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German Pages 317 Year 2023
Gabriele Schuster Bernhard Wecke Hrsg.
Marketingtechnologien Innovative Unternehmenspraxis: Insights, Strategien und Impulse
Marketingtechnologien
Gabriele Schuster · Bernhard Wecke (Hrsg.)
Marketingtechnologien Innovative Unternehmenspraxis: Insights, Strategien und Impulse
Hrsg. Gabriele Schuster IU Internationale Hochschule Hamburg, Hamburg, Deutschland
Bernhard Wecke IU Internationale Hochschule München, Deutschland
ISBN 978-3-658-42293-6 ISBN 978-3-658-42294-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Imke Sander Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
Das Marketing steht heute an der Schwelle zu einer völlig neuen Ära. Die Marketingstrategien und -prozesse an die dynamischen Anforderungen der digitalen Ära anzupassen, ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg von Unternehmen. Marketingtechnologien bedienen diese Notwendigkeit und sind ein unverzichtbarer Bestandteil, um Unternehmen in den verschiedensten Branchen zu Wettbewerbsvorteilen zu verhelfen. Der Fokus liegt dabei auf der Verknüpfung aller Marketingdisziplinen und verspricht endlich die Umsetzung „echter“ Ominchannel-Use Cases. Der Einsatz von Marketingtechnologien ermöglicht es Unternehmen, ein einheitliches und durchgängiges Kundenerlebnis zu schaffen, Kundenbeziehungen aufzubauen und Interaktionen zu messen. Auf diese Weise können Planung und Umsetzung von Marketingstrategien vollständig aufeinander abgestimmt werden. Marketingtechnologien eröffnen neue Möglichkeiten, um Kunden zu erreichen, zu begeistern und langfristige Beziehungen aufzubauen. Sie haben das Potenzial, das Marketing als Ganzes zu revolutionieren und als neues Betriebssystem für die Branche zu dienen. Dieses Werk stellt eine umfassende Zusammenstellung aktueller Erkenntnisse und Praktiken im Bereich der Marketingtechnologie dar und bietet Ihnen einen tiefgreifenden Einblick in die rasante Entwicklung und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologien. Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis präsentieren in den einzelnen Beiträgen wissenschaftlich fundiertes und praxisrelevantes Wissen für innovative Einsatzmöglichkeiten von Technologien im Marketing. Die Implementierung von Marketingtechnologien birgt jedoch neben den technologischen vor allem auch organisatorische Herausforderungen. Auch für diese werden Lösungswege entwickelt und erläutert. Das Herausgeberwerk „Marketingtechnologie“ ist in vier Teile gegliedert, die Ihnen ein umfassendes Verständnis des Ökosystems, der Implementierung, der Use Cases und der Integrationsherausforderungen von Marketingtechnologien vermitteln. Jeder Teil umfasst eine Reihe von Kapiteln, die relevante Aspekte beleuchten und fundierte Einblicke in die verschiedenen Dimensionen dieses Bereichs bieten. In Teil I, dem „Ökosystem der Marketingtechnologien“, werden Sie erfahren, wie KI-basierte Ökosysteme die Zukunft von Wirtschaft und Marketing prägen und wie das Metaverse als eine neue Dimension des digitalen Marketings definiert und genutzt werden V
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Vorwort
kann. Darüber hinaus erhalten Sie einen Einblick in die Technologien, Infrastrukturen und Use Cases des Metaverse sowie die aufkommende Bedeutung von Web3-Technologie und Non-fungible Tokens (NFTs) im Marketing. Teil II konzentriert sich auf die Implementierung von Marketingtechnologien und behandelt Themen wie die Strategie, Konzeption und Erfolgsfaktoren beim Aufbau moderner, kundenorientierter Marketing-Technologie-Stacks. Sie werden Zeuge der Evolution von Martech vom kreativen Chaos zum etablierten Software-Ökosystem und erhalten Einblicke in die rechtlichen Grundlagen für die erfolgreiche Nutzung von Marketingtechnologien. Darüber hinaus erfolgt eine systemtheoretische Beobachtung der Marketingtechnologie mit einem pädagogischen Bezug zum Klimaschutz. Schließlich werden die Herausforderungen der Führung im digitalisierten stationären Lebensmittelhandel diskutiert. Teil III stellt eine Vielzahl von Use Cases für den Einsatz von Marketingtechnologien vor. Hier werden innovative Eyetracking-Technologien zur Optimierung von Kunden-Touchpoints untersucht, Chatbot-Lösungen als Beitrag zur Automatisierung der Kundenkommunikation am Beispiel der E.ON AG beleuchtet und Prognosen zur Marktentwicklung anhand von Share-of-Search-Messungen vorgestellt. Darüber hinaus werden auch die Chancen und Herausforderungen von Smart Speakern in der Interaktion mit Verbrauchern analysiert, es wird ein Blick auf die „Drop-outs“ geworfen und die Bedeutung der Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics betrachtet. Abschließend werden die Digitalisierung und personalisierter Kundenservice im kleinstrukturierten Luxus-Fashion-Einzelhandel diskutiert. Teil IV besteht aus einer Sammlung von Interviews, die die Integrationsherausforderungen von Marketingtechnologien beleuchten. Hier wird das Potenzial von Technologieaffinität, die Rolle des CMO als Brücke zwischen Markt und Technologie sowie die Einbindung des CIO in die Gestaltung von Unternehmenstransformationen diskutiert. Des Weiteren wird betont, wie wichtig es ist, das Unplanbare zu planen und flexibel auf die konkreten Anforderungen im jeweiligen Unternehmenskontext reagieren zu können. Dieses Herausgeberwerk bietet einen unverzichtbaren Leitfaden für alle, die sich mit der Implementierung von Marketingtechnologie in Unternehmen beschäftigen oder ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet vertiefen möchten. Es richtet sich an Marketingund Vertriebsmanager, Führungskräfte sowie an alle, die daran interessiert sind, die Marketingeffektivität zu steigern und den Erfolg ihres Unternehmens langfristig zu sichern. Wir sind zuversichtlich, dass dieses Werk Sie inspirieren und Ihnen wertvolle Einblicke in die Welt der Marketingtechnologie bieten wird. Es ist das Ergebnis einer engagierten Zusammenarbeit herausragender Fachexperten und Forscher, die ihre Kenntnisse und Erfahrungen teilen, um eine umfassende Ressource für Fachleute, Forscher:innen und Studierende zu schaffen. Zum Gelingen dieses Sammelbands haben viele Personen beigetragen. Unser Dank gilt vor allem den Autor:innen, die erst durch ihre Expertise die Entstehung dieses Buches
Vorwort
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ermöglicht haben, aber auch Frau Imke Sander vom Springer Gabler Verlag und unserer Lektorin Frau Ingrid Walther, die unser Projekt mit viel Umsicht und Initiative unterstützt haben. Hamburg München im Herbst 2023
Gabriele Schuster Bernhard Wecke
Inhaltsverzeichnis
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Marketingtechnologien als neues Betriebssystem des Marketings . . . . . . . . Bernhard Wecke 1.1 Die Rolle von Technologie bei der Transformation des Marketings . . . 1.2 Definition und Funktionsweise von Marketingtechnologie . . . . . . . . . . . 1.2.1 Definition und Einsatzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Funktionsweise von Marketingtechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Einfluss von emergenten und disruptiven Technologien auf das Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Integrations-Challenge – Implementierungsstrategien für Marketingtechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Organisatorische Handlungsfelder bei der Implementierung und Skalierung von Marketingtechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil I 2
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Ökosystem der Marketingtechnologien
KI-basierte Ökosysteme – ein Blick in Wirtschaft und Marketing von morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bünte 2.1 KI ist in Wirtschaft und Marketing angekommen – nur noch nicht bei allen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Unternehmen, die KI einsetzen, sind schon unterwegs zu neuen Wachstums-Ufern – in sogenannten digitalen Ökosystemen . . . . 2.3 Was ist ein digitales Ökosystem und warum ist es so vielversprechend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 KI-basierte Plattform-Ökosysteme verändern, wie wir in Marketing und Werbung in der Zukunft arbeiten werden . . . . . . . . . . 2.5 Gleichzeitig gilt es, die Möglichkeiten von KI und digitalen Ökosystemen kritisch zu prüfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Metaverse – Definition und Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Klose und Ralf T. Kreutzer 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Was ist das Metaverse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Proto Metaverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaverse – Technologien, Infrastruktur und Use Cases . . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Klose und Ralf T. Kreutzer 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Technologien für das Metaverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Augmented und Virtual Reality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Blockchain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Artificial Intelligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Game Engine und Digital Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Infrastruktur für das Metaverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Hardware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Netzwerke und Cloud-Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Rechenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Use Cases im Metaverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Aktivitäten von Privatpersonen im Metaverse . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Anwendungsfälle für Unternehmen im Metaverse . . . . . . . . . . . 4.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Marktpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Wege im Marketing: Web3-Technologie und Non-fungible Tokens (NFTs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Blömer 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Entwicklung der Web-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Web 1.0 – Die Entstehung des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Web 2.0 – Die Ära der Interaktivität und Zusammenarbeit . . . 5.2.3 Web3 – Die Zukunft des dezentralisierten Internets . . . . . . . . . 5.3 Marketing für Non-fungible Tokens (NFTs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Definition NFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Eigenschaften eines NFTs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Empfehlungen bei der Einbindung von NFTs in Marketingkampagnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Beispiel-Kampagnen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 34 38 43 45 45 46 46 48 49 50 50 50 51 51 52 52 53 55 56 56 57 59 61 62 62 62 62 63 65 65 66 67 70 72
Inhaltsverzeichnis
Teil II 6
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Implementierung von Marketingtechnologien
Strategy, Conception, and Success Factors of Building a Modern, Customer-Centric Marketing Tech Stack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martino Saracino 6.1 What is a Marketing Tech Stack? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 The Need for Building a Modern, Customer-Centric Marketing Tech Stack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Requirements to Successfully Build and Fully Exploit Sophisticated Marketing Tech Stacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Level of Integration, Customer Data Collection, and Data Protection . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Organizational Enablers to Build, Operate and Exploit a Marketing Tech Stacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Modern Project Approach to Minimize Complexity and Risk of Failure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Decision Between Make or buy, and Best-of-Breed or Best-of-Suite in Marketing Tool Selection . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Structure of a B2B Marketing Tech Stack and Its Essential Building Blocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Key Building Blocks and Automation in the PLAN & PREARE Section . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Key Building Blocks and Automation in the EXECUTE & ORCHESTRATE Section . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Key Building Blocks and Automation in the MONITOR & STEER Section . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.4 Key Building Blocks and Automation in the RECORD & REFINE Section . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 The Lessons Learned From the Digital Marketing Transformation and its Impact on KPIs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Lessons Learned . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Impact of Digital Marketing Transformations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martech – Evolution vom kreativen Chaos zum etablierten Software-Ökosystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Skerra und Sibylle Kunz 7.1 Softwareentwicklung – Wegbegleiter in das Digitale Zeitalter . . . . . . . . 7.2 Das Paradigma der Evolution der Softwareentwicklung . . . . . . . . . . . . . 7.3 Historie und aktuelle Entwicklung der Marketingtechnologie . . . . . . . . 7.4 Das Martech-Software-Ökosystem und neue Trends . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Die Martech-Evolution und das Martech-Ökosystem . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79 79 80 81 81 82 83 84 85 85 87 88 89 90 90 91 92 93 94 97 98 103 104 105
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Rechtliche Grundlagen für die erfolgreiche Nutzung von Marketingtechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franziska Schröter 8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Rechtliche Einflüsse auf Marketingmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Markenrechte im Rahmen von Marketingmaßnahmen . . . . . . . 8.3 Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Wettbewerbsrecht und Social-Media-Marketing . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Direktmarketing-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Datenschutzrecht nach der DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 ePrivacy-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Ausblick: Big Tech Companies, Macht und Recht? . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketingtechnologie systemtheoretisch beobachtet – mit einem pädagogischen Bezug zum Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thorsten Sühlsen 9.1 Marketingtechnologien als Entscheidungsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Bildungsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Beziehungsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Bedürfnis- und Motivationsmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 Leadership in a Digitalized Stationary Food Retail Environment . . . . . . . . . Katja Wiedemann, Robert Zniva, Eva Lienbacher und Victoria Schulte 10.1 Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Digitalization and Full Range Model of Leadership . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Methodology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Results . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Näher zur Kundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benjamin Krischan Schulte und Andrea Hansen 11.1 Hintergrund – Die Relevanz von Kundendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Die Klaviatur von Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Ungleiche Ausgangslage für Hersteller und Händler . . . . . . . . . 11.2 Der Weg zur Datenstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Datenbedarf definieren und eigene Daten generieren . . . . . . . . 11.2.2 Daten verarbeiten und speichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 107 108 108 110 112 112 113 113 114 114 115 116 119 119 121 122 123 126 129 130 130 132 133 136 141 142 143 145 147 148 149
Inhaltsverzeichnis
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11.2.3 Daten pflegen und qualifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Daten analysieren und messen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.5 Daten nutzen und Konsument:innen aktivieren . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12 Chatbots an physischen Touchpoints . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Ferner und Eva Lienbacher 12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Chatbots in stationären Settings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Übersicht und Kategorisierung von Chatbots in stationären Settings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Chatbot-Implementierung: Anforderungen aus Perspektive der Informationstechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil III
159 161 162 165 169
Use Cases für den Einsatz von Marketingtechnologien
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints . . . . Tanja Marlen Zweigle 13.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Eyetracking als Instrument zur Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Wahrnehmung und visuelle Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Metriken zur Aufmerksamkeitsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 State of the Art der Eyetracking-Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Eyetracking mit Hilfe spezieller Hardware . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2 Eyetracking mit herkömmichen Web- oder Smartphone-Kameras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Stärken und Schwächen der gängigen Eyetracking-Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.4 AR/VR-Eyetracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.5 Predictive-Eyetracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Einsatzgebiete des Eyetracking im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Veredlung von Eyetracking-Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.1 Ergänzung Eyetracking mit Befragungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.2 Ergänzung Eyetracking mit Emotion AI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.3 Kombiniertes Studiendesign zur Optimierung visueller Customer Touchpoints . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6 Kritische Würdigung der innovativen Eyetracking-Technologien und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 176 178 178 179 181 182 183 185 187 188 190 192 192 193 194 195 197
XIV
Inhaltsverzeichnis
14 Chatbot-Lösungen als Beitrag zur Automatisierung der Kundenkommunikation. Einsatzszenarien und Best-Practice-Lösungen am Beispiel der E.ON AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boris A. Becker, Alexander Rühle und Karyna Neumann 14.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Was ist Conversational User Interface? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Der Einfluss der Technologie auf die Markenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Case Study E.ON – Theoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Empirisch qualitative Untersuchung – CUI-Einsatz bei E.ON . . . . . . . . 14.4.1 Methodische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Konzeption des Leitfadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Vorstellung der E.ON Expert:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.4 Qualitative Inhaltsanalyse und Handlungsempfehlungen . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Forecast of Market Share Developments by the Analysis of Share of Search Measures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Riedmüller 15.1 Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 What is Share of Search? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Classification of Share of Search as a KPI Concept Within the Brand Marketing Funnel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 How Can a Share of Search Analyses be Carried out from a Technical Perspective? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Proof-of-Concept Measures Justify the Share of Search Influence on Market Shares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.6 The Benefit of a Share of Search Results for Market Observations . . . References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Die neue Art der Interaktion mit Konsument:innen – Eine Analyse der Chancen und Herausforderungen von Smart Speakern . . . . . . . . . . . . . . Tobias Naujoks 16.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5 Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 202 202 202 204 206 208 208 209 210 210 215 219 219 220 221 222 223 225 227 229 229 230 231 233 234 237
Inhaltsverzeichnis
17 A Glance at the “Drop-Outs” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Neumüller und Thomas Bigliel 17.1 Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Gaps and Objectives . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Sales Funnels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Taxonomy of Drop-Out Reasons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Proposed Framework . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6 Drop-Outs in the Context of Marketing Technology . . . . . . . . . . . . . . . . References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics . . . . . . . Wilfried Lange und Malte Lange 18.1 Kundenzentrierung und Data Analytics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Arten der Kundenzentrierung mit Data Analytics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Datenbasierte Kundenansprache für Sparkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4 Entwicklung zum Integrierten Ansprachemanagement . . . . . . . . . . . . . . . 18.5 Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Digitalisierung und persönlicher Kundenservice im kleinstrukturierten Luxus-Fashion-Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Shirin La Garde, Eva Lienbacher und Beate Cesinger 19.1 Einleitende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Marketingtechnologien im stationären Handel und Kundenservice . . . . 19.3 Explorative Einblicke: Digitalisierung und persönlicher Kundenservice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.1 Empirisches Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil IV
XV
241 242 243 245 246 248 250 252 255 256 257 258 262 263 267 269 270 271 273 273 275 279
Interviews – Die Integrations-Challenge von Marketingtechnologien
20 Das Potenzial im Hinblick auf Technologieaffinität, die Fähigkeit und Neugierde, Neues auszuprobieren und zu lernen, gewinnt zunehmend an Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Wecke 21 Ein CMO wird nach innen und außen die Brücke zwischen Markt und Technologie schlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Wecke
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XVI
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22 Ein CIO ist heute Teil der Gestaltung der Unternehmenstransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Wecke 23 Planen, um das Unplanbare möglich zu machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Wecke
301 309
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Über die Herausgeber Prof. Dr. Gabriele Schuster Professorin und Fachgebietsleitung für MarketingManagement an der IU Internationale Hochschule in Hamburg, ist seit mehr als 23 Jahren in der dualen Lehre tätig. Außerdem hatte sie Fach- und Führungsfunktionen in verschiedenen Branchen inne. In ihrer Arbeit als selbstständige Beraterin begleitet sie zahlreiche Projekte und Veränderungsprozesse und unterstützt Führungskräfte und Mitarbeiter durch Coaching, Workshops und Seminare. Prof. Dr. Bernhard Wecke ist Experte für Marketing und Vertrieb, insbesondere in der digitalen Welt. Er füllte entsprechende Führungspositionen bei Telefonica Deutschland, Capita und zuletzt als Vice President Consumer Marketing bei Unitymedia aus. Seit 2022 lehrt und forscht er an der IU Internationale Hochschule im Bereich Marketing mit den Schwerpunkten Marketingtechnologie und Digitalisierung.
Autorenverzeichnis Prof. Dr. Boris A. Becker HMKW Hochschule für Medien, Köln, Deutschland Thomas Bigliel Hochschule Luzern, Opfikon, Schweiz Kathrin Blömer M.Sc. Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland Prof. Dr. Claudia Bünte Kaiserscholle GmbH, SRH Berlin University of Applied Science, Berlin, Deutschland Univ. Prof. Beate Cesinger New Design University, St. Pölten, Österreich Shirin La Garde B.A., M.Sc. New Design University, St. Pölten, Österreich DI Cornelia Ferner Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich Andrea Hansen Nestlé Purina PetCare Deutschland GmbH, Euskirchen, Deutschland XVII
XVIII
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Sonja Klose HWR Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer HWR Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Sibylle Kunz IU Internationale Hochschule, Campus Mainz, Mainz, Deutschland Malte Lange B. Sc. Finanz Informatik, Münster, Deutschland Prof. Dr. Wilfried Lange IU Internationale Hochschule, Campus Münster, Münster, Deutschland Prof. Dr. Eva Lienbacher Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich Prof. Dr. Tobias Naujoks IU Internationale Hochschule, Campus Berlin, Berlin, Deutschland Karyna Neumann (geb. Tubolyeva) E.ON Digital Technology GmbH, Essen, Deutschland Dr. oec. Kathrin Neumüller ValueQuest GmbH, Wädenswil, Schweiz Prof. Dr. Florian Riedmüller Technische Hochschule Nürnberg, Nürnberg, Deutschland Prof. Dr. Alexander Rühle HMKW Hochschule für Medien, Köln, Deutschland Dr. Martino Saracino QIAGEN, Hilden, Deutschland Franziska Schröter IU Internationale Hochschule, München, Deutschland Prof. Dr. Benjamin Krischan Schulte IU Internationale Hochschule, Campus Berlin, Berlin, Deutschland Victoria Schulte B.A. Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich Prof. Dr. Carsten Skerra IU Internationale Hochschule, Campus Stuttgart, Stuttgart, Deutschland Prof. Dr. habil. Thorsten Sühlsen IU Internationale Hochschule, Hamburg, Deutschland Prof. Dr. Bernhard Wecke IU Internationale Hochschule Fernstudium und Campus München, München, Deutschland Prof. Dr. Katja Wiedemann Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich Prof. Dr. Robert Zniva Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich Prof. Dr. Tanja Marlen Zweigle IU Internationale Hochschule, Campus Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland
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Marketingtechnologien als neues Betriebssystem des Marketings Bernhard Wecke
Zusammenfassung
Die technologischen Rahmenbedingungen haben sich in den 2010er Jahren signifikant geändert. Der lang gehegte Traum von Big Data wird Wirklichkeit. Die Datenvolumina explodieren und können auch verarbeitet werden. Zum einen kaufen Unternehmen die dafür notwendige Hardware wie Serverkapazitäten und Prozessorleistung deutlich günstiger ein oder nutzen Cloud Services. Zum anderen werden die Techniken des maschinellen Lernens als Schlüsseltechnologie der Künstlichen Intelligenz immer ausgereifter. Diese Entwicklung wirkt wie ein Katalysator für die Marketingtechnologien. Ihr Einsatz bietet vielfältige Chancen zur Verbesserung der Wertschöpfung für Kund:innen und Unternehmen. Werden diese genutzt, etablieren sich die Marketingtechnologien als neues Betriebssystem des Marketings.
1.1
Die Rolle von Technologie bei der Transformation des Marketings Die Rahmenbedingungen für Marketingorganisationen ändern sich grundlegend. Der Einsatz von Marketingtechnologien als neues Betriebssystem des Marketings bildet die zukünftige Basis für eine erfolgreiche Marktbearbeitung.
Die Aufgaben des Marketings sind in jeder Organisation anders definiert. Die spezifische Ausgestaltung ist jedoch weitgehend unerheblich, wenn es darum geht, die Kräfte und Wirkungsmechanismen zu analysieren, die die Zukunft des Marketings bestimmen B. Wecke (B) IU Internationale Hochschule Fernstudium und Campus München, München, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_1
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2
B. Wecke
Abb. 1.1 Die externen Einflussfaktoren des Marketings. (Eigene Darstellung)
werden. Zur Systematisierung der externen Einflussfaktoren können die Kategorien Regulierung, Umwelt, Markt und Technologie herangezogen werden (Kumar, 2018, S. 2; Rust, 2020, S. 16; Verhoef et al., 2021, S. 890) (Abb. 1.1). Keine dieser Perspektiven ist für das Marketing neu. Die Herausforderungen ergeben sich aus der deutlich gestiegenen Komplexität und Dynamik. Die Berücksichtigung regulatorischer Vorgaben ist für viele Unternehmen Routine. Die Globalisierung mit der Ausweitung der Absatzmärkte und dem Im- und Export von Geschäftsmodellen erhöht jedoch einerseits den Aufwand, die spezifischen Bedingungen zu verstehen und umzusetzen (Kumar, 2018, S. 7). Andererseits steigt die Unsicherheit aufgrund mangelnder Regulierung, insbesondere bei digitalen Geschäftsmodellen. Die operativen Rahmenbedingungen werden dadurch zunehmend unberechenbar. Mit Blick auf die Umwelt stehen die Unternehmen aufgrund steigender Kosten und veränderter Erwartungen der Verbraucher:innen unter Druck. Neue Verhaltensweisen im gesamten Unternehmen werden durch höhere Energiekosten erforderlich. Zudem steigen die Ansprüche der Kundschaft an ein nachhaltiges und ressourcenschonendes Handeln. Die Entwicklung der technologischen Möglichkeiten stellt für den Marketer sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar. Im 20. Jahrhundert lag der Schwerpunkt der technologischen Innovationen auf den Produktionsprozessen. Das Marketing konnte diese zwar teilweise für seine Zwecke nutzen, der Effekt blieb aber überschaubar, da maßgeschneiderte Lösungen fehlten. Dies änderte sich zu Beginn des neuen Jahrtausends. Immer mehr Technologien wurden speziell für die Bedürfnisse des Marketings entwickelt und eingesetzt. Eine aufgrund hoher Kosten mangelnde Hardwareverfügbarkeit, Software ohne auf Künstlicher Intelligenz basierende Algorithmen sowie Defizite in der Datenverfügbarkeit führten zu einer Reihe von Einschränkungen. Dies hatte zur Folge, dass die „junge“ Disziplin der Marketingtechnologien das Marketing nur partiell unterstützen konnte und die Lösungen häufig isoliert voneinander eingesetzt wurden (Brock, 2021, S. 374). Diese Barrieren wurden in den 2010er Jahren weitgehend abgebaut. Die aktuellen technologischen Entwicklungen und der damit verbundene Abbau von Barrieren wie Daten- und Hardwareverfügbarkeit verändern den Marketingprozess grundlegend
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und werden zu einer vollständigen Integration der Disziplinen Marketing und Informationstechnologie führen (Brock, 2021, S. 376). Marketingtechnologien werden zum neuen Betriebssystem des Marketings.
Marketingtechnologie als neues Betriebssystem des Marketings: Die vollständig technologiebasierte Gestaltung der Marketingaktivitäten führt zu einer Verschmelzung von Marketing und IT.
Diese Entwicklung ermöglicht es dem Marketing, konsequent auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse und Marktanforderungen einzugehen. Dazu zählen unter anderem (Varadarajan, 2018, S. 16): • Grundlegende Veränderungen im Kundenverhalten bei der Suche, der Bewertung und Auswahl, dem Kauf sowie der Nutzung von Produkten • Neue Anforderungen an die „Value Proposition“ des Produktportfolios • Entstehung neuer Branchen und Geschäftsmodelle • Veränderung der Marktstrukturen (Volumen, Teilnehmende, Wachstumsraten, …) • Neue Wettbewerber:innen mit disruptiven Wertschöpfungsmodellen Dennoch: Die wesentlichen Kriterien für die Steuerung des Marketings bleiben bei allem Anpassungsdruck gleich. Es geht um die Sicherung und den Ausbau der Profitabilität des Unternehmens durch die permanente Befriedigung von Kundenbedürfnissen und die Schaffung von Kundennutzen. Marketingtechnologien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie ermöglichen ein personalisiertes, wertorientiertes und effizientes Kundenmanagement. In Abschn. 1.2 wird dargestellt, wie das mit Hilfe von Marketingtechnologien funktionieren kann. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Anwendungsgebieten von Marketingtechnologien. Der Fokus liegt dabei auf fünf Bereichen des Marketingprozesses (Abb. 1.2).
1.2
Definition und Funktionsweise von Marketingtechnologie Ziel des Einsatzes von Marketingtechnologien ist es, die Profitabilität und den Kundennutzen zu erhöhen. Basis dafür ist die Entwicklung einer 360-Grad-Sicht auf die (potenziellen) Kund:innen.
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B. Wecke
Abb. 1.2 Einsatzgebiete von Marketingtechnologien im Marketingprozess. (Eigene Darstellung)
1.2.1
Definition und Einsatzgebiete
Es hat sich noch keine allgemeingültige Definition von „Marketingtechnologie“ herausgebildet. Daher wird als Ausgangspunkt die Definition des ChatbotsGPT von Open AI herangezogen, der auf die Frage, was Marketingtechnologie ist, wie folgt antwortet: „Marketingtechnologie (…) bezieht sich auf die Verwendung von Technologie und Software, um Marketingaktivitäten und -strategien zu unterstützen und zu automatisieren. Dazu gehören beispielsweise Customer-Relationship-Management (CRM)-Systeme, Marketing Automation-Software, Analyse- und Tracking-Tools sowie Plattformen für digitale Werbung und Social Media-Marketing“ (Open AI, 2023). Eine Analyse von weiteren Definitionsversuchen (Brock, 2021, S. 374; Bynder, o. J.; Gartner, o. J.; Zier, 2022) zeigt, dass keine wesentlichen Unterschiede bestehen, geben aber Hinweise auf mögliche Verbesserungen zu der Definition von ChatGPT. Zum einen kann der Begriff „Technologie“ präzisiert und zum anderen sollte die Zielrichtung des Einsatzes von Marketingtechnologien ergänzt werden. Daraus ergibt sich dann folgender Definitionsvorschlag für „Marketingtechnologie“: Definition Marketingtechnologie umfasst das Zusammenwirken von Hard- und Software sowie Daten zur Steigerung der Effizienz und Effektivität des Marketingprozesses mit dem Ziel, die Wertschöpfung für die Kund:innen und Unternehmen zu verbessern. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Anwendungsgebieten von Marketingtechnologien. Der Fokus liegt dabei auf fünf Bereichen des Marketingprozesses (Abb. 1.2).
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Die Basis für das Marketing wird in der Forschung gelegt. Marketingtechnologie kann mit Hilfe von Machine-Learning-Algorithmen neue Kundensegmente (Insights) identifizieren, auf deren Basis eine Marketingstrategie angepasst oder neu entwickelt werden kann. Ebenso können Ideen für Produktinnovationen abgeleitet werden. Darüber hinaus werden bestehende Dienstleistungen weiterentwickelt (z. B. Empfehlungssysteme als Teil des Angebots bei Streaming-Anbietern) oder personalisiert. Im Bereich der so genannten „Mass Customization“ können Kund:innen ihre Produkte (Fahrräder, Autos, Computer, …) individuell konfigurieren, ohne dass die Anbieter auf die Kostenvorteile der Massenproduktion verzichten müssen. Die derzeit am weitesten entwickelten Anwendungsbereiche liegen zum einen im Bereich der Unterstützung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen und zum anderen im Feld der Marketing Operations. Häufig gehen diese beiden Anwendungsbereiche Hand in Hand. Die Automatisierung von Testszenarien führt zu einer stärkeren Personalisierung der Marketingkommunikation oder des Supports. Insbesondere bei direkt steuerbaren Kontaktpunkten wie E-MailMarketing, eigenen Social-Media-Auftritten, der Website oder auch innerhalb einer App ergeben sich durch die Kombination eine Vielzahl von Optimierungsmöglichkeiten. Im Zuge dieser Entwicklung entstehen völlig neue Ansätze der Erfolgsmessung. Der Einsatz von Attributionsmodellen ermöglicht die Bewertung des Wertbeitrags einzelner Aktivitäten oder Kanäle. Darüber hinaus unterstützen Marketing-Mix-Modelle mit integrierten Szenarioanalysen die Planung und Steuerung.
1.2.2
Funktionsweise von Marketingtechnologien
Im Zentrum des Einsatzes von Marketingtechnologien steht die Entwicklung einer 360Grad-Kundensicht. Greift man die Definition von Marketingtechnologie auf, so ist das Zusammenspiel von Hardware, Software und Daten der Erfolgsfaktor. Viele Unternehmen führen zu diesem Zweck eine Customer-Data-Plattform (CDP) ein. Customer-Data-Plattform (CDP) Die CDP ist eine Softwarelösung, die Daten aus unterschiedlichen Quellen integriert, sortiert, aufbereitet und für verschiedene Anwendungsbereiche zur Verfügung stellt. Abb. 1.3 zeigt schematisch die Funktionsweise von Marketingtechnologien über eine CDP. Im ersten Schritt („Data Collection“) sammelt die CDP die Kundeninformationen aus den verfügbaren Quellsystemen (CRM-System, ERP, Website, …) sowie gegebenenfalls auch von externen Partnern. Dabei werden die Daten bereinigt, standardisiert und gespeichert. Im Rahmen der „Data Orchestration“ werden die Daten aggregiert und mit den verfügbaren Inhalten (Angebote, Visuals, Botschaften, …) kombiniert, um die marktorientierten Aktivitäten und Kundeninteraktionen zu unterstützen bzw. zu steuern.
6
B. Wecke
Abb. 1.3 Funktionsweise von Marketingtechnologien. (Eigene Darstellung)
Darüber hinaus werden die Daten den Performance-Management-Systemen für Analysen und Berichte zur Verfügung gestellt. Im letzten Schritt („Data Delivery“) werden die Informationen adressatengerecht und wenn möglich und notwendig in Echtzeit verteilt. Beispiel
Einsatz von Marketingtechnologien bei einer Kaffeehauskette wie bspw. Starbucks 1. Data Collection Die Verfügbarkeit und Nutzung einer App ist in vielen Geschäftsmodellen zentral für den erfolgreichen Einsatz von Marketingtechnologien. Die Kaffeehauskette kann darüber die Kund:innen identifizieren, kennt deren Vorlieben und physischen Standort. Zudem kann das Unternehmen noch weitere interne und externe Datenpunkte sammeln. Dazu zählen die Frequenz an den einzelnen Standorten, die Uhrzeit, das Wetter oder das Verfallsdatum von Lebensmitteln. Diese Informationen werden gesammelt und für die Nutzung vorbereitet. 2. Data Orchestration Der Trigger für eine Marketingaktion könnte nun die Lokalisierung eines Kunden in der Nähe einer gerade schwach frequentierten Filiale sein. Durch die Kombination der kundenindividuellen Präferenzen mit externen Einflussfaktoren wie Uhrzeit und Wetter kann nun ein personalisiertes Angebot erstellt werden. 3. Data Delivery Das Angebot wird per Push-Nachricht an die Kundschaft mit dem Ziel verschickt, die Frequenz am Standort zu erhöhen und zusätzlichen Umsatz zu generieren. Darüber hinaus können den Verkäufer:innen noch mögliche auf die Kundschaft maßgeschneiderte Cross- und Upsell-Angebote zugespielt werden. Marketingtechnologie nutzt dabei auch die Fortschritte, die bei anderen Technologien erzielt werden. Die wichtigsten Technologien werden in Abschn. 1.3 dargestellt.
1 Marketingtechnologien als neues Betriebssystem …
1.3
7
Der Einfluss von emergenten und disruptiven Technologien auf das Marketing Disruptive Technologien wie das Metaverse üben einen signifikanten Einfluss auf das Marketing aus. Sie bieten einerseits Chancen für die Verbesserung der Marketingtechnologien und eröffnen andererseits auch neue Möglichkeiten der Kundeninteraktion.
Die Nutzung emergenter und disruptiver digitaler Technologien ist der Schlüssel zur Sicherung bzw. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen (Plangger et al., 2022, S. 1125). Aus diesem Grund ist die kontinuierliche Evaluierung dieser Technologien hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten zur Verbesserung der Profitabilität und des Kundennutzens eine Kernaufgabe des Marketings. In der Studie „The State of Martech 2022/23“ von Brugge et al. (2022) werden Marketer gefragt, welche Technologien sie in den nächsten 12 Monaten einsetzen wollen, um die Umsetzung ihrer Marketingstrategie zu unterstützen. Dabei geben beispielsweise 67 % der Befragten an, das Potenzial der Vernetzung von Geräten (Internet of Things) für Marketingzwecke nutzen zu wollen. Die Top 6 der genannten Technologien sind in Abb. 1.4 dargestellt. Marketingtechnologie steht mit diesen digitalen Technologien in einer Wechselbeziehung. Zum einen nutzen Marketingtechnologien unter anderem Machine Learning für ihre Zwecke. Zum anderen eröffnen die Technologien dem Marketer neue Interaktionsmöglichkeiten mit (potenziellen) Kund:innen (bspw. Über Voice Interfaces). Im Folgenden werden die Wechselseitigkeiten skizziert. Abb. 1.4 Relevante digitale Technologien für das Marketing. (Eigene Darstellung)
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B. Wecke
Internet of Things (IOT) IOT bezeichnet die Vernetzung von mit Sensoren und Software ausgestatteten, internetfähigen Geräten (Oracle, o. J.). Mögliche Anwendungsfelder für das Marketing liegen beispielsweise in der Nutzung im Einzelhandel oder der Gastronomie. Smart Displays sammeln Daten und dienen als Schnittstelle zu Kund:innen. Die Daten können ausgewertet und für personalisierte Kommunikation oder auch Angebote und Produkte genutzt werden. Künstliche Intelligenz (KI) Eine Marketing-KI nutzt Kunden- und Marktdaten, um eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit, des Umsatzes oder des Ressourceneinsatzes in den Bereichen Kundeninsights, Produkte und Dienstleistungen sowie Go-to-Market in Kommunikation, Kundenservice und Vertrieb zu erreichen (Wecke, 2022, S. 31). Eine der wesentlichen KI-Techniken stellen die Machine-Learning-Algorithmen dar. Diese können im Rahmen der „MarketingtechnologieData-Orchestrierung“, beispielsweise über multivariates Testing, MarketingkampagnenLandpages personalisieren und damit die Marketingeffizienz optimieren. No-Code/Low-Code Eine No-Code-/Low-Code-Plattform ermöglicht es Benutzer:innen ohne Programmierkenntnisse, Anwendungen per Drag and Drop auf einer visuellen Benutzeroberfläche zu entwickeln. Dies ist einer der größten Marketingtechnologie-Trends überhaupt (Digital Loop, o. J.), da es Marketingverantwortlichen die Erstellung neuer Kampagnen oder die Weiterentwicklung bestehender Marketingaktivitäten ohne IT-Unterstützung ermöglicht. Metaverse und Virtual Reality (VR) Das Metaverse „wird als Sammelbegriff für digitale, dreidimensionale Erlebniswelten verwendet, in der Menschen zusammenkommen, um zu spielen, einzukaufen, sich mit Kollegen zu treffen oder Konzerte zu besuchen“ (Höfler & Krolle, 2023). Unternehmen wie CocaCola, Netflix oder die NFL führen die Kund:innen mit Hilfe von VR-Technologie in ihre Welten und erzielen signifikante Branding-Effekte (Israelsky, 2023). Blockchain Bei Blockchain handelt es sich um eine neue Methode, dezentrale Datenbanken zu erstellen. Die Anwendungsmöglichkeiten im Marketing sind noch sehr limitiert. Stand heute wird erwartet, dass die Technologie insbesondere die Transparenz für Kund:innen und deren Datensicherheit erhöhen wird. Blockchains sind manipulationssicher und können die Privatsphäre von Kund:innen schützen, aber auch die Echtheit von Marken- oder Premiumprodukten zertifizieren (DMECXO, 2022). Voice Interfaces & Search Schnittstellen für Anwendungen, die auf Sprachsteuerung basieren, werden als Voice Interfaces bezeichnet (Kraus, 2022). Beispiele hierfür sind Siri oder Alexa. Die nächste
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Evolutionsstufe im E-Commerce wird Voice Commerce sein. Nutzer:innen können über ein Voice Interface Bestellungen aufgeben. Darüber hinaus können Marketer über diesen Kommunikationskanal den gesamten Prozess von der Präsentation von Produkten und Angeboten bis hin zu Lieferinformationen oder Gebrauchsanweisungen begleiten. Zudem öffnet sich eine neue Quelle für die Gewinnung von Informationen, welche wieder innerhalb der Marketingtechnologie-Anwendungen genutzt werden können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich viele Technologien gegenseitig beeinflussen oder ergänzen. Die Kombination der Potenziale der einzelnen Technologien durch ihre Integration in den Marketingtechnologie-Stack ist eine der großen Herausforderungen für das Marketing. Jedoch stehen unabhängig von der konkreten Technologie alle Unternehmen vor der „Integrations-Challenge“, welche Abschn. 1.4 näher ausführt.
1.4
Die Integrations-Challenge – Implementierungsstrategien für Marketingtechnologien Die Integration von Marketingtechnologien in bestehende Strukturen stellt viele Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Diese betreffen vor allem die fachliche Kompetenz bei der Auswahl, Implementierung und Nutzung einer Marketingtechnologie-Strategie.
In der Studie von Brugge et al. (2022, S. 18) werden die Herausforderungen bei der Auswahl der Lösung sowie technischen Umsetzung und Integration von Marketingtechnologien als größtes Hemmnis für die Investitionsentscheidung genannt. Je nach Reifegrad und Geschäftsmodell eines Unternehmens werden unter anderem folgende Herausforderungen aufgeführt: • Eine mittlerweile unüberschaubare Anzahl an verfügbaren Lösungen im Markt (>10.000) (Brinker, 2022). • Eine komplexe Legacy-IT. • Ein Mangel an fachlicher Kompetenz im Unternehmen. Marketingtechnologie-Landscape In den letzten zehn Jahren ist der Markt an Lösungen für Marketingtechnologien um mehr als 6000 % gewachsen (Puls, 2022). In der Übersicht von Brinker (2022) sind alle verfügbaren Lösungen aufgelistet und können nach verschiedenen Kriterien gefiltert werden (Bewertungen; Reviews; Anbieterdaten wie Umsatz, Anzahl Mitarbeiter:innen oder Firmengründung; Einsatzgebiete). Allein die Gliederung nach den Anwendungsfeldern – Advertising & Promotion, Content & Experience, Social & Relationship, Commerce & Sales, Data und Ressource Management – macht die Bandbreite und Komplexität deutlich.
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Legacy-IT Viele Unternehmen leiden unter einer veralteten und komplexen IT-Infrastruktur. Sie weisen heterogene Systemlandschaften auf, die in Kombination mit monolithischen Systemen (hohe Bedeutung bei mangelnder Modularität und Schnittstellenoffenheit) die Anpassungs- und Integrationsfähigkeit beeinträchtigen. Zudem entsprechen diese IT-Architekturen nicht mehr den notwendigen Security-Anforderungen. Marketingtechnologie-Kompetenz Die Heterogenität der Marketingtechnologie-Landschaft sowie die Berücksichtigung der bestehenden IT-Architektur erfordern eine spezifische Handlungs- und Entscheidungskompetenz bei der Entwicklung und Implementierung der Marketingtechnologie-Strategie. Die wesentlichen Fragestellungen lauten: 1. Sollen die Lösungen selbst entwickelt oder eingekauft werden (Make or Buy)? 2. Wenn die Lösungen extern zugekauft werden: Wählt man ein All-in-One-Paket (AIO) oder einen Best-of-Breed-Ansatz (BOB)? Ein AIO-Paket deckt die wesentlichen inhaltlichen Anforderungen durch den Einkauf einer Lösung bei einem „Full-Stack-Anbieter“ ab. Der BOB-Ansatz versucht, für jeden Anwendungsfall das beste Tool auszuwählen. Dies bedeutet, dass die Marketingtechnologie-Software von verschiedenen Anbietern bezogen wird. Eine große Herausforderung für Unternehmen besteht darin, dass beide Fragestellungen zusammengedacht werden müssen, was wiederum die Komplexität der Entscheidungssituation erhöht. Darüber hinaus erschweren häufig mangelnde Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit Marketingtechnologien die Entscheidungsfindung (Wecke, 2022, S. 243). Hier empfiehlt sich die Einstellung von Personal mit entsprechenden Kompetenzen oder die Beauftragung eines Beratungsunternehmens (Wecke, 2022, S. 211). In jedem Fall sollten Kriterien entwickelt werden anhand derer man die Entscheidungen ausrichten kann. Beispiel hierfür sind: • Veränderungsdruck: Wie hoch ist der Marktdruck und die Marktdynamik? • Kurzfristige Investitionsbereitschaft: Welche Investitionsmittel stehen am Anfang zur Verfügung? • Technologieoffenheit: Wie ist Anpassungsfähigkeit der bestehenden IT-Architektur? • Kompetenz: Sind die für die Implementierung und Nutzung der neuen Marketingtechnologien notwendigen Kompetenzen (im Marketing und der IT) vorhanden? • Security-Anforderungen: Wie hoch ist der Bedarf an Schutz vor Cyber-Attacken? • Partner-Netzwerke: Bestehen bereits Partnerschaften, welche genutzt werden können? • ...
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Abb. 1.5 Entscheidungsunterstützung AIO vs. BOB (eigene Darstellung)
In Abb. 1.5 wird für eine Auswahl der genannten Kriterien exemplarisch dargestellt, wie diese bei der Entscheidung unterstützen können. Bei geringem Veränderungsdruck kann es sinnvoll sein, einen Test in einem Anwendungsbereich durchzuführen, ohne dabei bereits eine Entscheidung für die Gesamtstrategie zu treffen. Hierfür bietet sich der Einsatz eines spezifischen Tools an. Gleiches gilt, wenn zunächst nur geringe Investitionsmittel zur Verfügung stehen. Welche Strategie langfristig kostengünstiger ist, hängt von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab. Eine handlungsleitende Frage hinsichtlich der Technologieoffenheit der bestehenden Infrastruktur ist, inwieweit diese auf die Anbindung externer Tools und Systeme ausgerichtet ist. Ist dies der Fall, ist der Integrationsaufwand gering und es können anwendungsfallspezifisch die optimalen Tools angebunden werden. Bei der Einschätzung der fachlichen Expertise im Unternehmen sollte man drei Kompetenzbereiche unterscheiden – die Entscheidungskompetenz, die Implementierungskompetenz und die Nutzungskompetenz (Abb. 1.6). Die Entscheidungskompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit, die strategischen Fragen „Make or Buy“ und „AIO vs. BOB“ aus Marketing- und IT-Perspektive zu beantworten. Die Umsetzung muss durch eine entsprechende Implementierungskompetenz begleitet werden. Diese stellt u. a. sicher, dass eine geeignete Umsetzungsmethode gewählt (z. B. agiles vs. Wasserfallprojekt) und eine übergreifende Projektteamstruktur aufgebaut wird (Wecke, 2022, S. 161). Darüber hinaus ist es wichtig, für den Start die „richtigen“ Use Cases auszuwählen. Ein wesentliches Entscheidungskriterium ist dabei eine hohe Relevanz für den Unternehmenserfolg (Wecke, 2022, S. 239). Während sich viele Unternehmen der Herausforderungen bei der Auswahl und Implementierung bewusst sind, wird die Entwicklung von Nutzungskompetenz bei den Anwender:innen einer Marketingtechnologie-Lösung unterschätzt. Aus diesem Grund stellen Lösungsanbieter ihren Kund:innen sogenannte „Customer Success Teams“ zur Seite. Diese haben insbesondere in der Anfangsphase das Ziel,
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Abb. 1.6 Notwendige Kompetenzen bei der Einführung und Nutzung von Marketingtechnologien. (Eigene Darstellung)
die Kundschaft in die Lage zu versetzen, das volle Potenzial der Lösung auszuschöpfen (Klein, 2023). Es lässt sich festhalten, dass die Phase der Entscheidungsfindung und Umsetzung allein unter dem Gesichtspunkt der Integration eine Vielzahl von Herausforderungen birgt. Neben den bereits skizzierten Fragestellungen werden in Abschn. 1.5 weitere Handlungsfelder beschrieben und Lösungsansätze aufgezeigt.
1.5
Organisatorische Handlungsfelder bei der Implementierung und Skalierung von Marketingtechnologien Die Implementierung und Skalierung von Marketingtechnologien erfordert neben der Integration der technologischen Neuerungen vor allem auch Anpassungen des organisatorischen Rahmens.
„Technology changes exponentially, but organizations change logarithmically“ (Brinker, 2016). Brinker (2016) bezeichnet diese Erkenntnis als „Martec’s Law“. Abb. 1.7 zeigt, wie unterschiedlich die Veränderungsgeschwindigkeiten von Organisationen und Technologien im Zeitablauf sind. Für Brinker stellt „Martec’s Law“ die größte Herausforderung für das Management im 21. Jahrhundert dar. Viele Untersuchungen zeigen, dass die Unternehmen mit der Anpassung an die sich rasch entwickelnden Technologien hinterherhinken (Mulligan & Brinker, 2018; Bünte, 2018; Brock & Wangenheim, 2019). In der Studie von Mulligan & Brinker
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Abb. 1.7 Martech’s Law (Brinker, 2016)
(2018) geben beispielsweise” 63 % der Befragten an, dass sich die Marketingtechnologien in den davorliegenden drei Jahren signifikant weiterentwickelt haben. Demgegenüber schreiben nur 28 % der Befragten ihrem Unternehmen eine ähnliche Entwicklung zu. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. Es gibt eine Vielzahl von Studien, die die Barrieren bei der Einführung diverser (Marketing-)Technologien herausgearbeitet haben (Brock & Wangenheim, 2019; Infosys, 2017; Wecke, 2022). Diese können als Grundlage für Unternehmen dienen, um die eigene Situation zu analysieren und die relevanten Barrieren zu extrahieren. Im nächsten Schritt sollten die relevanten Barrieren in konkret bearbeitbare Fragestellungen überführt werden. In diesem Prozess entstehen dann die Lösungsideen und Maßnahmenpläne. Abb. 1.8 zeigt eine Auswahl von Barrieren und Fragestellungen. Die dargestellten Hemmnisse stammen aus der Studie von Strauß (2019). Eine Barriere im Rahmen der Führung stellt die fehlende Unterstützung durch das Top-Management dar. Damit ist nicht die häufig interessengeleitete Mitarbeit in Steuerungsgremien gemeint (Strauß et al., 2022, S. 142), sondern die konkrete Unterstützung durch die Bereitstellung von Ressourcen, Investitionen, kommunikative Begleitung und die notwendige Priorisierung. Darüber hinaus kann ein CMO durch sein persönliches Engagement, z. B. durch die Teilnahme an Schulungen zu Marketingtechnologien, eine enorme Wirkung erzielen und den Initiativen die nötige Schubkraft verleihen (Wecke, 2022, S. 182). Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Person(en) zu identifizieren, die über die notwendigen Fähigkeiten zur Einführung neuer Technologien verfügt (verfügen). Diese Person(en) kann (können) explizit mit der Initiative beauftragt werden. Ergänzend dazu bietet sich das Konzept des „informellen Champions“ an (DePietro et al., 1990, S. 159). Dabei handelt es sich um Personen, denen aufgrund ihrer Kompetenz und ihres Engagements von der Organisation implizit eine Führungsrolle zugeschrieben wird. Am erfolgversprechendsten ist es, wenn sowohl die implizite als auch die explizite
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Abb. 1.8 Denkwerkzeuge für die Adaption von Marketingtechnologien. (Eigene Darstellung)
Führungsrolle mit geeigneten Talenten besetzt werden kann. Damit verschiebt sich die Fragestellung von „Wie soll vorgegangen werden“ zu „Wer kann diesen Prozess anleiten bzw. den notwendigen Rahmen zur Verfügung stellen“. Die Adaption von Marketingtechnologien kann nur gelingen, wenn die relevanten und betroffenen Fachbereiche eines Unternehmens zusammenarbeiten. Im Falle von Marketingtechnologien gilt dies vor allem für die Disziplinen Marketing und IT. Um dies zu erreichen, sollte der Schwerpunkt darauf gelegt werden, dass die handelnden Personen eine gemeinsame „Sprache“ entwickeln, die es ihnen ermöglicht, in Interaktion zu treten. Da die Denk- und Herangehensweisen von Marketing und IT in unerfahrenen Organisationen sehr unterschiedlich sind, können zu Beginn „Übersetzer“ eingesetzt werden. Diese sorgen dafür, dass die fachlichen Anforderungen und Lösungsansätze von beiden Seiten verstanden werden. Darüber hinaus sollte der Nutzen der Initiative für beide Seiten transparent sein. Es empfiehlt sich, diesen auch zu visualisieren, um ihn leichter kommunizieren zu können. Ziel muss es sein, dass das Team im Laufe der Initiative so zusammenwächst, dass nicht mehr nachvollziehbar ist, wer ursprünglich im Marketing und wer in der IT beheimatet war. Die Zielsetzung von Marketingtechnologie-Initiativen ist oft unklar (Strauß et al., 2022). Dies erschwert insbesondere crossfunktionalen Teams eine gemeinsame Ausrichtung. Darüber hinaus erfordert eine erfolgreiche Adaption von Technologien aber auch,
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dass die Ziele für den Unternehmenserfolg relevant sind. Projekte, die darauf gerichtet sind, innovativ zu sein, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit zu scheitern (Wecke, 2022, S. 239). Unternehmen sollten daher bei der Auswahl der Use Cases darauf achten, dass diese einen direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben. Darüber hinaus sollten mögliche Zielkonflikte innerhalb der Organisation von Anfang an erkannt und thematisiert werden. Gerade im Spannungsfeld zwischen Marketing und IT müssen die Ziele aufeinander abgestimmt werden. Wenn das Marketing ausschließlich kommerzielle Erfolge anstrebt und die IT dagegen auf Kostensenkung und Cyber Security getrimmt wird, sind Konflikte vorprogrammiert und gefährden den Erfolg. Die dargestellten Handlungsfelder stellen nur einen kleinen Ausschnitt der relevanten Fragestellungen dar. Marketing- und IT-Entscheider sollten zunächst eine strukturierte Bestandsaufnahme durchführen und aus den identifizierten Defiziten und Anforderungen einen Organisationsrahmen entwickeln, der eine erfolgreiche Adaption von Marketingtechnologien unterstützt. Fazit
Das Marketing als eine der marktgerichteten Funktionen von Unternehmen ist einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt. Insbesondere die technologischen Neuerungen wirken direkt oder indirekt auf die Unternehmen. Disruptive Technologien wie IOT üben Anpassungs- bzw. Veränderungsdruck aus, bieten aber auch gleichzeitig Chancen, die Profitabilität und den Kundennutzen zu erhöhen. Der Schlüssel dazu ist die Überführung der technologischen Möglichkeiten in eine Strategie, welche die Marketingtechnologien als zentrales Betriebssystem von Marketingorganisationen positioniert. Ziel ist es, einerseits schnell auf Marktveränderungen reagieren zu können und andererseits durch innovative Lösungen selber Marktdruck ausüben zu können. Das Potenzial von Marketingtechnologien kann jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn sowohl die technologische als auch die organisatorische Architektur eines Unternehmens aufgebrochen und erneuert wird („Integrations-Challenge“). Die Entwicklung eines transformativen Marketings auf Basis von Marketingtechnologie hat Auswirkungen auf die Entscheidungsprozesse, die Kompetenzprofile der Mitarbeiter:innen, die Führungsrollen und viele weitere Handlungsfelder. Nur wenn die Neugestaltung der organisatorischen und technologischen Rahmenbedingungen gelingt, kann Marketingtechnologie erfolgreich eingeführt und vor allem skaliert werden.
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Bernhard Wecke ist Experte für Marketing und Vertrieb, insbesondere in der digitalen Welt. Er hatte entsprechende Führungspositionen bei Telefonica Deutschland, Capita und zuletzt als Vice President Consumer Marketing bei Unitymedia inne. Seine Leidenschaft sind unternehmensweite Transformationsprozesse. Seit 2022 lehrt und forscht er an der IU Internationale Hochschule im Bereich Marketing mit den Schwerpunkten Marketingtechnologie und Digitalisierung.
Teil I Ökosystem der Marketingtechnologien
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KI-basierte Ökosysteme – ein Blick in Wirtschaft und Marketing von morgen Claudia Bünte
Zusammenfassung
KI ist in der Wirtschaft angekommen, um zu bleiben. Nur noch nicht bei allen. Während gut 50 % der Unternehmen weltweit noch mit der Nutzung experimentieren, sind die KI-Champions längst auf dem Weg zu neuen Umsatz-Ufern: KI-basierte Ökosysteme. Dieser Artikel erklärt, was KI-basierte Ökosysteme sind, zeigt, welcher Wert für Unternehmen prognostiziert wird, und gibt einen Überblick über die Auswirkungen für die Arbeit von Marketingverantwortlichen und Werber:innen.
2.1
KI ist in Wirtschaft und Marketing angekommen – nur noch nicht bei allen
KI ist in der Wirtschaft angekommen: Sieben der zehn nach Marktkapitalisierung größten Unternehmen haben ein auf Daten und KI basierendes Geschäftsmodell: Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia, Meta (Facebook) und TSMC (pwc, 2022, S. 17). Nvidia und TSMC sind Zulieferer von Grafikprozessoren und Halbleitern. Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon und Meta generieren Umsatz nicht primär damit, etwas Physisches herzustellen, sondern mit dem systematischen Sammeln von Userdaten und deren Auswertung mittels KI. Diese Insights über die Bedürfnisse und Verhaltensmuster potenzieller Kund:innen verkaufen sie dann an ihre Geschäftspartner oder nutzen sie selbst. Deshalb wird allgemein gesagt, Daten seien „das Öl des 21. Jahrhunderts“, eine Aussage, die dem Tesco-Manager Clive Humby 2006 zugeschrieben wird. Wenn C. Bünte (B) Kaiserscholle GmbH, SRH Berlin University of Applied Science, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_2
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Martech, also Marketingtechnologie das Nutzen von Software auf Basis von Algorithmen zum Optimieren der Marketingaktivitäten ist, dann ist KI eine nächste Ausbaustufe dieser Martech. KI basiert auch auf Algorithmen, aber KI lernt, verbessert also den eigenen Algorithmus. Eine Martech-Software, die von KI unterstützt wird, wird also im Laufe der Nutzung immer besser. KI entwickelt sich dabei in bisher nicht gekannter Geschwindigkeit zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor: Das McKinsey Global Institute (MGI) (McKinsey & Company, 2018a, b) prognostizierte im Jahr 2018 global bis 2030 einen durchschnittlichen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 1,2 Prozentpunkte pro Jahr allein durch KI – ein beeindruckender Einfluss einer einzigen Technologie auf das BIP. Die Dampfmaschine brachte es seinerzeit auf 0,3, Industrieroboter auf 0,4 und Informations- und Kommunikationstechnologien auf 0,6 Prozentpunkte. Durch Corona ist die Akzeptanz digitaler Angebote noch gestiegen, es ist damit zu rechnen, dass sich KI ggf. sogar noch schneller durchsetzt, als von McKinsey angenommen. Das Potenzial von KI ist klar erkannt: 50 % aller Unternehmen weltweit wenden KI in wenigstens einem ihrer Businessunits an (Chui et al., 2022, S. 3). Und 90 % der Marketingmanager:innen und Werber:innen in D-A-CH sagen, KI sei wichtig für Unternehmen, 92 % attestieren KI eine hohe Wichtigkeit im Marketing. Fast zwei Drittel nutzen KI, mit steigender Tendenz (Bünte, 2023). Aber KI hat sich längst noch nicht als Standard durchgesetzt: 50 % der weltweit von McKinsey befragten Unternehmen nutzen KI trotz der wahrgenommenen Fähigkeiten noch nicht in einer ihrer Geschäftsbereiche (Chui et al., 2022, S. 3). Nur rund 12 % der befragten Marketingmanager:innen in D-A-CH nutzen KI täglich für die Arbeit – obschon es deutliche Hinweise für eine Beschleunigung der KI-Nutzung gibt (Bünte, 2023).
2.2
Die Unternehmen, die KI einsetzen, sind schon unterwegs zu neuen Wachstums-Ufern – in sogenannten digitalen Ökosystemen
Das ist auch höchste Zeit, denn diejenigen Unternehmen, die KI als Grundlage für ihr Geschäftsmodell nutzen, zünden bereits die nächste Stufe, sogenannte digitale Ökosysteme, um aus Daten und KI noch mehr Geschäft zu generieren. Dabei könnten sie zum Gatekeeper für andere Unternehmen werden, ähnlich wie seinerzeit Google für die OnlineSuche von Unternehmen und Amazon für den Verkauf. Dabei gilt nach wie vor: Wer hier nicht präsent ist, verliert substanziell an Sichtbarkeit und Umsatz. Digitale Ökosysteme könnten dieselbe Wirkung haben. Facebook, Amazon, Google, Apple und Co. erweitern ihre Angebote massiv in Richtung Plattform-Ökosysteme: Apple beispielsweise trat bereits 2014 mit Apple Pay in den Finanzsektor ein, Google kaufte 2019 Looker, ein Unternehmen für Cloud Computing und
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Big Data (Cohan, 2019) und Amazon bietet schon seit langer Zeit Cloud-Services an – eine von über 40 Leistungen von Tochtergesellschaften neben Amazons traditionellem Kerngeschäft, dem Versandhandel (Talin, 2021). Und Microsoft finanziert u. a. auch Open AI, das neben Dall-e auch ChatGPT entwickelt. Diese Erweiterung des Geschäftsfeldes ist kein Phänomen der USA. Der Blick nach China zeigt eine noch größere Dynamik: Digitale Ökosysteme wachsen hier besonders schnell, Beispiele sind etwa WeChat mit inzwischen 1,29 Mrd. monatlich aktiven Nutzer:innen (Tencent, 2022) und Alibaba im Konsumgüterbereich. Vergleicht man die aktuellen Finanzdaten von Amazon und Alibaba, so hat Alibaba zwar nur 15,9 % der Mitarbeitenden, die Amazon beschäftigt (255.000 vs. 1.608.000), generiert damit aber 29,3 % des Profits von Amazon (9,8 Mrd. US-Dollar vs. 33,4 Mrd. US-Dollar) (Amazon, 2022). Daraus ergibt sich eine rund doppelt so hohe Profitmarge. Natürlich sind diese reinen Finanzvergleiche mit Vorsicht zu genießen, weil sie z. B. Investitionen nicht mitberücksichtigen. Auch ist nicht klar, wie sich das Kräfteverhältnis durch die verlängerten Corona-Lockdowns in China auf die Umsatzzahlen auf längere Sicht auswirken wird. Zumindest lässt sich festhalten, dass digitale Ökosysteme weder ein US-amerikanisches noch ein chinesisches, sondern ein Weltwirtschaftsthema sind. Digitale Ökosysteme werden bis 2030 viele Industrien beeinflussen. McKinsey prognostizierte, dass bis 2030 weltweit über 70 Billionen US-Dollar über digitale Ökosysteme umgesetzt werden (Hariharan et al., 2021), das sind 25 % des weltweiten Verkaufs 2025. Der Anteil von B-to-C beträgt dabei 26 %, der von B-to-B 45 %, der im Bereich Public Service (Gesundheit, Education etc.) 29 % (Quelle: eigene Analyse auf Basis der Zahlen in (Hariharan et al., 2021) und geht damit über viele Branchen hinweg (siehe Abb. 2.1).
Plattform-Ökosysteme entstehen entlang vieler Industrien B2C 26.0% Bis 70 Billionen US-$ Umsatz vorhergesagt (2030)
45.0% B2B
29.0% Public Quelle: Eigene Kalkulation auf Basis McKinsey & Company Studie 2021
Abb. 2.1 Plattform-Ökosysteme entstehen entlang vieler Industrien. (Eigene Darstellung)
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C. Bünte
BCG befragte dazu 91 deutsche Unternehmen (Bhatnagar et al., 2021). Ein Viertel der Unternehmen gab an, dass digitale Ökosysteme innerhalb von drei Jahren mehr als 60 % des Umsatzes in ihrer Branche ausmachen werden, und etwa 30 % der Unternehmen erwarteten, dass sich digitale Ökosysteme in dieser Zeit um mindestens 25 % auf den Jahresgewinn auswirken werden. Dazu die Autor:innen der Studie: „Unabhängig davon, ob Ihr Unternehmen groß oder klein ist, wird der Aufbau oder der Beitritt zu einem oder mehreren digitalen Ökosystemen in praktisch jeder Branche schnell von einer optionalen zu einer zwingenden Notwendigkeit“ (Bhatnagar et al., 2021). Es lohnt sich also, sich digitale Ökosysteme näher anzusehen.
2.3
Was ist ein digitales Ökosystem und warum ist es so vielversprechend?
Der Begriff ist noch nicht vollständig definiert. Es gibt Plattform-Ökonomie, PlattformÖkosysteme, digitale Ökosysteme, KI-Service-Plattform-Angebote und vieles mehr – eine sehr gute Übersicht und Diskussion zu diesem Thema findet sich bei Hofmann (Geske et al., 2021). Für diesen Artikel wird auf die Definition von Naab et al. (2020) Bezug genommen. „In einem Digitalen Ökosystem kooperieren Unternehmen und Menschen, die zwar unabhängig sind, sich von der Teilnahme aber einen gegenseitigen Vorteil versprechen. Ein Digitales Ökosystem hat in seinem Zentrum eine digitale Plattform, die diese Kooperation besonders gut unterstützt … Während es sich bei einem Digitalen Ökosystem um einen ganz konkreten Verbund von Unternehmen, Menschen und IT-Systemen handelt, ist Plattformökonomie ein grundsätzliches wirtschaftliches Prinzip, so ähnlich wie Kapitalismus zum Beispiel. Ein Digitales Ökosystem kann mit der Intention aufgebaut werden, nach den Prinzipien der Plattformökonomie zu funktionieren. Das heißt dann, dass es in einem solchen Digitalen Ökosystem um klare ökonomische Interessen geht und typischerweise mehrseitige Märkte gibt, in denen die Teilnehmer ihre Transaktionen über die Digitale Plattform abwickeln. Es gibt aber auch Digitale Ökosysteme, die nicht der Plattformökonomie zuzuordnen sind, sondern andere Ziele verfolgen, zum Beispiel Wikipedia.“ Ein digitales Ökosystem ist also immer auch eine Plattform. Auf dieser Plattform ist fast immer eine KI die Analyseform des Systems. Das liegt an der großen Datenmenge, die es zu verarbeiten gilt. Insofern kann man zusammenfassend von KI-basierten digitalen Plattform-Ökosystemen sprechen. Der Marktplatz von Amazon fällt z. B. in diese Kategorie. KI-Service-Plattformen wiederum sind dann die Services oder Produkte, die Plattform-Anbieter ihren Marktteilnehmer:innen als sogenannte Software-as-a-Service rund um einen bestimmten Service herum offerieren, etwa die Amazon Cloud. Eine gute Taxonomie für spezielle KI-Service-Plattformen für Marketinganwendungen findet sich bei Geske et al. (2021).
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Digitale Plattform-Ökosysteme basieren immer auf Daten, die mit Hilfe von in der Regel KI-unterstützter Software analysiert werden. Es sind also Algorithmen, die auf Basis der Daten lernen, die die Plattformteilnehmer:innen zur Verfügung stellen. Das Ergebnis der Analyse ist abhängig vom Ziel der Plattform. Das digitale Ökosystem von Amazon hat beispielsweise zum Ziel, Verkäufer:in und Käufer:in zusammenzubringen. Zum genau richtigen Zeitpunkt mit dem genau richtigen Angebot zum passenden Preis. Das Ökosystem von PinAn, einer Versicherung in China dagegen liefert „Matches“ im Bereich der Gesundheitsvorsorge für Dienstleister:innen und Bürger:innen. Plattform-Ökosysteme sind vielversprechend, weil sie allen Teilnehmenden Vorteile verschaffen: Der Anbieter der Plattform, z. B. Alibaba, Amazon oder Wechat, generiert Umsatz und Gewinn durch die Aufnahme von Partner:innen: Während die Fortune-500Unternehmen im Schnitt rund 20 Jahre benötigten, um eine Bewertung von einer Milliarde Dollar zu erreichen, benötigen Plattform-Ökosysteme im Schnitt nur fünf Jahre (Morvan et al., 2016). Die Marken, die Plattformen nutzen, um zu verkaufen, wie z. B. Nivea oder Covestro oder auch weniger bekannte Marken, generieren bessere Insights über die Bedürfnisse und das Verhalten dieser Kundengruppen, kleinere Marken erhalten darüber hinaus Zugang zu neuen Kundengruppen und Partnern, die sie allein nicht in diesem Umfang erreichen könnten. Die Endnutzer:innen erleben eine bessere Customer Journey dadurch, dass sie nicht nur eine spezifische Aktion durchführen können, wie etwa klassische Einzelanwendungsapplikationen es ermöglichen (Google Search, Instagram, YouTube), sondern dass ein breiteres Spektrum an Bedürfnissen in einer einzigen Anwendung durch die Plattform befriedigt werden kann (Bünte, 2020). Des Weiteren lassen sich die Angebote besser auf ihre individuellen Bedürfnisse zuschneiden. Dadurch kaufen diese Nutzer:innen hier mehr und es werden mehr Daten generiert, die durch eine KI analysiert werden können. Die Erkenntnisse daraus können allen Partnern zur Verfügung gestellt werden, die daraus besser zugeschnittene Sortiments- und Preisangebote entwickeln können. Ein Optimierungskreislauf beginnt. Es ließe sich sagen, dass die Daten das Benzin eines Ökosystems sind und KI der Motor, um es anzutreiben. Aber noch längst nicht alle Unternehmen, die sich an digitalen Ökosystemen beteiligen, sind schon erfolgreich. McKinsey analysierte bereits 2020 insgesamt 100 traditionelle Unternehmen, die Ökosystem-Strategien eingeführt haben. In dieser Gruppe gab es zwar viele Aktivitäten, aber nur wenige etablierte Unternehmen hatten bedeutende finanzielle Gewinne erzielt. Etwa die Hälfte hatte lediglich damit begonnen, mit Ökosystemen zu experimentieren, etwa über einen risikoarmen Piloten oder über eine sektorübergreifende Partnerschaft. Etwa 40 % waren weit genug gekommen, um ein Geschäft mit Umsatz zu generieren. Weniger als 10 % der etablierten Unternehmen hatten Ökosysteme aufgebaut, die eine ausreichende Größe erreicht haben, um 5 % oder mehr des Unternehmensumsatzes zu erzielen (Chung et al., 2020).
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2.4
C. Bünte
KI-basierte Plattform-Ökosysteme verändern, wie wir in Marketing und Werbung in der Zukunft arbeiten werden
Teil eines KI-basierten Plattform-Ökosystems zu sein, hat für Marketer viele Vorteile. Marketing ist die Disziplin, die von den Kund:innen her denkt. KI-basierte Systeme ermöglichen es, diese Kund:innen besser zu verstehen, weil nahezu in Echtzeit verhaltensbasierte Daten erzeugt werden, die eine KI automatisch analysiert und wertvolle Insights zur Verfügung stellt. Marketingexpert:innen können daraufhin, und teilweise heruntergebrochen auf eine Einzelperson (hier auf IP-Ebene), geeignetere Produkte, akzeptierte Preise sowie eine passgenaue Werbung zum richtigen Zeitpunkt ausspielen und damit einen höheren wirtschaftlichen Erfolg erzielen. Die Konsequenz: Um hier erfolgreich „mitspielen“ zu können, braucht man in der Marketingorganisation eine datengetriebene Herangehensweise. Expertise und Erfahrung allein reichen nicht mehr aus. Es gibt aber auch Herausforderungen: Kund:innen werden immer anspruchsvoller. Sie sind zunehmend gewohnt, perfekt auf sie zugeschnittene Angebote zu erhalten. Wer hier nicht liefert, läuft Gefahr, irrelevant zu werden (Bünte, 2020). Das Marketing entwickelt sich weg von einem Marketingprozess, der bestimmte Stufen von Consumer Insights bis Marketing ROI nacheinander abarbeitet, hin zu einem New Marketing, einem Marketing in Echtzeit, in dem alle Aufgaben nahezu gleichzeitig und ständig erledigt werden (Abb. 2.2). Durch den erhöhten Anspruch der Kund:innen und Konsument:innen werden außerdem die Aufgaben in der Werbung zunehmen, vor allem in der Strategie und der Contententwicklung. Wenn es bis vor kurzem noch ausreichte, einen jährlichen Marketingplan mit
Marketing in Echtzeit = New Marketing
© Kaiserscholle GmbH – Prof. Dr. Bünte
Abb. 2.2 Wandel im Marketing: Von Prozessschritten zum Echtzeitmarketing. (Eigene Darstellung)
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einer Kernbotschaft und wenigen Kernstories zu erstellen, sind zukünftig nahezu täglich neue Contentideen nötig, um für die Zielgruppe interessant zu bleiben. Diese Menge wird vermutlich noch zunehmen. Allein zwischen 2019 und 2020 wuchs die Anzahl der Unternehmen, die eine Content-Marketing-Strategie haben, von 77 auf 84 %, entsprechend stieg das Budget und die Anzahl der beschäftigten Contentmanager:innen. Aber auch der Erfolg der Maßnahmen stieg an (Petrova, 2021), ein Zeichen dafür, dass die Zielgruppe die Zunahme an Content mit für Unternehmen positivem Effekt honoriert. Zwar hilft hier KI auch beim Erstellen des Contents, die Passgenauigkeit in Bezug auf die Marke und die Qualität der Kreation müssen aber weiter von den eigenen Marketingexpert:innen überprüft werden (Schwab & Walter, 2019). Aber es gehen auch Aufgaben in der Werbung an die KI „verloren“. Alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden, das muss nicht immer positiv sein (Bresinsky et al., 2019). Dieser Trend hat längst begonnen, denken wir nur an Programmatic Adbuying, KI-gesteuerte Werbewirkungstests oder KI-generierte Texte (Bünte & Wecke, 2022). Digitalen Tools wie ChatGPT, Dall:e, Nightcafe, Midjourney, Neuroflash, um nur einige zu nennen, sind seit Anfang 2023 in breiter Anwendung im Marketing und in der Werbung. Damit ändert sich die Wertschöpfungskette von Werbeagenturen: Weg von wiederkehrenden Aufgaben hin zur strategischen Beratung, zum Orchestrieren und Kontrollieren der Kampagnen (Abb. 2.3). Mit insgesamt wirtschaftlich offenkundig positivem Effekt. Die größten Umsatzeffekte durch KI meldeten die von McK befragten Unternehmen 2021 in den Bereichen Marketing und Vertrieb (Chui et al., 2022, S. 6).
Veränderung der Wertschöpfung einer Werbeagentur
• Automatisierte Texterstellung • Automatisiertes visuelles Design
Consumer Insights
Kommunikationsstrategie
• Automatisierte Marktforschung • Automatisierte Consumer Insights-Analyse
Idea/Story
Kreation
• Automatisierte KampagnenErgebnisse • Automatisierte KPI-Cockpits
Campaigning
Performance Management
• Automatisierte A/B-Tests • Programmatic Ad buying • Automatisierte Vorschläge zur Budget- und Inhaltsanpassung © Kaiserscholle GmbH – Prof. Dr. Bünte
Abb. 2.3 Veränderung der Wertschöpfungskette einer Werbeagentur. (Eigene Darstellung)
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C. Bünte
Außerdem stehen allen anderen Marktteilnehmenden im Ökosystem unter Umständen dieselben Daten sowie eine ähnlich gute KI zur Verfügung. Man könnte sagen, KI zu nutzen reicht als Wettbewerbsvorteil in Zukunft nicht mehr aus, man muss mehr (relevanten Inhalt als der Wettbewerb) liefern. Das Ergebnis: Automatisierte Prozesse durch KI auf der einen Seite, neue und anspruchsvollere Aufgaben bei der Strategie sowie der inhaltlichen und kreativen Gestaltung auf der anderen Seite sowie ein Marketing in Echtzeit und das permanente Kontrollieren und Managen der KI-Inhalte.
2.5
Gleichzeitig gilt es, die Möglichkeiten von KI und digitalen Ökosystemen kritisch zu prüfen
Nicht alles, was KI und digitale Ökosysteme bieten, ist sinnvoll für die eigene Marke oder die eigenen Kund:innen. Image und Anspruch der Marke sollten zu den Partnern im Ökosystem passen und der Anspruch des Ökosystems an ethisches Wirtschaften sollte vor einer Zusammenarbeit ebenfalls überprüft werden. Daten sind eine Wirtschaftsmacht. Man sollte solche Ökosysteme auswählen oder bauen, in denen man die hier neu generierten Kundendaten selbst erhält und analysieren kann. Fremde Datensysteme bergen fremde Fehler. Kommt es zu einem Datenleck, ist das eigene Unternehmen ggf. nicht nur in seinen Prozessen, sondern auch im Image mitbetroffen, ohne den Fehler selbst zu verantworten oder beheben zu können. Der Aufbau eines digitalen Ökosystems erfordert außerdem große finanzielle Mittel, Personal und Wissen – und vor allem ausreichende Daten und Teilnehmende, die die Plattform nutzen. Nicht ohne Grund sind es vor allem die großen Tech-Firmen wie Alibaba, Amazon und Co., die in diesem Bereich tätig sind. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist es ungleich schwerer, ein eigenes System aufzubauen, wenn nicht unmöglich. KI wird schnell zur sogenannten Black Box, die Ergebnisse erstellt, deren Analyseprozess und Annahmen man nicht nachvollziehen kann. Jeder kennt die Beispiele, in denen KIs diskriminierende Bewertungen erzeugt haben, ohne dass es zunächst aufgefallen wäre (Bünte et al., 2021). Unternehmen, die mit KI arbeiten, tun daher gut daran, die Ergebnisse der KI-Analysen in den Ökosystemen, an denen sie teilnehmen, kritisch zu prüfen. Und nicht zuletzt: Eine Teilnahme an einem Plattform-Ökosystem lohnt sich langfristig nur, wenn die Mitarbeiter:innen auf die Reise mitgenommen werden. Menschen, die Angst haben, ihren Arbeitsplatz an eine KI zu verlieren oder denen die notwendigen digitalen Skills fehlen, werden nicht begeistert mithelfen, die KI erfolgreich werden zu lassen. Im Mitnehmen und Training der Mitarbeitenden liegt eine Herausforderung für alle Führungskräfte und die HR-Abteilungen.
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Fazit
KI-basierte digitale Plattform-Ökosysteme versprechen einen hohen Wachstumswert für diejenigen Unternehmen, die sich dort versuchen wollen. Diese Systeme werden einen substanziellen Einfluss auch auf die Art haben, wie im Marketing gearbeitet werden wird. Trotz der vielen Vorteile, die sie in Aussicht stellen, sollte die Implementierung und Leistung der KI mit Sinn, Verstand und einer ethischen Haltung immer wieder hinterfragt und überprüft und mit Investitionen in die digitalen Skills der Mitarbeiter:innen unterstützt werden.
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C. Bünte
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Prof. Dr. Claudia Bünte, Professur für Digital Marketing, SRH Berlin University of Applied Sciences und geschäftsführende Gesellschafterin Kaiserscholle GmbH – Center of Marketing Excellence, Berlin. Sie forscht seit langem zu künstlicher Intelligenz in der Wirtschaft und berät Unternehmen in B2B und B2C. Zuvor war sie in leitenden internationalen Positionen im Marketing u. a. bei Coca-Cola, Beiersdorf, McKinsey und Volkswagen tätig. Sie ist Autorin der Marketingpraxis-Bücher „Künstliche Intelligenz, die Zukunft des Marketings“, „Die chinesische KI-Revolution“, „Digitalisierung Made in China“ und „so geht Digital Marketing“ und zahlreicher Fachartikel in Marketing-Sachbüchern. Zudem ist sie Keynote-Speakerin auf zahlreichen Kongressen und Symposien zu diesem Zukunftsthema.
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Metaverse – Definition und Status quo Sonja Klose
und Ralf T. Kreutzer
Zusammenfassung
Der Begriff Metaverse ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Science-FictionWelt – Romane, Filme und Spiele haben sich bereits mit dem Konzept eines virtuellen Universums mit virtuellen Repräsentationen von Menschen (Avataren) befasst. Die jüngsten technologischen Fortschritte in den Bereichen Virtual und Augmented Reality sowie die immer leistungsfähigeren Endgeräte haben uns der Verwirklichung dieser immersiven, digitalen Welt nähergebracht als je zuvor. Doch was genau ist mit dem Begriff Metaverse gemeint? Welche Charakteristika machen das Metaverse aus? Und gibt es das Metaverse schon? Diese Fragen sollen mit dem folgenden Beitrag beantwortet werden.
3.1
Einleitung
Der Begriff „Metaverse“ wurde 1992 in Neal Stephensons Science-Fiction-Roman Snow Crash geprägt, wo er sich auf eine Welt der virtuellen Realität (Virtual Reality, VR) bezieht, in der Menschen als Avatare, also virtuelle Kunstfiguren, miteinander und mit virtuellen Objekten und Umgebungen interagieren können. Seitdem hat sich das Konzept des Metaverse weiterentwickelt und umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Ideen und Technologien, von der virtuellen Realität über die erweiterte Realität (Augmented Reality, S. Klose (B) · R. T. Kreutzer HWR Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] R. T. Kreutzer E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_3
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S. Klose und R. T. Kreutzer
Abb. 3.1 Suchergebnis „Metaverse“. (Google Trends, 2022)
AR) bis hin zu Online-Spielwelten und Blockchain-basierten Plattformen. „Blockchains sind fälschungssichere, verteilte Datenstrukturen, in denen Transaktionen in der Zeitfolge protokolliert, nachvollziehbar, unveränderlich und ohne zentrale Instanz abgebildet sind“ (BaFin, 2017). Obwohl es sich also nicht um einen neuen Begriff handelt, ist ein gesteigertes Interesse außerhalb des Science-Fiction-Bereichs erst knapp 30 Jahre nach dessen erster Erwähnung zu verzeichnen (Abb. 3.1). In den USA treibt insbesondere Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook und CEO von Meta Platforms, die Diskussion um das Metaverse voran: „In this next chapter of our company, I think we will effectively transition from people seeing us as primarily being a social media company to being a metaverse company. And obviously, all of the work that we’re doing across the apps that people use today contributes directly to this vision“ (Newton, 2021). Um diese Neuorientierung zu unterstreichen, wurde der gesamte Konzern in Meta Platforms umbenannt. Auch Satya Nadella, CEO von Microsoft, spricht seit einiger Zeit vom Metaverse als „the next wave of the internet“. Microsoft plant, nicht nur mit den Unternehmenslösungen Mesh, Teams und Azure im Metaverse präsent und relevant zu sein, sondern auch im Bereich Gaming. „We’re going to invest across the entire tech stack“, so Nadella (Evans, 2022). Dieses Engagement auf Unternehmensseite schlägt sich in einer intensiven Berichterstattung vonseiten der Medien nieder, welche wiederum dazu führt, dass das Thema Metaverse in den USA bereits in der Öffentlichkeit bekannt ist und dort vielfach Interesse
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und Begeisterung hervorruft. Dies zeigt eine McKinsey-Studie, innerhalb derer 1000 Privatpersonen zwischen 13 und 70 Jahren aus den USA befragt wurden. Die Untersuchung zeigt ein hohes Bewusstsein und Interesse am Metaverse über eine große Altersspanne hinweg. Die Millennials sind sich des Metaverse am ehesten bewusst: Zwei Drittel gaben an, schon einmal davon gehört zu haben. Die Hälfte der Millennials äußerte sich begeistert darüber. Die Generation Z und die Generation X folgen dicht dahinter. Knapp die Hälfte der Babyboomer kennt in den USA zumindest den Begriff Metaverse (Aiello et al., 2022). Die Situation in Deutschland sieht sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Privatpersonen ganz anders aus. Eine repräsentative Befragung des Digitalverbands Bitkom von 604 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland ergab folgendes Bild (Bitkom, 2022a): • 3 % betrachten das Metaverse „weit überwiegend als Chance“, weitere 23 % „eher als Chance“. • 33 % der Befragten meinen, „das Metaverse hat keinen Einfluss auf unser Unternehmen“. • 21 % können zum Metaverse keine Auskunft geben („weiß nicht/keine Ahnung“). • 15 % sehen Metaverse „eher als Risiko“, 5 % sogar „weit überwiegend als Risiko“. Auch bei der potenziellen Kundschaft in Deutschland ist der Begriff Metaverse nach wie vor wenig bekannt. Dieses Ergebnis wurde u. a. durch eine weitere repräsentative BitkomStudie unter 1005 Privatpersonen in Deutschland ab 16 Jahren ermittelt (Bitkom, 2022b): • Bisher haben in Deutschland erst 17 % von Metaverse gehört oder gelesen. • Im Zuge dieser Studie wurde auch eine kurze Erläuterung zum Metaverse gegeben. Im Anschluss fanden 34 % das Konzept grundsätzlich spannend. • Nach der Erklärung wären jetzt auch 37 % bereit, eine VR-Brille für den Einstieg in das Metaverse zu verwenden. • 24 % der Befragten gehen davon aus, dass sich in Zukunft weite Teile des privaten und beruflichen Lebens im Metaverse zutragen werden. • Lediglich 19 % glauben, dass das Metaverse die Menschen näher zusammenbringen wird. • Insgesamt ist das Metaverse für die große Mehrheit der Bevölkerung (konkret 81 %) eine noch weit in der Zukunft liegende Vorstellung. • 42 % halten das Thema Metaverse sogar nur für einen vorübergehenden Hype. Diese Ergebnisse zeigen: Wer sich mit dem Metaverse intensiver beschäftigen möchte, sollte den Blick vor allem in Richtung USA lenken. Dort ist früher mit interessanten Entwicklungen zu rechnen.
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3.2
S. Klose und R. T. Kreutzer
Was ist das Metaverse?
Was genau sich hinter dem Begriff Metaverse verbirgt, wird in Wissenschaft und Praxis unterschiedlich definiert und diskutiert. Schaut man sich zunächst die etymologische – also die herkunftsbezogene – Bedeutung des Begriffs an, so setzt sich Metaverse (auch Metaversum) aus dem griechischen Präfix „meta“ (über) und „verse“ bzw. „versum“ (universe/universum) zusammen. Eine Welt „über“ unserer Welt ist also gemeint – oder, um im Jargon der Science Fiction zu bleiben: eine neue Dimension. Mit Metaverse wird ganz grundsätzlich die zukünftige Ausgestaltung des Internets beschrieben, die auf eine intensive und fast grenzenlose Verbindung zwischen der physischen und der digitalen Welt setzt. In der Literatur existieren bereits einige Annäherungen an den Begriff Metaverse, die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen: • Ball (2022): „The Metaverse is a massively scaled and interoperable network of realtime rendered 3D virtual worlds that can be experienced synchronously and persistently by an effectively unlimited number of users with an individual sense of presence, and with continuity of data, such as identity, history, entitlements, objects, communications, and payments.“ • BVDW (2022): „Die ultimative Vision des Metaverse ist ein dezentralisiertes, interoperables, beständiges und mit allen Sinnen wahrnehmbares, digitales Ökosystem mit unbegrenzter Nutzerkapazität. Es wird sowohl in einer erweiterten (AR) als auch in einer rein virtuellen Realität (VR) mit der physischen Welt koexistieren. Das voll entwickelte Metaverse wird mit dem realen Leben verschmelzen und unsere Gesellschaft und die Art und Weise, wie wir uns vernetzen, miteinander arbeiten, leben und mit Marken interagieren, grundlegend verändern.“ • Dwivedi et al. (2022): „The Metaverse has been described as a new iteration of the internet that utilises VR headsets, blockchain technology and avatars within a new integration of the physical and virtual worlds.“ • Hennig-Thurau et al. (2022): „The ‘metaverse’ [is] a new computer-mediated environment in which people act and communicate with each other in real-time via avatars in virtual ‘worlds’ […]“ • Rauschnabel (2022): – „Vision der Weiterentwicklung des heutigen Internets hin zu einem dezentralisierten, persistenten, interoperablen und dreidimensionalen Internet, welches Eigenschaften von Gesellschaften widerspiegelt (bspw. Handel, Währungen, Präsenz von Menschen in Form von Avataren) – Zugang über XR – [Stand heute] existiert diese Form noch nicht – Aktuelle „Vorläufer“ beschränken sich häufig auf die Präsenz von Menschen in virtuellen Welten“
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Abb. 3.2 Charakteristika des Metaverse. (Eigene Darstellung)
Metaverse
Analysiert man diese Annäherungen und Definitionen, so lassen sich bereits die in Abb. 3.2 zusammengefassten Charakteristika des Metaverse identifizieren. Immersion bedeutet so viel wie „Eintauchen“ – in diesem Fall in eine virtuelle Welt. Wird für dieses Eintauchen ein Endgerät wie ein VR-Headset benutzt, so tritt das Bewusstsein der Nutzenden gegenüber der realen Umgebung zugunsten der virtuellen Umgebung in den Hintergrund. Mit Virtual Reality (VR) gelingt eine komplette Immersion und damit eine vollständige Erfahrung in einer virtuellen 3D-Welt. Mit Augmented Reality (AR) hingegen werden virtuelle 3D-Objekte in die reale Welt geholt. Auch diese können Ableger bzw. Inhalte des Metaverse sein (Bitkom, 2022c, S. 14). Die ortsunabhängige Interaktivität kann in Quasi-Echtzeit erfolgen. Zwar verwenden viele der analysierten Metaverse-Definitionen den Begriff Echtzeit, allerdings ist das nicht ganz korrekt. Für Interaktionen in Echtzeit würde neben einer für alle verfügbaren riesigen Bandbreite auch eine Latenz von 0 benötigt. Der Begriff Latenz bedeutet Reaktionszeit und beschreibt die Zeitspanne, die zwischen einer Aktion und dem Eintreten einer sichtbaren Reaktion liegt. Eine Latenzzeit von 0 ist nach dem heutigen Stand der Technik nicht möglich. Aus diesem Grunde verwenden wir den Begriff Quasi-Echtzeit. Durch die Synchronität bestehen keine Grenzen mehr für eine zeitgleiche Nutzung durch eine Vielzahl von Menschen. Wie das Internet muss das Metaverse hypothetisch in der Lage sein, jedem Teilnehmenden Zugang zu gewähren, ohne die Anzahl der Personen, Erfahrungen oder Welten zu begrenzen. Diese unbegrenzte Kapazität umfasst die Verfügbarkeit von Zugangspunkten, Anmeldeservern und den Speicher für alle benutzerspezifischen Daten (BVDW, 2022). Mit Persistenz wird beschrieben, dass das Metaverse und die eigene Account-Historie unabhängig von einzelnen Personen oder Unternehmen bestehen.
