Martin Luthers Tischreden: Neuansätze der Forschung 9783161508776, 9783161586095, 3161508777

Die Tischreden gehören zu den meist zitierten Texten Martin Luthers - und doch auch zugleich zu denjenigen, deren kritis

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German Pages 263 [272] Year 2013

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Katharina Bärenfänger, Volker Leppin, Stefan Michel: Luthers Tischreden von der Bestandssicherung zu neuen Perspektiven
Helmar Junghans: Luthers Tischreden
1. Hermeneutisch-methodische Erwägungen
Katharina Bärenfänger: Zum Umgang mit Luthers Tischreden
Volker Leppin: Erinnerungssplitter
2. Gattungsfragen
Barbara Müller: Die Tradition der Tischgespräche von der Antike bis in die Renaissance
Alexander Bartmuß: Martin Luthers Tischreden und die Wittenberger Gruppenidentität
Jörg Zimmer: Irdisches Kampfmittel und göttliche Vorsehung
3. Quellenerschließung
Wolf-Friedrich Schäufele: Zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers und ihrer Edition
Wolf-Friedrich Schäufele: Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers
Ernst Koch: Zur Tischredenüberlieferung in der Wissenschaftlichen Bibliothek Dessau
Daniel Gehrt: Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha
Stefan Miche: Thematische Bearbeitungen der Tischreden Martin Luthers durch Georg Rörer (1492–1557)
4. Editionsmöglichkeiten
Thomas Wilhelmi: Vorüberlegungen zu einer möglichen Edition von Luthers Tischreden
Margrit Glaser: Zur Editionsphilologie
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Personenregister
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Martin Luthers Tischreden: Neuansätze der Forschung
 9783161508776, 9783161586095, 3161508777

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Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin) Matthias Pohlig (Münster), Eva Schlotheuber (Düsseldorf)

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Martin Luthers Tischreden Neuansätze der Forschung Herausgegeben von

Katharina Bärenfänger, Volker Leppin und Stefan Michel

Mohr Siebeck

Katharina Bärenfänger, geboren 1978; Theologiestudium in Göttingen und Heidelberg; 2008–2011 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; derzeit Arbeit an einer Dissertation zu Kind und Kindheit bei Martin Luther. Volker Leppin, geboren 1966; Studium in Marburg, Jerusalem und Heidelberg; 1994 Promotion; 1997 Habilitation; Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte (Schwerpunkt Mittelalter und Reformationsgeschichte) an der Universität Tübingen; ord. Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Stefan Michel, geboren 1975; Studium der evangelischen Theologie in Jena, Tübingen und Leipzig; 2006 Promotion; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

ISBN 978-3-16-150877-6 / eISBN 978-3-16-158609-5 unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISSN 1865-2840 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2013 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und V erarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Am 20. April 2010 fand auf dem Alten Schloss in Dornburg bei Jena ein Arbeitsgespräch über „Luthers Tischreden als historische Quelle und editorische Aufgabe“ statt. Im Zuge der ausgesprochen intensiven Gespräche zeigte sich ein erhebliches Maß an Defiziten der bisherigen Tischredenforschung wie auch der aktuell gebräuchlichen Edition. Die Beobachtungen, Deutungen und ersten Ergebnisse hierzu werden im vorliegenden Band dokumentiert, der damit einige Mosaiksteine zu einem präzisierten Bild der Tischreden zusammentragen möchte. Die Finanzierung der Tagung ermöglichte die Thyssenstiftung, der hierfür herzlich gedankt sei. Allen Beiträgerinnen und Beiträgern – auch Frau Nicole de Laharpe, die an einer Vorbereitung der Drucklegung leider gehindert war – sei für ihre Mühen und die rege Diskussion gedankt, vor allem auch dafür, dass sie ihre Manuskripte so zügig erstellt haben, so dass der Band nun in den Druck gehen kann. Gedankt sei auch Berndt Hamm, der als seinerzeitiger geschäftsführender Herausgeber der Reihe Spätmittelalter, Humanismus, Reformation einer Veröffentlichung sofort zugestimmt und sie kritisch begleitet hat. Frau Judith Haller (Tübingen) hat die Manuskripte für den Druck vorbereitet – auch ihr sei hierfür herzlich gedankt, ebenso wie dem stets außerordentlich kooperativen Verlag. Helmar Junghans, der durch Vortrag und Diskussion die Tagung belebt und inspiriert hat, ist wenige Wochen später plötzlich verstorben. Seine Tochter hat uns sein Manuskript für die Drucklegung zur Verfügung gestellt, das wir – auch mit Hilfe des Leipziger Lehrstuhls für Kirchengeschichte – für den Druck einrichten konnten. Den Mitwirkenden gilt hierfür unser Dank. Vor allem aber gilt unser Dank Helmar Junghans selbst, der der nachfolgenden Generation Mut gemacht hat, weiter zu denken und zu arbeiten. Was die Lutherforschung ihm verdankt, ist schwer in Worte zu fassen. In dankbarer Erinnerung widmen wir ihm diesen Band. Jena und Tübingen, im Sommer 2011

Katharina Bärenfänger Volker Leppin Stefan Michel

Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................ V Katharina Bärenfänger, Volker Leppin, Stefan Michel Luthers Tischreden von der Bestandssicherung zu neuen Perspektiven .......... 1 Helmar Junghans Luthers Tischreden ........................................................................................... 7 1. Hermeneutisch-methodische Erwägungen Katharina Bärenfänger Zum Umgang mit Luthers Tischreden............................................................ 21 Volker Leppin Erinnerungssplitter ......................................................................................... 47 2. Gattungsfragen Barbara Müller Die Tradition der Tischgespräche von der Antike bis in die Renaissance ..... 63 Alexander Bartmuß Martin Luthers Tischreden und die Wittenberger Gruppenidentität .............. 79 Jörg Zimmer Irdisches Kampfmittel und göttliche Vorsehung ............................................ 95

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Inhaltsverzeichnis

3. Quellenerschließung Wolf-Friedrich Schäufele Zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers und ihrer Edition .................................................................................................. 113 Wolf-Friedrich Schäufele Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers .............................................................................................. 127 Ernst Koch Zur Tischredenüberlieferung in der Wissenschaftlichen Bibliothek Dessau........................................................................................................... 181 Daniel Gehrt Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha ............................................................................................................ 191 Stefan Michel Thematische Bearbeitungen der Tischreden Martin Luthers durch Georg Rörer (1492–1557) ....................................................................................... 221 4. Editionsmöglichkeiten Thomas Wilhelmi Vorüberlegungen zu einer möglichen Edition von Luthers Tischreden ....... 241 Margrit Glaser Zur Editionsphilologie .................................................................................. 249

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren..................................................... 259 Personenregister .......................................................................................... 261

Luthers Tischreden von der Bestandssicherung zu neuen Perspektiven KATHARINA BÄRENFÄNGER, VOLKER LEPPIN, STEFAN MICHEL

Im kulturellen Gedächtnis dürfte kaum ein Werk Martin Luthers so bekannt sein wie die Tischreden. Echte und unechte Zitate daraus gehören gleicherweise zum gerne zitierten Gemeingut, um den Reformator mal als grob oder deftig, mal als besonders tiefsinnig erscheinen zu lassen. Die Versuche, mit ihrer Hilfe dem Reformator und seinen Gedanken besonders nahe zu kommen, reichen bis zu seinen Zeitgenossen zurück. Bei Johann Mathesius findet sich eine besonders einprägsame Schilderung der idealen Tischredensituation: „Ob aber wol vnser Doctor offtmals schwere vnnd tieffe gedanken mit sich an Tisch nam, auch bißweiylen die gantze malzeyt sein alt Kloster silentium hielt, das kein wort am tische gefiel, doch ließ er sich zu gelegner zeyt sehr lustig hören, wie wir denn sein reden Condimenta mensae pflegten zu nennen, die vns lieber waren denn alle würtze vnd köstliche speise. Wenn er vns wollte rede abgewinnen, pfelgt er ein anwurff zu thun: Was höret man newes? die erste vermanung liessen wir fürüber gehen. Wenn er wider anhielt: Ir Prelaten, was newes im lande? Da fiengen die alten am tische an, zu reden. […] Wens gedöber [Gespräch], doch mit gebürlicher zucht vnd ehrerbietigkeyt, angieng, schossen andere bißweylen jhren theyl auch darzu, biß man den Doctor anbracht; offtmals legte man gute fragen ein auß der schrifft, die löset er fein rund vnnd kurtz auff, vnnd da einer ein mal part hielt, kondt ers auch leyden vnd mit geschickter antwort widerlegen. Offtmals kamen erhliche leut von der Vniuersität, auch von frembden orten an Tisch, da gefielen sehr schöne reden vnnd historien […], vielleicht möchten sie ein mal all zusammen kommen, wie es traun ein sehr schöne vnnd nüzliche arbeyt were, Noctes & dies Albiacas, oder Miscellanea D. Lutheri schreiben.“1

1 JOHANNES MATHESIUS: Luthers Leben in Predigten, Georg Lösche (Hg.), Prag ²1906 (Ausgewählte Werke 3), 279f.

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Katharina Bärenfänger, Volker Leppin, Stefan Michel

Luthers Tischreden als „Attische Nächte“, wie man sie aus der beliebten Sammlung antiken Wissens von Aulus Gellius (um 170 n. Chr.) kannte.2 Diese gelehrte, einen tradierten Wissenskanon überhöhende Anspielung stellt die Tischreden als umfassenden theologischen Wissensvorrat vor, der Erkenntnis für ein breites Publikum verspricht. Einen entsprechenden Gebrauch sollte Johann Aurifabers Tischredenausgabe von 1566 ermöglichen, die den Leser gewissermaßen in die Wittenberger Lerngemeinschaft hinein nimmt. Der Kanalisierung ihrer Fragen dient dabei die wohldurchdachte, den Entstehungskontext freilich verzerrende Anordnung des reichen Materials nach Loci. In dieser bewusst geprägten Form erlangten die Tischreden ihre breite Bekanntheit, und das wissenschaftliche Bemühen um sie, das seit dem 19. Jahrhundert einsetzte, hat sich nicht zuletzt auch in Auseinandersetzung hiermit entwickelt. Einen der Berühmtheit dieser einzigartigen Quellen entsprechenden Stand konnte die wissenschaftliche Aufarbeitung freilich bis heute nicht erlangen. Dabei ist es wohl allgemein anerkannt, dass die letztlich immer noch von Aurifabers Methode geleitete Verwendung als Materialsammlung hermeneutisch-methodisch unbefriedigend ist; eine klare Verständigungen darüber, wie nun tatsächlich mit den Versatzstücken aus dem Alltag und den zahlreichen Erinnerungsstücken umgegangen werden kann, ist aber noch nicht erreicht. Dies ist umso bedauerlicher, als die erneute Beschäftigung mit Handschriften aus dem Umfeld des Reformators in den vergangenen Jahren gezeigt hat, dass die in ihrer Zeit herausragende Leistung, die durch Ernst Krokers Tischredenedition in der Weimarana erzielt wurde, hinsichtlich der Quellenerschließung von Vollständigkeit weit entfernt ist. Um dies in vollem Maße würdigen zu können muss freilich die bisherige Geschichte der Tischredeneditionen eine gründliche Betrachtung finden. Helmar Junghans hat sich mit ihr wiederholt befasst, unter anderem in dem Begleitheft zum Nachdruck der Weimarer Ausgabe. Für den vorliegenden Band bietet er noch einmal einen Überblick, der von der frühen Ausgabe Aurifabers bis zu den modernen Popularisierungen reicht. Letztere zeigen das internationale Interesse an den Tischreden und die vielfache Verwendbarkeit der Krokerschen Ausgabe in der WA, die dieser, wie Junghans ins Gedächtnis ruft, in zwanzig Jahren „ohne jede Projektförderung“ (15) erstellt hat. Gewiss ist es ihr nicht gelungen, die nachhaltige Wirkung der Aurifaberschen Ausgabe zu verdrängen, aber sie gibt der Forschung in aller Begrenztheit doch eine handhabbare Arbeitsgrundlage. 2

Vgl. HEINZ B ERTHOLD: Die „Attischen Nächte“ des Aulus Gellius in Hartmann Schedels Weltchronik, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. FS Günter Mühlpfort, Weimar / Köln / Wien 1997, Bd. 1, Vormoderne, 45–52.

Einleitung

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Voraussetzung jeder weiteren Arbeit an den Tischreden ist freilich eine Klärung der hermeneutisch-methodischen Grundlagen. Katharina Bärenfänger beschreibt diese in Form von vier hermeneutischen Ebenen, die bei einer Analyse der Tischreden zu beachten sind, und entwirft hierfür ein differenziertes hermeneutisches Modell: Unmittelbar zugänglich ist lediglich die textliche Ebene, zu der wir allerdings einen Zugang nur aufgrund ihrer Rezeption in einem nachtextlichen Horizont gewinnen, der unser Verständnis des Textbestandes immer schon prägt. Luther selbst aber, auf den das transtextliche theologische Interesse besonders abzielt, geht diesem Text gewissermaßen vortextlich voraus. Tischredenforschung wird sich nach diesen Überlegungen stets der unterschiedlichen interpretatorischen Dimensionen bewusst sein müssen, um sie in einen kritischen Ausgleich miteinander zu bringen. Der scheinbar unmittelbare Zugang zu Luther, den die Gattung „Tischreden“ auf den ersten Blick suggeriert, ist dadurch nicht per se unmöglich, aber doch erheblich komplexer, als es prima facie erscheint. Wie die zuvor dargelegten kritischen Überlegungen im wissenschaftlichen Arbeiten an Luthers Tischreden Gestalt gewinnen können, macht in seinem Beitrag Volker Leppin deutlich. Gleich mehrere feste Bestandteile der Biographik – Luthers Zögern gegenüber Predigtamt und Promotion, Staupitz‘ Prädestinationsratschlag und das sogenannte Turmerlebnis – erweisen sich als vielfach geformte Erinnerungsstücke. Das heißt nicht unbedingt, dass das Berichtete gar nicht geschehen sei, wohl aber dass das Geschehene nur durch eine starke Schicht von Formungen hindurch entdeckt werden kann. Zugespitzt kann dies dann etwa im Falle des Turmerlebnisses tatsächlich zu dem Ergebnis führen, dass ein solches Ereignis sich aus den kritisch analysierten Quellen nicht mehr belegen lässt. Es wird an dieser Stelle die Bedeutung erkennbar, die im Kontext der Tischredenforschung einer Klärung der Gattungsfrage und einer Kontextualisierung der Tischreden Luthers und ihres Inhalts zukommt. Die Bezeichnung „Tischreden“ ist seit der Ausgabe Aurifabers so fest verankert, dass eine Nachfrage unnötig erscheint. Eben zu dieser aber animiert Barbara Müller in ihrem Beitrag, der einen weiten Horizont von der Antike bis in die Renaissance aufmacht. Der breite Blick auf die „sympotischen Parties“ der Antike (64) eröffnet eine eigene kulturelle Welt, an der das spätantike Christentum partizipierte, die aber durch das Schweigegebot der Benediktsregel für ganz wesentliche Bereiche des europäischen Mittelalters zurückgedrängt wurde und naheliegender Weise in der Renaissance aufs neue Aktualität erfuhr. Aufgrund ihres umfassenden Befundes wirft Müller aber auch die Frage auf, ob die Symposienliteratur die einzige Möglichkeit der diachronen Annäherung an Luthers Tischreden zur Gattungsbestimmung ist. Als mögliche Alternative schlägt sie die Apoph-

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Katharina Bärenfänger, Volker Leppin, Stefan Michel

thegmen-Literatur vor (76). Tatsächlich gibt es gute Gründe für die Lutherforschung, diese Anregung aufzunehmen. Neben der von Aurifaber favorisierten und etablierten Bezeichnung als Colloquia oder auch der gelegentlichen Bezeichnung „Sermones in mensa“3 finden sich in den frühen Sammlungen auch Überschriften wie „Dicta“4 oder tatsächlich „Apophthegmata Lutheri“5. Beachtet man die Gestalt der Tischreden, vor allem die Tatsache, dass sie durchaus nicht immer bei Tische lokalisiert sind, sondern gelegentlich sogar ausdrücklich an anderen Orten6, so wird deutlich, dass diese Bezeichnung eher in der Lage ist, die Quellengattung zu beschreiben als die etablierte Redeweise. Diese Wahrnehmung wird noch unterstützt durch die Darlegungen von Alexander Bartmuß. Er macht auf die in der Forschung zwar gelegentlich benannte, aber mangels Edition in der Regel nicht wirklich wahrgenommene Gattung der Exempla Melanthonis aufmerksam. Sie sind in ähnlicher Weise überliefert wie die Sprüche Luthers – und ein Vergleich der Überlieferungen bringt Bartmuß zu dem frappierenden Ergebnis zahlreicher Übereinstimmungen. Beim derzeitigen Stand der Forschung kann dabei noch nicht eindeutig festgestellt werden, ob es sich hier um Parallelüberlieferungen, Abschriften oder sonstige Übertragungen von dem einen Komplex in den anderen handelt. Sicher aber ist, dass die Form der „Tischreden“ im Wittenberg des 16. Jahrhunderts unabhängig von der Situation bei Tische im Hause Luthers belegt ist, was die Notwendigkeit einer präziseren formalen Bestimmung unterstreicht. Die Frage nach Gattungen betrifft nicht nur die Gestalt der Tischreden selbst, sondern auch das in ihnen verwendete Material. Jörg Zimmer hat aus germanistischer Sicht die Verwendung von Fabeln bei Luther untersucht und diese in den Kontext seiner Aesop-Bearbeitung gestellt und dabei gezeigt, dass der neue Kontext in den Tischreden den Fabeln auch eine zusätzliche Bedeutung gibt, die im didaktischen Bereich, aber auch in der Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen seiner Zeit liegen kann. Alle hermeneutische Arbeit basiert bislang auf der Quellengrundlage, wie sie die Weimarana bereitstellt – und diese beruht ungeachtet der großen Leistung Krokers letztlich auf einer alles andere als befriedigenden Quellenerschließung. Auf Grundlage einer breiten Sichtung des handschriftlich zur Verfügung stehenden Materials kommt Wolf-Friedrich 3 4 5 6

Z.B. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena Ms.Bos.q.24s, 1r u.ö. Z.B. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. IV 115a. Z.B. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ms. theol. lat. qu. 97, 1. Z.B. „sub arbore piro” (WA.TR 3, 187f [Nr. 3143b]).

Einleitung

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Schäufele in seinem Beitrag zu der klaren Feststellung von drei Defiziten. Das erste betrifft den schieren Umfang der Quellengrundlage: Von den heute bekannten 110 Handschriften hat Kroker nur vierzig verwendet. Deren literarische Zusammenhänge wurden, zweitens, von Kroker hoch spekulativ zusammengefasst. Drittens blendet Kroker mit seiner Orientierung an der ipsissima vox Luthers die Eigenheiten der Überlieferungstraditionen weitgehend aus. Hieraus ergibt sich die Einsicht, dass aus heutiger Sicht die Quellenerschließung erheblich über den durch Kroker erreichten Stand hinaus vorangetrieben werden muss. So gibt Daniel Gehrt einen Überblick über den Tischredenbestand der Forschungsbibliothek Gotha. Er ist sowohl Zeugnis für Selbstverständnis und Selbstdarstellung des ernestinischen Herrscherhauses als auch für die Heterogenität der Überlieferungen, die in der heutigen WA-Ausgabe eher zu verschwinden droht, als dass sie zur Geltung käme. Ein Überblick macht zudem deutlich, dass diese Sammlungen keineswegs vollständig in der WA erfasst wurden und einer entsprechenden Erschließung noch harren. Was für eine im Blick der Forschung stehende Bibliothek wie Gotha gilt, gilt erst recht für weniger beachtete Sammelstätten wie die Dessauer Bibliothek. Ernst Koch stellt in seinem Beitrag die dortige Sammlung von Tischreden vor und macht im Vergleich mit Cordatus deutlich, welche Varianten sich in derartigen Überlieferungen finden, die jeweils einer eigenen Erklärung bedürfen und erst in ihrer Gesamtschau die Möglichkeit geben werden, ein einigermaßen zutreffendes Bild von der Überlieferung der Sprüche Luthers zu zeichnen. Wie komplex das Überlieferungsbild selbst bei scheinbar lange bekannten und ausgewerteten Sammlungen ist, zeigt Stefan Michel anhand der Sammlung Rörers, die nach Umfang und Qualität einen besonderen Rang beanspruchen kann. Von eher gelegentlichen Einträgen über umfassende Sammlungen bis hin zu thematischen Ordnungen findet sich hier ein sehr heterogener Befund, der auch den Quellenwert sehr unterschiedlich erscheinen lässt. Für einzelne Tischreden ist Rörer der einzige Tradent – und damit von höchster Bedeutung für die Rekonstruktion des Geschehens um Luther selbst. In anderen Zusamenhängen sieht man die Bearbeiterhand Rörers so stark, dass man geneigt sein kann, in ihm ein Vorbild für Aurifaber zu sehen. Nur wenn es gelingt, künftig die ipsissima vox Luthers und die lutherische Gedächtnisstiftung editorisch nicht gegeneinander auszuspielen, wird man diesem Befund gerecht werden können. Eben damit stellt sich dann aber in aller Deutlichkeit die Frage nach einer Neuedition. Thomas Wilhelmi sichtet die derzeit im Bereich der Frühen Neuzeit laufenden Editionsverfahren und rät zu einer behutsamen Weiterentwicklung der Editionsprinzipien der WA, vor allem aber zu einer digita-

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Katharina Bärenfänger, Volker Leppin, Stefan Michel

len Edition, wie sie sehr deutlich aufgrund der Spezifika der Tischreden auch Schäufele nahelegt: Gerade wenn man gleichermaßen der Nähe zu Luther wie der Eigenständigkeit der Überlieferungsträger gerecht werden will, ist idealerweise an eine Editionsform zu denken, die nicht allein die Tischreden linear wiedergibt, sondern unterschiedliche Textebenen so miteinander verschränkt, dass der Benutzer gleichermaßen die Möglichkeit hat, einen Überlieferungsstrang fortlaufend zu verfolgen wie alle Varianten zu einem bestimmten dictum Luthers aufzurufen und so miteinander zu vergleichen. Was dies bedeutet und vor allem, was hier möglich ist, zeigt in ihrem Beitrag Margrit Glaser. Die jüngeren Entwicklungen der Editionsphilologie sind bereits von einem Trend zu digitalen Ausgaben geprägt und können damit an einem Medium partizipieren, das gegenüber den Möglichkeiten, die Kroker zur Verfügung standen, ganz neue Perspektiven eröffnet. In den Tischreden Luthers liegt eine einzigartige Quellengruppe vor, die wie kaum eine andere den Blick auf Luthers nächstes Umfeld selbst wie auch auf seine frühe Rezeption und Popularisierung eröffnet. Sie angemessen zu erschließen, ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt.

Luthers Tischreden Geschichte ihrer Ausgaben und Editionen* HELMAR JUNGHANS Die Geschichte der Ausgaben und Editionen von Luthers Tischreden lässt sich in vier Abschnitte periodisieren. Den ersten Abschnitt von 1566 bis 1743 beherrschte die Tischredenausgabe von Johannes Aurifaber (1519– 1575). Ab 1743 werden Luthers Tischreden Bestandteil von Werkausgaben. 1872 beginnt die kritische Betrachtung der Überlieferung von Luthers Tischreden in den erschienen Drucken. Die Edition neuer Quellen durch Ernst Kroker im Rahmen der Weimarer Ausgabe verdient schließlich besondere Beachtung.

1. Johann Aurifabers Tischredenausgabe Johann Aurifaber begann sein Studium in Wittenberg 1537.1 Von 1540 bis 1543 beaufsichtigte er das Studium zweier Mansfelder Grafen. 1544/45 begleitete er Graf Vollrad von Mansfeld (1520–1578) auf dem Frankreichfeldzug, mit dem die Protestanten dazu beitrugen, dass Kaiser Karl V. (1500, 1519–1556, 1558) König Franz I. von Frankreich im Geheimvertrag von Meudon am 19. September 1544 verpflichten konnte, ihn bei der Rückführung der Protestanten in die römische Kirche – notfalls mit Gewalt

* Dieses Manuskript gibt die Fassung wieder, auf deren Grundlage Helmar Junghans am 20. April 2010 seinen Vortrag gehalten hat. Wenige Wochen später ist er plötzlich gestorben, ohne den schon weit gediehenen Text noch einer weiteren Überarbeitung unterziehen zu können. Wir danken seiner Tochter, Katharina Gustavs, dass sie uns das Manuskript zur Verfügung gestellt hat. Vgl. auch HELMAR JUNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: DERS., Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, hg.v. Michael Beyer/Günther Wartenberg, Leipzig 2001 (AKThG 8), 154–176. 1 HELMAR JUNGHANS: Aurifaber, Johannes (1519–1579), in: TRE 4 (1979), 752–755.

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Helmar Junghans

– zu unterstützen.2 1545 kehrte Aurifaber nach Wittenberg zurück und zog in Luthers Haus, wo er dessen letzter Famulus war. 1546/47 diente er Kurfürst Johann Friedrich (1503, 1532–1547, 1554) im Schmalkaldischen Krieg als Feldprediger. Danach war er Hofprediger in Weimar, wo er sich den Gnesiolutheranern anschloss und an der Jenaer Lutherausgabe mitarbeitete. 1561 ermöglichen ihm die Mansfelder Grafen, sich in Eisleben der Veröffentlichung von Briefen, Predigten, Schriften und Tischreden Luthers zu widmen. Die wertvollste Frucht dieser Zeit sind ohne Zweifel die: „Tischreden Oder COLLOQVIA DOCToris Martin Luthers/So er in vielen Jaren/gegen gelarten Leuten/auch frembden Gesten/vnd seinen Tischgesellen gefüret/Nach den Heubtstücken vnserer Christlichen Lere/zusammen getragen.“3

Aurifaber hatte bereits 1540 begonnen, ungedruckte Luthertexte abzuschreiben sowie Predigten und die Genesisvorlesung Luthers mitzuschreiben. Eine wichtige Quelle für seine Tischredenausgabe wurde aber die Sammlung, die Joseph Hänel (1521–1590) – der von 1547 bis 1549 Archidiakonus in Pirna und danach Pfarrer in Hohnstein bei Pirna war – im Auftrag seines Superintendenten Anton Lauterbach (1502–1569) mindestens seit 1551 angefertigt hatte. Ihm standen dafür Lauterbachs Sammlungen zur Verfügung, die er durch Auszüge aus Predigten, Briefen, Gutachten, Bucheinträgen und anderen Texten Luthers anreicherte und das ganze Material unter sachlichen Gesichtspunkten ordnete. Aurifaber zog noch weitere Sammlungen heran – so die von Veit Dietrich (1506–1549) und Hieronymus Besold (um 1520–1562) angefertigte Handschrift, die auch als „eine der Hauptquellen für Aurifabers Tischreden-Ausgabe“ gilt4 – und verteilte die sog. Tischreden auf 80 Kapitel. Neben theologischen Themen wie Heilige Schrift, Trinität, Heiliger Geist, Gesetz und Evangelium, Taufe, Ekklesiologie stehen andere, die sich mit dem Gottesdienst beschäftigen. Manche Kapitel widmen sich bestimmten Personen wie Papst, Mönchen, Fürsten, Juristen, Edelleuten, Schultheologen und Gelehrten, aber auch Juden und Türken, andere dem Leben wie Anfechtung und Versuchung, Beruf, 2

ALFRED KOHLER: Karl V.: 1500–1558. Eine Biographie, München² 1999, 293. Der Band erschien 1566 in Eisleben bei Urban Gaubisch (VD16 L 6748), vgl. WA 59, 762, Nr. 1. Helmar Junghans sorgte 1981 (2. Auflage 1983) für einen Nachdruck dieser Ausgabe: Tischreden oder Colloqvia Doct. Mart. Luthers, so er in vielen Jaren gegen gelarten Leuten, auch frembden Gesten, und seinen Tischgesellen gefüret […]. Mit einem Nachwort von Helmar Junghans, Leipzig/Wiesbaden 1981. Einen Forschungsüberblick bietet MICHAEL BEYER: Tischreden, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, 347–353. 4 WA 48, 365. 3

Luthers Tischreden

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Trunkenheit, Ehe, Krankheit und Tod. Eine übersichtliche Gliederung, Schlagwörter auf dem Rand sowie ein Register am Schluss erleichtern es, auf viele Fragen eine Antwort bei Luther zu finden. Soweit seine Vorlagen lateinisch waren, übersetzte sie Aurifaber ins Deutsche. Aurifaber hat aber nicht einfach alles, was ihm zur Verfügung stand, auf 80 Kapitel verteilt, sondern sehr bewusst als Gnesiolutheraner ausgewählt und stilisiert: Wie Gott Mose und Aaron sendete, um das Licht des Wortes Gottes anzuzünden und von Abgötterei zu befreien, so sandte Gott Luther in die päpstliche Finsternis, um das Licht des Evangeliums wieder aufgehen zu lassen. Aurifaber rückte Luthers Kampf gegen die spätmittelalterliche Kirche, gegen Papst und Scholastiker, in den Vordergrund. Mit seiner Tischredensammlung wollte er im Sinne von Psalm 78 an Gottes Wirken durch Luther erinnern und der zeitgenössischen Undankbarkeit für die Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft des Papstes entgegentreten. Er forderte die christliche Obrigkeit und die Eltern auf, dafür zu sorgen, dass Untertanen und Kinder nicht verführt werden.5 Falsche Lehren sah Aurifaber nicht nur in der römischen Kirche, sondern auch bei Täufern, Antinomern, Schwenckfeldianern und Enthusiasten, sowie bei denen, die das „Augsburger Interim“ oder die calvinistische Abendmahlslehre gefördert hatten. Er nannte die Synergisten,6 womit er auf Johann Pfeffinger (1493–1573) und Georg Major (1502–1574) mit ihrem Anhang zielte. Ausdrücklich wendete er sich gegen die „Gleichsmenner/die vns vnd den Bapst/haben vergleichen/vnd mit einander vertragen wollen“,

wobei er wohl nicht zuletzt Melanchthon im Blick hatte. Der Gnesiolutheraner Aurifaber stellte also inmitten vieler Streitigkeiten den Polemiker Luther als Vorbild heraus und mahnte, ihm nachzueifern. In seiner Überarbeitung lassen sich zwei Tendenzen erkennen: Er tilgte, woran ein Leser nach seiner Meinung Anstoß nehmen könnte. So hatte Luther einem Angefochtenen geraten: „[…] dann iß, trinke, gehe in Gesellschaft. Wenn du dich mit Gedanken an ein Mädchen erfreuen kannst, tue dies.“7

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Tischreden oder Colloqvia (wie Anm. 3), )( iijv. Tischreden oder Colloqvia (wie Anm. 3), )( [j]v. 7 WA.TR 1, 49,27–50,4 (122), 30. November bis 14. Dezember 1531. Auf dieses Beispiel hat BIRGIT STOLT: Lieblichkeit und Zier, Ungestüm und Donner: Martin Luther im Spiegel seiner Sprache, in: ZThK 86 (1989), 288 f, hingewiesen, die auch die obige Übersetzung angefertigt hat. 6

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Helmar Junghans

Aurifaber fügte an die erste Stelle des Ratschlages „derselbige halte sich erstlich an den Trost des göttlichen Worts“ ein und ließ die Gedanken an ein Mädchen weg.8 Damit unterstrich er Luthers allgemeines Drängen, in allen Lebenslagen Trost in der Heiligen Schrift zu suchen, und tilgte, was ihm anstößig erschien. Er wusste wohl nicht, dass Luther hier einen Rat aus der spätmittelalterlichen Seelsorge weitergab. Anders verfuhr er, wenn es um Polemik ging. Luther fand, dass der Leipziger Rat Caspar Cruciger (1504–1548) und Friedrich Myconius (1490–1546) für ihre Tätigkeit bei der Einführung der Reformation schäbig entlohnt hatte und befürchtete, dass die Leipziger sich Prediger beschaffen werden, „Dignas habent labra lactucas“. Dieser Aussage lag das lateinische Sprichwort „Similem habent labra lactucam“ zugrunde,9 das auf den römischen Dichters Gaius Lucilius (†103/02 v. Chr.) zurückging. Aurifaber begnügte sich nicht mit der schlichten Übersetzung „Ihre Lippen haben den ihnen würdigen Lattich/Salat“. Er verwendete auch kein entsprechendes deutsches Sprichwort, beispielsweise „Wie das Maul, also der Salat“,10 sondern wählte andere aus: „Was soll der Kuhe Muscaten, sie frißt wol Haberstroh; und gleich und gleich gesellt sich gerne, sprach der Teufel, beschor eine schwarze Saue.“

Hier begegnet man nicht nur einer hervorhebenden Verdopplung, sondern zugleich einer Grobschlächtigkeit, wie sie dem zweifachen Feldprediger wohl von den Landsknechten vertraut sein mochte.11 An die Stelle eines lateinischen Sprichwortes, dessen Kenntnis Bildung erkennen ließ, trat ein grober Polemiker. Aurifaber trug durch seine Tischredensammlung viel dazu bei, den Reichtum der Persönlichkeit Luthers12 zu übersehen und seinen „Grobianismus“ in den Vordergrund zu rücken.13 Aurifabers Tischredenausgabe war sehr erfolgreich: 1567, 1569, 1570 und 1577 erfolgten Nachdrucke in Eisleben. 1567 brachte der Verleger Pe-

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WA.TR 1, 52, 1–5 (122). Vgl. A[UGUST] OTTO: Die Sprichwörter und Redensarten der Römer. Leipzig 1890 (ND Hildesheim 1965), 182 f. 10 KARL FRIEDRICH WILHELM WANDER (Hg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon: ein Hausschatz für das deutsche Volk, Bd. 2: Lehrer bis Satte (der). Leipzig 1873 (ND Darmstadt 1977), 510 (216). 11 So vermutet auch Kroker, dass Aurifaber Ausdrücke wie „Kriegsgurgel“ oder „Wanske“ aus dem Feldlager mitgebracht hat; WA 3, XXXV. 12 HELMAR JUNGHANS: Der Reichtum einer geschichtlichen Persönlichkeit – Martin Luther, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 31 (1984), 379–394. 13 Zur rhetorischen Funktion von Luthers Polemik siehe MARK U. EDWARDS, JR.: Luther’s last battles. Politics and polemics 1531–1546, Ithaca/London 1983. 9

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ter Schmidt (†1593) in Frankfurt am Main einen Raubdruck heraus, dessen Titelblatt er mit einem Holzschnitt schmückte, der Luthers Tafelrunde zeigte. Um dem Raubdrucken entgegenzuwirken, veröffentlichte Aurifaber selbst in Frankfurt am Main 1568 einen Nachdruck durch den Verleger Simon Hüter (†1583). Nachdem sich Schmidt mit dem erfolgreichen Frankfurter Verleger Sigmund Feyerabend (1528–1590) zusammengetan hatte, brachten sie ohne Aurifaber 1569, 1571, 1574 und 1593 weitere Nachdrucke heraus. Der Eschersheimer Pfarrer Heinrich Peter Rebenstock (†1591) wollte durch eine zweibändige lateinische Ausgabe Luthers Tischreden über den deutschen Sprachbereich hinaus bekannt machen. Er legte nicht Aurifaber, sondern dessen Hauptquelle Joseph Hänel zugrunde. Er fand damit aber wenig Anklang, denn es gab keinen Nachdruck. Der Gnesiolutheraner Andreas Stangewald überarbeitete Aurifabers Tischredenausgabe, wobei er die Anzahl der Kapitel auf 43 reduzierte und lehrhafte Aussagen bevorzugte. Die erste Auflage erschien 1571 in Frankfurt am Main. Nikolaus Selnecker (1532–1592) legte sie seiner Überarbeitung zugrunde, die 1577, 1580 und 1581 in Leipzig erschien. Stangewalds Überarbeitung wurde noch 1591 in Frankfurt am Main und in Jena, 1621, 1700 und 1723 in Leipzig nachgedruckt.

2. Luthers Tischreden als Bestandteil der Ausgaben seiner Werke Der Jenaer Theologieprofessor Johann Georg Walch (1693–1775) gab von 1740 bis 1753 in Halle eine Lutherausgabe in 24 Bänden heraus, in der alle Texte in Deutsch wiedergegeben waren. Er hatte nicht die Absicht, auch Tischreden aufzunehmen. Er berief sich auf eine Vorrede Luthers zu den Predigtentwürfen „Conciunculae quaedam D. M. Lutheri amico cuidam praesriptae“, die ohne dessen Zutun 1537 zum Druck gebracht worden waren. Darin hatte er seine „liebevollen Diebe“ gebeten, nicht leichtfertig etwas von seinen Gedanken zu veröffentlichen. Er begründete das damit, dass die Wittenberger beim Disputieren mitunter in Zorn geraten, und Dinge sagen, die zwar nicht gottlos oder böse sind, aber allzu große Torheit. „Darum wiederhole ich meine Bitte, dass keiner meiner Freunde ohne Zustimmung etwas von dem Meinen herausbringe“. Aurifaber stieß schon bei Herzog Johann Friedrich dem Älteren (1503, 1532–1554) auf Widerstand, Ungedrucktes von Luther unter die Presse zu geben. Er konnte dann aber von Herzog Johann Friedrich dem Mittleren (1529, 1554–1567, 1595) die Zustimmung für die Aufnahme deutscher Briefe in die Jenaer Lutherausgabe gewinnen. 1556 und 1565 ließ Aurifaber je einen Band mit lateinischen Briefen folgen. Als die Hallenser Lutherausgabe erschien, waren Lu-

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thers Tischreden so verbreitet und bekannt, dass der Verleger überzeugt war, ohne Tischreden werde diese Lutherausgabe als unvollständig gelten. Walch gab schließlich nach. Da er sich in seiner Ausgabe immer um Erstdrucke bzw. möglichst frühe Ausgaben mühte, griff er auch hier auf die ursprüngliche Aurifaberausgabe zurück, die ihm in dem von Aurifaber selbst 1568 in Frankfurt am Main herausgebrachten Auflage zur Verfügung stand, modernisierte allerdings das Deutsch, wobei noch zu untersuchen bleibt, ob er dabei dem eingetretenen Bedeutungswandel Rechnung trug. Von nun an gehörten zu einer Lutherausgabe auch Luthers Tischreden. Die Editionsrichtlinien der jeweiligen Ausgabe erstreckten sich nun auch auf die Tischreden. Karl Eduard Förstemann (1804–1847), der seit 1832 Sekretär der Universitätsbibliothek Halle und ab 1844 dort Bibliothekar und Professor war, nahm sich den Text der Aurifaberausgabe vor, wies die jeweiligen Stücke in den Überarbeitungen von Stangewald und Selnecker nach und notierte deren und Walchs Abweichungen. Da er bereits 1847 verstarb, war seine Arbeit unvollständig geblieben, sodass Heinrich Ernst Bindseil (1803–1867) diese Ausgabe mit dem vierten Band 1848 abschloss.14 Der Bibliothekar und Theologe Johann Konrad Irmischer (1797– 1857) übernahm diesen Text in die Erlanger Lutherausgabe, wobei er sich auf die Mitteilung der „wesentlichen“ Varianten beschränkte.15 Damit erreichte die Aurifaberausgabe von Luthers Tischreden einen gewissen Abschluss, wenn man von den Faksimileausgaben zum Reformationsjubiläum 1967 und zum Lutherjahr 1983 absieht.16

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KARL EDUARD FÖRSTEMANN/HEINRICH ERNST BINDSEIL (Hg.): D. Martin Luther’s Tischreden oder Colloquia, so er in vielen Jahren gelahrten Leuten, auch fremdem Gaesten und seinen Tischgesellen geführet. Nach den Häuptstücken unserer christlichen Lehre zusammengetragen nach Aurifaber’s erster Ausgabe mit sorgfältiger Vergleichung sowohl der Stangwald’schen als der Selneccerschen Redaction, Berlin 1844–1848. 15 Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke, Bd. 57–62, Frankfurt am Main und Erlangen 1853/54 (E1). 16 Vgl. oben Anm. 3. Der Nachdruck Leipzig 1967 wurde von JOHANNES ADLER besorgt.

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3. Die Edition ursprünglicher Sammlungen von Tischreden Luthers 1872 veröffentlichte der Eschdorfer Pfarrer Johann Carl Seidemann (1807– 1879) das „Tagebuch auf das Jahr 1538“ von Anton Lauterbach.17 1885 ließ der Clausthaler Oberlehrer Hermann Wrampelmeyer (*1843) das „Tagebuch über D. Martin Luther geführt von D. Conrad Cordatus 1537“ folgen.18 Weitere Editionen einzelner Handschriftenüberlieferungen folgten in den nächsten Jahren.19 Albert Friedrich Hoppe (1849–1914), Professor am Concordia Seminary in St. Louis, MN, nutzte für die Neuausgabe der Lutherausgabe von Walch (Walch2) die Möglichkeit, die Aurifaberausgabe mit den neuedierten Quellen zu vergleichen. Seine sorgfältige Analyse der vorausgehenden Ausgaben kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Sie enthalten zahlreiche Duplikate. Etwa 320 kommen in den Tischredensammlungen selbst doppelt vor, 140 sind aus Schriften Luthers in die Tischreden aufgenommen worden. Aurifaber hat solchen Texten mehrfach eine Einleitung und einen Schluss hinzugefügt, um sie als Tischrede erscheinen zu lassen. Die Tischredensammlungen enthalten auch Ratschläge, Gutachten, Tröstungen, Briefe, Reime, Auslegung von Sprüchen und dergleichen mehr. Die Vorlagen sind willkürlich behandelt worden. Sie erhielten mitunter neue Einleitungen. Manche Texte hat Aurifaber bis auf den vierfachen Umfang erweitert. Verwechslungen und Entstellungen haben sich eingeschlichen. Manche Texte sind verderbt, falsche Lesarten ziehen sich durch alle Ausgaben. Die Aurifaberausgabe enthält „eine große Menge von falschen Uebersetzungen […], welche sich durch alle deutschen Ausgaben hindurchziehen“.20 Sehr viele Angaben sind unzuverlässig. „Oft werden dieselben Aussprüche verschiedenen Personen in den Mund gelegt.“ Nicht 17 JOHANN KARL SEIDEMANN (Hg.): M. Anton Lauterbach’s, Diakoni zu Wittenberg Tagebuch auf das Jahr 1538, die Hauptquelle der Tischreden Luthers aus der Handschrift, Dresden 1872. Bereits 1863, 1864 und 1866 hatte HEINRICH ERNST BINDSEIL eine Hallenser Tischredenhandschrift veröffentlicht: D. Martini Lutheri colloquia. Meditationes, consolationes, iudicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae e codice MS. Bibliothecae orphanotrophei Halensis, 3 Bde., Lemgo 1863–1866. 18 HERMANN WRAMPELMEYER (Hg.): Tagebuch über Martin Luther geführt von Conrad Cordatus 1537, Halle 1885. 19 GEORG LOESCHE (Hg.): Analecta Lutherana et Melanchthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanchthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius, Gotha 1892. ERNST KROKER (Hg.): Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung. Aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, Leipzig 1903. 20 W² 22, 41–55.

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selten sind sinnlose Aussprüche zu finden. Die deutschen Texte hat Aurifaber „meistens ziemlich treu wiedergegeben, aber das Lateinische, […], ist vielfach falsch übersetzt, erweitert, verkürzt, oft gar nicht verstanden“.21 Hoppe hat dann in der Tischredenausgabe von Walch2 versucht, unter Verwendung der veröffentlichten Sammlungen einen Text der ursprünglichen Tischreden herzustellen und soweit er lateinische Vorlagen fand, neu übersetzt.

4. Die kritische Edition von Tischreden Luthers in der Weimarer Ausgabe Ernst Kroker, der seit 1889 Bibliothekar an der Leipziger Stadtbibliothek und seit 1911 ihr Oberbibliothekar war, stand vor einer schwierigen Aufgabe, die Tischreden für die Weimarer Ausgabe zu bearbeiten. Auf der einen Seite stand die nachhaltig wirkende Aurifaberausgabe, die von der Erlanger Ausgabe der Lutherforschung zur Verfügung gestellt wurde und deren Mängel Hoppe unübersehbar gemacht hatte, auf der anderen Seite die Neuausgabe ursprünglicher Sammlungen des 16. Jahrhunderts. Obgleich es vor dem Ersten Weltkrieg eine sehr verbreitete Methode war, mithilfe von Konjekturen aus verschiedenen Überlieferungen das Ursprünglich zu konstruieren – wie Hoppe es versucht hatte –, beschritt er den Weg nicht, sondern entschied sich für ein Verfahren, das dem Anspruch einer „kritischen Ausgabe“, welche die WA sein wollte, allein entsprechen konnte: Er versuchte, die ursprünglichen Quellen zugänglich zu machen und zugleich die Verbindung zur Aurifaberausgabe erkennbar zu machen. Die Basis der Ausgabe liefern die verschiedenen Sammlungen. In kleinerer Schrift sind Texte aus der Aurifaberausgabe zugeordnet. Zwischen den Nachschriften ist gekennzeichnet, wo eine ursprüngliche – Mitschriften derselben Tischrede –, eine abgeleitete – wenn mehrere Schreiber die Nachschrift einer Tischrede abgeschrieben haben – oder eine scheinbare Parallele – wenn Luther bei einer anderen Gelegenheit dasselbe Thema behandelt hat – zu finden ist. Kroker verweist auf die besseren Übersetzungen und Verbesserungsvorschlägen in Walch2. Weicht die Überlieferung einer Tischrede in zwei oder mehr Strängen stark voneinander ab, werden 21

Vgl. auch WILHELM MEYER: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen der Tischreden Luthers (Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-historische Klasse. NF 1, Nr. 2), Berlin 1896. OTTO HOF: Über die Herkunft einiger Stücke von Aurifabers Sammlung der Tischreden Luthers, in: ARG 39 (1942), 142–150.

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diese durch kleine Buchstaben nach der Tischredennummer unterschieden, zusammen abgedruckt. In WA.TR 6 hat Kroker eine Übersicht zur Aurifaberausgabe eingebracht. Sie enthält die Kapitelüberschriften und die dazugehörigen Tischreden nach der Ausgabe von Förstemann und Bindseil mit Seitenangaben und einer Zählung, die das Kapitel und die laufende Nummer innerhalb des Kapitels angibt. Dahinter steht, wo der Text Aurifabers in WA.TR 1–5 einer ursprünglichen Sammlung zugeordnet ist. Wenn keine Zuordnung erfolgt ist – manchmal auch, weil Kroker die Parallelität übersehen hatte –, wird der Aurifabertext der Tischrede abgedruckt, sodass – soweit Kroker, der noch kein Suchprogramm zur Verfügung hatte, nichts übersehen hat – leicht erfassbar werden kann, was er über die uns bekannte Überlieferung hinaus überliefert oder auch selbst aus Luthertexten herausgenommen oder selbst – vor allem im Februar 1546 in Eisleben – mitgeschrieben hat. Mit dem Verzeichnis der Textanfänge hat Kroker ein Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, einzeln aufgefundene Tischreden zuzuordnen oder als Neuentdeckung zu verifizieren. Ein brauchbares Wort- und Sachregister, das auch Orte und Personen erfasst sowie ein Zitatenregister erschließen die Sammlung. Kroker hat – wie er 1917 schrieb – fast zwanzig Jahre „den größten Teil meiner Mußestunden der Veröffentlichung von Luthers Tischreden gewidmet“,22 ohne jede Projektförderung. Er hat mit großem Problembewusstsein die Überlieferung von Luthers Tischreden mit dem Ziel dokumentiert, „die Urschriften von Luthers Tischreden in den besten uns erreichbaren Texte wiederzugeben, sie bestimmten Tischgenossen zuzuweisen, sie fest zu datieren, soweit unsere Überlieferung das zuläßt“.23 In seinen Einleitungen hat er den Abhängigkeiten der Überlieferung nachgespürt. Er hat eine Forschung angeregt, die ihn auch zu Korrekturen nötigte. So räumte er ein, dass die von ihm WA.TR 1, 309–330 (657–684) Nikolaus Medler (1502–1551) zugewiesenen Nachschriften Georg Rörer zugeschrieben werden müssen.24 Er war sich bewusst, dass er nicht die gesamte Überlieferung verarbeitet hatte, aber er hat pragmatisch entschieden, dass er den Abschluss dieser Ausgabe erleben wollte. Als WA.TR 6 im Jahre 1921 – infolge des Ersten Weltkrieges verzögert – erschien, befand er sich im 68. Lebensjahr. In Band 48 der Weimarer Lutherausgabe veröffentlichte Johannes Haußleiter (1851–1928) 1927 „Tischreden aus dem cod. Besoldi und aus 22

WA.TR 6, XXXIX. WA.TR 6, XXXVIII. 24 WA.TR 6, XVII. 23

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anderen Handschriften“ 1927 als Ergänzung zu WA.TR.25 Sie brachten bisher unbekannte Vorlagen für einzelne Tischreden bei Aurifaber. Sie ließen erkennen, wie Aurifaber aus verschiedenen Traditionen einen Mischtext herstellte oder fehlerhafte Vorlagen verwendete, die infolge von Auslassungen sinnlos geworden waren. Weitere Nachträge erschienen 1982 in WA 59.26 Durch die Einbeziehung von weiteren handschriftlichen Überlieferungen lassen sich also offenbar manche Texte verbessern. Es gibt aber auch noch Tischreden Luthers, die in anderen Sammlungen eingestreut und gedruckt worden sind, so in den 1563 erschienenen „Locorum communium collectanea“.27 Im selben Jahr wie Aurifaber veröffentlichte Nicolaus Ericeus in Frankfurt am Main sein „Sylvula [Wäldchen] sententiarum, exemplorum, historiarum, allegoriarum, smilitudinem, facetiarum, partim ex reverendi viri, D. Martini Lutheri, ac Philippi Melanchthonis“,worin die sich in WA.TR nicht vorhandene Tischrede findet: „Als ich ein Jüngling war, habe ich gehört, das gelehrte Männer und gute Grammatiker wider ihre Gegner disputierten und sagten: Wenn wir die prophetischen und apostolischen Bücher lesen, dann finden wir in ihnen ein weit andere Lehre als ihr sacrificuli [Priester, eigentlich Opferpriester] uns auslegt.“28

An diesem Zeugnis der Spannung zwischen den Bibelhumanisten und Scholastikern wird deutlich, dass aus weiteren Quellen noch wichtige Informationen zu erwarten sind. Nach fast 100 Jahren WA.TR wäre ohne Zweifel eine neue Tischredenausgabe nützlich, die mehr Quellen einbezieht, die innerhalb von WA.TR vorhandene oder später erfolgte Berichtigungen zugrunde legt und das Ganze übersichtlicher gestaltet und digital erschließt.

5. Die Verbreitung von Luthers Tischreden Luthers Tischreden blieben nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Bereits 1652 erschien eine Übersetzung ins Englische, der Au-

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WA 48, (365) 371–713 (713–720), vgl. auch JOHANNES HAUßLEITER: Das Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 und seine Lösung. Ein Beitrag zur Tischredenforschung, in: ARG 19 (1922), 1–21 und 81–105. 26 Vgl. JOHANNES SCHILLING: Bibliographie der Tischreden-Ausgaben, in: WA 59, 747–780. 27 Vgl. dazu den Beitrag von ALEXANDER BARTMUß in diesem Band. 28 AaO, 142r.

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rifabers Ausgabe zugrunde lag.29 Krokers Tischredenedition gab aber der Verbreitung einen neuen, kräftigen Impuls. Während die zehnbändige Braunschweiger Ausgabe 1892 im Band 8 Tischreden nur zwischen Liedern und Briefen aufnahm,30 widmeten die Münchner Lutherausgabe 1925 ihren ganzen Band 8 den Tischreden, ebenso auch die Bonner Lutherausgabe 1930 (besorgt von Otto Clemen [1871–1946]).31 Reinhard Buchwald (1884–1983) stellte aus der Tischredenausgabe der WA eine Auswahl zusammen, die besonders auf biografische und historische Informationen achtete.32 Nach 1945 nahm die Verbreitung von Luthers Tischreden weiter zu. 1948 bot „Luther Deutsch“ in Band 9 Tischreden, denen allerdings trotz Unterrichtung über deren Erforschung weiterhin Aurifaber als Grundlage diente.33 1963 folgte als Ergänzungsband 3 der 3. Auflage der Münchner Lutherausgabe eine Tischredensammlung.34 Die nordamerikanische Lutherausgabe widmete 1967 Band 54 den Tischreden.35 Vor allem aber verbreiteten separate Bände ausgewählte Tischreden Luthers in der Gegenwartssprache auch als Taschenbuch. 1959 erschien bei Goldmann eine Tischredenauswahl.36 Zum Lutherjahr 1983 folgten Tischreden Luthers als Taschenbuch – zum Teil Nachdrucke älterer Ausgaben – bei Heyne, Insel und Reclam.37 Ein Tischredenband vom Union Verlag in

29 Martin Luther: Colloquia mensalia or Dr. Martin Luther‘s divine discourses at his table etc., übers. von HEBRIE BELL, London 1652. 30 Die Braunschweiger Lutherausgabe Bd. 8 (1892; 1905³), (98) 105–308, wählte vorrangig „Lebenserinnerungen Luthers“ aus; ebd., 103. Der Herausgeber, Gustav Kawerau, legte Aurifabers Text zugrunde, den er aber anhand der inzwischen edierten Handschriften korrigierte. 31 HANS HEINRICH BORCHERDT/WALTER REHM (Hg.): Martin Luther: Ausgewählte Werke, Bd. 8: Tischreden, München 1925. OTTO CLEMEN (Hg.): Luthers Werke in Auswahl. Bd. 8: Tischreden, Berlin 1930 (1962³). 32 Luther im Gespräch: Aufzeichnungen seiner Freunde und Tischgenossen/nach den Urtexten der „Tischreden“ zum ersten Mal übertragen von Reinhard Buchwald, Stuttgart 1938 (ND Frankfurt am Main 1983). 33 Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart. Bd. 9: Tischreden, Berlin 1948 (Göttingen 1963³), 300. 34 HANS HEINRICH BORCHERDT/GEORG MERZ (Hg.): Martin Luther: Ausgewählte Werke, Ergbd. 3, München³ 1963. 35 THEODORE G. TAPPERT/HELMUT T. LEHMANN (Hg.): Luther‘s works. Bd. 54: Table talk, Philadelphia, PA 1967. 36 MARTIN LUTHER: Tischreden, ausgew. und eingel. von Karl Gerhard Steck, München 1959. 37 MANFRED KLUGE (Hg.): Luthers Tischreden mit Illustrationen von Lucas Cranach d. Ä., München 1983; vgl. oben Anm. 32.

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Berlin erschien als Lizenzausgabe in Hanau.38 Besonders erfolgreich war eine Auswahl des Herder Verlages, die vier Auflagen und eine finnische Übersetzung erlebte.39 Tischreden finden sich auch im Material für den Religionsunterricht eingestreut oder in kleineren Heften zu einem Thema zusammengestellt.40 Diese Gattung hatte ihr mustergültiges Vorbild in „Heinrich Fausel: D. Martin Luther: Leben und Werk; 1483 bis 1521“, der aus Briefen, Tischreden und Schriften Luthers chronologisch geordnet Quellen zu Luthers Leben und Werk zusammenstellte.41 Die neueste Auswahlausgabe – die sich wohl der Reformationsdekade verdankt – ist „Luthers Tischreden, herausgegeben von Reinhard Dithmar“, die 2010 in Weimar erschienen ist.42 Eine englischsprachige Auswahlausgabe von 1952 wurde 1995 nachgedruckt.43 Die 55bändigen „Luther’s works: American edition“ hat ihren Band 54 den Tischreden gewidmet.44 Nach 1945 sind Auswahlausgaben ganz unterschiedlichen Umfangs in Englisch, Finnisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Norwegisch, Schwedisch, Spanisch und Ungarisch erschienen. Diese Auswahlausgaben vermitteln eine lebendige Vorstellung von Luthers Leben und Denken. Die Quelle der Auswahlausgaben ist seit ihrem Erscheinen in der Regel Krokers Tischredenausgabe. Für die Lutherforschung bleibt sie aufgrund ihres Umfangs und ihrer Editionsweise eine unerlässliche Werkausgabe. Sie ermöglicht es außerdem, den durch – auch deutschen – Auswahlüber-

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MARTIN LUTHER: Tischreden, ausgew. und bearb. von Jürgen Henkys; mit Zeichnungen von Henry Büttner, Berlin 1983. 39 PETER KARNER (Hg.): „Die Welt ist wie ein betrunkener Bauer“, aus den Tischreden Martin Luthers, ausgew. und übertr. von Peter Karner. Freiburg; Basel; Wien 1982, 4. Aufl. 1983; MARTTI LUTHER: Pöjtäpuheita tästä elämästä ja tulevasta (Die Welt ist wie ein betrunkener Bauer ‹finn.›), übers. von Outi Cappel, Helsinki 1983. 40 KARL ERNST NIPKOW/FRIEDRICH SCHWEITZER (Hg.): Religionspädagogik. Texte zur evangelischen Erziehungs- und Bildungsverantwortung seit der Reformation. Bd. 1: Von Luther bis Schleiermacher, München 1991; CHRISTINE REIZIG/GUNTER MÜLLER (Hg.): Martin Luther und der Bergbau. Aus Tischreden, Briefen und Predigten, Wittenberg 2000. 41 HEINRICH FAUSEL: D. Martin Luther: Leben und Werk. 2 Bde, München/Hamburg 1966 (Gütersloh4 1983). 42 REINHARD DITHMAR (Hg.): Luthers Tischreden, Weimar 2010. Vgl. auch die Hörbuch-CD aus dem Kreuz-Verlag von 2008: Uwe Ochsenknecht liest Luthers Tischreden (Regie: Reiner Leister). 43 THOMAS S. KEPLER (Hg.): The table talk of Martin Luther, übers. von William Hazlitt, New York 1952 (ND Grand Rapids, MI 1995). 44 THEODORE G. TAPPERT/HELMUT T. LEHMANN (Hg.): Martin Luther: Works. Bd. 54: Table talk, Philadelphia, PA 1967.

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setzungen vermittelten Anschauungen über Luther nachzugehen und zu überprüfen, wie repräsentativ oder von dem jeweiligen Herausgeber akzentuiert sie sind.

Zum Umgang mit Luthers Tischreden Hermeneutisch-methodische Erwägungen anhand von Luthers Aussagen über Kind und Kindheit in den Tischreden KATHARINA BÄRENFÄNGER Dass bei der Beschäftigung mit Luthers Tischreden die Gefahr besteht, in überlieferungsgeschichtlichen Treibsand zu geraten, ist unter den Lutherforschern des 21. Jahrhunderts kein Geheimnis. So haben etwa neutestamentliche Exegeten in ihrem wissenschaftlich verantwortbaren Umgang mit der Quellenlage der Evangelientexte den kirchengeschichtlichen Wissenschaftlern in ihrer Behandlung der diffusen Literaturgattung der sogenannten „Tischreden“ viele Jahrhunderte Forschungsarbeit voraus.1 Gleichzeitig bieten gerade die Tischreden innerhalb des Corpus Lutheranum exklusive Möglichkeiten für ein vertieftes Verständnis der Person Luthers, so etwa in der gattungsbedingt darin besonders ausgeprägten Korrelation biographischer und theologischer Aspekte, die eine Beschäftigung mit ihnen motivieren, gleichzeitig aber erfordern, über die Art und Weise der Ergebnisgewinnung methodisch Rechenschaft abzulegen. Die folgenden Erwägungen mögen daher im Sinne einiger hermeneutischer Wegweiser verstanden werden – entstanden im Rahmen der Arbeit an meiner Dissertation und ausgerichtet auf ein noch von überlieferungsgeschichtlichem Treibsand durchzogenes Gebiet kirchengeschichtlicher Forschung. Sie 1

Siehe hierzu zusammenfassend: ULRICH LUZ / HANS WEDER (Hg.): Die Mitte des Neuen Testaments. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Theologie, FS für Eduard Schweizer zum siebzigsten Geburtstag, Göttingen 1983; HANS WEDER: Neutestamentliche Hermeneutik (Zürcher Grundrisse zur Bibel), Zürich 21989; RUDOLF BULTMANN: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze 1–5, Tübingen 1933–1965; MARTIN DIBELIUS: Die Formgeschichte des Evangeliums, Günther Bornkamm (Hg.), 3. photomechanischer Nachdruck der 3. Aufl. mit einem erw. Nachtr., Tübingen 61971; JENS SCHRÖTER / RALPH BRUCKER (Hg.): Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, Berlin / New York 2002 (BZNW 114); PETER STUHLMACHER : Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik, Göttingen 1979 (GNT 6); JÖRG FREY: Metaphorik und Christologie, Berlin 2003 (TBT 120); DERS.: Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 2007.

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gliedern sich in eine Skizzierung der Problemlage anhand exemplarischer Fälle basierend auf dem praktischen Umgang mit Luthers Aussagen über Kind und Kindheit in den Tischreden (1) sowie in Erwägungen zur Brauchbarkeit und Anwendbarkeit hermeneutisch-methodischer Erkenntnisse des 21. Jahrhunderts auf die Tischreden als Quellenbasis (2).

1. Hermeneutische Beobachtungen beim Umgang mit Luthers Tischreden Das Verhalten und Wesen seiner sechs Kinder Johannes (*1526), Elisabeth (*1527, †1528), Magdalena (*1529, †1542), Martin (*1531), Paul (*1533) und Margaretha (*1534) bot Luther als Theologe, der im Alter von 42 Jahren erstmals Vater wurde,2 alltagsbedingte Anlässe zu theologischen Reflexionen, die damit gleichermaßen als Quelle für theologische Erkenntnisse wie auch als Exempel für theologische Aussagen fungierten. Ersterer Fall liegt vor, wenn Cordatus in Form einer Tischrede die folgende Szene überliefert: „Cum ad se accepisset infantem, qui percacabat eum, dicebat: Ach, vnser Herr Gott mus gar viel grosser gestanck leiden von den menschen den vater und mutter von yhren kindern“3.

Eine andere Überlieferungsspur enthält im Sinne des zweiten Falls Luthers Worte: „Ists nicht ein plag, quod tantopere et tantum amplificamus peccata nostra, et quare non amplificamus baptismum, sicut amplificamus patrimonium nostrum? Ein furst bleibt ein furst, licet scheis in die wiegen. Ein kindt bleibt haeres paternorum bonorum, ob es dem vatter auf die schoß oder in die hosen scheist und saicht. Si sic possemus amplificare 2

Zu biographischen Fragestellungen bezüglich Luthers Rolle als Familien- und Hausvater, siehe ERNST KROKER: Katharina von Bora. Martin Luthers Frau. Ein Lebens- und Charakterbild, Berlin 161983; MARTIN TREU: Katharina von Bora, Wittenberg 31999 (Biographien zur Reformation); VOLKER LEPPIN: Luther privat. Sohn, Vater, Ehemann, Darmstadt 2006; CHRISTOPHER SPEHR: Reformatorenkinder. Frühneuzeitliche Lebensaufbrüche im Schatten bedeutender Väter, in: LuJ 77 (2010), 183–219; ELKE STRAUCHENBRUCH: Luthers Kinder, Leipzig 2010. 3 WA.TR 3, 219, 24–27 [Nr. 3203a.] (Cord. 1542; Zell. 559). [„Als er ein Kind zu sich nahm, das ihn bekackte, sagte er: Ach, vnser Herr Gott mus gar viel grosser gestanck leiden von den menschen den vater und mutter von yhren kindern.“] Die Zitate in Fußnoten werden im Folgenden wiedergegeben in Übersetzung von Katharina Bärenfänger. Siehe zu Nr. 3203a. auch die ursprüngliche Parallelüberlieferung von Schlaginhaufen in WA.TR 2, 152, 22-25 [Nr. 1615] (Schlag. 375; Clm. 943, 207), in der exklusiv die mütterliche Rolle als theologischer Vergleichspunkt dient.

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Zum Umgang mit Luthers Tischreden

possessionem, haereditatem nostram coram Deo! Meus Ioannes nihil allegat quam navitatem, ideo dicit se esse haeredem, quia ego sum pater illius. Sic nostra iustitia est relativa; bin ich nicht frumb, so bleibt Christus frumb. Ah, die kinder sein die aller glersten; die vertrauen irem vatter vnd sagen auch von Gott fein einfeltiglich, das er ir vatter sei. Sie faren auch wol vnd disputirn nicht uil“4.

Beide Tischreden sind erhalten in Form von Nachschriften aus der älteren Gruppe von Tischredensammlern, von Cordatus (Nr. 3203a) und Schlaginhaufen (Nr. 1712), als auch in der Gestalt, die Aurifaber ihnen gegeben hat.5 Dieser überliefert den von Schlaginhaufen tradierten Inhalt zum Thema Kindschaft und Erbschaft durch Erweiterungen mittels Schriftbelegen und eigenen theologischen Ausführungen in nahezu doppeltem Umfang: WA.TR 2, 190, 10–20 [Nr. 1712] (Schlag. 434; Clm. 943, 216b)

WA.TR 2, 190, 22–191, 14 [Nr. 1712] (FB. 2, 274 [17, 17])

„Ists nicht ein plag, quod tantopere et tantum amplificamus peccata nostra, et quare non amplificamus baptismum, sicut amplificamus patrimonium nostrum?

„Ists nicht eine Plage, daß wir unser Sünde so hoch aufmutzen und groß machen, und vergessen indeß der Taufe Christi, ‚der uns von Gott gegeben ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung‘ 1. Cor. 1.? Können wir doch sonst unser Erbtheil groß machen! Ein geborner König, Fürst etc. bleibt ein Fürst, ein Kind bleibt ein Erb seines Vaters Güter und hindert ihn nichts dran, wenn er sich gleich unrein macht, der Mutter auf die Schos hofiret und den

Ein furst bleibt ein furst, licet scheis in die wiegen. Ein kindt bleibt haeres paternorum bonorum, ob es dem vatter auf die schoß oder in

Erweiterung durch Schriftbelege

Beseitigung von Anstößigem

4 WA.TR 2, 190, 10–20 [Nr. 1712] (Schlag. 434; Clm. 943, 216b). [„Ists nicht ein plag, dass wir unsere Sünden so sehr und so viel vergrößern, und warum vergrößern wir nicht die Taufe, gleichwie wir unser Vermögen vergrößern? Ein furst bleibt ein furst, selbst wenn er scheis in die wiegen. Ein kindt bleibt Erbe der väterlichen Güter, ob es dem vatter auf die schoß oder in die hosen scheist und saicht. Wenn wir so den Besitz vergrößern könnten, unser Erbe vor Gott! Mein Johannes bringt nichts vor als die Geburt, deswegen sagt er, dass er Erbe sei, weil ich sein Vater bin. So ist unsere Gerechtigkeit auf einen anderen bezogen; bin ich nicht frumb, so bleibt Christus frumb. Ah, die kinder sein die aller glersten; die vertrauen irem vatter vnd sagen auch von Gott fein einfeltiglich, das er ir vatter sei. Sie faren auch wol vnd disputirn nicht uil.“] 5 Zu Aurifabers Überlieferung des zitierten Stückes aus WA.TR 3, 219, 24–27 [Nr. 3203a] (Cord. 1542; Zell. 559) siehe WA.TR 2, 152, 27–153, 5 [Nr. 1615] (FB. 1, 200 [3, 58]).

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die hosen scheist vnd saicht. Si sic possemus amplificare possessionem, haereditatem nostram coram Deo!

Vater beschmeißt. Wollt Gott, daß wir solchs auch könnten thun, wenn wir die Sünde fühlen und uns der Tod und Gottes Zorn recht schreckt, und freudig sagen: Ich bekenne, daß ich gesündigt habe und bin ein böser Bube gewest, sollte darüm Gott ein Lügener sein, der durch seinen auserwähleten Rüstzeug, S. Paulum, sagt, Rom. 5: ‚Wo die Sünde mächtig worden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger‘, und David: ‚Die Wahrheit des Herrn bleibt ewig?‘ Das hieße unser Erbe für Gott groß achten und machen! Mein Johannes wendet nichts mehr für, und zeuhet nur an die Geburt, sagt, er sei mein Erbe, weil ich sein Vater bin. Also ist unser Gerechtigkeit relativa et aliena, fremde. Bin ich nicht fromm, so bleibt doch Christus fromm. Ah, die Kinder sind am Besten dran, die vertrauen ihren Vätern und reden von ihnen fein einfältiglich, daß er ihr lieber Vater sei, disputiren nicht viel; darüm fahren sie auch am Besten!“

Meus Ioannes nihil allegat quam navitatem, ideo dicit se esse haeredem, quia ego sum pater illius. Sic nostra iustitia est relativa; bin ich nicht frumb, so bleibt Christus frumb. Ah, die kinder sein die aller glersten; die vertrauen irem vatter vnd sagen auch von Gott fein einfeltiglich, das er ir vatter sei. Sie faren auch wol vnd disputirn nicht uil.“

Eigene theologische Ausführungen

Erweiterung durch Schriftbelege

Im Rahmen seiner im vorliegenden Fall vor allem rechtfertigungstheologischen Bearbeitung der oben zitierten Tischrede, sucht Aurifaber Aussprüche Luthers durch Schriftbelege zu verifizieren und mittels eigener Ausführungen deren Verständlichkeit zu steigern. Beides, wie auch die generelle, häufig allerdings fehlerhafte Übersetzung lateinischer Redeteile ins Deutsche,6 trägt zu der beachtlichen Steigerung des Quellenumfangs bei.7 6 Zur redaktionellen Arbeitsweise Aurifabers sowie zur Beurteilung der Qualität seiner Übersetzungen vgl. Walch, J. G. (Hg.): Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften, Bd. 22: Colloquia oder Tischreden, Nachdruck der 2., überarbeiteten Auflage, St. Louis (Missouri / USA) 1887, 41–55, sowie die darauf basierenden Ausführungen von HELMAR JUNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: DERS., hg. v. Michael Beyer; / Günther Wartenberg, Leipzig 2001, Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen (AKThG 8), 155–176, hier 160. Siehe auch GUSTAV KAWERAU: Zur Frage nach der Zuverlässigkeit Johann Aurifabers als Sammlers und Herausgebers Lutherscher Schriften:

Zum Umgang mit Luthers Tischreden

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Neben diesen insbesondere quantitativ-erweiternden Eingriffen in die ursprüngliche Textgestalt sind des Weiteren inhaltlich-verändernde nachweisbar, etwa bestehend aus einer glättenden Bearbeitung des Textstückes, wie sie im Fall der obigen Überlieferungsspur durch die Beseitigung von Anstößigem aus Luthers tradiertem Sprachrepertoire stattfindet, durch die Aurifaber die ihm vorliegenden Nachschriften offensichtlich gezielt überarbeitet.8 So wird im Falle von Tischrede Nr. 1712 aus dem allzu derb menschlich beschriebenen Verhalten des Kindes, das „dem vatter auf die schoß oder in die hosen scheist und saicht“ (WA.TR 2, 190, 14 [Nr. 1712] {Schlag. 434; Clm. 943, 216b}) in Aurifabers Überlieferung ein Kind, das „der Mutter auf die Schos hofiret“ (WA.TR 2, 191, 3 [Nr. 1712] {FB. 2, 274 [17,17]}) und – durch die Einfügung eines zusätzlichen Buchstabens, jedoch inhaltlich nicht näher bestimmt – den „Vater beschmeißt“ (WA.TR 2, 191, 4 [Nr. 1712] {FB. 2, 274 [17,17]}). Neben dieser Art inhaltlich glättender Redaktionsarbeit stehen auf den ersten Blick scheinbar unvereinbar Formen plastischer Ausgestaltungen von Luthers Wortlaut durch Aurifaber, die eine geradezu polemische Tendenz erhalten können, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:

ARG 12 (1915), 155–157. Zur Arbeitsweise Aurifabers unter geschichtlichbiographischer Perspektive, siehe REINHOLD JAUERNIG: Zur Jenaer Lutherausgabe: ThLZ 77 (1952), 747–762. 7 Vgl. hierzu u.a. Aurifabers Vorliebe für tautologische Wortbildungen: „Die Kunst Grammatica lehret und zeiget an, was die Wörter heißen und bedeuten; aber man muß erstlich lernen und wissen, was ein Ding oder Sache sey“ (TR 2, 506, 29–31 [Nr. 2533b] (FB. 4, 560 [67, 17])). Siehe diesbezüglich auch Stolts Hinweis auf die Weitschweifigkeit der Aurifaberschen Texte aufgrund seiner „Synonymfreudigkeit“ (BIRGIT STOLT: Martin Luthers Rhetorik des Herzens, Tübingen 2000, 21). 8 Vgl. dazu auch die Ausführungen Stolts zu Aurifabers glättender Bearbeitung von WA.TR 1, 49, 27–50, 1 [Nr. 122] (VD. 83) im Hinblick auf die Anstoß erregenden Worte: „si potes te cogitatione puellae recreare, facito“ (a.a.O., 49, 29–50, 1), siehe BIRGIT STOLT: Lieblichkeit und Zier, Ungestüm und Donner. Martin Luther im Spiegel seiner Sprache, in: Wolf, Herbert (Hg.): Luthers Deutsch. Sprachliche Leistung und Wirkung, Frankfurt a. M. 1996 (Dokumentation germanistischer Forschung 2), 345–387, hier 323f. sowie Stolts Charakterisierung der Aurifaberschen Tischreden Luthers als „frömmelnd, betulich, geschwätzig“ (STOLT: Luthers Rhetorik des Herzens, 22).

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Katharina Bärenfänger

WA.TR 5, 194, 11–18 [Nr. 5500] (B. 1, 107)

WA.TR 5, 191, 26–32 [Nr. 5494] (FB. 4, 260 [48, 9])

„Man mus die kinder doch versorgen vnd sonderlich die armen megdlein. […] Ein knabe in der schule kan nach partecken lauffen, das er darnach ein feiner man werden kan, wan ers thun wil; das kan ein megdlein nicht thuen, welches balt tzu schanden kan werden.“

„Man muß die Kinder doch versorgen und sonderlich die armen Mägdlin; […]. […] Ein Knabe kann in die Schule laufen nach Parteken, daß darnach ein feiner Mann aus ihm werden kann, wenn ers thun will. Das kann ein Mägdlin nicht thun, es kann bald zu Schanden werden, krieget sie den Bauch voll.“

Plastische Ausgestaltung

Die redaktionelle Herausarbeitung von Luthers polemischem und zuweilen zynischem Unterton erzielt Aurifaber im Zuge dieser Tischrede, indem er die von Luther angedeutete ungewollte Schwangerschaft eines jungen Mädchens um die drastische Beschreibung dessen erweitert: „[...] es kann bald zu Schanden werden, krieget sie den Bauch voll“ (WA.TR 5, 191, 32 [Nr. 5494] {FB. 4, 260 [48, 9]}). Biographische Erfahrungen Aurifabers im militärischen Bereich schlagen sich damit offensichtlich in dem von ihm verwendeten Vokabular seiner Redaktionsarbeit nieder.9 Auf eine andere Art der Umformung trifft der Tischredenleser beim Vergleich der folgenden beiden Überlieferungsstränge, die sich im Kontext des Todes von Luthers dreizehnjähriger Tochter Magdalena finden. Im Rahmen der Edition Bindseils, basierend auf der Sammlung Anton Lauterbachs, belegt eine Überlieferungsspur: WA.TR 5, 193, 8–11 [Nr 5498](B. 1, 106) „Cum pheretro imponeretur filia mortua, dixit Lutherus: Du liebes Lennichen! Wie wol ist dir geschehen! – Aspiciens eam in pheretro dixit: Ach, du liebes kint, das du auffstehen müssest und

9

WA.TR 5, 191, 1–3 [Nr.5494] (FB. 4, 260 [48,9]) „Da sie nu in Sarg geleget war, sprach er: ‚Du liebes Lenichen, wie wol ist dir geschehen!‘ Sahe sie also liegend an, und sprach: ‚Ach, du liebes Lenichen, du wirst wieder aufstehen, und leuchten wie ein Sterne, ja wie

Entwurf eines theologisierten Lutherbildes

Ebenso Kroker in WA 3, XXXV. Siehe dazu auch JUNGHANS: Tischreden, 161 und die von ihm in diesem Sinn zitierte Anspielung Luthers auf seinen Tod in TR 4, 439, 6f [Nr. 4703] (Ser. 139): „Ideo me mortuo“, die Aurifaber plastisch ausgestaltet zu: „Darüm wenn ich nu liege und faule“ (TR 4, 439, 21 [Nr. 4703] (FB. 4, 666 [76, 15])). Zu Aurifabers Erfahrungen bei Feldzügen, siehe JUNGHANS: Aurifaber, 752.

Zum Umgang mit Luthers Tischreden leuchten wie die sternen, ja wie die sonne!“10

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die Sonne!“

Im Zuge seiner Bearbeitung entwirft Aurifaber ein theologisiertes Lutherbild, in dem Luther als leiblicher Vater offensichtlich durch die Brille des theologischen Reformators gesehen und zum Glaubensvorbild stilisiert wird: Aus dem verzweifelten Wunsch eines Vaters nach Leben für seine gerade verstorbene Tochter – in Anlehnung an das Lateinische in der Überlieferungsspur B. ausgedrückt im Optativ als Wunschform: „Ach, du liebes kint, das du auffstehen müssest und leuchten wie die sternen, ja wie die sonne!“ (WA.TR 5, 193, 10f [Nr. 5498] {B. 1,106}), gestaltet Aurifaber eine gewisse Hoffnung jenes Vaters im Indikativ: „Ach, du liebes Lenichen, du wirst wieder aufstehen, und leuchten wie ein Sterne, ja wie die Sonne!“ (WA.TR 5,191,1–3 [Nr. 5494] {FB. 4,260 [48,9]}), wodurch er der Nachwelt Luther als geistliche Vaterfigur stärker vor Augen malt als Luther, den leiblichen Vater von sechs Kindern. Nach Lauterbach heißt es weiter: WA.TR 5, 193, 11–14 [Nr. 5498] (B. 1, 106)

WA.TR 5, 191, 3–6 [Nr. 5494] (FB. 4, 260 [48, 9])

„Cum pheretrum illam non caperet, inquit: Das betlein ist ihr tzu klein! – Cum obiisset, inquit: Ich bin frolich im geist, aber nach dem fleisch bin ich ser traurig. Das fleisch wil nicht heran. Separatio vexiret einen uber die massen ser.“11

„Da man ihr aber den Sarg zu enge und zu kurz gemacht hatte, sprach er: ‚Das Bette ist ihr zu klein, weil sie nu gestorben ist. Entwurf eines Ich bin ja fröhlich im Geist, aber theologisierten nach dem Fleisch bin ich sehr Lutherbild traurig; das Fleisch will nicht heran, das Scheiden verirt einen uber die Maße sehr.‘“

Der Sarg, in den Luthers Tochter kurze Zeit nach Eintritt des Todes gelegt wurde, war den Quellen nach offensichtlich entweder zu eng oder zu kurz geschreinert, so dass sich Luthers Worte als der automatische Impuls eines fürsorglichen Vaters plausibilisieren, der ungeachtet des leiblichen Todes die Sorge zum Ausdruck bringt, seine Tochter könnte es nicht bequem ha-

10 [„Als seine tote Tochter im Sarg gebettet wurde, sagte Luther: Du liebes Lennichen! Wie wol ist dir geschehen! – Als er sie im Sarg sah, sagte er: Ach, du liebes kint, das du auffstehen müssest vnd leuchten wie die sternen, ja wie die sonne!“] 11 [„Als der Sarg sie nicht fasste, sagte er: Das betlein ist ihr tzu klein! – Als sie gestorben war, sagte er: Ich bin frolich im geist, aber nach dem fleisch bin ich ser traurig. Das fleisch wil nicht heran. Trennung erschüttert einen uber die massen ser.“]

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ben. Es spricht situationsbezogen also vieles für eine instinktiv menschliche Reaktion Luthers beim Anblick seiner in den Sarg gezwängten Tochter, auch wenn Aurifaber durch seine Bearbeitung eine vergeistigte Deutung nahe legt durch den Zusatz: „Das Bette ist ihr zu klein, weil sie nu gestorben ist“ (WA.TR 5,191,3-6 [Nr. 5494] {FB. 4,260 [48,9]}). Die fortgeschrittene Erforschung der Person und Arbeitsweise Aurifabers als Tischredensammler ermöglicht es allerdings nicht nur, redaktionelle Bearbeitungsspuren text- und literarkritisch in Aurifabers Überlieferungen zu erheben, sondern auch, sie auf der Hintergrundfolie biographischer Informationen und im Dienste eines nachweisbar gezielten Bearbeitungsinteresses zu interpretieren. Die Terminologie, Theologie und der Umfang der Aurifaberschen Überlieferung spiegeln das biographische Selbstverständnis ihres Überlieferers wider, insofern Aurifaber nach Luthers Tod der Gruppe der sogenannten Gnesiolutheraner zugerechnet wurde und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Zuge des Streits um ein angemessenes Verständnis der lutherischen Reformation für eine Abgrenzung derselben gegenüber dem Calvinismus warb.12 Spuren seines Selbstverständnisses als Verwalter des Lutherschen Erbes finden sich ebenso in dem redaktionell intendierten Nachweis der Schriftgemäßheit von situativ bedingten Aussagen des Reformators in den Tischreden als auch in der Abwehr von Missverständnissen mittels ausführlicher Darlegungen von ansonsten komprimiert überlieferten Sachverhalten. Die Tendenz zu einer glorifizierenden Darstellung Luthers in seiner geistlichen Vorbildfunktion einerseits und die Verstärkung von Luthers kämpferischpolemischem Ton andererseits stehen damit im Dienste desselben apologetisch-theologischen Bearbeitungsinteresses. Was im Hinblick auf Aurifaber als Tradenten an Forschungsarbeit in der Vergangenheit bereits geleistet wurde und aktuell weiter fortgesetzt wird, steht für einen Großteil der Tischredenschreiber und ihrer Tradierungsweise allerdings noch aus.

12 Zur Person Aurifabers siehe GUSTAV HAMMANN: Aurifaber (Goldschmied), Johann (Vimariensis), in: NDB 1 (1953), 457; REINHOLD JAUERNIG: Aurifaber (Goldschmid), Johannes, in: RGG3 1 (1957), 752; HEINZ SCHEIBLE: Aurifaber (Goldschmidt) Vinariensis, in: RGG4 1 (1998), 975; HELMAR JUNGHANS: Aurifaber, Johannes, in: TRE 4 (1979), 752–755; FRIEDRICH WILHELM BAUTZ: Aurifaber, Johannes (Vimariensis), in: BBKL 1 (1990), 303f.

Zum Umgang mit Luthers Tischreden

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2. Hermeneutische Erwägungen zum Umgang mit Luthers Tischreden Die Beobachtungen auf textlicher Ebene, unter 1 exemplarisch dargestellt an der Arbeitsweise Aurifabers, stellen den Ausleger vor die Herausforderung eines angemessenen Umgangs mit den unterschiedlichen Überlieferungssträngen des Tischredenmaterials.13 Um wissenschaftlich verantwortbare Aussagen über Begebenheiten und Gespräche aus den Aufzeichnungen der Tischredenschreiber treffen zu können, muss ein Ausleger darüber Rechenschaft geben, welche Faktoren innerhalb des Überlieferungsprozesses als für die gegenwärtige Textgestalt formend zu berücksichtigen sind. Die damit verbundene Frage nach einem Verständnis Luthers auf der Grundlage des Tischredenmaterials, aber jenseits der Wirkungsgeschichte dieser Literaturgattung (siehe 2.1), arbeitet unverkennbar mit einer hermeneutischen Fiktion, nämlich der, Luther jenseits der Wirkungsgeschichte als fiktiven Gesprächspartner zu erreichen – aber genau diese Fiktion leitet das theologische Interesse. Nach der Ermittlung von Überlieferungs- und Bearbeitungsschichten (siehe 2.2) wird der Versuch zu unternehmen sein, Schicht für Schicht behutsam abzutragen, um nicht nur bis zu der möglichst ursprünglichsten Textfassung durchzudringen, sondern auch bis zu Luthers theologischem Anliegen selbst, der „Sache Luther“ (siehe 2.3). Die Aufgabe, die sich im Zuge einer Hermeneutik der Tischreden diesbezüglich stellt, ist somit die Suche nach regulativen Ideen, die helfen, Verfremdungen und Verfälschungen aufzudecken und zu deuten. Neben der text- und literarkritischen Arbeit erfordert dies vor allem eine Kontextualisierung des Quellenbefundes auf historischer und theologischer Ebene mit dem Ziel einer theologiehistorischen Rekonstruktion. So wird an diesem Punkt die vermeintliche Unmittelbarkeit des Gegenwartsbezugs der Tischreden und der in ihnen enthaltenen Aussagen gezielt zugunsten einer Wahrnehmung der historischen Distanz aufgesprengt. Hat die historische Arbeit damit einen entscheidenden Punkt ihres Interesses erreicht, so zielt das hermeneutische Interesse an Luthers Tischreden auf die theologische Applikation des Rekonstruierten und auf die Erhebung von dessen Gegenwartsrelevanz, die etwa über den Weg der existenzbezogenen Deutung erzielt wird (siehe 2.4). Was diese Vorgehensweise für eine Hermeneutik von Luthers Tischreden konk13 Siehe hierzu jeweils Krokers Einleitungen zu den in der WA aufgenommenen Tischredennachschriften und -sammlungen: WA.TR 1, XXVI–XLI; WA.TR 2, IX– XXXII; WA.TR 3, XI–XLIV; WA.TR 4, IX–XLV; WA.TR 5, XI–XLIII; WA.TR 6, XI– XXXIX.

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ret bbedeutet und an Herau usforderunggen mit sich bringt, so oll im Folggenden refleektiert werdden. Die Ausführung gen gliedern A n sich dah her, entspreechend des ddeszendiereenden Teilss des hermeeneutischen n Schemas (vgl. Abb. 1), in Überrlegungen zum „nach htextlichen Bereich“ der Rezepttions- oderr Wirkunggsgeschichtte, zum „tex xtlichen Beereich“ der Redaktions- und Übeerlieferungsgeschichtee und zum m „vortextliichen Bereeich“ der sozialen Exxistenz Luthhers sowie, entsprech hend des aaszendierenden Teils des hermeeneutischenn Schemass, in Überleegungen zuum „transteextlichen Bereich“ derr existenzbbezogenen Deutung der rekonstrruierten historischen Theologie T uund ihrer thheologischeen Applikattion. Rezeeption

nachtextllich

Redaktionn

Luuthers Theo ologie: Theologissche Applikkation

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Autor

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Luthers Theologie Existenzbezogene D Deutung

Kontextuali isierung K a) a historischh b) b theologissch

Luuthers Theologie: Theologiiehistorisch he Rekonstrruktion Abb. 1: Das hermeeneutische Scchema

Zum Umgang mit Luthers Tischreden

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2.1 Der „nachtextliche Bereich“: Die Rezeption der Tischreden Die erste große Sammlung von Luthers Tischreden, die Sammlung Aurifabers, erschienen 1566 in Eisleben, war bekanntlich die für lange Zeit maßgebliche Tischredenüberlieferung, die das Lutherbild vieler Generationen entscheidend prägte. Nicht zuletzt trug hierzu die von Aurifaber geleistete Übersetzung der lateinischen Tischredenteile ins Deutsche bei, die einen Gebrauch im außeruniversitären und laientheologischen Bereich begünstigte.14 Gerade in diesem Kontext erfuhren die Tischreden eine breite Rezeption, da sich in ihnen theologische Gedanken nicht primär in einer abstrakten Darstellung und komplexen Entfaltung finden, sondern eingezeichnet sind in das alltägliche Leben einer Familie des 16. Jahrhunderts, das trotz der sozialen und gesellschaftlichen Unterschiede bis ins 21. Jahrhundert für Menschen zahlreiche Identifikationspunkte bietet. So entsteht der Eindruck, Luther in dieser Literaturgattung unmittelbarer und unverstellter zu begegnen als andernorts – so etwa, wenn Luther angesichts seines Sohnes Martin, der gestillt wird, auf Gedanken über die gottgeschenkte Unbekümmertheit von Kindern zu sprechen kommt: „Filiolo ipsius Martino sugente ubera matris, dixit Doctor: Dem kind ist feind bapst, bischoue, hertzog Georg, Ferdinandus und alle Teuffel, das kindlin furcht sich nichts fur inen allen, sondern saugt den zitzen mit freuden, fragt nichts umb alle seine feinde, ist guter ding vnd lesst sie zurnen, so lang sie wollen. Vere dixit Christus: Nisi efficiamini etc.“15.

