Marie Lipsius alias La Mara (1837-1927): Biographisches Schreiben als Teil der Musikforschung und Musikvermittlung [1 ed.] 9783412517304, 9783412517281


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Marie Lipsius alias La Mara (1837-1927): Biographisches Schreiben als Teil der Musikforschung und Musikvermittlung [1 ed.]
 9783412517304, 9783412517281

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MARIE LIPSIUS ALIAS LA MARA (1837–1927) Biographisches Schreiben als Teil der Musikforschung und Musikvermittlung

Lisbeth Suhrcke

BIOGRAPHIK. Geschichte – Kritik – Praxis Herausgegeben von Joachim Grage, Melanie Unseld und Christian von Zimmermann Band 5

Lisbeth Suhrcke

Marie Lipsius alias La Mara (1837–1927) Biographisches Schreiben als Teil der Musikforschung und Musikvermittlung

Böhlau Verlag wien köln weimar

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Druckfassung der Dissertation »Schriftstellerin | Wissenschaftlerin. Marie Lipsius (1837–1927) und ihr publizistisches Werk in der Gründungsphase der Musikwissenschaft. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte«, die im Juli 2016 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommen wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Signatur von Marie Lipsius unter einem Brief an Anna Hettner, 23.07.1893. Universitätsbibliothek Heidelberg. Korrektorat  : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51730-4

Inhalt

1. Wer war Marie Lipsius und was können wir von ihr wissen? . . . . . . .

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2. Menschen – Orte – Medien. Der Handlungsraum von Marie Lipsius. . .

       

2.1 Familienbande: Die Leipziger Gelehrtenfamilie Lipsius . . . . . . 2.2 Heimatstadt Leipzig: Musik- und Verlagsstadt . . . . . . . . . . . 2.3 Wegbegleiterinnen/Wegbereiterinnen. . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Struktureller Ausschluss und weibliche Handlungsmacht: Dimensionen eines Frauenlebens im 19. Jahrhundert.. . . . . . . 2.5 Musikalische Wurzeln: Franz Liszt und die Neudeutsche Schule . 2.6 Zeitschriften als Schlüsselmedien der bürgerlichen Gesellschaft: Marie Lipsius’ Artikel in der Unterhaltungs- und Fachpresse . . . 2.7 Kunstkritik, Biographik oder Philologie? Die Musikwissenschaft in ihrer Gründungsphase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. »Was Arbeit heiße, das weiß ich«. Aspekte der publizistischen Tätigkeit von Marie Lipsius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

3.1 »Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals«: Die Autobiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 »Gräfin Bio«: Musikalische Studienköpfe . . . . . . . . . . . 3.3 »Dem Ideal der Virtuosen«: Briefeditionen . . . . . . . . . . 3.4 »Musikalische Kritik ist ein Capitel, über das sich viel sagen ließe«: Anonym verfasste Musikkritiken.. . . . . . . . . . . 3.5 »Im Lande der Sehnsucht«: Gedichte und Reiseberichte. . .

. . . 162 . . . 178 . . . 215 . . . 226 . . . 230

4. Marie Lipsius’ Werke in der zeitgenössischen Kritik.. . . . . . . . . . .

237

5. Wissenschaftsgeschichte aus weiblicher Perspektive. Die Schriftstellerin | Wissenschaftlerin Marie Lipsius . . . . . . . . . . .

258

6. Anhang.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1 Werkverzeichnis . . . . . . 6.2 Unveröffentlichte Quellen . 6.3 Autographenbestand . . . . 6.4 Literaturverzeichnis . . . .

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Inhalt

6.5 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Wer war Marie Lipsius und was können wir von ihr wissen? Zum Namenseintrag Marie Lipsius bzw. zu ihrem Pseudonym La Mara finden sich verschiedene Lexikonartikel. In seinem Musiklexikon von 1882 schreibt Hugo Riemann, Marie Lipsius sei eine »bekannte Schriftstellerin«, deren Arbeiten »wenn auch nicht das Resultat eigner Forschung, so doch sicher geistvoller Reproduktion« seien.1 1893 bezeichnet Anna Morsch in der Sammlung »Deutschlands Tonkünstlerinnen« Marie Lipsius als »geistvolle[ ] Schriftstelle­ rin und unermüdlich thätige[ ] Forscherin«.2 1929, zwei Jahre nach dem Tod von Marie Lipsius, erscheint die elfte Auflage des Riemann’schen Musiklexikons, nun herausgegeben von Alfred Einstein. Darin wird Lipsius als »verdiente Musikschriftstellerin« beschrieben, deren Arbeiten »besonders über neuere Tonkünstler zu den verlässlichen gehören und liebevoll und anziehend geschrieben sind.«3 In der ersten Auflage der MGG 1960 dann schreibt Christiane Engelbrecht über Marie Lipsius, ihre Biographien über Musikerinnen und Musiker seien infolge des verwerteten Quellenmaterials noch immer beachtenswert […]. Liszt und seinen Kreis hat sie vielleicht zu einseitig bewundert  ; seine Briefe und Schriften hat sie nach eigenem Ermessen gekürzt. Rubinstein und Robert Franz hat sie überschätzt, I. Moscheles und F. Draeseke dagegen erstaunlich richtig beurteilt. Ihre Neigung zu den »Neudeutschen« hat ihr den Blick für Brahms und Joachim nicht getrübt. Ihre Ausw. von Musikerbriefen […] ist auch heute noch unentbehrlich.4

In der neuen MGG ergänzt James Deaville 2004, dass Lipsius’ achtbändige Sammlung der Liszt-Briefe die »Haupt-Briefedition für Liszt im 20. Jahrhundert« geblieben sei. Obwohl sie als Editorin »Briefe abänderte, um die Identität der Schreiber zu schützen, kann die Bedeutung ihrer Arbeit kaum überschätzt werden. Stilistisch sehr gekonnt zielen ihre Schriften auf eine breite Öffentlichkeit.«5 Alan Walker urteilte schon 2001 im New Grove ganz ähnlich  :

1 2 3 4 5

Riemann 1882, S. 526 f. Morsch (Hg.) 1893, S. 21. Einstein (Hg.) 1929, S. 1049. Engelbrecht 1960, Sp. 933 f., Hervorheb. im Orig. Deaville 2004, Sp. 196.

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Wer war Marie Lipsius und was können wir von ihr wissen?

Abb. 1: Stich nach einer ­Fotografie von Marie Lipsius alias La Mara

[Marie Lipsius] did not hesitate to censor some of Liszt’s correspondence in order to shield his private life, and modern scholars have critized her for that. […] Nevertheless, by editing 4000 of the composer’s letters, collected with difficulty across a long period of time, La Mara placed herself in the forefront of Liszt studies. It may be possible to improve on her work, but not to replace it.6

Lässt sich aus den verschiedenen Lexikoneinträgen ein erstes Bild von Marie Lipsius gewinnen  ? Die dargelegten biographischen Eckdaten sind in allen Artikeln die Gleichen  : Marie Lipsius wurde am 30. Dezember 1837 in Leipzig geboren als viertes Kind und einziges Mädchen einer bildungsbürgerlichen Familie. 1867, kurz vor ihrem 30. Geburtstag, publizierte sie in einer Zeitschrift erstmals biographische Texte über drei zeitgenössische Komponisten. Diese Texte wurden derart positiv aufgenommen, dass sie weitere Biographien über Musikerinnen und Musiker schrieb und auch etliche Musikerbriefe herausgab. Im Alter von 80 Jahren wurde ihr vom sächsischen König der Professorentitel verliehen. Am 2. März 1927 verstarb Marie Lipsius, sie hinterließ keine Kinder. 6 Walker 2001, S. 741.

Wer war Marie Lipsius und was können wir von ihr wissen?

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Die Frage allerdings, welche Bedeutung Marie Lipsius für die Musikwelt hat bzw. hatte, beantworten die Lexikoneinträge unterschiedlich. In allen Artikeln wird eine Grenze gezogen zwischen Schriftstellerei auf der einen, Forschung auf der anderen Seite. Die Arbeiten von Marie Lipsius werden jeweils unterschiedlich darin platziert  : Bei Riemann ist Lipsius eine Schriftstellerin, die geistvoll reproduziert habe, was der Musikforschung bereits bekannt sei. Noch in der Neuauflage 1929 unter Einstein bleibt diese Einschätzung bestehen, während Morsch in Marie Lipsius sowohl eine Schriftstellerin als auch eine Forscherin sieht. In den neueren Artikeln wird dann besonders die Sammelleistung gewürdigt, die Lipsius mit ihren Briefeditionen vollbracht habe und die als selbstständige Forschungsarbeit anerkannt wird. Während der MGG-Artikel von 1960 aber noch ganz zweifelsfrei mit den Kategorien richtig/falsch argumentiert, bemühen sich die Artikel der 2000er-Jahre um Differenzierung. Sie gestehen Lipsius sowohl dichterische als auch wissenschaftliche Anteile zu und vermeiden eine Bewertung ihrer Arbeiten als richtig oder falsch. Die genannten Lexikonartikel vermitteln über die biographischen Fakten hinaus die zeithistorisch abhängigen Einschätzungen über Marie Lipsius und repräsentieren damit das jeweils geltende Wissenschaftsparadigma  : In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, während der Etablierungsphase der Musikwissenschaft, waren Musikforscher bemüht, sich von populären Formen des Schreibens über Musik abzugrenzen. 1960 dominierte noch das Denken in dichotomen Kategorien, wurde jedoch im Zuge reflexiv-theoretischer Diskurse prekär und von Paradigmen der Differenz und Dekonstruktion abgelöst. Die vorliegende Arbeit strebt keine abschließende Einschätzung zum Werk von Marie Lipsius an. Stattdessen möchte sie die Möglichkeiten und Bedingungen aufzeigen, unter denen eine Frau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit wissenschaftlichem Anspruch über Musik schreiben konnte. Da »sich die Wissenschaftlerinnen der Pionierzeiten häufig jenseits und zwischen den beste­ henden Disziplinen situiert haben, situieren mußten«, seien die Rekonstruktio­ nen ihrer Biographien immer eng an Fragen der Definition und Begrenzung einer Fachdisziplin sowie deren Entstehung gebunden.7 Eine Wissenschaftsgeschichte, die das Handeln von Frauen mitberücksichtigt, will gerade »keine Heldinnengeschichte produzieren«8, sondern untersucht die Definitionen und Abgrenzungen einer Fachdisziplin unter gendersensiblen Gesichtspunkten. E ­ rika Greber formuliert hierzu ein anspruchsvolles Programm  : 7 Greber 2005, S. 22. 8 Ebd., S. 37.

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Wer war Marie Lipsius und was können wir von ihr wissen?

Fundierte wissenschaftsgeschichtliche Studien müssen (sicher nicht nur hier, aber insbesondere hier) mehrstöckig sein  : Zur Personen- und Institutionengeschichte kommt die Methodengeschichte (insbes. zwecks Relationierung der wissenschaftlichen Posi­ tio­nen mit der zeitgenössischen Episteme)  ; erforderlich ist nicht zuletzt auch die Kenntnis der damals verhandelten Texte nebst dem Wissen über deren Behandlung durch andere (frühere, gleichzeitige, spätere) WissenschaftlerInnen – all dies kultur-/ literaturtheoretisch unterfüttert sowie angemessen historisiert  ! – sowie möglichst auch Informiertheit über die Reaktionen der Fachwelt auf die jeweiligen Arbeiten.9

Das ist, wie gesagt, ein anspruchsvolles Programm. Die vorliegende Arbeit versucht sich daran zu orientieren, indem sie ein LebensBild10 von Marie Lipsius zeichnet, also ein Mosaik aus Lebensfakten und den Bildern, die von ihrer Person kursieren, das in vielerlei Kontexte eingebettet ist. Beatrix Borchard merkt an, dass über die Konzeptionierung der Biographie als LebensBild gerade die Frauen­biographik anfällig dafür werde, das weibliche Leben auf das Private, Intime, Innerliche zu beschränken. Als Erweiterung der rein privaten Perspektive schlägt sie vor, Biographie als LebensArbeitsOrteBilder zu verstehen  : Zu allen Zeiten wird das Musikleben von Menschen mit und ohne Namen getragen, die in verschiedenen Feldern handeln, wie beispielsweise ein Instrument spielen, singen, vermitteln über Sprechen und/oder Schreiben, komponieren fördern. Leben, Arbeiten und bestimmte Orte des Handelns sind dabei eng miteinander verknüpft. Der diesem angestrebten Paradigmenwechsel zugrundeliegende Musikbegriff versteht Musik als vielfältiges Beziehungsereignis.11

Äquivalent dazu soll die Analyse der Arbeiten von Marie Lipsius (Kapitel  3) in das breite Beziehungsgefüge eingeordnet werden, in dem sie als Publizistin agierte, das sie aktiv gestaltete und strategisch nutzte (Kapitel 2). Anschließend zeigt sich anhand des Blickes der Rezensenten, welchen enormen Stellenwert Lipsius’ Arbeiten damals hatten (Kapitel 4). Als Texte haben sie diesen Stellenwert heute nicht mehr. Die Beschäftigung mit Marie Lipsius ist dennoch gewinnbringend  : Sie sensibilisiert einmal mehr dafür, dass Gender ein »implizites Element der Wissensproduktion und organisation« ist (Kapitel 5).12  9 Ebd., S. 36. 10 Vgl. Brombach/Wahrig 2006. 11 Borchard 2010, S. 122. 12 Greber 2005, S. 20.

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Leben erinnern: Der Forschungsstand

Ein Aufsatzband über die Musikstadt Leipzig aus dem Jahr 2007 eröffnet mit einem Zitat aus einem Text von Marie Lipsius. Der Name der Autorin wird dabei nicht genannt, das Zitat nur mehr einer »kundigen Leipzigerin«13 in den Mund gelegt. Text und Autorinnenname waren nicht mehr verbunden  – und ohne Namen keine Erinnerung.14 Das Gedächtnis sei ein komplexes System, in dem es zu einer ständigen »Diskriminierung« von Erinnern und Vergessen komme, schreibt Elena Esposito. Erinnern als ein aktiver Vorgang mache Vergessen erst möglich, denn Erinnern sei »vergessenes Vergessen«. Der eigentliche innovationsfördernde Anteil komme allerdings dem Vergessen zu, denn erst durch Vergessen würden Ressourcen frei, um Neuartiges erkennen zu können (das selbstverständlich immer aus schon Bekanntem, nur eben Vergessenem, bestehe). Gerade weil das Vergessen von grundlegender Bedeutung ist, muss seine Existenz latent gehalten werden. Man kann sich daran erinnern, dass man erinnert, aber man muss vergessen, dass man vergessen hat  – ansonsten könnte das Gedächtnis seine Funktion nicht ausüben. Die Funktionsweise des Gedächtnisses besteht in der Aktivierung dieser potentiellen Paradoxie. […] Interessant ist dabei die Lösung, die meistens für dieses Dilemma gefunden wird. Die beste Art, Erinnerung auszulöschen, besteht nicht im Löschen von Informationen (dies ist ja auch nicht möglich), sondern in der Produktion eines Überschusses an Information  – nicht durch die Erzeugung einer Abwesenheit, sondern in der Vervielfältigung der Präsenzen. Das Vergessen wird nicht durch eine Hemmung sondern, geradezu durch die Förderung des Gedächtnisses durchgesetzt – weil eine Steigerung des Vergessens sich nur aus dem gleichzeitigen Anwachsen von Erinnerungen ergeben kann.15 13 Seidel 2007, S. 4. 14 Den Toten einen Namen zu geben, allgemeiner gesprochen  : Vergangenes zu benennen, um es identifizieren zu können, war der Kern ursprünglicher Mnemotechnik, wie sie im Mythos des Simonides von Keos dargelegt ist. Demzufolge war Simonides als Einziger in der Lage, nach ­einem Hauseinsturz, dem er selbst nur knapp entkommen war, die Toten zu identifizieren und ihre Genealogie zu rekonstruieren, indem er sich an die Sitzordnung der zuvor mit ihm Speisenden erinnerte. So teilte Simonides »die Toten den Lebenden zu – zur Bestattung in der Erde und im sozialen Gedächtnis« (Goldmann 1989, S. 66). Ganz ähnlich verwendete die Frauenforschung in ihrer Frühphase große Anstrengungen darauf, möglichst viele Namen weiblicher Protagonistinnen (wieder) sichtbar zu machen, um sie der historiographischen Erinnerung einzuschreiben. 15 Esposito 2002, S. 29 f.

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Das Verschwinden von Frauen wie Marie Lipsius aus der Musikgeschichtsschreibung ist nach diesem Modell also nicht über das Vergessen zu erklären, sondern paradoxerweise über das Erinnern. Esposito dreht – sich auf Nietzsche beziehend – die Verhältnisse um, indem sie das Vergessen zum Normalfall und das Erinnern zum Sonderfall macht  : »Während sich das Vergessen nicht als Nicht-Erinnerung definieren lässt, kann man sehr wohl davon ausgehen, dass es sich bei der Erinnerung um ein versäumtes Vergessen handelt.«16 Erklärbar wird das Verschwinden von Figuren aus der Historiographie also eher, wenn statt nach Prozessen des Vergessens (die es nach Esposito nicht gibt) nach solchen der überlagernden Erinnerung gesucht wird. Marie Lipsius zu vergessen war nicht ungewöhnlich. Sie nicht zu erinnern, indem die Erinnerung an sie durch andere Erinnerungen überlagert wurde, war subtiler und wirkungsmächtiger zugleich. Die Umkehrung von Vergessen und Erinnern führt nun aber weg von Individuen, die bewusst vergessen oder bewusst etwas ›Falsches‹ erinnert hätten, denn, und darauf zielt Esposito mit ihrer Studie Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft, Erinnern und Vergessen sind vorgeprägt und hängen von gesellschaftlichen Strukturen ebenso ab wie von der Evolution von Speichermedien. Das, was erinnert wird, ist also Ausdruck dessen, was erinnert werden kann, weil es in die Ordnungsmuster und Strukturschablonen einer Zeit passt.17 Wenn Marie Lipsius nach ihrem Tod 1927 schnell keine Rolle mehr spielte in der musikhistorischen Erinnerung, dann spiegelt sich darin, wie sehr die Musikwissenschaft zu jener Zeit damit beschäftigt war, ihre Herkunft zu verschleiern  : eine Herkunft aus der Biographik, aus der Musikkritik und dem Feuilleton, aus der Vermittlung zwischen Musik und Publikum. »Wiederentdeckt« wurde Marie Lipsius von der musikwissenschaftlichen Genderforschung. Rebecca Grotjahn wirft die Frage auf, ob der fünfte Band der Musikalischen Studienköpfe von 1882, in dem Marie Lipsius die Biographien von 24  Musikerinnen zusammengestellt hatte, die »Geburtsstunde der musikwissenschaftlichen Genderforschung« gewesen sei. Sie kommt allerdings zu dem Schluss, dass es naiv wäre, »alles, was sich nur irgendwie mit Frauen befasst, unter ›Genderforschung‹ zu subsumieren«. Die Begründung sieht sie in der ideologischen Verwobenheit der Autorin Lipsius mit den Konventionen ihrer Zeit, denn »nur ungern wird man den historischen Ursprung eines Arbeitsgebietes, zu des16 Ebd., S. 28. 17 Vgl. dazu auch Unseld 2008, S. 111.

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sen Motiven das Hinterfragen überkommener Geschlechterideologien zählt, bei AutorInnen suchen, die eben diesen Ideologien verpflichtet sind«18. Grotjahn scheint empört darüber, dass Lipsius sich ihrer Meinung nach nicht deutlich emanzipierte von der männlichen Sichtweise auf die Musikwelt ihrer Zeit. Es mag ja stimmen  : Marie Lipsius eignet sich nicht als Gallionsfigur einer frauenzentrierten Musikgeschichtsschreibung. Differenzierte Sichtweisen sind mit den absoluten Kategorien von angepasst/emanzipiert allerdings nicht möglich. Im Artikel Gender-Studies im Supplementband der neuen MGG argumentieren die Autorinnen denn auch vorsichtiger. Sie heben Marie Lipsius’ Biographiesammlung über »Die Frauen im Tonleben der Gegenwart« als Beispiel einer »allenfalls punktuell wahrgenommenen« Beschäftigung mit musikalisch handelnden Frauen bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts hervor, bevor sie ebenfalls zu dem Schluss kommen, dass Lipsius den konventionellen Rollenauffassungen ihrer Zeit gefolgt sei, indem sie Frauen als reproduzierende Interpretinnen dargestellt habe, statt ihre auch kompositorischen Tätigkeiten hervorzuheben.19 Das von den Gender Studies eigentlich abgelehnte Schema  : hier die »sympathische Dilettantin«, dort die »Vorkämpferin für den Fortschritt«20 ist in den genannten Texten, zumindest untergründig, noch präsent. Dahinter steht wohl der Wunsch nach einer Eindeutigkeit in der Bewertung von Marie Lipsius und ihren Arbeiten, die es allerdings nicht geben kann. Die vorliegende Arbeit wird zeigen, dass sich an manchen Textstellen und in manchen Lebensdetails subtile Brüche in der Konventionalität offenbaren (egal ob von Lipsius unbewusst oder bewusst erzeugt), die in Widerspruch stehen zu der oft plakativen Angepasstheit, die die Autorin in Vorworten und autobiographischen Äußerungen zeigte. Bislang liegt keine Monographie über Marie Lipsius und ihre Arbeiten vor. Lediglich der kanadische Musikwissenschaftler James Deaville befasste sich im Rahmen seiner Liszt-Studien mit Teilaspekten aus dem Werk Lipsius’ und verfasste, neben dem Personenartikel in der neuen MGG, mehrere Aufsätze da­rü­ ber.21 Auch ihn treibt angesichts des Frauenbandes der Musikalischen Studienköpfe die Frage um, »whether La Mara’s collection of women’s lives and activities represents a subversion of the male-controlled literary field or a submission to it.«22 Das Entweder-oder von Unterwanderung und Unterordnung kann auch 18 Grotjahn 2008, S. 155. 19 Noeske/Rode-Breymann/Unseld, S. 240. 20 Brombach/Wahrig 2006, S. 16. 21 Vgl. Deaville 1999  ; Deaville 2002  ; Deaville 2004  ; Deaville 2006b. 22 Deaville 2006b, S. 149.

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Deaville nicht überwinden, wenngleich er doch beiden Anteilen im Werk von Marie Lipsius ihre Berechtigung gibt. Eine besondere Erinnerung an Marie Lipsius ist von heimatkundlicher Seite betrieben worden. »In Leipzig ist Marie Lipsius heute fast vergessen«, heißt es zwar in einem biographischen Porträt auf der Homepage der Stadt.23 Die Lipsius­straße in ihrer Heimatstadt, geographisch nicht mit Wohn- oder Wirkungsstätten verbunden, ist denn auch nicht ihr, sondern ihrem Vater Carl Heinrich Adelbert gewidmet. In Schmölen bei Wurzen dagegen, wo Marie Lipsius ihren Lebensabend verbrachte, initiierte der Heimatforscher Richard Klinkhardt 1987 anlässlich ihres 150.  Geburtstags einige Erinnerungsmomente zu Ehren von Marie Lipsius. Er veranlasste einen Festakt am ehemaligen Rittergut Schmölen und ließ dort eine Gedenktafel anbringen. Außerdem wurde Lipsius’ Grabstein auf das Grundstück des Rittergutes verlegt. Im Stadtmuseum Wurzen regte Klinkhardt eine kleine Ausstellung an.24 Seine Idee allerdings, im Liszt-Museum in Weimar eine Lipsius-Gedenkstätte einzurichten, wurde abgelehnt mit der Begründung, »daß wir im Liszthaus keine Möglichkeit der Erweiterung haben und daß wir eine Chance für die wissenschaftliche Betreuung des Materials in einer komplexen Marie-Lipsius-Forschung sehen.«25 Das war damals wohl etwas zu euphorisch formuliert, denn an eine »komplexe Marie-Lipsius-Forschung« ist auch heute nicht zu denken. Nichtsdestotrotz kristallisieren sich verschiedene kulturelle und wissenschaftliche Prozesse im Leben und Werk von Marie Lipsius, die daran exemplifiziert werden können. Die Verknüpfung von Individualbiographie und Kultur- bzw. Wissenschaftsgeschichte kann zum Verständnis der Ein- und Ausschlussprozesse beitragen, die im ausgehenden 19.  Jahrhundert zwischen den verschiedenen Feldern des Schreibens über Musik ausgehandelt wurden. Leben rekonstruieren: Die Quellenlage

Quellengrundlage dieser Arbeit sind einerseits die von Marie Lipsius publizierten Texte, die als Aufsätze in Zeitschriften oder in gebundener Form erschienen. Die gedruckten Bücher lassen sich gut dokumentieren, wohingegen die Situation 23 Vgl. https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenpor traets/detailseite-frauenportraets/projekt/lipsius-ida-marie/ [25.03.2020]. 24 Vgl. dazu Briefe und Ausstellungstafeln im Kulturhistorischen Museum der Stadt Wurzen, o. Sign. 25 Brief von Dieter Eckard an Richard Klinkhardt vom 16.04.1887, Kulturhistorisches Museum der Stadt Wurzen, o. Sign.

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bei den Aufsätzen etwas unbefriedigender ist. Angesichts der unüberschaubaren Anzahl infrage kommender Zeitungen und Zeitschriften, in denen Lipsius-­ Texte hätten erscheinen können, bleiben hier zwangsläufig Lücken.26 Einige Hinweise auf die Publikationsorte ihrer Artikel gab Lipsius in ihren Briefen und Texten, ihnen konnte nachgegangen werden. Außerdem wurden die größten (Musik)Zeitschriften für die Jahre 1867 bis 1927 durchgesehen, doch angesichts der nicht immer vorhandenen Register blieb es bei einer stichprobenartigen Recherche. Eine andere wichtige Art von Quelle ist die Briefkorrespondenz von ­Marie Lipsius. Im Zuge ihrer Arbeiten stand sie mit mindestens 600  Personen in brieflichem Kontakt, höchstwahrscheinlich waren es deutlich mehr.27 80  Prozent der Korrespondenz umfasst allerdings eingegangene Briefe, nur bei rund einem Fünftel der recherchierbaren Datensätze handelt es sich um Briefe, die von Marie Lipsius selbst verfasst wurden. Größtenteils geben die Briefe daher nur indirekt Auskunft über Marie Lipsius und ihr Handeln. Allerdings sind in zwei Fällen echte Briefwechsel überliefert, wenn auch mit offensichtlichen Lücken  : Erstens die Korrespondenz mit Marie von Bülow, der Witwe Hans von Bülows,28 zweitens die Korrespondenz mit dem Musikforscher Erich Prieger.29 Überliefertes Material ist nie das getreue Abbild einer Realität, sondern in seiner Unvollständigkeit immer auch Indiz für bestimmte Sammlungs- und Aufbewahrungsstrategien.30 Marie Lipsius war bestens vertraut mit der Funktionsweise von Archiven. Als Musikhistorikerin kannte sie den Wert historischer Quellen und hatte selbst unzählige Archive und Bibliotheken nach Briefen durchforstet, um sie für ihre Arbeiten nutzbar zu machen. Das mag sie zu einer sehr bewussten Beschäftigung mit ihrem eigenen Nachlass geführt haben, denn aus ihrem Familien- und engsten Freundeskreis ist so gut wie keine Korrespondenz erhalten  ; stattdessen ein Konvolut an weit über 2000 Briefen, die Lipsius in Arbeitszusammenhängen schrieb und erhielt. Diese Briefe ordnete sie kurz vor ihrem Tod und übergab eine Auswahl daraus an zwei Institutionen, mit denen sie sich stets eng verbunden gefühlt hatte  : das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzig und das Liszt-Museum in Weimar. 26 Vgl. Anhang 6.1. 27 Vgl. Anhang 6.3. 28 D-B Mus. ep. M. Lipsius 1–36 (Lipsius-Briefe) und D-WRgs GSA 59/390 (Bülow-Briefe). 29 D-B Mus. ep. M. Lipsius 48–72 (Lipsius-Briefe) und D-Bsbha 55 Nachl 88/C,1–21 und D-WRgs GSA 59/410,6 (Prieger-Briefe). 30 Zur Bedeutung dieses Umstandes, besonders auch in Bezug auf das Archivmaterial über Frauen, vgl. z. B. Borchard 2005.

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Auch wenn Lipsius die Archivwürdigkeit ihrer Korrespondenz mit der histo­ rischen Bedeutung der Briefabsender begründete  – allesamt bekannte Persönlichkeiten ihrer Zeit –, so war doch der Eingang ins Archiv die Voraussetzung dafür, dass auch Lipsius einmal historisch gewürdigt werden könnte. Ob sie dies mit der Abgabe ihres Materials intendierte, bleibt offen. Jedenfalls wurde ein Augenleiden in den 1910er-Jahren immer massiver und es stand eine Operation an, die offen ließ, ob Lipsius danach jemals wieder würde publizieren können. Außerdem zwang der bevorstehende, unfreiwillige Auszug aus ihrer Leipziger Wohnung Lipsius dazu, ihren Besitz sukzessive aufzulösen. Auf dem Rittergut Schmölen, auf dem sie ihren Lebensabend verbringen wollte, stand ihr wenig Platz zur Verfügung.31 Ein erster Versuch, ihre Briefsammlung zu verkaufen, scheiterte allerdings. Am 3. Januar 1918 reagierte der Leiter der Musikabteilung der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Wilhelm Altmann, in einem Brief an Marie Lipsius auf deren Überlegung, ihr umfangreiches Konvolut der Bibliothek überlassen zu wollen. Altmann äußerte sich freudig über das Angebot, bemerkte aber  : »Auch wir haben nur sehr beschränkte Mittel und können keine Liebhaberpreise zahlen. Dafür hätten Sie aber die Gewissheit, dass Ihre Sammlung hier zusammenbleibt und sorgfältig aufbewahrt wird«32. Altmann bat Lipsius, einen Preis für die Übernahme der Sammlung zu nennen. Drei Jahre später, im Februar 1921, schrieb er erneut an Lipsius und bedankte sich für die »uns freundlichst gespendeten Abschriften von Musikerbriefen u.s.w.«33. Das Geschäft war demnach nicht zustande gekommen, statt wertvoller Autographe wechselten nur Briefabschriften die Besitzerin. Bei diesen Abschriften handelt es sich höchstwahrscheinlich um 17  Mappen mit bis dahin größtenteils unveröffentlichten Musikerbriefen, die Lipsius für eine potentielle Verwendung abgeschrieben und zum Teil bereits Zeitschriftenredaktionen zum Abdruck vorgeschlagen hatte.34 Als Dokumentation nicht realisierter Arbeiten gibt dieses Material Einblicke in die Arbeits31 Dafür spricht, dass Lipsius weiteres Material abgab, beispielsweise Aufzeichnungen zur Beethoven-Biographie. Der Leiter der Musikbibliothek Peters, Rudolf Schwartz, schrieb am 12.02.1921 an Marie Lipsius  : »Im Namen der Musikbibliothek Peters gestatte ich mir, Ihnen für die freundliche Überreichung Ihrer Beethoven-Arbeiten meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Ich freue mich sehr, daß dieser wertvolle Teil Ihrer reichen Lebensarbeit nunmehr der Forschung dauernd erhalten bleibt, und werde im gegebenen Fall nicht verfehlen, Interpreten darauf hinzuweisen.« (D-LEsm A/129/2010). 32 Brief von Wilhelm Altmann an Marie Lipsius vom 03.01.1918, D-LEsm A/703/2010. 33 Brief von Wilhelm Altmann an Marie Lipsius vom 22.02.1921, D-LEsm A/20/2010. 34 D-B Convolut 1–17.

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effizienz der Publizistin. Um eine detailliertere Analyse vorzunehmen, bedürfte es derart umfangreicher Transkriptionsarbeit, dass diese Aufgabe zukünftiger Forschung überlassen bleiben muss. Als zweites wendete sich Marie Lipsius an das Liszt-Museum in Weimar mit der Frage, ob ihre Briefsammlung dort von Interesse sein könnte.35 Vom 14. März 1918 datiert der Antwortbrief Peter Raabes, des damaligen ­Kustos. Er bedankte sich zunächst für die leihweise Zurverfügungstellung einiger Briefabschriften, die er für einen Vergleich mit anderen Quellen heranzuziehen ge­dachte.36 Weiter teilte er mit, dass der Allgemeine Deutsche Musikverein (ADMV), dem die Liszt-Stiftung untergeordnet war, Interesse an ihrer Sammlung habe und um eine Schätzung des Wertes bitte. Die Besitzerin solle ein Verzeichnis all ihrer Briefe an Max Schillings, den ersten Vorsitzenden des ADMV, schicken. Schließlich verwies Raabe noch auf die Satzung der Liszt-Stiftung, der zufolge die Stiftung selbst keine Gelder zur Anschaffung von Sammlungen bewilligen dürfe.37 Die Sache ruhte daraufhin fast ein halbes Jahr, bis Raabe erneut an Lipsius schrieb. Am 10. August meldete er euphorisch  : »Welch große Freude würde es mir sein, wenn Ihre Sammlung unserem Museum einverleibt werden könnte  ! Ich würde sie treulichst hüten.«38 Über den ausgehandelten Preis äußerte Raabe sich nicht. Als dann wenige Monate später der Erste Weltkrieg beendet und die Monarchie abgesetzt worden war, ging unter den Nationalkonservativen die Angst vor einem Kultursturz um. In Weimar sah man das nationale Erbe in Gefahr, doch Peter Raabe konnte Marie Lipsius am 23. Dezember 1918 versichern  : Dem Liszt-Museum wird nichts geschehen. Es ist eine städtische Kommission gegründet, der ich angehöre, die dafür zu sorgen hat, daß alle Weimarer Sehenswürdigkeiten unter allen Umständen unangetastet bleiben. Es besteht auch nicht die Absicht 35 Zu den Kustoden des Liszt-Museums unterhielt Lipsius seit dessen Einrichtung 1887 guten Kontakt (vgl. 33 Briefe von Marie Lipsius an Carl Gille, D-WRgs GSA 59/521a, 17  ; 3 Briefe von Marie Lipsius an Carl Müllerhartung, D-WRgs GSA 59/425, 2  ; 3 Briefe von Carl Müllerhartung an Marie Lipsius, D-WRgs GSA 59/406,14  ; 4 Briefe von Aloys Obrist an Marie Lipsius, D-WRgs GSA 59/408,1  ; 10 Briefe von Aloys Obrist an Marie Lipsius, D-LEsm A/880/2010–A/888/2010, A/96/2010  ; 12  Briefe von Peter Raabe an Marie Lipsius, D-LEsm A/916/2010–A/926/2010, A/109/2010  ; Brief von Peter Raabe an Marie Lipsius, D-WRgs GSA 59/411,1). 36 Die Bedeutung der Abschriften als Vergleichsfolie für die kritische Bewertung und Edition der Liszt-Briefe spielte Jahrzehnte keine Rolle, rückt aber heute wieder in den Blick (vgl. Liepsch 2010 und Liepsch 2011). 37 Brief von Peter Raabe an Marie Lipsius vom 14.03.1918, D-LEsm A/924/2010. 38 Brief von Peter Raabe an Marie Lipsius vom 10.08.1918. D-LEsm A/925/2010.

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irgend etwas darin grundlegend zu ändern. Seien Sie fest überzeugt, daß ich das geliebte Museum gegen jeden Angriff wie ein Löwe verteidigen würde.39

Heute sind die Briefe aus dem Besitz von Marie Lipsius Teil der Liszt-Sammlung des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. Die Unterabteilung umfasst insgesamt 6405 Blatt, darunter vor allem Briefe, aber auch biographische Notizen, Druckbogen-Korrekturen, Zeitschriftenartikel und Briefabschriften. Hatte Lipsius in Berlin und Weimar bisher kein gutes Geschäft machen können, war sie in Leipzig erfolgreicher. Dort verkaufte sie einen umfangreichen Teil ihrer Sammlung an das Stadtgeschichtliche Museum und erhielt dafür am 6.  Januar 1921 2550  Mark.40 Der Rapport Nr.  5, den das Stadtgeschichtliche Museum anlegte, verzeichnet eine Liste der verkauften sowie einiger gestifteter Mappen mit Briefen und Fotos. Ihr eigenhändiges Material stiftete L ­ ipsius, für die Briefautographe bekannter Musikerinnen und Musiker verlangte sie Geld. Für die rund 300  Briefe von »Musikern«, das heißt von »Gelehrten, Schriftstellern, Malern« sowie jenen »Liszt bezügl.« nahm Lipsius 1000  Mark, für die ebenfalls rund 300  Stück umfassende Briefsammlung von »Sängerinnen«, »Pia­nis­tinnen«, »hervorragenden Frauen« sowie »Biographisches« berichtenden Frauen verlangte sie ebenfalls 1000 Mark.41 Lipsius bot dem Museumsdirektor Friedrich Schulze weitere Briefe an  : Falls Sie Wert darauf legen, die Schreiben, die zum 70. u. 80. Geburtstag von offizieller Seite oder hervorragender Hand an mich gerichtet wurden, zu besitzen, so könnten Sie auch diese, über die ich bisher noch nicht anderweit verfügte, noch dazu erhalten  ; nur möchte ich mir deren mögliche Benützung für eine event. Neuauflage meiner Lebenserinnerungen vorbehalten u. mich darum vorläufig noch nicht von diesen trennen.42 39 Brief von Peter Raabe an Marie Lipsius vom 23.12.1918, D-LEsm A/926/2010. 40 Durch die Inflation hatte das Geld zu diesem Zeitpunkt rund 1/3 des Wertes wie vor dem Krieg. Dennoch entsprach der Preis immer noch in etwa der Summe, die Lipsius beispielsweise als Honorar für die überarbeitete Wiederauflage eines Studienkopf-Bandes erhielt. Erst die Hyperinflation der folgenden Jahre sorgte dafür, dass Lipsius quasi mittellos wurde. 41 Vgl. Rapport Nr. 5, D-LEsm. Den Hinweis auf diesen Nachweis und damit auf die umfangreiche Lipsius-Sammlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, die zu Beginn meiner Forschung noch unbeachtet im Magazin lagerte, verdanke ich James Deaville. Mittlerweile sind die Briefe mithilfe der DFG digitalisiert worden und stehen als OpenSource zur Verfügung unter http:// museum.zib.de/sgml_autographe/sgml_autographe.php  ?seite=6&fld_1d=La%20Mara&suchen= Suchen [25.03.2020]. 42 Brief von Marie Lipsius an Friedrich Schulze vom 28.01.1921, D-LEsm A/18/2010.

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Bei den privaten Briefen zeigte sich Lipsius unentschlossen  : »Die Familienbriefe möchte ich, obwohl sie geradezu unheimliche Ansprüche an meine noch durch literarische Arbeiten sehr beengte Zeit stellen, wenn möglich einer nochmaligen Durchsicht unterwerfen, bevor ich sie aus der Hand gebe.«43 So traf denn die Geburtstagsgruß-Sammlung am 19.  April 1921 als Geschenk im Stadtgeschichtlichen Museum ein, Familienbriefe sucht man dort jedoch vergebens. Waren es die schwere Krankheit und der darauffolgende Umzug von Leipzig nach Schmölen, die Lipsius im Jahr 1921 nicht dazu kommen ließen, die angekündigte »nochmalige Durchsicht« zu unternehmen  ? Oder hatte sie sich doch dagegen entschieden, ihr Privatleben zu archivieren und damit eventuell zukünftiger Forschung zu öffnen  ? Warum Lipsius ihre Sammlung überhaupt teilte und nach welchen Kriterien sie dies tat, bleibt offen. Eine Systematik ist dabei nicht erkennbar, so dass vielleicht die Aufteilung an sich das Prinzip darstellt.44 Ob die Autorin ihren Nachlass bewusst mehreren ihr besonders verbundenen Institutionen zugutekommen lassen wollte, auch, um ihn durch die Streuung vor eventuellen Schäden zu schützen, oder ob es ihr um einen möglichst großen Erlös aus dem Material ging, lässt sich nicht rekonstruieren. Besonders interessant für die Beschäftigung mit Lipsius’ publizistischer Tätig­ keit ist die Korrespondenz zwischen Autorin und Verlegern, denn aus ihr sind (Ver-)Handlungsstrategien von Marie Lipsius abzuleiten. Neben dem Unternehmensarchiv des George Westermann-Verlags in Braunschweig, in dessen Zeitschrift Westermanns Illustrirte Monatshefte die ersten biographischen Skizzen von Lipsius erschienen, sind es vor allem die Bestände des Sächsischen Staatsarchivs in Leipzig, die als Quellen dienen. Am umfangreichsten erhalten ist die Korrespondenz mit dem Verlag Breitkopf & Härtel, sie umfasst acht Akten à 80–180 Blatt in einem Zeitraum von 1896–1923.45 Der Bestand aus der Zeit vor 1896 gilt als Kriegsverlust. Erst ab 1910 sind allerdings Durchschläge der Verlags-Briefe in die Akten der eingehenden Post mit einsortiert, für die vorherige Zeit müssen die chronologisch angelegten Kopierbücher konsultiert werden. Eine weitere wichtige Quelle stellen die Autoren-Kontokorrentbücher von Breitkopf & Härtel dar, aus denen die Honorare für jeden einzelnen verlegten Werktitel hervorgehen.46 43 Ebd. 44 Vgl. Anhang 6.3. 45 D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akten 2611–2618, verwahrt als Depositum des Verlages Breitkopf & Härtel, Wiesbaden. 46 D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 1563, Autoren-Kontokorrentbuch E. Leider ist die Vorgängerserie nicht erhalten, so dass nur Zahlungen ab Dezember 1909 rekonstruierbar sind.

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Eine dritte Art von Quelle für die vorliegende Arbeit stellt ein Album mit rund 240 Rezensionen über Arbeiten von Marie Lipsius dar, die diese zum Teil selbst eingeklebt oder abgeschrieben hatte. Es ist im Kulturhistorischen Museum in Wurzen verwahrt. Leben erzählen: Das (problematische) Sprechen über das Weibliche und das Männliche

Im 19. Jahrhundert dominierte ein dichotomes Geschlechtermodell, das Männern und Frauen entgegengesetzte Eigenschaften und Lebensbereiche zuschrieb. Das Männliche wie das Weibliche wurde als unhintergehbare Kategorie konzeptionalisiert und als naturgegebene und körperlich implementierte Wahrheit essentialisiert.47 Eine Arbeit, die erforschen will, wie geschlechtliche Zuschreibungen sich im Leben und Arbeiten von Marie Lipsius realisierten, wo sie ihr Handlungsräume eröffneten und wo Begrenzungen setzten, muss das männlich bzw. das weiblich Konnotierte benennen. Daraus ergibt sich die Gefahr, durch sprachlichen Gebrauch die darin eingeschlossenen Zuschreibungen zu bestätigen und zu manifestieren, die doch eigentlich aufgebrochen werden sollen. Es ist daher eine reflektierte Sprache gefordert, die sich bewusst macht, wann sie es mit konkreten Frauen und Männern zu tun hat und wann mit Zuschreibungen. Das gilt ganz besonders im Zusammenhang mit einer Autorin des 19. Jahrhunderts. Die inhaltlichen, stilistischen und methodischen Modelle, an denen sie sich orientierte, entsprachen einer Norm, die das Weibliche als Gegensatz zum männlichen Regelfall definierte.48 Egal ob Frauen sich dem ihnen zugeschriebenen Modell anpassten oder mit ihm brachen, sie blieben doch immer daran gebunden. Welche Bedeutung das für die wissenschaftliche Reflexion hat, darauf verweist Michaela Holdenried am Beispiel weiblicher Autobiographien  : Eine Einschreibung, für die der archimedische Punkt der normative Bezug zum männlichen Kanon bliebe, würde die Geschichte der Autobiographik von Frauen als von Verzögerungen geprägtes Gegenstück erweisen. In diesem ›nachholenden Modell‹ wird der Igel immer schon zuerst dagewesen sein, die Häsin das Nachsehen haben.49

47 Vgl. Honegger 1991. 48 Für biographisches Schreiben vgl. z. B. Schaser 2001, S. 143. 49 Holdenried 2000, S. 28.

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Es bleibt ein unauflösbarer Widerspruch  : Normativ-patriarchale Modelle prägten das Handeln von Frauen und müssen offengelegt werden, um das Schreiben von Frauen zu verstehen. Damit dürfen sie aber nicht erneut zur Norm werden, indem die historische Analyse nur danach sucht, an welchen Stellen Frauen sich anpassten und wo sie sich widersetzten. »It is the reshaping or recasting through retelling that gains power«, sagt Lynn Hunt und fordert Historikerinnen und Historiker auf, nicht bei der Dekonstruktion männlicher Metaerzählungen stehenzubleiben, sondern ihnen neue Metaerzählungen entgegenzusetzen. »I am not arguing for one new (›totalizing‹, ›essentializing‹) metanarrative. Rather I am arguing for narrative as a crucial domain of conflict over the meaning of the past and its relationship to the future.«50 Es bleibe wichtig, die Geschichte von Frauen bzw. von geschlechtsabhängigen Ein- und Ausschlüssen zu erzählen, denn »there is no power stronger than the authority to speak«51. Statt dabei zu betonen, an was es Frauen gemangelt habe (Zugang zu Bildung, Politik, Berufsleben) solle der Reichtum weiblichen Handelns betont werden. Die gendersensible Geschichtsschreibung bleibt methodisch wie sprachlich eine Herausforderung.

50 Hunt 1998, S. 96 f. 51 Ebd., S. 97.

2. Menschen – Orte – Medien Der Handlungsraum von Marie Lipsius

Marie Lipsius eroberte sich beim bürgerlichen Lesepublikum eine herausragende Position als beliebte Musikschriftstellerin. Ein Set an äußeren und inneren Bedingungen war dafür förderlich, nicht im Sinne zwingender Determinanten, aber als Rahmen, innerhalb dessen Lipsius agieren konnte. Im Sinne eines praxeologischen Ansatzes versuche ich, weder eine rein handlungsorientierte noch eine rein strukturanalytische Sichtweise auf die Autorin und ihre Arbeit anzulegen, sondern ihr Handeln als Auseinandersetzung mit den sowohl begünstigenden als auch einschränkenden Bedingungen zu verstehen.1 Interessant wird es jeweils an den Bruchstellen, an denen Widersprüche oder Widerstände dafür sorgen, dass der Rahmen sich modifizieren kann bzw. muss. Um die publizistische Arbeit von Marie Lipsius einordnen zu können, sollen im Folgenden einige Rahmenbedingungen geklärt werden, die das Denken und Handeln der Autorin mitbestimmten. Da sind erstens die Menschen, die Lipsius als wichtig oder gar bestimmend für ihr Leben nennt  : ihre Eltern und die drei Brüder Adelbert, Constantin und Hermann, die Jugendfreundin Laura Pohl, die Lebensgefährtin Similde Gerhard, die Gönnerinnen und ideell Verbündeten Carolyne zu Sayn-Wittgenstein und deren Tochter Marie, und natürlich Franz Liszt, den Lipsius ihr »Schicksal«2 nennt und der das Motiv vieler ihrer Arbei­ten werden sollte. Zweitens spielt die Heimatstadt Leipzig als Musik- und Verlagsstadt eine große Rolle. Die produktive Nähe von Musikproduktion, -interpretation und -rezeption bot gute Bedingungen für die m ­ usikpublizistische Tätigkeit von Marie Lipsius. Speziell das Zeitschriftenwesen als immenser Wachs­tumsmarkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war für die Autorin wichtig, denn in Wochen- und Fachzeitschriften konnte sie viele ihrer biographischen Artikel zum Abdruck bringen. So sollen auch die Medien, in denen die Lipsius-Artikel erschienen, kurz charakterisiert werden. Schließlich ist der Blick zu richten auf die Etablierung der Musikwissenschaft als Universitätsdisziplin während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für die Arbeiten von Marie Lipsius waren die Ein- und Ausschlüsse, die das Fach 1 Vgl. der Ansatz des Graduiertenkollegs Selbst-Bildungen an der Universität Oldenburg (Alkemeyer/­ Budde/Freist (Hg.) 2013). 2 La Mara 1917a, S. 24.

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vornahm, um seinen Status als selbstständige Disziplin zwischen Historik und Philologie festigen zu können, hoch relevant. Die Aushandlungen waren zusätzlich unterminiert von der Kategorie des Geschlechts, so dass auch die Genderkonventionen als gewichtiger Teil des Handlungsrahmens von Marie Lipsius anzusehen sind. 2.1 Familienbande: Die Leipziger Gelehrtenfamilie Lipsius Die Familie ist für jeden Menschen der Ort seiner ersten und wohl tiefsten Prägung. In der Familie werden idealerweise nicht nur physische und emotionale Grundbedürfnisse befriedigt, sondern auch Werte und Normen vermittelt, Verhaltensmuster erlernt, Identitäten ausgebildet, Soziabilität ermöglicht. Für das Bürgertum des 19. Jahrhunderts war die Familie von ganz besonderer Bedeutung. Die Trennung von öffentlichem und privatem Raum mit einer entsprechenden Arbeitsteilung von Mann und Frau war noch recht jung. In der ständisch geprägten Gesellschaft hatten Familien des zweiten und dritten Standes im sogenannten Ganzen Haus zusammengelebt, wobei mehrere Generationen und Familienzweige unter einem Dach wohnten und die Arbeit teilten, die als handwerkliche oder landwirtschaftliche räumlich nicht vom Wohnhaus getrennt war. Durch Industrialisierung, Urbanisierung und die Emanzipation der Bürger hatte sich dann eine neue Lebensform gebildet, die das Ganze Haus nicht ablöste, sondern zunächst ergänzte  : Die bürgerliche Kleinfamilie, bestehend aus Ehemann, Ehefrau und Kind(ern), wohnte separiert von weiteren Familienangehörigen in einer spezifisch eingerichteten, repräsentativen Zwecken genügenden Wohnung.3 An jedes Familienmitglied richteten sich bestimmte Rollenerwartungen, die sich aus dem Komplementaritätsmodell der Geschlechtscharaktere ergaben.4 Der Mann ging einer außerhalb der Wohnung liegenden Berufstätigkeit nach, die er idealerweise als verbeamteter Bildungs- oder selbstständiger Wirtschaftsbürger ausübte. Die Frau organisierte den Haushalt, bei entsprechender finanzieller Möglichkeit unterstützt von Dienstpersonal, und erzog die Kinder. Letzteres stand ganz im Zeichen der Sicherung des eigenen Standes  : Die Jungen erhielten dazu eine bestmögliche Schulbildung, um sich mit einem Universitätsabschluss für die höhere Laufbahn qualifizieren und finanziell abgesichert wiederum eine bürgerliche Familie gründen zu können, die Mädchen wurden zu gesellschafts3 Vgl. z. B. Saldern 1997. 4 Vgl. Kapitel 2.4.

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fähigen Ehefrauen erzogen, die ihrerseits kulturelle Bildung und hauswirtschaftliche Kompetenz in die Ehe einbrachten.5 Marie Lipsius wuchs in einer solchen bürgerlichen Familie auf, geprägt von kulturellen Codes und Normen, die mit individuellen Wünschen und Entwicklungen kollidieren konnten. Das Gleichgewicht zwischen Konventionen und individuellem Handeln stellte sich dabei in jeder Familie auf einem etwas anderen Niveau ein, so dass selbst in einer stark reglementierten Gesellschaftsordnung folgende Feststellung ihre Berechtigung hat  : »Die Geschichte einer Familie läßt sich nicht vorschreiben. Sie läßt sich nur erzählen.«6 Auto/Biographische Quellen zur Familie Lipsius

Viele Informationen über ihre Familie lieferte Marie Lipsius uns mit ihrer Autobiographie. Das darin geschaffene Familienbild ist allerdings ein für die Öffentlichkeit geformtes und gibt nicht unbedingt Auskunft darüber, welche Dynamiken sich in der Familie Lipsius tatsächlich abspielten, sondern eher, welches Bild die Öffentlichkeit davon erhalten sollte. In ihrer Autobiographie konstruiert Lipsius beispielsweise die Genealogie ­einer Gelehrtenfamilie. Sie verknüpfte mit der Familienlinie ihres Vaters zwei berühmte Gelehrte, die zwar den gleichen Namen trugen, nachweislich aber nicht mit der Familie Lipsius verwandt waren  : der späthumanistische Philologe Justus Lipsius und der Aufklärer Christian Garve (die Mutter des Vaters hieß Garve). Es war ein Spiel mit der Assoziationskraft ihrer Leserinnen und Leser. Obwohl Marie Lipsius nie behauptete, dass es eine tatsächliche Verbindung zwischen den Gelehrten und ihrer eigenen Familie gebe, konnte beim Lesen doch der starke Eindruck entstehen, die Gelehrsamkeit der Familie gründe sich auf berühmte Vorfahren. Die Autorin konnte mit diesem Motiv auf eine etablierte Erzählung zurückgreifen, denn in biographischen Lexika, Nekrologen und Gedenkreden über Vater, Großväter und Urgroßväter war das Gelehrtenmotiv längst etabliert,7 »wenn auch der erste bekannte Ahnherr […] Landwirth war.«8 Belegt ist, dass die männlichen Vorfahren von Marie Lipsius bis in die Gene­ ration der Urgroßväter tatsächlich entweder Geistliche oder ­Gymnasialrektoren 5 Das bürgerliche Familienmodell ist in idealtypischer Weise dargestellt beim Zeitgenossen Wilhelm Heinrich Riehl (1854a). 6 Steck 1984, S. 125. 7 Indem Marie Lipsius auf die gelehrte Tradition ihrer Familie rekurrierte, wollte sie offensichtlich die alte Vorstellung vom Gelehrten als einem universell gebildeten Mann hervorrufen. 8 Zestermann 1861, S. 5.

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Abb. 2: Familie Lipsius: Richard Adelbert, Wilhelm Constantin, Ida Marie, Lina (Stiefmutter), Justus Hermann und Carl Heinrich Adelbert Lipsius (v. l. n. r.)

waren.9 Beide Berufe hingen bis zur preußischen Schulreform von 1810 eng miteinander zusammen. Bis die Lehrerausbildung nämlich systematisiert und unter staatliche Obhut gestellt wurde, fand der Unterricht an Lateinschulen durch Geistliche statt. Die Dissoziation beider Berufe war erst vollzogen, als eine spezialisierte Lehrerausbildung und die Prüfung der Lehrbefähigung, das Examen pro facultate docendi, eingeführt wurde.10 Für beide Berufe, den des Pfarrers wie des Gymnasiallehrers, war eine mehrjährige universitäre Ausbildung erforderlich, oft in Verbindung mit Promotion und Habilitation. Bis die Sicherheit einer Festanstellung erreicht war, konnte sich der Philologe oder Theologe sein Zubrot als Hauslehrer verdienen.11 Stellte sich die universitäre Karriere als unerreichbar heraus, blieben die Berufe des Pfarrers bzw. Lehrers gesellschaftlich geachtete Alternativen.   9 Als biographische Quellen dienten die Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), das Deutsche Biographische Archiv (DBA) und die Neue Deutsche Biographie (NDB). 10 Vgl. Keck 1989. 11 Zum Hauslehrerstand im 18. Jahrhundert vgl. Fertig 1984.

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Ahnentafel der Familie Lipsius

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Die Mutter: Juliane Molly Rost (1805–1842)

Über die Mutter von Marie Lipsius lassen sich nur wenige Informationen zusammentragen. Aus der Autobiographie der Tochter sind zumindest ihre Lebens­daten bekannt (*11.09.1805, †21.07.1842), außerdem eine knappe Charakterisierung, die als Doppelbild beider Elternteile angelegt ist. Molly sei dem Vater eine ihn ideal ergänzende Gefährtin gewesen mit ihrem bei äußerer Gelassenheit lebhaften Temperament und starkem, leidenschaftlichen Fühlen, das sie dem ältesten [Adelbert] und jüngsten [Marie] ihrer Kinder, die ihr auch äußerlich am meisten glichen, übertrug […]. Dabei war ihr eine Liebenswürdigkeit des Wesens, eine Anmut der Erscheinung eigen, die sie, nach dem Zeugnis eines Freundes, ›allen, die sie kannten, unvergeßlich machte.‹

So sei das Verhältnis der Eltern zueinander überaus harmonisch gewesen, auf allen Ebenen der »Geistes- und Herzensbildung« hätten sie sich ebenbürtig ergänzt,12 meinte die Tochter, die ihre Eltern kaum zusammen erlebt hatte, denn in Maries fünftem Lebensjahr verstarb die Mutter nach längerer Krankheit. Nur »schattenhafte Erinnerungen«13 seien ihr von der Mutter geblieben. Wahrscheinlich hatte Molly ihren Mann kennengelernt, als dieser 1826 für eine kurze Zeit als Hilfslehrer an die Thomasschule in Leipzig berufen wurde. Molly war die jüngere Tochter des dortigen Rektors Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rost, der für die Neueinstellung verantwortlich war. Die Heirat fand am 30. Mai 1828 statt, aus der Ehe gingen die vier Kinder Adelbert, Constantin, Hermann und Marie hervor, zwei weitere starben früh.14 Molly Rosts Vater Ehrenfried (*11.04.1768, †12.02.1835) leitete 39 Jahre die Thomasschule in Leipzig, sein Vater Christoph Jeremias wiederum war Rektor der Gymnasien in Plauen und Bautzen gewesen. Mollys jüngere Schwester Fanny heiratete Gustav Lipsius, den älteren Bruder ihres Schwagers. Aus dieser Ehe gingen zwei gemeinsame Kinder hervor, doch der Junge verstarb früh. Die

12 La Mara 1917a, S. 8. 13 Ebd., S. 10. 14 Die zwei verstorbenen Geschwister fanden in der Autobiographie von Marie Lipsius keine Erwähnung. In einer biographischen Notiz im Anhang der Veröffentlichung der Schulreden des Vaters ist zu lesen, dass zwei Kinder ihnen »in frühester Jugend wieder entrissen« worden seien (Lipsius 1862, S. XXXIII). In der Gedenkrede des Thomaskollegiums zum Tod ihres Rektors hieß es dann, zwei Kinder seien »im frühesten Alter« verstorben (Zestermann 1861, S. 27).

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Tochter Alwine gab ihrer Cousine Marie einige Zeit Klavierunterricht, und auch später hielten beide den Kontakt. Der Vater: Carl Heinrich Adelbert Lipsius (1805–1861)

Nach dem Tod seiner Frau musste Adelbert Lipsius sich um seine vier Kinder kümmern. Marie Lipsius berichtet von ihrem innigen Verhältnis zum Vater, und auch dieser schrieb über die Zuneigung seiner kleinen Tochter Marie  : Sie ist überhaupt sehr weichen, gefühlvollen Herzens, redet sehr oft und gern von der guten Mutter und hängt auch, gleich als ob sie in mir nun auch die Mutter lieben müßte, an mir mit doppelter Zärtlichkeit, so daß sie oft bittre Tränen weint, wenn ich nur auch einige Stunden das Haus verlasse.15

Es zog zunächst die Großmutter mütterlicherseits in den Haushalt, um bei der Versorgung der Kinder zu helfen, nach deren Tod 1845 dann die Großmutter väterlicherseits. Der Vater seinerseits sorgte für die intellektuelle Ausbildung seiner vier Kinder, ließ die Söhne die Thomasschule besuchen und schickte die Tochter auf die höhere Mädchenschule seines Kollegen Dr. August Zestermann. In der autobiographischen Rückschau lobt die Tochter enthusiastisch die Atmosphäre im Vaterhaus und beschreibt den Alleinerziehenden als »mein idealer, unendlich sorglicher, dabei von aller Pedanterie freier Vater, der meine Schularbeiten beaufsichtigte und mit Liebe und Sorgfalt die sich in mir regenden Talente pflegte, sich überhaupt viel mit mir und uns allen beschäftigte.«16 Der Pflege seiner Kinder habe er eine wissenschaftliche Arbeit geopfert, die kurz vor der Vollendung stand, so berichtet der jüngste Sohn Hermann später.17 Der war damals allerdings erst acht Jahre alt und ahnte wohl noch nichts von der Herausforderung, die die Doppelbelastung von Kindererziehung und Wissenschaftlerkarriere bedeutete. So war es vielmehr seine rückblickende Interpretation und vielleicht auch Rechtfertigung, wenn Hermann die nie erfolgte Publikation des Vaters zu erklären versuchte. An anderer Stelle erfahren wir nämlich, dass die »ächt deutsche Gründlichkeit« des Vaters ihn von der 15 La Mara 1917a, S. 11. 16 Ebd., S. 15. 17 Hermann Lipsius muss persönliche Aufzeichnungen über sein Leben angefertigt haben, denn zwei Biographen geben unabhängig voneinander an, solcherart Aufzeichnungen von der Witwe erhalten zu haben und die darin enthaltenen Angaben lediglich zu referieren (vgl. Körte 1921  ; Poland 1924).

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Vollendung seines Werkes abgehalten habe, denn »Lipsius hielt mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit die Resultate seiner Forschungen zurück, weil er nichts veröffentlichen wollte, das nicht den Stempel vollkommener wissenschaftlicher Reife trüge.«18 So wurde die von Vater Lipsius immer wieder überarbeitete und ergänzte Arbeit zur Grammatik der griechischen Bibelübersetzung tatsächlich nie gedruckt.19 Am 26. April 1852 heiratete der Vater erneut  : Lina Wohlfarth (*15.03.1820, †15.01.1889) aus Plauen war eine Cousine von Molly Rost. Die 15-jährige Marie sträubte sich gegen die neue Konkurrentin um die Aufmerksamkeit des Vaters, so jedenfalls schildert sie es in der Autobiographie. Doch anfängliche Skepsis sei der Einsicht in den »guten Genius […], der in ihr das Haus regierte«, gewichen. An Geist, Wissen und Temperament habe sie hinter Molly Rost zurückgestanden, »aber durch aufopfernde Güte, Pflichttreue, bewußte, stets das Rechte treffende Würde verstand sie zu imponieren und auch mit ihren zum Teil schon erwachsenen Kindern fertig zu werden.«20 Carl Heinrich Adelbert Lipsius war am 19. Januar 1805 in Großhennersdorf in der Oberlausitz zur Welt gekommen. Sein Vater Adolph Gottfried Wilhelm Lipsius (*13.11.1768, †06.05.1841) war dort zu jener Zeit Diakon, wurde aber zwei Jahre später ins benachbarte Bernstadt versetzt, wo er schließlich 70-jährig zum Oberpfarrer befördert wurde. Er hatte seine Studienfächer Theologie und Latein als Magister und Doktor abgeschlossen und in polnischen Auswandererfamilien als Hauslehrer gearbeitet. 1800 hatte er Magdalena Elisabeth Garve (1773–1848) geheiratet, eine Tochter des in Diensten Georg  III. stehenden Schlossverwalters Herrenhausen bei Hannover, die in der Herrnhuter Brüdergemeinde erzogen worden war und dort auch als Lehrerin arbeitete. Das Verhältnis zu jener Großmutter Garve beschrieb Marie Lipsius als ambivalent. Einerseits repräsentierte die Großmutter das musische Talent der Familie  : »Vielseitig begabt, spielte sie Klavier und Harfe, sang, komponierte, dichtete und verfaßte für Gatten und Sohn manche Predigt. Mit der schönen Literatur ihrer Tage war sie […] wohl vertraut.«21 Ihr Bruder, Carl Bernhard Garve, ar18 Lipsius 1862, S. XVI. 19 Der älteste Sohn Adelbert veröffentlichte 1862 einen Teil des Werkes posthum und übergab danach alle vorhandenen Materialen seinem Schüler Paul Wilhelm Schmiedel. Dieser verwendete sie für die von ihm herausgegebene Neubearbeitung eines Lehrbuches (Georg Benedict Winer  : Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms als sichere Grundlage der neutestamentlichen Exegese, 8., neubearb. Aufl., Göttingen 1894). 20 La Mara 1917a, S. 20. 21 Ebd., S. 6.

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beitete als Dichter und Komponist geistlicher Lieder.22 Dennoch fühlte Marie sich zur Großmutter Garve nicht sonderlich hingezogen, die sie auch am Klavier unterrichtete, doch mit ihrem »tonarme[n] Spiel«23 nicht recht überzeugen konnte. Das pietistische Erziehungsideal erlebte die Enkelin zunehmend als unangenehm, als die Großmutter nach dem Tod der Schwiegertochter ins Haus zog. »Sie suchte mich, die bisher in rationeller Weise Abgehärtete, zu verzärteln und nach Herrnhuter Muster zu erziehen, wozu ich weder Neigung noch Begabung in mir trug.«24 So habe sie mitsamt ihren Brüdern allerhand angestellt, um der Großmutter zu entkommen. »Da mußte ihr engelhaft geduldiger Sohn manche Klage über uns Unbändige hören. Doch seine Nachsicht fand stets eine liebevolle Entschuldigung. ›Jugend hat nicht Tugend, liebes Mutterchen‹, hörte ich ihn öfters zu meiner stillen Genugtuung sagen.«25 Ihr Vater, meinte Marie Lipsius, habe sich dessen empfindsamer Mutter näher gefühlt als dem rational denkenden Vater. Diese Einschätzung passt in Lipsius’ Strategie, den Vater als pflichttreu aber nicht pedantisch, liebevoll fordernd in schulischen Dingen und gelassen heiter in der Freizeit darzustellen. Auch als Pädagoge wurden ihm diese Eigenschaften zugeschrieben. August Christian Adolph Zestermann pries in seiner Gedächtnisrede zu Ehren des verstorbenen Freundes und Kollegen dessen Wesen  : Unser verewigter Freund war von Natur sanfter Gemüthsart. […] Diese Milde, ich möchte sie das Erbtheil seiner Mutter nennen, hat ihn nie im Leben verlassen, und beides, Wahrheitsliebe und Herzensgüte, haben ihn zu dem gemacht, was ihn uns so überaus theuer erscheinen liess.26

Lipsius sei nicht durch große gelehrte Werke, sondern durch die »Tüchtigkeit der Leistungen auch in kleinern Gaben«27 und besonders eben als Pädagoge hervorgetreten. Die Betonung seiner pädagogischen Fähigkeiten half, die geringe Zahl seiner wissenschaftlichen Publikationen zu relativieren. Als sittlich gebildeter Mensch mit den »ehrwürdigen Tugenden der Bescheidenheit, der Menschenliebe, 22 RISM weist ein Autograph nach  : D-HER, UA Herrnhut, Mus. R 14  : 5. Gedruckt erschienen von ihm  : Lyrische Gedichte, Leipzig 1786  ; Geistliche Gesänge, Görlitz 1825  ; Brüdergesänge, der evangelischen Brüdergemeinde gewidmet, Gnadau 1827. 23 La Mara 1917a, S. 16. 24 Ebd., S. 15. 25 Ebd., S. 16. 26 Zestermann 1861, S. 9. 27 Ebd., S. 12.

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der Pflichttreue und Genügsamkeit, der Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit, der Nachsicht und Geduld« ausgestattet, habe der »Geist evangelischer Milde« in ihm gewirkt.28 So sei auch ein abwertendes Urteil über abweichende Meinungen, ob in religiöser oder wissenschaftlicher Hinsicht, von Lipsius nie zu hören gewesen. Und wenn die Erziehung hauptsächlich darin besteht, dass wir das Wahre, Gute und Schöne in dem Geiste und im Herzen unserer Zöglinge zum Bewusstsein bringen, die Liebe zu allem Vollkommenen in ihnen entwickeln, und die Befähigung in denselben ausbilden, dasselbe zu erstreben und mit Gottes Hilfe in sich und um sich zu erzeugen, so war der Unterricht unseres Freundes gewiss in hohem Grade erziehend. Denn niemand unter uns wusste besser wie er, die Richtigkeit und somit die Wahrheit der Erkenntniss zu fördern, niemand pflegte mehr den Sinn für Pflichttreue und Aufopferung, für Anerkennung des Weisen, Guten, Edlen, welches die Lehren der Religion und die Schriften des Alterthums uns entgegenbringen  ; niemand verstand besser wie er, mit feinem Geschmack den Reiz der Rede, die Tiefsinnigkeit der Gedanken und die Würde der klassischen Schönheit zu entwickeln und zum Genuss zu bringen  !29

Zestermann kam am Ende seiner Rede auch auf die »wohlgerathenen, seiner würdigen Kinder« zu sprechen. Die Söhne seien ihm eine Freude gewesen wegen ihres beruflichen Erfolges, die Tochter dagegen, weil in ihr »das Bild seiner ersten Gattin« wieder aufgeblüht sei, »die Allen, welche sie kannten, unvergesslich bleiben wird«.30 Carl Heinrich Adelbert Lipsius hatte wie sein älterer Bruder Gustav zunächst das Gymnasium in Zittau besucht, bevor er sich an der Universität Leipzig theologischen und philologischen Studien widmete. Diese schloss er 1826 als Magister liberalium artium und Doctor philosophiae ab und wurde anschließend als Lehrer an die Thomasschule in Leipzig berufen. Es folgte die Habilitation im März 1827, womit er die Venia legendi an der Universität Leipzig erhielt. Da 28 Ebd., S. 18. 29 Ebd., S. 16 f. Sonderlich originell ist diese Passage nicht, konnte sie doch so für jeden Pädagogen formuliert werden. Im Bürgertum war Bildung zur »säkularisierten Nachfolgeinstitution der Religion« erklärt worden, denn an ihr hing die Utopie eines »integrierende[n] Identitätswissen[s], das der Ausdifferenzierung der Moderne entgegengestellt werden konnte.« (Voßkamp 1994, S. 15 f.) Die Klassische Philologie stellte die Grundlage des humanistischen Bildungsprogramms dar. Die Schüler des Gymnasiums sollten nicht nur an den Inhalten der Antike gebildet werden, sondern auch an den Methoden ihrer Erschließung. Griechisch- und Lateinunterricht waren die »zentrale Gelenkstelle« zwischen Wissenschafts- und Erziehungssystem, weil sie die formale Erziehung mit der ethischen verbanden (vgl. ebd., S. 21 f.). 30 Ebd., S. 24.

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aber ein Ruf auf eine Professur nicht in Aussicht stand, trat Adelbert 1827 eine Stelle als Konrektor am fürstlichen Gymnasium in Gera an, wo er zwei Jahre später zum Prorektor aufstieg. Seine Entscheidung zum Lehrerberuf war der Ausweg aus dem prekären Status des Privatdozenten. Adelbert wollte nämlich die ältere Tochter des Rektors der Thomasschule, Molly Rost, heiraten. Zur Familiengründung brauchte er jedoch ein sicheres Einkommen. Eine standesgemäße Heirat und Haushaltsführung wären ansonsten nicht möglich gewesen.31 So aber konnte am 30. Mai 1828 die Hochzeit mit Molly Rost stattfinden. Als dann der Rektor der Thomasschule, Schwiegervater Rost, das Gymnasium in den Jahren 1829–32 umorganisierte und das Lehrerkollegium neu aufbaute, wurde Adelbert 1831 zurückberufen nach Leipzig. Dort unterrichtete er Religion und alte Sprachen und stieg im Laufe der Zeit in der Schulhierarchie immer weiter auf, bis er im April 1861 schließlich zum Rektor berufen wurde. Dieses Amt konnte er jedoch nur noch zwei Monate ausführen, bevor eine Krankheit ihn an weiterer Arbeit hinderte. Kurz darauf, am 2. Juli 1861, starb er. Zu seiner Be­ erdi­gung erklang eine Psalmvertonung, die der Leipziger Musikdirektor Moritz Hauptmann 1832 anlässlich der feierlichen Einführung von Vater Lipsius in den Dienst der Thomasschule komponiert hatte. Der Theologen-Bruder Richard Adelbert Lipsius (1830–1892)

In ihrer Autobiographie berichtet Marie Lipsius, wie ihre Brüder sie in ihrer geistigen Entwicklung gefördert hätten. Sie sei von ihnen im Rechnen, Zeichnen, in der französischen und sogar in der nicht zum Bildungsrepertoire eines Mädchens gehörenden lateinischen Sprache unterrichtet und »zuweilen vereint auch einer Prüfung [unterworfen worden], die nicht immer zu meinem Triumphe aus31 Marie Lipsius reflektiert diese Situation in ihrer Autobiographie  : »Um ihr [Molly Rost] seine Hand bieten zu können, entsagte er der mit Glück ergriffenen, aber keinen raschen Aufstieg verheißenden akademischen Tätigkeit, der seine Söhne sich später so erfolgreich widmen durften, und nahm eine Berufung als Konrektor an das Rutheneum in Gera an.« (La Mara 1917a, S. 7) Noch für Maries Neffen, den Sohn ihres ältesten Bruders, wiederholte sich der Zwang zu einem alternativen Karriereweg  : Da Friedrich Reinhard Lipsius nach erfolgreicher Habilitation keinen Ruf auf eine Professur erhielt, nahm er eine Stelle als Pfarrer in Bremen an. Seine Bemühungen um eine Dozentur an seiner Heimatuniversität Leipzig sind in zahlreichen, devoten Schreiben an seine dortigen Universitätskollegen dokumentiert, die sehr eindrücklich die Abhängigkeit zeigen, in der ein junger Wissenschaftler bis zu seiner Berufung stand. Letztendlich erhielt der einzige Lipsius-Nachkomme im Jahr 1919 dann aber zumindest eine außerordentliche Professur für Philosophie – mit 46 Jahren. Die ordentliche Professur blieb ihm zeitlebens verwehrt.

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fiel«.32 Ihr Lieblingsbruder sei der »ebenso geniale als gemütvolle Adelbert – der beste und liebenswürdigste unter uns«33 gewesen, das älteste der Lipsius-Kinder. Am 14.  Februar 1830 in Gera zur Welt gekommen, studierte Adelbert nach Beendigung des Gymnasiums – er besuchte nach Privatstunden ab der Quarta die Thomasschule in Leipzig, wo sein Vater ihn in Religion unterrichtete – an der Universität seiner Heimatstadt Theologie. 1851 schloss er mit der Bestnote ab, ein Jahr später folgte die Promotion, 1855 dann die Habilitation. In jenen Jahren unterrichtete Adelbert zum Zuverdienst Literaturgeschichte an verschiedenen höheren Mädchenschulen, wo er auch seine spätere Frau Laura Parchwitz kennenlernte,34 predigte an der Universitätskirche in Leipzig und wurde 1859 außerordentlicher Professor für Theologie an seiner Heimatuniversität. In dieser Leipziger Zeit, in der er regen Kontakt mit anderen jungen Wissenschaftlern pflegte, lernte auch seine Schwester Marie einige von ihnen kennen. In ihrer Autobiographie nennt sie den Archäologen Conrad Bursian, von dem sie bald darauf ihren ersten Kritiker-Auftrag für das Literarische Zentralblatt bekommen sollte, den Althistoriker Alfred von Gutschmidt, die Theologen Franz Overbeck, Albrecht Rietschl, Paul de Lagarde, Leopold Immanuel Rückert und den Philosophen Christian Hermann Weiße. Auch der junge Heinrich von Treitschke gehörte zum weiteren Bekanntenkreis Adelberts. Von dessen Veröffentlichungen zeigte sich Marie Lipsius besonders begeistert  : Seine Gedichte mit ihrem hohen Wogenschlag der Empfindung, in denen die künstlerische Grundlage seiner Natur zuerst ihren Ausdruck fand, seine gedankentiefen, in ihrer Sprachgewalt zündenden Essays über Kleist, Hebbel, Gottfried Keller, Otto Ludwig, Uhland, Byron, die er mir zutrug, fanden in mir eine begeisterte Leserin.35

Der persönliche Kontakt zwischen Marie Lipsius und Heinrich von Treitschke, der »in mein Leben getreten […] und es mannigfach bereichert hatte«36, muss über einige Jahre bestanden haben, sollte Lipsius die Essays tatsächlich alle vom Autor persönlich erhalten haben. Zwischen der Publikation der Vaterländischen Gedichte 1856 und dem Essay über Lord Byron 1863 lagen sieben Jahre. Tatsächlich trafen sich beide wohl im Sommer 1858 zu gemeinsamen Spaziergängen, 32 La Mara 1917a, S. 17 f. 33 Ebd., S. 43. 34 Vgl. Scheibe 1906, S. 8. 35 La Mara 1917a, S. 46. 36 La Mara 1917b, S. 258.

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denn Treitschke berichtete seinem Freund Ferdinand Frensdorff in einem Brief vom 11. November des Jahres  : »Auch [Adelbert] Lipsius gefällt mir gut  ; seine beste Eigenschaft ist, daß er eine bildhübsche liebenswürdige Schwester hat, mit der ich so glücklich war diesen Sommer mich fast alltäglich im Rosenthal zu unterhalten.«37 Ein Billet Treitschkes vom 19. Mai 1862 an die Stiefmutter Maries spricht dafür, dass es eine längere Bekanntschaft gab. Treitschke lud sowohl Lina Lipsius als auch »Ihr Fräulein Tochter« zu seiner Rede anlässlich des 100. Geburtstags von Johann Gottlieb Fichte ein, »wenn der wenig ästhetische Gegenstand der heutigen Feier Sie nicht zurückschreckt«.38 Zu dieser Zeit war Treitschke bereits stark schwerhörig, nahm aber 1862 Unter­ richt im Lippenlesen, was er als höchst mühsam beklagte, »denn bei halbwegs raschem Reden und bei bärtigen Menschen ist die Kunst nicht zu brauchen. Doch liegt mir besonders viel daran, die unbärtige Hälfte der Menschheit etwas besser zu verstehen«39. Es bleibt im Dunkeln, ob Lipsius vielleicht Treitschke meinte, wenn sie in ihrer Autobiographie davon erzählte, dass ihr Ehewunsch sich nicht erfüllt habe, weil das Wasser zwischen ihr und ihrem Angebeteten gar zu tief gewesen sei.40 Treitschkes historisch-literarische Arbeiten könnten Lipsius beeinflusst haben, wenngleich sich die Texte beider stark unterscheiden. Das leidenschaftliche Eintreten für eine »sittliche Überzeugung«41, das Treitschkes Werk auszeichnete, muss Lipsius beeindruckt haben, denn sie übernahm diese Haltung für ihre Musikalischen Studienköpfe. Die Auffassung, Geschichtsschreibung müsse nicht nur der eigenen (politischen) Überzeugung entsprechen, sondern auch schön sein, teilte Lipsius ebenfalls mit Treitschke.42 Historische Erzählungen könnten nie nur bloße Formen sein, meinte Treitschke. Stattdessen gelte es, das historische Geschehen in Einklang zu bringen mit der zugrunde liegenden Idee. Nur als Verbindung von Idee und Wirklichkeit sei Geschichtsschreibung sinnvoll, und dabei seien auch poetische bzw. dramatische Formen anwendbar. Indem er sich gleichzeitig als Historiker und als Dichter verstand, konnte er ein Vorbild für Marie Lipsius sein. Neben der 37 Cornicelius (Hg.) 1913, S. 473. 38 D-WRgs GSA 59/426, 16. 39 Schiemann 1896, S. 179 f. 40 La Mara 1917a, S. 50. Treitschke habe vor seinem Weggang aus Leipzig einen »Herzensroman« erlebt, heißt es in der ADB. Damals habe er geschwankt, »ob er ein junges Mädchen freien sollte, das ihn leidenschaftlich liebte, oder ob er sich einer anderen jungen Dame erklären sollte, für die er selbst eine starke Neigung empfand.« (Petersdorff 1910, S. 286) Stattdessen heiratete Treitschke 1867 Emma von Bodmann. 41 Bußmann 1981, S. 37. 42 Ebd., S. 73–76.

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Schwerhörigkeit mag der Grund für ein Abbrechen der Beziehung vielleicht darin gelegen haben, dass Treitschke Frauen nicht als ebenbürtige Gesprächspartnerinnen akzeptierte, sondern ihnen eine »geistige Armut« zusprach, die an ihnen allerdings »entzückend« sei, »weil sie so unverhüllt zutage tritt«.43 Bruder Adelbert jedenfalls wurde 1861 nach Wien auf eine ordentliche Professur für evangelische Dogmatik berufen, ein Nischenfach im katholischen Österreich-Ungarn. Adelbert konnte es jedoch in seinem Sinne ausgestalten und weiter etablieren, da der Protestantismus zu jener Zeit in Österreich politische Unterstützung fand.44 Der junge Theologe begann in Wien auch sein kirchenpolitisches Engagement, das er an allen weiteren Stationen seiner Laufbahn weiterführte. Sein Interesse galt seit Schülertagen, noch unter der Ägide seines Vaters, sowohl der an der historisch-kritischen Methode orientierten Bibelexegese als auch der Dogmatik. Beide versuchte er zunächst zu vermitteln, bewegte sich dann aber immer mehr in Richtung einer liberalen Theologie, die sich nicht ausschließlich an der Heiligen Schrift orientierte, am allerwenigsten deren Wahrheit vorwegnehmen wollte, sondern aufgeklärt-kritisch Glauben und Wissen als zwei nur in der Ethik zu vereinbarende Bereiche ansah.45 Die liberale Theologie als eine »dogmatisch ungebundene, strikt historische Erforschung des Neuen Testaments, die der Vervollkommnung des Christentums und der Rechtfertigung eines praktisch-vernünftigen Privatchristentums im Unterschied zum kirchlichen Christentum dienen soll«46, entstand aus dem Geist der Aufklärung und wurde im 19. Jahrhundert zum immer stärkeren Gegengewicht zur orthodoxen Bekenntnistheologie.47 Die freisinnige Haltung Adelberts machte ihn in Wien angreifbar, und so nahm er 1865 einen Ruf an die Universität Kiel an. Das Herzogtum Holstein, und damit auch die Kieler Universität, stand damals unter österreichischer Verwaltung, wurde aber 1866 nach dem Sieg gegen Österreich von Preußen annektiert. Die preußische Kultusverwaltung stand für eine orthodox-konservative Auffassung der universitären Theologie und forderte von den an Universitäten lehrenden Theologen ein religiöses Bekenntnis. Adelbert Lipsius stieß hier immer wieder an mit seiner freigeistigen Haltung und seinem kirchenpolitischen Engagement. Zunächst versuchte der preußische Kultusminister Heinrich von 43 Zit. nach ebd., S. 21. 44 Vgl. Scheibe 1906, S. 9. 45 Zur wissenschaftlichen Position und Methode von Adelbert Lipsius vgl. Nippold 1895  ; Lipsius 1902  ; Weinel 1930  ; Iff 2011 und, in Lipsius’ eigenen Worten, den Artikel im Brockhaus Konversationslexikon, 13. Aufl., 1895, S. 105 f. 46 Iff 2011, S. 2. 47 Zu den Begriffen und ihren Verwendungen vgl. ebd., S. 1–21.

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Mühler noch, den jungen Theologen in Kiel zu halten, was ihm vorerst auch gelang. Adelbert lehnte einen Ruf an die renommierte Fakultät in Heidelberg ab. Nachdem er sich aber dem Protestantenverein angeschlossen hatte, einer seit 1863 bestehenden Vereinigung, die die Selbstverwaltung der Kirche ohne hierarchische Abhängigkeit vom Staat forderte, schloss man ihn 1868 aus der theologischen Prüfungskommission aus. Dies bedeutete nicht nur eine Einbuße an Renommee, sondern auch an Einnahmen, da für ihn nun die Prüfgebühren wegfielen. Eine literarische Fehde mit dem orthodoxen holsteinischen Bischof Wilhelm Heinrich Koopmann, der großen Rückhalt unter den Pastoren genoss, brachte dann endgültig das preußische Kultusministerium gegen Adelbert auf.48 Als sich 1871 in Jena, einer der ältesten Lehrstätten protestantischer Theologie, die Chance bot, eine Professur für Neutestamentliche und Systematische Theologie anzunehmen, ergriff Adelbert sie dankbar. Schon seit 1858 stand er in gutem Kontakt mit der dortigen Universität, die ihm, dem damals 28jährigen Privatdozenten, anlässlich des 300.  Universitäts­ jubiläums eine Ehrenpromotion verliehen hatte. Jena war bekannt für die Liberalität seiner theologischen Fakultät. Adelbert übernahm das Ordinariat des von ihm verehrten Leopold Immanuel Rückert, von dessen Denken er stark beeinflusst war. In Jena fasste er auch privat Fuß. In nun gesicherter Position mit einem Jahreseinkommen von 1700  Talern exklusive Prüfungsgebühren49 bekamen er und seine Frau Laura Parchwitz zwölf Jahre nach ihrer Hochzeit einen Sohn. Friedrich Reinhard Lipsius (*03.10.1873, †29.08.1934), der einzige Nachkomme aus der Reihe der Lipsius-Geschwister, studierte später Philosophie und Theologie in Leipzig und wurde dort 1919 außerplanmäßiger Professor für Philosophie. Nun veröffentlichte Adelbert auch die Streitschriften der Kieler Zeit50 sowie eine Polemik auf die preußische Kirchenpolitik und theologische Berufungspraxis des Kultusministers Heinrich von Mühler.51 Diese persönliche Abrechnung erschien anonym, Adelbert selbst gab später aber seinen Namen preis. Jene Schrift gibt nicht nur ein kulturhistorisches Bild aus der Zeit des sogenannten Kulturkampfes, sondern verdeutlicht auch die kämpferische Haltung von Adelbert Lipsius. Heinrich von Treitschke hatte gemeint, der Kollege aus Leipziger Zeiten sei ein »gelehrter, verknöcherter trockner Theologe«52. Angesichts dessen 48 Vgl. Heussi 1954, S. 302 f. 49 Vgl. ebd., S. 301. 50 Lipsius 1871. 51 Anon. [Lipsius, Richard Adelbert] 1872. 52 Cornicelius (Hg.) 1913, S. 428.

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wissenschaftlichen und kirchenpolitischen Engagements kann davon aber wohl keine Rede sein. Die Gedächtnisrede anlässlich seines 100.  Geburtstages bezeichnete Adelbert als »ein Kind dieser neuen Zeit«53, in der die Theologie sich der Wahrheitsfrage habe stellen müssen. Seine Qualitäten in der Vermittlung zwischen Glauben und Wissen – als Wissenschaftler, Prediger, Publizist, in kirchlichen Gremien und religiösen Vereinen – bezeugten zwei seiner Schüler. »Die Verbindung freiester wissenschaftlicher Unbefangenheit mit wärmster persönlicher Frömmigkeit, mit tiefstem Verständnis für das Mystische, Geheimnisvolle, Unaussprechliche in der Religion – das war es besonders, was uns mächtig zu ihm hinzog«.54 Ein anderer meinte  : Lipsius ist der einzige meiner akademischen Lehrer, der mich stärker beeinflußt hat. Er verband einen scharfen philosophischen Geist mit tiefem Gemüt. Natürliche Rede­ begabung hatte er nicht, eher eine schwere Zunge. Aber da ihm die Eleganz der Worte fehlte, setzte er sich um so gründlicher mit den Problemen auseinander und konnte nicht mit schönen Worten und wohlgeschwungenen Sätzen über die Abgründe so wegvoltigieren, daß sie wie nicht vorhanden zu sein schienen. Er trieb kein dialektisches Spiel mit der Wirklichkeit und machte weder sich noch seinen Hörern mit Worten etwas vor. Im Seminar wurde ernst gearbeitet. Zum Schlusse des Semesters gab es Rostbratwürste und Bier – fein  !55

Adelbert Lipsius förderte in Jena die Entwicklung einer kritischen und unabhängigen Religionswissenschaft. Man hat ihn von theologischer Seite »den klassischen Dogmatiker des Neukantianismus« genannt, von philosophischer »den ohne Frage schärfsten philosophischen Denker unter den Theologen unserer Zeit«.56 Das Zusammentreffen von tiefem Glaube und exakter Wissenschaft – vielleicht diskutierte Adelbert auch mit seiner Schwester Marie über Möglichkeiten der Vermittlung. Die nämlich hatte in ihrer Arbeit ebenfalls Gegensätze zu überwinden  : als berufstätige Frau, als Schriftstellerin mit wissenschaftlichem Anspruch, als Biographin und Editorin. Es ist anzunehmen, dass die Ansichten ihres Bruders sie bei all dem prägten. Als Adelbert 62-jährig nach einer Operation starb, verbrachte die Schwester gerade ihren Sommerurlaub in Tirol und konnte nicht bei der schnell anberaum53 Weinel 1930, S. 9. 54 Zit. nach ebd., S. 23. 55 Zit. nach ebd., S. 23 f. 56 Zit. nach Iff 2011, S. 41.

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ten Beerdigungsfeier anwesend sein. Nach ihrer Rückkehr besuchte sie mit ihrer Schwägerin das Grab Adelberts auf dem Jenaer Friedhof und rekapitulierte die Beziehung zu ihrem Bruder  : Der palmen- und blumenüberdeckte Hügel birgt das ganze Lebensglück seiner von ihm auf Händen getragenen Frau, birgt ein gut Teil auch des meinen. Wie keinem anderen meiner Brüder stand ihm meine Seele offen. Viel hatte ich im Leben von ihm empfangen und mit welch kostbaren Stunden hatte er mich noch bei unserem letzten Zusammensein beschenkt, bevor wir ahnungslos für immer auseinandergingen  !57 Der Architekten-Bruder Johann Wilhelm Constantin Lipsius (1832–1894)

Ihren mittleren Bruder Constantin beschreibt die Schwester als künstlerisch hoch begabt, jedoch »zugeknöpfter« als der ältere Adelbert, der ein geselliges »Herdentier« gewesen sei. Constantin dagegen war ein Idealist, dem das Leben viel Enttäuschungen bereitete. Bei unablässig geschäftiger künstlerischer Phantasie, vergaß er über seiner Kunst Essen, Trinken, Schlafen. Kam er zum Mittagessen nach Hause, so war er oft so in Gedanken vertieft, daß er nur dann und wann auf eine Frage ein vieldeutiges ›Hm  !‹ verlauten ließ und mit der Gabel Ornamente und Grundrisse aufs Tischtuch zeichnete. Zuweilen fand ihn der anbrechende Morgen noch am Arbeitstisch, ohne daß er sich zur Ruhe gelegt hatte. Zu allem fast, was nicht Kunst war, fehlte ihm die Zeit, auch später zum Heiraten. […] Im vertrauten Kreis der Familie und besonders der Freunde, mit denen er häufig am Abend bei einem Glase Wein oder Bier zusammentraf, sprudelten seine Lippen von Witzen und Sarkasmen über. Dabei schaute er so gleichmütig drein, als wisse er nichts von dem Feuerwerk, das er eben zu aller Ergötzen spielen gelassen hatte.58

Constantin wurde am 20. Oktober 1832 in Leipzig geboren. Er besuchte die Baugewerkschule und anschließend die Kunstschule seiner Heimatstadt, wo er sich dem Architekturstudium widmete. 1851 ging er nach Dresden an die Kunstakademie, um seine Kenntnisse in drei weiteren Studienjahren zu vertiefen.59 An57 La Mara 1917b, S. 211. 58 La Mara 1917a, S. 44 f. 59 Die umfangreichsten Angaben zu Constantins beruflichem Werdegang macht der Architekt und Herausgeber der Bauzeitung, Karl Emil Otto Fritsch (1895) in einem Nachruf. Alle späteren biographischen Artikel wiederholen die dort gemachten Angaben.

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schließend unternahm er mehrmonatige Studienreisen nach Venedig und Paris. Nach seiner Rückkehr 1856 ließ er sich in Leipzig als freier Architekt nieder. Hier erhielt er private Aufträge von wohlhabenden Leipziger Familien. So baute er beispielsweise das Wohnhaus für Ernst Keil, den Verleger der damals auflagen­ stärksten Familienzeitschrift, der Gartenlaube. Für diese Zeitschrift verfasste Marie Lipsius in den Jahren 1871–1891 neun längere Aufsätze. Andererseits versuchte Constantin, über Architekturwettbewerbe an größere öffentliche Aufträge zu gelangen. So gewann er den Wettbewerb für die Chemnitzer Börse und das Leipziger Johannishospital – hierfür verlieh man ihm den Titel »Kgl. Baurath« –, errang Preise beim Wettbewerb für das Münchener Rathaus und den Berliner Reichstag, war in seiner Heimatstadt am Neubau der Peterskirche beteiligt und für den Umbau der Thomaskirche verantwortlich. Seit der Gründung des Vereins Leipziger Architekten 1874 war er dessen Vorsitzender, 1876 wurde er zum Leiter der Baugewerkschule, seiner ehemaligen Studienstätte, berufen. Als 1881 sein Lehrer an der Dresdner Kunstakademie, Hermann Nicolai, der wiederum Nachfolger Gottfried Sempers gewesen war, verstarb, wurde Constantin als dessen Nachfolger berufen. Dieses Ereignis wurde auch für die Schwester von Bedeutung. Bisher hatten Stiefmutter und Schwester mit dem unverheirateten Constantin gemeinsam im elterlichen Haushalt gelebt. Doch nun musste der Berufene seinen Wohnsitz dauerhaft nach Dresden verlegen. Marie schildert in der Autobiographie, welche Pläne Constantin hatte  : Er wollte meine Mutter und mich mit sich nehmen, und Mutter war ohne Bedenken zur Übersiedlung bereit, indes mein Mitkommen von Anbeginn sehr fraglich blieb. Sie war der Ansicht, daß Constantin sie ungleich weniger als ich entbehren könne. Ich wiederum hatte künstlerisch wie persönlich meinen eigensten Boden in der Stadt der Musik und konnte, so schwer mir’s fiel, mich von Mutter und Bruder loszulösen, mich nicht entschließen, Leipzig für Dresden aufzugeben.60

Die Stiefmutter zog also im März 1882 nach Dresden, wo sie sich jedoch nicht recht wohlfühlte und sich bei ihrer Stieftochter über die Einsamkeit beklagte, da Constantin so vielbeschäftigt war.61 Marie Lipsius beschreibt den Abschied von der Stiefmutter als sehr schmerzlich  :

60 La Mara 1917a, S. 370. 61 Marie Lipsius dagegen berichtet, welche Selbstvorwürfe sie gequält hätten, die Mutter allein gelassen zu haben (vgl. La Mara 1917b, S. 94).

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In meinem Tagebuch heißt es  : ›Nun ist alles vorbei. Wir sind getrennt. Ob auf lange, auf immer  ? Gott weiß es. Er weiß auch, wie schwer mir’s geworden, wie heiß ich meiner lieben treuen Mutter für alles, was sie mir gewesen und getan, danke. Nun leite mich seine Hand in Gnaden weiter  !‹62

Für Marie war es ein finanzielles Wagnis, einen eigenen Hausstand zu gründen. Es ist zwar davon auszugehen, dass sie zusätzlich zu eigenen Einnahmen aus der publizistischen Arbeit weiterhin von ihren Brüdern unterstützt wurde, doch war eine eigene Wohnung teurer als eine mit Mutter und Bruder geteilte. So kam ihr die Einladung ihrer Freundin Similde Gerhard, einige Räume in deren großzügigem Elternhaus anzumieten und sich das Dienstpersonal zu teilen, sehr gelegen. Das Zusammenleben mit der Freundin versprach Autonomie und Geselligkeit gleichzeitig.63 Für ihren Bruder schätzte Marie den Weggang aus Leipzig als sehr glücklich ein, da es in seiner Heimatstadt an Verständnis für sein Genie gefehlt habe. Constantins Uneigennützigkeit sei in Leipzig ebenso wenig geachtet wie verstanden worden und weniger fähige Architekten seien ihm vorgezogen worden.64 Diese Einschätzung widerspricht allerdings der Position Constantins als Vorsitzendem des Architekten-Vereins und der Baugewerkschule. In Dresden sollte es nun aber wirkliche Konflikte geben. Dem dortigen Archi­ tekten-Verein war Constantin als Nachfolger der Semper-Nicolai’schen Schule nicht traditionsbewusst genug, da er den strengen Neorenaissance-Stil seiner Vorgänger in eklektizistischer Weise mit anderen Stilen vermischte. Andererseits waren seine Entwürfe fest im Historismus verankert mit ihrem pompösen Repräsentativstil und einer überhöhenden Monumentalität, so dass auch progressive Elemente nicht zu erkennen waren. Exemplarisch zeigte sich die Kritik beim Bau des Akademie- und Kunstvereinsgebäudes an der Brühl’schen Terrasse in Dresden. Constantins Entwurf von 1882 entfachte Widerspruch unter den Dresdner Bürgern, vornehmlich aber beim Architekten-Verein. Fundamentschwierigkeiten erhöhten die Baukosten und der ursprüngliche Entwurf musste mehrfach überarbeitet werden. Nach hitzigen Debatten genehmigte der Landtag 1886 endlich den Bau nach den Plänen des Kunstakademie-Professors. Die Bauausfertigung dauerte bis 1894 und gab dem Architekten durch eine Vielzahl auf62 La Mara 1917b, S. 4. Auf ihr Tagebuch verweist Marie Lipsius nicht oft in der Autobiographie. Der Erinnerung soll damit wohl eine besondere Authentizität bezeugt werden. 63 Zur Freundschaft zwischen Similde Gerhard und Marie Lipsius sowie zu Lebensformen alleinstehender Frauen im 19. Jahrhundert vgl. Kapitel 2.3. 64 La Mara 1917a, S. 370.

