 514 Reimer, Elisabeth 569 Reimer, Matthäus 503, 557 Reinhold, Hugo 433 Rethel (geb. Hosmann), Abigaele 23f., 28

Rethel, Heinrich 23, 28–30, 37f. Reusner, Friedrich 345, 496, 591 Reusner, Johann(es) 454, 470f., 482, 492, 496, 516, 525, 533, 544, 555, 594, 597, 606 Reusner, Nicolaus 154 Rhediger (Geschlecht) 71, 110 Rhediger, Ernst-Friedrich von 151

Personenregister Rhediger, Nikolaus II. von 154f. Rhediger, Nikolaus III. von 131f., 134, 151–153, 157

Rhediger, Wilhelm von 151 Rhenisch, David 136 Rhete, Georg d.J. 463, 470, 568 Ribau, Lorenz 560 Riccio, Theodor 456, 463 Riccius, Adam 546, 555f., 597 Richey, Michael 174, 177, 318 Richter, Johann Georg 254, 316f. Richter, Martin 29 Richter, Optatus Wilhelm Leopold 439 Rieter, Crispin 130 Rindfleisch (Familie) 110 Rindfleisch, Daniel siehe Bucretius Ringwaldt, Bartholomäus 385 Rist, Johann 342f., 358f., 363, 382, 589 Ritter (verh. Moller), Sophie 34 Rittershausen, Konrad 89 Rittershausen (geb. Dechant), Maria 526 Rittershausen, Nicolaus 526 Rixinger, Daniel 151 Robert, Kyra 170, 335 Roberthin, Robert 368, 381–383, 386, 396, 399, 441, 476, 499, 504–506, 516, 546, 596, 598, 611 Rödiger, Johannes 431 Roethe, Gustav 408f. Rohde, Albrecht 539 Rohde, Erwin 49 Rohlfs, Hartmut 163 Röling, Johann 359, 371, 378, 381, 390, 396, 455 Rompler von Löwenhalt, Jesaias 344, 589 Rosa von Rosenigk, Reinhard 120, 122, 137 Rosa, Petrus 122 Rosaeus, Hieronymus 122 Rosaeus, Sigismund 24, 34f. Rosenbaum, Alfred 382 Rösenkirch, Regina 488 Rössler, Christoph 84 Roth, Hieronymus 574

Rothkirch und Panthenau, Friedrich von 151

643 Rothkirch und Panthenau, Wenzel von 151, 153

Rötzscher, Karl Gustav 579 Rubensohn, Max 64 Rudolf II. (röm.-dt. Kaiser) 132, 143, 148, 150, 152

Rüeger, Johann Jakob 87f. Rüffler, Alfred 105 Rumbaum (verh. Pischel), Catharina 35 Rumbaum, Georg 35 Runge, Gottfried 578f. Rütting, Andres 275, 320 Rütting (geb. von Holten), Anne 275, 320

Sabinus, Georg 62, 370 Sachs, Hans 362, 581 Sagittarius, Thomas 110 Saltzsieder, Matthias 24, 34 Sambucus, Johannes 154 Samson, Hermann 166 Sand (geb. Winnenfennig), Anna 598 Sand, Johann 399, 514, 565, 598 Sandeck, Abraham 136 Sanden, Bernhard von 481, 597 Sannazaro, Jacopo 92, 190 Sappho 43 Sartorius, Andreas 149 Sartorius, Nikolaus siehe Schneider Saurma, Konrad von 134 Saurma, Leuthold von 137 Saurma, Sebald von 133, 135, 155 Saveljeva, Elena Alekseevna 490 Sayn-Wittgenstein, Alexander von 384 Scacchi, Marco 504 Scaliger, Joseph Justus 147, 155 Schaevius, Henricus 547 Schäfer, Eckart 4, 57 Scharff (geb. Schimmelpfennig), Regina 449, 540

Scharff, Sigismund 540 Schede Melissus, Paul 80–82, 85, 95, 147, 154f.