Das Bild eines Kindes an der Brust seiner Mutter ist auch Menschen des 21. Jahrhunderts als Realität vertraut, so dass der dahinter stehende theologische Gedanke zugänglich wird. Wissenschaftliche Beschäftigung mit den Tischreden aber muss der überlieferungsgeschichtlichen Unsicherheit dieser Gattung Rechnung tragen, nicht zuletzt, indem auch der Ausleger sich selbst als durch die Re-

14 Zu Aurifabers Übersetzungstätigkeit vgl. Anm. 7 sowie die Charakterisierung der Aurifaberschen Tischredensammlung von Kroker als ein „oft benutztes Nachschlagebuch“ für Theologen und ein „gern gelesenes Unterhaltungsbuch“ für Laien (ERNST KROKER: Luthers Tischreden als geschichtliche Quelle, in: LuJ 1 (1919), 81–131, hier 129). 15 WA.TR 2, 156, 18–23 [Nr. 1631] (Ror. Bos. q. 24s, 111b). [„Als sein Söhnlein Martin an den Brüsten der Mutter saugte, sagte der Doktor: Dem Dem kind ist feind bapst, bischoue, hertzog Georg, Ferdinandus und alle Teuffel, das kindlin furcht sich nichts fur inen allen, sondern saugt den zitzen mit freuden, fragt nichts umb alle seine feinde, ist guter ding vnd lesst sie zurnen, so lang sie wollen. Wahrhaftig, Christus sagte: Wenn ihr nicht werdet etc.“]

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zeptionsgeschichte der Tischreden und die Fiktion ihrer Unmittelbarkeit geprägt verstehen muss.16 2.2 Der „textliche Bereich“: Die Redaktion der Tischreden als Formung von Nachschriften durch Mitschreiber und Anfertigung von Abschriften durch Abschreiber Die unter 1. exemplarisch vorgestellte Arbeitsweise Aurifabers kann, gerade in ihrer unmittelbar erkennbaren Zuspitzung mit überdeutlichen Bearbeitungsspuren, als Beispiel dafür gelten, wie bei der Überlieferung der Tischreden gearbeitet wurde – nicht nur durch Aurifaber, sondern auch durch andere Tischredenschreiber, und dies nicht nur im Zuge der Tischredenüberlieferung, sondern, wie ein Blick auf die fortgeschrittene Erforschung neutestamentlicher Redaktionskritik belegt, etwa auch im Kontext der Evangelienüberlieferung.17 Die in der Tischreden-Forschung kritisch

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So bemerkt Junghans etwa über Hoppe, der mit seiner textkritischen Arbeit an der Aurifaberschen Überlieferung im Rahmen von Walch2 einen entscheidenden Beitrag zur Aufsprengung des von Aurifaber entworfenen Bildes eines Tischredenluthers geleistet hat: „Aurifaber hat mit seiner Bearbeitung ein bestimmtes Lutherbild stilisiert, das auch bei Hoppe noch nachwirkt“ (JUNGHANS: Tischreden, 160). 17 So Kroker über die redaktionelle Arbeitsweise Aurifabers: „Bald reißt Aurifaber einen längeren Text in mehrere kleinere Stücke und verteilt diese dem Inhalt nach in verschiedne Kapitel, bald vereinigt er mehrere kleine Reden zu einem größeren Ganzen; bald nimmt er nur die Anfangs- oder Schlußsätze eines Stücks, bald mehrere Sätze mitten aus einem Stück in seine Sammlung auf. Seine unleidliche Sucht, Luthers Worte durch eigne Zutaten aufzuputzen, läßt es zuweilen fast unmöglich erscheinen, festzustellen, wo Luthers Worte aufhören und Aurifabers Zusätze anfangen“ (WA.TR 6, XXI). Ähnlich Meyer, jedoch über die Arbeitsweise Lauterbachs als Tischredensammler: „Bedenklich sind die Fälle, wo Lauterbach sich gestattete, ganz verschiedene Aussprüche und Geschichten, desswegen weil sie ihm verwandt erschienen, in 1 Geschichte zusammenzuschweissen“ (WILHELM MEYER: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen der Tischreden Luthers, Berlin 1896 (AGWG.PH.NR 1, Nr. 2), 23. Vgl. in diesem Sinne auch die Feststellung in einem wirkungsvollen exegetischen Lehrbuch hinsichtlich des Umgangs der Evangelisten mit den Logien Jesu: „Größere ‚Reden‘ Jesu erweisen sich dementsprechend als sekundäre Zusammenstellungen ursprünglich einzelner Sprüche. So zeigt die Analyse […], daß […] (sie) je für sich selbständige Aussagen sind, die als isolierte Logien verständlich sind, bevor sie dann im jetzt vorliegenden Gesamtzusammenhang einen möglicherweise neuen Sinn erhalten“ (HANS CONZELMANN / ANDREAS LIN14 DEMANN : Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Tübingen 2004, 100). Entsprechend wird bei Aurifaber neben der Art redaktionellen Arbeitens die sich häufig hieraus ergebenden Unschärfen und Fehler u.a. bei der Lokalisierung oder Datierung von Redestücken kritisiert.

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und hinsichtlich des Quellenwertes18 mindernd beurteilten überlieferungsgestaltenden Eingriffe Aurifabers in den Wortlaut seiner Vorlagen – sowohl die theologische Überarbeitung und Ergänzung des ursprünglichen Wortlauts19 als auch die unter bestimmten Kriterien erfolgende Glättung des Inhalts20 sowie der Entwurf eines theologisierten Glaubensvorbildes21 und die gattungsmäßige Transformation22 von Lutherworten – sind damit 18 Vgl. dazu die editorische Entscheidung für einen Kleindruck der Aurifaberschen Texte in der WA, sofern sie keine exklusive Überlieferungsspur darstellen: „In allen früheren Abschnitten haben wir die Texte von FB. in Petit abgedruckt, um schon durch den kleineren Druck darauf hinzuweisen, daß Aurifabers Sammlung nicht denselben Wert hat wie die Urschriften von Luthers Tischreden“ (WA.TR 6, XI, Anm. 1). Ähnlich Kawerau über Aurifabers Briefsammlung: „Durch diese Beobachtungen sinkt der Wert seiner Briefsammlung beträchtlich“ (KAWERAU: Zuverlässigkeit Aurifabers, 157). Anders hingegen Meyer über Aurifaber als einen “weit tüchtigeren Kopf als Lauterbach” (MEYER : Lauterbach und Aurifaber, 6): „Dieses grössere Ansehn hat Aurifabers Buch verdient; denn er hat nicht nur mit demselben Fleisse gesammelt und gearbeitet, wie Lauterbach, sondern auch mit weit mehr Einsicht“ (Ebd. 29). 19 Siehe hierzu § 1 Hermeneutische Beobachtungen beim Umgang mit Luthers Tischreden. Ähnlich Meyer über die Arbeitsweise Lauterbachs hinsichtlich einer Änderung des ursprünglichen Wortlauts, siehe MEYER, Lauterbach und Aurifaber, 5. Vgl. in diesem Sinne im Rahmen der neutestamentlichen Exegese die Verhältnisbestimmung des ersten synoptischen Evangeliums (Mt) zum zweiten (Mk) bei CONZELMANN, Neues Testament, 326–329 [§ 35.1 Das Matthäusevangelium als „erweiterte Nacherzählung“ des Markusevangeliums]. 20 Vgl. dazu auch die Beobachtungen zur lukanischen Gestaltung der Verurteilungsszene (Lk 23, 1–25) im Hinblick auf eine Minimierung der römischen Schuld im Bereich der neutestamentlichen Exegese, siehe dazu auch UDO SCHNELLE: Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 2005, S. 291f. Eine Aneinanderreihung ungeglätteter Kuriositäten aus der Tischredenüberlieferung findet sich bei KARL DIENST: Martin Luther als Tischredner. Eine Tischrede: Luther 70 (1999), 145–150. 21 Vgl. in diesem Sinne auch die Theologisierungen und Erweiterungen in den matthäischen Seligpreisungen (Mt 5, 3–12) im Vergleich zur lukanischen Feldrede (Lk 6, 20– 23), vgl. CONZELMANN: Neues Testament, 100. Siehe ebenso die markinische Gestaltung der Sohn-Gottes-Christologie, vgl. hierzu GERD THEISSEN / ANNETTE MERZ: Der historische Jesus, Göttingen 1996, 480–482 [§ 5. Die Verwandlung des Jesusbildes durch Kreuz und Ostern, § 5.1 Vom Messias zum Sohn Gottes]; CONZELMANN: Neues Testament, 321–324. 22 Eine auffällig große Anzahl von Lutherbriefen finden sich, von Aurifaber in die Form einer Tischrede gegossen, in seinem Abschnitt über Ehefragen: So eröffnet Aurifaber eine Tischrede mit den Worten „Da D. M. L. gefragt ward von etlichen Predigern um einen Fall im Ehestande, sprach er” (WA.TR 6, 273, 38–274, 1 [Nr. 6926] (FB. 4, 115 [43, 131])), während Luther selbst im Rahmen dieser Tischrede explizit auf den schriftlichen Kommunikationsweg anspielt: „In dem Fall aber, davon Ihr mir geschrieben, habt Ihr unser klare, einfältige und christliche Antwort“ (WA.TR 6, 274, 13f [Nr. 6926] (FB. 4, 115 [43, 131])).

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weniger Spezifika der Aurifaberschen Arbeitsweise als vielmehr eine generell voraus zu setzende Vorgehensweise im Rahmen eines solchen Tradierungsprozesses.23 Entsprechend unverblümt, wenn auch mit erkennbar legitimatorischem Interesse, gibt Aurifaber selbst in der Einleitung zur ersten Ausgabe seiner Sammlung ein Selbstzeugnis dieser Arbeitsweise: „Nachdem ich bis anher etliche Tomos von hinterstelligen Büchern, Predigten, Schriften und Sendbriefen D. Martin Luthers zu Eisleben habe drucken lassen, als habe ich diesen Tomum Colloquiorum oder Tischreden jetzt allhier auch verfertiget, und im Druck ausgehen lassen, welcher anfänglich aus des Ehrwürdigen Herrn M. Antonii Lauterbachs Collectaneis Colloquiorum, so er selbst aus dem heiligen Munde Lutheri aufgezeichnet, ist zusammen getragen, und hernach von mir in gewisse Locos communes distribuiret und verfasset, auch aus anderer gottseliger und gelehrter Leute geschriebenen Büchern Colloquiorum, welche Doctor Martin Luthers Tischgenossen viele Jahre her gewesen, als des Herrn M. Veit Dietrichs, M. Hieronymi Besoldi, auch des Pfarrherrn zu Cöthen, Magister Johann Schlaginhauffens und Magister Johannis Mathesii, item, aus Anderer mehr Bücher, so mit D. M. Luthero stets umgangen, und täglich um ihn gewesen, als, Magister Georg Rörer seligen, zum mehrern Theil gemehret und gebessert. Darnach so hab ich auch aus Magister Johann Stolsii seligen, und Magister Jacobi Webers, Pfarrherrn zu Ordorf, geschriebenen Collectaneis Colloquiorum, viel gutes Dinges genommen, und in diesen Tomum gesetzet. Und dieweil ich, Johannes Aurifaber, vor D. Martin Luthers Absterben Anno 1545 und 1546 auch viel um D. M. Luthern gewesen bin, als habe ich viel herrlicher Historien und Geschichte, auch andere 23 Vgl. dazu auch die von BARTMUß dargestellten, ähnlich gearteten überlieferungsgeschichtlichen Probleme im Rahmen der Erforschung der Dicta und Exempla Melanchthons, deren Überlieferung mit einigen Ausnahmen nicht auf den Tradentenkreis der Lutherschen Tischreden zurückgeht: „Im formalen Aufbau ähneln sich die Tischredensammlungen Aurifabers und die Beispielsammlungen des Manlius. Ihre Entstehungs-, Traditions- und Redaktionsgeschichte ist ganz ähnlich“ (ALEXANDER BARTMUß: Melanchthon erzählt. Ein Beitrag zu den “Dicta und Exempla” Melanchthons, in: Luther 79 (2008), 26–40, hier 38). Entsprechend ähnlich fällt die Kritik aus: „Beide [Anm.: Camerarius und Peucer] meinten, diese Exempelsammlung [Anm.: des Manlius] sei des Ansehens Melanchthons nicht würdig. Er würde verunglimpft und als Schwänke-Erzähler dargestellt, der Gelehrte und Reformator seiner Ernsthaftigkeit beraubt und Feinden damit in die Hände gespielt. Ein Vorwurf, den sich auch Aurifaber im Blick auf die Tischredensammlung gefallen lassen mußte. Auch ihm warf man vor, den Gegnern Luthers und der lutherischen Reformation in die Hände zu spielen. Daß das Gegenteil der Fall war, beweist die breite Rezeption beider Sammlungen“ (BARTMUß, Melanchthon erzählt, 39). Zu den Dicta Melanchthons siehe auch OTTO WALTZ: Dicta Melanthonis, in: ZKG 4 (1880), 324–333.

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nöthige und nützliche Dinge, so er über Tisch geredet, fleißig aufgezeichnet, das ich denn hierein auch geordnet und gebracht habe.“24 Aurifabers Interesse galt der Veröffentlichung von Unveröffentlichtem aus Luthers Predigt-, Vorlesungs-, Schriften-, Brief-25 und zuletzt auch Tischredenbestand,26 dem er selbst durch obiges Zitat den bis heute erhaltenen Gattungsnamen „Tischreden“ verlieh.27 Als wichtigste seiner Quellen benennt Aurifaber die Sammlung Anton Lauterbachs (B.) und,28 darauf folgend, alle bedeutenden Mitschreiber als Gewährsmänner für eine größtmögliche Zuverlässigkeit seiner Überlieferung. Deren Höhepunkt bildet die eigene Augen- und Ohrenzeugenschaft, die durch Aurifabers Stellung als Luthers letzter Famulus ab 1545 und als Luthers Begleiter auf seiner letzten Reise nach Mansfeld ermöglicht wurde.29 24

Einleitung zur 1. Ausgabe von Aurifabers Sammlung Eisleben 1566 (vgl. FB. 4, XXII, zitiert nach WA.TR 6, XV). 25 Bereits 1540 wird der Beginn von Aurifabers Sammler- und Abschreibertätigkeit angesetzt (vgl. JUNGHANS: Tischreden, 155), der 1556 und 1565 dann zwei Bände lateinisch sprachiger Lutherbriefe veröffentlichte. Zu Aurifabers Mitarbeit an der Jenaer Lutherausgabe und seinen publikationsorientierten Verhandlungen mit den Kurfürsten, siehe Reinhold Jauernig, 747–762 Jenaer Lutherausgabe: „Aurifaber setzt die Weimarer Herzöge je länger je mehr mit ihrer Autorität ein, um die Sammlung von Lutherschriften, Handschriften, Nachschriften, Briefen und Tischreden vorwärtszutreiben“. 26 Zu Aurifabers geschäftlichem Veröffentlichungsinteresse, der „gewerbsmäßig zeitgeschichtliche Brief- und Aktensammlungen hergestellt hat“, siehe die Untersuchungen von OTTO CLEMEN: Joh. Aurifaber als gewerbsmäßiger Hersteller von Lutherbriefhandschriften, in: ARG 29 (1932), 85–96. Ebenso bereits Kawerau, der Aurifaber als „betriebsamen literarischen Geschäftsmann“ charakterisiert, der „aus seinen Sammlungen Bände zusammenschrieb, um damit Geld zu verdienen“ (KAWERAU: Zuverlässigkeit Aurifabers, 155). Anders Junghans, der mit Blick auf Ps 78 Aurifabers Selbstverständnis als Tradent des Wirkens Gottes durch Luther insbesondere im Hinblick auf Luthers Kampf gegen die spätmittelalterliche Kirche betont (vgl. JUNGHANS: Tischreden, 156). 27 Lauterbach, der diese Gattungsbezeichnung noch nicht verwendet (vgl. DIENST, Luther als Tischredner, 146), liefert mittels des Titels seiner Sammlung von 1560, veröffentlicht durch Bindseil in drei Bänden (1863–66), eine inhaltliche Bestimmung der übergeordneten, später sogenannten Gattung der Tischreden: „Colloquia meditationes consolationes consilia iudicia sententiae narrationes responsa facetiae domini doctoris Martini Lutheri piae et sanctae memoriae in mensa prandii et coenae et in peregrinationibus observata et fideliter transscripta“ (zitiert nach MEYER: Lauterbach und Aurifaber, 5). 28 Zu Lauterbach als wichtigsten Gewährsmann Aurifabers siehe WA.TR 6, XVI sowie die Untersuchungen bei Meyer, Lauterbach und Aurifaber. Zum Abhängigkeitsverhältnis Aurifabers zu den Tischredenschreibern Veit Dietrich, Hieronymus Besold, Johannes Schlaginhaufen, Johannes Mathesius, Georg Rörer, Johannes Stolsius und Jakob Weber, siehe WA.TR 6, XVI–XX. 29 Siehe dazu JUNGHANS: Aurifaber, 752f.

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Seine Arbeitsweise beschreibt Aurifaber detailliert: Er hat Aufzeichnungen a) „drucken lassen“; b) „zusammen getragen“; c) „in gewisse Locos communes distribuiret und verfasset“; d) „zum mehrern Theil gemehret und gebessert“; e) selbst in den Jahren 1545/46 „fleißig aufgezeichnet“ und (in seine Sammlung) „geordnet und gebracht“ – das heißt, oftmals zum Leidwesen heutiger Ausleger, in eine thematische statt chronologische Ordnung gebracht. Die Kritik der Tischredenforschung betrifft somit ein Bearbeitungssystem, das der Tradent sehr bewusst seinen Überlieferungen zugrunde legte, und dessen Resultat eine thematische Ordnung der ihm vorliegenden Tischreden in 80 Kapiteln war.30 Als Vergegenwärtigung der Abfassungssituation und Überlieferungsgeschichte sei an dieser Stelle zusammengefasst: Aussprüche Luthers in Form der Tischreden sind der Nachwelt erhalten geblieben, da Tischgenossen und Reisegefährten von Luther begannen, sie aufzuschreiben.31 Nachschriften der Mitschreiber, mutmaßlich angefertigt auf der Grundlage von stichwortartigen, deutsch-lateinischen Gesprächsnotizen, wurden bei Bedarf an interessierte Abschreiber weitergeleitet,32 so dass es zu einer Vielzahl von Tischreden-Abschriften und Tischreden-Sammlungen kam, die – so im Falle Lauterbachs und Aurifabers – auch durch gattungsfremde und verfasserfremde Textfragmente ergänzt werden konnten.33 Auf der Grund30

Genaueres hierzu siehe JUNGHANS: Tischreden, 156. Zugunsten einer höheren Benutzerfreundlichkeit im Stile eines Frage-Antwort-Schemas gliederten bereits vor Aurifaber Veit Dietrich und der dazu sogar beauftragte Joseph Hänel das verfügbare Tischredenmaterial in Sachabteilungen, vgl. Ebd. S. 168. Zur sachlichen Ordnung der Sammlung Lauterbachs und des Aurifaber vorliegenden Tischredenmaterials, siehe auch MEYER : Lauterbach und Aurifaber, 5f. 31 Den Beginn der Tischredennachschriften setzt Junghans im Frühjahr 1531 an, vgl. JUNGHANS: Tischreden, 166. Zum Akt des Nachschreibens selbst vgl. die Bemerkung Katharinas, erhalten in der Handschrift Math. L.: „Cum quidam interrogaret Doctorem de loco, respondit ioco Doctorissa: Domine Doctor, non gratis docete eos! Iam colligunt multa“ (WA.TR 4, 704, 19–21 [Nr. 5187] (Math. L. 332 (31)). Zum Bild Katharinas von Bora in den Tischreden, siehe des weiteren NICOLE DE LAHARPE: Portraits de Catherine de Bora, in: Positions Luthériennes 47 (1999), 179–197. 32 Zu diesem Vorgang siehe eine beiläufige Äußerung von Cordatus aus dem Sommer 1531: „Immo viam aliis feci, quod idem auderent, maxime Magister Vitus Theodoricus et Ioannes Turbibida, quorum micas (ut spero) illis meis coniunxero“ (WA.TR 2, 310, 17– 19). Eine anschauliche Darstellung des Entstehungsweges der Tischreden von der Arbeit der Nachschreiber über die Anfertigung von Sammlungen bis zu den editorischen Problemen der bislang jüngsten Tischredenausgabe liefert Junghans, siehe JUNGHANS: Tischreden, 164–171. 33 Näheres zum Vorgehen Aurifabers diesbezüglich, siehe WA.TR 6, XIV. Ähnlich Meyers Beobachtungen zur Sammlung Lauterbachs, vgl. MEYER: Lauterbach und Aurifaber, 27.

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lage dieses Befundes ist die Forschung Anfang des 20. Jahrhunderts zu dem Ergebnis gekommen, dass innerhalb des Tischredenbestands „ursprüngliche Parallelen“ aufgrund der Mitschrift einer Lutherrede durch mehrere Tischgenossen zu unterscheiden sind von „abgeleiteten Parallelen“, bei denen mehrere Abschriften einer Mitschrift angefertigt wurden. Die „scheinbaren Parallelen“ hingegen entstanden, weil Luther über manche Themen wiederholt sprach und wichtige Einsichten unterschiedlich kontextualisierte.34 Aus diesem Quellenbefund resultieren immense Anforderungen an die textkritische Arbeit eines Auslegers: Existieren mehrere „ursprüngliche Parallelen“ so bedarf es des exegetischen Textvergleiches zur Ermittlung der textlichen Schnittmenge durch Subtraktion von Sondergut. Existiert eine Überlieferungsspur exklusiv, so ist sie kritisch auf die für ihren Autor typischen literarischen Charakteristika hin zu befragen, die wiederum durch einen Textvergleich mehrerer Überlieferungsstücke eines Autors ermittelt werden müssen. Ist der detaillierte Vergleich der sich in Einzelheiten unterscheidenden Parallelen Aufgabe der literar- und redaktionskritischen Arbeit, so ist für Überlegungen zur Hermeneutik die Frage von Interesse, wie stilisiert das Lutherbild ist, das sich in den Nachschriften findet. Verbunden damit scheint die Klärung von Bedeutung, ob alle Mitschreiber, wie nachweislich Aurifaber, ihre Nachschriften primär zu Veröffentlichungszwecken erstellt haben, ob sie hinsichtlich ihrer Überlieferung also einen bestimmten Adressatenkreis vor Augen hatten, oder ob die Nachschriften nur als eigene Gedächtnisstütze zum privaten Gebrauch dienten.35 Diese Fokussierung 34 Vgl. dazu KROKERS grundlegende Erläuterungen in WA.TR 1, XV sowie des weiteren JUNGHANS: Tischreden, 169. 35 Vgl. dazu die von Junghans zur Frage der Glaubwürdigkeit der Tischreden angeführten konträren Meinungen innerhalb der Lutherforschung und die in diesem Kontext thematisierte Frage nach dem Publikationsinteresse der Tischredenschreiber, siehe JUNGHANS : Tischreden, 173f., sowie konkret Krokers Kritik an Seidemanns Fälschungsverdacht und Meyers Vorwurf der Ruhmredigkeit gegenüber Lauterbach (vgl. MEYER: Aurifaber und Lauterbach, 19): „Dieses Urteil wäre nur dann einigermaßen gerechtfertigt, wenn Lauterbach seine Nachschriften für den Druck bestimmt und dabei auch seine eigenen kleinen Angelegenheiten urbi et orbi unterbreitet hätte, aber das ist nicht der Fall. Lauterbachs Hefte sind wirklich – wie Seidemann sie genannt hat – Tagebücher: Tagebücher nicht nur deshalb, weil Lauterbach oft in langen Abschnitten Tag für Tag nachschreibt, sondern auch deshalb, weil er niederschreibt, was ihm selbst in Luthers Hause begegnet ist. […] Wie die übrigen Tischgenossen, so hat auch Lauterbach nicht für seine Zeitgenossen und noch weniger für die Nachwelt gesammelt, sondern zu seiner eigenen Erbauung, Belehrung und Anregung, oft wohl auch nur zu seiner Erinnerung. Erst Aurifaber hat Luthers Tischreden der Öffentlichkeit preisgegeben. Der von Meyer gegen

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des Publikationsinteresses unterstellt eine individuelle Formung der Nachschriften primär beim Nachweis eines gezielten Leserkreises, für den privaten Gebrauch hingegen das Bemühen des Verfassers, eine Situation oder einen Gesprächsgang so genau wie möglich festhalten zu wollen. Dieses Anliegen mag im Hinblick auf persönlich unbekannte, fernstehende Personen leichter realisierbar als bei persönlich bekannten, wird doch das bereits persönlich vorhandene Bild von einer Person die Aufzeichnungen wenigstens unbewusst prägen. Das Raster „typisch Luther“ oder „das stellt Luther ja völlig falsch dar“ wird bei einem Mitschreiber kaum ausgeschaltet werden können. Auch für die zum privaten Gebrauch bestimmten Aufzeichnungen kann folglich eine subjektive Formung durch den Mitschreiber und dessen Interessenlage nicht ausgeschlossen werden – geht diese nun bewusst oder unbewusst vonstatten.36 Was für die erste Stufe des Überlieferungsprozesses nachweisbar ist, gilt ebenso für die weiteren, denn auch die Abschreiber von Nachschriften werden mit entsprechender Skepsis an ihre Vorlagen herantreten und diese mit ihrem persönlichen Lutherbild abgleichen. Die Genauigkeit einer Nachschrift muss demnach durch die persönliche Kenntnis Luthers nicht zwangsläufig gesteigert werden. Für den Ausleger schließt sich an dieser Stelle die Frage nach der Bedeutung des Befundes für seine hermeneutischen Bemühungen an: Ist die Tatsache, dass für die Nachschriften von Luthers Tischreden bereits eine erste Stufe der subjektiven Beeinflussung angenommen werden muss, immer zugleich ein Nachteil für den heutigen Tischredenleser? Die Bearbeitung und Korrektur des ursprünglichen Wortlauts durch einen Nachschreiber muss nicht zwangsläufig vom eigentlichen Sinn der Worte oder der Situation wegführen. Fragmentarische Anspielungen Luthers sind einem Leser des 21. Jahrhunderts möglicherweise erst zugänglich, weil sie bereits im 16. Jahrhundert in einer ersten Stufe der Bearbeitung durch Erläuterungen versehen wurden, indem ihr Sinn durch einen Beleg erweitert oder Verknüpfungen literarisch erstellt wurden, die einem Zuhörer im 16. Jahr-

Lauterbach erhobene Vorwurf der Ruhmredigkeit wird sich also nicht aufrechterhalten lassen“ (WA.TR 3, XII). Vgl. dazu auch KROKER: Luthers Tischreden, 102. Zum Publikationsinteresse Aurifabers, siehe auch Anm. 26. 36 Die dem Bereich bewusster Gestaltung zuzuordnende subjektive Formung einer ganzen Tischredensammlung ist hinsichtlich der Selektion des überlieferten Stoffes für Ludwig Rabe nachweisbar, der als Jurist primär juristisch interessante Aussagen Luthers aus dem Bereich von Staat und Obrigkeit in seine Sammlung aufnahm: „Ein Thema hat für den Juristen Rabe besondere Anziehungskraft: Wo das Gespräch auf die Fürsten, den Adel, die Bürger oder den Bauernstand kommt, da schreibt er eifrig nach; theologische Stoffe fesseln ihn weniger, literarische gar nicht“ (WA.TR 2, XIXf.).

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hundert unmittelbar bewusst waren, aber im 21. Jahrhundert kaum noch erschließbar wären. 2.3 Der „vortextliche Bereich“: Die „Sache Luther“ und die Gestaltung der Reden durch Luther selbst Insbesondere gilt die unter 2.2 explizierte Einsicht für die ermittelte ursprünglichste Textfassung und ihr Verhältnis zur „Sache Luther“ selbst, also zu dem Ereignis, um das es in einer Tischrede geht, jenseits der ersten textlichen Formung. Möglicherweise stellt eine Textvariante, die stärker durch sekundäres Bearbeitungsgut angereichert ist, die „Sache Luther“ angemessener dar als eine knappere Variante, die aufgrund ihres spärlichen Wortgehalts ursprünglich aber auch missverständlich ist,37 weil sie situative Aussprüche entkontextualisiert, dadurch verabsolutiert und so verfälscht. Im Kontext von Luthers Rede über den Zusammenhang von Kindschaft und Erbschaft etwa ist Aurifabers zugespitzt rechtfertigungstheologische Explikation der unverdienten Vaterliebe Gottes mittels Röm 5,20: „Wo die Sünde mächtig worden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger“38 wohl durchaus im Sinne Luthers. „Verfälschungen“ auf textlicher Ebene müssen folglich nicht mit einer „Verfälschung“ der Sache und Intention Luthers selbst in eins fallen. Wie jedoch kann man sich der „Sache Luther“ über die Ermittlung der ursprünglichsten Textgestalt hinaus annähern? Es ist dies wiederum die Suche nach regulativen Ideen, und sie führt in den Bereich der historischen wie theologischen Kontextualisierung39. Die Frage, welche historischen Daten und Informationen über Ereignisse eines Jahres zur Verfügung ste37

„So werden manche Texte der Sammlung von Cordatus erst durch Einbeziehung der Parallelen recht verständlich“ (JUNGHANS: Tischreden, 174), so Junghans. In diesem Sinne plädiert Junghans für die ergänzende Wahrnehmung textlicher Parallelen und ihres „Sondergutes“ als Verstehenshilfe und verweist dabei auf Kroker: „Unterschiedliche Interessen und Neigungen haben zu verschiedenen Nachschriften über dasselbe Gespräch geführt. Kroker wendet sich dagegen, ex silentio zu schließen, was nicht alle haben, sei hinzugefabelt. Er empfiehlt vielmehr, darauf zu achten, wie sich die Niederschriften ergänzen“ (ebd.). 38 WA.TR 2, 191, 7f. [Nr. 1712] (FB. 2, 274 [17, 17]). Vgl. dazu auch 1. Hermeneutische Beobachtungen beim Umgang mit Luthers Tischreden. 39 Nach gattungsinternen Untersuchungen zum Bild der Deutschen und anderer Volksgruppen in den Tischreden (siehe NICOLE DE LAHARPE: L̕ image des allemands et des autres nations dans les propos de table de Luther, in: Positions luthériennes 46 (1998), 40–64) sowie zum Bild Katharinas von Bora (siehe LAHARPE: Catherine de Bora, 179–197) und Martin Bucers in dieser Gattung (siehe NICOLE DE LAHARPE: Bucers Porträt in Luthers Tischreden, in: MATTHIEU ARNOLD / BERNDT HAMM (Hg.): Martin Bucer

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hen, um eine Aussage oder Szene greifbar werden zu lassen, zielt auf eine historische Kontextualisierung. Für den familiären Bereich kann dies Nachforschungen implizieren, über welches Kind Luther eine Aussage trifft, wie alt das Kind zu jenem Zeitpunkt ist oder wie die Familienkonstellation sich insgesamt gestaltet. So informiert eine Tischrede kurz und knapp über den Schmerz Luthers durch den Tod eines seiner Kinder: „Nulla suavior est coniunctio quam coniugii boni, neque ulla est acerbior disiunctio quam coniugii boni. Proxima huic est mors liberorum, quam ego sum expertus, wie wee es thut“40.

Dass sich diese Aussage über Luthers achtmonatige Tochter Elisabeth, durch Veit Dietrichs Nachschriften datierbar in die Zeit zwischen Ende 1531 und April 1533, auf einen Todesfall bezieht, der Luther im Sommer 1528 nach einer gerade überstandenen Pestwelle in Wittenberg unerwartet traf, erfährt der Leser erst durch Einsicht in Luthers Briefwechsel der Jahre 1527/28, der von vielfacher Sorge Luthers um seine junge Familie zeugt. Die Krise dieser Jahre durchlebte Luther als Vater wie auch als Christ. Es muss folglich im Zuge einer Hermeneutik Luthers „Sein in Rollen“ wahrgenommen und durch eine Klärung der Frage bestimmt werden, in welcher Rolle Luther in dem gegebenen Kontext agiert: Handelt und spricht er als Familienvater, Seelsorger, Reformator oder theologischer Lehrer?41 Wie unvermittelt diesbezüglich ein Rollenwechsel stattfinden kann, verdeutlicht eine Nachschrift aus der Sammlung Khumers:

zwischen Luther und Zwingli (SuR.NR 23), Tübingen 2003, 147–156) hat de Laharpe mit dem 2006 erschienen Beitrag zur Judenthematik in den Tischreden unter Bezugnahme auf Äußerungen insbesondere in Luthers Spätschriften (siehe NICOLE DE LAHARPE: Die Juden in Luthers Tischreden, in: ROLF DECOT / MATTHIEU ARNOLD (Hg.): Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006 (VIEG.B 72), 1–14) einen wichtigen Impuls zur Kontextualisierung der Tischreden und zu ihrer thematischen Verhältnisbestimmung gegenüber anderen Gattungen des Corpus Lutheranum geliefert. 40 WA.TR 1, 104, 33–35 [Nr. 250] (VD. 115). [„Kein Zusammenschluss ist süßer als der einer guten Ehe, und keine Trennung ist bitterer als die einer guten Ehe. Nach diesem ist es der Tod der Kinder, von dem ich erfahren habe, wie wee es thut.“] 41 Vgl. methodisch in diesem Sinne die rollenspezifischen Untersuchungen Clanchys zur Biographie Abaelards hinsichtlich dessen Rolle als Mann des Wissens (45–64), als Literat (64–94), Magister (95–132), Logiker (132–162), Ritter (176–199), Liebender (199–228), Mann (228–264), Mönch (282–336), Theologe (336–365), Häretiker (365– 402) sowie als er selbst (411–423), siehe MICHAEL T. CLANCHY: Abaelard. Ein mittelalterliches Leben, Darmstadt 2000 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance).

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„Ludens cum filia sua Magdalena interrogavit eam: Lenichen, was wirt dir der Heilige Christ beschern? – Et addit: Die khindlen haben so seine gedancken de Deo, quod sit in coelo, et quod sit illorum Deus et Pater. Non enim habent cogitationes de Deo.“42.

Der Familienvater, der gerade noch mit seiner zweijährigen Tochter phantasierte, wird unvermittelt zum theologischen Lehrer. Um diesen wiederum zu kontextualisieren, ist es notwendig, Äußerungen Luthers über ein in den Tischreden angerissenes Thema aus der Gattung der Briefe und Schriften des Corpus Lutheranum heranzuziehen, um so beispielsweise zu erheben, wie Luthers anthropologische Aussagen über den Menschen als Kind Gottes in den Tischreden mit seiner zeitgleich entstehenden GenesisVorlesung korrespondieren. Die Untersuchung zielt folglich auf eine theologische Kontextualisierung. An dieser Stelle trifft der Ausleger auf seiner Suche nach regulativen Ideen auf ein nicht unerhebliches Problem: Ist es möglich, regulative Ideen innerhalb des Corpus Lutheranum von überlieferungsgeschichtlich gesicherteren Gattungen, wie den Briefen oder Schriften Luthers, auf die überlieferungsgeschichtlich ungesichertere Gattung der Tischreden zu übertragen? Das Problem hierbei liegt in der unterschiedlichen Intentionalität der Gattungen, die sich hinsichtlich der Kriterien „öffentlich“ und „privat“ beziehungsweise „situativ“ und „reflektiert“ unterscheiden. Die Ausscheidung eines Gedankenganges der Tischreden als sekundäre Umformungsund Bearbeitungsstufe lediglich aufgrund der Spannung zu Luthers Äußerungen in anderen Gattungen seines Werkes, ist nicht ohne weiteres möglich. Die Kongruenz Lutherscher Rede im öffentlichen wie im privaten Bereich muss als Frage gestellt und darf nicht einfach vorausgesetzt werden. Die Schwierigkeit einer gattungsmäßigen Übertragbarkeit regulativer Ideen ist umso gravierender als die Gattung der Tischreden selbst aufgrund der für sie charakteristischen situativen und durchaus auch einmaligen Aussagen gerade nicht die Möglichkeit bietet, mittels einer gattungsinternen regulativen Idee Verfremdungen und Verfälschungen sicher auszuscheiden. Allerdings ist gattungskritisch auch zu fragen, wie privat die in den Tischreden skizzierte Privatssphäre ist, also, als wie gewichtig der Faktor „Privatsphäre“43 hermeneutisch zu beurteilen ist, der in die Gestal42 WA.TR 2, 412, 4–7 [Nr. 2302b.] (Khum. 315b). [„Als er mit seiner Tochter Magdalena spielte, fragte er sie: Lenichen, was wirt dir der Heilige Christ beschern? – Und er fügte hinzu: Die khindlen haben so seine gedancken von Gott, dass er im Himmel sei, und dass er ihr Gott und Vater sei. Sie zerbrechen sich über Gott nämlich nicht den Kopf.“] 43 Zum sich wandelnden Verständnis von Privatheit und Öffentlichkeit im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit siehe insbesondere PHILIPPE ARIÈS / GEORGES DUBY (Hg.): Geschichte des privaten Lebens, Bd. 2: In: Georges Duby (Hg.), (deutsch v.

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tung von Luthers Tischredenworten eingerechnet werden muss gegenüber Luthers Aussagen in anderen literarischen Gattungen. Luthers Tischreden sind als situative Aussprüche zu charakterisieren, aber sind sie damit auch zugleich intuitive, absichtsfreie Aussprüche? Dergleichen gibt es. Nicht jede der Nachwelt als Tischrede überlieferte Äußerung Luthers ist reflektierte Rede, insofern enthält die Tischredenüberlieferung zahlreiches anstößiges Material, das dem für seine Impulsivität bekannten Reformator harsche Kritik der Nachwelt eingetragen hat. Andererseits zeichnet sich nicht jede Rede durch ungeformte Unmittelbarkeit aus, sondern ist in vielen Fällen zutiefst reflektierte Rede. Luther war sich seiner Rolle als Redender und Lehrender durchaus bewusst und nutzte diese, um selbst sein erster Ausleger zu sein und ein sehr gezieltes Lutherbild zu entwerfen. Für diese Selbstinszenierung Luthers wird gern auf folgende Bemerkung verwiesen: „Parens meus, in adolescentia sua ist er ein armer hewr gewesen. Die Mutter hatt al yhr holtz auff den rucken eingetragen. Alßo haben sie uns erzogen.“44.

Dass sich der Besitzstand von Luthers Vater, der hier als „arm“ charakterisiert wird, im Laufe seines Lebens drastisch verbesserte,45 dürfte Luthers Gesprächspartnern bekannt gewesen sein. Gleichwohl operiert Luther bei der Bestimmung seiner Herkunft nicht mit dem Bild des zu Wohlstand gelangten Elternpaares späterer Jahre, sondern gliedert sich abstammungsmäßig bewusst der einfachen, körperlich arbeitenden Bevölkerungsschicht ein. Gleiches intendiert er, wenn er sich andernorts als „eines Bauern Sohn“ bezeichnet: „Fateor me esse filium rustici von Moer bey Eisennach, bin dennoch Doctor der heiligen schriefft, adversarius papae“46. So gewähren die Tischreden einerseits, wie kaum eine Gattung aus Luthers Holger Fliessbach): Vom Feudalzeitalter zur Renaissance, Bd. 3, in: Philippe Ariès / Roger Chartier (Hg.): Von der Renaissance zur Aufklärung, Lizenzausgabe für WeltbildVerlag, (deutsch v. Holger Fliessbach / Gabriele Krüger-Wirrer), Augsburg 2000. 44 WA.TR 3, 51, 8–10 [Nr. 2888a] (Cord. 1128; Zell. 413). [„Mein Vater, in seiner Jugend ist er ein armer hewr gewesen. Die mutter hatt al yhr holtz auff den rucken eingetragen. Alßo haben sie uns erzogen.“] 45 Zu den Besitzverhältnissen der Familie Hans Luder auf der Grundlage derzeitiger archäologischer, baugeschichtlicher und sozioökonomischer Erkenntnisse, siehe insbesondere HARALD MELLER (Hg.): Fundsache Luther. Archäologen auf den Spuren des Reformators, Darmstadt / Stuttgart 2008 sowie HARALD MELLER / STEFAN RHEIN / HANSGEORG STEPHAN (Hg.): Luthers Lebenswelten, Haller 2008 (Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle 1). 46 WA.TR 3, 650, 5–7 [Nr. 3838] (Dresd. I. 423, 211; Laut. 1538, 63). [„Ich gestehe, dass ich Sohn bin eines Bauern von Moer bey Eisennach, bin dennoch Doctor der heiligen schriefft, Gegner des Papstes.“].

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Werk, einen außergewöhnlich unverstellten Einblick in familiäre Alltagssituationen und Beziehungskonstellationen, andererseits hat das Wissen um die Anfertigung von Mitschriften Luthers Redegestaltung und Themenwahl nachweislich beeinflusst. 2.4 Der „transtextliche Bereich“: Luthers Theologie in der Gestaltung der existenzbezogenen Deutung Luthers Selbstinterpretation im Rahmen der zitierten Tischrede wäre verkürzt interpretiert, wollte man sie als rein biographische Angabe fassen. Sogar in der Notiz „Fateor me esse filium rustici“47 drückt Luther etwas zutiefst Theologisches aus, wenn er hinzufügt: „[...] bin dennoch Doctor der heiligen schriefft, adversarius papae.“48 Der Fokus liegt auf der Unverdientheit des eigenen Lebensweges und der Führung durch Gott, der ihn, den Sohn einfacher Eltern, zu seinem Werkzeug erwählt hat. Damit lassen sich weit über die konkrete Situation und die Zeitgebundenheit an das 16. Jahrhundert hinaus theologische Grundaussagen aus Luthers Worten rekrutieren, die zu einem Gesprächsansatz für das Existenzverständnis der Gegenwart werden. Das eigene Leben unter der wunderbaren Führung Gottes zu wissen, heißt für Luther auch immer wieder Maß zu nehmen an Gottes Liebe, die sich bis in die familiäre Beziehungsgestaltung hinein auswirkt. Was dies bedeuten kann, hat Luther eindrücklich im Umgang mit seinem Sohn Hans reflektiert: „Ich wolt auch nitt gern mein Hansen seher schlagen, sunst wurd er blode und mir feind, so wust ich khein grosser leyde. Sic Deus facit: Ego corrigam vos pueros meos, sed per alium, per Sathanam aut mundum; sed si clamaveritis et curretis ad me, ego eripiam vos et erigam. Den unser Herr Gott wolt ja nicht gern, das wir im feind wurden“49.

Im Unterschied zu der vereinfachenden Frage, welche Erziehungsmethoden Luthers für den heutigen Umgang mit Kindern im 21. Jahrhundert hilfreich sind,50 ist es Aufgabe einer theologischen Hermeneutik einen Drei-

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WA.TR 3, 650, 5 [Nr. 3838] (Dresd. I. 423, 211; Laut. 1538, 63). WA.TR 3, 650, 6f. [Nr. 3838]) (Dresd. I. 423, 211; Laut. 1538, 63). 49 WA.TR 2, 134, 7–12 [Nr. 1559] (Schlag. 325; Clm. 943, 186). [„Ich wolt auch nitt gern mein Hansen seher schlagen, sunst wurd er blode und mir feind, so wust ich khein grosser leyde. So macht es Gott: Ich will euch zurechtweisen, meine Kinder, aber durch einen anderen, durch Satan oder die Welt; aber wenn ihr schreit und zu mir gelaufen kommt, werde ich euch retten und aufrichten. Den unser Herr Gott wolt ja nicht gern, das wir im feind wurden.“] 50 Zum pädagogischen Ansatz innerhalb der Lutherforschung siehe LARS O. CARSTENS: Luther als Pädagoge. Studien zur Relevanz pädagogischer Grundgedanken Martin 48

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schritt zu vollziehen: Von der theologiehistorischen Rekonstruktion einer Aussage hin zum historisch rekonstruierbaren Selbstverständnis eines Menschen und von dort aus zur theologischen Applikation auf das Existenzverständnis der Gegenwart. Dies impliziert eine Orientierung weg von der Bewertung pädagogischer Maßnahmen des 16. Jahrhunderts und ihrer Brauchbarkeit für die Gegenwart hin zu der Frage: Auf welche Weise versteht Luther seine Existenz im Lichte Gottes, und wo tragen Luthers Gedanken dazu bei, die eigene Existenz im Lichte Gottes zu erhellen?51 Dass die Applikation des historisch rekonstruierten Selbstverständnisses auf das Existenzverständnis der Gegenwart dabei durchaus die Gewinnung konkreter ethischer Handlungskriterien zur Folge haben kann, wird deutlich, wenn sich hieraus die Frage ableitet, wie sich das von Luther überlieferte Verständnis des Menschen als liebevoll umsorgtes Kind eines himmlischen Vaters im 21. Jahrhundert niederschlagen kann im eigenen Selbstverständnis und dem daraus resultierenden Umgang mit Kindern.

3. Schlussbemerkung Seit dem Beginn der kritischen Tischredenforschung wurden entscheidende Durchbrüche in der Erschließung und Gewichtung von Quellentexten erzielt, und die Vergrößerung der Quellenbasis durch neue Quellenfunde in der Gegenwart erfordert eine weiterhin kontinuierliche Forschungsarbeit auf diesem Gebiet.52 Parallel dazu stellen sich der Tischredenforschung durch die Aufsprengung des klassischen Bildes einer Lutherschen PriLuthers in einer wertunsicheren Welt, Aachen 1999; GERALD STRAUSS: Luther‘s House of Learning. Introduction of the Young in the German Reformation, Baltimore / London 1978 sowie MARTIN SANDER-GAISER: Lernen als Spiel bei Martin Luther, Frankfurt am Main 1996. 51 Zur Applikation des historisch rekonstruierten Selbstverständnisses auf das Existenzverständnis der Gegenwart, vgl. die von Ebeling postulierte doppelte Richtung des historischen Interesses: „Es fragt einerseits nach der geschichtlichen Genesis bestimmter Erscheinungen, andererseits nach deren Gegenwartsbedeutung“ (GERHARD EBELING: Luther und der Ausbruch der Neuzeit, in: ZThK 69 (1972), 185–213, hier 204), sowie Ebelings diesbezüglich personal zugespitzte Frage, „was Luther nun nicht mehr bloß zum einstigen Entstehen der Neuzeit, sondern dazu beiträgt, sie gegenwärtig zu bestehen“ (Ebd. 206). 52 Siehe hierzu im Rahmen dieses Bandes die Beiträge von WOLF-FRIEDRICH SCHÄUFELE: Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers, [127–179], ERNST KOCH: Zur Tischredenüberlieferung in der Wissenschaftlichen Bibliothek Dessau, [182–189] sowie DANIEL GEHRT: Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha, [191–219].

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vatsphäre in den Tischreden und eines Lutherschen Öffentlichkeitswirkens in den Schriften und Predigten – die Briefliteratur hat wohl am offensichtlichsten von diesen Gattungen Anteil an beidem – neue Herausforderungen hinsichtlich einer Kriteriengewinnung für den hermeneutischen Umgang mit den Tischreden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf notwendige Versuche zur Kontextualisierung ihrer Aussagen als auch hinsichtlich einer Verhältnisbestimmung der Tischreden zu den übrigen Gattungen des Corpus Lutheranum. Auch auf die Gefahr hin, zuweilen in überlieferungsgeschichtlichem Treibsand stecken zu bleiben, ist die noch ausstehende hermeneutische Arbeit der Tischredenforschung durchaus viel versprechend. Auch Treibsand gibt es nicht ohne festen Grund darunter.

Erinnerungssplitter Zur Problematik der Tischreden als Quelle von Luthers Biographie VOLKER LEPPIN Wer sich mit Luther vorwiegend unter biographischem Aspekt befasst1, hat immer wieder mit der Problematik zu tun, auf die Tischreden als wichtiges Quellencorpus angewiesen zu sein – und doch um den schwankenden Grund zu wissen, auf dem er damit baut2. Es handelt sich, wie Michael Beyer festhält, um „eine der bekanntesten und zugleich kompliziertesten Gattungen der mehrhundertjährigen literarischen Lutherüberlieferung“3. Die Tischreden sind in der etwas technokratischen Sprache der Historiker hervorragende Ego-Dokumente4 und teilen eben deren Problem in Objektwie Subjektperspektive: Ihr zentrales Objekt ist eine bestimmte Person, die in gelegentlich das Hagiographische streifender Weise hervorgehoben wird. Und sie leiten sich in im Einzelnen zu analysierender mehrstufiger Weise von einem erzählenden Subjekt, eben Martin Luther, ab, der aber zugleich Erinnernder und Deutender seiner selbst ist. Selbst wenn man den offenkundigen Aspekt der Selbstdeutung hintenanstellt, so ist es doch wenigstens das Problem der Erinnerung, dem die Lutherforschung nicht entgeht. Zu offenkundig hat die allgemeine Geschichtsforschung mittlerweile das Problem des Erinnerns in den Vorder-

1 Vgl. mit ähnlicher Fragestellung ALEXANDER B ARTMUß: Die Tischreden als Quelle für Luthers Kindheit und Jugend, in: Rosemarie Knape (Hg.): Martin Luther und Eisleben, (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten 8), Leipzig 2007, 121–142. 2 Zu den hermeneutischen Problemen, die sich hieraus ergeben, s. grundlegend den Beitrag von KATHARINA B ÄRENFÄNGER in diesem Band, an dem ich mich mit meinen eigenen Überlegungen orientiere. 3 M ICHAEL B EYER: Tischreden, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, 347–353. 4 S. W INFRIED SCHULZE (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996.

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grund gehoben5. Schon die moderne Alltagserfahrung zeigt, dass die persönliche Erinnerung nicht immer das sicherste Zeugnis gibt, sondern mannigfachen Formen des Vergessens und der Umprägung unterliegt, historiographisch lässt sich dies vielfach beobachten und ist mittlerweile zu einem zentralen Gegenstand der Forschung geworden6. Das passt durchaus dazu, dass schon lange das Bewusstsein dafür da ist, dass auch Luthers Tischreden als Erinnerungsstücke zu behandeln sind, in denen mancherlei durcheinander geht. Es sei nur auf die verschiedenen Überlieferungen, in denen Luther dasselbe Ereignis in leicht unterschiedlichen Varianten berichtet, verwiesen – wie etwa seinen Schrecken angesichts seiner Primiz, den er auf jeweils unterschiedliche Verse der Liturgie bezieht7. Der Schleier der Erinnerung gilt auch für Luthers Gedächtnisbemühungen, und die neue Aufmerksamkeit auf die Erinnerungsforschung in der kulturwissenschaftlichen Historiographie ermöglicht es, die lange bemerkte Schwierigkeit der Tischredenüberlieferung in einem neuen theoretischen Kontext zu verstehen – und so vielleicht um einige wenige Schritte wenigstens mit der Situierung des Problems voranzukommen. Hierzu verstehen sich die folgenden Ausführungen als ein Beitrag. Anhand von einigen wenigen Beispielen will ich der Problematik von Erinnerungssplittern nachgehen und überprüfen, welche Änderungen für unser Verständnis von Luthers Biographie sich ergeben können, wenn wir theologischem und literarischem Wachstum in den Tischreden nachgehen. Ich stelle im Folgenden mehrere problematische Tischredenüberlieferungen in etwa in der Reihenfolge vor, wie sie biographischen Stationen Luthers entsprechen könnten, wenn man sie auf reale Vorgänge bezieht.

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S. v. a. JOHANNES FRIED: Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004. 6 Erinnert sei neben den grundlegenden Werken von J AN ASSMANN: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 62007; ALEIDA ASSMANN: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2003. nur an den SFB 434 „Erinnerungskulturen“, der von 1997–2008 an der Justus-Liebig-Universität Gießen bestand und unter anderem die Reihe „Formen der Erinnerung“ (Göttingen 2000ff) hervorgebracht hat. 7 Zu diesem Geschehen vgl. VOLKER LEPPIN: Martin Luther, Darmstadt ²2010, 48–52.

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1.Heilsgeschichtliche Konstruktion: Luthers Widerstand gegen Predigtamt und Promotion Verweigerung gegenüber dem Auftrag der Verkündigung von Gottes Wort, wie sie sich in Luthers mehrfach berichtetem Widerstand gegen die Doktorpromotion zeigt, ist durchaus topisch. Biblische Beispiele (Ex 4; Jona 1) sprechen hiervon ebenso wie kirchenhistorische, für Luther maßgeblich natürlich vor allem die Verweigerung Augustins gegenüber Priester- und Bischofsamt8. Das schließt als solches keineswegs aus, dass es Luther tatsächlich so gegangen sein mag, wie es in den Tischreden berichtet wird, macht aber doch deutlich, dass er sich zumindest auch geprägter Lebensund Redeformen bedient haben kann. Dies ist auch deswegen zu bedenken, weil die Überlieferung in diesem Falle von besonderer Komplexität ist. Zusammenfassend sei vorausgeschickt, dass in den Tischreden sowohl Luthers Verweigerung gegenüber der Promotion als auch gegenüber dem Predigtamt berichtet wird. Erstere wiederum ist in zwei Varianten überliefert. Um sich diesem komplexen Problem zu nähern, kann die Überlieferung in der Sammlung Cordatus den Ausgangspunkt bilden, der für die zweite Jahreshälfte 1531 notiert hat: „Stopitz, prior meus, sub piro, quae etiam hodie stat in medio curae meae, cogitabundus aliquando sedens tandem dixit ad me: Domine Magister, vos suscipietis gradum doctoratus, ßo krigt yhr etwas zu schaffen. – Quod secundo anno post doctoratum meum factum est, quo invulgavi quaestiones de poenitentia et indulgentiis. Cum me rursus sub piro eadem de re convenisset et ego reniterer, multas causas allegans, maxime quod etiam mihi consumptis essem viribus, adeo ut vita mihi longa non posset superesse; ad quae Stopicius: Wist yhr nicht, das vnser Hergott viel grosser sachen hatt außzurichten? Da bedarff er viel kluger und weyser leute zu, die yhm helffen raten. Wen yhr den ymer sterbet, ßo must yhr sein radgeber sein. – Verum ego tum non intellexi hanc prophetiam in hoc modo implendam esse; post quatuor enim annos coepi belligerari adversus papam atque omnia sua.“9

Die Edition der WA macht kenntlich, dass es sich hier um zwei eigentlich unterschiedene Tischredenstücke handelt, die im folgenden als A für den ersten und B für den zweiten Absatz bezeichnet werden. Unter A verstehe ich dabei jene Tischredentraditionen, in denen Staupitz10 „so kriegt ihr et-

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PETER B ROWN: Augustinus von Hippo. Eine Biographie, München 2000, 119. WA.TR 2, 379 (Nr. 2255a). 10 Zur generellen Bedeutung von Staupitz für Luther sei nur verwiesen auf: B ERNDT HAMM: Johann von Staupitz (ca. 1468–1524) – spätmittelalterlicher Reformer und „Vater“ der Reformation, in: ARG 92 (2001) 6–41; VOLKER LEPPIN: „Ich hab all mein ding von Doctor Staupitz“. Johannes von Staupitz als Geistlicher Begleiter in Luthers refor9

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was zu schaffen“ oder ähnliches ankündigt, unter B jene, in der er ankündigt, dass Gott viele kluge Menschen brauche. Zu beiden Formen gibt es Parallelen, und bei Caspar Khumer finden sich tatsächlich beide noch einmal in einer Sammlung, in diesem Falle aber sind A und B weit voneinander getrennt11. Wenn man es also mit zwei ursprünglich unabhängigen Überlieferungen zu tun hat, ist deutlich, dass das „rursus“, das beide Textstücke bei Cordatus narrativ miteinander verbindet, als redaktionelle Zufügung anzusehen ist, und das heißt: Der Eindruck, dass es sich um einander folgende Ereignisse handele, ist erst durch Cordatus geschaffen worden. Für die Überlieferung bedeutet das: Es ist nicht auszuschließen, dass die beiden unterschiedlichen Textstücke, die erst durch Cordatus miteinander in Zusammenhang gebracht wurden, ihrerseits als Parallelen zu werten sind, die dann erst sekundär zusammengefügt wurden. Zu klären bliebe dann allerdings, ob es sich hier um ursprüngliche, abgeleitete oder scheinbare Parallelen handelt12. Diese Frage wird aber dadurch noch komplizierter, dass eine weitere, oben schon angedeutete Parallele einzubeziehen ist: Luther musste nämlich nach den Tischredenberichten nicht nur zur Promotion überzeugt werden, sondern auch zum Predigtamt. Hiervon berichtet ein langer, auf das Jahr 1532 bezogener Text aus einer redaktionellen Bearbeitung der CordatusSammlung, den ich im folgenden in einer Kürzung wiedergebe, die die Parallelen zu den Doktorats-Tischreden hervorhebt: „Consolatio Martini Lutheri ad Magistrum Anthonium Lauterbachium de sua vocatione. Sub arbore piro interrogavit me de contione mea, et plurimum conquerebar meas molestias, tentationes et infirmitates; respondit: Ey, lieber, es ist mir auch gewest. Ich hab mich wol so ser gefurcht vorm predigstul als ihr; (…) Ego plus 15 argumentis habui, quibus recusavi Doctori Staupitio meam vocationem sub hac piro, sed nihil valebant; cam tandem dicerem: Er Staupitz, ihr bringet mich umb mein leben, ich werde nit ein viertel jars erleben, respondit: In Gottes namen, vnser Herrgott hat große gescheffte, er darff droben 13 noch kluger leuthe!”

Auf den ersten Blick ist die Parallelität dieser Fassung (im Folgenden: C) offenkundig: der Birnbaum spricht hierfür ebenso wie der Ausspruch des Staupitz, der offenkundig der Fassung B parallel geht.

matorischer Entwicklung, in: Dorothea Greiner u.a. (Hg.): Wenn die Seele zu atmen beginnt … Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive, Leipzig 2007, 60–80. 11 Die Parallele zu A ist nach der WA-Zählung Khumer-Nr. 298b (WA.TR 2, 379), die zu B hingegen 138b (WA.TR 4, 13). 12 Zu dieser Unterscheidung s. den Beitrag von K ATHARINA B ÄRENFÄNGER in diesem Band. 13 WA.TR 3, 187f (Nr. 3143b).

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Sind so drei Varianten – A und B für die Doktorpromotion und C für das Predigtamt – deutlich zu unterscheiden, so gibt es zu ihnen wiederum eng verwandte Parallelüberlieferungen. So findet sich eine Parallele zu A in der Sammlung Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers14 und in einigen weiteren in der WA aufgeführten wörtlichen Parallelen hierzu. Sie ist zu A sowohl hinsichtlich des Ausspruchs von Staupitz stark parallel als auch im Blick auf die Anwendung der Ankündigung auf die Lehre von Buße und Ablässen, also die 95 Thesen. Es gibt sogar einen gemeinsamen Leitfehler: So wie Cordatus entgegen der Chronologie der – vor Luthers Doktorat datierten – Aussage von Staupitz den Protest gegen den Ablass schon im zweiten Jahr folgen lässt, spricht auch die Fassung bei Dietrich-Medler vom „sequenti anno“15. Die WA erklärt diese zeitliche Unstimmigkeit bei Cordatus plausibel mit einer Verlesung aus einer als Ziffer geschriebenen „5“ der Vorlage16 und nimmt auch bei Dietrich-Medler einen solchen Lesefehler an. Will man die Möglichkeit eines parallelen Fehlers nicht überstrapazieren, so spricht dies dafür, dass beide von einer gemeinsamen Vorlage abgeschrieben hätten – ein deutlicher Beleg dafür, dass auch diejenigen, die zu den ersten Mitschreibern der Tischreden gehörten, ihrerseits Abschriften vornahmen17. Zu B gibt es eine deutliche Parallele in einer Sammlung, deren Provenienz nicht eindeutig geklärt ist und die sich auf das Jahr 1540 bezieht18, sowie bei Anton Lauterbach, der zum 27. Juli 1538 berichtet: „Vaticinium Staupicii. Si ego mortuus fuissem ante promotionem doctoratus, iam non opus esset me illas calamitates passi. Aber Doctor Staupitzen prophecei hat mussen war warden; cum ergo promotionem doctoratus recusarem propter infirmitatem, alioquin morerer, respondit: Ob ir stirbet, so darff euer Gott auch zu seinem regiment. Haec vatidica vox in me impleta est.“19

Schließlich gibt es noch eine Mischform, in der sich eine Prophezeiung nach dem Muster von B und C findet, die sowohl auf eine Ermunterung zum Doktorat als auch zum Predigtamt bezogen wird, der allerdings ausgerechnet das tragende Element, der Staupitz-Spruch, fehlt und durch eine

14

WA.TR 1, 442 (Nr. 885). WA.TR 1, 442 (Nr. 885). 16 WA.TR 2, 379 Anm. 5. 17 S. hierzu HELMAR J UNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: D. Martin Luthers Werke. Sonderedition der kritischen Weimarer Ausgabe. Begleitheft zu den Tischreden, Weimar 2000, 25–50, 40. 18 WA.TR 5, 98 (Nr. 5371). 19 WA.TR 4, 13 (Nr. 3924). 15

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pauschale Bemerkung ersetzt wird20. Diese Mischform ist wohl ihrerseits Ausdruck des Zusammenwachsens unterschiedlicher Varianten und damit eben jener heterogenen Überlieferungslage, an der biographische Rekonstruktionen nicht vorbeigehen können. Um das literarische und redaktionelle Geflecht zu erhellen gehe ich im Folgenden einzelnen Elementen der Stücke nach, um ihr Verhältnis zu klären. Gemeinsam ist die Scheu vor der Übernahme eines verantwortlichen Amtes, gemeinsam ist auch, dass Staupitz Luther diese Scheu durch Verweis auf Künftiges zu nehmen sucht. Damit setzen dann aber schon die Unterschiede ein: 1. Bereits genannt wurde der Staupitz-Spruch. Ihn gibt es in zahlreichen Varianten, die sich aber, wie oben angesprochen in zwei Grundtypen – A einerseits, B und C andererseits – aufschlüsseln lassen. Dabei ist bemerkenswert, dass die Fassung von A eine Zusage an Luther und seine Aufgaben enthält und einen klaren innerweltlichen Bezug hat, B und C hingegen enthalten eine auf Gott bezogene Aussage, die sich zudem wenigstens potenziell („Ob ir stirbet“) auf das Jenseits („droben“) bezieht. 2. Ein scheinbar unbedeutendes Detail ist der Birnbaum: Bei Cordatus dient er geradezu der Verknüpfung von A und B, aber damit ist noch keineswegs gesichert, dass er in beide Fassungen hineingehört. Umgekehrt ist er in beiden nicht fest: Wie der Lauterbachtext oben zeigt, kann er in B fehlen. Auch in der erwähnten Tischrede zum Jahr 154021, begegnet als Ort des bewussten Gesprächs zwar ein Baum, aber der ist nicht einmal spezifisch als Birnbaum gefasst und auch keineswegs so genau lokalisiert wie bei Cordatus; er erscheint lediglich „in area“. Den sinnvollsten Bezug erhält der Birnbaum in der Fassung C, in der das aktuell berichtete Gespräch unter Luthers Birnbaum stattfindet (und mithin im strengen Sinne gar keine Tischrede, sondern eine Birnbaumrede ist) und Luther dann auf eben diesen Baum verweist und somit eine Kontinuität zwischen seiner jetzigen Existenz im Schwarzen Kloster und dessen früherer tatsächlicher Klosternutzung schafft. Demgegenüber wirkt jedenfalls die Einführung des Birnbaums bei Cordatus deutlich gekünstelter, und das Fehlen in den anderen Varianten bedeutet jedenfalls keinen narrativen Verlust. Dies zwingt nicht dazu, C als originär anzunehmen, aber eine solche Annahme würde jedenfalls helfen, den unterschiedlichen Umgang mit dem Birnbaum zu erklären: Er wäre im Zuge der weiteren Berichte schlicht immer unnötiger geworden.

20 21

WA.TR 3, 187, 15–17 (Nr. 3143a). WA.TR 5, 98 (Nr. 5371).

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3. Uneinheitlich ist die Frage von Luthers Zögern: Genau genommen findet sich ein solches Zögern nämlich in der Fassung A überhaupt nicht: Sowohl in der Fassung bei Cordatus wie in der von Medler bzw. Dietrich überlieferten kündigt Staupitz recht unvermittelt an, dass Luther mit dem Doktorat viel zu tun haben werde. Nur in Fassung B und C also wird ein Zögern Luthers benannt, wobei die oben zitierte Cordatus-Fassung schon die unterschiedlichen Varianten zusammenfasst: Einerseits wird Luthers Todesangst benannt (s. oben den vaticinium-Text bei Lauterbach), andererseits aber lediglich von einer Reihe von Gründen gesprochen, so in der 1540er-Fassung in durchaus (selbst)ironischer Weise: „ego vero 15 rationes praetexebam“22, ähnlich steht es ja auch in der oben zitierten CFassung. In der 1540er-Fassung reicht dann nach einem ersten Argument von Staupitz Luther nach: „Hoc certus sum, quod non diu sum victurus“23. Nach den zuvor gebrachten 15 Argumenten erscheint dies nachhinkend, während sich in der C-Fassung der Hinweis auf den Tod unmittelbar aus der Gesprächssituation ergibt: Es ist hier nicht ein weiteres Argument zu den vorherigen 15 hinzu, sondern es reagiert auf das Drängen des Staupitz. Dem würde zumindest entsprechen, dass nicht nur die 15 Argumente, sondern auch Vokabeln wie „ridere“ in der oben erwähnten Mischfassung24 und „iocus“ in der 1540er-Fassung einen scherzhaften Charakter des Gesprächs erkennen lassen. Wiederum hat hier also die C-Fassung eine organische Gestalt, aus der sich Abweichungen in anderen Fassungen erklären lassen. Kurz gefasst hätte sich die Todesahnung aus dem scherzhaften Geplänkel zwischen Luther und Staupitz ergeben, hat sich dann aber in dessen jenseitsbezogener Weissagung verfestigt, die den Tod Luthers als Möglichkeit voraussetzt, und wurde dann wiederum als Todesangst konkretisiert, zumal man aus anderen Traditionen wusste, dass auch der junge Luther schon die Erfahrung von Todesangst gemacht hatte25. 4. Der Charakter als Prophezeiung. Dieser scherzhafte Charakter macht nun deutlich, dass keineswegs durchweg in den Berichten die Aussage des Staupitz als Prophezeiung wahrgenommen wird. In der Mischfassung wie in der 1540er-Fassung (B) bleibt es beim Scherz ohne Prophezeiung. Hingegen ist die A-Fassung durchweg prophetisch geprägt und setzt ebenso durchweg auf die innerweltliche Erfüllung durch den Kampf gegen den Ablass. Tatsächlich ist dies ja auch die plausibelste Form der Vatizinienerfüllung, während der Hinweis auf Weissagungserfüllung im Blick auf den 22

WA.TR 5, 98 (Nr. 5371). WA.TR 5, 98 (Nr. 5371). 24 WA.TR 3, 187, 15–17 (Nr. 3143a): “ridebat me multis verbis”. 25 WA.TR 1, 46 (Nr. 119). 23

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jenseitsbezogenen Spruch bei Lauterbach eigenartig wirkt, bei ihm aber noch durch die Überschrift „Vaticinium Staupicii“ verstärkt wird. Diese Befunde ergeben eine Gemengelage, bei der – allein schon angesichts der Kombination bei Cordatus und der erwähnten Mischform – mit mannigfachen Interferenzen zu rechnen ist. Nimmt man die narrative Plausibilität als ein Kriterium, so ist, um mit dem letzten Gesichtspunkt zu beginnen, deutlich, dass in der Frage der Prophetie A eine Priorität gegenüber B besitzt; zugleich spricht auch manches dafür, dass die älteste Schicht ganz ohne prophetischen Bezug auskam. Insgesamt scheint sich die Fassung C als geschlossenste und plausibelste Erzählung zu erweisen, gegen die freilich die relativ späte Überlieferung spricht. Nimmt man sie gleichwohl zum Ausgangspunkt, so könnte eine mögliche Entstehung des hier vorgestellten literarischen Zusammenhangs so aussehen, dass Luther um 1531 – so in der Cordatus-Fassung A und B, deren Datierung allerdings angesichts des insgesamt kompositionellen Charakters fraglich ist – oder 1532 (so der zitierte Text der C-Fassung) von einer Scheu gegenüber dem Predigtamt berichtet hätte, die ihm Staupitz in einem scherzhaften Gespräch genommen habe, das sich bis dahin steigerte, dass Luther dem Beichtvater entgegenhielt, er treibe ihn auf diese Weise in den Tod, worauf dieser gesagt hätte, dass Gott selbst noch, wenn er sterbe, kluge Menschen brauche. Möglicherweise aufgrund des Wissens, dass Luther tatsächlich einmal damit argumentiert hatte, er sei zum Doktorat gedrängt worden26, wurde dies dann auf die Promotion übertragen. Bei dieser Übertragung aber wäre es zu einer Zuspitzung auf eine prophetische Konstellation gekommen, durch die Staupitz als Ankündiger von Luthers künftigem Tun als Doktor erschien, was dann, wo noch Reste der ursprünglichen Gesprächsführung erhalten blieben (B-Fassung) zu den angeführten eigenartigen Spannungen geführt hätte. Damit hätte man es mit einem Wachstum von einer biographisch-anekdotischen Konstellation rund um das Predigtamt hin zu einer heilsgeschichtlich-prophetischen Konstellation aus Anlass des Doktorates zu tun. Freilich bleibt diese Rekonstruktion mit großen Unsicherheiten behaftet – es ist keineswegs sicher, dass man es mit dem Wachstum von einem Kern aus zu tun hat, sondern denkbar ist auch, dass man es mit urspünglichen unterschiedlichen Gesprächskonstellationen zu tun hat – „scheinbaren Parallelen“ –, wobei eine gewisse Präferenz bei den

26

WA.BR 1, 18, 5–9 (Nr. 6); 30, 26–28 (Nr. 10); zum Kontext vgl. M ARTIN B RECHT: Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart ³1990, 126f; L EPPIN, Luther (wie Anm. 7), 66f.

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Fassungen A und C zu sehen wäre und B eine Interferenzfassung darstellte. Wie immer diese Entwicklung im einzelnen zu beschreiben ist, so zeigt sich doch in jedem Falle, dass ein und derselbe Stoff, möglicherweise schon in unterschiedlichen Berichten Luthers selbst, entweder biographisch-anekdotisch berichtet werden kann oder im Sinne einer Prophetie zugespitzt werden kann. In diesem Sinne findet sich wohl die steilste Deutung ausgerechnet in der B-Tradition, in der Lauterbach, wie oben zitiert, sogar das vaticinium des Staupitz zur Überschrift macht. Damit wird Luther – wenn A als eine scheinbare Parallele nahe am ursprünglichen Wortlaut sein sollte, durchaus in seinem Sinne – in einen engen heilsgeschichtlichen Kontext hineingestellt, in dem sich Prophezeiungen eines Vertreters der vorherigen Generation auf ihn beziehen. Solches Interesse war in Wittenberg durchaus nicht singulär. Schon in die zwanziger Jahre reicht das Interesse an Johannes Hilten, der in Eisenach am Vorabend der Reformation ein Ende des Mönchtums prophezeit haben sollte27. Die Reformatoren waren hiervon so beeindruckt, dass Melanchthon einen Verweis auf Hilten sogar in ApolCA 27 aufnahm28. In dieses Bestreben, eine Kontinuität zu den glaubensstarken prophetischen Figuren des späten Mittelalters zu konzentrieren, passen die verschiedenen Schichten der hier vorgestellten Tischredenüberlieferung, auch wenn die exakte philologische Klärung angesichts des derzeitigen editorischen Standes noch nicht zu leisten ist.

2. Theologische Überlagerungen: Der Prädestinationsratschlag Für den Zeitraum vom ca. 10. bis 28. September 1532 notiert Cordatus zu Staupitz‘ Prädestinationsratschlag in seiner Sammlung: „Disputatio de praedestinatione omnino fugienda est. Et Staupitius dicebat: Si vis disputare de praedestinatione, incipe a vulneribus Christi, et cessabit; sin pergis disceptare pro illa, perdes Christum, verbum, sacramenta et omnia etc. Ich vergiß alles, das Christus vnd Gott ist, wen ich in dieße gedancken kome, vnd kom wol dohin, das Gott ein boßwichtg sey. In verbo manendum est nobis, in quo Deus nobis revelatur et offertus salus, si illi credimus. In cogiatione autem praedestinationis obliviscimur Dei, vnd das laudate hort auff, vnd das blasphemate gehet an. In Christo autem omnes thesauri sunt absconditi; ex-

27

LEONHARD LEMMENS: Der Franziskaner Johannes Hilten († um 1500), in: RQ 37 (1929), 315–347; HANS VOLZ: Art. Hilten, Johann, in: HNDB 9 (1972), 164f. 28 BSLK 377, 29–378, 24.

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tra ipsum omnes clausi. Ideo hoc argumentum praedestinationis simpliciter negandum est.”29

Eine deutliche Parallele hierzu findet sich in Lauterbachs Mitschrift, wobei ich nur die für meine Argumentation entscheidenden Passagen hervorhebe. Bei Lauterbach heißt es wörtlich gleich: „Si vis disputare de praedestinatione, incipe a vulneribus Christi“30, und in den weiteren worttheologischen Ausführungen findet sich eine sachlich ganz parallele Aussage: „Ideo continete in revelato verbo, quo Deus se manifestavit.“ Der Charakter der Parallele ist hier nicht eindeutig zu klären: Es kann sowohl sein, dass Cordatus die Lauterbach-Überlieferung in seine Sammlung aufgenommen und leicht umgeformt hat, es sich also um eine abgeleitete Parallele handelt, als auch, dass es sich um eine ursprüngliche Parallele handelt, beide also im selben Moment mitgeschrieben haben und sich die leichten Unterschiede aus unterschiedlichen Ausarbeitungen der Mitschriften ergeben. Die entscheidende Parallele ist ohnehin eine andere, und hier scheint es sich nun um eine echte Parallele zu handeln. Denn auch Schlaginhaufen reportiert aus dem September 1532 eine Erzählung Luthers über den Trost Staupitz’ in der Prädestinationsanfechtung: „De praedestinatione Staupitz. Doctor Staupitius mihi dixit: Wenn man will de praedestinatione disputirn, so were es besser, man dechte nicht dran, sondern hebe an a vulneribus Christi vnd bilde dir den Christum wol ein, so ist praedestinatio schon hinweckh, quia Deus praevidit Filium suum passurum propter peccatores. Qui credit hoc, der sols sein; qui non credit, der sols nicht sein. Sed sic cogitare debes: Deus dedit tibi Filium suum, dedit baptismum, sacramentum altaris, dedit tibi uxorem, liberos etc. sol lucet tibi. Non mentitur. Quando sic venio in beneficia Christi et immoror in illis, tunc manet praedestinatio; si non immoror, so ists dahin.”31

Die theologische Differenz zu der echten Parallele bei Cordatus ist offenkundig: Wo Cordatus eine worttheologische Zuspitzung, zudem unter Anspielung auf die Unterscheidung von Deus revelatus und Deus absconditus32 (freilich mit charakteristisch anderer Füllung) bietet, fehlt eine solche worttheologische Deutung bei Schlaginhaufen. Die Komplexität des Befundes ist hoch. Obwohl es sich bei Schlaginhaufen um Nachschriften handelt, die zunächst einmal näher am ursprünglichen Geschehen sind als die Sammlungen, ist doch auch seine Aufzeichnung mit Vorsicht zu genießen. Denn es zeigt sich auch in ihr das klare 29

WA.TR 2, 582 (Nr. 2654a). WA.TR 2, 582 (Nr. 2654b). 31 WA.TR 2, 227 (Nr. 1820). 32 Vgl. zum begriffsgeschichtlichen Hintergrund ALFRED ADAM : Der Begriff „Deus absconditus“ bei Luther nach Herkunft und Bedeutung, in: LuJ 30 (1963), 97–106. 30

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Bemühen um Gestaltung: Mit Cordatus teilt sein Textstück die Überschrift, die die Einzelaussage Luthers unter einen größeren Zusammenhang theologischer Art subsumiert, wie es später charakteristisch für Aurifaber werden wird. Noch bemerkenswerter ist es aber, dass Schlaginhaufen hier wie auch in manchen anderen Tischredenstücken, den Gesprächszusammenhang intimisiert: Luther spricht unmittelbar zu ihm und nicht nur in großer Runde. Noch eine weitere Erwägung lässt zumindest die Möglichkeit entstehen, dass Schlaginhaufens Bericht ohne Worttheologie eher seinem eigenen (mangelnden) Interesse an solchen Zusammenhängen entspringt als der ursprünglichen Überlieferungssituation, denn auch eine weitere scheinbare Parallele, nämlich ein von Schlaginhaufen für Ende April 1532 überlieferter Bericht über den Prädestinationsratschlag, kommt ohne Worttheologie aus33. Andererseits fällt an der Cordatus-Überlieferung doch immerhin jener Bezug auf Deus revelatus und Deus absconditus auf, der die worttheologische Zuspitzung gewissermaßen noch einmal auf die Spitze treibt. Sie ist auch deswegen auffällig, weil es auch andere, freilich recht späte Verbindungen des Beichtrates mit dieser Terminologie gibt: In einem in einer Münchener Handschrift auch als Tischrede überlieferten Textstück34, das freilich ursprünglich aus der Genesis-Vorlesung stammt35, interpretierte Luther den Beichtrat eben mit der Unterscheidung von revelatio und absconditas. Dies passt zu der Cordatus-Überlieferung, bestätigt freilich nicht zwingend deren Authentizität. Diese ist in diesem komplexen Befund zweifach abgestuft in Frage zu stellen: Zum einen ist es unsicher, ob nicht solche theologischen Deutungen von den Überlieferern in die Tischreden eingetragen worden sind, zum anderen stellt sich im Blick auf die biographische Erinnerung die Frage, ob nicht ein unter Umständen korrekt überlieferter Luther selbst bereits Staupitz mit sekundären Kategorien gedeutet hat. Das wird man an dieser Stelle nicht eindeutig feststellen können. Das klassische textkritische Denken, das eher von einem Wachstum als einer Kürzung ausgeht, würde wohl dazu neigen, die Überlieferung Schlaginhaufens für ursprünglicher zu halten. Da es sich aber ja wohl nicht um abhängige, sondern um echte Parallelen handelt, bleibt auch dieses Argument fragwürdig. Am Ende verweist dies nur darauf, dass eine text- und literarkritische Aufarbeitung helfen wird, viele Probleme der Lutherforschung zu klären, aber nicht alle.

33

WA.TR 2, 112 (Nr. 1490). WA.TR 5, 293, 28–30 (Nr. 5658a). 35 WA 48, 363f. 34

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3. Anekdotische Zuspitzung: das Turmerlebnis Wie Luthers Widerstand gegen das Doktorat, so ist auch die für das kulturelle Gedächtnis nachhaltigste Überlieferung in den Tischreden, das Turmerlebnis, als geprägter Topos verstehbar. Insbesondere Heiko Augustinus Oberman hat auf die „Turmerlebnis-Tradition“ hingewiesen36, die zumal in an Augustin orientierten Kreisen zu finden ist und die ihren ferneren Hintergrund natürlich im Damaskuserlebnis des Apostels Paulus und in der Gartenszene aus Augustins Confessiones besitzt. Für Luther scheint das Turmerlebnis recht gut in der Sammlung Cordatus bezeugt: „Haec vocabula Iustus et Iustitia in papatu fulmen mihi erant in conscientia et ad solum auditum terrebant me, sed cum semel in hac turri (in qua secretus locus erat monachorum) specularer de istis vocabulis: Iustus ex fide vivit, et: Iustitia Dei etc., obiter veniebat in mentem: Si vivere debemus iusti fide per iustitiam et illa iustitia Dei est ad salutem omni credenti, ergo ex fide est iustitia et ex iustitia vita. Et erigebatur mihi conscientia mea et animus meus, et certus reddebar iustitiam Dei esse, quae nos iustificaret et calveret. Ac statim fiebant mihi haec verba dulcia et iucunda verba. Dieße kunst hatt mir der 37 Heilige Geist auff diesem thurm geben.”

In dieser Überlieferung findet sich eine Angabe nur sehr versteckt, die in der jüngeren Forschung bekanntermaßen mit hoher Emotionalität behandelt wurde: der Hinweis auf die Toilette als näher- oder fernerliegender Ort des reformatorischen Entdeckungsgeschehens38. Cordatus rekurriert hierauf durch den Hinweis auf den secretus locus der Mönche, einen Hinweis, der aus dem Kontext der Überlieferung bei Cordatus selbst nicht verständlich ist, wohl aber dann, wenn man weiß, dass Cordatus offenbar meinte, die Erwähnung einer Toilette erklären zu müssen. Etwas anders steht es in der Sammlung Lauterbach39, wo freilich auch der Hinweis auf den secretus locus fehlt und sich alles ganz auf den Turm konzentriert.

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HEIKO AUGUSTINUS OBERMAN: „Iustitia Christi“ und „Iustitia Dei“. Luther und die scholastischen Lehren von der Rechtfertigung, in: Bernhard Lohse (Hg.): Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther, Darmstadt 1968, 413–444. 423f. 37 WA.TR 3, 228 (Nr. 3232a). 38 HEIKO AUGUSTINUS OBERMAN: Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, München 1986, 163–166 hat die „gewiss alles andere als (…) gesittete Vorstellung“ (164) vertreten, dass Luther mentalitätsgeschichtlich tatsächlich einen engen Zusammenhang zwischen Kloake und Teufelsaustreibung sah, BRECHT: Luther I (wie Anm. 26), 220, hingegen gesteht allenfalls zu, dass der alte Luther ein gewisses Vergnügen an dem drastischen Verweis auf die Kloake gehabt habe, erstellt hier aber keinen tieferen inhaltlichen Zusammenhang. 39 WA.TR 3, 228 (Nr. 3232c).

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Der Hinweis zu Cordatus’ Erklärungsbedarf ergibt sich aus der Variante, die sich in der Sammlung von Caspar Khumer, Dresdner Handschrift A. 180 findet. Ich lasse den gesamten eigentlich interessanten theologischen Inhalt des Geschehens fort und zitiere die für die Lokalisierung des Ereignisses relevanten Passagen: „(…) Sed cum semel in hac turri speculabar de istis vocabulis: Iustus ex fide vivit (…). 40 Dise khunst hat mir der Heilig Geist auff diser cloaca auff dem thurm gegeben.”

Da haben wir also die umstrittene cloaca. Ich setze zunächst die Bestandsaufnahme fort, indem ich darauf verweise, dass ausgerechnet Aurifaber, der sonst doch immer als prägend für das Lutherbild gilt, in seiner Parallele weder Kloake noch Turm kennt. Angesichts des massiv gestaltenden Charakters von Aurifabers Sammlung ist dies nur ein sehr begrenztes Argument, das aber wenigstens auf die Möglichkeit einer Tradierung des reformatorischen Durchbruchs ohne diese Lokalisierung hinweist. Tatsächlich kommt die älteste greifbare Schicht, die Mitschrift Schlaginhaufens aus dem Jahre 1532, gänzlich ohne Turm aus: „Iustus ex fide vivit, iustitia Dei revelatur sine lege. Mox cogitabam: Si vivere debemus ex fide, et si iustitia Dei debet esse ad salutem omni credenti, mox erigebatur mihi animus: Ergo iustitia Dei est, quo nos iustificat et salvat. Et facta sunt mihi haec verba iucundiora. Diese kunst hatt mir der Spiritus Sanctus auf diss Cloaca eingeben.“41

Hier also ist ausschließlich von der cloaca die Rede, an keiner Stelle aber vom Turm. Die Sachlage wird noch brisanter, wenn man Georg Rörers Abschrift der Schlaginhaufen-Mitschrift einbezieht: An der fraglichen Stelle, an der die cloaca erwähnt wird, setzt Rörer nämlich um 155042 darüber: „in horto“43! Offenkundig ist also auch für Rörer die cloaca-Angabe erklärungsbedürftig, aber die Erklärung durch den Turm keineswegs zwingend – wobei es ebenso offenkundig ist, dass in seiner eigenen Erklärung wiederum theologische Konnotationen mitschwingen: Der Garten ist durch die Confessiones zum Ort der conversio schlechthin geworden. Ehe ich die Folgerung aus seiner Korrektur ziehe, ziehe ich eine weitere Erklärung heran, die sich auf den Begriff cloaca bezieht: In einer Tischredenaufzeichnung aus Lauterbachs Tagebuch aus dem Jahr 1538 heißt es:

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WA.TR 3, 228 (Nr. 3232b). WA.TR 2, 177 (Nr. 1681). 42 S. zur Datierung WA.BR 14, 227. 43 WA.TR 2, 177 Anm. 1. 41

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„So unser Her Gott in diesem leben in das scheißhaus solche edle gaben gegeben hat, was wirdt in jhenem ewigen leben geschehen, ubi omnia erunt perfectissima et iucundissima?“44

Das „scheißhaus“, das derbe deutsche Äquivalent zur cloaca, wird hier offenkundig als Metapher verwendet, es steht für diese irdische Welt, die im Angesicht Gottes nichts wert ist und entsprechend nur als Kloake gelten kann. Ihr wird das ewige Leben entgegengestellt und als eine Art Angeld darauf die Musik. Das würde bedeuten, dass wir mit der SchlaginhaufenFassung tatsächlich nicht nur die älteste, sondern auch die authentischste Fassung haben. Hierfür spricht insbesondere, dass sich noch in der Cordatus-Überlieferung ein Erklärungsbedarf für die cloaca findet, diese also ein ursprünglicher Bestandteil der Überlieferung ist. Was Luther über seine reformatorische Entdeckung gesagt hätte, wäre damit nicht mehr als dieses, dass auf wunderbare Weise Gott ihn begnadet hat, in der sündigen Welt das Evangelium zu erkennen – eine Aussage von hohem theologischen Aussagewert. Er hat aber mit seiner derben Metapher offenbar eine Irritation herbeigeführt, die schon die Zeitgenossen klären zu müssen meinten. Es gibt zwei Versuche der Lokalisierung: den früheren bei Cordatus und anderen, die offenbar bestimmte Wittenberger Gegebenheiten vor sich haben und entsprechend auf den Turm oberhalb der Kloake verweisen, und den späteren von Rörer, der auf den Garten verweist. Dass Rörer dies noch 1550 tut, weist darauf hin, dass es vier Jahre nach Luthers Tod noch keine feste Turmtradition in Wittenberg gab! Möglicherweise muss man an dieser Stelle tatsächlich Aurifaber als eine weitere Variante einfügen, zu dessen sonstiger Vorgehensweise es ja passt, Anstößiges – die Kloake – zu entfernen. Dass er nicht wie Khumer zu einem Turm ohne Kloake schwenkt, sondern weder Turm noch Kloake kennt, könnte darauf hinweisen, dass auch er – wie Kroker es mit seiner Zuordnung des Aurifaber-Zitates zur Schlaginhaufen-Mitschrift offenbar auch vermutete – auf einer Überlieferung basiert, die nur die in Aurifabers Augen zu tilgende Kloake enthielt, aber noch nicht das unanstößige Angebot des Turmes. So gesehen, könnte unter Umständen eine literarhistorische Rekonstruktion der Tischreden dazu führen, den Turm aus der Geschichte von Luthers reformatorischer Entwicklung herauszunehmen. Weder der Turm45 noch, wie neuerdings

44

WA.TR 4, 191, 31–33 (Nr. 4192); vgl. hierzu LEPPIN: Luther (wie Anm. 7), 108f. S. etwa HANS GEORG VOIGT: Luthers Wittenberger Turm, in: ZVKGS 26 (1939), 9– 31; HELMAR J UNGHANS: Martin Luther und Wittenberg, München / Berlin 1996, 71f. 45

Erinnerungssplitter

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wieder, die Kloake46 muss also identifiziert werden, um Luthers Entdeckung näher zu kommen – für die ohnehin entscheidend nicht irgendein Ort ist, sondern ihr theologisches Verständnis

Schlussüberlegungen Die vorgestellten drei Beispiele sind in sich durchaus unterschiedlich, zeigen aber die Problematik im Umgang mit der Tischredentradition – bis hin zu der sachlich kaum bedeutenden, für das kulturelle Gedächtnis des Luthertums aber keineswegs unwesentlichen Frage nach dem Turm. Tatsächlich wird sich die Lutherforschung aber den Einsichten der heutigen Erinnerungsforschung in aller Radikalität stellen müssen: Erinnerung ist ein wichtiger Ausgangspunkt für historische Rekonstruktionen – aber zugleich ein äußerst unsicherer. Die Tischreden steigern durch ihre vielfache Überformung diese Unsicherheit gar noch. Zu guten Teilen sind sie mehr ein Dokument der Luther-Memoria als der Biographie Luthers selbst. Und doch bleiben sie als Quelle für die biographische Lutherforschung unverzichtbar. Die Einsicht in ihre Schwierigkeit spricht nicht gegen ihren Gebrauch, sondern unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Arbeit an ihnen. In mancher Hinsicht muss die kirchenhistorische Forschung damit wohl auch methodische Anstrengungen nachholen, die die exegetischen Fächer schon im 19. Jahrhundert unternommen haben, aber sie hat zugleich die Gelegenheit, die philologischen Ergebnisse in einem neuen kulturhistorischen Horizont zu reflektieren: Die Tischreden sind ein Paradefall für kirchenhistorische Erinnerungsforschung und sollten als solcher auch wahrgenommen werden.