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S. Klose und R. T. Kreutzer Beispiel
Die analoge Welt ist zu 100 % persistent. Das bedeutet, dass es keinen Reset gibt, sobald man einen Ort verlassen hat oder eine bestimmte Zeitspanne vergangen ist. Das einmal erworbene Unidiplom behält z. B. seine Gültigkeit unabhängig von Zeit und Raum. Viele der heutigen Ausprägungen des Proto Metaverse, also der Vorläufer oder Prototypen eines Metaverse, sind allerdings noch nicht persistent. Sie resetten sich vielmehr ganz oder teilweise nach einer bestimmten Zeitspanne. Dies dient der Datenreduktion und der Vereinfachung des Rendering, also der Erzeugung grafischer 3D-Objekte aus Rohdaten. Für die weitere Entwicklung des Metaverse wird die Persistenz von zentraler Bedeutung sein. Warum? Weil die Nutzenden ihre bezahlten Assets wie digitale Ausrüstung für den eigenen Avatar, aber auch kostenpflichtig erworbene Weiterbildungszertifikate nicht beim nächsten Update verlieren wollen. Ein zentrales Element vieler Definitionen ist die Interoperabilität. Das bedeutet bspw., dass das Outfit, welches für einen Avatar in Roblox erworben wurde, auch in Fortnite, in Minecraft, in Decentraland getragen, verliehen oder verkauft werden kann. Die Interoperabilität ist aber nicht nur für Avatar-Outfits wichtig. Erst eine umfassende Interoperabilität erlaubt es, dass auch die komplette virtuelle Identität von der einen in die andere Welt „mitgenommen“ werden kann. Es geht also um eine Art Meta-Identität analog zu unseren physischen Pässen. Darüber hinaus spielt die hardwarespezifische Interoperabilität eine wichtige Rolle. Die Nutzenden sollten in der Lage sein, alle Erfahrungen unabhängig vom eingesetzten Gerät zu sammeln (BVDW, 2022). Die Dezentralität verdeutlicht, dass das Metaverse geräte- und organisationsunabhängig ist und folglich auch niemandem „gehört“. Es geht um die Übertragung von Kontrolle und Entscheidungsfindung von einer zentralisierten Einheit, etwa einer Einzelperson oder einer Organisation, auf ein verteiltes Netzwerk wie bspw. eine dezentralisierte autonome Organisation (DAO). Dabei handelt es sich um eine kollektive Einheit, die den Mitgliedern der Gemeinschaft gehört und von ihnen betrieben wird. Die Gelder werden hierbei in ihrer eigenen Kasse aufbewahrt und durch intelligente Verträge geregelt. Es gibt keine zentrale Autoritätsperson innerhalb der Organisation. Entscheidungen werden über Vorschläge und Abstimmungen getroffen. Dezentral bedeutet somit, dass Inhalte im Metaverse von einzelnen Nutzenden erstellt, besessen und organisiert werden und es keine zentrale Gestaltungsmacht gibt (BVDW, 2022). Das Metaverse ist ein soziales System, in dem sich Menschen begegnen und miteinander und mit Organisationen agieren können – und das weit über Spiele hinaus. Bisher ging es eher um technische Aspekte des Metaverse. Doch sollten wir uns vor allem darauf konzentrieren, was Menschen zur Nutzung eines Metaverse treibt: Nicht, dass etwas technisch machbar ist, sondern der individuelle Nutzen ist das Motiv für ein Mitwirken
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im Metaverse. Nur wenn das Metaverse verspricht, menschliche Bedürfnisse zu erfüllen, wird es auch genutzt werden. Aus den vorgestellten Charakteristika extrahieren wir die folgende – vorläufige – Definition für das Metaverse (Kreutzer & Klose, 2023). Das Metaverse als eine nächste Evolutionsstufe des Internets ist ein interoperables, dezentrales und persistentes Netzwerk aus virtuellen, in Quasi-Echtzeit aus Rohdaten entwickelten dreidimensionalen Welten, welches einer beliebig großen Menge an Nutzenden ermöglicht, dort synchron mit ein und derselben Identität wie auch mit mehreren Identitäten ein virtuelles Leben in all seinen Facetten (Arbeit, Urlaub, Kultur, Bildung, Freundschaften, Beziehungen etc.) zu führen. Der Begriff Metaverse wird teilweise synonym mit dem Begriff Web 3.0 verwendet. Hier ist jedoch eine Abgrenzung nötig. Für das Web 3.0 existieren zwei Definitionsansätze (Bitkom, 2022c, S. 11–12): • Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, definiert das Web 3.0 als semantisches Internet. Die Daten sollen hier für Computer und Menschen gleichermaßen les- und interpretierbar sein. So können relevantere und auf die Person zugeschnittene Ergebnisse geliefert werden. Mit dem verstärkten Einsatz der Künstlichen Intelligenz wird das Web 3.0 stärker personalisierte Interaktion ermöglichen. Weiterhin setzt auch Berners-Lee mittlerweile mit dem Begriff Web 3.0 auf Dezentralität, allerdings nicht auf die Blockchain-Technologie (Macaulay, 2022). • Gavin Wood, Mitbegründer der Ethereum Blockchain, spricht beim Web 3.0 von einem dezentralen Internet. Dieses wird nicht mehr von wenigen Plattformen bestimmt. Stattdessen nutzt es die Blockchain. Zentral für dieses Konzept sind eine Token-basierte Wirtschaft (unter anderem mit Non-fungible Tokens), dezentralisierte autonome Organisationen (DAOs), das dezentrale Finanzwesen (DeFi) sowie selbstbestimmte Identitäten. Laut Ball (2022, S. 58) handelt es sich sowohl bei Web 3.0 als auch beim Metaverse um „Nachfolgemodelle“ des Internets, wie wir es heute kennen. Es gibt aber auch Unterschiede. Das Web 3.0 benötigt nicht zwingend in Echtzeit gerenderte 3D-Welten oder synchrone Erlebnisse. Das Metaverse wiederum erfordert nicht zwingend eine Dezentralisierung oder den Einsatz der Blockchain-Technologie. Insgesamt geht Ball davon aus, dass sich beides gleichzeitig entwickeln wird und die Prinzipien des Web 3.0 zentral für die Entwicklung des Metaverse sein werden. Das Metaverse kann also an beide Web-3.0-Vorstellungen anknüpfen (Bitkom, 2022c, S. 12).
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3.3
S. Klose und R. T. Kreutzer
Proto Metaverse
Nachdem der Begriff Metaverse definiert wurde, stellt sich die Frage, ob es heute schon existiert. Laut Rauschnabel (2022) handelt es sich zunächst um eine „Vision der Weiterentwicklung des heutigen Internets“. Gleichwohl lassen sich bereits einige Vorläufer oder Prototypen, das sog. Proto Metaverse, identifizieren. Technologisch wird das Proto Metaverse von der Spieleindustrie getrieben: „If web developers are the architects of the internet as we know it (Web 2.0), then game developers are the architects of the metaverse – Web 3.0“, so Ryan Gill, CEO und Gründer von Crucible (Newzoo, 2021). Doch gibt es bereits seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bedeutsame Schritte in Richtung Metaverse – allerdings aus dem Bereich der Science Fiction. Die Werke aus Gaming, Literatur und Film machen sichtbar, wie sich verschiedene Trends gegenseitig verstärken und aufeinander aufbauen: • 1978: MUD1, die erste virtuelle Multiplayer-Echtzeitwelt, erscheint. • 1982: Tron ist einer der ersten Filme, der die digitale Realität vorstellt. • 1984: Der Roman Neuromancer macht die Begriffe „Cyberspace“ und „Cyberuser“ populär. • 1992: Der Roman Snow Crash von Neal Stephenson prägt den Begriff „Metaverse“, ein auf der virtuellen Realität basierender Nachfolger des Internets. • 1999: Der Film Matrix zeigt die Menschheit in einer virtuellen Realität. • 2003: Second Life erscheint, die erste Plattform, die es den Nutzenden ermöglicht, in einer virtuellen Welt zu „leben“. • 2006: Start von Roblox, eine Plattform für Multiplayer-Spiele, die im Februar 2022 mehr als 66 Mio. täglich aktive Nutzende hatte. • 2012: The Sandbox erscheint, in dessen erster Version pixelartige Welten geschaffen werden konnten. • 2015: Decentraland wird in der ursprünglichen Version als gepixeltes Raster veröffentlicht. • 2017: Fortnite von Epic Games erscheint als Battle Royale. • 2018: Der Film Ready Player One kommt heraus und stellt eine vollwertige virtuelle Welt namens „The Oasis“ vor, basierend auf einem Buch aus 2011. • 2021: Facebook wird zu Meta und strebt ein Metaverse-Ökosystem an. • 2022: Meta und Microsoft verkünden ihre Kooperation und bringen Teams, Office und Xbox Cloud-Gaming ins Metaverse. Schaut man sich weltweit nach aktuellen Entwicklungen in Richtung Metaverse um, so findet man vor allem in den USA und im asiatischen Raum viele Beispiele. In den USA liegt der Schwerpunkt der Angebote in den Bereichen Wirtschaft, Gaming, Kunst und Soziales. In China gibt es einen großen Markt und (noch) starke Internet-Unternehmen, die nach und nach die Bereiche Wirtschaft, Gaming und Kunst in das Proto Metaverse
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eingeführt haben. Japan konzentriert sich auf die Anwendungsbereiche Animation und Gaming. In Südkorea wird das Thema Metaverse stark von der Regierung getrieben. In Deutschland und Italien sind primär Luxusmarken aktiv, die Kundschaft für virtuelle Produkte gewinnen möchten (Ning et al., 2021). Nachfolgend werden einige der heute bereits nutzbaren Plattformen des Proto Metaverse genauer vorgestellt. Abb. 3.3 führt hierfür die Nutzerzahlen ausgewählter ProtoMetaverse-Angebote zusammen (Ebert et al., 2022, S. 13). Der Fokus dieser Angebote liegt auf einem Kontinuum zwischen Gaming und sozialer Interaktion. Zwei der Plattformen basieren auf Blockchain-Technologie, bei drei der Angebote ist ein Zugang über VR-Headsets zumindest möglich.
Gaming Fokus
Horizon Worlds In den USA und Kanada hat Meta Ende 2021 die sogenannten Horizon Worlds für alle über 18-Jährigen kostenlos eröffnet. Hier sollen nicht nur soziale VR-Interaktionen erlebt, sondern soll auch gemeinsam geforscht und gearbeitet werden. Das Ziel von Meta ist es, einen VR-Raum mit den besten Tools für Developer bereitzustellen, um gemeinsam Welten zu kreieren, zu erschaffen und zu erkunden. (Meta, 2021a). Mit Horizon Workrooms stellt Meta einen kollaborativen Anwendungsfall des Metaverse vor. Hierfür wurde eine Plattform erschaffen, die es Menschen ermöglicht, in einem virtuellen Raum zusammenzuarbeiten (Meta, 2021b). In diesen Räumen können alle Aktivitäten
Fortnite Roblox
Minecraft
The Sandbox
Decentraland
Sozialer Fokus
Horizon Worlds
Zugang über VR üblich Second Life
Zugang über VR möglich, aber unüblich Teilweise basierend auf der Blockchain-Technologie Kein Zugang über VR, nicht basierend auf BlockchainTechnologie
0 – 5 Mio.
5 – 50 Mio.
> 50 Mio.
Monatlich Nutzende – keine maßstabsgetreue Darstellung
Abb. 3.3 Monatlich aktive Nutzende ausgewählter Plattformen. (Eigene Darstellung)
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stattfinden, die auch in physischen Meetings möglich sind. Seit Herbst 2022 kooperiert Meta in diesem Projekt mit Microsoft. Hierdurch sollen Anwendungen wie Teams, Office und Windows in die Horizon Workrooms integriert werden. Das Prinzip der Horizon Workrooms gestaltet sich ähnlich wie bei bereits bekannten Kollaborationslösungen wie Zoom, Teams etc. – Personen können unabhängig von ihrer geografischen Position kooperieren. Die Besonderheit ist hier die Immersion durch die virtuelle Umgebung und die Interaktion der Nutzenden als Avatare. Dies führt zu einem hohen Level an erlebter sozialer Präsenz, welche wiederum die Interaktionen, die Leistung sowie die emotionalen Reaktionen positiv beeinflusst (Hennig-Thurau et al., 2022, S. 9). Decentraland Decentraland ist eine dezentralisierte 3D-VR-Plattform, die auf der Ethereum Blockchain basiert und die virtuelle Währung MANA nutzt. Die Plattform besteht aus mehreren tausend Parzellen virtuellen Landes. Mitglieder können mit MANA LAND kaufen, einen nicht-fungiblen (non-fungible) Token (NFT). Ein NFT ist eine Art Echtheits-Zertifikat für digitale Objekte. „Non-fungible“ steht für „nicht austauschbar“. Der Kern eines NFTs ist ein geschützter Hinweis auf eine bestimmte digitale Ressource. Das Eigentum an LAND stellt das Eigentum an einem Stück der virtuellen Welt dar (Decentraland, 2022). Um den eigenen Avatar in Decentraland zu erschaffen und auszustatten, kann auf verschiedene kostenfreie und kostenpflichtige Angebote zugegriffen werden. The Sandbox Bei The Sandbox können verschiedene 3D-Welten bereits wie in einem Metaverse nebeneinander bespielt werden. Hierbei werden wiederum verschiedene NFTs eingesetzt. Wer bspw. LAND als NFT besitzt, kann mit Nachbarn kooperieren und auf dem eigenen Grundstück (kostenpflichtige) Leistungen anbieten, das LAND also monetarisieren. Verschiedene Marken sind hier bereits Partnerschaften eingegangen. Auch Prominente wie Paris Hilton oder Snoop Dogg haben Grundstücke bzw. Präsenzen in The Sandbox erworben. Neben LAND können in The Sandbox auch verschiedenste digitale Assets – also virtuelle Gegenstände – gekauft werden, um die eigenen Avatare auszustatten. Für finanzielle Transaktionen wird im Sandbox-Ökosystem die virtuelle Währung SAND eingesetzt, ein Token, der ebenfalls auf der Ethereum Blockchain basiert. Second Life Virtuelles Land, virtuelle Filialen, virtuelle Fahrzeuge, virtuelle Markenpräsenzen, virtuelle Modenschauen – dies alles gab es schon einmal. 2007 war der Höhepunkt des Second Life Hypes. Was ist daraus geworden? Second Life gibt es immer noch – mit hunderttausenden aktiven Nutzenden (Abb. 3.2). Allerdings hat Second Life bestimmte technologische Entwicklungen insbesondere im Bereich VR nicht mitgemacht. Die Einstiegsbarrieren in die Community und für das Erschaffen von Inhalten sind im Vergleich zu anderen Plattformen relativ hoch. Second Life ist deshalb heute zwar immer noch ein Wettbewerber am Markt
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der Metaverse-Plattformen, aber weder der größte noch der wichtigste (Ebert et al., 2022, S. 6). Roblox Roblox bietet Spieleentwicklerinnen und -entwicklern sowie Spielenden einen offenen Zugang, um neue Spiele und digitale Erlebnisse in der Welt selbst zu schaffen. Es handelt sich also nicht um ein einzelnes Spiel, sondern um eine Sammlung von mehr als 50 Mio. Spielen, die alle von der Spielergemeinschaft, den Creators, erstellt wurden. Alle Nutzenden können ein Spiel oder eine Experience in Gestalt von virtuellen Räumen für Roblox erstellen. Laut Unternehmen gibt es mehr als zwei Millionen Creators, was etwa 2 % der Spielenden entspricht. Die beliebtesten Spiele werden von bis zu 100.000 Personen gleichzeitig gespielt (The Guardian, 2019). Die virtuelle Währung bei Roblox sind Robux. Roblox wurde bereits 2006 offiziell gestartet und ist seitdem stetig gewachsen. Im Jahr 2022 wurde die Plattform täglich von über 22 Mio. Menschen auf der ganzen Welt genutzt. Pro Monat sind es inzwischen über 220 Mio. aktive Spielende (ActivePlayer, 2022). Fortnite Fortnite ist eine Plattform, die ebenfalls viele unterschiedliche Optionen bietet. Es gibt dort tausende verschiedener Spiele, die zum Teil von Epic Games, zum Teil aber auch von Creators der Community erschaffen wurden. Fortnite hat mehr als 20 Mio. täglich aktive Nutzende (Daily Active Users, DAUs). Innerhalb der Fortnite-Welt werden auch Veranstaltungen wie Konzerte veranstaltet – mehr als 27 Mio. Menschen haben im April 2020 bspw. einen Auftritt von Travis Scott besucht. Zwischen 2018 und 2020 hat Fortnite mehr als 14 Mrd. US-Dollar an Transaktionen generiert (Elmasry et al., 2022, S. 19). Fortnite ist zum Teil kostenfrei spielbar, eine besondere Variante hingegen lässt sich nur kostenpflichtig über den Epic Games Store beziehen. Abgesehen davon setzt Fortnite auf Mikrotransaktionen. Mit der virtuellen Währung V-Bucks können bspw. Skins oder Tänze erworben werden. Zurzeit (Q1 2023) sind 1000 V-Bucks für 7,99 e im Epic Games Store zu haben. Minecraft Menschen jeden Alters verabreden sich in Minecraft, um gemeinsam zu spielen oder Objekte zu bauen. Mittlerweile wurden bspw. Taschenrechner, Game Boys, PCs, sogar ganze Bahnhöfe in Minecraft nachgebaut. Dies als reine Spielerei abzutun, greift zu kurz. Befragt man bspw. Jugendliche zu ihren Bauten in Minecraft, dann sprechen sie mit Stolz über ihr Werk, denn es steckt echte Arbeit darin – auch wenn es sich „nur“ um virtuelle Welten handelt. Man kann den Schöpfer- und Urhebergeist förmlich greifen. Daher passt der Begriff Creator hier besonders gut (Bitkom, 2022c, S. 6). In einer Partnerschaft von Minecraft und BBC Earth wurde Minecraft Frozen Worlds entwickelt. Dabei handelt es sich um fünf Minecraft-Welten, die den vereisten Gebieten unseres Planeten entsprechen. Das mitgelieferte pädagogische Begleitmaterial ermöglicht es Lehrkräften, den Kindern das Leben in diesen Welten aus der Perspektive der dort lebenden Tiere zu vermitteln (Minecraft, 2022).
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Diese heutigen Ausprägungen des Proto Metaverse verdeutlichen bereits, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, sollten alle der eingangs beschriebenen Charakteristika des Metaverse tatsächlich umgesetzt werden. Alle Plattformen bieten die Möglichkeit der sozialen Interaktion – das Charakteristikum „soziales System“ ist also erfüllt. Einige Plattformen bieten auch bereits immersive Erlebnisse – insbesondere beim Zugang über ein VR-Headset. In den Bereichen Quasi-Echtzeit, Synchronität und Persistenz sind Weiterentwicklungen der existierenden Infrastruktur und Hardware notwendig. Die Interoperabilität sowie die Dezentralität wären technisch umsetzbar (und werden teilweise auch umgesetzt, bspw. in Decentraland). Hier wird es spannend zu beobachten, ob diese Charakteristika von den großen Playern, die sich zurzeit mit dem Metaverse befassen, auch umgesetzt werden wollen. Denn aus unternehmensstrategischen Gründen haben Alphabet, Apple, Meta, Microsoft etc. in der Vergangenheit auf in sich geschlossene Systeme, sog. „walled gardens“, gesetzt. Die im Herbst 2022 angekündigte Kooperation zwischen Meta und Microsoft zeigt jedoch erste vorsichtige Schritte in Richtung Interoperabilität.
Fazit
Der Begriff Metaverse war fast 30 Jahre lediglich Science-Fiction-Fans bekannt. Seitdem Mark Zuckerberg seinen Facebook-Konzern in Meta Platforms umbenannte, hat sich dies – zumindest in den USA – verändert. Gleichwohl besteht auch in der wissenschaftlichen Community noch kein gemeinsames Verständnis des Begriffs. Dieser Beitrag soll dazu dienen, zum einen Charakteristika des Metaverse zu identifizieren, den Begriff Metaverse zu definieren und damit greifbar zu machen und die heute bereits existierenden Ausprägungen des Metaverse, das Proto Metaverse, vorzustellen. Wie das Metaverse in fünf oder zehn Jahren aussehen wird, ist momentan eine der spannendsten Fragen. Zurzeit ist das Metaverse zunächst eine Idee, eine Vision, ein Versprechen. Genau wie in den ersten Jahren des Internets ist es zu diesem Zeitpunkt schwierig vorherzusagen, welche Entwicklungen und Technologien von welchen Personen und Unternehmen in welcher Art und Weise erstellt und kombiniert werden. Das Metaverse und die damit zusammenhängenden Entwicklungen werden unsere Welt in einer noch nicht vorstellbaren Weise beeinflussen und verändern. Nicht unbedingt mit einem großen Knall, aber durch inkrementelle technologische und inhaltliche (Weiter-)Entwicklungen. Daher ist es für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen relevant, diese Entwicklungen nicht nur zu verfolgen, sondern aktiv mitzugestalten.
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Prof. Dr. Sonja Klose ist seit 2017 Marketingprofessorin sowie Trainerin, Mentorin und Coach. Darüber hinaus verfügt sie über viele Jahre Erfahrung als Marketing-Führungskraft verschiedener Berliner Start-ups aus den Bereichen Business Intelligence, InsureTech und Digital Health. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Online- und Offline-Marketing, Social Media und CRM, jeweils im B2B- und B2C-Umfeld. Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer ist seit 2005 Professor für Marketing an der HWR Berlin. Parallel ist er als Trainer, Coach sowie als Marketing und Management Consultant tätig. Zuvor war er 15 Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Bertelsmann (letzte Position Direktor des Auslandsbereichs einer Tochtergesellschaft), Volkswagen (Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft) und der Deutschen Post (Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft) tätig.
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Metaverse – Technologien, Infrastruktur und Use Cases Sonja Klose
und Ralf T. Kreutzer
Zusammenfassung
Seit einigen Jahren taucht der Begriff Metaverse immer öfter in den Medien auf. Trotzdem ist das öffentliche Interesse, vor allem in Deutschland, noch verhalten. Dabei führen aktuelle technologische Fortschritte in den Bereichen Virtual und Augmented Reality sowie eine immer leistungsfähigere Infrastruktur uns geradewegs in die „Zukunft Metaverse“. Dieser Beitrag möchte genau diese Entwicklungen beleuchten, potenzielle Use Cases aus unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen vorstellen und Orientierung und Handlungsempfehlungen für Unternehmen anbieten.
4.1
Einleitung
Den Begriff „Metaverse“ gibt es bereits seit 30 Jahren, allerdings war er lange nur Science-Fiction-Fans bekannt: Der Autor Neal Stephenson verwendete ihn 1992 in seinem Roman Snow Crash. Er beschrieb eine virtuelle Welt, in der Menschen als Avatare, also virtuelle Kunstfiguren, miteinander und mit virtuellen Objekten interagierten. Seitdem hat sich das Konzept des Metaverse weiterentwickelt und umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Ideen und Technologien, und auch das Interesse in Wissenschaft und Unternehmenspraxis wächst.
S. Klose (B) · R. T. Kreutzer HWR Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] R. T. Kreutzer E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_4
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Das Metaverse zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus (vgl. dazu vertiefend Kreutzer & Klose, 2023): • Immersion: Menschen können in eine dreidimensionale virtuelle Welt bzw. eine Kombination aus analoger und virtueller Welt mittels erweiterter Realität (Extended Reality, XR) und Avataren „eintauchen“. • Quasi-Echtzeit: Ortsunabhängige Interaktionen mit geringer Latenz sind möglich. Der Begriff Latenz bedeutet Reaktionszeit und beschreibt die Zeitspanne, die zwischen einer Aktion und dem Eintreten einer sichtbaren Reaktion liegt. • Synchronität: Es gibt keine Grenzen für eine zeitgleiche Nutzung durch eine Vielzahl von Menschen. Diese können am selben Ort des Metaverse gleichzeitig interagieren. • Persistenz: Das Metaverse und die eigene Account-Historie existieren unabhängig von einzelnen Organisationen oder Unternehmen. • Interoperabilität: Einzelne Ausprägungen des Metaverse (bspw. Avatare oder virtuelle Güter) können in verschiedenen Systemen eingesetzt werden. • Dezentralität: Das Metaverse ist geräte- und organisationsunabhängig und „gehört“ folglich auch niemandem. • Soziales System: Im Metaverse interagieren Menschen miteinander und mit Organisationen – und das weit über Spiele hinaus. Aus den vorgestellten Charakteristika extrahieren wir die folgende – vorläufige – Definition für das Metaverse (Kreutzer & Klose, 2023). Das Metaverse als eine nächste Evolutionsstufe des Internets ist ein interoperables, dezentrales und persistentes Netzwerk aus virtuellen, in Quasi-Echtzeit aus Rohdaten entwickelten dreidimensionalen Welten, welches einer beliebig großen Menge an Nutzenden ermöglicht, dort synchron mit ein und derselben Identität wie auch mit mehreren Identitäten ein virtuelles Leben mit all seinen Facetten (Arbeit, Urlaub, Kultur, Bildung, Freundschaften, Beziehungen etc.) zu führen.
4.2
Technologien für das Metaverse
4.2.1
Augmented und Virtual Reality
Wenn es um Immersion, also das Eintauchen in Welten außerhalb der oder ergänzend zur physischen Umgebung geht, fällt oftmals der Begriff „erweiterte Realität“. Die verschiedenen Ausprägungen der erweiterten Realität werden in der Literatur teilweise unterschiedlich definiert. Als Oberbegriff wird häufig die Abkürzung XR genannt – meist als Extended Reality zu verstehen, welches wiederum der Oberbegriff für Augmented Reality (AR), Mixed Reality (MR) und Virtual Reality (VR) ist.
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
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XR
Ja
Ist die physische Umgebung zumindest visuell Teil der Erfahrung?
Nein
AR
VR
AR-Kontinuum
Assisted Reality
Lokale Präsenz
VR-Kontinuum Atomistische Virtual Reality
Mixed Reality
Technologie
Inhalte
Telepräsenz
Holistische Virtual Reality
Nutzer
Abb. 4.1 XR Framework. (Quelle: Rauschnabel et al., 2022)
Abb. 4.1 ordnet diese Begriffe auf Basis von Rauschnabel et al. (2022, S. 6) ein. Das wichtigste Unterscheidungskriterium zwischen AR und VR ist die Frage, ob die physische Umgebung zumindest sichtbar bleibt und Teil der Erfahrung ist. Wird diese Frage bejaht, befinden wir uns im Bereich von AR mit einem Spektrum von Assisted Reality bis Mixed Reality (Rauschnabel et al., 2022, S. 7–8): • Assisted Reality. Hier werden AR Devices bspw. dazu verwendet, textbasierte Informationen über reale Gegenstände wie Maschinen oder Sehenswürdigkeiten zu legen. Der Zweck der virtuellen Objekte darin, den Nutzenden dabei zu helfen, ein besseres Verständnis der physischen Umgebung zu erlangen. Eine Verschmelzung von virtuellen Objekten mit der realen Welt erfolgt hier nicht. • Mixed Reality. Hierbei handelt es sich eine hochentwickelte Form von AR, die die Umgebung dreidimensional abbildet und digitale Objekte realistisch und nahtlos in die Wahrnehmung der realen Welt integriert. Bei dieser Mixed Reality werden die beiden Realitäten (real und virtuell) miteinander verschmolzen und im Extremfall für die Nutzenden nicht mehr unterscheidbar.
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VR blendet dagegen die physische Umgebung vollkommen aus und bringt die Nutzenden an jeden möglichen Ort, den sich die Fantasie vorstellen kann (Bitkom, 2020, S. 7). Hier reicht das Spektrum von der atomistischen Virtual Reality bis zur holistischen Virtual Reality (Rauschnabel et al., 2022, S. 9–10): • Atomistische Virtual Reality. Mit diesem Begriff werden VR-Anwendungen beschrieben, für die die Qualität des Erlebnisses weniger wichtig ist als das zu erzielende Ergebnis. So kann VR zum Beispiel zum Training an einer Produktionsanlage wie bei Bühler Motor eingesetzt werden. Hier ist die Erledigung einer Aufgabe das primäre Anliegen (vgl. Kreutzer & Klose, 2023, S. 67–69). In diesen Fällen ist die Wahrnehmung der Telepräsenz durch die Nutzenden weniger wichtig als das Erreichen eines bestimmten Ziels. • Holistische Virtual Reality. Die holistische VR beschreibt eine Erfahrung, die von einem realen Erlebnis kaum zu unterscheiden ist. In diesen Fällen ist das Erlebnis wichtiger als ein wie auch immer geartetes Ergebnis.
4.2.2
Blockchain
„Blockchains sind fälschungssichere, verteilte Datenstrukturen, in denen Transaktionen in der Zeitfolge protokolliert, nachvollziehbar, unveränderlich und ohne zentrale Instanz abgebildet sind. Mit der Blockchain-Technologie lassen sich Eigentumsverhältnisse direkter und effizienter als bislang sichern und regeln, da eine lückenlose und unveränderliche Datenaufzeichnung hierfür die Grundlage schafft“ (BaFin, 2017). Durch eine redundante Datenspeicherung und einen Konsensmechanismus zwischen den Teilnehmenden des Blockchain-Netzwerks wird Folgendes sichergestellt: • Smart Contracts. Einzelne Parteien können die gespeicherten Informationen und Programmcodes nicht verändern oder kontrollieren. Solche Smart Contracts gelten – nach heutigen Standards – weitgehend als fälschungssicher. • Digitale Assets. Durch die Blockchain können digitale Vermögenswerte – die sogenannten digitalen Assets – geschaffen werden. Auch diese können nicht durch einzelne Parteien kontrolliert oder vervielfältigt werden. Smart Contracts ermöglichen es sogar, Business-Logik abzubilden und damit komplexe Vermögenswerte mit Eigenschaften jenseits von Krypto-Währungen zu schaffen. Erst die Blockchain ermöglicht ein „trust the trustless“ – ein Vertrauen in Personen und Organisationen, denen man sonst nicht vertrauen würde. Die Blockchain-Technologie unterstützt die Entwicklungen im Metaverse durch die folgenden Aspekte (Bitkom, 2022, S. 17):
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
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• Schaffung von Wert und Ownership sowie Sicherstellung einer Transferierbarkeit. Die Blockchain löst das Double-Spending-Problem, also das Problem, dass Beträge bei Transaktionen mit digitalen Währungen mehrmals ausgegeben werden. Auch digitale Güter können nicht beliebig oft kopiert werden und werden hierdurch unabhängig von der ausgebenden Partei. Sie können dann nur durch die Eigentümerin oder den Eigentümer kontrolliert und transferiert werden. • Interoperabilität. Digitale Güter könnten zusammen mit geeigneten Standards zu einer erhöhten Interoperabilität der verschiedenen Metaverse-Anwendungen führen. Ein Beispiel hierfür sind im Ethereum-Ökosystem die Smart-Contract-Standards ERC20 oder ERC721 für fungible und Non-fungible Tokens. Hier wird auch der zentrale Unterschied zu Computerspielen und früheren 3D-Welten sichtbar. In diesen konnten zwar bereits virtuelle Gegenstände über Ingame-Käufe erworben werden. Diese waren aber nur innerhalb des jeweiligen Spiels oder der zugehörigen Welt nutzbar. • Authentizität und Rückverfolgbarkeit. Durch die Unveränderbarkeit der Blockchain entsteht ein Audit Trail, eine sichere, computergenerierte und zeitgestempelte elektronische Aufzeichnung. So kann der Verlauf aller Transaktionen bzw. aller Ereignisse nachvollzogen werden, die etwas mit der Erstellung, der Veränderung und/oder dem Löschen von elektronischen Aufzeichnungen zu tun haben. • Zusätzlich liefert die Blockchain die technologische Basis zur Abbildung digitaler Identitäten, bei denen die Kontrolle der Daten bei den Nutzenden liegt. Dadurch können sie ihre Daten selektiv einzelnen Parteien nach Bedarf freigeben und verifizierbar machen (Self-Sovereign Identity, SSI). Eine verifizierbare Identität, die gleichzeitig Datenschutz sicherstellt, ist ein weiterer entscheidender Baustein eines zukünftigen dezentralen Metaverse.
4.2.3
Artificial Intelligence
Artificial Intelligence (AI, bzw. Künstliche Intelligenz, KI) ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich damit befasst, wie menschliches Verhalten und menschliche Kommunikation durch Algorithmen nachgeahmt werden kann. Dabei geht es nicht um eine einzelne Technologie. AI setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: Daten inklusive Datenbanken, maschinelles Lernen und neuronale Netze bzw. analytische Modelle. Maschinelles Lernen, vor allem Deep Learning, eröffnen völlig neue Möglichkeiten bei der automatischen Sprachverarbeitung und Bildanalyse, der Cybersicherheit, dem Kundenmanagement – und in der Welt des Metaverse (Bitkom, 2022, S. 15; vertiefend Kreutzer, 2023). Das Metaverse baut in vielen Bereichen auf der Künstlichen Intelligenz auf. Beispielsweise können die Bewegungen der Menschen auf ihre Avatare übertragen werden, sodass realistische Bewegungsabläufe im Metaverse möglich werden. Die im Jahr 2022 von Meta
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vorgestellte VR-Brille Meta Quest Pro bietet mit ihren Innenkameras bereits die Möglichkeit, auch die Mimik der Nutzenden aufzunehmen und auf die Avatare zu übertragen (Meta, 2022). Eine große Herausforderung stellt es allerdings heute noch dar, im digitalen Umfeld einen direkten Augenkontakt herzustellen. Die Auswertung dieser in Quasi-Echtzeit erhebbaren Datenströme über den jeweiligen Kontext stellt einen perfekten Use Case für die Künstliche Intelligenz dar. Die Daten können hier nicht nur direkt analysiert, sondern auch zu Interventionen im Metaverse – wiederum in Quasi-Echtzeit – verwendet werden.
4.2.4
Game Engine und Digital Ecosystems
Der Code virtueller Welten wird typischerweise in einer Game Engine zusammengefasst, denn die ersten Ausprägungen des Metaverse, das sog. Proto Metaverse, finden sich im Gamingumfeld. Game Engine ist ein weit gefasster Begriff und bezieht sich auf eine Sammlung von Technologien und Frameworks, die ein Spiel aufbauen, rendern, die Spiellogik verarbeiten und den Speicher verwalten. Um diese Game Engines haben sich mittlerweile digitale Ökosysteme (Digital Business Ecosystems, DBE) entwickelt. Digital Business Ecosystems sind kollaborative Netzwerke aus heterogenen und geografisch verteilten Organisationen, deren Beziehungen zueinander allerdings über generische Leistungsbeziehungen hinausgehen. Die Anbieter der Game Engines spielen eine zentrale Rolle in der Ausgestaltung der digitalen Ökosysteme. Schließlich beeinflussen und begrenzen deren Strategien zur Orchestrierung des Ökosystems das Marktverhalten, die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der anderen Unternehmen (Hein et al., 2020, S. 90–91). Die digitalen Ökosysteme bilden somit den Rahmen für alle Unternehmen, die auf einer gemeinsamen Plattform aktiv sind. Sie können dort miteinander kooperieren, aber auch in Konkurrenz stehen. Ein XR-Unternehmen kann gleichzeitig in mehreren digitalen Ökosystemen mitwirken (Zabel et al., 2022, S. 76). Einige der bekanntesten digitalen Ökosysteme sind Apple, Epic Games, Google, HTC, Microsoft, Oculus/Meta, Pico, Sony, Steam, Unity Technologies und Unreal Engine.
4.3
Infrastruktur für das Metaverse
4.3.1
Hardware
Für den Aufbau des Metaverse ist zunächst einmal Hardware erforderlich (Ball, 2022). Eine immersive Erfahrung kann zwar ohne ein VR-Headset ermöglicht werden, aber wer einmal eine solche Brille getragen hat, versteht den Unterschied: In wenigen Sekunden wird die physische Realität ausgeblendet und durch die virtuelle Realität ersetzt. Mit einer
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
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VR-Brille lassen sich virtuelle Realitäten nicht nur ausgiebig erkunden. Durch zusätzliche Technik, etwa einen VR-Controller oder VR-Handschuhe, ist auch eine Interaktion mit der virtuellen Wirklichkeit möglich. Neben den VR-Brillen arbeiten Unternehmen an weiteren Produkten, die die Immersion steigern: Mit dem Teslasuit wurde ein Ganzkörperanzug entwickelt, der haptisches Feedback gibt und Bewegungen sowie biometrische Informationen erfasst (Teslasuit, 2022). Durch einen solchen Ganzkörperanzug wird die Immersion noch deutlich verstärkt – und ein Abtauchen in die digitale Welt noch realistischer. Für die Nutzung im privaten Bereich werden VR-Headsets, Smartphones sowie evtl. ergänzendes haptisches Zubehör benötigt, um sich im Metaverse zu bewegen. Die in Unternehmen erforderliche Hardware für die Entwicklung und den Betrieb von AR-basierten und/oder virtuellen Umgebungen ist viel umfassender. Hierzu bedarf es professioneller Industriekameras sowie leistungsstarker Projektions- und Trackingsysteme, um die Potenziale des Metaverse auszuschöpfen (vgl. vertiefend hierzu Kreutzer & Klose, 2023).
4.3.2
Netzwerke und Cloud-Infrastruktur
Eine weitere wichtige Komponente ist die Vernetzung. Die Anforderungen an eine komplexe Abbildung einer Welt, die allein in digitalen Netzwerken existiert, sind mit dem bisherigen Internet nicht zu vergleichen. Avatare und deren Interaktionen, Transaktionen, Meetings und Events müssen virtuell dargestellt und miteinander verknüpft werden. Die dafür benötigte Energie und Rechenleistung, die notwendige Bandbreite und nicht zuletzt der Bedarf an Speicherkapazitäten sind enorm. Ein Leben und Arbeiten im Metaverse setzt bspw. stabile Realtime-Verbindungen voraus. Außerdem sind hohe Bandbreiten und geringe Latenzen erforderlich. Diese sind technisch Stand heute (Q1 2023) in vielen Ländern noch nicht verfügbar.
4.3.3
Rechenleistung
Um das Metaverse mit Leben zu füllen, ist eine beträchtliche Rechenleistung erforderlich. Diese wird für eine Vielzahl von physikalischen Berechnungen, für Datenabgleich und Datensynchronisation, für Projektionen, die Erfassung von Bewegungen sowie für das Rendering benötigt. Rendering, das Rendern bzw. die Bildsynthese beschreibt den Prozess, durch den in der Computergrafik die Erzeugung eines Bildes aus Rohdaten erfolgt. Diese Rohdaten können geometrische Beschreibungen im 2D- oder 3D-Raum umfassen. Der Halbleiterhersteller Intel geht davon aus, dass eine 1.000-fache Steigerung der Leistung gegenüber unserer derzeitigen kollektiven Rechenkapazität notwendig wäre, um
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S. Klose und R. T. Kreutzer
„wirklich persistentes und immersives Computing in großem Maßstab zugänglich zu machen und für Milliarden Menschen mit Strom zu versorgen“ (Klaiber, 2022).
4.3.4
Standards
Für die Vision eines interoperablen Metaverse bedarf es einer Normierung. Erst die Einigung auf gemeinsame Standards schafft die Voraussetzung dafür, dass bspw. ein Avatar in verschiedenen Metaverse-Welten gleichermaßen agieren kann. Hierzu wurde im Juni 2022 das Metaverse Standards Forum gegründet. Laut eigener Website bringt es führende Normungsorganisationen und Unternehmen für eine branchenweite Zusammenarbeit bei Interoperabilitätsstandards zusammen. Diese sind für den Aufbau des offenen Metaverse unverzichtbar. Das Metaverse Standards Forum untersucht, wo der Mangel an Interoperabilität die Einführung des Metaversums behindert. Zusätzlich wird geprüft, wie die Arbeit der Organisationen, die solche erforderlichen Standards definieren, weiterentwickeln und koordinieren (Standards Developing Organisations oder SDOs), beschleunigt werden kann. Die Mitgliederzahl steigt kontinuierlich (https://met averse-standards.org/members/). Dies ist ein deutliches Signal dafür, wie wichtig und notwendig das Thema Standards für den Aufbau des Metaverse ist.
4.4
Use Cases im Metaverse
Um herauszufinden, welche Inhalte und Use Cases im B2C- und B2B-Bereich schon jetzt interessieren, befragte McKinsey im Mai 2022 mehr als 3000 Privatpersonen sowie Führungskräfte der C-Ebene aus 448 Unternehmen (Elmasry et al., 2022). Die B2C-Studie adressierte Menschen aus elf Ländern (Europa, Nordamerika und Asien), die B2B-Studie umfasste Unternehmen aus 15 Wirtschaftszweigen, zehn Ländern (Europa, Nordamerika und Asien) und mit einer Belegschaft von weniger als zehn bis zu mehr als 10.000 Mitarbeiter:innen. Die Top-5-Aktivitäten der Privatpersonen im Metaverse sind laut dieser Studie: • • • • •
Unterhaltung Gaming Reisen Einkaufen Weitere soziale Interaktionen.
Die Top-5-Anwendungsfälle der Unternehmen im Metaverse sind: • Marketing-Kampagnen
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
• • • •
53
Weiterbildung und Entwicklung der Beschäftigten Meetings Veranstaltungen und Konferenzen Produktdesign, inkl. Digital Twins
Nachfolgend werden einige dieser Aktivitäten bzw. Use Cases näher beschrieben.
4.4.1
Aktivitäten von Privatpersonen im Metaverse
Der Unterhaltungsbereich ist für das Metaverse prädestiniert, und insbesondere die Gamingindustrie ist hier ein Vorreiter. Viele der schon heute existierenden Anwendungen wie Fortnite, Minecraft und Roblox lassen sich hier verorten. Was zukünftig vor allem in den neu geschaffenen virtuellen Welten möglich sein soll, geht aber weit über das hinaus, was moderne Multiplayer heute bereits bieten. Es geht darum, den sozialen Aspekt des Gamings auszubauen, also Spielende im Sinne sozialer Interaktionen digital zusammenzubringen. Die Menschen sollen über das reine Spiel hinaus Zeit in der Umgebung verbringen, bspw. Konzerte besuchen. Rockstar Games, eine Tochtergesellschaft der Take-Two Interactive Software, Inc., bietet mit dem Blockbuster Grand Theft Auto (GTA) die Möglichkeit, die virtuellen Welten des Spiels zu entdecken, ohne im klassischen Spielmodus unterwegs zu sein. Die Spielenden können sich ein Haus bauen oder mit dem Auto die Welten erkunden. Zusätzlich können sie über eigens erstellte Radiosender ihre bevorzugte Musik hören und ihre Avatare nach ihren Wünschen ausstatten. Im Metaverse können auch abseits der Spieleindustrie virtuelle Erlebniswelten realisiert werden, die es den Nutzenden ermöglichen, andere Menschen aus aller Welt kennenzulernen und gemeinsam mit diesen im Anschluss Aktivitäten, wie zum Beispiel gemeinsame Reisen oder Ausstellungsbesuche, in der realen Welt zu planen. So können Menschen mit ähnlichen Interessen zusammengebracht werden, die sich im Metaverse kennenlernen und austauschen, diese Beziehungen dann aber auch in der realen Welt vertiefen. Für Hotels oder Galerien ergibt sich in diesem Rahmen die Möglichkeit, sich als Anbietende solcher Erlebniswelten zu positionieren und sowohl unmittelbar von digitalen Dienstleistungen als auch von dort angestoßenen Buchungen für Dienstleistungen in der realen Welt monetär zu profitieren (Bitkom, 2022, S. 33). Im Freizeitbereich sind viele weitere Aktivitäten denkbar, von Special Interest Communities über Simulatoren für Hobbys wie Motorrad- oder Autofahren, Reiten oder sogar Gleitschirmfliegen bis hin zum Datingbereich (vgl. hierzu vertiefend Kreutzer & Klose, 2023). Auch im Bildungssektor bietet sich die Chance, Wissen auf eine ganz neue, immersive Art und Weise zu vermitteln. Immersiv gestaltete Lernumgebungen ermöglichen es den Lernenden, vollständig in eine Situation einzutauchen. Häufig kommen dabei spielbasierte
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S. Klose und R. T. Kreutzer
Anwendungen zum Einsatz, die bestimmte Umgebungen und Szenarien replizieren. Insbesondere Orte und Umgebungen, die aus physikalischen Gründen nicht besucht werden können, versprechen spannende Unterrichtsstunden: Eine Schulklasse kann sich virtuell auf den Mond oder andere Planeten versetzen, um diese ansonsten nicht zugänglichen Orte zu erleben. Oder es findet eine virtuelle Reise durch die Blutbahn eines Menschen statt. Auch theoretisch zugängliche Orte wie der Polarkreis können so besucht werden. Hierzu wurden von Minecraft in Kooperation mit der BBC fünf Welten, die sogenannten Frozen Worlds, mit pädagogischem Begleitmaterial entwickelt. Diese ermöglichen es dem Lehrpersonal, Kindern das Leben am Polarkreis durch die Augen der dort lebenden Tiere zu vermitteln (Minecraft, 2022). Einkaufserlebnisse in der virtuellen Welt können zu Produkterlebnissen und Services in der realen Welt führen. So können Produkte oder Services virtuell begutachtet und gekauft und dann in der realen Welt in Anspruch genommen werden. Verkaufspersonal kann im Metaverse entweder in Echtzeit oder mit Hilfe von vorproduzierten Inhalten Interessierte beraten und zum Kauf motivieren, also ein hoch personalisiertes Einkaufserlebnis schaffen, und andere Personen können ihre Erfahrungen mitteilen (Bitkom, 2022, S. 32). Grundsätzlich gibt es mehrere Geschäftsmodelle im Metaverse, die sich auch sehr gut kombinieren lassen: • Verkauf von physischen Objekten (bspw. von Kleidung, Schuhen, Sportartikeln) • Verkauf von digitalen Assets in Form von NFTs • Erbringung von Dienstleistungen (bspw. Trainings, Events) Viele Luxus-, Lifestyle- und Sportmarken sind bereits im Proto Metaverse präsent und bieten dort ihre Produkte an: Nike bietet den Nutzenden im Nikeland bei Roblox digitale Sport- und Spielideen sowie Ausstattungsgegenstände für ihre Avatare an. Aber nicht nur virtuelle, auch physische Produkte bzw. Kombinationen sind erhältlich: Mit dem RTFKT x Nike AR Genesis Hoodie verbindet Nike die virtuelle mit der physischen Realität. Es handelt sich hierbei um NFT-Bekleidung, in diesem Fall einen exklusiven digitalen Hoodie. Das Besondere daran: Zusätzlich zum virtuellen Gegenstand erhalten alle Menschen nach dem Kauf auch einen physischen Hoodie, der mit einem Near Field Communication (NFC) Chip ausgestattet ist. Dieser ermöglicht eine drahtlose Kommunikation zwischen der Kleidung und dem jeweiligen NFT. So können die physischen Kapuzenpullover in AR mit Effekten wie virtuellen Flügeln zum Leben erweckt werden. Im Frühjahr 2022 fand bereits die erste Fashion Week bei Decentraland statt, die dem Publikum mit Runway-Shows, After-Partys, immersiven Erlebnissen, Shopping und Podiumsdiskussionen ein ähnliches Programm bot wie das analoge Pendant. Mit über 60 teilnehmenden Marken, Kunstschaffenden, Designern und Designerinnen war dies laut eigener Aussage „ein Meilenstein in der globalen Modeindustrie“ (MVFW, 2022).
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
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Das Metaverse wird in Zukunft sicherlich Einfluss darauf nehmen, wie wir Gegenstände erwerben – sowohl privat als auch im beruflichen Kontext. Die technologischen Fortschritte von Virtual und Augmented Reality sind aktuell schon so weit, dass es problemlos möglich ist, sich Gegenstände und Objekte jeglicher Art als 3D-Modell in Originalgröße anzusehen – und das, bevor man sich für oder gegen den Kauf entscheidet. Ein Vorreiter ist hier sicherlich die seit 2017 existierende App IKEA Places. Mit dieser App können Möbel in Originalabmessungen virtuell in die eigene Wohnung projiziert werden. In Zeiten, in denen Mass Customization und Made to Order mehr Standard als Ausnahme sind, bieten solche Konzepte sowohl für die Unternehmen als auch für Konsumierende enorme Vorteile.
4.4.2
Anwendungsfälle für Unternehmen im Metaverse
In Metaverse-Welten können Menschen unternehmensintern wie auch unternehmensübergreifend zusammenarbeiten und sich ortsunabhängig für ganz unterschiedliche Anwendungsfälle live in einem virtuellen Raum treffen. In dieser virtuellen Kreativumgebung ist prinzipiell alles möglich, was auch in einem realen Bürogebäude machbar ist: Meetings, Konferenzen, Trainings, Brainstorming-Sessions, aber auch ein informeller Austausch. Im Gegensatz zu klassischen Videokonferenztools existiert in VR-Umgebungen ein ganz anderes Gefühl von Präsenz, und es gibt weiterführende Möglichkeiten der RemoteZusammenarbeit (PwC, 2022). Die Besonderheit ist hier die Immersion durch die virtuelle Umgebung und die Interaktion der Nutzenden als Avatare. Dies führt zu einem hohen Level an erlebter sozialer Präsenz, welche wiederum die Interaktionen, die Leistung sowie die emotionalen Reaktionen positiv beeinflusst (Hennig-Thurau et al., 2022, S. 9). Gemeinsam lassen sich bspw. virtuelle Gegenstände begutachten und verändern. Gedanken können an gemeinsam genutzten Whiteboards festhalten werden. Man kann sich auch einfach nur einmal die Hände schütteln oder High Five geben (Bitkom, 2022, S. 32). Die bisher bereits bestehenden Kollaborations-Plattformen sind lediglich der erste Schritt hin zu einem Metaverse, in dem – idealerweise – plattformübergreifend zusammengearbeitet werden kann und in das auch virtuelle Gegenstände mitgenommen werden können. Nicht nur die Kommunikationsqualität, auch die Produktivität von Mitarbeitenden kann durch AR- und VR-Anwendungen erhöht werden, etwa im Rahmen von Trainings und Weiterbildungen. Eine 3D-Visualisierung von Räumen und Teilnehmenden, aber auch von Maschinen und Produktionsanlagen kann die Qualität der Zusammenarbeit und der Leistung steigern. Besonders in Kontexten, die durch abstrakte und komplexe Vorgänge geprägt sind, ist der Einsatz von AR sinnvoll. Deren wahrnehmungserweiternde Funktion bietet hier einen großen Vorteil, da sie situativ die Qualifizierung der Mitarbeitenden erhöht. Datenbrillen können die Menschen genau dann zur Lösung eines Problems befähigen, wenn es auftaucht – wenn also bspw. ein Fehler in der Produktionsstraße entsteht.
56
S. Klose und R. T. Kreutzer
Durch diese Systeme werden Menschen in die Lage versetzt, Tätigkeiten auszuführen, für die sie nicht ausgebildet wurden oder bei denen die benötigten Kenntnisse aus anderen Gründen nicht (mehr) präsent sind (Bitkom, 2020, S. 10). Auf diese Art können Prozesse optimiert und automatisiert werden (vgl. vertiefend hierzu Kreutzer & Klose, 2023). Eine weitere Herausforderung liegt darin, digitale und analoge Geschäftsprozesse in der Metaverse-Ökonomie zusammenzuführen. Hierzu kann der Einsatz von Digital Twins beitragen – in der Produktentwicklung, der Fertigung, aber auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ein Digital Twin ist die virtuelle, realitätsgetreue Simulation eines realen physischen Objekts oder Systems, die ständig aktualisiert wird. Bei der digitalen Kopie kann es sich um ein einzelnes Bauteil handeln – es kann aber auch eine dreidimensionale Replikation des Planeten Erde digital erzeugt werden. Bei der Erstellung von Digital Twins gibt es zwei Herangehensweisen, die sich in ihrer Komplexität unterscheiden: Die einfachere Abbildung zielt auf eine reine Visualisierung, die komplexere Abbildung ermöglicht auch Interaktionen. Die reine Visualisierung eignet sich bspw. für virtuelle Begehungen, Schulungsanwendungen oder die Spieleentwicklung. Der höhere Wert eines Digital Twins liegt aber in der Einbindung der Sensorik und der Interaktion. So können verbundene Maschinen und Geräte Daten mit ihrem Digital Twin austauschen und umgekehrt. Das ermöglicht letztlich sogar, Informationen und Prozesse zu realisieren, die in der Realität nicht umsetzbar sind (Bitkom, 2022, S. 34; vertiefend zum Digital Twin Kreutzer, 2021, S. 290–291). Um mit dem Metaverse Geld zu verdienen, sind digitale Zahlungsprozesse aufzubauen. Diese müssen nicht nur Zahlungsvorgänge mit analogen, sondern auch mit digitalen Währungen unterstützen. Aus Sicht von Banken und anderen Finanzdienstleistern ergibt sich hier die Möglichkeit, ihrem Klientel einen sicheren Zugang zum Metaverse zu ermöglichen. Hierfür werden Wallet-Lösungen und verifizierbare Identitäten eingesetzt. Außerdem gilt es, Assets im Metaverse sicher erwerb- und verkaufbar zu machen und zu verwahren. Ein besonderes Augenmerk ist beim Metaverse auf die Cybersecurity zu legen. Das sichere Management der Plattformen schließt auch den Schutz der im Metaverse generierten Inhalte ein (vgl. hierzu vertiefend Kreutzer & Klose, 2023).
4.5
Ausblick
4.5.1
Marktpotenzial
Bei der Einschätzung des Marktpotenzials des Metaverse überbieten sich die Agenturen und Marktforschungsabteilungen mit möglichen Volumina: • Laut einer Studie von McKinsey (Elmasry et al., 2022, S. 5–7), bei der mehr als 3400 Konsumierende, Führungskräfte und Metaverse-Fachleute befragt wurden, könnte das Metaverse bis 2030 bis zu 5 Billionen US-Dollar an wirtschaftlichen
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
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Auswirkungen generieren. Das Metaverse kann neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen ermöglichen. Zusätzlich kann es zum Engagement-Kanal sowohl im Business-to-Consumer- wie auch im Business-to-Business-Markt werden. Hierdurch können in verschiedenen Branchen größere Wachstumschancen erzielt werden. Der Markteinfluss auf den Bereich E-Commerce wird zwischen 2 und 2,6 Billionen USDollar liegen. Weiterhin wird ein Markteinfluss von 180 bis 270 Mrd. US-Dollar auf den akademischen Markt für virtuelles Lernen, 144 bis 206 Mrd. US-Dollar für den Werbemarkt und 108 bis 125 Mrd. US-Dollar für den Spielemarkt angenommen. Selbst wenn davon nur ein Teil Realität wird, zeigt sich hier das wirtschaftliche Potenzial des Metaverse in beeindruckender Weise. • Bloomberg Intelligence (2021) schätzt den Wert des Metaverse, der durch die Spieleindustrie, soziale Netzwerke sowie eine Vielzahl von Technologieunternehmen (u. a. AR, VR, KI, Blockchain) vorangetrieben wird, für das Jahr 2024 auf fast 800 Mrd. US-Dollar. Hier sind Einnahmen für Live-Events und Werbung bereits eingeschlossen. Eines ist sicher: Es lohnt sich, frühzeitig in die Auseinandersetzung mit dem Metaverse zu beginnen. Das Metaverse-Ökosystem wird gerade von vielen Unternehmen massiv ausgebaut – und weitere steigen sukzessiv in diesen Zukunftsmarkt ein.
4.5.2
Handlungsempfehlungen
Wie könnte bzw. wie sollte ein Einstieg von Unternehmen ins Metaverse erfolgen? Die einfachste Vorgehensweise besteht darin, einen realen Use Case des eigenen Unternehmens in das Metaverse zu verlegen. Es geht ja nicht darum, einfach nur eine neue Technologie oder eine neue Plattform zu nutzen. Die Fragen sind immer die gleichen: • Kann unser Unternehmen durch den Einstieg ins Metaverse zusätzlichen Kundennutzen generieren? Hierbei ist nicht nur an externe Kundschaft zu denken. Gerade auch interne Zielgruppen können durch die Verlagerung von Meetings, Schulungen, Produktpräsentationen etc. ins Metaverse profitieren. • Kann unser Unternehmen durch den Einstieg ins Metaverse Prozesse beschleunigen und/oder Kosten einsparen? Bei einem Denken und Handeln in Wertschöpfungsketten und Systemen von Wertschöpfungsketten ist jedes Unternehmen gut beraten, bei dieser Frage über die eigenen Unternehmensgrenzen hinauszudenken (vgl. vertiefend Kreutzer, 2021, S. 250–255). Damit in Ihrem Unternehmen der Einstieg ins Metaverse gelingt, sollten folgende Schritte eingeleitet werden:
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S. Klose und R. T. Kreutzer
• Aufbau eines diversen Teams. Dieses Team soll junge und erfahrene Professionals aus allen Bereichen des Unternehmens zusammenbringen – aus Controlling, Marketing, Vertrieb, Produktion, Produktentwicklung, IT etc. • Einstieg in eine Learning Journey. Diese Learning Journey zielt zunächst einmal darauf, die wesentlichen Elemente, Gestaltungs- und Erfolgsfaktoren des Metaverse in der Tiefe zu verstehen. • Auslotung von Kundeninteressen. Mit diesem Hintergrundwissen gilt es, innerhalb und außerhalb des Unternehmens nach spannenden Use Cases für einen möglichen Metaverse-Einsatz zu suchen. Wo könnten XR- oder umfassendere MetaverseAnwendungen hilfreich sein? Das Augenmerk sollte sich hier gleichermaßen auf Training, Marketing und Vertrieb richten – wie auch auf die Entwicklung ganz neuer Produkte und Dienstleistungen. • Definition messbarer Ziele und wertschöpfungsorientierter Strategien. Auch für den Einstieg in das Metaverse sind messbare Ziele zu definieren, die von relevanten Use Cases ausgehen. Schließlich ist das Metaverse kein Selbstzweck, sondern sollte Wert schaffen – für externe und interne Zielgruppen sowie Unternehmen gleichermaßen. Diese Ziele sind durch wertschöpfungsorientierte Strategien zu implementieren. • Agiles Management von Metaverse-Anwendungen. Um schnelle Lernerfolge zu sichern und die Anwendungen konsequent an den Interessen der Nutzenden auszurichten, sollten Konzepte des agilen Managements eingesetzt werden. Hierzu ist es wichtig, immer wieder Deliverables (i. S. von auslieferbaren Ergebnissen) zu erzeugen, die potenziellen Nutzenden präsentiert werden. Basierend auf deren Feedback sind die weiteren Entwicklungsschritte einzuleiten. Beim agilen Vorgehen heißt es immer wieder: Bauen, Messen, Lernen (vgl. zu den relevanten Methoden des agilen Managements Kreutzer, 2021, S. 494–502). • Fokus auf Skalierung. Die eingeleiteten Strategien sollten frühzeitig auf eine Skalierung des Einsatzes abzielen. Hierdurch können Insellösungen vermieden werden, die an Relevanz für das Geschäftsmodell und für das Unternehmen verlieren können. Viele warten auf den einen großen Schritt, der das Metaverse von jetzt in Richtung Zukunft katapultiert. Aber hat es einen solchen eigentlich für das Internet gegeben? Das Metaverse wird sich als Ergänzung zur realen Welt entwickeln. Hier wird es zunächst eher zu inkrementellen Veränderungen kommen, die immer neue Möglichkeiten erschließen. Eine Soft Transition wird erwartet – kein harter Umbruch. Wie schnell diese Transformation erfolgen wird, hängt vom Ideenreichtum der Unternehmen und dem Interesse der Zielgruppen ab. Wohin die Reise gehen wird, ist heute noch unbekannt. Deshalb ist es empfehlenswert, die Entwicklung nicht anderen Marktteilnehmenden (allein) zu überlassen, sondern früh in die Mitgestaltung einzusteigen.
4 Metaverse – Technologien, Infrastruktur …
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Prof. Dr. Sonja Klose ist seit 2017 Marketingprofessorin sowie Trainerin, Mentorin und Coach. Darüber hinaus verfügt sie über viele Jahre Erfahrung als Marketing-Führungskraft verschiedener
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S. Klose und R. T. Kreutzer
Berliner Start-ups aus den Bereichen Business Intelligence, InsureTech und Digital Health. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Online- und Offline-Marketing, Social Media und CRM, jeweils im B2B- und B2C-Umfeld. Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer ist seit 2005 Professor für Marketing an der HWR Berlin. Parallel ist er als Trainer, Coach sowie als Marketing und Management Consultant tätig. Zuvor war er 15 Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Bertelsmann (letzte Position Direktor des Auslandsbereichs einer Tochtergesellschaft), Volkswagen (Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft) und der Deutschen Post (Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft) tätig.
5
Neue Wege im Marketing: Web3-Technologie und Non-fungible Tokens (NFTs) Kathrin Blömer
Zusammenfassung
Das Web befindet sich im Wandel. Während das Web 1.0 einfache statische Webseiten kennzeichnet und das Web 2.0 die Ära der Interaktivität und Zusammenarbeit darstellt, soll Web3 die Zukunft des dezentralisierten Internets werden. Web3 ist eine dezentralisierte Blockchain-basierte Technologie mit dem Ziel, die Kontrolle über Daten und Transaktionen an die Nutzer:innen zurückzugeben. Die BlockchainTechnologie ermöglicht eine dezentralisierte Datenverwaltung, wodurch Transparenz geschaffen wird. Non-fungible Tokens (NFTs) sind eine wichtige Anwendung der Web3-Technologie, da sie neue Formen des Eigentums ermöglichen. NFTs sind unveränderliche Rechte an digitalen Gütern, die durch Tokens auf der Blockchain repräsentiert werden. Mithilfe von intelligenten Verträgen werden die Eigentumsrechte transparent und unveränderlich gemacht. Im Marketing haben NFTs an Bedeutung gewonnen, da sie Unternehmen ermöglichen, ihren Kund:innen einen direkten Wert zu bieten. Da sich die Web3-Technologie und NFTs schnell weiterentwickeln, müssen sich Unternehmen mit den Möglichkeiten und Herausforderungen auseinandersetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
K. Blömer (B) Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_5
61
62
5.1
K. Blömer
Einleitung
Die Web-Technologie hat eine beeindruckende Entwicklung durchlaufen. Von einfachen statischen Webseiten (Web 1.0) über interaktive und benutzerdefinierte Plattformen (Web 2.0) bis hin zum nächsten technologischen Wandel dem Web3. Die Web3-Technologie schlägt den Weg einer dezentralisierten Blockchain-basierten Infrastruktur ein, mit dem Ziel, die Kontrolle über Daten und Transaktionen zurück an die Nutzer:innen zu geben. Es entstehen neue Formen des Eigentums, die unter anderem durch Non-fungible Tokens (NFTs) ermöglicht werden.
5.2
Die Entwicklung der Web-Technologie
5.2.1
Web 1.0 – Die Entstehung des Internets
Den Anfang des Internets bildet das Web 1.0 in den 1980er und frühen 1990er Jahren, als Tim Berners-Lee das World Wide Web mit statischen Inhaltselementen erfand (Berners-Lee et al., 1992; Murray et al., 2022). Es gab lediglich lesbare Webseiten, die hauptsächlich aus Text und einfachen Grafiken bestanden und auf Basis eines HTML-Codes generiert wurden. Interaktionen waren für die Nutzer:innen nicht möglich. Aufgrund der technisch komplexen Erstellung von Webseiten, war es für nicht-technisch versierte Nutzende so gut wie gar nicht möglich, eigene Inhalte zu erstellen. Informationen lesen und herunterladen standen im Vordergrund (Berners-Lee et al., 1992; Nath et al., 2014). Für Unternehmen war das Web 1.0 eine Art Marketing-Tool, mit dem sie ihre Produkte und Dienstleistungen online bewerben konnten. Die Unternehmenswebseiten waren sehr einfach gestaltet und enthielten Informationen wie Produktbeschreibungen und Kontaktinformationen (Kaplan & Haenlein, 2010; O’Reilly, 2005). Im Wesentlichen war das Web 1.0 eine einseitige Informationsquelle und die Nutzerbeteiligung überwiegend passiv. Eine weitere Einschränkung dieser ersten Generation des Webs bestand darin, dass es kein Mechanismus gab, Inhalte zu monetarisieren. Soziale Netzwerke, Möglichkeiten für Online-Transaktionen oder E-Commerce waren zu dieser Zeit noch eine absolute Seltenheit (Choudhury, 2014; Berners-Lee et al., 1992).
5.2.2
Web 2.0 – Die Ära der Interaktivität und Zusammenarbeit
Aufbauend auf das Web 1.0 kamen Mitte der 2000er Jahre dynamische, teilbare Elemente hinzu, die den Startschuss zum Web 2.0 gaben. Das Web 2.0 ist eine Weiterentwicklung des Web 1.0 und bezeichnet eine Ära des Internets, in der es mehr Interaktion und Zusammenarbeit zwischen Nutzer:innen gibt. Dieses Web ermöglicht das Verfassen und Teilen von Inhalten durch die Schaffung von Plattformen für soziale Interaktion
5 Neue Wege im Marketing …
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und Kollaboration (Kollmann, 2020; O’Reilly, 2005). Neben der Entstehung der sozialen Netzwerke konnten sich dank der Web-2.0-Technologie Online-Marketing-Kanäle und der E-Commerce entwickeln. Wichtige Eigenschaften des Web 2.0 sind soziale Netzwerke, die es Nutzer:innen ermöglichen, Inhalte zu erstellen, zu teilen, zu kommentieren und zu bewerben. Darüber hinaus ermöglichen soziale Netzwerke das Kommunizieren und Interagieren untereinander (Haas et al., 2008; O’Reilly, 2005). Dank HTML-Verbesserungen und der Entwicklung der XML-Technologie können auch technisch wenig versierte Nutzer:innen Änderungen an statischen Webseiten vornehmen und dynamische Webseiten erstellen. Es entstand die Möglichkeit, nutzergenerierte Inhalte zu erstellen. Nutzer:innen wurde es leicht gemacht, ihre Fotos oder Videos auf Plattformen wie Instagram oder YouTube zu teilen (O’Reilly, 2005; Kietzmann et al., 2011; Voshmgir, 2020). Diese neuen Wege führen gleichzeitig zu einer Plattformökonomie, die größtenteils von den „Big Five“Unternehmen Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft betrieben werden. Derartige Plattformen sollen als vertrauenswürdige Vermittler, die sogenannten „Walled Gardens“ fungieren, deren Ziel es ist, eine hohe Nutzerbindung und Loyalität zu fördern, sodass die Benutzer:innen auf ihren Plattformen bleiben und dort ihre Interaktionen durchführen. Die Walled Gardens führen zu strenger Kontrolle des geschlossenen Systems und kontrollieren, was die Nutzer:innen mit ihren eigenen Daten auf der Plattform tun können und was nicht. Sie haben dadurch mehr Kontrolle über die Daten und Interaktionen innerhalb der Plattform und können ihre Nutzer:innen besser verfolgen, analysieren und monetarisieren. Die nutzergenerierten Inhalte werden zentral auf Computern gespeichert und überwiegend von Dritten verwaltet und überall zugänglich gemacht. Cybersicherheit und Datenschutz sind dadurch gefährdet (Demetis & Kietzmann, 2021; Park et al., 2022).
5.2.3
Web3 – Die Zukunft des dezentralisierten Internets
Die neueste Phase in der Entwicklung der Web-Technologie stellt Web3 (nicht zu verwechseln mit Web 3.01 ) dar. Der Begriff wurde 2014 von Gavin Wood, Mitbegründer von Ethereum, geprägt (Park et al., 2022). Die Web3-Technologie basiert auf der Blockchain-Technologie (auch „Distributed-Ledger-Technologie“ genannt) und legt den Fokus auf ein dezentralisiertes Netz, um die Kontrolle über eigene Daten und Transaktionen zu haben (Edelman, 2021; Murray et al., 2022). Im Gegensatz zu Web 2.0, einer Frontend-Revolution, die es auch Laien ermöglicht, Inhalte zu veröffentlichen, und die Kommunikationskanäle zum ersten Mal eröffnet, stellt Web3 eine Backend-Revolution
1 Das Web 3.0 bezieht sich auf eine Weiterentwicklung des Webs zu einem vernetzten, semantischen
Web. Das Web 3.0 konzentriert sich auf die Verknüpfung von Daten über Webseiten hinweg und das dezentralisierte Web3 auf die Sicherheit und Eigenverantwortung der Daten der Nutzer:innen (Kollmann, 2020; Murray et al., 2022).
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K. Blömer
dar. Hierbei geht es weniger darum, die Benutzeroberfläche zu verändern, sondern gezielter darum, die zentrale Datenspeicherung durch eine weit verteilte Datenspeicherung zu ersetzen. Genauer gesagt handelt es sich bei der Web3-Technologie um eine neue Art der Organisation von Informationen. Die Idee dahinter ist, auf dem dezentralen Zusammenspiel vieler an der Datenverwaltung beteiligter Parteien aufzubauen. Das bedeutet, dass die Nutzerdaten im Web3 auf Blockchains in mehreren Kopien gespeichert werden (Park et al., 2022). Die Blockchain ist wie ein digitales Buchhaltungssystem, das aufzeichnet, wem was gehört, und Veränderungen festhält. Dadurch, dass die aufgezeichneten Daten dezentralisiert sind, müssen sie nicht auf einzelnen Servern verwaltet werden. Dies hat zur Folge, dass die Genauigkeit und Integrität der Daten durch Konsens oder Vereinbarung zwischen allen Nutzer:innen aufrechterhalten wird und die Abhängigkeit von einer zentralisierten Einheit (wie z. B. einem Unternehmen) zur Informationsaufzeichnung und Gewährleistung nicht mehr nötig ist (Lee, 2019). So kann Machtmissbrauch vermieden werden. Denn im Web 2.0 haben Unternehmen durch die Zentralisierung Zugang zu bestimmten Teilbereichen des Internets und nutzen diese Macht, um von den Nutzer:innen Gewinne zu erzielen (Murray et al., 2022). Web3 wird sich wahrscheinlich aufgrund der Geschwindigkeit, mit der Nutzer:innen neue Anwendungen entdecken und übernehmen, sowie der einfachen Interaktion noch schneller entwickeln als die vorherigen Web-Technologien. Diese neue Ära des Internets bedeutet für Unternehmen zum einen, dass sie die Möglichkeit haben, bestehende Wettbewerbsstrukturen und Wettbewerbsstandards zu verändern, zum anderen bedeutet es auch, dass Unternehmen mit Unsicherheit wie z. B. Nutzerakzeptanz konfrontiert werden können. Sie müssen versuchen, das Wissen, die Fähigkeiten und Ressourcen vom Web3 zu verstehen, um sich anzupassen und zu überleben (Murray et al., 2022). Mit der wachsenden Verbreitung der Blockchain-Technologie gewinnen dezentralisierte Anwendungen und intelligente Verträge immer mehr an Bedeutung. Immer mehr Nutzer:innen interessieren sich dafür, wie sie selbst Anwendungen auf Basis der Blockchain-Technologie entwickeln können, um von den Vorteilen der Dezentralisierung und der Unveränderlichkeit der Daten profitieren zu können. Plattformen wie Aragon und DAOstack bieten hierbei Unterstützung und erleichtern es auch Nutzer:innen mit geringen oder keinen technischen Programmierkenntnissen, eigene Blockchain-basierte Anwendungen zu entwickeln. Die wichtigsten Anwendungen, die das Rückgrat von Web3 bilden, sind NFTs (Non-fungible Tokens), Kryptowährungen und DAOs (Decentralized Autonomous Organizations). Und gerade die NFTs sind für Marketingverantwortliche schon heute ein entscheidendes Thema. Denn nach dem Boom der digitalen Token 2021 kam es zu einer vermehrten Einbindung von NFTs in Marketingkampagnen. Unternehmen nutzen die Macht von NFTs, um ihren Kund:innen beim Kauf einen unmittelbaren und direkten Wert zu bieten, indem sie sofortigen Zugang zu bestimmten Privilegien gewähren wie z. B. Zugang zu exklusiven Events, Online-Communities oder besondere Vorverkaufsrechte (Kaczynski & Kominers, 2021; Murray et al., 2022).
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5.3
Marketing für Non-fungible Tokens (NFTs)
5.3.1
Definition NFT
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Die Ursprünge von NFTs liegen im Jahr 2013 (Chen, 2018), große Aufmerksamkeit erlangten sie allerdings erst 2021 (Kaczynski & Kominers, 2021). NFTs sind unveränderliche Rechte an digitalen Gütern, wie z. B. digitaler Kunst oder Musik. Diese Rechte werden durch einen Token (Identifikationscode) repräsentiert. Der Token ist eine Art von Kryptowährung, die auf der Blockchain gespeichert und verwendet wird, um den Besitz von NFTs nachzuweisen. Dieser ermöglicht es, NFTs eindeutig zu identifizieren und zu verifizieren. Sie sind eine effiziente Methode für die Wertverknüpfung und Wertübertragung zwischen der virtuellen und der realen Welt (Wilson et al., 2021). Käufer:innen, die einen NFT erwerben, erwerben normalerweise nicht das Kunstwerk, den Avatar oder das virtuelle Land, das sie zu kaufen gedenken, sondern das Recht auf das Eigentum am digitalen Bild einer Sache (Belk et al., 2022). Als Beispiel: Ein im Internet hochgeladenes Foto (z. B. in der Suchmaschinenplattform Google) von Dritten darf nicht ohne Weiteres für den eigenen Nutzen weiterverwendet werden. Es wird die Zustimmung der Eigentümerin bzw. des Eigentümers dieses Fotos benötigt, da man selbst keine Rechte an diesem Foto hat. NFTs speichern genau solche Eigentumsrechte in intelligenten Verträgen. Die Web3-Technologie ermöglicht durch solche intelligenten Verträge (auch „Smart Contracts“ genannt), verbindliche Vereinbarungen mit Personen abzuschließen (Voshmgir, 2020). Ein intelligenter Vertrag ist ein Computerprogramm, das automatisch ausgeführt wird, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Es ist eine selbstausführende Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Nutzer:innen, die in einem digitalen Code geschrieben ist (Murray et al., 2021). Zum Beispiel kann eine Regelung zu allen Wiederverkäufen eines NFTs festhalten gehalten. Des Weiteren sind die Eigentumsrechte am NFT im intelligenten Vertrag transparent nachvollziehbar und nicht fälschbar (Belk et al., 2022; Li & Chen, 2022; Whitaker & Kräussl, 2020). Intelligente Verträge verdrängen durch ihre Transparenz und Unveränderlichkeit Dritte wie Anwält:innen oder Notar:innen, die normalerweise für die Überprüfung und Abwicklung von Verträgen erforderlich wären (Wilkens & Falk, 2019). Die Sammlung „CryptoPunks“ war eines der ersten populären Beispiele für NFTs und wurde auf der Ethereum-Blockchain veröffentlicht. Die Kollektion wurde auf insgesamt 10.000 CryptoPunks weltweit limitiert und teilweise für Millionen verkauft. Der NFTMarkt wuchs weiter, nachdem 2020 der bekannte Künstler Beeple den NFT „Everydays: The First 5000 Days“ im Auktionshaus Christies für 69,3 Mio. Dollar verkauft hatte (Belk et al., 2022).
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5.3.2
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Eigenschaften eines NFTs
NFTs haben bestimmte Eigenschaften, die ihren Produktwert treiben: Dezentralisierung, digitaler Besitz, Einzigartigkeit, Unveränderlichkeit, Knappheit, Symbolwirksamkeit sowie Investitionsfähigkeit. Dezentralisierung: Transaktionen digitaler Güter benötigen dank NFTs keine vertrauenswürdigen Vermittler:innen. Die Speicherung der digitalen Token auf einer öffentlichen Blockchain ermöglicht transparente Einsicht der Eigentumsrechte und Kontrolle. Das hat zur Folge, dass traditionelle Gatekeeper größtenteils abgeschafft und dadurch die Eintrittsbarrieren für NFT-Schöpfer:innen gesenkt werden können (Chalmers et al., 2022; Chandra, 2022; Li & Chen, 2022). Digitaler Besitz: Mit NFTs können Eigentumsrechte an digitalen Gegenständen aufgrund der Blockchain-Technologie identifiziert werden. Im intelligenten Vertrag kann der bzw. die Schöpfer:in des NFTs festlegen, welche Eigentumsrechte an den bzw. die Käufer:in übertragen werden und welche weiterhin bei dem bzw. der Schöpfer:in bleiben (Belk et al., 2022; Li & Chen, 2022). Einzigartigkeit: NFTs sind aufgrund ihrer digitalen Identität nicht austauschbar (Chandra, 2022; Chohan & Paschen, 2021; Wilson et al., 2021) bzw. eins zu eins mit anderen NFTs auswechselbar. Sie sind somit einzigartig und geeignet, individuelle digitale Identitäten im Web3 zu schaffen (Li & Chen, 2022). Knappheit: NFTs schaffen Wert durch künstliche Knappheit. Sie werden wertvoller und erfolgreicher, je knapper das Angebot ist (Li & Chen, 2022; Serada et al., 2021). Beispielsweise wurde die NFT-Kollektion „Bored Ape Yacht Club“ (BAYC) auf eine Anzahl von 10.000 einzigartigen Affenbildern weltweit verknappt. Die komplette Kollektion war innerhalb von zwölf Stunden ausverkauft (BAYC, 2023; Linton, 2021). Der „Knappheitseffekt“ ist ein Werttreiber, der in empirischen Studien belegt wurde (Mekacher et al., 2022; Lee, 2021). Unveränderlichkeit: Aufgrund der Art und Weise, wie NFTs auf der Blockchain gespeichert werden, sind sie unveränderlich. Sobald eine Transaktion in einem Block auf der Blockchain gespeichert wurde, kann sie nicht mehr geändert werden, da alle nachfolgenden Blöcke auf den vorherigen Blöcken aufbauen und eine Änderung einen Dominoeffekt mit Einfluss auf die gesamte Kette auslösen würde. Deswegen können die Informationen, die in einem NFT enthalten sind, nicht geändert, gelöscht oder manipuliert werden (Wilson et al., 2021). Symbolwirksamkeit: Ein weiterer Werttreiber von NFTs ist die Interoperabilität und Übertragbarkeit, wodurch die Käufer:innen Signale z. B. auf ihren sozialen Netzwerken senden können (Casale-Brunet et al., 2022; Li & Chen, 2022; Zhang, 2022). Verbraucher:innen
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nutzen ihre NFTs (z. B. Affenbilder der BAYC-Kollektion) als Profilbilder in ihren Kanälen, die ihren Status aufwerten (Hofstetter et al., 2022; Lanz et al., 2019). Investitionsfähigkeit: Käufer:innen können den erworbenen NFT auf dem Sekundärmarkt weiterverkaufen, sofern dies im intelligenten Vertrag vereinbart wurde (Guadamuz, 2021; Mastropietro, 2021). Das schafft Vorteile für die Schöpfer:innen des NFTs. Im intelligenten Vertrag können sie Vereinbarungen zur Regelung aller Wiederverkäufe festhalten bzw. programmieren. Dadurch bilden sich neue Geschäftsmodelle. Sie können beispielsweise Wiederverkaufsgebühren verankern, sodass sie bei allen Transaktionen auf den Sekundärmärkten mitverdienen (Belk et al., 2022; Li & Chen, 2022; Whitaker & Kräussl, 2020). Außerdem bietet sich die Möglichkeit, NFTs als Teil eines diversifizierten Investitionsportfolios zu betrachten.
5.3.3
Empfehlungen bei der Einbindung von NFTs in Marketingkampagnen
NFTs können für Millionen von Dollar bewertet werden und gleichermaßen auch nur für ein paar wenige Cent. Der Wert von NFTs schwankt teilweise drastisch, trotzdem haben sie große Fortschritte auf den Verbrauchermärkten gemacht. Bei Unternehmen wie Coca-Cola, Pizza Hut, Gucci oder anderen Luxusmarken sind die digitalen Token Teil der Marketingstrategie geworden (Hofstetter et al., 2022). Laut dem Gartner Cycle for Key Technologies 2021 werden die Marketingfunktionen durch NFTs erheblich verändert. Marketingmanager:innen und Führungskräfte müssen verstehen, wie sie NFTs in ihren Marketingkampagnen effizient einbinden, um ihre Kund:innen für NFT-Käufe zu sensibilisieren. Sie müssen die Eigenschaften von NFTs, die den Produktwert von NFTs bestimmen, in ihren Kampagnen gezielt einsetzen, um ihren Kund:innen einen einzigartigen Wert zu bieten. Die Verwendung von NFTs in Marketingkampagnen schafft neue Cross-Selling- und Up-Selling-Möglichkeiten. Beispiel für eine Up-Sell-Möglichkeit ist der Verkauf eines NFT-Kunstwerks und das weitere Angebot einer limitierten physischen Druckversion dieses Werks, die mit einem Hologramm versehen ist und von der Künstlerin bzw. dem Künstler handsigniert wurde. Durch den Kauf dieser physischen Version kann die Käuferin bzw. der Käufer nicht nur eine greifbare Version des Kunstwerks besitzen, sondern auch einzigartige Sammlerstücke erwerben, die mit dem NFT verbunden sind. Zudem schaffen NFTs Vorteile in Bezug auf das Vorantreiben von engen Kundenbeziehungen oder die Erweiterung des Kundenkreises durch Ansprechen neuer Zielgruppen. Dezentralisierung. Traditionelle Gatekeeper können aufgrund des dezentralisierten Hauptbuchs (Blockchain) größtenteils abgeschafft werden, was das Vertrauen der Kund:innen erhöhen kann. Die Abschaffung von zentralisierten Mittelsmännern oder Gatekeepern
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kann Vorteile mit sich bringen, wie z. B. geringere Transaktionskosten, geringere Kontrolle von Großunternehmen sowie mehr Sicherheit und Transparenz (Hofstetter et al., 2022; Li & Chen, 2022). Eine Marketingkampagne könnte sich auf die Tatsache konzentrieren, dass die Nutzerin bzw. der Nutzer des NFTs die volle Kontrolle über ihre/seine digitalen Assets hat, ohne dass Dritte in den Handel eingreifen können. Digitaler Besitz: Digitalen Gütern wurde in der Vergangenheit ein geringerer Wert beigemessen als physischen Gütern, da kein starkes Gefühl von Eigentum erzeugt werden konnte (Atasoy & Morewedge, 2017). Dadurch, dass NFTs nicht replizierbar sind, wird ein Gefühl des digitalen Besitzes aufgebaut (Belk et al., 2022). Der digitale Besitz könnte in Kampagnen betont werden, indem diese darauf abzielen, dass Benutzer:innen sich besser fühlen, wenn sie einen NFT besitzen, im Vergleich zum bloßen Konsum von digitalen Inhalten ohne Besitz.
Einzigartigkeit: Jeder NFT ist einzigartig (non-fungible). Die Einzigartigkeit von NFTs stellt einen besonderen Wert für die Käufer:innen dar, da sie ein Gefühl von Individualität vermittelt. Man besitzt etwas, das niemand anderes hat (Chohan & Paschen, 2021). In Marketingkampagnen kann die Einzigartigkeit genutzt werden, um das Gefühl von Exklusivität und Seltenheit zu betonen. Zum Beispiel könnte eine Kampagne für Sneaker-NFTs darauf abzielen, dass die Käufer:innen Sneaker besitzen, die sonst niemand anderes hat. „Exklusiver Sneaker-NFT“ oder „1 × exklusiver Merch“ sind hierfür mögliche Beispiele.
Knappheit: Da NFTs oft auf eine begrenzte Anzahl beschränkt sind, sind sie tendenziell knapper als traditionelle digitale Assets, was wiederum den Wert steigert (Lynn, 1991). Im Marketing besteht eine der traditionellen Aufgaben darin, den Wert einer Ware oder Dienstleistung zu vermitteln. Aufgrund der Eigentumsgeschichte eines NFTs, die öffentlich auf der Blockchain gespeichert und verifiziert wird, kann der Wert transparent nachverfolgt werden (Hofstetter et al., 2022). Unternehmen können das Angebot ihrer NFTs künstlich verknappen, um die Nachfrage zu erhöhen. In den Marketingkampagnen könnten Signale gesetzt werden wie
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z. B. „Limitierter Sneaker-NFT“, sodass Käufer:innen schnell handeln müssen, um den NFT zu erwerben.
Unveränderlichkeit: NFTs werden auf der Blockchain gespeichert und machen diese unveränderlich. Die dezentrale Blockchain-Technologie sorgt für Authentizität und Unverfälschbarkeit, die wiederum die Echtheitsprüfung von NFTs ermöglicht (Hofstetter et al., 2022; Wilson et al., 2021). In Marketingkampagnen empfiehlt es sich, den Nutzer:innen klarzumachen, dass das erworbene digitale Asset fälschungssicher ist, was wiederum Transparenz und Vertrauen bei den Käufer:innen erzeugt.
Symbolwirksamkeit: Soziale Medien nutzen die Möglichkeit der Echtheitsprüfung von NFTs als Mittel, um den Nutzer:innen auf ihren Plattformen einen Status zu verleihen, der den Wert der Interaktion auf der Plattform vermutlich erhöht. Plattformen wie z. B. Twitter haben begonnen, die Eigentümerschaft von NFT-Bildern zu verifizieren, wodurch ein zusätzlicher Status verliehen wird, der über die Anzahl der Follower:innen und das Engagement hinausgeht (Hofstetter et al., 2022; Lanz et al., 2019). Kampagnen mit bekannten Persönlichkeiten (z. B. Kooperationen) können dazu beitragen, das Statusgefühl und das Gefühl von Exklusivität zu verstärken.
Investitionsfähigkeit: Des Weiteren können NFTs genutzt werden, um auf neue Märkte zu expandieren, wie z. B. Teil des Investitionsportfolios der Käufer:innen zu sein. Das Unternehmen „Timeless“ ermöglicht Käufer:innen in seltene Sammlerobjekte wie z. B. Uhren, Kunst, Fahrzeuge oder Trading Cards zu investieren. Die Idee dahinter ist, dass das Unternehmen die Sammlerobjekte verifiziert, erwirbt und dann die Anteile durch NFTs aufteilt, die jede:r ab 50 e erwerben kann (Timeless, 2023). Ein NFT kann für Käufer:innen eine Investitionsmöglichkeit darstellen. Eine Marketingkampagne könnte darauf abzielen, die Verbindung zwischen dem NFT und anderen traditionellen Investitionen wie Aktien, Immobilien und Anleihen zu betonen. Dies ermutigt potenzielle Käufer:innen gegebenenfalls, den angebotenen NFT als Teil eines diversifizierten Investitionsportfolios zu betrachten.