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tauchender Probleme immer wieder Anlass, seine Pläne modifizieren zu müssen. Die endgültige Fertigstellung des nach ihm benannten Lipsius-­Baus65 erlebte Constantin nicht mehr. Er starb in der Nacht zum 11. April 1894 nach viertägiger schwerer Krankheit an einer »Herz- und Hirnentzündung«66. Der mittlere Sohn der Lipsius-Familie sei ein »denkender Architekt« gewesen, urteilte der mit ihm befreundete Architekt und Publizist Karl Emil Otto Fritsch in seinem Nachruf. »Nicht wie eine geoffenbarte Nothwendigkeit ergab sich ihm die Lösung einer Aufgabe, sondern als ein Kompromiss zwischen zahlreichen, gegen einander abgewogenen Lösungs-Versuchen.« Über eine solche »im ernsten und mühseligen Ringen schaffende Kunst« solle man jedoch nicht gering denken. »Was sie hervorbringt, wird in der Regel höher stehen, als was eine künstlerisch reichere, aber des Ernstes und der Vertiefung ermangelnde Begabung zu leisten vermag.«67 Eine für einen Architekten damaliger Zeit außergewöhnlich breite Bildung sowie Reflexions- und Kritikfähigkeit seien die Merkmale des Künstlers Constantin Lipsius gewesen. Grössere haben neben ihm gelebt und sind von ihm selbst neidlos als solche anerkannt worden. Aber wahrhaft groß war er in seiner Auffassung der Kunst, die ihm nichts Aeusserliches bedeutete, der er sich vielmehr mit voller Seele und mit der Pflicht sittlichen Bewusstseins hingab.68

Klassische Bildung, Pflichttreue, Sittlichkeit, Ernst und Gewissenhaftigkeit, Fleiß, Gründlichkeit und reflektierende Kritik schrieb der Nachruf dem Archi­ tekten zu. Und ähnlich wie in der Würdigung des Vaters sollte wohl auch bei Constantin die als teilweise unzulänglich eingeschätzte künstlerische (bzw. wis­ senschaftliche) Leistung durch die Betonung der pädagogischen Leistung kompensiert werden. So wurde im Nachruf ein ehemaliger Schüler Constantins mit einer langen Passage zitiert, in der dieser die bemerkenswerte pädagogische Befähigung seines Lehrers hervorhebt. Jedes Eigeninteresse hintanstellend habe 65 Der von Lipsius geplante Gebäudeteil des Kunstvereins wurde in der Dresdner Bombennacht im Februar 1945 stark zerstört. Erst nach der Wiedervereinigung begann der provisorische Wiederaufbau. 2006 wurde dann die Rekonstruktion fertiggestellt, die den pompösen Historismus des Originals nun zu historisieren versucht, indem das noch bestehende Fragment durch moderne Elemente ergänzt wurde (vgl. Bachmann 2006). 66 So berichtet es Fritsch 1895, S. 187. Marie Lipsius dagegen nennt lediglich die Herzkrankheit als Todesursache (vgl. La Mara 1917b, S. 226 f.). 67 Fritsch 1895, S. 202. 68 Ebd., S. 203.

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sich Lipsius voll und ganz in die Arbeiten seiner Schüler hineinzudenken versucht, um durch seine Hinweise und Änderungen deren Individualität nicht zunichtezumachen. Mit Hingabe und Geduld habe er jede Frage seiner Schüler beantwortet. Dagegen seien seine kunsthistorischen Vorträge »edel gesetzt, durchgeistigt, aber freilich nicht leicht fasslich und namentlich für solche, denen höhere Schulbildung mangelte, weniger verständlich« gewesen.69 So fügte sich auch die akademische Tätigkeit Constantins in die Tradition der Lipsius-Familie ein, die Erzählung von der Gelehrtenfamilie konnte sich fortsetzen. Auffällig ist, dass Marie Lipsius in ihrer Autobiographie nur wenig von ihrem mittleren Bruder Constantin spricht, obwohl beide mehr als 40 Jahre im selben Haushalt verbrachten. Vielleicht drückt sich das Verhältnis der beiden Geschwister in der kleinen Anekdote aus, die Marie später der Öffentlichkeit preisgab. Darin berichtete sie über das Verhältnis der drei älteren Brüder zur einzigen Schwester, dem Nesthäkchen  : »Mit ihrer Schwester waren sie alle sehr gut, obgleich Constantin mir noch in späteren Jahren versicherte  : ›Du warst ein unausstehliches Kind. Immer wolltest Du mitspielen, paßte Dir aber etwas nicht, so riefst Du weinend nach dem Vater, und mit unserem Spiel war’s zu Ende.‹«70 Marie vermutete, Constantin habe mit seiner Anschuldigung tatsächlich Recht gehabt. Der Philologen-Bruder Justus Hermann Lipsius (1834–1920)

Als jüngster der drei Lipsius-Brüder wurde am 9.  Mai 1834 Hermann geboren. Nachdem er sein Maturitätsexamen auf der Thomasschule abgelegt hatte, schrieb sich der 16-Jährige an der heimischen Universität für Theologie und Philologie ein. Diese Kombination sei der Wunsch des Vaters gewesen, der nach dem frühen Tod seiner Frau seine eigene wissenschaftliche Publikationstätigkeit der Pflege der vier Kinder geopfert habe. Hermann vertiefte die Philologie als das von ihm bevorzugte Studienfach. Da allerdings die Klassische Philologie in Leipzig zu Beginn der 1850er-Jahre wegen der politisch motivierten Suspendierung von Otto Jahn, Theodor Mommsen und Moritz Haupt schlecht aufgestellt war,71 hätte der junge Student sich gern an einer auswärtigen Universität ein-

69 Ebd., S. 194. 70 La Mara 1917a, S. 45 f. 71 Die drei Wissenschaftler waren 1849 aufgrund ihrer republikanischen Aktivitäten wegen Hochverrat angeklagt und kurz darauf ihrer Ämter enthoben worden.

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geschrieben, doch nicht näher benannte private Gründe hätten einen Umzug an eine andere Universität verhindert.72 Hermann schloss nach knapp sechs Jahren sein Studium mit sehr guter Note ab und erhielt kurz darauf auch den Titel des Dr. phil., für den damals in Leipzig keine eigenständige Dissertation abgelegt werden musste, wenn die Examens­ arbeit bereits hervorragend ausgefallen war. Anschließend arbeitete er als Lehrer an der Thomas- sowie an der Nicolaischule in Leipzig, bevor er 1857 nach Meißen und 1860 nach Grimma an die dortigen Gymnasien versetzt wurde. Wiederum drei Jahre später, zu Ostern 1863, nahm Hermann die Stelle des Konrektors an der Nicolaischule in seiner Heimatstadt an, 1866 wurde er dort Rektor. Diese Stellung hatte er elf Jahre inne. In jener Zeit wuchs die Schule stark. Die Neuorganisation kostete Hermann viel Zeit und Kraft, nebenher lehrte er seit 1869 als außerordentlicher Professor Klassische Philologie an der Universität und publizierte auch etliche wissenschaftliche Arbeiten. Als ihm 1877 dann eine ordentliche Professur angeboten wurde, nutzte er die Chance, die Schulverwaltung zugunsten der wissenschaftlichen Arbeit aufzugeben. So lehrte er bis zu seiner Emeritierung 1914 am philologischen Institut der Universität Leipzig, das er zwischenzeitlich auch leitete. Im Studienjahr 1891/92 übte er außerdem das Amt des Rektors seiner Universität aus. Am 5. September 1920 starb Hermann im Alter von 86 Jahren in Leipzig. Auch wenn Marie Lipsius ihren Bruder als »äußerlich wie in der Temperamentsart seinen Geschwistern unähnlich« beschrieb und ihre Distanz zum jüngsten der drei Brüder betonte, da dieser stets seine eigenen Wege gegangen sei ohne ein Bedürfnis nach Geselligkeit und freundschaftlichem Austausch,73 so war Hermann ihr doch durch zwei Umstände eng verbunden  : Zum einen gab es die räumliche Nähe, denn beide Geschwister wohnten, mit nur sechsjähriger Unterbrechung während Hermanns Anstellungen in Meißen und Grimma, zeitlebens in Leipzig. Die andere Verbindung stellte Maries Jugendfreundin Laura Pohl her, mit der sich Hermann 1866 verheiratete. Laura und Hermann kannten sich seit Jugendtagen, doch verloren sich ihre Wege zunächst. Als Hermann 1863 nach Leipzig zurückkehrte, um die Stelle des Konrektors der Nicolaischule anzunehmen und damit seinen finanziellen Status abzusichern, war Laura gerade mit ihrer verwitweten Mutter in den neugegründeten Haushalt der älteren Schwester nach Dresden gezogen. Doch nach einem gemeinsam in Leipzig verbrachten Abend 72 Vgl. Poland 1924, o. pag. 73 La Mara 1917a, S. 45.

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mit Essen und Schachspielen, zu dem auch Laura eingeladen war, verlobten sich die beiden. Der Schwester Marie gefiel die Wahl der beiden  : »Ich war darüber beglückt und sah nicht nur meinen stillen Lieblingswunsch, sondern zugleich den meiner Mutter und meines lieben seligen Vaters erfüllt, wenn es für mich zunächst auch einige eifersüchtige Regungen zu überwinden galt.«74 In den biographischen Texten über den jüngsten der drei Lipsius-Brüder wiederholen sich die zentralen, schon von den anderen Familienmitgliedern bekannten Narrative  : erstens die Gelehrtentradition, die auf den namensgleichen Justus Lipsius Bezug nimmt, zweitens die für die philologische Arbeit so wichtigen Tugenden der Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit und drittens die Pflichttreue gegenüber den anvertrauten Aufgaben, insbesondere in der pädagogischen Arbeit als Gymnasial- und Universitätslehrer.75 Marie Lipsius fasste Hermanns Leben in den Satz  : »[E]r hatte mehr Stern als seine Brüder und alles gedieh ihm in Beruf und Leben nach Wunsch und Willen.«76 Sein Wissenschaftsideal formulierte der Philologe am prägnantesten in seiner Antrittsrede als Rektor der Leipziger Universität. Hier sprach er zunächst über »Die Aufgaben der classischen Philologie in der Gegenwart«77 und würdigte die immense Leistung, die die Disziplin während des 19.  Jahrhunderts vollbracht habe. Bezugnehmend auf den Leipziger Philologen Johann Gottfried Jacob Hermann, bei dem sein Vater studiert hatte und als dessen indirekter Nachfolger Hermann sich selbst sah, betonte der Redner die Wichtigkeit grammatischkriti­scher Exegese der Schriften des Altertums. In den vergangenen Jahrhunderten seien an den Texten oftmals Konjekturen vorgenommen worden, die es zu revidieren galt und weiterhin gelte, um eine möglichst ursprüngliche Fassung der Texte wieder freizulegen. Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, Gründlichkeit seien hier notwendige Bedingungen, aber mit dem Geschäfte, das ich eben bezeichnete, ist die Arbeit des Kritikers erst zur leichteren Hälfte gethan. […] [ J]e entstellter die Textüberlieferung, je höher der Gedankenflug, je origineller die Ausdrucksweise eines Schriftstellers ist, desto weniger wird es auch vereinten Anstrengungen leicht, seinem Werke allenthalben die ursprüngliche Gestalt zurückzugeben.78 74 Ebd., S. 63. 75 Vgl. Körte 1921  ; Poland 1924  ; Schindel 1985. 76 La Mara 1917a, S. 45. 77 Lipsius 2009. 78 Ebd., S. 533 f.

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Für diese Arbeit, und hier distanzierte sich Hermann von der als zu statisch befundenen sprachkritischen Schule seines Vorgängers, seien umfangreiche kulturhistorische Kenntnisse die Voraussetzung, denn allein auf der Grundlage grammatikalischer Regelbeachtung könne man die ursprüngliche Textgestalt nicht wiederherstellen. Es war eine Philologie im Sinne des Berliner Altsprachlers August Boeckh, die Hermann im Sinn hatte und die neben der historisch-kritischen auch die geisteswissenschaftliche Methode anwendete. Textkritik dürfe nie Selbstzweck sein, sondern diene dem stets reicher werdenden Verständnis der antiken Lebenswelt in ihrer Gesamtheit  : Glaube und Sitte, Kunst und Wissenschaft des classischen Alterthums suchen wir mit unserer Forschung zu reproduciren, nicht wie G. Hermann wollte, als Hülfsmittel zum Verständniss der litterarischen Denkmale, sondern als Manifestationen des antiken Geistes. Nur durch die stete Beziehung auf dieses ihr eigentliches Ziel gewinnen die philologischen Disciplinen ihre wissenschaftliche Legitimation, nur dadurch haben auch Antiquitäten und Mythologie aufgehört dürre Aggregate todten Stoffs zu sein und sind ebenso wie Kunst- und Litteraturgeschichte zu lebendigen Zweigen an dem einen mächtigen Stamme der Alterthumswissenschaft geworden.79

In diesem Sinne unterrichtete Hermann seine Schüler und offenbarte damit sein neuhumanistisches Bildungsideal, das er gegen realistische Bildungstendenzen (zum Beispiel gegen die Einführung eines erweiterten Mathematikunterrichts am Gymnasium) verteidigte. Nach seiner Überzeugung war das Studium des Alterthums das »durch kein anderes zu ersetzende Bildungsmittel« für die »Ausbildung aller Geisteskräfte.«80 In seiner ideengeschichtlichen Auffassung traf er sich mit seinem ältesten Bruder Adelbert. Klassische Philologie bzw. Bibel­ exegese sollten nicht Selbst- und Endzweck sein, sondern bedeuteten für beide Wissenschaftler erst den Ausgangspunkt für Hermeneutik und Interpretation. Mit ihrem geisteswissenschaftlichen Ansatz beeinflussten sie sicher auch ihre Schwester Marie, der es bei ihrer Arbeit nie allein um philologische Korrektheit ging, sondern darum, die Charakteristik einer historischen Figur nachzuzeichnen.81

79 Ebd., S. 535. 80 Ebd., S. 539 f. 81 Vgl. dazu Kapitel 3.

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Wissen und Glauben: Die Säulen der Familie Lipsius

In der väterlichen Linie der Lipsius-Familie waren die Vorfahren über mehrere Generationen Pfarrer, in der mütterlichen dagegen Gymnasiallehrer und -rektoren gewesen. Mit dem Vater von Marie Lipsius verbanden sich nun beide Linien  : Carl Heinrich Adelbert wurde nicht Pfarrer, sondern studierte Philologie und begann eine Laufbahn als Gymnasiallehrer. Seine Söhne setzten beide Linien fort  : der älteste, indem er Theologie studierte, der jüngste als Philologe, doch ihre Tätigkeit als Geistlicher bzw. Lehrer waren nur Durchgangsstationen auf dem Weg in die Wissenschaft. Constantin dagegen verkörperte das künstlerische Element und wurde Architekt,82 repräsentierte aber mit seinen akademisch-durchgearbeiteten Entwürfen ebenfalls die gebildete Tradition der Familie. Und auch Marie sah ihre Herkunft aus einer gelehrten Familie als Verpflichtung ebenso wie als Qualitätsausweis  : »Ich bin Philologentochter und -Schwester«83, schrieb sie entrüstet an Marie von Bülow, als diese im Streit um die Herausgabe des Liszt-Bülow-Briefwechsels für umfangreiche Weglassungen und Änderungen der Originalbriefe plädierte. Marie Lipsius hielt ihre eigene Arbeitsweise dagegen  : exakt, gründlich, transparent, »der Wahrheit verpflichtet«84. Theologie und Philologie waren die beiden Säulen, auf denen die Erzählung von der Gelehrsamkeit der Familie Lipsius beruhte. Beide Wissensbereiche standen seit jeher in enger Verbindung. Ein Gelehrter, also studierter Mann, wurde im Mittelalter als Clericus bezeichnet, denn die meisten Gelehrten widmeten sich der Theologie.85 Um die Bibel lesen und auslegen zu können, war die Kenntnis alter Sprachen die Voraussetzung. Auf Bibelkunde beruhte auch der Unterricht an den Lateinschulen, den die Geistlichen übernahmen. Die Schul­ reformen der Neuhumanisten, allen voran Wilhelm von Humboldts, trennten zwar den Lehrerberuf von der Geistlichkeit, richteten das Bildungsideal aber 82 Es war üblich, dass die Söhne verschiedene Studienfächer wählten, um eine direkte Konkurrenzsituation zu vermeiden (vgl. Baumgarten 1997, S. 104). 83 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 09.07.1898, D-B Mus. ep. M. Lipsius 28. 84 Diese Formel replizierte Marie Lipsius unzählige Male in Briefen sowie in ihrer Autobiographie. Zu ihrem Wahrheitsbegriff im Kontext der Zeit vgl. Kapitel 3. 85 Vgl. Oexle, S. 76. Die anderen beiden Hauptfakultäten waren Medizin und Jurisprudenz. Als das Wissensreservoir im 18. und 19. Jahrhundert sprunghaft anstieg, das gesamte verfügbare Wissen also nicht mehr in einer einzelnen Person vereint werden konnte, und sich außerdem ein neuer Begriff von Wissenschaft etablierte, der nicht mehr nur das Sammeln und Ordnen beinhaltete, sondern auch Interpretation und Bewertung forderte, geriet der Gelehrte in Misskredit. Zur Gegenfigur wurde der moderne Wissenschaftler, der nun Experte eines Spezialgebietes war (vgl. Fohrmann 2005).

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erneut an der Antike, ihrer Sprache und ihrer Kultur aus. Gymnasiallehrer mussten das Studium der Klassischen Philologie absolviert haben, um die Lehrbefähigung zu erhalten. Der Beruf des Pfarrers war keineswegs immer schon mit so hohem Sozialpres­ tige versehen wie in der bürgerlichen Gesellschaft. Geht man bis in die Zeit des 17. Jahrhunderts und davor zurück, so waren Pfarrer, insbesondere auf dem Land tätige, nicht unbedingt sehr gebildet und aus höheren Ständen stammend, sondern rekrutierten sich vor allem aus der Handwerker- und Bauernschaft.86 Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, waren die Pfarrer oft auf zusätzliche Einnahmen aus eigener Landwirtschaft angewiesen. Der Hinweis, der Ahnvater der Lipsius-Familie sei Landwirt gewesen, bekommt damit ein realistisches Fundament. Erst im 18.  Jahrhundert kam es zu regelrechten »Dynastiebildungen«87 in Pfarrfamilien, indem der Vaterberuf an mindestens einen der Söhne weitergegeben wurde. Durch die Rekrutierung der Theologiestudenten zu einem überwiegenden Teil aus Pfarrfamilien konnte sich ein eigener Berufsstand bilden.88 Diese Selbstrekrutierung war selbstverständlich kein Einzelphänomen unter Theologen, sondern zeichnete das Bürgertum insgesamt aus. Die Berufsweitergabe von Vater zu Sohn gehörte zu den wichtigsten Stabilisierungsmomenten jener Schicht und zog sich durch alle bürgerlichen Berufe, nahm jedoch seit der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts kontinuierlich ab  : In der Mitte des Jahrhunderts lag die Selbstrekrutierungsquote, also der Anteil Studierender aus bildungsbürgerlichem89 Elternhaus, noch bei fast 50 %, Ende der 1880er-Jahre bei etwa 30 % und in den 1910er-Jahren dann bei rund 20 %.90 Auch im Professorenstand gab es ein »dichtes Netz verwandtschaftlicher Beziehungen«91, so dass man von regelrechten Universitätsfamilien sprechen kann. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Berufungspraxis allerdings. Immer weniger wurde die universitäre Karriere abhängig von der Herkunftsfamilie. Vielmehr gaben die wissenschaftliche Positionierung und die Beziehung zum akademischen Lehrer den Ausschlag für eine Berufung. Aus Universitätsfamilien wurden Wissenschaftsschulen.

86 Vgl. Gestrich 1984, S. 76  ; Bormann-Heischkeil 1984, S. 149–174. 87 Gestrich 1984, S. 69. 88 Vgl. Bormann-Heischkeil 1984, S. 161. 89 Zum Bildungsbürgertum gehörten nach verschiedenen Interpretationen sozioökonomischer Daten etwa 3–5 % der Gesamtbevölkerung (vgl. z. B. Wehler 2008, S. 125–130). 90 Vgl. Huerkamp 1996, S. 31. 91 Baumgarten 1997, S. 93.

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So fand Adelbert, der älteste Lipsius-Bruder, ganz ohne familiäre ­Beziehung an der Universität Jena ein Umfeld, in dem seine theologische Auffassung stim­ mig war. Dass die Besoldung dort niedriger ausfiel als anderswo,92 nahm Adelbert in Kauf. Hermann dagegen konnte in Leipzig bleiben  : Das ­Königreich Sachsen berief fast ausschließlich Landeskinder auf Ordinariate und zahlte gleichzeitig so attraktive Gehälter, dass die Leipziger Universität als »Endsta­ tionsuniversität« galt, von der man sich nicht mehr weiterbewarb.93 Bildung war das konstitutive Element des Bürgertums, denn über Bildung emanzipierten sich die Bürger von der geburtsständischen Tradition. Dieser Prozess der Emanzipation wirkte sich auch auf das Verhältnis zur Kirche aus. Der Sozialhistoriker Lucian Hölscher spricht von der »Kirchenferne des Bildungsund Wirtschaftsbürgertums« bei gleichzeitiger »Bürgertumsferne der Geistlichkeit«.94 Er weist anhand von Abendmahlsbesuchen und Synodenwahlen nach, dass es eher Kleinbürger und nichtbürgerliche Selbstständige waren, die sich im 19. Jahrhundert in den Kirchengemeinden aktiv beteiligten, wohingegen das Bildungsbürgertum eine immer schärfere Kritik am System Kirche übte, ohne freilich seine Religiosität aufzugeben. Hölscher macht hier eine Transformation aus. Die vormals religiös begründeten Tugenden wurden nun als bürgerliche deklariert. Sein Bedürfnis nach Religiosität habe das Bürgertum an anderen Orten als der Kirche zu befriedigen versucht, indem es beispielsweise Bildung zur neuen Religion erhob.95 Jedoch  : Die christliche Überlieferung blieb integraler Bestandteil der bürgerlichen Reflexionskultur. Aus ihr empfing auch das aufgeklärte und kirchenferne Bildungsbürgertum immer wieder Anstöße für eigene religiöse Vorstellungen und Überzeugungen. Im Bewußtsein solcher historischen Kontinuität verstand sich der weit überwiegende Teil des Bildungsbürgertums im 19. und frühen 20.  Jahrhundert selbst als religiös, wenn auch als religionskritisch im Sinne der Ablehnung überholter Glaubensformen.96

Für die Lipsius-Familie galt wohl Ähnliches. Trotz der Pfarrtradition lässt sich nur für Adelbert, den Theologieprofessor, ein besonderes Engagement für kirch92 Vgl. ebd., S. 208. 93 Ebd., S. 206–218. 94 Hölscher 1990, S. 615. 95 Vgl. dazu Assmann 1993. Neben der Bildung wurde auch die Kunst zur Ersatzreligion (vgl. Kapitel 3.2). 96 Hölscher 1990, S. 627.

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liche Gremien und Anliegen feststellen. Die Geschwister münzten ihr gesellschaftliches Engagement auf Bereiche außerhalb der Kirche  : Constantin stand dem Architektenverein vor, Hermann stiftete seinen Nachlass der Universität zwecks Gründung eines Stipendienfonds für begabte Studenten, Marie war Schriftführerin in einem Wohlfahrtsverein. Dennoch können in Maries Biographie religiöse Motive dingfest gemacht werden, die ihr Handeln aber eher implizit beeinflussten. Wenn sie an zentraler Stelle in ihrer Autobiographie den eigenen Lebenssinn durch Arbeit begründete, dann erinnert das stark an pietistische Erweckungsgeschichten, nur eben säkular gewendet.97 Auffällig betonte Marie Geschäftspartnern und Freundinnen gegenüber ihren Fleiß und ihre Disziplin. Diese bürgerlichen Tugenden hatten sich aus einer protestantischen Arbeitsethik gespeist, die das Leben als Dienst an Gott auf Erden ohne Ansehung von realer Entlohnung auffasste.98 In wenigen anderen Familien hätten kleine Kinder »zu allen Zeiten so viel Aufmerksamkeit und Zuwendung gerade auch von den Vätern« erfahren wie im Pfarrhaus.99 Von dieser Tradition profitierten noch die Lipsius-Geschwister, selbst wenn der Vater aus der Reihe der Pfarrer ausgeschert war. Gehorsam und Pflicht dem Vater gegenüber waren die Gegenleistungen, die die Kinder aufbringen mussten. Marie sah sich nach eigenen Angaben dazu verpflichtet, unter Pseudonym zu veröffentlichen, denn der Vater wünschte den Familien­ namen nicht mit ihren Werken in Zusammenhang gebracht zu sehen. Der frühe Kontakt mit alter Sprache, Musik, Kunst gepaart mit einem hohen Leistungsanspruch begründete eine Affinität, die die Kinder sich für die eigenen Karrieren zunutze machen konnten. Was die Religiosität der Familie Lipsius betraf unterschied sie sich trotz ihrer Theologentradition kaum von anderen bürgerlichen Familien  : Sie glaubte an Bildung als Mittel zu gesellschaftlicher Emanzipation. Alle zur Verfügung stehenden Ressourcen wurden dafür eingesetzt, das persönliche Wissensreservoir zu erweitern. Der idealistische (bzw. religiöse) Anteil bestand darin, das generierte Wissen der Gesellschaft wieder zur Verfügung zu stellen  : Adelbert, Constantin und Hermann als Gymnasial- und Hochschullehrer, Marie als Publizistin.

97 Vgl. Kapitel 3.1. 98 Zu den Einflüssen der protestantischen Ethik auf das Familiengefüge vgl. z. B. Gestrich 1984. 99 Ebd., S. 67.

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2.2 Heimatstadt Leipzig: Musik- und Verlagsstadt Für Marie Lipsius stand fest, dass ihre Heimatstadt Leipzig eine Musikstadt sei.100 Die Vielzahl der Musikinstitutionen und Künstlerinnen und Künstler, die im 19. Jahrhundert mit der Stadt verbunden waren, sprechen für diesen Befund. Ein Jahrhundert zuvor war die Rolle Leipzigs als Musikstadt allerdings noch keineswegs ausgemacht. In der ersten Nummer der Allgemeinen musikalischen Zeitung 1798 meinte die Redaktion sich für das Erscheinen einer Musikzeitung ausgerechnet in Leipzig rechtfertigen zu müssen, »wo doch, im Vergleich mit Berlin, Wien, Prag, Dresden u.s.w. so wenig, und so geringe Musik ist«. Das Argument war nun, dass gerade der Mangel Leipzigs die Stadt zur Zeitungsgründung prädestinierte, da »jeder Ort, an welchem keine Kapelle, folglich auch kein infallibler Kapellmeister und keine untadelhaften Kammerkomponisten und Virtuosen sich aufhalten, auch hierin einen Vorzug vor Orten hat, in welchen sich diese befinden«. Die Kritik sei freier dort, wo sie der Musikpraxis möglichst fernstehe.101 Das Gewandhausorchester freilich existierte zu diesem Zeitpunkt bereits, musste aber seine Qualität als noch relativ junges, 1781 gegründetes, bürgerliches Orchester erst unter Beweis stellen. Von Bedeutung für das Projekt einer musikalischen Zeitung waren neben einer musikinteressierten Leserschaft wohl ebenso die günstigen verlegerischen Bedingungen vor Ort. Der Eigentümer des Musikverlags Breitkopf & Härtel, Gottfried Christoph Härtel, sah die Chance, mit dem Projekt der Zeitungsgründung an der Kanonisierung der Musik mitzuwirken. Zeitgleich arbeitete sein Verlag an den ersten Gesamtausgaben102 der Werke Mozarts und Haydns, und mit der Allgemeinen musikalischen Zeitung wollte Härtel nun ein Medium schaffen, das die zeitgenössische Musik bewerten und musikhistorisch einordnen konnte  : Die »wichtigsten und vortrefflichsten« Kompositionen, so die Redaktionsankündigung, sollten eingehender besprochen werden, während »nicht schlechte, aber doch auch nicht ausgezeichnet gute« Neuschöpfungen im Hauptblatt lediglich angezeigt würden. »Unbeträchtliche und schlechte« Produkte hingegen sollten ins Anzeigenblatt verbannt werden.103 100 Vgl. z. B. La Mara 1917b, S. 204  ; La Mara 1882, S. 4. 101 Allgemeine musikalische Zeitung, 1. Jg., (1798/99), Intelligenzblatt Nr. 1, Sp. 3 f. 102 Die damaligen Gesamtausgaben waren methodisch nicht mit dem heutigen Standard vergleichbar, verfolgten aber das gleiche Ziel  : die Komponisten und ihre Werke in das kulturelle Gedächtnis einzuschreiben (vgl. z. B. Finke 2013, S. 210–219). 103 Vgl. dazu der fünfgliedrige Plan des Verlags, der den Leserinnen und Lesern in der ersten Nummer des Intelligenzblattes mitgeteilt wurde  : Allgemeine musikalische Zeitung, Intelligenzblatt, 1 (1798/99) 1, Sp. 1 f. Vgl. dazu auch Wollny 2004 sowie Beer 2013.

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Knapp vierzig Jahre nach der Zeitungsgründung griff Felix Mendelssohn-­ Bartholdy als Gewandhauskapellmeister weiter zurück in der Geschichte und schuf mit seinen Historischen Konzerten und der Bach-Renaissance ein tragfähiges Fundament für den musikalischen Kanon. Die zeitgenössische Musik wurde historisiert und auf einen Gründungsmythos zurückgeführt.104 Mit dem Aufbau des ersten Musikkonservatoriums Deutschlands installierte Mendelssohn eine Vermittlungsinstitution, die das, was als Musikkanon gelten sollte, auch musikpraktisch zu fixieren und vor allem zu tradieren half. Als Marie Lipsius zur aktiven Teilnehmerin am Musikleben Leipzigs wurde, Konzerte besuchte, Künstlerinnen und Künstler traf, Konzertbesprechungen schrieb, war Mendelssohn bereits verstorben. Das Klima in der Stadt galt nun als konservativ, »ultrakonservativ«, wie Lipsius urteilte.105 Andererseits beherbergte Leipzig mit der Neuen Zeitschrift für Musik ein ausgesprochen ›fortschrittlich‹ gesinntes Presseorgan, und die Werke der Neudeutschen um Liszt wurden von Leipziger Verlegern gedruckt. Im Folgenden ein kleines Tableau der Leipziger Musikinstitutionen, die für Marie Lipsius’ musikalische Sozialisation relevant waren. Thomaschor

Zum Thomaschor hatte Marie Lipsius eine enge Verbindung, unterrichtete doch ihr Vater als Theologielehrer an der Thomasschule, wo er auch Mitglied des Rektorats war.106 Die berühmte Tradition des Chores und besonders seiner Kantoren betonte Lipsius denn auch in ihrer Autobiographie. Sie selbst sei noch von Christian Theodor Weinlig, Thomaskantor seit 1823 und Lehrer unter anderem von Richard Wagner, im Klavierspiel unterrichtet worden. Lipsius war vier Jahre alt, als Weinlig 1842 starb, lange kann also der Unterricht nicht angedauert haben. Die Traditionslinie, die sie konstruierte, ist also mehr idealer als realer Natur und sollte sie selbst in die Nähe Wagners stellen, dessen Musik Lipsius

104 Dies kann als musikpraktisches Äquivalent zur Musikgeschichtsschreibung aufgefasst werden, die ebenfalls Traditionslinien konstruierte und zu ›Meistererzählungen‹ schmiedete. Zu den ideologisch geprägten Topoi in der Musikhistoriographie seit Ende des 18.  Jahrhunderts vgl. Hentschel 2006. 105 La Mara 1917a, S. 21. Vgl. auch Forner 2004, S. 92. Für die neudeutsche Musikkritik stand dieser Befund ohnehin fest (vgl. Pohl 1881, S. 3). 106 Carl Heinrich Adelbert Lipsius war 1843 Konrektor geworden (vgl. Altner/Petzoldt (Hg.) 2012, S. 439).

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zeitlebens verehrte.107 Weinligs Nachfolger an der Thomaskirche wurde M ­ oritz Hauptmann, der gleichzeitig am neugegründeten Conservatorium für Musik unterrichtete. Zur Einführung von Vater Lipsius in dessen Amt als Rektor der Thomasschule hatte Hauptmann eine Psalmvertonung komponiert, die aber erst zu Lipsius’ Begräbnisfeier aufgeführt wurde. Mit dem übernächsten Kantor, Wilhelm Rust, war Marie Lipsius dann auch persönlich näher bekannt.108 Mit ihm diskutierte sie beispielsweise über die Urheberschaft eines Liedes, das Rust seinem Vorgänger Johann Sebastian Bach zuschrieb, während der Bachforscher Philipp Spitta dagegenhielt. Lipsius schrieb über den Streitfall einen Artikel für die Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung,109 worin sie die Argumentation Rusts unterstützte, aber auch Spittas Begründung detailliert analysierte. Mit den Kantoren, die nach Rusts Tod 1892 folgten, hatte Lipsius dann offensichtlich keinen Kontakt, weder sind Briefwechsel bekannt noch erwähnte sie deren Namen in ihrer Autobiographie. Gewandhaus und Oper

Über die Konzerte des Gewandhausorchesters unterrichtet Lipsius die Leserinnen und Leser ihrer Autobiographie recht ausführlich. Durch eine persönliche Bekanntschaft mit einem Direktoriumsmitglied habe sie die Möglichkeit gehabt, regelmäßig die Generalproben des Orchesters zu besuchen.110 Lipsius erlebte vor allem die Ära Carl Reinecke, der von 1860 bis 1895 das Orchester leitete. In dieser Zeit, in der sie selbst schon für die Musik Franz Liszts Feuer gefangen hatte, wurden die Kompositionen der Neudeutschen vom größten Orchester Leipzigs vornehmlich gemieden. Einmal sei Lipsius anlässlich eines Abendessens Tischnachbarin von Kapellmeister Reinecke gewesen, berichtet sie. Dieser habe das Gespräch schnell auf Liszt gebracht, dem er vorgeworfen habe, unmusikalisch zu sein. Liszt habe weder Erfindung noch könne er instrumentieren. Bei ihm sei alles »so vollgepackt, so undurchsichtig. […] Liszt und Wagner sind keine Musiker«, habe er ausgerufen, »sie sind dichterisch begabt, aber nicht musikalisch.« Zu Lipsius gewandt habe Reinecke dann bemerkt  : »Auch Sie können poetisch angelegt sein, aber musikalisch sind Sie nicht, wenn Sie die beiden be107 Zu weiteren autobiographischen Konstruktionen vgl. Kapitel 3.1. 108 15 Briefe in D-WRgs unter der Signatur GSA 59/412,16. Lipsius schrieb über Rust eine biographische Skizze und einen Nekrolog (vgl. Anhang 6.1). 109 »Willst du dein Herz mir schenken.« Nach Rust ein Bach’sches Werk. Leipziger Zeitung, Wissenschaftliche Beilage Nr. 29 (1892), S. 113–115. 110 Vgl. La Mara 1917a, S. 129.

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wundern.« »Nun, dann muß ich eben unmusikalisch durchs Leben gehen«, habe sie entgegnet und das Gespräch »anderen Gegenständen zu[gewandt], bei denen wir uns weniger gegensätzlich zueinander verhielten und Reineckes gesellige Liebenswürdigkeit mehr zutage trat.«111 Lipsius hielt es kulturhistorisch für kritisch, dass die Werke der Neudeutschen im Gewandhaus unter Reineckes Leitung vernachlässigt wurden. Erst sein Nachfolger, Arthur Nikisch, brach die ablehnende Haltung gegenüber zeitgenössischen musikalischen Entwicklungen auf und setzte auch Werke auf den Spielplan, die dem musikalischen Fortschritt zugeordnet wurden. Nikisch war bereits zwischen 1878 und 1889 Chordirektor und Kapellmeister am Theater der Stadt gewesen. 1895 übernahm er dann die Leitung des Gewandhausorchesters, das auch als Opernorchester fungierte, und führte es in die musikalische Moderne. Knapp fünfzig Jahre zuvor hatte Gustav Freytag dem Leipziger Theater einen Provinzcharakter zugesprochen,112 da auf dem Spielplan überwiegend klassische Werke standen, die sich als Publikumserfolge bereits etabliert hatten. Dass sich ein innovatives Programm nicht durchsetzen konnte, lag auch am Pachtsystem. Der Theaterdirektor pachtete das Theater für eine gewisse Zeit von der Stadt und bewirtschaftete es dann auf eigene Gefahr. Bei unbekannten und zugleich aufwändig ausgestatteten und probenintensiven Werken wie beispielsweise Wagner-Opern konnte das finanzielle Risiko schnell unüberschaubar werden. 1853 hatte der Tannhäuser noch eine recht gute Geschäftsbilanz eingebracht, wenngleich der Komponist sich empört über die »ziemlich unrichtige und geistlose Aufführung«113 zeigte. Ein Jahr später kam es dann beim Lohengrin zum Fiasko  : zu kurze Proben, das Ensemble besetzt mit Anfängerinnen und Anfängern  – bei einer Verdopplung des Eintrittspreises. Der Kritiker Richard Pohl warf dem Operndirektor eine rein »kaufmännische Theaterführung«114 vor. Das Publikum blieb aus, nach drei Vorstellungen wurde die Oper abgesetzt. Sechs Jahre später erging es Wagners Musik jedoch nicht besser. Als der Komponist persönlich seine Meistersinger-Ouvertüre im Gewandhaus vorstellte, dirigierte er »vor fast leerem Saal«115. In den 1870er/80er-Jahren gab es dann eine Periode intensiver Wagner-Rezeption unter dem Operndirektor Angelo Neumann. 111 Ebd., S. 98 f. 112 Vgl. Hennenberg 2009, S. 61. 113 Zit. nach ebd., S. 63. 114 Zit. nach ebd., S. 64. 115 Ebd.

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Marie Lipsius besuchte die Oper offensichtlich deutlich seltener als die Konzerte des Gewandhausorchesters, wie aus ihren autobiographischen Berichten abzuleiten ist. Ihre Aufmerksamkeit für das Genre Oper wurde erst gesteigert, als in Bayreuth das neue Opernhaus eröffnete. Lipsius bekannte sich nun als enthusiastische Wagner-Anhängerin116 und lehnte gleichzeitig realistische Tendenzen im Opernrepertoire ab, beispielsweise die Werke des italienischen Verismo.117 Musikverein Euterpe und Liszt-Verein

Neben dem Gewandhausorchester gab es kleinere, aus bürgerschaftlichem Engagement entstandene und getragene Orchester, die das Musikleben Leipzigs bereicherten.118 Als besonderes Gegengewicht zum Konservativismus des Gewandhausorchesters fiel der Musikverein Euterpe auf, der zwischen 1824 und 1886 bestand. Von 1860 bis 1862 führte Franz Brendel ihn als Direktor an. In einem Gedenkblatt hieß es über den Verein  : Als leitenden Grundsatz hielt man die Berücksichtigung neuer Werke fest, da man das Heil der Kunst nicht ausschliesslich und immer in der Vergangenheit suchen zu müssen, vielmehr in jeder Periode Gutes und Schönes finden zu können glaubte. Kein Zweifeln an den Leistungen der Zeitgenossen mehr  ! Das wäre ein Verzweifeln an der Kunst selber.119

Hans von Bronsart brachte als musikalischer Leiter Werke der Neudeutschen zur Aufführung, doch als »trojanisches Pferd«120 konnte die Euterpe beim Leipziger Publikum nur wenig erreichen. Der Orchesterverein wurde 1886 aufgelöst. Ein Jahr zuvor hatte sich der Liszt-Verein gegründet, der sich nun stattdessen der Aufgabe annahm, die Musik Liszts und seiner Schüler dem Leipziger Publikum näherzubringen. Er existierte bis 1902.

116 Vgl. La Mara 1877. 117 Pietro Mascagni sei ein »im Unmaß gefeierter Maestro« gewesen, dessen Werk Cavalleria rusticana »wie ein leibhaftiges Stück italienischer Wirklichkeit« gewirkt und dabei »über das leichte Gewicht seiner musikalischen Bedeutung hinweg[getäuscht]« habe (vgl. La Mara 1917b, S. 190). 118 Vgl. Loos 2011, S. 184 f. 119 Whistling 1874, S. 39. 120 Deaville 1997.

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Conservatorium der Musik

Die Idee zur Gründung eines Musikkonservatoriums war aus der Gewandhaus­ direktion hervorgegangen. Felix Mendelssohn-Bartholdy realisierte sie 1843, indem es ihm gelang, vom sächsischen König die nötigen Gelder zu erlangen. Er wurde Gründungsdirektor und Lehrer für Komposition und Instrumentation. Neben ihm unterrichteten fünf weitere ordentliche Lehrer an der Musikschule, unter anderem Moritz Hauptmann, Robert Schumann und Ferdinand David. Nicht nur zu jener Zeit, auch in der folgenden war das Konservatorium personell eng mit den Musikern des Gewandhausorchesters und der Thomaskirche bzw. seinem Chor verknüpft.121 Marie Lipsius hegte Vorbehalte gegen das Personal des Konservatoriums, das ihr ebenfalls »ultrakonservativ« galt.122 Interessant war die Ausbildungsstätte für sie nur insofern, als sie Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa anzog. Etliche von ihnen porträtierte Lipsius in ihren Musikalischen Studienköpfen. Musikwissenschaftliches Institut der Universität

Zwar gab es an der Universität Leipzig erst ab 1908 ein eigenständiges Institut für Musikwissenschaft, das Hugo Riemann als Direktor vertrat, doch schon seit den 1860er-Jahren waren an der Universität regelmäßig Vorlesungen zu musikhistorischen Themen abgehalten worden. Außerordentliche bzw. nichtplanmäßige Professoren für Musik waren Oscar Paul (ab 1873), Hermann Kretzschmar (ab 1895), Hugo Riemann (1901) und Arthur Prüfer (ab 1902). Mit Oscar Paul stand Lipsius in persönlichem Kontakt, denn er unterrichtete nicht nur an der Universität und am Konservatorium, sondern redigierte auch verschiedene Zeitungen  : das von ihm 1870 gegründete Musikalische Wochenblatt und seit 1877 zusätzlich den Musikteil des Leipziger Tageblattes. Als Schüler Moritz Hautmanns stand er der neudeutschen Musikrichtung zunächst ablehnend gegenüber, wurde später aber »zu ihrem freudigen Bekenner«, wie Lipsius notierte.123 Für beide seiner Blätter erbat der Redakteur Texte von Lipsius.124 Oscar Paul habe in seiner Forschungstätigkeit in außergewöhnlich starrer Weise auf einem absoluten Wahrheitsanspruch beharrt, meint Stefan Horlitz 121 Vgl. Krummacher 2012. 122 La Mara 1917a, S. 21. 123 Handschriftliche Notiz von Marie Lipsius zu einem Brief von Oscar Paul vom 23.11.1893, D-WRgs GSA 59/409,3. 124 Vgl. Kapitel 3.5.

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über den Leipziger Musikwissenschaftler. Ob dahinter lediglich eine »Marotte oder doch stetiges Bedürfnis nach Selbstvergewisserung«125 gestanden habe, will er nicht beurteilen, kommt aber zu dem Schluss, dass Paul eine »Reinstallation des Musikforschers als Autorität im mittelalterlichen Sinne« versucht habe.126 Vielleicht liegt der Grund für das Beharren auf der Wahrheit in Pauls Situation als nur außerplanmäßiger Professor. Ohne feste institutionelle Einbindung versuchte er seine musikhistorische Autorität damit zu festigen, dass er seine ›Wahrheit‹ umso fester proklamierte. Ähnlich machte es auch Marie Lipsius, wenn sie das »Kardinalgebot der Wahrheit«127 zur Grundlage all ihrer Arbeiten erklärte. Auch Arthur Prüfer, seit 1902 außerordentlicher Professor für Musikwissenschaft in Leipzig, trat Marie Lipsius wohlwollend gegenüber. In seinem Glückwunschschreiben zu ihrem 70. Geburtstag bekundete Prüfer, was die Besten mit uns im In- und Ausland empfinden  : die Gefühle unserer Verehrung, unserer Bewunderung, unseres Dankes für Alles, womit Sie der Wissenschaft seit Jahrzehnten durch rastlosen Fleiß und so anhaltendes Forscherglück eine lange Reihe wertvoller Gaben gespendet und, nicht zuletzt, der Ausdruck aufrichtigster Hochachtung womit Sie sich mit seltener Treue und Hingebung des großherzigen und genialen Franz Liszt angenommen, für seine Lebenstaten gewirkt, sein innerstes freud- und leidvolles Erleben der Nachwelt staunend erschloßen haben. Dabei in stiller Resignation des Erfolges Ihrer schriftstellerischen Bemühungen um den edlen Künstlergenius in der ihm so gleichgiltig gesinnten Stadt Leipzig harrend  ; mit ihm in stolzer Bescheidenheit sich der Zukunft tröstend  : ›Ich kann warten‹.

Was in seiner Macht stehe, »auf der Lehrkanzel u. im Freundeskreise« für sie zu bewirken, wolle er gern unternehmen, um die Arbeiten von Marie Lipsius zu verbreiten.128 Zehn Jahre später gratulierte Artur Prüfer der nun 80-Jährigen zu ihrer Ernennung zur Professorin.129 Auch Hugo Riemann, der als erster ordentlicher Professor und Direktor des musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Leipzig die institutionelle Etablierung der Musikwissenschaft maßgeblich prägte, gehörte zu den Gratulanten.130 125 126 127 128 129 130

Horlitz 2007, S. 375. Ebd., S. 378. La Mara 1917a, S. 139. Brief von Arthur Prüfer an Marie Lipsius vom 18.12.1907, D-LEsm A/106/2010. Vgl. Postkarte von Arthur Prüfer an Marie Lipsius vom 24.12.1917, D-LEsm A/107/2010. Vgl. Visitenkarte von Hugo Riemann an Marie Lipsius vom 29.12.1917, D-LEsm A/114/2010.

Heimatstadt Leipzig: Musik- und Verlagsstadt

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(Musik-)Verlage

Leipzig war im 19. Jahrhundert die führende deutsche Verlagsstadt. Durch ihren Messeplatz hatte die Stadt seit dem 16. Jahrhundert einen Standortvorteil  : Alle Verleger (die bis ins 19. Jahrhundert meist gleichzeitig Buchhändler waren) mussten ihre Ware an einen Handelsplatz bringen. Es bot sich also an, direkt vor Ort seinen Betrieb zu eröffnen, um beschwerliche und teure Wege zu sparen. Gegenüber Frankfurt hatte Leipzig dann im 18.  Jahrhundert den Vorteil einer liberaleren Zensur, außerdem lag der Termin der Buchmesse günstig, denn Frankfurt veranstaltete seine Messe immer erst nach der in Leipzig. Je mehr Verleger sich nun in Leipzig niederließen, desto attraktiver wurde der Standort für weitere Geschäfte. Auch die Spezialisierung und Professionalisierung des Marktes schritt in Leipzig schneller voran als in Frankfurt, so dass die Bedingungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts außerordentlich günstig waren, den Status Leipzigs als Buchstadt weiter auszubauen.131 Der Musikalienbuchhandel mit seinen spezifischen Anforderungen zum Stechen und Drucken von Noten konzentrierte sich auf noch weniger Standorte als der allgemeine Buchhandel. Eine Statistik von 1913 verzeichnet für Leipzig fast ein Drittel aller produzierten Titel.132 Begründet hatte diese Vorreiterrolle vor allem Bernhard Christoph Breitkopf, dessen Verlag nach der Übernahme der Firma Härtel 1796 als größter Musikverlag das Geschäft dominierte. Breitkopf  &  Härtel waren nicht nur innovativ in ihrer programmatischen Ausrichtung (Gesamtausgaben, Musikzeitungen, Volksausgaben), sondern erreichten auch auf der technischen Ebene des Musikaliendrucks eine derart hohe Entwicklungsstufe, dass andere Verleger bei ihnen im Haus drucken ließen – eine weitere Einnahmequelle für den Verlag.133 Ein wichtiges Datum für das Verlagswesen war der 9. November 1867. An diesem Tag endete die 30-jährige Schutzfrist aller Werke, deren Autoren bzw. Komponisten vor 1837 verstorbenen waren. Ihre Werke wurden nun gemeinfrei.134 In der Folge setzte eine regelrechte Flut an Druckausgaben klassischer Werke ein. Unter anderem wurden die Werke Mozarts, Haydns und Beethovens in günstigen Nachdrucken hergestellt, beispielsweise in der Edition Peters, die im sogenannten 131 Zur Geschichte der Buchstadt Leipzig vgl. Titel 2001. 132 Vgl. Jäger 2003b, S. 14. 133 Vgl. ebd., S. 24. 134 1837 bestimmte eine erste Urheberrechtsregelung eine Schutzfrist von 10 Jahren, die dann aber auf 30 Jahre hochgesetzt wurde. Bis 1837 galt hingegen das ›ewige Verlagsrecht‹, nach dem sämtliche Rechte am Werk mit der Honorarzahlung vom Autor auf den Verleger übergegangen waren.

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Abb. 3: Liste der bei Breitkopf & Härtel eingegangenen Spenden an Marie Lipsius, 22.12.1922

Heimatstadt Leipzig: Musik- und Verlagsstadt

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Klassikerjahr 1867 gegründet worden war. Viele wollten am Boom partizipieren, es kam zu zahlreichen Verlagsneugründungen. Neben den Nachdrucken suchten die jungen Unternehmen auch unbekannte, aber vielversprechende Autorinnen und Autoren, mit denen sie ihr Verlagsprogramm gestalten konnten. So eröffnete der Buchhändler Hermann Weißbach seinen neuen Verlag mit den Musikalischen Studienköpfen der noch unbekannten Autorin Marie Lipsius. Ihre in Westermanns Monatsheften erschienenen Texte hatten bereits gute Kritiken bekommen. Der Verleger hatte aber offensichtlich kein glückliches Händchen in geschäftlichen Dingen, wenige Jahre später musste er seinen Verlag wieder verkaufen und wendete sich anderen Betätigungsfeldern zu.135 Bis auch Marie Lipsius beim renommierten Musikverlag Breitkopf & Härtel unter Vertrag kam, sollte es noch einige Jahre dauern. Zunächst bestand nur ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihr und der Familie Härtel. Der Firmenchef hatte 1872 die bekannte Pianistin Louise Hauffe geheiratet, die seitdem nur noch im privaten Salon auftrat, wozu Lipsius wohl des Öfteren eingeladen gewesen sein muss. Nach dem Tod Louises verfasste Lipsius den Nekrolog für das Leipziger Tageblatt. Darin gedachte sie der Pianistin, die »an den streng klassischen Traditionen der Leipziger Schule herangebildet, durch Clara Schumann gefördert« wurde und die »dennoch den Weg zu Wagner, dessen feurige Verehrerin sie war, nicht minder als zu Brahms und Rubinstein, die so oft die Gäste ihres Hauses waren«, gefunden habe.136 Ob es an Lipsius’ Text lag, den der Witwer sehr lobte  ?137 Kurz darauf stand Marie Lipsius bei Breitkopf & Härtel unter Vertrag. Die freundschaftliche Zuneigung ihres Verlegers kam Lipsius im Alter noch einmal sehr zugute, als sie infolge der Inflation der Nachkriegsjahre einen Großteil ihres Vermögens verlor. Breitkopf  &  Härtel riefen 1921 zu einer Spende zugunsten der Über-80-Jährigen auf und stifteten selbst 2000 Mark. Insgesamt kamen so 8400  Mark zusammen, gespendet von Leipziger Bürgerinnen und Bürgern, um die »schwere Sorge«138 von Marie Lipsius zu mildern.139

135 Pfau 1896, S. 585. 136 La Mara 1917b, S. 3. 137 Vgl. Brief von Raimund Härtel an Marie Lipsius vom 30.03.1882, D-WRgs GSA 59/398,7. 138 Brief von Breitkopf & Härtel an Marie Lipsius vom 16.12.1921, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2618, Blatt 51. 139 Vgl. Dokument bezüglich der »Lipsius-Spende«, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2618, Blatt 54.

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2.3 Wegbegleiterinnen/Wegbereiterinnen Über den Freundes- und Bekanntenkreis von Marie Lipsius erfahren wir vor allem aus ihrer Autobiographie. Neben ihrer Familie waren es vier Frauen, die Lipsius auf ihrem Lebensweg begleiteten  : ihre Jugendfreundin und spätere Schwägerin Laura Pohl, ihre Lebensgefährtin Similde Gerhard sowie die Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein und deren Tochter Prinzessin zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Jeder von ihnen schrieb Lipsius eine spezifische biographische Funktion zu. Mit Laura Pohl beispielsweise entdeckte sie ihr Talent für das Schreiben. Außerdem erschloss sich ihr durch die Bekanntschaft mit Familie Pohl, insbesondere aber durch Lauras Bruder Richard, die Musik der Neudeutschen. Similde Gerhard dagegen verkörperte den privaten Rückzugsort, der während der zeitintensiven und mühseligen Recherche- und Schreibarbeit Ausgleich schuf. Mit ihr verbrachte Lipsius ihre Sommerurlaube, bevor die Frauen sich entschieden, auch ihren Alltag miteinander zu teilen und Marie Lipsius in das von den Eltern geerbte Haus der Freundin einzog. Carolyne zu Sayn-Wittgenstein und ihre Tochter wiederum standen sowohl für ideelle wie für praktische Unterstützung all ihrer publizistischen Vorhaben. Als Universalerbinnen waren die beiden Frauen, zuerst Carolyne, dann Marie, außerdem der Schlüssel zur Edition der Liszt-Briefe, die Lipsius seit den 1880er-Jahren plante. Alle vier Frauen waren also in verschiedener Weise an den Arbeiten von Marie Lipsius beteiligt, weshalb sie im Folgenden vorgestellt werden sollen. Jugendfreundin und Schwägerin: Laura Pohl (1837–1923)

Laura Pohl besuchte zusammen mit der gleichaltrigen Marie Lipsius die höhere Mädchenschule von Adolph Zestermann in Leipzig. Zestermann war als Thomasschullehrer ein Kollege und Freund von Maries Vater. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer führte er zusammen mit seiner Frau ein Mädchenpensionat.140 Marie und Laura freundeten sich an und verbrachten Schul- und Freizeit miteinander. Meine beste Freude war und blieb meine Freundschaft zu Laura Pohl, der ich vor allen anderen Freundinnen, die sich allmählich zu mir gefunden hatten, den Vorzug gab. Ihre feinfühlige Herzenswärme, die sich mit dem Sprühfeuerwerk angeborenen Witzes und einem scharfen satirischen Geiste vertrug, imponierten mir gleicherweise als sie mich entzückten. In Begeisterung für Musik, Poesie, bildende Kunst, im Durst 140 Zur höheren Schulbildung bürgerlicher Mädchen vgl. Huerkamp 1996, S. 180–190.

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nach Wissen einander gleichgestimmt, waren wir, gemeinsamer Bildungsarbeit durch Lesen, Besuch von Konzerten und Vorträgen aller Art hingegeben, unzertrennlich. Ich weiß nicht, ob es je zwei sich so inniglich anhängende, dabei von aller Sentimentalität entfernte Backfische gegeben hat, wie wir beide.141

Im Haus der Freundin lernte Marie Lipsius bei den Soireen der Arztfamilie Pohl einige Größen aus dem Kulturleben Leipzigs kennen, darunter Sängerinnen, Schauspieler, Dichter und Komponisten. Von Ernst Wenzel, »dem einzigen Vertreter des Fortschritts in dem ultrakonservativen Leipziger Konservatorium«, zeigte Lipsius sich besonders angetan, denn er wußte aus seinen eigenen Erlebnissen, wie von allen neuen musikalischen Vorkommnissen, fesselnd wie kaum ein anderer zu erzählen, und schon um dessen willen war mir der Montag, wo ich mit ihm der regelmäßige Mittagsgast im Pohlschen Hause war, der liebste Tag der Woche.142

Im Haus ihrer Freundin lernte Marie auch Lauras Bruder kennen. Richard Pohl schrieb für die Neue Zeitschrift für Musik, dem seit 1845 von Franz Brendel geleiteten Medium der musikalisch Progressiven. Richard war ein Anhänger der Musik Franz Liszts, Richard Wagners und Hector Berlioz’, und als solcher machte er auch Marie mit den Werken jener Komponisten bekannt. Lipsius erinnert sich  : Rasch genug fing ich an ihnen Feuer, und sobald Richard im Hause war, fand ich mich mit ihm am Flügel zusammen. Liszts symphonische Dichtungen, Wagners und ­Berlioz’ Ouvertüren und Orchestersätze wurden unsere bevorzugten v­ierhändigen Repertoirestücke. Gleichwohl verhielten wir uns nicht einseitig. Schuberts Märsche und Kammermusik, Schumanns Symphonien, ›Manfred‹ und ›Genoveva‹, später Brahms’ Liebeslieder-Walzer und ungarische Tänze, sogar Strauß’ Donauwalzer nahmen wir in unser Programm auf. Auch die persönliche Bekanntschaft mit dem Weimarer Meister [Franz Liszt] dankte ich Pohl, der sich seit 1854 in der Klassikerstadt angesiedelt hatte143.

In den Ferien besuchte Marie ihre Freundin zuweilen im Sommerhaus der Familie Pohl auf dem Rittergut Schmölen bei Wurzen, etwa 30 Kilometer östlich von 141 La Mara 1917a, S. 20 f. 142 Ebd., S. 21. 143 Ebd., S. 23.

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Leipzig. Das Anwesen war oft von zahlreichen Gästen besucht, die gemeinsam musizierten. Lipsius nannte diese Zeit rückblickend die »Jahre ungebundenen Jugendgenusses, ja kecken Übermutes«144. Aus den Freundschaftsbanden zwischen Laura und Marie wurden Familienbande, als Laura Pohl 1866 den jüngsten Bruder ihrer Freundin, Justus Hermann, heiratete. In diesen Tagen verlor ich ein Vielliebchen145 an Laura. Auf meine Bitte, mir einen Wunsch zu nennen, den ich ihr erfüllen könne, erwiderte sie, jetzt sei sie wunschlos, falle ihr etwas Begehrenswertes ein, so werde sie damit nicht hinter dem Berge halten. Den letzten Abend vor ihrer Abreise brachte sie […] bei uns zu. Mit meinem Bruder Hermann spielte sie, wie zuweilen, ein paar Partien Schach und ward darnach von ihm heimbegleitet. Am nächsten Morgen, als ich, wie vereinbart, zu Laura kam, begrüßte sie mich mit den Worten  : ›Jetzt weiß ich, was du mir als Vielliebchen schenken kannst – ich wünsche mir deinen Bruder.‹ Sie hatte sich am Abend bei der Heimbegleitung mit ihm verlobt. Ich war darüber beglückt und sah nicht nur meinen stillen Lieblingswunsch, sondern zugleich den meiner Mutter und meines lieben seligen Vaters erfüllt, wenn es für mich zunächst auch einige eifersüchtige Regungen zu überwinden galt.146

Das Paar lebte in Leipzig und hatte keine Kinder. Laura Lipsius starb, drei Jahre nach ihrem Mann, 1923 in Dresden, wohin sie nach seinem Tod umgezogen war.147 Marie Lipsius schätzte Laura und Richard Pohl als wichtige Berater in der Zeit ihrer ersten schriftstellerischen Versuche. Ihnen gab sie ihre ersten zwei Studien zu lesen, biographische Skizzen über Robert Schumann und Franz Liszt, und beide hielten sie für geeignet zur Veröffentlichung. Erst dieses Urteil habe sie ermutigt, mit den Texten an die Redaktion von Westermanns Illustrirten Monatsheften heranzutreten. Dort erschienen sie dann wenig später. Das Pseudonym allerdings, unter dem Lipsius ihre Texte veröffentlicht hatte, stiftete Missverständnisse. Einige hielten Laura Pohl für die Autorin der Texte. Marie Lipsius 144 Ebd., S. 18. 145 »[D]ie Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit ›Guten Morgen, Vielliebchen‹ zu begrüßen haben und derjenige, welcher dies zuerst thut, vom andern ein Geschenk zu erhalten hat.« (Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl., Leipzig 1885–1892, S. 197). 146 La Mara 1917a, S. 63. 147 Vgl. D-LEua UAL PA 700, Blatt 31.

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hatte sich nämlich nicht als Autorin zu erkennen gegeben, sondern ihre Freundin vorgeschickt, als ein junger Verleger angefragt hatte, ob er die in Westermanns Monatsheften erschienenen Aufsätze gesammelt herausbringen dürfe. Laura sei also zu ihm gegangen und habe über die nötigen Korrekturen und Ergänzungen verhandelt.148 Dass Marie Lipsius in ihrer Autobiographie erklärt, sie habe das Pseudonym aus ihrem eigenen Namen und dem der besten Freundin zusammengesetzt,149 zeigt an, wie eng Laura Pohl in ihre erste Arbeit einbezogen war und wie wichtig ihr das Feedback der Freundin war. Lebensgefährtin: Similde Gerhard (1830–1903)

Marie Lipsius, die sich für eine Karriere als Klaviervirtuosin nicht geeignet hielt, reüssierte in Salons befreundeter Familien als Klavierbegleiterin. »Überhaupt trug mir meine Schmiegsamkeit am Flügel die Zufriedenheit der Sängerinnen – Künstlerinnen wie Dilettantinnen  – ein, mit denen ich in Berührung kam«150, und aus den musikalischen wurden oft auch freundschaftliche Beziehungen. Im Frühjahr 1861 begleitete Marie Lipsius Similde Gerhard am Klavier und eine lebenslange, enge Freundschaft151 begann. Gleich der Mehrzahl meiner damaligen Freundinnen, war Similde wesentlich älter als ich. Acht Jahre trennten uns  ; somit lag zur Zeit meiner Jugendblüte die ihre bereits hinter ihr. Unserer Harmonie verschlug dies nichts. Ihr sonniges Gemüt, ihr sprudelnder Geist und Witz, ihre Frohnatur trugen eine unvergängliche Jugend in sich. Genug, wir waren bald ein Herz und eine Seele.152

Gerhard war am 9.  Juli 1830 als jüngste Tochter des Leipziger Kaufmanns, Dichters und Weimarer Legationsrates Wilhelm Gerhard geboren.153 Sie ­erfuhr 148 Vgl. La Mara 1917a, S. 84 f. 149 Zur Pseudonymität vgl. Kapitel 3. 150 La Mara 1917a, S. 47. 151 Der Briefteilnachlass Similde Gerhards (D-Bsbha Sign. acc.ms.1975.66) enthält etliche Einladungen zu Privatgesellschaften, die an Similde adressiert, stets aber ausdrücklich an beide Frauen gerichtet waren. 152 Ebd., S. 49. 153 Das Stadthistorische Museum Leipzig verwahrt unter der Signatur G.G. die umfangreiche Sammlung Gerhards Garten, darin Briefe, Notizen, Zeichnungen und Fotos mit Bezug zur Familie Gerhard. Unter der Signatur G.G. II/22 findet sich dort eine Notiz mit den Lebensdaten der sieben Kinder Wilhelm und Caroline Gerhards sowie die Berufsbezeichnungen ihrer Söhne und Schwiegersöhne.

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Abb. 4: Similde Gerhard um 1850.

eine umfassende Bildung, lernte Sprachen ebenso wie Naturwissenschaften. Nach dem Tod der Eltern wollten ihre Geschwister das Elternhaus, das inmitten eines riesigen, teilweise öffentlich zugänglichen Gartens stand, verkaufen. Nach heftigen Auseinandersetzungen erwarb Similde das Haus und einen kleinen Teil des Gartens selbst, »an dem sie mit allen Fasern ihrer Seele hing. […] Endlich sah sich Similde als die beglückte Eigentümerin des trauten Heims, das sie wie ein durch ihre Eltern geweihtes Heiligtum hütete und bis ins einzelnste der Tradition getreu«154 erhielt. Die alleinstehende Similde lud die ebenfalls alleinstehende Freundin ein, bei ihr zu wohnen und mit ihr den Haushalt zu teilen. So zog Marie Lipsius Ostern 1882 in die Lessingstraße 4 und nannte ihren neuen Lebensmittelpunkt »ein ideales Künstlerheim«155. Nach Simildes Tod am 15. März 1903 wohnte Lipsius noch drei Jahre zur Miete in dem Haus. Dann verkaufte Simildes Familie das verbliebene Grundstück an die Stadt Leipzig und das Herrenhaus musste städtebaulichen Veränderungen weichen.156 154 Ebd., S. 346. 155 La Mara 1917b, S. 4. 156 Vgl. Riedel 2012, S. 177 f.

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Abb. 5: Herrenhaus in Gerhards Garten, 1882. An den Fenstern im 1. Stock links Similde Gerhard, rechts Marie Lipsius

Die Freundinnen hatten schon oft ihre Sommerfrische in den Alpen zusammen verbracht, bevor sie zusammenzogen. In Folge ihrer über 20-jährigen Freundschaft hatten sie auch viele gemeinsame Freunde. Immanuel Fichte, der Sohn des Philosophen Johann Gottfried Fichte, charakterisierte die Freundschaft der Frauen in einem Brief, den er an »[m]eine sehr liebe und liebenswürdige Freundin« Marie Lipsius und »Ihre Seelenschwester, die muntere geistesfrische Similde« adressiert hatte  : »Sie Beide gehören so sehr zusammen, es ist ein so seltener Bund schwesterlicher Freundschaft, durch Aehnlichkeit u. Unaehnlichkeit, daß auch darin ein besonderes Interesse für den Beschauer liegt.«157 157 Brief von Immanuel Hermann von Fichte an Marie Lipsius vom 05.01.1872, D-LEsm A/768/ 2010.

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Ihre Unähnlichkeit betonte auch Marie Lipsius und stellte in ihrer Autobiographie die Freundschaft zwischen ihr und Similde als ideale Ergänzung ihrer unterschiedlichen Charaktere dar  : Mein Zusammenleben mit Similde war das glücklichste. Eine bessere Lebensgenossin als sie konnte es nicht geben. In unseren Neigungen meist übereinstimmend, den Charakteren nach verschieden, ergänzten wir einander dergestalt, daß keine Monotonie zwischen uns aufkommen konnte. Similde war leichtlebig, Optimistin von reinstem Wasser, sie sah Menschen und Dinge von vornherein in rosenfarbenem Lichte. Ich, ohne schwerfältig zu sein, ohne den Pessimisten von fern beizuzählen, war in Anwendung solch rosigen Beleuchtungszaubers zurückhaltender und bemühte mich, das, was mir gegenübertrat, möglichst unverblendet nach seinem wahren Wert zu erkennen. So fiel unser Urteil zunächst meist sehr verschieden aus, näherte sich aber in dem Maße, als Similde von ihrem ersten Überschwang zurückkam, mit der Zeit oft bis zur vollen Harmonie.158

Auch in musikalischen Dingen betonte Lipsius den Gegensatz  : Gleich der Mehrzahl derer, die sich wesentlich nur mit Gesang, nicht eigentlich mit dem weiteren Gebiet der Tonkunst beschäftigen, gewährte ihr, der der Himmel eine bis ins zweigestrichene h hinaufreichende reizvolle Sopranstimme in die Kehle gelegt hatte, die Musik zwar viel Freude, tiefere Herzenssache aber war sie ihr nicht.159

Similde arbeitete wie ihre Freundin als Schriftstellerin,160 ihre eigentliche Tätigkeit lag jedoch in ihrem gesellschaftlichen Engagement für Arme und Kranke. Während der Kriegsjahre 1866 und 1870/71 war sie Mitglied des Internationalen Hilfsvereins und verwaltete das Hilfsmitteldepot ihrer Heimatstadt. Sie organisierte und leitete die Arbeit von rund 2000 Frauen, die in ihrem Elternhaus 158 La Mara 1917b, S. 4. 159 La Mara 1917a, S. 202. 160 Similde Gerhard publizierte folgende Werke  : Der Jungfrau Wesen und Wirken. Winke für das geistige und praktische Leben, Leipzig 1869 (13 von ihr redigierte Auflagen, nach ihrem Tod eine 14. Neubearbeitung durch Marie Lipsius)  ; Die Musik im Lichte der Poesie. Dichterworte aus der Weltliteratur, Leipzig 1884  ; Unter blühenden Blumen, Leipzig 1886  ; Mutterglück. Tagebuch über das Wachsen und Gedeihen des Kindes, Leipzig 1897. Außerdem erschien von ihr zumindest ein Artikel in der Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung Nr. 33, 18.03.1897  : »Goethes letzte Stunden und seine Bestattung in der Fürstengruft. Nach dem Bericht eines weimarischen Zeitgenossen. Aufgezeichnet von Similde Gerhard«.

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Wäsche und Verbandszeug nähten.161 Nach dem Krieg engagierte sich Similde in dem aus dem Hilfsverein hervorgegangenen neugegründeten Albert-Zweigverein, dem Frauenverein des Roten Kreuzes, war mehr als vier Jahrzehnte im Vorstand der Kinderbewahranstalt und der Dienstbotenlehranstalt tätig, 25 Jahre davon als Finanzvorstand, und unterstützte den Weltbund zur Bekämpfung der Vivisektion, der sich gegen Tierversuche einsetzte.162 Soziales Engagement war für unverheiratete bürgerliche Frauen ein anerkannter Ersatz für die ihnen zugeschriebene aber nicht realisierte ›natürliche‹ Aufgabe als Ehefrau und Mutter. So konnte der Verlust an Sicherheit und gesellschaftlicher Anerkennung durch die Übernahme einer abstrakten Mutterrolle wiederhergestellt werden.163 Frauenfreundschaften und -lebensgemeinschaften bildeten einen weiteren Stabilisierungsfaktor bei Ehelosigkeit. Das Zusammenleben unverheirateter Frauen war eine geläufige Lebensform und etwa bis 1900 nicht sexuell konnotiert. Im Gegensatz zur männlichen Homosexualität, die strafbar war, gab es keinen Diskurs über weibliche Homosexualität. Barbara Kuhn stellte die These auf, dass die »Selbstverständlichkeit, mit der Frauen zusammenwohnten, enge freundschaftliche Beziehungen hatten und diese öffentlich leben und verteidigen konnten« in dem Maß abgenommen habe, wie es immer mehr Frauen gelang, sich aus sozialer und ökonomischer Abhängigkeit zu lösen. »Fast 161 Marie Lipsius tendierte zur Idealisierung, wenn sie in ihrer Autobiographie zu der gemeinsamen Arbeit im Kriegsdienst schrieb  : »[U]nser kleines Sachsen hatte sich auf Österreichs Seite gestellt und ward von Preußen in Besitz genommen. Truppen überschwemmten Leipzig. Gegen 33.000 Mann wurden in Stadt und Umgebung beherbergt. Auch wir mußten wiederholter Einquartierung unsere Tür öffnen. Verwundete wurden in Scharen nach Leipzig gebracht, wo es bekanntlich an Hilfsbereitschaft nie fehlt. Jeder tat das Seine. Similde Gerhard trat in den Vorstand des ›Internationalen Hilfsvereins‹ ein. Sie übernahm die Verwaltung des großen Depots am Thomaskirchhof, wo Wäsche, Decken, Verbandszeug, Medikamente verwahrt und von den Lazarettdienern täglich abgeholt wurden. Ich wurde zum Buch- und Schriftführer gewählt und war Tag für Tag von 9 bis 1 Uhr, später auch den Nachmittag über im Depot beschäftigt. […] Im Depot schloß sich Similde und mir als Dritte im Bunde die originelle, etwas derbe Lina Marezoll an. Wir waren, trotz des schweren Ernstes der Zeit, guten Humors, tauften unsere Firma ›Bählämmels selige Witwe‹, zeichneten unsere täglichen Erlebnisse unter dem Titel ›Gedankencharpie‹ auf, empfingen Besuche, nicht nur von Lazarettboten, und walteten dabei fleißig unseres Amtes.« (La Mara 1917a, S. 63 f.). 162 Dem Albert-Zweigverein Leipzig stiftete Similde Gerhard aus ihrem Nachlass 3000 Mark, dem Neuen Leipziger Tierschutzverein 300 Mark, vgl. D-LEsm G.G. II/41g und G.G. II/41h. 163 Soziales Engagement bürgerlicher Frauen wurde unter dem Stichwort »organisierte Mütterlichkeit« gefasst (vgl. Stoehr 1983). In Selbstzeugnissen betonen unverheiratete bürgerliche Frauen häufig ihre alternative Berufung, mit der sie ihre weibliche Identität reorganisieren konnten (vgl. Heinritz 2000).

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zur gleichen Zeit wie die Frauenbewegung an gesellschaftspolitischer Relevanz gewann, wurde weibliche Homosexualität öffentlich gemacht.«164 1909 gab es Bemühungen, den Homosexuellen-Paragraph auszudehnen und auch weibliche Homosexualität unter Strafe zu stellen. Dies wurde erfolgreich verhindert – die asexuelle Vorstellung von Frauenfreundschaften blieb aufrechterhalten, wozu auch die Frauenbewegung nach Kräften beigetragen hatte, indem sie lesbische Liebe tabuisierte.165 Louise Otto, die Gründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, versuchte mit ihrem Artikel Weibliche Freundschaften, der 1890 in der Vereinszeitschrift Neue Bahnen erschien, die Frauenfreundschaften des späten 19.  Jahrhunderts an das Freundschaftsideal der Empfindsamkeit rückzubinden und die ideale Bedeutung der »weiblichen Freundschaft« abseits pragmatischer oder sexueller Interessen zu bestärken. Zunächst idealisiert die Autorin  : Die Sehnsucht früherer Zeit nach seelischer Hingebung an ein anderes Wesen, die zum Teil aus dem Traumleben der früheren Mädchenwelt entstand, ein Traumleben, das sich sehr wohl auch mit dem größten Fleiß im Hauswesen vertrug – es gedieh oft am besten, wie schon erwähnt, beim stundenlangen Wäschenähen ›Stich für Stich‹, wobei es nichts zu denken gab, diese Sehnsucht ist nicht mehr vorhanden und wer sich vorbereiten muß, selbst für sich zu sorgen, und ernste Lebenspflichten zu übernehmen, denkt wohl auch oft mehr an diese und an sich selbst, als an gemütvolle Seelenverschwisterungen.166

Interessant ist, wie hier die Ambivalenz der zunehmenden weiblichen Selbstbestimmung zutage tritt  : die Infragestellung der traditionellen Rolle der fleißigen Haus- und Ehefrau konnte zu Unsicherheiten führen, und die Energie, die für ein eigenständiges Leben nötig wurde, fehlte wiederum bei der Gestaltung sozialer Bindungen. Lebensgemeinschaften von Frauen konnten hier ideell und pragmatisch Abhilfe schaffen, meinte Louise Otto  : Da ist es nun jetzt sehr üblich geworden, daß zwei so alleinstehende Freundinnen ziemlich gleichen Alters, gleicher Lebensanschauungen und Gewohnheiten, als auch gleicher pekuniärer Verhältnisse, oft auch gleichen Berufes zusammenziehen und ei164 Kuhn 2000, S. 89. Magnus Hirschfeld, Arzt und einer der ersten Sexualwissenschaftler, prägte mit seinen Publikationen seit Ende der 1890er-Jahre den Diskurs um Homosexualität. 165 Vgl. Göttert 2000, S. 248–268. 166 Otto 1890, S. 139.

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nen gemeinsamen Haushalt einrichten. […] Außer der idealen Seite des freundschaftlichen Zusammenseins kommt noch die sehr praktische dazu, daß so der Haushalt viel weniger kostet und dabei größere Annehmlichkeiten bietet als wenn jede der Damen einen solchen für sich allein führt.167

Abschließend stellte sie eine derartige Lebensgemeinschaft der Ehe zwischen Frau und Mann gleich, indem sie betonte, daß gerade zu solchen Frauenbündnissen für gemeinsames Leben […] sehr viel Selbstlosigkeit und Opferwilligkeit gehören und so wenig Ichsucht, wie zu einer glücklichen Ehe. Man möchte darum auch hier warnend sagen  : ›es prüfe, wer sich ewig bindet.‹ Denn wenn es auch leichter ist, daß zwei Freundinnen, die sich nicht mehr ›zusammen vertragen können‹, ihr gemeinsames Leben aufgeben, als daß ein Ehepaar sich trennt – so wird es doch bei jenen Trennungen schmerzliche Aufregungen geben168.

Das Ideal der romantischen Ehe adaptierte Louise Otto für die Frauenfreundschaft und integrierte alleinstehende Frauen damit wieder ins bürgerliche System der sich ergänzenden Gegensätze. So wie aus der bürgerlichen Ehesymbiose die Sexualität ausgeklammert wurde, sollte sie auch bei Frauenfreundschaften keine Rolle spielen. Similde Gerhard und Marie Lipsius mögen wohl an der publizistischen Arbeit der jeweils anderen wohlwollend teilgenommen haben. Als einmal eine Studie, die Lipsius über Ignaz Moscheles geschrieben hatte, der Witwe Moscheles nicht zur Zufriedenheit gereichte, versuchte Gerhard zwischen jener, die ihren Ehemann weicher gezeichnet sehen wollte, und der Freundin zu vermitteln. Die familiäre Verbindung – Simildes Bruder Adolar war mit Moscheles Tochter Clara verheiratet  – erleichterte die Sache. Es wurde ein Kompromiss gefunden, bei dem beide Parteien das Gesicht wahren konnten. Lipsius’ Kommentar  : »Nichtsdestoweniger blieb ich dabei, daß ein Bild der festen Umrisse und Schatten nicht entbehren könne und daß ich nicht Stammbuchblätter für meine Freunde, sondern ein Stück Musikgeschichte in Einzelbildern zu zeichnen bestrebt sei.«169 Wie sehr Similde Gerhard an der Arbeit ihrer Freundin Anteil nahm, zeigt besonders ein Geschenk, das sie Lipsius zu deren 36. Geburtstag machte. Sechs Jahre nach dem publizistischen Debüt schenkte Similde ihrer Freundin ein 167 Ebd. 168 Ebd., S. 139 f. 169 La Mara 1917a, S. 109.

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Abb. 6: Similde Gerhard (in der Mitte stehend mit weißer Armbinde) und Marie Lipsius (rechts am Tisch sitzend) mit Leipzigerinnen beim Nähen von Verbandszeug, Leipzig 1870/71

­ Album, in das sie gesammelte Rezensionen der Werke Lipsius’ eingeklebt hatte. Der Widmungsvers drückte gleichermaßen Lob und Mahnung aus, denn darin thematisierte Similde, wie stark sich die Freundin von der Kritik ihrer Publikationen abhängig machte. Wie stark damit auch das alltägliche Zusammenleben der beiden Frauen auf die Probe gestellt worden sein mag, lässt sich zwischen den Zeilen erahnen.170 Marie Lipsius wiederum widmete ihrer Lebensgefährtin eine Gedichtsammlung, in der sie die gemeinsamen Reiseerlebnisse verarbeitete.171 Nach dem Tod der Freundin sorgte Lipsius für eine angemessene Erinnerung, indem sie sich um die 13. Neuauflage des populärsten Buches Simildes, Der Jungfrau Wesen und Wirken, kümmerte sowie eine Gedenkschrift verfasste und drucken ließ. Darin schrieb sie über die Verstorbene  :

170 Vgl. Kapitel 4. 171 Im Lande der Sehnsucht. Cicerone durch italische Kunst und Natur, vgl. dazu Kapitel 3.4.

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Gewiß, sie war ein Segen. Sie war es für ihre Familie, für ihre Freunde, ihre Diener, für die Armen, für alle, die um sie trauern, und nicht zuletzt für mich, die seit vierzig Jahren ihr Herz besaß, seit einundzwanzig Jahren in engster Gemeinschaft mit ihr lebte und die in ihr ihr bestes Lebensglück begrub.172 Verbündete I: Carolyne zu Sayn-Wittgenstein (1819–1897)

Marie Lipsius und die polnische Adlige Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, geborene Iwanowska, trafen sich erstmals 1856 anlässlich eines Konzertes in Erfurt. Ein regelmäßiger brieflicher Austausch begann jedoch erst 1869173 nach Erscheinen des ersten Bandes der Musikalischen Studienköpfe, den Lipsius der Fürstin geschickt hatte. Euphorisch schrieb Sayn-Wittgenstein der Autorin  : Ihr Buch zählt zu den interessantesten Schriften  ; auch abgesehen von dem Vergnügen, das mir die ebenso fein empfundenen als geschriebenen Blätter bereiteten, die Sie einem Genie widmeten, das Sie das Verdienst haben, vor anderen zu würdigen und zu verstehen. Doch Geduld  ! – die Zukunft wird Ihnen recht geben  ! Es freute mich durch Liszt zu hören, daß diesen zeitgenössischen Studien ein Band über Meister der Vergangenheit folgen wird. Eine so reine, klare, gerechte und durchdringende Begabung wie die Ihre vermag nicht müßig zu bleiben, Ich hoffe, daß Sie mich auch bei Veröffentlichung dieses zweiten Bandes nicht vergessen werden.174

Zu jener Zeit lebte Sayn-Wittgenstein bereits zurückgezogen in Rom, nachdem die Eheschließung zwischen ihr und ihrem Lebensgefährten Franz Liszt 1861 endgültig gescheitert war.175 172 Marie Lipsius  : Similde Gerhard. Ein Gedenkblatt für ihre Freunde. 1903, S. 12, D-LEsm G.G.II/42a. 173 29  Briefe in französischer Sprache von Carolyne Sayn-Wittgenstein an Marie Lipsius, 1869– 1886, D-WRgs GSA 59/423. Antwortbriefe sind nicht bekannt. 174 Zit. nach La Mara 1917a, S. 102. Aus dem Französischen übersetzt von Marie Lipsius. 175 Über die Umstände der gescheiterten Hochzeit wurde von Zeitgenossen viel gemutmaßt. Durch Marie Lipsius’ Veröffentlichungen setzte sich die Lesart durch, dass die Fürstin nach der ­Vereitelung durch ihre Familie einem erneuten Heiratsversuch entsagt habe. Lipsius hielt es für einen »verhängnis­volle[n] Irrthum der Fürstin, dass, nachdem sie und Liszt im Glauben an die Rechte ihrer Ausnahmenaturen, sich einst gegen die Macht der Sitte aufgelehnt und sich ein Märchenleben aufgebaut hatten, das als solches nicht zu dauern vermochte, sie die letzte Consequenz ihres ersten Schrittes nicht zog  ; sondern, während sie einst Alles ihrer Liebe geopfert hatte, nun wiederum in abergläubischer Scheu ihre Liebe einem Traum von Ruhm zum Opfer brachte und die Wirklichkeit hingab für ein Schattengebild.« (Liszt-Briefe, Bd. 4, XIX) Vgl. auch Walker 1997, S. 21–34 sowie van Gessel 2011.

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Lipsius schickte von nun an jede ihrer Neuerscheinungen an die Fürstin in Rom, die stets umgehend antwortete und ihr Wohlwollen. Als es einmal um die Lebensdaten Gaspare Spontinis ging, bewunderte Sayn-Wittgenstein beispielsweise, wie es Lipsius’ »unermüdliche[r] Beharrlichkeit gelungen [sei], andere Quellen zu entdecken, um als Erste einige historische Punkte unanfechtbar festzustellen.«176 Mit ihrer Auswertung der Kirchenbücher aus Spontinis Geburts- und Sterbeort habe Lipsius die »erstaunliche Konfusion«177 behoben, die bis dahin in Spontini-Biographien geherrscht habe. Spontinis Biographie stand im zweiten Band der Musikalischen Studienköpfe, der kurz nach der deutschen Reichsgründung 1872 einige »Ausländische Meister« porträtiert und damit die Kritik der Nationalisten auf sich gezogen hatte. Sayn-Wittgenstein merkte dazu an  : Aufrichtig beglückwünsche ich Sie hierzu, denn dies sind Dienste, die Sie der Kunstgeschichte erweisen. Beschreitet man einen so ernsten Weg wie Sie, so muß man naturgemäß mehr auf die Erkenntlichkeit einiger weniger Zeitgenossen, sowie auf die der Nachwelt, denn auf einen sofortigen lauten Erfolg bei den Mitlebenden rechnen. […] Lassen Ihre historischen Arbeiten, liebe Frau, das sofortige Echo vermissen, das jeder Arbeitende zu vernehmen wünscht (sei es auch nur, um zu erfahren, ob die von ihm angestimmte Tonart die rechte sei), so sehen Sie in dieser Entbehrung eine Bürgschaft des ihnen innewohnenden Wertes. Leben Sie der Zuversicht, daß wenn Sie Ihren Lohn nicht alsbald ernten, er Ihnen – wie das Evangelium verheißt – nachmals zu Ihrer umso größeren Freude dargebracht werden wird von Geistern, die, obwohl Ihnen unbekannt, Sie segnen und preisen werden. […] Mit solcher Aussicht wäre freilich einem frivolen Schriftsteller nicht gedient. Doch für jemand, der ernste Gedanken mit solchem Ernst wie Sie behandelt, scheint sie mir von belebender Kraft. Darum schreiten Sie weiter auf dem erwählten Wege, ohne sich durch Ihre relative Einsamkeit abschrecken zu lassen. In dem Maße Ihres höheren Fortschreitens wird Ihr Publikum sich wandeln. Es wird eingeschränkter, aber kompetenter und, sich mit der Zeit ausbreitend und nach Vorbild des ersten entwickelnd, sich zur Autorität gestalten.178

Lipsius schriftstellerische Arbeiten würden sie »in ihrer Eigenschaft als Frau mit Stolz« erfüllen, betonte Sayn-Wittgenstein mehrfach.

176 La Mara 1917a, S. 137. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 138 f.

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Ohne den Frauen im geringsten das Gebiet reiner Phantasietätigkeit, auf dem sie eine so feine Empfindung und Beobachtung bekunden, entziehen zu wollen, entzückt es mich, sie durch Sie ermutigt zu sehen, sich auf Wegen zu versuchen, wo sie zum Vorteil der Geisteswelt gleicherweise durch ihre Feder die Nadel und Spindel ersetzen können, die durch die Maschinen getötet worden sind. Wie oft führe ich Sie als Beispiel an  ; denn Sie zeigen, was viele unter uns mit ihrer Muße tun können und sollen. Mit Glück haben Sie sich ein Gebiet erwählt, wo, ohne in die wissenschaftliche Trockenheit überzugreifen, in der die Frau ihre besten Vorzüge verliert, ohne die des Manns zu gewinnen, sie den ihr von Natur verliehenen Gaben der Beobachtung und des Gefühlsausdrucks sehr wohl ein reelles, solides historisches Interesse vereinigen kann. Die Kunst ist tatsächlich ein Bereich, innerhalb dessen die Frauen sich nicht genug akklimatisieren können, damit es den Männern um so besser gelingt.179

Sayn-Wittgenstein ließ in ihrer Aussage keinen Zweifel daran, dass die Geschlechtscharaktere von Frauen und Männern sich dichotom unterschieden. Die naturhaft begründeten Geschlechterzuschreibungen replizierte sie, obwohl sie selbst doch nach der Trennung von ihrem Ehemann einen unkonventionellen Lebensstil pflegte. Seit 1848 wohnte sie, noch verheiratet, mit ihrem Lebensgefährten Franz Liszt in Weimar. Zuvor war sie aus der polnischen Heimat geflohen, um mit ihrer Tochter Marie, dem einzigen Kind aus ihrer Ehe mit einem in russischen Diensten stehenden deutschen Fürsten, in Liszts Nähe leben zu können. Ihrem Gesuch um die Aufhebung der Ehe mit der Begründung, diese sei vom Vater erzwungen worden, war nicht stattgegeben worden. Noch dazu war ihr durch die Flucht und anschließende Exilierung der Zugriff auf ihre zurückgelassenen Vermögenswerte versperrt.180 Im Gesellschaftsleben Weimars hatten die Fürstin und Liszt einen schweren Stand und wurden zum Teil gemieden. Auch in seiner Funktion als Hofkapellmeister war Liszt nicht uneingeschränkt anerkannt. So schuf sich das Paar in dem »Altenburg« genannten Herrenhaus ein Paralleluniversum mit regelmäßigen Konzerten, Salons und Meisterkursen, die einen Kreis bewundernder Anhängerinnen und Anhänger der Musik und Person Franz Liszts anzog.181 179 Ebd., S. 127. 180 Marie Lipsius schildert, sich auf Erzählungen der Fürstin und ihrer Tochter berufend, dass es Sayn-Wittgenstein durch den Verkauf eines Gutes aus ihrer Mitgift gelang, eine Million Rubel mitzunehmen auf die Flucht. Das Erbe ihres Vaters wurde ihr dagegen entzogen und auf die Tochter übertragen, die es aber erst nach ihrer Verehelichung antreten durfte (vgl. La Mara (Hg.) 1906, S. 38  ; 43). 181 Zum Verhältnis zwischen Liszt und Weimar vgl. Huschke 2010.

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1884 besuchte Marie Lipsius die Fürstin während einer Italienreise in Rom. Ihr Anliegen war, die Fürstin um Rat zu fragen, in welchen italienischen Archiven und Bibliotheken sie anfragen könne, um noch unbekannte Briefautographe von Musikern für ihre Sammlung Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten zu finden. Dieses Projekt war vom Verlag Breitkopf & Härtel angeregt worden und sollte zunächst lediglich bereits gedruckte Briefe versammeln. Lipsius’ Nachforschungen an zahlreichen Orten hatten sich jedoch als so fruchtbar erwiesen, dass eine Edition auch mit gänzlich unbekanntem Material möglich wurde. Die Fürstin hatte ihre Hilfe zugesagt, und so betrat Lipsius am Ostersonntag deren Wohnung. »Nach fünfundzwanzig Jahren sah ich die Fürstin wieder, nicht sonderlich verändert, vielleicht nur etwas bleicher, wachsfarbener als ehedem.«182 Lipsius hatte Erfolg mit ihrer Anfrage, denn erstaunlich orientiert zeigte sich die Fürstin über die Wege und Mittel, wo und wie ich meine Sammlerzwecke, nach denen sie mich sofort voll Anteils fragte, in ­Italien am besten verfolgen könne. Kein Name, dem ich nachging, kein Ort, der mir einen Fund zu versprechen schien, war ihr fremd. Was interessierte, was beherrschte diese einzige Frau denn nicht  !  ? Nie habe ich fesselnder, sprühender konversieren hören. Wie eine unendliche Melodie löste sich die Fülle der Gedanken von ihren Lippen  ; man hatte nicht Ohren genug zu hören, jede ihrer geistvollen, vom lebendigsten Mienenspiel begleiteten Bemerkungen festzuhalten. Dazu dies impulsive Temperament, die bestrickende Liebenswürdigkeit, die, nach Art der Slavin, den Gefühlsausdruck um einige Nuancen steigernd, des Guten lieber zu viel als zu wenig gibt und in den Interessen des andern aufzugehen scheint, als ob es die eigenen wären.183

Marie Lipsius bezeichnete Carolyne zu Sayn-Wittgenstein als »die gütigste und hochragendste Gönnerin meines Lebens«184. Doch warum schrieb dann nicht sie die große Liszt-Biographie, sondern die Pianistin und Klavierpädagogin Lina Ramann185  ? Es sind komplizierte und nicht ins letzte Detail zu klärende 182 La Mara 1917b, S. 58. 183 Ebd., S. 59. 184 Ebd., S. 89. 185 Biographische Angaben über Lina Ramann finden sich in einem Artikel, den ihre Freundin Louise Otto schrieb  : »Lina Ramann. Auch eine Bahnbrecherin«, in  : Neue Bahnen 19 (1884) 10, S. 73–77. Die Freundschaft von Louise Otto und Lina Ramann ist in ihrem Briefwechsel dokumentiert (D-WRgs GSA 59/329,1 und GSA 59/329,2). Dass es bisher keine Monographie über Lina Ramann und ihre musikschriftstellerische wie musikpraktische Arbeit gibt, ist sehr zu bedauern.

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Verwicklungen, die schlussendlich dazu geführt haben, dass Marie Lipsius nur kürzere biographische Texte über Liszt verfasste und Lina Ramann ihren 1874 gefassten Plan erst zwanzig Jahre später mit dem dritten Band ihres Werkes Franz Liszt als Künstler und Mensch abschließen konnte. Exkurs: »Frau Wahrheit« und das Projekt einer Liszt-Biographie

Marie Lipsius berichtet, dass sie 1870 von Liszts Neffen darauf angesprochen worden sei, ob sie nicht eine Biographie über Liszt verfassen wolle. Darauf habe sie geantwortet  : ›Das ist eine Aufgabe, mit der man aufhört, nicht aber anfängt […]. Dem fühle ich mich noch nicht gewachsen. Es kann ja auch unmöglich der Wunsch des Meisters sein.‹ – ›Doch, er wünscht es und mit ihm die Familie. Wir würden Ihnen die nötigen Materialien gern zur Verfügung stellen, auch wohl die Fürstin Wittgenstein. Sie plante früher, die Biographie selbst zu schreiben, hat sie auch angefangen, aber wieder aufgegeben.‹ – ›O, das ist jammerschade‹, meinte ich. ›So wie sie, kennt ihn ja keiner  !‹ – ›Ich glaube Ihnen ihre Unterstützung in Aussicht stellen zu können. Überlegen Sie sich’s, bitte  !‹186

Lipsius blieb bei ihrer Entscheidung. Auch habe sie zu keinem späteren Zeitpunkt erwogen, eine Liszt-Monographie zu schreiben. Stattdessen nahm ihre Schriftstellerkollegin Lina Ramann diese Aufgabe 1874 in Angriff. Wie kompliziert die Angelegenheit der Liszt-Biographie tatsächlich gewesen sein mag, wird aus den Widersprüchen deutlich, die sich zwischen den Aussagen der drei Beteiligten Marie Lipsius, Lina Ramann und Franz Liszt ergeben. Letzterer habe 1877, von Lipsius auf die Ramann’sche Arbeit angesprochen, gesagt  : »Es wird ein umfängliches Werk – viel zu umfänglich«, auch sei es ganz ohne sein Zutun und Wissen von der ihm damals unbekannten Verfasserin vorbereitet worden. Notizen habe er ihr nicht gegeben, nur einige irrige Angaben berichtigt. Von der Fürstin habe Ramann dagegen viel Material erhalten.187 Ein knappes Jahr später fragte Lipsius ihn erneut nach dem Fortschritt der Biographie. ›Ich glaube, sie wird gut werden‹, war die Erwiderung. ›Alles Musikalische habe ich ihr [Ramann] gegeben. Die biographischen Daten langweilen mich. Ich kann mich ihrer 186 La Mara 1917a, S. 113. 187 Vgl. ebd., S. 247 f.

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nicht mehr entsinnen. Frau Fürstin weiß sie besser als ich  ; darum habe ich Fräulein Ramann an sie gewiesen und sie hat ihr allerlei gegeben, gibt ihr aber jetzt nichts mehr.‹188

Lina Ramann dagegen berichtet in ihren erst posthum erschienenen Erinnerungen an Franz Liszt in Tagebuchblättern, Briefen und Dokumenten aus den Jahren 1873–1886/87, einer Art Kommentar zur Arbeit an der Liszt-Biographie, dass sie im August 1874, nachdem sie vom Verleger Julius Schuberth mit einem Buch über Liszts Kompositionen beauftragt worden war, dem Musiker davon brieflich berichtet und um Informationen gebeten habe, die der Befragte ihr auch bald habe zukommen lassen.189 Die »ihm damals unbekannte Verfasserin« stand schon seit 1861 mit Liszt in Briefkontakt,190 nachdem Ramann ihm eine von ihr herausgegebene Klavierschule gewidmet hatte. Und auch Marie Lipsius äußerte sich widersprüchlich, denn entgegen ihrer früheren Aussage bekannte sie Liszt, dass ihr durch Ramanns Biographie, obwohl ich mich von kleinlichem Neide frei wisse, eine liebe Lebensaufgabe genommen werde, denn, wenngleich ich die dringliche Aufforderung seines Vetters Eduard von Liszt vor sieben Jahren abschlägig beschieden hätte, sei mir die Idee doch als eine später auszuführende beständig nachgegangen. Da sagte er gütig  : ›Ihre Charakterstudie ist etwas ganz Verschiedenes und Selbständiges und wird als das Beste, was in knapper Form über mich geschrieben ist, immer ihren Wert behalten.‹191

Ihrer Schriftstellerkollegin gegenüber verhielt sich Lipsius zwar respektvoll und loyal,192 ob dies nicht aber teilweise auch der Inszenierung diente, hinter der Neid und Missgunst verborgen werden sollten, bleibt dahingestellt. Lipsius widmete sich ab den 1880er-Jahren nun stattdessen ihrem neuen Wirkungsfeld  : dem Sammeln und Herausgeben der Briefe Franz Liszts.193 188 Ebd., S. 270. 189 Vgl. Ramann 1983, S. 36 f. sowie auch die 15 von Liszt ausgefüllten Fragezettel im Goethe- und Schillerarchiv in Weimar (D-WRgs GSA 59/351), die von 1874 bis 1881 datieren. 190 Vgl. D-WRgs GSA 59/26,2 und GSA 59/326. 191 La Mara 1917a, S. 248. 192 Vgl. La Mara 1917b, S. 62 sowie Briefe von Marie Lipsius an Lina Ramann (D-WRgs GSA 59/325, 7). 193 Vgl. La Mara 1917b, S.  219. Für Lipsius’ Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten hatte Liszt die von ihm stammenden Briefe ungelesen freigegeben mit den Worten »Liebes Kind, wenn ich die Briefe durchsähe, müßte ich nicht ich, müßten Sie nicht Sie sein. Sie dürfen alles, was Sie wollen, von mir drucken.« (La Mara 1917b, S.  127) Daraus leitete Lipsius nun die Vollmacht für ihr neues Projekt ab, »ihm durch Sammlung und Herausgabe seiner Briefe ein Denkmal zu setzen.«

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Lina Ramann sah sich mit ihrem Biographie-Projekt einer Gemengelage unterschiedlicher Interessen gegenüber  : Liszt wollte besonders seine Kompositionen gewürdigt sehen, seine Lebensgefährtin pochte auf eine Psychologi­ sie­rung des Menschen Liszt, und die Autorin selbst sah ihre Aufgabe nur erfüllt, wenn es ihr gelänge, die »psychologische Zusammengehörigkeit zwischen Ihnen und Ihren Werken dar[zu]legen«, wie sie es Liszt gegenüber formulierte. »Sie, verehrter Meister, sind derjenige unserer Tonheroen, bei dem persönliches Denken und Empfinden sich zum Kunstwerk dichten, wie bei keinem.«194 Hinzu kamen die Interessen des Verlegers. Nachdem Julius Schuberth 1875 verstorben war und seine Witwe den Vertrag über die Liszt-Biographie aufgelöst hatte, wollte Ramann den Verleger Christian Friedrich Kahnt für das Projekt gewinnen. Sie bat Liszt um Vermittlung, »[d]enn ohne Ihre gütige Intervention fürchte ich, daß K. sich vielleicht nur auf die Biographie und die Gesammtausgabe Ihrer lit. Arbeiten195 (dem lukrativen Theil) beschränken möchte. Und das soll und darf nicht sein  !«196 Kahnt stimmte zu, 2000 Taler Honorar wurden vereinbart und im Herbst 1876 sollte der Druck beginnen.197 Doch der Verleger hielt den Vertrag nicht ein, so dass Ramann sich bei verschiedenen anderen Verlegern bewarb und endlich 1880 Breitkopf & Härtel für ihr Werk gewinnen konnte. 1876 besuchte Lina Ramann die Fürstin in Rom, um von ihr noch detailliertere Informationen über Franz Liszt zu bekommen. Die »Sitzungen im ›biographischen Käfig‹«198, wie Sayn-Wittgenstein ihren abgedunkelten Salon nannte, dauerten stundenlang, tagelang. Ramann notierte ihre Erinnerungen  :

(La Mara 1917b, S. 127) Nach Liszts Tod autorisierte die Erbin, Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, Lipsius für diese Aufgabe und es wurde ein Vertrag mit dem Verlag Breitkopf & Härtel geschlossen. 194 Ramann 1983, S. 34 f. 195 Liszt hatte Ramann 1875 den Auftrag erteilt, seine Schriften herauszugeben. Dass auch dieses Unternehmen zu Kontroversen zwischen der Fürstin und Ramann führte, schildert Ramann ebenfalls in ihren nachgelassenen Erinnerungen (ebd., S. 178–185). Hier sei nur angemerkt, dass auch Marie Lipsius ihre Schwierigkeiten mit Sayn-Wittgensteins Eingriffen in den Liszt’schen Text bekundete, mit denen sie während der von Liszt autorisierten Übersetzung und Herausgabe seines Chopin-Aufsatzes konfrontiert worden sei (vgl. La Mara 1917a, S. 282). 196 Ramann 1983, S. 57. 197 Ebd., S.  72. Vgl. auch die Briefe zwischen C.  F.  Kahnt und Lina Ramann, D-WRgs GSA 59/324,2 und GSA 59/347,9. 198 Ebd., S. 77.

