Marcus Lutter. Gesammelte Schriften 9783899497960, 9783899497953

Marcus Lutter is one of the most renowned legal scholars in Germany and has significantly influenced commercial law over

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German Pages 1331 Year 2010

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Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Aktionär und Gesellschafter in der rechtlich geordneten Marktwirtschaft
Der Aufsichtsrat im System der deutschen Aktiengesellschaft
Vorstand und Geschäftsführer
Die Gesellschaft im Konzern und im Kapitalmarkt
Das Kapital und sein Schutz
Gesellschaftsrecht in Europa
Rechnungslegung
Backmatter
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Marcus Lutter. Gesammelte Schriften
 9783899497960, 9783899497953

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Marcus Lutter Gesammelte Schriften

MARCUS LUTTER Gesammelte Schriften

herausgegeben von

Uwe H. Schneider

Peter Hommelhoff

De Gruyter

ISBN 978-3-89949-795-3 e-ISBN 978-3-89949-796-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ' Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Marcus Lutter vollendet am 11. Dezember 2010 sein 80. Lebensjahr. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, nicht nur seine zahlreichen Bücher und Kommentare in den Blick zu nehmen, sondern sein Gesamtwerk. Dazu gehören auch eine Fülle von Aufsätzen, die in Zeitschriften, Sammelwerken, Festschriften, Gedächtnisschriften usw. veröffentlicht sind. Sie hatten durchweg großen Einfluss auf die Anwendung des geltenden Rechts, auf die Rechtsentwicklung und die rechtspolitische Diskussion. Die Praxis hat auf Marcus Lutter gehört. Und wenn sie ihm nicht zugestimmt hat, dann hat sie sich doch intensiv mit seinen Überlegungen auseinandergesetzt. Die Rechtsprechung, zumal die höchstrichterliche, hat viele Ideen aufgegriffen. Und die Wissenschaft hat sich um seine Beiträge versammelt. Viele dieser Aufsätze sind jedoch nicht mehr oder zumindest nur noch schwer zugänglich. Das war der Anlass für die hier vorgelegte Sammlung mit einer Auswahl von Einzelbeiträgen aus Marcus Lutter’s Feder. Sie sind Beispiele gelebten Rechts und geben Zeugnis von seinem sicheren Gespür für aktuelle Themen. Beispiel hierfür sind die Aufsätze zur Professionalisierung der Aufsichtsräte, zu den Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, zur zivilrechtlichen Haftung in der Unternehmensgruppe und zur Haftung aus Konzernvertrauen. Sie bezeugen Leidenschaft, Überzeugungskraft, klare Argumentation und sie offenbaren eine gelegentlich spitze Feder. Der Beitrag zur Bankenkrise und Organhaftung hat wie der Steinwurf in ein Wespennest gewirkt. In jedem Fall hat Marcus Lutter für das Ergebnis seiner Überlegungen die Verantwortung übernommen. Es wurden keine abstrakten Rechtsprobleme hin und her geschoben. Marcus Lutter wusste vielmehr, dass Menschen betroffen sind und wir an einer Ordnung arbeiten, in der zu leben sich lohnt. Der Einfluss dieser Beiträge ist weiterhin spürbar – oder wie man heute sagen würde, seine Aufsätze sind nachhaltig. Davon mag sich der Leser überzeugen. Die Herausgeber sind allen Verlagen dankbar, die bereit waren, einer neuerlichen Veröffentlichung der bei ihnen erschienenen Arbeiten von Marcus Lutter zuzustimmen. Die Herausgeber danken zugleich Herrn Referendar Sven Hirschfeld, der sich bei der Sammlung der Beiträge und bei den notwendigen Vorarbeiten zu dieser Veröffentlichung höchst verdient gemacht hat. Und endlich: Die Herausgeber sind sich bewusst, dass diese Sammlung unvollständig ist; denn wir werden weiterhin Beiträge aus der Feder von Marcus Lutter lesen, mit Freude und Gewinn. Wir warten darauf. Darmstadt und Heidelberg, im September 2010 Peter Hommelhoff

Uwe H. Schneider

Inhalt Vorwort ............................................................................................................................ V Inhalt.............................................................................................................................. VII AKTEURE IN DER GESELLSCHAFT – ORGANE UND ORGANMITGLIEDER Aktionär und Gesellschafter in der rechtlich geordneten Marktwirtschaft Zur Treuepflicht des Großaktionärs ............................................................................. 3 Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme .......................................................... 27 Der Stimmbote ............................................................................................................... 51 Theorie der Mitgliedschaft ............................................................................................ 69 „Ich nenne diese Aktionäre schlicht und einfach Räuber“ ....................................143 Die entschlußschwache Hauptversammlung ...........................................................149 Die Funktion der Gerichte im Binnenstreit von Kapitalgesellschaften................167 Der Aufsichtsrat im System der deutschen Aktiengesellschaft Bankenvertreter im Aufsichtsrat ................................................................................191 Rolle und Recht ............................................................................................................223 Unternehmensplanung und Aufsichtsrat ..................................................................235 Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten in den Aufsichtsräten von Konkurrenzunternehmen ...........................................................................................255 Der Aufsichtsrat: Konstruktionsfehler, Inkompetenz seiner Mitglieder oder normales Risiko? ..........................................................................................................275 Professionalisierung der Aufsichtsräte ......................................................................279 Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer? .........................................283 Auswahlpflichten und Auswahlverschulden bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern .............................................................................................293 Unternehmensverfassung und Wettbewerbsordnung.............................................301 Mitbestimmung und Schadensabwehr ......................................................................325 Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung .....................................339 Professionalisierung des Aufsichtsrats ......................................................................361 Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten ...................375 Vorstand und Geschäftsführer Zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers aus deliktischen Schäden im Unternehmen................................................................................................................387 Haftung und Haftungsfreiräume des GmbH-Geschäftsführers ...........................409 Die Business Judgement Rule und ihre praktische Anwendung ...........................437 Interessenkonflikte und Business Judgment Rule ...................................................457 Kodex guter Unternehmensführung und Vertrauenshaftung ...............................471 Mannesmann/Vodafone .............................................................................................487

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Inhalt

Zur Rechtmäßigkeit von internationalen Risikogeschäften durch Banken der öffentlichen Hand ........................................................................................................493 Bankenkrise und Organhaftung .................................................................................509 DIE GESELLSCHAFT IM KONZERN UND IM KAPITALMARKT Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften ...........................................521 Zur Wirkung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auf nahestehende Gesellschaften ...............................................................................547 Zustimmungspflichtige Geschäfte im Konzern ......................................................565 Zur Vorbereitung und Durchführung von Grundlagenbeschlüssen in Aktiengesellschaften ....................................................................................................573 Das Vor-Erwerbsrecht/Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse .......................................................................595 Zur Herrschaft mehrerer Unternehmen über eine Aktiengesellschaft .................603 Zur Binnenstruktur des Konzerns.............................................................................617 Konzernrechtlicher Präventivschutz im GmbH-Recht ..........................................639 Die zivilrechtliche Haftung in der Unternehmensgruppe ......................................673 Fragerecht und Informationsanspruch des Aktionärs und GmbH-Gesellschafters im Konzern .........................................................................705 Organzuständigkeiten im Konzern ...........................................................................723 Rücklagenbildung im Konzern ..................................................................................753 Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft ...........................775 Aktienerwerb von Rechts wegen: Aber welche Aktien? .........................................801 Teilfusionen im Gesellschaftsrecht............................................................................815 Die Übertragende Auflösung: Liquidation der Aktiengesellschaft oder Liquidation des Minderheitenschutzes? .........................................................................................833 Konzernrecht: Schutzrecht oder Organisationsrecht? ............................................869 Haftung aus Konzernvertrauen? ................................................................................879 Der Aufsichtsrat im Konzern.....................................................................................897 Das unvollendete Konzernrecht ................................................................................909 Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt ........................................................................923 DAS KAPITAL UND SEIN SCHUTZ Gescheiterte Kapitalerhöhungen ...............................................................................945 Vorleistungsrisiko der Zeichner und „freie Verfügbarkeit“ bei Gründung und Kapitalerhöhung ..........................................................................................................971 Die Rückabwicklung fehlerhafter Kapitalübernahmen...........................................995 Die „Sterbehaus-Konstruktion“ ............................................................................. 1009 Das überholte Thesaurierungsgebot bei Eintragung einer Kapitalgesellschaft im Handelsregister .......................................................................................................... 1025 Die Verbrauchsstiftung – Stiftung auf Zeit ........................................................... 1047

IX GESELLSCHAFTSRECHT IN EUROPA Für einen Europäischen Vertragskonzern ............................................................. 1067 Zur Europäisierung des deutschen Aktienrechts ................................................. 1091 Europas Werden durch das Recht .......................................................................... 1111 Die Auslegung angeglichenen Rechts .................................................................... 1129 Zum Umfang der Bindung durch Richtlinien ....................................................... 1171 Mißglückte Rechtsangleichung: das Chaos der Ein-Personen-Gesellschaft in Europa ........................................................................................................................ 1191 Das Europäische Unternehmensrecht im 21. Jahrhundert ................................. 1207 Zur überschießenden Umsetzung von Richtlinien der EU ................................. 1225 Das (feste Grund-)Kapital der Aktiengesellschaft in Europa ............................. 1241 Europa und das Unternehmensrecht ..................................................................... 1255 RECHNUNGSLEGUNG Zur Rechnungslegung und Publizität gemeinnütziger Spenden-Vereine .......... 1269 Rechnungslegung als Rechenschaftslegung ........................................................... 1293 Schriftenverzeichnis .................................................................................................. 1315

AKTEURE IN DER GESELLSCHAFT – ORGANE UND ORGANMITGLIEDER

Aktionär und Gesellschafter in der rechtlich geordneten Marktwirtschaft

Zur Treuepflicht des Großaktionärs* JZ 1976, S. 225-233 I. Einleitung Vereinfachende Aussagen haben nicht nur in Werbung und Politik ihre Erfolge und Gefahren, sondern gehören auch zu den granitenen Säulen praktischer Jurisprudenz. Sie sorgen ganz offenbar für das Wohlbehagen aus – oft nur vermeintlicher – Sicherheit und Klarheit. An dieses Wohlbehagen wird man erinnert, wenn man nach eingehenden Studien komplizierter Ausführungen über die vielfältigen und abgestuften Treuepflichten des Gesellschafters einer Personengesellschaft1 aber auch einer GmbH2 schließlich erfährt: Der Aktionär hat keine Treuepflicht3. In Wirklichkeit liegen auch hier die Dinge leider komplizierter; auch lassen die Ausführungen zur Treuepflicht manches plakative Mißverständnis erkennen, beruhen in ihren Divergenzen nicht selten auf sprachlichen Vereinfachungen und der Hoffnung, einst vielleicht Richtiges unbesehen übernehmen und insgesamt auf Differenzierungen verzichten zu können. Welche schwierigen Fragen gerade in diesem Zusammenhang entstehen, läßt sich besonders deutlich an zwei eindrucksvollen Sachverhalten der letzten Jahre * Die Abhandlung ist Kurt Ballerstedt aus Anlaß seines 70. Geburtstages in Verehrung gewidmet. 1 Hueck, Gesellschaftsrecht, 17. Aufl. 1975, § 7 I, 1 d); A. Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl., Berlin 1971, § 13 I; Westermann, Handbuch der Personengesellschaft, Tz 241, 242; weitere Nachw. bei Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden, 1963, S. 336 Fn. 2 u. 3. Vgl. auch BGHZ 34, 80, 83 = JZ 1961, 577, 578 mit Anm. von Müller-Freienfels. 2 BGHZ 9, 157, 163 („echte Treupflicht“); 14, 53, 57/58; BGH v. 5. 6. 1975, BB 1975, 1450 mit Anm. Schilling = DB 1975, 2172 = WM 1975, 1152 = AG 1976, 16 und dazu Brezing, ibid., S. 5. Grundlegend Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949, 181 ff.; vgl. weiter Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, 270 ff. mit weiteren Nachw.; Schilling, in: Hachenburg, 7. Aufl., § 13 GmbHG Anm. 7; Schmidt, Die gegenseitige Treupflicht der GmbH-Gesellschafter, GmbHRdsch. 1960, 137. 3 Hueck, Gesellschaftsrecht, aaO, § 27 IV: „Zunächst kann keine Rede davon sein, daß die einzelnen Aktionäre untereinander durch ein Treueband verbunden wären“. Ebenso auch die früheren Auflagen, z. B. 10. Aufl. 1960. Ähnlich Meyer-Landrut, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 1 Anm. 34: „Es scheint aber überhaupt verfehlt, in Beziehungen der kapitalistisch organisierten Aktiengesellschaften einen juristisch nicht greifbaren Treuebegriff einzuführen …“.

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verdeutlichen; der eine wurde vom Obersten Gericht des Staates Kalifornien im Jahre 1969 entschieden4; über den anderen hatte das OLG Celle im Jahre 1974 zu befinden5. 1. In Kalifornien klagten Minderheitsaktionäre mit ca. 5% der Aktien einer Savings and Loan Association – wir würden sagen: einer mittelgroßen Bausparkasse – gegen die Mehrheitsgesellschafter auf Schadenersatz. Folgendes war geschehen: die Bausparkasse war eine sogenannte geschlossene Aktiengesellschaft (close corporation)6 mit wenigen Gesellschaftern; ihre wenigen Aktien waren an der Börse nicht notiert, hatten einen – so würden wir es formulieren – hohen Nennwert und einen noch höheren Buchwert. Daher gab es keinen Markt für diese Aktien; sie wechselten ihren Besitzer selten und dann meist im Kreise der Gesellschafter selbst. Wegen der Zinsentwicklung, der regen Bautätigkeit und der daraus resultierenden guten Geschäftsentwicklung standen Bausparkassen dann plötzlich im Mittelpunkt von Anlageinteressen und Börsenspekulationen; wo immer sie an der Börse gehandelt wurden, stiegen ihre Kurse stark. An den Aktionären der hier interessierenden Gesellschaft aber ging dieser Segen vorbei; denn ihre Aktien wurden an keiner Börse gehandelt und sie waren – weil nur wenige Aktien ausgegeben worden waren – für eine Börseneinführung viel zu „groß“, zu „teuer“7. Das ärgerte die Mehrheitsgesellschafter mit damals knapp 90% des Kapitals. Sie gründeten daher eine Holding-Gesellschaft, brachten ihre eigenen „teuren“ Bausparkassen-Aktien dort ein, erhielten für eine Bausparkassen-Aktie 250 Holding-Aktien, führten diese Holding-Aktien an der Börse ein und verdienten dann beim Verkauf der Holding-Aktien ein herrliches Geld, während die verbliebene Minderheit auf zwar theoretisch wertvollen, aber praktisch unverkäuflichen Aktien sitzen blieb8. 2. Auch in Niedersachsen klagte ein Minderheitsaktionär der AUDINSU AG gegen seinen Großaktionär, die Volkswagen AG, auf Schadenersatz. Folgendes hatte sich abgespielt: VW hatte eine Mehrheit von gut 75% bei AUDI/ NSU und wollte das Unternehmen organisatorisch und finanziell noch enger an sich binden. VW schloß daher mit AUDI/NSU einen Gewinnabführungs- und 1 Cal. 3 d 93, 81 Cal. Rep. 592. OLG Celle, DB 1974, 525 = WM 1974, 1013. Die Revision hiergegen wurde vom BGH im Februar 1976 verworfen. 6 Bausparkassen können in den USA als Aktiengesellschaften (corporations) gegründet und betrieben werden, wobei – je nach Bundesstaat – einige Sonderregeln gelten. Als „close corporation“ bezeichnet man in den USA corporations mit wenigen Gesellschaftern und wenigen Aktien, die an der Börse nicht eingeführt sind; in aller Regel gelten für diese Gesellschaften auch nach ihrer Satzung Übertragungsbeschränkungen. Die close corporations sind Aktiengesellschaften; nur in wenigen US-Staaten gelten für sie einige Sonderregeln. 7 Im Nennwertsystem vergleichbar einem Nennbetrag der Aktien von beispielsweise DM 10 000,–. 8 Nähere Einzelheiten bei Grossmann, AG 1975, 158. 4 5

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Beherrschungsvertrag, der in der Hauptversammlung von AUDI/NSU am 22. 6. 1971 mit der erforderlichen Drei-Viertel-Mehrheit angenommen wurde. Nach § 305 AktG mußte dieser Vertrag ein Abfindungsangebot an die sogenannten außenstehenden Aktionäre, also die Minderheitsaktionäre von AUDI/NSU mit zusammen noch knapp 25% enthalten. In diesem Falle konnte das Abfindungsangebot allein in einem sogenannten Umtauschangebot in Aktien der Obergesellschaft (VW) bestehen, § 305 II Nr. 1 AktG. Die Börsenkurse beider Gesellschaften waren damals ungefähr gleich (AUDI/NSU lag etwas höher)9, doch kam ein Wertgutachten zweier Sachverständiger zu dem Ergebnis, sachlich berechtigt sei ein [226] Wertverhältnis von drei AUDI/NSU-Aktien zu nur einer VW-Aktie10. VW bot daher – großzügigerweise, wie es sagte – eine VW-Aktie für 2,5 AUDI/NSU-Aktien an11. Der Kurswert der betroffenen AUDI/NSU-Aktien wäre damit auf 40% seines bisherigen Wertes zusammengebrochen. Die Minderheit, wen mag es wundern, schäumte, eine organisierte Gruppe von ca. 15% des Kapitals (die Israel-British-Bank) schoß aus allen denkbaren Rohren juristisches Sperrfeuer, erhob Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung von AUDI/NSU und erreichte vor allem eine einstweilige Verfügung, welche die Eintragung des Unternehmensvertrages im Handelsregister und damit dessen Wirksamkeit vorerst inhibierte, § 294 II AktG12. Die restlichen 6-7% der AUDI/NSU-Aktionäre verfolgten den Börsenkurs – der sich vom Schock des „VWKraftaktes“13 wieder etwas erholt hatte, zwischen 130 und 140% und damit wieder etwas über 1 : 1 zu VW pendelte – und lasen täglich die Frontberichte in der Wirtschaftspresse: einmal Gutes wie die Bestätigung der einstweiligen Verfügung mit dem Eintragungsverbot, ein anderes Mal Betrübliches wie die Erklärung von VW, es habe reichlich Zeit, notfalls bis zur Entscheidung durch den BGH zu warten; einmal Gutes wie die Erklärung der besagten Gruppe, sie werde ihrerseits bis zum BVerfG gehen und sei gewiß, den Prozeß zu gewinnen; ein andermal Betrübliches wie die Meldung, daß der fraglichen Gruppe langsam das Geld ausgehe. Tatsächlich stand VW unter Zeitdruck; denn AUDI/NSU trieb in diesem Jahr bereits einem kräftigen Betriebsverlust entgegen, der mit VW-Gewinnen nur

Securius, DIE ZEIT v. 12. November 1971. Nach h. M. ist bei diesen Abfindungs- und Umtauschangeboten der Kurswert ohne weiteren Belang; vgl. Hüchting, Abfindung und Ausgleich im aktienrechtlichen Beherrschungsvertrag, Köln 1972, 39 ff. mit Nachw. aus der Rspr. 11 Tagesordnung zur Hauptversammlung der AUDI/NSU AG vom 22. Juni 1971, veröffentlicht in Nr. 82 des Bundesanzeigers vom 4. 5. 1971. 12 Vgl. dazu Baur, ZGR 1972, 421. 13 So DIE ZEIT, aaO (Fn. 9). 9

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aufgrund eines wirksamen Unternehmensvertrages verrechnet werden konnte14: und das machte steuerlich immerhin gut 50 Pfennig auf jede von NSU verlorene DM aus. Seit Mitte Oktober 1971, verstärkt seit den letzten Oktober-Tagen des betreffenden Jahres, fanden daher höchst vertrauliche Gespräche zwischen VW und Vertretern der Israel-British-Bank statt, die in der Nacht zum 5. November zur Einigung führten: VW kaufte die fraglichen 15% zum Barpreis von 226,– DM je AUDI/NSU-Aktie und bot das gleiche allen anderen noch verbliebenen AUDI/NSU-Aktionären an. Der Preis, den VW für eine AUDI/NSU-Aktie zu zahlen bereit war, hatte sich also innerhalb von nur vier Monaten um über 400% erhöht. Leider hatte der Kläger dieses Verfahrens Ende Oktober, also wenige Tage vor der spektakulären Einigung, Lust, Laune und Nerven verloren und seine Aktien zum Kurs von 146% verkauft; er hatte damit noch immer das 2,5-fache des von VW zunächst Angebotenen, aber immerhin knapp 100 000,– DM weniger als den von VW nunmehr gebotenen Preis erlöst. Übrigens: gar so geheim waren die Verhandlungen zwischen VW und der Israel-British-Bank offenbar doch nicht gewesen; seit dem 1. November fiel die Entwicklung der AUDI/NSU-Aktie aus dem allgemeinen Rahmen; am 3. November machte sie schließlich so lebhafte Sprünge, daß die Notierung ausgesetzt und erst am 5. November wieder aufgenommen wurde15. II. Aktionär und Gesellschaft Ehe wir auf die Lösung der beiden Fälle durch die Gerichte zu sprechen kommen, sind einige klärende Vorbemerkungen von Nutzen. 1. Wie die Aktie Mitgliedschaftsrecht und Gegenstand zugleich ist, so hat auch der Aktionär selbst eine Doppelstellung: er ist Inhaber von Rechten und Pflichten in Bezug auf die Gesellschaft, zugleich mit anderen zusammen Mitglied des Verbandes, der Korporation. Es gilt also zu trennen zwischen den rechtlichen Beziehungen des einzelnen Aktionärs zur Gesellschaft selbst und solchen zu seinen Mitaktionären. 2. Zwischen dem Aktionär und der Gesellschaft besteht ohne Zweifel ein Rechtsverhältnis; dieses Verhältnis zur Gesellschaft ist gesellschaftsrechtlich vermittelt und besteht in einer Summe von Rechten und Pflichten16. Als Ganzes und in 14 Die steuerliche Organschaft setzt auf jeden Fall den Gewinnabführungsvertrag voraus, vgl. § 7 a KStG; § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG; § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; zum ganzen EmmerichSonnenschein, Konzernrecht, 1973, S. 77 ff. 15 Börsenzeitung v. 5. 11. 1971. 16 Vgl. zu diesen einzelnen Rechten (Dividendenanspruch, Abfindungsanspruch, Anspruch auf Liquidationsanteil, Mitverwaltungsrechte in der Hauptversammlung, Anfechtungsrecht etc.)

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seinen Teilen unterliegt dieses Rechtsverhältnis dem allgemeinen Gebot von Treu und Glauben17, das als allgemeiner, also hier zunächst nicht näher strukturierter Grundsatz alle Teile des Privatrechts beherrscht. Der Aktionär ist daher im Verhältnis zur Gesellschaft zu allgemeiner Treue verpflichtet und bei Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Rechte zur Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben gehalten; vor allem ist ihm, wie in allen Teilen der Rechtsordnung, jede mißbräuchliche Rechtsausübung untersagt18. Aber auch die Gesellschaft ist verpflichtet, ihr Mitglied nicht gerade in dieser Position als Aktionär zu schädigen. Und da die Gesellschaft selbst – also praktisch gesprochen: ihre Verwaltung – nur selten auf den Gedanken kommt, ihre Aktionäre betont zu schädigen, handelt es sich de facto um ein Problem aus dem Verhältnis von Mehrheit und Minderheit. Denn dieser Mehrheit stehen nach den Organisationsregeln unserer Kapitalgesellschaften bestimmte Befugnisse in der Gesellschaft zu. a. Auf der einen Seite kann die Mehrheit mit Hilfe des von ihr beherrschten Organs Hauptversammlung die Interessen der Mitaktionäre schädigen, indem sie etwa den Gewinn zu reservieren statt auszuschütten beschließt – etwa um die Minderheitsaktionäre auszutrocknen –, bei einer Kapitalerhöhung nur sich selbst berücksichtigt und das Bezugsrecht der anderen Gesellschafter ausschließt, zu ungünstigen Bedingungen mit einer ihr gehörenden anderen Gesellschaft fusioniert, etc. Hier ist das Handeln der Mehrheit nach unserem Verständnis der Dinge nicht – oder mindestens nicht in erster Linie – Aktionärshandeln, sondern Handeln der Gesellschaft durch und in ihrem Organ Hauptversammlung: deren Beschluß steht zur Debatte. Die Korrektur solcher Fehlerscheinungen erfolgt daher auch als Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses (§§ 243 ff. AktG) und nicht nach den Regeln und Vorstellungen von Schadenersatzpflichten der Gesellschaft oder ihrer Mehrheit im Verhältnis zur Minderheit. b. Zum anderen kann die Mehrheit die Interessen der Gesellschaft und damit mittelbar auch die ihrer anderen Gesellschafter schädigen, indem sie mit ihren, der Mehrheit Zielen, die eigenen Ziele der Gesellschaft selbst substituiert ebenso, wie der Krebs von innen, von der Kommandozentrale her, die Funktion der Zelle verändert. Hier übt die etablierte Mehrheit einen faktischen Einfluß auf Geschäftspolitik und Geschäftsführung der Gesellschaft aus, der zwar seinen Hinund Pflichten (Einlagepflicht) Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 3. Aufl. 1973. § 10; Lutter, Kölner Kommentar zum AktG, 1972, Anm. 3 ff. u. 12 vor § 54 AktG. 17 Hueck, Gesellschaftsrecht, aaO, § 27 IV; Meyer-Landrut, Großkom. AktG, 3. Aufl., § 1 Anm. 34; Reinhard, Gesellschaftsrecht, 1973, Tz. 441; Zöllner, aaO (Fn. 1), S. 335 f., 350; Schilling, Wandlungen des modernen Gesellschaftsrechts, JZ 1953, 489; v. d. Burg, Mißbrauch von Aktionärsrechten und Ausschluß aus der Hauptversammlung, AG 1962, 92 mit umfangreichen Nachw. Für das Rechtsverhältnis zwischen der GmbH und ihren einzelnen Gesellschaftern: BGHZ 14, 53, 58. 18 Zum Rechtsmißbrauch insbesondere bei Ausübung des Stimmrechts vgl. RGZ 146, 385, 395; 167, 151, 161 ff. sowie Zöllner, aaO.

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tergrund (Abhängigkeit des Vorstands von dem von der Mehrheit bestimmten Aufsichtsrat), nicht aber seinem Inhalt nach in der Hauptversammlungs-Mehrheit legitimiert ist (vgl. einerseits § 17 II, andererseits § 119 II AktG). Grosso modo handelt es sich bei Erscheinungen dieser Art um den Problemkreis, der – verkürzt – mit Konzernrecht und – besser – als Recht der [227] verbundenen Unternehmen umschrieben wird und der hier nicht weiter erörtert werden soll19. 3. In den beiden hier geschilderten Fällen steht aber nun weder die Schädigung der Gesellschaft durch ihre Mehrheit zur Debatte, noch die Benachteiligung der Minderheit mit Hilfe für sie nachteiliger Hauptversammlungs-Beschlüsse, also eines Organhandelns der betreffenden Aktiengesellschaft. Es handelt sich mithin in beiden Fällen um Bereiche, in denen sich die Aktionäre ohne Vermittlung der Gesellschaft gegenüber stehen. Gerade für diesen Bereich mag daher dem zu Anfang zitierten Satz Bedeutung zukommen, daß die Aktionäre untereinander rechtlich nicht verbunden seien, keine Rechte und Pflichten gegeneinander hätten und daher auch gegenseitig nicht zu besonderer Treue verpflichtet seien. III. Die Entscheidungen und ihre Begründungen 1. Das OLG Celle ist genau diesen Weg gegangen und hat die Klage mit beinahe rüden Worten abgewiesen. Seine Begründung ist recht einfach: a. Zwischen dem Kläger und der Beklagten (VW) bestehen, so meint das OLG, keinerlei rechtliche Beziehungen; schon deshalb habe VW als Großaktionär von AUDI/NSU keine Fürsorge- und Treuepflichten gegenüber den anderen Aktionären dieser Gesellschaft. b. Diese Betrachtung ändere sich auch nicht im Hinblick auf den Beherrschungsvertrag; denn dieser Vertrag sei – das ist unbestritten – solange der Kläger noch Aktionär war mangels Eintragung im Handelsregister nicht wirksam geworden. 2. Ganz anders waren die Überlegungen des Supreme Court von Kalifornien. Das Gericht stellte zunächst einmal fest, daß die Beklagten ihren Plan überhaupt nur durchführen konnten, weil sie Mehrheitsgesellschafter waren: nur deswegen wurde die Holding-Gesellschaft eine interessante Börsen-Gesellschaft; hätte sie nur eine Minderheitsbeteiligung an der fraglichen Bausparkasse gehalten, so wären ihre Aktien kaum marktfähig geworden. Zum anderen habe die Maßnahme der Mehrheit dazu geführt, daß die Aktien der Minderheit noch weiter und zunehmend uninteressant wurden: als kleine 19 Zu den Aufgaben des Rechts der verbundenen Unternehmen vgl. Kropff, Das Konzernrecht des AktG 65, BB 1965, 1281; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 3. Aufl., §§ 51 u. 52; Emmerich-Sonnenschein, Konzernrecht, 1973, 6 ff.; Lutter, Das Konzernrecht der Bundesrepublik und seine Bewährung, N. V. (Naamlooze, Vennootschap, Niederlande) 53 (1915), S. 117.

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Gesellschafter neben mehreren anderen hätten sie noch einen gewissen, ihrem Anteil entsprechenden Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft und ihre Entwicklung gehabt. Jetzt aber seien einerseits die Aktien der Minderheit zu groß und zu unbeweglich und andererseits seien die kleinen Gesellschafter hoffnungslos in der Minderheit gegenüber einer nunmehr fest etablierten, institutionellen Mehrheit, eben der Holding20. Und schließlich hätte es der Mehrheit keinerlei Schwierigkeiten bereitet oder gar Nachteile gebracht, die Minderheit an der Reorganisation der Gesellschaft zu beteiligen. Im Hinblick auf die Komplexität der wirtschaftlichen Erscheinungen und der allgemeinen Vorteile einer Mehrheit gegenüber der Minderheit sei diese Mehrheit nicht nur der Gesellschaft gegenüber wie ein Gesellschaftsorgan21 zu gesellschaftlicher Treue verpflichtet, sondern auch der Minderheit gegenüber allgemein zu fairer und billiger Handhabung ihrer Mehrheitsposition gehalten. Auch die Mehrheit, nicht nur die Gesellschaft selbst und ihre Organe, habe im Verhältnis zur Minderheit die – so würden wir vielleicht sagen – Grundsätze der Gleichbehandlung auch außerhalb des Handelns in Gesellschaftsorganen zu beachten. Diese Pflicht folge aus der Position, den Möglichkeiten und dem Einfluß der etablierten Mehrheit auf das Schicksal der Gesellschaft und der Minderheit; sie sei stets aktuell, wenn es um Handlungen gehe, die so nur der Mehrheit möglich sind („by any transaction, where controle of the corporation is material“). Diese Pflichten zu loyaler Berücksichtigung auch der Minderheitsinteressen seien hier verletzt worden; da kein Organhandeln zur Debatte stand (Anfechtung), habe die Mehrheit die klagende Minderheit im Wege des Schadenersatzes so zu stellen, als hätte sie diese an der Reorganisation der Gesellschaft beteiligt22.

20 Die Gerichte der USA haben früh erkannt, daß nicht im Mehrheitsprinzip als solchem, sondern in der ständigen, der etablierten Mehrheit das Problem für die Minderheit liegt: das Mehrheitsprinzip geht von offener Entscheidung und der jeweiligen Bildung von Mehrheiten aus; jeder Gesellschafter nimmt hier – mit wechselndem Erfolg – an der Mehrheitsbildung teil. Erlangt dagegen ein Gesellschafter oder eine Gruppe von Gesellschaftern die dauernde Stimmenmehrheit, so findet eine Mehrheitsbildung nicht mehr statt: sie hat stattgefunden. Die Gesellschaft hat ihren Charakter verändert; sie ist abhängig geworden von dieser etablierten Mehrheit, die ihrerseits jetzt quasi das Organ Hauptversammlung repräsentiert. Vgl. dazu Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, 196 f. und Wiedemann, Minderheitenschutz und Aktienhandel, 1968, 54 („Eine stabile Mehrheit sprengt das vom Gesetz entworfene Idealbild der sich selbst kontrollierenden Körperschaft, weil das Mehrheitsprinzip seiner Funktion automatischen Interessenausgleichs entfremdet wird“). 21 Vgl. Mestmäcker und Wiedemann, aaO, je mit vielfältigen Nachw. 22 Die Entscheidung hat auch in den USA hohe Beachtung gefunden. Vgl. u. a. 70 Columbia Law Review, 1079 ff. (1970) sowie Latin-Jennings-Buxbaum, Corporations, Cases and Materials, 1972 Suppl., S. 34 ff.

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IV. Die Interessen der Aktionäre und der Gesellschaft Nach diesem Exkurs zu den – in mehrfacher Hinsicht – noch weit entfernten rechtlichen Erwägungen eines fremden Obergerichtes gilt es zurückzukehren zur Aussage des OLG Celle, im Recht der Bundesrepublik gebe es keine allgemeinen Pflichten der Mehrheit gegenüber der Minderheit zu Fairneß und Treue. Diese These scheint überzeugend, entspricht dem Schweigen des Gesetzes und lange tradierten Formulierungen der Literatur23. Sieht man aber genauer hin, so wachsen die Zweifel. Fragt man nämlich zunächst einmal nicht nach dem Prinzip, sondern nach den neuralgischen Punkten, in denen die Mehrheit nicht oder nicht in erster Linie die Gesellschaft, sondern die Minderheit benachteiligen kann, so findet man eine nicht geringe Zahl von relevanten Einzelaussagen des Gesetzes. 1. Es ist kaum ein Fall denkbar, in dem es für die Gesellschaft selbst nachteilig sein könnte, den erwirtschafteten Gewinn in der eigenen Kasse behalten zu dürfen, statt ihn an die Gesellschafter ausschütten zu müssen. Beschließt die Mehrheit daher die Reservierung des gesamten Bilanzgewinns, so schädigt sie nicht die Gesellschaft, wohl aber die Minderheit, die in aller Regel nicht nur unternehmerisch expansiv denkt, sondern – auch – an ihre Erträge. Das Gesetz statuiert hier indirekt eine Rechtspflicht der Mehrheit, diese Interessen der Minderheit zu berücksichtigen, indem es in § 254 II AktG einen speziellen Anfechtungstatbestand für solche Beschlüsse schafft: Hält sich die Mehrheit in diesem Zusammenhang nicht an Mindestpflichten gegenüber der Minderheit, so ist der Beschluß anfechtbar. 2. Dem abstrakten Gebilde „Aktiengesellschaft“ selbst ist es gleichgültig, wer seine Gesellschafter sind24; werden also bei [228] einer Kapitalerhöhung neue Gesellschafter aufgenommen, so schädigt das die Gesellschaft selbst in keiner 23 Vgl. Fn. 3 sowie vor allem A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, 12 ff. Frühere gegenteilige Auffassungen der Rspr. (RGZ 146, 71, 76 und 385, 395; vor allem 158, 248, 254; 165, 79; 170, 377) sowie der Literatur (Fechner, Die Treubindung des Aktionärs, 1942, vor allem S. 86 ff.; Dorpalen, Die Treupflicht des Aktionärs, ZHR 102 (1936), 1; Wieland, Handelsrecht, Bd. 2 (Kapitalgesellschaften), 1931, 248 f.; Küster, Inhalt und Grenzen der Rechte der Gesellschafter insbesondere des Stimmrechts im deutschen Gesellschaftsrecht, 1954, 48 ff.; Filbinger, Die Schranken der Mehrheitsherrschaft in Aktienrecht und Konzernrecht. 1942, vor allem S. 115 ff.) hatten überwiegend heute in anderen Instituten berücksichtigte Anliegen (z. B. Bezugsrechtsausschluß, Konzernrecht), unterschieden nicht zwischen Verstößen gegen die Pflichten aus § 242 BGB (z. B. Rechtsmißbrauch) und einer besonderen Treuepflicht unter den Gesellschaftern oder gingen von einem so unzutreffenden Gemeinschaftsdenken in der Aktiengesellschaft aus. 24 Die Mehrheit versucht zwar immer wieder, gerade diesen Aspekt in Frage zu stellen und damit sich und ihr Schicksal mit dem der Gesellschaft zu identifizieren. Die Auffassung ist schon vielfach widerlegt worden (vgl. Mestmäcker, Verwaltung, aaO (Fn. 20), S. 139 ff.; derselbe, Zur aktienrechtlichen Stellung der Verwaltung bei Kapitalerhöhungen, BB 1961, 945; Lutter, Kölner Kommentar, § 186 AktG Anm. 54). Es gilt, vereinfacht formuliert, zwischen durchaus verständlichen Wünschen und rechtlich relevanten (anerkannten) Interessen zu unterscheiden.

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Weise, wohl aber und in aller Regel die bisherigen Aktionäre. Dem Aktienrecht ist daher das Bezugsrecht der bisherigen Aktionäre (§ 186 AktG) schon lange vertraut; und die Bedingungen seiner Ausschließung im Einzelfall sind von Literatur25 und Rechtsprechung26 immer strengeren Voraussetzungen unterworfen worden. Auch hier findet sich also im AktG 65 eine ganz spezifische Norm, welche der Mehrheit Rechtspflichten gegenüber der Minderheit auferlegt und dieser Minderheit eine Anfechtungsbefugnis gegen solche Beschlüsse einräumt, die ihre Interessen und nicht die Interessen der Gesellschaft verletzen, § 255 II AktG. 3. Wie es für die Gesellschaft in ihrer abstrakten Erscheinung ohne rechtlich erhebliche Belange ist, wer zu ihren Aktionären zählt, so berührt es sie auch nicht; wie deren Mitverwaltungsrechte in der Gesellschaft gestaltet sind, ob also einzelne Aktien bestimmte Vorrechte vor anderen genießen oder nicht: ob ein Entsendungsrecht zum Aufsichtsrat nach § 101 II AktG besteht, ein von der Landesregierung genehmigtes Mehrstimmrecht nach § 12 II, 2, Vorrechte bei der Gewinnverteilung etc. Da diese Fragen in der Satzung der Aktiengesellschaft zu regeln und Satzungsänderungen möglich sind, könnte die qualifizierte Mehrheit nach Lust und Laune die Minderheit weiter beschränken, ohne daß davon die Gesellschaft selbst in ihren Interessen unmittelbar berührt würde. Daß ein solches Ergebnis nicht rechtens sein kann, hat bereits das RG erkannt27, und zwar schon zu Zeiten, in denen es im übrigen die Rechte der Mehrheit nachdrücklich bestätigt hat28. Das RG argumentierte damals vor allem zur Sittenwidrigkeit (heute § 241 Nr. 4 AktG), sprach aber auch Treuepflichten der Mehrheit im Verhältnis zur Minderheit an29, leitete aber zugleich über in die Erkenntnis, daß treues und redliches Verhalten die gleichmäßige Behandlung aller Aktionäre verlangt30. Diese zutreffende Erkenntnis führte zur Ausformung eines breit gefächerten Grundsatzes korporativer Gleichbehandlung31, dessen Verwandtschaft zum Treuegebot

25 Mestmäcker, aaO, BB 1961, 945; Lutter, aaO, Anm. 45 ff.; Wiedemann, Großkom. zum AktG, 3. Aufl., § 186 Anm. 2 u. 12. 26 BGHZ 21, 354 = JZ 1957, 179 mit Anm. v. Mestmäcker. Die betrübliche Entscheidung BGHZ 33, 175 wird, so ist zu hoffen, vereinzelt bleiben. 27 RGZ 107, 72, 75; 108, 41, 43; 112, 14, 18. Vgl. dazu A. Hueck, Die Sittenwidrigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen der Aktiengesellschaften und die Rechtsprechung des Reichsgerichts, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, 1929, Bd. IV, S. 167 ff. 28 Z. B. RGZ 119, 248, 252 ff. 29 RGZ 108, 43 „Gebot einer billigen und gerechten Behandlung“ (scil. der Minderheit). 30 RGZ 112, 14, 18/19 („ … und im Ergebnis gegen den allgemeinen Grundsatz des Aktienrechts verstoßen, daß sämtliche Aktionäre Anspruch auf gleichmäßige Behandlung haben“ sowie „ … Verstoß gegen die guten Sitten …, der zugleich eine Verletzung des Grundsatzes der gleichmäßigen Behandlung aller Aktionäre darstellt“). 31 A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen von Aktiengesellschaften, 1924, 101 ff.; Meyerowitz, Das Recht der Aktionäre auf gleichmäßige Behandlung, 1932; Bodenheimer, Das Gleichheitsprinzip im Aktienrecht, 1933; vor allem: G. Hueck,

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noch lange erkennbar blieb32. Heute ist anerkannt, daß die Mehrheit in solchen Fällen das Gebot der Gleichbehandlung verletzt mit der Folge, daß Beschlüsse dieser Art anfechtbar sind33. 4. Aber damit sind die Beispiele keineswegs erschöpft. Nach § 117 AktG darf der einflußreiche Gesellschafter seinen Einfluß auf Organe der Gesellschaft nicht dazu verwenden, seine Mitaktionäre zu schädigen; das wäre etwa dann der Fall, wenn eine große Tranche genehmigten Kapitals in einem Augenblick ausgegeben wird, in dem die Gesellschaft selbst keine neuen Mittel benötigt, die Minderheit aber kapitalarm und daher zur Ausnutzung des Bezugsrechts außerstande ist. Darüber hinaus haben sich fast alle größeren und börsengängigen Aktiengesellschaften einem System freiwilliger Insiderregeln unterworfen; nach diesen Regeln sind u. a. auch Großaktionäre gerade im Hinblick auf den Schutz der Minderheit und ihrer Interessen Beschränkungen bei der Verwertung von Informationen unterworfen34. V. Der Konflikt zwischen Großaktionär und Minderheit außerhalb der rechtlich relevanten Interessen der Gesellschaft Nimmt man alle diese Erscheinungen und Regeln zusammen, denkt man weiter an die Abfindungs- und Ausgleichspflichten des Großaktionärs bei Abschluß eines Unternehmensvertrages nach den §§ 304, 305 AktG und an die Tatsache, daß gerade zum Schutz der Minderheitsaktionäre gegenüber dem Großaktionär auf europäischer Ebene einheitliche Regeln zu Übernahmeangeboten geplant sind35, so kann man sehr wohl die Frage stellen, ob alle diese Normen ohne Verbindung untereinander Einzelfälle regeln oder Ausfluß eines in ihnen fixierten, allgemeinen und von der Rechtsordnung anerkannten Rechtsprinzips sind. Die Frage ist am ehesten zu beantworten, wenn man sich einen Überblick über die möglichen Konfliktlagen verschafft und sich daran das Maß der bisher getroffenen rechtlichen Ordnung vor Augen hält.

Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; Zöllner, Schranken (Fn. 1), S. 301 ff. 32 Vgl. Fn. 23. 33 Zur Anfechtbarkeit wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vgl. die Darstellungen bei Zöllner, Kölner Kommentar, Anm. 78 § 243 AktG und Schilling, Großkom., 3. Aufl., § 243 Anm. 20. 34 Bremer, Die Neufassung der Insider-Bestimmungen, AG 1976, 10. 35 Pennigton, Bericht für die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum Thema „Übernahmeangebote und andere Angebote“, Doc. XI/56/74 und dazu Behrens, Rechtspolitische Grundsatzfragen zu einer europäischen Regelung für Übernahmeangebote, ZGR 1975, 433 mit umfangreichen Nachw.

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Zwischen Großaktionär und kleinem Gesellschafter, zwischen Mehrheit und Minderheit sind außerhalb der rechtlich relevanten Interessen der Gesellschaft drei unterschiedliche Konfliktlagen zu unterscheiden: (1) Konflikte aus der Beschlußmacht der Mehrheit im Organ Hauptversammlung. (2) Konflikte aus dem Einfluß des Großaktionärs auf die Handlungen und Entscheidungen der anderen Organe der Aktiengesellschaft und (3) Konflikte aus dem sonstigen Handlungsrahmen der Mehrheit, insbesondere aus einem Handlungsbereich, der im Zusammenhang mit dem Markt der Aktien steht. 1. Der erste Konfliktbereich ist vielfältig rechtlich geordnet und strukturiert. Hier finden wir – wie oben angedeutet – eine Fülle von gesetzlichen Einzelregeln, welche den Handlungsrahmen der Mehrheit im Interesse der Minderheit beschränken. Vor allein aber gehört in diesen Bereich der heute allgemein anerkannte Grundsatz der Gleichbehandlung36, der – soweit erkennbar – den größeren Teil der nicht besonders geregelten Konfliktfälle in diesem Zusammenhang angemessen zu lösen hilft. Im Kontext der anderen Konfliktbereiche könnten sich aber Kenntnis und Verständnis des rechtlichen Hintergrundes dieses Gleichbehandlungssatzes als nützlich erweisen. Zu fragen ist also, auf welchen rechtlichen Grundlagen dieser verbandsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz eigentlich beruht. Im Gesetz selbst läßt er sich nur für wenige Einzelfälle nachweisen37; daraus hätte er kaum zu seiner heutigen Breite und Bedeutung entwickelt werden können. Das gilt um so mehr, als manche dieser Einzelregelungen überhaupt erst nach Entwicklung dieses Grundsatzes normiert worden sind38. So überrascht es kaum festzustellen, daß Treu und Glauben jedenfalls an der Wiege dieser Rechtsfigur Pate standen39 und den Schößling noch weit in seine Jugend begleiteten, ehe er sich als [229] eigene Rechtsfigur verselbständigen konnte40. In der historischen Wurzel ist der korporative Gleichbehandlungsgrundsatz daher auch nichts anderes als eine besondere Pflicht der Mehrheit aus dem weiten Gebot von Treu und Glauben41. Das hat bereits Fechner42 erkannt und das entspricht den – so gesehen Vgl. Fn. 32. G. Hueck, Gleichbehandlung, aaO, S. 35. G. Hueck, Gleichbehandlung, aaO, S. 35 ff.; Schilling, Großkom. AktG, 3. Aufl., § 243 Anm. 20 mit weiteren Nachw. 38 So z. B. die heutigen §§ 12 II und. 139 ff. AktG zum Stimmrecht in der AG. 39 G. Hueck, Gleichbehandlung, aaO, S. 106 ff. und insbesondere S. 171. 40 G. Hueck, aaO, S. 169-172. 41 G. Hueck, aaO, S. 107 ff. und die dortigen Nachw. 42 AaO (Fn. 23), S. 93 ff. Ähnlich Bodenheimer, aaO, (Fn. 32), S. 62. Dagegen überzeichnet Ritter (JW 1934, 3029), wenn er den Gleichbehandlungssatz im Hinblick auf die Gebote aus Treu und Glauben methodisch als überflüssig darstellt; so mag es richtig sein, den Gleichbehandlungsgrundsatz dem allgemeinen Gebot aus § 242 BGB zuzurechnen; das aber entbindet nicht von der Notwendigkeit, dieses allgemeine und weite Gebot zu strukturieren und in An36 37

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– durchaus richtigen frühen Erkenntnissen des RG43. Lehre und Rechtsprechung sind seither vor allem vor der Weite eines allgemeinen Treuegebotes der Mehrheit zurückgeschreckt, haben erkannt, daß die drängenden Fälle mit der Pflicht zur Gleichbehandlung zu lösen sind, und haben sich deshalb einmütig auf diese lex specialis aus dem allgemeinen Bereich der bona fides zurückgezogen. Die Fülle der Konflikte zwischen Beschlußmacht der Mehrheit und mitgliedschaftlichen Interessen der Minderheit läßt sich jedoch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung allein nicht lösen. Daher ist über diesen Grundsatz hinaus weithin – und zu Recht – anerkannt, daß das Handeln der Mehrheit außerdem – abgesehen von einer hier nicht einschlägigen Bindung an das Interesse der Gesellschaft selbst44 – Grenzen einer ausgewogenen Rücksicht auf die mitgliedschaftlichen Interessen der Minderheit nicht überschreiten darf45, 46. Schilling47 erörtert gerade diese Aspekte einer Rechtspflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit unter dem Gesichtspunkt der Gesellschaftertreue, Zöllner unter dem Stichwort der Bindung durch Treuepflicht48. Durchaus und weithin anerkannt bestehen also spezifische Pflichten der Mehrheit und insbesondere des Großaktionärs gegenüber der Minderheit. Sie alle begrenzen die Beschlußmacht der Mehrheit, schränken deren besondere Rechtsmacht, auch über die Interessen der Minderheit zu befinden, ein und knüpfen damit – auch in der Rechtsfolge erkennbar – an Rechtsfiguren aus dem Bereich des allgemeinen Treuegebotes an48a. 2. Der zweite Konfliktbereich ist in § 117 AktG geordnet und führt zur Schadenersatzpflicht des einflußreichen Großaktionärs gegenüber dem geschädigten Kleinaktionär. Absatz 1 der Vorschrift lautet: wendungsfelder zu gliedern (z. B. Rechtsmißbrauch, Verwirkung); mindestens insoweit hat sich die Erörterung der einschlägigen Fälle unter dem Gesichtspunkt korporativer Gleichbehandlung bewährt. 43 RGZ 84, 125, 129; 112, 14, 18 f. 44 Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. l), S. 342, 344 ff.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, 264 ff. je mit weiteren Nachw.; Schilling, Gesellschaftstreue und Konzernrecht, in: Freundesgabe für Hans Hengeler, 1972, 326. 45 RGZ 132, 149, 163; 146, 71, 76; Schilling, aaO, S. 227 und die Nachw. dort Fn. 3. 46 So wurde dem Großaktionär mit der Möglichkeit, seinerseits den Zeitpunkt eines Unternehmensvertrages oder einer Eingliederung zu bestimmen, eine nicht geringe Gestaltungsbefugnis eingeräumt, die sich zu Lasten und zum Nachteil der Minderheit auswirken kann. Daher wird sich unter den hier erörterten Gesichtspunkten künftig die Frage stellen, ob der Großaktionär auf dem Hintergrund eines Gebotes zu Rücksicht auf die mitgliedschaftlichen Interessen der Minderheit diesen Zeitpunkt etwa allein unter dem Gesichtspunkt seiner Interessen und insbesondere seiner Interessen an einer niedrigen Abfindung bestimmen kann. 47 Großkom. AktG, 3. Aufl., § 243 Anm. 18. 48 AaO, S. 344 ff. 48a Wie stark dabei die Pflicht der Mehrheit gegenüber den Mitgesellschaftern der Minderheit im Vordergrund steht, erweist § 243 II, 2 AktG: er erlaubt u. U. die Schädigung der Gesellschaft, keinesfalls aber die der Minderheitsaktionäre.

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(1) Wer vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, ist der Gesellschaft zum Ersatz des ihr daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Er ist auch den Aktionären zum Ersatz des ihnen daraus entstehenden Schadens verpflichtet, soweit sie, abgesehen von einem Schaden, der ihnen durch Schädigung der Gesellschaft zugefügt worden ist, geschädigt worden sind. Die Regelung gibt einige Rätsel auf: Ist sie ein Spezialfall des § 826 BGB oder beruht sie auf einem anderen Pflichtenrahmen als dem reinen Schädigungsverbot der BGB-Vorschrift? Die eigentümliche Deliktsnorm49 stammt aus dem AktG 1937 (§ 101), für das sie als quasi einzige Norm zum Schutze abhängiger Aktiengesellschaften von großer – jedenfalls theoretischer – Bedeutung war50. Liest man die Vorschrift heute unvoreingenommen, insbesondere auf dem Hintergrund der jetzigen §§ 311 ff., 317, 318 AktG, so unterscheidet sie sich kaum von § 826 BGB; denn die Fälle unternehmerischen Einflusses auf die Organe der Gesellschaft sind in die Sonderregeln der §§ 311 ff. AktG verwiesen. Im übrigen aber ist die reine und vorsätzliche Schädigung eines anderen, so sollte man meinen, immer sittenwidrig und unterfällt damit § 826 BGB. Kaum jemand aber schädigt andere auf so komplizierte Weise nur um deren Schaden willen. Mag es auch im Tatbestand des § 117 AktG nicht mehr zum Ausdruck kommen51 – zu Recht, da der Nachweis des einstigen subjektiven Tatbestandselementes nicht zu erbringen ist –, so geht es doch bei § 117 AktG in Wirklichkeit noch immer vor allem um das Verbot, sich auf, dem Umweg über den Aktionärseinfluß auf das Handeln von Organen und maßgeblichen Personen der Gesellschaft eigene Vorteile zu Lasten anderer Aktionäre zu verschaffen. Der Großaktionär der Boswau und Knauer AG, dem es gelang, den Vorstand der Gesellschaft zu optimistischen Presseberichten zu veranlassen in einem Zeitpunkt, als ungewöhnlich hohe Verluste unabwendbar waren, um seinerseits noch zu günstigsten Kursen verkaufen zu können52, hat sich gegenüber nichtsahnenden Kleinaktionären, die weiterhin Aktien der Gesellschaft kauften, schadenersatzpflichtig gemacht. Der Hintergrund des Verbotes aus § 117 AktG lautet also in Wirklichkeit: der Großaktionär darf sich nicht mit Hilfe und unter Ausnutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft zu Lasten der Kleinen besondere Vorteile verschaffen – darf diese Kleinen auch dann nicht mit Hilfe des Renommees der Gesellschaft und ihrer Organe Mertens, Kölner Kommentar, § 117 AktG Anm. 8. Vgl. die Kommentierung von W. Schmidt, Großkom. AktG, 2. Aufl., insbes. Anm. 8 sowie Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 1), S. 80, 86 ff. mit weiteren Nachw. 51 § 101 AktG 37 verlangte zusätzlich, daß die Einflußnahme „in der Absicht erfolgt, für sich oder einen anderen gesellschaftsfremde Sondervorteile zu erlangen“. 52 Vgl. dazu Hopt-Will, Europäisches Insider-Recht, 1973, 22; Ulsenheimer, NJW 1975, 1999. 49 50

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benachteiligen, wenn die Gesellschaft selbst keinen Schaden erleidet, ist ihnen also, so kann man es formulieren, zu korporativer, zu partnerschaftlicher Fairneß verpflichtet. 3. Damit bleiben noch die allgemeinen Konflikte zwischen Großaktionär und Minderheit zu erörtern, insbesondere also die Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheit aus dem weiten Bereich der Bildung und Auflösung von Mehrheiten, wie überhaupt des Marktes der Aktien53. Auf dieser Ebene des Konfliktes ist man bislang fast ohne alle gesetzliche Hilfen und Anhaltspunkte. So bestimmt der Großaktionär, ob überhaupt ein Unternehmensvertrag geschlossen wird oder die Eingliederung stattfindet54. Er ist also berechtigt, entscheidende Daten für die Entwicklung des Marktes und damit der Kurse zu setzen. Daher ist es nicht möglich – und auch nicht zweckmäßig –, mit Treueerwägungen den Kleinaktionär vor reinen Fehlspekulationen zu schützen: hat er in der Annahme, der Großaktionär werde weiterhin kaufen, zu steigenden Kursen Aktien der Gesellschaft erworben und stellt der Großaktionär dann den Aufkauf ein, so hat der Kleinaktionär die Nachteile seiner Fehlspekulation selbst zu tragen55. [230] Anders gesagt: das allgemeine Marktrisiko ist kein Treueproblem56. Auf der anderen Seite bestehen wichtige Mitteilungs- und Publizitätspflichten des Großaktionärs (§ 20 AktG und insbesondere sein Abs. 6), deren zeitliche Vorverlegung zudem erwogen wird57. Darüber hinaus unterliegt der Großaktionär schon nach dem Gesetz auch im Verhältnis zu seinen Mitaktionären einer Reihe von Sonderpflichten (z. B. Schadenersatzpflicht ihnen gegenüber, aus §§ 117, 317, 318 AktG). Auch kann er einen unternehmerischen Einfluß auf die Gesellschaft

53 Dazu eingehend Wiedemann, Minderheitenschutz und Aktienhandel, 1968, passim, insbes. S. 51 ff. 54 Zur Frage des Zeitpunktes vgl. oben Fn. 46. 55 Das Recht Großbritanniens hält auch das jenseits einer hohen Mehrheitsbeteiligung (90%) nicht mehr für gerechtfertigt und gibt dann auch dem einzelnen Kleinaktionär einen Anspruch auf individuelle Abfindung durch den Großaktionär; sec. 209 (2) Comp. Act. Darüber hinaus sieht rule 34 des City Code on Take-overs and Mergers (Fassung Juni 1974) vor, daß der Großaktionär bereits ab einer 30%igen Beteiligung zur Abgabe eines Übernahmeangebotes verpflichtet sein kann. Vgl. dazu Immenga, Schweiz. AG 1975, 89, 97. In beiden Fällen ist der Börsenkurs der vorausgegangenen Monate von entscheidendem Gewicht. 56 Diese Frage hängt nicht zusammen mit weitläufigem Problem, wem eigentlich der Paketzuschlag bei Bildung oder Veräußerung einer maßgebenden Beteiligung gebührt bzw. ob der Erwerber die anderen Aktionäre durch entsprechende Erwerbsangebote gleichzustellen hat. Vgl. dazu Wiedemann, aaO, S. 35 ff. und die interessante Position der belgischen Commission Bancaire, dargestellt von Lempereur, in: Revue Pratique des Sociétés, 1975, 119. 57 Wiedemann, aaO, S. 62 f.; demnächst Arbeitskreis Gesellschaftsrecht im Zusammenhang mit Problemen des Insiderhandelns.

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dauerhaft nur sichern, wenn er die Interessen der Mitaktionäre umfassend berücksichtigt (§§ 304-306, 320 V AktG). Ob und in welchem Maße sich aus diesen wenigen Ansätzen weitergehende Rechtspflichten ableiten lassen, bedarf sehr sorgfältiger Überlegung. Dabei wird – da andere Ansätze nicht ersichtlich sind – Treueerwägungen ein besonderes Gewicht zukommen. a. Zunächst einmal gilt es, zwischen den allgemeinen Pflichten aus Treu und Glauben und gesteigerten Pflichten korporativer Treue zu unterscheiden. Ihrem Charakter nach sind die allgemeinen Treuepflichten in der Regel Passivpflichten (z. B. Duldungs- und Unterlassungspflichten als Nebenpflichten aus Treu und Glauben), die vor allem Schranken für die Ausübung bestehender Rechte setzen und den Betroffenen Abwehrrechte gewähren (z. B. unzulässige Rechtsausübung). Dem gegenüber enthalten die gesteigerten Pflichten korporativer Treue durchaus Handlungspflichten (Aktivpflichten), die auf Mitwirkung an der Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes zielen (z. B. Pflicht zur Stimmabgabe, in äußersten Fällen auch Pflicht zur Mitwirkung an der Änderung des Gesellschaftsvertrages)58. b. Die allgemeinen Pflichten aus Treu und Glauben finden im Rahmen aller Rechtsverhältnisse, auch innerhalb korporativer Rechtsverhältnisse und damit auch im Aktienrecht Anwendung59. Das ist heute im Grunde unbestritten, nachdem eine gewisse Sprachverwirrung beseitigt und die Unterschiede zwischen allgemeinen Pflichten aus Treu und Glauben und gesteigerten korporativen Treuepflichten herausgearbeitet werden konnten60. Weithin anerkannt ist außerdem eine etwas gesteigerte Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft insbesondere in der Form einer Verpflichtung der Mehrheit auf das Gesellschaftsinteresse und ihrer Pflicht zur Wahrung der korporativen Interessen der Minderheit (Gesellschaftertreue)61. c. Im übrigen wird die Existenz einer weitergehenden Pflicht zu korporativer Treue, insbesondere also einer Rechtspflicht zu Rücksicht gegenüber den Mitaktionären, welche nicht nur deren mitgliedschaftliche sondern auch ihre mitgliedschaftlich vermittelten privaten Interessen umfaßt, für das Aktienrecht abgelehnt62. Das ist im wesentlichen zutreffend. Das Aktienrecht ist zugeschnitten auf

58 Vgl. Hueck, Gesellschaftsrecht, § 15 III, 2 und A. Hueck, ZGR 1972, 237; nachdrücklich a. A. Kollhosser, FS Westermann, 1974, 275 ff. und FS Bärmann, 1975, 533 ff. 59 Vgl. oben Fn. 17 60 Vgl. insbes. A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, S. 10 ff. sowie Lehmann-Dietz, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 43 III, 2, S. 362 ff. 61 Vgl. oben bei Fn. 44-47 und Wiedemann, Aktienhandel (Fn. 53), S. 54 f. 62 Vgl. oben Fn. 3 und 23 sowie Reinhardt, Gesellschaftsrecht, 1973 TZ 441; a. A. unter vornehmlich konzernrechtlichen Aspekten Fehrensen, Treuepflicht des Großaktionärs, Diss. Göttingen, 1965, passim, insbes. S. 108 ff.

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kapitalmäßige Beteiligungen, auf Vermögensanlage und auf kleine und kleinste Streuung. Dem entspricht die Rechtswirklichkeit in hohem Maße63. Die Idee des so konzipierten Aktienrechts würde verfehlt und zugleich seine förderliche Entwicklung auch als Instrument breiter Vermögensstreuung verhindert, würde man dem kleinen Kapitalanleger aus allgemeinen Erwägungen korporativer Treue besondere Aktivpflichten auferlegen. Der normale Aktienanleger hat, wie Wiedemann zutreffend formuliert, das Recht zum Desinteresse64. d. Damit ist aber noch keineswegs gesagt, daß eben diese Erwägungen (c.) auch in jedem Falle gelten müssen, daß also die im Korporationsrecht sonst anerkannten partnerschaftlichen Treuepflichten der Gesellschafter auch untereinander64a im Aktienrecht nie bestehen. aa. Im Hinblick auf die typische Aktiengesellschaft mit vielen oder sehr vielen Aktionären werden gerne die anderen Möglichkeiten von Aktiengesellschaft vergessen. Es gibt eine nicht geringe Zahl von Familien-Aktiengesellschaften, deren interne Struktur kaum von derjenigen einer mittelgroßen GmbH abweicht. Die Ähnlichkeit wird noch verstärkt, wenn in einer solchen Aktiengesellschaft nur vinkulierte Namensaktien bestehen. Für die Begründung und Existenz partnerschaftlicher Pflichten kann es aber auf die Rechtsform jedenfalls nicht entscheidend ankommen65. Sonst müßte man solche aktiven Treuepflichten einerseits für den Publikums-(Abschreibungs-)-Kommanditisten annehmen, nur weil solche Treuepflichten für die Mitglieder von Personengesellschaften bejaht werden, Differenzierend Wiedemann, Aktienhandel, S. 54 f. noch mit Blick vor allem auf das Verhältnis des Aktionärs zur Gesellschaft; allgemein dann in FS Barz, S. 568 f. 63 Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1973, 12; derselbe, Vermögensbildung und Unternehmensrecht, 1975, 31 ff.; Roth, Das Treuhandmodell des Investmentrechts, 1972, S. 184 ff. 64 BB 1975, 1591, 1595. Wiedemann, aaO, mißversteht allerdings meine Anliegen (in: Aktionär in der Marktwirtschaft, S. 35 ff.; Vermögensbildung und Unternehmensrecht, S. 50 ff.), wenn er meint, ich wolle dem Aktionär diese Berechtigung zum Desinteresse bestreiten. Da ich aber mit Wiedemann der Auffassung bin, daß das System aktienrechtlicher Selbstkontrolle einer gewissen Verbesserung bedarf, befürworte ich zugleich – hier allerdings von Wiedemann und insbes. Roth, aaO, abweichend – eine Stärkung des Systems der internen Kontrolle durch Anregung des Aktionärsinteresses, Förderung von Aktionärsorganisationen und vor allem Entwicklung eines neuen Kontrollorgans der Aktionäre (Aktionärsausschuß, Delegiertenversammlung). 64a Vgl. oben Fn. 2 und. 3. 65 Ebenso Wiedemann, FS Barz, S. 569 mit dem plastischen Hinweis, der maßgebende Gesellschafter einer GmbH könne mit der Umwandlung der Gesellschaft in eine AG seine bisherige Pflichtenstellung (vgl. oben Fn. 2) nicht „einfach an der Garderobe abgeben“. Das RG (DR 1940, 2177), der BGH (BGHZ 9, 157, 163 u. 14, 53, 57 f.) und die Literatur (Baumbach-Hueck, Komm. z. GmbHG, 13. Aufl., Anm. 2 B vor § 13; Schilling in Hachenburg, Komm. z. GmbHG, 7. Aufl., § 13 Anm. 6 u. 7) entwickeln gerade aus der Tatsache einer personalen Struktur der Gesellschaft auch Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaftern einer GmbH.

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andererseits für den Gesellschafter einer dreigliedrigen Kommanditaktiengesellschaft mit der gleichen Begründung ablehnen. Entscheidend kann daher nicht die Rechtsform sondern müssen Existenz und Ausprägung einer typisch partnerschaftlichen Gemeinschaft sein. Sie wird man für den Kommanditisten in einer PublikumsKommanditgesellschaft ebenso abzulehnen wie zwischen den Partnern einer dreioder fünfgliedrigen Aktiengesellschaft in aller Regel anzunehmen haben. Diese Überlegungen gelten verstärkt für Gemeinschaftsunternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft. Bestehen hier keine Konsortialverträge, welche die Aktionäre noch einmal als Mitglieder einer BGB-Gesellschaft korporativ verbinden würden, sind diese Verträge im Einzelfall unwirksam, gekündigt oder durch Zeitablauf beendet, so müssen für die Aktionäre solcher Aktiengesellschaften die gleichen aktiven korporativen Treuepflichten gelten wie für die Partner einer zweigliedrigen GmbH oder – mit gewissen Einschrän- [231] kungen im Hinblick auf die fehlende Selbstorganschaft und gesetzliche Haftung – die zweigliedrige Personengesellschaft. bb. Damit stellt sich die Frage, ob diese Ansätze von Einzelpflichten des Großaktionärs im Verhältnis zu seinen Mitaktionären in den größeren Rahmen eines Prinzipes eingebunden werden können: Einer allgemeinen Rechtspflicht des einflußreichen Großaktionärs zu fairer Behandlung seiner einflußlosen Mitaktionäre. Überlegungen dieser Art lassen sich auf den Gemeinschaftsgedanken nicht gründen; dieser Gedanke mag in Ausnahmefällen sehr weniger Aktionäre unter einem beherrschenden Großaktionär tragfähig sein, entspricht aber im allgemeinen gerade nicht der realen Situation von etablierter Mehrheit und Minderheit im aktienrechtlichen Großunternehmen66. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, daß die Gesellschaft durch die Existenz eines bestimmenden Mehrheitsaktionärs eine Veränderung ihres Charakters erfährt. Diese Veränderung manifestiert sich auch nicht nur im Verhältnis zur Gesellschaft im Tatbestand einer nun etablierten und dauerhaften Beschlußmehrheit, sondern auch als Marktproblem. Welchen Marktwert etwa die restlichen 24,9% der Aktien haben, wenn sich 75,1% in den Händen des etablierten Großaktionärs befinden, bestimmt in hohem Maße eben dieser Großaktionär: nur er kann noch an diesen Aktien als Beteiligungstiteln interessiert sein und nur er legt die Dividendenpolitik jenseits der mageren Grenze von § 254 AktG fest67. Hat 66 Damit wird nicht der Auffassung Zöllners (Stimmrechtsmacht, S. 350) widersprochen, zwischen den Aktionären bestehe als schuldrechtliche Sonderverbindung ein „Gemeinschaftsverhältnis im weiteren Sinne“, das zu allgemeinen Treuepflichten aus § 242 BGB (etwa bei Ausübung des Stimmrechts) auch unter den Aktionären selbst führe. Im Gegenteil: die im folgenden entwickelte Pflichtenstellung des Großaktionärs läßt sich auch als materiale Verdichtung eben dieses Ansatzes verstehen. 67 Sieht man dies im Zusammenhang mit der veränderten Struktur der Gesellschaft unter einem etablierten Großaktionär (oben Fn. 20), so wächst das Verständnis für die Vorstellung der

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man diese Situation der Minderheit im Markt vor Augen, so ist es naheliegend, noch einmal an die Entstehung und Ausformung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Aktienrecht zu denken: der Satz entstammt dem allgemeinen Gebot von Treu und Glauben und dient der Aufgabe, die rechtlichen Möglichkeiten der Mehrheit – und insbesondere einer etablierten Mehrheit – innerhalb der Gesellschaft zu beschränken. Daher könnte man durchaus erwägen, dieses Gleichbehandlungsgebot auch auf das unmittelbare Verhältnis zwischen Großaktionär und Minderheit zu übertragen. Das würde zu der Frage führen, ob etwa der Großaktionär dann zur Gleichbehandlung aller Aktionäre der Minderheit verpflichtet ist, wenn er überhaupt weitere Aktien erwirbt; hier wäre an die Erwerbspflicht des englischen Rechts bei mehr als 90%iger Beteiligung68 und die Vorstellungen der EWG-Kommission69 sowie an das Verhalten von VW nach Übernahme der 15% von der Israel-British-Bank zu erinnern: VW hat selbst erkannt, daß eine Ungleichbehandlung (auch) aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kam. Und aus den gleichen Erwägungen wäre ein Übernahmeangebot schon nach geltendem Aktienrecht rechtswidrig, das Aktionäre in gleicher Lage ungleich behandelt (etwa für 50-DM-Aktien einen Kurs von 200% und für 100-DM-Aktien einen solchen von 300% bietet). Rechtspflichten der Mehrheit und insbesondere der etablierten Mehrheit gegenüber der Minderheit sind also anerkannt: die Mehrheit soll sich nicht unter Ausnutzung der korporativen Einflußebenen und jenseits deren Funktionen die Minderheit zu eigenen Zwecken dienstbar machen können. Es ist richtig, diesen Satz zunächst einmal auf das System der korporativen Selbstverwaltung (Beschlußmacht der Mehrheit, Einfluß auf die Organe der AG) anzuwenden. Aber es wäre ebenso eine begriffliche Verengung der Problemsicht, die Verbindlichkeit dieses Satzes zugleich auf den technisch-korporativen Bereich zu beschränken. Denn, so muß man annehmen, der Satz enthält nicht nur formale „Spielregeln“ sondern materiale, an der Tatsache eines personalen Zweckverbandes ausgerichtete Verhaltenspflichten: sie erfassen das gesamte Verhalten der Mehrheit, soweit es nur auf die Korporation bezogen ist und ohne daß es technisch-korporativ vermittelt sein müßte. Das gleiche Problem kann sich auch im Verhältnis zur Gesellschaft stellen, etwa dann, wenn ihre Interessen beim Wechsel des Großaktionärs nachteilig berührt werden. Auch in einem solchen Falle ist die Gesellschaft nicht Partner des Kommission der Europäischen Gemeinschaften, in diesem Falle müsse das gesamte Marktrisiko durch Statuierung einer Pflicht zur Abfindung der Minderheit auf den Großaktionär übergehen. Vgl. Art. 228 i. V. m. Art. 6 u. 223 des geänderten Vorschlags einer VO des Ministerrates über das Statut für Europäische Aktiengesellschaften, Bull. der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 4/1975. 68 Sec. 209 (2) Comp. Act.; vgl. auch oben Fn 55. 69 Oben Fn. 67.

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Vorganges, ihr Nachteil auch nicht technisch-korporativ durch einen Beschluß der Hauptversammlung oder durch die Einflußnahme des Großaktionärs (§ 117 AktG) veranlaßt: dennoch wird die Pflicht zur Treue gegenüber diesen Interessen der Gesellschaft (Gesellschaftertreue) auch in diesem Zusammenhang angenommen69a. e. Nimmt man alle diese Einzelerwägungen zusammen, so ist es notwendig, als Folge seiner gesteigerten Rechte, Einflußmöglichkeiten und Chancen eine Pflicht des Großaktionärs zu partnerschaftlicher Fairneß und Treue unmittelbar gegenüber der Minderheit auch in Bereichen anzunehmen, in denen es nicht direkt um die organschaftliche Beschlußmacht der Mehrheit geht. Dabei handelt es sich nicht um eine allgemeine und umfassende Pflicht; die derart erweiterten Pflichten des Großaktionärs sind vielmehr beschränkt auf Bereiche, in denen sich die spezifischen Vorzüge aus eben der etablierten Mehrheit und der damit verbundenen Möglichkeiten zur Herrschaft auch im „Außenverhältnis“ der Aktionäre zueinander typischerweise niederschlagen. Anders gewendet: Anerkennt man die interne Pflichtenstellung und damit auch die internen Beschränkungen des Großaktionärs aus der Tatsache seiner ihm vom Recht anvertrauten Befugnis, durch seine Beschlußmacht im Innenverhältnis auch für die Minderheit mitzuentscheiden, so steht nichts entgegen, diese Pflichtenstellung auch insoweit im Außenbereich anzunehmen, als dort gerade die Position des Großaktionärs oder die Möglichkeit der Herrschaft über die Gesellschaft von Bedeutung sind. Diese Pflichtenstellung ist ein Korrelat zu den besonderen Möglichkeiten, die dem Mehrheitsaktionär von der Rechtsordnung zugewiesen werden, Möglichkeiten, die nachteilige Auswirkungen über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus haben können. Die Pflicht besteht gegenüber den hiervon „Betroffenen“, sie muß, soll sie wirken, über reine Inhibitoria hinausgehen, enthält also nicht nur Schranken der Rechtsausübung (§ 242 BGB) sondern entsprechende Fürsorge-, Mitverantwortungs-, kurz: gesteigerte Treuepflichten. Als Sachwalter auch der Kleinaktionäre hat der Großaktionär auch deren Interessen mitzubedenken, sie auch außerhalb der Korporation nicht „auszutrocknen“ und sie vor Fehlreaktionen auf eigene Maßnahmen zu schützen. f. Wendet man diese Überlegungen auf die beiden Ausgangsfälle unserer Betrachtung an, so läßt sich sagen: aa. Der Aktionär, auch der Großaktionär, ist in der Verfügung über seine Aktien grundsätzlich frei. Eingriffe, die zur entscheidenden Störung oder gar Beseitigung des Marktes der Aktien führen, sind ihm aber nur unter Beachtung bestimmter Regeln gestattet. Wird daher der Markt durch Maßnahmen des Großaktionärs gestört oder gar beseitigt, sind die Kleinaktionäre nach allen Re69a Wiedemann, Aktienhandel, S. 55 („körperschaftliche Amtspflicht“); Mertens, Kölner Kommentar, § 117 AktG Anm. 8 a. E.

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geln organisatorischer Kunst „eingemauert“, sind die verbliebenen Aktionäre dem Großaktionär damit zwar nicht gerade auf Gedeih und Verderb, aber doch sehr weitgehend in ihren unmittelbaren Rechten und Interessen (Veräußerbarkeit zu angemessenen Bedingungen und angemessene Rentabilität) ausgeliefert, so entspricht das nicht mehr einem [232] regulären Bild des Verhältnisses von Mehrheit und Minderheit am Markt: in solchen Fällen werden selbst betont zurückhaltend formulierte Pflichten zu korporativer Treue verletzt und immanente Schranken einer rechtlichen Ordnung von der Mehrheit überschritten. Der Supreme Court von Kalifornien hätte daher nach deutschem Recht ebenso judizieren müssen wie nach seinen eigenen Grundsätzen. bb. Für eine angemessene Lösung des AUDI/NSU-Falles kommen mehrere Ansätze in Betracht: (1) Zunächst fällt auf, daß das OLG Celle – sicher zu Recht, § 294 II AktG – darauf hinweist, der Unternehmensvertrag VW-AUDI/NSU sei mangels Eintragung im Handelsregister bis zu den Ereignissen im November 1971 nicht wirksam geworden, trotz dieses Hinweises aber auf den doch naheliegenden Gedanken einer etwaigen Verletzung vorvertraglicher Pflichten überhaupt nicht eingeht. Werden solche Pflichten heute schon fraglos bejaht, wenn auch nur erste Ansätze für eine Anbahnung rechtsgeschäftlicher Beziehungen feststellbar sind70, so kann die Existenz solcher Pflichten nicht zweifelhaft sein, wenn es sich – wie hier – um einen aus vielen Einzelschritten kompliziert zusammengesetzten rechtsgeschäftlichen Tatbestand handelt71, von dem einige Elemente im Zeitpunkt der Ereignisse bereits erfüllt waren. Dieser Aspekt des Falles soll im Rahmen dieser Abhandlung, die anderen Erwägungen gewidmet ist, nicht weiter vertieft werden, hätte aber allein schon das OLG Celle zu sehr viel differenzierteren Erwägungen veranlassen müssen72. (2) Nicht minder wäre zu überlegen gewesen, ob sich VW mit seinem Verhalten im November 1971 nicht mit seinem eigenen früheren Verhalten in einen gegen Treu und Glauben verstoßenden Widerspruch gesetzt hat (venire contra factum proprium)73. Da VW rechtsgeschäftliche Anfangstatbestände auch in bezug auf die außenstehenden Aktionäre von AUDI/NSU gesetzt hatte, kann an 70 RGZ 78, 239; BGH NJW 1962, 31; Larenz, MDR 1954, 515; noch weitergehend Dölle, ZgesStW 103, 67. 71 Abschluß des Unternehmensvertrages zwischen den Verwaltungen der beiden Gesellschaften, Genehmigung durch die Hauptversammlung von VW, Genehmigung durch die Hauptversammlung von AUDI/NSU, Eintragung im Handelsregister. 72 Unternehmensverträge sind Organisationsverträge, enthalten aber auch schuldrechtliche Elemente, so die vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Abfindungsangebote zugunsten der außenstehenden Aktionäre. Daher bestehen keine Bedenken, den Rechtsgedanken der c. i. c. insoweit auf Unternehmensverträge und auf die aus ihnen Begünstigten anzuwenden. 73 Ich verdanke den Hinweis auf diesen Aspekt des Falles einer Diskussion mit Herrn Kollegen Ramm, Gießen.

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der grundsätzlichen Pflicht, sich mit früherem Verhalten in diesem Zusammenhang nicht in Widerspruch zu setzen, kein Zweifel bestehen74. Ob eine Verletzung dieser Pflicht in concreto zu bejahen gewesen wäre, mag hier ebenfalls dahinstehen: wie die folgenden Erwägungen ergeben, ist die Annahme einer solchen Pflichtverletzung jedenfalls sehr naheliegend. (3) Kehren wir nach diesen Hinweisen auf Aspekte des Falles im Bereich der allgemeinen Pflichten aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) und der rechtsgeschäftlich-vorvertraglichen Sorgfaltspflichten zurück zur oben erörterten korporativen Pflicht des Großaktionärs zu fairer Behandlung der Minderheit. Diese Pflicht, so haben wir angenommen, besteht jedenfalls dort, wo die Möglichkeiten des Großaktionärs auch außerhalb seiner gesellschaftlichen Einflußmöglichkeiten (§ 117 AktG) und Befugnisse (Beschlußmehrheit) durch die Tatsache seiner beherrschenden Mehrheit und ggf. überragenden Mehrheit (mehr als 75% wie hier) gekennzeichnet sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist entscheidend, daß VW mit seinem Umtauschangebot nicht ein beliebiges, sondern ein nur dem Großaktionär mögliches Datum gesetzt hat. Nur VW war der Zugang zu den Unterlagen von AUDI/NSU gegeben und damit die Möglichkeit zu vollständiger Information; nur VW konnte den Zeitpunkt des Unternehmensvertrages bestimmen; nur VW hatte von allen Aktionären Einfluß auf die Auswahl der Wertgutachter; und nur VW war Verhandlungspartner für die Höhe des Umtauschangebotes – kein Kleinaktionär ist zu allen diesen Fragen je hinzugezogen worden: so erlaubt es das Gesetz. Vor allem aber konnte VW in aller Ruhe den Debatten und Verhandlungen in der Hauptversammlung vom 22. 6. 1971 entgegensehen; VW war zu Konzessionen, zu einem Entgegenkommen im Sinne eines do ut des in keiner Weise genötigt. Denn VW verfügte selbst über die erforderliche Mehrheit von 75% (§ 293 I AktG). Alle diese Befugnisse des beherrschenden Großaktionärs bestehen aber nicht zu beliebiger Handhabung, sondern zu verantwortlicher Gestaltung. Wird der Markt wie hier so entscheidend geprägt durch das offene Verhalten des Großaktionärs, seine Maßnahmen und seine Verlautbarungen, so kann er zwar selbst noch am Markt teilnehmen, darf aber dessen Daten nicht mehr ad libitum und ohne jede Warnung verändern: die volle Herrschaft über Verfahren und Markt verlangt, daß der Marktbeherrscher bei einer auch nur geplanten Änderung der von ihm selbst gesetzten Daten rechtzeitig mindestens für ein stand-still zu sorgen hat75. Diese konkrete Pflicht eines beherrschenden Großaktionärs aus seiner allgemeinen Pflicht zu fairer und verantwortlicher Haltung gegenüber der Minderheit hat der Großaktionär Volkswagenwerk AG hier verletzt; das Unternehmen und seine 74 Die Möglichkeit der Verletzung eines Vertrauenstatbestandes in solchen Zusammenhängen erwägt auch BayObLG v. 16. 5. 1973, DB 1973, 1290, 1292 (linke Sp.). 75 Wiedemann, BB 1975, 1591, 1594 meint, daß mindestens eine konkrete Informations- (also wohl: Verlautbarungs-) Pflicht über den wahren Wert – oder den für VW akzeptablen Wert? – erforderlich war.

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Leitung haben verkannt, daß VW seine umgreifenden rechtlichen Befugnisse als beherrschender Großaktionär nur halten und ausüben kann um den Preis einer daran gebundenen Pflicht zu gesteigerter Treue gegenüber der einflußlosen, zu keinerlei aktiver Gestaltung befugten Minderheit. VI. Zusammenfassung Faßt man diese Überlegungen zusammen, so läßt sich sagen: 1. Unbestritten und zutreffend gelten für das Rechtsverhältnis zwischen der Aktiengesellschaft und ihrem einzelnen Aktionär die allgemeinen Gebote aus Treu und Glauben, § 242 BGB. 2. Im Rahmen ihrer Beschlußmacht ist die Mehrheit nicht nur zur Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes und zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft und damit der gemeinsamen Ziele und Zwecke verpflichtet, sondern auch zur Berücksichtigung und tunlichsten Schonung der mitgliedschaftlichen Interessen der Minderheit (Gesellschaftertreue). 3. Eine Treuepflicht der Aktionäre untereinander besteht in der Regel nicht; das gilt vor allem für den einflußlosen Kleinaktionär. Die soeben formulierte Regel gilt jedoch nicht a. Für personal-strukturierte Aktiengesellschaften mit wenigen Aktionären; insoweit kommt es auf die Gegebenheiten des Einzelfalles an. b. Für das Verhältnis von etablierter Aktionärsmehrheit zu Aktionärsminderheit; der Großaktionär (Aktionärsgruppe) unterliegt im Verhältnis zur Minderheit in begrenztem Rahmen dem Gebot zu gesteigerter korporativer Treue, Rücksicht und Fairneß: aa. Für ihn gilt in besonderem Maße das Gebot zu korporativer Gleichbehandlung und zu tunlichster Wahrung der anderen mitgliedschaftlichen Interessen der Minderheit (Gesellschaftertreue; oben 2.). bb. Im Bereich seines sonstigen korporativen Einflusses gilt dieser Satz konkretisiert im Verbot, eigene Vorteile mit Hilfe der Gesellschaft und ihrer Organe auf Kosten der Minderheit zu suchen, auch wenn die Interessen der Gesellschaft selbst dadurch nicht geschädigt werden, § 117 I, 2 AktG. cc. Im Bereich seines sonstigen Einflusses auf die mitgliedschaftlich vermittelten (privaten) Interessen seiner Mitaktionäre, also insbesondere im Bereich seines Einflusses auf den Markt der Aktien gilt das Gebot zu gesteigerter Treue dann, [233] wenn Regeln dieses Marktes durch die rechtlichen Befugnisse oder sonstigen Möglichkeiten der etablierten Mehrheit nachhaltig gestört oder gar außer Kraft gesetzt sind. Daher ist zwischen allgemeinem Marktrisiko, das ohne Einschränkung beim Kleinaktionär verbleibt, und speziellen Marktrisiken, die durch gezielte Maßnahmen des Großaktionärs entstehen, zu unterscheiden.

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Einmal wieder ist also von einer einfachen und plakativen Formulierung zugunsten einer differenzierten Aussage Abschied zu nehmen: Es gibt keine allgemeine Treuepflicht des Aktionärs, es konnte auch keine globale und schrankenlose Treuepflicht des Großaktionärs im Verhältnis zur Minderheit festgestellt werden, wohl aber bestehen in allen rechtlichen und faktischen Einflußzonen des Großaktionärs Einzelbereiche, in denen der Großaktionär diesem Gebot zu gesteigerter korporativer Treue gegenüber seinen Mitaktionären der Minderheit unterliegt.

Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme ZHR 162 (1998), S. 164-185 Inhalt* I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. IV. 1. 2.

Einleitung ......................................................................................................... 164 Die Treupflicht.......................................................................................... 164 Funktion der Treupflicht ......................................................................... 166 Stand der Diskussion................................................................................ 167 Einzelfälle und Grenzen der Treupflicht ..................................................... 168 Konflikte aus dem Miteinander .............................................................. 168 Konflikte aus der allgemeinen Geschäftsführung ................................ 169 Konflikte um das Ende ............................................................................ 170 Sanierungskonflikte .................................................................................. 170 Marktkonflikte ........................................................................................... 171 Merkposten: Verhalten im Konzern ...................................................... 175 Merkposten: Treupflicht der Verwaltung .............................................. 176 Verhältnis der Treupflichtansprüche zueinander ........................................ 176 Die doppelte Stoßrichtung der Treupflicht gegenüber der Gesellschaft und dem Mitgesellschafter ...................................................... 177 Trennung der Ansprüche? ....................................................................... 177 Rangordnung der Ansprüche? ................................................................ 178 Klage des Gesellschafters aus eigenem Recht; Gesellschaft und Gesellschafter als Gesamtgläubiger ........................................................ 180 Abstimmung über (erneut) Treupflicht ................................................. 182 Appendix: Die Einpersonen-GmbH/AG ............................................. 183 Schluß ............................................................................................................... 184 Zusammenfassung .................................................................................... 184 Wertung...................................................................................................... 184

* Anm. d. Hrsg.: Die Inhaltsübersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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I. Einleitung 1. Die Treupflicht In einer kürzlich erschienenen Habilitationsschrift wird Walter Stimpel als der „geistige Vater der Treupflicht“ bezeichnet1 und das trifft für die Treupflicht im Recht der Kapitalgesellschaften zu2. Nicht erwähnt aber hat der Au- [165] tor, welch unerhörte Veränderung der gesellschaftsrechtlichen Landschaft diese erst gut 20 Jahre zurückliegende literarisch vorbereitete3 Bestätigung4 eines verbandsrechtlichen Prinzips5 im Recht der Kapitalgesellschaften bewirkt hat. Ähnlich dem englischen oppression-Verfahren6 erlaubt die Treupflicht nämlich dem Richter seither einen Zugriff auch auf Binnenkonflikte in Kapitalgesellschaften und den Schutz der Minderheit, aber – wie der Girmes-Fall7 zeigt – eben auch der Mehrheit vor der Minderheit dort, wo andere Ansätze nicht zur Verfügung stehen. Geradezu symptomatisch ist ein vom Bundesgerichtshof kürzlich entschiedener GmbH-Fall8, wo der zu 51% Beteiligte seinen nur zu 49% beteiligten Bruder nach 20jähriger Zusammenarbeit als Geschäftsführer abberief. Der BGH monierte zu Recht die verletzte Treupflicht; ob man statt dessen schon von Mißbrauch der Mehrheitsmacht hätte sprechen können, erscheint eher zweifelhaft9. Aber nicht nur um den Schutz der Minderheit geht es, sondern auch um ihre Disziplinie-

Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997, S. 121. In den Personengesellschaften war die Treupflicht längst heimisch, vgl. statt aller A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947; ders., Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, § 13; Robert Fischer in: Großkommentar zum HGB, 3. Aufl., § 105 Anm. 30a ff.; Walter Stimpel, in: Pehle/Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 15, 18 ff.; Flume, Allg. Teil des BGB, Band I.1, Die Personengesellschaft, 1977, § 15 I, S. 257 ff. 3 Grundlegend Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949, S. 181 ff.; vgl. weiter Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, § 30 (S. 335 ff.) „Bindung durch Treupflicht“; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 270 ff.; Wiedemann, FS Barz, 1974, S. 561, 568. 4 BGHZ 65, 15 – ITT. Zwar wurde die Treupflicht auch schon früher in Entscheidungen des II. Senats des BGH zur GmbH erwähnt (z. B. BGHZ 14, 25, 38), diese eher verbale Anerkennung war aber in der Sache vor BGHZ 65, 15 inhaltlich folgenlos; so zutr. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 41; Flume, ZIP 1996, 161, 162. 5 Formulierung von Wiedemann, in: Lutter/Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S 21. 6 Sections 459-461 Companies Act 1985 und dazu Lutter, ZGR 1998, 191, 193 ff. 7 BGHZ 129, 136 = JZ 1995, 1064 und dazu Lutter, JZ 1995, 1053 ff. 8 DStR 1994, 214 mit Anm. Goette. 9 Zum Verhältnis von Mißbrauch der Mehrheitsmacht zur Verletzung von Treupflicht vgl. K. Schmidt, in Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., 1995, § 243 Rdn. 45 ff. 1 2

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rung10, um die Sicherung der Gesellschaft selbst11 und die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an Loyalität unter den Gesellschaftern12. Und weit darüber hinaus ist es der nach System hungernden Wissenschaft – gewiß nicht ohne die Mitwirkung des BGH – gar gelungen, ein [166] ganzes Rechtsgebiet, das Recht der faktisch verbundenen GmbH, auf die Treupflicht zu gründen und aufzubauen13. Die Tatsache einer solchen Treupflicht bedarf daher heute auch keiner besonderen Erörterung und insbesondere keiner Begründung mehr; sie ist a priori existentes verbandsrechtliches Prinzip oder – in den 30 Jahre zurückliegenden Worten von Walter Stimpel – als richterliche Generalklausel14 heute gewohnheitsrechtlich etabliert und zwar sowohl in ihrer Ausprägung als Rechtspflicht der Gesellschafter zur Gesellschaft wie auch als Rechtspflicht der Gesellschafter untereinander. Aber wie bei jedem Prinzip oder jeder als Generalklausel formulierten Rechtspflicht gilt es im zweiten Schritt, ihre Anwendungsfelder und vor allem ihre Grenzen auszumessen. Das aber ist hier ein weites Feld, das sich – wie Walter Stimpel ebenfalls schon vor 30 Jahren erkannt und angemahnt hat – systematisch nur durch die Bildung von Fallgruppen erschließen läßt15; das habe ich bereits vor einem knappen Jahrzehnt getan16 und will es daher nicht wiederholen, zumal die Diskussion seither neue Fallgruppen nicht entwickelt hat. Was heute vor allem zu klären ist, sind die Grenzen. Daher werde ich mich im ersten Teil meiner Überlegungen mit einigen solchen Grenzfällen beschäftigen, um in einem zweiten Teil dann der Frage nachzugehen, wie denn die beiden Seiten der Treupflicht – hier die Gesellschaft und dort der Mitgesellschafter jeweils als Gläubiger – miteinander zu koordinieren sind.

10 Etwa bei der Pflicht der Minderheit zur Mitwirkung bei einer Satzungsänderung; dazu BGHZ 98, 276 und eingehend Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979 (mit Hinweis auf die GmbH S. 7). 11 Etwa vor dem Wettbewerb eines Gesellschafters, BGHZ 89, 162 – Heumann/Ogilvy. 12 So darf man etwa unerfahrene Gesellschafter in Entscheidungssituationen nicht ohne sorgfältige Information lassen, vgl. BGH WM 1991, 1988 = DB 1991, 2588. 13 Dazu näher Zöllner, in diesem Bande unten S. 235 ff.; vgl. im übrigen Hachenburg/Ulmer, Kommentar zum GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 77 Rdn. 71 ff.; Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, 14. Aufl., Anh. § 13 Rdn. 13 ff.; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, 16. Aufl., GmbHKonzernR Rdn. 53 ff.; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S. 77 ff.; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 6. Aufl., § 23 IV und § 24 II; Lutter, in: Schaumburg (Hrsg.), Steuerrecht im Konzern, 1998, S. 61 ff. 14 In: Richterliche Rechtsfortbildung (Fn. 2), S. 18: „… richterliche Generalklausel …, die nun ihrerseits von Fall zu Fall der Konkretisierung bedarf und sich allmählich systematisch in Untergruppen aufzugliedern beginnt“. Vgl. auch Hüffer, FS Steindorff, 1991, S. 59 ff. 15 Stimpel, a. a. O. 16 ZHR 189 (1989), 446 ff.

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2. Funktion der Treupflicht Ehe wir damit beginnen können, müssen wir jedoch wissen, was denn die spezifische Funktion der Treupflicht, genauer: des in ihr enthaltenen Rechtssatzes, ist. Auch das habe ich vor fast 20 Jahren schon einmal versucht17: Da das Gesetz in einem nach vorne offenen Rechtsverhältnis keine exakten Pflichten formulieren kann außer der Einlagepflicht, geht es um die Verwirklichung der wechselseitig versprochenen Förderung des gemeinsamen Zweckes18, um die Kontrolle der vom Gesetz oder durch Gesellschaftsvertrag geschaffenen Ein- [167] wirkungsmöglichkeiten der Mehrheit auf die Position der Minderheit19 und der Gewährleistung einer Mindest-Loyalität der Mitgesellschafter untereinander20. Und diese Pflichten sind im wesentlichen einklagbare Hauptpflichten im Rechtsverhältnis Mitgliedschaft, da die Treupflicht nicht nur die Rechtsausübung kontrolliert und beschränkt, sondern durch sie überhaupt erst Pflichten zum Tun oder Unterlassen inhaltlich konkretisiert werden. Auch das hat Walter Stimpel schon vor 30 Jahren mit Nachdruck gesagt21, es ist aber bis heute umstritten22. Die Treupflicht hat also das Ziel, die Gesellschafter im offenen, normenlosen Gelände in ihrem Vertrauen auf die Mitgesellschafter und deren Loyalität bei der Zielverfolgung und in ihrem wechselseitigen Verhältnis zueinander ebenso zu schützen wie deren Einwirkungsmacht auf die eigene Mitgliedschaft zu begrenzen23. Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 84 ff. So die Pflichtenumschreibung in § 705 BGB. 19 Das letztere hat vor allem Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 335 ff., betont; ihm folgend u. a. Hüffer, FS Steindorff, 1990, S. 59 ff. unter Betonung einer Doppelfunktion der Treupflicht, die hier als dreifache Funktion gesehen wird. 20 Der von mir in JZ 1976, 225 ff. geschilderte amerikanische Fall des Ausgrenzens der Minderheit durch Einbringung der Aktien der Mehrheit in eine Holding und deren Einführung an der Börse ist aus Treupflicht korrekt nur zu lösen, wenn man auch diese dritte Funktion der Treupflicht akzeptiert. 21 Richterliche Rechtsfortbildung (Fn. 2), S. 18: „… die Treupflicht bestimmt nicht wie § 242 BGB die Art und Weise, wie die geschuldete Leistung zu bewirken ist; sie ist Hauptpflicht, die jeder Gesellschafter schuldet …“. 22 Wie hier Robert Fischer, Großkommentar HGB, 3. Aufl. 1973, § 105 Anm. 31; Soergel/ Hadding, 11. Aufl., § 705 Rdn. 58; a. A. MüKo-Roth, 3. Aufl., § 242 BGB Rdn. 119; Kübler, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 6 II, 2 c sowie nachdrücklich Joachim Hennrichs, AcP 195 (1995), 221 ff. und Flume, ZIP 1996, 161 ff., je mit allen Nachw. Wenn man unbedingt will, mag man differenzieren und die rechtsbegrenzenden Aspekte der Treupflicht dem § 242 BGB zuweisen, die Pflichten zu positivem Tun, wie z. B. Stimmpflichten der Hauptpflicht entspr. § 705 BGB zuweisen; so etwa Winter (Fn. 3), S. 13 ff.; Hüffer (Fn. 19), S. 70 ff. 23 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 20 IV, 1, S. 588 bezeichnet das sehr schön und plastisch als „ungeschriebene Legalordnung im Gesellschaftsrecht“. 17 18

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3. Stand der Diskussion Anders gewendet: Die Grundaussagen zur lex lata der Treupflicht müssen wir heute nicht mehr erörtern: Sie dient der Kontrolle von Mehrheitsentscheidungen; das hat Wolfgang Zöllner vor über 30 Jahren dargelegt24 und der BGH ist mit der Kali- und Salz-Entscheidung gefolgt25. Sie verpflichtet auf die Förderung und Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes und verbietet schädi- [168] gende Eingriffe und der BGH hat das mit den Entscheidungen ITT26, Süssen27, Heumann/Ogilvy28 und zuletzt Girmes29 bestätigt. Und sie verpflichtet zur Rücksichtnahme auf die mitgliedschaftlich vermittelten Interessen der anderen Gesellschafter, wie die Entscheidung Linotype30 deutlich macht. Grundlage ist die Mitgliedschaft in der Gesellschaft als allseitiges Rechtsverhältnis. Das alles sehe ich heute im Gesamtbereich des Gesellschaftsrechts nicht gerade außer Streit – da sei Werner Flume vor –31 aber doch im wesentlichen akzeptiert32. Außer Streit hingegen ist die Unterteilung der Mitgliedschaftsrechte in (eher) eigennützige und (eher) gemeinschafts- oder fremdnützige33: das erleichtert Abwägung und Blickrichtung. Wir befinden uns also mitten in der dritten Stufe der von Walter Stimpel vorsystematisierten Erörterung, und zwar weniger der Bildung von Fallgruppen das ist vielfach geschehen34 – als ihrer Vermessung. Das ist Aufgabe des ersten Teils

Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, a. a. O. (Fn. 19). BGHZ 71, 41 und dazu Lutter, ZGR 1981, 171. 26 BGHZ 65, 15. 27 BGHZ 80, 69 – Süssen – und dazu Lutter/Timm, NJW 1982, 409 ff.; Raiser, FS Stimpel, 1985, S. 855 ff. 28 BGHZ 89, 162 und dazu Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163 ff. 29 BGHZ 129, 136 und dazu Lutter, JZ 1995, 1053 ff. 30 BGHZ 103, 184 und dazu Lutter, ZHR 153 (1989), 446 ff. 31 ZIP 1996, 161 ff. und Allg. Teil des BGB, Band I/2 Die juristische Person, 1983, § 8 I, S. 268 ff. 32 Lutter, ZHR 153 (1989), 446 ff.; ders., JZ 1995, 1053 ff.; Wiedemann, JZ 1989, 447 ff.; ders., FS Heinsius, 1991, S. 949 ff.; Timm, WM 1991, 481 ff.; Dreher, ZHR 157 (1993), 150 ff.; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221 ff.; Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, 14. Aufl., 1995, § 14 Rdn. 15 ff.; Hüffer, Kommentar zum AktG, 3. Aufl., 1997, § 53a Rdn. 13 ff. 33 Henze, Die Treupflicht im Aktienrecht, BB 1996, 489, 492; Hüffer, § 53a Rdn. 16; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 8 II 3 b (S. 434 f.); Zöllner, Schranken, S. 344 ff.; Immenga, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 189, 193. 34 Vgl. Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 458 ff.; Jilg, Die Treuepflicht des Aktionärs, 1996; Nehls, Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Aktienrecht, 1993; Piepenburg, Mitgliedschaftliche Treupflichten der Aktionäre, 1996. 24 25

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dieser Erörterung, wobei GmbH und Aktiengesellschaft im Zentrum stehen35, während diese Aufgabe im Personengesellschaftsrecht längst geleistet ist36. II. Einzelfälle und Grenzen der Treupflicht 1. Konflikte aus dem Miteinander Hier ist der bereits zitierte Brüder-Fall sehr anschaulich. Nach Lage der Dinge – Geschäft gemeinsam schon vom Vater übernommen, 20jährige Zusam- [169] menarbeit – konnte der entlassene Bruder erwarten, er werde nicht wegen irgendwelcher Kleinigkeiten vom 51%-Bruder rausgeschmissen werden, sondern allenfalls aus wichtigem Grund. Das stand zwar weder so im Gesellschaftsvertrag noch stand es in seinem Anstellungsvertrag, es ergab sich aber aus den gesamten Umständen37. Ich möchte diesen Bereich daher auch mit berechtigten Erwartungen umschreiben; diese entwickeln und verdichten sich in der Zeit und der persönlichen Geschichte des Miteinanders der Gesellschafter in der Gesellschaft38. Und sie verändern zugleich den Inhalt der Treupflicht: der 51%-Bruder kann dann und trotz § 38 Abs. 1 GmbHG seinen 49%-Bruder nicht mehr ohne gewichtige Gründe abberufen39. 2. Konflikte aus der allgemeinen Geschäftsführung In Familiengesellschaften mit zwei oder drei Stämmen ist die Nachfolge in der Geschäftsführung ein besonders heikles Problem. So findet man in solchen Gesellschaften häufiger als sonst besonders fähige, aber eben auch besonders unfähige Geschäftsführer. Und diese letzteren werden ebenfalls wieder ziemlich häufig in mißverstandener Familienloyalität von ihrem Stamm gedeckt. Kann hier die Minderheit gegen die Mehrheit auf Mitwirkung bei der Abberufung klagen oder, einfacher, den die Abberufung ablehnenden Beschluß anfechten und auf Feststellung klagen, daß die Abberufung wirksam beschlossen wurde, da die

35 Außer den oben schon zit. Arbeiten von Winter (Fn. 3), Hüffer und Zöllner (Fn. 19) vgl. dazu weiter Henze, BB 1996, 489 ff. und Timm, WM 1991, 481 ff. 36 Dazu vor allem Flume, Allg. Teil des BGB, Band I/1, Die Personengesellschaft, 1977, § 15 I, S. 257 ff. und MüKo-Ulmer, 3. Aufl., § 705 BGB, Rdn. 186 ff. mit allen Nachw. 37 Inkl. der offenbar fehlerhaften Beratung des Betroffenen bei Umwandlung der ursprünglichen OHG unter den Brüdern in eine GmbH. 38 Dazu Lutter, ZGR 1998, 191, 198 mit Nachw. aus der Rspr. Englands. 39 Der BGH (DStR 1994, 214 mit Anm. Goette) hat das richtig erkannt.

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Stimmen der Mehrheit treuwidrig abgegeben und daher nicht zu zählen waren40? Im Prinzip sehe ich hier aus Gedanken der Treupflicht gar kein so großes Problem. Aber man muß bei allen diesen Aussagen bedenken, daß sie rechtlich sinnvoll nur dann sind, wenn sie auch justitiabel erscheinen: Werden sich die Gerichte also mit der Frage beschäftigen, ob der fragliche Familien-Geschäftsführer wirklich so unfähig ist? Aber auch daran habe ich im Prinzip keinen Zweifel. Allerdings machen die Fragestellung einerseits und die Grenzen der Objektivierung solcher Fragen wie persönliche Unfähigkeit deutlich, daß es nur um äußerste Grenzen gehen kann, Fälle also, wo ein unbeteiligter, aber nicht ganz unerfahrener Dritter sagen würde: Also so geht es nun wirklich nicht! Anders gewendet: Normale menschliche Schwächen und selbst das allgemeine Urteil „weniger gut“ muß die Minderheit jedenfalls in einer solchen Struktur hinnehmen, offensichtliche Unfähigkeit aber nicht41. [170] 3. Konflikte um das Ende Fast jede Produktidee hat ihren Anfang, ihren Höhepunkt und ihr Ende. Rotoprint war Marktführer und seine Vervielfältigungs-Geräte auf der Basis von Wachsmatrizen standen in jeder Schule; mit dem Erscheinen der Kopier-Geräte ging ihre Zeit zu Ende. Kann die Minderheit von der Mehrheit in einer solchen Situation – sie hat sich auch damals über mehrere Jahre hingezogen – die Liquidation der Gesellschaft verlangen, um wenigstens Teile des Investments zu retten? Ich meine ja. Auch hier ist erneut die Justitiabilität entscheidend. Es kann nicht hilfreich sein, die Treupflicht zu bejahen, wenn die Gerichte anschließend und zu Recht sagen: bei Fragen dieser Art steht der Mehrheit ein breites Feld unternehmerischen Ermessens zu42, in das wir uns nicht einmischen, wo wir nicht etwa unsere, vielleicht durchaus anderen unternehmerischen Vorstellungen an die Stelle derjenigen der Mehrheit setzen werden43. Diese Sicht ist richtig und sollte nicht in Frage gestellt werden. Auch hier kann es also nur um eine Treupflicht zur Mitwirkung an der Liquidation dann gehen, wenn offensichtlich keine Chancen und keine realistischen Alternativen am Markt mehr bestehen.

40 Zu dieser eleganten Lösung vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck (Fn. 13), Anh. § 47 Rdn. 63 ff. 41 Das haben englische Gerichte ähnlich gesehen, vgl. die Nachweise bei Lutter, ZGR 1998, 191, 195 ff. 42 Dazu BGH, Urteil vom 21. 4. 1997, ZIP 1997, 883 ff. – ARAG. 43 Vgl. zu der gleichen Haltung auch der englischen Gerichte die Nachweise bei Lutter ZGR 1998, 191, 196.

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4. Sanierungskonflikte Aus der Praxis habe ich folgenden Fall einer GmbH erfahren: Ein Mehrheitsgesellschafter mit 80% Beteiligung hatte hohe persönliche Sicherheiten für Bankkredite der Gesellschaft gewährt. Seine beiden Mitgesellschafter mit je 10% hatten eine starke Stellung; denn für alle wesentlichen Entscheidungen war In der Satzung Einstimmigkeit festgelegt. Die GmbH wanderte mit raschen Schritten dem Abgrund zu. Da fand der Mehrheitsgesellschafter ein drittes Unternehmen, das zur Übernahme und Freistellung der Sicherheiten bereit war zu folgenden Konditionen: 100% der Geschäftsanteile zum Kaufpreis Null, Zuzahlung einiger 100 000 DM durch den Mehrheitsgesellschafter. Der war dazu bereit, die Minderheit verlangte Abfindung durch den Mehrheitsgesellschafter als Voraussetzung ihrer Zustimmung. Der lehnte ab und zwei Wochen später war die GmbH in Konkurs, alle hatten ihr Investment und der Mehrheitsgesellschafter zusätzlich seine hohen Sicherheiten verloren. Hat sich die Minderheit treuwidrig verhalten? Natürlich denken wir alle jetzt an Girmes44. Auch dort hatte sich die Minderheit in einer auswegslosen Situation intransigent verhalten und so den Untergang der Gesellschaft bewirkt. Immerhin: Bei Girmes stand ein Ausscheiden der Minderheit nicht zur Debatte. Hier hingegen führten beide Alternativen zum Verlust der Mitgliedschaft – Abtretung zum Preis Null bzw. Konkurs – [171] und nur der Mehrheitsgesellschafter hatte in der ersten Alternative die Chance, einen Teil seines Investments – die gewährten Sicherheiten – zu retten. Waren die Minderheitsgesellschafter verpflichtet, ihm dabei zum Null-Tarif zu helfen oder konnten sie Beteiligung an der erstrebten Minderung des Verlustes verlangen? Ich meine: letzteres. Der Mehrheitsgesellschafter hatte ein Gesamtinvestment getätigt aus Geschäftsanteil plus den gewährten Sicherheiten; jetzt stand eine Lösung an, die davon, sagen wir, DM 300 000 gerettet hätten, während die Minderheit alles verloren hätte – allerdings bestand das „alles“ bei ihnen auch nur aus der Mitgliedschaft. Trotz der früheren Zusatzleistung des Mehrheitsgesellschafters (Sicherheiten) war die Minderheit im jetzigen Zeitpunkt nicht verpflichtet, den Rettungsgewinn allein dem Mehrheiter zu überlassen; sie konnte Beteiligung daran nach Maßgabe des Verhältnisses des jeweiligen Gesamtinvestments verlangen, höchstens jedoch ihr eigenes Investment (so zutr. Claussen in der Diskussion), handelte also nicht treuwidrig, als sie diese Beteiligung vom Mehrheitsgesellschafter als Voraussetzung für die Abtretung ihrer Geschäftsanteile ohne Gegenleistung an den Dritten verlangte.

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BGHZ 129, 136.

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Die Rechtslage ändert sich, wenn die Minderheit ihre Veto-Position auszunutzen versucht, indem sie einen überproportionalen Anteil am Sanierungsgewinn anstrebt. 5. Marktkonflikte a) Vorbemerkung Lassen sich die bisher erörterten Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheit, zwischen Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern mit der Figur der Treupflicht argumentativ durchaus beherrschen, so wird es sehr viel schwieriger, wenn sich der Konflikt am Markt für Beteiligungen entzündet oder mit diesem jedenfalls vermischt ist. Herbert Wiedemann45 hat schon vor drei Jahrzehnten die Auffassung vertreten, die berühmte Kontrollprämie, also der Aufschlag für den Erwerb der Mehrheit, stehe bereits de lege lata anteilig auch der Minderheit zu; und Grundmann46 ist ihm darin kürzlich gefolgt. Vor allem Grundmann hat das weniger mit Treue- als mit Treuhand-Argumenten unterlegt. Ich möchte in diesem Kontext keinem dieser Argumentationsmuster folgen. Das geltende Recht betont die Freiheit zur Verfügung über die Mitgliedschaft Aktie und übrigens auch über die Mitgliedschaft Geschäftsanteil, also den Grundsatz freier Disposition47. Das mag uns heute vielleicht unzweckmäßig erscheinen, ja [172] vielleicht sogar ungerecht. Aber wir können und sollten die dura lex nicht mit Treupflicht- und Treuhandargumenten zu überwinden suchen. Man kann im übrigen weiter argumentieren, daß das Gesetz – und hier kann man auch einmal sagen: auch der Gesetzgeber – das genauso gesehen und deswegen die §§ 311 ff. AktG und gerade keine Abfindungspflicht in diesem Kontext geschaffen haben. b) Einzelheiten aa) Von dieser Grundaussage mag es aber Ausnahmen geben. Ich möchte einen Fall zur Debatte stellen, der mir von Walter Stimpel selbst berichtet worden ist: Ein erfolgreicher mittelständischer Unternehmer wandelt sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um und geht in einem zweiten Schritt mit 30% der Aktien an die Börse. Nach einiger Zeit veräußert er in einem dritten Schritt seine 70% an ein großes Unternehmen. Dieses behält die Beteiligung nicht lange, sonMinderheitenschutz und Aktienhandel, 1968. Der Treuhandvertrag, 1997, S. 458 ff. 47 Vgl. Lutter/Hommelhoff, § 15 Rdn. 8 ff.; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum AktG, § 68 Rdn. 67 ff.; Barz, in: Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 68 Anm. 2; Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 68 Rdn. 5 ff. 45 46

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dern gibt sie weiter an das einzige Konkurrenzunternehmen dieser AG, das dann auch ziemlich sofort mit Produkt-Bereinigungen im Interesse ihres eigenen Unternehmens beginnt: Zukunftserwartungen sind bei dieser AG kaum mehr angebracht. Kann die Minderheit Abfindung vom neuen Mehrheitsgesellschafter aus Treupflicht verlangen? Oder kann sie Schadensersatz aus Treupflichtverletzung vom großen Unternehmen verlangen, weil es ihre Aktien beim Verkauf an den Konkurrenten nicht mitgenommen hat, sich kein Übernahmeangebot für die Minderheit hat zusagen lassen? bb) Diese Fallgruppe gehört heute zu den unter Treupflicht-Aspekten am stärksten umstrittenen48. Um mit einem etwas leichteren Aspekt zu beginnen: in der SüssenEntscheidung von 1981 hat der BGH geradezu hellsichtig erkannt, daß mit dem angefochtenen Beschluß über die Aufhebung des Wettbewerbsverbots in Wirklichkeit über eine Frage der Konzerneingangskontrolle zu entscheiden war49. Er hat daher die Aufhebung des Verbots am vorrangigen Interesse der Gesellschaft gemessen und dieses Interesse verneint – der Sache nach also aus verletzter Treupflicht der Mehrheit entschieden. Die Literatur ist einmütig gefolgt50 und läßt keinen Zweifel, daß im vergleichbaren Fall der Veräußerung von Geschäftsanteilen und eines dazu erforderlichen Beschlusses der Gesellschafterversammlung nach § 15 Abs. 5 GmbHG genauso zu verfahren sei51: dem ist zu [173] folgen. Die GmbH kann also, wo es Sperren nach § 15 Abs. 5 GmbHG gibt, nicht beliebig in die Abhängigkeit überführt werden. Lassen sich diese Überlegungen, so ist zu fragen, für die AG fruchtbar machen? Das ist gewiß der Fall, wo es um vinkulierte Namensaktien geht52. Aber das ist die seltene Ausnahme. Im übrigen gilt der fast heilige Satz von der freien Verfügbarkeit über Aktien53. Wollte man hierin eingreifen, so müßte man in Fällen solcher Art aus der Treupflicht gegenüber der AG eine Art Verfügungsverbot des Aktionärs entwickeln, das nur aus ihren Interessen aufgehoben sein könnte. Gesellschaft und Minderheitsaktionäre wären dann zur Feststellungs- oder Unterlassungsklage gegen den Mehrheiter berechtigt, mit der über diese Regel-AusnahmeVerhältnis zu befinden wäre. 48 Vgl. nochmals Grundmann, a. a. O. (Fn. 46) sowie Piepenburg, Mitgliedschaftliche Treupflichten der Aktionäre, 1996, S. 308 ff.; Jilg, Die Treupflicht des Aktionärs, 1996, S. 98 ff., 111 ff. 49 BGHZ 80, 69 und dazu Lutter/Timm, NJW 1982, 409 ff. 50 Vgl. Timm, GmbHR 1981, 177 ff.; Immenga, JZ 1984, 578, 579; Raiser, FS Stimpel, 1985, 855 ff.; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 248 ff. 51 Lutter/Timm, a. a. O. 52 Dazu Lutter, Die Rechte und Pflichten des Vorstands bei der Übertragung vinkulierter Namensaktien, AG 1992, 369 ff. 53 Vgl. die Nachweise oben Fn. 47.

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cc) Ich möchte diesem Gedanken im allgemeinen nicht folgen. Zwar lassen sich Treupflichten gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern auch in diesem Kontext so leicht nicht leugnen. Aber ich sehe hier die Grenze solcher Überlegungen im System der §§ 311 ff. AktG: Das deutsche Aktienrecht – ganz anders als das durch Lehre54 und Rechtsprechung55 entwickelte GmbH-KonzernRecht – hat sich im faktischen Bereich von Abhängigkeit und Konzern bewußt und betont für die Kontrolle der Konzernführung und nicht für verhindernde Eingriffe bei der Bildung des Konzerns entschieden56. Das muß man respektieren. dd) Aber damit ist noch nichts gesagt zum Verhältnis unter den Aktionären selbst. Zunächst: Zwischen diesen geht es hier um mitgliedschaftsbezogene Innen- und Außenwirkungen. Soweit die Innenwirkungen angesprochen sind, gilt wiederum der Hinweis auf die §§ 311 ff. AktG. Hingegen sind die Außenwirkungen, nämlich die Kontrollprämie für den Mehrheitsgesellschafter und Vermögensverluste bei den Minderheitsgesellschaftern durch einen schwachen Markt in ihren Rest-Aktien von den §§ 311 ff. AktG allenfalls mittelbar angesprochen. Auch auf diesen mitgliedschaftlich vermittelten Außenbereich bezieht sich die Treupflicht; ich habe das vor 20 Jahren versucht am AUDI-NSU-Fall deutlich zu machen57. Doch gilt es sofort zu bedenken, daß das Verfügungsrecht zu den besonders starken eigennützigen Rechten jedes Aktionärs gehört und daher der Treupflicht gewiß weniger unterworfen ist. Seit Herbert Wiedemanns nun auch schon 30 Jahre zurückliegenden Schrift über „Minderheitenschutz und Aktienhandel“58 sind immer wieder Vorstöße [174] in der Wissenschaft unternommen worden, den Wechsel in der Kontrolle von Aktiengesellschaften als Anwendungsfall des Gleichbehandlungsgebotes oder der allgemeinen Treupflicht gegenüber der Minderheit zu verstehen; zuletzt ist hier auf die Monographie von Reul59 und die Abhandlung meiner Schüler Jaeger und Ziemons zu verweisen60. Ich selbst möchte hier ausnahmsweise von den Rechtsfolgen her denken. Welche könnten diese sein: Eine Pflicht des Erwerbers zur Übernahme der verbleibenden Aktien? Er aber unterliegt noch keiner Treupflicht und ist zur Gleichbehandlung seiner erst künftigen Mitaktionäre nicht verpflichtet.

Vgl. statt aller Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., Anh. § 77 Rdn. 57 ff. mit allen Nachw. BGHZ 65, 15 – ITT; 80, 69 – Süssen. 56 Das gilt auch für Überlegungen zu einer materiellen Beschlußkontrolle bei Abschluß eines Unternehmensvertrages; so zutr. Henze, BB 1996, 489, 498. 57 JZ 1976, 225. 58 Stuttgart 1968. 59 Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991, S. 260 ff. 60 H. Ziemons und C. Jaeger, Treupflichten bei der Veräußerung einer Beteiligung an einer AG, AG 1996, 358 ff. 54 55

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Eine Pflicht des Veräußerers, als Vertrag zugunsten Dritter vom Erwerber ein vertragliches Übernahmeangebot an die Minderheit zu verlangen? Das würde die Verfügbarkeit in den eigenen Aktien drastisch reduzieren. Information der Minderheit61? Das ist schon durch die §§ 20, 21 AktG gewährleistet. Jedenfalls in personalistischen Aktiengesellschaften und Familien-Aktiengesellschaften die Pflicht des verkaufswilligen Mehrheitsaktionärs, der Minderheit ein Erwerbsangebot bezüglich seiner Aktien zu machen, ehe er an den Dritten veräußern darf? Der Gedanke ist theoretisch so schlecht nicht; zwar müßte die Minderheit die Kontrollprämie zahlen, obwohl ihre einzelnen Mitglieder die Kontrolle nicht erhalten; aber das unterliegt ihrer Entscheidung. Praktisch aber dürfte der Gedanke ebenso schwer zu verwirklichen sein wie der Erwerb des Vermögens aus der Liquidationsmasse der AG durch die Minderheit62. ee) Ich habe oben ausdrücklich gesagt, daß ich Treupflichten des Mehrheitsaktionärs in diesem Zusammenhang im allgemeinen nicht für einschlägig erachte und dem Gedanken auch in personalistischen Aktiengesellschaften zurückhaltend gegenüberstehe. Man wird das aber dann anders sehen müssen, wenn die fragliche Aktiengesellschaft durch den Erwerb seitens des Konkurrenten in die qualifizierte Abhängigkeit63 geführt werden soll, wie das in dem von Walter Stimpel mitgeteilten Fall geschehen ist. Für diesen Sonderfall sehe ich zwei Ansatzpunkte. Zum einen sind die §§ 311 ff. AktG in der Lage, im locker und dezentral geführten Konzern den Schutz der abhängigen AG und mithin mittelbar den der Minderheitsaktionäre einigermaßen sicherzustellen. Diese Regeln aber sind außerstande, die vom Wettbewerber geplante Umgestal- [175] tung der Gesellschaft und ihre einseitige Ausrichtung auf sich zu kontrollieren64. Hier also gilt mein systematisches Argument aus diesen Vorschriften nicht. Und das gilt in diesem Falle noch mehr für bislang personalistische Aktiengesellschaften, deren Mitglieder sehr stark und seit langem in gefestigten Verhältnissen dieser AG leben und daher von berechtigten Erwartungen abhängen: ein Aspekt der Treupflicht unter den Gesellschaftern, den ich schon angesprochen habe. Hier kann ich mir tatsächlich eine Rechtspflicht des Mehrheitsgesellschafters vorstellen, beim Kontrollverkauf mit dem Erwerber ein faires Übernahmeangebot zugunsten der Minderheit festlegen zu müssen. Versäumt er das und erleiden die Minderheitsgesellschafter dadurch einen Dazu Burgard, AG 1992, 41. So der Gedanke des BGH in der Entscheidung Linotype, BGHZ 103, 184. 63 Zu diesen „Stufen“ der Abhängigkeit vgl. Lutter/ Timm, NJW 1982, 409, 412. Ich sage ausdrücklich nicht: qualifizierter Konzern. Läge er vor, könnte die Minderheit Abfindung verlangen analog § 305 AktG, vgl. Wiedemann, ZGR 1978, 477, 492 ff.; Timm, NJW 1987, 977, 983 f. 64 Folgt man Zöllners These (unten S. 235, 241 ff.) von der Ausstrahlung der Treupflicht auf die §§ 311 ff. AktG und ihre Fortgeltung auch im Kontext dieser Normen und akzeptiert man daraus folgend den Unterlassungsanspruch jedes Minderheitsaktionärs (dazu unten III), so wäre diese Aussage zu korrigieren. 61 62

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Schaden, so ist der ehemalige Mehrheitsgesellschafter ihnen gegenüber aus verletzter Treupflicht zum Schadensersatz verpflichtet. c) Ausblick Die Treupflicht kann also das Problem des Ganges in die Abhängigkeit und den Konzern im Aktienrecht nur in Extremfällen lösen. Da aber die §§ 311 ff. AktG nach ihrer gesamten Anlage weder auf die Verhinderung von Umstrukturierungen noch auf das Verhindern des „Austrocknens“ (keine Investitionen mehr) angelegt sind, muß das take-over-Problem wirklich vom Gesetzgeber gelöst werden65. Ist das erst der Fall, so wird man dann mit Treupflichtargumenten auch denjenigen Fällen gerecht werden können, die keine Börsenfälle sind: Man sollte eine take-over-Lösung also nicht nur als die Lösung eines Marktproblems, sondern auch als Lösung eines Mehrheits-MinderheitsProblems sehen66. 6. Merkposten: Verhalten im Konzern Es bleiben die vielen Aspekte von Treupflichten im Konzern und von der auf ihr beruhenden Möglichkeit, die Führung des Konzerns insbesondere in der GmbH durch Treupflichtargumente zu kontrollieren67. Das reicht von der verdeckten Gewinnausschüttung68 insbesondere unter Einschaltung von Tochter- [176] gesellschaften69 über die Verlagerung von Aktivitäten in den Bereich der Mutter70 bis zur Umleitung von Geschäftschancen in den eigenen Teich der Mutter71. All das sei hier nur erwähnt und nicht behandelt; es gehört zu Wolfgang Zöllners Domäne.

65 Vgl. dazu den kürzlich vorgelegten, geänderten Vorschlag einer 13. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zu Übernahmeangeboten vom 10.11.1997, ZIP 1997, 2172 sowie den Gesetzentwurf der SPD, BT-Drucks. 13/8164; vgl. auch den Vorschlag von Baums, ZIP 1997, 1310. 66 Darauf hat auch schon Wiedemann, a. a. O. deutlich hingewiesen. 67 Dazu Ulmer, in: Hachenburg, 8. Aufl., Anh. § 77 Rdn. 71 ff. und Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, 16. Aufl., GmbH-KonzernR Rdn. 53 ff. 68 Dazu umfassend U. H. Schneider, ZGR 1985, 279 ff. 69 Dazu Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 464 ff. 70 BGHZ 89, 162 – Heumann/Ogilvy und dazu Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163 ff. 71 BGH GmbHR 1977, 129; BGH NJW 1986, 584; BGH WM 1989, 1335; Weisser, Corporate Opportunities, 1991; Polley, Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre, 1993 und jetzt Grundmann (Fn. 1), S. 248 ff., 453 ff.