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Tab. 5.1 Zusammenfassung Einbindung von NFTs in Marketingkampagnen. (Quelle: Eigene Darstellung) Eigenschaft NFT
Praxis-Empfehlungen bei der Einbindung in Marketingkampagnen
Beispiele
Dezentralisierung
Betonung der vollständigen Kontrolle des Eigentums
Die Kampagne ermutigt Benutzer:innen, ihre NFTs weiter auf dezentralen Marktplätzen zu verkaufen, und erklärt die Vorteile der Blockchain-Technologie
Digitaler Besitz
Ein Gefühl von Besitz anstatt von reinem Konsum vermitteln
Ein Beispiel wäre eine Kunstausstellung, bei der jedes Kunstwerk auch als NFT verkauft wird und die Besucher:innen das Gefühl haben, ein Stück digitales Kunstwerk zu besitzen
Einzigartigkeit
Exklusivität als Signal setzen und Betonung des einzigartigen Designs
Exklusive, einzigartig designte NFTs, die nur an bestimmten Tagen oder nur an bestimmten Orten erhältlich sind
Knappheit
Limitierung hervorheben
Die Kampagne betont, dass nur eine limitierte Auflage des NFTs angeboten wird und Interessierte zügig handeln sollten
Unveränderlichkeit
Fälschungssicherheit deutlich machen
Eine NFT-Kampagne, die sich auf die Authentizität und Echtheit des Produkts oder Kunstwerks konzentriert, das als NFT verkauft wird
Symbolwirksamkeit
Kooperationen mit bekannten Persönlichkeiten
Zusammenarbeit mit bekannten Persönlichkeiten wie z. B. angesagten Musiker:innen, Künstler:innen, Influencer:innen und Einbindung auf deren sozialen Netzwerken
Investitionsfähigkeit
NFT als Teil eines diversifizierten Investitionsportfolios attraktiv machen
Die Marketingkampagne weist auf die Renditemöglichkeiten des NFTs als Investition hin und betont die Wiederverkaufsgebühren als Teil des Wertzuwachses
Zusammenfassend bietet Tab. 5.1 eine Übersicht zu Praxis-Empfehlungen bei der Einbindung von NFTs in Marketingkampagnen.
5.3.4
Beispiel-Kampagnen aus der Praxis
Nachfolgend werden die Kampagnen von Pizza Hut, Coca-Cola, Haftbefehl und Overpriced.™ vorgestellt, die auf unterschiedlicher Weise erfolgreich NFTs in ihren Marketingkampagnen eingebunden haben.
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Die erste Non-fungible Pizza von Pizza Hut Pizza Hut Canada hat die erste „Non-fungible Pizza“ entwickelt, die „1 Byte Favourites“. Der NFT ist ein digitales Pizza-Bild. Auf dem NFT-Marktplatz Rarible gibt das Unternehmen jede Woche ein neues Bild eines Pizzastücks mit einem anderen Rezept zum Kauf frei. Für 0,0001 ETH (18 Cent) wurde das allererste Pizzastück angeboten und schließlich für 8.824 Dollar verkauft. Die Idee hinter der Marketingkampagne ist die Steigerung der Markenbekanntheit (Rarible, 2023). Auf Twitter starteten sie die NFT-Kampagne mit folgenden Schlüsselwörtern: „Pizza Hut presents 1 Byte Favourites, a highly exclusive NFT minting run of 1 byte pizzas, each for the cost of 1 bite of pizza. Available for an extremely limited time, but will last forever“ (Pizza Hut Canada, 2021).
NFT-Artikel für den guten Zweck von Coca-Cola Coca-Cola startete am 30. Juli 2021 eine ganz spezielle Auktion auf dem NFT-Marktplatz OpenSea. Das Unternehmen versteigerte erstmals NFT-Sammlerstücke am internationalen Tag der Freundschaft und spendete 100 % der Auktionserlöse an Special Olympics International. Die Kollektion bestand aus vier multisensorische NFTs und wurde in einer virtuellen „Friendship Box“ ausgeliefert. In der Box befinden sich eine „Coca-Cola Bubble Jacket Wearable“, ein „Sound Visualizer“ sowie eine „Friendship Card“ (Coca-Cola-Deutschland, 2021). Community-Token von Rapper Haftbefehl Haftbefehl startete eine NFT-Kampagne unter dem Namen „069 – Leben, Life, Hayat“ und veröffentlichte 2022 den Community-Token „BABO“. Unterstützung bekam er von dem Unternehmen twelvebytwelve, die Musiker:innen beim Erstellen und Vermarkten von NFTs unterstützen. Mit dem Erwerb des NFTs haben die Käufer:innen Folgendes erhalten: 1 × limitiertes Artwork-Community-Profilbild „BABO“, 1 × exklusiver Haftbefehl-Merch zur 1999 Comic-Reihe und 1 × Haftbefehl 1999 Comic Part 1/6. Außerdem erhielten die Mitglieder:innen des Community-NFTs Zugang zum exklusiven Haftbefehl-Discord-Channel, Voting-Rechte für Abstimmungen in der Haftbefehl-Web3-Community, Zugang zum exklusiven Haftbefehl-Metaverse-Konzert und Airdrop exklusiver Haftbefehl-Content. Mit dem Community Token baute sich Rapper Haftbefehl seine eigene exklusive Fan-Community im Web3 auf (twlvxtwlv, 2023). Modemarke Overpriced.™ Overpriced.™ sieht sich als weltweit erste echte NFT-gesteuerte Modemarke der Welt. Ihre Kampagne ist daraufhin konzipiert, einen physischen Kapuzenpullover mit einem scannbaren V-Code zu verbinden, der es Käufer:innen ermöglicht, ihren einzigartigen NFT zu
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tragen und zu authentifizieren. Sollte der Pullover verloren, beschädigt oder verkauft werden, können die V-Codes ungültig gemacht werden und das Unternehmen verspricht, einen neuen Pullover an die Adresse der neuen Besitzerin bzw. des neuen Besitzers zu schicken, um eine neue Authentizität zu schaffen. Die „First Edition“ der Marke wurde auf dem NFT-Marktplatz BlockParty für 26.000 Dollar verkauft. Insgesamt 25 NFTs wurden auf den Markt gebracht, von denen zehn versteigert wurden und der Rest an Influencer:innen verteilt wurde (Overpriced.™, 2023; Perper, 2021).
Fazit
Marketingverantwortliche sollten sich mit der Web3-Technologie auseinandersetzen und neue Formen des Eigentums beispielsweise durch NFTs mitdenken. Unternehmen wie Pizza Hut, Coca-Cola, Adidas oder Gucci nutzen NFTs bereits als Teil ihrer Marketingstrategie und präsentieren neue Wege im Marketing. Die besonderen Eigenschaften der digitalen Token sind Werttreiber, die in den Kampagnen gezielt eingesetzt werden können. Die Verwendung von NFTs in Marketingkampagnen können neue Cross- und Up-Selling-Möglichkeiten schaffen, Kundenbeziehungen weiter vorantreiben und den Kundenkreis durch Ansprechen neuer Zielgruppen erweitern. Vor der Einbindung von NFTs in Marketingkampagnen sollten kontinuierlich die Entwicklung von NFTs und die Veränderungen in der Nachfrage mit Hilfe von Trackern wie Nonfungible.com beobachtet werden.
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K. Blömer
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5 Neue Wege im Marketing …
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Kathrin Blömer ist Absolventin (M.Sc.) im Studiengang Business Administration an der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Marketing/Medien und Unternehmensführung. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich intensiv mit der NFT- und Web3-Thematik und entwickelte einen komplexen Online-Fragebogen in Bezug auf Community-NFTs und dem AIDA-Modell. Zuvor studierte sie Wirtschaftswissenschaften (B.Sc.) an der Universität Osnabrück und lehrte als Tutorin das Fach Marketing. Während und nach dem Studium arbeitete sie in verschiedenen Marketing-Bereichen und spezialisiert sich derzeit auf das digitale Marketing und wie Web3-Anwendungen etabliert werden können.
Teil II Implementierung von Marketingtechnologien
6
Strategy, Conception, and Success Factors of Building a Modern, Customer-Centric Marketing Tech Stack Martino Saracino
Abstract
Historically marketing executives face many challenges, such as low efficiency in marketing processes, inconsistent messaging, and lack of transparency on activities, performances, and the contribution of marketing to sales. Using modern digital technologies to build marketing tech stacks can help to overcome these challenges. This article will dive into the structure, architectural details, and key automation of a modern, customer-centric B2B marketing and sales tech stack. In addition, strategies and requirements for its build-up are outlined, as well as the learnings highlighted that are critical in ensuring full utilization of the tech stack and value generation for customers and companies alike.
6.1
What is a Marketing Tech Stack?
A marketing tech stack is a comprehensive set of marketing and digital tools that automate and drive efficiency in marketing & sales at every stage of the customer journey, preferably from the awareness stage deep into the post-purchase stage. To do so, such a tech stack integrates customer-facing channels (such as marketing, sales, service, or other channels) to display marketing messages. At the same time, the tech stack largely automatically collects information about buyers’ actions and derives the buyers’ interests from this. This information determines in real- or near-time the next best marketing action and, thus, how and with what to engage customers next. The ambition M. Saracino (B) QIAGEN, Hilden, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_6
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80
M. Saracino
of companies with strong marketing tech stacks is to provide the right information to the right person at the right time, hence, creating customer value through a delightful experience, and a competitive advantage through superior commercial operations.
6.2
The Need for Building a Modern, Customer-Centric Marketing Tech Stack
Companies in the ’20s of our century navigate a more complex and faster-changing world than ever before. To succeed, companies must adapt to this new environment, build capabilities to manage complexity better and become more responsive and resilient. Different factors drive today’s business complexity, such as innovation speed, rising customer expectations, and volatility of global markets, all resulting in an increasing number of requirements for companies (Morieux & Tollman, 2014). In this decade of “stacked crises”, market volatility has become a key driver of complexity. “Stacked crises” means several major challenges that impact global markets simultaneously, influencing and amplifying each other and forcing companies to adapt. For instance, companies faced the lingering issues of the financial crises of the 2010s’, a deglobalization trend, and global climate change when unexpectedly, the COVID-19 pandemic and, during the late stage of the pandemic, the RussiaUkraine war hit the world. The impact of such a mix of crises on corporate operations and the global supply of resources and goods is manifold.
For marketing executives, digital is the most critical field due to its very high speed of innovation and potential to disrupt whole markets. Digitization is changing markets and customer expectations faster than ever. As a result, digitization by itself is a driver for business complexity. However, digital technologies combined with marketing process excellence provide executives with new capabilities to manage the higher complexity and, at the same time, overcome typical marketing challenges, thus, building a competitive advantage. For instance, executives of marketing organizations with low digital and process maturity often face low efficiencies in their processes, inconsistent messaging, a lack of transparency on campaign activities and performances, and an unclear marketing contribution to sales. Over the last couple of decades, a vast number of marketing tools became available that help to overcome these challenges. Companies that understand the competitive advantage they can gain from digitizing and restructuring their entire marketing and customer-facing functions have embarked on a journey to build sophisticated, customer-centric tech stacks. Such organizations can orchestrate the execution of large, global marketing plans across multiple channels and deliver the right messages to the right customers at the right time, consequently providing delightful customer experiences at scale. More relevant communication with customers increases effectiveness, and automation drives efficiency.
6 Strategy, Conception, and Success Factors …
81
Companies that successfully transformed their marketing deliver relevant content to consumers at multiple moments across the buyers’ journeys and reported double-digit increases in revenues and likewise savings in costs (Field et al., 2019). In addition, such digitized marketing organizations can manage complexity better through their higher level of transparency on and efficiency of marketing operations, enabling them to respond quicker to unpredicted and sudden changes in the market and therefore making them more resilient – A key requirement to be successful in this century.
6.3
Requirements to Successfully Build and Fully Exploit Sophisticated Marketing Tech Stacks
6.3.1
Level of Integration, Customer Data Collection, and Data Protection
To unlock the full potential of marketing technology, single tools need to be interconnected to form a harmonized marketing tech stack. Such a stack ideally (1) spans the entire customer journey from early awareness deep into the post-purchase stage, (2) feeds data to a centralized customer intelligence engine that (3) enables use cases that are integrated deep into customers’ B2B or B2C lives at all stages of the funnel (Fig. 6.1). The collected customer data is critical in enabling companies to provide customer experiences far superior to what was possible in the past. Therefore, a key goal of setting up such tech stacks is to enable the company to capture all data generated across the tech stack and use it to fuel marketing automation, analytics, and data science use cases, such as product and content recommendation engines, 360°customer profiles, and customer scores to determine the next best nurture tack and action. Customer data collection must happen in compliance with data protection regulations. Compliance requires that customers consent to the collection and use of their data. As a result, companies developed different strategies to gain the customers’ consent. One strategy is to use the brand asset and the customers’ trust that the brand acts in their best interest and will protect their data. Another strategy is to offer financial and nonfinancial incentives, such as free educational offers, to gain the customers’ consent for data usage. A third approach is developing products, services, or pricing models that require customers to consent to the collection of data to unlock the value of the offer. An example of the latter are location services on smartphones, which require GPS tracking to be always active. Companies that develop, use, and combine the right strategies successfully gain access to detailed data of their customers. Over time, customers become accustomed to sharing data and grant companies more and more rights to use their data. However, the customers’ consent is only sustainable if companies ensure compliant use and protection of
82
M. Saracino
Fig. 6.1 Illustration of the interplay between an extensive B2B Marketing Tech Stack and a centralized customer intelligence engine to enable use cases with a high level of personalization and integration into all stages of a customer’s journey (own illustration)
the customers’ data. Non-consented use or, even worse, unwanted access of 3rd parties to data can severely damage a brand and put the company’s future at risk.
6.3.2
Organizational Enablers to Build, Operate and Exploit a Marketing Tech Stacks
However, more than technology and compliance with regulations is needed to utilize a marketing tech stack fully. Companies must also establish organizational enablers that support innovation and continuous marketing improvement. Key enablers are: 1. Centralization of global marketing functions to increase the level of expertise – For example, global campaign management, content creation, design, channel, automation, and analytics teams 2. Development of standardized marketing processes, such as planning, execution, and quality assurance, ideally with a focus on customer centricity 3. Definition of clear and not overlapping roles and responsibilities
6 Strategy, Conception, and Success Factors …
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Establishing the organizational enablers is the first step in the digital marketing transformation, as the marketing and digital expert teams and their know-how are pivotal for a successful transformation. The second step is to ask the experts to team up and form cross-functional project teams that define the target operating model’s processes and derive requirements for the tech stack. Marketing and digital experts are most qualified to detail the target marketing operating model. Additionally, empowering them to do so is in line with the “smart simplicity” approach and, hence, incentivizes them to define sustainable processes and solutions, as it is they that will later execute and work with them (Morieux, 2011).
6.3.3
Modern Project Approach to Minimize Complexity and Risk of Failure
Building a comprehensive marketing tech stack requires the commitment of significant resources. A modern incremental and agile project approach is best suited in such cases. This approach lets organizations focus first on small parts of the tech stack by developing minimum viable products (MVPs), piloting them in the real world, and quantifying their benefits for the customers and company. Developing MVPs takes significantly shorter than building the entire tech stack. If the MVP works well, tangible achievements can be quickly communicated to the organization, ensuring continued support for the digital transformation. Conversely, if the MVP fails, the initial plans can be reviewed early into the transformation using real-world data, and the best way forward can be determined (“adjust or start from scratch”, “make or buy”, “suite or best-of-breed” – More information on how to take these decisions are outlined in Sect. 6.4). An additional advantage of this approach is that companies are more responsive to market changes. After each MVP launch, companies can reevaluate market, customer, and corporate needs and adjust their strategy before starting with the development of additional features or a new MVP. Companies are free to decide what an MVP is. However, the MVP needs to be a product with enough features to attract early adopters to validate the enhancement early in the development process. Hence, an MVP can be a single new feature developed inhouse or activated by a tool/suite provider. The MVP can also be a new tool developed in-house or purchased off the shelf and added to the marketing tech stack. In the latter case, the MVP approach requires focusing on establishing the tool’s most valuable use cases instead of striving for full integration and build-up of all tool use cases. Limiting the MVP scope results in lower project complexity, quicker real-world evidence, and lower investment risk than a complete tool integration. In contrast to agile projects, traditional projects execute the entire project scope, striving for fully establishing large sections of a tech stack or at least full integration of a
84
M. Saracino
tool before launching it in the real world. This approach increases the time until the first real-world data is collected, increases the project’s complexity, and increases the risk of failure.
6.4
Decision Between Make or buy, and Best-of-Breed or Best-of-Suite in Marketing Tool Selection
A recurring question in building a marketing tech stack is, “Which marketing tool should be chosen?”. Companies have to choose for every tool between in-house development or purchasing an off-the-shelf tool, and for the latter, a decision between different tools must be made. Some of these off-the-shelf tools rank high in evaluations (best-of-breed). Others may be part of a larger ecosystem of marketing tools (suites) with an extensive breadth of functions and a high level of integration within the suite tools. There is not one right answer. It is critical to evaluate different options for every part of the tech stack, in-house development vs. best-of-breed vs. suite, to prevent selecting a tool that does not satisfy key requirements. No tool covers all current and future requirements. Hence, marketing organizations must adjust their activities to the tools to maximize the value gained from using the marketing tool. Selecting several marketing tools from the same suite benefits procurement, ensures a high priority of support requests due to the higher commercial value for the tool provider, and reduces the work required to set up and maintain data interfaces within the suite. However, there is no general rule that suites are better than a best-of-breed approach. The best option is the one that satisfies the company’s needs and fits best into the existing tech stack. The decision between make or buy is often simpler than between different off-the-shelf tools. In-house development demands the commitment of significant resources. Therefore, buying tools instead of developing them from scratch is often the most economical and less complex option. However, “buy” instead of “make” is more economical if only a few tool customizations are needed. Each customization reduces the advantages of an off-theshelf tool vs. an in-house developed solution, as customizations may require adjustments upon each update of the tool, which again requires in-house development. The limitations of off-the-shelf tools in satisfying business process requirements are often the driver for customizations. However, companies should consider an in-house developed solution in such cases or review and redesign their business processes to minimize the need for customization.
6 Strategy, Conception, and Success Factors …
6.5
85
Structure of a B2B Marketing Tech Stack and Its Essential Building Blocks
There are different approaches to structuring a marketing tech stack. For example, along the marketing process, marketing functions, corporate structures, business areas, or buyer journey, to name the most common ones. Ultimately, the structure must fit the companies’ needs, processes, and views on their markets and customers. However, structuring the marketing tech stack along the buyers’ journey fosters customer-centricity, which is desirable. A tech stack can also integrate different structuring approaches into one. Fig. 6.2 illustrates a sophisticated tech stack structured across the marketing process and along the customer journey at the same time. This tech stack consists of four main sections: 1. 2. 3. 4.
PLAN & PREPARE EXECUTE & ORCHESTRATE MONITOR & STEER RECORD & REFINE
The first three sections divide the tech stack into the main stages of the marketing process. In addition, the EXECUTE & ORCHESTRATE section is sub-structured along the buyers’ journey. This structuring assigns customer-facing tools a defined role in the marketing process and channels a defined role in the journey. Some channels create awareness, while others drive engagement or connect customers with the sales channel of their choice. Selected channels expand across several sections of the journey, which helps in providing a seamless experience. Customer data is captured at every journey step and handed over downstream between channels and marketing tools to create increasingly rich customer profiles and use them to personalize the experience. However, channels and marketing tools do have limitations when it comes to contact data management. This limitation is overcome through the additional RECORD & REFINE section. Each section of the marketing tech stack (Fig. 6.2) consists of several building blocks and automation that are described in more detail in the chapters Sect. 6.5.1 through Sect. 6.5.4.
6.5.1
Key Building Blocks and Automation in the PLAN & PREARE Section
This section of the tech stack is subdivided into three functional building blocks. The first block takes care of marketing asset management, e.g., product information, images,
Fig. 6.2 Example of a sophisticated B2B marketing tech stack, its key building blocks, and its structuring into marketing process stages, as well as along the buyers’ journey (own illustration)
86 M. Saracino
6 Strategy, Conception, and Success Factors …
87
content1 , and videos. Marketing assets are best managed and hosted centrally in dedicated systems that offer APIs (application interfaces) to access assets and embed them automatically at the marketing and sales touchpoints where the asset is needed, for example, on website pages or other marketing touchpoints. Centralization is also crucial for the second block, marketing & campaign planning. Suitable tools allow different marketing stakeholders to work collaboratively on the plans and set up customized IT-based process flows, for example, for marketing plans and campaign approvals. Some modern tools enable companies, additionally, to combine campaign planning with content creation and management processes, as well as to manage the collaboration between different experts through ticket-type features. The latter reduces the administration work in campaign creation and provides transparency on how much bandwidth of each marketing function (content, campaign, channel, analytics) is being used by a campaign. Ideally, tools in this block allow transferring relevant campaign metadata and assets automatically to systems in the EXECUTE & ORCHESTRATE section, for example, to the marketing automation platform, social media channels, and CRM system. The data and asset transfers reduce the effort in the campaign execution but, more importantly, enable the automated launch of campaigns. Some tools additionally offer a back sync of campaign performance data into the marketing planning system, which can simplify campaign monitoring and optimization. The centralized management of assets and marketing planning reduces the overhead significantly and enables marketing experts to focus on their core value contribution, such as content creation or campaign management and optimization. Finally, companies can integrate industry-specific external data sources into marketing planning, targeting, and campaign preparation. The level of automation that makes sense depends on different factors, such as the costs for the API service of the external data sources and the value added by automating the data ingestion, to name the two most crucial factors.
6.5.2
Key Building Blocks and Automation in the EXECUTE & ORCHESTRATE Section
Various outbound marketing channels are integrated into the tech stack to reach a broad audience of existing and new customers. Outbound activities, such as press releases, search engine advertisements, social media posts, or emails, raise awareness and drive interested leads to the company’s digital spaces, like the corporate website. The website is at the core of the EXECUTE & ORCHESTRATE section and provides seamless, UX-optimized customer journeys, guiding visitors to resources and digital 1 Content can be managed in a dedicated marketing asset system. However, modern marketing tools
enable companies to manage and plan content and campaigns in a combined way.
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M. Saracino
spaces across the buyers’ journey (e.g., educational content, product information, order placement, self-services, and support sections). Paths are designed for different customer personas and continuously optimized using data from web analytics, website tests, and direct customer feedback. A customer engagement portal is the centralized digital entry point providing personalized access to a vast ecosystem of add-on services and features, in exchange for consenting to a more exhaustive usage of the contact’s data. Providing consistent personalization across all digital touchpoints requires harmonizing contact identifiers and data across critical systems, such as the customer engagement portal’s backend, marketing automation platform, and CRM system. The marketing automation platform is pivotal for this data harmonization. The platform integrates with crucial channels in the upper funnel (awareness and engagement), fully automating lead data capturing, processing, and handover to downstream channels. In addition to the lead automation, standardized processes are set up in the marketing automation platform to ensure data protection-compliant contact engagement and data processing. In addition to digital channels, traditional offline channels, such as in-person events, telemarketing, and sales representatives, are integrated into the data pipeline of the marketing tech stack. For example, lead data are captured digitally by event teams during an event and instantly transferred to the marketing automation platform, the central storage for all marketing contacts. From there, event leads are automatically transferred to telemarketing. The telemarketing expert engages contacts right after an event or webinar to discuss the leads’ questions and needs, provide additional information and content, assess the interest level, and connect the lead to the best-suited sales channel.
6.5.3
Key Building Blocks and Automation in the MONITOR & STEER Section
A combination of real-time interactive dashboards, automated reports, and customer surveys is used to monitor the performance of campaigns’ and channels’, and generate customer insights. Interactive dashboards enable data-driven decision-making in marketing and sales at scale. An interactive dashboard is a standardized frontend that visualizes extensive databases by calculating key performance indicators (KPIs) and breaking them down along different dimensions (e.g., time, geography, products, and customer type). Interactive dashboards are critical in establishing a data-driven culture as they enable “non-Data Analysts” to dive into data, and identify problems and root causes, by slicing, cutting, and dicing data using standardized filters. Dashboards ensure that every stakeholder in the organization steers activities using the same up-to-date KPIs. However, this also limits dashboards to the most common and critical KPIs and views. Complementary to dashboards, individual reports, and in-depth
6 Strategy, Conception, and Success Factors …
89
analytic studies are needed to investigate specific business questions. Such individualized reports can be automated with the right tech stack if updates are needed regularly. Finally, customer surveys provide direct customer feedback, hence, complementary insights.
6.5.4
Key Building Blocks and Automation in the RECORD & REFINE Section
In the exemplary B2B marketing tech stack, this section consists only of one extensive block, namely a data lake, that consolidates all relevant contact data captured across the tech stack into one data governance framework. However, using a data lake is a design choice. A data lake is not required to build a marketing tech stack. Instead, dedicated tools exist which perform similar tasks as the data lake in Fig. 6.2, for instance, a dedicated Customer Data Platform (CDP) to consolidate contact data into one centralized view and feed this information to touchpoints across the buyers’ journey to personalize the experience. Data lake refers to a system, platform, or repository to store raw structured or unstructured data extracted from individual data silos of a company, such as marketing tools, CRM platforms, ERP, IoT, or production systems, like instrument sensor data. Data is transformed and combined across data silos to create value through advanced analytics, reporting, or other use cases. (Gorelik 2019). The advantage of using a data lake is a higher level of flexibility. It can host raw data from a wide range of IT systems, not limited to marketing, and its computation power is easily scalable. As a result, using a data lake enables organizations to explore the value their data assets have freely by breaking up data silos, performing cross-system data analytics, and exploring the value of data science for them in-house. In addition, automation of ETL processes (Extract, Transform, Load) is straightforward in a data lake and a high level of automation results in more stable and efficient commercial operations and high responsiveness to customer actions. The disadvantage of a data lake is the higher technological complexity and need for inhouse development. Consequently, a data lake requires dedicated experts (data engineers, data analysts, and data scientists) to be operated and fully exploited.
90
M. Saracino
6.6
The Lessons Learned From the Digital Marketing Transformation and its Impact on KPIs
6.6.1
Lessons Learned
Centralization of global marketing with dedicated experts (e.g., nurturing, analytics, content, channels) drives the level of expertise in the marketing organization. It also fosters continuous improvement as every expert team pushes for excellence in their area. In addition, forming cross-functional teams that design global marketing processes is essential to drive initiatives that identify requirements for the marketing tech stack and fully exploit the stack. The starting point for building a marketing tech stack is often a focus on internal processes and their automation. However, this internal focus limits the gains from automation to process efficiencies. To go beyond process efficiencies requires focusing on improving the buyers’ value. The best way to do this is to map essential buyers’ journeys and identify critical improvements. Once the critical improvements are identified, expert teams define use cases that optimize the buyer’s journey, which results in technical requirements for the tech stack. Finally, these new requirements trigger a targeted marketing tech stack improvement (through adjustment, development, or implementation of marketing tools) that directly results in tangible value as it fixes a concrete problem. The cultural change to integrated, performance-focused, data-driven marketing is a lengthy process that requires persistence, continuous communication, and the organization’s education. Nominating change ambassadors complements the communication and educational efforts. Change ambassadors lead the way toward the target operating model by sharing their experiences and best practices, making the transition for every individual more tangible and accessible. Complexity can grow out of hand. Therefore, an agile project approach focusing on incremental improvements through MVPs (Minimal Viable Products) is best suited. Additionally, a regular review of the IT landscape allows for identifying consolidation potential. New consolidation potential often results from new functions in marketing tools that make other tools obsolete. Replacing obsolete tools by using new functions in other tools reduces the number of tools and the number of interfaces for automated data transfers. Both reduce the complexity and maintenance effort of a marketing tech stack. A growth mindset and the support of senior management are critical for a successful transformation. The goal must be to use technology to build a sophisticated digital marketing and sales platform. This goal requires reinvesting efficiency gains into the transformation to keep the momentum. The transformation will not be successful if efficiency gains are used to reduce the marketing cost base.
6 Strategy, Conception, and Success Factors …
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Finally, collecting exhaustive structured data with the customers’ consent is essential for building a competitive advantage. The collected data increases the value of the marketing and sales data assets. It enables companies to tap into new value pools beyond traditional process efficiencies, such as superior customer insights, delightful journey experiences, and the design of new value propositions.
6.7
Impact of Digital Marketing Transformations
Companies that build a marketing tech stack and transform their marketing organizations see double-digit growth in their Marketing KPIs and returns (Field et al., 2019). However, especially B2B companies with complex products face limitations in linking marketing growth to revenue growth. This can result in upper funnel KPIs (such as digital advertisement impressions, traffic to the website, registrants for events and webinars, and the total number of engaged contacts) growing at CAGRs above 30 % but lower funnel KPIs (such as CRM funnel and sales KPIs) lagging behind with single digit to low double-digit CAGRs. This gap can be factual or fictitious, or a combination of both. Hence, to overcome this gap, a two-pronged approach is recommended. Firstly, companies must ensure end-to-end alignment between marketing and sales activities. The marketing tech stack acts in this effort as an enabler, ensuring the efficient handover of key information from marketing to sales. The goal is to establish a digitally enabled, integrated marketing and sales engine in which both marketing and sales have common goals and regularly align to ensure the sales value of marketing activities. Secondly, companies must find ways to infer or model marketing returns more accurately. Successfully quantifying marketing returns is an ongoing analytics and data science challenge. However, state-of-the-art methods exist that approximate and quantify at least parts of the marketing returns, providing directional information to optimize marketing activities. Companies that outperform competitors in linking marketing activities to revenues gain a competitive advantage through the ability to optimize marketing in the right way. Six key Lessons Learned
i. Centralization of global marketing with dedicated experts drives the level of expertise. II. To go beyond process efficiencies requires focusing on improving the buyers’ value. III. Cultural change requires persistence, continuous communication, and the organization’s education. IV. Complexity can grow out of hand.
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V. A growth mindset and the support of senior management are critical for a successful transformation. VI. Collecting exhaustive structured data with the customers’ consent is essential for building a competitive advantage.
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Dr. Martino Saracino is Director of Marketing Insights and Analytics at QIAGEN, where he focuses on digital technologies, data analytics, and combining both to build a modern customer-centric marketing tech stack, distinguished in 2022 with the Marketing Tech Award. Prior to this, he worked as a strategy consultant at the Boston Consulting Group. In addition to his decade of experience in IT, digital, and analytics, he holds a Ph.D. in natural sciences from the University of Bonn and masters in engineering from the École Centrale Paris (P2007, today CentraleSupélec Paris-Sacley) and physics from the University of Stuttgart.
7
Martech – Evolution vom kreativen Chaos zum etablierten Software-Ökosystem Carsten Skerra
und Sibylle Kunz
Zusammenfassung
Dieser Artikel befasst sich mit der Frage, ob und inwieweit sich die weitere Entwicklung im aktuell sehr volatilen Markt der Anbietenden von MarketingtechnologieWerkzeugen (Martech) vorhersagen lässt. Im Jahr 2011 wurden zirka 150 MartechAnbietende durch Marktbeobachtende identifiziert, im Jahr 2022 waren es bereits 10.000 Anbietende. Lassen sich trotz dieser Dynamik in der Marketingtechnologie frühe Anzeichen für die Weiterentwicklung finden, indem man Parallelen zu den Entwicklungen und vergangenen Evolutionsschritten anderer Unternehmen und Branchen der Informationstechnologie zieht? – Die Grundlage für die Betrachtungen ist hierbei das existierende Paradigma der „Evolution der Softwareentwicklung“, welches in seinem Kern die Entwicklung von Softwareprodukten, ausgehend von der Einzelidee hin zu Branchenprodukten und letztlich zu Software-Ökosystemen beschreibt. Die beobachtbaren Anzeichen und Eindrücke, zunächst von Diversifikation und Wachstum hin zu Konzentration, Integration und Standardisierung, sollen hierbei mit Hinblick auf die Marketingtechnologie analysiert werden. Dabei werden Trends wie „No Code“ und das Metaverse ebenfalls in die Betrachtung eines zukünftigen Martech-Software-Ökosystems mit einbezogen.
C. Skerra (B) IU Internationale Hochschule, Campus Stuttgart, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Kunz IU Internationale Hochschule, Campus Mainz, Mainz, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_7
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7.1
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Softwareentwicklung – Wegbegleiter in das Digitale Zeitalter
Die Softwareentwicklung bleibt immer noch eine junge Disziplin im Vergleich mit anderen Ingenieursdisziplinen, häufig wird dabei Bezug genommen auf die Software-Krise in den 1970er Jahren. Die Autoren Jochen Ludewig und Horst Lichter beschreiben diesen Zeitpunkt als den Übergang von der „Epoche der Hardware-Probleme“ hin zur „Epoche der Software-Probleme“ (Ludewig & Lichter, 2013). Der Zeitpunkt liegt nun ein wenig in der jüngeren Vergangenheit und viele werden unterstreichen, dass wir uns immer noch in der Epoche der Software-Probleme befinden. Doch es bleibt festzuhalten, dass sich in den letzten 50 Jahren das ingenieurmäßige Vorgehen der Softwareentwicklung (passenderweise als „Software-Engineering“ bezeichnet), wesentlich weiterentwickelt hat. Dabei wird auch häufig der Fehler gemacht, die moderne, agile Softwareentwicklung der historischen, klassischen gegenüberzustellen, anstatt den Fortschritt im Rahmen einer historischen Evolution vieler Errungenschaften zu betrachten. Die „Evolution der Softwareentwicklung“ (Sadi & Yu, 2014) ist damit als Wegbegleitung und wichtiger Meilenstein in das Digitale Zeitalter zu verstehen, welche uns bereits seit mehreren Jahrzehnten begleitet und auch zukünftig weitere Entwicklungen ermöglichen wird. Im Folgenden soll nun der Prozess der Softwareentwicklung von und für internationale Unternehmen auf parallel verlaufenden Zeitlinien skizziert werden. In den 1990er Jahren bestimmten die Entwicklung und Einführung von Enterprise-Ressource-Planning (ERP)-Systemen das Gros der Informationstechnologie (IT)-Projekte der Unternehmen. Beispielhaft genannt seien die Entwicklungen dieser Enterprise-Ressource-Planning (ERP)-Systeme von Firmen wie Siebel, Oracle und SAP. Ausgehend für die Konzentration war, dass Insellösungen, wie die Finanzbuchhaltung (FiBu) und die Materialwirtschaft und Produktionsplanung der ersten und zweiten Generation (auch als Material Requirements Planning MRP I + II bezeichnet), verfügbar und im Einsatz waren, aber ihr gesamtes Potenzial erst durch die horizontale Integration von durchgängigen Prozessen über die vorwiegend technischen Grenzen der Softwareprodukte hinweg erlangen konnten. Diese Produktsuiten konnten mittels aufeinander abgestimmter Schnittstellen Daten austauschen und damit ein breiteres Aufgabenspektrum abdecken. Im Sinne von ERP-Systemen kamen dann später noch Funktionalitäten bezüglich der Personalwirtschaft (HR), der Produktionsplanung, der Projektsteuerung und Unternehmensentwicklung hinzu. Durch diese horizontale Integration ergab sich eine große Zahl an Vorteilen und neuen Funktionalitäten in der Anwendung von Beschaffung, Produktion und Absatz. Nicht zuletzt wurden hierdurch die Grundlagen geschaffen, um marketingspezifische Prozesse zu unterstützen, wie kundenbezogene Ende-zu-Ende-Beziehungen zu ermöglichen, den Kundenfokus kontinuierlich zu verbessern und die Wertschöpfungskette transparenter, effektiver und effizienter zu machen. Als ein Beispiel sei die Automobilbranche genannt, die mit dem Einsatz dieser Systeme sowohl die Just-in-Time-Produktion umsetzen konnte
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als auch – durch die praktische Anwendung der Losgröße Eins in Produktion und Absatz – die Anpassung und Erweiterung ihrer Produktpaletten um kundenspezifische Fahrzeuge erreichte. In dem beschriebenen Zeitraum entwickelte sich parallel das Internet mit Technologien wie dem Web-Server oder aufgrund der rasant wachsenden Informationsvielfalt das Bedürfnis nach leistungsfähigeren Suchmaschinen. Nur hatten diese zunächst wenig mit geschäftskritischen IT-Projekten in den oftmals produktionsorientierten Unternehmen zu tun. Dennoch entwickelten und etablierten sich teilweise hier Softwarefirmen und Internetdienstleister wie Netscape, Google oder AOL. Erst nach und nach ließen sich die Technologien und Funktionalitäten in firmeneigenen Servern, zum Beispiel für den Betrieb eines Intranets, realisieren, von unternehmenskritischen IT-Projekten hätte in diesem Zusammenhang wohl noch niemand gesprochen. Als erstes Unternehmen hat sicherlich Amazon das Potenzial des E-Commerce in den Bereichen B2C und B2B erkannt, mittels Internettechnologien zwischen Anbietenden und den Endkunden einen „direkten“ Draht aufzubauen und Intermediäre aus der Lieferkette zu entfernen. Beleuchtet man die Situation der Softwareanbietenden von Webshop-Lösungen, so fanden sich Anfang 2010 oder vielleicht noch bis 2015 etliche Technologieanbietende in diesem Segment. Heute hat sich der Markt konsolidiert, der Plattform-Gedanke ist in den Vordergrund gerückt und zudem können so weitreichende internationale Standards gesetzt werden. Als Ausgangspunkt kann folgendes Beispiel aus dem Bereich des E-Commerce dienen, ein Geschäftsmodell, das heute von Anbietenden, wie Amazon oder Alibaba im asiatischen Raum, dominiert wird. Weniger bekannt ist, dass diese auch Technologieanbietende der eigenen Plattformlösungen in Form von Offenen-Shop-Konzepten sind sowie als Cloud Provider in den Märkten tätig sind. Durch den Einfluss auf die eingesetzte Technologie lassen sich dann zukünftige De-facto-Standards durchsetzen, wie exemplarisch die Bezahllösungen Amazon Pay oder Alipay. Was unterscheidet nun die Entwicklung von Martech von der Entwicklung von ERPSystemen, der Entwicklung des Internets oder dem Wandel von Geschäftsmodellen? Gibt es hier Unterschiede oder gehen die zehntausend Anbietenden von Martech den gleichen Weg? Welchen Einfluss hat die Evolution der Softwareentwicklung dabei? – Ein Unterschied liegt in der Vorgehensweise: Über lange Jahre wurde Software, häufig im Sinne einer Projektvergabe, beauftragt (Abb. 7.1). Dabei wurde zunächst eine umfassende Spezifikation der Funktionalität erstellt, eine Abschätzung über Machbarkeit und Kosten durchgeführt, ein Preis festgelegt und dann erst in die Umsetzung gestartet. Inzwischen hat sich das Vorgehen gewandelt. Modernes Software Engineering unterscheidet sich heute von dem damaligen Paradigma der projektbasierten Softwareentwicklung, bei der die Kundschaft das Produkt und seine Funktionalität spezifizieren und kostenpflichtig beauftragen musste (Pull-Prinzip). Nun herrscht eine produktbasierte Softwareentwicklung vor, bei der die Funktionalität vorab von den Softwareanbietenden bereitgestellt wird (Push-Prinzip).
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Abb. 7.1 Klassischer Entwicklungsprozess von Individualsoftware für Marketing. (Eigene Darstellung)
Sommerville (2019) beschreibt produktbasiertes Software Engineering auch als die neue Option für Softwareentwickler und Softwareanbietende, durch eigene Kreativität und Ideengabe innovative (Software-)Produkte und -Funktionen zu entwickeln. Die Kundschaft und deren Interessen bleiben hier unter Umständen zunächst einmal außen vor. Jedoch kann die Kundschaft sich in diesem Fall für ein einsatzbereites oder sich in der Entwicklung befindliches Produkt entscheiden, während sie früher in eine finanzielle Vorleistung gehen musste – und die Kund:innen das Risiko von Erfolg, oder häufiger Misserfolg, der Softwareentwicklung tragen mussten – was der Softwarebranche und ihren Projekten in der Vergangenheit oftmals einen negativen Ruf eintrug. Demgegenüber ist festzuhalten, dass man die Softwareunternehmen nun als eigenständige Anbietende ihrer Produkte im Markt anerkennt und das unternehmerische Risiko sich von den Anwendenden zu den Anbietenden verlagert hat (Abb. 7.2). Damit erschließt sich aber auch
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Abb. 7.2 Moderne, produktbasierte Softwareentwicklung. (Eigene Darstellung)
die unternehmerische Chance, ein erfolgreiches Produkt in den Märkten vielfach anzubieten und so mit dem generierten Umsatz zu expandieren. Ein Phänomen, welches sich in den letzten Jahren mehrfach in dem rasanten Wachstum junger Software-Start-ups zu international bekannten Unternehmen beobachten ließ. Letztlich hat dieses Umdenken in der Softwareentwicklung hin zum produktbasierten Software Engineering in Kombination mit agilen Methoden, die die Kundeninteressen und den Kundennutzen wieder in den Mittelpunkt gerückt haben (User Centricity), sowie mit der Nutzung von Kreativtechniken wie dem Design Thinking dazu geführt, dass die Softwareentwicklung heute nicht als Hemmnis, sondern Wegbegleiter in das Digitale Zeitalter zu sehen ist.
7.2
Das Paradigma der Evolution der Softwareentwicklung
Das Umdenken in der Softwareentwicklung führt heute somit zu zwei Effekten, aus denen eine gesteigerte Dynamik der Informationstechnologie resultiert. Zum Ersten das Wachstum der Softwareunternehmen aufgrund der Nachfrage von Unternehmen, die im Rahmen der Umsetzung der digitalen Transformation ihre Geschäftsmodelle auf neue Softwaretechnologien stützen. Zum Zweiten ist aber die Unterscheidung zwischen Softwareunternehmen, die klassische Software entwickeln und anbieten, und (Software-)
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Unternehmen, die mittels eigener Softwareentwicklung neue Geschäftsmodelle in den Branchen etablieren, fließend. Beide Effekte führen allerdings zu einer komplexen Dynamik in den (Software-)Unternehmen, in denen sich die Erfordernisse, Ziele und das Unternehmensumfeld stetig verändern. Die Unternehmen müssen daher die Organisation von Prozessen und Strukturen laufend hinterfragen, auch um kritische Herausforderungen, wie etwa die Entscheidung zum Einsatz der Künstlichen Intelligenz in den eigenen Softwareprodukten, zu meistern. Es ist eine einfache Formel, dass auch Softwareunternehmen dabei ein Gleichgewicht zwischen geschäftlichen, organisatorischen, sozialen und technischen Aspekten des Wandels zu beachten haben (Skerra, 2022). Infolgedessen durchläuft ein (Software-)Unternehmen während seiner Entwicklung häufig verschiedene Evolutionsstufen: Oftmals im kreativen Chaos als Start-up-Unternehmen beginnend, um dann kontinuierlich Prozesse zu etablieren und weiter zu standardisieren, die das Wachstum kontrollieren und die Qualität steigern. Viele Softwareunternehmen bedienen sich heute der agilen Entwicklung, um ein Gleichgewicht zwischen Disziplin in der Softwareentwicklung und Flexibilität in der Reaktion auf sich ändernde Kundenanforderungen zu ermöglichen. Die überwiegende Zahl der Martech-Unternehmen dürfte sich bei genauer Betrachtung in diesen frühen Phasen befinden. Das Paradigma der Evolution der Softwareentwicklung postuliert nun, dass sich eine Softwarebranche aufgrund wirtschaftlicher und geschäftlicher Einflussfaktoren in Richtung eines Software-Ökosystems (SECO, engl.: Software-Ecosystem) weiterentwickelt, also sich die Unternehmen zu kollaborativen Netzwerken zusammenschließen, um Softwareprodukte und -Plattformen für einen gemeinsamen Markt zu entwickeln (Sadi & Yu, 2014). In der Folge sollte man bei der Betrachtung der vorrangigen Martech-Werkzeuge und der Martech-Stacks ein besonderes Augenmerk auf diese zukünftigen Kollaborationen legen. Den Beobachtungen der Fallstudie von Mahsa Sadi und Eric Yu (2014) zufolge ist die Evolution ein mehrdimensionales Phänomen, das sich nicht auf die technischen Aspekte der Softwareentwicklung beschränkt, vielmehr bestimmt die Dynamik der wirtschaftlichen, organisatorischen, sozialen und technischen Aspekte über relativ kurze Zeiträume die Entwicklung von Softwareunternehmen (2014). Das legt die Vermutung nahe, dass diejenigen MartechUnternehmen, welche die technischen Aspekte über die Bedürfnisse der Anwendenden stellen, gedanklich noch nicht auf der nächsten Stufe der Evolution angelangt sind, derer es zur Entwicklung eines Software-Ökosystems bedarf.
7.3
Historie und aktuelle Entwicklung der Marketingtechnologie
Der Begriff Martech verbindet zunächst die Begriffe Marketing und Technologie und bezieht sich kurz gefasst auf wichtige Maßnahmen und Werkzeuge des Marketings, die die (Informations-)Technologie zur Erreichung von Marketingzielen nutzen. Faktisch hat jeder, der sich mit digitalem Marketing beschäftigt, auch mit Martech zu tun. So umfasst
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Martech verschiedene Anwendungsbereiche, in denen es zum Einsatz kommt. Exemplarisch seien nur einige genannt, wie in der Werbung das mobile Marketing oder in den Bereichen Content und Erlebnis die Suchmaschinenoptimierung. Historisch gesehen lässt sich die „Stunde null“ von Martech nur schwierig bestimmen, aber seit 2011 dokumentiert der amerikanische Blog (chiefmartec.com) die rasante Entwicklung der Software- und Werkzeuganbietenden im Markt der Martech-Anwendungen. Konnte man im Jahr 2011 noch lediglich 150 Anbietende identifizieren, so waren es im Jahr 2022 bereits 10.000 Anbietende. Scott Brinker (2022), der Chef von chiefmartech.com, prognostiziert bis in das Jahr 2030 sogar eine Verzehnfachung und geht damit von einem noch weit rasanteren Wachstum in den kommenden Jahren aus. Das liegt zum einen daran, dass nach wie vor die unermüdliche Suche nach dem nächsten „Einhorn“ viel Wagniskapital in die Branche der digitalen Technologie fließen lässt und zum anderen die digitale Technologie mit dem Einsatz von Cloud-Infrastrukturen den Unternehmen das Angebot preiswerter und einfach zu skalierender Dienstleistungen (Software as a Service, SaaS) ermöglicht. Hier sei aber vorsichtig angemerkt, dass die Zahl der Unternehmen, insbesondere der vielen jungen Start-ups, und deren Unternehmensbewertungen noch keinen Garant für einen gesteigerten Kundenwert darstellen. Es bleibt aber festzuhalten, dass die heutige Softwareentwicklung es auch kleinen Softwarefirmen mit nur wenigen Mitarbeitenden erlaubt, ein Softwareprodukt mit der richtigen innovativen Idee in kürzester Zeit zu entwickeln und weltweit anzubieten. Die aktuellen, organisatorischen und technischen Möglichkeiten hierzu wurden bereits im Abschnitt „Softwareentwicklung – Wegbegleiter in das Digitale Zeitalter“ aufgezeigt. Nach dieser kurzen Skizzierung der Historie bis zur aktuellen Entwicklung von Marketingtechnologie sollen nun erneut deren Grundlagen und deren breite Palette an Funktionen aufgegriffen werden. Als wichtigster Aspekt des Marketings und damit auch der Marketingtechnologie ist die Definition, die Organisation und die Umsetzung der Marketingstrategie zu erachten. Das Marketingmanagement sollte, über den strategischen Aspekt hinaus, durch die Martech-Werkzeuge aber auch in vielen operativen Aspekten Unterstützung finden, zum Beispiel durch eine breitere Vernetzung und die Automatisierung in den Bereichen Customer Relationship Management (CRM) beim Zusammenführen und Bereinigen von Kundendaten und der besseren Integration der Verwaltungssysteme für die Angebots- und Verkaufsprozesse bis hin zu der zeitnahen Abwicklung der weiteren Logistikkette und dem Reklamationsmanagement. Allgemein sollten die Martech-Werkzeuge die Potenziale eröffnen, dem Marketingmanagement eine ausgeklügelte, effiziente Verwaltung von Kunden- und Partnerdaten bereitzustellen sowie die flexible und skalierbare Unterstützung von Werbekampagnen anzubieten und dabei die kontinuierliche Optimierung durch Erfolgsstatistiken zu ermöglichen. Zu den Grundlagen der Marketingtechnologie gehört heute im Rahmen des Multi- und OmniChannel-Marketings sicherlich auch der Einbezug von Social-Media-Kanälen. Daher ist die Integration von Social-Media-Plattformen mit ihrem Potenzial bezüglich Reichweite und Kundenbindung essenziell, aber auch neue Social-Media-Werkzeuge und Strategien
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im Bereich der benutzergenerierten Inhalte sind zu beachten, denn der Kunde wandelt sich vielfach zum Prosumer. Die optimale Reichweite und eine bedarfsgerechte Skalierbarkeit waren für Marketingkonzepte schon immer entscheidend, frei nach dem Ausspruch von Henry Ford vor circa 100 Jahren, „die Hälfte des Geldes für Werbung ist herausgeworfen! – Wenn ich nur wüsste, welche Hälfte“. Heute ist das Prinzip aber nicht mehr nur, viele Kund:innen zu gewinnen (One-to-Many-Ansatz), sondern die Marketingtechnologie im Sinne des One-to-One-Ansatzes zu nutzen. Dieser intendiert, die Kundschaft gezielt anzusprechen, z. B. durch sogenannte Buyer Personas, die zuvor durch Analyse der Zielgruppen und des Kaufverhaltens entwickelt und verifiziert wurden, heute bereits oftmals kombiniert mit der Auswertung des bisherigen und der Vorhersage zukünftigen Kundenverhaltens. Genau dieses Potenzial, neue Einsichten zu schaffen, die detaillierte Auswertung von Transaktionen und deren Planung sowie die Fähigkeit zur besseren Vorhersage anhand der erhobenen Daten ermöglichen die kontinuierliche Optimierung von Marketingkonzepten und deren durchgehende Erfolgskontrolle. Nachdem mögliche Anwendungsgebiete, die eigentliche Zielsetzung von MartechWerkzeugen und ihre potenziellen Vorteile aus Sicht des Marketings skizziert wurden, soll nun stärker auf die Martech-Unternehmen und deren Produkte eingegangen werden. Aufgrund der hohen Anbieterzahl zeigt Tab. 7.1, wenn auch nur exemplarisch, bereits die Vielfalt der Anwendungsbereiche. Tab. 7.1 Übersicht Martech-Anwendungsbereiche, Unternehmen und Werkzeuge Typische Anwendungsbereiche
Martech-Unternehmen und -Werkzeuge
Customer Relationship Management (CRM)
HubSpot CRM, Salesforce, Microsoft Dynamics
Content Creation und Content-Management-Systeme (CMS)
ContentGrow, Contentpepper, Butter CMS
E-Mail-Marketing
SendPulse, SmartMail, Inbox Army
Social Media Management
Meet Edgar, Sprinklr, Hootsuit
Digital Advertising
Criteo, Conklin Media, WebFX
Search Engine Optimization (SEO), Web Analytics Tools und Datenanalyse
SpyFu, Social SEO, HigherVisibility, Google Analytics, etracker, Adobe Analytics
Customer Data (Management) Platforms (CDP/ DMP) und Digital Asset Management (DAM)
Canto, Adstream, Rubrik, Bynder
Product Information Management (PIM)
Pimcore, Catsy, Pimero, Eggheads, Stibo
Marketing Resource Management (MRM)
Brandmaker, OpenAsset, Aprimo, Marmind, Percolate
Influencer Marketing Software (IMS)
Storyclash, BuzzBird, Neoreach, IROIN
Eigene Darstellung
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Die genannten Martech-Werkzeuge unterstützen das digitale Marketing in vielfältiger Weise und die häufig genannten Vorteile wie • effizientere Marketingaktivitäten, • die Erreichung der angestrebten Ziele der Marketingkampagnen in Form von Leads und Sales, • eine verbesserte Multi-Channel-Sicht auf das Kundenverhalten in den digitalen Kanälen und sozialen Plattformen, • ein gesteigertes Vertrauen der Kund:innen werden hoffentlich erreicht. Aber ist das wirklich so? Oder handelt es sich hierbei nur um vorschnelle Versprechungen? Anfang der 90er Jahre boomte das Angebot von Konstruktionssoftware, sogenannten CAD (Computer Aided Design)-Werkzeugen. Eine Vielzahl von Anbietenden konkurrierte bei Automobil- und Flugzeugbauern, die damit Potenziale der eigenen Produktentwicklungsprozesse realisieren konnten. Wesentliche Anforderung aber war der ständige Austausch der Konstruktionsdaten mit der Zulieferindustrie, daher bot jeder Hersteller von CAD-Werkzeugen jede Art von Softwareschnittstellen zu jeglichem anderen Produkt an. Das Versprechen von verfügbaren, funktionierenden Softwareschnittstellen wurde aber meist enttäuscht, was sich wiederum meist erst nach Kauf und sich monatelang hinziehender Installation der Softwarepakete herausstellte (Abb. 7.3). Auch fatale Fehler im Produktentwicklungsprozess, wie die falsche Bemaßung von Leitungslängen eines renommierten Flugzeugherstellers, waren kostenintensive Erfahrungen beim Austausch von Daten zwischen diesen CAD-Werkzeugen. Zum Vergleich: Martech-Werkzeuge realisieren Potenziale im Marketing, insbesondere, wenn der kontinuierliche Austausch mit Informationsanbietern gegeben ist. Die Quantität der durch Martech-Werkzeuge erfassten Daten erlaubt eine bessere Analyse und langfristige Optimierung der Marketingmaßnahmen und -Prozesse, sei es bei der Durchführung von A/B-Tests, dem Remarketing, dem Upselling oder anderen Maßnahmen. Doch wie steht es um die Datenqualität? Subsumiert man hierunter die Konsistenz und die Möglichkeit der Verknüpfung von Daten, dann wird jetzt bereits offenbar, dass bei der Vielfalt an Martech-Werkzeugen und fehlenden Standards für die Schnittstellen noch etliche Herausforderungen bevorstehen dürften. Die möglichen Effekte und Nachteile einer unzureichenden Datenqualität, analog den geschilderten Erfahrungen in Automobil- und Flugzeugbau, erfahren auch Anwender:innen von Martech-Werkzeugen. Der Komplexität und Anzahl von Schnittstellen sind also keine Grenzen gesetzt. Einen Ausweg bieten vielleicht die sogenannten MartechStacks, also eine Zusammenstellung von Martech-Werkzeugen, die bereits im Sinne eines Werkzeugkastens aufeinander abgestimmte Schnittstellen besitzen, um Daten und Inhalte (Assets), wie das digitale Abbild des Kunden, sammeln und austauschen können (Abb. 7.4). Brinker (2022) bezeichnet dieses digitale Abbild als den „Golden Record“. Dennoch ist auch hier weder ein internationaler noch ein nationaler Standard in Sicht,
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Abb. 7.3 Marketing-Softwaresuite aus einer Hand. (eigene Darstellung)
lediglich eine Reihe von Martech-Unternehmen, die sich mit ihren Produkten gemeinsam positionieren. Daher steht auch bei den Martech-Stacks die Frage im Raum, ob die Anbietenden im Wesentlichen ihre ökonomischen Interessen in den Vordergrund stellen oder ob sie die Hauptinteressen des Marketings, die Realisierung von Potenzialen durch Digitalisierung, unterstützen. Des Weiteren gilt es zu beachten: Technisch ist vieles zu realisieren, aber nicht alles ist erlaubt oder wird erlaubt bleiben. Speziell beim Thema der Daten von und zu Personen, diesem digitalen Abbild –dem „Golden Record“ –, stellen sich im europäischen Rahmen und darüber hinaus immer mehr Fragen bezüglich der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und anderer EU-Verordnungen (Custers et al., 2019). Nach den Betrachtungen zur Historie und zu den aktuellen Entwicklungen der Marketingtechnologie sei abschließend auf deren organisatorische Einführung ins Unternehmen hingewiesen. Während die meisten Martech-Werkzeuge funktional übersichtlich sind und von – zunächst wenigen – Mitarbeiter:innen im Marketing zügig genutzt werden können (was auch gerne als Schatten-IT bezeichnet wird), ist die IT-seitige Einführung vieler dieser Systeme schwierig, eben wegen deren fehlender funktionaler Reife und den mangelnden Möglichkeiten ihrer Einbindung in eine unternehmensweite ITArchitekturplanung oder die bestehende IT-Infrastruktur. Häufig entwickeln sich mit diesen Martech-Produkten vielfältige, aber durchaus bekannte rechtliche Grauzonen unter Compliance-Aspekten. Insofern sind bei der näheren Betrachtung von MartechWerkzeugen bei der Auswahl die IT-Abteilung und im Sinne der Leitungsebene unbedingt die Funktionen von CTO (Chief Technical Officer), CIO (Chief Information Officer) und CISO (Chief Information Security Officer) mit einzubeziehen. Der nötige Organisationsrahmen kann so frühzeitig und umfassend definiert werden, um den initialen Aufbau eines Martech-Werkzeug-Portfolios für Marketing, Vertrieb und andere betriebliche Funktionen erfolgreich zu meistern und den anschließenden kontinuierlichen Ausbau zu ermöglichen.
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Abb. 7.4 „Best of Breed“ für das digitale Asset Management (eigene Darstellung)
7.4
Das Martech-Software-Ökosystem und neue Trends
Abschließend, auch wenn sich das Martech-Software-Ökosystem erst abzuzeichnen beginnt, soll hier auf zwei jüngere technologische Entwicklungen der Informationstechnik (IT) eingegangen werden. Aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen in der Informationstechnik, zum Beispiel wegen des Mangels an Fach- und Wirtschaftsinformatiker:innen, kommen immer mehr „No Code“-Lösungen zum Einsatz, die es informationstechnisch nicht versierten Personen erlauben, Software ohne Programmierkenntnisse zu erstellen. In Martech-Werkzeugen wird „No-Code“ heute bereits als Möglichkeit etabliert, Datenanalysen einfach und ohne das Erfordernis eines Datenanalysten durchzuführen. „No-Code“ ermöglicht dem Marketing schnellere Antworten, denn es erzeugt aus den Daten mehr Erkenntnisse und steigert entsprechend nicht nur die Produktivität im Marketing, sondern auch die Kreativität bei der Entwicklung innovativer Marketingstrategien (natürlich unter Wahrung der Gesetze zum Schutz der Privatsphäre und zur Datenverwaltung in allen Ländern). Eine weitere Entwicklung, die aktuell häufig bereits im Kontext der MartechWerkzeuge genannt wird, ist die Schaffung des Metaverse. Zum einen ist es die Technologie der Augmented und Virtual Reality, die in Form von Software und Hardware wie Smart Glasses und VR-Brillen, greifbar wird. Während sich die Technologie bereits in den Branchen Industrie, Medizin und Bildung etabliert hat, ist die Entwicklung
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im End- und Heimkundenbereich – abgesehen vom Gaming – noch schwierig einzuschätzen. Heutige Endgeräte wie eine VR-Brille sind zwar bereits ab 400 e über die gängigen Elektronikanbietenden zu beziehen, dennoch ist der Anteil der Heimanwender:innen, gemessen an der Durchdringung dieses Marktes mit mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets, noch klein. Auch wenn diese Geräte in erster Linie über den Gaming-Sektor und Onlinespiele verkauft werden, sind Welten wie Roblox oder Fortnight bereits sehr reale Kanäle. Das Metaverse kann daher im Rahmen einer zukünftigen Marketingstrategie in verschiedenen Branchen ein neuer Kanal sein. Der zweite Aspekt dieser Technologie ist aber auch, dem digitalen Abbild der Kundschaft, dem „Golden Record“ oder Digital Twin in Form von Avataren näherzukommen (Kunz, 2022). Durch die Anzahl an Sensoren in den Endgeräten ist neben der Erfassung von Bewegungs- und Blickrichtung auch die Erfassung der Umgebung sowie von emotionalen Zuständen der Anwendenden möglich – nicht zu vergessen letztlich alle Transaktionen der Kund:innen im Metaverse. In diesem Bereich wird es noch eine Weile dauern, bis „No Code“-Lösungen zur Erstellung virtueller Welten und Erlebnisräume zur Verfügung stehen, aber auch diese Technologie dürfte einen immensen Einfluss auf die Akzeptanz der zukünftigen Martech-Werkzeuge haben, die diese neuen Technologien nutzen.
7.5
Die Martech-Evolution und das Martech-Ökosystem
Zusammenfassung
Eingangs wurde die Frage gestellt, ob das Paradigma der Evolution der Softwareentwicklung auch in Form einer Martech-Evolution in dem volatilen Markt der Anbietenden von Marketingtechnologie-Werkzeugen anwendbar sein kann. Dafür wurden die Evolution der Softwareentwicklung und ihre neueren Errungenschaften beleuchtet, und es wurde dargelegt, warum die Softwareentwicklung heute nicht als Hemmnis, sondern als Wegbegleiter in das Digitale Zeitalter zu sehen ist. Dabei wurde auf die Parallelität der Phasen der Software-intensiven Entwicklungen über Anwendungsbereiche hinweg sowie auf den Schritt hin zur produktbasierten Softwareentwicklung eingegangen, die unternehmerische Risiken und Chancen für Softwareanbietende beinhaltet. Im Weiteren wurde erläutert, in welche dieser Phasen heutige Martech-Werkzeuge zur Organisation und Verwaltung der Marketingstrategie sowie die kontinuierliche Optimierung mittels verlässlicher Erfolgskontrollen bei der Umsetzung von Marketingkonzepten einzuordnen sind. Schließlich wurde der erforderliche Organisationsrahmen zur Einführung von Martech-Werkzeugen betont, um den Aufbau eines MartechWerkzeug-Portfolios mittelfristig erfolgreich zu meistern. Als Fazit hieraus ergibt sich, dass Martech-Unternehmen, die sich noch in den frühen Phasen der Evolution befinden, sich nicht auf die technischen Aspekte der Softwareentwicklung beschränken
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dürfen, sondern sich der Dynamik der wirtschaftlichen, organisatorischen, sozialen und technischen Aspekte im Sinne der Kollaboration stellen müssen, um auch zukünftig an der Entwicklung eines Martech-Ökosystems beteiligt zu sein. Insofern lässt sich die anfängliche Frage bejahen, dass die Gesamtheit der aktuellen Martech-Unternehmen dem Paradigma der Evolution der Softwareentwicklung, im Sinne einer eigenständigen Martech-Evolution, folgen. Die Entstehung eines Martech-Ökosystem hängt nun noch von einer Reihe von Faktoren ab, aber im Wesentlichen von der Bereitschaft der Martech-Anbietenden, untereinander zu kollaborieren, initial also erst einmal gemeinsame Standards zu etablieren und Festlegungen bezüglich des Schutzes der Privatsphäre und zur gesetzeskonformen Datenverwaltung in internationalen Märkten zu treffen. Allgemeiner formuliert Kunz (2022) in ihrem Beitrag „Corporate Digital Responsibility im Metaverse“, dass Softwareanbietende sich ihrer unternehmerischen Verantwortung im Wandel geschäftlicher, organisatorische, sozialer und technischer Aspekte bewusst werden müssen. Dies besonders bei der praktischen Anwendung neuer, strategischer Märkte mittels immersiver Technologien wie dem Metaverse, welches das zentrale Element zur Schaffung und Weiterentwicklung des „Golden Records“ sein kann und damit in den One-to-One-Ansätzen die Vorhersehbarkeit des zukünftigen Kundenverhaltens steigert. Reine Rhetorik der Martech-Anbietenden zu den einzelnen Aspekten hingegen führt mittelfristig und langfristig nicht zum gewünschten Ergebnis der Erschließung zukünftiger digitaler Marktpotenziale bei Anbietenden und Anwendenden (Skerra, 2022).
Literatur Brinker, S. (2022). Three big martech innovation themes in 2022. https://chiefmartec.com/2022/01/ 3-big-martech-innovation-themes/. Zugegriffen: 7. Nov. 2022. Custers, B., Sears, A. M., Dechesne, F., Georgieva, I., Tani, T., & Van der Hof, S. (2019). EU (European Union) personal data protection in policy and practice. Springer. Kotler, P., Kartajaya, H., & Setiawan, I. (2021). Marketing 5.0: technology for humanity. Wiley. Kunz, S. (2022). Corporate digital responsibility im metaverse: Ein E-Commerce-Szenario. In C. Lukas & G. Schuster (Hrsg.), Innovatives und digitales Marketing in der Praxis (S. 379–394). Springer. Ludewig, J., & Lichter, H. (2013). Software Engineering: Grundlagen, Menschen, Prozesse, Techniken (3., korrigierte Aufl). dpunkt.verlag. Sadi, M., & Yu, E. (2014). Analysing the evolution of software development: From creative chaos to software ecosystems [Conference session]. In IEEE Eighth International Conference on Research Challenges in Information Science (RCIS), Marrakech, Morocco, S. 1–11. https://doi.org/ 10.1109/RCIS.2014.6861055. Skerra, C. (2022). Digitale Unternehmensverantwortung (Corporate Digital Responsibility, CDR) im Marketing der Zukunft. In G. Schuster & C. Lucas (Hrsg.), Innovatives und digitales Marketing in der Praxis (S. 163–175). Springer.
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Sommerville, I. (2019). Engineering software products: An introduction to modern software engineering (1. Aufl.). Pearson.
Prof. Dr. Carsten Skerra ist seit 2021 Professor im Fernstudium der IU Internationale Hochschule im Fachbereich IT und Technik sowie Studiengangsleiter für Computer Science. Carsten Skerra studierte Technische Informatik an der Berufsakademie in Stuttgart. Er promovierte an der Universität von Gloucestershire, UK. Dabei begründete er Einsichten in die sozio-kulturellen Zusammenhänge von Kreativität und Erfindung und entwickelte eine neue Theorie zur Stimulanz von Erfindungen in der Gesellschaft. Seit 2011 lehrt Carsten Skerra an Hochschulen im Bereich International Business, Innovationsmanagement und Informatik zu Themen wie IT-Grundlagen, ITProjektmanagement, IT-Datensicherheit und Software Engineering. Carsten Skerra arbeitete zudem langjährig in der Forschung eines internationalen Technologieunternehmens. Er ist Autor, Mitautor und Reviewer von Publikationen und aktives Mitglied in der Gesellschaft für Informatik (GI), dem Project Management Institute (PMI) und dem Design Management Institute (DMI) sowie der Scrum Alliance Prof. Dr. Sibylle Kunz ist seit 2020 Professorin im Fernstudium der IU Internationale Hochschule im Fachbereich IT und Technik sowie Studiengangsleiterin für Medieninformatik. Nach dem Diplom in Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Darmstadt machte sie sich mit einem IT-Beratungs- und Schulungsunternehmen selbstständig und arbeitete über zwei Jahrzehnte in IT-Projekten u.a. in Versorgungsunternehmen, Banken, Verbänden, Verlagen und Kammern. 2011 kehrte sie parallel dazu in die akademische Welt zurück – als Lehrkraft für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Mainz sowie als Lehrbeauftragte an der European Management School und der Hochschule Darmstadt, wo sie 2020 mit dem Sonderpreis für Digitalisierung in der Lehre ausgezeichnet wurde. Ebenfalls 2020 promovierte sie als erste Doktorandin im Fach Digital Humanities an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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Rechtliche Grundlagen für die erfolgreiche Nutzung von Marketingtechnologien Eine Analyse und zugleich ein Ratgeber für die unternehmerische Praxis Franziska Schröter
Zusammenfassung
Auf dem Weg zu einem qualitativ hochwertigen Marketing geht heute nichts mehr an modernden Technologien vorbei. Doch bei all dem Fortschritt lohnt es sich, schon bei der Entwicklung eines Marketings die rechtlichen Grundlagen und die relevanten Entwicklungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung im Blick zu haben. Die Autorin untersucht anhand ausgewählter Beispiele den rechtlichen Einfluss auf bestimmte Marketingmethoden und gibt eine erste Gebrauchsanweisung für rechtssicheres Marketing.
8.1
Einleitung
Digitalisierung – dieses Wort ist heute in aller Munde. Eine simple Kombination zwischen dem lateinischen „digitus“ – Finger – und dem englischen Wortstamm „digit“ – Ziffer – macht es möglich, dass durch das Zählen (per Finger) die sprichwörtliche Ziffer weiter nach oben steigt und sich die Tätigkeit von analog zu stufenlos regelbaren Angaben verändert. Diese Erneuerung auf der Zahlenebene hat Auswirkungen auf die Verarbeitung und Speicherung dieser Werte, auf die Wahrnehmung und Darstellung nach außen sowie den Einfluss auf Menschen und Markt.
F. Schröter (B) IU Internationale Hochschule, München, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_8
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Nichts anderes passiert auch durch die von Jahr zu Jahr steigende Verwendung von Technologien in der Werbebranche. Egal ob Web Analytics, Social Media, digitale Kommunikation via Chatbot und Smart Speaker – die technischen Lösungen KI-gestützter Kommunikationsmethoden sind heute nicht mehr wegzudenken und drehen am Rad der Zeit. Doch oftmals wird es dabei als lästig empfunden, sich neben der kreativen und zugleich technischen Arbeit mit den rechtlichen Fragen dieser Tools zu beschäftigen. Speziell hier lauern jedoch Gefahren durch Imageschäden, Rechtsanwalts- und Gerichtskosten, Schadensersatzansprüche sowie Abmahnungen. Insofern kann es für Unternehmen zwar ein kluger Schachzug sein, technologische Tools zur Vereinheitlichung, Optimierung und letzten Endes Vereinfachung ihres Marketings zu benutzen. Bei all dem Fortschritt muss der Weg durch die Costumer Journey sowohl online als auch offline jedoch rechtssicher gestaltet werden. Dieser Beitrag soll eine Einführung sein und das Problembewusstsein im Umgang mit gewerblichen Schutzrechten, Datenschutzproblemen und sonstigen damit zusammenhängenden Themen schärfen. Anhand ausgewählter Fragestellungen wird zunächst die Relevanz der unterschiedlichen Rechtsbereiche für die jeweiligen Marketingmethoden dargelegt. Es soll eine erste Orientierung geschaffen und deutlich gemacht werden, dass die Nutzung moderner Marketingtechnologien ohne die Beachtung der derzeit gültigen Rechtslage nicht möglich ist.
8.2
Rechtliche Einflüsse auf Marketingmethoden
Der Begriff Marketingtechnologie (Marktech) umfasst eine Vielzahl an Technologien, welche die Marketingaktivitäten bzw. den Marketingprozess einer Organisation unterstützen können. Mittels Automatisierung des Prozesses können im Rahmen von Werbung, Analytics, Content-Management-Systemen, der Etablierung eines erfolgreichen Kundenbeziehungsmanagements (CRM) oder auch in Social Media die Erfolge eines Marketings gezielt gesteigert werden (Terstiege, 2022). Der Beitrag durchschreitet dabei den Weg der Marketingplanung unter Beachtung wesentlicher rechtlicher Fallstricke.
8.2.1
Urheberrecht
Schon im Prozess der Planung einer Marketingstrategie ist es wichtig, die notwendigen Lizenzen einzuholen, um fremde Werke zu nutzen. Insbesondere bei Agenturen finden sich künstlerisch und technisch wirkende Personen, die viel Zeit und Energie in die Schaffung ihrer Werke investieren. Doch nicht selten ist ein bestimmtes Produkt noch kurz vor dessen Einführung aufgrund fehlender Nutzungsrechte gescheitert. Insoweit sollten
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Anwender mit den Rechten an genutzten Grafiken, Bildern, Videos oder Abbildungen etc. vertraut sein. Schutzinhalt Das Urheberrecht schützt die Rechte von Urheber:innen als Schöpfer ihres Werkes und ihrer geistigen oder künstlerischen Leistung. Geschützt sind insoweit die fremde Verwendung und damit Verwertung oder auch die Bearbeitung des Werkes. Inhalt eines Urheberrechts können Sprachwerke, also beispielsweise Bücher oder Reden sowie Filmwerke, Werke der bildenden Kunst, Musikwerke und natürlich sogenannte Lichtbildwerke, also Fotografien, sein. Darüber hinaus können auch Leistungen wissenschaftlicher oder technischer Art urheberrechtlich geschützt sein. Es schadet für den urheberrechtlichen Schutz eines Werkes nicht, dass dieses möglicherweise computerbasiert entstanden ist. Voraussetzung ist nur, dass der Schöpfungsvorgang unmittelbar immer noch menschlichen Fähigkeiten entsprießt. Anders ist dies hingegen bei Erzeugnissen, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Hier ist die Rechtslage derzeit noch relativ uneindeutig. Klar ist nur, dass Werke, die autonom von einer KI erzeugt werden, keine „menschliche Schöpfung“ im Sinne des Urheberrechts darstellen können. Ob das bedeutet, dass Dritte die Texte, Abbildungen, Videos etc. beliebig verwenden könnten, welche KI-gestützte Tools generieren, ist jedoch fraglich und wird künftig durch Gerichte geklärt werden müssen. Ist ein Urheberrecht entstanden, so stellt es sicher, dass die Schöpfer eines Werkes bestimmen dürfen, was mit diesen geschieht, das heißt, ob, wann und in welcher Form diese einem Publikum zugänglich gemacht werden. Aufgrund des Urheberpersönlichkeitsrechts ist es den Urheber:innen frei zu bestimmen, ob sie als Urheber:in genannt werden möchten. Stimmen Urheber:innen einer Verwertung zu, so wird – zumeist vertraglich – eine angemessene Vergütung festgelegt. Hieraus folgend schließt sich auch die Möglichkeit an, im Falle einer nicht erlaubten Nutzung des Werkes gegen die widerrechtliche Verwertung vorzugehen und den Rechtsweg zu beschreiten. Bei keinem anderen Recht ist eine Abgrenzung des Schutzinhalts jedoch so wichtig wie beim Urheberrecht. Das Urheberrecht entsteht mit der Schöpfung eines Werkes. Es bedarf also für den Schutz keiner Registrierung. Auch die Kennzeichnung eines Werkes mit dem besser aus den USA bekannten Copyright-Zeichen hat für das Entstehen und das Bestehen des Urheberrechts keine Bedeutung. Gleichwohl gibt es kein Register für urheberrechtlich geschützte Werke. Diese erhalten ihren Schutz schlicht mit Werksvollendung und es obliegt den Urheber:innen, die Rechte zu verfolgen oder eben auch nicht. Inhaber des Urheberrechts bleiben sie jedoch auf Lebenszeit. Man spricht deshalb auch – im Gegensatz zum amerikanischen System, welches das Werk und nicht die Urheber:innen in den Mittelpunkt stellt – vom bereits erwähnten Urheberpersönlichkeitsrecht.
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F. Schröter
Marketing und Urheberrecht Um wirtschaftlich im Rahmen eines Marketings mit den fremden geistigen oder schöpferischen Leistungen der Urheber:innen tätig zu werden, ist Voraussetzung, dass eine Lizenz zur Nutzung der Werke erworben wird. Eine Lizenz besteht jedoch in den wenigsten Fällen darin, das Werk in all seinen Facetten zu nutzen. Angenommen, es wird die Bildlizenz für ein Foto einer Person erworben, die sich gut als personifizierter Chatbot eignen würde: Fraglich ist dann, ob man das Bild auch verändern darf – einen Filter benutzen, dieses zuschneiden, verkleinern oder mit anderen Bildern zu einer neuen Abbildung transformieren? Nun, das hängt gewiss vom Inhalt der Lizenzvereinbarung ab. Es lohnt sich ein Blick in die jeweiligen Nutzungsbestimmungen. Fast immer wird dabei differenziert zwischen Standardlizenzen und besonderen Bestimmungen für eine weitere Lizenzfreigabe. Auch räumliche Nutzungen können vereinbart werden (Kezer et al., 2022). Die meisten Lizenzen sind darüber hinaus nicht zeitlich unbegrenzt nutzbar. Gefahren lauern schließlich dann, wenn die zeitliche Dauer überschritten wurde und das Werk noch immer genutzt wird. Denn die Rechtsfolgen der Nutzung nicht lizenzierter Werke können vielfältig sein: Beginnend bei einer Abmahnung und einer Geldstrafe kann eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren lauern. Im Bereich der Anwendung von Marketingtechnologien wird zudem eine sogenannte gewerbsmäßige Begehung angenommen, da das Handeln zumindest beabsichtigt für eine gewisse Dauer wirtschaftlich ausgerichtet wird. Die Freiheitsstrafe wäre folglich noch einmal höher. Ganz abgesehen davon ist die negative mediale Reputation nicht zu unterschätzen, welche Auswirkungen auf ganze Branchen haben kann.
8.2.2
Markenrechte im Rahmen von Marketingmaßnahmen
Auch Markenrechte können bereits im Vorfeld des Marketingprozesses relevant werden. Dies nämlich dann, wenn bestimmte Bilder, Wörter, auch Kombinationen davon, Wortgruppen (sogenannte Slogans) sowie Jingles zum Marketingerfolg beitragen sollen. Auch können im Rahmen von Social-Media-Kampagnen Marken genutzt werden, um so am Erfolg anderer Unternehmen zu partizipieren und die Aufmerksamkeit für eine Kampagne zu erhöhen. Schutzinhalt eines Markenrechts Die Marke (oder auch das Kennzeichen) dient dazu, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von dem eines anderen Unternehmens unterscheidbar zu machen. Entsprechend erkennen die Kund:innen, woher ein bestimmtes Produkt stammt, und ordnen es somit seiner Herkunft zu. Interessant ist das Markenrecht für alle, die sich ihre Rechte in einem öffentlichen Register schützen lassen wollen und sich auf diese Weise ein Ausschließlichkeitsrecht, unter fortwährender Verlängerung, unbegrenzt zukommen lassen wollen.
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Sogenannte Verletzungshandlungen eines Markenrechts finden sich vor allem im Bereich des Verwendens einer ähnlichen Marke für ähnliche Waren und Dienstleistungen (sogenannte Verwechslungsgefahr). Daneben ist die Marke im Rahmen einer sogenannten Doppelidentität (Verwendung der gleichen Marke für gleiche Waren und Dienstleistungen) sowie durch Verwendung auf Verpackungen, Etiketten sowie im Transit von Waren geschützt. Interessant ist darüber hinaus in dem hier interessierenden Kontext die Benutzung bekannter Marken, wie beispielsweise Facebook oder Twitter, welche ungeachtet ihrer Benutzungsart einen überdurchschnittlichen Markenschutz genießen. Markennutzung Ihres Marketings So sehr sich die Wortstämme auch ähneln – Markenrechtler:innen und Marketingentscheider:innen gehen oft in ihrer Meinung über die Dos and Don’ts eines Marketings auseinander. Im Bereich der Marketingtechnologie, einem noch markenrechtlich weitestgehend unergründeten Feld, erscheint eine Bewertung mitunter schwierig. Im Bereich der Optimierung von Social-Media-Kanälen lohnt es sich fast immer, bestimmte Tools (wie beispielsweise TweetDeck oder Bynder) zu benutzen, um diese einfacher zu verwalten, oder Rahmenbedingungen, wie Bildgrößen oder Texte, an die Formate anzupassen. Hierbei sollte beachtet werden, dass bekannte Markenbilder und Zeichen nicht einfach frei – auch im Rahmen von Hashtags – gepostet werden dürfen. Die Verlinkung auf eine Social-Media-Präsenz mittels des Facebook-Zeichens fällt jedoch dann unter eine erlaubte Benutzung, wenn dies in den Richtlinien (wie zumeist üblich) der großen Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen (wie Einhalten der Größe von Bildern und Hinzufügung bestimmter Texte wie „Abonniere uns auch auf Facebook“) gestattet ist. Wird sich im Rahmen des Marketings ausgewählter Personen bedient, wie beispielsweise im Influencer-Marketing, so haftet man auch für deren markenrechtliche Verstöße im Rahmen der Bewerbung bestimmter Produkte und Marketingaktionen. Die bezahlte Anzeige eines bestimmten Keywords, welches einen Markennamen enthält, im Rahmen einer Suchmaschine („brand bidding“) kann eine wertvolle Strategie für Unternehmen sein, sich stets in den oberen Rängen einer Suchmaschine wiederzufinden (Onlinemarketing, 2023). Bietet man in diesem Fall auf eine fremde Marke, kommt es möglicherweise dann zu Markenverletzungen, wenn sich die fremde Marke zu eigen gemacht wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aus der Anzeige nicht klar hervorgeht, dass es sich eigentlich um Werbung für die eigene Marke handeln soll (Solmecke & Kocatepe, 2016). Werden automatisierte Techniken im Sinne eines Suchmaschinenmarketings (sog. Paid-Search-Methoden) genutzt, so muss ein grundlegendes Verständnis des Markenrechts gegeben sein. Um den teilweise hohen Strafen widerrechtlicher Markennutzung zu entgehen, sollte im Zweifel rechtlicher Rat eingeholt werden.
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8.3
F. Schröter
Wettbewerbsrecht
Wettbewerbsrechtliche Verletzungen und damit einhergehende Abmahnungen sowie Schadensersatzansprüche gibt es im Rahmen eines Marketings sehr oft. Dabei können sich viele Personen zunächst nicht viel unter diesem Rechtsgebiet vorstellen. Die maßgeblichen Regelungen finden sich im UWG, im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Das Wettbewerbsrecht, oder Lauterkeitsrecht, schützt das Funktionieren eines lauteren, also freien und fairen Wettbewerbs, vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Eine geschäftliche Handlung liegt in dem Verhalten einer Person, den Absatz eines Unternehmens zu fördern. Hierunter zählen unter anderem auch digitale Inhalte sowie digitale Dienstleistungen (Auszug aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG) im Sinne von Werbung oder Marketing. Unlauter sind danach unter anderem aggressive Geschäftspraktiken, unzumutbare Belästigungen oder vergleichende Werbung.
8.3.1
Wettbewerbsrecht und Social-Media-Marketing
Bei der Frage einer irreführenden Marketingmaßnahme stößt man zunächst auf solche geschäftlichen Handlungen, die unrichtige Angaben enthalten und somit zu einer Irreführung geeignet sein können. Darüber hinaus ist die sogenannte Alleinstellungswerbung verboten, indem mit „der größte“, „der beste“ oder „wirksamste“ im Vergleich zu anderen Unternehmen geworben wird. Die Rechtsprechung unterscheidet dann danach, ob den Aussagen noch ein Tatsachenkern entnehmbar ist und wie die Werbeaussage auf den Marktteilnehmer im Gesamteindruck wirkt. Wird der kommerzielle Zweck einer Handlung nicht kenntlich gemacht, so spricht man von einer verbotenen Schleichwerbung. Eine ähnliche Haftung zum Markenrecht, nämlich eine solche für begangene Verstöße beauftragter Personen (Influencer etc.), findet sich auch in einer neu eingeführten wettbewerbsrechtlichen Regelung. Hiernach haftet neben dem Beauftragten auch der Auftraggeber, da durch das Handeln des Influencers der Erfolg des Betriebsinhabers herbeigeführt und dessen Verhalten vom Betriebsinhaber deutlich bestimmt und beeinflusst wird. Es liegt darüber hinaus nur dann eine Irreführung seitens des Influencers vor, wenn der kommerzielle Zweck der Absatzförderung nicht deutlich gemacht wird. Dieser liegt vor, wenn Entgelt oder sonstige Gegenleistungen von einem anderen Unternehmen erhalten oder versprochen werden. Interessant ist dabei eine sogenannte Beweislastumkehr zulasten der werbenden Person, wonach ein Verschulden des Influencers zunächst angenommen wird, es sei denn, er oder sie kann entlastende Gegenbeweise anführen.
8 Rechtliche Grundlagen für die erfolgreiche …
8.3.2
113
Direktmarketing-Maßnahmen
Direktmarketing, also die individuelle Ansprache von Kund:innen, wurde mit Hilfe von Marketingtechnologien in den letzten Jahren sehr vereinfacht. Früher vornehmlich im Rahmen von postalischer Werbung oder auch Telefonwerbung, kann heute mittels High End E-Mailing und Newslettern ein großer potenzieller Kundenkreis individualisiert und automatisiert angesprochen werden. Neben datenschutzrechtlichen Aspekten (dazu sogleich) stellen sich jedoch auch lauterkeitsrechtliche Fragen. Das UWG enthält hierzu ein Verbot des ungerechtfertigten hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens eines Verbrauchers mittels Telefonanrufe, unter Verwendung eines Faxgeräts, elektronischer Post oder sonstiger für den Fernabsatz geeigneter Mittel der kommerziellen Kommunikation (Nr. 26 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG). Ebenfalls muss für den Einsatz kommerzieller Kommunikation die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag kommerzielle Kommunikationen erfolgt, klar identifizierbar sein. Der werbende Charakter einer E-Mail darf ebenfalls nicht in der Kopf- und Betreffzeile verschleiert werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie § 6 Abs. 2 TMG), was bei der Programmierung dieser Technologie beachtet sein muss. Auch ist die Impressumspflicht zu bedenken, wobei in Bezug auf Newsletter, aufgrund der Gleichstellung mit Telemedien, dieselben Pflichten wie beispielsweise in einem Webshop zu beachten sind. Darüber hinaus betrachtet die Rechtsprechung Newsletter in den meisten Fällen als Geschäftsbriefe. Dies hat zur Folge, dass ein bloßer Link auf die Unternehmensseite für die Einhaltung der Impressumsvorgaben nicht ausreicht. Es ist vielmehr anzuraten, die erforderlichen Angaben nach Telemediengesetz (§ 5 Abs. 1 TMG) ausführlich am Ende des Newsletters abzubilden. Retargeting, also die Auswertung des Nutzerverhaltens im Browser, um dann die Kundschaft mit Hilfe gezielter Werbemaßnahmen wieder auf die Seite zu locken, ist eine enorm effiziente Technologie der Kundenansprache, um Kundschaft zurückzugewinnen. Im Einzelfall kann dies jedoch zugleich eine Maßnahme sein, die rechtlich als sogenannte unzumutbare Belästigung nach § 7 UWG eingestuft wird. Des Weiteren kann sich (neben vielen Aspekten des Datenschutzrechts) auch eine Irreführungsgefahr realisieren, und zwar dann, wenn der Verkäufer eine Preiskalkulation bei der wiederholten Kundenansprache heranzieht, die auf dessen Vorverhalten basiert und diese Preiskalkulation nicht offenlegt.
8.4
Datenschutzrecht
Das Sammeln von Daten ist existenzieller Kern einer jeden Marketingtechnologie und gehört damit für die Entwicklung eines neuen Prozesses denknotwendig dazu. Je mehr Daten, desto einfacher und verbesserter wird sich die neue Technologie auf die Bedürfnisse der Kund:innen einstellen können. Auf der anderen Seite sind Daten Kern des menschlichen Persönlichkeitsrechts und sollten sensibel behandelt werden. Der Begriff
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F. Schröter
Big Data ist dabei jedoch keine rechtlich zu bewertende Größe. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die Datenerhebung und -weiterverarbeitung je nach verwendetem Tool äußert (Eckardt, 2015). Unsicherheiten in der datenschutzrechtlichen Bewertung werden durch die verschiedenen datenschutzrechtlichen Regelungswerke verstärkt.