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Es hat sich ein persönlich intimer Ton zwischen uns hergestellt, der den Mittheilungen der Fürstin den Charakter der Absicht, des Mittels zum Zweck (der Biographie) nimmt, ja ihn vollständig aufhebt und zu freundschaftlichen Vertrauensergüssen umwandelt. Bei solchen kann sie rückhaltslos, bis zum Erschrecken offen sein, wofür ich nur die Formel finden kann, daß sie zu groß ist, um da, wo sie vertraut, nicht ganz Vertrauen zu sein.199

Dass die Absichtslosigkeit der Fürstin nur eine Illusion war, erkannte Ramann spätestens, als Unstimmigkeiten über den grundlegenden Ansatz der Biographie auftraten. Verlangte Sayn-Wittgenstein bei ihrem persönlichen Treffen noch die breite Darstellung aller biographischen Aspekte, wollte sie zwei Jahre später davon nichts mehr wissen und wünschte, Ramann solle nur den Künstler Liszt biographisch behandeln. Die Autorin sträubte sich gegen die neuerlichen Einwände, hatte sie der Fürstin doch nach den ausführlichen Diskussionen in Rom zugestimmt, dass zu einer Erklärung der Kompositionen Liszts auch die Seite der Persönlichkeit ausführlich dargestellt werden müsste. Das hatte dann auch zu dem Buchtitel Franz Liszt als Künstler und Mensch geführt. Ramann argumentierte, dass gerade weil Liszt’s mehrdeutiges Leben zu sehr Veranlassung geworden, ihn in der Phantasie des Publikums aller Klassen mehr zu einem Romanhelden als zum berufenen Kirchenkomponisten zu machen, so, daß man sich hüten muß dieser Neigung des Publikums geflissentlich entgegen zu kommen200,

die von ihr unternommene Ausführlichkeit für alle Lebensphasen dringend erforderlich sei. Nur damit ließen sich die Vorurteile und Phantasien des Publikums auflösen. Zum Abschied aus Rom im Sommer 1876 hatte Sayn-Wittgenstein der Biographin folgende Zeilen mitgegeben  : »Frau Wahrheit, spricht die Sage, sitzt in tiefem, dunklen Brunnen – Mit ihr sind Sie gesessen im Dunkel – im biographischen Käfig  ! – Jetzt ist der melodische Vogel frei und sein Gesang wird Rafaelisch, schön.« Lina Ramann schickte eine relativierende Antwort nach Rom  : Wohl öffnet Frau Wahrheit dem Vogel den Käfig, doch ist er nicht frei. 199 Ebd., Hervorheb. im Orig. 200 Ebd., S. 132, Hervorheb. im Orig.

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Was er erlauscht im Dunkel, sitzend am quellenden Born  : Das trägt er als Inhalt hinaus in die Welt. Doch während er frei sich bewegt, Ist er von Ihnen gebunden, gebunden Durch Wahrheit, die er getrunken am Quell.201

Die »Wahrheit« wurde immer problematischer zwischen den beiden Frauen. Die Fürstin übte Kritik an Textentwürfen, die sie zuvor für gut befunden hatte. Doch Ramann blieb diplomatisch. Auf Sayn-Wittgensteins briefliche Anfrage, ob sie ihr deswegen zürne, antwortete sie  : Nein. Wer wegen einer unlieben Wahrheit zürnt, treibt eitel Spiel mit ihr – sie nicht vertragen können, muß ein moralischer Schwächling sein. Zu dieser Menschenklasse gehöre ich nicht. Ich stelle mich auf den Boden objektiver Wahrheit. Diese Fähigkeit, ruhig und besonnen eine meiner eigenen Ansicht entgegenstehende entgegen zu nehmen und zu prüfen, werde ich mir immer angelegen sein lassen, wie ich sie bei Jedem, der Bedeutendes erstrebt und sich nicht in persönlichen, sondern in den Dienst einer Sache stellt, als Grundbedingung ansehe. Mit freiem Herzen kann ich sagen  –  : ich schätze und liebe Sie trotz Ihrer Gegenbemerkungen und bitte Sie in solchen nicht zu ermüden. […] Sie sind, wie Sie einst sagten ›von Eisen‹ – ich habe ähnliches Metall in mir  ; Sie sind ›hart‹ in Ihren Worten – ›der Sache wegen‹  ; ich halte Stand –  : der Sache wegen. Und so kann ich Ihnen nur aufrichtig danken, daß Sie meiner Auffassung Ihre Gegenansicht geben. Die Ja-Zustimmung allein wird nie einen Fortschritt oder ein sachliches Vertiefen hervorbringen  ; das ist Sache des Nein.202

Über die »Wahrheit« wurde hart verhandelt. Es war Franz Liszt, der den Wahrheitsbegriff relativierte, als er seiner Biographin auf einem der Fragezettel, die Ramann zur Abklärung biographischer Details schickte, den Hinweis gab  : »Verwickeln Sie sich nicht in zu vielen Details. Meine Biographie ist weit mehr zu erfinden als nachzuschreiben«203. Ramann konnte mit dieser Aufforderung offensichtlich wenig anfangen  : »Eine merkwürdige Nachschrift  ! ›Erfinden‹ – wer Liszt nicht kennt, könnte irre an ihm werden.«204 Sie versuchte, Liszt »als Künst201 Ebd., S. 98, Hervorheb. im Orig. 202 Ebd., S. 111 f., Hervorheb. im Orig. 203 Zit. nach ebd., S. 129. Liszts »Erfindungen« seiner Selbst beschäftigen die Liszt-Forschung weiterhin, vgl. z. B. Heinemann 1997. 204 Ramann 1983, S. 129.

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ler und Mensch« zu verstehen  – und war sich gleichzeitig wohl der Unmöglichkeit dieses Unterfangens bewusst. Sayn-Wittgenstein gegenüber äußerte sie einmal  : »Um eine Biographie Liszt’s schreiben zu können, die allen Forderungen genügt, müßte man Genie sein, wie er. Ein solches Genie aber stellt durch sich eine Biographie dar, schreibt jedoch keine. Und − − Vollkommenes giebt es auch hier nicht, außer in der Idee.«205 Sowohl Liszt als auch Ramann sahen die Schwierigkeiten beim Nacherzählen einer Lebensgeschichte. Während Liszt andeutete, dass jede Biographie mehr Fiktion als Faktum sei,206 hielt Ramann am Ideal einer Biographie fest, in der die biographischen Lücken und Leerstellen möglichst klein ausfielen. Die Konversation zwischen »Frau Wahrheit« und der Liszt-Biographin Lina Ramann war empfindlich gestört. Die Fürstin verlegte sich auf den Standpunkt, Ramann sei ›zu weltfremd, zu sehr bourgeoise‹, um Liszts vielseitiger komplizierter E ­ rscheinung beizukommen. ›Eine reiche geistige Natur, die sich durch slavische, ungarische ­geheime Bitterkeiten und Süßigkeiten habe durchtränken lassen‹, sei, meinte sie, für ›eine deutsche einfache Seele‹ schwer zu entziffern. So habe Liszts ›etwas spießbürgerliche‹ Biographin aus ihm ›eine Art alten Brendel‹ – der ihr Ideal gewesen sei207 – gemacht.208

So wusste es Marie Lipsius nach ihrer Unterredung mit der Fürstin im Sommer 1884 in Rom zu berichten. Diese habe weiter gesagt, sie gebe Ramann kein Material mehr, würde es Lipsius aber »mit Freuden zu Gebote stellen. Ich konnte nur erwidern, daß ich ein derartiges Eingreifen meinerseits als eine Unrechtmäßigkeit gegen das mir übrigens fernstehende Fräulein Ramann ansehen müsse.«209 War das Verhältnis zwischen Lina Ramann und Fürstin Sayn-Wittgenstein nachhaltig zerrüttet, blieb das zwischen Franz Liszt und seinem »[v]er-

205 Ebd., S. 111. 206 Liszt nahm damit quasi die postmoderne Idee voraus, dass der historischen Wirklichkeit nur als Konstruktion beizukommen sei (vgl. z. B. White 2008). Auch in der Theoriereflexion der Biographik scheint dieses Paradigma mittlerweile ›state of the art‹ zu sein (vgl. aus der umfangreichen Literatur z. B.: Bödeker (Hg.) 2003  ; Fetz (Hg.) 2009  ; Heymann-Wentzel/Laas (Hg.) 2004  ; Klein (Hg.) 2002  ; Klein (Hg.) 2009. 207 Lina Ramann war von Lysinka Tautmann, der Frau Franz Brendels, im Klavierspiel ausgebildet worden (vgl. Otto 1884, S. 75). 208 La Mara 1917b, S. 62. 209 Ebd.

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ehrteste[n], liebste[n] aller Biographen«210 wohlwollend freundschaftlich. Beide standen bis zu Liszts Tod in Briefkontakt. Lina Ramann und Marie Lipsius inszenierten ihr Verhältnis zu Carolyne zu Sayn-Wittgenstein ganz unterschiedlich. Beide zeigten sich beeindruckt von der Fürstin, nachdem sie sie 1876 bzw. 1884 in Rom persönlich kennengelernt hatten. Auf die Einflussnahme, die Sayn-Wittgenstein auf beider Projekte üben wollte, reagierten sie dann aber sehr verschieden.211 Ramann betonte ihre Unabhängigkeit, wenn sie in ihren Erinnerungen an Franz Liszt die Meinungsverschiedenheiten mit der Fürstin detailliert herausarbeitete.212 Ihre souveräne Haltung markierte sie anhand kleiner Anekdoten wie dieser  : Zwei Stunden war ich bei ihr. Welche Frau  ! Ihr Gesicht lebendiger, fließender Geist, ihre Sprache nur Seele. So hatte ich sie nicht erwartet, so hatte ich nie eine Frau mir gedacht  ! […] Ich beugte mich nieder und küßte ihre Hand  : ›nicht der Fürstin – der großen Frau‹, sagte ich dabei. ›Ah  ! – Demokratin  ?‹ gab sie zurück. ›Ja, Fürstin  : mit Hingabe an die Aristokratie des Geistes.‹213

Lipsius dagegen handelte, wie es ihrem Ethos als Biographin entsprach  : zu Lebzeiten nie schlecht über eine Person zu sprechen, sondern das Positive zu verstärken und das Problematische zu verschleiern.214 Über die Meinungsverschieden210 Ramann 1983, S. 280. 211 James Deaville (2002) stellt dazu die fragwürdige These auf, dass beide Frauen ihre eigene Sexualität auf Liszt projizierten. Ramann habe dabei einen »männlichen«, Lipsius einen »weiblichen« Liszt konstruiert. Franz Liszt habe ihnen als Projektionsfigur die Möglichkeit gegeben, in einer Zeit strikter Geschlechterkonventionen erstens ihrer schriftstellerischen Neigung nachzugehen und daran zweitens die eigene Identität zu entwickeln. Diese These halte ich für gefährlich. Eine Identifizierung von Schreibendem und Beschriebenem ist schon an sich problematisch. Das Phänomen aber als ein frauenspezifisches zuzuspitzen und damit zu suggerieren, Frauen hätten im 19. Jahrhundert lediglich (von) sich selbst schreiben können, ist ein chauvinistisches Konstrukt, das von der genderkritischen Literaturwissenschaft längst widerlegt wurde (vgl. z. B. Bürger 2001  ; Nieberle 1999). Deaville erweckt außerdem den Anschein, es habe einer männlichen Figur bedurft, damit Frauen als Schriftstellerinnen auftreten konnten. Dass gerade Franz Liszt diese Figur gewesen sein soll, obgleich dessen Sexualität ebenfalls Kontroversen hervorrief (vgl. z. B. Noeske 2011a), ist widersprüchlich. 212 Vgl. Ramann 1983, S. 131–135  ; 153–159. 213 Ebd., S. 74 f. 214 Diese Haltung hatte Sayn-Wittgenstein sehr gelobt, als sie in Reaktion auf den dritten Band der Musikalischen Studienköpfe an Lipsius schrieb  : »[I]ndem ich Ihr scharmantes Buch las, sah ich die alten Bekannten wieder, die Ihre sorgsamen Zeichnungen nicht ohne die gehörigen Schatten, doch stets in vorteilhaftem Lichte vorführen, wie dies einer liebenswürdigen, milden, geistvollen Frau geziemt, die von ihren Zeitgenossen spricht.« (La Mara 1917a, S. 220).

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heiten, die auch sie mit Sayn-Wittgenstein hatte, schwieg sich Lipsius bis zum Tod der Fürstin aus. Diese hatte nämlich kurz nach Liszts Tod gefordert, dass man den Musiker in seinen Briefen ordentlich en toilette sehe. Man sage nicht, daß sie ihn dann nicht seiner vollen Natur nach zeigen würden. Eine ordentliche Toilette ändert die Natur ebensowenig, als der Mann oder die Frau, die frühmorgens im Schlafrock sitzen, ihre Natur ändern, wenn sie gewaschen, gekämmt, sorgfältig angezogen vor der Welt erscheinen.215

Lipsius war anderer Meinung. Überzeugt davon, dass das »von der Fürstin befürwortete Retouchiersystem […], ungeachtet aller Pietät für ihre Wünsche, dem heutigen wissenschaftlichen Prinzip, das zur Wahrung der Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die Wiedergabe nach dem Wortlaut fordert, nicht standhalten«216 könne, bewahrte der Tod der Fürstin nur ein halbes Jahr nach dem Liszts Marie Lipsius vor einer offenen Konfrontation. Verbündete II: Marie zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1837–1920)

Nach dem Tod Carolyne zu Sayn-Wittgensteins fiel deren Erbe der einzigen Tochter aus der Ehe mit Fürst Nikolaus zu  : Marie, seit 1859 verheiratet mit Constantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Obersthofmeister am österreichischen Kaiserhof in Wien.217 Als Nacherbin des Liszt-Nachlasses stiftete Marie Hohenlohe den überwiegenden Teil an das Liszt-Museum in Weimar,218 hinzu kamen Geldspenden aus ihrem privaten Vermögen, mit dem beispielsweise die Liszt-Stiftung gegründet wurde.219 Als Marie Lipsius sich an Marie Hohenlohe wandte, um die Edition der Liszt-­Briefe voranzubringen, stieß sie mit ihrem Anliegen auf Wohlwollen. In ihrer Autobiographie erinnert sie sich  : 215 La Mara 1917b, S. 137, Hervorheb. im Orig. 216 Ebd., S. 138. 217 Zur Familie Hohenlohe allgemein vgl. Stalmann 2013  ; zur Rolle Prinz Constantins am österreichischen Hof vgl. Edler 1897 und Winkelhofer-Thyri 2013. Constantins Bemühungen um die Modernisierung des Hofes sowie die Neuorganisation der königlichen Kulturinstitutionen (Burgtheater, Hofoper, Museen) habe seine Frau als »wichtige Beraterin ihres Mannes in Kunstfragen« mitgeprägt (vgl. Winkelhofer-Thyri 2013, S. 182). Hohenlohe spendete für Kunst und Kultur ebenso wie für soziale Wohlfahrtseinrichtungen (vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 2, 1956, S. 563). 218 Vgl. Liepsch 2011. 219 Vgl. Liepsch 2010.

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Der Tod der Fürstin Wittgenstein hatte vor Jahren durch Bezeugung meiner Anteilnahme eine natürliche Annährung meinerseits an ihre Tochter, Fürstin Hohenlohe in Wien, herbeigeführt, aus der die beglückendsten Beziehungen hervorgingen, die den letzten Teil meines Lebens segnen. Ich erkenne darin voll innigen Dankes ein Vermächtnis, das mir meine gütige Protektorin scheidend hinterlassen. Als der Erbeserbin Liszts und somit auch seines geistigen Nachlasses, hatte ich mich bezüglich der Herausgabe seiner Briefe mit Fürstin Hohenlohe zu verständigen. Dabei sah ich mich der denkbar feinfühligsten und objektivsten Auffassung meiner Aufgabe gegenüber. Tief und wohlwollend sprach sich in allem ihre Schätzung Liszts aus.220

Carolyne zu Sayn-Wittgenstein hatte kurz vor ihrem Tod noch darum gebeten, die Liszt-Briefe so weit zu retuschieren, dass das Bild des idealen Künstlers nicht angegriffen werde. Die Tochter hingegen unterstützte Lipsius’ Bestrebungen, die Briefe originalgetreu abzudrucken. »Die hohe Wahrheitsliebe, die unbestechliche Forderung streng historischer Treue im Bericht von Tatsachen, die zu den charakteristischsten Eigenschaften der seltenen Frau gehören«, sah Lipsius sich auch in einer Äußerung über die Mutter realisieren. Hohenlohe habe ihr geschrieben  : Ich habe Ihre Monographie meiner Mutter [Nekrolog in der Allgemeinen Zeitung] mit großem Interesse gelesen. Sie enthält jedoch viele Unrichtigkeiten, die mich stören. Meine Mutter war eine höchst leidenschaftliche Natur, von ihrer überschwenglichen Phantasie oft fortgerissen und sonach doppelt zu Übertreibungen neigend. In den letzten Jahren in Rom, wo sie unablässig über manches grübelte, was anders hätte werden können, verwirrte sich auch vielfach ihr Gedächtnis. Liszt strebte mit unerbittlicher Wahrheitsliebe, ihre Erinnerungen auf der Basis der Wirklichkeit zu erhalten, was ihm von ihr den halb ärgerlich gemeinten Ehrentitel  : L’ami de la vérité eintrug.221

»Frau Wahrheit« duldete keinen »Freund der Wahrheit« als Korrektiv. Die Tochter dagegen konnte die Sache differenzierter betrachten. Sie stellte Lipsius gegenüber auch die Missverständnisse klar, die nach der vereitelten Eheschließung Sayn-Wittgensteins und Liszts in Rom entstanden waren. Nicht Liszt habe sich von der Fürstin abgewandt, vielmehr sei es ihre Mutter gewesen, die die erneute Prüfung ihrer Scheidungsangelegenheit mit Fürst Nikolaus als Wink des Schicksals gewertet habe, der Vermählung mit Liszt endgültig zu entsagen. 220 La Mara 1917b, S. 220 f. 221 Ebd., S. 221.

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Diese Darstellung an die Öffentlichkeit zu bringen bat Hohenlohe nun Marie Lipsius.222 In der Folge entstand eine immer engere Arbeitsgemeinschaft der b ­ eiden Gleichaltrigen zugunsten der Erinnerung an Franz Liszt und die Fürstin Sayn-­ Wittgenstein.223 Im Herbst 1895 begegneten sie sich erstmals persönlich. Hohenlohe hatte Lipsius zu sich nach Wien eingeladen. Zu dem Zeitpunkt waren die ersten drei Bände der Liszt-Briefe bereits erschienen. Durch Marie Hohenlohe bekam Lipsius nun die Möglichkeit, auch die Briefe Liszts an die Fürstin herauszugeben, allerdings ohne deren Antwortbriefe, die die Tochter für zu ausschweifend befand, als dass ihr unkommentierter Abdruck die Absenderin in ein positives Licht hätte rücken können.224 Auf Schloss Friedstein in der Steiermark, wohin sich Hohenlohe nach dem Tod ihres Mannes dauerhaft zurückgezogen hatte, war Lipsius ebenfalls zu Gast und erhielt 1897 Aufschluß über die in den Briefen erwähnten Persönlichkeiten. Die Fürstin eröffnet mir Einblick in die Verhältnisse, sie leitet sozusagen den Strom ihrer Erinnerungen in meine Seele. Die Klarheit und Überlegenheit des Urteils, mit der sie, wie von freier Bergeshöhe herab, das Geschehene überblickt, entzückt mich immer aufs neue. Ich sehe in ihr die harmonischste Natur, die mir bisher vorgekommen, und frage mich, wie sie als Tochter ihrer leidenschaftlichen Mutter zu dieser Abgeklärtheit kommt und welche Herrschaft über sich selbst sie lebenslang ausgeübt haben muß.225

Auf diese gemeinsame Zeit des Erinnerns und Reflektierens rekurrierte Lipsius, als sie der Freundin ihre eigenen Lebenserinnerungen Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals widmete. Marie Hohenlohe habe die »Schatten der Erinnrung«226 ans Licht gerufen, so dass die Rekapitulation des Lebens Liszts und Sayn-­W ittgensteins zu einer Rekapitulation des eigenen Lebens wurde.227

222 Lipsius tat das u. a. mit ihrem Zeitungsartikel »Liszt und die Fürstin Wittgenstein«, in  : Allgemeine Zeitung München, 22.10.1893. 223 Marie Hohenlohe übersetzte beispielsweise für die französische Ausgabe der Liszt-Briefe die von Lipsius verfassten Vorworte und vermittelte im Fall des Liszt-Bülow-Briefwechsels, als zwischen den Familien Liszt bzw. Wagner und von Bülow die Konflikte bereits unüberwindbar schienen (vgl. Kapitel 3.3). 224 La Mara 1917b, S. 268. 225 Ebd., S. 268 f. 226 La Mara 1917a, Vorsatzblatt. 227 Zur Widmung der Autobiographie vgl. Kapitel 3.1.

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Marie Lipsius wurde durch die Bekanntschaft mit Familie Hohenlohe und ihre hervorragenden Beziehungen in den deutschsprachigen Hochadel228 so mancher Weg geebnet, der ihrer Arbeit gelegen kam. Der Kontakt zur Familie Brunsvik, von der sich Lipsius Aufschlüsse über die Geschichte der Unsterblichen Geliebten erhoffte,229 entstand ebenso auf Schloss Friedstein wie die Bekanntschaft mit der Familie Coudenhove, aus deren Nachlass die Briefedition Marie von Mouchanoff-Kalergis geb. Gräfin Nesselrode in Briefen an ihre Tochter. Ein Lebens- und Charakterbild (1906) hervorging. Auch von den politischen Beziehungen der Familie Hohenlohe profitierte Lipsius, als während des Ersten Weltkriegs ihre Heimreise von Schloss Friedstein nach Leipzig wegen eines fehlenden Reisevisums gefährdet war. Die in Wien lebende Schwiegertochter Hohenlohes sorgte dafür, dass das Dokument von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft zügig ausgestellt wurde.230 Auch die Idee, der Fürstin Sayn-Wittgenstein ein Erinnerungsbuch zu widmen, entstand auf Schloss Friedstein. Lipsius berichtet, die Namensvetterinnen hätten sich bei jedem Zusammentreffen mit dem immensen Briefnachlass Carolynes beschäftigt, den die Tochter verwahrte. So erschien 1906 Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg, »das schönste Denkmal, das wir der Fürstin setzen können  ; denn wo wäre die Frau, die, gleich ihr, so vielseitig fruchtbringende Beziehungen zu den auserlesensten Trägern der Geisteskultur anzubahnen und 228 Es wird berichtet, dass Marie aristokratischer Distinktion abgeneigt gewesen sei. Dennoch »gerieth diese Kosmopolitin als Prinzessin Hohenlohe in den kleinen Kreis, welchen etliche hundert Leute in Wien ›die Welt‹ nennen. Ihr weiter Weltblick mochte sich wohl an dieser eng zusammengeschnürten Grundlinie stossen. Gewohnt an das anziehende, festhaltende, überwältigende Wesen eigenartiger Dichter, Künstler, Gelehrter, interessanter Menschen aus allen Ständen, mochte sie wohl ermüdet werden von der Einförmigkeit, manchmal auch von dem Mangel an Inhalt. Wie in einem streng abgeschlossenen Familienleben unterlag hier alles unabänderlich für Alle einer gemeinsamen Schablone  : Benehmen, Geberden, Ansichten, Gesprächsstoffe, selbst Worte, ja deren Aussprache und Betonung. Sie besass ein zu zartes Taktgefühl, um sich diesem Niveau nicht äusserlich anzustimmen, aber ›die Welt‹ wird aus ihrem Wesen gleichwohl bald ein Zuviel, bald ein Zuwenig herausgewittert haben.« (Edler 1897, S. 184). 229 Der Beethoven-Forscher Erich Prieger verwies auf Lipsius’ Beziehungen, als er ihr die Aufarbeitung des Rätsels um Beethovens Liebesbrief ans Herz legte  : »Die Familie [Brunsvik] scheint sich […] noch immer abwehrend zu verhalten und beantwortet nicht einmal höfliche Briefe. Ich glaube, daß es einer Damenhand viel eher gelingen wird, die Fäden zu entwirren. Sie selbst besitzen, soviel ich weiß, gute Verbindungen in den Oesterreichischen Adelskreisen. Gelegenheit einzugreifen könnte sich Ihnen leicht bieten.« (Brief von Erich Prieger an Marie Lipsius vom 02.08.1893, D-WRgs GSA 59/410,6). 230 Zwei Briefe von Fanny Hohenlohe an Marie Lipsius vom 19.04.1917 und 20.04.1917, D-LEsm A/562/2010 und A/563/2010.

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zu unterhalten gewußt hätte  ?«231 Welche Bewunderung Lipsius auch für deren Tochter empfand, zeigen zwei Verse, die sie ihrer fürstlichen Freundin zum 80. Geburtstag sandte  : Du durftest auf der Menschheit Höhen wandeln, In reiner Luft, dem Niederen entrückt, Vornehm im Denken, Fühlen, Handeln, Treu jeder Pflicht, beglückend und beglückt Gingst Du durchs Leben, streng Dich selbst zügelnd, Beschwingten Geistes, andere beflügelnd, Und Deines Mutterherzens höchsten Segen Sahst Du in Deiner Söhne Ruhmeswegen. Im Schönen atmend, aller Kunst vertraut, Umhuldigt von den Besten Deiner Zeit, Entfremdest Du Dich nie der Wirklichkeit. Dein unbestechlich scharfes Auge schaut Der Menschen und der Dinge wahres Wesen – So bleibe denn, was Du von je gewesen  : Ein Vorbild, das uns Himmelsgunst erlesen  !232

2.4 Struktureller Ausschluss und weibliche Handlungsmacht: Dimensionen eines Frauenlebens im 19. Jahrhundert Im Januar 1896 fragte der Kulturkritiker Eugen Isolani bei Marie Lipsius an, ob er mit ihrer Antwort auf die Frage »Wann wird eine Frau alt  ?« rechnen könne. Er wolle ein Buch herausgeben, in dem sich über 100 bekannte Schriftstellerinnen und Künstlerinnen zu dieser Frage äußern sollten.233 Isolani führte noch einige Namen derjenigen Frauen an, die ihm bereits zugesagt hatten, so dass sich die gerade 58-jährige Lipsius ermutigt fühlte, die folgende Antwort zu schicken  : Die Frau wird alt, wenn sie sich alt fühlt, wenn ihr die Schwingen erlahmen und sie sich nicht mehr begeistern kann  ; wenn die Freude am Schönen, Guten und Wahren, an 231 La Mara 1917b, S. 370. 232 Ebd., S. 464. 233 Brief von Eugen Isolani (eigentlich Isaacssohn) an Marie Lipsius vom 24.01.1896, D-LEsm A 804/2010.

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Kunst und Natur nicht mehr ihre Wangen rötet und ihr Herz schneller schlagen läßt, wenn ihre Elasticität, ihre Vorstellungs- und Divinationskraft sich zu mindern beginnen, wenn ihre edelsten Triebfedern  : Liebe, Freundschaft, Humanität, Idealismus sie nicht mehr zu beflügeln vermögen. Sie kann jung bleiben, ob auch ihr Haar bleicht und Falten sich in ihr Antlitz graben, und sie kann alt sein mit Rosen auf den Wangen. Der Prozeß des Alterns spielt sich wesentlich im Innern der Frau ab und bei jeder einzelnen, je nach ihrer Individualität, ihrer Begabung und ihren Lebensschicksalen verschieden.234

In ihrer bildreichen Sprache teilt Lipsius hier zwei Aspekte mit, die ihr für das Verhältnis von Weiblichkeit und Alter relevant zu sein schienen  : Erstens sei Altern ein individueller Prozess, der mit subjektivem Empfinden mehr zu tun habe als mit objektiven Kennwerten. Zweitens habe eine Frau gar kein Alter, solange sie ihren Wirkkreis nicht verlasse, der im Schönen, Guten und Wahren liege und dessen edelste Triebfedern Liebe, Freundschaft, Humanität und Idealismus seien. Die Schlussfolgerung  : Solange eine Frau nach ihrer Natur handele, fühle sie sich niemals alt und werde niemals alt. Die Frau wird von Lipsius auf ihre Innerlichkeit reduziert  : Auf der Gefühlsebene liege ihre Stärke, auf der Gefühls­ ebene definiere sich ihr Alter. Die meisten der von Isolani befragten »Schriftstellerinnen und Gelehrtinnen« bzw. »Künstlerinnen« – in diese zwei Rubriken teilte der Herausgeber die zu Wort kommenden Frauen – formulierten tatsächlich ganz Ähnliches. Ironische Brechungen waren selten oder so verschleiert, dass verschiedene Lesarten möglich blieben. Elise Polko, Autorin der Musikalischen Märchen, Phantasien und Skizzen, schrieb beispielsweise  : Eine Frau wird ›alt‹, wenn Nichts mehr da ist, das sie zu lieben vermag und das sich gerne von ihr lieben läßt, und da sich zum Glück überall Kinder finden und liebebedürftige Geschöpfe, so wird also die rechte und echte Frau – – Niemals ›alt‹ – das ist die Herzensmeinung von Elise Polko.235

Spott über die Reduktion der Frau zum Liebeswesen oder ernst zu nehmende »Herzensmeinung«  ? Was auch immer die Frauen darauf antworteten, wann eine Frau alt werde – alle Erwiderungen nahmen Bezug zur geltenden dichotomen Geschlechternorm, indem sie diese entweder akzeptierten oder auch zaghaft in Frage stellten. Jenseits der Norm war keine Antwort möglich. 234 Isolani (Hg.) 1896, S. 75, Hervorheb. im Orig. 235 Ebd., S. 92, Hervorheb. im Orig.

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Eine Ausnahme stellte die Musikpädagogin und -schriftstellerin Lina R ­ amann dar. Sie entlarvte den männlichen Blick in der Frage »Wann wird eine Frau alt  ?« und war nicht bereit, ihn zu akzeptieren. Sie hielt das Ansinnen Isolanis nicht nur für »ungalant«236 – so formulierten es andere Frauen und replizierten damit nur eine weitere stereotype Zuschreibung von Weiblichkeit –, sondern in seiner Ungerechtigkeit für unzeitgemäß  : Die Eröffnung einer Enquête mit der Frage  : Wann wird eine Frau alt  ? dürfte zu den ›zeitgemäßen – unzeitgemäßen‹ Forschungsreisen auf diesem Gebiete zählen, schon darum, weil sie der gewünschten ›objektiven‹ Beantwortung von vornherein ein ›unobjektives‹ Betrachtungswerkzeug in die Hand legt  : das Monocle des Mannes. – – Gebt Raum der Frau zur thätigen Mitteilnahme an den Arbeiten des Lebens und Wissens  ! Von hier aus wird sich, nach unserer Ansicht, das Instrument der Messung zu bestimmen haben. Dann wird die zeitgemäße Fassung der Frage sich lösen in Wann wird der Mensch alt  ?237 Dichotomie der Geschlechter

Die Aufklärungsphilosophen hatten das Ideal einer Dichotomie der Geschlechter naturrechtlich begründet, die Romantiker dann dem Mann die objektive, der Frau die subjektive Welt zugeschlagen.238 Das Komplementaritätsmodell der Geschlechter, die sich in ihrer naturgegebenen Verschiedenheit ergänzten, wurde im 19. Jahrhundert zunehmend hierarchisch ausgestaltet, indem Frauen bestimmte Rechte vorenthalten wurden  : Sie blieben unter männlicher Vormundschaft239, durften nicht an öffentlichen Versammlungen teilnehmen und waren weder aktiv noch passiv wahlberechtigt.240 236 Ebd., S. 88. 237 Ebd., S. 95. 238 Vgl. Honegger 1991. 239 Ute Gerhard (1990a, S. 144) spricht zwar für die Zeit vor Einführung des BGB 1900 von einem »Flickenteppich der Frauenrechte«, doch die Entscheidungsgewalt des Ehemannes über seine Frau war in sämtlichen Partialrechten verankert. Das Königreich Sachsen schaffte 1838 als letztes deutsches Land die Geschlechtsvormundschaft ab, die in der Ehe allerdings weiterhin gültig blieb. 240 Wie mächtig das Ergänzungs- bzw. Komplementaritätsmodell bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wirkte, gerade auch auf juristischem Gebiet, darauf weist besonders Ute Gerhard in ihren Arbeiten immer wieder hin.

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Die Kritik der Frauen formierte sich seit der Jahrhundertmitte, es g­ ründeten sich Frauenvereine, wurden Frauenkongresse abgehalten und als Stimme der Frauen Zeitschriften gegründet.241 Die Aktivistinnen kamen überwiegend aus der bürgerlichen Schicht. Sie stellten das Modell einer Geschlechterdichotomie nicht grundsätzlich in Frage, sondern akzeptierten die angeblich von der Natur vorgegebene Geschlechtsspezifik mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen von Frauen und Männern. Was sie jedoch nicht weiter akzeptieren wollten, war das Machtgefälle, das daran gekoppelt war. Die männlich-objektive Kultur war zur »Leitkultur« des öffentlich-politischen Raumes definiert worden  ; deren Handlungsträger waren und blieben Männer, die ihre Definitionsmacht somit festigten. Das Private war zum weiblich-subjektiven Raum erklärt worden, in dem das Handeln von Frauen  : Haushalt, Erziehung, Reproduktion zwar wichtig, aber unsichtbar wurde. Die gemäßigte bürgerliche Frauenbewegung bemühte sich nun, statt die Ordnung der Geschlechter grundlegend zu dekonstruieren, das Private zu politisieren, um ein Gleichgewicht von männlicher und weiblicher Sphäre herzustellen. Die weiterhin weiblich definierte »Mütterlichkeit« wurde nun gesellschaftlich organisiert.242 Es wurden Hilfsvereine für depravierte Mütter und ihre Kinder gegründet, Bildungsinstitute für Mädchen eingerichtet, in denen diese auf eine berufsmäßige Kindererziehung vorbereitet wurden, es wurde ein theoretischer Diskurs darüber bemüht, wie eine (männliche) Gesellschaft sich entwickele, die sich zunehmend rationalisierte und entfremdete.243 Es wurde das moralische Ziel ausgegeben, die Welt weiblicher und damit menschlicher zu machen. Auf diesem Weg meinten Frauen ihren Anteil an politischer Macht zur Geltung bringen zu können.244 241 Zur Geschichte der Frauenbewegung vgl. Gerhard 1990b  ; Wischermann 1998  ; Schaser 2006. 242 Vgl. Stoehr 1983. 243 Marianne Weber beispielsweise hielt die weibliche Beteiligung an der Wissenschaft für zukunftsweisend  : »Trüge sie [die Frau] dadurch zur Verminderung der Kluft zwischen sachlicher und persönlicher Kultur bei, so könnte das, was ihrer intellektuellen Tätigkeit an Bedeutung für die objektive Kultur auch in Zukunft abgeht, aufgewogen werden durch ihre Bedeutung für die Kultur der Persönlichkeiten.« (Weber 1919, S. 8) Während ihr Mann Max Weber die rationalisierte Welt für entzaubert erklärte (Wissenschaft als Beruf, 1919), meinte seine Frau, durch weibliche Beteiligung an der Wissenschaft einer Entfremdung entgegenwirken zu können. Auch in dieser Argumentation wirkte das Schema der dichotomen Geschlechternorm  : Frauen in der Wissenschaft seien nicht wegen ihrer Intellektualität und Innovationskraft zu fördern, sondern weil sie die Wissenschaft wieder an die Lebenswelt rückbinden könnten. 244 Ute Frevert (1995, S.  150–155) hält die Gleichsetzung von Weiblichkeit und Menschlichkeit wiederum für eine männliche Projektion, mit der sich der Mann habe Entlastung schaffen wollen.

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Von den Akteurinnen der zweiten Frauenbewegung wurde diese Haltung zum Teil scharf kritisiert, da die bürgerlich-gemäßigten Frauen das sie unterjochende System reproduziert hätten. Schlimmer noch  : Die Betonung der weiblichen Befähigung zur Mütterlichkeit sei geradewegs in der nationalsozialistischen Ideologie aufgegangen.245 Differenziertere Stimmen wägen die Kritik gegen die Realität von Frauen im späten 19. Jahrhundert ab. So resümiert Ute Gerhard in ihrer Geschichte der deutschen Frauenbewegung  : Konnten  – so fragen wir heute  – die Frauen damals eigentlich die Gefahren dieses politischen Konzeptes der ›Gleichwertigkeit‹ statt Gleichheit, die ›Mutterschaftsfalle‹ nicht sehen  ? Denn erfolgreich und politisch folgenreich war diese Programmatik gerade deshalb, weil das Sich-Einlassen auf eine sogar ›intellektuelle‹ Verschiedenheit zwischen den Geschlechtern, auf die ›Gattungsaufgabe‹ der Frau, ›Mutterschaft als Qualität, Wesensbestimmtheit‹ im Sinne einer ›organischen, wesensgemäßen Arbeitsteilung‹ letztlich doch die bestehende Arbeitsteilung unangetastet ließ, sich der bestehenden patriarchalen Ordnung einfügte bzw. bei nächster Gelegenheit auch gegen die Frauen verwendet werden konnte. Doch diese Fragen konnte man sich damals noch nicht stellen, denn natürlich war Mütterlichkeit, Muttersein um 1900 mehr als ein elitäres Konzept oder gefährliche Ideologie, vielmehr – in Anbetracht fehlender Verhütungsmittel oder sexueller Aufklärung – ein realer Zwang und der Alltag der Frauen. Die ›Kulturaufgabe der Frau‹, die an diese Mutterpflichten anknüpfte, versprach somit ein Stück konkreter Utopie, schien eine denkbare Alternative zu sein zu dem in dieser Zeit öffentlich und privat noch allmächtigen Patriarchat.246 Streitpunkte der Frauenbewegung: Frauenbildung, Frauenberuf und Frauenwahlrecht

Zwischen 1850 und 1900 organisierte und institutionalisierte sich die deutsche Frauenbewegung. Nach der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1865 in Leipzig durch Louise Otto und Auguste Schmidt waren überall Die einseitige und zersplitterte Welt der männlichen Objektivität brauchte die Idealisierung des Weiblichen, meint Frevert, um die Welt wieder als ein Ganzes synthetisieren zu können. 245 Zur Zusammenfassung der Kritik vgl. Stoehr 1983. Tatsächlich gab es Kontinuitäten zwischen den Ideen der konservativ-bürgerlichen Frauenbewegung und der antisemitischen Ideologie (vgl. Wawrzyn 2000). Die Frage, wie antisemitisch bzw. faschistisch die erste deutsche Frauenbewegung war, führte zum »Historikerinnen-Streit« zwischen Claudia Koonz und Gisela Bock (vgl. Schaser 2006, S. 114 f.). 246 Gerhard 1990b, S. 148.

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im Land Unterabteilungen und Ortsgruppen entstanden. Frauen war die Mitgliedschaft in politischen Vereinen untersagt, also betonten die neu gegründeten Vereine ihren karitativen Ansatz in der Armenpflege, Kindererziehung, Mädchenbildung oder Krankenversorgung. 1894 gründete sich dann der Bund Deutscher Frauenvereine, eine Dachorganisation der verschiedenen Stränge der bürgerlichen Frauenbewegung, der diese auch international vernetzte. Die Frauen­bewegung forderte in drei Bereichen die Beteiligung ihrer Mitglieder  : Bildung, Berufstätigkeit und Wahlrecht. Besonders der dritte Punkt spaltete die verschiedenen Richtungen der Bewegung allerdings.247 Die »Befreiung der Frau zur Person, zu einem gleichberechtigten Subjekt«248 – auf dieses Grundmotiv konnten sich alle Aktivistinnen einigen, egal welcher Gruppierung sie angehörten. Die Forderungen, die daraus abgeleitet wurden, differierten allerdings und führten zu Diskussionen und immer erbitterteren Streitigkeiten innerhalb der organisierten Frauenverbände.249 Das Grundmotiv der Befreiung der Frau zur Person wurde sogar von Männern unterstützt, konnte es doch sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Ein Autor der Illustrirten Frauen-­ Zeitung beispielsweise, Schuldirektor Richard Wulckow aus Darmstadt, befürwortete die Zulassung von Frauen an deutsche Universitäten, denn der Anspruch der Frauen auf eine gründliche und umfassende Geistesbildung wird heute nicht mehr ernstlich beanstandet  ; was Widerspruch und Unwillen erregt, das ist ihr keckes Vordrängen in die Oeffentlichkeit und ihr Anspruch auf die unbedingte Concurrenz mit dem Mann auf allen beruflichen Gebieten.250

Wulckow war überzeugt, dass die Gruppe der immatrikulierten Frauen nicht sehr groß werden würde und also durch akademisch gebildete Frauen den Männern keine wirkliche Konkurrenz erwachsen werde, denn im deutschen Volksbewußtsein werden die erwähnten Hausfrau-Tugenden stets zu den Kennzeichen echter Weiblichkeit gezählt werden, und eine junge Dame, die auf 247 Radikalfeminismus und proletarische bzw. sozialistische Frauenbewegung stellten, anders als die bürgerliche Hauptströmung, die Geschlechterordnung als solche in Frage. Das führte zu deutlich weitreichenderen Forderungen. Mit dem Slogan »Menschenrechte haben kein Geschlecht« (Hedwig Dohm) forderten sie die vollständige Rechtsgleichheit von Männern und Frauen (vgl. Schaser 2006, S. 49–51). 248 Gerhard 1990a, S. 94. 249 Vgl. Wischermann 2003. 250 Wulckow 1897b, S. 14.

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diese im deutschen Hause geübten Pflichten verzichtet und sich gelehrten Studien widmet, wird naturgemäß immer etwas von dem Zauber echter Weiblichkeit einbüßen.251

Mädchenbildung hatte es immer gegeben. Sie diente der Vorbereitung auf das häuslich-kulturelle Leben. Die Funktionärinnen der Frauenbewegung argumentierten nun, dass die Ausbildung zu frauenspezifischen Tätigkeiten, sollten diese gesellschaftsrelevant eingesetzt werden, nicht weiter dem Individuum mit seinen prekären Lebensumständen überlassen werden könne, sondern professionell organisiert werden müsse. Die Bemühungen um eine systematische Erzieherinnen- und Lehrerinnenausbildung, um die Gründung höherer Mädchenschulen und einen Zugang zu allgemeinen Real- und Gymnasialkursen waren langwierig und mündeten erst 1908 in die Öffnung der Universitäten für regulär immatrikulierte Studentinnen in ganz Deutschland.252 Petitionen für die Zulassung zum Frauenstudium253 waren vom Reichstag immer wieder abgelehnt worden mit der Begründung, dass den Frauen die formale Voraussetzung zum Studium, das Abitur, fehle. Zur Abiturprüfung und zu den vorbereitenden Gymnasialkursen zugelassen waren sie allerdings ebenso wenig, was es ihnen unmöglich machte, die 251 Ebd., S. 15. Ein weiterer Zeitungskommentator unterschied zwischen mehr bzw. weniger für das Frauenstudium geeigneten Fächern  : »Hat eine Dame eine Vorliebe für eine Fachwissenschaft, für einen Zweig der Naturwissenschaften oder die Geschichte, warum soll sie ihr nicht folgen  ? Aber diese Fachwissenschaft wird sie stets vom Leben abführen, die Literatur führt sie, richtig betrieben, mitten hinein.« (Bartels 1898, S. 94) Männliche Kommentatoren konnten offensichtlich ihre Zustimmung zum Frauenstudium recht großzügig kundtun, weil Frauen in den ersten Jahren nach Universitätszugangsberechtigung tatsächlich marginal blieben. Der Frauenanteil lag 1908 bei 2 %, fünf Jahre später waren immer noch lediglich 5 % aller Studierenden weiblich. Erst Anfang der 1930er-Jahre stieg der Anteil der Studentinnen an der Gesamtstudierendenzahl an auf rund ein Fünftel. Philologie und Medizin waren dabei die beliebtesten Fächer (vgl. Boedeker 1939, S. XLIX). 252 Das erste deutsche Land, in dem Frauen schon im Jahr 1900 zum Studium zugelassen wurden, war Baden. Preußen bildete das Schlusslicht, hier konnten sich Frauen erst seit 1908 regulär immatrikulieren. In den Jahren davor entschied die Willkür von Universitätsleitung und Dozenten, ob Frauen als Gasthörerinnen die Vorlesungen besuchen durften. Zum Vergleich  : In der Schweiz waren Frauen seit den 1840er-Jahren als Gasthörerinnen zugelassen, 1867 wurde in Zürich die erste Frau, eine Medizinerin, promoviert. Frankreich öffnete die Universitäten 1863 für Frauen, die skandinavischen Länder 1870, die Niederlande 1878, Belgien 1883 (vgl. Gerhard 1990b, S. 140 f.). 253 Im freien Petitionsrecht sah die bürgerliche Frauenbewegung ein wichtiges Instrument der politischen Teilhabe und nutzte dieses Recht häufig. Proletarische Frauen dagegen lehnten das Petitionswesen ab. Sie sahen darin eine Bestätigung der ungleichen Machtverhältnisse, die es doch umzustürzen galt (vgl. Wischermann 2003, S. 211–217).

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Hochschulreife auf regulärem Weg zu erlangen. Die Gründung von Real- und Gymnasialkursen speziell für Mädchen war daher eine Selbsthilfemaßnahme der Frauenbewegung, um die Forderung nach dem Frauenstudium durchsetzen zu können. Genau wie Bildung hatte es auch weibliche Berufstätigkeit immer gegeben. Traditionell arbeiteten Frauen in Haus und Hof, doch in Folge der Industrialisierung stieg die Zahl der erwerbsmäßig Beschäftigten seit Mitte des 19. Jahrhunderts enorm an. In seiner Denkschrift über die Eröffnung neuer und Verbesserung bisheriger Erwerbsquellen für das weibliche Geschlecht veröffentlichte der Sozial­ politiker Adolf Lette 1865 Zahlen zur Frauenerwerbsarbeit in Preußen. Demnach arbeiteten – in Unterricht und Erziehung    7.366, – im Gesundheitsdienst und der Krankenpflege   16.547, (ohne Nonnen und Diakonissen) – als Tagelöhnerinnen in der Landwirtschaft 565.705, – als Dienstbotinnen im Gewerbe   70.752, – als häusliche Dienstbotinnen >700.000, – als Wirtschafterinnen   13.745, – als Handarbeiterinnen 450.068 Frauen.254 Insgesamt waren also mehr als 1,82  Millionen Frauen erwerbstätig. Bei einer preußischen Gesamtbevölkerung von etwa 19,45  Millionen Menschen255 und abzüglich der Einwohnerinnen in nicht-erwerbsfähigem Alter256 lag die Frauen­ erwerbsquote demnach zwischen 15 und 20 Prozent.257 Selbst wenn der überwiegende Teil der Erwerbstätigen aus den unteren Schichten stammte, ist diese Zahl erstaunlich angesichts der Aggressivität, mit der die Kontroverse um die weibliche Erwerbstätigkeit zwischen Frauenbewegung und Gegenkräften aus254 Adolf Lette, der eine größere Beteiligung von Frauen an der Erwerbstätigkeit forderte, sah darin einen unerlässlichen Beitrag zur Lösung der Sozialen Frage in Deutschland (1865, S. 3). Um seiner Forderung politisches Gewicht zu verleihen gründete Lette 1866 den Verein zur Förderung der Erwerbstätigkeit des weiblichen Geschlechts in Berlin, dem er als Präsident bis zu seinem Tod 1868 vorstand. 255 Vgl. http://www.hgisg-ekompendium.ieg-mainz.de/Dokumentation_Datensaetze/Zeitreihen/Be voelkerung/Gesamt/Html/BevPRE-gesamt.htm [25.03.2020]. 256 Der Anteil der unter 15-Jährigen und über 65-Jährigen lag 1871 bei rund 40 Prozent (vgl. https:// www.bib.bund.de/Permalink.html?id=10208970 [25.03.2020]. 257 Die Zahl bleibt ein Schätzwert, da die zugrunde liegenden Angaben von Adolf Lette nicht verifizierbar sind.

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gefochten wurde.258 Zwischen »Ideal« und Wirklichkeit klaffte die Lücke der realen Notwendigkeiten. In seiner Denkschrift forderte Lette die Möglichkeit der weiblichen Erwerbsarbeit für alle Klassen. Deren jeweiligen Zwänge seien zwar höchst unterschiedlich begründet, doch von Armut bedroht sah Lette alle Frauen. Während es in den unteren Schichten die prekären Arbeitsverhältnisse in Landwirtschaft und Industrie seien, die zu Massenarmut führten, sei in der bürgerlichen Schicht das späte Heiratsalter ein Problem für Frauen, da sie eine lange Zeit unversorgt blieben. Bis die Männer ihren beruflichen Status derart gefestigt hätten, dass sie eine Familie versorgen könnten, dauerte es immer länger. Junge Frauen des Bürgertums seien daher auf eigene Berufstätigkeit angewiesen.259 Für die Frauenbewegung war die weibliche Erwerbsarbeit ein Schwerpunkt­ thema. Im Jahr 1912, als der deutsche Ableger des Internationalen Lyceum-Clubs in Berlin die Ausstellung Die Frau in Haus und Beruf 260 ausrichtete und gleichzeitig die Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine tagte, war ihr Anliegen institutionalisiert, die Veranstaltung stand unter dem Protektorat der Kaiserin. Im »Ehren-Präsidium« und »Ehren-Komitee« saßen einflussreiche (männliche) Vertreter des deutschen Hochadels. Das Vorwort des Ausstellungskatalogs fasste das bisher Erreichte zusammen  : Die Ausstellung soll zeigen, wie das erweiterte Arbeits- und Schaffensgebiet, das die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen unserer Zeit der Frau eröffnet und aufgenötigt haben, neue Kräfte in ihr auslösten und ihr auch ihre Verpflichtungen dem öffentlichen Leben gegenüber erst voll zum Bewusstsein brachten. Sie möchte beweisen, wie das Hineinwachsen der Frau in diese neuen Aufgaben auch das Gesamtleben vertieft und bereichert hat.261

Aus den zahlreichen Presseberichten und Kommentaren zur Ausstellung sei exem­plarisch ein Beitrag der Essayistin Lucia Dora Frost vorgestellt, die für die Neue Rundschau schrieb. Die Autorin bemängelte darin die Qualität der ausge258 So gründete sich beispielsweise 1912 der Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, der massiv gegen Frauenstudium, Frauenerwerbstätigkeit und Frauenwahlrecht Politik machte. Ein Viertel seiner Mitglieder waren Frauen (vgl. Schaser 2006, S. 47). 259 Vgl. Lette 1865. 260 In der Abteilung »Die Frau im Beruf. Gruppe 18  : Die Frau in der Musik, Unterabteilung II  : Pädagogik und Musikwissenschaft« war auch Marie Lipsius mit einem Porträtfoto vertreten (vgl. Deutscher Lyceum-Club (Hg.) 1912, S. 57). 261 Ebd., S. 4.

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stellten (Kunst)Werke. Das produktive Schaffen sei eben nicht das Metier der Frauen, sondern bleibe immer ein spezifisch männlicher Bereich. Frauen sollten besser nicht versuchen, es den Männern gleichzutun. Als »Strategem« jedoch hätten Ausstellung und Kongress große Wirkung erzielt. Es sei ein Gefühl der Einheit unter den Frauen erzeugt worden, das sowohl nach oben (in Richtung der Regierung) als auch nach unten (in Richtung der Bevölkerung) eingesetzt werden könne. Als Fazit formulierte Frost, dass eine derartige Veranstaltung die Chance berge, sich auf die »Spezifität« des Weiblichen zu besinnen. Es dürfe nur nicht so weit kommen, die »Kompetenz der Männer und damit [die] Kultur« zurückzuweisen.262 In der Diskussion um das Frauenwahlrecht wurde von den Gegnern ganz ähnlich argumentiert. Frauen sollten sich gern ihres (politischen) Verstandes bedienen, zumal um ihren Ehemann nicht zu langweilen,263 doch ein politisches Engagement gefährde den häuslichen und damit auch den gesellschaftlichen Frieden. Wiederum sei hier Richard Wulckow exemplarisch zitiert  : Wie es die Pflicht des Mannes ist, das Gesetz zu schützen und im nöthigen Falle sein Land mit den Waffen in der Hand zu vertheidigen, so wird er auch allein das Recht beanspruchen dürfen, entscheidende Beschlüsse über Staats-Einrichtungen zu fassen, die man für heilsam und gut erkannt hat, und für die man mit Gut und Blut einzutreten willens ist. Der Staat ist tief zu beklagen, der in Zeiten schwerer politischer Kämpfe diese unter thätiger Theilnahme der Frauen zu führen hätte, denn unfehlbar würde er damit die Wurzeln jener Kraft zerstören. Diese segensvolle Kraft aber liegt in dem Frieden des häuslichen Herdes. Wenn die Frau nun aus stürmisch bewegten Versammlungen kommt, ihre Leidenschaft in Schwingungen gerathen ist, und ihre Seele unter den unvermeidlichen Nachwirkungen heftiger Auseinandersetzungen bebt, – wird sie da im stande sein, in derselben Stunde ihr Haus und ihre Kinder [und ihren Mann  !] zu versorgen und ihr Tagewerk, wie sonst, mit Sorgfalt und Treue zu verrichten  ?264 262 Frost 1912, S. 577. 263 Im September 1872 forderte die »Erste Deutsche Hauptversammlung von Dirigenten und Lehrenden der höheren Mädchenschulen« in einer Denkschrift  : »Es gilt, dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit der Art und der Interessen ebenbürtige Bildung zu ermöglichen, damit der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herd gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühls für dieselben zur Seite stehe.« (Boedeker 1939, S. XXV) Vgl. auch Meyer 1983. 264 Wulckow 1897a, S. 79.

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Wenn von Befürworterinnen und Befürwortern des Frauenwahlrechts argumentiert werde, dass der Ausschluss davon »gleichbedeutend sei mit dem Ausschluß der Frauen von der Politik überhaupt« und somit eine »ungerechte Härte bedeute«, dann sei das »nicht logisch und – etwas übertrieben«, meinte Wulckow. Frauen würden ihren politischen Einfluss dadurch ausüben, dass sie den politisch tätigen Männern zur Reproduktion verhülfen.265 Wulckow unterstützte die Forderungen der Frauenbewegung so lange, wie sie nicht zu einem »ernsthafte[n] Kampf um die männlichen Berufs-Sphären und Thätigkeiten«266 ausarteten. Hier liegt eine Parallele zu Frosts Kritik an der Frauenausstellung in Berlin. Versteckt hinter der Formel, nur »im eigensten Interesse der Frauen selbst«267 zu handeln, lehnte die patriarchale Gesellschaft eine vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen ab. Die Angst vor dem Machtverlust ließ nur eine partielle Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben zu  : als Fürsorgerinnen, Pädagoginnen oder Künstlerinnen. Weibliche Identität: Ideal und Realität

Eine konkrete und pragmatische Ausgestaltung erhielt das Ideal der Geschlechter­ dichotomie in den zahlreichen Mädchenratgebern und Erziehungsbrevieren, die den bürgerlichen Töchtern im Laufe ihres Erwachsenwerdens geschenkt wurden. Ein solches Werk verfasste auch Similde Gerhard, die Lebensgefährtin von Marie Lipsius. Im Abschnitt »Weiblichkeit« ihres Buches Der deutschen Jungfrau Wesen und Wirken zählt die Autorin als Eigenschaften der Frau auf  : »Unschuld und Demuth, hingebende Liebe, Geduld in Leiden, Gefühl für edle Mäßigung, Opferfreudigkeit im Entsagen und Entbehren, Empfänglichkeit für Hohes und Schönes, stillen Sinn am Altare des Hauses«. Die »angeborne Schwäche« rät die Autorin umzuwandeln in »Sanftmuth, Milde, Innigkeit, in Fülle und Tiefe des Herzens, in Demuth und stille Ergebung«.268 Auch in dem Buch Wann wird eine Frau alt  ? hatte manche Frau die Überzeugung geäußert, weibliche Selbstbeherrschung und -zurücknahme zugunsten des Ehemannes seien ein »wirksames Schönheitsmittel, das sehr zur Nachahmung empfohlen wird«269. Dass gerade Künstlerinnen ihre »Frauenpflichten«270 so in265 Ebd., S. 80. 266 Wulckow 1898, S. 175. 267 Ebd. 268 Milde 1869, S. 3. 269 Isolani (Hg.) 1896, S. 122. 270 Ebd., S. 165.

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tensiv betonten, wirkt irritierend angesichts ihres beruflichen Engagements, das zur Erfüllung jener Pflichten doch in direkter Konkurrenz stand. Dahinter stand der Versuch, den persönlichen Lebensweg als berufstätige Frau mit den gesellschaftlichen Erwartungen zu vermitteln. Denn dass weibliches Ideal und die Realität von Frauen tatsächlich nicht selten unvereinbar waren, war sogar zum zentralen Thema der Mädchenratgeber geworden. Deren Autorinnen wussten sehr wohl um die alltäglichen Zwänge und Notwendigkeiten ihrer Leserinnen  : als Unverheiratete, als Geschiedene, als Verwitwete, als Abhängige in gewalttätigen oder krankhaften Beziehungen. Similde Gerhards Ratgeber umfasste einen größeren Abschnitt zum Thema »Beruf«. Die Autorin versuchte darin, zwischen Konvention und weiblichem Emanzipationsstreben zu vermitteln, ohne die dabei auftretenden Widersprüche lösen zu können. Am Anfang stand die Konvention  : »Der höchste Beruf der Frau […] ist der als Gattin und Mutter«271, doch dann explizierte Gerhard mögliche Abweichungen  : »Jedes Mädchen sollte sich Fertigkeiten anzueignen und auszubilden suchen, damit sie im Falle der Noth auf eigenen Füßen stehen könne.«272 Da eine Notsituation sich nicht vorhersehen lasse, müsse die Frau jederzeit in der Lage sein, sich selbst finanziell zu versorgen. Die Forderung nach weiblicher Autonomie blieb bei Gerhard aber nicht auf Notsituationen beschränkt. Vielmehr sei Autonomie eine Grundvoraussetzung für die Ehe  : »Wehe dem Mädchen, das vermögenslos und zu keiner Selbstständigkeit ausgerüstet, danach strebt, in der Ehe eine Versorgung, in dem Gatten nur einen Ernährer zu finden.«273 So progressiv diese Warnung auch klang, Gerhard bemühte sich doch, ihre Aufforderung zur Selbstverantwortung in das Modell der naturhaften Geschlech­ tercharaktere einzupassen. So solle eine junge Frau nicht fürchten, daß mit der tieferen Bildung des Geistes und größerer Entfaltung der Talente der Weiblichkeit Eintrag gethan werde, wie Manche fälschlich behaupten. Klarheit des Geistes und reiches Gemüthsleben können Hand in Hand gehen, wie viele edle Frauen­gestalten in der Geschichte uns beweisen.274

Was genau die »tiefere Bildung des Geistes und größere Entfaltung der Talente« beinhalten sollte, ließ Gerhard offen. Leserinnen und Lesern blieb ein gewisser Inter271 Milde 1869, S. 289. 272 Ebd., S. 291. 273 Ebd., S. 291 f. 274 Ebd., S. 292.

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pretationsspielraum. Gerhards Aufforderung konnte als Legitimation für berufliche Selbstständigkeit ausgelegt oder als weiblicher Beitrag zu einer bürgerlichen Ehe gesehen werden, in der die Frau die Produktivität ihres Mannes förderte, indem sie ihn kulturell zerstreute. Das Changieren zwischen der Forderung nach beruflicher Selbstständigkeit und der Betonung ›weiblicher‹ Pflichten konnte junge Mädchen in beiderlei Richtungen bestärken, nahm aber auch Kritikern Wind aus den Segeln. Der Mädchenratgeber anerkannte die Lebensrealität junger Frauen und forderte Selbstverantwortung, blieb dabei aber dem Modell der Geschlechter­dichotomie treu. Auf gleiche Weise funktionierte der anschließende Abschnitt »Frauen-Emancipation«. Am Anfang stellte Gerhard wiederum das geltende Weiblichkeitsideal als für jede Frau erstrebenswert dar, brach es dann aber auf, indem sie konkrete Beispiele für ihrer Meinung nach erlaubte Erweiterungen in der realen Lebenswelt gab, um am Ende hinter die Forderungen des Mittelteils zurückzufallen und zu betonen, dass oberstes Ziel aller beruflichen Betätigungen von Frauen sein müsse, die Sphären der »echten Weiblichkeit« nie zu verlassen. Identisch argumentierten die Autorinnen des Buches Aus der Töchterschule ins Leben, das 1889 erstmals von Amalie Baisch herausgegeben wurde. Es gliedert sich in die zwei Teile »Wie soll ein Mädchen sein  ?« und »Was kann ein Mädchen werden  ?« Auf mehr als der Hälfte der Seiten geht es um die Frage, welchen Beruf eine junge Frau wählen solle. Progressive Emanzipationsforderungen werden stets an das Ideal des ›natürlichen‹ weiblichen Charakters zurückgebunden. Jedes Mädchen, welche Stellung auch ihre Eltern einnehmen mögen, sollte, so wie Jünglinge es thun, einen Fachberuf fürs Leben wählen, der einen Halt in Zeiten der Not, eine Befriedigung gewährt, geschützt zu sein vor erniedrigender Abhängigkeit im Falle des Alleinstehens. Selbst die glücklichste Ehe bietet keine Garantie für stetes Wohlleben. Mit der Hochzeit schließen alle Luftspiele, dann erst beginnen die ernsten, oft tragischen Lebensläufe. Aber jeder Beruf der Frau soll im Hause, in der Familie wurzeln. Hier ist ihre Heimat, der Boden, aus dem alle ihre Bestrebungen hervorgehen müssen. Sowie die Frau aufhört, die Häuslichkeit als das Fundament zu betrachten, auf dem sie ihre Zukunftspläne aufbaut, entfremdet sie sich echter Weiblichkeit, entfremdet sie sich dem natürlichen Beruf.275

Ob und wie die Freundinnen Similde Gerhard und Marie Lipsius über die Frauen­frage diskutierten, lässt sich nicht rekonstruieren. Hatten sie ähnliche Ansichten  ? Stritten sie in einzelnen Punkten  ? Similde Gerhard war beispiels275 Baisch (Hg.) 1890, S. 204 f.

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weise mit Louise Otto befreundet, der bekannten Publizistin und Gründerin des ersten deutschen Frauenvereins in Leipzig. Lipsius äußerte sich in ihrer Autobiographie dagegen sehr zurückhaltend, wenn es um Protagonistinnen der Frauenbewegung ging. Anerkennend, aber ohne Emphase, berichtete sie von Begegnungen mit Elisabeth Gnauck-Kühne, Henriette Goldschmidt, Ellen Key, Malwida von Meysenbug, Adele aus der Ohe.276 Mit ihren ähnlichen Lebenswegen als unverheiratete Schriftstellerinnen standen beide Frauen vor derselben Herausforderung, nämlich den gewählten Weg in das eigene Selbstbild zu integrieren und nach außen zu legitimieren.277 Wenn Similde Gerhard ihren jungen Leserinnen für den Fall, dass ihnen das Glück einer eigenen Familie versagt bliebe, riet  : »[S]o prüfe dich, wohin dich Geschmack und Anlage führen, und schaffe dir selbst einen Wirkungskreis und angemessene Beschäftigung«278, dann sprach sie wohl auch von sich selbst. Gleichzeitig versuchte Gerhard, die weibliche Emanzipation nicht auf die Ebene ­individuellen Handelns zu beschränken. Nicht allein die Frauen seien verantwortlich für Anpassung an oder Widerstand gegen die Geschlechterkonventionen. Ebenso machte Gerhard die naturhaft definierten Einschränkungen, denen Frauen ausgesetzt waren, verantwortlich und stellte sie in Frage  : Man versteht im Allgemeinen unter Emancipation die Aufhebung oder Ueberschreitung der Schranken, die dem weiblichen Geschlechte durch seine geistigen, gemüthlichen, wie körperlichen Eigenthümlichkeiten gezogen sind. Wo aber beginnen jene Schranken  ? Das ist die schwer zu lösende Frage, die unsere Zeit vielfach besprochen, und deren Beantwortung in den verschiedenen Ländern und zu den verschiedenen Zeiten nie eine gleiche gewesen.279

Solange die rechtlichen Einschränkungen virulent blieben  : kein Immatrikulationsrecht, kein Versammlungsrecht, kein Wahlrecht, und die geschlechterideologischen Schranken das gesellschaftliche Klima bestimmten, gab es nur zwei Wege der Widerständigkeit  : Entweder radikalisierten und organisierten sich die Frauen, oder sie suchten Widerstand im Kleinen. In ihrer Betrachtung weiblicher Widerstandsformen im 19. Jahrhundert anerkennen Bettina Heintz und Claudia 276 La Mara 1917a, S. 68  ; La Mara 1917b, S. 392. 277 Zu Marie Lipsius’ Versuch einer sinnstiftenden Umdeutung der versagten bürgerlichen Hausfrauen- in eine Berufskarriere vgl. Kapitel 3.1. 278 Milde 1869, S. 291. 279 Ebd., S. 293.

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Honegger die Anstrengung, die es Frauen gekostet haben muss, gegen die weiblichen Tugenden offen zu rebellieren, denn dies wäre einem Kampf an zwei Fronten gleichgekommen – einem Kampf gegen äußere Rollen­ erwartungen auf der einen und gegen verinnerlichte Normen auf der anderen Seite. Bürgerliche Frauen akzeptierten das männliche Weiblichkeitsstereotyp jedoch nicht passiv, sondern benutzten es als ein Instrument ihres Widerstandes. Sie hielten sich an die Regeln, doch indem sie diese bis ins Extrem befolgten oder sich ihrer als Rechtfertigung bedienten, gelang es ihnen, ungestraft häusliche Pflichten zu verweigern und sich neue Handlungsräume zu erschließen.280

Welchen Wert haben nun also die Antworten der damals bekannten Künstlerinnen und Gelehrtinnen auf die Frage »Wann wird eine Frau alt  ?« Sie waren sich so ähnlich, dass daraus nicht auf individuelle Charaktere, sondern vielmehr auf überindividuell gültige Vorstellungen und Diskurse geschlossen werden kann. Genau das hatte sich der Herausgeber Eugen Isolani wohl auch versprochen, wenn er »ein ganz objektives Ergebnis meiner litterarischen Rundfrage zu erhalten« wünschte und darum ein möglichst umfangreiches Spektrum der »geistig bedeutenden Frauen Deutschlands« einbezogen hätte.281 Ihre Antworten seien darüber hinaus als »eine Richtschnur anzusehen, wie man das Leben einzurichten habe, um sich die Jugendfrische erhalten zu können.«282 Es war das »Monocle des Mannes« (Lina Ramann), das Isolani dabei a­ nsetzte. Ideengeber seines Buches sei der junge Markgraf Friedrich Alexander von Ansbach-Bayreuth gewesen, der sich 37-jährig in die 50-jährige Schauspielerin Hippolyte Clairon verliebte. Für Isolani offenbar ein völlig unverständliches Geschehen, denn im Verhältnis des Machthabers mit der Künstlerin stand das Altersverhältnis auf dem Kopf. »Wann ist diese seltene Frau wohl alt geworden  ? Wodurch ist sie so lange jung geblieben  ?« Wie konnte die Künstlerin den »leichtsinnigen jüngeren Fürsten […], von dem man annehmen mußte, daß äußere Reize große Wirkungen auf ihn ausübten«283, derartig fesseln  ? Isolani beschloss daraufhin, die Frauen selbst nach Alter und Altern zu befragen. Es ist der gutgelaunten Antwort der Schriftstellerin und Schauspielerin Anna Löhn-­ Siegel zu verdanken, dass Isolanis Unterfangen als absurd entlarvt wird und sein 280 Heintz/Honegger 1981, S. 40. 281 Isolani (Hg.) 1896, S. 7. 282 Ebd., S. 8. 283 Ebd., S. 3.

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Buch die Leserinnen und Leser am Ende doch noch mit einem ironischen Augenzwinkern entlässt  : Was soll ich mit der Frage machen  ? Führwahr, sie reizt mich stark zum Lachen. Und das verzeiht man uns, den Schwachen, Den Frauen  ! Lessing sagt uns  : ›Lachen, Nur immer lachen soll das Weib, Dem Mann zum Scherz und Zeitvertreib.‹ Durch seiner Philosophin Mund, Orsina, thut er treffend kund  : ›Ein Weib, das denkt, ist ekel, Lachen Nur kann es liebenswürdig machen. Die Denkerin, vom Geist beschwingt, Gleicht einem Manne, der sich schminkt.‹ Nun gut, so will ich mich mit Denken In diese Frage nicht versenken Und ungeschminkt und lachend sagen  : Man soll zuerst die Männer fragen  ! Der Mann geht überall voran, Weil er Gesetze geben kann. Er, ob er jung ist oder alt, Hat doch das Höchste  : Die Gewalt. Wir wanken machtlos hinterdrein, Und sollen hier die Ersten sein, Die jener Frage Antwort geben, Und künden ohne Scheu und Beben, Wann sich des Alters düst’res Grau Herniedersenkt auf eine Frau  ? Nein, nein  ! Und müßt ich’s dennoch wagen, Würd’ ich in unsern Volkszähltagen Ausrufen  : Sicherheit allein Giebt Euch Geburts- und Heimatschein.284

Den Männern den Spiegel vorzuhalten ohne dabei bitter zu werden – ein von Löhn-Siegel so humorvoll parierter Umgang mit Diskriminierung konnte für 284 Ebd., S. 77 f., Hervorheb. im Orig.

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Frauen nicht selbstverständlich sein, die einerseits die bürgerliche Geschlechterordnung internalisiert hatten, sie andererseits aber durch ihre Berufsausübung in Teilen aushebelten. Eine weibliche Identität zu konstruieren, in die beides integriert werden konnte, war im 19. Jahrhundert die große Herausforderung, nicht nur für Schriftstellerinnen.285 Mit »schielendem Blick« (Sigrid Weigel) mussten sie in entgegengesetzte Richtungen schauen  : Hinter sich die eingeprägte Geschlechtertypologie, vor sich den Wunsch, das individuelle Talent zu öffentlicher Wirkung zu entfalten und das eigene Handeln autonom zu gestalten. 2.5 Musikalische Wurzeln: Franz Liszt und die Neudeutsche Schule Marie Lipsius widmete den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit dem von ihr verehrten und bewunderten Franz Liszt. Der »Zauberer von der Altenburg«286 sei ihr Schicksal geworden, habe »ihr Leben beflügelt« und »ihm seine Bahnen gewiesen«.287 Warum gerade Franz Liszt  ? Es seien »die ungelösten Fragen, die unser Interesse, unsere Forschungslust am lebhaftesten erregen« und die aus der Spannung von Leben und Werk dieses Künstlers entstünden.288 Seine Persönlichkeit und sein künstlerisches Handeln verortete Marie Lipsius im Raum zwischen ›Göttlichem‹ und ›Menschlichem‹ – vorgeformte Kategorien freilich, die aus dem Diskurs um Genie, Virtuosität und Dilettantentum stammten289 und sich hier mit der Emphase für Franz Liszt trafen.290 Virtuosendiskurs

Als Marie Lipsius und Franz Liszt sich kennenlernten, hielt sich der Künstler bereits seit acht Jahren in Weimar auf. Er war dort als Kapellmeister angestellt. Diese Lebensphase, in der Komponieren und Dirigieren Liszts Haupttätigkeiten 285 Die Moderne konfrontierte nicht nur berufstätige Frauen mit Widersprüchen, sondern auch Hausfrauen und Mütter. »In ihrer Arbeit muß die Frau nun verbinden, was letztlich unvereinbar ist  : die Schaffung einer Gegenwelt, die sich der spröden Ökonomisierung des Lebens widersetzt, mit der Umformung der Familie in einen effizienten Betrieb, der den Geboten der Rationalität und Produktivität gehorcht.« (Heintz/Honegger 1981, S. 37). 286 Dieser Ausdruck taucht in Marie Lipsius’ Autobiographie mehrfach auf, erstmals La Mara 1917a, S. 25. 287 Ebd., S. 32. 288 La Mara 1868, S. 235. 289 Vgl. z. B. Brandstetter/Neumann (Hg.) 2011. 290 Zur Liszt-Biographie von Marie Lipsius vgl. Kapitel 3.2.

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waren, wird in der Liszt-Biographik meist scharf getrennt von der davorliegenden Virtuosenzeit.291 War Liszt kein Virtuose mehr, weil er jetzt nur noch im halböffentlichen und privaten Raum auftrat, beispielsweise wenn seine Freundin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein sonntags zur Matinée auf die Weimarer Altenburg einlud  ?292 Nina Noeske weist darauf hin, dass die gescheiterte bürgerliche Revolution, die im selben Jahr stattgefunden hatte wie Liszts Umzug nach Weimar, für den Virtuosendiskurs von größerer Bedeutung gewesen sei als allgemein angenommen. Noeske begründet ihre These damit, dass die Elemente virtuoser Konzertveranstaltungen   : Massenpublikum, Enthusiasmus, sinnliche Wahrnehmung, Energie, Körperlichkeit in der nachrevolutionären Zeit zunehmend verpönt, ja geradezu angstbesetzt gewesen seien, denn die Begeisterungsstürme des entfes­ selten Virtuosenpublikums hätten an revolutionäre Massen erinnert.293 Als Gegenmodell wurde das unbewegte, kontemplative, vergeistigte Musikhören als reiner Kunstgenuss propagiert. Die Abgrenzung sei nicht schwergefallen, habe doch das Virtuosentum auf ein bloß technisches Musizieren reduziert und das spontane Erleben des Publikums als »flüchtige Identifikation mit einer individuellen Künstlerpersönlichkeit«294 diskreditiert werden können. Der kontemplative, verstehende Musikgenuss und die damit verbundene geistige Anstrengung hingegen schloss Bewegung aus. Die körperliche Ruhigstellung sollte eine politische Ruhigstellung nach sich ziehen. Die politisch motivierte Abwertung der Virtuosität wurde zusätzlich flankiert von einer kulturkritischen Abwertung, die in der Ökonomisierung des Konzertwesens und dessen Popularisierung einen Kulturverfall sah.295 Als romantisches Konzept waren aber Natur (Genie) und Kultur (Virtuose) zu Zeiten, als Franz Liszt seine pianistischen Erfolge feierte, noch in einer filigranen Balance. Gabriele Brandstetter verdeutlicht das sehr anschaulich an einem Ge291 Am offensichtlichsten in der dreibändigen Liszt-Biographie von Alan Walker (1987–1997)  : Virtuoso Years, Weimar Years, Final Years. Diese geläufige Unterteilung geht auf Liszt selbst zurück, der seiner Biographin Lina Ramann mitgeteilt hatte, sein Leben lasse sich in fünf Akte teilen (vgl. Ramann 1983, S. 36–39). Dabei hatte Liszt seine Virtuosenzeit noch einmal gegliedert und an den Anfang seine Kinder- und Jugendzeit bis zum Tod des Vaters gestellt. 292 Albrecht Riethmüller bemerkt skeptisch, dass bei der Annahme, Liszt habe sich vom Virtuosen zum Interpreten gewandelt, »die Geschichtskonstruktion nicht vollkommen im Lot« sein könne (2004, S. 41). 293 Noeske 2011b, S. 126. 294 Ebd., S. 139. 295 Vgl. dazu Ballstaedt/Widmaier 1989.

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mälde von 1840.296 Josef Danhausers Franz Liszt am Flügel phantasierend zeigt eine Situation in einem üppig ausgestatteten Salon. Liszt sitzt am Flügel, in die Ferne blickend, und improvisiert. In der Linie seines träumerischen Blicks befindet sich eine Büste Beethovens, dahinter ein Fenster, das die Sicht auf den stürmisch-bewölkten Himmel freigibt. Um ihn herum gruppieren sich die Gastgeberin George Sand, die Literaten Alexandre Dumas und Victor Hugo, die Musiker Niccolò Paganini und Gioachino Rossini sowie zu Füßen Liszts seine Geliebte Marie d’Agoult. Ein Porträt Lord Byrons hängt im Hintergrund an der Wand. Brandstetter sieht in der Szenerie nun verschiedene Wettstreite sich überkreuzen. Die Künste treten hier ebenso gegeneinander an wie die Nationen.297 Franz Liszt steht im Mittelpunkt einiger dieser Wettstreite  : Seine Musik tritt gegen die Literatur der französischen Romantiker an, die sie gleichzeitig umsetzt, denn Liszt war durch intensive Lektüre von ihr tief geprägt. Außerdem gegen seinen italienischen Konkurrenten an der Geige. Der (lebendige) Virtuose Liszt blickt das (versteinerte) Komponistengenie Beethoven an und durch es hindurch. Liszt muss den Blick heben, um seinen Meister ansehen zu können (die Legende vom »Weihekuss«), doch dahinter öffnet sich der Blick in die vergeistigte Ferne, in die stürmische Zukunft. Die dargestellte (fiktive) Situation ist bestimmt von Balance. Der Wettstreit kulminiert in dieser Szene nicht im destruktiven Kampf, sondern in einer Harmonie der Kräfte.298 Im Gemälde ist der Virtuose eingebettet in den Kreis der Künste. So sah es auch Robert Schumann, der Franz Liszts Virtuosität als »nicht mehr Klavierspiel dieser oder jener Art, sondern Aussprache eines kühnen Charakters überhaupt«299 bezeichnete. Doch Komponist und Virtuose in einer Person vereint, das konnte es in Schumanns Vorstellung nicht geben.300 In seinen 296 Brandstetter 2011, S. 13–15. 297 Die Protagonisten des Gemäldes unterscheiden sich in der Kunstrichtung, die sie vertreten, sowie in ihrer Nationalität. Gemeinsam vertreten sie die klassisch-romantische Zeit. Im Rücken der Künstlergruppe befindet sich jedoch die Bronze einer Figur, die aus der Zeit gefallen scheint  : die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc, von Brandstetter nicht erwähnt, die mit George Sand und Marie d’Agoult eine absteigende Frauen-Linie bildet. 298 Angesichts der sich im 19. Jahrhundert verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen Kunst­ richtungen, Nationen, Parteien und Geschlechtern ist es wichtig, sich den konstruktiven und produktiven Ausgangspunkt aller Gegenbewegungen zu vergegenwärtigen. 299 Zit. nach Edler 2006, S. 177. 300 Dass schon die Zeitökonomie ein gleichermaßen virtuoses wie kompositorisches Ansehen fast unmöglich machte, darauf verwies der Virtuose Joseph Joachim. Ihm habe es Qualen bereitet, das Komponieren einschränken zu müssen, um als Interpret seinen Status halten zu können (vgl. Borchard 2004, S. 72).

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Abb. 7: Josef Danhauser: Franz Liszt am Flügel phantasierend.

Augen hätte Liszt zwar ein bedeutender Komponist werden können, hätte sich dann aber mehr mit seinen eigenen Gedanken auseinandersetzen müssen statt mit denen anderer.301 Die Konkurrenz zwischen Komposition und Interpretation war auch im State­ment Schumanns noch ausbalanciert. Zwar wurde die Vereinbarkeit in ­einer Person als unmöglich angesehen, doch beide Tätigkeiten waren gleichwertig. 1918, in einer Veröffentlichung Adolf Weissmanns, stellte sich das Verhältnis wieder ganz anders dar. Der Autor ließ den Virtuosen als Typus erscheinen, der »den Kampf gegen die Entsinnlichung der Konzertmusik« aufgenommen und die ermüdeten Sinne der Zuhörerinnen und Zuhörer, »die in das große Nichts einer innerlichen Kunst starren, durch Glanz und Flitter« wieder erweckt ­habe.302 Weissmann kehrte den Virtuosendiskurs um, wie er Mitte des 19. Jahrhunderts geführt wurde. Virtuosität war nun nicht mehr Ausdruck von Kulturverfall, sondern Gegenmittel.

301 Vgl. Edler 2006, S. 177. 302 Zit. nach Borchard 2004, S. 65.

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Beatrix Borchard weist darauf hin, dass Weissmann in seiner A ­ rgumentation nicht nur die Bewertung von Virtuosität umkehrte, sondern auch die ­daran gekoppelte Geschlechterzuweisung. Er konnotierte den Virtuosen nämlich als Mann und sah den Gipfel der Virtuosität in Joseph Joachim erreicht. Clara Schumann dagegen verdanke ihren Nachruhm »nur dem Bunde mit Robert Schumann. Sein Schöpferisches hallt in ihr nach«.303 Die geschlechtlichen Zuordnungen von Virtuose, Interpret und Komponist konnten variiert werden, hatten aber ein gemeinsames Ziel  : In der polarisierten Gegenüberstellung Virtuose  – Interpret ist der Virtuose in der ›weib­lichen‹ Position, in der Opposition Interpret  – Komponist hingegen der ausübende Künstler. Die Charakterisierung als ›weiblich‹ dient somit im ästhetischen Diskurs der Markierung einer Hierarchie.304

›Männlich‹ und ›weiblich‹ musste dabei nicht unbedingt einen konkreten Mann oder eine konkrete Frau meinen. Die Zuschreibungen gingen, je nach Intention des Sprechers oder der Sprecherin, zuweilen durcheinander. Virtuosen wurden, unabhängig vom Geschlecht, als ›echte Künstler‹ männlich oder als ›bloße Interpreten‹ weiblich konnotiert. Im Laufe des fortschreitenden Jahrhunderts verengten sich die Geschlechterkategorien dann und realisierten sich dahingehend, dass die Fähigkeit zu eigenständiger Produktionsleistung nur Männern zugesprochen wurde und Frauen auf den Bereich des Reproduzierens festgelegt wurden. Im Vorwort ihrer Sammlung von Musikerinnen-Biographien schrieb Marie Lipsius 1882, konform mit der Geschlechternorm der Zeit  : Die eigentlich gestaltende Kraft, die Spontaneität der Erfindung und des combinatorischen Vermögens scheinen ihm [dem weiblichen Geschlecht], wenn nicht völlig versagt, so doch in zu kargem Maße von der Natur verliehen, um wirklich große, hervorragende Leistungen in dieser Richtung nicht von vornherein auszuschließen.305

Auf dem Gebiet der Interpretation jedoch könne es die Frau mit dem Mann aufnehmen und ringe mit ihm »um die Palme. An Stelle der die Idee repräsentirenden Composition«, schrieb Lipsius weiter, sei ihr Wirkungskreis die Virtuosität. Und diese sei eben auch eine schöpferische Tätigkeit. Als Beleg zitierte 303 Zit. nach ebd., S. 75. 304 Ebd., S. 71. 305 La Mara 1882, S. VII.

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sie eine Aussage Franz Liszts, nach der die Virtuosität nicht »passive Dienerin der Composition« sei, denn »von ihrem Hauche hängt Leben und Tod des ihr anvertrauten geschriebenen Kunstwerkes ab«.306 Liszt hatte den Virtuosen mit Dichtern, Malern oder Bildhauern verglichen, die mit ihrer Kunst »die Natur nur in ihrer Weise vortragen, gewissermaßen aus den Notenbüchern des Schöpfers vom Blatt singen.«307 Nach Liszts Deutung sei der Virtuose nur »scheinbar« reiner Interpret eines fremden Werkes, in Wahrheit aber ebenso an dessen Produktionsprozess beteiligt wie der Komponist.308 Lipsius konnte mit Rekurs auf das romantische Virtuosenverständnis – ihre Frauenbiographien erschienen 1882 – die beiden widerstrebenden Argumentationslinien vereinen, nach denen Frauen erstens ihre natürliche Befähigung nicht in der Komposition, sondern in der Interpretation fänden, sie aber zweitens als Virtuosinnen eben nicht nur reproduzierend, sondern auch produzierend tätig seien. Marie Lipsius durchkreuzte die Eindeutigkeit geschlechtlicher Hierarchien und wertete die Tätigkeit der Musikerinnen auf, deren Lebensläufe sie präsentierte, ohne die geltende Geschlechternorm dabei vollständig zu verlassen. So war ihr Buch für eine breite Leserschicht rezipierbar. Franz Liszt bildete den Kulminationspunkt des Virtuosendiskurses. An seinen Konzerten entzündete sich die Kritik,309 dann wurde er zum ­Ü berwinder der Virtuosität stilisiert. Marie Lipsius hatte seine Musik durch Richard Pohl kennengelernt, den Bruder ihrer besten Freundin Laura. Pohl war 1854 nach Weimar gezogen, weil seine Frau eine Stelle als Harfenistin am dortigen Hofthea­ter erlangt hatte. Er lud nun seine Schwester Laura und deren Freundin Marie im Oktober 1856 ein, ihn in Weimar zu besuchen, wo sie in ausgesuchter Runde ­einer Aufführung der Bergsymphonie Liszts lauschten. Lipsius beschrieb den Eindruck, den Franz Liszt während seines Dirigats auf sie machte, in ihrer Auto­ biographie  : Hochaufgerichtet, in fast titanischer Größe, stand er vor uns, der Beherrscher der Harmonien, die über uns dahinfluteten und unter deren überwältigender Wirkung wir unsere Seelen erbeben fühlten. Auf seinem Angesicht spiegelten sich die Empfindungen, die ihm im Schaffen gekommen sein mochten. In seinen Gebärden, seinem ganzen 306 Ebd., S. IX. Diese Passage stammte aus Liszts Aufsatz über Clara Schumann. Lipsius unterließ allerdings den Nachweis. 307 Ebd. 308 Ebd., S. VIII. Diese moderne Auffassung Liszts ist Ausgangspunkt der heutigen Performance Studies. 309 Vgl. Noeske 2011a.

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Wesen zeigte sich eine lebhafte Beweglichkeit, die seine Gestalt bald zusammengesunken, bald wieder in übermenschlicher Größe erscheinen ließ. […] Am Schlusse wurde ich Liszt vorgestellt, und der große gefeierte und verwöhnte Mann nahm freundlich Notiz von dem jungen, unbedeutenden Leben vor ihm und ließ sich dessen schüchterne Huldigungen gütig gefallen.310

Die ehrfürchtige Begeisterung der knapp 19-jährigen Marie Lipsius hielt lebens­ lang an. Als ›titanenhaft‹ bezeichnete sie alles, was Liszt musikalisch tat, egal ob als Virtuose, Komponist oder Kapellmeister. Zum Begriff Neudeutsche Schule

In Weimar hatte sich um Franz Liszt ein Kreis von Schülerinnen und Schülern zusammengefunden. Sie sahen sich als Vertreter eines musikalischen Fortschritts und bemühten sich nach Kräften, Liszts Musik allerorten zur Aufführung zu bringen. Mediale Unterstützung erhielten sie von der Neuen Zeitschrift für Musik, die 1851 mit einer Serie über Richard Wagners Werke und Schriften vom Herausgeber Franz Brendel ganz in den Dienst der von Wagner so bezeichneten ›Zukunftsmusik‹ gestellt worden war. Richard Pohl war seit 1852 Autor für die Zeitschrift. Rückblickend hielt er es für einen genialen Schachzug, ein bereits etabliertes Organ in Dienst genommen zu haben, statt ein neues zu gründen, denn dies hätte bei Weitem nicht dieselbe Wirkung gehabt, als dass ein hochgeachtetes, weit verbreitetes Fachblatt, welches bisher die Schumann’sche Fahne hochgehalten hatte, nun plötzlich mit vollen Segeln in das Weimarische Lager überging und einen grossen Leserkreis mit sich hinüberzog. Freilich trat mancher Mitarbeiter, mancher Abonnent erschrocken zurück,  – aber das Verlorene wurde durch neu Hinzutretende reichlich ersetzt.311

Neben der programmatischen Ausrichtung der Neuen Zeitschrift für Musik arbeitete Brendel daran, die Musik der Zukunft regelrecht zu institutionalisieren. Zum 25. Jubiläum seiner Zeitschrift 1859 gelang es ihm, in Leipzig eine erste Tonkünstlerversammlung zu veranstalten, aus der zwei Jahre später der Allgemeine Deutsche Musikverein hervorgehen sollte. Zur Eröffnung hielt er eine rich310 La Mara 1917a, S. 24 f. 311 Pohl 1881, S. 26.

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tungsweisende Rede zur Situation der Musikkritik im Parteienstreit zwischen konservativen und avantgardistischen Kräften. Er schlug vor, den Wagner’schen Begriff ›Zukunftsmusik‹, da er zum Parteistichwort geronnen sei, von nun an zu vermeiden und durch den Begriff ›neudeutsche Schule‹ zu ersetzen. Damit war nun ein Label in der Welt, das sich tatsächlich durchsetzte, wenngleich es schon damals heikle Punkte barg. Brendel problematisierte lediglich den ersten Teil seiner Begriffskonstruktion, denn es galt, das Dreigestirn der Zukunftsmusik  : Franz Liszt, Hector Berlioz und Richard Wagner unter der Bezeichnung ›neudeutsch‹ zu subsummieren. Für Wagner stellte das kein Problem dar, sei er es doch gewesen, der das »Ideal einer rein deutschen Oper […] zur ersten herrlichsten Verwirklichung« gebracht habe.312 Um den Ungar Liszt und den Franzosen Berlioz zu Deutschen zu machen, argumentierte Brendel mit einer universalen Kulturgeschichte, in der sich nationale Einflüsse vermischt hätten. Neben das »Specifisch-Deutsche im engeren Sinne« sei das Universal-Deutsche getreten.313 Der Geburtsort von Liszt und Berlioz sei »in geistigen Dingen« nicht entscheidend, denn »beide Künstler wären nicht das geworden, was sie sind, wenn sie nicht früh schon durch den deutschen Geist sich genährt hätten, und an ihm erstarkt wären.«314 Die Idee eines deutschen Geistes als Grundlage nationaler Identität gründete im Idealismus.315 In der Anwendung auf die Musikgeschichte, so Wolfgang Dömling, habe es Brendel erreicht, dass »erstmals ein Geschichtsbild auf das aktuelle Musikleben und auf das kompositorische Selbstverständnis eingewirkt« habe  ; diese Ideologie von Permanenz und Prävalenz ›deutscher‹ Musik jedenfalls, die alle ›andere‹ Musik a priori auf Nebenschauplätze verweist – zu sogenannten ›nationalen Strömungen‹ etwa erklärt –, bestimmt bis in unsere Gegenwart das Geschichtsbild von so manchen, die über eine Musik im Abendland nachdenken.316 312 Brendel 1859, S. 271. 313 Frank Hentschel sieht in dieser Gegenüberstellung »chauvinistische[s] Potential«  : »Man darf über den Europäisierungsträumen Brendels nicht übersehen, dass seine Theorie ein vehement nationalistischer Gestus eingeschrieben war. So erschien die Fähigkeit zur Synthese, noch bevor sich die eigentliche Wendung zum Nationalen vollzog, als eine spezifisch deutsche Eigenschaft.« (2006, S. 399) Wolfram Steinbeck dagegen hält Brendel nicht für einen Chauvinisten, sondern für einen »Historiker mit dialektisch-nationaler Zielsetzung« (2008, S. 59). 314 Brendel 1859, S. 272. 315 Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, S. 35–43. 316 Dömling 2008, S. 47.

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Bei Marie Lipsius findet sich Brendels musikhistorisches Konstrukt, das er bereits in seinen Grundzügen der Geschichte der Musik (1848) angelegt hatte, in derart ähnlicher Form wieder, dass schwerlich von einem Zufall auszugehen ist.317 Ihre Arbeit hatte sie ganz in den Dienst der Neudeutschen gestellt. Es schien aus ihrer Sicht also folgerichtig, sich dabei auf Brendels Ausführungen zu beziehen. Sie nannte ihr Vorbild freilich nicht explizit, wenn sie ihre Musikalischen Studienköpfe nach Brendels dreiphasigem Modell der Musikgeschichte aufbaute.318 Dieser sah die Musikgeschichte sich in einem Dreischritt von der »altdeutsche[n] Schule« über die »Classicität« bis zu Beethoven entwickeln, welcher dann den Wendepunkt zum musikalischen Fortschritt markierte.319 Nicht nur der erste, auch der zweite Teil von Brendels neu installiertem Ausdruck »neudeutsche Schule« war problematisch. Die drei Protagonisten Liszt, Berlioz und Wagner hatten so uneinheitliche Vorstellungen einer Musik der Zukunft, dass die Subsummierung unter eine einheitliche Schule schon damals fragwürdig war. Den Schulbegriff zu verwenden sei heute zusätzlich problematisch, so Detlef Altenburg, weil kurz nach der Begriffseinführung 1859 Weimar als Zentrum der Bewegung durch den Weggang Liszts zusammenbrach. Die Rezeption habe dann die drei Protagonisten scharf voneinander getrennt und sie mehr als Einzelkünstler denn als eine Schule auf- und gegeneinander antreten lassen.320 Parteienstreit

Mit Franz Liszt traf Lipsius immer wieder zusammen. Sie beteiligte ihn auch an den eigenen Arbeiten, indem sie ihm berichtete,321 ihn um Rat fragte,322 ihm 317 Laut Erich Reimer (1993) übte die Musikgeschichte Franz Brendels einen immensen Einfluss auf die Musikgeschichtsschreibung bis ins 20. Jahrhundert aus. 318 Vgl. ausführlich Kapitel 3.2. 319 Brendel 1859, S. 272. Vgl. auch Kapitel 2.7. 320 Vgl. Altenburg 2006. 321 Vgl. z. B. Brief von Marie Lipsius an Franz Liszt vom 09.10.1871, D-WRgs GSA 59/22, 12. 322 Lipsius berichtete Liszt beispielsweise von ihrem Plan, ein Buch über die bedeutendsten Sängerinnen und Instrumentalistinnen zu schreiben, und fragte um seinen Rat, welche Musikerinnen unbedingt aufzunehmen seien. Liszt schlug daraufhin vor, das Buch mit der Biographie Clara Schumanns zu eröffnen. Das war unter den gegebenen Umständen eines zerrütteten Verhältnisses zwischen Liszt und Schumann nicht selbstverständlich. Für Lipsius war damit ein Dilemma abgewendet  : Es wäre kaum denkbar gewesen, Clara Schumann nicht in eine Sammlung der »hervorragendsten Künstlerinnen unserer Tage« (La Mara 1882, S. X) aufzunehmen. Gleichzeitig wollte sie das Buch Liszt widmen, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen. Ob es bei der weiteren

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Werke widmete.323 Liszt vermittelte 1876, zur Eröffnung des Festspielhauses in Bayreuth, auch den Kontakt zu Richard Wagner. Ein »Absolutist, wie insgemein alle Reformatoren« sei ihr gegenübergetreten, schrieb Lipsius später, »einer Art heiliger Scheu vor Wagners Person« habe sie sich niemals entledigen können.324 Außerdem lernte sie über Liszt viele seiner Schülerinnen und Schüler kennen,325 von denen sie dann etliche in ihren Musikalischen Studienköpfen porträtierte. Auch bei der späteren Sammlung von Liszt-Briefen kamen ihr die unzähligen Kontakte zugute. Mit der Briefedition hielt Lipsius die Erinnerung hoch an einen Künstler, dessen musikalisches Werk unter seinen Zeitgenossen den heftigsten Streit ausgelöst hatte. Denn, wie Marie Lipsius befand  : »Man muß ihm gegenüber, sei es für, sei es wider ihn, Partei ergreifen  ; ihm gleichgiltig gegenübertreten, ihn und seinen Bestrebungen wohl gar übersehen wollen kann Keiner, der es redlich meint mit sich und der Kunst.«326 Die kunsttheoretischen Publikationen von Richard Wagner und Franz Liszt, anfangs auch von Robert Schumann, zur Weiterentwicklung der Musik in enger Verbindung mit der Dichtung wurden von Franz Brendel geschichtsphilosophisch untermauert, wenn er den musikalischen Fortschritt327 beschwor. Nachdem Robert Schumann sich von seinen vormals freundschaftlich verbundenen Musikerkollegen Liszt und Wagner abgewandt und Johannes Brahms als den »Berufenen« propagiert hatte, der »den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre«,328 begann der Streit sich zuzuspitzen. Schumann hatte Brahms als einen »starken Streiter«329 willkommen geheißen. Im Auswahl der Frauen für das Buch Beratungen zwischen Lipsius und Liszt gab, lässt sich nicht belegen. Lipsius schildert aber ein Zusammentreffen zwischen ihr selbst, Liszt und Marie Jaëll, bei dem Liszt anmerkte, Jaëll müsse unbedingt in den Band aufgenommen werden. Sie habe geantwortet, dass dies geplant gewesen sei, Jaëll aber eine entsprechende Anfrage um biographisches Material unbeantwortet gelassen habe. Die Künstlerin habe dies nun umgehend nachholen wollen, schließlich könne man dem Meister keinen Wunsch abschlagen. Lipsius habe daraufhin bemerkte, dass es für eine Aufnahme ihrer Biographie bereits zu spät sei (vgl. La Mara 1917b, S. 30). 323 Z. B. den fünften Band der Musikalischen Studienköpfe. 324 La Mara 1917a, S. 232. 325 In ihrer Autobiographie listete Marie Lipsius unzählige Namen aus dem Umkreis Liszts auf, mit denen sie bei Musikaufführungen, Künstlerjubiläen oder Gedenkfeiern zusammentraf. Und tatsächlich unterhielt Lipsius mit vielen der Genannten Briefkontakt (vgl. Anhang 6.3). 326 La Mara 1868, S. 236 f. 327 Einführend in den Fortschrittsbegriff und seine geschichtsphilosophischen Implikationen vgl. Koselleck 1975. 328 Schumann 1853, S. 185. 329 Ebd., S. 186.