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7. Merkposten: Treupflicht der Verwaltung Mit den bislang erörterten Fragen der Treupflicht der Aktionäre und Gesellschafter zur Gesellschaft und zum Mitgesellschafter hat die Treupflicht der Mitglieder der Verwaltung zu „ihrer“ Gesellschaft nur den Namen gemeinsam. Hier geht es um das unverbrüchliche Gebot an diese Personen, ihre Interessen denen der Gesellschaft unterzuordnen: sie sind typische Treuhänder eines oft riesigen Vermögens72. Klaus Hopt73 meint, dieses Rechtsgebiet sei bei uns stark unterentwickelt. Bei wissenschaftlich-theoretischer Betrachtung kann ich dem nicht folgen; in der Literatur werden die Grundlagen und Falltypen dieser Treupflicht sorgfältig entwickelt und dargestellt74. Blickt man dagegen auf die praktische Relevanz dieser Rechtsfigur, so sieht es anders aus, partizipiert dieser wichtige Aspekt auch und gerade für das Selbstverständnis von Vorstandsmitgliedern und die berühmte corporate governance75 an der offenen Flanke fehlender Klagemöglichkeiten im Aktienrecht76; daher beschränken sich unsere konkreten Erfahrungen mit diesem Rechtsinstitut auf GmbH-Konflikte, wo solche Klagen zwar auch nicht häufig sind, aber immerhin vorkommen77. III. Verhältnis der Treupflichtansprüche zueinander Damit komme ich zu meinem zweiten Abschnitt, dem Verhältnis der Ansprüche und Klagemöglichkeiten aus Treupflicht zueinander. Worum geht es? [177] 1. Die doppelte Stoßrichtung der Treupflicht gegenüber der Gesellschaft und dem Mitgesellschafter Ausgangspunkt ist der immer wieder wiederholte Satz, wonach der Gesellschafter in GmbH und AG nicht nur im Verhältnis zur Gesellschaft, sondern

Dazu erneut Grundmann (Fn. 1), S. 133 ff., 237 ff. FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 921. 74 Vgl. nur die sorgfältige Aufarbeitung der vielen Aspekte dieser Treupflicht bei Mertens, Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 93 Rdn. 57 ff. 75 Vgl. dazu statt aller Feddersen/Hommelhoff/U. H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996; E. Scheffler (Hrsg.), Corporate Governance, 1995 (Schriften zur Unternehmensführung, Bd. 56). 76 Dazu Lutter, ZGR 1998, 191, 206 ff. 77 Vgl. die Nachw. oben Fn. 62 sowie Mertens, in: Mertens/Stein, Das Recht des Geschäftsführers der GmbH, 2. Aufl., § 43 GmbHG, Rdn. 35 ff. mit allen Nachw. aus der Rspr. 72 73

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auch zu seinen Mitgesellschaftern der Treupflicht unterliegt78. Die eigentümliche Struktur des Rechtssatzes erklärt sich aus der Tatsache, daß nur der zweite Teil überhaupt umstritten war: Am Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern bestand nie ein Zweifel, allenfalls an seinem Inhalt jenseits der Einlagepflicht79. Heute, nach dem Ende des Streits um die Treupflicht gegenüber dem Mitgesellschafter muß man also in der von mir vorgeschlagenen Terminologie sagen: Der Gesellschafter unterliegt sowohl einer Förderpflicht gegenüber der Gesellschaft als auch einer Loyalitätspflicht gegenüber dem Mitgesellschafter und beide schließen das Verbot ein, die Gesellschaft zu schädigen. So weit, so gut. Aber: Lassen sich diese Pflichten und die ihnen parallel dazu gegenüberstehenden Rechte so säuberlich trennen, daß Überschneidungen in der Zuordnung der Ansprüche und ihrer Verwirklichung vermieden werden können? Anderenfalls käme es zu doppelten Klagebefugnissen je aus eigenem Recht. 2. Trennung der Ansprüche? Man könnte eine solche Trennung natürlich versuchen und insbesondere diejenigen Fragen, die das Gesellschaftsvermögen betreffen, ausschließlich der Gesellschaft zuordnen: ITT beträfe in dieser Sicht nur die geschädigte Gesellschaft, Fälle der corporate opportunity desgleichen, Wettbewerb und üble Nachrede genauso. Andererseits beträfen AUDI/NSU, frustrierte Erwartungen wie zwischen den beiden Brüdern, Einmauern in die Gesellschaft und besondere Informationspflichten80 ausschließlich das Verhältnis der Gesellschafter zueinander. Das letztere ist offenbar wenig problematisch: Bei AUDI/NSU ist die Gesellschaft nur Anlaß, aber nicht beteiligt; beim Streit zwischen den Brüdern und beim Einmauern eines Gesellschafters in der Gesellschaft ist es ebenso. Problematisch sind hingegen die das Vermögen der Gesellschaft betreffenden Fälle. Kann man hier, etwa im Falle ITT sagen, nur das Treueverhältnis zur Gesellschaft sei betroffen und nicht auch das zum Mitgesellschafter? Walter Stimpel und seine Kollegen haben es bekanntlich nicht getan, sondern haben ganz selbstverständlich und ohne jede weitere Problematisierung aus dem Verhältnis der Gesellschafter untereinander und ihrer Treupflicht zuein- [178] ander entschieden81. Ich würde mich gerne gegen diese Sicht je eigener Ansprüche von Ge78 Darum ging die wissenschaftliche Debatte vor BGHZ 65, 15 – ITT (GmbH) bis zu BGHZ 103, 184 – Linotype (AG). 79 So haben etwa Alfred und Götz Hueck noch in der letzten (13.) Auflage ihres Kommentars zum AktG eine über § 242 BGB hinausgehende eigentliche Treupflicht des Aktionärs auch gegenüber der AG abgelehnt (Vor § 54 Rdn. 11). 80 Dazu Burgard, AG 1992, 41, 47 ff.; Henze, BB 1996, 489, 498. 81 Geklagt hat der Minderheitsgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft. Der BGH hat aus eigenem Recht des Gesellschafters und nicht etwa aus abgeleitetem Recht oder gar Prozeß-

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sellschaft und Gesellschafter aussprechen und auf diesem Wege versuchen, ein vorrangig prozessuales Problem mehrfacher, aber inhaltlich gleicher Ansprüche materiell zu lösen. Aber es geht nicht. Zwar gibt es kaum Zweifel, daß ein Schaden der Gesellschaft wie in ITT oder in Wettbewerbs- und corporate opportunity-Fällen in das Vermögen der Gesellschaft ausgeglichen werden muß und nicht etwa zu Einzel-Schadensersatzansprüchen führt82. Aber deswegen ist eben doch auch in diesen Fällen zugleich die materielle (gesellschafterliche) Pflicht zum Mitgesellschafter verletzt: nicht in die Kasse zu langen, nicht sich andere Vorteile zu Lasten der gemeinsamen Interessen und des gemeinsamen Vermögens zu verschaffen etc. Wenn man überhaupt in Rechtspflichten der Gesellschafter untereinander denkt, muß man das auch in diesen Pflichten tun. Walter Stimpel und seine Kollegen haben das also richtig gesehen83. 3. Rangordnung der Ansprüche? a) Damit entkommen wir also der Frage nicht, wie denn die vom Subjekt her getrennten, in der Sache aber gleichen Ansprüche untereinander abzustimmen sind, oder, weniger abstrakt gesprochen: was geschieht, wenn Gesellschaft und Gesellschafter auf gleiches klagen oder die Gesellschaft sich mit dem Schädiger vergleicht? Nehmen wir an, nach der Klageerhebung in ITT habe die Gesellschaft mit der Beklagten verhandelt, habe als Ergebnis die Hälfte der Konzernumlage zurückerhalten und die Sache damit für erledigt erklärt. Wäre Herr Grohe dadurch gehindert gewesen, auch die zweite Hälfte zu verlangen? Rechtsvergleichend finden wir beide Lösungen. Im amerikanischen Recht hat die Klage der Gesellschaft nicht nur Vorrang vor derjenigen des Gesellschafters84, sondern der Gesellschafter klagt für die Gesellschaft und nicht aus eigenem Recht. Damit wirken alle prozessualen Entwicklungen – faires Verhalten der Gesellschaft vorausgesetzt – für und gegen den Gesellschafter. [179]

standschaft entschieden. Darüber ist im Anschluß an die Entscheidung viel diskutiert worden; vgl. Wiedemann, JZ 1976, 392, 395; Ulmer, NJW 1976, 191, 193; Rehbinder, ZGR 1976, 386, 393; zusammenfassend Winter, Treubindungen, 1986, S. 307 ff. 82 Eingehend Brandes, FS Fleck, 1988, S. 13 ff. sowie unten Fn. 98. 83 In einem nur wenig später entschiedenen Fall hat der II. Senat diese Linie vermieden und aus Vertrag entschieden: BGH, Urteil vom 28. 6. 1982, WM 1982, 928. 84 Zapata v. Maldonado, 430 A.2d 779 (Del. 1981); Auerbach v. Bennett, 47 N.Y. 2d 619; 393 N.E.2d 994; 419 N.Y.S. 2d 920 (N.Y. 1979); beide Entscheidungen befassen sich mit der Bindungswirkung eines Antrages der Gesellschaft, die Aktionärsklage abzuweisen. Dazu Lutter, ZGR 1998, 191, 200 und Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, S. 473 ff., 485 ff., je mit weiteren Nachw.

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In der Schweiz gilt offenbar das Gegenteil85, der Gesellschafter hat einen eigenen Anspruch, die beiden Ansprüche und ggf. die beiden Klagen von Gesellschaft und Gesellschafter stehen unverbunden nebeneinander mit der Folge, daß prozessuale Entwicklungen in dem einen Verhältnis keine Folgen hat für das andere Rechts- und Prozeßverhältnis. b) Der Kern des Problems liegt im Verständnis der Mitgliedschaft86. Und daher muß ich jetzt doch, wenn auch kurz, an meine Ausführungen von 1980 erinnern87. Damals hatte ich die Mitgliedschaft als im Kern einheitliches, also von der Rechtsform unabhängiges Rechtsverhältnis, mithin als ein Bündel von Rechten und Pflichten zwischen Mitglied und Gesellschaft und unter den Mitgliedern selbst entwickelt. Auf den Inhalt dieses Rechtsverhältnisses kommt es nun entscheidend an. Und da fühlt man sich, was das Rechtsverhältnis zur Gesellschaft angeht, sehr viel sicherer. Denn immerhin formuliert § 705 BGB expressis verbis die Förderpflicht, deren Medaillengegenseite das Verbot ist, die Gesellschaft zu schädigen. Und mit diesen beiden Haupt-Elementen aus dem Rechtsverhältnis Gesellschafter-Gesellschaft hat man eine gute Grundlage für die Pflichten der Mitglieder. Umgekehrt ist die Gesellschaft ihren Mitgliedern gegenüber verpflichtet, die Regeln der Gleichbehandlung88 ebenso wie die Kompetenzordnung der Organe89 zu wahren. Und dieser materiellen Anspruchslage entsprechen dann naturgemäß auch die Klagerechte: Die Gesellschaft klagt gegen den Obstruktion betreibenden Gesellschafter auf Schadensersatz und gegen den wettbewerbswidrig handelnden Gesellschafter auf Abtretung der Erlöse, der Gesellschafter gegen die Gesellschaft hingegen auf Unterlassung und Rückabwicklung, wie das der BGH im Holzmüller-Fall90 ganz selbstverständlich erkannt und der Senat in einem obiter dictum kürzlich in der Siemens-Entscheidung91 bestätigt hat. Schwieriger ist die Rechtslage unter den Gesellschaftern. Hier hatte ich die Treupflicht als Rücksichtspflicht übersetzt92. Aber das ist einerseits ziemlich blaß und macht andererseits die doppelte Stoßrichtung dieser Rechtspflicht nicht ausreichend deutlich. Diese geht nämlich zunächst einmal dahin, daß es dem Gesellschafter und zwar dem Mitgesellschafter gegenüber verboten ist, sich Vorteile aus dem Gesellschaftsvermögen zu verschaffen93, also dem Mitge- [180] sellschafter 85 Lutter, a. a. O., S. 203 ff. sowie Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 8. Aufl., 1998, § 16 Rdn. 386 ff. je mit weiteren Nachw. 86 Zutr. Flume, Kapitalgesellschaften, S. 300 ff.; Raiser, ZHR 153 (1989), 1, 9 ff. 87 AcP 180 (1980), 84 ff. 88 Zöllner, ZGR 1988, 392, 405 f. 89 BGHZ 83, 122, 138 ff. 90 Wie vor. 91 JZ 1998, 47 mit Anm. Lutter ibid. S. 50 ff. 92 A. a. O. (Fn. 87), S. 120 ff. 93 So auch Zöllner, ZGR 1988, 392, 405 f., 408 unter Betonung der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

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gegenüber gehalten ist, nicht – wie in ITT94 –, ungerechtfertigte Zahlung zu verlangen, und nicht – wie in Heumann/Ogilvy95 –, die Geschäfte der Gesellschaft auf sich überzuleiten. Und erst in einer zweiten Stoßrichtung geht es um persönliche Interessen der Gesellschafter aus der Mitgliedschaft, wie das insbesondere an der willkürlichen Verhinderung einer Abtretung durch die Mitgesellschafter deutlich wird96, also einer Situation, in der die Gesellschaft selbst nur Objekt und nicht Subjekt ist. Und dem entsprechen dann erneut die Klagerechte. Das hat der BGH in ITT ebenso wie in Heumann/Ogilvy erkannt und insbesondere in ITT aus eigenem Recht des Minderheitsgesellschafters beurteilt. 4. Klage des Gesellschafters aus eigenem Recht; Gesellschaft und Gesellschafter als Gesamtgläubiger Und damit sind wir im Zentrum der Frage angelangt. Der klagende Gesellschafter in ITT und verwandten Fällen klagt gar nicht, wie vielfach angenommen wird97, aus fremdem Recht und mithin in Prozeßstandschaft, er klagt vielmehr aus eigenem Recht, wenn auch insbesondere bei gleichheitswidriger Leistung und bei Ersatz eines vom Mitgesellschafter verursachten Schadens der Gesellschaft auf Leistung an die Gesellschaft98. Aber er klagt aus eigenem Recht, wo vielfach auch die Gesellschaft selbst den Gläubigeranspruch hat, wie etwa im Falle ITT: selbstverständlich hätte auch die Gesellschaft selbst den gleichen Anspruch auf Zahlung aus § 812 BGB bzw. – wäre es ein aktienrechtlicher Fall gewesen – aus §§ 57, 62 AktG auf Rückeinlage geltend machen können. Weil sich also die Ansprüche der Gesellschaft und jedes nicht begünstigten Gesellschafters gleichen Inhalts erneut bestätigen, ist der Frage nicht zu entkommen, ob diese Mehrheit von Gläubigern untereinander bezüglich des inhaltlich gleichen Anspruchs koordiniert ist oder koordiniert werden muß. [181] BGHZ 65, 15. BGHZ 89, 162. 96 BGH NJW 1987, 1019 (zur AG); OLG Düsseldorf, ZIP 1987, 231; OLG Koblenz, ZIP 1989, 301; Lutter/Hommelhoff, a.a.O. (oben Fn. 13) § 15 Rdn. 28; Hachenburg/Raiser, 8. Aufl., § 14 Rdn. 60; Roth/Altmeppen, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl., § 15 Rdn. 61 sowie umfassend Reichert/Winter, Vinkulierungsklauseln und gesellschafterliche Treupflicht. in: FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 209, 215 ff. mit weiteren Nachw. 97 Vgl. dazu Grunewald, Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und der GmbH, 1990, S. 76 ff. sowie Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988, S. 152 ff., je mit weiteren Nachw. 98 Aus allgemeinen Erwägungen, z. B. § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG, und aus Gründen des Gläubigerschutzes ist der Ausgleich in das Vermögen der Gesellschaft zu leisten; das ist nahezu unbestritten; vgl. nur BGHZ 65, 15; BGH WM 1982, 928 sowie BGH WM 1987, 13 mit Anm. Baums, ZGR 1987, 554, 557 ff. und Anm. Wiedemann, JZ 1987, 784 ff.; Raiser, a. a. O. (Fn. 86), S. 10 f.; Zöllner, a. a. O. (Fn. 88), S. 405. 94 95

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Man wird hier am ehesten an die wenig entwickelte Figur der Gesamtgläubigerschaft nach §§ 428 ff. BGB denken müssen, allerdings mit der durch das Gesellschaftsrecht bedingten Abweichung, daß hier gerade nicht an jeden Gläubiger befreiend geleistet werden kann, sondern nur in das Gesellschaftsvermögen. Aber im übrigen macht diese Rechtsfigur die Position des deutschen Zivilrechts deutlich: keiner der beiden oder gar vielen Gläubiger mit eigenem Anspruch auf eine inhaltlich gleiche Leistung kann mit Wirkung für den anderen Gläubiger handeln: wo jeder Anspruch autonom besteht, da steht auch jeder Anspruchsinhaber autonom und frei in seinen Entschlüssen neben dem anderen; jeder ist für sich verfügungsbefugt, aber keiner mit Wirkung für den anderen99. Hier gibt es keine Organisation der Gläubiger von Gesetzes wegen, es wirkt nur die etwaige rechtsgeschäftliche Koordination. Auf der Schuldnerseite hingegen bedarf es einer solchen Koordination nicht: wann immer der Schuldner in das Gesellschaftsvermögen leistet, befreit er sich ipso iure von allen Ansprüchen gegenüber allen Gläubigern – Gesellschaftern und Gesellschaft. Dabei wird ihm auch die Aufrechnung in das Gesellschaftsvermögen möglich sein – soweit es sich nicht um Rückeinlage handelt100 –, da nur die Gesellschaft empfangszuständig ist, während Erlaß und Vergleich und selbst der Prozeßvergleich die anderen Gesamtgläubiger nicht binden101. In der Sache bedeutet das, daß solche Ansprüche praktisch nicht vergleichbar sind. Zugleich wird deutlich, daß in dem Maße, wie es sich um eigene Ansprüche des Gesellschafters handelt, sich die vielfältigen Probleme der actio pro societate, also der Prozeßstandschaft102, von selbst erledigen103. Diese Frage reduziert sich auf reine Ansprüche der Gesellschaft, wie Einlageansprüche und Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer. Die starke Stellung des Gesellschafters in diesem Zusammenhang leuchtet auch durchaus ein. Allenfalls für das Aktienrecht ließe sich die Auffassung vertreten, daß der Rückeinlageanspruch nach §§ 57, 62 AktG vom Gesetz abschließend gedacht und nur der Gesellschaft als Gläubigerin zugewiesen ist. Aber auch diesen Gedanken möchte ich nicht verfolgen: zum einen formuliert das Gesetz nur eine ganz normale Anspruchsgrundlage; zum anderen ist die Durchsetzung der Klage über § 147 AktG auf diesen Anspruch nicht anwendbar; und schließlich: warum soll der Minderheitsaktionär eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Mehrheitsaktionär nicht in die Kasse der Gesellschaft zurückfordern können104? 99 RGZ 119, 163; BayObLG MDR 1975, 1018; MüKo-Selb, 3. Aufl., § 429 BGB Rdn. 2; Soergel-Wolff, 12: Aufl., 1990, § 429 BGB Rdn. 6. 100 Insoweit gilt das Aufrechnungsverbot des § 66 Abs. 1 S. 2 AktG; vgl. statt aller Lutter in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 62 Rdn. 28. 101 Vgl. die Nachw. oben Fn. 99. 102 Eingehend dazu Eickhoff, Grunewald und Zöllner, je a. a. O. 103 Das kommt. der These Zöllners (Fn. 88), S. 430, 437 entgegen, Klagen des Gesellschafters nur aus eigenem Recht zuzulassen. 104 Das akzeptiert auch Zöllner, a. a. O., S. 405.

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Denn der gleichlautende Anspruch der Ge- [182] sellschaft selbst wird in einem solchen Falle und in einer solchen Struktur der Gesellschaft faktisch nicht realisiert, wie wir seit ARAG endgültig wissen105. Auch hier geht es eben nicht um Prozeßstandschaft, sondern um die Verwirklichung eigener Rechte106. 5. Abstimmung über (erneut) Treupflicht Die starke Stellung des (Minderheits-)Gesellschafters bei Verletzung der Treupflicht und nicht zuletzt der Gleichbehandlung durch einen Mitgesellschafter ist also richtig. Dennoch geht es in diesen Fällen paralleler Ansprüche der Sache nach um das Vermögen der Gesellschaft. Hier nun signalisiert § 46 Nr. 8 GmbHG, daß der Anspruch auf Schadensausgleich und Beseitigung der Ungleichbehandlung das eine ist, die Interessen aller Gesellschafter an zukunftsorientierter Zusammenarbeit das andere107. Bei aller Autonomie des Gesellschafters in bezug auf seinen Anspruch gegen den Mitgesellschafter ist daher doch eine gewisse Rücksicht auf die Interessen der Gesamtheit geboten. Diese Rücksicht kann – da das geschriebene Recht keinen Anhalt gibt und § 46 Nr. 8 GmbHG in dieser Konstellation nicht anwendbar ist – wiederum nur in der Treupflicht – hier des klagebereiten Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft – gründen108: auch der anspruchsberechtigte Gesellschafter ist und bleibt zur Förderung des Gesamtinteresses primär verpflichteter Mitgesellschafter. Und damit haben wir den Bogen geschlagen und sind wieder beim Thema: Die von mir gesuchte Koordination der gleichen Ansprüche kann erneut nur die Treupflicht leisten. Aus der Treupflicht folgt hier zunächst einmal eine Informationspflicht des Gesellschafters: will er aus eigenem Recht auf Leistung an die Gesellschaft klagen, so hat er die Gesellschaft vorab und mit reichlich bemessener Frist zu informieren. Im GmbH-Recht kann die Gesellschaftermehrheit dann einen negativen Beschluß nach § 46 Nr. 8 GmbHG anstreben. An ihn ist der (Minderheits-)Gesellschafter nicht per se gebunden; denn der Beschluß trifft nicht seinen Anspruch, sondern nur die interne Befugnis der Geschäftsführer: sie sind, je nach seinem Ergebnis, zur Geltendmachung verpflichtet bzw. dazu nicht berechtigt109. Obwohl also der Anspruch fortbesteht und der Gesellschafter selbst von dem Beschluß nach § 46 Nr. 8 GmbHG nicht betroffen ist, bleibt er zur Beachtung der vorrangigen Interessen der Gesellschaft verpflichtet. Stehen diese ausnahmsweise einer Klage auf Restitution in das Gesellschaftsvermögen entgegen und wird dem betreffenden BGH vom 21. 4. 1997, ZIP 1997, 883 ff. Raiser (Fn. 86), S. 20 ff. 107 Eingehend dazu Grunewald, a. a. O. (Fn. 97), S. 76 ff. und Raiser, a. a. O. 108 Zutr. Raiser, a. a. O., S. 21 f.; ders. in: Hachenburg, 8. Aufl., § 14 Rdn. 44. 109 Zutr. Raiser, a. a. O. 105 106

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Gesellschafter dies in einer Begründung des Beschlusses plausibel erläutert, so verliert er zwar nicht sein Klagerecht, muß sich das gegenläufige Interesse der Gesellschaft aber als Einwand des beklagten Mitgesellschafters entgegenhalten las- [183] sen: die Klage würde in einem solchen gewiß sehr seltenen Fall nicht als unzulässig, wohl aber als unbegründet abgewiesen. Klagt hingegen die Gesellschaft, so hat der Gesellschafter ihr den Vortritt zu lassen und ist seinen Mitgesellschaftern gegenüber aus gesellschaftlicher Treue gehalten, nicht ein zweites Verfahren mit gleichem Inhalt zu beginnen. Diese Pflicht zum stand still endet, wenn Verjährung droht oder das Verfahren offenbar hinhaltend geführt wird. 6. Appendix: Die Einpersonen-GmbH/AG Wolfgang Schön hat in der Diskussion darauf hingewiesen, daß sich in der Einpersonen-Gesellschaft nicht nur die Treupflicht unter den Gesellschaftern mangels mindestens zweier Subjekte erledigt, sondern auch im Verhältnis zwischen einzigem Gesellschafter und der Gesellschaft, wenn nicht ebenfalls erledigt, so jedenfalls stark reduziert; das könne darauf hindeuten, daß die Treupflicht der Gesellschafter zur Gesellschaft möglicherweise überhaupt geringer zu gewichten sei als die unter den Gesellschaftern. Es ist hier – leider – weder der Ort noch die Gelegenheit, die Debatte um eine Treupflicht auch des einzigen Gesellschafters zur Gesellschaft zu vertiefen110. Aber der Hinweis von Schön ist fruchtbar, macht er doch deutlich, daß es in allen Aspekten der Debatte um die Treupflicht materiell zunächst (nur) um die Interessen der Gesellschafter geht. In der mehrgliedrigen Gesellschaft sind deren Pflichten zum Interesse der Gesellschaft gebündelt. Das Interesse der Gesellschaft ist daher eine Metapher, solange nicht das Gesetz etwa in der zwingenden aktienrechtlichen Vermögensbindung111 oder mit den ebenso zwingenden Normen zur Mitbestimmung andere Interessen mit ins Spiel bringt. Aber auch im übrigen bleibt das Interesse der Gesellschaft und die Treupflicht der Gesellschafter ihr gegenüber in der mehrgliedrigen Gesellschaft eine nützliche Figur, weil sie die Zuständigkeit der Gesellschaft zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesamtheit ebenso deutlich macht wie die Verpflichtung aller Gesellschafter auf das gemeinsam festgelegte und in der Gesellschaft fokussierte Ziel. [184] 110 Bejahend u. a. Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 418 ff.; Priester, ZGR 1993, 512 ff.; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflußnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996, S. 181 sub II; ablehnend u. a. Lutter, ZIP 1985, 1425, 1428 ff.; Lutter/Hommelhoff (Fn. 13), § 13 Rdn. 22; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, a. a. O. (Fn. 13), GmbH-KonzernR Rdn. 100; Flume, Juristische Person, a.a. O. (Fn. 31), S. 61, alle mit weiteren Nachw. 111 Das gilt auch für die Einpersonen-AG, vgl. Lutter, FS Steindorff, 1990, S. 125 ff.

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IV. Schluß 1. Zusammenfassung Damit bin ich am Ende meiner Überlegungen, die zwei Ziele hatten: Darzutun, welch großen Umfang die Treupflicht auch und gerade im Kapitalgesellschaftsrecht hat und wie leistungsfähig sie ist zur Lösung der vielfältigen innergesellschaftlichen Konflikte. Aber ich wollte auch deutlich machen, daß vieles, was uns als Anspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter vertraut ist, zugleich auch Anspruch des Mitgesellschafters gegen den fraglichen Gesellschafter ist. Kurz: die Leistungsfähigkeit der Erkenntnis Treupflicht ist enorm und aus der Realität des Rechts der privaten Verbände gar nicht mehr hinwegzudenken. Zum zweiten und damit zusammenhängend zeigt sich, daß die Klagerechte des Gesellschafters im Kapitalgesellschaftsrecht viel zahlreicher sind, als man gemeinhin annimmt. Das hängt mit der breiten Grundlage der Treupflicht zusammen, deren Verletzung zu eigenen Ansprüchen der Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter führt; und insoweit ist das Klagerecht aus eigenem Recht fraglos, der Umweg über die Prozeßstandschaft überflüssig; das haben Wolfgang Zöllner112 und Thomas Raiser113 schon vor Jahren deutlich gemacht, ohne daß das bislang so recht in das allgemeine Bewußtsein gedrungen wäre. Dadurch ist die Figur der Treupflicht nicht nur in sich leistungsfähig, sondern auch von hoher Durchsetzungskraft. 2. Wertung Zum Abschluß fasse ich weder zusammen noch formuliere ich hier ganz unangebrachte Thesen, sondern ich schließe mit einer Wertung. Achim Mertens114 hat kürzlich der Gesellschaftsrechtswissenschaft einen nun schon 30 Jahre währenden Irrweg attestiert und zur Rückkehr ins Jahr 1968, dem Stande der 13. und letzten Auflage des von Alfred und Götz Hueck besorgten Baumbach’schen Aktienrechtskommentars aufgerufen. Alfred Hueck hat Treupflichten unter den Gesellschaftern einer GmbH und erst recht unter Aktionären stets und auch in der erwähnten 13. Auflage verneint115. Sollten wir also ITT und Kali und Salz, Süssen und Girmes vergessen? Ich meine: ganz gewiß nicht. Nicht um hoher Worte willen, sondern um nüchtern und diesseitig einen gerechten Ausgleich zwischen divergenten und konfligierenden Interessen unter den MitZGR 1988, 392, 437 mit einem allerdings sehr viel schmaleren Konzept der Treupflicht. ZHR 153 (1989), 1 ff. und in: Hachenburg, 8. Aufl., § 14 Rdn. 36 ff. 114 ZGR 1998, 386. 115 Vor § 54 AktG Rdn. 11. 112 113

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gliedern privater Verbände möglich zu machen, wurde die Treupflicht entwickelt. Sie schützt speziell die Minderheit und gibt [185] unseren Gerichten überhaupt erst die Möglichkeit zur Entscheidung in solchen Binnenkonflikten unter Gesellschaftern116. Und sie erlaubt den Gerichten eine sachliche und argumentativ ausgewogene, also befriedigende Entscheidung im Binnenstreit hoch komplexer, gesellschaftlich und wirtschaftlich aber ungemein wichtiger Gebilde, genannt Gesellschaften, an deren Stabilität durch sachgerechten Ausgleich wir alle interessiert sind. Nein, lieber Walter Stimpel, Sie können zufrieden sein, daß Sie und Ihre Kollegen sieben Jahre nach der letzten Auflage des Baumbach/Hueck mit ITT die Fundamente für ein Gebäude gelegt haben, an dem dann 20 Jahre lang gebaut wurde und in das erst kürzlich mit der Entscheidung Girmes der Schlußstein gesetzt worden ist. Zum Abriß besteht wahrlich kein Grund117.

116 Andere Rechtsordnungen wie etwa die Großbritanniens und der Schweiz haben ihre Gerichte durch Gesetz dazu besonders ermächtigt: vgl. s. 459-461 CA 1985 und Art. 736 Ziff. 4 OR sowie dazu Lutter, ZGR 1998, 191, 193 ff., 205. 117 Das gilt auch für den Minderheitenschutz durch Sachkontrolle beim Bezugsrechtsausschluß, wo der BGH kürzlich mit der Abrißbirne gearbeitet hat (Urteil vom 23. 6. 1997, JZ 1998, 47 ff. mit Anm. Lutter), obwohl nur wenig früher Henze (Mitglied des II. Senats) die direkte Linie zwischen Treupflicht und Sachkontrolle aufgezeigt hat (BB 1996, 489, 495 f.).

Der Stimmbote IN: PAWLOWSKI/WIESE/WÜST (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR KONRAD DUDEN,

MÜNCHEN 1977, S. 269-286 Inhaltsübersicht I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Überblick Denkbare Ersetzungsmöglichkeiten Vertretung Bote Delegation Stellvertretung im Amt (Substitution) Ersatzmitglieder Zusammenfassung Die Stimmbotschaft Der Stimmbote Grundsätzliches zur Befugnis des Stimmboten Flexibilität trotz Stimmbotschaft Zum Inhalt der Stimmbotschaft Schriftform Zur Antragsbefugnis des Stimmboten Mängel und ihre Folgen I.

Ob und in welcher Weise verhinderte Aufsichtsratsmitglieder ersetzt werden können, beschäftigt Gesetzgebung, Lehre und Praxis seit über 100 Jahren. Höchst unterschiedlich war jedoch die Aktualität dieser Frage. In Kriegs- und Nachkriegszeiten1 hing oft die Möglichkeit, überhaupt die dringendsten Beschlüsse fassen zu können, von der Möglichkeit zur Ersetzung verhinderter AR-Mitglieder ab. In anderen Zeiten standen die Mitwirkung und Teilhabe des verhinderten an den Beratungen des AR im Vordergrund; denn der Ausfall insbesondere erfahrener AR-Mitglieder erschwert und verschlechtert die Arbeit dieses Gremiums. 1

Vgl. Bondi, LZ 1917 Sp. 1153; Grunau, JW 1930, 3696.

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Der Stimmbote

Nicht zuletzt deshalb wurde in das AktG 1937 eine Regelung eingeführt, die es verhinderten AR-Mitgliedern erlaubte, ihre Rechte durch andere wahrnehmen zu lassen.2 Seit Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes vom 4. Mai 1976 hat die Frage nach der Ersetzung verhinderter AR-Mitglieder neue Aktualität und zugleich eine ganz neue Dimension ge- [270] wonnen. Denn das Gesetz (§ 29 II) gewährleistet das leichte Übergewicht der Anteilseignerseite durch das ZweitStimmrecht des AR-Vorsitzenden nur, wenn – gefördert durch die gerade Zahl von AR-Mitgliedern unter dem MitbestG, § 7 – ein Beschlußgegenstand zunächst einmal mit Stimmengleichheit votiert worden ist. Soll also die Lösung des Gesetzes für die – hoffentlich seltenen – Konfliktsfälle zwischen der Arbeitnehmer- und der Anteilseignerseite überhaupt zum Tragen kommen, so setzt sie die Mitwirkung aller AR-Mitglieder voraus: will man die eher makabre Mitwirkung kranker ARMitglieder ebenso vermeiden wie die Kosten teurer Tickets für gerade im Ausland weilende, so kommt der Ersetzung verhinderter AR-Mitglieder erhebliche Bedeutung zu. II. Denkbare Ersetzungsmöglichkeiten 1. Vertretung Losgelöst vom geltenden Aktienrecht lassen sich eine ganze Reihe von Möglichkeiten entwickeln, um verhinderte AR-Mitglieder in AR-Sitzungen zu ersetzen. Unter ihnen liegt die Vertretung durch ein anderes AR-Mitglied oder einen Dritten besonders nahe. Der Vertreter nimmt anstelle des Verhinderten an den Verhandlungen teil, stellt in dessen Namen und für ihn Sach- und Tagesordnungsanträge und stimmt auch in seinem Namen ab. Doch schon seit der Aktienrechtsnovelle von 1884 steht dem Auftreten eines Vertreters der Grundsatz von der Höchstpersönlichkeit des AR-Amtes entgegen.3 Kein AR-Mitglied darf die Ausübung seines Amtes einem anderen übertragen oder überlassen, denn – so schon die Allgemeine Begründung zum Entwurf der Aktienrechtsnovelle von 18844 – „eine solche Übertragung wäre weder mit der Vertrauensstellung, welche 2

S. 80.

Amtliche Begründung zu § 93 AktG 37, abgedruckt bei Klausing, Aktien-Gesetz, 1937,

3 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, 1973/1974 (im folgenden: Geßler/Hefermehl), § 111, Anm. 84; Mertens, in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 1973/1976 (im folgenden: KK), § 111, Anm. 69; Meyer-Landrut, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 1971 (im folgenden: Großkom.), § 111, Anm. 21; RG LZ 1917 Sp. 1126; a.A. Ritter, Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 1939, § 93 Anm. 4; vgl. auch Staub/ Pinner, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 12./13. Aufl. 1926, § 246, Anm. 11. 4 Abgedruckt im Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen Deutschen Handels- und Wechselrechts – Buschs Archiv – 44. Band (1883), S. 227.

Festschrift für Konrad Duden, München 1977, S. 269-286

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die Mitglieder des AR der Gesellschaft gegenüber einnehmen, noch mit dem Grundsatz zu vereinbaren, daß von der Generalver- [271] sammlung präsumtiv bei der Wahl auf die Person des Gewählten entscheidendes Gewicht gelegt worden ist“. Dieser Grundsatz, daß die AR-Mitglieder höchstpersönlich an der Willensbildung des Kollegialorgans mitzuwirken haben,5 blieb über alle Reformen des Aktienrechts hinweg erhalten: Art. 225 IV ADHGB; § 246 IV HGB; § 95 VI AktG 37; § 111 V AktG 65.6 2. Bote Seit 1884 ist nicht nur der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit festgelegt, sondern zugleich auch sein Umfang: für unzulässig wurde schon die „Vertretung“ bei der Beratung gehalten – und zwar so scharf ausgeprägt, daß das verhinderte AR-Mitglied noch nicht einmal einen anderen mit genauen Instruktionen versehen für sich auftreten lassen konnte.7 Damit war auch der Weg verbaut, durch einen Boten – sei er ein anderes AR-Mitglied oder ein Dritter – dem Kollegium zumindest die Ansicht des Verhinderten zu Gehör zu bringen, geschweige denn, die Stimme einzubringen. Erleichterungen brachte erst das Aktiengesetz 1937: ein abwesendes AR-Mitglied konnte einen Dritten zur Sitzungsteilnahme ermächtigen und durch diesen seine schriftliche Stimmabgabe überreichen lassen (§ 93 III), jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Satzung die Erteilung einer solchen Ermächtigung erlaubte. Ohne eine entsprechende Satzungsklausel konnte ein verhindertes Mitglied seine Stimme nicht abgeben, auch nicht durch ein anderes AR-Mitglied.8 Darüber hinaus galt diese Regelung auch nur für „gewöhnliche“ AR-Mitglieder: Der AR-Vorsitzende und seine Stellvertreter konnten ihre Stimme überhaupt nicht einbringen lassen. AktG 1965 hat diese Form der Stimmabgabe verhinderter AR-Mitglieder erleichtert: Jedes Mitglied (auch der AR-Vorsitzende) kann von der Möglichkeit Gebrauch machen; und unabhängig von der Satzung kann die Erklärung nunmehr auf jeden Fall durch andere AR-Mitglieder überreicht werden (§ 108 III 2 AktG). Zu dieser Hilfe für den Verhinderten sind alle anderen AR-Mitglieder, insbesondere der Vorsitzende, auch verpflichtet.9 [272]

RG LZ 1917 Sp. 11269. Im folgenden sind die mit AktG bezeichneten Paragraphen solche des Aktiengesetzes 1965. 7 Vgl. Allgemeine Begründung (Fn. 4), aaO. 8 Zweifelnd Ritter (Fn. 3), § 93 AktG, Anm. 4. 9 Vgl. Mertens, KK, § 108 AktG, Anm. 23; a.A. Möhring/Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, 1967, Rz. 316. 5 6

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Der Stimmbote

3. Delegation Wenn schon das Auftreten in Ausnutzung fremden Rechts nur unter ganz eng begrenzten Voraussetzungen ausnahmsweise gestattet ist, dann muß das Auftreten aus eigenem, vom verhinderten AR-Mitglied delegierten Recht erst recht unzulässig sein. Deshalb kann der Verhinderte seine Befugnisse auch nicht selbst auf einen anderen im Wege der Delegation übertragen.10 Zwar spricht das Reichsgericht einmal mißverständlich von der stillschweigenden Delegation der Rechte einzelner AR-Mitglieder,11 stellt aber sogleich klar, daß es damit nicht die Übertragung von AR-Rechten meint, sondern den Verzicht auf sie. 4. Stellvertretung im Amt (Substitution) Mit der Ausweitung der schriftlichen Stimmabgabe im Aktiengesetz 1965 hat der Gesetzgeber einen gewissen Ausgleich dafür bieten wollen, daß er zugleich ein anderes, in der Praxis bislang recht geläufiges Instrument der Ersetzung abschaffte: die Substitution12 (§ 101 III 1 AktG). Nach den Regeln des AktG 37 konnte ein Substitut zwar nicht im Namen des Verhinderten, wohl aber aus eigenem Recht an den Sitzungen teilnehmen, seine eigene Stimme abgeben, seine eigene Meinung vortragen und auch für sich selbst Auskünfte, Informationen usw. erbitten. Mit dem Grundsatz höchstpersönlicher Amtsausübung war dies alles vereinbar, weil der Substitut wie ein ordentliches AR-Mitglied von der General- bzw. Hauptversammlung gewählt wurde,13 also selbst AR-Mitglied war, jedoch mit der Besonderheit, daß er nur im Falle der Verhinderung eines ordentlichen ARMitgliedes tätig werden durfte.14 Der Substitut war daher kein privatrechtlicher Vertreter des verhinderten AR-Mitgliedes, sondern ein von diesem in seiner Willensbildung unabhängiger Stellvertreter im Amt.15 [273] Der Stellvertreter im Amt konnte umfassender und flexibler im AR mitwirken als teilnahmeberechtigte Dritte oder Stimmboten mit ihrem eng begrenzten Wirkungsradius.16 Dem verhinderten AR-Mitglied gegenüber konnte er sich zwar 10 Zutreffend Goldschmit, Das Recht des Aufsichtsrats, 1922, S. 313 f. gegen Brand, Handelsgesetzbuch, 1911, § 246, Anm. 6. 11 RGZ 66, 369, 373. 12 Vgl. die Amtliche Begründung zu § 101 AktG, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 139. 13 Siehe statt aller Schlegelberger/Quassowski, Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 86, Anm. 34. 14 Vgl. Baumbach/Hueck, Kommentar zum Aktiengesetz, 11. Aufl. 1961, § 86 Anm. 2 C; Bondi, LZ 1917 Sp. 1154; Goldschmit (Fn. 10), S. 75; Grunau, JW 1920, 3696, 3697. 15 Kohler, NJW 1955, 205. 16 Vgl. vorerst Philipp, DB 1976, 196 f.; H. P. Westermann, ZGR 1977, 235. Dazu sogleich unten II.

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nicht verpflichten, allein dessen Vorstellungen im AR zu verwirklichen, weil auch der Stellvertreter, wenn er im AR tätig wurde, dem Grundsatz höchstpersönlicher und eigenverantwortlicher Amtsausübung unterlag. Das hinderte aber nicht gewisse Erörterungen und Abklärungen zwischen dem Verhinderten und dem Stellvertreter vor der Sitzung. Das Institut des stellvertretenden AR-Mitgliedes warf jedoch das Problem auf, ob Stellvertreter im Amt in die Mitglieder-Höchstzahlen des § 86 AktG 37 einzubeziehen waren.17 Diese und andere Streitfragen haben den Gesetzgeber veranlaßt, im AktG 65 die Bestellung von Stellvertretern zu verbieten18, zumal er glaubte, in der erweiterten Möglichkeit schriftlicher Stimmabgabe ausreichenden Ersatz geschaffen zu haben.19 Sicherlich unterbindet das heutige StellvertreterVerbot nach § 101 III 1 AktG, daß nur sporadisch teilnehmende AR-Mitglieder, die über die Probleme der Gesellschaft und ihres Unternehmens nicht aus kontinuierlicher Mitarbeit im AR informiert sind, punktuellen Einfluß auf die Beratung und Beschlußfassung nehmen. Aber um welchen Preis! 5. Ersatzmitglieder nach § 101 III AktG behandeln nicht das Problem zeitweise verhinderter, sondern endgültig ausgeschiedener („weggefallener“) AR-Mitglieder; sie spielen daher im Rahmen unserer Überlegungen keine Rolle und werden nur zur Vermeidung von Mißverständnissen hier erwähnt. 6. Zusammenfassung Von den vielen Möglichkeiten zur Ersetzung eines verhinderten ARMitgliedes läßt das AktG heute nur den Boten zu.20 Es besteht damit nachdrücklich auf dem überlieferten Grundsatz, daß das Amt eines AR-Mitgliedes [274] alleinverantwortlich (keine Substitution und damit auch keine Aufteilung der Verantwortung) und höchstpersönlich auszuüben ist (§ 111 V AktG). Die notwendig sehr engen Grenzen der Ersetzung verhinderter AR-Mitglieder liegen damit bereits auf der Hand.

Siehe Schilling, BB 1953, 389; Winden, BB 1953, 801. Amtliche Begründung (Fn. 12), aaO. 19 Zustimmend Meyer-Landrut, Großkom., § 101 AktG, Anm. 19. 20 Einen dritten Weg gibt es nicht: Geßler/Hefermehl, § 109 AktG, Anm. 27. 17 18

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III. Die Stimmbotschaft 1. Der Stimmbote a) Nach § 108 III AktG können abwesende AR-Mitglieder schriftliche Stimmabgaben überreichen lassen. Auf den Grund der Abwesenheit kommst es nicht an;21 sie muß auch nicht etwa während der ganzen Dauer der betreffenden AR-Sitzung bestehen; es genügt, wenn sie beim Abstimmungsvorgang selbst vorliegt. Stimmbote des abwesenden AR-Mitgliedes kann ein anderes ARMitglied, aber auch ein laut Satzung zur Teilnahme an der AR-Sitzung berechtigter Dritter (§ 109 III AktG) sein (§ 108 III 2 und 3 AktG), nicht jedoch sonstige teilnahmeberechtigte Dritte wie z. B. Vorstandsmitglieder. b) Abwesende AR-Mitglieder können sich nicht nur an Plenarbeschlüssen des AR durch einen Stimmboten beteiligen, sondern auch an Abstimmungen in AR-Ausschüssen, denen sie angehören. Bote kann dabei ein anderes Ausschußmitglied oder ein nach § 109 III AktG Teilnahmeberechtigter sein. Die Satzung kann für die Teilnahme an Ausschußsitzungen andere – vor allem strengere – Voraussetzungen aufstellen als für die Teilnahme an Sitzungen des Gesamtaufsichtsrats. Ausschußfremde AR-Mitglieder können so lange als Bote im Ausschuß fungieren, wie der AR-Vorsitzende ihre Teilnahme nicht untersagt (§ 109 II AktG). 2. Grundsätzliches zur Befugnis des Stimmboten Bei der übermittelten Botschaft muß es sich um das eigene Votum des abwesenden AR-Mitgliedes handeln und nicht etwa um die Stimmabgabe irgendeines anderen. Das läßt sich mit hinreichend sicherem Anhalt dem Gesetzeswortlaut, vor allem aber der historischen Entwicklung entnehmen: § 108 III AktG ist aus § 93 III AktG 1937 übernommen worden;22 dort hieß es [275] noch eindeutig: sie – die ermächtigten Dritten – können auch Stimmabgaben der – also der ermächtigenden – AR-Mitglieder überreichen. Daran sollte durch das AktG 1965 nichts geändert werden. Dem Grundsatz höchstpersönlicher Amtsausübung23 kann im übrigen auch nur eine strenge Begrenzung der Tätigkeit des Dritten auf die Überreichung der Stimme des verhinderten Aufsichtsrats-Mitglieds gerecht werden; für die Verwirklichung eines eigenen Willens des Dritten läßt dieser Grundsatz kei-

Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 42. Geßler/Hefermehl, § 109 AktG, Anm. 1. 23 Siehe oben I 1. 21 22

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nen Raum. Hinsichtlich der Stimmabgabe sind deshalb sowohl der ermächtigte Dritte als auch jedes andere AR-Mitglied ausschließlich Bote des Verhinderten.24 3. Flexibilität trotz Stimmbotschaft Sollte ein verhindertes AR-Mitglied gezwungen sein, noch vor der ARSitzung sein Votum niederzulegen und dem Stimmboten zu übergeben, so müßte es sich für oder gegen einen bestimmten Beschlußgegenstand entscheiden, ohne die über diesen Gegenstand geführte Debatte mit ihren gegensätzlichen Argumenten zu kennen.25 In der Konsequenz müßte dann das verhinderte ARMitglied auf der Grundlage eines nur unzureichenden Informationsstandes votieren, es sei denn, die Beschlußgegenstände wären vor der eigentlichen AR-Sitzung mit dem Verhinderten vorberaten worden. Beide Wege sind mißlich. Sie stehen einer offenen, vertrauensvollen Aussprache aller AR-Mitglieder zur gegenseitigen Meinungsbildung26 entgegen, führen zu Stimmblöcken und fördern den Schlagabtausch mit Argumenten, die die Meinung anderer AR-Mitglieder weder beeinflussen können noch sollen.27 Dieses Ergebnis läßt sich nur dadurch vermeiden, daß eine Verzahnung zwischen der schriftlichen Stimmabgabe und der Beratung innerhalb der AR-Sitzung ermöglicht wird. Dazu bieten sich mehrere Wege an, deren Zulässigkeit unter zwei streng voneinander zu trennenden Aspekten zu würdigen ist: zum einen ist zu prüfen, ob die eigene Stimme des verhinderten ARMitgliedes abgegeben wird (dazu unter 4), zum anderen, ob das Erfordernis der Schriftform gewahrt ist (dazu unter 5). [276] 4. Zum Inhalt der Stimmbotschaft a) Wirksam kann nur die eigene Stimme des Verhinderten eingebracht werden. Daher sind alle Stimmabgaben unzulässig, die zwar der Form nach vom Verhinderten stammen, nach ihrem wahren Inhalt jedoch vom Stimmboten. Deshalb kann das verhinderte AR-Mitglied weder den Boten ermächtigen, ein Blankett mit seiner – des Verhinderten – Blankounterschrift nach eigenem Gutdünken zu

24 Ganz h.M. Vgl. statt aller Mertens, KK, § 108 AktG Anm. 23 und Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 49; a.A. nur Ritter (Fn. 3), § 93 AktG, Anm. 4. 25 Siehe H. P. Westermann, ZGR 1977, 235. 26 BGHZ 64, 325, 332. 27 Zum Problem der Vorberatung siehe Lutter, Mitbestimmung im Konzern, 1975, S. 37 f.

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vervollständigen,28 noch ihm zwei gegensätzliche schriftliche Stimmerklärungen aushändigen und es ihm überlassen, welche er überreicht.29 b) Trotz dieser klaren Schranken sind Formen einer sachgerechten Verbindung zwischen Aufsichtsratsberatung und Stimmabgabe möglich. So kann der Stimmbote den Verhinderten vor der Beschlußfassung fernmündlich oder in ähnlicher Weise über Gang und Ergebnis der Beratungen informieren und dann die Anweisung entgegennehmen, welche der vorgefertigten, dem Stimmboten ausgehändigten Stimmerklärung – Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung – er überreichen oder wie er eine Blankoerklärung des Verhinderten vervollständigen soll. Daß die auftragsgemäß überreichte Stimmerklärung in diesen Fällen das Votum des Verhinderten enthält, kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen; Bedenken gegen die Wirksamkeit der Stimmabgabe rühren ausschließlich aus dem Schriftformerfordernis des § 108 III AktG her (dazu unter 5). Zwar mag der Bericht des Stimmboten die Beratung einmal nicht so wiedergeben, wie sie wirklich verlaufen ist. Diese Gefahr schlägt aber nicht besonders stark neben der Alternative zu Buch, daß das verhinderte AR-Mitglied andernfalls ohne Kenntnis der Beratung sein Votum aufs Geratewohl abgeben müßte. c) Kann der Verhinderte dem Stimmboten nach der Beratung keine bestimmte Weisung mehr erteilen, so ist zu fragen, ob der Verhinderte dem Boten vorgefertigte gegensätzliche Stimmerklärungen übergeben und den Einsatz der jeweiligen Erklärung vom Eintritt bestimmter Umstände abhängig machen kann. Der Bote solle – so könnte etwa die Anweisung lauten – zu einem bestimmten Beschlußgegenstand das positive Votum überreichen, wenn auch ein bestimmter vorangegangener Gegenstand positiv votiert worden sei; andernfalls solle er die negative Stimmerklärung abgeben. [277] aa) Dem steht nichts entgegen. Denn solche bedingten Anweisungen enthalten eine eigene Stimmabgabe (nur) des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds. Das gilt allerdings nur, solange es sich um objektive Bedingungen handelt, die dem Boten keinen eigenen Entscheidungsspielraum lassen; bleibt dem Boten dagegen ein Beurteilungsspielraum – etwa ob die Bedingung überhaupt eingetreten ist –, so gibt der Bote seine Stimme, nicht die des Verhinderten ab. Für die Wirksamkeit der Stimmerklärung kommt es deshalb darauf an, die Bedingung so zu fassen, daß dem Boten keinerlei Beurteilungsspielraum bleibt. bb) Besondere Probleme entstehen bei einer Weisung, der Bote solle stets oder bei bestimmten Beschlußgegenständen in gleicher Weise wie ein bestimmtes anderes AR-Mitglied – etwa der Vorsitzende – oder wie ein anderer Stimmbote 28 Baumbach/Hueck, 13. Aufl. 1968, § 108 AktG, Anm. 12; Mertens, KK, § 108 AktG, Anm. 23; Meyer-Landrut, Großkom., § 108 AktG, Anm. 15; H. P. Westermann, ZGR 1977, 235; a.A. Ritter (Fn. 3), § 93 AktG, Anm. 4. 29 Godin/Wilhelmi, Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 1976, § 108, Anm. 8; Mertens, KK, § 108 AktG, Anm. 23; a.A. Ritter (Fn. 3), § 93 AktG, Anm. 4.

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abstimmen. Hier bleibt dem Boten kein Beurteilungsspielraum; er gibt also keine eigene Stimmerklärung ab. Er überreicht aber auch nicht die des Verhinderten, sondern verschafft dem anderen AR-Mitglied oder gar dem Dritten die Stimme des Verhinderten. Dies Ergebnis wird ganz deutlich, wenn der Stimmbote ein anderes AR-Mitglied ist und der Verhinderte ihn anweist, diejenige vorgefertigte Stimmerklärung zu überreichen, die seinem eigenen – des Stimmboten – Votum entspricht. In diesem Fall hat der Verhinderte der Form nach zwar eine unzweideutige Anweisung erteilt, dem Inhalt nach jedoch dem anderen AR-Mitglied unter Verstoß gegen den Grundsatz höchstpersönlicher Amtsausübung seine Stimme zur Verfügung gestellt. Das aber ist unzulässig. Weisungen dieser Art können daher nicht wirksam erteilt werden. Dem läßt sich nicht entgegenhalten: wenn niemand ein wenig verantwortungsvoll 0handelndes AR-Mitglied daran hindern könne, in der Sitzung dem Votum eines anderen AR-Mitgliedes blind zu folgen, dann müsse es dies auch vor der Sitzung können. Denn ein faktisch törichtes Verhalten kann das Recht nicht unterbinden; es kann sich aber seiner Legalisierung versagen. Eine Zweitstimme hat nach geltendem Recht nur ein ARMitglied: der AR-Vorsitzende in mitbestimmten Unternehmen nach §§ 29 II, 31 IV MitbestG. cc) Fraglich ist, ob gleiches gilt, wenn der Stimmbote die Anordnung erhält, die Stimme des Verhinderten der AR-Mehrheit oder der Mehrheit einer bestimmten Gruppe zuzuschlagen. Hier überträgt der Verhinderte zwar nicht de facto seine Stimme – es sei denn, man betrachte sie als der betreffenden Gruppe oder Mehrheit „gemeinsam“ überlassen – er trifft aber auf jeden Fall keine eigene Sachentscheidung. Dem steht einerseits das Gebot der persönlichen Amtsausübung entgegen – im Widerspruch zu der ihm eingeräumten Vertrauensstellung und den Erwartungen, die das Auswahlgremium, sei es die Hauptversammlung oder seien es die Arbeitnehmer, an gerade seine Bestellung [278] knüpfen durfte.30 Andererseits aber sollte man nicht ganz übersehen, dass im Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes für den AR jetzt das Repräsentativ- und Gruppenprinzip gilt; in Weisungen der soeben geschilderten Art könnten diese Aspekte gerade ihre Ausprägung und ihren Schutz erfahren. Dennoch muß es letztlich beim Grundsatz der Höchstpersönlichkeit und deshalb der Unzulässigkeit solcher Weisungen verbleiben. Denn das Mitbestimmungsgesetz läßt nicht erkennen, daß es die Anwendung der allgemeinen Regeln des Aktienrechts über die ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ändern wollte. dd) Vom „Anhängen“ des Stimmboten an die jeweilige Gruppen- oder ARMehrheit ist jedoch die Weisung zu unterscheiden, der Bote solle eine ganz bestimmte – positive oder negative – Stimmerklärung überreichen, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß auch eine bestimmte Mehrheit in derselben Weise votiert; 30

Vgl. Allgemeine Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884 (Fn. 4), S. 227.

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andernfalls solle der Bote die Stimmerklärung zurückhalten. In diesem Fall hat der Verhinderte eine bestimmte eigene Entscheidung gefällt, sich aber vorbehalten, seine Entscheidung solle nur innerhalb einer bestimmten Mehrheit zum Tragen kommen. Der Vorbehalt nimmt der Stimmabgabe des verhinderten AR-Mitglieds nicht den Charakter einer eigenen Entscheidung, weil er seine Stimme nicht jeder Mehrheit zuschlägt, sondern nur einer bestimmten, von ihm selbst vorab festgelegten. d) Für die Zweitstimme des AR-Vorsitzenden nach den §§ 29 II, 31 IV MitbestG gelten die gleichen Regeln. Dem Gesetzgeber waren die vielen Fragen und praktischen Probleme in diesem Zusammenhang durchaus bekannt; er hat es betont bei der Lösung des Aktiengesetzes belassen.31 Dennoch sind einige Besonderheiten hervorzuheben. aa) Der AR-Vorsitzende votiert im entsprechenden Abstimmungsvorgang nicht etwa automatisch mit zwei Stimmen, sondern muß deren Einsatz deutlich machen.32 Dasselbe gilt auch für seine Stimmbotschaft. Daher enthält die [279] entsprechende Botschaft nicht etwa automatisch auch die Übermittlung seiner Zweitstimme; Klarstellung ist hier erforderlich.33 Auch ist der AR-Vorsitzende berechtigt, für die Übermittlung der Zweitstimme besondere Weisungen zu erteilen. Sie dürfen zur Ausübung der Erststimme bei gleichzeitiger Nicht-Ausübung der zweiten Stimme führen.34 Der AR-Vorsitzende kann auf diese Weise dafür Sorge tragen, daß seine zweite Stimme nur unter engeren Voraussetzungen als seine Erststimme zum Einsatz kommt, die erste Stimme also etwa regelmäßig, die zweite nur unter engen (objektiven) Voraussetzungen zum Tragen kommt. bb) Damit aber ist noch nicht entschieden, ob der AR-Vorsitzende auch zwei verschiedene Boten mit der Übermittlung seiner beiden Stimmen betrauen kann. Wie § 29 II MitbestG betont klarstellt, handelt es sich um zwei verschiedene Stimmerklärungen; denn die zweite Stimme des AR-Vorsitzenden kann nur abgegeben werden, wenn zuvor wiederum Stimmengleichheit das Ergebnis der Abstimmung war. Daher steht nichts entgegen, die zweite und völlig selbständige 31 So hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt, statt des Stimmboten die Möglichkeit einzuführen, daß jedes AR-Mitglied seine Stimme auf ein anderes AR-Mitglied übertragen könne, und vorzusehen, daß bei Abwesenheit des AR-Vorsitzenden dessen Zweitstimme von Gesetzes wegen der Mehrheit der AR-Mitglieder der Anteilseigner zufallen solle; siehe Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 7/4845, S. 8 f. 32 Das ergibt sich aus dem im Gesetz (§ 29 II MitbestG) festgelegten Prozedere, wonach die Zweitstimme erst zum Einsatz kommen kann, wenn auch im zweiten Abstimmungsgang Stimmengleichheit festgestellt wurde. Vgl. dazu Fitting/Wlotzke/Wißmann, Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz, 1976, § 29, Anm. 13; vgl. noch Luther, ZGR 1977, 310. 33 Aus den gleichen Gründen sollte daher die Übermittlung jeder (Erst-)Stimme auch den Hinweis enthalten, daß das gleiche Stimmvotum für eine weitere Abstimmung über den gleichen Gegenstand nach den Regeln des Mitbestimmungsgesetzes gilt, § 29 II MitbestG. 34 A.A. Luther, ZGR 1977, 310.1

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Stimme des AR-Vorsitzenden einem besonderen Boten anzuvertrauen.35 Der ARVorsitzende kann auf diese Weise für seine Erststimme einen Vertrauten, für die Zweitstimme ein anderes AR-Mitglied zum Boten bestellen. Das darf zwar diesen Personen keinen Einfluß auf die Ausübung der Stimme geben,36 läßt dem ARVorsitzenden aber die Möglichkeit, auf unterschiedliche Informationen und Erfahrungen bei seiner Entscheidung über die entgültige Ausübung der Stimmen zurückgreifen zu können. 5. Schriftform Nach § 108 III AktG ist die Stimmerklärung schriftlich abzugeben, d. h. es ist eine Erklärung zu überreichen, die Beschlußgegenstand und Votum enthält [280] sowie vom verhinderten AR-Mitglied eigenhändig unterschrieben ist.37 Dieses Formerfordernis steht neben dem soeben behandelten Gebot der persönlichen Entscheidung des abwesenden AR-Mitgliedes, stellt selbständige Anforderungen und darf mit den materiellen Erfordernissen der Erklärung nicht verwechselt werden. a) Von großer praktischer Bedeutung ist die Frage, ob die Schriftform bei der Überreichung von Telegrammen, Fernschreiben und Fernkopien erfüllt ist. Das wird von der h. M. abgelehnt.38 Sie kann sich dabei zunächst auf die allgemeinen Regeln über die Erfordernisse der Schriftform (§ 126 BGB) ebenso berufen wie auf den unterschiedlichen Wortlaut der Absätze 3 und 4 des § 108 AktG. Dennoch kann sie letztlich nicht überzeugen. Der textliche Unterschied zwischen den genannten Absätzen 3 und 4 des § 108 AktG lässt sich auf eine Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahre 1938 zurückführen.39 Sie erging zu einer Frage, die heute in Absatz 4 des § 108 AktG und damals in § 92 III AktG 1937 ihren Schwerpunkt hatte. Das Kammergericht akzeptierte das Telegramm als ausreichende Form und der Gesetzgeber des AktG 1965 übernahm die Entscheidung in den Text des § 108 IV AktG, offenbar ohne in diesem Zusammenhang weitere

35 Ob der AR-Vorsitzende nur einheitlich abstimmen kann, also seine Zweitstimme wie seine Erststimme abgeben muß (so Luther, ZGR 1977, 310), mag dahinstehen (für die Stimmabgabe des Aktionärs vgl. Zöllner, KK, § 133 AktG, Anm. 49 ff. mit weiteren Nachw.). Jedenfalls fördert die Überlassung der beiden Stimmen an zwei verschiedene Boten nicht die Gefahr einer etwa unzulässigen gegensätzlichen Stimmabgabe, da die Stimmerklärungen offen und schriftlich überreicht werden. 36 Siehe oben II 2. 37 Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 49; Mertens, KK, § 108 AktG, Anm. 23; MeyerLandrut, Großkom., § 108 AktG, Anm. 15; Möhring/Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, Rz. 316. 38 Vgl. Mertens, KK, § 108 AktG, Anm. 23; a.A. Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 43. 39 KG JW 1938, 1824.

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Überlegungen für Abs. 3 anzustellen. Daher kann die Entscheidung eher für als gegen eine entsprechende Anwendung auf den Absatz 3 herangezogen werden. Im übrigen sind Telegramme und Fernschreiben in vielen Fällen als unter § 126 BGB fallend akzeptiert worden. Das gilt insbesondere für die Einlegung von Rechtsmitteln:40 die kurzen Fristen und die Bedeutung des Vorganges (Verlust des Rechtsmittels) standen als Begründung im Vordergrund. Gerade das aber gilt auch hier. AR-Entscheidungen sind von großem Gewicht für die betreffende Gesellschaft. Und die Fristen zwischen der Einberufung des AR incl. Übersendung der Tagesordnung und der Sitzung selbst sind selten länger als die Rechtsmittelfristen. Zu erörtern ist daher, ob spezifische Funktionen der Schriftform bei der Stimmabgabe durch Boten eine Anlehnung an diese Entwicklung verbieten. Die Schriftform dient hier nicht dem Schutz des Auftraggebers sondern der [281] Beweissicherung: man soll feststellen können, wie das verhinderte AR-Mitglied abgestimmt hat. Eine zweite Funktion folgt aus den Besonderheiten kollegialer Willensbildung: es soll sichergestellt werden, daß das Votum, das der Bote überreicht, auch wirklich vom verhinderten AR-Mitglied stammt. Denn anders als etwa bei der Abgabe eines Vertragsangebotes treffen die Rechtswirkungen der Stimmabgabe nicht das AR-Mitglied, sondern sind ein Beitrag zur Ausformung des einheitlichen Organwillens. Deshalb trifft das Schriftformerfordernis gewisse Vorkehrungen dagegen, daß jemand ohne jede Möglichkeit der Nachprüfung behaupten kann, er stimme als Bote für ein verhindertes AR-Mitglied ab. Die Authentizitätsfunktion der Schriftform wird bezüglich des Inhalts der Erklärung durch Telegramm etc. voll erfüllt. Offen ist daher die Frage, ob die Urheberschaft ausreichend gesichert ist. Da Fälschungen und Verfälschungen bei Telegrammen o. ä. möglich sind, spitzt sich die Entscheidung auf die weitere Frage zu, ob die Urheberschaft des abwesenden AR-Mitgliedes durch die Schriftform des § 108 III AktG mit quasi-absoluter Sicherheit oder mit nur hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit gewährleistet werden soll. Die Frage läßt sich ohne einen Blick auf die Rechtsfolgen einer falschen Urheberschaft nur schwer beantworten: Denn je stärker der nachträgliche Schutz vor den Wirkungen solcher Fälschungen ist, desto eher ist es auch vertretbar, bei der Interpretation des Schriftformerfordernisses ein kleines Risiko im vorsorgenden Bereich einzugehen. Hat also eine solche Fälschung stattgefunden, so ist der betreffende Beschluß wirksam mit dem entsprechenden Inhalt zustande gekommen, ihm kann jedoch nach Aufdeckung des Mangels von jedem AR-Mitglied und dem Vorstand widersprochen werden, wenn die zu Unrecht gewertete Stimme entscheidend war (vgl. unten 7). Damit ist in ausreichendem Maße sichergestellt, daß Mängel der Urheberschaft dort, wo sie 40 Siehe Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl. 1972, § 207, Anm. IV 2; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 9. Aufl. 1977, § 129, Anm. 2c.

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entscheidend waren, von jedem Betroffenen einfach und rasch beseitigt werden können.41 Daher kann der in anderen Teilen der Rechtsordnung entwickelte Gedanke einer Gleichstellung von Telegrammen, Fernschreiben und Fernkopien mit der Schriftform des § 126 BGB auch für die Schriftform des § 108 III AktG übernommen werden.42 b) Darüber hinaus wird auch gelehrt, ein vom Boten oder von dritter Seite ausgefülltes Blankett widerspreche ebenfalls der Schriftform.43 Auch dieser [282] Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zunächst einmal ist in anderen Bereichen der Rechtsordnung anerkannt, daß es auf die Frage der zeitlichen Reihenfolge von Niederlegung des Textes und Unterzeichnung nicht ankommt, sog. Blankette also die Schriftform nicht verletzten.44 Insofern liegt die Annahme nahe, daß die gegenteilige Auffassung die Fragen der materiellen Urheberschaft der Erklärung45 mit denen der Schriftform in unzulässiger Weise vermischt. Im übrigen wird die Urheberschaft der Erklärung hier durch die Unterschrift deutlich: Das „wer“ steht im Rahmen der §§ 126 BGB, 108 III AktG hier außer Frage. Zweifel können sich daher nur hinsichtlich der Urheberschaft im Inhalt der Erklärung ergeben. Damit stellt sich auch hier die Frage, ob § 108 III AktG – insoweit ggf. über § 126 BGB hinausgehend – die Urheberschaft des Inhalts der Erklärung vom abwesenden AR-Mitglied mit absoluter oder nur mit hoher Wahrscheinlichkeit gewährleisten will. Das letztere ist mit den gleichen Gründen wie zu a) dargelegt auch hier anzunehmen mit der Folge, daß kein Grund besteht, Blankette im Rahmen des § 108 III AktG anders zu behandeln als sonst im Rahmen der Schriftform auch: Sie sind erlaubt, ihre nachträgliche Ausfüllung durch Dritte widerspricht der Schriftform nicht. Im Rahmen dieser Fragen kann es also sein, daß die überreichte Stimmerklärung zwar formgültig, dennoch aber materiell unwirksam ist, da ihr Inhalt nicht vom abwesenden AR-Mitglied selbst ausgeht, d. h. tatsächlich und trotz Formgültigkeit nicht dessen eigene, sondern eine fremde Entscheidung enthält.46 6. Zur Antragsbefugnis des Stimmboten Dem Stimmboten wird außer dem Recht zur Überreichung der Stimme auch das Recht zugesprochen, in der AR-Sitzung das Wort zu ergreifen, insbesondere 41 Diese Sicherheit kann durch bestimmte, in der Geschäftsordnung vorgeschriebene Kontrollmaßnahmen (dazu näher unter 7b bb) noch verstärkt werden. 42 In dieser Richtung auch H. P. Westermann, ZGR 1977, 235, Fn 59. 43 In diesem Sinne möglicherweise Baumbach/Hueck, § 108 AktG, Anm. 12 a.E. 44 RGZ 78, 26, 29; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, 2. Aufl. 1975, S. 253; vgl. noch BGHZ 40, 66, 68. 45 Siehe dazu oben unter II 5a. 46 Siehe oben II 4a.

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um die Stimmabgabe des verhinderten AR-Mitgliedes zu begründen.47 Das ist grundsätzlich richtig, folgt jedoch nicht aus seiner Stellung als Bote, sondern aus seinem Teilnahmerecht,48 sei es als AR-Mitglied, sei es als nach [283] § 109 III AktG zur Teilnahme ermächtigter Dritter. Die Stimmbotschaft wirkt sich nur insofern aus, als der Teilnahmeberechtigte, wenn er entsprechend beauftragt ist, auch Erklärungen zur Stimmabgabe vortragen kann. Will das verhinderte AR-Mitglied dagegen einen Sachantrag stellen lassen, so genügt es nicht, den Boten mit dem bloßen Teilnahmerecht auszustatten. Der Antrag muß zugleich mit einer Stimmerklärung für den beantragten Beschluß verbunden sein. Anträge können also nur durch Stimmboten gestellt werden.49 Ebenso wie die Stimmerklärung muß auch der Antrag schriftlich übergeben werden. 7. Mängel und ihre Folgen Mängel der durch einen Stimmboten überreichten Stimmerklärung – sei es hinsichtlich der Urheberschaft oder der Schriftform – können sich doppelt auswirken: zum einen auf die Stimmabgabe selbst und zum anderen darüber hinaus auf den Beschluß des AR. Beide Auswirkungen sind streng voneinander zu trennen; denn nicht jede unwirksame Stimmabgabe führt zur Unwirksamkeit des ARBeschlusses. a) Mangelhafte Voten aa) Füllt der Bote ein Blankett – versehentlich oder absichtlich – weisungswidrig falsch aus, so übergibt er nicht die Stimmerklärung des abwesenden ARMitglieds sondern seine eigene und damit die eines Nichtberechtigten. Diese Stimmabgabe ist unwirksam, die Stimme zählt bei der Beschlußfassung nicht mit – und zwar auch dann nicht, wenn ein anderes AR-Mitglied als Bote auftritt. Dies steht zwar im Gegensatz zum allgemeinen Grundsatz: wer ein Blankett mit seiner Unterschrift aus der Hand gibt, muß auch den abredewidrig von einem anderen eingesetzten Inhalt der Urkunde als eigene Erklärung gelten lassen.50 Dieser Satz läßt sich jedoch nicht auf die Stimmerklärung eines abwesenden AR-Mitgliedes übertragen. Denn bei der Stimmabgabe im AR geht es nicht darum, im Interesse 47 Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 50; Meyer-Landrut, Großkom., § 108 AktG, Anm. 15; wohl auch Mertens, KK, § 108 AktG, Anm. 23. 48 Grundsätzlich zutreffend Möhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung, 2. Aufl. 1966, S. 148; nur erhält ein teilnahmeberechtigter Dritter nicht die Stellung eines vollberechtigten AR-Mitgliedes. 49 Im Ergebnis so auch Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 50. 50 BGHZ 40, 65, 68; 40, 297, 304; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1960, § 155 I 2 c, S. 962.

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des Vertrauensschutzes im Rechtsverkehr jemand an dem Schein festzuhalten, den er mit der Aushändigung des Blanketts mitverursacht hat, sondern ausschließlich darum, daß zur Beschluß- [284] fassung des AR nur diejenigen beitragen dürfen, die als Organmitglieder dazu berufen sind. Darüber hinaus verbietet es der Grundsatz höchstpersönlicher Amtsausübung (§ 111 V AktG), dem abwesenden AR-Mitglied eine Stimmerklärung als eigene zuzurechnen, die nicht von seinem Entscheidungswillen getragen ist.51 Auf diese Überlegungen ist auch zurückzugreifen, wenn der Stimmbote aus den vorgefertigten gegensätzlichen Stimmerklärungen die falsche herausgreift und übergibt – sei es, weil er sich weisungswidrig verhält, sei es, weil er sich über den Eintritt einer Bedingung irrt. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen werden dem Geschäftsherrn nur die Willenserklärungen nicht zugerechnet, die der Bote mit Vorbedacht falsch übermittelt.52 In allen übrigen Fällen jedoch bleibt dem Geschäftsherrn nur die Möglichkeit, die ihm zugerechnete Erklärung anzufechten. Auch diese am Verkehrsschutz entwickelte und ausgerichtete Regel kann hier nicht überzeugen. Für falsch übermittelte Stimmerklärungen im AR muß vielmehr dem Grundsatz der höchstpersönlichen Amtsausübung Vorrang zukommen. Daher liegt in der Übergabe einer falsch ausgewählten – auch einer versehentlich falsch ausgewählten – Abstimmungsurkunde keine wirksame Stimmerklärung des abwesenden AR-Mitgliedes. bb) Informiert der Bote den Abwesenden unzutreffend über die ARVerhandlungen und gibt dieser daraufhin eine Abstimmungsanweisung, die er in Kenntnis der wahren Umstände nicht gegeben hätte, so ist die Stimmerklärung trotzdem wirksam. Denn auch wenn das AR-Mitglied an der Sitzung teilgenommen und sich ein falsches Bild verschafft hätte, wäre dies ohne Einfluß auf die Wirksamkeit der Stimmabgabe geblieben. Ihre Anfechtung53 scheidet aus, da sich das abwesende AR-Mitglied nur über den Beweggrund seiner Stimmabgabe geirrt hat. Erhebliche Probleme wirft dagegen eine arglistige Täuschung durch den Boten auf. Beauftragt der Abwesende als Boten eine nach § 109 III AktG teilnahmeberechtigte Person, so täuscht dieser als Dritter im Sinne des § 123 II BGB; die Anfechtung ist ausgeschlossen. Täuscht dagegen ein anderes AR-Mitglied als Bote, so entstehen Probleme, die auf die Grundfragen kollektiver [285] Willens-

Im Ergebnis so auch Meilicke, Festschrift für Walter Schmidt, 1959, S. 85. RG HRR 1940, Nr. 1278; Staudinger/Coing, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl. 1957, § 120 BGB, Anm. 5; a.A. Marburger, AcP 173, 137, 144 ff. 53 Eine Anfechtung ist grundsätzlich möglich; vgl. Soergel/Schultze-von Lasaulx, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Aufl. 1969, § 709 BGB, Anm. 37; Staudinger/Keßler, § 709 BGB, Anm. 26 f. 51 52

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Der Stimmbote

bildung54 zurückführen: Ist das andere AR-Mitglied Dritter im Sinne des § 123 II BGB55 oder eröffnet seine Täuschung die Anfechtung? Sollte er Dritter sein, auf wessen Kennen oder Kennenmüssen kommt es dann an? Auf das aller übrigen AR-Mitglieder, das der AR-Mehrheit oder das des Sitzungsleiters?56 Im Hinblick auf die gesetzliche Vorstellung vom vertrauensvollen und persönlichen Zusammenwirken im AR sollte jedes AR-Mitglied als (auch) Erklärungsempfänger angesehen werden; folgt man dieser Erwägung, so ist Anfechtung bei arglistiger Täuschung durch ein anderes AR-Mitglied möglich; sie erfolgt mit der Wirkung aus § 142 BGB gegenüber dem AR-Vorsitzenden. cc) Erfüllt die Stimmerklärung nicht die Schriftform, so ist sie nichtig (§§ 125 f. BGB). Zur Nichtigkeit führt jeder Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Schriftform, auch ein Verstoß gegen Formvorschriften außerhalb des BGB.57 b) Unwirksamkeit des AR-Beschlusses als Folge der unwirksamen Botenerklärung aa) Aus der Unwirksamkeit der einzelnen Stimmerklärung folgt keineswegs automatisch die Unwirksamkeit auch des ganzen AR-Beschlusses. Diese Unwirksamkeit tritt nur unter zwei Voraussetzungen ein: - Zum einen, wenn der AR ohne die Mitwirkung des abwesenden AR-Mitgliedes mittels eines Boten beschlußunfähig gewesen wäre. Denn der durch Boten Mitwirkende nimmt an der Beschlußfassung teil und ist daher auch bei Fragen der Beschlußfähigkeit (§§ 108 AktG, 28 MitbestG) als Teilnehmer zu rechnen.58 Bei wirksamer Anfechtung der durch einen Boten übergebenen Stimmerklärung ist Beschlußunfähigkeit allerdings nur dann anzunehmen, wenn das abwesende AR-Mitglied ohne die Täuschung überhaupt kein Votum hätte abgeben wollen. [286] - Zum anderen dann, wenn die Abstimmung ohne die Stimme des abwesenden AR-Mitgliedes eine andere Entscheidung des AR ergeben hätte.59 Darauf, ob andere AR-Mitglieder im Vertrauen auf die Gültigkeit der Stimmerklärung des abwesenden ARMitglieds votiert haben, kommt es angesichts der eigenverantwortlichen Stellung jedes einzelnen AR-Mitglieds nicht an.60 54 Dazu Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 136 ff. 55 Bejahend Bartholomeyczik, AcP 144, 287, 320. 56 Vgl. dazu Bartholomeyczik, AcP 144, 287, 320 ff. mit weiteren Nachw. 57 RGZ 74, 69, 70 f.; Soergel/Hefermehl, § 125 BGB, Anm. 1. 58 Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 44. 59 BGHZ 12, 327, 331 und 47, 341, 346; vgl. weiter Meilicke (Fn. 51), S. 90; Mertens, KK, § 108 Anm. 65 mit umfangr. Nachw. 60 Vgl. Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 76; a.A. Meilicke (Fn. 51), S. 90 f.

Festschrift für Konrad Duden, München 1977, S. 269-286

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bb) Die Unwirksamkeit eines AR-Beschlusses kann gerichtlich und außergerichtlich geltend gemacht werden. Ein besonderes Verfahren ist nicht vorgesehen. Die Funktionsfähigkeit des Unternehmens erfordert jedoch, dass der Widerspruch nach dem Grundgedanken des § 121 I BGB unverzüglich erhoben wird, sobald der Beschlußmangel bekannt wird. Einem abwesenden AR-Mitglied obliegt es, sich unverzüglich, spätestens bei Gelegenheit der nächsten AR-Sitzung – und zwar ggf. noch vor Zugang des Sitzungsprotokolls – über die Stimmabgabe des Boten zu informieren und ggf. Widerspruch beim AR-Vorsitzenden einzulegen.61 Im übrigen ist nach einer gewissen Zeit jedermann ausgeschlossen, sich auf die Unwirksamkeit zu berufen. Zwar sieht das Aktiengesetz für unwirksame ARBeschlüsse keine Heilung vor, läßt aber selbst Hauptversammlungsbeschlüsse, die empfindliche Rechtsverstöße enthalten, nach einer gewissen Zeit im Interesse der Rechtssicherheit und der Funktionsfähigkeit des Unternehmens unangreifbar werden (§§ 242, 246 I AktG). Diese Gedanken zur Wirksamkeit von Organentscheidungen sind auch hier anzuwenden. Das hat zur Folge, daß auch bei ARBeschlüssen die Geltendmachung der Unwirksamkeit nach 6 Monaten, in schweren Fällen (§ 242 II 1 AktG entsprechend) ausnahmsweise nach längstens drei Jahren ausgeschlossen ist:62 Der Beschluß ist dann als wirksam zustande gekommen anzusehen. cc) Die Unwirksamkeit des betreffenden AR-Beschlusses kann in jedem Verfahren incident festgestellt werden. Darüber hinaus sind jedes AR-Mitglied und der Vorstand der Gesellschaft berechtigt, auf Feststellung der Unwirksamkeit zu klagen. Entsprechend § 246 III AktG ist zuständig dafür das Landgericht am Sitz der Gesellschaft.

Vgl. Mertens, KK, § 108 Anm. 72 ff., 81. Im Ergebnis ähnlich Geßler/Hefermehl, § 108 AktG, Anm. 73; zurückhaltender MeyerLandrut, Großkom., § 108 AktG, Anm. 8. 61 62

Theorie der Mitgliedschaft* – Prolegomena zu einem Allgemeinen Teil des Korporationsrechts –

ACP 180 (1980), S. 84-159 Übersicht:** Einleitung .........................................................................................................................85 I. Übersicht – Mitgliedschaft und Verband ........................................................86 II. Rechtsdogmatische Einordnung der Mitgliedschaft......................................97 III. Allgemeine mitgliedschaftliche Pflichten ..................................................... 102 A. Die mitgliedschaftliche Förderpflicht .................................................... 102 B. Aktive Förderpflichten ............................................................................. 109 C. Passive Förderpflichten: Unterlassungs- und Loyalitätspflichten ...... 110 D. Die Rechtsfolgen verletzter Förderpflichten ........................................ 117 E. Rücksichtspflichten gegenüber einzelnen Mitgliedern in Bezug auf ihre mitgliedschaftlichen Interessen ................................................ 120 F. Rücksicht gegenüber privaten Interessen von Mitgliedern ................. 129 G. Zusammenfassung .................................................................................... 130 IV. Schutz der Mitgliedschaft ............................................................................... 130 A. Außenverhältnis ........................................................................................ 131 B. Innenbereich.............................................................................................. 131 1. Innenstreit um Existenz und Ausmaß der Mitgliedschaft ............ 131 2. Innenstreit um mittelbare Eingriffe in die Mitgliedschaft............. 132 3. Actio pro socio und actio pro societate........................................... 132 4. Überprüfung organschaftlicher Handlungsbefugnisse .................. 138 5. Zusammenfassung.............................................................................. 144 V. Grenzen der Mitgliedschaft ........................................................................... 145 A. Mitgliedschaft und private Zwangsgemeinschaften ............................. 145 B. Mindestinhalt von Mitgliedschaft ........................................................... 147 * Erweiterter und um Anmerkungen ergänzter Text des Vortrages, den Verf. auf der Tagung der Zivilrechtslehrer am 18. September 1979 in Bern gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibehalten. ** Anm. d. Hrsg.: Die Übersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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Theorie der Mitgliedschaft

1. 2.

Schein-Mitgliedschaften..................................................................... 147 Die Grenzen zwischen Mitgliedschaft und NichtMitgliedschaft ...................................................................................... 148 Der Arbeitnehmer als Mitglied ............................................................... 152

C. [85] VI. Schlussbemerkungen ...................................................................................... 155 1. Nicht behandelte Fragen ................................................................... 155 2. Ziel der Überlegungen ....................................................................... 155 3. Coda: Grenzen der Leistungsfähigkeit der Überlegungen zur Mitgliedschaft ............................................................................... 156 VII. Zusammenfassung .......................................................................................... 158 Einleitung Müller-Erzbach hat vor nun 30 Jahren als letzter die Mitgliedschaft zum Thema einer eigenen Untersuchung gemacht – und in Wirklichkeit damit ein Lehrbuch der privaten Verbände vorgelegt1. Wollte ich Vergleichbares unternehmen, so müßten wir einige Wochen in Permanenz tagen und Herr Leipold hätte seine viel wichtigeren und aktuelleren Ausführungen auf das nächste Jahr zu verschieben. Daher habe ich die mir übertragene Aufgabe viel bescheidener interpretiert: Unsere privaten Verbandsformen sind außerordentlich vielgestaltig. Und dementsprechend werden auch ihre Unterschiede liebevoll betont und gepflegt: rechtsfähig und nicht rechtsfähig, mit oder ohne persönliche Haftung, Fremdorganschaft und Selbstorganschaft, steuerpflichtig nach dem System A oder dem System B, etc. Könnte es nun aber dennoch sein, daß die Mitgliedschaft in ihnen einheitlichen Prinzipien folgt und von daher eine systematische Klammer über alle Unterschiede hinweg bildet? Dann müßten sich einheitliche rechtliche Strukturen für die Mitgliedschaften sowie in ihrem Kern einheitliche Rechts- und Pflichtenlagen nachweisen lassen. Ich beginne mit einigen systematischen Bemerkungen zum Verhältnis von Mitgliedschaft und Verband, sodann folgen Überlegungen zur dogmatischen Einordnung der Mitgliedschaft. Im Anschluß daran werde ich Fragen zu den zentralen Rechten und Pflichten eines Mitgliedes im Verband erörtern, um mit einigen wenigen Worten zur Abgrenzung von Mitgliedschaft und NichtMitgliedschaft zu schließen. Obwohl ich dabei eine ganze Reihe von Einzelfragen zu erörtern habe, gilt aber das alles doch der Frage – oder vielleicht besser schon: der These – von der einheitlichen rechtlichen Struktur der Mitgliedschaft. [86]

1

Das private Recht der Mitgliedschaft als Prüfstein eines kausalen Rechtsdenkens, 1984.

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I. Übersicht – Mitgliedschaft und Verband 1. Die klassische Definition Was Mitgliedschaft bedeutet, kann man allenthalben nachlesen: die Stellung einer Person infolge ihrer Zugehörigkeit zu einem Verband2, oder, schon etwas substantiierter: die Summe der einzelnen Rechte, die einer Person als Mitglied eines Verbandes zustehen, und aller Pflichten, die sie in ihm zu erfüllen hat3. Diese Rechte und Pflichten lassen sich dann leicht systematisieren in vermögensrechtliche Rechte und Pflichten4, organschaftliche Rechte und Pflichten (Mitverwaltungsrechte und Mitverwaltungspflichten)5 und, so wird seit einiger Zeit gelehrt, gewisse Schutzrechte6. Diese traditionellen Formulierungen sind sicher lehrreich und richtig; in ihrer nüchternen Beschreibung einerseits und ihrer charakteristischen Auflistung andererseits tragen sie allerdings noch nicht viel zum näheren Verständnis von Mitgliedschaft bei. Um sich diesem Verständnis nähern zu können, wird man sich sowohl mit dem eigentlichen Phänomen dieser Zusammenfassung als auch mit einzelnen ihrer Elemente beschäftigen und dabei die Frage stellen müssen, ob sich in diesen Rechten und Pflichten einheitliche, die Mitgliedschaft insgesamt bestimmende Elemente finden. 2. Rechtliche Betrachtung, nicht soziologische Anschauung Auch ein soziologischer Ansatz würde nicht wesentlich weiterhelfen. Wir sprechen nämlich, bei einer soziologischen Betrachtung durchaus zu Recht, von Familienmitgliedern ebenso wie von Vereinsmitgliedern, von [87] Organmitgliedern7 wie von Mitgliedern einer Delegation, einer Regierung oder einer Hoch2 Vgl. etwa Müller-Erzbach, S. 23 ff.; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 23 ff.; zuletzt Reuter, Münchener Komm. zum BGB, § 38 Anm. 1 und Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, 1979, S. 142 ff. 3 So etwa Reinhardt, ZBernJV 103 (1967), 329 ff., 340 und Hadding, FS Reinhardt, 1972, S. 249 ff., 262. 4 Näher dazu Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 6 ff.; Soergel/Siebert/Schultze-v. Lasaulx, 11. Aufl. § 38 Anm. 19 ff.; Wiedemann (Fn. 2), S. 36 ff. 5 Diese Rechte werden vielfach auch als „Pflicht-Rechte“ bzw. „uneigennützige Rechte“ bezeichnet: vgl. A. Hueck, FS Hübner, 1935, S. 75, 81 ff.; ihm folgend R. Fischer, N]W 1954, 777 ff.; Stimpel, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 18. Kritisch zu dieser Qualifizierung jüngst Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Die Personengesellschaft, 1977, S. 258 ff. 6 Beispiele: Einberufung der Mitgliederversammlung (§ 37 BGB), Austrittsrechte (§ 39 BGB); zu dieser Einteilung vgl. Steffen, RGRKomm., 12. Aufl. § 38 Anm. 1. 7 Zur Unterscheidung von Organmitgliedschaft und Verbandszugehörigkeit vgl. Wiedemann (Fn. 2), S. 24.

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Theorie der Mitgliedschaft

schule. Allen diesen Formulierungen liegt die – durch Sprache verdeutlichte – Beobachtung zugrunde, daß hier Personen Teil einer Gruppe sind. Aber diese Gruppen sind zu verschieden, als daß sie einen fruchtbaren Ansatz für eine einheitliche rechtliche Betrachtung bilden könnten. Ähnliche Erwägungen würden für einen Ansatz unter organisationssoziologischen Aspekten gelten. Hier haben zwar interessante Forschungen der letzten Jahrzehnte durchaus wichtige Erkenntnisse gefördert8. So haben wir heute keine Schwierigkeiten mehr, etwa das Wirtschaftsunternehmen als einen – wie gesagt: organisationssoziologisch betrachtet – Sozialverband zu sehen mit verschiedenen Mitgliedern (vor allem: Kapitalgeber und Arbeitnehmer)9, einer Leitung und einem System mehr oder minder funktionierender Legitimation der Leitung aus den Mitgliedern heraus. Hier mag es durchaus sein, daß die Soziologie der juristischen Betrachtung Hilfe leisten kann; aber Basis einer auf normative Erkenntnisse und nicht etwa auf rechtspolitische Erwägungen ausgerichteten Erörterung kann auch dieser Ansatz nicht sein10. 3. Mitgliedschaft als Erscheinung des Privatrechts a) Mitgliedschaft interessiert hier nur als rechtliches Phänomen. Daher scheiden rein soziale Tatbestände, wie etwa die erwähnte Mitgliedschaft in einer Delegation, a priori aus. Darüber hinaus empfiehlt es sich nicht, Rechtsverhältnisse, die auf Zwang beruhen, mit solchen, die auf freiem Entschluß gegründet sind, gemeinsam zu betrachten11: die Rechte und Pflichten des Einzelnen müssen bei Zwangsverhältnissen stets an eben dieser Unfreiwilligkeit ausgerichtet sein und gemessen werden. Daher [88] sind die Mitgliedschaften in Rechtsanwalts- und Ärztekammern aus der Betrachtung ebenso auszuscheiden wie solche in der Universität. Diese Mitgliedschaften sind zwar nicht gänzlich unfreiwillig – niemand muß ja schließlich studieren –, aber auf ein gesetzlich festgelegtes, also nicht frei bestimmtes Ziel gerichtet: die Universität als Körperschaft und ihre Angehörigen als Mitglieder sind Organisationsformen, welche die Freiheit von Lehre und For8 Vgl. insbes. Th. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969 sowie Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977. 9 Zur Mitgliedschaft der Arbeitnehmer im „Unternehmen“ vgl. einerseits Th. Raiser, S. 154 andererseits Zöllner, FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 745, 763 ff. Näher dazu unten S. 152 ff. 10 Zutr. Zöllner, aaO, S. 760. 11 Wie hier insbes. Wiedemann (Fn. 2), S. 24, 26; a.A. zuletzt Merle (Fn. 2), S. 144 ff., der nicht auf die Freiwilligkeit der Begründung, sondern auf die Dauer der Personenvereinigung abstellen will. Auch ein solches Konzept kann in sich schlüssig entwickelt werden, muß aber auf das Element der Gestaltung verzichten, da Ziel und Zweck des Zwangsverbandes gesetzlich fixiert sind. Gerade die Offenheit der auf Freiwilligkeit gegründeten Verbandsformen ohne gesetzlich vorgegebenes Ziel macht aber, wie sich erweisen wird, ein wesentliches Element der in ihnen existenten Mitgliedschaften aus.

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schung sichern sollen, zwar durch Selbstverwaltung, aber in Delegation einer öffentlichen, nicht privat gesetzten Aufgabe: Mitgliedschaft interessiert uns also nur als ein privatrechtliches Phänomen. b) Das Gesetz selbst spricht nur in den §§ 21 ff. BGB von Vereinsmitgliedern und nur in § 38 BGB von der Vereinsmitgliedschaft, sonst nur von Gesellschaftern, Aktionären, Genossen oder Geschäftsanteilen, Aktien oder Kuxen12. Zur Erhellung dessen, was Mitgliedschaft sein könnte, hilft das Gesetz also selbst kaum weiter13. Dennoch ist Mitgliedschaft ein dem Juristen geläufiger Begriff14. Da er im Gesetz selbst nur am Rande verwendet wird, muß es sich um einen systematischen Begriff, um eine Formulierung der Rechtswissenschaft handeln. So ist es denn auch tatsächlich. Der Begriff entwickelte sich korrespondierend zu Verband und Gesellschaft und ist in seinem Anwendungsrahmen heute weitgehend geklärt15. Vereine und Gesellschaften haben Mitglieder in diesem Sinne oder, abstrakt gesprochen, Mitgliedschaften16. 4. Mitgliedschaft als Teilhabe in einer Gruppe von Personen Mitgliedschaft, das sagt auch schon das Wort selbst in seiner unmittelbaren Bedeutung, kann als rechtliches Phänomen nur verstanden werden in bezug auf einen Verband, eine Gemeinschaft: man ist Teil einer recht- [89] lich geordneten Gruppe von Personen17. Dieses personale Element kann in concreto oder verbandstypisch stärker oder schwächer ausgeprägt sein18. Es ist in Einzelfällen so dicht, daß der Verband überhaupt nur in diesen Personen lebensfähig ist (so die Modellvorstellung des Gesetzes von der GdbR und der oHG, §§ 727 BGB, 12 Vgl. etwa §§ 11, 12, 56, 64 AktG; vgl. aber auch §§ 41 Abs. 4, 191 AktG, wo vom „Anteilsrecht“ gesprochen wird. 13 Auch die Motive helfen nicht weiter: in den Protokollen (I S. 354 f.) wird die Mitgliedschaft schlicht als „Rechtsposition“ bezeichnet. Das Gesetz setzt den Begriff voraus und regelt nur Einzelfragen; vgl. dazu Müller-Erzbach (Fn. 1), S. 24. 14 Vgl. die Nachw. oben Fn. 2 sowie Flume (Fn. 5), S. 125 ff. 15 Vgl. aus der Rspr. RGZ 100, 1, 2 f. für die Vereinsmitgliedschaft; RGZ 128, 172, 176 (für AG und GmbH); RGZ 163, 200, 202 f. (für die Genossenschaft); BGHZ 18, 380, 382 und 44, 229, 231 für die Personengesellschaften. 16 Demgegenüber will J. v. Gierke, ZHR 119 (1965), 141, 150 unter Mitgliedschaft nur diejenige in den rechtlich selbständigen Körperschaften verstehen, während er diejenige in der Personengesellschaft als „Teilhaberschaft“ bezeichnet; diese Auffassung ist heute zu Recht überwunden; denn sie beruht auf einer Überbewertung von Unterschieden in der Vermögensordnung und verkennt die Bedeutung der internen Verbandsstruktur; dazu insbes. Flume (Fn. 5), S. 54 ff. und Teichmann, AcP 179 (1979), 475, 481 ff. 17 Zu diesem personalen Element der Mitgliedschaft vgl. RGZ 100, 1, 2 (Verein) und 163, 200, 203 (Genossenschaft). 18 Deshalb erscheint mir auch der hin und wieder aufflammende Streit um den mehr „personenrechtlichen“ oder mehr „schuldrechtlichen“ Charakter des Gesellschaftsvertrages wenig ergiebig zu sein; entscheidend ist nicht die abstrakte, sondern die konkrete Struktur des einzelnen Verbandes. Näher dazu im Text.

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131 HGB), kann sich auf eine mittlere Linie der Auswahl von Personen beschränken (z. B. §§ 15 Abs. 5 GmbHG, 68 Abs. 2 AktG, aber auch die üblichen Aufnahmeregeln für neue Mitglieder in einem Verein) oder aber die Person ganz hinter ihren Sachbeitrag zurücktreten lassen (Großvereine, Publikumsgesellschaften)19. Ganz aber wird auf dieses personale Element nie verzichtet; denn der Verband, auf den sich Mitgliedschaft bezieht, wird nie zur Stiftung. Das erhellt auch daraus, daß die Willensbildung im Verband zwar ungemein personennah (Einstimmigkeitsprinzip) sein kann, nie aber unter die Grenze der Mehrheit absinkt20. Und es wird weiter deutlich an der Tatsache, daß solche rechtlich organisierten Gemeinschaften nur von zwei oder, nicht selten, mehr Personen gegründet werden können21 und sich als Personengesellschaft mit nur einem Mitglied a priori auflösen oder, als rechtlich verselbständigter Verband, nicht selten auflösen müssen (§ 73 BGB, § 80 GenG). Die im Aktien- und GmbH-Recht bekannten Figuren der Ein-Mann-Gesellschaft oder auch die gemeinsame Enkelin gewisser Konzerntöchter22 sind Hybridformen, die ihre Zwecklegitimität in der Haftungsbegrenzung haben mögen, aber mit der eigentlich gedachten Personengemeinschaft nur mehr formal, nicht aber mehr materiell verwandt sind. Sie evozieren daher auch eher die Gefahr, den Blick auf das Wesentliche von Verband und Mitgliedschaft zu verstellen. 5. Der Personenverband als Zweckgemeinschaft a) Jeder einzelne solche Zusammenschluß von Personen ist nun aber nicht etwa offen für allen und jeden Einfall wie das Subjekt Mensch, [90] sondern durch die freie Bestimmung seines Zieles und seines konkreten Gegenstandes in seinen Zwecken festgelegt, ist Zweckgemeinschaft. Neben der eigentümlichen Handlungseinheit des Verbandes trotz Vielfalt der Mitglieder ist diese Zweckorientierung das Charakteristikum aller privatrechtlichen Verbände und macht in hohem Maße die rechtliche Besonderheit der Mitgliedschaft im Verhältnis zu sonstigen rechtlichen Erscheinungen aus. Diese notwendige Festlegung des Zweckes23 bestimmt nun aber nicht nur die Richtung des Verbandes, sondern begrenzt seine Ziele und damit das gesamte Geschehen im Verband auf eben den festgelegten Zweck hin. Ohne diese BeDer ADAC hat mehrere Millionen Mitglieder, die VEBA AG 1,2 Millionen Aktionäre. Zum Mehrheitsprinzip vgl. Bärmann, Die Willensbildung in den Europäischen Aktienrechten, 1964, S. 34 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 93 ff. sowie jüngst Uwe H. Schneider, AG 1979, 57 ff. 21 §§ 56 BGB, 2 AktG, 4 GenG. 22 Zwei Konzern-Tochtergesellschaften gründen eine gemeinsame Enkelgesellschaft, die den Absatz der Produkte beider Gesellschaften übernimmt. 23 Zum Verbandszweck vgl. insbes. Zöllner (Fn. 20), S. 24 ff. und S. 318 ff. 19 20

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schränkung würde jeder Verband in seinem Totalitätsanspruch zur Ehe – und das würde seine Mitglieder doch etwas überfordern, vor allem aber die Rechtsordnung selbst gefährden; denn als Zusammenfassung von Kräften ist der Zusammenschluß von Personen naturgemäß machtvoll und gefährlich24. In der notwendigen Begrenzung seines Zweckes liegt ein Mittel und eine Möglichkeit seiner Domestizierung durch die Rechtsordnung25. Andererseits enthält diese notwendige Begrenztheit verbandlicher Zielsetzung aber auch eine Chance; denn die Kräfte des Verbands werden nicht verzettelt sondern ungemein effektiv auf das selbstgesetzte Ziel gelenkt. In diesem Prinzip der Arbeitsteilung liegt, so meine ich, ein wesentliches Element des großen Erfolges der zivilrechtlichen Verbände beschlossen: sie verbinden in sich mehrere oder viele Personen zur Verwirklichung eines begrenzten, also überschaubaren, von allen Teilhabern akzeptierten und daher wirklich gemeinsamen Zweckes. b) Ist daher Mitgliedschaft konstitutives Element und Teilhabe an einem ungemein effektiven und zugleich offenen System der Verfolgung begrenzter menschlicher Ziele, so liegt der Gedanke nahe, auch die Rückbindung des Mitglieds in eben dieses System zu betonen. Das hat zwei Aspekte. Einmal ist anzunehmen, daß die Mitglieder an das Versprechen, den [91] frei gewählten Zweck gemeinsam zu verfolgen, in besonderer, nachdrücklicher Weise rechtlich gebunden sind26; das gilt um so mehr, als eben die Offenheit aller künftigen Einzelmaßnahmen eine exakte Festlegung dieser Pflichten vorweg gar nicht zuläßt, das System auf die loyale Kooperation angewiesen ist27. Zum anderen aber ist zu erwarten, daß die Mitglieder auch in bestimmter Weise für das Verbandsgeschehen verantwortlich sind derart, daß sie sich bestimmter Mindestkontroll- und Mindesteinflußrechte gar nicht begeben können. Mitgliedschaft, welche sich in der einmaligen Zahlung eines Beitrages erschöpft, ohne das Verbandsgeschehen

24 Zur Diskussion um die Macht der Verbände vgl. zuletzt Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978; vgl. weiter Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968, S. 86 ff. und Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1973, S. 74 ff. Dieser Aspekt war dem Juristen noch unter dem Konzessions- und Oktroy-System deutlicher bewußt; das Wissen darum ging erst im Optimismus des Hochliberalismus unter und muß heute mühsam wieder entwickelt werden: so schützt das GWB den Markt, begrenzt aber auch die Verbandsmacht; ähnliches gilt für die Staatsaufsicht über bestimmte Branchen sowie in der Sicht mancher für die Mitbestimmung. 25 Auf die Begrenzung der Machtsphäre durch den Zweck der Gesellschaft hat bereits Otto v. Gierke, Genossenschaftsrecht IV, S. 405 hingewiesen. 26 Zur Zweckbindung vgl. insbes. Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 318 ff. 27 Auch der Gesellschaftsvertrag kann im wesentlichen nur den jeweiligen status quo erfassen, nicht aber die Unternehmensentwicklung insgesamt antizipieren; hierauf weist Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979, S. 11 u. 35 zutr. hin.

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anders als durch Austritt höchst mittelbar beeinflussen zu können28, wäre nicht Teilhabe an einem System verantwortlicher Mitwirkung an einem selbst gestalteten und selbst verwalteten gemeinsamen Zweck: das ist im Gesellschaftsrecht längst erkannt, im Vereinsrecht aber bislang offenbar zu wenig gesehen29. 6. Die Personengemeinschaft (Gruppe) als offenes System a) Der Zweck bestimmt das Wollen, aber mit seiner Festlegung allein ist noch nichts geschehen. In scharfem Gegensatz zu anderen Tatbeständen des Rechtsverkehrs und insbesondere zu den Austauschverträgen besteht daher die Besonderheit dieser Zweckgemeinschaften und der in ihr integrierten Personen darin, daß mit ihnen und in ihnen überhaupt nur ein rechtliches Grundverhältnis geschaffen, mitnichten aber die Gesamtheit der künftigen rechtlichen Situationen im einzelnen schon geregelt wäre oder auch nur geregelt werden könnte30; der Verband [92] ist „nach vorne offen“, wenn auch in seiner Richtung durch den Zweck festgelegt: Wenn Ulmer und Zöllner mit mir eine Ballonfahrt über die Schweiz verabreden, so sind wir – was schwierig genug ist – in diesem Punkte einig (beschränktes Ziel); darüber hinaus wissen wir, daß Geld aufzubringen ist, Ulmer den Pilotenschein zu machen hat und Zöllner schon einmal beginnen sollte, die Luft um sich herum aufzuheizen. Aber alles übrige steht in den Sternen: vom Startplatz bis zu den hier wohl zweckmäßigen Sach- und Lebensversicherungen, von den behördlichen Auflagen bis zur Sektmarke, die mitzunehmen ist: die Verabredung ist ein rechtlicher Rahmen, aus dem heraus immer neue, jetzt überhaupt noch nicht überschaubare Sachverhalte in rechtlich verbindlicher Weise beantwortet werden müssen. Es ist schon spannend zu sehen, wie ungemein offen dieses System ist – und wie es als solches offenes System akzeptiert wird, im Gegensatz etwa zu einem Kaufvertrag, in dem nach Möglichkeit jeder denkbare Aspekt hinsichtlich seiner Rechtsfolgen und seiner Abwicklung sofort beim Abschluß des Vertrages geregelt wird. 28 Wobei die Tauglichkeit selbst dieser ultima ratio durchaus zu Recht bezweifelt wird, vgl. Heckelmann, AcP 179 (1979), 1, 34 ff. Das ist aber weniger eine Folge unzureichender Rechtsregeln, die am Marktmodell einer „Abstimmung mit den Füßen“ orientiert sind, als vielmehr eine Folge von Veränderungen in der gesellschaftlichen Substruktur: es gibt eben weder zur IG Metall noch zum DFB eine Alternative, so daß die Rechtsgarantie des § 39 BGB leer laufen kann oder im Absentismus endet. Vgl. dazu die aufschlußreiche Analyse von Teubner in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 1979, 487, 489 ff. 29 Vgl. etwa RGRK-Steffen, § 38 Anm. 1: als Schutzrechte des Mitglieds werden nur die §§ 37 u. 39 BGB gesehen, nicht aber die actio pro socio, die keine Grundlage in der Verbandsmitgliedschaft haben soll; Näheres dazu unten V., B, 3. 30 Daher entspricht auch ein „flexibles Anpassungssystem“ (Zöllner, Anpassung, S. 35) dem tatsächlichen oder hypothetischen Willen der Verbandsmitglieder weit eher als eine rigorose Bindung an den ursprünglichen status quo der Vereinbarungszeit.

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Sieht man das, so müßte man die Menschen fast als gespaltene Wesen betrachten: beim Umsatzgeschäft aufs äußerste vorsichtig, bei der gemeinsamen Verabredung vertrauensvoll, ja scheinbar leichtsinnig. Ganz so ist es nicht. Denn unser Verständnis vom gegenseitigen Vertrag ist der momentane Ausgleich prinzipiell gegenläufiger Interessen: die Raubkatze ist nicht endgültig gezähmt, ehe sie nicht mit 100 Stricken befestigt ist; sonst bricht sie aus und frißt den „Partner“. Ganz anders ist das von uns ins Auge gefaßte Verhältnis: die meisten Fragen entstehen erst in der Zukunft und müssen dann – nicht jetzt – entschieden werden. Dafür muß Vorsorge getroffen sein – wir nennen das Organisation. Aber dieser fortlaufende Ausgleich ist denkbar, weil die Interessen – mindestens in der Idee – gleichgerichtet und gemeinsam sind. Man will das gleiche (den gelungenen Flug über die Schweiz) – nicht das Haus des Vertragspartners für möglichst wenig Geld, zu einem möglichst späten Zeitpunkt, unverzinslich und in beliebiger Währung. Mitgliedschaft ist also bezogen auf eine rechtliche Rahmenordnung („Verfassung“) für ein mehr oder minder präzise festgelegtes, in der Zukunft zu verwirklichendes gemeinsames Ziel. Um das zu erreichen, bedarf diese Personengemeinschaft nicht so sehr einer vertraglichen oder gesetzlichen Festlegung dessen, was rechtens ist, vielmehr dessen, was aus ihr selbst heraus und in einem geordneten Verfahren als für sie rechtens immer wieder ad hoc festgelegt werden kann: also einer Organisation ihrer (internen) Willensbildung mit dem Ziel, die typische Handlungseinheit des Verbandes nach außen sicherzustellen31. b) Die Besonderheit dieser Zweckgemeinschaften als rechtliche Rahmenordnung wurde am Gegensatz zum Austauschvertrag erörtert. Zu [93] Recht unterscheidet aber schon Würdinger32 unter drei rechtlichen Grundtatbeständen. Während zur ersten Gruppe die Tatbestände mit entgegengesetzten Parteiinteressen, vor allem also die Leistungsaustauschgeschäfte, und zur zweiten die Tatbestände gemeinschaftlicher Interessen der Beteiligten gehören, kann man in einer dritten Gruppe die Fälle der Wahrnehmung fremder Belange (Treuhand) zusammenfassen. Kennzeichen dieser Treuhand oder anderer Formen der Geschäftsbesorgung ist die Wahrnehmung fremder Interessen. Typische Pflicht ist deshalb hier die Zurückstellung der eigenen Belange33. In der privaten Zweckgemeinschaft sind die Interessen generell gleichgerichtet, können jedoch in concreto, insbesondere bei Festlegung der einzelnen Maßnahmen zur Zweckverfolgung, vielfältig konfligieren. Da nun beide Grundtypen – Zweckgemeinschaft und Treuhand – in ihrer Durchführung wesentlich offener 31 Dementsprechend sind die meisten aus der Mitgliedschaft fließenden Befugnisse solche innerhalb der Verbandsorganisation, sind Organisationsrechte: Geschäftsführungsrechte, Zustimmungsrechte, Stimmrechte etc. 32 Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, 1937, S. 9 ff. 33 Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 1973, S. 137 ff.

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sind als Leistungsaustauschbeziehungen, liegt es nahe, bestimmte Grundsätze der Treuhand auch bei den Zweckgemeinschaften anzuwenden34, insbesondere die Pflicht zur Hintanstellung eigener Interessen gegenüber dem gemeinschaftlichen Zweck35. Beide Aspekte werden heute in ihrer Bedeutung mehr und mehr erkannt. 7. Zweckgemeinschaft und Sondervermögensordnung Mitgliedschaft bedeutet also Teilhabe an einer personalen Zweckgemeinschaft. Fast jede Zweckverfolgung aber ist auf materielle Mittel – sprich Güter und Geld – angewiesen. Sollen diese Mittel der Gemeinschaft und ihren Zwecken zur Verfügung stehen, so müssen sie vom Vermögen der Mitglieder und ihrer Interessen getrennt sein: jede Zweckgemeinschaft muß daher über eine Sondervermögensordnung verfügen und verfügt darüber ja tatsächlich auch – mag sie davon Gebrauch machen oder nicht (GdbR)36. [94] 8. Die rechtliche Organisation von Zweckgemeinschaften Mitgliedschaft ist also bezogen auf die Elemente Zusammenschluß von Personen als Zweckgemeinschaft, welche über eine Organisation zur Bildung rechtserheblicher Entschlüsse und Sicherung der Handlungseinheit sowie über eine Sondervermögensordnung zur Sicherung der Ziele dieser Zweckgemeinschaft verfügt. Die Rechtsordnung kann nun eine solche personale Zweckgemeinschaft so akzeptieren, wie sie von den Partnern für ihre Zwecke ausgedacht wird, oder für die Zweckgemeinschaft eine beschränkte Zahl verschiedener rechtlicher Rahmen zur Auswahl stellen (numerus clausus der Verbandsformen), oder aber je nach den Zwecken feste Formen vorschreiben. Unsere Rechtsordnung hat sich unter den Stichworten Gewerbefreiheit und wirtschaftlicher Liberalismus – ebenso wie fast alle übrigen westlichen Rechtsordnungen – für das zweite System37 mit gerin-

34 Über die Nähe zur Treuhand vgl. Dorpalen, ZHR 102 (1936), 20 und die U.S.amerikanische Rechtsprechung bei Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 195 ff.; eher zurückhaltend Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 342. 35 Zur Hintanstellung der eigenen Interessen hat der BGH seine zunächst gegenteilige Auffassung in BGHZ 14, 38 mit BGHZ 65, 15 offenbar aufgegeben. 36 Das bedeutet aber nicht, daß auch jede Mitgliedschaft in einer Zweckgemeinschaft vermögensrechtlich ausgerichtet sein müßte; für die Mitgliedschaft im Verein trifft das schon kraft Gesetzes gerade nicht zu, vgl. MK-Reuter, § 38 Anm. 4 ff.; Ballerstedt, FS Knur, 1972, S. 1 ff. 37 Besondere Schwierigkeiten macht in diesem System eigentlich nur der Verein. Denn ist er erst einmal entstanden, so ist es schwierig, ihn von einer wirtschaftlichen Tätigkeit – für die er gerade nicht gedacht ist, vgl. jüngst BVerwG, NJW 1979, 2261 mit Stellungnahme K. Schmidt, NJW 1979, 2239 – entgegen den Vorstellungen seiner Mitglieder und Organe fernzuhalten; hierzu eingehend zuletzt Heckelmann (Fn. 28).

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gen Einsprengseln des dritten38 entschieden. Man kann es als System einer geordneten Freiheit bezeichnen. Grundlagen des Verbandrechts sind also (1) die von der Verfassung gewährleistete Freiheit des Zusammenschlusses von Personen (Art. 9 Abs. 1 GG), (2) der freie Zugang zu den verschiedenen rechtlichen Formen von Zweckgemeinschaften und (3) der numerus clausus eben dieser rechtlich akzeptierten Formen von Zweckgemeinschaften. An eben diesen Elementen hat Mitgliedschaft teil. 9. Mitgliedschaft und Privatautonomie a) Mitgliedschaft ist schließlich in allen ihren Spielarten die Verwirklichung von Privatautonomie39. Die Gründung privater Zweckgemeinschaften durch Personen und die Wahl des rechtlichen Rahmens hierfür, ihre Ausgestaltung, Beförderung und Auflösung ebenso wie der Eintritt und Austritt von Mitgliedern, also der Wechsel von Mitgliedschaften ist nur als Verwirklichung von Privatautonomie überhaupt zutreffend zu verstehen. Hierauf haben besonders Rittner und – als ein Zentrum seines Systems der Personalgesellschaften – Flume hingewiesen40. Daher läßt sich auch gerade an der Ordnung dieser privaten Zweckgemeinschaften selbst, seien sie nun Gesellschaft, Verein oder wie auch immer tituliert, [95] das System von Privatautonomie in der Rechtsordnung verdeutlichen: Freiheit in der Entschließung des Einzelnen und Selbstgestaltung bis zur Grenze dessen, was im Interesse Dritter und einer insgesamt gerechten Ordnung tolerabel erscheint. Daher stehen die zwingenden Vorschriften des Verbandsrechts dem Gedanken der Privatautonomie ebensowenig entgegen wie sogar die vom Gesetz vorgeschriebene interne Berücksichtigung von Nicht-Verbandsmitgliedern bei der Willensbildung (Mitbestimmung)41. b) Form und Mittel der Selbstgestaltung in Privatautonomie aber sind Rechtsgeschäft und Vertrag42. Daher ist die Bildung von Mitgliedschaft durch Gründung einer privaten Zweckgemeinschaft und der Erwerb durch späteren Z.B. § 2 HypothekenbankG. Nachdrücklich Flume (Fn. 5), S. 189 ff. und dazu Fischer, ZGR 1979, 251, 267 ff. 40 Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S. 248 ff.; Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), passim, insbes. S. 189 ff. 41 Vgl. BVerfGE 50, 290 ff. zum MitbestG, aber auch Flume (Fn. 5), S. 240 f. und dazu Fischer, aaO, S. 266. 42 Vgl. hierzu insbes. Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS D]T, 1960, Bd. I, S. 135 ff.; ders., Allgemeiner Teil des BGB, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., § 1; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970; Zöllner, Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976), S. 221 ff. 38 39

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Beitritt in allen ihren Formen ebenso vertraglicher wie die Willensbildung in der bestehenden Zweckgemeinschaft rechtsgeschäftlicher Natur ist43. Wenn wir einerseits von Gesellschaftsvertrag und andererseits von Satzung, einerseits von Vertragsgesellschaft und andererseits von Satzungsgesellschaft sprechen44, so wird dadurch auf einen typologischen, mitnichten aber rechtsprinzipiellen Unterschied hingewiesen: beide Formen sind private Zweckgemeinschaften; und beide beruhen sie auf Verträgen, allerdings nun nicht auf Austausch- sondern auf Organisationsverträgen45. Ihr Unterschied besteht nur darin, daß die Mitglieder bei Vertragsgesellschaften typischerweise näher mit dem gemeinschaftlichen Zweck verbunden sind, während sich bei den Satzungsgesellschaften die Mitglieder um die Zweckverfolgung sehr viel lockerer scharen; außerdem sind die letzteren Gesellschaften meist rechtlich verselbständigt. Deshalb und nicht etwa wegen rechtsprinzipieller Unterschiede ist die typische Satzung objektiv, d. h. von subjektiven Vorstellungen der Verfasser stärker losgelöst zu interpretieren46, während beim [96] typischen Gesellschaftsvertrag zunächst auf die subjektiven Vorstellungen stärker abzuheben ist47. Aber daß es auf Typik, also die typische Situation und nicht auf Form und Namen ankommt, wird deutlich, wenn man sich die soeben erst gegründete Zwei-Mann-AG als Gemeinschaftsunternehmen einerseits, die Publikums- bzw. Anlagen-KG mit einigen 100 Kommanditisten andererseits vorstellt. Völlig zu Recht interpretiert daher der Bundesgerichtshof im letzteren Falle den Gesellschaftsvertrag unter objektiven Aspekten48, die Satzung der ZweiMann-AG aber ist – natürlich im Rahmen der überhaupt zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten, § 23 Abs. 5 AktG – nach den subjektiven Kriterien der Gründungsmitglieder zu verstehen – und das alles, obwohl die Kommanditgesellschaft typische Vertrags-, die Aktiengesellschaft typische Satzungsgesellschaft ist49. Da43 Zutr. deshalb auch die Analyse von Hadding, FS Fischer, 1979, S. 165, 188 ff. zur rechtsgeschäftlichen Natur der Grundlagen des Vereinsrechts. 44 Vor allem Reuter (Fn. 24) und MK, insbes. Anm. 63 vor § 21 und § 38 Anm. 1, der diese Unterscheidung durch alle Gesellschaftsformen hindurch verfolgt. 45 Zur Typologie und zu den unterschiedlichen Funktionen der Vertragsformen vgl. näher L. Raiser, JZ 1958, 1 ff. und ders., FS DJT 1960, Bd. I, S. 101 ff. 46 Zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen insbes. Wiedemann, Sonderheft DNotZ 1977, 99 ff.; Fischer, Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 105 Anm. 59; Coing, ZGR 1978, 659 ff.; Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 32 ff. 47 Näher hierzu Coing, aaO, S. 666 ff. Unzutr. Teubner, AK BGB, 1980, § 705 Anm. 19, der ausschließlich die normative Auslegung für richtig hält, da auch die Personengesellschaft heute als „Organisationsmodell“ und nicht mehr als „Vertragsmodell“ zu sehen sei: so eindeutig einfach sind die rechtlichen Beziehungen im Verbandsrecht leider nicht. 48 Dazu U. H. Schneider, ZHR 142 (1978), 228 ff., 254 f. mit Nachw. aus der Rspr. 49 Insoweit ist der Ansatz von Reuter, Schranken (Fn. 24) und MK, Anm. 63 vor § 21 und § 38 Anm. 1, durchaus berechtigt, den Unterschied zwischen Gesellschaften auf individueller vertraglicher und solcher auf genereller satzungsmäßiger Grundlage über alle Gesellschafts- und Verbandformen hinweg zu verfolgen.

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her auch kann sich dieser Aspekt in einer ganz konkreten Gesellschaft verändern. Geht etwa die Mitgliedschaft an der genannten Zwei-Mann-AG in andere Hände über, so rückt das subjektive Auslegungselement ebenso zur Seite wie bei einer typischen Personengesellschaft, deren Vertrag inzwischen von der dritten Generation durch Erbgang übernommen wurde und übernommen werden mußte50. Auf die Bedeutung der faktischen Struktur des Verbandes für die Auslegung statt der – alleinigen – Anknüpfung an der Rechtsform haben daher auch sehr zu Recht Coing51, Wiedemann52 und Flume53 erst kürzlich wieder hingewiesen. c) Ist demnach Mitgliedschaft die Verwirklichung von Privatautonomie durch Zusammenschluß in bestimmten vorgegebenen Organisationsformen, so erweist sich schon auf diesem Hintergrund der Gedanke an [97] eine Art Unterordnung des Mitglieds unter den Verband mit dem Stichwort etwa einer „Vereins-“ oder „Verbandsautonomie“ als klar verfehlt. Darauf haben Coing54 und Hadding55 zu Recht und mit Nachdruck aufmerksam gemacht. Das Mitglied ist Teil, ist Element des Verbandes; sein Verhältnis zu den anderen Mitgliedern ebenso wie zum Verbande selbst ist partnerschaftlich, privatrechtlich, also auf gleicher Ebene. Gedanken an eine „Unterwerfung“ des Mitglieds unter eine „Verbandsgewalt“ sind daher sprachlich ebenso wie sachlich verfehlt. Das Mitglied hat seine statutarischen und sonstigen Rechtspflichten zu erfüllen wie auch die anderen Mitglieder oder der Verband selbst, ohne daß hierdurch mehr als durch jede andere rechtsgeschäftliche Sonderverbindung eine Über- oder Unterordnung begründet würde. II. Rechtsdogmatische Einordnung der Mitgliedschaft56 1. Die Mitgliedschaft als Rechtsverhältnis Die Mitgliedschaft einer Person in einem Verband ist ein Rechtsverhältnis57, eine auf privatautonomer Entscheidung beruhende privatrechtliche Sonderver50 Zutr. abstrahiert daher auch der BGH (BGHZ 49, 364, 366) bei der Frage, ob ein Gesellschaftsvertrag durch langjährige Übung abgeändert werden könne, vom Bewußtsein der Beteiligten; entscheidend sei allein die lange Geltungsdauer, die erfahrungsgemäß eine allmähliche (unbewußte) Veränderung des Vertrages bewirke! 51 ZGR 1978, 659 ff., insbes. 666 ff. 52 Sonderheft DNotZ 1977, 99 ff. 53 Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 32: mit der Zahl der Gesellschafter wächst die Tendenz zu einer normativen Auslegung. 54 FS Flume, 1978, Bd. I, S. 429 ff. gegen Otto v. Gierke und dessen These, wonach Verbandsrecht höherrangiges Recht sei, weshalb denn auch das Mitglied zu den Trägern der Verbandsgewalt (Organe) in einem Verhältnis der Unterordnung steht. 55 FS Fischer, 1979, S. 165 ff., insbes. 192 ff., vgl. auch Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 2. Aufl. 1976, Rz. 159. 56 Bestandsaufnahmen über den Literaturstand bei Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), S. 39 ff. und Hadding, FS Reinhardt, 1972, S. 249 ff.

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bindung zwischen zwei oder mehr Subjekten. Sie wird begründet durch den Organisationsvertrag der Gründung oder durch den Beitrittsvertrag des neu hinzukommenden Mitgliedes58, sei es mit dem Vorstand selbst, sei es mit dem bisherigen Mitglied59. a) In allen privaten Korporationen sind Partner des Gründungsvertrages die Gründungsmitglieder selbst. Dennoch wirkt sich dieser Gründungsvertrag bei den rechtlich selbständigen Korporationen dahin aus, daß dieses unter den Mitgliedern begründete Rechtsverhältnis nach Ent- [98] stehung des rechtlich selbständigen Verbandes dann jedenfalls in erster Linie zwischen dem Verband und dem einzelnen Mitglied als rechtliche Sonderverbindung besteht bzw. entsteht60. Ob daneben auch eine solche Sonderverbindung zwischen den Mitgliedern selbst fortbesteht, ist später zu erörtern. b) In den nicht-rechtsfähigen Gesellschaften und Verbänden kann dieses Rechtsverhältnis nur zwischen den Mitgliedern selbst bestehen; sie sind und bleiben die Partner der auf Verwirklichung des gemeinsamen Zieles ausgerichteten Zweckgemeinschaft. Das widerspricht auch weder den Überlegungen Flumes zur verbandsmäßigen Struktur auch der Personengesellschaft61 noch gar der eigenen These von der einheitlichen Grundstruktur von Mitgliedschaft. Daß dieses Rechtsverhältnis von besonderer Art ist und mitnichten etwa als langfristiges Austauschverhältnis mißverstanden werden darf, kann hier unerörtert bleiben62. Aber auch der besondere Bezugspunkt dieses Rechtsverhältnisses auf den gemeinsam festgelegten und zu verfolgenden Zweck ändert nichts an der

57 Insoweit besteht noch sehr weitgehend Einigkeit, vgl. die Nachw. bei Fn. 56; der Streit geht vor allem um die Frage, ob Mitgliedschaft darüber hinaus subjektives Recht ist; dazu im Text. 58 Auch insoweit besteht noch Einigkeit; vgl. etwa MK-Reuter, § 38 Anm. 17; Soergel/Siebert/ Schultze-v. Lasaulx, § 38, Anm. 10 ff.; umstritten ist die Einordnung dieses Vertrages und insbes. die Anwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB und der allg. rechtsgeschäftlichen Regeln, §§ 116 ff. BGB. 59 Erwerb der Mitgliedschaft durch Erwerb der Aktien, des Geschäftsanteils etc. vom Veräußerer. 60 Vgl. statt vieler Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 95 ff.; anders offenbar Reuter (etwa MK, § 38 Anm. 1), der seine Aufteilung in „Vertragsverband“ und „Satzungsverband“ und nicht etwa die Rechtsfähigkeit oder Nicht-Rechtsfähigkeit des Verbandes auch hier als maßgebendes Unterscheidungskriterium ansieht. Reuter ist dabei ohne weiteres zuzugeben, daß sich die Vorstellungen vom Vertrag unter 1000 Mitgliedern einer PublikumsKG schwer tun muß: ein Argument mehr für die hier vertretene These von der rechtlichen Relevanz der Realstruktur des Verbandes; dazu unten im Text. 61 Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), insbes. S. 1 ff., S. 50 ff.; dazu Fischer, ZGR 1979, 251, 257 f. und Teichmann, AcP 179 (1979), 475, insbes. 481 f.; im übrigen zieht Flume (siehe S. 95 ff.) aus seiner These auch selbst nicht etwa die Konsequenz, für eine Loslösung des Vertragsverhältnisses unter den Mitgliedern nach der Konstituierung des Verbandes einzutreten; darauf hat bereits Teichmann, aaO, zutreffend hingewiesen. 62 Vgl. dazu unter III.