8.4.1
Datenschutzrecht nach der DSGVO
Machine Learning, die Grundlage zur Schaffung einer KI-Technologie, arbeitet zunächst mit einer großen Datenmenge für die Entwicklung späterer selbstlernender Systeme, u. a. Chatbots oder Speaker als digitale Assistenten (Gausling, 2019). Als ein Teilbereich dessen arbeiten auf Deep Learning basierende Systeme durch Verbindung verschiedener Prozesse ebenfalls daran, den maschinellen Denkprozess zu perfektionieren. Dies birgt das Problem, welches unter Datenschützern auch derzeit heiß diskutiert wird und im Widerspruch zur DSGVO steht, dass im Einzelnen nicht genau nachvollziehbar ist, wie die Daten verarbeitet werden. Darüber hinaus sollten die in der DSGVO vorgegebenen Informationspflichten und mögliche Einwilligungen der Kund:innen stets bei der Programmierung im Hinterkopf behalten werden. So gibt die DSGVO dem Nutzer verschiedene Pflichten auf, welche im Falle der Erhebung personenbezogener Daten gelten (insbesondere Art. 13 DSGVO lohnt sich hier einmal nachzulesen). Eine sogenannte Datenschutzfolgenabschätzung (Art. 35 DSGVO) ist zudem vor dem geplanten Einsatz KI-gestützter Technologien Voraussetzung, um die Folgen einzuplanen und zu dokumentieren. Lange ist bereits bekannt, dass dem Einsatz nicht notwendiger Cookies vom Endnutzer zugestimmt werden muss. Einschlägig ist dafür das deutsche Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien (TTDSG) für das Setzen von Cookies. Sogenannte Cookiebots generieren mittlerweile sogar automatisch eine Cookieerklärung basierend auf dem Scan einer Website, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zu vereinfachen.
8.4.2
ePrivacy-Verordnung
Das datenschutzrechtliche System – insbesondere im Hinblick auf die Nutzung von Cookies – soll auf europäischer Ebene jedoch zugleich durch die sogenannte ePrivacyVerordnung geregelt, reformiert und vervollständigt werden. Diese nunmehr in ihrem Gesetzgebungsverfahren in den Endzügen befindliche Verordnung löst bei Inkrafttreten die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation ab und soll schlussendlich die rechtliche Grundlage für die Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste darstellen. Inhaltlich werden insbesondere Regelungen in Bezug auf die Einwilligung in Cookies im Rahmen von Tracking diskutiert. Dieses soll im Übrigen nicht unter allen Umständen,
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sondern nur dann mit einer Einwilligung versehen werden, wenn es nicht um technisch notwendige Cookies geht. Mit einer Verabschiedung der ePrivacy-Verordnung soll noch im Jahr 2023 gerechnet werden.1 Insbesondere wird dabei interessant sein, wie und ob die Verordnung über das in Deutschland geltende Recht der DSGVO hinausgeht, welche beispielsweise eine Datenverarbeitung allein aufgrund eines berechtigten Interesses erlaubt (Art. 6 Abs. 1, S. 1–2, DSGVO.)
8.4.3
Ausblick: Big Tech Companies, Macht und Recht?
Auf europäischer Ebene wurden Ende 2022 zudem zwei weitere Regulierungsbestrebungen auf den Weg gebracht: die Rechtsverordnungen Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA). Es handelt sich hierbei um europäisch geprägte Rechtsakte, deren Regelungen seit dem 17. Februar 2023 (für den DAS) und seit dem 2. Mai 2023 (für den DMA) verbindlich gelten. Als Nachfolger der sogenannten E-Commerce-Richtlinie enthält der DAS-Rechtsakt insbesondere Regelungen, welche die gesamte Verantwortung eines Dienstes für fremde Inhalte (wie beispielsweise auf Social-Media-Kanälen) dem Anbieter zuweisen. Bezogen auf Marketingmaßnahmen bedeutet dies, dass mit dem DAS umfangreiche Regelungen für die Online-Werbung und Website-Gestaltung umgesetzt worden sind. Das DMA strebt ebenfalls einen verbesserten Verbraucherschutz an, indem Unternehmen, welche bedeutende Plattformdienste anbieten, in den Mittelpunkt gerückt werden. Diesen, zumeist in den USA angesiedelten Big Tech Firms (wie Google, Microsoft, Chrome oder Amazons Alexa), werden als sogenannte Torwächtern, bestimmte Verhaltensregelungen auferlegt, um den fairen und freien Wettbewerb zu sichern und für kleinere Marketingunternehmen eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Der Erfolg dieser Rechtsakte bleibt spannend!
Schlussbetrachtungen und Handlungsanweisungen für Marktingentscheider:innen
Der Weg zur Entwicklung einer neuen Marketingtechnologie ist freilich sowohl technologisch als auch strategisch beschwerlich. Die Beachtung geltender Rechtsvorschriften des Gewerblichen Rechtsschutzes, Urheberrechts und Datenschutzrechts spielt dabei eine große Rolle. Insbesondere ist natürlich eine neue technologische Entwicklung in ihrer rechtlichen Betrachtung ein Stück weit ungewiss und kann erst dann rechtlich voll bewertet werden, wenn die Auswirkungen auf den Markt und damit auf die Kundschaft sichtbar sind. Gleichwohl hat dieser Beitrag gezeigt, dass Marketing – ob online oder offline – nicht ohne die Beachtung des geltenden Rechts funktioniert und bei Nichtbefolgung
1 Aktueller Stand der Verhandlungen im Januar 2023.
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F. Schröter
der Vorschriften große Nachteile zu erwarten sind. Marketingentscheider:innen sollen damit die folgenden ersten Anweisungen an die Hand gegeben werden: Die grundsätzlich rechtliche Erlaubnis der Nutzung einer Marketingmaßnahme gewährleistet noch lange nicht, dass auch die angestrebte Social-Media-Plattform diese zulässt. Schauen Sie in die AGBs und Nutzungsbedingungen sowie Werberichtlinien und geben Sie sich selbst die Sicherheit, korrekt zu handeln. Auch die Verwaltung digitaler Rechte in einer Agentur oder in einem Unternehmen sollte im Rahmen eines technologisierten Managementsystems sorgfältig durchgeführt werden. Nichts ist beschwerlicher, als ein Tool nur aufgrund des Auslaufens bestimmter Rechte oder veralteter Lizenzen zu stoppen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, Vertragsgegenstand der Lizenzierung sowie etwaige Pflichten von Auftragnehmern (beispielsweise Influencern) und Gegenrechte schriftlich festzuhalten. Werbliche Aussagen sollten auch bei offensichtlichen Marketingtools als solche gekennzeichnet werden – dies gilt auch im E-Mailing an Kund:innen. Für die erfolgreiche Erhebung und Weiterverarbeitung von Kundendaten ist es absolut notwendig, stets die aktuelle Rechtslage im Rahmen des im Fluss befindlichen Datenschutzes zu verfolgen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen. Beachten Sie vor dem Invest und der Nutzung eines neuen Tools auch die rechtlichen Folgen etwaiger Verstöße, ebenso wie das Risiko, bei Kund:innen und Gesellschaft in Misskredit zu geraten, Ängste zu schüren oder Menschlichkeit aufs Spiel zu setzen. Denn … „trotz der Wunder von Wissenschaft und Technik sind die tiefen menschlichen Probleme geblieben“ (Dalai Lama, 1999).
Literatur Eckardt, J. (2015). Big Data im Marketing: Rechtliche Eckpunkte. In T. Schwarz (Hrsg.), Big Data im Marketing (S. 270–308). C.H. Beck. Gausling, T. (2019). Künstliche Intelligenz im digitalen Marketing. Zeitschrift für Datenschutz, S335–341. Kezer, A., Adametz, S., Lurf, S., & Gamauf, P. (2022). Social Media Recht. MANZ´sche Verlagsund Universiätsbuchhandlung. Onlinemarketing. (2023). Brand Bidding. https://onlinemarketing.de/lexikon/definition-brandbidder. Zugegriffen: 27. Jan. 2023. Solmecke, C., & Kocatepe, S. (2016). Recht im Online-Marketing. Rheinwerk Computing. Terstiege, M. (2022). Die Welt der Marketingautomatisierung. Voraussetzungen und Vorteile eines KI-unterstützten Marketings und Vertriebs. In M. Terstiege, M. Cinar, & J. Hehemann (Hrsg.), Marketing-Automation – Erfolgsmodelle aus Forschung und Praxis (S. 55–67). Springer. Dalai Lama (1999). Das Buch der Menschlichkeit. Droemer Knaur.
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Franziska Schröter ist Professorin für Wirtschaftsrecht an der IU Internationale Hochschule und begleitet hier intensiv Themen des Gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Jena und Strasbourg/Frankreich und einer Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl für Gewerblichen Rechtsschutz folgte die Promotion zu einem markenrechtlichen Thema und eine Ausbildung in internationalen Großkanzleien. Franziska Schröter berät darüber hinaus, als Inhaberin der Münchner Kanzlei Schröter, zu allen Themen des Wirtschaftsvertragsrechts sowie Gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts.
9
Marketingtechnologie systemtheoretisch beobachtet – mit einem pädagogischen Bezug zum Klimaschutz Thorsten Sühlsen
Zusammenfassung
Gibt es „Marketingentscheider“, die „unter Druck“ stehen? Wer oder was ist der Entscheider/die Entscheiderin? Entscheider:innen als eine Art Subjekt zu verstehen, erscheint unterkomplex, denn Unternehmen beispielsweise sind mit individuellen Entscheidungspräferenzen nicht zu erklären. Varianz mit marketingtechnologischen Invarianzmodellen einschätzen zu wollen, externalisiert Risiken. Wäre nicht vielmehr zu fragen: Wie entstehen Entscheidungen? Zum Beispiel basieren Organisationen auf Selektionsketten: auf Entscheidungen über Entscheidungen über Entscheidungen usw. Im Rahmen dieser Selektionsketten werden durch Selektionstypiken weitere Kommunikation selegiert und bestimmte Zuschreibungen von Handlungszurechnung über Motive und Zurechnung von Selektionsleistungen angegeben (Luhmann N (2006) Organisation und Entscheidung (2. Auflage)). Folgende beispielhafte Perspektivierungen auf Marketingtechnologien zielen darauf ab, eine orientiert an Systemtheorie reformulierte Antwort anzubieten. Es geht in diesem Artikel um Entscheiden als Form des Prozessierens von Kontingenz.
9.1
Marketingtechnologien als Entscheidungsprogramme
Mancher Marketingtechnologie wird unter anderem der Nutzen zugeschrieben, im Marktwettbewerb einem Marketingentscheider zu Gewinn bringenden Entscheidungen zu verhelfen. Aber gibt es Marketingentscheider:innen, die mit technologischen Hilfsmitteln T. Sühlsen (B) IU Internationale Hochschule, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_9
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T. Sühlsen
in ein System, in ein Oikos hineinentscheiden? Die mit Hilfe von Marketingtechnologien erhoffte Durchgriffskausalität in komplexe bzw. High-Variety-Systeme ist wissenschaftlich nicht haltbar, weil High-Variety-Systeme einander eine Vielfalt von wählbaren Möglichkeiten zur Verfügung stellen, aus denen durch Systeme entschieden bzw. selegiert wird darüber, ob von außen an das System herangetragene Ursache-Wirkungs-Modelle interessant erscheinen oder eben nicht (Malik, 1998, S. 8; siehe auch Ashby’s Law of Requisite Variety). Systeme organisieren sich selbstreferenziell, Systeme entscheiden bzw. selegieren eigenkomplex und kontingent. Nicht die Umwelt der Systeme bzw. nicht Entscheider:innen entscheiden über Systeme, denn Systeme sind nicht zusammengesetzt aus Subjekten, demzufolge weder Subjektkollektive noch Handlungseinheiten. Um Entscheidungen zu erklären und zu verstehen, ist es sinnvoll, Systemreferenzen analytisch zu differenzieren (Luhmann, 1995a, b). „Die Typik der Wesensformen, an der das Alltagsverhalten sich dann faktisch orientiert, ist das Resultat vorgängiger Sinnbestimmungen, die [nicht] im Sinne einer Konstitutionstheorie dem Subjekt zugerechnet werden können. Sie ergeben sich vielmehr daraus, dass die sinnbezogenen Operationen selbstreferentieller Systeme durch Auslöseprobleme (primäre Disjunktion, Irreversibilität, Dissens) gereizt und die Doppelhorizonte der Sinndimension dadurch unter Optionsdruck gesetzt werden.“ (Luhmann, 1984, S. 19). Strategien und operative Maßnahmen, beispielsweise Marketing-Jahrespläne und Martech-Lösungen, könnten solche Systeminterdependenzen berücksichtigen. Interdependenzen haben Auswirkungen auf Nachfrage und Produktion. Interdependenzen in der sozialen und psychischen Umwelt „tangieren mit Folgewirkungen langfristig ein System. Interdependenzen wirken ebenso zurück. Das, was unter dem Begriff des Rationalen oder der sogenannten Handlungsrationalität im Zweck-Mittel-Schema mit Bezeichnungen wie Effizienz, Effektivität, Erfolg gefasst wird, kann Interdependenzen in der sozialen und psychischen Umwelt nicht erklären oder steuern (Luhmann, 1994, S. 22). Ebenso die Systemtheorie Ludwig von Bertalanffys legt mit hohem theoretischen und empirischen Bewährungsgrad wahrheitsnah dar, dass Systeme in ihrer Komplexität nicht als Einheitskomponenten zu erklären sind. Zu analysieren wären eben deswegen bio-psycho-soziale Dimensionen zuzüglich Zeitdimensionen. Summa summarum: Die finale Punktierung auf einen „Entscheider“ hin – in handlungstheoretischer Sprache: „ein Subjekt, das handelt“ – dient üblicherweise als Endpunkt von Ursache-Wirkungs-Zurechnungen. Das schließt eventuell das Wissen um oder zumindest das Interesse für Operationsnetze sozialer Kommunikation aus. Um der Sackgasse solcher Handlungszurechnungen auf ein sogenanntes Subjekt oder Entscheider marketingtechnologisch zu vermeiden, wäre das Problem der Entscheidung wie dargestellt systemtheoretisch zu analysieren.
9 Marketingtechnologie systemtheoretisch beobachtet …
9.2
121
Bildungsmarketing
Die Anwendung von Geld materieller Art – die symbolische Funktion sei momentan noch nicht betrachtet – hat den Effekt, dass mit präzisen abzählbaren Einheiten gerechnet und gehandelt werden kann, aufgrund dessen es zu einer Steigerung der Wahrscheinlichkeit beiträgt, kulturübergreifend Konsensmöglichkeiten zu generieren, womit die Wahrscheinlichkeit von Inklusion in relevante Umwelten wie etwa das Wirtschaftssystem erhöht wird. Dadurch wiederum können Gewinne maximiert werden. Marketingtechnologien bieten Anschlusspotenzial und sind somit quasi Konsensmacher:innen, die jedoch unterschiedlich bewertet, unterschiedlich qualitativ beobachtet werden. Qualitative Beobachtung verringert Konsenswahrscheinlichkeit, verringert Anschluss- bzw. Inklusion. Nicht alle halten Geld für das Primäre im Leben, trotz des Wissens, dass Geld beinahe Totalinklusion ermöglicht. Deshalb benötigen Gewinn produzierende Organisationen Methoden qualitativen Analysierens als Basis der Programme des Kundenwerbens, auch weil Spannungsfelder entstehen, beispielsweise zwischen Bildung und Marketing. Die Analyse der Qualität individueller Bildungs- und Entwicklungsprozesse dient auch hinsichtlich strategisch ausgerichteter Marketingtechnologien von Branchen und Unternehmen dazu, beispielsweise gezielt Berufswählende zu beeinflussen oder junge Leute in ihren Moratorien anzuwerben, wie etwa in Form der „NAJU-Klima-Coach-Fortbildung für Multiplikator*innen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit“. Dieses Fortbildungsangebot erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass manche Klimaschutzaktive ggf. ihr Geld eher für eine Fortbildung bei der NAJU, anstatt für Kleber ausgeben. Interdependenzen: Gläubiger-Schuldner-Beziehungen könnten hier bezüglich auf Klimaschutz marketingtechnologisch gestaltbar gemacht werden. Manche scheinbar geldwerten Workshopmodule bestehen inhaltlich aus einem Warengemengelage wie etwa „Umweltpsychologie, Energiewende, alternative Wirtschaftsformen, Moorschutz, Soja-Anbau, Rechtsextremismus, Menschenrechte, Wahlalter, Mobilitätswende, Kommunikation, Recherche-Methoden und Projektmanagement“ (Wahlers, 2022). Aus marketingtechnologischer Sicht werden insbesondere mit solchen Themenkonvergenzen gezielt bei jungen Leuten typische Mangelzustände bestimmter Bedürfnisbefriedigungen angesprochen. Schon Herbert Marcuse führt die Warenproduktion auf die Bedürfnisse nach einer Stabilisierung der Güterknappheit zurück. Summa summarum: Marketingtechnologien dienen im Wirtschaftssystem dazu, Geld attraktiv zu machen wie etwa, dass Bildung mit Geld bezahlt wird. Bildung bezüglich Klimaschutz wird zunehmend als moralisch verpflichtend propagiert. Die erwähnte Fortbildungseinrichtung operiert im Wirtschaftssystem, weil Klimaschutz als Konsumprodukt einen wachsenden Markt darstellt. Der (Bildungs-)Markt ist zwischen eigener (bestimmter) und externer (unbestimmter) Komplexität grenzziehend, eine Wahrnehmung des Konsums aus Sicht der Produktion und der Organisation. Diesbezüglich könnte eine Art „Bildungsmarketing“ Bildungseinrichtungen für das Wirtschaftssystem interessanter machen – und andersherum.
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9.3
T. Sühlsen
Beziehungsmarketing
Für Marketingtechnologien spielt das Phänomen des Beziehungsaufbaus zwischen Gläubiger:innen und Schuldner:innen eine wichtige Rolle. Geld verbindet diejenigen in einem Prozess, die das Geld symbolisieren: Eine Beziehung zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner entsteht aus „Beziehungen“ genannten Organisationsformen und Entscheidungsereignissen (Luhmann, 1981). Marketingtechnologisch aufbereitet werden Kund:innen angeworben mit beispielsweise digitalen Kommunikationsstrategien für den Klimaschutz, mit Marketing für Klimaschutzrecycling, mit Klimaschutzoffensiven des Handels etc. Wenn strategisch versäumt wurde, einen Kundenstamm aufzubauen oder ein Kundenstamm plötzlich wegfällt, wird in einer Hauruck-Mentalität wie etwa einer Klimaschutzoffensive schlechte Planung auszugleichen versucht. Das Wirtschaftssystem kommuniziert auf Knappheit hin, ist aber ein Markt gesättigt, verringert sich die Möglichkeit zur Neukundenakquisition; die Ware als materielles Gut ist nicht immer oder irgendwann nicht mehr verbesserbar, hingegen ist die Beziehung zwischen Gläubiger:innen und Schuldner:innen verbesserbar durch das Schaffen von Bedürfnissen. Marketingtechnologie wird die Funktion zugewiesen, eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung aufzubauen bzw. Gläubiger:in und Schuldner:in auf diese Weise aneinander zu binden. Und dies nicht nur über die Transaktion selbst, sondern über erziehungswissenschaftliche und pädagogischpsychologische Erkenntnisse über Beziehungsaufbau: Relationship Marketing. Es bedarf bei Kund:innen bestimmter Motivation, an entsprechenden Spielregeln teilzunehmen. Die Motivation ist nicht per se und nicht bedingungslos gegeben, sondern sie wird kommuniziert, anders als die wirtschaftswissenschaftliche Theorie des Homo Oeconomicus es erklärt. Erklärungen lassen sich nicht nur über Ursache-Wirkungs-Modelle herstellen, sondern auch mit abduktiver Hypothesenbildung. Außerdem: Wenn versäumt wurde, die richtigen Dinge zu tun (Effektivität), beispielsweise die Bedürfnisse bei einem Gläubiger für die Marke „Klimaschutz zu erzeugen, muss operativ bzw. kurzfristig irgendetwas richtig getan werden (Effizienz). Es muss beispielsweise ein Jahresplan erstellt werden, bei dem Marketing-Technologien helfen. Das ist allerdings kontingent insofern, als dass die Entscheidung, etwas bestimmtes Richtiges zu tun (Effektivität), nicht prinzipiell richtig (effizient) getan wird – und andersherum. Marketingtechnologien produzieren aufgrund dessen Rückkopplungseffekte, da solche ‚leichtfertigen‘ Technologien womöglich auf operativen Daten beruhen und dadurch strategische Fehler ermöglichen, weil die operativen Daten nicht die eigenlogischen Daten der Systeme sind, in die hineinzuwirken versucht wird. Marketingtechnologien sind auf nicht wirtschaftliche Kommunikation bzw. auf andere Funktionssysteme angewiesen wie etwa auf das Funktionssystem der Erziehungswissenschaft. Die Kopplung des Wirtschaftssystems über Marketingtechnologien an die Erziehungswissenschaft (Organisations- und Wirtschaftspädagogik), die über theoretische und empirische Daten des Beziehungsaufbaus verfügen, hat die Funktion der Unsicherheitsabsorption im Sinne des Service-profit-Chain. Nicht-Zahlung zu „verunwahrscheinlichen“ (Luhmann gern verwendeter Wortgebrauch in Vorlesungen) bzw.
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die Wahrscheinlichkeit einer erwartbaren Zahlung zu erhöhen wird ermöglicht über Beziehungsaufbau zwischen Gläubiger:innen und Schuldner:innen. Aus Werbezwecken heraus nutzen Unternehmen wie Bildungseinrichtungen Marketingtechnologien dahingehend, dass sie Deprivationen – Mangelzustände bio-psycho-sozialer Art – potenzieller Kund:innen wirtschaftlich nutzen, indem sie Betroffenheiten bzw. Betreffbarkeit erzeugen mit Warengemengelage à la NAJU. Marketingtechnologie setzt in diesem Falle auf den Ausbau solcher Konvergenzexzesse, weil gewusst wird, dass Wahrnehmungen dazu tendieren, sich intensiv dargebotenen bzw. nahe gebrachten Objekten bzw. Waren in Form von Themen weiter anzunähern. Forcierungen der Konvergenzen von Beobachtungen erlauben aus wissenschaftlicher Sicht allerdings keinen Rückschluss auf die Existenz des Gegenstands. „Objektiv ist das, was sich in der Kommunikation bewährt. Subjektiv ist das, was sich in Bewußtseinsprozessen bewährt, die dann ihrerseits subjektiv das für objektiv halten, was sich in der Kommunikation bewährt, während die Kommunikation ihrerseits NichtZustimmungsfähiges als subjektiv marginalisiert.“ (Luhmann, 2002, S. 19). Summa summarum: Marketingtechnologen können sich für einen Netzwerk- bzw. Beziehungsaufbau zur Kundschaft interessieren auf der Basis konditionierter Vertrauenswürdigkeit. Diese Beziehungen können sich zu einem eigenen Sozialsystem, mit dem Glauben an die Verbesserungsfähigkeit von Personen, verdichten.
9.4
Bedürfnis- und Motivationsmarketing
Marketingtechnologien nutzen das Wissen um Codierungen und Programme des Erziehungssystems mithilfe der Kommunikationsmedien wie beispielsweise Intelligenz, psychische und körperliche Verfasstheit. Erziehungsversuche des Bewirkens einer Veränderung biologischer, psychischer und sozialer Phänomene beispielsweise mittels Fortbildungen haben dasselbe Problem, das auch Marketingtechnologien haben: Niemand kann berechnen, was herauskommt. Niemand hat eine Möglichkeit einer linearen oder multikausalen Beweisführung bestimmter Ursachen für bestimmte Wirkungen in Dynamiken komplexer bzw. High-Variety-Systeme. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff bietet augenscheinlich eine Lösung für dieses Problem, weshalb der Wahrscheinlichkeitsbegriff Begehrlichkeiten in der Marketingtechnologie auslöst. Kausalwissenschaften gehen davon aus, dass Wirkungen (Zukunft) durch Ursachen (Vergangenheit) zu bestimmen sind. Die Positionierung einer Wirkung (Handlungszuschreibung) als Bezugsproblem ordnet ein bestimmtes Ursachenfeld. Wirkungen werden als Ordnungsgesichtspunkte betrachtet. Verschiedene Ursachen und Ursachenkombinationen/-relationen kommen als ausreichende Wirkungsbewirkungen in Frage. Nach diesem Kausalprinzip orientieren sich auch Marketingtechnologien, die Algorithmen (Auswahl- und Orientierungsraster an digitalen und analogen Kommunikationen) konstruieren, um Kausalität als individualpräferierte Entscheidung für Laien glaubhaft zu deklarieren und zu attribuieren: „Der Entscheider entscheidet“. Damit
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wird das Ziel verfolgt, empirische Daten durch Beurteilung invarianter Relationen zwischen bestimmten auserlesenen Wirkungen zu erklären und zu prognostizieren, obwohl man Einfluss nehmen möchte auf komplexe bzw. komplexe bzw. High-Variety-Systeme. Mit Invarianzmodellen ist Komplexität aber nicht zu reduzieren. Mit der Konstruktion eingerichteter invarianter Variablen wird allerdings eine Erklärungsgrundlage entworfen wie etwa die Gleichstellung von Bedürfnis und Motiv in Bezug auf Warenknappheit. Womöglich ließen sich jugendliche Klimaschutzaktive marketingtechnologisch mit erzieherischen Programmen begeistern, die Angebote der Bedürfnisbefriedigung offerieren – beispielsweise entnommen aus dem vielfältigen Warenangebot der NAJU-Fortbildung. Diverse kognitiv Unreife (Konrad, 2017)1 würden ggf. mit steigender Wahrscheinlichkeit der NAJU die offenen Türen einrennen, weil sich Klimaschutzaktive womöglich in den entsprechenden mental bedingten pubertären Entwicklungsphasen2 mehr oder weniger egozentrisch-bedürfnisorientiert verhalten. Bezüglich solcher Marketingstrategien hätte sich Jean-Baptiste Say in seinen Konzepten bestätigt gefühlt: Man produziere eigentlich nicht Gegenstände, sondern subjektive Werte für die Bedürfnisbefriedigung bestimmter Zielgruppen. Während noch für Adam Smith der Preis eines Gutes von den Kosten der Herstellung abhängt (Winter, 2013), ist der Preis beispielsweise nach Ferdinando Galiani (1999) durch die Knappheit des Gutes bedingt. Zu unterscheiden wäre, dass das Merkmal „knapp“ eine Funktion darstellt, keine Eigenschaft. Zum Beispiel ist das Klima an sich weder knapp noch nicht-knapp, sondern wird, unter anderem seitens der Wissenschaft oder der Klimaaktiven, als bestimmte Form beschrieben und bewertet; „knapp“ stellt eine Relation dar zwischen den Aspekten „zu etwas gut zu sein“ für „jemanden oder etwas“. Es geht daher um die Funktion des Gutes für Nutzer:innen. Eine bestimmte Form des Gutes Klima(schutz) ist für den homo sapiens lebensnotwendig bzw. unverzichtbar – zumindest nach derzeitigem Forschungsstand. Hingegen ist das Klima nicht auf Primaten angewiesen. Das aus dieser Sicht als unverzichtbarer Zustand beobachtete Klima stellt derzeit für manche ein knappes Gut dar, ebenso der Klimaschutz. Die Befürchtung, dass die von zunehmend vielen Primaten erwünschte überlebenserforderliche Form des Klimas in absehbarer Zeit alternativlos nicht mehr zur Verfügung stehen könnte, verlegt die zukünftige Knappheit der Ressourcen perspektivisch in die Gegenwart; man weiß, dass wenn in fünf Tagen das trinkbare Wasser ausgeht, man noch zwei bis drei Tage zu leben hat. In einer Form der Gewissheit zukünftiger Knappheit haben Marketingtechnologien ein leichtes Spiel, auf Fremd- und Selbstwahrnehmungen von Bedarfen und Bedürfnissen zu referieren. Kommunikationen der Abhängigkeit vom Gut Klima sind in diesem Falle eine Bewertung, die auf existenzielle Forderungen des Organismus 1 Die klinische Neuropsychologin Kerstin Konrad an der Uniklinik RWTH Aachen produziert wis-
senschaftliche Erkenntnisse darüber, dass das Gehirn nach ca. 25 Jahren die volle Reife bzw. kognitive Volljährigkeit erlangt. 2 Für Nicht-Psychologen sei hier ergänzt: Mentales Alter muss nicht mit dem biologischen Alter übereinstimmen.
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zurückgeht, und die folglich nicht in Frage gestellt und verändert werden kann. Klima wollen wohl fast alle haben, umso mehr, wenn es nur in kleinen, zukünftig in knappen Mengen zu haben sein wird, sofern Personen sich selbst gegenwärtig und folgende Generationen als in Zukunft betroffen betrachten. Funktional betrachtet haben Güter wie Klima(schutz) eine Chance, auf Knappheit als stabiler Orientierungsfaktor hin beobachtet zu werden. Die Betreffbarkeit wird nicht nur durch quantifizierte Fakten, sondern auch durch Betroffenheitssemantiken unterschiedlich qualitativ bewertet. Der für den Homo sapiens existenziell notwendige Bedarf nach Klima, dessen Erhalt nur noch bedingt prognostiziert werden kann, wird deshalb schon gegenwärtig als Knappheit, als eine Form des Mangels marketingtechnologisch eingeführt. Mangel (Deprivation) ist u. a. ein Element, das zur Motivation führt. Marketingtechnologien bedienen sich bestimmter Betroffenheitssemantiken zwecks Erzeugung von Deprivation und Motiven bei Kund:innen – Motiven für Konsum: siehe NAJU-Fortbildungen. Motivation ist der allgemeine Begriff für alle Prozesse, die dazu führen, dass Aktivität gestartet wird (Initiierung), ein bestimmtes Ziel fokussiert wird (Richtungsgebung) und dauerhaft fortgeführt wird (Aufrechterhaltung). Wenn es aus marketingtechnologischer Sicht bei Konsument:innen einer psychischen Reproduktion (kognitives Re-investment?), also einer wiederholten Erzeugung der Motive, bedarf, so bedarf es zuvor einer Erzeugung der Deprivation, beispielsweise durch die Steigerung von Anspruchsniveaus einer Bedürfnisbefriedigung. Das stellt eine Form der Sinndeprivation dar, die wirtschaftliche Gewinne ermöglicht. Sinndeprivation ändert die Umwelt, von der der Schuldner selbst abhängt. Es werden Bedürfnisse geschaffen, „die ihrerseits dann wiederum die Preisentwicklung beeinflussen mögen, ohne daß man annehmen könnte, daß diese Form der Reaktion die Fakten selbst entproblematisieren könnte“ (Luhmann, 1994, S. 37–38). Genau genommen wird mit Motiv weder eine organisch oder psychisch individuierte Gesamtkapazität des Einzelakteurs bezeichnet, sondern eine im sozialen Kommunikationsprozess stattfindende Kombinierbarkeit von Selektionsdarstellungen bzw. Entscheidungsdarstellung (Luhmann, 2011, S. 185). Bedürfnis wird dann als Abhilfemotiv verwendet, um als Ursache herzuhalten für die Befriedigung von Bedürfnissen. Das ist allerdings auf Grund der Gleichstellung von vorgestellter Wirkung und Ursache ihrer Bewirkung als eine Tautologie zu entlarven (Luhmann, 1970, S. 11). Werden hingegen Bedürfnis und Motiv getrennt, so geht der kausale Erklärungswert verloren. Denn weder die Beziehung von Bedürfnis und Motiv lässt sich als logisch gesetzmäßig feststellen noch lässt sich diese Beziehung empirisch verifizieren. Mit Blick auf das Verhältnis von Wirtschafts-, Wissenschafts- und Erziehungssystem wäre marketingtechnologisch zu fragen, inwiefern und inwieweit Zielsetzungen und die damit verbundene möglichst lange und gehaltvolle Personenveränderung (folglich Zurechnungen auf biopsycho-soziale und zeitliche Referenzwerte) lohnend sind: Die Idee des Erlernens des Klimaschutzes verspricht Geld-Gewinne. Die Fortbildungskund:innen werden zum Klimaschutz und zu anderen Dingen erzogen, so zumindest die Absicht. Entsprechende Fortbildungseinrichtungen werden unter solchen Umständen des diversen Warenangebots mit Einsteigern rechnen können.
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Summa summarum: Ein Grundgedanke für Marketingtechnologen könnte sein, dass jede Kommunikation, die (Klimaschutz)Weisungen gibt und entsprechende Information verabreicht, tendenziell Paradoxien erzeugt bzw. sich selbst dekonstruiert. Informationen oder Fortbildungsinhalte beschreiben die Welt so, wie sie ist oder wie sie sein sollte, und zu dieser Beschreibung wird die Erwartung, dass sie angenommen wird, mitkommuniziert. Diese Komplexität ließe sich marketingtechnologisch kontrollieren. Fazit
Konsument:innen sind Einflussfaktoren ausgesetzt wie etwa Motiven, Bedürfnissen, sozialen Bedingungen und Informationsausteilungen. Marketingtechnologien im Rahmen von Kunden- und Bildungsmanagement können Optionen bieten, sich auf Konsumentenverhalten und Verhaltenseinflüsse nicht bloß einzustellen, sondern auch die damit verbundene Komplexität im kybernetischen Sinne zu kontrollieren (Malik, 1998): Kundenmanagement und Bildungsmanagement als Professions- und Disziplinkombination als eine Art Bildungsmarketingtechnologie. W. v. Humboldt würde sich wohl im Grab umdrehen. Komplexität ist messbar, das Maß wird mit Varietät bezeichnet: Die Quantität möglicher, unterscheidbarer Operationen in einem System, die unterschiedlich qualitativ bewertet werden können. Marketingtechnologie, verstanden als Programm eines Sozialsystems, kann seine eigene Komplexität steigern, um Komplexität ‚handhaben‘ zu können, also sowohl „der Problembezug Knappheit als auch das Tauschmittel Geld, sowohl die Anthropologie der Bedürfnisse als auch das Entscheiden als Form des Prozessierens von Kontingenz … müssen systemtheoretisch kontrolliert rekonstruiert werden“ (Luhmann, 1994, S. 9).
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Prof. Dr. habil. Thorsten Sühlsen ist Professor für Sozialwissenschaften an der Internationalen Universität in Hamburg sowie Privatdozent an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er forschte und lehrte als Vertretungsprofessor an der Bundeswehr-Universität in München und arbeitete im Jugendamt sowie als Systemischer Therapeut im Medizinischen Versorgungszentrum.
10
Leadership in a Digitalized Stationary Food Retail Environment Katja Wiedemann, Robert Zniva, Eva Lienbacher und Victoria Schulte
Abstract
Due to the increased application of different omnichannel approaches, lots of brickand-mortar stores implement technology and digitalize their in-store operations. Although employees and work environments are strongly influenced by these changes, only a few studies have dealt with the topic of leadership in this context. This paper aims to investigate the role of food retailing managers in times of digital change. By doing so, we identify leadership styles suitable for such situations. Drawing on transactional and transformational leadership approaches in digital settings, the study takes a qualitative approach based on eleven interviews with food retail managers. We show that leadership styles propagated in the literature in connection with digitalization are not necessarily transferable to food retailing. Digitalization offers the opportunity to simplify information-sharing and reduce workload for employees and managers. All those involved must be “taken along”. This sometimes proves difficult in practice, as both employees and managers do not always have an affinity for digital technologies or cannot communicate them well. Findings suggest a strong involvement of employees in digital transformation processes through simple and personal communication which also considers individual needs. K. Wiedemann (B) · R. Zniva · E. Lienbacher · V. Schulte Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich E-Mail: [email protected] R. Zniva E-Mail: [email protected] E. Lienbacher E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_10
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10.1
K. Wiedemann et al.
Introduction
Digital transformation is a multifaceted phenomenon and has various implications for companies of all industries (Hanelt et al., 2021). To face digital-related challenges, businesses must constantly integrate new emerging technologies, leading to new business models and new work environments. Digital transformation, thus, not only influences organizational processes and structures but also management and leadership styles (Harwardt & Schmutte, 2020), the latter being responsible for 19 % of employee fluctuation when experienced negatively (Brence et al., 2019). Due to competitive market situations, changing customer behavior and altered employee expectations, managers are confronted with new requirements and challenges as part of the digital transformation (Petry, 2016). This necessitates a completely new way of thinking for managers and their leadership styles. There is a trend towards a transformation from the ‘classic single leader’ at the top management level to a ‘new leadership role’. Managers are challenged by this transformation from ‘classic’ top-down decisions to ensure efficiency and success in leadership and motivation of interconnected and self-organized units to develop innovations and new business models (Kienbaum, 2019). One aspect that hasn’t received much attention in the past is the leadership-related implications of digitalization in service-oriented industries, especially in the retail industry (Mekraz & Gundala, 2016). The retail sector is one of the largest industries in the European economy when it comes to generated revenues and an average number of employees (EuroCommerce, 2022). Retailers must evaluate carefully how to best survive and flourish in this new technology-driven environment (Grewal et al., 2021). As stationary retailers still represent by far the largest market share within the retail industry (Reinartz et al., 2019) and are characterized as a personnel-intensive sector, confronted with various in-store technologies (Grewal et al., 2021), we particularly focus on this sector. Based on the leadership theories of the full-range model of leadership, which is considered a leadership model concerning digital transformation, we first identify the possible impact of digitalization on leadership characteristics and styles. We further test our assumptions by interviewing managers in the food retailing industry. The aim is to identify how digitalization is changing the role of leaders and which leadership styles occur in practice.
10.2
Digitalization and Full Range Model of Leadership
The full-range leadership model of Avolio and Bass (1991), one of the most significant and influential leadership models (Sosik & Jung, 2010; Furtner & Baldegger, 2016), considers three different leadership styles: laissez-faire, transactional, and transformational. These can be differentiated in terms of the activity level of the leader and the effectiveness
10 Leadership in a Digitalized Stationary Food Retail Environment
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of the leadership approach. Thus, leader effectiveness can be divided into active behavior, which implies high engagement with employees, and passive leadership, where leaders typically pay little attention to individual productivity and task completion. In this context, the most ineffective and passive leadership style is (i) laissez-faire leadership, described as the absence or avoidance of leadership (Bass & Riggio, 2006). (ii) Transactional leadership is characterized by a regulated exchange relationship between the leader and those being led. This is reflected in clearly communicated reward systems (contingent reward) that are controlled by the responsible manager (management by exception). The latter can be differentiated into ‘passive’ and ‘active’ management by exception. In this case, the first option is slightly more effective, i.e., leaders focus on mistakes, only after they have occurred, compared to the second option, in which leaders rather search for mistakes. The most effective and active leadership style is (iii) transformational leadership. Transformational leaders motivate employees by presenting attractive visions (inspirational motivation), being perceived as role models (idealized influence), encouraging innovative and independent thinking (intellectual stimulation), and supporting employee development (individualized consideration) (Avolio & Bass, 1991). In this way, it is possible to change leaders’ values and attitudes so that short-term individual goals give way to long-term values and ideals. (Bass, 1985). Following this argumentation, especially transactional and transformational leadership approaches involve motivational and attributional concepts such as needs, values, and support, proven to be of relevance for effective leadership. Particularly, transformational leadership has proven to be suitable for leadership in changing times with flexible structures and new technologies (Köhn, 2010). Examining recent research, focusing on digitalization and transactional or transformational leadership, we identified several factors for successful leadership, when it comes to digital transformation. Tab. 10.1 shows that some of these factors can be associated with a transformational leadership style, others more with a transactional leadership style. Accordingly, one of the above-presented leadership factors associated with transformational leadership is a digital mindset, i.e., being open to new technologies and digital topics. This implies that managers themselves have a certain level of digital readiness and identify with the company’s digital strategy, inspiring employees and further allaying their fears of digital transformation (Gfrerer et al., 2021, Wrede et al., 2020, Castellano et al., 2021, Eden et al., 2019, Tronvoll et al. 2020). Involvement and participation of employees seem to be crucial when it comes to decision-making processes in digital work environments (Castellano et al., 2021, Frick et al., 2021, Wrede et al., 2020, Gfrerer et al., 2021), also reflected in the importance of feedback-systems (Dery et al., 2017). Delegation of responsibility and authority is, therefore, necessary and fosters a relationship-oriented and shared leadership culture (Bolden & O’Regan, 2016, Castellano et al., 2021, Frick et al., 2021, Van der Meulen et al., 2020). Effective digital transformation affords an open and supportive work environment as seen in test-and-learn and bottom-up organizational cultures (Dery et al., 2017; Eden et al., 2019; Frick et al., 2021, Wrede et al., 2020). Besides
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K. Wiedemann et al.
Tab. 10.1 Factors for successful leadership in digital settings based on the full range model of leadership of Avolio and Bass (1991) Dominant Leadership style
Factors for successful leadership in digital settings
Sources
Transformational Leadership Agility; Collaboration and Network; Communication; Culture; Delegation; Development and Support; Digital Mindset; Digital Skills; Involvement and Participation; Role Model; Trust
Bartsch et al., 2021; Castellano et al., 2021; Gfrerer et al., 2021; Frick et al., 2021; Gierlich-Joas et al., 2020; Larson & DeChurch, 2020; Solberg et al., 2020; Tronvoll et al. 2020; Utoyo et al., 2020; Van der Meulen et al., 2020; Wrede et al., 2020; Eden et al., 2019; Dery et al., 2017;Bolden & O’Regan, 2016; Petry, 2016
Transactional Leadership
Bartsch et al., 2021; Eden et al., 2019; Bolden & O’Regan, 2016
Control; Framework Setting, Reward
Communication and employee empowerment, trust can also be associated with transformational leadership, as managers’ trust can reduce or even avoid fears and resistance to change (Bolden & O’Regan, 2016, Castellano et al., 2021, Gierlich-Joas et al., 2020, Larson and DeChurch, 2020, Tronvoll et al., 2020, Petry, 2016, Wrede et al., 2020). However, following the transactional leadership style, successful leaders need to provide a sense of clarity, purpose, and direction (Bolden & O’Regan, 2016, Bartsch et al., 2021) which for example can be achieved by framework setting and establishing a rewarding control system (Eden et al., 2019). In summary, the literature review on leadership in digital settings shows that a transformational leadership style is more often recommended in digital settings, but also forms of transactional leadership are required, particularly regarding the specification of clear structures and framework conditions in volatile environments.
10.3
Methodology
Although we conducted a thorough literature review with a general focus on digitalization and leadership-related aspects, we hardly found any empirical studies dealing with leadership styles in retailing. To our best knowledge, only Mekraz and Gundala (2016) identified the main challenges related to leadership, that retail store managers are confronted with. This lack of empirical findings reveals a rather exploratory stage of research on the topic. Therefore, we decided to implement a qualitative research design to further explore the impact of digitalization on leadership styles in food retailing. To gain access to knowledge and practical implementation on leadership in retail, especially concerning
10 Leadership in a Digitalized Stationary Food Retail Environment Table 10.2 Respondents’ profiles (own figure)
Expert Profile Position
133
Frequency Managing director
4
Regional sales manager
5
Store Manager
2
Retail format
Supermarket
9
Discount Store
2
Gender
Male
8
Female
3
the characteristics and attributes of digitalized work processes and associated institutional orders, we used semi-structured expert interviews (Kaiser, 2014). As a sampling procedure, we used a theoretical sampling approach. We selected respondents who currently hold or have recently held managerial responsibility at the point of sale in a stationary Austrian food retailing setting as interviewees. In addition, selected experts had to have direct or indirect (e.g., regional sales managers or store managers) leadership responsibility for employees. In total, we interviewed eleven experts, before we hit a point of theoretical saturation (see Table 10.2). The transcribed interviews were analyzed using a deductive and inductive content analysis approach, as described by Mayring and Fenzl (2019).
10.4
Results
In total, we identified five categories representing the impact of digitalization on the food retailing workplace: work facilitation, work intensity, digital resistance, a decrease in personal interaction, and psychological pressure. The most frequently mentioned impact of digitalization on work environments by our experts is the facilitation of work, with two different types identified: an increase in task performance and better information access and sharing. Typical technologies associated with work facilitation are headsets, electronic price tags, and apps. Also, advantages in communication with and between employees were mentioned. Digitalization not only enables simplified access to information, but also simplified information sharing: “(…) if communication is uniform and direct via these programs, then everyone has the same level of information and there are none who (...) fall behind and receive little information.” (regional sales manager).
However, the negative impacts of digitalization were also mentioned in the interviews. Digitalization not only makes work easier, but also increases work intensity:
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K. Wiedemann et al.
“(...) digitalization leads to people working much more intensively.” (regional sales manager)
This is especially true for employees with low digital skills or when a high number of different digital applications are implemented. Furthermore, the interviewed managers report increased work intensity: human action is required anyway, despite digitalization, for example, to monitor and implement marketing technology. Above all an increase in work intensity for employees associated with a decrease in personal interaction with co-workers and superiors was described as a threat: “There is also a lack of personal meetings during breaks, where employees and managers usually share ideas and discuss solutions.” (regional sales manager).
Digitalization also influences relationships within the team on a personal level (decrease of values such as appreciation, feedback, and personal connection). In the course of inductive category formation, the category “digital resistance” was identified as a further impact of digitalization on employee leadership. Digital resistance, i.e. in the Austrian food retail sector, resistance to technology, and digitalization in general, is particularly prevalent among older employees and during implementation phases. Another impact of digitalization on employee leadership in food retailing is psychological pressure, especially when technologies are newly introduced, and errors occur: "(…) this leads to frustration among employees, who are massively overwhelmed, which leads to errors or may even lead to accidents.” (regional sales manager).
In conclusion, our experts identified several advantages of digitalization in stationary retail, but also highlighted several critical challenges. These changes in work situations trigger certain adaptations in leadership styles. In general, our results show a quite traditional picture of leadership in food retailing. Typically, a certain hierarchy and control are associated with jobs in discount stores, supermarkets, and hypermarkets. Therefore, leadership characteristics regarding categories like such as role model, trust, delegation, reward, and control were quite conservative in nature. Employee leadership in the food retail sector can be described as ‘management-by-objective passive’ as part of the transactional leadership style. To fulfill corporate goals and tasks, employees are initially given scope for action in the fulfillment of their duties. Only in the event of insufficient fulfillment or the occurrence of errors do managers intervene and give direction, as the following statement shows: “(…) and then you have to be more authoritarian again anyway when I see that it’s not going to work, and I have certain company goals that have to be achieved“ (managing director).
10 Leadership in a Digitalized Stationary Food Retail Environment
135
The implementation of digital technologies in stores challenges this typical characteristic of food retailing leadership, puts more pressure on employees, and decreases personal contact. Therefore, leadership styles must account for these changes, and collaboration and networking as well as culture gain in importance: “(…) I am convinced that the more digital tools are used, the more important it is to have an analog approach, especially in leadership. Because it is crucial that you have to try to get back into an analog situation through the leadership channel to compensate for what is then lost”. (regional sales manager).
Therefore, a key aspect of leadership in digital settings is communication. Managers in food retailing need to make sure that explanations and feedback are communicated simply and understandably. Finally, measures of involvement and participation gain momentum through digitalization in food retailing: “It’s important to simply take people on the journey with you“ (regional sales manager).
Conclusion
The research provides explorative, empirical insights into how digitalization is changing the role of leaders in food retailing, as well as which leadership styles occur in practice. Drawing on the full range model of leadership, our empirical results show positive and negative implications of digitalization on work environments and leadership styles. With work facilitation, work intensity, psychological pressure, digital resistance, and reduction of personal interaction, we identified five factors representing the impact of digitalization on the changing role of leaders within the food retailing sector. The empirical results show the influence of digitalization on the digital resistance of employees in food retailing. Managers must act as role models and must involve employees in processes related to the implementation of new technologies (Gfrerer et al., 2021). Implementation succeeds all the better, the more employees are involved and thus recognize the purpose and see the advantage. Especially, the introduction of new technologies can lead to psychological pressure. Managers can react to this by responding individually to the abilities of employees and by enabling face-to-face conversations. Our results confirm literature-based assumptions concerning workload reduction through digitalization as crucial in food retailing. Digital technologies can be used to work more efficiently, save costs, and increase productivity. Moreover, workload reduction is achieved by better access and sharing of information due to the usage of digital technologies.
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Direct, personal contact and communication typically decline in digitally enhanced work environments. However, our study shows a clear relationship between the digitalization of work processes and personal communication. The more digital work processes there are, the more analog leadership-related communication is required (e.g., regular face-to-face meetings). Consequently, this finding represents an essential theoretical contribution and requires further investigation. Furthermore, it has become apparent in the course of this work that current research interest in the impact of digitalization in retailing is very high, but that leadership in retailing research currently receives little attention. The study at hand shows which leadership styles occur in practice. Although previous literature states that especially the transformational leadership approach is applicable in digital settings, our empirical results show the opposite. However, a few transformational leadership style elements were also observed in the Austrian food retail industry. In summary, managers in the food retail sector should have a digital mindset, involve and train employees in a simple and understandable way, strengthen the personal ‘analog’ relationship, and embrace a trial-and-error culture to face leadership-related digital challenges. Typical limitations of our research stem from the qualitative nature of the study and include a small sample size, potential interview bias, and the fact that no generalized statements can be made (Roebken, Wetzel 2016). Future studies may follow a quantitative approach to overcome these limitations.
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FH-Prof. Dr. Katja Wiedemann is a professor of Human Resource Management, Change Management and Leadership at the Department of Business and Tourism at the Salzburg University of Applied Sciences. She also lectures on HR topics at other universities. After studying business education and completing her PhD at the Department of International Management at the FriedrichAlexander University of Erlangen-Nuremberg, she worked in HR management in companies in various industries. Her teaching and research focus is on empowering managers and employees for the working world 4.0. FH-Prof. Dr. Robert Zniva is a Professor of Commerce and Marketing and Head of Research at the Department of Business and Tourism at the Salzburg University of Applied Sciences. He is also a lecturer and adjunct research fellow at the Institute of Retailing and Data Science at WU Vienna. Robert Zniva’s research and teaching focus on consumer behavior (especially older consumers), social and technological change, retail marketing, and services marketing. He is currently leading the research project “Retailization 4.0” at the Salzburg University of Applied Sciences, a research and transfer hub financially supported by the Austrian Research Promotion Agency, whose goal is to make existing stationary retail spaces crisis-proof, productive, and competitive through technology. FH-Prof. Dr. Eva Lienbacher is a Professor of Marketing at the Department of Business and Tourism at the Salzburg University of Applied Sciences and a research associate at the New Design University. She completed her doctorate at the Institute of Commerce and Marketing at the Vienna University of Economics and Business. Her research and work focus on retail marketing and management as well as digitalization and responsibility. Victoria Schulte, BA completed her Bachelor’s degree in Business Administration at the Salzburg University of Applied Sciences. During her studies, she specialized in International Business, Marketing, and Human Resources and will complete her Master’s degree at MCI Innsbruck and a
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Double Degree at NEOMA Business School in France in 2023. She achieved second place in the ECR Academic Student Award 2022 in the category of Bachelor Theses. In her bachelor thesis, she investigated the influence of digitalization on employee management in Austrian food retailing.
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Näher zur Kundschaft Die Relevanz von MarTech für die Beziehungsbildung von Herstellermarken Benjamin Krischan Schulte
und Andrea Hansen
Zusammenfassung
Viele Hersteller mit B2C-Modell setzen in der Kommunikation nach wie vor auf klassische Mediakanäle und nutzen hierbei Kundendaten noch nicht vollständig. Steigender Wettbewerb in der personalisierten Kundenansprache seitens des Handels und höherer Effizienzdruck auf Werbebudgets machen es notwendig, diese Strategie zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Immer mehr Unternehmen – insbesondere die großen Handelsunternehmen – nutzen den direkten Kundenkontakt, um aus den gesammelten Daten Kundenprofile zu erstellen, die ein steigendes Maß an Individualisierung in der Kommunikation ermöglichen. Dieser Beitrag beschreibt die Wichtigkeit von First-Party-Kundendaten für die Datenstrategie von Herstellermarken im Interesse einer verbesserten Kundenerfahrung und zielgerichteten Kundenansprache, insbesondere in Nischenmärkten. Ferner wird anhand eines iterativen Prozesses aufgezeigt, welche Fragen sich Unternehmen stellen müssen, um Datenbedarfe zu ermitteln und die Grundlage dafür zu schaffen, sich dem passenden MarTech-Stack anzunähern. Eine sukzessive Anpassung der Datenstrategie wird langfristig für alle Unternehmen notwendig werden – dies bietet großes Potenzial für eine bessere Wettbewerbsposition und den Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen.
B. K. Schulte (B) IU Internationale Hochschule, Campus Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Hansen Nestlé Purina PetCare Deutschland GmbH, Euskirchen, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_11
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11.1
B. K. Schulte und A. Hansen
Hintergrund – Die Relevanz von Kundendaten
Umsätze von Industriebetrieben und Dienstleistern, die eine besonders hohe Zahl loyaler Firmenkunden haben, wachsen im Durchschnitt über alle Branchen hinweg um vier bis acht Prozentpunkte schneller als der Markt (Bain & Company, 2014). Auch im B2CBereich sind loyale Kund:innen um ein Vielfaches wertvoller für Unternehmen, da sie effizienter angesprochen und motiviert werden können und bessere Up- und Cross-SellingPotenziale bieten. Ferner ist die Zahlungsbereitschaft und Weiterempfehlungsrate höher, wenn loyale Kund:innen vom Produkt überzeugt sind (Raassens & Haans, 2017). Für Marken ist die Personalisierung der Kundenkommunikation daher ein wichtiger Ansatzpunkt zur Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb. Im Fokus steht eine gute Kundenerfahrung, die bestmöglich auf individuelle Besonderheiten abgestimmt ist. Hierfür braucht es Informationen über Kundeneigenschaften, -verhalten und -bedürfnisse. Die Auswertung und Verknüpfung von Kundendaten ermöglicht eine individualisierte Kundenkommunikation, zum Beispiel durch personalisierte Angebote und Werbung, sowie bedürfnisorientierten Website-Content, Newsletter und Hotline-Betreuung. Für Zielgruppen, die sich nicht ohne Streuverluste durch die breiten Medien ansprechen lassen, kann datengestütztes Targeting zusätzlich die Media-Effizienz verbessern (Fulgoni, 2018), was gerade in Zeiten besonders wichtig ist, in denen steigende Energie- und Rohstoffpreise den Druck auf die Marketingbudgets erhöhen. Hier ist eine personalisierte Kundenansprache effektiver als klassische breite Medienschaltung, wie beispielsweise bei TV- oder Plakatwerbung. So sinken die Streuverluste in der Ansprache – vorausgesetzt natürlich, die Zielgruppe ist richtig gewählt und das Produkt und die Werbebotschaft sind relevant. Besitzt ein Unternehmen Kundendaten und kennt einen Teil seiner Käuferschaft, so ist es zudem in der Lage, auf dieser Basis statistische Zwillinge zu definieren und diese anzusprechen (Popov & Iakovleva, 2018). Dies kann helfen, die richtigen Kund:innen zu identifizieren und diese als Neukund:innen zu generieren bei durchschnittlich geringeren Akquisitionskosten als bei ungestützter Kaltakquise. Der Wettbewerb der Werbetreibenden wird härter, da immer mehr Firmen den Wert von Customer Relationship Management (CRM) erkennen und eigene Daten sammeln. Eine geeignete Datenstrategie ist hierfür der Ausgangspunkt. Dabei ist eine auf strategische Bedürfnisse abgestimmte MarTech Landscape ein Hygienefaktor, um Kundendaten zu sammeln, zu speichern, zu verwalten, zu analysieren und zu nutzen. Mittels Computational Advertising – dem datengetriebenen Ausspielen von Online-Werbung – lassen sich dann effizient personalisierte Werbebotschaften platzieren (Yun et al., 2020).
11 Näher zur Kundschaft
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11.1.1 Die Klaviatur von Daten Basis für individuelles Targeting und effektiveres CRM sind die verschiedenen Arten von Konsumentendaten. Im klassischen Verständnis unterscheidet man First-, Second- und Third-Party-Daten (Malthouse et al., 2018). Das Verständnis von First-Party-Daten wurde weiter differenziert und um Zero-Party-Daten ergänzt (Gilliland, 2020). Zero- und First-Party-Daten sind für Unternehmen meist am günstigsten zu erheben – häufig fallen diese im Kundenkontakt automatisch an. Diese Datentypen haben für die Datenstrategie oberste Priorität und beeinflussen die Anforderungen und die Auswahl der Komponenten des MarTech-Stacks, da sie gespeichert und verarbeitet werden müssen. Zero-Party-Daten sind Daten, die Kund:innen „beabsichtigt und proaktiv“ mit einem Unternehmen teilen (Forrester, 2021). Diese werden beispielsweise erfasst, wenn Konsument:innen sich für einen Account auf der Website des Unternehmens oder für ein Gewinnspiel registrieren. Auch Umfragen und Bewertungen generieren Zero-Party-Daten. First-Party-Daten sammelt ein Unternehmen durch direkte Interaktion mit den Kund:innen. Darunter fallen Cookie-Daten, die ein Unternehmen bei der Nutzung der Website mit entsprechender Einverständniserklärung sammeln kann, sowie Transaktionsund Abverkaufsdaten eines Onlineshops. Galeria
Die Galeria Markthalle GmbH & Co. KG nutzt Cookies und einen Newsletter zur Erhebung von Daten. Für das Tracking werden unter anderem die Dienste des dänischen Anbieters Adform in Anspruch genommen und Daten wie IP-Adressen, geografische Lage sowie Anzahl der Klicks oder Views gespeichert (Galeria-Markthalle, 2022). Zum Sammeln dieser First-Party-Daten ist eine Zustimmung zur Cookie-Setzung erforderlich. Für den Newsletter werden Daten wie Anrede, Name und E-Mail-Adresse abgefragt und gespeichert, dies sind Zero-Party-Daten. Diese Daten dürfen zur Zustellung des Newsletters sowie zum Zweck der Werbung genutzt werden. Ein Anreiz zur Anmeldung und Adressangabe wird durch Gewinnspiele gegeben (https://galeria-mar kthalle.de/newsletter). Second-Party-Daten stammen aus der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, beispielsweise in Kooperationen oder in Partnerschaften. Diese Unternehmen erheben Daten von eigenen Kund:innen, für sie sind sie First-Party-Daten. Händler haben häufig direkte Schnittstellen zu ihren Kund:innen, über welche sie mit deren Einverständnis Daten sammeln. Hersteller gehen oft Kooperationen mit Händler:innen ein, in denen solche Daten Teil der Kooperation sind. Third-Party-Daten werden von Datenaggregatoren erhoben und kommerziell vertrieben. Hierzu werden unter anderem Zielgruppen für zielgerichtete Werbung (Targeted Advertising) gebildet. So sammelt beispielsweise Google Daten auf verschiedenen Wegen,
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um dann Werbepartner über ihr Werbenetzwerk die Möglichkeit zu geben, spezielle Zielgruppen anzusprechen. Manche Unternehmen setzen zur Kundenansprache bislang primär auf externe Daten. Der Zugriff auf Second- und Third-Party-Daten ist kurzfristig einfacher, jedoch langfristig oft teurer als eigener Datenzugang und die Datenqualität kann ebenfalls stark schwanken, je nachdem wie spitz die Zielgruppe ist. Der große Vorteil von Zero- und First-Party-Daten ist, dass diese je nach Zielsetzung direkt genutzt und analysiert werden können. Dennoch sollte geprüft werden, welchen Mehrwert externe Quellen zur Erhebung von Daten bieten können, die man selbst nicht oder nur schwer erheben kann. Je nach Strategie und Zugang ist auch die Nutzung von oder Ergänzung um Second- und Third-Party-Daten interessant und relevant. In allen Fällen sind datenschutzrechtliche Aspekte bei der Datenspeicherung und -verarbeitung zu beachten. Ziel ist ein optimierter Stack, der Anforderungen aus Datenschutz und Datennutzung am besten bedient, wobei sich diese kontinuierlich ändern und weiterentwickeln. Abb. 11.1 zeigt am Beispiel eines Herstellers für Tiernahrung, wie dieser über die verschiedenen Datenarten relevante Informationen für das Targeting ermitteln kann. Er möchte wissen, ob ein Konsument einen Hund oder eine Katze besitzt. Die zunehmende Varianz der Datentypen, die gespeichert und genutzt werden, ändert die Anforderungen an den MarTech-Stack. Viele Unternehmen sammeln bereits Basisdaten wie Namen oder Kontaktdaten, sowie demografische Daten wie Alter, Geschlecht oder Einkommen. Auch Verhaltensdaten werden oft schon erfasst. Darunter fallen Informationen über Klickverhalten auf einer Website oder Begriffe, die in der Suche auf der Website eingegeben werden. Durch Analyse können daraus Bedürfnisse und Interessen abgeleitet werden.
Abb. 11.1 Arten von Konsumentendaten am Beispiel Heimtierhaltung. (Eigene Darstellung)
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Transaktionsdaten, wie Daten aus Onlinekäufen oder Kundenkarten-Daten, geben Aufschluss über Kaufverhalten und eignen sich für konkrete Kaufempfehlungen oder Feedbackanfragen. Hat man keine direkte Geschäftsbeziehung, beispielsweise im Rahmen von E-Commerce, so sind dies Daten, die klassisch als Second- oder Third-Party-Daten hinzugezogen werden können. Gibt ein Konsument Feedback zur Marke oder zu Produkten, handelt es sich um Einstellungsdaten (Stark, 2021). Durch Ratings und Reviews auf der Website oder Teilnahme an einer Umfrage wird beispielsweise erfasst, wie zufrieden Kund:innen mit einem Produkt oder einer Marke sind. Für CRM-Maßnahmen können solche Informationen gezielt genutzt werden und bringen Unternehmen näher zu den Kund:innen. REWE
Die Handelsunternehmen der REWE Group erheben bereits heute über viele Kanäle alle genannten Arten von Daten. Auf der Website des Händlers REWE können sich Kund:innen für einen Account registrieren (Basis- oder demografische Daten) und ihre Zustimmung zu Cookie-Tracking (Verhaltens- und Transaktionsdaten) wird abgefragt. Die REWE-App ermöglicht zudem den Zugriff auf die Handzettel des Unternehmens, die ab 2023 nicht mehr in Papierform verteilt werden, was es auch ermöglicht, Werbung effizienter und ressourcensparsamer zu platzieren (Esser, 2022). Die selbst generierten First-Party-Daten werden Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt, unter anderem im Rahmen von REWE Retail Media. Das Produkttester-Portal ermöglicht es außerdem, direkt Produktbewertungen von Konsument:innen zu erfassen (Einstellungsdaten). Im Bereich Second-Party-Daten kooperieren mehrere Händler von REWE noch bis Ende 2024 mit dem Partner-Payback. Dieses soll anschließend durch ein eigenes Kundenbindungsprogramm abgelöst werden. Auch über klassische Werbenetzwerke wird gezielt Werbung ausgespielt, wobei Third-Party-Daten zum Einsatz kommen. Je nach Datenlage variiert der Grad an möglicher Personalisierung der Kundenansprache. Im Rahmen einer zu entwickelnden Datenstrategie müssen Aufwand und Nutzen abgewogen und strategische Ziele festgelegt werden. Daraus leiten sich die Datenbedarfe der beschriebenen Datentypen ab.
11.1.2 Ungleiche Ausgangslage für Hersteller und Händler Die großen deutschen Einzelhandelsunternehmen haben aktuell einen Vorsprung vor Herstellerunternehmen, da Kundendaten durch den direkten Kontakt für sie leichter zugänglich sind. Kundenkarten und -konten helfen, alle genannten Datentypen sukzessive einem individuellen Kundenprofil zuzuordnen und so immer mehr über die Kundschaft
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zu lernen. Das Einverständnis der Kund:innen und eine funktionale MarTech sind hierfür vorausgesetzt. Vor allem Transaktionsdaten sind leicht zu aggregieren, wenn das Unternehmen über eigene Vertriebskanäle verfügt. Mit einem Kundenbindungsprogramm kann Kaufverhalten längerfristig getrackt werden. Unternehmen ohne direkten Kundenkontakt müssen diese Daten hingegen als Second- oder Third-Party-Daten einkaufen. Fressnapf
Der Händler Fressnapf betreibt zwei Kundenbindungsprogramme und generiert damit Kundendaten. Mit dem Welpen und Kitten Club werden Kund:innen mit jungen Haustieren direkt angesprochen. Kund:innen können Angaben zu ihrem Tier machen und der Kommunikation mit dem Unternehmen zustimmen. Sie erhalten ein Willkommensgeschenk, besondere Angebote und relevante Informationen (Fressnapf Tiernahrungs GmbH, 2022). Mit Fressnapf Friends wurde zusätzlich ein klassisches KundenkartenProgramm gestartet, das es dem Händler ermöglicht, Transaktionsdaten zu erfassen. Mit einer App wird bei jedem Einkauf ein Rabatt von 5 % gewährt, wenn dieser über das Kundenkonto durchgeführt wird oder im stationären Geschäft die App gezeigt wird. Dadurch können den Kundenaccounts Einkäufe zugeordnet werden. Unternehmen, die weniger nah an Konsument:innen sind und keine oder nur wenige Zeround First-Party-Daten erfassen können, haben hier einen strategischen Nachteil. Dazu gehören unter anderem Herstellermarken im B2C-Bereich. Sie setzen in der Regel auf eine indirekte Vertriebsstrategie im mehrstufigen Handel und verfügen daher über weniger detaillierte Kundendaten. Diese sind aber für einen personalisierten Kontakt zu den Endkund:innen notwendig und schaffen die Basis für effektives CRM, das sich langfristig positiv auf den Umsatz auswirkt. Einige Hersteller haben diese Problematik jedoch erkannt. Sie wollen ihre Zero- und First-Party-Datenbasis ausbauen und entwickeln eine Datenstrategie. Sie setzen Anreize für die Erfassung von Kundendaten. Beispiele hierfür sind herstellerspezifische Treueprogramme, Gewinnspiele, Rabatt- oder Geld-zurück-Aktionen, deren Teilnahme die Eingabe von Kundendaten voraussetzt. Auch Content Marketing ist ein beliebtes Tool, um der Kundschaft einen Mehrwert zu bieten und deren Bereitschaft zu erhöhen, mit Marken direkt in Kontakt zu treten. P&G ForMe
Der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble hat für die D-A-CH-Region die OnlinePlattform ForMe entwickelt, die es ermöglicht, Kundendaten zu erfassen. ForMe ist aufgebaut wie ein Magazin mit Content für verschiedene Zielgruppen, jedoch immer mit Produktbezug in Artikeln und Inhalten. Hierfür können sich Kund:innen mit einem Nutzerkonto registrieren und erhalten dann Zugriff auf die Plattform, wobei sie
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ihre Zustimmung zu E-Mail-Kommunikation und Datennutzung geben. Anreiz sind hier neben Informationen auch Produkttests und Gewinnspiele, sowie Geld-zurückAktionen für Produkte aus dem Markenportfolio. Bei der Registrierung wird darauf hingewiesen, dass die Daten mit Tracking-Daten, Gerätedaten und anderen Daten aus am Markt verfügbaren Quellen verbunden werden können (Procter & Gamble, 2023). Ein strategisches Umdenken wird für Herstellerunternehmen relevanter, um die Kundenansprache besser zu individualisieren und mit dem Wettbewerb mithalten zu können. Hierfür ist es erforderlich, eine gezielte Datenstrategie zu entwickeln.
11.2
Der Weg zur Datenstrategie
Damit Daten einen Mehrwert bieten, müssen sie zielgerichtet erhoben werden. Dafür ist es wichtig, die Datennutzung bis zum Ende zu durchdenken, um die Bedarfe zu ermitteln und sich schrittweise dem Zielbild zu nähern – daraus ergibt sich die Datenstrategie. Abb. 11.2 gibt einen Überblick über die einzelnen Schritte auf dem Weg zur erfolgreichen und effizienten Datennutzung, die laufend angepasst und optimiert wird. Voraussetzung, um Daten effektiv sammeln und einsetzen zu können, ist der passende MarTech-Stack. Dieser wächst sukzessive mit und entwickelt sich weiter – je nach Unternehmensbedürfnissen, Datenverfügbarkeit, Investitionsfreudigkeit und Innovationsgrad. Durch ständig neue Entwicklungen und auch rechtliche Veränderungen endet die Zusammenstellung des MarTech-Stack nie ganz. Abb. 11.2 Iterativ dargestellter Prozess zur Datenstrategie. (Eigene Darstellung)
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11.2.1 Datenbedarf definieren und eigene Daten generieren Der individuelle Datenbedarf eines Unternehmens leitet sich daraus ab, wie die Daten genutzt und monetarisiert werden sollen. Vom Ziel her zu denken hilft daher, im ersten konkreten Schritt die Datenbedarfe zu definieren. Zu Beginn werden vorhandene Zero- und First-Party-Daten gesichtet und geprüft. Der relative Aufwand der Datengenerierung wird mit steigender Datenmenge geringer, während der Nutzen steigt. Jedes Unternehmen hat hier eine individuelle Ausgangslage. Manche stehen noch am Anfang, dann gilt es in initiale Datenakquisition zu investieren. Der Mehrwert ergibt sich, sobald eine kritische Menge an Daten vorhanden ist, die strategischen Nutzen stiften kann. Unternehmen mit bestehenden Kundendaten und zusätzlichen Datenbedarfen müssen diese klar definieren und gegebenenfalls MarTech-Komponenten anpassen oder neue integrieren. Mit zunehmendem Professionalisierungsgrad, Fortschritt und Anspruch steigt auch der Investitionsbedarf. Der Wert eines Datensatzes hängt vom potenziellen Wert eines Kunden oder einer Kundengruppe ab. Die Investition je generiertem Datensatz sollte diesen Customer Lifetime Value nicht überschreiten. myMediaMarkt
Die MediaMarktSaturn Retail Group hat ein erfolgreiches Kundenbindungsprogramm – MediaMarkt Club – auf den Weg gebracht, das 2022 in myMediaMarkt umbenannt wurde. Dieses Programm bietet Mehrwerte wie Bonuspunkte, Finanzierungsoptionen und Sonderangebote und hat unter den Kund:innen von Elektronikfachmärkten eine hohe Verbreitung (Splendid Research, 2019). Seit Start des Programms wurden mit den generierten Daten wertvolle Customer Insights für die Kundenbeziehung abgeleitet, so ist der durchschnittliche Umsatz pro Kund:in bei Kundenkarten-Nutzer:innen jährlich ca. 600 Euro größer als jener von Kund:innen ohne Kundenkarte, wobei der Betrieb des Programms je Teilnehmer:in etwa 6 EUR pro Jahr kostet (Mattgey, 2018). Anschließend ist zu erörtern, wie Kund:innen zu dem festgelegten Preis aktiviert werden können und welchen Anreiz oder Mehrwert sie gegebenenfalls erwarten, um die benötigten Daten freizugeben. Verschiedene Ansätze wurden bereits genannt: Newsletter, Gewinnspiele, Kundenbindungsprogramme oder Kundenaccounts mit informationalem Mehrwert sind nur einige davon. Je größer der Datenbedarf, desto mehr Wert muss den Kund:innen geboten werden.
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11.2.2 Daten verarbeiten und speichern Wurden die Kund:innen identifiziert und Daten erfasst, müssen diese gespeichert und verarbeitet werden können. Je nach Anzahl und Umfang der Datensätze ergeben sich entsprechende Ansprüche an die MarTech. Datenschutz ist hierbei ein wichtiger Aspekt, den alle Unternehmen berücksichtigen müssen, die personenbezogene Daten speichern und verarbeiten. Dazu gehören neben den Online-Werbenetzwerken auch die Werbetreibenden. Seit der Verschärfung der DSGVO-Richtlinien stehen die bisher verbreiteten Ansätze zur Datensammlung und -nutzung für Marketingzwecke in Frage (Ghosh, 2018). Dadurch wird es für alle Player im digitalen Marketing wichtiger, neue Wege zu finden, um Kundendaten zu erhalten. Die Einführung der DSGVO umfasst einige Aspekte. So dürfen Daten nur noch auf EU-Servern gespeichert werden. Weiterhin besteht eine Rechenschaftspflicht: Die Unternehmen müssen für die Nutzer:innen Transparenz schaffen und nachweisen, welche Daten sie gespeichert haben und wie sie diese nutzen. Auch gilt eine neue Cookie-Richtlinie. Diese setzt Zustimmung voraus, um die nicht notwendigen Marketing-Cookies beim Aufruf von Webseiten zu setzen, was die TrackingMöglichkeiten reduziert. Auf der technischen Seite werden immer mehr Möglichkeiten für Werbetracking browserseitig geblockt. Gründe hierfür sind ein wachsendes Bewusstsein für Privatsphäre seitens der Nutzenden und zunehmende staatliche Regulierungen. Wenn Browser-Anbieter zukünftig die Nutzung von Third-Party-Cookies abschaffen, spricht das umso mehr dafür, in eigene Kundendaten zu investieren (Thomas, 2021). Lidl
Der Händler Lidl setzt zur Kundenbindung auf eine App, die den Kunden Coupons ausspielen kann und auch Zahlungsmöglichkeiten und andere Funktionen bietet (https:// www.lidl.de/lidl-plus/). Mit solchen Accounts lassen sich über einen längeren Zeitraum Kundenprofile anlegen, da auch das Verhalten in der App getrackt wird. Dies ermöglicht es, individualisierte Coupons und andere Angebote anzubieten und zu tracken, welche davon angenommen werden. Im Backend kommt unter anderem MartechSoftware von Salesforce zum Einsatz. In den Datenschutzbestimmungen des Angebots ist festgelegt, dass nach 24 Monaten Inaktivität eines Kunden der Account und die zugehörigen Daten gelöscht werden (Lidl, 2021). Auch technologische Veränderungen bringen neue Herausforderungen für die Datenverarbeitung mit sich. So hat Apple durch eine Änderung der Datenschutzeinstellungen User
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ermächtigt, einzelnen Apps das Tracking zu erschweren – dies macht es für einige Unternehmen besonders schwer, relevanten Marketingcontent auszuliefern, die bisher auf dieses Tracking angewiesen waren (Runge & Seufert, 2021). Die beschriebenen Veränderungen sind Herausforderung und Chance für Unternehmen. Wenn diese Datenhoheit erlangen, haben sie weitreichende Möglichkeiten, im Wettbewerb um die beste Kundenerfahrung zu punkten. Die gewonnenen Daten müssen aber auch gepflegt, genutzt und eingesetzt werden, um die steigenden Kosten und Aufwände zu rechtfertigen.
11.2.3 Daten pflegen und qualifizieren Die Datenakquisition wird durch die wachsende Konkurrenz, striktere DSGVORichtlinien und technische Einschränkungen immer aufwendiger, schwieriger und teurer. Umso wichtiger ist es, die gewonnenen Datensätze zu pflegen und weiter zu qualifizieren, also mit weiteren Erkenntnissen anzureichern. Die Sicherung der Datenqualität ist eine besondere Herausforderung, die bereits bei der Erhebung sichergestellt und fortlaufend analysiert werden muss (Wolters, 2020). Gesammelte Daten dürfen nur so lange gespeichert werden, wie sie zur Erfüllung des Zwecks, für den sie gesammelt wurden, erforderlich sind. Dies ist insbesondere für Tracking-Daten relevant, die auch bei der neuen Generation von Google Analytics nur noch maximal 14 Monate gespeichert werden (Google, 2022). Generell müssen Daten gelöscht werden, wenn die Kundschaft dies verlangt. Hierbei kann MarTech unterstützen, entsprechende regelmäßige Prozesse aufzusetzen. Kundenprofile werden wertvoller, wenn sie über die Zeit mit zusätzlichen Informationen angereichert werden. Je qualifizierter die Daten, desto zielgerichteter die mögliche Ansprache. Während am Anfang nur einige wenige Informationen pro Datensatz verfügbar sind und die Personalisierung sich auf wenige Merkmale beschränkt, können mit zunehmender Reife und Kenntnis auch weitere Merkmale ergänzt werden. Diese können zu einem gezielten Dialog, einer abgestimmten Customer Journey oder einer individuell abgestimmten Aktivierung der Kund:innen genutzt werden. Dies reduziert Absprungraten und verhindert, dass Daten gelöscht werden müssen. Pampers
Der Pampers Club ist ein Kundenbindungsprogramm von Procter & Gamble für Eltern von Neugeborenen und Kleinkindern (www.pampers.de/pampers-club). Um hier sicherzugehen, dass Kund:innen mit einem Bedarf für Windeln sich für Pampers entscheiden, wurde eine komplexe Customer Journey entwickelt und darauf eine Kontaktstrategie abgestimmt, die Kund:innen über die verschiedenen Lebensphasen ihres Kindes immer wieder aktivieren soll (Iris Worldwide, o. J.).
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Wenn sich Datenbedarfe erweitern, kann es notwendig werden, bestehende Kundendaten nachzuqualifizieren. So können zu Basis- und demografischen Daten aus der eigenen Anmeldung auch Verhaltens- und Transaktionsdaten hinzukommen, um das Bild eines Kunden zu komplettieren, um neben eigenen Angaben auch tatsächliches Klick- und Kaufverhalten zu tracken und zu analysieren. Das ermöglicht beispielsweise, Kund:innen mit hohem Potenzial oder solche in einer kritischen Phase der Customer Journey besonders anzusprechen. Je nach Höhe der Ansprüche und Komplexität der Kundenkommunikation muss auch der MarTech-Stack professioneller und umfassender aufgestellt sein. An dieser Stelle werden auch solche externen Daten relevant, die Unternehmen nicht oder nicht effizient selbst erfassen können, um eigene Kundenprofile zu qualifizieren. Um Daten von anderen Parteien zu nutzen, muss vorher geprüft werden, ob der MarTech-Stack bereits notwendige Schnittstellen bietet oder ob diese noch geschaffen werden müssen.
11.2.4 Daten analysieren und messen Liegen Daten vor, müssen sie in Erkenntnisse umgewandelt werden, um die Investitionen zu rechtfertigen. Diese Customer Insights können sich auf die Zusammensetzung der Kundenbasis beschränken oder komplexe Fragestellungen in der Customer Journey umfassen. Grundlage für die Analyse von Daten ist eine Kundendatenplattform (CDP), in der verschiedene Datenquellen übersichtlich zusammengefasst werden. Hier sind Analysewerkzeuge und Schnittstellen zur einfachen Aufbereitung der Daten inkludiert, beispielsweise in Segment oder Salesforce CDP. Damit lassen sich wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Beim Clustering von Datensätzen zu Kundenprofilen ist es beispielsweise möglich zu analysieren, wie viele Kund:innen sich in welchen Phasen der Customer Journey befinden. Daraus lassen sich Optimierungsansätze für die Kundenansprache ableiten. Douglas
Durch seine kostenpflichtige Kundenkarte „BeautyCard“ verfügt die Parfümerie Douglas über detaillierte Kundendaten. Bereits heute wird auf Basis der Kundendaten angepasst, welche Beilagen dem sechsmal jährlich versendeten Kundenmagazin beigefügt werden, das 1,8 Mio. Kunden erreicht (Rinsum, 2022a). Perspektivisch soll durch eine verbesserte Nutzung der Daten eine noch besser personalisierte Ansprache auf allen Kanälen erfolgen.
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Die Analysemöglichkeiten sind besonders wichtig für die weitere Strategie, da nur so datenbasierte Entscheidungen getroffen werden können. Sie helfen außerdem, Potenziale und weiterführende Iterationsschritte in der Datenstrategie zu identifizieren.
11.2.5 Daten nutzen und Konsument:innen aktivieren Datensammlung ist kein Selbstzweck, die Daten müssen einen Mehrwert bieten (Mela & Cooper, 2021). Je nach Zielsetzung gibt es verschiedene Möglichkeiten, die erfassten Daten gewinnbringend zu nutzen. Dabei lassen sich zwei Formen der Monetarisierung unterscheiden (Douglas, 2020): • Die direkte Monetarisierung, also das Vermarkten der Daten selbst oder der damit verbundenen Produkte oder Services. • Bei der indirekten Monetarisierung dienen datenbasierte Erkenntnisse dazu, Prozesse so zu verbessern, dass die Effekte zu Umsatzsteigerung oder Kostensenkung führen. Eine direkte Monetarisierung ist für Hersteller-Marken eher untypisch, da hier häufig noch keine ausreichenden Daten vorliegen. Einige Händler:innen bieten bereits Möglichkeiten an, Daten aus Kundenbindungsprogrammen unter anderem im Rahmen von Retail Media zu nutzen. Potenziell kann sich aber auch für Herstellermarken eine erfolgreiche Datenstrategie so entwickeln, dass sich aus der direkten Monetarisierung Effekte ergeben, wenn mit Partnern kooperiert wird. Persona
Im wachsenden Markt für Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel tritt aktuell das Thema personalisierte Ernährung in den Vordergrund. Unter der Marke Persona bietet Nestlé wissenschaftlich abgesicherte und personalisierte VitaminpräparatAbonnements an (Nestle Health Science, 2020). Diese werden über einen Onlinestore direkt an Kund:innen vertrieben. Ein Algorithmus ermittelt aus vielfältigen Kundendaten, welche die Konsument:innen mit dem Unternehmen teilen, den individuell empfohlenen Präparate-Mix (www.personanutrition.com). Wegen des direkten Vertriebs werden hier die Daten direkt monetarisiert. Im Nachgang besteht die Möglichkeit, Kund:innen weiter zu aktivieren und anzusprechen. Außerdem steht ein Team aus Ernährungsberater:innen für individuelle Beratungstermine zur Verfügung. Die US-Firma liefert mittlerweile in über 60 Länder und klärt auf ihrer Website über die DSGVO-Konformität auf (Persona Nutrition, 2020). Bei der indirekten Monetarisierung eröffnet sich die Welt der Möglichkeiten des CRMs und der personalisierten Kundenkommunikation.
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So kann ein Erst- oder Wiederkauf motiviert, Up- und Cross-Selling gefördert oder Markentreue belohnt werden. Ferner können gezielt Bewertungen angefragt werden, die dann als Orientierungshilfe für andere Kund:innen dienen. Auch können Kund:innen zu Markenfans oder Markenbotschaftern gemacht werden, indem Kundenkommunikation motiviert wird – hierfür eignet sich die Einbindung von Social-Media-Plattformen. Bereits wenige First-Party-Daten ermöglichen eine indirekte Monetarisierung – beispielsweise durch personalisierte Newsletter. Wenn die Datenbasis weiterentwickelt wurde, ist auch eine weitergehende Nutzung möglich. Konsument:innen oder vorher gebildete Kunden-Cluster können gezielt angesprochen werden. Hierbei können E-Mail- oder Direktmarketing genutzt, Webseiten personalisiert und Werbung über externe Publisher gezielt an die richtige Zielgruppe und ihre statistischen Zwillinge ausgespielt werden. Dies erhöht die Effizienz der Kundenkommunikation. Datenabgleich
Ein Beispiel zur indirekten Monetarisierung ist ein Datenabgleich mit einem Kooperationspartner oder Werbenetzwerk. Einige Publisher Plattformen, wie beispielsweise Amazon, bieten einen anonymisierten Datenabgleich an, sogenannte „Hashed Audiences“ oder „Customer Matches“. Basierend auf eigenen Zero- und First-PartyDaten können so spezifische Zielgruppen auf diesen Plattformen gezielt angesprochen werden. Für Herstellermarken ohne eigenen Onlineshop können so eigene Kundendaten mittels „Hashed Audience“ zum Beispiel um Kaufverhaltensdaten bei einem Händler ergänzt werden, wie Abb. 11.3 illustriert. Auf dieser Basis können personalisiert und zielgerichtet entsprechende Kaufanreize oder Angebote unterbreitet werden. Die Daten können neben dem Ausspielen von Werbung an Bestandskunden auch zum Negativ-Targeting genutzt werden. Dabei werden Bestandskunden von der Kommunikation ausgeschlossen, um gezielt potenzielle Neukund:innen anzusprechen.
Abb. 11.3 Abgleich von Kundendaten mit den Daten eines Partners. (Eigene Darstellung)
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Abb. 11.4 Targetingoptionen auf Basis eines Datenabgleichs. (Eigene Darstellung)
Durch „Lookalike Audiences“ werden neue Zielgruppen angesprochen, die vergleichbare Interessen, Eigenschaften oder Verhaltensweisen wie Bestandskundengruppen haben. Die verschiedenen Möglichkeiten des Targetings auf Basis eines Datenabgleichs zeigt Abb. 11.4. Ein Datenabgleich ist vor allem sinnvoll, wenn der/die Partner in einem Feld mehr Daten über die Kund:innen hat als der Hersteller und ein Abgleich so einen Mehrwert liefern kann. So verfügen Händler oft über Kaufverhaltensdaten, die Hersteller nicht im gleichen Umfang zugänglich sind. Weiter ergibt sich die Möglichkeit, zusätzliche Merkmale im Targeting zu nutzen, die anhand der eigenen Daten bisher nicht zur Verfügung stehen. Amazon Ads bietet seinen Werbekunden den beschriebenen Ansatz bereits an, setzt aber eine gewisse Menge an vorliegenden First-Party-Daten voraus. So konnte beispielsweise die Marke Nespresso bei der Werbung über Amazon Ads mit einem Fokus auf Neukundenwerbung bis zu 10 % der Werbeausgaben einsparen (Amazon Ads, 2017). Je besser die Datenlage, desto zielgerichteter können Daten genutzt werden. In der Regel nimmt der Nutzen, der aus den Daten gezogen wird, über die Zeit und mit weiterer Verfeinerung und Erfahrung zu. Fazit
Steigender Wettbewerb macht es für Hersteller unumgänglich, näher an die Kund:innen zu rücken. Eine effektive Datenstrategie schafft dafür die Grundlage. Unternehmen erheben hierfür eigene Kundendaten, etablieren entsprechende technische Lösungen und bauen die Analysefähigkeiten aus. Wenn man der Kundschaft einen echten Mehrwert bietet, führt dies zu messbarem Erfolg. Dabei ist sicherzustellen, dass mit den Daten regelkonform und behutsam umgegangen wird. Ein systematisches Vorgehen bei der Implementierung der Datenstrategie ist wichtig und kann je nach Ausgangslage Ressourcen binden, bevor es Erfolge generiert. Wenn
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die Strategie effektiv umgesetzt wird, stellen sich langfristig oft große Erfolge ein, wie die vielfältigen Praxisbeispiele illustrieren. Kund:innen fühlen sich besser angesprochen und nicht nur umworben, sondern empfinden die personalisierte Ansprache durch Unternehmen potenziell sogar als Service, wie der Salesforce Manager Bernd Wagner in Aussicht stellt (Rinsum, 2022b). Hierbei können Unternehmen mit Herstellermarken vom Handel lernen und mit ihm kooperieren, sollten sich jedoch auch unabhängig von ihren Partnern und Kooperationen eine eigene Datengrundlage schaffen. Hierbei spielt ihnen in die Hände, dass sie bei vielen Kund:innen eine positive Wahrnehmung genießen – so werden sie als innovativer, hochwertiger und vielfältiger wahrgenommen als ihre Konkurrenz vom Handel (Lebensmittel Zeitung, 2022). Dieses Ansehen verbessert die Chance, Zugriff auf Kundendaten zu erhalten, um in engeren Kontakt zu treten – Vertrauen in die Marke ist hierfür eine wichtige Voraussetzung (Bleier & Eisenbeiss, 2015). Die Bereitschaft der Kund:innen, der Datennutzung zuzustimmen, ist umso größer, wenn Kundengruppen mit spezialisierten Bedarfen gezielt angesprochen und klare Mehrwerte vermittelt werden. Die beschriebene Strategie sollte individueller Prüfung und Anpassung unterliegen, da auch die Gefahr der zu individualisierten Ansprache abzuwägen ist (Fulgoni, 2018). Gerade starke Marken werden jedoch von dieser Veränderung profitieren, wenn sie rechtzeitig MarTech als Chance erkennen und entsprechend investieren.