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Frühjahr 1860 nahm dieser seine Rolle aktiv ein, indem er als Mitinitiator eine Erklärung gegen die Neudeutschen und insbesondere ihren Anspruch verfasste, die alleinigen Vertreter des musikalischen Fortschritts und die einzig legitimen Nachfolger Beethovens zu sein.330 Diesen Anspruch hatte Brendel in seiner Rede vor der Tonkünstlerversammlung offensiv vertreten. Die Anbahnung einer Verständigung, wie Brendel den Abdruck seines Vortrags in der Neuen Zeitschrift für Musik überschrieben hatte, war damit von vornherein chancenlos. Rhetorisch forderte Brendel zwar Mäßigung, schob aber gleichzeitig der Opposition die Schuld für die erbitterte Auseinandersetzung zu. Seine Forderung an alle Diskutanten  : Verständigung mit allen Unbefangenen, natürlich ohne Beeinträchtigung der Bestimmtheit  ; größere Entschiedenheit als bisher aber zugleich gegen Alle, die schlechterdings nicht hören wollen und auch jetzt, nachdem man ihnen die Hand gereicht hat, fortfahren, Verdächtigungen und Unwahrheiten zu verbreiten331,

mäßigte den Konflikt nicht, sondern heizte ihn an. Die ›Parteien‹ konnten sich in der Opposition zu ihrem jeweiligen Gegner noch fester zusammenschließen, auch wenn in den Lagern die Auffassungen nicht so einstimmig waren, wie nach außen behauptet.332 Als musikschriftstellerisches Ethos formulierte Brendel, dass »jene Arroganz, die allein Recht zu haben meint, und im Ton der Unfehlbarkeit rücksichtslos abspricht«, wegfallen müsse, worauf auch »die Künstler in ihrer Gesammtheit als compacte Majorität hinwirken« müssten. Allerdings muß Jeder seine Ansicht für die richtige, umfassende, allein giltige halten, denn ohne solche Gesinnung ist Ueberzeugungstreue nicht möglich. Aber Jeder soll in unserer Zeit zugleich das Bewußtsein haben, daß außerhalb desselben Einsichten liegen, deren Aneignung für ihn in Folge der Schranken seiner Individualität unmöglich. Es kommt darauf an, Festigkeit und Bestimmtheit mit Bescheidenheit zu vereinen, die Zuversicht der Wahrheit mit jener Selbstbeschränkung, welche die Quelle echter Humanität, das Resultat umfassender Intelligenz ist.333

Diese Passage klingt tatsächlich recht selbstkritisch und hätte durchaus als »Anbahnung einer Verständigung« gelesen werden können, doch wenige Zeilen spä330 Vgl. Altenburg 1997, Sp. 73. 331 Brendel 1859, S. 270. 332 Diesen Aspekt betont Deaville 2006a. 333 Brendel 1859, S. 172.

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ter stellte Brendel erneut klar, wer sich wem anzupassen hätte  : die Konservativen den Neudeutschen und nicht umgekehrt. Denn auch die Gegner leiden darunter, wenn sie den Vorkämpfern für den Fortschritt entgegenarbeiten, sie kommen ohne Anerkennung unserer Principien auf ihrem eigenen Gebiet praktisch nicht weiter. Auch die Bestrebungen der Gegner wurzeln in den von uns gelegten Fundamenten, und sind nur möglich durch die von uns erarbeiteten Bedingungen.334

Marie Lipsius konnte dem Brendel’schen Musikschriftstellerethos sicher zustimmen. Die Kombination von »Zuversicht der Wahrheit« und »Selbstbeschrän­ kung« schien eine ihrer Maximen zu sein.335 Doch ihr lag wenig an einer Polemisierung des Konfliktes, wie sie besonders von Richard Pohl oder Hans von Bülow vorangetrieben wurde. Vielmehr wollte sie die Protagonisten der Neudeutschen Schule einem größeren Publikum vorstellen und es für deren Musik begeistern.336 »Ueberzeugungstreue«, wie Brendel sie forderte, war Lipsius’ Mittel, Authentizität herzustellen. Dabei schlossen sich musikästhetische Standortgebundenheit und Objektivität der Darstellung paradoxerweise nicht grundsätzlich aus. Die Kritik lobte an ihren Schriften die Ausgewogenheit von objektiver Darstellung und subjektiver Emphase.337 Objektivität bedeutete Mitte des 19. Jahrhunderts etwas anderes als heute. Die Historiker jener Zeit hatten durchaus ein Bewusstsein für die Subjektivität ihrer Geschichtsdarstellung, forderten sie zum Teil sogar ein.338 Solange die Historik, und als eines ihrer Teilgebiete die Musikhistorik, in idealistischer Tradition standen, bedeutete die wissenschaftliche Wahrheit immer noch eine ideale Wahrheit. So zeichnete sich Lipsius’ Arbeit in den Augen der Einen dadurch aus, dass sie einen objektiven Maßstab anlegte, während Anderen Lipsius’ Vorgehensweise nicht profiliert und pointiert genug erschien. Im Parteienstreit war der Wahrheitsbegriff arg strapaziert worden.

334 Ebd., S. 273. 335 Vgl. Kapitel 3. 336 Hier war sie Joachim Raff nah, der in den eigenen Reihen für Mäßigung plädierte und den Vorschlag machte, zur besseren Verständigung das Publikum durch Vorbesprechungen in der Lokalpresse auf die Konzerte der Neudeutschen vorzubereiten (vgl. Deaville 2006a, S. 62 f.). 337 Vgl. dazu Kapitel 4. 338 Vgl. z. B. Jaeger/Rüsen 1992, S. 44–47. Vgl. dazu auch Kapitel 2.7.

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2.6 Zeitschriften als Schlüsselmedien der bürgerlichen Gesellschaft: Marie Lipsius’ Artikel in der Unterhaltungs- und Fachpresse Die Zahlen sind beeindruckend  : Für das erste Drittel des 19. Jahrhunderts wird davon ausgegangen, dass bis zu 400 Zeitschriftentitel auf dem deutschen Markt erhältlich waren,339 Ende des Jahrhunderts sollen es annähernd 5000 gewesen sein.340 Neben den Fachzeitschriften für die expandierenden und sich ausdifferenzierenden Industrie- und Wissensbereiche (Ingenieur-, Verkehrs- und Gewerbewesen  ; Medizin  ; Geographie  ; Rechts- und Staatslehre  ; Geschichte) waren es besonders die Unterhaltungszeitschriften, die sich immens verbreiteten.341 Die Gartenlaube (gegründet 1853) gilt dabei als Idealtypus der illustrierten Fami­lienzeitschrift. Als Programm rief die Redaktion aus  : »So wollen wir Euch unterhalten und unterhaltend belehren. Über das Ganze aber soll der Hauch der Poesie schweben, wie der Duft auf der blühenden Blume.«342 Die Auflage der Gartenlaube erreichte im Jahr 1875 ihren Höchststand von 382.000 Exem­ plaren und war eigenen Angaben zufolge damit die meistgelesene Zeitschrift der Welt.343 Hans-Otto Hügel konstatiert, dass mit den Familienzeitschriften und speziell mit der Gartenlaube erstmals in der Geschichte moderner Massenmedien Medium und Botschaft zusammenfielen. »Die Familienzeitschrift begreift sich als ein einheitliches Medium. Sie weiß, daß ein Medium Botschaft nicht nur hat, sondern ist.«344 Mit ihrer reich illustrierten Aufmachung und ihrer integrierenden Themenwahl habe die Familienzeitschrift die Vermittlung von Welt im Auge gehabt  : jedoch nicht Welt, wie sie ist, sondern Welt, wie sie sein sollte.345 Für Hügel fungierte die Familien- bzw. Unterhaltungszeitschrift als eine Art Verschleierungsmaschine, die ihren Leserinnen und Lesern, einem bis in die unteren Mittelschichten der einfachen Angestellten reichenden Publikum, eine Kohärenz vorgaukelte, die der modernen Industrie- und Wissensgesellschaft des 339 Vgl. Faulstich 2004, S. 60. 340 Vgl. Jäger 2003a, S. 369. 341 Vgl. Statistik der Themenschwerpunkte der deutschsprachigen Zeitschriften 1902, in  : Ebd., S. 369 f. 342 Zit. nach Hügel 1987, S. 104. 343 Vgl. Graf 2003, S. 427. 344 Hügel 1987, S. 104. 345 Hügel hält es für eine Exklusivität von Unterhaltungskultur, immer nur ein Modell von Wirklichkeit zu vermitteln. Mir scheint das allerdings für andere Vermittlungsformen ebenso zu gelten. Auch künstlerische oder wissenschaftliche Darstellungen bilden nie Wirklichkeit ab, sondern immer geformte Modelle von ihr. Erst durch die Konfrontation der unterschiedlichen Modelle entsteht eine Vorstellung von Wirklichkeit.

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19.  Jahrhunderts längst abhandengekommen war. »Die Familienzeitschriften lebten von der Beschränkung der Perspektive«346, sie suggerierten eine sprichwörtlich ›heile Welt‹ mit der Darstellung ›biedermeierlicher Idylle‹, um von den Widersprüchen der realen Welt abzulenken.347 Dass auch diese kritische Auffassung348 eine idealisierte ist, zeigen die Ehebruchromane, die trotz des Familienblatt-Kodex einer einwandfreien Sittlichkeit vereinzelt in Familienzeitschriften abgedruckt wurden und deren Figuren sich über die strengen moralischen Grenzen des Wilhelminischen Kaiserreichs hinwegsetzten.349 Neben diese ideologiekritische Betrachtung der Unterhaltungszeitschriften ist eine zweite zu setzen, die in dem Phänomen Zeitschrift und ihrer Etablierung im frühen 19. Jahrhundert ein konstituierendes Element für die bürgerliche Gesellschaft sieht. Im 18. Jahrhundert bereits hätten sich die charakteristischen Merkmale des Mediums Zeitschrift gegenüber bestehenden Medien als funktional erwiesen, so Werner Faulstich  : »Themenzentrierung (gegenüber Brief und Zeitung), Temporizität (gegenüber dem Buch), Interessenspezifizierung (gegenüber der Zeitung), und Kontextualisierung (gegenüber Brief, Buch, Zeitung und Blatt)«.350 Als Kommunikationsforum, Partizipationsimpuls und Multiplikationsinstanz sei die Zeitschrift zum »Herzstück der bürgerlichen Medienkultur der Zeit«351 geworden. Durch den Medienwandel von Menschmedien hin zu Druckmedien sei der »Strukturwandel des Öffentlichen«352 erst möglich geworden. Buch, Zeitung und Zeitschrift seien gleichzeitig Instrument und Ausdruck der Emanzipation des Bürgertums von der herrschenden Adelsklasse gewesen, doch die Identifikationsleistung der Druckmedien sei mit einer Entsinnlichung einhergegangen  : Weil öffentliche Kommunikation in der bürgerlichen Gesellschaft Lesen bedeutete, seien Prinzipien des Linearen, Diskursiven und Abstrak346 Faulstich 2004, S. 64. 347 Vgl. ebd., S. 63–65. 348 Sie steht in der Tradition der Kritischen Theorie, indem sie sich auf den Kulturindustriebegriff von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bezieht. Adorno/Horkheimer kritisierten, dass die Produkte der Kulturindustrie die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse verschleierten, da sie, weil sie mit sich selbst identisch seien, dem Publikum die Möglichkeit differenzierter und differenzierender Erfahrungen nähmen (vgl. Max Horkheimer  ; Theodor Adorno  : »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug«, in  : Dialektik der Aufklärung, 1944). 349 Vgl. Graf 2003, S. 446 f. 350 Faulstich 2002, S. 250. 351 Ebd. 352 Ebd., S. 255. Werner Faulstich nutzt diesen Begriff in Abwandlung und kritischer Auseinandersetzung mit dem von Jürgen Habermas untersuchten Strukturwandel der Öffentlichkeit (vgl. ebd., S. 11–28).

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ten vorherrschend geworden, was wiederum eine »Partialität, eine Differenz, eine Segmentierung und Trennung von Körperlichkeit und Kognition, von Realität und Phantasie, von Gemeinschaft und Individualität, von Arbeit und Vergnügen«353 zur Folge gehabt habe. Mit Faulstichs Conclusio »Lesemedien […] reduzieren Wirklichkeit«354 wären wir wieder bei den Unterhaltungszeitschriften des 19.  Jahrhunderts, die einen Weltzusammenhang suggerieren wollten, der nicht mehr real war.355 Biographische Artikel passten sich hier besonders gut ein, denn erst im Kontext aller anderen Artikel einer Zeitschrift gewannen sie ihren eigentlichen Sinn, indem sie »der Vervollständigung des Bildes, das sich die Leser vom Großen und Ganzen der Welt machen«356, dienten. Marie Lipsius konnte ihre biographischen Skizzen in verschiedenen Zeitschriften (und Zeitungsfeuilletons) unterbringen. Hier soll kurz die Spannbreite der unterschiedlichen Medien skizziert werden, in denen ihre Artikel erschienen. Die Erscheinungsorte der Lipsius-Artikel lassen sich in drei Gruppen o­ rd­­­nen  : Allgemeine Zeitungen, Familien- und Unterhaltungszeitschriften und Musik­ zeit­schriften.357 Der erste Text von Marie Lipsius erschien in einer Un­ter­­­hal­ tungszeitschrift358. Anschließend gab es zwei gegenläufige Tendenzen  : Einer­seits publizierte Lipsius zunehmend in der musikalischen Fachpresse, andererseits im Feuilleton allgemeiner Zeitungen. Interessanterweise sprachen ihre Texte also inhaltlich wie stilistisch zugleich ein allgemein sowie ein speziell musikalisch interessiertes bürgerliches Publikum an.359 353 Ebd., S. 257. 354 Ebd. 355 Mit der zunehmenden Verbreitung von Illustrationen in Zeitschriften und der Etablierung neuer reproduzierender Medien wie Photographie und Film gegen Ende des 19. Jahrhunderts konstatiert Faulstich dann wieder eine Tendenz zur Versinnlichung (vgl. Faulstich 2004, S. 256 f.). 356 Porombka 2009, S. 124. 357 Vgl. Anhang 6.1. 358 Sibylle Obenaus (1987) versucht eine Abgrenzung zwischen Unterhaltungs- und Familienzeitschriften über die Gewichtung der Themen. In den Unterhaltungsblättern habe die Belletristik einen größeren Raum eingenommen, die Familienblätter dagegen seien durch einen »patriarchalisch-beschaulichen Ton« gekennzeichnet gewesen und hätten stets versucht, belehrend und volksbildend auf das harmonische Familienleben einzuwirken. Beim kursorischen Durchblättern der Zeitschriften bleibt aber der Eindruck, dass die Rubriken und Themen doch ähnlich waren. Ich trenne daher nicht zwischen Unterhaltungs- und Familienzeitschriften, sondern ziehe die (kultur)politische Ausrichtung einer Zeitschrift als Unterscheidungskriterium heran. 359 Musik und musikalisches Wissen waren eine grundlegende Komponente im Bildungskanon des Bürgertums. In der zweiten Jahrhunderthälfte spezialisierte sich dann allerdings sowohl das Wissen über Musik als auch der Zeitschriftenmarkt. Den durchschnittlichen Leserinnen und Lesern

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Allgemeine Zeitungen

Für die Recherche nach Artikeln, die Marie Lipsius im Feuilleton der allgemeinen Zeitungen publizierte, ging ich in erster Linie den Hinweisen nach, die die Autorin selbst in der Autobiographie und in Briefen gegeben hatte.360 So fand ich Belege dafür, dass Lipsius für die Allgemeine Zeitung in München, die Leipziger Zeitung sowie die Neue Freie Presse in Wien Artikel lieferte, wobei sie in der Leipziger Zeitung bzw. deren Wissenschaftlicher Beilage am häufigsten vertreten war. Nach eigenen Angaben schrieb sie außerdem Artikel für die Frankfurter Zeitung, die Kölnische Zeitung, die Leipziger Neueste Nachrichten, das Leipziger Tageblatt und die Preßburger Zeitung, die aber bisher nicht aufgefunden werden konnten.361 Die genannten Zeitungen waren, mit Ausnahme der in Leipzig erscheinenden, überregionale, politische Zeitungen. Sie druckten Lipsius’ biographische Artikel seit den 1880er-Jahren, also nachdem sich die Autorin durch ihre Zeitschriften- und Buchpublikationen bereits einen Namen gemacht hatte. Die Leipziger Zeitung bildete hierbei die Ausnahme. Dafür könnten zwei Gründe ausschlaggebend gewesen sein  : Erstens erschienen die Artikel in der Wissenschaftlichen Beilage der Zeitung, die mit ihrer zwei- bzw. dreimal wöchentlichen Erscheinungsweise und ihren Artikeln, die über tagespolitische Inhalte hinausgingen, eine Zwischenform von Tageszeitung und Wochenblatt darstellte. In dieser Art Medien war Marie Lipsius bereits etabliert. Zweitens konnte sie wegen der räumlichen Nähe wahrscheinlich schon früh Kontakt zur Redaktion aufbauen,362 denn bereits 1874 erschienen zwei ihrer Texte in der Beilage. der Unterhaltungszeitschriften genügten die musikalischen Besprechungen in der Tages- oder Wochenpresse, speziell musikalisch Gebildete verfolgten die musiktheoretischen und ästhetischen Diskurse der Fachpresse. Welchen Stellenwert Musikwissen am Ende des Jahrhunderts für das Bürgertum immer noch hatte, verdeutlicht Spemanns goldenes Buch der Musik von 1900  : Auf mehr als 1300 Seiten ist im Octavformat alles versammelt, »was Jedermann, welcher der holden Musika huldigt, wissen sollte« (Grunsky u. a. (Hg.) 1900, unpag. Vorwort). 360 Da für Tageszeitungen im Allgemeinen keine Register angelegt wurden, hätte die Durchsicht von mehr als 50 Jahrgängen mehrerer Tageszeitungen bei einer Erscheinungsfolge von zum Teil zwei Ausgaben täglich einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet. 361 Für einen Artikel über Beethovens Unsterbliche Geliebte wurden Marie Lipsius beispielsweise 180 Zeilen zur Verfügung gestellt. Vgl. Brief von Eugen Segnitz an Marie Lipsius vom 16.03.1908, D-LEsm A/959/2010. 362 Drei überlieferte Briefe von Hans Marbach, leitender Redakteur der Leipziger Zeitung, an Marie Lipsius stammen allerdings erst aus den Jahren 1882 und 1884 (vgl. D-LEsm A/871/2010  ; A/872/2010  ; D-WRgs GSA 59/405,2).

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Unterhaltungs- und Familienzeitschriften

Den Unterhaltungs- und Familienzeitschriften galt der doppelte Anspruch von Unterhaltung und Aufklärung als Ziel und Aufgabe. Weitere ­Gemeinsamkeiten waren  : geringer Preis, hohe Auflage, Illustrationen, möglichst Ausschluss religiö­ ser und politischer Kontroversen und insgesamt eine Orientierung an bürgerlichen Tugenden, insbesondere der Sittlichkeit. Marie Lipsius profitierte vom Boom der Unterhaltungspresse363, denn ihre biographischen Artikel boten sich als Stoff vorzüglich an. Sie leisteten einen Beitrag sowohl zur historischen wie zur moralischen Bildung, indem die biographierte Person in ihrer doppelten Bedeutung als geschichtliche Figur und als überzeitlicher Idealtypus dargestellt wurde.364 Lipsius debütierte 1867 in Westermann’s illustrierten deutschen Monats­ heften (gegründet 1856) mit den drei biographischen Studien über Robert Schumann, Frédéric Chopin und Franz Liszt. Die Zeitschrift war vom ­Verleger ­George Westermann in Braunschweig nach englischem Vorbild gegründet worden und hatte sich zur Aufgabe gemacht, dem »Mangel eines großen Central­ organs für die nach Volkstümlichkeit ringende Bildung unserer Zeit«365 abzuhelfen. ­Marie Lipsius hatte ihre Artikel dem Redakteur Adolf Glaser angeboten, der sie, nachdem er die Autorin um einige Korrekturen gebeten hatte,366 in die Zeitschrift aufnahm. Zu jener Zeit hatten die Monatshefte eine Auflage von 7000 bis 8000  Exemplaren  – die Gartenlaube dagegen als auflagenstärkste Familienzeitschrift des 19. Jahrhunderts hatte da bereits mehr als 100.000 Abonnenten – und war deutlich teurer als andere Familienblätter, was den gehobenen Anspruch an Inhalt und Ausstattung markierte.367 Insgesamt druckten Westermanns Monatshefte zwischen 1867 und 1894 elf Artikel von Marie Lipsius. Dezidiert musikalische Themen hatten in den Familien- und Unterhaltungszeitschriften keine eigene Abteilung. Für die Gartenlaube beispielsweise, gegründet 1853 und oft als Prototyp der Massenpresse bezeichnet, hatte der Heraus363 Von 53  Unterhaltungszeitschriften im Jahr 1868 stieg die Zahl auf 718 im Jahr 1903. Damit erreichten die Unterhaltungs- und Familienzeitschriften einen Anteil von 12,6 % an der Gesamtzeitschriftenproduktion. Der Anteil pendelte sich bis 1913 zwischen zehn und elf Prozent ein und stieg im Kriegsjahr 1914 dann sogar noch einmal leicht an (vgl. Graf 2003, S. 411). 364 Eine so oder ähnlich benannte Rubrik »Biographisches« fand sich in allen Blättern (vgl. Porombka 2009, S. 124). Gerade die Spannung zwischen den beiden Komponenten einer Lebensbeschreibung  : das biographische Subjekt als Individuum und als Typus macht wohl den konstanten Reiz von Biographien aus (vgl. Zimmermann 2006). 365 Aus der Verlagsankündigung zit. nach Obenaus 1987, S. 31. 366 Vgl. dazu Kapitel 3.2. 367 Vgl. Obenaus 1987, S. 31.

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geber Ernst Keil folgende Rubriken angelegt  : ›Gedichte‹  ; ›Erzählungen und Novellen‹  ; ›Biographien und biographische Skizzen‹  ; ›Beschreibende und geschichtliche Aufsätze‹  ; ›Naturwissenschaftliche Aufsätze‹  ; ›Über den menschlichen Körper im gesunden und kranken Zustande‹  ; ›Aus der Gewerbswelt‹  ; ›Vermischtes‹. Die thematische Spannbreite war ein Erfolgsrezept. Viele Leserinnen und Leser konnten ihre Interessen darin wiederfinden und wurden außerdem in ihrer Überzeugung bestätigt, dass trotz der Diversifizierung der Gesellschaft Kunst, Wissenschaft und Lebenswelt noch eine Einheit bildeten. 1871 sandte Marie Lipsius ein Manuskript an Keil, den sie persönlich gekannt haben könnte, denn ihr Bruder Constantin hatte als Architekt dessen Leipziger Villa entworfen. Lipsius’ Aufsatz über Carl Tausig wurde angenommen und der Herausgeber-Redakteur Keil bekannte der Autorin  : »Mit Ihrer Offerte wird ü ­ brigens mein lang gehegter Wunsch, Sie in der Reihe meiner Mitarbeiter zu sehen, endlich erfüllt u. hoffe ich mit Sicherheit, daß unsere junge Verbindung für beide Theile eine angenehme u. nutzbringende werden wird«.368 In der Gartenlaube erschienen bis 1891 neun Artikel von Lipsius. Zwischen der in Leipzig produzierten Gartenlaube und der preußischen Regie­ rung hatte es zwischen 1863 und 1866 einen Eklat gegeben, weil in der Zeitschrift eine Erzählung abgedruckt worden war, in der der Untergang eines Korvettenschiffs auf einen Führungsfehler der preußischen Marine ­zurückgeführt wurde. Die Verbreitung eines solchen »Schandstück[s] liberaler Romanschreiberei«369 sollte unterbunden werden, also verbot Preußen den Vertrieb der Gartenlaube und versuchte als Gegengewicht ein christlich-konservatives Konkurrenzblatt zu etablieren  : das Familienblatt Daheim (gegründet 1864), dessen Leitmotiv die »Zucht und Sitte des deutschen Hauses«370 war. Als der tatsächliche Umfang der politischen Intention dieser Zeitschrift publik wurde, erklärte die Redaktion zwar ihre Unabhängigkeit, doch aus Sicht der Liberalen behielt das Daheim eine reaktionäre Tendenz.371 Von Marie Lipsius erschienen im Daheim Natur- und Reisebeschreibungen aus den Tiroler Bergen.

368 Brief von Ernst Keil an Marie Lipsius vom 28.07.1871, D-LEsm A/68/2010. 369 Obenaus 1987, S. 22. 370 Zit. nach ebd., S. 25. 371 Der preußische König hatte die Zeitschrift mit 500  Talern unterstützt, in den Ministerien lagen Probeexemplare und Subskriptionslisten aus, und Kriegsminister Roon hatte die Zeitschrift seinen Untergebenen als wirksames Mittel empfohlen, der »Verbreitung der fortschrittlichen Literatur, die in ihren Produkten bekanntlich überall regierungsfeindliche Tendenzen verfolgt, entgegenzuwirken.« (Graf 2003, S. 435).

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Erst nach der Reichsgründung trat die Gegenwart (gegründet 1872) als »Wo­ chenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben« in Erscheinung. Sie wollte alle ihre Themen »vom freisinnigen Standpunkt aus« besprechen.372 Gleich im ersten Jahrgang platzierte Marie Lipsius einen Artikel über Anton R ­ ubinstein, es sollte der einzige in der Gegenwart bleiben, auch wenn der Heraus­geber Paul Lindau gehofft hatte, »daß das der Anfang zu einer recht angenehmen und dauernden Verbindung sein wird.«373 Das angebotene Bogenhonorar von 60 Talern wird nicht der Grund dafür gewesen sein, denn es lag im oberen Bereich des üblicherweise gezahlten.374 In der Deutschen Rundschau (gegründet 1874), der Zeitschrift, in der beispielsweise Theodor Fontane und Theodor Storm viele ihrer Novellen und Erzählungen unterbrachten, erschien kein Artikel von Marie Lipsius. Das eingereichte Manuskript über den Schnitzer-Toni vom Kasbachthal wurde vom Herausgeber Julius Rodenberg abgelehnt, da er es für sein »anspruchsvolles Publicum« als nicht geeignet ansah.375 Bezeichnenderweise hatte Lipsius sich bei Rodenberg mit einer Reiseskizze vorgestellt, nicht etwa mit einer biographischen Skizze über einen Musiker aus dem Schülerkreis Liszts. Sie wusste sicher, wer die beiden Rundschau-Beiträger in musikalischen Angelegenheiten waren  : Eduard Hanslick und Otto Gumprecht  – in Lipsius’ Augen »ultrakonservative Musikkritiker«376, die in entschiedener Opposition zu den Neudeutschen und ihren Propagandisten standen.

372 Zit. nach Obenaus 1987, S. 64. Ihre nationalliberale Haltung behielt die Redaktion länger als andere Zeitschriften bei, entwickelte nach 1900 dann einen linksliberalen Kurs und näherte sich der Sozialdemokratie an. 373 Brief von Paul Lindau an Marie Lipsius, Berlin 04.05.1872, D-LEsm A/846/2010. 374 Westermanns Monatshefte zahlten 30  Taler, die Obergrenze für das von Zeitschriften gezahlte Bogenhonorar legt Lutz Winckler (1986, S. 87) bei 100 Talern an. Somit konnten Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Allgemeinen mit Zeitschriftenartikeln mehr verdienen als mit Monographien. Bei durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von 1200 Talern pro Jahr in den 1860er-Jahren bedauerte Theodor Fontane, dass es ihm nicht gelingen wollte, mehr als eine Novelle pro Jahr zu produzieren, obwohl er zu den Spitzenverdiener zählte und bis 450 Mark (= 150 Taler) pro Bogen verdiente, also für eine Novelle bis zu 3000 Mark (= 1.000 Taler) bekam. Während Schriftstellerinnen und Schriftsteller von den zahlungskräftigen, weil auflagenstarken Zeitschriften profitierten, konnten die zahllosen anonymen Beiträger von Rezensionen, Besprechungen und Korrespondenzen bei einem Zeilenhonorar von wenigen Pfennigen ihren Lebensunterhalt nicht allein aus journalistischer Arbeit bestreiten (vgl. ebd., S. 86). 375 Brief von Julius Rodenberg an Marie Lipsius vom 18.10.1875, D-WRgs GSA 59/412,5. Der Artikel erschien stattdessen in der Zeitschrift Daheim. 376 La Mara 1917a, S. 93.

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In Familien- und Unterhaltungsblättern gehörten Illustrationen zur Ausstat­ tung.377 Etliche Unterhaltungszeitschriften führten das Attribut »illustriert« sogar im Untertitel. Die Illustrierte Zeitung (gegründet 1843) in Leipzig beispielsweise druckte drei Artikel von Marie Lipsius, in denen die Autorin Komponistenporträts beschrieb, deren Entstehungsgeschichte rekonstruierte und sie kunsthistorisch einordnete. Die Bilder wurden als ganzseitige Abbilder beigegeben.378 Auch die Neue Illustrierte Zeitung (gegründet 1873), druckte Artikel von Marie Lipsius. Der leitende Redakteur Karl Emil Franzos hatte Lipsius um »Beiträge aus Ihrer geschätzten Feder« gebeten. »Populäre Artikel über Musik, die sich für ein für das große Publicum bestimmtes Familienblatt« eigneten, seien ihm sehr willkommen.379 Die Zeitschrift erschien in Österreich und war ein Ableger der Zeitschrift Über Land und Meer (gegründet 1858), die von preußisch-konservativen Kreisen dafür gelobt wurde, auf politische Themen und Positionen zu verzichten, was ein Vorteil gegenüber der Leipziger Illustrierten Zeitung sei.380 Mit ihren aufwändigen Illustrationen war Über Land und Meer ein eher teures Blatt und richtete sich an das zahlungskräftige Bürgertum. Um neue Leserinnen- und Leserkreise zu erschließen war es nicht ungewöhnlich, dass Verleger ihre Zeitschriften in unterschiedlichen Ausführungen und Erscheinungsweisen nebeneinander auf den Markt brachten. Über Land und Meer hatte dabei sechs Varianten  : im Folio­ format als Wochen- oder zweiwöchentliche Ausgabe bzw. als »Künstler-Ausgabe« auf hochwertigerem Papier, außerdem die kleinere »Salon-Ausgabe« in 377 Bilder zu drucken war ein kostspieliges Unternehmen und aufwändige Illustrationen hoben den Verkaufspreis einer Zeitschriftenausgabe. Mit der Weiterentwicklung drucktechnischer Verfahren konnten Bilder dann einerseits immer hochwertiger, andererseits immer günstiger gedruckt werden. Mit der Verbreitung kunsthistorisch relevanter Werke trugen die Illustrierten zur Demokratisierung der bildenden Kunst bei. Den Heften wurden immer wieder Kunstdrucke beigegeben, die die Leserinnen und Leser sich rahmen und aufhängen konnten. Auf diese Weise bestimmten die Massenzeitschriften maßgeblich mit, welche Werke der Kunstgeschichte populär wurden. Beeinflusst war ihre Auswahl jedoch von den Rechteinhabern der Bilder, die seit 1886 durch das Urheberrecht gestärkt waren. Einige wenige Firmen, wie z. B. Hanfstaengl in München, hielten die Rechte an etlichen Reproduktionen und beeinflussten darüber wiederum den kunsthistorischen Kanon (vgl. Graf 2003, S. 476 f.). 378 1874 hatte Lipsius dem Herausgeber Johann Jakob Weber die Rezension einer Wagner-Aufführung in Weimar angeboten, die aber nicht angenommen wurde. Erst als sie kunsthistorische Artikel lieferte, wurden diese gedruckt (vgl. Brief von Marie Lipsius an Johann Jakob Weber vom 15.06.1874, D-LEsm A/5036/2006). 379 Brief von Karl Emil Franzos an Marie Lipsius vom 29.04.1884, D-LEsm A/772/2010. 380 Vgl. Obenaus 1987, S. 33.

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zweiwöchentlicher oder monatlicher Erscheinungsweise, und schließlich die österreichische Variante Neue Illustrierte Zeitung. Durch diese Differenzierung konnten nicht nur verschiedene Abonnentenkreise erreicht, sondern auch die zu zahlende Stempelsteuer reduziert werden. Diese Abgabe wurde bis 1874 auf den freien Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften erhoben, fiel bei Abonnements aber geringer aus.381 Musikzeitschriften

Fachzeitschriften waren von der Stempelsteuer ausgenommen. Musikzeitschriften hatten sich im 18. Jahrhunderts gleich mehrere etablieren können, nachdem Johann Mattheson in Hamburg mit der Critica musica 1722 den Prototyp geschaffen hatte.382 Diese dem aufklärerischen Geist verhafteten Blätter vertraten die Überzeugung, dass Musik entscheidend zur gesellschaftlichen Erziehung der Menschen beitragen könne, insbesondere in moralischer Hinsicht.383 Die Allgemeine musikalische Zeitung (gegründet 1798) übernahm die Flaggschiff-Position, daneben gab es, vor allem in Berlin, weitere Musikzeitschriften, die auf hohem Niveau Musik rezensierten und musikästhetische Diskurse behandelten. Brachte die gescheiterte Revolution von 1848 dem Zeitschriftenmarkt enorme Einschränkungen durch Pressegesetze und Zensur, was dazu führte, dass etliche Zeitschriften vom Markt verschwanden, so galt das für Musikzeitschriften weniger. Zwar stellte die Allgemeine musikalische Zeitung nach 1848 ihr Erscheinen ein, doch für andere Zeitschriften bedeutete das Revolutionsjahr weit weniger Veränderungen  : Die Neue Zeitschrift für Musik (1834–heute), die Signale für die musikalische Welt (1843–1941) oder die Neue Berliner Musikzeitung (1847–1896) sind Beispiele dafür.384 Mit der Gründung allgemeiner Musikzeitungen, die sich nicht ausschließlich an Musikerinnen und Musikkenner richteten, sondern an ein breites, musikinteressiertes Publikum, differenzierte sich das Spektrum der Musikzeitschriften in der zweiten Jahrhunderthälfte weiter aus. Gleichzei381 Vgl. Graf 2003, S. 416 f. 382 Vgl. Böning 2013. 383 Zu den Anfängen des Zeitschriftenwesens aus den Moralischen Wochenblättern vgl. Faulstich 2002, S. 225–242  ; bezogen auf die Thematisierung von Musik vgl. Tadday 1993. 384 Im Musikzeitschriften-Artikel der MGG2 behauptet Imogen Fellinger (1998), die Revolution von 1848 habe für die Musikpublizistik einen Bruch bedeutet. Zur Begründung zieht er allein die Allgemeine musikalische Zeitung heran. Deren aufklärerische Ziele könnten für das 19. Jahrhundert derart unzeitgemäß geworden sein, dass das Revolutionsjahr einen günstigen Zeitpunkt bot, die Zeitung einzustellen.

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tig nämlich entstanden dezidiert musikwissenschaftliche Periodika, die sich als Diskursort für den wissenschaftlichen Austausch über Musik zu etablieren versuchten. Das Fach war mittlerweile verästelt und spezialisiert, was sich in Titeln wie Musica sacra (gegründet 1869) oder der Klavierlehrer (gegründet 1878) widerspiegelte, die nur kleine Ausschnitte der Musikwissenschaft repräsentierten. Andere Titel wirkten in der Absicht, das Fach als Ganzes darzustellen, wie zum Beispiel die Jahrbücher für musikalische Wissenschaft (nur in zwei Jahrgängen 1863 und 1867 erschienen) oder die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (gegründet 1885). Die Tendenz einerseits zur Verallgemeinerung und andererseits zur Spezia­ lisierung musikalischer Themen in Zeitschriften bedeutete für Marie Lipsius ebenfalls zweierlei  : Zwar stand ihr ein breites Spektrum an Zeitschriften zur Verfügung, um ihre Artikel zu platzieren, andererseits wurden durch die Spezialisierung auch Wege abgeschnitten, denn biographischen Aufsätzen wurde von den Fachvertretern zunehmend weniger Gewicht gegeben, seit Guido Adler in der ersten Nummer der Vierteljahrsschrift der Biographistik die Nebenrolle einer Hilfswissenschaft innerhalb der Musikwissenschaft zugewiesen hatte und sie nur unter bestimmten Umständen als musikwissenschaftlich relevant zulassen wollte.385 So waren es denn auch überwiegend allgemeine Musikzeitschriften, in denen Lipsius’ Artikel erschienen  : das Musikalische Wochenblatt (gegründet 1870), die Allgemeine (Deutsche) Musikzeitung (gegründet 1874), die Neue Musik-Zeitung (gegründet 1880) und Die Musik (gegründet 1901). In der Letztgenannten war Lipsius am häufigsten vertreten mit zehn Artikeln zwischen 1883 und 1914. Doch auch die Hamburger Signale (gegründet 1888) und die Signale für die musikalische Welt, obgleich an ein musikspezifisches Publikum adressiert, nahmen Artikel von Marie Lipsius auf. Bartholf Senff, der Herausgeber-Redakteur der Signale, schrieb dem »Fräulein von La Mara«, er erhebe seine verehrte Kollegin als Zeichen seiner Bewunderung »in den literarischen Adelstand«.386 Die Arbeiten von Marie Lipsius passten auf die Ansprüche unterschiedlicher Zeitschriftentypen.387 Lediglich eine Schnittstelle sucht man vergebens  : Kein 385 Ausführlich dazu vgl. Kapitel 2.7. 386 Postkarte von Bartolf Senff an Marie Lipsius vom 10.01.1881, D-WRgs GSA 59/415,10. Senff vertrat grundsätzlich eine oppositionelle Haltung gegenüber den Neudeutschen, druckte aber dennoch Artikel von deren Propagandisten Richard Pohl und Joachim Raff (vgl. Deaville 2006a, Fußnote 57). 387 So verwundert es nicht, dass die genannten Zeitschriften nicht nur Lipsius’ Artikel druckten, sondern auch die Bände ihrer Reihe Musikalische Studienköpfe zum Teil ausführlich rezensierten. Dazu vgl. Kapitel 4.

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einziger ihrer Artikel erschien in der Neuen Zeitschrift für Musik, obwohl Lipsius zahlreiche Bekannte im Kreis der Neudeutschen hatte, mit denen die Zeitschrift eng verbunden war. Anders als Lina Ramann, die Klavierschülerin bei Lysinka Brendel, der Ehefrau Franz Brendels, gewesen war, war Lipsius nicht mit dem Herausgeber befreundet und auch nicht mit seinem Nachfolger Christian Friedrich Kahnt. Ramann dagegen wurde 1877 Autorin der Zeitschrift und verfasste Aufsätze zu unterschiedlichsten Themen, beispielsweise über die Elegie, das Kunstgenie oder Liszts Hamlet. Lipsius thematisierte, soweit bekannt, ihr Verhältnis zur Neuen Zeitschrift für Musik nicht, weder in Briefen noch in ihrer Autobiographie. Warum sie der Zeitschrift keinen Aufsatz anbot, bleibt im Dunkeln. Waren es persönliche Gründe, riet ihr jemand aus dem Bekanntenkreis davon ab oder hatte die Zeitschrift kein Interesse an ihrer Mitarbeit  ? Darüber kann nur spekuliert werden. Ideologisch standen sich Marie Lipsius und die Neue Zeitschrift für Musik nahe. In seinem Einführungsartikel zur Übernahme der Zeitschrift 1845 hatte Franz Brendel über die zeitgenössische Musikkritik räsoniert. Seine Forderung  : Musikkritik müsse die Beschreibung des bloß Äußeren von Musik wie auch ihrer bloß subjektiven Empfindung überwinden, um kenntlich zu machen, welche musiktheoretischen und historischen Prinzipien oder, wie Brendel formulierte, »festeren Bestimmungen« sich in Musik realisierten. Brendel suchte nach dem geschichtsphilosophischen Grund von Musikgeschichte und meinte, dass Musik­kritiker hier orientierend eingreifen könnten, sowohl in Richtung der Rezipienten als auch der Produzenten  : Der Laie ist von der Seite der allgemeinen Bildung hereinzuführen in das Gebiet der Kunst, der Musiker aus der verhältnißmäßig engen Sphäre seiner Kunst herauszuführen in das allgemeine Leben. Wenn dann die Betrachtung, die Kritik jene vorhin entwickelte höhere Stufe auf musikalischem Gebiet ersteigt, hat sie zugleich den Standpunct erreicht, wo sie mit dem allgemeinen Leben, mit Literatur und Wissenschaft in Verbindung treten kann, indem sie, aus dem musikalischen Empfindungsleben heraustretend, fortgegangen ist zu allgemein faßbaren Gedankenbestimmungen.388

Die Werke der Tonkunst seien »aus den engen musikalischen Sphären herauszurücken«, um sie in Verbindung zu bringen mit anderen Künsten und der Wissenschaft, denn erst so könne »jede Kunsterscheinung in ihrer relativen Berechtigung« erkannt werden. Die Musik müsse allerdings im Zentrum der Betrachtung 388 Brendel 1845, S. 12.

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bleiben, ja, sie bedürfe aktuell mehr denn je einer guten Musikkritik, um »Verfehltes abwerfen« zu können.389 Technisch sei die Musik mittlerweile zwar höher entwickelt als im 18. Jahrhundert, aber es fehle ihr nun etwas anderes  : Unvermerkt von Jahr zu Jahr trat der Geist mehr zurück, und die leere, inhaltslose, aber außerordentlich in sich gesteigerte Form hervor  ; trotz der großen Erweiterungen des Instrumentes zeigen sich jetzt demnach weit geringere Leistungen als früher. Zugleich ist ein Fortschritt und ein Rückschritt vorhanden.390

Aus dieser diffusen Gegenwartsanalyse leitete Brendel seine Forderung ab, die Musikkritik müsse den Rückschritt korrigieren, indem sie dem Fortschritt zuarbeite.391 Zwar verstarb Franz Brendel kurz nachdem Marie Lipsius publizistisch in Erscheinung getreten war, doch die Neue Zeitschrift für Musik wurde in seinem Geist weitergeführt.392 Lipsius hatte sich in den Auffassungen Brendels sicher wiederfinden können und leistete mit ihren Musikalischen Studienköpfen einen Beitrag in Richtung des Brendel’schen Entwicklungsmodells der Musikgeschichte mit seiner Stufenfolge Altdeutsche → Klassiker → Wendepunkt Beethoven → Neudeutsche.393 Auch lehnte die Neue Zeitschrift für Musik das Biographische nicht grundlegend ab. Nicht wenige Leitartikel waren dezidiert biographisch angelegt. So beispielsweise Richard Pohls Studie über Hector Berlioz nach dessen Tod 1869. Der Autor leitete sie folgendermaßen ein  : So ist denn wieder einer von den Gewaltigen, den Großen zur ewigen Ruhe gegangen  ! – Und nun kommen die Kleinen, die sich bei seinem Leben in scheuer Entfernung von ihm hielten, und streuen eilig die Lorbeerblätter auf sein Grab, die für den Lebenden nicht grünen sollten. Bei seinem Todtenamte waren sie alle versammelt, die ihn im Le389 Ebd., S. 10. 390 Ebd., S. 9. 391 Konkreter wurde Franz Brendel 15 Jahre später in seiner Rede zur Eröffnung der Tonkünstlerversammlung in Leipzig (vgl. Brendel 1859). 392 »[…] halten wir es daher bei Eröffnung des neuen Jahrganges für eine wesentliche Pflicht gegen unsere Leser, zu erklären  : daß wir, dem lauten Wiederhalle Rechnung tragend, welchen diese Zeitschrift von Jahr zu Jahr immer mächtiger und ausgedehnter gefunden hat, mit aller Entschiedenheit gesonnen sind, dieselbe den bisher adoptirten Grundsätzen gemäß in gleichem Geiste weiterzuführen, überhaupt das stets von derselben vertretene hohe und ideale Ziel auch ferner treu und unverrückt im Auge zu behalten.« (Redaktionsnotiz »Zum neuen Jahr 1869, in  : Neue Zeitschrift für Musik 65 (1869) 1, S. 1). 393 Vgl. Altenburg 2006, S. 18–20 sowie Kapitel 2.5 und 3.2.

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ben so einsam gelassen hatten, wie nur selten ein großer Künstler gewesen ist. […] Immer und immer wiederholt sich dasselbe grausame Spiel mit Künstlerruhm und Menschenglück vor unsern Augen. Immer wieder wird es beklagt – und nie geändert. […] Dem nächsten großen Mann, der ohne ästhetische Erlaubniß zu existiren wagt, geht es genau ebenso. Nur die goldene Mittelmäßigkeit florirt und vermehrt sich wunderbar.394

Marie Lipsius verfasste zeitgleich ein Erinnerungsbild für den verstorbenen Berlioz, das in Westermanns Monatsheften erschien. Es begann wie Pohls Studie mit dem Topos des großen Künstlers, der wegen seiner Außergewöhnlichkeit unverstanden bleiben musste  : Wenn ein Ausspruch Jean Paul’s lautet  : ›Luft und Lob ist das Einzige, was der Mensch nicht entbehren kann,‹ so hat ein großer Meister dieses Wort unlängst mit seinem Tode besiegelt. Hector Berlioz ist, so sagt man, im Gram um die Nichtanerkennung seiner Verdienste im Vaterlande aus diesem Leben gegangen. […] Wie kaum ein Anderer in gleichem Maße ward Hector Berlioz ein Künstler des Sturms und Drangs geboren und ist als solcher zu Grabe gegangen. Nicht leichten friedlichen Genuß bieten uns seine Werke dar  ; wir verstehen sie nur wahrhaft, wenn wir die Kämpfe verstehen lernten, die die Künstlerbrust durchwühlten.395

Während Pohl im Weiteren umso heftiger dagegen polemisierte, dass die Anliegen der Fortschrittsmusiker, für die er Berlioz zum Stellvertreter machte, generell nicht verstanden würden, forderte Lipsius ihre Leserinnen und Leser auf, das Unverständnis rückwirkend wieder gutzumachen  : »Wohlan, sühnen wir an dem Todten, was wir an dem Lebenden versäumt, suchen wir [sein] Leben und Streben […] zu verstehen«.396 Mit ihrem Bemühen um Ausgleich und Harmonie entsprach Lipsius dem weiblichen Rollenbild. Doch auch Männer hegten den Wunsch nach weniger Parteikampf, wie sich in einer Rezension der Musikalischen Studienköpfe zeigte, die ausgerechnet in der Neuen Zeitschrift für Musik erschien  : Die La Mara’schen Skizzen legen Zeugniß davon ab, daß eine empfängliche und musikalisch durchgebildete Natur fähig ist, verschiedene und selbst gegensätzliche Schöp394 Richard Pohl  : »Hector Berlioz«, in  : Neue Zeitschrift für Musik 65 (1869) 14, S.  113–116, hier S. 113. 395 La Mara  : »Hector Berlioz«, in  : Westermanns illustrirte deutsche Monatshefte, (1869) 26, S. 534– 540  ; 654–667, hier  : S. 534. 396 Ebd., S. 536. Vgl. dazu Kapitel 3.2.

Kunstkritik, Biographik oder Philologie?

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fungen mit gleicher Vorliebe, gleicher Wärme in sich aufzunehmen, daß die Begeisterung für Mendelssohn die für Franz Liszt, die pietätvolle Verehrung C. M von Weber’s die freudige Anerkennung für Richard Wagner nicht auszuschließen braucht. Es überkommt uns ein wohlthuendes Gefühl bei diesem kleinen Buche  – die Kämpfe der Gegenwart erscheinen in demselben, in seiner Gruppirung so einfach und harmonisch gelöst, wie sie sich unzweifelhaft lösen werden, nur daß wir Alle fürchten müssen, diese Zeit nicht zu erleben.397

Der Rezensent nahm die Studienköpfe als Beweis dafür, dass der Graben zwischen den widerstrebenden musikalischen Richtungen überwunden werden könne. Die Autorin habe sie in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht. Freilich werde es noch lange dauern, bis sich diese Harmonie allgemein durchsetze. Eine derartige Harmonie hätte freilich an der Existenzberechtigung der Neuen Zeitschrift für Musik gekratzt, denn als Propagandamedium lebte sie von Polemik und Kontroverse. Vielleicht passte Marie Lipsius mit ihrem ausgleichenden Stil einfach nicht zu einer Zeitschrift, dessen Herausgeber die »Bestimmtheit der Auffassung«398 gefordert hatte. 2.7 Kunstkritik, Biographik oder Philologie? Die Musikwissenschaft in ihrer Gründungsphase Die Geschichte der Musikwissenschaft ist weder linear und eindeutig zu rekonstruieren noch auf einen definierten Anfang zu bringen. Problematisch ist die Definition dessen, was Musikwissenschaft sei. Wird Musikwissenschaft mit Musikgeschichtsschreibung gleichgesetzt, dann sind ihre Anfänge bereits in der Antike zu finden.399 Wird erst die kritische Reflexion musikhistorischer Ereignisse in systematischen Darstellungen als musikwissenschaftliche Arbeit anerkannt, liegt ihr Ursprung in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts.400 Eine Auffächerung der Musikgeschichte in weitere (systematische) Teilbereiche der Musikwissenschaft erfolgte dann im Laufe des 19.  Jahrhunderts.401 Institutionsgeschichtlich ist die Musikwissenschaft wiederum noch jünger. Erst Ende des 19. Jahrhunderts 397 Anon.: La Mara’s Musikalische »Studienköpfe«, in  : Neue Zeitschrift für Musik, 65 (1869) 4, S. 29–30, hier  : S. 29. 398 Brendel 1859, S. 266. 399 Vgl. Meischein 2010. 400 Vgl. Knepler 1997, Sp. 1308  ; Meischein 2010. 401 Vgl. Cadenbach/Jaschinski/Losch 1997.

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konnte sie sich als universitäre Disziplin neben den etablierten geisteswissenschaftlichen Fächern durchsetzen  ; es dauerte bis nach der Jahrhundertwende, ehe das Fach mit eigenen Lehrstühlen an den meisten deutschen Universitäten vertreten war.402 Wichtige Teilaspekte ihrer Fachgeschichte hat die Musikwissenschaft reflektiert,403 wie zum Beispiel das Verhältnis der Musik­geschichte zur allgemeinen Geschichte, insbesondere im Historismus404, die Systematisierungsversuche des Faches in hierarchisierte Teildisziplinen405 oder die Lebenswege und Arbeitsweisen einzelner Fachvertreter der Gründungszeit406. Andere Publi­ kationen verstehen ihren Beitrag zur Fachgeschichte in der De-/Rekonstruktion der Ideologien, Topoi und Denkmuster, die hinter der Institutionalisierung der Musikwissenschaft standen.407 Eine Darstellung des Wechselspiels zwischen Personen, Institutionen, Denkmustern und gerade auch den Nachbardisziplinen sowohl in historischer Perspektive also auch mit Blick auf den Ist-Zustand des Faches steht dagegen noch aus.408 Marie Lipsius’ musikschriftstellerische Arbeiten fielen genau in jene Zeit, als die Methoden und Erkenntnisbereiche der Musikforschung sich ausdifferenzierten. Zwischen 1800 und 1900 verhandelten die Protagonisten der frühen Musikwissenschaft, ob ihr Fach Kunstkritik, Biographik oder Philologie sein sollte. Diese drei ›Methoden‹ überschnitten und ergänzten sich allerdings, so dass von einer nahtlosen Entwicklungslinie nicht die Rede sein kann. Marie Lipsius tangierte mit ihren publizistischen Arbeiten alle drei Bereiche, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts typisch war für das außerhalb der Fachwissenschaft stehende Schreiben über Musik. Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen war sie in der Gründungsphase der Musikwissenschaft eine Grenzgängerin. Sie schrieb für eine breite musikinteressierte Öffentlichkeit, verfolgte dabei aber gleichwohl den Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnis zu fördern. Die 402 Vgl z. B. Kümmel 1967a. 403 Für eine Auswahlbibliographie zu etlichen Teilaspekten vgl. Gerhard 2000, S. 23–30. 404 Vgl. z. B. Kümmel 1967b  ; Heinz 1968  ; Wiora (Hg.) 1969. 405 Vgl. z. B. Wiener 2010  ; Boisits 2013. 406 Vgl. z. B. Kalisch 1988  ; Gerhard (Hg.) 2000  ; Böhme-Mehner/Mehner (Hg.) 2001 oder Wolkenfeld 2012. 407 Z. B. Hentschel 2006 und Unseld 2014. 408 Das neue Interesse an der Fachgeschichte, das seit der Jahrtausendwende einsetzte, speiste sich offensichtlich auch aus der prekären Situation der Musikwissenschaft, die sich von wissenschaftspolitischen Entwicklungen zunehmend unter Druck gesetzt fühlte. Die Behandlung der eigenen Geschichte schien eine geeignete Strategie, sei es aus kritischer oder aus idealisierender Perspektive, das eigene Fach zu stärken (vgl. z. B. Archiv für Musikwissenschaft 57 (2000) 1  ; Gerhard (Hg.) 2000  ; Lütteken (Hg.) 2007).

Kunstkritik, Biographik oder Philologie?

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sich immer stärker professionalisierende Musikwissenschaft hingegen bemühte sich nach Kräften um die strikte Abgrenzung von einer derartigen Populärwissenschaft. Wenn sie ihre Methodik zu systematisieren und ihre Aufgaben und Ziele zu definieren versuchte, wollte die Musikwissenschaft damit ihre Wissenschaftlichkeit begründen und festigen.409 Im Folgenden sollen einige Diskurs­ linien rekonstruiert werden. Der Beginn der modernen Musikwissenschaft wird allgemein im späten 18. Jahrhundert verortet. Johann Nikolaus Forkel zählte mit seiner Allgemeinen Geschichte der Musik (1788) zu ihren Begründern, da seiner Arbeit ebenso wie der seiner englischen Zeitgenossen Charles Burney (A General History of Music, 1776–89) und John Hawkins (History of the Science and Practice of Music, 1776) erstmals ein historisches Bewusstsein zugrunde lag, also die Idee eines Fortschreitens von Geschichte.410 Gegenwärtige Musik wurde ins Verhältnis gesetzt zur Musik der Vergangenheit, um darüber zu einer ästhetischen Bewertung der zeitgenössischen Musik zu kommen. Forkel verstand sich demnach primär als Musikkritiker, der nach objektiven Bewertungsmaßstäben suchte, nach denen er das »Schöne« von dem »Fehlerhaften« unterscheiden könnte. Mit der »Anwendung des Geschmacks, und der Grundsätze der gesunden Vernunft auf die Kunst« wollte er nicht nur bereits komponierte Musik bewerten, sondern auch Regeln aufstellen, nach denen schöne Musik zu komponieren sei.411 Kunstkritik

Einer der Ausgangspunkte von Musikwissenschaft war also die Kunstkritik, von Forkel gedacht und praktiziert als objektive Regelkritik. Aufklärung und Empfindsamkeit veränderten die Auffassung von Musikkritik grundlegend. Nachdem Immanuel Kant erörtert hatte, dass es keine grundsätzlichen Maßstäbe zur Bewertung von Kunst geben könne, war die Regelkritik überholt. Nun wurde das 409 In Burkhard Meischeins (2010) Versuch beispielsweise, den musikhistorischen Diskurs zwischen 1600 und 1960 als nahtlose Linie sich gegenseitig ablösender Paradigmen zu beschreiben, hat sich diese Auffassung bis heute gehalten. 410 Helmuth Osthoff (1933, S.  100) wendet diese Gleichzeitigkeit nationalchauvinistisch in dem Sinne, dass er die Publikationen der englischen Musikforscher Hawkins und Burney als unsystematisch und lediglich an ein Laienpublikum gerichtet abwertet, um den Deutschen Forkel als alleinigen Begründer der Musikgeschichtsschreibung installieren zu können. Elisabeth Hegar (1974 [1933]) stellt dagegen klar, wie groß der Einfluss der englischen Schule auf deutsche Historiker, insbesondere in Göttingen, wo Forkel lehrte, war. 411 Forkel 1967 [1788], S. 60.

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subjektive Empfinden des Musikkritikers zum neuen und einzig gültigen Maßstab erhoben. Als Vorbild galt hier E. T. A.  Hoffmann412, dessen Rezensio­nen »selber wieder Literaturgeschichte machten«413. Doch die Beliebigkeit ­dieses subjektiven Verfahrens führte zu einer Krise. Das Publikum erwartete Orientierung, so dass die Musikkritiker ihre Tätigkeit nun zunehmend unter den Aspekt der Bildung stellten. Sie wollten den Geschmack des Publikums bilden und suchten dafür nach kunstästhetischen Begründungen. Helmut Kirchmeyer nennt hier Robert Schumann und seine Neue Zeitschrift für Musik als prägnantestes Beispiel. Schumann habe erkannt, dass »die Empfindung als solche kritik­ untauglich war, wenn man nicht zuvor die Qualität der Empfindung geprüft hatte« und dass »die Musikkritik im wertenden Geschäft auf die Darstellung von richtig und falsch nicht verzichten konnte«.414 Der ›wahre‹ Geschmack wurde reaktiviert, nun aber nicht mehr als gültiges Regelkorsett, nach dem ›schöne‹ Kunst zu bewerten sei, sondern als kunstästhetisches Konstrukt, das transzendental begründet wurde.415 Diese Art »Standpunktkritik« sei dann zunehmend zugespitzt worden und habe endlich in der Parteikritik zwischen Konservativen und Neudeutschen gemündet, so Kirchmeyer. Seine Deutung der »letzte[n] Phase der Geschichte der deutschen Musikkritik« ist interessant, denn mit ihr habe sich die wissenschaftliche Musikkritik vom »Bereich des Phrasen-, Rede- und Versatzstückjournalismus« sowie von der »Kompetenz der selbsternannten Fachleute […] einschließlich der privaten Erfahrungen reproduzierender Künstler« abgehoben. Die Parteikritik habe mit Subjektivismus und Standpunkten nichts zu tun haben wollen, stattdessen hätten die Kritiker einen erneuten Anspruch auf Wahrheit für ihre Bewertungen erhoben, berechtigt dort, wo sie in der Tat den wissenschaftlichen analytischen Prozeß verfolgte[n], um so seltsamer allerdings da, wo sie Kritik wie eh und je als Standpunktkritik betrieben und sich das Mäntelchen der Wissenschaftlichkeit bloß umhingen.416

Auf ihrem Höhepunkt musste sich die Parteikritik zwangsläufig radikalisieren, denn Vermittlung war nicht mehr möglich, wenn die eigene Position für die 412 Zur musikbiographischen Arbeit E. T. A. Hoffmanns vgl. Unseld 2014, S. 214–219. 413 Kirchmeyer 1990, S. XIX. 414 Ebd., S. XXI. 415 Vgl. Tadday 1999. 416 Kirchmeyer 1990, S. XXV.

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einzig und absolut wahre gehalten wurde. Diese Sakralisierung der Wahrheit war ein Phänomen, das im 19.  Jahrhundert alle wissenschaftlichen Teildisziplinen tangierte. Wissenschaft strebte nach Wahrheit, und die Kunstkritik war eine der Vorbereiterinnen, indem sie das Kunstwahre beschwor. Es war eine Mischung aus idealistischer Suche nach dem Kern des Wahren und Schönen und einer in Ideologie gründenden Beschwörung des ›richtigen‹ Wahren und Schönen. Als ›Wahrheitsreligion‹ war diese Mischung hochgradig anfällig für Parteinahmen politischer und kultureller Art.417 Hier traf sich die Musikkritik mit den Entwicklungen der wissenschaftlichen Musikhistorik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eduard Hanslick und Franz Brendel waren die vielleicht diskursmächtigsten Antagonisten dieser Zeit. Beide arbeiteten als Kritiker und Musikhistoriker und prägten mit ihren monographischen Schriften die Fachgeschichte.418 Der Wiener Kritiker Hanslick vertrat mit seinem Buch Vom Musikalisch-Schönen (1854) die These, dass Musik keinen außermusikalischen Inhalt repräsentieren könne, da der Inhalt der Musik »tönend bewegte Formen« seien.419 Inhalt und Form fielen für Hanslick in eins, wohingegen Franz Brendel, als Chefideologe420 der Neudeutschen, die idealistische Trennung von Form und Inhalt vertrat. Die musikalische Form an sich sei leer, nur ein Gefäß, das mit außermusikalischem Inhalt gefüllt werden müsse. Ihre Aufgabe als Kritiker sahen beide nun aber ähnlich, nämlich einen bildenden Einfluss auf das Publikum auszuüben. Hanslick meinte zwar einschränkend, dass sich ein Musikkritiker täusche, wenn er sich einen erziehenden Einfluss auf die Künstler zuschreibe, jedoch im »allmählich bildenden Einfluß auf das Publikum« sah er seine Berufung als Kritiker.421 Ganz ähnlich Brendel, der dafür kämpfte, über Musik so zu sprechen, daß der Inhalt derselben zum gegenständlichen Bewußtsein erhoben wird. Es muß dahin gewirkt werden, daß jede Kunsterscheinung in ihrer relativen Berechtigung erkannt wird, um diese zahllosen subjectiven Liebhabereien, Sympathieen und Antipathieen zu verbannen422.

417 Vgl. Iggers 1997  ; Hentschel 2006. 418 In der Übersicht musikhistorischer Paradigmen bei Burkhard Meischein (2010) tauchen beide Namen seltsamerweise nicht auf. 419 Zit. nach Gärtner 2005, S. 26. 420 Vgl. Winkler 2006, S. 49. 421 Zit. nach Tadday/Flamm/Wicke 1997, Sp. 1373. 422 Brendel 1845, S. 11.

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Ein halbes Jahrhundert später nahm der Musikkritiker und -wissenschaftler ­Eugen Schmitz die Forderungen nach einer vermittelnden Musikkritik wieder auf. In seinem Beitrag zum Kongress der Internationalen Musikgesellschaft 1909 forderte er, dass sich die Musikwissenschaft wieder hinwenden müsse zu ihrer pädagogischen Funktion der Bildung und Vermittlung kunstästhetischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse  : Die Musikwissenschaft hat die Pflicht, ihre Ergebnisse zu popularisieren, sowohl in ihrem eigenen Interesse, als auch im Interesse der Allgemeinbildung. Sie ist heute auch bereits reif dazu, eine zwar nicht lückenlose, aber doch wissenschaftlich ernst zu nehmende, ihren Zweck erfüllende Populärliteratur zu schaffen. Sie kann dies tun im Rahmen der Lehrbücher der Schulen und allgemeinen Bildungsanstalten, der allgemein wissenschaftlich-volkstümliche Zwecke verfolgenden Enzyklopädien, im Rahmen einer selbständigen musikalischen Populärliteratur und im Rahmen der Tagespresse. Bei letzterer ist es namentlich das Gebiet der Musikkritik, zu dessen Pflege sie in besonderem Maße berufen und befähigt erscheint.423

Im Gegensatz zu den musikästhetischen Grabenkämpfen des 19. Jahrhunderts, die schließlich immer noch in einem gemeinsamen Tonsystem verankert waren, hatte der Kritiker Schmitz es mit der musikalischen Moderne zu tun. Eine Musik, die den Rahmen der Tonalität zu strapazieren begann, rief beim Publikum nicht nur Unwillen hervor, sondern löste teilweise schieres Unverständnis aus. Der Musikkritiker musste, bevor er Argumente des Für und Wider darlegen konnte, zunächst den Gegenstand erklären  :424 Ja selbst bei Besprechung modernster Werke liegen musikgeschichtliche Hinweise nicht nur nahe, sondern müssen zur Gewinnung des richtigen Gesichtspunktes sogar zur Sprache gebracht werden. Der tonmalerische Detailstil von Strauß’ ›Elektra‹ z. B. wird demjenigen nicht mehr so ›unerhört‹ und ›nie dagewesen‹ (sei es in gutem oder schlechtem Sinn) erscheinen, der vom Madrigalstil des 16. Jahrhunderts oder von den die detaillierte Tonmalerei als Selbstzweck verfolgenden ›Gleichnisarien‹ der neapolitanischen Oper des 18. Jahrhunderts einige Kenntnis erhält.425 423 Schmitz 1909, S. 427 f., Hervorheb. im Orig. 424 Carl Dahlhaus (1987) argumentierte ganz genauso, wenn er kritisierte, dass sich mit der Epochenschwelle von 1910 das Paradigma des Verstehens von Musik durchgesetzt habe. Die Neue Musik sei der »Herrschaft des Experten« überlassen worden, weil ohne Notentextkenntnis kein Verstehen mehr möglich gewesen sei. 425 Schmitz 1909, S. 427.

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Die Forderung, Musikkritik müsse aufzeigen, wie Musik im gesellschaftlichen Leben verankert sei, mit diesem in Wechselwirkung stehe und wie sich die Wechselwirkungen historisch gewandelt hätten, blieb allerdings singulär und konnte sich gegen die ästhetizistische Auffassung von Musikkritik als Qualitätswertung des Werkes nicht durchsetzen.426 Die Musikkritik verlor umso mehr an Bedeutung, je weiter die Professionalisierung und Institutionalisierung der Musikwissenschaft voranschritt. Im 18.  Jahrhundert waren es die Musikkritiker gewesen, die die Reflexion über Musik vorangetrieben hatte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legte die professionalisierte und institutionalisierte Musikwissenschaft wenig Wert auf diese Ursprünge und klammerte die Musikkritik aus ihrem Arbeitsgebiet aus, wenngleich sich die Arbeit als Musikkritiker immer noch anbot, die prekäre Phase bis zur Berufung auf eine Professur zu überstehen. Musikerbiographik

Neben der Musikkritik war es die Musikbiographik, an der entlang sich die Musikwissenschaft professionalisierte. Ihre Ursprünge reichen ebenfalls ins 18. Jahrhundert zurück, als in der Zeit der Aufklärung biographische K ­ leinfor­men hoch im Kurs standen. Die typisierten Lebensbilder herausragender Persön­ lich­keiten sollten dem Lesepublikum als moralische Vorbilder dienen.427 Dass auch Musiker diese Vorbildfunktion erfüllen und damit biographiewürdig sein könnten, war allerdings alles andere als ausgemacht, denn aus dem prekären ­Sozialstatus von Musikern ließ sich schwerlich ein Leitbild für Leserinnen und Leser kon­struieren.428 Johann Mattheson unterschied in seiner Grundlage einer Ehren-Pforte (1740) daher zwischen den »tüchtigsten Capellmeister[n], Componisten, Musikgelehrten, Tonkünstler[n] etc.« und den moralisch fragwürdigen Musikanten, die er aus seiner Biographiesammlung ausschloss. Älter noch war allerdings die Biographiesammlung Historische Beschreibung der edlen Sing- und Kling-Kunst von Wolfgang Caspar Printz, die bereits 1690 erschienen war und lange Zeit die Referenz für biographisch-lexikalische Werke blieb. Manuel Gervinks exemplarische Auflistung biographischer Sammlungen aus der Zeit der Aufklärung umfasst allein 21 Titel, die er in drei Gruppen ­gliedert  : erstens lexikalische Sammlungen, zweitens Porträtsammlungen mit stärker 426 Vgl. Tadday/Flamm/Wicke 1997, die als Beispiel für diese Art Musikkritik Paul Bekker mit seinem Buch Das deutsche Musikleben von 1916 anführen. 427 Vgl. Schnicke 2009a, S. 236. 428 Unseld 2014, S. 69–84.

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selektivem Charakter und drittens im Übergang zum 19. Jahrhundert die monographischen Darstellungen.429 Damit ist gleichzeitig eine Entwicklung bezeichnet von rein quantitativer Kompilation hin zur Fokussierung letztendlich auf einen einzelnen Musiker. In dem Maße, wie sich das Konzept des Kunstgenies durchsetzte, rückte mehr und mehr die Einzelperson mit ihrer Individualität in den biographischen Fokus. In der ersten monographischen Musikerbiographie überhaupt, der Bach-Biographie Johann Nikolaus Forkels (1802), sieht Gervink den Wendepunkt. Forkel habe erkannt, »daß die Musikgeschichte, und damit auch der Fortschritt der Musik, sich stets im Schaffen einzelner individueller Persönlichkeiten festmachen« lasse, die es deshalb genau darzustellen gelte. Erst mit diesem »Bewußtsein einer universalen Geltung der historischen Betrachtungsweise« sei eine historische Biographik möglich geworden.430 Forkel habe »als einer der ersten den Typus des akademischen Musikhistorikers« repräsentiert, »wie er sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausbildete«.431 Die Biographik des 18. Jahrhunderts mit ihren moralisch intendierten Kleinformen, auch und gerade verbreitet durch Zeitungen und Zeitschriften, bildete die Voraussetzung dafür, dass die monographische Biographie im 19. Jahrhundert zum Leitmedium werden konnte. Wenn Falko Schnicke fragt, ob nicht eigentlich das 18. Jahrhundert das Jahrhundert der Biographie genannt werden müsste, dann sprechen seiner Meinung nach drei Tendenzen dafür  : die zunehmende Theoretisierung der Biographie, die Ausbreitung des biographischen Diskurses durch die gesteigerte Publizistik sowie die Historisierung des Individuums bzw. die Historisierung durch das Individuum.432 Insbesondere die letztgenannte, historistische Auffassung, dass historische Prozesse durch die Taten Einzelner vorangebracht würden, beförderte seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts die Entstehung oft mehrbändiger Biographien, die das politisch, militärisch oder künstlerisch handelnde Subjekt als genialen Helden inthronisierten. Heinrich von Treitschkes Formel  : »Personen, Männer sind es, die Geschichte machen«433 brachte diese Auffassung auf den Punkt. Die Biographien über Wolfgang Amadeus Mozart (1856), Friedrich Händel (1858) und Johann Sebastian Bach (1873) werden oft als Meilensteine auf dem Weg der Musikwissenschaft zur universitären Fachdisziplin bezeichnet.434 Die 429 Vgl. Gervink 1995 430 Ebd., S. 48. 431 Ebd., S. 51. 432 Vgl. Schnicke 2009a, S. 241. 433 Treitschke 1897, S. 6. 434 Vgl. z. B. Cadenbach/Jaschinski/Losch 1997, Sp. 1805.

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drei Biographien (und etliche nachfolgende) manifestierten die Bedeutung der philologischen Methode für die Musikwissenschaft, so verschieden die Werke auch angelegt waren. Der Bach-Biograph Philipp Spitta wurde kurz nach der Publikation seines Werkes auf eine außerordentliche Professur für Musik­ geschichte in Berlin berufen, so jedenfalls begründet in einer Würdigungsschrift aus dem Jahr 1876.435 Eine einzelne Schrift hätte als Ausweis der Befähigung für die Stelle sicher nicht ausgereicht, wenn sie methodisch und inhaltlich nicht den Überzeugungen der Entscheidungsträger entsprochen hätte. Dass mit Spitta ein Biograph und studierter Philologe berufen wurde, zeigt, wie eng Biographie und Philologie gekoppelt waren und welchen herausragenden Status beide in der Musikforschung einnahmen. Der Mozart-Biograph Otto Jahn war Professor für Altphilologie, arbeitete zeitlebens aber auch musikhistorisch. In Leipzig wurde er Mitbegründer der Bachgesellschaft und setzte sich dafür ein, die Gesamtausgabe der Werke Bachs nach philologisch-kritischen Maßstäben herauszugeben. Seine Biographie des Wiener Klassikers sei davon allerdings abgewichen, urteilte Hermann Abert 1920 in seinen Reflexionen Über Aufgaben und Ziele der musikalischen Biographie  : »Was der Philologe Jahn sich niemals erlaubt hätte, gestattete sich der Musikhistoriker im Drange seines romantischen Sehnens  : eine außerwissenschaftliche Tendenz.« Jahn habe Mozart zu einer »romantischen Ganzheit« idealisiert. Künstler und Mensch seien für Jahn zu einer nicht zu trennenden Einheit zerschmolzen. So bekannte Jahn in seiner Vorrede  : Meine Aufgabe war eine auf gründlicher Durchforschung der Quellen beruhende zuverlässige und vollständige Darstellung des Lebensganges Mozarts, mit sorgfältiger Berücksichtigung Alles dessen, was in den allgemeinen Bedingungen der Zeit, in welcher er lebte, wie in den örtlichen und persönlichen Verhältnissen, unter deren besonderm Einfluß er stand, seine Entwickelung als Mensch und Künstler zu bestimmen geeignet war  ; sodann eine aus der möglichst umfassenden Kenntniß und Würdigung seiner Compositionen hervorgehende Charakteristik seiner künstlerischen Leistungen, eine Geschichte seiner künstlerischen Ausbildung. Keine Seite dieser Aufgabe kann selbständig für sich gefaßt werden, wenn auch die Forschung wie die Darstellung bald der einen bald der anderen nachgehen mußte  ; die Aufgabe selbst war stets eine, wie das Individuum in welchem der Künstler und der Mensch untrennbar vereinigt sind.436

435 Vgl. Unseld 2014, S. 371. 436 Jahn 1856, S. XXI.

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Der Händel-Biograph Friedrich Chrysander war wie Jahn davon überzeugt, dass Leben und Werk eine duale Einheit bildeten. Seine Umsetzung war allerdings eine etwas andere, denn er verschmolz nicht beide Anteile in einem Buch, sondern trennte die Lebenserzählung (in Form seiner dreibändigen Händel-Biogra­ phie) von der philologischen Rekonstruktion des Werkes (als Herausgeber der Händel-Gesamtwerke) und synthetisierte dann beides mittels musikwissenschaftlicher Reflexionen (in den 1863 und 1867 erschienenen Jahrbüchern für musikalische Wissenschaft).437 Seit Mitte des 19.  Jahrhunderts übte das positivistische Paradigma der Naturwissenschaften zunehmend Druck auf die historischen Wissenschaften aus,438 die sich zwischen Empirik und Hermeneutik neu verorten mussten.439 Den Einfluss der naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen auf die Musikwissenschaft beobachteten die Fachvertreter mit Unbehagen. Guido Adler beispielsweise schrieb 1899  : Die Untersuchungen über Konsonanz und Dissonanz, über Rhythmus und Arythmie sind aus den Händen der Musiktheoretiker in die der Psychologen und der Physiologen übergegangen. […] Die Musiker haben die ersten Zweifel ausgesprochen über die Helmholtz’sche Lehre von den Konsonanzen und Dissonanzen. Diese kann als rein akustische und gehörphysiologische Erörterung immerhin ihre Geltung haben und dürfte sie behalten. Musiker und Musikhistoriker können jedoch nur eine von welcher

437 Vgl. Unseld 2014, S.  370. Melanie Unseld (ebd., S.  13 f.) konstatiert, dass sich biographische und philologische Arbeit Mitte des 19. Jahrhunderts gleichberechtigt gegenüber gestanden hätten. Dieses Bild müsste modifiziert werden in dem Sinne, dass sich Biographie und Philologie vielmehr notwendig aufeinander bezogen. Die Biographen des Historismus verstanden sich als Historiker, die selbstverständlich philologisch-kritische Quellenstudien betrieben. Hinter die methodischen Errungenschaften der Altphilologie konnte niemand zurückfallen, gleiches galt für die Werkeditionen. Das Verhältnis von Biographie und Philologie war bis hierher nicht das zweier unabhängiger, sondern zweier aufeinander angewiesener Methoden, die den Dualismus von Leben und Werk repräsentierten  : Aus der Künstlerpersönlichkeit sollte das Werk verstanden und aus dem Werk die Stellung des Künstlers in der Welt rekonstruiert werden. 438 Vgl. z. B. Hübinger/Vom Bruch/Graf (Hg.) 1997. 439 Der Kulturhistoriker Karl Lamprecht beispielsweise fand die Idee reizvoll, dass auch historische Prozesse Naturgesetzen folgten und stand darüber in engem Austausch mit seinen Leipziger Kollegen der Chemie, Medizin und Biologie (vgl. Chickering 1997). Von Seiten der Geschichtswissenschaft wurde er dafür heftig kritisiert (›Lamprecht-Streit‹). Lamprechts biologistisches Modell von Geschichte konnte sich nicht durchsetzen, doch die kulturhistorische Kritik am Historismus blieb derart nachhaltig, dass es im frühen 20. Jahrhundert zu einer Neubegründung der Geisteswissenschaften als hermeneutische Wissenschaften kam (Wilhelm Dilthey).

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Seite immer zu gebende Erklärung anerkennen, die in Übereinstimmung ist mit den historischen Thatsachen und den ästhetischen Anschauungen.440

Der Fleiß der psychologisch Forschenden wurde von Adler anerkannt, war aber pejorativ besetzt. Als »Aberfleiss« (»ich gebrauche dieses Wort als Parallelbildung zum Wort  : Aberglauben«441) bezeichnete Adler nun auch die Arbeit der Biographen, die allzu oft der Versuchung unterlägen, »im Äusserlichen, Unwichtigen, Nebensächlichen stecken zu bleiben«442. Solche Art biographischer Arbeit hatte Adler schon 14 Jahre zuvor als »Biographistik« deklassiert, die er aus dem Kernbereich der Musikwissenschaft ausgeschlossen wissen wollte. Die biographische Methode habe sich unverhältnismäßig in den Vordergrund gedrängt, »während sie doch nur ein wenn auch immerhin wichtiges Hilfsgebiet derselben« sei. Stattdessen sollte, wie es einzelne vortreffliche Biographien beobachten, neben den Kunstproducten des Behandelten nur untersucht werden, was mit der künstlerischen Artung in directem oder indirectem Zusammenhange steht  : wie die physische Beschaffenheit des Künstlers, seine Erziehung, die Vorbilder, die er studirt und in sich aufgenommen hat, der Einfluß seiner Umgebung auf seine künstlerischen Anschauungen, die künstlerische Stellung, die er bekleidet, die Momente, die gewaltig in sein Gefühlsleben eingriffen, die Art seiner Productionsthätigkeit, sein Verhalten zu den übrigen Künsten, sowie endlich seine ethischen und culturellen Anschauungen.443

Dies schrieb er in einem programmatischen Aufsatz im Eröffnungsheft der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1885. Hier platzierte er seine berühmte und nachhaltige Fachsystematik, die darauf ausgerichtet war, die musikalischen Gesetze in ihrer historischen Entwicklung einerseits und in ihrer »Relation mit den appercipirenden Subjecten behufts Feststellung der Kriterien des ­musikalisch Schönen« andererseits zu erkennen.444 Die Biographik konnte für Adler dazu nur beitragen, wenn sie sich auf das »Belangreichste« beschränkte  : auf »die Verfolgung des Werdeprozesses des Kunstwerkes, wie er sich aus den Skizzen, Umarbeitun-

440 Adler 1899, S. 36 f. 441 Ebd., S. 37. 442 Ebd. 443 Adler 1885, S. 10 f. 444 Ebd., S. 16 f., Hervorheb. im Orig.

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gen, Bemerkungen des Künstlers im Zusammenhang mit seinem Entwicklungsgange, den äusseren und inneren Bedingungen seiner Arbeit ergiebt.«445 Melanie Unseld urteilt, Guido Adler habe die Biographik mit ihrer Degra­ dierung zur Hilfswissenschaft nachhaltig aus dem Fachdiskurs verdrängt, wenngleich er mit seiner alles andere als eindeutigen Unterscheidung von angemessener und unangemessener Biographik doch Lücken für den Gebrauch der biographischen Methode gelassen habe.446 Letztendlich liefen Adlers Ausführungen auf das historistische Paradigma hinaus, die Biographik sei nur insoweit als Teil der historischen Wissenschaften anzuerkennen als sie über das rein Individuelle hinausgehe. Adler brachte auf den Punkt, wovon die Historiker des Historismus ohnehin überzeugt waren. Seine Position ist damit weniger Ausgangspunkt der Diskreditierung der Biographik als Merkmal dafür. Parallel zur Abwertung der Biographik als wissenschaftlich anerkannte Methode wurde die biographische Darstellung effeminiert. Frauen, denen der B ­ ereich des privaten Lebens und des Empfindens zugesprochen wurde, hatten nach historistischer Geschichtsauffassung keinen Anteil an politischer und kultureller Entwicklung. Auch als Historikerinnen wurden Frauen nicht anerkannt.447 Sobald allerdings die Biographik von der Historik abgeschieden wurde, konnten Frauen als die idealen Biographinnen konstruiert werden, indem das weiblich konnotierte Einfühlungsvermögen zum konstitutiven Moment einer authentischen Biographie verklärt wurde.448 Wenn die »innere[ ] Verwandtschaft« zwischen Biograph und Biographiertem, wie Philipp Spitta meinte, ein Qualitätsmerkmal sei, weil sie dafür sorge, dass man als Leser »von dem beruhigenden Gefühle begleitet [werde], daß der Schriftsteller seinem Komponisten persönlich nahe steht, und daß er ihm nicht leicht Unrecht thun wird«449, dann liest sich die theoretische Trennung von Biographie und Geschichtsschreibung vor der Folie der damals geltenden bürgerlichen Geschlechterdichotomie auch als Zuweisung des Weiblichen in einen (kontrollierbaren) Bereich außerhalb der männlichen Wissenschaft. Bevor nun die Emanzipation der Musikphilologie von der Biographik nachvollzogen werden soll, muss kurz ein Phänomen angesprochen werden, das angesichts der mächtigen biographischen Monographien im 19. Jahrhundert leicht 445 Adler 1899, S. 37. 446 Vgl. Unseld 2014, S. 25–26  ; 375–384. Adler selbst verfasste eine biographische Studie über seinen Freund Gustav Mahler, die 1914 im Biographischen Jahrbuch und Deutschen Nekrolog erschien. 447 Zur Geschichte dieses Ausschlusses seit der Aufklärung vgl. Epple 2003. 448 Der Konnex von weiblicher Einfühlung und authentischer Biographie tauchte in den Rezensionen der Lipsius’schen Biographien immer wieder auf, vgl. Kapitel 4. 449 Spitta 1883, S. 450.

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in Vergessenheit gerät  : Wie ein Kontinuum aus vergangener Zeit genoss die biographische Kleinform unter der Bezeichnung Skizze, Porträt oder Charakterstudie nach wie vor große Beliebtheit als populäre Form der Geschichtsschreibung. Biographische Skizzen

Die biographische Kleinform war eigentlich eine Erscheinung des 18. Jahrhunderts. Als Beleg dafür, dass sie nicht gänzlich verdrängt wurde, als die monographische Biographik sich durchzusetzen begann, werden die Essays Heinrich von Treitschkes über John Milton, Lord Byron, Ludwig Uhland oder Johann Gottlieb Fichte genannt, die in den Preußischen Jahrbüchern erschienen.450 Da Marie Lipsius die Essays kannte, sie wahrscheinlich sogar noch vor deren Veröffentlichung vom Autor selbst erhalten hatte, ist davon auszugehen, dass ihre eigenen Arbeiten davon nicht unbeeinflusst waren.451 Neben Treitschke hatte Marie Lipsius allerdings noch ein anderes prominentes Vorbild, als sie 1868 mit ihrer Sammlung Musikalische Studienköpfe an die Öffentlichkeit trat. Es war Wilhelm Heinrich Riehl, der 1853 ein Buch mit dem Titel Musikalische Charakterköpfe publiziert hatte.452 Es sollte zur Schablone etlicher weiterer biographischer Skizzen über Musiker werden. Der Untertitel der Sammlung lautete Ein kunsthistorisches Skizzenbuch. Damit unterschied Riehl sich deutlich von der monumental-linearen historischen Darstellungsweise, wie sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts üblich war. Er vertrat eine moderne Auffassung von Kulturgeschichte, die er im Vorwort der Musikalischen Charakterköpfe verdeutlicht  : Erstens bestimmte er das historische Studium der musikalischen Kunstwerke als »köstlichste[s] Bildungsmoment in der mißbrauchten Tonkunst«, das er sowohl den musizierenden Laien als auch den Musikern ans Herz legen wolle. Zweitens wollte Riehl die Geschichte der Musik, »die so isolirt abgehandelt zu werden pflegt, daß man in den meisten Geschichtsbüchern der Tonkunst nichts als Himmel und Musikanten sieht«, in den Zusammenhang der »übrigen Kunstgeschichte, der Literaturgeschichte und der gesammten Culturgeschichte« stellen. Und drittens verstand er es als einen Akt der Pietät und als eine wissenschaftliche Ehrensache, Protest zu erheben gegen den in der Geschichte der Musik so stark eingerissenen Unfug, welcher bloß um die 450 Vgl. Schnicke 2009a. 451 Vgl. Kapitel 2.1. 452 1859 erweiterte und vermehrte Riehl sein Buch und es erschien ein zweiter Band.

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bekannten großen Meister der vergangenen Perioden sich kümmert, die minder glänzenden historischen Charaktere aber, die Männer der Vorarbeit, durch deren reiche Gruppen unsere Kunstgeschichte erst ihr volles, individuelles Leben gewinnt, bei Seite liegen läßt.453

So stellte Riehl in seinen Büchern Männer vor, die auf den Haupt- und Nebenwegen der Musikgeschichte in Erscheinung getreten waren  : angefangen beim Singspielkomponisten Wenzel Müller über Johann Mattheson, Johann Sebastian Bach, Johann Adolph Hasse, Gaspare Spontini und sein »Gegenbild« Luigi Cherubini, die »göttlichen Philister« Ignaz Pleyel, Paul Wranitzky, Franz Anton Hoffmeister, die neben ihrer Kompositionstätigkeit auch als Instrumentenbauer, Kulturpolitiker und Musikverleger arbeiteten, bis zu den Frühromantikern Konradin Kreutzer und Albert Lortzing. Für Riehl waren die musikhistorischen Persönlichkeiten allerdings weniger als individuelle Charaktere interessant. Vielmehr versuchte er entlang der konkreten Personen und ihrer musikhistorischen Bedeutung eine alle gesellschaftlichen Teilbereiche integrierende Kulturgeschichte zu begründen. Der Historiker Heinrich von Treitschke sah Riehls Ansatz als grundsätzlich lobenswert an, hielt ihn aber für »viel zu eng gedacht«. In seiner Habilitationsschrift Die Gesellschaftswissenschaft setzte Treitschke sich mit Riehls Gesellschaftsbegriff auseinander. Anders als sein älterer Kollege plädierte Treitschke dafür, dass eine alle gesellschaftlichen Teilbereiche integrierende Wissenschaft nur die politische Wissenschaft sein könne. Seiner Überzeugung nach war der Staat der »Mittelpunkt der Thaten des Volkes«. Der Staat als Ordnungsprinzip und -funktion halte sämtliche, auch widerstrebenden Entwicklungen der Gesellschaft zusammen, so dass alle Geschichte Staatsgeschichte sei. Eine zweite Möglichkeit sei jedoch, gesellschaftliche Tatsachen und Entwicklungen als »wirkliche Culturgeschichte« zu beschreiben, die aber nur jene Tatsachen aufnehmen dürfe, welche »einen Fortschritt der menschlichen Natur oder eines bestimmten Volksgeistes« bezeichneten. »Das wäre jene Philosophie der Geschichte, für welche alle Resultate der gesamten historischen, politischen und sozialen Wissenschaften nur Bausteine sind.«454 Treitschkes Staatsgeschichte erschien wie eine statische Strukturgeschichte, sein Ansatz einer Kulturgeschichte basierte auf Fortschrittsideologie.

453 Riehl 1853, S. III–VI. 454 Treitschke 1859, S. 71–73.

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Wilhelm Heinrich Riehl dagegen verstand sich als Feldforscher, der eine »sociale Ethnographie von Deutschland«455 schreiben wollte. Seine Gesellschaftswissenschaft war nicht am Ordnungsapparat des Staates orientiert wie die Treitschkes, sondern Riehl war vielmehr der erste Kulturhistoriker »von unten«, der durch Deutschland wanderte, um dem ›Volksgeist‹ auf die Spur zu kommen. Die Ergebnisse seines »Beobachten[s] und Bedenken[s]«456 wurden publizistische Erfolge, Riehls vierbändige Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer deutschen Socialpolitik (1851–1869) erlebte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts acht Neuauflagen.457 Wenn Hans-Joachim Hinrichsen über Riehl urteilt, dessen »enormer publi­ zistischer Erfolg« habe auf der »essayistischen Grenzverwischung zwischen Wissenschaft und Literatur«458 basiert, dann ist das ergänzungsbedürftig. Für eine Grenzverwischung hätte die Grenze zwischen Wissenschaft und Literatur nämlich erst einmal bestehen müssen, was aber Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs der Fall war. Wie Daniel Fulda mit seiner Studie Wissenschaft aus Kunst zeigen konnte, brachte nicht die Divergenz von Literatur und Wissenschaft die Geschichtsforschung voran, sondern es war genau umgekehrt  : Der Prozess der Verwissenschaftlichung ging mit einer Ästhetisierung einher, die »eine grundlegend neue Art der Auffassung, Erkenntnis, Strukturierung […], Erklärung und Deutung des zu erkennenden Geschichtsprozesses wie der zu erstellenden Geschichtserzählung« ermöglicht und konstituiert habe.459 Wenn historistische Geschichtsschreiber wie Heinrich von Treitschke an ihre Historiographie den Anspruch stellten, dass diese schön sein müsse,460 meinte das keinen Selbstzweck 455 Riehl 1854b. 456 So brachte Riehl seine Methode im Vorwort seines Buches Die Familie auf den Punkt (zit. nach Nave-Herz 2010, S. 22). Der studierte Theologe Riehl gilt heute als einer der ersten Kulturanthropologen, manchen auch als Begründer der Soziologe, denn er beobachtete und interviewte die Menschen, die er auf seinen Reisen traf und für deren Alltagswelt er sich interessierte. Die qualitativ-empirischen Methoden der Teilnehmenden Beobachtung und des Experteninterviews nahm er damit voraus (vgl. ebd). 457 Eine selektive Zusammenfassung und Kommentierung erfuhr das Werk 1935. Riehls volkstüm­ lich-konservative Gedanken und sein Kulturpessimismus kamen der nationalsozialistischen Ideologie gelegen und ließen sich vereinnahmen. Aus diesem Grund wohl wurde Riehl von den Sozial- und Kulturwissenschaften der Nachkriegszeit nur zögerlich rezipiert (vgl. Zinnecker 1996). 458 Hinrichsen 2005, Sp. 60. 459 Fulda 1996b, S. 408. 460 Walter Bußmann (1981, S. 153) stellt heraus, dass für Treitschke die Historik eine Mittelstellung zwischen Wissenschaft und Dichtkunst eingenommen habe  : »Bei dem Versuch, den verschlungenen Fäden des ästhetischen Einschlags in Treitschkes Gedankengängen zu folgen, ergibt sich

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und auch keineswegs nur die Darstellungsweise historischer Erkenntnisse, sondern es sollte der nur teilweise explizierbare ›Sinn‹ der Geschichte in den Texten der klassischen historistischen Geschichtsschreibung ›sinnlich‹, will sagen ästhetisch erfahrbar werden […] – durch Symbolisierung ebenso wie durch Verfabelung –  ; nach dem Vorbild der Kunst fallen in ihnen idealerweise ›Bedeutung und Gestalt‹ [Hegel] ineinander.461

Daniel Fulda konstatiert eine »komplexe Konstellation von Divergenz- und Konvergenztendenzen«462 zwischen der historischen Wissenschaft und der Lite­ ratur des 19. Jahrhunderts. Letztendlich sei im überdisziplinären Diskurs ›Geschichte(n)erzählen‹ dann aber »das Bedürfnis, sich gegeneinander abzugrenzen, sehr viel stärker hervor[getreten] als das Bewußtsein der wechselseitigen, genetisch-systematischen wie selbstdefinitorischen, Abhängigkeit«463. Die ursprünglichen Konvergenzen gerieten in Vergessenheit, so dass Hinrichsens These von der »essayistischen Grenzverwischung zwischen Wissenschaft und Literatur« dem Rückblick durch die Brille der Gegenwart entsprang. Tatsächlich aber verwischte Wilhelm Heinrich Riehls Essayistik nicht etwas, das bereits klar getrennt gewesen wäre, sondern sie markierte die bestehende Konvergenz zwischen Wissenschaft und Kunst. Sicher rührte der »feuilletonistisch-plaudernde Stil«464 Riehls auch aus seiner Zeit als Journalist und war seiner Beliebtheit beim Lesepublikum gewiss nicht abträglich.465 Doch die wissenschaftliche Kritik der Zeitgenossen an Riehls Arbeiten zielte eben nicht auf Stil und Darstellungsweise, sondern auf die Methode (zu unsystematisch) und die Auffassung von Kulturgeschichte (zu nah an der Alltagskultur und den unteren Schichten).466 Auch Heinrich von die Beobachtung, daß gerade die historisch-politischen Leitsätze, deren wirksame Formulierung sich Treitschke bei seiner pathetischen Natur besonders angelegen sein ließ, selten der ästhetischen Begründung entbehren. Er unterläßt fast niemals, den Inhalt seiner politischen Überzeugungen tief ins Ästhetische zu senken und aus diesem Element erst die höhere Berechtigung für seine politischen und auch moralischen Thesen zu holen.« 461 Fulda 1996b, S. 408. 462 Fulda 1996a, S. 171. 463 Ebd., S. 173. 464 Fuhrmann 2009, S. 307. 465 Riehls Naturgeschichte des deutschen Volkes war zwischen 1875 und 1900 das in Leihbibliotheken beliebteste Werk (vgl. Nissen 2009, S. 153). Der erste Band erlebte 13 Auflagen (vgl. ebd., S. 114). 466 Vgl. Fuhrmann 2009, S.  305 f. Riehl hatte seit 1859 eine ordentliche Professur für Kulturgeschichte und Statistik inne, war also seitdem durchaus wissenschaftlich etabliert. Über die Re-

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Treitschke hatte seine Geschichtsschreibung in essayistischem Stil angelegt. Er erzählte die Geschichte des preußischen Machtstaates entlang bedeutender »Personen die Geschichte machen«, Riehl rekonstruierte die Geschichte entlang ausgewählter Protagonisten. Beide waren vom selben Lehrer geprägt467, doch was das geschichtsphilosophische Modell anging, das sie favorisierten, gänzlich entgegengesetzt. Treitschkes Geschichtsbild war teleologisch, Riehl vertrat einen »musikalischen Historismus, der dem Eingeständnis einer Relativität des Geschmacks- und Werturteils so nahe kam wie im 19. Jahrhundert wohl möglich«468. Treitschke war Vertreter des politisch und ideengeschichtlich argumentierenden kleindeutschen Historismus, Riehl vertrat eine Kulturgeschichte, die das soziale und kulturelle Alltagsleben in den Blick nahm und zu typologisieren versuchte. Kulturgeschichtliche Ansätze übten fundamentale Kritik an den konstitutiven Elementen des Historismus  : an der Individualisierung historischer Prozesse  ; an der Absolutheit, mit der der Staat als Ziel aller historischen Entwicklung gesehen wurde  ; an einer Geschichtsschreibung ›von oben‹ entlang machtpolitischer Motive. Der Historismus blieb allerdings zu wirkungsmächtig, als dass die Kulturgeschichte sich als eigenständige Disziplin innerhalb der Geschichtswissenschaft durchsetzen konnte. Sie blieb »weitgehend das Werk von Außenseitern oder Vertretern anderer akademischer Fächer«, war andererseits aber »eine publikumswirksame Form der Geschichtsschreibung« und fand eine breite bürgerliche Leserschaft.469 Der Historismus als etablierte Wissenschaft sprach der Kulturgeschichte ihre Wissenschaftlichkeit ab. Dass kulturhistorische Darstellungen in der Öffentlichkeit beliebt waren, stellte in den Augen der Historisten den Beweis ihrer Minderwertigkeit dar. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde, auch durch die Entwicklung fachspezifischer Methoden und den exklusiven Zuzeption seines ersten Buches urteilte Riehl selbst, dass diese ihm zwar nicht die »lärmschlagende Gunst der politischen und literarischen Parteien gewann, wohl aber eine große Zahl persönlicher Freunde und eifriger Anhänger in den verschiedensten Gauen Deutschlands. Ich schloß aus dieser Erfahrung, daß man wohl aus dem Buche herausgefühlt haben müsse, es sey kein gemachtes, es sey ein erwandertes und erlebtes Buch, welches nicht bloß zufällige Ansichten, sondern die Persönlichkeit, den Charakter seines Verfassers spiegele.« (Riehl 1854b). 467 Beide hatten bei Friedrich Theodor Vischer studiert, der seit 1844 einen Lehrstuhl für Ästhetik und deutsche Literatur innehatte und für den Ästhetik-Diskurs nach Hegel eine zentrale Figur war. Er plädierte für einen ›Realidealismus‹, wie er sich nach der Ernüchterung der gescheiterten 1848er-Revolution in weiten Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft durchsetzte. Zum Realidealismus in der Musikgeschichte vgl. Geck 2001. 468 Fuhrmann 2009, Fußnote 28. 469 Schleier 1997, S. 442.