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Tatsache, daß Subjekte dieser Rechtsbeziehung eben nur die beteiligten Personen, die Mitglieder sind, wenn auch in ihrer besonderen rechtlichen Verbundenheit. c) Dieses Rechtsverhältnis ist, wie unser nächster Abschnitt zeigen wird, in sehr eigentümlicher Weise als Gegenstand verselbständigt63. Das hat zur Folge, daß es in dieser Form auf einen Erwerber übergeht. Dieser tritt mit dem derivativen Erwerb der Mitgliedschaft in die rechtliche Sonderverbindung zwischen der Korporation bzw. den Gesellschaftern und seinem Veräußerer mit allen Rechten und Pflichten ein64. Insofern [99] beobachtet Hadding65 durchaus zutreffend die Nähe des Vorgangs zur Vertragsübernahme, übersieht aber zugleich die rechtsstrukturelle Besonderheit der Mitgliedschaft als Rechtsverhältnis, das eben zugleich als Gegenstand verselbständigt ist. 2. Die Mitgliedschaft als Gegenstand a) Diese Mitgliedschaft ist nicht nur Rechtsverhältnis und keineswegs primär Rechtsverhältnis, sondern in allen privatrechtlichen Verbänden als Gegenstand verselbständigt66, ist Objekt der Rechtsordnung. In diesem Gegenstand sind alle aktuellen und potentiellen Rechte und Pflichten des Mitglieds im betreffenden Verband zu einer Einheit zusammengefaßt und gehen so auf einen etwaigen Erwerber über67. Für Aktien und Geschäftsanteile bedarf das keiner weiteren Erörterung. Die Qualifizierung gilt jedoch nicht minder auch für alle anderen privaten Zweckgemeinschaften68 und betont von dieser Seite her die durchgehend verbandsmäßige Struktur von Mitgliedschaft. Diese Aussage wird für viele Verbandsformen und insbesondere für die Personalgesellschaften nicht selten in Frage gestellt69. Das geschieht vor allem im Hinblick auf die vom Gesetz statuierte Unabtretbarkeit der Mitgliedschaft in Genossenschaft, Verein und Personenge-

63 Diese Verdinglichung ist im Aktienrecht am anschaulichsten verwirklicht: die Mitgliedschaft kann schon rein äußerlich in einer greifbaren Urkunde verbrieft werden. Spätestens seit Anerkennung der Übertragbarkeit der Beteiligung auch in der Personengesellschaft wurde die Mitgliedschaft dort ebenfalls als „Rechtsgegenstand“ verstanden; grundlegend RG DNotZ 1944, 195 ff. 64 Dazu umfassend Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), passim. 65 FS Reinhardt, S. 249, 257; ähnlich nun auch Teichmann, aaO (Fn. 61), S. 484. 66 Zum Begriff des „Gegenstandes“ vgl. etwa Lehmann/Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 15. Aufl. 1966, S. 371: Objekt eines Rechtsverhältnisses, über das der Berechtigte kraft des Rechtsverhältnisses Macht hat. 67 Liebisch, ZHR 116 (1954), 128, 135 („festgeschlossene Einheit“); Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 351 („einheitliche Rechtsposition, die alle Rechtsbeziehungen des Gesellschafters aufgrund seiner Rechtsstellung als Gesellschafter – sowohl im Verhältnis zur Gesellschaft wie zu den anderen Gesellschafter – in sich aufnimmt“). 68 Vgl. aber §§ 38 BGB, 76 GenG; dazu insbes. MK-Reuter, § 38 Anm. 19 ff. 69 Vgl. statt vieler Hadding, FS Reinhardt, S. 249, 256 ff. mit weiteren Nachw.

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sellschaft70, aber auch wegen des – wie gelegentlich angenommen wird71 – stark schuldrechtlichen Charakters [100] der Sonderbeziehungen unter den Mitgliedern einer Personengesellschaft und schließlich auch wegen des vorrangig personalen Bezuges dieser Sonderverbindung, was die Entscheidung des Gesetzes schon nach den Prinzipien des § 399 BGB rechtfertige. Alle diese Einwände überzeugen mich nicht. Schon Liebisch72, Wiedemann73 und Huber74 haben darauf hingewiesen – und Flume75 hat diese Sicht in sein System von der verbandsmäßigen Struktur auch der Personengesellschaften übernommen –, daß die Unübertragbarkeit in der Personengesellschaft mitnichten strukturell, sondern als Zweckmäßigkeitsentscheidung des Gesetzes im Hinblick auf die als typisch gedachte personale Nähe der Partner zu interpretieren ist. Diese eigentliche Zielrichtung des Gesetzes wird deutlich aus seiner Entscheidung für die Übertragbarkeit des Anteils im Miterbenverband, die Vererblichkeit des Kommanditanteils sowie die Möglichkeit, die Mitgliedschaft im Verein durch die Satzung übertragbar zu gestalten. Aber davon abgesehen: auch die nach § 399 BGB übertragbare Forderung verliert dadurch richtiger Ansicht nach nicht etwa ihren Charakter als Gegenstand, als Objekt der Rechtsordnung76. b) Ohne daß die Frage bislang genauer reflektiert wurde, dokumentiert im übrigen die Aussage, Mitgliedschaft sei oder enthalte oder vermittle als verselbständigter Gegenstand die Summe aller Rechte und Pflichten des betreffenden Mitgliedes im betreffenden Verband, eine durchaus entwickelte, man könnte sagen moderne Rechtsbetrachtung. Sie bündelt auf diese Weise die vielfältigen und disparaten Erscheinungen der konkreten Mitgliedschaft in einem Gegenstand, macht ihn dadurch marktfähig (Aktie; KG-Anteil) und rechtlich klar, übersichtlich und leicht beherrschbar. Welche Schwierigkeiten bestehen, wenn ein im sozialen Sachverhalt als einheitlich angesehener Gegenstand von der Rechtsordnung negiert wird, kann man am Handelsgeschäft bzw. Unternehmen nachweisen – das rechtlich 70 Diese Auffassung geht – soweit ersichtlich – auf Sohm (Der Gegenstand, FS Degenkolb, 1905, S. 68) zurück; dagegen aber bereits zutr. Binder, ZHR 59 (1907), 1: entscheidend ist nicht, ob die einzelne konkrete Mitgliedschaft veräußerlich ist, sondern ob die Mitgliedschaft ihrer Art nach der Veräußerung fähig ist (was im Hinblick auf die §§ 38, 40 BGB nicht zu bestreiten ist). Im übrigen: die Verfügungsfähigkeit ist kein notwendiger Bestandteil des Begriffs vom Gegenstand. Die von Sohm aufgestellte These, daß Gegenstand (nur) das mögliche Objekt einer Verfügung sei, ist mittlerweile allgemein überwunden (so auch Hadding, FS Reinhardt, S. 249, 254, Fn. 33). Das erhellt auch § 1417 Abs. 2 BGB: Sondergut sind danach „die Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäfte übertragen werden können“. 71 So etwa Hadding, aaO, S. 256 ff.; in der Tendenz ähnlich Teichmann, (Fn. 61), S. 483 ff. 72 AaO (Fn. 67) S. 131. 73 Übertragung (Fn. 2), S. 44 ff., 51 ff., 61. 74 Vermögensanteil (Fn. 4), S. 349 ff., 369 ff. 75 Personengesellschaften (Fn. 5), S. 125 ff., 351; kritisch hierzu Teichmann (Fn. 61), S. 483 ff. 76 Vgl. dazu die Überlegungen oben Fn. 70.

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nichts anderes ist als die Kurzbezeichnung von 1000 verschiedenen Gegenständen und sonstigen Elementen77. Und wohin denn auch die Aufsplitterung der einheitlichen Mitgliedschaft in die in ihr gebündelten Rechte und Pflichten praktisch führen kann, hat Bär78 an einer von ihm bekämpften Theorie zur Veräußerung vinkulierter Namensaktien in der Schweiz dargelegt. [101] c) Im Gegensatz zur Lehre Haddings79 halte ich dafür, daß daher auch die Übertragung der Mitgliedschaft in allen Fällen strukturell einheitlich zu sehen ist und sich in keinem Falle – auch nicht bei den Personengesellschaften – am Bilde der Vertragsübernahme zu orientieren hat. Und daher ist es auch durchaus möglich, beschränkte dingliche Rechte, also insbesondere den Nießbrauch nicht (nur) an einzelnen Rechten gegenüber der Gemeinschaft der anderen Mitglieder (z. B. Gewinnanteil) zu begründen, sondern eben auch und vor allem an der Mitgliedschaft als solcher80. Das gilt nur dort nicht, wo die Rechtsordnung die Übertragbarkeit generell und unabhängig vom Willen des Verbandes und seiner Mitglieder ausschließt, also vor allem für die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft81. 3. Mitgliedschaft und subjektives Recht82 Wir haben Mitgliedschaft als Rechtsverhältnis, als privatrechtliche Sonderverbindung zwischen dem Mitglied und seinen Partnern bzw. dem Verband qualifiziert und zugleich als einheitlichen Gegenstand, in dem die Rechte und Pflichten aus dem komplexen Rechtsverhältnis zusammengefaßt und verselbständigt sind. Schon das läßt die an Schuldverhältnis und Sache entwickelte rechtswissenschaftliche Nomenklatur laut knirschen. Daher auch wundert es nicht, daß die Frage, ob denn die Mitgliedschaft nun vielleicht auch noch subjektives Recht sei, unterschiedlich beantwortet wird82a. Denn entweder Rechtsverhältnis oder subjektives 77 Vgl. dazu etwa Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bd. 1, 1975, S. 171, 187 ff. sowie Hommelhoff, Die Sachmängelhaftung beim Unternehmenskauf, 1975, S. 6 ff. 78 ZfSchwR 1966, II, 423 ff. und ZGR 1976, 62, 69 ff. 79 FS Reinhardt, 1972, S. 249 ff. und in: Hadding/Schneider (Hrsg.), Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, 1979, S. 37 ff.; zuletzt ähnlich Teichmann (Fn. 61), S. 483 f. 80 Wie hier insbes. Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), S. 399 f.; Huber, Vermögensanteil (Fn. 4), S. 413 ff.; Ulmer, Großkomm. HGB, § 139 Anm. 93-95; Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 359, 361; für den KG-Anteil bejahend BGHZ 58, 316, 320 f. und LM Nr. 12 zu § 109 HGB (Fleck). Die Entwicklung geht – entgegen der früheren h.A. – ganz offenbar in die hier vertretene Richtung; vgl. dazu die Nachw. bei Ulmer, aaO. 81 Vgl. aber § 77 GenG (Fortsetzung durch Erben). 82 Allgemein zum subjektiven Recht vgl. aus neuerer Zeit etwa Kasper, Das subjektive Recht, Karlsruhe 1967 und Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, Berlin 1977 sowie den Überblick von Larenz, FS Sontis, S. 129 ff. 82a Für die Qualifizierung als subjektives Recht u.a. Wiedemann, S. 39; Huber, S. 164; Flume, S. 125 ff. Dagegen u.a. Müller-Erzbach, AcP 154 (1955), 299, 321; Staudinger/Keßler, 11. Aufl., § 705, Anm. 80; Heymann/Kötter, Komm. HGB, 21. Aufl., § 105 Anm. 1 (S. 320); Hadding (wie Fn. 79), mit weiteren Nachw. zum Streitstand.

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Recht lautet die traditionelle Aussage83. Und Mitgliedschaft ist auch weder ein Recht an Sachen, noch auf ein bestimmtes Verhalten [102] oder gar zur Gestaltung, vermittelt aber andererseits gerade solche Rechte durchaus, verbindet eine Fülle von Rechten und Pflichten in einem Verband. Wegen der besonderen Struktur von Mitgliedschaft muß daher auch hier jede Kategorisierung ungenau bleiben. Hatte mich der historisch streng entwickelte Gegensatz zwischen Rechtsverhältnis und subjektivem Recht zunächst Zurückhaltung üben lassen, so meine ich nunmehr, daß die Beziehung zwischen dem Subjekt Mitglied und seinem Objekt Mitgliedschaft vernünftigerweise doch nur als subjektives Recht bezeichnet werden kann. Im Gegenteil: ich halte dafür, den Bereich subjektiver Rechte (Sachen, Forderung, Gestaltung) ganz offen um die Mitgliedschaft zu erweitern; Mitgliedschaft ist subjektives Recht im Verband. III. Allgemeine mitgliedschaftliche Pflichten A. Die mitgliedschaftliche Förderpflicht 1. Grundlage a) Jede Mitgliedschaft vermittelt zunächst einmal spezifische Pflichten des Mitglieds, die außerordentlich vielseitig sein können, wie insbesondere die Pflicht zur Einlage von Geld und Gütern, die Mitarbeitspflicht, Geschäftsführerpflicht, Nebenleistungspflicht84. Ihr Inhalt und ihr Umfang ergeben sich in der konkreten Korporation aus Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag. Davon soll hier nicht gehandelt werden. Doch liegt die Annahme nahe, daß sich die mitgliedschaftlichen Pflichten nicht in dieser einmal getroffenen speziellen Festlegung erschöpfen können. Denn die Mitglieder haben als Inhalt ihrer Mitgliedschaft versprochen, den gemeinsam festgelegten Zweck als Inhalt ihres Rechtsverhältnisses auch gemeinsam zu verfolgen. Und die offenbare Unabsehbarkeit der Bedürfnisse und Notwendigkeiten bei Verfolgung dieses Zweckes in der Zukunft verlangen ein Verhalten unter den Partnern, das eben diese Erfordernisse der Flexibilität und Anpassung leistet. Das haben auch schon die Verfasser des BGB erkannt, jedenfalls geahnt, als sie in § 705 BGB formulierten, „… die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern, insbesondere …“.

83 Vgl. etwa Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des BGB, 15. Aufl., S. 428; Lehmann/ Hübner (Fn. 66), S. 80. 84 Vgl. den Überblick bei Schulze-Osterloh, Der gemeinsame Zweck der Personengesellschaften, 1973, S. 13 ff.

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Dieser Hinweis gilt unmittelbar für alle Personengesellschaften, ist aber darüber hinaus als Grundaussage für das gesamte Recht der priva- [103] ten Verbände zu interpretieren. Die Pflicht zur Förderung des gemeinsamen Zweckes, eine allgemeine Förderpflicht, ist Inhalt jeder Mitgliedschaft. Diese mitgliedschaftliche Pflicht ist heute auch, insbesondere auf dem Hintergrund der Arbeiten von Alfred Hueck85, Robert Fischer86, Zöllner87 und Immenga88 durchaus anerkannt89. Sie wird seither ebenso allgemein wie wenig glücklich „Treuepflicht“ genannt90. Unglücklich ist die Formulierung vor allem deshalb, weil sie ganz zwangsläufig zur Assoziation mit den Pflichten aus Treu und Glauben nach § 242 BGB führt91. Selbstverständlich gelten die Pflichten aus Treu und Glauben auch im Korporationsrecht92; und oft sind die Übergänge zwischen der Pflicht eines Mitgliedes aus Treu und Glauben und derjenigen aus der mitgliedschaftlichen Förderpflicht durchaus fließend, wie man etwa an der mißbräuchlichen Ausnutzung eines Zustimmungsrechtes einerseits, der Mitwirkungspflicht aus mitgliedschaftlicher Förderpflicht andererseits verdeutlichen kann. Aber die hier gemeinte Förderpflicht ist mehr, geht weiter93, gründet – so hat man in Anlehnung an die Syste- [104] matik des Schuldrechts zu sagen – als Hauptpflicht in jeder Mitgliedschaft93a. 85 Der Treugedanke im Recht der oHG, FS Hübner, 1935, S. 75; Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, insbes. S. 13 ff.; Recht der oHG, 4. Aufl. 1971, S. 192 ff. 86 NJW 1954, 777 ff. und in: Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 105 Anm. 31a-e. 87 Die Schranken (Fn. 20), S. 335 ff.; zuletzt in: Anpassung (Fn. 27), S. 34 ff. 88 Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 261 ff. 89 Die Position der Rspr. wird deutlich aus den Bemerkungen von Stimpel in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 18 und in: FS 25 Jahre BGH, 1975, S. 19. 90 Zur Ableitung der Treuepflicht – wie hier – aus der Förderpflicht insbes. Staudinger/Keßler, Anm. 35a vor § 705 BGB; dagegen allerdings sehr kritisch Fischer, Großkomm. HGB, § 105 Anm. 31a. 91 Deshalb wird auch immer wieder einmal versucht, diese besondere gesellschaftliche Pflicht auf die Pflichten aus § 242 BGB zurückzuführen; vgl. etwa Schmiedel, ZHR 134 (1970), 173, 181 ff. und dieser Auffassung offenbar zuneigend Hüffer, Verein und Gesellschaft, 1977, S. 48 Fn. 5. 92 A. Hueck, aaO. 93 Hält man sich nur einmal die anstehenden Sachfragen vor Augen, die unter diesem Aspekt zu lösen sind, wie beispielsweise etwaige Pflichten der Mitglieder zur Zustimmung zur Vertragsänderung (dazu BGH NJW 1960, 435 und WM 1978, 889 sowie Zöllner, Anpassung [Fn. 27], passim); Zustimmung zur Erhöhung von Tätigkeitsvergütungen (zuletzt BGH WM 1977, 1140); Abwahl von Beitragsmitgliedern (BGH LM Nr. 8 zu § 109 HGB); Hinnahme eines unter problematischen Umständen beigetretenen Komplementärs (BGH WM 1979, 1522), so erscheint mir der Rahmen von § 242 BGB klar gesprengt, auf jeden Fall aber unnötigerweise überfordert, wenn das Gesetz selbst problemnähere Anhaltspunkte gibt. 93a Für die Einordnung als Hauptpflicht bereits Staudinger/Keßler, aaO; Fischer, aaO; Stimpel, aaO.

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b) „Um Worte läßt sich trefflich streiten“ sagt Goethe94 – und doch sollte man gerade einen solchen Streit tunlichst vermeiden. Daher folgen hier nur wenige Sätze zur Verteidigung einer „allgemeinen Förderpflicht“ statt der heute üblich gewordenen Bezeichnung „gesellschaftliche Treuepflicht“. aa) Zunächst einmal geht es mir mit dieser Formulierung um eine dogmatische Rückbindung dieser in der Sache allgemein anerkannten Pflicht in das Gesetz und ihren Nachweis aus dem Gesetz (§ 705 BGB). Aber diese Rückbindung bedeutet per se weder eine Ausweitung noch eine Abschwächung im Inhalt dieser Hauptpflicht gegenüber dem, was sonst als konkrete Einzelpflicht aus der gesellschaftlichen Treuepflicht entwickelt wird. Das kann auch gar nicht anders sein; denn mit der Postulierung einer allgemeinen Förderpflicht aus Mitgliedschaft ist noch sehr wenig über ihren Inhalt gesagt. Insofern dürfte es eher mißverständlich sein, wenn Fischer die Ableitung der allgemeinen Förderpflicht (oder gesellschaftlichen Treuepflicht) aus § 705 BGB als „zu eng“ ablehnt95. bb) Im zweiten geht es mir um einen sprachlich-terminologischen Vorschlag. Man sollte die sachliche Verwechslung mit § 242 BGB vermeiden – aber auch die Gefahr, die unweigerlich mit einer Inflationierung ethischer Begriffe durch Verwendung als einfache termini technici verbunden ist96: Wenn ein Mitgesellschafter zu Nutz und Frommen seiner Konzerninteressen in die Kasse der gemeinsamen Veranstaltung greift97, so handelt es sich um das Gegenteil der Förderung gemeinsamer Belange, also um eine Verletzung der allgemeinen Förderpflicht: man braucht dabei nicht zusätzlich noch an Treue zu appellieren98. [105] Mephisto in Faust 1. Teil, Zeile 1997. Großkomm. HGB, § 105 Anm. 31a, S. 34. In der Sache wie hier H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 143: „Richtiger erscheint es, in der gesteigerten Treupflicht, die nicht geleugnet werden kann, einen Ausfluß der begriffsnotwendigen Pflicht zur Förderung des Gesellschaftszwecks zu sehen.“ 96 Die Wortethik sollte jedenfalls die Sachethik nicht überstrahlen. Daher zu stark in ersterem Sinne Würdinger, Gesellschaften, Bd. 2, S. 13 mit der Formulierung: „Die Treuepflicht ist nicht das Ergebnis rechtlicher Konstruktion, sondern sie ist ein alle Verbände beherrschendes rechtsethisches Prinzip“. Demgegenüber im Sinne einer Qualifizierung bestimmter Sachentscheidungen Wiedemann, ZGR 1980, 147 ff. 97 BGHZ 65, 15 (ITT). 98 Sieht man demgegenüber Treue als notwendiges Korrelat zum Vertrauen (Zöllner, Stimmrechtsmacht, S. 335 ff.), zur Situation der Gesellschafter also, welche ihre Interessen in der Gesellschaft auch ihren Mitgesellschaftern anvertrauen (Flume, Personengesellschaften, S. 259), so bleibt die Treue ein jedenfalls wenig strukturierter Oberbegriff, der erst nach seiner Auffächerung in aktive Förderpflichten, Unterlassungs- und Loyalitätspflichten Kontur gewinnen kann; dazu siehe im Text. Daher verwundert es auch überhaupt nicht, wenn der BGH (BGHZ 9, 157, 163) unter dem Stichwort der Treupflicht davon spricht, den einzelnen Gesellschafter treffe je nach Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages die Pflicht, sich für die Belange der Gesellschaft einzusetzen, um auf diese Weise also selbst das Stichwort der Treuepflicht wieder in Richtung auf den Wortlaut des § 705 BGB aufzulösen. 94 95

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cc) Und schließlich ist mit der „Verletzung von Treupflichten“ ein gewisser Geschmack verbunden, der sich eigentlich für die (schlichte) Nichterfüllung einer korporativen Hauptpflicht nicht recht ziemt: es könnte durchaus sein, daß hierin auch ein Grund für die über lange Zeit hin eher zögerliche Entfaltung dieser Pflichten durch die Rechtsprechung zu sehen ist. 2. Allgemeine Überlegungen zu Inhalt und Umfang der mitgliedschaftlichen Förderpflicht a) Überblick Diese jeder Mitgliedschaft inhärente allgemeine Förderpflicht steht zwar der Einlagepflicht im weitesten Sinne sehr nahe – man könnte die Einlagepflicht durchaus auch als spezielle Form der Förderpflicht bezeichnen –, ist mit dieser aber nicht identisch. Das wird deutlich an Vorschriften wie § 707 BGB für den Bereich der Personengesellschaften und den §§ 54 AktG, 26 ff. GmbHG für die Kapitalgesellschaften, die eine Erhöhung der Einlagepflicht von der Zustimmung des Mitglieds abhängig machen; diese Regeln betreffen nicht die allgemeine Förderpflicht, die latent, aber existent ist und daher keine potentielle Erhöhung der Einlageleistung zum Inhalt hat99. Inhalt und Umfang dieser allgemeinen Förderpflicht hängen von der Rechtsform, von Art und Inhalt des gemeinsamen Zieles ab und können in ihrer konkreten Gestalt entsprechend den Erfordernissen des gemeinsamen Zweckes so vielfältig sein, daß ihre konkrete Gestalt zu formulieren kaum möglich ist100. Möglich aber sind systematische Unterteilungen, wie sie im folgenden versucht werden. b) Realstruktur Bestimmend für den Inhalt und den Umfang dieser allgemeinen Förderpflicht ist darüber hinaus auch die reale Struktur des betreffenden Verbandes. Die Förderpflicht des einzelnen Mitgliedes ist in einer betont personal strukturierten GmbH größer als in einem Verein wie dem ADAC, in einem Gesangverein oder vor allem in einer Mitunternehmer- [106] gemeinschaft gleich welcher Rechtsform größer als bei Aktien von VW oder Bayer. Hier wirkt also, so lautet meine Aussage, die faktische Struktur des konkreten Verbandes und der betroffenen Mitgliedschaft auf die Rechtspflicht des Mitgliedes ein. Das klingt naturgemäß 99 Daher auch braucht kein Gesellschafter einem Verlängerungsbeschluß in einer Gesellschaft zuzustimmen, die nur auf eine bestimmte Zeit vereinbart wurde: das wäre eine Erhöhung der eingegangenen Verpflichtung und unterfällt daher nicht mehr der Förderpflicht; so zutr. Zöllner, Anpassung (Fn. 27), S. 41 f. Ebenso Fischer, Großkomm. HGB, § 105, Anm. 31a (zur „Treuepflicht“). 100 Vgl. aber oben Fn. 93.

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sehr nach einer normativen Kraft des Faktischen und bedarf daher einer dogmatischen Absicherung. Unser Recht der privaten Zweckgemeinschaften ist – im Gegensatz etwa zu dem anderer Rechtsordnungen – besonders vielfältig. Auch haben wir, wiederum anders als etwa das italienische Gesellschaftsrecht des Codice civile oder das französische Gesellschaftsrecht von 1966 und 1978101 keine gesetzliche Rahmenordnung, keine kodifikatorische Klammer über die verschiedenen Rechtsformen hinweg, etwa durch die formelle Zusammenfassung der verschiedenen Zweckgemeinschaften in einem Gesetz mit einzelnen materiellen Regeln, die für alle Gesellschaften gelten. Dennoch sind auch alle unsere Korporationsformen Ausprägungen einer einheitlichen Zweckidee, nämlich der rechtlich organisierten Verfolgung eines gemeinsamen Zieles durch mehrere Personen102. Die unterschiedlichen Rechtsformen sind dabei Ausprägungen bestimmter Typen von Zweckgemeinschaften103: das Verfolgen eines ideellen Zieles im rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen Verein, die Gewinnerzielung im wirtschaftlichen Bereich durch Hingabe von Kapital an ein unabhängiges Management in der Aktiengesellschaft104, der unternehmerischen Zusammenarbeit in der Mitarbeitergemeinschaft der Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der offenen Handelsgesellschaft105. Das Gesetz hat aber diese Typen in den meisten Fällen nicht so fest ausgeprägt, als daß sich Rechtsform und Typ in der Realität entsprechen würden. Daher gab es über lange Zeit hin immer wieder den Versuch, die Typik als gesetzlichen Zwang zu begreifen und daher die Grundtypenvermischung als dem Gesetz widersprechend zu entwickeln106, mindestens aber in der [107] Typik eine zwingende, die Gestaltungsfreiheit begrenzende Rahmenordnung zu sehen107. Dieser Ansatz war erfolglos und mußte erfolglos sein108. Richtig ist demgegenüber, die RechtsforSiehe dazu Müller-Gugenberger, ZHR 142 (1978), 589 ff. Hierzu insbes. Würdinger, Personengesellschaften (Fn. 32), S. 13 ff. 103 Larenz, Schuldrecht II, 11. Aufl., § 60 Ic (S. 341 sub Fn. 1): „Reihe variabler Typen“, die von der reinen Gesamthandsgemeinschaft bis zu Verein und AG führe. Ohne auf Überlegungen dieser Art einzugehen, beklagt Wiedemann, FS Fischer, 1979, S. 883, 885 die Tatsache, daß das deutsche Recht – durchaus mitgestaltet durch die deutsche Gesellschaftsrechtswissenschaft – die einzelnen Rechtsformen zu stark betone. 104 Zur Zweckverfolgung in der AG vgl. zuletzt Großmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, Köln 1980, § 3, sowie Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, Köln 1980, § 3. 105 Zum gemeinsamen Zweck der Personengesellschaften insbes. Schulze-Osterloh (Fn. 84), passim. 106 Etwa Zielinski, Grundtypenvermischung und Gesellschaftsrecht, 1925. 107 Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 2 ff. insbes. 7 f. mit weiteren Nachw. und dazu Helm, ZGR 73, 487 ff.; vor allem Reuter, Schranken (Fn. 24) für den Typus der „Satzungsgesellschaft“ und dazu Reinhardt, ZGR 1975, 366. 108 Vgl. die Kritiken von Helm und Reinhardt, aaO, sowie die von Schultze-v. Lasaulx, ZfGenR 1971, 325 ff. und Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 189-191; vgl. weiter die breite Erörterung dieser Denkfigur und ihrer Leistungsfähigkeit im Konflikt zwischen numerus 101 102

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men als Modelle einer typgerechten Ordnung zu sehen. So betrachtet ist das Recht unserer privaten Verbände über alle Rechtsformen hinweg eine Einheit mit modellhaften Einzelausprägungen. Entspricht daher die Realstruktur eines Verbandes nicht der von ihr gewählten Rechtsform, so ist das innerhalb sehr weiter Grenzen nicht etwa rechtswidrig. Geht man aber von der hier postulierten übergeordneten Einheit des Korporationsrechts aus109, so ist es durchaus systemgerecht, in solchen Fällen von dem Normengefüge der an sich typgerechten Rechtsform Aussagen für die betreffende Korporation zu übernehmen und auf diese zur Auslegungshilfe oder zur Lückenfüllung anzuwenden: vor allem dort also, wo dispositives Korporationsrecht zu unzureichenden Ergebnissen führt oder generelle Normen, wie eben die allgemeine Förderpflicht, zur Ausfüllung anstehen. Genau das judiziert der Bundesgerichtshof in durchaus zutreffender, dogmatisch aber nicht weiter abgesicherter Weise seit Jahren bei der Entscheidung von Konflikten in der sogenannten Publikums-Kommanditgesellschaft110: er hat auf sie, die große und personenferne Anlagegesellschaft, bestimmte Regeln des Aktienrechts als des an sich zutreffenden Korporationstyps übertragen111, diese Regeln aber weitgehend als dispositives Recht verstanden und dadurch zugleich auch der Rechtsform der Personengesellschaft mit ihrem System der vorrangigen Gestaltungs- [108] freiheit der Partner Rechnung getragen112. Und diese – dispositive113

clausus der Gesellschaftsformen und der Freiheit ihrer Ausgestaltung H. P. Westermann (Fn. 95), insbes. S. 95 ff. sowie Ott, Die Problematik der Typologie im Gesellschaftsrecht, Bern 1972. 109 Zutr. ist der Hinweis von H. P. Westermann, daß Unterschiede im Erbrecht und bei der Kreditsicherung bleiben. Wenn man aber die Mitgliedschaft auch im Recht der Personengesellschaften als potentiell übertragbaren (und belastbaren) Gegenstand (dazu oben II, 2) und die nun gefestigte Rspr. zum Erbrecht dort sieht (BGHZ 68, 225), sind selbst hier die reinen Rechtsformunterschiede nicht mehr gar so groß. 110 Einen Überblick über die Rspr. geben insbes. U. H. Schneider, ZHR 142 (1978), S. 228 ff. und Stimpel, FS Fischer, 1979, S. 771 ff. 111 Vgl. etwa BGHZ 68, 207, 219: im Auslegungswege wurden dort für das freiwillig (vertraglich) eingerichtete Kontrollorgan bestimmte Aufsichtspflichten ermittelt, die denen des aktienrechtlichen Aufsichtsrats weitgehend entsprechen. 112 In der Entscheidung BGHZ 71, 53 wurde das Mehrheitsprinzip für Kapitalerhöhungen in solchen Gesellschaften durch typgerechte Auslegung ermittelt; doch gibt der BGH an keiner Stelle zu erkennen, daß er eine Vertragsklausel, welche von der Gestaltungsfreiheit Gebrauch macht und etwa das Einstimmigkeitsprinzip formuliert, nicht akzeptieren würde: Es bliebe dann nur das sehr viel engere Obstruktionsverbot (dazu unten C, 2 sowie Zöllner, Stimmrechtsmacht, S. 95) und ggf. die Pflicht zur Mitwirkung an der allgemeinen oder speziellen Änderung der Klausel. Dieser vorrangigen Gestaltungsfreiheit steht auch nicht etwa die Rspr. zur Inhaltskontrolle der Gesellschaftsverträge von Publikums-Personen-Gesellschaften (BGHZ 64, 238 und dazu Schulte, ZGR 1976, 97) entgegen; denn sie dient der „Wiederherstellung der Vertragsgerechtigkeit“ (aaO, S. 242) dort, wo Vertragsverhandlungen unter den Partnern nicht stattfinden und damit die Voraussetzungen entfallen, unter denen die Vertragsgerechtigkeit angenommen werden kann.

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– Anwendung von Normen des Aktienrechts im Recht der Kommanditgesellschaft auf dem Hintergrund einer – nie formulierten, aber offenbar geahnten – Einheitsbetrachtung des Korporationsrechts, betrifft auch nicht etwa nur Schutznormen und Mindestrechte der Gesellschafter114, sondern z. B. auch Normen zur Funktionsfähigkeit solcher Zweckgemeinschaften, wie etwa das erwähnte Mehrheitsprinzip115. Damit soll mitnichten der Verdrängung des Gesetzes durch eine Typuslehre das Wort geredet werden. Es geht vielmehr um die Gewinnung von Auslegungskriterien insbesondere für dispositive Normen des Verbandsrechtes, für die Satzung und den Gesellschaftsvertrag, aber auch um Anhaltspunkte für die Entscheidung von Konflikten, die üblicherweise nicht oder nur ganz unvollständig normiert sind und meist auch gar nicht normiert werden können (Beispiel: Nebenleistungs- und Nebenpflichten im Vertragsrecht). Akzeptiert man diesen Gedanken einer systematischen Einheit des gesamten privaten Verbandsrechts und seiner modellhaft ausgeformten Strukturen in den einzelnen Rechtsformen, so ist die hier angesprochene Realstruktur der konkreten Mitgliedschaft nichts anderes als das Spiegelbild eben der rechtserheblichen Typik des konkreten Verbandes. B. Aktive Förderpflichten Soeben wurde bereits festgestellt, daß die allgemeine Förderpflicht nicht mit der Einlagepflicht identisch ist und damit auch nicht ihrer Sperrwirkung unterliegt. Aktive Pflichten eines Mitglieds als Konkretisierung der allgemeinen Förderpflicht scheiden damit ebensowenig aus [109] wie umgekehrt aus der Förderpflicht zusätzliche Einlagepflichten entwickelt werden können. Im übrigen werden die aktiven Förderpflichten entscheidend bestimmt durch den Inhalt des Gesellschaftsvertrages und der Satzung, insbesondere den statutarischen Zweck des Verbandes116, durch seine Rechtsform und reale Struktur sowie die Position des betreffenden Mitglieds im Verbande selbst. Ob das Mitglied an den Übungen seines Vereins Freiwillige Feuerwehr teilnehmen, beim Konzert seines Gesangvereins mitsingen, an Wettkämpfen seines Vereins teilnehmen, während des Streiks als Gewerkschaftsmitglied Plakate kleben und Pos113 Den Vorrang der Gesellschafterentscheidung betont deshalb auch zu Recht Stimpel, FS Fischer, 1979, S. 771 ff. 114 Aus eben dieser Realstruktur hat der BGH dann auch ganz zutr. Mindestrechte der Gesellschafter abgeleitet; vgl. U. H. Schneider, ZHR 142 (1978), 228, 249 ff. mit weiteren Nachw. 115 BGHZ 71, 53 und dazu Hadding, ZGR 1979, 636. 116 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit (Fn. 95), S. 143. Ebenso der BGH in BGHZ 65, 15, 20 mit der Formulierung, der Zweck der Gesellschaft und die tatsächliche Verwirklichung dieses Zweckes könne nicht ohne Einfluß auf den Geltungsbereich der Treuepflicht bleiben.

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ten stehen, bei der Ausschließung eines Mitglieds117 oder bei der Meinungsbildung im Verband überhaupt mitwirken muß118, hängt von eben diesen Faktoren ab. In der typischen Aktiengesellschaft steht das einzelne Mitglied der realen Zweckerreichung rechtlich und faktisch so fern, daß aktive Förderpflichten nicht in Betracht kommen119. Aber ganz anders ist die Rechtslage in der gleichen Aktiengesellschaft wenn zwei Partner zu je 50% beteiligt sind und die Satzung ein Kapitalquorum von 60% vorschreibt120. Daher auch ist der Gesellschafter einer GmbH und insbesondere der Inhaber einer Sperrquote zur Mitwirkung an der Feststellung des Jahresabschlusses verpflichtet, da anders die Gesellschaft ihre öffentlichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen und ihre Geschäfte nicht reibungslos führen kann. Erweist sich der Gesellschaftsvertrag eines personalen Zweckverbandes als schlechthin hinderlich für die gemeinsame künftige Zweckverfolgung, so ist das Mitglied zur aktiven Mitwirkung an der mindestens erforderlichen Änderung verpflichtet121. Eine ähnliche Handlungspflicht hat der einflußnehmende Gesellschafter einer GmbH, die ihren Geschäftsbetrieb weit über die vorhandene Kapitaldecke hinaus ausgeweitet hat; er muß für eine Kapitalerhöhung, die Einschränkung des Geschäftsbetriebes oder gar die ordnungsgemäße Liquidation der [110] Gesellschaft Sorge tragen122. In der personennahen Mitarbeitergemeinschaft führen diese Überlegungen zur Pflicht jedes Mitglieds, nicht nur an Entscheidungen mitzuwirken, sondern auch Stellung zu beziehen: da die Stimmenthaltung dort ein Nein ist und die Mitglieder in der Lage sein müssen, sich auf die Gründe ihrer Partner einzustellen, muß dieser seine Meinung offenlegen. C. Passive Förderpflichten: Unterlassungs- und Loyalitätspflichten Die Offenheit jedes Verbandes nach vorne führt zu der Notwendigkeit, in ihm für die Möglichkeit einer künftigen Willensbildung und deren formale Struktur zu sorgen. Diese kann sich eher an den Personen orientieren und auf diese Weise zum Einstimmigkeitsprinzip führen, oder aber stärker funktionsbezogen Insbes. BGHZ 64, 253 und dazu Kollhosser, NJW 1976, 114 sowie Nickl, JuS 1977, 14. Zur Stimmpflicht vgl. allgemein Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 353 ff. und speziell in der Personengesellschaft Flume, Personengesellschaften (Fn. 5), S. 263 je mit weiteren Nachw. 119 Treubindungen des Aktionärs in der AG haben deshalb im wesentlichen rechtsbegrenzenden Charakter; vgl. hierzu umfassend Fechner, Die Treuebindungen des Aktionärs, 1942; aus neuerer Zeit siehe Lutter, JZ 1976, 225, sowie Zöllner, in: Kölner Komm. zum AktG, § 243 Anm. 189 ff. 120 Was möglich ist, vgl. Zöllner, aaO, § 122 AktG, Anm. 30, 31. 121 Dazu Zöllner, Anpassung (Fn. 27), insbes. S. 20 ff. 122 Dazu Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31 ff. 117 118

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sein und auf diese Weise das Mehrheitsprinzip begründen. Im ersten Falle wird der Verband und sein Geschick der Loyalität jedes Einzelnen, im letzteren derjenigen der Mehrheit überantwortet. Denn der materielle Inhalt der künftigen Willensbildung kann so gut wie überhaupt nicht durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung vorgeordnet werden; möglich ist nur die Erteilung von Handlungsund Entscheidungskompetenzen. Um so stärker muß daher die Ausfüllung dieser formalen Rahmennormen unter dem materiellen Aspekt stehen, daß Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Zweck die Loyalität jedes Einzelnen nach Maßgabe seiner Befugnisse und seines Einflusses verlangt. An dieser Rechtspflicht bestehen daher auch heute keine Zweifel mehr123. Diese Unterlassungs- und Loyalitätspflicht des Mitglieds gegenüber seinem Verband und dessen Zielen wird hier als eine Erscheinungsform der allgemeinen Förderpflicht verstanden. Materiell ist kein Unterschied erkennbar, ob nun ein Mitglied an einer Maßnahme des Verbandes aktiv – etwa durch seine Zustimmung – mitzuwirken oder aber etwa Wettbewerbshandlungen gegen den Verband zu unterlassen hat. Es ist daher von einem einheitlichen Gedanken mitgliedschaftlicher Förderpflichten auszugehen, der in der Substanz identisch ist mit der heute postulierten und weitgehend akzeptierten allgemeinen mitgliedschaftlichen Treuepflicht124. Denn auch die aus der Förderpflicht ableitbaren mitgliedschaftlichen Unterlassungspflichten sind stärker und tiefgreifender als [111] die allgemeinen Sorgfaltspflichten und Mißbrauchsverbote, wie sie aus § 242 BGB folgen. Im übrigen sind gerade im Bereich der Unterlassungspflichten die Fallgestaltungen ungemein vielfältig. Will man wenigstens einen Überblick über die Vielfalt der möglichen Konflikte geben, so ist hier eine gewisse Systematisierung unabdingbar. 1. Der nach außen getragene Konflikt Beispiele: der Kommanditist bezeichnet seine eigene KG den Kunden gegenüber als unzuverlässig; der Aktionär von Siemens erklärt den Vorstand als unfähig und erwirbt deshalb Aktien auch von AEG; das Mitglied des Golf-Clubs bezeichnet bei jeder Gelegenheit Golf als eine kapitalistische Provokation.

aa) Obwohl die genannten Fälle einander gleichen, können sie doch unter dem Aspekt der Loyalitätspflicht kaum in gleicher Weise gelöst werden. Man hat deutlich den Eindruck, daß der Kommanditist einer typischen KG seine Pflicht 123 Vgl. Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 335 ff.; Immenga (Fn. 88), S. 261 ff.; Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 18 f.; Lutter, JZ 1976, 225 ff. je mit weiteren Nachw.; aus der Rspr. vgl. BGHZ 65, 15. 124 Symptomatisch ist, daß deren Inhalt fast regelmäßig genau in die hier gemeinten Pflichten aufgelöst wird; vgl. etwa Hachenburg/Schilling, 7. Aufl., § 14 GmbHG Anm. 23: Inhalt der Treupflicht sei es, die gesellschaftlichen Interessen zu wahren und zu fördern und deren Schädigung zu unterlassen.

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verletzt und ist geneigt, dem Aktionär freie Bahn zu lassen. Bei dieser Beurteilung ist man auch tatsächlich nicht schlecht beraten. Denn Dichte und Ausmaß der Loyalitätspflicht lassen sich nicht global, sondern wiederum nur unter Berücksichtigung von Rechtsform, Realstruktur und Zweckidee des Verbandes sowie Einfluß des Mitgliedes beantworten125. Der typische Kommanditist ist unternehmerischer Partner und wird extern nicht unerheblich mit dem Verband identifiziert. Seine Kampagne gegen den Verband gefährdet die interne Basis des Vertrauens – wird also zum Binnenkonflikt – und extern das Ansehen der KG, mithin deren Zweckverfolgung und Zweckverwirklichung. Ganz anders ist es bei dem typischen Aktionär; er wird nicht als Aktionär gesehen sondern als quivis ex populo, unterliegt also nur allgemeinen, nicht spezifisch korporativ zu denkenden Schranken. Aber beides ändert sich, wenn es sich im ersten Fall um einen von 1000 Kommanditisten vom 23. Fonds der Bremer Treuhand handelt, im anderen Fall um den Geschäftsführer von Bosch, der sich in dieser Weise über ein Gemeinschaftsunternehmen mit Daimler in der Rechtsform der AG äußert. Im letzteren Falle wäre – ohne jeden Rückgriff auf eine angebliche Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zwischen diesen Partnern des Gemeinschaftsunternehmens125a – allein aus der Realstruktur dieser AG [112] auf die Verletzung von Loyalitätspflichten zu schließen, der Kommanditist dagegen von Sonderpflichten solcher Art freizuhalten. Beim Mitglied des Golf-Clubs wird man ebenfalls auf die reale Gefährdung der Vereins-Ziele gerade aus dem widersprüchlichen Verhalten des Mitglieds abzustellen haben. Auch ein Mitglied bleibt frei zur Meinungsäußerung, aber gebunden zugleich an die Pflicht, den Verband nicht gerade durch die Doppeldeutigkeit seines Verhaltens zu gefährden. Auch hier kommt es entscheidend auf die konkreten Verbandsziele und die Stelle des Mitglieds in ihm an: ein „privater“ Verein kann höhere Loyalität beanspruchen als eine quasi-öffentliche Einrichtung126 wie der Fast-Monopolist ADAC oder der tatsächliche Monopolist DFB: eine kleine Gruppe nimmt das einzelne Mitglied stärker in rechtliche Pflicht als ein Großverband. bb) Ein häufiger Außenkonflikt liegt in der Schädigung des Verbandes durch den Wettbewerb seitens seiner Mitglieder; das Mitglied verfolgt die gleichen Ziele auf gleichem Wege noch anderwärts. 125 So auch schon Müller-Erzbach (Fn. 1), S. 313 f. mit dem Hinweis, die Pflicht sei abhängig von der Reichweite der Interessengemeinschaft (scil.: dem Zweck) und vom Grade der Geschlossenheit (scil.: der Rechtsform und der Realstruktur). 125a Für eine solche BGB-Gesellschaft als notwendige Grundlage der Treupflicht zuletzt Verhoeven, GmbH-Konzern-Innenrecht, 1978, S. 59 ff., insbes. 73 ff.; dagegen zu Recht Karsten Schmidt, GmbHRdsch. 1979, 121, 125. 126 Zu dieser Unterscheidung vgl. im Zusammenhang mit der Vereins-„Disziplinargewalt“ Reuter, ZGR 1980, 101 ff.

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In diesem Zusammenhang ist man nicht nur auf eigene Überlegungen angewiesen, sondern findet für den wirtschaftlichen Wettbewerb im Gesetz selbst einen Anhaltspunkt für die Lösung. Nach § 112 HGB ist dem persönlich haftenden Gesellschafter einer oHG oder KG der aktive Wettbewerb verboten, nicht aber das (nur) finanzielle Engagement in anderen Korporationen gleichen Tätigkeitsbereiches. Damit gibt das Gesetz selbst Hinweise, den Konflikt unter Berücksichtigung der Rechtsform und der Realstruktur sowie unter Beachtung des Wettbewerbsgebots aus dem GWB zu lösen128. Denn einmal verweist die Norm auf eine Belastung der internen Vertrauensbasis durch Wettbewerb des aktiven Gesellschafters, aber ebenso auf den externen Konflikt durch die notwendige Ausnutzung von wechselseitigen Informationen. Wirtschaftlicher Wettbewerb des nicht in der Geschäftsführung tätigen Mitglieds ist also im Grundsatz erlaubt; das aber gilt nicht, wo die [113] Realstruktur des Verbandes abweicht129, wo also das betreffende Mitglied über Informationen aus dem Geschäftsführungsbereich des Verbandes verfügt130 oder aber der Verband de facto als personale Mitunternehmergemeinschaft (Gemeinschaftsunternehmen) besteht und durch den Wettbewerb eines seiner personal gebunden Mitglieder im notwendigen Vertrauensbereich gestört wird131. Von besonderem Gewicht ist die Realstruktur schließlich bei ideeller Zwecksetzung, dort also, wo Rechtsgedanken aus dem GWB nicht eingreifen, der konkurrierende Angriff auf die gemeinsame Zwecksetzung also unmittelbar und ohne Rückgriff auf die Wettbewerbsidee beurteilt werden kann. Von Fällen ganz und gar säkularisierter Großverbände wie etwa des ADAC abgesehen ist es zutreffend, hier die Loyalitätspflicht in bezug auf das eigene Versprechen gemeinsamer Zweckverfolgung ernst zu nehmen. Wer daher innerhalb angemessener Zeit den bisherigen Verband verlassen kann, bleibt so lange zu strikter Loyalität seinem Verband gegen-

Vgl. BGH DB 1977, 2226. Zum Einfluß des Kartellrechts auf das gesellschaftsrechtliche Wettbewerbsverbot vgl. zuletzt Kellermann, FS Fischer, 1979, S. 307 ff. 129 Zu atypischen Gestaltungen vgl. insbes. Fischer, Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 112 Anm. 8, der – wie hier – allein auf die „tatsächliche Beherrschung“ abstellt. 130 Etwa der die Gesellschaft beherrschende Kommanditist, vgl. BGHZ 45, 204 (Rektorfall). 131 Deshalb ist es auch durchaus berechtigt, die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens als strukturell veranlaßte Änderung der Wettbewerbslage zu verstehen. Zum Gemeinschaftsunternehmen im Kartellrecht zuletzt Huber, in: Huber/Börner, Gemeinschaftsunternehmen im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht, Köln 1978, S. 7 ff., 25 ff. 127 128

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über gehalten und darf „Konkurrenzgründungen“ jedenfalls nicht aktiv betreiben132. 2. Binnenkonflikte Konflikte im Innenbereich des Verbandes entstehen in erster Linie durch das obstinate Verhalten eines Mitglieds und durch den Fehlgebrauch von mitgliedschaftlichem Einfluß auf die Handlungs- und Entscheidungsebene des Verbandes und zu dessen Nachteil statt zu seiner Förderung. Der erste Konfliktbereich wurde bereits unter dem Stichwort der aktiven Förderpflicht erörtert. Der zweite umfaßt das mit Abstand wichtigste und umfangreichste Konfliktpotential innerhalb eines Verbandes überhaupt. Beispiele: Das Mitglied verwendet die ihm zustehenden organisatorischen Befugnisse zu eigensüchtigen Zwecken, verläßt also die Ebene der Zielverwirklichung in Partnerschaft: ITT-Fall – Mißbrauch von Mehrheitsmacht133; die [114] Gesellschafterversammlung einer GmbH weist den Geschäftsführer an, die Tätigkeit der Gesellschaft auf Süddeutschland zu beschränken, um dem Mitgesellschafter A in Norddeutschland den Aufbau eines eigenen Unternehmens gleicher Struktur zu ermöglichen. Die Gesellschaft plant Erweiterungsinvestitionen; die Stadt ist zur Förderung durch Verkauf eines Grundstücks weit unter Preis bereit. Das Grundstück wird dann von den beiden Hauptgesellschaftern privat erworben und der Gesellschaft zu Marktpreisen verpachtet134.

a) Handelt es sich um Konflikte, an denen ein sogenannter Unternehmensgesellschafter beteiligt ist, so ist hier der gesamte Komplex des Rechts der verbundenen Unternehmen, und in ihm insbesondere der Bereich der abhängigen Gesellschaft angesprochen. Es wäre vermessen, diesen Komplex hier aufrollen zu wollen. Daher nur so viel: Hält ein Mitglied allein oder in einer festen Verbindung mit anderen Mitgliedern ständig die Mehrheit im Verband, so ist es gerade wegen der Offenheit des Verbandes „nach vorne“ und den darin enthaltenen Gestaltungsmöglichkeiten viel stärker auch Treuhänder der Minderheit und daher viel stärker in seinem Handeln an den gemeinsamen Zweck gebunden, als wenn es sich um eine Gesellschaft mit wechselnden Mehrheiten handeln würde. Dem Maß des Einflusses

Zutreffend daher BGH DB 1977, 2226. BGHZ 65, 15; dazu Schilling, BB 1975, 1450; Ulmer, NJW 1976, 193; Brezing, AG 1976, 5; Rehbinder, ZGR 1976, 386; Wiedemann, JZ 1976, 392; H. P. Westermann, GmbHRdsch. 1976, 77. Vgl. weiter die Referate im Sammelband „Der GmbH-Konzern“, Köln 1976, sowie zum GmbH-Konzernrecht allgemein Verhoeven (Fn. 125) und Karsten Schmidt, GmbHRdsch. 1979, 121 ff. 134 Vgl. den Fall BGH WM 1977, 361 = BB 1977, 465 und dazu Wank, ZGR 1979, 233; zur Lehre von der „corporate opportunity“ vgl. Mestmäcker, Verwaltung (Fn. 34), S. 166 ff. und Immenga (Fn. 88), S. 156 ff. 132 133

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korrespondiert, wie es Zöllner135 und der BGH136 treffend formuliert haben, das Maß der Rücksichtnahme, aber auch, wie die Gervais-Entscheidung des BGH zeigt137, das Maß an Verantwortung. Auch das macht deutlich, daß die mitgliedschaftliche Förder- und Loyalitätspflicht der Gemeinschaft gegenüber nicht etwa identisch ist mit den allgemeinen Pflichten aus Treu und Glauben. Die Treuhandstellung des Mehrheitsgesellschafters (Mehrheitsgruppe) hatte auch Mestmäcker138 bereits richtig erkannt, jedoch davon abgesehen auf diese Erkenntnis ein System aufzubauen. Später wurden dann die §§ 117, 311 ff. AktG geschaffen, welche als leges speciales gegenüber der hier postulierten allgemeinen Förderpflicht den Loyalitätsverstoß im Aktienrecht zum Teil legitimieren (§§ 311 ff.)139, zum Teil [115] völlig unzureichend normieren (§ 117 AktG)140. Diese Regelung hat über ein Jahrzehnt hin die Diskussion bestimmt. Erst heute gelingt für die Korporationsformen außerhalb der Aktiengesellschaft und auf dem Hintergrund der Arbeiten von Mestmäcker und Immenga141, wie neuerdings von Emmerich142 und H. P. Westermann143 die Rückbesinnung auf den rechtlichen Ausgangspunkt, nämlich die Verpflichtung jedes Mitglieds auf das gemeinsame Ziel, auf dessen Förderung und auf korporative Loyalität. Dabei ergeben sich, wie die ITTEntscheidung des BGH und die Diskussion um sie erweisen144, durchaus überzeugende und abgewogene Lösungen. Wäre die Systematisierung und Materialisierung des Konflikts schon vor 1965 gelungen und hätte vor allem auch der Bundesgerichtshof in einem der ITT-Entscheidung vergleichbaren Fall früher entscheiden können, so wäre es möglicherweise nicht zu der an Hypothesen ausgerichteten und daher zwangsläufig unbefriedigenden lex lata der §§ 311 ff. AktG gekommen, sondern zu einer viel stärker materiell bestimmten Pflichtenposition des herrschenden Unternehmens. Auf jeden Fall haben wir, deutlich erkennbar, in diesem Kernbereich korporativer Loyalitätskonflikte heute 135 Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 337, 350; ähnlich, und diesen Gedanken weiterführend Immenga (Fn. 88), S. 264 ff., 274. 136 BGHZ 65, 15, 19. 137 BGH WM 1979, 937 ff. 138 Verwaltung (Fn. 34), S. 195 ff., 223, 355. 139 a. A. Würdinger, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 311 Anm. 5 und zuletzt Ebenroth, Die verdeckten Vermögenszuwendungen im transnationalen Unternehmen, 1979, S. 441 ff. mit weiteren Nachw., welche das nachteilige Handeln der Verwaltung im abhängigen Unternehmen weiterhin für pflichtwidrig erachten und nur die Rechtsfolge (Ausgleich statt Schadenersatz) für geändert ansehen. 140 Näher hierzu Lutter, Schweiz. AG 1976, 152 ff. 141 Immenga (Fn. 88), passim. 142 AG 1975, 253 ff., 285 ff.; ähnlich in: Der GmbH-Konzern, 1976, S. 4 ff. sowie Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 2. Aufl., S. 230 ff. 143 Grundsatzfragen des GmbH-Konzerns, in: Der GmbH-Konzern, 1976, S. 25 ff. und die GmbHRdsch. 1976, 77 ff. 144 Vgl. die Nachw. oben Fn. 133.

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schon zwei Systeme, die sich in Teilen konkurrierend gegenüberstehen: das bietet die Chance, in vielleicht weiteren 15 Jahren ihre jeweiligen Vorzüge und Nachteile noch genauer auszumessen. b) Besteht der Konflikt außerhalb des Bereiches mehrfacher unternehmerischer Interessen eines Mitglieds, so kommt als Lösungsansatz überhaupt nur die mitgliedschaftliche Loyalitätspflicht in Betracht. Das Problem liegt hierbei weniger in der Feststellung der unterschiedlichen Interessen als im Maßstab der Abwägung145. Daher dürfte es entscheidend auf den Gegenstand des Konflikts ankommen. Je mehr er auf die Gesellschaft selbst bezogen ist, desto stärker ist die Loyalitätspflicht, je weniger (etwa typische Minderheitsrechte), desto geringer. Alfred Hueck146 und ihm folgend Robert Fischer147, Zöllner148 und [116] Immenga149 haben bereits darauf hingewiesen, daß Dichte und Intensität der Loyalitätspflicht im Verband vom Inhalt der Maßnahme und der ausgeübten Befugnisse abhängen. Je stärker der Konflikt mit Geschäftsführung, also Zielverwirklichung zusammenhängt, desto stärker ist die Bindung; je mehr die in Anspruch genommenen Rechte der Sicherung eigener mitgliedschaftlicher Interessen dienen, desto mehr kann das allgemeine Loyalitätsgebot zurückgedrängt werden. Geht es also in einem Beschluß unmittelbar oder auch nur mittelbar um Fragen zur und Einflüsse auf die Geschäftsführung der Korporation, so hat das Loyalitätsgebot klaren Vorrang vor allen „Privatinteressen“ des Mitgliedes. Geradezu exemplarisch sind in diesem Zusammenhang Beschlüsse oder Einflußnahmen mit dem Ziel der Sicherung eigener künftiger Chancen oder der Ausnutzung einer Chance der Gesellschaft zu eigenem privaten Nutzen. Daher kann es kaum fraglich sein, daß Mitglieder, welche sich in Chancen der Gesellschaft eindrängen und sie zu persönlichem Vorteil wahrnehmen, ihre Loyalitätspflichten verletzten150. Und dabei kommt es gar nicht so sehr auf die konkrete Stellung des betreffenden Mitgliedes im Verband oder gar auf die Rechtsform des Verbandes an151, sondern allein darauf, ob die entscheidende Information dem betreffenden Mitglied aus dem Verband heraus vermittelt wurde; das gilt erst recht, wenn das betreffende Mit-

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1947.

Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 343. In: Festschrift für Hübner, 1935 und in: Der Treuegedanke im modernen Privatrecht,

NJW 1954, 777. Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 344 ff. 149 Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 261 ff. 150 BGH WM 1977, 361 = BB 1977, 465 und dazu Wank, ZGR 1979, 222, 233 ff. 151 Der GmbH-Fall des BGH (vorige Fn.) hätte in dieser Zusammensetzung der Gesellschafter in der Rechtsform der AG nicht anders als in der einer KG entschieden werden können: nur prozessuale Fragen hätten anders behandelt werden müssen (strenge Anfechtungsfrist im Aktienrecht, Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses im KG-Recht). 147 148

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glied von außen, also vom Partner des betreffenden Rechtsgeschäfts als weitgehend mit der Gesellschaft identisch betrachtet wird. Geht es dagegen nicht um die Zweckverfolgung der Gesellschaft im Konflikt mit privaten Interessen ihrer Mitglieder, sondern um die Wahrung mitgliedschaftlicher Interessen, also insbesondere um Minderheitsinteressen – etwa um die Durchsetzung der Einberufung einer Versammlung, einer Sonderprüfung, der Bestellung eines Stammesgeschäftsführers etc. – so haben diese Interessen Vorrang und müssen der allgemeinen Loyalitätspflicht nur dann weichen, wenn sie außer Verhältnis geraten zur Idee der gemeinsamen Zweckverfolgung152. (Nur) in diesem Bereich würde das allgemeine Verbot mißbräuchlicher Ausnutzung von Rechtspositionen aus § 242 BGB schon genügen; der Hinweis auf die fortbestehende Loyalitätspflicht aus Mitgliedschaft hat hier also nur ergänzenden Charakter. [117] D. Die Rechtsfolgen verletzter Förderpflichten Beispiel: Ein Gesangverein gibt ein Konzert. Weil der 1. Tenor des Vereins an diesem Abend schlechter Laune ist, erscheint er zum Konzert nicht. Das Konzert wird ein Reinfall. Der Eintritt muß wegen des blamablen Auftretens des Vereins zurückgezahlt werden. Dem Verein entstehen Unkosten: die Saalmiete ist bezahlt worden, die Werbung hat das restliche Vereinsvermögen in Anspruch genommen. Muß der Tenor in diesem Fall den Schaden bezahlen?

a) Die mitgliedschaftlichen Förder- und Loyalitätspflichten werden hier als Element jeder Mitgliedschaft verstanden und allgemein auf § 705 BGB gegründet. Sie sind daher mitgliedschaftliche Hauptpflicht153. Ihre Klagbarkeit auf Erfüllung oder Unterlassung erscheinen mir daher auch im Grundsatz wenig problematisch154. Typische Beispiele sind die Mitwirkungspflichten bei gestaltenden Maßnahmen in der Personengesellschaft155 oder Pflichtbeschlüsse in der GmbH156:

Fischer, NJW 1954, 777 ff.; Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 18 f. Staudinger/Kessler, Anm. 35a vor § 705; Fischer, Großkomm. HGB, § 105 Anm. 31a; Stimpel, aaO. 154 Fikentscher hat hier in der Diskussion den schönen Ausdruck von „breach of membership“ in Parallele zu „breach of contract“ geprägt: mit dann eben auch parallelen Rechtsfolgen. 155 Die Rspr. hat hier nicht gezögert, Erfüllungsansprüche zu gewähren; vgl. zur Vertragsanpassung BGHZ 44, 40 und BGH WM 1979, 889 sowie dazu Zöllner, Anpassung (Fn. 27), S. 18 ff. mit weiteren Nachw. gegen Kollhosser, FS Westermann, 1974, S. 275 ff. und FS Bärmann, 1975, S. 533 ff. Weitere Fälle: Verurteilung zur Mitwirkung beim Ausschluß eines Gesellschafters (BGHZ 64, 253 und 68, 81) oder bei seiner Wiederaufnahme (BGHZ 30, 195) oder bei der Abwahl eines Beiratsmitgliedes (BGH LM Nr. 8 zu § 109 HGB). Demgegenüber ist die Klagbarkeit mitgliedschaftlicher Loyalitätspflichten gegenüber dem Verband (Unterlassungspflicht) vom BGH in DB 1977, 2226, 2227 unter Hinweis auf unter152 153

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die Rechtsprechung hat nicht gezögert, Ansprüche auf Erfüllung anzunehmen und durchzusetzen157. b) Die Tatsache, daß die mitgliedschaftlichen Förder- und Loyalitätspflichten üblicherweise als Treue- und Schutzpflichten bezeichnet werden, bringt es mit sich, daß sie gelegentlich als Nebenpflichten im mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis angesehen werden158. Aber auch bei einer solchen Betrachtung wäre die Klagbarkeit gegeben159. Nebenpflichten im regulären Schuldverhältnis sichern die Hauptpflicht und deren Abwicklung (sog. unselbständige Nebenpflichten) oder [118] haben trotz ihrer Bindung an die Hauptpflicht einen Eigenzweck. Für letztere wird der Erfüllungsanspruch allgemein akzeptiert160; ihnen würden in der hier getroffenen Einteilung die aktiven Förderpflichten entsprechen. Stärker umstritten ist die Klagbarkeit von unselbständigen Nebenpflichten161, denen in dieser Betrachtung die Unterlassungs- und Loyalitätspflichten entsprechen würden. Ausdrücklich gewährt das BGB nur sehr sporadisch den Anspruch auf Erfüllung einer Schutzpflicht: nach § 550 BGB etwa kann der Vermieter den vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache durch Klage unterbinden162. Vor allem im HGB finden sich darüber hinaus weitere positiv formulierte Nebenpflichten, deren Klagbarkeit unbestritten ist163; das gilt insbesondere für die handelsrechtlichen Wettbewerbsverbote der §§ 60, 61, 112, 113 HGB. Die weitgehende Abstinenz des Gesetzes darf nicht als abschließende Regelung mißverstanden werden164. Vor allem aber können die unselbständigen Schutzpflichten im Grundsatz nicht anders behandelt werden als die rechtsähnlichen deliktischen Verhaltenspflichten. Auch die nur seltene Regelung des Unterlassungsanspruchs hat Lehre und Rechtsprechung im deliktischen Bereich nicht davon abgehalten, zur Verbesserung des Güterschutzes die Erzwingbarkeit konschiedliche Literaturmeinungen (Erman/Westermann, § 38 Anm. 2 gegen Soergel/Siebert/Schultzev. Lasaulx, § 38 Anm. 7) ausdrücklich offengelassen worden. 156 Hachenburg/Schilling, 7. Aufl., § 13 GmbHG Anm. 7 zur Mitwirkungspflicht bei der Feststellung des Jahresabschlusses. 157 BGHZ 44, 40 sowie die Nachw. bei Kollhosser und Zöllner, aaO. und oben Fn. 155. 158 So etwa MK-Reuter, § 38 Anm. 8 „sekundäre Pflichten“. 159 Ebenso Reuter, aaO; Erman/Westermann, § 38 Anm. 2. 160 Aus der Rspr. RGZ 129, 357, 376 und BGHZ 14, 1, 2. 161 Umfassende Problemanalyse bei Stürner, JZ 1976, 384 ff.; zuletzt dazu MK-Roth, § 242, Anm. 141 f. 162 § 550 BGB sichert nach allg. Ansicht (vgl. Staudinger/Emmerich/Sonnenschein, § 550 Anm. 1; Soergel/Siebert/Metzger, § 550 Anm. 1; Jauernig/Teichmann, § 550 Anm. 1) den Erfüllungsanspruch und ist deshalb materiell-rechtlicher Anspruch und nicht nur prozessualer Rechtsbehelf; näher dazu Stürner, aaO; weitere Fälle sind §§ 536, 618 BGB. 163 Vgl. statt aller Würdinger, Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 61 Anm. 5 und Fischer, Großkomm. HGB, § 113 Anm. V sowie RGZ 63, 252, 254. 164 Zutr. Stürner, aaO.

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kretisierter, vom Verstoß bedrohter Unterlassungspflichten zur allgemeinen Regel zu erheben165. Auch wenn man die Loyalitätspflicht als unselbständige Nebenpflicht qualifiziert, ist daher nach dem Grundgedanken aus §§ 550 BGB, 112 HGB ein Anspruch auf Erfüllung jedenfalls insoweit zu gewähren, wie diese Pflichten inhaltlich konkretisiert sind und die Umgestaltung oder Beendigung des sozialen Kontaktes – z. B. durch Kündigung – unmöglich oder unzumutbar ist166. c) An weitere typische verbandsmäßige Sanktionen als Folge solcher Verletzungen sei hier nur erinnert, insbesondere an den Ausschluß des betreffenden Mitgliedes aus wichtigem Grund167. [119] Versäumt das Mitglied entgegen seiner Förderpflicht eine bestimmte Mitwirkung, etwa die individuelle Zustimmung zu einer Geschäftsführungsmaßnahme des Verbandes, so kann diese Zustimmung auch als gegeben unterstellt werden; das Mitglied kann sich dann gerade wegen der Verletzung seiner eigenen Förderpflicht im Streit nicht darauf berufen, die Maßnahme habe wegen seiner fehlenden Zustimmung auf jeden Fall – wenn auch vielleicht nur vorerst bis zur Klärung – unterbleiben müssen168. d) Scheidet aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die positive Erfüllung des Anspruchs oder die Durchsetzung der geschuldeten Unterlassung aus, insbesondere weil die Verletzung stattgefunden hat und nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, so ist die Frage nach einem Schadenersatzanspruch des Verbandes zu beantworten. Sieht man wiederum die allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts zu Rate, so ist er – vergleichbar dem Anspruch aus positiver Verletzung einer „normalen“ Vertragspflicht169 – im Grunde fraglos170. Dementsprechend hat auch der BGH in der schon mehrfach erwähnten GewerkschaftEntscheidung171 überhaupt nicht gezögert, dem Verband einen solchen Anspruch gegen sein Mitglied zu gewähren. Wollte man dieses Ergebnis dem Grunde nach in Frage stellen, so müßten spezifische Aspekte aus der Struktur von Mitgliedschaft oder der Stellung des einzelnen Mitglieds im Verband diesem Ergebnis entgegenstehen. Ich kann solche Gründe nicht erkennen; und auch das Gesetz Stürner, aaO, S. 385 f. Außer Stürner aaO auch MK-Roth, § 242 Anm. 201. 167 Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 18; Soergel/Siebert/Schultze-v. Lasaulx, § 38 Anm. 6. 168 Zur Unbeachtlichkeit eines pflichtwidrigen Widerspruchs vgl. BGHZ 39, 14, 17 ff.; vgl. hierzu zuletzt Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 268 mit weiteren Nachw. 169 Das Problem „Schadenersatz bei Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht“ wird daher auch systematisch zutr. als Fall der positiven Vertragsverletzung eingeordnet; vgl. Palandt/ Heinrichs, 38. Aufl., § 276 Anm. 7c (ee). 170 Wie hier Stimpel (Fn. 167); Erman/Westermann, § 38 Anm. 2; MK-Reuter, § 38 Anm. 9; im Ergebnis wohl ablehnend (da bereits Unterlassungsklagen ausschließend) Soergel/Siebert/Schultzev. Lasaulx, § 39 Anm. 6. 171 BGH DB 1977, 2226, 2227. 165 166

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läßt daran im Falle der §§ 112, 113 HGB, also einer typischen passiven Förderpflicht (Loyalitätspflicht), keinen Zweifel. Demgegenüber sind durchaus differenzierte Überlegungen zur Schadenshöhe angebracht. Denn die Mitgliedschaft ist, je nach der konkreten Rechtsform und der Realstruktur des Verbandes, sehr oft nicht gerade auf ein hohes Vermögensrisiko angelegt. Doch schon die Verletzung einer Loyalitätspflicht auf Unterlassung könnte gerade zu sehr hohen Risiken führen. Hier ist zunächst auf die Pflicht des Verbandes zu Risikoabwendung und Risikominderung abzuheben. Ziel des Gesangvereins ist primär das gemeinschaftliche Singen, nicht aber die Veranstaltung von großen öffentlichen Konzerten; geht der Verband daher in bestimmten Situati- [120] onen atypische Risiken ein, so hat er seinerseits entsprechende Vorsorge zu treffen, daß in solchen Fällen seine Mitglieder bei Verletzung ihrer Pflichten nicht einem überhohen Vermögensrisiko unterliegen. Abzuheben ist also auf die Pflicht des Verbandes zu rechtzeitiger Warnung und eigener Reaktion (§ 254 BGB). Aber der Verband ist nun keineswegs berechtigt, beliebige Abwehraufwendungen zu tätigen; auch diese müssen, wie der BGH richtig erkannt hat172, in einem angemessenen und vernünftigen Verhältnis zur Beeinträchtigung des Verbandszwecks stehen. Und schließlich trifft den Verband die Beweislast dafür, daß überhaupt Schäden und ggf. in welcher Höhe entstanden sind. Alle diese Elemente begrenzen sachgerecht das Risiko des Mitglieds, stellen aber das allgemeine Prinzip nicht in Frage, daß die Verletzung von Pflichten aus einem privaten Rechtsverhältnis zum Ersatze des Schadens verpflichtet, der dem Gläubiger dieser Pflichtenlage daraus erwachsen ist. E. Rücksichtspflichten gegenüber einzelnen Mitgliedern in bezug auf ihre mitgliedschaftlichen Interessen 1. Übersicht a) Im vorigen Abschnitt standen Förder- und Loyalitätspflichten des einzelnen Mitgliedes im Bezug auf den Verband im Zentrum unserer Überlegungen. Nunmehr ist zu erörtern, welche Rechte das Mitglied seinerseits gegenüber der Zweckgemeinschaft und den anderen Mitgliedern hat. Dabei scheiden naturgemäß Förderpflichten aus; denn nicht um der Zwecke des einzelnen Mitgliedes willen besteht die Gemeinschaft, sondern eben zur Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes. Aber in diesem gemeinsamen Zweck liegt auch das mitgliedschaftliche Interesse des Einzelnen begründet. Und Konflikte zwischen dem mitgliedschaftlichen Interesse des Einzelnen – etwa an der Aufrechterhaltung seines Einflusses 172

BGH, aaO in Anlehnung an die v. Finck-Entscheidung, BGHZ 66, 182, 191 ff.

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in der Gesellschaft173, an der Bestimmung seines Nachfolgers etc. – und dem Gesamtinteresse sowie den Interessen einzelner anderer Mitglieder sind vielfältig denkbar. Der Konflikt kann also mit Interessen des Verbandes an seiner eigenen Zweckverfolgung verknüpft, aber auch für den Verband selbst unter dem Gesichtspunkt seiner Zwecke „völlig neutral“ sein. [121] Um die Ordnung dieser Konflikte geht es jetzt. Dabei werden Beschlüsse der Mitglieder diesen zugerechnet und unter dem Gesichtspunkt der Schranken in der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte gewertet174, mindestens bei den rechtlich selbständigen Verbänden könnte das aber auch als Organhandeln diesen selbst zugerechnet werden: das rechtliche Ergebnis wäre das gleiche und müßte auch das gleiche sein. b) Jede Organisation eines nur in seinen Zwecken festgelegten Verbandes hat neben der Erledigung der Tagesgeschäfte die Aufgabe, unterschiedliche Auffassungen unter den Mitgliedern über den besten Weg der Zweckverfolgung zu einer Entscheidung zu bringen. Konflikte sind hier also geradezu vorausgesetzt. Und sie werden entweder im Mehrheitssystem gegen die Minderheit oder im System des Zusammenwirkens aller im Sinne des hartnäckigsten Partners entschieden. Aber während sich der normale Konflikt um eben den besten Weg des Zweckverbandes entwickelt – Öl oder Gas, Export oder Produktion im Ausland, Expansion oder Gesundschrumpfen –, kollidiert die Frage hier zusätzlich mit Interessen der Mitglieder, die speziell in ihrer Mitgliedschaft und den mit ihr verbundenen Rechten auf Einfluß, Gewinnerwartung etc. angelegt sind. Hier findet also eine Art von Zwei-Fronten-Krieg statt. Und während soeben für den Konflikt mit egoistischen Mitgliedern festgestellt werden konnte, daß Organisation des Verbandes und Entscheidungskompetenzen im Verband überhaupt nur sub specie des gemeinsamen Zweckes zu denken sind, ist nun hier weiter zu berücksichtigen, daß auch die einzelnen Mitglieder ihre in der Mitgliedschaft fixierten Einzelinteressen eben diesem Entscheidungssystem anvertraut haben. Jede Einbehaltung von Gewinn kann diese Interessen ebenso tangieren wie die Aufnahme neuer Mitglieder oder die Änderung des Gesellschaftsvertrages bzw. der Satzung. Aus der Sicht des einzelnen Mitgliedes besteht also, wie oben schon einmal erörtert, eine der Treuhand sehr ähnliche Erscheinung: das Mitglied verläßt sich auf seine Kon-Mitglieder, vertraut ihnen seine Interessen im Verband an und empfängt seinerseits gleiches Vertrauen von diesen175. Das führt ganz 173 Typisch hier der Konflikt um das Bezugsrecht. Dazu zuletzt BGHZ 71, 40 (Kali u. Salz) mit Anm. Lutter in ZGR 1979, 401 sowie Martens, FS Fischer, 1979, S. 437 ff. mit umfangr. Nachw. sowie BGH 71, 53 zur Kapitalerhöhung in der vom Mehrheitsprinzip beherrschten Publikums-Personengesellschaft. 174 Dazu umfassend Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), insbes. S. 335 ff. 175 In der Tendenz wie hier bereits Dorpalen, ZHR 102 (1936), 20; vgl. weiter Mestmäcker, Verwaltung (Fn. 44), S. 195 ff.; kritisch zum Vergleich mit der Treuhand insbes. Fechner, Die

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zwangsläufig zu einer treuhandähnlichen Bindung des jeweils zuständigen Entscheidungsbereiches im Verband mit der Folge, daß Eingriffe in solche mitgliedschaftlichen Einzelinteressen im Interesse des gemeinsamen Zweckes der Abwägung bedürfen176, und solche ohne Bezug zum ge- [122] meinsamen Interesse unzulässig sind, soweit nicht ein spezielles Ausgleichsystem besteht (z. B. Abfindung, §§ 304, 305 AktG)177. Auch diese Bindung geht über den regulären Umfang von § 242 BGB hinaus und ist daher als selbständige mitgliedschaftliche Rücksichtspflicht zu verstehen178. 2. Rücksichtspflicht des Verbandes gegenüber dem Einzelmitglied Beispiele: (1) Die Verwaltung gibt eine neue Tranche des genehmigten Kapitals gezielt in dem Moment aus, in dem sich die Minderheit in Liquiditätsschwierigkeiten befindet179. (2) Die Verwaltung gibt auf die neue Tranche nur Aktien im Nennwert von DM 10 000,aus.

Zwischen Verband und Mitglied bzw. Gesamtheit der Mitglieder und Einzelmitglied besteht ein Rechtsverhältnis, eine meist langfristig angelegte zivilrechtliche Sonderverbindung. Sie kann überhaupt nur erfolgreich sein, wenn sie auf Loyalität auch gegenüber dem einzelnen Mitglied und seinen Interessen gegründet ist. Das steht heute außer Frage. In ihrer wichtigsten Ausprägung, nämlich dem Gebot zu mitgliedschaftlicher Gleichbehandlung180, ist diese Pflicht kürzlich sogar Treubindungen des Aktionärs, 1942, S. 50 ff.; Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 342 läßt die Frage offen. 176 Zöllner, aaO, S. 351 ff. sowie zuletzt Anpassung (Fn. 27), S. 19, hat hieraus ein „gesellschaftsrechtliches Übermaßverbot“ hergeleitet: Eingriffsentscheidungen müssen dem Grundsatz der Erforderlichkeit ebenso wie dem der Verhältnismäßigkeit genügen. Speziell zum Aktienrecht Lutter, ZGR 1979, 401, 411 f. 177 Näher Lutter, aaO; insoweit a. A. Martens, FS Fischer, 1979, S. 437, 446 und Wiedemann, ZGR 1980, 147 ff., die auch hier zusätzlich die Abwägung zwischen dem allgemeinen und dem Individualinteresse verlangen. 178 Damit können wir auch die Einteilung dieser mitgliedschaftlichen Pflichten abschließen in aktive Förderpflichten in bezug auf den Verband und seine Entwicklung passive Förderpflichten als Loyalitätspflichten, vor allem als Pflichten zur Unterlassung nachteiliger Maßnahmen gegenüber dem Verband wechselseitige Rücksichtspflichten der Mitglieder in bezug auf die unterschiedlichen Interessen im gemeinschaftlichen Verband. Vgl. zu einer ähnlichen Einteilung bereits Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), S. 26 f. sowie Hachenburg/Schilling, 7. Aufl., § 13 Anm. 6. 179 Vgl. dazu Lutter, JZ 1976, 225, 228. 180 Hierzu insbes. Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958.

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im Aktienrecht normiert worden181, gilt aber nicht weniger als inzwischen gewohnheitsrechtlicher Satz auch für alle anderen Verbände182. Darf daher die AG ausnahmsweise eigene Aktien erwerben oder will sie solche veräußern, so muß sie das über die Börse oder in einem anderen neutralen [123] Verfahren erledigen183, haben die Gesellschafter einer GmbH ein Bezugsrecht auf neue Geschäftsanteile184, ist es der Leitung einer PublikumsKG nicht gestattet, weitere Tranchen des Kommanditkapitals nur einzelnen Kommanditisten zugänglich zu machen etc. Steht eigenes Interesse der Zweckgemeinschaft im Konflikt mit solchen mitgliedschaftlichen Interessen des einzelnen Mitgliedes, so ist abzuwägen. Die vor allem von Zöllner185 hierfür entwickelte Formel von der Erforderlichkeit des Eingriffs in die Interessen des Einzelmitgliedes und seine Einigung zur Förderung des gemeinsamen Zweckes sowie des Gebotes der geringsten Last für das Mitglied hat sich inzwischen zu Recht durchgesetzt und ist vom BGH zunächst in einer Entscheidung zum Verein186 und nunmehr nachdrücklich in der Kali- und Salz-Entscheidung187 übernommen worden. Hat daher die Verwaltung über den Ausschluß des Bezugsrechts zu befinden, so ist sie an ganz die gleichen Regeln gebunden wie die Hauptversammlung selbst188. Demgegenüber hat das mitgliedschaftliche Interesse dann klaren Vorrang, wenn keine spezifischen Eigeninteressen des Verbandes im Vordergrund stehen. Gibt die Verwaltung tatsächlich die Tranche des genehmigten Kapitals jetzt aus, um die Minderheit im Augenblick ihrer Liquiditätsschwäche zu treffen, verletzt der Verband seine Rechtspflicht zur Rücksicht. 3. Rücksichtspflichten der Mitglieder untereinander a) Wichtigster Konfliktbereich ist hier der Eingriff durch organschaftliche (Mitgliederversammlung) oder ähnliche (z. B. Einzelentscheidungsbefugnisse von

§ 53a AktG. Für Personengesellschaften vgl. Fischer, Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 109 Anm. 8; zur GmbHG Verhoeven (Fn. 125), Rz. 148 mit weiteren Nachw.; für die AG Zöllner, Kölner Komm. zum AktG, § 243 Anm. 145 ff. 183 Lutter, Kölner Komm. zum AktG, § 71 Anm. 93. 184 Eigentümlicherweise wird immer noch gelehrt, in der GmbH bestehe de jure kein Bezugsrecht (vgl. Scholz-Fischer, Komm. GmbHG, 8. Aufl., § 55 Anm. 2b; Wilke, Handbuch der GmbH, Tz. I, 512). Aber schon die Überlegungen zur mitgliedschaftlichen Gleichbehandlung dann, wenn andere Gesellschafter zur Übernahme zugelassen werden, im übrigen die Grenzen der Mehrheitsmacht (dazu im Text) führen unmittelbar und notwendig zur Anerkennung eines Bezugsrechts auch im GmbH-Recht: einer besonderen Norm bedarf es dazu nicht. 185 Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 351 ff. 186 BGHZ 55, 381, 386 (zur Abwägung der Interessen). 187 BGHZ 71, 40 und dazu Lutter, ZGR 1979, 401 ff. 188 Lutter, aaO. 181 182

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Mitgliedern in einer Personengesellschaft) Befugnisse in die mitgliedschaftlichen Interessen eines anderen Mitgliedes. Beispiele: -

Verweigerung einer Genehmigung zur Veräußerung nach § 15 Abs. 5 GmbHG

-

Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis in der Personengesellschaft

-

Einziehung bestimmter Aktien oder Geschäftsanteile [124]

-

Ausschluß eines bestimmten Mitgliedes aus dem Verband

-

Die GmbH erhöht ihr Kapital um das 10-fache; die Mehrheit weiß genau, daß die Minderheit nicht mithalten kann.

In diesem Zusammenhang ist anerkannt und gesichert189, daß solche Eingriffe mitnichten nur aufgrund der reinen Zuweisung von Entscheidungskompetenz, also der formalen Herrschaftslage erfolgen können, sondern unter dem Gesichtspunkt, daß die Mehrheit – oder das zur Alleinentscheidung befugte Einzelmitglied – mindestens auch Treuhänder der anderen Mitglieder ist, die Entscheidung um so stärker aus dem gemeinsamen Ziel legitimiert werden muß, je stärker der Eingriff in die mitgliedschaftlichen Einzelinteressen ist. Daher sind Eingriffe in die Mitgliedschaft selbst oder ihren Kern nur aus wichtigem Grunde in der Person des betroffenen Mitgliedes, im übrigen nur nach der oben schon einmal erwähnten Abwägung bei Erforderlichkeit, Geeignetheit und geringster Last zulässig. Der nachteilige Eingriff in die mitgliedschaftlichen Interessen bedarf also der materiellen Rechtfertigung in concreto, sei es aus der Person des betroffenen Mitglieds („wichtiger Grund“), sei es aus der Notwendigkeit für die gemeinsame Zweckverwirklichung im übrigen. Diese Begrenzung von Handlungsbefugnissen im Verband aus geschuldeter Rücksicht gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz selbst den Schutz der betreffenden mitgliedschaftlichen Interessen übernommen hat, etwa bei den Unternehmensverträgen oder der Eingliederung des Aktienrechts190. b) Diese Pflicht zur Rücksicht hat zunächst einmal begrenzenden Charakter hinsichtlich der formalen Entscheidungsbefugnis der anderen Mitglieder. Sie kann sich darüber hinaus auch zur Pflicht verdichten, die mitgliedschaftlichen Interessen anderer Mitglieder positiv zu berücksichtigen. Beispiele: Ging es soeben noch um die Entziehung von Geschäftsführungsbefugnis, so steht jetzt die Erteilung zur Debatte: hat die Gesellschafterversammlung über die Änderung der Position eines Kommanditisten in die Stellung eines Persönlichhafters zu befinden, so ist sie – jenseits von barer Willkür – in ihrer Entscheidung frei. Hat sie jedoch andere Kommanditisten zuvor in vergleichbarer Lage – etwa: je einen Vertreter der beiden anderen Stämme – zu Persönlichhaftern gemacht, so ist sie beim Vertreter des dritten Stammes ge189 Vgl. hierzu zuletzt die Überblicke von Martens, ZGR 1979, 493, 495 f. und Wiedemann, ZGR 1980, 147 ff. je mit weiteren Nachw. 190 Dazu schon oben Fn. 177.

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Theorie der Mitgliedschaft bunden und kann nur aus vorrangigen Interessen der Gesellschaft (Überbesetzung der Geschäftsführung, Ungeeignetheit des Bewerbers) ablehnen. Das gleiche gilt, wenn die anderen Mitglieder in einem ihrer Partner eine bestimmte Vertrauenslage geschaffen haben (etwa: Einstellung eines Kommanditisten durch die [125] Geschäftsführung in Kenntnis der Gesellschafter als Angestellten zur Bewährung für künftige Geschäftsführung). Das gleiche gilt, wenn die erforderliche Zustimmung zur Veräußerung in mehreren vergleichbaren Fällen erteilt wurde und sachliche Bedenken gegenüber dem jetzigen Erwerber nicht vorliegen.

Die Gesellschafter müssen also bei ihrer Entscheidung im Konflikt mit anderen mitgliedschaftlichen Interessen nicht nur sachliche Kriterien der Abwägung und des Ermessens beachten, sondern dürfen sich bei der Entscheidung über die mitgliedschaftlichen Interessen von Partnern auch nicht mit ihrem eigenen früheren Tun in Widerspruch setzen, selbst veranlaßtes und geschaffenes Vertrauen nicht grundlos enttäuschen191. Allerdings: das Mitglied kann eine positive Änderung der Rechtslage zu seinen Gunsten nicht schon auf allgemeine Loyalitätserwägungen stützen, sondern nur auf einen zusätzlichen Tatbestand des konkreten Vertrauens in eine von den anderen Mitgliedern bewußt geschaffene Lage, also auf Vertrauen in konzeptionelle, nicht nur beliebige Entscheidungen dieser anderen Mitglieder. c) Die bisher behandelten Konflikte unter den Mitgliedern selbst waren mit Entscheidungskompetenzen der anderen Mitglieder verbunden. Nunmehr aber bleiben noch die Fälle, in denen es zwar um mitgliedschaftliche Interessen geht, der Konflikt sich aber überhaupt nicht in innerverbandlichen Entscheidungszuständigkeiten manifestiert, sondern in sonstigen Maßnahmen eines Partners. Der oben entwickelte Gedanke, daß sich die Mitglieder ihre verbandlichen Interessen wechselseitig anvertraut haben, läßt sich daher hier nicht einfach in die vorhandene verbandliche Struktur einbauen, sondern bedarf einer eigenen rechtlichen Analyse. Beispiel: Der Mehrheitsgesellschafter A fordert die Minderheitsgesellschafter auf, ihre Mitgliedschaften zum Preise von DM X an ihn zu verkaufen. Dieser Preis ist durch ein Wertgutachten eines Sachverständigen abgestützt und gerechtfertigt. Nach Ablauf der Frist, während der Z veräußert hat, erhöht A für die hartnäckigen, noch immer verbliebenen Minderheitsgesellschafter den Preis auf das Dreifache.

aa) Würde es sich im Beispielsfalle um eine Personengesellschaft handeln, so wäre der Lösungsansatz im Vertrag unter den Partnern einer personal bestimmten und langfristigen Sonderverbindung leicht zu finden, ohne daß damit schon etwas über die Lösung selbst gesagt wäre; ähnliches gilt inzwischen für die GmbH192. In Näher hierzu Lutter, JZ 1976, 225, 232. Zur rechtlichen Sonderverbindung insbes. der Gesellschafter einer GmbH grundlegend Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949, S. 181 ff.; ihm folgend u. a. Immenga (Fn. 88), S. 272 ff. und Hachenburg/Schilling, 7. Aufl., § 13 GmbHG Anm. 6 und § 14 GmbHG Anm. 23 je mit weiteren Nachw. 191 192

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den anderen Fällen aber [126] stehen sich die Mitglieder eines rechtlich selbständigen Verbandes von der rechtlichen Konstruktion her sicher ferner, ist die Sonderverbindung unter den Partnern problematisch. Aber schon Wiedemann193 hat darauf hingewiesen, daß man die Frage nicht mit der Rechtsform allein beantworten könne; denn sonst würden die Partner einer GmbH, welche AG wird, oder die einer KG, die Genossenschaft wird, ihre bisherigen Rechte und Pflichten untereinander höchst einfach an der Garderobe abgeben können. Andererseits aber schließt man naturgemäß keine wie auch immer gearteten Verträge mit einigen tausend anderen Mitgliedern, wenn man ein paar Aktien von VW kauft, Genosse bei Konsum wird oder dem ADAC beitritt. Daher liegt hier der Gedanke von Mertens194 durchaus nahe, die Lösung über das Deliktsrecht und nicht das der rechtsgeschäftlichen Sonderverbindung zu suchen. Als Basis für diese Fälle bleibt dann jedoch nur § 826 BGB. Nehmen wir ein weiteres Beispiel: Der Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer (Vorstand) A will die Minderheitsgesellschafter, so auch B, auf jeden Fall zur Veräußerung ihrer Beteiligung bringen und berichtet daher laufend und wider besseres Wissen von den hohen Risiken und Verlusten sowie der kritischen Situation der Gesellschaft. B veräußert weit unter Wert, nicht aber an A – dann könnte man den Konflikt über § 123 BGB oder über cic befrieden –, sondern an den ahnungslosen, aber glücklichen D. Hier hat A seine und des Verbandes Pflichten allgemein, aber auch gegenüber B verletzt. Sollte es anders sein, wenn A Aufsichtsratsvorsitzender ist oder überhaupt keine Organstellung hat, sondern nur der einflußreiche und bekannte Großaktionär ist?

bb) Wer immer einem Verband beitritt, begründet zunächst und unmittelbar ein Rechtsverhältnis zu diesem. Aber er tritt zugleich in eine Personengemeinschaft, die sich ein frei gesetztes und beschränktes Ziel zu gemeinsamer Verfolgung gesetzt hat: das schafft eine Beziehung zwischen den Partnern, die wiederum deutlich von der Realstruktur des Verbandes geprägt ist, daher zwischen Kleinaktionären unter rechtlichen Aspekten gegen Null tendiert, hier aber zwischen Kleinaktionär und Mehrheitsgesellschafter sicher nicht ferner ist als die rechtliche Beziehung zwischen dem Kunden, der gerade ein Kaufhaus betritt, und dessen Leitung: dennoch zweifeln wir dort nicht am Bestand einer auf Schutz und Sorgfalt gerichteten zivilrechtlichen Sonderpflicht. Das muß auch für die Partner des rechtlich selbständigen Großverbandes gelten. Es geht also, so meine ich, nicht um die Existenz solcher partnerschaftlicher Schutz- und Sorgfaltspflichten im Hinblick auf mitgliedschaft- [127195] liche Interessen; sie sind in Anlehnung an FS Barz, 1974, S. 561, 569. Mertens, FS Fischer, 1979, S. 461 ff. und AcP 178, 227, 243 sowie Hachenburg/Mertens, 7. Aufl., § 43 Anm. 105 ff. 195 [Anm. d. Hrsg.: Auf S. 127 findet sich diese Fn. 195, die allerdings nicht im Text gesetzt ist.] Mertens, FS Fischer, S. 472. 193 194

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vorvertragliche Sorgfaltspflichten zu bejahen. Entscheidender ist die Frage nach dem Ausmaß der in ihnen beschlossenen Pflichtensituation. Diese aber bestimmt sich genau nach dem faktischen und dem wahrgenommenen Einfluß im Verband, also danach, in welchem Maße das Mitglied auch über seine organschaftliche Stellung hinaus mit dem Verband identifiziert wird. Sieht man den Mehrheitsaktionär innerhalb des Verbandes als in gewissem Maße Treuhänder der Minderheit, so wäre es doch überraschend, wenn man ihn außerhalb des Bereiches förmlicher Beschlüsse, aber in nach wie vor engster Verbindung zum Verbandsgeschehen als Dritten sehen und achselzuckend das System des Wilden Westens akzeptieren würde. cc) Besteht die Mitgliedschaft intuitu personae, so ist unabhängig von der Rechtsform des Verbandes eine rechtliche Sonderverbindung auch unter den Mitgliedern selbst zu bejahen mit dem Inhalt wechselseitiger Schutz- und Rücksichtspflichten in bezug auf ihre mitgliedschaftlichen Interessen. Fehlt es an dieser besonderen Struktur, so beschränkt sich die Verbindung auf den durch die Mitgliedschaft vermittelten sozialen Kontakt, innerhalb dessen der einflußreiche Großaktionär Vertrauen in seine Politik fordert und empfängt, ohne daß dies auf den innerkorporativen Entscheidungsbereich beschränkt wäre: hierauf gründen sich im besonderen Einzelfall entsprechende Pflichten196. 4. Rechtsfolgen der Verletzung von Rücksichtspflichten gegenüber dem Mitglied a) Will die Verwaltung unter Verletzung der Gleichbehandlung zu unfairen Bedingungen oder unter Ausschluß des Bezugsrechts neues Kapital ausgeben, ohne sachlichen Hintergrund ungleiche Beiträge erheben etc., so kann sich das Mitglied durch Feststellungs- oder Unterlassungsklage gegen die Gesellschaft wehren197, aber das Mitglied kann auch positiv Leistung dann begehren, wenn der Verband hierzu überhaupt berechtigt ist (etwa: Verteilung von Benutzungszeiten einer Vereins-Sportanlage). Schwieriger wird die Rechtslage, wenn die Verletzung stattgefunden und zu einem Schaden des Mitglieds geführt hat. In diesem [128] Falle sind die subjektiven Interessen des Mitglieds mit den vorrangigen Regeln des Verbandes – insbesondere den Prinzipien der Kapitalerhaltung – und dem gemeinschaftlichen Interesse am Fortbestand des Verbandes in Einklang zu brin-

196 In JZ 1976, 225, 231 hatte ich solche Verhaltenspflichten des einflußreichen (Groß-) Aktionärs aus der intrakorporativen Rücksichtspflicht ohne näheres dogmatisches Bindeglied auf Konflikte im Außenbereich übertragen. Das soll hier mit dem Gedanken vor- und außervertraglicher Schutz- und Rücksichtspflichten aus besonderen Konstellationen gemeinsamer Mitgliedschaft und der hierauf gerichteten Interessen nachgeholt werden. 197 Näher hierzu insbes. Hachenburg/Mertens, 7. Aufl., § 43 Anm. 105 ff. und Mertens, FS Fischer, 1979, S. 461, 471 ff.

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gen198. Haben die Mitglieder der Verwaltung schuldhaft gehandelt, so haften sie für die etwa verbleibende Differenz persönlich199. b) Beruhen die Maßnahmen auf einem Beschluß der Versammlung der Mitglieder, so ist gegen diesen durch Anfechtung bzw. Feststellung der Nichtigkeit vorzugehen; in Einzelfällen kann das incident in einem Verfahren nach a) geschehen, etwa bei der konkreten Einforderung ungerechtfertigt ungleicher Beträge. c) Handelt schließlich ein Mitglied selbst, so kommen Unterlassungs-, vor allem aber Schadenersatzansprüche gegen dieses in Betracht, die, wie ausgeführt, entweder im Gesellschaftsvertrag selbst oder aber in einer partnerschaftlichen, der c.i.c. ähnlichen Sonderverbindung gegründet sind200. Demgegenüber meint Zöllner201, Schadenersatz sei hier nicht ohne weiteres die Rechtsfolge einer Verletzung mitgliedschaftlicher Interessen durch ein anderes Mitglied. Ich kann das Problem nicht erkennen: akzeptiert man die Rechtspflicht und stellt man deren schuldhafte Verletzung fest, so ist im Verletzten der allfällige Schaden zu erstatten. Man kann hier nicht anders entscheiden als der Supreme Court von Kalifornien, der in einem solchen Fall befunden hat, das pflichtwidrig handelnde Mitglied habe das verletzte Mitglied so zu stellen, als habe es sich pflichtgemäß verhalten202. F. Rücksicht gegenüber privaten Interessen von Mitgliedern Zuletzt sei noch die Frage angedeutet, ob die Mitglieder auch Pflichten gegenüber den privaten, nicht mitgliedschaftlich vermittelten Interessen ihrer anderen Mitglieder haben. Beispiele: (1) Der Verband ist Eigentümer eines Wohn- und Geschäftshauses; genau gegenüber betreibt eines seiner Mitglieder seit langen Jahren eine Anwaltskanzlei. Nunmehr vermietet der Verband eine der Wohnungen als Kanzlei an einen anderen Anwalt: ist er zur Unterlassung verpflichtet? [129]

198

254 ff.

Vgl. hierzu auch Wiedemann, WM-Sonderbeilage 4/1975, S. 26 und Martens, ZGR 1972,

Dazu näher Martens, aaO, S. 279 ff. Vgl. oben bei Fn. 196; zur Problematik bei der AG vgl. insbes. BGH JZ 1976, 561 mit abl. Anm. Lutter; dazu auch H. P. Westermann, AG 1976, 309 ff. 201 Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 424 ff., 432 und in Kölner Komm. zum AktG, § 243 Anm. 195. 202 1 Cal. 3 d 93, 81 Cal. Rep. 592; ausführlich dazu und zum Sachverhalt Lutter, JZ 1976, 225 ff. 199 200

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Theorie der Mitgliedschaft (2) Die Gesellschaft sucht einen neuen Geschäftsführer; zwei Bewerber kommen in Betracht, ein Außenstehender und der Sohn eines Mitgliedes. Beide sind gleich qualifiziert. Ist die Bestellung des Außenstehenden anfechtbar?

Zunächst einmal haben die Interessen der gemeinsamen Zweckverfolgung in allen diesen Fällen den klaren Vorrang. Führen diese Überlegungen allerdings allein zu keiner Entscheidung in der einen oder anderen Richtung, so kommt es wiederum auf die reale Nähe der partnerschaftlichen Beziehung (Realstruktur) und die Folge einer Enttäuschung des Partners in seinen privaten Interessen für die Zusammenarbeit an203. Sind demnach die Partner einer normalen AG oder einer größeren KG in diesem Falle frei, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, so ändert sich die Situation, wenn es sich um eine echte Mitarbeitergemeinschaft handelt: hier schlagen die vordergründig privaten Interessen in ein Interesse der Zweckgemeinschaft an ungetrübter Zusammenarbeit ihrer Mitglieder um und münden von daher in Ausnahmefällen in eine Pflicht zur Berücksichtigung der privaten Interessen des Mitgliedes ein. Aber diese Rücksichtspflicht ist keineswegs allgemein, sondern sie ist mitgliedschaftlich vermittelt. Es genügt mitnichten, daß man, mehr oder minder zufällig, Mitglied des gleichen Verbandes ist, um schon zur Rücksicht auch auf die privaten Interessen der anderen Mitglieder verpflichtet zu sein. Nur wenn der Konflikt mitgliedschaftlich vermittelt ist und sich auf die Interessen des Verbandes an störungsfreier Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes auswirken kann, kommen solche Pflichten in Betracht204. G. Zusammenfassung Damit kann dieser Überblick über die allgemeine Rechts- und Pflichtenlage eines Mitgliedes innerhalb eines privatrechtlichen Verbandes abgeschlossen werden. Er könnte vielfältig ergänzt werden, etwa in bezug auf Einlagepflichten und Minderheitsrechte. Doch geht es nicht um stets unerreichbare Vollständigkeit, sondern um die Verifizierung der These von der einheitlichen Struktur allgemeiner mitgliedschaftlicher Pflichten an Schwerpunkten. Und diese These hat sich offenbar bestätigt. Die Pflicht zur Förderung des gemeinsamen Zweckes und die Pflicht zur Loyalität gegenüber der gemeinsam versprochenen Zweckverfolgung ist Element jeder Mitgliedschaft. Der Inhalt von allgemeiner Förder- und [130] Loyalitätspflicht läßt sich auch allgemein sehr weitgehend umschreiben, bedarf 203 So bereits Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 341, 349. Bei einer Verletzung dieser Pflicht verneint Zöllner allerdings Schadenersatzpflichten; zur eigenen Position gilt das oben S. 128 bereits Gesagte. 204 Darüber hinaus kommen – ähnlich nachvertraglich wirkenden Pflichten – auch nach Auflösung der Partnerschaft noch bestimmte Rücksichtspflichten der Mitglieder in Betracht; vgl. dazu die Beispiele bei Fischer, Großkomm. HGB, § 105 Anm. 31e und jetzt die interessante Entscheidung des BGH vom 23.10.1979, DB 1980, 346, 347.

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jedoch der Konkretisierung in jedem Einzelfall. Nicht minder schulden sich die Mitglieder in allen Korporationen untereinander, aber auch der – verselbständigte – Verband seinen Mitgliedern gegenüber Rücksicht in bezug auf deren mitgliedschaftliche Interessen; Ausmaß und Umfang gerade dieser Pflicht hängen stets von der Art des Eingriffs, vom Einfluß und der Stellung des betreffenden Mitglieds im Verbande ab. Und in allen diesen Zusammenhängen wird der Inhalt der angesprochenen Pflicht maßgebend von der Art des gemeinsamen Zweckes und der Realstruktur der Korporation bestimmt, nur wenig aber von der gewählten Rechtsform. IV. Schutz der Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft und die durch sie rechtlich vermittelten Interessen können in vielfältiger Weise innerhalb und außerhalb der Gesellschaft berührt werden. Im Außenverhältnis dadurch, daß sich ein Dritter der Mitgliedschaft berühmt und – etwa aufgrund von Täuschung und Fälschung – mitgliedschaftliche Rechte zu Unrecht wahrnimmt205; dazu gehören auch die Fälle, in denen Mitglieder untereinander über den Umfang ihrer Mitgliedschaft streiten. Vielfältig sind die Gefahren für die Mitgliedschaft im Innenbereich; hier kann sie – unmittelbar aber auch mittelbar in ihrem Wert206 – betroffen werden durch das kollektive, insbesondere organschaftliche Handeln oder Unterlassen und durch die faktischen Maßnahmen einzelner, insbesondere herrschender Mitglieder207. A. Außenverhältnis Die Mitgliedschaft ist Gegenstand und wird als solche zutreffend den absolut geschützten „sonstigen Rechten“ des § 823 Abs. 1 BGB zugerechnet208. Das gilt für die organisierte Mitgliedschaft der rechtlich [131] selbständigen Verbände ebenso wie für die vor allem durch den Gesellschaftsvertrag unter den Partnern 205 Vgl. auch RGZ 100, 274 ff. sowie 158, 248, 255: der Gesellschafter kann, wie das RG formuliert, auch dadurch „ganz oder teilweise um die Mitgliedschaft selbst gebracht“ werden, daß ein Dritter die (mit einem Pfandrecht belastete) Mitgliedschaft zu Unrecht verwertet. 206 Dann entsteht allerdings das Problem des Doppelschadens; dazu insbes. Martens, ZGR 1972, 254, 279 sowie Mertens, Kölner Komm. zum AktG, § 93 Anm. 84 ff. 207 Als drastisches Beispiel aus der Praxis vgl. den von Heckelmann, AcP 1979, 1, 36 geschilderten Fall. 208 RGZ 100, 274, 278 und 158, 248, 255; Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), S. 39; Hachenburg/Mertens, 7. Aufl., § 43 Anm. 105; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 93 Anm. 94.

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bestimmte Mitgliedschaft in den Personengesellschaften: auch sie ist, wie dargelegt, selbständiger Gegenstand209. Greift hier also ein Dritter ein oder droht er einzugreifen, indem er sich der Mitgliedschaft berühmt etc., so kann sich das Mitglied vor allem mit der Feststellungs- oder Unterlassungsklage aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB schützen. Das gilt in gleicher Weise, wenn ein anderes Mitglied der Gegner ist, es also etwa um das Maß und den Umfang der Mitgliedschaft geht210. Handelt es sich dabei um Partner einer Personengesellschaft, so ist Basis dieses Abwehranspruchs zusätzlich die rechtliche Sonderverbindung unter ihnen. B. Innenbereich 1. Innenstreit um Existenz und Ausmaß der Mitgliedschaft Wird dem Mitglied durch Maßnahmen des Verbandes die Mitgliedschaft entzogen oder ihre Existenz überhaupt bestritten, so muß und kann das Mitglied zunächst einmal gegen die eingreifende Maßnahme selbst, also etwa den Ausschluß aus dem Verband, die Einziehung der Mitgliedschaft, die Kraftloserklärung von Aktien etc. mit den korporationseigenen Abwehrmitteln vorgehen, also der Anfechtung des Beschlusses, der Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses bzw. der Kraftloserklärung211. Ein qualitativer Unterschied besteht nur insoweit, als Gegner des Mitglieds bei den rechtlich selbständigen Korporationen diese212, im übrigen die anderen Mitglieder als Herren der Mitgliedschaft sind. Aber so zutreffend diese Beurteilung bei der typischen Personengesellschaft auch ist, so sehr kann man bei Publikums-Personengesellschaften an der Vernunft dieser Aussage schon wieder zweifeln213: denkt man unter typologischen Aspekten das hier übliche Mehrheits- [132] prinzip und die übliche Ermächtigung der Verwaltung zur Aufnahme neuer Gesellschafter fort, so läßt sich jedenfalls als Auslegungsergebnis die Ermächtigung der Verwaltung zur Führung solcher Passivprozesse vertreten, wenn nicht gar in Prozeßstandschaft für die Gesellschafter.

oben II, 2 bei Fn. 66 ff. Wie hier insbes. Mertens, FS Fischer, 1979, S. 461 ff. sowie Hachenburg/Mertens, § 43 Anm. 106; a. A. vor allem Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), S. 39: danach sollen im Innenbereich überhaupt nur die spezielleren gesellschaftsrechtlichen Rechtsbehelfe gelten. 211 Wie hier Wiedemann, aaO und WM-Sonderbeilage Nr. 4/1975 S. 26; für den Vorrang der Beschlußanfechtung gegenüber deliktischen Unterlassungsansprüchen im Grundsatz ebenso Mertens, FS Fischer, S. 471 sowie Hachenburg/Mertens, § 43 Anm. 108. 212 Zu weitgehend Hachenburg/Mertens, § 43 Anm. 106: in diesen Fällen ist die Gesellschaft selbst der Anspruchsgegner, nicht aber sind es die Mitgesellschafter. 213 Vgl. das Beispiel bei Schneider, ZGR 1975, 253, 292: Klage gegen 2000 MitKommanditisten? 209 210

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2. Innenstreit um mittelbare Eingriffe in die Mitgliedschaft Unter diesem Stichwort sollen zwei besondere Komplexe und wenig gesicherte Problemkreise angesprochen werden, nämlich die zuständigen Personen oder Organe setzen Ansprüche des Verbandes gegen einflußreiche Mitglieder oder dem Verband sonst nahestehende Personen (z. B. Muttergesellschaft des herrschenden Mitgliedes) nicht durch; die zuständigen Personen oder Organe überschreiten ihre durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung festgelegten Befugnisse; 3. Actio pro socio und actio pro societate Beispiel: Der einzige persönlich haftende und geschäftsführende Gesellschafter setzt den Einlagenanspruch (Schadenersatzanspruch, Unterlassungsanspruch) des Verbandes gegen seinen Verwandten (Großgläubiger, beherrschenden Mehrheitskommanditisten) einfach nicht durch.

a) Personenverbände aa) Dieser typische innerverbandliche Konflikt kann im Recht der Personenverbände mit der actio pro socio214 als unentziehbarem Mitgliedschaftsrecht215 weitgehend gelöst werden. Jedes einzelne Mitglied ist berechtigt, eigenen Namens, aber im Interesse der Gesamtheit der Mitglieder216 und auf Leistung in das Sondervermögen Ansprüche der Gemeinschaft gegen andere Mitglieder dann durchzusetzen, wenn die vom Gesetz gedachte Handlung durch den Verband oder die Willensbildung im Verband gescheitert ist. Hadding217 erwähnt darüber hinaus den Fall, daß der Gesamtwille des Verbandes zwar formell gebildet wurde, aber materiell (inhaltlich) illegitim ist [133] (Beispiel: materiell zu Unrecht gefaßter Gesellschafterbeschluß über Verzicht auf den Anspruch). Das Ergebnis ist sicher richtig; doch handelt es sich nicht um eine rechtliche, sondern allenfalls um eine faktische Besonderheit. Denn ist der Gesamtwille rechtswidrig, so ist er unwirksam und kann also die Durchsetzung des Anspruches nicht hindern. Das ist incident im Verfahren um den Anspruch zu klären; nur dann, wenn im Verband auch hier ausnahmsweise die Anfechtung 214 Hierzu insbes. Hadding, Actio pro socio, 1966; Huber, Vermögensanteil (Fn. 4), S. 21 ff.; Nitschke, ZHR 128 (1965), 48 ff.; Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970, S. 78 ff.; Wiedemann, WM-Sonderbeilage 4/1975, S. 39 f.; Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 139 ff. 215 Ebenso Huber, aaO, S. 28 f.; Martens, aaO, S. 96; Wiedemann, aaO, S. 40; Flume, aaO; Schilling, Großkomm. HGB, § 161 Anm. 32; Fischer, ZGR 1979, 251, 261; a. A. Hadding, aaO, S. 65 Fn. 16; A. Hueck, Recht der oHG, 3. Aufl., § 18, II, 3 aE. Der BGH hat die Frage bisher offengelassen, vgl. WM 1973, 1291, 1292. 216 Die Frage, ob der Gesellschafter im eigenen oder im fremden Interesse handelt, ist streitig, vgl. dazu unten bei Fn. 222-226. 217 Actio pro socio, 1966, S. 61 ff.

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umstrittener Beschlüsse gelten soll218, müßte diese vorgezogen und könnte allenfalls mit der Leistungsklage im Rahmen der actio pro socio verbunden werden219. bb) Die actio pro socio ist nun aber nicht etwa zur verbandsmäßigen Lösung solcher Konflikte, sondern vornehmlich aus einer historischen220 und systematischen Betrachtung entwickelt worden: historisch in Anlehnung an die römischrechtliche societas, systematisch unter Betonung der gesellschaftsvertraglichen Bindung der Partner, in der jeder Gesellschafter jedem anderen die Leistung der Einlage und die sonstige Förderung des Verbandes verspricht221. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß die Befugnis jedes Mitglieds zur Klage gegen ein anderes Mitglied von der h. M. noch immer als dem Eigeninteresse des Mitglieds dienend und gänzlich unbeeinflußt von den gleichen Befugnissen der Geschäftsführung des Verbandes gesehen wird222. Die gesamthänderischvertraglichen Aspekte überbieten in dieser Sicht also bei weitem die organisatorisch-verbandlichen Elemente223; deren Aspekte kommen nur in der Aussage zum Tragen, daß die Klageerhebung des Mitglieds nicht gegen die gesellschaftliche Treuepflicht verstoßen dürfe224. Diese Interpretation überbetont die vertragliche Basis der Personengesellschaft und übersieht fast völlig ihre organisatorische Struktur. Das hat Nitschke im einzelnen ausgeführt und überzeugend nachgewiesen225. Sicher versprechen sich die Mitglieder einer Personen- [134] gesellschaft Leistung und Förderung wechselseitig, aber eben an den Verband, in dessen Organisation und Vermögen und zu dessen Nutzen, also im gemeinsamen Interesse. Und dieses hat Vorrang vor den persönlichen Interessen des einzelnen Mitglieds. So richtig daher der Grundansatz dieser actio pro socio ist, so notwendig ist andererseits ihre Einbindung in die Organisation, in die gemeinschaftlichen Interessen der im Verband zusammengeschlossenen Mitglieder und auf den gemeinsamen Zweck. Das aber bedeutet, daß dem Verband und seiner regulären 218 Zur Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und Nichtigerklärung fehlerhafter Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen umfassend Karsten Schmidt, AG 1977, 205 ff. und 243 ff. 219 Zur Verbindung von Anfechtungsklage und „Berechtigungsklage“ vgl. Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 405 ff. und MK-Reuter, § 32 Anm. 20. 220 Zur geschichtlichen Entwicklung der actio pro socio insbes. Otto v. Gierke, Genossenschaftsrecht III, S. 423 f.; zum römischen Recht Wieacker, Societas, Hausgemeinschaft und Erwerbsgesellschaft, 1936, S. 9 ff. sowie Hadding (Fn. 214), S. 17 ff. 221 Vgl. dazu auch den vorzüglichen Überblick von Ballerstedt, Kapital (Fn. 192), S. 187 ff. 222 Zuletzt Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 12, 142 f.; Fischer, ZGR 1979, 451, 461; Huber (Fn. 4), S. 25 ff., 28. 223 Zutreffend weist demgegenüber Wiedemann, WM-Sonderbeilage 4/1975, S. 39 auf die Zugehörigkeit der Gesellschafterklage zum Organisationsrecht des jeweiligen Verbandes hin. 224 BGHZ 25, 47, 50 = LM Nr. 2 zu § 109 HGB (Robert Fischer); Wiedemann (Fn. 223), S. 40; Staudinger/Keßler, § 705 Anm. 62. 225 Nitschke, ZHR 128 (1965), 48 ff., insbes. 84 ff., ähnlich Teichmann, AcP 1979, 475, 484 f., der die actio pro socio treffend als funktionsbezogene Streitigkeit charakterisiert und eine Prozeßstandschaft für die Korporation annimmt.

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Geschäftsführung der Vorrang in der Verfolgung dieser Ansprüche und auch in der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden für den Verband zusteht. Das einzelne Mitglied hat also nur eine Ersatz- oder Notzuständigkeit226. Und bei ihr handelt es sich materiell um Geschäftsführung für den Verband. Das aber hat zur Folge, daß das klagende Mitglied auch dartun muß, die reguläre Geschäftsführung komme ihrer Pflicht nicht nach und auch ihre Gründe für die Nichtverfolgung des behaupteten Anspruchs – insbesondere solche aus dem gemeinsamen Interesse – seien nicht stichhaltig227. Diese Regel entfällt, wo sie reine Formalie wäre, insbesondere also in der zweigliedrigen Gesellschaft228. [135] b) Rechtlich selbständige Verbände aa) Im Bereich der rechtlich selbständigen Verbände haben sich Überlegungen zur actio pro socio – hier besser: actio pro societate229 – nur zögernd entwickelt230. Sieht man die strikte Zuständigkeitsordnung in den rechtsfähigen Verbänden, so kann das auch gar nicht überraschen. Erst Ballerstedt231 hat aus einigen Normen des GmbH-Rechtes ein Rechtsverhältnis auch zwischen den GmbH226 Ebenso Nitschke, aaO, S. 96 f. mit dem zutr. Hinweis, die actio pro socio sei auf Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes gerichtet, daher müßten für das mit ihr verfolgte Anliegen auch in erster Linie diejenigen zuständig sein, die zur Geschäftsführung berufen sind. Eine solche Deutung als Not- und Ersatzzuständigkeit befürworten weiterhin vor allem Hadding (Fn. 214), S. 57 ff. und Reinhardt, Gesellschaftsrecht, Rz. 167. Demgegenüber sieht Wiedemann, WM-Beilage 4/1975 S. 39 f. in der actio pro socio ein Kontrollrecht der Gesellschafter über die Geschäftsführung und rechtfertigt daraus die Parallelzuständigkeit (Doppelzuständigkeit) des einzelnen Gesellschafters neben der Geschäftsführung, eingeschränkt nur durch das allgemein anerkannte Verbot treuwidriger Ausübung (BGHZ 25, 47, 50): die Ergebnisse sind nicht sehr verschieden – siehe aber Fn. 227 zur Beweislastverteilung –; aber weshalb eine klare Durchbrechung der gesellschaftlichen Zuständigkeitsordnung im Grundsatz jederzeit möglich sein soll statt – wie hier – im Sinne einer die Selbstverwaltung der Gesellschaft sichernden Ausnahme, will mir aus dieser Begründung nicht einleuchten. Auch wenn man mit Flume (Personengesellschaft, S. 139 ff.) und Teubner (AK BGB, § 707 Anm. 3) in der actio pro socio auch die Garantie eines „minimalen Minderheitenschutzes“, also ein auf den Gesellschafter, nicht (nur) auf den Verband bezogenes Schutzrecht sieht, besteht doch weder ein Widerspruch zur hier getroffenen Qualifizierung (Notgeschäftsführung) noch zur Aktualisierung dieses Schutzrechtes erst bei Gefahr (Versagen der regulären Geschäftsführung). 227 Im Ergebnis wie hier insbes. Nitschke, aaO, S. 92; kritisch zu dieser Beweislastverteilung Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 143. 228 Überzeugend BGHZ 65, 15 und hierzu insbes. Ulmer, NJW 1976, 193 und Schilling, BB 1975, 1451; Esser, Schuldrecht, 4. Aufl., § 95 IV will demgegenüber nur hier die actio pro socio gewähren und verweist die Gesellschafter im übrigen auf Klagen gegen die Mitgesellschafter auf Mitwirkung. 229 Vgl. Rehbinder, ZGR 1976, 393; Hommelhoff/Timm, AG 1976, 330. 230 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch Ballerstedt, Kapital (Fn. 192), S. 187 ff.; zur weiteren Entwicklung vgl. insbes. Immenga (Fn. 88), S. 283 ff.; zuletzt hierzu Karsten Schmidt, in: Scholz, Komm. zum GmbHG, 6. Aufl., § 46 Anm. 111 mit weiteren Nachw. 231 Ballerstedt, aaO, S. 187 ff.

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Gesellschaftern selbst freigelegt und hierauf, in Analogie zum Recht der Personengesellschaften, eine actio pro societate für schwere Störungen im Verhältnis Gesellschafter-Geschäftsführung aufgebaut. Die Literatur ist diesem Gedanken mehr und mehr gefolgt232. Inzwischen hat sich der Bundesgerichtshof im schon mehrfach erwähnten ITT-Fall233 die actio pro societate des Minderheitsgesellschafter zur Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen ein anderes Mitglied als quasi selbstverständlich akzeptiert, ohne sich dabei durch konstruktive Bedenken und Überlegungen sonderlich gehindert zu fühlen: die Rechtsprechung hatte hier den Vorzug, einen eklatanten Fall schlicht entscheiden zu müssen. Im ITT-Fall hatte ein GmbH-Gesellschafter gegen seinen Mitgesellschafter auf Leistung in das Vermögen geschädigter Kommanditgesellschaften geklagt, an denen wiederum beide beteiligt waren, die aber von der betreffenden GmbH als persönlich haftender Gesellschafterin geführt wurden. Der Fall hätte auch über die im KG-Recht anerkannte actio pro socio gegen den Mehrheits-Kommanditisten als Quasi-Geschäftsführer gelöst werden können, wurde aber – und wie ich meine, nicht minder zu Recht – über den gleichen Konflikt in der geschäftsführenden GmbH bereinigt. Tatsächlich ist die Übertragung des Rechtsgedankens der actio pro socio als actio pro societate auf die rechtlich selbständigen Verbände die [136] sachlich und rechtlich zutreffende Lösung234. Das erhellt zunächst schon einmal die Tatsache, daß diese actio pro societate selbst im sonst so strikt auf Trennung der Zuständigkeiten angelegten Aktienrecht an besonders neuralgischen Stellen ausdrücklich normiert ist (§§ 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4 und 318 Abs. 4 AktG)235. Außerdem ist jedenfalls für die GmbH weitgehend akzeptiert, daß deren Mitglieder nicht nur zum Verband selbst sondern auch untereinander

232 Vor allem Immenga, aaO; vgl. im übrigen den Überblick bei Karsten Schmidt, aaO. Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 432 stellt hier auf die Realstruktur ab und lehnt die actio bei kapitalistischer Struktur der GmbH ab, da der Bruch gegenüber dem Aktienrecht sonst zu stark wäre. Denkt man das fort, so käme jedenfalls bei diesen Gesellschaften mbH eine Rechtsanalogie zu § 147 AktG in Betracht. 233 BGHZ 65, 15 und die Stellungnahmen dazu wie Fn. 133. 234 Und das gilt, wie Ulmer, NJW 1976, 193 betont hat, auch mitnichten nur für zweigliedrige Strukturen, wie sie der BGH-Entscheidung zugrunde lag. 235 Demgegenüber versteht Rehbinder, ZGR 1976, 394 die §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktG nicht als actio pro socio, sondern als spezielle konzernrechtliche Rechtsbehelfe. Soweit damit nur verbal das besondere Gewicht dieser Vorschriften für das Konzernrecht hervorgehoben werden soll, besteht kein Dissens. Das ist anders, wenn damit ihr Charakter als normierter Fall einer actio pro socio bestritten werden sollte; denn § 147 AktG ist lediglich eine Einschränkung der actio pro socio; das Konzernrecht hebt diese Beschränkung wieder auf und kehrt damit zur allgemeinen Regel zurück. Deshalb unzutr. auch Mertens, FS Fischer, 1979, S. 461, 473.

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in einer rechtlichen Sonderverbindung stehen236. Rechtsähnliches wurde hier auch für die Mitglieder anderer Verbände entsprechend der Realstruktur des Verbandes postuliert237. Auch hätte der ITT-Fall mit einem von diesem Mitglied verfolgten Rückzahlungsanspruch gegen den Mehrheitsgesellschafter kaum anders entschieden werden können, wenn die maßgebliche Gesellschaft keine GmbH sondern eine zweigliedrige AG gewesen wäre238; das formuliert – wenn auch in mediatisierter Form – selbst § 147 AktG. Und sollten wirklich in Genossenschaft und Verein Ansprüche des Verbandes gegen einflußreiche Mitglieder und ihnen nahestehende Personen – nur darum geht es, nicht um den Erlaßvertrag im „normalen“ Geschäftsverkehr des Verbandes – im Sande verschwinden können, nur weil es die Machtverhältnisse im Verband oder das Prinzip, daß eine Vorstandskrähe die Augen der anderen schont, nahelegen, die „fremden Gelder“ – es trifft ja nicht den eigenen Geldbeutel – zu vergessen? Wie die actio pro socio239 ist auch die actio pro societate bei richtiger Wertung ihrer Voraussetzungen eine Form der Notgeschäftsführung für einen Verband240, dessen reguläre Organisation nicht generell, sondern [137] in bestimmten Konflikten typischerweise versagt. Insoweit sind diese Rechtsfiguren als Element des Verbandsrechts notwendig, um dessen Prinzip der Selbstverwaltung zu gewährleisten241. Darüber hinaus aber sind actio pro socio und actio pro societate auch Rechtsfiguren, welche das rechtsethische Prinzip des Zivilrechts im Verbandskonflikt gewährleisten: es ist auch für die Rechtsidee unerträglich und korrumpiert die Autorität des Zivilrechts, wenn materielle Rechtspositionen in geradezu zynischer Weise nur an den Organisationsnormen verbandsinterner Zuständigkeitsordnungen scheitern sollten. Oder anders gewendet: historisch ist man von der Klagebefugnis, der actio, zum Anspruch, der per se klagbar wurde (§ 253 ZPO) vorgeschritten. Hier nun ist wiederum ein Schritt weiterzugehen: nicht der Anspruch des Verbandes steht in Frage und auch nicht seine Klagbarkeit, sondern seine Geltendmachung, die infolge der Überlagerung von personaler Struktur des Konfliktes und faktischer oder rechtlicher Handlungsorganisation des Verbandes typischerweise gefährdet ist. 236 Überzeugend Immenga (Fn. 88), S. 270 ff.; vgl. weiter Karsten Schmidt, GmbHRdsch. 1979, 121, 125 sowie Verhoeven (Fn. 125), Rz. 144 ff. 237 Oben bei Fn. 192 ff. 238 Ebenso Mertens, AcP 1978, 227, 244. 239 Oben bei Fn. 226. 240 Immenga (Fn. 88), S. 292 spricht zutr. von einem „Mitverwaltungsrecht“ des einzelnen Gesellschafters und einer Art Prozeßstandschaft; ähnlich Ballerstedt (Fn. 192), S. 187; Nitschke, ZHR 128 (1965), S. 48, 84, 95; Westermann, in: Der GmbH-Konzern, 1976, S. 35 f.; wie hier auch Rehbinder, ZGR 1976, 391 und Karsten Schmidt, in: Scholz, § 64 GmbHG Anm. 111. 241 Im Prinzip der Gerechtigkeitsgewähr unter Aufrechterhaltung der Selbstverwaltung liegt m. E. der entscheidende Aspekt für die breite Durchsetzung dieser Rechtsfigur als Element jeder Mitgliedschaft.