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Prof. Dr. Benjamin Krischan Schulte unterrichtet als Professor für Marketingmanagement an der IU Internationale Hochschule in Berlin in den Bereichen Vertriebsstrategie, Digitales Marketing, Konsumentenverhalten und Datenanalyse. Seine Forschung konzentriert sich auf digitale Systeme in Marketing-Kommunikation und E-Commerce-Strategien sowie die Auswirkungen der digitalen Transformation auf Konsument:innen und Unternehmen im B2B- und B2C-Bereich. Andrea Hansen leitet das Digitale Marketing der Nestlé Purina PetCare Deutschland GmbH. In ihrer Rolle treibt sie die europäische Digitalstrategie der Purina im deutschen Markt voran, die geprägt ist durch das wachsende Ökosystem im Bereich Tierpflege, mit dem Purina die Bedürfnisse ihrer Kunden noch besser bedienen möchte. Die Kooperationen mit Start-ups sowie etablierten Partnern, wie Google, Meta, Amazon und Teads, spielen dabei eine wichtige Rolle. In ihren Zuständigkeitsbereich fallen außerdem die Themen Data & CRM, (Social) Media, sowie die Website und der B2B2C-Shop für Tierärzte.
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Chatbots an physischen Touchpoints Anwendungsbeispiele und Anforderungen aus Perspektive der Informationstechnologie Cornelia Ferner
und Eva Lienbacher
Zusammenfassung
Derzeit stehen Branchenunabhängig viele Unternehmen vor der zentralen Herausforderung, Mitarbeiter:innen zu finden und zu halten. Insbesondere wenn Kund:innen erstklassige Beratungs- und Servicequalität erwarten, wirken sich Personalengpässe negativ aus. In-Store-Marketingtechnologien bzw. Chatbots in stationären Settings könnten hier positive Effekte erzielen. So können Standardanfragen schnell und rund um die Uhr beantwortet werden. Der vorliegende Buchbeitrag zeigt eine systematische Übersicht und Kategorisierung von Chatbot-Anwendungsbeispielen in stationären Settings. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Anforderungen der Implementierung aus IT-Perspektive. Der Beitrag schließt mit Implikationen für eine innovative Unternehmenspraxis.
12.1
Einleitung
Mitarbeiter:innen zu finden und zu halten, ist derzeit für viele Betriebe eine enorme Herausforderung (McGrath, 2021). Speziell in jenen Bereichen, in denen Kund:innen erstklassige Beratungs- und Servicequalität erwarten, wirken sich Personalengpässe häufig negativ aus. Eine Möglichkeit, um dem entgegenzuwirken, ist der Einsatz von In-StoreMarketingtechnologien in stationären Settings (Morosan & Bowen, 2022). Im Idealfall C. Ferner · E. Lienbacher (B) Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich E-Mail: [email protected] C. Ferner E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_12
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wird das bestehende Personal sinnvoll entlastet und unterstützt, in manchen Fällen gar ersetzt. Beispiele finden sich schon jetzt am Point of Sale (POS) im Einzelhandel, an der Rezeption im Hotellerie-Bereich sowie generell an Info-Points. Die Bandbreite an InStore-Marketingtechnologien reicht hierbei vom angebotenen WLAN im Verkaufsraum bis hin zu auf Augmented Reality (AR) oder Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden intelligenten Spiegeln (Smart Mirror) oder Chatbots (Grewal et al., 2019). Ein Chatbot oder „Conversational Agent“ ist ein Computerprogramm, das Gespräche und Unterhaltungen mit Menschen ermöglicht. Die Art der Kommunikation hängt stark vom gewählten Kommunikationskanal bzw. vom Endgerät ab, auf dem der Chatbot zum Einsatz kommt (Freed, 2021). Durch Chatbots im stationären Bereich können Standardanfragen schnell und rund um die Uhr beantwortet werden. Vereinzelt finden sich bereits Beispiele in der Praxis. So hat der Flughafen Wien im Jahr 2020 einen Chatbot für Kundenanfragen getestet und zwischenzeitlich den „VIE-Bot“ in den Regelbetrieb übergeführt (Vienna International Airport, 2020, 2021). Detailfragen der Passagiere können mittels Smartphone, Tablet oder am Laptop rund um die Uhr gestellt werden. Mit jeder eingehenden Frage lernt der auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Chatbot dazu und entlastet somit das Personal im Kundenservice (Vienna International Airport, 2021). Auch in der Hotellerie werden bereits Chatbots eingesetzt. Nach Angaben des Unternehmens ReviewPro sind 91 % der Anfragen von Gästen auf dieselben 18 Fragen zurückzuführen. Aus diesem Grund bietet ReviewPro mit dem KI-basierten Chatbot „Guest Experience Automation“ eine Marketingtechnologie, welche die über zwölf verschiedene Kommunikationskanäle in zahlreichen Sprachen eingehenden Fragen beantwortet (ReviewPro, 2023). Auch fest installierte Lösungen im Verkaufsraum kommen bereits zum Einsatz. Das Unternehmen H&M kombiniert im New Yorker Flagshipstore einen sprachgesteuerten Chatbot mit einem Smart Mirror. Der Chatbot übernimmt unter anderem beratende Tätigkeiten (James, 2022). Bezüglich der Ausgestaltung von Chatbots gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine wichtige Rolle spielt jedenfalls die Wahl der Kommunikationskanäle und Endgeräte, über die mit Kund:innen kommuniziert wird. Besonders naheliegend ist es, Kund:innen dort anzusprechen, wo sie sich ohnehin aufhalten: auf Social-Media-Plattformen und Messenger-Diensten direkt auf ihrem Smartphone. Das Potenzial von Chatbots ist dort enorm. Zusammengefasst sind die wichtigsten Vorteile von Chatbots Abb. 12.1 zu entnehmen. Der Mehrwert kann hierbei aus Unternehmens- und Kundenperspektive dargestellt werden (siehe Deloitte, 2018; Hundertmark, 2020; Lehman, 2021). So können Chatbots in stationären Settings Mitarbeiter:innen entlasten und aufgrund des hohen Grades an Automatisierung zu einer Senkung der Servicekosten führen. Hierzu trägt auch die hohe Skalierbarkeit der Serviceaspekte bei, da hier grundsätzlich keine Kapazitätsgrenzen bestehen. Darüber hinaus kann ein Mehrwert generiert werden, da Unternehmen Insights zu Kundenverhalten und -präferenzen erhalten. Dies ermöglicht
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161
Vorteile von Chatbots Unternehmensperspektive
Kund:innenperspektive
Entlastung der Mitarbeiter:innen
Uneingeschränkte Erreichbarkeit
Senkung der Servicekosten
Personalisierung
Hohe Skalierbarkeit, keine Kapazitätsgrenzen
Schnellere Reaktionszeiten bei Kund:innenanfragen
Insights zu Kund:innenverhalten; Analyse
Höhere Kund:innenzufriedenheit
Imageeffekte: Zeichen der Fortschrittlichkeit
Abb. 12.1 Vorteile von Chatbots aus Unternehmens- und Kundenperspektive. (Eigene Darstellung)
eine tiefere Analyse von Kundendaten. Schließlich gilt der Einsatz von Chatbots an physischen Standorten als Zeichen der Fortschrittlichkeit, was wiederum die Popularität eines Unternehmens steigern kann. Aus Kundensicht sticht positiv hervor, dass Serviceanfragen im Sinne uneingeschränkter Erreichbarkeit rund um die Uhr gestellt werden können. Die Möglichkeit der Personalisierung erlaubt darüber hinaus die Berücksichtigung individueller Nutzerbedürfnisse. Schnellere Reaktionszeiten bei Kundenanfragen führen wiederum zu höherer Kundenzufriedenheit. Aus den genannten Gründen setzen viele Unternehmen Chatbots in Online-Settings ein. Laut einer Befragung von 2800 Entscheider:innen in Unternehmen aus 14 Ländern verwenden derzeit bereits 65 % der Unternehmen Chatbots in ihren Kommunikationskanälen (Kantar, 2021). Zu stationären Settings gibt es aus praktischer und aus wissenschaftlicher Perspektive bislang nur vereinzelte Beispiele und Erkenntnisse (siehe bspw. Morosan & Bowen, 2022). In den folgenden Abschnitten werden daher unterschiedliche Arten von Chatbots, die am POS zum Einsatz kommen können, sowie spezielle Anforderungen aus IT-Perspektive aufgezeigt.
12.2
Chatbots in stationären Settings
Nach einer Charakterisierung von Chatbot-Typen in stationären Settings im Abschn. 1.2.1 werden in Abschn. 1.2.2 Anforderungen an die Chatbot-Implementierung aus
162
C. Ferner und E. Lienbacher
Endgerät
Mobiles Endkundengerät
Stationär gebundenes Gerät
Interaktionsform
Sprachbasiert
Textbasiert
Kommunikationskanal
Soziale Medien
Autonomiegrad
Unterstützende Funktion für Mitarbeiter:innen
Messenger
Webseite
Brand-App
Sonstige
Ersatz für Mitarbeiter:innen
Technologie
Regelbasiert
Suchbasiert
Textgenerierend
Weiterentwicklung
Nutzerfeedback
Hybrid
Multi-Chatbots
Datenquelle
Strukturiert
Unstrukturiert
Abb. 12.2 Kategorisierung von Chatbots an physischen Touchpoints aus IT-Perspektive. (Eigene Darstellung)
IT-Perspektive aufgezeigt.
12.2.1 Übersicht und Kategorisierung von Chatbots in stationären Settings Chatbots treten in unterschiedlichen Formaten an physischen Touchpoints auf. Auf Basis einer Sichtung der Literatur sowie einer Recherche zu Chatbots in stationären Settings wurde eine systematische Übersicht und Kategorisierung von ChatbotAnwendungsbeispielen in stationären Settings aus IT-Perspektive erstellt, welche Abb. 12.2 zu entnehmen ist. Dabei werden die sieben Kategorien i) Endgerät, ii) Interaktionsform, iii) Kommunikationskanal, iv) Autonomiegrad, v) Technologie, vi) Weiterentwicklung des Chatbots und vii) Datenquellen unterschieden. Chatbots bzw. deren Applikationen werden auf diversen Endgeräten zur Verfügung gestellt. Zum einen können Kund:innen direkt auf ihrem eigenen Kommunikationsmedium, dem Smartphone, abgeholt und angesprochen werden. In diesem Fall erfolgt die Kommunikation unabhängig vom physischen Touchpoint. Zum anderen besteht die Möglichkeit, Geräte zu verwenden, die direkt an den Verkaufsraum gebunden sind: stationäre Geräte wie beispielsweise Tablets, Screens, Laptops, aber auch intelligente Lautsprecher oder humanoide Roboter. Bei humanoiden Robotern spricht man auch von „Embodied Agents“, deren Ziel es ist, die Interaktion noch menschenähnlicher zu gestalten. So testete beispielsweise die Hotelkette MotelOne in einem Pilotprojekt gemeinsam mit IBM einen humanoiden Roboter als Concierge, der im ersten Schritt einfache Fragen der Gäste beantwortet (Strobl, 2017). Bezüglich der Interaktionsform werden zwei verschiedene Kategorien von Chatbots unterschieden: Sprachbasierte Bots1 wie z. B. Siri oder Alexa werden über Sprachkommandos bedient und sind aus dem Home-Automation-Bereich bekannt (Bushnell, 2023). 1 Bei (Telefon-)Hotlines mit automatisierten Ansagen spricht man im Unterschied zu sprachbasier-
ten Chatbots eher von „Interactive Voice Response“ (IVR)-Systemen.
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Die Modekette Calvin Klein entwickelte gemeinsam mit Amazon eine Chatbot-Lösung, die im Umkleideraum Fragen zu den Produkten beantwortet oder Licht und Musik auf Wunsch verändert (Green, 2017). Ein weiteres Beispiel aus dem Einzelhandel ist der Smarte Spiegel von H&M in New York, der in Zusammenarbeit mit Microsoft entstand. Mittels Sprachbefehlen können Kund:innen Selfies für einen H&M-Katalog machen, Rabatte sichern oder Einkaufstipps erhalten (Business Insider Deutschland, 2018). Textbasierte Chatbots kommen vor allem auf Social-Media-Plattformen (Facebook, LinkedIn) oder Messenger-Diensten (WhatsApp, Signal, Facebook Messenger) zum Einsatz, können aber auch für jede beliebige Webseite angepasst werden. Ein Beispiel ist der Chatbot „Maria“ der Fluglinie Austrian, der direkt auf der Webseite und über Facebook Messenger zur Verfügung steht. „Maria“ ist z. B. mit Informationen zu Flugstatus, Buchungen oder Freigepäckmenge behilflich (Austrian, 2023). Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit von Chatbots betrifft den Kommunikationskanal, auf dem der Chatbot zur Verfügung stehen soll. Grundsätzlich gilt, dass Nutzer:innen bestenfalls dort abgeholt werden sollen, wo sie sich ohnehin auch sonst gerne aufhalten: In Sozialen Medien und Messenger-Diensten (Hundertmark, 2020). Allein in Deutschland gibt es mit Stand Januar 2023 24,5 Mio. Nutzer:innen auf Facebook (Österreich: 3,15 Mio., Schweiz: 3,05 Mio.), 15 Mio. auf LinkedIn (Österreich: 2 Mio., Schweiz: 3,9 Mio.) oder 14,1 Mio. auf Twitter (Österreich: 1,15 Mio., Schweiz: 1,4 Mio.) (DataReportal, 2023). Während viele Unternehmen auf Social-Media-Plattformen aktiv sind, ist auch der Bereich der Messenger-Dienste immer stärker im Kommen, weil dort mit Kund:innen einfacher direkt (also 1:1) kommuniziert werden kann. Global gesehen mischen sich immer mehr Messenger-Dienste in die zehn am häufigsten genutzten Plattformen: z.B. Facebook-Messenger, Whatsapp, WeChat oder Telegram (Statista, 2023). Gerade am Point of Sale (POS) bzw. an physischen Touchpoints, wo bevorzugt auch stationäre Endgeräte zum Einsatz kommen, bieten sich Web-basierte Lösungen (z. B. Unternehmenswebseite) sowie die eigene Brand-App an, die jeweils auch auf Touchscreens laufen können (Deloitte, 2018). Natürlich sind auch Kombinationen möglich (Nimphius & Eckhold, 2018). Auch intelligente Lautsprecher bzw. Voice-Assistenten wie Amazon Alexa oder Google Home sind eine mögliche Lösung für stationäre Settings (Hundertmark, 2020). Chatbot-Arten können auch nach dem Autonomie-Grad unterschieden werden, also ob Mitarbeiter:innen im Service bei ihren Tätigkeiten unterstützt oder sogar ersetzt werden. So hat eine Studie zu humanoiden Robotern mit Chatbot-Funktion gezeigt, dass sich diese hervorragend dafür eignen, Interesse von Seiten der Kund:innen zu wecken und Aufmerksamkeit zu erregen. Für tatsächliche Transaktionen oder Geschäftsabschlüsse scheint das Vertrauen in menschliche Mitarbeiter:innen allerdings höher zu sein (Gauqier et al., 2023). Diese Erkenntnis mag auch mit dem Effekt der Akzeptanzlücke („Uncanny Valley“) bei Robotern (Watson, 2014) zusammenhängen und lässt sich nicht automatisch auf andere Chatbot-Varianten übertragen.
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C. Ferner und E. Lienbacher
Bezüglich der verwendeten Technologie gibt es drei Varianten, nach denen Chatbots Antworten erzeugen: regelbasiert, suchbasiert oder textgenerierend (Adamopoulou & Moussiades, 2020). Die Entscheidung für eine der drei Technologie-Optionen ist eng mit dem beabsichtigten Gesprächsziel verbunden. Regelbasierte Techniken vergleichen die Nutzereingabe mit Mustern und geben Antworten aus vordefinierten Textbausteinen, ähnlich einer Schlüsselwortsuche. Sie sind bestens für Chatbots geeignet, die eine spezifische Aufgabe ausführen können, z.B. Buchungen durchführen oder Stornierungen vornehmen. Suchbasierte Technologien, die Anfragen klassifizieren und Antworten nach deren Wahrscheinlichkeit zuordnen, sind vergleichbar mit einer Ähnlichkeitssuche bei Suchmaschinen. Bei dieser Art von Chatbots kommen Technologien wie Maschinelles Lernen und Information Retrieval zum Einsatz. Diese Chatbots eignen sich für informative Anfragen, die der Wissensabfrage dienen und Auskunft zum Wetter oder Ausflugs- und Veranstaltungstipps liefern können. Für offene Gespräche und Dialoge ähnlich einer Plauderei mit einem Chatbot werden vor allem textgenerierende Techniken verwendet. Solche Chatbots lernen aus großen Datenmengen vorhandener Dialoge und Texte und können auch unvorhergesehene Fragen beantworten. Zum Einsatz kommen dabei Methoden des Deep Learnings, sogenannte Deep Neural Networks und Sprachmodelle (engl.: Large Language Models, Adamopoulou & Moussiades, 2020). Aktuelle Systeme wie ChatGPT, die der Chatbot-Technologie derzeit Aufschwung verleihen, fallen in diese dritte Gruppe der generierenden Chatbots. Allerdings sind gerade diese Systeme momentan nicht für Aufgaben geeignet, die zur Beantwortung von Fragen auf interne Dokumente oder laufend aktualisierte Information zugreifen müssen. Die jeweils eingesetzte Chatbot-Technologie kann durch unterschiedliche Weiterentwicklungen verbessert werden. So spricht man von Multi-Chatbots, wenn zwei oder mehr Technologie-Varianten miteinander verknüpft werden, also z. B. ein regelbasierter Chatbot um eine textgenerierende Komponente erweitert wird. Hybride Chatbots leiten Anfragen, die nicht beantwortet werden können, an Mitarbeiter:innen weiter. Chatbots können aber auch aus direktem Feedback der Nutzer:innen lernen, indem diese z. B. falsche oder unerwünschte Antworten melden oder markieren oder eine Bewertung der Gesprächsqualität hinterlassen (Peng & Ma, 2019). Zu guter Letzt stellen Datenquellen die Wissensbasis des Chatbots dar. Viele ChatbotTypen benötigen eine Anbindung an unternehmensinterne Datenquellen, um gültige Informationen liefern oder Aufgaben erfüllen zu können. Diese Datenquellen können in strukturierter Form in Datenbanken (z. B. ERP- oder CRM-Systeme) vorliegen oder von unstrukturierter Natur sein (Microsoft Learn, 2023). Unstrukturierte Daten sind alle Informationen, die in internen Dokumenten offline oder online auf einer Webseite oder im Intranet gespeichert sind. Dazu zählen z. B. FAQs, Anleitungen, Informationen zu Öffnungszeiten etc.
12 Chatbots an physischen Touchpoints
165
12.2.2 Chatbot-Implementierung: Anforderungen aus Perspektive der Informationstechnologie Nachdem unterschiedliche Erscheinungsformen von Chatbots in stationären Settings aufgezeigt wurden (siehe Abschn. 1.2.1), werden nun Anforderungen bei der Implementierung aus IT-Perspektive diskutiert. Um von den genannten Vorteilen stationärer Chatbot-Lösungen zu profitieren, gilt es, einen Chatbot zu planen, in die IT-Infrastruktur des Unternehmens einzubinden und laufend zu evaluieren. Bevor auf die Herausforderungen in den einzelnen Schritten eingegangen wird, zeigt Abb. 12.3 einen Überblick über ein klassisches Chatbot-System und dessen Schnittstellen. Die Benutzereingabe wird über einen ausgewählten Kanal bzw. das für die Kommunikation gewählte Medium an die Chatbot-Logik weitergeleitet. Dieser Logik-Baustein umfasst mehrere Module, die z.B. für die korrekte Verarbeitung der Ein- und Ausgaben (Umwandlung Speech-to-Text und Text-to-Speech) sowie für das allgemeine Sprachverständnis (engl.: Natural Language Understanding, NLU) zuständig sind. Weitere Module steuern die korrekte Zuordnung der Anfrage („Intent“-Erkennung), das Extrahieren der richtigen Antwort („Retrieval“), das Formulieren von Rückfragen oder die Ausgabe bzw. Generierung der Antwort (Jurafsky & Martin, 2023). Um die gewünschte Antwort liefern zu können, braucht die Chatbot-Logik unter Umständen Zugriff auf Datenquellen, die in unstrukturierter Form oder strukturierter Form vorliegen können. Zwei übergeordnete Bausteine müssen im Gesamtprozess Berücksichtigung finden: Für die laufende Verbesserung des Systems ist es nötig, dass die Zugriffe auf den Chatbot analysiert und daraus Erkenntnisse gezogen werden können. Darüber hinaus muss in allen Schritten die Sicherheit der Anwendung und der Schutz sowohl der Nutzerdaten als auch der unternehmenseigenen Daten gewährleistet sein (Koch et al., 2021).
Benutzer:innenSchnittstelle
Chatbot
Datenquellen
Programmlogik
Webseite
Dialogmanagement
Textgenerierung
Messenger
Intent-Erkennung
NLU
Brand-App
Text-to-Speech
Information Retrieval
…
Speech-to-Text
…
Evaluierung, Analyse, Reporting
Sicherheit, Datenschutz, Nutzerverwaltung
Abb. 12.3 Bausteine einer Chatbot-Architektur. (Eigene Darstellung)
Strukturiert SQL, CRM etc.
Unstrukturiert FAQs, PDFs, DOCs etc.
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C. Ferner und E. Lienbacher
Für die softwaremäßige Umsetzung des Chatbots gibt es unterschiedliche Möglichkeiten – von sogenannten No-Code- bis hin zu hochspezialisierten Code-intensiven Entwicklungen (Mittelstand-Digital Rheinland, 2022). Als Einstieg und für einfache Aufgabenstellungen eignen sich Plug and Play bzw. Drag and Drop Tools, mit denen Chatbots zum Teil sogar ohne Programmierkenntnisse mittels visueller Benutzeroberfläche umgesetzt werden können (No-Code bzw. Low-Code Tools). Beispiele dafür sind die Frameworks Botpress, Botsify, Chatfuel oder Flow XO (Wolf, 2018). Vor allem die großen Player bieten auch Frameworks für die Entwicklung komplexer Chatbots an, die in vielen verschiedenen Kanälen integriert und größtenteils mittels eines eigenen Codes erweitert werden können. Beispiele für diese plattformbasierten Entwicklungstools sind DialogFlow von Google, Microsoft Bot Framework, IBM Watson, Amazon Lex oder Rasa (Aronsson et al., 2021). Speziell für diese Tools gilt es, die Datenschutzbestimmungen zu beachten, gleichzeitig unterstützen diese aber in hohem Maße bei der Nutzerverwaltung. Vor allem Applikationen für humanoide Roboter sind oft vollständige Eigenentwicklungen, da die Programmierung grundsätzlich abhängig von der Roboterplattform und Programmierschnittstelle ist. Zusätzliche „Skills“ für Amazon Alexa oder Apples Siri werden auch jeweils über eine eigene Entwicklungsumgebung umgesetzt (Frommelt et al., 2018). Bei den aktuellen Entwicklungen rund um ChatGPT bleibt abzuwarten, wie gut sich diese in eigene Lösungen integrieren lassen. Zum aktuellen Zeitpunkt bieten bereits einige Anbieter eine Integration von ChatGPT an, z.B. Flow XO (Flow XO, 2023) und Microsoft2 (Boyd, 2023). Natürlich gibt es auch viele All-in-One-Anbieter, die Unternehmen bei der Konzeption und dem laufenden Betrieb eines Chatbots behilflich sind. So bietet z.B. StayMate Chatbot-Lösungen für den Hotellerie-Bereich an, die Online Self Check-in vor Ort, digitalen Meldeschein, FAQs und personalisierte Freizeittipps umfassen (StayMate, 2023). Assono entwickelt Chatbots mit Fokus auf E-Government-Lösungen, zählt aber auch u.a. die Industrie- und Handelskammer mit Angeboten zum Customer Support und zur Weiterbildung zu ihren Kunden (Assono, 2023). In weiterer Folge werden nun angelehnt an die Ausführungen in Abb. 12.2 und 12.3 die Anforderungen an eine Chatbot-Lösung aus IT-Perspektive in der Planungs- und Vorbereitungsphase sowie im laufenden Betrieb dargelegt (siehe Abb. 12.4). Zu Beginn der Planung eines Chatbots gilt es in der Planungs- und Vorbereitungsphase Fragen zur Zielgruppe, zur Chatbot-Persona und zum Dialogablauf zu klären. Fragen, die in dieser Phase beantwortet werden müssen, sind unter anderem die zentrale Aufgabenstellung des Chatbots, das Zusammenspiel mit der Corporate Identity des Unternehmens und die Sprache. Da der Chatbot an physischen Touchpoints eingesetzt werden soll, sind zudem raumbezogene Aspekte (Platzbedarf der Anwendung, ideale Platzierung hinsichtlich des Ladenlayouts/Servicebereichs etc.) zu berücksichtigen. Wenn über diese und ähnliche Fragen Klarheit herrscht, können die daraus abgeleiteten technischen Fragestellungen evaluiert werden (Lehmann, 2021; Deloitte, 2018): 2 Microsoft ist Hauptinvestor von OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT (Beuth, 2023).
12 Chatbots an physischen Touchpoints
Planung und Vorbereitung
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Laufender Betrieb
Digitale Affinität
Schnittstellen
Nutzungsstatistik
Technologie-Einsatz
Feedback
Fehleranalyse
Datenquellen
Authentifizierung
Bedarfsanalyse
Entwicklungstool
Testbetrieb
Kund:innen-Insights
Fragenvolumen
Abb. 12.4 Anforderungen und Aufgabenstellungen in der Planungs- und Vorbereitungsphase sowie im laufenden Betrieb eines Chatbots. (Eigene Darstellung)
• Digitale Affinität der Kund:innen: Im Zusammenhang mit der Zielgruppe des Chatbots bedarf es auch einer Einschätzung zur digitalen Affinität der Kund:innen. Dieser Grad der Bereitschaft, neue Technologien zu verwenden, beeinflusst auch die Entscheidung, welche Kommunikationskanäle bespielt bzw. auf welchen Kanälen die Kund:innen erreicht werden können, auf welchen Geräten der Chatbot zur Verfügung gestellt und welche Gesprächsziele verfolgt werden sollten. • Technologie-Einsatz: Für viele und vor allem klar abgrenzbare Aufgabenstellungen genügt ein regelbasierter Ansatz. Mischformen entsprechend den Multi-Chatbots sind natürlich auch möglich. Ein Multi-Chatbot kann auch zur Anwendung kommen, wenn mehrere Aufgaben bzw. „Intents“ in einer Anwendung behandelt werden sollen. • Datenquellen und Datenbanken: Die Wissensbasis, die dem Chatbot zur Verfügung stehen soll, ist zu definieren. Auf welche Datenbanken und Dateien muss über welche Schnittstellen zugegriffen werden? Müssen auch Informationen in die Datenbank zurückgeschrieben werden? Diese Anforderungen müssen auch vom gewählten Entwicklungstool unterstützt werden. • Entwicklungstool: Hier spielen vor allem Überlegungen zum „Vendor-lock-in“ eine Rolle, d. h., ob man sich als Unternehmen langfristig von einem Anbieter abhängig macht. Dabei sollte vor allem sichergestellt sein, dass das Tool für einen längeren Zeitraum zur Verfügung steht und auch gewartet wird bzw. Support verfügbar ist. • Geschätztes Fragenvolumen und Anzahl an Nutzer:innen: Daraus lassen sich Anforderungen an die Server-Kapazität ableiten. Dieser Server kann physisch im Unternehmen bereitstehen oder von einem Cloud-Anbieter genutzt werden.
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C. Ferner und E. Lienbacher
• Zusammenspiel mit Mitarbeiter:innen: Wenn der Chatbot Anfragen, die nicht automatisiert bearbeitet werden können, an Mitarbeiter:innen weiterleiten soll, muss definiert werden, über welche Schnittstelle dies erfolgt, z. B. kann die Person direkt in den Chatverlauf eingebunden, in einem Live-Chat zur Verfügung stehen oder per E-Mail kontaktiert werden. • Nutzer:innen-Feedback: Dieses ist vor allem für Evaluierungszwecke äußerst nützlich und kann direkt während oder zum Ende des Chatverlaufs angefragt werden. Ein solches Feedback dient einerseits der Analyse der Nutzungsart und andererseits der Verbesserung des Systems. • Nutzer:innen-Authentifizierung: Neben dem höheren Aufwand der Umsetzung bietet die Authentifizierung, also das eindeutige Identifizieren von Nutzer:innen, einige Vorteile. So können diese über mehrere Chat-Sessions wiedererkannt werden. Eingegebene Informationen können eindeutig einer Person zugeordnet werden. Darüber hinaus können Chatverläufe (Sessions) mit eindeutiger Zuordnung gespeichert werden, um für die nächste Nutzung zur Verfügung zu stehen. • Chatbot-Testbetrieb: Vor und auch während des Betriebs ist es wichtig, die Funktionalität des Chatbots eingehend zu testen. Das kann grundsätzlich von Mitarbeiter:innen übernommen werden. Noch realistischer wird das Feedback, wenn ausgewählte Kund:innen den Test übernehmen. Dadurch erhält das Unternehmen auch spezifisches Feedback zur Akzeptanz der Anwendung. Sobald der Chatbot im laufenden Betrieb tatsächlich im Einsatz ist, ist dafür Sorge zu tragen, dass genügend personelle und finanzielle Ressourcen für den langfristigen Betrieb zur Verfügung stehen. Der Fokus verlagert sich in dieser Phase vor allem auf die laufende Evaluierung des Systems, um Erkenntnisse über das Nutzungsverhalten und die Nutzerzufriedenheit zu erhalten und Möglichkeiten für Verbesserungen zu identifizieren (Jiang et al., 2022; Følstad & Taylor, 2021). Diese Evaluierungsmöglichkeiten umfassen: • Statistische Auswertung: Sie betrifft die Analyse der Länge der Unterhaltungen, des Anteils an erfolgreichen Konversationen, der abgebrochenen Unterhaltungen etc. • Fehleranalyse: Hier wird analysiert, welche Fragen bzw. Eingaben nicht oder nicht gut beantwortet werden können. Damit kann die Technologie (z. B. das Regelwerk, die Antwort-Sammlung) laufend verbessert werden. Diese Fehleranalyse stützt sich einerseits auf mitgespeicherte Konversationen, andererseits auf das direkte Feedback von Nutzer:innen. • Bedarfsanalyse: Hierbei geht es vor allem um die Analyse der Nutzungszahlen. Es wird evaluiert, ob die bestehende Infrastruktur noch ausreicht. Braucht es am Server mehr Speicherkapazität oder mehr Bandbreite?
12 Chatbots an physischen Touchpoints
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• Kund:innen-Insights: Aus den vorherigen Informationen können Kund:innen-Insights abgeleitet und laufend sinnvoll verarbeitet werden, um in relevante unternehmensinterne Abteilungen (Marketing, Produktentwicklung, Marktforschung etc.) weitergeleitet zu werden. Diese können u.a. zur Personalisierung von Serviceleistungen oder Produkten, zur Erhebung und Steuerung der Conversion Rate oder auch zu Evaluierungszwecken für die Weiterentwicklung eingesetzt werden.
Fazit
Der Blick in die Praxis zeigt, dass bereits Chatbots in stationären Settings eingesetzt werden. Konkrete Zahlen und Fakten zur Erfolgsmessung fehlen allerdings. Hohe Skalierungseffekte bestehen derzeit vor allem bei großen Playern am Markt mit einer hohen Zahl an Kund:innen bzw. Nutzer:innen, wie in den einleitenden Beispielen beschrieben. KMU profitieren dann, wenn Anbieter einfache individualisierbare Lösungen für Branchen anbieten wie etwa in der Hotellerie. Der Einsatz von Marketingtechnologien wie Chatbots an physischen Touchpoints bringt einige Vorteile mit sich. Nicht zuletzt die uneingeschränkte Erreichbarkeit, aber auch die Unterstützung der Mitarbeiter:innen können hier als zentral genannt werden. Vor allem für wiederkehrende Aufgaben sind Chatbots gut geeignet. Dem stehen Risiken oder Herausforderungen gegenüber, die bei der Implementierung bedacht werden müssen. Wenngleich der vorliegende Beitrag Anforderungen aus Perspektive der IT betrachtet, wurden auch darüber hinausgehende Aspekte wie die digitale Affinität der Kund:innen diskutiert. Für Unternehmen ist es auch wichtig, den langfristigen Ressourceneinsatz einzuplanen. Zu guter Letzt ist das Zusammenspiel mit der Corporate Identity von Unternehmen von hoher Relevanz. Aus Unternehmenssicht ist es hier von enormer Wichtigkeit, die „Digitale Strategie“ mit der Corporate Identity des Unternehmens abzustimmen. „Digitalisierung der Digitalisierung wegen“ ist nicht zielführend.
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C. Ferner und E. Lienbacher
Dipl.-Ing. Cornelia Ferner ist Lehrende am Department Information Technologies and Digitalisation der Fachhochschule Salzburg und Doktorandin an der Universität Salzburg. In ihrer Forschung ist sie auch im Lab for Intelligent Data Analysis Salzburg tätig und beschäftigt sich mit Natural Language Processing und Maschinellem Lernen. Zu ihren Hauptinteressen zählen dabei generative Sprachmodelle sowie Chatbots. FH-Prof. Dr. Eva Lienbacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der New Design University und Professorin (FH) für Marketing an der FH Salzburg, wo Sie den Fachbereich Marketing Management leitet. Sie promovierte an der WU Wien am Institut für Handel und Marketing. Ihre Forschungsinteressen liegen im Handelsmanagement und -marketing sowie in sozial-ökologischen Fragestellungen von Unternehmen.
Teil III Use Cases für den Einsatz von Marketingtechnologien
Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
13
Tanja Marlen Zweigle
Zusammenfassung
In Zeiten ständiger Reizüberflutung ist es für Unternehmen zunehmend wichtig zu wissen, ob einzelne Touchpoints von Menschen wahrgenommen werden und wie lange sie diesen Aufmerksamkeit schenken. Nicht nur deshalb erlebt die Aufmerksamkeitsmessung mittels Eyetracking derzeit ihren zweiten Frühling. Eyetracker sind heute für viele Forschende erschwinglich und zugleich mit hochmodernen Hard- und Softwaretechnologien ausgestattet. Sie bedienen sich unterschiedlichster Verfahren zur Messung von Blickverläufen wie infrarotbasiertes table-mounted oder head-mounted Eyetracking sowie Eyetracking mittels herkömmlicher Webcam oder Smartphone Kamera. Der Beitrag gibt einen Einblick in diese modernen Eyetracking-Methoden und verdeutlicht, wie Blickregistrierung in Kombination mit weiteren Verfahren geeignet ist, visuelle Customer Touchpoints zu optimieren. Ferner wird dargelegt, wie sich EyetrackingDaten durch die Verknüpfung mit Emotion-Tracking-Daten weiter veredeln lassen. So werden neben der Wahrnehmung zugleich die Emotionen der Zielgruppen an den jeweiligen Touchpoints gemessen. Eine weitere, KI-basierte Entwicklung betrifft den Einsatz von Eyetracking-Daten zur Vorhersage der Wirksamkeit von Werbemaßnahmen (Predictive-Eyetracking). Es wird aufgezeigt, für welche Einsatzfelder sich welche Eyetracking-Methoden eignen. Zugleich wird kritisch auf weitere Einsatzfelder des Eyetrackings im Rahmen von Marketingmaßnahmen eingegangen wie beispielsweise auf das Erzwingen von Blickverhalten zur Freischaltung von gewünschten Inhalten.
T. M. Zweigle (B) IU Internationale Hochschule, Campus Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_13
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T. M. Zweigle
13.1
Einleitung
Marketers versuchen seit jeher das Verhalten ihrer (potenziellen) Kundschaft zu verstehen, um ihre Marketingmaßnahmen optimal im Sinne der festgelegten Unternehmensziele einzusetzen. Hierfür finden verschiedene Methoden und Verfahren der Konsumentenverhaltensforschung Anwendung. Eine seit fast 40 Jahren etablierte Methode zur Messung der Aufmerksamkeitsleistung der Rezipienten von Werbung ist das Eyetracking (Blickaufzeichnungstechnik). Das Eyetracking ist eine weit entwickelte psychobiologische Methode zur Messung der visuellen Informationsaufnahme, indem sie die reaktiven Muster der Informationsaufnahme durch das Messen von Pupillenbewegungen erfasst (Foscht et al., 2017, S. 98). Sie gibt Marketingforschenden ein tieferes Verständnis dafür, wie Konsumierende visuelle Informationen wahrnehmen und verarbeiten. Laut Grit Report von GreenBook (2020, S. 10) nutzen vier von zehn befragten marktforschenden Unternehmen weltweit (anbieter- und nachfrageseitig mit Schwerpunkt in USA) das Eyetracking mit steigender Tendenz (Abb. 13.1). Mittlerweile bezieht sich die Erforschung der Aufmerksamkeitsleistung von produktoder markenbezogenen Stimuli nicht nur auf die klassische Werbung, sondern auf nahezu sämtliche digitale und nicht digitale Customer Touchpoints, mit denen die Kundschaft entlang ihrer Customer Journey mehr oder weniger bewusst konfrontiert werden. Dabei versteht man unter Customer Touchpoints (Kundenkontaktpunkten) alle Orte, Personen, Produkte oder weitere Marketingmaßnahmen, an denen Menschen mit einer Marke interagieren. Jeder einzelne Kontaktpunkt hinterlässt Spuren in den Köpfen der Zielgruppen (Esch & Knörle, 2016, S. 124). Insbesondere aufgrund der medialen Informationsflut – v. a. durch digitale Medien – und der dadurch induzierten ständigen Reizüberflutung
39%
38% 35%
34%
35%
34%
28%
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
n=785 befragte Marktforschende auf Angebots- und Nachfrageseite
Abb. 13.1 Anteil Unternehmen weltweit, die Eyetracking für Marktforschungszwecke nutzen. (Eigene Darstellung)
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
177
Anteil Medienwahrnehmung 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% ≤0
>1
>2
>3
>4
>5
>6
>7
>8
> 9 > 10 > 11 > 12 > 13 > 14 > 15 > 16 >17 >18 >19
Dwell Time (Betrachtungszeit) in Sekunden Die Eyetracking-Daten beinhalten 57 Studien und 698 Smuli (davon 262 Online).
Abb. 13.2 Anteil Werbemittel, die nach einer bestimmten Zeit noch betrachtet werden in den Jahren 2003–2019 (Eye Square, 2020)
sinkt die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen stetig (Lorenz-Spreen et al., 2019, S. 6). In diesem Zusammenhang wird auch von der Attention Economy gesprochen, die die Aufmerksamkeit der Menschen als ein knappes Gut betrachtet (Mintzer, 2020). Das Marktforschungsinstitut Eye Square spricht in Bezug auf Medienkontakte von den „magischen 2,5 Sekunden“. In dieser Zeit muss die Botschaft wahrgenommen werden, da danach fast zwei Drittel der Rezipienten bereits schon wieder abgesprungen sind und sich mit anderen visuellen Reizen „beschäftigen“ (Abb. 13.2). Dieses Ergebnis beruht auf einer Metaanalyse mit diversen Studien zu online Medien, TV, Print und Plakaten (Eye Square, 2020). Nicht nur aufgrund der Attention Economy erlebt die Aufmerksamkeitsmessung mittels Eyetracking derzeit ihren „zweiten Frühling“ (Marktforschung.de, 2022). Ein weiterer Grund sind die innovativen Eyetracking Hard- und Softwaresysteme, die es teilweise preisgünstig und leicht zugänglich am Markt zu erwerben gibt. So wird die Blickaufzeichnung von Kroeber-Riel und Gröppel-Klein nicht nur als „eine weiterhin aktuelle, sondern eine sogar zusehends bedeutsamer werdende Messtechnik, was sich auch in der schnellen Weiterentwicklung der zur Blickaufzeichnung geeigneten Geräte widerspiegelt“ (2019, S. 287), bezeichnet.
178
13.2
T. M. Zweigle
Eyetracking als Instrument zur Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsmessung
Bevor die verschiedenen Verfahren der Blickregistrierung skizziert und gegenübergestellt werden, wird erläutert, was mittels Eyetracking überhaupt gemessen werden kann. Dieses ist notwendig, einerseits um zu verstehen, wie man mit Eyetracking-Ergebnissen Customer Touchpoints optimieren kann, andererseits, um die Stärken und Schwächen der verschiedenen Eyetracking-Systeme einordnen zu können.
13.2.1 Wahrnehmung und visuelle Aufmerksamkeit Die Wahrnehmung gehört zu den psychischen Erklärungsstrukturen des menschlichen Verhaltens und damit zu den in den Köpfen der Menschen stattfindenden inneren Prozessen. Dabei handelt es sich um den kognitiven Prozess der Informationsaufnahme, der beispielsweise dafür sorgt, dass Produkt- oder Markenbotschaften zu Beginn der Customer Journey überhaupt in das Bewusstsein der Kundinnen und Kunden gelangen können (Spreer, 2021, S. 33). Dieser Prozess wird daher als notwendige Bedingung für die Verarbeitung und Speicherung von Informationen gesehen (Foscht et al., 2017, S. 85). Eng verbunden mit der Wahrnehmung ist die Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit beschreibt – aber nicht erklärt (!) - verschiedene Formen der selektiven Wahrnehmung von Reizen (Ansorge & Leder, 2017, S. 9). Die visuelle Aufmerksamkeit ist der erste Schritt zur Wahrnehmung eines visuellen Reizes und daher bedeutend für das Eyetracking (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 306–307). Infolge des weiter oben skizzierten Information Overload, mit dem Konsumierende ständig konfrontiert werden, werden daher nur die Customer Touchpoints (Medien, Produkte, Websites usw.) vom menschlichen Gehirn selektiv wahrgenommen, die den stärksten Reizeindruck hinterlassen und das größte Aufmerksamkeitspotenzial besitzen (Berndt, 1984, S. 43). Der Aufmerksamkeitsleistung der verschiedenen Customer Touchpoints kommt daher im Wirkungsprozess eine sehr bedeutende Rolle zu, die von Marketers ständig überprüft werden sollte (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 307; Kirchler & Michalicka, 1987, S. 69). Eyetracker sind hierfür geeignet, da diese die visuelle Informationsaufnahme von Menschen objektiv messen, indem sie die Blickbewegung der Menschen aufzeichnen und damit einen Indikator für Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse liefern (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 287). Dabei erfolgt die Messung anhand von Augenposition und Augenbewegungen (Hoffmann & Akbar, 2019, S. 25). Zu beachten gilt allerdings, dass die gemessene Informationsaufnahme nicht gleichzusetzen ist mit einer abrufbaren Informationsspeicherung (Recall). Denn die meisten Informationen, die wir Menschen aufnehmen, sind uns nicht bewusst (Foscht et al.,
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
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2017, S. 98). Mittels Eyetracking wird es also möglich, auch die impliziten oder unbewussten Wahrnehmungsprozesse des Konsumentenverhaltens aufzudecken und besser zu verstehen.
13.2.2 Metriken zur Aufmerksamkeitsmessung Typische Metriken, die die Blickverläufe und damit die Aufmerksamkeit messen, sind Fixationen (Punkte, die man betrachtet) und Sakkaden (schnelle Augenbewegungen bzw. Blicksprünge). Eine Fixation kann als ein Zustand definiert werden, in dem der Blick für länger Zeit (etwa 100 bis 400 ms)1 auf einem Punkt verweilt, z. B. wenn das Auge beim Ansehen einer Verpackung vorübergehend auf dem Markennamen ruht (Kroeber-Riel & GröppelKlein, 2019, S. 307). Eine längere Fixierung auf ein bestimmtes Objekt zeigt an, dass die Aufmerksamkeit der Person geweckt wurde, während eine kürzere Fixierung Bereiche des Objekts offenlegt, die weniger interessant sind. Fixationen sind also die eigentlichen Indikatoren der Informationsaufnahme, da über sie die visuellen Informationen in den Kurzzeitspeicher des Gedächtnisses gelangen können und daher besonders relevant als Metrik zur Messung der Aufmerksamkeitsstärke von Elementen eines Touchpoints einzuordnen sind (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 288). Fixationen lassen sich bei der Auswertung der Daten aggregiert über mehrere Testpersonen als Heatmap darstellen, anhand derer die aufmerksamkeitsstarken Elemente eines Untersuchungsgegenstands (z. B. Zeitschrift, Packung, Webseite) plakativ identifiziert werden können. Mittels des Scan Path lassen sich Reihenfolge und Dauer der Fixationen anzeigen (Foscht et al., 2017, S. 98.). Anhand der Sakkaden bzw. der Sprünge des Blickverlaufs ist zu erkennen, wie genau der Blick des Betrachtenden gelenkt wird. Der Blickverlauf springt unregelmäßig von einem bestimmten Punkt zum nächsten. Es wird also gemessen, wie oft und wie schnell sich die Augen bewegen und in welcher Reihenfolge die einzelnen Elemente des Objekts betrachtet werden. Die Sprungdauer der Sakkaden beträgt zwischen 30 bis 90 ms; hierbei können Informationen eigentlich nicht aufgenommen werden (Foscht et al., 2017, S. 98, Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 287). Für die Interpretation des Blickverhaltens lassen sich aus der Kombination von Fixationen und Sakkaden diverse Kennzahlen ableiten.2 Im Rahmen von Marketingfragestellungen sind vor allem die quantitativen Auszählungs-Blickmaße interessant, die Palcu
1 Ab welcher Betrachtungsdauer eine Fixation als Fixation gezählt wird, wird in der Literatur sowie
in der Praxis unterschiedlich gehandhabt. Es gibt Anbieter, die bereits ab 30 ms von Fixationen sprechen, andere erst ab 160 ms. 2 Weiterführende Informationen zu den verschiedenen Kennzahlen finden sich bei Holmqvist & Andersson (2017).
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T. M. Zweigle
Tab. 13.1 Blickmaße zur Erfassung von impliziten Markenkommunikationswirkungen Blickmaß
Erfassung von …
Zeit bis zur ersten Fixation (Entry Time)
... Sichtbarkeit/Auffälligkeit eines Kommunikationsmittels
Dauer der ersten Fixation (First Fixation Duration)/Anzahl der Fixationen (Fixation Count)
... Relevanz/Komplexität/Neuartigkeit eines Kommunikationsmittels
Anzahl der Personen, die Objekt fixieren (Hit Ratio)
... Sichtbarkeit/Auffälligkeit eines Kommunikationsmittels in einer Konsumentengruppe
Betrachtungszeit (Dwell Time)
... Aufmerksamkeitsbindung/Verarbeitungstiefe von Kommunikationsmitteln
Blicksequenz (Scan Path)
... Aufmerksamkeitsverlauf/relative Relevanz oder Auffälligkeit einzelner Kommunikationsmittel
(Palcu and Florack (2016, S. 261))
und Florack (2016, S. 261–262) in Tab. 13.1 zusammengestellt haben. Für die Interpretation der Ergebnisse ist hier insbesondere auch der Vergleich mit Benchmarks aus Datenbanken wichtig, da diese eine realistische Einschätzung dafür liefern, welche Niveaus erzielbar sind (von Keitz, 2016, S. 229). Viele Marktforschungsinstitute verfügen über Vergleichsdaten, die oft branchenspezifisch (z. B. Konsumgüter, Finanzdienstleistungen, Automobile), länderspezifisch (z. B. USA, Deutschland) oder personenspezifisch (z. B. nach Geschlecht, Markenverwendung) ausgewiesen werden. In Anlehnung an Palcu und Florack lassen sich folgende drei grundsätzliche Maße zur Messung der Aufmerksamkeit von visuellen Customer Touchpoints heranziehen (2016, S. 261–262): (1) Maße zur Erfassung der Sichtbarkeit (Salienz) Für die Auswertung der Blickbewegung werden oft sogenannte AOI (Area of Interests) am Touchpoint (z. B. Webseite, Produkt, Regal im stationären Handel) definiert, die angeben, ob Personen einen Interessensbereich (z. B. das Logo auf dem Produkt, den Buy-Botton im Webstore) gesehen haben oder nicht. Die Summe der AOI Hits über alle Testpersonen hinweg ist die Hit Ratio (Prozentsatz aller Personen, die einen bestimmten Bereich betrachtet haben). So lassen sich Aussagen über die objektive Sichtbarkeit von Informationen (Botschaften, Logos, Abbildungen etc.) treffen. Die Erfassung der Dauer bis zur ersten Fixation in einem Interessensbereich ist die sog. Entry Time und beschreibt die Salienz, also die Bedeutung eines Interessensbereichs im Vergleich zu allen anderen Informationen, die Testpersonen erwerben (z. B. Personen, die das Logo auf einer Anzeige fixieren, betrachten das Logo im Durchschnitt erst nach 1,2 s).
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
181
(2) Maße zur Erfassung der Aufmerksamkeit und Verarbeitungstiefe (Interesse) Das Interesse an einer visuellen Information lässt sich aus der Betrachtungszeit, der Dwell Time, ableiten. Diese ergibt sich aus der Dauer aller Fixationen und Sakkaden in einer definierten AOI. Um das Interesse an den gezeigten visuellen Stimuli zu messen, können die Anzahl an Fixationen in einer AOI (Fixation Count) und die Häufigkeit, mit der eine AOI wiederholt aufgesucht wird (Revisits), festgestellt werden. Die Verarbeitungstiefe der Informationen lässt sich über die Dauer der ersten Fixation (First Fixation Duration) sowie der durchschnittlichen Fixationsdauer auf einem Touchpoint (Average Fixation Duration) bestimmen. Zu beachten ist allerdings, dass die Länge der Fixationsdauer sowohl als Zeichen der Präferenz, aber auch als Unsicherheit oder Reizkomplexität interpretiert werden kann. Der Kontext muss bei der Bewertung der Metriken also immer mitberücksichtigt werden. (3) Maße zu Erfassung der Informationssuche (Aufmerksamkeitsverteilung) Für die Interpretation der Effektivität eines Touchpoints ist die zeitliche Verteilung der Aufmerksamkeit von Relevanz. Welche Elemente werden auf der Anzeige, auf dem Produkt, auf der Webseite in welcher Reihenfolge betrachtet? Die Blickregistrierung weist diese Information in Form von aggregierten Scanpfaden (Scan Paths) aus, um generelle Muster im Blickverhalten aufzudecken. Die skizzierten Metriken werden von vielen Anbietern Software-gestützt und teilweise bereits auf Dashboards aggregiert in Form von Heatmaps, Scan Paths und weiteren Grafiken direkt den Auftraggebern zur Verfügung gestellt. Blickregistrierungsdaten stehen auf diese Art und Weise schnell zur Auswertung und Interpretation bereit.
13.3
State of the Art der Eyetracking-Methoden
Grundsätzlich bestehen Eyetracking-Systeme aus Aufzeichnungsgeräten bzw. -techniken, den Algorithmen zur Verarbeitung der rohen Messdaten sowie aus der Verwertung dieser verarbeiteten Daten mittels verschiedener Darstellungsformen. Dabei teilt sich der Markt für Eyetracking-Systeme in drei Technologien auf (Runde & Jöckel, 2018, Hutton, 2019, S. 286–293): Externe Hardware Systeme (z. B. Tobii, Smart Eye AB, Sensomotoric Instruments, Eye Sight, Eyezag, SR Research, Eyetech, Gazepoint, Lumen Research), Mobile Eyetracking (z. B. Tobii, Pupil Labs, Sensomotoric Instruments, Ergoneers, SR Research, Lumen Research) und Eyetracking Software (z. B. Sightcorp, Eyeware, Pupil Labs, Eyevido).3
3 Für vertiefende Informationen siehe Duchowski (2017, S. 49–140).
182
T. M. Zweigle
13.3.1 Eyetracking mit Hilfe spezieller Hardware Zum einen gibt es externe Hardware Systeme, die eine berührungslose Messung möglich machen, weil mechanische Bauteile wie Übertragungskabel, Brillen, Kinnstützen etc. entfallen. Zur Registrierung von Blickbewegungen auf dem Monitor wird die Eyetracking Hardware direkt in den Bildschirm eingebaut oder daran angebracht. Diese Methode ist fest an einen Ort gebunden und wird daher auch Remote Eyetracking Device (RED) genannt. Zum anderen existiert Hardware für das mobile Eyetracking. In der Marketingforschung wird hierfür üblicher Weise ein System verwendet, das dem Design einer normalen Brille ähnelt. Dieses mobile Eyetracking via Brille wird auch als Head-mounted Eyetracking Devices (HED) bezeichnet (Palcu & Florack, 2016, S. 260; Tatler et al., 2019, S. 555; Eye Square, 2023).
13.3.1.1 Infrarotbasiertes Eyetracking (table-mounted) Bei der infrarotbasierten table-mounted Eyetracking-Technik werden die Blickbewegungsdaten mit Hilfe einer Spezialhardware4 erhoben, die direkt am Bildschirm des Laptops angebracht ist. Es wird Infrarotlicht genutzt, um die Augenposition und die Blickrichtung der Person vor dem Monitor zu erkennen. Infrarot-Eyetracker liefern sehr hochqualitative Daten in Form besonders genauer Messungen5 und einer automatisierten Analyse von Eyetracking-Daten (Eye Square, 2023). Grund hierfür ist, dass zur Berechnung der Blickpositionen Lichtreflexionen der Hornhaut berechnet und in Bezug zu den Reflexionen der Pupille gesetzt werden (Palcu & Florack, 2016, S. 258). Die erhobenen Daten sind sehr robust, da auch Personen mit Brille oder Kontaktlinsen ohne Probleme an Studien teilnehmen können (Eyevido, 2023a). Aufgrund der hohen Kosten für die infrarotbasierten Eyetracker-Systeme werden diese meist im Studio, also in einem Laborsetting, eingesetzt (Eyevido, 2023b). Der Vorteil dieser Laborsituation ist die Kontrolle der externen Einflussgrößen wie Ablenkung durch andere Personen, Klingeln von Telefonen, verschiedene Lichteffekte usw. Demgegenüber steht allerdings der Nachteil, dass die Forschungssituation künstlich ist und dadurch Einfluss auf die Aufmerksamkeit haben kann, sodass sich die Ergebnisse nicht bedenkenlos auf reale Wahrnehmungssituationen übertragen lassen.
13.3.1.2 Mobiles Eyetracking mittels Eyetracking-Brille (head-mounted) Das mobile Eyetracking via Brille wird auch als „wearable eyetracking headset“ bezeichnet. Eyetracking-Brillen sind mittlerweile handlich und bequem zu tragen – wie eine normale Brille. Die Testpersonen setzen für die Messung die „Brille“ auf, mit deren Hilfe die Pupillenbewegungen registriert werden. In der Brille ist eine Blickkamera zur Erfassung von Hornhaut und Pupillenreflexion; zugleich ist eine Infrarotquelle in die 4 Diese wird beispielsweise von den Firmen Tobii oder SensoMotoric Instruments (SMI) angeboten. 5 Beim Anbieter Eyevido (2023a) beispielsweise beträgt im Durchschnitt die Abweichung zwischen gemessener und tatsächlicher Blickposition in etwa 0,5 cm.
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
183
Brille eingebettet (Palcu & Florack, 2016, S. 260). Die meisten modernen EyetrackerBrillen sind über ein Kabel mit einem Smartphone verbunden und werden durch eine spezielle Software gesteuert6 . Im Vergleich zum stationären Eyetracking (via Desktop oder Laptop) ist die Herausforderung beim mobilen Eyetracking mittels Brille, dass das System durch die freien Bewegungen der Testpersonen verschiedenen Anforderungen gerecht werden muss. Der Eyetracker muss sich ständig auf wechselnde Lichtverhältnisse und Kopfpositionierungen einstellen. Andere Head-mounted Verfahren beruhen auf der Elektro-Okulographie und messen die elektrische Spannung zwischen Netzhaut (negativer Pol) und der Hornhaut. Basierend auf dieser Technologie wurde eine Brille entwickelt, mit der ein schnelles, drahtloses Eyetracking möglich sein soll (Runde & Jöckel, 2018).7 Hochmoderne Eyetracking-Brillen sind mit einem Deep Learning System ausgestattet, das u. a. eine Selbstkalibrierung vornimmt und dadurch einen schnellen Start der Studie ohne Qualitätsverlust sicherstellt (Eye Square, 2023b; Pupil Labs, 2023a). EyetrackerBrillen sind mittlerweile so natürlich zu tragen, dass sie in den Alltag integriert werden können und beim Fahrradfahren, Autofahren, Spazieren gehen, Sport treiben, Einkaufen etc. eingesetzt werden (Tobii, 2023). Daher weisen sie hier eine höhere Validität als stationäre Eyetracker auf. Allerdings ist die Genauigkeit der Messung eingeschränkt, da die Referenzobjekte aufgrund verschiedener Distanzen und Blickwinkel für jeden Studienteilnehmer variieren und die Datenanalyse immer wieder angepasst werden muss (Palcu & Florack, 2016, S. 260). Eine kritische Würdigung des mobilen Eyetracking findet sich bei Tatler et al., (2019, S. 565–585).
13.3.2 Eyetracking mit herkömmichen Web- oder Smartphone-Kameras Im Gegensatz zu den Hardware-basierten Eyetrackern, deren Anschaffung per se bereits Kosten verursachen, benötigen die Browser- und App-basierten Eyetracking-Systeme lediglich eine spezifische Software. Die Blickbeobachtung erfolgt über herkömmliche Web- oder Smartphone-Kameras (im sogenannten „Selfie-Modus“).
13.3.2.1 Webcam-Eyetracking Die Teilnahme am Webcam-basierten Eyetracking funktioniert über Webcam und Browser, d. h. mittels Software und URL Schnittstelle. Dabei können die Testpersonen die Blickregistrierungsmessung an ihrem eigenen Laptop oder Desktop von zu Hause, im Büro oder an einem beliebig anderen Ort mit Internetverbindung durchführen. Webcam-Eyetracker erkennen die Augenbewegungen durch eine eingebaute oder externe Webcam, die am Bildschirm befestigt ist. Im Vergleich zum Hardware-basierten 6 Beispielsweise die Brillenmodelle „Pupil Invisible“ von Pupil Labs oder „Tobii Pro Glasses 3“ von
Tobii. 7 Anbieter hierfür ist IMEC, ein Forschungszentrum für Nano-Elektronik und digitale Technologien.
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Eyetracking werden beim Webcam-Eyetracking keine speziellen Punkte im Auge erkannt. Vielmehr basiert die Technologie auf „maschinellem Sehen“, indem der Computer das Bild verarbeitet. Durch Machine-Learning-Ansätze werden bisherige Aufnahmen dazu verwendet, den Algorithmus immer leistungsfähiger zu machen (Eyezag, 2018). Im Vergleich zum Hardware-basiertem Eyetracking sind es hier also Algorithmen, die die Augen- und Kopfpositionen der Testpersonen erkennen und die Blickrichtung mit Hilfe von Kalibrierungsdaten festlegen. Anders als Infrarot-Eyetracking nutzt WebcamEyetracking hierfür das verfügbare Licht. Daher funktioniert Webcam-Eyetracking am besten, wenn das Licht von vorne einfällt, möglichst keine Brille von den Probanden getragen wird (diese könnten Licht reflektieren) und der Kopf der Probanden gerade gehalten wird (das erleichtert die Berechnung der Pupillenposition) (Eyevido, 2023c). Vergleichsstudien zeigen, dass die Genauigkeit der Eyetracking-Daten von Webcams im Vergleich zu Infrarot-Eyetrackern zwar begrenzt ist, diese aber je nach Aufgabenstellung dennoch zufriedenstellende Ergebnisse liefern (Eyevido, 2023c). Für das Webcam-Eyetracking spricht, dass online-Interviews den Umfragemarkt dominieren und deshalb Probanden gut erreichbar sind. Zudem ist das Eyetracking von zu Hause aus für Verbraucher:innen unkompliziert und lässt sich daher sehr gut in klassische Studien wie Werbetests integrieren. Allerdings zeigten sich auch teilweise Probleme in der Anwendung des Webcam-Eyetracking, sodass teilweise doppelt rekrutiert werden muss, weil der Eyetracker nicht brauchbare Daten lieferte (Marktforschung.de, 2022).
13.3.2.2 Smartphone-Eyetracking Wie beim Webcam-Eyetracking wird beim Smartphone-Eyetracking über die SelfieKamera des Smartphones die Aufmerksamkeit der Probanden bzw. Nutzenden gemessen. Dabei ist das Eyetracking via Smartphone von überall mobil möglich, sofern eine stabile Internetverbindung vorhanden ist. Die Methode des Smartphone-Eyetracking hat in etwa dieselben Voraussetzungen wie das Webcam-Eyetracking. Es ermöglicht Blickregistrierungsmessungen ohne zusätzliche Hardware durchzuführen. Die Software arbeitet ebenfalls mit KI-gestützten Algorithmen zur Blickverfolgung. Oculid (2022) verspricht mit einer aktuellen Vergleichsstudie, dass die Qualität des mobilen Eyetrackings via Smartphone nahezu so gut sei wie das infrarotbasierte Eyetracking, welches am Desktop im Studio durchgeführt wird (Tab. 13.2). Zugleich sei auch nur eine Überrekrutierung von 20 % notwendig. Der Vorteil des Smartphone-Eyetrackings liegt in der Authentizität der Erhebungssituation. „Noch nie konnte man so nahe an das Leben der Menschen herankommen wie heute … Es lassen sich aus dem Alltag der Konsument:innen heraus Hypothesen prüfen“ (Falser, 2019, S. 21). Die Anwender können also im realen Umfeld (In Context) an den Studien teilnehmen. Smartphone-Eyetracking eignet sich sehr gut für die Überprüfung der Aufmerksamkeitsleistungen für bestimmte Apps und deren Funktionen. So können je nach Studieninhalt das Nutzerverhalten in Bezug auf Social Media Inhalten oder mobile Shopping Aktivitäten untersucht werden (Marktforschung.de, 2022).
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
185
Tab. 13.2 Vergleichsstudie: infrarotbasiertes Eyetracking vs. Smartphone-Eyetracking Kriterien
Infrarotbasiertes Eyetracking Smartphone-Eyetracking
Genauigkeit der Messung
++
+
Frequenz (Anzahl Augenmessungen pro ++ Sekunde)
−
Online (ohne Hardware)
−
+
Universell einsetzbar
+
++
Schnelligkeit der Datenlieferung
−
+
Skalierbarkeit (Fallzahlen)
−
++
Günstiger Preis
−
+
Einfache Umsetzung
−
+
(In Anlehnung an Oculid (2022))
Die biotische Testsituation, die das Smartphone-Eyetracking ermöglicht, sowie die Tatsache, dass Konsumierende den Großteil ihrer digitalen Freizeit am Smartphone verbringen, macht diese Eyetracking-Methode für die Aufmerksamkeitsmessung vieler mobiler Customer Touchpoints attraktiv. Zugleich ist es für Forschende vergleichsweise günstig durchzuführen, weil keine separate Hardware erworben werden muss.
13.3.3 Stärken und Schwächen der gängigen Eyetracking-Methoden Die vier bisher aufgeführten, gängigen Eyetracking-Methoden (Infrarot-, Head-mounted, Webcam- und Smartphone-Eyetracking) basieren, wie erläutert, auf unterschiedlichen technischen Ausstattungen. Dementsprechend ergeben sich für diese entlang des Forschungsprozesses verschiedene Stärken und Schwächen, insbesondere hinsichtlich • Forschungsdesign (Erreichbarkeit der Zielgruppe, Bevölkerungsrepräsentativität, Fallzahl, Preis), • Datenerhebung (reales Umfeld, Genauigkeit, Kontrolle, Qualität der Ausstattung bei Probanden, Einfachheit der Anwendung, Gewährleistung des Datenschutzes) sowie • Datenauswertung (Schnelligkeit, automatisches Codieren, Genauigkeit der Auswertung von Fixationen). Tab. 13.3 stellt die vier Eyetracking-Methoden anhand dieser Kriterien gegenüber. Es ist zu erkennen, dass jede Methode spezifische Stärken und Schwächen aufweist. Demzufolge ist es für die Forschenden umso wichtiger bei ihrer Methodenauswahl zu wissen, was genau untersucht werden soll und welche methodischen Stärken für die Fragestellung wichtig und welche Schwächen hinnehmbar sind.
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T. M. Zweigle
Tab. 13.3 Stärken und Schwächen im Forschungsprozess für die vier gängigen EyetrackingMethoden Mit Hardware
ohne Hardware
Infrarot Head-mounted Webcam Smartphone Forschungsdesign: Erreichbarkeit der Zielgruppen
−
−
+
++
Bevölkerungsrepräsentative Stichprobenziehung
+
+
−
−−
Hohe Fallzahlen
−
−
++
+
Günstiger Preis
−
−
++
++
−−
+
+
++
Datenerhebung: Reales Umfeld/Integration in den Alltag Genauigkeitsmessung
++
+
−
−
Kontrolle externer Einflüsse
++
+
−
−−
Gleiche Qualität der technischen Ausstattung bei allen Probanden
++
++
−
−−
Einfachheit der Anwendung durch Probanden −− (z. B. Kalibrierung)
+
−
−
Gewährleistung des Datenschutzes
++
+
−
−−
Schnelligkeit der Ergebnislieferung
+
−
++
+
Automatische Codierung und Auswertung
++
−
++
+
Genauigkeit der Auswertung von Fixationen
++
+
−
−
Datenauswertung;
Eigene Einschätzung anhand verschiedener Datenquellen (Eyevido, 2023d; von Keitz, 2016, S. 227; Marktforschung.de, 2022; Oculid, 2022)
Die größten Einflussfaktoren auf die methodisch bedingten Stärken und Schwächen sind • • • • • •
künstliche versus reale Umgebung, künstliche versus natürliche Mediennutzung, kontrolliertes versus nicht-kontrolliertes Setting, stationäres versus mobiles Setting, kleine versus große Fallzahlen (Skalierbarkeit) sowie Infrarotbasierte versus KI-basierte Blickregistrierung.
Forschende können durch eine Kombination des Einsatzes verschiedener EyetrackingMethoden die Validität und Reliabilität der Daten erhöhen. So könnten sie beispielsweise eine kleine qualitative Studie im Teststudio mittels Infrarot-Eyetrackern (idealerweise in
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
187
Kombination mit Tiefeninterviews) durchführen und ergänzend dazu ein repräsentatives Webcam- oder Smartphone-Eyetracking. Für die Entscheidung, mit welchem Instrument die Aufmerksamkeit eines visuellen Touchpoints gemessen werden soll, ist insbesondere auch wichtig zu wissen, was gemessen soll. Dabei sollte grundsätzlich das Ziel sein, die Testsituation so biotisch wie möglich zu gestalten, d. h. beispielsweise mobile Apps am Smartphone, Online Shops am Lap- oder Desktop sowie Einkaufsstätten mit einer mobilen Eyetracker-Brille zu testen. Weiter unten (Abschn. 1.4) wird aufgeführt, bei welchen Aufgabenstellungen in der Marketingforschung typischerweise welche Eyetracking-Methoden zum Einsatz kommen.
13.3.4 AR/VR-Eyetracking Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) bieten Forschenden die Möglichkeit, Probanden in eine künstliche, real-wirkende (immersive) digitale Welt eintauchen zu lassen. Dort können sie mit Produkten wie beispielsweise virtuellen Fahrzeugen, Hotelanlagen oder Einkaufsstätten so interagieren, als wären sie in einer echten Umgebung. Der Vorteil für die Forschenden liegt darin, dass keine teuren Settings aufgebaut werden müssen, da die Laborsituation simuliert wird (Pape, 2020). Die Kombination aus VR-Brillen und mobilen Eyetrackern ermöglicht die Aufmerksamkeitsmessung während der VR-Erlebnisse (Meißner et al., 2017, S. 445). Das wird beispielsweise durch das Einsetzen von Eyetracking-Kameras in herkömmliche VRBrillen möglich. Die Hardware für diese Art von Eyetracking entspricht weitestgehend der für eine Eyetracking-Brille. So weist die Firma Pupil Labs (2023b) darauf hin, dass Forschende ihre VR und AR Plattformen, die sie bereits besitzen, verwenden können und diese mit der Drop-In-Hardware zur Blickregistrierung ergänzen können. Die für das Eyetracking notwendige Software wird als Open Source angeboten. Hardware-Hersteller wie HTC (Vive Pro Eye) oder Tobii bieten direkt VR-Brillen mit Eyetracking-Möglichkeit an. Während mobile head-mounted Eyetracking-Studien trotz moderner Software immer noch einen hohen Codierungs- und. Auswertungsaufwand erfordern (z. B. Kontrolle der Umwelteinflüsse), können die virtuellen Umwelten den Vorteil der kontrollierten Umwelt (wie sie normalerweise im Labor vorliegen) mit dem eines Feldexperiments durch Simulation der Realität vereinen (Kroeber-Riel & Göppel-Klein, 2019, S. 287). VR-Eyetracking bietet sich daher gut für die Wirkungsmessung neuer Produkte und Services an, bevor diese auf den Markt kommen. Auch komplexe Umgebungen, wie Bahnhöfe, Einkaufsstraßen oder Flughäfen lassen sich exakter mittels VR analysieren. Ein Beispiel hierfür ist der Flughafen Healthrow. Auf Grundlage des Terminals 5 wurde eine vollständige 360Grad-Umgebung erzeugt, um das Blickverhalten der Besucher unter Marketing-Aspekten zu untersuchen (Pape, 2020). Mittels VR wird es möglich, bisher teure Feldexperimente günstiger anzubieten, da sich virtuelle Umgebungen schnell verändern und anpassen lassen.
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Die Möglichkeit der Blickregistrierung mittels VR-Brillen im Metaverse wird künftig nicht nur für Gamer von Interesse sein, auch wenn diese Interessensgruppe die Blickregistrierung in VR-Brillen derzeit interessant findet; denn dadurch erhalten die Avatare realistische Augenbewegungen in denen beispielsweise emotionale Zustände wie Freude oder Angst abgelesen werden können (Mo fun VR, 2022). Für Marketers wird es möglich sein – wenn Versuchsanlagen und Experimente virtuell in das Metaverse verlegt werden – durch Eyetracking tiefere Einblicke in das (virtuelle) Konsumentenverhalten zu erhalten.
13.3.5 Predictive-Eyetracking Beim Predictive oder KI-generierten Eyetracking erfolgt die Aufmerksamkeitsmessung mit Hilfe des „virtuellen Konsumenten“, dem Augmented Consumer. Eine KI lernt die Wahrnehmungs- und Entscheidungsmuster von Konsumierenden, indem sie mit Daten aus realem Konsumentenverhalten trainiert. Die Intuition und die Entscheidungsmuster der Konsumierenden werden damit in einen Algorithmus überführt (Schreier & Held, 2019, S. 149). Der KI-Algorithmus erkennt einen bestimmten Verlauf der menschlichen Aufmerksamkeit und sagt die potenzielle menschliche Aufmerksamkeit nach der Systematisierung dieser Verläufe voraus. Er prognostiziert, wohin Menschen am ehesten schauen, während sie mit einem visuellen Stimulus interagieren (Oculid Blog, 2022). Dadurch werden Blickregistrierungsmessungen von visuellen Stimuli möglich, ohne dass reale Konsumierende diese tatsächlich ansehen. Predictive-Eyetracking ist allerdings nur einsetzbar, wenn sehr viele Daten in Bezug auf den zu untersuchenden Customer Touchpoint bereits vorhanden sind. Daher ist die Technologie insbesondere für Firmen interessant, die über große Datenbanken verfügen. Vorhersagedaten sind möglich für statische Bilder und Packungen sowie für dynamische Inhalte wie Videos (Aimpower, 2023). Mittels KI wird die Heatmap automatisiert erstellt. Die KI sagt also voraus, ohne dass reale Eyetracking-Tests durchgeführt werden müssen, wie die Blickverläufe und damit die Heatmaps aussehen würden. Voraussetzung hierfür ist die vorherige Definition von Areas of Interest (AOI) durch den Forschenden. Abb. 13.3 demonstriert anhand des Unternehmens Aimpower, welche Metriken automatisiert in kürzester Zeit den Forschenden zur Verfügung gestellt werden (Saswito, 2022; Aimpower, 2023). Die Vorteile des Predictive-Eyetrackings sind schnelle und günstige Daten, da keine Konsumentenforschung notwendig ist. Allerdings ist zu beachten, dass die von der KI erstellten Daten nicht für alle Eyetracking Metriken reliable Daten liefern. Während die Erstellung einer Heatmap, um die Aufmerksamkeitsverteilung der Rezipienten aufzuzeigen, gut funktioniert, können die Entry Time, die Dwell Time und die Fixationsdauer nicht bestimmt werden. Dabei sind diese Daten wichtig, um besser zu verstehen, wie
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
189
Die Vorhersage-Modelle zur Aufmerksamkeitsmessung wurden auf Grundlage von mehr als 2,5 Millionen menschlichen Fixaonsbildern trainiert und bieten eine Genauigkeit von über 98% im Vergleich zum menschlichen Eyetracking. Das Predicve-Eyetracking prognosziert den menschlichen Blick für alle staschen Bild-Assets (z.B. Anzeigen, Social Media, OOH, Verpackungen, eCommerce) sowie für animierte Inhalte (z.B. TV-Spots, Videos, Animacs) - einzeln und im Umfeld.
Automasierte Aufmerksamkeitsanalyse liefert die Metriken in 5 Minuten Predicve-Heatmaps
Salienz-Videos
Aenon in Context
Area of Interest
(sagt den menschlichen Blick voraus und stellt diesen dar)
(prognosziert, was tatsächlich gesehen wird)
(prognosziert das Durchdringungspotenal von Assets)
(prognosziert den Prozentsatz der Aufmerksamkeit auf definierte Bereiche)
Abb. 13.3 Predictive-Eyetracking am Beispiel von Aimpower. (Eigene Darstellung)
lange die Menschen brauchen, bestimmte Elemente zu erkennen und welche kognitiven Prozesse hinter der visuellen Aufmerksamkeit stehen (Oculid Blog, 2022). Interesse an der Messung von KI-generierten Aufmerksamkeitsdaten haben auch (digitale) Mediaplattformen wie etwa Teads. Die Plattform nutzt bei der Ermittlung der Aufmerksamkeit ihrer Verwenderschaft das Eyetracking und sammelt mit Hilfe diverser Attention-Studien Daten, um eine KI-gestützte Datenbank aufzubauen, die durch maschinelles Lernen Vorhersagen über die Wirkung von Werbemitteln liefert (Priebe, 2022). Bezüglich der Algorithmus-gestützten Emotionserkennung sind MachineLearning-Experten derzeit allerdings hinsichtlich der Genauigkeit der vorhersagten Daten noch sehr skeptisch (Rose, 2022). Dass das Predictive-Eyetracking bisher noch nicht für alle Touchpoints gut funktioniert, zeigt eine Studie mit Printvorlagen von Eye Square, in welcher die Ergebnisse eines KIgenerierten Eyetrackings empirischen Ergebnissen gegenübergestellt wurden. Es zeigte sich, dass komplexe, reale Vorgänge – wie die menschliche Wahrnehmung – bisher nur bedingt von Algorithmen berechnet werden können (Bresinsky et al., 2019, S. 114). Forschende der Duke University haben kürzlich das System EyeSyn vorgestellt. Anstatt große Datenmengen direkt von menschlichen Augenpositionen zu sammeln, trainieren sie viele „virtuelle Augen“, die echte Augenbewegungen nachahmen. Das System wird mit Vorlagen für typische Augenbewegungsmuster gespeist, z. B. beim Lesen eines Textes, beim Betrachten von Videos oder bei einem Gespräch mit einer anderen Person, und lernt damit, diese Muster mit echten Menschen abzugleichen und zu erkennen. Das System verwendet also Beispieldaten, um anhand der Augenbewegungen der Person zu erkennen, was diese gerade macht oder betrachtet. EyeSyn soll vergleichsweise weniger reale Datensätze als andere Vorhersagesysteme benötigen, das hat sowohl datenschutzrechtliche (man benötigt weniger „echte“ Verhaltensdaten) als auch technische Vorteile, da weniger Rechenleistung benötigt wird (Lan et al., 2022). Diese Technologie ist insbesondere für den Virtual Reality (VR)-Markt von Interesse.
190
13.4
T. M. Zweigle
Einsatzgebiete des Eyetracking im Marketing
Während in den Anfängen der Blickregistrierung vor allem Printmedien im Fokus standen, lässt sich heutzutage die Methode in nahezu allen Touchpoints entlang der Customer Journey einsetzen, die auf visuelle Reize und Botschaften ausgerichtet sind. In den letzten Jahren hat die Erforschung der User Experience (UX) mittels Eyetracking, also die Messung der Benutzerfreundlichkeit von (digitalen) Medien an Bedeutung gewonnen. Einen Überblick über die Einsatzfelder, in denen typischerweise das Eyetracking eingesetzt wird, gibt Tab. 13.4. Diese Anwendungsvielfalt ist durch die oben beschriebene Vielfältigkeit der Eyetracking-Technologie möglich, die stationär oder mobil, im Studio, zu Hause oder unterwegs bei der Testperson eingesetzt werden kann. Dabei sollte je nach Marketingfragestellung und Customer Touchpoint, der untersucht werden soll, das unter Kosten-Nutzen-Abwägungen geeignete Eyetracking-System eingesetzt werden. Kommunikationsforschung zur Optimierung der Brand & Media Experience Während bei der Aufmerksamkeitsmessung von klassischen Kommunikationsmitteln wie Anzeigen, Plakate und TV-Spots ermittelt wird, ob bestimmte Schlüsselinformationen der Botschaft beim Rezipienten bemerkt und aufgenommen werden (Kroeber-Riel & GröppelKlein, 2019, S. 290), wird bei der Online- oder Social Media-Werbung oft nur getrackt, ob Werbung überhaupt angeschaut wird (Marktforschung.de, 2022). Der Aspekt, welche Bereiche der Werbung die größte Aufmerksamkeit erzielen, wird hier nicht mehr zwingend untersucht. Daher eignet sich hier besonders gut das Smartphone-Eyetracking. Methodisch werden seitens der Werbeforschenden vermehrt In-home EyetrackingStudien über Online-Panels nachgefragt. Gründe hierfür sind, dass die Kameraqualität der privaten Devices wie Laptop oder Smartphone immer besser werden, sodass das Eyetracking im direkten Umfeld der Menschen möglich ist (Marktforschung.de, 2022). Tab. 13.4 Typische Einsatzgebiete des Eyetrackings zur Optimierung der Customer Touchpoints Kommunikationsforschung
POS Forschung
UX Forschung
Print (Anzeigen, Handzettel, Broschüren, Titelblätter, Mailings), Konzepte
Regal Test (Product Placement Validation), Regal Design
Packungsdesign (Packaging Test)
(digitale) Plakate & Out of Home (OOH)
Storetest
Produkttest, Prototypen
TV-Werbung
Kundenlaufstudie
Automobil
E-Mail-Marketing
POS-Materialien
Webseiten
Online Werbung (bewegt und statisch)
Schaufenster
App-Anwendungen
Social Media Werbung
E-Shops
In-Game-Advertising
Gebrauchsanleitungen
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
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POS-Forschung zur Optimierung der Shopper Experience Mit head-mounted Eyetracking-Systemen (Brillen) wird es möglich, die Perspektive der (stationären) Shopper einzunehmen und das unbewusste Verhalten am POS aufzudecken wie die Art der Orientierung im Laden, die Suche nach Produkten, die Informationsaufnahme sowie die Aufmerksamkeitsleistung bestimmter POS-Elemente oder Produkte im Regal. So tragen beispielsweise die Probanden Eyetracking-Brillen, mit denen sie einen Einkaufsladen betreten und bestimmte Aufgaben erfüllen sollen, in etwa: „Bitte kaufen Sie ein Sixpack Warsteiner ein“. Auf diese Art und Weise kann das Orientierungsverhalten der Konsumierenden am POS ermittelt werden (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 291). Darüber hinaus lassen sich spezifische Regalanalysen durchführen; beispielsweise um die Frage zu klären, ob Produkte eher vertikal oder horizontal angeordnet werden sollten. Voraussetzung ist auch hier, dass die AOIs definiert sind, damit diese nach Betrachtungsdauer und Reihenfolge ausgewertet werden können. Aufgrund der immer kleiner werdenden und damit auch weniger invasiven mobilen Eyetracking Headsets wird auch seitens der Marketers das Potenzial für schnellere und kostengünstigere POS-Forschung vor Ort erkannt. Insbesondere forciert durch die rasante technologische Entwicklung in Bezug auf automatische Bild- und Mustererkennung, die zu einfacherer Auswertbarkeit und damit zu kostengünstigeren Studiendesigns führen kann (Marktforschung.de., 2022). Usability Forschung zur Optimierung der User Experience bei (digitalen) Produkten Usability-Forschung befasst sich mit Produkten oder Services und misst, wie benutzerfreundlich diese in der Anwendung ist. Dabei kann das „Produkt“ analog (z. B. Automobil, Produktverpackung, Flasche) oder digital (z. B. Webseite, App) sein. Es geht meist um die Anwendungsfreundlichkeit des Produkts bzw. des Prototyps oder um die Navigation und Exploration einer Webseite. Hinsichtlich der Tests von Software oder Webseiten können beispielsweise Schwierigkeiten bei der Informationssuche oder der Interaktion aufgedeckt werden. Beim E-Commerce interessiert die Aufmerksamkeit auf verschiedene Produktdetails beim Online-Shopping. Je nach Fragestellung kommen in der Usability-Forschung unterschiedliche Eyetracking-Systeme zum Einsatz. Beim Testen von Apps bzw. deren Wireframes oder Mock-ups bietet sich Smartphone-Eyetracking an, da in der spezifischen Nutzungssituation getestet werden kann. Bei Usability-Tests bezüglich der Gestaltung von Websites macht es teilweise Sinn, ein hochwertiges Infrarot-Eyetracking durchzuführen, da es in der Regel genauer als das Webcam-Tracking ist (Eyevido, 2023d). Ein weiteres Einsatzfeld der Usability-Forschung ist die Untersuchung der Mensch-Maschine-Interaktion, zum Beispiel bei Cockpit-Systemen in Fahrzeugen zur Überprüfung der Nutzerfreundlichkeit von sog. Head-Up Displays. Hierfür werden typischer Weise Eyetracking-Brillen eingesetzt. Weiterführende Informationen zu den Einsatzfeldern des Eyetrackings im Marketingkommunikation finden sich bei Rothensee und Reiter (2019, S. 833–850).
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13.5
T. M. Zweigle
Veredlung von Eyetracking-Daten
Eyetracking misst lediglich die visuelle Aufmerksamkeit und ist daher ein erster Schritt zur Messung der Wahrnehmung visueller Customer Touchpoints. Obwohl EyetrackingDaten Augenbewegungen sichtbar machen, kann es schwierig sein, diesen Datensatz richtig zu interpretieren, ohne den Gedankengang der Probanden zu kennen. Wurde das Bild angesehen, weil es schön oder, weil es irritierend wirkte? Aufmerksamkeitsmessung als alleinige Forschungsaufgabe ist daher meist zu kurz gedacht. Um die kommunikative Wirksamkeit der verschiedenen Customer Touchpoints zu verstehen, sind daher oft weitere ergänzende Methoden notwendig wie Befragungen und/oder apparative Verfahren, die in der Lage sind, neben der Wahrnehmung auch die Kognitionen und Emotionen der Testpersonen aufzudecken.
13.5.1 Ergänzung Eyetracking mit Befragungsdaten Für „handfeste“ Ansatzpunkte zur Optimierung von Customer Touchpoints sind Befragungsdaten notwendig, die zusammen mit den Eyetracking-Daten ausgewertet werden (von Keitz, 2016, S. 249). Im Rahmen der Befragung beantworten Testpersonen spezifische Fragen beispielsweise zu Wirkungsparametern wie Marken-Recall, Verständnis des Gesehenens, Produkterwartungen, Interesse an dem Produkt etc. Diese Methode bietet zusätzliche Informationen zur Kommunikationswirkung oder zum Nutzerverhalten (z. B. von Webseiten) und liefert somit den Kontext für die Auswertung von Eyetracking-Daten (von Keitz, 2016, S. 249; Eyevido, 2023d). So arbeitet auch das RTL-Tochterunternehmen ‚Like to Know‘ im Rahmen der Werbeforschung mit einem Multi-Methoden-Ansatz und kombiniert die Eyetracking-Messung stets mit qualitativen Interviews, um das „Warum“ zu hinterfragen und Wirkungszusammenhänge aufzudecken (Marktforschung.de, 2022). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mittels der „Thinking Aloud“-Methode, die Erkenntnisse aus dem Eyetracking aufzuwerten: während das Eyetracking misst, wie lange die Verweildauer auf einem bestimmten AOI ist, erfährt man mit Thinking Aloud warum diese Personen beispielsweise eine Werbung oder ein Produkt länger ansieht (weil es sie anspricht, verwirrt oder fasziniert?). Die Methode kann parallel zur Eyetracking Erhebung (Current Thinking Aloud)8 oder direkt im Anschluss der Eyetracking-Untersuchung (Retrospective Thinking Aloud) (Eyevido, 2023e). Wie der Prozess der Datenerhebung aussehen kann, zeigt exemplarisch Abb. 13.4 anhand einer Smartphone-Eyetracking-Studie wie sie beispielsweise Eye Square durchführt (Eye Square, o. J.). Die Befragungsdaten liefern in Ergänzung zur Aufmerksamkeitsmessung kognitive Informationen wie beispielsweise Antworten auf die Frage: „Welche der folgenden Marken kennst Du?“. 8 Beim Current Thinking Alloud wird die Testpersonen gebeten, alles was sie denkt während sie die
Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte setzt, zu kommentieren.
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Screener Der Fragebogen stellt sicher, dass die richgen Teilnehmer an der Befragung mitmachen (PreBefragung)
Kalibrierung
Qualitätskontrolle durch einen live online Kalibrierungscheck
Aufgabe: Einkauf Eyetracking: Die Einkaufsaufgabe erfolgt im realen Umfeld ohne persönliche Daten aufzunehmen
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PostBefragung Nach dem Eyetracking erfolgt eine Befragung zu Recall und Recognion
Abb. 13.4 Beispiel einer Datenerhebung beim Smartphone-Eyetracking. (Eigene Darstellung)
13.5.2 Ergänzung Eyetracking mit Emotion AI Für Erkenntnisse, die über die visuelle Aufmerksamkeit von Customer Touchpoints hinausgehen, werden in der Praxis weitere KI-basierte „Research Tech“-Methoden wie die automatisierte Gesichtserkennung, Stimmerkennung oder psychophysiologische Verfahren zur Emotionsmessung eingesetzt (Zweigle, 2021, S. 177–180). Die Forschung mit dieser Art von Methoden wird auch Emotion AI (Artifical Intelligence) genannt. Durch die Integration mehrerer Biosensoren wird es Forschenden beispielsweise möglich, einen ganzheitlichen Blick auf die oft unbewussten Emotionen der Rezipienten zu werfen. So bieten Firmen Eyetracking in Kombination mit EDA, EEG, EKG, EMG, Mimikanalyse (Facial Coding) oder Stimmanalyse (Voice Recognition) an.9 Hierfür werden automatisierte Blickaufzeichnungsdaten mit Daten von synchronisierten Biosensoren kombiniert, um die psychophysiologischen Reaktionen des Menschen besser zu verstehen. Pupil Labs, Anbieter für Eyetracking-Brillen, arbeitet mit verschiedenen Softwaretools (iMotions und TEA), die parallel zur Messung der Blickbewegung auch die Biosensorik messen (Pupil Labs, 2023c). Ebenso bietet Affectiva (2023) ein kombiniertes Verfahren für KI-basiertes Eyetracking und Emotion-Tracking an. Dabei setzt Affectiva ebenfalls die iMotions Software in seinen Eyetracking-Brillen ein. Biosenorik-Messungen kommen nicht nur im Zusammenspiel mit Eyetracking-Brillen zum Einsatz. Oculid beispielsweise setzt die Emotion AI von Affectiva auch für das Smartphone-Eyetracking ein, um die Aufmerksamkeitsmessungen mit Emotionsmessungen zu verbinden (Oculid, 2023). Auf eine „Attention-Measurement-Software“, die sowohl Eyetracking-Daten als auch Facial Coding auswertet und hierfür Benchmarks anbietet, hat sich Realeyes (2023) spezialisiert. Ein weiterer Spezialist für die Emotion-AI-Technologie ist Entropik Tech. Das Unternehmen bietet als „One Stop Consumer Research Solution“ neben Eyetracking, Facial
9 EDA (Elektrodermale Aktivität), EEG (Elektroenzephalografie), EKG (Elektrokardiogramm),
EMG (Elektromyographie) sind Messverfahren, die in der Psychophysiologie verwendet werden, um die Reaktionen des Körpers auf verschiedene Stimuli zu untersuchen.