46 S., sehr vorsichtig, MARTIN TREU: Waschhaus – Küche – Priorat. Die neuen archäologischen Funde am Wittenberger Lutherhaus, in: Luther 76 (2005) 132–140, 138.

Die Tradition der Tischgespräche von der Antike bis in die Renaissance BARBARA MÜLLER Luthers Tischreden verbinden sich mindestens ihrem Titel nach mit der sich während und nach einem Gemeinschaftsmahl ergebenden Gesprächssituation. Eine mögliche Spur, um sich dem Luther’schen Genus zu nähern, besteht daher darin, nach historischen und literarischen Vorläufern solcher Ess- und Gesprächssituationen zu fragen. Dies geschieht im folgenden gegliedert nach historischen Epochen.

1. Antike und Spätantike Der antike Mensch pflegte sich um etwa vier Uhr nachmittags zu Tische zu legen und dort ein opulentes, mehrere Stunden dauerndes Mahl zu sich zu nehmen – jedenfalls wenn er der privilegierten Oberschicht angehörte.1 Im Anschluss an das Essen wurde der (Misch-)Wein ausgeschenkt und das ei1

Abkürzungen griechischer Autoren und Werke weitgehend aus: A Patristik Greek Lexicon, hg. v. GEOFFREY W. H. LAMPE, Oxford 51978 und A Greek-English-Lexicon, hg. v HENRY GEORGE LIDDELL und ROBERT SCOTT, Oxford 1968; Abkürzungen lateinischer Autoren und Werke meist nach: Thesaurus Linguae Latinae, Index, Leipzig 51990; allgemeines nach Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie (TRE), zusammengestellt von SIEGFRIED M. SCHWERTNER, Berlin 21994. Zur Frage der sozialen Schicht: KONRAD VÖSSING: Einleitung, in: Das römische Bankett im Spiegel der Altertumswissenschaften. Internationales Kolloquium 5./6. Oktober 2005 Schloss Mickeln, hg. v. DERS., Düsseldorf/Stuttgart 2008, 8; zur zeitlichen Anberaumung der Symposien: ELKE STEIN-H ÖLKESKAMP : Tempestiva convivia – das Gastmahl und die Ordnung der Zeit, in: Vössing: Bankett, 143–155. Umfassend zu den griechischen und römischen Banketten: KONRAD VÖSSING: Mensa Regia. Das Bankett beim hellenistischen König und beim römischen Kaiser, München/Leipzig 2004; zu den römischen Banketten: ELKE STEINHÖLKESKAMP: Das römische Gastmahl. Eine Kulturgeschichte, München 2005; lesenswert auch: OSWYN MURRAY (Hg.): Sympotica. A Symposium on the Symposion, Oxford 1990.

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gentliche Trinkgelage begann. Unter der zeremoniellen Führung eines Symposiarchen wurden dann unterhaltende Beiträge zum Besten gegeben: Reden, Lieder, aber auch Instrumentaldarbietungen und Tanz. Die Atmosphäre war hochgradig erotisch. Oft kam es zu hetero- und homosexuellen Handlungen. Falls diesbezüglich Bedarf nach Frauen aufkam, so wurde er von eigens für ihre Dienste auf den Symposien aufgebotenen Hetären gedeckt. Denn an paganen Symposien durften als eigentliche Gäste ausschließlich Männer teilnehmen. Den allerdings massiv stilisierten Quellen über Symposien zufolge, so Plato, artete der auf das Essen folgende Trinkteil (kwmoκῶμος, πόσις, πότος bzw. comissatio) häufig in allgemeine Betrunkenheit aus, welche die Gäste oft gleich an Ort und Stelle ausschliefen.2 Die Gespräche während der Zechgelage waren in der Antike derart wichtig, dass dazu eine eigene Literatur existiert. Im Griechischen werden die entsprechenden Werke als „Symposion“ bezeichnet, das lateinische Äquivalent lautet convivium. Besonders bekannte Vertreter sind die Symposien Platons, Xenophons, Plutarchs und Athenaios. Die Symposien waren beliebte Treffpunkte der Philosophen, denn dort konnten sie ihre ernsthaften Fragen in einem heiteren Kontext diskutieren. Der Prototyp der antiken philosophischen Symposionsschrift, Platons Symposion, beschäftigt sich – typisch für das Genus – mit dem Eros. Ausgehend von Fragen rund um Liebhaber und Geliebte schwingt sich das Gespräch auf die hochphilosophische Ebene und der Frage nach dem Unsterblichen und Ewigen empor. Die griechischen und römischen Symposien, die dahinter stehenden Ideale, aber auch die auf den Symposien geführten Gespräche sind weitgehend vergleichbar.3 Allgemein ging es darum, Themen zu behandeln, die weder zu ernsthaft noch zu frivol waren.4 Leichte philosophische Gesprä-

2 So etwa in Platons Symposion, wo mit Alkibiades ein betrunkener Redner auftritt (symp. 212D–222B) und das in Betrunkenheit, ausartet (symp. 223B). Zur Terminologie des Zechens nach dem eigentlichen Essen, welches zusammen mit dem Essen das Symposion bzw. das convivium ausmacht siehe KONRAD VÖSSING: Das römische Trinkgelage (comissatio) – eine Schimäre der Forschung? In: DERS.: Mensa Regia, 187. 3 Als nicht gesprächsbezogene Unterschiede sind exemplarisch zu nennen, dass die Griechen dem eigentlichen Umtrunk mehr Gewicht zuschrieben als die Römer (vgl. VÖSSING : Trinkgelage, 188) oder dass die Römer Vorlesungen (z.B. Gell. 13, 11, 5, ausgehend von Varro) und dramatische Aufführungen, z.B. die Dialoge Platos, einführten (vgl. Plutarch: quaest. conv. 7, 8, 1f [= moralia, 711A–711D]). 4 Es gab entsprechend auch Leitfäden für die Gespräche an Symposien z.B. Gell. 13, 11, 4 oder Apuleius allerdings verlorene Formulae quaestionum convivalium, vgl. WILLIAM J. SLATER: The ancient Art of conversation, in: VÖSSING : Mensa Regina, 116.

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che waren besser geeignet als Klatschereien über andere Leute.5 Drohte das Gespräch dennoch in solche Niederungen abzugleiten, dann bedurfte es der gekonnten Gegensteuer seitens des Symposiarchen oder der Gäste – etwa, indem spontan eine Fabel Aesops eingeflochten oder ein Lied vorgetragen wurde, um das entgleiste Gespräch abzubrechen.6 Was nun aber genau ein geeignetes Gesprächsthema war, war Gegenstand der Debatte. Soll man über Gladiatorenkämpfe sprechen?7 Wo wird die Philosophie zu schwierig und wo entartet das lockere, spontane Mahlgespräch in eine rigide Schuldiskussion?8 Einig war man sich, dass niemand beleidigt werden soll und allenfalls humorvolle Kritik erlaubt ist.9 Dies hängt ganz wesentlich mit einer Grundüberzeugung sowohl griechischer als römischer Symposionskultur zusammen, dass nämlich am Symposion eine Gleichheit unter den Teilnehmern realisiert wird und das Symposion gleichsam die ideale Gemeinschaft darstellt. Theoretisch verhielt es sich so; in der Praxis waren die Symposien aber durchaus durch die herrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse geprägt und sympotische Parties konnten daher auch gefährliche Orte sein, auf denen man seine Zunge bisweilen besser im Zaume hielt.10 Obschon man bei der Durchsicht der Forschungsliteratur leicht zur Ansicht kommen könnte, dass Symposien nur im paganen Milieu beliebt und folglich auch literarisch verarbeitet wurden, gibt es entsprechendes auch aus jüdischen und christlichen Kontexten. Etwa Philo von Alexandrien kontrastiert die zügellosen griechischen Bankette mit “dem heiligen Bankett (τῷ ἱερῷ [...] συμποσίῳ)“ der jüdischen Therapeuten, das, wie er selber als ungewöhnlich hervorhebt, ohne den Dienst von Sklaven auskommt, vegetarisch und alkoholfrei vonstatten geht und dessen Redephasen weit5

Vgl. Hor., sat. 2, 6, 70–76. Dies reflektiert die rhetorische Maxime, wonach ein Bonmot zur rechten Zeit Schwierigkeiten ausräumen kann, vgl. Quint: inst. 6, 3, 10. Plutarch beschreibt ein convivium, dessen Abgleiten durch ein Lied verhindert werden konnte, vgl. Plut.: quaest. conv. 9, 1, 1 (= moralia 736E), ebenso Xen., smp. 7, 1; zur kunstvollen Steuer der Konversation am Symposion vgl. SLATER: conversation, 117. 7 So geschehen an der dekadenten cena Trimalchions: Petron., 45f. 8 Vgl. Plutarch: quaest. conv. 1, 1 (= moralia 614A). 9 Z.B. Lucian: sat. 34. 10 Cicero scheint nach der Ermordung Cäsars von der Teilnahme an convivia abgesehen zu haben, genau aus dem Grund, weil es zu gefährlich war, sich dort und damit in einer unkontrollierbaren Öffentlichkeit zu äussern, vgl. Cic., fam. 9, 24 (an Paetus). Zu den Machtverhältnissen vgl. JOHN D’ARMS: The Roman Convivium and the Idea of Equality, in: MURRAY: Sympotica, 308–320, DIRK SCHNURBUSCH: ‚Prestigehierarchie‘ und aristokratisches Gastmahl in der späten Republik und frühen Kaiserzeit, in: VÖSSING, Bankett, 129–142; SLATER: conversation, 121f.; VÖSSING: Trinkgelage, 189. 6

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gehend durch die Diskussion von Fragen aus der Heiligen Schrift bestimmt sind – wie überhaupt das ganze liturgisch umrahmt ist.11 Eine christliche Symposienschrift im engeren Sinne gibt es nur eine einzige, nämlich das Symposion des Methodius von Olympos aus der zweiten Hälfte des 3. Jahunderts. Der vollständige Titel des Werkes lautet „ΣΥΜΠΟΣΙΟΝ H ΠΕΡΙ ΑΓΝΕΙΑΣ“ – d.h. „Symposion oder über die Keuschheit“.12 In dieser Schrift treten auf Einladung der personifizierten Tugend nacheinander zehn Frauen auf, u.a. Thekla, die nachmalige Siegerin des Gesprächswettbewerbs, und halten Lobreden über die Keuschheit. Es wird zwar auch ein wenig gegessen und es wird Wein eingeschenkt, aber insgesamt weht auch hier ein für ein antikes Symposion atypischer asketischer Geist. Es herrscht eine fundamental un-erotische Stimmung, indem jungfräuliche Frauen als Rednerinnen auftreten – und damit nicht Männer, die unter anderem an ein Symposion gingen, um sich dort auch sexuell zu verlustieren. 13 Sich den antiken Tischgesprächen über die Symposien-Literatur zu nähern, ist die direkteste und einfachste Möglichkeit. Wenn man nun aber Informationen über die an christlichen Tafeln geführten Gespräche sucht, führt dieser Zugang angesichts der mageren Quellenlage nicht weit. Man muss vielmehr die gesamte christliche Literatur konsultieren, beginnend mit dem Neuen Testament, wo mehrfach Mahle geschildert werden, einschließlich der dort geführten Lehrgespräche.14 Erwähnenswert ist etwa die lukanische Version der Gespräche im Anschluss an das Passahmahl (Lk 22,21–38).15 Eine ähnliche Situation beschreiben wenig später die Berichte 11 Philo v. Alexandria: VitCont 71; über das therapeutische Symposion: ebd. 63–90, in: Philonis Alexandrini opera 6, hg. v. LEOPOLD COHEN und SIEGFRIED REITER, Berlin 1915, 63–70. Zur weiteren jüdischen Symposientradition: SETH SCHWARZ: No dialogue at the symposium? Conviviality in Ben Sira and the Palestinian Talmud, in: hg. v. SIMON GOLDHIL: The End of Dialogue in Antiquity, Cambridge/New York 2008, 193–216. 12 Meth., symp., in: Méthode d’Olympe, Le banquet, HERBERT MUSURILLO (Hg.), Paris 1963 (SChr 95). 13 Es ist daher ein typisches und treffsicheres Stilmittel einer Schmähschrift, wenn Prokop in seiner Geheimgeschichte Kaiserin Theodora als sexuell ausschweifende Teilnehmerin von Banketten und Trinkgelagen beschreibt: Prokop von Cäsarea: Historia arcana 9, in: OTTO VEH (Hg.): Prokop, Anekdota. Geheimgeschichte des Kaiserhofs von Byzanz, Düsseldorf (Tusculum), Zürich 2005, 88. 14 Z.B. Lk 7, 40–47; 14, 1–24; 22; Joh 13–17, siehe PETER WICK: Die urchristlichen Gottesdienste. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der frühjüdischen Tempel-, Synagogen- und Hausfrömmigkeit, Stuttgart2 2003 (BWANT 150), 124–126; DENNIS SMITH: From Symposium to Eucharist, Minneapolis 2003. 15 Bezeichnet als τὸ δειπνῆσαι (Lk 22,20). Der Begriff Symposion findet sich somit in dieser Passage nicht, aber unmittelbar damit assoziierte Vorstellungen wie z.B. das zu Tische Liegen (ἀνάκειμαι), Lk 22,27.

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über die christlichen Agapen, d.h. diejenigen christlichen Liebesmahle, die bis etwa in die Mitte des 2. Jahrhunderts den ursprünglichen Rahmen der Eucharistie bildeten. Was dort gesprochen wurde, bewegt sich einerseits im liturgischen Rahmen; andererseits dienten die Agapen natürlich auch der Pflege der Geselligkeit. Obwohl sich die Christen mit ihren Agapen bewusst gegen die ausschweifenden heidnischen Bankette abgrenzten, wird es bisweilen auch dort feucht fröhlich zugegangen sein, wie aus einer Äußerung Tertullians zu schließen ist: „Wenn die Hände gewaschen und die Lichter angezündet sind, wird jeder aufgefordert, vorzutreten und Gott Lob zu singen, wie er es aus der Heiligen Schrift oder nach eigenem Talente vermag; daran erkennt man, wie er getrunken hat.“16

Was an diesen, meist durch Kleriker veranstalteten Mahlfeiern gesprochen wurde, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Bei Tertullian kann man nur lesen: „[...] so unterhalten sie [die Teilnehmer der Agape] sich wie Leute, die wissen, dass Gott zuhört.“17 Die Agapen entwickelten sich im Verlauf der Zeit zunehmend zu karitativen Veranstaltungen und damit zu Institutionen der Armenfürsorge.18 Aber nicht alle von Christen veranstalteten Mahle dienten der Armenfürsorge. Vielmehr muss man bei christlichen Mahlen stets auch die Gastfreundschaft und damit nach wie vor die Geselligkeitspflege unter sozial potentiell Gleichgestellten in Betracht ziehen. Mindestens von hochgestellten Bischöfen, wie dem Patriarchen von Konstantinopel, scheint dies erwartet, aber auch praktiziert worden zu sein, wie die Ausnahme, die diese Regel bestätigt, nämlich Johannes Chrysostomos, zeigt. Einer der äußeren Gründe für sein Scheitern auf dem Patriarchenstuhl in Konstantinopel im ausgehenden 4. Jahrhundert war seine Reform der kirchlichen Finanzpolitik, die unter anderem darin bestand, die traditionellerweise vom Patriarchen ausgerichteten opulenten Bankette zu streichen und das Geld stattdessen der Armenfürsorge zukommen zu lassen.19 Chrysostomos seinerseits

16 Tert., apol. 39, 18, in: Tertullian, Apologeticum, ELIGIUS DECKERS (Hg.), Turnholt 1954 (CChr.SL 1) 153. 17 Tert., apol. 39, 17 (CChr.SL 1, 152), vgl. Hippolyt, trad. apost. 28, in: hg. v. BERNARD BOTTE: Hippolyte de Rome, La tradition apostolique d’après les anciennes versions, Paris 21982 (SChr 11bis), 106–108. 18 Vgl. ERNST DASSMANN: Kirchengeschichte I. Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten, Stuttgart 1991 (KStTh 10), 219f. 19 Vgl. Palladius V. Chrys: 12,38, in: Anne-Marie Malingrey/Philippe Palladius (Hg.): Dialogue sur la vie de Jean Chrysostome 1, Paris 1988 (SChr 341), 234, vgl. RUDOLF BRÄNDLE: Art. Johannes Chrysostomus I, in: RAC 18, 1998, 432f; DERS.: Johannes Chrysostomus. Bischof, Reformer, Märtyrer, Stuttgart 1991, 74.

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zog der kulinarischen Opulenz und der potentiell damit einhergehenden rhetorischen Dekadenz stattdessen die Gesellschaft seiner asketischen Freundin Olympias und deren magere Kost vor.20 Dieser gesellschaftliche Affront war mit ein Grund für seine Absetzung und damit letztlich auch für seinen Tod. Andere spätantike Bischöfe hingegen scheinen die Praxis des gemeinsamen Mahles durchaus praktiziert zu haben. Interessant ist in diesem Kontext die Aufforderung des gallischen Bischofs Sidonius Apollinaris an junge Christen, sich beim Mahle erbauliche religiöse Geschichten zu erzählen, um dann aber doch pragmatisch auf Apuleius Formulae quaestionum convivalium zu verweisen – ein Hinweis darauf, dass es Christen in seinem Umfeld offenbar an einer eigenen Symposien-Gesprächskultur mangelte.21 Anders scheint hingegen die Tischgemeinschaft Augustins, Bischof von Hippo, funktioniert bzw. kommuniziert zu haben. In Possidius Vita Augustini ist über Bischof Augustins Tisch zu lesen: „Sein Tisch war frugal und sparsam. Neben Gemüse und Hülsenfrüchten gab es gelegentlich, wenn Gäste da waren oder der Kranken wegen, auch Fleisch, aber immer Wein. [...] Stets übte er Gastfreundschaft (hospitalitatem). Bei Tisch liebte er mehr die Lesung (lectionem) und Disputation (disputationem) als Essen und Trinken. Den Tisch hatte er mit einer Inschrift versehen lassen, um die gleichsam pestilenzartige menschliche Gewohnheit des Redens über andere zu brandmarken: ’Wer des Nächsten Leben hier benagt, dem sei, weil nicht würdig, dieser Tisch versagt. [...]“ Alle Tischgäste sollten überflüssige und schädliche Reden vermeiden, ermahnte er. Eines Tages hatten einige seiner besonders vertrauten Mitbischöfe diese Inschrift wohl vergessen und dagegen angeschwätzt. Da wurde er sehr erregt und tadelte sie überaus heftig. Entweder müssten die Verse aus dem Tisch herausgemeisselt werden, erklärte er, oder aber er selbst werde sich jetzt, mitten im Essen, auf sein Zimmer zurückziehen. Ich und andere, die an jenem Essen teilnahmen, haben das erlebt.“22

Bischof Augustin scheint also zu einem maßvollen Mahl geladen zu haben und dort auch erbauliche Themen in Form von Bibellektüre und Diskussionen aufgetischt zu haben. Geschwätzigkeit und Klatsch gegenüber war er hingegen völlig abgeneigt.

20

Vgl. Nicephoros Kallistos: h.e. 13, 2, in: PG 146, 1012B. Vgl. Sidon; epist. 9, 13, 3, in: ANDRE LOYEN (Hg.): Sidoine Apollinaire III. Lettres (Livres VI–XI), Paris 1970 (CUFr), 163f. Eine ähnliche Begegnung von christlicher und paganer Kultur enthält der Bericht über das Gastmahl des Kaisers Maximus mit dem Ehrengast Martin von Tours, vgl. ANJA BETTENWORTH: „... cessit diadema fidei“: Das Gastmahl des Kaisers Maximus im Martinsepos des Paulinus von Périgueux, in: VÖSSING, Mensa Regia, 69–82. 22 Possid., vita Aug. 22, in: Possidius, Vita Augustini, WILHELM GEERLINGS (Hg.), (Augustinus Opera – Werke), Paderborn 2005, 68–71. Eingeritzt war Hor., sat. 1, 4, 81. 21

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Eine ähnliche Kombination von Mahl und geistlichem Gespräch findet sich auch in monastischen Quellen beschrieben, z.B. in Johannes Cassians Collationes aus dem beginnenden 5. Jahrhundert. Cassian schildert darin, wie er, als er noch bei den ägyptischen Wüstenvätern weilte, nach dem Kirchenbesuch in die Zelle von Abbas Serenus eingeladen wurde, wo er angeblich, „auf das Trefflichste bewirtet“ wurde – nämlich mit Salzwasser, einem Tropfen Öl, geriebenem Salz, drei Oliven, fünf gedörrten Kichererbsen, zwei Pflaumen und einer Feige.23 Nachdem alle erquickt waren, begann der grosse Greis mit seiner geisterfüllten Rede, wobei seine Ausführungen maßgeblich durch Bibelzitate und auch Reflexionen über die Bibel charakterisiert sind. Wohl aus dem Osten, nach Cassian genauerhin aus Kappadokien, stammt die dann auch in die Benediktsregel eingegangene Vorschrift, während des Essens zu schweigen und der Lektüre zu horchen.24 Wobei man sich unter dem Lektürestoff die Benediktsregel und andere monastisch erbauliche Werke vorzustellen hat.25 Das Schweigen darf nur unterbrochen werden, wenn der Obere (prior) ein Wort zur Erbauung sagen will; unter keinen Umständen darf aber ein gewöhnlicher Mönch zur Rede ansetzen.26 Der Hintergrund einer solchen Praxis wird durch Caesarius von Arles, einen Zeitgenossen Benedikts, dargelegt, wenn er in seiner Regel schreibt:

23 Vgl. Cassian, coll. 8, 1, in: Johannes Cassian, Conlationes (CSEL 13), MICHAEL PETSCHENIG/GOTTFRIED KREUZ (Hg.), Wien 22004, 217, vgl. LUCIEN REGNAULT: La vie quotidienne des pères du désert en Egypte au IV siècles, Hachette 1990, 186–188. 24 „Der Brauch der Schriftlesung bei der Mahlzeit der Brüder stammt unseres Wissens nicht von den Ägyptern, sondern von den Kappadokiern. Dies haben sie ohne Zweifel nicht so sehr als geistliche Übung (spiritalis exercitationis causa) eingeführt, sondern um überflüssiges und unnützes Geschwätz (superfluae otiosaeque confabulationis) zu vermeiden und besonders Streitereien, die bei Tisch (in conviviis) häufig entstehen. Deshalb haben sie die Lesung angeordnet, weil sie keinen anderen Weg sahen, diese Dinge zu verhindern.“ Cassian., inst. 4, 17, in: Jean-Claude Guy (Hg.): Jean Cassien, Institutions cénobitiques, Paris 1965 (SChr 109), 142–144; Bened. Reg. 38, 5, in: Rudolph Hanslik (Hg.): Benedicti regula, Wien 1969 (CSEL 75), 98. 25 Vgl. Bened. Reg. 42, 3; 73 (CSEL 75, 104; 164f). 26 Vgl. Bened. Reg. 38, 9 (CSEL 75, 98). Ähnliche Vorschriften zur Tischlesung enthält auch mag. 24, in: ADALBERT DE VOGÜÉ (Hg.): La règle du maître II (11–95), Paris 1964 (SChr 106), 122–132; vorgelesen werden soll stets aus der Magisterregel, es sei denn, Laien wären anwesend und könnten sich darüber lustig machen, vgl. mag. 24, 20f (SChr. 106, 126–128); zahlreiche weitere Stellen in: Quellen und Texte zur Benediktusregel, MICHAELA PUZICHA (Hg.), St. Ottilien 2007, 340–344.

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„Wenn sie [die Schwestern] bei Tisch sitzen, mögen sie unter Schweigen ihre Aufmerksamkeit der Lesung schenken. Wenn die Lesung aufhört, weiche die heilige Meditation nicht aus dem Herzen.“27

Das sowohl kulinarisch als auch rhetorisch opulente antike Symposion entwickelte sich also unter christlichem Einfluss zunehmend zu einer durch Maß und auch Askese bestimmten Institution. Die Tischrede wurde, wie das Beispiel Benedikts zeigt, bisweilen ganz durch die Rezitation ersetzt. Ein eigentliches Tischgespräch war damit erstickt oder fand nur noch literarisch statt.

Mittelalter Im monastischen Kontext muss von der Weiterführung des eben geschilderten Schweigegebots während des Essens ausgegangen werden. Aber es lebten und aßen natürlich nicht alle Menschen im Kloster. Zum Beispiel König Heinrich IV. dinierte im Jahre 1077 mit Papst Gregor VII. in der Burg zu Canossa – dieses Mahl stellt den Abschluss des demütigenden Bußaktes des Königs vor dem Papst dar. Während dieses Mahls sprach Heinrich IV. offenbar kaum, aß nichts, bearbeitete sattdessen die Tischplatte mit dem Fingernagel.28 Indem Heinrich mit seinem Verhalten den gängigen Ablauf des commune convivium verweigerte, demonstrierte er seinen Unwillen, mit dem Papst Frieden zu schließen. Denn das gemeinsame Essen und Trinken und dabei gerade das bevorzugt heitere Tischgespräch wurden im frühen Mittelalter als höchst gemeinschafts- und friedensstiftende Mittel eingeschätzt.29 Texte von der bündnisstiftenden Quali27 Caes. Arel, reg. virg. 18, in: Œuvres monastiques 1: Œuvres pour les moniales, ADALBERT DE VOGÜE / J OËL COURREAU CESAIRES D’ARLES, (Hg.), Paris 1988 (SC 345), 192. 28 Vgl. Rangerius Lucensis: V. metr. S. Anselmi 3207f: Stet fixis oculis tacitus meditansque cibumque? / Horreat in mensam pronus et ungue notans, in: Vita metrica S. Anselmi Lucensis episcopi auctore Rangerio Lucensi, hg. v. E RNST SACKUR et al, Leipzig 1934 (MGH SS 30/2), 1224. Den Tisch zu ritzen, galt als unhöfisches Benehmen: „sô giuzet einer für sich wîn / und mâlet sicheln und barten / er snitzt, er krinnt, er machet scharten / in den tisch: daz ist unhübescheit; / ez ist den guoten wirten leid, swer die unzuht niht vermîdet / daz er in sînen tisch snîdet. / wan daz hân ich gesehen dicke, / er bickt, er ritzt, er machet stricke / oder mâlet einen taterman: / dâ wirt der tisch niht schoener van. / swâ den tisch unêrt ein jüngeline, / der gebe mir einen pfennine.“ (Meister Konrad von Haslau (ca. 1270), Der Jüngling, 536–548, in: M ORITZ HAUPT: Der Jüngling von Meister Konrad von Haslau, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 8, (1851), 566f). 29 Vgl. GERD ALTHOFF: Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftsstiftende Charakter des Mahles im früheren Mittelalter, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit.

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tät von Essen sind uns seit der Merowingerzeit überkommen. Insbesondere Gregor von Tours beschreibt solche und ähnliche Friedensmahle mehrfach: „Sie [Chlodwig und Alarich] trafen sich darauf auf der Loireinsel bei Amboise im Gebiet von Tours, sprachen, assen und tranken miteinander, gelobten sich Freundschaft und schieden dann in Frieden.“30

Solche Gelage mit Vertragscharakter nach „barbarischem Brauch“ konnten bis zu acht Tage lang dauern, so in der Mitte des 11. Jahrhunderts im Falle des Hamburger Erzbischofs Adalbert und dem Dänenkönig.31 Nicht selten war die kirchliche Autorität aber nicht glücklich über die festlichen Gelage, etwa Erzbischof Hincmar von Reims polemisierte gegen die oft damit einhergehenden Exzesse und verbot seinen Klerikern, an solchen Mahlen teilzunehmen und damit ungestümes Gelächter, das Vortragen – die sprechende oder singende Rezitation – eitler Geschichten und anderes übermütiges Verhalten.32 Nichtsdestotrotz wurden convivia aber auch von und mit kirchlichen Repräsentanten durchgeführt. Dies reflektiert die Tatsache, dass sozusagen alle sozialen Beziehungen des Mittelalters durch Mahle bekräftigt wurden. Für die Frage nach den mittelalterlichen Tischgesprächen ist damit gewonnen, dass die schiere Existenz eines Mahles mitsamt Tischgespräch wichtig war; der Inhalt der Rede scheint demgegenüber nicht immer erinnernswert gewesen zu sein. Über die späteren mittelalterlichen Tafelgewohnheiten ist einiges in Erfahrung zu bringen, wenn man sich mit dem literarischen Genuss der „Tischzucht“ beschäftigt.33 Es handelt sich dabei um recht kurze Schriften, big-Universität Gießen, hg. v. Irmgard Bitsch et.al, Sigmaringen 1987, 13–25. 30 Greg. Tur., Franc. 2, 35, in: hg. v. BRUNO KRUSCH und WILHELM LEVINSON: Gregorii episcopi Turonensis Historiarum libri decem, Hannover 1992 (MGH.SRM I/1), 84. 31 Vgl. Adam von Bremen: gest. Hamm. Pont. 3, 18, in: Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, BERNHARD SCHMEIDLER (Hg.), Hannover/Leipzig 1917 (ND. 1993) (MGH SS rer. Germ.), 161. 32 Vgl. Hincmar v. Reims: Capitula synodica 1, 14, in: PL 125, 776BD. 33 Vgl. ANDREAS WINKLER: Selbständige deutsche Tischzuchten des Mittelalters. Texte und Studien, Marburg 1982; CHRISTIANE VOIGT: Forschungen zu den selbständigen deutschsprachigen Tischzuchten des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Stuttgart 1995. Grundsätzlich sind sogenannte selbständige Tischzuchten, in denen es allein um die Tischzucht geht, von unselbständigen Tischzuchten zu unterscheiden, in denen die Tischzucht einen Aspekt der Anstandserziehung darstellt, vgl. WINKLER: Tischzuchten, 6. Angestoßen wurde die Forschung über die Tischzuchten massgeblich durch die von Norbert Elias im Jahre 1939 vorgelegte Untersuchung zum Essverhalten im Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: NORBERT ELIAS: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen 1: Wandlung des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Amsterdam 1997, 202–285; vgl. kritisch dazu, den Unterschied zwischen Essen mit Fremden und Privaten sowie soziale Unterschiede

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welche im deutschen Sprachraum seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zu finden und meist in Versform verfasst sind.34 Frühformen reichen aber bis ins 12. Jahrhundert herab. Tischzuchten existieren in zahlreichen Sprachen: Lateinisch, Italienisch, Niederländisch, Englisch und Französisch.35 Besonders bekannt ist die Tischzucht Tannhäusers aus dem 13. Jahrhundert.36 Die meisten Tischzuchten sind allerdings anonym verfasst. Eine Tischzucht schildert einerseits das richtige Benehmen bei Tische, andererseits will sie dazu erziehen. Die Tischzucht ist als Aspekt der Hofzucht zu sehen; es geht also um höfisches Benehmen bzw. Höflichkeit beim Tafeln. Konkret kann dies bedeuten, dass man z.B. die abgenagten Knochen nicht wieder in die gemeinsame Schüssel zurücklegen37 oder allgemein, dass man nicht „alz ain swein“ essen soll.38 Über Gespräche während der Mahlzeit erfährt man nur am Rande etwas, z.B. dass man vor dem Essen um Christi Segen bitten 39 aber auch, dass man nicht übermäßig viel reden soll und schon gar nicht Unzüchtiges.40 Das Wenige bezieht sich meist unmittelbar auf das Essen, wie etwa, dass man nicht gleichzeitig essen und sprechen soll.41 Ausführliche Traktate über Tafelgespräche, wie sie aus der Antike überliefert sind, gibt es aus der mittelalterlichen Zeit nicht; als mit 27 Zeilen bereits ausführlich gilt demnach das Kapitel „Über Gespräche bei Tisch (De locutione in mensa)“ in der Thesmophagia, deren Grundbestand aus dem 12. Jahrhundert stammt.42 betonend: RÜDIGER SCHNELL: Kommunikation unter Freunden vs. Kommunikation mit Fremden. Eine Studie zum Privaten und Öffentlichen im Mittelalter, in: Verwandtschaft, Freundschaft, Bruderschaft. Soziale Lebens- und Kommunikationsformen im Mittelalter, hg. v. Gerhard Krieger, Berlin 2009 (Akten des 12. Symposiums des Mediävistenverbandes vom 19. bis 22. März 2007 in Trier), 127–150. 34 Vgl. WINKLER: Tischzuchten, 4. 35 Vgl. PAUL MERKER: Die Tischzuchtenliteratur des 12.–16. Jh. (Mitteilungen der deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer in Leipzig 11) Leipzig 1913, 1–15; 35–39. 36 „Daz ist des tanhawsers geticht un ist gut hofzucht“, in: hg. V. ARNO SCHIROKAUER und THOMAS THORNTON: Höfische Tischzuchten, Berlin 1957 (Texte des späten Mittelalters 4), 38–45. 37 Vgl. Tannhäuser: Tischzucht 50f, in: SCHIROKAUER und THORNTON, Höfische Tischzuchten, 39. 38 Ebd. 43 (SCHIROKAUER/THORNTON: Höfische Tischzuchten, 39). 39 Vgl. ebd. 21f (SCHIROKAUER/THORNTON: Höfische Tischzuchten, 38). 40 Vgl. Meister Konrad von Haslau: Der Jüngling, 586; 593–596, in: HAUPT: Der Jüngling, 568. 41 Vgl. Tannhäuser: Tischzucht 65f., SCHIROKAUER/THORNTON: Höfische Tischzuchten, 39). 42 Sebastian Brant: Thesmophagia, 153–179, SCHIROKAUER/THORNTON: Höfische Tischzuchten, 23f). Schirokauer und Thornton bieten die freie Übersetzung Sebastian

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3. Renaissance und Humanismus In der Renaissance wird ein neues Interesse am Dialog erkennbar. Vom 15. Jahrhundert an entstehen in Italien Werke, die sich mit Bezug auf die reiche antike, insbesondere platonische und ciceronianische rhetorische Tradition mit der Kunst des Konversierens im weitesten Sinne beschäftigen – einschließlich des Briefeschreibens.43 Diese Literatur hat sich von Italien aus in ganz Europa verbreitet.44 Sie gehört in einen umfassenden Kontext von Benimm-Literatur, d.h. Werken, die der Höflichkeit und der Erziehung zur Höflichkeit gewidmet sind. Der gleichsam archetypische Renaissance Dialog ist der Cortegiano, der Hofmann, von Baldessar Castiglione (1528).45 Darin lässt Castiglione zahlreiche führende italienische Persönlichkeiten des beginnenden 16. Jahrhunderts unter der Leitung einer Dame Namens Emilia Pia an vier Abenden über die idealen Qualitäten des Hofmannes sprechen.46 Formal ist das Werk Ciceros Dialog De oratore und Boccaccios Decameron nachempfunden.47 Erwähnenswert unter den italie-

Brants, auf den allerdings wohl nur die Schlussverse zurückgehen. 43 Vorbild ist aber letztlich die in den platonischen Dialogen vorgefundene eloquentia, vgl. MARC FUMAROLI: De l’Age de l’éloquence à l’Age de la conversation: la conversation de la rhétorique humaniste dans la France du XVIIe siècle, in: Bernard Bray/Christoph Strosetzki (Hg.): Art de la lettre, Art de la conversation à l’époque classique en France. Actes du colloque de Wolfenbüttel octobre 1991, Mayenne 1995, 38; überblicksmäßig: VIRGINIA COX: The Renaissance dialogue. Literary dialogue in its social and political contexts, Castiglione to Galileo, Cambridge 1992. 44 Vgl. RAFFAELE MORABITO: Lettres et civil conversazione dans l’Italie du XVIIe siècle, in: Bray und Strosetzky, conversation, 104. 45 BALDESSAR CASTIGLIONE: Il libro del Cortegiano (1508): Il libro del Cortegiano, hg. v. Amedeo Quondam und Nicola Longo, Mailand 112003. Überblicksartig: SILKE SEGLAR-MESSNER: Der Dialog als Raum spielerischer Selbstentfaltung: BALDESSAR CASTIGLIONE, STEFANO GUAZZO, MODERATA FONTE: in: Spielwelten. Performanz und Inszenierung in der Renaissance, Klaus Hempfer/Helmut Pfeiffer (Hg.) Stuttgart 2002 (Text und Kontext, Romanische Literaturen und allgemeine Literaturwissenschaft 16), 47–66; ALAIN PONS: La rhétorique des manières aus XVIe siècle en Italie, in: Marc Fumaroli (Hg.): Histoire de la rhétorique dans l’Europe moderne 1450–1950, Paris 1999, 411–430. 46 Als Reflex der in jener Zeit gestiegenen gesellschaftlichen Bedeutung der Frau äußert sich Castiglione auch speziell zur Gesprächsweise von Frauen, vgl. RÜDIGER SCHNELL: Gastmahl und Gespräch. Entwürfe idealer Konversation, von Plutarch zu Castiglione, in: Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierung literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter, hg. v. Alois Hahn et al, Berlin 2006 (Geschichte Forschung und Wissenschaft 24), 86–88. 47 Boccaccio, Decamerone: hg.v. Vittore Branca, Turin 1987, vgl. Cox: dialogue, 15.

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nischen Dialogen sind weiter der Galateo von Giovanni della Casa (1558)48 sowie Stefano Guazzos, Civil conversazione (1574).49 In Guazzos, allerdings erst nach Mitte des 16. Jahrhunderts erschienenen Schrift wird ein Mahl geschildert, das unter der Leitung eines gewählten Symposiarchen stattfindet und während dem verschiedenartigste Gesprächsthemen aufgegriffen werden, von Wein über die Melancholie bis zur Liebe.50 Dass diese Entwicklung gerade von Italien ausging, wird mit der dortigen gesellschaftlichen Situation zu erklären versucht, d.h. den nunmehr entmachteten Prinzenhöfen, an welchen Fragen des sozialen Stils an die Stelle verunmöglichter politischer Einflussnahmen traten.51 Die kulturelle Elite konnte sich nicht mehr anders als durch ihren elitären Stil anpreisen. Das von Italien ausgehende neue Interesse am Dialog lässt sich auch im deutschen Sprachraum nachweisen. An erster Stelle ist hier Erasmus zu nennen, der nicht nur mehrere Werke in Dialogform verfasste, sondern in seinen Colloquia familiaria aus den Jahren 1518 bis 1533 mehrere sympotische Schriften bietet.52 In seinem dortigen convivium religiosum veranstaltet der sich als Philosoph ausgebende Eusebius in einem paradiesischen Garten auf dem Lande ein Mahl für vier Freunde. Der Ablauf und auch die Gespräche sind eine gelungene Mischung von antiker Symposientradition und Christentum. Nachdem sich die Gäste zu Tisch begeben haben, lässt der Gastgeber eine Lesung aus den Sprüchen Salomos (21,1) vornehmen. Er begründet dies folgendermaßen: „Ich habe diese Gewohnheit von manchen Vorbildern übernommen: einmal vermeidet man törichtes Geschwätz (inanes fabulae) und hat dazu noch einen wundervollen Stoff für eine fruchtbare Unterhaltung (confibulationis frugiferae). Ich halte nicht viel von jenen Leuten, die ein Gastmahl nur lieben, wenn es erfüllt ist von fadem Gerede und zweideutigen Witzen, allenfalls noch von zotigen Liedern. Wahrer Frohsinn ist nur in sauberer und aufrichtiger Gesinnung daheim, und wahrhaft froh sind nur jene Gespräche (sermones), die man stets mit Nutzen führt oder anhört und an die man mit Behagen zurück-

48

GIOVANNI DELLA CASA: Galateo, ovvero de’costumi, hg.v. Bruno Maier, Turin

1961. 49

STEFANO GUAZZO: La civil conversazione, Venedig 1631. Vgl. ALEIDA ASSMANN: Festen und Fasten – Zur Kulturgeschichte und Krise des bürgerlichen Festes, in: Walter Haug/Rainer Warning (Hg.): Das Fest, München 1989 (Poetik und Hermeneutik. Arbeitsergebnisse einer Forschungsgruppe 14), 227–233. 51 Vgl. COX, dialogue, 24f. Aleida Assmann spricht auch von einer „Aristokratisierung (gentrification) der Gesellschaft“, verbunden mit dem „Wertwandel vom Adel der Geburt zum Adel des Verhaltens“, ASSMANN: Festen, 230. 52 Erasmus Colloquia wurden früh, 1540, ins Italienische übersetzt, vgl. COX: dialogue, 27. 50

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denket, kaum aber Gespräche, deren man sich hinterher schämt und die einen moralischen Kater hinterlassen.“53

In der Folge interpretieren und diskutieren die Symposiasten den vorgelesenen Spruch Salomos und zahlreiche weitere Bibelpassagen mit Bezug auf die Kirchenväter und ebenso diverse antike Autoren. Das Gespräch mäandriert zwanglos entlang verschiedenartigster Themen, die allesamt in lockerer Gelehrtheit behandelt werden. Ein weiteres Gastmahlkapitel ist mit convivium fabulosum übertitelt.54 Eingangs dieser Symposienschrift wird klargestellt: „Keiner soll hier etwas anderes vorbringen als unterhaltsame Geschichten. Wer keine Geschichte weiß, muss Strafe zahlen. Dieses Geld soll vertrunken werden.“55

Bei den aus dem Stegreif geforderten, erfundenen und vorgetragenen Geschichten handelt es sich meist um Anekdoten über Herrscher. Das andere, in den Colloquia familiaria geschilderte Mahl ist übertitelt mit ΝΗΦΑΛΙΟΝ ΣΥΜΠΟΣІΟΝ („Das nüchterne Gastmahl“).56 Wiederum findet das Mahl in einem paradiesisch anmutenden Garten statt. In seiner Kargheit erinnert das Mahl an Johannes Cassians Dialoge mit den Wüstenvätern. Mehr als um den leiblichen Genuss geht es hier um die Beiträge der Symposiasten. Jeder soll „das Feinste (elegantissimum), was er während diese Woche gelesen hat, zum Besten“ geben.57 In dieser recht kurzen Schrift werden im wesentlichen Vorbilder im Maßhalten präsentiert. Erasmus Beitrag zur Tischrede beschränkt sich allerdings nicht nur auf das in der Renaissance wiedergefundene Interesse am Dialog. Seine Schriften sind auch im Rückgriff auf die oben geschilderten mittelalterlichen Tischzuchten bemerkenswert. In seiner Schrift De civiliate morum puerilium lässt er sich im vierten, mit De conviviis übertitelten Kapitel auch über das Gesprächsverhalten bei Tisch aus.58 Weit mehr als seine gekünstelten Symposien erwecken diese Ausführungen den Eindruck, einen unmittelbaren Bezug zur historischen Esssituation seiner Zeit zu haben. Man erfährt in diesem Abschnitt, dass man das Essen gelegentlich durch ein Gespräch unterbrechen soll.59 Wer ohne Unterbrechung isst oder trinkt, 53

Erasmus: Convivium religiosum, 317–324, in: hg. v. Léon.-E. Halkin et al: Desiderii Erasmi Rotterdami opera omnia I/3: Colloquia, Amsterdam 1972, 241. 54 Erasmus: Convivium fabulosum, in: Erasmi opera I/3 (Halkin), 438–449. 55 Erasmus: Convivium fabulosum, 12–14 (Erasmi opera I/3 [Halkin]), 438). 56 Erasmus: Nephalion Symposion, in: Erasmi opera I/3 (Halkin), 643–646. 57 Erasmus: Nephalion Symposion 30f (Erasmi opera I/3 (Halkin), 644). 58 Erasmus: De civilitate morum puerilium, in: Desiderii Erasmi opera omnia I, hg. v. Johannes Clericus, Leiden 1703/Hildesheim 1961, 1033A–1044B. 59 Vgl. Erasmus: De civilitate morum puerilium, 1040B.

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zeigt dadurch an, ein bäuerisches Minderwertigkeitsgefühl zu haben, nicht ganz gescheit zu sein.60 In jedem Fall soll man den Tischgesprächen aufmerksam lauschen und nicht geistesabwesend seinen eigenen Gedanken nachhängen. Jüngere Menschen sollen in einer Runde von Älteren nicht ungefragt reden, eine witzige Bemerkung quittiert man mit Lächeln. Völlig töricht ist es zu antworten, bevor der Sprechende ausgeredet hat.61 Insgesamt soll Gerede vermieden werden. Man soll weder über Anwesende sprechen, noch seinen eigenen Kummer ausschütten, noch an den vorgesetzten Gerichten herummäkeln. Heiterkeit lautet die allgemeine Devise.62 Erasmus gibt in seiner Erziehungsschrift Anweisung für die verfeinerte Tischzucht, wie sie dem Stand des Fürstensohnes Heinrich von Burgund entsprechen, dem die Schrift gewidmet ist. Eine umfassende gesellschaftliche Breitenwirkung hatten seine Ausführungen aber nicht. Diese erreichten dafür die sogenannten „grobianischen Tischzuchten“, die gleichzeitig die derben Aspekte des frühneuzeitlichen Essverhaltens reflektieren und zu Tischzuchten des breiten Volkes wurden.63 Verfasst wurden diese aus dem bürgerlich-mittelständischen Milieu stammenden Schriften teilweise von Pfarrern und Lehrern, die sich damit bewusst von den höfischen Sitten abgrenzen wollten.64

Bilanz und Ausblick Tischreden haben sowohl im paganen als auch im christlichen Kontext eine lange und reiche Tradition – wie könnte es bei einer Begleithandlung einer der elementarsten menschlichen Tätigkeiten, nämlich des Essens, auch anders sein. Auffallend ist, dass im Mittelalter sowohl im höfischen als auch im monastischen Kontext das Essen gegenüber dem Tischgespräch einen Vorrang gehabt zu haben scheint, wohingegen in der Antike und der daran anknüpfenden humanistischen Tradition – so machen es jedenfalls die literarischen Quellen glaubhaft – die Gespräche bei oder nach dem Essen wichtiger waren als die leibliche Verköstigung. Als Nächstes, um bei der Geschichte der Gastmahle zu bleiben, wäre nun zu fragen, ob und in welcher Weise sich Luthers historische Tafeln und deren literarischer Nachhall bzw. deren literarische Rekonstruktion in

60

Vgl. Erasmus: De civilitate morum puerilium, 1040C. Vgl. Erasmus: De civilitate morum puerilium, 1040DE. 62 Vgl. Erasmus: De civilitate morum puerilium, 1040F. 63 THOMAS THORNTON: Einleitung, in: Arno Schirokauer/Thomas Thornton (Hg.): Grobianische Tischzuchten, Berlin 1957 (Texte des späten Mittelalters 5), 8. 64 Vgl. NORBERT ELIAS: Zivilisation, 188. 61

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die oben dargestellte Geschichte der Tischrede integrieren lassen und was daraus für die Erforschung seiner Tischreden resultiert. Die Verortung von Luthers Tischreden innerhalb der Geschichte der Sympotik bildet allerdings nur eine Möglichkeit ihrer diachronen Annäherung. Eine weitere bestünde darin, der Geschichte der Exempel- und Apophthegmen-Literatur nachzugehen und damit weniger nach der Thematik von Essen in Verbindung mit Sprechen zu fragen, sondern vielmehr nach der literarischen Gestaltung von Unterweisung in Form von prägnanten Aussprüchen. Eine solche kann, wie das oben präsentierte Beispiel aus Cassians Collationes illustriert, mit einer Esssituation verbunden sein, ohne dass dabei diese inhaltliche Setzung aber von vordergründiger Wichtigkeit wäre. Genauso gut könnte dieselbe Unterweisung, wie zahlreiche frühmonastische Apophthegmen zeigen, in einem kurzen Gespräch irgendwo unterwegs in der Wüste stattfinden.65 Eine Beschäftigung mit der altkirchlichen Apophthegmentradition könnte für die Erforschung der Tischreden Luthers insofern fruchtbar sein, als es bei der Frage der Entstehung der einzelnen, ebenfalls in diversen Varianten existierenden Apophthegmen präzis auch um das Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Unterweisung sowie um Fragen der Herkunft und Bearbeitung der einzelnen Sprüche geht. Der Zugang zu Luthers Tischreden wird damit aber nicht einfacher, denn die Entstehungsgeschichte der Apophthegmata Patrum gehört zu den dornigsten literarhistorischen Problemen. Ging man lange Zeit davon aus, dass die einzelnen Sprüche und Exempelerzählungen den unmittelbaren Niederschlag historischer Unterweisungssituationen darstellen, sind in jüngerer Zeit überzeugende Stimmen laut geworden, welche vertreten, dass es sich bei zahlreichen Anekdoten und Lehrstücken um nachträgliche Bildungen aus längeren schriftlichen Quellen handelt.66

65

Die bekannteste alphabetisch geordnete Apophthegmensammlung ist das sog. Gerontikon, in: Monumenta Ecclesiae Graecae, JEAN BAPTISTE COTELIER (Hg.), Paris 1677 (PG 65, 71–440). Eine kritische, von Chiara Faraggiana besorgte Edition ist kurz vor der Fertigstellung. 66 Die ältere These der mündlichen Entstehung vertritt Wilhelm Bousset: Apophthegmata. Studien zur Geschichte des ältesten Mönchtums, aus dem Nachlass, hg. v. THEODOR HERRMANN und GUSTAV KRUEGER, Tübingen 1923. Die These der maßgeblich schriftlichen Konstruktion vertreten CHIARA FARAGGIANA DI SARZANA: Apophthegmata Patrum: Some Crucial Points of their Textual Transmission and the Problem of a Critical Edition, in: StPatr 29 (1997), 455–467 und SAMUEL RUBENSON: The Letters of St. Antony. Monasticism and the Making of a Saint, Minneapolis 21995 (Studies in Antiquity and Christianity), 152, 188. Überblicksmäßig: BARBARA MÜLLER: Der Weg des Weinens. Die Tradition des „Penthos“ in den Apophthegmata Patrum, Göttingen 2000 (FKD 77), 16–38.

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Die Motivation zur Bildung solch treffender und mnemotechnisch gut handhabbarer Happen, wie es die Apophthegmata Patrum sind, ist dabei sowohl in der spirituellen Pädagogik als auch, untrennbar damit verbunden, in der Förderung des Andenkens an herausragende Weise und Lehrer zu sehen. Die Verba seniorum wurden im ganzen Mittelalter intensiv gepflegt, wie die immense Verbreitung ihrer Manuskripte beweist und wie es allein schon die oben erwähnten Anweisungen der Benediktsregel zur Lektüre monastischer Texte nahelegen.67 Wie das Beispiel des Erasmus zeigt, wurden auch die zahlreichen paganen Apophthegmen weitertradiert, so dass man dieses, sich bisweilen bereits an der Grenze zur Hagiographie befindliche literarische Genus nicht unterschätzen darf.68 Da nicht nur von und über Luther, sondern auch von Melanchthon kurze und prägnante, mit Apophthegmen vergleichbare Lehr- und Unterweisungsstücke überliefert sind, könnte es also durchaus ertragreich sein, sich den Luther’schen Tischreden aus der Perspektive der Apophthegmen-Tradition zu nähern.

67 Vgl. COLUMBA BATLLE: Die „Adhortationes sanctorum patrum“ („Verba seniorum“) im lateinischen Mittelalter. Überlieferung, Fortleben und Wirkung, Münster 1972 (Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des Benediktinerordens 31). 68 Vgl. Plutarch: Regum et imperatorum apophthegmata (= moralia 172A–263C); Erasmus, Apophthegmata, in: Desiderii Erasmi Roterdami Opera omnia 8, Johannes Clericus, Leiden 1706/Hildesheim 1962, 93–380.

Martin Luthers Tischreden und die Wittenberger Gruppenidentität Philipp Melanchthons Exempla ALEXANDER BARTMUß

In den einzelnen Stücken der Tischreden kommt Philipp Melanchthon zwar oft zu Wort, jedoch ist es nicht er, den man mit dieser Textsorte in Verbindung bringt, sondern Martin Luther. Betrachtet man sich die Tischredenedition der Weimarer Lutherausgabe genauer, besonders die Fußnoten und Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten, so wird der Leser auf Texte aufmerksam gemacht, die mit „Anekdoten Melanchthons“ umschrieben werden. Dieser Umstand führt uns nicht nur auf die Spur eines bisher fast unbekannten Quellenkorpus, das im Folgenden mit „Exempla“ umschrieben wird, sondern weist auch auf eine zumindest in Teilen gemeinsame Überlieferungstradition hin. Steckt die Tischredenforschung noch in den Kinderschuhen, so muß dies noch viel mehr für die Erforschung der Exempla Melanchthons gelten. Während für die Tischreden in WA.TR1 eine umfangreiche wissenschaftliche Edition vorliegt, ist das für die Exempla Melanchthons nicht der Fall. Nur wenige Sammlungen wurden ganz oder teilweise ediert.2 Eine umfassende kritische Betrachtung des auf Melanchthon zurückgehenden Materials hat noch nicht stattgefunden.

1

WA.TR 1–6. Diese sechs Bände umfassende Edition wurde hauptsächlich von dem damaligen Direktor der Leipziger Stadtbibliothek Ernst Kroker besorgt. 2 GEORG LOESCHE: Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Melanchthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892; GUSTAV M ILCHSACK: Gesammelte Aufsätze über Buchkunst und Buchdruck, Doppeldrucke, Faustbuch, und Faustsage, sowie über neue Handschriften von Tischreden Luthers und Dicta Melanchthons, Wolfenbüttel 1922; O TTO W ALTZ: Dicta Melanchthons, in: ZKG 4 (1881), 324–333.

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1. Luthers Tischreden und die Exempla Melanchthons Der Quellenbestand zu Luthers Tischreden und den Exempla Melanchthons ist äußerst umfangreich. Die Überlieferungsgeschichte der beiden Textsorten ist ganz ähnlich und zum Teil parallel. Zahlreiche Tradenten haben Sammlungen angelegt, unter vielen anderen Johann Aurifaber, Johann Reckemann, Anton Lauterbach und Ulrich Wendenheimer, die noch näher vorgestellt werden sollen. Keine der Sammlungen hat sich in ihrer Urschrift erhalten. Vielmehr wurden die Mitschriften von ihren Schreibern zeitnah zu Nachschriften umgearbeitet. Dabei waren sie mehr oder weniger erfolgreich bemüht, eine chronologische Ordnung einzuhalten.3 Allerdings zeichnet sich hier bereits eine Entwicklung ab, welche die Beurteilung des Quellenwerts dieser Aufzeichnungen schwierig macht. Während der Bearbeitung ihrer Mitschriften bemühten sich die Tradenten, ihren Bestand an Tischreden und Exempla zu erweitern. Dies geschah vor allem durch Austausch und Abgleichung. Bei der Einarbeitung der neuen Stücke in die eigene Sammlung wurden die Texte oft dort eingetragen, wo gerade Platz war. Auch die zeitliche Abfolge der Gespräche wurde nicht mehr eingehalten.4 Ebensowenig findet man Hinweise auf den Kontext der von Melanchthon benutzten Exempla. Dieser läßt sich nur anhand einer sehr aufwendigen Textabgleichung mit Briefen von und an Melanchthon, Vorlesungsmitschriften, Disputationen, Sonntagsvorlesungen usw. erschließen. Der Charakter der Nachschriften ist äußerst unterschiedlich. Die Sammlungen enthalten immer nur eine Auswahl aus dem jeweiligen Textkorpus, welche die Interessen des jeweiligen Tradenten bzw. das ihm zur Verfügung stehende Material widerspiegelt. Oft wurden kleine Stücke ähnlichen Inhalts zu einem größeren zusammengefügt und größere Stücke in einzelne kleinere unterteilt.5 Die für Abschriften typischen Schreibfehler und Auslassungen finden sich in den Sammlungen immer wieder.6 Inhaltlich unterscheiden sie sich in der Abfolge der Stücke, den Datierungen, den Schwerpunkten und dem Glättungs- bzw. Anpassungsgrad.

3 HELMAR J UNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: D. Martin Luthers Werke: Sonderedition der kritischen Weimarer Ausgabe, Begleitheft zu den Tischreden, Weimar 2000, 40. WA.TR 1, IX. 4 Ebd. 40 f. 5 WA.TR 1, X. 6 Ebd.

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Unter den Tischredensammlern gelten Veit Dietrich, Anton Lauterbach und Johannes Mathesius als sehr zuverlässige Mitschreiber, während innerhalb der Exemplaüberlieferung Johann Reckemann und Apollo Speiser als sehr zuverlässig anzusehen sind. Ulrich Wendenheimers Sammlung kann in Teilen auch als zuverlässig gelten. Für einen Blick auf die gemeinsame Überlieferungstradition von Tischreden und Exempla muß auch die Postilla Melanthoniana berücksichtigt werden, die der Melanchthonschüler und spätere Bremer Superintendent Christoph Pezel 1594 herausgab. Diese Postille und besonders ihre handschriftlichen Vorläufersammlungen bieten einen großen Schatz an Exempla Melanchthons, die zum Teil in den eigentlichen Exempelsammlungen fehlen. Anhand dieses Befunds zeigt sich auch der unterschiedliche „Sitz im Leben“ von Tischreden und Exempla. Gehören die Tischreden eher in einen privaten, abgegrenzten Raum, so sind die Exempla in der öffentlichen Rede verortet. Trotz des in Teilen doch sehr ähnlichen Inhalts von Tischreden und Exempla sind jene Teil des privaten, humanistisch gelehrten, abendlichen Tischgesprächs, während diese Teil der öffentlich vorgetragenen, kirchlichen und universitären Lehre sind. Dies ist vielleicht auch der Grund dafür, daß Melanchthon in seinen Exempeln sehr wenig Persönliches berichtet.

2. Die Tradenten und ihre Sammlungen Auf alle Tradenten von Tischreden und Exempla einzugehen würde hier zu weit führen. Daher werden im Folgenden nur drei von ihnen exemplarisch vorgestellt, Wendenheimer als Vertreter der Sammler von Melanchthons Exempla, Lauterbach und Reckemann als Vertreter derjenigen, die sowohl Stücke von Luther als auch Stücke von Melanchthon gesammelt und überliefert haben. Damit sind auch die beiden Haupttypen der uns vorliegenden Sammlungen charakterisiert. So handelt es sich in der Regel entweder um reine Sammlungen von Tischreden bzw. Exempla, oder um Mischtexte, die neben den genannten auch andere Textsorten wie Briefe, Disputationen, Lesefrüchte, Vorlesungsmitschriften usw. enthalten. Davon zu unterscheiden sind solche Sammlungen wie die Sylvula des Nikolaus Ericeus aus dem Jahr 15667, die sowohl Tischreden als auch Exempla, sowie Aus-

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Nikolaus Erich [Ericeus]: Sylvula Sententiarum, Exemplorum, Historiarum, Allegoriarum … in Locos Communes ordine Alphabetico disposita, Frankfurt a. M. 1566, [8], 237, [32] Bl.

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sprüche anderer Personen enthalten und ihre Stücke oft aus bereits gedrucktem Material zusammenstellen.8 a) Ulrich Wendenheimer Von Wendenheimer ist bisher nur bekannt, dass er aus Nürnberg stammt. Inwieweit er mit Ulricus Fendenheimer Noricus, der am 12. Dezember 1559 in Wittenberg immatrikuliert wurde, identisch ist, kann nicht gesagt werden, es erscheint aber als wahrscheinlich.9 Seine Sammlung wurde nach einer in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel aufbewahrten Handschrift von Ernst Heinrich Bindseil ediert und im zwanzigsten Band des Corpus Reformatorum abgedruckt.10 Sie trägt den Titel Historiae quaedam recitate a preceptore Phil. Mel. inter publicas lectiones und stammt aus dem Jahr 155711. Ernst Kroker meint nachweisen zu können, dass Melanchthon eine schriftliche Sammlung von Tischreden Luthers besessen hat. Er führt seine These darauf zurück, dass die Anekdotensammlung des Wendenheimer, zahlreiche Stücke enthält, die Mathesius fast zwanzig Jahre früher an Luthers Tisch aufgezeichnet hat. Die Übereinstimmung sei oft fast wörtlich, so Kroker. Die Behauptung, daß Melanchthon des öfteren aus seiner angeblichen Sammlung von Luthers Tischreden im Kolleg vorgelesen hat, „als wäre es sein eigenes Gut“, erschließt sich aus den Aussagen Krokers nicht zwingend und scheint einer melanchthonkritischen Haltung entsprungen zu sein. Zwar finden sich unter den Exempla Stücke, die auch in Luthers Tischreden zu finden sind, aber daraus ist nicht zu schließen, daß Melanchthon eine Tischredensammlung besaß. Vielmehr ist davon auszugehen, daß es sich hier um Stücke mündlicher Tradition handelt, zumal 8 Vgl. ebd. 20 r. An der angegebenen Stelle bezieht sich Ericeus explizit auf die Loci communes Manlii, der einzigen gedruckten und auf Melanchthon zurückgehenden Exempelsammlung. Sie wurde von dem aus Ansbach stammenden und später in Ungarn wirkenden Johann Manlius zusammengestellt und erstmalig 1563 bei Johannes Oporin in Basel gedruckt; Johann Manlius: Locorum communium Collectanea: A Ioanne Manlio per multos annos, tum ex Lectionibus D. Philippi [...], Frankfurt a. M. 1565, [12] Bl., 803, [1] S., [20] Bl.; Zu Manlius: ARMIN KOHNLE: Der Drucker und Buchhändler Johannes Manlius als Förderer der Reformation in Krain und Ungarn in: S ÖHNKE LORENZ, ANTON SCHINDLING und W ILFRIED SETZTER (Hg.): Primus Truber 1508–1586: der slowenische Reformator und Württemberg, Stuttgart 2011, 223–225. HEINZ SCHEIBLE: Manlius, Johannes, in: EdM 9, Lieferung 1, 142. 9 Album Academiae Vitebergensis. Bd. 1: Ab a. Ch. MDII usque ad a. MDLX hg. v. CAROLUS EDUARDUS FOERSTEMANN, Leipzig 1841 (ND Aalen 1976), 369 a 29. 10 CR 20, 519–612. 11 Vgl. CR 20, 521.

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sich Melanchthon gegen die Aufzeichnung der Tischgespräche ausgesprochen hat.12 Es ist eher davon auszugehen, daß Melanchthon vieles aus dem Gedächtnis wiedergegeben hat. Auf die Verbindung der Überlieferungstradition von Tischreden und Exempla wird im Folgenden noch genauer eingegangen. b) Anton Lauterbach Bei der in WA.TR 5 abgedruckten Sammlung von Tischreden, Exempla und anderen Stücken handelt es sich um eine auf Anton Lauterbach zurückgehende Sammlung. Anton Lauterbach wurde am 13. Januar 1502 in Stolpen geboren. Sein Vater wird der Stolpener Bürgermeister Matthäus Lauterbach gewesen sein.13 Über seine Familie ist sonst wenig bekannt. Lauterbach wurde zum Sommersemester 1517 im Leipzig immatrikuliert.14 Am 10. März 1519 erlangte er dort den Grad eines Baccalaureus Artium.15 Aus einem Brief an den sächsischen Kurfürsten aus dem Jahr 1560 lässt sich entnehmen, daß Lauterbach ca. 1521 Leipzig verließ und sich ein erstes Mal nach Wittenberg begab. Wie sein genauer Lebensweg nach seinem Weggang aus Leipzig verlief ist unklar.16 Erst 1528 erfahren wir von seinem weiteren Werdegang. In diesem Jahr wird er zum Sommersemester in Wittenberg immatrikuliert.17 1537 erlangt er an gleicher Stelle den Grad eines Magister Artium.18 Spätestens 1531 wird Lauterbach Luthers Hausgenosse und so wohl auch zum Tradenten der Tischreden. Allerdings haben sich nur seine Tagebücher aus der Zeit seines zweiten Wittenbergaufenthalts 15361539 erhalten.19 Für das Jahr 1531 sind nur Predigtmitschriften Lauterbachs belegt.20 Nach seiner Heirat 1533 verläßt Lauterbach Wittenberg. Er kehrte jedoch 1536 zurück. Über seine Aufgaben und sein Wirken in Wittenberg ist 12

Vgl. JUNGHANS: Tischreden, 39. WA.TR 2, 310f, Nr. 2068. W 2, 21, 8. 14 GEORG ERLER (Hg.): Die Matrikel der Universität Leipzig / Bd. 1: Die Immatrikulationen von 1409–1559, Leipzig 1895, 557, M 46. 15 GEORG ERLER (Hg.): Die Matrikel der Universität Leipzig / Bd. 2: Die Promotionen von 1409–1559, Leipzig 1897, 534, 22. 16 REINHOLD HOFMANN: Reformationsgeschichte der Stadt Pirna. Nach urkundlichen Quellen dargestellt, in: BSKG 8 (1893), 147. 17 Album Academiae Vitebergensis. Bd. 1, 133 b. 18 HOFMANN: Reformationsgeschichte, 147. 19 HOFMANN: Reformationsgeschichte, 148; WA.TR 3, XI–XIV; W ALTER LECHNER: Anton Lauterbach. Pirnas Reformator, Luthers Freund, Pirna 2004, 14f. 20 W 2, 21, 8. 13

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außer einigen sehr wenig aussagekräftigen Anmerkungen in seinen Tagebüchern nichts bekannt.21 Sicher ist nur, daß Lauterbach fast täglich Gast in Luthers Haus gewesen ist und dort seine Aufzeichnungen der Tischreden angefertigt hat. Mit Luther pflegte Lauterbach einen freundschaftlichen Umgang. Doch scheint die gegenseitige Verehrung und Hochachtung ausschlaggebend für ihr Verhältnis gewesen zu sein. Die Beziehung Luthers zur Familie Lauterbach war jedoch nicht nur über Anton sondern auch über dessen Bruder Balthasar gegeben, der Luther zu seiner Hochzeit einlud.22 Immer wieder erweist Lauterbach dem Reformator Gefälligkeiten und schickt aus Pirna, wo er von 1539 an als Pfarrer und Superintendent wirkte, Baumaterial und Lebensmittel.23 Melanchthon und Lauterbach verband ein herzlich, kollegiales Verhältnis.24 Melanchthon teilt ihm viel Vertrauliches mit. Lauterbachs Worte spendeten dem Freund in vielen, schwierigen Situationen Trost. Auch schickte Melanchthon oft seine neuesten eigenen Werke zu Begutachtung und Ansicht.25 Auch andere Wittenberger zählte Lauterbach zu seinen Freunden, wie Georg Rörer, der ebenfalls Tischreden, Predigten und anderes aufzeichnete und als zuverlässiger Tradent gilt. c) Johannes Reckemann Der zweite Teil einer in der Universitätsbibliothek Leipzig aufbewahrten Handschrift trägt den Titel Historiae collectae Wittenbergae ex lectionibus D. Praeceptoris Philippi Melanchthonis. Der Sammler, Verfasser und erste Besitzer der Handschrift war Johann Reckemann.26 Reckemann wurde 1532 in Lübeck als Sohn des Lübecker Bürgers und Geschichtsschreibers Hans Reckemann geboren.27 Am 6. Oktober wurde er 21

LECHNER: Lauterbach, 14f. WA.BR 9, 113, Nr. 3479; ebd, 222 f., Nr. 3529. 23 HOFMANN: Reformationsgeschichte, 272f. 24 Ob man tatsächlich von einer Freundschaft im heutigen Sinn reden kann, muß fraglich bleiben. Vgl. IRENE DINGEL: Philipp Melanchthon – Freunde und Feinde, in: ThLZ 135 (2010), 775–804. 25 MBW 2, 478, Nr. 2310; ebd 5, 214, Nr. 497; ebd, 272, Nr. 5123 u. a.; H OFMANN: Reformationsgeschichte, 273f. 26 ERNST KROKER: Anekdoten Melanchthons und Leipzig 1911. Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 10, 114. Reckemanns Sammlung von Exempla Melanchthons wird unten mit „Reckemann II“ bezeichnet. 27 J. F. V. RECKE, C. E. NAPIERSKY: Allgemeines Schriftsteller und Gelehrtenlexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland. Bd. 3, Mitau 1831, Baltisch Biographischer Index, 375, 492. 22

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1554 in Wittenberg immatrikuliert. Der Eintrag in der Matrikel lautet Joannes Recheman Lubeccensis.28 1558 wurde er am 8. oder 13. Juli in Riga29 ordiniert. Dort entfaltete er eine große Wirksamkeit im Dienste der Wittenberger Reformation.30 Er starb am 11. Februar 1601 und wurde am 15. Februar neben dem Altar der Peterskirche in Riga begraben.31 Der Grabstein hat sich nicht erhalten. Nur eine Zeichnung ist überliefert. Er hinterließ handschriftliche Notata zur Geschichte seiner Zeit in plattdeutscher Sprache, beginnend mit dem Jahr 1574. Einige Stücke daraus sind den Rigaer Stadtblättern 1816 in loser Folge gedruckt worden. Diese Notata enden mit dem Jahr 1584.32 Sie sind in Tagebuchform gehalten und beschränken sich ganz auf die Gegenwart. Laut dem Eintrag in Jöchers Universallexikon sammelte Reckemann alle mündlichen Disputationes theologicas Lutheri, Melanchthonis & etc. in etlichen Bänden. Zumindest für Luther muß gesagt werden, dass Reckemann nur aus anderen Werken oder mündlichen Überlieferungen gesammelt haben kann, da Luther 1554 schon lange verstorben war. Diese Sammlung vermachte er der Rigaer Stadtbibliothek.33 Von dort muß sie dann in späteren Jahren nach St. Petersburg gelangt sein und kam dann schließlich über die Stadtbibliothek in die Universitätsbibliothek Leipzig. Die Sammlung Reckemann umfasst sowohl Abschriften von Tischreden als auch Gutachten, Disputationen und Exempla Melanchthons. Dieser umfangreiche Band wurde zu einem späteren Zeitpunkt in zwei Hälften geteilt, wobei der zweite Band die große Sammlung von Exempla Melanchthons enthält. Seine Sammlung ist die umfangreichste aller auf Melanchthon zurückgehenden handschriftlichen Exempelsammlungen. Sie umfaßt 250 Blatt im Quartformat und beinhaltet ca. 1250 Stücke.

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Album Academiae Vitebergensis. Bd. 1 284 a 38. Die erste ungehinderte evangelische Predigt in Riga hielt Andreas Knöpken am 23. Febr. 1521. Knöpken wurde zuvor nach einer Disputation mit Rigaer Mönchen vom Rat der Stadt zum Archidiakon berufen. Knöpken wirkte zuvor mit Bugenhagen in Treptow (Pommern). Er starb am 18. Febr. 1539. Vgl. KARL EDUARD NAPIERSKY: Rigas ältere Geschichte in Uebersicht, Urkunden und alten Aufzeichnungen zusammengestellt, Riga und Leipzig 1844 (Monumenta Livoniae antique 4), CXXV. 30 M. OTTO, W. LENZ: Die evangelischen Prediger Livlands bis 1918, Köln / Wien 1977. Baltisch Biographischer Index, 379. 31 L. B ERGMANN: Versuch einer kurzen Geschichte der Rigischen Stadtkirchen seit ihrer Erbauung, Riga 1792. Baltisch Biographischer Index, 374. f. 32 Ebd. Baltisch Biographischer Index, 373–375. 33 AGL 3, 1751.; F. K. G ADEBUSCH: Livländische Bibliothek nach alphabetischer Ordnung, Riga 1777. Baltisch Biographischer Index, 373. 29

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3. Beispiele für die gemeinsame Überlieferungstradition Die gemeinsame Überlieferungstradition von Tischreden und Exempla Melanchthons soll anhand von zwei Beispielen verdeutlicht werden. Ein weiteres Stück zeigt wie durch die Exempla Melanchthons Texte Luthers erhellt werden können. Den lateinischen Stücken wird jeweils eine zusammenfassende Inhaltsangabe des jeweiligen Sachverhalts vorangestellt. Zuerst soll auf ein Stück eingegangen werden, dass sich in der auf Anton Lauterbach zurückgehenden Sammlung „Laut B“ im 5. Band der Weimarer Tischredenausgabe befindet34 und Paralelen sowohl zur Sammlung des Ulrich Wendenheimer in CR 20 als auch zu Christoph Pezels Postilla Melanthoniana (CR 24) hat.35 Der Inhalt des Stücks ist folgender: Ein Adliger von hohem Ansehen ertappte seine Frau beim Ehebruch mit einem anderen Adligen. So sperrte jener diesen ein, kettete ihn an und ließ ihn qualvoll verhungern. Er ließ ihm jeden Tag eine kleine Portion gut duftendes Fleisch vorsetzen. Da der Gefangene es aber nicht erreichen konnte, nagte er seine Schultern an den Stellen an, die er mit seinen Zähnen erreichen konnte. So lebte er noch elf Tage bis er starb. Im Folgenden werden die drei Stücke wiedergegeben und miteinander verglichen. WA.TR 5, 549, 5–15, Nr. 6224: Historia de deprehenso adultero et fame necato. Fuit olim me iuvene non procul a mea patria vir quidam nobilitate generis et virtute excellens, qui aliquem moechum cum uxore sua coeutum et etiam nobilem deprehenderat. Ibi vir ille, cuius uxor erat, moechum fame necari curavit et quotidie aliquam bene assatae et olentis carnis portiunculam de interiore carceris pariete suspendere curavit, quo diutius viveret recreans se ab illo odore et desiderio vehementius afficeretur et sic maiores sustineret cruciatus. Tum captivus arrosis undique humeris, quos dentibus attingere poterat (siquidem ligatas manus ori admovere non dabatur), usque ad undecimum diem vixit, donec non diutius, quo se aleret, habebat, et tunc fame periit. Fecit quidem ille iuste, non enim iniustum adulterum deprehensum qualicunque supplicio afficere, sed egit satis crudeliter. Possem utrunque

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WA.TR 5, 549, 5–15, Nr. 6224. Zu den Sonntagsvorträgen Melanchthons vgl. den ausführlichen Aufsatz von S TEFAN M ICHEL: Die Sonntagsvorlesungen Philipp Melanchthons: vom akademischen Vortrag zum homiletischen Hilfsmittel. In: IRENE DINGEL / ARMIN KOHNLE (Hg.): Philipp Melanchthon – Ein europäischer Reformator, Leipzig 2011 (LStRLO13), 177–190. 35

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nominare, sed nomini parco. Manet haec regula immota: Atrocia delicta atrocibus puniuntur poenis in hac vita. CR 20, 542, Nr. 91: Nobilis quidam Golez Pavenspurg in ducatu Wirtebergensi cepit moechum uxoris suae hominem nobilem, et collocavit eum in carcerem, ac quotidie ei apposuit ossa et alios cibos et non praebuit ei comedendos, sed ut tantum fumo recrearetur. Ille quia ligatus erat et cibum non apprehendere poterat, tandem proprios humeros delaniavit. Ita undecimo die fame extinctus est. CR 24, 616 f.: Fuit quidam nobilis in ducatu Wirtenbergensi, cepit moechum uxoris suae, hominem nobilem, et collocavit eum in carcerem, quotidie iussit ei afferri carnes assas, non ut praeberentur ei ad vescendum, sed tantum ut odore nonnihil reficeretur, atque ita diutius cruciaretur: imo ut fames ipsia in eo magis irritaretur. Ille, quia erat ligatus, apprehendit humeros et brachia, quantum ore et dentibus consequi poterat, et voravit carnes proprias, et vixit usque ad diem undecimum. Sic ille adulter est mortuus. Est vera historia, quam mementote, ut poenam adulterii. Während die Postilla und auch WA.TR 5 den Namen des grausamen Adligen verschweigen, wird er in CR 20, wenn auch verfälscht genannt. Es handelte sich um ein Mitglied des Kraichgauer Rittergeschlechts „Göler von Ravensburg“.36 Die Abweichungen in der Textgestalt sind deutlich. Jedoch besteht zwischen dem Text aus CR 20 und dem aus CR 24 ein vergleichsweise hoher Grad der Übereinstimmung, sowohl in der Wortwahl als auch in der Länge des Textes. Weit größer sind die Unterschiede zu WA.TR 5. Besonders auffällig ist, daß dieser Text mit einer Nutzanwendung versehen ist. Melanchthon rügt zwar die Grausamkeit der Strafe, resümiert aber, daß furchtbare Verbrechen auch mit furchtbaren Strafen geahndet werden müssen. Folgt man den Ausführungen Ernst Krokers in der Einleitung zum 19. Abschnitt der Weimarer Tischredenedition, so entstammt der Text einer Bearbeitung von Lauterbachs Aufzeichnungen, die vor 1551 begonnen wurde. Diese Arbeit besorgte Josef Hänel, der bis 1549 Archidiakonus in Pirna und später Pfarrer in Neustadt bei Stolpen war.37

36

ERWIN MÜLHAUPT: Heimaterinnerungen und Heimatbeziehungen Philipp Melanchthons, Bretten 1978, 10 f. 37 WA.TR 5, XLII.; MBW 5, 49, Nr. 4597.

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Die eigentlichen Aufzeichnungen müssen jedoch wesentlich früher angefertigt worden sein. Infrage kommen die Zeiträume 1536/37; 1538/39 und 1540 bis 1545. Somit haben wir in WA.TR 5 das bisher früheste Zeugnis über diesen auf Melanchthon zurückgehenden Text, da die Sammlung Wendenheimer auf das Jahr 1557 datiert und der Abschnitt in der Postilla in die Jahre 1549–1560 gehört. Pezels Postille, wie sie in CR 24 und 25 abgedruckt ist, kann für eine wissenschaftliche Arbeit zu den Sonntagsvorträgen Melanchthons kaum genutzt werden. Pezel stellte in seiner Ausgabe einen Mischtext her, der oft mit dem ursprünglichen Vortrag Melanchthons wenig gemein hat.38 Dieses gilt jedoch mehr für die äußere Form als für den Inhalt, der dem Sinn nach verläßlich wiedergegeben wird.39 Auch datiert Pezel seine Texte kaum. Er weist lediglich darauf hin, daß seine Stücke aus den Jahren 1549–1560 stammen bzw. Melanchthon seine Vorträge nur in dieser Zeit gehalten habe. Diese Behauptung Pezels ist nicht zu halten, sondern dahingehend zu korrigieren, daß Melanchthon wahrscheinlich schon seit 1522, sicher seit 1533, solche Vorträge gehalten hat.40 Eine genaue Datierung der Stücke Pezels ist nur in den seltensten Fällen zuverlässig möglich, solange sie nicht mit den vorhandenen Mitschriften anderer Tradenten abgeglichen worden sind. Da es sich bei der Sammlung Wendenheimer um eine Reinschrift der zuvor gesammelten Texte handelt, können wir davon ausgehen, daß jene in den Jahren vor 1557 zusammengetragen worden sind. Dieses würde auch die relative Nähe der Texte von CR 20 und CR 24 erklären. Wendenheimer könnte seinen Text in einem Sonntagsvortrag gehört haben und diesen dann aus dem Gedächtnis aufgeschrieben haben, während der Text aus der Postilla eine Mitschrift ist. Da Melanchthon, wie der Text aus WA.TR 5 zeigt, die Geschichte von der schrecklichen Bestrafung bei einer anderen Gelegenheit schon wesentlich früher erzählt hat, ist es möglich, daß Wendenheimer sie nicht anläßlich einer Sonntagsvorlesung gehört hat. Im Zusammenhang mit dem beschriebenen Stück ist es wichtig zu erwähnen, daß der ihm in WA.TR 5 direkt nachfolgende Text das erste Stück des zweiten Teils der Sammlung Reckemann ist, der, wie schon gesagt, ausschließlich auf Melanchthon zurückgehende Texte enthält. Die Texte weisen eine ähnliche Verwandtschaft auf, wie die Stücke aus CR 20 und

38 CR 24, XXII; W ILHELM MEYER: Die Göttinger Nachschrift der Postille Melanchthons, Göttingen 1895 (Nachrichten von der königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-historische Klasse), 16f. 39 UWE SCHNELL: Die homiletische Theorie Philipp Melanchthons, Berlin, Hamburg 1968 (AGTL 20), 34. 40 SCHNELL: Die homiletische Theorie, 146–147.

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CR 24. Sie bieten zudem ein weiteres Indiz dafür, daß viele der Exempel Melanchthons aus seinen Sonntagsvorlesungen stammen. Der Text aus WA.TR 5 findet sich in ähnlicher Form mehrfach in der Postilla Pezels sowie der Sammlung Reckemann und einer von Loesche edierten und auf Mathesius zurückgehenden Sammlung wieder. Dieses Stück findet sich des weiteren auch in den Loci communes Manlii des Johann Manlius41. Es weist also eine sehr breite Überlieferungstradition auf und soll im folgenden näher analysiert werden. Es hat folgenden Inhalt: Der hochgebildete Bischof Jakob von Trier und Markgraf von Baden, der mehrerer Sprachen mächtig war und großen politischen Einfluß hatte, wurde in Koblenz von einem Schuster getötet, da er mit dessen Frau ein Verhältnis hatte. Bis auf die Sammlung Reckemann berichten alle anderen Sammlungen, im direkten Zusammenhang mit der Geschichte vom Bischof von Trier, auch über den ebenfalls hochgebildeten und geachteten Bischof von Worms, Johann von Dalberg, und dessen Tod im Weinkeller eines Bordells. CR 24, 279: Fuit Marchio Badensis, qui factus est Episcopus Trevirensis, in quo adhuc iuvene tanta erat vis ingenii, ut in conventu Coloniensi, Anno 1505. responderit nomine Imperii, legatis Pontificis Latine, legatis Venetorum Italice, legatis Gallicis Gallice, satibus Germanicis Germanice. Fuit doctus in iure, industrius in musica, et in re militari. Debuit habere coniugem, quae fuit mater Ducissae Bavariae, sed Maximilianus I. Imperator propter exellentiam ingenii ipsius, voluit eum esse Electorem, cum diceret, opus esse Imperio eiusmodi Principe, inter Electores spirituales, qui antecelleret aliis. Man muste einen solchen haben, der ein Man wer für andern. Fuit autem ille incontinentior. Tandem interfectus est a sutore in Cobolentz, id est, ad confluentem Mosellae et Rheni. Cum essem Heidelbergae, Dalburgius, Cancellarius principis Alberti Palatini, vir ingeniosissimus, doctus Latine, Graece et Hebraice, versatus in iure, mathematis, et omni doctrinarum genere excultus, ingressus in domum meretricis incidit in cellam vinariam, et misere periit. Factum hoc

41 Zu Manlius vgl. Anm. 8. Auf eine Wiedergabe des Textes aus der Sammlung Manlius wird verzichtet.

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est Anno 1513.42 Fuerat hic Dalburgius familiaris Rudolpho Agricolae in Italia, quem secum postea aliquot annis Heidelbergae habuit. Erat tanta eius industria et eruditio, ut omnibus anteferretur, quotquot tunc erant in aula. CR 25, 748:43 Multa possem exempla commenorare. Fuit Episcopus Trevir, Marchio Badensis tam praestanti ingenio, ut in conventu Coloniensi pro Imperatore et Principibus responderit legatis pontificiis Latine; legatis Gallicis, Gallice; Venetis, Italice; Germanicis, Germanice. Interfectus est a sutore, qui deprehenderat eum cum uxore. Fuit et alius Episcopus, Dalburgius, amicus Rodolphi Agricolae. Erat doctus in Iure, in Mathematis, et lingua Latina, et valde excellenti ingenio praeditus. Sed in domo meretricia incidit in cellam vinariam, fortassis re sic instructa per rivales. Ex eo casu subito mortuus est. Reckemann II, 2r, Nr. 1: Iacobus Episcopus Treuirensis et Marchio Badensis, in conventu Coloniensi anno 1505 legatis Venetis, Germanicis et Hispanis cuilibet in sua lingua respondit, fuit bonus orator et musicus. Erat ei oblata virgo principis Palatini, sed imperator Maximilianus voluit eum esse Episcopum, est interfectus a suo sutore admodum iuvenis in ipso flore aetatis, dreprehensus apud uxorem sutoris, in adulterio, confluentiae. WA.TR 5, 549, Nr. 6225: Ante annos 45, cum numerabatur 150544, fuit quidam episcopus Treuirensis, Badensis nomine, iuvenis, qui in comitiis semper legatis imperii nomine respondebat, Gallis Gallice, Italis Italice, Germanis Germanice, Romanis Latine, Hispanis Hispanice, Polonis Polonice etc. Tenebat multas linguas, sed fuit adeo incontinens, ut, ubicunque potestas dabatur, cum mulieribus rem haberet. Tandem a sutore deprehensus apud coniugem interfec42

Dalberg verstarb am 27. Juli 1503. Hier liegt wohl ein Fehler vor, der vermutlich auf den Schreiber zurückgeht. Da Melanchthon an diesem Tag in Heidelberg war, dürfte ihm der Fehler wohl kaum unterlaufen sein. Vgl. HEINZ SCHEIBLE: Melanchthon. Eine Biographie, München 1997, 14. 43 Das Stück steht unter dem Abschnitt Quam habet caussam probabilem? Nam alioqui est indulgentia, si non est probabilis caussa. Vgl. CR 25, 747. Das Stück findet sich in ähnlicher Form auch noch CR 25, 927 und 948. 44 Die Datierung auf das Jahr 1550 macht es unmöglich, das Stück unter die Tischreden zu zählen.

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tus est. Et eodem tempore erat Heidelbergae episcopus Wormatiensis, sub quo vixit Rudolphus Agricola; ille ingrediens lupanar, ut vocant, cum illi insidiae struebantur, incidit in cellam, quae aperta erat. In illo lapsu subito extinctus est. Loesche, 179 f., Nr. 256 und Nr. 257: Episcopus Trevirensis, natus in familia Badensi, Coloniae in conventu, qui fuit ante annos, 1505, simul respondit legatis pontificis latine, Venetis italice, Gallicis gallice, Germanicis statim germanice. Tanta fuit industria illius tanti viri, qui habebat tantam peritiam linguarum; fuit insignis musicus et admodum facundus. Es war auch ein gutter prettspieler, egregius jure consultus, sed valde erat incontinens et tandem interfectus est a sutore, cum deprehendisset eum apud suam conjugem. Episcopus Wormaciensis, familiaris Rodolpho Agricolae, qui erat bonus latinus, graecus et mathematicus, ingressurus domum meretricis incidit in cellam vinariam et capite illiso ad vas collum fregit. Bei der genaueren Betrachtung der Stücke fällt auf, daß die Abhängigkeit der Texte zwar inhaltlich gegeben ist, sie aber überlieferungsgeschichtlich bzw. redaktionsgeschichtlich nicht direkt voneinander abhängen. Die Unterschiede im Textaufbau und der genauen Wortwahl sind zu groß, als daß man eine direkte Abhängigkeit etwa durch Abschrift oder Abgleichung annehmen könnte. Auffallend ist, daß bei Reckemann, CR 25, 927 und 948 sowie bei Manlius die Verbindung der Geschichte von Bischof Johann von Trier und dem Bischof von Worms Johann Dalberg fehlt, während CR 24, CR 25 (748), WA.TR 5 und die von Loesche edierte Handschrift diese Verbindung aufweisen. Eine Sonderstellung nimmt die Überlieferung bei Manlius ein. Wie die oben wiedergegebenen Stücke zeigen (sowie CR 25, 927 und 948) pflegte Melanchthon, die Umstände des Todes der beiden Bischöfe nicht zu verschweigen. Manlius hingegen nennt die Umstände des Todes des Bischofs von Trier nicht, sondern spricht lediglich von einem unzeitigen Tod. Er legt den Schwerpunkt auf den hohen Bildungsgrad des Bischofs und ordnet sein Stück unter dem Abschnitt de Studiis ein, in welchem er die Nützlichkeit von Bildung und Studium darstellen will. Er entfernt sich damit offensichtlich von dem in den Handschriften und bei Pezel (CR 24/25) überlieferten Wortlaut und dem Kontext. Melanchthon gebraucht dieses Exempel innerhalb der bekannten Überlieferung ausschließlich mit dem Todesbericht und sofern der Zusammenhang bekannt ist unter dem Gesichtspunkt von Schuld und Strafe. Das Hervorheben des hohen Bildungsstandes dient lediglich dazu, zu zeigen, daß die Strafe Gottes auch solch eigentlich tüchtigen und geachteten Menschen ereilt.