Scheibel, Johann Ephraim 17, 141f., 578, 584–588, 591

Schein, Johann Hermann 401 Scherer, Wilhelm 388

Personenregister

644 Schickfuß, David 157 Schickfuß, Jakob 84, 113, 122, 147, 149f., 151f., 156

Schickfuß, Johann Christoph 138 Schilling, Martin 155 Schimmelpfennig (geb. Weinbeer), Anna 560

Schimmelpfennig, Johann 517 Schimmelpfennig (verw. Scharff), Regina 449, 540

Schindler, Caspar Theophil 30f., 142 Schlavicius, Johannes 546 Schlawe, Karl 17 Schleich, Clemens 464 Schlieben, Albrecht von 492 Schlieben (geb. von Truchsess von Wetzhausen), Elisabeth von 492 Schlieben (verh. von Bork), Euphrosina von 534 Schlieben, Johann Friedrich von 597 Schmid, Michael 34, 74 Schmidt, Erich 408 Schmidt, Klamer Eberhard Karl 384 Schmiedt, Antonius 29 Schmolck, Benjamin 152 Schneeweiss, Ambrosius 33f., 91 Schneeweiss (geb. Willer), Anna 34 Schneeweiss, Gottfried 24, 34, 74 Schneeweiss, Gregorius 34 Schneider (Sartorius), Nikolaus 74, 133, 135, 157

Schneider, Bernd 4, 85, 113 Schneuber, Johann Matthias 344 Schoenborn, Carl 106 Scholtz, Christoph 149 Scholtz, Hieronymus 18, 119 Scholtz, Johannes 149 Scholtz, Laurentius 81, 132 Schönaich (Geschlecht) 16, 18, 25 Schönaich, Georg von 17f., 22, 25f., 30, 33–35, 73f., 89, 122f., 131f., 134, 142–145, 148 Schönaich, Johann von 26, 33 Schönaich, Johann Georg von 26, 28, 34 Schönaich, Sebastian von 20, 134 Schönborner, Georg von 153, 568

Schönburg (Geschlecht) 219f., 294, 330

Schönburg, Agnes von 219, 221, 228, 294f.

Schönburg, Christian von 212, 219–221, 228, 288, 294, 311

Schönburg, Hugo II. von 227 Schönburg, Maria Juliana von 212, 289 Schönburg, Wolf III. von 227 Schönfeld, Erhard 364 Schoppe, Kaspar 86f. Schosser, Friedrich 26, 34 Schosser, Johannes 62, 154 Schoten (verh. Arninck), Elisabeth (Elsabe) von 193, 195, 303 Schottel(ius), Justus Georg 382 Schramm, Thomas 142, 157 Schreiber, Georg 557 Schröder, Gerhard 183, 335 Schröder, Hans 180, 303 Schubert (geb. Colbe), Christine 533 Schubert, Dietmar 327, 329 Schubert (geb. Beckschlager), Dorothea 533

Schubert, Gregor 533 Schulz-Behrend, George 3, 6, 17, 63–65, 74, 139, 142, 162

Schummel, Johann Gottlieb 118 Schürer, Maria 169 Schütz, Heinrich 404 Schwartz (Familie) 183 Schwartz, Johann Christoph d.Ä. 175f., 183–185, 321, 323

Schwartz, Johann Christoph d.J. 183 Schwartzbach, Christoph 74 Schweitzer, Friedrich 406 Schwenckenbecher, Günther 428 Schwendendörffer (verh. Döring), Rosine 322

Schwenke, Paul 181, 431f. Schwerin, Otto von 609 Scultetus, Abraham 30, 32f., 122, 130 Scultetus, Abraham 380, 382, 571 Scultetus, Andreas 110 Scultetus (geb. Treutler von Kroschwitz), Catharina 89, 134, 143, 146 Scultetus, Hieronymus Kaspar 73f., 146

Personenregister

645

Scultetus, Joachim 33 Scultetus (von Schwanensee und Bregoschitz), Tobias 3, 21, 24, 26,