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Coding, Brainwave Mapping (EEG Bluetooth Headset) auch Voice AI (Emotionserkennung per Stimme) an, um Aufmerksamkeit (mittels Eyetracking) und Emotionen via Mimik oder Stimme zu erfassen (Entropiktech, 2023). Ein ähnliches Angebot hat das Münchner Softwareunternehmen Tawny (2022). Beim Testen von TV-Spots beispielsweise werden die Eyetracking-Daten mit verschiedenen Emotionskategorien kombiniert, sodass festgestellt werden kann, ob die Spot-Szenen, die eine starke emotionale Wirkung auf die Zuschauer:innen hatten, mit den Szenen und Details übereinstimmen, auf die die Werbetreibenden den Zuschauenden aufmerksam machen wollten (zur Emotion AI Messung von Tawny siehe Quezada et al., 2021). Die Herausforderung dieser modernen, KI-gestützten Erhebungsmöglichkeiten bleibt allerdings, ob diese Methoden den Forschenden im Vergleich zu den bisher eingesetzten Methoden tatsächlich einen Mehrwert bieten. Die Erkenntnisse aus der Kombination von KI-basiertem Eyetracking plus Emotion-Tracking via Webcam oder Smartphone müssen mindestens genauso gut sein wie die klassischen Ansätze via Infrarot-Eyetracking im Studio kombiniert mit einigen Tiefeninterviews. Vergleichsstudien hierfür liegen derzeit noch nicht öffentlich vor.
13.5.3 Kombiniertes Studiendesign zur Optimierung visueller Customer Touchpoints Eyetracking-Studien werden meist als Ergänzung mit anderen Methoden eingesetzt. Auch wenn sie als ‚Königsweg‘ der kognitiven Forschung bezeichnet werden, weil es dadurch möglich wird, die mentalen Vorgänge der Informationsaufnahme, -verarbeitung und speicherung nachzuweisen (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019, S. 307), liefern sie den Forschenden keine hinreichenden Informationen, wie Touchpoints wirken. Hierfür benötigen sie weiterführende Erkenntnisse darüber, was Menschen am jeweiligen Touchpoint fasziniert, also emotional triggert und was sie überzeugt, also eher rational anspricht. Es geht hier also um die beiden Denksysteme, die Kahneman (2014, S. 32–35) als System 1 (dieses ist intuitiv, automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung) und System 2 (dieses ist rational und lenkt die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten) bezeichnet. Das Institut Eye Square bezeichnet die visuelle Aufmerksamkeit in Anlehnung an Kahneman als System 0, da sie die notwendige Voraussetzung ist, damit die beiden anderen Systeme überhaupt in das menschliche Bewusstsein gelangen können (Eye Square, 2023; Bander et al., 2021). Das ideale Studiendesign zur Optimierung der Customer Touchpoints sollte daher alle drei Systeme messen. Denkbar wäre ein kombinierter Einsatz von Eyetracking mit Emotional-Tracking und einer Befragung. In Abb. 13.5 ist dieses Vorgehen inklusive der möglichen Methoden schematisch dargestellt.
13 Innovatives Eyetracking zur Optimierung von Customer Touchpoints
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Mentaler Prozess
• • • • • •
System 0
System 1
Wahrnehmung
Emoon
Kognion
Eyetracking
Emoon AI
Befragung
Infrarot-staonär Head-mounted Webcam Selfie-Kamera VR Predicve
• • •
Facial Coding Voice AI EDA, EEG, EKG, EMG
System 2
• • •
Recall Recognion Einstellungen
•
Verhalten
Erhebungsmethoden Abb. 13.5 Erhebungsmethoden zur Messung der mentalen Prozesse von Zielgruppen. (Eigene Darstellung)
13.6
Kritische Würdigung der innovativen Eyetracking-Technologien und Ausblick
Die Technologie der Eyetracking-Systeme ist in den letzten Jahren infolge der Digitalisierung sowie vieler neuer Einsatzmöglichkeiten rasant vorangeschritten, sodass es am Markt derzeit viele unterschiedliche Eyetracker-Methoden gibt. Diese Vielfalt fasziniert: vom stationären Infrarot- und mobilen head-mounted Eyetracking, über Webcamund Smartphone- sowie VR-Eyetracking bis hin zum Predictive-Eyetracking, das gänzlich ohne Probanden auskommt. Für Forschende bleibt oft die Qual der Wahl, um unter Kosten-Nutzen-Aspekten das für die Marketing-Fragestellung richtige Studiendesign auszuwählen. Dabei gibt es aus Forschendensicht hinsichtlich der aktuellen Eyetracking-Technologie noch Verbesserungspotenzial (Marktforschung.de, 2022), wie • höhere Präzision bei Eyetracking Headsets und verbesserte Bilderkennungsalgorithmen, • Erhöhung der Datenqualität beim Webcam-Eyetracking (z. B. durch eine gezielte Unterstützung der Probanden, indem diese in Echtzeit auf eine zu stark verändernde Sitzposition oder zu schlechte Lichtverhältnisse hingewiesen werden), • Auswertbarkeit von Web-UX- und Usability-Studien bezüglich der automatisierten und aggregierten Auswertbarkeit, • automatische Auswertung von Smartphone-Eyetracking-Daten (hier gibt es aufgrund der Individualität und Komplexität noch kein automatisiertes Coding-Verfahren) sowie • Interpretationshilfen für (selbstdurchgeführte) Eyetracking-Studien.
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Auf Anbieterseite hat sich durch die Vielfältigkeit der Eyetracking-Optionen ein enormer Wettbewerbsdruck entwickelt. Hier besteht die Herausforderung insbesondere darin, in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung der Auftraggebendendas geeignete Studiendesign anzubieten. Kriterien sind neben dem Kostenaspekt auch Schnelligkeit, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung sowie die Möglichkeit des Vergleichs der eigenen Daten anhand einer Benchmark-Datenbank. Je nachdem, wie genau die Blickregistrierung im Rahmen der Fragestellung erfolgen muss, sollte zwischen einer präziseren infrarotbasierten oder einer Webcam-basierten Messung entschieden werden. Bei vielen Fragestellungen, wie beispielsweise bei Konzepttests im experimentellen Design, reichen die günstigeren Webcam-Eyetracking-Daten meist aus. Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Entscheidung für das geeignete Eyetracking-Verfahren ist die benötigte Überrekrutierungsrate, die für Webcam- und Smartphone-Studien bisher noch notwendig sind (teilweise liegt diese bei 50 % für Webcam-Studien). Für kleinere Elemente auf Touchpoints (z. B. kleine Logos auf Anzeigen), die auch kleinere AOIs erfordern, bieten sich oft höherwertige infrarotbasierte Erhebungen an. Zu beachten ist, dass für die Optimierung von visuellen Customer Touchpoints die Aufmerksamkeitsdaten lediglich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung darstellen. Für die Anwendenden von Eyetracking-Studien stellt sich daher oft die Frage, wie zusätzlich kognitive und emotionale Prozesse bei der Informationsverarbeitung erhoben werden können. Hier erscheinen die vorgestellten Möglichkeiten der Kombination von automatisch erhobenen Aufmerksamkeitsdaten mit KI-basierten Emotionsdaten und anschließender Befragung vielversprechend. Demzufolge gibt es auch hier bereits eine Vielzahl von Anbietern wie Entropik, Tawny, Affectiva, Realeyes, die sich auf die Kombination der Erhebung von Aufmerksamkeits- und Emotionsdaten spezialisiert haben. Inwieweit diese mittels Blickaufzeichnung und Emotion AI automatisierten Insights tatsächlich den Forschenden einen Mehrwert bieten, bleibt abzuwarten. Gleichwohl lohnt es sich für Marketers, die Entwicklung von Eyetracking in Kombination mit Emotion AI weiter zu beobachten. Kritiker des Eyetrackings sehen große Gefahren im Hinblick auf den Schutz der personenbezogenen Daten. Denn es gibt bereits eine Vielzahl von Studien, die zeigt, dass anhand der Augen- und Mimikmessungen Individuen inklusive ihrer bewussten und unbewussten „Daten“ identifiziert werden können. So weisen Kröger et al. (2020) darauf hin, dass sensible Daten der Menschen mittels Eyetracking ausgewertet werden können wie etwa die • biometrische Identität (ähnlich wie Fingerabdrücke), • kognitiven Prozesse, die Einblicke in unbewusste und bewusste Wahrnehmung der Probanden geben und Entscheidungsverhalten vorhersagen können, • Persönlichkeitsmerkmale, • Bewertung von Fähigkeiten (durch das Leseverhalten), • Identifikation von Alter und Geschlecht sowie
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• Rückschlüsse auf individuelle Präferenzen und Abneigungen. Diese Fähigkeiten des modernen Eyetrackings müssen auch von Marketers mit Sorgfalt beachtet werden. Datenschutz wird weiter an Bedeutung gewinnen. Weiterführende Szenarien finden sich bei Monea (2021). Die Verbindung zwischen Augenbewegung und Aufmerksamkeit, die KI-gesteuert permanent über digitale Devices wie Smartphone, Tablets und Desktops gemessen werden kann, könnte für Konsumierende auch zum Nachteil gereichen. Etwa, wenn Werbung sich nicht mehr „wegdrücken“ lässt, weil die KI festgestellt hat, dass die Blicke des Adressaten nicht auf die Werbung gerichtet sind (z. B. auf Banner, Vorspann-Film bei Youtube) und man erst wieder zum eigentlichen Inhalt zurückgelangt, wenn man der Werbung die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt hat. Ganze Vergütungsmodelle der Werbetreibenden könnten durch „Attention“ gestaltet werden (Monea, 2021, S. 243). Auch wenn diese Form der Belohnung für Marketers interessant erscheint, sollten die zu erwartenden Reaktanzen seitens der Konsumierenden nicht außer Acht gelassen werden. Die Times schrieb jüngst „If the Metaverse is left unregulated, companies will track your gaze and emotions“ und appelliert an eine Regulierung zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Nutzenden des Metaverse (Wheeler, 2022). Für Marktforschende bedeutet das mehr denn je, die DSGVO-Richtlinien bei Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung von Eyetracking und Emotional-Tracking-Daten zu beachten und zu wahren.
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Prof. Dr. Tanja Marlen Zweigle ist seit 2020 Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing Management an der IU Internationalen Hochschule in Düsseldorf. Ihre Forschungsinteressen liegen im digitalen Marketing, im Marken- und Kommunikationsmanagement, im Konsumentenverhalten sowie in der Marktforschung. Mit ihrer Marketingberatung i4m insights4management berät sie als selbstständige Research- und Insights-Expertin verschiedene Praxisunternehmen. Vor ihrer Lehrtätigkeit und Selbstständigkeit war sie in unterschiedlichen Beratungsfirmen, u. a. bei GfK und BBDO Consulting (heute Batten & Company), in leitenden Positionen tätig. Sie ist persönliches Mitglied im Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM).
Chatbot-Lösungen als Beitrag zur Automatisierung der Kundenkommunikation. Einsatzszenarien und Best-Practice-Lösungen am Beispiel der E.ON AG
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Boris A. Becker, Alexander Rühle und Karyna Neumann
Zusammenfassung
Chatbots bzw. Conversational-User-Interface-Lösungen erfreuen sich wachsender Beliebtheit und wurden bereits erfolgreich bei Unternehmen an der Kundenschnittstelle implementiert. Dennoch wurden in der bisherigen Forschung Herausforderungen im Umgang mit CUI-Lösungen identifiziert. So wird der Uncanny-Valley-Effekt thematisiert, welcher auf die erschreckende Wirkung der menschenähnlichen Züge von CUIs abhebt. An diesen Diskurs soll der vorliegende Beitrag anschließen, indem an die Erfahrungen mit Tochtergesellschaften des Unternehmens E.ON, die bereits ChatbotsLösungen einsetzen, angeknüpft wird. Dabei werden die Chancen und Fallstricke von Chatbots im Sinne einer Case Study näher untersucht. Zu diesem Zwecke wurden unter Einbezug theoretischer Vorarbeiten mit den Mitarbeitenden von E.ON Experteninterviews geführt, um Rückschlüsse für Unternehmen aus der Energiebranche und ggf. darüber hinaus im Hinblick auf Einsatzrestriktionen solcher Chatbot-Lösungen zu generieren.
B. A. Becker (B) · A. Rühle HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Rühle E-Mail: [email protected] K. Neumann E.ON Digital Technology GmbH, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_14
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B. A. Becker et al.
Einleitung
Lange Zeit waren die Menschen fasziniert von der Idee, mit Computern ohne Hindernisse zu kommunizieren. Diese Idee wurde in vielen Büchern und Science-Fiction-Filmen aufgegriffen. Durch Fortschritte in Künstlicher Intelligenz (KI) ist es nun möglich, auf natürliche Weise mit Maschinen zu sprechen – in unserer Sprache (McTear et al., 2016). Die Technologie, die die Mensch-Maschine-Kommunikation ermöglicht, wird als „Conversational AI“ oder „Conversational User Interface (CUI)“ bezeichnet. Sie nutzt maschinelles Lernen und Verarbeitung von natürlicher Sprache, um menschliche Sprache zu erkennen und in Befehle zu übersetzen (IBM, 2020). Tech-Konzerne wie Apple, Google, Samsung, Microsoft, Amazon und Meta investieren Milliarden in die Entwicklung von KI-basierten Chat-Benutzeroberflächen (CUI), da Kund:innen immer mehr gewohnt sind, über Chat oder andere CUI-Technologien mit Marken zu kommunizieren (Accenture, 2016). Insofern ist es für Unternehmen essenziell, diese Möglichkeiten zu nutzen und insbesondere richtig und erfolgreich zu implementieren. Hierzu soll der folgende Beitrag einen Mehrwert bieten, indem auf die Frage nach den Erfolgsfaktoren im Zusammenspiel von theoretischen Vorarbeiten und konkreten Use Cases der E.ON AG rekurriert wird. Dabei werden interne unternehmensbezogene Voraussetzungen genauso aufgegriffen wie Fragen nach dem externen Druck durch z. B. die allgemeine Branchendynamik sowie den generellen Mehrwert durch Einzahlungen auf den Markenwert. Das Zusammenspiel dieser Faktoren ist vielschichtig und erlaubt dennoch einige teils überraschende Einblicke bzw. Schlussfolgerungen. Der Beitrag besteht aus einem Grundlagenteil zum besseren Verständnis von CUILösungen sowie theoretischen Vorarbeiten, die herangezogen worden sind. Aufbauend auf diesem Vorwissen werden im Methodenteil die Konzeption der Leitfäden sowie die Interviewpartner:innen der konkreten Use Cases vorgestellt. Es folgt der Abschnitt zu den Kernergebnissen, die durch ein deduktiv-induktives qualitatives Verfahren gewonnen wurden, um sodann die wesentlichen Schlussfolgerungen zu präsentieren.
14.2
Grundlagen
14.2.1 Was ist Conversational User Interface? Conversational User Interface (CUI) ist eine Technologie, die Text- oder Sprachausgabe in natürlicher Sprache (z. B. Deutsch) verwendet und mit der Zeit aus diesen Interaktionen lernen kann (Sotolongo & Copulsky et al., 2018). CUI sind unter Begriffen wie Bots, Chatbots, virtuelle Agenten, digitale Assistenten, konversationelle KI und mehr bekannt (Shevat, 2017, S. 2) und werden in zwei Arten unterteilt: Chat-Assistenten oder Chatbots (mit Texteingabe) und Sprachassistenten oder Voice Bots (mit gesprochener Eingabe).
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Juniper Research definiert Chatbots als „ein Computerprogramm, das eine Technologie nutzt, die darauf ausgelegt ist, Konversationsinteraktionen mit menschlichen Nutzern zu simulieren, und das auch automatisierte Prozesse beinhalten kann, die durch diese Interaktionen ausgelöst werden“ (Woodford, 2020, S. 1). Voicebots hingegen werden definiert als „ein digitaler Sprachassistent als Softwareprogramm, das mit der Absicht entwickelt wurde, die Rolle eines persönlichen Assistenten ganz oder teilweise zu übernehmen, und das seine Anweisungen vom Benutzer über das Medium der Sprache erhält“ (Moar & Escherich, 2020, S. 1). Bots nutzen Konversation als Schnittstelle für automatisierte Aufgaben oder sich wiederholende Geschäftsprozesse (BI Intelligence, 2016). Die textbasierten Bots können von sehr einfachen Typen wie die Erkennung von Schlüsselwörtern bis hin zur Erkennung von Mustern, dem Verfolgen von Kontexten und dem Lernen aus früheren Gesprächen aufgebaut werden (Artificial Solutions, 2020). Trotz der gängigen CUI, die bereits seit einigen Jahren verfügbar ist, gibt es eine neue Technologie, die an Popularität gewonnen hat, nachdem sie im Juni 2020 in einem Betatest veröffentlicht wurde – Chat GPT-3. Diese Technologie ist in der Lage, sich abwechselnd mit den Nutzenden zu unterhalten und entsprechend auf die Fragen zu antworten. Die Tatsache, dass es Chat GPT-3 gibt, ist die größte Veränderung in der Art und Weise, wie die natürliche Sprache genutzt wird (Floridi & Chiriatti, 2020). Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Chat GPT-3 wird das neuere, größere und fortschrittlichere Modell GPT-4 im Jahr 2023 auf den Markt kommen. Es wird erwartet, dass es sich hauptsächlich auf das Sprachmodell konzentriert und andere Funktionalitäten, wie z. B. das Bilderzeugungsprodukt DALL-E, ausspart. Dieses Mal liegt der Schwerpunkt auf der Verbesserung des Sprachverständnisses und der allgemeinen Sprachentwicklung, die in naher Zukunft eine große Rolle für die CUI-Qualität spielen werden (Romero, 2022). Der Trend zur Einführung von CUI begann im letzten Jahrzehnt, als weltweit immer mehr mobile Geräte eingesetzt wurden, was natürlich die Anwendungen und Interaktionen auf Webplattformen und Websites in den Hintergrund drängte und die Anbietenden veranlasste, mehr mobilfreundliche mobile Apps zu entwickeln. Obwohl dies zu einem extremen Überangebot an verschiedenen Apps auf dem Markt führte, waren die am meisten nachgefragten Apps Messaging-Apps. Obwohl die Nutzer:innen weltweit zahlreiche Apps auf ihren Geräten haben, verbringen sie die meiste Zeit mit Chatten. Dies eröffnete neue Möglichkeiten für Unternehmen und Marken, um für ihre Kund:innen auf diesen Plattformen besser erreichbar zu sein (Shevat, 2017). Doch nicht alle CUI werden zum Nutzen der Kundenerfahrung entwickelt. In ihrem Buch spricht Cathy Pearl über die Tendenz, Bots „nur um des Hinzufügens willen“ einzuführen, ohne zu bewerten, ob es einen echten Nutzen für die Endkund:innen gibt. Die Autorin stellt fest, dass sich CUI nicht nur auf die Verbesserung der Unternehmenseffizienz konzentrieren darf, sondern auch auf die Bereitstellung des Nutzens für ihre Kundschaft. In den letzten Jahren gaben etwa 70 % der Kundschaft an, lieber mit
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Menschen als mit CUI zu sprechen. Der Grund ist, dass Menschen nach wie vor präzisere Antworten auf die Probleme der Kund:innen geben als Bots und einen persönlicheren Ansatz haben als Maschinen (Pearl, 2016, S. 11). Daher ist die Nutzenstiftung eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz von CUI-Lösungen (Diers, 2020, S. 12). Darüber hinaus beeinflusst die Einführung einer neuen Technologie auch die Markenwahrnehmung, was berücksichtigt werden muss. Daher werden im folgenden Abschnitt die Auswirkungen diskutiert und die Rolle für Unternehmen näher erörtert.
14.2.2 Der Einfluss der Technologie auf die Markenwahrnehmung Management Study Guide (o. J.) besagt, dass die kundenseitige Wahrnehmung einer Marke auf Emotionen beruht und sich aus den subjektiven Wahrnehmungen der Verbraucher:innen zusammensetzt. Unternehmen können ihre eigene Markenwahrnehmung nicht erschaffen, sie kann nur mit der Zeit durch die vergangenen Erfahrungen oder Geschichten der Verbraucher:innen geformt werden. Es versteht sich von selbst, dass sich ein positives Markenimage und eine positive Markenwahrnehmung positiv auf den Markenwert und den Goodwill auswirken. Laut Yao et al. (2019) wirkt sich die Einführung einer neuen Technologie in eine Unternehmensstrategie positiv auf die Marke und ihren Marktwert aus. Darüber hinaus ermöglicht sie es den Unternehmen, die Bedürfnisse der Kund:innen schneller zu erfüllen, was die Kosten der Kund:innen für die Verarbeitung einer Vielzahl von Informationen verringert (Sirilli & Evangelista, 1998). Andere Wissenschaftler:innen beschreiben auch, dass die Einführung einer neuen Technologie, die den Verbraucher:innen mehr Komfort und Bequemlichkeit bietet, stark zu einer höheren Kundenzufriedenheit und damit zu einem besseren Markenimage beiträgt (Zhang et al., 2013). Derzeit gibt es viele Unternehmen, die CUI für den automatisierten Kundensupport einsetzen, um eine bessere Nutzererfahrung über alle digitalen Kanäle hinweg zu bieten (Forrester, 2019). Einige Unternehmen haben bereits damit begonnen, CUI für ihre verbraucherorientierten Produkte zu nutzen, vor allem in den Bereichen Vertrieb, Marketing oder Kundensupport (BI Intelligence, 2016). Von Unternehmen, die CUI bereits in ihren digitalen Kanälen einsetzen, wird erwartet, dass sie die Loyalität der Kundschaft erhöhen und den Markenwert steigern (Subirana et al., 2018, S. 4). Etwa 30 % der Kund:innen geben an, dass Marken, die CUI in ihrer digitalen Strategie einsetzen, als technikaffiner und stärker auf ein positives Kundenerlebnis ausgerichtet wahrgenommen werden, während andere der Meinung sind, dass CUI Marken in keiner Weise beeinflusst (Zingle, 2019). Es wird erwartet, dass CUI Unternehmen helfen wird, ihre Kosten zu senken, neue Umsatzmöglichkeiten zu schaffen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln (Etlinger & Altimeter, 2017, S. 4). Einige Marketingexpert:innen haben beispielsweise festgestellt,
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dass CUI in hohem Maße genutzt werden kann, um Erkenntnisse zu gewinnen und Kundenbedürfnisse schneller zu erfüllen (Sotolongo & Copulsky et al., 2018), indem ein personalisierteres Erlebnis angeboten wird, das dazu beiträgt, die Beziehung zwischen einer Marke und der Kundschaft zu stärken (Overend et al., 2019, S. 9). Mehr als 70 % der Marken mit Kundenkontakt haben von messbaren Vorteilen durch die Einführung von Chat- und/oder Voicebots in ihrer digitalen Kanalstrategie berichtet (Taylor et al., 2019, S. 19). Trotz der Tatsache, dass CUI in den Strategien vieler Marken weitgehend präsent ist, gibt es immer noch einen Mangel an Studien über die Auswirkungen der Technologie auf markenbezogene Ergebnisse (Araujo, 2018, S. 182). Das Capgemini Research Institute hat untersucht, dass eine positive Erfahrung mit den Konversationsschnittstellen einer Marke verschiedene positive Auswirkungen auf die Markenwahrnehmung der Kundschaft haben kann, genauer gesagt: höheres Markenvertrauen, positive Mundpropaganda und höhere Bewertungen in sozialen Medien, basierend auf den Antworten von 12.247 Kund:innen, die Sprach- und Chat-Assistenten nutzen (Taylor et al., 2019, S. 21–22). Gleichzeitig frustriert eine schlecht gestaltete Konversationsschnittstelle die Nutzenden und schadet somit der Marke (Brandtzaeg & Følstad, 2018). Ein möglicher Grund hierfür kann sein, dass man der CUI zu viele menschliche Züge verleiht, sodass Bots fast wie echte Menschen aussehen und sich auch so anfühlen. Einerseits wirkt sich eine vermenschlichte CUI positiv auf die Nutzer:innen aus, da sie mehr menschliche Züge besitzt und sie sich daher besser damit identifizieren können (Burgoon et al., 2016). Andererseits kann die Vermenschlichung bei der Interaktion mit dem Roboter seltsame negative Gefühle hervorrufen (Mori et al., 2012). Vor mehr als 50 Jahren stellte Masahiro Mori (1970), Professor für Robotik am Tokyo Institute of Technology, die Hypothese auf, dass eine Interaktion mit einem menschenähnlichen Roboter – der aber dennoch nicht identisch zu einem Menschen ist – zu einer Verschiebung der Affinität führt und in dem sogenannten „Unheimlichen Tal“ („Uncanny Valley“-Effekt) landet. Dieser Effekt beschreibt anschaulich, wie mit zunehmenden Grad an Vermenschlichung einer CUI ein Mensch vor der Interaktion zurückschreckt und das nötige Vertrauen verliert. Es entsteht ein Tal, welches nach Mori et al. (2012) Assoziationen vergleichbar mit denen eines Untoten bzw. „Zombies“ weckt und somit kontraproduktiv ist. Die nötige Akzeptanz steigt erst ab einem sehr hohen Grad der Vermenschlichung wieder an (Sieber, 2019, S. 160). Daher stellt sich die Frage nach der Art und Weise der Vermenschlichung eines Avatars. Auf der einen Seite sollen Chatbots und Sprachroboter menschliche soziale Interaktionen nachahmen, die bei den Verbraucher:innen immer noch ganz oben auf der Wunschliste stehen. Nach dem Paradigma Computer Are Social Actors (CASA) behandeln Menschen Technologien wie Menschen, ohne sich dessen bewusst zu sein (Reeves & Nass, 1996). Auf der anderen Seite, wenn CUI einen hyperrealistischen Avatar haben, der fast wie ein Mensch aussieht, könnten die Nutzenden ein Gefühl des Unbehagens oder des Unheimlichen Tals bekommen und den Chatbot nicht wieder benutzen. Darüber hinaus ist erwiesen,
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dass das Vertrauen in einen Bot sinkt, wenn das Erscheinungsbild eines Avatars unvollkommen menschlich ist, was sich negativ auf die Markenwahrnehmung auswirkt (Song & Shin, 2022). Daher sollte die Dialogführung auch nicht im Sinne einer natürlichen Person gestaltet werden (Sieber, 2019, S. 160).
14.3
Case Study E.ON – Theoretischer Hintergrund
Die Fallstudie wurde zusammen mit dem internationalen Energieunternehmen E.ON durchgeführt, das in 13 europäischen Ländern tätig ist und CUI in seinem Kundenservice einsetzt. Der Schwerpunkt lag dabei auf den drei Tochtergesellschaften in Deutschland und den Niederlanden: 1. Essent N.V. (inkl. Energiedirect.nl N.V.) – der größte Strom- und Gasanbieter für Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen in den Niederlanden. 2. E WIE EINFACH GmbH – Strom- und Gasanbieter für Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland. 3. E.ON Grid Solutions GmbH – digitaler Dienstleister für Verteilnetz- und Messstellenbetrieb in Deutschland. Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, bedarf es einer professionellen Umsetzung einer CUI-Lösung, um die angestrebten Mehrwerte im Sinne der Einzahlung auf den Markenwert nicht zu konterkarieren. Die Frage stellt sich daher, inwieweit sich durch die Erfahrungen einzelner Tochtergesellschaften von E.ON Erfolgsfaktoren identifizieren lassen, die die Energiebranche und ggf. darüber hinausgehende Einsatzfelder bzw. Branchen betreffen und als Handlungsempfehlungen einen gewissen generalistischen Charakter entfalten können. Um diese Frage näher zu beantworten, wird im Folgenden der theoretische Rahmen näher erörtert, welcher die Grundlage der Analyse bildet. In Anlehnung an Cardona et al. (2019) ist die sogenannte Adaption von CUI-Lösungen im Sinne der Akzeptanz auf Kundenebene das erklärte Ziel. Im Unterschied dazu rekurriert der Begriff der Diffusion auf die Verbreitung einer Technologie innerhalb eines Marktes oder einer Industrie (Bui 2015, zitiert nach Cardona et al., (2019, S. 3). Wenngleich dieses Makro-Ziel ebenfalls erstrebenswert ist, geht es in allererster Linie zunächst um die Kundenakzeptanz auf der Mikro-Ebene. Da der Beitrag auf die Erfolgsfaktoren bzw. Rahmenbedingungen zur Adaption von CUI-Lösungen abhebt, bietet sich auf Organisations-Ebene das TOE(Technology, Organization, Environment)-Modell von Tornatzky et al. (1990) an, da es gemäß Cardona et al. (2019, S. 4) die Identifikation von Erfolgsfaktoren zur Adaption eine Technologie erlaubt. Es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der die Rahmenbindungen ausdifferenziert und auf jene Unternehmen abhebt, welche in Form der Tochtergesellschaften von E.ON im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen.
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Gemäß der Terminologie des TOE-Modells umfasst dieses die technologischen, organisationalen und umfeldbezogenen Kontextbedingungen, die den Adaptionsprozess im Allgemeinen beeinflussen (Oliviera, 2011, S. 112). Der organisationale Kontext umfasst die internen Strukturen, was Kommunikationsprozesse zwischen Abteilungen betrifft. Hier gelten cross-funktionale Teams und formale bzw. informale Verbindungen abteilungsübergreifend als zielführend für die Adaptionsmöglichkeiten. Insgesamt sind dezentrale und agile Strukturen von Vorteil (Baker, 2011, Zeile 100–102). Gleichzeitig ist die Frage nach der Größe des Unternehmens nicht zwingend mit der Adaptionsmöglichkeit kausal verknüpft. Vielmehr spielen hier indirekt Variablen wie die Verfügbarkeit von Ressourcen die ausschlagende Rolle, sodass die Größe eines Unternehmens in der Pauschalität immer kritisch zu hinterfragen ist (Baker, 2011: Zeile 133). Die technologischen Kontextbedingungen zielen sowohl auf die im Unternehmen intern verfügbaren technischen Ressourcen als auch auf die extern am Markt verfügbaren technologischen Lösungen. Der Grad der technologischen Kompetenz ist wesentlich für die Gestaltung der Adaption, wenngleich auch der Neuigkeitsgrad der auf dem Markt verfügbaren Technologie eine wesentliche Bedeutung hat. Hier wird zwischen Veränderungen bestehender Produkte wie neuen Versionen im Sinne von inkrementellen Innovationen und gänzlich neuen Anwendungen im Sinne von disruptiven Innovationen unterschieden. Letzteres kann durchaus auch zerstörerisches Potenzial in Bezug auf intern bestehende Kompetenzen entfalten, da bestimmte Kompetenzen obsolet bzw. substituiert werden (Ettlie et al., 1984 zitiert nach Baker, 2011, Zeile 65). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist die CUI-Lösung angesichts des technologischen Neuigkeitsgrades (vgl. Abschn. 2.1) als disruptiv einzuordnen mit entsprechenden möglichen Konsequenzen für die Mitarbeitenden und das Unternehmen insgesamt. In der Logik des TOE-Modells geht es in der letzten Dimension, dem umfeldbezogenen Kontext, um die Rahmenbedingungen, die die Adaption durch das Unternehmen beeinflussen. Darunter sind branchenbezogene Dynamiken ebenso wie die Konkurrenzsituation sowie staatliche Strukturen und Limitationen zu subsumieren (Tornatzky & Fleischer, 1990; zitiert nach Oliviera, 2011, S. 112). In der vorliegenden Studie wird diese Dimension angesichts der hiesigen Forschungsfrage als zu pauschal wahrgenommen und stärker spezifiziert. Zum einen sollte der aktuellen Energiekrise als externem Schock Rechnung getragen und diese entsprechend thematisiert werden. Zum anderen gilt es die Frage nach der Einzahlung auf den Markenwert im Sinne von organisatorischen Vorteilen und Mehrwerten zu berücksichtigen. Beide Aspekte werden in dieser Form nicht im TOE-Modell berücksichtigt. In der bisherigen Forschung wurde das TOE-Modell aber bereits vielfach mit anderen theoretischen Ansätzen erfolgreich kombiniert (vgl. Übersicht von Oliviera, 2011, S. 117). In dieser Hinsicht bietet sich das Vorgehen von z. B. Hsu et al. (2006) an (vgl. Oliviera, 2011, S. 119), nach der das Modell Charalambos et al. (1995) Abhilfe schaffen kann. In Anlehnung an andere Autor:innen wie u. a. Rogers und seine Diffusionstheorie wurden hier mit besonderem Fokus auf kleine Unternehmen die Dimensionen der wahrgenommenen Mehrwerte, des organisationalen Reifegrads und des
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externen Drucks abgeleitet (Iacovou et al., 1995, S. 466–467). Während der organisationale Reifegrad durch die organisationalen und technologischen Bedingungen im Rahmen des TOE-Modells bereits hinreichend Berücksichtigung findet, wurden die anderen beiden Dimensionen im Rahmen des Fragebogens ausdifferenziert (vgl. Methodenteil) und als sinnvolle Ergänzung zur Theoriebasis interpretiert.
14.4
Empirisch qualitative Untersuchung – CUI-Einsatz bei E.ON
Im folgenden Abschnitt erfolgt eine qualitative Inhaltsanalyse, die zunächst die methodische Vorgehensweise (Abschn. 14.4.1) beinhaltet. In einem weiteren Schritt soll die Konzeption des Leitfadens (Abschn. 1.4.2) näher erläutert werden, um im Anschluss die drei Expert:innen näher vorzustellen und deren Eignung für die Interviews nachzuweisen (Abschn. 1.4.3). Daran anschließend werden die Inhalte analysiert und Schlussfolgerungen für die Unternehmenspraxis abgeleitet (Abschn. 1.4.4).
14.4.1 Methodische Vorgehensweise Als Methodik wird ein qualitativer Forschungsansatz gewählt, der eine systematische Analyse der Interviews mit den Mitarbeitenden von E.ON beinhaltet. Hierfür findet ein halbstandardisiertes Interview Verwendung, das Wissen und Beobachtungen der Interviewpartner zum Gegenstand hat und diesen freistellt, wie sie die Fragen beantworten. Der Interviewende hingegen sollte sich in der Regel an die vorformulierten Fragen und deren feste Reihenfolgestruktur halten (Gläser & Laudel, 2010, S. 40–41). Die drei Expert:innen wurden in einem Zeitraum zwischen Dezember 2022 und Januar 2023 über die Onlineplattform Zoom getrennt voneinander befragt; die Interviews dauerten jeweils ca. 25 bis 30 min. Mit dem Anklicken „Bestätigung Aufnahme“ via Zoom gaben die Interviewten ihr Einverständnis zur technischen Aufzeichnung der Befragung. Um eine wortgetreue Verschriftlichung der Befragungen zu gewährleisten, wurde dann die aufgezeichnete Audiospur verwendet, die im Gegensatz zu einem Gedächtnisprotokoll beispielsweise eine höhere Genauigkeit und eine bessere Dokumentation der Dateninhalte aufweist sowie die Möglichkeit wörtlicher Zitate bietet (Kuckartz, 2018, S. 165). Die Transkription der Audioaufzeichnungen erfolgte mittels der Spracherkennungssoftware fx4 (www.audiotranskription.de). Für die anschließende Auswertung und Interpretation der gewonnenen Daten verwendeten die Autor:innen das Softwareprogramm QCAmap (vgl. bspw. Mayring, 2020, QCAmap Step by Step – a Software Handbook).
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14.4.2 Konzeption des Leitfadens Neben einer besseren Strukturierung des betrachteten Themenbereichs dienen Leitfadenkonstruktionen auch der Orientierung in der Befragungssituation (Bogner et al., 2014, S. 27). Um eine spätere Vergleichbarkeit der Interview-Antworten zu gewährleisten, sollten die Fragen bereits im Vorfeld festgelegt werden (Loosen, 2016, S. 144–145). Für die vorliegende Untersuchung wurden insgesamt drei Themenblöcke bestimmt. Nach einer kurzen Begrüßung durch die drei Autor:innen wurden die Teilnehmenden zunächst zu Werdegang, Tätigkeiten und Aufgabenbereichen im Unternehmen befragt (Block 1). Dies sollte insbesondere den tatsächlichen Expertenstatus der Interviewten und somit deren fachliche Eignung sicherstellen (detaillierte Darstellung siehe Abschn. 1.4.3). Im Hauptteil der Befragung (Block 2) wurden die aus dem theoretischen Grundlagenteil abgeleiteten vier deduktiven Kategorien thematisiert, die sich aus den Leitfragen mit eventuellen Unterfragen zusammensetzten. Im ersten Themenabschnitt wurde nach den Nutzenvorteilen hinsichtlich des Einsatzes von CUI gefragt, insbesondere nach Aspekten der positiven Kundensicht, Kundenzufriedenheit, besserem Branding, sowie Kostenvorteilen bzgl. CUI aus Unternehmenssicht. Der zweite Themenkomplex behandelte die Voraussetzungen für das Unternehmen, um CUI überhaupt nutzen zu können: Welche technologischen Systeme und Anforderungen sind erforderlich und wie sollten die Fähigkeiten und Kompetenzen der (technischen) Teams aussehen? Zudem wurde nach den sich daraus ergebenden Potenzialen für die Unternehmen von E.ON gefragt, falls CUI-Lösungen verwendet werden. Im dritten Themenabschnitt wurden die internen Unternehmensstrukturen näher beleuchtet und die Frage, inwieweit die Entscheidungsautonomie der Subunternehmen durch zentrale Vorgaben des Mutterkonzerns E.ON beeinflusst wird oder ob eher dezentrale Organisationsstrukturen vorherrschen. Neben den internen Kommunikationsprozessen innerhalb bzw. zwischen den einzelnen Unternehmensabteilungen spielte auch die Frage nach der internationalen Ausrichtung von E.ON bzgl. CUI-Lösungen eine Rolle. Im vierten und letzten Themenkomplex lag der Fokus auf der unternehmensexternen Sicht und den Herausforderungen hinsichtlich CUI-Anwendungen. So wurde im Rahmen der Umweltanalyse bspw. nach dem Entwicklungsstand der Wettbewerber gefragt oder die Erwartungshaltung der Kund:innen bzgl. CUI-Lösungen eruiert. Auch fanden aktuelle Ereignisse wie zum Beispiel die Energiekrise Berücksichtigung, die den Einsatz bzw. Fortschritt von CUI bei einem Unternehmen der Energiebranche beeinflussen könnten. Abschließend konnten die Expert:innen im Rahmen des Leitfadens weitere Anmerkungen machen bzw. Fragen stellen, um bisher nicht berücksichtigte Teilaspekte zu thematisieren (Block 3).
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14.4.3 Vorstellung der E.ON Expert:innen Jesco Fuchs (im Folgenden J.F.) wurde in seiner Rolle als Product Owner für Kundenchat bei E WIE EINFACH GmbH befragt. Er hat mehr als sieben Jahre Berufserfahrung als User Experience Manager und beschäftigt sich überwiegend mit der Entwicklung und Implementierung von KI-gesteuerten Prozessen im Kundenservicebereich. Seit drei Jahren arbeitet er als Product Owner des mehrfach ausgezeichneten Kundenservice-Chats bei E WIE EINFACH (Interview 1, I1). Daniëlle Scheers (im Folgenden D.S.) wurde in ihrer Rolle als Digitale Spezialistin für CUI bei Essent befragt. Sie arbeitet seit mehr als 15 Jahren in der Energiebranche an der Mission, den Kund:innen ein Serviceerlebnis mit geringem Aufwand zu bieten. Die letzten 2,5 Jahre konzentrierte sie sich auf CUI-Entwicklung und -Optimierung bei Essent. Hier bringt sie ihr Fachwissen über die Analyse des Kundenfeedbacks ein und sucht nach Möglichkeiten, den Kundenkontakt so weit wie möglich und wünschenswert zu automatisieren. Sie steht immer in engem Kontakt mit anderen Abteilungen, um das beste Omnichannel-Kundenerlebnis zu gewährleisten (Interview 2, I2). Matthias Zirngibl (im Folgenden M.Z.) wurde in seiner Funktion als Referent für Digitalisierung und Kundenlösungen des E.ON Grid Solutions GmbH befragt. Er arbeitet als Product Owner im Bereich Chat und Chatbot für einen der größten Netzbetreiber Deutschlands. Durch die steigende Bedeutung von digitalen Kundenlösungen im Bereich der Energiewirtschaft ist es für die Forschung zielführend, einen Experten mit praxisnahem Hintergrund in die Untersuchung einzubeziehen. M.Z. stellt in diesem Zusammenhang einen Experten dar, da er aufgrund seiner Erfahrung und Zusammenarbeit mit den renommiertesten Technologieunternehmen (Microsoft, Nuance Communications, Assono etc.) ein hohes Maß an zukunftsorientiertem internen Wissen über die Automatisierung rund um Customer Service verfügt (Interview 3, I3).
14.4.4 Qualitative Inhaltsanalyse und Handlungsempfehlungen Die zentralen Aspekte aus der ersten Kategorie lassen sich unter dem Begriff wahrgenommene Nutzenvorteile bzgl. CUI subsumieren. Im Hinblick auf die drei betrachteten Unternehmenstöchter von E.ON wird deutlich, dass CUI-Lösungen bereits vielfach eingesetzt werden und sich daraus konkrete Nutzen für die Kundschaft ableiten lassen. So können durch CUI (Chat, Messaging, Social Media) beispielsweise die Erreichbarkeit erhöht und bestimmte Anliegen schneller bearbeitet werden, sodass der Anteil der Automatisierung durch das Unternehmen in den nächsten Jahren sukzessive gesteigert werden soll (J.F., I1). Dabei zeigt sich, dass Jüngere offensichtlich eher bereit sind als Ältere, mit einem Computer-Bot zu kommunizieren, und sich somit die Frage stellt, inwieweit grundsätzlich eine „Erziehung“ bzgl. der Nutzung von digitalen Kanälen erfolgen soll (M.Z., I3). Ein Ansatz könnte eine kombinierte Strategie aus Bot-Kommunikation und
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Callcenter-Agent:innen sein: Für einfachere Fragen (bspw. Beantwortung von FAQ) finden Bots Anwendung, während für komplexere Aufgaben ein Agent bzw. eine Agentin einen tatsächlichen Mehrwert im Rahmen der persönlichen Kommunikation bietet (D.S, I2). Bei E.ON Grid Solutions werden ca. die Hälfte der Chatanfragen von Chatbots abgedeckt und erhebliche Kosteneinsparungen erzielt; im Falle der Weiterleitung an einen Servicemitarbeitenden kann das Chattranskript die bereits abgefragten Kundendaten bereitstellen (M.Z., I3). Zudem wird es durch die Weiterentwicklung der Software für Kund:innen zunehmend schwieriger, eine qualitative Unterscheidung zwischen den Live-Kontakten und automatisierten Systemen zu erkennen, was sich auch in positiven Kundenbewertungen bzgl. CUI widerspiegeln kann (J.F., I1). „E WIE EINFACH“ konnte im Jahr 2022 durch den Einsatz von CUI hohe NPS (Net Promoter Score als Maß der Weiterempfehlungsbereitschaft) und CSAT Werte erzielen (J.F., I1). Bei der niederländischen E.ON-Tochter energiedirect.nl, die ebenfalls eine eher jüngere Zielgruppe anspricht, hat man die telefonische Kontaktmöglichkeit gänzlich aufgegeben und konzentriert sich im Rahmen einer Full-Service Brand auf digitale Kanäle der Ansprache („Digital Only“-Ausrichtung) (D.S., I2). Grundsätzlich lässt sich für die Kategorie Nutzenvorteile festhalten, dass durch den Einsatz von CUI-Lösungen bestimmte Kennzahlen, wie die Kundenzufriedenheit, das Markenimage und der NPS, positiv beeinflusst werden können und daraus eine höhere Kundenbindung (z. B. durch längere Vertragslaufzeiten) resultieren kann (J.F., I1). Für die zweite Kategorie wurde im Zusammenhang von CUI-Anwendungen nach den Voraussetzungen und Potenzialen hinsichtlich der Technologie gefragt. Das Tochterunternehmen von E.ON „E WIE EINFACH“ nutzt zur Umsetzung von Chat-Lösungen eine deutsche weltweit führende NLU (Natural Language Understanding)-Plattform. Zudem wird über ein CRM-System die Chat-Automatisierung implementiert, wobei die Call-Center-Agent:innen die Möglichkeit haben, mittels User Dashboard den Chat zu bearbeiten bzw. bei Bedarf direkt darauf einzuwirken (J.F., I1). Der API (Application Programming Interface) als Schnittstelle zwischen Chatbot und CRM-System kommt dabei eine zentrale Rolle zu, um Daten zu gewinnen und für geeignete Kundenmaßnahmen auszuwerten (M.Z., I3). Relevante Informationen bzgl. des Chatverlaufs können z. B. sein, wie lange der Chat gedauert hat, welche Themen besonders häufig angesprochen wurden, inwieweit die Wortwahl des Programms verständlich formuliert wurde und ob Anpassungen bzw. Erweiterungen vorzunehmen sind (M.Z., I3). Derzeit werden bei E.ON Grid Solutions bzgl. CUI noch fest formulierte Antworten auf Kundenanfragen präsentiert, für die eine eigene Abteilung der Kundenkommunikation verantwortlich ist und die sich mit dem passenden „Wording“ in der Kundeninteraktion beschäftigt. Selbstlernende automatische Prozesse finden derzeit noch keine Anwendung, sollen jedoch demnächst angestoßen werden (M.Z., I3). Für die technologische Umsetzung bedeutet dies, dass im Zusammenhang mit CUI zukünftig verstärkt auf ein
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Baukastenprinzip gesetzt werden könnte (ähnlich wie seit einiger Zeit bei der Webseitenerstellung) und damit die Anforderungen auf der Programmier- und Entwicklerebene verringert werden. Die Herausforderungen liegen dabei eher im Trainieren der KI durch Beispielsätze mit dem Ziel, Kundenintentionen besser zu verstehen (J.F., I1). Folglich ist die Art und Weise des Sprachgebrauchs von Bedeutung, d. h., soll der Bot bspw. wie ein Kundenberater mit Fachbegriffen klingen oder eher vereinfachende Sprache bzw. Jugendsprache verwenden? (M.Z., I3) Auch das Erkennen und Anwenden unterschiedlicher Sprachen spielt an dieser Stelle eine entscheidende Rolle (D.S., I2). Der Einsatz von CUI-Lösungen erfordert insgesamt bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeitenden. Neben einem guten technischen Verständnis für automatisierte Abläufe und Kernprozesse ist auch ein hohes empathisches Verständnis essenziell, da der Chatbot oft als vorgeschaltetes Medium fungiert und man die Kundenwünsche, die der Bot nicht erfüllt hat, anschließend richtig interpretieren muss: „Ich glaube, da müssen die Agenten teilweise detektivische Skills mitbringen, um immer zu erfragen, was ist überhaupt erst mal der Intent“ (M.Z., I3). Auch Weiterbildungsprogramme, wie bspw. Schulungen und Workshops, können zu einer Verbesserung der Fähigkeiten und des Know-hows führen, was nicht zuletzt auf die Mitarbeiterzufriedenheit einzahlt (J.F., I1). Somit lässt sich für die zweite Kategorie zusammenfassen, dass durch die enorme Weiterentwicklung der Technologien erhebliche Potenziale der Automatisierung von CUIAnwendungen genutzt werden können, was jedoch qualifiziertes Personal in fachlichinhaltlicher sowie technischer Hinsicht voraussetzt. Im Kontext der dritten Kategorie geht es um die organisationalen Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren, die die Umsetzung von CUI-Lösungen erleichtern. Dabei ist zu konstatieren, dass die befragten Akteure alle aus Tochtergesellschaften der E.ON AG stammen und insbesondere diese Beziehung von Relevanz ist. Es wird mehrfach betont, dass die relativ große Handlungs- und Entscheidungsautonomie von Vorteil sei (J.F., I1; M.Z., I3; D.S., I2). Es wird von einer wechselseitigen Lernsituation gesprochen, indem die kleineren Subeinheiten verschiedene Entwicklungsschritte autonom testen können, während gleichzeitig die Muttergesellschaft angesichts der Homogenität des Energiemarktes zentrale Vorgaben machen kann. Diese offensichtlich vorteilhafte dyadische Beziehung wird von einem Interviewpartner wie folgt zusammengefasst: „Ich glaube, das kann man tatsächlich in so einem Eltern-Kind-Verhältnis sehen. Wir sind natürlich auch eine autonome Einheit für uns. Wir sind eine eigene Business Unit. Aber ganz ohne die Erziehung der Mutter geht es natürlich nicht“ (J.F., I1). Gleichermaßen von Relevanz scheint in dieser Organisationsstruktur die Agilität der Arbeitsweise zu sein. Hier wird die Bedeutung der kleinen für die CUI-Lösungen zuständigen Teams bei flacher Hierarchie betont (J.F., I1; M.Z., I3). Dieses Vorgehen zahlt neben anderen Aspekten offensichtlich auch auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ein, welche ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von CUI-Lösungen ist. Immerhin geht von diesen Lösungen auch eine substituierende Wirkung im Sinne eines Einsparpotenzials von Mitarbeitenden aus (vgl. Abschn. 14.4). Ganz im Gegensatz dazu stehen die Erkenntnisse aus den
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Interviews: „Man merkt auch, es ist ein zukunftsorientiertes Thema, man kann sich da ausleben, man kann da kreativ sein. Daher ist die Mitarbeiterzufriedenheit bei uns sehr hoch“ (M.Z., 2). Dieser Aspekt wird ergänzt und spezifiziert, indem Agent:innen aus den Call-Centern von der Fülle sich wiederholender Fragen befreit werden und sich stattdessen komplexeren Anforderungen stellen können. Dabei geht teilweise die Initiative für die Vorschläge zur Automatisierung von bestimmten Fragen von den Agent:innen selber aus (D.S., I2). Schließlich ist ein weiterer Asset der wechselseitige Austausch unter den Tochtergesellschaften und damit der internationale Kontext (J.F., I1, M.Z., I3). Wenngleich Gesellschaften wie „E WIE EINFACH“ auf den nationalen Markt fokussiert sind, wird die Kooperation gesucht und weniger von einem Wettbewerbscharakter zwischen den Gesellschaften ausgegangen (J.F., I1). Hier sind unterschiedliche nationale Gegebenheiten und verschiedene Kundenanforderungen bzw. deren Feedback für alle Beteiligten ein gutes Lernartefakt (M.Z., I3). Zusammengefasst lässt sich eine agile und diversifizierte Unternehmensstruktur als Erfolgsfaktor ableiten. Dabei muss man regionalen, kundenspezifischen Anforderungen gerecht werden und gleichzeitig überregionale Synergieeffekt realisieren. Interessant ist insbesondere die Frage nach der Mitarbeiterzufriedenheit, die in den untersuchten Fallbeispielen mit dem Einsatz von CUI-Lösungen im Sinne einer Arbeitserleichterung und technologischen Zukunftsorientierung offenbar wächst. In Bezug auf die letzte Kategorie externer Druck wurden insbesondere die Spezifika des Energiemarktes thematisiert. Dabei ist neben der Preissensitivität und der Nachhaltigkeit der Energieerzeugung vor allem der Service eine Grundvoraussetzung zur Bedienung jüngerer bzw. digital affiner Zielgruppen (J.F., I1). Insgesamt ist der Service auch vor dem Hintergrund deutlich gestiegener Anfragen im Zuge der Energiekrise ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor, dem durch u. a. kurze Antwortzeiten im Rahmen von CUI-Lösungen entsprochen werden kann. (M.Z., I3). Des Weiteren ist eine Trendorientierung bei der jüngeren, digital affineren Zielgruppe zu beobachten, welcher mit modernen und zeitgemäßen Lösungen entsprochen werden kann (M.Z., I3). Allerdings bestehen auch gegenläufige Erwartungshaltungen, indem etwa ältere Zielgruppen und auch die aktuell sensiblen Themen im Zuge der Energiekrise eine häufigere persönliche Kundenbetreuung erfordern. Diesen stärker individuellen Anliegen sowie der allgemeinen Gefühlslage im Zuge der Energiekrise wird durch die vermehrte Weiterleitung an Servicemitarbeitende entsprochen (M.Z., I3). Insofern wird insbesondere der hybriden Lösung großes Potenzial eingeräumt, indem die Belastungsspitzen durch die hohe Zahl der Anfragen mittels CUI-Lösungen abgefangen und dadurch individuellen und sensiblen Anliegen durch Servicemitarbeitende mehr Raum gewährt werden kann (D.S., I2). Somit ergeben die unterschiedlichen Bedürfnisse der Zielgruppen und die aktuelle Energiekrise kein eindeutiges Anforderungsprofil, was offenbar nur durch die Ausgestaltung einer hybriden CUI-Anwendung in Verbindung mit Agent:innen moderiert werden kann.
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B. A. Becker et al.
Neben den zuvor abgeleiteten deduktiven Kategorien konnte nach Beendigung der Interviews ein weiteres Feld identifiziert werden, das induktiv zu behandeln ist und sich im Folgenden näher mit der Menschenähnlichkeit von Bots bzw. Bot-Humanisierung befassen soll. So verdeutlichen CUI-Unternehmensanwendungen, dass bewusst menschenähnliche Avatare (bspw. im Kundenservice) konzipiert werden, um persönliche Beziehungen zwischen den Kund:innen und Marken aufzubauen, indem zum Beispiel gängige Namen wie „Max“ vergeben werden oder menschenähnliche Bedienungsoberflächen vertrauensbildend wirken sollen (J.F., I1). Eine zentrale Rolle spielt dabei der Mensch selbst, indem er mit jeder Mensch-Maschine-Interaktion dazu beiträgt, dass Voice- und Chatbots ein immer besser werdendes Verständnis und eine genauere Interpretationsfähigkeit der Kommunikation entwickeln (M.Z., I3). Voraussetzung für den Einsatz von CUI sollte jedoch immer die Kenntnis der Kundschaft darüber sein, dass sie tatsächlich mit einem Bot kommuniziert und diesbezüglich keine Missverständnisse aufkommen, „sonst wäre eine rote Linie überschritten“ (D.S., I2). Grenzen im Einsatz von Bots könnten auch dann bestehen, wenn verärgerte Kund:innen den Chat in einem emotional vorbelasteten Zustand beginnen, sodass sie im Vergleich zu einem flexiblen und einfühlsamen Servicemitarbeitenden nach der Interaktion mit einem humanisierten Chatbot weniger zufrieden sind. Konsequenzen wären negative Auswirkungen auf die Gesamtzufriedenheit, Wiederkaufabsichten oder sogar die Beurteilung des gesamten Unternehmens (M.Z., I3). Zusammenfassend lässt sich zur Humanisierung bzw. Menschenähnlichkeit von Bots festhalten: „Die Grenze der Vermenschlichung liegt (…) darin, wenn man versucht, es künstlich zu erzwingen. Der Kunde wird letztlich selber entscheiden, wie viel Mensch er in der Künstlichen Intelligenz sehen will“ (J.F., I1). Fazit
Trotz spezifischer Herausforderungen wird CUI bei den Unternehmen immer beliebter. Selbst der traditionelle Energiemarkt hat bereits mit der Umstellung des Kundendienstes begonnen und signalisiert den Marktteilnehmern in der Branche, CUI-Lösungen einzusetzen und weiter zu entwickeln. Dieser Beitrag befasste sich mit den wahrgenommenen Vorteilen, potenziellen externen und organisatorischen Herausforderungen von CUI in Unternehmen. Grundsätzlich wurde festgestellt, dass Vorteile wie Kostenreduzierung und höhere Kundenzufriedenheit, insbesondere mit der Agent-Bot-Strategie, langfristig zu einer höheren Kundenbindung führen, was sich im Ergebnis positiv auf den Markenwert des Unternehmens auswirken kann. Außerdem bietet die Technologie die Möglichkeit, Konversationsdaten zu analysieren, die für einen verbesserten Kundenservice bzw. einen höheren Automatisierungsgrad in der Kundenkommunikation genutzt werden können. Darüber hinaus erfordert die Einführung von CUI sowohl
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technologische als auch personelle Voraussetzungen, die die Unternehmen von der Erstellung der Inhalte bis hin zu den technischen Fähigkeiten erfüllen müssen. Nicht nur die Kundenzufriedenheit spielt eine Rolle, auch die Mitarbeiterzufriedenheit ist ein Ergebnis der CUI-Einführung, die den Agent:innen mehr Zeit einräumt, sich im Sinne einer Arbeitsteilung auf anspruchsvolle und wichtige Themen zu konzentrieren, die von den Bots (noch) nicht übernommen werden. Somit ist die Mitarbeiterqualifikation auch ein zentraler Erfolgsfaktor von CUI, der nur durch eine flexible und agile Unternehmensstruktur zu erreichen ist. Schließlich wurde festgestellt, dass die Menschlichkeit von CUI für Unternehmen immer relevanter wird, indem sie beispielsweise ihren Assistenten Namen und echte menschliche Avatare geben. Dennoch wird empfohlen, um Missverständnisse und Verwirrung zu vermeiden, transparent zu bleiben und deutlich zu kommunizieren, dass es sich bei einem eingesetzten Bot auch tatsächlich um einen solchen handelt. Insgesamt lassen die Experteninterviews den allgemeinen Schluss zu, dass sowohl die Transparenz darüber, dass ein Bot zum Einsatz kommt, als auch die Qualität der Umsetzung dieser Marketingtechnologie zentrale Erfolgsfaktoren darstellen, um die Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit zu erhöhen und relevante Kostenziele der Unternehmen zu erreichen.
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Prof. Dr. Boris A. Becker hat im Anschluss an ein betriebswirtschaftliches und sozialwissenschaftliches Studium an der Ruhr-Universität Bochum im Bereich der Internationalen Politischen
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B. A. Becker et al.
Ökonomie mit Schwerpunkt Innovationsstudien promoviert. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Open Innovation sowie medien- und eventbezogene Transformationsprozesse durch die Digitalisierung. Seit 2018 ist er als Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln tätig. Prof. Dr. Alexander Rühle hat an der Universität zu Köln Betriebswirtschaftslehre studiert und wurde am dortigen Seminar für Marketing und Markenmanagement promoviert. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Technologieakzeptanz neuer Medien, Branding sowie Preispolitik im E-Commerce. Seit 2015 ist er als Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln tätig. Karyna Neumann (geb. Tubolyeva) ist Expertin im Bereich Conversational AI bei E.ON Digital Technology GmbH. Sie verfügt über drei Jahren Erfahrung im CUI-Design und ist aktiv an vielen internationalen E.ON-Projekten beteiligt. Sie hält regelmäßig Präsentationen auf Konferenzen im KI-Bereich und leitet eine interne E.ON Conversational AI Gilde.
Forecast of Market Share Developments by the Analysis of Share of Search Measures
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Florian Riedmüller
Abstract
Google-based share of search analyses provide insights into current market structures and allow forecasts for the further development of market shares. The high relevance of share of search analyses results from the positioning of search queries as a leading indicator in the marketing brand funnel. Share of search studies must carefully compile all relevant search terms for the own brand and the relevant competitors to ensure valid results.
15.1
Introduction
The orientation of consumers to online sources of information has increased continuously across all sectors in recent years. It is now common to research a product or service online, even if the purchase is made in a physical store or branch. In the US, a study showed that 83% of all respondents who had shopped in a store a week earlier had researched online beforehand (Bradley & Cao, 2019). Search engine queries are often the first – and sometimes the most important – trigger for consumer information behavior (Dierks, 2017). The more frequently a term is entered into search engines, the higher the level of curiosity about the topic. At the company level, the systematic evaluation of searches for company or brand names in relation to direct competitors can provide valuable insights into the market status. An international study showed that an increasing number of search
F. Riedmüller (B) Technische Hochschule Nürnberg, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_15
219
220
F. Riedmüller
engine queries for brand names of TV and PC companies results in market share shifts on the most relevant trading platforms (Utsuro et al., 2017).
15.2
What is Share of Search?
The definition of share of search is the volume of search queries generated by a brand within a defined category as a proportion of the search queries generated by all other brands from this category (Share of Search Council, 2023). It is important to emphasize that this is an evaluation of the organic entries made by users into the text field of a search engine and not the results displayed in response to these queries. For the calculation of the share of search, as for a classical market share calculation, the content/regional delimitation of the market segment, the definition of the relevant competitors, and the temporal definition of the analysis interval have to be considered. Adapted to the example of the running shoe market, a comparison of search queries for sporting goods companies could be calculated on a country level and on an annual basis in order to compensate for the strong seasonality of running shoe queries (see Fig. 15.1).
Fig. 15.1 Example of a share of search measurement concept for a running shoes brand (own illustration)
15 Forecast of Market Share Developments …
15.3
221
Classification of Share of Search as a KPI Concept Within the Brand Marketing Funnel
The measurement of search engine queries should be integrated into an overall marketing key performance indicator system. This helps to analyse the triggers and consequences of changes in the volume of search request and to increase the explanatory power. The wellestablished brand marketing funnel, which is based on the different stages of a purchase decision process (Court et al., 2009), offers a suitable conceptual framework. Using the initial example of the running shoe competition with mainly limited purchase decision processes, the brand marketing funnel can be broken down into five phases of brand awareness, brand familiarity, brand consideration, brand purchase, and brand recommendation (Dierks, 2017). Brand awareness is usually created through initial contact with the running shoe brand in the form of advertising or personal recommendation. Brand familiarity results from the physically or virtually perceived imagery of the running brands. Brand consideration takes place by actively obtaining price/performance information using search engines, websites, and retail store visits. The brand purchase completes the orientation process, followed by brand recommendations given on digital platforms or in personal communication with other runners. For each of these phases, a running shoe company traditionally uses surveys to collect metrics that provide information about the respective strengths and weaknesses as absolute or relative values. Brand awareness is mainly analysed using recall values. Brand familiarity is measured with attitude scales, brand consideration by asking for the scope of relevant set, brand purchases with contractual relationships, and brand recommendations with the help of net promoter scores (Vollrath & Villegas, 2021). Regular surveys on these metrics across all five phases are hardly feasible on an annual basis for running shoe companies from a cost–benefit perspective. Surveys struggle also with forced responses, low response rates, and long project cycles. By developing digital KPI counterparts to these established survey-based constructs, meaningful observation values can be collected with significantly less effort. Digital observation tools provide access to market and brand behaviour from 2,5 quintillion bytes and growing behavioural and sentiment data produced by humans every day (Share of Search Council, 2023). Within the pre-purchase phase, the share of search is primarily attributable to brand consideration as actively searching for a running shoe in a search engine requires familiarity with the brand name (see Fig. 15.2). Further search engine queries can also be made in the purchase and post-purchase phase, especially if the customers do not use a sporting goods company app and avoid bookmarks in the browsers used. Increased search volumes result in a higher customer base for a brand, which further fosters the search intensity.
222
F. Riedmüller
Fig. 15.2 Share of search as a KPI within the brand marketing funnel (own illustration)
15.4
How Can a Share of Search Analyses be Carried out from a Technical Perspective?
In Germany, a concentration on evaluations with the Google search engine makes sense for determining the share of search. In February 2023, Google had a share of 80.2% from internet search queries via desktop and 96.4% of mobile search queries (StatCounter, 2023). Search query data has been collected by Google since January 2004 and can be accessed with the help of various platforms. An active Google Ads account allows using the Keyword Planner for determining absolute values of search term queries and their combination, including a regional assignment. As a service provider, keyword specialists such as Mangools or MyTelescope offer dashboard solutions for the simple implementation of performance analyses of search term volumes. Indexed search shares can be researched free of charge using the Google Trends analysis tool: The search share within a specific period and region is given with standardized values between 0 and 100. To carry out a share of search measurement, a three-step procedure is recommended: First, a matrix of all relevant search terms must be defined for the relevant company and the corresponding competitors, e.g., company name, relevant products or services as well as common abbreviations. Possible spelling variations (e.g., Hoka vs. Hoka One One) and the different sequences of search combinations (e.g., Nike running vs. running Nike) must be taken into account. In the case of international analyses, the search terms must also be translated into the respective national languages. In the second step, the volumes of the defined search term characteristics per company are aggregated into a total value for the relevant period and region. Duplication of search term counts must be avoided and any terms that may have been assigned ambiguously (e.g., Puma animal) must be excluded.
15 Forecast of Market Share Developments …
223
Fig. 15.3 Three-step process for measuring share of search (own illustration)
In the last step, the relative shares per company are compared to the total volume, and the share of search is calculated from this (Fig. 15.3).
15.5
Proof-of-Concept Measures Justify the Share of Search Influence on Market Shares
Share of search as a measurement predictor for share of the market has been most heavily advocated and researched by the Institute of Practitioners in Advertising (IPA) group, led by Les Binet, the respected advertising effectiveness researcher in the UK. The IPA group is a research organization that consists of a who’s who of modern advertising leaders including Google, LinkedIn, Unilever, Kantar, Mediacom, Zenith, and more. To validate the hypothesis that the share of search is a proxy for market share, very thorough research has been conducted. Search volume data per month has been acquired from Google and compared with sales numbers from companies or Nielsen every week: All brand-related keywords were selected for each brand. Monthly search volumes were collected for each keyword for a period corresponding to the number of years with sales figures available. Search volumes were put on a 12-month rolling average to take out any spikes that might be due to anomalies. Pearson’s correlation coefficient and P-values were calculated for each keyword search volume towards the individual sales numbers per brand. Lags were calculated to see how much time it would take for the change in search transferring to a change in sales. All keywords with a correlation higher than 60% were selected (MyTelescope, 2023).
224
F. Riedmüller
Fig. 15.4 Share of search influence on market share (own illustration)
Binet conducted studies for the automotive, energy, and mobile communications markets and was able to determine in all three studies that changes in the share of search had a significant effect on the relative market shares of the companies observed (Whiteside, 2020). Further studies in the CPG industry for the US (share of search to share of market correlation coefficient of 0.85), ice cream industry for Sweden (cc = 0.69), soft drink industry for the UK (cc = 0.75), pasta market for Sweden (cc = 0.67) and car industry for the US (cc = 0.90) have successfully been executed (see Fig. 15.4). The researchers demonstrated the influencing direction of the search engine queries on the market share through a temporal variation of the two measured variables over time: If the share of search values is moved ahead of the measured market shares by one period in time, the explanatory part of the connection increases. If you proceed the other way round, the informative value is reduced. Therefore, the share of search is also referred to as a “leading indicator” for changes in market share (Share of Search Council, 2023). This has also been confirmed by an empirical study of the fitness market in three German cities with correlation coefficients of 0.5 to 0.7. The performance of a logarithmic regression to analyse the effect of search queries on membership numbers, taking into account seasonal effects, led to highly significant results (p < .001) with R-squared values between 0.4 and 0.5 (Riedmueller & Nake, 2023, p. 48).
15 Forecast of Market Share Developments …
15.6
225
The Benefit of a Share of Search Results for Market Observations
By proving the leading indicator effect of search engine queries on market share development, it makes sense to use this easy-to-generate data for continuous market observations. The most important competitors can be analysed for all relevant regional markets of a company. The insights from such a share of search benchmarking comparison are obvious: • Which market player has the highest share of search numbers in an area and thus a competitive advantage in the field of brand consideration? • Which market player has the highest share of search growth in an area, and what market activities appears to be driving it? • Which new customer rates can be expected for the coming period based on the share of search development?
Example
The fitness company FIT STAR from Germany has implemented a regular share of search tracking in 2022. The observations have shed light on the decentralized location activities of its gyms. Compared to the formerly used surveys, the methodology is less cost-intensive and more transparent for the headquarter and the local subsidiaries. In one of the local evaluations, the share of search analysis showed a countercyclical decline over a period of two months compared to the five most relevant competitor brands. The winner of these shares was immediately identified, and a social media analysis showed a competitor’s local price campaign, to which FIT STAR was able to respond quickly (Riedmueller & Nake, 2023, p. 49). Some aspects have to be taken into account for a share of search analysis to avoid incorrect measurements or interpretations: • Not all searches for company and product names on Google are linked to a purchase intention. Exceptional increases in the rankings have to be checked for special occurrences. In the FIT STAR case, the tragic death of the founder and managing director of McFit in autumn of 2022 led to a high search volume for the company name. • It is not always possible to assign search queries for company and brand names to specific product categories (e.g. umbrella brand setups as with Samsung) • The position of Google in the search engine sector is not comparably dominant in all countries, so additional tools may have to be used to generate data (Utsuro et al., 2017).
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F. Riedmüller
As soon as the method for measuring share of search is introduced to a company, the question of how this KPI can be positively influenced naturally arises. It is important to distinguish between a short-term and a long-term perspective. In the short term, classic advertising campaigns and social media investments can lead to an increase. The advertising content should arouse as much curiosity as possible. In the long term, consistent brand management leads to higher search queries. Companies that succeed in developing a long-term story from short-term hype will gradually improve in comparison to their competitors. Overview
Share of search is a comparatively new KPI in the area of brand marketing funnel that can be applied, especially for industries with limited or extensive purchase decision processes. Comparative analyses provide insights into current market movements and allow a forecast of the further development of market shares. The establishment of a share of search council and the increasing interest in marketing research on this topic are indicators for an ongoing growth of relevance.
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Prof. Dr. Florian Riedmüller ist Professor für Allg. BWL, insbesondere Marketing und Marktforschung an der Technischen Hochschule Nürnberg. Gemeinsam mit Prof. Dr. Jörg Koch ist er Herausgeber des Standardwerks „Marktforschung“ in der inzwischen 8. Auflage. Er forscht, berät und lehrt zu den Themen Markenführung, digitale Beobachtungsmethoden und Sponsoring Management.
Die neue Art der Interaktion mit Konsument:innen – Eine Analyse der Chancen und Herausforderungen von Smart Speakern
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Tobias Naujoks
Zusammenfassung
Smart Speaker wie Amazon Echo erfreuen sich weltweit und auch in Deutschland einer rasch wachsenden Beliebtheit. Die Technologie ermöglicht eine neue Art der Interaktion mit Konsument:innen: sprachbasierte Echtzeitdialoge. Ziel dieses Beitrags ist, die sich hieraus ergebenden Chancen und Herausforderungen für Marketer darzustellen und zu untersuchen, ob Marketer Smart Speaker als Kommunikationskanal in Deutschland nutzen. Es zeigt sich einerseits, dass die Geräte vor allem ein besseres und tieferes Verständnis des individuellen Konsumentenverhaltens ermöglichen. Andererseits ergeben sich verschiedene Herausforderungen, wie z. B. die Komplexität von Sprache sowie Datenschutz und -sicherheit. Bei der Betrachtung der Top-20Konsumgütermarken in Deutschland wird darüber hinaus deutlich, dass aktuell nur eine kleine Minderheit dieser Marken Smart Speaker als Kommunikationskanal nutzt.
16.1
Einleitung
Sprache ist die natürlichste, am weitesten verbreitete und effizienteste Kommunikationsform für Menschen (Schafer, 1995). Im Vergleich zu textbasierten Interaktionen, z. B. via Tastatur, sind sprachbasierte Interaktionen natürlicher, bequemer und effizienter (Cho et al., 2019). Daher sind Voice User Interfaces (VUIs) bereits seit geraumer Zeit etabliert. Die traditionellen VUIs haben natürlich gesprochene Sprache entweder als Input oder als Output verwendet. Mit der Markteinführung des iPhone 4 s und der Integration der T. Naujoks (B) IU Internationale Hochschule, Campus Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_16
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T. Naujoks
Spracherkennungssoftware Siri machte Apple 2011 eine neue Art von VUI der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Siri ermöglichte erstmals Dialoge mit Endgeräten, d. h., natürlich gesprochene Sprache wurde sowohl als Input als auch als Output verwendet, wodurch ein bidirektionaler Austausch stattfinden kann. Vor allem mit der rasanten Verbreitung von Smart Speakern wie Amazon Echo haben diese VUIs stark an Beliebtheit gewonnen. Smart Speaker gehören zu den am schnellsten verbreiteten Technologien für Verbraucher:innen überhaupt. Schätzungen zufolge wurden 2021 weltweit ca. 190 Mio. dieser Endgeräte verkauft und es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2026 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 7,5 % auf ca. 273 Mio. Verkäufe steigen wird (Omdia, 2022). In Deutschland besitzen ca. 21 % der Bevölkerung einen Smart Speaker und weitere ca. 24 % planen bereits konkret eine Anschaffung bzw. können sich diese grundsätzlich vorstellen (Beyto, 2022, S. 15). Bei einer aktuellen Bevölkerungszahl von knapp 84 Mio. sind in Deutschland somit bereits ca. 17,7 Mio. dieser Geräte installiert und weitere 20,2 Mio. Geräte könnten in naher Zukunft folgen. 94 % der deutschen Smart-Speaker-Besitzer:innen nutzen entsprechende Sprachanwendungen auch regelmäßig oder zumindest gelegentlich (Beyto, 2022, S. 22). Diese Zahlen zeigen, dass Smart Speaker zu dominanten Schnittstellen für Konsument:innen bei der Interaktion mit dem Internet geworden sind, wodurch diese Endgeräte als neuer Customer Touchpoint einen signifikanten Einfluss auf das Marketing haben. Hierdurch verändert sich die Art und Weise, wie Konsument:innen entlang der Customer Journey mit Unternehmen interagieren, radikal (Dawar & Bendle, 2018, S. 82; Gollnhofer & Schüller, 2018, S. 889; Huisman & Huisman, 2018, S. 39; Zierau et al., 2022, S. 1). Smart Speaker ermöglichen im Vergleich zu anderen Medien personalisierbarere und persönlichere Erlebnisse, die größtenteils ohne Bildschirm, sondern rein sprachbasiert, umgesetzt werden (Jones, 2022, S. 81). Daraus ergeben sich neue Chancen und Herausforderungen für Marketer, die die hohe Relevanz des Kanals bereits erkannt haben. 91,8 % der Marketer halten Smart Speaker für einen wichtigen Marketingkanal (Kinsella, 2021).
16.2
Einordnung
In der Literatur fehlt es bei VUIs, die sprachbasierte Dialoge mit Endgeräten ermöglichen, oftmals an einer klaren Unterscheidung zwischen der Hardware der Geräte, z. B. Amazon Echo, und der zugrunde liegenden Software, z. B. Amazon Alexa. Die Software, die in der Literatur auch als virtueller Assistent bezeichnet wird, kann in andere Endgeräte wie Smartphones oder Tablets integriert werden. Daher gibt es grundsätzlich verschiedene Gerätetypen, wie z. B. auch Smart Speaker, die sprachbasierte Dialoge ermöglichen. Smart Speaker sind eigenständige Geräte mit künstlicher Intelligenz, die durch Sprachbefehle aktiviert und gesteuert werden (Smith, 2020).
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Diese Geräte sind auch als multimodale Geräte, d. h. mit einem Bildschirm als zusätzliches Graphical User Interface (GUI) erhältlich, wie z. B. der Amazon Echo Show. Multimodale Smart Speaker haben gegenüber voice-only Smart Speakern, die ausschließlich sprachbasiert gesteuert werden können, allerdings einen geringeren Marktanteil. Lediglich 23 % der deutschen Smart-Speaker-Besitzer:innen besitzen ein Gerät mit Bildschirm (Beyto, 2022, S. 18). Die grundlegende inhaltliche Architektur von Smart Speakern lässt sich in zwei Kanäle unterteilen: 1) Voice-Plattform und 2) Voice Apps. Die Voice-Plattform bietet die grundlegenden Funktionalitäten und Anwendungen, die von Smart-Speaker-Anbietern wie Amazon selbst entwickelt und gesteuert werden. Voice Apps, wie z. B. Alexa Skills, hingegen sind vergleichbar mit Smartphone Apps. Diese bieten Drittanbietern die Möglichkeit, Inhalte für Smart Speaker zu entwickeln und zu steuern. Im Kontext von Voice Apps lassen sich zwei wesentliche Arten unterscheiden: 1) Smarthome Voice Apps und 2) Conversational Voice Apps (Hörner, 2019, S. 20). Mit Smarthome Voice Apps lassen sich über Sprachbefehle andere Geräte aktivieren und steuern. Diese Apps liefern in der Regel somit keine Sprachantworten, sondern verarbeiten Sprachbefehle und führen die gewünschte Aktion aus. Die Hue Lampen von Philips sind hierfür ein Beispiel. Diese können z. B. mit Amazon-Alexa-fähigen Geräten verbunden und anschließend mit Hilfe von Sprachbefehlen gesteuert werden, d. h., die Lampen lassen sich mit Hilfe von Sprachbefehlen an- und ausschalten, dimmen oder auch farblich verändern (Philips, o. J.). Conversational Voice Apps hingegen fokussieren sich auf Dialoge, d. h., sie nutzen in der Regel Sprache, um auf Sprachbefehle zu antworten. Im Gegensatz zu Smarthome Voice Apps sind sie daher kein direkter Teil der produktbezogenen Customer Experience. Conversational Voice Apps bieten für Marken die Möglichkeit, mit Konsument:innen sprachbasiert zu kommunizieren und eigene produkt- und markenbezogene Inhalte über Smart Speaker wie Amazon Echo zu teilen. Diese sprachbasierten Inhalte sollten in eine übergeordnete und qualitative Content- und Marketingstrategie eingebettet sein (Hörner, 2019, S. 120). Johnnie Walker bietet in diesem Kontext z. B. über einen Alexa Skill in den USA geführte Whisky-Verkostungen oder Empfehlungen für Whisky-Mischungen an (Amazon, o. J.a).
16.3
Chancen
Smart Speaker bieten Marketern verschiedene relevante Chancen, die im Folgenden zunächst anhand des neobehavioristischen SOR-Modells (Abb. 16.1) verdeutlicht werden (SOR steht für Stimulus – Organismus – Response). In diesem Modell bilden die intervenierenden Variablen des Organismus, z. B. Emotionen oder Wahrnehmung, die Grundlage für das Verständnis des Konsumentenverhaltens. Um diese Variablen messen zu können, müssen sie mit den beobachteten Stimuli, z. B. Preis oder Marke (kontrollierte
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Reize) und situative oder soziale Faktoren (nicht kontrollierte Reize), oder Responses, z. B. Kauf/Nicht-Kauf oder Weiterempfehlung, verknüpft werden. Die Messung kann „mittels Indikatoren, z. B. verbalen Äußerungen“ durchgeführt werden (Foscht et al., 2017, S. 30). Smart Speaker bieten über eine bidirektionale Echtzeitkommunikation mit Konsument:innen somit die Möglichkeit, genau diese Indikatoren zur Messung der intervenierenden Variablen zu erheben, um hierüber das individuelle Konsumentenverhalten besser und tief greifender verstehen zu können. Die unmittelbaren verbalen Äußerungen von Konsument:innen im Anschluss an vorherige Marketing-Stimuli geben wertvolle Einblicke in den Organismus und darauffolgende Responses. Darüber hinaus bietet die individuelle Echtzeitkommunikation via Smart Speaker die Möglichkeit, zu beeinflussen und beeinflusst zu werden (Hoffmann & Novak, 2017), d. h., Marken können auf Basis der Responses versuchen, z. B. durch direkte neue, kontextbasierte Marketing-Stimuli, weiteren Einfluss auf das Verhalten der einzelnen Konsument:innen zu nehmen. Diese verbesserte individuelle Konsumentenanalyse ermöglicht Unternehmen überdurchschnittliche Umsätze und Gewinne durch systematischere und gezieltere Akquise und Bindung von Konsument:innen (Bokman et al., 2014).
Abb. 16.1 Chancen von Smart Speakern basierend auf dem SOR-Modell. (Eigene Darstellung)
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Smart Speaker werden zudem als intensiveres und lebhafteres Medium wahrgenommen, was zu einem höheren Involvement der Konsument:innen führt (Zierau et al., 2022). Zierau et al. (2022) zeigen zudem, dass die Geräte aus Konsumentensicht die Effizienz und das Vergnügen steigern, den kognitiven Aufwand verringern und somit zu einer Erhöhung der Zufriedenheit führen. Höheres Involvement und höhere Zufriedenheit ergeben einen positiven Einfluss auf die psychischen Prozesse im Organismus der Konsument:innen. Somit entsteht ein grundlegender positiver Effekt auf das Konsumentenverhalten bei der Nutzung von Smart Speakern. Stand heute sind herkömmliche Werbemöglichkeiten auf Smart Speakern noch begrenzt. Amazon ermöglicht z. B. seit 2022 lediglich das Bewerben von Alexa Skills auf multimodalen Geräten (Kinsella, 2022). Erste Studien zeigen allerdings, dass Smart Speaker im Vergleich zu traditionellen Medien aufgrund einer stärkeren Interaktivität und Kontextrelevanz effektivere Werbung ermöglichen (Park et al., 2022). Daher können die Geräte, sobald dies von den Plattformbetreibern ermöglicht wird, eine vielversprechende Plattform für Werbemaßnahmen werden.
16.4
Herausforderungen
Die aufgezeigten Chancen gehen mit verschiedenen Herausforderungen einher, die Marketer bei Smart Speakern berücksichtigen müssen. Variation oder Heterogenität ist ein allgemeines Sprachmerkmal, da Sprache mehrere Möglichkeiten bietet, z. B. durch unterschiedliche Wortwahlen oder Syntax, um dieselbe Bedeutung auszudrücken. Hierdurch entsteht einerseits eine grundsätzliche Komplexität bei der Entwicklung von sprachbasiertem Content. Andererseits wirkt sich diese Komplexität auch auf den Bereich Data Analytics aus. Die Analyse von Daten auf Sprachbefehlebene bietet, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, die Möglichkeit, individuelles Konsumentenverhalten besser und tief greifender zu verstehen. Die genannte Komplexität von Sprachdaten wird in der Regel zudem durch große verfügbare Datenvolumen ergänzt. Um in diesen Sprachdatensätzen Muster und Zusammenhänge des Konsumentenverhaltens erkennen und ableiten zu können, bedarf es einer fortgeschrittenen und teilweise speziellen Data-Analytics-Expertise. Marketer, die Voice Apps für ihre Marken bereitstellen, sind grundsätzlich abhängig von den Plattformbetreibern, wie z. B. Amazon, die als Gatekeeper gegenüber den Konsument:innen fungieren (Tobaccowala & Jones, 2018, S. 267). Darüber hinaus können die menschenähnlichen Eigenschaften, die Konsument:innen Smart Speakern zuschreiben, dazu führen, dass die Geräte als vertrauenswürdige Berater oder sogar Freunde wahrgenommen werden, was die Beziehung zu Marken möglicherweise abschwächt (Jones, 2022, S. 97). Die Algorithmen zur Bewertung und Sortierung von Informationen auf Smart Speakern, die von Plattformbetreibern eingesetzt werden, sind zudem eine Black Box. Dadurch
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ist es unmöglich, die Chancen und Risiken der Auffindbarkeit von Informationen zu beurteilen (Voosen, 2017, S. 22). Die Auffindbarkeit von Voice Apps ist eine weitere zentrale Herausforderung für Marken (Microsoft, 2019, S. 38). 44 % der deutschen Smart-SpeakerBesitzer:innen geben an, zu wenige Informationen über Voice Apps zu haben (Beyto, 2022, S. 44). Daher muss über nützliche, unterhaltsame und wertvolle Inhalte ein PullEffekt kreiert werden, damit Konsument:innen die Voice Apps der Marken tatsächlich aufsuchen (Jones, 2022, S. 98). Trotz der Nützlichkeit von Smart Speakern gibt es grundlegende Bedenken, die deren noch höhere Akzeptanz behindern: Datenschutz und -sicherheit (Burbach et al., 2019, S. 109; Yang et al., 2017, S. 82). Zum einen besteht die Sorge, dass die Geräte ständig aktiv sind und auch ungewollt Dialoge aufnehmen und speichern, zum anderen wird ein möglicher Missbrauch von Daten befürchtet (Acosta & Reinhardt, 2022). In der Vergangenheit gab es einige Fälle, die diese Bedenken untermauern. Amazon hat z. B. 2018 einem Konsumenten 1.700 Sprachaufzeichnungen von einem anderen, fremden Konsumenten geschickt, nachdem dieser Informationen über die von ihm gespeicherten Daten bei Amazon angefragt hatte (Süddeutsche Zeitung, 2018). Letztlich ist eine Abwägung zwischen dem Nutzen von Smart Speakern und damit verbundenen potenziellen Datenschutzrisiken zu treffen. Die eingangs erwähnten Verkaufs- und Nutzungszahlen sowie Studien zeigen allerdings, dass die Benutzerfreundlichkeit die Bedenken oftmals überwiegt (Jones, 2021, S. 90).