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Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung des Textes sind wir vor die große Schwierigkeit gestellt, daß Pezel uns die genauen Daten der bei ihm überlieferten Sonntagsvorträge verschweigt. Jedoch bietet uns der in WA.TR 5 edierte Text die Möglichkeit ein Datum zu errechnen. Gemäß den dort gemachten Angaben ist das Stück 1550 von Melanchthon erzählt worden. Die in WA.TR 5 wiedergegebene Zahl 45 ist evtl. auch in das bei Loesche edierte Stückt einzufügen, da sie in der Handschrift offensichtlich ausgelassen worden ist. Allerdings zeigt die dargestellte Überlieferungstradition auch, daß Melanchthon das Stück zu verschiedenen Anlässen immer wieder gebrauchte, und es daher durchaus möglich ist, daß das Stück bei Loesche zu einem anderen Zeitpunkt aufgeschrieben wurde. Eine Reihenfolge die Überlieferung betreffend ist nur sehr schwer zu erstellen. Klar ist nur das Jahr 1550 für WA.TR 5. Von CR 24 und 25 wissen wir, daß die dort wiedergegebenen Stücke aus den Jahren 1549 bis 1550 stammen. Die von Loesche edierte Sammlung bezieht ihr Material, sofern es sich datieren läßt, aus dem Jahr 1553. Die Stücke bei Reckemann sind, soweit sie datiert sind, hauptsächlich in den Jahren 1554/55 zusammengetragen worden. Kein Stück seiner Sammlung ist nach 1557 datiert. Wir dürfen also annehmen, daß der Zeitraum 1550 bis 1555 für die Überlieferung der vorliegenden Stücke in Frage kommt. Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig die genaue Untersuchung der jeweiligen Quellen zu den Tischreden und den Exempla ist, um ein Bild der Überlieferungsgeschichte zu erhalten und die bisherige Einordnung der Stücke (Tischreden/Exempel) kritisch zu hinterfragen. Die gemeinsame Erforschung von Postilla und Sonntagsvorträgen, Tischreden und den Exempla ist von großer Bedeutung, um die Zusammenhänge der Überlieferungstradition der jeweiligen Stücke und deren Gebrauch in der öffentlichen Rede zu erkennen und darzustellen. Ein weiteres Beispiel führt uns noch hinter einen von Melanchthon überlieferten und von Luther erwähnten Text zur wahrscheinlich ursprünglichen Quelle. Otto Clemen wies in einer kurzen Miszelle aus dem Jahr 1914 auf ein in einem Lutherbrief erwähntes Exempel hin.45 Luther schrieb am 27. November 1537 in einem Trostbrief an Jonas von Stockhausen, Stadthauptmann von Nordhausen:

45

OTTO C LEMEN: Das Exempel vom dem Läuseknicker, in DERS.: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. v. Ernst Koch, Bd. IV (1912–1921), Leipzig 1984, 340 f.

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„…damit ihr solch Gedanken nur frei und wohl verachtet und von euch weiset, auch mit groben unhoflichen Worten … davon lasst euch lesen das Exempel vom Läuseknicker und von dem gans pfeiffen und dergleichen …“46.

Luther meint hier offensichtlich ein Stück aus Johann Paulis „Schimpf und Ernst“, einer Exempelsammlung, die sich im 16. Jahrhundert und weit darüber hinaus größter Beliebtheit erfreute. Dieses Stück findet sich auch in den Sammlungen Reckemann und Wendenheimer und hat folgenden Inhalt: Eine Frau nannte ihren Mann oft Knicklaus. Sie warf ihm damit vor, Läuse zu haben. Dieser verprügelte sie und warf sie schließlich in einen Brunnen. Als sie schon unterging, reckte sie die Hand aus dem Wasser und deutete mit einer Geste an, wie er die Läuse zerknickt. Reckemann II, 173r: Narratur fabula de quaedam muliere, quae saepius vocabat maritum knicklaus, knicklaus, exprobrabat illi hoc vitium quod pediculosus esset. Ille verberavit eam, et cum mergeretur in profundum aquae tamen exeruit manum supra caput, et gestu significabat wie ehr die laus schluch. CR 20, 598, Nr. 273: Narratur fabula de quadam muliere, quae saepius vocabat maritum suum knicklaus knicklaus knicklaus. Exprobrat illi hoc vitium, quod pediculosus esset. Ille verberavit eam, et cum nihil proficeret, tandem demersit eam in puteum, et cum iam mergeretur in profundum aquae, tamen exeruit manum supra aquam et gestu significabat, wie er die Leüs zerknicket hett, knicklaus. Die beiden Texte entsprechen sich fast wörtlich. Dies kann seinen Grund entweder in der gleichzeitigen Niederschrift der Stücke haben, oder durch Abgleichung und Abschrift zu Stande gekommen sein. Da aber Melanchthon ein Stück aus Paulis Werk wiedergibt, besteht die große Wahrscheinlichkeit, daß er es in fast gleicher Weise immer wieder tat. Somit kann nicht zwingend von einer direkten Abhängigkeit der wiedergegebenen Texte ausgegangen werden. Zu den oben dargestellten Abhängigkeiten der verschiedenen auf Luther und Melanchthon zurückgehenden Stücke von Tischreden und Exempla gesellt sich nun ein weiterer Aspekt hinzu. Sprachen wir oben von der Überlieferungsgeschichte so muß nun auch die Traditionsgeschichte in den 46

Vgl. WA.BR 6, 387, 49–51, 52 f., Nr. 1974.

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Blick genommen werden, um ein Gesamtbild des Komplexes aus Tischreden, Exempla und den Quellen aus denen Melanchthon und Luther geschöpft haben zu erstellen. Leider können hier nicht weitere Parallelüberlieferungen, die reichlich vorhanden sind, mitsamt Analyse präsentiert werden. Doch konnte ein kurzer Einblick in die Beziehungen von Tischreden und Exempeln sowie deren Beziehungen zu anderen Quellen gegeben werden und die enge Verbindung der verschiedenen Texte gezeigt werden. In dieser engen Beziehung und dem starken Austausch des jeweils gesammelten Materials zeigt sich die Nähe der verschiedenen Wittenberger Gelehrten zueinander. Dieser rege Austausch und die Verbundenheit durch die Wittenberger Schule können durchaus als Auslöser einer Bildung von Gruppenidentität angesehen werden. Man verstand sich als Sammler und Bewahrer der Worte der Lehrer. Gerade daß Worte Luthers und Melanchthons in großen Teilen eine gemeinsame Überlieferungstradition haben, ist bisher kaum gewürdigt worden. Ohne das Werk Krokers schmälern zu wollen, muß doch gesagt werden, daß durch den Versuch, einen Urtext der Tischreden herzustellen, viel Material und der Kontext, in dem es stand, vorerst verloren gegangen sind und nur durch mühsames Beschaffen und Durchsuchen der Handschriften wiedergefunden werden kann. Doch lohnt sich diese Arbeit für die reformationsgeschichtliche Forschung und erweitert den Blick über Luther hinaus hin zu seinem Freund und treuesten Mitstreiter Philipp Melanchthon.

Irdisches Kampfmittel und göttliche Vorsehung Zur Bedeutung der Fabel in den Tischreden Luthers JÖRG ZIMMER Über die Bedeutung der antiken Fabel1 bei Luther herrscht in der Germanistik weitgehend Konsens, vermeintlich deshalb, weil die „Textgrundlage gesichert und auch leicht zugänglich ist“.2 Doch ein Blick in die Tischreden zeigt: Abseits der bekannten Äsop-Bearbeitungen3 Luthers aus dem Jahr 1530 harrt noch vieles der literaturwissenschaftlichen Erschließung, denn bei Tisch entwickelt der Reformator die Fabel weiter. Zum pädagogischen Anwendungsbereich kommt der politische, für den er einzelne Fabeln und Fabelmotive von den antiken Vorlagen löst, ihnen neue Funktionen gibt und sie zum Kampfmittel zuspitzt. Bereits in der Vorrede zu seiner Äsop-Bearbeitung schreibt Luther, dass er die Fabel als weltliche Literaturform neben der Bibel hoch schätzt, doch erst bei Tisch erfahren die Zuhörer, dass er antike Fabeln als Teil göttlicher Vorsehung begreift. Umso erstaunlicher ist es, dass die Tischreden bei Germanisten bislang nur wenig Beachtung gefunden haben.4 Nach einem

1 Die Exegese des 20. Jahrhunderts spricht in ihrer literaturwissenschaftlichen Betrachtung der Bibel mitunter auch von „Fabeln“. Diesem Aufsatz liegt demgegenüber die Definition von Fabeln als antiker und heidnischer, mithin nicht biblischer Literatur zugrunde. 2 KLAUS DÜWEL / J ÖRG OHLEMACHER: „das ist der wellt lauf“. Zugänge zu Luthers Fabelbearbeitung, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Martin Luther, München 1983 (Text und Kritik, Sonderband der Reihe Zeitschrift für Literatur), 121. 3 WA 50, 432–460: I. Hahn und Perle, II. Wolf und Lamm, III. Frosch und Maus, IV. Hund und Schaf, V. Hund im Wasser, VI. Löwe, Rind, Ziege, Schaf, VII. Löwe, Fuchs, Esel, VIII. Dieb, IX. Kranich und Wolf, X. Hund und Hündin, XI. Esel und Löwe, XII. Stadtmaus und Feldmaus, XIII Rabe und Fuchs. 4 „Über keinen Menschen soll mehr geschrieben worden sein als über Martin Luther. Dennoch scheint es, abgesehen von den linguistischen Studien Birgit Stolts, keine eigene Untersuchung der Tischreden zu geben.“ (H EINZ OTTO B URGER: Luther im Spiegel seiner Tischreden, in: GRM NF 23 [1973], 388).

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kurzen Blick auf Luthers Äsop-Bearbeitung von 1530 zeigen die folgenden Ausführungen an ausgewählten Beispielen, dass die in den Tischreden überlieferten Fabeln in Ihren Kontexten und ihrer Funktion bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Eine umfassende Untersuchung der in den Tischreden schlummernden Potentiale ergäbe ohne jeden Zweifel ein differenzierteres Lutherbild.

1. Luthers Äsop-Bearbeitung von 1530 Die Fabeln des Griechen Äsop (um 600 v. Ch.) lernt der Schüler Martin bereits in Mansfeld kennen. Auf der Feste Coburg greift er im April und Mai 1530 erneut nach ihnen und beginnt eine eigene deutsche Fassung. Weil über ihn die Reichsacht verhängt ist, kann er nicht im Gefolge des Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen am Reichstag in Augsburg teilnehmen und bleibt daher an der Landesgrenze zurück, um auf Wunsch des Kurfürsten in der Nähe zu sein.5 Wegen anderer Aufgaben bleibt die dort in pädagogischer Absicht begonnene Neubearbeitung der Fabeln jedoch Fragment. Die zuletzt dreizehn Fabeln erscheinen erstmals 1557 – elf Jahre nach seinem Tod, herausgegeben von Georg Rörer6, Theologe und Mitschreiber am Tisch Luthers – im fünften Band der Jenaer Lutherausgabe unter dem Titel: „Etliche Fabeln aus Esopo / von D.M.L. verdeutscht / sampt einer schönen Vorrede / von rechtem Nutz und Brauch desselben Buchs / jederman wes Standes er auch ist / lüstig und dienstlich zu lesen. Anno M.D.XXX.“7 Im November 1538, acht Jahre nach seinem Aufenthalt auf der Feste Coburg, liest er die Vorrede bei Tisch und sagt, was er an der Fabel besonders schätzt: „Aesopus […] legt ein Ding und die Wahrheit für unter einer andern Gestalt, als Fabeln, wie ein Narr.“8

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Vgl. KLAUS DODERER: Fabeln. Formen, Figuren, Lehren, Zürich 1970, 21. 1537 beauftragte Kurfürst Johann Friedrich I. Georg Rörer offiziell mit der Dokumentation von Luthers Schaffen. (vgl. MANFRED EDER: Rörer, Georg, in: BBKL 8 [1995], 523–526). 7 WA 50, 452. 8 WA.TR 4, 126, Nr. 4085. Melanchthon drängte daraufhin vergeblich, Luther möge das unvollendete Werk der Fabelübertragung wieder aufgreifen. Vgl. K LAUS DODERER: Über das ‚betriegen zur Warheit‘. Die Fabelbearbeitungen Martin Luthers, in: Wirkendes Wort 14 (1964), 381. 6

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An der Metapher des Narren wird der literarische Kunstgriff deutlich, dem Luther eine so große Bedeutung einräumt. Die Wahrheit kann im Narrengewand auftreten und desto leichter angenommen werden: „(Denn wir sehen, das die jungen Kinder und jungen Leute mit Fabeln und Merlin leichtlich bewegt) und also mit lust und liebe zur Kunst und Weisheit gefuert wuerden, welche lust und liebe deste groesser wird, wenn ein Esopus oder dergleichen Larva oder Fastnachtsputz fuergestellet wird, der solche Kunst ausrede oder fuerbringe, das sie deste mehr drauffmercken und gleich mit lachen annemen und behalten.“9

Der pädagogische Zweck erhält einen literarischen Schleier, der ihn wirksamer an sein Ziel führen soll. „Diese Verfremdung […] leistet für Luther die Fabel. Sie kann es, weil sie sich als poetische Kunstform den Strukturgesetzen des Erzählens unterwirft, sich ihren Eigenraum mit den Mitteln der Sprache schafft.“10 Folgt man Luthers Argumentation bis zum Schluss der Vorrede konsequent, könnte die jeweils nachgestellte Moral der Fabeln entfallen: „One das wir müssen das unser bei jnen thun.“11 Er hält die Fabel als eigenständige Literaturform für stark genug, ohne eigenes Zutun ihr nützliches Ziel zu erreichen. „So wie für die Bibel gilt scriptura sui ipsius interpres und das Wort aus sich selbst heraus wirkt, so haben auch die Fabeln für Luther eine eigene Wirkkraft.“12 Dieses nützliche Instrument will er darum nicht allein für Kinder und junge Leute einsetzen, „sondern auch die grossen Fuersten und Herrn kan man nicht bas betriegen zur Wahrheit und zu jrem nutz, denn das man jnen lasse die Narren die Warheit sagen, dieselbigen koennen sie leiden und hoeren, sonst woellen oder koennen sie von keinem Weisen die Wahrheit leiden. Ja, alle Welt hasset die Wahrheit, wenn sie einen trifft.“13

Luthers Wille zur Wahrheit ist hier jedoch keine Kampfansage. Zwar hat er in der Stoßrichtung Mißstände im Blick, sie ist aber „nicht gekoppelt mit einem direkten Appell […], die Zustände an sich zu bessern. Hinter des Reformators Fabelarbeit steckt im Gegenteil der Gedanke, […] daß diese literarischen Kleingebilde nicht als sozialkritische Angriffswaffe, sondern als Anpassungs- und Ruhehalteexempel aufgefaßt werden.“14 Er will, dass sich der Mensch mit den in der Welt geltenden Herrschaftsstruk-

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WA 50, 453. DODERER: Über das ‚betriegen zur Warheit‘, 381. 11 WA 50, 455. 12 DÜWEL / OHLEMACHER: „das ist der wellt lauf“, 121. 13 WA 50, 53. 14 DODERER: Über das ‚betriegen zur Warheit‘, 382. 10

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turen arrangiert und die von Gott gegebene Ordnung respektiert.15 Das ist die Aufgabe der Fabeln, die er 1530 in pädagogischer Absicht bearbeitet.

2. Die Fabeln in den Tischreden Im konkreten Kontext bei Tisch geht Luther mit seiner Kritik an den Herrschenden deutlich weiter, als es die oben zitierte Lehrmeinung zu seinen dreizehn Fabeln von 1530 beobachtet. Das umfangreiche Wort- und Sachregister zu den Tischreden der Weimarer Ausgabe16 weist fünfundzwanzig Fabeln aus, von denen nur drei aus Luthers Äsop-Bearbeitung bekannt sind. Dazu kommen die Stücke, in denen der Gastgeber auf die Vorzüge der Fabel, die Vorrede zu seiner Äsop-Bearbeitung, die Konzeption einer Neuübertragung und Ordnung sowie auf weitere Fabelmotive zu sprechen kommt. In Tischrede 3490 lobt Luther die Fabeln Äsops lebhaft und stellt sie in einen bis dahin so nicht formulierten Kontext: Et Dei providentia factum est, quod Catonis et Aesopi scripta in scholis permanserunt, nam uterque liber est gravissimus; hic verba et praecepta habet omnium utilissima, ille res et picturas habet omnium iucundissimas.17

Luther bezeichnet die Überlieferung der antiken Fabeln hier bei Tisch als Gottes Vorsehung. Aus seiner Vorrede zu der Bearbeitung von 1530 ist bereits bekannt, dass der Reformator die Fabeln Äsops wegen ihrer wirksamen Bildlichkeit neben der Bibel hoch schätzt: „Djs Buch von den Fabeln oder Merlin ist ein hochberuembt Buch gewesen bey den allergelertesten auff Erden, sonderlich unter den Heiden. Wiewohl auch noch jetzund, die Wahrheit zu sagen, von eusserlichem Leben in der Welt zu reden, wuesste ich ausser der heiligen Schrifft nicht viel Buecher.“18

15 Vgl. ERNST HEINRICH-REHERMANN / INES KÖHLER-ZÜLCH: Aspekte der Gesellschafts- und Kirchenkritik in den Fabeln von Martin Luther, Nathanael Chytraeus und Burkhard Waldis, in: Peter Hasubek (Hg.): Die Fabel, Berlin 1982, 31. 16 WA.TR 6, 511–705. 17 WA.TR 3, 353, Nr. 3490. Übersetzung: „Und durch Gottes Vorsehung ist es geschehen, dass die Schriften Catos und Aesops sich in den Schulen erhielten, denn jedes der beiden Bücher ist nämlich sehr gewichtig; das erste [Luther meint die Disticha moralia des so genannten Dionysos Cato, vgl. REINHARD D ITHMAR: Martin Luthers Fabeln und Sprichwörter, Darmstadt 1995, 173.] bietet die allernützlichsten Worte und Lehren, das zweite die allerliebsten Sachen und Bilder.“ 18 WA 50, 452.

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In der erneuten Empfehlung hebt er sie nun in den Rang einer bedeutenden Form der weltlichen Literatur: Gott selbst hat dafür gesorgt, dass sie erhalten geblieben sind und ihre Wirkung auf Erden entfalten können. Zwischen der Abfassung der Vorrede auf der Feste Coburg und der neuerlichen Aufnahme des Themas in der Tischrede 3490 von November oder Dezember 1536 liegt seine berühmte Auslegung des Psalms 101, in der er eindringlich auf die Unterscheidung der beiden Reiche19 hinweist: „Ich mus jmer solch unterscheid dieser zweier Reich ein blewen und ein kewen, ein treiben und ein keilen, obs wol so offt, das verdrieslich, geschrieben und gesagt ist. Denn der leidige teuffel höret auch nicht auff diese zwey Reich jnn einander zu kochen und zu brewen. Die weltlichen herrn wollen jns teufels namen jmer Christum leren und meistern, wie er seine kirche und geistlich Regiment sol füren. So wollen die falschen Pfaffen und Rottengeister nicht jnn Gottes namen jmer leren und meistern, wie man solle das weltliche Regiment ordenen, Und ist also der teuffel zu beiden seiten fast seer unmüssig und hat viel zu thun. Gott wolt jm weren, Amen, so wirs werd sind.“20

Es wird deutlich, warum die Fabeln bei Luther eine so bedeutende Rolle spielen können. „Das ‚eusserliche Leben in der Welt’ ist der Bereich der Weltweisheit, […] ist das weltliche Reich, in dem man aus Vernunft handeln muß. […] Auch wenn diese Weltweisheit wie die Bibel für Luther in Gott ihren gemeinsamen Ursprung hat, bleibt für die Interpretationsaufgabe zu beachten, daß er bewußt im nichttheologischen Bereich argumentiert.“21 Antike Fabeln sind vorchristliche Literatur und damit prädestiniert für den Einsatz als weltliches Instrument zur Vermittlung moralischer, ra-

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Die Drucklegung der Auslegung von Psalm 101 erfolgt 1535 bei Hans Lufft in Wittenberg. Vgl. W OLFGANG S OMMER: Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der frühen Neuzeit, Göttingen 1999, 11. Martin Luther geht in der erst später so genannten Zweireichelehre davon aus, dass Gott die Welt auf zweierlei Weise regiert. Im geistlichen Reich wirkt er durch das Evangelium und das Sakrament auf den einzelnen Menschen ein, der dadurch eine personale Beziehung zu Gott eingeht. Im Gegensatz zum ‚eusserlichen Leben’ aus der Vorrede handelt es sich dabei um eine Beziehung im Verborgenen, Luther spricht von der verborgenen Kirche. Die im weltlichen Reich gesetzten Ordnungen Gottes sind unveränderlich, jeder Mensch hat nur die Möglichkeit, sich darin bestmöglich zu orientieren und in Gottes Sinne zu handeln. Nach Luther gehört jeder Christ beiden Reichen an, woraus sich ein doppelter Anspruch an ihn ergibt. Luthers Zweireichelehre schließt an die mittelalterliche Zweigewaltenlehre an. Darin geht es um die theologische Begründung des Verhältnisses von Kirche und Staat, das im so genannten Investiturstreit gipfelt. 20 WA 51, 239. 21 DÜWEL / OHLEMACHER: „das ist der wellt lauf“, 124.

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tioorientierter Lehren.22 Ihr Ort „ist die falsche, arge Welt“23. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Auslegung des Psalms 101 bekräftigt Luther diese Auffassung. Sie findet sich in der Weimarer Ausgabe nur wenige Seiten später: „Darumb wer im weltlichen Regiment will lernen und klug werden, der mag die Heidnischen buecher und schrifften lesen. Die habens warlich gar schoen und reichlich ausgestrichen und gemalet, beide mit spruechen und bildern, mit leren und exempeln, […] Und ist mein gedancken, das Gott darumb gegeben und erhalten habe solche heidnische buecher als der Poeten und Historien. […] Und ich will ander buecher jtz schweigen, wie kuendte man ein feiner buch jnn weltlich Heidnisscher weisheit machen, denn das gemeine, albere kinderbuch ist, So Esopus heisst? Ja, weil es die kinder lernen, und so gar gemein ist, mus nicht gelten, Und lesst sich jder duencken wol vier Doctor werd, der noch nie eine fabel drinnen verstanden hat.“24

Luther stellt die Fabel nicht als Hilfsarbeiterin zum Bau des Reiches Gottes auf Erden in Dienst, sondern als selbständige Meisterin, die ihre Wirkkraft als heidnische, weltliche Literatur sui ipsius interpres entfalten kann. Trotz des erneuten Anlaufs beginnt Luther die Arbeit an den Fabeln nicht mehr. Umso interessanter also, ihm bei der Weiterentwicklung der Gattung an seinem Tisch zu belauschen.

3. Interpretationsbeispiele aus den Tischreden Nach dem kurzen gedanklichen Abstecher zur Fabel als Teil göttlicher Vorsehung nennt Luther in Tischrede 3490 ein konkretes exemplum für die Schlechtigkeit der Welt: „De lupo et ove. Der wolffe wold dem schefflein zu: Du hast mir das wasser getrubt! Respondit: Trawen nein, stehestu doch uber mir. Simplicissime res ipsa se excusat. Du hast mir die weide fur dem walde abgehuttet! Respondit: Hab ich doch keine zehene nicht, bin noch jungk. Tertio: Dein vater hot ein aldes mit mir! Respondit: Was magk ich des? Tandem lupus erumpit: Sei so klugk, als du willst, dich zu entschuldigen, ich mus dennoch fressen.“25

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Die Zwei-Reiche-Lehre stellt in der theologischen Forschung ein äußerst schwieriges Feld dar. Der Autor lässt dieses seit vielen Jahrzehnten umstrittene Diskussionsfeld in diesem Aufsatz bewusst außen vor und beschränkt sich auf die Unterscheidung von Ratio- und Offenbarungsorientierung Luthers. 23 DÜWEL / OHLEMACHER: „das ist der wellt lauf“, 124. 24 WA 51, 242 und 243. 25 WA.TR 3, 354, Nr. 3490. Übersetzung: „Vom Wolf und Schaf [...]. Es antwortete: [...] Aufs Einfachste entschuldigt sich die Tatsache von selbst. […] Es antwortete. […]. Zum Dritten: […] Endlich springt der Wolf hervor“.

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In der Äsop-Bearbeitung des Reformators von 1530 ist dies die zweite der dreizehn Fabeln, wird dort ausführlicher erzählt und trägt den Titel vom ‚Wolf und Lemlin’. Die beiden Tiere treffen sich zufällig an einem Bach. Als der Wolf das Lamm bemerkt, bricht er einen Streit vom Zaun. Mit einer Klimax aus immer neuen und fadenscheinigen Argumenten setzt er das Lamm ins Unrecht und frisst es am Ende auf, obwohl er in allen Anklagepunkten widerlegt wird, denn fressen will er es auf jeden Fall. Luther reduziert den Bildteil der Fabel im Kontext der Tischrede auf ein Minimum und verzichtet auf einen Lehrsatz. Das könnte darauf hindeuten, dass er die Geschichte und ihre Bedeutung bei den Zuhörern als bekannt voraussetzt. Doch selbst wenn es nicht so wäre, erschließt sich jedem, der nur diese kleine Skizze kennt, unmittelbar und ohne ausschmückendes Beiwerk und Verständnishilfe worum es geht: Hier nimmt sich ein Mächtiger gegen jedes Recht und jede Vernunft mit Gewalt, was er will. Die ‚Lere’, die Luther seiner Bearbeitung von 1530 als Epimythion beigibt, bestätigt das: „Der wellt lauff ist / wer Frum sein will / der mus leiden / solt man eine Sache vom alten Zaun brechen / Denn Gewalt gehet fur Recht. Wenn man dem Hunde zu will / so hat er das Ledder gefressen. Wenn der Wollf will / so ist das Lamb unrecht.“26

Für Luther ist die Fabel vom ‚Wolf und Schaf’ ein Paradebeispiel dafür, wie schlecht es um die Welt bestellt ist. Sie vertritt „eine sehr pessimistische Einstellung zur Welt und vor allem zu den Menschen. […] zum anderen aber wird keine ausdrückliche Kritik an der Haltung der Mächtigen von Luther geübt.“27 Die Funktion der Fabel ist es, den Hörern und Lesern ein prägnantes Bild vor Augen zu führen, was passiert, wenn der Schwächere zwar die besseren Argumente sowie Vernunft und Recht auf seiner Seite hat, der Mächtige sich jedoch darüber hinwegsetzt. Im privaten Kreis klagt Luther einmal: „ich musste das Schaf sein, das dem Wolfe das Wasser getrübt hatte; Tetzel ging frei aus; ich musste mich fressen lassen.“28 So ist es wohl kein Zufall, dass sich Luther innerhalb der expliziten Empfehlung der Fabeln Äsops an dieses exemplum erinnert. „Das Fabelmotiv vom Wolf und Lamm hat Luther oft verwandt, beispielsweise in einer Predigt von 1535 gegen die Ketzer, die ihre Ketzerei Neuheit nennen 26

W ILLI STEINBERG (Hg.): Martin Luthers Fabeln, Halle a. d. Saale 1961, 28. REHERMANN / KÖHLER-ZÜLCH: Aspekte der Gesellschafts- und Kirchenkritik in den Fabeln von Martin Luther, 31. 28 ERNST THIELE: Luthers Sprichwörtersammlung, Weimar 1900, 251. Thiele zitiert in der Besprechung des 264. Sprichwortes der Sammlung, „Er hat nie kein wasser betrubt“, aus der Erlanger Ausgabe (EA) von Luthers Schriften, hier Bd. 27, 296. 27

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(WA 41, 240), oder gegen Zwingli (WA 23, 78)“29, mit dem er einen unauflösbaren Streit über die theologische Bedeutung des Abendmahls führt. In den Tischreden findet sich ein Beleg, in dem Luther das noch knapper gefasste Fabelmotiv in einen aktuellen Bedeutungskontext stellt: „Umb die christliche Kirche wird es stehen nicht annderst dann wie ein scheflein, das itzo der wolf bey der wolle erwischt hatt und fressen will. Unser adell, burger und bauern horen auch nicht; meinen nicht annderst: Wann wir das evangelium predigen und die munche mitt iren wercken schellten, wir predigen guete tage und erlauben ihn zu thuen, was sy wollen. Auwe, es wirt ubel mit inen zugehen! Sie versundigen sich zu harrt und hoch und horen nicht, was wir sagen. Wann wir einen Teuffel austreiben, kummen ir siben an dj stat. Wann wir dj munche alle vertreyben, so werden wir sibenmal erger kriegen, dann dj itzigen seind. Ich will es nicht wehren, ich will es auch nicht ratten, daß man dj klöster und klausen zurstorret, dann man macht ubell erger. Ich gedachte aber, es sollte einnem lande zuetreglicher sein, das man das verjagen und zerstoren nachliesse und erlaubt jederman auszuziehen und zu pleiben, wer da wolt. Ich hoffe, sie sollen sich bald selber verwusten! Aber dj herren und adell suchen das ire, darumb wirts innen bekummen wie dem hunde das gras. Jederman will reich an den bettelstucken der klöster werden; sie sehen sich aber fur, daß nicht ir reichthumber zu bettelstücken werden.“30

Das nicht näher datierte Stück aus den 30er Jahren belegt: Im konkreten Kontext bei Tisch geht Luther mit seiner Kritik an den Herrschenden weiter. Er erlebt 1525 die Zerstörung vieler Klöster Thüringens im Zuge des Bauernkrieges. Zudem weiß er, dass dort, wo die Reformation mit Gewalt durchgesetzt wird, „die Herrschaft, der frühmoderne ‚Staat’, durch Einziehung des Klostervermögens aus dem Geschehen wirtschaftlichen Nutzen gezogen“31 hat. Er kritisiert hier deutlich die Gewalt gegen die Klöster, tritt für Toleranz ein und polemisiert gegen die Herrschenden: „darumb wirts innen bekummen wie dem hunde das gras“ bedeutet, dass sie sich an dem gewaltsam Vereinnahmten erbrechen werden. Im Gegensatz zum ersten exemplum in Tischrede 3490 gibt Luther seinem zweiten einleitend einen Hinweis zur Funktion mit auf den Weg: „Aliud exemplum, de ingratitudine.“32 Außerdem gibt es zwischen dem ersten und zweiten Beispiel einen inhaltlichen Zusammenhang. Der Wolf begegnet dem Kranich, nachdem er das Lamm gefressen und sich dabei an einem Knochen verschluckt hat. In Luthers Äsop-Bearbeitung stehen die 29

DITHMAR: Martin Luthers Fabeln und Sprichwörter, 201. WA.TR 2, 270f., Nr. 1947. 31 MARTIN K INTZINGER: Monastische Kultur und die Kunst des Wissens im Mittelalter, in: Nathalie Kruppa / Jürgen Wilke (Hg.): Kloster und Bildung im Mittelalter, Göttingen 2006, 24. 32 WA.TR 3, 354, Nr. 3490. Übersetzung: „Ein anderes Beispiel, von der Undankbarkeit.“ 30

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beiden Fabeln nicht so nah beieinander, dort trägt die Geschichte vom hilfreichen Kranich und dem undankbaren Wolf die Nummer IX. Bei Tisch skizziert Luther knapper: „De lupo et grue. Lupo agnum devoranti os in collo illius restitit. Implorans gruem, ut ipse suo longo rostro os ex ipsius gutture amoveret. Quo facto grus praemium petitit. Respondit lupus: Sal ich dir noch lonen? Das dich S. Velten ankomme! Du solst nach mir dancken, das ich dir nicht habe den hals ab gebissen.“33

Wieder beschränkt sich Luther auf das Nötigste, um den Kerngedanken der Fabel zu umreißen. Es geht um den Undank des Wolfes, dem der Kranich in großer Not geholfen hat. Während das „Implorans“ nur kurz die tatsächliche Bedrängnis des Wolfes ahnen lässt, ist die Bearbeitung von 1530 deutlicher: „Da der Wolff eins mals ein Schaf geiziglich fras / bleib jm ein Bein im Halse uber zwerch stecken / davon er grosse Not und Angst hatte / Und erbot sich gros Lohn und Geschenck zu geben / wer im huelffe.“ 34

Die versprochene Belohnung und andere Details fehlen im exemplum bei Tisch. Dafür baut Luther eine sprichwörtliche Redensart ein, die in seinem Äsop fehlt: ‚Das dich S. Velten ankomme!‘ Mit dieser, dem Volksmund abgelauschten Arabeske greift er einen aus dem Mittelalter bekannten Fluch auf. St. Velten, abgeleitet vom Märtyrer Valentin, wird an Stelle des Teufels angerufen, um den Namen des Satans zu umgehen.35 Luther hat sich oft selbst über undankbare Menschen geärgert. Laut Register kommt er in 65 Tischreden auf den Undank zu sprechen. Am häufigsten beklagt er dabei den mangelnden Dank des Menschen gegenüber Gott. Als exemplum zur Verdeutlichung des Undanks bezieht er die Fabel vom ‚Wolf und Kranich‘ bei keiner Gelegenheit in einen konkreten Kontext mit ein. Die antike Fabel vom ‚Wolf und Kranich‘ dient mithin konsequent als literarisches Bild für den Undank in der Welt. Die ‚Lere‘ aus der ÄsopBearbeitung von 1530, die bei Tisch fehlt, bestätigt diese Beobachtung:

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WA.TR 3, 354, Nr. 3490. Übersetzung: „Vom Wolf und Kranich. Dem Wolf, als er das Lamm verschlang, blieb ein Knochen in seinem Hals stecken. Er flehte den Kranich an, dass er mit seinem langen Schnabel den Knochen aus seinem Hals entferne. Nachdem das geschehen war, verlangte der Kranich die Belohnung. Der Wolf hat geantwortet (…). 34 STEINBERG: Martin Luthers Fabeln, 57. 35 Vgl. LUTZ RÖHRICH: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Bd. 2, Freiburg 1973, 1105. Der Festtag des heiligen Valentin ist der 14. Februar.

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„Diese Fabel zeigt. Wer den Leuten in der Welt will wol thun / der mus sich erwegen Undank zuverdienen / Die Welt lohnet nicht anders / denn mit Undanck / wie man spricht. Wer einen vom Galgen erloeset / Dem hilfft derselbige gern dran.“36

Über diese sprichwörtliche Moral findet sich in den Tischreden ein einziger Bezug zu einem anderen Kontext und zugleich eine weitere Fabel zum Undank: „Wie die Welt die Wohltat vergilt und belohnet. Philippus Melanchthon sagete einmal uber D. Luthers Tisch37 diese Fabel: „Daß einmal ein Bäuerlein wäre uber Feld gegangen, und da er sich müde gegangen hatte, kam er an eine Höhle oder Loch, in welchem eine Schlange lag, die war mit einem großen Steine verschlossen. Die Schlange rief ihn an und bat, er wollt den Stein vom Loche wälzen und sie los machen, wenn er das thäte, wollte sie ihm den besten Lohn und Dank geben, den man auf Erden pflegte zu geben. Das gute Bäuerlein ließ sich endlich bereden, wälzete den Stein vom Loch und machte die Schlange los, und forderte seinen Lohn; da wollt ihn die Schlange stechen und umbringen, und sprach: Liebes Männlein, also pflegt die Welt zu lohnen denen, die ihr alles Guts gethan haben.“38

Melanchthon bleibt im Rückgriff auf eine Überlieferung des römischen Fabeldichters Phaedrus39 ebenfalls konsequent im irdischen Geschehen, was die spitzfindige List der Schlange unterstreicht: „[…] also pflegt die Welt zu lohnen denen, die ihr alles Guts gethan haben.“ Der Bauer will sich damit nicht zufrieden geben und ruft im weiteren Verlauf der Erzählung drei zufällig vorbeikommende Tiere als Richter über die undankbare Schlange an, einen abgehalfterten Karrenhengst, einen alten, vertriebenen Hund und einen Fuchs. Während die beiden ersten selber ein Lied vom Undank singen und nicht helfen können, überlistet der Fuchs die Schlange, die zuletzt wieder im Loch sitzt. Den ihm vom Bauern in Aussicht gestellten Lohn erhält der Fuchs jedoch nicht. Als er nachts auf den Hof kommt, um sich die versprochenen Hühner zu holen, schlagen ihn die Bäurin und das Gesinde tot. „Darauf sprach D. Martinus: ‚Dieses ist ein recht Contrafeit der Welt: Wem man vom Galgen hilft, der bringet einen gerne wieder daran. Wenn ich kein Exempel der gleichen mehr hätte, so wäre doch der Herr Christus Exempels genug, der die ganze Welt von

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STEINBERG: Martin Luthers Fabeln, 57. Zu dieser Angabe Aurifabers schreibt Kroker: „Nicht an Luthers Tisch, sondern unterwegs im Wagen.“ Vgl. WA.TR 3, 639, Anm. 7. Die beiden befanden sich in Begleitung des Mitschreibers Anton Lauterbach auf der Fahrt von Torgau nach Wittenberg. 38 WA.TR 3, 639, Nr. 3821. 39 Vgl. WA.TR 3, 638, Anm. 6. Phaedrus (um 20 v. Chr.–um 51 n. Chr.), voller Name wohl Gaius Iulius Phaedrus. 37

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Sünd, Tod, Teufel und Hölle erlöset hat und ist von seinem eigen Volk gecreuziget und an Galgen gehenkt worden.“40

In Luthers Fazit zum Undank in der Welt wird Christus selbst zum exemplum. In dieser kleinen Poetik hebt er die Fabeln auf eine Stufe mit dem Erlöser: „Wenn ich kein Exempel der gleichen mehr hätte, so wäre doch der Herr Christus Exempels genug.“ Das ist der Ritterschlag für die Fabel als weltliche Literatur. Denn obwohl er sich hier bedenklich nahe an die von ihm gesteckte Grenze zwischen den Reichen wagt, überschreitet er sie nicht. „Auch auf Christus bezogen, hat diese Fabel für Luther nur einen sensus historicus. Das Mysterium des Erlösungswerks, Glaube und Rechtfertigung werden in seiner Auslegung nicht berührt.“41 Als er auf der Feste Coburg die Fabelbearbeitung beginnt, schreibt er in einem Brief vom 24. April 1530 an Melanchthon: „aedificabimusque ibi tria tabernacula, Psalterio unum, Prophetis unum, et Aesopo unum. Sed hoc temporale.”42 Luther lehnt sich in diesem biblischen Bild an Mt 17,4 an. In der Perikope von der Verklärung Jesu sagt Petrus: „Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine.“ Mit dem Hinweis ‚Sed hoc temporale!‘ betont Luther in Bezug auf die Fabeln abermals: „Sie gehören in das weltliche Reich, in dem Gewalt über das Recht siegt und Vertrauen gefährliche Folgen hat, Freundlichkeit mit Undank belohnt und dem Bittenden nicht gegeben wird.“43

In diesem Kontext wird noch einmal ganz deutlich: Bei Luther entfaltet die antike Fabel ihre ratioorientierte Wirkung zeitlich und räumlich begrenzt. „Ein vollkommenes und sündenfreies Leben können wir auf Erden nicht führen, das Streben nach den Tugenden aber hält uns auf dem rechten Wege zu Christus, sie ‚lehren uns, wie wir leben müssen’. […] Sich in dieser Welt zurechtzufinden, nicht zu straucheln, dazu sollen Luthers Fabeln Führer sein.“44 Diese Rollenzuteilung erinnert an Dantes ‚Göttliche Komödie’. Der römische Dichter Vergil geleitet Dante auf seinem Weg durch das ‚Inferno’ 40

WA.TR 3, 639, Nr. 3821. ADALBERT ELSCHENBROICH: Die Fabelpredigt des Johannes Mathesius. Zum Problem der Analogie und Allegorie in der Geschichte der Fabel. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion, Stuttgart 1979, 467. 42 WA.BR 5, 285. Übersetzung: „und wir werden dort drei Hütten bauen, eine für den Psalter, eine für die Propheten und eine für Äsop. Aber diese ist zeitlich.“ 43 DITHMAR: Martin Luthers Fabeln und Sprichwörter, 21. 44 W OLFGANG K AYSER: Die Grundlagen der deutschen Fabeldichtung des 16. und 18. Jahrhunderts, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 160 (1931), 22. 41

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und das ‚Purgatorio’. Als Heide und weltlicher Dichter muss Vergil jedoch an der Schwelle zum Paradies zurückbleiben. Dort übernimmt die von Gott gesandte Beatrice die Führerschaft bis vor den Thron des dreieinigen Gottes. ‚Adler und Fuchs‘ - offensiver Angriff auf die weltlichen Herren In der Fabel vom ‚Adler und Fuchs‘ wird der kämpferische Aspekt besonders deutlich. Von Mathesius ist bekannt, dass Luther, „wenn die Rede auf politische und soziale Missstände kam, seine Meinung […] durch Hinweise auf äsopische Fabeln zum Ausdruck gebracht“45 hat. Das geht über Luthers ursprüngliche, pädagogische Konzeption von 1530 hinaus, die ausdrücklich auf aktive Kritik an den Mächtigen verzichtet. Im Frühjahr 1540 lässt Luther die dort geübte Zurückhaltung hinter sich und formuliert massive Kritik an den weltlichen Herren. „So verurteilte er die Art, wie sich der Adel durch Einziehung der Klostergüter bereichert hatte, indem er den zweiten Teil der Fabel vom Fuchs und Adler erzählte:“46 Ein Sprichwort, seine Erläuterung und ein konkretes Beispiel leiten die Fabel bei Tisch ein: „Doctor Luther saget einmal uber Tisch davon, daß ein wahr Sprichwort wäre: Daß Pfaffengut Raffengut wäre und daß Pfaffengut nicht gedeihe. Und dasselbige hab man aus der Erfahrung, daß die jenigen, die da geistliche Güter zu sich gezogen haben, zuletzt darüber verarmen und zu Bettlern werden Und sprach darauf, daß Burkhard Hund, Kurfürst Hansen zu Sachsen Rath, hätte pflegen zu sagen: „Wir vom Adel haben die Klostergüter unter unsere Rittergüter gezogen; nu haben die Klostergüter unsere Rittergüter gefressen und verzehret, daß wir weder Klostergüter noch Rittergüter mehr haben.“47

Der Reformator zitiert hier eben den kurfürstlichen Amtmann, den Friedrich der Weise im April 1521 beauftragt hatte, Luther auf die Wartburg zu entführen. „Die Ausführung des Plans war dem Schlosshauptmann Johann von Berlepsch und dem Herrn zu Altenstein, Burkhard Hund, übertragen worden.“48 Luther macht mit seiner Kritik demnach auch vor seinem eigenen Landesherrn nicht halt. „Und erzählete Doctor Luther davon eine hübsche Fabel und sprach: ‚Es war einmal ein Adeler, der machte Freundschaft mit einen Fuchse, und vereinigte sich, bei einander zu 45

ELSCHENBROICH: Die Fabelpredigt des Johannes Mathesius, 458. ELSCHENBROICH: Die Fabelpredigt des Johannes Mathesius, 458. Das Zitat bezieht sich auf eine Verwendung des Fabelmotivs in einer Predigt Luthers. 47 WA.TR 4, 597, Nr. 4978. 48 CHRISTIAN STANG / GOTTLIEB FRANZ: Martin Luther. Sein Leben und Wirken, Stuttgart 1839, 129 46

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wohnen. Als nu der Fuchs sich aller Freundschaft zum Adeler versahe, da hatte er seine Jungen unter dem Baume, darauf der Adeler seine Jungen hatte. Aber die Freundschaft wehrete nicht lange; denn als balde der Adeler seinen Jungen nicht hatte Essen zu bringen, und der Fuchs nicht bei seinen Jungen war, da flohe der Adeler herunter und nahm dem Fuchs seine Jungen und führete sie in sein Nest und ließ sie die jungen Adeler fressen. Da nun der Fuchs wieder kam, sahe er, daß seine Jungen hinweg genommen waren, klagets derhalben dem obersten Gott Jovi, daß er Ius volati hospitii rächen, und diese Iniuriam strafen wollte.“49

Die Vergeltung folgt unmittelbar. Als der Adler wenig später wieder nichts zu Fressen für seine Kleinen hat, stiehlt er von einem Altar ein Stück Braten, das kurz zuvor dem obersten römischen Gott Jupiter geopfert worden war. Mit dem Stück Fleisch bringt der Adler aus Versehen eine glühende Kohle ins Nest. Der Horst verbrennt und die Jungen fallen zur Erde. Luther schließt die Fabel mit einer eindeutigen Warnung: „Und saget Doctor Luther darauf, daß es pflege also zu gehen denen, so die geistlichen Güter zu sich reißen, die doch zu Gottes Ehren und zu Erhaltung des Predigamts und Gottesdiensts gegeben sind; dieselbigen müssen ihr Nest und Jungen, das ist ihre Rittergüter und andere weltliche Güter, verlieren und noch wol Schaden an Leib und Seel dazu leiden.“50

Mit dieser Fokussierung löst sich Luther von der antiken Vorlage. In der rekonstruierten Fabel des griechischen Lyrikers Archilochos (680–645 v. Chr.) frisst der Fuchs die aus dem Nest gefallenen Jungen vor den Augen des Adlers auf.51 Luther verzichtet auf die Blutrache des betrogenen und um seine Jungen gebrachten Fuchses. Zugleich ändert er mit der Lehre die Funktion des Exempels. Bei Archilochos soll die Erzählung beweisen, „daß wer die Freundschaft verrät, mag er auch der Strafe des Verletzten entrinnen, doch der Rache der Götter nicht entgehen kann.“52 Die göttliche Vergeltung ist die Folge der gebrochenen Freundschaft. Bei Luther hingegen spielt der Treuebruch des Adlers gegenüber dem Fuchs nur eine sekundäre Rolle. Sein Interesse gilt der unberechtigten Übernahme von geistlichem Gut in weltlichen Besitz. Was in der antiken Vorlage die Folge des Frevels ist, wird bei Luther zur eigentlichen Untat: „so die geistlichen Güter zu sich reißen, müssen […] ihre Rittergüter und

49

WA.TR 4, 597, Nr. 4978. Übersetzung: „Recht der verletzten Gastfreundschaft […] Unrecht.“ 50 WA.TR 4, 598, Nr. 4978. 51 Vgl. HARRY SCHNUR (Hg.): Fabeln der Antike, München 1985, 41. 52 SCHNUR: Fabeln der Antike, 41.

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andere weltliche Güter, verlieren.“53 Mit der neuen Funktion verschafft Luther der archaischen Fabel vom ‚Adler und Fuchs‘ einen auf seine Zeit gemünzten ‚Sitz im Leben‘. Der Vergleich zu der bei Luthers Zeitgenossen sehr bekannten Fabelübersetzung des Ulmer Arztes Heinrich Steinhöwel (1412–1482) verdeutlicht, wie wichtig Luther genau dieses Verständnis ist. Steinhöwel schickt dem Bildteil als Promythion eine kritische Warnung an die Zeitgenossen voraus, die schon in seiner römischen Vorlage zu finden ist: „Die mächtigen söllent die nidern nit verachten, als diese fabel bezüget.“54 Es geht nicht mehr um die persönliche Verbindung zweier Freunde, sondern um das Verhältnis der Mächtigen zu den Schwachen. Damit steht die Fabel vom ‚Adler und Fuchs‘ in einem gesellschaftskritischen Kontext. Den hatte sie schon bei Steinhöwels Gewährsmann, dem römischen Fabeldichter Phädrus (um 20 v. Chr. – etwa 51 n. Chr.), „dessen Fabeln […] in besonderem Maße sozialkritisch sind“55. Es gibt keinen Freundschaftsbund. Der Adler bemächtigt sich gleich eingangs der Jungen. Der Bitte des Fuchses, ihm seine Welpen wiederzugeben, begegnet der Adler mit Hochmut: „Aber der adler verachtet in als den mindern, an dem wenig läge.“56 Bei Steinhöwel greift der Fuchs daraufhin zur Selbstjustiz und „nam ainen brand von dem altar“57. Er macht unter dem Baum, auf dem der Adler nistet, ein Feuer, worauf der zuvor Überhebliche dem Fuchs seine Jungen zurückgibt. Die Moral lautet: „Dise fabel leret die menschen, daz die nidern nit söllen verachtet oder geleczet werden, daz sie nit gestraffet werden mit dem feüwer der rauch und götlicher gerechtikait.“58

Bei Tisch streicht der Reformator die profanisierenden Anteile heraus und rückt das sakrale Element stärker in den Vordergrund. Das Wirken göttlicher Gerechtigkeit geschieht ohne Zutun Dritter. Mit dieser Ausdeutung

53

WA.TR 4, 598, Nr. 4978. Beispielhaft bezieht er sich hier, wie aus Anm. 3 zu dieser Tischrede hervorgeht, auf folgenden Fall: „Die Herzöge von Braunschweig hatten im Quedlinburger Vertrage 1523 den größten Teil des Hochstifts Hildesheim unter sich geteilt.“ 54 HERMANN ÖSTERLEY (Hg.): Steinhöwels Äsop (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart 117), Tübingen 1873, 95. 55 J OCHEM KÜPPERS: Der Löwe in der antiken Fabel und Novellistik, in: Xenja von Ertzdorff (Hg): Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen, Amsterdam / Atlanta 1994, 105. 56 ÖSTERLEY: Steinhöwels Äsop, 95. 57 Ebd. 58 A.a.O., 96.

Irdisches Kampfmittel und göttliche Vorsehung

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der Fabel geht Luther erneut nah an die von ihm gezogene Demarkationslinie zwischen dem geistlichen, offenbarungsorientierten Reich auf der einen und dem weltlichen, ratioorientierten auf der anderen Seite heran. Den Fuchs, der selber Feuer legt und persönliche Rache nimmt, blendet Luther daher wohl aus, er hätte die Grenze in jedem Fall verletzt. Die raufenden Hunde – Kritik am Kaiser Entschieden weltlich kommt demgegenüber in der gleichen Tischrede ein Fabelmotiv daher, das ein gewisser Severus erzählt, „welcher des Römischen Königes Ferdinandi Söhne Präceptor gewesen, der bei Doctor Luther zu Tisch gegangen“.59 Ohne Luthers unmittelbar anschließende Interpretation bliebe der Bildteil ein exemplum für einfachen Futterneid. „Es wäre zu Liens ein Hund gewesen, der dazu gewöhnet worden, daß er hat pflegen Fleisch aus den Fleischbänken zu holen in einem Korbe. Wenn aber andere Hunde wären an ihn kommen, hatten ihme das Fleisch nehmen wollen, so hat er den Korb niedergesetzt und sich weidlich mit ihnen durchbissen. Wenn sie ihn überwältiget hatten, so wäre er am ersten mit dem Maul in den Korb gefallen, habe ein Stück Fleisch erwischt, auf daß er auch etwas davon überkäme“ 60

Im Kontext zu seiner kurz zuvor erzählten Fabel erkennt Luther wiederum den von ihm kritisierten Anspruch der weltlichen Herren auf geistliches Gut. Er bezieht den Streit unter Straßenhunden auf den Kaiser: „Da sprach Doctor Luther darauf: ‚Eben das thut jtzt unser Kaiser Karol auch; welcher, nachdem er lange die geistlichen Güter vertheidiget hat und nu siehet, daß ein jglicher Fürst die Kloster und Stift zu sich reißet, so nimmet er jtzt auch die Bischthüme ein, wie er denn neulich das Bischthum Utrich und Luttich zu sich gerissen hat, auf daß er auch partem de tunica Christi uberkomme.“61

Die um das Futter raufenden Hunde erhalten in diesem Fazit gleichsam weltpolitische Bedeutung. Kaiser Karl V. hob bereits „1528/29 die weltliche Herrschaft des Bischofs von Utrecht auf und gliederte dessen Gebiet seinem burgundisch-niederländischen Gebiet an“.62 Luther beobachtet, wie der Kaiser und sein Bruder Ferdinand Ansprüche auf weitere Bistümer durchsetzen: 59 WA.TR 4, 598, Nr. 4978. Offenbar ein Hauslehrer bei Ferdinand, dem Bruder Kaiser Karls, der nach dessen Thronverzicht 1556 Kaiser wird. 60 WA.TR 4, 598, Nr. 4978. Severus stammte aus der Linzer Gegend. vgl. Anm. 5 zu Nummer 4978, 597. 61 WA.TR 4, 598, Nr. 4978.Übersetzung: „Teil des Gewandes Christi“. 62 ANNETTE KUGLER-S IMMERL: Bischof, Domkapitel und Klöster im Bistum Havelberg 1522–1598. Strukturwandel und Funktionsverlust, Berlin 2003 (Studien zur brandenburgischen Landesgeschichte 1), 29.

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„Sie thuns, Ferdinandus und keiser und bischoff von Meintz. Ferdinandus hat alle Klöster geschatzt; bistumb Wirtzburg hat im mussen geben 10 000 fl. neulich dafur. […] Sie wolten gern ein fus im land haben durch die klöster!“63

Luther fürchtet einen Krieg zwischen den evangelischen Landesherren und dem Kaiser, zu dem es 1546 im Schmalkaldischen Krieg auch tatsächlich kommt. Der historische Kontext ist für den Fortgang der Fabelanalyse interessant, weil Luther in seiner Sorge um den Frieden eine Unterscheidung macht, die seine Vorstellung von der Ordnung im weltlichen Reich präzisiert: „Fähet der Kaiser aber einen Krieg an, so thut ers entweder wider das Predigtamt und unser Religion, dieselbige zu vertilgen, oder wider die Policey und Oeconomey, wider das weltliche und häusliche Regiment, dieselbigen zu zerrütten; alsdenn ist er ein Tyrann. Hie ist nu nicht noth zu fragen: Ob man auch möge streiten fur die rechte reine Lehre und Religion? Ja, man muß streiten für Weib, Kinderlin, Gesinde und Unterthane, die ist man schüldig zu schützen fur unrechter Gewalt.“64

Mit dieser Argumentation steht Luther in der langen Reihe derer, die seit der Antike die Spielräume für einen gerechten Krieg, bellum iustum, ausloten. Luther stützt sich auf die Unterscheidung von ‚Policey und Oeconomey’, also die öffentliche und private Ordnung. „Diese Zweiteilung entspricht den reformatorischen Systematisierungsversuchen für die weltliche Ordnung, […]. Dementsprechend billigte das Luthertum der Fabel als einem Mittel zur Verbildlichung des Reiches der Welt zwei Anwendungsbereiche zu.“65 In Luthers neuer Fokussierung gehören die Fabeln vom ‚Adler und Fuchs’ und der Rauferei unter den Hunden klar in den öffentlichen Bereich, in dem er sehr deutlich wird.

Fazit Im Vergleich zu Luthers Fabelbearbeitung von 1530 ergibt sich: Bei Tisch erhalten die antiken Fabeln, abhängig vom jeweiligen Kontext, neue Bedeutung. Zum pädagogischen Anwendungsbereich, der auf Zurückhaltung und Akzeptanz der herrschenden Ständeordnung setzt, kommt der politische, in dem Luther sich kämpferisch gibt. Die heidnische Fabelliteratur entfaltet ihre Wirkung dabei als Teil göttlicher Vorsehung im weltlichen, 63

WA.TR 5, 306, Nr. 5663. Die Abkürzung fl. steht für Florentiner Gulden. Anm. 4 zu diesem Stück liefert die Information, wofür der Kaiser das Geld benötigt: „Wohl zur Türkenhilfe“. 64 WA.TR 3, 632, Nr. 3810. 65 ELSCHENBROICH: Die Fabelpredigt des Johannes Mathesius, 458f.

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ratioorientierten Leben. Die exemplarische Untersuchung einzelner Stücke zeigt, dass die von Luther bei Tisch erzählten Fabeln in ihren Kontexten und Funktionen bislang nicht ausreichend betrachtet worden sind, ihre detaillierte Analyse ergibt ein differenzierteres Lutherbild in Bezug auf den Einsatz von Literatur abseits des biblischen Wortes.

Zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers und ihrer Edition WOLF-FRIEDRICH SCHÄUFELE

1. Die ältere Tischredenforschung bis zur Edition Ernst Krokers Luthers Tischreden waren jahrhundertelang fast nur in der 1566 von Johannes Aurifaber (1519–1575) besorgten deutschsprachigen Druckausgabe der „Tischreden oder Colloquia doct[oris] Mart[ini] Luthers …“ und ihren Nachdrucken sowie den Bearbeitungen durch Andreas Stangwald und Nikolaus Selnecker (1530–1592) bekannt.1 Die lateinischsprachige, 1571 in Frankfurt am Main erschienene Ausgabe von Heinrich Peter Rebenstock (1541–1595), die auf der von Joseph Hänel bearbeiteten Tischredensammlung von Anton Lauterbach beruhte, konnte sich dagegen nicht behaupten. Binnen kurzem avancierte die Ausgabe Aurifabers zu einem evangelischen Volks- und Hausbuch, in dem man die viva vox Lutheri zu vernehmen glaubte – wie wir heute wissen, zu Unrecht. Erst im 19. Jahrhundert begann die kritische Erforschung der Tischredenüberlieferung, die sich bezeichnenderweise zunächst am Text Aurifabers abarbeitete. Von 1844 bis 1848 erschien die von Karl Eduard Förstemann (1804–1847) besorgte und von Heinrich Ernst Bindseil (1803– 1876) vollendete kritische Ausgabe der Aurifaber-Sammlung, die den Text der Erstausgabe bot und die späteren Varianten bei Stangwald, Selnecker und in der Walchschen Lutherausgabe verzeichnete.2 Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dann auch die handschriftliche Tischreden-

HELMAR JUNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: D. Martin Luthers Werke. Sonderedition der kritischen Weimarer Ausgabe. Begleitheft zu den Tischreden, Weimar 2000, 25–50 (wieder in: DERS.: Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen. Ausgewählte Aufsätze, Michael Beyer / Günther Wartenberg [Hg.], Leipzig 2001, 154– 176), hier: 25–28). 2 Dr. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia. Nach Aurifabers erster Ausgabe, mit sorgfältiger Vergleichung sowohl der Stangwaldschen als der Selneccerschen Redaction, hg. v. KARL EDUARD FÖRSTEMANN, 1–3. Bde., Leipzig 1844–1846, 4. Bde. hg. v. HEINRICH ERNST B INDSEIL, Berlin 1848. 1

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überlieferung von der Forschung erschlossen. Von 1863 bis 1905 wurden insgesamt sieben vollständige Handschriften mit Tischreden Luthers oder einzelne Sammlungen daraus publiziert. Den Höhepunkt dieser Erschließungsarbeit bildete die große, sechsbändige kritische Edition der Tischreden durch Ernst Kroker (1859–1927)3 – mütterlicherseits ein Nachfahre des Lutherbiographen und Tischredensammler Johannes Mathesius4 – im Rahmen der Weimarer Lutherausgabe; dazu kamen später Nachträge in den Bänden 48 und 59 der WA. Die handschriftliche Überlieferung der Tischreden Luthers, so wie sie sich uns heute darstellt, ist außerordentlich komplex und stellt die Forschung vor besondere Probleme. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass die Tischreden kein definiertes literarisches Werk mit festem Umfang und Textbestand darstellen. Die so überaus wirkungsmächtige Druckausgabe Aurifabers hat in der handschriftlichen Überlieferung mit dem Wolfenbütteler Codex 878 Helmst.5 und dem Gothaer „Codex Besoldi“ (Chart. A 402)6 nur eine vergleichsweise schmale Basis. Tatsächlich repräsentieren die erhaltenen Handschriften, formal gesehen, eine große Zahl recht unterschiedlicher literarischer Werke sowie von sekundären Auszügen, Bearbeitungen und Zusammenstellungen daraus. Die klassischen philologischeditorischen Verfahrensweisen – vergleichende Kollationierung, Feststellung der besten Quellen und Stemmabildung – lassen sich auf die Tischredenüberlieferung folglich nicht in ihrer Breite anwenden. Kroker hat daher in der Tischredenabteilung der Weimarana in Anknüpfung an die Forschungstendenzen des ausgehenden 19. Jahrhunderts einen umgekehrten Weg eingeschlagen: aus einer historischen Rekonstruktion des Überlieferungsprozesses heraus eine Klassifikation von Quellen unterschiedlichen Quellenwertes zu entwickeln und die entsprechenden Stücke dann innerhalb des handschriftlich überlieferten Materials ausfindig zu machen und gesondert zu edieren. Dabei ergibt sich, vereinfacht gesagt, folgendes Bild,7 wobei die Terminologie in der Literatur leicht variieren kann:

S IEGFRIED HOYER: Kroker, Ernst, in: Sächsische Biografie, hg. v. Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von Martina Schattkowsky, OnlineAusgabe: http://www.isgv.de/saebi/ (20.9.2010). 4 Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung. Aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, hg. v. E RNST KROKER, Leipzig 1903 (Schriften der Kgl. Sächsischen Kommission für Geschichte 8), XVII. 5 WA.TR 6, XXXIII–XXXVIII. 6 WA 48, 365–368, 371–384; WA.BR 14, 59f. 7 J UNGHANS : Die Tischreden Martin Luthers, 40–42. 3

Zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers

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1. Am Anfang der Tischredenüberlieferung stehen die „Mitschriften“ – Aufzeichnungen, die von verschiedenen Tischgenossen Luthers unmittelbar während des Gesprächs angefertigt und vermutlich auf lose Zettel und unter Verwendung von Abkürzungen notiert wurden. Die originären Mitschriften dieser Art sind anscheinend ausnahmslos verlorengegangen, wurden wohl auch von ihren Urhebern gar nicht erst aufgehoben. 2. Aus den ursprünglichen Mitschriften haben die Schreiber sodann „Nachschriften“ verfertigt, indem sie die kurzen Aufzeichnungen aus dem Gedächtnis vervollständigt und ggf. mit weiteren Angaben zum Gesprächskontext vervollständigt haben. Solche Nachschriften sollten, so wird gewöhnlich angenommen, in chronologisch richtiger Abfolge fortlaufend in Hefte oder auf einzelne, später zusammengebundene Bögen geschrieben worden sein. Derartige Nachschriften sind von mehreren der Tischgenossen Luthers überliefert – allerdings meistens nicht von deren eigener Hand, sondern in späteren Abschriften. Ausnahmen bilden die erhaltenen eigenhändigen Nachschriften von Veit Dietrich (StB Nürnberg, Cent. V, App. 75) und Georg Rörer (in den Handschriftenbänden der ThULB Jena). 3. Aus den Nachschriften sind drittens die sogenannten „Sammlungen“ hervorgegangen. Dabei muss man sich den Übergang von jenen zu diesen wohl fließend vorstellen. Wir wissen, dass schon die ersten Nachschreiber ihre Notizen untereinander austauschten und mitunter Abschriften aus den Heften anderer in die eigenen Aufzeichnungen eintrugen. Einige Nachschreiber, so vor allem Conrad Cordatus und Johannes Mathesius, haben in großem Umfang Tischreden unterschiedlicher Gewährsleute zusammengetragen und mit ihren eigenen Aufzeichnungen zu großen Sammlungen zusammengefasst. Doch auch unbeteiligte Dritte, die selbst nicht an Luthers Tisch gesessen hatten, trugen schließlich aus den Nachschriften der Tischgenossen Sammlungen von Tischreden zusammen, wobei Stücke unterschiedlicher Provenienz teils säuberlich nacheinander, teils aber auch promiscue nachgeschrieben wurden. Auf der letzten Bearbeitungsstufe wurden solche Sammlungen von ihren Urhebern oder von Späteren nach Sachrubriken thematisch geordnet. Aus den ursprünglich chronikalischen Aufzeichnungen wurden damit endgültig Nachschlagewerke, denen man gezielt Aussprüche Luthers zu Personen und Orten, theologischen Fragen oder praktischen Problemen und zu seiner Biographie entnehmen konnte. Auf dieser Stufe der voll entwickelten Tischreden-Sammlung steht die erste, von Aurifaber veranstaltete Druckausgabe, in die außer Aurifabers eigenen Nachschriften auch solche von Anton Lauterbach, Veit Dietrich,

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Hieronymus Besold, Johannes Schlaginhaufen, Johannes Mathesius, Georg Rörer und anderen eingegangen sind8 und die den Stoff unter 80 Sachrubriken9 darbietet. Die im Falle Aurifabers festzustellende und vielfach zu Recht kritisierte weit gehende Umarbeitung der ursprünglichen Überlieferung lässt sich in unterschiedlichem Umfang in der Tendenz auch schon in den verschiedenen handschriftlichen Sammlungen beobachten. Die Aufgabe der Tischredenforschung im Blick auf die handschriftliche Überlieferung wurde demnach im 19. und 20. Jahrhundert so verstanden, dass es vor allem darauf ankam, die sogenannten Nachschriften der verschiedenen Protokollanten – also im soeben skizzierten Modell die zweite Überlieferungsstufe – in einer möglichst ursprünglichen Gestalt aufzufinden. Die späteren Sammlungen kamen dabei gewöhnlich nur in Betracht, insofern in ihnen womöglich im Einzelfall ein besserer Text erhalten war, oder um aus ihnen mutmaßlich fehlende Stücke sekundär in die überlieferten Nachschriften wieder einzutragen. Dieses Verfahren hat Ernst Kroker in der Tischreden-Abteilung der Weimarer Lutherausgabe konsequent befolgt. Insofern galt und gilt wohl auch gegenwärtig das Hauptaugenmerk der Forschung den sogenannten „Nachschriften“. Ernst Kroker verwendet hierfür den hyperbolischen Begriff der „Urschriften“,10 Michael Beyer spricht vorsichtiger vom „Quellgrund“.11

2. Das Bild der handschriftlichen Tischredenüberlieferung nach der Edition Krokers Die Tischredenedition Krokers in der Weimarer Lutherausgabe ordnet den Stoff weder thematisch an wie die Ausgabe Aurifabers noch durchgehend chronologisch, sondern nach seiner Überlieferung. Jedem der zwanzig „Abschnitte“ der Edition legte Kroker eine bestimmte Überlieferungseinheit zugrunde – vorzugsweise die sogenannten „Nachschriften“ eines bestimmten Tischgenossen und die alten „Sammlungen“ solcher Nachschriften. Strukturprinzip der Krokerschen Ausgabe ist demnach seine Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte. Insofern wurde durch die Tischredenabteilung der Weimarana zugleich ein bestimmtes Bild der Überliefe-

WA.TR 6, XV–XXI. WA.TR 6, 1–369. 10 Z.B. E RNST KROKER : [Allgemeine] Einleitung. In: WA.TR 1, IX–XVI, hier: XI. 11 M ICHAEL B EYER : Tischreden, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, 347–353 passim. 8 9

Zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers

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rungslage transportiert, um nicht zu sagen: kanonisiert. Dieses soll im Folgenden kurz skizziert werden. Insgesamt haben Kroker und seine Mitarbeiter (in WA.TR) sowie Johannes Haußleiter (1851–1928) als Herausgeber nachgetragener Tischreden (in WA 48 und 59) 55 verschiedene Handschriftenbände gekannt und eingesehen,12 von denen sie über 40 für ihre Edition berücksichtigt haben. Ihr besonderes Augenmerk galt dabei, wie erwähnt, den sogenannten Nachschriften. Insgesamt sind uns an die zwanzig Personen namentlich bekannt, die Tischreden Luthers protokolliert haben.13 Von acht dieser Ohrenzeugen sind in der Weimarer Lutherausgabe vermeintliche Nachschriften abgedruckt. Dabei sind die Zuschreibungen Krokers durchaus nicht immer unanfechtbar. Relativ sicher zu identifizieren sind die Nachschriften von Anton Lauterbach, Johannes Mathesius, Veit Dietrich und Johannes Schlaginhaufen. Anton Lauterbach (1502–1569)14 hatte schon zu Beginn der 1530er Jahre zum Kreis der Schüler und Tischgenossen Luthers gehört und seit 1533 als Pfarrer in Leisnig amtiert. Seit 1536 setzte er in Wittenberg seine akademischen Studien fort und zeichnete bis zu seiner Berufung als Superintendent nach Pirna im Jahre 1539 systematisch die Unterredungen an Luthers Tisch auf; auch in den folgenden Jahren nutzte er seine regelmäßigen Besuche in Wittenberg zu weiteren Mitschriften. 147 von Lauterbach in den Jahren 1536 und 1537 protokollierte Tischreden sind in der Gothaer Handschrift Chart. B 169 überliefert, Parallelüberlieferungen mit weiteren, in der Gothaer Handschrift fehlenden Stücken liegen in der Leipziger Mathesius-Handschrift (Rep. III/20aa 2) und der Wolfenbütteler Handschrift 20. 3. vor. Im 6. Abschnitt der Tischredenedition der Weimarana sind insgesamt 251 Tischreden aus diesen drei Handschriften versammelt.15 Lauterbachs Aufzeichnungen aus dem Jahr 1538, für die sich der Titel eines „Tagebuchs“ eingebürgert hat, sind in zwei Dresdener Handschriften vollständig und in zwei weiteren Handschriften anderer Bibliotheken teilweise überliefert. Vollständig finden sie sich in dem Dresdener Manuskript I 423, nach dem sie 1872 von Johann Carl Seidemann (1807–1879) abge-

12 WA.TR 1, XVII–XXV; vgl. die Übersicht in WA 61. Hier nicht verzeichnet sind die von Kroker für den 11. Abschnitt von WA.TR benutzte Münchener Handschrift Clm 10355 (vgl. WA.TR 5, XXII) sowie das Skizzen zu Nachschriften Rörers enthaltende Jenaer Manuskript Ms.Bos.o.17D (vgl. WA.TR 5, XXXIX). 13 J UNGHANS : Die Tischreden Martin Luthers, 38–40. 14 J ULIUS AUGUST W AGENMANN : Lauterbach, in: ADB 18 (1883), 74. 15 WA.TR 3, XI–XXV; 335–496.

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druckt wurden,16 sowie in dem gleichfalls in Dresden aufbewahrten Manuskript A 180, das 1554 von dem Ortrander Pfarrer Kaspar Khummer geschrieben wurde. Teilüberlieferungen enthalten das heute in Berlin befindliche, aus der Schlossbibliothek Wernigerode stammende Ms. germ. 4° 1875 sowie die Münchener Handschrift Clm 939. Alle vier Handschriften scheinen von einer gemeinsamen Vorlage abhängig zu sein. Im 7. Abschnitt von WA.TR ergeben die so überlieferten Stücke 518 Nummern.17 Lauterbachs „Tagebuch“ auf das Jahr 1539 deckt den Zeitraum bis zum 23. Juli, dem Vortag seiner Abreise nach Pirna, ab und umfasst 434 Tischreden.18 Es ist in seiner ursprünglichen Form in der bereits erwähnten Gothaer Handschrift Chart. B 169 überliefert. Breit überliefert sind auch die Nachschriften des Johannes Mathesius (1504–1565)19 aus dem Jahr 1540; in WA.TR umfassen sie 487 Stücke, die dem Zeitraum von Mai bis November des genannten Jahres zugeordnet werden können.20 Sie sind abschriftlich im 8. Abschnitt der bereits erwähnten Leipziger Mathesius-Handschrift enthalten, eines Sammelbandes, den der aus Joachimsthal stammende Magister Johann Krüginger (1521–1571), ein Schüler des Mathesius, nach 1546 aus Vorlagen seines ehemaligen Lehrers abgeschrieben hat. Wenigstens 13 weitere bekannte Handschriften sind von der durch Krüginger repräsentierten Textform abhängig; Kroker hat die Manuskripte vier verschiedenen Überlieferungszweigen zugeordnet. Die insgesamt 656 Stücke umfassenden Nachschriften Veit Dietrichs (1506–1549)21 vom Herbst 1531 bis zum April 1533 sind in einer von Dietrich eigenhändig angefertigten späteren Abschrift überliefert, dem Manuskript Cent. V, App. 75 der Nürnberger Stadtbibliothek.22 Sechs weitere Manuskripte enthalten Abschriften davon, die anscheinend auf ein gemeinsames, leicht überarbeitetes Zwischenglied zurückgehen, das möglicher-

16 M. Anton Lauterbach‘s, Diaconi zu Wittenberg, Tagebuch auf das Jahr 1538, die Hauptquelle der Tischreden Luthers. Aus der Handschrift hg. von J OHANN CARL SEIDEMANN, Dresden 1872. 17 WA.TR 3, XXVII–XLIV; 525–699. 18 WA.TR 4, XIII–XVIII; 219–448 (Nr. 4319–4719). 19 K ARL F RIEDRICH LEDDERHOSE : Mathesius: ADB 20 (1884), 586–589; H ERBERT W OLF: Mathesius, in: NDB 16 (1990), 369f. 20 WA.TR 4, XXVII–XLV; 557–705. 21 J OHANN J AKOB H ERZOG: Dietrich in: ADB 5 (1877), 196f; H ANS R EUTHER : Dietrich, in: NDB 3 (1957), 699. 22 Beschreibung: WA.DB 10 II, 307f., Anm. 63.

Zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers

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weise von Georg Rörer hergestellt wurde.23 Weitere Abschriften finden sich in drei Tischredensammlungen der Münchener Staatsbibliothek.24 Ediert wurden Dietrichs Nachschriften im ersten Abschnitt der Tischredenausgabe der Weimarana.25 Die Nachschriften des Johannes Schlaginhaufen (Turbicida, gest. ca. 1560)26 aus den Jahren 1531–1532 hat Wilhelm Preger (1827–1896) in der von einem unbekannten Abschreiber angefertigten Münchener Handschrift Clm 943 aufgefunden und 1888 ediert.27 Einen besseren Text bietet eine von Georg Rörer angefertigte Abschrift im Jenaer Codex Ms.Bos.q.24s. Die Edition im 3. Abschnitt der Tischredensammlung der Weimarana entnimmt beiden Handschriften insgesamt 657 Stücke.28 Weniger eindeutig als für die bisher genannten ist die Überlieferungslage für die übrigen Nachschreiber an Luthers Tisch. Eine Reihe von 147 Tischreden aus der Leipziger Mathesius-Handschrift wurde von Ernst Kroker als Nachschrift des Freiberger Magisters und späteren Torgauer Superintendenten Kaspar Heydenreich (1516–1586) identifiziert und dem 11. Abschnitt von WA.TR zugrunde gelegt29 und um Reden aus fünf weiteren Handschriften – den Münchener Codices Clm 937, Clm 943 und Clm 10 355, der Halleschen Handschrift D 116 und den Gothaer Handschriftenbänden Chart. B 15/16 – ergänzt. Tatsächlich ist die Autorschaft Heydenreichs nicht mit Sicherheit zu erweisen. Noch unsicherer sind die von Kroker vorgenommenen Identifizierungen von Nachschriften aus der Feder von Hieronymus Weller (1499–1572)30 und Hieronymus Besold (ca. 1500– 1562)31. Seine Identifizierung von angeblichen Nachschriften Nikolaus

23 WA.TR 6, XVI. In WA.TR 1, XXXII nannte Kroker noch Nikolaus Medler als Bearbeiter. – Es handelt sich um die Manuskripte ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c und Ms.Bos.q.24f; FLB Gotha, Chart. B 15/16 und B 148; UB Leipzig Rep. III/20aa; LB Dresden, Ms. A 180d. 24 Clm 937, Clm 939, Clm 943. 25 WA.TR 1, XXVI–XXXVI; 1–308. 26 F RANZ K INDSCHER: Schlaginhaufen, in: ADB 31 (1890), 329–336. 27 Tischreden Luthers aus den Jahren 1531 und 1532. Nach den Aufzeichnungen von Johann Schlaginhaufen. Aus einer Münchner Handschrift hg. v. W ILHELM PREGER, Leipzig 1888. 28 WA.TR 2, IX–XVII; 1–239. 29 WA.TR 5, XXII–XXIX; 115–274. 30 G EORG M ÜLLER : Weller von Molsdorf, in: ADB 44 (1898), 472–476. – Seine vermeintlichen Nachschriften in Abschnitt 6, vgl. WA.TR 3, XV. 31 K ARL S CHORNBAUM : Besold, in: NDB 2 (1955), 179. – Die vermeintlichen Nachschriften in Abschnitt 12: WA.TR 5, XXXII; 297–314. – Im Unterschied zu den „Nachschriften“ (= 2. Stufe des Überlieferungsprozesses) ist die „Sammlung“ (= 3. Stufe) Besolds im Gothaer Codex Besoldi (Chart. A 402) sicher erhalten.

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Medlers (1502–1551)32 ist nachweislich falsch und von Kroker selbst widerrufen worden. Demnach soll es sich nun um Nachschriften Georg Rörers (1492–1557) handeln;33 unausgearbeitete Skizzen zu eigenen Nachschriften Rörers sind anscheinend in dem Jenaer Ms.Bos.o.17D enthalten.34 Als sekundäre Quellen vermeintlich minderer Qualität standen die Sammlungen in der älteren Forschung im Schatten der für origineller befundenen Nachschriften. In der Tischredenabteilung der Weimarer Lutherausgabe sind denn auch sorgfältig alle erreichbaren wirklichen oder vermeintlichen Nachschriften ediert, aber nur vier kleinere Sammlungen. Vier weitere Sammlungen, und zwar gerade die umfangreicheren und verbreiteteren, hat Kroker dagegen editorisch in ihre Einzelstücke aufgelöst, indem er diese, soweit möglich, als sogenannte „abgeleitete Parallelen“ einzelnen Reden in den von ihm abgedruckten Nachschriften zuordnete und anschließend nur noch die übrigen Stücke in eigenen Abschnitten seiner Ausgabe zusammenfasste. Unter den vier Sammlungen, die von Kroker vollständig wiedergegeben werden, steht diejenige von Veit Dietrich und Nikolaus Medler voran;35 sie enthält 546 Reden aus Nachschriften Dietrichs, Medlers und anderer Tischgenossen Luthers aus den Jahren 1531 bis 1536 und wurde anscheinend von Medler, dem späteren Braunschweiger Superintendenten und anhaltinischen Hofprediger, zusammengestellt. Vollständig überliefert ist sie uns durch eine Abschrift Georg Rörers im Jenaer Codex Ms.Bos.q.24 f, zum größeren Teil ferner in vier Handschriftenbänden, die auch die ursprünglichen Nachschriften Dietrichs enthalten;36 anscheinend lag allen fünf Handschriften eine gemeinsame Vorlage zugrunde. Aus der Sammlung des späteren anhaltinischen Kanzlers Ludwig Rabe,37 der von 1535 bis 1538 in Luthers Haus lebte, sind nur 60 Stücke überliefert, die vorwiegend aus dem Jahre 1532 stammen, für das wohl ein erster Studienaufenthalt Rabes in Wittenberg anzunehmen ist. Aufbewahrt sind sie im Gothaer Codex Chart. B 153 sowie – noch weniger vollständig

32 P AUL T SCHACKERT in: Medler, in: ADB 21 (1885), 170; R OBERT S TUPPERICH, in: Medler: NDB 16 (1990), 603f. – Die vermeintlichen Nachschriften im Anhang zum 1. Abschnitt: WA.TR 1, XXXIVf; 309–330. 33 WA.TR 6, XVII. – Zu Rörer vgl. E DUARD J ACOBS , Rörer, in: ADB 53 (1907), 480– 485; Ernst Koch: Rörer: NDB 21 (2003), 735f. 34 WA.TR 5, XXXIX. 35 WA.TR 1, XXXVII–XLI; 331-614 = 2. Abschnitt. 36 LB Dresden, Ms. A 180 d ; FLB Gotha, Chart. B 15/16 und B 148; UB Leipzig Rep. III/20aa. 37 WA.TR 2, XVIII–XX; 251–272 = 4. Abschnitt.

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– in der Handschrift 20 994 4 des Germanischen Nationalmuseums, die 1892 von Georg Loesche (1855–1932) ediert wurde.38 Der spätere Stendaler Superintendent Konrad Cordatus (1480–1546)39 war nach seiner eigenen Angabe der erste regelmäßige Nachschreiber an Luthers Tisch gewesen.40 Dazu passt, dass Cordatus seine eigenen Nachschriften anscheinend von Anfang an mit denen seiner Tischgenossen zu einer Sammlung41 verbunden hat. Die in großer Zahl aufgenommenen fremden Stücke stammen vor allem von Veit Dietrich und Johannes Schlaginhaufen, aber auch von Anton Lauterbach und aus der Sammlung von Dietrich und Medler. Cordatus hat in der Anordnung seiner Stoffe die Chronologie recht gut eingehalten; die von ihm überlieferten Reden entstammen dem Zeitraum vom Sommer 1531 bis zum Oktober 1534. Im Jahre 1536 oder 1537 hat Cordatus dann seine ursprüngliche Sammlung überarbeitet und dabei redaktionell nicht unerheblich in den Text eingegriffen. Der ursprünglichen Version nahe steht das Berliner Ms.theol.lat.qu.97. Demgegenüber repräsentiert das Manuskript Calvör Ze 20 der Universitätsbibliothek Clausthal-Zellerfeld die überarbeitete Fassung von 1536/37; 1885 wurde es von Hermann Wrampelmeyer (*1843) publiziert.42 Zahlreiche Parallelen zu den bei Cordatus überlieferten Stücken finden sich in der von dem Dresdener Manuskript A 180 und dem Leipziger Manuskript Rep. III/20aa repräsentierten Handschriftenfamilie. Die vierte in der Weimarana vollständig wiedergegebene Tischredensammlung ist die sogenannte Sammlung Khummer.43 Dabei ist der Ortrander Pfarrer Khummer offensichtlich nicht der Sammler gewesen, sondern nur der Schreiber einer der drei Handschriften, in denen die Sammlung erhalten ist. In ihrem ersten Teil enthält sie um die 300 Tischreden der 1530er Jahre von Cordatus, Dietrich und aus der Sammlung Dietrichs und Medlers, im zweiten Teil Nachschriften, die Anton Lauterbach bei seinen Besuchen in Wittenberg in der ersten Hälfte der 1540er Jahre angefertigt hatte. Überliefert ist die Sammlung in drei miteinander verwandten Hand-

38 G EORG LOESCHE (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnung des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892. 39 G USTAV LEOPOLD P LITT: Cordatus, in: ADB 4 (1876), 475f; ERNST K ÄHLER : Cordatus: in: NDB 3 (1957), 356f. 40 WA.TR 2, 310f (Nr. 2068). 41 WA.TR 2, 273–672; 3, 1–308 = 5. Abschnitt. 42 Tagebuch über D. Martin Luther geführt von D. Conrad Cordatus 1537. Zum ersten Male hg. von H[ERMANN] WRAMPELMEYER, Halle 1885. 43 WA.TR 4, XXI–XXIV; 471–556 = 9. Abschnitt.

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schriften, die alle auch Lauterbachs Tagebuch des Jahres 1538 enthalten: dem Dresdener Ms. A 180, dem Berliner Ms.germ.qu.1875 und der Münchener Handschrift Clm 939. Aus vier weiteren Tischredensammlungen haben die Editoren der Weimarer Ausgabe nur jene Stücke herausgelöst, für die sie in der sonstigen Überlieferung keine Parallelen nachweisen konnten. Dies betrifft zunächst die große Leipziger Mathesius-Handschrift (Rep. III Fol. 20aa), die Kroker allerdings 1903 bereits einmal vollständig ediert hatte.44 In die Tischredenedition der Weimarana nahm er im 6., 8., 9., 10., 11. und 12. Abschnitt unter Auflösung des ursprünglichen Zusammenhangs der Handschrift jeweils nur eine Auswahl von Reden zur Vervollständigung der Nachschriften einzelner Autoren auf. Nicht anders verfuhr er mit der auf den Nachschriften Anton Lauterbachs basierenden, thematisch geordneten Sammlung. Eine Reihe von Stücken hat Parallelen bei Schlaginhaufen und Mathesius und in den Sammlungen von Dietrich/Medler und Cordatus, ohne dass feststellbar wäre, beim wem jeweils die Priorität liegt. Auffallendstes Charakteristikum ist die thematische Ordnung der Sammlung Lauterbach. Glaubte man früher, Lauterbach selbst habe die Neuordnung seiner Nachschriften vorgenommen, so kann inzwischen auf Grund einer Nachricht Rörers als gesichert gelten, dass Joseph Hänel, Pfarrer in Hohnstein bei Pirna und somit einer der Lauterbach unterstellten Geistlichen, die Umarbeitung in den Jahren 1551 bis 1556 besorgt hat; dabei hat er nicht selten den vorfindlichen Text variiert und auch zahlreiche fremde Stücke wie Briefe, Gutachten oder Predigten mit einfließen lassen. Überliefert ist die Sammlung in der Halleschen Handschrift D 116, die in den Jahren 1863 bis 1866 von Heinrich Ernst Bindseil publiziert wurde.45 Eine ganz ähnliche Handschrift muss der 1571 erschienenen zweibändigen Tischredenausgabe des Eschersheimer Pfarrers Heinrich Peter Rebenstock46 zugrunde gelegen haben; nur dass Rebenstock die deutschsprachigen Anteile der Reden konsequent ins Lateinische übersetzt hatte. In die Weimarana hat Kroker nur knapp ein FünfLuthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung (s.o. Anm. 3). Martin Luther: Colloquia, meditationes, consolationes, judicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae e codice MS. Bibliothecae Orphanotrophii Halensis cum perpetua collatione editionis Rebenstockianae […] edita ab HENRICO ERNESTO B INDSEIL. 3 Bde., Lemgo / Detmold 1863, 1864, 1866. 46 Colloquia, meditationes, consolationes, consilia, iudicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae D. Mart. Luth. piae & sanctae memoriae in mensa prandii & coenae, & in peregrinationibus, observata & fideliter transcripta non ex Aurifabri, sed ex alterius collectione, ante annos 10 ad aeditionem parata, sed hactenus propter certas causas suppressa ... 2 Bde., Frankfurt a.M. 1571. 44 45

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tel der Sammlung Lauterbach aufgenommen – nämlich jene 518 Reden, zu denen er sonst keine Parallelen fand.47 Dasselbe Editionsverfahren hat Kroker auch im 6. Band der Tischredenedition auf die nur im Druck vorliegende Sammlung Aurifabers angewandt; auch hier wird wieder nur das gute Fünftel der nicht anderweitig überlieferten Reden – insgesamt immerhin 567 Stücke – abgedruckt.48 Nicht anders ist dann auch 1927 Johannes Haußleiter verfahren, als er im 48. Band der Weimarana aus dem Gothaer Codex Besoldi (Chart. A 402) 117 neue, bislang nicht bekannte Tischreden mitteilte.49 Der zugrundeliegende Gothaer Codex repräsentiert eine in 93 Sachabteilungen untergliederte Tischredensammlung der beiden Nürnberger Veit Dietrich und Hieronymus Besold. Den 1431 Stücke umfassenden Grundstock hat Dietrich vor 1548 aus Vorlagen von Rörer, Schlaginhaufen, Cordatus und Weller zusammengestellt. Besold hat diese Sammlung dann für sich abschreiben lassen und um 595 weitere Stücke erweitert, die auf eigene Nachschriften Besolds und solche Heydenreichs zurückgehen. Der heute in Gotha befindliche Codex ist Besolds eigenes Exemplar; er wurde 1551 fertiggestellt. In der Textzusammenstellung verwandt mit dem Codex Besoldi ist die Hamburger Handschrift Sup. ep. (4) 73.50

3. Perspektiven für eine künftige Editionsarbeit Auch wenn die Tischredenedition Krokers (und Haußleiters) auf absehbare Zeit unentbehrlich bleiben wird, vermag sie modernen Anforderungen doch nur bedingt zu genügen. Vier Mängel sind aus heutiger Sicht zu konstatieren: 1. Die Edition in der Weimarana ist unvollständig. Sie beruht auf nur rund 40 Handschriften, von denen gerade einmal 20 vollständig kollationiert wurden.51 Inzwischen hat sich durch Neufunde die Quellenbasis noch erheblich vergrößert; unsere eigene, vorläufige Aufstellung52 umfasst

WA.TR 5, 425–701 = 19. Abschnitt. Vgl. WA.TR 3, XXXI–XXXIII; 5, XL–XLIV. WA.TR 6, 1-369 = 20. Abschnitt. Sonst sind Aurifabers Texte als Parallelen den anderweitig überlieferten Tischreden zugeordnet. 49 WA 48, 684–705. 50 Vgl. WA 48, 714f. 51 Die vollständig kollationierten Handschriften sind in der Übersicht in WA.TR 1, XVII–XXV mit einem Stern markiert. 52 Vgl. Artikel: „Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers“ in diesem Band. 47 48

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schon 110 Handschriften. Damit ist nun eine Anzahl weiterer, bisher unbekannter Texte zugänglich. Zugleich bedarf das von Krokers Edition gezeichnete Bild der Überlieferungslage (s.o. 2) einer Revision. 2. Grundlagen der Stoffanordnung und der editorischen Urteile sind in Krokers Ausgabe die dreistufige Rekonstruktion des Überlieferungsgeschehens und die Zuordnung der verwendeten Handschriften zu verschiedenen Nachschreibern oder Sammlern bzw. zu den auf diese zurückgehenden Überlieferungsfamilien. Dabei bleiben viele Rekonstruktionen ursprünglicher literarischer Zusammenhänge und viele Zuschreibungen an bestimmte Protokollanten oder Redakteure notwendig hypothetisch. Insgesamt wird so ein hoch spekulatives Bild der Handschriftenüberlieferung erzeugt, das falsche Gewissheiten suggeriert und die Erforschung der Textgeschichte mit unnötigen Hypotheken belastet. Besser wäre es, die fragwürdigen Zuschreibungen zugunsten einer unbefangenen Arbeit am Text zurückstellen. 3. Durch Krokers Editionsverfahren, das nach den ursprünglichsten Überlieferungen fragt und so uneingestanden der Suche nach der ipsissima vox Lutheri verpflichtet ist, werden regelmäßig die vorfindlichen Überlieferungseinheiten zerrissen und nach Maßgabe des leitenden Theoriekonstrukts willkürlich als Quelle für längere oder kürzere Reihen von Reden oder auch nur für Einzelstücke ausgebeutet. Die den späteren Handschriften zugrundeliegenden redaktionellen Eingriffe und der dahinterstehende Gestaltungswille und die Intention der Tradenten werden als störende Verfälschungen ausgeblendet. Tatsächlich greift es jedoch zu kurz, die Handschriften nur auf die ältesten Überlieferungsgestalten, ja womöglich auf die vox Lutheri, abzuhören. Vielmehr müssen sie auch als Zeugnisse ihrer eigenen Zeit ernstgenommen werden. Dies lässt sich besonders eindrucksvoll an der Sammlung Aurifabers zeigen, die eine schlechte Quelle für die vox Lutheri sein mag, aber eine hervorragende Quelle für die LutherMemoria der Gnesiolutheraner darstellt. 4. Eine künftige Editionsarbeit an der handschriftlichen Überlieferung von Luthers Tischreden müsste meines Erachtens eine doppelte Zielrichtung verfolgen: Einerseits müsste sie alle Handschriften in ihrer je konkreten Gestalt als Ergebnis eines bestimmten Überlieferungsprozesses und einer bestimmten historischen Konstellation erkennbar werden lassen. Das hieße, ganze Handschriften im Zusammenhang zu edieren – ganz ähnlich, wie es in der Anfangszeit der Erforschung der Tischreden-Handschriften Wrampelmeyer, Loesche oder noch 1903 Kroker getan haben. Andererseits aber müsste der Rückgang auf die einzelnen Überlieferungselemente, also sozusagen die Atomisierung der Tischredenüberlieferung, wie sie in der Tischreden-Abteilung der Weimarana begonnen wurde, konsequent fortgeführt werden. Am Ende müssten dann Zusammenstellungen der einzelnen

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Überlieferungsstücke stehen, die jeweils als primäre oder sekundäre Quellen für eine bestimmte Redesituation an Luthers Tisch oder für eine bestimmte Äußerung des Reformators in Frage kommen. Diese beiden Forderungen sind nur scheinbar unvereinbare Gegensätze. Mit Hilfe moderner EDV-gestützter Editionstechnik sollte sich beides unschwer kombinieren lassen. Dabei müsste keineswegs die Edition der gesamten Handschriftenüberlieferung auf einmal in Angriff genommen werden. Es wäre ausreichend, zunächst in einem auf Zuwachs angelegten Pilotprojekt an einigen hervorragenden Handschriften die erforderlichen Editionsgrundsätze zu entwickeln und die Strukturen zu schaffen, die dann über eine längere Frist weitere Ergänzungen erlauben.

Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden Martin Luthers WOLF-FRIEDRICH SCHÄUFELE Im Folgenden wird erstmals seit der Liste in WA.TR 1, XVII–XXV wieder eine umfassende Übersicht über die handschriftliche Überlieferung von Luthers Tischreden vorgelegt. Die Ermittlung des Materials geschah überwiegend anhand der gedruckten oder webbasierten Handschriftenkataloge deutscher und ausländischer Bibliotheken. Eine Reihe dieser Kataloge ist mittlerweile über das Internet-Portal „Manuscripta Mediaevalia“ zugänglich.1 Für die Beschreibung einzelner Bände konnte zusätzlich auf die Handschriftenübersicht zur Abteilung „Briefwechsel“ der Weimarer Lutherausgabe zurückgegriffen werden (WA.BR 14, 10–174, 175–282). Ferner wurde die einschlägige Sekundärliteratur ausgewertet, an mehrere Bibliotheken wurden gezielte Anfragen gerichtet. Neben Handschriften, die ausschließlich Tischreden enthalten, wurden auch solche Sammelbände aufgenommen, die nur einzelne Tischreden oder tischredenähnliche Stücke bieten. Hinweise auf ehedem bezeugte, aber heute nicht mehr nachweisbare Tischredenbände wurden nicht aufgenommen; Ausnahmen wurden nur bei solchen Bänden gemacht, die für die Edition in WA.TR benutzt wurden (Stadtbibliothek Breslau, R 295 2; Privatbesitz G. Hirzel, Leipzig) oder in modernen Handschriftenkatalogen noch verzeichnet sind (SUB Hamburg, Cod. theol. 2200). Den Editoren der Tischreden Luthers in der Weimarer Ausgabe, Ernst Kroker und Johannes Haußleiter, waren insgesamt 55 Handschriftenbände mit Tischreden bekannt; von diesen haben sie gut 40 für die Edition verwendet, aber nur 20 vollständig kollationiert. Die hier vorgelegte Liste enthält bereits 110 Bände. Gleichwohl ist sie mit Sicherheit immer noch unvollständig. Mit der fortschreitenden Erschließung der Handschriften1 http://www.manuscripta-mediaevalia.de (17.9.2010). – Für den Hinweis auf diese Ressource danke ich Herrn Bibliotheksrat Dr. Timo Glaser (Marburg), für Unterstützung bei den Internet-Recherchen meiner studentischen Hilfskraft, Herrn stud. theol. et phil. Stefan Michels (Marburg).

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bestände großer wie kleinerer Bibliotheken werden weitere Funde hinzukommen. Dies gilt nicht nur für die Ersterschließung bislang nicht erfasster Bestände. Auch durch die verfeinerte Methodik der modernen Handschriftenkatalogisierung werden immer wieder Tischreden in bereits bekannten Sammelbänden neu aufgefunden. Wegweisend für die Tischredenforschung sind zwei groß angelegte, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Katalogisierungsprojekte in Gotha und Jena. An der Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha werden seit 2004 die 314 sogenannten Reformationshandschriften erfasst; die Ergebnisse sind in der Handschriftendatenbank HANS verfügbar.2 In Jena wurde zwischen 2008 und 2011 die handschriftliche Sammlung Georg Rörers in der Thüringischen Universitäts- und Landesbibliothek erschlossen und digitalisiert; auch hier sind die bisherigen Ergebnisse bereits online einsehbar.3 Von beiden Projekten hat die nachfolgende Übersicht sehr profitiert. Von den 107 erhaltenen der im Folgenden verzeichneten 110 Handschriftenbände liegen 10 in ausländischen Bibliotheken: fünf in der British Library in London, drei in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien und je einer in der Bibliothek der Lettischen Akademie in Riga und in der Vatikanischen Bibliothek in Rom. Die übrigen 97 Handschriften sind im Besitz von 22 verschiedenen deutschen Bibliotheken. Über die Hälfte davon verteilt sich auf nur drei Bibliotheken: die Forschungsbibliothek Gotha, die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena und die Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Darüber hinaus gibt es auch in Dresden, Leipzig, München und Berlin eine größere Anzahl von Manuskripten mit Tischreden Luthers. Eine Autopsie der Bände war in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten. Formal sind die Beschreibungen ebenso heterogen wie die benutzten Quellen. Sie können daher nicht mehr als eine erste Handreichung für weitere Forschungen sein. Alle etwaigen Fehler fallen in die alleinige Verantwortung des Bearbeiters, nicht der Herausgeber dieses Sammelbandes.

2 http://hans.uni-erfurt.de/hans/index.htm (17.9.2010). Vgl. den Beitrag von DANIEL GEHRT in diesem Band. 3 Dazu: CHRISTIAN SPEER: Die Sammlung Georg Rörers (1492–1557). Ein interdisziplinäres und multimediales Erschließungsprojekt an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, in: Malte Rehbein/Patrick Sahle/Torsten Schassan (Hg.): Kodikologie und Paläographie im Digitalen Zeitalter – Codicology and Palaeography, in: the Digital Age, Norderstedt 2009 (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 2), 25–34. http://www.urmel-dl.de/Projekte/SammlungGeorgRörer.html (17.9.2010). Vgl. den Beitrag von STEFAN MICHEL in diesem Band.

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Berlin, Staatsbibliothek preussischer Kulturbesitz Ms. germ. oct. 442 Papier; Oktav; 207 Blätter geschrieben 1554 von Ignatius Goeldelius, seit 1564 Pastor und Superintendent in Allendorf Superexlibris: „[Ignatius] G[oeldelius] 1555“; Innenseite des Rückdeckels: „Sum Ignatii Göldelii Ao. 1555.“ fol. 78r: „Quaedam dicta insignia obiter excepta ex ore D. Martini Lutheri in mensa et conuiuiis ab eo narrata.“ Nachschriften von Johannes Mathesius aus dem Jahre 1540; teils lateinisch, teils deutsch von der Preußischen Staatsbibliothek 1907 aus der Bibliothek von Joachim Karl Friedrich Knaake (1835–1904) erworben; vgl. Oswald Weigel: Bibliothek J. K. F. Knaake. Katalog der Sammlung von Reformationsschriften des Begründers der Weimarer Lutherausgabe J. K. F. Knaake. Abtheilung IV: Historische Theologie, besonders Geschichte des Reformationszeitalters. Versteigerung 15.–17. Oktober 1907, Leipzig 1907, Nr. 432 Sigel in WA.TR: Goeld.; für die Edition nicht benutzt Hermann Degering: Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preussischen Staatsbibliothek. Bd. III. Die Handschriften in Oktavformat und Register zu Band I–III, Leipzig 1932, 146. – WA.TR 1, XIX; WA 4, XXXVIII. Ms. germ. qu. 1875 Papier; Quart; 300 paginierte und 23 nicht paginierte Blätter Vorblatt: „Meditationes et Colloquia D. Lutheri“ fol. 1–221 sind eine Abschrift der Sammlung Caspar Khummers, fol. 222– 300 eine Abschrift von Anton Lauterbachs Tagebuch auf das Jahr 1538 ursprünglich in der Stolbergischen Bibliothek Wernigerode (Signatur: Zd. 77); 1931 von der Preußischen Staatsbibliothek erworben Sigel in WA.TR: Wern. Ernst Förstemann: Die Gräflich Stolbergische Bibliothek zu Wernigerode, Nordhausen 1866, 121; Johann Carl Seidemann (Hg.): M. Anton Lauterbach’s, Diaconi zu Wittenberg, Tagebuch auf das Jahr 1538. Die Hauptquelle der Tischreden Luther’s, Dresden 1872, III. – WA.TR 1, XXV; 3, XXVIIIf; WA.BR 14, 104; WA 61, 149, 161.

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Ms. theol. lat. qu. 97 frühere Signatur: J 79 Papier; Quart, ca. 18 x 13 cm; 309 Blätter; in einem Pergament-Umschlag aus einer alten liturgischen Handschrift dreiteiliges Sammelwerk, geschrieben 1566/67 von Sebastian Redlich aus Bernau (Mark Brandenburg; zu ihm WA.BR 14, 315) fol. 1: „Die Herliche Schöne vnnd Liebliche Apophtegmata, des Ehrwirdigen vnnd Hochgelarthenn Hernn Docto. Martinj Lutherj, zusammengeschriebenn, Per Dominum Doctorem Conradum Cordatum. Haec varia et utilissima dicta sanctissimi Viri Doctoris Martini Lutheri, scribebat sibi Sebastian. Redlich Bernoensis. Anno a partu Virgineo. M. D. LXVI. Mense Martio.“ fol. 133v: „Finis Colloquiorum familiarium D. Lutheri.“ fol. 222: „Sebastianus Redlich Bernoensis Scribebat Anno M. D. LXVII.“ Abschrift der Sammlung des Conrad Cordatus auf fol. 2 Nachträge Redlichs aus Aurifabers Tischreden-Ausgabe von 1566 Sigel in WA.TR: Cord. B Hermann Wrampelmeyer (Hg.): Tagebuch über D. Martin Luther geführt von D. Conrad Cordatus 1537, Halle 1885, 13f, 26f; Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 4, 7, 23f; Valentin Rose: Verzeichniss der Lateinischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Zweiter Band: Die Handschriften der Kurfürstlichen Bibliothek und der Kurfürstlichen Lande. Dritte Abteilung, Berlin 1905 (Die Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin 13), 1358f, Nr. 68. – Peter Meinhold, Die Genesisvorlesung Luthers und ihre Herausgeber, Stuttgart 1936 (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 8), 225f. – WA.TR 1, XVIII; 2, XXVI–XXVIII; 3, IX; 4, XLIII; WA.BR 14, 138. Ms. Diez. C qu. 88 Papier; Quart, 25 x 20 cm; 278 Blätter 18. Jahrhundert dritter von drei einzeln signierten Bänden „Varia Collectanea Stoeteroggii“ (Mss. Diez. C qu. 86–88) mit Auszügen aus Büchern, Zeitschriften und Zeitungen aller Wissensgebieten

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geschrieben von dem Lüneburger Patrizier Leonhard Georg von Stöterogge (Stötteroggen, geb. 1671) oder dessen Bruder Hieronymus Hartewich von Stöterogge (geb. 1672) fol. 51r–92v: Luthers Tischreden in Auszügen (nach Aurifaber?), mit Anmerkungen nicht in WA.TR Ursula Winter: Die europäischen Handschriften der Bibliothek Diez. Teil 3: Die Manuscripta Dieziana C, Wiesbaden 1994, 121f.

Breslau, Stadtbibliothek R 295 2° (Codex Rhedigeranus Fol. 295) untergegangen (Kriegsverlust 1945) Papier; Folio; 257 Blätter; ca. 1560 Titel: „Collectanea ex Lutheri et Melanchthonis disputationibus etc.“ enthält ohne erkennbare Ordnung Briefe und Tischreden Luthers, ferner Disputationen, Gutachten, 9 Briefe Melanchthons und Dicta Melanchthonis aus der 1645 der Stadt Breslau übergegebenen und 1865 in der Breslauer Stadtbibliothek aufgegangenen Bibliothek der Patrizierfamilie Rehdiger (Rhediger) Sigel in WA.TR: Rhed. Gustav Koffmane: Zu Luthers Briefen und Tischreden: ThStKr 58 (1885), 131–138, hier: 141–148. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 25f. (Nr. 11); WA.TR 1, XXII; 4, XV und XXXVIII; 5, XXVIII; WA.BR 14, 23.

Clausthal-Zellerfeld, Universitätsbibliothek Calvör Ze 20 Papier; 365 Blätter; 1536/37 darin: Abschrift der Tischredensammlung des Konrad Cordatus; ferner zwei Autographen Luthers von 1535 und 1537 sowie einer Melanchthons niedergeschrieben 1536/37 von Cordatus selbst (?); 1885 ediert von Hermann Wrampelmeyer (s.u.); Sigel in WA.TR: Cord.

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bald nach der Niederschrift erworben von Andreas Rein (gest. vor 1577; zu ihm WA.TR 2, XXI Anm. 1; WA.BR 14, 315); 1664 im Besitz eines Adeligen Johann Otto von B…, später in der Bibliothek von Caspar Calvör (1650–1725) als Teil der Calvörschen Kirchenbibliothek Zellerfeld (frühere Signatur: I A 2,43 4) seit 1963 in der Bibliothek der TU Clausthal Sigel in WA.TR: Zell.; liegt dem 5. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 2, 273–3, 308) Hermann Wrampelmeyer: Mitteilungen und Bekanntmachungen aus gedruckten und ungedruckten Schriften Dr. Martin Luthers, Dr. Philipp Melanchthons und Dr. Conrad Cordatus, nebst einer Abhandlung über die in der Calvör‘schen Kirchenbibliothek in Zellerfeld aufgefundene Handschrift, sowie über das Leben und die Schriften des Dr. Conrad Cordatus. In: Festschrift des Königlichen Gymnasiums zu Clausthal zum LutherJubiläum am 10. November 1883, Clausthal 1883, 1–26. – Hermann Wrampelmeyer (Hg.): Tagebuch über D. Martin Luther geführt von D. Conrad Cordatus 1537, Halle 1885, 5–9. – Paul Drews/Ferdinand Cohrs (Hg.): Supplementa Melanchthoniana. Abteilung 5: Schriften zur praktischen Theologie. Teil 2: Homiletische Schriften, Leipzig 1929, (ND Frankfurt a.M. 1968), LVI–LXIII. – WA.TR 1, XVIII, XXV; 2, XXI– XXVI; WA.BR 14, 27; WA 38, 326; 45, XXXVIII.

Dessau, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau Z 6, Nr. 897 Folio; 39 Seiten Titel: „Luther, Briefe, Sentencien, Epitaphium. 1530–1546“ von verschiedenen Händen geschriebene Einzelstücke; enthält abschriftlich: Seite 19–39: ursprünglich selbständige, von einer Hand geschriebene Lage mit Luther- und Melanchthonbriefen, Aktenstücken und (auf Georg Rörers Überlieferung zurückgehenden) Tischreden Luthers zum Abendmahlsstreit; darin: „De sacramentis“ = zusammengesetzter Text aus WA.TR 1, 234, 17–20 (Nr. 513); 230, 3–6 (Nr. 505); 235, 16–236, 9 (Nr. 515); 237, 22–238, 7 (Nr. 517); 238, 10–239, 15 (Nr. 518); 37, 5–7 (Nr. 96); 35, 14–36, 8 (Nr. 94); 39, 1–7 (Nr. 102); 41, 18–21 (Nr. 111) „De consecratione et missis priuatis“ = WA.TR 1, 309, 10–310, 16 (Nr. 659); CR 1, Nr. 516.

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der Band war nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelagert im Staatlichen Archivlager Göttingen, Gesamtarchiv Anhalt-Zerbst (Signatur: Nr. 897); jetzt in der Abteilung Dessau des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt WA.BR 14, 51f.

Dessau, Wissenschaftliche Bibliothek Ms. Georg 108 aus der von Fürst Georg III. von Anhalt-Dessau (1507–1553) begründeten sog. Fürst-Georg-Bibliothek nicht in WA.TR s. den Beitrag von ERNST KOCH in diesem Band.

Dinkelsbühl, Stadtarchiv B 85 ehemalige Signatur: B 277 4° Papier; 189 Blätter (davon 112 beschrieben); Mitte 16. Jahrhundert; Umschlag aus Schweinsleder fol. 1r: „Etlich Ratschlege. Missiuen vnd vertreg“ fol. 84r–v = WA.TR 1, 312f. (Nr. 663) fol. 84v = WA.TR 1, 313f. (Nr. 664) fol. 84v–112r: Sammlung von 117 nummerierten Tischreden Luthers, von dem 1553 in Wittenberg immatrikulierten Magnus Gallus (1534–1575; zu ihm Jordan, Neue Briefe, s.u., 170f. Anm. 2; WA.BR 14, 297) aus Kirchheim bei Nördlingen angelegt, von dem Dinkelsbühler Bürgermeister Michael Bauer (Agricola, ca. 1495–ca. 1563; zu ihm Jordan, a.a.O., 172–174; WA.BR 14, 285) zum größten Teil vor 1548 abgeschrieben, nach 1554 vollendet Überschrift fol. 84v: „Sequuntur quaedam consilia Lutheri et alia ex ore eius excerpta in privatis colloquiis, Item quaedam Judicia Philip. Melanch. Item Epistolae de varijs negotijs. Nota. Auff D. M. Luth. haushaltung ist Jerlich iijc gulden fur fleisch, ijc gulden fur Bier, L gulden für Brot gegangen. Magnus Galli Ötingensis. Anno ab orbe [sic!] Incarnato 1554. Inceptum in die N[ativita]tis domini nostri Iesu Christi Witenberge. A q[uo] ego M[ichael] Agr[icola] scripsi.“ zuvor im Archiv der Kirchenpflege Dinkelsbühl Sigel in WA.TR: Dink.

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Hermann Jordan: Neue Briefe vom Reichstag zu Augsburg 1530, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 18 (1912), 159–180, hier: 159– 174. – WA.TR 4, XXXVIIf.; WA.BR 14, 31.

Dresden, Sächsische Landesbibliothek Mss. A 91 und A 92 Papier; Folio; VI, 283 Blätter und XI, 356 Blätter „Martini Lutheri Colloquia, meditationes, consolationes, consilia, iudicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae in mensa prandij et coenae et in peregrinationibus obseruata et fideliter transcripta“ Sigel in WA.TR: Dresd. A. 91. 92.; für die Edition nicht benutzt Johann Carl Seidemann (Hg.): M. Anton Lauterbach’s, Diaconi zu Wittenberg, Tagebuch auf das Jahr 1538. Die Hauptquelle der Tischreden Luther’s, Dresden 1872, IVf. – Franz Schnorr von Carolsfeld: Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden. Bd 1. Korrigierte und verbesserte, nach dem Exemplar der Landesbibliothek photomechanisch hergestellte Ausgabe des Kataloges der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Dresden 1979, 41f. – WA.TR 1, XIX. Ms. A 180 Quart; 447 Blätter; Halbpergamentband mit Holzdeckeln Titel: „Apo[ph]t[h]egmata Reverendi Patris Martini Lutheri. Describenda curavit Caspar Khumer pastor ecclesiae dei in Orttrandt 1554.“ fol. 253r: „Laus Deo. Anno Domini 1554 dominica post Exaltationis crucis, quae erat 17. dominica post Trinitatis, haec apotegmata exscripsi et finem imposui CK.“ fol. 426r: „Exscripsi ac finem imposui 22. die Novembris 1554 Caspar Khumer, pastor ecclesiae Dei in Orttrandt“ 1554 von dem aus Niederösterreich gebürtigen ehemaligen Wittenberger Studenten Caspar Khummer (gest. vor 1575), Pfarrer in Ortrand, angelegte und größtenteils eigenhändig abgeschriebene zweiteilige Sammlung von Tischreden („Sammlung Khummer“); der erste Teil aus Lauterbachs Tagebuch auf das Jahr 1538; im zweiten Teil Nachschriften von Cordatus, Veit Dietrich, Nikolaus Medler und Anton Lauterbach Sigel in WA.TR: Khum. liegt dem 9. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 4, 471–548) Franz Schnorr von Carolsfeld: Über die Dresdner Handschriften der Tischreden Luthers: Ser. 31 (1870), 168–174. – Johann Carl Seidemann (Hg.): M. Anton Lauterbach’s, Diaconi zu Wittenberg, Tagebuch auf das Jahr

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1538. Die Hauptquelle der Tischreden Luther’s, Dresden 1872, IX. – Franz Schnorr von Carolsfeld: Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden. Bd 1. Korrigierte und verbesserte, nach dem Exemplar der Landesbibliothek photomechanisch hergestellte Ausgabe des Kataloges der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Dresden 1979, 77. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 25, Nr. 9. – WA.TR 1, XX; 3, XXIXf.; 4, XXI– XXIV; WA 51, 454; WA.BR 14, 34. Ms. A 180d Quart; 432 Blätter Titelblatt: „Colloquia Lutheri conscripta a quibusdam, et alia quaedam addita sunt. Thesaurus theologiae 1543. Christophorus Obenander. Studio[sus] Wittem[bergensis] ao. [15]44.“ fol. 120r–328r: Tischreden Luthers, v.a. aus der Sammlung Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers fol. 120r: „Dicta quaedam ex ore Doctoris Martini in familiarib: colloquijs annotata.“ fol. 432r (fol. 403–431 leer): „Ego Christophorus Euand[er al]ias Obenan[der] … 1548 … Mense Febr. … promotus sum in Magistrum“ usw. (autobiograph. Notizen) von dem späteren Superintendenten von Wunsiedel und Schwiegersohn Nikolaus Medlers Christoph Obenander (Euander, 1526–1568; zu ihm Seidemann, Je ein Brief, s.u., 704; WA.BR 14, 311) in seiner Wittenberger Studienzeit (1543–1548) begonnene Sammlung Anfang des 19. Jahrhunderts im Besitz des Leipziger Juristen Christian Friedrich Eberhard (1753–1818), danach des Verlegers Carl August Schwetschke (1756–1839) in Halle und des Lutherforschers Heinrich Ernst Bindseil in Halle (1803–1876); 1877 aus dem Nachlass Bindseils in die LB Dresden gelangt; schwere Wasserschäden, 1945 neu eingebunden Sigel in WA.TR: Oben. CR 1, Sp. CXIf., Nr. 83. – Heinrich Ernst Bindseil (Hg.): Martini Lutheri colloquia, meditationes, consolationes, judicia, sententiae, narrationes, responsa, facetia …, Bd. 1, Lemgo/Detmold 1863, CXXIIf. – Johann Carl Seidemann: Je ein Brief von Amsdorf, Eck und Luther, in: ThStKr 51 (1878), 697–708, hier: 697–706. – Franz Schnorr von Carolsfeld: Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Bd 1. Korrigierte und verbesserte, nach dem Exemplar der Landesbibliothek photomechanisch hergestellte Ausgabe des Kataloges der Königlichen Öf-

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fentlichen Bibliothek zu Dresden, Dresden 1979, 78. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 23f. – Paul Drews / Ferdinand Cohrs (Hg.): Supplementa Melanchthoniana. Abteilung 5: Schriften zur praktischen Theologie, Teil 2: Katechetische Schriften, Leipzig 1915, (ND Frankfurt a.M. 1968), LXIIIf. – WA.TR 1, XXII, XXVIII–XXXIII, XXXVIIIf.; 4, XVI; 5, XXVIII, XXXVI; WA.BR 14, 34f. Ms. I 423 frühere Signatur: Ms. I 169 Oktav; 667 Seiten; 16. Jahrhundert „Apophthegmata Lutheri“ zwischen 1546 und 1548 von einem unbekannten Schreiber angelegte Abschrift von Anton Lauterbachs Nachschriften aus dem Jahr 1538 sowie späterer Stücke 1726 von dem Dresdener Rektor Christian August Freyberg (1684–1743) aus dem Besitz des Sebnitzer Rektors Laurentius erworben (Vorsatzblatt: „Die Antiqvität kam D. 5 Jun. a. 1726 in meine Bibliothec, und ist dem Sebnizer Hn. Rector Laurentio, à qvo accepi, mit Novitäten compensirt worden. M C A Freyberg, Rec. Ann.“) 1872 ediert von Johann Carl Seidemann (s.u.) Sigel in WA.TR: Laut. 1538; liegt dem 7. Abschnitt (WA.TR 3, 525–699) und dem Anhang zum 9. Abschnitt (WA 4, 549–556) von Krokers Edition zugrunde Karl Eduard Förstemann/Heinrich Ernst Bindseil (Hg.): Dr. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia. Nach Aurifabers erster Ausgabe, mit sorgfältiger Vergleichung sowohl der Stangwaldschen als der Selneccerschen Redaction, Bd. 4, Berlin 1848, XVf. Anm. 2. – Franz Schnorr von Carolsfeld: Über die Dresdner Handschriften der Tischreden Luthers: Ser. 31 (1870), 168–174. – Johann Carl Seidemann (Hg.): M. Anton Lauterbach’s, Diaconi zu Wittenberg, Tagebuch auf das Jahr 1538. Die Hauptquelle der Tischreden Luther’s, Dresden 1872, III. – Franz Schnorr von Carolsfeld: Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Bd 2. Korrigierte und verbesserte, nach dem Exemplar der Landesbibliothek photomechanisch hergestellte Ausgabe des Kataloges der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Dresden 1981, 149. – WA.TR 1, XX; 3, XXVII–XXX; 4, XXVf.; WA.BR 14, 37.

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Ms. R 60 Pergament; Quart; 344 Blätter Sammelband mit Abschriften des 16./17. Jahrhunderts, von verschiedenen Händen fol. 144r–145r: „Colloquium D. Martini Lutheri cum Philippo Melanchtone in Aedibus D. Crucigeri Ao. 1542 die 11 Aprilis.“ = WA.TR 5, 133–140 (Nr. 5428) fol. 146r: „Eine Prophecey Doctoris Martini vber Leiptzig von Thomas Kunath, Caplan zu Grim, olim Martini famulo, auffgeschrieben“ = WA.TR 5, 282 (Nr. 5633a) nicht in WA.TR Ludwig Schmidt: Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Band 3, Korrigierte und verbesserte, nach dem Exemplar der Landesbibliothek photomechanisch hergestellte Ausgabe des Kataloges der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Dresden 1982, 312–317. – WA.BR 14, 37.

Erlangen, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg Ms. 693 Papier; Quart; 573 Seiten; Einband: weißes Schweinsleder, 1715 Titel: „Acta varia et scripta de Formula Concordiae, de Flaciana, sacramentaria et alijs controversijs quorum e vet. codice M. a pl. reverendo dno. Geissio verb. Dn. F[ranco]furt. ministro benevole concesso hanc sibi per amanuenses copiam fiery jussit Z. C. ab Uffenbach 1715.“ Seite 23 = WA.TR 5, 543, 6–13 (Nr. 6212) 1715 im Auftrag des Frankfurter Ratsherrn und Bürgermeisters Zacharias Konrad von Uffenbach (1683–1734) abgeschrieben; später in der markgräflichen Schlossbibliothek in Ansbach (Signatur: Msc. chart. 4°. 9.) nicht in WA.TR Hans Fischer: Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Erlangen, Bd. 2: Die Lateinischen Papierhandschriften, Erlangen 1936, 440f, hier: 440.

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Gießen, Universitätsbibliothek Hs 1259 Papier; 17 x 21 cm; 120 Blätter fol. 1r–47v: Martin Luther, Tischreden (142 Stücke): davon 7 Stücke (Nr. 1, 3, 4, 5, 36, 40, 41, 83) ohne Entsprechung in WA.TR; bei den übrigen Stücken zahlreiche Textvarianten gegenüber WA.TR; Nummernkonkordanz zu WA.TR in Schüling, Lutherhandschriften (s.u.), 5. Abschrift von zwei ursprünglich getrennten Tischreden-Sammlungen (Nr. 1-30, Nr. 31–142); ca. 1546–1550 abgeschrieben Inhaltsverzeichnis mit Edition der unbekannten Stücke in Schüling, Lutherhandschriften (s.u.), 6–29 nicht in WA.TR Hermann Schüling: Die Lutherhandschriften der Universitätsbibliothek Giessen (Katalog, mit Edition unbekannter Texte), Gießen 1968 (Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek Gießen 12), 2, 5, 6–29.

Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha vgl. den Beitrag von DANIEL GEHRT in diesem Band sowie die Handschriftendatenbank HANS der UFB Erfurt/Gotha, http://hans.uni-erfurt.de/hans/ index.htm (10.9.2010). Chart. A 94 Papier; 32,5 x 21,5 cm; 431 Blätter; moderner Halbpergamenteinband von 1965 Sammelband: 87 Briefe und Dokumente, 6 Disputationsprotokolle, 38 Tischreden und 2 Distichen, vorwiegend Abschriften fol. 119v–126v: Tischreden Luthers als Vorlage für fol. 5r–157r diente eine Sammlung des aus Nürnberg stammenden Wittenberger Studenten Christoph Köber, die Johann Albert 1566 abschrieb Vorbesitzer: Paul Eber (1511–1569) in WA.TR nicht durchgehend kollationiert; fol. 114v–117r = WA 5, 293– 296 (Nr. 5658a) CR 1, XCIII. – Paul Drews: Disputationen Dr. Martin Luthers in den Jahren 1535–1545 an der Universität Wittenberg gehalten, Göttingen 1895, 904. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 199f. – WA 39 II, XXIXf.; WA.TR 5, XXXI.

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Chart. A 122 Papier; 33,5 x 22 cm; III, 46 Blätter von Georg Spalatin (1484–1545) zusammengetragene Sammlung mit 7 lateinischen Originalbriefen an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen sowie mit 26 Lutherbriefen, davon 21 lateinische Autographen fol. 36r–37v: „D.M. Lutherus de iurisconsultis“ [1532]; ediert bei Clemen, Aurifaber (s.u.), 95f. spätestens 1693 in der Herzoglichen Bibliothek in Gotha nicht in WA.TR Otto Clemen: Johann Aurifaber als gewerbsmäßiger Hersteller von Lutherbriefhandschriften, in: ARG 29 (1932), 85–96, hier: 91–96. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 201. – WA.BR 14, 55f. Chart. A 240 nicht in WA.TR Chart. A 262 Papier; 32 x 21 cm; 306 Blätter; 2. Hälfte 16. Jahrhundert; Pappeinband ohne Rücken, Deckel nicht bezogen Titel auf fol. 2r: „Colloqvia, Meditationes, Consolationes, Consilia, iudicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae, D. Martini Lvtheri piae et sanctae memoriae, in mensa prandij et coenae, et in peregrinationibus, obseruata, et fideliter transcripta. Volvmen II.“ von mehreren Händen angefertigte Abschrift des zweiten Teils der ersten, nach Kategorien geordneten Überarbeitung von Anton Lauterbachs Tischredensammlung. Der dazu gehörige erste Teil ist unauffindbar, der Schlussteil des zweiten Teils fehlt. Kurze Textstellen sind häufig ausgelassen. Die Reihenfolge der Texte weicht an manchen Stellen von der ältesten Überlieferung in Halle ab, die Heinrich Ernst Bindseil zwischen 1863 und 1866 edierte (Martin Luther, Colloquia, meditationes, consolationes, judicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae e codice MS. Bibliothecae Orphanotrophii Halensis cum perpetua collatione editionis Rebenstockianae […] edita ab Henrico Ernesto Bindseil. 3 Bde., Lemgo/Detmold 1863, 1864, 1866). Chart. A 262 entspricht in etwa Bindseil, Colloquia, Bd. 2, 1–388; Bd. 3, 1–224. Vorbesitzer: Johann Strobel (1600–1670; eigenhändiger Besitzvermerk fol. 10r); Ernst Salomon Cyprian (1673–1745; eigenhändiger Besitzvermerk von 1727 auf fol. 2r). nicht in WA.TR

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Literatur: CR 1, XCIV. – Wilhelm Meyer: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen der Tischreden Luthers, Berlin 1896 (AGWG.PH 1, Nr. 2), 5–26. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 202. – Maria Mitscherling: Der Nachlaß Ernst Salomon Cyprians in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, in: Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung: Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14.-16.9.1995, hg. v: Ernst Koch / Johannes Wallmann, Gotha 1996 (Veröffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 34), 233–247, hier: 244. – Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 306. Chart. A 263 Abschriftensammlung und Diarium des Petrus Avianus Papier; 30 x 20,5 cm; 249 Blätter; ca. 1550–1574; blindgeprägter Halbledereinband mit Rollenstempeln, Holzdeckel ohne Bezug, Spuren von Schließen; Buchblock beschnitten mit Textverlust Titel auf Vorderdeckel (von der Hand Ernst Salomon Cyprians): „Collectanea ex ore et scriptis Lutheri et Melanchthonis excepta“ erster von drei Teilen: fol. 2r–127v: von dem Erfurter Medizinprofessor Petrus Avianus (1524–1578) angelegte und von mehreren Händen angefertigte Sammlung von 47 Briefen und Gutachten, 7 auf die Sammlung von Johann Mathesius zurückzuführenden Tischreden und 3 anderen Aussprüchen, 5 Bucheinzeichnungen, 4 Abhandlungen, 4 Epitaphen, je einer Ordnung, Disputation und Predigtnachschrift sowie Notizen, meist Abschriften, speziell zum Tod Martin Luthers und zum Eherecht Vorbesitzer: Petrus Avianus; Ernst Salomon Cyprian (1673–1745); nach dessen Tod 1745 zusammen mit 69 anderen Handschriften im Besitz seines Neffen Georg Caspar Brehm, der die gesamte Sammlung 1767 an Herzog Friedrich III. von Sachsen-Gotha-Altenburg verkaufte nicht in WA.TR (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha. 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 305. – CR 1, XCIV. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 202. – Maria Mitscherling: Der Nachlaß Ernst Salomon Cyprians in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, in: Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung: Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14.-16.9.1995, hg. v. Ernst Koch / Johannes Wallmann, Gotha 1996 (Veröffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 34), 233–247, hier: 239f, 244.

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Chart. A 264 Papier; 30,5 x 20 cm; I, 177 Blätter; 1559; blindgeprägter Halbledereinband mit Rollenstempeln, Pappdeckel bezogen mit Pergamenthandschriftenmakulatur (lateinischer liturgischer Text), Reste von Schließenbändern von einer Hand angefertigte Abschriftensammlung von lateinischen Disputationen und Stellungnahmen zu verschiedenen theologischen Fragen nicht in WA.TR Paul Drews: Disputationen Dr. Martin Luthers in den Jahren 1535–1545 an der Universität Wittenberg gehalten, Göttingen 1895, 904f. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 202. – WA 39 II, XXIX. Chart. A 380 Papier; 20,5 x 15,5 cm; 268 Blätter; frühestens 1548; mit braunem Kiebitzpapier überzogener Pappeinband Titel: „Dicta quondam ex ore D[octoris] M[artini] L[utheri] in familiaribus colloquiis annotata.“ Sammlung von Martin Luthers Tischreden, Reformatorenbriefen u.a.; von mehreren Händen angefertigte Abschrift von UFB Gotha Chart. B 15, 1– 517, mit einigen Abweichungen in der Reihenfolge. Ab fol. 188r sind die Abschriften unvollständig (vgl. Chart. B 15, 360–385). wahrscheinlich ebenso wie Chart. B 15 spätestens seit 1714 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha in WA.TR für die Edition nicht benutzt Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 299. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 215. – WA.TR 1, XXXVII, XL. Chart. A 398 Papier; 33,0 x 20,5 cm; II, 152 [=163] Blätter; 1518 bis Ende 17.– Anfang 18. Jahrhundert Sammelband von Lutherbriefen und -schriften u.a. von Ernst Salomo Cyprian zusammengestellt, spätestens seit 1717 in der Herzoglichen Bibliothek in Gotha; fol. 9r–10v einst im Besitz von Caspar Cruciger, fol. 12r–29v aus dem Nachlass von Michael Stifel nicht in WA.TR Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha. 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 308. – Otto Clemen: Bei-

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träge zur Lutherforschung, in: ZKG 26 (1905), 243–249, 394-402, hier: 394–402. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 204f. – WA.BR 14, 58. Chart. A 401 Papier; 30 x 20 cm; IV, 357 Blätter; 1549–1558; blindgeprägter Halbledereinband auf Holz mit Initialen „I C“ und Bindejahr 1555 auf VD, Spuren von Schließen. Titel auf dem Vorderschnitt: Scrip. Ph. M. mit der Signatur D. Titel: „Epistolae D. Philippi Melanthonis in exilio scriptae cum Sarepta Theologorum Viteberga cingeretur obsidione a Carolo Imperatore & Mauritio duce Saxoniae. Item. Colloquium Marpurgense cum alijs quibusdam epistolis D. P. M. Item Collectanea ex lectionibus philippi continentia quoque itinera D. Pauli. Item Catalogus cometarum P. Eberi & alia quaedam pulcherrima I. C. V. M D XLVIIII“ von mehreren Händen geschriebene Sammlung von ca. 270 Briefen und Dokumenten aus dem Kreis der Wittenberger Reformation, vor allem Melanchthoniana fol. 244r–248v: Bucheinzeichnungen und Tischreden von Luther und Melanchthon fol. 245r = WA 48, 708 (Nr. 7199) fol. 247r = WA.TR 3, 136 (Nr. 2996) fol. 247r–v = WA 48, 708 (Nr. 7200) spätestens seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Herzoglichen Bibliothek Gotha Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha. 3 Bde., Leipzig 1835-1838, hier: Bd. 3, 320f. – CR 1, XCVf. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 205f. – Beschreibung im Handschriftenarchiv (HSA) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: http://dtm.bbaw.de/HSA/Gotha_700343110000.html (11.9.2010). – WA.BR 14, 59.

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Chart. A 402 (Codex Besoldi) Papier; 30,5 x 20,5 cm; VII, 474 [insg. 487] Blätter; ca. 1551; blindgeprägter Schweinsledereinband auf Holzdeckeln, auf dem Vorderdeckel die Initialen „M B“ und das Jahr „1551“ Titel: „Farrago Literarum Ad Amicos Et Colloquiorum in mensa R[everendi] P[atris] Domini Martini Lutheri Sacrae theologiae Doctoris …“ von mehreren Händen angefertigte Abschrift einer von Veit Dietrich (1506–1549) angelegten und nach 93 Loci geordneten Sammlung von Tischreden und Briefen: ca. 150 von Martin Luther, 33 von Philipp Melanchthon und 3 von Johannes Bugenhagen d.Ä. Die Sammlung wurde von dem Nürnberger Prediger Hieronymus Besold (1522–1562) auf den ursprünglich leer belassenen und den später eingeklebten Blättern ergänzt. Titel und Überschriften in roter Tinte, Inhalt in schwarzer Tinte. aus dem Besitz Hieronymus Besolds (vgl. Initialen auf dem Einband: M[agister] B[esoldus]). Johannes Aurifaber verwendete die Handschrift für seine 1566 herausgegebene Tischredensammlung. Vor 1834 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha. Sigel in WA.TR: Farr.; vgl. WA 48, 365–719 Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 304f. – CR 1, XCVI. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 30. – Johannes Haußleiter: Das Rätsel der Gothaer LutherHandschrift A 402 und seine Lösung. Ein Beitrag zur Tischredenforschung, in: ARG 19 (1922), 1–21, 81–105. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 206f. – WA.TR 1, XIX; 5, XXVIIf.; WA 48, 365–368, 371–384; WA.BR 14, 59f. Chart. A 1048 (Codex Mehneri I) Papier; 32,5 x 21 cm; 9, I–III, 335 [= insgesamt 371 Blätter]; 1535–1672; Halbledereinband mit Blindprägung auf Pappe, Reste von grünen Schließenbändern Sammelband von ca. 450 Schriftstücken verschiedener Provenienz, v.a. Briefe aus der Korrespondenz von Friedrich Myconius und von brandenburgischen Kurfürsten, Theologen und Räten u.a. fol. 328r–329v: eigenhändige Niederschrift Georg Rörers von einer Tischrede Luthers = WA 48, 228–233

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von Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha vor 1834 zusammen mit Chart. B 1482–1484 von dem Leipziger Magister Mehner für die Herzogliche Bibliothek Gotha erworben nicht in WA.TR Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 307. – CR 1, XCVII. – Heinrich Ulbrich: Friedrich Mykonius, 1490–1546. Lebensbild und neue Funde zum Briefwechsel des Reformators. Mit einer textgeschichtlichen Einleitung und einem Korrespondentenverzeichnis der gesamten Erstausgabe, Tübingen 1962 (SKRG 20), 26f. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 199. – WA.BR 14, 61f. Chart. B. 15 (Codex Bavari I) Papier; 20 x 15 cm; I Blatt, 1095 Seiten; 1548; Ganzledereinband mit Blindprägung auf Holz. Initialen des Besitzers „V B“ und die Jahreszahl „1548“ auf dem Vorderdeckel von dem Naumburger Ratsherrn Valentin Beyer (Bavarus, gest. nach 1549) eigenhändig angelegte und 1548 abgeschlossene Sammlung von ca. 850 Tischreden, 168 Briefen und Gutachten, 90 Epitaphen, Epigrammen, Distichen und Sprüchen sowie 30 anderen Schriftstücken; die Sammlung geht auf Beyers Freund, den Naumburger Pfarrer und Superintendenten Nicolaus Medler zurück Titel auf fol. Ir: „Rapsodiae, et dicta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutherj, in familiaribus Colloquijs annotata. Eiusdemque Epistolae, Consilia, aliaque pulchra, et necessaria aliquot illustrium virorum scripta. Quae omnia Valentinus Bauarus suo labore, et manu propria, sibi in hunc Librum transcribendo, comparauit“ Chart. B 15, 1–517 bildete die Vorlage für Chart. B 148 ebenso wie Chart. B 16 aus dem Besitz Valentin Beyers (vgl. Initiale auf Einband und Titel auf fol. Ir); vor 1692 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha; benutzt u.a. von Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) und Johann Christoph Wolf (gest. 1739) Sigel (für Chart. B 15 und Chart. B 16) in WA.TR: Bav. Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 300f. – CR 1, XCf. – Julius Köstlin: Geschichtliche Untersuchungen über Luthers Leben vor dem Ablaßstreite, in: ThStKr 44 (1871), 7–54, hier: 13f. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius.

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Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 24. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 211. – WA.TR 1, XVII, XXXVII–XLI; 5, XXXVf; WA.BR 14, 62f. Chart. B 16 (Codex Bavari II) Papier; 19,5 x 15 cm; V Blätter, 1108 Seiten; 1549–1552; Ganzledereinband mit Blindprägung auf Holz, Reste von Schließen von dem Naumburger Ratsherrn Valentin Beyer ab 1549 eigenhändig angelegte Sammlung von 384 Briefen und Gutachten, 61 Tischreden, 53 Epitaphen, Epigrammen, Distichen und Sprüchen sowie 47 anderen Schriftstücken Titel auf fol. IIr: „Secundus tomus Rapsodiarum, siue Actorum, que temporibus Valentinj Bauarj, Jn Germania, alijsque Nationibus acciderunt, et ad suas manus peruenerunt. Vnde posteri aliquot modo colligere possent, quod seculum, et qui homines tum temporis fuerunt. Non sine magno labore, studio, et diligentia congestus, et in hunc Librum manu propria conscriptus. Jnceptus Anno Domij, 1549. 14. Januarij.“ zur Provenienz s.o. zu Chart. B 15 Sigel (für Chart. B 15 und Chart. B 16) in WA.TR: Bav. Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha. 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 301–304. – CR 1, XCf. – Julius Köstlin: Geschichtliche Untersuchungen über Luthers Leben vor dem Ablaßstreite: ThStKr 44 (1871), 7–54, hier: 13f. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 24. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 212. – WA.TR 1, XVII, XXXVII–XLI; 5, XXXVf; WA.BR 14, 63 Chart. B 19 Papier; 22,5 x 17 cm; I, 250 [insgesamt 260] Blätter; 16. Jahrhundert; Halbpergamentband auf Pappe, Deckelflächen mit Marmorpapier theologischer Sammelband mit Abschriften von 98 Briefen und Dokumenten, 3 Reden, 2 Epigrammen sowie von zahlreichen Sprüchen, Tischreden, Fabeln, historischen Exempeln und Erläuterungen.

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fol. 37v–42r, 63r, 66r–68r, 80r–v, 96r–98r, 101v–108r, 109v–123r, 125r– 129r: Tischreden Luthers (und Melanchthons) vor 1714 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha nicht in WA.TR CR 1, XCI. Chart. B 26 Papier; 22 x 16 cm; 247 [= 251] Blätter; nach 1526, Ende 17./18. Jahrhundert; moderner Pergamenteinband von 1963 von dem Altenburger Kanoniker Veit Warbeck (ca. 1490–1534) eigenhändig angelegte Abschriftensammlung von 179 Briefen und Dokumenten aus dem Zeitraum zwischen 1517 und 1526, vorwiegend von Georg Spalatin, Martin Luther und Philipp Melanchthon. Im 17./18. Jahrhundert wurde eine Abschriftensammlung von 9 Schriftstücken, darunter Weissagungen, Tischreden und Pasquille, am Ende eingeheftet (fol. 235r–247v). fol. 235r = WA.TR 2, 258–260 (Nr. 1906 B) fol. 244r–245v = WA.TR 5, 283–285 (Nr. 5635a) fol. 246r–v = WA.TR 5, 133–140 (Nr. 5428) möglicherweise einmal im Besitz von Warbecks Schwiegersohn Paul Luther (1533–1593), dem jüngsten Sohn Luthers. 1664 von Johann Ernst Gerhard (1621–1668) in Jena erworben; 1678 als Teil der Bibliotheca Gerhardina von Herzog Friedrich I. von Sachsen-Altenburg angekauft. – Benutzt u.a. von Veit Ludwig von Seckendorff und Johann Franz Buddeus. nicht in WA.TR Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835-1838, hier: Bd. 3, 306f. – Otto Clemen: Das lateinische Original von Luthers „Vater-Unser vorwärts und rückwärts“ vom Jahre 1516, in: ZKG 48 (1929), 198–207, hier: 198f. – E. O. Reichert: Der Abendmahlstraktat Spalatins von 1525, in: NZSTh 1 (1959), 110-124, hier: 110f. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 213. – WA.BR 14, 64. Chart. B 28 Papier; 21 x 16,5 cm; 230 [insgesamt 252] Blätter; Mitte 16. Jahrhundert; Koperteinband aus Pergamentmakulatur (lateinisches liturgisches Chorbuch) Sammelband mit 99 Briefen und Dokumenten, 6 Thesenreihen und mehreren Syllogismen, 2 Kommentaren, einer Intimation, einer Übersetzung, einem historischen Exempel, einem Lied, 8 Epigrammen und Epitaphien, 2 Rätseln sowie einigen Tischreden und Notizen, meist Abschriften.

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von dem Lizentiaten der Theologie und Pegauer Pfarrer Konrad Meusel (1519–1565) größtenteils während seiner Studien- und Lehrzeit an der Universität Leipzig zwischen 1539 und 1553 geschrieben fol. 52v–55v = WA.TR 1, 35f (Nr. 94), 37 (Nr. 96), 39 (Nr. 102), 41 (Nr. 111), 229f (Nr. 505), 234 (Nr. 513), 235f (Nr. 515), 237–241 (Nr. 517f), 309f (Nr. 659) fol. 81v–82r = WA.TR 2, 386f (Nr. 2267b) fol. 82r–83r = WA.TR 2, 388-391 (Nr. 2268b) vor 1714 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha nicht in WA.TR Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha. 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 307. – CR 1, XCII. – Paul Drews/Ferdinand Cohrs (Hg.): Supplementa Melanchthoniana. Abteilung 5: Schriften zur praktischen Theologie. Teil 2: Homiletische Schriften, Leipzig 1929, (ND Frankfurt a.M. 1968, LXIII–LXV). – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 214. – WA.BR 14, 64. Chart. B 46 Papier; 21 x 16 cm; 242 Blätter; nach 1583; mit dunkelbraunem Kibitzmarmorpapier bezogener Ganzpappeinband Sammelband zur Konkordienformel u.a. mit 24 Briefen und Dokumenten, 9 Epigrammen vor allem von Johann Major, 3 Schriften, einem Lied und einer Weissagung; ferner Verzeichnisse zu Städten, Bistümern und Herrschaftsgebieten im Reich und in Europa sowie eine Sammlung von Huldigungseiden aus Schlesien um 1577 schon vor 1838 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha. nicht in WA.TR Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 61f. Chart. B 79 Papier; 21 x 16,5 cm; ca. 965 Blätter; Mitte 16. Jahrhundert von mehreren Händen angelegte Abschriftensammlung u.a. von 30 Briefen, meist von Luther, z.T. auch von Melanchthon, und mehr als 1250 Tischreden; in den 1550er Jahren geschrieben fol. 4v–6v, 160r–161v, 162v–165r, 174r–182r, 196r–213v, 241r–306r, 307r–358v, 363r–493r, 497v–500v: Tischreden Luthers

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angeblich aus dem Nachlass von Paul Eber (1511–1569); wahrscheinlich im 18. Jahrhundert wegen des großen Umfangs geteilt und neu gebunden nicht in WA.TR Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 214f. – WA.BR 14, 64f. Chart. B 148 Papier; 20,5 x 15,5 cm; 261 [=268] Blätter; frühestens 1548; mit braunem Kiebitzpapier überzogener Pappeinband Sammlung von Martin Luthers Tischreden, Reformatorenbriefen u.a.: von mehreren Händen angefertigte Abschrift von Chart. B 15, 1–517, mit einigen Abweichungen in der Reihenfolge; ab fol. 188r unvollständig (vgl. Chart. B 15, 360–385) wahrscheinlich ebenso wie Chart. B 15 spätestens seit 1714 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha Sigel in WA.TR: Goth. B. 148; für die Edition nicht verwendet Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 299. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 215. – WA.TR 1, XIX, XXXVII, XL. Chart. B 153 Papier; 20,5 x 16,5 cm; I, 128 Blätter; 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts Sammlung mit kirchenhistorischen Darstellungen, theologischen Abhandlungen und Glaubenszeugnissen; Martin Luther: Tischreden fol. 83r–93v: Tischreden Luthers; ca. 1532 von Ludwig Rabe gesammelt fol. 83r: „D. Martini L. Sententiae, Die Jn mensa eius, etwann gefallen vnnd durch den anhaeldischenn Cantzler Luodwig Raben, allso zusammen colligirt.“ vor 1838 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha Sigel in WA.TR: Rabe; liegt dem 4. Abschnitt der Edition Krokers zugrunde (WA 2, 253–272) Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 291f Anm. 3. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 215. – WA.TR 1, XII; 2, XVIII–XX.

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Chart. B 168 Papier; 471 Blätter fol. 1r–109v: Tischreden Luthers, überwiegend nach Johann Mathesius fol. 338b–438a: Tischreden Luthers aus den 1530er Jahren 1553 von Georg Rörers Schwiegersohn Gregor Rüdel (Rutilius, ca. 1521– 1581) in Düben geschrieben. Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 308f. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 24f. – WA.TR 1, XIXf; 4, XXXV–XXXVII; WA.BR 14, 65. Chart. B 169 Papier; 21 x 16,5 cm; III, 195 Blätter; Anfang des 16. Jahrhunderts bis 1554 der erste Teil der Handschrift (= fol. 1–143r) enthält eine von Paul Richter (gest. 1591) und anderen 1553/54 angefertigte Abschrift des Tagebuchs seines in Pirna amtierenden Superintendenten Anton Lauterbach aus den Jahren 1536, 1537 und 1539 mit 6 eingeschobenen Briefen über den Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt a.M. 1539 fol. 1r: „Colloquia Serotina D[octoris] M[artini] L[utheri] 1536. et sqq. 22. Octobris (am Rand: usque ad 1539.) descripta ex autográpho Domini Antonii Lautenbachii, primi superint[endentis] Pirn[ensis] in Misnia anno 1553. manu Pauli Iudicis al[ias] Richteri primi pastoris Neap[olitani] s[ive] Neostadt[iensis] prope Pirnam“ teilweise aus dem Nachlass Georg Spalatins (1484–1545); spätestens seit 1745 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha Sigel in WA.TR: Ser.; liegt dem 8. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA 4, 219–448) Friedrich Jacobs / Friedrich August Ukert (Hg.): Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838, hier: Bd. 3, 309. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnung des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 24. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 216. – Beschreibung im Handschriftenarchiv (HSA)

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der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: http://dtm.bbaw.de/HSA/Gotha_700344520000.html (11.9.2010). – WA.TR 1, XXIII; 3, XII–XIV; 4, XIII; WA.BR 14, 65f. Chart. B 213 (Hildburghausener Diarium) Papier; 19 x 15 cm; I, 344 [=349] Blätter; 1545–1648; blindgeprägter Ledereinband, Spuren von Schließen ein beinahe 100 Jahre verwendetes Diarium mit Abschriften von lokalen, regionalen und überregionalen Nachrichten und Mitteilungen sowie mit persönlichen Einträgen zur Familie Sellanus in Hildburghausen begonnen von Heinrich Sellanus (1500–1547), Schulrektor in Hildburghausen, weitergeführt durch seine Nachfahren bis zum Ableben Elisabeth Dörers (1573–1632; vgl. fol. 156r). fol. I (Spiegel des vorderen Vorsatzes) = WA.TR 4, 559 (Nr. 4858) fol. 36r = WA.TR 3, 384 (Nr. 3541) fol. 158v = WA.TR 6, 299 (Nr. 6969) fol. 256r = WA.TR 4, 640 (Nr. 5063), 653 (Nr. 5091) von Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) erworben; nach dessen Tod mit 69 weiteren Handschriften Cyprians im Besitz seines Neffen Georg Caspar Brehm, die Herzog Friedrich III. von Sachsen-Coburg-Altenburg 1767 für die Herzogliche Bibliothek Gotha erwarb nicht in WA.TR CR 1, XCIV. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 223. – Maria Mitscherling: Der Nachlaß Ernst Salomon Cyprians in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha. In: Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung: Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14.–16.9.1995, hg. v. Ernst Koch/Johannes Wallmann, Gotha 1996 (Veröffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 34), 233–247, hier: 246. Chart. B 262 Sigel in WA.TR: Goth. B. 262; für die Edition nicht benutzt Wilhelm Meyer: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen der Tischreden Luthers, Berlin 1896 (AGWG.PH 1, Nr. 2), 6f. – WA.TR 1, XX. Chart. B 515 Papier; 20,5 x 16,5 cm; I, 320 [=321] Blätter; 2. Hälfte 16. Jahrhundert Abschriftensammlung von 58 Briefen und Dokumenten, 9 Auszügen aus Martin Luthers Schriften, 2 Intimationen, Disputationsthesen, 12 Pasquillen und einem satirischen Dialog vor allem zum Sturz des Philippismus in

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Kursachsen, zur Entstehung und Durchsetzung der Konkordienformel und zum Abendmahlsstreit ein Teil der Abschriften wurde 1575 und 1577 in Leipzig angefertigt (vgl. fol. 13v, 32v, 277v) Vorbesitzer: Friedrich Christian Wilhelm Jacobs (1764–1847); schenkte den Band am 18.9.1799 der Herzoglichen Bibliothek nicht in WA.TR. Chart. B 1482 (Codex Mehneri II) Papier; 22 x 16 cm; X, 380 Blätter; ca. 1562; Koperteinband aus Pergamenthandschriftenmakulatur (lateinischer Kommentar zum Lukasevangelium) weitgehend von einer Hand angefertigte Abschriftensammlung mit Gutachten, Briefen, Sprüchen und erzählten Historien von den Wittenberger Reformatoren; zwei Hauptteile mit ursprünglich separater Zählung Titel des 1. Teils: „Consilia Et Ivditia, Item Varii Sermones Domestici Ex Ore Lvtheri, Philippi Aliorumque Ervditorum excerpti, & in unum librum congesti, cum indice capitum totius annexo“ (fol. Ir–278v) Titel des 2. Teils: „Historiae eximinae Philippi Mel: excerptae ex ipsius ore in Academia Vitebergensi“ (fol. 279r–380v) fol. 1r–22r, 23r–28r, 28r–45v, 26v–105r, 139v–145r, 247r–252r: ca. 590 Tischreden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Besitz Valentin Ernst Löschers (1673–1749); vor 1834 von Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha zusammen mit den Handschriften Chart. A 1048, Chart. B 1483 und Chart. B 1484 von dem Leipziger Magister Mehner für die Herzogliche Bibliothek Gotha erworben nicht in WA.TR CR 1, XCVII. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 226f. – WA.BR 14, 69. Chart. B. 1483 (Codex Mehneri III) Papier; 20,5 x 16 cm; II, 271 [= insgesamt 279] Blätter; 2. Hälfte 16. Jahrhundert; flexibler Pergamenteinband aus Handschriftenmakulatur (lateinischer Evangelienkommentar) Sammlung von Melanchthonbriefen, akademischen Reden, Disputationen und Intimationen u.a. fol. 124v–125r: Tischrede über die Einsamkeit = WA.TR 4, 555f (Nr. 4857p) spätestens seit 1582 im Besitz von Zacharias Starck aus Senftenberg (im Dezember 1563 an der Universität Wittenberg immatrikuliert, gest. vor

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1612); vor 1834 von Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha zusammen mit den Handschriften Chart. A 1048, Chart. B 1482 und Chart. B 1484 von dem Leipziger Magister Mehner für die Herzogliche Bibliothek Gotha erworben nicht in WA.TR CR 1, XCVIIf. – Maria Mitscherling: Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, Gotha 1983, 227. – WA.BR 14, 69. Chart. B 1484 (Codex Mehneri IV) Papier; 15,5 x 10 cm; III, 68 Blätter; 2.Hälfte 16. Jahrhundert, 18. Jahrhundert; Pappeinband Abschriften von 50 Briefen, 2 Tischreden, 2 Chronogrammen und einer Quittung fol. 33v–34r: Tischrede zur Taufe Paul Luthers, 25.1.1533 = WA.TR 3, 111f (Nr.2946a–b) fol. 36v–38r: Bericht über den Tod von Kurfürst Johann von Sachsen = WA.TR 2, 542f (Nr. 2607b) von Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha vor 1834 zusammen mit den Handschriften Chart. A 1048, Chart. B 1482 und Chart. B 1483 von dem Leipziger Magister Mehner für die Herzogliche Bibliothek Gotha erworben nicht in WA.TR CR 1, XCVIII.

Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Außenstelle Franckesche Stiftungen D 116 2° Folio; 654 Blätter Titelblatt: „Colloquia, meditaciones, consolaciones, iudicia, sentenciae, narrationes, responsa, facetiae Domini Doctoris Martini Lutheri … in mensa prandii et caenae et peregrinationibus observata et fideliter transscripta anno 1560“ Abschrift der großen, von Joseph Hänel bearbeiteten TischredenSammlung Anton Lauterbachs, 1560 abgeschlossen 1721 von dem Dresdener Notar Gottlieb Griesbach der WaisenhausBibliothek Halle geschenkt 1863–1866 ediert von Heinrich Ernst Bindseil (s.u.; Sigel in WA.TR: B.)

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Sigel in WA.TR: Halle; liegt dem Anhang zum 7. Abschnitt (WA 4, 200– 218) und dem 19. Abschnitt (WA.TR 5, 425–701) von Krokers Edition zugrunde Heinrich Ernst Bindseil (Hg.): Martin Luther, Colloquia, meditationes, consolationes, judicia, sententiae, narrationes, responsa, facetiae e codice MS. Bibliothecae Orphanotrophii Halensis cum perpetua collatione editionis Rebenstockianae […] edita ab Henrico Ernesto Bindseil, 3 Bde., Lemgo/Detmold 1863-1866, besonders Bd. 1, XVIII–LI. – Karl Weiske: Mitteilungen über die Handschriftensammlung der Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle a. d. S., in: Aus der Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftungen. Zur Begrüßung der 47. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner in Halle a. S., Halle 1903, 7–24, hier: 13 Nr. 9. – WA.TR 1, XX; 4, IX–XII, XXXIXf; 5, XL–XLIII; WA.BR 14, 71f.

Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Cod. 114 in scrinio Quart enthält im ersten Teil zahlreiche Tischreden Luthers, v.a. Nachschriften von Johannes Mathesius aus dem Jahr 1540, sowie Anekdoten Melanchthons; frühestens 1548 geschrieben im sechsten Teil (S. 345–367) „Sententiae aliquot D. Mart. Lutheri, ab eo aliquando in mensa obiter factae et per R. Ludouicum Raben Anhaldensem Cancellarium collectae“ = Abschrift der Tischredensammlung des anhaltischen Kanzlers Ludwig Rabe; entspricht den Handschriften FLB Gotha Chart. B. 153, fol. 83r–93v, und Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Hs. 20 994 4, fol. 80v–85v. ehemals im Besitz des Frankfurter Bürgermeisters Zacharias Konrad von Uffenbach (1683–1734), danach des Hamburger Hauptpastors Johann Christoph Wolf (1683–1739); mit der Uffenbach-Wolfschen Bibliothek als Schenkung an die Hamburger Bibliothek gekommen WA.BR 14, 73 Anm. 2. Cod. theol. 1213 Papier; Folio, 30 x 20 cm; XXXII+217 Blätter; Mitteldeutschland, Ende der 1560er Jahre fol. 8r–151v, 192r–264v: Martin Luther, Tischreden „Anfang, ein Mittelteil und Schluß fehlen … Der Text auf Lauterbachs Nachschriften in ihrer 2. Redaktion beruhend; die Lesarten entsprechen mit Ausnahmen denen der in der Weimarer Ausgabe von Luthers Werken mit

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B bezeichneten Fassung, die von H. E. Bindseil als D. Martini Lutheri Colloquia, 3 Bde., Lemgo und Detmold 1863–1866 herausgegeben wurde. (8r) WA.TR IV, Nr. 4809 (Anfang verloren); IV, Nr. 4714; V, Nr. 6205. (8v) Bd. V, Nr. 6206; IV, Nr. 5216; IV, Nr. 5127. (9r) Bd. V, Nr. 6207. (9v) Bd. IV, Nr. 3964; IV, Nr. 4027; IV, Nr. 4367. (10r) Bd. III, Nr. 3684; III, Nr. 2837b. (151v) Bd. III, Nr. 3799 (Schluß verloren. Lücke bis:) (192r) Bd. V, Nr. 6330. (264v) Bd. III, Nr. 3637; IV, Nr. 4426 (Schluß und Fortsetzung verloren)“ (Becker, Theologische Handschriften, s.u., 163) Beilage: 1 Doppelblatt in Oktav (davon 1 Seite beschrieben), 16. Jahrhundert: Martin Luther, Tischreden. Fragment, darunter WA.TR 2, 531 (Nr. 2580) mit der Uffenbach-Wolfschen Bibliothek als Schenkung an die Hamburger Bibliothek gekommen nicht in WA.TR Peter Jörg Becker: Die theologischen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Bd. 1. Die Foliohandschriften, Stuttgart 1975 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 2/I), 163f. – WA.BR 14, 73 Anm. 2. Cod. theol. 1690 474 Seiten; Buchau (Schlesien)/Joachimsthal (Böhmen) u.a., um 1550 Rückentitel: „D. Mart. Lutheri dicta et facta memorabilia a coaevo collecta. MS.“ S. 25–474: „ex colloquiis sev scriptis … D. M[artini] L[utheri]. 1550.“ Schreiber und Besitzer war der lutherische Prediger Georg Nigrinus (1530–1602), ein Schüler von Johannes Mathesius in Joachimsthal = Nachschriften aus der Tischredensammlung von Johannes Mathesius; ähnlicher Bestand wie in den Mathesius-Handschriften Universitätsbibliothek Leipzig Rep. III/20aa 2° und Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Hs. 20 994 4° nicht in WA.TR vor 1720 im Besitz von Zacharias Konrad Uffenbach, mit der UffenbachWolfschen Bibliothek als Schenkung an die Hamburger Bibliothek gekommen; nach Kriegsauslagerung im Zweiten Weltkrieg und Zwischenaufenthalt in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin-Ost inzwischen wieder in der StUB Hamburg Nilüfer Krüger: Die theologischen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Bd. 2. Die Quarthandschriften (Cod. theol. 1252– 1750), Stuttgart 1985 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 2/II), 160f.

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Cod. theol. 2200 (verschollen) Papier und Pergament; 1609 Blätter; 16./17. Jahrhundert geistliches Erbauungsbuch, lat. und dt. fol. 23r–30r: Tischreden Luthers während des Zweiten Weltkriegs in Sachsen ausgelagert; seither verschollen nicht in WA.TR Nilüfer Krüger: Die theologischen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Bd. 3. Quarthandschriften und kleinere Formate (Cod. theol. 1751–2228), Stuttgart 1993 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 2/III), 239f. Sup. ep. 4° 48 Quart; 220 Blätter; 16. Jahrhundert Titel: „D. M. Lutheri et coaevorum scripta. Varia Manusripta“ ausführliches Inhaltsverzeichnis in: Krüger, Supellex Epistolica (s.u.), 585a–588a ehemals im Besitz von Zacharias Konrad von Uffenbach, der 1725 von fol. 36–172 eine Kopie anfertigen ließ (jetzt: Sup. ep. 4° 60) nicht in WA.TR Nilüfer Krüger: Supellex Epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. Katalog der Uffenbach-Wolfschen Briefsammlung, 2 Teilbände, Stuttgart 1978 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 8), 585a–588a. – WA.BR 14, 75. Sup. ep. 4° 73 ehemalige Signatur: O 14 Quart; 438 Blätter; 2. Hälfte 16. Jahrhundert erster Teil eines zweibändigen Manuskripts (Sup. ep. 4° 73 und 74); Titel: „Ad historiam reformationis spectantia“ darin Tischreden aus der bis 1548 zusammengetragenen und nach 93 Sachabteilungen geordneten, von Hieronymus Besold mit Nachträgen erweiterten Sammlung Veit Dietrichs; auf fol. 1v derselbe Index locorum wie im Codex Besoldi (FLB Gotha Chart. A 402), wahrscheinlich ist die Abschrift von diesem abhängig ausführliches Inhaltsverzeichnis in: Krüger, Supellex Epistolica (s.u.), 588a–617a. gemeinsam mit Sup. ep. 4° 74 in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Besitz des Naumburger Oberpfarrers Caspar Bertram (1611–1683), später des Greifswalder Generalsuperintendenten Johann Friedrich Mayer (1650–1712) und schließlich von Zacharias Konrad von Uffenbach; mit

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der Uffenbach-Wolfschen Bibliothek als Schenkung an die Hamburger Bibliothek gekommen nicht in WA.TR Nilüfer Krüger: Supellex Epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. Katalog der Uffenbach-Wolfschen Briefsammlung, 2 Teilbände, Stuttgart 1978 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 8), 588a–617a. Vgl. WA 48, 714f; WA.BR 14, 76. Sup. ep. 4° 74 ehemalige Signatur: Cod. 44 Uffenbach Quart; 459 Blätter zweiter Teil eines zweibändigen Manuskripts (Sup. ep. 4° 73 und 74); Titel: „Ad historiam reformationis spectantia“ Tischreden auf fol. 120r–v,210v–211v, 246v–247r, 331v–332v, 333v, 393v–399v, 431v–442r, 457v–459v ausführliches Inhaltsverzeichnis in: Krüger, Supellex Epistolica (s.u.), 618v–620v zu den Vorbesitzern s.o. zu Sup. ep. 4° 73 Sigel in WA.TR: Hamb. Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 31. – Nilüfer Krüger: Supellex Epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. Katalog der Uffenbach-Wolfschen Briefsammlung, 2 Teilbände, Stuttgart 1978 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 8), 618b–620b. – WA.TR 1, XX; WA 29, XIII; WA 48, 715–717; WA.BR 14, 76f.

Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek für die Jenaer Codices vgl. den Beitrag von STEFAN M ICHEL in diesem Band sowie http://www.urmel-dl.de/Projekte/SammlungGeorgRörer.html (13.9.2010) Ms.Bos.o.17C Oktav; 415 Blätter einige Autographen Luthers; Abschriften von Briefen, Konzepten und Tischreden Luthers sowie Schriftstücke von Melanchthon, Bugenhagen, Urbanus Rhegius und Caspar Cruciger

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Vorsatzblatt: „Vaticinia Lutheri quibus comminatur Germaniae excidium propter contemptum verbi, Collecta per Iohannem Amsterdamum in latina et vernacula lingua“ fol. 238v: tischredenartige Notiz über Luthers Jugend = WA 40 I, 11 fol. 245r: Tischrede über Augustin fol. 321r–327v: Tischreden Luthers, wohl von 1538 (Handschrift Veit Dietrichs?) aus Georg Rörers (1492–1557) Handschriftensammlung; seit Rörers Tod in der Universitätsbibliothek Jena WA.TR 4, XVII (dort irrtümlich mit Bos. o. 17 c bezeichnet); 5,XXXVIIIf; WA 40 I, 9–13; WA.BR 14, 261. Ms.Bos.o.17D Papier; Oktav, 16,4 x 10,7 cm; 376 Blätter; Wittenberg 1530–1535; Einband 1960 restauriert fast ausschließlich eigenhändige Abschriften Rörers von Psalmenauslegungen Luthers fol. 2r–3r, 85v, 160v, 175r, 179r–v, 181r, 181v, 190v, 190v–192r, 192v– 193v, 206v–209v, 254v, 259r–261v: Tischreden Luthers aus Georg Rörers Handschriftensammlung Sigel in WA.TR: Ror. Bos. o 17D WA.TR 5, XXXIX; 6, XX; WA 31 I, 458–460; WA.BR 14, 261. Ms.Bos.o.17n Papier; Oktav, ca. 14,5–15 x 10–11 cm; 115 Blätter; Wittenberg 1530– 1535; Pappband um 1900 Georg Rörers Psalmenrevisionsprotokoll von 1531 sowie weitere Schriftstücke fol. 65r = WA.TR 1, 448 (Nr. 903) aus Georg Rörers Handschriftensammlung WA.DB 3, XVIII–LXII; 11 II, CXLVII; WA.BR 14, 263. Ms.Bos.q.24a Papier; Quart, 20,7 x 16,5 cm; 486 Blätter; Wittenberg, Kopenhagen, Jena 1548–1555; Pergamentkoperteinband von 1555 Philipp Melanchthon, Sonntagsvorlesungen über die Evangelientexte – Martin Luther u. a., Briefe fol. 421r: Luther, tischredenartiges Stück = WA 27, IX fol. 455r = WA.TR 3, 558 (Nr. 3715) fol. 481r–v = WA.TR 5, 374f (Nr. 5829) aus Georg Rörers Handschriftensammlung

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Georg Buchwald: Zur Postilla Melanchthoniana, in: ARG 21 (1924), 78– 89. – WA.BR 14, 190–194. Ms.Bos.q.24b Papier; Quart, 16,5–18 x 13–14 cm; 250 Blätter; Wittenberg 1531–1537; Halbledereinband um 1900 Martin Luther, Predigten des Jahres 1531 bis 1533 und Briefe fol. 231r: Tischrede Luthers über eine Auslegung von Spr 31,10–30 = WA.TR 4, 499f (Nr. 4783) aus Georg Rörers Handschriftensammlung Georg Buchwald: Jenaer Lutherfunde, in: ThSt Kr 67 (1894), 374–391, hier: 380; Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg 1958 (EKGB 32), 109; Albert Freitag: Veit Dietrichs Anteil an der Lutherüberlieferung, in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation, veröffentlicht von den Mitarbeitern der Weimarer Lutherausgabe, Karl Drescher (Hg.), Weimar 1917, 170–202, hier: 189. – WA 34 II, 569f; WA.Br 14, 194f. Ms.Bos.q.24c Papier; 293 Blätter; Quart, 16,8 x 20,8 cm; Wittenberg, 1531–1542; Dänemark, 1552/53; Halblederband um 1900 Nachschriften von Lutherpredigten, Bibelrevisionsprotokoll 1539/41, Tischreden sowie verschiedene weitere Schriftstücke fol. 220r–221b = WA.TR 3, 509–511 (Nr. 3670) fol. 227r–294r: Tischreden Luthers aus den Sammlungen von Veit Dietrich und Georg Rörer = WA.TR 1, 13–248 (Nr. 37–532), 309-321 (Nr. 657– 677) fol. 270v: Tischrede Luthers vom Juni 1541 = WA.DB 11 II, CXXXVI fol. 297v–298r: Tischrede Luthers vom Winter 1531/32 = WA.DB 11 II, CXXXVIf. fol. 300r–v = WA.TR 5, 153 (Nr. 5438) Abschriften Rörers aus Veit Dietrichs Heft aus Georg Rörers Handschriftensammlung Sigel in WA.TR: Ror. Bos. q. 24c Ernst Kroker: Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden, in: ARG 5 (1908), 337–374; 7 (1910), 56–92; 8 (1911), 160–180; hier: 8 (1911), 167–170. – WA.TR 1, XXII; WA.DB 11 II, CXXXIV–CXXXVIII; WA.BR 14, 195.

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Ms.Bos.q.24f Papier; 276 Blätter; Quart, 17 x 21 cm; Wittenberg, 1535/36; Jena, 1552/53; Koperteinband des 16. Jahrhunderts unter Verwendung einer liturgischen Handschrift 1) erster Teil: Nachschriften von Predigten und Tischreden Luthers fol. 162r–166v: Abschriften von Tischreden Luthers aus Veit Dietrichs Sammlung (1533) = WA.TR 1, 248–261 (Nr. 533–569) fol. 166v–167r = WA.TR 1, 559 (Nr. 1127), 53 (Nr. 128), 560 (Nr. 1131); WA.BR 14, 195; WA.TR 1, 560 (Nr. 1130), 260 (Nr. 568) fol. 168v = WA.BR 14, 196 2) zweiter Teil: Nachschriften von Tischreden sowie Kopien von Bibelund Bucheinzeichnungen und einzelnen Briefen Luthers und Melanchthons fol. 1r–69r: Abschriften von Tischreden Luthers aus Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers Sammlung = WA.TR 1, 1–12 (Nr. 2–34); 259–308 (Nr. 567–656), 333–612 (Nr. 685–1230), 474–480 (Nr. 949); WA.BR 6, 98-101 (Nr. 1818); WA.TR 1, 262–264 (Nr. 574); WA.BR 14, 197. fol. 70r–v: 2 Tischreden Luthers = WA.BR 14, 197 fol. 71r: Tischrede Luthers „Encomium linguae Ebreae“ = WA.BR 14, 198 fol. 74r–v: Tischrede Luthers „Vita futura“ = WA.BR 14, 198f. fol. 74v = WA.DB 11 II, CXLVIII aus Georg Rörers Handschriftensammlung Sigel in WA.TR: *Ror. Bos. q. 24f; liegt dem 2. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 1, 331–614) WA.TR 1, XXII, XXVIII–XLI; 5, XXXVIII (dort irrtümlich mit Bos. q. 24 F bezeichnet); WA 41, VII–XI; WA.Br 14, 195–200. Ms.Bos.q.24h Papier; Quart, 16,5 x 21,5 cm; 244 Blätter; Wittenberg 1548–1551, Dänemark 1551–1553; Halbledereinband um 1900 Philipp Melanchthon, Exegetische Vorlesungen (1548 bis 1551) – Martin Luther, Vorreden – Nikolaus von Amsdorff, Streitschriften fol. 1r = WA.TR 1, 374 (Nr. 788) fol. 208v = WA.TR 2, 19f (Nr. 1270); TR 1, 498 (Nr. 982–983), 501 (Nr. 990), 249 (Nr. 536), 547 (Nr. 1089), 557 (Nr. 1120) fol. 224v = WA.TR 1, 557 (Nr. 1120), 199 (Nr. 459), 444f (Nr. 894), 513 (Nr. 1018), 555f (Nr. 1114–1115) fol. 230r–v = WA.TR 1, 556f (Nr. 1115–1119), 275–280 (Nr. 590), 558 (Nr. 1122), 562 (Nr. 1138), 261f (Nr. 571), 281 (Nr. 595) fol. 244v: Anfänge der Tischreden auf fol. 208v, 224v und 230r–v aus Georg Rörers Handschriftensammlung WA.DB 11 II, CXXXVIII–CXL;WA.BR 14, 200.

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Ms.Bos.q.24i Papier; Quart, 17–20 x 12,5–15 cm; 196 Blätter; Wittenberg, 1530–1533; Dänemark, 1551; Halbledereinband um 1900 Martin Luther, Katechismuspredigten 1528 und Predigten des Jahres 1529/30 fol. 1: tischredenähnliches Stück über den Dekalog (ob von Luther?). – Tischrede von 1531 über die Zehn Gebote = WA.TR 1, 33f (Nr. 88) aus Georg Rörers Handschriftensammlung; ursprünglich zwei Einzelbände; teils Abschriften von Veit Dietrich, teils Mitschriften von Rörer Georg Buchwald: Die Entstehung der Katechismen Luthers und die Grundlage des großen Katechismus, Leipzig 1894. – WA 29, S. IXf; WA 32, Revisionsnachtrag, 9; WA.BR 14, 200. Ms.Bos.q.24k Papier; Quart, 16,5 x 11 cm; 276 Blätter; Wittenberg 1534–1547; Koperteinband des 16. Jahrhunderts unter Verwendung einer liturgischen Handschrift Martin Luther, Predigten (1535), Briefe, Vorlesung über Psalm 90 (1534/35) – Caspar Cruciger, Predigten (1535) fol. 3v–4r = WA.TR 5, 285f (Nr. 5635b) aus Georg Rörers Handschriftensammlung WA 37, XIIf; 40 III, 476–481; 48, XXI; WA.BR 14, 200. Ms. Bos. q. 24n Papier; Quart, 17,5–19,5 x 13,5–14,5 cm; 266 Blätter; Wittenberg 1533, 1551; Halblederband um 1900 Martin Luther, Predigten (1533/34), Briefe und Fabeln fol. 159r = WA 30 III, 389; WA.TR 3, 127f (Nr. 2974b) fol. 178v = WA 48, 709f (Nr. 7202) fol. 181v = WA 30 III, 348, Anm. 3 fol. 265fv: tischredenähnliches Stück über die Wurzener Fehde = WA.BR 14, 202 aus Georg Rörers Handschriftensammlung WA 37, IX–XII; WA.BR 14, 201. Ms. Bos. q. 24p Papier; Quart, 20,9 x 16,5 cm; 258 Blätter; Wittenberg 1532–1539; Koperteinband des 16. Jahrhunderts Martin Luther, Psalmenvorlesungen (1532/33), kurze Auslegungen der Sonntagsevangelien, Tischreden

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fol. 254r–257v: Tischreden Luthers, v.a. aus den Tagebüchern Anton Lauterbachs auf die Jahre 1538 und 1539 aus Georg Rörers Handschriftensammlung WA.TR 4, XVI, XVIII; WA 40 II, 190f; WA.BR 14, 201. Ms. Bos. q. 24r Quart; 86, 26, 6, 60, 16, 38, 11, 42, 8 Blätter; Halblederband um 1900 vor allem Abschriften von Briefen im 4. Teil fol. 51v–52r = WA.TR 2, 259, 18–260, 11 (Nr. 1906 B) im 6. Teil fol. 1r–28v: 31 Tischreden Luthers in deutscher Bearbeitung, fast vollständig übereinstimmend mit dem Wortlaut von Aurifabers Druckausgabe; von unbekannter Hand geschrieben (Inhalt: WA.BR 14, 223f) aus Georg Rörers Handschriftensammlung Sigel in WA.TR: Ror. Bos. q. 24r Paul Flemming: Die Lutherbriefe in der Rörersammlung auf der Universitätsbibliothek zu Jena, in: Studien zur Reformationsgeschichte und zur Praktischen Theologie (FS Gustav Kawerau), Leipzig 1917, 21–40, hier: 27f, 32–40. – WA.TR 1, XXII; WA.BR 14, 209–227. Ms.Bos.q.24s Quart; 439 Blätter; Kopertband unter Verwendung einer liturgischen Handschrift v.a. Abschriften von Tischreden (Rörers Abschriften aus Schlaginhaufen mit den Ergänzungen zu München Clm. 943 und aus Mathesius mit Nachträgen) und Briefen Luthers, geschrieben 1550/51; zwei selbständige Halbbände fol. 17r, 20r–39v, 41r–46r, 55r–56r, 97r, 106r–131r, 145r–166v, 168r– 174r, 174v–175r, 175v–176r, 177r–178v, 206v, 236v, 343v, 377r–378v, 380v–387v, 397r: Tischreden Luthers (zum Inhalt: WA.BR 14, 229–244) aus Georg Rörers Handschriftensammlung Sigel in WA.TR: Ror. Bos. q. 24s Ernst Kroker: Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden, in: ARG 5 (1908), 337–374; 7 (1910), 56–92; 8 (1911), 160-180; hier: 5 (1908), 340-374; 7 (1910), 56–92. – WA.TR 1, XXII; 2, XIV–XVII; 4, XXXVIf; 5, XI–XIII, XXXVIII; 6, XVIIf; WA.BR 14, 227–246. Ms.Bud.q.29 Papier; Quart, 19,5–20,5 x 16,5 cm; 256 Blätter; 1682; lose in einer Pergamenteinbanddecke fol. 1r–250v: Erfurtische Chronik (von 400–1682)

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fol. 253r–256r: Tischrede Luthers; vgl. WA.TR 1, 82 (Nr. 183); 3, 501f (Nr. 3665A+B); 4, 252f (Nr. 4354), 5, 439 (Nr. 6016); anscheinend aus Aurifabers Ausgabe exzerpiert von einer Hand im späteren 17. Jahrhunderts geschrieben, letzte Eintragungen von 1682 seit 1719 im Besitz von Johann Peter von Ludewig Franzjosef Pensel: Verzeichnis der altdeutschen und ausgewählter neuerer deutscher Handschriften in der Universitätsbibliothek Jena, Berlin 1986, 196–198.

Karlsruhe, Badische Landesbibliothek K 437 19,6 x 16 cm; 409 Blätter; 16. Jahrhundert Tischreden Luthers mit Zusätzen und einem Anhang von Christoph Rosshirt fol. 1r–104r: „120 Schöner vnd Erbaulcher Nutzlicher Fragen vnd Antwort, Doctor Martin Luther Seligen Erster Theil.“ fol. 105r–300r: „Viel Schonere historia. von keysern, konigen, fursten vnd herrn. vnd anderen wunderbarlichen geschichten mehr. Nutzlich vnd vnbeschwerlich zu lesen vnd hören D. M. L. Seligenn. Anderer Theyll.“ die Tischreden sind aus der 1566 gedruckten Sammlung Aurifabers abgeschrieben fol. 323v–348v: „Von denen so da vom Teuffel leiblich Besessen gewesenn.“ fol. 349r–368r: „Von dem leidigen Sathann, vnd seiner bösen Geselschaft.“ fol. 368v–407v (nach Register fol. 409r): „Von den Schwarzkünstlern“. Albertus Magnus, Georgius Faustus, Filius [Virgilius]. geschrieben in Nürnberg um 1575; zahlreiche kolorierte Holzschnitte aus Inkunabeln eingeklebt Sigel in WA.TR: Karlsr.; für die Edition nicht benutzt Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe. IV: Die Karlsruher Handschriften. Erster Band: Nr. 1–1299. Neudruck mit bibliographischen Nachträgen, Wiesbaden 1970, 77. – Wilhelm Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, in: ABAW.PP 20,6, München 1895, 326–402, hier: 372–381). – Alexander Tille: Die Faustsplitter in der Literatur des 16. –18. Jahrhunderts, Berlin 1900, 226–231. – WA.TR 1, XX.

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Leipzig, G. Hirzel (Privatbesitz) Titel: „Familiaria colloquia reverendi viri Doctoris Martini Lutheri.“ fol. 169r: „Finitum feliciter 2. Octobris Anno [15]63“ war 1912 im Besitz des Leipziger Verlagsbuchhändlers Hirzel; weiterer Verbleib unbekannt Sigel in WA.TR: Hirz.WA.TR 1, XX; 4, XXXVIII.

Leipzig, Universitätsbibliothek Rep. III 20aa früher Signaturen: B. Poel. 682 Papier; Folio, 32 x 22,5 cm; Vorsatzblatt, fol. I–XIX, mehrere leere Blätter, S. 1–549, mehrere leere Blätter, fol. 1–46, Nachsatzblatt; Wittenberg, 16. Jahrhundert; lederverstärkter Pappeinband des 18. Jahrhunderts Titelblatt (fol. Ir): „Colloquia reverendi in Chr[ist]o Patris D[octoris] M[artini] L[utheri] piae memoriae. Collegi in Monte S. Mariae Misiae [Wortspiel mit Misniae] ab anno salutis 1546.“ fol. 1r: „Colloquia reverendi Patris in Christo D. Martini 1540.“ Abschrift der Tischredensammlung von Johannes Mathesius; geschrieben wohl von dem Pfarrer Johannes Krüginger (Kriginger, 1521–1571), einem Schüler des Mathesius, in den Jahren 1546/48 in Marienberg/Erzgebirge früher im Besitz des Theologen Ernst Friedrich Wernsdorf (1718–1782), aus dessen Nachlass 1783 erworben von dem Professor der Staatswissenschaften Karl Heinrich Ludwig Pölitz (1772–1838); nach dessen Tod 1838 als Teil der „Bibliotheca Poelitiana“ in die Stadtbibliothek Leipzig gekommen; Depositum in der Universitätsbibliothek Leipzig Sigel in WA.TR: Math. L Ernst Kroker: Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung. Aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, Leipzig 1903, 16–62; ebd. 77–441 Edition eines Großteils der Handschrift. – Thomas Fuchs: Handschriften und Urkunden der Stadtbibliothek Leipzig in der Universitätsbibliothek Leipzig. Neuzugänge nach 1838, Wiesbaden 2009, 80. – WA.TR 1, XXI, XXVIII-XXXII; 3, XIVf, XXVI; 4, XV, XXIV–XXVI, XXIX– XXXV, XXXVIIIf; WA.BR 14, 96. Rep. IV 115a Papier; Oktav; 94 Blätter; 2. Hälfte 16. Jahrhundert Sammlung mit Tischreden Luthers und Anekdoten Melanchthons, Bugenhagens u.a.