Spee, Friedrich von 54 Sperberg-McQueen, Marian R. 167, 172,

32f., 63, 66, 72–75, 77–91, 94–96, 113, 115, 120, 122f., 128, 132–136, 141–148, 152f., 155, 157 Scultetus, Tobias (aus Reichenbach) 77, 86, 113 Sebastiani, Johann 428, 530 Sebisch, Albrecht von 579 Sebisch, Georg 132 Sebisch, Melchior 121–123, 152 Segebade, Lorenz 467, 470, 496, 594, 612 Seidel (verh. Vogt), Elisabeth 614 Seidel, Robert 4, 21, 29, 42, 65 75, 89, 139, 142, 568 Seiler (Familie) 126 Seiler, Abraham 121 Selle, Thomas 401 Seneca 368, 513, 612 Senftleben (Familie) 126 Senftleben, Andreas 126 Senftleben, Valentin 120, 122 Senitz, Heinrich von 134 Senitz, Melchior von 150f. Seraphim, August 575 Seuberlich, Erich 334 Sidney, Philip 190 Sievers, Eduard 408

Spychała, Lesław 102 Stange und Stonsdorf, Adam von 150 Stange und Stonsdorf, Heinrich von 120,

Sigismund II. August (König von Polen) 8

Sigismund III. Wasa (König von Polen) 150

Sinkevičius, Klemensas 459 Širvydas, Konstantinas 10f. Siwicki, Dominicus 15f., 23 Skrodzky, Matthias Stanislaus 452–454 Skura, Adam 4, 23 Smesmann, Abraham 81 Smetius, Henricus 157 Smuglevičius, Pranciškus 5, 14 Solms, Heinrich von 91 Solms, Philipp von 91 Sommer, Anton F.W. 62 Sommersberg, Friedrich Wilhelm von 579

305, 327, 330

122, 137, 149

Stark (verh. Albert), Elisabeth 592 Stephan Báthory (König von Polen) 13 Steinberg (Familie) 74 Steinberg (verh. Glich von Milziz), Anna Maria 74 Steinberg, Johann 74 Steinberg, Melchior 74, 122 Steinberg, Nikolaus 110, 122 Steinberger, Caspar 24, 34f. Steinmann, Martin 82, 88 Stenzel, Gustav Adolf 20 Stenzler, Laurentius 174f. Steponaitienė, Jolita 460 Stesichoros 49 Stieff, Carl Benjamin 580 Stieff, Johann Ernst 580 Stigel, Johann 60, 62 Stobaeus, Johann 344, 404–406, 428, 456, 462–464, 466, 499, 504, 560, 596, 605, 611 Stolzenberg, Ingeborg 82 Straßburg, Johann Georg 574 Streit, Karl Konrad 118 Strutyńska, Maria 521–524, 541 Sturm, Johannes 154f. Stuter, Arnold 78 Széll, Ute 163 Szyrocki, Marian 7f., 97, 161f.

Talwenzel (Talvencelius), Daniel 130 Tartzsch, Christoph 514 Tasso, Bernardo 190 Tasso, Torquato 190 Taube, Meta 182f. Taubmann, Friedrich 74, 150, 152 Telemann, Georg Philipp 318 Temme (verh. Brockmann), Dorothea 169, 307, 331

Tering, Arvo 178f. Teucher, Jacob 565

Personenregister

646 Teuffel (verh. von Wallenrodt), Catharina Dorothea von 456 Textor, Johannes Ravisius 221, 295 Thebesius, Georg 124, 126 Theokrit 50f., 53, 56, 59, 63, 92f., 96 Thilo, Valentin (Dr. jur. utr.) 130 Thilo, Valentin 350, 364, 371, 385f., 399,

Tscherning (Familie) 126 Tscherning, Andreas 30, 120f., 343, 357–

445–448, 450f., 465, 474, 476, 504f., 535, 544, 555, 557, 562, 564–568, 572f., 609, 611 Thomas von Kempen 425 Thomas, Johann George 20, 103f. Thou, Jacques-Auguste de 147, 153, 205 Throntke, Michael 508 Tieffenbrock, Röttger von 508, 516 Tilesius (verh. Cunrad), Christiana 89 Tilesius, Melchior 130, 151 Tilesius, Nathanael 141, 151f. Timaeus, Johannes 150 Timmermann, Joachim 610 Tinctorius, Christoph 449, 489, 566, 569, 572, 596, 610f. Tittmann, Julius 382, 388, 390 Titz, Johann Peter 358, 381, 386, 398f., 525, 534, 546, 594, 598 Titz, Peter 24, 30, 89 Tossanus, Daniel d.Ä. 80 Tragner, Johannes 569