16.5
Status quo
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, haben Marketer die Relevanz von Smart Speakern als Marketingkanal bereits erkannt. Laut einer Studie von Adobe hatten 2019 22 % der Unternehmen eine Voice App auf den Markt gebracht und 90 % der restlichen Unternehmen wollten bis 2021 hiermit nachziehen (Adobe, 2019). Daher wird im Folgenden ein Überblick über den Status quo in Bezug auf Voice Apps gegeben, um die Frage zu beantworten, ob der Großteil der Unternehmen Smart Speaker als Kommunikationskanal tatsächlich nutzt. Mari und Algesheimer (2022) argumentieren, dass vor allem Konsumgüterunternehmen, die Produkte mit geringem Involvement anbieten, möglichst schnell sprachbasierte Inhalte entwickeln müssen, um in dem dynamischen und intensiven Wettbewerb ihren Umsatz steigern oder schützen zu können. Daher stellt diese Industrie einen sinnvollen Untersuchungsansatz dar, um einen aktuellen Einblick in den Status quo der Nutzung von Voice Apps zu erhalten. Die Studie bezieht sich auf die Top-20-Konsumgütermarken in Deutschland (Kantar, 2022). Für diese 20 Marken wurde analysiert, ob die jeweilige Marke in Deutschland einen Alexa Skill anbietet. Alexa Skills bzw. der Smart Speaker Amazon Echo wurde gewählt, da Amazon Echo mit 79 % Marktanteil den deutschen Markt anführt (Statista, 2022). Hierfür wurde zunächst auf der Amazon-Website in der
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Kategorie Alexa Skills nach den entsprechenden Marken gesucht. Bei Marken, die generische Namen haben (Kinder, Harry, Müller und Lorenz), wurden darüber hinaus weitere Suchbegriffe zur Spezifizierung der entsprechenden Marke ergänzt, z. B. Harry Brot oder Müllermilch. Zusätzlich wurde die Google Suchmaschine genutzt („Alexa Skill [Suchbegriff]“), um eventuell entfernte oder geplante Alexa Skills oder Kooperationen der Marken zu ermitteln. Die Daten zeigen, dass mit Dr. Oetker lediglich eine Marke (5 % der betrachteten Marken) einen Alexa Skill in Deutschland anbietet (Tab. 16.1). Mit Hilfe der GoogleSuche wurde zudem ermittelt, dass 2020 Coca-Cola einen Skill in Australien angeboten und Milka Gratisprodukte über einen Drittanbieter-Skill offeriert hat. Darüber hinaus gibt eine Datenschutzrichtlinie auf der Website von kinder Schokolade Hinweise auf einen Alexa Skill mit dem Namen „Hörgiraffe“, der allerdings nicht auffindbar ist und somit nicht mehr aktiv zu sein scheint. Zudem gibt es Drittanbieter:innen in Deutschland und im Ausland, die in ihren Alexa-Skill-Namen Markennamen verwenden (s. Rügenwalder Mühle und Maggi). Beim Dr.-Oetker-Skill fällt zudem auf, dass dieser mit insgesamt 8 Bewertungen und 1,7 Sternen (von maximal 5 Sternen) schlecht bewertet wird (Amazon, o. J.b). Zudem lässt die Anzahl der Bewertungen die Annahme zu, dass dieser Skill von Konsument:innen wenig genutzt wird, da die meistgenutzten Skills in Deutschland mehr als 10.000 Bewertungen aufweisen. Zusammengefasst lässt sich anhand der Betrachtung der Top-20-Konsumgütermarken in Deutschland ableiten, dass einerseits nur eine Minderheit dieser Marken Voice Apps einsetzt und andererseits der sprachbasierte Inhalt der angebotenen Voice Apps die Konsument:innen nicht zufriedenstellt. Daraus ergibt sich sowohl für das Angebot als auch für die Qualität von Voice Apps als Marketingkanal ein deutliches Verbesserungspotenzial. Fazit
Smart Speaker sind in Deutschland aufgrund des hohen Verbreitungsgrades eine relevante Technologie, die vom Großteil der Marketer auch als ein wichtiger Marketingkanal angesehen wird. Unternehmen bietet sich die Chance, das individuelle Konsumentenverhalten besser und tief greifender zu verstehen und im Dialog mit Konsument:innen deren Involvement und Zufriedenheit über interaktive und kontextrelevante Marketingmaßnahmen zu erhöhen. Allerdings ergeben sich für Unternehmen auch zahlreiche Herausforderungen, wie z. B. die Komplexität von Sprache und die damit einhergehende Komplexität von Data Analytics, die Abhängigkeit von Plattformbetreibern, die Auffindbarkeit von Voice Apps sowie Datenschutz und -sicherheit. Die Betrachtung des Status quo des Voice-App-Angebots der Top-20Konsumgütermarken in Deutschland zeigt, dass lediglich eine dieser Marken aktuell eine eigene Voice App anbietet. Aus Sicht der Unternehmen scheinen somit die
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T. Naujoks
Tab. 16.1 Übersicht der Alexa Skills der Top-20-Konsumgütermarken in Deutschland Marke
Suchbegriff
Alexa Skill
Kommentare
Dr. Oetker
Dr. Oetker
„Dr. Oetker Rezepte“
–
Coca-Cola
Coca-Cola
–
Skill „Share a Coke“ in Australien verfügbar gewesen (Coca-Cola, 2020)
Milka
Milka
–
Gratisprodukt über Skill „Schick mir eine Probe“ (Mein-Deal.com, 2020)
Kinder
Kinder, Kinder Schokolade
–
Hinweis auf Alexa Skill „Hörgiraffe“ in Datenschutzrichtlinien auf Website, aber nicht auffindbar (Ferrero, o. J.)
Rügenwalder Mühle
Rügenwalder Mühle
–
Skill „Rügenwalder Mühlenfest“ von Drittanbieter aktuell verfügbar (Amazon, o. J.c)
Maggi
Maggi
–
Englischsprache Skills „My Maggi“ (Amazon, o. J.d) und „Maggi Recipe“ (Amazon, o. J.e) von Drittanbietern aktuell verfügbar
Harry
Harry, Harry Brot, Harry Bäcker
–
–
Müller
Müller, Müllermilch
–
–
Lorenz
Lorenz, Lorenz Snacks
–
–
Knorr, Haribo, Jeweiliger Alnatura, Funny Frisch, Markenname Ehrmann, Nivea, Weihenstephan, Kerrygold, Iglo, Landliebe, Arla Eigene Darstellung
Herausforderungen, die Smart Speaker mit sich bringen, die Chancen zu überwiegen. Ein detailliertes Verständnis darüber, warum sich Unternehmen bei der Nutzung von Voice Apps zurückhalten, bietet einen interessanten Ansatz für weitere Untersuchungen in diesem Themenfeld. Aus Unternehmenssicht bietet sich
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auf Basis dieser Ergebnisse außerdem die Möglichkeit, über Smart Speaker einen Wettbewerbsvorteil zu generieren.
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Prof. Dr. Tobias Naujoks ist seit 2021 Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing an der IU Internationale Hochschule. Er verfügt über langjährige Managementerfahrung in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Analytics und war für weltweit vertretene und führende Unternehmen in der Konsumgüterindustrie und der Handels-/Technologiebranche tätig. Zuvor studierte er Wirtschaftswissenschaften in Bonn, Paris und Leipzig und promovierte parallel zu seiner Berufstätigkeit am Lehrstuhl für Marketingmanagement und Nachhaltigkeit der HHL Leipzig Graduate School of Management.
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A Glance at the “Drop-Outs” Using Data from Unsuccessful Leads to Better Understand B2B Customer Needs Kathrin Neumüller
und Thomas Bigliel
Abstract
The acquisition of new B2B customers is considered a multi-stage process in which only certain leads become real customers. To date, companies most likely advance their market intelligence and the effectiveness of their lead management systems based on successfully converted leads, while they tend to neglect the underlying reasons why certain leads could not be monetized. Likewise, existing research in B2B marketing, in particular on market intelligence and marketing automation, fails to address B2B “non-customers’ reasons for non-purchase.” Nevertheless, non-converted leads (henceforth called “drop-outs”) may have multi-faceted reasons why they decided against a product or service and, therefore, did not become customers. Categorizing leads in binary terms—“lost” and “won” customers—downplays the potential for data usage of those who did not eventually become customers. Analyzing the data of “drop-outs,” and in particular their reasons for non-purchase, allows companies not only to better cater their products to customer needs but also to exploit otherwise unused data. We address this issue by providing a typology of “non-purchase-reasons,” which highlights the reasons for drop-outs and makes them measurable. By doing this, we create a conceptually-grounded scoreboard template suggesting relevant KPIs to enhance and measure marketing campaigns by utilizing our data-driven approach. From a theoretical
K. Neumüller (B) ValueQuest GmbH, Wädenswil, Schweiz E-Mail: [email protected] T. Bigliel Hochschule Luzern, Opfikon, Schweiz E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_17
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perspective, our conceptual framework contributes to the growing body of marketing automation research.
17.1
Introduction
In 2020, the global business-to-business (B2B) eCommerce market was valued at US$14.9 trillion; its market size is five times bigger than that of the B2C market, with a rising tendency (MarketResearch.com, 2022; Statista, 2022). This gives B2B transactions a vital role in the global economy and highlights the need for deepening practitioners’ and academics’ understanding of the marketing and sales processes that antecede these transactions (Grewal et al., 2015). The acquisition of new B2B customers lies at the heart of B2B transactions. Within these transactions, sales funnels are one specific type of socalled customer buying behavior process model, which depict a customer’s journey from a potential need recognition to purchase to the evolution of the purchased product (Thomas et al., 2004). To evaluate the effectiveness of marketing campaigns, traditional management approaches tend to focus on mainly two key performance indicators (KPIs): the absolute number of leads successfully converted into new customers and the conversion rate (i.e., the rate with which interested companies are ultimately turned into customers) along the customer journey. The latter represents the increase in the probability that a lead results in a new customer (Wangenheim & Bayón, 2007). As such, the conversion rate acts as a key indicator of marketing effectiveness and sales performance. Indeed, 48% of respondents to a recent practitioner named conversion rates across the customer journey as the most important key performance indicator (KPI) for measuring marketing success (Zumstein et al., 2021). Therefore, companies heavily focus on increasing the conversion rate, which in B2B commerce lies at 1–5% (Coe, 2004), depending on the industry and company. While companies’ focus on heightening the conversion rate is in line with their profitmaximization-objective, they tend to overlook the 95–99% forgone potential—those leads who drop out during the customer journey and do not convert into customers. However, focusing merely on the successfully acquired and converted customers is only one side of the coin. Within customer relationship management (CRM), practitioners tend to categorize leads into clear-cut binary terms, labeling them “won” and “lost opportunities”. Empirical studies state that the reasons for dropping out throughout the customer journey tend to be multi-faceted and not clear-cut. Often, customer defection is attributed to a lack of customer satisfaction. However, customer dissatisfaction is by far not the only reason why customers defect. Indeed, a study reports that as many as 65–85% of financialservices customers, who later on defect, indicated to be ‘satisfied’ or ‘very satisfied’ on a previous customer-satisfaction survey (Reichheld & Teal, 1996). Therefore, practitioners are well-advised to identify and differentiate between the various reasons for customer defection and lead drop-outs (Bansal et al., 2005).
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Overall, a clear-cut categorization into “lost” and “won” customers, as practiced by many companies and reflected in most CRM systems nowadays, downplays the potential for data usage of those leads who dropped out on their customer journey. Indeed, it has been pointed out the need for a single, integrated view of customers along their journey that feed back into the company’s strategy, calling for KPIs earlier in the sales process (Schrage & Kiron, 2019). It is for these reasons that much emphasis has to be put on gaining a solid understanding of why leads are dropping out of the company’s marketing funnels along the customer journey. Despite the valuable insights that companies can gain into their product features, competitive positioning, and market intelligence from analyzing drop-outs, the potential of this underused data has yet to be fully leveraged and capitalized.
17.2
Gaps and Objectives
To date, research on defected customers has mainly focused on the after-conversion phase, investigating B2B customer retention, customer churn, also called defection (GattermannItschert & Thonemann, 2022; Tamaddoni Jahromi et al., 2014), and customer reacquisition strategies (Liu et al., 2015; Stauss & Friege, 1999). As highlighted by Thomas et al. (2004), reacquiring defected customers is often more valuable than acquiring new customers because of their familiarity with the company and its products, and their higher likelihood of repurchasing. In the same vein, researchers highlighted the “wealth of transaction specific information, including transaction history, preferences, motives and evidence of what prompted their defection” (Leach & Liu, 2014, p. 573) that defected customers may leave behind. However, little to no attention has been paid to those leads dropping out during their journey towards converting into a customer, i.e., the preconversion. This focus on the pre-conversion phase is particularly important because a deepened understanding of why leads drop out during the customer journey may enrich the firm’s market intelligence (e.g., product development). Furthermore, the reasons for dropping out before a successful conversion may differ from those reasons after a successful conversion. This premise is consistent with extant research in customer relationship management, which suggests that the reasons for customer churn may vary depending on the stage of the customer journey. Before conversion, the seller may not be as present in the leads’ minds as after conversion. In other words, lost leads do not have a transaction history from which the selling organization may learn (Liu et al., 2015). Furthermore, losing a lead because of a competitor’s better value-formoney offer brings along different implications for the company than losing a lead after a difficult salesperson-customer relationship (Liu et al., 2015). The former case implies that the selling organization should overthink its value-for-money offering and product features, whereas the second case implies that customer relationship management needs to be scrutinized. Although these studies all enhance our understanding of how to acquire
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new customers and reacquire them, they do not capitalize on the valuable information that is gained from potential customers, even if they drop out at a later stage in their customer journey. There are well-established sales processes and frameworks that map onto the customer journey; amongst them, the most prominent model is the sales funnel, guiding salespeople when acquiring new accounts and maintaining customer relations. However, these frameworks, to our best knowledge, do not account for those leads who drop out of the sales funnel before being converted into customers. While the simplicity and easy application of these funnel frameworks have certainly contributed to their popularity in today’s marketing practice, such simplicity also leads to shortcomings: These models tend to oversimplify when depicting the journey from a lead to a converted sale. Indeed, they tend to neglect the leads who “drop out” and do not eventually buy the product. Existing research in B2B marketing, in particular on market intelligence and marketing automation, fails to address B2B “non-customers’ reasons for non-purchase.” But, these non-converted leads may have multi-faceted reasons why they decided against a product or service. More research exploring the reasons for those drop-outs and the in-depth development of proven frameworks is needed to enhance the quality of sales predictions of sales funnels and extract the valuable information that these drop-outs may hold. Focusing on this customer acquisition process, we seek to provide a more holistic understanding of the complex purchase decision-making processes in B2B relationships from the company’s perspective. From a theoretical perspective, this gap is important because considering the lost customers as “drop-outs” provides a more holistic understanding of the complex purchase decision-making processes in B2B relationships. From a practical perspective, addressing this gap is crucial, because firms spend considerable resources on marketing efforts to generate and qualify these leads in the first place, investing in advertising, web campaigns, and trade shows. These resources are to be considered dead loss, if companies fail to exploit the valuable information that “drop-outs” generate during their customer journey. Analyzing the data of “drop-outs,” and in particular their reasons for non-purchase, allows companies not only to better cater their products to customer needs but to exploit otherwise unused data. We address this issue by providing a typology of “non-purchase-reasons,” which highlights the reasons for drop-outs and makes them measurable. By doing this, we create a conceptually-grounded scoreboard template suggesting relevant KPIs to enhance and measure marketing campaigns by utilizing our data-driven approach. From a theoretical perspective, our conceptual framework contributes to the growing body of marketing automation research.
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17.3
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Sales Funnels
From the selling company’s perspective, customer acquisition needs to be viewed as a process: practitioners have often called this process lead management; academics tend to call this process buying behavior process models (Lemon & Verhoef, 2016). The acquisition of new B2B customers is considered a multi-stage process in which only certain leads become real customers. Here, the goal is to turn new leads eventually into profitable customers, and, thereby, monetize them. Traditionally, marketing practitioners have used hierarchical frameworks—such as “sales funnels”—to systematically and abstractly map their B2B customers’ purchase decision processes and customer journeys. Such sales funnels help marketers to organize their potential customers, according to the status quo of their purchase decision. The underlying logic is that customers usually go through a rational and sequential series of steps that lets them be classified into prospects, leads, and ultimately customers (Grover & Vriens, 2006). The sales funnel framework exemplifies the sequential, consecutive narrowing of a firm’s customer base. It starts from a broad customer base including all potential customers, so-called suspects, who may be interested in a firm’s products and services and runs down to those “closed” customers who purchase a good or service (Cooper & Budd, 2007). Moving linearly from stage to stage, the total number of potential customers diminishes. A certain purchase probability may be assigned to each stage within the sales funnel. The expected deal amount multiplied by the purchase probability forecast the sales. As such, sales funnels provide a clear-cut image of the journey of a potential customer to a converted sale. In other words, the sales funnel constitutes a framework that categorizes potential customers based on their purchasing stage. The sales funnel conceptualization offers a way to describe the customer acquisition process, dividing it into different stages (Ang & Buttle, 2006; D’Haen & van den Poel, 2013). Although the sales funnel conceptualization is widely recognized among practitioners and theorists, its exact form, granularity, and the number of stages may vary across studies and companies. Despite their different manifestations, they coincide in that the B2B customers’ decision-making process is depicted as linear and consecutive. The sales funnel framework employed in our study is adapted from D’Haen and Van den Poel (2013). These authors divide the sales funnel into the following categories: suspects, prospects, leads, and customers. The suspects are all potential new customers available. In theory, they could include every other company in a B2B context, apart from the current customer base (Wilson, 2006). The vast amounts of information in those lists tend to overwhelm B2B marketers (Wilson, 2003). As a result, marketers often make selections using a set of arbitrary rules. The outcome of this selection is the list of prospects. Prospects are suspects who meet certain predefined characteristics. The next step is to qualify these prospects. Leads are prospects that will be contacted after they have been qualified as the most likely to respond. Finally, leads who become clients of the company are customers. Traditionally, the conversion rate from prospects to qualified leads is approximately 10% on average (Coe, 2004b).
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The procedure we propose radically alters the shape and functioning of the sales funnel. First, our framework suggests the introduction of stage-specific conversion and drop-out rates. Since the sales funnel is a sequential model, each transition between stages can be described in terms of a stage-specific conversion rate. In particular, while researchers and practitioners have typically referred to the conversion rate as the ratio of customers to total leads, we present a more granular and holistic approach to mapping a customer’s journey through the sales funnel. As a result, those suspects, prospects, or leads that drop out during their customer journey may reenter the funnel again as suspects. Second, we integrate a feedback channel for this information, which over time, further elevates the quality of suspects, prospects, and leads. Third, to make the funnel more specific, we expand the traditional framework provided by D’Haen and van den Poel by three further, more granular stages: Marketing Qualified Leads (MQLs), Sales Returned Leads (SRLs), and Sales Qualified Leads (SQLs) (see Fig. 17.1). a) Marketing Qualified Leads are leads that have typically come through their interactions with the company’s marketing efforts. This might include filling out a form, downloading a whitepaper, or attending a webinar. These leads have yet to interact with sales teams but have met certain lead-scoring criteria. b) Sales Returned Leads are MQLs that have been examined by a salesperson and deemed acceptable by sales for follow-up. SRLs are frequently sent back to marketing for further nurturing and qualification before being passed back to sales for follow-up. c) Sales Qualified Leads are leads salespeople have interacted with and have identified as having an opportunity for a deal to be made. In addition, the stage that typically follows a Sales Qualified Lead (SQL) is referred to as the „Opportunity“ stage. The term „Opportunity“ has become a widely used term in sales and is referred to in customer relationship management (CRM) software and sales processes to represent the stage in the funnel where a qualified lead has become a potential customer with a specific opportunity for a sale. An opportunity in CRM systems typically includes information such as the prospect’s contact information, the size of the deal, the expected close date, and any other relevant details that can help the sales team track and manage the opportunity.
17.4
Taxonomy of Drop-Out Reasons
Important hints concerning the drop-out reasons for leads can be taken from research on the termination of business relationships, customer regain management (Bansal et al., 2005) and exploration of switching behavior (Marshall et al., 2011). While existing studies predominantly refer to the B2C context (Bansal et al., 2005) and churn reasons after conversion, important implications may be made for the B2B context and the preconversion stage. As a taxonomy of reasons for customer defection, Bansal et al. (2005) suggested the ‘push-pull-moorings’ (PPM) model to explain why customers remain loyal to one service provider or switch to another. They categorize the most common reasons for switching behavior, including quality, satisfaction, value, trust, commitment, price
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247
Fig. 17.1 Funnel stages defined by D’Haen and Van den Poel (2013) extend by drop-out back loop and additional stages (own illustration)
perceptions, alternative attractiveness, social influences, prior switching behavior, varietyseeking tendencies, and service failure. Commitment is defined as a consumer’s belief that an ongoing relationship is worth investing in (Sharma & Patterson, 2000). Trust is defined as the customer’s feeling that the seller will fulfill promises (Morgan & Hunt, 1994). Satisfaction is a comparison of expectations with performance (Oliver, 1981). Value refers to the trade-off between quality and sacrifice (Zeithaml, 1988). Push factors refer to those factors “at the origin” (low satisfaction, quality, value, trust, commitment, and high price perceptions); they push the customer away from the original service provider (Bansal et al., 2005). Pull factors refer to factors “at the destination;” they include the attractiveness of the alternative product that pulls the customers away from the original service provider to the alternative service provider. Additional to push and pull factors, Bansal et al. (2005) account for so-called mooring factors that include variables such as switching costs, subjective norms, attitudes toward switching, experience, and variety-seeking tendencies. These mooring factors may inhibit or facilitate customers’ switching behavior.
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In other words, although push and pull factors are strong, customers may not migrate, because mooring factors may prevent them from doing so. In sum, customers are pushed away from a service provider when they are dissatisfied with their current experience, drawn towards a new service provider by appealing features or benefits and anchored to their current service provider by a variety of factors such as switching costs or social influences. Although these reasons were tested in the B2C context, we suggest that these reasons largely apply to the B2B context.
17.5
Proposed Framework
Our framework seeks to extend the existing ‘push-pull-moorings’ (PPM) model (Bansal et al., 2005), focusing on the pull and push factors due to simplicity. In the B2B context, we add one further important B2B variable, i.e., relationship quality, which is a key predictor of B2B customer loyalty (Rauyruen & Miller, 2007). Relationship quality includes features such as the salesperson’s similarity to the buyer, his or her service domain expertise, and relational selling behavior (Boles et al., 2000). Thus, we base our model on seven factors drawn from the PPM model and one additional variable that accounts for relational selling in the B2B context. This leads us to eight potential drop-out reasons in sum. Various empirical studies imply that multiple reasons may engender lead drop-outs. These reasons may be collected within an online survey sent to drop-outs after they leave the customer journey. Therefore, multiple answers may be selected by the survey participant (see Table 17.1). Items are presented in randomized order to prevent selection bias. As a sample, we chose drop-outs, since self-reports answers given by drop-outs themselves are more advantageous compared to other-reported answers, i.e., drop-out reasons declared by salespeople. (see Table 17.2): Table 17.1 The survey participants will be asked for their drop-out reason(s). The items are presented in randomized order to prevent selection bias. – SURVEY – Please choose one or more reasons why you haven’t chosen our product or service ☐ Alternative Attractiveness ☐ Low Quality ☐ Low Satisfaction ☐ High Price Perception
☐ Low Trust ☐ Low Value ☐ Low Commitment ☐ Relationship Quality
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249
Table 17.2 The table contains sample data, showing the fictitious output of 214 responses from 100 participating drop-outs, implying that on average 2.1 reasons were chosen. Product- and servicerelated dimensions are added to the model by the authors. x indicates the mean value. The color scale indicates a ranking with the lowest values in green and the highest values in red. Scale item Alternative Attractiveness Low Quality Low Satisfaction Low Value Low Trust Low Commitment High Price Perception Relationship Quality
n 18 41 21 45 13 35 29 12
Type of Effect Pull Effect: xpull=18
Type of Dimension
Product-related Dimension: x =29 Push Effect: xpush=28
Service-related Dimension; x =12
1. Two of the most important metrics refer to the absolute number (n) of declared reasons (see 2nd column in Table 17.2) and their percentual distribution among all mentions. The eight drop-out reasons are assigned to one of the two effects (push and pull effect) and to one of two dimensions (product-related, service-related). 2. Another key indicator is the mean push effect xpush , which may be attained by dividing the number of mentions within the push effect dimension by the number of study participants (see 3rd column in Table 17.3). 3. The survey allows participants to tick several items. We suggest that the more items a survey participant ticks, the higher his level of dissatisfaction is. We suggest the levels of dissatisfaction to be categorized as “unhappy” (drop-out ticked 1 item), “frustrated” (drop-out ticked 2–4 items), or “hostile” (drop-out ticked more than 5 items). 4. Finally, by means of temporal classification of drop-out reasons, market intelligence may be improved. More precisely, trends and changes in the behavior of the participants can be recognized. Plotting the eight items’ mentions on a timeline may provide additional insights useful for analyzing survey data and identifying trends and changes, such as changes in the market’s price structure; for example, a rising tendency of the drop-out reason “high price perception” over time may indicate that competitors have lowered their product’s price, accentuating price differences in the industry. In conclusion, the use of metrics can aid in gaining quantitative insights and a better understanding of the results of a survey or study. Analyzing trends and changes on a timeline can assist in identifying the causes and effects of market changes, providing critical information for future decisions.
250
17.6
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Drop-Outs in the Context of Marketing Technology
We suggest that data obtained by drop-outs may serve to measure the success of customer re-acquisition campaigns. First, the drop-out reasons can be used by sales and marketing departments to generate follow-up activities, such as phone calls. Second, the aggregated data can be utilized for marketing automation, especially to evaluate leads, also called lead scoring. Lead scoring has been widely acknowledged as a methodology to determine the maturity level of a lead, by assigning certain point-based score values to each of them based on their behavior; this assignment, in turn, is meant to indicate the likelihood of successfully converting into a customer. According to Zumstein et al. (2021), this methodology can be considered as a core function of marketing automation software, as earlier proposed by Hannig (2017). The term “lead scoring” comprises two approaches: a traditional and a predictive approach (Duncan & Elkan, 2015). In traditional lead scoring, the score is determined by the behavior of a lead. Based on the interaction with marketing touchpoints, such as clicking on a link, visiting a landing page, or downloading a white paper, a certain score will result. By assigning a point-based score to each action, multiple actions will accumulate and result in a higher total score, thus indicating a higher buyer intention. Duncan & Elkan (2015) point out that traditional lead scoring is, therefore, highly reliant on behavioral data and the experience of the marketeer manually assigning an arbitrary point value to a certain action. Predictive lead scoring, on the other hand, uses data mining and machine learning techniques to predict future behavior based on data patterns. Although lead scoring is an essential component of marketing automation, the latest studies determine a lack of comprehensive literature and a classification framework dedicated to it (Wu et al., 2023). Wu et al. argue that “a reliable predictive result of the likelihood that leads convert into customers should consider both the demographic and behavioral data of leads at different stages of the conversion process, not to mention that data on existing customers, old leads, and new leads should also be analyzed in calculating a lead score” (2023, p. 15). Therefore, we suggest assigning drop-outs to a scoreboard addressing both demographic and behavioral characteristics when looping them back into the extended sales funnel (see Fig. 17.1). The proposed scoreboard is based on the lead score matrix by Alvin (2007). Alvin suggests a square matrix of order 4, resulting in 16 different lead segments, differentiating between mature leads and leads which need further nurturing before being delivered to sales (see Table 17.3). In terms of the growing field of predictive lead scoring, we suggest using drop-out data to identify leads that have not yet defected but share demographic and/or behavioral similarities with drop-outs. We suggest that these “look-alike leads” have a higher chance of dropping out and should therefore be treated differently by marketing automation tools. We conclude that effective drop-out management through the utilization of marketing technology, namely predictive lead scoring, may significantly impact lead conversion rates and, thus, overall business success.
17 A Glance at the “Drop-Outs”
251
Table 17.3 Proposal of a two-dimensional score matrix. A higher score indicates a higher buying intent (Alvin, 2007) Behavioral Score Points
Demographic Score
50+
31-50
11-30
>10
50+
Sales Qualified Lead
Sales Accepted Lead
Marketing Qualified Lead
Lead Nurturing needed
31-50
Sales Accepted Lead
Sales Accepted Lead
Marketing Qualified Lead
Lead Nurturing needed
11-30
Marketing Qualified Lead
Marketing Qualified Lead
Marketing Qualified Lead
Lead Nurturing needed
>10
Lead Nurturing needed
Lead Nurturing needed
Lead Nurturing needed
Lack of Data / Possibly Spam
Conclusion
While the reasons for customer defection after conversion have been studied widely, limited research is available on drop-out reasons before conversion. Identifying drop-out reasons is important because the marketing departments tend to invest a large part of their budget into generating leads. If these leads are lost, they are a dead loss to the organization and its marketing department. Therefore, identifying and analyzing the drop-out reasons helps a company’s marketing function to expand its market intelligence and enhance product development. In doing so, our article helps to bridge the gap between companies’ marketing and sales functions. Often, these functions are unaligned in companies with detrimental consequences (Kotler et al., 2006). While Marketing is concerned with increasing customer awareness and brand preference, and generating leads, Sales typically assumes responsibility for converting those leads into revenues. If the marketing and sales funnels are matched and integrated into a buying funnel, as we propose, marketing can benefit from sales knowledge and back feed it by improving products. We argue that a clear-cut labeling of customers as “lost” and “won,” as practiced by many companies, downplays the potential data insights for the marketing department. Taking this practical and theoretical gap as a starting point, we provide a framework that seeks to help practitioners to classify their leads’ drop-out reasons. Future research could use additional qualitative data sources, such as interviews or
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focus groups, to gain a deeper understanding of the drop-out reasons and advance our knowledge on how to regain these leads as customers in a later step.
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17 A Glance at the “Drop-Outs”
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Dr. oec. HSG Kathrin Neumüller is project manager and inspiration expert at ValueQuest—the Swiss leader in employee surveys, 360° leadership feedback, and supervisor evaluation. Kathrin is also a lecturer and start-up expert at the Zurich University of Applied Sciences (ZHAW) and is key note speaker on topics including leadership, employee empowerment and purpose. Previously, Kathrin worked as a postdoctoral researcher, lecturer, and project manager at the University of St. Gallen, where she completed her Ph.D. in Retail Management and conducted numerous consultancy projects with large Swiss and international retailers. She studied at the University of St.Andrews and the University of Cambridge. In practice, she worked for multiple organizations, including the United Nations in Cuba and the Bahamas, and has extensive experience in strategic management consulting. Thomas Bigliel has extensive experience as a product manager in a variety of industries and possesses specialized expertise in digitalization strategies and SaaS platform management. He operates at the intersection of marketing, technology, and management, and has co-founded and managed several startups, one of which received recognition as the top 100 most promising startups in Switzerland for three consecutive years. Additionally, he has received the prestigious Grimme Online Award. Thomas holds a degree in engineering and media technology, and he is currently enrolled at the Lucerne University of Applied Sciences and Arts, focusing on Human–Computer Interaction Design.
Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics Wilfried Lange
18
und Malte Lange
Zusammenfassung
Die Finanzbranche nutzt seit Jahrzehnten IT-basierte Anwendungen zur effizienten Abwicklung von Geschäftsprozessen, z. B. bei der Kreditvergabe oder dem Zahlungsverkehr. Das Investitionsvolumen zur Weiterentwicklung der IT-Systeme ist im Branchenvergleich überdurchschnittlich hoch, da die Systeme stets aktuell und leistungsfähig sein müssen. Demgemäß verfügen Kreditinstitute und Versicherungen auch über umfangreiche Informationen ihrer Kund:innen, sodass mit Hilfe moderner Algorithmen des Maschinellen Lernens und unter Einsatz von Big-Data-Technologien aktuelle Kundenbedarfe erkannt werden können, die sich an der jeweiligen individuellen Lebenssituation der Kundschaft und deren Bedürfnissen orientieren. Die notwendigen Voraussetzungen und Maßnahmen zur Realisierung dieser kundenzentrierten Vertriebsstrategie werden am Praxis-Beispiel der Initiative „Sparkassen-DataAnalytics“ vorgestellt und die daraus resultierenden Erfolge einer analytischen kundenzentrierten Kundenansprache werden aufgezeigt.
W. Lange (B) IU Internationale Hochschule, Campus Münster, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Lange Finanz Informatik, Münster, Deutschland
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_18
255
256
18.1
W. Lange und M. Lange
Kundenzentrierung und Data Analytics
Die Finanzbranche verfügt über umfangreiche Informationen ihrer Kundschaft und nutzt seit Jahrzehnten IT-basierte Anwendungen zur effizienten Abwicklung von Geschäftsprozessen, z. B. bei der Kreditvergabe oder im Zahlungsverkehr. Das Investitionsvolumen zur Weiterentwicklung der IT-Systeme ist im Branchenvergleich überdurchschnittlich hoch (Roth & Heimann, 2022). Insbesondere mit Eintritt neuer Marktteilnehmender, wie der internetgestützten Zahlungsverkehrsabwickler Klarna oder Paypal, und der damit verbundenen Konkurrenzentwicklung wurde zunehmend die verstärkte analytische Nutzung der Kundendaten bedeutsam. Bereits 1954 hat Peter F. Drucker auf die Wichtigkeit der Kundenorientierung aufmerksam gemacht: „What the customer thinks he is buying, what he considers ‚value‘, is decisive – it determines what a business is, what it produces, and whether it will prosper“ (Drucker, 1955, S. 32). Das Ziel, mehr über die vorhandene und potenzielle Kundschaft zu erfahren, führt in vielen Unternehmen dazu, sich mit modernen Systemen der Informationsgewinnung auseinanderzusetzen. Als kundenorientierter Managementansatz haben sich CustomerRelationship-Management-Systeme (CRM bzw. CRM-Systeme) etabliert. Diese Marketingtechnologien stellen Informationen für operative, analytische und kooperative CRMProzesse zur Verfügung und tragen bei effektivem Einsatz zur Steigerung der Kundenbindung und -gewinnung sowie zur Intensivierung der Geschäftsbeziehung bei (Alpar et al., 2019, S. 328; Hippner et al., 2011, S. 19). Mit dem Ziel, die Kundenorientierung eines Unternehmens zu erhöhen, werden diese Daten zumeist in analytischen Datenhaltungssystemen zusammengeführt und für unterschiedliche Auswertungen entscheidungsorientiert bereitgestellt. Durch den systematischen Aufbau einer derartigen Customer-Data-Plattform, d. h. der Bildung eines separaten, „analytischen“ Datenbestands, werden interne Kundendaten und -informationen sowie externe, wie z. B. soziodemografische Daten, in nichtflüchtiger Form abgelegt (Alpar et al., 2019, S. 279) und können unter Einsatz moderner Machine-Learning-Verfahren potenzielle Kundenbedarfe identifiziert werden. Dies bedeutet, dass Muster und Gesetzmäßigkeiten der Daten anhand von selbstlernenden Systemen erkannt, dem potenziellen Kunden zugeordnet und für den Vertriebsprozess aufbereitet werden. Die so generierten Datensätze dienen zur Realisierung moderner analytischer Customer-Relation-Management-Anwendungen. Beispielsweise benötigen Banken und Versicherungen traditionell eine Vielzahl von Informationen über ihre Kund:innen zur Durchführung ihrer Geschäftstätigkeiten, wie für die Bewilligung einer Kreditfinanzierung. Wer diese Daten darüber hinaus für vertriebliche Zwecke nutzen will, braucht neben Data-Analytics-Technologien klare Zielsetzungen: Welche Analysen sind sinnvoll und wie lassen sie sich möglichst zielführend verwenden? Den wertvollen Rohstoff Daten können Banken nur dann effizient einsetzen, wenn diese Fragen beantwortet sind.
18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics
18.2
257
Arten der Kundenzentrierung mit Data Analytics
Customer Relationship Management bzw. Kundenbeziehungsmanagement gilt als das neue Paradigma im Marketing. Mit der hierbei erforderlichen Kundenzentrierung stehen anstelle des Produkts die Kund:innen im Mittelpunkt allen unternehmerischen Handelns (Höckel, 2021, S. 32).1 Dieses Konzept greift auf vorhandene Techniken des Marketings zurück und vereint diese unter der „Maxime der Kundenorientierung“ bzw. „Customer Centricity“ (Hippner et al., 2011, S. 20). Hierbei umfasst das zugrunde liegende „Customer Relationship Management […] den Aufbau und die Festigung langfristig profitabler Kundenbeziehungen durch abgestimmte und kundenindividuelle Marketing-, Sales- und Servicekonzepte mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien“ (Hippner et al., 2011, S. 18). Dohmen und Moormann konstatierten bereits 2011, „Finanzdienstleister haben erkannt, dass sie sich gegenüber ihren Kunden erheblich verändern müssen. Doch dabei gehen sie oft nicht radikal genug vor. Kundenorientierung muss zur Kundenzentrierung werden“ (S. 26). Während Kundenorientierung mit dem Ziel der Bedarfsdeckung als Handlungsmaxime für jedes Unternehmen anzusehen ist, wird bei der Kundenzentrierung gezielt die Sichtweise der Kundschaft angenommen. Kundenzentrierung beeinflusst das Verhalten der gesamten Organisation, betrachtet die gesamte Customer Journey und versucht, die Kundenbedürfnisse frühzeitig zu antizipieren. Dies erfordert eine deutliche Erweiterung des Wissens über Kund:innen und eine stärkere Fokussierung auf ausgewählte Zielgruppen sowie deren Bedürfnisse. Entsprechend wird für eine datengetriebene Customer-Centricity-Strategie eines Unternehmens ein ausreichender Umfang an Kundendaten benötigt. „Ohne Digitalisierung gibt es keine ausreichenden Daten – und ohne Daten keine echte Customer Centricity“ (Nenninger & Seidel, 2021, S. 91). Diese – zumeist betrieblichen – Daten werden in verschiedenen Stufen aufbereitet bzw. ausgewertet (Abb. 18.1): Abhängig von den eingesetzten im Komplexitätsgrad zunehmenden Analysemethoden und dem zeitlichen Horizont lassen sich vier verschiedene Stufen unterscheiden: • Kundenrelevante Daten werden gesammelt und beschrieben, um mögliche Muster zu erkennen (Descriptive Analytics – Wie hoch war unser Einlagengeschäft in der letzten Woche?) • In der zweiten Stufe werden Wirkungszusammenhänge analysiert und Ursachen identifiziert (Diagnostic Analytics – Warum ist unser Einlagengeschäft gegenüber der Vorwoche gestiegen?) • Ein Modell wird entwickelt, um zukünftige vergleichbare Ereignisse vorhersagen zu können (Predictive Analytics – Wie hoch wird das Einlagengeschäft im nächsten Monat ausfallen?) 1 Eine wissenschaftliche Untersuchung über Veröffentlichungen zum Thema „Customer Centricity“
wurde erstellt von Habel et al. (2020).
258
W. Lange und M. Lange
Analysemethoden
Prescriptive Analytics Was soll getan werden? Predictive Analytics Was wird geschehen? Diagnostic Analytics Warum ist dies geschehen?
Descriptive Analytics Was ist geschehen? Vergangenheit
Gegenwart
Zukunft
Zeit
Abb. 18.1 Arten von Data Analytics. (Eigene Darstellung)
• Maßnahmenempfehlungen werden abgeleitet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (Prescriptive Analytics – Welche Maßnahmen müssen gewählt werden, um gezielt das Einlagengeschäft zu steigern?) (Gartner, 2014; Alteryx, 2022). Unternehmen, die eine konsequente Customer-Centricity-Strategie umsetzen, identifizieren und erfassen systematisch die Kontaktpunkte zu ihren Kund:innen, um möglichst viele Informationen über diese zu gewinnen. Entsprechend können die verschiedenen Stufen von Data Analytics durchlaufen und je nach Zielsetzung vertriebsrelevante Fragen beantwortet werden.
18.3
Datenbasierte Kundenansprache für Sparkassen
Als größte Kreditinstitutsgruppe in Deutschland verfügt die Sparkassen-Finanzgruppe über einen Kundenbestand von rund 50 Mio. Kund:innen, der von ca. 360 Sparkassen betreut wird (DSGV, 2020, S. 1). Eine kundenzentrierte Vertriebsausrichtung für Privatund Firmenkund:innen erfordert eine hohe Automatisierung. Zugleich bietet dies jedoch die Chance, durch den Einsatz von Data Analytics eine individuelle und bedürfnisorientierte Kundenansprache zu ermöglichen und so den vertrieblichen Erfolg zu steigern. Voraussetzung und Grundlage hierbei sind die jeweiligen Kundendaten, welche für eine umfassende Nutzung nur mit vorliegender Einwilligungserklärung (EWE) analysiert und zielgerichtet angesprochen werden dürfen. Für vertriebliche Zwecke wurden bislang die Kundendaten mit Hilfe von Instrumenten mit Business Intelligence (BI) ausgewertet. Dies ist darin begründet, dass BI-Lösungen
18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics
259
mit vergangenheitsorientierten Analytik-Methoden arbeiten, die vorwiegend auf die bestehenden internen Datenbestände zugreifen. Es handelt sich in der Regel um strukturierte Daten, Fragen des „Was ist geschehen“ oder „Warum ist dies geschehen“ können mittels entsprechender Anwendungen beantwortet werden (Abb. 18.1, hier: Stufe 1 und 2). Diese vergangenheitsorientierten Auswertungen reichen indes nicht aus, um im Wettbewerb mit anderen Finanzdienstleistern zu bestehen. Vielmehr ist für eine Vorhersage des zukünftigen Kundenverhaltens, d. h. für die Realisierung der Stufe 3 (Abb. 18.1), ein umfassendes Kundenverständnis über sämtliche Kontaktdaten, wie z. B. die besuchten Produktinformationsseiten, die Online-BankingZugriffsprotokolle, die Geldautomatennutzung, das Bezahlverhalten oder die Kundenkommunikation zu entwickeln. Diese Daten liegen sowohl in strukturierter als auch in unstrukturierter Form vor, sind schnelllebig und volumenmäßig sehr umfangreich. Beispielsweise können mediale Suchanfragen oder Informationsrecherchen der Kund:innen zu ausgewählten Produkten ausgewertet werden und Rückschlüsse auf einen aktuellen Beratungsbedarf zu einem Finanzprodukt, wie z. B. der Baufinanzierung, geben. Die zur Umsetzung einer Customer-Centricity-Strategie entwickelte Initiative „Sparkassen-DataAnalytics“ (SDA) nutzt dieses Kundenverhalten und soll durch die Auswertung unterschiedlichster Daten die Beratungsqualität der Sparkassenkund:innen verbessern sowie eine ganzheitliche Kundenberatung unterstützen. Ferner werden spezifische Affinitätsmodelle zur Messung der Kundenbindung entwickelt, um zukünftige mögliche Abwanderungstendenzen (Churn-Analysen) frühzeitig zu erkennen. Es gilt, das bestehende Kundengeschäft zu intensivieren und existierende Kundenverbindungen möglichst zu halten sowie bei einer erkennbaren Kundenabwanderungstendenz gezielt gegenzusteuern. Inhaltlich kann den Kund:innen entsprechend der individuellen Lebenssituation eine Vielzahl von Produkten angeboten werden. Diese sind in den sechs Bausteinen des Sparkassen-Finanzkonzepts gebündelt (Sparkasse, 2023): • • • • • •
Konten & Karten Sparen & Anlegen Wohnen & Immobilie Kredite & Konsum Absicherung Altersvorsorge
Die vorgenannten Bausteine des Sparkassen-Finanzkonzepts werden auf die Lebenssituation der jeweiligen Kundschaft zugeschnitten. So verfügen junge Kund:innen in der Regel jeweils über ein Girokonto mit zugehöriger Debitkarte, über ein oder mehrere Sparkonten und ggf. eine private Haftpflichtversicherung. Nach einem Wohnortwechsel in Verbindung mit einem Arbeits- bzw. Ausbildungsbeginn können durch Data Analytics zusätzliche Finanzbedarfe wie eine Hausratversicherung, Produkte zur Vermögensanlage
260
W. Lange und M. Lange
Abb. 18.2 CRISP-ML-Modell. (Eigene Darstellung)
Business Understanding
Data Understanding
Monitoring and Maintenance
Data Preparation Modelling
Deployment Evaluation
oder für die Altersvorsorge identifiziert werden. Mit fortschreitendem Lebensalter stehen zumeist Bedürfnisse wie Vermögensaufbau, Immobilienerwerb oder zusätzliche Produkte zur Altersvorsorge im Fokus. Je nach Lebenssituation können die Kund:innen also ihr Vermögen erhalten oder aufbauen. Sie können spezielle Lebensrisiken absichern oder wirtschaftliche Bedarfe abdecken. Um die jeweilige Lebenssituation zu identifizieren und richtig zu interpretieren, sind die vorhandenen Daten systematisch zu integrieren, aufzubereiten und auszuwerten. Die Entwicklung und Validierung der produktspezifischen Modelle ist für die Prognosequalität und Entscheidungsgüte als maßgeblich anzusehen. Diese werden innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe von der Sparkassen Rating und Risikosysteme GmbH (SR) als zentraler Methodik-Dienstleister realisiert. Gemeinsam mit der Finanz Informatik als zentralem Digitalisierungspartner der die Machine-Learning(ML)-Algorithmen in Anlehnung an das Vorgehensmodell CRISP-ML2 im OSPlus integriert und den Sparkassen für eine optimale Kundenansprache zur Verfügung gestellt (Abb. 18.2). Das klassische Vorgehensmodell CRISP-ML basiert auf sechs Phasen, die idealtypisch nacheinander durchlaufen werden (Visengeriyeva et al. (2023), Shearer (2000) S. 21). ML-Projekte weisen aber häufig einen iterativen Verlauf auf, d. h., dass zwischen den verschiedenen Phasen Rückkopplungen eintreten können, die durch die inneren Pfeile verdeutlicht werden. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn die angestrebten Zwischenziele nicht in der gewünschten Qualität erreicht werden. Um eine dauerhafte Produkt- bzw. Auswertungsqualität zu sichern, wurde in Analogie zum CRISPML-Modell für Machine-Learning-Modelle die zusätzliche Phase des „Monitoring and Maintenance“ ergänzt (Studer et al., 2021, S. 3). a. Business and Data Understanding
2 CRoss-Industry Standard Process for the development of Machine Learning applications.
18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics
261
Entlang des Sparkassen-Finanzkonzepts sind sämtliche benötigten Daten zusammenzuführen, die bei einer analytischen Modellentwicklung der jeweiligen Produkte und Services z. B. für den Abschluss eines Privatkredits benötigt werden. Hierzu zählen bspw. regionale oder institutsspezifische Besonderheiten ebenso wie eine bankfachliche Prüfung gemeinsam mit Sparkassen. Unter Beachtung der darüber hinaus geltenden rechtlichen und technischen Anforderungen werden diese Daten anschließend für die weitergehende Modellentwicklung genutzt. b. Data Preparation Die primäre Datengrundlage der strukturierten und unstrukturierten Daten stellt das Kernbanksystem OSPlus3 zur Verfügung. Dieses verwaltet die vertrieblichen Stammdaten und Kundeninformationen, das System kann durch Drittanwendungen erweitert werden. Hierbei ist bedeutsam, dass die Harmonisierung der Mandanten-getrennten Datenbestände für die ca. 360 rechtlich selbständigen Sparkassen nur durch die gemeinsame Nutzung dieser Kernbankanwendung realisierbar ist. Die Nutzung von OSPlus ermöglicht eine individuelle bankfachliche Konfiguration (z. B. verschiedene regionale Produktvarianten), indes sind die genutzten Datenstrukturen bei allen Sparkassen als Mandanten der Finanz Informatik identisch. Auf dieser Grundlage können die Data-Pipelines zur Datenaufbereitung für alle Sparkassen zentral aufgebaut und isoliert für jeden Mandanten betrieben werden. Dies ermöglicht, die jeweiligen Rohdaten in einen einheitlichen, strukturierten und normierten vertrieblichen Datenhaushalt zu überführen, was einen gleichartigen Modellbetrieb gewährleistet. c. Modeling Im nächsten Schritt werden die Anforderungen je spezifischer Nutzung (Sparen, Kredit, Wertpapier etc.) in analytischen Modellen abgebildet. Insbesondere Sparkassen agieren in einem stark regulierten Umfeld, sodass die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Prognosegüte stehts zu gewährleisten ist. Hierzu werden bei SDA primär die Methoden des überwachten Lernens für ML-Algorithmen genutzt. Dieses Vorgehen macht die jeweiligen Faktoren zur Beeinflussung der Prognosewahrscheinlichkeiten nachvollziehbar. Ergänzend sind diese Informationen auch für den Vertriebsprozess von Vorteil, da die Erklärbarkeit der ML-Modelle zu einer höheren Nutzerakzeptanz im stationären Vertrieb führt. d. Evaluation Nach der Modellierungsphase sind die Modelle einer statischen Prüfung zu unterziehen und hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Prognosegüte auf Basis der jeweiligen 3 OSPlus ist die Bezeichnung für die zentrale Anwendungsplattform der Sparkassenorganisation, die
von der Finanz Informatik GmbH & Co. KG bereitgestellt wird.
262
W. Lange und M. Lange
Input-Parameter zu untersuchen. Um die Generalisierbarkeit der Modelle für den späteren mandantenunabhängigen Betrieb sicherzustellen, wird eine Kreuzvalidierung der Modelle vorgenommen, d. h., die Prognosequalität wird auf unterschiedlichen Datenbeständen der verschiedenen Mandanten validiert. e. Deployment Nach Abschluss der umfangreichen statistischen Tests und Validierungsverfahren werden die Modelle in den Softwareentwicklungsprozess für die Kundenanwendung integriert. Hierbei stellen die Modelle einen Teil der gesamten OSPlus-Anwendungsartefakte4 dar. Anschließend werden die Modelle auf der Data-Analytics-Plattform in den Rechenzentren der Finanz Informatik für den produktiven Einsatz bereitgestellt. f. Monitoring and Maintenance Ein kontinuierliches Controlling der produktiven Modelle ist aufgrund des potenziellen Anpassungsbedarfs z. B. durch Änderungen der Datenkonstellationen unerlässlich, da die Modellgüte zur Prognosewahrscheinlichkeit für den erfolgreichen Einsatz entscheidend ist. Ergänzend zum methodischen Monitoring wird gleichzeitig der wirtschaftliche Nutzen für die Sparkassen mit Hilfe des Vertriebscontrollings im OSPlus nachgewiesen.
18.4
Entwicklung zum Integrierten Ansprachemanagement
Ausgehend von dem zuvor beschriebenen aufbereiteten Datenbestand entwickelt die Sparkassen-Finanzgruppe kontinuierlich die Vertriebsstrategie weiter, um die Kundenzentrierung von Produkten und Services weiter zu verbessern und den vertrieblichen Erfolg zu steigern. Dabei ist zu klären, wie persönliche und digitale Kontakte gemeinsam erfasst werden können. Je nach gewählter technischer Infrastruktur sind die Datenbereitstellung und -aufbereitung zu regeln und in einem Datenhaushalt zusammenzuführen. Zur Berücksichtigung der Belange des Datenschutzes gemäß der DSGVO müssen auch die notwendigen Kundeneinwilligungen vorliegen. Vielfach hat sich der persönliche Kontakt zu Kund:innen, der früher weitgehend filialbasiert war, auf andere Kanäle wie etwa Apps oder Online-Banking verlagert. Entscheidend ist daher, die jeweiligen Kundenbedürfnisse zu identifizieren, um eine bestmögliche Kundenansprache zu erreichen (Abb. 18.3). Die Entwicklung zur kundenzentrierten Ansprache hat sich über die vergangenen Jahre deutlich verstärkt, denn die lineare Werbung verzeichnet mit ihren Instrumenten der Massenkommunikation hohe Streuverluste. Bereits durch maßnahmenbasierte Aktivitäten, die von Vertriebsexperten festgelegt wurden, können potenzielle Kund:innen im Rahmen von 4 In der Softwareentwicklung werden Quellcode, Datenbanktabellen, Metadaten etc. als Bestandteile
der Anwendung gesehen.
18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics Abb. 18.3 Vergleich Expertenauswahl gegenüber einer algorithmenbasierten Selektion. (Eigene Darstellung)
Kampagnen Expertenselektion
263
S-Data Analytics
Einkommen
Alter
Zielgruppenermittlung durch Selektionsmerkmale von Experten
Zielgruppe basierend auf Affintitätsscores durch Anwendung von analytischen Algorithmen
Marketingkampagnen gezielter identifiziert und kontaktiert werden. Mit Hilfe von Data Analytics kann diese Trefferquote durch geeignete statistische Verfahren noch weiter verbessert werden. Das Integrierte Ansprachemanagement unterliegt also einem Perspektivwechsel im Hinblick auf die Vertriebssteuerung, den Einsatz von vertrieblichen Kampagnen, die Kommunikation sowie deren Prozesse. Mit der zunehmenden Customer Centricity kann die Kundschaft durch genaue Datenanalyse individuell und dennoch automatisiert zur richtigen Zeit zum richtigen Thema angesprochen werden. Den Anlass geben die Kund:innen selbst – nicht nur zum Geburtstag, bei einem Filialbesuch oder mittels Wiedervorlage, sondern aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituationen, des Kaufverhaltens oder ihrer Interessen an Finanzprodukten auf der institutseigenen Webseite. Im nächsten Schritt sind dann die geeignetsten Ausspielungskanäle (Touchpoints) – sowohl online als auch offline – auszuwählen, um im Integrierten Ansprachemanagement zur effizienteren und automatisierten omnikanalen Kundenansprache genutzt zu werden.
18.5
Ergebnisse und Ausblick
Um das Ziel des Kundenmanagements im Sinne der Customer Centricity zu erreichen, wurde eine analytische Plattform mit einem vertrieblichen Datenbestand zur Analyse der Kundenbedürfnisse geschaffen. Hierin werden strukturierte Daten aus unterschiedlichen operativen Vertriebsanwendungen der Sparkassen und Verbundpartner sowie zusätzliche Datenquellen zusammengeführt. Weitere unstrukturierte Daten aus Kundenkontaktpunkten, der individuellen Kundenkommunikation oder durch externe Marketingdaten werden ergänzt. Auf Basis dieser Datenbestände können durch ML-gestützte Analysewerkzeuge Empfehlungen zur vertrieblichen Kundenansprache generiert werden (Abb. 18.4). Ein vielversprechender Ansatz zur Optimierung der kanalübergreifenden Kundenansprache wurde bereits bei Pilotsparkassen unter Einsatz von Data Analytics bzw. Algorithmen des Maschinellen Lernens getestet. Die Institute verfügen über vielfältige
264
W. Lange und M. Lange
Abb. 18.4 Aufbau der analytischen Plattform in der Finanz Informatik. (Eigene Darstellung)
Angaben ihrer Kund:innen aufgrund der bestehenden Produktnutzungen, der Beratungsgespräche und der Informationen über die allgemeine Lebenssituation. Des Weiteren bieten zum Beispiel Vertragsdaten, Kreditengagement oder Analysen des Zahlungsverkehrs Anknüpfungspunkte, Kund:innen individuell entsprechend ihrer persönlichen Finanzsituation zu beraten. Somit können die potenziellen Kund:innen und deren Bedürfnisse mittels Data Analytics selektiert bzw. kann ihnen mit Hilfe von KI-Algorithmen eine Next-Best-Aktion (NBA) vorgeschlagen werden, bevor die Kund:innen selbst ihre Bedürfnisse in einem persönlichen Beratungsgespräch oder im Call-Center äußern (Lünemann & Müller-Hammerstein, 2021) (Abb. 18.5).
Analyse & Steuerung
Beratung
Ansprache
Zyklische automatisierte Analytics-basierte Analyse der relevantesten Kunden und Steuerung
Ausspielung und Anzeige von zielgruppenspezifischen Inhalten Automatische Aktualisierung
Controlling Reporting der vertrieblichen Maßnahmen zur Vertriebssteuerung
Direkter Aufruf des jeweiligen bankfachlichen Prozesses zur Kundenberatung Jeweiliger Prozess-Aufruf
Reaktionsmessung
Durchgängige Closed-Loop-Messung über alle Phasen im vertrieblichen Datenhaushalt für Reporting- und Analytics Optimierungen Seite 1
Abb. 18.5 Prozess der Kundenansprache. (Eigene Darstellung)
18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics
265
Durch die Analyse der Kontaktpunkte zwischen Sparkasse und Kund:innen, ihren Berührungspunkten sowie die Wahl der Kanäle kann eine Customer Journey entwickelt, systematisch bewertet und gestaltet werden. In der Praxis spiegelt sich im Integrierten Ansprachemanagement die Customer Journey in folgenden Schritten wider (Abb. 18.5): Selektion: Monatlich werden die relevantesten Kund:innen mit potenziellen Produktempfehlungen in das Frontend OSPlus eingestellt. Zur Aktivitätsplanung werden den Kundenberater:innen im stationären Vertrieb die Produktempfehlungen für die Kundschaft angezeigt und können zur Kundenansprache/Terminvereinbarung genutzt werden. Nach der Kontaktaufnahme und Dokumentation der Kundenreaktion (Produktabschluss/ Terminvereinbarung/abweichende Beratungswünsche/fehlendes Interesse) kann abschließend die Bewertung des Erfolgs der Maßnahme im Erfolgscontrolling kanalspezifisch ausgewertet werden.
Neben einem größeren Verständnis für die Bedürfnisse der Kundschaft führt eine in allen Phasen durchgängige Customer Journey dazu, dass das Kundenerlebnis als angenehmer wahrgenommen und effizienter abgebildet wird. Langfristig wird so eine höhere Kundenbindung erreicht und kann der Customer Lifetime Value erhöht werden (Wildhagen & Lauterhahn, 2019). Mehrere Untersuchungen bestätigen die Wichtigkeit dieses Kundenerlebnismanagements. So führt McKinsey (2014) aus, dass die Beherrschung der Customer Journey bis zu 10 % mehr Umsatz bei 20 % weniger Kosten und 20 % höherer Kundenzufriedenheit erzielen kann. In der Sparkassenorganisation wurden bereits 2019 erste Erfahrungen mit SDA gesammelt und es konnten deutliche Verbesserungen im Kundenmanagement erzielt werden. In der Vertriebssteuerung erfolgt daher auch ein Controlling der SDA-basierten Kundenansprachen. Aufgrund der tiefgreifenden OSPlus-Integration kann der wirtschaftliche Erfolg dieser neu eingesetzten analytischen Vorgehensweise, z. B. hinsichtlich der Anzahl und Beitragshöhe der Produktabschlüsse, für Controllingzwecke ausgewertet werden (Abb. 18.6). Bereits in der Einführungsphase wiesen die teilnehmenden Pilotsparkassen deutliche Ergebnis- bzw. Volumensteigerungen auf. Im Vergleich zur bisherigen Expertenselektion Abb. 18.6 Ergebnissteigerung bei einer SDA-Pilotsparkasse. (Eigene Darstellung)
266
W. Lange und M. Lange
wurden Beratungstermine verstärkt wahrgenommen, Kreditfinanzierungszusagen deutlich erhöht und auch im Verbundgeschäft (Wertpapiere, Bausparen und Versicherungen) wurde ein merkliches Wachstum erzielt. Diese Ergebnisse haben letztlich bewirkt, dass nach Abschluss der Pilotphase das Produkt SDA von über 90 % der Sparkassen bereits eingesetzt wird (FI-Magazin, 2022). Die Gründe der Überlegenheit liegen unter anderem in der mittels statistischer Methoden optimierten und zielgenauen Kundenauswahl. Dabei geht der Trend von der Massenansprache hin zu individuellen Kundenerlebnissen durch personalisierte Inhalte (Kartajaya et al., 2021, S. 157). Auch werden Planung, Steuerung, Ausspielung sowie Controlling im Gesamtprozess effektiver aufeinander abgestimmt. Im Rahmen der Mittelfristplanung des SDA werden die analytischen Weiterentwicklungen vorangetrieben und sollen die Verfahren zur Kundenzentrierung weiter verbessert werden. Zudem soll die Nutzung der identifizierten Vertriebspotenziale bereits in dem Prozess der Vertriebsplanung berücksichtigt werden, sodass ein weiterer Schritt zu einem ganzheitlichen datenbasierten Vertriebsmanagement vollzogen werden kann. Konkret sollen die folgenden Entwicklungsschritte umgesetzt werden: • Weiterentwicklung der Kundenanalyse – Berücksichtigung regionaler Besonderheiten bei der Kundenansprache – Erkennen von Vertriebsaspekten durch Geschäftsprozessanalysen – Aufnahme von Kapazitätsinformationen zur Priorisierung von Vertriebsmaßnahmen Darüber hinaus werden zukünftig weitere geografische Merkmale, Web-Tracking, Fremdverträge und Verbundpartnerdaten für die Datenanalyse berücksichtigt. • Vertriebsplanung – Nutzung von analytischen Informationen bei der operativen Vertriebsplanung – Planung von vertrieblichen Maßnahmen anhand von Kundenpotenzialen als Verteilkriterium für die kundenbetreuenden Berater:innen Die umfassende und intensive Nutzung von SDA sowie die sehr erfolgreichen Piloteinsätze in ausgewählten Sparkassen zeigen, dass auch im Bankenumfeld deutliche Ergebnisverbesserungen mittels datengetriebener Anwendungen zu erzielen sind. Dies gilt umso mehr, als ein ganzheitliches Kundenverständnis ungeachtet des omnikanalen Kundenverhaltens sicherzustellen ist. Data Analytics kann durch die Zusammenführung heterogener Datenquellen ein entscheidender Baustein für moderne Finanzplattformen darstellen.
18 Kundenzentrierung in der Finanzwirtschaft durch Data Analytics
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Fazit
Die Entwicklung und der Betrieb von Anwendungen mit Machine-LearningAlgorithmen führen zu einer höheren Komplexität und erfordern zusätzliches Know-how, ermöglichen neben der aufgezeigten deutlichen Ergebnissteigerung zugleich aber auch eine verbesserte Kundenbindung. Auf dem jeweiligen Vertriebskanal können datenbasierte Handlungsempfehlungen kundenspezifisch bereitgestellt werden. Letztlich besteht im SDA die Vision, mithilfe einer 360-Grad-Betrachtung die Bedürfnisse der Kund:innen in Bezug auf die richtigen Produkte und Services zu identifizieren und diese zur richtigen Zeit in geeigneter Form zu beraten. Durch Customer Centricity werden die klassischen Vertriebsziele (Steigerung des Deckungsbeitrags im Vertrieb, Auslastung der personellen Betreuungskapazitäten sowie die strategische Bedeutung der Kundenbeziehung) für die Sparkasseninstitute deutlich verbessert.
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Prof. Dr. Wilfried Lange lehrt Betriebswirtschaftslehre im Dualen Studium an der IU Internationale Hochschule am Standort Münster. Er forscht im Bereich Personal-, Vertriebssteuerung und Digitalisierung von Unternehmen und war vor seiner Professur in verschiedenen Führungspositionen tätig. Mit Fragen des Vertriebscontrolllings hat er sich sowohl in seiner Dissertation als auch während seiner Tätigkeit als Unternehmensberater für Sparkassen beschäftigt. Beim SVWL pilotierte er bereits 1995 ein Modell zur marktpotenzialorientierten Vertriebssteuerung in einer Sparkasse. Malte Lange (B. Sc. Wirtschaftsinformatik) ist Produktverantwortlicher „Sparkassen DataAnalytics“ und mitverantwortlich für die Programmkoordination von Analytics- und Reporting-Projekten im Geschäftsbereich der Vertriebs- und Banksteuerung bei der Finanz Informatik (https://www.fi.de), dem zentralen IT-Dienstleister der Sparkassen-Finanzgruppe. Er hat in der Finanz Informatik den Aufbau der Data-Analytics-Plattform mitverantwortet und begleitet deren Weiterentwicklung.
Digitalisierung und persönlicher Kundenservice im kleinstrukturierten Luxus-Fashion-Einzelhandel
19
Shirin La Garde, Eva Lienbacher und Beate Cesinger
Zusammenfassung
Der vermehrte Einsatz von Marketingtechnologien führt dazu, dass sich der stationäre Einzelhandel permanent verändert. Es scheint so, als würden viele Konsument:innen Marketingtechnologien im Verkaufsraum zur Schaffung einzigartiger und kanalübergreifender Erlebnisse im Sinne eines Zufriedenheitsfaktors bereits erwarten. Diese digitale Transformation betrifft auch den persönlichen Kundenservice, da beispielsweise standardisierte Prozesse automatisiert werden, um das Verkaufspersonal zu unterstützen oder gar zu ersetzen. Der persönliche Kontakt, erstklassiger Service sowie ein einzigartiges Einkaufserlebnis sind allesamt Erfolgsfaktoren im LuxusFashion-Einzelhandel. Es ist aber anzunehmen, dass etablierte digitale Strategien nicht einfach kopiert bzw. übernommen werden können. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf den persönlichen Kundenservice von kleinstrukturierten Einzelhandelsunternehmen im Luxussegment hat. Gespräche mit Eigentümer:innen oder Mitarbeitenden in leitender Funktion liefern explorative Einblicke zum derzeitigen Einsatz von Marketingtechnologien im Verkaufsraum im Luxussegment sowie zu Potenzialen hinsichtlich des persönlichen S. La Garde (B) · B. Cesinger New Design University, St. Pölten, Österreich E-Mail: [email protected] B. Cesinger E-Mail: [email protected] E. Lienbacher Fachhochschule Salzburg, Salzburg, Österreich E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_19
269
270
S. La Garde et al.
Kundenservices im Kontext der Digitalisierung. Nach Meinung der Expert:innen sind Marketingtechnologien derzeit nur in unterstützender Funktion vorstellbar.
19.1
Einleitende Überlegungen
Der Fashion-Einzelhandel befindet sich im Wandel (Grewal et al., 2021). Die anhaltende digitale Transformation führt zu einer Vielzahl verschiedener Touchpoints und Distributionskanäle (Grewal et al., 2019, 2021). Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Big Data und Automatisierung revolutionieren sowohl den stationären wie auch den Online-Einzelhandel (Bethan & Kent, 2021; Grewal et al., 2021). Diese Veränderung betrifft auch den persönlichen Kundenservice im stationären kleinstrukturierten Einzelhandel. Personalintensive, standardisierte Prozesse werden zum Teil automatisiert und unterstützen oder ersetzen das Verkaufspersonal (Huang & Rust, 2021). Das führt dazu, dass Kund:innen immer öfter mit Technologien anstelle von Mitarbeitenden in Berührung kommen (Huang & Rust, 2021). In weiterer Folge wird der (sinnvolle) Einsatz von Technologien häufig als Zufriedenheitsfaktor vorausgesetzt bzw. von Konsument:innen erwartet (Grewal et al., 2019), wie etwa die Verschmelzung des stationären Einzelhandels mit Onlineshops oder Apps (Gao et al., 2021; Grewal et al., 2021). Der Luxus-Fashion-Einzelhandel steht hier vor der Herausforderung, dass DigitalStrategien nicht einfach übernommen werden können, da dies den Markenwert beeinträchtigen könnte (Chung et al., 2018). Zu den typischen Charakteristika von Luxus zählen Exklusivität, Hedonismus, Ästhetik, Authentizität und persönliche Beziehungen (Javornik et al., 2021; Wirtz et al., 2020). Global agierende Unternehmen wie Louis Vuitton oder Burberry setzten bereits Marketingtechnologien ein (Chung et al., 2018; Godey et al., 2016; Javornik et al., 2021), um ein einzigartiges und kanalübergreifendes Erlebnis im Verkaufsraum zu schaffen (Holmqvist et al., 2020). Kund:innen erwarten demnach außergewöhnlichen und erstklassigen Service sowie ein einzigartiges Einkaufserlebnis, wobei der persönliche Kontakt nach wie vor eine wesentliche Rolle spielt (Chevalier & Gutsatz, 2012; Holmqvist et al., 2020; Nickson et al., 2017). Die Bedeutung des persönlichen Kundenservices in diesem Zusammenhang wurde bislang nur vereinzelt, u. a. als Bestandteil der Customer Experience oder der Marketingstrategie (siehe bspw. Nickson et al., 2017; Wirtz et al., 2020) behandelt. Zudem gibt es kaum Beiträge, die Erkenntnisse zum kleinstrukturierten stationären Einzelhandel liefern, wenngleich KMU als Rückgrat der europäischen Wirtschaft gelten. Daher beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf den persönlichen Kundenservice von kleinstrukturierten Einzelhändler:innen im Luxussegment hat. Nach einem kurzen Überblick zu Einsatzmöglichkeiten von Marketingtechnologien im Verkaufsraum werden explorative Ergebnisse aus einer empirischen Erhebung im kleinstrukturierten Einzelhandel des Fashion-Luxus-Segments dargelegt. Konkret wurden die Unternehmer:innen dazu befragt, welche Technologien im
19 Digitalisierung und persönlicher Kundenservice …
271
eigenen Verkaufsraum bereits zur Anwendung kommen oder in Zukunft vorstellbar sind und wie sich der persönliche Kundenservice durch die Digitalisierung verändert hat. Der Beitrag schließt mit Implikationen für Forschung und Praxis.
19.2
Marketingtechnologien im stationären Handel und Kundenservice
Um Konsument:innen ein einzigartiges Einkaufserlebnis im stationären Fashion-LuxusSegment zu bieten und dabei auch die Zielgruppe zu erreichen, die eine hohe Affinität zur Digitalisierung hat (D’Arpizio et al., 2019; Mu et al., 2020), setzen auch Luxusmarken vermehrt Technologien im Verkaufsraum ein (Chung et al., 2018). Digitalisierung und Marketingtechnologien gewinnen im Fashion-Luxus-Segment auch deshalb an Bedeutung, weil Millennials und die Generationen Y und Z eine relevante Zielgruppe (D’Arpizio et al., 2019; Deloitte, 2017; Thomsen et al., 2020) mit hoher Affinität zu Digitalisierung und Technologien sind (D’Arpizio et al., 2019; Mu et al., 2020). Darüber hinaus verändern sich neben dem Verständnis für Luxus auch die Erwartungen beim Kauf von Luxusmode (Thomsen et al., 2020), da durch die zunehmende Digitalisierung der Luxusmarkt für Mitbewerbende und Konsument:innen immer zugänglicher wird und der Wettbewerb zunimmt (Gao et al., 2021). Auch Luxusmarken können mittlerweile über Onlineplattformen mit teils deutlichen Preisunterschieden gekauft werden (Gao et al., 2021). Marketingtechnologien im stationären Einzelhandel haben zahlreiche Anwendungsbereiche und sind mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen verbunden (Grewal et al., 2019). In der Regel führt der Einsatz dazu, dass das Einkaufen für Konsument:innen bequemer wird und/oder einzigartige Erlebnisse geschaffen werden (Bethan & Kent, 2021; Grewal et al., 2019). Zu den Basistechnologien, die Konsument:innen häufig voraussetzen, zählt unter anderem der Einsatz von kostenlosem WLAN, QR Codes, Tablets oder digitalen Screens im Verkaufsraum. Konsument:innen haben dank dieser Technologien die Möglichkeit, auf Online-Vertriebskanäle oder Soziale Medien zuzugreifen oder erhalten weiterführende Informationenoder einzigartige Erlebnisse (Grewal et al., 2019). Tablets wiederum helfen dabei, Informationen und Daten schnell und einfach zu verwalten, wie etwa Kundendaten oder Produktinformationen (Bethan & Kent, 2021). Adidas setzt bereits digitale Screens und Tablets erfolgreich im stationären Handel ein (Bethan & Kent, 2021) und nutzt eine digitale Wand (Hyped Wall), um für Kund:innen ein besonderes Einkaufserlebnis zu schaffen (Wilson, 2019). Diese Hyped Wall ist im Verkaufsraum platziert und zeigt die neuesten Trends der Marke (Bethan & Kent, 2021; Wilson, 2019). Auch in der Garderobe kommen digitale Screens zum Einsatz, da Kund:innen beim Anprobieren einen gewünschten Hintergrund am Bildschirm einblenden können (Wilson, 2019). Tablets setzt Adidas unter anderem für das sogenannte „SchuhTracking“, den Fuß-Scan zur Individualisierung von Schuhen, ein (Adidas, 2021). Kund:innen können in weiterer
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S. La Garde et al.
Folge den gekauften Schuh in einem selbst erstellten Profil anlegen und Aktivitäten wie zum Beispiel Laufen oder Wandern tracken (Adidas, 2021). Ein weiteres Beispiel aus der Praxis wäre das Unternehmen Polo Ralph Lauren, hier verweisen QR-Codes auf Werbeplakaten, Schaufenstern und in Kundenmagazinen auf den eigenen Onlineshop (Joshi, 2022). Lacoste nutzt QR-Codes in Printmagazinen, um Konsument:innen die neueste Kollektion zu präsentieren und eine Bestellung online zu ermöglichen (Joshi, 2022). Laut unserer Recherche finden sich bislang keine Beispiele im Fashion-Luxus-Handel für den Einsatz von QR-Codes beim Bezahlvorgang im Verkaufsraum mit dem Smartphone. Ein Grund dafür könnte der Wunsch nach persönlicher Beratung sein (Javornik et al., 2021; Wirtz et al., 2020), da Kund:innen den qualitativ hochwertigen Service des Verkaufspersonals schätzen (Thomsen et al., 2020). Speziell im stationären Fashion-Luxus-Segment schaffen digitale Screens jedoch Einkaufserlebnisse, da sie neue Kollektionen bzw. eine Modenschau im Verkaufsraum visualisieren können (Bethan & Kent, 2021). Neben den oben genannten Basistechnologien kommen vermehrt auch fortgeschrittene Marketingtechnologien wie Virtual Reality oder Augmented-Reality-Anwendungen zum Einsatz. Virtual Reality bezeichnet eine digital konstruierte Welt, in der Konsument:innen selbst ein Teil der konstruierten Welt werden (Dörner et al., 2014). Es handelt sich bei Virtual Reality also um eine fortgeschrittene Technologie, die vor allem ein Erlebnis im Verkaufsraum erzeugt. Diese Technologie nutzen Marken wie beispielsweise North Face, um eine emotionale Bindung zwischen Konsument:innen und ihrer Marke herzustellen (Dua, 2015; Thomsen et al., 2020). Auch Augmented Reality kann sich positiv auf das stationäre Einkaufserlebnis auswirken (Javornik et al., 2021). Im Gegensatz zur Virtual Reality, bei der eine virtuelle Welt kreiert wird (Dörner et al., 2014), verknüpft diese Technologie die reale Umgebung mit virtuellen Elementen, um die Vorstellungskraft zu unterstützen (Grewal et al., 2019; Javornik et al., 2021). Luxusmarken wie Burberry nutzen diese Technologie beispielsweise, um virtuelle Zeichnungen in die physische Umgebung des Verkaufsraums einzubetten und damit ein ästhetisches Bild zu kreieren. Dior bietet wiederum die Möglichkeit, Sonnenbrillen virtuell anzuprobieren (Javornik et al., 2021). Chanel erzeugte mittels Augmented Reality ein einzigartiges Erlebnis im Verkaufsraum, bei dem die Markengeschichte und die Geschichte von Coco Chanel in Form einer Ausstellung dargestellt wurde (Javornik et al., 2021). Das Unternehmen hat darüber hinaus in ausgewählten Verkaufsräumen bereits einen Augmented Reality-basierten Smart Mirror in den Garderoben integriert (Fowler, 2020). Ein weiteres Beispiel für eine fortgeschrittene Technologie im Verkaufsraum ist der Einsatz Künstlicher Intelligenz (Grewal et al., 2021; Huang & Rust, 2021). Hierdurch können standardisierte Prozesse automatisiert werden, sodass freie Zeit-Ressourcen für das Verkaufspersonal entstehen, um auf die individuellen Bedürfnisse der Konsument:innen einzugehen (Huang & Rust, 2021). Die Künstliche Intelligenz kann unter anderem personalisierte Angebote erstellen, Empfehlungen abgeben oder das Zahlungsmanagement optimieren (Shankar, 2018). Man spricht hier auch von kundenorientierter Künstlicher Intelligenz da eine Interaktion mit Konsument:innen stattfindet (Guha et al., 2021; Shankar, 2018). Beispiele
19 Digitalisierung und persönlicher Kundenservice …
273
aus der Praxis wären das Roboter-Modell Pepper, der mit Kund:innen durch Gespräche in Interaktion tritt, oder auch der automatisierte Zahlungsprozess von Amazon Go (Glaser, 2017; Grewal et al., 2019; Shankar, 2018). Auch mittels Künstlicher Intelligenz gesteuerte Chatbots (Chung et al., 2018), also virtuelle, sprachgesteuerte Systeme, die eine Kommunikation zwischen Menschen und Computern ermöglichen, zählen zu den fortgeschrittenen Marketingtechnologien (Lee et al., 2017). Das Unternehmen H&M setzt diese in Kombination mit einem Smart Mirror im New Yorker Flagshipstore ein. Kund:innen haben dort zahlreiche Möglichkeiten zur Interaktion wie die „Selfie-Option“ inklusive Styling-Empfehlungen, die über QR-Codes heruntergeladen werden können (James, 2022). Zusammenfassend stehen Unternehmen im Fashion-Luxus-Segment vor der Herausforderung, sowohl die Bedürfnisse der digital affinen als auch die der konservativtraditionellen Käufergruppen zu befriedigen, dabei aber auch das eigene Markenimage zu bewahren. Der persönliche Kundenservice ist hier oft ein entscheidendes Momentum. Hier werden sogenannte weiche, soziale und harte Eigenschaften, die Servicekräfte erfüllen sollten, unterschieden (Nickson et al., 2017). Zu den weichen Eigenschaften zählen etwa das äußere Erscheinungsbild der Servicekräfte oder die persönliche Fähigkeit, einen hochwertigen Service anzubieten. Dabei ist vor allem die soziale Fähigkeit des Verkaufspersonals gefragt, denn es muss in der Lage sein, die nötige Balance zwischen Verkaufen und Beraten zu finden (Pettinger, 2004). Diese Fähigkeiten verbessern Servicekräfte durch Erfahrung, denn jeder Konsument und jede Konsumentin ist individuell und erfordert ein unterschiedliches Maß an Beratung (Nickson et al., 2017). Demgegenüber stehen die harten Eigenschaften, zu denen beispielsweise das Produktwissen gehört (Nickson et al., 2017). Ausschlaggebend für eine einzigartige Servicequalität ist, dass diese in jeder Form und in jeder Phase des Einkaufserlebnisses gegeben ist (Grewal et al., 2019).
19.3
Explorative Einblicke: Digitalisierung und persönlicher Kundenservice
19.3.1 Empirisches Untersuchungsdesign Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie kleinstrukturierte Luxushändler:innen mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen und welche Auswirkungen die Digitalisierung auf den persönlichen Kundenservice von kleinstrukturierten Einzelhandelsunternehmen im Luxussegment hat. Um unabhängige Sichtweisen und Erfahrungen von Expert:innen zu sammeln (Khan, 2014), wurden acht leitfadengestützte Interviews geführt, die zwischen 30 und 50 min dauerten. Der Leitfaden enthielt Fragen zum derzeitigen Digitalisierungsgrad im Verkaufsraum sowie zur Einschätzung der Bedeutung eines digitalen Kundenservices bzw. zur Unterstützung des Verkaufspersonals durch digitale Marketingtechnologien. Konkret wurde hier die Bedeutung von drei unterschiedlichen
274
S. La Garde et al.
Tab. 19.1 Varianten des digitalen Kundenservices Variante 1: Kundenservice mit digitaler Unterstützung
Variante 2: Digitaler Kundenservice im Verkaufsraum
Beispiele für An Verkaufsraum An Verkaufsraum Marketingtechnologien gebunden (z. B. Smart gebunden (z. B. Smart Mirror, Tablets) Mirror im Verkaufsraum, Roboter, Touchscreen)
Variante 3: Online-Kundenservice
Ortsunabhängige Marketingtechnologien (z. B. Chatbot, Website, App)
Rolle von Unterstützendes Marketingtechnologien Element
Kundenservice durch Kundenservice durch Marketingtechnologien Marketingtechnologien im Verkaufsraum unabhängig vom Verkaufsraum
Rolle des Verkaufspersonals
gering bis nicht gegeben
bedeutsam
gering bis nicht gegeben
Varianten abgefragt, die in Tab. 19.1 ersichtlich sind. Variante 1 „Kundenservice mit digitaler Unterstützung“ sieht vor, dass das Verkaufspersonal durch Marketingtechnologien ausschließlich im Verkaufsraum unterstützt wird. So könnte ein sogenannter Smart Mirror im Beratungsgespräch die Vorstellungskraft von Kund:innen erweitern. Auch Variante 2 reduziert Marketingtechnologien auf den Verkaufsraum, wobei das Verkaufspersonal nicht unterstützt, sondern ersetzt wird. Ein Beispiel dafür wäre der Einsatz eines Self-Service Smart Mirrors oder eines Roboters, der weiterführende Informationen zu Produkten bereithält. Variante 3 „Digitaler Kundenservice“ beinhaltet schließlich all jene Marketingtechnologien, die nicht zwingend im Verkaufsraum angesiedelt sein müssen. So könnte ein Chatbot auf der Website eines Unternehmens digitalen Kundenservice im Sinne einer Beratung bieten. Zu den Interviewpartner:innen zählten Eigentümer:innen, Personen in leitender Funktion sowie das Verkaufspersonal als Expert:innen für den persönlichen Kundenservice. Alle Unternehmen sind dem kleinstrukturierten Fashion-Luxus-Einzelhandel zuzuordnen. Tab. 19.2 zeigt eine Übersicht der befragten Personen hinsichtlich der Position im Unternehmen, des Gründungsjahrs des Unternehmens und der Anzahl der Filialen. Alle Interviews wurden transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) ausgewertet.
19 Digitalisierung und persönlicher Kundenservice …
275
Tab. 19.2 Übersicht der interviewten Personen Position im Unternehmen
Gründungsjahr
Anzahl Filialen
Eigentümerin (Interview 1)
1937
5
Verkäuferin (Interview 2)
2015
4
Storemanagerin (Interview 3)
1930
1
Assistenz der Geschäftsführung (Interview 4)
1985
1
Verkäuferin (Interview 5)
2020
1
Verkäuferin (Interview 6)
1948
4
Eigentümer (Interview 7)
2006
1
Eigentümerin (Interview 8)
1997
1
19.3.2 Ergebnisse Der Großteil der Befragten verwendet im Verkaufsraum Basistechnologien wie digitale Kassen-, Lager- oder Bestandssysteme. Vereinzelt werden auch Tablets unterstützend eingesetzt. Fast alle befragten Personen betreiben einen eigenen Onlineshop und geben hierfür die Covid-19-Pandemie als starken externen Treiber an. So formuliert eine Auskunftsperson: „Wir haben insofern in Digitalisierung investiert, vor allem durch Corona, weil wir versucht haben, unseren Kunden, die (…) nach Wien gekommen sind, unsere Modelle so gut wie möglich zu präsentieren. Da haben wir halt Videos erstellt, wo Models auf und ablaufen und wo transportiert wird, wie das Modell aussieht und wie der Stoff ist. Das haben wir zum Beispiel gemacht.“ (Interview 4)
Vorliegende explorative Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Onlineshop im kleinstrukturierten Luxus-Fashion-Einzelhandel zwar vermehrt als zusätzlicher Vertriebskanal sowie erweitertes digitales Schaufenster eingesetzt wird, der stationäre Verkaufsraum aber nach wie vor wichtigster Verkaufskanal ist. Als zentrale Herausforderungen für diese und weitere Digitalisierungsmaßnahmen wurden begrenzte Ressourcen, niedriger Digitalisierungsgrad von Geschäftspartner:innen (bspw. Lieferanten oder Designer:innen) sowie infolgedessen die fehlende Kompatibilität digitaler Lösungen genannt. So formuliert eine Auskunftsperson: „Ja kann man machen, nur haben wir irrsinnig viele Firmen, wo wir zukaufen, bei denen ist auch oft das Problem noch, dass die uns nicht so was online bieten können. Von jeder Firma wirklich Kataloge, mit Papier und die haben wir dann und die zeigen wir her, (…). Wenn die das [Anmerkung: Kataloge] online hätten und uns das einfach mailen könnten (…), wäre sogar super eigentlich, weil dann hätten wir weniger Papier, dann hätten wir das am Tablet, weniger Platz bräuchten wir und, und, und … aber die sind noch nicht so fortschrittlich.“ (Interview 1)
276
S. La Garde et al.
Anschließend wurden die Unternehmer:innen dazu befragt, wie sich Kundenservice im Verkaufsraum durch Digitalisierung verändert hat bzw. verändern wird. Die Auskunftspersonen betonen, dass der Aufbau langfristiger Beziehungen zu Kund:innen im kleinstrukturierten Luxus-Fashion-Einzelhandel im Vordergrund steht. Außergewöhnlicher Kundenservice sei einer der wichtigsten Gründe, weshalb Kund:innen zu Stammkund:innen werden. So sagt eine befragte Person: „Wir nehmen uns auch die Zeit für die Kunden. Also wenn jetzt eine Dame zwei Stunden probiert (…) dann hat man zwei Stunden auch für diese Dame Zeit, man nimmt sich schon die Zeit (…).“ (Interview 6)
Kundengespräche sind in der Regel beratungs- und zeitintensiv, denn „viele wissen nicht, wie man Sachen trägt, (…) wie man die Sachen kombiniert“ (Interview 4). Die Frage, ob durch die Digitalisierung Veränderungen im persönlichen Kundenservice spürbar sind, bejahten zahlreiche der befragten Personen. Vor allem „gut geschultes Personal“ (Interview 1) habe an Relevanz zugenommen, da Kund:innen im Gegensatz zu früher im stationären Verkaufsraum noch höhere Erwartungen hinsichtlich exzellenter Beratung und außergewöhnlicher Einkaufserlebnisse haben. Nur so kann der kleinstrukturierte Luxus-Fashion-Einzelhandel erfolgreich gegen die steigende Zahl konkurrierender Online-Vertriebskanäle bestehen. Zudem werden Fotos oder Videos von Produkten an Stammkund:innen versendet, was ebenfalls als vorteilhaft für die Kundenbindung wahrgenommen wird. Im Anschluss wurden die Unternehmer:innen im kleinstrukturierten Luxus-FashionHandel gebeten, die drei Varianten eines digitalen Kundenservices (Tab. 19.1) zu bewerten. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Befragten sehr wohl den Einsatz von Technologien als Unterstützung im eigenen Verkaufsraum (Variante 1) vorstellen können. Zwei der befragten Personen setzen bereits Technologien im eigenen Verkaufsraum ein, um den Kundenservice zu optimieren. So meint eine Auskunftsperson: „Ich finde das super, wenn das [Anmerkung: die Marketingtechnologie] ergänzend ist und unterstützend und man das dem Kunden nochmal besser präsentieren kann.“ (Interview 4) Im Rahmen von Variante 1 haben die Auskunftspersonen auch häufig den Onlineshop genannt, da Kund:innen ihn als digitales, erweitertes Schaufenster nutzen. Die Unternehmer:innen des kleinstrukturierten Luxus-Fashion-Handels beobachten, dass Konsument:innen sich zwar online informieren, Beratung und der Kauf selbst finden aber überwiegend noch vor Ort statt: „Bei uns kann man eigentlich jedes Produkt, das wir haben, auch online sehen. Dadurch, manche Damen schauen sich das an und kommen aufgrund dessen und sagen (…) ich habe das Kleid gesehen und das hätte ich gerne.“ (Interview 6)
Für digitalen Kundenservice im Verkaufsraum (Variante 2), wurden den Auskunftspersonen Bilder und ggf. Erklärungen zu Technologien wie dem Roboter Pepper oder
19 Digitalisierung und persönlicher Kundenservice …
277
digitalen Screens gezeigt. Theoretisch können diese Technologien das Verkaufspersonal vollständig ersetzen. Insofern bewerten die befragten Personen diese Variante kritisch. Als Barrieren für eine erfolgreiche Umsetzung wurden unter anderem genannt, dass Kund:innen diese Technologien einerseits gar nicht bedienen könnten, da sie digital nicht so affin seien, und andererseits nicht auf den persönlichen Kontakt verzichten wollen würden. Die befragten Personen sind zudem davon überzeugt, dass gerade im FashionLuxus-Handel ein rein digitaler Kundenservice im Verkaufsraum nie so gut sein kann wie der Kundenservice durch das Verkaufspersonal. Eine Auskunftsperson ergänzt „(…) im Endeffekt alles kann der Computer auch nicht abnehmen, (…), also man braucht irgendwie trotzdem das Bindeglied, (…) man braucht irgendwen, der das auch bedient.“ (Interview 2). Manche der Technologien, die im Zuge des digitalen Kundenservices erwähnt wurden, sind aus Sicht der befragten Expert:innen in großen Läden oder Kaufhäusern mit wenig Personal und hoher Kundenzahl, aber nicht in ihrer kleinen Boutique vorstellbar: „Ja, also ich denke, je größer, also wenn man groß ist und man hat nicht so viel Zeit, sich mit dem Kunden so viel auseinanderzusetzen, kann so eine digitale Darstellung sicher unterstützend sein.“ (Interview 4)
Abschließend wurden die befragten Personen im Hinblick auf den Einsatz ortsunabhängiger Marketingtechnologien (Variante 3) im Sinne eines Online-Kundenservices befragt. Als Online-Kundenservice wird u. a. die Interaktion mit einer Marke bzw. einem Unternehmen über Social Media oder Chatbots zusammengefasst (siehe Tab. 19.1). Gerade Chatbots werden von der Mehrheit als positiv bewertet, da Kund:innen auf diese Weise zeit- und ortsunabhängig relevante Informationen und Support beim Online-Einkauf erhalten. „Ja das kann ich mir schon vorstellen, weil wenn die Leute jetzt online einkaufen wollen bei uns, finde ich das super, weil ich finde es ganz, ganz mühsam oft, wenn man online kauft (…) und ich hab eine Frage oder so, aber ich erreiche niemanden, nirgendwo steht eine Nummer, wenn ich wen erreiche, ist es nur mühsam. Also finde ich das super, weil da kriegt man schnell eine Antwort, das Problem ist gelöst und weiter geht’s.“ (Interview 1)
Eine befragte Person bewertet in den Sozialen Medien insbesondere Kooperationen mit Blogger:innen als sehr positiv. Zusammengefasst zeigt sich folgendes Bild mit Hinblick auf die Präferenzen in der Ausgestaltung und dem Ausmaß der digitalen Komponenten. Bevorzugt wird eine sogenannte Mischvariante des digitalen Kundenservices im Verkaufsraum (Variante 1), in der das Verkaufspersonal mit Marketingtechnologien unterstützt, aber nicht ersetzt wird. Ein rein digitaler Kundenservice im Verkaufsraum (Variante 2) ist derzeit im kleinstrukturierten stationären Einzelhandel im Fashion-Luxus-Segment nicht vorstellbar. Dies
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S. La Garde et al. Variante 1
Variante 2
Variante 3
Abb. 19.1 Varianten des digitalen Kundenservice (Bildquelle: https://adioma.com/)
wäre – wenn überhaupt – für große Ketten oder Konzerne denkbar, nicht für den kleinstrukturierten stationären Einzelhandel im Luxusbereich. Der Online-Kundenservice (Variante 3) wird als positive Ergänzung zum persönlichen Kundenservice gesehen, weil so auch Kund:innen erreicht werden, die nicht in den Verkaufsraum kommen können oder wollen. Wenngleich hier ergänzt werden muss, dass die meisten Teilnehmer:innen dieser Studie keinen eigenen Onlineshop betreiben. Derzeit überwiegt der Einsatz grundlegender Marketingtechnologien im Verkaufsraum. Die vorliegenden Ergebnisse haben weitergehende Implikationen für Forschung und Praxis. Im Fashion-Luxus-Segment liegt der Fokus bis heute auf dem stationären Einkaufserlebnis und Konsument:nnen bevorzugen den persönlichen Kundenservice, während sich die kleinstrukturierten Einzelhändler im Fashion Luxussegment wenig mit dem Thema der Digitalisierung befassen, der persönliche Kundenservice in Zukunft noch wichtiger werden wird und der Einsatz von Technologien lediglich als Unterstützung eingesetzt wird. Die Literatur zeigt, dass erstklassiger Service sowie ein einzigartiges Einkaufserlebnis Erfolgsfaktoren einer Luxusmarke sind (Chevalier & Gutsatz, 2012; Holmqvist et al., 2020; Nickson et al., 2017). Der Einsatz von Marketingtechnologien im stationären Fashion-Luxus-Segment muss folglich mit dem Ziel verbunden sein, Kund:innen einen Mehrwert zu bieten, indem ihnen ein optimiertes Einkaufserlebnis ermöglicht wird (Grewal et al., 2019). Die Literatur unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einem hedonistischen und utilitaristischen Nutzen von digitalen Technologien für Konsument:innen (z. B. Mallat, 2007; Venkatesh et al., 2003). Beim hedonistischen Nutzen stehen Erlebnisse und Spaß im Vordergrund, während dem utilitaristischen Nutzen jene Nutzenaspekte zugeordnet werden, die einen schnellen und effizienten Einkauf ermöglichen. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die befragten Einzelhandelsunternehmen Technologien einsetzen, die einen utilitaristischen Nuten haben (z. B. Tablets mit Warenverfügbarkeit oder Produkteigenschaften). Hedonistische Komponenten, obwohl Hedonismus ein Luxusmerkmal ist, kommen zu kurz. Dementsprechend sollte künftige Forschung großzahlig empirisch überprüfen, wie es Einzelhändler:innen schaffen die Digitalisierung zwischen Utilitarismus und Hedonismus optimal auszugestalten. Ein
19 Digitalisierung und persönlicher Kundenservice …
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zusätzlicher Ansatz für weitere Forschung könnte darin bestehen, die Kundenseite zu befragen, welche Erwartungen Kund:innen an den analog-digitalen Kundenservice haben. Auch welche Technologien Kund:nnen beim stationären Einkaufen als positiv wahrnehmen, kann in weiteren Untersuchungen beleuchtet werden. Zufriedene Kund:innen sind wertvoll für eine Luxusmarke (Chung et al., 2018) und in Folge dessen sollten sich Eigentümer:innen und Manager:innen deutlich mehr mit dem Thema der Digitalisierung im eigenen Verkaufsraum auseinandersetzen. Neben dem Besuch von Weiterbildungen oder bewusstseinsbildenden Maßnahmen für Unternehmer:innen und Mitarbeiter:innen von KMU ist der Austausch mit Partnern im eigenen Netzwerk (Mitbewerber, Lieferanten, etc.) eine geeignete Möglichkeit. Digitales Know-How kann durchaus auch von externen Anbietern zugekauft werden, an erster Stelle sollte allerdings die Entwicklung einer „digitalen Strategie“ stehen, die an die Bedürfnisse sowie die Unternehmensstrategie (Marken- und der Digitalstrategie) der Luxusmarke angepasst ist. Fazit
Marketingtechnologien sind längst in Flagship-Stores großer Konzerne im LuxusFashion-Bereich angekommen. Die explorativen Erkenntnisse dieser Studie zeigen aber, dass gerade im kleinstrukturierten stationären Einzelhandel eher Basistechnologien eingesetzt werden. Nach wie vor setzen Unternehmer:innen hier auf den persönlichen Kontakt, da dies von der Stammkundschaft eingefordert wird. Marketingtechnologien sind demnach nur unterstützend zum persönlichen Kundenservice vorstellbar, können aber das Verkaufspersonal nicht ersetzen. Der zwischenmenschliche Kontakt bzw. die persönliche Beratung ist auch für kleinstrukturierte Einzelhändler:innen im Luxussegment nach wie vor eines der wichtigsten Differenzierungsmerkmale gegenüber Online-Vertriebskanälen. Technologien, die als Ersatz für den persönlichen Kundenservice bzw. das Verkaufspersonal eingesetzt werden können, werden von den befragten kleinstrukturierten Einzelhändler:innen im Fashion-Luxus-Segment abgelehnt.