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Titel: „Memorabilia dicta et facta Lutheri“. Incipit (fol. 1r): „De pueritia Iesu cogitatio Dni M. L. Omnis sapientia mundi …“ (= WA.TR 5, 89, Nr. 5360) Explicit: „Hinc redeunt uires artubus atque uigor.“ (= Schluss von WA.TR 5, 111, Nr. 5375 z) nach Kroker ein Teil der Sammlung von Georg Plato; unbekannter Schreiber; galt früher fälschlich als Autograph Luthers war bereits 1838 im Besitz der Stadtbibliothek Leipzig; Depositum in der Universitätsbibliothek Leipzig Sigel in WA.TR: Mem.; liegt WA.TR 5, 100–111 zugrunde Robert Naumann: Catalogus librorum manuscriptorum qui in Bibliotheca Senatoria Civitatis Lipsiensis asservantur, Grimma 1838, 68, Nr. CCXVII. – WA.TR 1, XXI; 4, XLI–XLIII; 5, XIV; WA.BR 12, 391; 14, 96. Rep. IV 115aa, Bd. 1+2 2 Bde.; Papier; Quart, 20 x 16,5 cm; 312 und 259 Blätter; Wittenberg, nach 1555; marmorierte Pappeinbände mit Lederverstärkung von 1955 Bd. 1, fol. 1r: „Scriptum D. Philip. Mel. quod una cum confessione Augustana et recenti Saxonicarum Ecclesiarum confessione globis qui moenia templi exornant inauratis impositum est. Anno à nato Christo ex virgine MDLVI.“ Bd. 1, fol. 83v: „Sermones domestici excepti ex ore Doct[oris] Marth[ini] Lutheri. Anno 1530 [richtig: 1540].“ Bd. 2, fol. 2r: „Historiae collectae Wittebergae ex lectionibus D[omini] praeceptoris Philippi Melanthonis.“ Tischreden Luthers (in Bd. 1, fol. 83ff) sowie Anekdoten, die Melanchthon in seinen Kollegien vortrug; v.a. aus den Jahren 1554/55, die jüngsten Texte aus dem Jahr 1557 geschrieben von dem späteren Rigaer Prediger Johannes Rickemann (Rechemann, 1532–1601) während seiner Wittenberger Studienzeit in den Jahren 1554–1557 durch Rickemann nach Riga gekommen, dort 1672 im Besitz des Gymnasialprofessors Henning Witte (1634–1696), der die Handschrift 1672 einer Rigaer Bibliothek schenkt; später in Privatbesitz in St. Petersburg; kam 1908 über das Leipziger Antiquariat Liebisch in die Stadtbibliothek Leipzig; nach dem Ankauf in zwei Bände aufgeteilt und neu gebunden; Depositum in der Universitätsbibliothek Leipzig Sigel in WA.TR: Luth.-Mel.; liegt dem 16. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 5, 371–390) Ernst Kroker: Anekdoten Melanchthons und Leipzig, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 10 (1911), 113–126. – Thomas Fuchs: Handschriften und Urkunden der Stadtbibliothek Leipzig in der Universi-

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tätsbibliothek Leipzig. Neuzugänge nach 1838, Wiesbaden 2009, 106f. – WA.TR 1, XXI; 4, XXXVII; 5, XXXVI; WA.BR 14, 96.

Lüneburg, Ratsbücherei Theol. fol. 81 Papier; 602 Blätter; Norddeutschland, 16. Jahrhundert fol. 3r–587v: Martin Luther, Tischreden „Die Hs. folgt im allgemeinen der Sammlung Anton Lauterbachs. Es handelt sich dabei um die jüngere Rezension, die durch die 1569 entstandene Wolfenbütteler Handschrift Extrav. 72 I und II 2° und in begrenzterem Maß durch die von Heinrich Peter Rebenstock im Jahr 1571 in Frankfurt/M. herausgegebenen zweibändigen ‚Colloquia D. Martini Lutheri‘ repräsentiert wird. Sie beginnt mit Nr. 5990 (ed. Kroker, Weimar 1912–21), es folgen Nr. 2659b, 2210b usw. und endet mit Nr. 608, 2756b (Bl. 587v). Im ersten Teil, Bl. 3r–298r, stimmt die Hs. – von einigen Umstellungen und Auslassungen abgesehen – verhältnismäßig gut mit der Weimarer Ausgabe überein; im zweiten, Bl. 299r–587v, ist die Reihenfolge freier und es treten öfter andere Lesarten auf. Bl. 3r–4v und 299r–602r sind von derselben Hand geschrieben wie fast der ganze Wolfenbütteler Codex“ (Fischer, Handschriften, s.u., 157). nicht in WA.TR Irmgard Fischer: Handschriften der Ratsbücherei Lüneburg, Bd. 2: Die theologischen Handschriften. 1. Folioreihe, Wiesbaden 1972, 157f.

London, British Library Ms. Add. 12059 (Codex Clossii) Papier; Folio; 431 Blätter von mehreren Händen des 16. Jahrhunderts geschriebene Sammlung mit Briefen, Gedichten, Tischreden und anderen Schriftstücken von Luther, Melanchthon, Jonas, Bugenhagen u. a. (von 1518 bis 1555 reichend) im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts im Besitz des Frankfurter Bibliophilen Georg Kloß (1787–1854); von Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849) für seine Lutherbriefausgabe benutzt; 1835 von Kloß mitsamt seiner ganzen Bibliothek in London versteigert; erworben vom Bischof von Lichfield Samuel Butler (1774–1839), mit dessen Bibliothek die Handschrift 1841 in das Britische Museum gelangte

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1835 von dem versteigernden Londoner Antiquariat Sotheby & Son fälschlich als Autograph Melanchthons bezeichnet Georg Kloss: Über Melanchthons angebliche Handschriften, welche in dem Catalogue of the Library of Dr. Kloss verzeichnet sind, in: Ser. 2 (1841), 369–377. – British Museum/British Library: Catalogue of Additions to the Manuscripts in the British Museum in the years MDCCCXLI to MDCCCXLV, London 1850, 30. – Karl Hartfelder: Melanchthoniana paedagogica, Leipzig 1892, 228f. – Robert Priebsch: Deutsche Handschriften in England, Bd. 2: Das British Museum, Erlangen 1901, 120f, Nr. 140. – Hans Volz: Eine neue studentische Nachschrift von Luthers erster Galaterbriefvorlesung von 1516/17, in: ZKG 66 (1954/55), 72–96, hier: 78f Anm. 24. – WA.BR 14, 98. Ms. Add. 17913 Papier; Folio, 31,4 x 21,4 cm; 334 gezählte Blätter; spätes 16. Jahrhundert; alter Holzdeckel mit gelbem gepresstem Lederrücken und Resten zweier Schließen Sammelband mit Briefen, Tischreden und Gedichten Luthers, Briefen Melanchthons, Crucigers und anderer aus der Zeit bis ca. 1550 (lateinisch) der Sammler ist ein Schüler von Mathesius, den er fol. 69b „charissimus praeceptor meus“ nennt; entnimmt die Tischreden ohne ersichtliche Ordnung der Sammlung des Mathesius wie auch anderen Quellen am 10.11.1849 aus dem Besitz von Konstantin von Tischendorf von der British Library erworben (fol. 2r: „Purchased of Dr. C. Tischendorf, 10th Nov. 1849.“) Sigel in WA.TR: Lond.; für die Edition nicht benutzt British Museum/British Library: Catalogue of additions to the manuscripts in the years MDCCCXLVIII–MDCCCLIII, London 1868, 62; Robert Priebsch: Deutsche Handschriften in England. Bd. 2: Das British Museum, Erlangen 1901, 169, Nr. 192. – WA.TR 1, XXI; 4, XXXVIII; WA.BR 14, 99. British Library, Manuscripts Catalogue (online): http://www.bl.uk/catalogues/manuscripts/INDEX.asp (6.9.2010). Ms. Add. 33610 Papier; Folio; 114 Blätter; 17./18. Jahrhundert fol. 49: lateinische Verse über Jan Hus und Hieronymus von Prag von Martin Luther, Hieronymus Treutler, Nikolaus Reusner, Johann Lauterbach und Adam Franciscus; Handschrift des 18. Jahrhunderts nicht in WA.TR British Library, Manuscripts Catalogue (online).

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Ms. Add. 57946 Papier und Pergament; verschiedene Formate; 47 Blätter Sammlung von gefälschten Briefen und Aufzeichnungen berühmter Persönlichkeiten vom 11. bis zum 19. Jahrhundert; englisch, lateinisch, deutsch fol. 2–17: Martin Luther, Brief an Dr. Hermann und geistliche Gedichte; 1524–1543; deutsch, mit einer englischen und einer französischen Übersetzung des Briefes zum größeren Teil aus der Fälschungs-Sammlung von James Tregaskis; durch die British Library 1973 von T. und L. Hannas, Bromley, erworben nicht in WA.TR British Library, Manuscripts Catalogue (online). Ms. Sloane, 1087 Papier; 18. Jahrhundert fol. 134: Martin Luther, Notes of his rise, and of the Anabaptists nicht in WA.TR British Library, Manuscripts Catalogue (online).

Marburg, Hessisches Staatsarchiv Best. 3, Nr. 2687 Blatt mit zwei Tischreden Luthers über Johannes Brenz und Martin Bucer = WA.TR 2, 383 (Nr. 2261b und 2260b). nicht in WA.TR freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Hans Schneider, Marburg; das betreffende Blatt ist in den vorliegenden Beschreibungen nicht verzeichnet: Walter Heinemeyer: Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen. Inventar der Bestände, Bd. 3: Staatenabteilungen Oldenburg bis Würzburg, Marburg 1954, 328–333. – WA.BR 14, 102.

München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 937 frühere Signatur: Cod. Monac. 87 nr. III Quart; 181 Blätter Tischreden Luthers sowie Briefe von Luther, Melanchthon, Veit Dietrich

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Vorblatt 1a: „Gratitudinis et observantiae gratia d[ono] d[edit] praestantissimo viro D[omino] M[agistro] Iohanni Tetelbach episkópo Chemnicensi hunc libellum Georgius Steinhart Idibus IUnii 1564.“ fol. 157r–158r: „Colloquium Lutheri cum Melanchthone in aedibus Crucigeri a. 1542, 2. Apr. habitum“ nach Kroker wie Clm 939 (s.d.) Abschrift einer von dem Freiberger Johann Lindener (1525–1585) angelegten Sammlung von Tischreden (Nachschriften von Johannes Schlaginhaufen, Veit Dietrich, Anton Lauterbach u.a.) wie Clm 939 geschrieben von dem ebenfalls aus Freiberg stammenden späteren Pfarrer von Ottendorf (bei Rochlitz) Georg Steinhart (Steinert, 1528– 1601), der beide Handschriften am 17.6.1564 seinem Lehrer, dem Chemnitzer Superintendenten Johann Tettelbach (1517–1598), schenkte Sigel in WA.TR: Clm 937; liegt dem Anhang zum 11. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 5, 275–296) CR 1, CVII. – Wilhelm Preger (Hg.): Tischreden Luthers aus den Jahren 1531 und 1532. Nach den Aufzeichnungen von Johann Schlaginhaufen. Aus einer Münchner Handschrift, Leipzig 1888, XXI–XXIV. – Karl Halm/Georg von Laubmann: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis. Bd. 1.1: Codices num. 1–2329, München ²1892, (ND Wiesbaden 1968), (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 3,I), 211. – WA.TR 1, XVIII; 2, IX–XII; 5, XXVIf, XXXf, 281f Anm. 4; WA.BR 14, 109 Anm. 2. Clm 939 frühere Signatur: Cod. Monac. 87 nr. V Quart; 236 Blätter; 1550 3. Vorsatzblatt: „Dicta et facta R[everendi] D[omini] D[octoris] Martini Lutheri et aliorum 1550. Georgius Steinert huius codicis est possessor.“ nach Kroker wie Clm 937 (s.d.) Abschrift einer von dem Freiberger Johann Lindener angelegten Sammlung von Tischreden (Caspar Khummers Sammlung, Nachschriften von Anton Lauterbach, Stücke aus Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers Sammlung) wie Clm 937 geschrieben von Georg Steinhart, der beide Handschriften am 17.6.1564 seinem Lehrer Johann Tettelbach schenkte Sigel in WA.TR: Clm 939; liegt dem 14. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 5, 343–353) CR 1, CVIf. – Wilhelm Preger (Hg.): Tischreden Luthers aus den Jahren 1531 und 1532. Nach den Aufzeichnungen von Johann Schlaginhaufen. Aus einer Münchner Handschrift, Leipzig 1888, XXII–XXIV. – Karl Halm/Georg von Laubmann: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis, Bd. 1.1: Codices num. 1–2329, München ²1892, (ND Wiesbaden 1968), (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Re-

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giae Monacensis 3,I), 212. – WA.TR 1, XVIII; 2, IX–XIII; 3, XXIXf; 5, XXXV; WA.BR 14, 109. Clm 941 frühere Signatur: Cod. Monac. 90 nr. VII Quart; 742 Blätter Gelehrtenbriefe (u.a. Luther, v.a. aber Melanchthon), Tischreden Luthers, Disputationen Melanchthons sowie zahlreiche Anekdoten (historiae) und Aussprüche (apophthegmata) berühmter Männer aus Melanchthons Vorlesungen zwischen 1553 und 1557 von dem ehemaligen Sekretär Veit Dietrichs und damaligen Wittenberger Studenten Johann Spon († 1562) aus Augsburg geschriebener und 1557 eingebundener erster Teil einer zweibändigen Sammlung (Clm 940 und 941). CR 1, CVIIf. – Karl Halm/Georg von Laubmann: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis. Bd. 1.1: Codices num. 1-2329, München ²1892, (ND Wiesbaden 1968), (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 3,I), 212. – Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg 1958 (EKGB 32), 26. – WA.BR 14, 110. Clm 943 frühere Signatur: Cod. Monac. 65 Quart; 274 Blätter; 1567 fol. 2r: „Martini Lutheri Privata Dicta, Consilia, Iudicia, Vaticinia, Item Epistolae, Sales, Consolationes hinc inde collectae Anno 1567“ zwischen 1558 und 1567 bzw. 1551/52 geschriebene zweiteilige Sammlung; im ersten Teil (fol. 1r–174r) Briefe, Aussprüche und Gutachten Luthers sowie von anderen Gelehrten (v.a. Melanchthon), im zweiten Teil (fol. 174v–273r) Abschrift der Tischredensammlung von Johann Schlaginhaufen Grundlage der Edition der Nachschriften Schlaginhaufens durch Preger 1888 (Sigel in WA: Schlag.; s.u.) ehemals im Besitz der Ratsbibliothek Regensburg, seit 1810 in der Königlichen Staatsbibliothek in München Sigel in WA.TR: Clm 943; liegt dem 13. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 5, 315-341) CR 1, CVIII. – Wilhelm Preger (Hg.): Tischreden Luthers aus den Jahren 1531 und 1532. Nach den Aufzeichnungen von Johann Schlaginhaufen. Aus einer Münchner Handschrift, Leipzig 1888. – Karl Halm/Georg von Laubmann: Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis,

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Bd. 1.1: Codices num. 1–2329, München ²1892, (ND Wiesbaden 1968), (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 3,I), 213. – WA.TR 1, XVIII, XXIIf.; 2, XIIIf.; 5, XXXIIIf; WA.BR 14, 110f. Coll. Camer. 5 = Clm 1035 5 Folio; 226 Blätter fol. 147r–148v = WA.TR 5, 142–146 (Nr. 5428a) von Ludwig Camerarius (1573–1561), einem Enkel des Humanisten Joachim Camerarius (1500–1574), angelegte Sammlung von Abschriften von Briefen Luthers und Melanchthons sowie sonstiger Schriftstücke zur Reformation als Teil der Sammlung von Camerarius (Collectio Camerariana) von dessen Erben vor 1774 an Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz (seit 1777 von Bayern; gest. 1799) verkauft; zunächst in der Mannheimer, dann in der Münchener Hofbibliothek CR 1, CX. – Karl Halm / Georg von Laubmann/Wilhelm Meyer, Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis. Bd. 2.1: Codices num. 8101-10930 complectens. Verzeichniss der handschriftlichen Sammlung der Camerarii in der K. Staatsbibliothek in München, München 1874, ND Wiesbaden 1968 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 4,I), 202–204. – WA.BR 114, 111.

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Hs. 20 994 4° = fol. 476–599 der ehemaligen Hs. 20 996 4°; dritter Teil einer dreibändigen Sammlung mit Predigten von Johann Mathesius sowie Tischreden Luthers aus der Sammlung des Mathesius und Anekdoten Melanchthons 124 Blätter, Quart;124 Blätter Überschrift: „Excerpta haec omnia in mensa ex ore Doctoris Martini Lutheri. Anno Domini 1540.“ 1892 ediert von Georg Loesche (s.u.) Sigel in WA.TR: Math. N. Johann Carl Seidemann: Je ein Brief von Amsdorf, Eck und Luther, in: ThStKr 51 (1878), 697–708, hier: 706f. – Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 10f (Edition:

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37-416). – WA.TR 1, XXI; 3, XVIII–XXV; 5, XXIV–XXVI; WA 46, XXIII; WA.BR 14, 115f.

Nürnberg, Stadtbibliothek Cent. V, App. 75 Oktav; 242 Blätter Titelblatt: „Collecta ex Colloquijs habitis cum D. Martino luthero, in mensa. per annos sex quibus cum eo Wittenberge communj sum vsus 29. 30. 31. 32. 34. 35.“ fol. 33r–198v: eigenhändige Tischreden-Nachschriften von Veit Dietrich aus den Jahren 1529 bis 1535; die weiteren Eintragungen auf dem Titelblatt und dem vorderen Pergamentdeckel, wonach es sich um ein Autograph von Johannes Mathesius handeln soll, sind irrig; die Ordnung der Lagen ist vor der Bindung durcheinandergeraten wohl durch Dietrichs älteste Tochter Margarete (1537–1570) an deren Ehemann Heinrich Schmiedel (Fabricius) d.Ä. und danach an dessen Sohn aus zweiter Ehe Heinrich Schmiedel d.J. (1564–1607), Diakonus in Wöhrd bei Nürnberg, gekommen; nach dessen Tod von der Nürnberger Bibliothek erworben Sigel in WA.TR: VD; liegt dem 1. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 1, 1–308) Wilhelm Preger (Hg.): Tischreden Luthers aus den Jahren 1531 und 1532. Nach den Aufzeichnungen von Johann Schlaginhaufen. Aus einer Münchner Handschrift, Leipzig 1888, XVIIIf. – Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg 1958 (EKGB 32), 13f, 94f. – WA.TR 1, XXIII, XXVII–XXXII; WA 30 II, 357, 509, 653f; 38, 173; 42, IX; 48, 244; 60, 170; WA.DB 4, 441; 10 II, 307–309; WA.BR 14, 117 Anm. 3. Solg. Ms. 70, fol. Folio; 99 Blätter ein – in seinem ersten Teil von dem Nürnberger Ratsherrn Johannes Ölhafen (1520–1580) herrührender – von mindestens zwei Händen geschriebener und vor 1560 abgeschlossener Sammelband mit abschriftlichen Briefen, Bedenken, Tischreden u. ä. vor allem von Luther, Melanchthon und Veit Dietrich; teilweise nach Vorlagen von Veit Dietrich im 18. Jahrhundert im Besitz des Nürnberger Geistlichen und Stadtbibliothekars Adam Rudolf Solger (1693–1770), von dem die Nürnberger Stadtbibliothek 1766 die Handschrift erwarb

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Adam Rudolf Solger: Bibliotheca sive supellex librorum [...] et codicum manuscriptorum …, Bd. 1, Nürnberg 1760, 258–260. – Ernst Ludwig Enders: Drei Lutherbriefe, in: ThStKr 64 (1891), 370–376, hier: 370f. – Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg 1958 (EKGB 32), 1, 20. – WA.BR 14, 119.

Riga, Latvijas Akademiska Biblioteka (ehemals: Stadtbibliothek) Mss. Nr. 350 ehemalige Signatur: Mss. Nr. 244 Papier; Quart; 307 Blätter; 16. Jahrhundert Titel: „Epistolae saeculi reformationis“ fol. 185r–280r: kleine Sammlung von Tischreden, Abschriften aus verschiedensten Quellen Vorbesitzer: Martin Friedrich Seidel (1621–1693); Andreas Erasmus Seidel (gest. 1711); seit 1718 Johann Peter von Ludewig (1688–1743); seit 1745 Sigmund Jakob Baumgarten (1706–1757); mit Baumgartens Bibliothek 1765 in Halle versteigert. Benutzt 1737/38 von Johann Christoph Wolf (1683–1739), vor 1749 von Johann Georg Walch (1693–1775) und um 1780 von Georg Theodor Strobel. Sigel in WA.TR: Rig.; für die Edition nicht benutzt Otto Waltz: Epistolae Reformatorum, in: ZKG 2 (1878), 300–305, hier: 300 Anm. 1; Johannes Haußleiter: Vier Briefe aus der Reformationszeit, in: ZKG 15 (1895), 418–427, hier: 418–425. – Johannes Haußleiter: Tischreden Luthers in einer Rigaer Handschrift, in: ThLBl 14 (1893), 359–362. – WA.TR 1, XXII; WA.BR 12, 399; 14, 125, 530–532, 543f.

Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Cod. Pal. lat. 1995 4° Quart; 147 Blätter von Johann Aurifaber (1519–1575) angelegte und teilweise von ihm selbst geschriebene Sammlung mit einer größeren Zahl abschriftlicher Trostbriefe Luthers und einiger Melanchthons aus verschiedenen Jahren sowie zahlreicher Tischreden Luthers zum Thema Trost in Anfechtung zusammen mit einer Reihe weiterer Handschriftenbände hergestellt für den zum Protestantismus übergetretenen Ulrich Fugger (1526–1584) aus Augsburg, den jüngsten Bruder von Johann Jakob Fugger. Nach dessen Tod mit 85 weiteren Handschriften aus seinem Besitz in der kurfürstlichen Biblio-

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thek in Heidelberg; 1623 als Teil der Bibliotheca Palatina in die vatikanische Bibliothek verbracht. Karl Schottenloher: Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch. Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik. Mit Anhang: Das Reformationsschrifttum in der Palatina, Münster 1927, 111; Paul Lehmann: Eine Geschichte der alten Fuggerbibliotheken, 2 Bde., Tübingen 1956–1960, I 160, II 550. – WA.BR 14, 127.

Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 8903 frühere Signatur: Hist. prof. 843 Papier; Quart; 430 Blätter „Martinus Luther et Philippus Melanchthon, Colloquia mensalia excerpta et in linguam latinam versa, quibus multa praemittuntur, subjunguntur et inseruntur carmina elegiaca, epigrammata etc.“ fol. 1r: „Ex libris Sebastiani Tengnagel Belgae Burani Caes. Biblioth. Curat. Ao. MDCVI.“ fol. 2r in margine: „Etsi hic totus liber ab inepto scriba miserrime depravatus est, tamen a mediocriter docto multa restitui, emendari et utiliter cognosci possunt. Sum Georgii Tanneri Iuriscons. et ipsius gratae posteritatis.“ fol. 134r: „Commentarii praecipui dictorum et historiarum Rever. Viri Mar. Lutheri et nonnulla clariss. viri D. Φ. Melanthonis ex libro Io. a Chytlich Baronis descripti Vitebergae Anno 1560. die V. Maii. Sum Georgii Tanneri Senioris Iuriscons. in communem perpetuum gratae posteritatis, filiorum et nepotum usum, Caspari, Georgii et Francisci Tannerorum.“ fol. 135r–218r: Tischreden Luthers, Anekdoten Melanchthons usw. fol. 222r: Sum Georgii Tanneri D. Senioris et gratae ipsius posteritatis. Vorbesitzer: Georg Tanner; Sebastian Tengnagel (s.o.) Sigel in WA.TR: Vind. 8903 Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum, Wien 1864–1899, (ND Graz 1965), Bd. 5: Cod. 6501–Cod. 9000, 312. – WA.TR 1, XXIIIf. Cod. 11797 frühere Signatur: Theol. 109 Papier; Folio; 373 Blätter

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aus sieben Teilen bestehender und von verschiedenen Händen des 16. Jahrhunderts geschriebener Sammelband mit Briefen und Aktenstücken zur Geschichte des 16. Jahrhunderts fol. 128r = WA.TR 1, 232f (Nr. 508) die einzelnen Teile befanden sich alle bereits 1576 in der Wiener Hofbibliothek und wurden spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu einem Band vereinigt Michael Denis: Codices Manuscripti Theologici Bibliothecae Palatinae Vindobonensis Latini Aliarumque Occidentis Linguarum. Bd. 1 : Codices Ad Caroli VI. Tempora Bibliothecae Illatos Complexum. Pars 2, Wien 1794, 1928–1934. – Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum, Wien 1864– 1899, (ND Graz 1965), Bd. 7: Cod. 11501–Cod. 14000, 46f. – WA.BR 14, 146f. Cod. 11847 frühere Signatur: Eug. F. 8 Papier; Folio; 357 Blätter fol.2: „Aurea Dicta, Expositiones Sacrarum Sententiarum, Solutiones quaestionum, Consilia, Iudicia, Carmina, Historiae, et id genus vtilissimus multarum rerum thesaurus, tam ex libris quam ore Reuerendi Patris Martin. Luth. exceptus, sub prandio, coena et aliis familiaribus colloquiis, ac priuatis conuiuiis etc. Incepi haec scribere 26. die Iulii anno 1557. Saltzungae.“ von dem Salzunger Pfarrer David Scheffer (1528–1567) 1557 angelegte, von fünf verschiedenen Händen geschriebene Sammlung mit Tischreden Luthers sowie weiteren Schriftstücken und Gedichten von Luther, Melanchthon, Brenz, Flacius u.a. danach im Besitz des als „Kryptocalvinist“ vertriebenen, in Heidelberg verstorbenen Wittenberger Superintendenten Friedrich Widebram (1532– 1585); nach dessen Tod dort zwischen 1595 und 1618 von dem reformierten Theologen Abraham Scultetus (1566–1624) für seine „Annalium Evangelii reconditi Decas prima“ (1618) benutzt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Besitz des Greifswalder Generalsuperintendenten Johann Friedrich Mayer (1650–1712). Im Januar 1716 auf einer Berliner Auktion von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) für 12 Taler für den Prinzen Eugen von Savoyen (1663–1736) erworben; nach dessen Tod 1738 in die Wiener Hofbibliothek gekommen Sigel in WA.TR: Vind. 11 847 Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum, Wien 1864–1899, ND Graz 1965, Band 7: Cod. 11501–Cod. 14000, 65. – Ernst Kroker: Luthers Werbung um Katharina von Bora. Eine Untersuchung über die Quelle einer al-

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ten Überlieferung, in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation, veröffentlicht von den Mitarbeitern der Weimarer Lutherausgabe, hg. v. Karl Drescher, Weimar 1917, 140–150, hier: 141–143. – Otto Clemen: Unbekannte Briefe, Drucke und Akten aus der Reformationszeit, Leipzig 1942, (ND Nendeln 1968), 61–73. – WA.TR 1, XXIV; WA.BR 14, 147.

Wittenberg, Lutherhaus Ag 4° 45 283 Blätter Vorsatzblatt: „Etliche gesprech des Hern Doctor Martin Luthers, so ehr mit seinen freunden gehalten, Item viel schoner trost in anfechtungen, Auch sendtbrieff, So ehr an den Churfursten von Sachsen vnd andere, der Religion halben geschrieben hat“ fol. 1r–192r: Sammlung ins Deutsche übersetzter Tischreden Luthers Schreiber, Alter und Herkunft unbekannt 1860 als Teil der Bibliothek des Halberstädter Oberdompredigers Christian Friedrich Bernhard Augustin (1771–1856) vom preußischen König erworben und dem Lutherhaus Wittenberg überlassen Sigel in WA.TR: Witt.; nicht für die Edition benutzt Julius Jordan: Zur Geschichte der Sammlungen der Lutherhalle 1877– 1922, Wittenberg 1924, 55. – WA.TR 6, XXII-XXXIII; WA 39 II, 426– 428; 48, 370; WA.BR 14, 149f.

Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek Cod. Guelf. 20. 2. – 20. 6. Aug. 4° ehemalige Signatur: Wolf. 3230–3234 Papier; Quart, 20,5 x 16,5 cm; 159. 194. 187. 248. 192 Blätter; 16. Jahrhundert; Pergamentbände mit grünen Bindebändern „Quinque libri vel volumina arcanorum consiliorum et colloquiorum D. Martini Lutheri et excerpta maximam partem ex ore eiusdem domi in mensa et alias, interspersis et aliorum, ut Philippi Melanthonis, consiliis“ fünfbändige Sammlung von Tischreden, von mehreren Händen des 16. Jahrhunderts geschrieben Signatur in WA.TR: Wolf. 3230–3234; Cod. Guelf. 20. 4. liegt dem 17. Abschnitt von Krokers Edition zugrunde (WA.TR 5, 393–401) Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abtheilung 2: Die Augusteischen Handschriften. Bd. 4,

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Wolf-Friedrich Schäufele

Wolfenbüttel 1900, ND Frankfurt a.M. 1966, 292f, Nr. 3230–3234. – WA.TR 1, XXV; 3, XV–XVII; 4, XXXVI; 5, XXXVIf.; 6, XXII–XXXII; WA.BR 14, 154f. Cod. Guelf. 20. 15 Aug. 4° Papier; Quart, 21 x 16,5 cm; 325 Blätter; 16. Jahrhundert; Pappband fol. 133r: „Prophecia reverendi patris D. M. Lutheri de causis perdituris Christianam religionem“ fol. 201r–201v: „Quedam consilia et explicationes magnarum rerum reverend. pie memoriae viri D. M. Lutheri“ fol. 217r–218r: „Vaticinium Lutheri anno 1532, mense Augusto, cum decesserat elector Johannes Saxonie“ Besitzvermerk fol. 1r: „Sum Sebastiani Stibari Suobacensis“; derselbe hat den größten Teil des Bandes geschrieben nicht in WA.TR Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Abtheilung 2: Die Augusteischen Handschriften, Bd. 4, Wolfenbüttel 1900, (ND Frankfurt a.M. 1966), 298–304, Nr. 3244 Cod. Guelf. 30. 3. Aug. 4° Papier; Quart, 20 x 15,5 cm; 134 Blätter (davon 35 unbeschrieben); 16. Jahrhundert; in fester Pergamentdecke mit überschlagendem Deckel zum Zuhaken Sammelband; im 1. Teil Abschriften von Briefen Luthers und anderer Reformatoren von einer Hand des 16. Jahrhunderts, im 2. Teil Abschriften reformatorischer Schriftstücke aus der Zeit nach Luthers Tod von verschiedenen Händen fol. 49v–50v: „Insignes quaedam sententiae D. Martini Lutheri hinc inde in libros scriptae“ fol. 134r–134v: „Verba M. Lutheri“ nicht in WA.TR Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abtheilung 2: Die Augusteischen Handschriften. Bd. 4, Wolfenbüttel 1900, (ND Frankfurt a.M. 1966), 352f, Nr. 3340. – WA.BR 14, 155. Cod. Guelf. 37. 21. Aug. fol. Papier; Folio, 31,5 x 19,5 cm; 230 Blätter; 16. und 17. Jahrhundert; Einband: Pappdeckel, mit rot gefärbtem Pergament überzogen. fol. 188v: „D. M. L(utheri) de consecratione eucharistías“

Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden

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fol. 197r–198r: „Aliud de confessione, sumpti sacramenti. Dat. Dinstag nach Johannis Baptistae 1531. D. Martin Luther“ fol. 198r–198v: „Doctor Martinus Lutherus cuidam de communicatione sub utraque specie“ Vorbesitzereintrag fol. 1r: „Johannes Hüppferus, Königsteina.-Palatinus, A. 1613 28. Aprilis Pattensen Saxonum“. nicht in WA.TR Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Abtheilung 2: Die Augusteischen Handschriften. Bd. 3, Wolfenbüttel 1898, ND Frankfurt a.M. 1966, 146–150, Nr. 2431. – WA.BR 14, 155f. Cod. Guelf. 64. 32. Extr. Papier; Folio, 33,5 x 21,5 cm; VI leere Blätter, 528 Seiten; Nürnberg, Anfang 17. Jh.; eingeheftet in eine Pergamentdecke aus einem Lektionar des 14. Jahrhunderts Seite 71–243: v.a. Tischreden Luthers und Dicta Melanchthons (Einzelnachweise und Edition bei Milchsack, s.u.) von dem seit 1557 in Wittenberg studierenden späteren Nürnberger Losungsschreiber Hieronymus Cöler (gest. 1613; zu ihm WA.BR 14, 291) seit 1560 gesammelt; die letzten Stücke datieren ins Jahr 1600; wohl in Nürnberg entstandene Abschrift von zahlreichen wechselnden Händen Gustav Milchsack: Gesammelte Aufsätze über Buchkunst und Buchdruck, Doppeldrucke, Faustbuch und Faustsage, sowie über neue Handschriften und Tischreden Luthers und Dicta Melanchthons, hg. von Wilhelm Brandes/Paul Zimmermann, Wolfenbüttel 1922, 211–252. Cod. Guelf. 72 Extr. Folio; 169 und 236 Blätter Titel: „Colloquia, Meditationes, Consolationes, Consilia, Responsa, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Facetiae D.Martini Lutheri piae et sanctae memoriae in mensa prandii et coenae et in peregrinationibus obseruata et fideliter transscripta“ Teil II datiert: „Anno 1569“ im Jahre 1569 (mit Ausnahme von II, fol. 106–188) von einer Hand geschrieben; angelegt wahrscheinlich für den Nürnberger Losungsschreiber Hieronymus Cöler (gest. 1613; zu ihm WA.BR 14, 291) später im Besitz von Hz. Rudolf August von Braunschweig (gest. 1704) Sigel in WA.TR: Wolf. Extr. 72 Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen

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Wolf-Friedrich Schäufele

des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 28f. – Wilhelm Meyer: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen der Tischreden Luthers, Berlin 1896 (AGWG.PH 1, Nr. 2), 7f. – WA.TR 1, XXV; WA 48, 173; WA.BR 14, 156. Cod. Guelf. 722 Helmst. (Codex Alektriandri) Papier; Quart, 20 x 15 cm; 344 Blätter nebst einigen Vorsatzblättern; 16. Jahrhundert; Einband: Holzdeckel mit Rücken aus gepresstem Schweinsleder, zwei Schließen fol. 2r–26r. 60v–61v. 105v–126v: „Quaedam insignia obiter excepta ex ore Doctoris Martini Lutheri in mensa eb eo narrata.“ fol. 275r–279r: „Iudicia et sententiae Lutheri“ fol. 281r–281v: „Dicta Lutheri et Victorini Strigelii“ fol. 329r–330r: „Dicta Lutheri“ von Israel Alektriander (Hahnemann, 1528–1595; zu ihm WA.BR 14, 283) aus Weida geschriebener Sammelband; wohl 1552 begonnen, 1554 in Weida eingebunden, 1555 durch handschriftliche Nachträge ergänzt ursprünglich im Besitz eines Pfarrers in Neustadt a. d. Orla; 1686 von einem gewissen Nicolaus Lindenberg erworben (letztes Vorsatzblatt: „Nicolaus Lindenberg emit Ienae, a. Ch. 1686“) nicht in WA.TR Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Abtheilung 1: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 2, Wolfenbüttel 1886, ND Frankfurt a.M. 1965, 165–167, Nr. 786. – Gustav Milchsack: Gesammelte Aufsätze über Buchkunst und Buchdruck, Doppeldrucke, Faustbuch und Faustsage, sowie über neue Handschriften und Tischreden Luthers und Dicta Melanchthons, hg. von Wilhelm Brandes/Paul Zimmermann, Wolfenbüttel 1922, 153–211 (Einzelnachweise und Edition). – Paul Drews/Ferdinand Cohrs (Hg.): Supplementa Melanchthoniana, Abteilung 5: Schriften zur praktischen Theologie. Teil 2: Homiletische Schriften, Leipzig 1929,( ND Frankfurt a.M. 1968), CIV–CVI. – WA 39 II, XXVIIf; 48, XVII und 368–370; WA.BR 14, 162. Cod. Guelf. 878 Helmst. Papier; Quart, 21 x 17,5 cm; 126 Blätter; 1556; neuerer Pappeinband Titel (fol. 1r): „XI. THESAVRVS Memorabilium. 15 . BR . 56 Mense Augusto“ fol. 2r–80v: „168 scho(e)ne trostliche Gedanckspru(o)che vnnd Colloquia D. M. Lutheri, so er vber Tisch vnnd sonst geredet, von seinen commensalibus vnnd anderen excipirt.“

Beständeübersicht zur handschriftlichen Überlieferung der Tischreden

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fol. 80v: „5 Dece[m]bris seu Vigilia Diui Nicolai. Finiuvi. 1556.“ weit ausgeführte pastorale Umarbeitungen von Tischreden Luthers in deutscher Übersetzung, möglicherweise von Aurifaber benutzt; auf einem Vorsatzblatt von neuerer Hand eine Konkordanz mit der gedruckten Tischredensammlung Aurifabers Sigel in WA.TR: Wolf. 980 [sic!]; für die Edition nicht benutzt Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abtheilung 1: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 2, Wolfenbüttel 1886, (ND Frankfurt a.M. 1965), 275f, Nr. 980. – WA.TR 1, XXV; 6, XXXIII–XXXVIII. Cod. Guelf. 1169 Helmst. Papier; 15 x 10,5 cm; 256 Blätter; Wittenberg, 1555/56; Holzdeckel mit gepresstem Schweinsleder überzogen; auf dem Vorderdeckel: WERNERVS; ROLEFINCK, auf dem Hinterdeckel: Anno 1556. Titel: „Exempla insignia factorvm dictorvmqve memorabilivm, et principvm et privatorvm, collecta ex lectionibus D. praeceptoris Philippi Melanthonis at aliorvm“ fol. 256v: „Finis insignium historiarum sententiarum et dictorum, quae Witebergae in lectionibus publicis ac privatis obseruata et collecta sunt.“ fol. 173r, 175v, 219r, 245v, 247r, 247v, 248r: Tischreden Luthers (Einzelnachweise und Edition bei Milchsack, s.u.) 1555/56 von einer Hand geschrieben war im Besitz eines gewissen Werner Rolefinck, der auch der Schreiber gewesen zu sein scheint. Vgl. zu ihm einen in die Handschrift eingeklebten Zettel: „Anno 1558 pastor erat in oppido Barby ditionis Anhaltinae quidam Wernerus, Philippi Melanchthonis discipulus. Extat illius ad hunc epistola, que suo tempore strepitum excitavit. Forte idem est cum scriptore huius codicis, saltem si ei Rollewinc, quod ex Becmanni historia cognosci poterit. Ioh. Franc. van de Velde. d. 27. Aug. 1804.“ – Johann Franz van de Velde scheint letzter privater Besitzer der Handschrift gewesen zu sein; danach im Besitz der Universität Helmstedt, von wo sie 1815 nach Wolfenbüttel gelangte. Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abtheilung 1: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 3: Codex Guelferbytanus 1001 Helmstadiensis bis 1438 Helmstadiensis, Wolfenbüttel 1884, (ND Frankfurt a.M. 1965), 91f. – Gustav Milchsack: Gesammelte Aufsätze über Buchkunst und Buchdruck, Doppeldrucke, Faustbuch und Faustsage, sowie über neue Handschriften und Tischreden Luthers und Dicta Melanchthons, hg. von Wilhelm Brandes / Paul Zimmermann, Wolfenbüttel 1922, 252–280.

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Zwickau, Ratsschulbibliothek Cod. ms. XXXIII Quart; 100 Blätter; Umschlag aus beschriebenem Pergament Registerband fol. 30v–43r: „Catalogus eorum quae in Chartis non compactis in folio continentur“; darin auf fol. 40v ff die Überschriften von Tischreden (anscheinend überwiegend Abschriften aus den Nachschriften des Johann Mathesius von 1540), die in einem verschollenen Band Georg Rörers auf fol. 259–265 standen aus dem Besitz von Andreas Poach (ca. 1515–1585) Sigel in WA.TR: Zwick. XXXIII. WA.TR 1, XXV; WA 10 III, IX–XI; WA.BR 14, 170 Anm. 2. Cod. ms. LXX Titel: „Adiaphoristica et Lutheri quaedam Apophthegmata“ fol. 41–85: Tischreden, v.a. aus der ersten Hälfte der 1530er Jahre Sigel in WA.TR: Zwick. LXX. Georg Loesche (Hg.): Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892, 30, 26. – WA.TR 1, XXV; 3, IX.

Zur Tischredenüberlieferung in der Wissenschaftlichen Bibliothek Dessau ERNST KOCH

Seit längerer Zeit wird im Zusammenhang mit dem Gesamtproblem der Überlieferung der Tischreden Martin Luthers auch die Beobachtung diskutiert, dass neben den in die Tischredenausgabe der Weimarer Gesamtausgabe aufgenommenen Stücken weitere einschlägige handschriftliche Stücke existieren, die – aus welchen Gründen auch immer – keinen Platz in der Gesamtausgabe gefunden haben und die auch nicht in die Dokumentation der Überlieferung aufgenommen worden sind. Zu solchen Quellen gehört ein im Nachlass des Fürsten Georg III. von Anhalt enthaltener Textkomplex, der sich in der Wissenschaftlichen Bibliothek Dessau (früher: Stadtbibliothek Dessau) befindet und der seit 23 Jahren bekannt ist.1 Seinerzeit kam es nur bei einem Teil der Überlieferung zu einer Identifizierung durch einen Vergleich mit den in WA.TR dokumentierten Texten. Eine erneute Beschäftigung mit dem Komplex kann nun einerseits Genaueres über die Dessauer Überlieferung und ihr Verhältnis zu der bereits bekannten Überlieferung beitragen, andererseits einen weiteren, ebenfalls bereits seinerzeit erwähnten Gesprächstext Luthers vorstellen.

1. Zum Kontext der Dessauer Überlieferung Der im Folgenden zu besprechende Textkomplex mit Tischreden Martin Luthers ist in der Georg-Bibliothek von der Hand desselben Schreibers überliefert, der auch in zwei Manuskriptbänden der gleichen Bibliothek – Georg Hs. 77 und Georg Hs. 84 – vertreten ist. Georg Hs. 77 enthält einen geschlossenen Textzusammenhang, nämlich das Fragment die Reinschrift einer Nachschrift einer Vorlesung von Johannes Bugenhagen über den 1 Vgl. ERNST KOCH: Handschriftliche Überlieferungen aus der Reformationszeit in der Stadtbibliothek Dessau, in: ARG 78 (1987), 321–345, hier: 338–339.

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Ernst Koch

Propheten Jeremia (bis Jer 3,29 reichend).2 Auch Georg Hs. 84 enthält durchweg Reinschriften von Schriftauslegungen: Scholien eines nicht identifizierten Autors zu Luk 1–22 sowie einen Sermo de passione Christi eines nicht genannten Autors, ferner Reinschriften von relativ knapp gehaltenen Nachschriften von Vorlesungen von Justus Jonas über paulinische Briefe sowie von der Vorlesung Luthers über den Titusbrief von 1527 (vgl. WA 25, 6–69 und 48, 305–312) und von der Vorlesung Luthers über den 1. Johannesbrief vom gleichen Jahr (vgl. WA 20, 599–801 und 48, 314– 323).3 Anderen Charakters ist der Inhalt von Georg Hs. 108. Diese Handschrift enthält neben dem noch zu besprechenden Textkomplex mit Tischredentexten Luthers Stücke aus dem Briefwechsel Melanchthons und Luthers, dazu weitere Briefe von Zeitgenossen der beiden Wittenberger Autoren, Aufzeichnungen zur Reformation im Stift Merseburg, ein Täuferverhörprotokoll, die Reinschrift einer Nachschrift von Predigten eines nicht Genannten über Luk 5,1–11 sowie weitere Stücke diversen Inhalts. Während Georg Hs. 108 keine Merkmale von Benutzung durch spätere Interessenten enthält, finden sich in Georg Hs. 77 Randbemerkungen, Seitenverweise und weitere Notizen einschließlich von Datenangaben, die auf Benutzung durch Georg Helt und möglicherweise Fürst Georg selbst schließen lassen. Auch in Georg Hs. 84 finden sich Marginalien, in diesem Falle von der Hand von Nikolaus Hausmann. Offen bleibt nach wie vor die Identität des Schreibers, der in den drei genannten Handschriften im Nachlass von Fürst Georg nachzuweisen ist. Offen bleiben muss auch, worauf die frühen Benutzungsspuren in den genannten zwei Handschriften schließen lassen, vor allem auch, wie der unbekannte Schreiber der Handschriften einerseits zu den von ihm wiedergegebenen Texten, andererseits zu den Personen steht, die Interesse an seinen Texten gehabt haben. Zu Nikolaus Hausmann führen allerdings weitere Befunde, etwa von Zwickauer Doppelüberlieferungen von Manuskripten der Georg-Bibliothek.4 Als sicher kann gelten, dass alle drei Handschriften in den Wirkungskontext des anhaltischen Fürsten Georg III. gehören.

2

Vgl. KOCH: Überlieferungen, 326. Vgl. KOCH: Überlieferungen, 328–329. 4 Vgl. KOCH: Überlieferungen, 324. 3

Zur Tischredenüberlieferung der Bibliothek Dessau

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2. Zum Textkomplex in Georg Hs. 108 Der auf insgesamt 19 Manuskriptseiten im Quartformat in Reinschrift überlieferte Textkomplex5 mit Tischreden Martin Luthers entspricht, von einer Ausnahme abgesehen – es handelt sich bei ihr um eine Parallelüberlieferung zu einem von Johann Aurifaber überlieferten Tischredentext6 – überwiegend zwei Passagen der Cordatus-Überlieferung, nämlich den Ziffern 22–130, die in WA.TR 2, Nr. 1966–1994 und 2001–2065 dokumentiert sind. Auch hier sind Ausnahmen zu bemerken. Den zwei Passagen vorgeschaltet ist die Parallele zu Cordatus 278–279 / WA.TR 2, Nr. 2198 (S. 359, 5–11).7 Innerhalb des Dessauer Textes fehlen die Entsprechungen zu folgenden Cordatus-Ziffern: Nr. 31/ WA.TR 2, Nr. 1971 (S. 284), Nr. 38/ WA.TR 2, Nr. 1978 (S. 286), Nr. 64/ WA.TR 2, Nr. 2003 (S. 286), Nr. 66/ WA.TR 2, Nr. 2005 (S. 292), Nr. 70–71/ WA.TR, Nr.2009–2010 (S. 293), Nr. 82–85/ WA.TR 2, Nr. 2020–2023 (S. 297), Nr. 92–93/ WA.TR 2, Nr. 2030–2031 (S. 299), Nr. 95–103/ WA.TR 2, Nr. 2033–2041 (S. 300–301), Nr. 108/ WA.TR 2, Nr. 2046 (S. 302), Nr. 112–122/ WA.TR 2, Nr. 2048–2057 (S. 304–305), Nr. 124–127/ WA.TR 2, Nr. 2059–2062 (S. 307–308). Die in der Dessauer Überlieferung fehlenden Stücke umfassen 37 Ziffern der in WA.TR enthaltenen Cordatustexte, also reichlich 31 %. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass in vielen Fällen der Wortlaut der Cordatus-Texte in den in Dessau überlieferten Stücken variiert, verkürzt oder bearbeitet ist, ohne dass bisher diese Bearbeitungen anderswo nachzuweisen wären. Ein Beispiel dafür bietet folgender Vergleich zweier Textfassungen (Abweichungen in der Dessauer Überlieferung sind kursiv wiedergegeben):

5

1987: Stadtbibliothek Dessau, inzwischen: Wissenschaftliche Bibliothek Dessau, GEORG HS. 108, Bl. 13r–22r. 6 Dessau: Bl. 13r–14v (mit lateinischer statt deutscher Einleitungspassage), WATR 6, Nr. 6997 (312, 21–313, 37) 7 KOCH: Überlieferungen, 338, ist entsprechend zu berichtigen.

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Ernst Koch

Hs. 108, Bl. 14v:

WA.TR 2, Nr. 1965–1966 (S. 281, 29–282, 8):

Ex collatione audita. De sua Catharina dicebat se eam pluris ducere quam totum francie regnum et venetorum dominationem. Primo quod dono ei data esset, illa boan dei creatura a deo, et ipse rursus donatus esset eidem. Secundo quod longe maiora vicia audiret passim inter coniuges esse quam in ea inuenirentur. Tercio abunde sat causarum esse eam amandi, quod fidem non frangeret thori, deinde esset mater quae omnia si maritus contemplaretur facile triumphaturum aduersus dissidia quae solet sathan inter coniuges mouere.

Impijs omnis creatura dei est aperta pariter et abscondita, quemadmodum si asino rorem marinum dederis ad mandere, foenum putabit sese mandere Est autem eis aperta, quia vident eam, abscondita quia non contemplantur creatorem in creatura.

(Nr. 1965) De sua Anirahtac8 dicebat se eam pluris ducere quam totum Franciae regnum et dominationem Venetorum, primo quod dono ei data esset illa bona Dei creatura a Deo, et ipse rursus donatus esset eidem; secundo, quod longe maiora vitia audiret passim de aliis mulieribus, quam in ea invenirentur. Tertio abunde sat causarum in ea esse, ut amaretur, quod fidem non frangeret thori, deinde quod mater esset in talis quidem, quae cito concifiret et pareret cito etc. Qualia si sola maritus saepe contemplaretur, facile superaturum discidie, que plerunque eficeret inter coniuges. (Nr. 1966:) Impiis omnis creatura est aperta pariter et abscondita: Esse enim eis omnem creaturam, ut asino est ros marinus ad mandendum objectus, putat enim se foenum mandere. Est etiam eis aperta, quia vident eam; abscondita vero, quia non contemplantur in creatura creationem.

An diesem Text lässt sich im Vergleich nicht nur mit Cordatus, sondern auch mit seiner Quelle Johann Aurifaber und weiteren Bearbeitungen bis hin zu den frühen Drucken9 exemplarisch feststellen, welche Veränderungen die ursprüngliche Textfassung erfahren hat. Einen im Wortlaut von Cordatus völlig abweichenden Text bietet die Dessauer Überlieferung in folgendem Fall:

8

WA.TR 2, 281 Anm. 6 gibt eine Randbemerkung bei Cordatus wieder: „Versa: Catharina“. 9 WA.TR 1, Nr. 49 (17, 10.32) mit Anm. 4 bis 12.

Zur Tischredenüberlieferung der Bibliothek Dessau Hs. 108, Bl. 16r: Non tamen Theologicam prophanationem misse nemo exprimere potest quanta sit Sed neque prophanam quod tamen pecunarum[?] perierat [!] propter illam.

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WA.TR 2, Nr. 1977 (S. 285, 40–286, 2): Quemadmodum nemo potest exprimere,quam impia sacrorum profanation sit missa, ita nemo dicere potest quantam illa pecuniam perdiderit et perierit per ipsam.

In weiteren Dessauer Texten fehlen Teile der Entsprechung in der Cordatus-Überlieferung, so z. B. in dem Nr. 1973 entsprechenden Text der ganze letzte Satz ( WA.TR 2, S.284, 18–19).10 In einem Falle, nämlich bei der WA.TR 2, Nr. 2015 entsprechenden Überlieferung, bietet der Dessauer Text zwei im Text unterschiedliche Varianten an unterschiedlichen Stellen seiner Überlieferung: Hs. 108, Bl. 19v: Nudis verbis deus non potuisset nobis adeo commendare misericordiam suam, remissionem peccatorum et qua alia sunt benedictionis sue nisi tam fortia et magna exempla nobis verbum concelebraret quorum primum est ade Deinde et reliquorum ut dauidis, Job maledictionis11 pariter et Hieremie et aliorum multorum.

Hs. 108, Bl. 20v: Nudis verbis suis deus nunquam potuisset nobis commendare benedictionem ut credita esset Si non opposuisset exempla dues ut ade Dauidis Petris etc.

Ganze Passagen finden sich in der Dessauer Überlieferung in anderer Reihenfolge. So folgen dem Text 54 bei Cordatus (WA.TR 2, Nr.1994) in Dessau die Entsprechungen zu Cordatus 67–69 (WA.TR 2, Nr. 2006–2008) sowie 71 (WA.TR 2, Nr. 2010). Daran schließen sich die entsprechenden Texte Cordatus 62 (WA.TR 2, Nr. 2001) und 65 (WA.TR 2, Nr. 2004) an, gefolgt von Cordatus 72-81 (WA.TR 2, Nr. 1011–2019) und 86–91 (WA.TR 2, 2024–2029) sowie 94 (WA.TR 2, Nr. 2032), während sich hier Cordatus 77 (WA.TR 2. Nr. 2015) anschließt. Von hier an beschließen die Entsprechungen zu Cordatus 104–130 (WA.TR 2, Nr. 2042–2065) die Dessauer Aufzeichnungen, unterbrochen von der fehlenden Entsprechung zu Cordatus 108 (WA.TR 2, Nr. 2046). Zu der Sammlung von Konrad Cordatus hat sich 1913 Ernst Kroker geäußert,12 dabei teilweise heftige Kritik an ihm geübt und ihm beispielswei-

10

Wissenschaftliche Bibliothek Dessau, Georg HS. 108, Bl. 15v. Dieses Wort ist vom Schreiber nachgetragen worden. 12 Vgl. WA.TR 2, XXI–XXXII. 11

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se „Nachlässigkeit“ im Umgang mit seinen Quellen vorgeworfen.13 Mögen manche seiner Beobachtungen weiterhin Bestand haben, so ist zu bezweifeln, dass es denen, die sich im 16. Jahrhundert um die Überlieferung der Tischreden Martin Luthers bemüht haben, um historische Sorgfalt im neuzeitlichen Sinne gegangen sein müsste. Das gilt mit Sicherheit auch für den bisher unbekannten Schreiber der Dessauer Überlieferung. Handelt es sich bei den im Vorausgehenden vorgestellten Texten ausnahmslos um solche, für die im weitesten Sinne Entsprechungen in den in WA.TR wiedergegebenen Texten existieren, so ist nun noch auf einen weiteren Text hinzuweisen, für den es in der bisher zur Veröffentlichung gelangten Redenüberlieferung Luthers keine Parallele oder Entsprechung gibt.

Abbildung 1: Georg Hs. 108, Bl. 19v: Georg Hs. 108, Bl. 20v

13 So z.B. am Umgang von Cordatus mit seiner von Kroker behaupteten Vorlage in der oben wiedergegebenen Passage (Nr. 1965–1966) (XXIII).

Zur Tischredenüberlieferung der Bibliothek Dessau

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3. Ein unbekannter Redetext Luthers Im gleichen Dessauer Handschriftenband Georg Hs. 108 findet sich auf der letzten Seite,14 von anderer, nicht identifizierter Hand geschrieben, die Aufzeichnung einer weiteren Äußerung Martin Luthers. Sie ist in ihrer Eigenart manchen Tischredenaufzeichnungen darin ähnlich, dass sie sich auf einen Hörzeugen beruft, einen konkreten Adressaten hat, der von Luther angesprochen wird, datierbar ist und sich einem erschließbaren Anlass verdankt. Nicht auszuschließen ist, dass der gesamte Text die Kopie einer anderen Überlieferung darstellt. Bei dem Hörzeugen, der nicht mit dem Protokollanten identisch sein muss, handelt es sich um den Wittenberger Maler Sebastian Adam, dessen Nachnamen die Aufzeichnung anonymisiert, jedoch seinen Beruf angibt und ihn damit eindeutig identifizieren lässt.15 Adressat der Anrede ist Johann Pfeffinger, zur Zeit des Gesprächs noch Pfarrer in Belgern, der auf dem Wege ist, in Leipzig bei der Einführung der Reformation mitzuwirken.16 Diese Situation beschreibt der lateinische Vorspann zum eigentlichen Redetext. Datiert ist die Aufzeichnung ebendort auf das Jahr 1539, demnach müsste die Äußerung Luthers unmittelbar vor dessen Aufbruch nach Leipzig am 22. Mai 1539 oder während des Zwischenaufenthalts in Eilenburg erfolgt sein. Luthers Anrede setzt die persönliche Anwesenheit von Pfeffinger voraus. Soweit bisher zu erkennen ist, ist die Szene, die der Text beschreibt nirgendwo sonst überliefert. Luther spricht in ihr Pfeffinger Mut zu, sich von Gegnern in Leipzig nicht einschüchtern zu lassen, sondern Christus zu 14

Wissenschaftliche Bibliothek Dessau, Georg HS. 108, Bl. 55r. Über Sebastian Adam (gest. 1546): J[OHANN] K[ARL] SEIDEMANN: Sebastian Adam, ein unbekannter Wittenberger Maler, †1547, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit NF 21 (1874), 179–181. Arbeiten Adams sind für 1531 und 1536 in den Kämmereirechnungen von Langensalza und in Torgau nachweisbar. Er hatte einen Freund, Adrian Hueber, in Linz, dessen Sohn Christoph während seines Studiums in Wittenberg bei Adam wohnte (GRETE MECENSEFFY: Evangelisches Glaubensgut in Oberösterreich, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 2 [1952], 148). Über ein Gemälde Adams, den Gekreuzigten mit Maria und Johannes darstellend, berichtet Nikolaus Hausmann an Georg Helt am 5. März 1535 (Georg Helts Briefwechsel, hg. v. OTTO CLEMEN, Leipzig 1907, 88). Ferner: Allgemeines Künstler-Lexikon 1 (1992), 311. WA.BR 9, 612f. Anm. 5. MBW 11 (Personen A-E), 36 (hier auch weitere Hinweise). Zu beachten bleibt der Hinweis von Werner Schade, dass alle Künstlernamen in der Umgebung von Lukas Cranach in Wittenberg „schattenhaft“ bleiben (WERNER SCHADE: Die Malerfamilie Cranach, Dresden3 1979, 46). 16 Zu Pfeffinger vgl. FRIEDRICH SEIFERT: Johann Pfeffinger, der erste lutherische Pastor zu St. Nicolai und Superintendent in Leipzig, in: BSKG 4 (1888), 33–162. 15

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Ernst Koch

predigen. Die Gegner haben die klügsten Leute von Leipzig der Stadt verwiesen. Sie werden sie nun wieder in Leipzig einlassen müssen. Diese werden mit anderen Bewohnern von Leipzig die Predigt Pfeffingers gern hören. Luther benennt unter den vermutlichen künftigen Gegnern in Leipzig zwei Personen namentlich: den Mediziner Heinrich Stromer aus Auerbach17 und den Juristen und Ordinarius an der Leipziger Juristenfakultät Georg von Breitenbach.18 Beide gehörten zu der in Leipzig einflussreichen Gruppe der erasmianisch gesinnten Reformer, beide hatten ein persönlich nahes Verhältnis zum Landesherrn, Herzog Georg von Sachsen. Das brachte sie in eine gewisse Distanz zur Wittenberger Reformationsbewegung, zumindest in ihrem dem erasmianischen Humanismus gegenüber kritischen Zweig. Luther spielte auch auf sie an, wenn er in seiner Leipziger Predigt am Sonnabend vor Pfingsten 1539 äußerte: „Ich befürchte aber, daß leider unter uns viel Wetterhanen und dergleichen Unkraut seyn werden“.19

Anhang Der unbekannte Text aus Georg Hs. 108, Bl. 55r: Zur Textgestalt: Der Text enthält in seiner überlieferten Fassung einige schwer verständliche Wendungen. Sie weisen möglicherweise darauf hin, dass es sich bei dem Text um eine Abschrift handelt, dessen Einzelheiten der potentielle Abschreiber nicht hat lesen oder verstehen können. In der folgenden Wiedergabe ist die Zeichensetzung ergänzt. Hec Verba excepit Sebastianus N. pictor Wittenbergensis ex ore Martinj in presentia Pastoris a Belgern, qui missus erat ad Lipsienses Vt illic cum alijs fideliter p(rae)dicaret verbum dei. Anno. 1.5.3.9 Furcht euch nicht vor Ihrer Kluckheit, Last euch nicht anders beduncken, wen sie vor euch stehen, Nemlich Doctor Awerbach vnnd Doctor Breitenbach etc., so stunde(n) die grosten narren vor euch, die Im lande sein, Die wir mit unsern Pauren aus dem landt woltenn Disputirenn. Predigt ewernn Christum, wie bisher, Denn sie stehen In den gedenckenn, reichtumb vnnd gut, mach weise leute, Denn sie haben die Rechten klugistenn weisen leut 17

Zu Stromer vgl. OTTO C LEMEN: Zur Lebensgeschichte Heinrich Stromers von Auerbach (1903), in: DERS.: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte, hg. v. Ernst Koch, Bd. 1, Leipzig 1982, S. 522–532, bes. 527–528. 18 Zu vgl. T HEODOR MUTHER: „Breitenbach, Georg von“, in: ADB 3 (1876), 288f. 19 WA 47, 777, 35–36.

Zur Tischredenüberlieferung der Bibliothek Dessau

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aus der Stadt geiagt, vnnd die narren, sich selbs, vber die ayer gesetzt, nun müssen sie dieselbigen klugen leut wider einlassen vnd vom ayer stock weichenn, die weren euch mit sambt andern gerne horenn.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha DANIEL GEHRT

1. Das Sammeln von Zeugnissen der Reformation zu Repräsentationszwecken einer Dynastie Die Forschungsbibliothek Gotha besitzt eine der bedeutendsten Sammlungen von Handschriften und Drucken zur lutherischen Konfessionskultur in der Bundesrepublik Deutschland. Der Erwerb dieser Bestände für die einstige Herzogliche Bibliothek war dynastisch motiviert und hing unmittelbar mit dem Selbstverständnis der Ernestiner als Schutzherren des Luthertums zusammen. Nach dem Tod Martin Luthers 1546 und der machtpolitischen Niederlage der Dynastie im Schmalkaldischen Krieg 1547 bemühten sich die Ernestiner um die Bewahrung der ihres Erachtens genuinen Theologie des Reformators gegenüber dem Religionsausgleich des Kaisers im Augsburger Interim 1548 und der sich manifestierenden Pluralität innerhalb des Luthertums.1 Durch den Erwerb der umfangreichen Sammlung Georg Rörers mit zahlreichen Briefabschriften, Predigt- und Vorlesungsmitschriften sowie Tischreden, die er zu Lebzeiten Luthers in Wittenberg gesammelt hatte, machten die Fürsten ihre 1548 gegründete Hohe Schule Jena zum Depositum des theologischen Erbes Luthers.2 Das konfessionelle Sonderbewusstsein der ernestinischen Dynastie wurde zur antreibenden Kraft hinter mehreren größeren editorischen und historiographischen Auftragswerken, wie etwa der zwischen 1555 und 1558 in Jena erschienenen Lutherausgabe, der quellengesättigten Darstellung des Schmalkaldischen Krieges durch den Weimarer Rat Friedrich Hortleder 1617/18 und der zehnbändigen Altenburger Lutherausgabe, die

1 Vgl. DANIEL GEHRT: Ernestinische Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung und dynastische Identitätsbildung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel 1577, Leipzig 2011 (AKThG 34). 2 Vgl. dazu den Beitrag von STEFAN M ICHEL im vorliegenden Sammelband.

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Daniel Gehrt

zwischen 1661 und 1664 veröffentlicht wurde.3 In besonders hohem Maße förderten die Gothaer Fürsten ambitionierte Projekte zur Historiographie des Luthertums. Die Herzöge Ernst I. und Friedrich I. von Sachsen-GothaAltenburg stellten dem einstigen Gothaer Kanzler Veit Ludwig von Seckendorff reichliches Quellenmaterial aus dem Ernestinischen Gesamtarchiv in Weimar und aus ihrer 1647 gegründeten Bibliothek auf Schloss Friedenstein für seinen Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo zur Verfügung. Dieses monumentale Werk erschien erstmals 1688 und 1692 in einer mit zahlreichen Quellenbeilagen erweiterten Zweitauflage.4 Durch eine gezielte Erwerbsstrategie bauten die beiden Gothaer Fürsten und dann ihr Nachfolger Herzog Friedrich II. anlässlich des 200jährigen Jubiläums von Luthers Thesenanschlag 1717 die Sammlung der reformatorischen Drucke und Handschriften der Herzoglichen Bibliothek dermaßen aus, dass sie bereits Anfang des 18. Jahrhunderts die Reformation als gesamteuropäisches Phänomen widerspiegelte. Vor allem Ernst Salomon Cyprian, der zwischen 1713 und 1745 als Kirchenrat, Konsistorialassessor und Bibliotheksdirektor in Gotha tätig war, sorgte für die Erweiterung der Bestände und die Edition zahlreicher Briefe und Dokumente.5 In diesem Teilbestand der heutigen Forschungsbibliothek Gotha befinden sich mehr als 7.000 Tischreden des Wittenberger Theologieprofessors Martin Luther, die vereinzelt oder in umfangreich angelegten Sammlungen in verschiedenen Handschriftenbänden enthalten sind. Dabei handelt es sich vorwiegend um bearbeitete Aufzeichnungen der Mitschreiber, neue Kompilationen und mehrfach angefertigte Abschriften, die vor der Publi3 Vgl. S IEGRID W ESTPHAL: Nach dem Verlust der Kurwürde. Die Ausbildung konfessioneller Identität anstelle politischer Macht bei den Ernestinern, in: Martin Wrede/Horst Carl (Hg.): Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels im Umbruch und Krise, Mainz 2007, 173–192, hier 184–191. 4 VEIT LUDWIG VON SECKENDORFF: ... Commentarius Historicus Et Apologeticus De Lutheranismo, Sive De Reformatione Religionis ductu D. Martini Lutheri In magna Germaniae parte, aliisque regionibus, & speciatim in Saxonia recepta & stabilita: In quo Ludovici Maimburgii Jesuitae Historia Lutheranismi Anno MDCLXXX Parisiis Gallice edita, Latine versa exhibetur [...], Frankfurt/Main: Johann Friedrich Gleditsch, 1688 (VD 17 23:230357Y, VD 17 1:072635D) bzw. 1692 (VD 17 3:307951H). 5 Vgl. GUSTAV ADOLF B ENRATH: Ernst Salomon Cyprian als Reformationshistoriker. In: Ernst Koch / Johannes Wallmann (Hg.): Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung. Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14. bis 16. September 1995 in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha Schloß Friedenstein, Gotha 1996 (Veröffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 34), 36–48.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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kation der ersten deutschen Tischredenausgabe von Johannes Aurifaber 15666 und der ersten lateinischen Ausgabe auf der Grundlage der Sammlung Anton Lauterbachs 15717 entstanden. Denn ebenso wie zahlreiche Briefe, Gutachten und andere Aussagen der humanistisch-reformatorischen Autoritäten in Wittenberg waren Tischreden aus privaten Interessen intensiv handschriftlich verbreitet worden, bevor entsprechende Kompilationen in Druck erschienen.8 Der von Aurifaber geprägte Begriff „Tischreden“ ist eine schwer zu bestimmende Gattung mit mehreren Grauzonen. „Tischreden“ oder „Tischgewürze“ (condimenta mensae), wie die Mitschreibenden die anregenden Gespräche nannten,9 rufen das Bild eines geselligen Abends am Tisch des Theologieprofessors im Schwarzen Kloster hervor, an dem lebhaft diskutiert und erzählt wird. Neben Monologen führt die charismatische Zentralfigur auch Dialoge mit den Anwesenden. Eine solche Tischszene mit den Wittenberger Professoren Johann Forster, Johann Bugenhagen, Justus Jonas, Martin Luther, Philipp Melanchthon, Paul Eber und Caspar Cruciger schmückt das Titelblatt der Frankfurter Tischredenausgabe von 1567.10 Nicht alle Teile der Tischredensammlungen stammen jedoch aus Gesprächen in den Privaträumen des Reformators. Während die beste Überlieferung des Tagebuches Anton Lauterbachs aus den Jahren 1536, 1537 und 1539 (Chart. B 169) Abendgespräche (Colloquia serotina) betitelt ist, 6 Martin Luther: Tischreden Oder COLLOQVIA ... So er in vielen jaren / gegen gelarten Leuten / auch frembden Gesten / vnd seinen Tischgesellen gefüret / Nach den Heubtstücken vnserer Christlichen Lere / zusammen getragen, Eisleben: Urban Gaubisch, 1566 (VD 16 L 6748). 7 Martin Luther: COLLOQVIA, MEDITATIONES, CONSOLATIONES, CONSILIA, IVDICIA, SENTENtiae, Narrationes, Responsa, Facetiae, D. Mart. Luth. piae & sanctae memoriae, in mensa prandij & coenae, & in peregrinationibus, obseruata & fideliter transscripta. TOMVS PRIMVS. (SECVNDVS.) ..., Frankfurt/Main: Nikolaus Basse, 1571 (VD 16 L 6768). 8 Dies lässt sich aus den Beschreibungen einzelner Handschriften mit Lutherbriefen schließen in: WA.BR 14, 1–332. Dennoch wird dieses dynamische Moment der Überlieferung weder in den folgenden Abschnitten desselben Bandes über Editionsvorhaben des 16. bis 20. Jahrhunderts noch bei Junghans direkt thematisiert. Vgl. HELMAR JUNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: D. Martin Luthers Werke. Sonderedition der kritischen Weimarer Ausgabe. Begleitheft zu den Tischreden, Weimar 2000, 25–50. 9 Vgl. WA.TR 4, XXVIII. 10 Martin Luther: COLLOQVIA Oder Tischreden Doctor Martini Lutheri / so er in vielen jaren / die Zeyt seines Lebens / gegen Gelehrten Leuthen/auch hin vnd wider bey frembden Gesten / vnd seinen Tischgesellen geführet ... Durch Herrn J OHANN AURIFABER , Frankfurt a. M.: Peter Schmidt, 1567 (VD 16 L 6751). Beschrieben bei: J OHANNES SCHILLING: Bibliographie der Tischreden-Ausgaben, in: WA 59, 747–780, hier 764f., Nr. 6.

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geht aus seiner überarbeiteten Sammlung (Chart. A 262) explizit hervor, dass die Gespräche nicht nur mittags und abends beim Essen (in mensa prandii et coenae), sondern auch auf Reisen (in peregrinationibus) aufgenommen wurden. Sicherlich haben mehrere Sinnsprüche und Erzählungen ihre Ursprünge auch in Predigten, Vorlesungen, akademischen Reden und Disputationen des Theologieprofessors, auch wenn der Kontext nicht erwähnt wird. Der Begriff „Tischreden“ wird nahezu exklusiv in Bezug auf Luther verwendet, während überlieferte Aussprüche, Urteile und Erzählungen Melanchthons und anderer Mitglieder des Wittenberger Kreises häufig als dicta bzw. exempla bezeichnet werden. Viele Sammlungen, unter anderem Lauterbachs und die Gothaer Handschriften Chart. B 21 und Chart. B 1482, enthalten Aussprüche und Erzählgut von Luther, Melanchthon und anderen Universitätsmitgliedern, die ineinander vermischt sind. Die Urheber anderer in Wittenberg aufgezeichneter Reden bleiben im Dunkeln. Solche Überlieferungen zeugen davon, dass Zeitgenossen die von Wittenberg ausgehenden Kirchen- und Bildungsreformen als ein kollektives Ereignis revolutionärer Dimension wahrnahmen. So entstand nicht von ungefähr in der Elbestadt zu Beginn der 1540er Jahre die Vorläuferform der alba amicorum, nämlich der Brauch, eigenhändige Bibelspruchauslegungen von mehreren Professoren auf den Vorsatzblättern privater Bücher zu sammeln.11 Kompilatoren der Tischreden wie ließen häufig auch in Büchern eingetragene Widmungen oder Auszüge aus den Briefen, Gutachten und Schriften Luthers teilweise unauffällig in ihre Sammlungen einfließen. Auch durch dieses Verfahren ist der Begriff „Tischreden“ zu einer semantischen Hülle geworden, die mit einer Vielfalt sinnreicher Aussagen verschiedener Gattungen gefüllt wird. Dieses Phänomen lässt sich zum Teil auf Grund der Nutzungsinteressen der Sammler erklären. Die Mitschreiber fertigten keine vollständigen Protokolle der Gespräche Luthers an, sondern selektierten nach subjektiver Wertempfindung. So wurden Aufzeichnungen Anton Lauterbachs und Ludwig Rabes als apophthegmata12 bzw. sententiae (Chart. B 153) bezeichnet. Aufgenommen wurden insbesondere Sprüche und Erzählungen von theologi-

11 Vgl. W OLFGANG K LOSE: Corpus Alborum Amicorum. Ein Bericht über die Sammlung und Beschreibung von Stammbüchern der frühen Neuzeit, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 10 (1985), 154–169, hier 162f; WA 48, X– XIII. 12 Vgl. Anton Lauterbach: Tagebuch auf das Jahr 1538; Die Hauptquelle der Tischreden Luther’s, hg. v. JOHANN KARL SEIDEMANN, Dresden 1872, III.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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schem oder moralischem Wert. Mit dem gleichen Verständnis der Tischreden wurden die Sammlungen bzw. neuen Kompilationen Hieronymus Besolds, Johann Aurifabers und Anton Lauterbachs unter anderem nach theologischen, kirchenrechtlichen, sozialen und lebensweltlichen Sachgruppen geordnet. Auszüge aus dem Schrifttum Luthers boten sich als sinnvolle Ergänzungen zu solchen Referenzwerken an. In dieser Form wurden die Tischredenausgaben zum klassischen Repräsentanten protestantischer Exempelliteratur.13 Auch wenn die Gothaer Hofgelehrten in der zweiten Hälfte des 17. und ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Briefe und Dokumente zur Reformation aus der Herzoglichen Bibliothek edierten, ist kein unmittelbares Interesse an den Tischreden in ihren antiquarisch-editorisch ausgerichteten Werken zu erkennen. Die Tischredenbände Chart. B 15–16 und Chart. B 79 kommen allerdings 1714 im Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Gothanae vor, in dem Cyprian eine breite Auswahl der handschriftlichen Bestände der Bibliothek mit kursorischen Inhaltsbeschreibungen erfasste.14 Der Gothaer Bibliotheksdirektor Friedrich Jacobs, der Anfang des 19. Jahrhunderts die gesamte Handschriftensammlung in einem zweibändigen Standortkatalog erschloss, beschrieb einige in seinen Augen besonders beachtenswerte Bände ausführlich im dritten Band seiner in den Jahren 1835 bis 1838 mit Friedrich August Ukert veröffentlichten „Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha“.15 Dabei ging Jacobs auch auf die Tischredensammlungen in den Handschriftenbänden Chart. A 262–263, Chart. A 402, Chart. B 26, Chart. B 28, Chart. B 148, Chart. B 153 und Chart. B 168–169 ein.16 13

Vgl. ERNST HEINRICH REHERMANN: Die protestantischen Exempelsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts. Versuch einer Übersicht und Charakterisierung nach Aufbau und Inhalt, in: Wolfgang Brückner (Hg.): Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, Berlin 1974, 579–645, insbes. 580–594. 14 ERNST SALOMON CYPRIAN: Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Gothanae, Leipzig 1714. 15 FRIEDRICH CHRISTIAN W ILHELM J ACOBS/FRIEDRICH AUGUST UKERT: Beiträge zur ältern Litteratur oder Merkürdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3 Bde., Leipzig 1835–1838. Vgl. GERHARD P ACHNICKE: Gothaer Bibliothekare. Dreißig Kurzbiographien in chronologischer Folge, Gotha 1958 (Veröffentlichungen der Landesbibliothek Gotha 5), 17–20. 16 Infolge der neuen Katalogisierungsarbeiten in Gotha, über die der 1814 gestorbene Eutiner Hofprediger Georg Heinrich Albrecht Ukert durch seinen Sohn bestens informiert war, empfiehlt er in seiner postum erschienenen Lutherbibliographie die bereits genannten Handschriften sowie auch Chart. B 19 und Chart. B 79 für künftige Tischreden-

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Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine Editionswelle von Tischreden mit kritischen Ausgaben der Aurifaber-17 und Lauterbach-Sammlung18 an. Die Edition weiterer Sammlungen, die auf unterschiedliche Mitschreibende am Tisch Luthers zurückgehen, folgte, wobei die Gothaer Handschriften weiterhin unbeachtet blieben.19 1896 berücksichtigte allerdings Wilhelm Meyer die Gothaer Handschriften Chart. A 262 und Chart. B 21 in seiner philologischen Studie zur handschriftlichen Überlieferung der nach loci communes geordneten Sammlungen Aurifabers und Lauterbachs.20 Erst durch die Arbeit an der sechsbändigen Tischredenabteilung der Weimarer Lutherausgabe zwischen 1912 und 1921 wurden auch entsprechende Stücke der Landesbibliothek Gotha ediert.21 Der Herausgeber Ernst Kroker, der die Richtlinien der Edition festlegte, beschränkte die Textgrundlage vorrangig auf eine neue kritische Edition der gedruckten Aurifaber-Ausgabe und die so genannten „Urschriften“. Mit diesem Begriff beschreibt er jene Nachschriften, die den originalen, fortlaufend geführten Aufzeichnungen

ausgaben zu berücksichtigen. Vgl. GEORG HEINRICH ALBRECHT UKERT: Dr. Martin Luther’s Leben mit einer kurzen Reformationsgeschichte Deutschlands und der Litteratur, Friedrich August Ukert (Hg.), Tl. 2, Gotha 1817, 316. 17 Martin Luther: D. Martin Luther’s Tischreden oder Colloquia, so er in vielen Jahren gelahrten Leuten, auch fremden Gästen und seinen Tischgesellen geführet, nach den Hauptstücken unserer christlichen Lehre zusammen getragen. Nach Aurifaber’s erster Ausgabe, mit sorgfältiger Vergleichung sowohl der Stangwald’schen als der Selneccer’schen Redaction, hg. und erläutert v. KARL EDUARD FÖRSTEMANN / HEINRICH ERNST B INDSEIL, 4 Abtheilungen, Berlin 1844–1848. 18 Martin Luther: D. Martini Lutheri Colloquia. Meditationes, Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae e Codice MS. Bibliothecae Orphanotrophei Halensis cum perpetua collatione Editionis Rebenstockianae, 3 Bde., hg. v. HEINRICH ERNST B INDSEIL, Lemgo / Detmold, 1863–1866. 19 Z.B.: SEIDEMANN: Tagebuch (wie Anm. 12); Martin Luther und Philipp Melanchthon: Analecta Lutherana und Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanthons [!], hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius. Aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, hg. und erläutert v. GEORG LOESCHE, Gotha 1892. Andere frühe Editionen verzeichnet in: ebd., 4, Anm. 1. Loesche beschreibt kurz die Gothaer Handschriften Chart. B 15–16 (24, Nr. 6), Chart. B 169 (24, Nr. 7), Chart. B 168 (24f, Nr. 8), Chart. A 262 (29, Nr. 23), Chart. A 263 (29f, Nr. 24) und Chart. A 402 (30, Nr. 25). Martin Luther: Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung. Aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, hg. v. ERNST KROKER, Leipzig 1903. Vgl. J UNGHANS: Die Tischreden (wie Anm. 8), 30–36. 20 W ILHELM MEYER: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen der Tischreden Luthers, Berlin 1896 (Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-historische Klasse, Neue Folge 1, 2). 21 Vgl. JUNGHANS: Die Tischreden (wie Anm. 8), 42–45.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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am nächsten stehen, aber heute nur noch in Abschriften erhalten sind.22 Die nachträglich überarbeiteten sowie neu geordneten und kompilierten Sammlungen wurden nicht berücksichtigt. Dementsprechend dienten aus den Gothaer Beständen lediglich die Sammlungen des anhaltinischen Kanzlers Ludwig Rabe (Chart. B 153) und des Pirnaer Superintendenten Anton Lauterbach (Chart. B 169) als Textgrundlagen für das neue Editionswerk. Die Gothaer Überlieferungen der Sammlungen Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers (Chart. B 15–16) sowie Johannes Mathesius‘ (Chart. B 168) wurden nur partiell herangezogen. Aufgrund des großen Umfangs und der Komplexität der Gesamtüberlieferung verzichteten die Herausgeber darauf, alle Varianten und Paralleltexte abzudrucken bzw. im kritischen Apparat zu berücksichtigen. Zahlreiche Handschriftenbände heterogenen Inhalts wurden aufgrund der Editionsprinzipien aus dem Blickfeld ausgeschlossen. Dem groß angelegten Editionsprojekt folgten weitere Forschungen zu Tischredensammlungen auch in Gotha. Hervorzuheben ist die grundlegende Studie Johannes Haussleiters 1922 zur Entstehung der Handschrift Chart. A 402, die Kroker nur marginal verwendet hatte.23 Haussleiter identifizierte den Kompilator als einen der Tischgenossen Luthers, nämlich den aus Nürnberg stammenden und später dort wirkenden Hieronymus Besold, und machte auf ihre Bedeutung als zentrale Vorlage für die AurifaberAusgabe sowie die Authentizität und teilweise Singularität des gesammelten Materials aufmerksam. Diese Erkenntnisse veranlassten die Herausgeber der Weimarer Lutherausgabe 1927, im Band 48 einen Gesamtüberblick über die Handschrift mit der Edition des bis dahin unveröffentlichten Materials sowie neue Funde unter anderem in den Gothaer Handschriften Chart. A 264, Chart. A 401 und Chart. A 1048 zu publizieren. 1932 edierte Otto Clemen zwei bis dahin unbekannte, singulär überlieferte Tischreden neben anderen Schriftstücken aus der Handschrift Chart. A 122.24 Mit diesem Beitrag kam die zwei Jahrzehnte lang anhaltende Phase intensiver Beschäftigung mit den Tischreden in der Handschriftensammlung der Landesbibliothek Gotha zum Erliegen, obgleich zahlreiche Einzelstücke und ganze Sammlungen unbeachtet blieben. Das 400jährige Jubiläum der Geburt Martin Luthers 1983 löste neue Impulse zur Erschließung und Edition der handschriftlich überlieferten Lutherana in Gotha aus. Aus diesem Anlass verzeichnete die damalige Leite-

22

Vgl. WA.TR 1, IX. J OHANNES HAUSSLEITER: Das Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 und seine Lösung. Ein Beitrag zur Tischredenforschung, in: ARG 73 (1922), 1–21, 81–105. 24 OTTO C LEMEN: Johann Aurifaber als gewerbsmäßiger Hersteller von Lutherbriefhandschriften, in: ARG 29 (1932), 85–96. 23

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rin der Handschriftenabteilung, Maria Mitscherling, sämtliche in der Forschungsbibliothek Gotha befindlichen Werke, Briefe und Schriftstücke des Reformators.25 Eine tief greifende Erfassung der Tischreden konnte allerdings vor dem Erscheinen der Lutherwerke auf CD-ROM 2000 mit Volltextsuchoption nicht geleistet werden. Nach dem Abschluss des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen Ende 2004 und Anfang 2009 geförderten Projekts „Katalogisierung der Reformationshandschriften der Forschungsbibliothek Gotha“ ist aber nunmehr möglich, einen vollständigen Überblick über die Tischredensammlungen und vereinzelten Stücke in den Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha sowie ihren Editionsstand vorzulegen.26 Aufgrund des immensen Umfangs und der Vielfalt der Sammlungen bietet die Darstellung zugleich einen Streifzug durch die verschiedenen Überlieferungsstufen von den frühen Aufzeichnungen bis zu ihrer Rezeption in den beiden Jahrzehnten nach dem Tod Luthers hinein. Das Vorhaben ist aufgrund der oben erläuterten Definitionsschwierigkeiten komplex. Im folgenden Überblick werden die in den Tischredensammlungen befindlichen Briefe, Gutachten, Schriften und in Büchern eingetragenen Widmungen Luthers sowie Predigten, Vorlesungen und Disputationen ausgeschlossen, wobei die Handschriften nicht immer eine eindeutige Herkunftsbestimmung der einzelnen Stücke zulassen. Zum Schluss sind die Anzahl und der Editionsstand der Tischreden der zu beschreibenden Handschriftenbände tabellarisch erfasst sowie neue Funde aus der Sammlung ediert.

2. Vereinzelte Reden, die in ihrer Ursprünglichkeit am besten erhalten sind Seit Anfang der 1530er Jahre wurden denkwürdige Gespräche am Tisch Luthers in fortlaufenden Sammlungen schriftlich festgehalten.27 Vor dieser 25 Die Lutherhandschriften der Forschungsbibliothek Gotha, verzeichnet v. MARIA M ITSCHERLING, Gotha 1983 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 21). 26 Erschließungsergebnisse sind in der HANS-Datenbank der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha online verfügbar unter der URL: http://hans.unierfurt.de/hans/index.htm. Der Handschriftenkatalog erscheint demnächst in gedruckter Form. Die mühsame Erschließung einzelner Tischreden in umfangreichen Sammlungen war nur durch die Unterstützung von Hilfskräften und einer Praktikantin möglich. Für ihre unermüdliche Unterstützung und akribische Arbeit möchte ich Irene Großmann, Philipp Knüpffer und Judith Wülfinghoff herzlich danken. 27 Die frühste datierbare Tischrede ist vom 4. August 1531 überliefert. Vgl. J UNGHANS: Die Tischreden (wie Anm. 8), 39.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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Zeit sind mündliche Überlieferungen rar. Die Abschriftensammlung Chart. B 26 (129r), die der Altenburger Kanoniker Veit Warbeck eigenhändig anlegte, enthält eine bisher unbekannte Rede Luthers aus der Zeit der bäuerlichen Aufstände 1525.28 Unter dem Titel De racione Judicandj wird seine Stellungnahme zur Frage nach der Gültigkeit des heidnischen Rechts und des mosaischen Gesetzes dargelegt. Rückschluss auf den Entstehungskontext dieser kurzen Aufzeichnung geben die beiden vorhergehenden Auszüge in der Handschrift, die jeweils aus Briefen stammen, die Melanchthon am 10. April 1525 dem Geheimsekretär Georg Spalatin an den kursächsischen Hof in Lochau schickte. Im ersten Brief berichtet Melanchthon, dass der Wittenberger Stadtpfarrer und Theologieprofessor Johannes Bugenhagen ihm die Frage (quaestio de gladio gentium) überbracht habe, ob es zulässig sei, nach den Gesetzen der Heiden Recht zu sprechen (liceatne ius ex gentium legibus dicere). Melanchthon legt seine Position mit Bezug auf Luthers Schriften von weltlicher Obrigkeit (WA 11, 229–281) dar (127v– 128r).29 Am gleichen Tag stellte Melanchthon eine entsprechende Thesenreihe auf, die er dem zweiten Brief beifügte und die sich in der Gothaer Abschriftensammlung befindet (128r-v).30 Luther schrieb ebenfalls am 10. April 1525 einen Brief an Spalatin, ohne jedoch diese Thematik zu nennen.31 Dennoch spricht nicht nur die Stellung des Schriftstückes in der Handschrift, sondern auch die eigenhändigen Vermerke Spalatins auf den beiden noch überlieferten Melanchthon-Autographen dafür, dass die Rede im Kontext dieser akademischen Diskussion an der Leucorea im April

28 Edition im Anhang Nr. 1. Die Handschrift gehört zur Bibliotheca Gerhardina, die Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg 1678 erwarb. Am Schluss wurde der Handschrift eine kurze heterogene, von einer Hand aus dem 17. oder 18. Jahrhundert angelegte Abschriftensammlung unter anderem mit drei bekannten Tischreden beigefügt. Zur Handschrift vgl. CYPRIAN: Catalogus (wie Anm. 14), 114f, Nr. XXVI; CR 1, XCII, Nr. 7; J ACOBS / UKERT: Beiträge (wie Anm. 15) 3, 306f; Die schöne Magelone. Aus dem französischen Übersetzung von Veit Warbeck 1527. Nach der Originalhandschrift, J OHANNES B OLTE (Hg.), Weimar 1894 (Bibliothek älterer deutscher Übersetzungen 1), XXII; Die Briefe Georg Spalatins an Veit Warbeck nebst ergänzenden Aktenstücken, hg. v. GEORG MENTZ, in: ARG 1 (1903/04), 197–246, hier 197f; OTTO CLEMEN: Das lateinische Original von Luthers „Vater-Unser vorwärts und rückwärts“ vom Jahre 1516, in: ZKG 48 (1929), 198–207; IRMGARD HÖSS: Georg Spalatins Traktat „De Sacramento Venerabile Eucharistiae et de Confessione“ vom Jahre 1525, in: ARG 49 (1958), 79–88, hier 79f; ERNST OTTO REICHERT: Der Abendmahlstraktat Spalatins von 1525, in: NZSTh 1 (1959), 110–137, hier 124; WA.BR 14, 64, Nr. 132; M ITSCHERLING, in: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 213. 29 MBW.T 2, 281f, Nr. 388.2. 30 MBW.T 2, 284f, Nr. 389.2. 31 WA. BR 3, 470f, Nr. 854.