Ulrich, Sebastian 78 Ursinus, Zacharias 130, 155 Usbecius, Matthaeus 154 Usteri, Leonhard 173 Utenhove, Karl van 83, 155

Treutler von Kroschwitz (verh. Scultetus), Catharina 89, 134, 143, 146 Treutler von Kroschwitz, Hieronymus 89, 122, 131, 134

Tribell, Gregor 155 Triller, Daniel Wilhelm 583, 586f. Trojens, Anna 515 Truchsess von Wetzhausen (verh. von Ölssen), Catharina Susanna von 467 Truchsess von Wetzhausen (verh. von Schlieben), Elisabeth 492 Truchsess von Wetzhausen, Hans 535 Truchsess von Wetzhausen, Martin Sigismund 537 Truchsess von Wetzhausen, Wolfgang Friedrich 531 Truchzeu(?), Martin Sigismund 489 Trunz, Erich 7f., 339, 625f. Tschammer, Abraham von 150

360, 362, 372, 376, 380, 382, 530, 582f., 587f. Tschesch, Johann Theodor von 157 Tumelis, Juozas 4, 459f.

Vanselow, Otto 425 Vechner, Daniel 130, 138, 151, 157 Vechner, David 29 Vechner, Georg 26, 29f., 35, 138, 145f., 154

Vergil 51–54, 56, 63, 91–96, 139f. Vetter, Friedrich 467 Viljus, Anne 170 Vilks, Andris 185 Vincentius, Petrus 110, 117, 120, 154f. Vögelin, Philipp Ernst 130f. Vogt (verh. König), Catharina 613 Vogt (geb. Seidel), Elisabeth 614 Vogt, Thomas 379, 614 Voidius (Voigt), Balthasar 476, 545, 559, 567, 594, 609, 611

Voigtländer, Gabriel 440, 464 Volger, Ernst 109–112, 115f., 118 Voltz, Nikolaus 134 Vom Berge, Joachim 155 Vredeveld, Harry 54f. Vulpius, Heinrich 168, 186, 197, 282, 304f.

Wachler, Ludwig 388 Wacholt, Laurentius 77 Wacker von Wackenfels, Johann Matthäus 22, 87, 132, 153f. Waldau und Schwanwitz, Wolfgang von 134

Waldeck, Wolrad von 133 Waldkirch, Konrad von 133 Wallenrodt (Geschlecht) 424, 428, 456, 471, 500, 505, 512, 526, 540

Personenregister Wallenrodt (geb. von Teuffel), Catharina Dorothea von 456 Wallenrodt, Ernst von 445, 454, 465, 467, 469–471, 481, 498–500

Wallenrodt, Georg Heinrich von 530 Wallenrodt, Martin von 463, 496, 564 Wallenrodt, Martin Siegmund von 456 Wallenrodt (geb. von Eulenburg), Rosina von 496 Wallenrodt, Rosina von 496 Walter, Axel E. 4, 73, 339f., 468, 498, 612

Walter, Heinrich 25 Walther, Christopher Friedrich 486f. Weckherlin, Georg Rodolf 343, 380, 382, 384

Węgierski, Andrzej 34f. Weichmann, Johann 406, 439, 464, 482, 507, 598

Weier, Sigismund 506, 555 Weinbeer (verh. Schimmelpfennig), Anna von 560 Weinisch, Christian 579 Weinmann (verh. Birken), Clara Catharina 545 Weisse, Johann Philipp 172 Wencker, Jakob 173 Wendler (verh. Glich von Milziz), Dorothea 89 Wendt, Heinrich 106, 578, 582 Werder, Diederich von dem 610 Wermke, Ernst 430–432 Werner, Georg 529 Wernicke, Christian 362, 384 Westonia, Elisabetha Johanna 147, 150 Westphal, Andreas 174f. Westphal, Philipp 372 Westrup, Renate 4, 164 Wiegand, Hermann 4 Wilhelm der Jüngere (Herzog von Braunschweig-Lüneburg) 500 Wilhelm II. (Landgraf von Hessen) 56 Wilhelm VI. (Landgraf von HessenKassel) 349 Wilkau, Christoph 399, 466, 528f., 560, 594, 596