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Und schließlich sei an die Worte eines englischen Richters aus dem Jahre 1843 erinnert, die zum Durchbruch der actio pro societate im englischen Recht führten: „The claims of justice could be found superior to any difficulties arising out of technical rules respecting the mode in which corporations are required to sue.“242

bb) Im Charakter der Notgeschäftsführung liegt aber auch begründet, daß alle anderen verbandsinternen Möglichkeiten der Lösung erschöpft sein müssen243. Das führt etwa bei der GmbH, deren Gesellschafterversammlung die oberste Geschäftsführungsautorität verkörpert, dazu, daß zunächst eine entsprechende Anweisung an die Geschäftsführung durch Gesellschafterbeschluß versucht werden muß. Erst wenn auch das gescheitert ist – oder wegen der Machtverhältnisse in einer zweigliedrigen GmbH a priori scheitern muß – kann das Mitglied selbst für den Verband handeln244. [138] cc) Schließlich sind leges speciales zu beachten; so geben die §§ 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4 und 318 Abs. 4 AktG im Recht der verbundenen Unternehmen ohne weiteres die actio pro societate, während die praktisch etwas weniger wichtigen Ansprüche vor allem gegen die Verwaltung im nicht-verbundenen Unternehmen der Mediatisierung aus § 147 AktG unterliegen. dd) In Konfliktfällen dieser Art zwischen der Gesellschaft und ihrem Aktionär liegen dem AktG mithin drei völlig unterschiedliche Konzeptionen zugrunde: (1) Bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Mitglieder der Verwaltung nach § 147 AktG – an sich ein „klassischer“ Fall der actio pro socio – klagt die Gesellschaft – ggf. vertreten durch den besonderen Vertreter nach § 147 Abs. 3 AktG – gegen den Ersatzpflichtigen. Der Aktionär kann nur die Klage initiieren. (2) Die Anfechtungsklage richtet sich demgegenüber gegen die Gesellschaft, § 246 AktG. (3) Bei den Klagen nach §§ 309, 310, 317 und 318 (je Abs. 4) AktG klagt wiederum – wie bei der Anfechtungsklage – der einzelne Aktionär, jedoch nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen den oder die Ersatzpflichtigen auf Leistung an die Gesellschaft.

Justice Wigram in Foss v. Harbottle, 67 ER. 189, 203 (1843). Ebenso wie der Gesetzgeber diese Grundregel abändern kann und abgeändert hat (vgl. §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktG: angesichts der Machtverhältnisse im Konzern eine zutr. vorausschauende Betrachtungsweise; zur Verallgemeinerungsfähigkeit dieses Gedankens Rehbinder, ZGR 1976, 394), kann auch der einzelne Verband selbst in seiner Grundordnung (Satzung, Gesellschaftsvertrag) die Verbandsklage unter erleichterten Voraussetzungen gewähren; vgl. dazu Karsten Schmidt, in: Scholz, 6. Aufl., § 46 GmbHG Anm. 111. 244 Immenga (Fn. 88), 286 ff., 291 f.; Zöllner, Stimmrechtsmacht (Fn. 20), S. 249; ähnlich Karsten Schmidt, aaO. 242 243

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Die actio pro societate enthält Elemente jeder dieser Formen, ohne einer so nahe zu kommen, daß eine Übernahme des aktienrechtlichen Vorbildes auf sie bruchlos möglich wäre. 4. Überprüfung organschaftlicher Handlungsbefugnisse Der zweite Problemkreis – das geschäftsführende Organ überschreitet die ihm nach Gesetz und Satzung gezogenen Grenzen, ohne daß das zur Kontrolle zuständige Organ (Mitglieder- bzw. Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat) etwas unternimmt – ist damit noch nicht beantwortet245. Denn hier handelt es sich nicht um die Durchsetzung von Ansprüchen des Verbandes, also um spezifische Untätigkeitslagen in der Geschäftsführung des Verbandes, sondern tatsächlich um ein Aufsichtsproblem246. Aber auch hier funktionieren die vom Gesetz vorgesehenen Mechanismen der checks and balances nicht, sei es infolge einer rechtlichen Fehlinterpretation („der Vorstand darf das“), sei es, weil die Mehrheit die Zuständigkeitsüberschreitung der Geschäftsführung deckt. [139] Beispiele: (1) Der Vorstand eines Fußball-Amateurvereins beschließt die Eröffnung einer Vertragsspieler-Abteilung und beginnt mit dem Ankauf von Spielern247. (2) VW kauft die Büromaschinen-Firma Triumpf-Adler, obwohl die eigene Satzung nur von der Herstellung und dem Verkauf von Kraftfahrzeugen spricht. (3) Die Geschäftsführung der Gemeinnützigen Sozialwohnungsbau-GmbH kümmert sich kaum noch um den sozialen Wohnungsbau, nimmt aber laufend ertragsstarke Hochbauaufträge im industriellen Sektor wahr248.

Alle diese hier gebildeten Fälle zeichnen sich weiter dadurch aus, daß dem fraglichen Verband – jedenfalls zunächst – hierdurch kein Vermögensschaden erwächst, weshalb auch der Umweg über Schadenersatzklagen mit der actio pro

245 Dazu vor allem Hommelhoff/Timm, AG 1976, 330 (Übertragung des Gedankens der actio pro societate auf den Aufsichtsrat); Lewerenz, Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern der Aktiengesellschaft, 1977; Karsten Schmidt, ZZP 1979, 212; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288 ff. Aus der Sicht der (möglicherweise betroffenen) Mitglieder grundlegend KnobbeKeuk, FS Ballerstedt, 1975, S. 239 ff. 246 BGH LM Nr. 7 zu § 109 HGB (Klage auf Durchführung eines Beiratsbeschlusses, der eine Sonderprüfung angeordnet hatte). 247 Hierzu neuestens Heckelmann, AcP 1979, 1 ff. 248 Ähnliche Fragen entstehen bei den Einkaufsgenossenschaften des Einzelhandels; diese beschränken sich nicht mehr auf Hilfsfunktionen (Großhandelseinkauf) für die Mitglieder, sondern betreiben in wachsendem Maße eigene Verkaufsfilialen (und machen damit u. U. den eigenen Mitgliedern Konkurrenz); vgl. dazu etwa Beuthien, ZfgG 1975, 180, 185 sowie ders. DB 1978, 1677 (zu den genossenschaftlichen Regiebetrieben).

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socio gegen die geschäftsführenden Gesellschafter oder der actio pro societate gegen den Vorstand (Geschäftsführer) nicht weiterhilft249. a) Personenverbände aa) Bei den Personenverbänden kann hier unmittelbar auf die Überlegungen zur actio pro socio zurückgegriffen werden. Da alle Personenverbände nach dem System der Selbstorganschaft aufgebaut sind, bedeutet Überschreitung des Geschäftsführungsrahmens – sei es Überschreitung des Gegenstandes oder des Geschäftsführungsrahmens aus Gesetz und Gesellschaftsvertrag (§§ 115, 116, 164 HGB) –, gleichgültig ob vom geschäftsführenden Mitglied selbst getätigt oder als Handeln von Angestellten toleriert250, Verletzung mitgliedschaftlicher Pflichten gegenüber jedem anderen Mitglied. In der Grundstruktur handelt es sich also um den gleichen Konflikt wie bei den klassischen Fällen der actio pro socio, in denen die mitgliedschaftlich vermittelte Leistungspflicht eines Mitglieds von der Geschäftsführung pflichtwidrig nicht eingefordert wird – nur müßte hier die Geschäftsführung eigentlich gegen sich selbst oder die übrigen Gesellschafter gegen den geschäftsführenden Gesellschafter251 auf Unterlassung oder – später – auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 117 HGB) vorgehen. Fraglich ist, ob es [140] dabei sein Bewenden haben muß mit der Folge, daß das einzelne Mitglied notfalls auch die anderen Mitglieder auf Mitwirkung bei der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis zu verklagen hat252 und die betreffende Gesellschaft in diesem Zusammenhang mit einer Fülle von Konflikten zu überziehen wäre. Das wäre zwar eine juristenfreundliche, weil streitaufwendige, aber in der Sache doch offenbar eine sehr unzweckmäßige Lösung253. Denn es geht ja nur um einen ganz spezifischen Konflikt, den Umfang der Geschäftsführungsbefugnis im konkreten Verband, um einen Konflikt, dessen Fronten in concreto quer durch den Verband verlaufen können. 249 Man denke aber an die bei Heckelmann, aaO, S. 4 ff. geschilderte Entwicklung der Finanzlage der Bundesliga-Vereine: Verschuldung in Millionenhöhe ist eher die Regel als die Ausnahme. 250 Zur actio pro socio als umfassende „Untätigkeitsklage“ vgl. Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 144 f. 251 Vgl. BGH wie Fn. 246. 252 Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 273 ff.; Holtkamp, Mitwirkungsprobleme bei Ausschluß- und Entziehungsklagen im Recht der Personengesellschaften, Diss. Münster 1979; Manke, Das Recht zur Ausschließung aus der Personengesellschaft kraft Vertrages, Frankfurt 1978, je mit umfangr. Nachw. aus der Rspr. 253 Ein ähnliches Problem entsteht, wenn sich die Änderung des Gesellschaftsvertrages als notwendig erweist; vgl. dazu die Kontroverse zwischen Kollhosser, FS Westermann, 1975, S. 275 ff. sowie FS Bärmann, 1975, S. 533 ff. und Zöllner, Anpassung (Fn. 27), S. 20 ff., wobei Zöllner aus der möglichst weitgehenden Reduzierung des Konfliktes und aus dem Prinzip der geringsten Last (dazu auch Fischer, Großkomm. HGB, § 117 Anm. 7c und Ulmer, ibid. § 140 Anm. 18) argumentiert.

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bb) Auch bei der actio pro socio wurde erkannt, daß es eine Lösung von innergesellschaftlichen Einzelkonflikten geben muß, die dem Ausmaß des Konfliktes angemessen ist und der Gefahr steuert, den Konflikt auszuweiten statt ihn einzudämmen. Das gilt auch hier. Daher sind die Regeln der actio pro socio auch in diesem Falle anzuwenden254; konstruktive Bedenken bestehen nicht, da die Gegner in unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zueinander stehen. Verweigert sich also das zuständige Organ des betreffenden Personenverbandes, gegen den geschäftsführenden Gesellschafter auf Unterlassung der Überschreitung vorzugehen, so kann jedes Einzelmitglied auf Unterlassung, ggf. auf Feststellung der Unzulässigkeit klagen. Hier trifft also die Analyse von Wiedemann255 zu: die actio pro socio ist auch ein mitgliedschaftliches Kontrollrecht. b) Rechtlich selbständige Verbände Während der soeben behandelte Konflikt um das mitgliedschaftliche Interesse an der Einhaltung des festgelegten Organisations- und Handlungsrahmens die Literatur der Personengesellschaft bisher nicht sonderlich beschäftigt hat256, gewinnt die gleiche Frage im Bereich der recht- [141] lich selbständigen Verbände zunehmend an Bedeutung. Dabei hat man aber zwei Aspekte zu unterscheiden: aa) Einmal geht es um die Frage, wo nach Gesetz und Satzung die materiellen Grenzen der Befugnisse des geschäftsführenden Organs überhaupt verlaufen und welche Regeln des Zusammenwirkens von Organen ggf. zu beachten sind. Diese Fragen habe ich anderweitig erörtert257; sie brauchen uns hier nicht weiter zu beschäftigen258. bb) Zum anderen wird das Problem erörtert, ob und welche mitgliedschaftlichen Befugnisse bestehen, wenn solche Überschreitungen vorliegen und das an sich zuständige Überwachungsorgan (Mitgliederversammlung, Gesellschaftsversammlung, Aufsichtsrat) nicht eingreift. Knobbe-Keuk259 hat hierfür als erste die mitgliedschaftliche Einzelklage als zulässig erachtet; später hat Mertens260 auf unse-

Vgl. nochmals den BGH wie Fn. 246. WM-Sonderbeilage 4/1975, S. 40. 256 Andeutungsweise Flume, Personengesellschaft (Fn. 5), S. 144 f., der die actio pro socio als Magna Charta des Minderheitsschutzes bezeichnet und ihren Charakter als Untätigkeitsklage betont. 257 Die Rechte der Gesellschafter bei fusionsähnlichen Unternehmensverbindungen, 1974; FS Barz, 1974, S. 215 ff.; FS Westermann, 1975, S. 347 ff. Zu Fragen dieser Art bei der GmbH und den Personengesellschaften vgl. insbes. U. H. Schneider, FS Bärmann, 1975, S. 873 ff. und in: Der GmbH-Konzern, 1976 S. 79 ff. 258 Dazu ausführlich in Kürze Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, Köln 1980. 259 FS Ballerstedt, S. 239 ff. 260 AcP 1978, 227 ff., insbes. 243 f.; ausführlicher ders. FS Fischer, 1979, S. 461 ff. sowie AG 1978, 308 ff. und Hachenburg, § 43 GmbHG Anm. 105 ff. 254 255

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rer letzten Tagung die Theorie des § 823 Abs. 3 BGB entwickelt und diesen Konfliktbereich dem deliktischen Schutz der Mitgliedschaft zugeordnet. Bei Annahme eines deliktsrechtlichen Anspruchs kann das Mitglied rechtswidrige, d. h. gesetz- und satzungswidrige Akte der Geschäftsführung kontrollieren und im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage verhindern. Im Ergebnis, wenn auch keineswegs in der Begründung, ähnlich geht die verbandsrechtliche Auffassung von einem Anspruch des einzelnen Mitglieds auf gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft aus, der beim Scheitern der regulären Zuständigkeitsordnung im Verband durch Klage aktualisiert werden kann. Die beiden Überlegungen unterscheiden sich demnach in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen erheblich. Während beim deliktsrechtlichen Ansatz das Mitglied wegen Verletzung des individuellen Mitgliedschaftsrechtes, d. h. Eingriffs in den „Zuweisungsgehalt“ der Mitgliedschaft, soll es nach der These von Knobbe-Keuk dann klagen können, wenn die Verwaltung in den Bereich eindringt, für den die Mitglieder zuständig sind (faktische Satzungserweiterung)261. KnobbeKeuk betont also weniger die individuelle, als vielmehr die mitgliedschaftliche Komponente [142] und die gemeinschaftlich-organschaftliche Position. Und für die Rechtsfolgen gilt: Während nach Knobbe-Keuk die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist und als Ziel die Rückgängigmachung bzw. Unterlassung der Maßnahme hat262, soll sich nach dem deliktsrechtlichen Ansatz von Mertens die Klage unmittelbar gegen den Verletzer des Mitgliedschaftsrechts richten, d. h. nicht gegen den Verband, sondern nur gegen den oder die betreffenden Mitglieder der Verwaltung263. Ziel der Klage soll hierbei in erster Linie Schadenersatz für den individuell erlittenen Schaden, d. h. für die konkrete Beeinträchtigung der Mitgliedschaft sein. cc) Die innere Ordnung eines Verbandes wird von den Sondernormen des Verbandsrechts beherrscht264. Demgegenüber ist das Deliktsrecht eine Materie, die ganz unspezifisch auf jedermann, auf quivis ex populo zugeschnitten ist und überhaupt nicht auf die Sonderordnung des Verbandes. Schon das legt es nahe, die Lösung mit den Mitteln des Verbandsrechts, also mit dem verbandsnächsten Teil der Rechtsordnung zu suchen. Außerdem geht es im Kontext unserer Überlegungen viel weniger um den Schutz der individuellen Interessen des einzelnen Mitglieds265 als um dessen mitgliedschaftliches Interesse an der Aufrechterhaltung FS Ballerstedt, S. 253. ibid. 263 FS Fischer, S. 470 f. und Hachenburg, § 43 Anm. 105 ff. 264 Hierauf stellt entscheidend Wiedemann, WM-Sonderbeilage 4/75, S. 39 ab. 265 Solche individuellen Interessen sind etwa involviert, wenn das Mitglied unter falschen Voraussetzungen in die Gesellschaft geworben wurde: hier geht es nicht um die Ordnung des Verbandes, sondern um die Wiederherstellung individueller Gerechtigkeit; dem entsprechen die Rechtsfiguren der culpa in contrahendo oder des allgemeinen Deliktsrechts; vgl. BGHZ 71, 284 und 72, 382 und dazu Wiedemann/Schmitz, ZGR 1980, 129 und insbes. 143 ff. 261 262

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der binnenrechtlichen Ordnung des Verbandes266. Das aber ist sachlich ganz der gleiche Problemaspekt wie bei den oben behandelten „regulären“ Fällen der actio pro socio und der actio pro societate, nur daß es hier nicht um eine im Konflikt versagende Geschäftsführung, sondern um einen ganz spezifischen Aspekt mangelnder Aufsicht geht. Nicht allgemeine Mängel der Geschäftsführung stehen zur Debatte, sondern Übergriffe in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Organs. Hier liegt es also nahe, den verbandsrechtlichen Gedanken der actio pro societate zu erweitern und dem einzelnen Mitglied ein Ersatzaufsichtsrecht durch Klage auf Feststellung oder Unterlassung gegen das betreffende Geschäftsführungsorgan zu geben. Diese punktuelle Aufsichtsbefugnis des Mitglieds durch Klage ist im übrigen durch die Anfechtungsrechte von Gesellschaftern, Genossen und Aktionären sowie die im Verein zulässige [143] Feststellungsklage267 vorgezeichnet. Viele Verstöße, die heute zur Anfechtbarkeit führen, greifen viel weniger in den unmittelbaren Interessenbereich des einzelnen Mitglieds, weit eher in das Ordnungsgefüge der Korporation ein. Das Anfechtungsrecht ist in diesen Fällen nicht mehr Mittel des Selbstschutzes, sondern Kontrollrecht der Mitglieder; das Mitglied wird in diesen Fällen nicht so sehr als Träger von Individualinteressen, sondern wie ein Organ für den Verband tätig. Bestätigt wird diese Sicht schließlich auch durch das Anfechtungsrecht des Vorstands einer AG nach § 245 Nr. 4 AktG268. dd) Faßt man die oben entwickelten Gedanken zur actio pro societate und die soeben dargestellten Ansätze von speziellen Einzelkontrollrechten der Mitglieder zusammen, so rechtfertigen sie eine entsprechende Anwendung als ergänzende Kontrollmaßnahme des Mitglieds hier ebenso wie in den nichtrechtsfähigen Verbänden. Fraglich bleibt nur, ob das für den gesamten Bereich des Verwaltungshandelns anzunehmen ist. Handelt es sich um Übergriffe in den Zuständigkeitsbereich der Mitglieder – Überschreitung des statutarischen Gegenstandes, Mißachtung von Zustimmungsrechten der Gesellschafterversammlung –, so ist das schon wegen der organnahen Position des Mitglieds zu bejahen, soweit die regulären innerverbandlichen Kontrollen nachweislich ausgefallen sind269. Hier ist ausreichender Rechtsschutz auch 266 Vgl. hierzu die ähnlichen Überlegungen von Karsten Schmidt, ZZP 92 (1979), 232 und Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 310. 267 Die analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG im Vereinsrecht ist umstritten; vgl. die Nachw. bei Karsten Schmidt, AG 1977, 250 f. Die noch immer h. M. lehnt – jedenfalls formal – die Anfechtungsklage ab und erkennt – jedenfalls im Ergebnis – lediglich Feststellungsurteile (mit Gestaltungswirkung!) an; vgl. aus der Rspr. zuletzt BGHZ 59, 369. 268 Vgl. hierzu Lutter, NJW 1968, 1873, 1877 f. sowie ders., ZGR 1978, 347, 349 f. Auch der BGH betont in BGHZ 43, 261, 265 und 70, 117, 118, daß bei der Anfechtung das Interesse eines jeden Gesellschafters genüge, „daß HV-Beschlüsse mit Gesetz und Satzung in Einklang stehen“, stellt also auf ein objektives, sachorientiertes Kontrollinteresse ab. 269 Beispiel: der Aufsichtsrat deckt die statutenwidrige Geschäftsführung des Vorstands, die Gesellschafterversammlung der GmbH lehnt einen entsprechenden Antrag des Mitglieds mehrheitlich ab – auch die Anfechtung des Beschlusses würde zu keinem positiven Resultat führen.

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im Sinne einer Gewährleistung von Legalität des internen Verbandsgeschehen anderweitig ebensowenig erkennbar wie in den „klassischen“ Fällen der actio pro socio, der Nichtgeltendmachung von finanziellen Ansprüchen des Verbandes gegen Mitglieder oder Funktionäre270. Ist demgegenüber die interne Ordnung eines anderen Organs (insbesondere: Aufsichtsrat) betroffen271, so mag man an den Eingriffsbefug- [144] nissen der Mitglieder zweifeln: es liegt jedenfalls näher, für solche Konflikte zunächst Klagemöglichkeiten durch einzelne Mitglieder des betreffenden Organs selbst zu entwickeln272. c) Weitergehender Schaden273 Hat der Übergriff in den mitgliedschaftlichen Zuständigkeitsbereich zu einem Schaden an der Mitgliedschaft geführt, der nicht identisch ist mit dem der Gesellschaft selbst, so kann dieser vom einzelnen Mitglied in gleich welcher Rechtsform über § 823 Abs. 1 BGB von dem betreffenden Verwaltungsmitglied persönlich liquidiert werden. 5. Zusammenfassung Auch actio pro socio und actio pro societate sind also – mit den dargestellten Beschränkungen aus den leges speciales im Aktienrecht – als allgemeines Prinzip des Verbandsrechts und - im Sinne eines ergänzenden Mitverwaltungsrechtes jedes Mitglied – als allgemeiner und unverzichtbarer Inhalt jeder Mitgliedschaft zu sehen. Auch an dieser neuralgischen Stelle, an der Nahtstelle von Selbstverwaltung der privaten Korporation und Stellung des einzelnen Mitgliedes in ihr, einer Stellung, die – wie Wiedemann richtig sagt274 – notwendig mit einem Verlust an persönlicher Autonomie dieses Mitglieds verbunden ist, läßt sich die einheitliche Struktur von Mitgliedschaft nachweisen. Zwar abhängig hier von der Rechtsform der konkreten Korporation, aber im Ergebnis außerordentlich nahe verwandt, kann jedes Mitglied mittelbaren Eingriffen in seine Mitgliedschaft steuern und dabei zugleich die legale Verwaltung seiner Korporation selbst mit gewährleisten: ein Aspekt, auf den Flume mit Nachdruck und zu Recht hingewiesen hat275.

270 Ebenso die parallelen Überlegungen zum Aufsichtsrat bei Hommelhoff/Timm, AG 1976, 330, 333. 271 Beispiel: der Aufsichtsrat stellt den Jahresabschluß fest, ohne daß ihm der Prüfungsbericht des Abschlußprüfers vorgelegen hätte. 272 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 310 ff. 273 Dazu eingehend die Überlegungen von Wiedemann, WM-Sonderbeilage 4/1975, S. 26 und von Martens, ZGR 1972, 254, 279. 274 Übertragung (Fn. 2), S. 29. 275 Personengesellschaft (Fn. 5), S. 244 f.

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V. Grenzen der Mitgliedschaft Mit Förder- und Loyalitäts- sowie wechselseitigen Rücksichtspflichten aus der Idee freiwillig begründeter Teilhabe in einer Zweckgemeinschaft, mit Klagerechten hierfür und einem System sogar von Notgeschäftsführungs- und Notkontrollrechten ist eine sehr intensive Rechten- und Pflichtenposition des Mitglieds entstanden. Man muß sich daher abschließend fragen, wo denn die Grenzen dessen liegen, was in diesem Sinne als Mitgliedschaft bezeichnet werden kann. [145] Bislang wurde hier ganz allgemein von Mitgliedschaft in den privatrechtlichen Zweckgemeinschaften gesprochen und nur zu Beginn dieser Ausführungen der Bereich von Mitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Verbänden ausgenommen. Im übrigen fehlen Überlegungen zum Anwendungsrahmen der hier gedachten Mitgliedschaft. Erforderlich ist daher noch eine Eingrenzung in zwei Richtungen: welche der privatrechtlichen Zusammenschlüsse vermitteln überhaupt Mitgliedschaften im hier gemeinten Sinne; und welche Erscheinungsformen von Teilhabe in privatrechtlichen Zweckgemeinschaften lassen sich noch als Mitgliedschaft definieren. A. Mitgliedschaft und private Zwangsgemeinschaft Das Zivilrecht kennt außer den personalen Zweckgemeinschaften, die insgesamt und insbesondere in ihrem – beschränkten – Gegenstand und Ziel auf den Vertrag ihrer Gründer beruhen, weitere Arten von Zusammenschlüssen. Auch bei ihnen handelt es sich um personale, von der Rechtsordnung vorgezeichnete Gemeinschaften276. Ihre Besonderheit besteht teils in ihrem Zwangscharakter, also in der Negation von Privatautonomie (Erbengemeinschaft, schlichte Rechtsgemeinschaft), teils in der Unbeschränktheit ihrer Zielsetzung (eheliche Gütergemeinschaft). Gerade deshalb versteht man letztere auch aus der Idee der ehelichen Lebensgemeinschaft treffender als unter den Aspekten beschränkter, gewissermaßen laizistischer Zwecke. Im übrigen wurden als einheitliche Elemente aller Mitgliedschaften in den hier gemeinten Verbänden die Pflicht zur Förderung des gemeinsamen Zweckes und die Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Verband und den anderen Mitgliedern festgestellt. Das aber läßt sich in Gemeinschaften, deren Mitglieder den gemeinsamen Zweck nicht frei gesetzt und akzeptiert haben, so nicht vertreten. Aus diesem Grunde sind auch die privaten Zwangsgemeinschaften wie Erbengemeinschaft und schlichte Rechtsgemeinschaft aus dem Rahmen der hier erörterten Mitgliedschaften auszunehmen; ihr Zweck liegt gesetzlich fest, 276 Deshalb wird die Position des Einzelnen in einer solchen Gemeinschaft auch oft als „Mitgliedschaft“ bezeichnet; vgl. etwa Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 140 ff.

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kann nicht erweitert werden und ist nur der notwendige Unterbau für das Halten eines gemeinsamen Vermögens oder Gegenstandes. Erbengemeinschaft und schlichte Rechtsgemeinschaft haben, ganz im Gegensatz zu den hier gemeinten Verbänden, keine Perspektive277. [146] Doch sollte man andererseits die Abgrenzung nicht nur formal treffen278. So wäre der Zusammenschluß von Wohnungseigentümern zur gemeinsamen Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ohne den gestaltenden Eingriff des Gesetzes (§§ 10 ff. WEG) ein gemeinsamer Zweck und damit eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts279. Hier nun stellt das Gesetz aus durchaus zweckmäßigen, am Grundbuch ausgerichteten Überlegungen das dingliche Recht in den Vordergrund und die Personengemeinschaft in den unselbständigen Anhang dazu. Tatsächlich aber ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und ihr organisatorischer Hintergrund in der vom Gesetz selbst eingehend vorgezeichneten, vor allem aber auch vertraglich gestaltbaren personellen Gemeinschaft (§§ 20 ff. WEG) von mindestens gleicher praktischer und rechtlicher Bedeutung280. Ich stimme daher den Überlegungen von Merle281 im Ergebnis zu und meine, daß auf die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Förder- und Rücksichtspflichten der Mitgliedschaft trotz der vom Gesetz gewählten anderen rechtlichen Konstruktion mindestens entsprechend anzuwenden sind. Gleiches dürfe gelten, wenn sich die Miterben freiwillig entschließen, im Verband der Miterbengemeinschaft zu verbleiben statt diese Gemeinschaft, wie vom Gesetz gedacht, einem raschen Ende zuzuführen. B. Mindestinhalt von Mitgliedschaft Beispiele: -

Ist derjenige Gesellschafter einer GmbH, der kein Stimmrecht hat und weder am Gewinn noch am Liquidationserlös beteiligt ist?

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Und wie steht es um den angestellten persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditaktiengesellschaft?

277 Treffend die Unterscheidung von Müller-Erzbach, Deutsches Handelsrecht, 1928, S. 177 und von Würdinger, Theorie der schlichten Interessengemeinschaft, 1934, S. 20: „Der Leben schaffende Zweck unterscheidet die Gesellschaft von den toten Gemeinschaften“. 278 So aber Wiedemann, Übertragung (Fn. 2), S. 26, der immerhin zutr. anerkennt, daß Gesellschaft und Gemeinschaft „in ihrer Struktur ähnlich“ sein können. 279 Weitere Formen sind denkbar; so hat etwa der Gesetzgeber mit der „Wohnbesitz-KG“ (vgl. dazu Pick, ZGR 1978, 698 ff.) selbst die Alternative eines gesellschaftsrechtlichen Weges vorgezeichnet. 280 Eingehend dazu Bärmann, Komm. zum WEG, 3. Aufl. 1975, Einl. Anm. 187 ff. und 4. Aufl. (Manuskript), der von „Annäherung an die Grundsätze der Gesellschaft“ und „verdinglichtem Mitgliedschaftsrecht“ spricht. 281 Merle (Fn. 2), S. 153 ff.

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Ist man Vereinsmitglied, wenn man zwar Beitragspflichten aber mangels 20jähriger Zugehörigkeit noch lange kein Stimmrecht hat?

1. Schein-Mitgliedschaft In allen Verbänden ist es durchaus möglich, daß eine Partnerschaft – etwa aus steuer-, erbschafts- oder güterrechtlichen Gründen – vorgetäuscht werden soll, die in Wirklichkeit von den Beteiligten nicht gewollt ist. [147] Wird in dieser Weise eine Zweckgemeinschaft gegründet, in Vollzug gesetzt oder sogar in das vorgesehene Register eingetragen, so sind der Verband und die Mitgliedschaft in ihm trotz des an sich fehlenden Willens entstanden; für die Abwicklung einer solchen „Mitgliedschaft“ kommen dann nur die allgemeinen Ausscheidens- oder Auflösungstatbestände in Betracht. Es handelt sich also um ungewollte Mitgliedschaften, die aus Gründen des Drittschutzes und einer gerechten Abwicklung unter den Partnern intern und extern für die Interimszeit als Mitgliedschaften zu behandeln sind282. Handelt es sich dagegen um den Scheintatbestand des derivativen Erwerbs der Mitgliedschaft, so steht nicht die Mitgliedschaft als solche in Frage, sondern nur die Person ihres Inhabers. Diese Frage ist nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, also insbesondere nach § 116 BGB zu beantworten. 2. Die Grenzen zwischen Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft Aber diese „normale“ Scheinmitgliedschaft ist nicht das eigentliche Problem. Schwieriger sind nämlich die Fälle, in denen die Mitgliedschaft von allen Beteiligten gewollt, in ihrem Inhalt aber gegenüber der Normalsituation durch Gesellschaftsvertrag und Satzung so verändert wird, daß man von daher Bedenken trägt, noch von Mitgliedschaft zu sprechen283. So meinte der Bundesgerichtshof einmal in einem obiter dictum zur GmbH284: „Andererseits kann ernstlich kaum bezweifelt werden, daß derjenige, der kein Stimmrecht, kein Gewinnrecht und keinen Liquidationsanteil besitzt, kein Gesellschafter ist.“

Ist das wirklich so?

282 Vgl. zum Stichwort der fehlerhaften Gesellschaft die eingehende Darstellung von Ulmer, FS Flume, Bd. II, 1978, S. 301 ff.; vgl. weiter für die Personengesellschaften Flume, (Fn. 5), S. 13 ff. und für die Kapitalgesellschaften Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, 1964, S. 69 ff. sowie Hachenburg/Ulmer, 7. Aufl., § 2 GmbHG Anm. 95 ff. 283 Besondere Bedeutung erlangt dieser Vorgang im Steuerrecht, hier kann in entspr. Fällen die Anerkennung der Mitunternehmerschaft nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG versagt werden, ohne daß die zivilrechtliche Frage nach Existenz oder Nichtexistenz der Gesellschaft und der Mitgliedschaft in ihr beantwortet werden müßte. Vgl. dazu etwa das Urteil des BFH vom 5. 7. 1979, GmbHRdsch. 1979, 262 ff. 284 BGHZ 14, 264, 273.

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Die hier angesprochenen Verbände des Privatrechts sind gekennzeichnet durch ihren frei gesetzten, von den Partnern gemeinsam zu verfolgenden Zweck. Die Gemeinsamkeit der Zweckverfolgung ist das konstitutive Element von Mitgliedschaft: in irgendeiner Weise muß der [148] einzelne Partner mit diesem Zweck in der Gemeinschaft des konkreten Verbandes verbunden bleiben, an diesem, wie Fleck285 es formuliert, ein rechtliches Interesse haben. a) Ganze Heere von Kommanditgesellschaften sind – als GmbH & Co KG – in der Praxis dadurch gekennzeichnet, daß ihre persönlich haftenden Gesellschafter am Liquidationserlös und an den entscheidenden Mitverwaltungsrechten nicht beteiligt sind und oft nur unter dem Druck des Finanzamts einen betraglich festgelegten Gewinnanteil erhalten286; im übrigen sind die betreffenden Gesellschaften mbH abhängige Geschäftsführer und Träger des Risikos aus § 128 HGB. Nicht anders ist es bei manchen Kommanditgesellschaften auf Aktien, bei denen die sogenannten Geschäftsinhaber regelrechte Vorstands-Dienstverträge unterschreiben, mit langen Katalogen darüber, was sie alles nicht dürfen, die Gehalt und eine Tantieme erhalten und im übrigen die Geschäfte führen und das Risiko tragen287. An der Mitgliedschaft dieser Personen zu zweifeln besteht kein Grund. Sie sind durch das Risiko der persönlichen Haftung höchst nachdrücklich auf den gemeinsamen Zweck bezogen288 und zwar auch dann, wenn ihnen Mitgesellschafter oder Dritte eine Freistellung von dieser Haftung versprochen haben. Wenn daher das AktG selbst in § 278 Abs. 1 auf eben diese persönliche Haftung vornehmlich abstellt, so sieht es den entscheidenden Aspekt durchaus zutreffend. b) Ähnlich ist die Rechtslage im Verein zu sehen. Gewinnausschüttungen finden hier sowieso nicht statt; und etwaige Liquidationsüberschüsse werden in der Regel anderen Institutionen ähnlicher Zwecksetzung zugeschrieben289. Sollte ein stimmrechtsloses Mitglied, das aber zu Beiträgen herangezogen wird, ein Un-

FS Fischer, 1979, S. 107, 110 ff. Vgl. hierzu den Überblick bei Huber (Fn. 4), S. 299 ff. 287 Es sei hier nur an das Beispiel der Herstatt KGaA erinnert; kennzeichnend und treffend daher auch die Bemerkung des BGH, NJW 1979, 1823, 1828 zur fehlenden Notwendigkeit, den Gesellschafter Herstatt zu den Sanierungsverhandlungen hinzuziehen. 288 Insoweit überzeugend Reuter, Schranken (Fn. 24), S. 197 f. Zweifel können allerdings – wie Huber (Fn. 4), S. 295 zutr. dargelegt hat – für die Position der GmbH im Rahmen einer GmbH & Co. KG dann bestehen, wenn diese von der Geschäftsführung ausgeschlossen sein soll und ihr Haftungsbeitrag außer Verhältnis gering zu Umsatz und Bilanzsumme der KG ist, ihr Beitrag zur Förderung des Gesellschaftszweckes also gegen Null tendiert. Die Rechtsfolge mag dann eine oHG sein: aber die GmbH ist selbst in einem solchen Fall jedenfalls im Außenverhältnis Mitglied. 289 Vgl. § 45 Abs. 2 BGB. 285 286

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Mitglied sein? Sicher nicht: es ist über seine Beitragspflicht unmittelbar an der Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes beteiligt. [149] Anders aber hat man zu entscheiden, wenn weder eine aktive noch auch eine potentielle Beitragspflicht besteht. Dann handelt es sich wohl eher um eine Karteileiche als um ein Mitglied – es sei denn, zur Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes sei gerade eine große Zahl von Mitgliedern erforderlich und man erachte das derart betonte Bekenntnis zum gemeinsamen Zweck als ausreichende Mitwirkung an diesem. Andererseits sollte man nicht ernsthaft von Mitgliedschaft sprechen, wenn man in London, Paris oder Berlin (ob in Bern weiß ich nicht) mit der Eintrittskarte beim Portier bestimmter Clubs auch gleich die „Mitgliedschaft“ in diesen erwirbt. c) Damit bleiben Fälle nach Art derer, die der Bundesgerichtshof290 in seinem obiter dictum erwähnt hat. Hier aber hat man zunächst einmal festzustellen, daß jeder Gesellschafter einer GmbH (AG, Genossenschaft oder KG) selbst oder durch seinen Vorgänger notwendig und zwangsläufig eine Einlage geleistet hat und ebenso notwendig und zwangsläufig in der potentiellen Mithaftgemeinschaft der §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG, §§ 172, 173, 176 HGB, 23 GenG steht. Ein solches Mitglied nach Leistung seiner Einlage zum Nicht-Mitglied zu erklären, dürfte bei der KG schwierig, bei der GmbH schon wegen ihrer festen Kapitalstruktur kaum möglich sein291. Die Mitwirkung am gemeinsamen Zweck hat durch die Leistung der Einlage stattgefunden. Der Fortbestand des so mit eigener Leistung geschaffenen Verbandes zur Verwirklichung des gemeinsamen Zweckes ist ein ausreichendes rechtliches Interesse292. Darüber hinaus aber darf man nicht übersehen, daß nicht wenige gerade der selbständigen privatrechtlichen Korporationen altruistische Ziele verfolgen293 – man denke an die gemeinnützigen AGen und GmbHen –, bei denen schon nach der GemeinnützigkeitsVO der Liquidationsanteil ausgeschlossen und der Gewinnanspruch reduziert sein muß; in der Praxis wird der letztere dann nicht selten auch durch den Gesellschaftsvertrag oder die Satzung ganz ausgeschlossen294.

Oben Fn. 284. Geradezu verhängnisvoll wären die Folgen für die Kommanditisten einer KG, würde man dort den einzigen Komplementär zum „Un-Mitglied“ erklären: im Ergebnis müßten dann die „Kommanditisten“ – oder richtiger dann: „Schein-Kommanditisten“ – persönlich und unbeschränkt haften (vgl. Fn. 288). 292 Zur Unterscheidung von gemeinsamen Interessen (= Zweck der Gesellschaft) und subjektiven persönlichen Interessen des einzelnen Gesellschafters vgl. Fischer, Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 105 Anm. 9a und Fikentscher, FS Westermann, 1974, S. 87 ff. 293 Oder verfolgen müssen: vgl. § 21 u. 22 BGB. 294 Im Verein besitzt das einzelne Mitglied keinen Anteil am Vereinsvermögen; tritt das Mitglied aus, so kommen infolge des grundsätzlich nichtvermögensrechtlichen Status dieser 290 291

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Sollte es in [150] solchen Korporationen stimmrechtslose Mitglieder aus Rechtsgründen nicht geben dürfen? Das ist um so weniger anzunehmen, als auch solchen Mitgliedern bestimmte unentziehbare Rechte (dazu sub d) auf jeden Fall verbleiben294a. d) Problematisch erscheinen mir daher nur solche Strukturen, bei denen die normalen Rechte der Mitglieder zugunsten einer immer stärker diktatorischen Position einzelner reduziert werden. Beispiel einer KG: Die Kommanditisten haben kein Zustimmungsrecht zu ungewöhnlichen Maßnahmen, keine Rechte zur Einsicht in Bilanz und Unterlagen, kein Mitwirkungsrecht bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages und erhalten weder Gewinn noch Liquidationserlös295

Die letzteren Einschränkungen (kein Gewinn und kein Liquidationserlös) mögen noch hingehen. Aber die Auslieferung des Verbandes insgesamt an eine einzige Person – den persönlich haftenden Gesellschafter – widerspricht dem öffentlichen Interesse an einer ausgewogenen Ordnung der Zweckgemeinschaft – die ja leistungsfähige, aber auch durchaus gefährliche Einrichtungen sind – und ihrer internen Kontrolle296. Wird diese nämlich beseitigt, so läßt sich der Gedanke an eine Selbstverwaltung der privaten Verbände nur noch schwer durchhalten. Daher lautet meine These: die societas leonina ist nicht das Problem des heutigen Verbandsrechts; denn die Interessen am gemeinsamen Zweck können vielfältig und müssen keineswegs nur gewinn- und vermögensorientiert sein. Das Problem ist die Grenze, bis zu der das gesetzliche System von Macht und Kontrolle im Verband durch Gesellschaftsvertrag und Satzung verschoben werden kann. Hier ist die Mitgliedschaft als Element der Selbstverwaltung privater Zweckgemeinschaften in Pflicht zu nehmen und zwar über alle Rechtsformen hinweg, nicht nur in den Personengesellschaften, deren mitgliedschaftliche Mindestrechte zunehmend sensibler gesehen werden297. Vereinbarungen über die

Mitgliedschaft Abfindungsansprüche nicht in Betracht; vgl. hierzu Ballerstedt, FS Knur, 1972, S. 1 ff.; MK-Reuter, § 38 Anm. 4 ff.; Soergel/Siebert/Scbulze-v. Lasaulx, § 38 Anm. 8. 294a Zur umfangmäßigen Beschränkung stimmrechtsloser Aktien in einer AG siehe § 139 Abs. 2 AktG. 295 Eine umfassende Auflistung bedenklicher Klauseln findet sich bei Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 1, 17 ff. 296 Zutr. werden bestimmte Rechte aus der Mitgliedschaft deshalb als unentziehbar eingestuft, etwa: das Stimmrecht in Fällen, in denen in die Rechtstellung des Gesellschafters eingegriffen werden soll (vgl. BGHZ 20, 363, 367 und Fischer in Anm. LM Nr. 7 zu § 161 HGB); das Kontrollrecht des Kommanditisten nach § 166 Abs. 3 HGB (vgl. OLG Hamm, BB 1970, 509 und Schilling, Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 166 Anm. 15); die oben erörterte actio pro socio (siehe auch Fn. 215). 297 Das gilt jetzt auch für das Vereinsrecht; vgl. etwa die Überlegungen von MK-Reuter, § 33 Anm. 5.

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Be- [151] seitigung entscheidender Kontroll- und Einsichtsrechte298 und der actio pro socio oder pro societate299, über die Berechtigung eines oder weniger Mitglieder zu beliebiger Änderung des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung300 widersprechen den Mindestanforderungen an ein System von Gewicht und Gegengewicht, Macht und Gegenmacht, die es erlauben, so unerhört effektive Erfindungen wie Korporationen der Selbstgestaltung der Parteien zu überlassen und sind daher in concreto unwirksam: Die Lösung ist also Unwirksamkeit der zu weit gehenden Beschränkung, nicht aber, wie der Bundesgerichtshof meint, Negation der Mitgliedschaft. Darüber hinaus stehen jedem Mitglied, mögen seine Rechte im übrigen noch so stark reduziert sein, vom Verbandstyp geprägte unentziehbare Rechte zu. Dazu gehört seine Befugnis, an Mitgliederversammlungen teilzunehmen und dort zu reden301, Rechnungslegung und Einsicht in diese zu verlangen302, sowie die oben entwickelten Notgeschäftsführungs- und Notkontrollrechte der actio pro socio und actio pro societate303 wahrzunehmen. e) Von diesen Überlegungen her läßt sich im übrigen auch ein besserer Ansatz zum Problem der sogenannten Stimmrechtsabspaltung in denjenigen Verbänden gewinnen, in denen – wie in der Personengesellschaft und der GmbH – eine breite Gestaltungsautonomie besteht. Einerseits ist die Übertragung mitgliedschaftlicher Befugnisse an Dritte aus dem Gesichtspunkt der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung im Verband nur dann und insoweit möglich, wie das Gesetz dies selbst in einem kontrollierten System vorsieht (Fremdorganschaft, Mitbestimmung); andererseits stehen der Übertragung auf ein anderes Mitglied, also der Stärkung seines mitgliedschaftlichen Einflusses, solange keine Bedenken im Wege, als damit nicht das soeben betonte Kontrollsystem beseitigt wird. Das aber ist, betont man die fortbestehenden Rechte jedes Mitglieds und die Pflichten gerade des herrschenden Mitglieds gegenüber den gemeinsamen Interessen und derjenigen der anderen Mitglieder, in aller [152] Regel auch nach Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Mitglied noch nicht gegeben304; das aber gilt wiederum nicht, wenn sich etwa auf diese Weise alle Stimmen in einer Hand vereinen: 298 Vgl. etwa zu § 118 Abs. 2 HGB Fischer, Großkomm. HGB, § 117 Anm. 2a und Schlegelberger-Geßler, 3. Aufl., § 117 HGB, Anm. 2; zu § 166 Abs. 3 vgl. oben Fn. 296. 299 Vgl. näher oben Fn. 215. 300 Nicht einmal im Vereinsrecht, das in § 35 BGB in weitem Umfange noch Sonderrechte kennt, ist ein solches Sonderrecht möglich; vgl. die Auflistung solcher möglicher Sonderrechte bei MK-Reuter, § 33 Anm. 6 und § 35 Anm. 3. 301 Jedenfalls soweit eine Mitgliederversammlung stattfindet, etwa im Falle des § 37 Abs. 2 BGB; zur Frage, ob die Mitgliederversammlung im Grundsatz unentbehrlich ist vgl. den Streitstand bei MK-Reuter, § 32 Anm. 1 ff. 302 Oben Fn. 298. 303 Oben S. 49 ff. 304 Vgl. hierzu die Stellungnahme von Fleck, FS Fischer, 1979, S. 107 ff.

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es gelten dann wieder die oben (d) vorgetragenen Aspekte. Das Problem der Stimmrechtsübertragung an Mitgesellschafter ist also mehr unter strukturellen als unter den bislang prätendierten dogmatischen Aspekten zu lösen. C. Der Arbeitnehmer als Mitglied 1. Überblick Mitgliedschaft wird, so haben wir eingangs festgestellt, rechtsgeschäftlich begründet oder durch Gesamtnachfolge erworben305. Und Mitgliedschaft im hier gemeinten Sinne ist daher auch nicht Zwangsmitgliedschaft in öffentlichrechtlichen Korporationen oder privatrechtlichen Gemeinschaften. Mitgliedschaft wird durch freiwillige Teilhabe an einem gemeinsamen Zweck bestimmt – und zwar frei im doppelten Sinne: ob überhaupt und mit wem306. Damit verwirklicht das Zivilrecht von alters her einen Grundsatz, den, wie das Bundesverfassungsgericht jüngst festgestellt hat307, das Grundgesetz in Art. 9 Abs. 3 absichert. Aber wird nun diese sehr harmonische Aussage nicht durch Entwicklungen aus den Angeln gehoben, die man mit den Stichworten Arbeitsverfassung und Mitbestimmung umschreiben könnte? Haben wir etwa im privatrechtlichen Großunternehmen schon das Zwangsmitglied Arbeitnehmer, Zwangsmitgliedschaft sowohl aus eigener Sicht wie aus der seiner etwaigen KonMitglieder?308 [153] 2. Unmittelbare und mittelbare Mitgliedschaft a) Man könnte sich die Behandlung der Frage einfach machen und feststellen, daß der Arbeitnehmer als solcher – sei es individuell oder kollektiv als „Arbeitnehmerschaft“ der betreffenden Korporation – keinen Anteil am Kapital der Oben S. 11 ff. Der Aufnahmezwang im privaten Verbandsrecht bleibt als Frage durchaus anderer Struktur ausgespart: es geht dabei um eine Form der Domestizierung von Verbandsmacht dann, wenn der betreffende Verband aufgrund seiner Zielsetzung und seines Erfolges faktisch über die Zuteilung von Wirtschafts- oder gar Lebenschancen bestimmen kann, auf diese Weise quasiöffentlichen Charakter gewinnt und sich daher zur Verhinderung reiner Vermachtung mit privaten Mitteln öffnen muß; vgl. zuletzt MK-Reuter, Anm. 110 ff. vor § 21 mit weiteren Nachw. 307 Im Urteil zum MitbestG, BVerfGE 50, 290, 354; vgl. weiter den Überblick von Zöllner, AöR 1973, 71 sowie Friauf, FS Reinhardt, 1972, S. 389 ff. 308 Das BVerfG hat im Mitbestimmungsurteil (oben Fn. 307) die Frage aufgegriffen; es spricht dort kurz und bündig davon, daß die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat „nicht Mitglieder der Gesellschaft werden“ (S. 357: behauptet hatte das allerdings auch niemand!), geht im übrigen aber differenzierter davon aus (z. B. S. 349 f.), daß Gesellschafter und NichtGesellschafter in dem von der Gesellschaft betriebenen Unternehmen zusammenwirken und daß erst dieses Zusammenwirken auch zur Verwirklichung des Gesellschaftszweckes führen könne. 305 306

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Gesellschaft hält, also keine Aktien, keinen Geschäftsanteil und keinen Kommanditanteil hat, also schon um deshalb nicht Mitglied sein könne. Und ich habe auch keinen Zweifel, daß eine Erklärung des Gesetzgebers, wonach die Arbeitnehmer einer Korporation ab morgen deren Gesellschafter mit gleichen Rechten und Pflichten wie die bisherigen Gesellschafter sind oder durch Zwangsabgabe von Mitgliedschaften seitens der bisherigen Mitglieder werden, jedenfalls gegen den Willen dieser Alt-Mitglieder an Art. 9 Abs. 1 und Art. 14 GG scheitern müßte309. b) Aber diese gewissermaßen „grobe“ Lösung ist nicht das eigentliche Problem. Denn – mittelbar – hat der Arbeitnehmer heute schon Mitverwaltungsrechte über den Betriebsrat310 und im Aufsichtsrat sowie Vermögensrechte in Form von Pensionsrückstellungen311 und Ansprüchen aus und auf dem Sozialplan (§ 112 BetrVG). Auch hier nun mag man wiederum sagen, daß es sich um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und um Schutznormen in dessen Kontext handele – eine Sicht, die jedenfalls für die Rechte aus dem MitbestG 1976 schlicht verfehlt wäre: das MitbestG ist kein Arbeitnehmer-Schutzgesetz, sondern formuliert die Teilhabe der Arbeitnehmer an der Verwaltung der konkreten privatrechtlichen Zweckgemeinschaft, in deren Sozialverband Unternehmen sie integriert sind312. Mitgliedschaft in einem materiellen Sinne kann auch dadurch bewirkt werden, daß Personen – hier also den Arbeitnehmern – die mit der Mitgliedschaft verbundenen Befugnisse – Vermögensrechte und Mitverwaltungsrechte – zugewiesen werden: sind diese im wesentlichen gleich, so kann die Trennung in „echte“ Mitglieder und Befugnisse Dritter nicht mehr aufrechterhalten werden. Und weil diese Mitgliedschaften nicht einmal potentiell übertragen werden [154] könnten, in ihrer Existenz an das Arbeitsverhältnis gebunden und eher kollektiver als individueller Natur wären, wären sie wohl auch nicht Gegenstand313: dann wäre der hier vorgetragenen Theorie der Mitgliedschaft und ihrer einheitlichen dogmatischen Struktur die Basis entzogen. Heute sind die einzelnen Elemente noch nicht stark genug, um sich schon im Bilde der einheitlichen Mitgliedschaft verdichten zu können; das hat schon Zöll-

309 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog, Komm. zum GG, Art. 9 Anm. 41; E. R. Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, 1970, S. 70; Lutter, Vermögensbildung und Unternehmensrecht, 1975, S. 24 ff. 310 Der Betriebsrat hat vor allem im Sektor Personal und Organisation der Produktion echte unternehmerische Planungs- und Mitentscheidungsbefugnisse; vgl. etwa §§ 87, 91, 92 ff. BetrVG; siehe dazu auch Hanau, ZGR 1979, 524, 540 ff. 311 Vgl. dazu etwa Flume, DB 1973, 1504 ff., der von einem „Vermögen“ spricht, das den Arbeitnehmern zugeordnet sein sollte (als „Pensionskapital“). 312 Am deutlichsten tritt dieser Gedanke im Nebeneinander der Regeln von Betriebsverfassung und solchen der Mitbestimmung hervor; vgl. hierzu Hanau, ZGR 1977, 408 ff. und 1979, 524, 540 ff. 313 Siehe oben bei Fn. 70.

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ner313a ausgeführt. Würde aber der Gesetzgeber diese Gewichte noch etwas weiter verschieben, etwa zusätzlich zur Mitbestimmung eine Gewinnbeteiligung nach französischem Vorbild314 einführen und versuchen, das jetzt durch die §§ 27, 29, 31 MitbestG gesicherte leichte Übergewicht der Mitglieder (Anteilseigner) in Frage zu stellen315, so würde man das bislang einheitliche Bild von Mitgliedschaft in den privaten Verbänden revidieren müssen: es gäbe dann die Zwangsmitgliedschaft in Korporationen des Privatrechts, ohne Einlage oder sonstige mitgliedschaftliche Leistungspflicht, vor allem aber eine Mitgliedschaft, deren Förder- und Loyalitätspflicht jedenfalls problematisch und deren Pflicht zur Rücksicht auf die mitgliedschaftlichen Interessen der anderen Mitglieder von dem fortbestehenden Dualismus zum Arbeitsverhältnis geprägt wären. Es wäre dann unumgänglich, die hier versuchte Theorie der privatrechtlichen Mitgliedschaft nicht nur von ihrer dogmatischen Struktur als Gegenstand, sondern von allen Seiten her in Frage zu stellen, nicht zuletzt auch von ihren grundlegenden Pflichten. Denn eine Reduzierung der Rechte kann nicht ohne Einfluß auf die entsprechenden Pflichten, eine Ausweitung der Rechte aber in so komplexen Zusammenhängen wie denen der Mitgliedschaft auch nicht ohne Einfluß auf die Pflichten sein. VI. Schlußbemerkungen 1. Nicht behandelte Fragen Im Rahmen dieser Überlegungen blieben eine Vielzahl wichtiger Aspekte der Mitgliedschaft unberücksichtigt. So wurden nicht erörtert die Fragen der Haftung von Mitgliedern und – von wenigen Überlegungen [155] abgesehen – nicht die Schranken privatautonomer Inhaltsgestaltung von Mitgliedschaft, nicht schließlich auch eine genauere Abmessung des Bestandsschutzes der Mitgliedschaft durch das Grundgesetz316. Dieser Mangel hat vielfältige Gründe: die eigenen Grenzen; den eingeschränkten Auftrag; die Sorge vor jahrzehntealten WespennesBAG-Festschrift, 1979, S. 745 ff. Vgl. dazu sowie zu den Vorschlägen de lege ferenda in Frankreich den Überblick von Overrath, ZGR 1976, 371, 378. 315 Dazu erklärt das BVerfG im Mitbestimmungs-Urteil (E 50, 290, 354), daß die innere Organisation der privaten Verbände letztlich durch die Verbandsmitglieder zu bestimmen sei, ein Dritteinfluß von Art. 9 Abs. 1 GG also nur gedeckt sei, soweit und solange das Übergewicht der Mitgliederseite auch gesichert ist. Vgl. dazu die Analyse von Säcker, RdA 1979, 380, 386 f. 316 Hier wäre vor allem die Frage zu erörtern, wie stark sich die Realstruktur auf den verfassungsrechtlichen Bestandsschutz auswirkt. Immerhin hat das BVerfG im MitbestimmungsUrteil (E 50, 290) mehrfach (z. B. S. 356, 358) diese Realstruktur des geschützten Gegenstandes (Stichwort: Eigenheim versus Aktie), aber auch die der Korporation angesprochen, auf welche sich die betroffene Mitgliedschaft bezieht (S. 356 mit dem ominösen Satz, daß sich der Schutz aus Art. 9 Abs. 1 GG auf größere Kapitalgesellschaften möglicherweise nicht erstrecke; dazu Säcker, aaO, S. 384 ff.). 313a 314

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tern; vor allem aber die Überzeugung, daß die soeben erwähnten Komplexe ganz und gar selbständige Themen sind. 2. Ziel der Überlegungen Insgesamt aber ging es um die Verifizierung der Grundthese an Schwerpunkten der Mitgliedschaft: daß nämlich, trotz der sehr unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien unserer privaten Korporationsformen, die Mitgliedschaft in ihnen von durchaus einheitlicher rechtlicher Struktur ist. Das erlaubt es, von einem nicht nur formell, sondern gerade auch materiell einheitlichen Begriff der Mitgliedschaft auszugehen und ihn zur Basis einer einheitlichen rechtlichen Betrachtung – sprich: Theorie – der Mitgliedschaft zu machen. Ich betone die Einheitlichkeit der rechtlichen Struktur, meine also nicht etwa die Einheitlichkeit in den Details der einzelnen Rechte und Pflichten. Aber auch der Kaufvertrag erlaubt eine einheitliche systematische Betrachtung, mögen Gegenstand und Preis sowie Art und Umfang der Nebenpflichten noch so verschieden sein. Auf der anderen Seite leuchtet es ein und ist auch intendiert, daß sich die hier postulierte einheitliche rechtliche Struktur der Mitgliedschaft auf die nach Art und Umfang unterschiedlichen Rechte und Pflichten des Mitgliedes in ihrem allgemeinen Gehalt auswirkt. Unter diesem Aspekt handelt es sich also auch um den Versuch einer allgemeinen und übergreifenden Betrachtung, um den Ansatz zu einem allgemeinen Teil unseres Rechts der privaten Korporationen – exemplifiziert an der Rechtsfigur der Mitgliedschaft. Und ein weiteres ist die durchaus gewollte Folge dieser Betrachtung: gingen die Verfasser des BGB für die Personengesellschaft noch von einem „rein schuldrechtlichen Verhältnis“317 aus, so zeigt die heute mögliche einheitliche Betrachtung der Mitgliedschaft über alle Verbandsformen hin, wie stark sich das Verständnis der Personengesellschaft von [156] dieser Vorstellung weg und hin zum Bilde von der verfaßten Gruppe (Flume)318, zur Organisation (Teubner)319 entwickeln konnte: Dieses Bild muß nicht stets zutreffen320, entspricht aber der Realstruktur der Personengesellschaft heute weit eher als ihre Betrachtung als reines Schuldverhältnis.

Protokolle II, 428. Personengesellschaft (Fn. 2), S. 50 ff. 319 AK BGB, 1980, Anm. 4 vor § 705. Einleuchtend Ulmer, FS Flume (Fn. 283), der dort S. 310 vom „Doppelcharakter der Gesellschaft als Schuldverhältnis und Organisation“ spricht. 320 Gruppencharakter und Organisation fehlen bei der stillen Gesellschaft, überhaupt bei der Innengesellschaft, und in der Regel auch bei der atypischen stillen Gesellschaft; insofern unzutr. Teubner, aaO, der generell von einer Ablösung des Vertragsmodells durch das Organisationsmodell spricht. 317 318

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3. Grenzen der Leistungsfähigkeit der Überlegungen zur Mitgliedschaft Ein letzter Hinweis, eine gewissermaßen nachdenkliche Coda, ist erforderlich. In der Fülle des Stoffes, seiner Farbigkeit und Vielfalt könnte im Hörer oder Leser der Gedanke entstanden sein, ich wollte die Mitgliedschaft als Stein der Weisen zur Lösung nahezu aller Probleme im Korporationsrecht unterbreiten. Das wäre ein arges Mißverständnis. Mitgliedschaft verbindet nur die Erscheinungen, ist Ansatz, nicht selbst das Zentrum der konkreten Konfliktlösung; dafür bedarf es feinerer Instrumente, die mit Stichworten wie Förderpflicht, actio pro socio etc. hier ausgebreitet wurden. Darüber hinaus kann Mitgliedschaft aber für eine ganze Reihe korporativ vermittelter Konflikte nicht einmal Ansatz zur Lösung sein: für die Verwendung von Insider-Wissen durch Nicht-Mitglieder; für die Pflichten eines Nicht-Mitgliedes beim Übernahmeangebot321; für die Rechte eines Obligationärs, dessen Kurse vom Großaktionär in den Keller geredet werden322. Wollte man versuchen, auch hier aus Mitgliedschaft zu argumentieren, so würde man das eben in Fahrt gebrachte Schiff weit überfrachten und zum Untergang verurteilen. Hier können nur andere Überlegungen helfen, die etwa aus Aspekten des allgemeinen Anlegerschutzes oder aus der Idee des Kapitalmarktes argumentieren323, ihrerseits aber auch nur einen durchaus beschränkten [157] Bereich abdecken324 und daher Erwägungen aus der Mitgliedschaft keineswegs überflüssig machen. Die hier erörterten Konflikte sind intrakorporativer Natur, jedenfalls intrakorporativ vermittelt; die soeben angesprochenen anderen Konflikte betreffen den extrakorporativen Bereich, in dem die Mitgliedschaft nicht mehr (auch) rechtliches Band, sondern (nur) Objekt, werthafter Gegenstand ist. Sollte es nun gesicherte Verhaltenspflichten auch in diesem Bereich (eines Tages) geben, so wäre die Kompensation des Benachteiligten über §§ 823 Abs. 2, 249 BGB denkbar. Dann aber wäre es weiterhin möglich, daß Fälle, die hier unter intrakorporativen Rechtsfiguren diskutiert wurden, zugleich extrakorporativen Schutznormen unterfallen würden (wie etwa der AUDI/NSU-Fall)325. Von dieser Erkenntnis her könnte man dann auch überlegen, welchem System man sich eher 321 Vgl. dazu die „Leitsätze für öffentliche freiwillige Kauf- und Umtauschangebote“ der Börsensachverständigen-Kommission von 1979. 322 Auf diese Fallgestaltungen hat mich Herr Kollege Schwark in dankenswerter Weise hingewiesen. 323 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975; ders., Gutachten G zum 51. DJT (Anlegerschutz), München 1976; Mertens, Referat zum 51. DJT (Anlegerschutz), München 1976; Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht, 1979; Westermann, AG 1976, 309. 324 So lassen sich Übernahmeangebote bei nicht-börsennotierten Aktien nicht als Kapitalmarktprobleme, Verwertung von Insider-Wissen gegen den Großaktionär nicht als Aspekt des Anlegerschutzes verstehen. 325 JZ 1976, 562 mit Anm. Lutter.

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zuwenden sollte326. Die Frage hat erhebliche rechts- und sozialphilosophische Aspekte, die sich plakativ unter die Fahnen „Privatautonomie“ gegen „Staatsaufsicht“ stellen lassen; sie soll daher in dieser Form unbeantwortet bleiben: jedenfalls im Augenblick sind die hier dargestellten privatrechtlichen Instrumente vielfältiger, durchaus wirksam und noch entwicklungsfähig. Welche Lücken dann noch bleiben und der Ordnung bedürfen, wird sich übrigens rasch erweisen. Denn noch nie gab es in unserer Rechtsordnung eine Zeit, in der so viele Bürger über so viele kleinere und mittlere Vermögen verfügten und dabei so wenig von der Verwaltung solcher Vermögen verstanden327. Die Auffächerung und Verdichtung intrakorporativer Rechte und Pflichten enthält daher durchaus auch ein Element des fraglos notwendigen Anlegerschutzes. Das Korporationsrecht befindet sich heute in einer ähnlichen Situation wie schon das BGB vor einem halben Jahrhundert: konzipiert für Kenner und Wissende muß es plötzlich Mitgliedern Rechnung tragen können, die sich ganz auf die Idee der Arbeitsteilung verlassen, ja selbst solchen, die – übertragen gesprochen – ihre Mitgliedschaft als Ware an der Haustür erworben haben – sozialpolitisch eine Entwicklung, [158] über die man sich nur freuen sollte, für das Korporationsrecht aber eine Herausforderung. VII. Zusammenfassung 1. Die Mitgliedschaft in privatrechtlichen Korporationen ist von durchaus einheitlicher rechtlicher Struktur – und dies, obwohl die Korporationen selbst sehr unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien unterliegen. 2. Mitgliedschaft im hier gemeinten Sinne ist nicht Mitgliedschaft in jeglichem Sozialverband oder in einer rechtlichen Zwangsgemeinschaft, sondern Teilnahme am System von Privatautonomie. Sie wird daher gekennzeichnet durch Freiwilligkeit des Beitritts und vertraglichen Charakter der Entstehung. 3. Mitgliedschaft ist stets bezogen auf eine zweckorientierte, zielgerichtete Gemeinschaft. Diese Zweckorientierung bestimmt alle privatrechtlichen Verbände und macht in hohem Maße die rechtliche Besonderheit der Mitgliedschaft gegenüber sonstigen Rechtsverhältnissen aus.

326 Allerdings kann keines dieser beiden Makro-Systeme – intrakorporative mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten einerseits, extrakorporativ gedachtes Markt- und Anlegerschutzmodell andererseits – alle Konfliktfelder lösen, so z. B. der rechtliche Schutz von Kapitalmarkt und Anleger nicht die typischen intrakorporativen Konflikte zwischen Mehrheitsbeschluß und Minderheitsärger. 327 Deshalb ist es auch ganz und gar töricht, bestimmte korporative Mängel als Chance dafür zu sehen, die Einkünfte von Rechtsanwälten, Ärzten und Zahnärzten statt von der Steuer eben über den Konkurs abzuschöpfen.

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Theorie der Mitgliedschaft

Dieser Zweck ist notwendigerweise beschränkt und begrenzt daher auch das gesamte Geschehen im Verband. Hierin liegt zugleich eine Stärke des Systems; denn sie führt zu einer effektiven Konzentration aller dem Verband zur Verfügung stehenden Kräfte. 4. Mitgliedschaft ist bezogen auf eine Gemeinschaft von Personen. Dieses personale Element hat unterschiedlich starkes Gewicht und wird in seiner Grundbedeutung selbst durch Sonderformen wie die Ein-Mann-Gesellschaft nicht in Frage gestellt. 5. Mitgliedschaft ist Teilhabe an einem nach vorne offenen Handlungssystem, dessen Richtung festgelegt ist, dessen Entscheidungen und Maßnahmen aber in ihrem materiellen Gehalt sehr weitgehend nicht vorbestimmt sind und nicht vorbestimmt werden können. 6. Mitgliedschaft ist zivilrechtliche Sonderverbindung (Rechtsverhältnis) und zwar entweder unter den Gesellschaftern (Personenverbände) oder zwischen dem einzelnen Gesellschafter und der rechtlich selbständigen Korporation. 7. Mitgliedschaft ist stets Gegenstand, Objekt der Rechtsordnung. Das gilt auch dort, wo nach dem Gesetz die Übertragbarkeit ausgeschlossen ist. 8. Mitgliedschaft ist subjektives Recht. Sie verbindet darüber hinaus in sich weitere subjektive Rechte und Pflichten ihres Inhabers, bündelt sie zum einheitlichen Gegenstand. 9. Inhalt jeder Mitgliedschaft ist eine allgemeine Förderpflicht, die Pflicht zur Förderung des gemeinsamen Zweckes. Der Umfang dieser För- [159] derpflicht bestimmt sich nach der Rechtsform nach Art und Inhalt des gemeinsamen Zweckes, aber auch nach der Realstruktur des konkreten Verbandes. 10. Inhalt der Förderpflicht ist eine spezielle Pflicht zur Loyalität des Mitglieds gegenüber dem Verband. Die Intensität dieser Pflicht bestimmt sich nach dem Gegenstand der Einflußnahme und dem Maß des Einflusses. 11. Inhalt jeder Mitgliedschaft ist weiterhin die Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber den anderen Verbandsmitgliedern. Eingriffe in deren mitgliedschaftliche Interessen sind nur aus wichtigem Grunde in ihrer Person oder in Abwägung mit den Erfordernissen des gemeinsamen Zweckes zulässig. 12. Rücksichtspflichten gegenüber den privaten Interessen anderer Mitglieder bestehen nur dann, wenn deren Nichtbeachtung den Verbandszweck gefährdet. 13. Die Verletzung dieser mitgliedschaftlichen Pflichten kann zu Schadenersatzansprüchen führen; der aktuellen oder drohenden Verletzung kann durch Unterlassungsklage begegnet werden. 14. Inhalt jeder Mitgliedschaft ist ein Not-Geschäftsführungsrecht für den Verband. Es gilt als actio pro socio nicht nur im Recht der Personengesellschaften sondern als actio pro societate auch bei den rechtlich selbständigen Verbänden.

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15. Inhalt der actio pro socio und der actio pro societate ist darüber hinaus ein Not-Kontrollrecht dann, wenn die innerverbandliche Zuständigkeitsordnung zu Lasten der Mitglieder verletzt wird oder verletzt zu werden droht. 16. Werden die in der Mitgliedschaft normalerweise enthaltenen Rechte in besonders hohem Maße reduziert, so sollte man sich dem Problem nicht unter dem Aspekt „noch“ Mitgliedschaft oder „schon“ Nicht-Mitgliedschaft nähern. Vielmehr kann sich, wenn Mitgliedschaft gewollt ist, nur noch die Frage nach ihrem unverzichtbaren Mindestinhalt stellen; weitergehende vertragliche (statutarische) Beschränkungen scheitern dann an diesem Prinzip.

„Ich nenne diese Aktionäre schlicht und einfach Räuber“ WERTPAPIER 1988, S. 292-294 WERTPAPIER: Herr Prof. Lutter, Sie gelten im deutschen Aktienrecht als eine der wenigen wirklichen Koryphäen. In jüngster Zeit haben Kleinaktionäre Verwaltungen deutscher Gesellschaften erfolgreich erpreßt – oder zumindest kann man es vermuten: Aachen Münchener, Altana, Kochs Adler und noch einige andere. Dazu haben Sie nun eine Stellungnahme* erarbeitet. Zu welchem Ergebnis kommen Sie? Lutter: Mit dem Aktienrecht und dem Schutz der Aktionäre beschäftige ich mich jetzt seit 25 Jahren. Wissenschaft und Rechtsprechung haben den Schutz des kleinen Aktionärs seither außerordentlich ausgebaut. Dieser Schutz geht natürlich zu Lasten der Gesellschaften, wie die oft langwierigen Verfahren zeigen. Nun müssen wir feststellen, daß einige wenige, aber sehr böse Kleinaktionäre diesen Schutz ausnutzen, um sich Leistungen aus den Kassen der Gesellschaften zu verschaffen, die ihnen überhaupt nicht zustehen… WERTPAPIER: …also exzessive Ausnutzung von Minderheitsrechten fürs eigene Portemonnaie? Lutter: Genau das. Ich nenne diese Aktionäre schlicht und einfach Räuber. Sie nutzen eine Rechtsposition aus, die für diesen Zweck nicht gegeben ist, schaden der Gesellschaft sehr, und die Manager glauben auch noch, sie müßten den Räubern – wie man eben mit Erpressern umgeht – die verlangte Zahlung leisten, um größeren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. WERTPAPIER: Welche Schäden richten denn diese Räuber an? In welcher Größenordnung muß man sich das vorstellen? Lutter: Wenn etwa eine Kapitalerhöhung von nur 100 Mio DM durch Widerspruch blockiert wird, so erreicht der monatliche Zinsverlust daraus mindestens eine halbe Million Mark. Ein Anfechtungsverfahren, das die Frage betrifft, ob das Bezugsrecht hätte ausgeschlossen werden dürfen oder ob die Formalien der HV eingehalten worden sind, kann sich vor den Gerichten aber über Jahre hinziehen. Man kann sich ausrechnen, wie hoch dann der Zinsnachteil ist. Bei * Das Manuskript dieser Stellungnahme „Zur Abwehr räuberischer Aktionäre“ erscheint demnächst in der Festschrift „40 Jahre DER BETRIEB“ und kann gegen Erstattung der Kopier- und Versandkosten bei der Redaktion WERTPAPIER vorweg angefordert werden.

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dieser Situation liegt es außerordentlich nahe, sich mit dem erpresserischen Aktionär auf einen Preis von 20 000 oder 30 000 Mark – ggf. auch mehr, wie die anderthalb Millionen Mark im Fall AMB/BfG belegen – zu einigen. Der angebliche Nutzen für die Gesellschaft ist evident – wenn man es nur vom wirtschaftlichen Ergebnis her sieht. WERTPAPIER: Sind denn solche Summen tatsächlich auch geflossen? Lutter: Durchaus. Wir haben in letzter Zeit mit der erwähnten AMB ein besonders spektakuläres Verfahren gehabt, wo es in der Hauptversammlung um die Zustimmung zum Erwerb der BfG und seiner Finanzierung ging. Hier hatte sich ein Aktionär nach Einladung zur HV ganze drei Aktien besorgt, erschien zur HV und gab Widerspruch zu Protokoll. Damit war das von der Verwaltung geplante Verfahren zeitlich durcheinandergeraten mit all den Kosten und Risiken – bis hin zu Schadenersatzansprüchen gegen die AMB in Höhe von vielen, vielen Millionen. Die Abfindungssumme, die hier gezahlt wurde, erreichte tatsächlich sieben Stellen, nämlich die schon genannten 1,5 Millionen. WERTPAPIER: Welche Möglichkeit hat denn ein Vorstand, sich gegen Räuber im Gewande des Kleinaktionärs effizient zur Wehr zu setzen? Lutter: Das ist genau die Frage. Durch den Schutz auch des kleinen Aktionärs, der ja mit nur einer Aktie in der HV Widerspruch zu Protokoll erheben kann, haben sich die strategischen Fronten zugunsten des Kleinaktionärs und zu Lasten der Gesellschaft verschoben. Der Gesetzgeber wußte das, und wollte das. Er hat allerdings nicht mit solch gewissenlosen Räubern gerechnet. WERTPAPIER: Die Frage ist also, wie kann man den strategischen [293] Gleichstand wieder erreichen? Gibt es da so etwas wie einen Notwehrparagraphen oder könnten Sie gewisse Analogien aufzeigen? Lutter: Die Gesellschaften fühlen sich in solchen Situationen praktisch immer in Notwehr und glauben, daß sie im Interesse der Gesellschaft handeln, wenn sie zahlen, um weiteren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Das aber ist falsch und führt zu italienischen Verhältnissen: Nachdem die ersten Erpressungen durch Menschenraub erfolgreich waren, wurde diese scheußliche Variante der Kriminalität zur Landplage und zur Seuche. Das kann man bekanntlich nur dadurch abstellen, daß man hart bleibt. WERTPAPIER: Gibt es denn nicht doch ganz extrem gelagerte Fälle, wo sich ein Vorstand im Interesse der Gesellschaft und damit aller Aktionäre einfach erpressen lassen muß? Lutter: Ja, und zwar dann, wenn er Rechtspflichten Dritten gegenüber eingegangen ist und diese Pflichten infolge der Anfechtungssituation nun nicht erfüllen kann. WERTPAPIER: War das im Fall Aachen Münchener so gegeben? Lutter: Exakt. Der Vorstand hätte den für den BfG-Erwerb fälligen Kaufpreis von 1,9 Mrd DM nicht leisten können. Der auf die Gesellschaft zukom-

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mende Schadenersatz wäre unvorstellbar hoch gewesen. Aber das gilt nur für solche Fälle. WERTPAPIER: Wenn es nun Sondersituationen gibt und der Vorstand sich durch Auskauf des Anfechtungsklägers seinen Weg freischaufelt, ist es dann nicht Pflicht des Vorstands, den Erpresser nachträglich zur Rechenschaft zu ziehen? Lutter: Vollkommen richtig. Und das wird auch zunehmend von den Gesellschaften so gesehen. Nachdem der Erpresser erfolgreich war, das Geld bekommen und die Klage zurückgenommen hat, muß der Vorstand, will er nicht persönlich schadenersatzpflichtig werden, sofort Klage gegen den Räuber einleiten und das Geld zurückholen. WERTPAPIER: Macht es einen Unterschied, ob die Gesellschaft von sich aus dem Räuber die Zahlung angeboten hat oder ob der Räuber seinerseits eine Forderung gestellt hat? Lutter: Vollkommen gleichgültig. In keinem Fall ist der Räuber unschuldig. Das Aktienrecht ist in der Gleichbehandlung der Aktionäre unglaublich streng. Kein Aktionär, ob von der Gesellschaft angesprochen oder ob er selbst tätig wird, darf mehr bekommen als seine Mitaktionäre. Und der Vorstand muß, was er auf seine eigene Initiative oder auf die Initiative des Räubers hin gezahlt hat, sofort zurückholen. Tut er das nicht, kann ihm die Entlastung in der HV versagt werden. Es muß dann der Aufsichtsrat gegen ihn einschreiten und Klage nach § 93 AktG auf Rückzahlung des Geldes einleiten. Und das kann notfalls auch von der HV über eine Sonderprüfung nach § 142 ff. AktG erzwungen werden. WERTPAPIER: Was können die anderen Aktionäre, die von solchen Vorgängen obendrein meist gar nichts wissen, tun, um ihre Gesellschaft zu schützen? Lutter: Die anderen Aktionäre können persönlich nicht gegen den Räuber klagen, wohl aber in der HV die schon erwähnte Sonderprüfung beantragen. Vor allem aber können sie in der HV den Vorstand danach fragen, und der Vorstand ist zur Antwort verpflichtet. Es gibt keine Möglichkeit für ihn, die Antwort zu verweigern, und auf diese Art und Weise werden die Räuber namentlich bekannt, werden die Beiträge offengelegt. Da liegt es doch auf der Hand, daß es sich in der Bundesrepublik auf Dauer niemand leisten kann, als öffentlich bekannter Räuber, dem die Gerichte mit Vollstreckungsbefehlen hinterherlaufen, in der HV aufzutreten. Überall wo er erscheint, drohen ihm Gerichtsvollzieher und Taschenpfändung. Diese mittelbare Abwehrstrategie sehe ich als besonders wirksam und erfolgreich an. WERTPAPIER: Nun weiß man ja nicht immer von vornherein, ob es sich wirklich um einen Räuber handelt oder um einen ehrlichen Aktionär, der seine Rechte gewahrt wissen will und deshalb Widerspruch und Anfechtungsklage erhebt… Lutter: …deshalb müssen wir zum Ausgangspunkt zurückkommen. Eine Anfechtungsklage soll die Ordnungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit von Vorstand

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und HV überprüfen. Also sind Anfechtungsklagen dazu da, um die Mehrheit und die von ihr getragene Verwaltung zu kontrollieren. Der Vorstand muß deshalb normalerweise ein solches Verfahren hinnehmen. Ein offenkundiger Mißbrauch tritt überhaupt erst ein, wenn der Aktionär signalisiert, daß er ganz etwas anderes will, nämlich nur seinen eigenen materiellen Vorteil. Hier muß nun der Vorstand handeln. Er muß dem Gericht den Erpressungsversuch anzeigen. Und im gleichen Augenblick ist die Klage unbegründet, weil nämlich mißbräuchlich. WERTPAPIER: Das ist unter Aktienrechtlern unstrittig? Lutter: Das ist meine Ansicht. WERTPAPIER: Wenn nun ein Aktionär nur seine Rechte gewahrt wissen will, der Vorstand sich aber in seiner Geschäftspolitik dadurch gestört fühlt? Es hat doch da auch schon mal Fälle gegeben, wo firmenseitig Beträge geboten wurden, um den Lästigkeitswert abzukaufen. Ist das auch kriminell? Lutter: Es ist ganz genau der gleiche Fall und schlichthin vom Aktiengesetz verboten. Der Aktionär muß das empfangene Geld so oder so zurückzahlen. Tut er es nicht freiwillig, wird er dazu verurteilt. Es gibt überhaupt nicht die geringste Chance oder Rechtfertigung, daß er das Geld behalten darf. Und der Vorstand, der – vom Notwehrfall einmal abgesehen – das Geld nicht zurückverlangt, verletzt seine Pflichten zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung. WERTPAPIER: Gibt es in diesem Zusammenhang auch strafrechtliche Aspekte? Lutter: Mein strafrechtlicher Kollege, Prof. Kohlmann in Köln, sieht den Straftatbestand der Erpressung als erfüllt an, wenn Widerspruch oder Klage mit dem Ziel der sogenannten Abfindung erhoben werden. Und soweit ich unterrichtet bin, prüfen zur Zeit bereits einige Staatsanwaltschaften, ob sie [294] aufgrund dieser Rechtsansicht gegen solche Leute vorgehen. WERTPAPIER: Das geltende Strafrecht sanktioniert die Erpressung mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bei obendrein mehrjähriger Verjährungsfrist. Lutter: So schlicht und einfach ist das. Die Herren Räuber riskieren strafrechtliche Verfolgung wegen Erpressung, zivilrechtliche Verfolgung mit Rückzahlungsklage und Arrestbefehl. Unerhörte Kosten auch, die auf sie zukommen – und letztlich wohl eine Schadenersatzklage, wenn sie dieses Verfahren nachweislich nur eingeleitet haben, um die Gesellschaft zwecks eigener Bereicherung zu schädigen. Dann sehe ich auch § 826 BGB (sittenwidrige Schädigung) als erfüllt an mit der Folge, daß die Übeltäter auch noch der Gesellschaft den Schaden etwa aus einer von ihnen blockierten Kapitalerhöhung – zu erstatten haben, also den Zinsverlust aus vier oder sechs Wochen, weil die Kapitalerhöhung nicht rechtzeitig durchgeführt werden konnte. Da kommen rasch unvorstellbar hohe Beträge zustande, und die Unternehmensleitungen sollten diesen Räubern beizeiten nachdrücklich klarmachen, daß sie unabdingbar hart verfolgt werden. WERTPAPIER: Wie soll sich der Vorstand einer Aktiengesellschaft bei Erpressungsversuchen konkret verhalten?

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Lutter: Er muß zunächst dafür sorgen, daß alles beweiskräftig ist – keine Telefongespräche, keine Termine ohne Zeugen. In dem gleichen Augenblick, wo das Ansinnen beweisbar wird, ist die Anfechtungsklage per se unbegründet und als mißbräuchlich zurückzuweisen. Der Räuber ist am Ende. WERTPAPIER: Sollte man den Gesetzgeber auf den Plan rufen, im Aktienrecht vorbeugend eine Änderung herbeizuführen? Lutter: Ganz gewiß nicht! Wir dürfen nicht vergessen, daß die Anfechtungsklage das wichtigste Schutzrecht für den Aktionär ist – unabhängig davon, ob klein oder groß. Auf gar keinen Fall also gesetzgeberische Initiativen. Die Vorstände müssen mit dem Problem selber fertigwerden. WERTPAPIER: Macht es eigentlich einen Unterschied, ob ein Streubesitzaktionär seine Anfechtungsklage selbst durchzieht oder ob er sich eines Vertreters bedient? Lutter: Das macht überhaupt keinen Unterschied. Es kommt einfach darauf an, was mit der Anfechtungsklage erzielt werden soll. Wenn etwa die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz im Namen einer größeren Zahl von Einzelaktionären ein Spruchstellenverfahren einleitet oder – wie vor einigen Jahren – wegen Beton und Monier vor Gericht geht oder – wie erst kürzlich – bei Langenbrahm statt 62,50 DM letztlich 833,50 DM herausholt, dann handelt sie mit höherer Kompetenz für die benachteiligten Aktionäre. Das ist die Aufgabe der Schutzvereinigung. Mit Hilfe der Schutzvereinigung wird geradezu der legislative Zweck des Aktiengesetzes und insbesondere der Anfechtungsklage verwirklicht. WERTPAPIER: Herr Prof. Lutter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Die entschlußschwache Hauptversammlung IN: H.

P. WESTERMANN/ROSENER, FESTSCHRIFT FÜR KARLHEINZ QUACK ZUM 65. GEBURTSTAG, BERLIN 1991, S. 301-320 I. Überblick und Problemstellung

1. Die Hauptversammlung ist eines von nur drei Organen einer Aktiengesellschaft; und sie hat durchaus beachtliche Aufgaben und Kompetenzen1. Die technische Durchführung einer solchen Hauptversammlung aber ist kompliziert, zeitaufwendig und teuer2. So liegt der Wunsch des nach § 83 Abs. 1 AktG für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung zuständigen Organs Vorstand durchaus nahe, Hauptversammlungen in seiner Gesellschaft jedenfalls nicht häufiger als – wie vom Gesetz verlangt, § 120 AktG – jährlich einmal abzuhalten. Auf diese Weise entstehen gewisse Überbrückungsschwierigkeiten; denn ein Jahr kann für unternehmerische Entwicklungen lang sein. Das Gesetz hat für die stark marktabhängige Ausgabe neuen Kapitals mit der Möglichkeit Rechnung getragen, diese Befugnis an Vorstand und Aufsichtsrat zu delegieren (genehmigtes Kapital, §§ 202 ff AktG). Andere Fragen aber sind im Gesetz nicht angesprochen: Bei der Erweiterung des Gegenstandes der Gesellschaft, beim Abschluß von Unternehmensverträgen mit Tochtergesellschaften3 oder bei der Fusion mit einer Gesellschaft, deren Erwerb noch nicht perfekt ist, mögen sich ähnliche Zeitprobleme ergeben4. [302] 1 Siehe § 119 I AktG. Die dortige Aufstellung ist unvollständig; vgl. die Liste der weiteren Befugnisse bei Eckardt in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum AktG, § 119 Rdn. 8a-11. Darüber hinaus vgl. BGHZ 83, 122 (Holzmüller) und dazu Lutter, FS Stimpel 1985, S. 825 ff sowie ders., FS Fleck 1988, S. 169 ff. 2 Beusch, FS Werner, 1984, S. 1, 18 f. 3 Dazu jetzt Grunewald, AG 1990, 133, 135 f. 4 Eigentümlicherweise läßt das Gesetz gerade aufschiebend bedingte oder befristete Verschmelzungsverträge zu, arg. §§ 341 Abs. 2 AktG, 21 Abs. 5 GmbHG. Wirtschaftlich sinnvoll ist eine Befristung oder Bedingung aber nur, wenn die übrigen Voraussetzungen einer Verschmelzung vorliegen, also insbesondere die erforderlichen Verschmelzungsbeschlüsse (unbedingt) gefaßt wurden. Wenngleich die genannten Vorschriften einem praktischen Bedürfnis folgen, ist doch die mangelnde Registerpublizität dieses Vorgangs zu bemängeln; vgl. dazu auch unten III 1 und V 1, 2. Die gleichen Bedenken bestehen daher auch gegen § 7 des DiskussionsEntwurfs des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom November 1988; dort werden 10jährige Fristen akzeptiert, die nirgends öffentlich doku-

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2. Neben die Zeitprobleme treten Sachprobleme: die Hauptversammlung beschließt eine Kapitalerhöhung, deren Durchführung – entgegen heutiger Praxis – nicht durch Zusage einer Bank oder eines Emissionskonsortiums vorweg gesichert ist; dann soll der Erhöhungsbeschluß erst wirksam werden, wenn die erforderlichen Zeichnungen tatsächlich stattgefunden haben. Ähnliche Koppelungswünsche können sich bei einer Kapitalherabsetzung zum Verlustausgleich ergeben oder bei der Einführung von Vorzugsaktien. Schließlich aber kann es auch sein, daß die Hauptversammlung eine bestimmte Maßnahme jetzt noch nicht in Kraft setzen möchte, die Gesellschaft aber jederzeit gerüstet sein soll, weshalb sie die Befugnis zur Durchführung der Maßnahme an die stets präsenten Organe Vorstand und Aufsichtsrat übertragen möchte5. Ob und welche Wünsche sich verwirklichen lassen und auf welchem Wege, ist Gegenstand dieser Untersuchung. Sie ist dem Jubilar und Meister der Hauptversammlung ganz besonders zugeeignet. II. Satzungsändernde Beschlüsse Beschlüsse einer Hauptversammlung werden in der Regel mit ihrer Feststellung durch den Versammlungsleiter wirksam6. Das aber gilt nicht für die wichtigsten Beschlüsse der Hauptversammlung, die Satzungsänderung bewirken sollen oder eine ähnliche grundlegende Bedeutung für die Struktur der Gesellschaft haben. Diese Beschlüsse erreichen die angestrebte Wirkung erst mit ihrer – konstitutiven7 – Eintragung im Handelsregister. Ähnlich wie bei der Veräußerung oder Belastung von Grundstücken im bürgerlichen Recht, die der – konstitutiven – Eintragung im Grundbuch bedürfen (§ 873 BGB), beruht die Satzungsänderung auf einem zweigliedrigen Tatbestand. Das wird sofort deutlich, wenn man den Vorgang von den möglichen Mängeln her betrachtet: Die [303] Satzungsänderung mentiert sind: man kauft ahnungslos Aktien und findet sich plötzlich in einer ganz anderen Gesellschaft wieder aufgrund von Beschlüssen, die viele Jahre zurückliegen. 5 So der Fall LG Frankfurt vom 29. 1. 1990, WM 1990, 237 = DB 1990, 471 (Dresdner Bank) mit Anm. Priester, EWiR 1/90 zu § 179 AktG: Die Einführung eines Höchststimmrechts nach § 134 Abs. 1 Sätze 2-4 AktG wurde beschlossen, sollte jedoch erst nach Eintritt weiterer Voraussetzungen durch Eintragung dieser Satzungsänderung im Handelsregister nach §§ 179, 181 AktG in Kraft treten. 6 Arg. § 130 Abs. 2 AktG; vgl. auch BGH WM 1965, 1207; eingehend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 393; ders., Kölner Komm. zum AktG, 1. Aufl., § 133 Rdn. 95 ff; Eckardt, aaO, § 133 Rdn. 21; Barz, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 119 Anm. 42. 7 Konstitutive Wirkung meint nicht, daß allein die Eintragung die Satzungsänderung herbeiführen kann, sondern daß die Satzungsänderung ohne diese Eintragung nicht wirksam werden kann; vgl. Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 181 Rdn. 52.

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kann scheitern, weil der Beschluß nichtig ist oder auf Anfechtung hin vernichtet wird; sie kann aber auch scheitern, weil das Registerverfahren nicht oder mangelhaft betrieben wird und deshalb die Eintragung als zweites Tatbestandselement unterbleibt8. III. Einfache Beschlüsse 1. Im Kontext unserer Untersuchung entsteht hier vor allem die Frage, ob solche Beschlüsse bedingt oder befristet gefaßt werden können. Kann also die Hauptversammlung etwa beschließen, dem Vorstand werde Entlastung erteilt unter der Voraussetzung, die laufende Sonderprüfung ergebe keine Anstände? Kann der Beschluß lauten, Herr A werde zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt unter Voraussetzung, daß er – wie angekündigt – sein Aufsichtsratsmandat beim Konkurrenzunternehmen Y niederlege? Kann eine Dividende von 10% beschlossen werden unter der Voraussetzung, der geplante Firmen-Tarifvertrag enthalte insgesamt keine Steigerung von mehr als 5%, anderenfalls betrage die Dividende nur 6% und der nach Berücksichtigung der erhöhten Steuer verbleibende Rest sei der Gewinnrücklage zurückzuführen? a) Beschlüsse des Organs Hauptversammlung sind Rechtsgeschäfte, wenn sie ihrem Inhalt nach auf einen wenn auch nur gesellschaftsinternen Rechtserfolg gerichtet, also mehr sind als eine Meinungsäußerung9, 10. Letzteres aber kommt bei der Hauptversammlung praktisch nicht vor: Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, Wahlen zum Aufsichtsrat oder als Abschlußprüfer, Verwendung des Bilanzgewinns etc. sind stets auf einen Rechtserfolg gerichtet11. Rechtsgeschäfte aber [304] können bedingt und befristet sein, so sagt es das BGB, § 158. Damit 8 Beschließt die Hauptversammlung die Satzungsänderung wirksam und wird sie auf Antrag des Vorstands im Handelsregister eingetragen, so ist sie wirksam geworden, auch wenn der Vorstand dabei entgegen einer wirksamen Anweisung (dazu unten IV, 5) gehandelt hat; zutr. Grunewald, AG 1990, 133, 137. 9 Ebenso BGHZ 14, 264, 267; Hüffer, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG § 241 Rdn. 7; Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 133 Rdn. 13; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, § 15 I 2, S. 325; Winnefeld, DB 1972, 1053, 1055; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 300. Anders RGZ 122, 367, 369; BGHZ 52, 316, 318: „Sozialakt der körperschaftlichen Willensbildung“; dieser jüngeren Ansicht des BGH folgen Eckardt, aaO, § 133 AktG Rdn. 5; Semler, in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 1988, § 39 Rdn. 1; kritisch zum Begriff des Sozialakts vor allem Schilling, FS Ballerstedt, 1975, S. 257, 265; Wiedemann, JZ 1970, 291. 10 Das gleiche gilt für die Beschlüsse anderer Korporationen wie insbesondere der GmbH (Hachenburg/Schilling, GmbHG, 7. Aufl., § 45 Rdn. 11 und K. Schmidt, in Scholz, GmbHG, 7. Aufl., § 45 Rdn. 18) und des eingetragenen Vereins (Soergel/Hadding, BGB, 12. Aufl., § 32 Rdn. 21a). 11 Allenfalls bei der aktienrechtlichen Entlastung könnte man daran zweifeln, da besondere Rechtsfolgen mit ihr gerade nicht verbunden sind; dazu Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 120 AktG Rdn. 21 ff.

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hat es den Anschein, als könnten jedenfalls alle „einfachen“ Beschlüsse einer Hauptversammlung bedingt oder befristet sein. Aber so einfach lassen sich die Fragen dieser Art nicht beantworten; statt begrifflicher Deduktion aus der Figur des Rechtsgeschäfts ist zusätzlich eine funktionale Betrachtung je aus dem Beschlußgegenstand heraus erforderlich12. Das wird deutlich, wenn man an einen Dividenden-Verteilungsbeschluß unter auflösender Bedingung denkt: es widerspricht der Struktur des Aktienrechts, eine zunächst erlaubte Leistung an die Aktionäre (§ 58 Abs. 5 AktG) nachträglich mit dem Verdikt der verbotenen Kapitalrückzahlung (§§ 57, 58 Abs. 5, 62 AktG) zu versehen13. Ähnliche Überlegungen gelten unter einem anderen Funktionsaspekt auch für auflösend bedingte Wahlen durch die Hauptversammlung; denn die Position von Aufsichtsräten und Abschlußprüfern ist vom Gesetz zu Recht gegen eine beliebige Abberufung durch die Hauptversammlung geschützt (§§ 103 AktG, 318 HGB). Auflösende Bedingungen könnten hier die Funktion einer verbotenen, weil erleichterten Abberufung übernehmen – von den gar nicht beherrschbaren Problemen einer Rückwirkung solcher Vorgänge ganz abgesehen: Soll der Abschlußprüfer nach Eintritt der Bedingung diese Funktion nie gehabt haben, der Aufsichtsrat mit einem Nichtmitglied tätig geworden sein? Solche Gestaltungen sind nicht möglich. b) Aufschiebende Bedingungen für die Wirksamkeit eines HauptversammlungsBeschlusses unterliegen diesen Problemen nicht; denn vor Eintritt der Bedingung sind das betreffende Aufsichtsratsmitglied14 oder der betreffende Abschlußprüfer nicht gewählt und ist auch die Verteilung einer Dividende nicht erlaubt. Der Verknüpfung der Wirksamkeit des Wahlbeschlusses mit der (künftigen) Niederlegung des Aufsichtsrats-Amtes in der Konkurrenzgesellschaft stehen also an sich Bedenken nicht entgegen. Aufschiebend bedingte Beschlüsse leiden aber unter einem Publizitätsproblem. Plötzlich treten Wirkungen ein, die andere Aktionäre vor möglicherweise längerer Zeit beschlossen, jetzt aber nicht mehr zu tragen (und zu verantworten) haben. Dem muß mindestens beim Zeitfaktor Rechnung getragen werden15; Wahl- und Dividenden- [305] Verteilungs-Beschlüsse können daher durch eine solche Bedingung allenfalls bis zum Zeitpunkt der nächsten Hauptversammlung in der Schwebe gehalten werden. Nach Ablauf dieser längsten Frist muß man die Bedingung als ausgefallen werten; der Beschluß ist dann wirkungslos geworden.

12 Auch das BGB kennt Ausnahmen zu § 158 BGB, die auf ähnlichen Erwägungen beruhen, etwa §§ 925 Abs. 2, 1600b Abs. 1, 1724, 1752 Abs. 2 Satz 1 BGB; vgl. ferner § 13 Abs. 2 EheG. Und es ist anerkannt, daß Gestaltungserklärungen bedingungsfeindlich sind, da sie die Rechtslage eindeutig klären müssen (BGHZ 97, 265, 267 m. w. N.). 13 So auch Grunewald, AG 1990, 133, 137. 14 Auch das Gesetz selbst läßt die Bestellung sog. Ersatzmitglieder zu, § 101 Abs. 3 AktG. 15 Dazu näher unten IV 5 c.

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Aber selbst dieses „allenfalls bis zur nächsten Hauptversammlung“ muß noch aus anderen Gründen mit Zweifeln angesehen werden. So hat jeder Aktionär einen klagbaren Anspruch auf eine Entscheidung der Hauptversammlung über die Verwendung des Bilanzgewinns innerhalb der 8-Monats-Frist des § 175 Abs. 1 Satz 2 AktG16. Und da könnte es dann fraglich sein, ob ein über 12 Monate hin aufschiebend bedingter Verteilungs-Beschluß der vom Gesetz geforderten Entscheidung entspricht. Man wird das dennoch annehmen können; denn das Gesetz erlaubt als Inhalt des Beschlusses auch den Vortrag des Bilanzgewinns auf neue Rechnung17. Dem würde eine aufschiebend bedingte Verteilung – die also auch Nicht-Verteilung sein kann – mit Wirkung höchstens bis zur nächsten Hauptversammlung exakt entsprechen. Sehr viel problematischer ist diese Höchstdauer der Frist bei Wahlbeschlüssen. Die Aktiengesellschaft braucht nach Abschluß ihres Geschäftsjahres einen Abschlußprüfer; ist die Bedingung, die mit seiner Wahl verknüpft worden ist, nicht eingetreten, so ist der Abschlussprüfers im Sinne von § 318 Abs. 4 Satz 1 HGB „nicht gewählt“18 und der Vorstand verpflichtet (§ 318 Abs. 4 Satz 3 AktG), beim Registergericht die gerichtliche Bestellung eines Abschlußprüfers zu beantragen. Besteht eine Vakanz im Aufsichtsrat seit mehr als 3 Monaten, so kann der Vorstand Antrag auf Ersatzbestellung beim Registergericht stellen (§ 104 Abs. 2 AktG), muß das aber nicht19. Davon abgesehen aber dürfte eine über 3 Monate währende Vakanz im Aufsichtsrat a priori problematisch sein, so daß sich für die Hauptversammlung eine kurze Befristung dringend empfiehlt. Denn während der Laufzeit der Bedingung ist es für Vorstand und Aufsichtsrat im Hinblick auf die Autorität der Hauptversammlung sehr schwer, in eben diese laufende Bedingung hinein durch [306] einen Antrag an das Gericht auf Ersatzbestellung nach § 104 Abs. 2 AktG einzugreifen. 2. Entlastungsbeschlüsse hält Zöllner20 insgesamt für bedingungsfeindlich; eine solche Erklärung widerspreche dem Zweck der Entlastung, eine eindeutige Kundgabe der Auffassung der Hauptversammlung zur Tätigkeit der Verwaltungsorgane 16 Lutter, Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 58 Rdn. 90; Barz, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 58 Anm. 31; Hefermehl/Bungeroth, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 58 Rdn. 117. 17 Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 58 Rdn. 73; Barz, aaO, § 58 Anm. 23; Hefermehl/Bungeroth, aaO, § 58 Anm. 82. 18 Man muß darunter die wirksame Wahl verstehen, vgl. Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 28. Aufl., § 318 Anm. 4; implizit auch Heymann/Herrmann, HGB, § 318 Rdn. 4 und (zu § 163 Abs. 3 Satz 1 AktG a.F.) Kropff, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 163 Rdn. 34 f; Brönner, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 163 Anm. 25. 19 H. M., vgl. Mertens, Kölner Komm. zum AktG, 1. Aufl., § 104 Rdn. 11; Meyer-Landrut, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 104 Anm. 4. 20 Kölner Komm., 1. Aufl., § 120 AktG Rdn. 20.

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herbeizuführen. Ich neige eher zum Gegenteil21 und meine, daß die Bedingung sogar einen erfreulichen Mittelweg zeigen kann zwischen Entlastung und NichtEntlastung. Läuft eine Sonderprüfung über Probleme des Geschäftsjahres 1989, so kann die Hauptversammlung verantwortlich nicht über die Entlastung befinden, muß also die Beschlußfassung ablehnen22. Warum sollte sie – im Hinblick auf die Tatsache, daß der Prüfungsbericht in drei Monaten vorliegen, die nächste Hauptversammlung aber erst in zwölf Monaten stattfinden wird – nicht aufschiebend bedingt unter der Voraussetzung eines „Freispruchs“ durch den Prüfer entlasten? Auch das ist eine eindeutige Kundgabe der Auffassung der Hauptversammlung über die Tätigkeit des Vorstands. Im übrigen: Da sogar der Widerruf einer Entlastung möglich ist23, kann auch dem gewissermaßen „eingebauten Widerruf“ einer auflösenden Bedingung hier kaum etwas entgegenstehen; und dann kann es auch kaum entscheidend sein, ob die Entlastung aufschiebend bedingt („jetzt noch nicht“) erteilt oder auflösend bedingt („jetzt schon, aber …“) bewilligt wird. Alle diese Gestaltungen stehen im übrigen gewiß unter der ganz allgemeinen Voraussetzung, daß die Tätigkeit des entlasteten Organs/Organmitglieds im übrigen vollständig überschaubar und nachvollziehbar vorlag24, also nur ein bestimmter und isolierter Komplex noch der Klärung bedurfte. 3. Zustimmungsrechte Die inhaltliche Wirksamkeit bestimmter, aber gewiß nicht aller, einfacher Hauptversammlungs-Beschlüsse kann also mit dem Vorliegen oder NichtVorliegen eines unbestimmten künftigen Ereignisses, bestimmter und bislang der Hauptversammlung noch unbekannter Tatsachen zeitlich befristet auf max. 12 Monate verknüpft werden. Da liegt der [307] Gedanke nahe, die Wirksamkeit auch mit der Zustimmung eines anderen Organs oder gar einer dritten Person zu verbinden. Kann also der Dividendenbeschluß an die Zustimmung des erkrankten Aufsichtsrats- oder Vorstands-Vorsitzenden geknüpft, die Entlastung des Vorstands an die Zustimmung des Abschlussprüfers gebunden werden? Die Frage ist ausgesprochen intrikat; denn die Hauptversammlung kann einerseits in ihre Entscheidung die Meinung beliebig vieler anderer Personen einbezieEbenso Koch, AG 1969, 1, 5; Grunewald, AG 1990, 133, 137. Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 120 Rdn. 32; Eckardt, aaO, § 120 Rdn. 30 ff; Koch, aaO, S. 4 f. 23 Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 120 Rdn. 39. 24 Arg. § 120 Abs. 3 AktG; vgl. auch Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 120 AktG Rdn. 7, 10, 47; Eckardt, aaO, § 120 AktG Rdn. 30 f; Barz, aaO, § 120 AktG Anm. 4; siehe ferner Begr. zum RegE eines AktG 1965, BT-Drs. IV/171, S. 148 (zu § 116 RegEntw = § 120 Abs. 3 Satz 1 AktG 1965), bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 167. 21 22

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hen; sie kann und darf andererseits aber ihre Kompetenzen nicht delegieren: im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen kann nur sie entscheiden, darf sie die Befugnisse nicht an ein anderes Organ oder Organmitglied delegieren25. Jedes Zustimmungsrecht eines anderen Organs oder Organmitglieds aber ist ein Mitentscheidungsrecht und ist in diesem Maße auch eine Verlagerung der (Allein-)Kompetenz der Hauptversammlung auf dieses. Das wird am Beispiel des Zustimmungsrecht des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG deutlich, wo dem Aufsichtsrat Mitentscheidungskompetenz zu- und dem Vorstand die Alleinentscheidungsbefugnis entsprechend abwächst; und das gleiche wird deutlich an der Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Feststellung des Jahresabschlusses nach § 172 AktG. Diese Probleme verstärken sich noch einmal, wenn es um vorbehaltene Zustimmungen durch einen Dritten geht. Denn die Mitentscheidung außenstehender Dritter, also von Nicht-Mitgliedern und Nicht-Organmitgliedern in Angelegenheiten der Gesellschaft ist per se problematisch. Das konnte unter dem Stichwort des Grundsatzes der Verbandsautonomie herausgearbeitet werden26. Zustimmungsrechte Dritter, aber auch anderer Organe und Organmitglieder können daher jenseits dessen, was nach Gesetz, vom Gesetz zugelassener Gestaltung in der Satzung und sonstigen Rechtsregeln bereits de lege gilt, nicht geschaffen werden. Die Bedingungs-Lösung aber ist in der Sache nichts anderes als eben die Begründung eines solchen Zustimmungsrechtes. Ein entsprechender Beschluß der Hauptversammlung wäre daher so zu behandeln, als sei die Bedingung ausgefallen; der Beschluß wäre von Anfang an wirkungslos. IV. Zusammengesetzte (mehrgliedrige) Beschlüsse; insbesondere Satzungsänderungen Will man die hier angeschnittenen Fragen der Verknüpfung von Hauptversammlungs-Beschlüssen mit noch unbestimmten Ereignissen [308] in die besonders wichtigen mehrgliedrigen Beschlüsse hinein verlängern, so muß man deutlich zwischen dem Beschlußinhalt und den anderen Teilen unterscheiden. So könnte etwa die Hauptversammlung auf den Gedanken kommen, eine Stimmrechtsbeschränkung in die Satzung einzufügen, die aber Wirkungen nur entfalten soll, wenn der Anteil ausländischer Aktionäre auf über 20% ansteigt. Statt eines solchen Beschlusses könnte die Hauptversammlung aber auch erwägen, die Stimmrechtsbeschränkung unbedingt zu fassen, den Vorstand aber anzuweisen, den zweiten Teil Näher dazu unten IV, 4 und Fn. 43 Wiedemann, FS Schilling, 1973, S. 105; ders., Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 179 Anm. 4; ders., Gesellschaftsrecht I, 1980, § 7 II 1, S. 371; vgl. auch Flume, FS Coing, 1982, Band 2, S. 97 ff. 25 26

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des Gesamtvorganges, nämlich die Anmeldung der Satzungsänderung zur Eintragung im Handelsregister erst vorzunehmen, wenn die Zahl ausländischer Aktionäre auf über 20% angestiegen ist27. 1. Bedingte Satzungsklauseln Im soeben vorgestellten Beispiel würde die Satzung in der ersten Alternative eine Bedingung enthalten: die Aktionäre könnten beliebig viele Stimmen durch entsprechenden Erwerb oder sonstige Verfügungsbefugnisse kumulieren; sie würden jedoch in dem Augenblick auf die festgelegte Höchstmarge „zurückgeschnitten“, in dem der Anteil ausländischer Aktionäre auf über 20% angestiegen wäre: gestern noch bestimmender Mehrheitsaktionär, wäre der Einfluß der fraglichen Person morgen marginal28. a) Die Satzung ist das Grundgesetz jeder rechtsfähigen Körperschaft29, also auch der Aktiengesellschaft; in ihr werden die Organe der Korporation, ihre Zusammensetzung und Kompetenzen – zum Teil – geregelt, die Rechte und Pflichten der Mitglieder (Aktionäre) geordnet und zum Teil überhaupt erst geschaffen. Diese Satzung wirkt ipso iure und ohne großes Wenn und Aber für alle Mitglieder (Aktionäre) und Organe, gleich ob sie an ihrer Gestaltung mitgewirkt und von ihr Kenntnis haben oder nicht30. Die Satzung verlangt mithin objektives und unbedingtes [309] Vertrauen von den Betroffenen; diese können sich auf Mißverständnisse, subjektive Fehlvorstellungen und insbesondere Nicht-Kenntnis etc. im Hinblick auf sie und ihren Inhalt nicht berufen31. Diese gewisse Härte und Rigorosität gegenüber dem neu beitretenden Aktionär ist unabdingbar, soll das System von Verband, der Wechsel seiner Mitglieder und die Fungibilität seiner Mitglied27 Ähnlich der Sachverhalt im Fall Dresdner Bank, vgl. LG Frankfurt vom 29. 1. 1990, WM 1990, 237 = DB 1990, 471 (siehe Fn. 5). 28 Das ist bewußt etwas übertrieben; denn viele wichtige Beschlüsse verlangen außer einer Stimmenmehrheit auch noch eine (qualifizierte) Kapitalmehrheit (z. B. bei allen Kapitalmaßnahmen, §§ 182 Abs. 1, 193 Abs. 1, 202 Abs. 2, 207 Abs. 2, 221 Abs. 1, 222 Abs. 1, 229 Abs. 3 AktG). Und in diese Position kann eine Stimmrechtsbegrenzung nicht eingreifen. Das bedeutet, daß der bestimmende Aktionär mit Wirksamkeit der Stimmrechtsbegrenzung auf eine Veto-Position in wichtigen Einzelfragen zurückgeschnitten würde. 29 Vgl. etwa § 25 BGB („Verfassung“); Wiedemann, GesR I, § 3 II 1 a, S. 159 („Lebensgesetz“); Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 179 Rdn. 15 („normative Grundordnung“). 30 Unstr., vgl. nur Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 179 AktG Rdn. 210 (implizit) sowie Eckardt, aaO, § 23 AktG Rdn. 35. 31 Es gilt die Satzung für und gegen sie mit ihrem objektiven, von subjektiven Vorstellungen ganz unabhängigen Inhalt. Das ist für die sog. „echten“ oder „körperschaftlichen“ Satzungsbestimmungen im Gegensatz zu den schuldrechtlichen Nebenabreden in der Satzung unstr.; vgl. nur BGHZ 47, 172, 180 und BGH NJW 1971, 880 für den Verein sowie BGH DB 1975, 198 f und 1983, 872 sowie OLG Düsseldorf ZIP 1987, 230 für GmbH. Näher dazu Kraft, Kölner Komm., 2. Aufl., § 23 Rdn. 93 ff mit weiterem Nachw.

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schaften (Aktien) funktionieren. Voraussetzung muß dann aber sein, daß eben diese Grundlagen klar, einfach und sofort feststellbar sind32. b) Bedingungen aber haben den Zweck und die Aufgabe, bestimmte Rechtsfolgen mit einem unbestimmten künftigen Ereignis so zu verknüpfen, daß mit ihm die angesprochene Rechtsfolge eintritt, nicht eintritt oder gar entfällt33, mithin die Frage nach der Verbindlichkeit einer Satzungsbestimmung für kürzere oder längere Zeit völlig offen wäre. Eine solche Situation ist ganz und gar ungeeignet als Grundlage von Rechten und Pflichten, Entscheidungen und Vertrauen für eine unbegrenzt große Zahl von Mitgliedern; diese wüßten nie, woran sie eigentlich sind. Daher ist zu Recht unbestritten, daß Bestimmungen der geltenden, also eingetragenen Satzung – mögen sie auf der ursprünglichen Satzung beruhen oder durch Satzungsänderung geschaffen werden – jedenfalls für die Aktiengesellschaft34 nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden können35, 36. [310] c) Die Richtigkeit dieser rechtlichen Aussage erweist sich übrigens auch an der Tatsache, daß der Gesetzgeber des Aktiengesetzes 1937 eigens den Fall einer bedingten Satzungsklausel als lex specialis geschaffen hat: das bedingte Kapital nach den (heute) §§ 192 ff AktG. Aber nicht nur die besondere Erwähnung und Regelung dieser Rechtsfigur im Gesetz zeigen den Ausnahmecharakter, sondern auch die besonders auszuweisende Ordnung dieser Rechtsfigur (besondere Angaben zur jährlichen Ausnutzung im Anhang, § 160 Abs. 1 Nr. 3 AktG); schon aus diesem Grunde können andere Bedingungen in Satzungsklauseln dieser speziellen Rechtsfigur nicht nachentwickelt werden.

32 Das System der Publizität der Satzung gilt heute europaweit: Art. 2 Abs. 1 der 1. gesellschaftsrechtlichen EG-Angleichungs-Richtlinie vom 9. 3. 1968, bei Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., S. 85. 33 Vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 49. Aufl., vor § 158 Anm. 1 a; H. P. Westermann, Münchener Komm. BGB, 2. Aufl., § 158 Rdn. 8. 34 Für die GmbH wird von Priester (in: Scholz, aaO, § 53 GmbHG Rdn. 180) und Ulmer (in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 7. Aufl., § 53 Rdn. 24) das gleiche angenommen. Ob das wirklich zutrifft, mag hier nur als Frage gestellt sein. Denn der neue Gesellschafter einer GmbH ist durch den Gang zum Notar (§ 15 GmbHG) gewarnt und hat daher auch die Zeit, sich über die Bedeutung, den erfolgten Eintritt etc. von Bedingungen in der Satzung zu informieren. Deswegen sind in der GmbH jedenfalls die Schutzüberlegungen zugunsten der neuen Gesellschafter nicht so zwingend wie bei der AG. Was bleibt, ist die gewisse Unklarheit im Grundgesetz der GmbH an sich, also ein rein objektiver, gewissermaßen interessenfreier Aspekt. 35 Vgl. Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 179 AktG Rdn. 50 und 2. Aufl. Rdn. 199; Hefermehl/Bungeroth, aaO, § 179 AktG Rdn. 67; Säcker, DB 1977, 1792; a. A. früher Ritter, Komm. zum AktG 1937, § 145 Anm. 4; Brodmann, Aktienrecht, 1928, Anm. 1 c; Horrwitz, Recht der Generalversammlungen der AG und KGaA, 1913, S. 396. 36 Eine ähnliche Erwägung – die Unvereinbarkeit von Bedingung und Registerpublizität in wichtigen Sachfragen – dürfte auch § 925 Abs. 2 BGB zugrunde liegen.

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2. Bedingte Satzungsklausel durch Satzungsänderung? Für bedingte Satzungsklauseln, die durch Satzungsänderung geschaffen werden sollen, kann im Prinzip nichts anderes gelten, als soeben erörtert wurde: Sie sind unzulässig und dürfen im Handelsregister nicht eingetragen werden37. Allerdings ist hier erstmals die Zweigliedrigkeit des Vorgangs zu bedenken: Zwischen der Beschlußfassung über die Satzungsänderung (§ 179 AktG) und dem Eintritt ihrer Wirksamkeit durch Eintragung im Handelsregister (§ 181 AktG) vergeht zwangsläufig eine gewisse Zeit; und diese gewisse Zeit kann sogar – wie wir unten näher erörtern werden – über einen gewissen Zeitraum hin ausgedehnt werden. Tritt nun vor Anmeldung der geänderten Satzung mit ihrer bedingten Klausel die fragliche Bedingung ein bzw. fällt sie endgültig aus, so entsteht die neue Klausel von vorneherein als unbedingt; dann aber entsteht – wie Priester38 richtig erkannt hat – das Problem nicht. Gegen einen bedingten Beschlußinhalt ist, wie oben dargetan, im Prinzip nichts einzuwenden. Nur als Teil der Satzung kann die Bedingung nicht wirksam werden. Der Vorstand muß in einem solchen Falle also abwarten, ob die fragliche Klausel unbedingt wird durch Eintritt bzw. Ausfall der Bedingung, und darf erst dann die Satzungsänderung zur Eintragung in das Handelsregister mit entsprechenden Nachweisen für das Registergericht anmelden. Steht umgekehrt fest, daß die Bedingung nicht mehr eintreten kann, die fragliche Klausel der geänderten Satzung mithin obsolet geworden [311] ist, so scheiden die Eintragung und ihre Anmeldung per se aus; ein dennoch gestellter Antrag müßte vom Registergericht als unbegründet abgelehnt werden. Der Vorstand hat die nächste Hauptversammlung entsprechend zu informieren. 3. Befristung Nun gibt es aber Fälle, in denen die beschlossene Satzungsänderung auf jeden Fall Wirksamkeit erhalten und behalten soll, allerdings nicht sofort, sondern erst zu einem bestimmten oder bestimmbaren späteren Zeitpunkt. Praktische Fälle in der Vergangenheit waren etwa die Umstellung der Satzungen auf die Neufassung des Aktiengesetzes von 1965; hier war das Gesetz am 1. 1. 1966 in Kraft getreten, § 58 AktG aber wurde erst später anwendbar: Dem sollte durch

Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 179 AktG Rdn. 199. ZIP 1987, 280, 285; wohl im Ergebnis ebenso Zöllner, aaO. Ebenso sind auflösend bedingte oder auflösend befristete Verschmelzungsverträge zulässig, wenn die Bedingung/Befristung eintritt, bevor die Verschmelzung vollzogen ist; näher Kraft, Kölner Komm., 1. Aufl., § 341 AktG Rdn. 27; Fischer/Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 12. Aufl., § 22 KapErhG Rdn. 13. Vgl. im übrigen oben Fn. 4. 37 38

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eine entsprechende Klausel in den Satzungen Rechnung getragen werden (z. B. „Die Neufassung von § … der Satzung ist erstmals anwendbar …“)39. Die gleiche Frage entstand später mit der Umstellung und Umbesetzung des Aufsichtsrats nach Erlaß des MitbestG von 1976: Auch hier wollten viele Gesellschaften bei Gelegenheit ihrer nächsten Hauptversammlung die Satzung anpassen, zugleich den Zeitpunkt der Anwendbarkeit des Gesetzes aber auch für das Inkrafttreten ihrer Satzungsänderung abwarten40. Steht mithin die Satzungsklausel ihrem Inhalt nach fest und steht weiterhin fest, daß sie mit Sicherheit in Kraft treten wird, so steht nichts entgegen, wenn eben das – die Befristung – dann auch so beschlossen und im Handelsregister so eingetragen wird: weder wird das Register unklar noch kann ein Dritter über den Inhalt der Satzung getäuscht werden. Im Gegenteil: Es kann sogar wünschenswert sein, daß die Öffentlichkeit künftig eintretende Änderungen möglichst früh aus den publizierten Beschlüssen erfahren oder aus dem Handelsregister ersehen kann41. Solche Befristungen sind also zulässig und – im Rahmen einer erstmaligen Satzungsklausel oder einer Satzungsänderung – eintragungsfähig und eintragungsbedürftig. Auch das entspricht einhelliger Rechtsansicht in Literatur und – seltener! – Rechtsprechung42. [312] 4. Verlagerung von Organbefugnissen: Zustimmung von Vorstand oder Aufsichtsrat zur Satzungsänderung? a) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der Aktienrechtsnovelle von 1884 sollte der Generalversammlung die Beschlußfassung und Entscheidung in allen das Wesen der Gesellschaft betreffenden Angelegenheiten vorbehalten bleiben. Das sollte insbesondere für die Entscheidung über Inhaltsänderungen von Statuten gelten; diese sollte ausschließlich bei der Gesellschafterversammlung liegen, und deshalb wurde, im Gegensatz zu früher, jede Übertragung dieser Kompetenz auf ein anderes Organ oder eine andere Person als unzulässig angesehen43. Vgl. Eckardt, NJW 1967, 372; Barz, AG 1966, 44. Vgl. etwa Säcker, DB 1972, 1792. 41 Zutr. Säcker, aaO; Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 181 AktG Rdn. 20 und 2. Aufl., § 179 AktG Rdn. 197. 42 KG KGJ 28 A, 214, 224; Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 179 Rdn. 197; Hachenburg/ Ulmer, aaO, § 53 GmbHG Rdn. 24; Scholz/Priester, aaO, § 53 GmbHG Rdn. 180. 43 Vgl. Amtliche Begründung zum Entw. eines AktG 1884, in: Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR Sonderheft 4, S. 464. So auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts: RGZ 26, 132, 134; 44, 8, 10; 74, 297, 299; 137, 305, 308 f; 169, 65, 80. Vgl. auch KG JW 1930, 1412 mit zust. Anm. Pinner. Bedenklich OLG Stuttgart AG 1967, 265, 266, das eine Satzungsklausel als zulässig angesehen hat, die festlegte, daß Satzungsänderungen und Kapital39 40

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b) Das Aktiengesetz von 1937 und, in seiner Nachfolge, das heutige Aktiengesetz von 1965 haben mit einer langen Tradition des Korporationsrechts gebrochen und die einst hierarchische Struktur in einer Aktiengesellschaft beseitigt44 – eine Struktur, die nach wie vor für unser GmbH-Recht45 und für die uns umgebenden ausländischen GmbH- und Aktienrechte ganz selbstverständlich ist46. Mit Beseitigung dieser gewissermaßen „natürlichen“ Struktur für die Aktiengesellschaft mußten [313] Gesetzgeber und Gesetz selbst die Ordnung schaffen und festlegen. Das ist auch geschehen und hat zur Entwicklung der heute horizontalen Organstruktur in einer Aktiengesellschaft geführt: Der Vorstand ist unabhängig bei der Leitung des Unternehmens der Gesellschaft, dem Aufsichtsrat steht die Personalhoheit zu, und er hat die Aufgabe der Überwachung, während die Hauptversammlung enumerativ festgelegte Befugnisse hat, § 119 I AktG. Entwirft nun aber das Gesetz „künstlich“ eine eigene Ordnung, dann muß im Zweifel auch diese Ordnung zwingend sein; denn sonst würde die künstliche und kunstvoll geschaffene Balance unter den Organen schnell aus dem Lot geraten bzw. in die alte hierarchische Struktur zurückfallen47. Und diese zwingende Struktur besteht tatsächlich. § 119 II AktG sagt ausdrücklich, daß die Hauptversammlung keine Entscheidungsbefugnisse in Fragen der Geschäftsführung hat – es sei denn, der Vorstand Frage sie. Ebenso deutlich aber ist § 111 AktG, der auch den Aufsichtsrat von der Geschäftsführung auserhöhungen zumindest dann einer ¾ (Kapital-)Mehrheit bedürfen, wenn der Aufsichtsrat der Änderung nicht zustimmt; dagegen zutreffend Eckardt, NJW 1967, 369, 371; Wiedemann, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 179, Anm. 6; eingehend Timm, DB 1980, 1201, 1203 f. Im Vereinsrecht halten den Zustimmungsvorbehalt eines Dritten für möglich KG OLGE 1974, 385, 388 ff; BayObLG, NJW 1980, 1756, 1757; dagegen LG Siegen, Rpfleger 1964, 267; eingehend Flume, FS Coing, 1982, Band 2, S. 97, 103 ff. 44 Vgl. dazu schon Begr. zum Entw. eines AktG 1930, S. 94; Hommelhoff, in: Schubert/Hommelhoff (Hrsg.), Die Aktienreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, S. 71 ff; Hefermehl, aaO, vor § 76 AktG Rdn. 5; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., vor § 76 Rdn. 4 f; Meyer-Landrut, aaO, § 76 AktG, Einl.; vgl. aber auch die Begr. zum RegEntw eines AktG 1965, bei Kropff, aaO, S. 13 f. 45 Dazu Fischer/Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 45 Rdn. 2; Hommelhoff, in Roth (Hrsg.), Das System der Kapitalgesellschaften im Umbruch ein internationaler Vergleich, Köln 1990, S. 26 ff, 41. 46 Zur GmbH: Siehe den rechtsvergleichenden Überblick in Hachenburg/Behrens, GmbHG, 7. Aufl., Einl. Rdn. 479; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rdn. 145 ff. Zum Aktienrecht: Besonders deutlich ist die hierarchische Struktur in Belgien und Luxemburg; vgl. Jura Europae, Gesellschaftsrecht, Abt. 20.10, S. 28 (Belgien) und Abt. 50.10, S. 14 (Luxemburg). Zur Rechtslage in der französischen S.A.: Mercadal/Janin, Sociétés commerciales, 1990, Rdn. 1347; Guyon, Droit des Affaires, Bd. 1, 1988, Rdn. 279, 312; unterstützt wird hier das hierarchische Modell durch die Möglichkeit der jederzeitigen Abberufung der Verwaltungsorgane (Art. 90 Abs. 3 Satz 2 Ges. v. 24. 7. 1966). 47 Vgl. zum System der gesetzlichen Kompetenzzuweisung und ihrem verbindlichen Charakter Mertens, Kölner Komm., 2. Aufl., Vorb. § 76 AktG Rdn. 17 ff; ders., ZGR 1977, 283; Eckardt, aaO, § 119 AktG Rdn. 10.