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1525 einzuordnen ist. In Korrelation zur Überschrift des Luthertextes in Chart. B 26 beschriftete Spalatin den ersten Melanchthonbrief Ph. Mel. de ratione iudicandi. 1.5.2.5. und den folgenden Ph. Mel. de ratione Iudiciorum. Wahrscheinlich hatte jemand an der Universität die in der Gothaer Handschrift überlieferte Stellungnahme Luthers kurz protokolliert, um Spalatin über diese Debatte zu informieren. Bereits 1524 war am Hof Herzog Johanns von Sachsen in Weimar ein Streit über die Relevanz der mosaischen Gesetze in der Gegenwart entstanden, in den auch Spalatin und Warbeck involviert waren.32 Aus diesem Grund liegt es nahe, dass Spalatin und der Hof Kurfürst Friedrichs III. von Sachsen Interesse hatten, auch bei den neuen Diskussionen an der Universität die Ansichten Luthers und Melanchthons über diese Streitfrage zu erfahren. Die Tischgenossen Luthers bearbeiteten die Gespräche des Reformators anhand ihrer Mitschriften und Erinnerungen. Sämtliche Originalaufzeichnungen, die Informationen zur Authentizität und Entstehung der Tischreden enthielten, sind bis auf eine Ausnahme verschollen: zwei Reden in der Handschrift Chart. A 122 (36r–37v), die aus dem Nachlass Spalatins stammen.33 Diese Rarität in den Gothaer Beständen entging den Herausgebern der Weimarer Lutherausgabe. Otto Clemen gab sie 1932 mit anderen bisher unedierten Schriftstücken der Handschrift heraus, ohne jedoch auf die Singularität des Fundes für die Tischredenüberlieferung hinzuweisen.34 Auf einem gefalteten Blatt hatte der Wittenberger Theologe Caspar Cruciger 1532 die beiden Reden aufgezeichnet, die Spalatin eigenhändig De iurisconsultis betitelte. Die erste Hälfte der ersten Rede besteht aus einem Syllogismus, der von der These ausgeht: Jeder Jurist sei von Natur aus ein Gegner und Feind Christi und ein Apostel des Antichristen. In diesem Gedankenspiel wird die juristische Beurteilung der Gerechtigkeit eines Menschen nach Zivilrecht der glaubens- und christuszentrierten Rechtfertigungstheologie Luthers gegenübergestellt. Laut Cruciger schrieb Luther selbst diese These auf, die eine zweite Person mündlich vorgetragen hatte, und kommentierte sie anschließend. In der zweiten Rede erläutert Luther 32 Vgl. J OACHIM B AUER: Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen und die Bücher. In: Volker Leppin / Georg Schmidt / Sabine Wefers (Hg.): Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006 (SVRG 204), 169–189, hier 176; DERS.: Reformation und ernestinischer Territorialstaat in Thüringen, in: JÜRGEN J OHN (Hg.): Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert. Weimar / Köln / Wien 1994, 37–73, hier 47f; GEORG MENTZ: Johann Friedrich der Großmütige 1503–1554, Bd. 1: Johann Friedrich bis zu seinem Regierungsantritt 1503–1532, Jena 1903, 36f. 33 Die Handschrift gelangte nach dem Tod Spalatins 1545 mit anderen Teilen seiner Privatbibliothek in den Besitz seines Schwiegersohns Michael Chilian. 34 CLEMEN: Aurifaber (wie Anm. 24), 95f, Nr. 5.

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das Verhältnis zwischen lex und prudentia mit Hilfe der klassischen Metapher des Wagenlenkers und seiner Rosse. Die Aufzeichnungen mit allen Durchstreichungen und Ergänzungen wurden vermutlich für Spalatin angefertigt, der seit der Übernahme seiner geistlichen Ämter in Altenburg nach dem Tod Kurfürst Friedrichs III. von Sachsen 1525 kaum noch persönlichen Kontakt mit den Wittenberger Professoren hatte. Im Unterschied zu zahlreichen Tischreden in größeren Sammlungen scheinen diese Einzelstücke nicht weiter als Abschriften verbreitet gewesen zu sein. Zwei weitere Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha enthalten einzelne eingeheftete Blätter unterschiedlicher Provenienz mit Teilen singulär überlieferten Materials. In der Handschrift Chart. A 380, einer Autographensammlung zur Wittenberger Reformation, befindet sich eine einzige Tischrede mit der Überschrift Iudicium de patribus (24r-v).35 Als Vorlage für Luthers Urteil über die Kirchenväter verwendeten die Herausgeber der Weimarer Lutherausgabe Christoph Obenanders Sammlung und verwiesen auf Paralleltexte in den Sammlungen Valentin Beyers (Chart. B 15–16) und Johannes Mathesius’.36 Die Gothaer Überlieferung ist von doppelter Länge. Sie enthält nicht nur Luthers Stellung zu Bonaventura, Augustinus von Hippo, Ambrosius von Mailand, Bernhard von Clairvaux, Tertullian, Kyrill von Alexandria, Cyprian dem Märtyrer und Theophylactus, sondern auch zu Hieronymus, Origenes, Johannes Chrysostomos, Basilius von Caesarea, Hilarius von Poitier und wiederum zu Theophylakt und Ambrosius von Mailand. Die Handschrift Chart. A 1048 enthält drei Tischreden mit Paralleltexten in anderen Sammlungen sowie die protokollierte Ansprache, die Luther wahrscheinlich am 6. August 1545 bei Beratungen in der Merseburger Dompropstei mit dem dortigen evangelischen Bischof, Fürst Georg III. von Anhalt, und anderen Gelehrten über Kirchenangelegenheiten hielt (328r– 329v).37 Sie stellt keine Tischrede im engeren Sinne dar, wurde aber in ent-

35

Edition im Anhang Nr. 2. Die Handschrift ist ebenso wie Chart. A 379 eine Autographensammlung, die in den Jahren 1717 und 1718 anlässlich des Reformationsjubiläums für Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg angelegt wurde. Die Einzelstücke sind verschiedener Provenienz. Es ist unklar, aus welchem Besitz die Tischrede ursprünglich stammte. 36 WA.TR 1, 330, Nr. 683. 37 WA 48, 228–233, Anhang I, 4. Zur Handschrift vgl. J ACOBS / UKERT: Beiträge (wie Anm. 15) 3, 307; CR 1, XCVII, Nr. 37; WA.BR 14, 61f, Nr. 127; HEINRICH ULBRICH: Friedrich Mykonius 1490–1546. Lebensbild und neue Funde zum Briefwechsel des Reformators. Mit einer textgeschichtlichen Einleitung und einem Korrespondentenverzeichnis der gesamten Erstausgabe, Tübingen 1962 (Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 20), 26f; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 210f.

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sprechende zeitgenössische Sammlungen als solche aufgenommen.38 Georg Rörer gab bereits 1549 eine Textvariante in seiner erweiterten Ausgabe der von Luther in Bibeln eingetragenen Sprüche heraus.39 Die zwei in die Handschrift eingeklebten Quartblätter sind aus zweierlei Hinsicht von überlieferungsgeschichtlicher Bedeutung. Zum einen bewahrt der Schlussteil offenbar einiges aus den ursprünglichen, mutmaßlich von dem Wittenberger Magister Alexius Naboth geschriebenen Aufzeichnungen. Zum anderen stammen die Blätter wahrscheinlich aus dem mit G verzeichneten und inzwischen verschollenen Rörerband.40 Rörer hatte 203 Blätter aus diesem Band herausgeschnitten und Johannes Aurifaber für dessen Bearbeitung von Luthers Predigten über das Matthäus- und Johannesevangelium geschickt. Für diese Provenienz spricht auch der Eintrag von einer anderen Hand Jn Tomo Concio: viri Dei Luth. an[n]i 39 ead[em] i[n]sunt.

3. Sammlungen der Tischgenossen Neben vereinzelten Reden besitzt die Forschungsbibliothek Gotha zwei Abschriftensammlungen, die von allen vergleichbaren Überlieferungen den ursprünglichen Aufzeichnungen Anton Lauterbachs und Ludwig Rabes am nächsten stehen. Die Tagebücher Lauterbachs stellen die Hauptüberlieferung der Gespräche an Luthers Tisch im Zeitraum zwischen 1536 und 1539 dar. Andere Mitschreiber der ersten intensiven Phase des Aufzeichnens zwischen 1531 und 1533, wie etwa Veit Dietrich, Nikolaus Medler und Konrad Cordatus, waren damals nicht in Wittenberg anwesend.41 1872 gab Johann Karl Seidemann die beste Überlieferung des Tagebuchs Lauterbachs für das Jahr 1538 aus einer Dresdner Handschrift heraus.42 Der erste Teil der Gothaer Handschrift Chart. B 169 (1r–144v) enthält Tischreden aus den übrigen drei Jahren. Sie gilt als die wichtigste Überlieferung der Lauterbach-Sammlung neben der Dresdner Handschrift und diente deshalb als Textgrundlage für die Jahre 1536, 1537 und 1539 in der Weimarer Lu-

38

Zum Beispiel in Chart. B 15, 605–609. Martin Luther: Vieler schönen Sprüche aus göttlicher Schrifft auslegung / Daraus Lere vnd Trost zu nemen welche der ehrnwirdige Herr Doct. Mart. Luther seliger / vielen in jre Biblien geschrieben. Dergleichen Sprüche von andern Herrn ausgelegt / sind auch mit eingemenget. Mit vleis widerumb durchsehen / vnd gemehret, Wittenberg: Hans Lufft 1549 (VD16 R 2812), 204 r–207 r. 40 Vgl. WA.BR 14, 184. 41 Vgl. J UNGHANS: Die Tischreden (wie Anm. 8), 39. 42 LAUTERBACH: Tagebuch (wie Anm. 12). 39

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therausgabe.43 Die Sammlung ist betitelt Colloquia Serotina D.M.L. 1536, 22 Octobris Anno 1553. Dem Originaltitel wurde sqq. u[sque] ad 1539 nach der Jahresangabe 1536 und zum Schluss descripta ex αύτογράφω Antonii Lauterbachii primi Superint. Pirn. in Misn. manu Pauli Iudicis al. Richteri, primi Pastoris Neapol. s[ive] Neostad. prope Pirnam hinzugefügt. Lauterbach, der in Verbindung mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen unter Herzog Heinrich 1539 Pfarrer und Superintendent in Pirna geworden war, stellte dem ihm unterstellten Pfarrer in Neustadt Paul Richter seine eigenhändig angelegte Tischredensammlung zur Verfügung. Auf deren Grundlage begann Richter am 22. Oktober 1553 eine Abschriftensammlung anzulegen, die mit Hilfe anderer Schreiber im folgenden Jahr vollendet wurde. Sie enthält nicht nur eine Auswahl aus Lauterbachs Tagebüchern für die Jahre 1536, 1537 und 1539, sondern auch Nachschriften Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers aus der ersten Hälfte der 1530er Jahre sowie Kaspar Heydenreichs aus dem Jahr 1542 (35v–48v, 142r–144v). Unter dem Titel D. Martini L. Sententiæ, Die Jn mensa eius, etwann gefallen vnnd durch den anhaldischenn Cantzler Luodawig Raben, allso zusammen colligirt befindet sich in dem heterogenen Sammelband Chart. B 153 eine elf Quartblatt umfassende Tischredensammlung (83r–93v).44 Da die Gothaer Abschrift den ursprünglichen Aufzeichnungen Ludwig Rabes näher als die andere bekannte Überlieferung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg steht und vollständiger ist, diente sie als entsprechende Textgrundlage in der Weimarer Lutherausgabe.45 Ein ungelöstes Rätsel bleibt nach wie vor die Feststellung, dass alle datierbaren Tischreden der Sammlung nicht aus dem bekannten Zeitraum seines Aufenthalts in Wittenberg zwischen seiner Flucht vor Erzbischof Albrecht von Mainz 1535 aus Halle und seiner Indienstnahme 1538 als Kanzler Fürst Wolfgangs von Anhalt, sondern aus dem Jahr 1532 stammen. Aurifaber verwendete zahlreiche Tischreden aus dieser Sammlung für seine Ausgabe.

43 WA.TR 3, 337–489, Nr. 3465–3653; 491–496, Nr. 3655–3659; WA.TR 4, 221–448, Nr. 4319–4719. Zur Handschrift vgl. J ACOBS / UKERT: Beiträge (wie Anm. 15) 3, 309; LUTHER / MELANCHTHON, Analecta (wie Anm. 19), 24, Nr. 7; WA.TR 1, XXIII; WA.TR 3, XII–XIV; WA.TR 4, XIII; WA.BR 14, 65f; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 216. 44 Zur Handschrift vgl. WA.TR 2, XVIII–XX; ERNST KROKER: Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden II, in: ARG 7 (1909/10), 56–92, hier 87f. 45 WA.TR 2, 253–272, Nr. 1890–1949.

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4. Neu geordnete Kompilationen und Mischsammlungen Die ursprünglich aufgezeichneten Reden wurden teils von den Mitschreibern selbst und teils von späteren Kompilatoren bearbeitet und neu geordnet. Durch diese Systematisierung wurden sie zu pastoralen Referenzwerken, die Luther nicht nur in theologischen und kirchlichen, sondern auch in vielen anderen sozialen und lebensweltlichen Bereichen zur Autorität erhoben.46 Als Anordnungs- und Orientierungspunkte dienten Überschriften für die einzelnen Tischreden sowie Gesamtstrukturierungen. Diese Entwicklung lässt sich anhand von Beispielen in der Forschungsbibliothek Gotha gut nachvollziehen. Den einzigen überlieferten Originalaufzeichnungen (Chart. A 122, 36r–37v) verlieh nicht der Mitschreiber Cas-par Cruciger, sondern erst der Rezipient Georg Spalatin einen Titel für die Einordnung in die eigenen Akten. Die beiden Urschriften in der Sammlung zeigen rudimentäre Ansätze einer Systematisierung. In den Tagebüchern Lauterbachs (Chart. B 169) wird ein Teil der Texte durch kurze Überschriften hervorgehoben, während die Sentenzensammlung Rabes (Chart. B 153) lediglich durchnummeriert ist. Alle jüngeren Kompilationen sind durchgehend bearbeitet. Für eine Gruppe (Chart. A 94, Chart. B 15–16, Chart. B 79, Chart. B 168, Chart. B 1482) wird dies allein durch Überschriften für die einzelnen, in bunter Abfolge abgeschriebenen Tischreden geleistet. Die beiden im Folgenden darzustellenden Handschriften (Chart. A 262, Chart. A 402) sind entsprechend dem von den Humanisten eingeführten und vor allem durch Philipp Melanchthon in protestantischen Gelehrtenkreisen geläufig gewordenen Ordnungsschema der loci communes strukturiert, nach dem Inhalte unter Schlüsselbegriffen erfasst werden. Erst in dieser Form wurden die Tischreden einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Der so genannte Codex Besoldi (Chart. A 402) mit dem Titel FARRAGO LITERARVM AD AMICOS ET COLloquiorum in mensa R. P. Domini Martini Lutheri Sacrae Theologiae Doctoris etc. ist die früheste überlieferte Sammlung, die nach loci communes geordnet ist.47 Sie stammt aus dem Besitz des Nürnberger Predigers Hieronymus Besold. Der ebenfalls in Nürnberg wirkende Prediger Veit Dietrich legte den Grundstock der Sammlung, indem er Briefe und Tischreden Luthers nach 93 Kategorien ordnete, die 46

Vgl. ROBERT KOLB: Martin Luther as Prophet, Teacher, and Hero. Images of the Reformer, 1520–1620, Grand Rapids / Michigan 1999, 152–154. 47 Das jüngste datierbare Schriftstück in der Handschrift ist der Brief Melanchthons an Andreas Hügel vom 12. Januar 1548 (MBW, 5025). Zur Handschrift vgl. HAUSSLEITER : Das Rätsel (wie Anm. 23); WA 48, 365–384.

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Theologie, Kirchenrecht, Frömmigkeit, Personen, soziale und religiösethnische Gruppen sowie Bereiche des Lebens umfassen. Besold ließ diese Kompilation in einem Band abschreiben, wobei Blätter zwischen den Sachgruppen ursprünglich unbeschriftet belassen wurden. Diese und auch die später eingehefteten Blätter enthalten zahlreiche Ergänzungen von verschiedenen Händen. Interessanterweise bilden nicht Dietrichs eigene Tischredenaufzeichnungen, sondern Georg Rörers Sammlung (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c, Ms.Bos.q.24f)48 die gemeinsame Quelle für den Grundstock und die Ergänzungen. Darüber hinaus schöpfte Dietrich auch aus den Aufzeichnungen Johannes Schlaginhaufens, Konrad Cordatus’ und Hieronymus Wellers, während Besold sich bei den Ergänzungen vor allem auf seine eigenen Nachschriften und die von Kaspar Heydenreich stützte. Der Codex Besoldi diente als Hauptquelle für die deutsche Tischredenausgabe 1566, wobei Aurifaber auch die nach loci communes geordnete Sammlung Lauterbachs sowie Aufzeichnungen von Schlaginhaufen, Mathesius, Rörer, Rabe und seine eigenen aus den Jahren 1545 und 1546 verwendete.49 Die zentrale Bedeutung der Handschrift Chart. A 402 wurde erst nach dem Abschluss der Tischredenabteilung der Weimarer Lutherausgabe durch die grundlegende Studie Johannes Haussleiters deutlich. Im Band 48 wurde ihr Inhalt vollständig verzeichnet.50 Ein textkritischer Vergleich zwischen dieser Handschrift und der Aurifaber-Ausgabe ist nach wie vor ein Forschungsdesiderat.51 Anton Lauterbach ließ seine Tagebücher durch den Pirnaer Archidiakon und späteren Pfarrer im naheliegenden Ort Hohnstein, Joseph Hänel, ebenfalls nach loci communes systematisieren.52 Dieser erfasste die Reden im ersten Teil unter Hauptartikeln der christlichen Lehre und die im zweiten Teil unter anderen, weitgehend alphabetisch geordneten Sachgruppen. Die Handschrift Chart. A 262 ist eine von mehreren Händen angefertigte Abschrift des 1562 überarbeiteten zweiten Teils. Sie ist betitelt COLLOQVIA, MEDITATIONES, CONSOLATIONES, CONSIlia, iudicia, sententiæ, narrationes, responsa, facetiæ, D. MARTINI LVTHERI piæ et sanctæ memoriæ, in mensa prandij et cœnæ, et in peregrinationibus, obseruata, et fi-

48

WA.TR 1, 3–614, Nr. 1–1231. Vgl. LUTHER: Tischreden oder Colloquia (wie Anm. 6), iiiir-v; MEYER: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen (wie Anm. 20), 6, 30. 50 WA 48, 371–384. 51 Vgl. WA 48, 367. 52 Vgl. JUNGHANS: Die Tischreden (wie Anm. 8), 41f. 49

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deliter transcripta. VOLVMEN II.53 Der dazu gehörige erste Teil ist unauffindbar und der Schluss des zweiten Teils fehlt. Die Sammlung enthält auch vereinzelte Schriftstücke und Aussprüche von Melanchthon. Heinrich Ernst Bindseil gab zwischen 1863 und 1866 die älteste, im Jahre 1560 nach Sachgruppen geordnete und heute in der historischen Bibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle befindliche Überlieferung der Lauterbach-Sammlung heraus.54 Die Texte in der Gothaer Handschrift sind häufig gekürzt, und ihre Reihenfolge weicht an manchen Stellen von der Hallenser Handschrift ab. Die Überarbeitungen dienten als Vorlage für die 1571 erschienene lateinische Lauterbach-Ausgabe, die der Eschersheimer Pfarrer Heinrich Petrus Rebenstock publizierte. Neben dem Codex Besoldi besitzt die Forschungsbibliothek Gotha fünf weitere Tischredenkompilationen, die auf der Grundlage der Sammlungen mehrerer Mitschreiber beruhen (Chart. A 94, Chart. B 15–16, Chart. B 79, Chart. B 168, Chart. B 1482). Diese Handschriften sind nicht nach loci communes gegliedert. Dennoch erfolgte eine Systematisierung des Inhalts, indem die einzelnen Stücke durch Überschriften bestimmten Problemkreisen zugeordnet werden. Der Naumburger Ratsherr Valentin Beyer legte eigenhändig zwischen 1548 und 1552 eine heterogene Sammlung in zwei Bänden an, die er betitelte Rapsodiae, et dicta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutherj, in familiaribus Colloquijs annotata. Eiusdemque Epistolae, consilia, aliaque pulchra, et necessaria aliquot illustrium virorum scripta. Quae omnia Valentinus Bauarus suo labore, et manu propria, sibi in hunc Librum transcribendo, comparauit.55 Der erste Band (Chart. B 15) enthält ca. 850 und der zweite (Chart. B 16) ca. 60 Tischreden, die auf der Sammlung Veit Dietrichs und Nikolaus Medlers beruhen. Eine Abschrift des Hauptteils des

53

Zu der Handschrift vgl. J ACOBS / UKERT: Beiträge (wie Anm. 15) 3, 306; CR 1, XCIV, Nr. 21; MEYER, Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen (wie Anm. 20), 5– 26; M ITSCHERLING, Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 202; DIES.: Der Nachlaß Ernst Salomon Cyprians in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha. In: ERNST KOCH / J OHANNES W ALLMANN (Hg.): Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung. Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14.–16.9.1995, Gotha 1996 (Veröffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 34), 233–247, hier 244, Nr. 17. 54 Chart. A 262 entspricht in etwa: BINDSEIL: Colloquia 2 (wie Anm.18), 1–388; 3, 1– 224. 55 Zur Handschrift vgl. CYPRIAN: Catalogus: (wie Anm. 14), 111, Nr. XV; CR 1, XCf, Nr. 2; J ACOBS / UKERT, Beiträge (wie Anm. 15), 3, 300f.; LOESCHE: Analecta (wie Anm. 19), 24, Nr. 6; WA.TR 1, XVII, XXXVII–XLI; WA.TR 5, XXXVf.; WA.BR 14, 62f., Nr. 128; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 211.A.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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ersten Bandes (Chart. B 15, 1–517) wurde im 17. Jahrhundert eventuell für die kirchenhistorischen Arbeiten Veit Ludwig von Seckendorffs von mehreren Händen angefertigt (Chart. B 148).56 In der Weimarer Lutherausgabe wurden Tischreden aus den so genannten Codices Bavari nur partiell berücksichtigt, da sich die vollständigste und beste Überlieferung der Dietrich- und Medler-Sammlung in Rörers Sammlung befindet (Ms.Bos.q.24f). Die Abschriftensammlung Chart. B 168, die neben rund 470 Tischreden auch 102 Briefe, Gutachten und andere Dokumente enthält, wurde von Gregor Rüdel, dem Schwiegersohn Georg Rörers, 1553 eigenhändig angelegt. Ein Großteil weist Parallelen zu bekannten Tischredensammlungen auf: Die Blätter 1r–110r zu Johannes Mathesius’ in der Handschrift 20. 2 Aug. 4° der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und die Blätter 110r– 338v zu Veit Dietrichs in der Handschrift Ms.Bos.q.24s aus der RörerSammlung. Als Vorlage für die Blätter 438r–471v diente wahrscheinlich ein Buch im Besitz des Wörlitzer Propsts Dionysius Braunsdorff. Querverweise in der Handschrift deuten darauf hin, dass die Sammlung ursprünglich aus zwei Bänden bestand. Der zweite Band gilt als verschollen. Die Handschrift Chart. B 168 diente zum Teil als Textgrundlage der Weimarer Lutherausgabe, da sie einige wenige Tischreden aus der Sammlung von Mathesius enthält, die das Leipziger Pendant wesentlich ergänzen.57 Die von mehreren Händen in den 1550er Jahren angelegte Sammlung Chart. B 79 enthält neben 30 Briefen von Luther und Melanchthon mehr als 1250 Tischreden bzw. Dicta.58 Laut Ernst Salomon Cyprian stammt die Handschrift aus dem Nachlass des Wittenberger Theologieprofessors Paul Eber.59 Indizien für diese Provenienzbestimmung befanden sich vermutlich in der ersten Hälfte der Sammlung, die heute fehlt. Sowohl die alte Foliierung des Bandes, die mit 469 beginnt, als auch die zahlreichen Querverweise auf Blätter mit niedrigeren Zahlen weisen auf einen ersten Teil hin. Die Sammlung wurde wahrscheinlich im 18. Jahrhundert wegen ihres großen Umfangs (965 Quartblätter) geteilt und neu gebunden. Sie wurde in 56 Vgl. die Auszüge aus den Handschriftenbänden in: Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 451, 516r–529 v. Zur Handschrift Chart. B 148 vgl. J ACOBS / UKERT, Beiträge (wie Anm. 15) 3, 299; WA.TR 1, XXXVII, XL; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 215. 57 Zur Handschrift vgl. J ACOBS / UKERT: Beiträge (wie Anm. 15) 3, 308f.; LOESCHE: Analecta (wie Anm. 19), 24f, Nr. 8; KROKER: Rörers Handschriftenbände (wie Anm.19), 339f., 373; WA.TR 1, XIXf.; WA.TR 4, XV, XXXV–XXXVII; WA.BR 14, 65, Nr. 135; M ITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 215f. 58 Zur Handschrift vgl. CYPRIAN, Catalogus (wie Anm. 14), 122, Nr. LXXXIV; WA.BR 14, 64f, Nr. 134; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 214f. 59 Vgl. CYPRIAN: Catalogus (wie Anm. 14), 122.

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der Weimarer Lutherausgabe nicht berücksichtigt. Für mehr als 90 Aussprüche finden sich in der Edition keine Parallelen. In vielen von diesen Fällen geht eine eindeutige Urheberschaft nicht aus der Handschrift hervor. Die Gothaer Handschrift ist mit der fünfbändigen Handschrift der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 20. 4 Aug. 4° verwandt. Eine kleine Sammlung von Tischreden vor allem über die Prädestinationslehre und Anfechtungen, die ebenfalls aus dem Eber-Nachlass stammt, liegt in der Handschrift Chart. A 94 (114r–126v) vor.60 Die Sammlung ist mit jener in der Handschrift der Bayrischen Staatsbibliothek München Clm. 937 verwandt. Ohne Parallelüberlieferung ist jedoch die vorangestellte Äußerung Luthers vom 18. Februar 1542 über die Prädestination.61 Die Tischreden gehören zu einer größeren Abschriftensammlung (5r–157r) mit Schriftstücken insbesondere zu innerevangelischen Konflikten zwischen 1558 und 1566. Sie enthält aber auch Protokolle von fünf Disputationen, bei den Luther als Praeses fungierte (127r–157v). Laut handschriftlicher Notiz hatte ursprünglich der Wittenberger Student Christoph Köber diese Sammlung angelegt, die der mittelfränkische Pfarrer in Weißenburg Johann Albert später abschrieb. Zu den hybriden Tischredensammlungen der Forschungsbibliothek Gotha gehört schließlich auch der Sammelband Chart. B 1482, der spätestens 1562 weitgehend von einer Hand angelegt wurde.62 Er besteht aus zwei Teilen mit rund 590 Tischreden. Der erste Teil (Ir–278v) ist betitelt CONSILIA ET IVDITIA, ITEM VARII SERMONES DOMESTICI EX ORE LVTHERI, PHILIPPI ALIORVMQUE ERVDITORVM excerpti, & in unum librum congesti, cum indice capitum totius libri annexo. Nachgetragen von einer weiteren Hand wurde die für Tischredensammlungen geläufige Bezeichnung Condimenta Mensae. Neben Tischreden enthält die Sammlung Briefe, Gutachten und andere Dokumente von Luther, Melanchthon und anderen Akteuren der Wittenberger Reformation. Mehrere Reden sind keinem Urheber eindeutig zuzuordnen und weder in der Weimarer Lutherausgabe noch im Corpus Reformatorum nachzuweisen. Der zweite Teil der Handschrift (279r–380v) besteht vorwiegend aus einer Exempelsammlung und ist betitelt Historiae eximinae Philippi Mel: excerptę ex ipsius ore in

60

Zur Handschrift vgl. WA.TR 5, XXXI. WA.TR 5, 293–296, Nr. 5658a. 62 Vor 1834 erwarb Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha diese sich einst im Besitz Valentin Ernst Loeschers befindliche Handschrift zusammen mit Chart. A 1048 und Chart. B 1483–1484 von einem Leipziger Magister namens Mehner. Zur Handschrift vgl. CR 1, XCVII, Nr. 38; WA.BR 14, 69, Nr. 146; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 226f. 61

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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Academia Vitebergensi. Historische Exempel mit moralischen Aussagen wurden häufig im täglichen Lehrbetrieb erzählt. Vielfach werden die Urheber der Erzählungen nicht angegeben. Unter den namentlich erwähnten sind neben Luther und Melanchthon auch die Wittenberger Professoren Johann Märckel, Veit Winsheim und Victorin Strigel. Die Handschrift wurde nicht in der Weimarer Lutherausgabe berücksichtigt und enthält ebenso wie Chart. B 79 eine Vielzahl unedierter Reden und Exempel.

5. Heterogene Handschriftenbände mit vereinzelten Reden Neben den Urschriften und den umfangreichen Mischsammlungen besitzt die Forschungsbibliothek Gotha 16 Handschriftenbände mit vereinzelten Reden Luthers (Chart. A 114–115, Chart. A 263–264, Chart. A 357, Chart. A 389, Chart. A 401, Chart. B 21, Chart. B 28, Chart. B 38, Chart. B 46, Chart. B 213, Chart B 491, Chart. B 493, Chart. B 1483–1484). Die Einzelstücke innerhalb der Handschriften wurden größtenteils beliebig gesammelt. In wenigen Fällen sind thematische Bezüge zu den übrigen Inhalten festzustellen. Eine weit verbreitete Weissagung über Wittenberg, Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation befindet sich in einem von Ernst Salomon Cyprian zusammengestellten Band mit Abschriften von Lutherbriefen (Chart. A 398, 148r-v).63 In der Abschriftensammlung Chart. A 401 mit rund 270 Schriftstücken, darunter Briefe, Gutachten und neulateinische Dichtungen aus dem Wittenberger Kreis, sind auch fünf Tischreden nachzuweisen (245r-v, 247r-v). 64 Für drei ist keine Parallelüberlieferung bekannt. Zwei dieser Reden wurden 1927 im Band 48 der Weimarer Lutherausgabe ediert, die dritte Rede, ein Satz über die Güte Gottes, jedoch nicht.65 In einem Sammelband mit Dokumenten zur Widerstandsrechtdebatte während des Schmalkaldischen Kriegs (Chart. B 38) befindet sich eine Abschrift der oben erwähnten Ansprache Luthers 1545 bei Beratungen in der Merseburger Dompropstei (54r–55v). Sie bildet den argumentativen Ausgangspunkt der fünften Warnung des kursächsischen Leibarztes Matthias

63 WA.TR 5, 504–506, Nr. 6134. Zur Handschrift vgl. J ACOBS / UKERT, Beiträge (wie Anm. 15) 3, 308; WA.BR 14, 58, Nr. 119; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 204f. 64 Zur Handschrift vgl. CR 1, XCVf., Nr. 28; J ACOBS / UKERT, Beiträge 3, 320f; WA 48, 707f, Nr. V; WA.BR 14, 59, Nr. 121; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften, 205f. 65 WA 48, 707f., Nr. 7199–7200. Edition im Anhang Nr. 3.

210

Daniel Gehrt

Ratzeberger Ende Februar 1547 an Johann Friedrich I. (53r–62r).66 Sich an die frühe Position Luthers im Diskurs über die Notwehr anlehnend, übte Ratzeberger vehemente Kritik an der Kriegsführung seines Landesherrn gegen Kaiser Karl V. und fiel deshalb in Ungnade.67 Abschriften der Warnungen Ratzebergers mit leichten Abweichungen befinden sich ebenfalls in der Handschrift Chart. A 114 (181r–186v), die auch eine Lutherbiographie (1r–72v) und kirchenhistorische Darstellung der Zeit vom Tod des Reformators bis zur Veröffentlichung des Wittenberger Katechismus 1571 (76r– 146v) enthält. Im Zusammenhang mit seiner Arbeit an einer neuen Lutherausgabe ließ der Altenburger Generalsuperintendent Johann Christfried Sagittarius 1662 eine Abschrift von Chart. A 114, 1r–194v anfertigen (Chart. A 115, Ir–270v).68 In einer rund 550 Blatt umfassenden Abschriftensammlung von Texten, die der Melanchthonschüler und Pfarrer von Lissen bei Weißenfels, Stephan Reich, über Mitglieder der ernestinischen Dynastie 1585 eigenhändig anlegte, befindet sich im Abschnitt über das kursächsische Wappen eine entsprechende Tischrede (Chart. A 357, 527r). Sie ist wesentlich umfangreicher als die mit ihr verwandte Rede, die in der Weimarer Lutherausgabe ediert ist.69 Acht weitere Handschriftenbände mit vereinzelten Tischreden gehörten Gelehrten, die an den mitteldeutschen Universitäten studierten (Chart. A 263, Chart. B 21, Chart. B 28, Chart. B 213, Chart. B 491, Chart. B 493, Chart. B 1483–1484). Sie zeugen vom Brauch lutherischer Akademiker,

66

Abdruck der Warnung in: Die handschriftliche Geschichte Ratzeberger’s über Luther und seine Zeit mit literarischen, kritischen und historischen Anmerkungen zum ersten Male, hg. v. CHRISTIAN GOTTHOLD NEUDECKER, Jena 1850, 268–275. Edition der Rede in: WA 48, 228–233, Anhang I, 4. Ratzeberger gibt irrtümlich das Jahr 1546 an. Neudecker nennt diese Warnung die vierte, da er die Gothaer Handschrift Chart. A 114 als Textgrundlage für seine Edition verwendete und die Handschrift Chart. B 38 mit Hinweis auf eine weitere Warnung, die den Kurfürsten über den Hofprediger Christoph Hoffmann erreichen sollte, nicht kannte. 67 Vgl. NEUDECKER: Die handschriftliche Geschichte Ratzeberger’s, 14–16; GOTTFRIED M ÜLLER : Dr. Matthäus Ratzeberger. Ein Arzt der Reformationszeit, in: Karl Brinkel / Herbert von Hintzenstern (Hg.): Des Herren Name steht uns bei. Luthers Freunde und Schüler in Thüringen, Bd. 1, Berlin 1961, (109–117) 113–116. 68 Abschrift der fünften Warnung in: Chart. A 115, 248 v–257 v. Zu den Handschriften Chart. A 114–115 vgl. AA 7, 427; CYPRIAN: Catalogus (wie Anm. 14), 66, Nr. CXIII; Nr. CCXIII, 80; CR 1, XCIII, Nr. 13; J ACOBS / UKERT, Beiträge (wie Anm. 15) 3, 298f; NEUDECKER: Die handschriftliche Geschichte Ratzeberger’s (wie Anm. 66), 25, 30–33; M ITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 200. 69 WA.TR 1, 53, Nr. 127. Edition des Gothaer Textes im Anhang Nr. 4.

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211

einzelne verbreitete Tischreden in ihre persönlich angelegten Sammlungen aufzunehmen. Der erste Teil der Handschrift Chart. B 1484 (1r–50v) ist eine von mehreren Händen aus dem 16. Jahrhundert angefertigte Abschriftensammlung, die offenbar auf einer Sammlung des aus Wittenberg stammenden Waisenkindes Veit Richter beruhen.70 Er begann 1538 sein Studium an der Leucorea und wurde 1541 Pfarrer in Pratau und 1549 in Dommitzsch. Neben zwei Empfehlungsschreiben von Melanchthon und mehreren Briefen an Richter und seinen gleichnamigen Sohn enthält die Sammlung auch zwei bekannte Reden über den Tod Kurfürst Johanns von Sachsen 1532 und über die Taufe von Luthers Sohn Paul 1533.71 Die Handschrift Chart. B 21 mit dem Titel Varia lectuque dignissima nec non utilissima quæque ex publicis præceptorum meorum lectionibus Vitebergæ fideliter annotata et excitandæ memoriæ causa in hunc relata librum stammt aus dem Besitz eines Wittenberger Studenten mit den Initialen H. S.72 Die Sammlung enthält theologische Vorlesungsmitschriften, Dicta, Urteile, Thesen, Anmerkungen zu antiken Autoren und Texten sowie zu den Kirchenvätern, historischen Exempel, Allegorien, Fabeln, Anekdoten und neulateinische Dichtung. Im Zeitraum zwischen 1549 und 1551 gibt der Besitzer mehrfach das genaue Datum des von Melanchthon stammenden Erzählguts an. Sieben Reden sind Luther eindeutig zuzuordnen. Der Sammelband Chart. B 28, den der Lizentiat der Theologie und Pegauer Pfarrer Konrad Meusel angelegte, entstand größtenteils während seiner Studien- und Lehrzeit an der Universität Leipzig zwischen 1539 und 1553 und enthält 14 Reden. Darunter befindet sich das protokollierte Gespräch, das zwischen Martin Luther und dem Straßburger Prediger Martin Bucer am 1. März 1537 in Gotha stattfand (44v–47v). Nach den Verhandlungen der verbündeten protestantischen Fürsten und Städte auf dem Bundestag in Schmalkalden waren Bucer und der Augsburger Prediger Bonifacius Wolfhart zu dem schwer erkrankten Luther nach Gotha gereist. Sie besprachen die jahrelang, vor allem durch Bucer vorangetriebene Einigung zwischen den Wittenberger, oberdeutschen und Schweizer Theologen über die Abendmahlsfrage. Mit der so genannten „Wittenberger Konkordie“ des vorangegangenen Jahres hatten diese Bemühungen einen entscheidenden

70

Zur Handschrift vgl. CR 1, XCVIII, Nr. 40. WA.TR 2, 542f., Nr. 2607b; WA.TR 3, 111f, Nr. 2946a–b. 72 Zur Handschrift vgl. CYPRIAN: Catalogus (wie Anm. 14), 113, Nr. XXI; MEYER: Über Lauterbachs und Aurifabers Sammlungen (wie Anm. 20), 28; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 213. 71

212

Daniel Gehrt

Meilenstein erreicht.73 Dennoch begegneten den Beförderern der Übereinkunft erhebliche Schwierigkeiten, verbindliche Anerkennung für den Konsens zu gewinnen.74 Während nur der erste Teil des Protokolls mit der Rede Luthers in der Weimarer Ausgabe ediert ist (44v–46v), enthält der Gothaer Text auch die anschließende Rede Bucers und das Schlusswort Luthers.75 Die Forschungsbibliothek Gotha besitzt auch zwei Diarien, die sowohl Einträge zur Person des Besitzers und zu aktuellen Ereignissen als auch Sammlungen von verschiedenen Schriftstücken vorwiegend aus dem akademischen Bereich enthalten. Das erste (Chart. A 263) stammt von Petrus Avianus.76 Er begann sein Studium 1540 in Wittenberg, setzte es 1546 in Erfurt und zwischen 1548 und 1550 an den italienischen Akademien in Padua und Ferrara fort. Nach Erfurt zurückkehrend, praktizierte er Medizin und lehrte an der dortigen Universität. Der erste Teil der Handschrift (2r– 127v) besteht aus einer von mehreren Händen angelegten Abschriftensammlung von Briefen, Gutachten und anderen Texten aus dem Wittenberger Kreis vor allem von Luther und Melanchthon. Darunter sind auch acht vereinzelte Tischreden und eine Predigtnachschrift, die in die Tischredenabteilung der Weimarer Lutherausgabe aufgenommen wurde. Das andere Diarium (Chart. B 213) enthält Einträge aus beinahe hundert Jahren.77 Der Hauptteil ist von der Hand des Adam Sellanus, der zwischen 1556 und 1559 an der Universität Jena studierte und später dritter Diakon in seiner Heimatstadt Hildburghausen und ab 1569 Pfarrer in dem nahe liegenden Ort Mebritz wurde. Die Handschrift enthält unter anderem 103 akademische Bekanntmachungen vorwiegend aus der Studienzeit des Sellanus sowie sechs vereinzelte Tischreden. Im Unterschied zu anderen Handschriften scheint die Wahl der Tischreden an mehreren Stellen be73

MBW. T 7, 141–145, Nr. 1744. Vgl. MARTIN B RECHT: Martin Luther, Bd. 3: Die Erhaltung der Kirche 1532–1546, Stuttgart 1987, 48–67; MARTIN GRESCHAT: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491–1551), Münster 2009, 153–164. 75 WA.TR 3, 398, Nr. 3544. Edition des zweiten Teils (46 v–47 v) im Anhang Nr. 5. Der Gothaer Text weicht an mehreren Stellen von jenem ab, der Clemen in der Handschrift 76 Helmst. der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel entdeckte. OTTO CLEMEN: Luther in Schmalkalden 1537, in: ARG 31 (1934), 252–263, hier 260f. 76 Zur Handschrift vgl. CR 1, XCIV, Nr. 22; J ACOBS / UKERT, Beiträge (wie Anm. 15) 3, 305; HANS VOLZ: St. Joachimsthals Bedeutung für die Überlieferung reformatorischen Schrifttums, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 70 (1932), 27–37; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 202; DIES.: Der Nachlaß Cyprians (wie Anm. 53), 239f, 244, Nr. 16. 77 Zur Handschrift vgl. CR 1, XCIV, Nr. 19; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften (wie Anm. 25), 223; DIES.: Der Nachlaß Cyprians (wie Anm. 53), 246, Nr. 17. 74

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213

wusst getroffen zu sein. Dem Eintrag zur Geburt seines ersten Kindes Stephan 1562 (36v) stellte Sellanus Luthers Formula, wie man eyne zur gevattern soll bitten (36r) voran.78 Neben Epitaphen von Melanchthon und dem Jenaer Professor Johann Stigel auf den 1555 gestorbenen Eisfelder Superintendenten Justus Jonas (157v–159v) führte er auch die Rede Luthers 1542 über ein an Jonas geschenktes Glas an (158v).79 Der Abschrift eines Briefes an Christoph von Carlowitz, in dem Melanchthon Stellungnahme zum Augsburger Interim nimmt (252v–255v),80 folgen zwei Sprüche Luthers 1540 über Melanchthon (256r).81 Die Handschrift Chart. B 1483 enthält neben Melanchthonbriefen, akademischen Reden, Disputationsthesenreihen und Intimationen auch zwei bekannte Tischreden (109r–110r, 124v–125r).82 Sie war spätestens seit 1582 im Besitz des aus Senftenberg stammenden Juristen Zacharias Starck, der 1563 in Wittenberg immatrikuliert wurde. Aus der Studienzeit Johann Mattenbergs sind zahlreiche eigenhändige Vorlesungsmitschriften überliefert.83 Mattenberg wurde 1568 in Marburg, 1570 in Wittenberg und 1574 in Jena immatrikuliert. 1577 setzte er sein bereits in Wittenberg begonnenes Medizinstudium in Padua fort und wurde in Valence in der Provence Le Dauphiné zum Doktor promoviert. Er hatte Heilkunst in mehreren Städten und an verschiedenen Höfen praktiziert, bevor er sich 1586 dauerhaft in Gotha niederließ. In einem Band aus seinem Nachlass mit Mitschriften von Vorlesungen, die 1573 in Wittenberg über Geometrie, Astronomie und Ethik gehalten wurden, befinden sich kurze Antworten zu zwei akademischen Fragen, in denen jeweils eine Rede Luthers angeführt wird, um astrologisch basierte Weissagungen prinzipiell abzulehnen (Chart. B 491, 324r). Die Handschrift enthält zudem eine kleine Sammlung von Tischreden und Dicta, darunter 21 von Luther, die häufig in verkürzter Form wiedergegeben sind (340v–342r), und ein bisher unbekannter Kurzdialog zwischen ihm und Justus Jonas (340v).84 Mattenberg legte auch eine Sammlung von Wittenberger Disputationen über theologi-

78

WA.TR 3, 384, Nr. 3541. WA.TR 6, 299, Nr. 6969. 80 MBW 5139. 81 WA.TR 4, 640, Nr. 5063; 653, Nr. 5091. 82 WA.TR 2, 386f., Nr. 2267b; WA.TR 4, 555f. Nr. 4857p. Zur Handschrift vgl. CR 1, XCVIIf., Nr. 39; WA 14, 69, Nr. 147; MITSCHERLING: Die Lutherhandschriften, 227. 83 FB Gotha, Chart. A 623, Chart. A 626–627, Chart. A 629–630, Chart. B 491 und Chart. B 499. Mattenberg war der Schwiegervater des Jenaer Theologieprofessors Johann Gerhard, in dessen Bibliothek die Handschriften gelangten. 84 Edition im Anhang Nr. 6. 79

214

Daniel Gehrt

sche Fragen an, der er eine Rede Luthers über den Jüngsten Tag voranstellte (Chart. B 493).85 Schließlich besitzt die Forschungsbibliothek Gotha zwei weitere Handschriftenbände mit mündlichen Äußerungen Luthers, die im engeren Sinne des Wortes keine Tischreden sind. Dennoch befinden sich mehrere der sieben Reden der Handschrift Chart. A 264, einer Abschriftensammlung von Disputationen und Stellungnahmen zu theologischen Fragen,86 in verschiedenen handschriftlich überlieferten Tischredensammlungen und sind deshalb auch in der entsprechenden Abteilung der Weimarer Lutherausgabe nachzuweisen. Eine lateinische Rede, die lediglich in der deutschen Übersetzung von Aurifaber bekannt war, wurde im Band 48 ediert.87 Die Abschrift eines Gesprächs zwischen Luther und Melanchthon, in dem ersterer kurz vor seinem Tod in Eisleben seine Haltung gegenüber dem Abendmahlsverständnis Ulrich Zwinglis revidiert haben soll, befindet sich in der Handschrift Chart. B 46 (71r-v).88 Die Erzählung ist erst 1557 im Zusammenhang mit dem Streit in Bremen über die Sakramentslehre Albert Hardenbergs überliefert und wurde in der zeitgenössischen Polemik der Kritiker als die „Heidelberger Landlüge“ bezeichnet, da insbesondere die reformierten Theologen in der Kurpfalz sie als Argument für ihre Position im Abendmahlsstreit verwendeten. Diese vermeintlich letzte Rede Luthers wurde nie als Tischrede klassifiziert, zumal die Authentizität dieses von zweiter Hand stammenden Berichts in Frage gestellt wurde.

85 Zur Handschrift vgl. P AUL DREWS: Bemerkungen zu den akademischen Disputationen Melanchthons, in: ThStKr 69 (1896), 325–348, hier 326, 335f; J OHANNES HAUSSLEITER : Aus der Schule Melanchthons. Theologische Disputationen und Promotionen zu Wittenberg in den Jahren 1546–1560, Greifswald 1897, 13f. WA 39 II, XI, XXIX; Mitscherling, Die Lutherhandschriften, 225. 86 Zur Handschrift vgl. P AUL DREWS: Disputationen Dr. Martin Luthers in d. J. 1535– 1545 an der Universität Wittenberg gehalten, Göttingen 1895, 904f. WA 39 II, XXIX; M ITSCHERLING, Die Lutherhandschriften, 202. 87 WA 48, 646–648, Nr. 6600. 88 Abdruck in: T H[EODOR ERDMANN] DIESTELMANN: Die letzte Unterredung Luthers mit Melanchthon über den Abendmahlsstreit nach den geschichtlichen Zeugnissen und den darüber ergangenen Urtheilen, so wie mit Rücksicht auf Luthers ganze Stellung im Abendmahlsstreit neu untersucht, Göttingen 1874, 5f, Anm. 1; 10, Anm. 1. Zum Gespräch vgl. ebd. und J ÜRGEN D IESTELMANN: Usus und Actio. Das Heilige Abendmahl bei Luther und Melanchthon, Berlin 2007, 123–129.

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215

6. Anhang Die Tischreden der Forschungsbibliothek Gotha und ihr Editionsstand Signatur Chart.A 94

Anzahl 38

Editionsstand nur eine TR ohne Parallelüberlieferung in der WA berücksichtigt in der WA unberücksichtigt, Edition in WA 48, 228–233, Anhang I,4 in der WA unberücksichtigt, Edition in WA 48, 228–233, Anhang I,4 in der WA unberücksichtigt, von Clemen ediert in der WA unberücksichtigt in der WA unberücksichtigt, eine verwandte Handschrift in Halle von Bindseil ediert in der WA unberücksichtigt keine TR im engeren Sinne, sondern Äußerungen in Disputationen, partiell in der WA berücksichtigt, eine in WA 48 ediert in der WA unberücksichtigt, im Anhang Nr. 4 ediert in der WA unberücksichtigt, im Anhang Nr. 2 ediert in der WA unberücksichtigt 3 TR ohne bekannte Paralleltexte: 2 TR in WA 48 und eine im Anhang Nr. 3 ediert in der WA unberücksichtigt, vollständiges Inhaltsverzeichnis in WA 48, 371–384 lediglich eine Ansprache in WA 48 berücksichtigt partiell in der WA berücksichtigt partiell in der WA berücksichtigt in der WA unberücksichtigt, einige unbekannte Dicta in der WA unberücksichtigt in der WA unberücksichtigt, eine ohne Parallelüberlieferung im Anhang Nr. 1 ediert in der WA unberücksichtigt, der zweite Teil eines Gesprächs im Anhang Nr. 5 ediert, Paralleltext von Clemen ediert. in der WA unberücksichtigt, in WA 48, 228–233, Anhang I,4 ediert in der WA unberücksichtigt

Chart.A 114

1

Chart.A 115

1

Chart.A 122 Chart.A 240 Chart.A 262

2 1 ca. 930

Chart.A 263 Chart.A 264

8 7

Chart.A 357 Chart.A 380 Chart.A 398 Chart.A 401

1 1 1 5

Chart.A 402

ca. 2000

Chart.A 1048 Chart.B 15 Chart.B 16 Chart.B 19 Chart.B 21 Chart.B 26

4 ca. 850 ca. 60 ca. 30 7 4

Chart.B 28

14

Chart.B 38

1

Chart.B 46

1

Chart.B 79

ca. 1250

in der WA unberücksichtigt, mehr als 90 TR und Dicta, die nicht in der WA nachweisbar sind

Chart.B 148 Chart.B 153

ca. 700 50

in der WA unberücksichtigt Textgrundlage für die Edition der Sammlung Ludwig Rabes in der WA

Chart.B 168

ca. 470

einige wenige TR dienten als Textgrundlage für die Edition in der WA

216

Daniel Gehrt

Chart.B 169

ca. 610

Textgrundlage für die Edition des Tagebuchs Lauterbachs für Jahre 1536, 1537 und 1539 in der WA

Chart.B 213

6

in der WA unberücksichtigt

Chart.B 491

24

in der WA unberücksichtigt, eine ohne Parallelüberlieferung im Anhang Nr. 6 ediert

Chart.B 493

1

in der WA unberücksichtigt

Chart.B 515 Chart.B 1482

1 ca. 590

in der WA unberücksichtigt in der WA unberücksichtigt, auch zahlreiche Dicta u.a. von Melanchthon

Chart.B 1483 Chart.B 1484

2 2

in der WA unberücksichtigt in der WA unberücksichtigt

Summe

ca. 7670

Edition einzelner Funde Generell wurde diplomatisch getreu transkribiert. Mit Ausnahme von Eigennamen und Satzanfängen wurde im Zweifelsfall die Kleinschreibung vorgezogen. Die Interpunktion der Originale wurde beibehalten mit Ausnahme des Satzendes, das jeweils mit einem Punkt gekennzeichnet wird. Ligaturen und Abkürzungen werden aufgelöst und die Ergänzungen durch eckige Klammern gekennzeichnet. 1. Chart. B 26, 129r. Abschrift von der Hand Veit Warbecks. D[octor] M[artinus] L[utherus] de racione Judicandj. Respondendu[m] e[st] Judicj cuilibet, de Jure eius terre, Jn qua habitamus, Qui e[ni]m gentibus subiectj sumus et etia[m] Juri et gladio eorum s[u]biectj sumus. Jdq[ue] fit mea q[uae]stio Petro docente Subditj estote o[m]nij humane creature et ordinacionibus,89 cu[m] lex Mosi ni[hi]l ad nos, Porro Eua[n]geliu[m] de Jurib[us] ni[hi]l statuit, cu[m] i[uxta] P[aul]um doceat etc. 2. Chart. A 380, 24r-v. Abschrift. Edition der ersten sieben Zeile: WA.TR 1, 330, Nr. 683. Iuditium Lutheri de patribus. Bonauentura int[er] scholasticos doctores optimus Est.

89

1 Petr 2,13.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

217

Augustinus int[er] Eclesiasticos primas tenet. Ambrosius secundas. Bernhardus tertias. Tertulianus Est int[er] Ecc[lesi]asticos doctores verus Carolstadius. Cyrillus h[abet] optimas sententias. Cyprianus e[st] sanctus martyr, s[ed] Theologus imbecillus. Theophilactus optimus pauli interpres int[er] doctores. Hieronymus p[otes]t legi propter historias, de fide e[ni]m Et doctrina verae religion[ae] ne v[i]m q[ui] h[abet]. Origenem hab ich schon in bann gethan. Chrystomus gilt bei mir auch nichts, ist mir ein wescher. Basilius tanq[uam] gar nichts, Er ist gar ein munich, ich wolt nicht ein heller vmb in geben. Hilarius Et Theophilactus sind gut. Ambrosius auch der gehet zu weilen fein ad remissione[m] p[ec]c[a]toru[m], qui est summus articulus. 3. Chart. A 401, 247r. Abschrift. D[octor] M[artinus] L[utherus] Siehe an, was du vor gutter von Gott hast, vnd was du leidest, ist doch die wage vnmeslich gegeneinander. 4. Chart. A 357, 527r. Abschrift von der Hand Stephan Reichs. Verwandt mit: WA.TR 1, 53, Nr. 127. IVDICIVM D. MARTINI LVtheri de insignibus Ducum Saxoniæ. Des Fursten von Sachssen wappen oder Schild ist mit zweien Schwertern jn einem weissen vnd schwarzen feld, Also, das das Hefft vnten jm weissen, die schneiten oben jm schwarzen stehet. Nu die feld zeigen an, wie man sich halten soll jm Regime[n]t. Vnten, da ma[n] das schwert hat bey dem Hefft, sol man fein waiss, sanfftmutig vnd barmhertzig sein, fur sich selbst, das mans freundlich meine, was man thut. Oben im regiment soll man die Spitzen jm Schwarzen felde fure[n], das ist, ernst, dapper, vnd streng zu schmeissen, damit den Sunden geweret werde eusserlich, vnd das bedeuten die schwerd, das sie Rott sind, das man damit zuhawe vnd blut vergiesse.

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Daniel Gehrt

5. Chart. B 28, 46v–47v. Abschrift von der Hand Konrad Meusels. Zweiter Teil des protokollierten Gespräches zwischen Martin Luther, Martin Bucer und Bonifacius Wolfhart am 1. März 1537 in Gotha. Edition eines Paralleltextes: Clemen, Luther in Schmalkalden 1537 (wie Anm.75), 260f. Edition des ersten Teils (44v–46v): WA.TR 3, 394–397, Nr. 3544. AD HÆC BVCERVS Respondit de candore e[t] animo Lutheri, se nihil unq[uam] dubitasse, e[t] iam nemine[m], tu[m] apud suos, tum apud Heluetios, maxi[m]e q[ui] sint prudentiores, et cordaciores dubitare, se item explicuisse quod no[n] intellexerit, vt sic res sibi olim obscura iam fuerit clarior, e[t] hæc debere se vni Luthero, no[n] dubitabat p[ro]palam affirmare se reuocasse v[erb]o scripto, e[t] voce vbi errauerit sicut uere errauerit in q[ui]busda[m], neq[ue] se hoc vrgere apud quenquam, quod D[octor] Lutherus se suosq[ue] no[n] intellexerit, aut quod iam in ipsor[um] sententia[m] concesserint nostri. Nihil dubitare se dicebat, de simplicitate et p[ro]bitate suor[um], et se quantu[m] fieri posset, daturos opera[m], vt quam certissime, simplicissime, explicatissimeq[ue] docerent. [47r] Voluisse se tu[m] crassos vulgi intellectus e[t] abusus papisticos, de transsubstantiatio[n]e crassa, e[t] experimentali p[rae]sentia Chr[ist]j rep[ro]bare, e[t] explicare e[tc.]. Sperare se quod vtrimq[ue] ad plena[m] e[t] certa[m] concordia[m] sint venturj. Rogabat item R[everendissimum] pa[trem] Lu[therum] vt se et suos illos etiam ecclesias h[abe]ret com[m]endatas. Diu sum[m]is votis optabat vt si q[uonda]m conualesceret p[er] misericordia[m] Dei opt[imi] Max[imi] ad eos quod receperet se factur[um], de tota caussa scriberet. Iam eni[m] q[ui]cq[ui]d Lutherus scribat studiosiss[ime] apud suos legj, e[t] suos eni[m] tanq[uam] cora[m] patrem e[t] Ap[osto]l[u]m p[er] quem Deus opt[imus] Max[imus] dederit v[er]bu[m] suu[m] reuereri, diligere e[t] obseruari etc. Ad hæc o[mn]ia e[t] plura, q[uae] ex breuitate æstimari poterunt, Lutherus pollicebat[ur], iteru[m] si conualesceret se scripto inseruitur[um] Heluetijs et superioris germaniæ ecclesijs. Laudabat ite[m] Buceru[m], quod Witebergæ de hac sententia de sacramento, prive p[rae]dicauisset et satis fecisset Witebergensi ecclesiæ. Deinde ad cœna[m] inuitauit vtrumq[ue], inuitauerunt cu[m] Luthero cœnarunt etc. Feria sexta post Re[minisce]re.90 R[everendissimus] pa[ter] Lu[therus] Buceru[m] et Lychosthene[m] abituros benedice[n]s [47v] rogauit vt Chr[istu]m fideliter sequerent[ur], atq[ue] ita dimisit a se Schmalckaldia[m], recta reuersuros ad conuentu[m], q[uod] nondu[m] erat solutus, 1537.

90

2. März 1537.

Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbibliothek Gotha

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6. Chart. B 491, 340v. Abschrift von der Hand Johann Mattenbergs. Jonas: Quis scit an miserebitur nostri. E[rgo] licet dubitare nec o[mn]is dubitatio in reb[us] fidei est inhibita. R[espondit] Luth[erus]: Aliud est loqui de facto aliud de iure. Est q[ui]dem morbus ille in o[mn]ibus sanctis ferè, q[ui] instante pœna incipiunt dubitare sed non est illi morbo obtemp[er]andum.

Thematische Bearbeitung der Tischreden Martin Luthers durch Georg Rörer (1492–1557) Beobachtungen zu Überlieferung und Funktion1 STEFAN MICHEL

Die Überlieferungsgeschichte der Tischreden durch Georg Rörer (1492– 1557) scheint auf den ersten Blick gut aufgearbeitet zu sein. Umfassend setzte sich Ernst Kroker (1859–1927) damit auseinander. Zwischen 1908 und 1910 erschien in drei Teilen sein gründlicher Aufsatz zu diesem Thema unter dem Titel „Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden“2, worin er das Verhältnis der Aufzeichnungen Rörers zu denen von Johannes Mathesius (1504–1565), Johann Schlaginhaufen (1498–1560) und Veit Dietrich (1506–1549) darstellte. Die Ergebnisse Krokers lassen sich sehr verkürzt so formulieren: Während eine gelegentliche Abhängigkeit der Tischredenausgabe Johann Aurifabers (1519–1575)3 von der Überlieferung Rörers festzustellen ist, hatte Rörer doch eher eine geringe Bedeutung als Mitschreiber an Luthers Tisch. Vielmehr habe Rörer Tischreden anderer kopiert und in seine Sammlung aufgenommen. Dieses quellenkritische Urteil bildete die Grundlage für Krokers Editionsarbeit und floss in den ersten Band der Tischredenedition der Weimarer Lutherausgabe ein, der 1912 erschien. Darin gibt es auch einen Anhang zu Veit Dietrichs Nachschriften mit Überlieferungsstücken, die Nikolaus Medler (1502–1551) zugewiesen werden.4 Erst durch eine 1917 von Albert Freitag (*1880) vorgetragene Neuinterpretation des Verhältnisses zwi1

Für Korrekturen danke ich meiner Frau, Dr. Christine Haustein, und stud.phil. Tim Hoffmann (Jena). 2 ERNST KROKER: Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden. I. Rörer und Mathesius, in: ARG 5 (1907/08), 337–374; DERS.: Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden. II. Rörer und Schlaginhaufen, in: ARG 7 (1909/10), 56–92; DERS.: Rörers Handschriftenbände und Luthers Tischreden. III. Rörer und Dietrich, in: ARG 8 (1910/11), 160–180. 3 Vgl. HELMAR J UNGHANS: Art. Aurifaber, Johannes, in: TRE 4 (1979), 752–755. 4 WA.TR 1, 309–330.

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schen Dietrichs und Rörers Aufzeichnungen ließ sich Kroker zu einer Neubewertung bewegen. Er wies Rörer die Tischreden als Verfasser bzw. Aufzeichner zu, von denen er noch im ersten Band seiner Ausgabe meinte, dass sie Medler überliefert habe.5 Allerdings war an eine zweite, verbesserte Auflage der Edition nicht zu denken. Lediglich ein Korrekturvermerk im Band sechs der Tischredenedition im Jahr 1921 machte auf diesen neuen Befund aufmerksam.6 Vorher edierte Kroker 1919 im fünften Band als Abschnitt 18 seiner Ausgabe (S. 403–424, Nr. 5942–5989ii) einige „Tischreden aus Georg Rörers Handschriftenbänden“ Ms.Bos.q.24s, Ms.Bos.o.17C und Ms.Bos.o.17D. Damit hielt sich Kroker die Möglichkeit offen, dass doch einige Tischreden von Rörer aufgezeichnet worden sein könnten. Der hier skizzierte, verwirrende Befund macht deutlich, dass sich eine erneute Beschäftigung mit der Tischredensammlung Georg Rörers durchaus lohnt und sein Anteil an der Überlieferung der Tischreden Luthers keinesfalls als vollständig erforscht gelten kann. Um die Arbeit Krokers gebührend zu würdigen, muss beachtet werden, dass er sich als erster moderner Forscher mit den Tischreden Rörers beschäftigte. Die Handschriftenbände waren damals noch nicht vollständig erschlossen, da sie erst 1894 von Georg Buchwald (1859–1947) für die Lutherforschung „wiederentdeckt“ worden waren.7 Aus der Fülle des Materials berücksichtigte Kroker demzufolge offensichtlich zunächst nur die ihm zugänglichen Bände.8 Durch eine zunehmende Erschließungsdichte wurde er später genötigt, seine Forschungen zu revidieren, was sich nur durch die Einleitungen in die neu erscheinenden Bände realisieren ließ. Spätere Entdeckungen, wie sie z.B. durch Albrecht vorgetragen wurden,9 hätten eine 5 ALBERT FREITAG: Veit Dietrichs Anteil an der Lutherüberlieferung, in: Lutherstudien, Weimar 1917, 170–202. 6 WA.TR 6, XVI. 7 GEORG B UCHWALD: Jenaer Lutherfunde, in: ThStKr 67 (1894), 374–391; DERS.: Lutherfunde in der Jenaer Universitätsbibliothek, in: ZKG 14 (1894), 600–603. Etwas besser sieht der Befund für die anderen Tradenten aus, vgl. dazu den Beitrag von HELMAR J UNGHANS in diesem Band. 8 Es ist nicht auszuschließen, dass Kroker bei dieser Arbeit auch Fehler unterliefen: In der Handschrift ThULB Jena, Ms.Bos.q.24f, steht auf Bl. 221 r am unteren Rand: „Anno 1484 natus est D.M.L.“ Dies dürfte eine Notiz Rörers gewesen sein, wie er auch sonst Notizen an seine Texte schrieb, die ihm bei der Gliederung helfen sollten. Kroker edierte diese Notiz jedoch als Tischrede (WA.TR 1, 536, Nr. 1061). 9 Bereits Johannes Haussleiter hatte darauf hingewiesen, dass Kroker nur „Urschriften“ benutzt und die „Sammelhandschriften“ vernachlässigt habe (WA 48, 365). Damit eröffnete er seine Weiterführung der Arbeiten Krokers und edierte „Tischreden aus dem cod. Besoldi und aus anderen Handschriften“ (WA 48, 365–719). Vgl. auch die Nachträge in WA 59, 729–746, besonders das „Verzeichnis der von Georg Rörer in seinen Hand-

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Neubearbeitung seiner gesamten Tischredenausgabe nach sich gezogen, was freilich unmöglich war.10 Ziel dieses Beitrages ist es nun keinesfalls, die Forschungen Krokers grundlegend neu aufzurollen. Viele seiner überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen haben nach wie vor Bestand. In einem ersten Schritt soll ergänzend zu Krokers Forschungen ein Überblick über den Bestand der Tischreden Luthers in der Sammlung Georg Rörers gegeben werden. Daran anschließend soll wirkungsgeschichtlich auf das Verhältnis der Überlieferung durch Rörer und die Benutzung der Sammlung durch Aurifaber eingegangen werden. Dabei steht die beiden Männern gemeinsame Arbeitsweise im Umgang mit den Tischreden Luthers, im Mittelpunkt des Interesses. Schließlich soll abweichend von Kroker ein Vorschlag für eine methodisch fundierte Neubewertung des quellenhistorischen Werts der Sammlung Rörers unterbreitet werden, der sich durch eine gezielte thematische Bearbeitung die Inhalte der Tischreden Luthers aneignete.

1. Luthers Tischreden in Rörers Sammlung Die Sammlung des Lutherschülers Georg Rörer ist wahrscheinlich die größte zusammenhängende handschriftliche Sammlung von Luthertexten eines Zeitgenossen des Wittenberger Reformators, die sich in ihrem beinahe geschlossenen Zusammenhang bis heute erhalten hat. Sie umfasst heute noch 35 Bände in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) mit etwa 500 Einzelquellen, zu denen die beiden Handexemplare Luthers des Neuen und Alten Testaments hinzu kommen, die noch zu Lebzeiten Luthers in die Sammlung Rörers übergingen. Mindestens sechs Bände gingen schon im 16. Jahrhundert verloren. Über die Entstehung und das Wachstum dieser Sammlung geben die Bände am besten selbst Auskunft. Vereinzelte Datierungen Rörers am Rand eines Quellenstücks, die anzeigen, wann er es in seine Sammlung kopiert hat, die Bindungen der Bände oder auch Wasserzeichen im Papier verraten einiges über den

schriftensammelbänden überlieferten, außerhalb U. A. Tischreden gedruckten Tischreden Luthers“ (S. 745f.). 10 Wollte man die Tischredenbände der Weimarana neu bearbeiten, so müssten unter anderem die Nachweisungen der einzelnen Tischreden überarbeitet werden. Dabei sind Ergänzungen (z.B. zu WA.TR 1, 212, Nr. 484 müsste ergänzt werden: Ms.Bos.q.24s, 150 v; gleiches gilt für WA.TR 4, 574, Nr. 4902 mit Ms.Bos.q.24s, 160 r) oder Korrekturen (z.B. die Quellenangabe Ms.Bos.q.24s, 155a [= 159 r] ist in WA.TR 4, 692 bei Nr. 5171b zu streichen und zu Nr. 5171a zu setzen) vorzunehmen.

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Wachstumsprozess. Nachdem Rörer im April 1522 in Wittenberg angekommen war, schrieb er zunächst alle Predigten und später auch Vorlesungen Luthers mit. Konnte er einmal Luthers Vortrag nicht persönlich verfolgen, versuchte er an Mitschriften anderer zu gelangen, um sie seiner Sammlung einzuverleiben.11 Da Rörer diese Sammeltätigkeit konsequent verfolgte, besaß er schließlich eine nahezu vollständige Sammlung aller von Luther seit 1522 bis zu seinem Tod gehaltenen Predigten.12 Erst Ende der 1520er Jahre nahm Rörer auch Briefe in seine Sammlung auf. Mit seinen beiden Wittenberger Freunden und Kollegen, Caspar Cruciger (1504– 1548) und Veit Dietrich, die wie Rörer für das Mitschreiben von Luthers Vorträgen herangezogen wurden, tauschte er sein Material aus. Dietrich, der von 1527 bis 1534 in Luthers Haus lebte, ihn auch auf die Coburg begleitete und seit etwa 1530 Tischreden mitschrieb, könnte den Anstoß gegeben haben, verstärkt auch solches Material zu sammeln, das wie die Tischreden weniger offiziellen Charakter hatte, aber trotzdem wichtige Aspekte zu biographischen Erinnerungen, aktuellen Anlässen oder verschiedenen Lehrfragen bot. Am Ende dieser Sammeltätigkeit besaß Rörer eine der größten Sammlungen mit ungedruckten Werken Martin Luthers, aus denen sich Bibelkommentare oder Predigtsammlungen herstellen ließen. Bereits seine Zeitgenossen bewunderten diese Sammlung und wollten gern daraus Abschriften machen. Als Rörer im Sommer 1553 nach Jena gekommen war, stattete ihm Anfang September der Weimarer Hofprediger Johann Aurifaber einen Besuch ab, nicht zuletzt um seine Sammlung in Augenschein zu nehmen. Er berichtete darüber unter anderem an Wolf Lauenstein, den Sekretär des geborenen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen (1503–1554):

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Ein Beispiel dafür findet sich in Rörers Mitschrift von Luthers Vorlesung über Psalm 90 von 1535 (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24k, Bl. 235r–259 v = WA 40/3, 484–594). Da Rörer am 3. November 1535 (Bl. 259v) nicht in Wittenberg war, schrieb er diesen Teil der Vorlesung später sauber aus Veit Dietrichs Mitschrift ab. Vgl. dazu: MATTHIAS SCHLICHT: Luthers Vorlesung über Psalm 90. Überlieferung und Theologie, Göttingen 1994 (FKDG 55), 18–48. Ein weiteres Beispiel findet sich in Rörers Mitschriften der Sonntagsvorlesungen Philipp Melanchthons von 1548 bis 1551 (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24a). Hier schreibt Rörer aus Ulrich Sitzingers Kollegheft einzelne Nachträge ab. Vgl. dazu: STEFAN M ICHEL: Die Sonntagsvorlesungen Philipp Melanchthons. Vom akademischen Vortrag zum homiletischen Hilfsmittel, in: Irene Dingel / Armin Kohnle (Hg.), Philipp Melanchthon. Reformator Europas (LStRLO 13), Leipzig 2011,177–190. 12 Vgl. dazu die wohl auch 1553 angefertigten Verzeichnisse: Ratsschulbibliothek Zwickau, Ms. 33 (für Johann Stoltz) und Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv (= ThHStAW, EGA), Reg. O 777 (Andreas Poach).

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„Sonst hatt M. Georg Rörer einen vnaussprechlichen grossen Schatz von predigten, die Doctor Martinus vom 23: ihar bis auff das 46: gethan vnd Ehr alle aus seinem munde ge13 schrieben.“ Außerdem besitzt er „Etzliche Bücher voll colloquien vnd Tischreden“.

Mehrfach benutzte Aurifaber den Ausdruck „Schatz“,14 um die Sammlung Rörers entsprechend zu würdigen. Natürlich ist dabei mit einer doppelten Wortbedeutung zu rechnen, die zunächst auf den Wert des Inhalts der Sammlung zielt. Andererseits meint Schatz im Sinne seiner lateinischen Parallele thesaurus (aus dem Griechischen von θησαυρός kommend) auch die Fülle des Inhalts („Vorrat, Überfluss“), die dann selbstverständlich diese Sammlung wiederum wertvoll macht.15 Aurifaber war sich in jedem Fall bewusst, dass Rörers handschriftliche Aufzeichnungen an Menge und Qualität unvergleichlich waren. Dieser Schatz musste für die Weimarer Herzöge gesichert werden, da die Ernestiner für sich beanspruchten, die wahren Verteidiger und Erben des Luthertums zu sein.16 Ein erster flüchtiger Blick über die Sammlung Rörers könnte zu der Annahme führen, dass er gar kein gesteigertes Interesse an Luthers Tischreden besessen hat, da es keinen Band gibt, der unmittelbar bei Tisch aufgezeichnete Aussprüche Luthers enthält. Möglicherweise war dies auch Krokers erster Eindruck. Rörer verfolgte das Mitschreiben bei Tisch offensichtlich nicht so konsequent, wie er Luthers Vorlesungen oder Predigten aufzeichnete, obwohl er doch sicher viele Gelegenheiten dazu gehabt hatte wie z.B. 1527, als er während der Pest in Wittenberg in Luthers Haus wohnte. Tatsächlich gab es ein solches separates Heft mit unmittelbar aufgezeichneten Tischreden nie. Er schrieb seine Tischredenaufzeichnungen als Abschnitte in seine Sammelbände, indem er die Mitschriften seiner Freunde einfach übertrug. Wenn er tatsächlich selbst bei Tisch mitschrieb, dann nutzt er dazu vielleicht kleine Zettel, die er später geordnet abschrieb.

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ThHStAW, EGA, Reg. O 775, Bl. 4r. Diesen Ausdruck benutzte Aurifaber auch in seinem Brief vom 23. November 1550 an den dänischen König Christian III., von dem er hoffte, dass er bei ihm Zuflucht finden könnten. Mit „Schatz“ umschrieb er den Wert seiner Sammlung von Material zu Leben und Werk Martin Luthers. Vgl. ANDREAS SCHUMACHER (Hg.): Gelehrter Männer Briefe an die Könige in Dännemark, erster Teil, Kopenhagen / Leipzig 1758, 231. 15 Vgl. das Stichwort in B ASILIUS F ABER: Thesaurus eruditionis scholasticae. Tomus alter, Leipzig 1735, 982. 16 J OACHIM B AUER: Der Kampf um das „wahre“ Luthertum. Jena und Wittenberg 1548, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt Gütersloh 2005 (SVRG 203), 277–291; DANIEL GEHRT: Kurfürst Johann Friedrich I. und die ernestinische Konfessionspolitik zwischen 1548 und 1580, in: Volker Leppin / Georg Schmidt / Sabine Wefers (Hg.): Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006 (SVRG 204), 307–326. 14

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Sammeln von Tischreden bedeutet für Rörer also, dass er diese thematisch ordnete. Die Redaktion der Sammlung fand umgehend statt, indem er Luthers Aussprüche nach bestimmten Gesichtspunkten festhielt. Vielleicht interessierten ihn die Tischreden nur bedingt, da er eine vollständige Sammlung von Luthers Predigten und Vorlesungen besaß, in denen auch persönliches Material des Reformators enthalten war. Die kleinen Gesprächsfetzchen, die die anderen sammelten, dienten ihm daher bestenfalls zur Ergänzung einiger Details. Ein Überblick über die Tischredenüberlieferung durch Georg Rörer soll dies verdeutlichen: 1. Eine erste Beobachtung anhand der Jenaer Rörersammlung betrifft z.B. die Bände Ms.Bos.o.17n (1531),17 Ms.Bos.q.24a (zwischen 1548 und 1551),18 Ms.Bos.q.24b,19 Ms.Bos.q.24e,20 Ms.Bos.q.24i,21 Ms.Bos.q.24k22 und Ms.Bos.q.24n23: Rörer schrieb einzelne Tischreden nahezu zufällig in diese Bände ein. Diese erste Gruppe der durch Rörer überlieferten Tischreden findet sich oft auf Blättern nachgetragen, die in einem Band noch leer waren. Sie treten vereinzelt auf und wirken dadurch eher zufällig. Selten besteht ein inhaltlicher Bezug zu den Bänden selbst. 2. Die zweite Gruppe der von Rörer überlieferten Tischreden steht in den untereinander verwandten Heften Ms.Bos.q.24c, Ms.Bos.q.24f und Ms.Bos.q.24s. Diese Gruppe ist der eigentliche Kern seiner Tischredenüberlieferung In diesen drei Handschriften sind vier ursprünglich einzelne „Hefte“ enthalten. Im Band Ms.Bos.q.24c, der zwischen 1531 und 1542 entstanden ist und 1552/53 von Rörer ergänzt wurde, befinden sich Tischreden aus den Jahren 1532 und 1533. Sie wurden wahrscheinlich auch relativ zeitnah nach ihrer Entstehung durch Rörer in sein Heft übertragen. Ursprünglich hatte dieses erste Heft eine eigene Zählung von Blatt 1–87 (neue Zahlung: Bl. 207–293) und wurde erst später in diesen Band eingebunden.

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Bl. 65 r: WA.TR 1, 448, Nr. 903. Bl. 421r: WA 27, IX (wie Ms. Bos. q 24 s, 206 v); Bl. 455r: WA.TR 3, 558 Nr. 3715. 19 Bl. 231 r: WA.TR 4, 499f., Nr. 4783 (spätere Fassung, an die sich andere Überlieferungsstücke angelagert haben). 20 Bl. 259r: WA 48, 708f., Nr. 7201. 21 Bl. 1 r: WA 29, IX; 1 r: WA.TR 1, 33f., Nr. 88 / WA 32 (Revisionsnachtrag), 9 (vgl. auch Ms. Bos. q. 24 c, Bl. 229v). 22 Bl. 3 v-4 r: WA.TR 5, 285, Nr. 5635 b. 23 Bl. 159r: WA 30/3, 389 = WA.TR 3, 127f., Nr. 2974b; Bl. 178v: WA 48, 709f., Nr. 7202; Bl. 181v: WA 30/3, 348, Anm. 3 (vgl. mit WA.TR 2, 23, Nr. 1282 und WA.TR 3, 290, Nr. 3360b); Bl. 265v: WA.BR 14, 202. 18

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Im Band Ms.Bos.q.24f, der durch seine Entstehung 1535/36 mit den Ergänzungen von 1552/53 eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie Ms.Bos.q.24c hat, befinden sich zwei Überlieferungskomplexe:24 Zunächst steht auf den Blättern 162 bis 167 ein in dieser Form vollständiger Torso, der wohl ursprünglich einmal selbständig gewesen war. Er soll als Heft zwei bezeichnet werden. Rörer hatte ihn vielleicht mit der noch sichtbaren eigenen Blattzählung in roter Tinte von a bis f begonnen, aber nicht weiter bzw. zu Ende geführt. Der Band Ms.Bos.q.24f setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Während sich die eben erwähnten Tischreden im ersten Teil befinden, beginnt mit der heute auf Blatt 18525 oben rechts in brauner Tinte beginnenden alten Zählung (Bl. 1) ein zweiter Teil der Handschrift, der ursprünglich ebenfalls selbständig war. Rörer übergab ihn nach 1537 dem Buchbinder,26 der ihn mit anderen Teilen zu einem Buch vereinigte. Allerdings ist dieser zweite Teil der Handschrift nicht zugleich der Beginn des dritten Tischredenhefts. Dieses muss schon auf Blatt 169 (neue Zählung) begonnen haben, auf dem Rörer oben links eine Zählung in roter Tinte beginnen ließ, die bis Blatt 276 reicht (alte rote Zählung Bl. 108). Der Wasserzeichenbefund deckt diese Beobachtung: Von Blatt 169 bis 210 und von Blatt 215 bis 256 verwendete Rörer ein Papier mit einer Krone mit zweikonturigem Bügel mit Perlen, darüber einem zweikonturigen Kreuz mit einkonturigem Beizeichen im Reif.27 Das vierte Tischredenheft befindet sich im Band Ms.Bos.q.24s, der erst zwischen 1550 und 1553 entstanden ist.28 Dieses „Heft“ ist nicht so in sich geschlossen wie die vorherigen. Vielmehr bietet Rörer auf den Blättern 24 bis 43, 45 bis 50, 59 bis 60, 110 bis 135 und 172 bis 178 mehrere Strecken 24

Vgl. WA 41, VII–XI. Neue Zählung aus dem Jahr 2008. 26 Dass 1537 die meisten (vielleicht sogar alle) Mitschriften Rörers noch ungebunden waren geht aus einem Bericht Georg Spalatins über die Sammlung Rörers an Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen hervor, vgl. ThHStA, EGA, Reg. O 492, Bl. 7–11 (12.11.1537). Darin schlägt er vor, dass zwei Studenten die Sammlung Rörers abschreiben könnten, um vor allem die Predigten Luthers in die kurfürstliche Bibliothek aufnehmen zu können. Allerdings sei die Schrift Rörers „so vbel“ zu lesen (Bl. 9v), dass es vielleicht doch besser wäre die Originale zu erwerben. 27 Das Papier mit diesen Wasserzeichen kommt auch in den Bänden ThULB Jena, Ms.Bos.q.24k und 24n vor. 28 Dies ergibt sich aus den Datierungen, die Rörer nach dem Abschreiben an einzelne Quellenstücke anbrachte: 15.8.1550 (Bl. 53v), 26.9.1550 (Bl. 76r), 22.10.1550 (Bl. 94r), 5.12.1550 (Bl. 100r), 16.12.1550 (Bl. 101r), 12.2.1551 (Bl. 145r), 1553 (Bl. 178v), 14.6.1552 (Bl. 220r), 2.4.1553 (Bl. 236r) und 8.5.1551 (Bl. 418v). 25

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mit Tischreden hintereinander, die den Eindruck erwecken, dass er sie sukzessive aus einer Vorlage kopiert hat.29 Dieser Band wurde noch zu Lebzeiten Rörers gebundenen, bestand aber ursprünglich auch aus zwei Teilen, die Rörer sogar mit einer eigenen Bezeichnung versehen hatte und so zitierte. Der erste Teil des Bandes war mit GR (Bl. 1–222) und der zweite mit MG (Bl. 227–470) bezeichnet. Die Tischreden stehen nur im ersten Teil, auf den Rörer auch verweist.30 Es ist möglich, dass die Abschnitte Blatt 45–50 und 110 bis 135 einmal eigene Hefte gebildet haben, wofür die Überschriften von Rörers Hand sprechen: Sermones in mensa (Bl. 1r, 45v) und Colloquia (Bl. 110r). Für das vierte Heft läßt sich recht gut ermitteln, woher Rörer das Material genommen hatte. Es stammt von Blatt 110 bis 135 von Johann Schlaginhaufen, mit dem er 1532 abwechselnd an Luthers Tisch die Gespräche mitschrieb. Es ist also von einer gemeinsamen Überlieferung auszugehen. Auf Blatt 413v vermerkt Rörer ausdrücklich, dass er diese Tischreden von Schlaginhaufen abgeschrieben hat:31 „Ex libello Iohannis Turbicidae pastoris Köthensis.“ Andere Tischreden stammen aus den Sammlungen Veit Dietrichs und Johannes Mathesius (Bl. 172–178). Allerdings auch in diesem Fall kann Rörer nicht einfach als Abschreiber Dietrichscher Tischreden bezeichnet werden. Vielmehr dürfte er mit ihm so eng zusammengearbeitet haben, dass man nur schwer eine selbständige Überlieferung entweder Rörers oder Dietrichs bestimmen kann. Festhalten läßt sich aber, dass Rörer in jedem Fall an der Überlieferung der Tischreden Luthers als Bearbeiter einen hohen Anteil hatte. Rörer verband die drei Bände Ms.Bos.q.24c, f und s durch ein Verweissystem auf einzelne Tischreden miteinander.32 Er war sich dabei offensichtlich bewusst, dass er ein und dieselbe Tischrede in verschiedenen Kontexten überlieferte. Denn jedes Heft hatte seinen eigenen Inhalt, der ihn von den anderen unterschied. Besonders bei Ms.Bos.q.24c und f fällt auf, dass Rörer die Tischreden beim Eintragen in seine Hefte thematisch ordnete. Ihn interessierten nicht alle Gespräche am Tisch, sondern er konzentrierte sich auf theologische Inhalte, besonders die Auslegung der Bibel.33 Andere Schwerpunkte bildeten das Leben Luthers, kontroverstheologische Ausei29

Vgl. die alte, nicht ganz fehlerfreie Beschreibung in WA.TR 2, XIV–XVI. Z.B. ThULB Jena, Ms.Bos.q.24f, Bl. 212v Verweis auf Ms.Bos.q.24s. 31 Vgl. WA.TR 2, XVI (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24s, Bl. 413 v–417 r neue Zählung = 383 v–387 r alte Zählung). 32 So verweist Rörer in ThULB Jena, Ms.Bos.q.24f, 212v auf Ms.Bos.q.24c. 33 Vgl. WA 31/I, 555–561. Die hier edierten „Psalmenauslegungen“aus Ms.Bos.o.17D entsprechen den Tischreden Nr. 1662, 1664, 1665, 1668, 1669, 1670 und 1671 aus Ms.Bos.q.24s. 30

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nandersetzungen oder historische Stoffe. Man kann diese Trennung sehr gut am Band Ms.Bos.q.24c sehen: Auf Blatt 260v endet eine Strecke mit Tischreden zu biblisch-theologischen Themen und auf Blatt 261r beginnt eine Strecke mit allgemeinen bzw. historischen Inhalten. Die Zusammenstellungen verdeutlichen, dass Rörers Tischredenüberlieferungen nicht unmittelbare Mitschriften am Tisch Luthers widergeben, sondern bearbeitete Aufzeichnungen sind. So ist es z.B. auch zu erklären, dass Mitschriften Veit Dietrichs in unterschiedlichen Bänden vorkommen. Zu dieser recht geschlossenen Überlieferung der Tischreden Luther gehört auch eine Lage mit 22 Tischreden, die sich im Band Ms.Bos.o.17C auf Blatt 327r bis 333v befindet.34 Die Tischreden datieren in die Jahre 1539 bis 1544.35 Sie wurden nicht von Rörer aufgezeichnet, der diese Lage nur in seine Sammlung aufnahm. Da alle Tischreden mit einer Überschrift versehen sind, muss es sich um Nachschriften handeln, die in dieser Form zusammengestellt wurden. 3. Schließlich gibt es unter den Tischreden, die Rörer überlieferte, eine dritte Gruppe. Dieser Überlieferungsstrang wird durch eine Strecke von 22 thematisch geordneten Aussprüchen Luthers gebildet, die alle um das Thema „Trost in Anfechtung“ kreisen. Diese Kolonne befindet sich im Band Ms.Bos.q.24h.36 Vielleicht entstand sie erst 1553.37 Rörer hatte ein besonderes Interesse am Themenkomplex „Trost in Anfechtung“ oder genauer an Trost in den „betrübten Zeitläufen“ nach Luthers Tod, im Schmalkaldischen Krieg und in den innerkonfessionellen Streitigkeiten im Gefolge des Interims.38 Deshalb gab Rörer eine Sammlung von Luthers Trostschriften – zumeist Briefe Luthers – heraus, die zuerst Caspar Cruciger besorgt hatte.39 Erstmals erschien die durch Rörer überarbeitete Ausgabe der „Trostschriften und Predigten“ 1554 in Jena. Ähnlich gruppierte er auch die Tischreden im Band Ms.Bos.q.24h, die bis auf eine Ausnahme

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WA.TR 5, 413–417, Nr. 5968–5989. Vgl. die Einleitung von Kroker in WA.TR 5, XXXVIIIf. 36 ThULB Jena, Ms.Bos.q.24h, 208 v, 224 v, 230 r-v. 37 Vgl. die Datierung Rörers ThULB Jena, Ms.Bos.q.24h, 1 r: 8. Maij [15]53 fa[c] m[ecum] s[ignum] i[n] b[onum]. 38 Vgl. ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c, 232 r–233 v (WA.TR 1, 47–52, Nr. 122f.); Ms.Bos.q.24f, 191 v–192 r (WA.TR 1, 406f., Nr. 835); Ms.Bos.q.24s, 30 r (WA.TR 1, 199, Nr. 459) u.ö. 39 Vgl. WA.BR 14, 572–574 (zu Cruciger) und 592–602 (zu Rörer). Vgl. zu Rörers Arbeitsstil seine Bearbeitungen der Trostschriftenausgabe Johann Aurifabers von 1547 (WA.BR 14, 574f.; VD16 L 4705) in: ThULB Jena, Ms.Bos.q.24u, Bl. 329–360 (neue Zählung = Bl. 327–358 alte Zählung). 35

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aus dem Band Ms.Bos.q.24f stammen.40 Damit gibt es also neben dem biblischen-exegetischen Schwerpunkt in der Sammlung auch das Interesse an den tröstlichen Aussprüchen, die gewissermaßen in die Not der Christenheit nach Luthers Tod hinein sprechen.41

2. Rörers Tischredensammlung und Johann Aurifabers Tischredenausgabe Schon früh interessierte sich Johann Aurifaber für die Sammlung Rörers. Beide lernten sich in Wittenberg kennen, wo Aurifaber seit 1537 studierte. 1545 wurde er Luthers Sekretär. In dieser Funktion begleitete er ihn auf seiner letzten Reise nach Eisleben und wurde Zeuge seines Todes.42 Durch diese Bekanntschaft könnte Aurifaber auch ersten Zugang zu Rörers Sammlung erlangt haben. 1547 wurde er Hofprediger in Weimar und als solcher nach 1553 Mitarbeiter an der Jenaer Lutherausgabe. Spätestens nachdem Rörer 1553 nach Jena gekommen war, überließ er Aurifaber bereitwillig Briefe und Predigten, die dieser kopieren ließ, um daraus Editio-

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WA.TR 2, 19f., Nr. 1270 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 206r-v); WA.TR 1, 498, Nr. 982 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 209 v–210 r); WA.TR 1, 498, Nr. 983 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 210r); WA.TR 1, 501, Nr. 990 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 211 r); WA.TR 1, 536, Nr. 1061, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 221v); WA.TR 1, 547, Nr. 1089 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 225 v); WA.TR 1, 557, Nr. 1120 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 v); WA.TR 1, 557, Nr. 1120, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 v); WA.TR 1, 199, Nr. 459 (= Ms.Bos.q.24c, Bl. 282 v); WA.TR 1, 444f., Nr. 894, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 199 v-200 r); WA.TR 1, 513, Nr. 1018, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 214 r); WA.TR 1, 555, Nr. 1114, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228r); WA.TR 1, 556, Nr. 1115 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228r); WA.TR 1, 556, Nr. 1115 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 r); WA.TR 1, 556, Nr. 1116 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 r-v); WA.TR 1, 556, Nr. 1117 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 v); WA.TR 1, 556, Nr. 1118, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 v); WA.TR 1, 275–277, Nr. 590, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 240 r); WA.TR 1, 558, Nr. 1122 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 228 v–229 r); WA.TR 1, 562, Nr. 1138 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 232 v); WA.TR 1, 261, Nr. 571, mit Abweichungen (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 237 v); WA.TR 1, 281, Nr. 595 (= Ms.Bos.q.24f, Bl. 240 v). 41 Nicht berücksichtigt wurden die Tischreden im Band ThULB Jena Ms.Bos.q.24r, 175 r–199 r, die im Zusammenhang mit der Ausgabe von Johannes Aurifaber stehen. Die Tischreden wurden nicht von Rörer aufgezeichnet und bieten den Text in deutschen Übersetzungen, wie ihn Aurifaber in seiner Ausgabe von 1566 hat. Vgl. WA. BR 14, 223. 42 Vgl. JOACHIM B AUER: Martin Luther. Seine letzte Reise, Rudolstadt 1996, passim.