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gang zur Fachpresse, eine Grenze zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft definiert, die es zuvor nicht gegeben hatte. Musikbiographische Sammlungen und ihre Autoren waren aus wissenschaftlicher Perspektive der Populärgeschichte, dem Dilettantismus zuzuordnen. Dazu veranlasste wohl weniger die mangelnde musikalische Expertise der Autoren470 als die Intention ihrer Bücher, die tatsächlich anders gelagert war als jene der monographischen Musikerbiographien. Sie zielten statt auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auf Vermittlung und waren sich ihres entsprechend größeren, dafür mit weniger Spezialwissen ausgestatteten Leserinnen- und Leserkreises bewusst. Im Vorwort explizierten Autoren wie Wilhelm Heinrich Riehl (Musikalische Charakterköpfe, 1853), Ferdinand Gleich (Charakterbilder aus der neueren Geschichte der Tonkunst, 1863), Ludwig Nohl (Musikalisches Skizzenbuch, 1866) und Otto Gumprecht (Musikalische Charakterbilder, 1869) ihre jeweilige Intention. Dabei gingen sie produktiv mit der von der Wissenschaft gesetzten Demarkationslinie um, wenn sie ihre Bücher selbstbewusst als wichtige Beiträge zur Musikgeschichte bezeichneten, gleichzeitig aber betonten, sich einer »behaglicheren Arbeit« hingeben zu wollen als der »schulmäßige[n] Abhandlung« und lieber »lebendige Männer von Fleisch und Bein und mit scharf geprägtem Gesicht« abzubilden, um sie »der Reihe nach für [ihr] kunstgeschichtliches Glaubensbekenntniß aufmarschieren zu lassen«.471 Es war ein Statement gegen den Historismus, der Künstlerpersönlichkeiten für die Darstellung einer historischen Zeit benutzte. Den Autorinnen und Autoren von biographischen Kleinformen ging es um die Charakterzeichnung eines Einzelnen in seiner Individualität als Künstler und Mensch.472 Biographische Skizzen und Charakterbilder prägten das musikalische Allgemeinwissen des Klein- und Bildungsbürgertums, ihre Autorinnen und Autoren übten damit eine nicht zu unterschätzende Deutungsmacht aus.473 Marie Lipsius reihte sich mit ihrer Sammlung der Musikalischen Studienköpfe (1868) also in 470 Die Autoren können allesamt als Musikexperten bezeichnet werden. Diesen Status hatten sie sich jedoch nicht als (Musik-)Philologen, sondern als Musikpraktiker, Rezensenten und Schriftsteller erarbeitet. Ludwig Nohl beispielsweise hatte Biographien über Mozart und Beethoven vorgelegt, konnte sich aber an der Universität in München als Professor nicht durchsetzen, obgleich er vom König protegiert wurde. Ferdinand Gleich trat als Komponist, Dramaturg und Schriftsteller in Erscheinung. Otto Gumprecht war Musikkritiker in Berlin. 471 Riehl 1853, S. V f. 472 Vgl. Kapitel 3.2. 473 Riehls Musikalische Charakterköpfe erlebten neun Auflagen, Nohl galt als der meistgelesene Musikschriftsteller des 19. Jahrhunderts (vgl. NDB), Gumprecht erweiterte sein Buch kontinuierlich und brachte es unter verändertem Titel mehrfach neu heraus. Nur Gleichs Buch blieb eher unbedeutend mit lediglich einer Auflage.

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eine ganze Riege ähnlicher Musikkulturgeschichten entlang von Einzelporträts ein.474 Wollte Riehl allerdings die »minder glänzenden historischen Charaktere« berücksichtigt wissen, schnitt Nohl seine musikhistorischen Skizzen auf die bereits kanonisierten Klassiker zu  : Mozart, Haydn und Beethoven bildeten den Endpunkt einer Musikgeschichte, die aus der »Homophonie der alten Völker« und der »Polyphonie des Mittelalters« hervorgegangen sei.475 Friedrich Gleich setzte seine Vorstellung einer kontinuierlichen Fortschrittsgeschichte der Musik auch darstellerisch um und verstärkte seine Intention damit noch. Er grenzte nämlich die Einzelporträts nicht durch Überschriften voneinander ab, sondern verband sie zu einem stringent erscheinenden Gesamttext, so dass jede Einzelbiographie wie zwingend aus der vorigen hervorging.476 Eine Sonderposition besetzte die Schriftstellerin Elise Polko mit ihren Musikalischen Märchen, Phantasien und Skizzen (1852). Auch sie präsentierte biographische Porträts bekannter Musiker, erhob jedoch darin keinen Anspruch auf historisch korrekte Darstellung, sondern machte die Skizzen explizit als fiktive Erzählungen kenntlich. Dennoch waren die Texte vom Faktenwissen der Autorin und ihren zahlreichen persönlichen Bekanntschaften und Erlebnissen mit Musikerinnen und Musikern gesättigt. Marie Lipsius distanzierte sich zwar von der Herangehensweise Polkos, war aber voller Anerkennung für deren Leistungen als Schriftstellerin.477 Aus der sich immer weiter professionalisierenden Musikwissenschaft fielen die biographischen Kleinformen heraus, und damit auch ihr Ansatz, die Musik­ geschichte in eine allgemeine Kulturgeschichte zu integrieren, wie zumindest Riehl es intendiert hatte.478 Für die historisch-kritische Analyse und Bewertung 474 Die Autorin setzte sich mit den Referenz- und Konkurrenzwerken ihrer Kollegen auseinander und schrieb beispielsweise in ihrer Autobiographie über das zeitgleich zu ihren Studienköpfen erscheinende Werk des »ultrakonservativen« Gumprecht  : »Unser beider Bilderreihe umfaßte Weber, Schubert und Mendelssohn. Daß Gumprecht, rückwärts gewandt, diesen die Portraits von Rossini, Auber und Meyerbeer zur Gesellschaft gab, indes ich, vorwärtsschauend, mich mit Schumann, Chopin, Liszt und Wagner freudig zu den Großen der Gegenwart und Zukunft bekannte, kennzeichnete von vornherein die Verschiedenheit unserer Richtung. Es verzögerte zuvörderst, verlängerte dafür aber auch den Lebensodem meines Buchs.« (La Mara 1917a, S. 93 f.) 475 Vgl. die Kapiteleinteilung bei Nohl 1866. 476 Vgl. Gleich 1863. 477 Lipsius titulierte die Kollegin als »bekannte, sehr fruchtbare musikalische Märchenerzählerin« (D-WRgs GSA 59/410,1). 478 Die Kulturgeschichte war allerdings ein inhomogenes Feld, auf dem sich viele Weltanschauungen und Strömungen tummelten. Das einigende Element war die Opposition zum individualistischen, auf die Machtpolitik des preußischen Staates fokussierten Historismus.

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musikalischer Werke war in den Kurzbiographien kein Platz. Auch die Biographien der Musikphilologen widmeten freilich einige Aufmerksamkeit dem äußeren und inneren Leben des Künstlers, denn die idealistische Auffassung, dass Kunstwerke die Resultate einer individuell-geistigen Durchdringung der Wirklichkeit durch die Künstlerpersönlichkeit seien, blieb evident.479 Über die Gewichtung des biographischen bzw. des künstlerischen Anteils in der Darstellung wurde hingegen gestritten.480 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bekam die Biographie dann zunehmende Legitimationsschwierigkeiten. Über erst kürzlich verstorbene oder gar noch lebende Künstler zu schreiben war schon zuvor umstritten gewesen.481 Auch die Methode der Zeitzeugenbefragung war neben der historisch-kritischen Quellenanalyse wissenschaftlich nicht mehr anerkannt.482 Musikwissenschaftler rekonstruierten die weit zurückliegende Vergangenheit, die Gegenwart überließen sie Musikschriftstellerinnen und Musikkritikern. So verengte sich das Fach im Zuge seiner Institutionalisierung und die Philologie gewann die Vorherrschaft über die Methoden der Musikwissenschaft.

479 Die Kongruenz von Leben und Werk war mit dem Geniekonzept in die Welt gekommen. Anders als im Modell der vormodernen Nachahmungsästhetik besagte das neue Konzept, dass das Künstlergenie originell Neues schaffen könne und solle, indem es seine Welterfahrung künstlerisch verarbeite (vgl. Unseld 2014, S. 13 f.). Eine Biographie musste demnach das innere (Er-) Leben des Künstlers nachvollziehbar machen, um sein Werk erklären zu können (vgl. dazu auch der folgende Abschnitt). 480 Lina Ramann und Carolyne Sayn-Wittgenstein beispielsweise waren völlig uneins, ob die von Sayn-Wittgenstein beauftragte Liszt-Biographie eher Lebenserzählung, Charakterstudie oder Werkanalyse sein sollte. Trotz anhaltender Zweifel Ramanns hatte die Fürstin »Liszt als Mensch« in den Vordergrund stellen wollen. Nachdem die Biographin aber ihr Manuskript zur Korrektur vorgelegt hatte, reagierte Sayn-Wittgenstein empört. Sie verlangte, »Liszt als Künstler« zu behandeln und sämtliche biographische Anteile, vor allem aus Liszts Kinder- und Jugendzeit, zu streichen. Ramann wehrte ab  : »Ich muß es Ihnen aussprechen, so schwer es mir wird, daß ich Ihrem Vorschlag, ›alles aus meiner Biographie Liszt’s zu streichen, was seinem menschlichen Leben angehört‹, nicht nachkommen kann – jetzt nicht mehr. Ich erinnere Sie daran, daß ich Ihnen nicht ein-, nein zehnmal  ! in Rom opponirte, als Sie für L.’s menschliches Leben größeren Raum, als meine Vorlage ihm angewiesen, verlangten. Als Ihr Drängen und Ihre Vorstellungen Eingang bei mir gewannen, so ging ich mit demselben Ernst, allmählich mit demselben heiligen Gefühl und Glauben specifischer Mission an die erweiterte Aufgabe.« (Ramann 1983, S. 133). 481 Vgl. dazu die Reaktionen auf den dritten Band der Musikalischen Studienköpfe, in dem Musiker der »Jüngstvergangenheit und Gegenwart« porträtiert wurden, in Kapitel 4. 482 Johann Gustav Droysen hatte in seinen Historik-Vorlesungen seit 1857 noch mündliche Quellen gleichwertig neben schriftlichen gelten lassen (vgl. Droysen 1977, S. 88 f.).

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Musikgeschichte als Philologie

Glaubt man dem folgenden Text, dann hatte die Musikphilologie Anfang des 20. Jahrhunderts groteske Auswüchse angenommen. Im sogenannten Faschingsheft der Zeitschrift Die Musik von 1910 formulierte ein Autor, der sich hinter dem Phantasienamen Dr.  O.  S.  Selbart verbarg, einen ironischen Kommentar auf den aktuellen Zustand der Musikforschung  : Unter zahlreicher Beteiligung wurde am Montag der erste Internationale Musikphilologenkongreß eröffnet. Professor Friedemann Knobelmayer begrüßte die erschienenen Gäste, indem er hervorhob, daß durch den wirksamen Zusammenschluß der Philologen aller Länder endlich ein wirksamer Damm errichtet sei gegen das Überhandnehmen der Berufskünstler – der schlimmsten Feinde aller echten Musikphilologie und somit aller Tonkunst. Als abschreckendes Beispiel sei hier ein gewisser Franz Liszt zu nennen, der im vorigen Jahrhundert gelebt habe und ein Klavierspieler gewesen sei. Durch seine (Knobelmayers) Forschungen sei erwiesen, daß besagter Liszt des Boetius ›De Musica‹ nie im Urtext gelesen habe. Was es somit für eine Bewandnis mit diesem Herrn Liszt habe, sei klar  : für die internationale Musikphilologie sei der Mann erledigt. Ungeheurer Beifall folgte diesen Ausführungen. Nun sollte eigentlich Geheimrat Hugo Ziehden-Riehm’an einen Überblick über die von ihm verfaßten Bücher des letzten Monats geben. Leider war der Eilgüterzug, der in 67 Waggons die geheimrätlichen Bücher heranbringen sollte, unterwegs bei Mannheim stecken geblieben. So konnte der beriehmte (Soll wohl heißen  : berühmte. Anmerkung des Setzers) Gelehrte nur kurz auf seine 17 Foliobände umfassende Untersuchung über den Großvater mütterlicherseits des Eleazar Genet (wodurch eine empfindliche Lücke in der Geschichte der Tonkunst ausgefüllt sei) aufmerksam machen. […] Aus der Fülle der hochinteressanten und wichtigen Vorträge, die noch gehalten wurden, erwähnen wir nur noch  : ›Über die Farbe des Wamses, das Glarean im letzten Dezennium seines Lebens trug‹  ; ›Der Stammbaum des Tintenlieferanten, von dem Beethoven (ein Komponist aus der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts) seine Tinte bezog‹. Zum Schluß wurde ein Vortrag vom Geheimen Oberregierungsrat Dr. phil. et jur. et chem. et med. et theol. Professor Emanuel Haarspalter mit donnerndem Applaus begrüßt. Der greise Gelehrte führte aus, daß es eine Schande sei, daß die Konzertgesellschaften die modernen Tonsetzer wie Bach und Händel so bevorzugten, während

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Leute wie Samuel Scheidt, Thomas Stoltzer und andere hochbedeutende Komponisten fast gar nicht mehr zu Worte kämen.483

Nun ist anzumerken, dass der Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift, Bernhard Schuster, Kapellmeister war, also praktizierender Musiker. In seiner Zeitschrift schrieben Musikforscher und -kritiker vorwiegend über das a­ ktuelle und jüngst vergangene Musikleben, wobei das Spektrum auffällig breit war. Der fingierte Kongressbericht rekurrierte auf die Spannungen zwischen Musikpraxis und Musikwissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Neu war diese aller­dings nicht. Die Differenzierung und das gleichzeitige Auseinanderdriften von musik­praktischer Ausbildung und musikphilologischer Forschung waren vielmehr konstitutiv für die Institutionalisierung der Musikwissenschaft im 19.  Jahrhundert. Oliver Huck bringt das Wechselverhältnis von Musikwissenschaft und Musikpraxis auf den Punkt  : Was den ›Wissenschaftscharakter‹ der Musikwissenschaft und das Profil des Fachs als Universitätsdisziplin begründete, war […] die Gründung von Konservatorien, die zunehmend zu jenem Ort wurden, an dem die Musiktheorie als Regelpoetik ihren Platz fand, so dass sie an der Universität nurmehr als eine ›Technik‹ und nicht mehr als ein ästhetisches Dogma betrachtet werden konnte.484

In der Realität pendelten nicht wenige Musikforscher zwischen Hochschule und Universität und lehrten an beiden Institutionen.485 Vor allem die universitäre Musikwissenschaft setzte aber viel daran, sich von den Konservatorien abzugrenzen. Musikforschung war traditionell an Musikpraxis gebunden,486 und so musste die Musikwissenschaft tragfähige Argumente finden, ihre Auffassung von Musikpraxis als Propädeutik zu untermauern.487 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die Abgrenzungsbestrebungen dann weitgehend abgeschlossen. 483 Dr. O. S. Selbart 1910, S. 169 f. 484 Huck 2010, S. 57. 485 Z. B. Philipp Spitta, Hugo Riemann und Hermann Kretzschmar. 486 Die ersten musikhistorischen Vorlesungen wurden von Generalmusikdirektoren gehalten (vgl. Kümmel 1967a, S. 279). 487 Oliver Huck (2010, S. 57) stellt parallel zur Trennung von Musikpraxis und Musikwissenschaft allerdings auch »eine paradoxe Bindung der Tonkunst an die Universität und der Tonwissenschaft an das Konservatorium« fest. »Dort gehörte sie aber eigentlich nicht hin«, meint hingegen Laurenz Lütteken (2007, S. 61). Darüber, was wohin gehört, wurde und wird immer wieder eifrig diskutiert (vgl. z. B. Edler/Meine (Hg.) 2002).

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Am Verhältnis der Bachforscher Philipp Spitta und Wilhelm Rust lässt sich die Opposition zwischen Musikpraxis und Musikphilologie veranschaulichen. Der Altphilologe Spitta hatte sich mit seiner zweibändigen Bach-Biographie einen Namen gemacht in der Musikforschung. Rust dagegen war Organist und Kantor an der Thomaskirche in Leipzig. Beide arbeiteten musikphilologisch zu den Werken Johann Sebastian Bachs, deren Echt- bzw. Unechtheit sie zu rekonstruieren versuchten. Es waren besonders zwei Werke, an denen sich ›die Geister schieden‹  : die Lukas-Passion und das Lied Willst du dein Herz mir schenken aus dem Notenbüchlein Anna Magdalena Bachs. Spitta hielt die Lukas-Passion für echt und reihte sie in die Gesamtausgabe der Bach-Werke ein, das Lied dagegen konnte er wegen dessen angeblich minderer Qualität nicht als Bachs Werk gelten lassen, sondern ordnete es einem italienischen Geiger namens Giovannini zu. Rust hingegen hielt die Urheberschaft Bachs bei der Passion für ausgeschlossen, im Falle des Liedes war er aber von Bachs Autorschaft überzeugt. Aus Protest gegen die Aufnahme der Lukas-Passion in die Gesamtausgabe verließ Rust 1882 sogar deren Redaktion, die er seit 1858 geleitet hatte.488 Marie Lipsius unterstützte die Meinung Wilhelm Rusts, mit dem sie in freundschaftlicher Verbindung stand. In einem Artikel in der Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung legte sie Rusts Argumente bezüglich des Liedes dar, nahm aber auch einen eigenständigen Textvergleich vor. Sie wollte nachweisen, dass der Liedtext sehr wohl und anders als von Spitta behauptet dem Niveau der deutschsprachigen Lyrik jener Zeit entsprach. Spitta nämlich hielt die Textgrundlage für minderwertig und argumentierte, dass Bach niemals einen solchen Text vertont hätte.489 Lipsius fand in dem Musikforscher Erich Prieger einen Gleichgesinnten, mit dem sie sich über die wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten Spittas echauffieren konnte.490 Sie begründete ihre Meinung implizit mit der Gegenüberstellung von musikpraktischem und musikhistorischem Wissen. Prieger schrieb der Kollegin in Reaktion auf ihren Artikel  : 488 Auch der Kritische Bericht der Neuen Bach-Ausgabe kann die Urheberschaft nicht eindeutig klären. Johann Sebastian Bach sei jedoch als Komponist des Liedes unwahrscheinlich. Die »Aria di Govannini« [sic] genannte Komposition sei von einer anonymen Schreiberhand notiert, die kein weiteres Mal in der Bach’schen Überlieferung auftrete (vgl. Dadelsen 1957). 489 Vgl. La Mara  : »Willst du dein Herz mir schenken. Nach Rust ein Bach’sches Werk«, in  : Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, 1892, Nr. 28, S. 113–115. 490 Ein Briefwechsel zwischen Marie Lipsius und Erich Prieger ist zwischen 06.07.1886 und 04.08.1893 dokumentiert. 16  Briefe Priegers an Lipsius finden sich unter D-WRgs GSA 59/ 410,6  ; 21 weitere Briefe in der Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, 88 Nachl C,1– 21  ; 25 Briefe von Lipsius an Prieger in D-B Mus. ep. M. Lipsius 48–72.

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Der Liedfrage haben Sie eine neue interessante Seite abgewonnen. Gegen die Behandlung erlaube ich mir eine Bedenklichkeit auszusprechen. Ich kann mich nie mit einer Parallelisirung zweier so ganz verschiedener Persönlichkeiten wie Rust und Spitta einverstanden erklären. Dem letzteren wird dann eine Ehre erwiesen, die ihm nicht zu kommt. […] Wer gar ein so elendes, zum Theil ekelhaftes Werk wie seine Passion noch bewundern kann, der ist nicht fähig J. S. Bach’s Größe und Tiefe nachzufühlen. Der Mann hat seine Verdienste im Herbeitragen von Material. Darüber hinaus kann ich nicht folgen.491

Stimmte Prieger in der Positionierung contra Spitta vollkommen mit Lipsius überein, so musste er doch bekennen, dass er in der Sache anderer Meinung sei. Wegen der »Baß-Führung« und weil es »musikalisch nicht sehr viel werth« sei, könne auch das Lied keine Bach’sche Komposition sein. Lipsius erwiderte  : Gewiß haben Sie Recht, daß man eigentlich Rust u. Spitta nicht in Parallele bringen kann. Auch mir würde dieser vornehme Standpunkt der weitaus zusagendere sein. Aber er fördert die Sache nicht u. Rust kommt damit nicht weiter. Wäre Ihr Buch erschienen [Prieger hatte mehrfach eine Bach betreffende Publikation angekündigt], so hätte das ein wohlthätiges Licht verbreiten können  ; wie aber die Dinge stehen, weiß das große Publikum viel mehr von Spitta, der es versteht, sich zur Geltung zu bringen u. den selbst Hanslick als eine Art Papst in Sachen Bach’s ansieht, als von Rust. Man muß die Leute mit der Nase darauf weisen, was Rust ist, was er gethan hat u. was sein Urtheil werth ist. Darum schrieb ich den gegenwärtigen Artikel wie den früheren biographischen[492], u. Rust selbst hat große Freude dran.493

Philipp Spitta war 1875 auf die Professur für Musikgeschichte an der KaiserWilhelms-­Universität in Berlin berufen worden, 1885 wurde er Mitherausgeber der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft.494 Spitta propagierte eine endgültige 491 Brief von Erich Prieger an Marie Lipsius vom 10.03.1892, D-WRgs GSA 59/410,6, Hervorheb. im Orig. 492 Vgl. La Mara  : »Wilhelm Rust«, in  : Musikalisches Wochenblatt 21 (1890) 32/33, S. 398–401  ; 411– 413. 493 Brief von Marie Lipsius an Erich Prieger vom 11.03.1892, D-B Mus. ep. M. Lipsius 66. Entgegen Lipsius’ Ansicht meint Erich Doflein, das Musikpublikum habe eher auf Seiten der Musikpraktiker gestanden. Er konstatierte, die Bach-Gesamtausgabe sei »eine Schöpfung vorwiegend von Musikern der Praxis und von Komponisten« gewesen, deren Herausgeber sich bemüht hätten, »so wissenschaftlich zu sein, als man es sich zu ihrer Zeit vorstellen konnte.« (Doflein 1969, S. 31). 494 Erich Prieger beklagte sich bitterlich darüber, dass sein Name in jener Zeitschrift unerwähnt bleibe (vgl. Brief von Erich Priger an Marie Lipsius vom 04.04.1900, D-Bsbha 55 Nachl 88/C,19).

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Trennung von Musikpraxis und Musikgeschichte, womit er die Verselbstständigung der historischen Musikwissenschaft an der Universität »einflußreich repräsentiert« habe.495 In einem programmatischen Artikel 1893 in den Grenzboten, also einer breit rezipierten statt einer Fachzeitschrift, positionierte Spitta sich unmissverständlich  : Daß ein Arbeitsfeld, wie das hier neu aufzuthuende, nicht von Künstlern, sondern von Gelehrten bestellt werden muß, das dürfte wohl niemand ernstlich abstreiten. Je mehr der Künstler ist, was er sein soll  : Selbstschöpfer, desto befangener wird er den Schöpfungen andrer gegenüberstehen, desto schwerer wird er sich in die abweichenden Kunstanschauungen vergangner Perioden einleben. In frühern Zeiten finden wir zuweilen Kunst und Wissenschaft scheinbar in einer Person vereinigt. Aber damals war Musikwissenschaft fast gleichbedeutend mit Musiktheorie, und diese gehört mit ihrer einen Seite der praktischen Musik zu. […] Jetzt, wo Aufgaben ihre Lösung fordern, von denen frühere Jahrhunderte nichts wußten, ist die Unmöglichkeit einer solchen Doppelthätigkeit klar geworden, und je reinlicher sich die Gebiete voneinander scheiden, desto besser wird es für die Pflege sein, hüben wie drüben.496

Den studierten Altphilologen Spitta hatte der Nachlass Bachs gereizt. So habe Bach den Herausgebern der Gesamtausgabe »mit Behandlung seiner handschriftlichen (und spärlichen gedruckten) Hinterlassenschaften eine neue Aufgabe gestellt, durch deren Lösung die Gewinnung einer festen Methode musik­ wissenschaftlicher Kritik angebahnt wurde.«497 Erst die Wiederbelebung alter Musik im 19.  Jahrhundert habe es nötig und möglich gemacht, dass die Musikwissenschaft sich einer einheitlichen historisch-kritischen Methode bediene, die »die Kunstwerke als Urkunden auffaßt und mit allen Mitteln bestrebt sein will, sie ohne Rücksicht auf ästhetischen Genuß vor allem richtig zu lesen und zu denken«. Nur durch solcherart methodisches Vorgehen habe die Musikwissenschaft eine selbstständige Disziplin werden können, »die nicht mehr als Liebhaberei nebenher betrieben werden könne, sondern ihrer eignen, mit Ernst und Ausschließlichkeit zu besorgenden Pflege bedürfe«.498 Philipp Spitta schrieb hier über ein Projekt, an dem er nicht beteiligt war  : Die Bach-Gesamtausgabe wurde ohne ihn erarbeitet, er flankierte sie aber mit 495 Kümmel 1967b, S. 280. 496 Spitta 1893, S. 24 f. 497 Ebd., S. 20. 498 Ebd., S. 25 f.

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seiner Bach-Biographie. Mit seiner Arbeit habe Spitta den »Dreiklang von Philologie, Ästhetik und Methodenreflexion« zum musikhistoriographischen Ideal erhoben und, auch wenn sein integrativer Ansatz dem Spezialisierungsdruck der modernen Wissenschaft nicht gewachsen gewesen sei, die Musikwissenschaft als eigenständige kunstwissenschaftliche Disziplin entworfen.499 Damit sei Spittas »wichtige Rolle in der Gründungsphase der Musikwissenschaft im deutschsprachigen Kulturraum […] heute unbestritten«500. Die Philologie verlieh der Musikforschung den wissenschaftlichen Anstrich, mit dem sie erst neben den eta­ blier­ten Wissenschaften als eigenständige Kunstwissenschaft bestehen konnte.501 Guido Adler, mit dem zusammen Spitta 1885 die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft gegründet hatte, relativierte die Auffassung seines Kollegen. Er sah Musikpraktiker und Musikwissenschaftler durch eine gemeinsame Kernaufgabe verbunden, die er in seiner Antrittsrede an der Universität Wien 1898 definierte, nämlich durch die Erkenntnis der Kunst für die Kunst zu wirken. Dass Künstler und Gelehrte nur ein und denselben Weihedienst haben, dass der Künstler im Schaffen des Schönen und der Kunstgelehrte durch die Erkenntnis des Wahren nur Einem Herrn dienen, dürfte nach dem Gesagten keinem Zweifel unterliegen, wenigstens nicht im Reich der Töne.502

Hatte Spitta das Trennende betont, gingen für Adler sowohl Kunstschaffen als auch Kunstverstehen auf Kunstwissen zurück, womit eine Verbindung zwischen beiden hergestellt war. Am Beispiel eines Kapellmeisters erklärte Adler, warum es den praktizierenden Musikern von Nutzen sei, möglichst viele Erkenntnisse über die aufzuführende Musik zu besitzen. Interessant ist, dass Adler dann aber den relativierenden Hinweis einschob, »dass es Pflicht und Aufgabe jeder Wissenschaft ist, nach Wahrheit, richtiger Erkenntnis und Feststellung der Thatsachen und Vervollkommnung zu ringen auch ohne jede Nebenabsicht, da jede Wissenschaft für sich Selbstzweck« sei.503 Offensichtlich sah er in seinem aufgeführten Beispiel eine gewisse Gefahr, ihm könnte unterstellt werden, dass er musikwissenschaftliche Forschung auf ihre praktische Anwendbarkeit reduzieren 499 Rathert 2006, Sp. 1194. 500 Ebd., Sp. 1191. 501 Vgl. Sandberger 2000, S. 58. 502 Adler 1899, S. 31. 503 Ebd., S. 33.

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wolle. Dabei war es eine Synthese, die ihm vorschwebte  : Philologische Erkenntnis und Erkenntnis durch musikalisches Erleben sollten zusammenwirken, beides jeweils geschult durch die intellektuelle Durchdringung des Stoffes.504 Die Tondenkmäler der vergangenen Zeiten müssten allgemein zugänglich gemacht werden, wobei auch die Werke der »Männer der Kleinarbeit«505 zu berücksichtigen seien. Über das rein antiquarische Interesse könne man hingegen nur hinauskommen, wenn die in einer historisch-kritischen Sammlung edierten Werke auch aufgeführt würden. Was Philologie sei, darüber kursierten im 19. Jahrhundert tatsächlich mehrere, teilweise stark voneinander abweichende Definitionen. Ausgangspunkt war das philologische Handwerkszeug des Humanismus, das zur Rekonstruktion antiker Texte entwickelt worden war. Es handelte sich dabei um statische Verfahren, die vor allem mit dem Vergleich verschiedener Textfragmente und -fassungen arbeiteten. Nachdem sich mit der Wende zum 18. Jahrhundert und angestoßen durch das Erlebnis der Französischen Revolution, also durch die Erfahrung der konkreten Gestaltbarkeit von Geschichte, ein von Grund auf verändertes Geschichtsbewusstsein durchzusetzen begann, wandelte sich damit auch die Methodik der Klassischen Philologie.506 Statt bei der Rekonstruktion der Quellen stehenzubleiben, glaubte man, den in ihnen verborgenen Geist der Antike daraus erkennen zu können. Aus der reinen Philologie wurde Altertumswissenschaft, und während der philologischen Methode nun die Rolle einer Hilfswissenschaft zugeschrieben wurde, lag der Fokus der wissenschaftlichen Arbeit auf der Interpretation antiker Schriften. Diese Veränderung ging zwar nicht ohne Kontroversen vonstatten,507 doch bis Mitte des 19.  Jahrhunderts hatte sich dann die historistische Auffassung durchgesetzt, dass es darum gehe, anhand überlieferter Quellen eine Vorstellung vom Geist einer zurückliegenden Epoche zu bekommen. Historische Forschung sollte nach Auffassung des Altphilologen August Boeckh ›Erkenntnis des Er504 Volker Kalisch (1988, S. 302) sieht in Adlers »›Prinzip‹, allen irgendwie in den Blick genommenen Sachverhalten ihre tatsächlich mehrdimensionale Eingebundenheit, ihre Beziehungsrelationen in oder trotz wissenschaftlicher Behandlung lebendig zu erhalten« eine innovative Kraft, die noch immer nicht eingelöst ist. Dass die Nachkriegs-Musikwissenschaft es unterließ, Guido Adler als wichtige Figur der Fachgeschichte zu würdigen und seinen integrativen Ansatz weiterzuverfolgen, sieht Kalisch 2001 als Anzeichen für ideologische Kontinuitäten über 1933 und 1945 hinaus. Adler war Jude und von den Nationalsozialisten verfolgt worden. 505 Adler 1899, S. 34. 506 Vgl. Muhlack 1979. 507 Vgl. z. B. Vogt 1979.

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kannten‹ sein, sollte also nachvollziehen, wie Menschen zu je unterschiedlichen historischen Zeiten ihre Welt gesehen hatten.508 Der methodische Ansatz weitete sich über die Altertumswissenschaft aus und wurde Grundlage der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Boeckhs Schüler Johann Gustav Droysen systematisierte die Ziele und Methoden der Geschichtswissenschaft in seiner Historik und schuf ihr ein in weiten Teilen noch heute gültiges Fundament. Droysen brachte die Geschichtswissenschaft auf die Formel, »forschend zu verstehen«509. Die Frage, warum Menschen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich handelten, ließ sich für ihn nur im Dreischritt von Heuristik, Quellenkritik und Interpretation beantworten, die jeweils aufeinander aufbauten.510 Wenn prominente Musikhistoriker des 19.  Jahrhunderts ausgebildete Altertumswissenschaftler waren, dann zeigt allein das, wie wegweisend die Philologie in dieser Zeit war. Auch Droysen, der eine Geschichte des Hellenismus ebenso wie eine Geschichte der preußischen Politik geschrieben hatte, war ein exzellenter Kenner der Musikgeschichte, hatte noch während seiner Studienjahre zwei größere Aufsätze zu musikalischen Themen verfasst und berücksichtigte in seinen späteren Vorlesungen die Musikgeschichte als Teil der allgemeinen Geschichte.511 So wurde die Philologie zum Motor auch der Musikwissenschaft, nur eben nicht allein als textkritische, sondern als hermeneutische Methode. Philipp Spitta äußerte sich zur musikwissenschaftlichen Methode in einer Rezension von Carl Ferdinand Pohls Haydn-Biographie, die 1883 in den Grenzboten erschien. Sein Ausgangspunkt war die historische Bedingtheit von Musik als klingender Kunst. Ob es nämlich möglich sei, ein Musikwerk historisch korrekt zum Wiedererklingen zu bringen, sei äußerst fragwürdig, denn sowohl Interpretation als auch Rezeption seien historisch wandelbar. Spittas musikpraktisches Herzensanliegen, dem Geist der Bach’schen Musik durch Wiederaufführungen möglichst nahezukommen, wozu er eigens den Bach-Verein in Leipzig mitgegründet hatte,512 musste er als Historiker allerdings hinterfragen  : Außer Gebrauch gekommene Instrumente sucht man wieder herzustellen  ; hat man damit auch sicher die Seele zurückgewonnen, welche ihnen die Künstler einhauchten  ? Aber nehmen wir einmal an, es gelänge, ein Musikstück vergangner Zeit genau so wieder 508 Vgl. z. B. Rodi 1979. 509 Droysen 1977, S. 22. 510 Vgl. auch Jaeger/Rüsen 1992, S. 60. 511 Vgl. Kümmel 1967b, S. 230–274. 512 Vgl. Sandberger 2000, S. 59.

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ins Leben zu rufen, wie es aus der Phantasie des Komponisten hervortrat – und nach diesem Ziele streben muß die Kunstwissenschaft, mag es einstweilen auch noch unerreichbar scheinen –, dann wäre der Wert des gewonnenen Eindrucks zunächst immer nur ein ästhetischer. Zur Gewinnung eines wissenschaftlichen Ergebnisses wäre das Erzielte nur eine, freilich notwendige Vorstufe. Geschichte treiben heißt den Zusammenhang der Dinge erkennen wollen. Es würde nun darauf ankommen, den vom Kunstwerk empfangenen Eindruck auf die Persönlichkeit des Komponisten zu beziehen, ihn mit dem Eindruck von andern Kompositionen desselben Meisters zu vergleichen, in dieser Thätigkeit zum Schauen eines Gesamtbildes des Künstlers vorzudringen, alsdann dieses mit den ebenso gewonnenen Bildern andrer Persönlichkeiten zusammenzuhalten.513

Spittas Geschichtsauffassung bezog die Biographik mit ein, denn Kunstwerk und Komponistenpersönlichkeit waren im Historismus aufs Engste miteinander verbunden. Spitta unterschied allerdings die Arbeit des Philologen von der des Historikers, denn mittlerweile hatte sich die Geschichtswissenschaft von ihrer philologischen Herkunft emanzipiert. Man würde eben die betreffenden Musikstücke als Urkunden behandeln, die dem Geschichtsforscher ihren Gehalt herzugeben haben. Dies Verhältnis ist nicht das des Philologen. Der Philolog behandelt den ihm vorliegenden Text in keiner andern Absicht, als um zu erkennen, was der Autor geschrieben und gemeint hat. Diese Erkenntnis ist ihm Selbstzweck  ; sein Ziel ist ein formales, es handelt sich bei ihm um das Wie, der Historiker fragt nach dem Was, die Arbeit des Philologen muß vorhergegangen sein, dann beginnt die seinige erst.514

Burkhard Meischein bemerkt, dass Spitta zwar derjenige unter seinen Kollegen gewesen sei, der am deutlichsten zu methodischen Fragen Stellung bezogen habe, doch auch seine Äußerungen ließen sich nicht zu einer konsistenten Geschichtstheorie zusammenführen.515 Der Mangel an rationaler Methodologisierung der historischen Interpretation war jedoch kein musikhistorischer Sonderfall, sondern galt für die Geschichtswissenschaft insgesamt. Georg Iggers leitet daraus Einwände gegen das vorherrschende Bild einer stetigen Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Geschichtswissenschaft im 19.  Jahrhundert ab. Er weist darauf hin, dass die Vorstellungen von Philologie als Methode diffus waren. 513 Spitta 1883, S. 447. 514 Ebd. 515 Meischein 2010, S. 189.

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Es sei nicht objektiv verankert gewesen, was die ›Einfühlung in die Quellen‹ bedeuten sollte. Einerseits meinte man, die Vergangenheit so rekonstruieren zu können, wie sie eigentlich gewesen ist (Ranke), andererseits habe es ein Bewusstsein dafür gegeben, dass auch das forschende Subjekt nur ein »vielfach vermitteltes, ein geschichtliches Resultat« darstellte (Droysen). Wenngleich der Historismus die Identität von verstehendem Erkenntnissubjekt und zu verstehendem Geschehenszusammenhang postuliert habe, so sei dies wissenschaftlich doch nicht zu beweisen gewesen. Daraus resultierte zweitens, so Iggers, eine Ideologisierung der Geschichtswissenschaft, die sich in drei Aspekten manifestiert habe  : in der Sakralisierung von Wissenschaft(lichkeit), in der Idee des Fortschritts und im Anspruch einer europäischen Vorrangstellung. Wenn auch die genannten drei Elemente nicht in der Geschichtswissenschaft entstanden seien, sondern in einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs, so habe die Geschichtswissenschaft sich doch in den Dienst dieser »neue[n] historische[n] Mythen« gestellt.516 Tatsächlich macht Spittas Text über Pohls Haydn-Biographie die Diffusität zwischen Philologie, Historik und Biographik anschaulich. Spitta rekapitulierte darin nämlich auch die Leistungen des Mozart-Biographen Otto Jahn, dessen Anwendung der philologisch-kritischen Methode auf die schriftlich überlieferte Musik bahnbrechend gewesen sei. »Er hat zuerst gewisse Grundsätze aufgestellt, nach welchen fortan jeder verfahren muß, der den Anspruch erhebt, ein berufener Herausgeber älterer Musik zu sein.«517 Doch dann machte Spitta eine zunächst etwas irritierend wirkende Unterscheidung, wenn er schrieb  : »Jahn war ein biographisches Talent ersten Ranges  ; er hat dies auf andern Gebieten glänzend bewährt. Ein historisches Talent war er nicht soweit ich urteilen kann.« Jahn sei von der Einzelpersönlichkeit gefesselt gewesen, seine biographische Darstellung Mozarts sei aber etwas ganz anderes als ein »große[s] historische[s] Bilde«, wie es der Historiker zu zeichnen versuche. Man hört sagen, daß auch die Arbeit des Biographen historischer Art sei. In gewissem Sinne wohl, aber mit gleichem Recht kann man beide Arten als gegensätzlich bezeichnen. Die Sache liegt keineswegs so, daß eine Persönlichkeit in der Gestalt, wie sie vom Biographen gezeichnet wurde, einfach in eine historische Kette eingegliedert werden könnte. Sie nimmt sich in ihrer Isolirtheit anders aus und muß es  ; sie ist thatsächlich etwas andres.518 516 Iggers 1997, S. 463 f. 517 Spitta 1883, S. 446. 518 Ebd., S. 447 f.

Kunstkritik, Biographik oder Philologie?

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Bei Jahn sei »die Freude an der in sich ruhenden Erscheinung und am plastischen Herausbilden derselben« in stärkerem Maße wirksam geworden als der »Zug zum ewig bewegten Fluß der Geschichte«. Seine Neigung »zum sorglichen Zusammentragen, zum Anhäufen des Stoffes, zum Sammeln auch von nebensächlichen Kleinigkeiten« verrate mehr den Philologen als den »eigentlichen Geschichtsmeister«.519 Die Unterscheidung zwischen Philologe, Biograph und Historiker war von Spitta durchaus hierarchisch gedacht  : Der Philologe sammelt Bruchstücke und Einzelheiten, ohne sie in Beziehung zu einem Ganzen zu setzen  ; der Biograph erzählt entlang der gesammelten Fakten die Geschichte eines Individuums  ; der Historiker nutzt die individuelle Lebensgeschichte, um aus ihr eine überindividuelle Historiographie abzuleiten. Der Historiker könne demnach auch Biographien schreiben, doch sie müssten immer eingebunden sein in ein Gesamtbild, müssten durch vielfältige Kontextualisierung und Bezugnahmen als Bausteine dienen, die Idee einer Epoche deutlich zu machen. Damit erklärt sich das Phänomen, dass etliche Historiker des 19. Jahrhunderts Biographien schrieben, sich gleichzeitig aber gegen die Biographie als Charakterstudie abgrenzten. Sie taten dies aus ihrem Selbstverständnis als Historiker heraus, die einen über das Individuum hinausreichenden Horizont aufzumachen bestrebten. Falko Schnicke nennt das Prinzip der historistischen Geschichtsschreibung entlang individueller Lebenserzählungen »biographische Entindividualisierung«520. Die Biographen, stellt er fest, seien »nicht an dem Fortschritt der historischen Einzelpersönlichkeit interessiert [gewesen], wohl aber an der Entwicklung der an ihnen beispielhaft verfolgten Universalgeschichte bzw. an den über sie veranschaulichten abstrakten Wertvorstellungen und Idealen.«521 Details aus dem Privatleben der ›großen Männer‹ hatten den historistischen Biographen nicht zu interessieren. Nur das öffentliche Leben, aus dem politischer, gesellschaftlicher oder kultureller Fortschritt abgelesen werden konnte, stand im Fokus. In dem Sinne ist auch Spittas Kritik an der Haydn-Biographie Pohls zu verstehen, wenn der Rezensent bemerkte, dass die Arbeit eine antiquarische sei, die in ihrer »Sorgsamkeit und Gründlichkeit im Aufsuchen der Thatsachen« aber dennoch in höchstem Grade zu würdigen sei. Es bleibt ein widersprüchliches Bild der Musikwissenschaft zwischen den 1850er- und 1910er-Jahren.522 Die Musikwissenschaft hatte im Prozess ihrer 519 Ebd., S. 448. 520 Schnicke 2010, S. 166. 521 Ebd., S. 170. 522 Leider ist bisher noch viel zu wenig im Detail geklärt, wie die Fachvertreter der Frühphase der

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Institutionalisierung und Professionalisierung Trennlinien installiert, die in der Realität zu Widersprüchen führten  : zwischen Wissenschaft und Dilettantismus, Wissenschaft und Praxis, Historismus und Positivismus, Biographie und Philologie, Musikkritik und Musikforschung, Musikwissenschaftlern und Musikschriftstellerinnen. Der Artikel Musikwissenschaft in Spemanns goldenem Buch der Musik, einem weit verbreiteten Hausbrevier für das gebildete Bürgertum, stellte die Philologie als stärkste Kraft innerhalb des Faches dar. Empfohlen als »wichtigste musikhistorische Werke« wurden den Leserinnen und Lesern nun aber nicht etwa die Bach-Biographie Philipp Spittas, sondern die Musikalischen Studienköpfe von Marie Lipsius.523

Musikwissenschaft zu den geschichtsphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Debatten ihrer Kollegen aus Nachbardisziplinen standen. 523 Schwartz 1900, S. 693.

3. »Was Arbeit heiße, das weiß ich« Aspekte der publizistischen Tätigkeit von Marie Lipsius

Marie von Bülow, die Witwe Hans von Bülows, wandte sich 1894 über eine gemeinsame Freundin an Marie Lipsius. Sie suchte Rat, denn sie plante die Briefe und Schriften ihres verstorbenen Mannes herauszugeben. Lipsius sagte sogleich Hilfe zu, hoffte sie doch, eventuell selbst als Herausgeberin einspringen zu können. Gleichzeitig warnte sie die Witwe vor der arbeitsintensiven Zeit, die vor dieser liege, und versicherte, keine Mühe zu scheuen  : »Was Arbeit heiße, das weiß ich. Ist doch mein ganzes Leben rastloser Arbeit im Dienste des Wahren u. Schönen geweiht.«1 Das Motiv der rast- und selbstlosen Arbeit zieht sich als roter Faden durch die Selbstdarstellung von Marie Lipsius. Geradezu gebets­ mühlenartig repetierte sie  : »Meine Arbeit dehnt sich in’s Endlose aus.«2 »Mir ist der Sommer u. überhaupt dies ganze Jahr in unbeschreiblicher Arbeit vergangen. Welch maßlose Mühen die ›Briefe an Liszt‹ für mich umschlossen, sieht ihnen wol Niemand an  ; meine Nerven aber werden’s lange noch fühlen.«3 »Ich stecke bei afrikanischer Glut noch immer rasend in Arbeit, hoffe aber endlich bald ans Ziel zu kommen.«4 »Ich arbeite seit Monaten schon täglich von früh bis 2 Uhr Nachts, um das Fertigwerden zu erzwingen u. Härtels nicht im Stich zu lassen.«5 »Ich konnte es nicht zwingen, habe ohnehin die letzten Tage bis 3 Uhr Nachts von früh an gearbeitet.«6 Etliche Belege mehr ließen sich anführen. Nach dem Tod der Lebensgefährtin Similde Gerhard wurde die Arbeit ­Ersatz für den Verlust  : »Mein bester Freund und Gefährte war jetzt meine Arbeit  ; ausschließlicher noch denn zuvor gab ich mich ihr hin.«7 Lipsius brachte sich selbst zum Verschwinden hinter der Idealisierung ihrer Arbeit. Ihr alternativer Lebensentwurf als unverheiratete, kinderlose, bürgerliche Frau stellte die weib1 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow, o.  D. (nachträglich datiert auf den 15.11.1894), DB Mus. ep. M. Lipsius 3. 2 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 14.05.1895, D-B Mus. ep. M. Lipsius 7. 3 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 19.12.1895, D-B Mus. ep. M. Lipsius 33. 4 Postkarte von Marie Lipsius an Auguste Götze vom 04.08.1904, D-Leu Slg. Taut 739. 5 Brief von Marie Lipsius an Carl Gille vom 07.11.1892, D-WRgs GSA 59/521a, 17. 6 Brief von Marie Lipsius an Breitkopf & Härtel vom 16.08.1912, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2617. 7 La Mara 1917b, S. 368.

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liche Identität der Autorin auf die Probe, denn er erzeugte eine Lücke zum geltenden Geschlechtermodell. Das männlich konnotierte Arbeitsethos versprach die Lücke zu füllen. Lipsius selbst definierte ihre Arbeitskraft als gottgegebenes Schicksal. Noch im hohen Alter saß sie regelmäßig am Schreibtisch, wenn sie auch 1919, angesprochen auf den Gesundheitszustand ihres Bruders, bekannte  : »Mir selbst schenkt Gott noch die Gnade ungehemmten Arbeitens – ein zwiefaches Gnadengeschenk in dieser entsetzlichen Zeit.«8 Die Quantität der daraus resultierenden Arbeitserträge ist beachtlich  : Etliche Biographien, Briefeditionen, Landschaftsskizzen, Konzertkritiken und Gedichte publizierte Marie Lipsius, dazu eine zweibändige Autobiographie. Als Grundlage all dessen sammelte sie Briefe aus Archiven, Bibliotheken und Privatbesitz zusammen, um sie zu kopieren, zu ordnen und publizistisch zu verwerten. Im Zuge der Arbeiten entstand eine Korrespondenz, die mehrere Tausend Briefe von und an Marie Lipsius umfasst. Pseudonymität

Ihre Texte veröffentlichte Lipsius nicht unter ihrem Klarnamen, sondern gab sich ein Pseudonym  : La Mara, angeblich eine Kombination aus ihrem eigenen Namen Marie und dem ihrer Freundin Laura Pohl. Der Tarnname flog jedoch wenige Monate später durch eine Indiskretion innerhalb der Familie auf, so dass zumindest in den musikgebildeten Kreisen ihrer Heimatstadt bekannt war, dass sich hinter La Mara ein »Fräulein L. aus Leipzig« verbarg.9 Die Autorin nutzte das Pseudonym dennoch weiter. Es wurde zu ihrem Künstlernamen und für die Öffentlichkeit zum Synonym ihres bürgerlichen Namens. Selbst im Schriftverkehr nutzte die Autorin ihren Künstlernamen zuweilen, um sich bei ihr persönlich unbekannten Briefempfängern auszuweisen.10 Als ein uninformierter Rezensent hinter dem Pseudonym fälschlicherweise einmal Lipsius’ Kollegin Lina Ramann vermutete, bat Lipsius ihren Verlag um eine Richtigstellung.11 Offensichtlich wollte sie sichergehen, dass ihre Leserinnen und Leser wussten, wer sich hinter La Mara verbarg.   8 Brief von Marie Lipsius an Julius Vogel vom 06.03.1919, D-Mbs Ana 510. I. Lipsius, Marie.   9 Anonyme Rezension in Urania, Nr. 3, Kulturhistorisches Museum Wurzen, Rezensionsalbum. 10 Vgl. z. B. D-Dl Mscr. Dresd. H. 36,79  ; D-LEsm A/381/2010  ; D-HEu Heid. Hs. 2751  ; D-Mbs Autogr. Lipsius, Marie  ; D-WRgs GSA 55/3922  ; D-B Mus. ep. M. Lipsius 73  ; D-LEu Slg. Taut 739. 11 Vgl. Brief von Marie Lipsius an Breitkopf  &  Härtel vom 04.01.1899, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2611.

Aspekte der publizistischen Tätigkeit von Marie Lipsius

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Anfangs waren die Rezensenten noch schwankend gewesen, ob sich hinter La Mara ein Mann oder eine Frau verberge.12 Louis Köhler bekannte Marie Lipsius gegenüber später, als das Rätsel längst gelöst war  : Als ich Ihre hübschen Bücher las, hatte ich zuweilen eine schwache Ahnung, daß der Verfasser eine Dame sein könnte  ; denn die Erzählungsweise hatte in ihrer freundlichen Sprache so viel unmittelbar natürliches, wogegen die Männer, wenn sie ›freundlich‹ schreiben, einen freundlichen Willen dazu durchfühlen lassen. Weil Sie aber auch zugleich so manche eigene Beobachtung machen und diese so bestimmt aussprechen, kam ich von meiner Vermuthung zuweilen auch wieder ab u. blieb schwankend. Ihre neue umgearbeitete Ausgabe, die Sie mir in so reizender, dem Werke mit Recht gebührenden Ausstattung schenken, wird höchst wahrscheinlich eine derartige Umarbeitung erfahren haben, daß man dabei weder an einen Herrn noch an eine Dame denkt.13

Lipsius nannte die Rücksicht auf ihren Vater als Grund, zunächst nicht unter ihrem eigentlichen Namen an die Öffentlichkeit getreten zu sein. Der Vater habe die Texte der Tochter zwar für veröffentlichungswürdig erachtet, nicht jedoch ihren (also seinen) Familiennamen damit verknüpft sehen wollen, berichtete sie im autobiographischen Rückblick.14 Ob auch er eine »Scheu vor dem damals herrschenden Vorurteil gegen die weibliche Autorschaft eines ernst zu nehmenden Buches«15 hatte  ? Marie Lipsius jedenfalls fühlte sich durch diese Scheu veranlasst, ihre ersten Texte pseudonym zu publizieren.16 Wie ihr ging es zahlreichen anderen Frauen, die als Autorinnen in Erscheinung treten wollten. Susanne Kord ermittelte für das 19. Jahrhundert, dass jede zweite bis dritte Frau unter Pseudonym veröffentlichte.17 Die möglichen Gründe, die Kord dafür aufzählt, laufen auf ein und dasselbe Grundmotiv hinaus  : Frauen als Autorinnen hatten sich immer mit der Spannung auseinanderzusetzen, die sich aus ihrem Geschlecht und der geltenden Norm des männlichen Autors ergab. 12 Vgl. Kapitel 4. 13 Brief von Louis Köhler an Marie Lipsius vom 24.11.1873, D-WRgs GSA 59/401,14. 14 La Mara 1917a, S. 67. 15 Ebd., S. 94. 16 Lipsius schätzte damit ihre Kritiker ganz richtig ein, die tatsächlich anders urteilten, nachdem der bürgerliche Name der Autorin bekannt geworden war (vgl. Kapitel 4). Dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelte, sondern vielen Autorinnen so erging, stellt Susanne Kord (1996, S. 156–164) dar. 17 Ebd., S. 13. Eine Liste mit mehreren Hundert Pseudonymen, die »von deutschen Frauen der Feder seit etwa 200 Jahren gebraucht worden sind«, erstellte Pataky (Hg.) 1971 [1898].

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»Was Arbeit heiße, das weiß ich«

Ein Pseudonym ermöglichte es der schreibenden Frau, Spannung abzubauen – wenngleich nur auf Kosten des Eigennamens.18 Dass Lipsius ihr Pseudonym in einen Künstlernamen umwidmen und weiternutzen konnte, könnte davon zeugen, dass der Autorin die Integration ihrer Geschlechtsidentität in die ›Norm des Autors‹ gelungen war, sie also kein Versteckspiel mehr benötigte, um sich als Autorin/Autor zu legitimieren. 3.1 »Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals«: Die Autobiographie Legitimation des autobiographischen Schreibens

Im Kriegsjahr 1917 legte Marie Lipsius ihre Autobiographie vor, die Autorin war zu diesem Zeitpunkt 80 Jahre alt. Das zweibändige Werk erschien im Verlag Breitkopf & Härtel, mit dem Lipsius bereits eine 35-jährige Geschäftsbeziehung verband. Die Autobiographie war der langjährigen Freundin der Autorin, Fürstin Marie zu Hohenlohe-Schillingsfürst, geborene Prinzessin Sayn-Wittgenstein, gewidmet. Lipsius hatte dazu folgenden kurzen Vers gedichtet  : Was uns im Schatten der Einnrung [sic] lebte Vor fremdem Blick sich scheu zu bergen strebte, Du riefst’s ans Licht  ; nun mußt Du’s, Fürstin, büßen, Mein ganzes Leben leg’ ich Dir zu Füßen.19

Was sollte, was konnte dieser Widmungsvers als Metatext einer Autobiographie den Leserinnen und Lesern mitteilen  ? Zunächst betont Lipsius mit dem Pronomen »uns« ihre Verbundenheit mit der Widmungsträgerin. Die geteilte Erinnerung wird zum Stabilisierungsfaktor der Freundschaft und dient der gegenseitigen Vergewisserung, wenngleich viele Lebensabschnitte und Ereignisse präsentiert werden, an denen die Freundin nicht teilgehabt hatte. Marie Lipsius schafft sich mit der Fürstin Hohenlohe eine Referenz, die für die Richtigkeit ihrer Gedächtnisleistung bürgt.20 Auf abstrakter Ebene steckt in der Formulierung noch die Feststellung, dass Erinnerung nur als Kommunikation existiert,

18 Welche nicht nur individuelle, sondern auch soziale Bedeutung der Eigenname als ›Statussymbol‹ einer Person hat, betont Pierre Bourdieu (1990). 19 La Mara 1917a, Vorsatzblatt. 20 Zum Wahrheitsverständnis Hohenlohes aus Sicht von Marie Lipsius vgl. Kapitel 2.3.

»Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals«: Die Autobiographie

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nämlich indem sie (mit)geteilt wird.21 Mit deren Publikation schreibt Lipsius ihren Lebenserinnerungen eine Bedeutung für das kommunikative Gedächtnis ihrer Leserschaft zu. Sie »entäußert«22 ihr individuelles Gedächtnis und konfrontiert es mit dem sozialen Gedächtnis. Eine solche Transformation bedurfte eines gewissen Selbstbewusstseins, war andererseits 1917 auch nicht außergewöhnlich für Autorinnen. Die autobiographische Literatur erlebte um 1900 einen Boom,23 und Frauen waren daran in großem Maße beteiligt.24 Allgemein wird angenommen, dass es in Zeiten der Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche größerer Selbstvergewisserung durch autobiographisches Schreiben bedürfe und die Textproduktion entsprechend umfangreicher sei.25 In diesem Sinne bedeutete die Wende zum 20. Jahrhundert für Frauen eine enorme Krise, brachen doch Geschlechterkonventionen zunehmend auf und eroberten sich Frauen neue Handlungsspielräume, was auch Unsicherheiten und Gegenreaktionen erzeugte. Frauen gerieten unter einen neuen Rechtfertigungsdruck. Man muss nicht so weit gehen, »[j]ede Veröffentlichung privaten Erinnerns von Frauen« als »Akt des Widerstandes gegen das patriarchalische Sprechen« zu interpretieren, der »als Literatur zu einer Politisierung von Weiblichkeit [führte], die zum Bestandteil des gesamten Genres weiblicher Autobiographien um 1900 wurde«.26 Aber doch bedeutete autobiographisches Schreiben für Frauen, dass sie sich unweigerlich mit der Ambivalenz konfrontiert sahen, die in der verinnerlichten Aneignung der Geschlechterkonvention einerseits und ihrer Überwindung im Akt des öffentlichen Schreibens andererseits lag. Die offensichtliche Präsenz von Bescheidenheitstopoi in den autobiographischen Texten von Frauen ist der Verweis darauf, dass legitimiert werden musste, was die Autorinnen taten. Während bei männlichen Autoren eine Selbstzurücknahme lediglich rhetorische Funktion gehabt habe,27 zeigten sich bei Frauen gerade in der Selbstzurücknahme »die Widersprüche einer Anpassungsleistung, die infrage gestellt wird, 21 Die These von der kommunikativen Funktion der Erinnerung ist Ausgangspunkt der kulturwis­ senschaftlichen Gedächtnistheorie seit den 1990er-Jahren (vgl. z. B. Assmann 1992  ; Welzer 2002). 22 Esposito 2002, S. 34. 23 Volker Hoffmann (1989, S. 484) verweist auf diverse autobiographische Buchreihen, die im frühen 20. Jahrhundert gegründet worden seien, Charlotte Heinritz (2000, S. 39) auf autobiographische Rubriken in Zeitschriften und Illustrierten. 24 Charlotte Heinritz (2000) trug für den Zeitraum 1890 bis 1914 insgesamt 350 Autobiographien – wobei sie diesen Begriff weit fasst – von (vor allem bürgerlichen) Frauen zusammen. 25 Vgl. z. B. Klein 2009, S. 33. 26 Martin/Lixl 1982, S. 105. 27 Holdenried 2000, S. 24 f.

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»Was Arbeit heiße, das weiß ich«

aber gleichzeitig verinnerlicht ist«28. Demütige Rechtfertigungsstrategien wie eine legitimatorische Vorrede, pseudonyme Veröffentlichung oder eine Autorisierung durch männliche Verwandte seien der Preis gewesen, den Frauen für das Eindringen in männliches Terrain zu zahlen gehabt hätten. Doch, so Michaela Holdenried emphatisch, die Annahme dieser partikularen Identität sei »der Brückenkopf für eine ›Landnahme‹ im Geschlechterkampf« gewesen.29 Marie Lipsius verfolgte ihre Rechtfertigungsstrategie über die Autorität der adligen Freundin. Diese sollte nicht nur für die Richtigkeit der Erinnerung bürgen, sondern auch, indem sie zur Initiatorin des Projektes erklärt wurde, die Autobiographie autorisieren. Das »Du riefst’s ans Licht« sollte deutlich machen, dass für die Publikation nicht Lipsius’ auktoriales Selbstbewusstsein, sondern die Freundin verantwortlich war. Sie habe die Erinnerungen erst aus dem Verborgenen geholt, darum auch bekomme sie nun das fertige Werk gewidmet. In das großzügige Geschenk der Widmung ist die Bürde der Verantwortung mit eingeschlossen und die freundschaftliche Verbundenheit über gemeinsam Erlebtes gekoppelt mit ihrer Instrumentalisierung zum Zwecke der Referentialisierung. In diesem Zweierlei zeigt sich die Ambivalenz, in der auch Marie Lipsius agierte  : zwischen eingeübter ›weiblicher‹ Selbstbeschränkung und einem Aufbegehren, das einen ›männlichen‹ künstlerischen Geltungsdrang für sich reklamiert, der Autobiographiewürdigkeit nicht erst legitimieren muss, sondern sie voraussetzt. So weit folgt die Intention der Widmung ganz den üblichen Rechtfertigungsmustern weiblichen Schreibens. An zwei Stellen jedoch wird das Muster irritiert. Zum einen lässt sich Marie Lipsius von einer Frau autorisieren. Üblicherweise ließen sich Autorinnen von männlichen Verwandten oder Freunden autorisieren, besonders galt das für pietistische Lebenserzählungen.30 Zum anderen konfrontiert Lipsius die Widmungsträgerin mit einem Widerspruch  : Die Widmung ist Geschenk und Bürde gleichzeitig, wofür der Imperativ »nun mußt Du’s, Fürstin, büßen« steht. Vielleicht zielt diese Sentenz etwas ironisch in die Richtung, dass auch Marie Hohenlohes Leben durch Lipsius’ Autobiographie ein ganzes Stück weit in den Lichtkegel der Öffentlichkeit gestellt wird. Indem die Autorin die Verantwortung anmahnt, die mit ihrer Widmung auf Hohenlohe übergeht, verlässt sie die Position der Untergebenen und nur nach Legitimation Suchenden und stellt das Gleichgewicht zwischen beiden Frauen wieder her. Für die Reflexion autobiographischen Schreibens wäre es nun aber gefährlich, 28 Holdenried 1995a, S. 20. 29 Holdenried 1995b, S. 420. 30 Vgl. Niggl 1974.

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die Absichtserklärungen und apologetischen Argumente der Metatexte unbesehen zu übernehmen. Sie sind perspektivisch und taktisch, oft ironisch gemeint, und deshalb sorgfältig mit dem autobiographischen Text, auf den sie sich beziehen, und mit dem Argumentenarsenal der Epoche zu vergleichen.31

Tatsächlich scheint es sinnvoll, das bisher aus der Widmung Herausgearbeitete mit dem zu kontrastieren, was Marie Lipsius selbst über den Entstehungsprozess der Autobiographie sagt. Die Autorin äußert sich dazu in einem kurzen, halbseitigen Absatz – erstaunlich kurz, wenn man sich vor Augen hält, auf welch hohem Reflexionsniveau sich die (Auto)Biographik zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits befand. Wilhelm Dilthey hatte in seinen Überlegungen zur Hermeneutik über die »Selbstbiographie« nachgedacht, sein Schüler Georg Misch veröffentlichte 1907 den ersten Band seiner vierbändigen Geschichte der Autobiographie, Werner Mahrholz verfasste 1919 eine sozialgeschichtliche Darstellung Deutsche Selbstbekenntnisse. Ein Beitrag zur Geschichte der Selbstbiographie von der Mystik bis zum Pietismus, und Sigmund Freuds Modell der Psychoanalyse fußte sehr konkret auf theoretischen Überlegungen zu lebensgeschichtlichem Erzählen.32 Marie Lipsius schrieb 1917 nun Folgendes  : Als ich im November 1913 zur Fürstin [Marie zu Hohenlohe-Schillingsfürst] kam, brachte ich ihr, auf einen langgehegten Wunsch von ihr eingehend, den Anfang meiner Lebenserinnerungen mit, die ich bis 1876 fortgeführt hatte. Daß sie den uneingeschränkten Beifall dieser meiner strengsten Kritikerin fanden, beglückte mich, denn nur mit Zagen war ich an die Arbeit, zu der ich schon von den verschiedensten Seiten aufgefordert worden war, herangegangen. Ich hatte ernste Bedenken dagegen, mein eigenes kleines Ich zum Mittelpunkte eines Buchs zu machen, denn Selbstbespiegelung lag mir fern. Nur das Hineinragen bedeutender, ja hoher künstlerischer Persönlichkeiten, wie vornehmlich die Liszts, in mein bescheidenes Dasein, dazu die vielfachen namentlich musikalischen Ereignisse, deren Zeuge ich inner- und außerhalb meiner Vaterstadt war, dünkten mich des Aufzeichnens wert. Und so versuchte ich es damit, mich als Grundlagen meiner eigenen regelmäßig geführten Tagebücher, sowie vorhandener Familienkorrespondenzen bedienend. Einmal im Zuge mit meiner Arbeit, aber bereitete sie mir so viel Freude, daß ich nicht daran dachte, von ihr abzustehen. –33 31 Hoffmann 1989, S. 485. 32 Vgl. Niggl 1977  ; Hoffmann 1989, S. 482 f.; Wagner-Egelhaaf 2005, S. 19–103. 33 La Mara 1917b, S. 451.

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Ambivalenzen auch hier  : Zunächst folgt Marie Lipsius ganz dem Imperativ weiblicher Bescheidenheit. Ihre Person sei viel zu unbedeutend, um ihre Lebensgeschichte für die Öffentlichkeit nachlesbar zu machen. Lediglich die Bekanntschaften mit weit bedeutenderen Menschen rechtfertige ihre Autobiographie. Doch einmal bei der Arbeit mache ihr das Aufschreiben doch Freude. Diese Freude steht in Opposition zur ›weiblichen‹ Zurückhaltung, soll hier aber wohl das aktive und zielgerichtete Verfolgen eines solch unbescheidenen Projektes wie der autobiographischen »Selbstbespiegelung« legitimieren. Lipsius changiert und balanciert zwischen Zurücknahme und Positionierung, zwischen dem Befolgen des ›weiblichen‹ Bescheidenheitstopos und dem selbstbewussten Auftreten als Erzählerin der eigenen Lebensgeschichte. Dieser Befund deckt sich mit den Überlegungen zum Widmungsvers  : Lipsius agierte innerhalb der Grenzen dessen, was als ›weiblich‹ galt, brach die Konvention aber vereinzelt auf. Es war keine radikale oppositionelle Haltung, die sie einnahm, dennoch gab es jene subversiven Momente, an denen sich zeigt, wie die Autorin die Konvention für sich modifizierte, um sie sich aneignen zu können. Im Vergleich zu anderen Schriftstellerinnen reflektierte Marie Lipsius diesen Aneignungsprozess nur wenig innerhalb ihrer Autobiographie. Während Kolleginnen dem Wechselspiel aus Aneignung und Übertretung geschlechtlicher Konventionen deutlich mehr Aufmerksamkeit widmeten und das Verhältnis von Ich und Gesellschaft immer wieder als prekär beschrieben,34 wodurch ihre Autobiographien einen weniger kohärenten Eindruck vermittelten als die Lipsius’sche, folgte diese mit ihrem Text viel mehr dem Muster ›männlich‹-historistischer (Berufs-)Biographien  : Die schriftstellerische Tätigkeit der Autorin bestimmte den roten Faden der Erzählung. Auf sie lief die Familien- und individuelle Entwicklungsgeschichte hinaus und an ihr orientierten sich alle weiteren Lebensereignisse und Unternehmungen. Infragestellungen, Zweifel, Widersprüche, Ambivalenzen bekamen in diesen ›männlichen‹ Autobiographien keinen Raum.35 Ziel war die Darstellung eines stringenten Lebensganges, chronologisch geordnet und nach geographischen Orten gruppiert. Lipsius bediente sich dabei bekannter Topoi, die zum Teil schon seit der Antike in Lebensbeschreibungen genutzt wurden. 34 Davon zeugen die zahlreichen Beispiele weiblicher Autobiographien, die Charlotte Heinritz (2000, S. 288–370) zusammentrug. 35 Das war in den (Selbst-)Biographien der Aufklärung noch anders. Damals wurde versucht, die Leserinnen und Leser dialogisch in die Deutung der Biographie einzubinden, indem die Protagonisten nicht schon als Heroen konstruiert, sondern verschiedene Deutungsweisen aufgezeigt wurden (vgl. Scheuer 1979, S. 81 f.).

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Autobiographische Topoi

Drei Topoi strukturieren die Autobiographie von Marie Lipsius  : erstens die Erweckung ihrer künstlerischen Begabung bzw. Berufung, zweitens die Genealogisierung, durch die sie sich in eine traditionsreiche Familienlinie einfügt, sich einen Ursprung und ein Ziel gibt, und drittens die Identität von Leben und Werk. In der Schlüsselszene der Autobiographie, in der Lipsius ihre Erweckung zur Schriftstellerin beschreibt, kommen alle drei Topoi zum Tragen. Gleichzeitig wird darin deutlich, wie die in der männlichen Autobiographik begründeten Modelle modifiziert werden mussten, um auf eine weibliche Lebenserzählung Anwendung finden zu können. Marie Lipsius schreibt  : Wohl fühlte ich mich nach meines Vaters Tod verpflichtet, mir einen Lebenszweck zu schaffen und fragte mich, welches meiner Talente stark genug sei, mich durchs Leben zu tragen. Ich dachte daran, mich im Klavierspiel so weit zu vervollkommnen, daß ich Liszt bitten könne, mich unter seine Schüler aufzunehmen. Ich erprobte meine schriftstellerische Begabung und schrieb ein paar Novellen, die, an Selbsterlebtes anknüpfend, mir gleichwohl nicht als Ausdruck einer starken Individualität die nötige Garan­ tie boten. Ich arbeitete an Erweiterung meiner Allgemeinbildung  ; aber ich wartete zunächst vergebens auf ein Zeichen, wo mein eigenstes Fahrwasser zu suchen sei. Das fand ich erst später und ganz von selbst. Auch an mir war die Liebe, der Erdengewalten mächtigste, nicht vorbei gegangen. Aber es kam, wie es im Volkslied heißt  : ›Sie konnten zusammen nicht kommen – das Wasser war gar zu tief.‹ Er gab viele Jahre später einer anderen seinen Namen. Viel Tragisches ging aus dieser Verbindung hervor. Mir schenkte Gott ein anderes Glück  : er ließ mich in der musikschriftstellerischen Begabung, die er mir anvertraut hatte und die bisher in mir schlummerte, meinen innersten Beruf erkennen. Ihm gab ich mich ohne selbstische Ziele hin wie einem Heiligtum. Und Liszt, der Beflügler meines Lebens, ward sein Entdecker.36

Gleich der erste Satz bringt zwei Dinge zusammen, die zunächst nicht miteinander in Verbindung zu stehen scheinen  : den Tod des Vaters und die Überlegung, welchen »Lebenszweck« sich die junge Frau geben sollte. Es ist davon auszugehen, dass die Versorgung der unverheirateten Tochter und der hinterbliebenen Ehefrau von Adelbert Lipsius durch eine Witwenrente sowie die Unterstützung durch die drei Söhne, die bereits akademische Positionen innehatten, erst einmal gewährleistet war. Dennoch mag es für Marie Lipsius auch in finanzieller Hin36 La Mara 1917a, S. 50 f.

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sicht geboten gewesen sein, sich über die Zukunft Gedanken zu machen, zumal ihre Verheiratung nicht anstand. Die Zukunftspläne mündeten letzten Endes in den Entschluss, das Schreiben zum Beruf zu machen. Die von Lipsius im autobiographischen Rückblick vorgenommene Engführung  : Tod des Vaters und Beginn ihrer Berufstätigkeit scheint weniger dokumentarische als legitimatorische Qualität zu haben. Der Vater starb 1861, ihren ersten Text publizierte Lipsius 1867 – der »Zwang«, den sie mit dem obigen Satz ins Feld führte, diente sicher auch dazu, ihre Berufstätigkeit vor den Leserinnen und Lesern zu legitimieren. Dass schriftstellerische Tätigkeit ihr »Glück« bereitete, wie sie einige Zeilen später bekennt, reichte offensichtlich dazu nicht aus. Lipsius beschreibt in der obigen Schlüsselszene nun weiter, wie sie in jenen Jahren intensiv nach einem geeigneten Beruf, vielmehr nach ihrer Berufung, suchte. Doch weder als Klavierinterpretin noch als Novellendichterin schätzte die junge Frau ihre Fähigkeiten als ausreichend ein. Damit bedient sie das Topos weiblicher Bescheidenheit, betont aber gleichzeitig, dass musikalisches wie auch schriftstellerisches Talent in ihr durchaus vorhanden sei. Folgende Szenen aus ihrer Kindheit sollen dies offensichtlich vermitteln  : Drei Jahre alt, überraschte ich meine Mutter dadurch, daß ich, stillvergnügt am Fenstertritt hockend, mit heller Stimme ein Lied für mich hinsang, das ich von ihr singen gehört hatte. Dafür heimste ich viel Lob ein. Meine Lust war’s, mir auf dem Klavier die mir wohlgefälligen Töne zusammenzusuchen, und wenn mir erlaubt wurde, dasselbe, dessen Klanggeheimnisse mich unwiderstehlich anlockten, zu öffnen, war ich beglückt.37 Besonders fesselten mich Welt- und Literaturgeschichte, Deklamation und deutsche Aufsätze, bei welch letzteren ich, sobald uns [vom Lehrer] freie Wahl gelassen war, meine Phantasie walten lassen konnte. Zehn oder elf Jahre alt, baute ich mein erstes Gedicht. […] Mich beglückte das Dichten. Ich ergriff jede Gelegenheit, meine Gefühle in Reime zu kleiden. […] Bei Aufgabe des Themas ›Herbstgefühle‹ überließ es uns der Lehrer, dasselbe je nach Neigung, wie gewohnt in Prosa oder in gebundener Rede zu behandeln. Als Unikum kam ein Gedicht von mir zum Vorschein. Der Lehrer trug es laut vor und belobte es. Ein mir darnach gehaltenes Privatissimum aber enthielt mehr Tadel als Lob. Er sagte, zumal er mich zur selben Zeit eine Ballade deklamieren gehört hatte, ich sei von Natur so reich begabt, daß ich von Rechtswegen viel mehr leisten müsse als ich leistete. Das war mir gesund  ; denn nur für das mich Interessierende legte ich großen Fleiß an den Tag.38 37 Ebd., S. 9. 38 Ebd., S. 17.

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Das Interesse für Musik und Literatur, das Lipsius mit den Anekdoten dokumentierte, harmoniert mit der »Erweiterung meiner Allgemeinbildung«, um die sich Lipsius ebenfalls nach dem Tod des Vaters bemühte. Als zukünftige Ehefrau gehörte es zu den Aufgaben einer jungen Frau aus bürgerlichem Haus, neben den Grundfertigkeiten der Haushaltsführung auch ein solches Maß an geistiger Bildung mit in die Ehe zu bringen, dass dem Ehemann nicht langweilig würde.39 Denn selbstverständlich, so schreibt Similde Gerhard, die langjährige Lebensgefährtin von Marie Lipsius, in ihrem Mädchenratgeber, sei »der höchste und lohnendste Beruf der Frau, in welchem sie zugleich die ihrem Naturell entsprechendste und eingreifendste Thätigkeit entwickeln kann, […] der als Gattin und Mutter«.40 Doch alle Bemühungen von Marie Lipsius liefen ins Leere. Auch die Eheschließung konnte nicht realisiert werden, denn, wie es in der Königskinder-­ Ballade heißt  : »Das Wasser war gar zu tief«. Die Anekdote über die unglückliche Liebe hatte ebenfalls einen wichtigen funktionalen Charakter, sollte sie doch die Konformität der Autorin bezeugen  : Ihr oberstes Ziel sei selbstverständlich gewesen, eine bürgerliche Ehe einzugehen und damit den »höchste[n] und lohnends­te[n] Beruf der Frau« (Similde Gerhard) zu ergreifen. Als äußere Umstände das Unterfangen aber scheitern ließen, wurden Alternativen möglich und Marie Lipsius konnte ihren »innersten Beruf« der Musikschriftstellerin ergreifen. Mit ihrem Bemühen um die Legitimation ihrer schriftstellerischen Tätigkeit stellte Marie Lipsius keine Ausnahme dar. Charlotte Heinritz kategorisiert in ihrer Studie über Frauenautobiographien um 1900 drei verschiedene Typen, nach denen Frauen autobiographisch ihre Autorschaft begründeten. Für eine erste Gruppe von Frauen habe sich die Gleichzeitigkeit von künstlerischer und weiblicher Bestimmung ausgeschlossen. Diese Frauen entschieden sich bewusst gegen Ehe und Familie, um ihren Beruf ausüben zu können. Heinritz stellt allerdings fest, dass die Frauen häufig von den schweren inneren und äußeren Konflikten berichteten, von denen sie wegen ihrer Entscheidung begleitet worden seien. Der zweite Typus habe die Autorschaft der konventionellen weiblichen Bestimmung als Ehefrau und Mutter untergeordnet, nach der Familiengründung ganz auf das Schreiben verzichtet oder es erst wieder aufgenommen, als die Kinder erwachsen und der Ehemann verstorben waren. Die Frauen dieses Typs würden im autobiographischen Rückblick oft beide Geschichten parallel erzählen, 39 Vgl. Kapitel 2.4. 40 Milde 1882, S. 337.

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die der Familiensorge und jene der eigenen schriftstellerischen Tätigkeit, ohne sie miteinander in Einklang bringen zu können. In eine dritte Kategorie fasst Heinritz jene Frauen zusammen, die wie Marie Lipsius ihre Berufstätigkeit als Ersatz zur verhinderten weiblichen Bestimmung konstruiert hätten. Diese Frauen seien ihrer schriftstellerischen Berufung zwar gefolgt, würden im autobiographischen Rückblick aber dennoch ihre Weiblichkeit betonen, indem sie davon berichteten, wo und wie sie ihre Aufgaben als Frau trotz alledem erfüllten.41 Marie Lipsius beispielsweise dokumentierte ihre Weiblichkeit mit ihrem sozialen Engagement. Sowohl während des Krieges zwischen Österreich und Preußen 1866 als auch 1870/71 im Krieg zwischen Frankreich und Deutschland unterstützte sie den Internationalen Hilfsverein in Leipzig (später im Deutschen Roten Kreuz aufgegangen), dessen Vorsitz ihre Freundin Similde Gerhard übernommen hatte. Beide Frauen verwalteten gemeinsam das Depot des Lazaretts. Für ihr Engagement im Krieg sei sie mit mehreren Medaillen geehrt worden, berichtet Lipsius.42 Die Legende von der Künstlerin

Marie Lipsius beschreibt in der oben angeführten autobiographischen Schlüssel­ szene, wie sie ihre Berufung als Musikschriftstellerin erkannte. Die Erzählung ähnelt jenen Legenden, mit denen seit der Antike beschrieben wurde, wie Künstler zu Künstlern wurden. Ernst Kris und Otto Kurz hatten in den 1930er-Jahren etliche Künstlerviten der Renaissance analysiert und die ihnen zugrunde liegenden Muster auf antike Mythen zurückgeführt. Dabei fanden sie einen Antagonismus in der »Legende vom Künstler«  : Dieser wurde entweder als Autodidakt dargestellt, der seine natürliche Begabung durch ein Erweckungserlebnis selbst erkannte, oder aber seine Berufung zum Künstler ging auf einen berühmten Lehrmeister zurück, dessen Tradition der junge Lehrling fortführte. Interessanterweise schlossen sich die beiden Gründungsmythen von Künstlerschaft nicht aus, sondern konnten nebeneinander, zuweilen angewandt auf ein und dieselbe Figur, bestehen. Während die Meister-Schüler-Erzählung eine Traditionslinie konstruierte, stand der Künstler als Autodidakt außerhalb einer Tradition.43 Analog dazu erzählt auch Marie Lipsius ihre künstlerische Erweckung. Ihren »inneren Beruf« habe sie gefunden, indem sie ihr Talent zum Schreiben schon 41 Vgl. Heinritz 2000, S. 288–355. 42 Vgl. La Mara 1917a, S. 64  ; 122–126. 43 Kris/Kurz 1995 [1934], S. 37–86.

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als Jugendliche erkannt und später dann professionalisiert habe. Dieses autodidaktische Konzept wird konterkariert von der Schilderung, dass Franz Liszt der Entdecker ihres Talentes gewesen sei und noch dadurch ergänzt, dass Lipsius auch der Bildungstradition ihrer Familie eine wichtige Rolle für ihren eigenen Lebensweg zuschreibt.44 Kris und Kurz stellten fest, »daß sich in der Renaissance die Ansicht durchsetzt, nicht Schulung oder Übung bedinge das Künstlertum, sondern eine vorgegebene Eignung, die ›Physis‹ der Antike. Diese Anschauung kleidet sich in die Form, daß der Künstler als Künstler geboren werde.«45 Damit gleiche sich der Künstler Gott an. Die beiden Kunstwissenschaftler machten einen Säkularisierungs­ prozess aus  : »Die ›Religion‹, zu deren Heilsgestalten er [der Künstler] zählt, ist die Geniereligion der Neuzeit.«46 Wenn Marie Lipsius schreibt, sie habe sich ihrer von Gott geschenkten Begabung hingegeben »wie einem Heiligtum«, dann ist das durchaus ambivalent zu deuten  : In der Erhebung durch göttliches Talent geht die vollkommene Unterordnung unter den göttlichen Willen auf. Diese doppelte Auseinandersetzung mit dem gottgewollten Schicksal war nicht typisch für weibliche Autobiographien, das bestätigt der Blick in die Quellenanalysen von Charlotte Heinritz. Zwar beschrieben viele Autobiographinnen ihre künstlerische Begabung als schicksalhaft, religiöse Instanzen spielten dabei jedoch keine signifikante Rolle. Lipsius’ religiöse Bezugnahme ist ein ›männliches‹ Moment und erinnert daran, dass die Autobiographie aus pietistischen Lebensbeschreibungen hervorging. Im 17.  Jahrhundert initiierten pietistische Bekenntnisschriften eine Subjektivierung der vormals starren privaten Chronik, die nach dem dreiteiligen Schema curriculum vitae, portrait und catalogus scriptorum aufgebaut war.47 Über ihre Herrnhuter Verwandtschaft stand Marie Lipsius in Verbindung mit dem Pietismus.48 Die Pietisten lehnten die ihnen entfremdete Obrigkeitskirche ab und strebten nach möglichst unmittelbarer Gotteserfahrung. Zentral war die Vorstellung der religiösen Wiedergeburt, die nach einer Phase der Buße und des Sündenbekenntnisses zum Durchbruch kommen konnte. Einflussreiche 44 Gerade im 19.  Jahrhundert existieren beide Varianten der Begründung von Künstlerschaft nebeneinander. Während der Geniekult der Romantik die Naturhaftigkeit der künstlerischen Bega­ bung betonte, war dem Historismus eher an Traditionsbildung und Genealogisierung gelegen (vgl. Hellwig 2005, S. 115–179). 45 Kris/Kurz 1995 [1934], S. 76. 46 Ebd., S. 74 f. 47 Vgl. Niggl 1977, S. 6–38. 48 Vgl. Kapitel 2.1. Zur Glaubenswelt des Pietismus vgl. z. B. Lehmann (Hg.) 2004.

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Pietisten schilderten ihre persönlichen Erweckungserlebnisse in autobiographischen Schriften und folgten dabei sowohl pädagogischen als auch selbstlegitimatorischen Interessen. Mittelalterliche Konfessionsschriften dienten als Vorbild, doch zwischen 1680 und 1760 wurde das zugrunde liegende Schema mehr und mehr säkularisiert, das heißt, das religiöse Erweckungsmoment war nicht mehr Höhepunkt und Ziel der Darstellung, sondern lediglich Ausgangspunkt für ein religiös-lebenspraktisches Wirken innerhalb der Gemeinde, das nun in den Mittelpunkt der Lebensdarstellung rückte. Zur Erweckungsgeschichte konnten jetzt auch außerreligiöse Erlebnisse und Erfahrungen werden.49 Die Dramaturgie in Lipsius’ autobiographischer Begründung ihres Lebensweges (Schicksalsschlag durch den Tod des Vaters  ; Destabilisierung und Krise während der Suche nach einer Bestimmung  ; Durchbruch und Erfolg als Musikschriftstellerin) folgt diesem pietistischen Erweckungsschema, und »schon kann der äußere Schicksalsverlauf so umgestaltet werden, daß alle Mächte der Umwelt der Selbstverwirklichung des Helden zu dienen scheinen  : das Ich wird zum Souverän und Lenker der eigenen Lebensgeschichte erklärt.«50 Genealogisierung Als echte Lipsia bin ich in Leipzig am 30. Dezember 1837 auf die Welt gekommen. Ich entstamme einem alten Gelehrtengeschlecht. Ob dieses, wie man vermutet, mit dem großen Philologen Justus Lipsius, der im sechzehnten Jahrhundert an den Universitäten Löwen, Jena und Leyden lehrte, in Zusammenhang steht, ist bisher unnachweisbar geblieben.51

Mit diesen Sätzen führt Marie Lipsius in ihre Autobiographie ein. Nicht das Geburtsereignis wird ausgeschmückt, nicht die Befindlichkeiten der Familien­ mitglieder geschildert, nicht kulturhistorischer Kontext ausgebreitet – stattdes­ sen präsentiert die Autorin gleich im zweiten Satz ihre Familiengenealogie. Geschickt verknüpfte sie dafür Faktisches mit Spekulativem. Dass die Familie Lipsius ein altes »Gelehrtengeschlecht« sei, wird zur Tatsache erklärt, ob die ­Linie sich aber auf den Gelehrten Justus Lipsius zurückverfolgen lasse und da49 Eine ausführliche Untersuchung zur Autobiographie stammt von Günther Niggl (1977), dessen Studie auf den Arbeiten u. a. von Werner Mahrholz (1919) und Georg Misch (1907–1969) aufbaut, entgegen jenen aber weniger kulturhistorisch als vielmehr gattungstypologisch interessiert ist an der Geschichte der Autobiographie. 50 Niggl 1977, S. 25. 51 La Mara 1917a, S. 5.

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mit bis ins 16.  Jahrhundert zurückreiche, lässt Lipsius offen. Letztendlich ist es auch nicht relevant, verdeutlicht aber die Dimension, um die es bei dieser Erzählung geht  : Seit Jahrhunderten schon generiert die Familie gelehrte Nachkommen. Bisher waren es die männlichen Familienvertreter, die als theologische oder philologische Gelehrte die Tradition repräsentierten, ihr Wirken ging in die Geschichtsschreibung ein. Mit ihren ersten Sätzen stellt Marie Lipsius sich nun selbst in diese Tradition.52 Während sie ihre Künstlerschaft/Autorschaft aus sich selbst heraus begründete, beruft sich Lipsius nun, um ihre Gelehrtheit darzustellen, explizit auf die Familiengenealogie. 1917, im Jahr der Verleihung des Professorentitels durch den sächsischen König, versteht sie sich längst nicht mehr nur als Musikschriftstellerin, sondern als Wissenschaftlerin. Zur Konsolidierung ihrer Position innerhalb der männlichen Linie der bildungsaffinen Familie beschreibt Lipsius einige Kindheitsszenen, die ihre Orien­­ tierung am männlichen Rollenmodell aufzeigen sollen. So lässt sie die Groß­mutter, die nach dem Tod von Lipsius’ Mutter deren Rolle im Haushalt eingenommen hatte, berichten  : ›Mariechen ist den ganzen Tag vergnügt und froh, freilich muß ich ihr öfters Hermanns Soldaten erlauben, die stellt sie auf, trommelt und pfeift unermüdlich und will fürs Leben gern ein Junge sein, will Hosen haben und ein Jäckchen, kein Kleid, auch keinen Hut, sondern eine Mütze. […]‹ Meine Großmutter berichtete recht. Es war der Verdruß meiner ersten Kindheit, daß ich nicht wie meine Brüder ein Junge sein durfte, und erst spät söhnte ich mich mit meiner Mädchennatur aus.53

Sie habe mit ihren drei Brüdern und deren Freunden Räuber und Soldaten gespielt, sich mit ihnen meist draußen in der Natur herumgetrieben und sich wild und ungezogen benommen – so die retrospektive Erzählung.54 Die Ablehnung aller mädchenhaften Eigenschaften und Tätigkeiten sorgte bei der Großmutter väterlicherseits, die nach dem Tod von Großmutter Rost die Familie versorgte, für Unmut  :

52 Vgl. Kapitel 2.1. 53 La Mara 1917a, S. 10. 54 Diese ›männliche‹ Geschlechtsidentität steht interessanterweise im Widerspruch zu James Dea­ villes These, Lipsius habe sich, besonders in der Darstellung Franz Liszts, ›weiblich‹ inszeniert (vgl. Deaville 2002, S. 92).

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Sie [Großmutter Lipsius] suchte mich, die bisher in rationeller Weise Abgehärtete, zu verzärteln und nach Herrnhuter Muster zu erziehen, wozu ich weder Neigung noch Begabung in mir trug. Statt mich mit meinen Brüdern und anderen Springinsfelden im Freien zu erlustigen, mußte ich nun an den schönsten Sommernachmittagen mit dem mir verhaßten Strickstrumpf oder einer anderen, mich überflüssig dünkenden Handarbeit zu ihren Füßen sitzen. Vergeblich gab ich durch Fallenlassen von Maschen, die sie wieder aufnehmen mußte, oder durch nachlässiges Stricken von ›Straßen‹ und allerlei kleine Bosheiten meinen Unmut kund – ich mußte zum mindesten eine gute Stunde bei ihr aushalten, und ihre mir pedantisch erscheinenden Lehren fielen bei mir auf keinen fruchtbaren Boden.55

Das Motiv des verhassten Strickstrumpfes als Symbol für unangepasstes Verhalten fand Charlotte Heinritz immer wieder in den Autobiographien von Schriftstellerinnen, deren Neigung zum Schreiben und Publizieren mit besonders großen Widerständen von Seiten der Familie konfrontiert war.56 Der verhasste Strickstrumpf symbolisierte dort den Widerwillen von Frauen gegen die ihnen zugeschriebene ›weibliche‹ Rolle. Um in dieser brüchigen Situation die Identität wahren zu können, schrieben die Autorinnen sich eine Nonkonformität zu, die den Widerstand im Kleinen suchte  : Indem nur eine einfache Strickübung abgelehnt wurde, konnte über das zugrunde liegende bürgerliche Rollenkonzept und seine weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen geschwiegen werden. Zwar zeigen die von Charlotte Heinritz untersuchten Autobiographien, dass Frauen, die als Dichterinnen und Musikerinnen arbeiteten, noch am ehesten biographische Mischformen finden konnten zwischen ›männlichem‹ Beruf und ›weiblichem‹ Familienleben, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden.57 Dennoch macht Heinritz für alle von ihr untersuchten weiblichen Autobiographien zwei Gemeinsamkeiten aus  : Die autobiographische Reflexion über den eigenen Umgang mit der Rolle als Frau habe stets ein stark verunsicherndes Element in die Lebenserzählung hineingebracht. So sei es Frauen beispielsweise unmöglich gewesen, einen selbstbewussten Ausdruck für ihre berufliche Tätigkeit zu finden. Nur mit dem Rückgriff auf biographische Formeln und Topoi hätten sie ihr integriertes Selbst wiederherstellen können.58 Zweitens hätten die Autobiographin55 La Mara 1917a, S. 15 f. 56 Vgl. Heinritz 2000, S. 307. 57 Vgl. ebd., S. 428 f. 58 Ebd., S. 356.

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nen ihr zentrales Lebensthema  : Familie, Beruf oder Vereinbarkeit von beidem immer als Folge ihrer eigenen Entscheidung dargestellt  : Zum zentralen Lebensthema wird die Führung eines bestimmten Lebens nicht einfach dadurch, daß es so und nicht anders gelebt wird, sondern erst durch die Entscheidung für diese Art des Lebens. Dies gilt auch dann, wenn biographisch gar keine Alternativen vorliegen oder vorzuliegen scheinen. Das zentrale Lebensthema ergibt sich damit aus der Lebensentscheidung für ein bestimmtes Daseinsfeld und als sinnstiftender Akt in der retrospektiven Lebensbeschreibung der Autobiographie.59

Auch bei Marie Lipsius ist die Begründung des zentralen Lebensthemas, dem Schreiben über Musik, schwankend. Das kann als Hinweis darauf gelesen werden, welche Unsicherheiten das berufsmäßige Schreiben für ihre Identität als Frau bedeutete. Zwischen eine schicksalshafte Fügung und ihre selbstbewusste Entscheidung schaltet Lipsius eine Instanz, die beides miteinander vermitteln sollte  : Franz Liszt wird zum »Entdecker« des Talents und hilft so, die persönliche Leidenschaft, das Schreiben, zu legitimieren. Für ihre drei Brüder war es selbstverständlich, dass ihre bildungsbürgerliche Familientradition sie zur akademischen Ausbildung und Ausübung eines angesehenen Berufes berechtigte und auch verpflichtete. Die Schwester stand ihnen in nichts nach mit ihrem publizistischen Erfolg als Schriftstellerin und Musikhistorikerin. Doch für sie ergab sich aus ihrer Familientradition und ihrem Geschlecht ein Zwiespalt, der autobiographisch ausgeglichen werden musste. Ihre Harmonisierungsbemühungen erscheinen in der Schlüsselszene wie unter einem Brennglas. Leben und Werk

Das Verhältnis von Leben und Werk ist ein ständiges Streitthema in den Kunstwissenschaften. In welcher Beziehung stehen das äußere Leben und das innere Erleben eines Künstlers oder einer Künstlerin  ? Wie viel Biographie spiegelt sich im Werk wider, verändert das künstlerische Schaffen gar die Persönlichkeit  ? Oder gibt es einen derartigen Zusammenhang überhaupt nicht  ? Die musikwissenschaftliche Biographik diskutiert diese Streitfragen seit jeher kontrovers.60 Nach romantischer Vorstellung nahm der Künstler die ihn umgebende Welt in 59 Ebd., S. 436. 60 Vgl. Unseld 2014, S. 13 f.

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sich auf und spiegelte sie, geformt durch sein Genie, mittels seiner Kunst zurück. Dieses Paradigma hielt sich in Varianten bis weit ins 20. Jahrhundert,61 wurde nach 1945 dann allerdings immer vehementer abgelehnt. Den Höhepunkt erreichte die Debatte dann 1975 mit Carl Dahlhaus’ Verdikt, »daß biographische Momente zwar in die Entstehung, die Genesis eines Werkes eingreifen, aber über dessen Sinn und ästhetische Geltung nichts besagen«62. Um Musik zu verstehen, brauche es keine erklärende Biographie.63 Als biographischer Topos lässt sich auch die Leben-Werk-Interdependenz bis in die Antike zurückverfolgen.64 Martina Wagner-Egelhaaf erklärt sich diese Konstante damit, dass in der Wechselwirkung von Leben und Werk eine (auto-) biographische Selbstschöpfung des Künstlers stattfinde und das Leben durch die Lebenserzählung zum Kunstwerk erhoben werde.65 Die Analyseergebnisse von Charlotte Heinritz verweisen allerdings darauf, dass diese Selbstschöpfung ein ›männliches‹ Modell ist. Für die Frauenautobiographien um 1900 äußert sie einen anderen Befund  : Statt von Selbstschöpfung spricht sie von Selbstbildung und meint damit sowohl die selbstständige (Weiter-)Bildung der Frauen als auch die Ausbildung ihres Selbst.66 Die Verunsicherungen und Orientierungsverluste, mit denen die Autorinnen als künstlerisch oder politisch tätige Frauen konfrontiert waren, hätten sich in ihre Autobiographien eingeschrieben. Leben und Werk bzw. Leben und Arbeit seien nicht als identisch erlebt worden, sondern als von Spannungen und biographischen Brüchen geprägt. So habe 61 Vgl. dazu auch Kapitel 2.7. 62 Dahlhaus 1975, S. 82. Der Streit zwischen der immanenten und der kontextualisierenden musikalischen Analyse war auch ein Streit der widerstreitenden politischen Systeme im Kalten Krieg. Im kapitalistischen Westen versuchte man, indem jegliche Personengeschichte abgelehnt wurde, einen Bruch mit der faschistischen Vergangenheit zu vollziehen, im kommunistischen Osten war man hingegen davon überzeugt, dass ein künstlerisches Produkt Abbild der Verhältnisse sei (vgl. Shreffler 2003). 63 Auf die Widersprüche, die Carl Dahlhaus in seiner Behandlung der biographischen Frage erzeugte, verweist Unseld 2014, S. 407–415. 64 Vgl. Kris/Kurz 1995 [1934], S. 147–152. 65 Wagner-Egelhaaf 2005, S. 48. Abweichend dazu stellt Michael Heinemann (1997, S. 86) für Franz Liszt fest  : »Die Spiegelung biographischer Ereignisse oder Kontexte in Kunstwerken erlaubt […] auch eine Umkehrung  : Individuelles Verhalten kann nach fiktionalen Vorlagen ausgerichtet werden. Solche Bezüge zwischen Leben und Werk sind bei Liszt sehr vielschichtig, da er nicht nur individuelle Erlebnisse und Eindrücke künstlerisch überformte, sondern auch Verhaltensmuster und Handlungsvorgaben, die er in der Literatur fand, bis in fast skurril anmutende Details nachlebte und anschließend in Kompositionen reflektierte.« 66 Auf dieser zweifachen Bedeutung beruht auch das Konzept des Oldenburger Graduiertenkollegs Selbst-Bildungen (vgl. Alkemeyer/Budde/Freist (Hg.) 2013).