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schließt und Zustimmungserfordernisse für Maßnahmen des Vorstands an die Voraussetzungen des § 111 IV 2 AktG knüpft. Nicht minder sagt § 182 AktG, daß Kapitalerhöhungen nur durch die Hauptversammlung beschlossen werden können – es sei denn, die Satzung ermächtige den Vorstand im Rahmen und in den Grenzen der §§ 202 ff AktG zur Kapitalerhöhung (genehmigtes Kapital). Und auch § 179 I 1 i. V. m. § 179 I 2 AktG sagt ausdrücklich, daß für alle Satzungsänderungen (nur) die Hauptversammlung zuständig ist und eine Delegation dieser Befugnisse nur an den Aufsichtsrat und nur für Fassungsänderungen in Betracht kommt. Damit ist die Satzungsautonomie der Hauptversammlung mehrfach und nachdrücklich betont – wie andererseits auch ihre Übergriffe in die Befugnisse anderer Organe verboten sind (vgl. auch § 23 V AktG)48. Würde nun die Hauptversammlung eine Satzungsänderung von der (materiellen) Mitwirkung des Vorstands und/oder des Aufsichtsrats abhängig machen können, so würde sich diese betonte und abgesicherte Kompetenzanordnung in der Aktiengesellschaft nachdrücklich verschieben; und wenn eine solche Verschiebung zulässig wäre, so müßte sie ja nach jeder Richtung hin zulässig sein – also nicht nur zugunsten von Vorstand und Aufsichtsrat, sondern auch eben zu deren Lasten. Das aber wäre eine Rückkehr zur einst hierarchischen Struktur. Das alles aber will das Gesetz ersichtlich vermeiden. [314] c) Auf diesem Hintergrund ist es anerkannt, daß die Satzung selbst eine solche notwendige Mitwirkung von Vorstand und Aufsichtsrat oder das Erfordernis ihrer Zustimmung an einer Satzungsänderung nicht vorsehen kann49. Nicht erörtert ist hingegen bislang, ob das auch für den konkreten Änderungsbeschluß ad hoc gilt. Kann also die von allen statutarischen Bindungen freie Hauptversammlung selbst und im Einzelfall für die konkrete Satzungsänderung eine solche Zustimmung anderer Organe als Wirksamkeitserfordernis vorsehen? Die – negative – Antwort hierzu ist bereits oben50 im Zusammenhang mit den einfachen Beschlüssen entwickelt worden: Die Hauptversammlung kann jede Meinung berücksichtigen und in ihre Entscheidung einbeziehen; sie muß diese Entscheidung dann aber allein fällen. Jede Gewährung eines konkreten Zustimmungsrechtes an Vorstand und Aufsichtsrat wäre eine Teil-Delegation ihrer Befugnis. Und genau das will das Aktiengesetz nicht. Es hätte auch sonst die Ausnahmen von dieser Regel (z. B. erlaubte „Übergriffe“ des Aufsichtsrats in die

48 Dazu Kraft, Kölner Komm., 2. Aufl., § 23 AktG Rdn. 83 und 84; Eckardt, aaO, § 119 AktG Rdn. 10. 49 So schon Brodmann, Aktienrecht, § 274 HGB Anm. 1 b; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen, 1924, S. 112; Ritter, aaO, § 145 AktG 1937 Anm. 2; Wiedemann, aaO, § 179 AktG Anm. 4; Hefermehl/Bungeroth, aaO, § 179 AktG Rdn. 66, 67, 131 und 132; v. Rechenberg, Die Hauptversammlung als oberstes Organ der AG, S. 71 f; Priester, EWiR 1/90 zu § 179 AktG. 50 Siehe oben sub III, 3.

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Kompetenzen des Vorstands, §§ 111 Abs. 4 Satz 2, 172 AktG) nicht besonders normieren müssen. 5. Einfluß der Hauptversammlung auf die Anmeldung eintragsbedürftiger Beschlüsse durch den Vorstand zum Handelsregister a) Satzungsänderungen sind ihrer rechtlichen Struktur nach zweigliedrige Tatbestände, sind aus zwei Elementen zusammengesetzt: dem Beschluß und seiner Eintragung im Handelsregister. Insofern ist jeder satzungsändernde Beschluß „bedingt“, weil der Beschluß der Hauptversammlung nur durch Eintritt des Ereignisses „Eintragung im Handelsregister“ überhaupt wirksam werden kann51. Zweigliedrige Tatbestände sind also gewissermaßen per se bedingt: solange der zweite Teil des Tatbestandes nicht erfüllt ist, entfaltet auch der erste keine oder nur eingeschränkte Wirkung; und bis zum Eintritt des zweiten Teils des Tatbestands ist ungewiß, ob die Gesamtmaßnahme je wirksam wird oder – aus welchen Gründen auch immer – entfällt. b) Auch dieser Sachverhalt ist dem Gesetz durchaus vertraut. So besteht das Gesetz beispielsweise nicht darauf, daß der Beschluß über eine reguläre Kapitalerhöhung sofort im Handelsregister eingetragen wird; [315] die Eintragung kann vielmehr später und zusammen mit der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister erfolgen, §§ 184 und 188 IV AktG. Damit ist zugleich gesagt: scheitert die Durchführung der Kapitalerhöhung, so braucht auch der Grundbeschluß überhaupt nicht mehr angemeldet und eingetragen zu werden52. Daraus wird weiter und zu Recht geschlossen, daß die Hauptversammlung den zweiten Teil des Tatbestandes mit bestimmten Anweisungen an Vorstand und Aufsichtsrat verbinden kann. Auch dies wird am Beispiel der Kapitalerhöhung deutlich. Ist etwa unsicher, ob sich der geplante Gesamtbetrag der Kapitalerhöhung verwirklichen läßt, so kann die Hauptversammlung einen Mindest- und einen Höchstbetrag festlegen und den Vorstand anweisen, die Kapitalerhöhung nur in diesem Rahmen und je nach dem Ergebnis der Durchführung zum Handelsregister anzumelden53. c) Bei Vorgängen dieser Art handelt es sich nicht eigentlich um Bedingungen, sondern um Anweisungen an den insoweit streng folgepflichtigen Vorstand (§ 83 Abs. 2 AktG), wie (und wann) er den zweiten Teil des zweigliedrigen Tatbestands So schon Brodmann, Aktienrecht, § 274 HGB Anm. 1 c. Lutter, FS Schilling, 1973, S. 213; ders., Kölner Komm., 1. Aufl., § 188 Rdn. 7 und 2. Aufl., § 188 Rdn. 8; Wiedemann, aaO, § 188 Rdn. 2. 53 RGZ 85, 205, 207 für GmbH; Lutter, FS Schilling, S. 213 f; ders., Kölner Komm., 1. Aufl., § 182 AktG Rdn. 12 und 2. Aufl., Rdn. 17; Wiedemann, aaO, § 182 AktG Anm. 7; Hefermehl/Bungeroth, aaO, § 182 AktG Rdn. 54. 51 52

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verwirklichen soll. Zöllner nennt solche Gestaltungen daher zutreffend auch „unechte Bedingungen“54: Die Hauptversammlung beschließt unbedingt, sorgt jedoch dafür, daß die von ihr getroffene Entscheidung nur nach Maßgabe weiterer objektiver Ereignisse wirksam wird. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen55. Allerdings dürfen sich die inhaltlichen Schranken und die Probleme mangelnder Publizität, die oben zu entsprechenden Restriktionen geführt haben, hier nicht unvermerkt einschleichen. Daher sind solche „unechten Bedingungen“ in ihrer Zulässigkeit notwendigerweise durch zwei Elemente beschränkt: Zum einen kann der Vorstand in diesen Fällen nur nach klarer Anweisung der Hauptversammlung handeln; ihm steht weder ein eigenes Entscheidungsermessen zu56, noch darf ihm das von der Hauptversammlung übertragen werden: Er muß reines, an feste Regeln gebundenes Vollzugsorgan bleiben (arg. § 83 Abs. 2 AktG). [316] Und zum anderen kann diese Gestaltung nicht über eine beliebige Zeit hin bestehen. Auch das wird am Beispiel der Kapitalerhöhung deutlich: Könnte die Frage ihrer Durchführung über längere Zeit hin offenbleiben, so wäre die Grenze zum genehmigten Kapital überschritten57. Es kann hier also nur darum gehen, die Zeit bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung zu überbrücken, also diejenige Zeit, in der die Hauptversammlung selbst nur unter Kosten und Schwierigkeiten auf die noch offene Situation reagieren könnte58. Im übrigen wäre es mit dem auf Klarheit und Publizität angelegten System der Aktiengesellschaft und ihrer Satzung nicht zu vereinbaren, wenn etwa heute die Erweiterung des Gegenstandes der Gesellschaft beschlossen würde und der Vorstand angewiesen würde, den Satzungsänderungsbeschluß erst zum Handelsregister anzumelden, wenn der Erwerb eines entsprechenden Unternehmens gelungen ist: Es wäre gewiß verfehlt anzunehmen, Beschluß und Anweisung könnten auch noch nach drei Jahren plötzlich aus der Tasche gezogen und vollzogen werden. War der Vollzug der Satzungsänderungen im Laufe des Jahres zwischen den Hauptversammlungen also nicht möglich, und ist die geplante Satzungsänderung entsprechend der Anweisung der Hauptversammlung nicht etwa überhaupt entfallen (die Durchführung der Kapitalerhöhung war nicht einmal zur Vgl. Zöllner, aaO, 1. Aufl., § 179 AktG Rdn. 47 und 2. Aufl., Rdn. 195 und 196. Siehe oben bei und in Fn. 53. 56 So schon Brodmann, aaO, § 174 HGB Anm. 1 c; Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 179 AktG Rdn. 47 und 2. Aufl. Rdn. 196; Hefermehl/Bungeroth, aaO, § 179 AktG Rdn. 66; Ritter, aaO, § 145 AktG 1937 Anm. 4; vgl. auch Priester, EWiR 1/90 zu § 179 AktG; Grunewald, AG 1990, 133, 138 f. 57 Lutter, Kölner Komm., 1. Aufl., § 182 AktG Rdn. 12 und 2. Aufl. Rdn. 17; Zöllner, aaO, 2. Aufl., § 179 AktG Rdn. 179; Hefermehl/Bungeroth, aaO, § 182 AktG Rdn. 55; Wiedemann, Großkomm., § 182 AktG Anm. 7b; siehe auch RGZ 144, 138, 141 f. 58 Ebenso Zöllner, aaO, 2. Aufl., § 181 AktG Rdn. 27. 54 55

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beschlossenen Mindesthöhe möglich) – worüber der Vorstand naturgemäß der Hauptversammlung zu berichten hätte –, so müßte über den Fortbestand der geplanten Satzungsänderung und der Anweisung an den Vorstand erneut bestätigend beschlossen werden59. d) Von dem soeben angesprochenen Problem der Zeit abgesehen, geht es bei dieser Gestaltung vor allem um das Problem klarer Anweisungen an den Vorstand. Wären diese Anweisungen nämlich mit einem eigenen Entscheidungsermessen für den Vorstand verkoppelt, so läge in Wirklichkeit die Einräumung einer – unzulässigen – Zustimmungsbefugnis an den Vorstand vor60. Hier darf also die Zweigliedrigkeit des Vorgangs nicht dazu benutzt werden, um den Vorstand oder Aufsichtsrat auf dem Umweg über ein Ermessen, ob die Anmeldung bzw. NichtAnmeldung zum Handelsregister erfolgt, de facto über die Wirksamkeit bzw. Nicht-Wirksamkeit der beschlossenen Satzungsänderung entscheiden zu lassen. Nach § 83 Abs. 2 AktG hat der Vorstand die von der Hauptver- [317] sammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschlossenen Maßnahmen auszuführen; er ist reines Vollzugsorgan61; das schließt eine Zustimmungsbefugnis ebenso aus wie ein eigenes Handlungsermessen. Der Vorstand ist zur Anmeldung der beschlossenen Satzungsänderung verpflichtet (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AktG), es sei denn, die Hauptversammlung selbst habe ihm präzise andere Anweisungen erteilt. Auf diese Grenzziehung ist sorgfältig zu achten. Daher ist etwa eine Anweisung der Hauptversammlung, der Aufsichtsrat habe der Anmeldung der beschlossenen Satzungsänderung zum Handelsregister durch den Vorstand zuzustimmen, unzulässig; denn de facto würde hier der Aufsichtsrat nach freiem Ermessen über den Eintritt bzw. Nicht-Eintritt der rechtlichen Wirksamkeit der von der Hauptversammlung beschlossenen Satzungsänderung entscheiden. Und das wäre – siehe oben – eine unzulässige Delegation. V. „Voraussatzung“ und Publizität 1. Satzungen von Aktiengesellschaften bedürfen wie die Satzungen aller juristischen Personen des Privatrechts – von der GmbH bis zum Verein und zur Genossenschaft – der Eintragung im Register. Das hat Gründe der Legalitätskontrolle durch das Registergericht62, vor allem aber der Publizität. Denn Eintragungen im Register stehen jedermann zur Einsicht offen und wirken daher auch für und RGZ 85, 205, 207 für GmbH. So auch Zöllner, aaO, 2. Aufl., § 181 AktG Rdn. 27. 61 Vgl. dazu Mertens, Kölner Komm., 2. Aufl., § 83 AktG Rdn. 7 und Hefermehl, in Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 83 Rdn. 9. 62 Dazu Lutter, NJW 1969, 1875 f; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 21 ff. 59 60

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gegen jedermann, mithin und insbesondere auch gegenüber künftigen Gesellschaftern (Aktionären): diese müssen sich im Verhältnis zur Gesellschaft und ihren Mitgesellschaftern die Satzung so, wie sie dort eingetragen ist, entgegenhalten lassen – aber eben auch nicht mehr und nichts anderes63. Mit dieser klaren Position stehen alle eintragungsbedürftigen Beschlüsse in Widerspruch, die zwar wirksam gefaßt, aber noch nicht vollzogen, insbesondere noch nicht im Handelsregister eingetragen sind, während andererseits die Mitgliedschaft wechselt: In solchen Situationen hat der Erwerber praktisch keine Möglichkeit zur Information. Dennoch tritt keine Verfügungssperre ein, und auch der Börsenhandel nimmt ohne nähere Notiz davon seinen Fortgang; und schließlich muß sich der Erwerber die bestehende Beschlußlage zurechnen lassen, kann also nicht verlangen, daß die ihm jetzt zustehenden Stimmen gewissermaßen nach- [318] träglich vom Beschlußergebnis abgezogen oder den Stimmenthaltungen zugerechnet werden64. Dem Erwerber bleibt, einen Aufhebungsbeschluß nach den allgemeinen Regeln zu erreichen. Aber all das zeigt, daß dieser Schwebezustand nicht ad infinitum dauern kann: die Rechtsunsicherheit würde für zuviele Aktionäre zu groß. 2. Diese Überlegungen bestätigen noch einmal, daß satzungsändernde Beschlüsse einer Hauptversammlung im Regelfall spätestens bis zur nächsten Hauptversammlung eintragungsreif angemeldet sein müssen. Andernfalls bedürfen sie der Bestätigung durch diese neue Hauptversammlung. Ausnahmen von dieser Regel sind nur „gesetzliche“ Hindernisse wie der soeben erwähnte § 345 Abs. 2 AktG, aber auch sonstige Anfechtungen satzungsändernder Beschlüsse, bei denen es der Vorstand für richtig hält, die Entscheidung abzuwarten, ehe die Gefahr einer Löschung des Beschlusses nach seiner Eintragung im Handelsregister in Kauf genommen wird65. Diese Befugnis zu Wahrung 63 Vgl. nur Lutter, NJW 1969, 1875; K. Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl., § 13 S. 339 f; siehe oben Fn. 31. 64 Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 179 Rdn. 210. Das wird deutlich, wenn man an gesetzliche Bestimmungen denkt, die selbst den Vollzug auf gewisse Zeit verhindern, z. B. die heute viel diskutierte Vorschrift des § 345 Abs. 2 AktG: danach hat der Vorstand bei der Anmeldung einer Fusion zu erklären, daß die Beschlüsse der Hauptversammlung nicht angefochten sind; daraus folgt eine Art Anmelde- und Eintragungssperre auf die – oft lange – Dauer solcher Anfechtungsverfahren. Näher dazu BGH ZIP 1990, 985 m. Anm. Lutter, EWiR 2/90 zu § 345 AktG; in der Vorinstanz OLG Frankfurt, ZIP 1990, 509; Mertens, AG 1990, 49, 50; ders., JuS 1989, 857, 861; Hüffer, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 243 Rdn. 135; Schilling, Großkomm. AktG, § 345 Anm. 5; Zöllner, aaO, § 243 AktG Rdn. 40; K. Schmidt, GesR, § 28 IV 5 d, S. 657 f. 65 In der Sache Mauser AG hatte der Vorstand den angefochtenen Kapitalerhöhungsbeschluß zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet und der Registerrichter hatte eingetragen. Später wurde der Erhöhungsbeschluß nach Anfechtung vernichtet (LG Kassel, ZIP 1989, 306 m. Anm. Timm, EWiR 1/89 zu § 186 AktG). Wäre es in der Berufung nicht zu einem Vergleich unter den streitenden Aktionären gekommen (die AG war nur mittelbar Betroffene), die zur Rücknahme der Klage führte, so hätten die ausgegebenen, dann aber nichtigen Aktien von

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der rechtlichen Interessen der Gesellschaft und zur Vermeidung rechtlicher Risiken steht dem Vorstand auch im Rahmen seiner Ausführungspflicht nach § 83 Abs. 2 AktG gewiß zu66. So sollte er etwa von einer Anmeldung absehen, wenn ein Kapitalerhöhungsbeschluß angefochten und die vorgetragenen Mängel nicht ganz von der Hand zu weisen sind; denn bei Eintragung des Beschlusses und seiner späteren Vernichtung infolge wirksamer Anfechtung wären die Kapitalerhöhung und die darauf ausgegebenen Aktien nichtig!67 [319] Im übrigen aber bleibt es bei der hier betonten Regel und der Notwendigkeit, die Zeit der Unsicherheit zu minimieren. Das hat dann zur Folge, daß die soeben behandelten Anweisungen der Hauptversammlung an den Vorstand bezüglich der Voraussetzungen für die Anmeldung der beschlossenen Satzungsänderung nicht auf zeitlich uferlose Entwicklungen hin angelegt sein können. Sie würden sonst in noch sehr viel schwerwiegenderer Weise als eingetragene bedingte Satzungsklauseln den ahnungslosen neuen Aktionär etc. treffen: Im ersteren Falle wüßte er durch den Satzungstext wenigstens von der Existenz der Bedingung; im letzteren Falle wüßte er nichts vom Beschluß und wäre plötzlich einer für ihn schwerwiegenden Satzungsänderung ausgesetzt. Schon das zeigt, daß die oben angenommene Jahresfrist eine äußerste Frist ist, die in der Regel nicht ausgeschöpft werden darf. Die Gesellschaft würde sich sonst ihren neuen Aktionären gegenüber treuwidrig verhalten; denn für dieses Jahr besteht ja tatsächlich eine „heimliche“, für den Aktionär nicht erkennbare Satzungsänderung.

der Gesellschaft wieder „eingesammelt“ werden müssen: die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgeprobleme sind gar nicht auszumessen. 66 Mertens und Hefermehl, Fn. 61. 67 Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 191 AktG Rdn. 5; Wiedemann, Großkomm. AktG, § 191 Anm. 5.

Die Funktion der Gerichte im Binnenstreit von Kapitalgesellschaften – ein rechtsvergleichender Überblick – ZGR 1998, S. 191-211 Inhaltsübersicht* I. II. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2. V.

Vorbemerkung................................................................................................. 191 Zum Thema ..................................................................................................... 192 Die Rechtslage in verschiedenen Rechtsordnungen................................... 193 Großbritannien ......................................................................................... 193 USA ............................................................................................................ 200 Schweiz....................................................................................................... 203 Deutschland ............................................................................................... 206 Synthese und Ausblick.................................................................................... 209 Zusammenfassung .................................................................................... 209 Ausblick...................................................................................................... 210 Schluß ............................................................................................................... 211 I. Vorbemerkung

Herbert Wiedemann, zu dessen Ehren wir hier zusammengekommen sind, hat, wo immer es sich anbot, systematisch-übergreifende Fragen gestellt und diese möglichst rechtsvergleichend erörtert: Sein großer und vorzüglicher Abschnitt über Sanktionen des Minderheitenschutzes und insbesondere die Darstellung der Einzelklagebefugnis sind beispielhaft1. Ich will Herbert Wiedemann darin heute folgen und mich unter vielfachem Blick auf unsere Nachbarrechte induktiv und gerade nicht dogmatisch mit der Frage beschäftigen: Was ist die spezifische Funktion der Zivilgerichte im Recht der Kapitalgesellschaften? Eine ziemlich törichte * Anm. d. Hrsg.: Die Inhaltsübersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original. 1 WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 453 ff.

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Frage, mag mancher denken: es geht halt darum, Ansprüche einer Gesellschaft gegen Gesellschafter und Dritte durchzusetzen und umgekehrt. Gewiß, darüber würde es sich kaum lohnen nachzudenken. Mir aber geht es um den Binnenstreit, also um Auseinandersetzungen unter Gesellschaftern und zwischen Gesellschaftern und der Gesellschaft sowie der [192] Gesellschaft und ihren Organen. Welche spezifischen Wirkungen entfalten die Gerichte hier, in diesem Binnenbereich? Und damit das alles nicht gar zu abstrakt erscheint, will ich gerne bekennen, daß mich zu dieser Betrachtung nicht zuletzt die Tatsache angeregt hat, daß sich die englischen Gerichte mehr und mehr mit Fragen solcher Binnenkonflikte beschäftigen und die amerikanischen Gerichte mit ihrer Rechtsprechung zur duty of care von Direktoren2 einen beachtlichen Standard der Unternehmensführung durchgesetzt haben, während diese Funktion bei uns praktisch ausfällt. Aber das nur vorweg; wir sind noch lange nicht so weit. Beginnen wir mit den Konflikten. II. Zum Thema Es ist noch gar nicht so lange her, daß die deutschen Gerichte – wie heute noch die englischen – entschieden haben: Mehrheit ist Mehrheit und damit basta3. Es ist auch noch nicht lange her, daß Alfred Hueck, der Lehrer von Herbert Wiedemann, den Blick erstmals und systematisch auf Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gerichtet hat4. Heute sind diese Klagen von einer Bedeutung, mit der Alfred Hueck bestimmt nicht gerechnet hat. In anderen Rechtsordnungen ist davon wenig die Rede5; dafür sind die berühmten Klagen von Aktionären für die Gesellschaft und gegen Direktoren und Großaktionäre, die derivative suits in den USA ebenso Legion6 wie in der Schweiz die normale Haftungsklage der Gesellschaft gegen ihre Direktoren oder die Treuhandstelle7. Und in Großbritannien hat der Gesetzgeber der Companies Acts von 1948 und 1985 nicht etwa die berühmte majority-rule aus Foss v. Harbottle8 abge2 MERKT, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, S. 392 ff; HOPT, FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 921 f. 3 Foss v. Harbottle (1843) 2 Hare 461 = 67 ER 189 (Ch.D.) einerseits, RGZ 68, 235, 245 f. – Hibernia – andererseits. 4 A. HUECK, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924. 5 MARINA PLANK, Aktionärsklage im französischen und deutschen Recht unter Einbeziehung der neueren Rechtsentwicklung in Belgien, 1995. 6 MERKT, aaO (Fn. 2), S. 473 ff; COFFEE, in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider, Corporate Governance, 1996, S. 165 ff. 7 FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., 1987. 8 Siehe Fn. 3.

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schafft, sondern in den heutigen CA ss. 459-561 ein ganz neues Verfahren, das sogenannte oppression-Verfahren, erfunden, wonach [193] „A member of a company may apply to the court by petition for an order … on the ground that the company’s affairs are being or have been conducted in a manner which is unfairly prejudicial to the interests of its members…“9

ein Verfahren, das der heutige Lord Hoffmann, also einer der nur 12 Richter im House of Lords, wie folgt beschrieben hat: „Enabling the court in an appropriate case to outflank the rule in Foss v. Harbottle was one of the purposes of the section,“10

kurz: das Prinzip Mehrheit ist zu unterlaufen. Kein Wunder, daß diese Verfahren – jedenfalls nach englischen Verhältnissen – inzwischen ebenfalls Legion sind und zur Einführung eines eigenen Companies Court als Teil der Chancery Division geführt hat. Alle diese Dinge von der normalen Haftungsklage nach § 93 AktG über die derivative suit bis zum englischen oppression-Verfahren spielen nun wiederum bei uns keine Rolle. Soweit mein kurzer Blick über die Landschaft. Was mich wirklich interessiert und womit ich mich in den nächsten Abschnitten beschäftigen will, ist die Frage: Was leisten diese Verfahren für das Recht der Kapitalgesellschaften und insbesondere die Kontrolle ihrer Geschäftsführung. III. Die Rechtslage in verschiedenen Rechtsordnungen 1. Großbritannien a) In England gibt es, gemessen an der Zahl der Einwohner, deutlich mehr rechtsfähige und inkorporierte Gesellschaften: Etwa 100 000 public limited companies (plc, AG) und etwa 1 000 000 Private Companies (PrC). Da die Struktur der englischen Gesellschaft und Wirtschaft der deutschen sehr ähnlich ist, gibt es also – absolut und relativ gesehen – noch viel mehr kleine plc’s und vor allem kleine PrC’s als bei uns. Nicht ohne Grund hat England die Regeln zum Mindestkapital, seine Aufbringung und Erhaltung für die PrC nicht übernommen: Noch immer kann man in England eine GmbH mit zwei Pfund gründen und neuerdings, seit die Ein-Personen-Gründung europaweit etabliert ist, langt eben ein Pfund. Damit entstehen die typischen, personell geprägten Schwierigkeiten, die

9 Die Vorschrift ist derzeit erneut Gegenstand von legislativen Überlegungen, vor allem wegen der sehr hohen Kosten, vgl. Shareholder Remedies – A Consultation Paper, Law Commission, London, Consultation Paper No. 142 (1996). 10 Re D. Harrison & Sons plc. (1994) BCC 475, 488/489.

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uns vor allem bei OHG und KG beschäftigen, dort in der PrC, aber durchaus auch in der plc: [194] daß die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer einander nicht mehr riechen können und wechselseitig aus der Geschäftsführung und möglichst auch aus der Gesellschaft entfernen wollen; daß der überlebende Partner alles daransetzt, die Erben des verstorbenen Partners am Eintritt in die Gesellschaft zu hindern; daß die Kinder, wenn sie schon Gesellschafter geworden sind, jedenfalls von der Geschäftsführung ausgeschlossen sein sollen; daß der eine wohlig und in Freuden von Gehalt, Auto und Tantiemen lebt, der andere aber vergeblich auf Dividende wartet, etc., etc. In Deutschland führt das zu höchst unterschiedlichen und zum Teil auch ungeklärten Verfahren: Zur Anfechtungs- oder Feststellungsklage bei der Abberufung und beim negativen Dividendenbeschluß, zur Gestaltungsklage beim Rausschmiß, zur Leistungsklage aus Treupflicht bei Aufnahme der Kinder in die Gesellschaft, zur Klage auf Schadensersatz, wo sich der andere aus dem Gesellschaftsvermögen bereichert hat, etc. Von der Fülle der Verfahren und den mit ihnen vielfach verbundenen Unsicherheiten einmal abgesehen, führen viele auch gar nicht zu einer wirklichen Lösung; das gilt vor allem für die Anfechtungsklage und die Nichtigkeits-Feststellungsklage; nach Abschluß dieser Verfahren wissen die Beteiligten nur: So ging es damals vor drei, fünf oder sieben Jahren also nicht. Aber was gilt heute und wie kommen wir heute aus dem dead lock heraus? b) Hier setzt der große Vorteil der englischen Verfahren an. Der Kläger muß nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, worin der unfair conduct of the company’s affairs liegt, er kann auch Vorstellungen vortragen, wodurch das Problem gelöst werden könnte, er muß aber keinen konkreten Antrag stellen, welche Entscheidung er vom Gericht erhofft. Darin ist das Gericht frei und entscheidet nach seinem Ermessen, wobei nicht nur die Gesellschaft, sondern auch ein anderer Gesellschafter, insbesondere der Mehrheitsgesellschafter vom Gericht angesprochen werden kann (und wird!). Man erkennt das ganz genau am Wortlaut von CA s. 461: „(1) If the court is satisfied that a petition … is well founded, it may make such order as it thinks fit for giving relief in respect of the matters complained of. (2) Without prejudice to the generality of subsection (1), the court’s order may (a) regulate the conduct of the company’s affairs in the future, (b) require the company to refrain from doing or continuing an act complained of by the petitioner or to do an act which the petitioner has complained it has omitted to do, (c) authorise civil proceedings to the brought in the name and on behalf of the company by such person or persons and on such terms as the court may direct, (d) provide for the purchase of the shares of any members of the company by other members or by the company itself, the reduction of the company’s capital accordingly.“ [195]

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Also: „It may make such order as it thinks fit for giving relief in respect of the matters complained of“, und dann kommen – „without prejudice to the generality“ des Abs. 1 – Beispiele, wobei das erste wieder ganz weit ist: „regulate the conduct of the company’s affairs in the future“11. An dem ersten Absatz der Norm erkennt man deutlich, daß es dem Gesetz vor allem um eine möglichst fruchtbare Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Verhältnisse in der Zukunft geht. Darüber besteht in Rechtsprechung und Lehre Einigkeit. c) Ich will das an einigen Beispielen aus der Rechtsprechung deutlich machen: aa) Häufig ist die Minderheit der Auffassung, der von der Mehrheit gestellte Geschäftsführer sei hoffnungslos inkompetent; eine Abberufung aber scheitert an den Mehrheitsverhältnissen. Also beantragt der Minderheitsgesellschafter unter CA s. 459 dessen Abberufung durch das Gericht. Nun gilt auch in Großbritannien seit eh und je das, was wir heute in Anlehnung an unsere amerikanischen Freunde die business judgement rule nennen und was Lord Justice Scrutton bereits 1927 in die Worte gekleidet hat: „It is not the business of the Court to manage the affairs of the company“12.

Und Lord Wilberforce hat das 50 Jahre später ähnlich gesagt13: „… nor will Courts of law assume to act as a kind of supervisory board…“

Obwohl das also fraglos gilt, wurde im Fall Elgindata14 doch gesagt: „in an appropriate case it is open to the court to find that serious mismanagement of a company’s business could constitute a conduct that is unfairly prejudicial to the interests of minority shareholders“

und that unfair prejudice might be found where the „majority shareholders for reasons of their own, persisted in retaining in charge of a company’s business a member of their company who was demonstrably incompetent“.

Kurz: Auf Klage, ja vielleicht besser: Beschwerde eines Minderheitsgesellschafters kann ein offenbar unfähiger Geschäftsführer und erst recht einer,

11 In der den englischen Richtern eigenen sehr plastischen Sprache hat das MUMMERY J. in Re a Company, (1990) BCC 221, 227 eindrucksvoll deutlich gemacht: „Under s. 459-461 the court is not, therefore, faced with a death sentence decision dependent on establishing just and equitable grounds for such a decision. A court is more in the position of a medical practitioner presented with a patient who is alleged to be suffering from one or more ailments which can be treated by an appropriate remedy applied during the course of the continuing life of the company“. 12 Shuttleworth v. Cox Brothers And Company (Maidenhead) Ltd. (1927) 2 KB 9,23. 13 Howard Smith Ltd. v. Ampol Petroleums Ltd. (1974) AC 821, 832. 14 Re Elgindata Ltd. (1991) BCLC 959 (Ch.D.).

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der [196] sich bereichert oder die Gesellschaft sehr geschädigt hat, vom Gericht abberufen werden. ARAG läßt grüßen. bb) Sehr häufig gehen die Partner einer solchen Gesellschaft davon aus, daß sie beide gleichermaßen in der Geschäftsführung mitwirken. Dann leben sich die Partner in ihren geschäftlichen Vorstellungen auseinander, der eine resigniert und überläßt dem anderen die alleinige Geschäftsführung, ist mit dieser aber ganz und gar nicht einverstanden. Alle Teile verbrauchen viel Kraft und Nerven mit wechselseitigen Beschuldigungen, mangelnder Information und Beteiligung an Entscheidungen etc. Hier verpflichtet das Gericht den aktiven Partner, dem passiv Gewordenen seine Geschäftsanteile oder Aktien zu einem von einem Sachverständigen festgestellten fairen Preis abzukaufen15. cc) Ein vorläufig letzter Fall erscheint besonders interessant. Die Gesellschaft hatte ihren wirtschaftlichen Höhepunkt ersichtlich überschritten: Schreibmaschinen werden halt kaum mehr gekauft. Allerdings: Es wurde immer noch so viel verdient, daß die Gehälter und insbesondere die der Gesellschafter-Geschäftsführer gezahlt werden konnten; seit Jahren aber erhielt die Minderheit auf ihr Investment keinen Pfennig mehr und mußte eher fürchten, im Laufe der Zeit auch dieses Investment zu verlieren. Bis dahin hatten es die Gerichte trotz flexibler Formulierungen im Insolvency Act abgelehnt, eine verlustreiche, aber eben nicht insolvente Gesellschaft aufzulösen. Jetzt wurde genau das entschieden, allerdings mit größter Vorsicht und in zwei Instanzen mit unterschiedlichem Ergebnis. Der Richter erster Instanz, Justice Vinelott, formulierte16: „… But it is not sufficient simply to allege that a company is making a loss or insufficient profits and that there is no real prospect that it will make a profit or a sufficient profit in the future. There must be some evidence which, if substantiated at the trial, could found the inference that the directors’ decision to continue to trade was influenced by self-interest“

und nahm dann an, „that no reasonable board of directors mindful of their duty to the company and its members could have decided that it was in the interests of the company and its members that it should continue to trade“. [197] 15 In sehr vielen Fällen geht es um den Preis, den die Mehrheit bzw. die Gesellschaft für den vom Gericht angeordneten Aufkauf der Anteile der klagenden Minderheit zahlen muß. Dabei wird in aller Regel ein „fairer Preis“ festgelegt und ein Sachverständiger bestellt, der diesen dann festzustellen hat. Dabei wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß ein Abschlag für die Minderheitsposition erfolgt. Vgl. etwa die Argumente in Virdi v. Abbey Leisure Ltd. (1990) BCLC 342 (House of Lords). Im übrigen kann es in Fällen besonders krasser Unfairness durchaus vorkommen, daß das Gericht die Mehrheit verpflichtet, ihre shares der Minderheit anzubieten; vgl. den „saftigen“ Fall Re Brenfield Squash Rackets Club Ltd. (1996) 2 BCLC 184. 16 Re A Company ex parte Burr (1992) BCLC 724, 731.

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Die 2. Instanz sah das anders17 und nahm an „that there was no evidence of unfairly prejudicial conduct“. Die 1. Instanz hatte eine ungemein wichtige wirtschaftliche Entscheidung getroffen: Die Minderheit hätte das unproduktiv gewordene Investment aus der Gesellschaft lösen und zugleich die ersichtlich große Gefahr künftiger Verluste durch Insolvenz bannen können. Aber vielleicht war der Schritt gerichtlicher Einmischung der 1. Instanz zu groß: Jedenfalls handelt es sich um einen Grenzfall. d) Der schwierigste Aspekt und zugleich der für unsere Überlegungen – Kontrolle der Gerichte – wichtigste ist die Frage, was unter „unfairly prejudicial“ zu verstehen ist. aa) Die frühere Formulierung in der alten s. 210 des Companies Act von 1948 hatte den Gedanken nahegelegt, es gehe (nur) um „unlawful“, also gesetzwidrig. Deswegen, so nahm man an, war s. 210 lettre morte geblieben. Und deswegen besteht Einigkeit, daß die heutige Formulierung bewußt und betont über „unlawful“ hinausgeht18. bb) Dann aber wird es schwierig, was ist „unfair“, was „prejudicial“, wenn es in concreto nicht um eine Rechtsverletzung und mithin nicht um einen Schaden im Rechtssinne geht19? Geht es nur um die Meinung der Gerichte oder läßt sich die Frage objektivieren? Die Gerichte haben die Gefahr erkannt, daß hier eine Büchse der Pandora vor ihnen liegt, und haben sich sehr um Zurückhaltung und Objektivierung bemüht. aaa) Dabei ist der Aspekt „prejudicial“ nicht sonderlich hilfreich. Da es nicht nur und nicht einmal in erster Linie um einen rechtlichen Schaden geht, muß jeder Nachteil ausreichen20. Und so wird es auch verstanden: Keine Dividende, keine Position in der Geschäftsführung, keine Zustimmung zur Übertragung der shares kann alles für den Betroffenen „prejudicial“ sein. Aber ein solcher Nachteil muß vorliegen; „unfairness“ allein genügt nicht21. Unser Kontrollaspekt verwirk-

Re Saul D. Harrison plc (1994) BCC 475. Virdi v. Abbey Leisure Ltd. (1990) BCLC 342; GOWER/DAVIES, Principles of Modern Company Law, 6. Aufl., 1997, S. 735 ff. mit allen Nachw.; vgl. weiter PRENTICE, Oxford Journal of Legal Studies 8 (1988), 55 ff.; DERS., Protecting Minority Shareholder’s Interest, in: Corporate and Commercial Law: Modern Developments, 1996, S. 79 ff.; RILEY, The Modern Law Review 55 (1992), 782 ff. 19 Ebrahimi v. Westbourne Galleries Ltd. and others (1972) 2 All ER 492 (House of Lords); sowie RILEY, The Modern Law Review 55 (1992), 793-794 mit den Nachw. dort Fn. 44; GOWER/DAVIES, aaO (Fn. 18), S. 737 ff. 20 Re Ringtower Holdings plc (1989) 5 BCC 82,90 (Peter Gibson J.); PRENTICE, Oxford Journal of Legal Studies 8 (1988), 66; RILEY, The Modern Law Review 55 (1992), 793 f. 21 PRENTICE, Oxford Journal of Legal Studies 8 (1988), 79 f. 17 18

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licht sich also nicht per se, sondern nur im Kontext eines konkreten Nachteils der betroffenen Minderheit. [198] bbb) Was ist dann also als „unfair“ anzusehen? Sicher die Verletzung der Rechte des Klägers aus Gesetz und Satzung, aber ebenso sicher nicht nur das22. Sicher auch kommt es auf die Absicht und den Willen des Handelnden nicht an23. Maßgebend ist vielmehr eine objektive Sicht. Ob dazu die Figur des „reasonable bystander“, also des neutralen Dritten hilfreich sein kann, wie Justice Slade24 meint, erscheint mir eher zweifelhaft: Das Gericht selbst ist neutral und muß sowieso selbst entscheiden. Was also ist „unfair“ dann? Die Antwort ist klar und für einen deutschen Juristen nicht überraschend: Es gibt keine Antwort. Denn wie man Treu und Glauben nicht definieren kann, so kann man auch „unfairness“ nicht mit einer Formel umschreiben, die auch nur die meisten Fälle erfassen würde. Man ist sich daher einig, daß es auf den konkreten Einzelfall ankommt. Und hier herrscht wiederum Einigkeit, daß vor allem fünf Fälle in Betracht zu ziehen sind: (1) Offensichtliches Mismanagement25; (2) Offensichtliche Unfähigkeit von einzelnen Geschäftsführern26; (3) Überhöhte Gehälter27; (4) Gründung einer eigenen Gesellschaft durch die Mehrheit und Verlagerung der Geschäfte dorthin28; (5) Enttäuschung berechtigter Erwartungen29.

PRENTICE, Oxford Journal of Legal Studies 8 (1988), 66. PRENTICE, Oxford Journal of Legal Studies 8 (1988), 78. 24 SLADE J. und HOFFMANN J. in: Re R.A. Noble & Sons (Clothing) Ltd. (1983) BCLC 273 at 290/291: „The test of unfairness must, I think, be an objective, not a subjective, one. In other words it is not necessary for the petitioner to show that the persons who have had de facto control of the company have acted as they did in the conscious knowledge that this was unfair to the petitioner or that they were acting in bad faith; the test, I think, is whether a reasonable bystander observing the consequences of their conduct, would regard it as having unfairly prejudiced the petitioner’s interests“. 25 Re Elgindata Ltd. (1991) BCLC 959, 993; Re Macro (Ipswich) Ltd. (1994) 2 BCLC 354, 405; Re FIVE MINUTE CAR WASH SERVICE Ltd. (1966) 1 All ER 242. 26 Re Elgindata Ltd. (1991) BCLC 959, 994; und Re Macro (lpswich) Ltd. (1994) 2 BCLC 354, 406. 27 Re Cumana Ltd. (1986) BCLC 430 (C.A.). 28 Re Stuart (Brixton) Ltd. (1985) BCLC 4; Re Brenfield Squash Rackets Club Ltd. (1996) 2 BCLC 184. 29 Ebrahimi v. Westbourne Galleries Ltd. (1972) 2 All ER 492, 511/512 (LORD WILBERFORCE); ebenso JUSTICE HOFFMANN in Re a Company (1986) BCLC 376, 379/380 und JUSTICE VINELOTT in Re Blue Arrow Plc (1987) BCLC 585; siehe auch Re Cumana Ltd. (1986) BCLC 430, 432; und Guinlan v. Essex Hinge Co Ltd. (1996) 2 BCLC 417. 22 23

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Beim 5. Aspekt geht es um reinen Minderheitenschutz: Die Partner einer personalistischen Gesellschaft hatten sich unter für sie selbstverständlichen Annahmen zusammengefunden, diese aber nicht in die Satzung aufgenommen, [199] daß jeder von ihnen in der Geschäftsführung mitwirkt (also weder beliebig abberufen werden noch beliebig niederlegen kann); daß man einverständlich zusammenwirkt (also den Partner nicht vor vollendete Tatsachen stellt); daß man von den Gehältern und Dividenden ordentlich leben können muß (also kein squeeze out betreibt); etc. Die Einzelheiten interessieren hier nicht. Von großer Bedeutung aber ist der Aspekt, daß die Gerichte eben doch bereit sind, sich mit der Geschäftsführung zu beschäftigen: Ist das Mismanagement mit Händen zu greifen oder ist die Inkompetenz eines Managers offenbar und wird dieser Zustand von der Mehrheit offensichtlich nur gedeckt, weil Familien- oder Freundesinteressen dahinterstehen, jedenfalls kein vernünftiger Grund ersichtlich ist, es bei dieser Lage zu belassen, dann liegt „unfairness“ zu Lasten von Gesellschaft und Minderheit vor. Hier wirken die Gerichte also barer Unvernunft in der Geschäftsführung entgegen, ohne doch die Grundidee der business judgement rule zu verletzen: Sie setzen nicht ihre Vorstellungen von Geschäftsführung durch, sondern sagen nur: So geht es nun wirklich nicht. Das gleiche gilt, wenn sich die Mehrheit, die gleichzeitig Geschäftsführer ist oder den Geschäftsführer stellt, wesentlich überhöhte Gehälter zubilligt und so den Gewinn der Gesellschaft zu Lasten der Minderheit absaugt: Hier mischen sich Fragen der Kontrolle der Geschäftsführung mit denen zum Schutz der Minderheit. Über den Fall der Geschäftsverlagerung auf eine von der Mehrheit neugegründete Gesellschaft brauchen wir nicht weiter zu reden, außer daß die Mehrheit einer erfolgreichen Gesellschaft eben auf der ganzen Welt den Erfolg ungern mit der Minderheit teilt30. Wichtig ist schließlich, daß die Gerichte keineswegs nur statutarische Positionen berücksichtigen, sondern bewußt und betont „berechtigte Erwartungen“ eines Gesellschafters in ihre Überlegungen einbeziehen, berechtigte Erwartungen, die sich vor allem im Fortgang der Zeit und im praktischen Zusammenleben der Gesellschafter entwickeln31. Damit berücksichtigen die englischen Gerichte hier

Vgl. den wenig schönen Fall BGHZ 89, 162 (Heumann-Ogilvy); und dazu WIEDEZGR 1986, 163 ff. 31 Vgl. die Nachw. in Fn. 29 sowie Re Saul D. Harrison + Sons plc (1995) 1 BCLC 14, 19 (HOFFMANN L. J.) und GOWER/DAVIES, aaO (Fn. 18), S. 742 ff; PRENTICE, Oxford Journal of Legal Studies 8 (1988), 73 f. 30

MANN/HIRTE,

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die gleichen Aspekte, die bei uns unter „Treupflicht“ erörtert und entschieden werden32. [200] e) Im Anschluß daran noch ein letzter Fall: Drei Gesellschafter hatten zum Betrieb einer Nachtbar eine plc gegründet. Nach einem Jahr wurde die Bar mit gutem Profit verkauft. Nun ging es um den Batzen Geld: Der Kläger wollte Auflösung und Teilung, die beiden anderen wollten auf die Suche nach einem neuen business gehen. Um das Auflösungsbegehren des Klägers zu vermeiden, boten die Beklagten dem Kläger den Erwerb seiner Anteile zu einem fairen Preis an; der Kläger lehnte ab. Justice Hoffmann wies seine Klage auf Auflösung und Liquidation der Gesellschaft ab, da das Begehren des Klägers im Hinblick auf das Angebot der Beklagten „unreasonable“ sei33. Die beiden Richter des Court of Appeal waren anderer Meinung: In ein neues wirtschaftliches Unternehmen könne man den Kläger gewiß nicht zwingen; und das Angebot fairer Abfindung belaste den Kläger mit dem Risiko, was der Sachverständige als fair ansehe; bei der Auflösung aber werde schlicht der Topf geteilt34. f) Das zuletzt genannte Urteil zur Liquidation gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß in dem neuen Insolvency Act von 1986 ein ganz altes gesellschaftsrechtliches Instrument aufgenommen worden ist, nämlich die Auflösungsklage: s. 122 (1) (g) dieses Acts bestimmt nämlich, daß das Gericht die Gesellschaft auflösen kann, wenn es gerecht und angemessen – just and equitable – erscheint. Es liegt auf der Hand, daß sich Literatur und Rechtsprechung35 mit dem Verhältnis der beiden Normen – CA ss. 459-461 und s. 122 (1) (g) Ins. Act – beschäftigen müssen. Da die Möglichkeit der Auflösung auch unter die orders nach CA s. 461 fällt, müsste man fast annehmen, daß s. 122 von s. 461 konsumiert wird. So weit gehen die englischen Gerichte und Autoren nicht, nehmen aber an, daß die Auflösungsklage nur zulässig ist, wenn die Lösung zuvor über CA ss. 459-461 gesucht worden ist. In der Schweiz sind, wie unten dargestellt wird36, beide Aspekte heute in einer Norm verbunden. Ich muß gestehen: Ich bin beeindruckt. Aus eigener Erfahrung habe ich Ergebnisse dieser Art nur vor Schiedsgerichten erlebt, bei denen die Klage ja auch häufig nur der Anlaß ist, mit Hilfe des Schiedsgerichts zu einer zukunftsgerichteten neuen Ordnung zu kommen.

32

(1998).

Vgl. etwa BGH DStR 1994, 214 mit Anm. GOETTE; und dazu LUTTER, ZHR 162

Re Abbey Leisure Ltd. (1989) BCLC 619. Virdi v. Abbey Leisure Ltd. (1990) BCLC 342. 35 GOWER/DAVIES, aaO (Fn. 18), S. 749 ff. mit Nachw. aus der Rspr. und Lit. 36 Unten sub III.3. 33 34

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2. USA a) Gewiß die meisten Erfahrungen – gute und weniger gute – mit gerichtlichen Verfahren über interne Konflikte in Kapitalgesellschaften haben unsere [201] amerikanischen Freunde. Unsere Anfechtungsklagen spielen dort keine Rolle und Verfahren nach Art der englischen sind unbekannt. Dafür ist die Haftungsklage von Aktionären für die Gesellschaft und gegen Direktoren, leitende Angestellte und – seltener – Großaktionäre, die berühmte derivative suit von herausragender Bedeutung37. Übrigens: Sie wurde nicht in den USA erfunden, sondern – wie man auch bei Wiedemann lesen kann38 – in Großbritannien und heißt dort derivative action, hat aber wegen der sehr restriktiven Handhabung der Gerichte dort nur geringe Relevanz erlangt39. Der Konflikt dreht sich hier ganz und gar um die Frage, ob das Management der Gesellschaft und mithin mittelbar dem Vermögen des Klägers Schaden zugefügt hat. Es geht also klar um nachträgliche Kontrolle des Managements unter vor allem zwei Aspekten: der Verhinderung von Selbstbedienung in allen ihren Varianten: hier steht die Gefahr unredlichen Verhaltens von Mitgliedern des Managements im Zentrum; der Sorgfalt bei der Geschäftsführung unter den beiden Aspekten: Schlamperei und völlig unvertretbare Entscheidung. Der erste Aspekt, die Selbstbedienung, wie ich sehr verkürzt sage, spielt in den USA eine sehr große Rolle40. Hier scheint sich das Fehlen eines Aufsichtsrats doch deutlich bemerkbar zu machen, wie die relativ wenigen deutschen Fälle zeigen, wo der Aufsichtsrat praktisch nicht existent war oder nicht aufgepasst hat. Ich muß nur an die scheußlichen Fälle Neue Heimat41 und Co-op42 erinnern und an den auch nicht sehr schönen Fall des Vorstandsvorsitzenden Dieter von Mannesmann43. Man bedenke: Weder bei der Neuen Heimat noch bei Co-op noch bei 37 Die Bedeutung der derivative suit für die Entwicklung der corporate governance in den USA wurde umfangreich diskutiert, als die „Erfindung“ der Special Litigation Committees dieser den Boden zu entziehen drohte: DENT, 75 Nw. U.L. Rev. 96 (1980); COFFEE/ SCHWARTZ, 81 Colum. L. Rev. 261 (1983). 38 WIEDEMANN, aaO (Fn. 1), S. 457. 39 GOWER/DAVIES, aaO (Fn. 18), S. 658 ff., 670 ff. 40 Noch 1968 stellte Joseph Bishop fest, daß es nahezu keine Verurteilungen von Directors gebe, in denen nicht Interessenkonflikte eine Rolle gespielt hätten: „The search for cases in which directors of industrial corporations have been held liable in derivative suits for negligence uncomplicated by self-dealing is a search for a very small number of needles in a very large haystack“. BISHOP, 77 Yale L. Rev. 1078, 1099 (1968). 41 Der Spiegel, Heft 6/1982 und Heft 20/1982. 42 Der Spiegel, Heft 1/1989, S. 76; Handelsblatt vom 19. 9. 1989, S. 16. 43 Der Spiegel, Heft 24/1994, S. 96 und Heft 27/1995, S. 91; Börsenzeitung vom 23. 6. 1995.

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Mannesmann gab es eine Schadensersatzklage des Aufsichtsrats – nur der Konkursverwalter von Co-op hat da gewisse Anstrengun- [202] gen unternommen. Als Folge des ARAG-Urteils44, das die Pflicht des Aufsichtsrats zur Geltendmachung von etwaigen Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand betont, mag sich das vielleicht ändern; Grund zur Skepsis aber bleibt. Da die amerikanischen Gerichte bei self-dealing-Fällen sehr streng sind, hat hier die derivative suit und die Möglichkeit, durch Aktionäre die Gerichte einzuschalten, auch einen gewissen Abschreckungseffekt: Wenn das problematische Verhalten bekannt wird, ist der Prozeß meist gewonnen45. Im übrigen nehmen die amerikanischen Gerichte diese Fälle auch sehr viel ernster und behandeln sie strenger als die Fälle behaupteter Mängel in der Geschäftsführung. Das entspricht der nahezu unwidersprochenen Sicht, daß die Direktoren Treuhänder der Aktionäre sind; und es wird an zwei Aspekten deutlich: Zum einen muß der klagende Aktionär an sich zuvor den board of directors der Gesellschaft auffordern, seinerseits den behaupteten Interessenverstoß zu regeln bzw. Klage zu erheben (das sogenannte demand-Erfordernis)46; es entfällt aber, wenn – wie hier fast regelmäßig – die board-Mehrheit selbst involviert oder vom Beklagten – meist dem CEO – abhängig ist: hier kann sofort geklagt werden47; zum anderen kommen dem Beklagten in solchen Fällen und bei Erörterung der Hauptsache nicht die Vorteile der business-judgement-rule zugute, sondern das Gericht prüft seinerseits die Angemessenheit des fraglichen Geschäfts voll durch48. b) Sehr gewichtig unter dem Aspekt der Kontrolle der Unternehmensführung sind die Schadensersatzklagen wegen unsorgfältiger Geschäftsführung. Denn diese zu verhindern ist ja bei uns gerade die Aufgabe des Aufsichtsrates; der Aufsichtsrat in Deutschland könnte also aus der reichen amerikanischen Rechtsprechung lernen, wo die Fehlerquellen in der Geschäftsführung liegen. Da wir BGH NJW 1997, 1926; und dazu GÖTZ, NJW 1997, 3275. Dies hängt damit zusammen, daß die Business Judgement Rule auf self-dealing-Fälle nicht anwendbar ist. Dies ist für den Prozeß regelmäßig außerordentlich bedeutsam: „Because the effect of the proper invocation to the business judgement rule is so powerful and the standard of entire fairness so exacting, the determination of the appropriate standard of judicial review frequently is determinative of the outcome of derivative litigation“. AC Acquisition v. Anderson, Clayton & Co., 519 A.2d 103, 111 (Del.Ch. 1986). 46 Vgl. Federal Rules of Civil Procedure 23.1; California Corporations Code § 800(b)(2); Delaware Chancery Court Rules 23.1; New York Business Corporation Law § 626(c). 47 Kamen v. Kemper Financial Services Inc., 111 S.Ct. 1711 (1991); Aronson v.Lewis, 473 A.2d 805 (Del. 1984). 48 Smith v. Van Gorkom, 488 A.2d 858 (Del. 1985); Cede v. Technicolor, Inc., 634 A.2d 345 (Del. 1993). 44 45

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aber trotz des Aufsichtsrates auch unsere Unglücksfälle haben – von IBH über Klöckner und von VW bis MG – ist die Aufsicht des Aufsichtsrats [203] offenbar doch allein nicht ausreichend. Die amerikanische derivative suit mag für die betroffene Gesellschaft gewiß ärgerlich, teuer und störend sein, aber die damit geklärten und von den Gerichten gesetzten und durchgesetzten Standards sind beachtlich. Man braucht nicht gleich an Fälle wie Abrams v. Koether49 zu denken, wo das Gericht von Bedingungen eines Geschäftes gesprochen hat, die „so unangemessen sind, daß niemand mit normalem unternehmerischem Urteilsvermögen ihnen zustimmen würde“,

um die Nützlichkeit dieser gerichtlichen Kontrolle zu erkennen50. Wichtiger ist, daß die Gerichte auf einer sorgfältig vorbereiteten und von Eigeninteressen der Vorstandsmitglieder freien Entscheidung bestehen51. Auch das kann man doch nur begrüßen. 3. Schweiz Die Schweiz hat ihr Aktienrecht erst jüngst reformiert, hat sehr lange darüber beraten und hat im Ergebnis die schon bislang reichhaltig bestehenden Möglichkeiten, die Gerichte in innergesellschaftliche Konflikte einzuschalten, noch einmal ausgeweitet: a) Wie bei uns gibt es das Individualrecht jedes Aktionärs, einen Hauptversammlungsbeschluß als gesetz- oder satzungswidrig anzufechten, Art. 706, 706a OR. Und von dieser Möglichkeit wird vielfältig Gebrauch gemacht, übrigens auch und gerade beim Ausschluß des Bezugsrechts. Allerdings handelt es sich bei diesem Anfechtungsrecht der Schweiz nur um ein Schutzrecht zugunsten der Minderheit, nicht wie bei uns um ein allgemeines Kontrollrecht: Der Aktionär ist nur klageberechtigt, wenn durch die Verletzung von Gesetz oder Satzung die Rechte der Aktionäre allgemein oder einzelner von ihnen durch den Beschluß nachteilig betroffen sind: ein Fehler bei der Einladung als solcher trägt die Anfechtung also nicht52.

1992 D.S. Dist. Lexis 16295. Ähnlich schon früher: Gimbel v. Signal Companies, Inc., 316 A.2d 599 (Del. Ch. 1974); Meyers v. Moody, 693 F.2d 1196 (5th Cir. 1982). 51 Leading case zur sorgfältig vorbereiteten Entscheidung ist Smith v. Van Gorkom, 488 A.2d 872 (Del. 1985); zur Freiheit von Interessenkonflikten vgl. Kahn v. Lynch Communication Systems, 638 A.2d 1110 (DeI. 1994). 52 BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl. 1996, S. 1005; FORSTMOSER/MEIERHAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, S. 247 ff., 250. Vgl. auch Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 OR. 49 50

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b) Zusätzlich steht jedem Aktionär die Befugnis zu, durch ein Einspruchsverfahren und ohne Begründung die Eintragung im Handelsregister zu blockieren53, wobei die Blockade durch das Gericht beseitigt werden kann. Hier wird [204] also die bei uns für Umwandlungen geltende Rechtslage auf alle eintragungsbedürftigen Beschlüsse ausgedehnt. Böckli54 schreibt dazu: „Diese Nichteintragung zufolge Einspruchs hat weittragende psychologische Wirkung im Sinne einer öffentlichen Infragestellung der Legitimität des Generalversammlungsbeschlusses; sie bedeutet damit im ausgebrochenen Kampf eine – in dieser Art sonst im Gesellschaftsrecht unbekannte – scharfe Waffe der Opposition. Ist einmal … blockiert, so neigt der Richter im summarischen Verfahren um die Aufrechterhaltung der Eintragungssperre viel eher dazu, die Dinge vorerst einmal zu belassen, wie sie sind, als daß er die Eintragung vor dem Vorliegen des materiellen Entscheids nun aus eigener Initiative freigeben würde…“.

c) Darüber hinaus gibt es das Sonderprüfungsrecht als Minderheitenrecht (10%); es ist weitgehend dem deutschen Recht nachgebildet55. d) Vor allem aber ist nicht nur die Gesellschaft selbst, sondern jeder Aktionär individuell berechtigt, gegen jedes Mitglied des Verwaltungsrats, gegen jeden delegierten Direktor und gegen die sogenannte Treuhandstelle – eine Mischung aus Abschlußprüfer und Aufsichtsrat – mit der sogenannten Verantwortlichkeitsklage auf Leistung von Schadensersatz an die Gesellschaft zu klagen56. Und diese Klagebefugnis ist – anders als in den USA – nicht etwa nachrangig im Verhältnis zur primären Klagebefugnis der Gesellschaft, sondern steht selbständig neben ihr. Deshalb gibt es in der Schweiz eine reiche obergerichtliche Rechtsprechung zu den Standards ordnungsgemäßer Geschäftsführung: Wer immer sich bei uns Gedanken zu den §§ 93 AktG und 43 GmbHG machen muß, findet hier das denkbar beste Anschauungsmaterial. Anders gewendet: Die Schweiz setzt hier die Gerichte bewußt und gezielt ein, um einen vergleichsweise hohen Standard57 bei der Verwaltung von Gesellschaften ohne persönliche Haftung ihrer Gesellschafter sicherzustellen58. e) Aber damit noch nicht genug. Das Schweizer Recht kannte und kennt als Minderheitenrecht (10%) seit eh und je und ähnlich dem englischen Recht auch Art. 32 Abs. 2 der Handelsregister-Verordnung von 1992. BÖCKLI, aaO (Fn. 52), S. 1009 f. 55 FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO (Fn. 52), S. 401 ff. 56 Art. 756 Abs. 1 OR lautet: „Neben der Gesellschaft sind auch die einzelnen Aktionäre berechtigt, den der Gesellschaft verursachten Schaden einzuklagen“. Dazu vor allem FORSTMOSER, aaO (Fn. 7); vgl. weiter GUHL/KUMMER/DRUEY, Das schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl., 1991, S. 703 ff.; BÖCKLI, aaO (Fn. 52), S. 1088 ff. 57 Dabei beklagen einige Autoren sogar den von den Gerichten postulierten zu hohen Standard; vgl. etwa BÖCKLI, aaO (Fn. 52), S. 1092 ff. 58 FORSTMOSER, aaO (Fn. 7), Rdn. 772 ff.; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO (Fn. 52), S. 441 ff. mit Beispielen aus der Rspr. unter Rdn. 22 ff. 53 54

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im Aktien- und GmbH-Recht die Auflösungsklage aus wichtigem Grund, vor allem also wegen eines unheilbaren Zerwürfnisses unter den Gesellschaftern. Und das war und ist keineswegs lettre morte: In den vielen personalistischen Aktiengesellschaften der Schweiz war diese Klage die durchaus realisti- [205] sche Alternative gegenüber der Vielzahl anderer Rechtsbehelfe59. Gerade wegen ihrer nicht unerheblichen praktischen Bedeutung hat sich der Schweizer Gesetzgeber anläßlich der Revision Gedanken zu Art. 736 Ziff. 4 OR gemacht; denn auch in der Schweiz wird die Liquidation nicht als besonders erstrebenswert angesehen. Und was ist geschehen? Die Klage wurde nicht etwa abgeschafft oder erschwert, sondern eine im kontinentalen Prozeßrecht ganz einmalige Rechtsfigur geschaffen. Art. 736 Ziff. 4 OR bestimmt nämlich jetzt: „Statt derselben (scil. der Auflösung) kann der Richter auf eine andere sachgemäße und den Beteiligten zumutbare Lösung erkennen“.

Die Nähe dieser Vorschrift zu den ss. 459-461 des englischen Companies Act liegt auf der Hand60. Auf jeden Fall staunen die Schweizer Autoren selbst über diese neue Regelung61. Denn der Richter kann also auf etwas anderes durch Urteil erkennen, als was durch Klage beantragt ist und das Gesetz gibt keinen anderen Hinweis, als daß dieses andere in der Sicht des Gerichts sachgemäß und zumutbar sein muß. Es überrascht nicht, daß man sich allenthalben Gedanken darüber macht, was dieses „andere“ denn nun sein könnte; und da kann man nun auch wieder nur staunen62: Nicht so sehr über den Auskauf des Klägers, das ist die bei solchen Konflikten naheliegendste Lösung; nein: das Gericht soll auch eine förmliche Kapitalherabsetzung anordnen – also faktisch: beschließen – können, um die Voraussetzungen einer Teil-Liquidation zugunsten des Klägers – Einziehung seiner Aktien – zu ermöglichen. Ja selbst die Bestellung des Klägers zum Verwaltungsrat, also zum Vorstandsmitglied, soll auf diesem Wege möglich sein. Das Gericht wird hier also in eine besondere Funktion gesetzt: die des entscheidungsbefugten Mediators63. Denn eine solche Entscheidung kann naturgemäß nicht 59 Vgl. nur BGE 67 II 165 und 105 II 125 („um einer unhaltbaren Situation ein Ende zu setzen“). Dazu auch LUTTER, JZ 1981, 216 (Holding-Probleme) zum Togal-Fall. Weitere Fälle bei FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO (Fn. 52), S. 833; und bei GUHL/KUMMER/ DRUEY, aaO (Fn. 56), S. 696 ff. 60 Dennoch finden sich in der Literatur keine Hinweise, daß diese Vorschriften bei der Neufassung der Ziff. 4 von Art. 736 OR Pate gestanden hätten. 61 BÖCKLI, aaO (Fn. 52), S. 1020 ff; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO (Fn. 52), S. 835; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 8. Aufl., 1998, § 16 Rdn. 186. 62 BÖCKLI, aaO (Fn. 52); HANDSCHIN, SZW 1993, 43. 63 Parteien dieses Verfahrens sind der klagende (Minderheits-)Aktionär und die Gesellschaft als Beklagte. Das Gericht kann hier also nicht nur auf etwas anderes erkennen, als mit der

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ohne lange Erörterung mit den Beteiligten ergehen, im Grunde nur als Bestätigung dessen, womit die Parteien einigermaßen einverstanden sind, [206] und seltener nur als echte Entscheidung dort, wo die vom Gericht selbst geleistete Mediation endgültig gescheitert ist. 4. Deutschland Betrachten wir auf diesem Hintergrund noch einmal etwas genauer die rechtliche Situation in Deutschland. Dabei wird man deutlich zwischen Aktienrecht einerseits und GmbH-Recht andererseits zu unterscheiden haben. a) Im deutschen Aktienrecht spielt die Haftungsklage gegen das Management keinerlei Rolle64, und zwar weder nach dem direkten Modell der Schweiz noch nach dem indirekten Modell der derivative suit in den USA. In Deutschland fallen also die Gerichte als eine äußerste Kontrolle der Geschäftsführung von Aktiengesellschaften aus65 – und nur um eine solche äußerste Kontrolle geht es im Recht der USA, Großbritanniens und der Schweiz. Und dieser Ausfall wird in Deutschland mit überraschend breiter Zustimmung akzeptiert, werden doch alle Versuche, dieses Instrument zu schärfen, bereits im Ansatz blockiert: Der hier ganz und gar unangebrachte Hinweis auf die Gefahr eines Mißbrauchs durch die bekannten „Räuber“ tötet jede Debatte66. Im Aktienrecht beschränkt sich die Funktion der Gerichte mithin auf eine Legalitätskontrolle des Organs Hauptversammlung mit zwei ganz unterschiedlichen Aspekten: Zum einen: der Kontrolle der Mehrheit und ihrer Macht. Das wird an Entscheidungen wie Kali und Salz67 oder Linotype68 deutlich: Hier kontrollieren

Klage beantragt ist, es muß auch Personen zum Verfahren hinzuziehen, die nicht Partei sind, nämlich den oder die Mehrheitsgesellschafter als die eigentliche Konflikt-Gegenpartei. 64 In 132 Bänden BGHZ findet sich eine einzige Entscheidung gegen ein Vorstandsmitglied (BGHZ 100, 228). Nicht in BGHZ veröffentlicht ist die berühmte SchaffgotschEntscheidung gegen einen Aufsichtsrats-Vorsitzenden: BGH NJW 1980, 1629; und dazu ULMER, NJW 1980, 1603; sowie LUTTER, ZHR 145 (1981), 224, 240. 65 Zur Debatte, wie eine wirksame und effektive Selbstüberwachung der Gesellschaft erreicht werden kann, vgl. LUTTER, ZHR 159 (1995), 287, 307; SCHEFFLER, ZGR 1993, 63 ff.; POTTHOFF, DB 1995, 163 ff.; NIEDERLEITHINGER, ZIP 1995, 597 ff.; BAUMS, ZIP 1995, 11 ff., jeweils m. w. N. sowie die Beiträge in SCHEFFLER, Corporate Governance, 1995. Der Gesetzgeber hat mit dem Entwurf eines KonTraG, BT-Drucksache 13/367 = ZIP 1996, 2129 viel zu vorsichtig reagiert. 66 Vgl. die Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages 1996, Band II, S. N 7; sowie die Stellungnahmen zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Förderung der Kontrolle und Transparenz in Unternehmen (KonTraG, oben Fn. 65), abgedruckt in einem Sonderheft der AG, Mai 1997. 67 BGHZ 71, 40; und dazu LUTTER, ZGR 1979, 401. 68 BGHZ 103, 184; und dazu LUTTER, ZHR 153 (1989), 446 ff.

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die Gerichte die Minderheit belastende Entscheidungen der Mehrheit unter dem Aspekt, bis zu welcher Grenze die Mehrheitsherrschaft reicht. Zum anderen aber geht es um einen Aspekt, der mir so in den anderen Rechtsordnungen nicht aufgefallen ist, nämlich um die Abgrenzung von Zu- [207] ständigkeitsfragen: Die Entscheidung Holzmüller69 ebenso wie die kürzlich ergangene Milupa-Entscheidung des LG Frankfurt a. M.70 bestätigen Zuständigkeiten der Hauptversammlung, die unglückliche Siemens/Nold-Entscheidung des BGH71 vom Juni letzten Jahres erlaubt die Entmündigung der Hauptversammlung und die Zuweisung von plein pouvoir an die Verwaltung. Demgegenüber bleiben Vorstand und Aufsichtsrat ganz und gar unbehelligt von den Gerichten und lassen das die Minderheit auch kräftig fühlen, wie die Fälle ARAG72 und Metallgesellschaft73 zeigen. b) Im deutschen GmbH-Recht ist die Situation deutlich anders. aa) Im letzten Jahrzehnt haben die Haftungsklagen gegen Geschäftsführer zugenommen. Hier erweist sich, daß es richtig ist, die Entscheidung über die Klage in die Hände der Gesellschafter74 zu geben und die derivative suit, die Klage eines Gesellschafters für die Gesellschaft, zuzulassen75. Und natürlich sind hier die Informationsrechte aus § 51a GmbHG außerordentlich hilfreich. Aber es sind nicht nur die Gesellschafter, die klagen. Auch die Konkursverwalter haben gelernt, daß hier möglicherweise Aktiva liegen, mit denen die Masse angereichert werden kann. Nur zur KlarsteIlung: Es geht hier um Mängel in der Geschäftsführung vor Konkurseröffnung und deren Schäden, nicht um Ansprüche aus Konkursverschleppung76. Hier entwickelt sich also – noch immer langsam – eine gerichtliche Kontrolle der Geschäftsführung durch den schrittweisen

BGHZ 83, 122; und dazu LUTTER, FS Stimpel, 1985, S. 825 ff. LG Frankfurt a. M. ZIP 1997, 1698; und dazu LUTTER/LEINEKUGEL, ZIP 1998, 225 ff. 71 BGH JZ 1998, 47 mit Anm. LUTTER. 72 LG Düsseldorf ZIP 1994, 628 = EwiR 1994, 629 (TIMM); OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27; OLG Düsseldorf ZIP 1997, 846; BGH ZIP 1997, 883. Dazu LUTTER, ZHR 159 (1995), 287, 304 ff.; DERS., ZIP 1995, 441; JAEGER/TRÖLITSCH, ZIP 1995, 1157; GÖTZ, NJW 1997, 3275 einerseits und DREHER, ZHR 158 (1994), 614 sowie DERS., ZIP 1995, 628 andererseits. 73 Die Gesellschaft hatte im Rahmen von Ölspekulationen Verluste in Höhe von 2 Mrd. DM (!) erlitten. Die gegen den Vorstandsvorsitzenden und den Finanzvorstand eingeleitete Haftungsklage nach § 93 AktG wurde verglichen: beide erhielten statt dessen hohe Abfindungen! Vgl. zur Diskussion um Organhaftpflichtprozesse in der Aktiengesellschaft KALLMEYER, AG 1997, 107 ff. einerseits und GÖTZ, AG 1997, 219 ff. andererseits. 74 § 46 Nr. 8 GmbHG und dazu LUTTER/HOMMELHOFF, Komm. z. GmbHG, 14. Aufl., 1995, § 46 Rdn. 21 ff.; GEHRLEIN, ZIP 1993, 1525; V. GERKAN, ZGR 1988, 441. 75 Näher dazu EICKHOFF, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988; GRUNEWALD, Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und der GmbH, 1990; LUTTER, ZHR 162 (1998). 76 Vgl. dazu BGHZ 126, 181. 69 70

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Aufbau von Standards77: Professoren mögen da noch so viel schreiben, ehe nicht Gerichte Pflöcke in das weite Feld „ordnungsgemäßer Geschäftsführung“ geschlagen haben, glauben Manager nur sich selbst. Rechtspre- [208] chung hat hier eine die Zukunft ordnende Funktion. Man kann diese Wirkung des ARAGUrteils heute schon erkennen. bb) Für die Kontrolle der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gilt das gleiche wie bei der AG: Die Legalitätskontrolle der Gerichte ist wichtig, hat aber wenig ordnende Funktion für die Zukunft; das Urteil vernichtet, kassiert den rechtswidrigen Beschluß. Tatsächlich ist hier erneut eine Erfindung von gewissem Nutzen: Die sogenannte positive Beschlußfeststellungsklage78. Liegt der Mangel (nur) in der unrichtigen Feststellung des Beschlußergebnisses – etwa weil die Stimmen vom Stimmrecht Ausgeschlossener mitgezählt wurden – so kann das durch Feststellung des richtigen Ergebnisses mit in Ordnung gebracht werden. Das gilt zwar auch für die AG, ist dort aber bisher ohne praktische Bedeutung geblieben. cc) Von ganz und gar überragender Bedeutung aber ist hier eine dritte Ebene der Kontrolle, nämlich das Verhalten der Gesellschafter untereinander. Neben dem Austritts- und Ausschließungsrecht aus wichtigem Grund79 ist hier die Treupflicht der Gesellschafter ungemein hilfreich80. Sie ist der Ansatz, mit dessen Hilfe die Gerichte – außerhalb der ultima ratio von Ausschluß und Austritt – ordnend in das in Unordnung geratene Leben der Gesellschaft eingreifen können81. Zwar ist das Verfahren selbst weit entfernt vom englischen Verfahren; geht es doch um Schadenersatz oder Unterlassung82, also um die Klärung von Konflikten aus der Vergangenheit. Aber immerhin haben sich unsere Gerichte hier – ganz ohne jede Hilfe des Gesetzgebers – ein Einflußpotential zur Ordnung gesellschaftsinterner Konflikte von ganz großer Bedeutung geschaffen. Dabei darf man 77 Vgl. dazu V. WERDER, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensführung, 1996, m. w. N. 78 BGHZ 97, 28; vgl. weiter dazu K. SCHMIDT, AG 1980, 169; ZÖLLNER, ZGR 1982, 623; EICKHOFF, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988, S. 128 ff.; NOACK, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989, S. 88, 92 ff. 79 GRUNEWALD, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1987; KESSELMEIER, Ausschluß- und Nachfolgeregelung der GmbH-Satzung, 1989; WESTERMANN, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 447 ff.; sowie HACHENBURG/RAISER, Komm. z. GmbHG, 8. Aufl., 1992, § 14 Rdn. 46; SCHOLZ/K. SCHMIDT, Komm. z. GmbHG, 8. Aufl., 1995, § 46 Rdn. 161 ff.; LUTTER/HOMMELHOFF, aaO (Fn. 74), § 34 GmbHG Rdn. 7 ff.; HUECK, in: BAUMBACH/ HUECK, Komm. z. GmbHG, 16. Aufl., 1996, § 13 Rdn. 34, jeweils mit umfangreichen Nachw. 80 BGHZ 65, 15; 98, 276; 103, 184; BGH DStR 1994, 215. Die Literatur ist kaum mehr überschaubar; vgl. daher nur LUTTER, AcP 180 (1980), 84 ff.; WINTER, Treuebindungen, 1988; HÜFFER, FS Steindorff, 1990, S. 59. 81 Beispielhaft die Entscheidung BGH DStR 1994, 214 mit Anm. GOETTE; und insgesamt jüngst LUTTER, ZHR 162 (1998). 82 LUTTER/HOMMELHOFF, aaO (Fn. 74), § 14 GmbHG Rdn. 18, 25.

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auch die Hilfe des Prozeßrechts nicht vergessen; denn der deutsche Richter ist – ganz anders als der englische Richter – zur Belehrung der Parteien verpflichtet, § 139 ZPO83. Und das kann, bei gutem Willen aller Seiten, schnell zur Erörterung der Frage führen, wie denn die Zukunft der zerstrittenen [209] Parteien in ihrer Gesellschaft fruchtbar geordnet werden könnte. Gute und erfahrene Richter können also den eher rückwärts gerichteten einzelnen Treupflichtfall jedenfalls zum Versuch ausweiten, die Zukunft in ähnlicher Weise zu ordnen, wie das CA s. 459 dem englischen Richter anvertraut: In deutschen Verfahren allerdings nicht durch Entscheid, sondern durch Überredung der Parteien, deren Zustimmung erforderlich ist: Als Basis für eine Neuordnung der Verhältnisse ist das gewiß nicht schlecht. IV. Synthese und Ausblick 1. Zusammenfassung Unsere Frage war: Welche Rolle haben die Gerichte in den verschiedenen Ländern freier Wirtschaft, gleicher Zivilisation und in etwa gleichem Lebensstandard bei innergesellschaftlichen Konflikten und insbesondere bei der Überwachung des Managements. Und wir kommen zu ganz und gar unterschiedlichen Ergebnissen: Während in Großbritannien der Mehrheits-Minderheits-Konflikt und der Konflikt mit dem von der Mehrheit gestellten Management überwiegt und in einer Art FGG-Verfahren für die Zukunft gelöst wird, spielen dort Schadenersatzklagen gegen das Management und Anfechtungsklagen gegen Mehrheitsbeschlüsse kaum eine Rolle: Die Gerichte werden zur Ausbildung von Standards in der Geschäftsführung nicht bemüht. Und selbst in self-dealing-Fällen wird nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – den Folgen dieses Verstoßes nachgegangen, sondern dem Minderheitsgesellschafter wird ein Austrittsrecht gegen volle Entschädigung, in besonders krassen Fällen sogar das Recht zugesprochen, die Anteile der Mehrheit zu erwerben84. Genau umgekehrt ist es in den USA und der Schweiz: Hier geht es überwiegend um die Schadensbeseitigung im Vermögen der Gesellschaft und um die Durchsetzung von Standards im Verhalten des Managements für die Zukunft. In Deutschland aber haben wir eine merkwürdig gespaltene Situation: Der Mehrheits-Minderheits-Konflikt konzentriert sich in der AG auf die kassatorische Anfechtungsklage; in der GmbH hingegen ist das Repertoire vielfältig: Es reicht von der Haftungsklage gegen das Management über die Anfechtungsklage bis zur 83 84

PETERS, Richterliche HinweispfIichten und Beweisinitiative im Zivilprozeß, 1983. Siehe oben Fn. 15 sowie GOWER/DAVIES, aaO (Fn. 18), S. 748 und dort Fn. 63.

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Austritts- und Ausschlußklage und der Schadensersatzklage gegen die Mehrheit wegen Treupflichtverletzung. Hier – im GmbH-Recht – sind die Gerichte zur Kontrolle ebenso wie zur Konfliktlösung voll engagiert, während wir im AGRecht weitgehend darauf verzichten. Sollten wir es dabei belassen? Ich meine mit großem Nachdruck und in der Hoffnung auf Herrn Wiedemanns [210] Zustimmung: Nein. Wir können zwar im Vorstands- und Aufsichtsrats-System etwas ruhiger sein als Länder mit nur einem Geschäftsführungsorgan. Aber ohne Hilfe der Gerichte können auch wir den heute geforderten und erforderlichen Standard von corporate governance nicht erreichen85. 2. Ausblick Allerdings können wir auch wunderbar von den Erfahrungen unserer Nachbarn und Freunde lernen: In Frankreich und Großbritannien ist die derivative action gerade gegen board-member durchaus möglich, in Frankreich aber scheitert sie an den hohen Kosten86 und in Großbritannien an der sehr restriktiven Haltung der Gerichte87. Übrigens: Der britische Glaube an die Nützlichkeit von „full discretion“ der Gerichte soll jetzt auch für die in England de jure, aber nicht de facto existente derivative action eingesetzt werden. Die Law Commission schlägt nämlich einerseits vor, daß künftig – wie in der Schweiz – jeder Gesellschafter jeden Anspruch der Gesellschaft gegen einen ihrer Direktoren geltend machen darf. Andererseits aber soll das Gericht auch in diesen Verfahren „full discretion“ haben, „to determine whether any particular piece of derivative litigation should proceed“88. Abgesehen von diesem hohen Vertrauen in die Gerichte fände hier das von mir für das deutsche Recht89 vorgeschlagene zweistufige Verfahren innerhalb einer Klage statt: Das Gericht würde zunächst summarisch die Prozeßchancen, die Höhe des Schadens der Gesellschaft, den guten Glauben des Klägers etc. prüfen und, wenn es das alles in der Summe für nicht „appropriate“ wertet, die Klage 85 Das Gesetz verlangt „ordnungsgemäße Geschäftsführung“ (§§ 93 AktG, 43 GmbHG) bzw. „ordnungsgemäße Aufsicht“ (§ 116 AktG). Das sind typische Generalklauseln, deren Ausfüllung dem Richter anvertraut ist; vgl. LUTTER, in: Lutter, 25 Jahre Aktiengesetz, 1991, S. 53 ff.; STIMPEL, in: Pehle/Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, 1969, S. 15, 18 ff.; ODERSKY, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1997, S. 103, 108 ff. 86 In Japan hat die drastische Absenkung der Kosten solcher Klagen zu einer deutlichen Steigerung geführt, vgl. HAYAKAWA, FS Mestmäcker, 1996, S. 891 ff. 87 Bei PENNINGTON, Company Law, 7. Aufl., 1995 (Chapter 17) findet man verteilt auf 150 Jahre etwa 15 Fälle: Immerhin alle zehn Jahre einer. 88 Vgl. oben Fn. 9. 89 LUTTER, ZHR 159 (1995), 287, 304, 306 und wiederholt.

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abweisen, anderenfalls aber normal zu Ende prozedieren. Dabei gilt heute schon und in Zukunft erst recht, daß, um das sogenannte „gold digging“ zu verhindern, jeder Vergleich und jede Klagerücknahme nur mit Zustimmung des Gerichts möglich ist und sein darf. [211] Was man vor allem und vor allem aus dem Recht und der Praxis der USA und den Vorschlägen der britischen Law Commission lernen kann, ist der offenbare Nutzen eines wie auch immer gearteten gestuften Verfahrens: Sei es die von mir vorgeschlagene summarische Prüfung durch das Gericht als Voraussetzung der Zulässigkeit der Hauptklage, sei es die vorherige Einschaltung des board oder des Aufsichtsrats und die Überprüfung seiner ablehnenden Entscheidung und ihrer zwingend erforderlichen Begründung durch das Gericht: Mißbräuchliche Klagen müßten in einem solchen System gewißlich scheitern. V. Schluß Abschließend gilt es zu versuchen, die vielfach verstreuten Äste zusammenzubinden und auf einige gemeinsame Aussagen auszurichten: Da ist zum einen durchgehend festzustellen, daß die Gerichte überall und immer mehr in die innergesellschaftlichen Konflikte einbezogen werden, in England, der Schweiz und andeutungsweise auch in neuen belgischen Vorschriften90 in einer eher streitlösenden als streitentscheidenden Rolle. Da ist zum anderen festzustellen, daß sich die unterschiedlichen Befugnisse der Hauptversammlung keineswegs in einer parallelen Häufigkeit von Anfechtungsverfahren niederschlagen: Deutschland steht hier mit der Häufigkeit und Heftigkeit seiner Anfechtungsverfahren ziemlich einsam da, während das in Frankreich ganz und gar nicht der Fall ist, obwohl jede französische Hauptversammlung über alle Verträge mit Direktoren und deren nahen Verwandten entscheiden muß: Man stelle sich das bei uns vor! Und da ist schließlich die breite Ausmessung des Treue- und Pflichtengedankens – duty of care und duty of loyalty – für Mitglieder der Verwaltung im amerikanischen und schweizerischen Recht, der wir nichts, absolut nichts im deutschen Aktienrecht zur Seite zu stellen haben91: hier verzichten wir seit über einem Jahrhundert – genauer: seit dem Aktiengesetz von 188492 – und mit schlichthin nicht mehr nachvollziehbaren Begründungen auf die Hilfe der Gerichte für die GeHERRING, RIW 1996, 644 ff. Natürlich findet sich all das in vorzüglichen Darstellungen auch zum deutschen Recht, vgl. nur MERTENS, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1996, § 93 Rdn. 57-74. Aber es handelt sich um „law in the books“ und nicht um „law in action“, nicht um lebendiges und gelebtes Recht. 92 Dazu immer wieder lesenswert: SCHUBERT/HOMMELHOFF, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985. 90 91

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währleistung von Pflichtenstandards bei Leuten, die fremdes Vermögen verwalten – Standards, die wir ganz selbstverständlich von jedem Arzt, jedem Steuerberater und jedem Anwalt mit Hilfe der Gerichte einfordern, bei Treuhändern riesiger Vermögen aber darauf verzichten.

Der Aufsichtsrat im System der deutschen Aktiengesellschaft

Bankenvertreter im Aufsichtsrat* ZHR 145 (1981), S. 224-251 Inhalt** A. B.

Einführung ....................................................................................................... 224 Besondere Pflichten von Bankenvertretern in Aufsichtsräten .................. 226 I. Pflichten aus dem Wählerauftrag ............................................................ 226 II. Die besonderen Pflichten von Bankenvertretern im Aufsichtsrat selbst ..................................................................................................... 227 III. Pflichten des Kreditinstituts bei der Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern ........................................................................................... 229 C. Konflikte und Konfliktlösungen ................................................................... 230 I. Überblick über die Konfliktlagen ........................................................... 230 1. Vorbemerkung .................................................................................... 230 2. Beispiele ............................................................................................... 231 3. Systematisierung der Konflikte ......................................................... 233 II. Wege zur Konfliktlösung ......................................................................... 234 1. Überblick ............................................................................................. 234 2. Inkompatibilität .................................................................................. 234 3. Weitere Rechtssätze zur Konfliktlösung ......................................... 239 4. Sonstige Aspekte der Konfliktlösung .............................................. 244 5. Auswirkungen für die Bank und ihr Einfluß darauf ...................... 248 6. Der Satz von der Konfliktnähe ........................................................ 248 D. Schlussbemerkungen ...................................................................................... 249 E. Zusammenfassung (Thesen) .......................................................................... 250

* Verf. hat Vielen für viele Gespräche zu danken, vor allem aber Richard M. Buxbaum, Professor of Law, University of California Law School in Berkeley: Seine Geduld in der Beantwortung von Fragen und der Beschaffung von Unterlagen war unerschöpflich. ** Anm. d. Hrsg.: Die Inhaltsübersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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Bankenvertreter im Aufsichtsrat

A. Einführung I. Das Thema Bankenvertreter im Aufsichtsrat impliziert: Der Referent hat nicht nur über die allgemeinen Rechte und Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern zu sprechen, sondern sich einer speziellen Gruppe von ihnen anzunehmen und damit der wie auch immer gearteten rechtlichen oder faktischen Sondersituation von Personen, die in ihrem Hauptberuf Bankiers sind, Leiter von Kreditinstituten also, Personen, die das KWG in § 24 nennt. Damit habe ich mich in einem Gebiet zu bewegen, das die Aufmerksamkeit der klugen Geister unseres Faches seit weit über 100 Jahren beschäftigt; denn bereits aus dem Jahre 1838 stammt einer der – übrigens: durchaus wenigen – Problemfälle, die in unserem Zusammenhang regelmäßig erwähnt werden, der des Bankiers Oppenheim aus Köln, der gleichzeitig im Direktorium – wir würden, fortgeschrittener, wie wir nun mal sind, heute sagen: outside board member – der Rheinischen Eisenbahngesellschaft war1. Da es sich also um ein altes Thema handelt, muß ich zunächst einmal sagen, worüber ich nicht sprechen werde: [225] 1. Ich spreche nicht de lege ferenda; mag unser Thema an seinen Rändern verknüpft sein mit rechtspolitischen Initiativen zum industriellen Bankenbesitz und zum Vollmachtsstimmrecht2: Es gibt zur Zeit keine mir erkennbare rechtspolitische Tendenz, die Bankiers den Einzug in Aufsichtsräte zu erschweren oder gar zu verbieten trachtet. Und das ist gut so. Zwar ist das Bessere der Feind des Guten; auch der Hinweis auf die insgesamt offenbar geglückte Führungsstruktur unserer großen Unternehmen entlastet nicht von der Pflicht, den Vertretern einer von diesen behaupteten besseren Lösung aufmerksam zuzuhören. Aber diese tragen die Beweislast – jedenfalls bis zu einem Beweis des ersten Anscheins. Davon aber kann, was die Mitgliedschaft von Bankiers in Aufsichtsräten angeht, derzeit nicht die Rede sein. Die Zukunft mag dem Professional im Aufsichtsrat gehören, Personen etwa wie Herrn Vogelsang. Solange es aber davon noch nicht genug gibt, erscheint mir der Bankier mit seinem besonders großen sachlichen, fachlichen und personellen Überblick die bessere Lösung zu sein als die Besetzung des Aufsichtsrats nur mit Anteilseignervertretern im eigentlichen Sinne. 1 Sachverhalt und weitere Nachw. bei Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 242. Die Gesellschaft hatte ihr Kapital erhöht, ein Konsortium unter Führung des Bankiers Oppenheim die Aktien übernommen. Als dann die Kurse fielen, veranlaßte Oppenheim die Gesellschaft zunächst zu Stützungskäufen an der Börse, dann zum Rückkauf des noch nicht untergebrachten Materials. 2 Bericht der Studienkommission „Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft“ (GeßlerKommission), Heft 28 der Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, 1979, insbes. Tz. 271 ff. und 342 ff.

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2. Ich spreche also nicht de lege ferenda. Und ich spreche weiter nicht über eigene Feldforschungen oder neue Zahlen. Seit den Berichten der Monopolkommission3 und der Geßler-Kommission4 sind die Tatsachen und Zahlen bekannt; zuletzt wurden sie für Jedermann im Spiegel5 aufbereitet. Weitere Zahlen, die weniger akkumulieren und dafür stärker schichten, werden derzeit von Ulmer und Winter erarbeitet6. Ich will das alles nicht wiederholen. 3. Ich spreche nicht über allgemeine oder spezielle Probleme der Mitbestimmung. Selbstverständlich kann man auch über die schwierige Situation von Bankiers reden, die in ihren eigenen Unternehmen auf das Vertrauen der Arbeitnehmer-Vertreter angewiesen sind, in den von ihnen betreuten Aufsichtsräten aber den Part der Anteilseigner zu spielen haben. Denn: über diese Feststellung hinaus läßt sich wenig sagen. II. Habe ich damit gesagt, worüber ich nichts sagen werde, so bin ich Ihnen langsam eine etwas positivere Antwort schuldig. Sie lautet im Obertitel: Jedenfalls wenig Neues. Und im Untertitel geht es mir um zwei Bereiche: (1) Um schwerpunktmäßige Pflichten gerade von Bankiers in Aufsichtsräten: Meine Ausführungen werden hier einigen Allgemeinplätzen ein paar weitere hinzufügen. [226] (2) Um die Erörterung von Konfliktlagen, in welche gerade Bankenvertreter in Aufsichtsräten geraten können. B. Besondere Pflichten von Bankenvertretern in Aufsichtsräten I. Pflichten aus dem Wählerauftrag 1. Die Mitglieder eines Aufsichtsrates sind Einzelkämpfer, unabhängig und keinem Wählerauftrag verpflichtet.7 Daher gibt es gar keine Banken-„Vertreter“ in Aufsichtsräten, sondern nur Bankiers, Bank-Vorstände oder Bankgeschäftsführer. Und dieser Vorstellung entspricht auch die Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern, wenn es etwa heißt: Es wäre schön, wenn wir Herrn X für unseren AufHauptgutachten 1976/77, (1978), Tz. 529 ff. Statistische Angaben im Bericht (oben Fn. 2) S. 583 ff. 5 Der Spiegel Nr. 25/1979, S. 81 ff. 6 Es handelt sich um Untersuchungen vor allem zur Häufigkeit der Mitgliedschaft in Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen. 7 Lutter, FS Duden, 1977, S. 269, 273 f.; Raiser, ZGR 1978, 391 ff., 399 f., 404; Säcker, DB 77, 1791, 1793 und FS Fischer, 1979, S. 635, 649, 656. 3 4

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sichtsrat gewinnen könnten; oder allenfalls: wir werden wohl nicht umhin können, Herrn Y aufzufordern, Mitglied in unserem Aufsichtsrat zu werden. Daneben bleiben die Fälle, in denen Inhaber von größeren und großen Beteiligungen als vorschlagsberechtigt angesehen werden. Die Auswahl ist also stark oligarchisch geprägt und durch Kooptation bestimmt – wobei diese oligarchische Struktur mit der Bedeutung, der Größe und dem Ansehen der betreffenden Gesellschaft korreliert. Die derart getroffene Auswahl bedarf dann noch der Bestätigung, sei es der bestimmenden Aktionärsgruppe oder Aktionärsgruppen, sei es der vom Vollmachtsstimmrecht der Banken geprägten Hauptversammlung. Jedenfalls bezüglich der Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern hat das Gesetz ein anderes Modell vor Augen, ohne allerdings das praktisch geübte System zu verbieten. Analysiert man das Gesetz mit seinen ausgeprägten Vorschlagsrechten für jeden einzelnen Aktionär (§§ 127, 126 AktG) und seinen Minderheitsregeln zur Einzelwahl (§ 137), so orientiert es sich eher am Bild einer großen Volksversammlung und einer Wahl mit wechselnden Mehrheiten. Das ist nur ein Aspekt, den man allerdings ein bißchen „im Sinn“ behalten sollte. Darüber hinaus darf man nämlich die Tatsache nicht übersehen, daß unsere Gesetzgebung mehr und mehr mit einer typisierten Erwartung in Bezug auf das Verhalten von Personen arbeitet. Klar erkennbar ist das zwar bislang nur für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat: Der unternehmensangehörige Arbeiter der unternehmensangehörige Angestellte der unternehmensangehörige Leitende Angestellte der branchenzuständige Gewerkschaftsvertreter der Neutrale, muß aber, so meine ich, als Verständnishilfe und als Auslegungsaspekt auch in die Verhaltenserwartung bezüglich der Anteilseigner-Vertreter interpretiert werden. Kurz: Soweit Bankenvertreter nicht auf dem Hintergrund eigener Beteiligungen oder der Beteiligung eines anderen – der Mehrheitsgesellschafter wünscht ihre Mitgliedschaft im Aufsichtsrat – Mitglieder im Aufsichtsrat sind, sondern aufgrund des Vollmachts- [227] stimmrechts8, sind ihre Pflichten am allgemeinen Wohl des Unternehmens, innerhalb dessen aber an den Interessen des „Normalaktionärs“ ausgerichtet9: Sie sind dessen Sprachrohr. Im dialektischen Prozeß der Vorbereitung und Erörterung einer Entscheidung im Aufsichtsrat ist der Bankier heute nicht mehr frei, sondern Sprecher der Kapitalgeber und der Kapitalmarkt-

8 Das heißt mitnichten, daß die Bank ihre Vertreter selbst vorgeschlagen haben müßte: Der Vorschlag kommt, wie soeben ausgeführt wurde, in aller Regel aus den Verwaltungsorganen selbst (Kooptation). Aber die Wahl (entscheidungstheoretisch hier: Bestätigung) erfolgt nun einmal durch die Hauptversammlung, die ihrerseits vom Vollmachtsstimmrecht geprägt ist. 9 Ähnlich Mertens, AG 1977, 306 und Raiser, ZGR 1978, 391, 398.

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interessen als Element des Unternehmenswohles10. Die typisierte Verhaltenserwartung des Gesetzes, formuliert vor allem in Bezug auf andere Aufsichtsratsmitglieder, hat unmittelbare Auswirkungen für die Pflichten – rechtliche Verhaltenspflichten – auch der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat. 2. Problematisch ist die Durchsetzung dieser sehr subtilen Pflichtenlage und noch mehr die Sanktion ihrer Verletzung. Im Grunde ist aber die Anerkennung einer solchen „Inklination“ als Rechtspflicht schon einmal wichtig – kann sie doch möglicherweise zu einer vorsichtigen Anpassung und Korrektur des bisherigen Selbstverständnisses von Bankenvertretern führen, aber auch zu der Erkenntnis, daß Personen, die diese Rolle nicht akzeptieren – z. B. zusätzliche ArbeitnehmerVertreter in Aufsichtsräten – einem kaum lösbaren rechtlichen Konflikt unterworfen werden. II. Die besonderen Pflichten von Bankenvertretern im Aufsichtsrat selbst 1. Über die Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder besteht derzeit eine interessante Kontroverse. Die herrschende Meinung geht vom Bilde eines Durchschnitts-Aufsichtsrates aus, der über entsprechend durchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen muß: Fehler und Fehlentscheidungen aufgrund von mangelnden Kenntnissen und Erfahrungen innerhalb dieses Durchschnittsbereiches können von ihm nicht mit dem Argument des ultra posse entschuldigt werden11. Liegt ein ultra posse vor, so ist das zurechenbare Fehlverhalten, wie bei der Rauschtat, bereits in der Annahme des Amtes zu sehen. Die andere Auffassung – vertreten vor allem von Geßler12 – ist hier milder gestimmt: Geßler sieht die Pflicht des einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes sub specie seiner persönlichen Fähigkeiten und mißt daran die Pflicht und ihre Verletzung. [228] Beiden Auffassungen ist zuzustimmen, so daß nicht einmal, wie sonst üblich, vermittelt werden muß. Denn über ein Mindestmaß an allgemeinen wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Kenntnissen muß jedes Aufsichtsratsmitglied verfügen: Innerhalb dieser Grenze kann Unkenntnis nicht entschuldigen. 10 Vgl. dazu auch die „Grundzüge über die Ausübung des Depotstimmrechts“, Beschluß des Hauptausschusses des Bundesverbands des privaten Bankengewerbes, März 1952, abgedruckt im Bericht der Studienkommission des DJT, Untersuchungen zur Reform des Unternehmensrechts, Teil I, 1955, S. 92. – Vgl. weiter dazu Herold, FS Heinrich Lehmann, 1956, S. 563 ff., 571; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 142 und insbes. S. 390 f.; Tegethoff, Das Treuhandgeschäft der westdeutschen und amerikanischen Banken, 1963, S. 82 ff. 11 Fitting/Wlotzke/Wißmann, Kommentar zum MitbestG, 2. Aufl. 1978, § 25 Anm. 122; Mertens, Kölner Kommentar zum AktG, 1970, § 93 Anm. 36 und § 111 Anm. 25; Möhring/Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, I, 333. 12 In: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum AktG, 1973, § 116 Anm. 10; ebenso Jörg Geßler, Kommentar zum AktG, Anm. zu § 116.

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Insofern ist der herrschenden Meinung zu folgen. Im übrigen aber sollten die unterschiedlichen Fähigkeiten der Mitglieder eines kollegialen Gremiums in Pflicht genommen werden. Und hier kann man darauf hinweisen, daß Bankiers in besonderem Maße befähigt sind für die Beurteilung von Fragen der Finanzierung, der Liquiditätsvorsorge, der Bilanzrelationen und ihrer Analyse etc. Bankenvertreter sind also in besonderem Maße zur Kontrolle des Vorstandes im gesamten Bereich des Finanzmanagement befähigt. Obwohl jedes Aufsichtsratsmitglied wissen muß, daß Investitionen Finanzmittel binden und Verluste das Kapital in Richtung auf die Überschuldung verzehren, kann es sich im übrigen auf die speziellen Kenntnisse von Aufsichtsratsmitgliedern aus dem Bankenbereich für Aspekte der Seriosität von Finanzierung, der notwendigen Vorsorge für Liquidität, der rechtzeitigen Anregung und Erörterung von Maßnahmen der Finanzierung und insbesondere der Früherkennung von Finanzierungsproblemen verlassen: Hier haben Bankenvertreter faktisch und rechtlich Sonderpflichten, die über das allgemeine Pflichtniveau von Aufsichtsratsmitgliedern hinausgehen. Dem entsprechen, wie Canaris zu Recht hervorgehoben hat, die parallelen Überlegungen zum Begriff der Fahrlässigkeit: auch dort gilt ein Mindeststandard an Vorsicht und Sorgfalt für jedermann, ohne daß aber der Könner dadurch privilegiert würde: seine Pflichten orientieren sich am höheren Standard des Spezialisten13. Kaum zu erwähnen bleibt, daß diesen berufsspezifischen Sonderpflichten von Bankiers im Aufsichtsrat durchaus andere Pflichten anderer Mitglieder entsprechen, seien es nun Vertriebs- oder Organisationsfachleute, Branchenkenner oder Juristen. Diese Wertung führt insgesamt zu einer relativ hoch angesetzten Pflicht des Gesamtgremiums; sie ist innerhalb einer niedrigeren Ebene von allen Mitgliedern persönlich zu erfüllen, innerhalb der verbleibenden höheren Stufe von den dazu im Gremium befähigten Personen zu ermöglichen. Dem entspricht es, daß die Aufgaben dem Gesamtkollegium Aufsichtsrat obliegen, innerhalb dessen dann aber nicht nur faktisch, sondern auch von Rechts wegen schwerpunktmäßige Parts von den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern zu spielen sind. Die Haftung als Korrelat der Pflichtverletzung erfaßt im Grundbereich dann alle Mitglieder und trifft im oberen Bereich nur die entsprechend befähigten Personen14. [229] 2. Weiter liegt der Gedanke nahe, Bankiers im Aufsichtsrat als Vertreter ihrer Institute dann in eine besondere Pflicht zu nehmen, wenn die Gesellschaft in 13 Vgl. Münch-Komm-Hanau, 1979, § 276, Rd. 84; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I AT, 12. Aufl., 1979, § 20 III; Erman/Battes, Handkommentar zum BGB, 6. Aufl. 1975, § 276, Rd. 25, anders Staudinger/Löwisch, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., 1979, § 276, Rd. 16. 14 Ähnlich Mertens, Kölner Komm., § 111 Anm. 24; Godin/Wilhelmi, Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 1971, § 116 Anm. 4; Hoffmann, Der Aufsichtsrat, 1979, Rdnr. 505; Hanau/Ulmer, MitbestG, 1981, § 125, Rd. 118, 120; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 298 ff. So jetzt auch LG Hamburg v. 16. 12. 1980, ZIP 1981, 194, 197.

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Finanznöte gerät. Anders gewendet: Folgt aus der Mitgliedschaft eines Bankiers im Aufsichtsrat, daß er sich für Kredithilfen seines Institutes verwenden muß oder daß dieses gar, vermittelt durch seine Person („Bankenvertreter“), ipso jure dazu verpflichtet ist15? Der Gedanke ist so ganz fernliegend nicht. Dennoch sollte man ihm nicht nähertreten. Denn die Person ist Aufsichtsratsmitglied, nicht das Institut. Und an dieser auf die Person bezogenen Struktur des Aufsichtsratsamtes sollte man strictissime festhalten. Aus der gleichen Überlegung folgt, daß durch die Mitgliedschaft eines Bankiers im Aufsichtsrat allein nicht die Eigenschaft seines Institutes als Hausbank begründet wird. 3. Mit einem letzten Aspekt möchte ich diese Überlegungen zu Sonderpflichten aus der Mitgliedschaft von Bankenvertretern im Aufsichtsrat schließen. In zunehmendem Maße neige ich der Auffassung zu, daß die vielfältige Präsenz von Bankenvertretern in Aufsichtsräten nicht nur eine Folge des Bankenstimmrechts und nicht nur der verständlichen Wünsche der Geschäftsleitungen ist, die Finanzfeuerwehr, den geldpolitischen Notanker auf diese Weise – wenn auch nicht als Pflichtigen, so doch als Gesprächspartner – neben sich zu haben, sondern auch der Tatsache entspringt, daß Bankiers ganz zwangsläufig breite Kenntnisse über leitendes Personal haben müssen16. Denn jedes Unternehmen nimmt Kredit; und damit ist der Kontakt zwischen Bankier und Unternehmensmanagement zwangsläufig. Daraus allein kann aber noch keine Pflicht zu besonderer Personalkenntnis, Personalerfahrung und Personalkontrolle in dem Sinne folgen, daß sich die anderen Aufsichtsratsmitglieder hierauf wie bei den Finanzierungsfragen verlassen könnten. III. Pflichten des Kreditinstituts bei der Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern Denkt man den soeben unter II, 2 erörterten Aspekt zu den berufsspezifischen Sonderpflichten von Mitgliedern im Aufsichtsrat etwas weiter, so mündet er in die Frage, ob es eine Organisationspflicht zu fachlich adäquater Zusammensetzung des Aufsichtsrats gibt17. Denn diese Sonderpflichten erweisen sich dann als umso fruchtbarer für das Unternehmen, je vielfältiger sie im Aufsichtsrat repräsentiert sind. Eine solche Organisationspflicht kann sicher nicht für die Hauptversammlung in der vom Gesetz vorgestellten großen Volksversammlung angenommen 15 Zur Rechtspflege auf Kredithingabe oder Kreditbelassung vgl. Canaris, ZHR 143 (1979), 113 ff. und Obermüller, ZIP 80, 1059. 16 Siehe dazu im Geßler-Bericht (oben Fn. 2) die Tz. 572 ff. 17 Eine solche Pflicht deutet auch Meyer-Landrut in: Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 111 Anm. 1 an.

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werden. Aber die gibt es ja auch gar nicht, sondern nur die durch Großaktionäre oder die durch Kreditinstitute bestimmte Realität der Kooptation in Autokratie oder Oligarchie. Letztere aber ist aufgrund des Vollmachtsstimmrechts nach § 135 AktG eine rechtlich relevante Wirklichkeit. Wird die Entscheidung tatsächlich nur von einer kleinen [230] Gruppe getragen – und möglicherweise in ihr wiederum nur von wenigen Stimmführern –, so läßt sich eine solche Organisationspflicht in der Weise vertreten, daß jedenfalls eine ganz und gar einseitige und unzweckmäßige Zusammensetzung etwa: nur Banksyndici und Professoren im Aufsichtsrat eines Chemieunternehmens pflichtwidrig ist. Diese sehr eingeschränkte Organisationspflicht besteht nur in der Person eines bestimmenden Großaktionärs aufgrund seiner vom Recht gebilligten ständigen Verantwortung für die Gesellschaft; und das gleiche gilt für ein Kreditinstitut, das entscheidende Teile der Stimmrechte über § 135 AktG auf sich vereinigt oder die Stimmführerschaft in diesem Bereich für sich in Anspruch nimmt. Die hier angesprochene Organisationspflicht besteht gegenüber der Gesellschaft. Ihre Verletzung mündet in die Anfechtungsbefugnis der anderen Aktionäre bezüglich des Wahlbeschlusses. Darüber hinaus sind Schadenersatzansprüche des Depotinhabers gegen seine Bank denkbar; denn dieser Depotvertrag begründet die Pflicht zu ordnungsgemäßer Wahrnehmung eben auch der – gebündelten – Stimmrechte. Die so angedeutete Pflichtenlage sollte Depotbanken daher zu sorgfältigen Kontrollüberlegungen veranlassen, ehe sie ihre Entschlüsse zur Stimmabgabe und zur Weitergabe von Empfehlungen an die Depotinhaber (§ 128 Abs. 2, 135 Abs. 5 AktG) im Zusammenhang mit Aufsichtsratswahlen fassen18. C. Konflikte und Konfliktlösungen I. Überblick über die Konfliktlagen 1. Vorbemerkung a) Bankiers sind in einem ungemein feinmaschigen Netz von rechtlichen Beziehungen und damit auch rechtlichen Bindungen tätig. Ihre Institute kreditieren konkurrierende Unternehmen, sind Eigentümer von Unternehmen oder Beteiligungen, die sie gleichzeitig dem anlagesuchenden Publikum vermitteln, sie übernehmen ganze Aktienemissionen zur Weitergabe an das Publikum etc. Schon

18 Die Depotprüfung nach § 30 KWG setzt schriftliche Unterlagen zur Abstimmungsempfehlung an die Depotkunden voraus. Auch das spricht für eine Verdichtung der hier angenommenen Rechtspflicht.

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dieses Beziehungsgeflecht enthält potentielle Rechtskonflikte19. Aber diese potentiellen rechtlichen Konflikte sind wirklich nichts im Vergleich zu denjenigen, die sich – potentiell – aus der zusätzlichen Mitgliedschaft in Aufsichtsräten ergeben. Denn die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat eines Unternehmens bedeutet Mitverantwortung für dieses Unternehmen und sein Schicksal, ist die Grundlage einer Rechtspflicht zur Wahrung und Förderung der Interessen dieses Unternehmens. Diesen potentiellen Konflikten gelten die folgenden Überlegungen, wie gesagt: ausschließlich de lege lata. Es geht also um rechtlich bindende und sanktionsbewehrte Verhaltensregeln für Personen, die sich – bewußt, gewollt und freiwillig – in ein Geflecht von poten- [231] tiellen rechtlichen Konflikten begeben, oder, soziologisch gesagt, vielfache Rollen übernehmen – wie in einem Theater, das zu wenig Personal hat und daher Polonius und den Totengräber durch die gleiche Person spielen lassen muß, nur daß unseren Bankenvertretern auch noch die Lösung des Problems der Gleichzeitigkeit – wenn schon nicht das der Bilokalität – aufgegeben ist. b) Konflikte gibt es gar viele. Sie mögen darin bestehen, daß man A und B kreditieren möchte, aber die Summe nur einmal zur Verfügung hat; daß man die Ideen Maos und die der katholischen Kirche gleichzeitig fördern möchte; daß man sich den Interessen von Bayer ebenso nahe fühlt wie denen von BASF etc. Davon ist nicht die Rede. Es geht hier um verschiedene Rechtspflichten einer Person, die sich – möglicherweise – ganz oder teilweise widersprechen, anders gesagt: die gleichzeitig zu erfüllen – möglicherweise – unmöglich ist. Ehe daher hier endgültig von einem Konflikt gesprochen werden kann, ist stets nach dem Inhalt der Rechtspflicht zu fragen: Dabei mag sich herausstellen, daß sich mancher Interessenwiderstreit rechtlich nur als Scheinkonflikt erweist. 2. Beispiele Um welche Konflikte geht es also? Ich werde versuchen, die Probleme zunächst an Beispielsfällen zu erläutern; anschließend wird es sich empfehlen, diese sehr vielgestaltigen Fälle zu systematisieren, ehe Grundlagen für die Lösung entwickelt werden können. 1. Fall (Herstatt)20 Meier ist Vorstandsmitglied der A-Bank und zugleich Aufsichtsratsmitglied bei Herstatt und in die dramatischen Sanierungsgespräche eingeschaltet. Wäh19 Dazu schon Mestmäcker, Verwaltung (oben Fn. 1), S. 242 ff. und Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 326 f. sowie Klug, FS Walter Schmidt, 1959, S. 39 ff. 20 Der Fall ist dem Sachverhalt der BGH-Entscheidung vom 29. März 1978 (WM 78, 588) nachgebildet; Vorinstanzen: OLG Frankfurt vom 29. 4. 1976, WM 76, 723 und LG Frankfurt vom 11. 9. 1975, WM 75, 1118.

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renddessen gibt der Girokunde K der A-Bank den Auftrag, 100.000 DM an Herstatt auf sein dortiges Festgeldkonto zu überweisen. Kurz nach Gutschrift des Geldes dort wird über Herstatt der Konkurs eröffnet. Wußte die A-Bank als Folge des Wissens ihres Vorstandsmitgliedes um das Herstatt-Problem und mußte sie dieses Wissen ihrem Kunden weitergeben? 2. Fall (Anleger)21 Schlosser ist Aufsichtsratsmitglied der Z AG und Vorstand der D-Bank, die zugleich führendes Mitglied im Emissionskonsortium für Z ist. D hat die jungen Aktien selbst übernommen und vertreibt sie nun mit Aussagen seitens ihrer Anlageabteilung, die, wie Schlosser weiß, zu optimistisch sind. Muß Schlosser eingreifen? [232] 3. Fall (Württembergische Textil)22 Müller ist Vorstandsmitglied der B-Bank und Aufsichtsratsmitglied der Württembergischen Textil AG. Diese hat zwei Jahre lang glänzend verdient. Sie hält die überschüssigen Finanzmittel mehrere Jahre lang bei der B-Bank auf Girokonto. Hat Müller seine Pflichten verletzt? 4. Fall (Abwehrinvestition) Bauer ist Aufsichtsratsmitglied bei der A-AG und bei der B-AG, zwei Unternehmen der Konsumgüterbranche, deren Produkte teilweise miteinander im Markte konkurrieren. Der Vorstand von A nimmt an, daß B ein Konkurrenzprodukt einführen wird und schlägt deshalb seinem Aufsichtsrat eine reine Abwehrinvestition vor. Der Aufsichtsrat will die Investition ablehnen, weil er an die befürchtete Markteinführung nicht glaubt. Bauer aber weiß, daß sie tatsächlich bevorsteht. Wie hat sich Bauer zu verhalten? 5. Fall (Mc Graw-Hill)23

21 Der Fall enthält Elemente des Sachverhaltes aus der Entscheidung des LG Düsseldorf vom 13. 2. 1980, BB 1980, 649 in Sachen Kapitalerhöhung bei der Beton- und Monierbau AG; vgl. dazu auch Ehricke, DB 80, 2429. 22 Der Fall ist bei Klug (oben Fn. 19) S. 54 berichtet. Der Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung wurde – offenbar mit Hilfe des Bankenstimmrechts – abgelehnt. 23 Der Fall hat sich in den USA zugetragen; vgl. FAZ vom 5. 3. 1979, S. 13. Die Klage von Mc Graw-Hill gegen ihr früheres board-Mitglied Morley ist noch anhängig. Dieser Fall hat im übrigen auch noch Ähnlichkeit mit dem Fall (6), da die Hausbank von Mc Graw-Hill (Morgan Guaranty) sich an dem Übernahmekredit für American Express beteiligte.

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Morley ist executive officer und board member der American Express Company, zugleich outside board member des Verlagshauses Mc Graw-Hill. Aus Gründen der Diversifizierung beschließt Amexco überraschend ein Übernahmeangebot an die Aktionäre von Mc Graw-Hill. Als eine Maßnahme der – erfolgreichen – Abwehrschlacht verklagt die Verwaltung von Mc Graw-Hill Morley auf viele Mio Dollar Schadenersatz. Hat sich Morley fehlsam verhalten? 6. Fall (Übernahmekredit)24 Baker ist executive officer und board member der Chemical Bank, zugleich outside board member von Washington Steel. Die Chemical Bank will jetzt der Fa. Talley Industries mit einem Kredit von 70 Mio Dollar das geplante Übernahmeangebot an die Aktionäre von Washington Steel finanzieren. Darf sie das? 7. Fall (Großkredit) Maier ist Vorstandsmitglied der X-Bank und Aufsichtsratsmitglied im Unternehmen A. Im Aufsichtsrat ist über einen Großkredit zu entscheiden der X-Bank; der X-Bank oder der Y-Bank, die unterschiedliche Konditionen bieten. [233] Wie hat sich Maier zu verhalten? 8. Fall (Personal) Günther, Vorstandsmitglied der C-Bank, ist Aufsichtsratsmitglied und Mitglied des Personalausschusses bei den Aktiengesellschaften X, Y und Z. Huber ist Vorstandsmitglied bei X; als Vorstandskandidat wird er jetzt bei Y und Z ins Gespräch gebracht, während X sehr an seinem Verbleib interessiert ist. Wie hat sich Günther zu verhalten? 3. Systematisierung der Konflikte a) Ein erster Konfliktbereich besteht im Verhältnis der Gesellschaft zur Bank selbst, deren „Vertreter“ Mitglied in ihrem Aufsichtsrat ist25. Hierher gehören die Fälle Württembergische Textil (3) und Mc Graw-Hill (5), Übernahmekredit (6), Großkredit (7) und Oppenheim26. Will man hier weiter auffächern, so kann man den potentiellen Konflikt zwischen der Gesellschaft und der betreffenden Bank – vermittelt über den Banken24 Dieser Fall hat in den USA einiges Aufsehen erregt. Vgl. dazu Handelsblatt Nr. 42/1979, S. 6 und die Nachweise unten Fn. 64. 25 Dazu schon Mestmäcker (oben Fn. 1), S. 242 ff. 26 Siehe den Sachverhalt oben Fn. 1.

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vertreter im Aufsichtsrat – in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen der Bank sehen. So ist im Falle Oppenheim das Emissionsinteresse der Bank27, in den Fällen Übernahme- und Großkredit das sogenannte Aktiv- und im Falle Württembergische Textil das passive Kreditgeschäft angesprochen, im Fall Mc GrawHill schließlich die unternehmerischen Beteiligungsinteressen der Bank. b) Die zweite Konfliktebene liegt ebenfalls zwischen der betreffenden Gesellschaft und der Bank, nunmehr aber nicht als eigeninteressiertes Subjekt, sondern als Vertragspartner eines Dritten angesprochen. Hierher gehört vor allem der Herstatt-Fall (1); hierher gehören aber auch die Anlagekunden einer Bank, also etwa die Probleme im Zusammenhang mit der Weitergabe des erhöhten Kapitals im Falle (2). Hierher gehören aber auch die Probleme um Boswau & Knaur, wo sich damals hinter dem Schutzschild positiver Äußerungen der Verwaltung die Großaktionäre rechtzeitig von ihrem Besitz trennen konnten: Hätten Banken als Kommissionäre ihre Kunden warnen müssen, nachdem ihre Vertreter im Aufsichtsrat der Gesellschaft „wissend“ geworden waren28? Dabei ist offensichtlich, daß in manchen dieser Fälle eine Überschneidung zum ersten Bereich gegeben ist. Denn der Kreditkunde (Herstatt-Fall) und der Anleger (Fall 2, Boswau & Knaur) repräsentieren zugleich auch ein eigenes Geschäftsinteresse der Bank. Doch ist die Feststellung wichtig, daß hier nicht nur Eigeninteressen der Bank involviert sind, sondern eben auch, zusätzlich und vor allem die Interessen eines Dritten, der mit der Bank in vertraglichen, d. h. rechtlich besonders geschützten Beziehungen steht. [234] c) Der dritte Konfliktbereich ist dadurch gekennzeichnet, daß der betreffende Bankenvertreter zugleich Mitglied im Aufsichtsrat eines anderen Unternehmens ist und dadurch in Loyalitätskonflikte gerät29. Hierher gehört der Personalfall (8); hierher gehören aber auch die Fälle, in denen die Kenntnis von einem Unternehmen und seinen Entscheidungen unmittelbar in den Bereich des anderen Unternehmens hineinwirken, vor allem also der Fall um die Abwehrinvestition (4). Ein hochberühmter Aufsichtsrat hat mir einmal folgenden Fall dazu erzählt. In dem von ihm geleiteten Aufsichtsrat des Unternehmens X sei auch ein liebenswert-freundlicher Mann Mitglied gewesen, der zugleich Mitglied im Aufsichtsrat des Konkurrenzunternehmens Y war. Der habe nie viel gesagt, aber sich stets nach Abschluß einer Erörterung, sei es nun um Kennzahlen, um Planungen oder Investitionen gegangen, zu Wort gemeldet und dann verkündet: „Bei Y ist diese Situation übrigens so und so, sehen wir die Problematik in anderer Weise“ etc. 27 Zu diesem Interesse vgl. insbes. Klug (oben Fn. 19), S. 45; Hopt (oben Fn. 10), S. 114; Mestmäcker (oben Fn. 1), S. 242, 244. 28 Sachverhalt bei Hopt (oben Fn. 10), S. 84 f. und S. 112 f. 29 Dazu schon Mestmäcker (oben Fn. 1), S. 240 und Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1979, S. 97 ff.; vgl. auch Geßler-Bericht (oben Fn. 2), Tz. 393.

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Da es keinen Anhaltspunkt dafür gab, das betreffende Aufsichtsratsmitglied werde bei Y anders verfahren, habe man zum Schluß überhaupt nicht mehr gewußt, in welcher Form man noch beraten könne. Hierher gehört aber auch die Geschichte, wie die lebenslange Freundschaft zweier hochmögender Herren zerbrach: Die BASF war Rohstoff-Lieferant für den Faser-Produzenten Glanzstoff. Im Aufsichtsrat von BASF und Glanzstoff saßen die Herren A. und W.; sie repräsentierten die „besonderen Beziehungen“ zwischen den beiden Unternehmen. Bei einem seiner Einkaufsbummel erwarb dann der Vorstandsvorsitzende T. der BASF einen Konkurrenten von Glanzstoff. Herr W. trat im Aufsichtsrat von Glanzstoff zurück, A. blieb und Herr V., der Vorstandsvorsitzende von Glanzstoff verzieh den Vorgang seinem einstigen Freunde W. nie. II. Wege zur Konfliktlösung 1. Überblick Der Interessenkonflikt unter mehreren Subjekten wird im Zivilrecht durch den Einigungszwang mit Hilfe des Instrumentes „Vertrag“ vorgeordnet: beide Subjekte müssen akkordieren, damit sich die Rechtsordnung beruhigen kann. Im übrigen gewinnt der Interessenkonflikt unter beiden erst wieder Bedeutung, wenn er zum Rechtskonflikt geworden ist. Der Interessenkonflikt innerhalb eines Subjektes ist schwieriger zu lösen. Man muß hier unterscheiden zwischen allgemeinen Interessenkonflikten (Brot oder Kuchen, Wohnhaus oder Yacht) und solchen, die zu Rechtskonflikten werden können (Eltern mit ihren eigenen Interessen und als Vertreter ihrer Kinder) oder es gar per se schon sind (das Vorstandsmitglied soll sich selbst überwachen). 2. Inkompatibilität Die Rechtsordnung sucht Rechtskonflikte zu vermeiden, insbesondere dann, wenn sie durch Interessenkonflikte innerhalb einer Person quasi vorprogrammiert sind; sie liebt Konflikte der hier geschilderten Art normalerweise gar nicht. Denn sie geht in ihrer langen Erfahrung sehr zu Recht davon aus, daß der Mensch in all seiner [235] Schwäche dem Konflikt nicht sonderlich gewachsen ist. Dem entspricht es, daß dem Richter nicht zugemutet wird, in eigener Sache zu judizieren30, dem Aufsichtsrat nicht, sich als Vorstand selbst zu überwachen (§ 105 Abs. 1 AktG), dem Vorstand der Tochtergesellschaft nicht, seinen eigenen „Vorgesetzten“, den Vorstand der Muttergesellschaft abzuberufen (§ 100 Abs. 2

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§§ 41 ff. ZPO, 22 ff. StPO; 54 Abs. 1 VWGO.

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Nr. 2 AktG) etc. Deshalb gibt es den § 181 BGB und auch die vielfältigen Inkompatibilitätsregeln des Öffentlichen Rechts. a) Es läge also nahe, diesen Rechtsgedanken zu übernehmen und nach den Regeln der Rechtsanalogie auszuweiten, d. h. allgemeine Inkompatibilitätsregeln für bestimmte Konfliktkonstellationen im Aufsichtsrat als Rechtssätze de lege lata herauszuarbeiten31. Ehe man dieser Überlegung nähertritt, gilt es aber zwei Aspekte zu bedenken: Zunächst einmal ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß das Gesetz die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat deutlich erkennbar als Nebenamt begreift32 und dadurch selbst den Interessenkonflikt wenn nicht anlegt, so doch ermöglicht: Das Gesetz geht davon aus, daß ein Hauptamt besteht (§ 110 Abs. 3 AktG und die gesamten Regeln zur Arbeitnehmer-Mitbestimmung); und es erlaubt ausdrücklich die Übernahme weiterer Nebenämter (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG), schafft also – wenn nicht gar fördert – die Möglichkeit eines breiten Interessenkonflikts. Darüber hinaus ist dieser Interessenkonflikt implizit und explizit vom Gesetzgeber akzeptiert. Implizit: Die Probleme um Bankenvertreter in Aufsichtsräten waren schon lange vor dem 1. Weltkrieg bekannt und wurden in der groß angelegten Enquête-Kommission der 20er Jahre breit erörtert33. Seitdem wurde das Aktiengesetz von 1937 und das von 1965 formuliert, ohne daß (weitere) Inkompatibilitätsregeln geschaffen wurden. Explizit: Gewerkschaftsvertreter in Aufsichtsräten wurden vom MontanMitbestG34 und in viel weitergehendem Maße dann auch vom MitbestG 76 vorgeschrieben35 und zwar Vertreter gerade derjenigen Gewerkschaften, die für die Tarifpolitik dieser Unternehmen zuständig sind36. Dieser Aspekt läßt sich nicht einfach mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Entscheidungsebenen – hier die Aufgaben im einzelnen Unternehmen, dort die Tarifpolitik des Unternehmensverbandes – beiseiteschieben; denn der Konflikt ist nicht dadurch aufgelöst, daß er im Verband aufbricht, dessen Mitglied das Unternehmen ist; und schließlich sind Firmentarifverträge nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich. Und während das Gesetz den potentiellen Konflikt sonst durch Inkompatibilitätsregeln zu vermeiden sucht, provoziert es ihn hier geradezu. [236] Ich möchte diese Konstruktion als Prinzip der Gruppeninternalisierung von Konflikten bezeichnen: Alle divergierenden Interessen werden personalisiert, De lege ferenda mit Nachdruck schon C. E. Fischer, AcP 154 (1955), 181 ff., 223, 229. Dazu näher Lutter, Information (oben Fn. 29), S. 97. 33 Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft (Enquête-Kommission), I. Unterausschuß, 3. Arbeitsgruppe, 1928, S. 273, 329 ff.; Vgl. auch Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604. 34 § 6 Montan-MitbestG. 35 § 7 Abs. 2 MitbestG 76. 36 Zu diesem vielfältig erörterten Konfliktbereich vgl. vor allem BVerfG vom 1. März 1979, BVerfGE 50, 290, 370 ff. und Hanau, ZGR 1980, 524, 530 ff. 31 32

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unter einem Glasdach versammelt und faktisch unter Einigungszwang gestellt wie bei der Papstwahl: Ohne diese Einigung kommen die Beteiligten letztlich nicht auseinander und wenn sie dabei das Glas zerstören, schädigen sie u. a. auch sich selbst. Vielleicht ist das der Grund, weshalb manche Autoren Inkompatibilitätsregeln als archaisch bezeichnen. Aber immerhin ist die Verbindung von Universalbank, Vollmachtsstimmrecht und Vertretung im Aufsichtsrat ein Interessengeflecht, durch das sich unverletzt hindurchzuwinden auch für Bankiers schon eine große Könnerschaft verlangt. b) Demnach muß man davon ausgehen, daß die Lösung potentieller Loyalitätskonflikte im Aufsichtsrat de lege lata nicht durch die Entwicklung allgemeiner Inkompatibilitätsregeln über die §§ 100, 105 AktG hinaus gefunden werden kann. Damit aber ist noch nicht die Frage nach speziellen Inkompatibilitätsregeln beantwortet. aa) Zu denken ist hier in erster Linie an Personen, die in den Aufsichtsräten von zwei oder mehr miteinander konkurrierenden Unternehmen tätig sind. Jedem dieser Unternehmen sind sie ohne Einschränkung zu Rücksicht, Loyalität und Förderung seiner Interessen verpflichtet, nicht minder zur Wahrung der Schweigepflicht. Tatsächlich aber führt hier schon das Wissen um die Strategie und die taktischen Vorhaben des einen Unternehmens auch dann, wenn sich das betreffende Aufsichtsratsmitglied vollständig korrekt verhält und kein Wort im anderen Unternehmen darüber verlauten läßt, zu einer bestimmten inneren Befangenheit, die das Mitglied an einer wirklich unabhängigen Meinungsbildung hindert. Soll es für die Vermeidung eines Zusammenstoßes der Unternehmen am Markt plädieren oder beide gar aufeinanderhetzen? Was das betreffende Aufsichtsratsmitglied macht, es macht es falsch37. Auch an der Diskussion kann sich das betreffende Aufsichtsratsmitglied nicht unbefangen beteiligen; einerseits muß es stets befürchten, mehr zu sagen als es darf; andererseits muß es stets in der Sorge leben, mit Vorwürfen seiner Kollegen – warum hast Du uns damals nicht informiert? – überschüttet zu werden. Diese Situation ist nicht nur in Einzelfällen gegeben, sondern charakterisiert generell und überhaupt die Situation dieses Aufsichtsratsmitglieds. Man wird dieses Mitglied daher – ohne daß damit ein konkreter persönlicher Vorwurf verbunden wäre – als nur höchst beschränkt einsatzfähig anzusehen haben; es ist weitgehend inhabil, sozusagen ständig krank.