Thematische Bearbeitung der Tischreden durch Georg Rörer

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nen ungedruckter Luthertexte zu erstellen.43 Bei der Gelegenheit der Ausleihe verschwanden aber auch Bände der Sammlung Rörers, die bis auf wenige Reste unwiederbringlich verloren sind.44 Dass Rörer seine Materialien immer gern mit anderen teilte, bezeugt Erhard Schnepff (1495–1558) in der Einladung zur Beerdigung Rörers 1557. Die Freigiebigkeit wollte er als wichtige Erinnerung an den Charakter des Verstorbenen ausdrücklich für die Nachwelt festgehalten wissen.45 Aurifaber erhielt vor allem Rörers Mitschriften von Lutherpredigten recht unproblematisch. Belegt ist außerdem, dass er weiterhin die Tischredenüberlieferung Rörers gut kannte und sogar benutze. Er fertigte sich daraus Abschriften an und legte einige seiner Edition von 1566 zu Grunde.46 In der Vorrede zu seiner Tischredenaus-

43 Vgl. die Vorgänge ab September 1553 wie sie in der Akte ThHStAW, EGA, Reg. O 775 überliefert sind. REINHOLD J AUERNIG: Zur Jenaer Lutherausgabe, in: ThLZ 47 (1952), Sp. 747–762; DERS.: Zur Jenaer Lutherausgabe, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 4 (1954/55), 267–277; DERS.: Die Konkurrenz der Jenaer mit der Wittenberger Ausgabe von Martin Luthers Werken, in: LuJ 26 (1959), 75– 92. 44 Ob Aurifaber für das Verschwinden der Bände mit den Predigten der Jahre 1527 (WA.BR 14, 186), 1539 (WA.BR 14, 184 f.), 1540, 1544 bis 1546 (WA.BR 14, 185) sowie des Bandes „C“ (vgl. WA.BR 14, 183f.) und des „weißen Bandes“ (WA.BR 14, 186) verantwortlich gemacht werden kann, muss offen bleiben. Laut Bestandsverzeichnis von Martin Bott (ThULB Jena, Ms.Bos.q.25d, 8r) gab Aurifaber die Bände mit Predigten der Jahre 1527, 1529 und 1531 am 23. Juli 1559 an Bott zurück. Den Band Predigten der Jahre 1544 bis 1546 hatte Anreas Poach in Erfurt ausgeliehen (vgl. ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c, 2v). Zur Suche nach den Bänden vgl. ThHStAW, EGA0, Urkunde 1860 (Rückgabe der ausgeliehenen Handschriften durch Aurifaber an den Hofsekretär Johann Rudolph am 4. März 1561) und ThHStAW, EGA, Reg. O 785 (Korrespondenz zwischen Kanzler Christian Brück und den Grafen von Mansfeld sowie Johann Aurifaber über den Verbleib fehlender Bände der Sammlung Rörers, 1563/64). – Ein Rest des verlorenen Rörer-Bandes „G“ (WA.BR 14, 184) befindet sich in der Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 1048, 328r–329 v, vgl. WA 48, 228–233, Anhang I, 4. Den Hinweis verdanke ich Dr. Daniel Gehrt (Gotha). 45 Forschungsbibliothek Gotha, Chart. B 213, Bl. 85v–86 v. Abgedruckt in: Georg Rörer (1492–1557). Der Chronist der Wittenberger Reformation, hg. von Stefan Michel, Leipzig 2012 (LStRLO 15), 49–51. Den Hinweis auf die Einladung für die Beerdigung Georg Rörers durch den Rektor der Universität Erhard Schnepff verdanke ich Dr. Daniel Gehrt (Gotha). 46 Am 10. Juni 1556 berichtet Johann Aurifaber Johann Friedrich dem Mittleren über den Fortgang der Jenaer Lutherausgabe und schlägt Quellen vor, die zu beschaffen sind (ThHStAW, EGA, O 775, Bl. 43 f.). In diesem Zusammenhang teilt er mit, dass er einen Schreiber („mein schreiber“) nach Zwickau geschickt hatte, der sehr viel Material dort gefunden habe. Aurifaber hatte also einen eigenen Schreiber zur Verfügung, der ihm bei der Beschaffung von Quellen half. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser auch aus Rörers Bänden Abschriften anfertigte.

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gabe nennt Aurifaber Rörer allerdings ohne besondere Hervorhebung erst an sechster Stelle als Quelle für seine Edition.47 In ihrer Arbeitsweise waren sich Rörer und Aurifaber sehr ähnlich: Beide nahmen z.B. Bruchstücke aus Briefen oder anderen Werken Luthers als Tischreden in ihre Sammlungen auf. So stehen z.B. in Ms.Bos.q.24c auf den Blättern 210 bis 212 ein Fragment einer Predigt, das bisher als Tischrede gewertet wurde,48 und Predigtkonzepte Luthers unmittelbar hintereinander.49 In Ms.Bos.q.24f, 204v–205v sind Trostworte für den Wittenberger Juristen Benedikt Pauli (1490–1552) aufgezeichnet, die ursprünglich wohl einmal aus einem Brief stammten.50 Sie wurden offenbar schon früh als Tischrede überliefert. Wie auch andere Tischredenschreiber trennte auch Rörer nicht immer sauber zwischen Reden Luthers und der anderer Reformatoren wie Melanchthon oder Bugenhagen.51 In seine Sammlung gelangten dabei zugleich auch Stücke, die nicht nur aus Reden, sondern sogar aus Schriften Melanchthons stammten (vgl. Ms.Bos.q.24q, 5v–6r).52 Anscheinend war in diesem Zusammenhang das inhaltliche Interesse an diesen Stücken stärker als der historische Nachweis der Autorschaft. Bei der Durchsicht der Tischredenausgabe Aurifabers fällt häufig auf, dass an zahlreichen Stellen die Überlieferungen einzelner Stücke durch Rörer mit der Textgestalt Aurifabers übereinstimmen.53 Besonders fällt 47

J OHANN AURIFABER (Hg.): Tischreden oder Colloqvia Doct. Mart. Luthers, so er in vielen Jaren gegen gelarten Leuten, auch frembden Gesten, und seinen Tischgesellen gefüret […]. (Mit einem Nachwort von Helmar Junghans, Leipzig / Wiesbaden 1981,) (iiiiv). 48 WA.TR 3, 509–511, Nr. 3670: Martin Luther, Stück einer Predigt am Tage der Unschuldigen Kinder (28. Dezember) über Mt 2,13–23, undatiert (1533 [?]). 49 WA 48, 339f., Nr. 5–9. 50 WA.TR 1, 474–480, Nr. 949; WA.BR 6, 498f. 51 Von Melanchthon stammen z.B. WA.TR 1, 492, Nr. 973 (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24f, 208 v) oder WA.TR 1, 610, Nr. 1226 (Ms.Bos.q.24f, 252 r). Von Bugenhagen stammt z.B. WA.TR 1, 130, Nr. 318 (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c, 247 v). Ein Stück eines Briefes von Kurfürst Johann hat sich in WA.TR 1, 87, Nr. 196 eingeschlichen (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c, 269r), wie Rörer ausdrücklich am Rand bemerkt: „Ep. Electorum Joh. ad Luth.“ 52 Vgl. WA.TR 5, 374f., Nr. 5829 mit CR 1, 922–924, Nr. 490: Urteil Melanchthons über den Freitod des Hallenser Theologen Johann Krauß im Jahr 1527. 53 Z.B. ThULB Jena, Ms. Bos. q. 24s, Bl. 29 v: WA.TR 1, 153f., Nr. 362; Ms.Bos.q.24s, Bl. 29 v: WA.TR 1, 175f., Nr. 406; Ms.Bos.q.24s, Bl. 29 v und Aurifaber WA.TR 1, 330, Nr. 683; Ms.Bos.q.24s, Bl. 32 v-33r: WA.TR 1, 301, Nr. 642; Ms.Bos.q.24s, Bl. 33 r: WA.TR 1, 591, Nr. 1192; Ms.Bos.q.24s, Bl. 33 r-v: WA.TR 1, 295, Nr. 624, bes. Anm. 32; Ms.Bos.q.24s, Bl. 37 v: WA.TR 1, 558f., Nr. 1126; Ms.Bos.q.24s, Bl. 41 r-v: WA.TR 1, 531, Nr. 1053; Ms.Bos.q.24s, Bl. 43 r: WA.TR 2, 28-31, Nr. 1289. Vgl. WA.TR 1, 126, Anm. 5 und 9.

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dies natürlich auf, wenn die Textgestalt einer Tischrede in der Überlieferung Rörers und Aurifabers entgegen den sonstigen Textzeugen zusammengehen. Hier sei ein Beispiel aus Ms.Bos.q.24s angeführt:54 WA.TR 1, 471f., Nr. 938 und 939 (nach Ms.Bos.q.24f, 203v)

Ms.Bos.q.24s, 34 v–35 r

Aurifaber

[938] Verbum habemus et sacramentum et nescimus, quantum bonum sit et thesaurus pretiosus. [939] Dare Filium pro servo et servum non solum esse ingratum pro tanto beneficio, sed etiam velle occidere Patrem una cum Filio, qui eum redemit, das ist zu grob. Hinc oportet venire omnis generis calamitates et plagas.

Verbum habemus et sacramenta et nescimus, quantum bonum sit et quam pretiosus thesaurus dare filium pro servo et servum non solum esse ingratum pro tanto beneficio, sed etiam velle occidere patrem una cum Filio, qui eum redemit, das ist zu grob. Hic oportet venire omnis generis calamitates et plagas.

[FB 1,21] Wir haben Gottes Wort und die Sacrament rein, sprach einmal Doctor Luther, aber wir wissens und erkennens nicht, was es fur eine grosse Wohlthat und köstlicher Schatz sei, daß der Sohn fur den Knecht dahin in den Tod gegeben ist. Fur welche Wohlthat der Knecht nicht allein undankbar ist, sondern fähret auch zu, und will den Vater mit dem Sohn, der ihn erlöset hat, todtschlagen. Das ist zu grob, darauf muß allerlei Strafe und Unglück kommen.

In diesem Fall könnte es so gewesen sein, dass Rörer die beiden selbständigen Tischreden zu einer vereinigte, da sie so einen besseren Sinn ergaben. Aurifaber übernahm dann diese Einheit in seine Ausgabe. Dieses Beispiel, das sich leicht um weitere vermehren ließe,55 zeigt zumindest, dass das Urteil über Aurifabers eigenmächtige Arbeitsweise, die bearbeitend in die Texte eingriff, so nicht pauschal für jeden Fall zu halten ist. Vielmehr muss auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass er Material aus seinen Vorlagen übernahm, das ursprünglich einmal eine andere Gestalt besessen hatte. Vielleicht waren ihm in seiner Arbeitsweise Cruciger, Dietrich und Rörer Vorbilder, die aus heutiger Sicht ständig in relativ freier

54 Vgl. ThULB Jena, Ms.Bos.q.24s, Bl. 39 v: Rörer fasst die beiden Tischreden WA.TR 1, 254f., Nr. 552 und 553 zu einer zusammen, wie sie auch Aurifaber übersetzt. 55 Vgl. WA.TR 1, 254, Nr. 552 und 553: Bei Rörer bilden diese beiden Tischreden eine Einheit (Ms.Bos.q.24s, 39v). Auch Aurifaber übersetzt sie als ein zusammenhängendes Stück. Das Beispiel trifft m.E. trotz der Tatsache zu, dass Aurifaber bearbeitend in den Text eingreift und „Zinglius voluit esse gigas“ (Z. 35) unterschlägt.

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Weise arbeiteten, wenn sie Luthers Texte für den Druck überarbeiteten.56 Gleichwohl steht es außer Frage, dass Aurifabers Arbeitsweise für die Überlieferung der Werke Luthers eine neue Qualität erreichte, weil er das Bedürfnis vieler Zeitgenossen nach Werken Luthers erkannte und durch den Vertrieb zu befriedigen suchte.57 Durch seine thematische Einteilung der Tischreden nach loci sorgte er dafür, dass den Lesern seines Buches ein „Schatz“ von verschiedensten Aussprüchen Luthers zur Verfügung stand, den Pfarrer z.B. für Ihre Predigten als Exempel nutzen konnten. Dass dieses Produkt seiner Arbeitsweise im 16. Jahrhundert auf begierige Käufer stieß, belegen die zahlreichen Auflagen und Nachdrucke.58

3. Der quellenhistorische Wert der Tischredenüberlieferung Georg Rörers Georg Rörer überlieferte nicht nur Tischreden Luthers, sondern wirkte z.B. auch als Protokollant an der Bibelrevision mit.59 Die Protokolle der Revisionen vom Januar bis zum 15. März 1531 am Psalter60 und vom 17. Juli 1539 bis zum Sommer 1541 für die gesamte Bibel61 haben sich erhalten. Das Protokoll des zweiten Korrekturgangs für die Propheten vom 24. Ja-

56

Zur Arbeitsweise Dietrichs vgl. P ETER MEINHOLD: Die Genesisvorlesung Luthers und ihre Herausgeber, Stuttgart 1936 (FKGG 8), 208f., 236–428 (Gestaltung durch die Herausgeber der Genesisvorlesung). 57 Vgl. OTTO CLEMEN: Johann Aurifaber als gewerbsmäßiger Hersteller von Lutherhandschriften, in: ARG 29 (1932), 85–96 (wieder abgedruckt in: OTTO CLEMEN: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte, Ernst Koch (Hg.), Bd. 5, 1922–1932, Leipzig 1984, 689–700). 58 Vgl. J OHANNES SCHILLING: Bibliographie der Tischreden-Ausgaben, in: WA 59, 747–780. 59 Vgl. dazu STEFAN M ICHEL: Der Korrektor der Bibel. Luthers Übersetzung der Heiligen Schrift in den Händen Georg Rörers, in: Georg Rörer (1492–1557) Der Chronist der Wittenberger Reformation, Stefan Michel (Hg.), Leipzig 2012, 181–199. 60 ThULB Jena, Ms.Bos.o.17n, Bl. 1–112; WA. DB 3, XV–XLVIII und 1–166 sowie die Korrekturen, in: WA.DB 4, 419–428. Vgl auch die Reinschrift, in: ThULB Jena, Ms.Bos.q.24r, Bl. 214 r–222r (neue Zählung = 112r–120 r [alte Zählung]), WA.DB 3, XXX–XLII. Vgl. auch B ERNHARD W ILLKOMM : Die Protokolle der Wittenberger Bibelrevision von 1531–1541, Jena 1912 (Aus der Jenaer Universitätsbibliothek 1). 61 Vgl. ThULB Jena, Ms.Bos.q.24c, Bl. 63r–202r (neue Zählung = Bl. 71r–212r (oben) [alte Zählung]); WA. DB 3, 169–WA.DB 4, 409; sowie Luthers Handexemplare: ThULB Jena, Ms.App. 24 und 25.

Thematische Bearbeitung der Tischreden durch Georg Rörer

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nuar 1534 bis etwa Mitte März 1534 ist leider verloren gegangen.62 Legt man Rörers Tischredenaufzeichnungen neben die Bibelrevisionsprotokolle, so wird erstaunlicherweise auf den ersten, nur flüchtigen Blick kaum ein Unterschied in der Gestaltung der Aufzeichnungen auffallen: Bibelrevisionsprotokolle wie Tischredenaufzeichnungen halten Gesprächsfetzen fest. Diese Beobachtung verwundert kaum, weil beide Gattungen ja im weitesten Sinne „Tischreden“ sind. Möglicherweise ging es den Zeitgenossen ähnlich. So berichtet Johannes Mathesius, den Rörer mit Justus Jonas als Tischgenosse an Luther vermittelte, beiläufig: „Ferdinandus a Maugis auß Osterreich hat auch vil außlegung vber etliche sprüch in seine Bibel verzeichnet, wie M. Georg Rörer vil köstlichs dings von schrifften vnd rathschlegen, vnd sonderlich was bey der dolmetschung der Bibel geredt war, sehr fleissig 63 zusammen bracht hat.“

Mathesius urteilt weniger streng nach den historischen Quellengattungen – Tischrede oder Bibelrevisionsprotokoll –, sondern betrachtet die Sammlungen nach dem Inhalt. Die Verbindung zwischen der kleinen Sammlung des Österreichers Ferdinand a Maugis und der umfangreichen Sammlung Rörers ist in diesem Fall, dass beide Männer Auslegungen Luthers zu biblischen Texten aufbewahrt haben. Möglicherweise kommt damit den exegetisch orientierten Tischreden der Rang von Vorlesungsmitschriften oder gar von Bibelkommentaren zu.64 Alle helfen sie den Sinn einzelner Bibelstellen, insbesondere des Evangeliums zu erhellen. Gerade die Erhellung und Verbreitung des Evangeliums war den Wittenberger Theologen nach der „Verdunklung“ durch das Papsttum wichtig. Für die Zeit- bzw. Tischgenossen Luthers bestand also offensichtlich der Wert aller Äußerungen Luthers – jenseits ihrer Zuordnung zu Quellengattungen – in der Auslegung der Heilige Schrift, um zu einem vertiefteren Verständnis zu gelangen. Ein modernes historisch-kritisches Bewusstsein, was z.B. nach Über62 Allerdings gibt es aus diesem Zeitraum Tischreden Luthers, die die Arbeit am Psalter zum Thema haben: ThULB Jena, Ms.Bos.q.24f, 171r (WA.TR 1, 341, Nr. 704); 175v (WA.TR 1, 355, Nr. 740); 184r-v (WA.TR 1, 374, Nr. 790); 184v (WA.TR 1, 375, Nr. 791). 63 J OHANNES MATTHESIUS: Luthers Leben in Predigten, hg. v. Georg Lösche, Prag ²1906 (Ausgewählte Werke 3), 275f. 64 Vgl. zur Kommentierung der Bibel durch die Wittenberger Theologen ROBERT KOLB: Teaching the text. The commonplace method in sixteenth century lutheran biblical commentary, in: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 49 (1987), 571–585; DERS.: The influence of Luther’s Galatians commentary of 1535 on later sixteenth-century Lutheran commentaries on Galatians, in: ARG 84 (1993), 156–183; Timothy W ENGERT: Philip Melanchthon’s „Annotationes in Johannem” in relation to its predecessors and contemporaries, Genève 1987 (Travaux d’ Humanisme et Renaissance 220).

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lieferungskontexten fragt, war ihnen demnach fremd. Dies gilt es zu beachten, wenn man über Rörers Tischredensammlung und ihren Quellenwert ein qualifiziertes Urteil fällen will. Die Diskussionen zu Beginn des 20. Jahrhundert verliefen allerdings anders, weil nur authentischem Material von Luther selbst gesucht wurde. Dabei sprach Albert Freitag Rörer die Qualität eines „selbständigen Überlieferers“ der Tischreden Luthers zu.65 Ernst Kroker hielt ihm entgegen, dass man bei Rörer wohl eher „Gedankensplitter“ als saubere Überlieferungen fände.66 Trotz dieser latent negativen Einschätzung benutzte Kroker an zahlreichen Stellen seiner Tischredenedition Rörers Handschriften als Vorlage aufgrund ihrer überlieferungsgeschichtlichen Qualität.67 Sein Vorgehen erklärte er damit, dass andere „authentische“ Originalhefte, aus denen Rörer schöpfte nicht mehr erhalten seien. Diese Überlieferungslage gilt aber für fast alle von Kroker ideal angenommenen Hefte. Wenn nun diese „authentischen“ Idealhefte nicht mehr erhalten sind, wie glaubhaft sind dann die späteren Überlieferungen, zu denen auch die Rörers gehören? Die meisten Tischreden finden sich in Sammlungen, die mit der Rörers vergleichbar sind, in denen sie nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet sind. So entstanden zahlreiche Überlieferungsparallelen, wie man sie auch in der Sammlung Rörers finden kann. Kroker versuchte diesem Problem mit der Unterscheidung in „ursprüngliche“, „abgeleitete“ und „scheinbare“ Parallelen zu begegnen.68 Er machte dadurch darauf aufmerksam, dass es für die Parallelen in der Tischredenüberlieferung verschiedene Entstehungsmöglichkeiten gibt.69 Etwas verkürzt bedeutet dies: Entweder erzählte Luther ein Ereignis mehrfach und in verschiedenen Zusammenhängen oder die Mitschreiber überlieferten Luthers Worte mit unterschiedlichen Akzenten. Dies wirft aber das Problem auf, was überhaupt eine authentische Tischrede ist, wenn so gut wie keine Originalhefte mehr vorhanden sind. Was ist eine authentische Tischrede, wenn weiterhin Überlieferungsparallelen ausgeschieden werden können und schließlich sogar nicht nur das bei Tisch Gesprochene treu und womöglich „unverfälscht“ aufgeschrieben wurde, sondern Luthers Schüler selektiv seine Worte überliefer65

FREITAG: Veit Dietrichs Anteil (wie Anm. 6), 184. WA.TR 4, XVIf. 67 Vgl. z.B. WA.TR 5, 65–83, Nr. 5342–5354 (Anhang zu den Nachschriften von Johannes Mathesius) = ThULB Jena, Ms.Bos.q.24s, 153 v–158r. 68 ERNST KROKER: Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung. Aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, Leipzig 1903, 5–7. 69 Vgl. zu dieser Problematik den Beitrag von KATHARINA B ÄRENFÄNGER in diesem Band. 66

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ten bzw. sogar aus anderen Quellen – wie Briefen oder Vorlesungsmitschriften – schöpften?70 Außerdem muss auch noch damit gerechnet werden, dass die ein oder andere Tischrede gar nicht von Luther stammt, sondern z.B. von Bugenhagen oder Melanchthon.71 Nur im Methodenverbund ist dieses Problem zu lösen: Die Klärung der Überlieferungs- wie der Redaktionsgeschichte muss die Klärung des historischen Entstehungskontextes für einzelne Reden einschließen.72 Da eine Rekonstruktion der ursprünglichen Entstehungssituation aber nicht bei allen Tischreden möglich ist, muss bei jedem Überlieferungsstrang zusätzlich nach der Wirkung der Rede Luthers gefragt werden, d.h. dem Kontext und der damit verbundenen Funktion der Überlieferung im Tradentenkreis. Bei dieser doppelten Fragestellung, die auf die Entstehung wie die Wirkung und Rezeption einer Rede Luthers achtet, kann sich die Kirchengeschichte von den Methoden der alt- und neutestamentlichen Exegese anregen lassen.73 Innerhalb der Bibelexegese hat die Kompositionskritik z.B. die Aufgabe, danach zu fragen, wie bestimmte Stoffe gruppiert wurden.74 Dieses Verfahren wird dazu führen, nicht nur den Stellenwert der zeitgenössischen Tischredensammler, sondern auch der Redaktoren – zu beiden Gruppen zählt Rörer – höher einzuschätzen, als dies bisher geschah, weil Überlieferung einzelner Reden Luthers immer individuell vor sich geht. Jeder Tischgenosse hörte nur das, was für ihn interessant war.75 Ebenso kann das Abschreiben und Ordnen von Tischreden vor sich gegangen sein, die von anderen Tischgenossen aufgeschnappt wurden: Es wurden möglicherweise nur die Dinge abgeschrieben oder in eine bestimmte Ordnung gebracht, die für den jeweiligen Tradenten von Bedeutung waren.

70

OTTO HOF: Über die Herkunft einiger Stücke von Aurifabers Sammlung der Tischreden Luthers, in: ARG 39 (1942), 142–150 71 Vgl. als ein weiteres Beispiel den „Ratschlag“ zum Entfernen von Flecken von Heinrich Balbier (WA.TR 2, 186, Nr. 1695) sowie grundsätzlich zum Zusammenhang von Luthers Tischen und Melanchthons Dicta den Beitrag von ALEXANDER B ARTMUß in diesem Band. 72 Vgl. dazu UWE BECKER: Exegese des Alten Testaments. Ein Methoden- und Arbeitsbuch, Tübingen² 2008, 66 (Überlieferungsgeschichte) und 80 (Redaktionsgeschichte). 73 Tatsächlich erinnert ja die Überlieferung mancher Tischreden mit ihren Parallelen an die Überlieferungslage der Worte Jesu in den vier Evangelien. Vgl. P HILIPP V IELHAUER: Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin / New York 1975, 252–329. 74 KLAUS BERGER: Einführung in die Formgeschichte, Tübingen 1987, 27. 75 Zu diesen rezeptionsästhetischen Fragen vgl. RAINER W ARNING (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München4 1994.

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Unumstritten ist in der Tischredenforschung bisher, dass die nur durch Rörer überlieferten Tischreden einen hohen Quellenwert besitzen. Dies gilt z.B. für die Strecke in Ms.Bos.o.17C, 327r–333v.76 Schwieriger ist eine Beurteilung des Quellenwerts, wenn Rörer offensichtlich Tischreden bearbeitete, um sie in seine Sammlung einzupassen. Dabei ging er in einer sehr selbständigen Weise mit Luthers Gedanken um, was sich z.B. möglicherweise durch ein anderes Verständnis von Autorschaft im 16. Jahrhundert begründen lässt, als es heute verbreitet ist. Rörer schrieb eben nicht nur mit, was Luther sagte, sondern bearbeitete seine Aufzeichnungen und damit die Worte seines Lehrers in dessen Sinne. Dies gilt nicht nur für seine Tischreden, sondern auch für Predigten oder Vorlesungen.77 Rörer bearbeitete dabei die Tischreden so, dass er mehrere zu Themenkomplexen zusammenfassen konnte. Dabei reduzierte er den Inhalt auf den für ihn wesentlichen inhaltlichen Kern. Schmückendes Beiwerk, das über die Situation der Entstehung Auskunft geben könnte, ging häufig verloren, weil es nur vom Inhalt ablenkte. An einem Beispiel aus dem Ms.Bos.q.24p, 254– 257 sei Rörers bearbeitender Eingriff verdeutlicht.78 Rörer schrieb hier wohl einige Tischreden nach, die aus der Sammlung Anton Lauterbachs (1502–1569) stammten. Ernst Kroker hielt sie wegen ihrer Verkürzungen für Exzerpte: Lauterbachs Fassung (WA.TR 3, 675f., Nr. 3871)

Rörers Exzerpt (Ms.Bos.q.24p, 257r)

Ecce duo gladii hic. Deinde recitavit papae insolentiam, qui suam autoritatem ex gladiis apostolorum confirmare ausus fuisset Nam ita arguit: Ubicunque sunt duo gladii, ibi est ecclesia; sed hic in Petro sunt duo gladii, ergo Petrus est ecclesia. Vel sic: Petrus habet duos gladios; Petrus est pontifex, ergo pontifex habet duos gladios. Non valet et assumptum negandum est, quia syllogismus habet quatuor terminos. Potius sic arguendum est: Ubicunque

Ecce duo gladii.

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Ubicunque sunt duo gladii, ibi est ecclesia, sed hic in Petro sunt duo gladii, ergo Petrus est ecclesia. (Aut sic) Petrus habet duos gladios; Petrus est pontifex, ergo. Christus de gladio spirituali loquitur, ipsi de ferreis intelligunt. Suf-

WA.TR 5, 413–417, Nr. 5968–5989. Vgl. zuletzt STEFAN M ICHEL: Martin Luthers Galaterbriefvorlesung von 1531. Quellenkritische Beobachtungen an der Kollegmitschrift Georg Rörers (1492–1557), in: LuJ 77 (2010), 65–80. Rörer teilte diese Arbeitsweise mit Cruciger oder Dietrich, vgl. B ERNHARD KLAUS: Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg 1958 (EKGB 32), 337– 354. 78 WA.TR 4, XVIf. 77

Thematische Bearbeitung der Tischreden durch Georg Rörer est chorus apostolorum et ecclesia, ibi sunt duo gladii; hic sunt duo gladii, ergo hic est ecclesia. Es ist dennoch ein wunderlich regiment vnter den aposteln gewest, quod Christus permisit illis duos gladios. Sed Christus fortissima solutione diluit Sufficit, quasi dicat: Vos non intelligitis, quae oquor; ego dixi, quod singuli debent habere gladium et emere, sed spiritualem, sed vos intelligitis de duobus illis gladiis ferreis. Sufficit, die wurdens nicht ausmachen. Darnach soluiert ers viel stercker: Petre, converte gladium tuum in vaginam. Noluit illum in practica ferre, sed reicit illum. Es ist gleich, als wen ich zu meynen lieben sonnlein Martinichen vnd Paulichen sprech: Nun weert euch mit den hultzern schwerden, ziehet sie aus wider den Türcken!

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ficit, die werdens nicht ausmachen. Nec postea in practica esse permisit, quia dicit: Converte etc.

Es sind deutlich die Unterschiede zu sehen: Während Lauterbach eine Einleitung der Begebenheit voran stellt, überliefert Rörer nur die Auslegung von Lk 22,38 – „Sie sprachen aber: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.“ –, auf die sich die Tischrede bezieht. Rörer ist offensichtlich nur an der Auslegung einer biblischen Stelle interessiert. Der scherzhafte Vergleich mit Luthers Kindern am Ende wird von ihm weggelassen, weil er in seinen sonstigen Aufzeichnung ähnliches Material bereits aufgezeichnet hatte. Ihn interessiert nur die theologische Aussage. Rörers Arbeitsweise weist zugleich auf eine Tendenz, die in seinen Arbeiten an Luthers Texten immer wieder zu finden ist. Nicht nur bei den Tischreden, sondern auch bei Rörers Überlieferungen der Briefe Luthers oder Melanchthons ist der Zug zur Anonymisierung festzustellen.79 Dies hängt einerseits damit zusammen, dass manche Briefe in den Lutherausgaben offensichtlich anonym wiedergegeben werden sollten. Andererseits ging es ihm gerade bei den Trostbriefen Luthers darum, den exemplarischen Gehalt als für alle Leser dieser Ausgabe gültig herauszustellen. Luthers Trost galt nicht einem einzelnen Menschen, sondern allen Lesern, die

79

Vgl. z.B. WA.TR 2, 139f, Nr. 1578: Während Schlaginhaufen berichtet, dass Luther mit Corvinus redet, lässt Rörer die Einleitung weg. Ihm geht es nur um den Inhalt der Worte Luthers, nicht um den historischen Kontext.

240

Stefan Michel

des Trostes bedurften.80 Dies konnte sogar so weit gehen, dass er seine eigene Person verleugnete und anonymisierte. Ein illustrierendes Beispiel stammt aus der Handschrift Ms.Bos.q.24c, 279r (= WA.TR 1, 173, Nr. 401): Obwohl es darin um Rörers Kinder Paul und Anastasia ging, ersetzte Rörer seinen Namen, den andere Tradenten überliefern, durch ein allgemeines quodam: „De Magistro Georgio, cuius filius et filia simul decumbebant, dicebat: Unser Herr Gott vexirt seine heiligen alle, Mariae thet ers auch. Was im lieb ist, das mus herhalten.“

Hier ist ein Bearbeiter am Werk zu sehen, der ganz hinter sein Werk zurück getreten ist. Der Wert der Tischredenüberlieferung Rörers besteht zweifelsfrei darin, dass er einerseits Tischgenosse Luthers war und andererseits seine Aufzeichnungen zum größten Teil noch zu Lebzeiten Luthers anlegte. Selbst wenn er Material von anderen befreundeten Schreibern in seine Sammlung übernahm und thematisch ordnete, spricht dies nicht gegen den Wert der Überlieferung. Vielmehr ist darin ein typisches Verhalten eines Sammlers zu sehen und es kann daraus geschlossen werden, dass es ihm andere gleich taten. Allerdings verkürzten sie „ihre“ Tischreden nicht wie Rörer auf einen theologischen Gehalt, sondern erweiterten sie im Gegenteil durch kontextualisierende Einleitungen, die vielleicht sogar etwas von der tatsächlichen Redesituation widergaben. Rörers Arbeitsweise ist Ausdruck einer individuellen Aneignung der theologischen wie persönlichen Inhalte der Reden Martin Luthers durch gezielte thematische Bearbeitungen. Er gruppierte seine Aufzeichnungen nach inhaltlichen Gesichtspunkten und förderte so die Rezeption, wie sie in der Einteilung der Tischreden durch Aurifaber nach loci zu sehen ist.

80

Vgl. zu Luthers Trostbriefen UTE MENNECKE: Luthers Trostbriefe, Gütersloh 1989 (QFRG 56). Frau Mennecke untersucht Luthers Trostbriefe vorrangig vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (z.B. S. 55–59 u.ö.). Dabei spielt der Trost im Leiden (S. 53– 98), wegen des Todesfalles eines lieben Menschen (S. 99–134) oder „in geistlicher Anfechtung“ (S. 134–181) eine zentrale Rolle. Am Rande erwähnt sie, dass unter den Zeitgenossen ein besonderes Interesse an Luthers Trostbriefen bestand (S. 12). Eine nähere Untersuchung dieses Phänomens für die Zeit nach 1546 wäre zweifelsohne lohnenswert.

Vorüberlegungen zu einer möglichen Edition von Luthers Tischreden THOMAS WILHELMI

Über die Interpretation von Texten und über geschichtliche und theologische Fragen kann man trefflich streiten – und auch über die Gestaltung einer kritischen und zudem kommentierten Edition, die den Bedürfnissen ihrer Benutzer entsprechen sollte. Allerdings werden diese Benutzer, die wir ja nicht ganz überblicken können, unweigerlich recht verschiedene Voraussetzungen und vielfältige Erwartungen und Bedürfnisse mitbringen. Über Editionsgrundsätze wird immer wieder debattiert, weil sie von ganz erheblicher Unterschiedlichkeit sein können, dies im Blick auf das erwähnte Zielpublikum, aber auch in Anbetracht der Eigentümlichkeiten des zu edierenden Textes oder der Überlieferungsträger. Hier ergeben sich unweigerlich Unterschiede etwa von Epoche zu Epoche, von Land zu Land, von Sprache zu Sprache, von Fachrichtung zu Fachrichtung. So wird zum Beispiel ein althochdeutscher oder mittelhochdeutscher Text meistens ganz anders ediert als ein lateinischer Text der Antike oder ein frühneuhochdeutscher Text aus dem 16. oder 17. Jahrhundert. Und die Ansichten, wie nun ein deutschsprachiger Text aus der Frühen Neuzeit, etwa aus der Reformationszeit, zu edieren sei, divergieren ebenfalls erheblich. Eine Edition kann jedenfalls nie allen Vorstellungen, Bedürfnissen und Wünschen gerecht werden. Wenn man den manchmal erbittert und geradezu verbissen geführten Diskussionen aus dem Wege gehen wollte, müsste man von einer Edition absehen und sich auf die Herstellung eines photomechanischen Nachdrucks oder der Digitalisierung einer Handschrift bzw. eines alten Druckes beschränken, ein Verfahren, das ja im Vergleich zu einer Edition wesentlich kostengünstiger wäre. Aber man hätte dann eben keine richtige Edition und eine kritische und zudem kommentierte schon gar nicht. Die Veröffentlichung des Originals in digitalisierter, qualitativ hochwertiger Form ist heute ohne größeren Aufwand möglich. Unter diesen Umständen kann ein diplomatischer Abdruck, also eine genaue, zeichengetreue Wiedergabe eines Textes unter Bewahrung aller Besonderheiten und auch Uneinheitlichkeiten von Orthographie, Interpunktion sowie von Fehlern, keine sinn-

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Thomas Wilhelmi

volle Lösung mehr sein; zudem ist er kein Ersatz für eine kritische Textedition. Eine Textedition kann sich nicht darin erschöpfen, eine Handschrift oder einen Drucktext nur diplomatisch zu transkribieren. Ein Editor wird bei einer komplexen Überlieferung immer ein textkritisches Bewusstsein einbringen müssen. Er wird offenkundige Fehler verbessern, die Überlieferung historisch strukturieren und für seine Ausgabe Präferenzen setzen und begründen. Bis zu einem gewissen Grade wird er also in den Text kritisch eingreifen müssen. In welchem Ausmaß dies erforderlich und wünschenswert ist, muss von Fall zu Fall, das heißt von Text zu Text, von Edition zu Edition entschieden werden. Schon die Humanisten stellten in ihren Vorreden, Geleit- und Widmungsgedichten Überlegungen dazu an. Der italienische Humanist Pietro Bembo erfand gar um 1503 einen Dialog zwischen Pomponio Leto und Ermolao Barbaro, in dem die beiden Renaissancegelehrten über Vergil- und Terenz-Lesarten plaudern und Überlegungen zur Textkritik anstellen. Erwähnt sei hier auch die 1557 publizierte Abhandlung des italienischen Humanisten Francesco Robortello über die Korrektur und eine 1566 erschienene Methodenschrift zur Verbesserung von Texten, nämlich die „Ratio emendandi“ des niederländischen Gräzisten Willem Canter. Diese und andere Methodenlehren spiegeln das textkritische Denken im 16. Jahrhundert wider; sie haben dieses Denken in jener Zeit und weit darüber hinaus maßgeblich geformt und geschärft. Als wesentliche Einschränkung festzuhalten ist allerdings, dass die genannten Abhandlungen sich ausschließlich auf die Edition lateinischer und zum Teil auch griechischer Texte antiker Autoren beziehen. Das Lateinische – in einem gewissen Ausmaße auch das Mittellateinische und das Neulateinische – bleibt die einzige genormte Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, die Varianten nur in beschränktem Maße zulässt. Damit unterscheidet sich das Lateinische fundamental von allen Volkssprachen, die es trotz gewisser Einigungstendenzen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit nie zu einer schriftsprachlichen Norm bringen. Im Gegenteil: gerade in der Frühen Neuzeit driftet im Deutschen alles noch weiter auseinander. In der Germanistik kommt die leidige und noch immer umstrittene Frage der Normalisierung hinzu. Karl Lachmann hat im 19. Jahrhundert in hervorragender, allerdings überzogener Weise bei Texten aus dem Mittelalter sozusagen eine Einheitssprache rekonstruiert, die es so nicht ganz gegeben hat. Im Bereich der deutschen Philologie gibt es diese „wissenschaftlichen Editionen“ seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; den Anfang machte Lachmann 1826 mit seiner Edition des „Nibelungenliedes“ und 1827 mit derjenigen des „Iwein“. Bei diesen Editionen finden Methoden der Textkritik in der elaborierten Form Anwendung, die ihnen insbesondere die Klassische Philologie und auch die Bibelphilologie gegeben

Vorüberlegungen zu einer möglichen Edition von Luthers Tischreden

243

haben. Die zuweilen ausufernde und sich etwas überschätzende Konjekturalkritik hat uns eine Menge Texte „geschenkt“, die so vermutlich nie existierten oder jedenfalls so nicht nachweisbar sind. Gerade bei der Edition frühneuhochdeutscher Texte erweist sich diese Methode jedoch als nur bedingt brauchbar. Bei der Edition von Texten wird man mit ganz verschiedenen Fällen von Überlieferungen konfrontiert, so z.B. diesen: Überlieferung in einer einzigen Abschrift, die infolge Nachlässigkeit, Ignoranz etc. des Schreibers oder auch wegen einer schlecht lesbaren Vorlage fehlerhaft ist (dasselbe gilt für einen einzigen Druck und dessen Setzer). Mehrere Abschriften von Schreiberhänden, z.B. gleichzeitige Mehrfachfertigungen zur Verbreitung am Ort und auch auswärts; Vorlage nicht mehr vorhanden. Ganze Druckvorlage von der Hand des Verfassers, dazu der daraus entstandene Druck.1 Druckvorlage von der Hand eines Schreibers (hergestellt zwecks besserer Lesbarkeit für den Setzer), dazu der daraus entstandene Druck. Druckvorlage eines Schreibers mit Korrekturen des Verfassers, dazu der daraus entstandene Druck.2 Druckvorlage von der Hand eines Schreibers mit Korrekturen des Verfassers und anderer Personen, dazu der daraus entstandene Druck.3 Druckvorlage von der Hand mehrerer Schreiber, dazu der daraus entstandene Druck. Entwurf des Verfassers, dazu seine eigenhändige Reinschrift, dazu ggf. der daraus entstandene Druck. Druck mit handschriftlichen Veränderungen (Ergänzungen, Korrekturen etc.) des Verfassers. Mehrere fast gleichzeitig bei demselben Drucker entstandene Drucke, die nur geringe Unterschiede aufweisen. 1 Philipp Melanchthon: Heubtartikel Christlicher Lere. Melanchthons deutsche Fassung seiner Loci theologici, nach dem Autograph und dem Originaldruck von 1553, hg. v. RALF J ENETT / J OHANNES SCHILLING, Leipzig 2002. Druckmanuskripte von Luther: siehe z.B. WA 18, 281f. und Verzeichnis, in: WA: 60, 416–426. 2 Dies betrifft einige Teile von Martin Bucers Schrift „Bestendige Verantwortung“, Straßburg 1545. Bucers Deutsche Schriften, Bd. 11.3, Gütersloh 2006, 495–506 und 524– 535. 3 So z.B. ein Manuskript der „Confessio Tetrapolitana“, das Korrekturen Martin Bucers, Wolfgang Capitos und Jakob Sturms aufweist Bucers Deutsche Schriften, Bd. 3, Gütersloh 1969, 31.

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Druck, dessen Text während des Druckes einzelner Lagen noch korrigiert und ergänzt wurde.4 Mehrere Drucke, die im Laufe der Zeit sicher (oder wahrscheinlich) unter der Aufsicht des Verfassers entstanden sind. Hier wird in der Regel die „Ausgabe letzter Hand“ herangezogen; die relevanten Varianten werden im Apparat aufgeführt. Eine mögliche Neuedition von Luthers „Tischreden“ wird sich zum Teil an den Grundsätzen der alten Edition der Tischreden bzw. der Weimarer Ausgabe5 orientieren können, die insgesamt sinnvoll und angemessen sind und für eine Neuedition zumindest teilweise noch in Frage kommen. Zu erweitern bzw. zu ergänzen wären allerdings die Fußnoten, die in der alten Edition vielfach fehlen oder zu knapp ausgefallen sind. Für eine Neuedition sollten aber auch Richtlinien anderer Editionen frühneuzeitlicher deutscher und lateinischer Texte konsultiert und ggf. berücksichtigt werden. Ich denke hier vor allem an die Edition der Deutschen Schriften Martin Bucers, des Melanchthon-Briefwechsels und der Reichstagsakten der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Edition von Martin Bucers6 Deutschen Schriften7 hält sich an Richtlinien, die vor einigen Jahrzehnten für diese Edition aufgestellt worden sind und die, von Modifizierungen abgesehen, auch heute noch angewendet werden.8 Ein Merkmal der Richtlinien zur Edition der deutschsprachigen Werke Bucers ist die durchweg modernisierte Zeichensetzung. Diese Praxis stößt nicht überall auf Gegenliebe und Verständnis, da mit dieser Interpunktion des Herausgebers ein nicht überprüfbarer Eingriff verbunden ist. Im Hinblick auf die oft bandwurmartigen Sätze Bucers ist diese Interpunktion 4 Dies betrifft manche Lagen von Martin Bucers Schrift ‘Bestendige Verantwortung‛ (siehe oben Anm. 1). 5 Vgl. WA 1, XV–XXII; WA 9, IV–VI; WA 13, XXXVf.; WA.BR 13, XII–XIV; WA.TR 1, XI–XVI; eine Übersicht findet sich in WA 61, 139. 6 MARTIN GRESCHAT: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491–1551), Münster2 2009. 7 Mit der Edition der Deutschen Schriften Martin Bucers wurde 1958 in Münster begonnen. 1980 wurde das Projekt von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften übernommen und in Münster weitergeführt, und seit 1994 hat es seinen Sitz in Heidelberg. Die kommentierte Edition der Deutschen Schriften Martin Bucers umfasst derzeit achtzehn Bände. Drei weitere Bände sind im Jahr 2011 erschienen; bis zum Abschluss des Editionsprojekts im Jahr 2015 noch zwei weitere erscheinen, dazu auch ein Gesamtregister. 8 Vgl. die in den neuesten Bänden der Edition von Martin Bucers Deutschen Schriften wiedergegebenen Editionsrichtlinien.

Vorüberlegungen zu einer möglichen Edition von Luthers Tischreden

245

aber doch hilfreich und stellt deshalb eine vertretbare Lösung dar. Als Argument für die Setzung einer modernen Interpunktion kann im übrigen geltend gemacht werden, dass die Zeichensetzung im 16. Jahrhundert keineswegs festen Regeln folgte, genau so wenig wie die Orthographie, und dass diese Zeichensetzung, würde man sie unverändert beibehalten, nicht selten zu Verwirrung, zu einem falschem Verständnis und zu Fehlinterpretationen führen würde. Absätze werden entsprechend den Sinneinheiten des Textes eingefügt. Demgemäß erfolgt keine Übernahme von Absätzen aus den Vorlagen, die sich als nicht sinnentsprechend erweisen. Lange und unübersichtliche Textabschnitte werden durch Absätze strukturiert. Vor Beginn größerer Textabschnitte (Kapitel etc.) werden Leerzeilen eingefügt. Doppelte Anführungszeichen kennzeichnen die direkte Rede oder ein wörtliches Zitat, gleichgültig ob die Vorlage solche Kennzeichnungen enthält oder nicht. Zusätze des Bearbeiters werden in eckigen Klammern wiedergegeben. Kürzel (Abbreviaturen und Ligaturen) in deutschen und lateinischen Texten werden stillschweigend aufgelöst. Dabei folgt die Auflösung der Form, die in der betreffenden Überlieferung die übliche ist (z.B. bei der Umsetzung von Nasalstrichen). In einigen Fällen werden Auflösungen von Abkürzungen an entsprechender Stelle in eckigen Klammern oder in Anmerkungen ergänzt. Die Zusammen- und Getrenntschreibung folgt in deutschen Texten der Vorlage. In lateinischen Texten richtet sich die Zusammen- und Getrenntschreibung nach den einschlägigen Wörterbüchern. Enklitische Partikel werden stets direkt angehängt. Der Vokalbestand wird unverändert beibehalten. Das gilt auch für übergeschriebene Buchstaben. Diakritische Zeichen werden nur in begründeten Ausnahmefällen übernommen. In lateinischen Texten wird v, wenn vokalisch gebraucht, zu u; konsonantisch gebrauchtes u wird zu v; j stets mit i wiedergegeben. Das ecaudata wird in Richtung der im betreffenden Text sonst zu beobachtenden Schreibung aufgelöst. Der Konsonantenbestand bleibt in deutschen Texten unverändert erhalten. Das gilt auch für Verdoppelungen und Verdreifachungen. Die unterschiedliche Schreibweise des s-Zeichens wird nicht berücksichtigt. In deutschen Texten bleibt die Groß- und Kleinschreibung der Vorlage grundsätzlich erhalten. In lateinischen Texten wird die Großschreibung möglichst beseitigt, sofern sie nicht in bestimmten Fällen eine besondere Bedeutung innerhalb des Textes besitzt. Personennamen erscheinen auf jeden Fall in Großschreibung.

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Hochgestellte kleine lateinische Buchstaben im Text verweisen auf den textkritischen Apparat, hochgestellte arabische Zahlen auf den kommentierenden Apparat. Die Zählung der textkritischen und der kommentierenden Anmerkungen beginnt auf jeder Seite neu. Blatt- und Seitenwendung wird in senkrechten Strichen kursiv vermerkt (Seiten- oder Blattzählung und Lagenzählung). Im textkritischen Apparat werden nur solche Varianten genannt, die für den Benutzer des Textes im Blick auf Verständnis und Interpretation wichtig sein können. Im textkritischen Apparat werden auch offensichtliche und vermutete Druckfehler aufgeführt. Der kommentierende Apparat wird so knapp wie möglich, aber so informativ wie nötig gehalten. Er enthält Erläuterungen zu Wörtern, Syntax, Personen, Orten und Sachen sowie Zitatnachweise und Verifizierungen von Anspielungen. Die Angaben der Bibelstellen richten sich nach der deutschen Lutherbibel. Verse werden nach heutiger Zählung zu den Kapitelangaben des zu editierenden Textes in eckigen Klammern hinzugesetzt. Bei Zitierung eines Buches ohne Kapitelangabe oder bei unbezeichneten Anspielungen folgt die Erläuterung im kommentierenden Apparat. Bei irrtümlich falscher Buchoder Kapitelangabe soll die Vorlage erhalten bleiben; die Korrektur folgt dann im Apparat. Bei Anspielungen auf eine Stelle wird diese mit „Vgl.“ eingeführt. Für die Abkürzungen der biblischen Bücher ist das Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie (TRE) maßgebend. Bei einer Neuedition von Luthers Tischreden sollte man sich auch an Richtlinien weiterer Editionen orientieren, so z.B. an jenen der Reichstagsakten9 und – insbesondere bei der Edition lateinischer Texte – an jenen des Melanchthon-Briefwechsels10, wo im übrigen deutlich hervorgehoben wird, dass in Anbetracht der Unterschiede in der Überlieferung die Texte normalisierende Eingriffe unbedingt erforderlich sind. „Eine buchstabengetreue ‘diplomatische’ Wiedergabe der Textvorlage ist ein unerreichbares Phantom. Die Übertragung einer Handschrift des 16. Jahrhunderts mit ihren Kürzeln und zufälligen Inkonsequenzen in einen maschinell hergestellten

9 Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Bd. 10,1, bearb. von ROSEMARIE AULINGER, Göttingen 1992 (Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe), 59–69, hier insbesonders 67–69. 10 Melanchthons Briefwechsel. Bd. 1: Regesten 1–1109 (1514–1530), bearb. von HEINZ SCHEIBLE, Stuttgart 1977 (Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe), 35–38.

Vorüberlegungen zu einer möglichen Edition von Luthers Tischreden

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Druck des 20. Jahrhunderts geht niemals ohne Eingriffe und Glättungen vonstatten.“11 In Anbetracht der sehr vielschichtigen, ständig wechselnden und unübersichtlichen Überlieferungen von Luthers Tischreden empfiehlt sich aus meiner Sicht die Herstellung einer gut eingerichteten digitalen Edition.

11

Ebd.

Zur Editionsphilologie Möglichkeiten einer Neuedition von Luthers Tischreden im 21. Jahrhundert MARGRIT GLASER Wer heute ernsthaft über eine Neuedition von Luthers Tischreden nachdenkt, sieht sich neben den vielen inhaltlichen und methodischen Aspekten schnell mit der Frage nach der geeigneten Editionsform und dem Editionsmedium konfrontiert. Der folgende Beitrag soll einen ersten philologischen Blick auf die Möglichkeiten einer Neuedition von Luthers Tischreden im 21. Jahrhundert werfen. Dies kann, in Anbetracht der Fülle und der Heterogenität des zu berücksichtigenden Quellenmaterials nur ein Blick sein, der einen Bogen von den handschriftlichen Überlieferungen der viva vox Lutheri über deren verschiedene gedruckte Ausgaben bis in das digitale Zeitalter spannt und die Anforderungen an eine Edition unter den Bedingungen des Medienwandels beleuchtet. Es ist im Laufe dieser Tagung überaus deutlich geworden, dass eine Neuedition der Tischreden in der Forschung zu einem wichtigen Desiderat geworden ist. Doch welche Anforderungen werden an eine solche Edition gestellt? Sie muss modernen Wissenschaftsdiskursen Raum bieten und es gestatten, ganz im Sinne Luthers und im wahrsten Sinne ad fontes, also an und mit den Quellen zu arbeiten, neue Quellen zu erschließen, sich in einen fortwährenden wissenschaftlichen Austausch zu begeben und die Ergebnisse dieses Austausches zusammenzuführen. Dies wird nur mit einem Sprung in die digitale Editorik möglich sein, die zahllose interessante Möglichkeiten bietet. Die materialen, oder besser: die analogen Grundlagen für ein solches Projekt wurden bereits sehr detailliert umrissen. Helmar Junghans hat nicht nur die Verdienste, sondern auch die Mängel der bislang verfügbaren gedruckten Tischredeneditionen aufgezeigt, Wolf-Friedrich Schäufele hat in seinem Beitrag zu den bekannten Handschriftensammlungen der Tischreden eindrucksvoll ausgeführt, wie komplex sich die Quellensituation gestaltet und die Beiträge von Ernst Koch, Daniel Gehrt und Stefan Michel haben gezeigt, dass sich die Editoren einer möglichen Neuedition der Tischreden mitnichten auf ein geschlossenes und vollständig erschlossenes

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Margrit Glaser

Konvolut von Handschriften stützen können – ja, dass selbst der Begriff „Tischrede“ definitorisch neu und konkret zu bestimmen ist. Es sind also vor allem grundlegende und methodische Fragen zu formulieren, die es aus editionsphilologischer Sicht zu Beginn eines derartigen Projektes zu bedenken gilt. Auf technische Aspekte, wie etwa die Frage nach der sinnvollen Nutzung von Programmen wie beispielsweise TUSTEP (TUebinger System von TExtverarbeitungsProgrammen), das zur Erstellung einer Edition, die auf einem so komplexen Quellengeflecht beruht, eingesetzt werden kann, wird in diesem Beitrag nicht eingegangen. Zunächst gilt es, sich über die speziellen philologischen Anforderungen an eine Edition der Tischreden klar zu werden und dann aufgrund der Überlegungen über die sinnvollste Editionsform zu entscheiden. Erst danach können die dazu zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten ausgelotet und die Fragen der Realisierbarkeit geklärt werden. Nach einem kurzen Blick in die Geschichte zum Umgang mit neuen Medien im Laufe der Jahrhunderte sollen in einer Bestandsaufnahme einige konkrete Anforderungen an eine neue Edition der Tischreden benannt werden, Realisierungsmöglichkeiten vorgeschlagen, aber auch Probleme angesprochen werden, die es im Umgang mit digitalen Medien zu bedenken gilt. Abschließend sollen die Vorteile und das Potential einer digitalen Edition anhand eines Beispiels kurz und hypothetisch illustriert werden.

Vom Buchdruck zum Internet Wenn man sich die Veränderungen der letzten Jahre vor Augen führt, so stellt man fest, dass wir Zeitzeugen eines fundamentalen medialen Umbruchs sind, einer grundlegenden Neuordnung der Produktion, Verbreitung und Rezeption von Texten. Die Digitalisierung hat unser aller Leben verändert und erobert nun mit Macht die Hoheitsgewässer der Geisteswissenschaftler, der Hüter und Bewahrer des geschriebenen, des gedruckten Wortes. Diese Selbstsicht führt häufig zu einer gewissen Skepsis, mit der die digitale Welt betrachtet wird. Dies gilt auch und vor allem für den Bereich der Editorik. Während der gedruckten historisch-kritischen Edition großes Vertrauen entgegengebracht wird, haftet allem Digitalen, gar frei im Internet Verfügbaren, nach wie vor der Hauch von Unzuverlässigkeit an. Informationen, die so leicht zugänglich sind, werden zu gern vorschnell mit dem Etikett „unwissenschaftlich“ versehen. Peter Robinson beklagte im Jahr 2005, dass trotz der evidenten Vorteile digitaler Editionen und zahl-

Zur Editionsphilologie

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reicher exzellenter Beispiele selbst hochrangige Wissenschaftler Internetpublikationen oft nicht zitieren.1 Daran hat sich auch in den letzten sechs Jahren leider nichts Grundlegendes geändert. Grundsätzlich ist die Skepsis gegenüber neuen Medien natürlich kein Phänomen, das erst heute mit den Möglichkeiten des Internets entstanden ist. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie groß im 15. Jahrhundert die Sorge um die Qualität von geschriebenen Texten war, als der Buchdruck die Herstellung einer zahlenmäßig damals unvorstellbaren Menge an nunmehr auch erschwinglichen Büchern ermöglichte.2 Die Argumente, die die Kritiker dabei von verschiedener Seite vorgebracht haben gleichen den heutigen ganz erstaunlich. Italienische Humanisten beispielsweise meldeten neben ästhetischen Bedenken vor allem Zweifel an der Haltbarkeit und der Qualität des gedruckten Buches an. Man war der Meinung, dass das für den Druck genutzte Papier kaum so haltbar sein würde wie das bis dahin üblicherweise für Handschriften genutzte Pergament.3 Und sie fürchteten, dass nun zahllose Drucker das hohe Gut der lateinischen Literatur in unautorisierten und schlechten Drucken verbreiten könnten – hier zu nennen etwa Erasmus von Rotterdam, der 1505 in der Vorrede zu den „Adnotationes“ des Laurentius Valla zur lateinischen Übersetzung des Neuen Testaments beklagt,

1

PETER P ATTINSON: Current issues in making digital editions of medieval texts – or, do electronic scholarly editions have a future? In: Digital Medievalist 1.1 (2005), URL: http://www.digitalmedievalist.org/journal/1.1/robinson/ (18. Februar 2011). 2 Vgl. hierzu: ANTHONY GRAFTON: Correctores corruptores? Notes on the Social History of Editing, in: Glenn W. Most (Hg.): Editing Texts – Texte Edieren, Göttingen, 1998, S. 54–77, und: STEPHAN FÜSSEL: Gutenberg und seine Wirkung, Frankfurt 1999, 73–75. 3 Der gelehrte Humanist und Abt Johannes Trithemius (1462–1516) bekennt in seinem 1492 geschriebenen und 1494 zum Druck gelangten Traktat „De laude scriptorum“: „Wer wüßte nicht, welcher Unterschied zwischen Handschrift und Druck besteht? Die Schrift, wenn sie auf Pergament geschrieben wird, vermag tausend Jahre zu überdauern; wie lang wird aber der Druck, der ja vom Papier abhängt, Bestand haben? Wenn ein Papiercodex zweihundert Jahre überdauert, ist es viel; gleichwohl glauben viele, ihre Texte dem Drucker anvertrauen zu müssen. [...] Wer aber vom Schreibeifer des Druckes wegen abläßt, der ist kein wahrer Freund der Schrift, weil er nur das Gegenwärtige sieht und nichts zur Erbauung künftiger Generationen beiträgt. [...] Denn Drucke werden den handgeschriebenen Codices gegenüber niemals als gleichwertig erachtet werden, zumal der Druck häufig die Rechtschreibung und die übrige Buchausstattung vernachlässigt. Auf eine Handschrift wird einfach mehr Fleiß verwandt.“ (JOHANNES T RITHEMIUS: De laude scriptorum. Zum Lobe der Schreiber, Klaus Arnold (Hg.), Würzburg 1973, 63–65).

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Margrit Glaser

„daß früherhin ein einzelner Schreibfehler nur in einem Exemplar wirksam wurde, nun aber in einer Tausendfachen Auflage.“4.

Man forderte daher eine ebenso gute Kontrolle der Druckereien wie der Skriptorien. Der Siegeszug des Buchdrucks aber war nicht aufzuhalten – eine Entwicklung, von der nicht zuletzt Martin Luther profitierte. Bernd Möller brachte den Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Reformation und der Verbreitung der Lehren Luthers durch den florierenden Buch- und Flugschriftenmarkt auf die einprägsame Formel „Ohne Buchdruck keine Reformation“5. Nicht zu vergessen ist auch das bekannte Diktum, mit dem Aurifaber 1566 seine erste Ausgabe der „Tischreden“ beschließt: „Doctor Martinus Luther sprach / Die Druckerey ist summum et postremum donum, durch welches Gott die sache des Euangelii fort treibet; es ist die letzte Flamme für dem Auslöschen der Welt. Sie ist, Gott lob, am Ende. Sancti Patres dormientes desiderarunt videre hunc diem reuelati Euangelii.“6

Auch Aurifaber hatte das enorme Potential des Buchdrucks erkannt und verleiht dieser Erkenntnis durch die prädestinierte Schlussstellung zusätzliches Gewicht. Erst der einfache Zugang einer breiten Schicht der Menschen zu Texten und Informationen ermöglichte die Verbreitung der reformatorischen Lehre. Die Parallelen zwischen dem tiefgreifenden und prägenden Einfluss, den der Buchdruck auf die Entwicklung der Menschheit hatte, wie auch die damit verbundenen, teilweise berechtigten Zweifel und Unsicherheiten zum Medienwandel unserer Zeit sind unübersehbar. Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Welt fordern auch von der wissenschaftlichen Forschung völlig neue Denkmuster und Handlungsstrategien

Die Tischreden – digital Was bedeutet der moderne Medienwandel nun für die Editorik? Welche konkreten Forderungen werden an eine Neuedition der Tischreden gestellt? 4

Zitiert nach: STEPHAN FÜSSEL: Gutenberg und seine Wirkung, Frankfurt 1999, 73. B ERND MOELLER: Stadt und Buch. Bemerkungen zur Struktur der reformatorischen Bewegung in Deutschland, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Stadtbürgertum und Adel in der Reformation, Stuttgart 1979, 30. 6 Johannes Aurifaber: Tischreden Oder Colloqvia Doct. Mart. Luthers / So er in vielen Jahren / gegen gelarten Leuten / auch frembden Gesten / und seinen Tischgesellen gefüret / Nach den Heubtstücken unserer Christlichen Lere / zusammen getragen, Eisleben 1566, 626r (Fotomechanischer Nachdruck, Leipzig, 1967). Die Tischrede entspricht WA.TR 2, 650, bei Nr. 2772b. 5

Zur Editionsphilologie

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Obgleich sich in den letzten Jahren viel bewegt hat auf dem Gebiet der digitalen Editionen, wird noch immer dem gedruckten Werk eine Art Hegemonialanspruch zugesichert. Im Hinblick auf die grundsätzliche Anlage einer Edition als wissenschaftliches Arbeitsmittel scheint aber eine so einfache wie richtige Differenzierung wichtig, die Patrick Sahle in seiner überaus umfangreichen und klugen Dissertation zum Thema „Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels“ vorgenommen hat: „Bücher werden gelesen, Editionen werden benutzt.“7 Dies gilt einmal mehr für die historisch-kritische Edition, die ihrer Anlage nach in erster Linie ein Instrument im hermeneutischen Arbeitsprozess ist. Wie schon Ernst Kroker feststellte, dienten und dienen zwar die Texte der Tischreden dem Laien als „gern gelesenes Unterhaltungsbuch“, sie werden zur Erbauung empfohlen – unzählige Ausgaben für den Hausgebrauch zeugen von dem großen Interesse an den pointiert formulierten Ansichten Luthers. Für Theologen und Wissenschaftler hingegen sind sie in erster Linie ein viel „genutztes“ Standard- und Nachschlagewerk.8 Diesem Anspruch muss eine Neuedition Rechnung tragen. Hinsichtlich der komplexen Überlieferungsgeschichte der Tischreden stehen konzeptionelle Fragen an die Leistungsfähigkeit und Benutzbarkeit der Edition im Vordergrund. Für jemanden, der viel und oft mit vielbändigen Nachschlagewerken oder Werkausgaben wie der WA arbeitet, gehört ein mit Büchern überladener Schreibtisch zum Alltag, man hat sich an das Nebeneinander von mehreren Bänden gewöhnt, hat die gängigsten Abkürzungen im Kopf und entwickelt eine gewisse Routine beim Hin- und Herblättern und der Zusammenschau von verschiedenen Bänden. Die Vorteile einer digitalen Edition liegen in diesem Punkt auf der Hand. Eine digitale Edition kann und muss mehr bieten als eine gedruckte Edition. Hier kommt der digitalen Edition als weiterer wichtiger Vorteil das nahezu uneingeschränkte Datenvolumen zugute, das sie abbilden kann. Vor allem für die Überlieferungsgeschichte der Tischreden sind die verfügbaren Handschriftenkonvolute von grundlegender Bedeutung, denn wie Birgit Stolt in ihrer Arbeit über „Die Sprachmischung in Luthers Tischreden“ anschaulich gezeigt hat, kommen für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Tischreden nur

7

P ATRICK S AHLE: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels, Köln 2009, 365 [ungedruckt]. 8 ERNST KROKER: Luthers Tischreden als geschichtliche Quelle, in: LuJ 1 (1919), 129.

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die Urschriften in Betracht.9 Die Möglichkeit, diese schnell und problemlos miteinander vergleichen zu können, eröffnet Forschungsmöglichkeiten von unschätzbarem Wert. Es ist undenkbar, die große Anzahl von Handschriften, die es zu beachten gilt, in einem gedruckten Werk zu edieren. Von Faksimile-Abbildungen ganz zu schweigen. Das heißt: während in WA.TR an einer Stelle oft nur jeweils eine Handschrift und ggf. der entsprechende Text der Aurifaber-Ausgabe transkribiert und ediert sind, korrespondierende Manuskripte in anderen Bänden nachgeschlagen werden müssen und auf weitere Handschriften lediglich verwiesen werden kann, bietet eine digitale Edition eine Vielzahl von Präsentationsformen und Visualisierungsmöglichkeiten, die weit über die begrenzte lineare Darstellung einer gedruckten Edition hinausgehen: alle bekannten und verfügbaren Paralleltexte – oder ausgewählte – können tatsächlich parallel als Digitalisat mit diplomatisch getreuer Transkription, mit Kommentar und ggf. einer Übersetzung auf dem Bildschirm abgerufen und verglichen werden. Aufwändige und zeitraubende Reisen in die bestandshaltenden Institutionen der Handschriftensammlungen entfallen, die Quellen werden geschont und als hochwertige digitale Kopie dauerhaft archiviert. Sicher: eine digitale Abbildung kann die Originalquelle nicht ersetzen – sie ist und bleibt eine Kopie. Aber eine hohe Auflösung und gute Qualität des Digitalisates machen die Arbeit mit der betreffenden Handschrift in den meisten Fällen überflüssig. Durch gezielte Manipulation des Digitalisates, wie etwa Vergrößerung oder Kontrastverstärkung, kann die Lesbarkeit in vielen Fällen sogar verbessert werden. Weltweite Zugriffsmöglichkeiten erlauben völlig neue Formen des wissenschaftlichen Austausches und der Zusammenarbeit. Mit den in einer digitalen Edition gegebenen flexiblen Ordnungs- und Abbildungsmöglichkeiten entfällt auch der für den Nutzer bislang oft unbefriedigende Umstand, dass die Zählung der Manuskripte in WA.TR zwar grundsätzlich fortlaufend angelegt ist, diese Zählung aber nicht derjenigen der jeweiligen Handschriftensammlung entspricht. In einer digitalen Edition lassen sich die Manuskripte und Texte so anordnen, wie es hinsichtlich der Fragestellung des Nutzers am sinnvollsten erscheint. Man kann die Tischreden also entweder insgesamt chronologisch fortlaufend, der Zäh-

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„Für wissenschaftliche Zwecke kommen ausschließlich die Urschriften der TR in Betracht. Dabei muss man entweder das Latein in Kauf nehmen oder neu übersetzen.“ (B IRGIT S TOLT: Die Sprachmischung in Luthers Tischreden. Studien zum Problem der Zweisprachigkeit, Uppsala 1964, 24). Bereits Ernst Kroker hatte in WA.TR (allerdings erst in Band 3) festgestellt, dass: „für Luthers Sprachschatz [...] nur Geltung [hat], was in den Urschriften der Tischreden steht; unter Aurifabers Händen ist etwas ganz anderes daraus geworden“ (XXXVI).

Zur Editionsphilologie

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lung der jeweiligen Manuskripte entsprechend oder auch nach Themenbereichen, einzelnen Schlagwörtern etc. sortieren und abrufen. Die zahlreichen Möglichkeiten zur Textsuche und -ordnung, also die Registerfunktion, sind demnach als weiterer nicht zu vernachlässigender Vorteil einer digitalen Edition hervorzuheben. Das Erstellen von Registern ist bei gedruckten Editionen nach wie vor mit sehr großem Aufwand verbunden, Volltextrecherchen sind nicht möglich, der Nutzer ist stets auf die von den Editoren vorgegebenen Register angewiesen. 10 Und es gibt es weitere Gründe, die für eine Neuedition der Tischreden im digitalen Gewand sprechen. Mit einer vollständigen Digitalisierung der Handschriftensammlungen wird selbstverständlich auch schnell deutlich, an welchen Stellen in den Manuskripten beispielsweise heterogene Stücke, wie Briefe oder ähnliches, enthalten sind. Hinzu kommt, dass die noch heute maßgebliche Ausgabe WA.TR, abgesehen von den Schwierigkeiten für den Benutzer, auch fachliche Mängel aufweist – genannt seien hier neben Inkonsistenzen in der Transkription, die den von Kroker angewandten, heute zum Teil überholten editorischen Prinzipien geschuldet sind, einige durchaus wesentliche Korrekturen, in denen Darstellungen der ersten Bände später revidiert werden müssen.11 Auch nach dem Druck von WA.TR aufgefundene Handschriften konnten freilich nicht mehr verwendet werden, denn Kroker hatte die „großen, buntgemischten Sammelhandschriften [...] nur gelegentlich benützt und es ausdrücklich späterer Einzelforschung überlassen, für jede einzelne Handschrift die Stelle nachzuweisen, die ihr in der Überlieferung zukommt“12. Diese Beispiele verdeutlichen gleichsam einen der eklatantesten Nachteile der gedruckten Edition – ihre Endgültig10 Vgl. hierzu auch den Wunsch des Rezensenten des Bandes 11.3 der Deutschen Schriften Martin Bucers, Schriften zur Kölner Reformation (1545): „Gewisse Veränderungen bei den Editionsrichtlinien lassen sich festmachen: Der Fortfall der ‚Chronologia Bucerana‘ und des Sachregisters, eine Beschränkung des Registers der Zitate und Belege auf die Rechtskorpora […] Damit soll künftig eine Beschleunigung des Unternehmens stattfinden. Das ist im Sinne der Intention zwar nachzuvollziehen, doch bleibt bei einem derartigen Jahrhundertwerk ein gewisses Unbehagen hinsichtlich des sicher sehr aufwendigen, aber nützlichen Sachregisters. Bei diesem Wunsch mag eine gewisse Bequemlichkeit mitspielen, die sich unter dem Eindruck vieler Digitalisierungsmaßnahmen und ihrer Recherchemöglichkeiten eingestellt hat und auf die man auch bei gedruckten Unternehmungen ungern verzichtet“ (WOLFGANG SCHMITZ in: URL: http://www.sehepunkte.de/2008/09/12057.html, 18. Februar 2011). 11 Vgl. auch HELMAR J UNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers, in: Michael Beyer / Günther Wartenberg (Hg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen, Leipzig 2001, 171. 12 So JOHANNES HAUßLEITER, in: WA 48, 365. Vgl. seine Edition von Tischreden in WA 48, 365–719 sowie den Nachtrag WA 59, 729–746.

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keit. Ist das Buch gedruckt, können zwar kurzfristig erstellte Errata- und Korrigenda-Listen noch über die offensichtlichen Fehler informieren, grundlegende Fehleinschätzungen und falsche Darstellungen können nicht mehr behoben werden: „And while a printed edition is dead in the same moment it is ready, an electronic edition can be updated, corrected, have new material added, and generally be improved. “13

Der digitalen Editorik stehen die ungeheuer dynamischen Möglichkeiten der sich rasant entwickelnden Computertechnologie zur Verfügung: beispielsweise die einer offenen, kollaborativen Editionsform im Internet – einer Plattform, die nach dem Wiki-Prinzip organisiert ist. Die von den bestandshaltenden Institutionen bereitgestellten Digitalisate der Handschriften werden von den Editoren ausgewertet und bearbeitet. Sobald die Edition online verfügbar ist, fungiert das Editorenteam als Operator, nach einer Registrierung ist es Forschern weltweit möglich, Korrekturvorschläge zu unterbreiten, neues Quellenmaterial einzustellen und Zusätze oder Verbesserungen des Kommentars oder der Übersetzung vorzuschlagen, die dann natürlich mit Verweis auf den jeweiligen Autor von den Editoren übernommen werden können. Eine Edition der Tischreden über eine Website erlaubt auch nach Abschluss der eigentlichen Editionsarbeit eine Veränderung der Daten – es handelt sich im besten Wortsinn um eine „Edition in progress“. Sollten beispielsweise weitere Handschriften erschlossen werden, können sie problemlos hinzugefügt werden, automatisierte Abläufe ermöglichen eine sofortige Neuordnung aller Referenzen und eine schnelle kontextuelle Einbindung. Abgesehen von der tatsächlichen Edition eröffnen sich durch das Internet völlig neue Publikationsformen, die eine Bündelung der wissenschaftlichen Ergebnisse und eine transparente und zeitnah geführte Forschungsdiskussion erlauben. Neben digitalisierten historischen Forschungsbeiträgen zu Luthers Tischreden können alle Veröffentlichungen, die im Umfeld der Tischreden-Edition entstehen, schnell und kostengünstig in einem speziellen wissenschaftlichen Forum online publiziert werden – direkt und problemlos lassen sich Referenzen auf die Quellen und Originaltexte der Edition nachvollziehen. Die Liste der Anforderungen und der entsprechenden Möglichkeiten ließe sich sicher um ein Vielfaches verlängern und es wird Aufgabe der Editoren in Zusammenarbeit mit den Fachkollegen sein, diese, wie auch die editorischen Prinzipien möglichst präzise zusammenzutragen. Bei allen Vorteilen, die eine digitale Edition bietet, sollen aber auch Probleme ange13 Zitiert nach P ATRICK SAHLE: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels, Köln 2009, 379 [ungedruckt].

Zur Editionsphilologie

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sprochen werden, derer sich die Bearbeiter digitaler Editionen bewusst sein müssen. Während einer gedruckten Edition aus Platzgründen enge Grenzen bei der Auswahl der zu beachtenden und zu edierenden Texte gesetzt sind, muss die digitale Edition vor allem fragen, welche Texte nicht einbezogen werden. Hier liegt eine große Verantwortung der Editoren. Ein seriöser Projektzeitplan auf der Grundlage einer präzisen Erfassung aller zu berücksichtigenden Quellen muss sicherstellen, dass zunächst nur die Texte aufgenommen und abgebildet werden, die auch im Projektzeitraum ediert werden sollen. Eine digitalisierte Darstellung von Texten ohne wissenschaftliche Kommentierung, Kontextualisierung und Verknüpfung ist ein digitales Archiv – und keine Edition. Von Skeptikern digitaler Editionen wird neben der Frage nach der „Haltbarkeit“ der Daten – digitale Datenträger haben schließlich eine kürzere Lebensdauer als ein gedrucktes Buch – auch häufig auf das Problem der Referenzierbarkeit hingewiesen. Die digitalen Daten sind nicht mehr materialiter greifbar, ihre Erhaltung und Archivierung erfordert keine Bücherregale, aber ebensoviel Aufmerksamkeit und Weitblick. Es gilt Strategien zu verfolgen, die die digitalen Ressourcen unabhängig von einem bestimmten Datenträger dauerhaft les- und verfügbar halten. Für Netzpublikationen können grundsätzlich die bereits bestehenden Persistant Identifier (PI)-Systeme, wie beispielsweise der Digital Object Identifier (DOI), sozusagen die „ISBN für digitale Objekte“14, genutzt und weiter ausgebaut werden. Für eine digitale Edition, die natürlich potentiell dem Wandel unterlegen ist – das gerade unterscheidet sie ja so wesentlich von der gedruckten, statischen Edition – müssen zudem Strukturen existieren, um einen bestimmten Status quo der Edition dauerhaft zitierfähig zu erhalten (Versionierung). Die Verantwortung für die Zitierfähigkeit und langfristige Adressierbarkeit der Edition liegt bei den Editoren und den beteiligten Institutionen.

Resümee und Ausblick Nachdem ein Konsens darüber besteht, dass sich die Forschung von einer Neuedition von Luthers Tischreden eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse versprechen darf, die ein Projekt solchen Umfanges mehr als rechtfertigen, sollte in diesem Beitrag versucht werden, aus editionsphilologischer Sicht einige Anforderungen an eine solche Edition zusammenzu14 URL:http://nestor.sub.unigoettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_3 37.pdf (18.02 2011).

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tragen und daraus Vorschläge zur Editionsform abzuleiten. Der enormen Bedeutung der Urschriften und dem äußerst komplexen Quellengeflecht kann nur eine digitale Edition gerecht werden, da sich so alle verfügbaren Handschriftensammlungen als Faksimile abbilden, Transkriptionen, Kommentare und Übersetzungen schnell und zielgerichtet abrufen und Querreferenzen systematisch darstellen lassen. Die Langfristigkeit eines solchen Editionsprojekts und moderne wissenschaftliche Arbeitsmethoden im Zeitalter des Internets lassen eine kollaborative Online-Edition am sinnvollsten erscheinen. Das folgende Beispiel mag genügen, um einige Vorteile einer digitalen Editionsform zu veranschaulichen. Kehren wir zurück zu der eingangs zitierten Passage aus der Tischredensammlung Aurifabers: „Doctor Martinus Luther sprach / Die Druckerey ist summum et postremum donum [...]“. Erste Schwierigkeiten für den Nutzer stellen sich ein, wenn er eben diese Passage in WA.TR sucht, da man weder im alphabetischen Register der Textanfänge noch unter dem Stichwort „Druckerey“ im Wort- und Sachregister fündig wird. Unter dem Stichwort: „Buchdruckerkunst – ist das letzte Geschenk Gottes vor dem Ende der Welt“ wird unter anderem auf WA.TR 2, 2772 verwiesen. Nach den dort transkribierten Texten aus den Sammlungen Conrad Cordatus’ und Anton Lauterbachs findet sich auch die gesuchte Passage Aurifabers und ein weiterer Verweis auf WA.TR 1, 1038, wo der entsprechende Paralleltext aus dem Handschriftenkonvolut Georg Rörers (ThULB Jena, Ms.Bos.q.24f, 49v) ediert ist und auf weitere Paralleltexte, nämlich auf Christoph Obenander (Oben.– 169), Valentin Bavarus (Bav.1, 107), und auf die Mathesische Sammlung (Math.L.– 338) verwiesen wird, die aber in WA.TR nicht ediert sind. In einer digitalen Edition wäre es möglich, über die Volltextsuche entweder nach dem lateinischen Begriff „Typographia“ (Calcographia), nach entsprechenden deutschen Übersetzungen oder gar nur nach dem Wortanfang „Druck*“ zu suchen. Die zahlreichen Darstellungsmöglichkeiten einer digitalen Edition erlauben es, alle verfügbaren Paralleltexte mit Transkription und ggf. einem Übersetzungsvorschlag im Kontext der jeweiligen Handschriftensammlung auf dem Bildschirm abzurufen und direkt miteinander zu vergleichen. Forschungsergebnisse lassen sich über die Website der Edition publizieren. Einfache Zugriffsmöglichkeiten eröffnen völlig neue Diskurswelten, wissenschaftliche Diskussionen können ungeachtet der räumlichen Distanz zeitnah und nachvollziehbar geführt werden. Der Fortschritt der modernen Wissenschaft ohne digitale Medien ist eben so undenkbar wie die Reformation ohne den Buchdruck.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren KATHARINA B ÄRENFÄNGER Promovendin im Fach Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. ALEXANDER B ARTMUß Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. DANIEL GEHRT Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsbibliothek Gotha. MARGRIT G LASER Projektmitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar. HELMAR J UNGHANS (†) Professor für Kirchengeschichte an der Universität Leipzig. ERNST KOCH Honorarprofessor für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. VOLKER LEPPIN Professor für Kirchengeschichte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. STEFAN M ICHEL Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der FriedrichSchiller-Universität Jena. B ARBARA MÜLLER Professorin für Kirchengeschichte an der Universität Hamburg. W OLF-FRIEDRICH SCHÄUFELE Professor für Kirchengeschichte an der Philipps-Universität Marburg. THOMAS W ILHELMI Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Bucer-Forschungsstelle), apl. Professor am Germanistischen Seminar der RuprechtKarls-Universität Heidelberg. J ÖRG ZIMMER Promovend im Fach Germanistik an der Universität Duisburg-Essen.

Personenregister Wegen des häufigen Vorkommens sind die Namen „Aurifaber“, „Cordautus“, „Kronker“, „Lauterbach“, „Luther“ „Melanchthon“und „Rörer“ nicht aufgenommen. Adalbert von Bremen 70 Aesop 4, 63, 95, 97, 104 Albert, Johann 137, 208 Albrecht von Mainz, Erzbischof 203 Ambrosius von Mailand 201, 217 Archilochos 106 Athenaios 63 Augustinus von Hippo 48, 67, 217, 221 Aulus Gellius 2 Avianus, Petrus 139, 212 Barbaro, Ermolao 242 Basilius von Caesarea 201, 217 Benedikt von Nursia 68–67 Bernhard von Clairvaux 201 Besold, Hieronymus 8, 15, 34f., 113, 115, 118, 122, 142, 154, 195, 197, 294–296, 222 Berlepsch, Johann von 105 Beyer, Valentin 143f., 206 Bindseil, Heinrich Ernst 12–15, 26, 34, 81, 112, 121, 134f., 138, 151–153, 196, 198, 206, 215, Bonaventura 201 Bucer, Martin 39, 166, 211f., 218, 243f., 255 Buchwald, Georg 157, 159, 222 Buchwald, Reinhard 17 Bugenhagen, Johann 84, 142, 155, 162, 164, 181, 193, 199, 232, 237

Caesarius von Arles 68 Canter, Willem 242 Carlowitz, Christoph von 213 Castiglione, Baldessar 72f. Chilian, Michael 200 Chrysostomos, Johannes 66, 201 Cicero 64, 73f. Clemen, Otto 17, 35, 91, 138, 141, 145, 174, 187f., 197, 199f., 212, 215, 218, 234 Cruciger, Caspar 10, 140, 155, 165, 167, 193, 200, 204, 224, 229, 233, 238 Cyprian, Bischof von Karthago 202, 212 Cyprian, Ernst Salomon 138–140, 149, 192, 195, 207f., 209 Dalberg, Johann von 89f. Dante Alighieri 104 Della Casa, Giovanni 73 Dietrich, Veit 6, 34–36, 40, 50, 80, 114, 166f., 199f., 122, 133f., 142, 154, 156f., 158f., 166-168., 170f., 197, 202–204, 206f, 221f., 224, 228f., 238 Eber, Paul 137, 147, 193, 207 Erasmus von Rotterdam 73–75, 77, 251 Ericeus, Nikolaus 16, 80f. Ernst I., Herzog von Sachsen-CoburgGotha-Altenburg 143, 150f., 192, 200 Ferdinand I. König 108

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Personenregister

Feyerabend, Sigmund 11 Förstemann, Karl Eduard 12, 15, 112f., 128, 135, 196 Forster, Johann 193 Franz I. von Frankreich, König 7 Freitag, Albert 157, 221f., 236 Friedrich I., Herzog von Sachsen-Gotha Altenburg 192 Friedrich II., der Weise, Herzog von Sachsen-Gotha Altenburg 192, 201 Friedrich III., Kurfürst von Sachsen 138f., 149 Georg III., Fürst von Anhalt, Bischof von Merseburg, 132, 181f., 201 Gellius, Aulus 2 Gregor VII. 69 Gregor von Tours 70 Guazzo, Stefano 73 Hänel, Joseph 8, 11, 36, 86, 112, 121, 151, 205 Hardenberg, Albert 241 Haußleiter, Johannes 15, 116, 122, 126, 142, 171, 255 Heydenreich, Kaspar 118, 122, 203, 205 Heinrich IV., Kaiser 69 Heinrich, Herzog von Sachsen 203 Heinrich von Burgund 75 Hieronymus 201 Hilarius von Poitier 201, 217 Hilten, Johannes 54 Hincmar von Reims 70 Hoppe, Albert Friedrich 13f., 32 Hund, Burhkard 105 Hüter, Simon 11 Irmischer, Johann Konrad 12 Jacobs, Friedrich 139, 140–148, 150, 195

Johann Friedrich I., Kurfürst v. Sachsen 95, 145, 192, 209f. Johannes Cassian 67f., 74, 76 Jonas, Justus 182, 193, 213, 235 Katharina von Bora 22, 173 Karl V., Kaiser 7, 108, 210 Khumer, Caspar 40, 49, 58–60, 133 Köber, Christoph 137, 208 Krüginger, Johann 117, 162 Kyrill von Alexandria 201 Lachmann, Karl 242 Leto, Pomponio 242 Lucilius, Gaius 10 Loesche, Georg 120, 129, 130, 134f., 142f., 144, 148., 155., 169., 176., 179 Loescher, Valentin Ernst 150, 208 Luther, Elisabeth 22 Luther, Johannes 22–24 Luther, Magdalena 22, 26, 41 Luther, Margaretha 22 Luther, Martin (*1531) 22 Luther, Paul 22, 145, 211 Major, Georg 9 Märckel, Johann 209 Manlius, Johann 34, 81, 88, 90 Mathesius, Johannes 1, 80f., 88, 105, 113-118, 139, 142f., 152–155, 160, 162, 165, 169, 170, 177, 179, 197, 201, 205, 207, 221, 228, 235f. Mattenberg, Johann 213, 219 Medler, Nikolaus 15, 50, 52, 118f., 120f., 133f., 143., 158, 167, 197, 202,f., 206f., 221f. Methodius von Olympos 65 Meusel, Konrad 146, 211, 218 Myconius, Friedrich 10, 142 Naboth, Alexius 202

Personenregister Obenander, Christoph 134, 201, 257 Oberman, Heiko Augustinus 57 Origenes 201 Pauli, Benedikt 232 Pauli, Johannes 92 Paulus von Tarus 57 Pezel, Christoph 85, 87f., 90f. Pfeffinger, Johann 9, 187f. Phädrus 107 Philo von Alexandrien 64 Platon 63, 72 Plutarch 63f., 73, 72 Possidius von Calama 67 Preger, Wilhelm 118, 167f., 170 Rabe, Ludwig 48, 194, 197, 202–205, 215 Rebenstock, Heinrich Peter 11, 112, 121, 138, 152, 164, 206, 121, 196 Reckemann, Johann 79f., 83f., 87–93 Reich, Stephan 210, 217 Richter, Paul 148, 203 Richter, Veit 211 Robortello, Francesco 242 Rüdel, Gregor 148, 207 Sagittarius, Johann Christfried 210 Sahle, Patrick 253 Schlaginhaufen, Johannes 22f., 55f., 58., 115f., 118., 120., 160, 167f., 205, 221, 228, 240 Schmidt, Peter 11, 193 Schnepff, Erhard 231 Seckendorff, Veit Ludwig von 143, 145, 192, 207 Seidemann, Johann Carl 13, 28f., 37, 78, 116f., 120, 130, 133–135, 142, 144, 148, 155, 169, 177, 179, 187, 196, 202 Sellanus, Adam 212 Sellanus Heinrich 149 Sellanus, Stephan 213

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Selnecker, Nikolaus 11f., 112 Sidonius Apollinaris 67 Spalatin, Georg 138, 145, 148, 199– 201, 204, 227 Stangwald, Andreas 12, 112, 135, 196 Starck, Zacharias 150, 210 Staupitz, Johann von 3, 48–56 Steinhöwel, Heinrich 107 Stigel, Johann 213 Stoltz, Johann 224 Strigel, Victorin 177, 209 Stromer, Heinrich 188 Tertullian 66, 201 Theophylactus 201 Ukert, Friedrich August 139, 140–148, 195f., 209f., 212 Ukert, Heinrich Albrecht 195f. Vollrad von Mansfeld, Graf 7 Walch, Johann Georg 11–15, 24, 32, 112, 171 Warbeck, Veit 145, 199f., 216 Weber, Jacob 34f. Weller, Hieronymus 118, 122, 205 Wendenheimer, Ulrich 79f–81, 85, 87, 92 Winsheim, Veit 209 Wolfgang, Fürst von Anhalt 203 Wolfhart, Bonifacius 211, 218 Wrampelmeyer, Hermann 13, 120, 123, 129, 130f. Xenophon 63 Zwingli, Ulrich 40, 101, 214