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der Lebensweg nicht stringent erzählt werden können, weil er es im Sinne der Geschlechterkonvention nicht war.67 Die Verwerfungen, die der Bruch mit der Geschlechterkonvention erzeugte, und war er auch noch so zaghaft, realisierten sich in erzählerischen Brüchen oder permanenten Selbstreflexionen.68 »In der schizophrenen Spaltung, die diese Autorinnen mit sich selbst vornahmen«, so urteilt Susanne Kord in ihrer Analyse anonymer weiblicher Autorschaft, liegt mehr als nur eine bewußte Abwehrreaktion auf die verstärkten Sanktionen gegen weibliches Schriftstellertum im 19. Jahrhundert bzw. die Erkenntnis, daß unter männlichem Namen veröffentlichte Werke eine größere Chance hatten, ernstgenommen zu werden. Vielmehr handelt es sich in vielen Fällen um den Ausdruck der an unzähligen Briefen und literarischen Werken weiblicher Autoren belegbaren Überzeugung, daß eine Autorin ein Unding sei  : der Autor ist männlich. Die Selbstspaltung in ›Frau‹ bzw. ›weiblich‹ und ›Autor‹ bzw. ›männlich‹ bezeugt sowohl die Verinnerlichung des impliziten Gegensatzes als auch die generelle Akzeptanz der um die Jahrhundertwende definierten weiblichen ›Natur‹, die durch wiederholte Aufführungen zur zweiten Natur wird.69

Marie Lipsius versuchte die Falle der schizophrenen Selbstspaltung zu umgehen, indem sie ihre Autobiographie entlang idealtypisch ›männlicher‹ Topoi schrieb. In einem ›männlichen‹ Modus waren Selbstreflexionen über das eigene Schreiben nicht gefordert. Die Negierung ihrer Weiblichkeit konnte als Strategie öffentlicher Inszenierung hier so gut gelingen, weil Lipsius sie ihren Leserinnen und Lesern schon seit über 40  Jahren mit ihren Publikationen vermittelte.70 Gegen Fremdzuschreibungen durch öffentliche Würdigungen verwahrte die Autorin sich,71 stattdessen lieferte sie mit ihrer Autobiographie eine stringente 67 Heinritz 2000, S. 355 f. 68 In solcherart Verwerfungen konnten selbstverständlich auch Männer geraten, sobald sie aus dem ihnen zugeschriebenen Rollenmodell ausscherten (vgl. z. B. Kühne (Hg.) 1996). 69 Kord 1996, S. 55. 70 Angelika Epple (2003, S. 32 f.) verweist auf einen Begriff von Philippe Lejeune, der vom »autobiographischen Pakt« spricht, den Autobiograph und Leser miteinander eingehen müssten. Ein solcher Pakt weise dem Autor die Verantwortung für seinen Text und die darin eingelöste narrative Identität von Autor und Protagonist zu, auf die der Leser sich seinerseits mit Annahme des Paktes verlasse. 71 Als Adolph Kohut eine Würdigung zu Lipsius’ 70.  Geburtstag schreiben wollte, bat sie ihn  : »[L]as­sen wir, bitte, den Artikel über mich, den Sie meinem Vermuten nach für die ­Stuttgarter ›Neue Musikzeitung‹ planten, ungeschrieben. Ich bin bereit auch darauf zu verzichten, daß ein anderer an Ihrer Stelle damit für die genannte Zeitung beauftragt werde. Es ist nicht nötig, daß

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und kohärente Chronologie ihres Lebens – genauso stringent und kohärent, wie sie auch ihre Künstlerbiographien angelegt hatte. Mit der Autobiographie schloss die Autorin einen Kreis. Sie machte ihr Leben zum (Kunst-)Werk und erzählte entlang all ihrer bisherigen Werke ihre Lebensgeschichte.72 Während die Welt sich 1917 von klassisch-idealen Zielen weitestmöglich entfernt hatte und sich im Krieg befand, inszenierte Marie Lipsius ihr zurückliegendes Leben als »Musik und Leben im Dienste des Ideal«, womit sie ein Kunstideal reaktivierte, das der aktuellen Kriegsrealität konträrer nicht hätte gegenüberstehen können.73 Das Publikum nahm das Buch dankbar an und der Verlag schüttete jährlich eine Gewinnbeteiligung74 an die Autorin aus. 3.2 »Gräfin Bio«: Musikalische Studienköpfe »Gräfin Bio« soll Hans von Bülow sie genannt haben.75 In diesem Wortspiel klingt die Ambivalenz an, mit der der Musiker der Arbeit von Marie Lipsius begegnete. Er selbst wollte sich nämlich der biographischen Macht der Autorin nicht ausliefern und lehnte ihre Anfrage, eine Skizze über sein Leben verfassen zu dürfen, vehement ab  :76 Aufrichtig gesagt – mein Dank für Ihre freundliche Absicht betreffs meiner Person wird Ihnen eigentlich nur deshalb abgestattet, um mich nicht in den Ruf eines unhöflichen Menschen zu bringen, denn die Ehre, welche Sie mir zu erweisen vorhaben, setzt mich in große Verlegenheit, sofern Sie auf meine Unterstützung hierbei rechnen. Wenn ›Selbstunzufriedenheit‹ das wesentliche Merkmal des Genies wäre, so würde ich zu großen Ansprüchen berechtigt sein. Ich betrachte − im allgemeinen – mein bisheriges Leben als ein ziemlich verpfuschtes, hoffe aber, mich mit der Zeit noch so weit hinaufarbeiten zu können, um dereinst nicht unter die ›problematischen‹ Künstler­ die Welt von mir mehr erfahre, als in meinen Büchern steht.« (Brief von Marie Lipsius an Adolph Kohut vom 24.07.1907, D-WRgs GSA 59/401, 15). 72 Die Identität von erzähltem und erzählendem Ich zeigt sich besonders deutlich in der Benutzung des Künstlernamens La Mara. 73 Zur Kriegsidealisierung in Künstlerkreisen vgl. z. B. Fries 1994. 74 Vgl. D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf  &  Härtel, Akte  1563, Autoren-Kontokorrentbuch E, S. 23 f. 75 La Mara 1917a, S. 274. 76 Selbst eine Vermittlung durch Franz Liszt blieb erfolglos (vgl. ebd., S. 191–193 sowie die Briefe D-Wrgs GSA 59/389,11 und D-B Mus. ep. M. Lipsius 1).

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individuen gerechnet zu werden. Die Bedeutung meiner Bestrebungen bzw. Leistungen als reproduzierender Künstler (Pianist und Dirigent) ist bei wohlwollendster Beurteilung eben doch nicht hervorragend genug, um gegenwärtig schon Illustrationen aus La Marascher Feder zu verdienen. Deshalb wage ich die ergebenste Bitte, Ihr für mich so ehrenvolles Vorhaben wenigstens – vertagen zu wollen.77

Von Bülow versteckte sein Unbehagen, als lebender Künstler bereits biographisch gewürdigt zu werden, in Bescheidenheitsfloskeln und betonte, dass er eine Biographie – bisher – nicht verdiene. Dies Unbehagen befiel nicht nur von Bülow, tatsächlich teilten es alle Musiker, bei denen Lipsius wegen biographischer Daten für den dritten Band ihrer Musikalischen Studienköpfe angefragt hatte. Zwar verweigerten sie sich nicht so strikt wie Bülow, taten sich mit der Herausgabe biographischer Daten aber dennoch schwer. Sie verwiesen Lipsius an Freunde ( Johannes Brahms)78, forderten eine Autorisierung ihrer mündlichen Aussagen durch Vorlage des Manuskriptes (Robert Franz)79, waren nur über die Ehefrau erreichbar (Adolf Henselt)80 oder kommentierten lakonisch (Anton Rubinstein)  : Mein Leben unterscheidet sich in nichts von dem eines jeden Musikers. Ich habe gespielt, spiele und werde mein Lebenlang Klavier spielen, ich habe komponiert, komponiere und werde komponieren Zeitlebens, ich habe gelebt und (die Menschheit) geliebt, ob ich das weiter tun werde, weiß ich nicht  !  ? –81

Das Projekt, Künstler schon vor ihrem Ableben biographisch zu würdigen, war ungewöhnlich. Zwar hatten sich die frühen Künstlerviten und -biographien des 16. und 17. Jahrhunderts für zeitgenössische Künstler interessiert, die Zeitzeugenschaft des Biographen war ein wichtiges Kriterium für die Authentizität der Darstellung. Im 18. und besonders 19.  Jahrhundert verlagerte sich der Fokus hingegen auf das historische Erkenntnisinteresse und der Blick richtete sich nun auf Künstlerpersönlichkeiten der Vergangenheit, die in einen kulturhistorischen Kontext gestellt wurden.82 So reagierten nicht nur die von Marie Lipsius angefragten Musiker verhalten, die Rezensenten sollten es später ebenso tun.83 77 La Mara 1917a, S. 193. 78 Vgl. ebd., S. 184–186. 79 Ebd., S. 209 f. 80 Vgl. ebd., S. 203–209. 81 Ebd., S. 155. 82 Vgl. Hellwig 2005, S. 19–22. 83 Vgl. Kapitel 4.

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Hans von Bülow verweigerte sich der Biographin. Um ihn dennoch in die Reihe aufnehmen zu können, ohne Lebensdaten über ihn preiszugeben, ließ sich die Autorin etwas einfallen. Sie widmete von Bülow kurzerhand das Buch, in dem er selbst nicht erscheinen wollte. Mit dem Widmungstext wendete sie sich direkt an den Musiker, ließ die Passage dabei aber wie ein Vorwort erscheinen, mit dem sie ihren Leserinnen und Lesern erklärende Hinweise gab  : Nicht nur symbolisch mit Ihrem Namen, sondern mit Ihrem Bilde dachte ich die vorliegende Portraitsammlung zu schmücken, die, im Anschluß an den ersten Band der ›Musikalischen Studienköpfe‹, eine Reihe von Meistern der Jüngstvergangenheit und Gegenwart verlebendigen soll. Nur meine vielleicht allzu große Nachgiebigkeit gegen Ihren Wunsch, dies Letztere vor der Hand noch zu vertagen, verschuldete die auffallende Lücke im gegenwärtigen Kreis, die Niemand bedauerlicher empfinden kann, als ich selbst. Möchte mir durch eine ähnlich freundliche Aufnahme dieser neuesten Studien, wie sie ihren Vorgängern ehrend zu Theil geworden, bald Gelegenheit geboten werden, das ungern Gemißte zu ergänzen, sodaß sich Ihr Bild dann nicht nur in der Vorstellung, sondern in Wahrheit den befreundeten Geistern gesellt, die nach der Gemeinschaft mit einem ihrer edelsten Genossen verlangen werden  !84

Lipsius wendete die Widmung geradezu gegen Bülow selbst, indem sie dessen Verweigerung exponierte und ihm damit die Verantwortung zuwies, nicht in der Sammlung bedeutender Musiker der Gegenwart zu erscheinen. Es sollte wohl niemand auf die Idee kommen, dies der Unachtsamkeit oder gar Unwissenheit der Autorin zu unterstellen. Der Stil der Widmung zeugt von einer sehr selbstbewussten Haltung Marie Lipsius’. Der Zwitter aus Würdigung und Angriff schmeichelte Bülow auch zunächst, einige Jahre später aber missfiel sie ihm so sehr, dass er sich eine erneute Widmung im Falle einer Neuauflage verbat. Als Grund gab er eine angebliche Illoyalität Lipsius’ ihm gegenüber an. Es ging dabei um die Musikzeitschrift Hamburger Signale, für die Lipsius als Autorin arbeitete, gegen deren verantwortlichen Redakteur Bülow jedoch eine Fehde führte. Lipsius verteidigte sich  : Betreffs meiner Gesinnungstüchtigkeit brauche ich mich, glaube ich, vor Niemandem auf der Welt zu verantworten. Hätte ich aber voraussehen können, daß Sie bei allen Verehrern Ihrer seltenen Künstlerschaft, zu denen ich mich stets zählen werde, directe Parteinahme an jedem Ihrer zahlreichen persönlichen Scharmützel verlangen, ja sogar 84 La Mara 1875.

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da verlangen, wo man nicht von denselben weiß, so hätte ich Ihnen mindestens mit der Bitte beschwerlich fallen müssen, mir ein convenables Blatt zu nennen, mit dem Sie noch nicht auf Kriegsfuß gestanden haben.85

Eine erneute, siebte Auflage erschien dann erst 1910 und die Widmung wurde obsolet. Hans von Bülow war mittlerweile verstorben und Lipsius konnte ihr Buch endlich um seine Lebensskizze ergänzen. Die Bülow-Episode macht deutlich, in welchem gegenseitigen Abhängigkeits­ verhältnis Biographin und Biographierter stehen. Das Schreiben einer Biographie ist auch ein Machtspiel, in dem um die Deutung eines individuellen Lebens gerungen wird. Ist die zu biographierende Person bereits verstorben, scheint ihre Biographie leichter realisierbar zu sein, denn eine direkte Auseinandersetzung ist nicht mehr nötig, da schlicht nicht mehr möglich. Je weiter der Tod zurückliegt, desto mehr Erzählmuster und Topoi lagern sich allerdings beim Wiedererzählen der Lebensgeschichte ab. Sie verfestigen sich immer weiter, bis das konkret Erlebte zunehmend unter den Mustern zu verschwinden droht. Statt nun in der Untersuchung der biographischen Skizzen von Marie Lipsius lediglich den umgekehrten Weg zu gehen und zu versuchen, das ›wahre‹ Leben hinter den Biographien freizulegen (und damit nur den Beweis zu erbringen, dass eine Überformung stattgefunden hat), halte ich es für interessanter, die biographischen Muster in ihrer Struktur und Funktion zu untersuchen. Dann wird deutlich, dass alle Topoi eine vermittelnde Funktion haben  : Sie verbinden das individuell Einzelne mit dem kulturhistorischen Allgemeinen, das kulturell Eigene mit dem kulturell Fremden.86 Die biographierte Einzelperson wird zur historischen Figur, indem sie in einen kulturhistorischen, nationalen oder geschichtsphilosophischen Diskurs gestellt wird. Lipsius konnte bei ihren Leserinnen und Lesern durch den Gebrauch etablierter Topoi historisches Allgemeinwissen aktivieren. Detaillierte Argumentationen wurden überflüssig und der Rekurs auf Bekanntes machte die Biographien von Marie Lipsius zu einer unterhaltsamen, nicht zu anspruchsvollen Lektüre. Entstehungsgeschichte

Marie Lipsius hatte sich bereits im Schreiben einiger Gedichte und Novellen versucht, ohne jedoch einen dieser Texte zur Veröffentlichung gebracht zu ha85 Brief von Marie Lipsius an Hans von Bülow vom 28.01.1890. D-B Mus. ep. M. Lipsius 1. 86 Vgl. z. B. Florack 2001, S. 2 f.

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ben,87 als 1867 ihre ersten drei Texte erschienen. Die Zeitschrift Westermanns Illustrirte Monatshefte veröffentlichte die jeweils zwei bis vier Druckbogen (32 bis 66  Seiten) umfassenden Biographien von Robert Schumann, Franz Liszt und Frédéric Chopin als Fortsetzungsfolgen in den Heften 22 (Septemberausgabe) und 23 (Oktoberausgabe). Dass die erste biographische Skizze Robert Schumann und nicht den von der Autorin so bewunderten Franz Liszt porträtierte, ist überraschend. Auch die Autorin hielt ihren Liszt-Aufsatz für den eigentlich wichtigeren Text – den ersten, den sie als für eine Publikation geeignet befand.88 Aufschlussreich ist hier ein Brief des leitenden Redakteurs der Monatshefte, Adolf Glaser. Er hatte der Autorin im März 1867 den Hinweis gegeben, in der Liszt-Studie etwas vorsichtiger mit ihrer »Überschwenglichkeit« umzugehen, um »einer Arbeit dieser Art nicht von vornherein den Charakter [zu] geben, als sei sie mehr das Ergebnis […] enthusiastischer Verehrung als unpartheiischer Darlegung.« Die »Vergötterung« Liszts sei doch mehr einer Zeitrechnung zuzuschreiben, die heute nicht mehr so recht nachvollzogen werden könne.89 Lipsius’ ursprünglicher Text hatte der Redaktion demnach Anlass gegeben, den Aufsatz zurückzustellen und um Überarbeitung zu bitten. Trotz der erfolgten Korrektur der Autorin griff die Redaktion noch in den Text ein. Die Autorin beklagt dazu in ihrer Autobiographie  : Zum schweren Verdruß nur gereichten mir einige Striche im Eingang. Man hatte es nach der von mir besorgten Korrektur noch für nötig gehalten, meine Begeisterung abzudämpfen, da man sich angesichts der allgemeinen Liszt-feindlichen Haltung der Presse nicht zu weit vorwagen wollte.90

Während die Monatshefte-Redaktion den Musiker Liszt aus einer gewissen historischen Distanz betrachtet sehen wollte und sich eine unparteiische Darstellung wünschte, sah sich Lipsius in der Rolle der Vorkämpferin für dessen Musik. 87 Tatsächlich war ihr erster publizierter Text eine anonyme Kurzrezension des Italienischen Lieder­ buches von Paul Heyse für das Literarische Centralblatt 1861, Nr. 1, Sp. 15. Dort hatte Lipsius das Werk knapp beschrieben und abschließend geurteilt  : »Besonders die drei ersten Abschnitte bieten viel Schönes  ; die zierlichen und schalkhaften Stücke sind vortrefflich übertragen. Dagegen scheint uns bei den voceros der rechte Ton nicht immer getroffen, die weniger formgewandte Uebersetzung von Gregorovius berührt uns tiefer und kräftiger.« 88 Vgl. La Mara 1917a, S. 66. 89 Brief von Adolf Glaser an Marie Lipsius vom 20.03.1867, Westermann-Verlagsarchiv, Kopierbuch WUA 1/4. 90 La Mara 1917a, S. 84.

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Beide unterstellten sich gegenseitig Rückständigkeit  : Die Redaktion erachtete die euphorische Begeisterung für Liszt als nicht mehr zeitgemäß, Lipsius dagegen sah in dem Wunsch nach Umarbeitung eine immer noch andauernde Abwehrhaltung gegen die Progressivität Liszts.91 Ob Marie Lipsius zum Zeitpunkt des Erscheinens ihres Debuts bereits an die Erarbeitung eines um weitere Skizzen ergänzten Sammelbandes dachte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall entsprach es einer gängigen Methode, in Zeitschriften publizierte Texte gesammelt zum Wiederabdruck zu bringen. Musikbiographie-Kolleginnen und -Kollegen wie Elise Polko oder Wilhelm Heinrich Riehl machten es ebenso.92 Nach Lipsius’ Erinnerung trug sich die Entstehung des Sammelbandes Musikalische Studienköpfe mit insgesamt sieben Musikerbiographien folgendermaßen zu  : Schon im November [1867] kam Adolf Stern [Schriftsteller aus dem Umfeld der Neudeutschen] im Auftrag eines jungen Verlegers zu mir, der seinen Verlag mit meinen zu einem Buch zu erweiternden Studien zu eröffnen wünschte. So schnell und entschieden in eine Laufbahn einzutreten, in der ich nur, je nachdem ich, von dem einen oder anderen erfüllt, Gastrollen zu geben gedacht hatte, war mir unwillkommen. Ich lehnte ab. Erst erneutes Zureden Sterns und der mir Nächststehenden, sowie die Erwägung, daß mir ja die Wahl des weiteren Inhaltes des Buchs frei stehe, ich demnach nicht über etwas mir Fernliegendes oder Unsympathisches zu schreiben brauche, bestimmte mich zu einem Ja. Sofort erstand mir der Gedanke, ein kurzes Gesamtbild der nachBeet­hovenschen, romantischen Musikepoche in den Porträts ihrer Hauptvertreter zu zeichnen. Durch Weber, Schubert, Mendelssohn, Wagner hatte ich mithin mein erstes Dreigestirn zu ergänzen.93

Jetzt mussten nur noch die Monatshefte ihr Einverständnis geben, denn bereits publizierte Aufsätze waren in der Regel ein Jahr zur weiteren Verwendung gesperrt. Dies geschah am 1. Februar 1868. Die Redaktion knüpfte daran die Aufforderung, bald eine neue biographische Skizze über einen Musiker zu liefern, denn der Verlag sei an einer dauerhaften Mitwirkung der Autorin Lipsius sehr interessiert.94 Die Musikalischen Studienköpfe erschienen dann, ergänzt um die 91 Ende der 1860er-Jahre wurde der Streit zwischen Konservativen und Neudeutschen in der Presse tatsächlich nicht mehr so aggressiv geführt wie noch zehn Jahre zuvor (vgl. Kapitel 2.5). 92 Vgl. Kapitel 2.7. 93 Ebd., S. 85 f. 94 Vgl. Brief von George Westermann an Marie Lipsius vom 01.02.1868, Westermann-Verlagsarchiv, Kopierbuch WUA 1/4.

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Biographien von Carl Maria von Weber, Franz Schubert, Felix Mendelssohn-­ Bartholdy und Richard Wagner in einer Auflage von 1500 Exemplaren, Lipsius verdiente 125 Taler mit dem Buch. Die Verlagsverhandlungen hatte Adolf Stern geführt. Persönlich lernten sich Lipsius und der junge Verleger Hermann Weißbach erst im Jahr 1870 kennen, als es um die Ergänzung der Serie um einen zweiten Band ging. Dieser zweite Band sollte Skizzen »Ausländischer Meister« beinhalten. Zwei der Biographien (Hector Berlioz und Gioacchino Rossini) waren wiederum bereits in Westermanns Monatsheften erschienen, der Text über Adrien Boieldieu dagegen wurde in den Monatsheften erst gedruckt, nachdem er mit der Sammlung publiziert war. Lipsius muss ihren Text der Redaktion der Monatshefte bereits früher angekündigt haben, denn diese fragte im September 1871 an, wann sie denn endlich liefere.95 Lipsius’ Verzögerung verweist auf die Probleme, die es zwischen der Autorin und ihrem Verleger Hermann Weißbach gab, denn eigentlich sollten auch die »Ausländischen Meister« bereits viel früher erscheinen. Streitpunkt war die Höhe der Vergütung. Im August 1870 reduzierte Marie Lipsius ihre Honorarforderung auf acht Taler pro Bogen, woraufhin der Verleger sich ermutigt fühlte, die Autorin noch weiter herunterzuhandeln. Auf seine Offerte von sechs Talern reagierte Lipsius empört  : Wenn Sie Selbst mir vor 2 Jahren ein Honorar von 8 Th. pro Bogen offrirten – obgleich meine gänzliche Un[kenntniß  ?] in geschäftlichen Dingen sich später eine Schmälerung desselben gefallen ließ – so kann es Ihnen heute, wo mir inzwischen von verschiedensten Seiten Beweise eines erfreulichen Erfolgs meines Buchs zugekommen sind, nicht unbillig erscheinen, wenn ich mich auf ein Mindestgebot Ihrerseits einzugehen nicht entschließen kann. Und zwar umsomehr als es sich bei den schon gedruckten Skizzen nicht um einen Wiederabdruck handelt. Das inzwischen erfolgte Erscheinen einiger einschlägiger Werke macht eine Überarbeitung der Studien über Rossini u. Berlioz nothwendig  ; auch die kostspielige Anschaffung dieser Bücher, wie beispielsweise der Memoiren von Berlioz wird mir nicht erspart bleiben, u. sie allein schon übersteigt die betreffende Differenz von 6 zu 8 Th. um ein Beträchtliches.96

95 Brief von Adolf Glaser an Marie Lipsius vom 12.09.1871, Westermann-Verlagsarchiv, Kopierbuch WUA 1/6. 96 Brief von Marie Lipsius an Hermann Weißbach vom 31.08.1870, D-LEsta Bestand  21084 Schmidt & Günther, Akte 20.

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Acht Taler pro Bogen wurden verabredet, dazu sollte Lipsius nach Druckfertigung 20 Freiexemplare erhalten. Sie äußerte auch den Wunsch, der zweite Band möge in Format und Ausstattung dem ersten gleichen, nur das Papier möge ein besseres sein als beim ersten Band. Das Buch erschien endlich im Jahr 1872. Lipsius hatte ihre Honorarforderung durchsetzen können, doch das Vertrauen zwischen ihr und ihrem Verleger war nachhaltig zerstört. 1875 kam der dritte Band der Musikalischen Studienköpfe auf den Markt, es waren die schon angesprochenen Biographien von Musikern der »Jüngstvergangenheit und Gegenwart«. Die Verleger waren nun Heinrich Schmidt und Carl Günther, ebenfalls in Leipzig ansässig, die ihren Verlag 1872 gegründet hatten. In jenem Jahr hatten sie die Verlagsrechte der ersten beiden Studienköpfe dem Verleger Hermann Weißbach abgekauft, dessen schlechte finanzielle Situation ausnutzend.97 Zu Vertragsbedingungen und Honorarzahlungen ist nichts bekannt. Es folgte 1880 die Publikation des vierten Bandes der Musikalischen Studienköpfe. Unter dem Motto »Classiker« erschien das Buch wiederum in einem neuen Verlag, nämlich bei G. Knapp, einem Leipziger Verlagsbuchhändler, über den nichts Näheres bekannt ist. Dieser veräußerte die Rechte an dem Buch sogleich wieder. Schon wenige Monate später erschien ein Neudruck, und die Verleger waren nun keine geringeren als Oscar Hase und Wilhelm Volkmann, Inhaber des Leipziger Musikverlags Breitkopf & Härtel. Damit begann für Marie Lipsius eine langjährige Zusammenarbeit, die durch die Übernahme der Rechte auch ihrer ersten drei Bücher im September 1909 sowie die dortige Publikation fast sämtlicher ihrer weiteren Werke gestärkt wurde. Der fünfte Band der Studienköpfe erschien 1882. Unter dem Motto »Die Frauen im Tonleben der Gegenwart« porträtierte Lipsius hier zwölf Pianistin­ nen  : Clara Schumann, Sofie Menter, Anna Mehlig, Mary Krebs, Pauline Fichtner-Erdmannsdörfer, Laura Kahrer-Rappoldi, Wilhelmine Clauß-Szarvady, Arabella Goddard, Erika Lie-Nissen, Ingeborg von Bronsart, Annette Essipoff-­ Leschetizky, Vera Timanoff, mit Wilma Neruda-Norman eine Geigerin und elf Sängerinnen  : Pauline Viardot-Garcia, Desirée Artôt, Zelia Trebelli, Adelina Patti, Christine Nilsson-Rouzaud, Marie Wilt, Amalie Joachim, Pauline Lucca, Marianne Brand, Therese Vogl und Amalie Materna.98

97 Vgl. Pfau 1896. 98 Ich übernehme hier die Namensschreibungen von Marie Lipsius. Davon abweichend gibt es diverse Alternativschreibweisen in den verschiedensten Lexika und Datenbanken.

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Neuauflagen und Umarbeitungen

Auflagenhöhe und Auflagenzahl geben einen Anhaltspunkt für den verlegerischen Erfolg eines Buches.99 Im Falle der Musikalischen Studienköpfe ist beides nicht immer eindeutig zu bestimmen. Die Verlagswechsel sorgen dabei ebenso für Verwirrung wie die als Neuauflagen deklarierten Nachdrucke, die meist kurz vor Weihnachten mit einer Teillieferung auf den Markt kamen, um als Festgeschenk verkauft werden zu können. Eine Angabe des Erscheinungsjahres auf dem Buchtitel ist erst nach 1900 üblich. So mag es kommen, dass in der MGG zu lesen ist, von Marie Lipsius’ Werken seien bis zu 17 Auflagen erschienen.100 Der folgende Versuch einer Rekonstruktion soll ein wenig Ordnung in die Abfolge der Neuauflagen und Nachdrucke bringen. Der fünfte und letzte Band wurde gleich im Jahr seines Erscheinens 1882 nachgedruckt. Demnach war die Erstauflage schnell vergriffen. Zwanzig Jahre später, 1902, erschien eine umgearbeitete Neuauflage. Marie Lipsius hatte hierfür einige Veränderungen vorgenommen, die sie im Vorwort begründete  : Schon ist, was beim ersten Erscheinen dieses Buches Gegenwart war, es heute nicht mehr. Eine Reihe der damals porträtierten Künstlerinnen ist teils nicht mehr am Leben, teils aus der Öffentlichkeit oder doch aus dem internationalen Kunstverkehr zurückgetreten. Beibehalten blieben von ihnen  – selbstverständlich unter zeitgemäßer Ergänzung – die Bilder derer, die als große eigenartige Erscheinungen, wenn auch zum Teil für uns verstummt, vorbildlich über ihre Zeit hinaus wirken und hell hineinleuchten noch in unser heutiges Kunstleben. An Stelle jener anderen, denen eine solche Leuchtkraft nicht gegeben war – es sind ihrer neun – gelangte eine entsprechende Anzahl späterer Größen, die sich spielend, singend oder lehrend einen Weltruf erwarben, zur Aufnahme. Dieser seiner wesentlichen Erneuerung zufolge dürfte der Inhalt des Buchs auch heute noch seinem Titel entsprechen.101

Die neu aufgenommenen Musikerinnen waren Teresa Carreño, Augusta Götze, Aglaja Orgeni, Lilli Lehmann-Kalisch, Fanny Bertram-Moran-Olden, ­Ernestine SchumannHeink, Marcella Sembrich, Ellen Gulbranson und Nellie Melba, wo 99 Sie lassen jedoch keine Aussage über die tatsächliche Verbreitung eines Mediums zu. Im 19. Jahrhundert sorgten Leihbibliotheken und Lesezirkel dafür, dass Bücher und Zeitschriften deutlich häufiger gelesen wurden als die reinen Verkaufszahlen belegen. Für eine realistische Einschätzung wird bei Büchern ein Leserkoeffizient von 3,5 angelegt (vgl. Nissen 2009, S. 111). 100 Vgl. Deaville 2004. 101 La Mara 1902, unpag. Vorwort.

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für Anna Mehlig, Mary Krebs, Pauline FichtnerErdmannsdörfer, Wilhelmine Clauß-Szarvady, Arabella Goddard, Erika Lie-Nissen, Vera Timanoff, Zelia Trebelli und Therese Vogl wegfielen. Der vierte Band erlebte vier Auflagen. Nachdem die Erstauflage von 1880 durch Breitkopf & Härtel übernommen worden war, druckten die neuen Verleger das Buch gleich 1881 nach. Die dritte Auflage 1888 war dann eine Neubearbeitung, für die Lipsius die Reihenfolge der porträtierten »Classiker« änderte und in die auch bei den ersten drei Sammelbänden eingehaltene Chronologie nach Geburtsjahr der Musiker brachte. Das schien der Autorin nötig, denn mit Ersterscheinen hatte das Buch noch mit der Biographie Wolfgang Amadeus Mozarts aufgemacht, der damit vor Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach positionierte. Zum 125. Geburtstag Mozarts war Marie Lipsius diese Vorrangstellung wohl angemessen erschienen, wenngleich sie ihr auch einige Kritik von Seiten der Rezensenten eingebracht hatte.102 Mit der Auflage von 1888 war das Prinzip der Chronologie wieder hergestellt. Die Veränderungen im dritten Band der Studienköpfe wurden bereits angesprochen  : Die siebte Auflage von 1910 ging ohne die ursprünglichen Biographien von Ignaz Moscheles, Ferdinand David und Carl Tausig in Druck, da die drei Musiker »für einen großen Leserkreis heute nur noch historische Bedeutung« hätten, während Edvard Grieg und Hans von Bülow neu hinzutraten, »mit denen sich die Gegenwart in lebendigerem Zusammenhang fühlt«.103 Da zum Zeitpunkt des Erscheinens alle porträtierten Musiker verstorben waren, änderte Lipsius auch den Titel ihrer Sammlung  : statt »Jüngstvergangenheit und Gegenwart« verkürzte sie ihn auf den ersten Teil, die »Jüngstvergangenheit«. Zwischen der sechsten, noch von Schmidt & Günther verlegten und der siebten, nun bei Breitkopf  &  Härtel erschienenen Auflage liegt eine Spanne von 27  Jahren. Es ist auffällig, dass in dieser Zeit biographische Publikationen allgemein zwar einen Boom erlebten,104 die Bände der Musikalischen Studienköpfe jedoch um die Jahrhundertwende jeweils längere Pausen in der Auflagenfolge aufwiesen. Grund dafür könnten wiederum die Verlagsstreitigkeiten zwischen Marie Lipsius und ihren Verlegern Heinrich Schmidt und Carl Günther gewesen sein. Lipsius hatte sich seit Anfang der 1880er-Jahre um eine Geschäftsbeziehung zu Breitkopf & Härtel bemüht. Nachdem die Verlagsrechte des vierten Bandes der Studienköpfe seit 1881 in Besitz des renommierten Musikverlages 102 Vgl. Kapitel 4. 103 La Mara 1910, unpag. Vorwort. 104 Vgl. Schnicke 2009b, S. 247.

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waren und auch der fünfte Band 1882 dort erschienen war, wollten Breitkopf & Härtel nun auch die Rechte an den drei ersten Studienköpfen erwerben. Den Preis, den Schmidt & Günther forderten, hielten die Verleger jedoch für überteuert und das Geschäft kam nicht zustande.105 Zwischen Lipsius und Schmidt  &  Günther hatte es seit Beginn ihrer Geschäftsbeziehung Unstimmigkeiten über Honorar, Auflagenhöhe, Ausstattung, Umfang und Verkaufspreis der Werke gegeben. Breitkopf & Härtel boten deutlich bessere Konditionen mit einer gediegeneren Ausstattung der Werke und dem »ziemlich Sechsfache[n]«106 an Honorar. Lipsius wollte den Verlag verlassen und hatte sich dazu juristischen Rat eingeholt.107 Am 23. Juni 1883 schrieb sie an Schmidt & Günther  : Werden wir uns vor allen Dingen nochmals über unseren beiderseitigen Rechtsstandpunkt klar, wie er nicht nur von vier Ihrer angesehensten Collegen, sondern von einer ersten juristischen Autorität in Preß- und Verlagsangelegenheiten präcisirt wird. Allerdings sind Sie berechtigt, auf dem meiner damaligen Geschäftsunkenntniß leider abgewonnenen gänzlich unverhältnißmäßigen Honorar zu bestehen. Dagegen bin ich berechtigt, mich auf die Revision unter Beigabe einiger Noten zu beschränken u. ein C[oncurrenz  ?]werk zu schreiben, darin ich meinen künstlerischen Bedürfnissen Rechnung tragen u. neuere Quellen gewissenhaft berücksichtigen kann.108 105 Vgl. Brief von Breitkopf  &  Härtel an Schmidt  &  Günther vom 02.06.1883, D-LEsta Bestand 21084 Schmidt & Günther, Akte 20. 106 Brief von Marie Lipsius an Schmidt  &  Günther vom 23.06.1883, D-LEsta Bestand  21084 Schmidt & Günther, Akte 20. 107 Vermutlich war es der Jurist Adolf Lobe, der Lipsius beratend zur Seite stand. Ihm widmete sie 1918 folgende Zeilen (D-LEsm A/84/2010)  : »Töricht wankelt’ ich durchs Leben, Beute der Verlegerlist, Bis Du mir zum Freund gegeben, Schützer und Berater bist, Der, wenn Schlauheit mit umgarnt, Vor Belämmerung mich warnt, Stets mit überleg’nem Geist Jedes neue Netz zerreißt. Retter mir in aller Not, Die im Kampf des Lebens droht, Was, ohn’ Deinen Genius, Wäre Marie Lipsius  ?  !  ?« 108 Brief von Marie Lipsius an Schmidt  &  Günther vom 23.06.1883, D-LEsta Bestand  21084 Schmidt & Günther, Akte 20, Hervorheb. im Orig.

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Marie Lipsius sah ihren Marktwert 15 Jahre nach Beginn ihrer publizistischen Tätigkeit durch das Honorar bei Schmidt  &  Günther nicht gewürdigt. Besonders empfindlich traf sie, dass die Verleger von ihr verlangten, »eine Verpflichtung bez. Beschränkung des Umfangs auf mich zu nehmen, die ein Autor, der es mit der Sache u. mit seinem Buche ehrlich meint, nicht auf sich nehmen kann«109. Schlussendlich lenkte Lipsius in allen Punkten ein, vielleicht resigniert von der Absage Breitkopf & Härtels. Weitere Auflagen des dritten Bandes gab es im Verlag Schmidt & Günther jedoch nicht mehr.110 Im Sommer 1909 kam noch einmal Bewegung in den Verkauf der Verlagsrechte an den ersten drei Studienköpfen. Schmidt  &  Günther forderten nun 4500 Mark111, letztendlich einigte man sich auf einen Preis von 3500 Mark112. Nach der geglückten Übernahme schrieb Lipsius an ihren Freund und Verleger Oskar von Hase  : »Nehmen Sie meinen allerherzlichsten Dank dafür, daß Sie mich losgeeist u. in den sicheren Hafen Ihrer Firma gebracht haben. Ich bin sehr glücklich darüber.«113 Der bereits fertig überarbeitete dritte Studienkopf konnte in siebter Auflage nun bei Breitkopf & Härtel erscheinen. Wie viele Auflagen von Band eins und zwei der Musikalischen Studienköpfe es genau gegeben hatte, das fragten sich auch die neuen Verleger, nachdem sie die Verlagsrechte übernommen hatten. Marie Lipsius nannte ihnen sieben echte Neuauflagen und zwei Nachdrucke für den ersten Band.114 Breitkopf & Härtel 109 Ebd. 110 Auch andere Stimmen äußerten sich kritisch über die Verleger. Elise Polko schrieb beispielsweise an Marie Lipsius  : »Meine liebe Collegin  ! Ein Wort im Vertrauen – Ihr früherer Verleger Schmidt u. Günther hat mich um biographische Arbeiten gebeten. – Warum nicht Sie  ? – Die Art der Briefe dieser Herrn mißfällt mir sehr – ebenso die Honorarverhältnisse – Rathen Sie mir – à discrétion – überhaupt mit ihnen eine lit. Verbindung einzugehen  ? – Ein offenes Wort dankt Ihnen, liebe liebe Collegin de tant cœur, Ihre Elise Polko« (Brief von Elise Polko an Marie Lipsius vom 01.04.1880, D-WRgs GSA 59/410,1). 111 Vgl. Brief von Marie Lipsius an Breitkopf & Härtel vom 19.08.1909, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2614. 112 »Durch Boten behändigen wir Ihnen den vereinbarten Kaufpreis M. 3500, – für Verlagsrechte, Vorräte und alles weitere dazugehörige Material von La Mara, Studienköpfe Band  I–III. Wir bitten die beigefügte Quittung freundlichst zu unterzeichnen und unserem Boten zurückzugeben. Auch bitten wir Sie um Ihre mit der Verfasserin abgeschlossenen Verlagsverträge über diese Bände.« (Brief von Breitkopf & Härtel an Schmidt & Günther vom 30.09.1909, D-LEsta Bestand 21084 Schmidt & Günther, Akte 20). 113 Brief von Marie Lipsius an Breitkopf & Härtel vom 01.10.1909, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2614. 114 Vgl. Brief von Marie Lipsius an Breitkopf & Härtel vom 16.10.1909, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2614. Heinrich Schmidt und Carl Günther hatten 1894 statt der ver-

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führten die Reihe im Jahr 1911 nun ihrerseits fort, indem sie 20 ausgewählte Musikerbiographien, von Lipsius noch einmal überarbeitet, als Einzeldrucke in der neu gegründeten Reihe Kleine Musikerbiographien herausgaben. Hieraus ergab sich wiederum ein Problem für die Auflagennummerierung der Sammelbände. Die Neuauflage des ersten Bandes der Studienköpfe sollte mit den Druckplatten der Einzelpublikationen vorgenommen werden. Während der Verlag die Nachdrucke nicht weiter durchnummerieren, sondern nur wirkliche Neuauflagen zählen lassen wollte, plädierte Lipsius für eine Fortsetzung der Zählung sämtlicher Neudrucke, weil das nun einmal der bisherige Modus gewesen sei.115 So ist zu erklären, dass einer der Einzeldrucke der Musikalischen Studienköpfe tatsächlich eine 17. Auflage erreichte  : Es war die biographische Skizze über Franz Schubert, die zwei Jahre nach dem Tod der Autorin zum letzten Mal gedruckt wurde. Übersicht der nachweisbaren Auflagen der Musikalischen Studienköpfe von Marie Lipsius Band 1: Romantiker (1868) Weißbach; 2(1874) S&G; 3(1877) S&G; 4(1878) S&G; 5 (1879) S&G; 6(1884) S&G; 7(1894) S&G; 8(1894) S&G; 9(1894) S&G; 10 (1911/12) B&H [Einzeldrucke]; 11(1913) B&H Band 2: Ausländische Meister (1872) Weißbach; 2(1874) S&G; 3(1877) S&G; 4(1878) S&G; 5(1881) S&G; 6(1896) S&G; 7(1896) S&G; 11(1913) B&H Band 3: Jüngstvergangenheit und Gegenwart (1875) S&G; [für die 2. und 3. Aufl. fehlen Nachweise] 4(1878) S&G; 5(1883) S&G; 6(1883) S&G; 7(1910) B&H Band 4: Klassiker (1880) G. Knapp; 2(1881) B&H; 3(1888) B&H; 4(1899) B&H Band 5: Die Frauen im Tonleben der Gegenwart (1882) B&H; 2(1882) B&H; 3(1902) B&H S&G = Schmidt & Günther; B&H = Breitkopf & Härtel

Dramaturgischer Aufbau und Grundmotive der Musikalischen Studienköpfe

Wenngleich Marie Lipsius zu Beginn ihrer Arbeit als Biographin wohl nicht hatte absehen können, welchen Umfang ihr Projekt der Musikalischen Studienköpfe annehmen würde, so ist der Aufbau der Reihe doch keineswegs zufällig. einbarten 1000er  Auflage gleich 3000  Stück gedruckt und sie gesplittet in eine siebte, achte und neunte Auflage auf den Markt gebracht, womit sie das bei jeder Neuauflage fällig werdende Autorenhonorar umgehen konnten. 115 Vgl. Brief von Marie Lipsius an Breitkopf & Härtel vom 13.03.1914, D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf & Härtel, Akte 2617.

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Drei Dramaturgien laufen darin parallel  : Jede Einzelstudie folgt einem strukturierenden Topos (dazu im nächsten Abschnitt einige Beispiele), jeder Sammelband markiert einen zeitgenössischen Diskurs, und die Gesamtreihe schließlich erzählt die Musikgeschichte, wie Marie Lipsius sie sah und vermitteln wollte. Der erste Band sollte die musikhistorische Bedeutung der Neudeutschen Schule begründen (Fortschrittsgeschichte), der zweite Band die Kulturhegemonie des Deutschen bekräftigen (Nationalismus), der dritte Band stellte die ausübenden Künstler in den Mittelpunkt (Virtuosendiskurs), der vierte Band besann sich auf die Klassiker (Historismus) und der fünfte Band warf Schlaglichter auf musikalisch handelnde Frauen (Frauenfrage). Selbstverständlich überkreuzten sich die Diskurse zum Teil, wobei Fortschrittsgeschichte und Nationalismus die übergreifenden Themen waren, die in jeder biographischen Skizze verhandelt wurden. Der erste Band der Musikalischen Studienköpfe war der Prototyp der Reihe. Die Abfolge der sieben Einzelstudien offenbart die national eingefärbte, teleolo­ gische Geschichtsphilosophie der Autorin. 1868 schrieb Lipsius im Vorwort ihres ersten Buches, ihre Zusammenstellung möge ein Gesammtbild der großen Bewegung [zeichnen], die sich seit Beethoven auf dem Gebiet der Tonkunst vollzogen. […] Das deutsche Volk dem Verständniß des Lebens und Wirkens einiger seiner größten Meister näher zu führen, jenen zu der ihnen gebührenden, ihnen zum Theil bis auf den heutigen Tag noch vorenthaltenen allgemeineren Anerkennung zu verhelfen, war die Aufgabe, die der Verfasser mit seinen bescheidenen Kräften zu lösen erstrebte.116

Ohne dass es ein staatsrechtliches Deutschland bereits gab, konstruierte Marie Lipsius eine deutsche Musikgeschichte, die ganz im Sinne der Zeit nationale Zugehörigkeit nicht territorial definierte, sondern geistig-mental.117 So konnte sie den ›deutschen Geist‹ widerspruchsfrei auch in einem im Königreich Ungarn geborenen und in Paris sozialisierten Franz Liszt erkennen. Selbst in der Charakteristik Frédéric Chopins diente der ›deutsche Geist‹ als Folie, vor der die Musik des polnischen Franzosen/französischen Polen rätselhaft und der 116 La Mara 1868, unpag. Vorwort. 117 Die Definition der deutschen Nation durch ihre Sprache und Kultur war von Johann Gottfried Herder begründet worden (vgl. z. B. Jansen/Borggräfe 2007, S. 37–42). In der Zeit der Einigungskriege hätten besonders Künstler versucht, die politisch-militärischen Bestrebungen Preußens zur Gründung eines Deutschen Reiches ideell zu untermauern (vgl. Jansen 2002). Wie verbreitet dieser Topos in der Musikgeschichtsschreibung war, dazu vgl. Hentschel 2006.

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Musiker wie ein Zauberer erschien, der sein Publikum »fortwährend über sich selbst«118 täusche. Die nationale Geschichtsschreibung stellte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Ausnahme dar, sondern war die durch bürgerliche Ideologie begründete Norm. Dabei sei es den Musikhistorikern nicht um Wahrheit gegangen, sondern um das politische Ziel einer »Konstitution der bürgerlichen Gesellschaft«119. Das widerspricht zunächst den Statements der Musikhistoriker selbst, die, Marie Lipsius nicht ausgenommen, ihr Wahrheitsstreben geradezu mantraartig betonten.120 Dass das, was als Wahrheit propagiert wurde, ideologisch vorgeprägt war, reflektierte als einer der wenigen Historiker des 19. Jahrhunderts Johann Gustav Droysen. Er sah die Gefahr, die in der Verwechslung von Wahrheit und Ideologie lag. In Opposition zur positivistischen Auffassung der Ranke-Schule, Geschichtsschreibung müsse zeigen, »wie es eigentlich gewesen«121, plädierte Droysen dafür, die Standortgebundenheit historischer Erkenntnis offensiv zu benennen  : Ich will nicht mehr, aber auch nicht weniger zu haben scheinen als die relative Wahrheit meines Standpunktes, wie mein Vaterland, meine religiöse, meine politische Überzeugung, meine Zeit mir zu haben gestattet. Der Historiker muß den Mut haben, solche Beschränkungen zu bekennen, denn das Beschränkte und Besondere ist mehr und reicher als das Allgemeine. Die objektive Unparteilichkeit […] ist unmenschlich. Mensch ist es vielmehr, parteilich zu sein.122

»Parteilich zu sein« meinte bei Droysen eben nicht, sich für oder wider eine bestimmte Position einzusetzen. Gerade aber die bürgerliche Musikgeschichte war anfällig dafür, ästhetische Werturteile zur Grundlage historischer Erzählung zu machen und damit sehr deutlich für oder gegen bestimmte musikalische Entwicklungen Stellung zu beziehen.123 In fragmentarischen Musikgeschichten wie beispielsweise biographischen Sammlungen fiel es ungleich schwerer, eine Meistererzählung zu konstruieren. Marie Lipsius nutzte hier das Vorwort, um ihre Biographien in eine Sinneinheit zu bringen und den Leserinnen und Lesern unmissverständlich zu vermitteln, worauf die Erzählung abzielte. 118 La Mara 1868, S. 204. 119 Hentschel 2006, S. 157. 120 Vgl. auch ebd., S. 48–83. 121 Zit. nach Jaeger/Rüsen 1992, S. 82. 122 Droysen 1977, S. 236. 123 Vgl. Hentschel 2006, S. 84–157.

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Die Autorin ließ ihre biographischen Skizzen auf die sogenannten Zukunftsmusiker Franz Liszt und Richard Wagner zulaufen. Der revolutionäre Wagner und der göttliche Liszt – für Lipsius markierten diese beiden den Höhepunkt der Musikgeschichte nach Beethoven. In den Biographien Webers, Schuberts, Mendelssohn-Bartholdys, Schumanns und Chopins sah Lipsius Vorzeichen auf die zukunftsgerichtete Kunstanschauung von Liszt und Wagner. Weber und Schubert platzierte die Autorin als Scharnier zwischen Klassik und Romantik, Schumann und Chopin wurden zu Vermittlern zwischen Individualität und Nationalgeist erklärt, Mendelssohns Leben wurde zur widerspruchsfreien Harmonie erklärt. Liszt nun habe all diese Momente in sich vereint und sei sowohl menschlich als auch künstlerisch das Ideal  : Groß und feurig, wie ein wunderbar Gestirn, stieg er auf am Himmel der Kunst, sein Glanz entzückte, sein Licht blendete unsere Sinne  ; der Weltlauf aber, zu dem er berufen, durchmißt weitere Bahnen als derjenige gewöhnlicher Sterblicher, und so geschieht es, daß er sich zeitweise unserm Blick entzieht, daß Wolken und Fernen ihn verhüllen vor unserm suchenden Auge. […] Gleich mehr als einem unserer großen Künstler trägt auch Franz Liszt etwas Titanenhaftes an sich. […] Liszt ist und bleibt eine Wundergestalt für alle, für seine Freunde sowohl als für seine Gegner. […] Vielleicht liegt der Schlüssel zu dem Geheimniß seiner Erscheinung in der seltsamen Vermählung der entgegengesetztesten Elemente – des Dämonischen und des Göttlichen, die bei ihm, wie wohl in ähnlicher Weise bei keinem zweiten Genius zum Ausdruck kommt.124

Liszt als Dämon und Gott, der Widersprüche nicht lediglich vermittelt, sondern aus ihnen seine schöpferische Kraft, seine Künstlerschaft bezieht. Beim gleichaltrigen Richard Wagner, obgleich sie auch ihn als genialen Künstler bezeichnet, war Lipsius verhaltener. Über Wagners »wahres Sein und eigentliche Bedeutung zu berichten«125 sei dereinst dem Historiker vorbehalten. Lipsius nutzte das Argument der noch offenen historischen Bedeutung Wagners,126 um ihre Vorbehalte gegen Wagners kunsttheoretische Schriften offenzulegen, ohne Wagner als Künstler infrage stellen zu müssen. An einer Stelle wird besonders offensichtlich, wie sehr die Autorin mit ihrer Dramaturgie Geschichte konstruiert  : Schumann und Chopin wurden im selben 124 La Mara 1868, S. 235 f. 125 Ebd., S. 280. 126 »Die Zukunft aber wird es ja lehren, ob das Traumbild des idealistischsten aller Idealisten sich in Wahrheit erfüllen wird.« (Ebd., S. 317).

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Jahr geboren, Chopin jedoch wenige Monate vor Schumann. Nach dem chronologischen Prinzip, dem Lipsius grundsätzlich folgte, hätte seine B ­ iographie vor jener Schumanns stehen müssen. Dass Lipsius sich für die umgekehrte Reihenfolge entschied, hatte dramaturgische Gründe. Als Idealtypus symbolisierte Schumann die deutsche Romantik. Chopin hingegen markierte das Bindeglied zur französischen Romantik, die in ihrer sozialutopischen Ausrichtung auch Franz Liszt prägte. Die Folgerichtigkeit der musikhistorischen Erzählung konnte mit der Reihenfolge Schumann  – Chopin  – Liszt besser argumentiert werden. Indem die Autorin Liszt als Kosmopolit darstellte, konnte sie seine ›undeutschen‹ Anteile integrieren, die bei Chopin noch als Ausdruck seiner polnisch-französischen Kulturzugehörigkeit präsentiert wurden. Im zweiten Band der Musikalischen Studienköpfe spielten nationale Stereotype eine noch größere Rolle. Abgrenzend zum ersten Band, der einen Gang durch die neuere Musikgeschichte darstellen sollte, die von der Autorin selbstverständlich als eine Geschichte deutschen Geistes gedacht war, porträtierte Lipsius im zweiten Band nun »Ausländische Meister«. Die fünf Lebensbilder der Komponisten Luigi Cherubini, Gasparo127 Spontini, Gioachino Rossini, François ­Adrien Boieldieu und Hector Berlioz ordnete Lipsius nicht nur nach den Geburtsjahren der Betreffenden, sondern sortierte sie zusätzlich nach Geburtsland  : drei in Italien Geborene standen zwei Franzosen gegenüber. Lipsius verband die fünf Musiker, indem sie ihr Opernschaffen ins Zentrum stellte. So ist das Buch auch als eine Geschichte der Oper zu lesen, ohne dass auf Details der unterschiedlichen Entwicklungen in Italien und Frankreich genauer eingegangen worden wäre. Die Autorin geriet hier in Widersprüche. Die biologisch-ethnisch begründete Nationalität stand dem übernationalen Wirken der fünf Komponisten in Paris und anderen europäischen Hauptstädten gegenüber. Lipsius wollte einen italienischen bzw. französischen Nationalcharakter an den Musikern exemplifizieren, durfte aber gleichzeitig die künstlerischen Gemeinsamkeiten nicht außer Acht lassen. An keiner Stelle kam dieser selbst produzierte Widerspruch zur Sprache. Stattdessen nutzte die Autorin das Vorwort, um die Kontur des Deutschen vor der Folie der Ausländischen noch deutlicher erscheinen zu lassen.

127 Lipsius verwendete diese damals übliche Schreibweise (vgl. z. B. Riemann Musiklexikon 1882). Erst in der alten MGG von 1965 ist die heute übliche Schreibweise ›Gaspare‹ nachweisbar, noch im zweiten Personenband der 12. Auflage des Riemann Musiklexikons von 1961 wird die alte Form verwendet.

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Wenn der erste Band der ›Musikalischen Studienköpfe‹ die Aufgabe verfolgte, ein halbes Jahrhundert wesentlich deutscher Musikentwicklung in den Bildern ihrer vornehmsten Vertreter flüchtig zu skizziren, so greift der zweite Band zeitlich und räumlich über die Grenzen hinaus. Was seit Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts unter deutschem Einfluß im Ausland, in Italien und mehr noch in Frankreich Bedeutendstes geschaffen worden, zieht er in den Kreis der Betrachtung. Als Tugend unseres Volkes rühmt man die bereitwillige Schätzung fremden Verdienstes  ; vielleicht daß darum auch eine Bilderreihe fremdländischer Meister, im Lichte des Zusammenhangs mit unsrer vaterländischen Kunst betrachtet, einem Interesse begegnete, das d. Verf. mit freudiger Genugthuung erfüllt.128

Alles ausländische Musikschaffen baue auf deutscher Musiktradition auf, so die These der Autorin. In der Konsequenz erhielten die nichtdeutschen Musiker bei Lipsius ihre Biographiewürdigkeit erst, indem sie auf die deutsche Musikgeschichte (Christoph Willibald Glucks Opernreformen) bezogen und vor diesem Hintergrund betrachtet wurden. Eine solch imperiale Geste konnte 1872, nach dem Sieg Deutschlands über den ›Erbfeind‹ Frankreich, mit größtem Selbstbewusstsein vertreten und die »bereitwillige Schätzung fremden Verdienstes« noch als deutsche Tugend herausgestellt werden. In den Einzelstudien ging Lipsius differenzierter vor. Statt deutscher Überlegenheit sah sie hier eher die Ergänzung unterschiedlicher Nationalcharaktere als Entwicklungsmotor für die Operngeschichte  : Aus den vereinigten Kunstbestrebungen dreier Völker ging unsere classische Oper als wundervolle Blüte hervor. Das Beste italienischer Kunst  : stilistische Schönheit und Formenvollendung, vermählte sich mit deutscher Gedankentiefe und Innerlichkeit, und, um das Glück dieses Bundes zu vollenden, fügte der Franzose noch die Gabe dramatischer Lebendigkeit hinzu. Die Phantasie des Südländers, aus der ihm seine unversieglichen Melodienströme quellen  ; die Idealität des Germanen, die, sein Höhe und Tiefe umfassendes Streben versinnlichend, sich in Ausbildung der Harmonik und des Instrumentalen genug thut  ; die leichte Beweglichkeit des Franzosen, wie sie sich in seiner Vorliebe für scharfe Rhythmen ausprägt  : sie waren die Factoren, die das classische Kunstwerk erzeugten. So gehen in der Einheit der Classicität die Vielheiten der Nationalität unter, die, eine jede selbständig, sich ihre eigenen Oper bildeten.129

128 La Mara 1881. 129 Ebd., S. 21 f.

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Fokussiert wurden einerseits die als essentiell angesehenen Nationalcharaktere Deutschlands, Frankreichs und Italiens, andererseits der Kulturtransfer zwischen den Nationen. Erst durch diesen hätte vollendete Kunst entstehen können. Der Einfluss des Deutschen auf die Nachbarnationen stand für Lipsius im Vordergrund.130 Beispielsweise galt ihr Rossinis letzte Oper  – die musikalische Verarbeitung des Dramas Wilhelm Tell vom deutschen ›Nationaldichter‹ Friedrich Schiller – als Ausweis vollkommener Künstlerschaft. Bis dahin, so Lipsius, sei Rossinis Kunst eine »leichtgeflügelte« gewesen, er selbst ein tyrannischer Herrscher, der sich die Kunstliebhaber aller Welt mit dem »friedlichen Zauber« seiner Töne unterworfen habe,131 doch in der Verbindung mit deutscher Dichtkunst habe sich das geändert  : Eine große, gewaltige Kluft trennt die früheren Schöpfungen Rossini’s von dieser einen, mit der er seine Meisterschaft besiegelte, und was in den letzten derselben nur wie eine Ahnung vorgeklungen, in vollem Accorde hat sich’s hier vollendet und ist Wahrheit geworden. […] Seit er im Kunsttempel des fremden Volkes ein lautreres Evangelium in sich aufgenommen [die Grand Opéra], hat sich ihm das bisher gehegte nationale Kunstideal zu einem universelleren erweitert und erhöht. […] Mit Verwunderung sehen wir den Italiener deutschem Element eine Einwirkung auf das eigene Schaffen vergönnen, die bis auf die äußersten ihm von der Natur gesteckten Grenzen ausgedehnt scheint. Spuren Haydn’scher und Mozart’scher Vorbildnahme begegnen wir mannigfach, ja in der dramatischen Verlebendigung der Recitative glauben wir hier und dort selbst Gluck’schen Flügelschlag zu vernehmen. In noch höherem Maße aber offenbart der Tell den Einfluß des Volkes, in dessen Mitte und unmittelbarer Berührung er geboren ward. So gesellt sich zu der deutschen Vertiefung und Innerlichkeit – wir verstehen dies dem Ausländer gegenüber selbstverständlich im relativen Sinne  – die später besonders durch Meyerbeer cultivirte Lust an der Situation, die effectvolle Gruppirung, die scharfe plastische Ausgestaltung, der dramatische Zug, die jenseits des Rheins ihre Heimat haben. Wie aber der Schöpfer des ›Tell‹ nicht aufhörte, auch fern der Heimat ein Italiener zu sein, das bekundet jene unnennbare Süße und Weichheit der Form, jene unnachahmliche Grazie, jene zugleich schmelzende und feurige, leidenschaftsdurchzuckte Cantilene, jene Meisterschaft einer gesangsmäßigen Stimmführung, wie sie eben nur der Italiener kennt.132 130 Ihre Auffassung erinnert an Franz Brendel und seine Idee des »Universal-Deutschen«, also die Ausbreitung des »Specifisch-Deutschen« auf die Ebene einer universalen Kulturgeschichte (vgl. dazu Kapitel 2.5). 131 Ebd., S. 142. 132 Ebd., S. 187 f.

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Plötzlich also meinte Lipsius, in Rossinis Werk Anklänge an Gluck, Haydn und Mozart erkennen zu können. Die von ihr aufgeführten nationalen Topoi sind älter als die romantische Vorstellung eines Volksgeistes, die sich im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert durchsetzte.133 Doch seit jener Zeit wurden Natio­nalcharaktere als geschichtslenkend aufgefasst, die als Idee bzw. Geist eines Volkes dessen Kultur und Politik bestimmten. Die Stereotypisierungen wurden direkt auf Kulturgüter übertragen, so dass auch die Musik ihren jeweiligen Natio­nalcharakter erhielt. Lipsius’ deutsche Leserinnen und Leser konnten sich ihrer nationalen Zugehörigkeit vergewissern, indem sie die Biographien ausländischer Komponisten kennenlernten. Wie fragil die nationalen Zuschreibungen waren, zeigte sich noch einmal im Lebensbild Berlioz’. Er schien der Autorin weder italienisch, noch deutsch, noch französisch genug, um eindeutig zugeordnet werden zu können. So ­erklärte Lipsius den Komponisten zu einem Solitär, einem »Fremdling«134, der nirgends wirklich heimisch sein konnte, denn seine Subjektivität habe ihn über alle (natio­ nalen) Grenzen erhaben gemacht. Berlioz wurde zwar als Erfinder der Leitmotivik gewürdigt, doch sei er »zu sehr Franzose« gewesen, »um in jener abstracten Welt der Contemplation zu verweilen, die die reine Instrumentalmusik zur Voraussetzung hat«.135 Erst Wagner und Liszt seien dann die Vollender der Ideen Berlioz’ gewesen. Der dritte Band porträtierte fünf Musiker, die weniger als Komponisten denn als Interpreten und Instrumentallehrer in Erscheinung getreten waren. In der Wertschätzung auch der vermittelnden Künstler als biographiewürdig sah Lipsius eine Bereicherung der Musikgeschichte.136 Auch die Mischung aus regionaler und internationaler Größe war neu. Den vor allem in Leipzig wirkenden Musikern Ignaz Moscheles und Ferdinand David wurde neben Anton Rubinstein und Johannes Brahms ebenso Bedeutung zugeschrieben wie dem in Russland von der Öffentlichkeit zurückgezogen lebenden und dort als Klavierlehrer wirkenden Adolf Henselt und dem früh verstorbenen Carl Tausig, der sich als Virtuose und Klavierpädagoge einen Namen gemacht hatte. Robert Franz, ebenfalls ein Studienkopf des Buches, lästerte allerdings in ­einem Brief an eine »verehrte Frau«  :

133 Vgl. Florack 2007, S. 231. 134 La Mara 1881, S. 269. 135 Ebd., S. 290 f. 136 La Mara 1875.

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Der La Mara dürfen Sie um Gotteswillen nicht alles auf ’s Wort glauben  ! Ganz abgesehen davon, daß ihr Gerede sehr oberflächlich ist, bringt die gute Dame für ihre ›musikalischen Charakterköpfe‹ auch ein gar zu [weites  ?] Herz mit. Alle sind sie ihr Halbgötter und da können denn die tollsten Widersprüche kaum nehmen. Sie besitzt ein ungewöhnliches Anziehungstalent u. weiß es dabei recht geschickt zu verdecken, daß auf ihrem Acker eigentlich nicht das kleinste Crautlein des Straußes, den sie der Welt bietet, gewachsen ist. David, Hauptmann, Raff, Bülow, Brahms, Rubinstein, Franz. – Sie werden sämtlich in ein u. den selben Topf gesteckt u. mögen nun zusehen, wie sie sich untereinander vertragen. Dergleichen Bücher verschulden zumeist die trostlose Begriffsverwirrung, welche jetzt in Kunstdingen mehr und mehr einzureißen droht  : lesen Sie lieber gar Nichts – das ist der beste Rath, den ich zu geben weiß.137

Abgesehen davon, dass Moritz Hauptmann und Joachim Raff gar nicht im Buch vertreten waren und Hans von Bülow lediglich durch die Widmung vertreten war, könnte Robert Franz’ Empörung daraus entsprungen sein, dass diesem Band der Studienköpfe eine stringente Dramaturgie tatsächlich fehlte. Die Gesamtanlage wirkt weniger erzählerisch als beim ersten Buch, als dessen Nachfolger Lipsius ihren dritten Band empfahl. Die Lebensgeschichten traten gegenüber den musikalischen Werken und Verdiensten etwas zurück. In der Konsequenz fügte Lipsius den biographischen Skizzen erstmals Werkverzeichnisse an. Hierfür musste sie in den meisten Fällen, in denen noch keine gedruckten Verzeichnisse vorlagen, umfangreiche Recherchen anstellen,138 was Rezensenten lobend hervorhoben.139 Der vierte Band der Reihe schloss einen Kreis. Nachdem Lipsius im ersten Band skizziert hatte, auf welchen Zielpunkt die deutsche Musikgeschichte unumstößlich zulaufe, deren Einfluss auf italienische und französische Musik postuliert und schließlich durch interpretatorische und pädagogische Vermittler flankiert hatte, wurde nun das Fundament dieser Entwicklungsgeschichte nachgeliefert  : mit den Biographien der »Classiker« Georg Friedrich Händel, Johann Sebastian Bach, Christoph Willibald Gluck, Josef Haydn, Wolfgang Amade Mozart und Ludwig van Beethoven.140 Im Vorwort erklärt Lipsius  : 137 Brief von Robert Franz an Unbekannt vom 09.11.1876, D-B 55 Ep. 1343. 138 Um die Verzeichnisse der Werke von David, Henselt, Franz, Rubinstein (nur Ergänzungen) und Brahms zusammenstellen zu können, bat sie die Komponisten selbst oder ihre Verleger um Auskunft (vgl. z. B. Brief von Marie Lipsius an Bote & Bock vom 11.07.1883, D-B Mus. ep. M. Lipsius 41). 139 Vgl. Kapitel 4. 140 Die Namensschreibungen sind von Marie Lipsius übernommen.

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Es war geboten, den früher gegebenen Portraits neuerer und neuester Tonkünstler die jener älteren erlauchtesten Tongrößen anzureihen. Denn wie durch sie das goldene Zeitalter der Musik repräsentirt erscheint, so wäre auch ohne sie die gegenwärtige Musikentwicklung nicht denkbar. Den ganzen unermeßlichen Reichthum unseres Tonschatzes fast danken wir mittelbar oder unmittelbar jenen Ewigen, die wir Deutsche mit Stolz unser Eigenthum nennen. Sie bei all ihrer Erhabenheit unserem Empfinden in menschlich traute Nähe zu rücken, ist die Aufgabe, deren Lösung die nachstehenden Skizzen anstreben.141

Die Biographien waren darauf angelegt, die bereits kanonisierte Größe des jeweiligen Musikers noch zu überhöhen, indem nicht nur dessen künstlerisches Schaffen, sondern auch sein Charakter als überragend dargestellt wurde. Dazu konnte Lipsius auf bekannte Topoi zurückgreifen. Auch der Erzählung dieses Bandes lag der Fortschrittsgedanke zugrunde, das Kunstgenie Beethovens war sein Telos  : Denn wie uns Musik der Inbegriff allen Wohlklangs, so bleibt uns der Name Beet­ hoven der Inbegriff von Musik. Was die Tonkunst vor ihm hervorgebracht, ist ein Hinstreben zu ihm, was sie nach ihm erzeugt, ein Hervorgehen aus ihm. Der universellste und der individuellste Tonmeister, der Vollender der Classicität und aller Thaten, welche die Größten vor ihm gewirkt, ward er zugleich Fundament und Ausgangspunkt für das musikalische Schaffen der Neuzeit. So, einem Janus gleich, sein D ­ oppelantlitz Vergangenheit und Gegenwart zukehrend, erfüllt und beherrscht er beide, als ein Prophet des Ewigen der Menschheit, der in Wahrheit sagen durfte  : ›Höheres giebt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten  !‹142

Beethoven als Ziel- und Endpunkt der musikhistorischen Entwicklung, darauf konnten sich die meisten Musikhistoriker einigen. Wer aber sein legitimer Nachfolger sei, darüber wurde heftig gestritten.143 Marie Lipsius hatte mit ihrem ersten Band bereits klar gemacht, welche musikhistorische Entwicklungslinie sie favorisierte. Den Höhepunkt im »Gesammtbild der großen Bewegung […] seit Beethoven« markierten darin Liszt und Wagner.

141 La Mara 1888, unpag. Vorwort. 142 Ebd., S. 480. 143 Vgl. Kapitel 2.5.

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Damit war der Gang durch die Musikgeschichte nun eigentlich abgeschlossen. Lipsius hatte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Musik präsentiert und dabei auf allgegenwärtige Topoi rekurriert. Zwei Jahre nach der Publikation des Klassiker-Bandes fügte Lipsius ihrem Reigen allerdings neue Studienköpfe hinzu. Sie porträtierten »Die Frauen im Tonleben der Gegenwart«. Was zunächst wie eine irritierende Störung der bisherigen männlich-nationalen Fortschrittserzählung wirken musste, rückte die Autorin im Vorwort sogleich wieder zurecht wenn sie ankündigte, dass die Frauen nicht als Komponistinnen, sondern als Interpretinnen gewürdigt würden, denn [a]uf frei schöpferischem Gebiet […] darf sich der weibliche Genius nur bescheidener Erfolge rühmen. Die eigentlich gestaltende Kraft, die Spontaneität der Erfindung und des combinatorischen Vermögens scheinen ihm, wenn nicht völlig versagt, so doch in zu kargem Maße von der Natur verliehen, um wirklich große, hervorragende Leistungen in dieser Richtung nicht von vornherein auszuschließen. Keine Componistin hat je epochemachend oder gar bahnbrechend gewirkt, keine ihren Weg durch unvergängliche Thaten bezeichnet.144

Und doch sei Musik »recht eigentlich die Kunst des Gemüths, spricht sie doch wie keine andere die Seele der Seele aus«, konstatierte Lipsius. Allerdings hielt sie es für »verhängnisvoll«, wenn Frauen versuchten, als Komponistinnen zu reüssieren. »[E]in um so ergiebigeres Ruhmesfeld« biete sich ihnen als ausübenden Künstlerinnen, hier teilten sie sich die Herrschaft über die Stimme und einzelne Instrumente […] vollberechtigt mit dem starken Geschlecht, und am Clavier zumal, dem modernen Lieblingsinstrument, auf dem sie selbständiger und unabhängiger als auf jedem andern ihre Kunst geltend zu machen vermögen, ringen sie vereint mit jenem um die Palme. An Stelle der die Idee repräsentirenden Composition, eröffnet sich ihnen in der die Verwirklichung derselben vertretenden Virtuosität ein unbestrittener Wirkungskreis.145

Damit führte Lipsius auf engem Raum vier Argumente des Gender-Diskurses aus dem 19. Jahrhunderts parallel  :146

144 La Mara 1882, S. VII f. 145 Ebd., S. VII f. 146 Vgl. dazu Kapitel 2.4.

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– die Musik als weiblich konnotierte musica (ein aus der Antike übernommener Topos), – die biologisch begründete Dichotomie von schaffender Männlichkeit und reproduzierender Weiblichkeit, – die Zuschreibung nur weniger Instrumente als für Frauen geeignet, – die Höherwertigkeit der Komposition gegenüber virtuoser Interpretation. Den letzten Punkt zumindest relativierte die Autorin, wenn sie virtuose Kunst­ ausübung in einen schöpferischen Akt wendete. Argumentativen Rückhalt holte sie sich von Franz Liszt, den sie im Vorwort zitierte  : ›Der Virtuos, […] scheinbar nur Interpret eines fremden Werkes, muß, indem er durch die Darstellungsform, die er einem gegebenen Stoff verleiht, das Ideal nachschafft, welches derselbe seiner Seele vorhielt, eben so sehr Poet sein wie Maler und Bildhauer […]. Nicht passive Dienerin der Composition ist die Virtuosität, denn von ihrem Hauche hängt Leben und Tod des ihr anvertrauten geschriebenen Kunstwerkes ab  ; sie kann es im Glanz seiner Schönheit, Frische, Begeisterung wiedergeben, oder es verdrehen, verunschönen, entstellen.‹147

Mit dieser Passage, die Lipsius einer Studie Liszts über die befreundete Clara Schumann entnahm,148 irritierte Liszt den zeitgenössischen Diskurs um Komposition, Interpretation und Virtuosität. Landläufig wurde davon ausgegangen, dass Virtuosität bloße Technik und Interpretation bloße Reproduktion sei. Allein im Komponieren zeige sich wahre Künstlerschaft.149. Die Autorin der Studienköpfe nutzte Liszts Interpretation der Rolle des ausübenden Künstlers dafür, die zunächst wegen ihres Mangels an »eigentlich gestaltende[r] Kraft« herabgesetzten Frauen doch zu Künstlerinnen zu erheben. So erhielten sie als Interpretinnen, »deren Gaben nur für uns, die Mitwelt, leben und die die Späterkommenden nur aus der Zeitgenossen Zeugniß kennen werden«150, Biographiewürdigkeit. Die

147 Ebd., S. VIII f. Heute würde Liszts Ansatz wohl unter das Stichwort des kulturellen Handelns fallen, das im Zuge der performativen Wende in den Kunstwissenschaften eine Gleichstellung aller Praktiken der Kulturausübung propagiert. 148 Lipsius legte die Quelle nicht offen. Es handelte sich dabei um den Aufsatz »Clara Schumann«, in  : Lina Ramann (Hg.)  : Gesammelte Schriften von Franz Liszt, Bd. 4, Leipzig 1882. 149 Vgl. Neumann 2011. Wie leicht sich dieses Schema stören ließ, hat Beatrix Borchard (2004) gezeigt. Vgl. dazu auch Kapitel 2.5. 150 La Mara 1882, S. X.

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Erinnerung an die flüchtige Kunst der Interpretinnen zu erhalten, war das zentrale Anliegen des Buches. Im Sinne der Musikkompositionsgeschichte der bisherigen Studienköpfe musste der fünfte Band wie ein Supplement wirken. Lipsius sorgte mit einigen strukturellen Veränderungen im Vergleich zu den Vorgängern auch dafür, dass dieser Eindruck noch verstärkt wurde. So wurden hier 24 statt bisher maximal sieben Personen porträtiert, wodurch jeder Tonkünstlerin deutlich weniger Raum zugestanden wurde als ihren männlichen Kollegen. Auch die Abfolge der Lebens­ skizzen folgte nicht wie bisher dem chronologischen Prinzip. Stattdessen ordnete Lipsius die Musikerinnen nach Instrumentengruppen  : zwölf Pianistinnen, eine Violinistin, elf Sängerinnen. Innerhalb der Abteilungen gab es kein erkennbares Ordnungsprinzip, außer dass Clara Schumann als »Alterspräsidentin« die Reihe anführte. Dazu hatte Franz Liszt der Autorin geraten, »obgleich ihr im Können die Neueren über« seien.151 Die für die Rezeption der Musikerinnen wohl gravierendste Veränderung bestand darin, die Werke der eben auch komponierenden Frauen nicht in eigenständigen Werkverzeichnissen zusammenzufassen, sondern lediglich in Fußnoten zu erwähnen. Die im Vorwort propagierte Unmöglichkeit weiblichen Komponierens stimmte mit der Realität nicht überein. Als hätte sie die Kompositionsleistungen der biographierten Musikerinnen verstecken wollen, ohne sie aber ganz zu verschweigen, verbannte Lipsius sie in die Fußnoten. Trotz aller oder vielleicht gerade wegen der demonstrativen Gender-Konformität, die Marie Lipsius in ihrem fünften Band an den Tag legte,152 boten sich der Autorin Möglichkeiten, das musikalische Handeln von Frauen zu würdigen. Mit Liszts Hilfe wurden die Interpretinnen zu schöpferisch tätigen Künstlerinnen, auch wenn die »Frauen im Tonleben der Gegenwart« am Ende außerhalb einer Musikgeschichte stehen mussten, die entlang von Komponistenheroen geschrieben wurde. Beispiele für Künstlermythen

Marie Lipsius ließ jede ihrer Einzelstudien einem Grundmuster folgen, das sie auf den ersten Seiten der jeweiligen Biographie kurz umriss. Entlang dieser Mus151 La Mara 1917b, S. 248. 152 Es bleibt zu fragen, inwieweit die Biographierten selbst ihre Geschlechterkonformität betonten und der Autorin entsprechende biographische Informationen weitergaben. Exemplarisch hat James Deaville (2006b) den Versuch einer Rekonstruktion der Zusammenarbeit von Biographin und biographierter Musikerin gemacht.

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ter erzählte sie dann die persönlich-künstlerische Geschichte der Musikerinnen und Musiker. Indem auf allgemein bekannte Topoi rekurriert wurde, konnten sich die Leserinnen und Leser ihrer musikhistorischen Kenntnisse vergewissern, gleichzeitig erhielten die Topoi eine erneute Bestätigung. Die Autorin füllte das Stereotyp-Bekannte mit biographischen Detailinformationen an und leistete mit dieser Mischung den Unterhaltungs- ebenso wie den Bildungsansprüchen ihres Publikums Genüge.153 Etliche Künstlermythen und -topoi ließen sich aufzählen, die in den Biographien der Musikalischen Studienköpfe nachgebildet sind. Da gibt es beispielsweise den unverstandenen Künstler (Berlioz), den heroischen Künstler (Beethoven), den frühverstorbenen Künstler (Schubert), den emsigen Künstler (Cherubini), den genießenden Künstler (Rossini), den harmonisierenden Künstler (Mendelssohn), den selbstzweifelnden Künstler (Bülow) …154 Die meisten dieser Motive sind sehr alt. Sie lassen sich zum Teil wiederum bis auf antike Künstleranekdoten zurückführen, die in der Renaissance in die Künstlerviten übernommen wurden und darüber den Weg in die moderne Biographik fanden.155 Hier interessieren besonders jene Künstlermythen, die im 19. Jahrhundert die Vorstellungen von Künstlerschaft prägten  – Vorstellungen, die trotz aller poststrukturalistischen Wendung gemeinhin immer noch gültig sind. In geradezu idealtypischer Form treten sie in den ersten drei von Marie Lipsius publizierten Lebensbildern in Erscheinung  : Bei Robert Schumann, Frédéric Chopin und Franz Liszt wird der Künstler als Individualität, als Einheit von Leben und Werk und als sakral-mythischer Schöpfer konnotiert. Diese drei Mythen überlagern sich und sind allesamt auf die Subjektivierungstendenzen der bürgerlichen Bewegung zurückzuführen. Die »romantische Praktik des Musikhörens« sei, so Andreas Reckwitz, wie die romantische Naturbetrachtung, eine nichtsprachliche Technologie des Selbst, die »auf die Hervorbringung eines ebenso ›anregenden‹ wie das Denken ersetzenden gefühlsmäßigen Erlebens gerichtet [sei], in dem das souveräne Ich gewollt die Kontrolle über sich verliert und sich in einer emotionalen, als ›ganzheitlich‹ empfundenen Stimmung aufhebt.«156 Der Künstler wurde zur Projektionsfläche dieser Vorstellung. 153 Seit dem 18. Jahrhundert konstituierte sich die Unterhaltungsliteratur aus den beiden Funktionen Nutzen und Erfreuen (vgl. Kapitel 2.6). 154 Etliche dieser Künstlermythen wurden 2008/2009 in der Ausstellung Im Tempel der Kunst. Die Künstlermythen der Deutschen in der Alten Nationalgalerie in Berlin veranschaulicht. 155 Vgl. Hellwig 2005. 156 Reckwitz 2006, S. 226 f.

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Der Künstler als Individualität

Der »künstlerischen Individualität«157 wurde in einer Welt der Rationalisierung und Normierung die gegensätzliche Position von Autonomie und Freiheit zugeschrieben. Wolfgang Ruppert, der den modernen Künstler kulturhistorisch vermessen hat, fasst die ihm in der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts zufallende Rolle zusammen  : Je weniger sich die Utopievorstellung der befreiten Humanität, des bürgerlichen Aufbruchs des ausgehenden 18. Jahrhunderts in der Realität der Industrie- und Konkurrenzgesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einlöste, um so mehr wurden die ins ›allgemein Menschliche‹ transferierten Ideale der ›höheren‹ Sphäre der Kunst zugewiesen  : Diesem kulturellen und ästhetischen Sonderbereich des ›Wahren, Schönen und Guten‹ sollte der Künstler Ausdruck und Sprache verleihen. Seine Verwalterschaft der Ideale und sein entdeckendes Sehertum waren ein in höchstem Maße mit der Inszenierung von Mythen liiertes Amt.158

Der Künstler wurde zum Gegenbild der widersprüchlichen, modernen (Arbeits-) Welt, in der sich die Bürger zerrieben fühlten zwischen politischer Autorität, gesellschaftlichen Normen und zunehmender Technisierung. Die Hoffnung auf Spannungsausgleich wurde auf das Künstlergenie projiziert, das »aufgrund einer besonderen Begabung und einer individualisierten Wahrnehmungskompetenz«159 der zweckrationalen und entfremdeten Wirklichkeit entgegentreten könnte, angeblich frei von Zwängen und Normen. Dieser Widerstand gegen die objektive Welt wurde abgeleitet aus der »Wahrnehmung und Erfahrung seines Inneren, seiner ›Seele‹, als einer in Bewegung befindlichen Instanz der Subjektivität, aus der die Produktion des Selbst, von Identität und Individualität, er­folgte.«160 Mittels einer aus innerstem Erleben entstandenen Kunst die Hörerinnen und Hörer in ihre eigene Innenwelt führen, so lautete das definierte Ziel der bürgerlichen Musikkultur. An Frédéric Chopin konnte Marie Lipsius diesen Topos besonders plausibel machen. Er sei »ein Dichter, ein Träumer und Phantast [gewesen] – nichts weiter – freilich dies alles in hochbedeutungsvoller, genialischster 157 In der zeitgenössischen Kunstkritik war dies ein oft gebrauchter Topos (vgl. Ruppert 1998, S. 253). Dass der individualisierte Künstler zwangsläufig ein einsamer Künstler sei, lautete ein daran anschließendes Stereotyp. 158 Ebd., S. 278. 159 Ebd., S. 275. 160 Ebd., S. 263.

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Art«161. Auch wenn man Chopin wegen seiner polnischen Herkunft nicht mit den »gewaltigen, titanenhaften Gestalten eines Beethoven und Bach, oder anderer unserer musikalischen Heroen« vergleichen dürfe – seine Individualität162 mache ihn (über nationale Zuschreibungen hinweg) zu einer Ausnahmeerscheinung  : Seine Empfindungsweise ist eben eine andere als die unsere. Selbst die den deutschen Idealismus so anheimelnde Welt der Romantik erscheint uns, von diesem individuellsten Geiste reproducirt, neu und fremdartig und die uns so sympathische Weise stiller Träumerei gewinnt bei ihm eine veränderte Physiognomie. Chopin träumt mehr aus sich heraus, als in sich hinein, wie es deutsche und vornehmlich des deutschesten Meisters, Robert Schumann’s, Art. Mag es sein, daß ein vollkommenes Verständniß des Meisters erschwert erscheint für den, der als ein geistiger Fremdling jenem eigenartigen Land und Volk gegenübersteht, dem er entstammt  ; mag es sein, daß man die ganze Schwere des nationalen Unglücks, die ganze Tragik des Geschickes Polens nach empfunden haben muß, um die Schmerzenslaute zu verstehen, die dasselbe der Brust eines seiner treuesten Söhne abgerungen  : genug, es finden sich unter uns […] doch nur wenige, die diesen Einzigen würdig zu interpretiren vermögen.163

Chopins Individualität grenzte Lipsius gegen die Robert Schumanns ab. Während dieser »[m]it dem vollen Bewußtsein der Rechte des Künstlers […] eine unumschränkte Freiheit und Selbstständigkeit für sein Schaffen, sowohl nach Form als nach Inhalt, zu wahren verstanden«164 habe, offenbare jener uns »keine absolute Schönheitswelt«, sondern eine »völlig eigenartige, durchaus subjective – die subjectivste vielleicht, die uns je eine Künstlerseele erschlossen.« Die Individualität erscheint in gesteigerter Form, wenn sie sich, wie bei Schumann, nach Innen kehre. Während Chopin »mit vollem Bewußtsein« geschaffen habe, habe Schumann lediglich seiner Künstlerseele zum Ausdruck verholfen. Seine Schöpfungen […] wollen wie wenige verstanden sein, aber sie verdienen es auch wie wenige verstanden zu werden. In jeder einzelnen derselben hat Schumann ein 161 La Mara 1868, S. 200. 162 Dass Marie Lipsius gerade Chopin als Beispiel künstlerischer Individualität heranzog, hat sicher auch mit der 1852 unter dem Titel F. Chopin in französischer Sprache erschienenen Studie von Franz Liszt zu tun. Neben »Chopins Virtuosität« behandelte Liszt darin auch »Chopins Individualität«. 1880 übersetzte Lipsius die Studie ins Deutsche. 163 La Mara 1868, S. 203. 164 Ebd., S. 200.

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Stück seines Selbst niedergelegt, darum ist auch sein Schaffen untrennbar von seinem Sein und Leben, untrennbarer vielleicht als dasjenige irgend eines Meisters.165 Die Einheit von Leben und Werk

In der Charakterisierung Schumanns führte Lipsius dessen Genialität auf die untrennbare Einheit von Schaffen und Sein zurück. Dass das Kunstwerk M ­ edium des Ausdrucks der Künstlerseele sei, war seit der Romantik ein fester Topos. Die Rolle von Ausbildung und handwerklichem Können wurde dagegen heruntergespielt und in die Virtuosität ausgelagert.166 Die Genieästhetik gründete auf der naturhaften Zuschreibung von Können als Talent und Geist. In der Fähigkeit, diese natürlichen Anlagen gegen profane Widerstände ins Werk setzen zu können, zeige sich wahre Künstlerschaft. Nach antiken Überlieferungen war das künstlerische Werk allerdings nicht allein Ausdruck der Ideen und Gedanken des Künstlers. Es stand vielmehr geradezu in einem körperlichen Zusammenhang mit seinem Schöpfer  : wie ein Kind gezeugt, geboren und großgezogen. Als antike Meistererzählung dieses Schöpfungsbildes machten Ernst Kris und Otto Kurz folgende Anekdote ausfindig  : »Ein Maler wird gefragt, wieso es komme, daß seine leiblichen Kinder so häßlich seinen im Gegensatz zu seinen gemalten. Als Ursache gibt er an, daß er die einen bei Tageslicht, die anderen nachts mache.«167 Die Kongruenz von leiblicher und künstlerischer Zeugung, also die Sexualisierung des künstlerischen Schaffensprozesses lebe in der Kulturtheorie fort, wenn unter dem Begriff der Sublimierung der Zusammenhang von schöpferischer Leistung und Triebwesen psychologisch fundiert werde.168 Stephanie von Wurmbrand-Stuppach stellte Marie Lipsius einige ihrer neuen Kompositionen vor, indem sie von ihren »jüngsten Musenkinder[n]« sprach, die die »Frucht einer langen Winterarbeit« seien.169 Die Komponistin nutzte das ›männlich‹ konnotierte Bild vom musikalischen Werk als leiblichem Kind auch, um ihren Anspruch zu bekräftigen, als schaffende Künstlerin wahrgenommen zu werden. Sie bringe mit ihren Kompositionen eine achtbare Leistung, habe aber unter den Ressentiments, die ihr als Frau entgegengebracht würden, zu leiden. 165 Ebd., S. 168. 166 Vgl. Kapitel 2.6. 167 Kris/Kurz 1995 [1934], S. 147. 168 Ebd., S. 148. 169 Brief von Stephanie von Wurmband-Stuppach an Marie Lipsius vom 17.10.1885, D-LEsm A/637/2010.

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»Eine Frau  ! Als ob läge nicht ein Berg von Vorurtheilen und Hindernissen vor uns – die noch alle recht zöpfig sind  !«170 Wenn Frauen das Bild der leiblichen Schöpfung für ihre Werke bemühten, reduzierten sie sich mitnichten auf die ihnen zugeschriebene Rolle der reproduzierenden Frau, sondern übernahmen die Rolle des schöpferischen Mannes. Der Künstler als Schöpfer

Das romantische Ideal des autonomen und selbstreferentiellen Künstlers liege in den Vorstellungen begründet, die das Bürgertum sich von der Renaissance gemacht habe, erklärt Wolfgang Ruppert. Es sei das Bild des sich aus Religion und Stand emanzipierenden Subjektes gewesen, künstlerisch wie technisch zu Höchstleistungen fähig, das die historische Konstruktion der Renaissance im 19. Jahrhundert bestimmt habe. Dieses Bild der Renaissance sei allerdings vornehmlich den eigenen Projektionswünschen gefolgt.171 Wenn sich der Mythos vom Künstler als Schöpfer im Blick auf die Renaissance festigte, dann war damit der Bogen zu noch viel älteren Erzählungen geschlagen. Die Urerzählung war wiederum eine antike Anekdote. Sie berichtet davon, wie zwei Maler versuchten, sich in ihrer Künstlerschaft zu übertrumpfen. Beide führten ihren Gegenspieler in die Irre, indem sie ihm eine Realität vortäuschten, die nur gemalt war. Auch dieses Motiv führen Kris und Kurz wiederum auf mythologische Erzählungen zurück, nach denen der Künstler fähig war, die Wirklichkeit nicht nur täuschend echt nachzubilden, sondern sie gemalt lebendig werden zu lassen, so dass ein etwaiger Betrachter unmittelbar darauf reagieren kann  : Der eine meinte, das von ihm beauftragte Werk sei hinter einem (nur gemalten) Gitter verschlossen, das sich erst öffnet, wenn er seine Rechnung begleicht. Der andere wollte von den Trauben naschen, die der Maler auf die Leinwand gebracht hat. Wieder ein anderer verliebte sich unsterblich in eine porträtierte Frau. Die in den Anekdoten ausgedrückte Schöpferkraft rücke den Künstler in Gottesnähe, so Kris und Kurz. Damit handele sich der Künstler allerdings auch den Neid der Götter ein. Weil der Maler sich mit seiner schöpferischen Kunst über seinen eigentlichen Kompetenzbereich erhebe, werde er von den Göttern bestraft. Daher durchziehe das »Doppelbild des Künstlers als böser Zauberer und gewaltigen Schöpfer« seit der Antike die Vorstellung vom Künstler.172 170 Kris/Kurz 1995 [1934], S. 148. 171 Ruppert 1998, S. 258–261. 172 Kris/Kurz 1995 [1934], S. 89–120.

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Dieses Doppelbild bemühte auch Marie Lipsius in der Charakterisierung Franz Liszts, dem »Zauberer von der Altenburg«173. »Groß und feurig, wie ein wunderbar Gestirn« sei er am Himmel der Kunst emporgestiegen, sein Licht habe die Sinne geblendet und »der Weltlauf […], zu dem er berufen«, habe »weitere Bahnen als derjenige gewöhnlicher Sterblicher« durchmessen. Den Schlüssel zum »Geheimniß seiner Erscheinung« sieht Lipsius »in der seltsamen Vermählung der entgegengesetzten Elemente – des Dämonischen und des Göttlichen, die bei ihm, wie wohl in ähnlicher Weise bei keinem zweiten Genius zum Ausdruck kommt.«174 Das dualistische Motiv von Dämon und Gott ist ein religiöser Gründungsmythos. Beide, das Göttliche und das Dämonische, haben einen gemeinsamen Ursprung und existieren nur durch das jeweils andere. Aus der sich daraus ergebenden Spannung leitete Marie Lipsius auch Liszts Größe ab. Es sei eben »die Verbindung jener beiden scheinbar unversöhnlichen Gegensätze, die die großartige Eigenthümlichkeit seiner Natur« bedinge.175 Der Künstler als Kontrastbild zur rationalisierten Welt übernahm eine quasireligiöse Funktion. Nachdem die Religion im Zuge der stetigen Säkularisierung keine sinnstiftende Kohärenz mehr herstellen konnte, wurde der Kunst und mit ihr dem Künstler diese Rolle zugeschrieben. Besonders in den Jahren nach der Reichsgründung verstärkte sich die Tendenz der Sakralisierung der Kunst. Als Gegengewicht zur politischen Autorität des Staates suchte das Bürgertum nach kunstästhetischer Autorität  : ›Der Maler‹ und ›der Musiker‹ avancierten in besonderer Weise zu Trägern des wachsenden Künstlerkultes, auf die die sakralen und magischen Fähigkeiten des ›Sehers‹ projiziert wurden. Der Künstler verkörperte damit die in der bürgerlichen und zivilisatorischen Rationalität nicht aufgehobenen psychischen Befindlichkeiten und Erfahrungen […].176

Kunst wurde zur Kunstreligion. Ihr schrieb man die geradezu magische Kraft zu, das entfremdete Subjekt zu individualisieren. Das war der auf die Einzelperson gerichtete Teil der Projektion. Der andere Teil sah in der Kunst ein Instrument, die politische Einheit des Staates zu legitimieren und zu festigen. Es waren die

173 174 175 176

La Mara 1917a, S. 25. Das Bild des Zauberers bemüht Lipsius in ihrer Autobiographie mehrfach. La Mara 1868, S. 235 f. Ebd., S. 236. Ruppert 1998, S. 284.

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»Mythen der Nation und der Kunst«177, die neue Sinnbezüge anboten und so die Identität des Einzelnen wie auch des Staates (wieder) herstellten.178 Das mythologische Motiv des Künstlers, der die Realität mit seiner Kunst so täuschend echt nachbilden konnte, dass sie zur zweiten Realität wurde, lebt in allen Versuchen fort, das Vergangene durch Bildhaftmachen in Erinnerung zu behalten.179 Erinnerungsbilder sind dabei nie neutral, sondern wollen die Art und Weise mitbestimmen, in der erinnert wird. Wer das Bild hat, hat die Macht.180 Marie Lipsius nannte ihre biographischen Studien »Skizzen«. Sie sollten den porträtierten Musikern zu Anerkennung verhelfen,181 ihnen ein Denkmal ­setzen.182 Die Biographin wurde damit selbst zur Schöpferin, die die Erinnerungskultur beeinflussen wollte. Dass dies viel eher mithilfe etablierter und für die Sinnstiftung der bürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts so wichtiger Topoi erreicht werden konnte als entlang rein persönlicher Erlebnisse und Empfindungen, wusste Marie Lipsius geschickt einzusetzen. Künstlerinnenmythen

Die Porträts der »Nachtigallen«183, und damit meinte Lipsius nicht nur die Sängerinnen, sondern alle von ihr biographierten Frauen, stellten die Künstler­ mythen auf die Probe. Einerseits sollten die Musikerinnen alle Kriterien von Künstlerschaft erfüllen, denn erst ihr musikalisches Ausnahmetalent rechtfertigte die biographische Würdigung durch Marie Lipsius, einen der »beliebtesten Autoren auf dem Gebiete der Musikercharakteristik«184. Andererseits durfte die Grenze der Geschlechterkonvention nicht überschritten werden. Die Lebensbilder mussten also künstlerische Individualität, Leben-Werk-Einheit und geniale Schöpferkraft mit ›weiblichen‹ Eigenschaften verknüpfen. Für die Pianistin Sofie Menter sah das dann folgendermaßen aus  :

177 Ebd., S. 281. 178 Wie stark sich auch die Musikgeschichtsschreibung an der Konstruktion der Verbindung von Nation und Kunst beteiligte, zeigen Erich Reimer (1993) und Frank Hentschel (2006). 179 Vgl. Assmann 1992. 180 Vgl. Paul 2013. 181 Vgl. La Mara 1868. 182 Vgl. La Mara (Hg.) 1893, S. V. 183 La Mara 1917a, S. 371. 184 Otto Leßmann  : »Rezension  : Musikalische Studienköpfe«, zit. nach  : Kulturhistorisches Museum Wurzen, Rezensionsalbum.

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Eine bis in’s Einzelnste plastisch ausgemeißelte Technik, ein männlicher Ernst in Bewältigung des geistigen Theils ihrer Aufgaben, dabei Poesie und Wärme der Empfin­ dung, Glanz und Feuer der Darstellung, ein hinreißendes Temperament, das auch beim Kühnsten Sichgehenlassen der Schönheit und der Anmuth seine Grenze echt weiblich nie berührt und vornehm stets die äußere Ruhe wahrt, ein großer, urkräftiger Zug der Virtuosität, der, widerspruchsvoll genug, mit Schonung des zartesten Details sich paart, eine üppige Fülle und Farbengebung des Tons, die jeder, auch der leisesten Gefühlsnüance gerecht wird und für die gegensätzlichsten Stimmungen stets das entsprechende Colorit, die rechte Beleuchtung bei der Hand hat […]  : das ist die Signatur der Virtuosin und genialen Musikerin zugleich, als welche Sofie Menter vor uns hintritt.185

Die »Lieblings-Claviertochter«186 Liszts konnte offensichtlich Frau, ­V irtuosin und geniale Musikerin zugleich sein und doch ihre »Grenze echt weiblich nie berühr[en]«. Künstlerische Genialität und interpretierende Musikerin – es schloss sich nicht aus. Auch die Pianistin Ingeborg von Bronsart sei ein »weibliche[r] Genius«187 und die Sängerin Pauline Viardot-Garcia eine »Frau von Genie und Gelehrsamkeit«188, die sich überdies durch den »Zauber ihrer genialen Individualität«189 auszeichne. Es fällt auf, dass Lipsius denjenigen Frauen geniale Züge zuschrieb, die neben ihrer Virtuosinnenkarriere auch komponierten. Im Schaffen dieser Frauen meinte Lipsius das wichtigste Merkmal künstlerischer Individualität zu erkennen  : die Spannung von göttlichen und dämonischen Kräften. Als künstlerische Triebfeder konnte diese Spannung offensichtlich auch Frauen zugeschrieben werden, ohne dass diese (und die Biographin) damit vor den Leserinnen und Lesern diskreditiert würden. Lipsius wählte nun zwei Varianten, die Künstlerinnen­ werdung zu erklären  : Entweder gab es bereits in der Familie musikalische Vorbilder und Vorbildung, die der Tochter ihren Weg vorzeichnete, oder aber sie musste im »Kampf gegen die Verhältnisse«190 ihre Künstlerschaft durchsetzen. Diese Gründungsmythen, wiederum auf antike Erzählungen zurückgehend,191 waren nicht gegendert. Mit günstigen oder weniger günstigen Startbedingun185 La Mara 1882, S. 21 f. 186 Ebd., S. 21. 187 Ebd., S. 138. 188 Ebd., S. 192. 189 Ebd., S. 202. 190 Ebd., S. 349. 191 Vgl. Kris/Kurz 1995 [1934], S. 52–63.