37 Gelegentlich mag es anders sein; dafür wurde in der Diskussion ein gutes Beispiel gebracht: Ist A im Aufsichtsrat der Brauereien X und Y und erwägt X die Einführung von Altbier, so mag der Hinweis von A, daß Y erhebliche Schwierigkeiten am Markt habe und für dieses Produkt rote Zahlen schreibe, für beide Unternehmen nützlich sein: Für X durch die Warnung vor einer Fehlentscheidung, für Y durch die Vermeidung eines weiteren Konkurrenten im offenbar bereits übersättigten Markt.

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Hieraus erhellt im übrigen auch, daß die von Werner38 vorgeschlagene Unterscheidung in rechtserhebliche Einwirkung und rechtlich unerhebliche Auswirkungen des Konfliktes jedenfalls allein zur Lösung solcher Konfliktlagen nicht ausreichen [237] kann; denn mehr als eine Auswirkung wäre hier aus der Situation allein nicht gegeben; und doch kann sich die Rechtsordnung – wie man bereits an § 181 BGB erkennt – damit nicht zufrieden geben. Steht auf der einen Seite die beschränkte Einsatzfähigkeit dieses Aufsichtsratsmitglieds, so ist auf der anderen Seite die Wettbewerbsfähigkeit und wettbewerbliche Autonomie des einzelnen Unternehmens zu sehen39. Sie ist ein Grundwert unserer Wirtschaftsverfassung und darf daher auch nicht in Einzelaspekten tangiert werden. Beide Elemente – die nur beschränkte Einsatzfähigkeit des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds im Unternehmen einerseits und der Konflikt. mit dem Prinzip der wettbewerblichen Autonomie der Unternehmen andererseits – sind gravierend und strukturell bedingt. Beide Elemente sind weder mit der einzelnen konkreten Person verknüpft noch auf einzelne Gelegenheiten beschränkt. Damit stehen einerseits die Befähigung zur Amtsausübung überhaupt in Frage, andererseits das vorrangige Rechtsgut wettbewerblicher Autonomie. Daraus folgt geradezu notwendig eine spezielle Inkompatibilität: Personen, die in einem Unternehmen dem Aufsichtsrat angehören, dürfen nicht in den Aufsichtsrat eines anderen Unternehmens gewählt werden, das – ganz oder teilweise – mit ersterem in aktuellem und relevantem Wettbewerb steht40. Und das gilt naturgemäß nicht nur für Bankiers. Und es gilt nicht nur für die Seite der Anteilseigner, sondern auch für Arbeitnehmervertreter, also etwa für Organmitglieder von Gewerkschaftsunternehmen, die als Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat eines Konkurrenzunternehmens gewählt werden sollen. Auch ist Inkompatibilität aus der Wettbewerbssituation nicht auf Organmitglieder – also den Bankvorstand oder den Kaufhaus-Aufsichtsrat – beschränkt, sondern gilt auch für leitende Angestellte, soweit sie nur in eigenen unternehmerischen Entscheidungen durch die notwendige Information über den Wettbewerber beeinflusst sein können. Relevant ist der Wettbewerb, wenn er nach Größe und Struktur der betroffenen Unternehmen für den Aufsichtsrat von Bedeutung werden kann, Fragen dieses Siehe in diesem Heft S. 252 ff. Näher dazu Lutter, Unternehmensverfassung und Wettbewerbsordnung, BB 1975, 613 mit weiteren Nachw. 40 Auch bei sonstigen unlösbaren Einzelkonflikten wird als ultima ratio die Pflicht zur Niederlegung des Amtes. vertreten; vgl. etwa Mertens, Kölner Komm., § 93 Anm. 22; Meyer-Landrut, Großkomm., § 102 Anm. 6 und § 111 Anm. 5; Baumbach/Hueck, Komm. Zum AktG, 13. Aufl. 1968, § 111 Anm. 4. Hier ist ein solcher Konflikt per se gegeben. Kritisch zum Aspekt der personalen Verflechtungen auch Bindschedler, SAG 78, 99, 101. 38 39

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Marktes im Aufsichtsrat zu entscheiden sein werden, wenn sie bei typischer Entwicklung der Situation im Aufsichtsrat anhängig werden können. Das ist dann nicht gegeben, wenn die Konkurrenzsituation nur eine wirklich unbedeutende Abteilung oder Tochtergesellschaft trifft, deren Aspekte nach dem regulären Gang der Dinge den Aufsichtsrat nicht beschäftigten werden. bb) Ein Wahlbeschluß, der dieses Gebot nicht berücksichtigt, ist anfechtbar. Wird nicht angefochten, so liegt in der Inkompatibilität ein wichtiger Grund zur Abberufung, sei es nach den Regeln des betreffenden Wahlgremiums, sei es nach § 103 [238] AktG. Das gilt auch, wenn sich die Wettbewerbslage erst während der Amtsperiode ergibt. cc) Eine Befreiung von dieser Schranke nach dem Rechtsgedanken des § 181 BGB kann es hier nicht geben, weil weder die Wettbewerbsordnung noch die Frage der Befähigung zum Aufsichtsrat zur Disposition des betreffenden Wahlkörpers steht. Auch der Hauptversammlung stehen die Befugnisse nicht zu beliebiger, sondern zu ordnungsgemäßer Entscheidung zu – wenn auch mit einem breiten Beurteilungsermessen; das aber wäre hier überschritten. dd) Schwierigkeiten ergeben sich bei der Umsetzung dieser Überlegungen in verbundene Unternehmen. Dabei sind durchaus unterschiedliche Fälle denkbar: (1) Die Bank ist an zwei Kaufhausunternehmen unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt; (2) die Bank ist an einem anderen Bankunternehmen maßgeblich beteiligt; (3) der Bankenvertreter ist Mitglied im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft und im Aufsichtsrat eines mit dieser Gesellschaft verbundenen dritten Unternehmens; (4) die Bank hat eine Tochtergesellschaft, die ein Kaufhaus betreibt; nunmehr soll ein Mitglied des Bankvorstandes in den Aufsichtsrat eines KaufhausUnternehmens gewählt werden. In den beiden letzteren Erscheinungsformen kann es gelegentlich schon am postulierten Konflikt rechtlich relevanter Interessen fehlen. Vor allem aber dürfen die Regeln im Recht der verbundenen Unternehmen, insbesondere die §§ 308, 311 ff. AktG, und die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht durch den Ausbau aktienrechtlicher Inkompatibilitätsregeln ergänzt oder verändert werden. Anders gewendet: die Konfliktlösung ist hier Aufgabe anderer Normbereiche, also vor allem der Vorschriften im Recht der verbundenen Unternehmen. Nur in solchen Konzerntatbeständen und Abhängigkeitsfällen ist auch bei relevantem Wettbewerb Inkompatibilität daher nicht gegeben: Mit dieser Begründung ist die Entscheidung des Reichsgerichts vom 12. Oktober 1940 auch heute noch zutreffend41.

41 RGZ 165, 68; ähnlich BGH vom 29. 1. 1962, BGHZ 36, 296 mit jeweils anderer Begründung.

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Daher kann der Bankvorstand Mitglied im Aufsichtsrat der Tochterbank (Beispiel: Bayerische Hypotheken- und Wechselbank/Westfalenbank AG) sein (Fall 2), aber auch der Großaktionär zweier konkurrierender Unternehmen in diesen beiden Aufsichtsräten (Fälle 1 und 3): Die §§ 311 ff. AktG werden insoweit als vollständige Konfliktsonderordnung begriffen. Andererseits ist der Bank die Tätigkeit ihrer Tochter „zuzurechnen“, so daß die wettbewerbliche Inkompatibilität im Falle (4) gegeben ist; der Bankvorstand darf in den Aufsichtsrat des Kaufhaus-Unternehmens nicht gewählt werden. ee) Grundlage dieser Argumentation zur speziellen Inkompatibilität aus Wettbewerbslagen sind die Pflichten des betreffenden Mitglieds aus §§ 93, 116 AktG gegenüber jeder Gesellschaft, die Pflicht also zu ordnungsgemäßer Ausübung und Ausfüllung des Amtes. Erste Voraussetzung dafür ist die persönliche Fähigkeit dazu, die hier für die genannten Fälle bestritten wird. Der Hinweis auf die Wettbewerbsordnung [239] als Element der Wirtschaftsverfassung hat hierbei unterstützenden Charakter, ist aber in der rechtlichen Argumentation gerade nicht selbständig gedacht. Daher wird hier auch keine Parallele zu sect. 8 des U.S.-Clayton Act und dem dort statuierten Verbot der sogenannten interlocking directorates gebracht42. 3. Weitere Rechtssätze zur Konfliktlösung a) Konnte damit der durch Wettbewerb ausgelöste Konflikt einigermaßen aufgelöst werden, so bleiben noch die vielfältigen anderen Konfliktebenen. Sie sind nicht genereller Natur, sondern treten mehr oder minder häufig punktuell auf. Außerdem fehlt es für sie am Konflikt mit dem Rechtsgut Wettbewerb. Daher kommen für diese vielen anderen Konflikte auch spezielle Inkompatibilitätsregeln nicht in Betracht. Für diese weit überwiegende Zahl von Konflikten bleibt somit keine andere Hilfe, als die einzelnen Konfliktfelder je für sich zu untersuchen unter dem Aspekt spezieller Verhaltenspflichten von Aufsichtsräten in rechtlich relevanten Konfliktlagen. Dabei ist unsere Frage – wie schon bislang – zwar durch die häufige Konfliktsituation von Bankiers in Aufsichtsräten veranlaßt, kann aber in ihrer Lösung nur beispielhaft mit ihnen verknüpft, in der Substanz aber nicht etwa auf sie beschränkt sein. Anders gewendet: was für den Bankier im dritten Konfliktfeld (Mitgliedschaft im Aufsichtsrat mehrerer Gesellschaften) gilt, muß für den Manager der Industrie und für den Gewerkschaftsvertreter in gleicher Lage nicht mehr und nicht weniger gelten.

42 Vgl. dazu Richard P. Murphy, „Keys to unlock the interlocks: dealing with interlocking directorates“, in Journal of Law Reform, Vol. 11:3 (1978), 361-378 mit reichhaltigem Material aus Praxis und Entscheidungen.

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b) Zur Beherrschung dieser Konflikte im Sinne spezieller Verhaltenspflichten finden sich bereits in Gesetz, Rechtsprechung und Literatur eine Reihe bewährter Aussagen, die sich folgendermaßen systematisieren lassen: aa) Ein erster Satz lautet: Mitglieder des Aufsichtsrats haben sich bei der Ausübung ihrer Organpflichten stets und allein am Interesse des betreffenden Unternehmens auszurichten43. Das klingt gut, schützt aber mitnichten vor Perplexität: Wie soll sich aufgrund dieser Aussage der Mann von American Express (Fall 5) verhalten, der vom Gesetz mit den gleichen Worten auf das Interesse beider Unternehmen verpflichtet ist? Dort liegt es im klaren Interesse von American Express, Mc GrawHill zu übernehmen; hier aber ist die unternehmerische Selbständigkeit von Mc Graw-Hill ange- [240] sprochen: Soll er auf der einen Seite das Übernahmeangebot mit formulieren und auf der anderen Seite die Abwehrschlacht mit tragen? Der angesprochene Rechtssatz ist fraglos richtig, aber nur sehr beschränkt lösungskräftig dann, wenn mehrfache unternehmerische Interessen bestehen, rechtlich geschützt sind, aber einander in einer Person widerstreiten44. bb) Eng verknüpft mit diesem ersten ist ein zweiter Satz. Er stammt vom Bundesgerichtshof und lautet: Das (gemessen am 1. Satz) fehlsame Handeln eines Aufsichtsratsmitgliedes wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß dieses Mitglied durch sein fehlsames Verhalten zugleich eine Rechtspflicht mit gegenteiligem Inhalt in einem anderen Unternehmen verwirklicht45. Auch dieser Satz ist sicher richtig; aber auch er hilft nur partiell. Kämpft nämlich der Mann von American Express auf Seiten von Mc Graw-Hill, so setzt er einen wichtigen Grund zu seiner Abberufung im Vorstand von American 43 Das ist unbestritten; vgl. etwa schon RGZ 165, 68, 80 f. und BGHZ 36, 296, 306 f., 310 sowie BGH NJW 79, 1823, 1826 und: Bericht der Unternehmensrechtskommission, 1980, S. 143 ff.; Fitting/Wlotzke/Wißmann (oben Fn. 11), § 25 MitbestG Anm. 94 ff.; Kunze, ZHR 144 (1980), 115 ff.; Mertens, Kölner Komm., § 93 Anm. 22 und ZGR 77, 270, 275; Naendrup, Gemeinschaftskommentar zum MitbestG, Einl. Anm. 189; Meyer-Landrut, Großkomm., § 111 Anm. 4; Raisch, FS Hefermehl, 1976, 347, 348 ff.; Raiser, FS Reimer Schmidt, 1976, S. 101, 113 und Kommentar zum MitbestG, 1978, § 25 Anm. 82 ff.; Ulmer, NJW 80, 1603. 44 Viel schwieriger ist die Klärung der Frage, was im Einzelfall dieses Unternehmensinteresse ist; vgl. dazu etwa Raiser, a.a.O. und Junge, FS von Caemmerer, 1978, S. 547, je mit weiteren Nachw. Jedenfalls schützt der Satz vom Unternehmensinteresse den „gemeinsamen Zweck“ vor außerkorporativen Egoismen. Ob aus ihm darüber hinaus materielle Aussagen zur Lösung eines verbandsinternen Konfliktes entwickelt werden können, erscheint nach wie vor zweifelhaft. Immerhin wird damit die Rechtspflicht zur (internen) Abwägung signalisiert mit dem Ziel, möglichst viele der Einzelinteressen zu optimieren, d. h. diejenige Entscheidung zu wählen, in der möglichst viele dieser Einzelinteressen zugleich verwirklicht werden können. 45 BGH NJW 1980, 1629 = WM 1980, 162 = DB 1980, 438 und dazu Ulmer, NJW 1980, 1603; vgl. weiter Mestmäcker (oben Fn. 1), S. 253 f.; Mertens, Kölner Komm., § 93 Anm. 22; Baumbach/Hueck, § 111 AktG Anm. 4; Claussen, AG 81, 57, 60.

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Express; und gelingt es Günther im Interesse der Z-AG, Huber von der X-AG abzuwerben (Fall 8), so verletzt er seine Pflicht dort: sehr hilfreich ist die Aussage für Morley und Günther also nicht. Allerdings: der Schaffgotsch-Fall des Bundesgerichtshofs46 mit dem vom Aufsichtsratsmitglied veranlaßten Wechselkredit war mit diesem Satz einwandfrei zu lösen. cc) Nicht weit entfernt von diesem zweiten ist schließlich ein dritter Satz angesiedelt, den der Neu-Kantianer Peter Ulmer47 kürzlich etwa so formuliert hat: Handle stets so, daß die von Dir angeregten oder gebilligten Maßnahmen eines Vorstandes nicht anschließend von Dir als seinem Aufsichtsrat gerügt werden müßten. Auch dieser Satz ist sicher richtig und hilft vor allem in bestimmten Fällen des unmittelbaren Interessenkonflikts zwischen der Bank und dem Unternehmen. So läßt sich der Fall Württemberger Textil (Fall 2) mit seiner Hilfe korrekt lösen; denn das Bankvorstandsmitglied ist, wie oben festgestellt, zu besonderer Überwachung des Finanzmanagements gehalten und daher aufgrund des obigen Satzes verpflichtet, von sich aus Gespräche mit dem Vorstand des Unternehmens über eine zweck- [241] mäßigere Anlage der Gelder einzuleiten: Die Aufsichtsratspflicht hat Vorrang. Wo immer der Bankier im Aufsichtsrat und aufgrund seiner dortigen Pflichten zur Intervention quasi gegen sich selbst als Bankier der Gesellschaft verpflichtet wäre, hat er eben diesen Konflikt durch Maßnahmen im konfligierenden Hauptamt zu beseitigen. Folgt man dieser Auffassung, so hat das für Unternehmen mit Bankiers in ihren Aufsichtsräten erhebliche Folgen. Deren Institute sind dann zwar nicht zur Kreditierung in Notlagen verpflichtet, wohl aber zu sehr sorgsamer und vorsichtiger Ausnutzung eigener Interessen im Rahmen bestehender Engagements mit den betreffenden Unternehmen. Andernfalls laufen sie Gefahr, ihr eigenes Vorstandsmitglied dem Vorwurf der Pflichtwidrigkeit im Aufsichtsrat auszusetzen: Was einem beliebigen Dritten gegenüber vielleicht nicht ganz fein, aber sicher nicht zivilrechtlich verboten ist, erhält – mittelbar – eine andere Struktur durch Mitwirkung von Vorstandsmitgliedern aus Kreditinstituten in Aufsichtsräten der betreffenden Unternehmen. Diesen Erwägungen stünde auch der Hinweis nicht entgegen, die beiden Tätigkeiten – Aufsichtsratstätigkeit einerseits und Kreditverhältnis mit dem betreffenden Unternehmen andererseits – seien in Kreditinstituten nicht selten streng voneinander getrennt48. Das mag zutreffen – eher gelegentlich als regelmäßig, wird doch meist das „regional zuständige“ Vorstandsmitglied eines Kreditinstitutes für den Aufsichtsrat angesprochen. Aber selbst wenn die Trennung vorliegt, löst sie doch den Konflikt nicht, sondern betrifft nur den Informationsfluß. Und Urteil vom 21. Dez. 1979, oben Fn. 45. NJW 1980, 1603. 48 Siehe dazu Geßler-Bericht (oben Fn. 2), Tz. 260; Hopt (oben Fn. 10), S. 114, 127 ff.; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 246. 46 47

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das ist jedenfalls hier unter rechtlicher Betrachtung irrelevant: denn der Bankier ist, wie wir festgestellt haben, als Aufsichtsrat in besonderem Maße zur Überwachung des Finanzmanagements gehalten; der Vorteil seines Institutes wäre identisch mit dem Vorwurf mangelnder Überwachung ihm gegenüber. Daher kann die Lösung des potentiellen Konflikts zwischen dem Unternehmen und den Eigeninteressen des Kreditinstituts nur durch Zurückhaltung in letzterem Bereich, nur durch die Konfliktvermeidung auf dem Hintergrund einer sehr sorgsamen Behandlung der Kreditengagements gelöst werden. dd) Ein weiterer Satz könnte lauten: Was das Aufsichtsrats-Mitglied weiß, weiß auch sein Institut; und dieses muß seine Kenntnis im Rahmen der regulären vertraglichen Sorgfalts-, Treue- und Auskunftspflichten seinen eigenen Vertragspartnern weitergeben. (1) Dieser Satz hat im Herstatt-Komplex (Fall 1) eine Rolle gespielt, vielleicht auch bei Boswau & Knaur49 und ist jetzt im Falle Beton- und Monierbau/Westdeutsche Landesbank/Bürgschaft NRW mit großer Lautstärke durch die Gazetten gewandert50. Der Satz ist falsch, und zwar weniger seine zweite als seine erste Hälfte, also die Frage der Zurechnung. Zwar werden Sätze wie [242] das Wissen ihres gesetzlichen Vertreters ist Wissen der juristischen Person (Richardi)51 oder die Kenntnis auch nur eines Organmitgliedes ist Kenntnis der Gesellschaft, gleichgültig woher die Kenntnis stammt (Baumann)52 allgemein akzeptiert und ihre Richtigkeit nur an den Rändern diskutiert53. Das mag dahinstehen; denn diese Sätze sind auf den hier behandelten Komplex überhaupt nicht anwendbar. Und das aus zwei Gründen: Zum einen hat der Satz von der Wissenszurechnung die Aufgabe, Außenstehende vor den Tücken einer großen Organisation zu schützen. Das wird an einer Vorschrift wie § 166 Abs. 1 BGB ebenso deutlich wie aus den nahe verwandten Zugangsregeln der §§ 28 Abs. 2 BGB, 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, 35 Abs. 2 Satz 2 GmbHG. Hier aber geht es mitnichten um den Schutz der Bankkunden vor Tücken der internen Organisation eines Kreditinstituts, sondern um die Frage, ob den Bankkunden ein rechtlicher Vorteil aus der Mitgliedschaft des Bankiers im Aufsichtsrat des dritten Unternehmens – und zu dessen Lasten! – zusteht. Davon aber kann nicht ernsthaft die Rede sein.

Nachweis bei Hopt (oben Fn. 10), S. 84 f. und 112 f. Handelsblatt vom 10. 9. 1979, S. 4; Das Wertpapier 1979, 879, 882; Max Kruk, FAZ vom 6. 9. 1979 und vom 17. 9. 1979, S. 13. 51 AcP 169 (1969), 385, 388. 52 ZGR 1973, 284, 285; ebenso Mertens, Kölner Komm. § 76 AktG Anm. 2. 53 Vgl. etwa Godin/Wilhelmi (oben Fn. 14), § 78 Anm. 6; Meyer-Landrut, Großkomm., § 78 Anm. 21. 49 50

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Zum anderen aber ist der Satz von der Zurechnung hier auch deshalb unanwendbar, weil Wissenszurechnung auch Redepflicht bedeutet. Anders gewendet: Wenn das Wissen des Bankvorstands über die Interna des Unternehmens, dessen Aufsichtsrat er angehört, seinem Institut zugerechnet werden müßte, dann hätte er alle diese Interna auch an seine Vorstandskollegen und an das sonst zuständige Personal seiner Bank weiterzugeben: diese müßten es dann nicht nur fiktiv, sondern auch tatsächlich wissen. Damit aber würde er gegen seine AufsichtsratsTreupflicht und ggf. sogar gegen die strafbewehrte Schweigepflicht aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG verstoßen54. (2) Eine ganz geläufige Variante zu diesem Fragenkomplex entsteht dann, wenn das Kreditinstitut, aus dem unser Aufsichtsratsmitglied stammt, zugleich Kreditgeber des Unternehmens ist und in dieser Position natürlich über die wirtschaftlichen Verhältnisse im großen und in den Einzelheiten nun tatsächlich auf das Nachdrücklichste informiert ist. Folgt daraus die Pflicht zur Information eines anderen Kunden, von dem die Bank weiß, daß er mit diesem Unternehmen in Verbindung steht und ihm z. B. erhebliche Lieferantenkredite gewährt? Von einer solchen Pflicht oder auch nur einer solchen Befugnis kann keine Rede sein55. Denn man mag das Bankgeheimnis ansiedeln wo immer man will: Daß es – ausdrücklich oder konkludent – Inhalt jedes Giro- oder sonstigen Bankvertrages ist in dem Sinne, daß die Bank nicht berechtigt ist, irgendwelche Kenntnis von sich aus an andere Kunden weiterzugeben, erscheint [243] mir keiner besonderen Diskussion wert56, soweit diese für das von der Auskunft betroffene Unternehmen nachteilig wäre57. Ganz anders ist es nur dann, wenn das Unternehmen von einem Dritten zusätzlich Kredit wünscht und zu diesem Zwecke die betreffende Bank zusammen mit ihrem im Aufsichtsrat vertretenen Vorstandsmitglied als Auskunftspersonen eingeschaltet werden. Hier kann und muß der potentielle dritte Kreditgeber davon ausgehen, daß das kreditsuchende Unternehmen seine Bank und sein Aufsichtsratsmitglied zu entsprechenden Verhandlungen und Auskünften ermächtigt und daher im eigenen Interesse von allen Schweigepflichten entbunden hat: das ist allein durch die Mitwirkung dieser Person indiziert und kann von einem Dritten in der Position des potentiellen Kreditgebers nicht anders verstanden werden. Fehlt es daran und bleibt das betreffende Aufsichtsratsmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet, so muß dieses seine Mitwirkung am Kreditgespräch versaLutter, Information (oben Fn. 29), S. 95 ff. mit weiteren Nachw. Vgl. Canaris, Großkomm. HGB, 3. Aufl. 1978, Anhang nach § 357 Anm. 38 sowie weiter die Ausführungen von Heinsius und Kübler sowie den Diskussionsbericht dazu in diesem Heft S. 177 ff., 204 ff. und 222 f. 56 BGHZ 27, 241 und BGH WM 1973, 892 sowie Schönle, Bank- und Börsenrecht, 2. Aufl. 1976, § 5 I. 57 RGZ 139, 103, 105; Schönle, a.a.O., § 5 II. 54 55

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gen; andernfalls würde sich das Aufsichtsratsmitglied objektiv an einer Täuschung des dritten Kreditgebers beteiligen. ee) Schließlich könnte ein weiterer Satz – in Anlehnung an Hopt58 – lauten: Anlegerschutz geht vor. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Denn betroffen werden auch das Unternehmen und damit die früheren Anleger bei ihm, nicht nur die Neu-Anleger: Muß ihnen die Bank aufgrund der internen Kenntnisse ihres Vertreters im Aufsichtsrat von der Misere bei Boswau & Knaur berichten, muß sie zur Distanz bei Aktien von Beton- und Monierbau raten, so sinken die Überlebenschancen dieser Unternehmen rapide. Es gilt, mehrere Aspekte zu unterscheiden: Der Bankenvertreter im Aufsichtsrat von Boswau & Knaur ist weder berechtigt noch gar verpflichtet, in seinem Institut allgemein auf die Schwierigkeiten der Gesellschaft hinzuweisen; ja, er ist gehalten, die Angelegenheiten dieser Gesellschaft säuberlich von der Anlageabteilung seiner Bank getrennt zu halten. Mag man durchaus Zweifel an der vollen Wirksamkeit eines solchen chinese-wall-Systems haben: An der Rechtspflicht zu entsprechender Organisation scheint mir kein Zweifel möglich. Sie folgt aus der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat und verwirklicht die Pflicht zu Sorgfalt und Treue bei der Wahrung von Interessen dieses Unternehmens59. Aber: Weiß die Anlageabteilung aufgrund eigener Information um die Probleme des Unternehmens, so kann sie sich nicht etwa wegen des Aufsichtsratsmandates verschweigen, darf also nicht zuraten, muß vorsichtige Distanz üben. Das gilt um so mehr, je stärker die Bank in der Anlage eigeninteressiert ist, insbesondere dort also, wo sie als Emissionsinstitut nach Eigenübernahme tätig wird60. [244] Durchaus problematisch aber ist folgender Aspekt: Erkennt unser Bankvertreter, daß die Anlageabteilung seiner Bank aufgrund von Fehlbeurteilungen dabei ist, Sauerbier als Spätlese auszuloben, muß er dann eingreifen? Ist er verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß sein Institut nicht etwa durch zu schön gefärbte Berichte Anleger zu gewinnen sucht, obwohl er selbst – als Aufsichtsratsmitglied – Kenntnis von einer real anderen Situation der Gesellschaft hat? Die Frage zu beantworten ist schwierig. Wäre die Antwort positiv, so bräche de facto das chinese-wall-System zusammen; wäre sie negativ, so fällt es schwer, dem Anleger noch ins zu Auge schauen. Und doch liegt gerade in seiner Person der Schlüssel zur Lösung. Denn man muß hier ja aus seinem Vertrauen in die Bank argumentieren. Vertrauen aber kann der Anleger nur in Bezug auf die Sorgfalt der Anlageabteilung, deren allgemeine Überwachung durch den Vorstand, nicht aber auf zusätzliche Kenntnisse der Anlagenabteilung aus der Mitgliedschaft von VorAnlegerschutz (oben Fn. 10), S. 440, 448 ff. Zur Rechtspflicht zu entsprechender Organisation vgl. Hopt (Fn. 10) S. 469; Canaris (Fn. 55), Anhang nach § 357 Anm. 816. 60 Ähnlich Hopt (oben Fn. 10), S. 464; anders offenbar Canaris (Fn. 55), Anhang nach § 357, Anm. 816. 58 59

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ständen in Aufsichtsräten. Es besteht also kein Grund, das chinese-wall-System in Frage zu stellen. Im Gegenteil: es gilt, so muß man hinzusetzen, auch für Kenntnisse aus etwaigen Kreditengagements der Banken61. Der Satz „Anlegerschutz geht vor“ ist also zur Vermeidung und Lösung der hier angesprochenen Konflikte nur wenig hilfreich: Der Anleger im Falle (2) mag sich bemühen, mangelnde Sorgfalt der Anlageabteilung darzutun; aus der Mitgliedschaft von Schlosser im Aufsichtsrat der Z-AG aber erwachsen ihm keine rechtlichen Vorteile. 4. Sonstige Aspekte der Konfliktlösung Mit den bislang entwickelten Rechtssätzen und sonstigen Überlegungen wurde die Lösung der Fälle (1) und (2) sowie (3) und (4) möglich. Demgegenüber greifen die bisher entwickelten Instrumente nicht für die Fälle Mc Graw-Hill (5) und Übernahmekredit (6), Großkredit (7) und Personal (8). a) Im Fall Übernahmekredit (6) geht es um die Frage, ob die Bank aus der Treupflicht ihres Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft, deren Aufsichtsrat er angehört, auch selbst gebunden ist. Wäre Baker in diesem Falle Privatbankier, so müßte man ihn persönlich aus seiner Treupflicht als Organmitglied jedenfalls für verpflichtet halten, sich in Übernahmekämpfen um die Gesellschaft neutral zu verhalten. Aber: Schlägt das auch auf das Institut, die juristische Person durch, deren Vorstandsmitglied er ist? Das ist tatsächlich anzunehmen. Denn die Gewährung des Übernahmekredites ist Vorstandssache. Dort aber käme der betreffende Bankenvertreter in einen unlösbaren Loyalitätskonflikt zwischen nicht nur zwei, sondern sogar drei ihm aufgetragene rechtliche Interessen: denen der Bank (deren Vorstandsmitglied er ist), denen des angegriffenen Unternehmens (in dessen Aufsichtsrat er Mitglied ist) und denen des kreditsuchenden, an der Übernahme interessierten Unternehmens (das Vertragspartner seiner Bank werden will). Wie die Sache sich auch entwickeln mag: Eines der drei Unternehmen würde sich mit Sicherheit verraten fühlen. Der Konflikt ist, einmal angelegt, unlösbar; aber er ist vermeidbar dadurch, daß sich die Bank von der [245] Finanzierung der Übernahme fernhält; dazu ist sie aus der Tätigkeit ihres Vorstandsmitglieds im Aufsichtsrat des anderen Unternehmens verpflichtet62. Da für die Bank aus dem Mandat ihres Vorstandsmitglieds Rechtsfolgen erwachsen, muß sie ihrerseits darauf auch Einfluß nehmen können; darauf ist zurückzukommen63.

Dazu bereits oben Fn. 55, 56. Möglicherweise auch als Hausbank aufgrund gesteigerter Loyalitätspflicht aus dieser Situation, sicher aber nicht als „normaler“ Kreditgeber. 63 Unten Ziff. 5. 61 62

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Im Ergebnis wird hier der Entscheidung eines US-District Courts gefolgt, die meint, man könne nicht auf beiden Seiten der Straße Geld verdienen, das sei per se treuwidrig. Die Entscheidung ist allerdings vom zuständigen Court of Appeal mit geradezu rüden Worten aufgehoben worden64 – allerdings vor allem mit der Begründung, solche für die Fragen der Kreditversorgung weitreichende Entscheidungen müßten dem Gesetzgeber überlassen bleiben und dürften nicht von den Gerichten getroffen werden: Der II. Senat des Bundesgerichtshofs wäre da sicherlich weniger ängstlich. b) Der Fall Mc Graw-Hill (5) hat hohe Ähnlichkeit mit der soeben erörterten Situation. Aber auch hier wird dieser Konflikt nur zum Rechtskonflikt, wenn einander widerstreitende Rechtspflichten für Morley bestehen. Dann müßte für Morley eine Rechtspflicht zur Förderung und Bewahrung der Selbständigkeit von Mc Graw-Hill anzunehmen sein. Das erscheint auf den ersten Blick bedenklich – aber eben auch nur beim ersten Blick. Zwar ist die mitgliedschaftliche Komponente Sache der Aktionäre und nicht der Verwaltung; der Aufsichtsrat wäre in dieser Sicht nicht betroffen. Aber auch die Einhaltung gerade dieser Ordnung, die loyale Akzeptanz des status quo gehört zu den Rechtspflichten des Aufsichtsrats: Wie wäre anders eine loyale Zusammenarbeit unter den Organen der Gesellschaft und ihren Mitgliedern möglich? Daher auch ist die Frage nicht identisch mit dem in § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG angesprochenen Schaden der Gesellschaft65; denn keineswegs jede Verletzung einer Rechtspflicht führt zu einem Schaden – und bleibt doch Rechtspflicht. Das gilt in besonderem Maße dort, wo es um die Einhaltung von „Spielregeln“ innerhalb komplexer Organisationen, um die loyale Beachtung von Ordnungen und Zuständigkeiten in Verbänden geht66. Bleibt es daher auch in der rechtlichen Lösung bei der Ähnlichkeit zu dem soeben behandelten Fall Übernahmekredit (6)? Auch dort ging es um eine Übernahme, auch dort um den Konflikt zwischen Eigeninteressen der Bank und Interessen des Unternehmens, in dessen Aufsichtsrat der Bankenvertreter Mitglied ist. Der Unterschied besteht hier allerdings darin, daß dort ein für die Bank mehr oder minder normaler Kredit, für die Gesellschaft aber ein außerordentlich gefährlicher Angriff in Frage stand; hier nun ist der Angriff der gleiche, die Bank aber nicht im nor- [246] malen Geschäftsinteresse getroffen – einem Bereich, in dem man durchaus auch einmal verzichten kann –, sondern in vitalen unternehmerischen Eigeninteressen. Sind auch diese Interessen für die Bank blockiert allein durch die Mitgliedschaft eines ihrer Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat des betreffenden 64 Im Washington-Steel-case ist die Preliminary Injunction des District Court abgedruckt in 465 F. Supp. 1100, das Urteil des Berufungsgerichts für den Third Circuit in 602 F. 2 d 594. Vgl. dazu die Anmerkung von Mark Holland in Cornell Law Review 65 (1980), 292 mit weiteren Nachw. 65 Dazu eingehend Lutter, Kölner Komm., § 71 Anm. 13 ff. 66 Vgl. dazu Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288 ff. mit weiteren Nachw.

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Unternehmens? Anders gewendet: Schützt die Mitgliedschaft eines Bankenvorstandes im Aufsichtsrat das betreffende Unternehmen vor dem Konflikt aus unternehmerischen Eigeninteressen der Bank? Man wird das zu verneinen haben. Denn auch hier kann die gesuchte rechtliche Aussage nicht auf Bankiers beschränkt bleiben. Würde man eine Rechtspflicht zur Konfliktvermeidung auch im unternehmerischen Interessenbereich akzeptieren, so wäre der Aufbau von personalen Vorsorgestrategien leicht möglich – oder bekäme eher zufälligen Charakter. Da hier also keine Pflicht der Bank zur Konfliktvermeidung besteht, trifft der Konflikt allein die betreffende Person. Da diese Person, Bankier Morley beiden Interessen rechtlich verpflichtet ist und diese Pflichten offen konfligieren, also Rechtspflichten mit gegenläufigem Inhalt bestehen, bleibt als Ausweg nur die Beseitigung dieses schwerwiegenden Grundkonflikts aus unternehmensstrategischen Entscheidungen durch Rücktritt67. Man könnte das vielleicht noch etwas schärfer fassen und formulieren: Bei nicht nur isolierter Perplexität der Pflichten besteht eine Rechtspflicht zum Rücktritt. Und man könnte noch weiter gehen und sagen: Geschieht das nicht, so besteht eine Vermutung, das betreffende Aufsichtsratsmitglied habe vorsätzlich seine Pflichten verletzt. Aber von welcher Position muß der Betreffende zurücktreten? Dieser ist, so soll hier angenommen werden, ohne eigenes Zutun in diesen Konflikt geraten, hat also keinem Unternehmen gegenüber eine Sonderpflicht aus vorangegangenem Tun. Dann hat man an die Qualifizierung der Tätigkeit im Bankvorstand als Haupt- und die im Aufsichtsrat als Nebenamt anzuknüpfen mit der Folge, daß im Zweifel der Rücktritt vom Nebenamt genügt. Allerdings hat der vom Konflikt Betroffene ein Wahlrecht; er kann also auch das Hauptamt niederlegen, ohne damit seine Vertragspflichten zu verletzen. Der verbleibende Rest ist wenig schön; er muß aber vom betroffenen Unternehmen getragen werden, das ein Mitglied in seinem Aufsichtsrat hat, welches noch in anderen Bereichen unternehmerisch tätig ist. Steht damit hier der Rücktritt des Aufsichtsratsmitglieds bei Mc Graw-Hill als Konfliktlösung fest, so ist doch noch nicht gesagt, wann dieser Rücktritt erfolgen muß. Sicherlich muß das nicht erst nach dem Ende des Konfliktes geschehen: Dann wäre der Rücktritt überflüssig. Soll er aber nach Maßgabe des Möglichen den Zusammenstoß der Pflichten vermeiden, so bleibt nur die Entscheidung für einen frühen Zeitpunkt: Zeichnet sich ein nicht lösbarer Pflichtenkonflikt dieser Größenordnung ab, so muß das Aufsichtsratsmitglied beim ersten ernsthaften Anzeichen des sich anbahnenden Konfliktes zurücktreten, also nicht erst nach

67 Für eine Pflicht zur Amtsniederlegung bei unlösbaren Konfliktsituationen: Meyer-Landrut, Großkomm., § 102 Anm. 6 und § 111 Anm. 5; Mertens, Kölner Komm., § 93 Anm. 22; Baumbach/Hueck, § 111 Anm. 4.

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dem Beschluß über das [247] Übernahmeangebot im eigenen Vorstand, sondern bei der ersten ernsthaften Erörterung darüber68. Fraglich ist, ob Morley nicht darüber hinaus deutlich und erkennbar auch jede Befassung mit dem Vorgang im eigenen Vorstand ablehnen muß. Denn das Einfließen von Wissen aus dem internen Bereich von Mc Graw-Hill in die Entscheidung von American Express wäre sonst unvermeidlich; denn im Interesse einer korrekten Amtsausübung als Vorstandsmitglied bei seiner Bank müßte Morley ja seine Kenntnisse von Mc Graw-Hill in die Argumente und in die gesamte Diskussion jedenfalls mittelbar – im Ergebnis – einbringen (etwa: wirkliche Ertragskraft; Zukunftschancen; Stellung im Wettbewerb etc.); und das darf er wegen seiner Sorgfalts- und Treuepflichten Mc Graw-Hill gegenüber nicht69. c) Auf einer sehr viel alltäglicheren Ebene verläuft der Konflikt im Falle Großkredit (7). Auch hier geht es um den Konflikt rechtlicher Interessen; aber er ist kein unternehmerischer Grundkonflikt, sondern der Zusammenstoß von Pflichten im Einzelfall. Solche Konflikte sind bekannt; sie haben Ähnlichkeit mit den Voraussetzungen der §§ 181 BGB oder 47 Abs. 4 GmbHG; daher kann auch der Grundgedanke der dortigen Lösung als Modell übertragen werden mit der Folge, daß sich das Aufsichtsratsmitglied in einem solchen Falle der Stimme zu enthalten hat70 und auch der Beratung fernbleiben sollte. d) Damit bleibt uns zum Schluß noch die Lösung des Personalfalles (8). Er ist weder mit dem Satz vom vorrangigen Unternehmensinteresse zu lösen – die konfligierenden drei Unternehmen haben gleichrangige Interessen –, noch durch Rücktritt oder Stimmenthaltung – hier würde entweder überreagiert oder das Problem noch um den Aspekt der Aufsichtsratsparitäten vermehrt. Da das Gesetz mehrere Aufsichtsratssitze außerhalb konkurrierender Unternehmen ausdrücklich gestattet, bleiben nur zwei Antworten: Man muß den Konflikt zum Scheinproblem erklären oder ihn als unlösbar ansehen. Das erstere trifft nur zu, wenn man sich mit der Erklärung zufrieden gibt, daß letztlich der konfliktfreie 68 Hanau, ZGR 1977, 397, 404 nimmt zur Lösung ähnlicher Konflikte auf der Arbeitnehmerseite ein „Einwirkungsverbot“ an; dagegen Martens, ZGR 1977, 422, 427 f. und Mertens, AG 1977, 306, 311. Zum gesetzlich „vorgeschriebenen“ Konflikt bei leitenden Angestellten, die als Aufsichtsratsmitglieder ihre eigenen Vorgesetzten – den Vorstand – kontrollieren und in die zu kontrollierenden Geschäfte oft auch selbst beruflich eingeschaltet sind, vgl. Martens, ZfA 1980, 611, 642 und Raiser, ZGR 1978, 391, 399; allgemein zum Konflikt aus der Situation von Arbeitnehmern Lutter, Information (oben Fn. 29), S. 95 ff. 69 Der Mc Graw-Hill Fall hatte besondere Konturen noch dadurch erhalten, daß der Chairman von American Express dem President von Mc Graw-Hill im Beisein von Morley die Fusion angeboten hatte, die dann vom board von Mc Graw-Hill abgelehnt wurde: Obwohl der Plan einer Verbindung mit Mc Graw-Hill von American Express offensichtlich nicht aufgegeben wurde, blieb Morley im board von Mc Graw-Hill. 70 Vgl. Mertens, Kölner Komm., § 108 Anm. 44; Meyer-Landrut, Großkomm., § 108 Anm. 5 und § 111 Anm. 5; Möhring/Tank, Handbuch der AG, Tz. I, 312; a.A. offenbar Geßler, Kommentar, § 108 Anm. 29 und Godin/Wilhelmi, § 108 Anm. 3.

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Vorstandskandidat nach seinen eigenen Interessen über die mehrfachen Optionen entscheidet. [248] Ich sage: zufriedengibt; denn natürlich kann das mehrfache Aufsichtsratsmitglied die mehrfache Option verhindern. Rechtlich unlösbar aber kann der Fall nicht sein, weil es das nicht geben darf. Die konkrete Lösung muß daher hier dem einzelnen, konfliktbetroffenen Menschen überlassen bleiben: Günther ist danach verpflichtet, in jeder Position den betreffenden Kandidaten treulich zu präsentieren und ihn mit anderen Kandidaten abzuwägen. Man wird dem vielfachen Aufsichtsratsmitglied Günther dabei um so mehr vertrauen können, als weder eigenen Interessen noch solche seines eigenen Unternehmens (Bank) involviert sind und weil die anderen Mitglieder der drei Aufsichtsräte von diesem Konflikt nicht in gleicher Weise betroffen sind, also kontrollierend und stabilisierend wirken, die einseitige Beachtung der Interessen nur eines Unternehmens verhindern können. 5. Auswirkungen für die Bank und ihr Einfluß darauf Im Falle des Übernahmekredits (6) mußte eine Rechtspflicht der Bank zur Einschränkung ihrer geschäftlichen Tätigkeit zur Konfliktlösung angenommen werden, als Folge der Mitgliedschaft ihres Vorstandes im Aufsichtsrat des anderen Unternehmens; im Fall Mc Graw-Hill (5) erkannten wir die Pflicht eines Vorstandsmitglieds zu temporärer Selbstbeurlaubung aus dem Vorstandsamt der Bank. Im einen geht es um die Tätigkeit der Bank, im anderen um die ihres Vorstandsmitglieds. Sieht man diese Wirkungen, so muß man fragen, ob sie von dem betreffenden Bankenvertreter allein und autonom ausgelöst werden können. Anders gewendet: Unmittelbare Maßnahmen dieser Art dürfte der Bankvorstand nur nach Maßgabe seines Anstellungsvertrages vornehmen, also die Bank geschäftlich binden oder sich selbst beurlauben. Auslösendes Moment für den Konflikt und seine Rechtsfolgen ist die Übernahme des Mandates. Mit dieser Übernahme sind potentielle Konflikte verbunden, welche unmittelbar auf die rechtliche Stellung der Bank oder die ihres Vorstandsmitglieds wirken. Dann muß die Bank hierauf Einfluß nehmen können. Und das bedeutet: Regeln des Anstellungsvertrages müssen die Übernahme des Nebenamtes erlauben oder aber der Aufsichtsrat der Bank (in der GmbH: die Gesellschafterversammlung) als das für die Anstellung eines Vorstandsmitglieds maßgebende Organ muß die Zustimmung ad hoc geben71: Jedenfalls darf kein Bankier ohne eine Zustimmung seiner Bank, erteilt nach den für sie geltenden internen Regeln, das ihm angetragene Nebenamt eines Mitglieds im Aufsichtsrat annehmen – und das gilt wiederum

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gieren.

Der Aufsichtsrat kann die Befugnis zur Zustimmung auch an den Gesamtvorstand dele-

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pars pro toto, d. h. für jedes Vorstandsmitglied und jeden Geschäftsführer nicht mehr und nicht weniger wie für den Bankier. 6. Der Satz von der Konfliktnähe Ulmer72 schlägt vor, den Konflikt zwischen Eigeninteressen der Institution des Hauptamtes – hier also der Bank – und dem Interesse der Gesellschaft in deren Aufsichtsrat der Bankier Mitglied ist, über eine Dreiteilung zu lösen. Dem entsprechend [249] unterscheidet Ulmer danach, wie nahe der Konfliktherd bei der eigentlichen Organpflicht des Aufsichtsratsmitglieds liegt oder wie fern er dieser Pflicht ist. Diese Unterscheidung ist sicher wichtig und nützlich, um das Unternehmen des Hauptamtes nicht durch ausufernde Treupflichten des Aufsichtsratsmitgliedes und deren „Überschlag“ in das Hauptamt zum Protektor des anderen Unternehmens werden zu lassen. An dieser Stelle treffen sich Werners Überlegungen zu „Einwirkung“ und „Auswirkung“73 sowie meine Darlegungen zur Voraussetzungen kollidierender Rechtspflichten (die mit kollidierenden Interessen nicht verwechselt werden dürfen) mit Ulmers Überlegungen zur „Nähe“: je ferner die konkrete Konfliktsituation der regulären Pflicht eines Aufsichtsratsmitglieds steht, desto eher ist „Auswirkung“ (Werner) und desto weniger eine Rechtspflicht im hier vertretenen Sinne anzunehmen. Insofern gelangen alle drei Ansätze zu gleichen Erkenntnissen und – jedenfalls im Grundsatz – gleichen Ergebnissen. Wirklich kritisch aber sind vor allem die Fälle der hier zuletzt erörterten Art, also der Kredit zum Generalangriff eines Dritten (Fall 6) bzw. die eigene Übernahmeabsicht der Bank (Fall 5). Von der Organpflicht des Aufsichtsratsmitglieds her betrachtet ist die „Nähe“ völlig identisch; die Fälle müßten also im Sinne Ulmers – und entgegen der hier getroffenen Analyse – auch identisch entschieden werden. Aber nicht nur das; mit Hilfe des Nähe-„Aspekts“ könnte noch nicht einmal gesagt werden, wie diese Fälle also entschieden werden müßten – während es sich in Werners Interpretation um „Auswirkungen“ und daher überhaupt nicht um einen Pflichtenkonflikt handeln würde. Ulmers Dreiteilung ist also hilfreich für eine erste Sichtung: Organpflichten erleiden keine Minderung im Konflikt; Treupflichten aus der Aufsichtsratstätigkeit aber begrenzen den Handlungsspielraum im eigenen Unternehmen um so weniger, je mehr die Handlungswirkungen nur mittelbar sind. Die breite Zwischenzone aber macht sicher die größten Schwierigkeiten und bedarf vielfältiger und zusätzlicher Argumente bei der Abwägung zwischen Bindung aus Treupflicht und der Freiheit zum Handeln.

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NJW 1980, 1603. Unten S. 252 ff.

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D. Schlußbemerkungen Ich bin damit am Ende einer Wanderung durch ein Gebiet, dessen Boden moorig und dessen grüne Welt so heil erscheint und doch voll tückischer Löcher ist. Bislang regiert hier Tradition und Berufserfahrung, offenbar nicht ohne Erfolg, aber auch unter Hinnahme von Mängeln. Doch der Einbruch einer unruhigen Neuzeit ist nicht aufzuhalten; die Fälle Herstatt74, Schaffgotsch75 und Münchmeyer76 signalisieren es ebenso wie die Unruhe um Herrn Grothgar von der Westdeutschen Landesbank, der wie Laokoon im Geflecht der vielfältig eingegangenen Bindungen ge- [250] fangen wirkt77. Es ist sicher auch kein Zufall, daß all dies Banken-Fälle sind. Aber, das sei nochmals betont, die hier aufgezeigten Konflikte sind weder banknotwendig noch beruhen ihre Lösungen auf Bankensonderpflichten. Doch führen Universalbanken nun einmal ein Geschäft mit vielfachen Loyalitätsbindungen, rechtlichen Bindungen, die sie mit eigenen Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsräten anderer Unternehmen noch einmal vermehren. Es wäre fast schon überraschend, wenn das nicht auch im rechtlichen Raum seine Spuren hinterließe. Daher überraschen die genannten Fälle nicht; und daher sind Bankenvertreter so dankbare Subjekte beim Nachdenken über rechtlich relevante Loyalitätskonflikte und ihre Lösung. All das macht die Rechtsfindung nicht leichter: Man neigt sicher dazu, die bislang leere Wüste mit einem großen Ritt dem Rechte zu gewinnen. Und doch gilt es gerade hier in besonderem Maße, zwischen mos und jus, zwischen Anstand und Rechtspflicht zu unterscheiden: ich hoffe, das nicht gar zu sehr vernachlässigt zu haben. E. Zusammenfassung (Thesen) 1. In Aufsichtsräten sind Bankenvertreter das Sprachrohr des namenlosen Aktionärs, soweit sie nicht eigene Beteiligungen oder einen Großaktionär vertreten; ihr Verhalten hat sich am Wohl des Unternehmens, innerhalb dieses (weiten) Rahmens aber an den Interessen der Kapitalgeber zu orientieren. 2. Der Aufsichtsrat ist Kollegialorgan. Jenseits einer „Grundlast“ von Pflichten, die jedem Aufsichtsratsmitglied in gleicher Weise obliegen, gibt es Sonderpflichten, die einzelne Mitglieder des Kollegiums – je nach ihren Fähigkeiten und Erfahrungen – in besonderem Maße treffen. Bankenvertreter haben dementspre-

Oben Fn. 20. Oben Fn. 45, 46. 76 Der Spiegel, Nr. 51/1980, S. 88 f. und ZIP 1981, 194. 77 Oben Fn. 21 und 50. 74 75

ZHR 145 (1981), S. 224-251

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chend im Kollegium auf eine vertiefte Überwachung des Finanzmanagements der betreffenden Gesellschaft hinzuwirken. 3. Die Mitgliedschaft von Bankiers in Aufsichtsräten läßt keine Sonderpflichten ihrer Institute gegenüber den betreffenden Unternehmen im Zusammenhang mit Finanznöten entstehen. 4. Interessenkonflikte in der Person von Aufsichtsratsmitgliedern haben nur dann rechtliche Bedeutung, wenn ihnen gegenläufige Rechtspflichten zugrundeliegen. Konflikte solcher Art werden vom Gesetz keineswegs ausgeschlossen, ja teilweise geradezu gefördert, etwa durch die Ausgestaltung der Aufsichtsratstätigkeit als Nebenamt; die Pflicht zur Berücksichtigung von Gruppenvertretern mit hohem Konfliktpotential im Aufsichtsrat (leitende Angestellte, Gewerkschaftsvertreter). [251] 5. Die Gefahr einzelner Interessenkonflikte ist daher de lege lata kein Grund für den Ausschluß einzelner Personen von der Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat (keine allgemeine Inkompatibilität aus potentiellen Interessenkonflikten). 6. Die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat konkurrierender Unternehmen schafft nicht nur die Gefahr von Einzelkonflikten, sondern führt die betreffende Person in einen Dauerkonflikt. Dieser mindert ihre Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben und die des gesamten Gremiums zu sachgerechter Beratung. Daher können Personen, die bereits Mitglied im Aufsichtsrat eines Unternehmens sind, nicht in den Aufsichtsrat eines Konkurrenzunternehmens gewählt werden (spezielle Inkompatibilität). Dieser Satz gilt nicht, wenn die Mitgliedschaft der Vertretung eigener Eigentümerinteressen dient. 7. Die Kenntnisse von Aufsichtsratsmitgliedern über das betreffende Unternehmen können dem Träger seines Hauptamtes – hier: der Bank – nicht zugerechnet werden. 8. Für die verbleibenden und unausweichlichen Einzelkonflikte lassen sich einige wenige spezielle Verhaltensregeln entwickeln, so insbesondere den Vorrang der Interessen des betreffenden Unternehmens vor denjenigen der Bank und anderer Unternehmen; den Vorrang voller Pflichterfüllung im Amt des Aufsichtsrates vor Wahrung der Interessen im Hauptamt; die Pflicht der Bank zu geschäftlicher Zurückhaltung bei Konflikten zwischen gravierenden Interessen des Unternehmens und normalen Geschäftsinteressen der Bank; der Pflicht des Bankenvertreters zum Rücktritt im Aufsichtsrat und zur Amtsenthaltung in der Bank bei gleichrangigen und gravierenden Konflikten zwischen eigenen unternehmerischen Interessen der Bank und solchen des Unternehmens;

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Bankenvertreter im Aufsichtsrat

der Pflicht des Bankenvertreters zur Stimmenthaltung im Aufsichtsrat bei überschaubaren und temporären Konflikten zwischen seinen Pflichten im Unternehmen und rechtlich geschützten Interessen der Bank. 9. Konflikte können rechtliche Auswirkungen auf die Bank und ihre Rechte gegenüber eigenen Vorstandsmitgliedern haben. Daher bedarf die Übernahme von Aufsichtsratsmandaten durch diese der allgemeinen oder speziellen Zustimmung der Bank. 10. Bankenvertreter sind in vielfache Interessen eingebunden, ihre Vertreter in Aufsichtsräten daher besonders konfliktgefährdet. Die hier entwickelten rechtlichen Regeln zur Konfliktvermeidung oder Konfliktlösung sind aber kein Bankensonderrecht: Diese Regeln gelten für jedes Aufsichtsratsmitglied in der betreffenden Situation und für jedes private Unternehmen seines Hauptamtes. -

Rolle und Recht Überlegungen zur Einwirkung von Rollenkonflikten auf die Rechtsordnung IN: HORN (HRSG.), EUROPÄISCHES RECHTSDENKEN IN GESCHICHTE UND GEGENWART, FESTSCHRIFT FÜR HELMUT COING ZUM 70.

GEBURTSTAG, BAND I,

MÜNCHEN 1982, S. 565-577 I. 1. Das Bild von der Welt als einem großen Theater und der Menschen als den Akteuren auf seinen Brettern ist alt.1 Aber dieses Bild ist nicht mehr nur Metapher, es bestimmt heute auch einen Teil des wissenschaftlichen Vokabulars; denn in den Augen von Vertretern der Sozialwissenschaft sind wir alle Träger, Spieler von „Rollen“.2 Wie auf der Bühne „der Bösewicht“, „die Mutter“ und „der Liebhaber“ erscheinen, so auf der Bühne der Gesellschaft „der Vater“, „die Lehrerin“ und „der Beamte“. Die anderen Mitglieder der Gesellschaft aber erkennen das Typische solcher Rollen; nichts macht das deutlicher als die beliebten Berufs- und Rate-Sendungen des Fernsehens. Der Inhalt dieser Rollen, also das Textbuch, wird geprägt durch „Rollenerwartungen“; dieses Textbuch aber wird durch die Gesellschaft selbst geschrieben. Seine Verbindlichkeit für den „Spieler“ ist unterschiedlich: Oft ist er strikt an seine Rolle gebunden, oft aber zu kleinen oder größeren Abweichungen berechtigt, ohne gleich seine Position als Rolleninhaber zu verlieren – nicht anders als im Regiekonzept eines Zadek, nicht anders aber auch, als es dem Inhaber des Rollenfaches „jugendlicher Liebhaber“ ergeht, der sich mehr oder minder lange halten kann, irgendwann aber in das Fach des „alternden Dandys“ überwechseln muß: Seine bisherige Rolle wird ihm nicht mehr geglaubt. Einzelne Rollen haben also eine größere Breite als andere: Man fällt da nicht so leicht aus der Rolle. Andere Rollen dagegen sind starr und lassen nur wenige Alternativen offen. Ganz starr aber sind Rollen wohl nie, da es sich [566] um die 1 Vielfältige Hinweise dazu bei E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Bern 1948, S. 146 ff. 2 Ralf Dahrendorf, Homo Sociologicus, 15. Aufl. 1977, S. 19 ff.

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Rolle und Recht

Typisierung menschlichen, also sehr variantenreichen Verhaltens handelt.3 Hinsichtlich der Verbindlichkeit solcher Rolleninhalte spricht Dahrendorf von MußErwartungen, Soll-Erwartungen und Kann-Erwartungen.4 Diese Erwartungen definiert Dahrendorf nicht zuletzt von den gesellschaftlichen Sanktionen her, die bei der Muß-Erwartung mit rechtlichen Nachteilen, bei der Soll-Erwartung mit sozialen Nachteilen (Ausschluß) und bei der Kann-Erwartung mit persönlicher Antipathie verknüpft sind.5 2. Für das Recht ist in diesem sozialen System ganz offenbar die MußErwartung von Bedeutung. Denkt man von der Rechtsordnung her weiter und in ihrem Sanktionensystem, so dürfte es keinen Konflikt unter den MußErwartungen geben; denn jeder Rolle ist eine bestimmte Rollenerwartung, dem Nicht-Eintritt der Erwartung eine bestimmte Sanktion zugeordnet. Tatsächlich aber hat der einzelne nicht nur eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, sondern viele Rollen nebeneinander,6 vor allem aber auch nacheinander:7 Ehemann-VaterArbeitnehmer-Vereinsmitglied, aber auch: Hochschullehrer-Manager-PolitikerBeamter-Rechtsanwalt. Diese Rollenvielfalt ist nicht so sehr das Problem; wie jeder Schauspieler sind auch wir daran gewöhnt, mehrere Rollen zu spielen. Und nichts dokumentiert unsere Kunst darin mehr als die Erfahrung, daß sich gute Freunde, die einander in der Rolle des Wanderbruders oder Sportfreundes kennen, wechselseitig die Rolle des Chefarztes oder des Unternehmensführers nicht zutrauen – und das, obwohl wir alle an den Wechsel von Rollen gewöhnt sind. Die Rechtsordnung folgt uns in jede dieser verschiedenen Rollen mit typisierten Rollenerwartungen – man denke nur an die Standardisierung des Fahrlässigkeitsbegriffes auf dem Hintergrund der Rollenpflicht eines ordentlichen Geschäftsmannes, eines sorgfältigen Arztes, eines treulichen Sorgeberechtigten.8 Aber sie geht noch weiter und versucht auch, Rollenerwartungen [567] zu verfestigen und justitiabel zu machen: Berufsordnungen für bestimmte Berufe (Rechtsanwälte, Ärzte), Ehrengerichtsbarkeit, berufsspezifische Verhaltensanordnungen Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 58. AaO. (Fn. 2), S. 37-39; vgl. auch Ephard Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung, Bd. 26, Berlin 1972, S. 21, 55. 5 Das Schablonenhafte einer sozialen Rolle wirkt durchaus ärgerlich, hat aber nicht nur den Nachteil der Beschränkung für den Rollenträger, sondern auch den Vorzug einer klaren Handlungsanweisung: Wenn man seine Rolle trifft, liegt man mit großer Wahrscheinlichkeit auch sozial richtig; vgl. Luhmann (Fn. 3), S. 60 f. 6 Siehe das Beispiel des Herrn Schmidt bei Dahrendorf (Fn. 2), S. 29. Vgl. auch Hansjörg Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, München 1978, S. 187. 7 Man denke an Shakespeare, As you like it, 2. Akt, 7. Szene: „And all the men and women merely players; … His acts being seven ages …“. 8 Vgl. Ephard Wüstmann (Fn. 4), S. 62; Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 12. Aufl. 1979, § 20 III; Münchener Kommentar-Hanau, 1979, § 276 BGB Anm. 84; Staudinger-Löwisch, 12. Aufl. 1979, § 276, Anm. 16 u. 17. 3 4

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im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB bei Unterlassungen, Beweislastumkehr für die Kausalität des eingetretenen Schadens bei Feststehen eines Kunstfehlers (also bei Verfehlung der Rollenerwartung an den Arzt), Mitverschulden dann, wenn das, was von einem „vernünftigen Geschädigten“ erwartet werden kann, nicht befolgt wird etc. Rollenerwartungen sind damit für die Rechtsordnung auch von Vorteil, weil sie, soweit sie daran anknüpft, mit Konsens rechnen kann. Allerdings: Je vielfältiger die Rollen verteilt sind, je mehr Rollen der einzelne gleichzeitig zu spielen hat, desto mehr wächst auch die Gefahr, daß die verbundenen Erwartungen untereinander in Konflikt geraten. Konfligieren aber Rollen und die mit ihnen verbundenen Erwartungen, so können gerade die einander widersprechenden Rollenerwartungen das Sanktionensystem der Rechtsordnung fragwürdig erscheinen lassen. Dabei geht es nicht so sehr um tragische Großkonflikte, die dem Recht seit eh und je unter Begriffen wie „übergesetzlicher Notstand“ vertraut sind.9 Es geht viel mehr um die weniger dramatischen Aspekte im Kontext einer in sich gegenläufigen Rolle oder mehrerer sich widersprechender Rollen: Soll der Bankvorstand als Aufsichtsrat dem Interesse seiner Bank oder den Erwartungen der von ihm betreuten Gesellschaft folgen?,10 der Arbeitsdirektor den Erwartungen seiner Wähler und einstigen Kollegen oder der seines neuen Amtes?, der Gewerkschaftler im Parlament den allgemeinen Bürgerinteressen oder denen seiner Verbandsmitglieder?, soll der Vater sein krankes Kind trösten oder seiner Frau im Examen beistehen? Wir haben hier zwei Fälle zu unterscheiden: Im einen muß der Inhaber einer Rolle verschiedenen Adressaten gerecht werden. So steht etwa der Inhaber einer „Lehrer-Rolle“ in Erwartungsbeziehungen zu seinen Schülern und zum Direktor. Dieser Mehrfach-Bezug ist Inhalt sehr vieler gesellschaftlicher Rollen; die Balance in ihr ist die besondere Leistung des Rollenträgers; die Rechtsordnung verhindert allenfalls den Abfall ins Extrem der einen oder anderen Seite. Im zweiten Fall ist die betreffende Person Inhaber zweier Rollen, die ent- [568] weder miteinander in Konflikt treten können oder per se konfligieren: Die Rolle des Aufsichtsrats konfligiert mit der des Vorstands per se; demgegenüber verträgt sich die Rolle der Opernsängerin mit der einer Mutter oder die des Arbeitnehmers mit der eines Mohamedaners durchaus; beide geraten aber in Konflikt, wenn das Kind schwer erkrankt, während die Mutter zu singen verpflichtet ist, oder der Arbeitnehmer mohamedanischen Glaubens im Ramadan arbeiten soll. 3. Der Mensch als soziales Wesen, von der Gesellschaft in eine Position gestellt verbunden mit einer konkreten Erwartung, wie er die Rolle in ihr als Arbeitsdirektor, Gewerkschafter, Prälat, Kassierer, Kaufmann, Bankdirektor oder Aufsichtsrat zu spielen hat, ist nicht nur von der rechtlichen, sondern zugleich 9 Wüstmann, aaO. (Fn. 8), S. 174; Schoenke-Schröder-Lenckner, Kommentar zum StGB, 20. Aufl. 1980, § 34, Anm. 1-54. 10 Dazu Lutter, ZHR 145 (1981), 224 ff.

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von der sozialen Sanktion bedroht, wenn er Rollenerwartungen der strengsten, nämlich rechtlich sanktionierten Form verletzt. Nichts fürchtet der an seine Rolle gebundene homo sociologicus im allgemeinen mehr. Er wird sich eines solchen Risikos daher tunlichst entziehen. Und die Rechtsordnung, die eben dieses Dilemma für sich und den einzelnen Menschen kennt, schützt ihn im allgemeinen davor: Vielfältige Spielregeln im Recht suchen den Konflikt dieser Rollen dadurch zu vermeiden, daß diese entzerrt werden, indem entweder schon die Übernahme mehrerer konfliktbedrohter Rollen in einer Person verhindert (per-se-Konflikte) oder jedenfalls die temporäre Ausübung untersagt wird (für einzelfallbedingte Konflikte). Auf der Erfahrung mit diesen Spielregeln, die den Zusammenstoß von gegenläufigen Verhaltenserwartungen im Sinne von Muß-Erwartungen in einer Person verhindern sollen, beruhen Hekatomben von Rechtsregeln, wie etwa das Verbot, gleichzeitig Aufsichtsrat und Vorstand der gleichen Gesellschaft zu sein, § 105 Abs. 1 AktG, Partner auf beiden Seiten eines Rechtsgeschäfts, §§ 181, 1629 Abs. 2, 1795 BGB, Richter in eigener Sache, § 41 Nr. 1 ZPO, § 22 Nr. 1 StPO, oder weisungsabhängiger Beamter und zugleich unabhängiger Abgeordneter, § 57 BBG zu sein etc.11 [569] 4. Zum Teil also verhindert die Rechtsordnung selbst den Rollenkonflikt dadurch, daß sie die Übernahme bestimmter Doppelrollen überhaupt verhindert oder aber sie temporär entzerrt: Man kann nie gleichzeitig Vorstand und Aufsichtsrat in derselben Gesellschaft sein; man kann aber durchaus Ehemann und Richter sein; kommt aber ein Rechtsstreit der Ehefrau vor diesen Richter, so wird die Richterrolle zeitweise stillgelegt. Bestimmt die Rechtsordnung kein solches allgemeines oder punktuelles Verbot zur Übernahme oder Ausübung mehrerer Rollen, so kann es durchaus zum Pflichtenkonflikt kommen. Hier nun gibt es wieder Fälle, in denen die Rechtsordnung festlegt, welcher Rolle – welcher Pflicht also – der Vorrang gebührt. So darf ein Zeuge Jehovas etwa den Wehrdienst verweigern, den Ersatzdienst aber nicht; ein Beamter darf innerdienstlich nicht als Parteimitglied auftreten; auch eine Mutter muß als Arbeitnehmerin am Arbeitsplatz erscheinen, und ein Arbeitgeber darf etwa einen Arbeitnehmer nicht deshalb kündigen, weil er einer anderen Partei als er selber zugehört. Für den Konfliktbetroffenen heißt das, daß die Rechts11 Vgl. weiter Vorstand Tochtergesellschaft/Vorstand Muttergesellschaft § 100 II Nr. 2 AktG; Wettbewerbsverbote § 112 HGB, § 88 AktG, § 61 HGB, Bundespräsident/andere Tätigkeit Art. 55 GG; Bundesverfassungsrichter/Mitglied in politischen Organen Art. 94 I S. 3 GG; § 14 III Gesetz über den Wehrbeauftragten; § 12 BRHG Mitglieder des Rechnungshofes; § 2 GeschO BRat Bundestagsabgeordneter/Bundesratsmitglied; § 11 I Nr. 1-3 WPflG Soldat/Geistlicher. Weitere Hinweise bei Wüstmann, aaO. (Fn. 4), S. 112 ff.

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ordnung äußerlich für ihn den Konflikt löst; wie weit er sich innerlich damit abfindet, ist sein Problem. Immerhin, das Gefühl, im Einklang mit der Rechtsordnung zu handeln, mag auch innerlich Ruhe geben. In anderen Fällen löst die Rechtsordnung dagegen den Konflikt nicht, sondern läßt den Betroffenen mit der Entscheidung allein, akzeptiert dann aber dessen Entscheidung. Hier findet die Rechtsordnung also keine übergreifende Lösung; mit ihren Mitteln ist der Konflikt unlösbar. Ein Beispiel für diese Situation wäre etwa der Fall, daß einem Vater beide Kinder zugleich ins Wasser fallen, er aber nur eines retten kann. Oder: einen Arzt erreichen zwei Telefonanrufe hilfebedürftiger Patienten kurz hintereinander. Rechtliche Erwägungen können hier offensichtlich nicht weiterhelfen. II. 1. Mit dieser Darstellung könnte es sein Bewenden haben. Wir konnten feststellen, daß die Rechtsordnung als Teil und zugleich gestaltendes Element der Sozialordnung sich deren Bedingungen anpaßt, aufgrund ihrer langen Erfahrung längst Konfliktgefahren in ihrem System kennt und Mittel entwickelt hat, diese Konfliktgefahren zu vermeiden oder doch zu reduzieren: Die soeben mitgeteilten Erkenntnisse der Sozialwissenschaft müssen also im Recht mitnichten erst noch in Taten umgesetzt werden. So bliebe als Frage [570] allenfalls, wie stark die Rechtsordnung selbst rollenbestimmend ist oder ob sie nur Änderungen im Bereich sozialer Rollenerwartungen rezipiert. Die Frage ist wahrscheinlich müßig. Denn die soziale Ordnung ist ein vielfach rückgekoppeltes System, in dem sich Ursache und Wirkungen in einem schlicht kausalen Sinne kaum mehr ausmachen lassen: Wir können uns mit der Feststellung begnügen, daß für die Rechtsordnung beides zutrifft – der bestimmende Part ebenso wie der reagierende, und beides mit von Feld zu Feld unterschiedlicher Stärke. 2. Uns aber soll ein anderes Moment beschäftigen. Seit einiger Zeit nämlich rückt der Gesetzgeber immer wieder von dieser offenbar lange tradierten Erfahrung der Konfliktvermeidung ab. Statt Rollenkonflikte zu verhindern und notfalls durch Inkompatibilitäten oder fallbezogene Verbote der Rollenausübung auszuschließen, fördert er mit Absicht und Bedacht den Konflikt der Rollen, ja erzwingt ihn geradezu. Und diese Art der Normgebung entspricht nicht nur den Zwängen einer gar zu produktiven Schaffung von Rollen und ihrer Vergabe sowie einer vielfältigen Ausdifferenzierung der mit ihnen verbundenen Erwartungen – juristisch gesagt: der bekannten Normenflut –, ist also nicht die unbeabsichtigte Folge aus der Gefahr von Kollisionen in engen Gewässern, sondern ist bewußtes und betontes Element rechtlicher Ordnung. An folgenden Fällen sei das verdeutlicht:

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a) Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Nach den §§ 1, 5, 7 und 15 MitbestG 1976 und den entsprechenden Wahlordnungen dazu12 wählen die Arbeitnehmer von Großunternehmen je aus den Gruppen der Arbeiter, der Angestellten und der leitenden Angestellten einen oder mehrere Vertreter in den Aufsichtsrat. Das Gesetz folgt hier also dem Bilde des Gruppen-Repräsentanten, der im Aufsichtsrat die Rolle eines „typischen“ Arbeiters, „typischen“ Angestellten oder „typischen“ leitenden Angestellten zu spielen hat: Anders kann diese detaillierte Verteilung gar nicht erklärt werden. Und daß dies von den Beteiligten auch genauso verstanden wird, macht der politische Streit um die besondere Berücksichtigung der leitenden Angestellten deutlich: Die allgemeine Rollenerwartung an das Verhalten der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat ist eben anders als die Erwartung an die der anderen ArbeitnehmerVertreter. [571] Auch diese Rollen sind also durch ihre Bezugsgruppen definiert. Und daß diese Referenz zur Gruppe auch tatsächlich so verstanden wird, machen die derzeit vielfältigen Bemühungen dieser Gruppen deutlich, „ihre“ Repräsentanten zur Berichterstattung und zur Diskussion über ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat zu veranlassenr;13 das geschieht durchaus mit dem Ziel, die betreffenden Gruppenvertreter in ihrer Rolle festzulegen und zu bestärken. Auf der anderen Seite sind eben diese Repräsentanten eines isolierten Interesses von Rechts wegen gehalten, der Rolle eines neutralen, objektiven und ordentlichen Sachwalters fremden Vermögens zu entsprechen: So jedenfalls formulieren es die §§ 116, 93 AktG. b) Der Arbeitsdirektor in der Montanmitbestimmung Nach § 13 MontanMitbestG ist der Arbeitsdirektor eines montanmitbestimmten Unternehmens zwar vom Aufsichtsrat zu bestellen (und ggf. nach längstens 5 Jahren wieder zu bestellen), aber vom Vertrauen der ArbeitnehmerVertreter im Aufsichtsrat dieses Unternehmens abhängig. Diese Norm steht nicht nur im Gesetz, sondern bestimmt die Realität der Unternehmen; das machen die gar nicht seltenen Fälle einer spektakulären Nicht-Wiederbestellung solcher Arbeitsdirektoren deutlich: Nach dem Eindruck ihrer Bezugsgruppe, also der Ar12 Die drei Wahlordnungen zum MitbestG 1976 sind abgedruckt u. a. bei Fitting/Wlotzke/ Wißmann, Kommentar zum MitbestG, 2. Aufl. 1978, S. 839 ff. und bei Raiser, Kommentar zum MitbestG, 1977, S. 455 ff. 13 Vgl. dazu Fitting/Wlotzke/Wißmann aaO. (Fn. 12), S. 349. Hanau/Ulmer, Kommentar zum MitbestG, 1981, § 25 Rd. 100; Hensche, MitbestGespr. 1971, 115. Nagel, BB 79, 1799, 1803; Kittner, ZHR 136, (1972), 208, 214 ff., 240 ff.; Spieker, NJW 65, 1937, 1941 f.; Trautwein/Unterhinninghofen, MitbestGespr. 80, 97; Zachert, MitbestGespr. 76, 227.

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beitnehmer-Vertreter des Unternehmens, sind sie ihrer Rolle nicht gerecht geworden. Auf der anderen Seite aber sind diese Arbeitsdirektoren „ganz normale“ Vorstandsmitglieder des Unternehmens und in dieser Rolle auch den Interessen der Kapitaleigner verpflichtet, also auch gehalten, die notwendige Eigenkapitalrentabilität des Unternehmens sicherzustellen: beide Rollen – die des ArbeitnehmerRepräsentanten und die des Vorstandsmitglieds – überlagern sich jedenfalls teilweise, widersprechen einander mindestens sektoral. c) Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten In den Entscheidungsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind kraft Gesetzes oder Satzung „Vertreter“ aus allen großen Bereichen der Gesellschaft tätig.14 Hier soll also, so verlangt es das Gesetz, der katholi- [572] sche Prälat nicht nur in einer laizistischen Veranstaltung mitentscheidend wirken, er soll auch die Sendung „Argumente für die Abtreibung“ mitverantworten – wie der Gewerkschaftler in diesem Gremium eine Sendung „Überlegungen zur Abschaffung der Mitbestimmung“. Obwohl die Rolle des Prälaten sonst unverbrüchlich die Ablehnung der Abtreibung verlangt, die des Gewerkschaftlers nicht minder den Willen zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau der Mitbestimmung zu verkörpern zwingt, verlangt die Rolle des Rundfunkrates auch die Mitverantwortung für solche Sendungen. 3. Diese von der Rechtsordnung selbst vorgezeichneten Konflikte sind vor allem Konflikte von Repräsentanten. Diese haben zwei Referenzgruppen, die an sie Verhaltenserwartungen stellen:15 Einmal ihre Wählergruppe, zum anderen die Träger der Veranstaltung (z. B. Unternehmen, Rundfunk), in die sie gewählt wurden.16 Diesem Konflikt können Repräsentanten durchaus gerecht werden dann, wenn sie als Mitglieder des Gremiums nicht starr an ihre Wähler gebunden sind – obgleich sie von ihnen abhängig bleiben –, und auch das Gremium selbst nicht starr auf eine bestimmte Verhaltensweise verpflichtet wird, wenn die (zweite) Rolle „Gremiumsmitglied“ (neben der des Arbeitnehmers, Bischofs, SPD14 Vgl. Satzung des Westdeutschen Rundfunks Köln, § 19; Bekanntmachung des Staatsvertrages über die Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen“, § 14; Gesetz über den Saarländischen Rundfunk, § 9; Gesetz über den Hessischen Rundfunk, § 5; Gesetz über die Errichtung und Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Radio Bremen“, § 4; Gesetz über die Errichtung einer Rundfunkanstalt „Sender Freies Berlin“, § 6; Satzung für den Süddeutschen Rundfunk, § 4. 15 Zu dem Problem nicht homogener Bezugsgruppen vgl. Wüstmann aaO. (Fn. 4), S. 21. 16 Zum Konflikt zwischen autonom postulierten oder gar usurpierten Rollen – also nicht: rechtlich geschaffenen Rollen – vgl. Chmielewicz, Unternehmensmacht und Gewerkschaftsmacht, in: Verhandlungen auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik – Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg 1980, Berlin 1981, S. 553 ff., 573.

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Mitgliedes etc.) also weit gefaßt ist. So ist es etwa bei Abgeordneten des Bundestages: Sie sind weder an den Wählerwillen gebunden (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), noch sind ihre politischen Entscheidungen klar vorgezeichnet: Zusammen mit den anderen Abgeordneten haben sie jeweils die Lösung zu finden, die im breitesten Umfange dem Interesse der Allgemeinheit entspricht. Dieser in der breiten Anlage der Rollen und in ihrer geringen Verbindlichkeit (keine Muß-Erwartung) lösbare Konflikt würde sofort unlösbar, wenn eine der Rollen strikt festgelegt würde; das wäre etwa beim imperativen Mandat der Fall: Der Rollenzwang müßte zum Tod der repräsentativen De- [573] mokratie führen. Die Freiheit zum Ausgleich der Rollen und damit die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen „das Richtige“ zu finden, kann aber auch verspielt werden; das ist dann der Fall, wenn sich ein Repräsentant seiner Gruppe gegenüber zu fest verpflichtet. Wer schon vorher den Wählern gegenüber sein künftiges Verhalten fest umschreibt, ist für ein gemeinsames Nachdenken im Gremium nicht mehr offen. Das ist das Problem mancher Gewerkschaftler.17 Hier wird die Rolle als Gremiumsmitglied verfehlt, ihr sozialer Sinn zumindest teilweise verkannt. III. 1. Der Mensch als soziales Wesen, der homo sociologicus, ist dem Konflikt seiner Rollen nicht gewachsen18 – solange er derjenigen Referenzgruppe angehören will, die den Inhalt eben dieser Rolle bestimmt. Wer kein „anständiger Mensch“ (mehr) bleiben will und sich aus dieser Gruppe zu lösen bereit ist, braucht natürlich die Rolle des ehrlichen Kassierers oder des ordentlichen Studenten nicht mehr zu spielen, sondern kann zum Dieb, Rocker oder Terroristen werden: der Betreffende löst den Konflikt durch einen (zunächst unvermerkten) inneren Rollenwechsel, ist aber auch (notfalls) durchaus bereit, die neue Rolle offen zu bekennen. Der Kirchenmann und der Gewerkschaftler in unserem Beispiel aber wollen mitnichten ihre Rolle wechseln; eher im Gegenteil. Und ihre „Auftraggeber“, ihre Referenzgruppe legt besonderen Wert auf ihren Verbleib in der Rolle, sie will den Prälaten oder Gewerkschaftler als Sprachrohr ihrer Gruppe im Entscheidungsprozeß, obwohl er zum Konflikt führen muß. Nichts anderes gilt für den Gewerkschaftler im Aufsichtsrat eines Unternehmens, nichts anderes auch für den Arbeitsdirektor. 2. Da nun der Mensch dem Konflikt seiner Rollen – jedenfalls auf Dauer – nicht gewachsen ist, andererseits das Gesetz die Übernahme konfligierenden Dazu Rittner, JZ 1980, 113, 117. Vgl. dazu Role Theory Concepts and Research, Edited by Bruce Biddle and Edwin Thomas, 1966, S. 273. 17 18

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Rollen hier geradezu vorschreibt, muß die Lösung in einer Veränderung, einer Anpassung der Rollen liegen derart, daß der Konflikt vom betroffenen Rolleninhaber als erträglich, ja vielleicht sogar als – jedenfalls weitgehend – nicht mehr bestehend empfunden wird.19 Und genau das trifft auch hier zu; [574] so jedenfalls scheint es uns; der Rolleninhalt erfährt eine Änderung, so daß der Konflikt für den Rollenträger beseitigt oder doch erträglich wird. Diese Veränderung läßt sich am ehesten im Recht der Korporationen nachweisen. Mangels exakter Vorgaben im Gesetz stellt sich dort nämlich besonders nachdrücklich die Frage, wie, das heißt unter welchen Zielbedingungen denn nun das Unternehmen der Gesellschaft zu führen sei.20 Und hier stand lange der Satz von der „Gewinnmaximierung“ im Vordergrund, oder, weniger plakativ, die Pflicht der Verwaltung zu ertragsorientierter Unternehmensführung: In dieser Weise wurde die Pflicht zu „ordnungsgemäßer Geschäftsführung“ und „ordnungsgemäßer Überwachung“, also die verbindliche Rollenerwartung an die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat interpretiert. Sehr bald wurde jedoch deutlich – wenn auch nur sehr selten in dieser Weise ausgesprochen –, daß man Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Arbeitsdirektoren im Vorstand nicht einer vom Kapitaleigner als Gruppe entwickelten Rolle unterwerfen kann.21 Entweder mußte die normative Rollenerwartung zurückgenommen oder das Experiment Mitbestimmung infolge seines inneren Widerspruchs in konfligierenden Rollen und Rollenerwartungen aufgegeben werden.22 Tatsächlich fand diese Rollenanpassung ungewöhnlich rasch und zielstrebig statt. Zunächst einmal wurde die viel eher staatspolitisch gedachte Formulierung des § 70 AktG 193723 dazu verwandt, die Rolle des Managements [575] aus der

Parsons, Role Conflict and the Genesis of Deviance, in: Bruce/Biddle (Fn. 18), S. 276. Dazu ausführlich mit umfangreichen Nachweisen Großmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, Köln 1980, S. 32 ff.; vgl. weiter Duden, Über Unternehmensziele in: Festschrift für Otto Kunze, Berlin 1969, S. 127 ff. und Wiedemann, Grundfragen der Unternehmensverfassung, ZGR 1975, 385 ff. 21 Zu den historischen Gründen für die Entwicklung einer betont ertragsorientierten Unternehmensleiter-Rolle im 19. Jahrhundert vgl. Chmielewicz (Fn. 15), S. 560 f. 22 Da der nicht lösbare Konflikt vor allem zu Lasten der Unternehmen ginge und ihrer Aufgabe, volkswirtschaftlich erforderliche Leistungen zu erstellen, be- oder verhindern würde, ist diese Folgerung hier durchaus ernst gemeint. So auch das Bundesverfassungsgericht in der Mitbestimmungs-Entscheidung vom 1. März 1979, BVerfGE 50, 290 ff., wenn es S. 335 dem Gesetzgeber die Pflicht auferlegt, seine optimistischen Prognosen mit der späteren gesellschaftlichen Realität zu vergleichen und bei negativem Ergebnis korrigierend einzugreifen. 23 Der Text lautete: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern.“ 19 20

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traditionellen Bindung an das Eigentümerinteresse zu lösen.24 In einem zweiten Schritt wurde dann diese Lösung verdichtet und zugleich die Bindung der Arbeitnehmer-Repräsentanten zu ihrer Referenzgruppe gelockert: Mit der Entwicklung und Ausbreitung des Stichworts vom „Unternehmensinteresse“ wurde genau diese Veränderung der Rolle und damit der Rollenerwartung an ein „ordentliches“ Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied in einer mitbestimmten Unternehmung erreicht und nach außen hin signalisiert. Mag der Streit um den konkreten Inhalt dieses Unternehmensinteresses und um die Bedeutung des Begriffs überhaupt auch noch so ungeklärt sein:25 Eines ist jetzt unbestritten, daß nämlich die (angemessene, gezügelte) Verfolgung von Arbeitnehmerinteressen in der Funktion eines Aufsichtsratsmitgliedes oder eines Vorstandsmitgliedes einer „ganz normalen“ mitbestimmten Gesellschaft keineswegs (mehr) rollenwidrig ist – wie andererseits die übersteigerte Verfolgung dieses Interesses rollenwidrig in bezug auf das Verhalten im Organ bleibt.26 Die derart neu definierte Rolle ist also mitnichten identisch mit der eines hauptamtlichen Gewerkschaftsvertreters oder der eines Betriebsratsmitgliedes – Herr Loderer hat also bei der IG Metall durchaus eine andere Rolle zu spielen als im Aufsichtsrat von VW; aber die unvermerkte Rollenanpassung durch Änderung der Rollenerwartung hat doch dazu geführt, daß niemand mehr – übertrieben und bildlich gesprochen – von den Repräsentanten der Mitbestimmung erwartet, sie sollten nun in Homburg und Streifenhose und mit Zigarre im Gremium erscheinen – aber eben auch nicht mit der roten Mütze des Aufruhrs und der Intransigenz. 3. Die Unerträglichkeit eines mit Bedacht angelegten Rollenkonfliktes hat also zur Einschmelzung von normativen Erwartungen geführt mit der Folge, daß sich Prälat, Arbeitsdirektor und Arbeitnehmer-Aufsichtsrat rollenge- [576] recht verhalten können – sub specie des von ihrer Referenzgruppe erwarteten RollenspieZur Interpretation des Textes vgl. Meyer-Landrut in: Großkomm. AktG, 2. Aufl. § 70 Anm. 10; Ritter, Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 70, Anm. 4; Godin-Wilhelmi, AktG, 1937, § 70 II/2; Baumbach-Hueck, Kommentar zum AktG, 11. Aufl., § 70 Anm. 3 A. 24 Der Kapitaleigner stellt im organisierten Großunternehmen heute eigene Mittel zur Verfügung, die er aber dort weder selbst verwaltet – Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht –, noch daß sie dort auch nur ausschließlich in seinem Interesse verwaltet würden. 25 Eingehend dazu der Bericht der Unternehmensrechtskommission, Köln 1980, Tz. 132 ff., insbes. 138-142. Vgl. weiter Großmann aaO. (Fn. 20), S. 87 ff.; Raisch, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 347, 348 ff.; Raiser, Festschrift für Reimer Schmidt, 1976, S. 101, 113 ff.; Junge, Festschrift für v. Caemmerer, Tübingen 1978, S. 547 ff. 26 Schon die Wahl der Formulierung ist erhellend. Sie erweckt den durchaus positiven Eindruck, als gäbe es das eigene Interesse „des“ Unternehmens, das vor den habgierigen Klauen seiner Raubvögel geschützt werden müsse. Natürlich gibt es dieses Eigeninteresse der sachlichen Veranstaltung Unternehmen nicht – aber es gibt sehr wohl ein Interesse der Allgemeinheit, die Organisationen zur Erstellung volkswirtschaftlicher Leistungen und zur Deckung sozialer Bedürfnisse nicht am Egoismus von Gruppen zerbrechen zu lassen: Das ist der eigentliche Inhalt des neuen Begriffes.

Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag

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les ebenso wie in ihrem Verhalten in der Gruppe selbst (Rundfunkrat, Aufsichtsrat, Vorstand). Es ist daher fast ein Geniestreich moderner Sozialordnung, bislang unvereinbare Rollen normativ zu verkoppeln, um so zu ihrer Veränderung beizutragen: Weil der Mensch dem Dauerkonflikt widersprüchlicher Rollenerwartungen nicht gewachsen ist, deswegen muß sich der Inhalt der Rolle ändern, soll der Mensch nicht am Konflikt zerbrechen – und das will er nicht und wird es daher auch nicht: Er und die mit ihm Betroffenen konzentrieren sich auf die Veränderung, die Anpassung der konfligierenden Rollen derart, daß die mit ihnen verbundenen Erwartungen künftig in einen vielleicht noch gespannten, insgesamt aber erträglichen Zustand geraten.27 4. Die hier beschriebenen Konflikte waren normativ eingeleitet; Konfliktlösungen oder auch nur Lösungsansätze aber enthielten die rein instrumental wirkenden, organisationsrechtlichen Normen selbst nicht. Dennoch wurde die Lösung des Konfliktes, wenn auch noch keineswegs in allen Details, wohl aber im Prinzip, in der gedanklichen und argumentativen Grundlegung erreicht. Und diese Lösung wurde eingeleitet und – jedenfalls teilweise – auch schon erreicht nicht durch eine textliche Änderung der gesetzlich festgeschriebenen Verhaltenserwartung, sondern durch eine Änderung der sozialen Rollenerwartungen, die ihrerseits zur Uminterpretation einer generalklauselartigen Norm geführt haben: den Pflichten eines „ordentlichen Geschäftsleiters“ (§ 93 AktG) und eines „ordentlichen Aufsichtsratsmitgliedes“ (§§ 116, 93 AktG). Der Gesetzgeber war also nicht etwa gezwungen, selbst einen neuen materiellen Gesetzesbefehl zu erarbeiten und konnte den politischen Konflikt um das normativ richtige Verhalten von Unternehmensleitern im Widerstreit der Interessen vermeiden: Der Erfolg ist dennoch eingetreten. Erfolg allerdings im weitesten Sinne; denn eine genauere Planung darüber, wie sich der Rolleninhalt und die Verhaltenserwartungen an den Rolleninhaber ändern werden, ist nicht möglich. Der Gesetzgeber kann sich hier also sehr weitgehend – nicht im Sinne einer kausalen Notwendigkeit, wohl aber als hohe Wahrscheinlichkeit – auf eine mittelbare Änderung der normativen Situation verlassen: Der homo sociologicus wird ihn nicht im Stiche lassen. Der Gesetzgeber kann in solcher Weise auch durchaus die Richtung abschätzen, in welche die mittelbare Normänderung verlaufen wird. Aber [577] den genauen Punkt muß er bei Anwendung eines solchen Verfahrens – hier ebenso wie in anderen Fällen – der Entwicklung durch die Normunterworfenen selbst überlassen, die ihrerseits gesellschaftlich organisiert sind in den Referenzgruppen, welche die Rollen und ihre Inhalte fixieren: Das System ist auf Ausgleich, auf Konfliktauflösung eingestellt, nicht anders wie Wasser in kommunizierende Röh27 Ähnlich Wüstmann aaO. (Fn. 4), S. 84, 104 f., 111 und Luhmann aaO. (Fn. 3), S. 58, 137 ff.; pessimistischer Zöllner, AG 1981, 13, 20.

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ren. Es wird daher, so lange keine Fremdeinflüsse störend einwirken, den politisch kaum zu verwirklichenden Ausgleich gesellschaftlich erreichen. Das soziale System der Rollen und der Einbindung des Einzelnen in dieses System federt den politischen Stoß ab und führt zu einem neuen Ausgleich. Aber die Welt ist nicht mehr wie zuvor, sie scheint nur organisatorisch geändert zu sein, ist aber tatsächlich auch normativ verwandelt.

Unternehmensplanung und Aufsichtsrat IN: KISTNER/SCHMIDT, UNTERNEHMENSDYNAMIK, HORST ALBACH ZUM

60. GEBURTSTAG, WIESBADEN 1991, S. 345-360 1. Einleitung 2. Struktur des Aktienrechts 3. Pflicht des Vorstands zur Planung im Unternehmen? 4. Planung und Aufsichtsrat 5. Planung im Konzern Literatur [346] 1. Einleitung HORST ALBACH hat sich früh und seither immer wieder mit den Fragen der Planung und vor allem der Planung in Unternehmen beschäftigt und die Klärung dieser Fragen mit vielen wichtigen Beiträgen nachdrücklich gefördert1. In seinen frühesten Veröffentlichungen dazu berichtete er noch davon, daß die strategische und operative Unternehmensplanung in den von ihm persönlich besuchten Unternehmen gerade erst begonnen hatte, Fuß zu fassen. Das war vor nun 25 Jahren. Inzwischen gibt es zwar nach Aussage von Fachleuten noch immer Unternehmen, in denen ohne Planung gearbeitet wird2. Dafür hat sich dieses Instrument in nahezu allen mir bekannten mittelständischen Unternehmen durchgesetzt, vielleicht weil sich diese ihrer beschränkteren Ressourcen eher bewußt sind: Planung der Produktion und des Absatzes, der Investitionen, Liquidität und Erträge gehört dort, so weit mein Einblick reicht, heute zum Standard der Führung von Unternehmen. Hingegen sind Unternehmensplanung als Führungsinstrument einerseits und Unternehmensrecht auf der anderen Seite einander bislang eher fremd geblieben. Leitbild des juristischen Denkens ist die Tätigkeit des Richters und des auf ihn bezogenen Anwalts. Der Richter aber befindet über abgeschlossene Lebenssach1 Vor allem „Beiträge zur Unternehmensplanung“, 1. Aufl. 1969, 3. Aufl. 1979; darüber hinaus „Theorie und Praxis der Unternehmensplanung“, in: Ergänzungsheft 1/79 der ZfB, S. 9 ff. 2 Niedermeyer, Management Know-how für Aufsichtsräte?, in: Zentrum für Unternehmensführung, Zürich 1990.

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verhalte. Zwar wird auch mit seinen Entscheidungen Zukunft gestaltet, aber es ist – vom Streit und seiner Entscheidung her gesehen – eine ungeplante Zukunft. Andererseits ist gerade geplante Gestaltung der Zukunft natürlich in ganz hohem Maße die Aufgabe des Rechts und der Rechtsordnung. Denn Rechtsetzung ist heute nicht mehr nur die Überführung eines gesellschaftlich bereits akzeptierten und praktizierten Verhaltens in verbindliche rechtliche Regeln3, sondern gerade auch vorgreifende Zukunftsgestaltung in Bereichen, wo dieser Konsens noch fehlt. So war etwa die Übervorteilung von Konsumenten bei Haustürgeschäften weit verbreitet, bis der Gesetzgeber dieser Praxis durch Gewährung eines Widerrufsrechts des Kunden ein Ende setzte4. Gleiches gilt für weite Teile unseres heute geltenden Umweltschutzrechts. Hier wird eine (bessere) Zukunft mit den Mitteln von Gesetz und Recht und ihres Zwanges geplant; aber sowohl das Planungsbewußtsein wie die Planungsinstrumente sind eher rudimentär. Vor Jahren hat man an die Einführung einer „Erfolgskontrolle“ in der Gesetzgebung gedacht mit dem Ziel, aufgrund ihrer Ergebnisse Planungsfehler bei der Gesetzgebung zu korrigieren, geplant „nachzusteuern“; aber diese Vorhaben sind heute eher vergessen5 [347] – wie überhaupt die sozialwissenschaftliche Feldforschung eher zurückgedrängt, ermattet erscheint6. Eine gewichtige Position konnte Planung hingegen im Handeln der öffentlichen Verwaltung gewinnen7; nicht nur Bauleitpläne8, sondern auch Landes- und Gebietsentwicklungspläne9 gibt es heute, Verkehrsplanung10 und Personalpla-

3 Hier ist etwa an die im StGB zusammengefaßten Verbotsnormen zum Schutz des Lebens, der Freiheit und der Eigentumsordnung zu denken. 4 Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften vom 16. 1. 1986 (BGBl. I 1986, 122 ff.). 5 Die Bundesregierung hat allerdings am 20. 12. 1989 beschlossen, daß die Bundesminister künftig Gesetze und Verordnungen ihres Geschäftsbereichs verstärkt im Sinne einer Erfolgsund Wirtschaftlichkeitskontrolle beobachten sollen (vgl. dazu die Schrift des BMI, Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und von Verwaltungsvorschriften, 1989, S. 10 f.). Als weiteres Mittel zur Erfolgskontrolle werden Erfahrungsberichte eingesetzt; danach verlangt der Deutsche Bundestag im Gesetzgebungsverfahren von der Bundesregierung, in periodischen Abständen einen Bericht über den Vollzug neuer Gesetze vorzulegen. In der Praxis haben aber bis heute weder der Regierungsbeschluß noch die Erfahrungsberichte zu einer wirklichen Erfolgskontrolle der Gesetzgebung geführt. 6 Eine rühmliche Ausnahme ist sicher die im Auftrag des BMJ vorgenommene Untersuchung von Gessner/Rohde/Strate/Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1978, zur rechtssoziologischen Vorbereitung der Insolvenzrechtsreform. 7 Näher Erichsen, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., S. 294 ff. 8 Das Baugesetzbuch faßt unter diesem Oberbegriff den Bebauungsplan und den Flächennutzungsplan zusammen, vgl. §§ 1 Abs. 2, 5 ff. und 8 ff. BauGB und näher Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972, S. 63 ff. 9 Vgl. nur §§ 13, 14 Landesplanungsgesetz NRW.

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nung, ja selbst kleine wirtschaftliche Einrichtungen der öffentlichen Hand, wie etwa die Studentenwerke, sind von Gesetzes wegen verpflichtet, Ein- und Zweijahresplanungen für ihre Tätigkeit zu formulieren und in Zahlen umzusetzen11. Und eines der wichtigsten Wirtschaftsgesetze Deutschlands, das Stabilitätsgesetz von 196712, verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden sogar zu mittelfristiger Finanzplanung und deren Veröffentlichung. Planung hat sich mithin auch in Teilen von Recht und Rechtsordnung durchgesetzt und ist ein weit verbreitetes Instrument vorausschauenden Verwaltungshandelns. Aber an einer interessanten und wichtigen Nahtstelle zwischen Unternehmensführung und Jurisprudenz ist sie weiterhin vielfach umstritten: Im Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer AG nämlich, genauer: bei der Frage, ob und in welchem Maße der Vorstand zur Planung verpflichtet ist, welchen Einfluß der Aufsichtsrat darauf hat und was ihm hiervon vorzulegen oder vorzutragen ist. Davon soll hier gehandelt werden, wobei Vorstellung, Ziel und Inhalt der Planung selbst nicht zur Debatte gestellt, sondern als im Kern gesicherte Erfahrung und Erkenntnis aus der Betriebswirtschaftslehre übernommen werden. 2. Struktur des Aktienrechts Das System und insbesondere die Organkompetenzen in der AG deutschen Rechts erscheinen uns plausibel und vernünftig, sind im internationalen Vergleich aber eine Spezialität – und das in doppelter Weise. Zum einen sind wir recht stolz auf unsere zweigliedrige Organisation der Verwaltung einer AG, die sogenannte Dual-Verfassung13, mit ihrer Teilung in Vorstand und Aufsichtsrat. International betrachtet aber ist diese „Erfindung“ nicht erfolgreich gewesen. Der große angloamerikanische Rechtskreis bleibt auch dort, wo, wie etwa in Großbritannien und Kanada, grundlegende Reformen stattgefunden haben, bei seinem (one) boardsystem14, der ebenfalls große romanische Rechtskreis blieb, [348] trotz ebenfalls weitreichender Reformen, beim System des (one) conseil d’administration15. Mit uns wirklich vergleichbare Lösungen kennen nur Österreich und die Niederlande. 10 Näher Salzwedel, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., S. 484 ff. 11 § 12 Abs. 2 Studentenwerksgesetz NRW, ergänzt durch Verwaltungsvorschriften des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW zur Aufstellung von Wirtschaftsplänen der Studentenwerke. 12 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I 1967, 582 ff.) und dazu Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, 3. Aufl., S. 83 ff. 13 Englisch wird das als „two-tier-system” bezeichnet. 14 Näher Pennington’s Company Law, 6. Aufl. 1990, S. 531 ff. 15 Eingehend: Guyon, Droit des Affaires, Bd. 1, 6. Aufl. 1990, Textziffer 316 ff. und Mercadal/Janin, Sociétés Commerciales, 20. Aufl. 1990, Textziffer 1241 ff.

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Unternehmensplanung und Aufsichtsrat

Und nur Frankreich läßt seit 1966 den Gesellschaften die freie Wahl zwischen diesen beiden Formen der Unternehmensverfassung16, die Dual-Verfassung aber wird nur in weniger als 5% der Fälle gewählt17. In der Dual-Verfassung erschöpft sich aber die Besonderheit des deutschen Rechts nicht. Normalerweise nämlich werden Gesellschaften von den Rechtsordnungen hierarchisch organisiert. Dem entspricht in Deutschland die Verfassung der GmbH mit der Gesellschafterversammlung als oberstem Organ und ihrer Weisungsbefugnis gegenüber der Geschäftsführung18; international ist genau diese Struktur in allen Gesellschaftsformen üblich, auch wenn das durch die Satzung der jeweiligen Gesellschaft oder die Praxis großer Unternehmen abgemildert wird: Die Kompetenz-Kompetenz liegt bei den Gesellschaftern19. Das deutsche Aktienrecht aber kann sich darauf nicht verlassen. Soll die Dual-Verfassung wirklich greifen und soll der Vorstand, wie § 76 AktG sagt, „unter eigener Verantwortung die Gesellschaft leiten“, so muß der Einfluß der Hauptversammlung ausgeschaltet und muß das ganze System von Gesetzes wegen „satzungsfest“ sein, darf nicht dem Einfluß der Aktionäre unterliegen20. Und so ist es auch; das Gesetz sagt es in den §§ 23 Abs. 5 und 119 Abs. 2 AktG an etwas versteckten Stellen. Das alles führt dann dazu, daß im deutschen Aktienrecht – ganz und gar entgegen aller internationaler Übung21 – keine hierarchische, sondern eine horizontale Struktur besteht: Die Hauptversammlung ist nicht „Vorgesetzter“ und nicht weisungsberechtigt gegenüber dem Aufsichtsrat und dieser seinerseits nicht Vorgesetzter des Vorstands und diesem gegenüber ebenfalls nicht weisungsbefugt. Im deutschen Aktienrecht haben die drei Organe Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand vom Gesetz festgelegte und weder durch Satzung noch durch Vertrag wesentlich veränderbare Rechte und Pflichten22. Was nun bedeutet das für die Planung im Unternehmen? [349] 16 Art. 118-150 des Gesetzes Nr. 66-537 vom 24. Juli 1966 „sur les sociétés commerciales” und näher dazu Le Cannu, Rev. soc., 1986, 565 ff. 17 Bei rund 50 000 neu entstandenen Aktiengesellschaften in Frankreich seit 1966 sind das allerdings inzwischen annähernd so viele Gesellschaften, wie es Aktiengesellschaften in Deutschland überhaupt gibt: rund 2500, dazu gehören auch so bekannte Unternehmen wie Paribas, Jacques Borel, Carrefour, Moulinex, Le Printemps, vgl. Guyon, Droit des Affaires, Bd. 1, 6. Aufl., Textziffer 351. 18 Vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, § 45 Rn. 2 ff. 19 Kritisch dazu kürzlich A. Mignoli, La società per azioni oggi: Problemi e conflitti, in: Rivista delle Società 1990, S. 1 ff. 20 Siehe Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 76 Rn. 40 ff. 21 Vgl. dazu Lutter, GmbH-Rundschau 1990, 377 f. 22 Nur die bekannte Möglichkeit des Aufsichtsrats, bestimmte Maßnahmen des Vorstands von seiner Zustimmung abhängig zu machen (Zustimmungsvorbehalt, § 111 Abs. 4 S. 2 AktG) besteht nicht von Gesetzes wegen, sondern nur, wenn ihn die Satzung oder der Aufsichtsrat selbst durch Beschluß einführt. Daher gibt es insoweit auch erhebliche praktische Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaften, hierzu zuletzt Götz, ZGR 1990, 633 ff.

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3. Pflicht des Vorstands zur Planung im Unternehmen? Der Vorstand hat, wie § 93 AktG sagt, bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt „eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden“. Damit liegt die Frage offen zutage, ob „ordnungsgemäße Geschäftsführung“ eben auch Planung der Unternehmenstätigkeit voraussetzt oder, anders gewendet, der Vorstand seine Pflichten verletzt und sogar schadensersatzpflichtig werden kann, wenn er ohne Verwendung dieses von der Betriebswirtschaftslehre entwickelten Planungsinstruments das Unternehmen leitet. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur finden sich zu den etwaigen Pflichten des Vorstandes im Hinblick auf die Planung im Unternehmen nicht gar viele Äußerungen. So heißt es in der zeitlich jüngsten Kommentierung zu den §§ 76 und 93 AktG von MERTENS nur: „Für die Funktionsfähigkeit der Unternehmensplanung – auch in mittel- und langfristiger Sicht – … muß der Vorstand gleichfalls selbst Sorge tragen23.“

Ähnliche Formulierungen finden sich bei WIESNER24 „Darüber hinaus trifft er (scil: der Vorstand) die für die Unternehmenszielverwirklichung erforderlichen Führungsentscheidungen wie Unternehmensplanung …“

und MEYER-LANDRUT25 „Die Leitungsmacht des Vorstands bedeutet … Ausarbeitung und Durchführung von langfristigen Planungen auf dem Gebiet der Produktion, der Finanzierung, der Organisation …“,

während KÜBLER die Planung als „Geschäft“ erwähnt, das der Zustimmung des Aufsichtsrats unterworfen werden kann26. Hingegen lassen sich Stichworte zur Planung bei HEFERMEHL27, KARSTEN SCHMIDT28 und RAISER29, soweit ersichtlich, nicht nachweisen. Die bislang eingehendste rechtliche Erörterung der Frage, ob und welche Pflichten der Vorstand zur Planung im Unternehmen und des Unternehmens hat, ist im Jahre 1982 im Industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn von SEMLER vorgetragen und anschließend veröffentlicht worden30. Hier wird überzeugend die von § 76 AktG dem Vorstand zugewiesene „Leitung“ der Gesellschaft mit „Führung“ gleichgesetzt, die dann ihrerseits aus den Erkenntnissen der BeKölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 45. Münchener Hdb AG, § 19 Rn. 10. 25 Großkomm. AktG, § 76 Anm. 2. 26 Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1990, S. 193. 27 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Kommentierung der §§ 76 bis 93. 28 Gesellschaftsrecht, 1986. 29 Recht der Kapitalgesellschaften, 1983. 30 ZGR 1983, 1 ff. 23 24

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triebswirtschaftslehre heraus interpretiert wird. So konnten u. a. die von der Betriebswirtschaftslehre entwickelten und heute offenbar allgemein anerkannten vier originären Führungsaufgaben als Grundpflichten der dem Vorstand von Rechts wegen aufgegebenen Leitung er- [350] kannt und festgelegt werden. Und dazu gehört eben auch und gerade die Unternehmensplanung31. Damit steht fest, daß Unternehmensplanung – und zwar Unternehmensplanung nach den Regeln und anerkannten Grundsätzen der hierfür fachzuständigen Betriebswirtschaftslehre – Rechtspflicht des Vorstands ist. Wird sie ohne zwingende sachliche Gründe versäumt, so handelt es sich nicht um den Fall eines rechtlich folgenlosen unternehmerischen Fehlermessens, sondern um Verletzung einer Rechtspflicht. Anders gewendet: Die Frage, ob überhaupt Unternehmensplanung im konkreten Unternehmen stattfindet, unterliegt nicht der business judgement rule, also demjenigen Bereich, in dem der Vorstand unternehmerische Fehlentscheidungen ohne rechtliche Folgen treffen darf32, sondern der Verzicht auf Planung ist im Zweifel per se pflichtwidrig, es sei denn, der Vorstand könne zur Überzeugung der Fachleute eine Ausnahmesituation im konkreten Unternehmen dartun. Mit dieser Aussage wird nicht eingegriffen in die Entscheidung des Vorstands, wie er die Planung anlegen und aufbauen will33; sicher ist nur, daß er die von seinem Unternehmen zu erreichenden Ziele mindestens kurz- und mittelfristig vorgeben und damit seine eigene Produktplanung, Absatzplanung, Finanz- und Liquiditätsplanung, Investitionsplanung sowie Ertragsplanung rational und nachvollziehbar dartun muß, daß er belegen muß, daß eben diese Ziele unter Berücksichtigung der Lage der Gesellschaft und ihrer finanziellen Möglichkeiten unter Aufrechterhaltung angemessener Erträge und Vermeidung übergroßer Risiken erreichbar sind.

31 Busse von Colbe/Laßmann, Betriebswirtschaftstheorie, Bd. 1, S. 19 f.; Kosiol, Organisation der Unternehmen, 2. Aufl. 1976, S. 122; Semler, ZGR 1983, 1, 12; vgl. auch Gutenberg, Produktion, S. 140. 32 Zur „business judgement rule“ des amerikanischen Rechts siehe: Auerbach v. Bennett, 47 New York 2d 619 (1979) und Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 22 ff.; zum Ermessensspielraum des Vorstands bei unternehmerischen Entscheidungen: Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 76 Rn. 10 ff. 33 Beispiele bei Semler, ZGR 1983, 1, 3 ff.

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4. Planung und Aufsichtsrat Dem Aufsichtsrat sind vom Gesetz verbindlich und nicht veränderbar (nur) drei Aufgaben zugewiesen (1) die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands, (2) die Überwachung des Vorstands und (3) die Mitwirkung an einzelnen Entscheidungen des Vorstands, wie z. B. an der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 172 AktG). [351] Überwachung aber heißt, die Legalität, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Führung des Unternehmens durch den Vorstand zu kontrollieren34. Die zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats ist es mithin, in besonderer Weise daran mitzuwirken und darauf hinzuwirken, daß Fehlentwicklungen des Unternehmens insgesamt ebenso wie einzelne gravierende Fehlentscheidungen möglichst vermieden werden: Das ist seine Verantwortung im Unternehmen. Solche Fehlentwicklungen können sich dadurch ergeben, daß der Vorstand selbst illegal handelt oder Illegalität im Unternehmen zuläßt35. Sie können dadurch entstehen, daß er Unwirtschaftlichkeit, mithin Substanzverluste, ohne energische Gegenmaßnahmen hinnimmt. Vor allem aber können Fehlentwicklungen darauf beruhen, daß der Vorstand das Unternehmen nicht ordnungsgemäß führt, also chaotisch und impulsiv, statt geplant und überlegt handelt36. Kurz: Der Aufsichtsrat ist verpflichtet und mithin dafür zuständig, sich über die Tatsache einer angemessenen Unternehmensplanung durch den Vorstand zu vergewissern und deren Existenz auch zu gewährleisten37. Dieses Ergebnis wird mittelbar durch das Gesetz selbst bestätigt. Dort ist nämlich in § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG festgelegt, daß der Vorstand dem Aufsichtsrat über „die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der künftigen Geschäftsführung“ zu berichten hat. Die Vorschrift wirkt außerordentlich modern und zeigt, daß das erst 25 Jahre alte AktG von 1965 von praxis- und wirtschaftserfahrenen Sachverständigen formuliert worden und mitnichten nur 34 Näher Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 2 Rn. 7; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb AG, S. 255 Rn. 25; Semler, Überwachungsaufgabe, S. 68 ff.; aus betriebswirtschaftlicher Sicht: Theisen, Überwachung der Unternehmensführung, 1987, S. 64 ff. 35 Steuerdelikte, Kartelldelikte, die alle zu unmittelbaren finanziellen Schäden der Gesellschaft, aber auch zu mittelbaren Schäden durch Ansehensminderung führen. 36 Semler, Überwachungsaufgabe, S. 68. 37 Semler, ZGR 1983, 1, 16 ff.; zu den Eingriffsmitteln des Aufsichtsrats vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 2 Rn. 16 ff.

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Unternehmensplanung und Aufsichtsrat

am grünen Tisch entstanden ist38. Bei richtiger Betrachtung bestätigt diese Vorschrift, daß der Vorstand zur Unternehmensplanung verpflichtet ist39 und er dies dem Aufsichtsrat darzulegen, ja nachzuweisen hat. Stehen diese Pflichten des Vorstandes somit fest, so sind damit aber drei Fragen noch nicht geklärt: (1) Muß der Vorstand seine Unternehmensplanung dem Aufsichtsrat vorlegen? (2) Wie detailliert muß diese Vorlage sein? (3) Kann der Aufsichtsrat die Planziele und Planvorhaben von seiner vorherigen Zustimmung abhängig machen? [352] (1) Der Plan-Bericht des Vorstands nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist Teil des gesetzlichen Gesamtsystems der Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand. In diesem Zusammenhang ist aber bis heute nicht endgültig geklärt, wie diese Berichte eigentlich zu erstatten sind: mündlich oder schriftlich. Die bald nach Verabschiedung des AktG von 1965 erschienenen Lehrmeinungen haben die Entscheidung über dieses Wie ganz in das Ermessen des Vorstands gestellt, mithin ganz allgemein auch die (nur) mündliche Berichterstattung akzeptiert40. Diese Auffassung war ganz offensichtlich geprägt von früheren Formen der Unternehmensführung, die sehr viel weniger auf schriftlichen Ausarbeitungen und Unterlagen beruhten: Operation Research war noch nicht geboren oder hatte sich noch nicht in den Unternehmen durchgesetzt41. Das hat sich inzwischen geändert mit entsprechenden Folgen auch für die Interpretation der Pflichten des Vorstands im Verhältnis zum Aufsichtsrat. Daher wird auch die soeben zitierte Rechtsmeinung seit etwa 1980 mehr und mehr angezweifelt42 mit dem Ergebnis, daß heute der Grundsatz der Schriftlichkeit43 der regulären Berichte des Vorstands an

38 Das hohe Maß an praktischer Bewährung des AktG von 1965 zeigt sich auch daran, daß die Rechtsprechung hier viel seltener Regelungslücken zu schließen hatte als im GmbH-Recht. Näher dazu Lutter, Die Fortentwicklung des Aktienrechts durch die Rechtsprechung, in: Lutter (Hrsg.), 25 Jahre Aktiengesetz, Düsseldorf 1991. 39 Lutter, Information, 2. Aufl., S. 12; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 167; Mielke, Die Leitung der unverbundenen Aktiengesellschaft, 1990, S. 9. 40 Baumbach/Hueck, Komm. AktG, § 90 Rn. 3; Meyer-Landrut, Großkomm. AktG, § 90 Anm. 6; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. AktG, § 90 Rn. 6. 41 Geradezu klassisch dargestellt in der von Albach berichteten Geschichte des Kaufs der Carnegie Steel Corporation durch J. P. Morgan von Carnegie durch Austausch eines Zettels mit den beiden Kurzmitteilungen: „400 Mio. Dollar“ und „Yes“ (Beiträge zur Unternehmensplanung, 3. Aufl., S. 113). 42 Hüffer, ZGR 1980, 320, 336; Lutter, Information, 1. Aufl., S. 57, und 2. Aufl., S. 77 ff.; jüngst Theisen, Überwachung der Unternehmensführung, 1987, S. 286 ff. 43 Ausnahmen sind möglich und auch üblich, so bei Zusatzberichten, die einzelne Aufsichtsratsmitglieder gewünscht haben, oder bei der sofort erforderlichen Information des Aufsichtsratsvorsitzenden über wesentliche Vorgänge nach § 90 Abs. 1 S. 2 AktG.

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den Aufsichtsrat weit überwiegend anerkannt ist44. Zu diesen regulären Berichten gehört aber eben auch der Planungsbericht, dessen Erstattung mithin in schriftlicher Form stattzufinden hat. (2) Ist damit geklärt, daß der Vorstand zu korrekter Unternehmensplanung und zu schriftlicher Vorlage dieser Planung an den Aufsichtsrat verpflichtet ist, so ist doch noch nicht geklärt, welche Planungsteile der Vorstand dem Aufsichtsrat vorzulegen hat. Denn je größer ein Unternehmen ist oder je vielfältiger seine Produktion oder sonstige Tätigkeit, desto mehr setzt sich der UnternehmensGesamtplan aus vielfachen Einzelplänen zusammen45. Und hinzu kommt, daß man zwischen kurzfristiger Planung (Budget des laufenden und nächsten Geschäftsjahres), Mittelfristplanung (ca. drei bis fünf Jahre) und Langfristplanung (ca. zehn Jahre) unterscheiden muß. Was von all dem muß dem Aufsichtsrat vorgelegt werden? Dazu drei Betrachtungen vorweg: (I) Der Aufsichtsrat hat nur auf Grund eines besonderen Beschlusses ein unmittelbares Einsichtsrecht in die Unterlagen der Gesellschaft, § 111 Abs. 2 AktG46. Diese Regelung verdeutlicht, daß die Informationsbeschaffung des Aufsichtsrats nicht auf die Vorstandsberichte nach § 90 AktG beschränkt ist, sondern daß der Aufsichtsrat auch selbst bezüglich aller seiner Überwachung unterliegenden Vorgänge Nachforschungen anstellen und Prüfungen vornehmen darf47. Dieses Informationsrecht wird aber durch die Verpflichtung des Aufsichtsrats auf das Gesellschaftsinteresse eingegrenzt. Das bedeutet praktisch: Erst wenn der Vorstand die erforderliche Information nicht beibringt, ist der Aufsichtsrat zu eigener Einsicht und Prüfung [353] berechtigt48. Er kann daher auch nicht einfach die Vorlage der im Unternehmen meist reichlich vorhandenen Planungsunterlagen vom Vorstand an sich verlangen. Insofern ist es also richtig zu sagen, daß der Vorstand das Wie der Unterrichtung des Aufsichtsrats bestimmt49: Er kann das gesamte Planungspaket, so wie es eben vorhanden ist, dem Aufsichtsrat vorlegen50; er kann aber auch ein Kondensat daraus eigens für den Aufsichtsrat her-

44

Rn. 23.

Außer den in Fn. 42 Zitierten jüngst auch Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 90

45 Siehe Albach, Beiträge zur Unternehmensplanung, 3. Aufl., S. 95 ff.; anschaulich auch Semler, ZGR 1983, 1, 3 f. 46 Siehe Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 3 Rn. 30. 47 Vgl. Semler, Überwachungsaufgabe, S. 44. 48 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 3 Rn. 32; Semler, Überwachungsaufgabe, S. 47 f. – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; ähnlich Hoffmann, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl., S. 54 f. – Mißbrauchsgrenze. 49 Lutter, Information, 2. Aufl., S. 32; Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 90 Rn. 23. 50 AA Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 76 Rn. 33 mit der Behauptung, die beabsichtigte Geschäftspolitik (i. S. § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG) umfasse nicht alle mehr oder minder im

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stellen lassen und dieses dann vorlegen. Allerdings muß es sich bei diesem Kondensat immer noch um einen rational nachvollziehbaren Bericht über die Unternehmensplanung handeln; der Planbericht darf also nicht bis zum Verschwinden auf ganz wenige Zahlen eingedampft sein51: Ein solcher Bericht würde weder die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Planung erlauben, noch das kritische Gespräch ermöglichen; das aber ist der Sinn des ganzen Vorgangs. (II) Planungsunterlagen sind per se außerordentlich sensibel. Denn das „Ist“ des Unternehmens, seiner Produkte und seiner Marktstellung kennt die Konkurrenz genau; dafür gibt es die zuverlässigen und zeitnahen Berichte kommerzieller Marktforschungs-Institute. Hier ist also nicht mehr viel zu verheimlichen. Ganz anders steht es um die Planung. Mit ihren Ergebnissen soll nicht zuletzt die Konkurrenz überrascht werden52. Man muß unter diesem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft Verständnis haben für die oft geübte Zurückhaltung des Vorstands gegenüber der Hingabe von eingehenden, also nicht nur globalen Planungsunterlagen an den Aufsichtsrat. Hier liegt es daher besonders nahe, einen Beschluß des Aufsichtsrats nach § 90 Abs. 5 S. 2 AktG anzuregen, wonach diese Unterlagen (Planunterlagen, Planberichte) den Mitgliedern des Aufsichtsrats nicht einzeln auszuhändigen, sondern nur zur Einsicht in den Geschäftsräumen der Gesellschaft bereitzuhalten sind53. Auf diese Einsichtsmöglichkeit sollte dann aber vom Aufsichtsratsvorsitzenden in der Einladung zur Sitzung ausdrücklich hingewiesen werden mit der Anregung, von dieser Möglichkeit vor Beginn der Sitzung auch tatsächlich Gebrauch zu machen. (III) Planung enthält auch Festlegungen; das ist ihr Sinn. Aus den potentiell unendlich vielen Möglichkeiten unternehmerischer Tätigkeit entscheidet sich der Vorstand mit seiner Planung jetzt schon für und gegen einzelne dieser Möglichkeiten. Aber nicht nur das. Planung macht auch das Handeln des Vorstands, seine Erfolge und Mißerfolge überschaubar. Auch das ist gerade der Sinn eines solchen auf Rationalität der Unternehmensführung zielenden Instruments wie eben der Unternehmensplanung. Während nun aber ohne diese der Vorstand seine Perspektive im Nebel halten und je nach tatsächlicher Entwicklung des Unternehmens das Ein- [354] getretene als das Erwartete darstellen kann, ist die positive Unternehmen angestellten detaillierten Planregelungen; ähnlich auch Hoffmann, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl., S. 56, Textziffer 255. 51 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 3 Rn. 20; Peltzer, WM 1981, 346, 350. 52 Als Henkel nicht nur einfach eine neue Marke in den Zahnpastenmarkt einführte, sondern zugleich und völlig überraschend von der bis dahin üblichen Darreichung in Tuben abund auf den sogenannten Spender überging, konnte der durch Überraschung erzielte Markterfolg von den Konkurrenzunternehmen erst nach über einem Jahr aufgefangen werden: So lange dauerte es, bis diese eigene Spender entwickelt hatten. 53 Vgl. Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 90 Rn. 49.