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Shirin La Garde, BA, MSc ist in einer Unternehmensberatung für IT-Projekte und Partnerschaften tätig. Sie hat ihr Masterstudium „Management by Innovation“ an der New Design University und ihr Bachelorstudium in Marketing und Sales an der FH Wien der WKW abgeschlossen. Ihr Forschungsinteresse liegt im Bereich Technologien und Digitalisierung der Einzelhandelsbranche mit Fokus auf die Modeindustrie. Prof. (FH) Eva Lienbacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der New Design University und Professorin (FH) für Marketing an der FH Salzburg. Sie promovierte an der WU Wien am Institut für Handel und Marketing. Ihre Forschungsinteressen liegen im Handelsmanagement und -marketing. Univ. Prof. Beate Cesinger ist Professorin für Entrepreneurship und Innovation an der New Design University, Privatuniversität St. Pölten. Sie promovierte in Management an der Universität Utrecht in den Niederlanden und ihre Forschung konzentriert sich darauf, wie Unternehmer:innen Transformationen bewältigen.
Teil IV Interviews – Die Integrations-Challenge von Marketingtechnologien
Das Potenzial im Hinblick auf Technologieaffinität, die Fähigkeit und Neugierde, Neues auszuprobieren und zu lernen, gewinnt zunehmend an Bedeutung
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Experteninterview mit Roman Wecker: Marketingtechnologie aus der Perspektive des „Executive Search“ Bernhard Wecke
Zusammenfassung
Dr. Roman Wecker ist Partner im Frankfurter Büro von Heidrick & Struggles und Mitglied der Bereiche Industrial, Sustainability, Supply Chain & Operations Officers und Marketing, Sales & Strategy Officers. Er ist Co-Lead des Industrial Tech Sektors in EMEA und leitet den Industrial Goods & Technology Sektor in Europa. Außerdem leitet er die Nachhaltigkeitsarbeit des Unternehmens in DACH. In diesem Interview erläutert er die Auswirkungen des technologischen Wandels der Marketingabteilungen auf die Suche und Auswahl von Führungspositionen im Marketing.
Was verstehen Sie unter dem Begriff „Marketingtechnologie“? Da gibt es sicher viele Definitionen. Ich würde Marketingtechnologien primär als ITbasierte Instrumente, Methoden, Prozesse und Tools definieren, die das Marketing durch Automatisierung und Vereinfachung effektiver und effizienter gestalten.
B. Wecke (B) IU Internationale Hochschule Fernstudium und Campus München, München, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_20
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B. Wecke
An welche Anwendungsfälle denken Sie dabei? Zentral ist sicherlich eine präzisere Kundenansprache. Dahinter verbirgt sich eine immer stärkere Entwicklung in Richtung 1:1-Marketing. Dies betrifft vor allem das Marketing in Social Media. Ein weiterer wichtiger Aspekt gerade im Marketing ist die Anpassung des Entscheidungsverhaltens. Datenbasierte Entscheidungen werden immer relevanter. Die Ausrichtung an Return-on-Marketing-Invest-Modellen war über lange Zeit eher Wunschdenken. Durch den Einsatz von Marketingtechnologien wird die Transparenz deutlich erhöht und die Messung der Werbewirkung ist teilweise nahezu in Echtzeit möglich. Im Ergebnis bedeutet dies eine Stärkung des Marketings, insbesondere des digitalen Marketings. Dies eröffnet auch ein Spannungsfeld für die „Marketer alter Schule“, die Marketingkommunikation eher über die Kreation als über Daten-Insights gestalten. Wie gehen Sie als Personalberater die Suche nach einem Marketingentscheider oder einer Marketingentscheiderin an? Es gibt vier generelle Grundmuster, nach denen wir vorgehen. Diese sind aber zunächst nicht marketingspezifisch, da würde ich später nochmals darauf eingehen. Als Erstes schauen wir immer auf die „Personal Experience und Expertise“, quasi den Lebenslauf, also Seniorität, Werdegang, Ausbildung und alle fachlichen Komponenten. Der zweite Aspekt ist das Thema „Leadership und Persönlichkeit“. Die Fragen dahinter lauten: Wie führt jemand und welche Persönlichkeit steckt hinter dem Profil? Das dritte Kriterium ist der Bereich des Potenzials. Dabei ist entscheidend, ob man auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten oder einer Kandidatin ist, der oder die eine ganz bestimmte Rolle ausfüllen soll, oder ob es darum geht, eine Person zu finden, die über eine Einstiegsrolle Entwicklungspotenzial besitzt. Der am meisten unterschätzte, aber aus meiner Sicht wesentliche Aspekt ist der des „Cultural Fit“. Die richtige Expertise, ein modernes Leadership, Weiterentwicklungspotenzial findet man in jeder Suche. Die größte Herausforderung besteht darin, einen kulturellen Fit sicherzustellen. Dabei geht es auch um die Frage, was die neue Person einbringen soll. Meistens möchte man nicht das Alte fortschreiben, sondern durch eine Änderung im Personal neue Impulse setzen. Hierbei gilt es aber darauf zu achten, wie groß der Spagat ist, welchen Stretch und welches damit verbundene Risiko man sich leisten will. Denn eine Kandidatin oder ein Kandidat muss immer noch an die bestehende Kultur andocken können. Suchen wir konkret einen Marketingentscheider, gibt es zudem weitere eher generelle Fragestellungen. Zunächst muss klar sein, für welches Level man sucht. Geht es um eine Rolle als Chief Marketing Officer oder um eine Abteilungsleitung? Sucht man einen eher ganzheitlich orientierten Markenentwickler oder eine operative Expertin, die häufig im technologischen und digitalen Feld führend ist? Für welche Unternehmensgrößen bzw. -typen und Branchen sucht man? Geht es um den Hidden Champion im Mittelstand oder einen großen Konzern? Und hat die Rolle einen nationalen oder internationalen Fokus?
20 Das Potenzial im Hinblick auf Technologieaffinität …
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Sehen Sie eine Veränderung der Positionierung eines Marketingentscheiders zwischen den Polen des Steigbügelhalters für den Vertrieb und des Treibers von Geschäftserfolg und Innovation? Zu meiner Studienzeit Mitte der 90er Jahre gab es auf jeden Fall die Tendenz, das Marketing ganzheitlicher zu sehen und in die Führungsrolle in Unternehmen zu pushen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass CEO-Rollen vermehrt durch CMOs besetzt worden wären. Eine derartige Entwicklung kann ich jedoch nicht feststellen. Weder ist die CMO-Rolle deutlich breiter geworden noch ist sie in der Spezialisierung verschwunden. Die konkrete Positionierung hängt von der organisatorischen Ausgestaltung ab. Es gibt auch heute immer noch viele funktionale Organisationen und Matrixorganisationen, aber man erkennt auch den Trend zu agileren Strukturen. In diesen Strukturen finden sich CMOs, die ein breites Spektrum von der Produktentwicklung und dem Brandmanagement bis hin zum E-Commerce und dem Vertriebsinnendienst abdecken. Es gibt aber auch im Jahr 2022 noch Unternehmen, in denen das Marketing ausschließlich auf Marketingkommunikation fokussiert ist. Die größte Veränderung ist bei US-amerikanischen Unternehmen zu beobachten, die – anders als beispielsweise in Deutschland – vergleichsweise deutlich mehr Budget in das Marketing und weniger in die Technologie und die Produkte investieren. In einem derartigen Kontext kommt einem oder einer CMO automatisch eine exponierte Rolle zu. Gehen wir jetzt mal von dem Fall aus, dass Sie den Auftrag bekommen, jemanden zu suchen, der bzw. die das Marketing auf Basis von Technologie digitaler und agiler aufstellen soll. Wie gehen Sie eine derartige Suche an? Wenn es wirklich um Veränderung und Wirkung geht, ist das Wichtigste die Unterstützung durch das Senior Management. Ohne diese wird kein Kandidat und keine Kandidatin signifikante Veränderungen einleiten können. Das bedeutet, wir überprüfen gemeinsam mit einem Auftraggeber die Ernsthaftigkeit eines solchen Change-Ansatzes. Viele Unternehmen gehen sehr euphorisch auf die Suche und wünschen sich dabei Profile von Zalando, Amazon oder aus der Start-up-Welt. Man erwartet die Übertragung solcher Erfolgsgeschichten durch das Herausgreifen einer einzelnen Person. Nur das selektive Herauspicken, auch eines HighPotentials, funktioniert in den wenigsten Fällen, weil der kulturelle Fit fehlt. Wenn man beispielsweise einen Google-Manager ohne weitere Anpassungen zu Bosch bringt, kommt es zu Abstoßeffekten, weil die jeweilige Historie zu unterschiedlich ist. Deshalb gehen wir gezielt in den Dialog und klären unter anderem folgende Fragen: Welche Veränderungsmaßnahmen sind schon eingeleitet worden? Welchen Stretch zwischen Fit und Irritation kann man sich erlauben? Welche weiteren Strukturen sollen verändert werden? Welchen Spielraum gesteht man der Person zu? Gibt es schon ähnliche Profile und/oder Unterstützung im Unternehmen? Ist die Einstellung weiterer ähnlicher Profile geplant? Gerade in einem agilen Kontext ist es wichtig, bestehende Rahmenbedingungen zu hinterfragen und die Anpassungsmöglichkeiten im Vorfeld zu diskutieren. Nur dann hat eine neue Person, die als Vorbild führen und Strukturen aufbrechen soll, eine echte Chance, Veränderung voranzutreiben und nicht nur das Feigenblatt einer Transformationsgeschichte zu sein.
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Lassen Sie uns einmal die von Ihnen genannten vier Kriterien durchgehen und fangen mit dem kulturellen Fit an. Kulturellen Fit interpretiere ich dahingehend, dass die Passung des Kontexts eines Unternehmens zu einer Person möglichst ideal ist. Ausgehend von der Erfahrung, dass ein und dieselbe Person in dem einen Kontext sehr erfolgreich sein kann und in einem anderen Unternehmen bzw. Kontext scheitert. Wie finden Sie diesen kulturellen Fit heraus? Im Mittelpunkt stehen einerseits die Persönlichkeit und das Wertegerüst eines Kandidaten oder einer Kandidatin und andererseits die Werte des Unternehmens. Dabei geht es weniger um die formalen, niedergeschriebenen Werte als um die gelebte Kultur. Auch wenn die Unterschiede gering sein sollten, sind es oft die Kleinigkeiten, die den Erfolg ausmachen. Worüber wird in der Cafeteria gesprochen? Wer geht mit wem oder gar nicht zum Essen? Gibt es noch die Parkplätze von Führungskräften direkt vor dem Haus? Gibt es noch die Sternchen als Zeichen der Hierarchie am Revers? Es ist vor allem das Informelle, das die gelebte Kultur ausmacht. Aber wie findet man das heraus? Bei den Kandidaten machen wir Persönlichkeits- und Kultur-Assessments. Zudem kommt es hier auch stark auf die Erfahrung des Beraters an. Zum einen in Bezug auf ähnlich gelagerte Mandate und zum anderen in der Zusammenarbeit mit einem konkreten Auftraggeber. Hier lernt man auch die unausgesprochenen Dos and Don’ts kennen. Außerdem bieten wir immer an, vor Ort zu sein, um einen direkten Eindruck zu bekommen. Videocalls blenden diese Dimension aus. Auch die persönliche Teilnahme an den Interviews hat sich bewährt. Da bekommt man das unmittelbare Feedback und über die Mimik und Gestik einen Eindruck von dem Unausgesprochenen. Nochmal nachgefragt, inwieweit kann ein Dritter bei der Auswahl von Marketingentscheidern etwas beitragen? Grundsätzlich ist es immer ein Risiko, jemanden von außen in eine Organisation zu holen. Die Personalberatung ist dann ein Baustein, die das Risiko minimiert beziehungsweise die Chance eines Fits deutlich erhöht. Allerdings sind Unternehmen heute einer sehr dynamischen Umwelt ausgesetzt. Das heißt, Themen und Ideen drehen sich viel schneller, was zur Folge haben kann, dass Zusagen nicht mehr so eingehalten werden können. Diese sich ändernden Rahmenbedingungen, ausgelöst durch Pandemie, Inflation, Krieg, Materialpreissteigerungen und z. B. das Umdenken jüngerer Generationen, müssen auch berücksichtigt werden. Auch hier kann eine neutrale Instanz hilfreich sein. Zudem kann ein Personalberater oder eine Personalberaterin formelle und informelle Referenzen einholen. Auch diese sind nur ein weiterer Baustein. Das Wichtigste bleibt das Gespräch mit den Kandidaten und Kandidatinnen. Da geht es dann auch überhaupt nicht um Taktik, sondern darum, ganz offen anzusprechen, dass das persönliche Kennenlernen, der „Blick hinter die Fassade“ ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Identifikation des kulturellen Fits ist. Auf diese Weise lassen sich die Motivation, die Werte und Hintergründe einer Person am ehesten herausfinden.
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Blicken wir jetzt einmal auf das zweite Kriterium, das Potenzial. Hat sich die Betrachtungsweise und die Bewertung hinsichtlich Potenzialeinschätzung mit der zunehmenden Bedeutung von Technologie, Zusammenarbeit mit IT, Crossfunktionalität etc. geändert? Ja und nein. Also die grundsätzlichen Themen bei der Potenzialbeurteilung haben sich nicht geändert. Das sind bei Heidrick & Struggles die vier Dimensionen Analytik und Problemlösungskompetenz, Lernfähigkeit, -wille und Neugier sowie Resilienz und Sozialkompetenz/ Anpassungsfähigkeit. Das ist nicht der einzige Weg, Potenzial zu messen, aber dieser ist wissenschaftlich gut abgesichert, und das hat sich auch durch Technologie nicht verändert. Wenn man jetzt aber auf das notwendige Rüstzeug schaut, welches Marketingentscheider mitbringen müssen, dann hat sich das durch die Entwicklungen in der Technologie, durch ECommerce, Social Media, die Bedeutung von User Journeys, zunehmendes 1:1-Marketing massiv verändert. Und die nächsten Themen wie Gaming oder Metaverse stehen bereits vor der Tür oder haben sogar schon Einzug ins Marketing gehalten. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung gewinnt die Beurteilung des Potenzials im Hinblick auf Technologieaffinität, die Fähigkeit und Neugierde, Neues auszuprobieren und zu lernen, zunehmend an Bedeutung. Eine Marketing-Führungskraft wird heute nicht mehr besetzt, ohne dass diese einen substanziellen Background in den Bereichen Digitalisierung, Technologien und Nutzerverständnis nachweisen kann. Gehen wir noch einmal die vier Potenzialbereiche durch. Die Dimension der Resilienz bewertet das Durchhaltevermögen und den Umgang mit Rückschlägen. Bei den Sozialkompetenzen und der Anpassungsfähigkeit ist es wichtig, ob eine Führungskraft ihr Team befähigen und entsprechende Empathie und Fingerspitzengefühl zeigen kann. Alles in allem besteht eine starke Rückkopplung zwischen Technologie und Potenzial. Mein Fazit an dieser Stelle des Gesprächs wäre, dass der kulturelle Fit immer dann besonders wichtig ist, wenn Veränderungen anstehen, und dies zunächst einmal unabhängig von der Technologie. Die Potenzialbewertung hat sich grundsätzlich nicht verändert, nur der Beziehung zum Thema Technologie kommt eine größere Bedeutung zu. Ist es nun eine zulässige Ableitung, dass die beiden Bereiche Expertise und Leadership, also eher die härteren Währungen, am stärksten einem Wandel unterliegen? Das ist keine falsche Ableitung, auch wenn es abhängig vom spezifischen Suchmandat immer eine Frage der Gewichtung ist. Es geht immer um den Menschen und dabei insbesondere um die Persönlichkeit sowie die Art der Führung und des Führungsverständnisses. Die fachliche Expertise ist die „conditio sine qua non“. Es gab in den letzten Jahren keine Suche mehr, in der nicht die technologische Kompetenz oder eine Softwarekompetenz eine zentrale Rolle gespielt hat. Im Vordergrund steht aber immer der Mensch, wir sprechen ja von Führungskräften, die eben nicht das ausgeprägteste Detailwissen haben müssen, sondern eher die richtigen Fragen stellen sollen.
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Wenn die Führungsfähigkeit zentral ist, aber eben auch Veränderung gefragt ist, wie entwickeln Sie Ihren Suchkorridor bei einer Neubesetzung? Das hängt immer vom Selbstverständnis des Beraters oder der Beraterin ab. Wir haben den Anspruch, ein breites Spektrum an Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren. Diversität ist dabei eminent wichtig. Es sei denn, es ist ein expliziter Kundenwunsch, ein gleiches oder ähnliches Profil zu identifizieren. Ansonsten nimmt man immer auch die Ecken des Marktes mit. Dabei gehen wir in der Regel nach dem Zwiebelprinzip vor. Wir beginnen mit den Wettbewerbern, dann nehmen wir die Zulieferer ins Visier und dann die Abnehmer. Im Anschluss analysieren wir das Umfeld artverwandter Industrien und nehmen potenziell auch Exoten hinzu. Das hängt allerdings stark von der Offenheit des Kunden ab. Diversität ist dabei entscheidend, wenn ich das nochmal betonen darf. Diversität verstehen wir im weitesten Sinne, also Geschlechter, Kulturen, komplementäre Fähigkeiten etc. Wenn man komplementäre, cross-funktionale Teams entwickeln und bessere Ergebnisse erzielen will, ist Diversität ein Schlüssel. Deshalb regen wir dies auch immer wieder bei unseren Kunden an. Welche Unsicherheiten nehmen Sie in Bezug auf die Besetzung bei Ihren Auftraggebern wahr? Gerade auch im Hinblick auf den Bedarf, so zumindest die Suggestion, neue Profile zu rekrutieren Dazu gibt es ganz unterschiedliche Perspektiven. Als Erstes ist die extrem unsichere Marktsituation zu nennen. Wie schon genannt, Covid Pandemie, Materialpreiserhöhungen, Inflation, Krieg, das sind alles Themen, die in einem Jahr passiert sind und nicht wie früher vielleicht alle zehn Jahre. Diese Unsicherheit erfasst dann vor allem auch die Entscheiderinnen und Entscheider, die viel stärker in Szenarien denken. Also vielmehr „Just in Case“ als „Just in Time“, Budget und Quality. Die zweite Unsicherheit liegt in der Bewertung der Makrotrends. Es muss herausgefiltert werden, welche Trends stabil sind und Substanz haben und welche nur ein kurzer Hype sind. Darüber hinaus ist immer auch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Investitionen zu klären. Eine dritte Unsicherheit zeigt sich in der Entscheidung, ob man beispielsweise bei der Besetzung einer CMO-Rolle eher auf Erfahrung oder doch auf einen oder eine High Potential setzt. Man kann schon auch den Trend zum Revival der älteren Generationen erkennen, die Ende-50-Jährigen sind heute oftmals deutlich fitter als früher und können länger einen signifikanten Beitrag leisten. Es stellt sich die Frage, ob man mehr Sicherheit durch Erfahrung sucht, dafür aber vielleicht etwas weniger Veränderung, oder ob man einen High-Potential wählt, der oder die 10 bis 15 Jahre weniger Erfahrung hat, potenziell jedoch mehr Dynamik und Energie einbringt. Und viertens: Inwieweit lässt man sich bei der Profilbestimmung und -suche von der US-amerikanischen Dominanz leiten, und passt das überspitzt gesagt kulturell überhaupt zu einem deutschen Mittelständler?
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Welche Erwartungshaltungen haben potenzielle Kandidaten und welche Rolle spielt dabei das Employer Branding? Wir versuchen vor allem herauszufinden, was den Kandidatinnen und Kandidaten wirklich wichtig ist, und da haben sich drei Themen herauskristallisiert, die Arbeitgeber heute attraktiv machen. Erstens, und dieser Punkt hat zwei Aspekte, die Menschen wollen Wirkung erzielen und sie wollen Arbeitgeber, die einen sogenannten „Purpose“ haben. Unternehmen, die bei beiden Aspekten nicht punkten können, werden es schwer haben, die Top-Talente für sich zu gewinnen. Unternehmen müssen deutlich machen, wofür sie stehen und welchen gesellschaftlichen Beitrag sie leisten wollen. Eng damit verbunden ist das zweite Thema, die Positionierung zum Thema Nachhaltigkeit. Der dritte Punkt betrifft den Bereich der Arbeitsplatzgestaltung. Arbeitgeber sollten heute neben einer attraktiven Arbeitsplatzgestaltung auch einen hohen Freiheitsgrad gewähren, wo und wann gearbeitet werden kann. Dabei geht es nicht um die Festschreibung von fünf Tagen Home-Office, sondern vor allem um den Aspekt der Flexibilität. Welche Entwicklungen mit Auswirkungen auf einen Marketingentscheider erwarten Sie in der Zukunft? Das ist natürlich ein Blick in die Glaskugel, aber ich versuche es mit meinen Worten zu beschreiben: Ich bin davon überzeugt, dass auch im Executive Search das Thema Daten und Künstliche Intelligenz an Bedeutung gewinnen wird. Es werden mehr Datenpunkte gesammelt werden können, die den subjektiven Blick eines Consultants ergänzen können. Ein Personalberater oder eine Personalberaterin wird aber kurzfristig nicht durch einen Roboter ersetzt werden können. Meine Vision wäre aber, dass jeder Mensch mit Hilfe von Technologien den für ihn optimalen Job finden kann, in dem er weder unter- noch überfordert ist. Mit Blick auf einen Marketingentscheider oder eine Entscheiderin werden Themen wie Web 3.0, KI, Gaming oder Voice Commerce immer relevanter. Dies wird zwar nichts daran ändern, dass die Persönlichkeit und Führungskompetenz bei der Besetzung von Marketingrollen im Mittelpunkt stehen. Allerdings wird von Top-Entscheidern in Zukunft ein fundiertes technologisches Wissen erwartet, das immer mit der Bereitschaft zum permanenten Lernen und einer damit verbundenen Vorbildfunktion für die gesamte Marketingorganisation einhergeht.
Vielen Dank, Herr Wecker, für das ausführliche Gespräch!
Bernhard Wecke ist Experte für Marketing und Vertrieb, insbesondere in der digitalen Welt. Er hatte entsprechende Führungspositionen bei Telefonica Deutschland, Capita und zuletzt als Vice President Consumer Marketing bei Unitymedia inne. Seine Leidenschaft sind unternehmensweite Transformationsprozesse. Seit 2022 lehrt und forscht er an der IU Internationale Hochschule im Bereich Marketing mit den Schwerpunkten Marketingtechnologie und Digitalisierung.
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Ein CMO wird nach innen und außen die Brücke zwischen Markt und Technologie schlagen Experteninterview mit Aydin Sahin: Marketingtechnologie aus der Perspektive eines CMO aus der Finanzindustrie Bernhard Wecke
Zusammenfassung
Aydin Sahin ist seit über einem Jahrzehnt in verschiedenen Positionen im Marketingbereich der Finanzindustrie tätig. Der Marketingprofi und diplomierte Volkswirt treibt mit seiner ausgewiesenen fundierten Marketingexpertise – sowohl im klassischen Bankgeschäft als auch in der digitalen Welt – erfolgreich die Digitalisierung- und Wachstumsstrategie seiner jeweiligen Arbeitgeber voran. In diesem Interview erläutert er Potenziale und organisatorische Herausforderungen von Marketingtechnologien.
Was verstehen Sie denn grundsätzlich unter dem Begriff „Marketingtechnologie“? Marketingtechnologie ist ein sehr allgemeiner Begriff. Ich definiere ihn als Software und Tools, welche das Marketing im Alltag unterstützen. Marketingtechnologie stellt überhaupt erst die Basis bereit, datengetriebene Marketingaktivitäten zu konzipieren und durchzuführen. Dabei verbessert sie sowohl die Datenerhebung als auch die Datenverarbeitung sowie den Erkenntnisgewinn in der Analyse. Sie ist dabei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für nachhaltigen Unternehmenserfolg.
B. Wecke (B) IU Internationale Hochschule Fernstudium und Campus München, München, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_21
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In welchen Bereichen haben Sie in der Vergangenheit Marketingtechnologie eingesetzt? Vor allem in drei Bereichen. Erstens in der Planung von Budgets und Kampagnen. Zweitens in der Exekution von Marketingaktivitäten und drittens bei der Output-Analyse und der damit der verbundenen Erfolgsmessung. Da ich häufig beobachte, dass der Schwerpunkt des Einsatzes von Marketingtechnologien auf der Exekution liegt, können Sie den Bereich der Planung etwas näher ausführen? In meinem Anwendungsbeispiel wurde ein softwaregestütztes Marketing-Mix-Modell für Teile der Marketingbudgetplanung entwickelt und eingesetzt. Dieses Modell wurde in Zusammenarbeit mit dem Dienstleister um die Möglichkeit der Szenarioplanung ergänzt. Ein völlig anderes, aber doch auch intuitives Beispiel wäre: Man kann Marketingtechnologien im Bereich Social Media nutzen, um Kampagnenentwürfe zu definieren, die zeitliche Abfolge der Ausspielungen zu bestimmen, Zielgruppen zu planen und das notwendige Budget zu definieren. Können Sie beschreiben, welche positiven Effekte Sie durch den Einsatz von Marketingtechnologien beobachtet haben? Ich möchte die positiven Effekte gerne auf einer Meta-Ebene beschreiben. Die Zusammensetzung der Profile der Mitarbeitenden im Marketing hat sich fundamental verändert. Noch vor 10 bis 15 Jahren waren Kommunikationsstrategie, Kreation und Projektmanagement die wichtigsten Rollen. Diese sind nach wie vor wichtig, werden aber um zwei weitere Profile ergänzt. Zum einen die Marketing Engineers, deren Kompetenzen in der Integration, Anwendung und Optimierung von Software liegen. Zum anderen die Data Scientists, die in der Lage sind, ökonometrische Modelle zu entwickeln, zu betreiben und zu interpretieren. Das heißt, der größte Einfluss der Marketingtechnologie ist die Diversifizierung der Marketingteams, die es heute erlaubt, Planung und Ergebnisse aus verschiedenen Perspektiven zu bewerten. Es ist etwas völlig anderes, eine Kampagne ausschließlich mit Strategen und Kreativköpfen zu diskutieren, oder ob man sie ergänzt um die analytische Kompetenz und Perspektive. Diese Mischung ist der wirkliche Fortschritt. Nehmen Sie uns einmal mit in die Anfänge der Einführung und Nutzung von Marketingtechnologien. Welche Erfahrung würden Sie hierzu gerne weitergeben? Die meisten Unternehmen starten mit einfachen Web-Analyse-Tools. Wenn man das in eher traditionellen und gewachsenen Unternehmen mit den vorhanden Kompetenzen ausbauen möchte, stößt man schnell an Grenzen. Das dafür notwendige Know-how ist häufig weder im Marketing noch in der IT oder der Rechtsabteilung vorhanden. Im Ergebnis ist der Prozess dann sehr langsam. Daher würde ich in einem solchen Fall empfehlen, auf Freelancer zurückzugreifen oder entsprechende Profile von extern einzustellen. Marketer denken oft zu schnell in Lösungen und müssen an das Denken in Hypothesen und die darauffolgende
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systematische Hypothesentestung herangeführt werden. Und das genau kann man durch die Integration der Technologie- und Daten-Expertise in ein Marketingteam gut erreichen. Reicht das Hinzunehmen externer Kompetenz oder gibt es weitere Ansatzpunkte wie beispielsweise die Anpassung von Organisationsstrukturen? Viele Unternehmen bauen neben der klassischen Marketingabteilung ein „digitales Powerhouse“ auf. Abhängig vom Reifegrad eines Unternehmens kann ein derartiges Vorgehen sinnvoll sein. Dies führt jedoch zu einer klaren Trennung von klassischem und digitalem Marketing und birgt die Gefahr, dass die notwendige Zusammenarbeit nicht reibungslos funktioniert. Insbesondere dann, wenn die Mitarbeitenden der Klassik das Gefühl haben, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Der entscheidende Erfolgsfaktor ist dann, den richtigen Moment für den Zusammenschluss beider Bereiche zu finden. Denn langfristig ist ein integriertes Marketing mit digitaler Kompetenz in allen Disziplinen ein wesentlicher Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Wie haben Sie denn die Digitalkompetenz bei den bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestärkt? Vor allem durch Impulse von außen. Beispielsweise haben externe Spezialisten regelmäßig Sessions für Spezialthemen im Marketing organisiert. Wir haben Workshops mit den wichtigsten Technologiepartnern durchgeführt. Wir sind aber auch in ein individuelles Sparring gegangen. Insbesondere mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die von sich aus den Willen zur Weiterbildung gezeigt haben. Am Ende gibt es keinen Blueprint dafür. Wir haben verschiedene Maßnahmen ausprobiert und manche auch wieder gestoppt. Es gibt aber auch Mitarbeitende, die sich aufgrund der veränderten Anforderungen einen neuen Job gesucht haben. Sie haben vorher schon kurz die relevanten Profile im Marketing angeschnitten. Können Sie diesen Aspekt noch weiter ausführen? Welche Kompetenzen und Profile sind für ein technologiebasiertes Marketing zentral? Da sind zum einen die kreativen Köpfe. Diese sind in der Lage, Emotionen zu transportieren, zu verbalisieren oder zu visualisieren. Die Marketingstrategen übersetzen die Unternehmens- und Marketingziele in eine Kommunikations- und Kampagnenplanung und verbinden wichtige Fähigkeiten wie die Identifikation von Marktbearbeitungsopportunitäten mit den Stärken der eigenen Organisation. Dann gibt es noch das sehr allgemeine Profil des Projektmanagers oder der Projektmanagerin. Diese organisieren das Zusammenspiel mit den anderen Funktionen im Unternehmen, sollten aber so sparsam wie möglich aufgebaut werden. Diese drei Rollen hat es im Marketing schon immer gegeben. Neu sind die Marketing Engineers. Diese kommen beispielsweise aus der Web-Analyse und können vielfältige Aufgaben übernehmen. Sie stellen zum Beispiel die Datenversorgung sicher, sie führen Kampagnentools ein oder integrieren die neuesten Datenschutz- und Security-Anforderungen.
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Das fünfte Profil ist der Data Scientist. Dies können durchaus auch Mathematiker, Statistiker oder Physiker sein, die nun im Marketing arbeiten. Sie sind in der Lage, eine Erfolgsmessung aufzubauen. Sie stellen sicher, dass die Modelle funktionieren und die Kontrollgruppen valide sind. Am Ende gewährleisten sie auch die Effektivität der Marketingstrategie. Ich würde gerne nochmal bei der Rolle des Marketingstrategen nachhaken. Welchen neuen Einflüssen ist dieser ausgesetzt? Ich sehe da drei wesentliche Herausforderungen. Die erste ist, dass es einfach mehr Kanäle gibt, die bespielt werden müssen. Außerdem sind diese Kanäle aufgrund des Dialogcharakters viel schwieriger zu steuern. Das macht die Planung komplizierter und komplexer. Der zweite Grund ist die Forderung der Markenführung nach Konsistenz über alle Kanäle hinweg. Insbesondere bei den Social-Media-Kanälen der traditionelleren Unternehmen sieht man eine selbstreferentielle Markenkonformität, aber keine Konsistenz mit den Nutzererwartungen. Mit anderen Worten: Eine moderne Markenführung muss sich immer wieder neu dem Spannungsfeld zwischen Konsistenz mit sich selbst und Kompatibilität mit der Zielgruppe stellen, die sich in unterschiedlichen Kanälen aufhält. Denn es stellt sich die Frage, was man möchte: Konsistenz zum Preis einer geringen Nutzung der veröffentlichten Inhalte oder eine höhere Intensität der Nutzeraktivierung mit Hilfe von kanal- und zielgruppengerechten Inhalten, auch wenn diese nicht in Sekundenbruchteilen die Wiedererkennbarkeit der Marke gewährleisten. Ein Marketingstratege oder eine Marketingstrategin muss dieses Spannungsfeld orchestrieren. Der dritte Aspekt ist das Verschwinden der Leitmedien in Deutschland. Es gilt, Bubbles und Audiences zu verstehen und zu bespielen. Ich mache das mal ganz konkret: Ich bin Gamer und in meiner Community erzeugen Themen millionenfachen Buzz, ohne dass sie jemals in übergreifenden Medien auftauchen. Das macht den Job eines Marketingstrategen bzw. einer Marketingstrategin sehr anspruchsvoll. Welche Strategien haben Sie entwickelt, um im Vorstand oder bei der Geschäftsführung die notwendigen Änderungen im Marketing durchzusetzen? Das hängt sicherlich stark von der Zusammensetzung des jeweiligen Gremiums ab. Ich habe mich immer darauf fokussiert, datenbasiert zu argumentieren. Es geht hier vor allem darum, Transparenz über die Marketingeffekte zu schaffen. Dabei hilft zum Beispiel das softwaregestützte Marketing-Mix-Modelling. Damit kann man zum Beispiel auch bei Budgetkürzungen die Konsequenzen aufzeigen, ohne aus dem Bauch heraus argumentieren zu müssen. Wenn man dann das Vertrauen aufgebaut hat, kann man auch mal mit den verrückten Experimenten um die Ecke kommen. Kommen wir noch einmal auf die Marketingorganisation zurück. Inwiefern hat sich die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Funktionen verändert? Es arbeiten heute immer mehr Marketer mit agilen Methoden, insbesondere die neuen Rollen wie Marketing Engineers oder Data Scientists. Die konkrete Organisation und die Methodik
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sind aber gar nicht so wichtig, sondern die Prinzipien, die gelebt werden. Dazu zwei Beispiele. Erstens das Thema kontinuierliche Verbesserung. Die Marketingperformance muss sich in jedem Sprint inkrementell verbessern. Dieses Prinzip wird ergänzt um die permanente Überprüfung, ob der strategische Weg der Marktbearbeitung der richtige ist. Dies ist übrigens häufig mit einer Entscheidung auf Basis von Erfahrung und weniger von Zahlen verbunden. Zweitens die Bearbeitung relevanter Kundenerlebnisse und nicht irgendwelcher Fancy Cases, die aber für den Erfolg oder Misserfolg in der Kundenbearbeitung irrelevant sind. Dazu kann man beispielsweise Mitarbeitenden den Freiraum geben, relevante Nutzungsszenarien von Kunden auszuprobieren, Schwachstellen zu identifizieren, um dann über solche Entdeckungen die richtigen Ansatzpunkte für Optimierungen zu finden. Ich nenne das die Basic Moments of Truth. Diese Basic Moments of Truth können nie von einer Funktion oder einer Abteilung allein verbessert werden. Dazu ist immer bereichsübergreifende Zusammenarbeit notwendig. Wenn man diese Kundenmomente priorisiert und ihnen den entsprechenden Rahmen und die Aufmerksamkeit gibt, wird aus der sequentiellen Zusammenarbeit automatisch eine crossfunktionale Zusammenarbeit. Wie hat sich in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung verändert? In vielen traditionellen Unternehmen findet man eine gewachsene und sehr heterogene ITLandschaft vor. Diese ist nicht nur durch eine Vielzahl voneinander abhängiger Systeme geprägt, sondern auch durch komplizierte Strukturen und verschiedene Ansprechpartner und Verantwortlichkeiten. Dies kann sogar dazu führen, dass selbst auf Vorstandsebene keine eindeutige Zuordnung gegeben ist. Ich glaube nicht, dass es hierfür die eine Lösung gibt, aber ich habe gute Erfahrung mit den beiden folgenden Maßnahmen gemacht. Erstens die Vereinfachung der Verantwortung für die Marketing-Anwendungen – eine Person oder Gruppe („Cluster“) innerhalb der IT, die für die gesamte Marketingtechnologie verantwortlich ist. Zweitens die Förderung des Austauschs der Mitarbeitenden von IT und Marketing, insbesondere die Unterstützung von Job Rotation. Dabei wechseln beispielsweise Marketingmitarbeitende in die IT. Können Sie noch kurz auf die Gestaltung der Zusammenarbeit mit den anderen Schnittstellen eingehen? Zunächst einmal würde ich immer empfehlen, das Marketingproblem genau zu definieren. Nur wenn klar ist, was man erreichen will, haben komplexe Themen eine Chance, erfolgreich umgesetzt zu werden. Wenn dann die Problemstellung klar ist, sollte man mit den wichtigsten Stakeholdern in Dialog treten und deren Sichtweise integrieren, um einen möglichst übergreifenden und ganzheitlichen Ansatz zu finden. Darüber hinaus erlebe ich immer wieder, dass auch die Produkt- und Kanalverantwortlichen in den Unternehmen sehr wertvollen Input für Marktbearbeitungsstrategien liefern.
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Welchen Ansatz würden Sie im Bereich der Marketingtechnologie empfehlen? Bestof-Breed oder Best-of-Suite? Ich war da früher etwas voreingenommen und habe immer den Best-of-Suite-Ansatz verfolgt. Der Grund dafür ist, dass die Einführung und der Betrieb an sich schon komplex sind und ein Best-of-Breed-Ansatz diese Komplexität noch erhöht. Insbesondere die Prüfung und Sicherstellung des Datenschutzes ist extrem herausfordernd. Da wollte ich lieber auf fünf Prozent des Funktionsumfangs verzichten und dafür eine einfachere Toollandschaft haben. Mittlerweile gibt es aber auch genügend erfolgreiche Beispiele für Best-of-BreedArchitekturen. Daher würde ich heute empfehlen, offen an das Thema heranzugehen und die für das Unternehmen passende Strategie zu wählen. Ich würde jetzt gerne noch einmal die Perspektive wechseln und auf Sie und Ihre Rolle blicken. Früher waren die Netzwerke von CMOs sehr von (Kreativ-)Agenturen dominiert. Können Sie uns einen Einblick in die Struktur Ihres Netzwerks geben? Zunächst einmal stelle ich immer wieder fest, dass sich meine persönliche Sichtweise von der eines Großteils der CMOs unterscheidet, die beispielsweise beim Deutschen Marketingverband auf der Bühne stehen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Ich höre leider immer noch viel zu oft: „Das Marketing hat sich in den letzten 30 Jahren wenig verändert und ist auch nicht viel komplexer geworden.“ Das sehe ich komplett anders. Es ist ein extrem komplexes Aufgabengebiet und die Komplexität nimmt sogar noch stark zu. Deshalb fühle ich mich persönlich ständig gefordert, mich weiterzubilden. Ich investiere dafür jede Woche mehrere Stunden in ohnehin vollgepackten Agenden. Aber zurück zur Frage. Ich habe ein kleines Netzwerk mit anderen CMOs, die da ähnlich ticken. Mit diesen und ausgewählten Professorinnen und Professoren haben wir zusammen einen Arbeitskreis innerhalb der Schmalenbach-Gesellschaft gegründet mit der Zielsetzung, Praxis und Academia zu verbinden. Zudem bin ich im regelmäßigen Austausch mit Personen aus der Consulting-Branche, die insbesondere über ein sehr breites Kompetenzspektrum verfügen. Mit diesen Personen kann man wunderbar interdisziplinäre Herausforderungen diskutieren und evaluieren. Ein besonderes Faible für bspw. Chief Creative Officer in Agenturen habe ich nicht. Sie haben gerade schon angedeutet, dass Sie sich regelmäßig weiterbilden. Können Sie uns da einen Einblick in Ihre Quellen geben? Ich würde sagen, dass ich 50 % meiner Informationen aus Fachpodcasts, meist aus den USA, beziehe. Dann haben sich für mich im Laufe der Zeit spezifische Newsletter von Dienstleistern als Inspirationsquelle bewährt. Außerdem beschäftige ich mich intensiv mit den Insights rund um Google. Ansonsten ist Youtube die Hauptquelle. Klassische Bücher benutze ich sehr selten.
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Richten wir mal den Blick nach vorne. Welche zukünftigen Potenziale sehen Sie für den Einsatz von Marketingtechnologien? Der am meisten vernachlässigte Bereich ist der Einsatz von Technologie im Feld der Marketing Operations. Hier geht es um die systemgestützte Orchestrierung der von mir genannten fünf Rollen im Marketing, zum Beispiel in der Planung, im Task Management und insbesondere in der Bereitstellung von Meta-Daten zur ganzheitlichen Bewertung der Marketingperformance. Der Einsatz von Marketingtechnologie in Marketing Operations adressiert auch das Thema Effizienz in Bezug auf den Personaleinsatz. Die steigende Komplexität durch immer neue Kanäle, Wettbewerber und Marktdynamiken kann nicht immer zu einem Personalaufbau führen. Ein zweiter eher genereller Punkt ist das Potenzial von Marketingtechnologien, wenn diese unternehmensweit und auch innerhalb der IT-Architektur ganzheitlich gedacht werden und damit auch anderen Stakeholdern wie dem Produktmanagement oder dem Vertrieb zugänglich gemacht werden. Wie entwickelt sich die Rolle des CMOs in Zukunft? Das Profil wird sich noch stärker dem eines Chief Digital Officers annähern. Ein CMO wird nach innen und außen die Brücke zwischen Markt und Technologie schlagen. Das bedeutet auch für mich persönlich ein ständiges Lernen an genau dieser Schnittstelle. Gibt es sonst noch etwas, das Sie uns mitteilen möchten? Ja, unbedingt. Der Erfolgsfaktor wird sein, dass sowohl die Informationen aus der ITArchitektur als auch die Daten aus den Business-Prozessen in eine Single Source of Truth einfließen. Diese bildet das Herzstück für alle kommerziellen Aktivitäten.
Herzlichen Dank für das persönliche Gespräch!
Bernhard Wecke ist Experte für Marketing und Vertrieb, insbesondere in der digitalen Welt. Er hatte entsprechende Führungspositionen bei Telefonica Deutschland, Capita und zuletzt als Vice President Consumer Marketing bei Unitymedia inne. Seine Leidenschaft sind unternehmensweite Transformationsprozesse. Seit 2022 lehrt und forscht er an der IU Internationale Hochschule im Bereich Marketing mit den Schwerpunkten Marketingtechnologie und Digitalisierung.
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Ein CIO ist heute Teil der Gestaltung der Unternehmenstransformation Experteninterview mit Uli Irnich: Marketingtechnologie aus der Perspektive eines CIOs Bernhard Wecke
Zusammenfassung
Uli Irnich ist seit 2020 CIO und seit Mai 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von Vodafone Deutschland. Als Chief Information Officer (CIO) und Head of Modernization Garage in der globalen Organisationseinheit ‚Digital & IT‘ leitet er bei Vodafone Deutschland die kundenzentrische Ausrichtung der IT. Er verantwortet Zukunftsthemen rund um die Digitalisierung, neue Technologien sowie die Modernisierung der IT-Prozesse und Systeme. In diesem Interview erläutert er Herausforderungen und Chancen im Zusammenspiel von IT und Marketing.
Was verstehst du unter dem Begriff „Marketingtechnologie“? Im Kern geht es für das Marketing darum, die Interaktion mit dem Kunden persönlich zu gestalten. Denn: Die großflächige One-to-Many-Kommunikation funktioniert heute nicht mehr. Welche Aufgabe hat dabei die Technologie? Technologie ist all das, was dabei hilft, von Daten auf Informationen zu Aktionen zu gelangen. Sie bedient sich dabei Plattformen und Algorithmen. Ein Beispiel hierfür ist das Thema „Churn Prevention“. Wir versuchen die Daten der Kundinnen und Kunden so zu aggregieren, dass wir Informationen über ihre Abwanderungswahrscheinlichkeiten generieren. Auf Basis dieser Informationen plant das Marketing dann zielgerichtet und kundenspezifisch B. Wecke (B) IU Internationale Hochschule Fernstudium und Campus München, München, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 G. Schuster und B. Wecke (Hrsg.), Marketingtechnologien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-42294-3_22
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die Maßnahmen. Wir nutzen hierfür einen Customer Data Hub, der es uns ermöglicht, eine Haushaltssicht auf unsere Verträge und Produkte zu bekommen. Wir können somit Familien auf Haushaltsebene und nicht nur auf Einzelvertragsebene ansprechen und betreuen. Welche Lösungen habt ihr für das Daten-Management. Nur einen zentralen Hub oder auch dezentrale Dateninseln? Wir haben beides und versuchen immer wieder, die Daten Use-Case-orientiert und pseudonymisiert zusammenzuführen und dadurch anzureichern. Dabei überprüfen wir kontinuierlich unter anderem unsere GDPR-Konformität. In diesen Prozess binden wir auch unsere Kunden frühzeitig ein. Ein schönes Beispiel ist der Wifi-Doktor. Ein Kunde möchte das Zuhause netzseitig optimieren und willigt ein, dass wir dafür die Kundendaten nutzen können. Damit erfüllen wir die Wünsche der Kunden, schaffen aber auch neue Datenpunkte, die man für die Vermarktung nutzen kann. Wo setzt ihr darüber hinaus Marketingtechnologien ein? Insbesondere im Kampagnenmanagement. Unser Ziel ist Konvergenz. Das heißt, wir statten unsere Kundinnen und Kunden möglichst vollständig mit unseren Produkten und Technologien aus. Dazu nutzen wir Plattformen wie die von Pegasystems. Welche Erfolge konntet ihr bisher erzielen? In Teilbereichen und dabei insbesondere im Bestandskundenmanagement haben wir über den Einsatz von Marketingtechnologien signifikante Erfolge erzielen können. Wir konnten die Churn-Prevention-Raten um 24 % steigern, wir haben die Upselling-Quoten um 40 % verbessert und damit den Umsatz pro Kunde um 10 % gesteigert. Das heißt, die Technologie arbeitet schon gut. Wo wir uns noch verbessern können, ist die Adaption der Möglichkeiten der Technologie in der Organisation. Denn der Mensch ist und bleibt zentral. Nur durch das fein abgestimmte Zusammenspiel von Mensch und Technologie erreicht man das Optimum. Auf diesen organisatorischen Aspekt würden wir später nochmal zurückkommen. Wenn du in die Zukunft blickst, welche weiteren Use Cases oder Themen werden an Relevanz gewinnen? Wir nennen das bei uns Marketing AI Inside. Das umfasst mehrere Themen. Zum einen analysieren wir die Korrelation zwischen Preis und Sales und versuchen damit die Preiselastizitäten besser zu verstehen. Dann nutzen wir Marketingtechnologie zur Aussteuerung der Vertriebskanäle, um beispielsweise Kannibalisierungseffekte zu vermeiden, aber auch um die Entscheidung über die Verteilung der Marketingbudgets zu verbessern. Zudem setzen wir Marketingtechnologie in der Wettbewerberanalyse ein. Darüber hinaus versuchen wir das Thema dynamisches Pricing besser zu verstehen. Das wird immer relevanter und geht auf immer kleinere Einheiten wie Regionen, Haushalte oder Individuen und das genutzte Device. Als letztes Beispiel möchte ich die Analyse der Einkaufsströme nennen, mit deren Hilfe wir unser Retail-Store-Netzwerk stetig optimieren.
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Wo steht die Marketingtechnologie aktuell? Werden die Potenziale eher über- oder unterschätzt? Es ist ja immer so, dass neue Technologien am Anfang überschätzt und in der Folge die Erwartungen enttäuscht werden. Marketingtechnologien haben diesen Punkt hinter sich gelassen. Es können endlich Use Cases umgesetzt werden, von denen wir früher nur träumen konnten. Ich glaube nur nicht, dass die Potenziale schon überall angekommen sind. Deshalb wäre meine Einschätzung, dass die Chancen aktuell eher unterschätzt werden. Die Marketingtechnologien erreichen langsam einen Reifegrad, der eine massive Skalierung zulässt. Die Loyalisierung von Kunden kann beispielsweise durch Personal Pricing signifikant gesteigert werden. Die Benefitgestaltung von Bestandskunden ist meines Erachtens einer der zentralen Hebel über Marketingtechnologien. Aber wie schon gesagt, der tatsächliche Durchbruch hängt immer von der Organisation und der Gestaltung der Beziehung von Menschen und Maschine ab. Es werden diejenigen erfolgreich sein, die einen Hunger nach Experimenten entwickeln. Werfen wir mal einen Blick auf die Strategien hinter den Marketingtechnologien. Wie hängen diese mit der IT-Strategie zusammen und wie ist dann eine Marketingtechnologie-Strategie aufgebaut? Wir forcieren eine offene digitale Architektur (VODA), daher passen beide Strategien sehr gut zusammen. Dafür sind uns vor allem zwei Aspekte wichtig. Erstens geht es um die Frage, wie schnell man neue Services, Tools oder Partner integrieren kann. Die Entwicklung ist so dynamisch, dass hier größtmögliche Flexibilität über APIs und Microservices geschaffen werden muss. Es geht aber nicht nur ums Hinzufügen. Genauso einfach muss man auch nicht mehr benötigte Anwendungen offboarden können. Zweitens ist der Aufbau eines intelligenten Daten-Managements von zentraler Bedeutung. Dieses muss es ermöglichen, die Daten so zu aggregieren, dass Insights generiert und Maßnahmen abgeleitet werden können. Wie trefft ihr in diesem Bereich Entscheidungen? Beispielsweise im Hinblick auf die Anschaffung einer neuen Anwendung. Die Entscheidungen werden anhand von zwei zentralen Kriterien diskutiert. Zum einen: Welchen Wert generiert die Lösung für unsere Kunden und unser Unternehmen? Zum anderen: Welches Skalierungspotenzial hat die Technologie? Das schließt Nischenlösungen nicht aus, führt aber zu einer Priorisierung von Lösungen, die wir breit ausrollen können. Wie organisiert ihr den Entscheidungsprozess? Wir starten mit einem „Quarterly Business Review“, bei dem alle Initiativen zusammenkommen und die Prioritäten und Schwerpunkte für das nächste Quartal festgelegt werden. Im nächsten Schritt, dem Planning Event, treffen dann Wunsch und Realität aufeinander. Hier liegt ein großes organisatorisches Spannungsfeld, aber auch viel Potenzial. In diesem Schritt kann es zu vielen Enttäuschungen kommen, weil Anforderungen gar nicht oder nur teilweise im Rahmen eines MVP (Minimum Viable Product) umgesetzt werden. Gelingt es
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dabei, umzudenken und den Wert eines MVP-Ansatzes zu erkennen oder trotz Ablehnung der eigenen Anforderungen mit voller Energie an den priorisierten Lösungen mitzuarbeiten, ist dies ein großer Schritt in Richtung Agilität des Unternehmens. Wie arbeitet die IT mit dem Marketing zusammen? Im Digitalbereich agil mit der Scrum-Methode. Der Product Owner kommt aus dem Marketing, dann gibt es einen Scrum Master und ein Delivery Team. Eine hohe Transparenz über den Markterfolg und schnelles Kundenfeedback sind die zentralen Aspekte in diesen Bereichen. Auch wenn das oft schmerzhaft ist, weil die Erkenntnisse nicht den Erwartungen entsprechen. Für diesen Ansatz braucht ihr eine umfassende Datengrundlage. Wie sind die WebAnalysten oder Data-Scientisten integriert? Für uns ist das weniger eine Frage der Organisation, sondern vor allem dass die Teams Zugang zu den Daten haben, die sie brauchen. Meistens liegen auch genügend Daten vor und die Herausforderung besteht eher darin, diese so zu aggregieren und aufzubereiten, dass sie einen Erkenntnisgewinn liefern. Dazu muss das Marketing mit den Datenspezialisten zusammenarbeiten. Nun sprechen ja diese beiden Disziplinen nicht unbedingt „eine Sprache“. Was sind denn die Fallstricke und Erfolgsfaktoren bei der Zusammenarbeit von Fachbereich und Data Analytics? Eine Grundvoraussetzung ist, dass alle eine Haltung entwickeln, dass jeder einen sinnvollen Beitrag leistet. Dafür braucht es häufig eine kluge Moderation. Das kann zum Beispiel ein Scrum Master sein, der oder die immer darauf achtet, dass der Wert von Diversität im Team präsent ist. Dies gilt besonders dann, wenn der Druck zunimmt. Dann besteht immer die Gefahr, dass Einzelne in alte Muster zurückfallen und sich eher extrovertierte Personen durchsetzen. Nach dem Motto: Das habe ich doch schon immer gesagt, dass das nicht funktioniert. In dieser Situation hilft es, gemeinsam zu überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, einen neuen Anlauf zu nehmen und nicht gleich das Ziel oder die Richtung zu ändern. Die Teams, die sich darauf einlassen, entwickeln eine unfassbare Energie bei der Erschließung neuer Wachstumsfelder. Am Ende erkennt man gar nicht mehr, wer aus dem Marketing und wer aus der IT kommt. Wie findet ihr derartige Moderationstalente? Ich habe eine Antwort, die gerade den Zeitgeist trifft. Alle Personen mit einem sogenannten „Growth Mindset“. Vielleicht ist das aber zu platt. Es geht um die Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen und jeder und jedem den Raum zu geben, sich einzubringen. Dies ist heute und vor allem auch in der Zukunft eine der wichtigsten Führungsfähigkeiten. Ich würde empfehlen, bewusst auch Externe aus anderen Branchen zu rekrutieren. Diese bringen einen komplett neuen Blick in die Organisation.
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Welche neuen Rollen sind in dem Funktionsbereich der IT entstanden? Gerade im Hinblick auf die für die Einführung und Nutzung neuer Technologien notwendige bereichsübergreifende Zusammenarbeit Es gibt die, ich würde schon fast sagen klassischen agilen Rollen wie Product Owner, Scrum Master, Agile Coaches. Aber es entstehen neue Jobs durch das Denken in und entlang von Customer Journeys. Die Funktionen in der IT oder im Marketing bestimmen nicht mehr die Jobbezeichnung. Dies führt auch dazu, dass eine neue Form der Zugehörigkeit entsteht. Nämlich weniger zu Abteilungen, sondern zu dem Teil des Kundenprozesses, an dem man beteiligt ist. Durch die Ausrichtung auf eine offene, digitale Architektur entstehen auch neue Möglichkeiten und Rollen. Am Anfang hatten wir Existenzängste bei den Projektmanagerinnen und -managern. Die Angst bestand in der Vermutung, dass ihre Profile bald nicht mehr gefragt sein würden. Doch viele der Fähigkeiten sind nach wie vor extrem wichtig, müssen jedoch um weitere Aspekte ergänzt werden. In der heutigen von schnellen Veränderungen geprägten Welt zählen vor allem Neugierde und Erfindergeist dazu. Ganz konkret haben wir zum Beispiel die neuen Rollen des Solution Train Engineers und des Release Train Engineers. Diese stellen sicher, dass in unserem „Scale Agile Framework“ in jedem Zyklus Inkremente geliefert werden, die operativ und strategisch zusammenpassen. Auf welche Kompetenzen bei der Einstellung von IT-Mitarbeitenden achtet ihr besonders, eventuell auch im Vergleich zu den Kriterien, die vor zehn Jahren wichtig waren? Für mich ist die Haltung dabei ganz entscheidend. Wir suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine Neugier und den Willen mitbringen, in neue Themengebiete einzusteigen. Zudem sollte das Verständnis vorhanden sein, dass die IT mittlerweile ein bedeutender Baustein in der Geschäftsentwicklung ist und die aktive Teilhabe der IT-Mitarbeiter die Basis für den langfristigen Unternehmenserfolg darstellt. Die IT und die Fachbereiche sind nicht mehr zwei getrennte Bereiche. Die IT ist kein reiner Anforderungsempfänger mehr, sondern muss ihre Fähigkeit einbringen, Wachstum mitzugestalten. Das führt auch zum nächsten wichtigen Aspekt. Wir brauchen zwar in vielen Bereichen detaillierte Fachexpertise, aber über allem steht die Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Der Erfolg stellt sich nur ein, wenn die Fachexpertise crossfunktional ineinandergreift. Welche Änderungen bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitenden ergeben sich aus diesen Anforderungen? Die Strategie zur Personalgewinnung hat sich signifikant verändert. Da besteht übrigens eine starke Analogie zum Marketing und der immer individuelleren Kundenansprache. Es reicht bei der Personalakquise nicht mehr aus, auf Messen präsent zu sein oder Stellenanzeigen breit zu streuen. Wenn wir einen Data-Scientisten oder einen Entwickler suchen, sprechen wir diese individuell in ihrer Community an. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei aufzuzeigen welche Entwicklungsmöglichkeiten die Unternehmenskultur genau für diese Zielgruppen bereithält.
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Inwiefern kann die Personalabteilung oder die Organisationentwicklung diesen Prozess begleiten? Zum einen geht es darum, eine „Learning Organization“ zu entwickeln und frühzeitig die richtigen Kooperationen mit Schulen und Hochschulen einzugehen. Deshalb bauen wir auch unser Innovation Center in Dresden auf. In Dresden bestehen entsprechende enge Kooperationen und wir sehen einen Pool an interessanten Talenten. Kannst du das Thema „Learning Organization“ noch etwas näher ausführen? Wir brauchen im Hinblick auf die Job- und Rollenprofile eine enorme Beweglichkeit. Ein großer Teil der Jobs, welche in fünf Jahren relevant sein werden, kennen wir heute noch gar nicht. Wir müssen daher einen Rahmen für die Mitarbeitenden bereitstellen, der eine Offenheit und die Anpassungsfähigkeit fördert. Dabei sind zwei Aspekte besonders wichtig. Erstens die psychologische Sicherheit. Man darf Fehler machen, kann auch offen darüber sprechen und das Gelernte weitergeben. Zweitens eine Kultur des Empowerments. Ein Hebel ist die Ausbildung eines Führungsverständnisses, welches die beiden Dimensionen unterstützt. Ein weiterer Hebel ist die Bereitstellung von passenden Lerninhalten für die Mitarbeitenden. Dazu nutzen wir E-Learning-Tools, aber auch Präsenztrainings und -veranstaltungen. Welche Auswirkungen hatten diese ganzen Veränderungen auf die Entwicklung deines persönlichen Netzwerks? Zusammenfassend sind es vor allem drei Themen, die neu sind oder deutlich an Relevanz gewonnen haben. Als Erstes der Anspruch, dass die IT nun ein integraler Bestandteil der Wachstumsgeschichte eines Unternehmens sein muss. Zum Zweiten ist der Bereich der „Cyber Security“ mittlerweile essentiell geworden. In einer digitalen Ökonomie besteht eine permanente Bedrohungslage. Und drittens ist der CIO heute Teil der Gestaltung der Unternehmenstransformation. Aufgrund dieser Entwicklungen hat sich mein Netzwerk deutlich verändert. Jeder CIO muss ein Netzwerk aufbauen, welches auch diese neuen Anforderungen bedienen kann. Kannst du hierzu ein Beispiel nennen? Ein Beispiel ist die Öffnung der eigenen Datenwelt und die Zusammenarbeit mit den Hyperscalern wie Amazon oder Google. Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, Teile der Infrastruktur an derartige Partner auszulagern. Heutzutage ist die Zusammenarbeit sehr eng und nicht mehr wegzudenken.
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Wo holt ihr euch innovative Impulse insbesondere auch im Hinblick auf die Entwicklungen in der Marketingtechnologie? Vor allem über unser Partner-Ökosystem, mit dem wir unsere marketingtechnologische Infrastruktur aufgebaut haben. Auch hier sind die großen Anbieter zu nennen, die insbesondere im Bereich der Algorithmen führend sind. Aber auch hier helfen die Kooperationen mit Universitäten, die oft eine ganz andere Perspektive einbringen. Zum Abschluss noch eine Frage: Was würdest du einem bzw. einer neu in die Rolle kommenden CIO raten? Das Wichtigste ist, ein Verständnis für die Werttreiber des Unternehmens auszubilden. Dieses muss dann durch einen Blick auf die Technologien ergänzt werden. Die relevante Frage lautet hierbei: Welche Technologien, die skalierbar und leicht integrierbar sind, unterstützen die Wachstumstreiber. Noch einmal der Blick auf Vodafone. Auch wir haben eine Reise hinter uns. Früher war der oder die CIO Teil der Organisation des Chief Technology Officer, dessen Kerngeschäft das Netz war. Heute sind alle CIOs mit IT- und Digital-Verantwortung in der Vodafone-Gruppe Teil der Geschäftsleitung. Der Grund besteht darin, dass die die Software und das Journey Management zentral für eine erfolgreiche Kundenorientierung sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bernhard Wecke ist Experte für Marketing und Vertrieb, insbesondere in der digitalen Welt. Er hatte entsprechende Führungspositionen bei Telefonica Deutschland, Capita und zuletzt als Vice President Consumer Marketing bei Unitymedia inne. Seine Leidenschaft sind unternehmensweite Transformationsprozesse. Seit 2022 lehrt und forscht er an der IU Internationale Hochschule im Bereich Marketing mit den Schwerpunkten Marketingtechnologie und Digitalisierung.
Planen, um das Unplanbare möglich zu machen
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Experteninterview mit Jordis Dony und Tatiana See: Marketingtechnologie aus der Perspektive von Transformationsbegleiterinnen Bernhard Wecke
Zusammenfassung
Jordis Dony ist Dipl. Medienwissenschaftlerin und MBA Leadership & HR. Sie managt und begleitet seit 2005 als Unternehmensberaterin (Roland Berger, Deutsche Telekom) und HR-Managerin (Unitymedia, Knauf) Organisationsentwicklungs- und Transformationsprojekte. Sie ist ausgebildeter systemischer Coach und Essenz-Coach sowie Expertin in der Anwendung von Methoden der Theory U (Otto Scharmer/MIT). In ihrer Arbeit ist es ihr wichtig, schnell Muster im Organisationssystem zu identifizieren und daraus Veränderungsimpulse zu gestalten. Ebenso hat sie stets den Blick auf die (emotionalen) Bedürfnisse der einzelnen Personen, denn „Haltung und Verhalten gehen Hand in Hand“ – insbesondere in Transformationen. Tatiana See ist Dipl. Betriebswirtin. Sie arbeitet seit 2000 mit Ansätzen von New Work/Agilität – sowohl in Start-ups, Mittelstand als auch Konzernen. Sie ist ausgebildeter systemischer Coach, Agile Coach und Facilitatorin. In ihrer Arbeit schöpft sie aus einem langjährig erprobten Methodenpool und wendet einen kunden- und kontextspezifischen Methoden-Mix an. Ihr Ansatz ist es, die Menschen in der Transformation mittels Co-Creation mitzunehmen. Ihr Ziel besteht darin, Organisationen und Teams auf einen kontinuierlichen Wandel vorzubereiten, ganz nach dem Motto: „Keep moving forward, one step at a time.“
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In diesem Interview erläutern die beiden Expertinnen, auf welche Signale im Transformationsprozess zu achten ist, warum es sich immer lohnt, einen systemischen Blickwinkel einzunehmen, und wie man das Unplanbare hervorbringen kann. Welche Perspektive habt ihr auf die Entwicklung der Bedeutung von Technologien für das Marketing aufgrund eurer Rolle als Transformationsbegleiterinnen? Tatiana See: Die Marketingabteilungen, insbesondere die marktnahen Funktionen, sind oft die ersten im Unternehmen, die mit neuen Technologien in Berührung kommen. Sei es, weil sie diese selbst ausprobieren, sei es, weil sie den Marktdruck der Wettbewerber spüren. Am Anfang steht häufig die Frage, wie ein Tool so implementiert werden kann, dass die Marketingeffizienz verbessert wird. Der Fokus liegt also auf den operativen Aufgaben und Auswirkungen. Die systemische Perspektive und die Frage, welche Auswirkungen die Technologie auf die Menschen hat, sowohl auf Kundinnen und Kunden als auch auf Mitarbeitende, wird häufig vernachlässigt. Wenn eine neue Technologie für einen größeren Teil einer Organisation relevant ist, ist die Integration der Menschen in den Gestaltungsprozess einer der zentralen Erfolgsfaktoren. Jordis Dony: Auch wenn dies zunächst den Eindruck erwecken mag, dass der Prozess dadurch verlangsamt wird. Technologieeinführung ohne Stakeholderintegration scheitert in der Regel. Immer dann, wenn eine neue Marketingtechnologie den Marketingprozess verändert, sei es die Planung, die Kommunikation oder die Preisgestaltung, muss die Integration transformativ begleitet werden. Dies bedeutet, dass neben der technologischen Aufgabenstellung weitere Dimensionen wie die Organisationskultur, die Ablaufprozesse, die Aufbauorganisation und insbesondere die interne Kommunikation berücksichtigt werden müssen. Welche Tipps könnt ihr einer Marketingleitung geben? Auf welche Signale sollte sie bei Technologieänderungen achten? Tatiana See: Diese Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Ich empfehle zunächst zu unterscheiden, ob die Veränderung ein kleines Team oder die gesamte Marketingabteilung betrifft. Wenn es die gesamte Marketingorganisation betrifft, gibt es oft auch Auswirkungen auf andere Funktionsbereiche wie Finanzen oder Vertrieb. In diesem Fall empfehlen wir immer einen systemischen Ansatz. Zu Beginn orientieren wir uns häufig an einem Transformations- und Analysemodell, das auf einem Modell der „Agile Pioneers“ basiert. Es ist eine Art Checkliste, welche Dimensionen und Fragestellungen zu berücksichtigen sind. Dies betrifft die bereits erwähnten Bausteine Kultur, Ablauf- und Aufbauorganisation, aber auch das Führungsmodell und die Berücksichtigung der Historie und des Kontextes eines Unternehmens. Handelt es sich um ein Start-up, ein mittelständisches Familienunternehmen oder einen internationalen Konzern?
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Ein weiterer Aspekt ist die Klärung der konkreten Ziele, die mit der Technologieanpassung verfolgt werden. Ist das Ziel überhaupt definiert und handelt es sich um eine Umsatzsteigerung, eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit oder eine Kostenreduktion? Heute werden solche Technologieentscheidungen oft top-down getroffen. Was ratet ihr einer Marketingleitung, wie sie damit umgeht und welchen Ansatz sie wählt, um die Entscheidung im Marketing zu sozialisieren? Tatiana See: Co-Creation. Jordis Dony: Auf jeden Fall, aber ich möchte noch einmal eines vorausschicken: Man sollte zuerst prüfen, ob Strategie und Ziele definiert sind und inwieweit Handlungsbedarf besteht. Die Klarheit des Top-Managements bei solchen Vorhaben ist entscheidend für die Kraft, die in den Transformationsprozess ausstrahlt. Hier setzt Co-Creation an, mit dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Sprache für das Neue zu entwickeln. Dabei geht es vor allem auch um die Einbeziehung der Mitarbeitenden, die im direkten Kundenkontakt stehen. Wenn beispielsweise „Dynamic Pricing“ eingeführt wird und dadurch die Preise individuell auf die Kundinnen und Kunden abgestimmt werden, sollten die Mitarbeitenden im Service Center die gleichen Informationen haben und diese auch gegenüber den Kundinnen und Kunden vertreten können. Tatiana See: Dieses schöne Beispiel verdeutlicht auch noch einmal die Notwendigkeit einer systemischen Sichtweise. Wenn man eine Technologie einführt, muss man analysieren, welche Dynamiken und Abläufe sich im Unternehmen verändern können. In diesem Fall können sich die Entscheidungsprozesse bezüglich der Preisgestaltung signifikant verändern. Außerdem verschiebt sich das Wissen innerhalb der Organisation. Auch dies kann Auswirkungen auf das Zusammenspiel im Unternehmen haben, oft abseits des Organigramms und daher nicht sofort sichtbar. Ich möchte noch einmal auf den Punkt „Handlungsnotwendigkeit“ zurückkommen. Wie kann man diese Mitarbeitenden gegenüber herstellen? Jordis Dony: Im Prinzip geht es um „Schmerz“ und „Vision“. Und das kann sehr individuell sein. Die Frage lautet also: Kann man das allgemein für eine gesamte Organisation erarbeiten oder muss man das auf Teams oder einzelne Mitarbeitende zuschneiden? Eine gute Aufforderung besteht darin, nach Verbesserungspotenzialen zu suchen. Noch besser ist die konkrete Frage: Was „nervt“ dich? Was funktioniert gar nicht? Auch der andere Aspekt – die Vision – ist oft sehr persönlich. Für den einen ist Sicherheit wichtig, für den anderen die Möglichkeit, neue Werkzeuge auszuprobieren. Deshalb arbeiten wir hier mit sehr offenen Workshop-Formaten. Hier braucht es Zeit, damit die Mitarbeitenden sich nicht nur rational mit dem Sachthema beschäftigen, sondern auch Raum bekommen, in sich hineinzuspüren, wie es einem damit geht. Welche Ängste, Befindlichkeiten und Wünsche gibt es? Oft wabern neue Initiativen durch ein Unternehmen und jeder versteht etwas anderes darunter. Um eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, muss man sich, wie gesagt, Zeit nehmen.
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Woran kann man denn feststellen, dass sich eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis entwickelt haben? Jordis Dony: Wenn man eine konstruktive Diskussion wahrnimmt. Es ist kein gutes Zeichen, wenn es still ist. Dann halten sich viele zurück, ihre Perspektive einzubringen. Ein weiteres Warnsignal ist ein ausgeprägter Aktionismus Einzelner, wenn jeder nur sendet und keiner empfängt. Wenn sich die Diskussionen um Begriffe oder Konzepte drehen und dabei die Perspektive der Kundinnen und Kunden keinen Platz einnimmt. Wir hatten gerade einen Workshop mit vielen verschiedenen Bereichen in einem Telekommunikationsunternehmen. Wenn dann Sätze fallen wie „Jetzt verstehe ich endlich, was du machst“, dann entsteht etwas Gemeinsames. Dann kann sich aus den unterschiedlichen Perspektiven eine gemeinsame Sprache entwickeln. Es geht also darum, auf die Kommunikation zu achten. Wahrnehmen, ob Energie im Raum ist und ob diese konstruktiv oder destruktiv ist. Tatiana See: Es ist wichtig, den Kontext des Unternehmens zu berücksichtigen und keine Standardmethode anzuwenden. Oft ist es ein Herantasten an etwas, das funktionieren könnte. Bei einem anderen Unternehmen hatten wir mit unterschiedlichen Formaten versucht, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einen Dialog zu kommen. Das hat über einen längeren Zeitraum nur bedingt funktioniert. Erst als wir die Größe und ein paar Spielregeln verändert haben, konnten wir die psychologische Sicherheit so erhöhen, dass plötzlich eine direkte und konstruktive Diskussion entstanden ist. Allgemeiner gesprochen: Es gilt zwei Dinge zu beachten, die sehr banal klingen. Erstens: Veränderung braucht Zeit. Und am Anfang weiß man überhaupt nicht, wie viel Zeit man tatsächlich benötigt. Es gibt viele Floskeln wie „transforming while performing“, diese Balance ist natürlich wichtig, aber man muss genau hinschauen, ob wirklich der Wille da ist, sich die Zeit für die Veränderung und den dafür notwendigen Dialog zu nehmen. Zweitens sind die ersten Schritte nicht immer positiv. Häufig gehen die Mitarbeitenden aus dem ersten Meeting mit dem Gedanken „wieder nur geredet und nichts gemacht“. Das auszuhalten und diese Zeit einzuplanen, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Meiner Erfahrung nach ist es hilfreich, wenn ein Veränderungsprozess von bestimmten Talenten in der Organisation unterstützt wird. Diese sind unabhängig von Machtkonstellationen und Hierarchien anerkannt und haben ein Verständnis für den Umgang mit Anpassung. Wie findet man diese Talente, wenn man von außen in eine Organisation kommt? Jordis Dony: Meist steigen wir über klassische Interviews in den Prozess ein und fragen ganz konkret nach diesen Personen. Bewährt haben sich auch Tandem-Interviews mit Personen aus unterschiedlichen Bereichen, die sich im Gespräch gegenseitig befruchten. In diesen ersten Schritten kristallisieren sich dann schnell die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heraus, die für diesen Veränderungsprozess geeignet sind. Diese erkennt man an ihrem Engagement, aber auch an ihren kritischen Stimmen, die in der Organisation Resonanz erzeugen. Ideal ist es, aus diesen Personen eine sogenannte „DNA-Gruppe“ zu bilden, mit der erste Impulse
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gesetzt und Maßnahmen erprobt werden können. Meist tragen die Mitglieder dieser Gruppe die Erkenntnisse auch in ihren Funktionsbereich zurück und erzielen so eine Breitenwirkung. Habt ihr Tipps, wie man derartige Gruppen zusammenstellen kann? Tatiana See: Es gibt zwei Ansätze, die ausprobiert werden können. Erstens: Die Teilnahme basiert auf Freiwilligkeit, es wird nur der Rahmen und das Thema zur Verfügung gestellt. Wenn man aber bestimmte Experten und Rollen unbedingt braucht und daher das Prinzip der Freiwilligkeit nicht funktioniert, kann man trotzdem zwei bis drei Workshop-Plätze frei lassen und anbieten, dass diejenigen, die Interesse haben, teilnehmen können. So identifiziert man auch noch einmal Personen, die Energie und Kompetenz mitbringen, an die man sonst nicht gedacht hätte. Eine weitere Möglichkeit, die durch das virtuelle Arbeiten erschwert wurde, ist die Diskussion nach Ende des offiziellen Teils. Oft bleiben zwei bis drei Personen noch etwas länger und diskutieren weiter, stellen kritische Fragen oder sind am weiteren Verlauf interessiert. Dies könnten wiederum die Talente sein, die für eine erfolgreiche Transformation eingebunden werden sollten. Jordis Dony: Worauf wir im Online-Kontext achten, ist, nicht die ganze Zeit zu verplanen, sondern am Ende noch 20 min zu haben, wo wir den Raum offenlassen und anbieten, dass diejenigen, die Interesse haben, noch weiterdiskutieren können. Die Diskussionen, die dann entstehen, haben oft eine enorme Qualität, auf die wir wiederum in unserer Arbeit aufbauen können. Viele Initiativen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Marketingtechnologien erfordern die Unterstützung zahlreicher anderer Bereiche, wie z. B. Vertrieb oder IT. Wie sichert man sich die Aufmerksamkeit und Energie, um ein solches funktionsübergreifendes Team mit dem notwendigen Fokus aufzubauen? Jordis Dony: Das hängt stark vom Unternehmen und dem Thema ab. Ideal ist es natürlich, wenn die Initiative Teil der Unternehmensstrategie ist. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, auch hier systemisch zu denken. Was sind die Auswirkungen auf die angrenzenden Bereiche? Was für das Marketing gut ist, muss noch lange nicht für die IT gut sein. In manchen Unternehmen reicht eine fundierte Argumentation über Umsatzsteigerung oder Kostenvorteile. In anderen Unternehmen wird man eher über interne Netzwerke Unterstützung erhalten. Systemisches Denken bedeutet zum Beispiel, ein Verständnis für Entscheidungsprozesse – offizielle wie inoffizielle – zu entwickeln oder auch Anreizmodelle zu berücksichtigen. Wann sollte man darüber nachdenken, aus einer crossfunktionalen Projektgruppe heraus eine dauerhafte Änderung der Organisationsstrukturen anzustoßen? Tatiana See: Ich würde empfehlen, das an der Laufzeit festzumachen. Bevor man organisatorisch etwas ändert, sollte man eine Initiative zunächst inhaltlich fokussieren. Wenn man dann feststellt, dass das „Produkt“ dieser Gruppe nachhaltig relevant ist, lohnt es sich,
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über eine organisatorische Anpassung nachzudenken. Auch hier hilft die systemische Sichtweise. Sollen nur Anpassungen im Organigramm vorgenommen werden oder geht es um die Anpassung von Entscheidungsprozessen und Verantwortungsbereichen? Bleiben wir beim Thema Entscheidungen. Es kann durchaus sein, dass Entscheidungen, die früher von einer Führungskraft getroffen wurden, an ein Team oder sogar an die Technologie delegiert werden. Wie können Führungskräfte darauf vorbereitet werden? Jordis Dony: Dies hängt sicherlich vom Reifegrad des Unternehmens in Bezug auf „New Leadership“ ab. Vor allem in traditionellen Unternehmen mit ausgeprägten Hierarchien ist es wichtig, die Auswirkungen auf die Betroffenen zu verstehen. Wenn beispielsweise die Preisgestaltung automatisiert werden soll, kann dies das Gefühl auslösen, nicht mehr gebraucht zu werden oder in der Vergangenheit nicht gut genug gewesen zu sein. Dies kann zu Verweigerung oder Rebellion führen. Es ist wichtig, sich auf den Menschen zu konzentrieren, der immer noch gebraucht wird. In unserem Beispiel vielleicht nicht mehr für die konkrete Preisgestaltung, aber für die Gestaltung der Rahmenbedingungen und der Strategie. Will man immer den günstigsten Preis anbieten oder schafft man Mehrwerte für den Kunden durch Service, Versand etc. Es werden also sehr viele Entscheidungen in einen Algorithmus einfließen, für die der Mensch noch gebraucht wird. Tatian See: Ich bin überzeugt, dass die menschliche Intuition auf absehbare Zeit eine wichtige Rolle spielen wird. Allerdings brauchen Führungskräfte in einem solchen Veränderungskontext Unterstützung, um eine neue Perspektive zu entdecken. Die Bedeutung dieses Aspekts sollte von Anfang an berücksichtigt werden. Dies wird oft nicht von denjenigen getan, die für die Einführung der Technologie verantwortlich sind. Dies ist eine Aufgabe für die Organisationsentwicklung. Zudem muss ein Unternehmen auch mit den Mitarbeitenden, die in ihrer alten Rolle keine neue Perspektive finden können, gemeinsam andere Tätigkeiten identifizieren, die zu den Talenten des Individuums passt. Jordis Dony: Dies führt zu der Notwendigkeit, ein strategisches Workforce Management zu etablieren, das die Frage beantwortet, welche Kompetenzen in Zukunft mehr und welche weniger benötigt werden. Softwareentwicklung, Analytics, Journey Management, aus Daten Insights generieren sind sicherlich Kompetenzen, die wichtiger werden. Dagegen wird das Volumen an einfachen Serviceanfragen oder manuellem Kampagnenaufbau, die von Mitarbeitenden erledigt werden, zurückgehen. Zudem muss gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel transparent sein, wie viele Mitarbeitende das Unternehmen verlassen werden und welche durch eigene Ausbildung wieder hinzukommen. Auch muss geklärt werden, welche Aufgaben dauerhaft bleiben und welche nur temporär relevant sind. Letztere können dann auch extern besetzt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine mittel- bis langfristige Personalplanung – am Geschäftsmodell und -umfeld ausgerichtet – nach wie vor wichtig ist. Die strategische Klarheit fungiert als Handlungsleitplanke, in
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der flexibles Agieren und Nachjustieren zielführend wirken kann. In diesem Gestalten der Leitplanken sind die Führungskräfte nach wie vor maßgeblich gefragt. In vielen Unternehmen sind zunächst nur Teilbereiche des Marketings von einer Transformation betroffen. Angenommen, diese erhalten eine hohe Aufmerksamkeit und damit Sichtbarkeit. Wie kann sichergestellt werden, dass sich in den anderen Bereichen, die wahrscheinlich aus guten Gründen noch so arbeiten wie in den letzten Jahren, kein Gefühl der Bedeutungslosigkeit und des Abgehängtseins breitmacht? Jordis Dony: Menschen wollen gesehen werden. Dafür muss das Management sorgen. Gerade Veränderungsprojekte werden oft von einer breiten Kommunikation begleitet. Ein Teil der Mitarbeitenden geht in Workshops oder auf Offsites. Da ist sehr viel Energie im Fluss. Da kann es sein, dass jemand, der z. B. weiterhin täglich Printkampagnen begleitet, eine mangelnde Wertschätzung empfindet. Dies gilt es durch geeignete Maßnahmen, wie z. B. die Aufmerksamkeit des Top-Managements gerade für diese Funktionen, aufzufangen. Wenn zudem das Damoklesschwert der Abschaffung über diesen Funktionen schwebt, muss ein regelmäßiger Dialog stattfinden. Es geht darum, herauszufinden, wer sich welche Veränderung vorstellen kann, aber auch, für wen möglicherweise kein Platz mehr ist und eine Trennung bevorsteht. Dieser Schritt hat einen entscheidenden Einfluss auf die Kultur eines Unternehmens. Wenn die Gespräche von einem „Ich sehe dich“ geprägt sind, kann trotz möglicher Trennungen die Vertrauensbasis in der gesamten Organisation gestärkt werden. Tatiana See: Was in diesem Prozess helfen kann, ist, Klarheit zu schaffen. Transparent zu machen, was man weiß und wo Unsicherheit und eben keine Klarheit herrscht. Damit gibt man den Mitarbeitenden die Möglichkeit, für sich selbst zu entscheiden, wie viel Unsicherheit man aushalten kann und möchte und wo die Grenze erreicht ist, sodass man sich für einen anderen Weg entscheiden kann. Oft sagen die Verantwortlichen Kommunikationsformate ab, weil sie keine neuen Informationen haben. Da intervenieren wir immer und empfehlen, sie trotzdem durchzuführen. Die Information, dass es nichts Neues gibt, ist für die Mitarbeitenden wichtig und auch Ausdruck von Wertschätzung, wenn man damit offen umgeht. Wenn ihr noch einmal ganz kurz zwei Tipps geben würdet, welche wären das? Jordis Dony: Erstens: „Planen, um das Unplanbare möglich zu machen.“ Es müssen Räume geöffnet werden, die vorher vielleicht undenkbar waren. Tatiana See: Zweitens: Es ist ein schrittweises Herantasten, Anpassen und Spüren, was gerade wichtig ist. Es ist ein ständiger Lernprozess, bei dem man flexibel bleiben muss.
Bernhard Wecke ist Experte für Marketing und Vertrieb, insbesondere in der digitalen Welt. Er hatte entsprechende Führungspositionen bei Telefonica Deutschland, Capita und zuletzt als Vice
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President Consumer Marketing bei Unitymedia inne. Seine Leidenschaft sind unternehmensweite Transformationsprozesse. Seit 2022 lehrt und forscht er an der IU Internationale Hochschule im Bereich Marketing mit den Schwerpunkten Marketingtechnologie und Digitalisierung.