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gen konnten Männer wie Frauen konfrontiert sein. Es sei dann ein »Aufgebot körperlicher und geistiger Kraft« nötig, um sich der »Macht des Einflusses« entgegenstemmen zu können, »den Herkommen und Erziehung, Traditionen und Lebensgewohnheiten des Hauses und der Familie naturgemäß üben«. Indem das gelinge zeige sich, so Lipsius in ihrer Lebensskizze über die Sängerin Marianne Brandt, eine besonders große »Begabung, ein Talent oder Genie von Gottes Gnaden«.192 Marie Lipsius nutzte zuweilen die Äußerungen Dritter, um sich von ihnen die außergewöhnliche Künstlerschaft der Musikerinnen bezeugen zu lassen.193 Für die Violinistin Wilma Neruda-Norman zitierte sie beispielsweise Hans von Bülow, der die »Geigenfee« in einem Aufsatz gepriesen hatte  : ›Des Einzigen [ Joseph Joachim] einziger Rival‹, so hieß es [bei Bülow], ›lebt in England, dieser Er ist eine Dame und diese Dame heißt Wilma Neruda-Norman.‹ […] ›Frau Neruda’s Technik zu preisen‹, sagt er, ›wäre eben so abgeschmackt als materialistisch. Wer spricht von Joachim’s Mechanismus  ? Der Geist, die Seele, das Leben, die Wärme, der Adel, der Stil, die aus der innigsten Vertiefung in das Kunstwerk, aus dem liebevollsten Aufgehen in demselben sich entfaltende Hoch-Blüte idealer Individualität, die verklärte Auferstehung des Subjects als Lohn für seine Hingebung an das Object, darin liegt das Machtgeheimiß dieser Zauberin über die Herzen der Zuhörer. Darin ist sie groß und rein wie Joachim, darin ist sie so einzig wie Er. Das ist’s, was bewirkt, daß man ihr mehr als »talent hors ligne«, daß man ihr Genie, also Talent in höchster Potenz zuzuerkennen hat.‹194

Bülow schien hier mit den Geschlechterzuschreibungen zu spielen. Einerseits nivellierte er die Geschlechter  : Nerudas Individualität, geboren aus ihrer Genialität bei aller Erhabenheit über das Technische stehe der des Geigenvirtuosen Joseph Joachim in nichts nach. Andererseits grenzte er beide voneinander ab  : Aus dem Umstand, dass es eine Dame sei, die Joachim Konkurrenz mache, zog Bülow die Pointe seines Artikels.

192 La Mara 1882, S. 349. 193 Das Phänomen, dass Künstlerinnen Aussagen von Männern zitierten, wenn sie sich positiv darstellen wollten, beschreibt auch Charlotte Heinritz (2000, S. 426) für die von ihr untersuchten Künstlerinnenautobiographien. Über diesen Umweg konnte das weibliche Bescheidenheitstopos gewahrt werden. Den Umweg über die Zeugenschaft Dritter nutzten andererseits auch männliche Künstler, um sich als redliche Künstler auszuweisen (vgl. z. B. Unseld 2013, S. 44 f.). 194 La Mara 1882, S. 179 f.

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Vielleicht war Bülows Unentschiedenheit den Ambivalenzen geschuldet, die eine Frau als Virtuosin eines ›männlichen‹ Instruments im 19.  Jahrhundert auslöste. Dass nämlich Neruda in den Musikalischen Studienköpfen als einzige Geigerin zwischen zwölf Pianistinnen und elf Sängerinnen porträtiert wurde, spiegelt die Normierung des weiblichen Instrumentalspiels wider. Gesang und Klavierspiel waren für Frauen konform. Die Geige allerdings wurde ihrer Form und ihres Klanges wegen mit einem weiblichen Körper assoziiert. Geigerinnen brachen also die Geschlechternorm in mehrfacher Hinsicht  : Erstens mussten sie sich ›unweiblich‹ kleiden, um die nötige Bewegungsfreiheit zum Geigenspiel zu haben. Zweitens galten die Bewegungsabläufe selbst als ›unweiblich‹, sie wurden als eckig oder gar cholerisch bezeichnet. Freia Hoffmann sieht den gravierendsten Normbruch allerdings darin, dass Geigerinnen ihre männlichen Kollegen in dessen Männlichkeit erschüttert hätten, indem sie ihnen, im übertragenen Sinne, die Position als Bezwinger des weiblichen Körpers streitig gemacht hätten.195 Zur Würdigung einer derartig die Konvention brechenden Künstlerin wie Wilma Neruda zog Lipsius es daher wohl vor, einen anerkannten Kollegen in ihrem Sinne sprechen zu lassen. Freilich war das letztendliche Urteil, ob eine Musikerin nun genial oder eher »keine auf das Ideale gerichtete Künstlernatur«196 sei, alles andere als ­objektiv. Die Zuschreibung künstlerischer Individualität folgte, egal ob die Künstler nun männlich oder weiblich waren, impliziten Kategorien, die nur selten an die Oberfläche kamen. Entweder konnte sich die Würdigung einer allgemeinen Überzeugung anlehnen, nach der die Künstlerschaft einer Musikerin oder eines Musikers längst öffentlich anerkannt war. Oder aber, und das war beispielsweise bei der biographischen Skizze über die Sängerin Marie Wilt der Fall, die betreffende Person wurde nach ganz eigenen, persönlich motivierten Maßstäben bewertet. Lipsius war der Meinung, die objektive Kritik könne Marie Wilt nicht gerecht würdigen, denn man müsse der Sängerin nahestehen, um sie zu lieben. »[A]us der Ferne lernt sich das ihr gegenüber nicht. Nicht zu den Erscheinungen gehört sie, welche die Sympathien unwillkürlich gefangen nehmen  ; nicht die beneidete Mitgift der Schönheit legte ihr die Vorsehung in die Wiege.« Doch wer sie singen höre, der fühle, »daß sie den Preis ihrer künstlerischen Größe durch ein einsames, an trüben Erfahrungen reiches Leben zahlt«.197 Lipsius war mit Wilt befreundet, und als Gegenspielerin einer Kritik, die an der Sängerin oftmals 195 Vgl. Hoffmann 1991, S. 174–195. 196 La Mara 1882, S. 253. 197 Ebd., S. 289 f.

»Gräfin Bio«: Musikalische Studienköpfe

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kein gutes Haar ließ, betonte Lipsius hingegen die »Fülle von Gutherzigkeit, dankbarer Treue, anspruchsloser Liebenswürdigkeit und künstlerischer Gewissenhaftigkeit, die die geniale Frau« schmücke.198 Zufall, dass es die ›weiblichen‹ Tugenden waren, die sie an ihrer Freundin rühmte  ? Die Normen und Konventionen der Weiblichkeit sind an vielen Stellen der Porträts präsent. Da »entsagten« Musikerinnen ihrem Beruf nach der Eheschlie­ ßung (Anna Mehlig), pflegten gern »in häuslicher Stille Zeichenkunst und weibliche Arbeiten« (Mary Krebs), hatten die ebenfalls künstlerisch tätigen Ehemänner »viel Einfluss« auf die »musikalische Entwicklung« ihrer Gattinnen (Ingeborg von Bronsart), brachten Lehrer »Ordnung in das Wesen« ihrer wider­spenstigen aber talentierten Schülerin, um sie anschließend zu heiraten (Annette Essipoff-Leschetizky), wurde von der »höchsten Instanz im Clavierspiel« (selbstverständlich Liszt) ein »Creditbrief für die Kunstwelt« vergeben (Laura Kahrer-Rappoldi) … War für männliche Künstler die gedachte Einheit von Leben und Werk ein stabilisierendes Moment ihrer Künstlerschaft, traf für Künstlerinnen das Gegen­ teil zu  : Durch ihre Künstlerschaft setzten sie die Einheit außer Kraft, stellte doch ihre Kunstausübung eine Konkurrenz zur ›weiblichen‹ Rolle als Familiendienerin dar. Die Funktion (auto)biographischer Texte war dann immer auch, ihre geschlechtliche Identität wiederherzustellen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Charlotte Heinritz bei der Untersuchung weiblicher Autobiographien. Die Autorinnen hätten sich immer in irgendeiner Weise mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wie Berufstätigkeit und Weiblichkeit vereinbar seien. Künstlerinnen hätten dabei im Vergleich zu ihren politisch, sozial und/oder pädagogisch engagierten Kolleginnen den größeren Spielraum gehabt, ihre Kunst mit ihrer Geschlechtsidentität übereinzubringen.199 Es waren stets nur kleine, kaum merkliche Abweichungen der Geschlechternorm, die Marie Lipsius ihren 24 Musikerinnen zugestand. Über die Sängerin Amalie Joachim schrieb sie beispielsweise  : »Fern liegt, das ist gewiß, dem weiblichen Wesen im Allgemeinen solch selbstloser Objectivismus, und nur wenige unter den Frauen bekennen sich zu ihm. Vielleicht keine entschiedener als die Künstlerin, von der wir reden.«200 Das Ideal einer ›weiblichen‹ Verbindung von Leben und Kunst sah Lipsius in Clara Schumann realisiert. Sie konnte da auf einen Allgemeinplatz zurückgreifen, denn gemeinhin galt die Künstlerehe von Clara und Robert Schumann als Ideal sich ergänzender Geschlechtscharaktere 198 Ebd., S. 291. 199 Heinritz 2000, S. 429. 200 La Mara 1882, S. 316.

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und musste sich alle möglichen Zuschreibungen gefallen lassen.201 Lipsius ließ Franz Liszt dieses Idealbild auf den Punkt bringen und zitierte eine längere Passage, die aus Liszts Aufsatz über Clara Schumann stammte  : Es war keine glücklichere, keine harmonischere Vereinigung in der Kunstwelt denkbar, als die des erfindenden Mannes mit der ausführenden Gattin, des die Idee repräsentirenden Componisten mit der ihre Verwirklichung vertretenden Virtuosin. Beide übten die Kunst nach verschiedenen aber gleich bedeutenden Richtungen aus. Interpreten desselben poetischen Gefühls, schauten und verkündeten sie dasselbe Vorbild des Schönen, waren sie von demselben Abscheu gegen Triviales in der Kunst, von derselben Ehrfurcht für gleiche Eigenschaften erfüllt. Hand in Hand gehend, trugen sie gleiche Kränze und gleiche Palmen, ernteten sie gleichen Beifall  ; denn ihn oder sie bewundern heißt Beide bewundern, die in verschiedenen Zungen aber im herrlichsten Einklang sangen. Die Annalen der Kunst werden Beider Gedächtniß in keiner Beziehung trennen und ihre Namen nicht vereinzelt nennen können, die Zukunft wird mit einem goldnen Schein beide Häupter umweben, über beiden Stirnen nur einen Stern erglänzen lassen, wie auch ein berühmter Bildner unserer Zeit [Ernst Rietschel] die Profile des unsterblichen Paares schon in einem Medaillon vereinigt hat.202

Das romantische Ideal der in ihrer Gegensätzlichkeit sich ergänzenden Geschlechter wurde bei Clara und Robert Schumann auf ihre Künstlerschaft übertragen. So schien Clara Schumanns Künstlerinnenleben erst in der Verschmelzung mit ihrem Ehemann vollkommen zu werden. Analog bei Robert Schumann. Die Leben-Werk-Einheit verwandelte sich sozusagen in eine Leben-WerkLeben-­­Einheit, in der jedem der Partner die Aufgabe zukam, die Künstlerschaft des jeweils Anderen vollkommen zu machen. Marie Lipsius entwickelte ihre Künstlerinnenporträts vor Mustern und Idealbildern. Im Kontrast zum Ideal der genial schöpferischen Künstlerin erschienen die Karrieren derjenigen, die ›nur‹ als Interpretinnen auftraten, allerdings umso konventioneller. Ein Rezensent pointierte den fünften Band der Musikalischen Studienköpfe daher wie folgt  : »Junge Damen würden aus dem Buch erfahren, daß die meisten der Genannten aus kleinen Verhältnissen durch Fleiß sich emporgeschwungen.«203 So bestätigte das Buch die normativen Zuschreibungen von 201 Vgl. Borchard 1985. 202 La Mara 1882, S. 11 f. 203 Anon.: »Rezension  : Musikalische Studienköpfe, 5. Bd.«, Cölnische Zeitung (1882), zit. nach  : Kulturhistorisches Museum Wurzen, Rezensionsalbum.

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künstlerisch tätigen Frauen, würdigte aber auch die Leistungen Einzelner – als Ausnahmeleistung zwar, also als unvorhergesehene Abweichung, aber immerhin als individuelle Leistung gegen mancherlei Widerstände. 3.3 »Dem Ideal der Virtuosen«: Briefeditionen Der fünfte Band ihrer Musikalischen Studienköpfe bedeutete für Marie Lipsius den Abschluss ihrer biographischen Arbeit. Lebensgeschichtliche Artikel erschienen in den Folgejahren nur noch aus Anlass von Geburts- oder Todestagen, meist handelte es sich dabei um überarbeitete Wiederabdrucke bereits publizierter Texte.204 Seit Mitte der 1880er-Jahre widmete sich Lipsius vornehmlich dem Sammeln und Edieren von Musikerbriefen. Zunächst galt ihr Interesse sämtlichen auffindbaren und bisher unveröffentlichten Briefen von den Alten Meistern bis zu Zeitgenossen. An Archive und Institutionen im In- und Ausland schickte Lipsius unzählige Anfragen mit stets gleichem Wortlaut  : Zum Besten einer wissenschaftlichen Arbeit  : einer Sammlung von ungedruckten Briefen berühmter Musiker aller Zeiten u. Nationen, für die ich in deutschen, österreichischen u. französischen Archiven, Bibliotheken etc. ein reiches Material sammelte, erlaube ich mir die ergebene Anfrage, ob sich vielleicht im […] einige Briefe oder Eingaben etc. von […] vorfinden  ? Bejahenden Falls würden Sie mich durch gütige Besorgung einer getreuen Abschrift mit Beibehaltung der Original-Orthographie u. Beifügung der Adresse (wenn solche vorhanden), sowie der auf beifolgendem Pauspapier durchzuzeichnenden Facsimiles der Namensunterschrift zu ganz außerordentlichem Dank verbinden. Selbstverständlich würde ich mich beeilen, Ihnen alle Ihre Auslagen umgehend wieder zu erstatten.205

Die Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten, in denen Lipsius die Früchte ihrer Sammeltätigkeit präsentierte, ernteten gute Kritiken. Joseph Sittard schrieb 1886 für den Hamburgischen Correspondent, die Sammlung dürfe »immerhin […] als ein werthvoller Beitrag zur Cultur- und Musikgeschichte betrachtet werden«. Zwar könne einem großen Teil der Briefe »keine besondere Bedeutsamkeit des Inhalts« zugesprochen werden, doch enthielten die meisten von ihnen interessante Einzelheiten, »welche für die geistige Eigenart des Künstlers charakteristisch 204 Vgl. Anhang 6.1. 205 Vgl. z. B. D-LEsm A/381/2010 und A/402/2010, außerdem La Mara 1917b, S. 102.

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sind.« Sittard beruft sich in seiner Rezension auf die allgemeine Wertschätzung von Briefen berühmter Künstler, denn anhand ihrer eigenen Worte seien diese zu charakterisieren. Briefe »offenbaren uns die verborgensten Falten ihres Gemüths, enthüllen uns den ganzen Menschen in seinem Denken, Fühlen und Empfinden.«206 Dieser Meinung war auch Marie Lipsius. Anhand seiner eigenen Worte in Briefen sollte der Charakter Franz Liszts, des von ihr verehrten Musikers, noch plastischer erscheinen, als es in biographischen Texten möglich wäre. Diesem Ziel ordnete Lipsius alles unter, das Auffinden und Publizieren der Briefe nahm über drei Jahrzehnte ihres Arbeitslebens in Anspruch. Echt und unverfälscht, wie der Meister sich im Leben gab, wollen wir ihn auch im Tode besitzen. Möge aus der bunten Vielheit charakteristischer Einzelzüge, die seine Briefe vergegenwärtigen, in unverkümmerter Wahrheit und Klarheit das Gesammtbild der grossen Lichterscheinung hervorgehen, als welche Franz Liszt als Künstler und Mensch im Gedächtniss der Nachwelt für alle Zeiten fortzuleben berufen ist,207

schrieb Lipsius im Vorwort zum ersten Band der Briefe, die dem Großherzog von Sachsen-Weimar, Carl Alexander, »dem hohen Freund und Beschützer Franz Liszt’s und seiner Kunst in Ehrfurcht« gewidmet war.208 Die Krise der biographischen Monographie

Ihr Wechsel von der biographischen Skizze zu einer biographischen Montage in Briefen mag durch die Krise der Biographik gegen Ende des 19. Jahrhunderts begünstigt worden sein. Von einer Krise zu sprechen rechtfertigt sich eigentlich nicht, auf dem Buchmarkt war die Popularität von Biographien ungebrochen. Nicht die Leserinnen und Leser hatten ein Problem mit Biographien, es waren die sich differenzierenden wissenschaftlichen Disziplinen, die die biographische Methode zunehmend ablehnten.

206 Joseph Sittard im Feuilleton des Hamburgischer Correspondent, Nr. 330, 28.11.1886, o. pag. 207 La Mara (Hg.) 1893, S. VI. 208 Ihm sollten eigentlich schon die Musikerbriefe sieben Jahre zuvor gewidmet werden, doch als Franz Liszt kurz vor Fertigstellung der Briefsammlung verstarb, disponierte Lipsius um  : Die Sammlung sollte nun »Dem Gedächtniß Franz Liszts« dienen. Inhaltlich konnte die Widmung nicht recht überzeugen, stammte doch nur ein kleiner Teil der Briefe (acht von einigen Hundert) von Franz Liszt.

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Die historistischen Historiker hatten die monographische Biographie noch als legitimes Mittel der Geschichtsschreibung angesehen. Ihnen war es darum gegangen zu zeigen, wie das politische Handeln einzelner (bürgerlicher) Männer die Geschichte vorangebracht hatte. Ihre Bücher waren zum Teil Bestseller geworden.209 Nach der Reichsgründung verfiel die Biographie dann zum Harmonisierungsinstrument, das die Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums mit ihrer faktischen politischen Machtlosigkeit im Kaiserreich befrieden sollte  : Der idealisierende Individualismus der geistes- und kulturgeschichtlichen Biographik konvergierte mit der Heroisierung der politischen Geschichtsschreibung über die jeweils herausgestellte Sittlichkeit und stimmte die interessierten Schichten des Bürgertums auf Zufriedenheit, Selbstbescheidung und Unterordnung ein,210

fasste Helmut Scheuer die Funktion der Biographie im späten 19. Jahrhundert zusammen. Die historischen Wissenschaften spalteten in ihrem Streben nach weiterer Professionalisierung und Differenzierung jene Anteile, die als populärhistorisch galten, ab. Man vertiefte sich nun zunehmend in philologische Detailstudien. Die Biographik verlor ihre herausragende Stellung als Königsweg historischer Darstellung und die Geschichtswissenschaft distanzierte sich methodisch von ihr. Bei der noch jungen Disziplin der Musikwissenschaft wirkte der Ausschluss des Biographischen bis in die Fachsystematik hinein. Guido Adler wendete sich 1885 mit seinem programmatischen Aufsatz Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft gegen das Überhandnehmen biographischer Darstellungen in der Musikwissenschaft. Als Hilfswissenschaft könne die Biographie zwar wichtige Erkenntnisse liefern, doch müsse dem Notentext und seiner philologischen Erforschung das Hauptaugenmerk gewidmet werden.211 Während die universitäre Musikwissenschaft sich von ihrer Herkunft aus Musikkritik und Musikerbiographik zu distanzieren bemühte, blieb die Biographie für die populäre Musikgeschichtsschreibung zentral.212 Wenn Marie Lipsius sich just in jenen Jahren, in denen sich die Dissoziation von wissenschaftlicher und populärer Musikgeschichtsschreibung fachsystematisch etablierte, von der Biographik entfernte und stattdessen mit der Herausgabe von Musikerbriefen eine philologische Aufgabe anging, dann drückte sich darin auch ihr Anspruch aus, 209 Vgl. Nissen 2009, S. 113–116. 210 Scheuer 1979, S. 111. 211 Vgl. Kapitel 2.7. 212 Vgl. dazu Unseld 2014, S. 386–388.

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als Wissenschaftlerin anerkannt zu werden. Ihre Herkunft als »Philologentochter u. -Schwester«213 mag ihr dabei das nötige Selbstbewusstsein gegeben haben. Die Idee zur Herausgabe der Liszt-Briefe beschäftigte nicht nur Marie Lipsius. Unmittelbar nach dem Tod des Musikers hatten mehrere Personen aus dem Umkreis Liszts Interesse an einer Briefausgabe. Die Hinterbliebene und Erbin Liszts, Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein allerdings wünschte aus Gründen der Pietät zunächst einen Aufschub, dennoch autorisierte sie recht bald den Verlag Breitkopf & Härtel, die Briefe zu gegebenem Zeitpunkt herauszugeben.214 Sie meinte, Liszt müsse in einer solchen Sammlung »ordentlich en toilette« dargestellt werden, zumal es sich bei ihm um eine »hohe Persönlichkeit« gehandelt habe. In Lipsius’ »Musikerbriefen aus fünf Jahrhunderten« seien die acht Liszt-Briefe »nach Art rohen Gemüses aufgetischt« gewesen. Bei der Edition müsse Rücksicht auf Zeit, Stimmung und momentane Eindrücke Liszts beim Schreiben genommen werden, denn nicht jeder schriftlich fixierte Ausdruck sei der Mühe wert, »auf die Nachwelt zu kommen«. Liszt selbst sei der Meinung gewesen, dass bei einer »Überfülle« an Material »die guten Sachen unter den mittelmäßigen ganz verloren« gingen.215 Lipsius hingegen wünschte die sofortige Publikation, denn zu schnell könne sich die Spur der Briefe durch verschiedene Besitzerwechsel verlieren, so dass zu einem späteren Zeitpunkt die Originale eventuell nicht mehr auffindbar wären. Als die Fürstin nur wenige Monate nach dem Tod ihres Mannes starb, wurde der Weg zur Edition schneller frei als erwartet. Die Arbeit daran sollte Marie Lipsius bis ins hohe Alter begleiten. In ihrer Autobiographie resümierte sie  : Mein Sammeln erstreckte sich über viele Jahre. Es ist noch heute – ich schreibe dies 1915 – nicht abgeschlossen. Zwölfhundert Briefe schrieb ich damals nach aller Herren Länder, überallhin, wo ich von Beziehungen zu Liszt wußte oder sie voraussetzte.216

Die ersten zwei Brief bände erschienen zum Jahreswechsel 1892/1893, sechs weitere folgten in der Reihe. Des Weiteren erarbeitete Lipsius eine dreibändige Sammlung mit Briefen an Franz Liszt und mehrere Briefwechsel. So erschien beispielsweise die Korrespondenz zwischen Franz Liszt und Hans von Bülow 1898 bei Breitkopf & Härtel. Der gesamte Arbeitsprozess von der ersten Idee 213 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 09.07.1898, D-B Mus. ep. M. Lipsius 28. 214 Vgl. Brief von Carolyne Wittgenstein an Marie Lipsius vom 10.12.1886, D-WRgs GSA 59/423. 215 Ebd. 216 La Mara 1917b, S. 139.

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über das Zusammentragen der Briefe bis zur Auswahl des Materials ist in diesem Fall gut dokumentiert, da sowohl der Schriftwechsel der Herausgeberin mit Marie von Bülow, der Witwe und Erbin Hans von Bülows, als auch die Briefe Daniela Thodes, der ältesten Bülow-Tochter und Liszt-Enkelin, an die Herausgeberin überliefert sind. In Teilen liegt auch die Korrespondenz zwischen Cosima Wagner als weiterer Verhandlungspartnerin um die Veröffentlichungsrechte vor.217 Das Beispiel des Liszt-Bülow-Briefwechsels

Die Briefsammlung entstand über den Zeitraum von fünfeinhalb Jahren. Zunächst hatte Lipsius an die Veröffentlichung der Briefe Liszts an Bülow, die sich im Besitz von Daniela Thode befanden, als weiteren Band ihrer Liszt-Edition gedacht. Gleichzeitig arbeitete Marie von Bülow an der Publikation der Briefe ihres verstorbenen Mannes, die sie in chronologischer Reihe erscheinen lassen wollte. Die Briefe an Liszt waren darin einsortiert. 1894 entstand dann die Idee, alle Briefe und Gegenbriefe von Liszt und Bülow gemeinsam zu veröffentlichen. Welche der Frauen letztendlich die Idee dazu gehabt hatte, lässt sich schwer sagen, denn alle Beteiligten behaupteten später, nie an etwas anderes gedacht zu haben als an eine Herausgabe als Doppelkorrespondenz. Bis das Buch endlich zu Weihnachten 1898 erscheinen konnte, vergingen vier Jahre, in denen sich teils erhebliche Konflikte zwischen den Ansprüchen und Interessen der Beteiligten ergaben. In der Einleitung zur Briefsammlung erläutert Marie Lipsius als Herausgeberin die Idee hinter der Publikation des Briefwechsels  : Den Briefen, die Meister und Jünger mit einander wechselten, wohnt […] eine doppelte Bedeutung inne. Sie spiegeln einerseits ein überaus interessantes Stück Zeitgeschichte wieder. Sie bringen zugleich andererseits die grundverschieden gearteten Individualitäten Beider in aller Schärfe und Klarheit zum Ausdruck. Die überlegene Ruhe und Weltweisheit, das vornehme Maß, der edle Friedensgeist, die unvergleichliche Liebesfülle des Einen, wie das leidensvoll bewegte, leidenschaftlich-impulsive Wesen, die nie versagende Kampfeslust und Schlagfertigkeit des Anderen […].218

217 Cosima Wagner ließ ihre Einlassungen über die Stieftochter vermitteln  ; in den Briefen Daniela Thodes (D-WRgs GSA 59/418) sind Abschriften ihrer Briefe einsortiert. 218 La Mara (Hg.) 1898, S. V f.

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Den Briefschreibern sollte mit der Publikation ein Denkmal gesetzt und ihre beiden Charaktere authentisch, nämlich durch ihre eigenen Worte, dargestellt werden. In diesem Anliegen waren sich die Herausgeberin und die Besitzerinnen der Briefe einig. Doch darin, welche Streichungen und Namenschiffrierungen nötig wären, um weder die beiden Briefautoren noch die von ihnen erwähnten Personen zu kompromittieren, waren sie äußerst uneins. Die Interessenkonflikte sollten von Marie Lipsius als Herausgeberin vermittelt werden, doch auch sie war in der Sache nicht interesselos. Den Fortgang der Arbeit anzutreiben, der wegen der verschiedenen Befindlichkeiten und Wünsche nur sehr schleppend vorankam, zum Teil über Monate ruhte, wurde zum Drahtseilakt. Marie Lipsius notierte zum Liszt-Bülow-Briefwechsel, dass dessen Herausgabe »bei den völlig verschiedenen Standpunkten der Eigentümerinnen der Originale, zwischen denen ich vermitteln mußte, ein Martyrium für mich bedeutete, das ich nur in meiner unbegrenzten Liebe zur Sache auf mich nahm u. durchführte.«219 Unter dem Stichwort der Rücksichtnahme wurden Auslassungen und Namenschiffrierungen durchgesetzt, da der Grundsatz  : »keinen Lebenden in der Publikation zu kränken«220, damit nicht »irgend jemand damit verletzt werde«221 über allem stand. Marie von Bülow war jedoch der Ansicht, dass das Prinzip der Rücksichtnahme bei Liszts Briefen eine ganz andere Wirkung entfalte als bei den Briefen Bülows. Sie schrieb der Herausgeberin  : Bei der Aufgabe, welche Ihnen zu Theil geworden ist (ich meine die Liszt-Briefe) mag es kein herz- und kopfzerbrechendes Kunststück gewesen Ihr Prinzip [der Rücksichtnahme] zu befolgen – gerade was diese ethische Seite der Aufgabe anlangt, spült Ihnen Liszt’s Naturell, so weit es sich schriftlich äußerte, in die Hände. Ihnen aber, der Viel­ erfahrnen, sage ich jedoch nichts neues wenn ich auf Bülow’s total entgegengesetzte Natur verweise. Keine Spur von Berechnung, von Diplomatie, ja – in der Hitze des Gefechts für eine theure Sache  : auch nicht von Gerechtigkeit  !222

Die Bedenken der Witwe speisten sich aus dem quantitativen Missverhältnis zwischen dem Konvolut der Liszt-Briefe und dem der Bülow-Briefe (130 zu 86). Da Liszt als Briefschreiber sehr viel rücksichtsvoller gewesen sei als Hans von Bülow, 219 Vgl. die undatierte handschriftliche Notiz im Konvolut der Briefe von Daniela Thode, geb. Bülow an Marie Lipsius, D-WRgs GSA 59/418. 220 Brief von Marie von Bülow an Marie Lipsius vom 19.12.1897, D-WRgs GSA 59/390. 221 Daniela Thode an Marie Lipsius, zit. in einem Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 17.12.1897, D-WRgs GSA 59/390. 222 Brief von Marie von Bülow an Marie Lipsius vom 22.06.1898, D-WRgs GSA 59/390.

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würde das Aussortieren der kompromittierenden Stellen ein noch ungünstigeres Verhältnis in der Anzahl der Briefe erzeugen. Bülow wollte daher keinen einzigen Brief missen und legte besonderen Wert auf die Aufnahme von Briefpassagen, die Bülows erste Frau, Cosima Liszt, betrafen. Sie meinte, diese Briefe stellten ein Gegengewicht her zu den sonst zuweilen spitz formulierten und polemischen Briefen ihres Mannes. Cosima ihrerseits wollte genau diese Briefe unterbinden, was sie durch ihre Tochter Daniela Thode verlauten ließ. Am Ende wurden Kompromisse erzielt  : Einige Briefe erschienen in stark gekürzter Form, andere Briefe privaten Inhalts setzte Marie von Bülow gegen den Widerstand der Exfrau durch. Ihre Drohung, das Projekt platzen zu lassen, bekräftigte sie dazu mehrmals. Bülows Witwe hatte sich veranlasst gesehen, ihre Bedingungen an die Veröf­ fentlichung der Bülow-Briefe im Doppelbriefwechsel mit der Herausgeberin schriftlich zu vereinbaren. Die entscheidenden Punkte waren  : Vollständigkeit des Abdrucks des vorhandenen Materials abzüglich der vereinbarten Striche sowie das Verbot zu anderweitigem Abdruck der Bülow-Briefe außer durch die Witwe. Außerdem ließ sie sich das Recht zusichern, die Korrekturbogen sowie das Vorwort der Herausgeberin vor dem Druck einzusehen.223 Das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Frauen, die sich 1894 noch gegenseitige Unterstützung für ihre jeweiligen Editionsprojekte zugesagt hatten,224 war infolge der langwierigen und kontroversen Verhandlungen arg strapaziert. Der Vertrag half, das Verhältnis zu professionalisieren. Wie verärgert Marie von Bülow über die Entstehung des Liszt-Bülow-Briefwechsels war, notierte sie am Rand der von Lipsius erhaltenen Briefe. Ihr Zorn richtete sich dabei auch auf ihre Stieftochter Daniela von Bülow, verheiratete Thode. Die Witwe sah die Probleme vor allem darin, daß Frau Thode 1894, als ich ihre Mitwirkung erbat für die Publication von ihres Vaters Nachlaß, jede Publication der Art für ›unmöglich, eine sittliche Roheit‹ erklärte  ; als sie dann aber plötzlich die Corr.[espondenz] Liszt-Bülow wünschte, es unbequem fand, mir dies einzugestehen u. meine Mitwirkung zu erbitten. Darum der Umweg über La Mara. Mein Fehler  : ich hätte sofort diesen ablehnen müssen u. mich nur direct auf die Sache einlassen.225 223 Vgl. Brief von Marie von Bülow an Marie Lipsius vom 16.08.1897, D-WRgs GSA 59/390. 224 Vgl. Briefe von Marie von Bülow an Marie Lipsius aus dem Jahr 1894, D-WRgs GSA 59/390 sowie Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow, o. D. (nachträglich datiert auf den 15.11.1894), D-B Mus. ep. M. Lipsius 3. 225 Marie von Bülow auf einem eingeschobenen Blatt zwischen D-B Mus ep. M. Lipsius 19 und 20.

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Als der Briefwechsel Ende 1898 endlich erscheinen konnte, bezeichnete auch Marie Lipsius die Arbeit daran als »Dornenweg […], wie er in meiner 30-jährigen Schriftstellerlaufbahn Gottlob nicht seines Gleichen hat«226. Briefeditionen im 19. Jahrhundert

Marie Lipsius wollte keineswegs prinzipienlos vorgehen bei der Edition, das machte die Herausgeberin den beteiligten Damen Bülow und Thode mehrfach deutlich. Wichtig war ihr, trotz Befürwortung mancher Streichungen, die originalgetreue Widergabe ohne Veränderungen in Stil oder Orthographie. Lipsius wies Marie von Bülow in die Schranken, wenn diese den Briefen ihres Mannes Sätze hinzufügen wollte  : »Stilistisch ist’s schöner so, sicherlich. Aber der Sinn verlangt’s nicht, das ist sonnenklar. Das ist mir zu viel Freiheit u. will mir nicht über’s Gewissen.«227 Für Lipsius bedeutete es keinen Widerspruch, einerseits ihre »Idiosynkrasie gegen unrichtige Angaben«228 zu betonen und andererseits doch »alles Unbedeutendere«229 von der Veröffentlichung auszuklammern, nach eigenen Angaben immerhin einige hundert Briefe.230 Der Bülow-Witwe erläuterte sie ihre Beweggründe  : Oft ist die Wahl schwer für den, der wie Sie und ich mit ganzem Herzen in der Sache steht. Man prüft sich wieder u. immer wieder, bevor man zur letzten Entscheidung kommt. Auch darein müssen wir, die wir Briefe sammeln u. herausgeben, uns finden, daß uns die Genugthuung, Vollständiges leisten u. darbieten zu können, versagt bleibt. Mit dem Erreichen des Möglichen müssen wir uns genügen lassen  ; pflegt doch alles, was ins Gebiet des Wissenschaftlichen schlägt, Theilarbeit zu sein.231 226 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 17.10.1898, D-B Mus. ep. M. Lipsius 32. 227 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow vom 09.07.1898, D-B Mus. ep. M. Lipsius 28. 228 Ebd. 229 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow, o. D. (nachträglich datiert auf den 18.11.1894), D-B Mus. ep. M. Lipsius 4. 230 Interessanterweise tauchten ihre beiden Prinzipien  : Originaltreue aller wichtigen und Weglassen aller unwichtigen Briefe in editionsphilologischen Reflexionen Mitte der 1970er-Jahre wieder auf. Frappierend ähnlich zu den Überlegungen von Marie Lipsius hieß es damals auf einer Grundsatzkonferenz zu den »Problemen der Brief-Edition«  : »Man kann der dokumentarischen Fülle und des Stoffes nur Herr werden, indem man auswählt. Wissenschaft treiben heißt selektieren  ! Auswählen aber hieß und heißt noch immer  : werten. […] Das setzt voraus, daß man Wichtiges von Unwichtigem zu trennen weiß  ; man muß allerdings auch das Unwichtige zur Kenntnis genommen haben, will man das Wichtige ausmachen.« (Becker 1977, S. 17). 231 Brief von Marie Lipsius an Marie von Bülow, o. D. (nachträglich datiert auf den 18.11.1894), D-B Mus. ep. M. Lipsius 4. Wie angreifbar jede Auswahlentscheidung war, merkte Lipsius spä-

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Bei Lipsius klingt deutlich das kritische Bewusstsein für das philologische Prinzip durch, dem Briefeditionen auch im 19. Jahrhundert unterlagen. F ­ reilich folgten die Editionen einem anderen Standard als dem heutigen philologisch-kritischen. Es fehlte ihnen das Instrument des Kommentars bzw. des kritischen Berichts, der den Entstehungsprozess reflektiert und Eingriffe in den Originaltext begründet hätte. Vielmehr waren die Briefsammlungen berühmter Persönlichkeiten dem »Zweck einer biographischen Darstellung verpflichtet, mit der man der betreffenden Person Pietät erweisen und zugleich eine Art geistiges Denkmal, zur Erbauung aller ihrer Freunde und Verehrer, setzen wollte.«232 ­Dabei hatte die Wahrung der Persönlichkeitsrechte einen hohen Stellenwert, besonders wenn Briefschreiber und/oder Adressat noch lebten, denn auch wenn dies damals noch nicht ausformuliert war, wußte man doch, was sich gehörte. Gerade Verwandte haben sich oft eingemischt, wenn es um die Frage der Veröffentlichung von privaten Briefen ging. […] Wieviel ist da nicht absichtlich vernichtet worden  !233

In einem Kompendium über den Brief als literarische Gattung heißt es, die Geschichte der Briefeditionen sei noch nicht geschrieben.234 Um sie zu schreiben, ist eine sehr genaue Rekonstruktion der Entstehungsprozesse einzelner Editionen anzuraten, denn als Zeitzeugen erlauben sie Einblicke in die Praxis vergangener Zeiten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass mit den Briefeditionen des 19. Jahrhunderts die Textbasis gelegt wurde für viele (musik)historische Arbeiten. Viele Ausgaben von damals müssen wir heute noch benutzen. Und manche Teile werden als Zeugen eine unentbehrliche Quelle bieten. Die Entzifferungsleistungen lassen sich heute gelegentlich nicht überbieten. Und was die methodische Kritik angeht, sollten wir im Einzelfall zuvor sehr genau hinschauen.235

testens anhand der Reaktionen, die sie auf ihre Briefbände erhielt. Generell lobten zwar alle das Projekt, brachten aber dennoch etliche Ergänzungswünsche an oder empfanden einzelne Briefe als unpassend. 232 Nickisch 1991, S. 109. 233 Woesler 2003, S. 138. 234 Nickisch 1991, S. 229. 235 Woesler 2003, S. 141 f.

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Erinnerungskult

Der Autographen- und Nachlasskult in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war an das Konzept der Autorschaft gebunden. Erst als das geschriebene Wort von pietistischen Autoren zum Ausdruck menschlicher Wahrhaftigkeit erklärt worden sei, konnte der Autor zu einer moralischen Instanz werden, bemerkt die Literaturwissenschaftlerin Heike Gfrereis. Nationalbewegung und Erinnerungskultur hätten diese Kopplung von Autorschaft und Moral verstärkt, so dass »[a]llein die Ahnung von Authentizität und Originalität« die nachgelassenen Dokumente eines Künstlers mit Bedeutung aufgeladen habe. Gfrereis bezeichnet einen Nachlass als »übersinnliche[n] Leib des Autors«, der dessen körperliche Präsenz für die Nachwelt sichere.236 Auch Komponisten erlangten erst durch die Konzeptualisierung des schriftlich fixierten Notentextes als künstlerisches Werk den Status des (moralischen) Helden.237 Musikerautographe und -briefe wurden zu gefragten Reliquien, deren Besitz auch finanziell lukrativ sein konnte.238 Die Briefe gehörten zunächst den Empfängerinnen oder Empfängern, solange sie nicht von den Briefschreibern wegen intimer Inhalte zurückgefordert worden waren. Marie Bülow nun hatte die Briefe ihres verstorbenen Mannes an dessen Lehrer und Schwiegervater Franz Liszt von Marie Hohenlohe als Erbin des Liszt-Nachlasses geschenkt bekommen. Darin eingeschlossen war das Veröffentlichungsrecht, das die Witwe als Pfand in die Verhandlungen um den Liszt-Bülow-Briefwechsel einbrachte und mit ihrem Veto drohte, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Mit Nachdruck setzte sie sich dafür ein, dass die Briefe aus ihrem Besitz in keiner weiteren Publikation erschienen. Waren es bei Bülow eher ideelle Interessen im Sinne einer Erinnerungsarbeit, die ihr Handeln als Witwe leiteten,239 argumentierten andere Editoren und besonders Verleger mit kommerziellen Interessen. Nur Briefe unbekannten Inhalts versprachen gute Absatzmöglichkeiten. Je berühmter der Absender, desto eher ließ sich mit einem Briefband Geld verdienen.240 236 Gfrereis 2008, S. 71 f. 237 Vgl. dazu Unseld 2013. 238 Zum Verkaufserlös der in Lipsius’ Besitz befindlichen Stücke vgl. Kapitel 1. Der Autographensammler Georg Pölchau bat Lipsius, da er ihr einige Musikerbriefe zur Abschrift zur Verfügung stellen wollte, die Briefe für die Zeit der Benutzung mit 1000 Mark gegen Feuer zu versichern (vgl. D-WRgs GSA 59/409,12). 239 Zur Funktion von Witwen als Gedächtnisträgerinnen im 19. Jahrhundert vgl. z. B. Finke 2013  ; Machtemes 2001, S. 48 f. 240 Da der Verkauf der ersten beiden Liszt-Briefbände ungünstiger verlief als vom Verlag kalkuliert,

»Dem Ideal der Virtuosen«: Briefeditionen

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Der Wettlauf um den schnellsten Abdruck neu entdeckter Briefe muss auch Marie Lipsius angespornt haben, ihre Einzelfundstücke verschiedenen Musikzeitschriften anzubieten. Alle von ihr publizierten Briefe waren an Franz Liszt oder die Fürstin Sayn-Wittgenstein adressiert,241 was sie für Lipsius veröffentlichungswürdig machten. Der Inhalt wurde dahinter fast belanglos. Schon im 18.  Jahrhundert war es üblich geworden, Briefe berühmter Persönlichkeiten zu veröffentlichen. Die Authentizität, mit der sie vorgaben, etwas über den Briefschreiber preiszugeben, war ein »Merkmal besonderer Qualität und Objektivität«242. Von daher, so argumentierte Reinhard Nickisch, »wird man auch bei den persönlichen Schreiben der meisten späteren Autoren, sofern sie zu einiger Bedeutung gelangt sind, annehmen dürfen, daß sie bei der Abfassung nicht ganz ohne Rücksicht auf die Nachwelt formuliert haben.«243 Es war also ein doppelter Trugschluss, wenn angenommen wurde, dass Briefausgaben, oft auch als »Ein Lebensbild in Briefen«244 annonciert, eine authentische Charakteristik des Briefschreibers oder der Briefschreiberin lieferten. Viel eher waren sie Erinnerungskonstrukte, gemeinsam von Briefschreiber und Editorin erzeugt im Versuch, ein bestimmtes Bild zu lancieren. Was Marie Lipsius den Leserinnen und Lesern der Briefe Liszts vermitteln wollte, war ein Erinnerungsbild des Musikers, das nicht von Alltäglichkeiten beeinträchtigt werden sollte. Die Briefempfängerinnen und -empfänger stellten ihr Material meist bereitwillig zur Verfügung, konnten sie sich doch in der Größe Liszts spiegeln. Offensichtlich gab es bei allen Beteiligten ähnliche Kriterien. Bei der Herausgeberin gingen die angefragten Liszt-Briefe mit immer dem gleichen Hinweis ein, sie seien von den Besitzern ausgewählt worden, weil sie den Absender so trefflich charakterisierten. So sind die Liszt-Briefeditionen in den Erinnerungskult des 19. Jahrhunderts einzuordnen, der wiederum eng mit der Durchsetzung der Nationalstaatsidee zusammenhing. Um eine nationale Einheit begründen und ideell festigen zu können, bedurfte es identitätsstiftender Helden. Dass Marie Lipsius sich aussenkten Breitkopf & Härtel sowohl die Auflagenhöhe als auch das Autorenhonorar für den folgenden Briefband. Marie Lipsius sollte nun statt 2000 Mk. nur noch 1500 Mk. erhalten. Das sei »das weitaus niedrigste, was ich mein Lebtag für eine derartige Arbeit erhielt«, bekannte Lipsius in einem Brief an Carl Gille vom 28.05.1894 (vgl. D-WRgs GSA 59/521a, 17). 241 Vgl. Anhang 6.1. 242 Unseld 2014, S. 15. 243 Nickisch 1991, S. 113. 244 Etliche Briefsammlungen des späten 19., vor allem aber des frühen 20. Jahrhunderts waren mit diesem Untertitel versehen (vgl. Schlawe 1969).

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gerechnet Franz Liszt als Heldenfigur wählte, scheint ein wenig ironisch, denn weder ließ sich in ihm eine Traditionslinie ›deutscher Kultur‹ widerspruchsfrei herleiten noch manifestierte sich in seinem kulturellen Handeln die Idee der ›deutschen Nation‹.245 Die nationalkonservativen Topoi, die Marie Lipsius in ihren biographischen Skizzen so betonte, passten nicht zu der Symbolfigur, die sie sich gewählt hatte. Richard Wagner wäre ein geeigneterer Kandidat gewe­ sen (und wurde landläufig auch als Nationalheld inszeniert), doch Lipsius blieb Wagner gegenüber immer skeptisch. In den Briefbänden wurde der Widerspruch zwischen Liszts nationaler In­ stru­mentalisierung und dessen europäischer Haltung246 weniger offenbar, denn Lipsius konnte sich zurückziehen auf ihre »der Sache dienende« Rolle als He­ rausgeberin und brauchte keine Legitimierung zu konstruieren, wie sie es in den Vorworten ihrer Studienköpfe getan hatte. Das mag entlastend gewesen sein und erklärt vielleicht die Präferenz der editorischen vor der schriftstellerischen Arbeit seit Mitte der 1880er-Jahre. Auf jeden Fall aber entsprach die Neuausrichtung der Entwicklung der historischen Wissenschaften zu positivistischen Ansätzen und Methoden. Für Marie Lipsius bot die Briefedition die Chance, stärker als bisher als Wissenschaftlerin wahrgenommen zu werden. Die späte Frucht ihrer Arbeit war der Professorentitel, der ihr 1917 verliehen wurde. 3.4 »Musikalische Kritik ist ein Capitel, über das sich viel sagen ließe«: Anonym verfasste Musikkritiken Im Zusammenhang mit Musikkritiken taucht der Name La Mara nicht auf. Und doch gibt es Hinweise darauf, dass Marie Lipsius für die Leipziger Tagespresse musikalische Ereignisse rezensierte, allerdings nicht unter ihrem bekannten Künstlernamen, sondern anonym. Eine Recherche der Artikel ist daher aus dop­ peltem Grund fast unmöglich  : Zu der anfangs bereits erwähnten Schwierig­ keit, dass es zu den Artikeln in Tageszeitungen üblicherweise kein Register gibt, kommt hinzu, dass es wegen des anonymen Erscheinens gar nicht möglich ist, eine Rezension zweifelsfrei Marie Lipsius zuzuordnen. Mit dem für die musikalischen Artikel des Leipziger Tageblattes zuständigen Redakteur Oscar Paul war Marie Lipsius gut bekannt.247 Er rezensierte ihre Bü­ 245 Vgl. Kapitel 3.2. 246 Vgl. Altenburg/Oelers (Hg.) 2008. 247 Vgl. La Mara 1917a, S. 179.

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cher äußerst wohlwollend. Seinerseits bat er Lipsius um Rezensionen für seine Zeitung.248 Die Autorin bekam auch von anderen Seiten Hinweise oder sogar ausdrückliche Bitten, diesen oder jenen Musiker, diese oder jene Publikation zu rezensieren. August Göllerich bat um »sehr wertvolle Unterstützung auf Ih­ rem reichen Machtgebiete« zur Verbreitung seiner Neuerscheinung Liszt betref­ fend,249 Johann Batka wies Lipsius auf einen jungen Dirigenten hin, der Liszts Werke absolut »selbstlos« dirigiere, und bat um eine »Notiz in einem Leipziger politischen großen Journal oder Fachblatt«, um dem jungen Mann förderlich zu sein.250 Weiter gab es Anfragen für einen Bericht zur Tristan-Aufführung in Weimar oder eine Besprechung des Liszt-Festes in Budapest251 – Freunde und Bekannte müssen wohl gewusst haben, dass Marie Lipsius ihnen nicht nur als Biographin, sondern auch als Kritikerin nützlich sein konnte. Warum sie ihre Kritiken anonym verfasste, verriet die Autorin dem Musik­ forscher Erich Prieger. Dieser hatte sie auf einen neuen Beethoven-Bildband aus dem Musikverlag Novello hingewiesen und angefragt, ob er ihr das Exemplar zur Einsicht zusenden solle. Sie könne es auch gern behalten, müsse dann aber eine kurze Zeitungsnotiz schreiben, zu der er beauftragt sei.252 Drei Wochen später antwortete Lipsius  : Das Novello’sche Heft kenne ich noch nicht. Ich will es gern besprechen u. zwar in der ›Leipziger Zeitung‹, wo ich – was ich Ihnen aber nur im Vertrauen mittheile – dergl. öfter, aber nicht unter meiner Chiffre, thue. Um einen mir [lästigen  ?] Andrang oder auch eine der Frau nicht wol anstehende Polemik zu vermeiden, geschehe es nur im Geheimen u. dann nur bei mir besonders interessanten Sachen. Wollen Sie das Heft also bitte  : An die Redaction der ›Leipziger Zeitung‹, Leipzig, Poststr.  5 einsenden und vielleicht beifügen  : Mit der Bitte eine Besprechung womöglich von La Mara zu veranlassen. Dann bekomme ich’s sicher u. bin gern dafür thätig.253

Durch die Anonymisierung ihrer Kritiken entzog sich Marie Lipsius der persön­ lichen Auseinandersetzung, die einer Frau, wie sie meinte, nicht anstehe. Anders 248 Beispielsweise über eine »musikalische Unterhaltung« bei der Sängerin und Gesangslehrerin Au­ guste Götze, mit der Lipsius befreundet war (vgl. Postkarte von Oscar Paul an Marie Lipsius vom 20.11.1891, D-LEsm A/889/2010). 249 Brief von August Göllerich an Marie Lipsius vom 11.05.1888, D-LEsm A/799/2010. 250 Brief von Johann Batka an Marie Lipsius vom 12.05.1903, D-WRgs GSA 59/388,6. 251 Vgl. D-LEsm A/5036/2006 und A/1040/2010. 252 Brief von Erich Prieger an Marie Lipsius vom 10.01.1893, D-WRgs GSA 59/410,6. 253 Brief von Marie Lipsius an Erich Prieger vom 30.01.1893, D-B Mus. ep. M. Lipsius 69.

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als die biographischen Artikel, in denen sie sich als Autorin zu erkennen gab, wollte Lipsius als Kritikerin unerkannt bleiben. Ob als Begründung ausreichte, dass sie diese Tätigkeit nur nebenbei ausüben wollte, sei dahingestellt. Die Ano­ nymität weist eher darauf hin, dass die damalige Musikkritik mit ›männlicher‹ Kompetenz assoziiert wurde. Für die Analyse und Bewertung von Kompositionsund Interpretationsleistung sei, so hieß es, männliche Objektivität gefragt. Dazu seien Frauen nicht in der Lage, würden sie doch stets voller Wärme und Einfühlung mit dem Herzen bewerten.254 Marie Lipsius schien nicht riskieren zu wollen, ihre schriftstellerische Kompetenz und Anerkennung durch unkonventionelles Geschlechterverhalten einzubüßen. Also beließ sie es bei gelegentlichen Freundschaftsdiensten. Anonym. Mit Erich Prieger tauschte Lipsius sich über den Zustand der Musikkritik aus. Beide stimmten in ihrer Einschätzung überein, dass die zeitgenössische Musikkritik im Verfall begriffen sei. Nachdem der Redakteur der Hamburger Signale, Hugo Pohle, einen von Lipsius’ Texten aus der Leipziger Zeitung nachgedruckt hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen und auf die Quelle zu verweisen, nahm Marie Lipsius ihren Ärger über »Herr[n] Pohle, dem es nicht um die Kunst, nicht um die Sache, sondern nur um den Krakehl, die Sensation um jeden Preis zu thun scheint« zum Anlass, sich Prieger gegenüber auszulassen  : Musikalische Kritik ist ein Capitel, über das sich viel sagen ließe. Mit wie wenig Wissen u. wie wenig Anstand wird sie vorwiegend gehandhabt. […] Schade daß unter den Musikzeitungen keine einzige mehr existiert, in der man gern schreiben mag u. kann. Die frühere Tongersche, jetzt Grüningersche [Neue Musik-Zeitung] ist ganz herab gekommen. Novellen, Humoresken, Anecdoten seichtester Art machen sich darin breit – für Musik bleibt kaum noch Raum u. kein vornehmerer Mann unter den Musikschriftstellern ist mehr drin vertreten. Ganz erbärmlich u. über die Maßen langweilig ist’s um Schumann’s ehemaliges Organ, die ›Neue Zeitschrift für Musik‹ bestellt. Die ›Signale [für die musikalische Welt]‹ bringen fast nur Notizen, ernstere Aufsätze giebt’s darin kaum je. Fritzsch füllt Bogen seines ›[Musikalischen] Wochenblattes‹ mit der trockenen Concertumschau, während die größeren musikalischen Artikel nur in homöopatischen Dosen verabreicht werden. Leßmann [Allgemeine Musik-Zeitung] füttert seine Leser konsequent seit Jahren mit zerstückelten Analysen Wagner’scher Werke  ; oder läßt Herrn Reimann bis zum Übermaß das Wort. Stern [Neue Berliner Musikzeitung] wirft sich auch mehr auf die unterhaltende Seite u. servirt Nichts, wie 254 Beispiele dazu finden sich reichlich in den Rezensionen der Lipsius-Publikationen (vgl. Kapitel 4).

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die Erinnerungen der ›Frau v. Hülsen‹. Was bleibt nun noch übrig  ? Der Anblick ist traurig genug  !255

Erich Prieger schien diese Kritik an der Kritik aus der Seele gesprochen. Er bedankte sich bei Lipsius, die mit ihrem Brief »den wundesten Punkt des heutigen Musiktreibens berührt [habe]  : ›Unsere‹ Musik-Zeitungen. Darüber ließen sich Bände reden und ein Preisausschreiben, welche die erbärmlichste sei, würde schwerlich zu einem Resultat führen.« Prieger hatte offensichtlich schon über eine Lösung des Problems nachgedacht  : die Gründung einer neuen Musikzeitschrift. Dazu fehle es allerdings an Zweierlei  : an Mitarbeitern und einem tüchtigen Redacteur. Letzterer ist am schwierigsten zu finden. Unsere jetzige Literatur krankt an dem ›Persönlichen‹, auf das ist Alles zugeschnitten und sogar da, wo der Eingeber sich die größte Mühe gibt objektiv zu bleiben. […] Selten wird ein Werk unter Mittheilung seiner thematischen Bestandtheile besprochen. Wie kann da etwas nur einigermaßen Genaues oder gar Belehrendes herauskommen  ? Dabei will ich von der Natur der ernsten Berichterstattung nicht einmal etwas sagen. Im Uebrigen bringt jedes Blatt nur, was seinem Verleger in den Kram geht, und die ganze Intelligenz, hat ihren Schwerpunkt im Inseratentheil. […] Ein Redacteur gestand mir ganz offenherzig  : er fürchtete den Verlust der [  ?] Inserate. Ein Freund ist das auch, nur was für Einer  ! Wie gesagt  : an den äußeren Mitteln zur Gründung einer ordentlichen Zeitschrift würde es weniger fehlen. Vielleicht halten Sie die Sache ebenfalls im Auge.256

Was konnte die Aufforderung bedeuten, die Sache ebenfalls im Auge zu behalten  ? Sollte Lipsius Hinweise auf geeignete Redakteure und Mitarbeiter geben  ? Sollte sie selbst an der neuen Zeitung mitwirken  ? Prieger sagte dazu nichts weiter, der Briefwechsel zwischen ihm und Lipsius brach im August 1893 ab. Der Plan einer neuen Musikzeitung jedenfalls realisierte sich nicht. Prieger und Lipsius schienen einig darin, dass die Musikkritik zu wenig Werk­analyse und zu viel Biographie anbringe. Als sie ihre Diskussion führten, 1892, hatte sich die Musikforschung von der biographischen Methode weitgehend verabschiedet. Nichtsdestotrotz war die Biographie bei Leserinnen und Lesern gleichbleibend beliebt. Marie Lipsius stand kurz davor, die ersten beiden Bände der Liszt-Briefe herauszugeben, womit sie sich von der genuin biogra255 Brief von Marie Lipsius an Erich Prieger vom 13.04.1892, D-B Mus ep. M. Lipsius 67. 256 Brief von Erich Prieger an Marie Lipsius vom 21.04.1892, D-WRgs GSA 59/410,6.

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phischen Arbeit zwar entfernte, wenngleich das biographische Interesse untergründig auch die Briefausgaben motivierte. Lipsius befand sich zwischen den Stühlen  : Sie war auf das Interesse des Publikums angewiesen, wollte aber auch als Musikforscherin wahrgenommen werden. Sie hatte mit den Musikalischen Studienköpfen offensiv auf ihre ›weiblichen‹ Eigenschaften gesetzt, die sie in der Musikkritik jedoch ablehnte, denn dabei sei ›männliche‹ Objektivität gefragt. Als Musikkritikerin musste sie daher ihr Geschlecht verbergen. Die Forderung nach einer Vermittlung zwischen beidem wurde erst 15 Jahre später auf dem 3. Kongress der Internationalen Musikgesellschaft laut.257 Die geschlechtertypischen Zuschreibungen von ›männlich‹-objektiver Wissenschaft und ›weiblich‹-subjektiver (Populär-)Literatur hätten damit obsolet werden können. Stattdessen halten sie sich bis heute.258 3.5 »Im Lande der Sehnsucht«: Gedichte und Reiseberichte Neben ihrer Haupttätigkeit als Biographin und Editorin verfasste Marie Lipsius auch einige Reisebeschreibungen, die sie 1876 und 1881 als kleine Sammlungen publizierte. Interessant daran ist, dass Lipsius die Reisebeschreibungen analog zu ihren biographischen Texten aufbaute. Ebenso wie die biographischen Skizzen die Charakteristik einer Künstlerin oder eines Künstlers herauszustellen versuchten, sollten auch Landschaften in ihrer Eigenart vor das Auge der Leserinnen und Leser treten. Lipsius erklärte  : Vom Gebiete der Kunst, auf dem meine Federzeichnungen bisher ausschließlich heimisch waren, schweifte ich in Vorliegendem in das [sic] Bereich der Natur hinüber, die Portraitgallerie meiner ›Musikalischen Studienköpfe‹ durch eine Reihe von Landschaftsskizzen unterbrechend. Wie aber jedem einzelnen der Originale, ähnlich den menschlichen Individualitäten, eine bestimmte charakteristische Physiognomie, eine gewisse persönliche Eigenart aufgeprägt ist, so hoffe ich, daß auch diese ihre anspruchslosen Abbilder solchen persönlichen Reizes nicht entbehren.259

257 Vgl. Kapitel 2.7. 258 Vgl. z. B. Kogler 2013 sowie die anschaulichen Beispiele in Ellmeier/Ingrisch/Walkensteiner-­ Preschl (Hg.) 2013. 259 La Mara 1876.

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Die Reisebeschreibungen machen zwar einen verhältnismäßig kleinen Teil ihrer sämtlichen Publikationen aus, sind aber trotzdem mehr als nur Nebenprodukte einer professionell Schreibenden, die auch im Urlaub nicht darauf verzichten wollte, ihre Beobachtungen und Erlebnisse zu notieren. Diese Texte verdeutlichen noch einmal, wo Marie Lipsius sich und ihre Arbeit verortete  : Es gibt Bezüge sowohl zu den volkskundlichen Beobachtungen Wilhelm Heinrich Riehls als auch zu den kunsthistorischen Betrachtungen Jacob Burckhardts. Wie auch die biographischen Skizzen hatte Lipsius die meisten der Aufsätze bereits in Familienzeitschriften platzieren können, bevor sie gesammelt erschienen. Allein die Deutsche Rundschau hatte die Landschaftsskizzen als für das eigene Klientel nicht geeignet befunden.260 Dabei stellte Lipsius sich bewusst in die Tradition des Kulturhistorikers und selbsternannten Kulturanthropologen Wilhelm Heinrich Riehl, wenn sie sich selbst als »theilnehmende[n] Beobachter« bezeichnete, auf der Suche nach dem »tieferen Sinn, der hinter den Sitten und Gebräuchen des Volkes verborgen liegt«.261 Auch Riehl hatte seine Wanderungen durch Deutschland unter dem Aspekt volkskundlicher Beobachtungen dokumentiert.262 In kulturkritischer Haltung sah er in der Naturhaftigkeit des ländlichen Lebens ein Gegenmittel zu den Entfremdungserscheinungen der Industrialisierung. Marie Lipsius blieb bei ihren Beobachtungen stets in der kulturhegemonialen Position der Bürgerlichen, die sich für das Exotisch-Fremde im Leben der Tiroler Bergbauern interessiert, ohne anzuerkennen, dass es ihre eigene Herkunft war, die das Beobachtete erst exotisch erscheinen ließ. So berichtete sie vom Besuch eines Berggasthofes, in dem eine große Gesellschaft ausgelassen feierte. Auf ihre Frage, was denn der Anlass sei, habe sie erfahren, dass gerade eine Beerdigung stattgefunden habe. Lipsius verurteilte nun den Brauch, »an das Begräbniß eines geliebten Todten einen Festschmaus zu knüpfen und die Stätte der Trauer durch die lauten Freuden der Geselligkeit zu entweihen« als barbarisch.263 Barbarisch sei auch die Selbstjustiz, die in Bayern mit dem »Haberfeldtreiben« seit Jahrhunderten für unehrenhaftes oder unsittliches Verhalten ausgeübt werde. Polizei und Gerichtsbarkeit »vermögen das geheimnißvoll angesponnene Werk weder zu hindern noch zu ahnden«. Die Kapitulation der Staatsmacht gegenüber dem Brauchtum schien Lipsius gleichzeitig zu faszinieren und zu irritieren. »Viel260 Vgl. Kapitel 2.6. 261 La Mara 1876, S. 8 f. 262 Vgl. dazu auch Kapitel 2.7. 263 La Mara 1876, S. 164.

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leicht«, so mutmaßt sie nach einem Gespräch mit einem Polizisten, fehle ihm und seinen Kollegen »nur der Ernst des Willens, und sie respectiren den alten Volksbrauch doch im Grunde zu sehr, um ihn zu stören.«264 Es sind romantisierte Bilder, in denen Lipsius ihre Reisen in die Alpen beschrieb. Nicht immer stimmten diese Bilder mit der vorgefundenen Wirklichkeit überein. Da sollten Täler idealerweise »himmelhohe Felsenhäupter« und »grüne Enge« aufweisen, in denen sich »springende Wasser ohne Zahl und Ende« zu »wilde[m] Bergwasser« vereinen, das »in der Tiefe drunten, dicht am Wege entlang, geschäftig sein Wesen treibt«.265 Gegenüber diesem Ideal erschien dann das Zillertal beispielsweise nur als ein »freundliches Idyll«, dem »die Eigenartigkeit der Bildung, die Romantik von Wasserfällen und Muren und schroffen Fels­ gestal­tungen, die Kühnheit des Charakters, der Reiz der Abwechslung« fehle.266 Die Lieblichkeit der oberbayrischen oder oberitalienischen Seen wurde als Kontrapunkt zur rauen Bergwelt inszeniert. So erschien der Tegernsee im »Mondesund Sternenglanze« besonders zauberhaft  : Berg und Wald, Himmel und Erde spiegeln sich dann wieder in der silberschimmernden Flut, indessen buntbeflaggte Schiffe darüber hinziehen, funkelnde Lichtstreifen hinter sich zurücklassend. Fröhliche Stimmen, Sang und Klang tönen vom Wasser herüber an Land  ; bunt beleuchtete Kähne auch bergen hier und dort ein Männerquartett, das die gemüthlichen Volksweisen mit dem üblichen Jodler beschließt.267

Die Bergwelt rau und naturhaft, das Vorland mit seinen Seen lieblich und kultiviert – Marie Lipsius inszenierte das Gegensätzliche. Analog zum Ansatz ihrer biographischen Skizzen, in denen der Charakter der Musikerinnen und Musiker sich erst darin zeigte, wie die jeweilige Persönlichkeit die gottgegebene Begabung zu disziplinieren und zu kanalisieren vermochte, so entstanden auch die Landschaftscharaktere aus dem Zusammenspiel von Natur und Kultur. Das Sehnsuchtsland des bürgerlich-romantischen Ideals einer Natur-Kultur-­ Verschmelzung war Italien. Seit der Zeit des Humanismus richtete sich der Blick in den Süden auf die Stätten der klassischen Antike und ihrer Wiederentdeckung. Italienreisen hatten eine lange Tradition als Teil der (Aus-)Bildung der höheren Stände  ; im 19. Jahrhundert wurde eine Reise in das Land der Klassik dann für 264 Ebd., S. 10 f. 265 Ebd., S. 187. 266 Ebd., S. 153. 267 Ebd., S. 12.

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eine immer größere Schicht erschwinglich. Der Bildungscharakter blieb zwar erhalten, doch die Reisetätigkeit wurde mehr und mehr kommerzialisiert. Statt der Netzwerkpflege, die für Adlige und Künstler der Grund für ihre oft mehrjährigen Reisen gewesen war, galt es für die Bildungstouristen des 19. Jahrhunderts, in wenigen Wochen möglichst viele kunsthistorisch bedeutende Stätten zu besichtigen. Das »Erlebnis der Italienreise« sei endgültig banalisiert worden, stellte Wilhelm Waetzoldt dann 1927 fest  : »Dieses Italien, von dem die Väter träumten, das unsere eigene Jugend beglückte, ist nicht mehr. Aber es lebt in den Bildern und Büchern der edelsten Köpfe Europas fort.«268 Waetzoldt wollte diesen Bildern auf den Grund gehen und suchte nach Spuren der Italiensehnsucht in der Geschichte. Was er fand waren Phantasien und Projektionen  : Wie sich im Boden dieses altehrwürdigen Landes die Kulturschichten übereinander gelagert haben, so lastet über seiner von so vielen fremden Füßen betretenen Erde die Fülle der Bilder, die sich die Phantasie der nordischen Völker geschaffen hat. Dies zweite, im Land der Träume liegende Italien ist den Augen der Italiener so gut wie verborgen. – Die Kinder des Nordens aber sehen es, weil – und solange sie es suchen.269

Auch Marie Lipsius suchte dieses phantasierte Sehnsuchtsland. 1884 unternahm sie mit Simile Gerhard eine erste Reise nach Rom und Umgebung, Anlass war die Einladung der Fürstin zu Sayn-Wittgenstein. Die zweite Reise erfolgte 1898 und erkundete mit Sizilien auch den Süden des Landes.270 Ihre Eindrücke schrieb sie in Versform nieder und publizierte 1901 unter dem Titel Im Lande der Sehnsucht. Cicerone durch italische Kunst und Natur ein kleines Büchlein mit 140 Gedichten.271 Als die Italienreise als Teil der ›Grand Tour‹ im 18. Jahrhundert populär wurde, profitierten davon die Einheimischen als Reiseführer. Ihr Ruf als geschwätzige und die historische Wahrheit nicht immer ganz genau nehmende Begleiter manifestierte sich in der Bezeichnung ›Ciceroni‹. Die Reisenden fühlten sich 268 Waetzoldt 1927, S. 6. 269 Ebd., S. 290. 270 Vgl. La Mara 1917b, S. 45–92  ; 282–314. 271 Der Gedichtband erschien in dem kleinen Leipziger Verlag Hermann Seemann Nachfolger, der allerdings Ableger des sehr viel größeren und renommierten Kunstverlags E. A. Seemann war. Die Ausgründung bestand nur 15 Jahre, bevor sie Konkurs ging (vgl. Lehmstedt 2012), bei E. A. Seemann hingegen erschienen alle namhaften Kunstreiseführer der Zeit, u. a. der Prototyp des Cicerone von Jacob Burckhardt.

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von ihnen einerseits betrogen und ausgenommen, waren andererseits aber auf ihre Sprach- und Ortskenntnisse angewiesen.272 Trotz dieses negativen Images nannte der Kunsthistoriker Jacob Burckhardt seinen 1855 erschienenen Kunstreiseführer Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens. Dessen Absicht sei es, erklärte der Autor, eine Übersicht der wichtigern Kunstwerke Italiens zu geben, welche dem flüchtig Reisenden rasche und bequeme Auskunft über das Vorhandene, dem länger Verweilenden die notwendigen Stilparallelen und die Grundlagen zur jedesmaligen Lokalkunstgeschichte, dem in Italien Gewesenen aber eine angenehme Erinnerung gewähren ­sollte.273

Für einen angehenden Professor der Kunstgeschichte war das Buch in seinem Anspruch, Kunstreiseführer und wissenschaftliche Abhandlung zugleich sein zu wollen, ungewöhnlich. Burckhardt führte dazu weiter aus, dass für die »schnelle Orientierung« eines der zahlreichen Reisehandbücher herangezogen werden möge. »Das Ziel, welches mir vorschwebte, war vielmehr  : Umrisse vorzuzeichnen, welche das Gefühl des Beschauers mit lebendiger Empfindung ausfüllen könnte.«274 Die »lebendige Empfindung« sollte dann auch in der Erinnerung reaktiviert werden können, ohne dass die Leserinnen und Leser direkt vor den Kunstwerken und Baudenkmälern stehen müssten. Der Genuss entstand in der Phantasie. Diesen Gedanken verfolgte die Reiseliteratur schon seit jeher. Veröffentlichte Reisetagebücher, -briefe und -beschreibungen sollten neben konkreten Hinweisen auf Kunst und Landschaft entlang einer bestimmten Wegstrecke auch einen Unterhaltungswert an sich haben, damit der Daheimgebliebene, der »fireside traveller«, sich an ihr ebenso erfreuen konnte wie die Reisende.275 An Ähnliches mag auch Lipsius mit den Versen über ihre italienischen Reisen gedacht haben  : Sehnsüchte zu wecken und Erinnerung anzuregen. Die Verse zeichneten eine poetisch-standardisierte Reiseroute durch Italien nach. Über Genua ging es in den Süden, erst Rom und Umgebung, dann Neapel und seine nahen Kulturstätten, weiter nach Sizilien, um dann über Pisa, Florenz, Bologna und Ravenna wieder in den Norden zu gelangen bis nach Mailand und 272 Vgl. Emslander 2012. 273 Vgl. Burckhardt 1964, S. XIII. 274 Ebd., S. XIV. 275 Brilli 1997, S. 44.

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an die oberitalienischen Seen, schließlich Venedig. Im letzten Vers besingt Lipsius, am Lido stehend, noch einmal »der Schönheit Vaterland«, um dann aus der Fremde die Heimat umso gegensätzlicher zu sehen  : »Gott grüss dich, deutsches Waldrevier, Gott grüss dich, deutsche Aue  !«276 Nicht nur die landschaftlichen und kulturellen Topoi, auch die Reiserouten waren schon seit der Zeit der ›Grand Tour‹ kanonisiert. Das Ziel war, möglichst viele Orte zu besuchen, dabei aber niemals eine Reiseroute zweifach zu befahren. Sizilien als Reiseetappe wurde allerdings erst von den Touristen des 19. Jahrhunderts ins Programm aufgenommen, denn bis dahin schien der Süden Italiens wegen seiner schlecht befahrbaren Straßen und spärlichen Unterkünfte zu unwegsam.277 Die Reisenden, die in entlegeneren Regionen die einfachen Verhältnisse der dort lebenden Menschen beobachteten, zeigten oft Ekel, Mitleid und Faszination gleichzeitig.278 Das Bild des dreckig-unkultivierten »Campagnolen« (Bauern) stand neben der Romantisierung des ländlichen Lebens als elementar, authentisch und frei. Italiensehnsucht hieß immer auch, sich nach dem Ursprünglichen und Rohen zu sehnen, das zuhause vermeintlich verloren war. Der Sehnsuchtsort sei austauschbar, so Wilhelm Waetzoldt, doch die »nie ganz zu stillende Sehnsucht des Menschen, sich in elementaren Verhältnissen die Brust rein zu baden und, sei es im Räumlich-Weiten oder im Zeitlich-Fernen, zu finden, was ihm sein Heute und sein Hier versagen«, werde immer bleiben. Von der Primitivität der Campagnolen, die noch das beginnende 19. Jahrhundert befriedigen konnte, ist die moderne Romantik zur Ursprünglichkeit der Südseeinsulaner vorgestoßen. Ätna und Alpen sind klein geworden für die Phantasie von Generationen, die Polargegenden und Zentralasien meinen, wenn sie von der ›Ferne‹ reden. Das ändert aber nichts an der Funktion, die Italien nun einmal für Natur- und Kulturauffassung der nordischen Völker gehabt hat, solange die nordische Seele jene Zugvogelneigung bewahrte, für die Tieck in ›William Lovell‹ die romantische Formel gefunden hat  : ›Ich möchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wundern aufsuchen, steile Felsen erklettern und in schwindelnde Abgründe hinunterkriechen, mich in Höhlen verirren und das dumpfe Rauschen unterirdischen Wassers vernehmen.‹279 276 La Mara 1901, S. 247. 277 Vgl. Brilli 1997, S. 101–104. 278 Vgl. Imorde 2012. 279 Waetzoldt 1927, S. 181 f. Dass die Topik der Italiensehnsucht bis heute fortlebt, zeigt Daniella Seidl (2009) in einer ethnographischen Studie über deutsche Ferienhausbesitzer in Italien.

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Warum Marie Lipsius für ihre Italien-Erinnerungen die Versform wählte, begründete sie nicht. Dass das Dichten allerdings seit Jugendtagen zu ihren Leidenschaften gehört habe, betont sie in der Autobiographie. Zehn oder elf Jahre alt, baute ich mein erstes Gedicht. Ein kleines altmodisches Büchlein, in das die Großmutter gereimte und ungereimte Gedanken aufgezeichnet hatte, fiel mir in die Hand. Ich dachte  : das kannst du auch. Und wie gedacht, so getan. […] Mich beglückte das Dichten. Ich ergriff jede Gelegenheit, meine Gefühle in Reime zu kleiden.280

1901 scheint sich mit der ersten und einzigen Publikation eines Gedichtbandes für Marie Lipsius ein Kreis zu schließen. Die frühe Leidenschaft für das Dichten realisierte sich nun, nachdem ihre Position als Biographin und Briefeditorin hinreichend gefestigt war, in einem Versband. In der öffentlichen Wahrnehmung allerdings spielten die Verse wie auch die Landschaftsskizzen keine große Rolle. Von Rezensenten wurden sie kaum beachtet. Für die Öffentlichkeit blieb Marie Lipsius die »Gräfin Bio«.

280 La Mara 1917a, S. 17.

4. Marie Lipsius’ Werke in der zeitgenössischen Kritik Marie Lipsius hatte in ihrer Jugend die Sommermonate oft auf dem Rittergut Schmölen im Muldetal, etwa 30 Kilometer östlich von Leipzig, verbracht. Das Anwesen gehörte der Familie ihrer Freundin Laura Pohl. Lipsius nannte diesen Ort das »Paradies meiner Jugend«1. Im Alter kehrte sie nach Schmölen zurück und verbrachte dort ihre letzten sechs Lebensjahre. Die befreundete Familie Schultz, der mittlerweile Haus und Grundstück gehörten, gewährte der alten Dame ein Wohnrecht.2 Lipsius belebte den Ort mit lyrischen und musikalischen Vorträgen, zu denen sich die einheimische Bevölkerung um ihren Flügel, den sie aus Leipzig mitgebracht hatte, versammelte.3 Lipsius, die keine Kinder hinterließ und deren Geschwister alle bereits verstorben waren, hatte offensichtlich die Hausherrin des Rittergutes, Frau Schultz, zu ihrer Erbin gemacht. Das jedenfalls belegen die Zahlungen aus Verlagserträgen, die Breitkopf  &  Härtel nach 1927 an diese ausschüttete.4 Das Rittergut blieb bis zum Kriegsende 1945 im Besitz der Familie Schultz, nach dem Krieg wurde es von den russischen Besatzern zwangsgeräumt und der Besitz in alle Winde verstreut.5 Im kulturhistorischen Museum der nahegelegenen Kreisstadt Wurzen fand sich tatsächlich aber noch eine La-Mara-Kiste mit vermischtem Inhalt. Bei der Sichtung zeigten sich unter anderem Dokumente, die den Versuch einer regionalhistorischen Aufarbeitung zum 150.  Geburtstag der Autorin im Jahr 1987 belegen. Es hatte damals eine kleine Ausstellung in Wurzen und eine Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen Rittergutes gegeben. Das einzig noch aus dem Besitz von Marie Lipsius stammende Dokument ist ein Album, das 240  Rezensionen ihrer Publikationen enthält, die darin eingeklebt bzw. handschriftlich6 übertragen wurden. Offensichtlich hatte Similde 1 La Mara 1917a, S. 22. 2 Lipsius gibt im Nachwort der zweiten Auflage ihrer Autobiographie 1925 als Grund für ihren Umzug nach Schmölen an, dass die Stadt Leipzig ihre Wohnung konfisziert habe, da sie immer wieder längere Zeit abwesend gewesen sei und der Wohnraum anderweitig gebraucht wurde. Dokumente über eine ihr zugeeignete Spende von 1921 weisen allerdings darauf hin, dass Marie Lipsius zu diesem Zeitpunkt ihre Miete nicht mehr aufbringen konnte (vgl. Abb. 3). 3 Vgl. Ruschke 1969, S. 451. 4 Vgl. D-LEsta Bestand 21081 Breitkopf  &  Härtel, Akte  1563, Autoren-Kontokorrentbuch  E, S. 455. 5 Vgl. die briefliche Antwort meiner Anfrage an die Enkelin der damaligen Hausherrin, Elisabeth Brüggemann, vom April 2011. 6 Die Handschriften von Similde Gerhard und Marie Lipsius wechseln sich ab.

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Gerhard die Sammlung für Lipsius angelegt und ihr zum 36.  Geburtstag geschenkt, denn auf der ersten Seite findet sich ein Gedicht, unterzeichnet mit dem Kürzel S. G. am 30. Dezember 1873  : Was emsig Du daheim erdacht, Nun ist’s zu lautem Markt gebracht, Und Blatt um Blatt nach allen Winden, Will jüngstes Werk der Welt verkünden  ; Zu tausend Seelen muß es dringen, Wird’s Aller Sympathie erringen  ? – So fragst Du, auf  ! und jede Zeile Verfällt der Rezensenten Feile  ! – Zur Geistesritterin hoch geadelt, Gemeistert[  ?] bald, bald streng getadelt. Mußt trotzig Dich ja nicht geberden, Noch stolz und übermüthig werden  ; Wohl jede Stimme mag Dir frommen, Heiß’ sie für dieses Heft willkommen, Denn der Partheien frei Geständniß Es bringt tiefeigenstes Verständniß.7

Mit den Versen spricht die Verfasserin ihre Freundin direkt an. Sie muss die Wünsche und Ängste, die ihre Lebensgefährtin im Zusammenhang mit ihren Publikationen beschäftigen, gekannt haben, denn im Widmungsgedicht kommen sie zur Sprache. Dabei geht es um das Verhältnis zwischen Autorin, Lesepublikum und Rezensenten. Jedes Buch, das Lipsius herausbringe, müsse nicht nur auf dem hochdynamischen Buchmarkt8 bestehen, sondern besonders auch vor den Rezensenten. Deren Lesarten und Bewertungen gelte es auszuhalten. Zwischen den Wunsch der Autorin, ihr Buch möge von möglichst vielen Leserinnen und Lesern positiv aufgenommen werden, und ihre Angst, das Werk könnte Kritik und Gegenstimmen auf den Plan rufen, stellt Gerhard ihre Aufforderung, weder stolz noch trotzig auf die Rezensentenurteile zu reagieren. Stattdessen solle sie sich eine Distanz zur Kritik bewahren und sie konstruktiv zum Anlass nehmen, daraus Schlüsse für die weitere Arbeit zu ziehen. Jede Kritik berge die Chance, die Qualität der eigenen Arbeit fortwährend daran weiterzuentwickeln. 7 Kulturhistorisches Museum Wurzen, o. Sign. 8 Zur Expansion des Buchmarktes im Kaiserreich vgl. Jäger (Hg.) 2001.

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Abb. 8: Einladung zur Gedenkfeier anlässlich des 150. Geburtstags von Marie Lipsius auf das ehemalige Rittergut Schmölen.

Similde Gerhard schien für einen professionellen Umgang mit der Rezensenten­ kritik zu plädieren. Allerdings waren es ›weiblich‹ konnotierte Eigenschaften, die Gerhard von Lipsius forderte  : Mäßigung der Gefühle, sowohl der ­positiven wie der negativen, Demut vor dem Urteil der (männlichen) Rezensenten, Beharrlichkeit in der Vervollkommnung der ›weiblichen‹ Tugenden. In ihrem Mädchen­ brevier, das Similde Gerhard unter dem Titel Der Jungfrau Wesen und Wirken 1868 erstmals veröffentlicht hatte, gab sie ganz entsprechende Handreichungen und Ratschläge für junge Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Dort heißt es über die ›Weiblichkeit‹  : Wenn Gott des Weibes Seele mit einer Fülle weihevollster Angebinde begnadigte, wenn er Unschuld und Demuth, hingebende Liebe, Geduld in Leiden, Gefühl für edle Mäßigung, Opferfreudigkeit, Empfänglichkeit für Hohes und Schönes, stilles Walten am Altare des Hauses, – wenn er solche Himmelsgaben ihr ewiges Erbtheil werden ließ, das tief verborgen wohl in jeder Jungfrau ruht, – so sollen ihr diese bewegenden Kräfte lebendiger Mahnruf werden, das Keimende zu erhalten und zu gestalten, das Schlummernde zu frischem Leben und Streben wachzurufen, damit sich die hohe

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Aufgabe jungfräulichen Sein’s herrlich an ihr erfülle und segensvoll in ihr vollende und kröne  ! Die Natur versagte dem Weibe Stärke  ; es zeigt sich in seiner ganzen Größe und Vollendung, wo es die angeborne Schwäche verklärt in Demuth und Sanftmuth, in Fülle und Tiefe des Herzens, in Güte und stille Ergebung.9

In ihrem Buch rief Gerhard die jungen Leserinnen dazu auf, »Geberde, Wort und That fest im Zügel der Mäßigung« zu halten und sich »vor Ausbrüchen einer Heftigkeit, die der weiblichen Würde durchaus zuwider sind und zudem Anmuth und Gesundheit arg gefährden«, zu hüten.10 Ebenso sollte auch ihre Freundin Marie Lipsius die Kritik ihrer Werke sanftmütig und geduldig ertragen, um sich selbst daran zu veredeln. Dass freilich »der Partheien frei Geständniß« auch etwas über die Rezensenten und die sie beschäftigenden Diskurse aussagte, ist der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen. Die Sammlung enthält Rezensionen des Zeitraums 1868 bis 1887. Nachträglich wurden einzelne Artikel bis 1889 hinzugefügt. Die Rezensionen ­waren in über 60  verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Trotz der unüberschaubar großen Zahl an Zeitschriftentiteln in jener Zeit  – Schätzungen gehen von 1700 bis 1900 im deutschsprachigen Raum erhältlichen Titeln aus11 – repräsentiert die vorliegende Auswahl doch einen großen Verbreitungsradius der Bücher von Marie Lipsius. Wichtig war der Autorin, ein möglichst umfassendes Bild darüber zu bekommen, wie ihre Bücher wahrgenommen und bewertet wurden. Der größere Teil der Kritiken fiel für Lipsius positiv aus, es sind allerdings auch negative Besprechungen dabei, deren Argumentationen sehr aufschlussreich sind. Nach ihrem erfolgreichen Debut mit den Musikalischen Studienköpfen sorgte Lipsius dafür, dass auch ihre weiteren Bücher von der Presse wahrgenommen wurden. Befreundeten Redakteuren und Kritikern schickte sie ihre druckfrischen Werke und bat um freundliche Beachtung.12 Als eine große Zeitschrift einmal nicht ihrem Versprechen nachkam, eine Rezension zu bringen, erinnerte die Autorin freundlich und bestimmt daran. Der zuständige Redakteur Otto Leßmann bekannte reumütig  :  9 Milde 1869, S. 3. 10 Ebd., S. 11. 11 Vgl. Wehler 2008, S. 435. 12 Wilhelm Tappert beispielsweise versprach nach Empfang zweier Neuerscheinungen  : »Was dafür zuthun in meinen schwachen Kräften steht, das soll gern geschehen  !« (vgl. Brief an Marie Lipsius vom 28.01.1877, D-WRgs GSA 59/417,1).

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Abb. 9: Gedicht von S[imilde] G[erhard] auf der ersten Seite des Rezensionsalbums, 30.12.1873.

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Sie haben Recht, mich zu schelten daß die Besprechung der Lisztbriefe noch nicht erschienen ist. Ich bitte sehr um Entschuldigung mit dem festen Zugeständnis, daß ich’s vergessen habe. Ich hatte mir die Besprechung persönlich vorbehalten u. bin doch immer u. immer wieder davon abgedrängt worden. Nehmen Sie das Versprechen eines Räuigen hrz. auf, daß das Versäumte ungesäumt aufgeholt werde soll.13

Lipsius wusste, dass sie von Leßmann sehr wohlwollende Rezensionen erwarten konnte. Ähnlich gut verstand sie sich mit einer Handvoll weiterer Musik­ redakteure und -kritiker  : Oscar Paul, Louis Köhler, Wilhelm Tappert, Oscar Bie, Emil Krause, Eugen Segnitz. Alle genannten Herren zollten ihrer Kollegin großen Respekt.14 Marie Lipsius beherrschte die Spielregeln des Marktes und nutzte ihre Kontakte zur geschickten Selbstvermarktung. Dass der Weg dahin hart erarbeitet war, davon zeugen unter anderem auch die Rezensionen, die sie so sorgfältig sammelte und aufbewahrte. Der folgende Überblick beschränkt sich auf die rund 140 Rezensionen über die fünf Bände der Musikalischen Studienköpfen und stellt die Hauptlinien der Kritik, positiv wie negativ, vor. Alle Zitate stammen dabei aus dem Album, die Nachweise wurden einfachheitshalber direkt in den Text eingefügt. Erster Band: Mutmaßungen über die Autorschaft

Die Besprechungen des ersten Bandes der Musikalischen Studienköpfe fokussierten insbesondere die Frage, wer sich hinter dem Pseudonym La Mara15 verberge. Mutmaßungen, es könnte sich um eine weibliche Autorschaft handeln, gewannen die Überhand, im konkreten Namen war man sich aber uneins. Nur ein Rezensent (Euterpe 1869) ließ die Überlegungen hinsichtlich des Autors beiseite und lobte stattdessen die »ziemliche Vollständigkeit« der Biographien. Etliche Rezensenten gingen selbstverständlich von einer männlichen Autorschaft aus. Wenngleich das Pseudonym La Mara eine weibliche Person suggeriert, musste 13 Brief von Otto Leßmann an Marie Lipsius vom 27.10.1893, D-WRgs GSA 59/402,8. 14 Louis Köhler beispielsweise schrieb ihr am 17.12.1882  : »Mein Fräulein  ! Besser als ein nur ›geehrtes‹ sind Sie  : Ihre mir freundlich zugesandten ›Frauen der Gegenwart‹ bestimmen das. Sie sind nun ein Apartes unter den Musikautoren, ohne Sie würde Jemand fehlen.« (D-WRgs GSA 59/401,14). 15 Die Rezensenten nutzten in ihren Kritiken meist den Autornamen La Mara, auch als bereits bekannt war, wer sich dahinter verbarg. Um zu unterscheiden, dass es in diesem Abschnitt nicht um die Person Marie Lipsius, sondern um verschiedene Sichtweisen auf Texte der Autorin La Mara geht, nutze ich hier ebenfalls das Pseudonym.

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nicht unbedingt auch eine weibliche Autorin dahinterstehen. Damals war es nämlich nicht unüblich, pseudonym das Geschlecht zu wechseln, auch für Männer.16 Die »liebevolle, so doch einseitige Anschauungsweise« des Buches (Neue Berliner Musikzeitung) ließ einige Kritiker jedoch an einer männlichen Autorschaft zweifeln. Seine »Neugierde nach dem pseudonymen Verfasser« veranlasste den Rezensenten des Echo zu der Mutmaßung, dass der »Styl einer Dame« sich hier nicht verleugne. In der Studie über Franz Liszt zeige sich »eine so gläubige Hingabe, daß von einer männlich-ernsten Kritik nicht die Rede sein kann«. Er halte daher den Verfasser für eine Verfasserin, es sei »eine geistvolle Dame aus Nürnberg, Lina R.« Während der Rezensent der Tonhalle lediglich eine etwas »zartbesaitete Natur« im Autor vermutete, verdichtete sich ansonsten die Ansicht, dass der anmutige, elegante Stil und die psychologisch geschickte Zusammenstellung bekannten Materials für eine weibliche Verfasserin spreche, der es allerdings gelungen sei, ihre Arbeit »über das Niveau der landläufigen schöngeistigen Kunstrednerei zu erheben« (Neue Berliner Musikzeitung). Negativ gewendet meinten die Blätter für literarische Unterhaltung  : Wir haben uns bei der Vorrede länger aufgehalten, als bei dem Werkchen selbst noth­ wendig ist, das seiner Natur nach für die Besprechung keinen greifbaren Halt bietet. Die an der Oberfläche streifende Darstellung des Lebens und Wirkens der vorgeführten Tonsetzer ist fließend gehalten und für die Unterhaltung der betreffenden Kreise geeignet. Daß die gegebenen Bilder zuweilen ins Unbestimmte verschwimmen, liegt eben in dem Mangel tiefern und kritischen Eingehens.

So meinte der Rezensent, dies »Werkchen, dessen wirkliche Autorschaft sich nicht verleugnet«, seinen Leserinnen und Lesern nicht uneingeschränkt empfehlen zu können. Auch der Kritiker des Literarischen Centralblatts stieß sich an der allzu liebevollen Betrachtung des Verfassers und vermisste die Ecken und Kanten in der Darstellung der biographierten Musiker. Dasselbe merkte auch der Rezensent der Neuen Berliner Musikzeitung, Wilhelm Lackowitz, an und kritisierte die »Gleichheit in der Behandlung« aller Porträts. Lackowitz erkannte allerdings an, dass die Zielgruppe der Musikalischen Studienköpfe, wie sie im Vorwort annonciert worden war, vortrefflich angesprochen werde durch den »flüssige[n] Styl« und die »glatte, theilweis pikante Darstellungsweise« des Buches. In den Rezensionen der weiteren Studienköpfe sollte die Beurteilung, ob Inhalt, 16 Vgl. Kord 1996, S. 125–134.

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Form und Stil dem potentiellen Leserkreis entsprächen, entscheidend werden für die Gesamtbewertung der Bücher. Der Rezensent der Illustrirten Zeitung schien sich über die weibliche Autorschaft La Maras sicher zu sein, denn er pointierte in seiner Doppelrezension, in der er die Studienköpfe mit den kurz darauf erschienenen und ähnlich konzipierten ›Charakterstudien‹ von Otto Gumprecht17 verglich, die dichotom-gegenderten Zuschreibungen folgendermaßen  : Während bei Gumprecht die prächtige Art und Beherrschung der Darstellung wie die kritisch objective und klare Sichtung des auf Dauer werthvollen von dem mangelhaft vergänglichen in den Productionen der von ihm geschilderten Tondichter sofort den Leser in hohem Grade vertrauenerweckend gewinnt, ist es bei La Mara die Wärme der Darstellung, die Begeisterung für den skizzierten Kunsthelden, die psychologische Feinheit der Charakteristik, das innige Verständniß für die Eigenthümlichkeiten der Meister, überhaupt das, man möchte sagen, weiblich sympathische, welches ebenfalls unwillkürlich fesselt und erheblich dazu beiträgt, die geschilderten Persönlichkeiten in immer vielseitigerm Lichte würdigen zu lernen.

Der Rezensent empfahl seinen Leserinnen und Lesern beide Bücher, weil er in beiden sich die jeweilige Geschlechterrolle ihrer Autoren realisieren sah. Die Dichotomisierung von ›männlich‹-objektiver und ›weiblich‹-subjektiver Darstellungsweise bildete sich bis in die Satzstruktur hinein ab. Während der erste Satzteil die Vorzüge Gumprechts biographischer Studien komplex miteinander verzahnt, listet der zweite, La Maras Werk betreffende Satzteil die dortigen Vorzüge in einfach-linearer Form auf.18 Zweiter Band: Diskussion weiblicher Autorschaft

Bei Erscheinen des zweiten Bandes der Musikalischen Studienköpfe vier Jahre später stand nunmehr die weibliche Autorschaft fest. Die Rezensenten konnten also noch viel unmittelbarer als bei der Besprechung des ersten Bandes weibliche Autorschaft und weiblich konnotierte Darstellungsformen kurzschließen. Alfred Kalischer beispielsweise stellte in einem umfangreichen Artikel für die Neue Berliner Musikzeitung ausgehend von dem zu rezensierenden Buch grund17 Vgl. Kapitel 2.7. 18 Zur sprachlichen Manifestation geschlechterdichotomer Merkmalsbestimmungen vgl. auch Unseld 2014, S. 51.

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legende Gedanken zu biographischem Schreiben von Frauen an. Seine Argumentation orientierte sich exakt an der dichotomen Geschlechterkonstruktion und ihrer biologistischen Begründung. Nachdem der Rezensent die Begabung des Mannes zu geistiger Produktion, dagegen die des Weibes zur Einfühlung bei Aberkennung eigener geistig-schöpferischer Kraft festgestellt hatte, schrieb er weiter  : Flüstert im Weibe nun leise vernehmbar eine Stimme gewissermassen das Lied von der kunstschöpferischen Resignation  : so erleuchtet ihm dafür das liebevolle Herz den Sinn für die Erkenntniss der Wunderwerke des Genius in so hohem Grade, dass es darin den nichtgenialen Mann ganz unvergleichlich überragt. Gelangt ein im Kunstgefilde hausendes männliches Individuum erst einmal zum Bewusstsein seiner künstlerischen Ohnmacht, d. h. sieht es ein, dass es im Grunde weder der künstlerischen Production noch der Reproduction, noch endlich der philosophischen Kunstbetrachtung fähig ist  : dann machen sich in ihm gar zu leicht die Triebe des bösen, ungebildeten Herzens geltend. Namentlich ruft der Neid die bösartigsten Dämonen wach. Nach und nach erscheint ein von Natur herzschlechtes, kunstloses Mannessubjekt in seiner nacktesten, frivolsten Bestialität. Das animalische Element waltet endlich allein in seiner diabolischen Geiersmacht. Eine schriftstellerische Frauennatur wird niemals so ausarten. Immer wird sie sich mit der liebevollsten Hingebung in das Eigenwesen einer ihr noch so fremdartig gegenüberstehenden Erscheinung versenken, ja sie wird eher des Guten zu viel denn zu wenig thun. Die Ahnung des Ueberirdischen lässt in ihr nimmermehr jene schimpfliche lediglich dem Eigennutz fröhnende Rohheit und Gemeinheit aufsteigen, die alles Wahre, Gute, Schöne und Edle gänzlich zu untergraben droht.

Kalischer gestand der »schriftstellerische[n] Frauennatur« zwar eine »Ahnung des Ueberirdischen« zu, jedoch nicht die Möglichkeit, als ein »im Kunstgefilde hausendes Individuum« selbst daran zu partizipieren. Stattdessen stellte er die Frau gleich mit dem herabgesunkenen »kunstlose[n] Mannessubjekt«. Während der Mann von einer höheren Stufe herabsinke, sobald er sich seiner »künstlerischen Ohnmacht« bewusst werde, sei die Frau aber von vornherein auf dieser untersten Stufe verortet. Das Perfide an Kalischers Argumentation ist, dass die »Frauennatur« ihre »kunstschöpferische Resignation« quasi selbst zu verursachen und zu erhalten scheint, denn sie »wird niemals so ausarten« wie ein Mann. Mäßigung und Selbstdisziplin als ›weibliche‹ Tugenden sorgen dafür, dass der Status Quo erhalten bleibt. Wo der Rezensent die ›weiblichen‹ Eigenschaften der Autorin realisiert sah, lobte er, wo er die Grenzen der ›Weiblichkeit‹ überschritten sah, tadelte er  :

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Zweierlei möchte ich unserm Autor für weitere in die Kunst-Geschichtsforschung eingreifende Arbeiten wohl anempfehlen  : ein weit sorgfältigeres Quellen-Studium, als es hierin ostensibel wird, und eine bestmögliche Zurückhaltung von philosophischer Kunstbetrachtung, namentlich wo diese in den so äusserst subtilen Zusammenhang von künstlerischer und ethischer Macht hinübergreift.