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wie negative Abweichung vom Plan (Budget) unmittelbar überschaubar und bedarf ihrerseits der Begründung: Jeder mit Unternehmensführung Vertraute kennt die grünen und roten Übermalungen im vierteljährlichen oder jährlichen Soll-IstVergleich54. Das aber macht Überwachung leichter, führt also auch zu eher „unerfreulichen“ Gesprächen in Aufsichtsrat und Vorstand. Hier ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß der Vorstand nicht nur ein unternehmerisches Entscheidungsermessen hat, sondern – daraus folgend – eben auch das Recht – wenn auch gewiß nicht die Pflicht! – zu ex post betrachtet – unternehmerischen Fehlentscheidungen und Irrtümern55: Je mehr sich rationale Instrumente in der Unternehmensführung durchsetzen, um so mehr ist zu betonen, daß sie zwar behilflich sein können, die Zahl der Irrtümer und Fehlentscheidungen zu verringern, sie aber nicht ausschließen können. Von der rechtlichen Betrachtung her bedeutet das, daß eben diese Erkenntnis das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat prägen muß. Negative Abweichungen der IstEntwicklung gegenüber der Planvorstellung sind per se noch nicht Anlaß für Mißtrauen und Vorwürfe, sondern in erster Linie die Basis für eine Rationalisierung der Debatte. Auf dem Hintergrund der Prämissen des „Soll“ und der Gegebenheiten des „Ist“ besteht die Möglichkeit einer rationalen Erörterung der Gründe und der etwa erforderlichen Maßnahmen zur Anpassung des Ist an das Soll. Anders gewendet: Planung und Budgetierung durch den Vorstand und die fraglos notwendige Kenntnis des Aufsichtsrats davon erleichtern und rationalisieren die Überwachung, machen den Aufsichtsrat also tatsächlich „gefährlicher“, weil informierter, und seine Tätigkeit griffiger, beseitigen aber weder de facto noch de jure das unternehmerische „Recht zum Irrtum“ des Vorstands. Auf diesem Hintergrund läßt sich leichter die Frage beantworten, welche Unterlagen der Vorstand mindestens dem Aufsichtsrat mindestens zur Einsicht in den Geschäftsräumen der Gesellschaft vorlegen muß. (i) Hierzu gehört in erster Linie das Budget, also der aus den Einzelplänen der Produktgruppen oder Unternehmensbereiche zusammengesetzte Unternehmens-Gesamtplan für das laufende und das nächste Geschäftsjahr, unterteilt in Umsatz-, Ertrags-, Liquiditäts- und Investitionsplanung56. Nach der oben zitierten Vorschrift des § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG hat der Vorstand den Aufsichtsrat in, so muß man hinzufügen, rational nachvollziehbarer Weise über die von ihm geplante Unternehmenspolitik zu informieren. Das ist nur möglich auf dem Hintergrund eines solchen Mindestinhalts des Planungsbe-

Wiesner, Münchener Hdb AG, § 25 Rn. 5. Dazu schon Lutter, Information, 2. Aufl., S. 12 und Scholz/Schneider, GmbH-Gesetz, § 43 Rn. 44 ff. 56 Vgl. Semler, ZGR 1983, 1, 4; Wiesner, Münchener Hdb AG, § 25 Rn. 5. 54 55

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richts vom Vorstand an den Aufsichtsrat. Mindestinhalt ist das Muß: Jedes Mehr ist fraglos erlaubt. (ii) Über die Planung (Budgetierung) des laufenden und des nächsten Geschäftsjahres hinaus gibt es die Mittelfrist- und Langzeitplanung. Mit diesen Planungen aber sind stets wachsende Unsicherheitsfaktoren verbunden. Alle Annahmen von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung über die Rohstoff- und Energiepreise bis zu den Lohnkosten, Zinsen und Erlösen sind beim Überschreiten der Zeitachse auch nur eines Jahres fast nur mehr unter den Aspekten besserer oder schlechterer Wahrscheinlichkeiten, kaum aber mehr unter der Prämisse richtiger Annahmen handhabbar. Daher bleibt zu erörtern, ob der Vorstand bei dieser Sachlage über- [355] haupt zu einer mittelfristigen und langfristigen Planung verpflichtet und wie der Aufsichtsrat daran zu beteiligen ist. Zunächst: Ob das Gesetz den Vorstand mit seiner Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung auch zu langfristiger Planung verpflichtet, läßt sich einheitlich für alle Fälle kaum beantworten. Es kommt hier entscheidend auf die Art und den Umfang der Geschäftstätigkeit an. Schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen können Großunternehmen mit langfristigen Investitionen wie in den Branchen Bergbau, Stahl und Energie über Investitionen gar nicht rational entscheiden, ohne jedenfalls den Versuch zu machen, ihre Unternehmensperspektive für einen Zeitraum von 8-10 Jahren zu formulieren. Für mittelgroße Unternehmen des Handels wird das ganz anders sein57. Aus diesem wirtschaftlichen Erfordernis ergibt sich dann die rechtliche Pflicht58. Demgegenüber kann für die Mittelfristplanung weitgehend auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Hier ist bei Unternehmen, die einen Aufsichtsrat haben, sowohl aus dem Aspekt der ordnungsgemäßen Geschäftsführung wie aus der Pflicht des Vorstands, den Aufsichtsrat über die „beabsichtigte Geschäftspolitik“ zu informieren, nur mit einer Perspektive auch und neben dem Budget des laufenden und folgenden Geschäftsjahres von vier bis fünf Jahren korrekt zu verfahren. Ohne diese Perspektive lassen sich auch Investitionsentscheidungen kaum rational treffen. Man kann also zusammenfassend sagen: Budgetierung des laufenden und nächsten Geschäftsjahres sowie Mittelfristplanung des Umsatzes, der Finanzen (Liquidität und Erträge) und der Investitionen gehören zur Pflicht des Vorstands zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung und zu seiner Pflicht zu ordnungsgemä57 Siehe Schierenbeck, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, 10. Aufl. 1989, S. 103, der die Branchenunterschiede ausdrücklich hervorhebt. 58 Semler, Überwachungsaufgabe, S. 12; auch Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 45, ist wohl nicht anders zu verstehen, wenn er betont, daß der Vorstand für eine funktionsfähige Unternehmensplanung auch in mittel- und langfristiger Sicht Sorge tragen müsse: Bedarf die konkrete Geschäftstätigkeit der Gesellschaft keiner langfristigen Planung, so ist diese funktionslos und der Vorstand zu einer solchen Planung nicht verpflichtet.

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ßer Information des Aufsichtsrats. Demgegenüber bestehen solche Pflichten über den Zeitraum von vier bis fünf Jahren hinaus nur, wenn sich das aus der Größe und der Struktur der unternehmerischen Tätigkeit der betreffenden Gesellschaft konkret ergibt. (iii) Damit bleibt die Frage nach der Art und Weise dieser Planung, dem Wie ihrer Aufbereitung und Darstellung durch den Vorstand an den Aufsichtsrat. Ein korrektes Jahrsbudget kann in seinem Kern nur in Zahlen formuliert sein. Gewiß muß der Vorstand seine Prämissen dazu formulieren; aber allgemeine Angaben wie „der Umsatz soll um 5%, die Erträge vor Steuern um 3% steigen, die Finanzlage wird die Anforderungen decken“ genügen zur Information des Aufsichtsrates nicht und sind selbst auch gewiß keine korrekte Planung der Unternehmenstätigkeit. Viel eher aber könnte es fraglich sein, ob in dieser oder ähnlicher Weise die Information des Aufsichtsrats zur Mittel- und Langfristplanung erfolgen kann. Um mit letzterer zu beginnen: Bei Zeiträumen, die sich bis zu zehn Jahre in die Zukunft erstrecken, beruhen alle Zahlen auf so vielen und so hohen Unsicherheitsfaktoren, daß sie geradezu falsch sein müssen. Da man aber Zahlen dem mit ihnen vermittelten Anschein von [356] Klarheit und Sicherheit nur schwer nehmen kann, muß hier zur Vermeidung von Irrtümern die verbale Vermittlung jedenfalls im Zentrum stehen. Der Vorstand muß aber seine Vorstellungen zur langfristigen Unternehmensentwicklung darlegen und sie dem Aufsichtsrat plausibel machen. Selbstverständlich kann er die Alternativen („Szenarien“) auch in Zahlenwerke umsetzen59; er muß es aber nicht und jedenfalls nicht in seinem Bericht an den Aufsichtsrat. Ganz anders ist das bezüglich des Budgets für das laufende und folgende Geschäftsjahr. Hier sinkt die durch Zeit bedingte Untersicherheit, hier lassen sich Prämissen und Erwartungen aus den Erfahrungen der Vergangenheit sicherer verarbeiten, hier sind genaue Zielvorgaben an die Mitarbeiter erforderlich. All das kann und muß in entsprechenden Zahlenwerken niedergelegt werden und ist dann auch so dem Aufsichtsrat jedenfalls zur Einsicht vorzulegen. Das Gesetz bestimmt, daß die Satzung oder, wenn und so weit diese schweigt, der Aufsichtsrat selbst die Durchführung „bestimmter Arten von Geschäften“ durch den Vorstand an die (vorherige) Zustimmung des Aufsichtsrats binden kann. Nach wie vor geht auch hier also die Initiative vom Vorstand aus; seine Planung steht zur Debatte, nicht die des Aufsichtsrats; aber die Initiative des Vorstands scheitert, wenn der Aufsichtsrat seine Zustimmung verweigert. Die Formulierung „Geschäfte“ ist sehr allgemein und knüpft ersichtlich an den Begriff der „Geschäftsführung“ des § 77 AktG an. Diese aber erfaßt jede 59 Beispiele für solche Szenarien in der Unternehmensplanung finden sich bei Albach, ZfB 1978, 702, 703 ff.

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Maßnahme des Vorstands nach innen wie nach außen. Planungen sind typische Innenmaßnahmen; sie erfolgen nicht wie Vertragsabschlüsse oder Zahlungen nach außen, also mit Dritten oder gegenüber Dritten. Dafür betreffen sie fraglos ein Handeln des Vorstands für die Gesellschaft, sind also Teil der Geschäftsführung. Darüber hinaus sind Planungen von grundsätzlicher Bedeutung, gehören also gewiß nicht zu den Tagesgeschäften60. Daher besteht zu Recht Einigkeit in der Literatur, daß diejenigen Unternehmensplanungen, zu denen der Vorstand nach den obigen Feststellungen verpflichtet ist, also in jedem Falle das Budget des laufenden und des folgenden Geschäftsjahres und die Mittelfristplanung ebenso wie deren Änderungen und etwaige gezielte Abweichungen von ihr von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden können61. Und das gilt dann auch für die Konzernplanung62. In praktischer Hinsicht wird ein solcher Zustimmungsvorbehalt zur Jahresplanung häufig verbunden mit einer Entlastung von anderen Zustimmungspflichten, beispielsweise mit der Formulierung: „Investitionen im Rahmen des genehmigten Investitionsplanes bedürfen keiner Zustimmung des Aufsichtsrats, darüber hinausgehende Investitionen erst, wenn sie kumuliert den Investitionsplan um 10% übersteigen.“ [357] 5. Planung im Konzern Abschließend sollen uns noch einige Überlegungen zur Planungspflicht des Vorstands und seiner Pflicht zur Information des Aufsichtsrats im Konzern beschäftigen. Fragen der Binnenordnung im Konzern machen den Juristen ganz besondere Schwierigkeiten; einerseits sind solche Fragen nur ganz nebenbei im Gesetz selbst angesprochen63; andererseits besteht eine große Zurückhaltung gegenüber dem Gedanken, Lösungen des Gesetzes für die Gesellschaft selbst auf den Konzern 60 Insoweit ist strittig, ob solche Tagesgeschäfte auch einer Zustimmungspflicht unterworfen werden können; dafür etwa Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 2 Rn. 21 für herausragend wichtige Geschäfte sowie Hoffmann-Becking, Münchener Hdb AG, S. 258; generell ablehnend: Semler, Überwachungsaufgabe, S. 82; zum Streitstand im Überblick: Götz, ZGR 1990, 633, 642 f. 61 Mertens, Kölner Komm. AktG, 1. Aufl., § 111 Rn. 58; Schilling, JZ 1967, 615; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl., § 2 Rn. 21; eingehend Semler, ZGR 1983, 1, 20 f. 62 Zu den Zustimmungspflichten im Konzern eingehend Götz, ZGR 1990, 633, 646 ff. sowie unten sub 5. 63 Weisungsrechte im Vertragskonzern (§ 308 AktG), ausdrückliche Ablehnung jedes Weisungsrechts im faktischen Verbund (§ 311 AktG), Pflicht zum Verlustausgleich im Vertragskonzern (§ 302 AktG) oder Ausgleichspflicht für nachteilige Maßnahmen im faktischen Verbund (§§ 311, 312, 317, 318 AktG).

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zu übertragen – aus der durchaus nachvollziehbaren und verständlichen, wenn auch keineswegs immer richtigen Überlegung, den Konzern nicht gar zu schnell in das eng gewordene Regelungsbett der Gesellschaft zu pressen, sondern seine Flexibilität zu erhalten64. Immerhin konnten einige Einzelfragen aus diesem Bereich inzwischen geklärt werden; und dazu gehört auch die Konzernplanung. In seiner Monographie über die „Konzernleitungspflicht“ hat HOMMELHOFF65 entwickelt und nachgewiesen, daß der Vorstand der Konzernobergesellschaft nicht nur den Konzern und die in ihm verbundenen Gesellschaften leiten kann, sondern das auch muß – wenn ihn nicht die Satzung oder ein Entherrschungsvertrag ausdrücklich von der Führung aller oder einzelner verbundener Unternehmen freistellen. Der Gedanke wirkt zunächst überraschend, aber eben auch nur zunächst: Sollte der Vorstand von VW seine Tochter AUDI wirklich wie eine Finanzanlage behandeln und sich auf das Kupon-Schneiden zurückziehen dürfen? Sollte das beim Siemens-Vorstand bezüglich der Tochter Osram etwa genauso sein? Konzerntöchter sind Aktiva der Obergesellschaft zur unternehmerischen Nutzung, jedenfalls in aller Regel nicht nur zur passiven Kapitalanlage66. Der Vorstand hat die abhängigen Gesellschaften also zu leiten. Bedenkt man nur die Gefahr der Doppelentwicklung, des Doppelvertriebes und der Doppelproduktion, kurz: des Verschleißes an Konzernressourcen ohne einheitliche Gesamtleitung, dann leuchtet diese Pflicht unmittelbar ein. Zentrales Mittel der Leitung (Führung) aber sind Plan und Plankontrolle. Daher hat der Vorstand für eine Konzernplanung nach den gleichen Aspekten und den gleichen Inhalten wie bei der Obergesellschaft selbst zu sorgen67. Und da es sich um die Leitung „der Gesellschaft“ und ihrer Ressourcen und um die Führung ihrer Geschäfte handelt, ist der Aufsichtsrat auch insoweit zur Aufsicht und Überwachung verpflichtet68. [358]

64 Die Einzelheiten sind außerordentlich vielfältig und komplex; sie reichen von der Frage einer „Verlängerung“ von Zustimmungspflichten in der Obergesellschaft auf entsprechende Maßnahmen in Tochtergesellschaften (dazu Lutter, Zur Wirkung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 2 S. 4 AktG auf nahestehende Gesellschaften, in: FS Fischer 1979, S. 419 ff. und Götz, ZGR 1990, 633, 654) über Zustimmungspflichten der Hauptversammlung „oben“ auf Kapitalmaßnahmen „unten“ (dazu Lutter, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 182 Rn. 52 ff.) bis zur Berücksichtigung einbehaltener Erträge in Konzerngesellschaften auf die Rücklagendotierung nach § 58 AktG (dazu Lutter, a.a.O., § 58 Rn. 38 ff.). 65 Die Konzernleitungspflicht – zentrale Aspekte eines Konzernverfassungsrechts, 1982. 66 Anders nur, wo gerade die Kapitalanlage den Charakter des betreffenden Unternehmensgegenstandes ausmacht, wie insbesondere bei Versicherungsgesellschaften. 67 Vgl. Semler, Überwachungsaufgabe, S. 128 ff. sowie ders., FS Goerdeler, 1987, S. 551, 577 (für die GmbH). 68 Götz, ZGR 1990, 633, 646 ff.

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Die Konzernplanung in Rechten und Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat folgt mithin jedenfalls im Grundsatz den gleichen Überlegungen und gleichen Ergebnissen wie sie für die Einzelgesellschaft soeben dargestellt worden sind. Gewisse Ausnahmen von dieser Regel können sich aus der rechtlichen Selbständigkeit einer Tochtergesellschaft ergeben. Das gilt gewiß nicht bei ihrer Eingliederung in die Obergesellschaft oder ihrer Einbindung in einen Unternehmensvertrag; hier ist die Konzerntochter wirtschaftlich nur noch unselbständige Abteilung der Mutter: Diese trägt von Rechts wegen (§§ 302, 320 AktG) das volle wirtschaftliche Risiko der Tochter. Das gilt auch noch bei der 100%igen Tochter ohne solche vertragliche Einbindung; denn auch hier liegt das Risiko jedenfalls de facto bei der Obergesellschaft. Fremde Interessen kommen aber ins Spiel und stören die bislang eher einfache Betrachtung, wenn in den Tochtergesellschaften noch „echte“ Minderheitsaktionäre sind und kein Unternehmensvertrag besteht Dann kommen divergierende, von Gesetz und Recht akzeptierte und geschützte Interessen außerhalb der Obergesellschaft ins Spiel (z. B. §§ 311 ff. AktG). Schon das unterbricht – jedenfalls de jure – die einfache Erlaubnis zum Informationsfluß und zum Informationsaustausch69. Das aber berührt die Planung und deren faktische Möglichkeiten ebenso wie die rechtlichen Möglichkeiten zu unmittelbarer oder mittelbarer Weitergabe von solchen Informationen aus dem Tochterbereich an den Aufsichtsrat der Obergesellschaft70. Gerade hier und in diesem sensiblen Bereich, wo wirksame Kontrolle an dem durch das Recht unterbrochenen Informationsfluß scheitern kann, führt die korrekte rechtliche Betrachtung also durchaus zu Verständnis für die Philosophie der Amerikaner, bei unternehmerischen Beteiligungen, wenn irgend möglich, die 100%ige Inhaberschaft anzustreben: Sie minimiert nicht nur faktisch eine Fülle von Rechtsproblemen, sondern verhindert die Unterbrechung von Kontroll- und Informationswegen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Gleiche Probleme können bei Auslandsbeteiligungen entstehen. Dort ist die legitimierende Wirkung von Eingliederung und Unternehmensvertrag sehr weitgehend unbekannt. Auch wird in den uns umgebenden Auslandsrechten, jedenfalls de jure, sehr viel stärker die rechtliche Selbständigkeit und Autonomie der Einzelgesellschaft betont71. Minderheitsgesellschafter hätten dort also allen Grund, sich über eine zu starke Verzahnung der Informationsströme zwischen Tochter und (ausländischer) Mutter von Rechts wegen zu beklagen. Auch das entfällt als Ge69 Nicht umsonst sind alle Organe einer Gesellschaft zur Wahrung ihrer Interessen und mithin gerade auch ihrer Geheimhaltungsinteressen verpflichtet, vgl. etwa § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. Diese „Schranke“ an den „Grenzen“ der Gesellschaft bricht erst dort zusammen, wo das wirtschaftliche Risiko der betreffenden Gesellschaft de jure auf die Obergesellschaft übergeht. 70 Lutter, Information, 2. Aufl., S. 45 ff. 71 Eingehend Lutter, ZGR 1987, 324 ff.

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fahr für den Vorstand, aber eben auch als „Sperre“ gegenüber dem Aufsichtsrat beim Fehlen solcher Minderheitsgesellschafter. [359] Literatur Albach, H. (1969): Beiträge zur Unternehmensplanung. 1. Auflage. Albach, H. (1978): Strategische Planung bei erhöhter Unsicherheit. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 48, S. 702 ff. Zit.: Albach, ZfB 1978. Albach, H. (1979): Theorie und Praxis der Unternehmensplanung. In: Planung in der Praxis, Ergänzungsheft 1/79 der ZfB. Albach, H. (1979): Beiträge zur Unternehmensplanung. Barz/Brönner/Mellerowicz/Meyer-Landrut/Schilling/Wiedemann/Würdiger (1970 ff.): Aktiengesetz, Großkommentar. 3. Auflage, Berlin u. a., Zit.: Bearbeiter, Großkomm. AktG. Bastuck, B. (1986): Enthaftung des Managements. Köln u. a. Baumbach/Hueck (1968): Aktiengesetz, Kommentar. 13. Auflage, München. Zit.: Baumbach/Hueck, Komm. AktG. Biedenkopf/Claussen/Koppensteiner/Kraft/Kronstein/Lutter/Mertens/Zöllner (1970 ff.): Kölner Kommentar zum Aktiengesetz. 1. Auflage, Köln u. a. 2. Auflage (ohne Biedenkopf und Kronstein), Köln u. a. Zit.: Bearbeiter, Kölner Komm. AktG. Albach, H. (1986 ff.): 2. Auflage. Busse von Colbe/Laßmann (1986): Betriebswirtschaftstheorie, Band 1, Grundlagen, Produktions- und Kostentheorie, 3. Auflage. Zit.: Busse von Colbe/Laßmann, Betriebswirtschaftstheorie, Bd. 1. Erichsen/Martens (1988): Allgemeines Verwaltungsrecht. 8. Auflage, Berlin u. a. Zit.: Bearbeiter in Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auflage. Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (1973 ff.): Kommentar zum Aktienrecht. München. Zit.: Bearbeiter in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. AktG. Gessner/Rohde/Strate/Ziegert (1978): Die Praxis der Konkursabwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Köln. Götz H. (1990): Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft. In: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, S. 633 ff. Zit.: Götz, ZGR 1990. Gutenberg E. (1979): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, Die Produktion. 23. Auflage. Zit.: Gutenberg, Produktion. Guyon, Y. (1990): Droit des Affaires, Band 1. 6. Auflage, Paris. Zit.: Guyon, Droit des Affaires, Bd. 1, 6. Aufl. Hoffmann H. (1985): Der Aufsichtsrat. 2. Auflage, München. Zit.: Der Aufsichtsrat, 2. Aufl. Hoffmann-Becking/Kantenwein/Krieger/Semler/Wiesner (1988): Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, Aktiengesellschaft. München. Zit.: Bearbeiter, Münchener Hdb AG. Hommelhoff, P. (1982): Die Konzernleitungspflicht – Zentrale Aspekte eines Konzernverfassungsrechts. Köln u. a.

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Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten in den Aufsichtsräten von Konkurrenzunternehmen IN: BEISSE/LUTTER/NÄRGER, FESTSCHRIFT FÜR KARL BEUSCH ZUM

68. GEBURTSTAG, BERLIN 1993, S. 509-527 I. Einführung 1. Das System Systeme muß man ernst nehmen. Tut man das nicht, handelt man zynisch, so zerstört man das System. Das gilt für die Justiz, deren Unabhängigkeit fraglos erscheinen muß. Das gilt für alle Verkehrssysteme, die von der minutiösen Beachtung auch noch so harmlos erscheinender Regeln leben. Und es gilt auch für das System der Verwaltung unserer großen Gesellschaften. Nimmt man den Aufsichtsrat nicht ernst, muß man ihn abschaffen; so „ein bißchen ernst nehmen“ gibt es nicht, weil dann nämlich das System im entscheidenden Moment versagt. Wer besser als der Adressat dieser Zeilen und langjährig Verantwortliche für das Recht in einem Weltunternehmen könnte das wissen? Regeln zur Inkompatibilität haben genau mit diesen Fragen zu tun; die Unabhängigkeit des Richters steht in Frage, wenn er über Verwandte oder in eigener Sache judizieren soll. Und so verhält es sich auch mit jeder ordentlichen Staatsverwaltung, die den zuständigen Beamten ausschließt, wenn er persönlich oder familiär involviert ist. Nicht anders kann es sich daher mit Organmitgliedern in Aktiengesellschaften verhalten: Sie sind alle auf das Interesse ihrer Gesellschaft und nur ihrer Gesellschaft verpflichtet1, stehen zu ihr in einem gesteigerten Treueverhältnis. Das ist ganz und gar unstreitig in Rechtsprechung und Literatur. 2. Das Problem Auf diesem Hintergrund beunruhigen Entwicklungen, die schon im ersten Zugriff problematisch erscheinen: Ein Mitglied des Aufsichtsrates von Daimler-

1 So ausdrücklich schon der BGH in seiner Entscheidung vom 21. 12. 1979, NJW 1980, 1629 (Schaffgotsch); dazu Ulmer, NJW 1980, 1603 und Lutter, ZHR 145 (1981), 224 ff.

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Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten

Benz wird in den Aufsichtsrat von VW gewählt und nimmt [510] die Wahl an2. Damit hat diese Person nun nicht mehr nur Treu- und Förderpflichten gegenüber Daimler-Benz, sondern dieselben unbeschränkten Treu- und Förderpflichten bestehen jetzt auch gegenüber VW. Lassen sich diese doppelten Pflichten gleichen Inhalts überhaupt erfüllen? Wenn Daimler-Benz beschließen sollte, mit einem kleinen Mercedes in den Markt von VW einzudringen, um VWMarktanteile zu erobern, so entsteht ein unauflösbarer Interessenkonflikt in der Person dieses Aufsichtsratsmitgliedes: Wenn er im Aufsichtsrat von Daimler für das Projekt stimmt, so schadet er damit VW; stimmt er aber gegen das Projekt, so nutzt er zwar VW, schadet aber Daimler. Daneben stellt sich die Frage, ob der Gesamtaufsichtsrat, der einen Mann „von der Konkurrenz“ in seinen Reihen hat, überhaupt arbeitsfähig ist. Wie soll eine offene, unvoreingenommene Diskussion und Information im Aufsichtsrat möglich sein, wenn das Risiko besteht, daß das Konkurrenzunternehmen auf diesem Wege in den Besitz von internen Informationen gerät3 – ja geraten muß, wenn sich das betreffende Aufsichtsratsmitglied diesem Unternehmen gegenüber loyal verhält4? Die Frage, ob Mehrfachmandate in den Aufsichtsräten von Konkurrenzunternehmen möglich, und wenn nicht, welches die Rechtsfolgen einer Verletzung sind, mußte von der Rechtsprechung bislang nicht entschieden werden. In der Literatur gibt es unterschiedliche Stellungnahmen. Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden. II. Interessenkonflikte und ihre Lösung im Recht Interessenkonflikte sind nichts ungewöhnliches; die Rechtsordnung ist voll mit Reaktionen darauf, die von Grundregeln des Zivilrechts wie [511] § 181 BGB und des Familienrechts (§§ 1634 Abs. 2, 1795 BGB) bis zu Spezialregeln des 2 So der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, Franz Steinkühler. Er ist derzeit zwar der bekannteste, mitnichten aber der einzige Fall. Ähnlich der Vorsitzende der IG Chemie, Rappe, als AR-Mitglied der Bayer AG und der VEBA AG (die erhebliche Chemie-Interessen hat). Ähnlich aber auch der AR-Vorsitzende der Allianz, Schieren, der außerdem den Aufsichtsräten von Siemens und Allianz angehört, die bei Bahnsystemen energisch konkurrieren. 3 Daß man dies auch in den Kreisen erfahrener Aufsichtsräte und Vorstände so sieht, wird etwa daraus deutlich, daß Organmitglieder in mehreren Unternehmen bei einer nachträglichen Entwicklung von Gesellschaften zu Konkurrenzunternehmen zurücktreten: So geschehen etwa von den einstigen Daimler-Aufsichtsratsmitgliedern Bierich (Bosch) und Närger (Siemens), als Daimler mit dem Erwerb von AEG zum Konkurrenten dieser beiden Unternehmen wurde. 4 Eine solche Entwicklung hat der verstorbene Anwalt und vielfache Aufsichtsrat Kreifels aus der Erfahrung mit einem solchen Doppelmandat bei zwei Kaufhaus-AGen berichtet. Sein Erfahrungsbericht: Der betroffene Aufsichtsrat sei praktisch arbeitsunfähig geworden; die eigentliche Arbeit habe sich in informelle Gruppen und förmliche Ausschüsse verlagert, aus denen man den „Doppelbändermann“ sorgfältig ausgeschlossen habe.

Festschrift für Karl Beusch zum 68. Geburtstag, Berlin 1993, S. 509-527

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AktG (§ 136) und des GmbHG (§ 47 Abs. 4) reichen. Für den Aufsichtsrat enthält das AktG dazu nur zwei Regeln: § 105 AktG verbietet gleichzeitige Mitgliedschaft in Vorstand und Aufsichtsrat der gleichen Gesellschaft; und § 100 Abs. 1 Nr. 2 AktG verbietet dem gesetzlichen Vertreter (Vorstand, Geschäftsführer) einer abhängigen Gesellschaft die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der herrschenden AG. Im ersten Fall müßte der Betreffende sich selbst überwachen; und solches traut das Gesetz niemandem zu. Es geht damit von einem generellen und permanenten Interessenkonflikt aus, der eine korrekte Amtsausübung auf Dauer unmöglich macht5. Genauso verhält es sich mit dem zweiten Fall; das Gesetz traut abstrakt auch niemandem zu, den Vorstand der Obergesellschaft, also den eigenen „Vorgesetzten“, korrekt zu überwachen. Auch hier handelt es sich um einen generellen und permanenten Interessenkonflikt, der die ordnungsgemäße Amtsausübung verhindert. Das Gesetz reagiert auf diese beiden Kollisionslagen nicht mit einer Konfliktlösungsregel, sondern mit einer Konfliktvermeidung, indem es beide Situationen als Bestellungshindernis für das Amt des Aufsichtsrats erklärt6. Die Konfliktvermeidung wird also in beiden Fällen durch spezielle Inkompatibilitätsregeln erreicht – speziell deswegen, weil sie zwar generell gültig sind, aber nur jeweils einen speziellen Fall der Interessenkollision betreffen und regeln. III. Spezielle Inkompatibilität bei Aufsichtsratsmandaten in Konkurrenzunternehmen Ob es neben diesen beiden Fällen weitere Interessenkollisionen gibt, die zu einer speziellen Inkompatibilität führen können, ist der Hauptgegenstand der eingangs bereits erwähnten Kontroverse in der Literatur. Von einer Ansicht wird die Annahme solcher speziellen Inkompatibilitätsfälle strictissime abgelehnt7. Demgegenüber dringt allmählich die Erkenntnis vor, daß bestimmte Konstellati5 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf (Ausschußbericht) §§ 100, 105, bei Kropff, AktG 1965, S. 136, 146. 6 Bei den beiden anderen Bestellungshindernissen des § 100 AktG handelt es sich demgegenüber nicht um Fälle einer Interessenkollision. Vielmehr sollte durch die Begrenzung der zulässigen Höchstzahl der Mandate, die eine Person wahrnehmen kann, einerseits einer Überlastung und andererseits einer Machtkonzentration vorgebeugt werden; ähnliches gilt für das Verbot der Überkreuzverflechtung (vgl. dazu die Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, AktG 1965, S. 135 f). 7 Dreher, JZ 1990, 896, 900; Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1990, S. 202 f; Häuser, Interessenkollision durch Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandates in der unabhängigen AG, 1985, S. 91; Decher, ZIP 1990, 277, 287; Raiser in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 8. Aufl. 1991, § 52 GmbHG, Rdn. 169. De lege ferenda für, aber de lege lata gegen Inkompatibilitätsregeln Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 30 f und Westermann in: Lutter (Hrsg.), 25 Jahre Aktiengesetz, 1991, S. 79, 114.

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onen die Annahme einer [512] speziellen Inkompatibilität geradezu aufdrängen und zwar auch und vor allem bei Doppelmandaten in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen8. 1. Die eine Inkompatibilität ablehnende Ansicht und ihre Kritik a) Die zuerst genannte Ansicht wendet sich hiergegen mit folgenden Argumenten. Das Aktiengesetz kenne solche Inkompatibilitätsregeln nicht9. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG, wonach bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person eines Aufsichtsrates das betreffende Mitglied auf Mehrheitsantrag des Gesamtaufsichtsrates gerichtlich abberufbar ist, könne für die Existenz solcher Inkompatibilitäten keine Anhaltspunkte geben. Denn es sei wenig sinnvoll, wenn das Gesetz ohne weiteres die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern hinnähme, die anschließend sofort wieder abberufbar seien. Auch dürfe die für Einzelfälle gedachte Abberufungsmöglichkeit nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG nicht durch eine generelle Inkompatibilitätsregelung ersetzt werden10. Die Entscheidung des Gesamtaufsichtsrates über die Abberufung aus wichtigem Grund würde diesem durch eine starre Inkompatibilitätsregel aus der Hand genommen. Auch stünde der Aufsichtsrat ständig vor der Gefahr der Anfechtbarkeit seiner Beschlüsse. Schließlich sei eine sinnvolle Eingrenzung des Kreises, der von einer solchen Inkompatibilitätsregelung betroffen sei, nicht möglich; schon die Definition des relevanten Wettbewerbs im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Konkurrenzsituation gegeben ist, könne nicht eindeutig beantwortet werden11. Vor allem aber würde die Funktion des Aufsichtsrates bei der Betrachtung des Problems vernachlässigt12. Dieser Funktion seien personelle Verflechtungen nicht abträglich, sondern zuträglich. Personelle Verflechtungen auch in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen müßten daher möglich sein. Eine andere Frage sei es, ob das Aufsichtsratsmitglied bei bestimmten, unauflösbaren Interessenkonflikten verpflichtet sei, sein Stimmrecht ruhen zu lassen oder sein Amt niederzulegen13. [513] b) Zunächst ist festzuhalten, daß auch diese Auffassung akzeptiert, daß die gleichzeitige Tätigkeit als Aufsichtsrat in zwei konkurrierenden Unternehmen zu

8 Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 236 ff; ders. in: 25 Jahre Aktiengesetz, 1991, S. 53, 63 ff; Säcker in: Festschrift für K. Rebmann, 1989, S. 781, 788, 793 f; Westhoff, Bankenvertreter in den Beiständen mittelständischer Unternehmen, 1984, S. 81 f; teilweise zustimmend auch Lüderitz in: Festschrift für E. Steindorff, 1990, S. 113, 122. 9 Dreher, JZ 1990, 896, 898; Matthießen, (Fn. 7), S. 202. 10 Dreher, JZ 1990, 896, 899. 11 Dreher, JZ 1990, 896, 899; Lüderitz, (Fn. 8), S. 113, 122. 12 Dreher, aaO. 13 Dreher, JZ 1990, 896, 900.

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einer Interessenkollision führt14. Uneinigkeit besteht nur über die rechtlichen Konsequenzen dieses Interessenkonfliktes: Ist er „lässlich“ und in seinem Gewicht vom Einzelfall abhängig; das spräche für die Anwendbarkeit von § 103 Abs. 3 S. 1 AktG; oder entspricht er in seinem Gewicht den Fällen der §§ 100, 105 AktG oder gar dem Richten in eigener Sache; dann kann es kein Ermessen geben. (1) Die erste Grundaussage der soeben dargestellten ablehnenden Ansicht, das Aktiengesetz kenne keine Inkompatibilitätsregelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei der Tätigkeit als Aufsichtsrat, trifft so nicht zu. Wie schon oben ausgeführt, kennt das Aktiengesetz zwar keine allgemeine Reaktion auf Interessenkonflikte. Aber es beinhaltet sehr wohl zwei ausdrücklich normierte spezielle Inkompatibilitätsregeln, die als Bestellungshindernis ausformuliert sind15. Daher läßt sich nicht argumentieren, das Gesetz kenne keine Inkompatibilitätsregeln. Allenfalls kann man die Frage stellen, ob neben diesen ausdrücklich normierten Fällen noch Raum für die Annahme weiterer, nicht normierter Regeln ist16. (2) Die zweite Aussage betrifft das Verhältnis zwischen Inkompatibilitätsregeln und der Abberufung nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG. Zunächst einmal geht es gewiß nicht darum, diese Regelung durch „starre Inkompatibilitätsregeln zu verdrängen“; denn der Anwendungsbereich dieser Norm ist sehr viel breiter als (nur) der hier gegenständliche Fall17. Es geht vielmehr um die richtige Anknüpfung. Dafür aber gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder führt der Interessenkonflikt zur Unwirksamkeit der Bestellung; dann ist § 103 Abs. 3 S. 1 AktG von vornherein nicht einschlägig, weil diese Vorschrift eine wirksame Bestellung voraussetzt. Oder der Interessenkonflikt hat auf die Wirksamkeit der Bestellung keinerlei Einfluß; dann, aber auch nur dann entsteht die Frage, ob ein Fall des § 103 Abs. 3 AktG gegeben ist. Andererseits trifft es zu, daß durch Inkompatibilitätsregeln dem Gesamtaufsichtsrat die (Ermessens-)Entscheidung über den Antrag auf Abberufung „aus der Hand genom- [514] men“ wird. Das aber ist nicht die entscheidende Frage; die lautet vielmehr, ob das Gesetz dem Gesamtaufsichtsrat diese Entscheidung überhaupt zuweist oder ihn, wie in den Fällen der §§ 100 und 105 AktG, von dieser Frage entlastet.

Allein Matthießen, (Fn. 7), S. 135 bestreitet das Bestehen einer Kollisionslage. Oben sub II. 16 Insoweit weist Säcker, (Fn. 8), S. 781, 782 zutreffend darauf hin, daß Inkompatibilitätsregeln nicht stets gesetzlich angeordnet sein müssen. 17 Bislang hatten sich die Gerichte bei Anwendung dieser Norm vor allem mit anderen Interessenkonflikten (OLG Hamburg, WM 1990, 311; HEW/Jansen) und Verletzungen der Pflichten zu Vertraulichkeit zu beschäftigen (vgl. etwa LG Frankfurt, NJW 1987, 505, 506 und dazu Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 3. Aufl. 1993, Rdn. 119 und 314 ff. 14 15

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(3) Die von der Gegenmeinung herausgestellten Vorteile personeller Verflechtung bei der Tätigkeit im Aufsichtsrat sind gewiß anzuerkennen und sind auch vom Autor dieser Abhandlung betont worden18. Das gilt für den Normalfall. Vorliegend geht es aber umgekehrt um die Frage, ob eine bestimmte Art personeller Verflechtung, nämlich das Doppelmandat in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen, aufgrund ihrer Nachteile unzulässig ist. Und hierfür haben die im allgemeinen gegebenen Vorteile personeller Verflechtung allein keinen Aussagewert: Was im allgemeinen gut ist, muß im speziellen nicht ebenfalls gut sein. (4) Gewichtiger ist der Einwand, der betroffene Personenkreis sei nicht hinreichend bestimmt einzugrenzen, weil nicht klar genug festzulegen sei, wann eine relevante Konkurrenzsituation vorliege19. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß es bei dieser Abgrenzung nicht um wettbewerbsrechtliche oder ökonomische Fragen geht, sondern um die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates, also um eine organisationsrechtliche Frage. Entscheidend ist daher, ob der Aufsichtsrat sich wahrscheinlich mit Fragen zu befassen hat, bei denen aufgrund des Doppelmandats die Interessenkollision auftreten wird20. Diese Frage ist qualitativ eine völlig andere und kann auch anders beurteilt werden, als die Frage, ob eine wettbewerbsrechtlich relevante Konkurrenzsituation besteht. Eine Konkurrenzsituation zweier Unternehmen liegt dann vor, wenn beide Unternehmen ganz oder teilweise in dem- bzw. denselben Marktsegment(en) tätig sind. Relevant für die Arbeit im Aufsichtsrat ist die Konkurrenzsituation dann, wenn das betreffende Marktsegment für das jeweilige Unternehmen nicht nur eine untergeordnete Rolle spielt, so daß eine Befassung des Aufsichtsrates unwahrscheinlich oder höchstens als Marginalie zu erwarten ist. Letzteres ist daran zu messen, ob sich das Unternehmen ohne wesentliche Änderung seines Charakters aus dem betreffenden Marktsegment zurückziehen könnte. Anhand dieser Merkmale läßt sich der Kreis der betroffenen Aufsichtsräte hinreichend genug eingrenzen. Gewiß: Randunschärfen mögen bleiben. Sie können durch Zurückhaltung der Betroffenen weiter minimiert wer- [515] den. Im übrigen muß die Rechtsordnung an vielen Stellen mit ihnen leben und tut es21. (5) Schließlich ist noch eingewandt worden, dieselbe Interessenkollision müsse ja auch dann vorliegen, wenn es sich bei dem zweiten Unternehmen nicht um 18 Rollenkonflikte im Recht, FS Coing, Band I, 1982, S. 565 ff: Dort ging es um Rollenerwartungen von Personen und Gruppen gegenüber bestimmten Repräsentanten, also um Rollenkonflikte; hier geht es um Rechtskonflikte. 19 Dreher, JZ 1990, 896, 899; Lüderitz, (Fn. 8), S. 113, 122. Anders aber Decher, ZIP 1990, 277, 287. 20 Vgl. Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 236. 21 Nach der Regel des Holzmüller-Urteils des BGH (BGHZ 83, 122 und dazu Lutter, FS Stimpel, 1985, S. 825 ff) ist die Hauptversammlung bei „wesentlichen Maßnahmen der Strukturveränderung“ einzuschalten. Auch diese Formel führt zu Randunschärfen; besondere praktische Schwierigkeiten haben sich, soweit Verf. sieht, daraus nicht ergeben.

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einen aktuellen, sondern um einen potentiellen Konkurrenten handele22. Die Situation ist aber allenfalls dann vergleichbar, wenn die potentielle Konkurrenzsituation nicht gleichsam ungeklärt und „in weiter Ferne“ ist, sondern bereits feststeht, daß in absehbarer Zukunft das zweite Unternehmen mit dem ersten in Konkurrenz tritt. Und außerdem liegt auch dann noch ein gravierender Unterschied darin, daß im Falle einer aktuellen Konkurrenzsituation der Interessenkonflikt von Anfang an besteht und die Tätigkeit des Aufsichtsrats hindert, während bei dem potentiellen Wettbewerb dieser Interessenkonflikt erst nachträglich, nämlich mit der Realisierung der Konkurrenzsituation eintritt. Entscheidend für die Annahme einer Inkompatibilität, die zur Unwirksamkeit der Bestellung zum Aufsichtsrat führt, also für die Annahme der ultima ratio, ist – wie später noch gezeigt wird – gerade der Umstand, daß der Interessenkonflikt von Anfang an besteht und deshalb schon von vornherein einer korrekten Amtsausübung entgegensteht. Interessenkonflikte bei potentiellen und künftigen Konkurrenzsituationen sind daher auch nach hier vertretener Ansicht dem Regelungsbereich des § 103 AktG zu überantworten. 2. Doppelmandate als Fall einer speziellen Inkompatibilität a) Für die Frage, ob Doppelmandate in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen eine spezielle Inkompatibilitätssituation darstellen, ist es wichtig, sich noch einmal die beiden vom Aktiengesetz ausdrücklich normierten Fälle vor Augen zu führen: Beide betreffen eine Situation, in der abstrakt betrachtet ein Interessenkonflikt vorliegt, der eine korrekte Ausübung des Aufsichtsratsamtes per se, von vornherein und auf Dauer unmöglich macht. Das ist entscheidendes Charakteristikum beider Fälle23. b) Warum der Gesetzgeber nur diese beiden Fälle ausdrücklich geregelt hat, darüber herrscht Unklarheit. Klar ist aber auf der anderen Seite, daß [516] es neben diesen beiden gesetzlich normierten Fällen noch weitere gibt, in denen eine korrekte Amtsausübung per se, von vornherein und dauerhaft unmöglich ist. Eine solche Konstellation war in dem Fall HEW/Jansen gegeben24: Die Hamburgischen Elektricitätswerke produzieren ihren Strom zu über 80% aus Kernenergie. Der Energieminister des Landes Schleswig-Holstein, Jansen, wird in den Aufsichtsrat der HEW entsandt. Jansen ist ein engagierter Kernkraftgegner, dessen öffentlich erklärtes Ziel der sofortige Ausstieg aus der Kernenergie ist. Dreher, JZ 1990, 896, 899. Vgl. Säcker, (Fn. 8), S. 781. 24 OLG Hamburg WM 1990, 311 ff; LG Hamburg ZIP 1990, 102 ff (Vorinstanz). Ausführliche Darstellung bei Decher, ZIP 1990, 277 ff; Hirte, EWiR § 103 AktG 1/90, 115 f und 2/90, 219 f. 22 23

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Diese Zielsetzung wirkte offensichtlich in die Tätigkeit von Jansen als Aufsichtsrat der HEW hinein. Daher wurde Jansen auf einen entsprechenden Antrag des Aufsichtsrates hin gemäß § 103 Abs. 3 AktG aus wichtigem Grund abberufen. In seiner Entscheidung führte das OLG Hamburg aus, es sei von einem tiefgreifenden und unauflösbaren Interessenkonflikt auszugehen. Deshalb sei das Verbleiben von Jansen im Aufsichtsratsamt der HEW nicht zumutbar. Der vom Gericht dargelegte Interessenkonflikt hat sich allerdings nicht erst nachträglich herausgebildet, sondern er bestand von Anfang an und machte abstrakt gesehen eine korrekte Ausübung des Aufsichtsratsamtes durch Jansen von vornherein unmöglich. Entgegen einigen jüngeren Stimmen in der Literatur25 ist der Doppelmandatsträger bei einer Konkurrenzsituation ebenfalls von vornherein nicht in der Lage, sein Aufsichtsratsamt korrekt auszuüben. Zunächst besteht, wie schon gesagt, jedem der beiden Unternehmen gegenüber eine uneingeschränkte Treu- und Förderpflicht26; die gleichzeitige Förderung der Interessen zweier Konkurrenzunternehmen aber ist nicht möglich. Das betreffende Aufsichtsratsmitglied kann sich auch nicht im Hinblick auf die zweite Bestellung diesem Unternehmen gegenüber wirksam verpflichten, dem anderen Unternehmen gegenüber seine Förderpflichten zu vernachlässigen, so daß er immerhin gegenüber einem Unternehmen seinen Pflichten nachkäme. Denn eine solche Vereinbarung wäre sittenwidrig und nichtig27. Es ist also davon auszugehen, daß der betreffende Aufsichtsrat die ihm obliegenden Förderpflichten nicht so erfüllen kann, wie es seiner gesetzlichen Pflicht entsprechen würde. Die Konkurrenzsituation macht insbesondere eine offene sachliche und [517] an den Interessen ausgerichtete Beratung im Aufsichtsrat und mit dem Vorstand unmöglich. Wenn der betreffende Aufsichtsrat bei der Beratung nicht gegen die Interessen der jeweils anderen Gesellschaft handeln will, so wird ihm regelmäßig gar nichts anderes übrig bleiben, als bei der Beratung einem Weg zu folgen, der keiner der beiden Gesellschaften so sehr schadet, aber auch keiner Gesellschaft sonderlich nützt. Es kommt also regelmäßig zu einer Minimierung der Fördermöglichkeiten des betreffenden Aufsichtsrates. Damit ist den Interessen der Gesellschaften nicht gedient. Für das jeweilige Unternehmen ist der betreffende Aufsichtsrat gleichsam neutralisiert – und dies ist für beide Gesellschaften noch der günstigste Fall!

Dreher, JZ 1990, 896, 899; Matthießen, (aaO Fn. 7), S. 202. Säcker, Informationsrechte der Betriebs- und Aufsichtsratsmitglieder und Geheimsphäre des Unternehmens, 1979, S. 69 f; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 126 ff; Lutter/Krieger, aaO, Rdn. 303 ff m. w. N. 27 Es läge ein Fall der kollusiven sittenwidrigen Drittschädigung vor. Im übrigen vgl. noch einmal BGH NJW 1980, 1629 (Schaffgotsch). 25 26

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c) Vor allem aber und unabdingbar ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat28 selbst grundlegend gestört. Dieses zentrale Anliegen des Gesetzes, vom Bundesgerichtshof mehrfach betont und durch die Unabhängigkeit aller Mitglieder von Weisungen und die strikte Gleichheit der Rechte und Pflichten aller gesichert29, kann sich nicht verwirklichen lassen, wenn man ständig in Sorge um die Loyalität eines anderen Mitgliedes sein muß: Spricht er „ehrlich“ mit dem, was er sagt? Oder verfolgt er damit Ziele zugunsten des anderen Unternehmens? Trägt er dem anderen Unternehmen Informationen zu oder ist er loyal trotz seiner Zugehörigkeit auch zum Gegner am Markt? Da man die Antwort nicht weiß und nie wissen kann, ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat a priori unmöglich30 und erst recht eine offene Beratung mit dem Vorstand31. Gemessen daran sind Fragen, ob besondere Gefahren aus einer anderweitigen, also gesellschaftsexternen Tätigkeit des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds entstehen können, eher sekundärer Natur32. IV. Rechtsfolgen für die Bestellung trotz Inkompatibilität 1. Unwirksamkeit des Wahlbeschlusses Das Doppelmandat in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen stellt mithin einen Fall dar, in dem eine korrekte Amtsausübung [518] abstrakt gesehen von vornherein und auf Dauer unmöglich ist: Was das Gesetz verlangt, kann in dieser Situation nicht erfüllt werden. Für andere Fälle solcher Art hat das Gesetz Inkompatibilitätsregeln geschaffen und Amtsunfähigkeit statuiert. Für den hier erörterten Fall liegt mithin eine Regelungslücke vor. Soweit erkennbar ist diese vom Gesetzgeber nicht so erkannt und nicht bewußt offen gehalten worden33. Mithin kann und muß diese Regelungslücke im Wege der Analogie zu den §§ 100, 105, 250 AktG geschlossen werden34 mit der Folge, daß bereits der Wahlbeschluß – sei es derjenige der Hauptversammlung, sei es derjenige des zuständigen Mitbes28 LG Frankfurt, NJW 1987, 505, 506. Unverständlich Matthießen, aaO (Fn. 7), S. 202, der einer unbefangenen und offenen Meinungsbildung im Aufsichtsrat offenbar nur geringes Gewicht beimißt. 29 BGHZ 64, 325, 330 (Bayer); 83, 106, 120 (Siemens); 83, 151, 154 (Bilfinger & Berger); 99, 211, 216; 106, 54, 65 (Opel). 30 Vgl. noch einmal den oben Fn. 4 zitierten Bericht von Kreifels. 31 Zur Beratungspflicht des Aufsichtsrats mit dem Vorstand vgl. BGHZ 114, 127 und dazu Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87 ff. 32 Vgl. dazu Decher, ZIP 1990, 277, 279, 282; Fleck, FS Heinsius, 1991, S. 89, 91; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606. 33 Die Beratungsprotokolle zu den heutigen §§ 100 und 105 AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 136, 146 geben dazu keine Hinweise. Zweifelnd noch Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 235. 34 So auch Säcker, (Fn. 8), S. 781, 788 ff.

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timmungsorgans – nichtig ist. Denn eine wirksame Bestellung zum Aufsichtsrat setzt einen zweistufigen Tatbestand voraus, nämlich eine wirksame Wahl und eine wirksame Annahme der Wahl. § 250 AktG erklärt bei einem Verstoß gegen § 100 AktG ausdrücklich die Wahl für nichtig; und für Verstöße gegen § 105 AktG gilt § 250 AktG entsprechend35. 2. Unwirksamkeit der Annahmeerklärung Aber selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgt, die Analogie zu den §§ 100, 105, 250 AktG ablehnt und der Wahlbeschluß mithin nicht nichtig sein sollte, so bedeutet das noch längst nicht, daß alles seine Ordnung hat. Die Bestellung zum Aufsichtsrat setzt neben der Wahl auch eine wirksame Annahme voraus. Die Annahmeerklärung bewirkt zusammen mit der Wahl die Bestellung. Ohne eine wirksame Annahmeerklärung ist die Bestellung unwirksam36. Die Annahme der Wahl ist im Aktiengesetz nicht geregelt und unterfällt insbesondere auch nicht dem Anwendungsbereich der §§ 250, 251 AktG37. Ihre Wirksamkeit richtet sich vielmehr allein nach den allgemeinen für Willenserklärungen geltenden Regeln des BGB. Sie kann also auch nur nach den allgemeinen Regeln nichtig oder anfechtbar sein. Fraglich ist mithin, ob die Annahmeerklärung der gewählten Person, die bereits Aufsichtsrat eines Konkurrenzunternehmens ist, wirksam ist. [519] Der bereits gewählte, sozusagen „designierte“ Aufsichtsrat steht der Gesellschaft näher, als ein beliebiger außenstehender Dritter. Ihn treffen zwar vor der Annahme der Wahl noch keine spezifischen organschaftlich begründeten Pflichten und es besteht auch keine Pflicht zur Annahme der Wahl38. Gleichwohl steht der schon gewählte, aber noch nicht bestellte Aufsichtsrat in einem rechtlichen Sonderverhältnis zur Gesellschaft. So kann und muß man von einem bereits gewählten Aufsichtsrat erwarten, daß er bezüglich etwa erlangter Sonderkenntnisse über die Gesellschaft ein weitaus höheres Maß an Verschwiegenheit und Loyalität aufbringt, als ein außenstehender Dritter und zwar auch dann schon, wenn sich diese Pflichten noch nicht aus dem Organstatus ableiten. Auch darf der gewählte Aufsichtsrat seine Position nicht zu eigennützigen Geschäften ausnutzen, die ihm alsbald in

35 Vgl. nur Hüffer in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 250 AktG, Rdn. 27; Zöllner in: Kölner Kommentar, § 250 AktG, Rdn. 37. 36 Das ist im Ergebnis unstreitig. Vgl. Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 101 AktG, Rdn. 40, 45; Meyer-Landrut in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 101 AktG, Anm. 5; Hoffmann-Becking in: MünchHdbAG, § 30, Rdn. 18. 37 Diese gelten nur für den Wahlbeschluß. Vgl. Hüffer in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, § 250 AktG, Rdn. 6. 38 Vgl. nur Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 101 AktG, Rdn. 44.

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seiner Funktion als Aufsichtsrat verboten wären39. Die Nähe des gewählten Aufsichtsrates zur Gesellschaft bedeutet daher auch ein schon gesteigertes Maß an Loyalitäts- und Sorgfaltspflichten aufgrund einer rechtlichen Sonderverbindung. Diese Sonderverbindung zwischen dem schon gewählten Aufsichtsrat und der Gesellschaft ist keine organschaftliche, sondern eine schuldrechtsähnliche Verbindung40. Für die Annahmeerklärung bedeutet dies, daß der gewählte Aufsichtsrat, auch wenn er keine Pflicht zur Annahme des Amtes hat, andererseits sehr wohl schon verpflichtet ist, sich bei der Annahme der Wahl so zu verhalten, daß er der Gesellschaft nicht schadet, indem er durch die Übernahme des Amtes ein permanentes und unauflösbares Konfliktpotential in den Aufsichtsrat bringt. Es kann also für die gewählte Person eine Rechtspflicht zur Ablehnung des Aufsichtsratsamtes bestehen. Im Falle der Doppelmandate in Konkurrenzunternehmen ist genau dies aus den oben dargestellten Gründen als Folge der bereits bestehenden Loyalitäts- und Sorgfaltspflichten anzunehmen: Da der gewählte Aufsichtsrat das Aufsichtsratsamt von vornherein und auf Dauer nicht korrekt ausüben kann, durch die Annahme des Amtes permanent die ihm gesetzlich zugewiesenen Pflichten verletzt und der Gewählte dies alles auch noch weiß, handelt er bei Annahme des Amtes grob treuwidrig und verletzt die ihm bereits obliegenden Loyalitäts- und Sorgfaltspflichten gegenüber der Gesellschaft. Die Verpflichtung, das Aufsichtsratsamt abzulehnen, entfällt auch dann nicht, wenn die Wahl in Kenntnis der Inkompatibilitäts- [520] gründe erfolgte. Denn diese Loyalitäts- und Sorgfaltspflichten bestehen nicht gegenüber dem Wahlorgan oder anderen Gesellschaftsorganen, sondern gegenüber der Gesellschaft selbst. Die Annahme der Wahl verstößt aus diesen Gründen gegen das auch für einseitig rechtsgestaltende Willenserklärungen geltende Verbot unzulässiger Rechtsausübung41. Deshalb ist in diesen Fällen auch die Annahmeerklärung nichtig42. Damit fehlt es neben einer wirksamen Bestellung zugleich an der wirksamen Annahme: Die betreffende Person ist unter beiden Aspekten nicht Mitglied des Aufsichtsrats geworden. 3. Ergebnis Als Ergebnis ist damit festzuhalten, daß bei Doppelmandaten in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen die Wahl und ihre Annahme nichtig ist. Zu den Eigengeschäften von Aufsichtsratsmitgliedern siehe Fleck, aaO (Fn. 32), S. 89 ff. Für den bestellten Aufsichtsrat vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1991, S. 699; Schilling in: FS R. Fischer, 1979, S. 679 ff. 41 Vgl. nur Roth in: MünchKomm. zum BGB, 2. Aufl., § 242 BGB, Rdn. 236 ff m. w. N. 42 Diese Wertung entspricht auch dem in § 306 BGB für Verträge niedergelegten Rechtsgedanken, daß eine Verpflichtung zu einer Leistung, die abstrakt gesehen von niemandem erbracht werden kann, nichtig ist. 39 40

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Die betreffende Person ist nicht Mitglied des Aufsichtsrats geworden. Wird sie dennoch als Aufsichtsrat in der Gesellschaft tätig, handelt sie als Scheinaufsichtsrat. V. Rechtliche Klärung der unwirksamen Bestellung 1. Aufsichtsräte der Anteilseigner Hält man den Wahlbeschluß der Hauptversammlung, wie hier vertreten, in Analogie zu §§ 100, 105 AktG für unwirksam, so ist auch § 250 AktG anwendbar mit der Folge, daß jeder Aktionär, jedes Mitglied des Vorstands und jedes andere Mitglied des betreffenden Aufsichtsrats Klage auf Feststellung der Nichtigkeit gegen die Gesellschaft erheben kann43. Stellt man hingegen allein auf die unwirksame Annahmeerklärung ab, so kommt § 250 AktG weder unmittelbar noch mittelbar über die Analogie zu den §§ 100 und 105 AktG zur Anwendung; denn diese Norm stellt auf den nichtigen Wahlbeschluß, nicht die nichtige Annahmeerklärung ab44. Insoweit kommt dann nur die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO gegen den betreffenden Schein-Aufsichtsrat in Betracht. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse kann unschwer für jedes andere Aufsichtsratsmitglied und für jedes Vorstandsmitglied bejaht werden: Die Ersteren sind je für sich in ihrer [521] Arbeit und Verantwortung für die Gesellschaft betroffen45, die Letzteren in ihrem Interesse zu wissen, wem gegenüber sie zu Information und zur Beantwortung von Fragen verpflichtet sind, von ihren subjektiven Interessen an eigener gültiger Bestellung und Anstellung ganz abgesehen. Darüber hinaus hat auch die Gesellschaft selbst, vertreten durch den Vorstand als Organ, ein Interesse an Klärung. Hingegen wird man hier im allgemeinen am Feststellungsinteresse des einzelnen Aktionärs zweifeln müssen. Beklagter ist hier der betreffende Scheinaufsichtsrat, nicht wie im Falle des § 250 AktG, wo es um den nichtigen Wahlbeschluß der Hauptversammlung geht, die Gesellschaft selbst. 2. Aufsichtsräte der Arbeitnehmer Die Aufsichtsräte der Arbeitnehmer werden nicht von der Hauptversammlung, sondern von eigenen Wahlgremien gewählt, § 76 BetrVG 1952, §§ 10 ff MitbestG 1976. Diese Vorschriften kennen keine Regelung nach Art des Vgl. § 250 Abs. 3 AktG. Vgl. Hüffer in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 250 AktG, Rdn. 6. 45 Dazu Lutter/Krieger, aaO (Fn. 17), Rdn. 303 ff. 43 44

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§ 250 AktG, sondern handeln nur von Anfechtungsfällen, die von den Arbeitsgerichten entschieden werden. Als Anfechtungsgrund nennt dabei § 22 MitbestG die Fälle fehlender Wählbarkeit. Die Mitbestimmungsgesetze haben noch weniger als das AktG an Fälle der hier behandelten Art gedacht. Unter „Wählbarkeit“ sind daher die speziellen Voraussetzungen für die Wählbarkeit als Arbeitnehmer-Vertreter zu verstehen, hingegen nicht auch das Konkurrenzproblem. Für dieses kommen daher nur die allgemeinen Regeln, mithin § 256 ZPO in Betracht. Dafür gelten dann die soeben sub 1. erörterten Aspekte. Klageberechtigt ist mithin auch hier jedes andere Aufsichtsrats- und jedes Vorstandsmitglied sowie der Vorstand als Organ für die Gesellschaft, Beklagter ist das betreffende Schein-Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer. VI. Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG im ersten Unternehmen und bei nachträglicher Konkurrenzsituation 1. Abberufung im Aufsichtsrat des ersten Unternehmens a) Die Unwirksamkeit der Bestellung in dem zweiten Unternehmen hat auf die Wirksamkeit der (früheren) Bestellung in dem ersten Unternehmen keinen Einfluß. Da aber der „Doppelaufsichtsrat“, wenn er de facto im Aufsichtsrat des zweiten Unternehmens tätig wird, auch im Verhältnis zum ersten Unternehmen permanent seine Pflichten verletzen muß, [522] stellt sich die Frage, ob aus dem Aufsichtsrat des ersten Unternehmens eine Abberufung aus wichtigem Grund gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG möglich ist. Hier hat der Fall HEW/Jansen den Weg gewiesen46. Eine permanente und unauflösbare Interessenkollision stellt einen wichtigen Grund i. S. d. § 103 Abs. 3 AktG dar. Dazu ist eine Schädigungsabsicht seitens der betroffenen Person nicht erforderlich. Es kommt darauf an, ob die Konfliktlage zu so schwerwiegenden Folgen führt, daß der Verbleib des betreffenden Mitgliedes im Aufsichtsrat der Gesellschaft nicht zugemutet werden kann. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn der einzelne Aufsichtsrat, oder der Gesamtaufsichtsrat seine Aufgaben nicht mehr korrekt erfüllen kann, wie es bei Doppelmandaten in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen der Fall ist47. Deshalb kann der OLG Hamburg WM 1990, 311; vgl. auch oben Fn. 24. Nach noch überwiegender Ansicht stellt eine Konkurrenzsituation allein noch keinen wichtigen Grund für eine Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG dar; so etwa Geßler in: Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 103 AktG, Rdn. 39; Mertens in: Kölner Komm. zum AktG, 1. Aufl., § 103 AktG, Rdn. 32; Meyer-Landrut in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 103 Anm. 7; vgl. auch BGHZ 39, 116, 123. 46 47

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Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten

Gesamtaufsichtsrat des ersten Unternehmens eine Abberufung aus wichtigem Grund gemäß § 103 Abs. 3 AktG beantragen. Ob er das tut, steht normalerweise in seinem pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes bzw. seiner Störung. Bei der Ausübung dieses Ermessens wird der Aufsichtsrat in erster Linie zu beachten haben, daß eine permanente Störung seiner Funktionsfähigkeit vorliegt und sich die Interessenkollision nicht auf einen einzelnen Gegenstand beschränkt. Daher wird es in diesen Fällen in aller Regel sogar zu einer Reduzierung des Ermessens auf Null kommen, mit der Folge, daß der Aufsichtsrat zu einem Abberufungsantrag verpflichtet ist. b) Dieses Ergebnis wirkt irritierend, da doch oben festgestellt wurde, daß der Betreffende im zweiten Unternehmen wegen der Unwirksamkeit der Bestellung gar nicht Aufsichtsrat geworden ist. Es gilt jedoch zu bedenken, daß § 103 Abs. 3 AktG nicht rechtliche, sondern faktische Situationen ordnet. Daher kommt es hier allein darauf an, wie sich der Betreffende verhält: Berühmt er sich mit der Gegenmeinung einer angeblich wirksamen Bestellung zum Aufsichtsrat des zweiten Unternehmens und nimmt er dort seine angeblichen Funktionen wahr, kommt es auf die wirkliche Rechtslage nicht an; die Tatsache der Teilnahme an den Arbeiten des Aufsichtsrats im zweiten Unternehmen als solche genügt für das Verfahren nach § 103 Abs. 3 AktG. Für das Gericht dieses Verfahrens ist daher auch eine Klärung der oben erörterten Rechtsfrage zur Wirksamkeit der Bestellung im zweiten Unterneh- [523] men ohne Belang. Es kommt hier also ganz entscheidend auf das Verhalten des Betreffenden an: Legt er etwa im zweiten Unternehmen sein Amt nieder – was in Wirklichkeit nichts anderes ist als die Bestätigung der bereits bestehenden Rechtslage –, so entzieht er damit dem Abberufungsverfahren im ersten Unternehmen im Zweifel die Grundlage. 2. Abberufung bei nachträglichem Eintritt der Konkurrenzsituation Die einst wirksame Wahl und Bestellung kann durch den späteren Eintritt des Konfliktes nicht unwirksam werden. Hier kommt eine Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG in beiden Unternehmen in Betracht. Hier gilt das oben Ausgeführte entsprechend. Bei der Ermessensentscheidung des Aufsichtsrates über den Abberufungsantrag kann mit ins Gewicht fallen, ob das betreffende Mitglied in der jeweils anderen Gesellschaft ebenfalls abberufen werden soll; ein doppeltes Verfahren kann und sollte vermieden werden. Fand bereits eine Abberufung in dem anderen Unternehmen statt, oder hat der Aufsichtsrat sein Amt in einem Unternehmen niedergelegt, so entfällt für das jeweils andere Unternehmen die Abberufungsmöglichkeit.

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VII. Wirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen bei Mitwirkung des Scheinaufsichtsrates Wenn der Scheinaufsichtsrat an Aufsichtsratsbeschlüssen mitwirkt, so sind diese Beschlüsse rechtsfehlerhaft. Ob fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse generell nichtig sind, oder ob sie in entsprechender Anwendung der §§ 241 ff AktG nur ausnahmsweise nichtig, im übrigen aber anfechtbar sind, ist umstritten48. Das OLG Hamburg49 hat sich vor kurzem mit sorgfältiger Begründung für die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 241 ff AktG ausgesprochen. Dieser Ansicht sollte gefolgt werden. Sie führt dazu, daß der hier behandelte Mangel nur die Anfechtbarkeit der betreffenden Aufsichtsratsbeschlüsse entsprechend den Regeln der §§ 243 ff AktG bewirkt. [524] Im übrigen muß die Mitwirkung des Scheinaufsichtsrats an der Beschlußfassung für das Beschlußergebnis kausal sein50. Dabei kommt es darauf an, ob der Aufsichtsrat auch ohne Berücksichtigung des Scheinmitglieds beschlußfähig war und mit der erforderlichen Mehrheit entschieden hat51. Im übrigen ist auch hier die Monatsfrist des § 246 AktG als Leitlinie zu beachten52. Die Mitwirkung des Scheinaufsichtsrats führt somit nur zu einer zeitlich eingeschränkten Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit der betreffenden Aufsichtsratsbeschlüsse. VIII. Haftungsfolgen Wird ungeachtet der Tatsache, daß die Bestellung in den zweiten Aufsichtsrat unwirksam war, die betreffende Person als Aufsichtsrat tätig, so stellt sich die Frage, welche Haftungsfolgen diese Tätigkeit im Falle einer Schädigung einer bzw. beider Gesellschaften hat.

48 Für Nichtigkeit etwa: Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 108 AktG, Rdn. 67 ff; Meyer-Landrut in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 108 AktG, Anm. 6 ff; Raiser in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 8. Aufl., § 52 GmbHG, Rdn. 79 ff; Hoffmann-Becking in: MünchHdbAG, § 31, Rdn. 97 f. Für analoge Anwendung der §§ 241 ff AktG etwa: Radke, BB 1960, 1045, 1048; Baums, ZGR 1983, 300, 305 ff; Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, 1986, S. 113 ff; Henn, Handbuch des Aktienrechts, 4. Aufl., S. 275 m. w. N.; Bork, EWiR § 243 AktG 1/92, 422. 49 OLG Hamburg ZIP 1992, 1310 ff und dazu Bork, EWiR § 243 AktG 1/92, 421 f. 50 OLG Hamburg ZIP 1992, 1310, 1317; Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 108 AktG, Rdn. 75; Mertens in: Kölner Komm. zum AktG, 1. Aufl., § 108 AktG, Rdn. 64, 66 f; Hoffmann-Becking in: MünchHdbAG, § 31, Rdn. 101. 51 Vgl. BGHZ 47, 341, 345. 52 Vgl. etwa Henn (Fn. 48), S. 275; zurückhaltender OLG Hamburg ZIP 1992, 1310, 1314, das die Monatsfrist des § 246 AktG nur als Richtschnur für die angemessene Anfechtungsfrist heranziehen will.

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Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten

1. Haftung in der ersten Gesellschaft Die Wirksamkeit der früheren Bestellung zum Aufsichtsrat in dem ersten Unternehmen wird von der Unwirksamkeit der späteren Bestellung nicht berührt. Daher haftet das betreffende Aufsichtsratsmitglied gegenüber dem ersten Unternehmen auch nach den normalen Regeln der §§ 93, 116 AktG. 2. Haftungslage in der zweiten Gesellschaft In der zweiten Gesellschaft handelt der unwirksam bestellte Aufsichtsrat dagegen nur als Scheinmitglied des Aufsichtsrates. Die organschaftliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für ihre Amtsführung setzt nach dem Wortlaut des § 116 AktG offenbar eine wirksame Bestellung voraus, weil die Vorschrift ausdrücklich vom „Aufsichtsrat“ spricht. Es ist jedoch überwiegend und zu Recht anerkannt, daß die Haftung nach §§ 93, 116 AktG keine wirksame Bestellung voraussetzt, sondern jeden trifft, der rein faktisch als Aufsichtsrat tätig wird53. Die [525] organschaftliche Haftung trifft also im Falle der Doppelmandate in konkurrierenden Unternehmen auch den Scheinaufsichtsrat im Verhältnis zum zweiten Unternehmen. Der betreffende Aufsichtsrat kann sich im Rahmen dieser Haftung weder gegenüber dem ersten, noch gegenüber dem zweiten Unternehmen damit entlasten, daß er bei seiner Tätigkeit jeweils andere, gegenläufige Interessen habe wahren müssen54. 3. Haftung der anderen Aufsichtsratsmitglieder und der Vorstände bei Duldung der Tätigkeit des Scheinaufsichtsrats Vorstand und Aufsichtsrat können die Unwirksamkeit der Bestellung geltend machen und einen Verbleib des Scheinaufsichtsrats im Amt unterbinden. Wird das unterlassen, so stellt sich die Frage, ob hierin ein Haftungsgrund für die betreffenden Personen liegen kann. a) Der Vorstand ist für die Arbeit seines Aufsichtsrates nicht verantwortlich. Eine Verpflichtung des Vorstandes, sich auf die Nichtigkeit der Bestellung zu berufen, würde sich also darin erschöpfen, Auskünfte nicht zu erteilen, Einsicht 53 Vgl. schon RGZ 153, 273, 279; Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 116 AktG, Rdn. 16; Hüffer in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 250 AktG, Rdn. 29; Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 69 ff. A. A. wohl Zöllner in: Kölner Komm., 1. Aufl., § 250 AktG, Rdn. 41. 54 Vgl. BGH NJW 1980, 1629 (Schaffgotsch); BGHZ 90, 381, 398 (BuM); Ulmer, NJW 1980, 1603; Decher, ZIP 1990, 277, 279; Hoffmann-Becking in: MünchHdbAG, § 33, Rdn. 44.

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in Gesellschaftsunterlagen zu verwehren, etc. Eine solche Pflicht würde jedoch darauf hinauslaufen, daß der Vorstand nicht nur die Rechtmäßigkeit der Arbeit des Aufsichtsrats zu kontrollieren hätte, sondern auch zu einer Art „Ersatzabberufung“ innerhalb desjenigen Organs verpflichtet würde, das ihn selbst, den Vorstand, kontrollieren muß. Dies ist jedoch nicht eine Aufgabe des Vorstandes, sondern eine originäre Pflicht des Aufsichtsrates selbst. Der Vorstand hat daher das Recht, sich auf die Nichtigkeit der Bestellung zu berufen, er ist hierzu aber nicht ohne weiteres verpflichtet. Eine Haftung des Vorstandes für das Dulden der Tätigkeit des Scheinaufsichtsrates kommt daher kaum in Betracht. b) Anders verhält sich das mit dem Gesamtaufsichtsrat. Dieser und jedes einzelne seiner Mitglieder sind für seine Pflichterfüllung und Funktionsfähigkeit verantwortlich. Dulden sie eine Tätigkeit des Scheinaufsichtsrates und führt das zu einem Schaden der Gesellschaft, so haftet jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied hierfür persönlich. Das ist nichts anderes als die ganz normale organschaftliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für Schäden der Gesellschaft durch Verletzung ihrer Überwachungs- und Kontrollpflichten aus §§ 111, 93, 116 AktG. [526] IX. Andere Doppelmandate in Konkurrenzunternehmen Dieselben Überlegungen gelten, wenn ein Vorstandsmitglied in einem Konkurrenzunternehmen Aufsichtsrat werden soll. Da in diesem Fall die betreffende Person ebenfalls zwei entgegengesetzte uneingeschränkte Förderpflichten zu erfüllen hat, dem einen Unternehmen gegenüber als Vorstand und dem anderen Unternehmen gegenüber als Aufsichtsrat, stellt auch dieser Fall der personellen Verflechtung von Konkurrenzunternehmen eine spezielle Inkompatibilitätssituation dar. Hierfür gilt das zum Doppelaufsichtsrat Gesagte entsprechend. Andere personelle Verflechtungen, etwa als leitender Angestellter in dem einen und Aufsichtsrat in dem anderen Unternehmen sind allerdings nicht als Inkompatibilitätsfall anzusehen. Denn im Unterschied zu Vorstand und Aufsichtsrat ist hier die betreffende Person nicht in beiden Gesellschaften aufgrund einer Organstellung gesetzlich zu einer uneingeschränkten Förderung verpflichtet. Die einem leitenden Angestellten bloß arbeitsrechtlich obliegende Treupflicht gegenüber dem einen Unternehmen ist qualitativ mit der organschaftlichen Förderungspflicht eines Aufsichtsrates oder Vorstandes auch nicht annähernd vergleichbar. Eine Inkompatibilität tritt daher nur bei solchen personellen Verflechtungen in Konkurrenzunternehmen auf, bei denen zwei organschaftlich begründete entgegengesetzte Förderungspflichten bestehen, also bei Doppelorganschaft.

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Die Unwirksamkeit von Mehrfachmandaten

X. Zusammenfassung 1. Das Aktiengesetz enthält (nur) zwei ausdrücklich normierte Fälle einer speziellen Inkompatibilität hinsichtlich der Tätigkeit als Aufsichtsrat, nämlich den Ausschluß der gleichzeitigen Zugehörigkeit zu Vorstand und Aufsichtsrat in derselben Gesellschaft und der Tätigkeit eines gesetzlichen Vertreters einer abhängigen Gesellschaft als Aufsichtsrat der Obergesellschaft (§§ 100, 105 AktG). Das entscheidende Charakteristikum dieser speziellen Inkompatibilitätsfälle besteht darin, daß eine korrekte Ausübung des Aufsichtsratsamtes abstrakt gesehen von vornherein und auf Dauer nicht möglich ist. 2. Über diese gesetzlich ausdrücklich normierten Fälle hinaus gibt es weitere Fälle der speziellen Inkompatibilität. So obliegt dem Betreffenden bei Doppelmandaten in Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen jedem Unternehmen gegenüber eine uneingeschränkte Treue- und Förderpflicht55. Die gleichzeitige Förderung entgegengesetzter Interessen ist [527] jedoch nicht möglich. Außerdem wird durch das Doppelmandat auch die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des gesamten Aufsichtsrats beeinträchtigt. Diese Fälle führen in Analogie zu den §§ 100, 105, 250 AktG zur Nichtigkeit des Wahlbeschlusses und zusätzlich zur Nichtigkeit der pflichtwidrig erklärten Annahme des Amtes. Und das gilt nicht nur bei Wahlbeschlüssen der Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung, sondern auch für die Wahlbeschlüsse der Gremien der Arbeitnehmer. 3. Eine solche Inkompatibilität mit gleichen Rechtsfolgen liegt auch vor, wenn ein Vorstand Aufsichtsrat in einem Konkurrenzunternehmen werden soll. 4. Im ersten Unternehmen bleibt die Bestellung zum Aufsichtsrat oder Vorstand wirksam. Dort ist das betreffende Aufsichtsratsmitglied nach § 103 Abs. 3 AktG, das betreffende Vorstandsmitglied nach § 84 Abs. 3 AktG aus wichtigem Grund abberufbar, wenn es auf der entsprechenden Tätigkeit auch im zweiten Unternehmen besteht. Dasselbe gilt bei einer nachträglich eintretenden Konkurrenzsituation. 5. Beschlüsse des Aufsichtsrates unter Mitwirkung eines solchen ScheinAufsichtsratsmitglieds sind in entsprechender Anwendung der §§ 243 ff AktG durch Klage gegen die Gesellschaft innerhalb der Monatsfrist des § 246 AktG anfechtbar. Die Klage ist begründet, wenn sich die Mitwirkung des ScheinAufsichtsrats auf die Beschlußfähigkeit des Gremiums oder das Ergebnis ausgewirkt hat. 6. Das Schein-Aufsichtsratsmitglied haftet persönlich für alle Schäden jeder der beiden Gesellschaften nach den Regeln der gesetzlichen Organhaftung der §§ 93, 116 AktG so, als wäre auch seine zweite Bestellung wirksam. Es haftet 55 Vgl. zu dieser Grundpflicht jedes Aufsichtsratsmitgliedes noch einmal BGH NJW 1980, 1629 (Schaffgotsch).

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insbesondere dann, wenn sich die abstrakten Gefahren der doppelten Organstellung konkret verwirklicht haben, sei es durch einen schädigenden Informationsfluß, sei es durch hierdurch ausgelöste Mängel im System der Überwachung. 7. Insgesamt hat die Untersuchung erwiesen, daß die Rechtsordnung das von ihr selbst geschaffene duale System des Aufsichtsrats durchaus ernst nimmt und mit sehr energischen Mitteln gegen eine innere Aushöhlung verteidigt, wie es die §§ 100, 105, 250 AktG signalisieren. Allerdings: In einer privaten Wirtschaftsordnung und einem System privat verwalteter Gesellschaften ist die Rechtsordnung auf die Mitwirkung der Bürger an der Durchsetzung ihrer Rechtsbefehle angewiesen; das hat Ihering schon vor gut einem Jahrhundert betont56. Geschieht das nicht oder einigen sich die angesprochenen und betroffenen Bürger und Organe gar auf die Negierung der Rechtsbefehle, so bleiben diese leere Worte. Die Rechtsordnung aber wird durch ein solches Verhalten von innen her ausgehöhlt.

56 Rudolf v. Ihering, Der Kampf ums Recht, unveränderter Nachdruck der 4. Aufl., Wien 1874 (Wiss. Buchgesellschaft, Reihe „Libelli“), insbes. S. 46 ff.

Der Aufsichtsrat: Konstruktionsfehler, Inkompetenz seiner Mitglieder oder normales Risiko?* AG 1994, S. 176-177** I. Das wirtschaftliche Unglück bei der Metallgesellschaft bringt den Aufsichtsrat und seine Mitglieder einmal wieder in die Schlagzeilen: „Weder Rat noch Aufsicht“. Neues zu einem alten Thema? 1. Menschen irren sich und machen Fehler, auch wenn sie Ärzte, Anwälte, Professoren oder Aufsichtsräte sind; damit müssen wir leben. 2. Menschen verstoßen aber auch absichtlich gegen Regeln und Verbote; der Straßenverkehr ebenso wie die schlimmen Vorgänge bei VW und der DG-Bank zeigen es. Auch damit müssen wir leben. Man kann diese von Menschen ausgehenden Gefahren mindern, aber nicht beseitigen. 3. Fehler und Mängel erkennt jeder sofort an den Folgen: Die Abwesenheit von Fehlern und Mängeln aber wird nicht weiter zur Kenntnis genommen, ja – durchaus zu Recht – als selbstverständlich angesehen. 4. Was also signalisiert der große wirtschaftliche Unfall bei der Metallgesellschaft: Ist der Aufsichtsrat, der diesen Unfall nicht verhindert hat (nicht verhindern konnte?), eine Fehlkonstruktion? Oder: Ist er typischerweise und signifikant fehlbesetzt? Oder: Geht es um die – leider – unvermeidbaren Folgen menschlicher Fehlsamkeit? 5. Das Unglück bei der Metallgesellschaft ist eine Folge fehlgeschlagener Spekulationen – wie bei Herstatt, Klöckner, VW … Ich behaupte: dagegen ist – fast – kein Kraut gewachsen. Jeder Spieler – und Spekulanten sind Spieler – glaubt, er gewinne bestimmt – seit Dostojewski kennen wir alle das Muster dieser Vorstellungswelt. Das Gesetz bestimmt dennoch und in Kenntnis dieser Risiken: § 76 AktG: „Der Vorstand hat die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten.“ § 78: „Der Vorstand vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich.“ *

Nachdruck aus „Handelsblatt“ Nr. 16 vom 24. 1. 1994. Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf www.legios.de.

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Konstruktionsfehler, Inkompetenz seiner Mitglieder oder normales Risiko? § 82: „Die Vertretungsbefugnis des Vorstands kann nicht beschränkt werden.“

Der Aufsichtsrat mag also dem Vorstand Spekulationsgeschäfte in Gold und Devisen, Öl und Optionen noch so oft untersagen, verhindern kann er es nicht. 6. Im übrigen: Eine Bank (Herstatt) und ein Unternehmen, das mehr als 50% seiner Produkte in Länder anderen Geldes verkauft, muß in Devisen handeln, ein Unternehmen wie Klöckner oder die Metallgesellschaft lebt vom Kauf und Verkauf von Rohstoffen an den internationalen Märkten. Die Übergänge vom „normalen“ Handeln zur Spekulation aber sind ganz und gar fließend: Wenn ich am 1. 7. 1994 10 t Gold brauche, wann soll ich sie kaufen? Gestern? Heute? Morgen? Was soll der Aufsichtsrat da besser machen als der Vorstand? Und es fällt gewiß schwer, den Vorstand dafür zu tadeln, daß er gestern Gold gekauft hat, wo er heute schon 10% mehr dafür bezahlen muß. Auch so nehmen Verhängnisse unvermerkt ihren Lauf. 7. Wenn alle wissen, das Produkt X des Unternehmens Y hat Zukunftsprobleme, und wenn dann der Vorstand mit guten Gründen die Ausweitung der Unternehmenstätigkeit in andere Produkte vorschlägt, über die man streiten, die man aber nicht a priori für abwegig halten kann, was soll dann der Aufsichtsrat machen? Will er das ganz und gar nicht, so muß er den Vorstand ablösen und selbst die Verantwortung übernehmen. Das aber kann gewiß nicht die Regel sein: Der Vorstand leitet und trägt die Verantwortung; der Aufsichtsrat kann ihn nur warnen und zur Argumentation zwingen. Auch so nehmen Glück oder Verhängnis ihren Lauf. Kein System kann das ändern: Knut Bleicher, heute St. Gallen, hat in jahrelanger und mühevoller Untersuchung nachgewiesen, daß es keinem Organisationssystem für Unternehmen auf dieser Welt bislang gelungen ist, sich als das signifikant bessere zu erweisen: das einheitliche board-system des anglo-amerikanischen Rechts ebensowenig wie das auf dem Kontinent verbreitete System des Verwaltungsrats oder das zweigeteilte deutsche System von Vorstand und Aufsichtsrat. II. Gegen Betrug und Unterschlagung, gegen Spekulation und Pflichtverletzung in Unternehmen ist kein System gefeit; mit „schlafenden“, „ratlosen“, „inkompetenten“ oder „faulen“ Aufsichtsräten hat das nichts zu tun. Aber jedes Organisationssystem hat Mängel (dazu 1) und jedes kann verbessert werden, also auch der Aufsichtsrat (dazu 2). Und wirtschaftliche Unglücke solchen Ausmaßes geben gewiß Grund und Anlaß, darüber nachzudenken:

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1. System-Mängel Der Deutsche Bundestag hat gegen den Rat aller Erfahrenen im Jahre 1976 beschlossen: Der Aufsichtsrat großer Gesellschaften hat 20 Mitglieder; in diesem Aufsichtsrat haben 3 Vertreter von Gewerkschaften Sitz und Stimme.

a) Beratungsgremien mit 30 Mitgliedern (20 Aufsichtsräte und 10 Vorstandsmitglieder) sind ineffizient; das weiß man längst. Trotzdem zwingt das Gesetz die Unternehmen dazu. b) Gewerkschaften sind als Vertreter der Arbeitnehmer die natürlichen Gegner der Unternehmer. Niemand bestreitet das und kein Vernünftiger nimmt ihnen das übel. Aber: Ich kenne keine gesetzliche Vorschrift, die es der katholischen Bischofskonferenz vorschreibt, 3 protestantische Bischöfe in ihren Kreis mit Sitz und Stimme aufzunehmen: Wer glaubt, in einem [177] solchen Gremium werde „offen, frei und vertrauensvoll“ diskutiert und beratschlagt, der sollte schleunigst einen Nachhilfekurs über das Verhalten von Lebewesen unter solchen Bedingungen nehmen: Jeder geduldete Zweifel an der Unfehlbarkeit des Leithammels (Vorstandsvorsitzender) in Gegenwart seiner natürlichen Feinde würde zum Zusammenbruch seiner Autorität und der ganzen Hierarchie und zu einem Blutbad führen. Menschen verhalten sich eben so (und jeder Chef hat mindestens 10 in seiner Nähe, die seine Stellung anstreben), und Gesetze, die an diesen Grunddaten menschlichen Verhaltens vorbeigehen, bleiben unbeachtet (was hier nicht möglich ist) oder werden mit Watte umsponnen und als Kokon unschädlich gemacht. Das alles ist nachzulesen bei den Rechts-Ethologen, z. B. Margaret Gruter. Nur Narren (und Kommunisten) glauben, man könne Menschen mit Gesetzen verändern: Allenfalls kann man ihre Phantasie für Ausweichstrategien fördern, aber sie durch Gesetze ändern, nein, das kann man – Gott sei Dank! – nicht. Insofern ist der Aufsichtsrat unserer 500 größten Gesellschaften tatsächlich eine Fehlkonstruktion; und deswegen bleiben wir in Europa damit auch isoliert. 2. Möglichkeiten der Verbesserung a) Da der „große“ Aufsichtsrat eher ineffizient ist, gesetzliche Änderungen daran aber derzeit nicht erreichbar sind, sollten Aufsichtsrats-Ausschüsse gebildet werden, die monatlich/zweimonatlich tagen. Der Gesetzgeber sollte das bei nächster Gelegenheit vorschreiben (Personalausschuß, Finanzausschuß, Bilanzausschuß/Audit Comittee). Das wäre gewiß hilfreich und nützlich. Allerdings: Auch Ausschüsse sind hilflos, wenn der Vorstand schweigt oder lügt.

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Konstruktionsfehler, Inkompetenz seiner Mitglieder oder normales Risiko?

b) Man könnte professionelle „hauptberufliche“ Aufsichtsräte heranbilden und fördern: Das ist mein Vorschlag seit langem; aber das würde auch ein wesentlich anderes und „ungleiches“ Vergütungssystem voraussetzen: Für 15 000 DM jährlich (das ist die durchschnittliche Vergütung für ein Aufsichtsratsmitglied in Deutschland heute) oder das Doppelte als Aufsichtsratsvorsitzender läßt sich ein solches System nicht entwickeln. 19 Aufsichtsräte à 15 000 DM und der 20. à 150 000 DM läßt aber auch nicht gerade faire Partnerschaft in einem solchen Gremium erwarten. Immerhin zeigt das Siemens-System des (fast) hauptberuflichen Aufsichtsrats-Vorsitzenden im ständigen Kontakt zum Vorstandsvorsitzenden (und Betriebsratsvorsitzenden) die Vernunft solcher Überlegungen. c) Damit zusammen hängt mein Vorschlag, die Zahl der möglichen Aufsichtsrats-Sitze einer Person auf max. 5 zu begrenzen. Mehr Zeit für das einzelne Amt kann zu stärkerem Engagement und stärkerer Identität führen und der Gefahr eines closed job der immer gleichen Gesichter steuern. d) Sind Mitglieder in Aufsichtsräten von ständigen Interessenkonflikten betroffen – Beispiel: Herr Steinkühler im Aufsichtsrat von Daimler und im Aufsichtsrat von VW –, so lähmen sie das ganze Gremium; denn niemand traut sich mehr frei in ihrer Gegenwart zu sprechen. Hilft hier in Zukunft weder Vernunft noch Einsicht, so muß der Gesetzgeber einschreiten. Wunder leistet kein System und fehlerlos wird es erst recht nie sein; aber wenn ein paar Fehler künftig vermieden werden könnten, wäre das schon ein Erfolg.

Professionalisierung der Aufsichtsräte NJW 1995, S. 1133-1134* I. Das Problem. Aufsichtsräte haben derzeit eine schlechte Presse; zu viele große WirtschaftsUnglücke sind in relativ kurzer Zeit passiert. Von Herstatt über die Neue-Heimat bis zu co-op, von Balsam und der Metallgesellschaft bis zu Klöckner und IBH. Ungerecht wie die Welt nun einmal ist, spricht sie nicht von den vielen gut geführten und gut beaufsichtigten Unternehmen; und sie spricht auch nicht von den pflicht- und gesetzwidrig handelnden, den leichtfertigen und glücklosen Vorständen, sondern von den Aufsichtsräten, die deren Pflichtverletzungen und Fehler nicht verhindert haben. Man könnte sich damit beruhigen und auf die notwendigen Schwächen jedes Systems hinweisen. Und dennoch: Tatsächlich hat diese manchmal recht aufgeregte Debatte um die Aufsichtsräte („für die Katz“; „keine Aufsicht und kein Rat“; etc.) einen richtigen Kern. Denn viele Aufsichtsräte verstehen ihre Position als Ehrenamt (und so schlecht werden sie dann auch bezahlt), das Gesetz versteht es als Nebenamt, in Wirklichkeit handelt es sich um ein höchst anspruchsvolles Teilzeitamt. Denn der Aufsichtsrat hat die Mitglieder des Vorstands auszusuchen, zu bestellen, notfalls abzuberufen, auf jeden Fall alle fünf Jahre über ihre Wiederbestellung zu entscheiden. Ist das schon aufwendig genug – gute Unternehmensleiter sind Mangelware –, so hat der Aufsichtsrat vor allem den Vorstand ständig zu überwachen. Das aber bedeutet, daß er den Vorstand bei allen seinen unternehmerischen Schritten und Entscheidungen beratend, kontrollierend und mitentscheidend zu begleiten hat. Wer weiß, wie komplex die Leitung eines großen Unternehmens ist, welche Sorgfalt und welcher Aufwand an Zeit zur Vorbereitung von unternehmerischen Entscheidungen erforderlich ist, welche Arbeit die Jahresplanung, die Produkt-, Investitions-, Absatz-, Personal- und Finanzplanung erfordert und dann bedenkt, daß sich der Aufsichtsrat zu all dem – die Tätigkeiten im Ausland eingeschlossen – eine eigene, selbständige und kritische Meinung zu bilden hat, der mag den Umfang dieser Aufgabe ermessen.

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Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf http://beck-online.beck.de/.

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Professionalisierung der Aufsichtsräte

II. Hilfe durch Recht. Der Aufsichtsrat kann seine Aufgaben umso leichter erfüllen, je besser der Vorstand informiert, seine Pläne vorbereitet, die Ergebnisse in Zahlen aufbereitet und einer klaren Personalpolitik folgt. Geht das einige Zeit so, dann besteht die Gefahr, daß der Aufsichtsrat unachtsam wird: Es ist sehr schwer, stets aus zweiter Hand zu leben – der Aufsichtsrat soll ja nicht selbst Unternehmenspolitik machen, sondern die des Vorstands kritisch und ratend begleiten – und doch die Spannung nicht zu verlieren. Deswegen bedarf es im System entsprechender Widerlager, die das verhindern. Und genau das verbirgt sich hinter dem Stichwort von der Professionalisierung: Ein Gremium von 20 Leuten, die 89 Tage lang ganz andere Dinge machen, kann nicht am 90. Tag der wirklich kritische Partner und Kontrolleur eines hochprofessionellen Vorstands sein: er muß selbst und aus sich heraus Professionalität gewinnen, um den Vorstands-Professionals gewachsen zu sein. Professionalität in diesem Sinne bedeutet also: Sicherung der Kontinuität der Aufsichtsratsarbeit, Sicherstellung regelmäßiger Information in kurzen Fristen und in gleichbleibender, also vergleichbarer Form, Zugriff auf die Hilfsmittel der Gesellschaft, anständige Vergütung, aber auch drohende Haftung bei Pflichtverletzung. Diese Professionalität der Aufsichtsrats-Arbeit könnte und kann bereits de lege lata erreicht werden. Dem Aufsichtsrat stehen alle Möglichkeiten offen und die Hauptversammlung könnte ihn zusätzlich dabei unterstützen. Aber es geschieht nicht oder jedenfalls zu wenig. Die Gründe sind vielfältig; sie reichen von der Angst des Vorstands um Machtverlust über das System wechselseitiger Rücksichtnahmen und die höchst unterschiedlichen Strömungen in den Aufsichtsräten selbst bis zur schlichten Bequemlichkeit. Daher sollte der Aufsichtsrat durch entsprechende Vorschriften des Gesetzes zur Professionalisierung angehalten werden. III. Was man nicht machen sollte. 1. Professionalisierung gewinnt man nicht durch die Abhaltung von und die Teilnahme an Sitzungen. Ein Gremium von bis zu 30 Leuten (20 Aufsichtsräte und 10 Vorstandsmitglieder) 10-12 mal im Jahr zwingend zusammenzurufen (so die neuesten Vorschläge), führt nur zu Leerlauf und Vergeudung von Arbeitskraft. 2. Große Unternehmen sind heute national und international tief gestaffelte Konzerne. Hier ist der Vorstandsvorsitzende der Mutter oder Holding in aller Regel zugleich der Aufsichtsratsvorsitzende in den großen Tochtergesellschaften (VEBA, MAN), oder Vorstandsmitglieder der Holding sind zugleich Vorstandsmitglieder in den Tochtergesellschaften. Das ist ein Teil der Organisation und der

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Leitung des Konzerns, in die man sich mit Ge- und Verboten nicht einmischen sollte. IV. Was man machen sollte. 1. Professionalität gewinnt der Aufsichtsrat durch Zugriff auf Ressourcen des Unternehmens, die teils zur Verfügung stehen, teils geschaffen werden müssen: a) Fast jede und vor allem jede größere AG hat einen Abschlußprüfer (Wirtschaftsprüfer), der das Unternehmen aufgrund seiner Prüfung genau kennt: Er sollte an der Sitzung des Aufsichtsrats teilnehmen müssen, in der dieser über den Jahresabschluß beschließt; denn der Aufsichtsrat muß um die Risiken in der Bilanz und um die getroffenen Vorsorgen wissen, ehe er den Jahresabschluß bestätigt und zur Dividende Beschlüsse faßt. b) Der Aufsichtsratsvorsitzende ist das im Recht fast unbekannte Wesen und ist doch die für den Aufsichtsrat und die Erfüllung seiner Aufgaben wichtigste Person. Denn er hält die Verbindung zum Vorstand, wird über wichtige Dinge sofort informiert etc. Dennoch glaubt das geschriebene Recht, das könne vom Wohnzimmer aus geschehen. Das Gesetz muß also dafür sorgen, daß dem Aufsichtsrat und insb. seinem Vorsitzenden ein eigenes Büro und – in Maßen – eigenes sachverständiges Personal zur Verfügung steht. Wie anders soll der Aufsichtsrat sonst die unternehmerischen Pläne des Vorstands kritisch und unabhängig begleiten und einer Investition von 10 Mrd. DM (!, Hoechst) zustimmen können? c) Das Aktiengesetz hat – für seine Zeit der Entstehung und Reform – mit großer Sorgfalt die Informationspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat formuliert. Aber es hat nicht mit der Schnellebigkeit unserer Welt gerechnet. Herstatt und Metallgesellschaft sind in wenigen Monaten an pflichtwidrigen Entscheidungen und Handlungen zugrunde gegangen, wo das Gesetz nur in Jahresabschnitten rechnet. Daher muß das Gesetz kürzere Vorgaben machen, insb. monatliche Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden mit wenigen Zahlen zu Liquidität und Verschuldung vorsehen und den Aufsichtsrat ausdrücklich darauf hinweisen, daß er dem Vorstand eine Informationsordnung vorgeben kann und muß. 2. Dilettantisch ist es, wenn man sich zuviel vornimmt und dann alles schlecht macht. Das ist die Situation von Aufsichtsräten, die selbst einen fulltime-job als Vorstand o.ä. haben, dennoch und zusätzlich und nicht etwa im Konzern zahlreiche Aufsichtsratsmandate wahrnehmen – und dann öffentlich und ernsthaft verkünden, die Durchsicht der Unterlagen im Wagen während der Fahrt zur Sitzung reiche zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus. Da man niemanden zu Fleiß und Sorgfalt zwingen kann, bleibt hier nur die Schadensbegrenzung in der Hoffnung, daß wenigstens der Rest dann ernsthaft betrieben wird. Kurz: Begrenzung der Aufsichtsratssitze auf fünf (unter Fortbestand der Konzernklausel nach

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Professionalisierung der Aufsichtsräte

§ 100 II AktG) ist an- [1134] gezeigt. Außerdem würde eine solche Maßnahme das Geflecht der Abhängigkeiten reduzieren und in den (nahezu) closed-job der Aufsichtsräte frisches Blut bringen. 3. Arbeit in kleinen Gruppen ist fast überall das Geheimnis des Erfolges. Eine Gruppe von 20 aber ist nicht klein: der Aufsichtsrat ist schwerfällig geworden. Hier hilft nur die Bildung von Ausschüssen. Kompetente und professionell handelnde Aufsichtsräte wissen das längst. Da viele Aufsichtsräte aber auch hier noch immer unprofessionell handeln, sollte die Bildung bestimmter Ausschüsse im Gesetz angeordnet werden. 4. Bleibt die Haftung; Professionalität setzt sie voraus; ihr häßliches Gesicht setzt Kräfte frei, die bislang geschlafen haben. Nun ist die Haftung pflichtwidrig handelnder Aufsichtsräte wahrlich schon de lege lata streng geregelt. Allein der Nachweis der Pflichtwidrigkeit genügt, Kausalität und Schuld werden dann vermutet, §§ 93, 116 AktG. Aber wer realisiert die Haftung? Nur der Vorstand kann es – und das besagt bereits alles: das Gesetz zielt auf den Vatermord und der ist – Gott sei Dank – höchst selten. Also muß man andere, Nicht-Söhne dafür gewinnen. Und das sind die Auftraggeber, deren Vermögen hier durch Vorstand und Aufsichtsrat verwaltet wird, kurz: die Aktionäre. Handelt die Verwaltung pflichtwidrig, warum sollten dann sie, die einzig Betroffenen, also die Aktionäre, nicht den Schaden für die Kasse der Gesellschaft liquidieren können? Die heutige Lösung des Gesetzes schließt die Aktionärsklage aus: Ist das bei natürlicher Betrachtung nicht ganz unvernünftig? So ist es – aber eben nur zur Hälfte; seit über 100 Jahren fürchtet der deutsche Gesetzgeber den Aktionär als Kläger. Und die Erfahrungen der letzten Jahre mit mißbräuchlichen Anfechtungsklagen bei uns und ständigen Schadensersatzklagen (derivative suits) in den USA geben dieser Furcht Recht. Es muß also ein Mittelweg gefunden werden aus Initiative des Aktionärs und gerichtlichem Filter; die §§ 142 II, 147 III AktG und vor allem § 16 III UmwG (neu) zeigen den Weg. Denn auch bei der heutigen Scheinlösung einer strengen Haftungsnorm ohne Kläger kann es nicht bleiben: Professionalität setzt eben auch eine normal funktionierende Berufshaftung voraus.

Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer? IN: SADOWSKI (HRSG.), ENTREPRENEURIAL SPIRITS, HORST ALBACH ZUM

70. GEBURTSTAG, WIESBADEN 2001, S. 225-235 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Einleitung Der Aufsichtsrat und seine Funktionen Gesamtbetrachtung Kritische Reflexion Appendix: Vergütung Summa [226] 1. Einleitung

Auf den ersten Blick ist schon die Frage im Titel dieser Abhandlung ein Widerspruch in sich, eine contradictio in adiecto: Aufsichtsrat heißt das Gremium, eben nicht Mit-Unternehmerrat. Und dieser erste Eindruck wird verstärkt, wenn man an den berühmten § 76 AktG denkt, wonach der Vorstand die Gesellschaft „unter eigener Verantwortung leitet“: Wo soll da Platz sein für einen mitunternehmerischen Aufsichtsrat? Aber gemach. So klar sind Normen und ihre Formulierungen auch wiederum nicht, als daß man schon an dieser Stelle die Abhandlung beenden könnte, zumal Horst Albach solche überraschenden Fragen liebt. 2. Der Aufsichtsrat und seine Funktion Will man der Frage vom Aufsichtsrat als Mitunternehmer doch nachgehen, so läßt sie sich nur von seinen Aufgaben und Funktionen her beantworten. 2.1 Bestellung und Abberufung des Vorstands Da ist zunächst einmal die Personalhoheit des Aufsichtsrats über den Vorstand: Er und er allein wählt die Mitglieder des Vorstands aus, bestellt sie für längstens fünf Jahre und ist dann genauso zuständig für ihre etwaige Wiederbe-

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Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer?

stellung oder Abberufung, § 84 AktG. Im unternehmerischen Bereich ebenso wie in jeder anderen leitenden Position mit Gestaltungsmacht sind Personen Programme (Krieger 1981: 35 ff.; Hommelhoff 1977: 324). Anders gewendet: Der Aufsichtsrat muß selbst und aus sich heraus entscheiden, welche Politik er sich für die Gesellschaft und ihr Unternehmen vorstellt: Expandieren national und international oder eher konsolidieren mit einer Konzentration auf das Kerngeschäft? Je nachdem für welche Politik man sich entscheidet, wird man andere Personen in der Leitung der Gesellschaft benötigen. Das mag in der Realität oft genug nicht berücksichtigt werden; aber das besagt nichts: Tatsächlich kommt der Aufsichtsrat ohne eine solche planende Vorweg-Festlegung bei der Entscheidung über die Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds nicht aus (Lutter 1979: 90; Lutter/Krieger 1993: Rn. 127). Und das gilt erst recht bei der alle fünf Jahre anstehenden Frage der etwaigen Wiederbe- [227] stellung. Hier genügt es eben nicht, daß sich der Aufsichtsrat dann der Frage stellt, ob der betreffende Vorstand seine Aufgaben gut erfüllt hat; das mag durchaus sein. Andererseits kann es aber sehr wohl nötig werden, daß die Politik der Gesellschaft jetzt umgestellt werden sollte; und das kann – ganz oder teilweise – eine neue Mannschaft erfordern. Man muß sich nur die Vorgänge bei der einstigen Hoechst AG und jetzt bei der BASF AG vor Augen stellen, um sich der Bedeutung dieser Frage einsichtig zu werden. Selbstverständlich kann es sein, daß ein Vorstandsmitglied während seiner Amtszeit selbst die Initiative zur Änderung der Unternehmenspolitik ergreift; das wird sogar die Regel sein und bedarf gewißlich der billigenden Mitwirkung des Aufsichtsrats. Das aber ändert nichts an der Tatsache, daß der Aufsichtsrat Personen zu Vorstandsmitgliedern nicht bestellen kann, ohne seinerseits die Unternehmenspolitik zu bedenken. All das liegt an sich auf der Hand und wird auch so formuliert, aber nur mühsam vom Aufsichtsrat selbst rezipiert; er neigt zur personellen Kontinuität im Vorstand und merkt oft nicht, welchen Risiken er damit das Unternehmen aussetzt. 2.2 Überwachung Sieht man diese Verbindung von Unternehmenspolitik und Personalbestellung richtig, so wachsen die ersten Zweifel am „reinen“ Aufsichtsrat. Aber man kann sich immer noch beruhigen mit § 111 Abs. 1 AktG, wonach „der Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen hat“. Diese bis heute besonders wichtige Zuständigkeit des Aufsichtsrats hat sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten aus seiner klassischen Betrachtung heraus entwickelt, seit man nämlich begonnen hat, sich mit der Frage zu beschäftigen, was denn nun „Aufsicht“ eigentlich genau bedeutet (Semler: 1996, passim) und das zumal auf dem Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Grundsätze einer modernen Unternehmensführung (Dreist

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1980, passim; Mutter 1994: 24 ff.; Theisen 1987, passim). Dabei hat man festgestellt, daß eine früher ganz selbstverständlich rein retrospektiv betrachtete Aufsicht nur einen sehr eingeschränkten Nutzen hat: Wenn das Kind erst im Brunnen liegt, kann man die Frage nach der Verantwortung dafür zwar nicht übergehen, schon um der Gefahr einer Wiederholung zu steuern; besser aber wäre es naturgemäß, mit dafür zu sorgen, daß das Kind erst gar nicht in den Brunnen fällt. Das hat zu der Erkenntnis geführt, daß jedenfalls beim heutigen Tempo der Entwicklung und der großen Folgen von unternehmerischen Fehlern und Fehlentscheidungen eine Aufsicht der Unternehmensleitung nur als begleitende, mithin ganz zeitnahe Kontrolle von Nutzen ist (Baltzer: 1983: 65 ff.; Goette 2000: 128; Lutter/Krieger 1993: Rn. 30; Potthoff/Trescher 1999: 165 ff.). Und für diese Rechtspflicht des Aufsichtsrats zu begleitender Kontrolle des unternehmerischen Handelns und Entscheidens des Vorstands hat sich die Bezeichnung „Beratung mit dem Vorstand“ eingebürgert (Goette 2000: 128; Hoffmann/Preu 1999: Rn. 104; Hüffer 1999: § 111 Rn. 5; Lutter 1984: 5 f., Lutter/Krieger 1993: Rn. 30; Semler 1996: Rn. 249 ff.). Diese Sicht und dieses rechtliche Verständnis von Aufsicht im Sinne von § 111 Abs. 1 [228] AktG hat sich inzwischen durchgesetzt und ist auch vom Bundesgerichtshof ausdrücklich als Pflicht des Aufsichtsrats akzeptiert worden (BGHZ 114, 127; dazu Lutter/Kremer 1992: 87 ff.; vgl. auch Goette 2000: „Aufsicht zwischen Kontrolle und eigener unternehmerischer Entscheidung“). Im einzelnen bedeutet das: (1) Ganz unabhängig von einzelnen Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 AktG hat der Vorstand den Aufsichtsrat über geplante strategische Entscheidungen vorweg zu unterrichten und das Gespräch mit ihm darüber zu führen. Auch hier wieder kommt es auf den Gleichlauf der unternehmerischen Zielvorstellungen an. Im Idealfall entsprechen sie sich; notfalls kann der Aufsichtsrat das Konzept hinter der im einzelnen geplanten Maßnahme tolerieren. Äußerstenfalls kann der Aufsichtsrat mit einem ad-hoc-Zustimmungsvorbehalt im Sinne der BGH-Rechtsprechung (BGHZ 124, 111, 126 ff.) dann intervenieren, wenn die geplante Strategie des Vorstands seinen eigenen Vorstellungen genau entgegenläuft (Lutter/Krieger 1993: Rn. 36 a.E.). (2) Ein zentrales Element der Beratung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist die Planung. Noch vor wenigen Jahren war umstritten, ob der Vorstand überhaupt zur Unternehmensplanung von Rechts wegen verpflichtet ist, geschweige denn, ob sie dem Aufsichtsrat zur Kenntnis oder gar Erörterung vorzulegen ist (Lutter 1991: 345). Diese Fehlbetrachtung ist überwunden und hat ihren Niederschlag durch das KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, BGBl. I: 590, vom 27. 4. 1998) inzwischen sogar im Aktiengesetz, § 90 Abs. 1 Nr. 1, gefunden, wo jetzt gesagt ist:

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Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer? „Der Vorstand hat dem Aufsichtsrat zu berichten über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung (insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung).“

2.3 Mitentscheidungsrechte des Aufsichtsrats Neben der autonomen Personalhoheit des Aufsichtsrats über den Vorstand sowie seinen Kontroll- und Beratungsbefugnissen gegenüber dem Vorstand gibt es eine Reihe von Fällen, in denen Vorstand und Aufsichtsrat zusammenwirken müssen: a) Zunächst einmal muß der Aufsichtsrat den vom Vorstand aufgestellten und vom Abschlußprüfer geprüften Jahresabschluß seinerseits prüfen (§ 171 AktG) und billigen: Erst dann ist der Jahresabschluß „festgestellt“ (§ 172 AktG), mithin endgültig; nur wenn sich Vorstand und Aufsichtsrat nicht einigen können, entscheidet die Hauptversammlung. Diese Aufgabe – Prüfung und Billigung des Jahresabschlusses und dessen gemeinsame Feststellung mit dem Vorstand – ist eine gewiß wichtige und gewichtige Aufgabe und setzt eine geschlossene Position zwischen Vorstand [229] und Aufsichtsrat gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit voraus. Hinzu aber kommt, daß nach deutschem Recht im Jahresabschluß selbst Rücklagen gebildet werden können, § 58 Abs. 2 AktG. Das aber ist eine ganz und gar zentrale Entscheidung: Wieviel muß mindestens ausgeschüttet werden, um das Wohlwollen der Investoren zu erhalten, wieviel sollte zur Selbstfinanzierung im Unternehmen zur Verfügung stehen? Oder ist es im konkreten Falle besser, den Jahresüberschuß insgesamt auszuschütten, den Kurs der Aktien der Gesellschaft auf diese Weise zu fördern und dann über die Ausgabe von neuen Aktien noch günstiger Eigenkapital aufnehmen zu können? Bei dieser Frage handelt es sich also um eine ganz und gar zentrale unternehmerische Entscheidung, die der Aufsichtsrat mitzutragen hat. Ob seine Mitglieder in jedem Falle die Bedeutung dieser Entscheidung erkennen und reflektieren, steht auf einem anderen Blatt. b) Nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG „kann die Satzung oder der Aufsichtsrat bestimmen, daß bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen“. Im Kompetenzrahmen des Aufsichtsrats ist diese Vorschrift sehr genau bekannt und hat in geschlossenen Gesellschaften (insbesondere FamilienAktiengesellschaften) außerhalb der paritätischen Mitbestimmung, also vor allem in mittelständischen Aktiengesellschaften und auch GmbHs, große praktische Bedeutung. Das aber gilt nicht für die großen Aktiengesellschaften am Kapitalmarkt. In ihnen wurden die sog. Zustimmungskataloge der Satzung oder eigener Beschlüsse des Aufsichtsrats nach Einführung des Mitbestimmungs-Gesetzes von 1976 abgeschafft, um keine Pressionslage im Aufsichtsrat und zwischen seinen „Bänken“ der Anteilseigner-Vertreter einerseits und der Arbeitnehmer-Vertreter

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andererseits entstehen zu lassen (Ulmer 1980, passim). Diese Kataloge sind bis heute – von Ausnahmen abgesehen – nicht wieder aufgelebt. Der Aufsichtsrat nimmt hier also und jedenfalls bei den meisten unserer großen Gesellschaften die ihm vom Gesetz angebotene Möglichkeit des mitunternehmerischen Einflusses nur in sehr eingeschränktem Maße wahr. Interessant ist in diesem Kontext dreierlei: (1) Zum einen versuchen die Gewerkschaften seit 25 Jahren, einen solchen Zustimmungskatalog für den Aufsichtsrat im Gesetz selbst zu verankern. Sie können sich insoweit auf das niederländische Vorbild berufen (Art. 164 des niederländischen Burgerlijk Wetboek). Die aus dem Bereich der Gewerkschaften kommenden Aufsichtsratsmitglieder schätzen das Einfluß-Potential dieses Instruments im unternehmerischen Prozeß also ausgesprochen hoch ein. (2) Zum anderen hat der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden, daß der Aufsichtsrat in bestimmten Situationen verpflichtet sein kann, einen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen (BGHZ 124, 111, 127). Das besagt zwar vordergründig nichts für den Normalfall in einer Gesellschaft. Bei richtiger [230] Betrachtung aber wird daraus deutlich, daß diese Einfluß-Möglichkeit des Aufsichtsrats für die rechtliche Betrachtung präsent und von Rechts wegen als Pflichtenlage durchaus ernst zu nehmen ist. Und das gilt nicht nur für die Gesellschaft selbst, sondern – was immer noch nicht genügend reflektiert wird – konzernweit: Der Aufsichtsrat hat hier also das entscheidende Instrument, um seine begleitende Kontrolle konzernweit auszuüben (vgl. Hoffmann-Becking 1999: § 29 Rn. 40; Mertens 1996: § 111 Rn. 77; Potthoff/Trescher 1999: 277 f.). (3) Das führt ziemlich nahtlos zum letzten Aspekt in diesem Zusammenhang, nämlich den im Jahre 1999 veröffentlichten Corporate-Governance-Grundsätzen. In ihnen wird auf dieses Instrument des Aufsichtsrats ausdrücklich eingegangen und dem Aufsichtsrat nahegelegt, davon auch Gebrauch zu machen (Schneider/ Strenger 2000: 112 sub 2 b). Diese Grundsätze wollen und betonen also den mitunternehmerischen Einfluß des Aufsichtsrats. c) Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats sind Reaktion, nicht Aktion. Es liegt allein beim Vorstand, ob er eine solche – naturgemäß bedeutendere – Maßnahme anstrebt und den Aufsichtsrat dann zu gewinnen sucht: Es ist und bleibt seine Initiative, nicht die des Aufsichtsrats. Andererseits ist es doch die Stunde des Aufsichtsrats; denn jetzt muß er Position beziehen zu zwei Fragen: Liegt die angestrebte Maßnahme im unternehmerischen Gesamtkonzept, das sich der Aufsichtsrat für die Bestellung der Vorstandsmitglieder selbst erarbeitet hat und, entspricht sie insgesamt seinen eigenen Vorstellungen von der Entwicklung des Unternehmens oder kann er sie auf dem Hintergrund seiner eigenen Vorstellungen jedenfalls tolerieren?

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Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer?

3. Gesamtbetrachtung Verbindet man nun diese besonders starken Elemente der Zuständigkeit des Aufsichtsrats, nämlich Personalhoheit über den Vorstand, Mitentscheidungsbefugnisse nach Gesetz (Jahresabschluß), Satzung oder Beschluß des Aufsichtsrats selbst (zustimmungspflichtige Maßnahmen) und Beratung mit dem Vorstand über dessen strategische Planungen, Vorhaben und Entscheidungen, [231] so wird unmittelbar einsichtig, daß der Aufsichtsrat jedenfalls im heutigen Rechtsverständnis als Mit-Unternehmer gedacht ist. Ich betone: MitUnternehmer, also gewiß nicht Allein-Unternehmer. Im Grunde ist er „Unternehmer hinter dem Vorstand“. Das „hinter dem Vorstand“ hat gewichtige Auswirkung, nämlich (1) der Aufsichtsrat hat kein Initiativrecht. Natürlich kann er eigene Anregungen und Vorstellungen in das Gespräch mit dem Vorstand einbringen; aber ob der Vorstand diese Anregung aufgreift und in eigenes unternehmerisches Handeln umsetzt, unterliegt ganz und gar und allein dessen Entscheidung. (2) Der Aufsichtsrat ist und bleibt ein reines Innenorgan, er tritt mit seinen Vorstellungen nach außen hin weder handelnd noch erklärend in Erscheinung; sein Wirken ist strikt auf den Innenbereich der Gesellschaft beschränkt (Lutter/ Krieger 1993: Rn. 14), auf die Diskussion mit dem Vorstand und auf seine eigenen Entscheidungen. Er ist also vom Gesetz als „graue Eminenz“ konzipiert, und die Praxis folgt dem. 4. Kritische Reflexion Sieht man so das rechtliche Konzept der Mit-Unternehmerschaft des Aufsichtsrats, so stellt sich erneut die Frage, ob das nicht reine Utopie ist, die vom Aufsichtsrat – neben seiner „echten“ (und retrospektiven) Aufsicht (insbesondere: Legalitätskontrolle), zu der er weiterhin verpflichtet bleibt – gar nicht geleistet werden kann. So erfahrene Kenner der unternehmerischen Realität wie Mertens (1996: Vorb. § 95 Rn. 2) und Böckli (1992: 3 ff.) haben schon immer vor einer Überforderung des Aufsichtsrats gewarnt, haben auf seine Tätigkeit im Nebenamt, auf seine nur 4-5 Sitzungen pro Jahr hingewiesen und vor allem darauf aufmerksam gemacht, daß die unternehmerischen Geschehnisse heute viel zu rasch und viel zu komplex seien, als daß sie im Vierteljahrestakt rezipiert, diskutiert und (mit-)entschieden werden könnten. Im Prinzip ist das richtig. Anders als der Board in den USA, in Großbritannien und der Schweiz, der dort in aller Regel monatlich tagt und selbst die wesentlichen Entscheidungen für das Unternehmen trifft, muß der nach außen hin passive Aufsichtsrat des deutschen Modells erst

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durch die Information des Vorstands je wieder auf den Stand des Geschehens gebracht werden. Und dabei ist dann auch noch die sehr heterogene Besetzung des deutschen Aufsichtsrats zu bedenken. Im „klassischen“ Verfahren der vierteljährlichen Berichte des Vorstands, der vierteljährlichen Sitzungen des Aufsichtsrats und der ebenso seltenen BeratungsMöglichkeiten des Aufsichtsrats mit dem Vorstand muß das hier aus dem Gesetz heraus erarbeitete Modell des mit-unternehmerischen Aufsichtsrats weitgehend versagen. Aber nirgends steht geschrieben, daß dieses traditionelle Ritual der vierteljährlichen, meist knapp eintägigen Sitzungen die richtige und vor allem die gemeinte Lösung ist: [232] (1) Schon lange wissen wir um die faktische Sonderrolle des AufsichtsratsVorsitzenden (ausführlich Peus 1983, passim; Lutter/Krieger 1993: Rn. 220 ff.; Mertens 1996: Vorb. § 95 Rn. 14; Potthoff/Trescher 1999: 141 ff.). Sie ist im Gesetz nicht nur als Patt-Auflösung in der Mitbestimmung (§ 29 Abs. 2 MitbestG), sondern ganz allgemein an zwei zentralen Stellen im Gesetz angesprochen: einmal bei den besonderen Pflichten des Vorstands ihm gegenüber, wonach dem Aufsichtsrats-Vorsitzenden aus wichtigen Anlässen sofort und unmittelbar zu berichten ist, § 90 Abs. 2 AktG; zum anderen aber mit der neu eingeführten doppelten Wertung des Aufsichtsrats-Vorsitzes auf die höchstzulässige Zahl von Aufsichtsratsitzen nach § 100 Abs. 2 AktG in der Neufassung nach dem KonTraG. Und tatsächlich ist er in vielen unserer großen Traditions-Gesellschaften einerseits, den neu gegründeten Unternehmen andererseits schon seit langem der wichtigste Gesprächspartner des Vorstands. (2) Darüber hinaus erkennt man mehr und mehr und völlig zu Recht, daß der Aufsichtsrat seine weit gespannten Aufgaben verteilen und die in ihm versammelte Kompetenz fruchtbar machen muß durch die Bildung von Ausschüssen, die viele der hier angesprochenen Aufgaben vorbereiten oder gar selbst erledigen können (Lutter 1995: 298 f.; eingehend Rellermeyer 1986, passim). Ausschüsse sind kleine Gruppen, die um persönliche Kompetenz und Erfahrung einzelner Mitglieder gebildet werden können; solche Gruppen sind im Zweifel hochmotiviert und können genau das leisten, was ein großes und daher schwerfälliges Gremium gerade nicht erreichen kann. Die heute nahezu unbestrittene Forderung der Sachverständigen nach Bildung solcher Ausschüsse (Dreher 1996: 45 ff.; Dreist 1980: 231; Lutter 1995: 298 f.; Schneider/Strenger 2000: 112 f.) läßt mithin die mit-unternehmerische Rolle des Aufsichtsrats auch praktisch immerhin möglich erscheinen. 5. Appendix: Vergütung Über Jahrzehnte hin entsprach die Vergütung des Aufsichtsrats genau dem tradierten Rollenverständnis. Auch von daher war es verständlich, daß sich das

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Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer?

Engagement jedenfalls des Gesamt-Aufsichtsrats in Grenzen hielt. Das beginnt sich zu ändern und hat sich zum Teil geändert. Belief sich die Vergütung bis vor ganz wenigen Jahren auf durchschnittlich DM 15.000,- pro Mitglied und Jahr (Knoll/Knoesel/Probst 1997: 236), so hat sich das – jedenfalls bei den großen Börsengesellschaften – in den letzten Jahren bereits geändert. Das ist die eine Seite. Die andere betrifft die Art der Vergütung. Hier hatte man erst in der Mitte der 90er Jahre begonnen, den Vorstand in erheblichem Umfange mit AktienOptionen zu vergüten und ihn auf diese Weise am Unternehmenserfolg zu beteiligen, vor allem nachdrücklich seine Anstrengungen auf diesen Erfolg zu richten (Hüffer 1997: 214 ff.; Lutter 1997: 1 ff.). Der Gesetzgeber hat das mit einer Änderung der [233] §§ 192, 193 AktG im KonTraG betont unterstützt, gleichzeitig aber den Aufsichtsrat aus dem Kreis der Begünstigten dieser Neuregelung ausdrücklich ausgenommen: Seine Tätigkeit sei auf Überwachung, nicht aber auf den unternehmerischen Erfolg der Gesellschaft ausgerichtet; mithin habe er im Kreis der durch Optionen Motivierten keinen Platz (Deutscher Anwaltverein 1997: 173). Das war, als Begründung, gewisslich falsch, wie wir soeben gesehen haben. Aber es erweist sich auch als rechtspolitische Entscheidung zunehmend als problematisch: Zum einen können neu gegründete Unternehmen am Neuen Markt ihre Aufsichtsräte nur mit Mühe bar bezahlen. Andererseits sind gerade in diesen Unternehmen die Aufsichtsräte besonders gefragt und auch besonders engagiert. Und schließlich sollte auch in etablierten Gesellschaften jedenfalls der unternehmerische Anteil der Aufsichtsrats-Tätigkeit ertragsbezogen vergütet werden. Es mehren sich daher die Stimmen, die auch den Aufsichtsrat in AktienOptionsprogramme ihrer Gesellschaft einbeziehen wollen (Hüffer 1999: § 192 Rn. 21; Lutter 1995: 304; Thümmel 2001: 21). Und das wiederum signalisiert, wie der Aufsichtsrat sich selbst und wie die Außenstehenden den Aufsichtsrat zunehmend auch als unternehmerisch beteiligt am Geschehen in der Gesellschaft verstehen. 6. Summa So bleibt uns abschließend die Feststellung: Die anfangs gestellte Frage nach der mitunternehmerischen Aufgabe des Aufsichtsrats ist keine contradictio in adiecto. Der Aufsichtsrat ist tatsächlich – neben seinen Aufgaben der klassischen retrospektiven Überwachung – auch Mit-Unternehmer. Das mag vielen Aufsichtsräten vielleicht noch nicht deutlich sein. Das aber wird sich unter dem Druck der Debatte um Corporate Governance, um eine richtige und gute, erfolgsorientierte Unternehmensführung auch deutscher Unternehmen sehr rasch ändern. Denn tatsächlich: Er ist Kontrolleur und Mit-Unternehmer. [234]

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Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer?

Mutter, S. (1994): Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft. Köln. Peus, E. A. (1983): Der Aufsichtsratsvorsitzende. Köln et al. Potthoff, E.; K. Trescher (1999): Das Aufsichtsratsmitglied. 4. Aufl. Stuttgart. Rellermeyer, K. (1986): Aufsichtsratsausschüsse. Köln et al. Schneider, U.H.; C. Strenger (2000): Die „Corporate Governance-Grundsätze“ der Grundsatzkommission Corporate Governance. AG 45(2000)3: 106-112. Semler, J. (Hg.) (1999): Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder. München. Semler, J. (1996): Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft. 2. Aufl. Köln et al. Theisen, M.R. (1987): Überwachung der Unternehmensführung. Stuttgart. Thümmel, R.C. (2001): Auch Aufsichtsräte dürfen Aktienoptionen bekommen. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 24. Januar 2001: 21. Ulmer, P. (1980): Die Anpassung der Satzungen von Aktiengesellschaften an das MitbestG 1976. München.

Auswahlpflichten und Auswahlverschulden bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ZIP 2003, S. 417-419 Der Aufsichtsrat und nur der Aufsichtsrat muss der Hauptversammlung Vorschläge zu seiner eigenen Neuwahl oder Ergänzung machen. Das aber bedeutet: Er ist verantwortlich für seine eigene Zusammensetzung und die in seinem Kreis vorhandenen fachlichen Kompetenzen. I. Einführung 1. In diesem Beitrag soll das Augenmerk auf eine der Überwachung und Kontrolle des Aufsichtsrats vorgelagerte, mitnichten aber weniger bedeutsame Pflicht des Aufsichtsrats gelenkt werden: nämlich seine Pflicht, an seiner optimalen Zusammensetzung selbst mitzuwirken. Gemeint ist damit die Mitverantwortung des Aufsichtsrats für seine eigene Besetzung mit ausreichend qualifizierten Personen durch Vorlage entsprechend guter und überlegter Wahlvorschläge an die Hauptversammlung. 2. Dem Aufsichtsrat sind in den vergangenen Jahren eine Fülle von Pflichten zugewachsen. Mit einer großen Zahl einzelner Maßnahmen durch Gesetz, Rechtsprechung und Literatur wurden die Aufgaben des Aufsichtsrats erweitert: (1) Unverändert bleibt er zur Kontrolle von Legalität, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung verpflichtet;1 (2) unverändert bleibt er zur Bestellung und ggf. Abberufung der Mitglieder des Vorstands gehalten;2 (3) darüber hinaus aber wurde er durch das KonTraG in die strategische Unternehmensplanung eingebunden;3 1 § 111 Abs. 1, § 90 Abs. 1 AktG; vgl. ausführlich zu Gegenstand und Maßstab der Überwachung BGHZ 114, 127, 129 f = ZIP 1991, 653 = NJW 1991, 1830, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1986 ff, § 111 Rz. 14 und 27; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, 1974 ff, § 111 Rz. 19 f und 24; Hommelhoff, in: Festschrift Stimpel, 1985, S. 603, 605; Hüffer, AktG, 5. Aufl., 2002, § 111 Rz. 3 und 6; Kropff, NZG 1998, 613; Henze, NJW 1998, 3309. 2 § 84 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG. 3 Vgl. § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG, neu gefasst durch Art. 1 Nr. 8 KonTraG, BGBl I 1998, 786. Vgl. auch die Begr. des RegE v. 28. 1. 1998, BT-Drucks. 13/9712, S. 15 li. Sp.