Willer (verh. Schneeweiss), Anna 34

647 Winkelmann, Eduard 104, 486 Winnenfennig (verh. Sand), Anna 598 Winter, Georg 89 Winter (geb. Clausbruch), Katharina 89 Winterfeld, Carl von 401 Winterfeld, Samuel von 130 Witte, Henning 617 Władysław IV. Wasa (König von Polen) 446f., 488, 535, 543, 673

Wolder, Martin 541 Wolder (verh. Wosegin), Regina 592 Wolder, Theodor 517f., 597 Wolf (Syndikus) 579 Wolf, Johann Christoph 174 Wosegin, Georg 592 Wosegin (geb. Wolder), Regina 592 Wróblewski, Tadeusz 462 Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm 180, 380

Zacharska, Marzena 522 Załuski, Andrzej Stanisław 548 Załuski, Józef Andrzej 548 Zamehl, Friedrich 142, 476, 491, 542, 545, 594

Zanders, Ojārs 182f. Zedlitz, Christoph von 130, 137 Zedlitz, Franz von 137 Zedlitz, Georg Rudolf von 89, 142, 145 Zedlitz, Wenzel von 131, 134, 150 Zeidler, Martin 142 Zeids, Teodors 182 Žerotin (Geschlecht) 74 Žerotin, Carl von 137 Žerotin, Johann von 154 Zesen, Philipp von 172, 330, 343 Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von 396 Ziesemer, Walther 352, 405f., 408–417, 419, 425–429, 431–436, 438, 440f., 444–449, 451, 453f., 466f., 469, 473– 476, 481f., 487f., 491–493, 497, 499, 502f., 505f., 508, 510–516, 526, 529, 532, 535–543, 545f., 558–563, 566, 570, 572–575, 592, 594f., 597–608, 611–618, 620 Zimmermann, Philipp Jacob 542

648 Zincgref, Julius Wilhelm 343, 380, 382 Zipper, Christoph 29 Zuber, Matthaeus 148, 150f.

Personenregister Zum Bergen, Rotger 509, 514, 516, 518, 546, 574, 595–597, 608

Zwinger, Theodor d.Ä. 154

RUDOLF NEUHÄUSER

RUSSISCHE LITERATUR 1780–2011 LITERARISCHE RICHTUNGEN – SCHRIFTSTELLER – KULTURPOLITISCHES UMFELD 12 ESSAYS

Der vorliegende Band bietet einen Kompass durch die russische Literatur. Er stellt die Abfolge der literarischen Richtungen vom späten 18. Jahrhundert bis in das beginnende 21. Jahrhundert dar und macht deutlich, dass die russische Literatur immer ein fester Bestandteil der europäischen Literatur war. Behandelt werden nicht nur die großen Epochen wie Romantik und Realismus, sondern auch die kürzer andauernden Zeiten des Umbruchs, des Protests und des Neubeginns, die bisher von der Literaturwissenschaft kaum oder gar nicht wahrgenommen wurden, wie auch die widersprüchlichen Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Literatur des beginnenden 21. Jahrhunderts. 2013. IV, 248 S. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-78926-0

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Der hier vorliegende erste Teil einer auf zwei Bände geplanten kritischen und kommentierten Ausgabe der Gedichtsammlung »Rifmologion« (1665-1680) des Simeon Polockij beruht auf der einzigen erhaltenen Handschrift (GIM, Sin. 287). Das »Rifmologion« (Gereimtes Versbuch) folgt, wiederum in internationaler Zusammenarbeit, auf die dreibändige Ausgabe von Polockijs »Vertograd mnogocvetnyj« (Böhlau, 1996-2000), womit sein dichterisches Werk – zugleich das Hauptstück des poetischen Barock in Russland – zum ersten Mal vollständig in einer kritischen Edition verfügbar ist. Der erste Teil enthält die Gedichte bis fol. 287v zusammen mit einem Kommentar und einer umfangreichen Einführung in deutscher und russischer Sprache. 2013. CLX, 480 S. 7 S/W-ABB. GB. 150 X 230 MM | ISBN 978-3-412-20915-5

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