Indem die »philosophische Kunstbetrachtung« als ›männliches‹ Feld deklariert wurde, konnte die Autorin ein Stück weit ihrer kunsthistorischen Verantwortung enthoben werden. Passte den Rezensenten ein kunstästhetisches oder historisches Urteil der Autorin nicht, dann hatte sie es als Frau eben nicht besser wissen können. Der Rezensent der Zeitschrift Echo changierte in seinem Urteil zwischen ›weiblichen‹ und ›männlichen‹ Zuschreibungen. Einerseits würden literarische Kurzformen hervorragend zur »feinere[n] Beobachtungsgabe der Frauen« passen, vorausgesetzt, die Autorinnen seien nicht oberflächlich und flüchtig und verfielen »nicht gar, wie sich das wohl ereignet, der Schönmalerei und der hohlen Phrase«. Andererseits lasse die Kürze der Darstellung und die Prägnanz der Urteile, die La Mara in ihrem Buch an den Tag lege, »fast männlich« erscheinen. Der Rezensent produzierte Widersprüchliches und ließ damit die Frage offen, ob die essayistische Form nun eher weiblichen oder eher männlichen Autoren zueigne. Hintergründig erhalten blieb aber der Gedanke, dass eine Frau immer hinter dem Mann zurückbleibe  : Selbst innerhalb eines Genres, in dem ihr mehr zugetraut wurde als dem männlichen Autor, konnte sie letztendlich nur »fast männlich« agieren. Eine gänzlich entgegengesetzte Meinung vertrat der Rezensent der Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung. Zunächst wurde ein anerkannter Musikforscher als Bürge herangezogen, die Qualität der Studienköpfe zu belegen  : »Selbst Moritz Hauptmann  – so glaube ich  – würde sich gewiß über die von Frl. Lipsius mit außerordentlichem Geschick und in reizender Form abgefaßte biographische Skizze Cherubini’s anerkennend aussprechen«. Dann aber widersprach er Hauptmann, der nämlich »dem weiblichen Schriftstellerthum ›die Entwicklung der Idee‹ absprechen möchte, und […] mit Ironie Goethe’s Worte citirt  : ›Es ist zu verwundern, wie weit unsere Frauen es in der Schriftstellerei zuweilen bringen, daß es fast aussieht, als wär’ es etwas.‹« Lipsius, so hält der Rezensent dagegen, habe mit ihrem Buch ein »schriftstellerisches Meisterstück« geschaffen, »dessen Werth man um so mehr anerkennen muß, als durch solche That ein Vorurtheil gegen die weibliche Autorenkraft wenigstens in einem einzelnen Falle besiegt werden könnte.« Ihr Werk verdiene »die vollste Werthschätzung der gebildeten Kreise«.

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Neben der Betonung La Maras weiblich-einfühlender Darstellungsweise – und die wurde selbst in den Neuen Bahnen, dem Medium der bürgerlichen Frauenbewegung, gelobt – stand in den Rezensionen die Frage nach dem Quellenstudium im Fokus. Weil ihnen der Zugang zu den Institutionen der höheren Bildung verschlossen war, wurde Frauen der kompetente methodisch-kritische Umgang mit Quellen abgesprochen. Gleichzeitig aber galt das Quellenstudium als Voraussetzung dafür, ein anerkennenswertes Buch schreiben zu können, das den Leserinnen und Lesern mehr als nur bereits Bekanntes liefern könnte. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung fand einen Kompromiss. Sie bescheinigte dem zweiten Band der Musikalischen Studienköpfe zwar, »kein Quellenwerk« zu sein, stellte aber anerkennend seinen kompilatorischen Charakter fest. Die Autorin habe die unterschiedlichsten Quellen zusammengetragen, so dass man in ihrem Buch finde, was sonst weit verstreut sei. Dabei sei sie sorgfältig mit dem Quellenmaterial umgegangen. Sie hat nämlich die Wirklichkeit ›treu und lebensvoll‹ geschildert und ist nie durch phantastische Exkursionen auf das Gebiet der Dichtung übergetreten, so daß ihre ›Studienköpfe‹ nichts gemein haben mit jenen ›musikalischen Märchen‹, welche die edlen Gestalten unserer Tonmeister durch sentimentale Züge verunzieren und ihnen goldpapierene Flittern anhängen.

Damit spielte der Rezensent auf Elise Polkos Musikerporträts an, die allerdings schon im Titel deutlich machten, dass es sich dabei um fiktive Erzählungen und nicht um Biographien handelte. Deutlich wertend grenzte der Rezensent die Studien La Maras von jenen Polkos ab. Ähnlich urteilte auch die Neue Zeitschrift für Musik. Den Studien komme das Verdienst zu, vielen deutschen Lesern manches Neue zu bringen. Der Verfasserin standen italienische und französische Werke zur Verfügung, aus denen sie genaue Data über Geburt und weniger bekannte Lebensverhältnisse giebt, die wir bisher in keinem musikalischen Lexikon fanden.

Angesichts der nun beim zweiten Band feststehenden Tatsache, dass es sich bei der Autorin um eine Frau handelte, versuchten die Rezensenten sich in einer abwägenden Haltung  : Ideologisch konnte man dem Buch kein historisch-kritisches Quellenstudium zugestehen, dennoch musste man anerkennen, dass die Autorin mit ihren Studien – insbesondere zu Cherubini – bisher unzugängliche Informationen in Umlauf gebracht hatte, wodurch der Erkenntnisgewinn für die Leserinnen und Leser nicht unerheblich war.

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Dritter Band: Die Frage der Biographiewürdigkeit

Die Auswahl der Biographien des dritten Bandes der Studienköpfe sorgte bei den Rezensenten für Kontroversen. Vier der sieben porträtierten Musiker lebten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch  : Adolf Henselt, Robert Franz, Anton Rubinstein und Johannes Brahms. Die anderen drei, Ignaz Moscheles, Ferdinand David und Carl Tausig waren erst weniger als fünf Jahre tot. War es legitim, diese Künstler der »Jüngstvergangenheit und Gegenwart« bereits biographisch zu würdigen  ? Der Rezensent der Hamburger Reform war ­skeptisch  : »[O]b aber die Wahl noch im besten Schaffen stehender Componisten als Modelle zu den Studienköpfen eine vollkommen gerechtfertigte ist dürfte einigem Zweifel unterliegen«. Zu entsprechenden Urteilen kamen auch einige seiner Kollegen. Dass auch der erste Band der Musikalischen Studienköpfe noch lebende Musiker porträtiert hatte, schien den Rezensenten nicht aufgefallen zu sein. Die Neue Berliner Musikzeitung machte auf vier Probleme aufmerksam, die nach Meinung ihres Rezensenten mit der Biographie einer noch lebenden Person verbunden seien. Erstens sei kein vollendetes Bild möglich, zweitens könne eine richtige Bewertung erst aus der historischen Rückschau vollzogen werden, drittens habe die Biographie noch Lebender das Manko, auf Freunde und Verwandte Rücksicht nehmen zu müssen, viertens sei die Lebensgeschichte später zu ergänzen. Eine Rezension in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung deutete allerdings an, was die ablehnende Haltung der Kritik gegenüber dem dritten Band der Studienköpfe verstärkt haben könnte  : Einige Rezensenten stellten die künstlerische Größe der Porträtierten zur Disposition. Die pseudonyme Verfasserin wird es sich selbst am allerwenigsten verhehlt haben, daß dieser dritte Band ihrer mit so viel Hingebung und Sorgfalt geschriebenen Studienköpfe an Interesse weit hinter den ersten beiden Bänden derselben zurückstehen muß. Dort führte sie uns zuerst die deutschen Tonmeister von Weber bis Wagner vor, dann erzählte sie uns von den fremden Maestri von Cherubini bis auf Berlioz. Ja, Wagner, Schubert, Mendelssohn gehören der Welt an, Rossini und Boieldieu muß jeder Gebildete kennen. Aber was ist uns Moscheles und Henselt  ? Von Franz besitzen wir schon treffliche Biographien, über David war es an dem genug, was Aug. Wilhelmi in einem Fachblatte veröffentlichte. Und selbst Tausig – wir sehen nicht, welche andere ›dauernde Spuren die kurze Spanne seines Daseins hinterlassen‹ hat, als die Trauer in den Herzen seiner Freunde über seinen frühen Tod. – Das meiste in dem vorliegenden

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Buche würde mehr in ein Tonkünstlerlexikon oder in eine Musikzeitung gepaßt haben als in ein Buch für’s große Publikum.

Während diesem Kritiker die Auswahl der Musiker nicht mit dem etablierten Kanon der Musikheroen des 19. Jahrhunderts kompatibel erschien, meinten die Signale für die musikalische Welt mit dem Hinweis auf die pädagogische Bedeutung der Porträtierten  : »Wer läse nicht gern über diese Meister, die uns fast beständig praktisch beschäftigen  ?« Und das Wiesbadener Tageblatt urteilte, das Buch umfasse die Biographien hervorragende[r] Männer der Gegenwart […], über die zum Theil nur in zerstreuten Artikeln von Fachblättern Erörterungen an die Öffentlichkeit, aber immer nur in den betreff. Kreisen gelangten, während hier sie dem großen, sich für Musik interessirenden Publicum zugänglich gemacht sind.

Dass jeder Musikerbiographie erstmals ein Werkverzeichnis angefügt war, verleihe dem Buch einen »schätzbaren bibliographischen Werth« (Neue Freie Presse) und wurde überwiegend positiv beurteilt. Anerkennend wurde die von der Autorin geleistete Recherchearbeit gewürdigt. »Von bleibendem Werthe sind die mit großem Fleiß zusammengestellten Verzeichnisse der Werke jener Herren«, meinten die Blätter für literarische Unterhaltung. Die Autorin habe ihre Sache ernst genommen, und so klebe der Arbeit »nirgends die Signatur der Flüchtigkeit an«. Allerdings war die Geschlechterperspektive auch in den Besprechungen des dritten Bandes der Musikalischen Studienköpfe von enormer Relevanz. Weiterhin wurden ›weibliche‹ bzw. ›männliche‹ Muster angelegt, um das Buch als ­»lebhaft«, aber »bisweilen auf der Heerstraße des Phrasenthums« wandelnd zu bezeichnen (Neue Preußische Zeitung), auf die »anerkennende Liebenswürdigkeit« (Neue Berliner Musikzeitung) und die »Ueberschwänglichkeit eines wohlwollenden Herzens« (Hamburger Nachrichten) den biographierten M ­ usikern gegenüber ­aufmerksam zu machen oder zu betonen, dass auch dieses Buch, wie schon seine Vorgänger, »mit Wärme und Verständiß componirt« worden sei (Neue Freie Presse). Der Rezensent der Hamburger Nachrichten meinte erklären zu können, warum die Autorin in allem »ganz Weib« bleibe, selbst wenn sie ihr Material »nach eifriger Gelehrtenart« zusammentrage und darin »mit dem gewissenhaftesten Manne« wetteifere. Doch

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die eifrige Sammellust erweckt in ihr keinesweges, wie dies bei dem ernsten Manne stets erfolgt, den kritischen Sinn und hebt sie auf den Standpunkt objectiver Betrachtung, sie macht sich nicht frei von der Eigenart ihres Geschlechtes  : der Maßstab ihrer Betrachtung ist schließlich stets das Herz und das persönliche Wohlwollen.

Aus dem Zirkelschluss der Geschlechterdichotomie gab es kein Entrinnen. Selbst die ›unweiblichen‹ Eigenschaften der Autorin konnten nie als ›männlich‹ anerkannt werden, denn für die Zeitgenossen stand fest, dass eine »wirkliche Beurtheilungskunst« sich nur aus dem »durch natürliche Anlagen gekräftigten Erkenntnißvermögen eines Selbstschaffenden« bilden könne (Hamburger Nachrichten) – und damit Männern vorbehalten blieb. Vierter Band: Anerkennung der Vermittlungsleistung

In den Besprechungen des vierten Bandes der Musikalischen Studienköpfe rückte das Geschlecht der Autorin und daran geknüpfte Zuschreibungen ›weiblicher‹ Textmerkmale in den Hintergrund. Zwar war man sich einig, dass sich in den anmutigen und graziösen Biographien »das reiche Frauengemüth« verrate (Neue Musik-Zeitung), doch in den Fokus geriet nun vielmehr die Leistung der Autorin, Gegensätzliches zusammenzubringen  : Wahrheitstreue und Poesie, musikalisches Werk und Lebensgeschichte, Individualbiographie und Kunstgeschichte. Oscar Paul, Kritiker des Leipziger Tageblattes, behandelte die Frage, ob es sich bei den Musikalischen Studienköpfen eher um wissenschaftliche oder um feuilletonistische Aufsätze handelte. Die Antwort suchte er in der Ergänzung beider Ansätze. So sprach er der Autorin zu, dass »ihr musikalisches Nachempfinden, ihr Verständniß der Meisterwerke« derart umfassend sei, dass der Wert ihres Buches »selbst von der wissenschaftlichen, streng sichtenden Kritik unumwunden anerkannt werden muß«. Es gelinge ihr »allenthalben die Wahrheit in sinnig gewählter, schöner Form darzulegen, so daß niemals die genaue Zeichnung durch die Auftragung schöner Farben verdeckt oder ein grelles Licht auf dieselbe geworfen wird.« Und auch in der Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung war zu lesen, dass aus dem neuesten Band der Musikalischen Studienköpfe der »Geist der Wahrheit« spreche, »aber in so edler, liebenswürdiger, hochinteressanter Form, daß man unwillkürlich hineingezogen wird in das Leben und Schaffen der Tondichter«. Demnach gelang der Autorin, den Vorzug der wissenschaftlichen Betrachtung (das objektiv-wahre Verständnis) mit jenem der feuilletonistischen Betrachtung (der ansprechenden Form) zusammenzubringen. Beide Seiten, Wissenschaft und Öffentlichkeit, akzeptierten Lipsius als Instanz der Musikgeschichtsschreibung.

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Zur Vermittlungsebene von musikalischem Werk und Lebensgeschichte meinte Louis Köhler, Rezensent der Signale für die musikalische Welt, La Mara habe »das Musikalische fachgemäß u. das Biographische mit menschlichem Interesse« aufgefasst. Ähnlich lobte auch die Deutsche Kunst- und Musikzeitung, dass die geschätzte Verfasserin […] keine trockene Biographie, kein bloßes Aufzählen auf einander folgender Ereignisse [gibt]  ; im Gegentheile  : der Künstler und der Mensch zugleich wird geschildert, nicht blos der erste oder der letzte allein  ; sie weiß das künstlerische Moment genau mit dem dazu gehörigen menschlichen zu vereinen.

Die Verbindung von biographischen und musikalischen Betrachtungen wurde von den Rezensenten positiv hervorgehoben, brachte sie dem bürgerlichen Lesepublikum doch »Orientierung« und »Repetition«. Damit sei auch der vierte Band »ein Volksbuch im besten Sinne des Wortes  ; denn das Werk stützt sich auf die strengste historische Wahrheit und allenthalben ist die Darstellung eine Jedem klar verständliche« (Leipziger Tageblatt). Die Leserinnen und Leser würden hier »ebenso belehrt wie angenehm unterhalten«, meinte die Illustrirte Zeitung, denn [w]em es an Zeit und der vorausgesetzten Fachkenntniß gebricht, die Specialwerke eines Spitta über Bach, Chrysander’s über Händel, Schmidt’s über Gluck, Jahn’s über Mozart, C. F. Pohl’s über Haydn, Thayer’s oder Marx’ über Beethoven durchzustudiren, dem bietet dieser Band, indem er durchaus bequem über die genannten Meister orientirt, sicherlich hinlängliche Auskunft.

Die dritte Vermittlungsebene zwischen individueller Biographie und allgemeinem kulturhistorischen Kontext sprach das Wiesbadener Tagblatt an. Der dortige Rezensent beschrieb, was die Darstellungen La Maras so anziehend mache  : »die harmonische Ineinanderfügung von den Bewegungen der Zeit, individueller musikalischer und geistiger Entwickelung aus diesem Untergrunde heraus und des persönlichen Bildes, das stets so warm und lebensvoll gezeichnet ist.« Dass die Autorin mit den »Classikern« ihres vierten Bandes das Fundament darstellen wollte, auf das sich alle Musiker der »Jüngstvergangenheit und Gegenwart« beziehen müssten, erfassten die Rezensenten sehr genau und lobten das Ansinnen La Maras. Die Deutsche Kunst- und Musikzeitung brachte es auf den Punkt  :

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Es schien geboten, den früher gegebenen Porträts neuerer und neuester Tonkünstler die jener älteren erlauchtesten Tongrößen anzureihen. Denn wie durch sie das goldene Zeitalter der Musik repräsentirt erscheint, so wäre auch ohne sie die gegenwärtige Musikentwickelung nicht denkbar.

Louis Köhler hielt es in den Signalen für die musikalische Welt für sehr erfreulich, dass sich die Autorin der Studienköpfe nun »unsere[n] alten Hochmeister[n]« widme und fragte rhetorisch  : »[W]ie könnte dem auch anders sein, da jene ­Alten uns gleich unsern Eltern sind, die uns den Grundstoff zu unsrer Kunst schufen, auf den wir immer wieder zurück greifen, um uns an der ursprünglichen Schönheit in wahrhaft inspirirter Form zu erlaben.« Allerdings bemängelte er, »[d]aß die Verf. Mozart vor Bach aufstellt, blos deshalb, weil eben in letzter Zeit die Mozart-Cyclen über die Bühnen gingen«, wo doch »dies Buch noch fortlebt, wenn die Cyclen längst vergessen sein werden«. Diese Umstellung zeugte nun aber genau vom Geschick der Autorin. Aktuelle Konzertprogramme infolge eines Künstlerjubiläums zum Anlass zu nehmen, ihren Leserinnen und Lesern die entsprechende Biographie dazu zu liefern, war sowohl didaktisch als auch verkaufstaktisch klug. In zweifacher Weise waren die Rezensenten davon überzeugt, dass »dieser heute zu besprechende Band gewissermassen einen Abschluss« darstellte (Lite­ ra­­risches Centralblatt)   : Für sie stellten die dort versammelten Biographien den Höhepunkt der Musikgeschichte ebenso dar wie den Höhepunkt der Künstler­ schaft La Maras, die »mit strengster Beobachtung der neuesten Forschungen« gearbeitet habe. Nie habe sie sich »einer gewissen Selbstgenügsamkeit« hingegeben, sondern sei »gegen sich selbst der unerbittliche Kritiker [gewesen], dessen unbeugsamer Wille es vollbrachte, daß allenthalben die Vollkommenheit erreicht worden ist« (Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung). Fünfter Band: Gender Trouble

Als der fünfte Band der Musikalischen Studienköpfe auf den Markt kam, der sich den »Frauen im Tonleben der Gegenwart« widmete, rückte der Genderaspekt wieder stark in den Vordergrund. Fast alle Kritiker rekurrierten in ihren Rezensionen auf die Weiblichkeit der Autorin, wobei sie nun aber weniger auf die Analogie zwischen Autorin und Texteigenschaften zielten, sondern stattdessen einen Konnex zwischen der Autorin und den biographierten Musikerinnen herstellten. »Hier ist die Autorin auf ihrem eigensten Terrain«, hieß es in der Zeitschrift Über Land und Meer. So wie Frauen »ein besonderes Beobachtungstalent für

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kleine, aber deshalb nicht minder bedeutsame Züge« hätten, »welches den Männern nicht selten abgeht« (Cölnische Volkszeitung), so könne doch bei den biogra­ phierten Musikerinnen nur von »technischer Bedeutsamkeit« die Rede sein. Dass die Autorin deren musikalische Erfolge mit »unbedingten Lobspenden« preise, erklärte das Wiesbadener Tageblatt damit, dass »es sich hier nur um Damen handelt« – da sei »collegiale Galanterie schon gerechtfertigt«. Die Kritiker fühlten sich durch La Maras Frauenbiographien, »eine Art Ergänzungsband« (Berliner Börsenzeitung) zur bisherigen Reihe, darin bestätigt, dass »es nennenswerte Komponistinnen nicht giebt« (Grenzboten), schließlich hatte die Autorin die Musikerinnen als Interpretinnen vorgestellt und im Vorwort ihres Buches begründet, dass schöpferisches Talent und Weiblichkeit nicht zusammenpassten.19 Die »geringen bekannten Ausnahmen […] bestätigen nur die Richtigkeit der Regel« (Berliner Börsenzeitung). Die Unterscheidung von Virtuosität und Kunst sollte möglichst eindeutig bleiben. Demnach konnte Virtuosität auch von Frauen erreicht werden, was die Rezensenten durchweg anerkannten, echte Kunst allerdings falle allein den Männern zu. So versuchte der Rezensent der Deutschen Musik- und Kunstzeitung auch eilig, Franz Liszt, dem das Buch als dem »Ideale der Virtuosen« gewidmet war, wieder in den Bereich der wahren Kunst herüberzuretten. Er bekannte  : »[W]ir würden, indem wir gerne diesen Unterschied machen, lieber sagen  : dem Ideale der Künstler«. Die Meinungen, wie der fünfte Band La Maras zu bewerten sei, gingen harsch auseinander. Das eine Extrem bildete die Zeitschrift Nord und Süd ab, die der Meinung war, der vorliegende Band stehe den vorausgegangenen Bänden »um ein Beträchtliches nach, sowohl in Betreff seines allgemeinen Inhaltes, als auch besonders des literarisch-ästhetischen Werthes.« Die Autorin ergehe sich in den Frauenbiographien in Superlativen. »Kurz  : während die früheren Bände der ›Studienköpfe‹ im Lichte einer ernsthaften Leistung angesehen werden durften, muß der vorliegende Band als eine Dilettanten-Leistung bezeichnet werden, von geringem Werthe für die einschlägige Literatur.« Die Grenzboten stimmten in die Kritik mit ein, dafür die weibliche Autorschaft verantwortlich machend  : La Mara ist eine merkwürdige schriftstellerische Erscheinung  ; man möchte sagen, sie stehe in der Mitte zwischen Forkel und Elise Polko. Auf der einen Seite steckt ein halber Gelehrter in ihr, der mit Sammeleifer, Spürsinn und Genauigkeit seinen Stoff zusammenträgt  ; auf der andern ist ihr aber doch ein bunter und in die Augen fallender 19 Vgl. Kapitel 3.2.

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Ausputz dieses Stoffes von solcher Wichtigkeit, daß sich in jeder Zeile die weibliche Hand verrät. Wie anders sehen die musikalischen Charakterköpfe von Riehl aus  !

Ähnliche Überlegungen zur Einordnung der Autorin stellte auch Eduard Hanslick in der Neuen Freien Presse an, verglich allerdings nur die drei Schriftstellerinnen Marie Lipsius, Lina Ramann und Elise Polko untereinander, ohne sie männlichen Musikschriftstellern gegenüberzustellen. Damit beließ er die drei auf einem von der allgemeinen Musikgeschichtsschreibung separierten Feld. Diese drei Grazien der Musik-Literatur, wie wir sie galant nennen wollen, wetteifern in fleißiger Betriebsamkeit. Am niedlichsten behandelt Frau Polko ihr Fach, nämlich in Form musikalischer Romane, Novellen und Märchen, die für junge Mädchen recht amüsant sein mögen und nur den Nachtheil haben, daß die Leserinnen niemals wissen, was an den Geschichten, in welchen Bach, Händel oder Beethoven die Hauptrolle spielen, historisch und was erdichtet ist. Viel ernster, ja erschrecklich ernst nimmt es Fräulein L. Ramann, die in dem ersten Bande ihrer Liszt-Biographie ganze Abhandlungen über den St. Simonismus, über die romantische Dichterschule in Frankreich und Aehnliches einschaltet. […] Ungefähr zwischen diesen beiden Colleginnen steht Fräulein La Mara, welche ernsthafter als die kindlich fabulierende Polko und minder schwerfällig als die salbungsvolle Ramann einen Musikerkopf nach dem andern säuberlich porträtiert.

Hanslick beschrieb die drei Frauen, als befänden sie sich in einem Schauspiel, das nichts mit der Realität zu tun hatte. Aus dieser Position des herablassenden Beobachters kritisierte er am fünften Band der Studienköpfe, dass die »außerordentliche Aehnlichkeit in den Lebensläufen« fatal sei, dass den Biographien damit »eine gewisse Eintönigkeit« anlaste, dass die Autorin »häufig in leere Phrasen« verfalle und dass der enthusiastische Ton »für ein ernstgemeintes Buch doch gar zu reclameartig« klinge. Am anderen Ende der Bewertungsskala stand das Leipziger Tageblatt mit seinem Rezensenten Oscar Paul. Der freute sich, dass La Mara »die Welt wiederum mit einem prächtigem Werke beschenkt« habe, mit dem sie »uns das Streben, Ringen und ruhmreiche Wirken lebender Künstlerinnen, welche sich durch ihre Reproductionen den Dank aller gesinnungsvollen Kunstfreunde erworben haben«, vorführe. Die ungemein anziehende schriftstellerische Ausführung lehrt uns, daß La Mara die edelste Kunstanschauung besitzt und ihr Material künstlerisch zu verwerthen weiß. Sie ist eine Dichterin, welche auf dem Grunde strengster Wahrheit ihre farbenpräch-

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tige, geistvolle Darstellung entwickelt und ebenso weit entfernt ist von der Phantasterei der Dichterlinge, wie von dem trockenen Ton der registrirenden Publicisten.

Auch Paul ging vergleichend vor, um die Leistung der Autorin zu beschreiben. Zwar nannte er keinen konkreten Namen, platzierte La Mara jedoch in der Mitte eines Spektrums, das von der »Phantasterei der Dichterlinge« bis zum »trockenen Ton der registrirenden Publicisten« reichte. Er hütete sich vor eindeutig geschlechtlicher Zuschreibung, so dass seine Leserinnen und Leser an beiden Enden des Spektrums sowohl männliche als auch weibliche Autoren assoziieren konnten. Solcherart Neutralisierung war wohl seinem Bemühen geschuldet, die befreundete Kollegin angemessen zu würdigen. Nur Louis Köhler tat es ihm gleich, wenn er Marie Lipsius gegenüber bekannte  : Als ich Ihre hübschen Bücher las, hatte ich zuweilen eine schwache Ahnung, daß der Verfasser eine Dame sein könnte  ; denn die Erzählungsweise hatte in ihrer freundlichen Sprache so viel unmittelbar natürliches, wogegen die Männer, wenn sie ›freundlich‹ schreiben, einen freundlichen Willen dazu durchfühlen lassen. Weil Sie aber auch zugleich so manche eigene Beobachtung machen und diese so bestimmt aussprechen, kam ich von meiner Vermuthung zuweilen auch wieder ab u. blieb schwankend.20

Nun wünschte er der Autorin, dass man bei allen ihren weiteren Publikationen »weder an einen Herrn noch an eine Dame denkt.«21 Der Genderdiskurs war in fast allen Rezensionen präsent. Geschlechtertypische Zuschreibungen bildeten quasi das Fundament für die Bewertung der Arbeiten von Marie Lipsius. Darüber hinaus war jedoch bemerkenswert, wie passgenau die Rezensionen die intendierten Anliegen der Autorin ausdrückten. Im Vorwort des ersten Bandes hatte die Autorin ihre Intention in nuce expliziert  : Nicht auf irgend welche musikalisch wissenschaftliche Bedeutung wollen diese Studien Anspruch erheben  ; nicht für Künstler, sondern für Kunstfreunde vielmehr wurden sie geschrieben. Das deutsche Volk dem Verständniß des Lebens und Wirkens einiger seiner größten Meister näher zu führen, jenen zu der ihren gebührenden, ihnen zum Theil bis auf den heutigen Tag noch vorenthaltenen allgemeineren Anerkennung zu verhelfen22. 20 Brief von Louis Köhler an Marie Lipsius vom 24.11.1873, D-WRgs GSA 59/401,14. 21 Ebd. 22 La Mara 1868, unpag. Vorwort.

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Abb. 10: Seite aus dem Rezen­ sionsalbum mit Kritiken zum fünften Band der Musikalischen Studienköpfe

Vier Punkte wurden hier angesprochen. Die biographischen Skizzen wollten erstens nicht wissenschaftlich sein, zweitens ein musikinteressiertes Publikum, nicht aber Musikexperten ansprechen, drittens den Leserinnen und Lesern das Verständnis für einige ausgewählte Musiker näherbringen und damit viertens das Andenken an diese Musiker fördern. Die Vorbemerkungen der weiteren Bände erweiterten die Intentionen zwar, indem nun doch auch Künstler angesprochen werden sollten und die Autorin zunehmend Anspruch auf eine Wahrnehmung von wissenschaftlicher Seite erhob, doch grundlegend blieben die vier Punkte erhalten. Diese ließen sich auf die Formel reduzieren, dass die Musikalischen Studienköpfe eine identitätsstiftende Funktion ausüben wollten. Die dargestellten Musiker sollten als »Erinnerungsorte« (Pierre Nora) das Bewusstsein der Leserinnen und Leser für ihre Kultur stärken und die Lektüre ihrer Biographien dabei gleichzeitig belehren und unterhalten. Indem Marie Lipsius ihnen ein Denkmal setzte, versuchte sie auch Traditionsbildung und Kanonisierung mit zu beeinflussen. Die weite Verbreitung ihrer Studienköpfe lässt vermuten, dass sie dazu tatsächlich einen bedeutenden Beitrag geleistet hat. Dabei habe sie die Künstler auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, statt ihrer Mythisierung Vorschub zu

»Im Lande der Sehnsucht«: Gedichte und Reiseberichte

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leisten, meinte der Rezensent der Neuen Freien Presse, der bitter beklagte, dass das Künstlertum gegenwärtig jeglicher gesellschaftlicher Realität enthoben sei. Der Adelsbrief des Genies hebt seine Jünger hoch über die Nüchternheit des bürgerlichen Lebens hinweg. Die große Masse fühlt dies wohl heraus und blickt zu jenen Auserwählten, von denen das ›Est Deus in nobis‹ gilt, wie zu Wesen anderer Art auf. Was Wunder demnach, wenn auch die nüchternen Lebensverhältnisse derselben in der landläufigen Anschauung von der Allgemeinheit abweichen und sich mit einem reichen Mythenkranze schmücken. Der Philisterverstand begreift nicht, daß auch der berufene Künstler in erster Reihe doch immer ein Mensch ist, dem nichts Menschliches fremd ist, und der, wie so viele andere, häufig mit der öden Unzulänglichkeit des Irdischen zu kämpfen hat. Auf dieser Erkenntniß bauen sich La Mara’s neueste Skizzen auf, die ähnlich den früheren mit Wärme und Verständniß componirt sind.

5. Wissenschaftsgeschichte aus weiblicher Perspektive Die Schriftstellerin | Wissenschaftlerin Marie Lipsius

Sophie Pataky arbeitete gegen Ende des 19. Jahrhunderts an einer lexikalischen Sammlung schreibender Frauen. Dazu bat sie nicht nur Schriftstellerinnen um biographische und bibliographische Mitteilungen, sondern alle Frauen, die in irgendeiner Form mit schriftlichen Arbeiten an die Öffentlichkeit gegangen waren  : Redakteurinnen, Herausgeberinnen, Übersetzerinnen, Kritikerinnen usw., denn sie wollte das Bild der schreibenden Frau über die bisherige Vorstellung der Poetin erweitern. Pataky beschrieb im Vorwort ihres zweibändigen Werkes, wieviel Überzeugungsarbeit es sie gekostet habe, die angefragten Autorinnen zur Mitarbeit zu überreden. Etliche der Frauen hätten sich einer Aufnahme in ein solches Lexikon für nicht würdig gehalten, denn sie maßen ihrer Arbeit keinen erin­nerungswürdigen Wert zu. Pataky kommentierte dazu  : Diese, leider vielseitig geteilte Auffassung, welche den ganzen Zweck und Charakter des Werkes geradezu in Frage stellte, veranlasste die Herausgeberin, den ursprünglichen Titel des Buches  : ›Lexikon deutscher Schriftstellerinnen‹ in ›Lexikon deutscher Frauen der Feder‹ umzuändern, denn nicht nur die Bücher schreibende Frau, sondern die schreibende Frau überhaupt, gleichviel in welcher Form sie ihre geistige Thätigkeit mit der Feder zum Ausdruck bringt, soll in diesem Werke zu finden sein und jede schreibende Frau hat die moralische Verpflichtung, sich in Reih und Glied zu stellen, wenn es gilt, Heerschau zu halten über die geistige Potenz des weiblichen Geschlechts, die weit unter das Niveau des männlichen zu stellen bisher zu den unantastbaren Lehrund Erfahrungssätzen unserer Gesellschaft im allgemeinen und vieler Gelehrten und Ärzte im besonderen gehörte.1

Pataky hatte mit ihrem Lexikon den Fokus erweitern wollen, indem sie Frauen nicht nur als Literatinnen, sondern ebenso als Verfasserinnen von Kritiken, Gesetzeskommentaren, Kinderbüchern oder historischen Studien Anerkennung zukommen ließ. Sie wendete damit den Blick weg von einer ästhetischen hin zu einer funktionalen Debatte über die Texte von Frauen. Mit ihrer lexikalischen Repräsentation wurden Frauen zu Akteurinnen gemacht, die sich mit ihren diversen Texten in viele Bereiche des gesellschaftlichen Le1 Pataky (Hg.) 1971 [1898], S. X.

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bens einmischten.2 Dass Pataky ihrem Lexikon ein 72-seitiges »Verzeichnis der Pseudonyme welche von deutschen Frauen der Feder seit etwa 200 Jahren gebraucht worden sind« anfügte, zeigt ihren Willen, weibliche Autorschaft nicht mehr verstecken zu wollen, sondern selbstbewusst mit einem Eigen­ namen zu verbinden. Das Buch erschien 1898, Marie Lipsius war selbstverständlich darin vertreten. Unter ihrem bürgerlichen Namen fanden sich knappe biographische Angaben, unter ihrem Pseudonym La Mara waren die Werke aufgezählt. Den kurzen biographischen Text hatte Lipsius selbst verfasst. Sie vermied es darin, sich irgendeine Art Bezeichnung zu geben  : Weder nannte sie sich Musikschriftstellerin oder Biographin noch Musikforscherin oder Musikhistorikerin. An dieser Stelle hätte Lipsius die Möglichkeit gehabt, besonders wirkungsvoll eine Zuschreibung der eigenen Arbeitsleistung vorzunehmen. Sie unterließ es. Es ist anzunehmen, dass Lipsius dies ganz bewusst tat und die unterschiedlichen Zuschreibungen nebeneinander gelten lassen wollte, ohne sich auf ein Label festlegen zu lassen. Ähnlich dem Umgang mit ihrem Pseudonym, aus dem schnell ein Markenzeichen geworden war, das sich strategisch einsetzen und nutzen ließ, gebrauchte Lipsius auch ihre jeweilige Zuschreibung als Schriftstellerin bzw. Wissenschaftlerin  : Hätte sie sich selbst lediglich als Schriftstellerin tituliert, wäre ein wichtiger Anteil ihrer Arbeit unberücksichtigt geblieben, nämlich der der selbstständigen Recherche unbekannter Quellen. Hätte sie sich aber von vornherein als Musikforscherin der Öffentlichkeit vorgestellt, wären ihre Werke wohl weit weniger breit rezipiert3 und von Seiten der Musikforschung sehr wahrscheinlich erst gar nicht wahrgenommen worden. Lipsius akzeptierte die jeweilige Zuschreibung durch die Öffentlichkeit. Sie hatte sich, sei es aus strategischen oder aus pragmatischen Gründen, eine Haltung angeeignet, die die bestehenden Grenzen, die ihr als Frau in der Wissenschaft gesetzt waren, akzeptierte. Gleichzeitig suchte sie Wege, trotz alledem ihren Beitrag zum Verständnis von Musik­ 2 Pataky führt nicht nur etliche geschichtsschreibende Frauen auf, sondern beispielsweise auch juristisch gebildete Frauen, die mit ihren unermüdlichen Petitionen an den Reichstag Einfluss auf die Neufassung des Bürgerlichen Gesetzbuches zu nehmen versuchten. 3 Wie beliebt ihre Bücher waren, zeigen die überdurchschnittlich hohen Auflagen von 1500 bis 3000 Exemplaren je Werk (vgl. Nissen 2009, S. 111). Es lassen sich zwar nur für einige Werke die exakten Auflagenhöhen ermitteln, meist basieren diese auch lediglich auf brieflichen Aussagen der Autorin selbst, doch es ist durchaus realistisch, dass wegen der mehrfachen Wiederauflagen der erste Band der Musikalischen Studienköpfe und einige Einzelbiographien daraus auf eine Gesamtauflage von 20.000 Exemplaren und mehr kamen.

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Wissenschaftsgeschichte aus weiblicher Perspektive

geschichte leisten zu können und tatkräftig am Kanon der Musikkultur ihrer Zeit mitzuschreiben.4 Mit ihren Arbeiten verband Lipsius populäre und wissenschaftliche Geschichtsschreibung. Die Frage, ob ihre Arbeit nun die einer Schriftstellerin oder die einer Musikwissenschaftlerin gewesen sei, ginge also an Lipsius’ eigenem Anliegen vorbei, denn sie würde die Grenze zwischen Populärem und Wissenschaftlichem erneut manifestieren. Marie Lipsius war alles gleichzeitig  : Schriftstellerin, Editorin, Historikerin, Kritikerin, Dichterin, ohne dass ihr eine einzelne dieser Zuschreibungen am wichtigsten gewesen wäre.5 Der Kern all ihrer Arbeiten betraf die »Wahrheit«  : nicht als objektiv erreichbarer Punkt, sondern als subjektiver Standpunkt. Zu einer Zeit, als der historistische Idealismus theoretisch bereits überholt war und der Positivismus auch die Geschichtsschreibung dominierte,6 hielt Lipsius am idealistischen Konzept fest. Es mag ihr geholfen haben, die unzähligen Trennungsgebote ihrer Zeit zu befolgen  : zwischen Natur und Kultur, Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen Populär- und Hochkultur, zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Individuum und Gesellschaft, Empfindung und Verstand. Letzten Endes führten all diese Grenzziehungen auf die Dichotomie der Geschlechter.7 Das Niedere, Abhängige, Subjektive galt als das ›Weibliche‹, das Heroische, Autonome, Objektive dagegen als das ›Männliche‹. Aleida Assmann spricht bei den Trennungsbestrebungen, die seit der Aufklä­ rung das Denken beherrschten, von der »Kernspaltung der Kultur«8. Diese habe eine »paradoxale, dualistische, komplementäre Parallelführung von Verwissenschaftlichung und Sakralisierung kultureller Werte« erzeugt. Das große Narrativ der Moderne, die fortwährende Rationalisierung und Entzauberung der Welt, sei eben nur die halbe Wahrheit. Als Gegenbewegung sei das Kulturelle zur neuen Religion erhoben worden. Während sich einerseits das historische 4 Nicht nur mit ihren eigenen Büchern tat Lipsius das. Für das Goldene Buch des Deutschen Volkes an der Jahrhundertwende wurde sie gebeten, die Auswahl der darin vertretenen Musiker vorzunehmen (vgl. La Mara 1917b, S. 314). Ob es dann wirklich ihre Vorschläge waren, die letztendlich berücksichtigt wurden, lässt sich nicht prüfen. Von den 74  Personen sind jedoch 14  Frauen (darunter Lipsius selbst), die fast alle auch in den Musikalischen Studienköpfen porträtiert worden waren. Das lässt vermuten, dass die Auswahl von Lipsius stammte. Den Einleitungstext in die Porträtgalerie verfasste hingegen Hermann Kretzschmar, der in seinem Text den Zustand der »Tonkunst« zur Jahrhundertwende beschrieb, die interpretierende Kunst dabei allerdings unerwähnt ließ. 5 1896 erhielt Lipsius vom Herzog von Weimar die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft als Würdigung ihrer Arbeit am Liszt-Briefwechsel (vgl. D-LEsm A/421/2010). 6 Vgl. Dahlhaus 1969, S. 249. 7 Vgl. dazu noch einmal Honegger 1991. 8 Assmann 1993, S. 110.

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Bewusstsein enorm elaborierte, konnten sich andererseits historisch-politische Mythen durchsetzen und im nationalen Gedächtnis verankern, angereichert durch Erinnerungsgegenstände, die wie religiöse Devotionalien verehrt wurden. So hätten Geschichte und Kunst seit Beginn des Jahrhunderts »ein Doppelleben in der Wissenschaft und im nationalen Gedächtnis«9 geführt. Ein solches Doppelleben führte auch Marie Lipsius. Sie wollte die Musikforschung mit ihren Arbeiten voranbringen und ein großes Publikum bilden und unterhalten. Sie wollte Erinnerungsbilder von Musikerinnen und Musikern erschaffen, die der Wirklichkeit entsprachen und für die Wünsche und Projektionen der Biographierten selbst und ihrer Rezipientinnen und Rezipienten offen waren. Sie akzeptierte die Grenzen der Geschlechterkonvention und übte einen Beruf aus, der sie mit Leidenschaft erfüllte und der sie an einen Ort führte, der für Frauen nicht vorgesehen war  : in die Öffentlichkeit. Angesichts dieser Widersprüche könnte man Marie Lipsius fast für schizophren halten, doch ihre Haltung repräsentiert lediglich, was der (Wissenschafts-)Kultur des 19. Jahrhunderts inhärent war  : eine strikte Trennung in vermeintlich gegensätzliche Felder und Kategorien. Dass die Gegensätze immer noch aufeinander bezogen blieben, wurde oberflächlich verschleiert, was ihre Bindung jedoch eher manifestierte als sie aufzuheben.10 Marie Lipsius war eine anerkannte Expertin für musikbiographische und musikkritische Fragen. Autorität erlangte sie, weil sie mit etlichen Stars der Musik­ welt des 19. Jahrhunderts persönlich bekannt war. Ihre Biographien galten ­daher als authentisch. »Um Authentizität hervorzurufen, bedarf es des Imaginären, der Besetzung von materiellen Erinnerungsstücken oder immateriellen Erinnerungsfetzen mit Affekten«, heißt es im Handbuch Biographie.11 Imagination, Erinnerung, Affekt – das waren Begriffe, die eher weiblich konnotiert und aus dem Wissenschaftsbegriff des Historismus ausgeschlossen waren. ›Weibliches‹ Einfühlungsvermögen und authentische Biographieschreibung wurden damals in einen engen Zusammenhang gestellt. Die heutige Biographieforschung ist sich einig, dass dieser Zusammenhang freilich ein verkürzter ist. Die Biographie ruft als »Ausdrucksform zwischen der Wahrheit der Körper, der Wahrheit der Ideen und der Wahrheit der Nachwelt«12 widersprüchliche Wahrheitsbegriffe hervor, was aber nicht als Mangel, sondern als Chance zu verstehen ist. Werden die in der Biographie nebeneinander existierenden Wahrheiten ernst genommen,  9 Ebd. 10 Zur Ambivalenz der Moderne vgl. z. B. Baumann 1992. 11 Fetz 2009, S. 57. 12 Ebd., S. 60.

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zeigen sich die Konstruktionsprozesse hinter der Biographie, die immer zugleich Medium und Ergebnis jener Prozesse ist.13 Welche Probleme ein offener Wahrheitsbegriff Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern zuweilen (noch) bereitet, erfuhr ich mehrfach in Reaktion auf meine Dissertation über Marie Lipsius. Es sei ja lobenswert, hieß es, eine »Ehrenrettung« La Maras zu unternehmen, aber eine Musikwissenschaftlerin sei sie eben nicht gewesen. Hinter diesem Statement steht erstens ein verengter Begriff von einer Musikwissenschaft, die weder Vermittlungsleistungen zwischen Musik und Publikum für forschungsrelevant hält, noch anerkennt, dass ihre eigene Fachgeschichte von Ideologien bestimmt ist, die erst dazu führten, dass lange Zeit alle Bemühungen von Frauen, als Musikwissenschaftlerinnen wahrgenommen zu werden, auf unüberwindbare Widerstände stießen. Zweitens impliziert das Statement, dass es der gendersensiblen Geschichtsschreibung um eine »Ehrenrettung« historischer Frauenfiguren ginge, um damit vergangene Ungerechtigkeiten wieder gutzumachen. Schon die frühe Frauenforschung wusste, dass es nicht erstrebenswert war, sich vom Ziel eines Gegenbeweises gegen die angebliche Kultur- und Geschichtslosigkeit von Frauen leiten [zu] lassen und ein Museum weiblicher Vorbilder und Heldinnen – bzw. Opfer – [zu] errichten, in das dann alle ›Schwestern von gestern‹ aufgenommen werden, die – männlichem Gerede zum Trotz – dennoch geschrieben, gedacht, gearbeitet, gefeiert oder gar politisiert haben.14

Dies führe höchstens dazu, dass die Biographien historischer Frauen am Ende »mehr vom Wunschdenken ihrer Verfasserinnen als von der Lebensgeschichte der Frau, über die sie berichten«, geprägt seien.15 Die Rekonstruktion weib­ licher Kulturgeschichte hört daher nicht mit dem Sichtbarmachen des kulturellen Handelns von Frauen auf, sondern muss auch die Umstände sichtbar machen, die erst zur Marginalisierung weiblicher Kultur geführt haben, denn [i]n der männlichen Ordnung hat die Frau gelernt, sich selbst als untergeordnet, uneigentlich und unvollkommen zu betrachten. Da die kulturelle Ordnung von Männern regiert wird, aber die Frauen ihr dennoch angehören, benutzen auch diese die Normen, 13 Vgl. z. B. Dausien 2010. 14 Weigel 1983, S. 83. 15 Ebd., S. 84.

Die Schriftstellerin | Wissenschaftlerin Marie Lipsius

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deren Objekt sie selbst sind. D.  h. die Frau in der männlichen Ordnung ist zugleich beteiligt und ausgegrenzt. Für das Selbstverständnis der Frau bedeutet das, daß sie sich selbst betrachtet indem sie sieht, daß und wie sie betrachtete wird  ; d. h. ihre Augen sehen durch die Brille des Mannes.16

Sigrid Weigel prägte vor mehr als 30 Jahren das Bild des »schielenden Blickes«, den Frauen sich unter der männlichen Herrschaft unweigerlich zueigen gemacht hätten. Ich finde dieses Bild für die Betrachtung historischer Frauenfiguren immer noch sehr stimmig, denn Weigel meint damit Zweierlei  : In einer patriarchalen Ordnung müssten Frauen an jener Ordnungsstruktur vorbeischielen, um sich selbst zu erkennen. Die Anstrengung einer ständigen Konfrontation mit dem »musternden Blick des Mannes« provoziere bei ihnen aber gleichzeitig die Antizipation einer Befreiung aus der herrschenden Ordnung. Aus der imaginierten Befreiung erwachse die Kraft, für eine reale Befreiung zu kämpfen.17 Das Manko des Schielens wende sich schließlich in das feministische Vermögen, »die Widersprüche zum Sprechen [zu] bringen, sie sehen, begreifen und in ihnen, mit ihnen leben« und aus ihnen Kraft schöpfen zu können.18 Durch diese Art abweichenden Sehens einen neuen Blick auf einen Gegenstand zu bekommen, sollte keineswegs Feministinnen vorbehalten sein.

16 Ebd., S. 85. 17 Ebd., S. 104. 18 Ebd., S. 105.

6. Anhang

6.1 Werkverzeichnis Eigenständige Publikationen Musikalische Studienköpfe Bd.  1, Romantiker  : 1868 (Weißbach)  ; 21874 (Schmidt  &  Günther)  ; 31877 (Schmidt &  Günther)  ; 41878 (Schmidt  &  Günther)  ; 51879 (Schmidt  &  Günther)  ; 61884 (Schmidt  &  Günther)  ; 71894 (Schmidt  &  Günther)  ; 81894 (Schmidt  &  Günther)  ; 91894 (Schmidt  &  Günther)  ; 101911/12 (Breitkopf  &  Härtel)  ; 111913 (Breitkopf & Härtel) Bd.  2, Ausländische Meister  : 1872 (Weißbach)  ; 21874 (Schmidt  &  Günther)  ; 31877 (Schmidt  &  Günther)  ; 41878 (Schmidt  &  Günther)  ; 51881 (Schmidt  &  Günther)  ; 6 1896 (Schmidt & Günther)  ; 71896 (Schmidt & Günther)  ; 111913 (Breitkopf & Härtel) Bd. 3, Jüngstvergangenheit und Gegenwart  : 1875 (Schmidt & Günther)  ; 41878 (Schmidt & Günther)  ; 51883 (Schmidt & Günther)  ; 61883 (Schmidt & Günther)  ; 71910 (Breitkopf & Härtel) Bd. 4, Klassiker  : 1880 (G. Knapp)  ; 21881 (Breitkopf & Härtel)  ; 31888 (Breitkopf & Härtel)  ; 41899 (Breitkopf & Härtel) Bd. 5, Die Frauen im Tonleben der Gegenwart  : 1882  ; 21882  ; 31902 (alle Breitkopf & Härtel) Auto-/Biographisches Ludwig van Beethoven  : 1870 (Weißbach)  ; 21873 (Schmidt & Günther) Musikalische Gedanken-Polyphonie. Aussprüche berühmter Tonsetzer über ihre Kunst  : 1873 (Leuckart), gleichlautend mit  : Gedanken berühmter Musiker über ihre Kunst  : 1873 (Schmidt & Günther) Im Hochgebirge. Skizzen aus Oberbayern und Tyrol  : 1876  ; 21876 (Schmidt & Günther) Das Bühnenfestspiel in Bayreuth  : 1877 (Schmidt & Günther) Der Ring des Nibelungen  : 1878 (Schmidt & Günther) Fr. Chopin’s Individualität  : 1880 [Übersetzung],   ?1911, 41924 (Breitkopf & Härtel) Sommerglück  : 1881 (G. Knapp) Pauline Viardot Garcia  : 1882 (Breitkopf & Härtel) [Sammlung musikalischer Vorträge  : Serie 4  ; 43] Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten, 2 Bde.: 1886 (Breitkopf & Härtel) Klassisches und Romantisches aus der Tonwelt  : 1892 (Breitkopf & Härtel) Richard Wagner  : Briefe an August Röckel. Eingeführt durch La Mara  : 1894  ; 21903  ;   ?1912 (Breitkopf & Härtel)

Werkverzeichnis

265

Im Lande der Sehnsucht. Cicerone durch italische Kunst und Natur in Versen  : 1901 (Herm. Seemann Nachfolger) Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg. Bilder und Briefe aus dem Leben der Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein  : 1906 (Breitkopf & Härtel) Marie von Mouchanoff-Kalergis geb. Gräfin Nesselrode in Briefen an ihre Tochter. Ein Lebens- und Charakterbild  : 1906  ; 21911 (Breitkopf & Härtel) Beethovens unsterbliche Geliebte. Das Geheimnis der Gräfin Brunsvik und ihre Memoiren  : 1909 (Breitkopf & Härtel) Franz Liszt und die Frauen  : 1911  ; 21919 (Breitkopf & Härtel) Aphoristisches von Franz Liszt. Aus Gesprächen auf der Altenburg. Gesammelt von M. W., mitgeteilt von La Mara  : 1912 (Fischer) Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals, 2 Bde.: 1917  ; 21925 (Breitkopf & Härtel) Beethoven und die Brunsviks. Nach Familienpapieren aus Therese Brunsviks Nachlaß  : 1920 (Siegel) An der Schwelle des Jenseits  : 1925 (Breitkopf & Härtel) Franz Liszt’s Briefe (Breitkopf & Härtel) Bd. 1, Von Paris bis Rom  : 1893  ; 21893 Bd. 2, Von Rom bis ans Ende  : 1893  ; 21893 Bd. 3, Briefe an eine Freundin  : 1894 Bd. 4, Briefe an die Fürstin Sayn-Wittgenstein I  : 1899  ; 21900 Bd. 5, Briefe an die Fürstin Sayn-Wittgenstein II  : 1900 Bd. 6, Briefe an die Fürstin Sayn-Wittgenstein III  : 1902 Bd. 7, Briefe an die Fürstin Sayn-Wittgenstein IV  : 1902 Bd. 8, Neue Folge zu Band I und II  : 1905 [Bd. 1/2 auch englisch  : 1894  ; Bd. 3 auch französisch  : 1894] Weitere Liszt-Briefeditionen (Breitkopf & Härtel) Briefe hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt  : Bd. 1/2 1895  ; Bd. 3 1904 Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Hans von Bülow  : 1898 [französisch 1899] Briefe von Hector Berlioz an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein  : 1902 [deutsch 1903] Hector Berlioz Briefe an Franz Liszt  : 1903  ; 21907 Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Carl Alexander Großherzog von Sachsen  : 1909 Franz Liszts Briefe an seine Mutter  : 1918 Neubearbeitung Karoline S. I. Milde  : Der deutschen Jungfrau Wesen und Wirken. Winke für das geistige und praktische Leben. In Neubearbeitung von La Mara  : 131910 (Amelang)

266 

Anhang

Nachgewiesene Zeitschriftenartikel Allgemeine Deutsche Musikzeitung 1881, Jg. 9, Nr. 35/36/37  : Marianne Brandt (in drei Teilen  : S. 307–309  ; 317–318  ; 325– 326) 1896, Jg. 23, Nr. 42  : Ueber Chopin’s Tod. Briefliche Aufzeichnungen des Abbé Jelowicki, mitgetheilt von La Mara (S. 586–587) 1913, Jg. 40, Nr. 17  : Beethovens Weihekuss (S. 544–546) 1913, Jg. 40, Nr. 28  : Offener Sprechsaal (S. 1008–1010) Allgemeine Zeitung München 1887, Jg.  89 (Beilage)  : Fürstin Caroline von Sayn-Wittgenstein (Nekrolog) (S. 1305– 1306) 1893, Jg. 95, Nr. 293, Sonntag 22.10.: Liszt und die Fürstin Wittgenstein (S. 1–3) Der Alpenfreund 1872, Bd. 4  : Trockne Blumen (fünf Gedichte) (S. 253–255) Bühne und Welt 1898, Jg. 1 (Oktober)  : Sprechsaal (Erwiderung auf den Artikel »Erinnerungen an Franz Liszt« von Ilka Horovitz-Barnay) (S. 146) Daheim 1876, Jg. 12, Nr. 13  : Der Schnitzer-Toni vom Kasbachthal. Skizze nach der Natur von La Mara (S. 201–206) Frankfurter Zeitung 17.05.1905, Jg. 51, Erstes Morgenblatt  : Nachruf auf Jessie Hillebrand 24.08.1907, Jg. 52, Abendblatt  : Franz Liszt und die Fürstin Wittgenstein Die Gartenlaube 1871, Jg. 19, H. 38  : Der Genialsten Einer (Karl Tausig) (S. 630–632) 1873, Jg. 21, H. 15  : Ein Liedersänger der Gegenwart (Robert Franz) (S. 238–241) 1874, Jg. 22, H. 28  : Eine Leipziger Musikgröße (Ferdinand David) (S. 455–457) 1877, Jg. 25, H. 12  : Aus den letzten Lebenstagen Beethoven’s (S. 197–199) 1878, Jg. 26, H. 48  : Zum fünfzigjährigen Todestage Franz Schubert’s (S. 794–798)

Werkverzeichnis

267

1880, Jg. 28, H. 34  : Franz Liszt. Ein musikalisches Charakterbild (S. 552–554) 1882, Jg. 30, H. 37  : Clara Schumann (S. 604–608) 1886, Jg. 34, H. 33  : Franz Liszt (Nekrolog) (S. 584–586) 1891, Jg. 39, H. 23  : Die Gräber unsrer großen Musiker in Wien (S. 380–382) Die Gegenwart 1872, Nr. 23  : Anton Rubinstein (S. 361–365) Illustrierte Zeitung 1877, Bd. 68, Nr. 1760  : Zu Beethovens 50jährigem Todestag (S. 237–239) 1890, Bd. 94, Nr. 2436  : Ein neues Bildnis Beethoven’s (S. 235) 1903, Bd. 120, Nr. 3110  : Ein unbekanntes Liszt-Relief (S. 196) Leipziger Zeitung/Wiss. Beilage 1874, Nr. 1/2  : Im Paradies von Tyrol (S. 1–3/5–8) 1874, Nr. 51  : Tristan und Isolde auf der Weimarer Bühne (S. 313–314) 1874, Nr. 89/90  : Unter Dolomiten (S. 537–539/541–543) 1886, Nr. 73  : Franz Liszt – Nekrolog (S. 433–437) 1887, Nr. 50  : Die Passionsmusiken J. S. Bachs und ihre Vorgänger (S. 300–304) 1887, Nr. 90  : Zum hundertjährigen Todestage Christoph von Gluck’s (S. 537–542) 1891, Nr. 7  : Grillparzer und die Tonkunst (S. 25–27) 1891, Nr. 144/145  : Zum hundertjährigen Todestage Mozart’s (S. 573–575/577–579) 1891, Nr. 150  : In Sachen der »unsterblichen Geliebten« Beethoven’s (S. 597–598) 1892, Nr.  13   : Noch einmal in Sachen der »unsterblichen Geliebten« Beethoven’s. A. W. Thayer contra Kalischer (S. 51–52) 1892, Nr.  29  : »Willst du dein Herz mir schenken.« Nach Rust ein Bach’sches Werk (S. 113–115) 1892, Nr. 58  : Wilhelm Rust – Nekrolog (S. 229–232) Literarisches Centralblatt 1861, Nr. 1 (5. Januar)  : Kurzrezension zu Paul Heyse  : Italienisches Liederbuch (anonym veröffentlicht) (Sp. 15) Die Musik 1904, Jg. 4, Bd. 16, H. 24  : Fünf ungedruckte Briefe an die Fürstin (S. 425–432) 1905, Jg. 5, Bd. 3, H. 13  : Aus Franz Liszts erster Jugend. Nach den Handschriften mitgeteilt von La Mara (S. 15–29)

268 

Anhang

Musikalisches Wochenblatt 1890, Jg. 21, Nr. 32/33  : Wilhelm Rust. Biographische Skizze (S. 398–401/411–413) Musikbuch aus Österreich 1909, Jg. 6  : Briefe alter Wiener Hofmusiker. Gesammelt von La Mara. I. Von 1577–1683 (ohne Seitenangaben) 1910, Jg. 7  : Briefe alter Wiener Hofmusiker. Gesammelt von La Mara. II. Von 1715–1815 (S. 3–24) Neue Freie Presse 07.05.1897, Morgenblatt  : Briefe von Brahms an Robert Schumann. Nach den Originalen mitgetheilt von La Mara (Zum Geburtstage Brahms’, 7. Mai) 05.11.1906, Abendblatt  : Marie v.  Mouchanow-Kalergis, geborene Gräfin Nesselrode. Von La Mara (S. 1–5) Neue Musikzeitung 1883, Jg. 4, Nr. 19/20  : Franz Liszt (ohne Seitenangaben) 1885, Jg. 6, Nr. 7/8  : Frédéric Chopin (S. 73–74  ; 85–86) 1888, Jg. 9, Nr. 2–4  : Classisches und Romantisches (S. 233–262) 1889, Jg. 10, Nr. 12  : Franz Schubert (S. 141–143) 1889, Jg. 10, Nr. 12  : Schubertiana. Aus dem Wiener Hofkapellarchiv mitgeteilt von La Mara (S. 146) 1890, Jg.  11, Nr.  33/44/57/68  : Erinnerungen an Franz Schubert. Aus dem Nachlasse seines Freundes Josef Freiherr von Spaun (in vier Teilen) 1890, Jg. 11, Nr. 7  : Auguste Götze (S. 92–93) 1890, Jg. 11  : Ein Brief der Jenny Lind-Goldschmidt. Original-Mitteilung von M. L. (S. 142) 1909, Jg. 30, Nr. 11/12  : Liszt und die Frauen (S. 230–234  ; 252–256) 1914, Jg. 35, Nr. 11  : Aus romantischer Zeit. Ungedruckte Briefe, mitgeteilt von La Mara (S. 215–218) Neue Rundschau 1907, Jg. 18, Bd. 1  : Hector Berlioz Briefe an Franz Liszt (S. 713–725) 1908, Jg. 19, Bd. 1  : Gräfin Therese Brunsvik, die Unsterbliche Geliebte Beethovens (S. 77–101) 1908, Jg. 19, Bd. 3  : Franz Liszt, Briefe an den Großherzog Karl Alexander von Sachsen (S. 1443–1455) 1912, Jg. 23, Bd. 1  : Aphoristisches von Franz Liszt. Aus Gesprächen auf der Altenburg gesammelt von M. W., mitgeteilt von La Mara (S. 568–570) 1913, Jg. 24, Bd. 1  : Musikerbriefe. Herausgegeben von La Mara (S. 804–819)

Unveröffentlichte Quellen

269

Österreichische Rundschau 1911, Bd. 29, H. 2  : Franz Liszt und sein unvollendetes Stanislaus-Oratorium (S. 150–157) Signale für die musikalische Welt 1876, Jg. 34, Nr. 12  : Rubinstein in Leipzig (S. 177–180) 1891, Jg.  49, Nr.  50  : Franz Schubert. Aus der Familienchronik Josef von Spaun’s. Mitgetheilt von La Mara (S. 785–787) 1899, Jg. 57, Nr. 63  : Ein goldenes Harfenjubiläum (S. 993–995) 1915, Jg.  73, Nr.  34/35  : Ein Brief Rafael Joseffy’s an Liszt. Mitgeteilt von La Mara (S. 449–454) Westermanns Monatshefte 1867, Bd. 22  : Musikalische Studienköpfe  : Robert Schumann (S. 538–551) 1867, Bd. 23  : Musikalische Studienköpfe  : Franz Liszt (S. 17–34) 1867, Bd. 23  : Musikalische Studienköpfe  : Friedrich Chopin (S. 300–314) 1869, Bd. 26  : Hector Berlioz. Studie (S. 534–540  ; 654–667) 1870, Bd. 28  : Ignaz Moscheles. Studie (S. 408–423) 1871, Bd. 29  : Gioachino Rossini. Studie (S. 201–219) 1873, Bd. 33  : Robert Franz (S. 90–103) 1873, Bd. 33  : Adrien Boieldieu (S. 326–340) 1874, Bd. 37  : Johannes Brahms (S. 292–316) 1888, Jg. 32, Bd. 63  : Späte Liebe. Briefe Heinrich Marschners an Therese Janda (S. 451–461) 1894, Jg. 38, Bd. 75  : Zur Erinnerung an Robert Franz. Briefliches und Mündliches von ihm. Mitgeteilt von La Mara (S. 707–718)

6.2 Unveröffentlichte Quellen A-Wn: Österreichische Nationalbibliothek Wien Nachlass Anton Bettelheim  : Brief von Marie Lipsius Nachlass Franz Servaes  : Brief von Marie Lipsius an die Redaktion der Neuen Freien Presse Nachlass August Göllerich  : Brief von Marie Lipsius D-B: Staatsbibliothek Berlin, Musikabteilung Mus. ep. M. Lipsius  : Briefe von und an Marie Lipsius Convolut 1–17  : Notizen aus Arbeitsprozessen von Marie Lipsius Nachlass Ferruccio Busoni  : Briefe von Marie Lipsius

270 

Anhang

D-Bim: Staatliches Institut für Musikforschung Berlin Bestand SM12, Briefnachlass Joseph Joachim  : Briefe von Marie Lipsius D-Bsbha: Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung Nachlass Erich Prieger  : Briefe an Marie Lipsius Nachlass Similde Gerhard  : Brief- und Postkartensammlung D-Dl: Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Autographenbestand  : Briefe von Marie Lipsius D-HEu: Universitätsbibliothek Heidelberg Autographenbestand  : Brief von Marie Lipsius D-HVfmg: Bibliothek Forschungszentrum Musik und Gender Hannover Autographenbestand  : Briefe von Marie Lipsius D-LEsm: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Autographenbestand »Musik« Nachlass Marie Lipsius  : Briefe an Marie Lipsius Nachlass Wilhelm Rust  : Briefe von Marie Lipsius Bestand Gerhards Garten  : Zeichnungen und Photographien D-LEsta: Staatsarchiv Leipzig Bestand 21081, Breitkopf & Härtel  : Briefkopierbücher  ; eingegangene Briefe  ; Autoren-­ Kontokorrentbuch Bestand 21084, Schmidt & Günther  : Geschäftskorrespondenz D-LEu: Universitätsbibliothek Leipzig Bestand Slg. Taut  : Briefe von Marie Lipsius D-LEua: Universitätsarchiv Leipzig UAL PA 700  : Personalakte Justus Hermann Lipsius UAL PA 0699  : Personalakte Friedrich Lipsius UAL RA 1387  : Lipsius-Stiftung (Rentamt)

271

Autographenbestand

UAL, Phil Fak, D1/1208  : Lipsius-Stiftung D-Mbs: Bayrische Staatsbibliothek München Autographenbestand  : verschiedene Briefe von Marie Lipsius D-WRgs: Goethe- und Schiller-Archiv Weimar Bestand GSA 59, Liszt, Unterbestand Marie Lipsius  : Briefe, Sammlungsstücke, Geschäft­ lich-berufliche Unterlagen, Materialsammlung Kulturhistorisches Museum der Stadt Wurzen Rezensionsalbum  : unsign. Quellen in einer Kiste mit der Aufschrift »La Mara« Westermann Verlagsarchiv Braunschweig Briefkopierbücher und eingegangene Briefe von Marie Lipsius

6.3 Autographenbestand Bestand der ungedruckten eigenhändigen Briefe von Marie Lipsius Briefempfänger/in

Anzahl

Fundort

Bey, Hans

4

D-LEsm

Bote & Bock Berlin

3

D-B

Bronsart, Hans von

2

D-LEu

Bülow, Hans von

1

D-B

Bülow, Marie von

4

D-WRgs

Bülow, Marie von

35

D-B

Busoni, Ferucio

2

D-B

Dawison, Constanze

1

D-Dl

Deckner, Selma

1

D-LEu

Deckner, Selma

31

Espagne, Franz d’

2

D-LEsm D-B

Fiedler, Philipp

12

Freund-Bellami

1

D-LEu

2

D-WRgs

35

D-WRgs

Freytag, Anna Gille, Carl

D-HVfmg

272  Briefempfänger/in

Anhang

Anzahl

Fundort

Gottschalg, Alexander Wilhelm

2

D-WRgs

Gottschalg, Alexander Wilhelm

2

D-B

Götze, Auguste

12

D-LEu

Halle a.d.S., Stadtarchiv

1

D-LEsm

Hanslick, Eduard [?]

3

D-B

Hettner, Anna

1

D-HEu

Holländer, Alexis

1

D-Mbs

Jähns, Friedrich Wilhelm

1

D-B

Joachim, Joseph

4

D-Bim

Klengel, Paul

1

D-LEu

Kohut, Adolph

1

D-WRgs

Kürschner, Joseph

2

D-WRgs

Leipziger Tageblatt

1

D-LEsm

Liszt, Franz

1

D-WRgs

Literarisches Zentralblatt

1

D-LEu

Lobe, Adolf (Gedicht)

1

D-LEsm

Müller, Georg

3

D-LEsm

Müller, Maria (Gedicht)

1

D-LEsm

Müllerhartung

3

D-WRgs

Nuitter, Charles

9

F-Pn

Nürnberg, Kreisarchiv

1

D-LEsm

Palleske, Marie

1

D-LEu

Pölchau, Hermann

4

D-B

Prieger, Erich

25

D-B

Ramann, Lina

3

D-WRgs

Rappoldi-Kahrer, Laura

3

D-Dl

Remmert, Martha

1

D-WRgs

Rheinberger, Frau

1

D-Mbs

Richard, August

1

D-B

Rodenberg, Julius

1

D-WRgs

Rubardt, Paul Friedrich Hermann

1

D-Dl

Rust, Olga

42

D-LEsm

Rust, Wilhelm

39

D-LEsm

Sauerma, Rosalie

2

D-LEu

273

Autographenbestand

Briefempfänger/in

Anzahl

Fundort

Schorn, Adelheid von (Abschrift)

1

D-B

Schulze, Friedrich

1

D-LEsm

Schumann, Clara

1

D-B

Seiffert, Max

1

D-B

Stadtgeschichtl. Museum Leipzig

1

D-LEsm

Stümcke, Heinrich

2

D-KNth

Taut, Kurt

2

D-LEu

Thode, Daniela von

62

D-WRgs

Timanoff, Vera

1

D-WRgs

Twietmeyer, Theodor

3

D-LEsm

Unbekannt

1

D-HVfmg

Unbekannt

1

D-WRgs

Unbekannt

1

D-Bim

Unbekannt

1

D-B

Unbekannt

2

D-Mst

Unbekannt

2

D-KNth

Unbekannt

2

D-LEu

Unbekannt (Gedicht)

1

D-LEsm

Vogel, Julius

1

D-Mbs

Weber, Johann Jakob

1

D-LEsm

Zehme, Albertine

1

D-LEsm

Summe

401

Vergleich des Bestandes der von Marie Lipsius empfangenen Briefe im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig und im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar X  : Von diesen Absendern befinden sich Briefe in beiden Archiven *  : Unter den Briefen befinden sich Fragebögen zur Biographie Briefabsender/in

D-LEsm

D-WRgs

Summe

2

2

2

2

4

Abraham, Max X

Abranyi, Kornel

X

Adler, Guido

1

1

2

X

Agghazy, Carolus

3

1

4

X

Albert, Hermine d’

2

1

3

274  Briefabsender/in

Anhang

D-LEsm

Albert, Louise d’

X

X

1

Summe 1

Alberti, Otto von

1

1

Allgemeiner Richard-Wagner-Verein

2

2

Altmann, Wilhelm

2

2

Amadei, Albert von

7

7

Amelli, Guerrius Don

1

1

Andrian-Werbung, Cäcilie

2

3

Ansorge, Konrad

1

1

1

Apel, Pauline

1

1

Apponyi, Albert von

1

1

Arneth, Alfred von

1

Artôt de Padilla, Désirée

1

Avé-Lallemant, Theodor X

D-WRgs

Bach, Otto

8

Bache, Constance

9

Bache, Margaret E.

5

Bache, Walter

1 3

4

1

1 8

2

11 5

2

2

X

Bach-Marschner, Therese

4

2

6

X

Bagby, Albert Morris

1

1

2

1

1

Bamberg, Felix Barth, Otto

1

Bassani, Ugo X

X

Batka, Johann

8

1 1

1

3

11

Bauer, Clara

1

1

Bauernfeld, Eduard von

2

2

Bayer, Marie

2

2

Bazzini, Antonio

1

1

Bechstein, Edwin

1

1

Becker, Moritz Alois

1

1

Behn, Hermann

1

Beliczay, Julius von

3

4

1

1

Beneke, Otto

2

2

Bereaud, Mario [vermutl.]

1

1

Berlin, Geheime Kanzlei des Kgl. Ministeriums

1

1

275

Autographenbestand

Briefabsender/in Berlin, Kgl. Ministerium für Handel und Gewerbe X

D-LEsm 1

Berwin, Adolf

1

Bethe, Erich

2

Bethge, Elisabeth X

Bettelheim, Anton

1

Bezecny, Josef von Bie, Oscar

X

2

3 2

2

2

1

2

1

1 1

1

1

Blajy, Alessandro

1

1

Blondel, A.

1

1

Blume-Arends, Charlotte

1

1

Boehm, Joseph

1

1

Bolte, Theodor

1

1

Bornstein, Paul

1

1

Botstiber, Hugo

X

Summe 1

1

Bizet, Géneviève

X

D-WRgs

Bovet, Alfred

17

1

1

2

19

Brahms, Fritz

1

1

Brahms, Johannes

3

3

Brahms, Marianne

6

6

6

31

Brandt, Marianne

25*

Braune, Amélie

1

1

Bray, Gabrielle de

1

1

Breidenstein, Marie

1

1

Breitkopf & Härtel

1

1

Brieger, Theodor und Ehefrau

2

2

Brockhaus, Else

1

1

Brockhaus, Louise

3

3

Brockhaus, Max

1

1

Brockhaus, Rudolf [Verweis auf unzählige Briefe, die im Laufe der Jahre ausgetauscht wurden]

1

1

Brodsky, Adolf

1

1

Bronsart, Hans von

4

4

6

26

3

3

Bronsart, Ingeborg von Bruch, Max

20*

276  Briefabsender/in

Anhang

D-LEsm 1

1

Bücher, Karl

1

1

Buff, Adolf

1

1

Buff-Hedinger, Emilie

1

1

Bülow, Hans von

8

8

Bülow, Marie Fürstin von

3

3

63

63

Bulyowski, Lilla von

1

1

Buonamici, Guiseppe

4

4

Burckhardt, Jakob

1

1

Burkhardt, Karl August Hugo

1

1

Busoni, Ferrucio

2

2

Cantu, Cesare

1

1

Caposso, Bartolommeo

1

Cappelli, Antonio

3

Carreño, Teresa

5*

Casembroot, Louis de

6

6

Choudens Père et. Fils

1

1

Clark, Frederic Horace Clésinger-Sand, Solange

1 3 6

2

Clauss-Szarvady, Wilhelmine X

Summe

Brüssel, Archives Générales du Royaume

Bülow, Marie von

X

D-WRgs

1

Coccon, Nicole Cohn, Albert Colini Baldeschi, Francesco

1

Cölln, Emilie von

1

11

2

1

1

2

3

2

2

1

1 1 1

Consolo, Frederico Bey

6

6

Cornelius, Bertha

4

4

Cornelius, Karl

3

3

Cossmann, Bernhard

2

2

Coudenhove, Marietta

1

Crépieux-Jamin, J. Damrosch, Frank

1 1

1

1 1

Damrosch, Walter

1

1

Dannreuther, Edward

1

1

277

Autographenbestand

Briefabsender/in David, Annette

D-LEsm 1

Davidsohn, George 1

Deutsch, Otto Erich

4

X

4 1

4

4

9

Dohm, Hedwig von

2

2

Dommer, Arrey von

1

1

1

1

Dietz, Johanna

3

Dippe, Hugo Julius Gustav

1

Distel, Theodor

5

Dobel, Friedrich

1

1 1

1

Draeseke, Felix Dresel, Otto

1 4

4

2

2

Drews, Heinrich

1

1

du Bus, E.

2

2

Dvorák, Max

1

1

Dyck, Ernest van

1

Ebart, Paul von

1

Eckardt, Julius von

1

2

2

2

1

Egloffstein, Hermann von [Sekretär des Großherzogs von Weimar]

8

8

Ehrenberg, Siegfried

1

1

Elster, Ernst Erdmannsdörfer-Fichtner, Pauline

9

Essenwein, August von

2

Essipoff, A. Euckwort, Margarete

4 12 2

1

Fichte, Prof. Immanuel Hermann

4

Fiedler/Seidemann

1

Filtsch, Molly Flechsig, Paul Emil

4 3

1

Fétis, Louis X

1 1

Dorn, Alexander

X

1

1

Doppler, Karl

X

Summe 1

1

Detmer, Jos. Devrient, Otto X

D-WRgs

1 1

1

3

7 1

1 3

1

1 3

278  Briefabsender/in Flechsig, Ulla

Anhang

D-LEsm 1

X

1 1

1

Flotow, Rose von

1

1

Förster, Brix

1

1

Frank, Ernst

6

6

Franz, Richard

3

3

14

14

1

2

Freytag, Anna

1

1

Friedenthal, Albert

1

1

1

3

Franzos, Karl Emil

1

Friedländer, Max

2

Friedländer, Thekla

1

1

Friedrich, Amalie

1

1

Fürstenau, Moritz

1

1

Gabelentz, von der

1

1

Gade, Niels Wilhelm

1

1

2

2

1

5

Galli, Adelheid

1

Gallinari, F.[?] X

Summe

Florime, Francesco

Franz, Robert X

D-WRgs

Gänsbacher, Josef

4

Geisberg-Kietz, Elisabeth

1

Geisler, Paul Gensel, Julius

1

1 1

1

1 1

Gerstenberg, Heinrich

1

1

Giogetti, Alceste

4

4

Glasenapp, Karl Friedrich

2

2

Glümer, Claire von

1

1

Goddard, Arabella

1

1

2

2

Göldlin von Tiefenau, Alfred

1

Goldmark, Karl Goldschmidt, Adelbert von

1 1

1

X

Göllerich, August

8

2

10

X

Gomperz-Bettelheim, Caroline von

4

2

6

Gottschalg, Alexander Wilhelm

1

1

Gottschall, Rudolf von

2

2

279

Autographenbestand

Briefabsender/in

D-LEsm

Gouard, Charles X

Gravina, Blandine von

2

Gregory, Caspar René

2

Grieg, Edward Grieg, Nina Hagerup

X

1

13

15 2

2

2 1

Grimm, Hermann

1

1

Gross, Adolf von

1

1

Grosse, Theodor

1

1

Großherzog von Sachsen-Weimar, Karl Alexander

2

2

Groth, Klaus

1

1

Grove, George

2

2

4

6

4*

4

Haberl, Franz Xaver Hähnel, Anna

2 1

1

Halévy, Ludovic

1

1

Hals-Gulbranson, Sigurd

2

2

Hanslick, Eduard

3

3

Harden, Maximilian

3

3

Härtel, Raimund

1

1

Hartmann, Ludwig

1

1

Hartog, Edouard de

2

2

Hansen, Joseph

2

2

Hase, Oscar von

3

3

Hassel, Paul

1

1

Hauptmann, Ernst

8

1

9

Haynald, Ludwig

1

1

Hebbel, Christine

1

1

Heberlein, Clara

2

Heckel, Emil Helbig, Nicole

2

Held, Anna

1

Helldorff, Therese von

1

Heller, Stephan

2 1

Hegar, Friedrich X

Summe

1

1

Hagn, Marie von

X

D-WRgs

1

1

1

5

7 1 1

2

2

280  Briefabsender/in

Anhang

D-LEsm

Hellmesberger, Josef

1 1

1

1

1

Henselt, Rosalie von

1*

Hering, Ewald

1

Herzfeld, Marie

2

Hillebrand, Jessie

12*

Hinrichsen, Henri

2

Hoffmann von Fallersleben, Franz

15

3

4 1 2

2

Hohenlohe-Schillingsfürst, Elisabeth (Fanny) von

2

3

1

1

6

18 2

1

Hoffnaass, Franziska von

1 2

1

3

Hohenlohe-Schillingsfürst, Marie von

2

2

Hohlfeld, Otto

1

1

Holländer, Alexis

1

Holstein, Franz von X

15

3

Heuberger, Richard

X

1

Henrici, Carl Friedrich Georg

Hettinger, Franz X

Summe

Henneberg, Richard Henselt, Adolf von X

D-WRgs

Holstein, Hedwig von

4

Hopfen, Helmut Howard, Walter

1

2

6

1

1

1

Hoyos, Rudolf Graf von Hubay, Jeno Hunnius, Carl

1 1

1 1

1

1

1

1

1

Isolani, Eugen

1

X

Istel, Edgar

2

1

3

X

Jaell, Marie

4

1

5

X

Jähns, Friedrich Wilhelm

19

2

21

2

2

Jaukowsky, Paul von

1

Jedeli, Carlo

1

1

Jelling, L. A.

1

1

X

Jensen, Friederike

3*

X

Joachim, Amalie

1

Joachim, Joseph

1

4

1

2

7

7

281

Autographenbestand

Briefabsender/in

D-LEsm

Joseffy, Rafael X

X

1

Kade, Reinhard

1

1

Kapp, Julius

1

1

Karpath, Ludwig

1

1

3 1

1 1

2

1 1

Kaulbach, Hermann von

1

1

Kaulbeck, Max

1

1

1

1

Kellermann, Berthold

1

1

Keudell, Alexandra von

1

1

Keudell, Robert von

1

1

Khnopff, Georges

2

2

Kienzl, Wilhelm

1

1

Kietz, Gustav

1

1

Kirchner, Theodor

2

2

Klauser, Karl

1

1

Klengel, Paul

2

4

Klindworth, Karl

2

4

4

Kling, Henri

2

2

1

3

Kniese, Julius

2

Koerber,

2

Köhler, Louis

1

2 4

5

Komite für den Parsifal-Schutz

1

1

Kopfermann, Albert

1

1

Köpl, Karl

1

1

Körner, Anna Maria Jacobine

1

1

Köster, Albert

1

1

Kramer, Arnold

1

1

Krause, Martin

1

Krauße, Robert X

1

3

Keil, Ernst

X

1

Jurgenson, Peter

Kästner, Sandor

X

Summe

Jungmann, Franz Emil

Kastner, Emerich

X

D-WRgs

Krebs, Marie

5

1

2

1

1

1

6

282  Briefabsender/in

Anhang

D-LEsm 2

2

Krug, Bonifacio

1

1

Krull, Lina

1

1

Kullak, Franz

1

1

Lachmund, Ernest

1

1

Lachner, Vinzens

2

2

2

Langer, Hermann

2 1

1

Lanser, A.

2

2

Lapierre

1

1

Lazarus, Moritz

1

1

Lebert, Max

1

1

Legouvé, Ernest

1

1

Lehmann, Rudolf Lehmann-Kalisch, Lilli Leipzig, Rat der Stadt Leßmann, Otto

1

1

2

2

1

Leschetizky, Theodor 1

Lichnowsky, Karl Fürst

1 3

3

3

4

1

1

Liebscher, F.

1

1

Liebster, Therese

1

1

Lienau, Robert

1

1

Lie-Nissen, Erika X

Summe

Kreisig, Martin

Lamberg, Anna und Berta

X

D-WRgs

Lindau, Paul

1

Lind-Goldschmidt, Jenny

1

1

1

2

1

1

Linnemann, Richard

1

1

Lippi, Carlo

1

1

Lipsius, Laura

1

X

Liszt, Franz

1

24

X

Liszt, Franz von

1*

3

4

X

Liszt, Henriette von

2

1

3

1

1

Littolf, Henry

1 25

Lobe, Else

3

3

Loe, Franziska zu

1

1

283

Autographenbestand

Briefabsender/in

D-LEsm

Loen, August von Loen, Baronin

1 1

Lohmeyer, Julius

X

1 1

1

1

2

2

Ludwig, August

2

2

Maier, Josef

1

1

Malherbe, Charles

20

1

3

Mandyczewski, Eusebius

1

Marbach, Hans

2

Marxen, Eduard

21 3 1

1

3

7

7

Mason, William

1

1

Materna, Amalie

2

2

Maurenbrecher, Max

2

2

Maurenbrecher, Otto

1

1

Maurenbrecher, Wilhelm[?]

1

1

May, Florence X

Summe

Lubrich, Fritz

Maltzahn, Curt X

D-WRgs

Mehlig-Falk, Anna

4

Melegari, Dora Menter, Eugenie

1

1

2

6

1

1

4

4

X

Menter, Sophie

3

10

13

X

Merian-Genast, Emilie

3

2

5

Merian-Genast, Hans

1

1

Metternich-Sandor, Pauline Fürstin von

1

1

X

Meyendorff, Olga von

2

2

Meyer-Helmund, Erik

4

4

Meyer-Olbersleben, Max

1

1

Meysenbug, Malwida von

2

2

Michalovich, Edmund von

6*

6

4

5

Milde, Rosa von

1

Modena, Archivo di Stato

1

Möller, Heinrich X

Moor, Julius

1

Morsch, Anna

1

1 1

1

1

2

1

284  Briefabsender/in X

Anhang

D-LEsm

Moscheles, Charlotte

1

Moscheles, Felix

1

Moszkowski, Moritz Mottl, Henriette

4 1

1

1

1

1

1

1

Müller, Else

1

1

Müllerhartung, Carl

2

1

1

3

5

Mummenhoff, Ernst

1

1

Navrátil, Karl

2

2

Neitzel, Otto Nestler, Lulu

2 1

Niecks, Friedrich X

3

Summe

Müller, Archivar aus Coburg Müller, Hans X

D-WRgs

1 1

Niemann, Emilie

1

Nikisch, Arthur

1

2 1 1

1

2

Nilsson, Christine

1

1

Nohl, Ludwig

1

1

Noskowski, Sigismund von

1

1

1

6

7

10

X

Nuitter, Charles

X

Obrist, Aloys

4

14

Obrist, Hermann

1

1

Oesterlein, Nikolaus

2

2

X

Ohe, Adele aus der

1

2

3

X

Ollivier, Émile

2

3

5

2

2

Organi, Aglaja

X X

X

Paar, Mathilde

1

1

Palleske, Maria

1

1

Parisini, Federico

2

Parma, Archivio della Corte

1

Paul. Oscar

1

2

4 1

1

2

Peiser, Karl

1

1

Peiser, Oskar

1

1

4

5

Pembaur, Joseph d. J.

1

Pembaur, Maria

1

1

285

Autographenbestand

Briefabsender/in Pescheck, Max Christoph

D-LEsm

D-WRgs

2

Petschke, Hermann Theobald

Summe 2

1

1

Pfeffer, Henrika

2

2

Pfohl, Ferdinand

2

2

Philippi, Rudolf

1

1

Piatti, Alfredo Pichler, Adolf Platzmann, Regierungsrat

2

2

1

1

1

Pochhammer, Paul

1 1

1

X

Poelchau, Hermann

1

1

2

X

Pohl, Karl Ferdinand

1

2

3

Pohl, Richard X

Polko, Elise

2

Polko, Karl

6

Porges, Gabriele

3

Porges, Heinrich Posonyi, Alexander Posse, Otto Preller, Friedrich d.J.

6 3 2

2

1

1 1

1

3

1

2

16

16

18

18

Prokesch-Osten, Friederike Gräfin von

1

1

Proner, Constanc

1

1

Pruckner, Caroline

3

Pruckner, Dionys X

3

3

Prieger, Erich Prod’homme, Jacques-Gabriel

1

1

1

Pougin, Arthur X

1

3 2

Prüfer, Arthur

3

Raabe, Peter

12

Radecke, Robert

2 3

1

13

1

1

X

Raff, Doris

8

2

10

X

Ramann, Lina

3

3

6

X

Rappoldi, Eduard

13

6

19

X

Rappoldi-Kahrer, Laura

10

5

15

3

3

Reinecke, Karl

286  Briefabsender/in

Anhang

D-LEsm

Summe

Reinecke, Margarete

1

1

Reisenauer, Alfred

1

1

Reisenauer-Pauly, J.

1

1

Remmert, Martha X

D-WRgs

1

1

2

3

Reuss, Eduard

1

1

Reuss, Marie Alexandrine Prinzessin von

1

1

Rheinberger, Franziska

1

1

Reubke, Otto

1

Riccius, August Ferdinand

1

1

Richter, Gustav

1

1

X

Richter-Meyerbeer, Cornelie

1

1

2

X

Riedel, Carl

8

6

14

1

1

2

4

Ritter, Alexander

3

3

Rodenberg, Julius

2

2

2

2

Riedel, Mathilde X

Riemann, Hugo

2

Rollett, Hermann Rom, Biblioteca di S. Cecilia

1

Roner, Constanze von Roner, Hermann

X

Roschmann, Julius von

X

Rosellini, Zenobia

1

2

2

1

1

1

1

1

2

11

3

14

Rosenthal, Moritz

3

3

Roth, Bertrand

1

1

Rothe, Staatsminister

1

1

1

1

Rubinstein, Anton

X

1 1

Roquette, Otto Roscher, Constanze

1

Rudolph-Tichatscheck, Josephine

1

Rust, Maria

2

Rust, Olga

2

Rust, Wilhelm Saar, Ferdinand von Saenger, Max

1

1 2 1

3

15

15

2

2 1

287

Autographenbestand

Briefabsender/in

D-LEsm

1

1

Saint-Saens, Camille

5

5

Sand, Maurice

1

1

29

29

3

Sayn-Wittgenstein, Carolyne Fürstin von Schack, von [?] Schalk-Hopfen, Lili

2 3

1

Scharlitt, Bernhard

3 1

2

2

Schering, Arnold

3

3

Schillings, Max von

1

1

Schimon-Regan, Anna

2

Schirmacher, Käthe

1

Schleinitz, Marie Gräfin von

1

Schlözer, Kurd von Schmidt-Hoffmann, Marie

2 1

6

7

1

1

1

1

Schober, Franz von

1

1

Schober, Thekla von

1

1

Scholtz, Hermann

1

1

6

8

1

1

Schorn, Adelheid von

2

Schreiber, Theodor Schubart-Czermak, Sophie

1

1

Schubring, A.

1

1

Schuegraf, Eduard

3

3

Schuler-Saer, F. W.

1

1

Schulhoff, Julius

1

1

Schulz-Beuthen, Heinrich

1

1

10

10

Schumann, Clara Schumann, Ferdinand

1

Schumann, Marie

1

1 1

Schumann-Heink, Ernestine

1

1

Schuré, Edouard

2

2

Schwartz, Marie Espérance von X

3

2

Schaeffer, Julius

X

Summe

Saint-Hilaire, Marquis de

Sauerma, Rosalie von

X

D-WRgs

Schwartz, Rudolf

3

1

1

1

4

288  Briefabsender/in

Anhang

D-LEsm

Schwarz, Max

1

Schweninger, Ernst X

Summe 1

1

1

1

3

Seebach, Marie

1

1

Seefeld, H. von

1

1

Seckendorff, Curt von

2

Segnitz, Eugen

5

5

Seiffert, Max

1

1

Sellin, Albrecht Wilhelm

1

1

Semper, Hans

1

1

Semper, Manfred

3

3

Senff, Bartholf

2

2

4

4

3

4

Seydel, Martin

2

Siloti, Alexander X

D-WRgs

Singer, Edmund

1

2

Smigelski, Ernst von

7

7

Smith, Johannes

3

3

Snoer, Johannes

2

2

Soyaux, Frida, geb. Schanz

2

2

Spitta, Philipp

6

6

X

Spoelberch de Lovenjoul, Charles

7

3

10

X

Stade, Friedrich

2

2

4

2

2

Stade, Wilhelm X

Stahr, Helene

10

Standhartner, Josef X

Stasov, Vladimir V.

26

1

11

2

2

16

42

Stavenhagen, Bernhard

1

1

Stehle, Eduard

1

1

Stern, Adolf

1

1

Stern, Richard

3

3

Stökl, Helene

1

1

Stone, Minna

8

8

Stradal, August Street-Klindworth, Agnes Szarvady, Frigyes

1

3

3

1

1 1

289

Autographenbestand

Briefabsender/in Széchényi, Alexandra

D-LEsm

D-WRgs

1

Széchényi, Emmerich

Summe 1

1

1

X

Tappert, Wilhelm

2

4

6

X

Tardieu, Malwine

4

2

6

Tauchnitz, Louise

1

1

Tausig, Seraphine

2

2

Thayer, Alexander W.

1

1

Thern, Willy

2

2

57

57

3

3

Thode, Daniela Tiersot, Julien X

Tillmanns, Hermann

8

Timanoff, Vera

1

Tomicich, Hugo Trefftz, Johannes

2

1

1 1

Trojan, Johannes

3

3

Tröndlin, Bruno

2

2

1

1

Twietmeyer, Theodor

1

1

Unruh, Graf von

1

1

Urspruch, Anton

1

Venedig, Archivo di Stato

2

Viardot-Garcia, Pauline

4

Vignau, Margarethe von

1

Vischer, Robert Vogel, Julius Volkmann, Hans

6

1

4

Wach, Adolf

10 1

2

Volkelt, Johannes

1 2

1

Vogel, Emil

X

1

1

Trost, Alois

X

8

1 1 2

1

1

5

9

1

1

X

Wagner, Cosima

1

21

22

X

Wagner, Siegfried

1

1

2

17

17

3

4

4

4

Wagner-Chamberlain, Eva X

Walker, Bettina Wasielewski, Josef von

1

290  Briefabsender/in Weichardt, Carl

Anhang

D-LEsm 1

Weingartner, Felix von X

1

Werner, Carl

1

Werner, Rinaldo

Wieck, Marie

18

Wiecke, Paul

X

1 1

4

5

6

6

1

Widmann, Joseph Viktor X

Summe 1

1

Wendland, Ilse

Werther, Ernesta von

D-WRgs

1 1

1

5

23

1

1

Wien, Fürstlich Schwarzenberg’sches Zentralarchiv

1

1

Wilhelmi, Franz

1

1

Wilmanns, August

2

Wilt, Marie

1*

Windisch, Berta

2

Windisch, Ernst

2

Winterberger, Alexander

2 25

2 2 1

Wohl, Janka

26

2

1 2

Wolfram, Augenarzt

3

X

Wolzogen, Hans von

2

4

6

X

Wurmbrand-Stuppach, Stephanie von

9

1

10

Wurzbach, Constant von

1

1

Wustmann, Gustav

1

1

1

1

Zarembska, Janina von X

Zedwitz, Wera

1

Zehme, Albertine

1

Zeillinger, J.

1

1

Zenker, L. Paul

1

1

Zettner, L. A. X

3

Zichy, Géza

2

Ziegler, von, Legationsrat

1 3

4

1

1

6

8

1

1

X

Zschalig, Heinrich

1

1

2

X

Zschalig, Natalie

2

1

3

811

1039

1850

Summe

Literaturverzeichnis

291

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trage des Lehrercollegiums gehalten von Dr. August Christian Adolph Zestermann, Leipzig 1861. Zimmermann, Christian von  : Biographische Anthropologie. Menschenbilder in lebensgeschicht­ licher Darstellung (1830–1940), Berlin 2006. Zinnecker, Andrea  : Romantik, Rock und Kamisol. Volkskunde auf dem Weg ins Dritte Reich. Die Riehl-Rezeption, Münster, New York 1996.

6.5 Abbildungsverzeichnis Abb. 1  : Stich nach einer Photographie von Marie Lipsius, Stadthistorisches Museum Leipzig, MT/2042/2000. Abb. 2  : Familie Lipsius  : Adelbert, Constantin, Marie, Lina (Stiefmutter), Hermann und Carl Lipsius (v. l. n. r.), Photographie in der Autobiographie von Marie Lipsius. Abb. 3  : Liste der bei Breitkopf & Härtel eingegangenen Spenden an Marie Lipsius, 22. 12.1922, Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Bestand 21081, Akte 2618, Blatt 54. Abb. 4  : Similde Gerhard um 1850, Photographie von Bertha Wehnert-Beckmann, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Leb 1/54c. Abb. 5  : Herrenhaus in Gerhards Garten, 1882. An den Fenstern im 1. Stock links Similde Gerhard, rechts Marie Lipsius, Photographie von Hermann Walter, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, G.G. I/45. Abb. 6  : Similde Gerhard (in der Mitte stehend mit weißer Armbinde) und Marie Lipsius (rechts am Tisch sitzend) mit Leipzigerinnen beim Nähen von Verbandszeug, Leipzig 1870/71, Photographie, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Fotothek, Positiv 8400 a/7. Abb. 7  : Josef Danhauser  : Franz Liszt am Flügel phantasierend, 1840, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie/Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland, Inv.-Nr. F.V. 42. Abb. 8  : Einladung zur Gedenkfeier anlässlich des 150. Geburtstags von Marie Lipsius auf das ehemalige Rittergut Schmölen, Kulturhistorisches Museum Wurzen. Abb. 9  : Gedicht von S[imilde] G[erhard] auf der ersten Seite des Rezensionsalbums, 30.12.1873, Kulturhistorisches Museum Wurzen. Abb. 10  : Seite aus dem Rezensionsalbum mit Kritiken zum fünften Band der Musikalischen Studienköpfe, Kulturhistorisches Museum Wurzen.

Dank Eine biographische Erzählung ist nie neutral. Sie ist geformt von den Deutungen, Perspektiven, Werten und Absichten der erzählenden Person. So ist auch meine Annäherung an die Lebensgeschichte von Marie Lipsius geprägt durch meine Erfahrungen und Begegnungen während meiner Promotionszeit und darüber hinaus. Viele haben ihren Anteil an dieser Arbeit, ihnen möchte ich herzlich danken. Als Allererste war das Melanie Unseld, der ich für ihr immer offenes Ohr und Herz, nicht nur in wissenschaftlichen Angelegenheiten, sehr dankbar bin. Sie hat optimale Arbeitsbedingungen geschaffen, um mir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen in einer Zeit, in der weder das eine noch das andere etabliert war. Auch meinem Zweitprüfer Dietrich Helms danke ich für seine Unterstützung. Ganz besonders aber erinnere ich mich an die tollen Menschen, die ich an der Uni Oldenburg und an anderen Orten um mich hatte. Dicker Dank an Ina Knoth, Lilli Mittner, Gesa Finke, Sandra Danielczyk, Christine Fornoff-Petrowski und all meine anderen Freundinnen und Freunde. Nicht zuletzt braucht es auch den finanziellen Rahmen, um gut arbeiten zu können. Mit einem vom Land Niedersachsen geförderten Georg Christoph Lichtenberg-Stipendium im Promotionskolleg »Erinnerung – Wahrnehmung – Bedeutung. Musikwissenschaft als Geisteswissenschaft« hatte ich diese Möglichkeit. Der Austausch im Kolleg war sehr wertvoll. Für meine Arbeit besonders wichtig waren die Lipsius-Briefe im Städtischen Museum Leipzig und im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, die mir jederzeit unkompliziert bereitgestellt wurden (mittlerweile liegen sie digitalisiert vor). Auch dem Kulturhistorischen Museum Wurzen danke ich herzlich für die Unterstützung. Die dort gefundene La-Mara-Kiste war das i-Tüpfelchen meiner Recherchen. (Man kann in Wurzen übrigens wunderbar im ehemaligen Rittergut Schmölen, in dem Lipsius ihren Lebensabend verbrachte, im La-Mara-Zimmer nächtigen.) Am Ende hatte der Böhlau Verlag unendlich viel Geduld mit mir, so dass ich mein Buch nun endlich in den Händen halten kann. Meine Eltern und mein Bruder erleben den Abschluss meiner Arbeit leider nicht mehr. Darüber bin ich sehr traurig. Ich bewahre ihr Andenken in dem Wissen, dass sie mir das Wertvollste mit auf den Weg gegeben haben, was sie hatten  : ihr Vertrauen und ihre Liebe. Beides lebt weiter in meiner eigenen Familie, die mich während der Promotionszeit getragen und ertragen hat. Ihr erinnert mich immer in den richtigen Momenten daran, was wirklich zählt im Leben. Danke meinen Liebsten, Ralf, Geraldine, Carlotta und Julian.