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durch den Bundesgerichtshof zur Beratung mit dem Vorstand über die Strategie seines Unternehmens verpflichtet;4 durch das KonTraG zum Partner des Abschlussprüfers gemacht: Er trifft die Auswahl und schlägt ihn der Hauptversammlung vor; er schließt den Vertrag mit dem Abschlussprüfer und legt das Prüfprogramm fest;5 durch das TransPuG ist er gehalten, zustimmungspflichtige Geschäfte festzulegen und so die Zusammenarbeit mit dem Vorstand zu intensivieren und zu formalisieren.6 Der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung wurde mit dem Deutsche Corporate Governance Kodex vom Februar 20027 erreicht, wo es heißt: -

Ziff. 3.1: „Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten zum Wohle des Unternehmens eng zusammen.“ Ziff. 3.2: „Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab und erörtert mit ihm in regelmäßigen Abständen den Stand der Strategieumsetzung.“

Darüber hinaus wird durch Gesetz und Kodex versucht, die Kontrolle des Aufsichtsrats effizienter zu gestalten, indem der Aufsichtsrat aufgefordert ist, und zwar mittelbar durch das Gesetz, § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG (Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung) und unmittelbar durch den Kodex (Ziff. 5.3), Ausschüsse zu bilden wie insbesondere den so genannten Bilanzausschuss (Audit Committee), um etwaige Schwachstellen [418] der Unternehmensführung und Unternehmensfinanzierung schneller erkennen zu können. Diese Pflicht zur Bildung von Ausschüssen wird für unsere an der New Yorker Börse gelisteten Gesellschaften unterstrichen durch die vom Sarbanes-OxleyAct und von der SEC verfügte Pflicht zur Bildung eines Audit Committee.8 Wenn sich das auch in erster Linie auf den Board der US-Gesellschaften bezieht, wird diese Aufforderung auch auf die europäischen Gesellschaften des dualen Systems ausstrahlen.

BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653 = NJW 1991, 1830. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG, angefügt durch Art. 1 Nr. 12 KonTraG, BGBl I 1998, 768; Begr. des RegE v. 28. 1. 1998, BT-Drucks. 13/9712, S. 16. 6 Vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, geändert durch Art. 1 Nr. 9 TransPuG, BGBl I 2002, 2681 ff. 7 Der Kodex befindet sich auf der Homepage www.corporate-governance-code.de oder in ZIP 2002, 452 ff. 8 SEC, Release No. 34-42266; File No. 57-22-99. Zu den Anforderungen des SarbanesOxley-Act vgl. Kersting, ZIP 2003, 233, 234. 4 5

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II. Pflicht des Aufsichtsrats zur Mitwirkung an seiner eigenen und möglichst optimalen Zusammensetzung 1. § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG ermächtigt und verpflichtet den Aufsichtsrat, der Hauptversammlung für die von ihr zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder mit der Bekanntgabe der Tagesordnung Wahlvorschläge zu unterbreiten. Anders ist es gemäß § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG nur dann, wenn die Hauptversammlung keine Auswahlfreiheit hat oder der Tagesordnungspunkt von einer Minderheit nach § 124 AktG erzwungen worden ist. Ohne solche Vorschläge kann die Hauptversammlung nicht wirksam wählen, § 124 Abs. 4 AktG. Das Gesetz nimmt diese Pflicht des Aufsichtsrats also sehr ernst und wichtig. Das wird heute noch einmal deutlich durch die zusätzlichen Angaben, die der Aufsichtsrat nach § 124 Abs. 3 Satz 3, § 125 Abs. 1 Satz 3 AktG der Hauptversammlung zu den Vorgeschlagenen machen muss, Angaben, die später im Anhang zum Jahresabschluss nach § 285 Nr. 10 HGB noch zu erweitern sind. Und schließlich hat der Aufsichtsrat auch diese Aufgabe nach §§ 116, 93 AktG selbstverständlich sorgfältig und gewissenhaft zu erfüllen. 2. Nimmt man das alles zusammen und sieht vor allem die starke Erweiterung der Aufgaben des Aufsichtsrats hin zu einem mitunternehmerischen Zusammenwirken9 mit dem Vorstand bei strategischen Entscheidungen einerseits, seine gesteigerte Verantwortung für die Abschlussprüfung andererseits, sowie die erhöhten Pflichten bei der Überwachung des Vorstands letztlich, so muss das Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats haben.10 Und so ist es auch. Konnte man sich bislang mit allgemeinen Erfahrungen und Fähigkeiten der vorgeschlagenen Personen zufrieden geben, so genügt das allein heute nicht mehr. Es würde zwar zu weit gehen und würde das Reservoir potenzieller Aufsichtsräte erschöpfen, wollte man von jedem Aufsichtsratsmitglied verlangen, Erfahrungen in nationaler und internationaler strategischer Unternehmensführung; in Rechnungslegung, Bilanzkunde und Controlling; beim Abschluss von Verträgen und insbesondere Optionen mit Vorstandsmitgliedern und über Verträge mit Abschlussprüfern und die Festlegung eines (zusätzlichen) Prüfprogramms

9 Vgl. dazu Lutter, Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mit-Unternehmer?, in: Sadowski (Hrsg.), Entrepreneurial Spirits, Festschrift Horst Albach, 2001, S. 225 ff. 10 Dahin gehend auch schon die Forderung Hommelhoffs, ZGR 1983, 553; vgl. auch Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde als ungeregelte Bestellungshindernisse zum Aufsichtsrat der AG, 1996, S. 280 f.

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zu haben. Es genügt vielmehr, wenn jeweils einige oder mindestens einer der Aufsichtsratsmitglieder über diese speziellen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt.11 Es ist daher richtig, wenn der Kodex12 dazu formuliert: Ziff 5.4.1: „Bei Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern soll darauf geachtet werden, dass dem Aufsichtsrat jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen und hinreichend unabhängig sind. Ferner sollen die internationale Tätigkeit des Unternehmens, potenzielle Interessenkonflikte und eine festzulegende Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder berücksichtigt werden.“

Für die Sicherung der Leistungsfähigkeit des Aufsichtsrats ist mithin entscheidend, dass die Aufsichtsratsmitglieder zusammen und insgesamt alle Bereiche mit den erforderlichen Kompetenzen abdecken.13 Die Leistungsfähigkeit des Gesamtaufsichtsrats hängt also entscheidend davon ab, dass über die Mindestkenntnisse der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder hinaus verschiedene Mitglieder mit speziellen Kompetenzen in den Aufsichtsrat gelangen. Auf diese Weise kann erst die Summe der Einzelkompetenzen der Aufsichtsratsmitglieder zu einer ausreichenden Leistungsfähigkeit des Gesamtaufsichtsrats führen. Diese Erkenntnis wirkt sich zwangsläufig auf den Inhalt des Vorschlagsrechts und der Vorschlagspflicht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung aus. 3. Diese Auswirkung hat zunächst einmal zur Folge, dass sich der Aufsichtsrat selbst darüber Rechenschaft geben muss, auf welche besonderen Fähigkeiten er im Kreise seiner Mitglieder angewiesen ist. Das hängt naturgemäß von der Größe des Unternehmens und seiner speziellen Ausrichtung ab, aber auch von der Größe des Aufsichtsrats selbst; hier besteht naturgemäß ein Unterschied zwischen den DAX 30-Gesellschaften, den DAX 100-Gesellschaften oder allen börsennotierten Gesellschaften überhaupt. Bei den ersten beiden Gruppen wird man heute auf jeden Fall ein Mitglied mit speziellen Erfahrungen in Rechnungslegung und Bilanzkunde, eines mit Erfahrung bei Vorstandsverträgen und Optionen, eines mit Erfahrungen in der Abschlussprüfung haben müssen. Darüber hinaus sollten andere Mitglieder Erfahrungen bei der Unternehmensfinanzierung und den Finanz-Kennzahlen haben und vor allem bei der kritischen Begleitung strategischer Ziele und ihrer Umsetzung.14 4. Auf diesem Hintergrund wird jeder Aufsichtsrat in Zukunft ein Anforderungsprofil für seine eigene möglichst optimale Zusammensetzung nach diesen Kriterien in abstrakter Weise festzulegen haben – nicht anders, wie das seit eh und je für die Besetzung des Vorstands geschieht; auch da muss man sich ent-

BGHZ 85, 293, 296 = ZIP 1983, 55 (Hertie). Siehe Fußn. 7. 13 So auch Scheffler, ZGR 1993, 63, 73 ff.; Bleicher, in: Festschrift Siegwart, 1990, S. 47, 57. 14 Ähnlich auch schon Wardenbach (Fußn. 9), S. 279. 11 12

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scheiden, welche Funktionen im Vorstand zu besetzen [419] sind.15 Das gilt nicht ganz in gleichem Maße für den Aufsichtsrat, weil dieser eine große Zahl allgemeiner Aufgaben zu erfüllen hat. Aber das Problem ist das Gleiche: Der Aufsichtsrat braucht in seinen Mitgliedern zusätzliche Erfahrungen und Kenntnisse, die nicht von jedem Aufsichtsratsmitglied so erwartet werden können. Erst auf diesem Hintergrund eines solchen abstrakten Besetzungsprofils kann dann der konkrete Personalvorschlag entwickelt werden. Das wird im Übrigen auch daran deutlich, dass nur auf diese Weise auch ein Personalberater (Headhunter) eingeschaltet werden kann. Denn ein solcher Berater muss wissen, über welche besonderen Fähigkeiten die gesuchte Person jenseits der allgemeinen Anforderungen an Erfahrung und Seriosität verfügen sollte. 5. Für beides – Besetzungsplan und konkreter Personalvorschlag – steht dem Aufsichtsrat ein breites unternehmerisches Ermessen zu.16 Ist beides in sich plausibel und nachvollziehbar, handelt der Aufsichtsrat pflichtgemäß. Entscheidend ist nicht, ob der eine Personalvorschlag besser als der andere ist, entscheidend ist nur, dass der Aufsichtsrat seine Vorschläge in dieser oder ähnlicher Weise sorgfältig, nachvollziehbar und in sich plausibel vorbereitet hat. Dementsprechend kann sich auch der Vorwurf einer Pflichtverletzung nach §§ 116, 93 AktG im Zusammenhang mit den Personalvorschlägen nach § 124 AktG nur auf mangelnde Sorgfalt seiner Vorbereitung sowie mangelnde Plausibilität und Verantwortlichkeit des konkreten einzelnen Personalvorschlags im Kontext des ganzen Besetzungsplans stützen. Sind sorgfältige Vorbereitung des Gesamtplans der Besetzung sowie Plausibilität und Verantwortlichkeit des konkreten Personalvorschlags gegeben, so handelt der Aufsichtsrat im Übrigen im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens.17 Im Übrigen entlastet die ggf. gleichermaßen nicht sachgerechte Wahl durch die Hauptversammlung den Aufsichtsrat nicht; denn dessen Pflichtverletzung lag im unsorgfaltigen Vorschlag. Er ist hingegen entlastet, wenn sich die Hauptversammlung nicht an seine Vorschläge hält, sondern anderen Vorschlägen von Aktionären nach § 127 AktG folgt. 6. Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, der Hauptversammlung zusammen mit seinem Vorschlag bestimmte Angaben zur Person des oder der Vorgeschlagenen zu machen, § 124 Abs. 3 Satz 3, § 125 Abs. 1 Satz 3 AktG. Diese Angaben betreffen insbesondere seine Unabhängigkeit und die Frage der Überforderung durch andere Aufgaben sowie etwaige Interessenkonflikte. Es wäre gewiss ausgespro15 Vgl. vor allem Krieger, Personalentscheidungen, S. 13 ff mit v.w.N.; außerdem Geßler, in: Festschrift Luther, 1976, S. 69, 82. Hüffer (Fußn. 1), § 76 Rz. 26; Mertens (Fußn. 1), § 76 Rz. 116 und § 84 Rz. 9. 16 BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 886 (ARAG/Garmenbeck); vgl. dazu auch Kindler, ZHR 162 (1998), 101, 113; Thümmel, DB 1997, 1117, 1118; Jaeger/Trölitzsch, ZIP 1995, 1157, 1159; Raiser, NJW 1996, 552, 553. 17 Zum Begriff vgl. die Nachweise oben in Fußn. 16.

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chen nützlich, wenn der Aufsichtsrat in diesem Zusammenhang der Hauptversammlung künftig auch Angaben zu den besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten des Vorgeschlagenen machen würde, um derentwillen – neben den allgemeinen Fähigkeiten und Erfahrungen – der Vorschlag unterbreitet wird. Auf jeden Fall aber können Aktionäre in der Hauptversammlung und nicht zuletzt auf dem Hintergrund von Ziff. 5.4.1 des Kodex entsprechende Fragen stellen, § 131 AktG. 7. Die hier formulierten Pflichten betreffen den Gesamtaufsichtsrat und unabhängig davon, ob es sich um Anteilseigner- oder Arbeitnehmer-Vertreter handelt; denn er hat die entsprechenden Vorschläge nach § 124 Abs. 3 AktG zu entwickeln und der Hauptversammlung zu unterbreiten. Aber die Hauptversammlung wählt nur die Anteilseigner-Vertreter. Ein vergleichbares Vorschlagssystem gibt es bei der Wahl der Arbeitnehmer-Vertreter nicht. Für deren Wahl können daher auch die hier entwickelten Auswahlpflichten – leider! – nicht angewandt werden. III. Thesen 1. Der Aufsichtsrat und nur der Aufsichtsrat ist nach § 124 AktG verpflichtet, der Hauptversammlung Vorschläge für die Wahl seiner eigenen Mitglieder zu unterbreiten. Ohne diese Vorschläge kann eine Wahl nicht wirksam stattfinden, § 124 Abs. 4 AktG. 2. Der Aufsichtsrat hat dieses Recht und diese Pflicht zu seiner – nicht förmlichen, aber faktischen – Kooptation sorgfältig und gewissenhaft zu erfüllen, §§ 116, 93 AktG. 3. Im Hinblick auf seine in den letzten Jahren stark angestiegenen Pflichten bedeutet das, dass er diese Vorschläge nicht mehr allein nach Ansehen und allgemeinen Fähigkeiten des neuen Mitglieds ausrichten darf: sondern zusätzlich auf ganz spezielle Kompetenzen dieser Personen achten muss. 4. Zu diesem Zweck muss der Aufsichtsrat – nicht anders als bei der Besetzung des Vorstands – ein allgemeines Anforderungsprofil für die Besetzung der Anteilseigner-Vertreter in seinem Kreis entwickeln. Dabei sind nicht nur die hier aufgeführten besonderen Aufgaben zu bedenken, sondern naturgemäß auch die Besonderheiten der betreffenden Gesellschaft. 5. Erst auf diesem Hintergrund können dann die konkreten Vorschläge des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung zu den einzelnen Personen entwickelt werden. 6. Zusätzlich zu den vom Gesetz verlangten Angaben bezüglich der zur Wahl vorgeschlagenen Personen sollte der Aufsichtsrat mitteilen, im Hinblick auf welche besonderen Erfahrungen und Kompetenzen der vorgeschlagenen Personen sein Vorschlag erfolgt.

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7. Versäumt der Aufsichtsrat eine solche nachvollziehbare Planung und entsteht der Gesellschaft mangels ausreichenden Sachverstandes im Aufsichtsrat deswegen ein Schaden, so haften alle seine Mitglieder persönlich und solidarisch auf Ersatz dieses Schadens.

Unternehmensverfassung und Wettbewerbsordnung1 IN: FORSCHUNGSINSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSVERFASSUNG UND WETTBEWERB E.V. KÖLN, SCHWERPUNKTE DES KARTELLRECHTS

1973/74, FIWSCHRIFTENREIHE HEFT 71, KÖLN 1971, S. 89-108 I. Einleitung

1. Wirtschaftsverfassung und Unternehmensverfassung werden nur selten als aufeinander bezogene Größen gesehen und erörtert, in aller Regel vielmehr der Markt auf der einen Seite und die Organisation der Marktsubjekte auf der anderen Seite als selbständige Größen behandelt: Theoretiker und Praktiker des Marktes gehen von der schlichten Existenz der Marktsubjekte aus, während diejenigen, die sich um die Struktur dieser Wirtschaftssubjekte bemühen, den Markt und das Marktverhalten dieser Wirtschaftssubjekte allenfalls am Rande mit im Auge haben. Das Phänomen hat viele Ursachen und hängt ganz gewiß auch ein wenig mit der Tatsache zusammen, daß die „Zuständigkeiten“ verteilt sind; denn die Unternehmensverfassung gehört zum Ressort der Betriebswirte und der Juristen, Abteilung Gesellschaftsrecht, während die Wirtschaftsverfassung von den Volkswirten und den Juristen, Abteilung öffentliches Recht und Verfassungsrecht erörtert wird. 2. Die Aktualität des Themas Unternehmensverfassung braucht hier nicht näher erörtert zu werden. Der Vorschlag der Bundesregierung zur Einführung der paritätischen Mitbestimmung1a ist bekannt, die Protokolle über die Hearings dazu vor dem Bundestags-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung liegen vor2, 1 Um einige Nachweise ergänzter Vortrag, den Verf. auf dem VIII. FIW-Symposion in Innsbruck am 14. Februar 1975 gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibehalten. 1a Regierungs-Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 22. 2. 1974, BT-Drucksache 7/2172 = BR-Drucksache 200/74. Weitere Vorschläge finden sich in der Zusammenstellung von Schwerdtfeger, Mitbestimmung in den privaten Unternehmen, Aktuelle Dokumente, Berlin 1973. 2 Stenografische Protokolle über die Sitzungen des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 16. Oktober 1974 (Protokoll-Nummer 51), vom 4. November 1974 (ProtokollNummer 52), vom 7. November 1974 (Protokoll-Nummer 55) und vom 19. Dezember 1974 (Protokoll-Nummer 62).

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der sog. Sechser-Vorschlag für eine neue Unternehmensverfassung von Boettcher, Hax, Kunze u. a.3 ist ebenso wie der Bericht der Mitbestimmungs-Kommission, der sog. Biedenkopf-Bericht4 vielfach erörtert. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur [90] noch auf die neuen Regelungen in Dänemark5, Österreich6 und den Niederlanden7 sowie auf die Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Zusammenhang mit der Europäischen Aktiengesellschaft und der nationalen Rechtsangleichung (entspr. § 76 BetrVerfG 52)8, auf die Vorschläge des Europäischen Parlaments im Zusammenhang mit der S. E. (3-BänkeModell)9 und auf die beginnende Diskussion in Großbritannien:10 Mitbestimmung und Unternehmensverfassung sind also längst keine innerdeutsche Angelegenheit, kein Diskussionsprivilegium teutonicum mehr. 3. Trotz dieser Aktualität des Themas Unternehmensverfassung werde ich mich streng an die mir gestellte Aufgabe halten und jeder Versuchung, vom Verfassungsrecht bis zu allgemeinen ordnungspolitischen Erwägungen, ausweichen. Nach einigen Überlegungen zu den Begriffen Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung werde ich in einem ersten Teil allgemeine Erwägungen zum Verhältnis von Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung vortragen, sodann in einem zweiten Teil das konkrete Verhältnis nach deutschem Recht erörtern, um dann im letzten Teil zu den Problemen aus der geplanten Änderung des Rechtes der Unternehmensverfassung überzugehen.

3 Boettcher-Hax-Kunze-v. Nell-Breuning-Ortlieb-Preller, Unternehmensverfassung als gesellschaftspolitische Forderung, Berlin 1968. 4 Mitbestimmung im Unternehmen, Bericht der Sachverständigen-Kommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung, Bochum, Januar 1970, BTDrucksache VI, 334. 5 Gesetz über Aktiengesellschaften vom 13. 6. 1973 (§§ 49, 177) und Gesetz über Gesellschaften mbH vom 13. 6. 1973 (§ 32). 6 Vgl. Eder, Einführung der Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat in Österreich, Die AG 1974, S. 252 ff. Ebenso jetzt auch Luxemburg mit Gesetz vom 6. Mai 1974, Art. 23 ff. 7 Vgl. dazu die entsprechenden Vorschriften (insbesondere Art. 52 h) im neuen Wetboek van Koophandel, abgedruckt und übersetzt in ZGR 1974, S. 125 ff. und dazu Maeijer, Die Arbeitnehmermitbestimmung nach der Neuregelung für die Aufsichtsräte in „großen“ niederländischen Kapitalgesellschaften, ZGR 1974, S. 104 ff. sowie Roth, Das neue niederländische Aktienrecht: Absage an die „Unternehmensdemokratie“?, AWD BB 1974, S. 312 ff. 8 Art. 8 des Vorschlages der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine 5. Richtlinie zur Angleichung des Gesellschaftsrechts vom 9. Oktober 1972, Beilage 10/1972 zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaften. 9 Art. 137 und 137a des Vorschlages für eine Verordnung betreffend das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft in der Fassung des Beschlusses des Europäischen Parlamentes vom 11. 7. 1974, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 93 vom 7. August 1974, S. 22 ff., 54 f. 10 Vgl, etwa Schmitthoff, Tailoring the system to British needs, The Times vom 6. Mai 1974, S. 19.

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II. Definitionen Sollen Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung aufeinander bezogen und in ihren wechselseitigen Bedingungen und Bedingtheiten erörtert werden, so sind zunächst einmal Inhalt und Bedeutung dieser beiden Komplexe selbst darzulegen. Anders bestünde noch mehr als sonst die Gefahr einer babylonischen Sprach- und Begriffsverwirrung. Damit soll weder der Versuch unternommen werden, die Diskussion zu verengen, noch ist damit die Absicht verbunden, die allgemeine Erörterung vorzubestimmen und festzulegen. Ein Thema, das normativ so wenig festgelegt ist wie der Gegenstand dieser Erörterung, erfordert einfach die Klärung der Positionen, von denen aus im weiteren zu argumentieren ist. [91] 1. Unter Wettbewerbsordnung wird hier die dezentrale Organisation der Wirtschaft eines Landes verstanden, in welcher die Impulse, die Daten und die positiven sowie negativen Sanktionen über einen offenen, d. h. prinzipiell allen zugänglichen Markt der Güter und Leistungen an die Teilnehmer dieser Veranstaltung, die Wirtschaftssubjekte, weitergeleitet werden. Eine Vielfalt von Marktteilnehmern ist in diesem System ebenso mitgedacht wie die Freiheit des Marktes von Interventionen, welche seine Sanktionen ungleichmäßig verteilen. Die Ordnung empfängt ihre Daten also vom Markt und nicht von einer wie auch immer organisierten Bürokratie. Als Wettbewerbsordnung in einer sozialen Marktwirtschaft ist sie für die Wirtschaftsverfassung eines Landes auch dann noch bestimmend, wenn einerseits nicht alle Güter und Leistungen dem Marktprinzip unterliegen, also etwa soziale Grundbedürfnisse wie Wohnung, Versorgung und Verkehr ausgenommen sind; doch darf deren Anteil am Gesamtvolumen der Güter und Leistungen eine kritische Marge nicht überschreiten. Unschädlich in diesem System sind andererseits auch Daten der staatlichen Wirtschaftspolitik, soweit sie nur allgemein gehalten sind, während große Probleme entstehen, sobald mit speziellen Lösungen eingegriffen wird. Dieses Marktprinzip muß hinsichtlich seiner Teilnehmer offen sein; es degeneriert, wenn die Zahl der Subjekte auf der einen oder anderen Marktseite signifikant abnimmt, sei es durch Kartellierung, sei es durch Konzentration. Wirtschaften heißt den Bedarf an Gütern und Leistungen in einer Volkswirtschaft soweit wie möglich und zu günstigsten Bedingungen befriedigen. In der Wettbewerbswirtschaft wird dabei die Bestimmung der gewünschten Güter möglichst weitgehend dem einzelnen Bürger überlassen, der seine Wünsche dem potentiellen Anbieter über den Markt vermittelt: Das System der Wettbewerbsordnung ist damit antiautoritär und in einem sehr ursprünglichen Sinne demokratisch. Als ein System nicht autoritärer Kontrolle und subjektiver Herrschaft des einzelnen Bürgers ist diese Wettbewerbsordnung Teil einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die, da sie zugleich sozial sein will, in einer ständigen Spannung lebt und Vorsicht üben muß, keinem Teilnehmer die Oberhand zu gewähren. Es handelt sich also um ein

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System, das in seiner formalen Struktur vollkommen sein kann, in seinen Ergebnissen aber immer unvollkommen bleiben muß. Im Hinblick auf die offensichtliche Verbindung dieses Marktmodells zur Vertragsfreiheit einerseits, zur Gewerbefreiheit (Art. 12 GG) und zum privaten Eigentum (Art. 14 GG) andererseits scheint mir diese Ordnung, also eine sozial korrigierte und durch staatliche Globaldaten beeinflußte Wettbewerbsordnung in der Bundesrepublik vom Grundgesetz vorgezeichnet und garantiert zu sein: Die stets wiederholte Lehre von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes übersieht, daß sie solange nicht gelten kann, als nicht von der Sozialisierungsmöglichkeit des Artikels 15 GG in weitem Umfange Gebrauch gemacht worden ist11. [92] 2. Unternehmensverfassung ist ein etwas zu großes Wort, knüpft es doch unmittelbar an Verfassung an und evoziert damit eine Verbindung zu Grundrechten und Grundfreiheiten. Davon sollte man sich deutlich freimachen, wenn auch die Berufs- und Gewerbefreiheit des Art. 12 GG und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG auf die Struktur des Korporationsrechts ausstrahlen. Andererseits wird die Formulierung Unternehmensverfassung gerne mit der Vorstellung eines ganz neuen Unternehmensrechtes nach Art des Sechser-Vorschlages12 in Verbindung gebracht, obwohl es eine rechtliche Verfassung der Wirtschaftssubjekte Unternehmen immer gegeben hat. Tatsächlich ist Unternehmensverfassung Verfassung in einem formellen Sinne; sie ist – ganz neutral und ebenso unabhängig von Streitfragen de lege lata wie Vorschlägen de lege ferenda – die Summe derjenigen Normen, welche die innere Organisation und die Außenbeziehungen des Unternehmens bestimmen. Die Unternehmung selbst ist – genau wie der Staat – eine unerhört reale und zugleich artifizielle Erscheinung: Die Bedingungen ihrer Existenz und ihrer Wirkungen nach außen müssen in der Welt des Rechts erdacht und erschaffen werden; sie sind nicht an sich. Diese Aufgabe einer Verfassung erfüllt das Unternehmensrecht. Die Verfassung des Unternehmens wird sonach bestimmt durch die Regeln des Korporationsrechts, des Konzernrechts, des Rechts der Publizität und Rechnungslegung, der Mitbestimmung und bestimmter Regeln der Betriebsverfassung, nicht aber des Wettbewerbsrechtes, des Kartellrechts etc. Maßgebend für die Verfassung eines Unternehmens ist also die Summe der fremdgesetzten, d. h. gesetzlichen, und der selbstgeschaffenen, d. h. vertraglichen und statutarischen Regeln, welche die Organisation und Willensbildung einer Unternehmung und ihrer Kontakte nach außen im Sinne von Rechten und Pflichten, Haftung und Verantwortung bestimmen. 11 Vgl, dazu Mestmäcker, Wirtschaft und Verfassung, DöV 1964, S. 606 ff.; Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, Festschrift für Franz Böhm, Frankfurt/M, 1965, S. 63 ff.; Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, Frankfurt/Main 1971, S. 16 ff.; Leisner, Privateigentum ohne privaten Markt?, BB 1975, S. 1 ff. 12 Vgl. oben Fn. 3.

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III. Allgemeine Beziehung zwischen Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung Wirtschaftsverfassung im Sinne von Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung als Organisationsordnung der Unternehmen stehen in unseren Überlegungen bislang unverbunden neben einander. Diese Bezüge gilt es zunächst auf einer allgemeinen Ebene herzustellen. 1. Unternehmungen sind funktionale Verbindungen aus sachlichen und persönlichen Elementen zur Verfolgung wirtschaftlicher Ziele, sind organisierte Einheiten zur Teilnahme am Wirtschaftsverkehr. Damit erfüllen sie im Modell der Wettbewerbsordnung eine ganz bestimmte Aufgabe: Sie nehmen am Wirtschaftsverkehr teil, beteiligen sich an der Bedarfsdeckung durch Produktion und Vertrieb, sind die Veranstalter dieses Bereiches. Diese Teilnahme wird dadurch erreicht, daß der einzelne – allein oder in Gemeinschaft mit anderen – hierbei für sich den höchsten Nutzen erstreben darf und soll. Daraus erhellt, daß die Unternehmungen in einer Wettbewerbswirtschaft so organisiert sein müssen, daß sie sich mindestens [93] in der Tendenz dem Muster dieser Ordnung entsprechend verhalten. Erfolgt in der Wettbewerbsordnung die Steuerung des Verhaltens der Wirtschaftssubjekte durch die Daten des Marktes, so stünde dem eine Unternehmensverfassung diametral entgegen, die etwa den Konkurs beseitigt, Verluste auf den Staat verlagert und das Management für unabsetzbar bzw. ihre Posten für vererblich erklärt: Man hat sich an die prinzipielle Entsprechung der beiden Bereiche so stark gewöhnt, daß der Blick für die Wechselbeziehungen zwischen beiden Ordnungen fast etwas verloren gegangen ist. Zugleich wird hieran deutlich, daß es eine Beliebigkeit oder Neutralität der Unternehmensverfassung im Hinblick auf die Wettbewerbsordnung nicht geben kann: Beide sind Teile und erfüllen Funktionen innerhalb einer Wirtschaftsordnung, die sich in einem rationalen System mindestens nicht widersprechen sollten. Im Gegenteil: Unternehmensverfassung insbesondere als Verfassung von Korporationen kann durchaus auch als Transmissionsscheibe zur Weiterleitung und Verwirklichung von Marktdaten und Marktzielen in das Unternehmen verstanden werden. Damit ist nicht gesagt, daß sich beide Erscheinungen in ihren Zielen völlig decken müßten. Wie Wettbewerb nur ein – wenn auch entscheidender – Teil unserer Wirtschaftsordnung ist, so ist das Unternehmen nicht nur Marktteilnehmer, nicht nur Organisation zur Verwirklichung der Gewerbefreiheit, sondern auch sozialer Verband. Darauf wird später noch einzugehen sein. 2. Ein kurzer Rückblick mag diese Wechselbeziehung von Marktordnung und Unternehmensverfassung verdeutlichen: Die moderne Wirtschaftspolitik nahm ihren Ausgang von der Herstellung der Gewerbefreiheit, also von der Freiheit zur Marktteilnahme, vom Marktsubjekt her. Und mit dem politischen Liberalismus fielen die letzten Mauern um einen freien Markt zur gleichen Zeit, als auch die letzten korporativen Schranken für den

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freien Zugang zur Marktfähigkeit in Form des Konzessionssystems fielen und durch das offene System der Normativbestimmungen ersetzt wurden13. Die soeben theoretisch entwickelte Konkordanz von Marktverfassung und Unternehmensverfassung hat also durchaus ihre historischen Entsprechungen. In den folgenden hundert Jahren wurden beide Bereiche – von besonderen Zeiten abgesehen – ständig angepaßt und verbessert mit dem Ziel, einerseits die Offenheit des Marktes vor künstlichen Schranken zu sichern und andererseits die Verantwortung der Marktsubjekte und damit zugleich die Offenheit des Zugangs zum Markt durch Sicherung des Vertrauens zu gewährleisten. Man denke in diesem Zusammenhang an Kartellverbot, Diskriminierungsverbot, Verbot abgestimmter Verhaltensweisen und Fusionskontrolle einerseits, an die laufend strengeren Regeln des Aktienrechts14, zugleich aber auch an die Schaffung der [94] GmbH und die Toleranz gegenüber der GmbH & Co. KG andererseits. So war auch die Sorge, den Zugang zur Korporation und damit den Zugang zur Marktteilnahme unangemessen zu erschweren, eines der Hauptbedenken gegen den Regierungsentwurf für ein neues GmbH-Recht aus dem Jahre 197015 16. IV. Die Wechselbeziehung von Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung im geltenden Recht Nach diesen allgemeinen Erwägungen über das Bezugssystem zwischen Marktordnung und Unternehmensverfassung ist nun zu erörtern, in welchen konkreten Aspekten die Wettbewerbsordnung auf bestimmte Daten der Unternehmensverfassung angewiesen ist. Zu untersuchen ist also, welche konkreten Schwerpunkte eine Unternehmensverfassung im Hinblick auf die bestehende Wettbewerbsordnung zu setzen und zu gewährleisten hat, und in welchem Maße diese Voraussetzungen de lege lata erfüllt sind. 1. Die Wettbewerbsordnung ist auf potentiell viele Marktsubjekte angewiesen; die Verfassung der Unternehmen muß also so angelegt sein, daß von ihrer Organisation her keine Zugangssperre zum Markt aufgebaut wird. Würde man nur noch 13 Noch das ADHGB enthielt das Konzessionssystem; es fiel erst mit der Novelle von 1870. Die staatliche Aufsicht wurde durch die Publizität und durch das Selbstbeaufsichtigungsrecht der Aktionäre abgelöst, wofür durch die Aktienrechtsnovelle von 1884 als zwingendes Organ der Aufsichtsrat eingeführt wurde; vgl. Seifert, Der Aufsichtsrat nach dem Regierungsentwurf für ein Mitbestimmungsgesetz. Die AG 1974, S. 129 ff. (131). 14 Novellierungen des Aktienrechts von 1884, 1931, 1937 und 1965. 15 Vgl. z. B. Barz, Kapitalfragen im Referentenentwurf eines GmbH-Gesetzes, in: GmbHReform, Bad Homburg v. d. H. 1970, S. 37 ff.; Forster, Rechnungslegung und Publizität im Referentenentwurf eines neuen GmbH-Gesetzes, ebenda, S. 94 ff. (126). 16 Regierungsentwurf eines Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1970, erneut eingebracht im Jahre 1973 als BT-Drucksache 7/253.

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den Einzelkaufmann und die Aktiengesellschaft als Formen der Unternehmensorganisation zulassen, so wäre fast die gleiche Situation gegeben wie sie bei vollständiger Kartellierung eines Marktes bestehen würde oder im System der Zünfte bestanden hat: Beide Formen wären für den Durchschnittsbürger, der einen Autohandel betreiben will, ungeeignet. Das geltende Unternehmensrecht wird dieser Aufgabe voll gerecht17. 2. Der Marktteilnehmer in einer Wettbewerbsordnung hat nicht nur sich und sein Unternehmen zu organisieren, sondern muß es auch selbst finanzieren. Gerade hier liegt eine gewichtige Zugangsschwelle zum Markt; sie durch Möglichkeiten des Zusammenwirkens zu reduzieren ist in einer Marktwirtschaft Aufgabe der Unternehmensverfassung. Das ist – mehr oder minder bewußt – auch stets so gesehen worden. Die Tatsache hat einerseits zu der großen Zahl verschiedener Korporationsformen geführt und damit ein System geschaffen, möglichst vielen Kapitalbesitzern Möglichkeiten der wirtschaftlichen Anlage zu geben. Andererseits haben Gesetzgebung und Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes das Maß an erforderlicher Sekurität entwickelt, ohne das Kapitalien auf Dauer nicht zur Verfügung gestellt werden18. Die Unternehmensverfassung spiegelt hier das marktwirtschaftliche Prinzip der Allokation von Mitteln am relativ [95] günstigsten Ort wider durch die Vielfalt und Variabilität der organisierten Marktsubjekte. Da sich dieses Kapital – von Überlegungen zur Sekurität abgesehen – an Rendite orientiert, diese nachhaltig gesichert wissen will, besteht von dem Grundgedanken der Unternehmensorganisation her auch ein mehr oder minder ausgewogenes Verhältnis von mittelbaren Möglichkeiten zur Rücknahme dieser Mittel beim Wunsch anderweitiger Anlage (Kauf und Verkauf von Aktien) einerseits und Einfluß auf die Geschäftsführung andererseits dort, wo diese Rücknahmemöglichkeit nicht oder nur in Grenzen besteht (offene Handelsgesellschaft – nicht AG). Unmittelbar oder mittelbar sorgt also auch das Organisationsrecht der Unternehmen für Möglichkeiten von Sanktionen des Anlegers bei Verletzung seiner Renditeinteressen; auch dabei handelt es sich um eine Form mittelbarer Steuerung der Kapitalien an den Ort des angenommen höchsten Ertrages. 3. Wird eine Verstärkung der Stellung am Markt durch Konzentration angestrebt, so stellt das Unternehmensrecht eine ungewöhnlich große Zahl von Formen für die Verbindung zur Verfügung19. Demgegenüber fehlt im deutschen Vgl. oben III, 2. Das war eine der Aufgaben der Aktienrechtsreform von 1965 und ihres Konzernrechts und ist auch als wichtige Aufgabe der GmbH-Reform nicht in Zweifel gezogen worden. Vgl. etwa Arbeitskreis GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge, Bd. 2, 1972, S. 11 ff. mit weiteren Nachw. 19 Beteiligung, Unternehmensvertrag, Konsortialvertrag, Eingliederung und Fusion sind nur die Grundformen vielfach möglicher Kombinationen. 17 18

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Recht – von der Auflösung des Unternehmensvertrages und der Veräußerung einer Tochtergesellschaft abgesehen – jede rechtliche Möglichkeit der Dekonzentration, der scission20. Auf entsprechende Daten des Marktes kann das einzelne Unternehmen daher nur durch Verkauf an ein anderes Unternehmen reagieren und muß dabei noch erhebliche steuerliche Nachteile tragen. Darüber hinaus ist das gesamte System von unternehmerischer Willensbildung in den korporativ verfaßten Unternehmen auf Steigerung der Größe statt auf kleine, aber leistungsfähige Markteinheiten angelegt. 4. Ganz besonders schwierig sind alle Fragen im Zusammenhang mit einem Ausscheiden aus dem Markt: Niemand will gerne sterben, auch gesellschaftliche Gebilde wie Marktsubjekte nicht. Diesem natürlichen Beharrungsvermögen müsste – von dem Grundgedanken der Wettbewerbsordnung her – auch die Organisation der Unternehmen entgegenwirken. Das ist bei personal bestimmten Unternehmensformen auch weitgehend der Fall. Man kann die Beobachtung machen, daß sie, deren wirtschaftliche Kräfte in der Regel auch geringer sind, eher aus dem Markt ausscheiden, sei es durch Liquidation, durch Konkurs oder Vergleich, sei es durch den Verkauf an ein größeres Unternehmen. Hier verbinden sich die Elemente der relativen Marktschwäche mit dem unmittelbaren Einfluß der Investoren (Gesellschafter) zur Rettung und anderweitigen Allokationen ihrer Mittel und führen so zum Ausscheiden der betreffenden Einheit aus dem Markt. Je größer das Unternehmen und je ferner seine Leitung vom Einfluß der Investoren lebt, desto stärker sind Beharrungstendenzen auch gegenüber negativen Daten aus dem Markt. Weder die Deutsche Jute AG noch die Rheinstahl AG noch selbst die ehemaligen Kohlegesellschaften haben je ernsthaft die Liquidation erwogen. Auch hier zeigt sich die funktionale Stärke des Unternehmensrechtes beim Markteintritt [96] und – unterstützt durch Mängel des Steuerrechts – seine relative Schwäche gegenüber gegenteiligen Marktentwicklungen. 5. Ist das Unternehmen marktbezogen. so muß seine interne Struktur und Willensbildung auf diese Marktfunktion hin ausgerichtet sein. Zu erörtern ist also, ob und in welchem Maße hier die Verbindungen gegeben sind: a) Man weiß heute, daß die Motivationen von Unternehmensleitungen sehr viel komplexer sind als sie dem vergleichsweise einfachen Denkmodell der Wettbewerbsordnung entsprechen21. Neben Ertrag, künftigen Erträgen und Marktanteil spielen Fragen der persönlichen und wirtschaftlichen Macht, des gesellschaftlichen Ansehens, der Minderung von Anstrengung etc. eine gewichtige Rolle: Der Versuch, von der mühsam erarbeiteten Rendite zur gesicherten Rente zu gelan20 Vgl. dazu Kropff, über die Ausgliederung, in: Festschrift für Ernst Gessler, 1971, S. 111 ff. sowie Duden und Schilling, Die Spaltung von Gesellschaften, Die AktG 1974, S. 202 ff. 21 Vgl. dazu Thomas Raiser, Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung, Heidelberg 1973, S. 38 ff. mit weiteren Nachw. Vgl. auch Rittner, Zur Verantwortung des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG 1965, Die AktG 1973, S. 113 ff., 122.

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gen, ist ganz offensichtlich auch ein Aspekt des Verhaltens von Unternehmensleitungen. Die Verfassung fördert ein solches Verhalten nicht, stellt aber auch keine negativen Sanktionen auf, verhält sich solchen Erscheinungen gegenüber also neutral: durch die Belohnung des wirtschaftlichen Erfolges ohne jede Wertung unter dem Gesichtspunkt, auf welche Weise dieser Ertrag erzielt wurde; durch die Kommunikationsferne zwischen Investor und Unternehmensleitung. Das erstere Problem ist nur vom Markt her durch Kartellverbot, Verbot der abgestimmten Verhaltensweise und Kontrolle von Macht zu korrigieren, das letztere ist ein ständiges Problem der Verfassung von größeren Unternehmenseinheiten. b) Im übrigen kann man feststellen, daß die interne Organisation von Unternehmen auf die Verfolgung der Marktziele ausgerichtet ist und Mängel durchaus mit Sanktionen verfolgt: Investitionen „an sich“ finden – vielleicht von Sonderfällen der Gemeinwirtschaft abgesehen – nicht statt; und nachlassende Rentabilität ist für jede Unternehmensleitung eine persönliche Gefahr. Von daher wird aber auch deutlich, daß bestimmte statutarische Gestaltungsmöglichkeiten in den personal bezogenen Unternehmensformen wie insbesondere Ansprüche auf Positionen in der Geschäftsführung durchaus gegen den Markt gerichtet sein können und – zumindest in ihren schroffen Erscheinungsformen den Vorstellungen der Wettbewerbsordnung widersprechen. Das gilt nicht so sehr dort, wo die Sanktion der persönlichen Haftung Unfähigkeit sehr bald mit dem Ausscheiden aus dem Markt bestraft, wohl aber dort, wo diese Korrektur fehlt und die Größe der Wirtschaftseinheit zugleich eine längere Mißwirtschaft erlaubt. 6. Faßt man die bisherigen Überlegungen zum konkreten Verhältnis von Wettbewerbsordnung und geltender Unternehmensverfassung zusammen, so kann man feststellen, daß Organisation und Verfassung der Unternehmen weitgehend den Erfordernissen einer Wettbewerbsordnung entsprechen. Die aufgezeigten Mängel und Widersprüche sind jedenfalls nicht derart relevant, als daß man – von Fragen der Unternehmenskonzentration und Dekonzentration vielleicht abgesehen – von [97] einem deutlich negativen Einfluß der Unternehmensverfassung auf die Ziele der Wettbewerbsordnung sprechen könnte. V. Wettbewerbsordnung und neue Unternehmensverfassung Erfüllt die Unternehmensverfassung des geltenden Rechts weitgehend ihre Funktionen in bezug auf die Ziele der Wettbewerbsordnung, so haben wir uns nun mit der Frage zu beschäftigen, welche Auswirkungen geplante und ihrer Natur nach gewichtige Änderungen in diesem Bereich haben werden oder doch

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haben können: Zu handeln ist von Fragen der Mitbestimmung und solchen der Vermögensbildung. 1. Zunächst sind hier einige Überlegungen vorab erforderlich, welche das bisher gezeichnete Bild des Verhältnisses von Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung noch differenzieren und verdeutlichen müssen. a) Unternehmensverfassung als Teil der Gesellschaftsordnung Unternehmensverfassung wurde bisher allein auf die Wettbewerbsordnung bezogen. Das ist auf jeden Fall einseitig; denn das Unternehmen ist eine Zusammenfassung von sachlichen und persönlichen Mitteln, d. h. die Mitarbeiter im Unternehmen sind dessen Teil, Unternehmen ohne Mitarbeiter ist nicht vorstellbar; sie müssen daher in die Überlegungen um geplante Änderungen der Unternehmensverfassung einbezogen werden. Das Unternehmen ist eben nicht nur nach außen hin Marktsubjekt, sondern – nach innen hin – auch soziales Gebilde, Herrschaftsverband, Zentrum der beruflichen Tätigkeit für den größeren Teil der berufstätigen Bevölkerung eines Industrielandes. Dieser Tatbestand ist zunächst nur festzustellen und bei Abwägungen zwischen den Zielen einer künftigen Unternehmensverfassung zu denen der Wettbewerbsordnung zu beachten. Dabei wird man zu berücksichtigen haben, daß auch die Wettbewerbsordnung nicht um ihrer selbst willen existiert, Wettbewerb vielmehr eine Form der nicht-autoritären Kontrolle und des nicht-autoritären Ausgleichs von divergenten Einzelinteressen mit dem Ziel des höchsten Allgemeinnutzen ist, selbst also eine zwar ungewöhnlich erfolgreiche, aber eben auch (nur) soziale Einrichtung mit den Zielen individueller Freiheitssicherung und effizienter Bedarfsdeckung ist. b) Grenzen der Wettbewerbsordnung Weiter könnte zu bedenken sein, daß Wettbewerb keineswegs die Maxime ist, unter der die gesamte Bedarfsdeckung im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft erfolgt; ganze Bereiche der Volkswirtschaft sind mehr oder minder ausgenommen: Das reicht vom Versorgungsbereich über weite Teile der Landwirtschaft bis zum sozialen Wohnungsbau. Hier bestehen ganz andere Daten unternehmerischen Handelns; zum Teil handelt es sich, wie bei den public utilities der USA, nur noch um die Organisation von Dienstleistungen. So wichtig diese Feststellung für die Möglichkeiten, die soziale Bedeutung und die Grenzen von Wettbewerb sind, so wenig besagt dies doch zugleich im System des geltenden Unternehmensrechts. Denn dieses unterscheidet die einzelnen Unternehmensorganisationsformen nicht nach solchen, die im Wettbewerb tätig sind und anderen, die sich in

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wirtschaft- [98] lichen Bereichen außerhalb des Wettbewerbers betätigen22. So naheliegend die Verfolgung dieses Gedankens wäre – unter diesem Gesichtspunkt könnten möglicherweise ganz andere Strukturen der Unternehmensverfassung für gemeinnützige Unternehmen entwickelt werden –, so wenig förderlich ist es im derzeitigen System des Unternehmensrechts. Im Gegenteil: Unternehmensverfassung im geltenden System muß davon ausgehen, daß sich jedes Unternehmen voll dem Wettbewerb zu stellen und sich dabei voll zu bewähren hat. Überlegungen aus wettbewerbsfreien Bereichen würden sonst über das System der einheitlichen Rechtsformen auch auf solche Unternehmen wirken, die sich nach wie vor im Wettbewerb zu bewähren haben. Der Hinweis auf wettbewerbsfreie Marktbereiche muß also entweder zur Ausprägung marktspezifischer Unternehmensformen führen oder als Argument für die Verfassung von Unternehmen solange vollständig außer Betracht bleiben, als ein wesentlicher Teil der Volkswirtschaft von Wettbewerb bestimmt wird. Allerdings bleibt in diesem Zusammenhang noch zu fragen, ob das Element der Größe möglicherweise eine Differenzierung insofern erlaubt, als für sehr große Unternehmen der Wettbewerb von geringerer Bedeutung und auch gesamtwirtschaftlich von geringerem Gewicht ist. Die Fragestellung ist nicht neu23; und es kann kaum bezweifelt werden, daß Großunternehmen nicht selten Vorteile im Wettbewerb genießen: Fragen der Finanzierung, des schwerpunktmäßigen Einsatzes der Ressourcen etc. erleichtern Positionen im Wettbewerb. Dennoch ist auch diese Feststellung für unsere Überlegungen ohne entscheidendes Gewicht; denn es kommt nicht auf die relative, sondern auf die absolute Marktstärke an, d. h. sind die wichtigsten Konkurrenten eines Unternehmens ihrerseits große Wirtschaftseinheiten, so ist keine ihrer Positionen im Wettbewerb besser als die entsprechend vieler kleiner Unternehmen in einem kleinen Markt. Das Größenmerkmal gibt – ähnlich wie die Frage des Tätigkeitsberichts – zwar Hinweise für die soziale Struktur und die Bedeutung des betreffenden Unternehmens, nicht aber können damit endgültige Aussagen für die Bedingungen dieses Unternehmens im Wettbewerb verbunden werden. Aber auch diese Feststellung bedarf unter einem Gesichtspunkt noch der Überlegung. Tatsächlich sind unter den derzeitigen wirtschaftspolitischen und sozialen Gegebenheiten Unternehmen von einer bestimmten Größe an „unsterblich“, nehmen also nur noch in eingeschränktem Maße an den negativen Konse22 Aktiengesellschaft und vor allem die GmbH müssen noch nicht einmal wirtschaftliche Ziele verfolgen; die ideelle Förderung des Künstlers oder die Verbreitung einer östlichen Glaubenslehre würden durchaus genügen. Vgl. dazu Hachenburg-Schilling, Kommentar zum GmbHG, 6. Aufl., § 1 Anm. 5; Baumbach-Hueck, Kommentar zum GmbHG, 13. Aufl., § 1 Anm. 1; Kraft, Kölner Kommentar zum AktG, § 3 Anm. 3. 23 Vgl. z. B. die Ausführungen im Bericht der Mitbestimmungskommission, a.a.O. (Fn. 4), S. 20 sub Nr. 13 und S. 86 ff. sub Nr. 76 ff. (insbes. Nr. 88).

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quenzen von Wettbewerb teil. Insofern sind die Marktgesetze zwar keineswegs aufgehoben; Konkurs und Liquidation sind ja nur die ultimae rationes des Wettbewerbssystems; aber sie sind reduziert; an ihre Stelle tritt ein Auffangsystem der öffentlichen Hand: Das Unternehmen ist von einer gewissen Größe an in eine neue soziale Kategorie gewachsen. [99] 2. Untersucht man auf diesem Hintergrund zunächst die geplanten Änderungen zur Mitbestimmung, so erscheinen wiederum drei Klarstellungen am Platze: Einmal kann hier nicht die ganze Breite der Vorschläge zu den verschiedensten Formen der Mitbestimmung erörtert und in die Überlegungen einbezogen werden; die folgenden Überlegungen gehen vom Entwurf der Bundesregierung von Februar 1974 und dessen Charakteristika aus: Sog. volle Parität von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat von Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmern sowie Sonderrechte für Gewerkschaftsvertreter. Zum anderen sind hier Annahmen über das künftige Verhalten von Menschen und Institutionen erforderlich; mir ist die Gabe der Prophetie nicht geschenkt worden und ich habe Grund zu der Annahme, daß es vielen anderen ähnlich ergeht. Man kann hier also nur Vermutungen äußern, aus heutigem Verhalten und historischen Erfahrungen extrapolieren, aber keine wahren Aussagen über die Zukunft machen. Schließlich und zum letzten wird nicht selten behauptet, paritätische Mitbestimmung habe keine Auswirkung auf das Verhalten des Unternehmens und der Menschen in ihm nach außen. Demgegenüber erachte ich es für zweifelsfrei, daß man von solchen Änderungen gegenüber dem Zustand von heute ausgehen muß; denn nichts anderes als der Wunsch nach gegebenenfalls anderer Entscheidung trägt den Wunsch nach einer Änderung der Unternehmensverfassung24. Verneint man diese Annahme, so wäre Gegenstand einer fast 50jährigen Debatte um Mitbestimmung nur die Ersetzung von Meier und Müller durch Huber und Höflich bei gleichen Interessen und gleichen Zielen. Das anzunehmen besteht kein Anlaß. 3. Mitbestimmung verwirklicht sich de lege lata und de lege ferenda im Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat ist jedoch selbst nicht am Markt tätig. Die folgenden Überlegungen müssen also bei seinen Wirkungen ansetzen und deren mittelbare Bedeutung für das Marktverhalten des Unternehmens analysieren. Insofern sind von Bedeutung die Personalhoheit des Aufsichtsrates über den Vorstand, d. h. sein Einfluß auf die Grundlagen der Geschäftspolitik durch Personalauswahl, die Mitwirkung des Aufsichtsrates an wichtigen geschäftspolitischen Entscheidungen, die unmittelbar über § 111 AktG, im übrigen aber auch mittel24

Ebenso Bericht der Mitbestimmungs-Kommission, a.a.O. (Fn. 4), S. 78 sub Nr. 58.

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bar über die Kontrollrechte und die Personalauswahl vom Aufsichtsrat bzw. der Hälfte seiner Mitglieder erzwungen werden kann, die Anwendung dieser Regeln auch im Konzern und damit die Verstärkung des Einflusses der abhängigen Gesellschaft auf das Gesamtunternehmen: einmal im eigenen Aufsichtsrat, zum anderen durch die Vertretung im Aufsichtsrat der Obergesellschaft25. [100] Diese Daten sind Parameter für Handlungen unterschiedlichster Motivation. Daher sei ihre mögliche Auswirkung unmittelbar am Marktgeschehen, d. h. auf die Intention der Wettbewerbsordnung hin erörtert. a) Marktzugang und Marktteilnahme aa) Große Unternehmen entstehen nicht mehr aus dem Nichts, sondern werden groß durch interne und externe Expansion. Insofern kann Mitbestimmung nicht unmittelbar mit Marktzugang in Verbindung gebracht werden. bb) Für die zentrale Frage der Kapitalbeschaffung ist eine ganze Gemengelage von Überlegungen und Motivationen möglich. Einmal ist die zu erwartende Kapitalrendite von Bedeutung, zum anderen die Sicherheit des investierten Kapitals und schließlich die Grenze der Selbstfinanzierung und der Substitution von Eigenkapital durch Fremdmittel. Zunächst wird man davon auszugehen haben, daß die Kapitalrendite paritätisch mitbestimmter Unternehmen im Durchschnitt niedriger liegen wird als die anders verfaßter Unternehmen: die Interessen der Arbeitnehmer sind immer auch betriebswirtschaftlich Kosten26. Gegenüber diesen höheren sozialen Kosten sollte die integrierende Wirkung von Mitbestimmung und eine damit verbundene höhere Leistungsfähigkeit nicht allzu hoch bewertet werden27. Hier könnten sich Finanzierungsschwächen ergeben, insbesondere soweit ausländisches Kapital in Frage steht. Auf der anderen Seite kann man mit einiger Vorsicht annehmen, daß die Sicherheit vor einem Kapitalverlust durch Konkurs in solchen Unternehmen eher höher liegen wird; das mitbestimmte Unternehmen wird daher möglicherweise eine höhere Fremdfinanzierungsquote erreichen und gewisse rentenähnliche, also auf Sekurität und nicht auf höchste Rendite bedachte 25 Vgl. dazu Martens, Mitbestimmung, Konzernbildung und Gesellschaftereinfluß, ZHR 138 (1974), S. 179 ff.; Hoffmann, Zu den konzernrechtlichen Bestimmungen des Regierungsentwurfes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, BB 1974, S. 1276 ff. 26 Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 87: „Die paritätische Mitbestimmung mindert die ökonomische Rentabilität … dahin, daß in mitbestimmten Unternehmen die Gesichtspunkte der sozialen Rentabilität künftig mehr zum Zuge kommen dürften.“ Vgl. auch Buchner, ZfA 1974, S. 147 ff., 176. 27 Vgl. z. B. Voigt, Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmungen. Eine Analyse der Einwirkungen der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland auf die Unternehmensführung, in: Weddigen, Zur Theorie und Praxis der Mitbestimmung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 24/I, Berlin 1962, S. 500, 503 f.

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Kapitalien an sich binden können. Zugang und Teilnahme am Markt werden, so muß man annehmen, von der Kapitalseite her nicht entscheidend berührt werden28. b) Marktfähigkeit Das mitbestimmte Unternehmen scheidet keineswegs aus dem fortbestehenden Wettbewerb aus, sondern muß grundsätzlich seine eigenen Daten denen des Marktes anpassen. Zu fragen ist also, ob ein so verfaßtes Unternehmen noch [101] im vollen Umfange auf Änderungen von Marktdaten reagieren kann, in vollem Umfange also marktfähig bleibt. Das hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, ob das paritätisch mitbestimmte Unternehmen aufgrund seiner internen Organisation zu marktgerecht rascher Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Lage ist. Daran kann für das normale Tagesgeschehen kaum ein vernünftiger Zweifel bestehen. Anders aber ist die Situation dort, wo schwerwiegende und kontroverse Fragen zu entscheiden sind, insbesondere solche, die sich auf Investition, Deinvestition und auf den personalen Bereich unmittelbar auswirken. Unter diesen Gesichtspunkten sollte man einer Unternehmensverfassung der vollen Parität sehr skeptisch gegenüberstehen. Denn volle Parität im Aufsichtsrat hat jedenfalls die Tendenz, sich als volle Parität in den Vorstand fortzusetzen, so daß dessen eigene Entscheidungsfindung schon von Überlegungen außerhalb rein unternehmensbezogener Daten bestimmt werden kann. Die bisherigen Erfahrungen zeigen daher Fälle der Entscheidungsunfähigkeit auch nicht nur im Aufsichtsrat, sondern auch im Vorstand durch dessen spiegelbildliche Besetzung einerseits, und Fälle der gefährlichen Entscheidungsverzögerung andererseits: Diese Tendenzen werden in Unternehmen, die als Konzerne organisiert sind, durch Mitwirkungsrechte des Aufsichtsrates der Tochtergesellschaft und des von diesem Aufsichtsrat abhängigen Vorstands der Tochtergesellschaft verstärkt. Das paritätisch mitbestimmte Unternehmen verliert also in schwierigen Fragen sein Reaktionsvermögen und seine Reaktionsgeschwindigkeit, den Charakter unternehmerischer

28 Ähnlich Zeitel, Mitbestimmung – Auswirkung auf Wettbewerb und Wirtschaftswachstum in Verbindung mit dem unternehmerischen Entscheidungsprozeß, in: Mitarbeiten, Mitverantworten, Mitbestimmen, Veröffentlichungen der Walther-Raymond-Stiftung, Bd. 7, Köln 1966, S. 55 u. 68 f. Anderer Ansicht die Mitbestimmungs-Kommission, die negative Auswirkungen für die Finanzierung erwartet, „wenn die Anteilseigner durch die Ausgestaltung der Mitbestimmung institutionell daran gehindert wären, auf die unternehmerischen Risiken entscheidend Einfluß zu nehmen.“ – a.a.O., S. 91 sub Nr. 89.

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Einheit, und kann auf diese Weise nicht unerhebliche Nachteile am Markt erleiden29. Die Feststellung ist jedoch durchaus ambivalent: Sie trifft nämlich alle Unternehmen in vergleichbarer Lage in durchaus gleicher Weise. Und sie weist zugleich auf einen künftigen Marktvorteil der kleinen und mittleren Unternehmen hin, der durchaus erwünscht und gewollt sein kann: Die Unternehmensverfassung wäre hier Teil einer wirtschaftspolitischen Strategie gegen das große Unternehmen, wobei allerdings die Grenzmarke – 2000 Arbeitnehmer – viel zu niedrig und das Merkmal der Größe zugleich völlig unabhängig von den strukturellen Bedürfnissen der betreffenden Wirtschaftseinheit angesetzt würde. c) Marktverhalten Die wohl schwierigsten Fragen im Zusammenhang mit der Einführung einer paritätischen Mitbestimmung beziehen sich auf das künftige Verhalten der betroffenen Unternehmen am Markt. Es gilt also zu prüfen, ob die Autonomie der Planung und Entscheidung des einzelnen Unternehmens durch die paritätische Mitbestimmung beeinträchtigt wird. Dabei ist zu beachten, daß in den Kreis der Unternehmensziele neben das bereits vorhandene Bündel aus Rentabilität, Marktanteil, Sicherung des Überlebens, Größe und Bedeutung als neues und legitimes Element die Arbeitnehmerinteressen an höheren Löhnen, Sicherung des Arbeits- [102] platzes, Minderung der Arbeitszeit und Stärkung der sozialen Einrichtung treten30. Auf diesem Hintergrund sind Verhaltensweisen möglich, die von den bislang üblichen Reaktionen auf bestimmte Marktdaten abweichen: Aufrechterhaltung von unrentablen Tätigkeitsbereichen zur Erhaltung von Arbeitsplätzen (wechselseitige Subventionierung von Geschäftsbereichen im Unternehmen)31; Änderungen des Verhältnisses von Investitionen im Sozialbereich zu den Innovationsinvestitionen32;

29 Zum Teil ebenso Zeitel, a.a.O., S. 59 ff.; a. A. Nemitz, Mitbestimmung und Wirtschaftspolitik (Gewerkschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Bd. 2), Köln 1967, S. 136 ff. 30 So auch Mestmäcker, Stellungnahme für den BT-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 7/2172, Protokoll-Nr. 62 über die Sitzung vom 19. 12. 1974, S. 85 sub Nr. 3. 31 Frickhöfer, Entfaltung, Freiheitsraum und Mitwirkung der Arbeitnehmer, in: Rationale und ehrliche Politik für eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, Aktionsgemeinschaft soziale Marktwirtschaft, Tagungsprotokoll Nr. 34, Ludwigsburg 1970, S. 70, 77; Voigt, in: Weddigen, Zur Theorie und Praxis der Mitbestimmung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 24/I, Berlin 1962, S.363 f., 511; Bericht der Mitbestimmungs-Kommission, S. 44 ff. sub Nr. 43 und S. 87 ff. sub Nr. 80 ff. 32 Das ist die notwendige Folge der Anerkennung gleichberechtigter ArbeitnehmerInteressen im Unternehmen. Vgl. auch Fn. 26.

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statt Umstellung von Produktionen und Suche nach neuen Märkten Druck auf die öffentliche Hand zur Einführung von Schutzmaßnahmen oder zur Leistung von Subventionen33; Ablehnung von Investitionen in marktgünstigen Bereichen im Hinblick auf die Art der Produktion (Fließband) oder des Produktes (private Schwimmbäder sind überflüssig und unsozial); Marktbeeinflussung durch Investitionsabsprachen u. ä.34; Ablehnung von Investitionen in Ländern ohne vergleichbare Lohn- und Gewerkschaftsstruktur; trotz ungünstiger Lohnstruktur Investitionen im Inland statt im Ausland. Für alle solche künftigen Verhaltensweisen von mitbestimmten Unternehmen lassen sich Anhaltspunkte finden, ohne daß aber damit schon gesagt wäre, daß über Einzelerscheinungen hinaus tatsächlich eine deutliche Änderung im Marktverhalten mit Einführung dieser Unternehmensverfassung eintritt. Sicher verliert das mitbestimmte Unternehmen an Reaktionsgeschwindigkeit; aber das mag gesamtwirtschaftlich in manchen Fällen sogar nützlich sein. Sicher wird sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch der Druck auf die öffentliche Hand verstärken; aber auch im nicht paritätisch mitbestimmten Unternehmen finden sich Arbeitnehmer und Verwaltung nur zu gerne im gemeinsamen Ruf nach Hilfe durch den Staat zusammen. Und zu Marktabsprachen potentiell bereit sind alle Unternehmen gleich welcher Verfassung auch immer. Andererseits stehen seit den Untersuchungen von Voigt35 und der Mitbestimmungs-Kommission fest, daß die Arbeitnehmer durchaus unternehmensegoistisch denken, stolz auf die Größe und Leistungsfähigkeit „ihres“ Unternehmens sind und sein wollen und daher nachhaltige Investitionen und erfolgversprechende Produktionen durchaus fördern. [103] Eindeutige Aussagen nach der einen oder anderen Richtung lassen sich daher nicht gewinnen, vor allem dann nicht, wenn man die Äußerungen manches geschwätzigen Gewerkschaftsmannes ebensowenig überbewertet wie das Poltern eines Unternehmensleiters. Sicher, und das sei wiederholt, wird das künftige Verhalten mitbestimmter Unternehmen nicht einfach identisch sein mit dem bisherigen Verhalten. Ob es aber auf jeden Fall und signifikant in der Reaktion auf die Marktdaten vom bisherigen Verhalten abweicht, läßt sich nicht mit Sicherheit vorausbestimmen. d) Diese Hinweise zum Marktverhalten paritätisch mitbestimmter Unternehmen sind noch mit einigen kurzen Überlegungen zu Fragen des Ausscheidens aus dem Wettbewerb sowie zur Konzentration und Dekonzentration fortzusetzen. -

Zeitel, a.a.O. (Fn. 28), S. 65 f., 69. Vgl. dazu unten sub e). 35 Siehe Fn. 31. 33 34

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aa) Je größer ein Unternehmen ist, desto seltener kann es vom Markt zum Ausscheiden aus dem Wettbewerb gezwungen werden; die gesellschaftlichen Beharrungskräfte sind hier stärker als die Marktkräfte. Diese Tendenz wird sich im paritätisch mitbestimmten Unternehmen verstärken36, wie sich der soziale und politische Druck auf den Gesetzgeber mit dem Ziel, eine Änderung der Marktdaten (Subvention, Zölle etc.)37 zu erreichen, noch wesentlich ausweiten wird. Immerhin kann man dies bei sehr großen Unternehmen schon heute feststellen, so daß insofern der Wunsch nach einer Mitwirkung anderer gesellschaftlicher Kräfte in solchen Unternehmen verständlich und vertretbar erscheint: Je mehr Risiken auf die Allgemeinheit verlagert werden, desto mehr kann auch der Einfluß des auf diese Weise geschützten Eigenkapitalgebers sinken. Andererseits geht es bei großen Unternehmen auch nicht mehr um ein vollständiges, sondern – viel entscheidender – um Fälle eines partiellen Ausscheidens aus dem Markt, kurz: Um Umstrukturierung und die Aufgabe unrentabler Produktionszweige innerhalb des großen Bereiches der gesamten Unternehmenstätigkeit. Hier werden sich im System der paritätischen Mitbestimmung noch erheblich mehr Probleme ergeben, als sie heute schon bestehen. Denn sind Arbeitnehmerinteressen mit einem Anteil von 50% im Aufsichtsrat als Unternehmensinteressen definiert, so ist evident, daß sie gerade in solchen Fällen gegenüber dem fortbestehenden Unternehmensinteresse Rentabilität volle Berücksichtigung verlangen werden: Die Reaktionsgeschwindigkeit des mitbestimmten Unternehmens gegenüber negativen Marktdaten sinkt deutlich und die unternehmerischen Alternativen werden um so geringer, je weniger ein Ausgleich innerhalb des Unternehmens möglich ist; die Situation bei der Volkswagen AG macht dies deutlich. bb) Externes Unternehmenswachstum ist eine legitime Reaktion auf veränderte Marktdaten. Die hiermit angesprochene Möglichkeit der Konzentration wird, wie die Erfahrung mit der Montanmitbestimmung lehrt, durch paritätische Mitbestimmung jedenfalls nicht negativ berührt38. Für die weggefallenen Positionen in den übernommenen Unternehmungen wurden jeweils Ersatzlösungen in Form von Beiräten etc. gefunden. Der zur Begründung der paritätischen Mitbestimmung [104] oft vorgetragene Hinweis auf die durch sie mögliche Kontrolle wirtschaftlicher Macht läßt sich in diesem Bereich sicher nicht nachweisen39. Andererseits sind aber auch keine Fälle der Dekonzentration mit der Folge eines Wegfalles der Mitbestimmung bekannt geworden. Zwar beruht dies auch auf bereits erörterten Mängeln des bestehenden Unternehmensrechts einschließlich des Steuerrechts, welche Dekonzentrationen und Entflechtungen praktisch 36 Biedenkopf, Reformen der Unternehmensverfassung zur Demokratisierung der Wirtschaft, in: 25 Jahre Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1972, S. 367, 371. 37 Zeitel, a.a.O. (Fn. 28), S. 65 ff. 38 Mitbestimmungs-Kommission, a.a.O., S. 45 sub Nr. 47. 39 Biedenkopf, a.a.O. (Fn. 36), S. 370 f.

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verhindern. Sollten solche Möglichkeiten künftig geschaffen werden – und die Vorschläge de lege ferenda hierzu mehren sich40 – so würden sie zugleich durch eine Unternehmensverfassung der paritätischen Mitbestimmung in ihrer Wirkung beseitigt; denn die Aufteilung eines paritätisch mitbestimmten Unternehmens in mehrere, nicht mehr paritätisch mitbestimmte Teile ist nicht vorstellbar: Der Weg in die paritätische Mitbestimmung ist politisch und praktisch eine Einbahnstraße. e) Marktstruktur Wettbewerbsordnung und geltendes Unternehmensrecht sind je für sich auf Dezentralisation und Machtkontrolle angelegt41. Für die Wettbewerbsordnung ist die ständige Gefährdung erreichter Positionen durch den Markt das zentrale Element; kann diese Kontrolle nicht mehr stattfinden, so spricht man zutreffend von Beherrschung des Marktes. In ähnlicher Weise ist auch das Unternehmensrecht auf checks and balances angelegt. Das wird am ursprünglichen Organisationsmodell der Aktiengesellschaft deutlich, bevor es mit den bislang ungelösten Problemen der großen Zahl konfrontiert wurde. Und auch hier entstehen die rechtlichen Schwierigkeiten vor allem dann, wenn die Selbständigkeit der rechtlichen Einheit und das System der Gewaltenteilung in Beherrschung umbrechen42. Beide Bereiche, Marktordnung und Unternehmensrecht, gehen nun einheitlich von einem Fall der Herrschaft dann aus, wenn zwar mehrere Unternehmen bestehen und tätig sind, ihre personelle Leitung aber weitgehend identisch ist bzw. von einer dritten Seite her gleichgeschaltet werden kann. Bei der Reaktion gegen die Gefahren einer Herrschaft für Markt und Unternehmen hat die Marktordnung mit der sogenannten Fusionskontrolle43 einen Vorsprung vor dem nach wie vor eher konzentrationsfreundlichen Unternehmensrecht gewonnen. Nun aber soll ausgerechnet mit der geplanten neuen Unternehmensverfassung die Gefahr der Herrschaft in einem bisher ungeahnten Maße dadurch geschaffen werden, daß den Gewerkschaften ein Anspruch auf Sitz und Stimme in den Aufsichtsräten der 700 größten Unternehmen der Bundesrepublik eingeräumt wird. Und dieses Modell wird entwickelt, gefördert und verfolgt, obwohl die Gewerkschaften selbst Unternehmen der entsprechenden Branchen betreiben, – man muß nur an die privaten Großbanken einerseits und die Bank für Gemeinwirtschaft andererseits denken; [105]

Duden und Schilling, a.a.O. (Fn. 20). Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, Berlin 1973, S. 26 ff. 42 Daher knüpft eine Vielzahl aktienrechtlicher Sondervorschriften heute am Begriff des herrschenden Unternehmens nach § 17 AktG an. 43 §§ 23 ff. GWB in der Fassung vom 4. 4. 1974. 40 41

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obwohl bekannt ist, daß heute schon bestimmte Absprachen nicht von den Unternehmensleitungen, sondern von den Betriebsräten getroffen werden; obwohl gewerkschaftliche Tätigkeit ihrem Wesen gemäß überbetrieblich ist; der Ausgleich divergierender Interessen von Anteilseignern und Arbeitnehmern muß daher keineswegs auf der Grundlage der Interessen des paritätisch mitbestimmten Unternehmens erfolgen44; obwohl manche Vertreter der Gewerkschaften ganz offen die Möglichkeit der Koordination wirtschaftlicher Entscheidungen durch ihren Einfluß aus der paritätischen Mitbestimmung erörtern und obwohl gerade die Gewerkschaften über Jahrzehnte hin – sicher nicht ganz zu Unrecht – zu den engagiertesten Kritikern des Bankenstimmrechts gehörten. Im Bereich dieser wettbewerbspolitischen Überlegungen liegen die größten Gefahren aus der paritätischen Mitbestimmung für eine ausgewogene, auf die Wettbewerbsordnung bezogene Unternehmensverfassung. Auch wenn die Gewerkschaften derzeit weder gewillt noch in der Lage sind, die Fülle der ihnen zuwachsenden Macht auch tatsächlich auszuüben, widerspricht das ihnen zugedachte Privilegium des umfassenden Einflusses doch allen Regeln einer freiheitlichen Ordnung, offensichtliche Gefahren für das Machtgleichgewicht in Wirtschaft und Gesellschaft keinesfalls zuzulassen, geschweige denn sie selbst zu schaffen. Hieraus erwächst die Gefahr, daß die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Unternehmen eingeengt wird mit der Folge, daß sie nicht mehr in der Lage sind, die ihnen von der Wettbewerbsordnung zugedachten Funktionen zu erfüllen45. Biedenkopf46 geht an dieser Stelle noch weiter, wenn er – unabhängig von Sondereinflüssen der Gewerkschaften – die paritätische Mitbestimmung insgesamt als ordnungspolitisches Problem sieht: -

„… Die Idee der Unternehmensverfassung überhöht die Autonomie des Unternehmens durch organisatorische Auflösung der die Autonomie domestizierenden Interessengegensätze im Unternehmen. Da diese gegenläufigen Interessen in organisierter Form handeln und dies zur Verwirklichung ihrer Repräsentation auch müssen, werden durch die Unternehmensverfassung organisierte Interessen im Unternehmen integriert und diesem Prozeß die Fähigkeit zur Legitimation wirtschaftlicher Macht zugesprochen. Es gibt keinen demokratischen Staat, der, des kontrollierenden Gleichgewichts divergierender Interessenpluralismen beraubt, eine derartig legitimierte marktbeherrschende Autonomie politisch domestizieren könnte …“

3. Vermögensbildung Wurde in den zurückliegenden Überlegungen dem Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung als Teil einer möglichen künftigen UnternehmensverfasMestmäcker, a.a.O. (Fn. 30), S. 86. Nemitz, a.a.O. (Fn. 29), S. 149. 46 A.a.O. (Fn. 36), S. 376. 44 45

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Unternehmensverfassung und Wettbewerbsordnung

sung und der bestehenden Wettbewerbsordnung ein relativ breiter Raum gewidmet, so können die Fragen von Vermögensbildung und Unternehmensverfassung etwas [106] verkürzt vorgetragen werden. Sie betreffen im wesentlichen zwei Aspekte: Einmal den Aspekt der Kapitalrendite und zum anderen den der Marktstruktur. a) Zuvor sind wiederum ein paar kurze Vorbemerkungen zum Problem der Vermögensbildung erforderlich. aa) Obwohl zu Beginn dieser Überlegungen auf die Diskussion verfassungsrechtlicher Fragen ausdrücklich verzichtet wurde, sei der Hinweis gestattet, daß die sogenannte Überparität der Arbeitnehmer in einem entscheidenden Gremium des Unternehmens – wie etwa dem Aufsichtsrat – nahezu einhellig als verfassungswidrig bezeichnet wird47. Vermögen aber bedeutet nach unserer Vorstellung auch Einfluß aus der Verwaltung des Vermögensgegenstandes, bei unternehmerischer Beteiligung also etwa das Stimmrecht. Das aber würde zusammen mit paritätischer Mitbestimmung zur unmittelbaren oder mittelbaren Überparität der Arbeitnehmer führen48: Nach Einführung der paritätischen Mitbestimmung ist die gesetzliche Förderung der industriellen Vermögensbeteiligung von Arbeitnehmern ausgeschlossen; Vermögensbildung im industriellen Bereich und paritätische Mitbestimmung schließen sich gegenseitig aus. bb) Die Integration des Arbeitnehmers in das Unternehmen, die Stärkung seiner Möglichkeiten und seiner Bereitschaft zur Übernahme von Mitverantwortung sind ein sozial- und gesellschaftspolitisch nicht nur achtenswertes, sondern ungemein wichtiges Vorhaben49. Im System der geltenden Eigentums- und Wirtschaftsordnung erscheint die Verwirklichung dieser Integration über Vermögensbildung allein zutreffend und erfolgversprechend; denn persönliches Vermögen mit Erträgen, Dispositionsbefugnis und persönlichem Einfluß daraus ist die Folge der Beteiligung, ein Wahlrecht zur Auswahl von zehn Aufsichtsratsmitgliedern aus vielen Tausenden von Arbeitnehmern alle fünf Jahre einmal die Folge des Systems der paritätischen Mitbestimmung: Sie ist ganz offenbar von der hier allein entscheidenden Integration des Arbeitnehmers wesentlich weniger erfolgverspre-

47 Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, Berlin 1974, S. 64 und 88. A. A. nur Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, Frankfurt/M. 1973, S. 268 f. und 411 ff. 48 Vgl. dazu Mestmäcker, über Mitbestimmung und Vermögensverteilung, Walter Eucken Institut, Vorträge und Aufsätze, Heft 43, Tübingen 1973, S. 10 ff. 26; Scheuner, Überbetriebliche Ertragsbeteiligung, S. 70 ff.; Zacher, in: Festschrift für Berber, 1973, S. 49, 57 ff.; Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 65; Noppeney, Kritische Bemerkungen zum geplanten Vermögensbeteiligungsgesetz, DB 1974, S. 968 ff. (970); Wöhe, Die Interdependenzen zwischen Vermögensbildung, Gewinnbeteiligung und Mitbestimmung, Die AG 1974, S. 97 ff. (105). 49 Näheres dazu in meinen Schriften „Der Aktionär in der Marktwirtschaft“, Berlin 1973, S. 26 ff., 30 ff. und „Vermögensbildung und Unternehmensrecht“, Karlsruhe 1975, S. 12 ff.

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chend. Kurz: im Grunde ist paritätische Mitbestimmung nur auf Machtverlagerung und nicht auf Integration hin angelegt. b) Vermögensbildung in der Hand der Arbeitnehmer hat eine entsprechende Minderung der Erträge bzw. der Vermögensbildung bei den Kapitaleignern zur Folge; die Kapitalrendite sinkt notwendigerweise. Würde jedoch – was in diesem Zusammenhang unabdingbar erscheint – zunächst einmal eine Mindestrendite für den Kapitaleigner vorgesehen, welche seine Kapitalhingabe und seine Risikoübernahme zugleich berücksichtigt, so erscheint eine solche Lösung immerhin vertretbar. Das gilt um so mehr, wenn man bedenkt, daß heute schon mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer die sogenannte Eigenleistung nach dem 3. Vermögens- [107] bildungsgesetz, also dem 624-DM-Gesetz, vom Arbeitgeber erhalten, vom Unternehmen geförderte Vermögensbildung also bereits in breitem Maße praktiziert wird50. Andererseits werden auch durch eine solche Vermögensbildung in besonderem Maße neue Machtstrukturen geschaffen, starke zentrale Tendenzen im dezentralen System von Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung dann angelegt, wenn diese Vermögensbildung überbetrieblich durch Fonds statt betrieblich erfolgt. So sehr Vermögensbildung als notwendig im System einer dezentralen Wettbewerbsordnung und einer das Eigentum garantierenden Gesellschaftsordnung anzusehen ist, so sehr gerade sie eine offene Gesellschaft und eine lebendige Wettbewerbsordnung garantieren kann, so sehr muß man sehen, daß jede allgemeine Lösung nach den Vorstellungen der Bundesregierung51 mit über 20 Millionen Berechtigten und wenigen Fonds dem offenen System einer Wettbewerbsordnung in ganz ähnlicher Weise widerspricht52 wie die Schaffung eigener gewerkschaftlicher Rechte im System der paritätischen Mitbestimmung. Sozialpolitisch zweckmäßig und wettbewerbspolitisch vertretbar ist daher nur eine betriebliche Vermögensbildung. VI. Schlußbemerkungen 1. In einer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung repräsentieren Markt und Wettbewerb die Interessen aller Bürger und der Gemeinschaft selbst an wirtschaftlicher Tätigkeit; sie gilt es mit Energie und Überzeugung zu sichern. 50 Einzelheiten dazu in meiner Schrift „Vermögensbildung und Unternehmensrecht“, a.a.O., S. 31 f. 51 Vgl. BMfA, Sozialpolitische Informationen, Sonderausgabe vom 2. 2. 1974 = BABl. 1974, S. 85 ff. 52 Näheres dazu in meiner Abhandlung „Vermögensbildung – so nicht“, Das Wertpapier 1974, S. 261 ff.

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Unternehmensverfassung und Wettbewerbsordnung

2. In diesem System sind Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung keine unverbundenen Größen, sondern sind bestimmende Teile einer Wirtschaftsordnung und daher notwendig aufeinander bezogen. Die Unternehmen in einer Wettbewerbsordnung sollten daher so organisiert sein, daß ihr tatsächliches Verhalten dem von der Wettbewerbsordnung gewünschten Verhalten möglichst weitgehend entspricht. 3. In dem Bezugssystem von Wirtschaftsordnung, Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung hat letztere eine doppelte Funktion: Unternehmensverfassung gewährleistet zu ihrem Teil die individuelle Gewerbefreiheit des Art. 12 GG und dient zugleich der Verwirklichung der Wettbewerbsordnung. Die Unternehmensverfassung hat daher u. a. durch eine Vielzahl von Formen die Möglichkeiten der Marktteilnahme zu fördern, die unterschiedlichen Bedingungen der Marktteilnahme wie insbesondere persönliche Fähigkeiten und Kapital zu koordinieren, durch entsprechende Organisation der internen Verfassung von Unternehmen für eine möglichst klare und reibungslose Umsetzung der Marktimpulse in Marktentscheidungen zu sorgen und die Widerstandslinie gegen die Marktdaten tendenziell gering zu halten, [108] die innere und äußere Verfassung von Unternehmen so zu gestalten, daß sich Positionen gegen den Markt möglichst nicht bilden können bzw. zur Auflösung angeregt werden. 4. Unternehmen ist nicht nur Marktsubjekt, sondern auch sozialer Verband, organisierter Herrschaftsverband, in dem viele und nicht selten sehr viele Menschen einen wichtigen Teil ihres Lebens verbringen und verwirklichen. Paritätische Mitbestimmung als Änderung der Unternehmensverfassung ist unmittelbar nicht auf das Unternehmen als Marktsubjekt, sondern auf das Unternehmen als Herrschaftsverband bezogen. Dennoch ist unabweisbar, daß sie als Teil der Unternehmensverfassung auf das Marktverhalten, das Marktgeschehen und auf die Herrschaftsstruktur in der Wirtschaft wirken kann: allgemein durch die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen als gleichberechtigte Unternehmensinteressen, die mit den bisherigen Unternehmensinteressen identisch sein können, aber nicht identisch sein müssen und dann marktrelevant werden; im besonderen u. a. durch o Verlust an Reaktionsmöglichkeit und Reaktionsgeschwindigkeit auf veränderte Marktdaten, o Minderung der Kapitalrendite und daraus folgende Finanzierungsschwierigkeiten, o gezielte Einflüsse auf das Marktgeschehen durch Absprachen und Abstimmungen;

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hinsichtlich der Herrschaftsstruktur durch Schaffung von Einflußprivilegien für eine einzelne gesellschaftliche Gruppe (Gewerkschaft). 5. Herrschaft widerspricht der Grundvorstellung von Wettbewerb und der Freiheitssicherung durch ihn. Das Wettbewerbsrecht hat daher auch für die Offenheit des Marktes zu sorgen. Soweit Marktherrschaft gerade durch das Unternehmensrecht befördert wurde und wird, stehen heute Instrumente zur Verfügung (die sog. Fusionskontrolle) und sind weitere zu entwickeln (z. B. Unternehmensteilung). 6. Das tendenziell herrschaftsfreie System aus Wettbewerbsordnung und Unternehmensverfassung wird durch paritätische Mitbestimmung mit Privilegien für Gewerkschaften ernsthaft gefährdet aufgrund der Möglichkeiten für eine mehr oder minder stark ausgeprägte Herrschaft durch eine gesellschaftliche Gruppe. 7. Einer streng unternehmensbezogenen Mitbestimmung ohne gewerkschaftliche Teilnahme und mit effizienten Formen zur Verhinderung von Pattsituationen im Aufsichtsrat (z. B. 3-Bänke-Modell) stünden Erfordernisse und Prinzipien der Wettbewerbsordnung in wesentlich geringerem Maße entgegen; ihr gesellschaftspolitischer Nutzen erscheint aber nicht gesichert. Demgegenüber entspricht betriebliche Vermögensbildung mit entsprechenden Anteilsrechten der Arbeitnehmer und ohne Erweiterung der reinen Arbeitnehmer-Mitbestimmung den Daten einer leistungsfähigen Wettbewerbsordnung und einer ausgeglichenen Unternehmensverfassung ebenso wie denen einer auf das Individuum – statt auf gesellschaftliche Gruppen – bezogenen Eigentums- und Sozialordnung. -

Mitbestimmung und Schadensabwehr* IN: DAMM/HEERMANN/VEIL, FESTSCHRIFT FÜR THOMAS RAISER ZUM

70. GEBURTSTAG, BERLIN 2005, S. 259-271 Inhaltsübersicht** I. II. III. IV. V.

Was war geschehen? ....................................................................................... 259 Arbeitsrechtliche Betrachtung ....................................................................... 261 Gesellschaftsrechtliche Betrachtung ............................................................. 263 Verhältnismäßigkeit ........................................................................................ 269 Summa und Ausblick ...................................................................................... 270

Thomas Raiser hat sich ein ganzes wissenschaftliches Leben lang mit Unternehmensverfassung1 und Mitbestimmung2 befasst – von vielen anderen Fragen abgesehen; und sein Kommentar zum MitbestG von 19763 zeugt mit seinen vier Auflagen vom Einfluss seines Autors auf die Lösung und Beantwortung dieser Fragen. Die Autoren dieser Zeilen freuen sich daher, mit Thomas Raiser über den wohl „lautesten“ Fall der qualifizierten Mitbestimmung in den fünfundzwanzig4 oder gar fünfzig Jahren5 ihrer Existenz diskutieren zu können: den Fall Bsirske. I. Was war geschehen? 1. Frank Bsirske war und ist nicht nur Vorsitzender der Gewerkschaft Ver.di, sondern auch von seiner Gewerkschaft vorgeschlagenes Mitglied des Aufsichtsrats der Lufthansa AG und dessen stellvertretender Vorsitzender. Im DezemGemeinsam mit Karlheinz Quack. Anm. d. Hrsg.: Die Übersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original. 1 Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969. 2 Raiser, Grundgesetz und paritätische Mitbestimmung, 1975. 3 Raiser, Mitbestimmungsgesetz, 4. Aufl., 2002. 4 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 1976 (BGBl 1976, 1153). 5 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951 (BGBl 1951, 347). *

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Mitbestimmung und Schadensabwehr

ber 2002 stand die Gewerkschaft Ver.di in schwierigen Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern der öffentlichen Hand. Um deren Widerstand zu schmälern oder gar zu brechen, beantragte die zuständige Tarifkommission bei der Bundesstreikleitung der genannten Gewerk- [260] schaft einen Warnstreik bei Beschäftigten der Flughäfen Frankfurt am Main und München für wenige Stunden am frühen Vormittag des 17. 12. 2002. Herr Bsirske war zu dieser Zeit weder Mitglied der Tarifkommission von Ver.di noch gehörte er der Bundesstreikleitung an. Von dem geplanten Warnstreik hat er aber gewusst und sich ihm nicht widersetzt, obwohl der Vorstand der Lufthansa Herrn Bsirske noch am 16. 12. 2002 in einem offenen Brief dringend um Aufgabe der Streikpläne an einem der buchungsstärksten Tage des Jahres 2002 gebeten hatte. Im Gegenteil: er hat in Interviews die Arbeitnehmer der Flughäfen für Teilnahme an dem Warnstreik aufgerufen.5a Die Lufthansa selbst war am Tarifkonflikt nicht beteiligt. Dennoch war der Warnstreik gerade auf ihre Drehkreuze Frankfurt am Main und München konzentriert. Der Streik hatte nahezu chaotische Folgen: 252 Flüge mussten gestrichen werden, weitere 75 Flüge konnten nur mit erheblicher Verspätung starten; gut 10000 Geschäfts- und Urlaubsreisende waren an dem besonders verkehrsreichen Vor-Weihnachtswochenende von dem Streik betroffen. Der der Lufthansa entstandene Schaden beläuft sich auf mindestens € 10 Mio. Die nachfolgende Jahreshauptversammlung der Lufthansa am 18. 06. 2003 hat Herrn Bsirske deswegen die Entlastung verweigert. 2. An dem Warnstreik auf den Flughäfen Frankfurt am Main und München haben sich vor allem die Beschäftigten der Flughafen-Feuerwehren beteiligt. Sie sind (oder gelten als) Arbeitnehmer der betreffenden Flughäfen. Die Fraport AG, Betreiberin des Flughafens Frankfurt am Main, war seinerzeit aufgrund ihrer Mitgliedschaft zum hessischen Arbeitgeberverband des öffentlichen Dienstes in die Tarifauseinandersetzung mit Ver.di involviert. Der Flughafen München ist zwar keinem Arbeitgeberverband angeschlossen, wendet aber, wie die Fraport AG, den Bundesmanteltarifvertrag für gemeindliche Arbeiter (BMT) und den BAT in der jeweils gültigen Fassung aufgrund Inbezugnahme in den Arbeitsverträgen auf die bestehenden Arbeitsverhältnisse an. „Zuständige Gewerkschaft“ für beide Flughäfen ist demnach Ver.di. Am Flughafen Frankfurt am Main haben ausschließlich Mitarbeiter der Flughafen-Feuerwehr, am Flughafen München haben neben Mitarbeitern der Flughafen-Feuerwehr auch Mitarbeiter der Bodenverkehrsdienste (insgesamt waren es ca. 460 Mitarbeiter) gestreikt. Wegen der bestehenden Sicherheitsbestimmungen

5a Hanau/Wackertarth, Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit, 2004, S. 70; Bender/Vater, DStR 2003, 1807, 1808.

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konnte der Flugverkehr trotz betrieblicher Notstandsvereinbarungen nicht aufrechterhalten werden. [261] 3. Aktionäre der Lufthansa AG haben den Vorstand der Gesellschaft während der Hauptversammlung 2003 aufgefordert, Herrn Bsirske auf Ersatz des der Lufthansa erwachsenen Schadens in Anspruch zu nehmen. Wäre Herr Bsirske ersatzpflichtig, müsste der Vorstand dieser Aufforderung nachkommen.6 II. Arbeitsrechtliche Betrachtung 1. Für jedermann und für alle Berufe ist das Recht gewährleistet, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, Art. 9 Abs. 3 GG. Den Schutz des Grundgesetzes genießt damit auch der Arbeitskampf und der Streik.7 Mit Hilfe des Streiks sollen Tarifforderungen durchgesetzt oder sonstige Verbesserungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erreicht werden. Arbeitskämpfe sind (nur) zur Durchsetzung von Tarifforderungen zulässig8 und sie sind – nach dem Ende der Friedenspflicht – das letzte Mittel, um einen Tarifabschluss zu erreichen. Das Recht, Arbeitskampfmittel einzusetzen, wenn das Streikziel mit anderen Mitteln nicht zu erreichen ist, folgt unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG, nicht aber, wie manche meinen, bedarf es eines Umweges über Art. 2 Abs. 1 GG.9 In seiner jüngeren Rechtsprechung geht das Bundesverfassungsgericht dabei davon aus, dass sich der Grundrechtsschutz auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erstreckt. Es schützt die Koalitionen in ihrem Bestand und ihre Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte. Anders als früher ist der Schutz nicht mehr nur auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung beschränkt, sondern er erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen.10 2. Allerdings geht auch das Bundesverfassungsgericht nicht davon aus, dass das Grundrecht schrankenlos gewährt werde, im Einzelfall müssen sowohl die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung und das Gewicht der etwa entgegenstehenden Rechtsgüter abgewogen werden.11 Das Arbeitskampfrecht genießt also grundgesetzlichen Schutz, und deswegen müssen Arbeitskämpfe grundsätzlich

BGHZ 135, 244. Scholz in Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Stand Februar 2003, Art. 9 Rn. 313 ff. 8 Vgl. nur BAG 05. 03. 1985 – 1 AZR 468/83 – AP Nr. 85 zu Art. 9 GG. 9 Siehe dazu Scholz, aaO., Rn. 315. 10 Vgl. dazu BVerfGE 100, 214 und davor BVerfGE 93, 352. 11 BVerfGE 100, 214. 6 7

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hingenommen werden, und dies auch dann, wenn das von einem Arbeitskampf betroffene Unternehmen arbeitskampfbedingte Schädigungen erleidet. [262] 3. Der Arbeitgeber hat das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko zu tragen. Er ist also verpflichtet, die Arbeitsentgelte auch dann zu zahlen, wenn er die Belegschaft, ohne dass er dies zu vertreten hätte, aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann (Betriebsrisiko) oder wenn die Fortsetzung des Betriebes wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird (Wirtschaftsrisiko).12 Von diesem allgemeinen Betriebs- und Wirtschaftsrisiko ist freilich das besondere Risiko zu unterscheiden, welches Arbeitskämpfe mit sich bringen (Arbeitskampfrisiko). Auch dieses Risiko trifft den Arbeitgeber, er hat es zu tragen. Es unterscheidet sich – vom Lohn und Gehalt der Streikenden abgesehen – im Grundsatz weder vom Betriebs- noch vom Wirtschaftsrisiko. Deswegen kann der Arbeitgeber die ihm entstehenden (oder entstandenen) arbeitskampfbedingten Schäden nicht auf den streikenden Tarifpartner überwälzen, sofern dieser die Voraussetzungen eines legitimen Streiks erfüllt. Gilt dies für den „normalen“ Erzwingungsstreik, so gilt dies auch für den „Warnstreik“. Als sogenannte verhandlungsbegleitende Maßnahme darf er, auch ohne dass zuvor das Scheitern der Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien ausdrücklich erklärt worden wäre, begonnen werden. In dem Warnstreik liegt nämlich – konkludent – die Erklärung, die Arbeitnehmerseite betrachte die Verhandlungen als gescheitert. Und das reicht aus, um einen Warnstreik rechtmäßig zu machen.13 Sind Warnstreiks rechtlich nicht anders zu behandeln als „normale“ Erzwingungsstreiks, sind sie – liegen die sonstigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Streiks vor – dann rechtens, wenn die Arbeitskampfmaßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit14 nicht verletzt. Der Streik darf also nicht auf die Vernichtung der Existenz der Gegenseite abzielen (Missbrauchsverbot), und die kampfführenden Parteien dürfen nicht objektiv zweckwidrig und rücksichtslos von den ihnen zu Gebote stehenden Kampfmitteln Gebrauch machen,15 und es müssen auch während eines Arbeitskampfes solche Arbeiten ausgeführt werden, die erforderlich sind, um die Anlagen und Betriebsmittel so zu erhalten, dass nach Beendigung des Arbeitskampfes die Arbeit fortgesetzt werden kann, und solche Arbeiten müssen erledigt werden, die die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern sicherstellen.

Siehe dazu BAG 22. 12. 1980, DB 1981, 321. Vgl. BAG 21. 06. 1988 – AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, aber auch die aufgegebene Rechtsprechung zu den vorangegangenen Arbeitskampfurteilen vom 17. 12. 1976 – AP Nr. 51 zu Art. 9 GG – und 12. 09. 1984 – AP Nr. 81 zu Art. 9 GG –. 14 Vgl. BAG 21. 04. 1971 – AP Nr. 43 zu Art. 9 GG –. 15 Vgl. BAG 30. 03. 1982 – AP Nr. 74 zu Art. 9 GG – und wegen weiterer Einzelheiten unten zu II.1. 12 13

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Wird schließlich auch das Ultima-Ratio-Prinzip beachtet, ist auch der Warnstreik (der regelmäßig punktuell geführt wird) jedenfalls insoweit [263] rechtmäßig, als er sich gegen eine Tarifvertragspartei richtet, auf die die Kampfmaßnahme unmittelbar zielt. 4. Ein Streik (auch ein Warnstreik) wirkt nicht nur gegen die unmittelbar Kampfbetroffenen, sondern auch gegen solche Dritte, die, ohne selbst Partei des Tarifkonfliktes zu sein, von der Kampfmaßnahme betroffen sind. Denn das drittbetroffene Unternehmen bleibt verpflichtet, seine Arbeitnehmer zu entlohnen, kann also nicht die Zahlung der Arbeitsentgelte verweigern, trägt also das Wirtschaftsrisiko auch zu dieser Situation.16 Der legitime Streik, auch der sogenannte Warnstreik, ist grundgesetzlich geschützt. Auch die von einem Streik nur mittelbar betroffenen Unternehmen haben keinen Anspruch darauf, ihn mit dem Ziel der Verhinderung zu beeinflussen. Auch dies folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG. III. Gesellschaftsrechtliche Betrachtung 1. a) Aufsichtsräte einer Aktiengesellschaft stehen zu dieser in keinem Vertragsverhältnis, sondern in einem rein korporativen Rechtsverhältnis, einem privaten Amtsverhältnis.17 Aufgrund dieses privaten Amtsverhältnisses sind sie nicht nur zu sorgfältiger Erfüllung ihrer Aufgaben als Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet (§§ 116, 93 Abs. 1 AktG), sondern auch zu Treue und Loyalität gegenüber „ihrer“ Gesellschaft.18 Das bedeutet, dass sie Schäden von der Gesellschaft abzuwenden und in jeder Beziehung deren Interessen zu fördern haben; sie sind zur Wahrung der Interessen ihrer Gesellschaft (hier: Lufthansa), also auf das sogenannte Unternehmensinteresse verpflichtet.19

Vgl. BAG 22. 12. 1980, DB 1981, 321. Vgl. Semler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 101 Rn. 137, 155 ff.; Hüffer, Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 101 Rn. 2; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl., Rn. 712; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4 – Aktiengesellschaft, 2. Aufl., § 33 Rn. 10; Henn, Handbuch des Aktienrechts, 7. Aufl., Rn. 672. 18 Unstreitig, vgl. Hüffer, aaO., § 116 Rn. 4; Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, § 52 Rn. 44; Fleck, FS Heinsius, 1991, S. 89, 90; ausf.: Mertens in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 116 Rn. 22 ff.; MünchKommAktG-Semler (Fn. 17), aaO., § 116 Rn. 169ff.; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl., § 15 Rn. 121 ff. 19 Unstreitig, vgl. etwa BVerfGE 50, 290, 374; BGHZ 36, 296, 306, 310 und BGH NJW 1979, 1823, 1826; Hüffer, aaO., § 116 Rn. 5; Kölner Komm.-Mertens (Fn. 18), aaO., Vorb. § 95 Rn. 9 ff.; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, 5. Aufl., Rn. 108, 108.1; Lutter/Krieger, aaO., Rn. 765; MünchKommAktG-Semler (Fn. 17), aaO., § 116 Rn. 174; Schiedermair/Kolb in Beck’sches Handbuch der AG, 2004, § 7 Rn. 245; Raiser, aaO. 16 17

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b) Aufsichtsräte sind – anders als Vorstandsmitglieder – nicht mit ihrer ganzen Zeit und Kraft für die Gesellschaft tätig, sondern üben ein Nebenamt [264] aus.20 Das Gesetz zeigt das deutlich mit § 110 Abs. 3 AktG, wonach der Aufsichtsrat von Lufthansa (nur) vier Mal pro Jahr zusammentreten muß. Auch wenn die Aufgaben des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder seit dem KonTraG und dem TransPuG deutlich gestiegen sind,21 bleibt das Aufsichtsratsamt doch weiterhin ein Nebenamt. Das bedeutet, dass die meisten Aufsichtsräte ihre berufliche Haupttätigkeit in anderen Funktionen erfüllen. Für die Vertreter der Arbeitnehmer liegt das auf der Hand, es gilt aber auch für die Vertreter der Anteilseigner. Und das bedeutet weiter, dass sie – erneut anders als Vorstandsmitglieder – wegen dieser anderen Tätigkeiten häufig in Interessenkonflikte zwischen ihrer Haupt- und ihrer Nebentätigkeit geraten können.22 Für die Lösung dieser Konflikte gilt nicht der Satz, dass die Interessen der Gesellschaft stets Vorrang haben müssten. Andererseits hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21. 12. 1979 (Schaffgotsch)23 mit klaren Worten deutlich gemacht, dass die Gesellschaft durch eigenes Handeln ihrer Aufsichtsratsmitglieder oder durch deren Einflussnahme auf andere Personen jedenfalls nicht geschädigt werden darf.24 Anders gewendet: der Konflikt muss nicht unbedingt immer zum Vorteil der Gesellschaft gelöst werden,25 darf aber auf keinen Fall zu ihrem Schaden führen.26 c) Alle Mitglieder eines Aufsichtsrats haben gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Auch das hat der Bundesgerichtshof wiederholt und nachdrücklich betont.27 Insbesondere gibt es keine Sonderrechte oder Sonderpflichten für Aufsichtsräte der Anteilseigner oder solche der Arbeitnehmer: alle Aufsichtsräte sind in ganz der gleichen Weise auf das Wohl ihrer Gesellschaft, zu Treue und Loyali20 Vgl. Fleck, aaO.; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Aufsichtsräte, 2004, § 12 Rn. 82; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, 6. Aufl., Rn. 790. 21 Vgl. dazu Lutter ZIP 2003, 417. 22 Geradezu prototypisch gilt das für Aufsichtsräte, die leitende Funktionen in einer Bank ausüben; vgl. dazu Lutter, Bankenvertreter im Aufsichtsrat, ZHR 145 (1981), S. 224 ff.; ders., Interessenkonflikte durch Bankenvertreter im Aufsichtsrat, Recht der Wirtschaft (Österreich) 1987, 314 ff.; vgl. auch Marsch-Barner, aaO., § 12 Rn. 83. Das Gesetz akzeptiert diese Gefahr und sorgt jedenfalls für Transparenz (§§ 124 Abs. 3 Satz 2 AktG, 285 Nr. 10 und 340 a Abs. 4 Nr. 1 HGB). 23 NJW 1980, 1629 mit Anm. Ulmer NJW 1980, 1903 ff. 24 Vgl. dazu vor allem Ulmer, aaO. 25 Beispiel: Vertragsverhandlungen mit einer dritten Gesellschaft, in der das Aufsichtsratsmitglied leitende Funktionen ausübt; eingehend dazu Fleck, aaO. 26 Vgl. noch einmal BGH NJW 1980, 1629. 27 BGHZ 64, 325, 330 (Bayer); 83, 106, 120 (Siemens); 83, 144, 147 (Dynamit Nobel); 83, 151, 154 (Bilfinger + Berger); 99, 211, 216; ausführlich zum ganzen etwa MünchHdb AG-HoffmannBecking (Fn. 17), aaO., § 33 Rn. 1 ff.

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tät ihr gegenüber und zur Vermeidung jeder Schädigung [265] ihrer Gesellschaft verpflichtet. Das ist auch die ganz und gar einhellige Meinung in der Literatur.28 d) Für Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmer – wie die Lufthansa – schreibt das Gesetz in § 7 Abs. 2 MitbestG vor, dass sich unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer eine bestimmte Zahl „Vertreter von Gewerkschaften“ befinden müssen. Ein solcher „Vertreter von Gewerkschaften“ ist Herr Bsirske. Auch diese „Vertreter von Gewerkschaften“ sind Aufsichtsratsmitglieder wie alle anderen auch, mit gleichen Rechten und Pflichten wie diese und mithin ebenfalls ihrer Gesellschaft zu Treue, Loyalität und Schadensabwehr verpflichtet. Auch das ist unstreitig.29 2. Die bisherigen Überlegungen waren von den allgemeinen Rechten und Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern geprägt, insbesondere von ihren Verhaltenspflichten in „normalen“ Interessenkonflikten. Nunmehr ist den Besonderheiten von Pflichtenlagen nachzugehen, die sich aus Arbeitskämpfen ergeben, an denen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einer Gesellschaft und insbesondere Vertreter von Gewerkschaften beteiligt sind. Hier ist zu bedenken, dass nicht die Zufälle des Lebens den Konflikt der Interessen geschaffen haben, sondern das Gesetz selbst.30 Denn der Arbeitskampf ist ein legitimes Mittel zur Durchsetzung von Forderungen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften.31 Das Mittel eines solchen Arbeitskampfes – der Streik oder Warnstreik – aber soll gerade durch Schädigung der Gegenseite – der betreffenden Gesellschaft als Arbeitgeber – diese zur Annahme der Forderungen der Arbeitnehmer veranlassen. Streik also schädigt bewusst das betroffene Unternehmen; und das steht in diametralem Gegensatz zur soeben dargestellten und allgemein akzeptierten Pflicht aller Aufsichtsratsmitglieder zur Schadensabwehr. Würde diese Pflicht unverändert weiter gelten, so wäre die Organisation und Teilnahme der Arbeitnehmervertreter an einem Streik gegen die betreffende Gesellschaft diesen schlicht verboten. Die Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wäre so ein Schutzschild gegen Arbeitskämpfe. [266] Nun kann man kaum annehmen, dass der Gesetzgeber des MitbestG eine solche Folge seines Gesetzes wollte. Und daher hat die Literatur die verschiedens-

28 Vgl. Raiser Mitbestimmungsgesetz, 4. Aufl., § 25 Rn. 119 f.; Hanau/Ulmer, Kommentar zum MitBestG, § 25 Rn. 76 ff., 79; Lutter/Krieger, aaO., Rn. 691; je mit allen Nachweisen. 29 Vgl. Raiser, aaO., § 25 Rn. 140, 118 ff.; ders., Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl., § 15 Rn. 129; Hanau/Ulmer, aaO., § 25 Rn. 97 f. 30 Vgl. Lutter, Rolle und Recht – Überlegungen zur Einwirkung von Rollenkonflikten auf die Rechtsordnung, FS Coing, 1982, Bd. I, S. 565 ff.; Raiser, Mitbestimmungsgesetz, 4. Aufl., § 25 Rn. 118. 31 Vgl. dazu oben sub II.

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ten Versuche unternommen, diese Normenkollision anders als in einem strikten Verbot zu lösen.32 3. Herr Bsirske war zum Zeitpunkt des Warnstreiks (16. Dezember 2002) Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, nicht aber Mitglied der Streikleitung seiner Gewerkschaft, war also am Streikbeschluss persönlich nicht beteiligt, hat diesen aber offen mitgetragen und insbesondere keinen Versuch unternommen, ihn abzuwenden. Als „normales“ Aufsichtsratsmitglied von Lufthansa hätte er mithin gegen seine Pflicht zur Schadensabwehr und Schadensverhinderung verstoßen. Tatsächlich hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Tatsache, dass es Aufgabe von Gewerkschaften und ihrer Vertreter ist, Tarifverträge abzuschließen und zu diesem Zweck notfalls auch Streiks zu organisieren,33 bewusst und betont Vertreter solcher Gewerkschaften in die Aufsichtsräte berufen, die gerade im betreffenden Unternehmen vertreten sind und daher für Streiks gegen dieses Unternehmen geradezu prädestiniert sind. Sieht man das, so erkennt man auch, dass das Schädigungsverbot für diesen Fall und für die betreffenden Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des betreffenden Unternehmens nicht gelten kann. 4. Rechtswidrige Streiks oder Verstöße gegen die dem Aufsichtsratsmitglied obliegende Verschwiegenheitspflicht brauchen hier nicht erörtert zu werden. Problematisch aber und heftig umstritten ist dagegen die Frage der Verantwortlichkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Teilnahme an einem rechtmäßigen (legitimen) Streik. Üblicherweise wird dabei zwischen der passiven und der aktiven Teilnahme an dem Streik unterschieden, ohne dass sich freilich das Schrifttum mit der hier interessierenden Frage auseinandersetzt, welche Pflichten das Aufsichtsratsmitglied treffen, wenn der Streik sich nicht gegen „sein“ Unternehmen richtet, sondern das Unternehmen drittbetroffen ist. Unter passiver Streikteilnahme wird allgemein die Teilnahme an dem Streik durch bloße Arbeitsniederlegung verstanden. Diese Form der Beteiligung an einem Streik durch Arbeitnehmervertreter wird von der herr- [267] schenden Meinung als zulässig erachtet.34 Mit der heute herrschenden Meinung ist davon auszugehen, dass die im Mitbestimmungsgesetz zwingend vorgesehene Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat ausschließt, diesen jegliche, auch 32 Beispielhaft seien genannt Raiser, aaO., § 25 Rn. 140 ff. und Marsch-Barner, aaO., § 12 Rn. 79 ff. 33 Vgl. Art. 9 III GG, § 2 I TVG; Naendrup in Gemeinschaftskommentar zum Mitbestimmungsgesetz, § 25 Rn. 212 ff., 216; zur Gewährleistung des Arbeitskampfes durch Art. 9 III GG: BVerfGE 84, 212, 226; zur Druckausübungsfähigkeit als Voraussetzung für den Gewerkschaftsbegriff vgl. BVerfGE 58, 233, 249; Oetker in Wiedemann (Hrsg.), Kommentar zum Tarifvertragsgesetz, 6. Aufl., § 2 Rn. 306 ff. 34 Aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur dazu etwa Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, § 10 Rn. 778; Kölner Komm.-Mertens (Fn. 18), Anhang zu § 177 B § 25 MitbestG Rn. 13, aber auch Edenfeld/Neufang AG 1999, 49, 51 f.; aus der arbeitsrechtlichen Literatur Raiser MitbestG § 25 Rn. 141 und Hanau ZGR 1977, 397, 405.

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passive, Teilnahme an einem Streik gegen das eigene Unternehmen zu untersagen. Denn der Gesetzgeber hat schließlich bewusst das Risiko eines Interessenkonflikts bei einem Streik in Kauf genommen, und diese gesetzgeberische Entscheidung ist zu respektieren. Die Meinungen zur Zulässigkeit aktiver Streikteilnahme gehen dagegen weit auseinander; aktiv wirkt z. B. an einem Streik mit, wer sich als Streikposten betätigt, Streikaufrufe verteilt oder für einen Streik agitiert. Ein Teil des Schrifttums hält jegliche über die passive Teilnahme an einem Streik hinausgehende Beteiligung eines Arbeitnehmervertreters für unzulässig.35 Der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des Arbeitnehmervertreters gebühre der Vorrang insoweit, als das Aufsichtsratsmitglied im Falle des Arbeitskampfes nicht aktiv gegen das Unternehmen auftreten dürfe. Ihm stünde kein Rechtfertigungsgrund für ein Handeln zum Nachteil des Unternehmens zur Seite. Dem Interessenkonflikt werde vielmehr hinreichend Rechnung getragen, wenn dem Arbeitnehmervertreter gestattet werde, passiv an dem Streik teilzunehmen. Das arbeitsrechtliche Schrifttum meint dagegen, dass auch die aktive Beteiligung an einem rechtmäßigen Streik (in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit) zulässig sein müsse.36 Ein genereller Vorrang, so die Vertreter dieser Meinung, des Gesellschaftsrechts vor dem Mitbestimmungsrecht lasse sich nicht postulieren. Das folge schon daraus, dass die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften und die damit verbundenen Grundsätze nur dann Anwendung fänden, soweit sich nicht aus den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes etwas anderes ergebe (§§ 6, 25 MitbestG). Der Meinungsstreit im Schrifttum dauert an. Er braucht hier nicht entschieden zu werden, weil das Handeln des Aufsichtsratsmitgliedes Bsirske sich einerseits nicht unmittelbar gegen „sein“, sondern gegen ein drittes Unternehmen gerichtet hat, das nicht Partei des Tarifkonfliktes ist; andererseits hat sich Herr Bsirske zwar dem Streik von Mitarbeitern der Flughäfen Frankfurt am Main und München nicht widersetzt, sondern ihn zwar verbal [277] unterstützt, im übrigen geschehen lassen und ihn nicht durch eigene Aktivitäten befördert, so dass er allenfalls an dem Streik gegen die unmittelbar betroffenen Unternehmen passiv teilgenommen, mithin die ihn in seiner Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrats der Lufthansa treffenden Pflichten nicht verletzt hat.

35 So aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur Lutter/Krieger, aaO., § 10 Rn. 778; Kölner Komm.-Mertens (Fn. 18), aaO., Rn. 13 und aus dem arbeitsrechtlichen Schrifttum Kraft in Großkommentar zum BetrVG, 6. Aufl. 1998, § 76 BetrVG 1952 Rn. 135. 36 Aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur Möller NZG 2003, 697, 699 und aus der arbeitsrechtlichen statt aller Raiser, aaO. Rn. 142 ff. sowie Hanau/Wackertarth, aaO. (oben Fn. 5a), S. 75 ff. je mit allen Nachw.; die Entscheidung des OLG München in DB 1954, 995 dürfte überholt sein.

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5. Da sich Herr Bsirske nicht aktiv in den Warnstreik eingeschaltet hat, wäre sein Verhalten, wäre es denn gegen die Lufthansa direkt gerichtet gewesen, auch nicht pflichtwidrig gewesen. Nun hat sich der Streik vom 16. Dezember 2002 aber nicht gegen die Lufthansa gerichtet, sondern unmittelbar u. a. gegen die Flughafen-Gesellschaften Frankfurt und München. Diesen gegenüber hat Herr Bsirske keine Pflichten zur Schadensabwehr, konnte diese Pflicht also auch nicht verletzen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zwar haben Arbeitnehmer der Flughäfen Frankfurt und München gestreikt. Und diese Arbeitnehmer waren in ihren Arbeitsverhältnissen vom Tarifkonflikt mit der öffentlichen Hand direkt betroffen, da ihre Arbeitsverhältnisse dem BAT und dem BMTG unterfielen. Aber „eigentlich“ betroffen waren die Fluggesellschaften und hier ganz besonders die Lufthansa. Und das war auch bekannt und gewollt; denn es wurden bewußt und gewollt die wenigen Arbeitnehmer zum Streik aufgerufen, die für die Flughäfen (beteiligt am Tarifkonflikt) und die Fluggesellschaften (nicht beteiligt am Tarifkonflikt) maximale Folgen (Stillstand aller Flugbewegungen) auslösen würden. Man könnte nun sagen: Wenn schon das Verhalten von Herrn Bsirske beim direkten Streik gegen die Lufthansa korrekt gewesen wäre, so doch erst recht hier, wo sich der Konflikt gegen Dritte richtete. Aber das wäre zu schnell geschlossen. Denn – abgesehen von den direkt bestreikten Flughäfen – war die Schädigung der Lufthansa von allen und auch von Herrn Bsirske wenn nicht gewollt, so doch in Kenntnis der zu erwartenden Folgen bewußt in Kauf genommen worden. Fraglich ist also, ob Herr Bsirske verpflichtet gewesen wäre, diesen Schaden von der ganz und gar am Konflikt unbeteiligten Lufthansa abzuwenden, indem er verpflichtet war, Einfluß auf seine Gremien zu nehmen mit dem Ziel, andere Arbeitnehmer den Warnstreik durchführen zu lassen. Streiks schaden nicht nur den direkt beteiligten Unternehmen, sondern auch den davon mittelbar Betroffenen. Ein Streik gegen Stahlhersteller führt nach relativ kurzer Zeit zum Stillstand auch der Autoproduktion, ein Streik gegen Papierhersteller zum Ausfall von Zeitungen etc. Das ist legitim37 und hinzunehmen, selbst wenn der Schaden der mittelbar Betroffenen (hier [269] Lufthansa) größer ist, als derjenige der unmittelbar Beteiligten (hier also der Flughäfen). IV. Verhältnismäßigkeit Zu fragen bleibt damit letztlich, ob sich diese Betrachtung ändert unter Aspekten der Verhältnismäßigkeit. 37 Sog. Streiks mit Fernwirkung, vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, 2002, § 49 Rn. 8 ff.; sowie oben II, 2.

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Hier haben ganz wenige Arbeitnehmer wenige Stunden gestreikt und damit einen erheblichen Schaden bei den unmittelbar bestreikten Flughäfen, einen sehr hohen Schaden bei der unbeteiligten Lufthansa und einen immensen Schaden bei weit über 10000 ganz unbeteiligten Reisenden angerichtet. Hätte also Herr Bsirske wegen des zu erwartenden hohen Schadens bei der Lufthansa Einfluss zur Abwehr des Streikes nehmen müssen? Verhältnismäßigkeit ist ein allgemeines Rechtsprinzip. Es bestimmt im Europarecht die Grenze erlaubter Behinderungen der Freiheiten38 und ist nach Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts39 im deutschen Arbeitsrecht unstreitig Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines jeden Streiks. Als zentralen Grundsatz für die Durchführung von Arbeitskämpfen hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichtes wie schon an anderer Stelle ausgeführt, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders betont. Es muss jeweils geprüft werden, ob ein Arbeitskampf, ein einzelnes Arbeitskampfmittel und die Intensität seines Einsatzes im konkreten Arbeitskampf geeignet, erforderlich und proportional bzw. angemessen ist.40 Eine Konkretisierung dieses Grundsatzes erweist sich jedoch als schwierig. Durch streng formulierte Rechtmäßigkeitsvorgaben könnte nämlich das Druckpotential von Arbeitskämpfen verloren gehen. Überdies wären die Gerichte gezwungen, im Hinblick auf die gewählten Mittel, die Tarifziele zu bewerten und zu gewichten. Eine Tarifzensur ist aber im Hinblick auf die durch Art. 9 GG gewährleistete Tarifautonomie auch in dieser mittelbaren und nur kampfbezogenen Form unzulässig.41 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann also nur die äußersten Grenzen gesetzmäßigen Handelns bestimmen, nicht aber darf er einen Streik unzumutbar erschweren. Er darf etwa nicht auf eine Existenzvernichtung der Gegenseite abzielen.42 Der Streik darf also nicht missbraucht werden, und das [270] Streikrecht darf nicht objektiv zweckwidrig und rücksichtslos ausgenutzt werden. Diese Grundsätze sind hier eingehalten worden. V. Summa und Ausblick 1. Der Vorstand der Lufthansa AG hat seinen Aktionären in der Hauptversammlung 2004 also mitteilen müssen, dass sich Herr Bsirske de lege lata nicht 38 Vgl. zuletzt EuGH ZIP 2003, 1885, 1892, Ziff. 133 – Inspire Art und EuGH, Slg. 1982, S. 3961 Rn. 12 – Rau; EuGH, Slg. 1991, Slg. I-4007, Rn. 15 – Gouda. 39 Seit BAGE 23, 292, 306 ff. – gebilligt durch BVerfGE 84, 212 ff. 40 Vgl. dazu BAG 21. 04. 1971 – AP Nr. 43 zu Art. 9 GG. 41 Vgl. BVerfG 26. 06. 1991 – AP Nr. 117 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf und schon BAG 10. 06. 1980 – AP Nr. 64 zu Art. 9 GG. 42 Vgl. oben zu II. 2.

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pflichtwidrig verhalten und mithin auch nicht schadensersatzpflichtig gemacht hat. Es war für den Vorstand nicht einfach, den Aktionären zu erläutern, dass nach geltendem deutschen Recht ihre eigenen Aufsichtsratsmitglieder berechtigt sind, ihre Gesellschaft jedenfalls passiv zu schädigen. Und das alles kraft zwingenden Rechts. 2. Die hier dargestellte Rechtslage gilt für gut 400 deutsche Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien,43 darunter alle DAX-30Gesellschaften und praktisch alle M-DAX-Gesellschaften. Und diese Rechtslage ist Teil der deutschen Corporate Governance. Die Aussage dazu lautet in diesem Kontext: Nicht nur Arbeitnehmer der Gesellschaft selbst, sondern auch zwei bis drei Vertreter der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften sind in Deutschland paritätisch mit Anteilseigner-Vertretern im Aufsichtsrat der großen Börsengesellschaften vertreten; und diese Arbeitnehmer und Gewerkschafter dürfen auch gegen ihr eigenes Unternehmen unmittelbar und mittelbar streiken. Schon die erste Aussage wird international nur mit Verwunderung zur Kenntnis genommen und ist, wie die Arbeiten an der Europäischen Aktiengesellschaft44 und der internationalen Fusion45 und Sitzverlegung46 gezeigt haben, nicht konsensfähig. Der zweite Aspekt – das Streikrecht dieser Aufsichtsräte – aber wird unser Ansehen bei internationalen Investoren und dem Ansehen unserer Corporate Governance in Deutschland überhaupt deutlich schaden. National und mit gut geschlossenen Grenzen kann man sich solche Widersprüche und Sonderheiten vielleicht leisten und vielleicht befrieden.47 International gilt das nicht. Hier stehen die deutschen Unter- [271] nehmen in offenem Wettbewerb nicht nur hinsichtlich ihrer Produkte und Leistungen, sondern auch wegen ihrer Finanzierung am Kapitalmarkt. Dort stehen den großen internationalen Investoren alle Alternativen offen. Warum sollten sie da ein Unternehmen wählen, dessen stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender gegen das eigene Unternehmen streiken darf und die von ihm geleitete Organisation den Streik organisiert? Diese jedenfalls heute und 30 Jahre nach der Verabschiedung des MitbestG hochproblemati-

43 Mitbestimmung 4/2002, S. 75; inkl. GmbH und Genossenschaft sind es heute 750 gegenüber ursprünglich (1976) rund 450 Unternehmen. 44 Heinze, ZGR 2002, 66; Lutter, BB 2002, 1; Lutter, Die Europäische Aktiengesellschaft, 1976; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., 1996, S. 68. 45 Lutter, Die Europäische Aktiengesellschaft, 1976, S. 327 ff.; Maul/Teichmann/Wenz BB 2003, 2633; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., 1996, S. 71 ff. 46 Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., 1996, S. 41 f.; 10. Bonner Europasymposion, Grenzüberschreitende Sitzverlegung in der EU, 1998, Teil 1 und 2. 47 Raiser, Mitbestimmungsgesetz, 4. Aufl. 2002, § 25 MitbestG, Rn. 140 ff. und Lutter, Rolle und Recht, FS Coing, 1982, Bd. I, S. 565 ff.

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sche Lösung bedarf um unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit willen dringend der Anpassung.48

48 So zutr. Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 ff.; dieser Aspekt wird von Hanau/Wackertarth, aaO. (oben Fn. 5a) leider nicht thematisiert.

Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung* AG 2008, S. 1-11** „Durch den schriftlichen Bericht … muss die Hauptversammlung eine konkrete … Vorstellung von der Überwachungstätigkeit (scil: des Aufsichtsrats) erlangen.“ So das OLG Stuttgart in seinem Urteil vom 15.3.2006 (AG 2006, 379). Der Bericht des Aufsichtsrats ist mithin nicht nur ein Element guter Corporate Governance, sondern in vielen Einzelheiten Rechtspflicht, deren Fehlen den Entlastungsbeschluss bezüglich des Aufsichtsrats anfechtbar macht. I. Einleitung 1. Über lange Jahre hin war der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung nach § 171 Abs. 2 AktG kurz (weniger als eine Seite) und wenig aussagend, eben eine Pflichtübung1. Das hat sich inzwischen etwas geändert, nicht zuletzt unter dem Einfluss von einigen energischen gerichtlichen Entscheidungen2. Das ist Grund und Anlass, sich über die Funktion und das System dieses Berichtes Klarheit zu verschaffen3.

* Diese Abhandlung ist zunächst in der Festschrift für den Wirtschaftswissenschaftler Jörg Baetge (2007) erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung des IDW-Verlages in leicht erweiterter Form erneut gedruckt. ** Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf www.legios.de. 1 Vgl. Theisen, BB 1988, 705; ders., Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2007, S. 233 ff.; Theisen/Salzberger, DB 1997, 105. 2 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47 = AG 2003, 273 – Macrotron; v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, GmbHR 2005, 874 m. Anm. Schröder = DB 2005, 1321; LG München I v. 10.3.2005 – 5HK O 18110/04, ZIP 2005, 1031; bestätigt durch Beschluss des OLG München v. 13.9.2005 – 7 U 2759/05, AG 2006, 592 = WM 2006, 1486; OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, AG 2006, 379 = BB 2006, 1019; LG München I v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, AG 2007, 417 = BB 2007, 2170. 3 Die Berichtspflicht in ihrer heutigen Gestalt geht zurück auf das AktG von 1937 (dort § 96 Abs. 2). Aber schon das Aktienrecht des ADHGB kannte die Pflicht des Aufsichtsrats zur Prüfung der Rechnungslegung des Vorstands und seinen Bericht darüber an die Generalversammlung (Art. 225 Abs. 1 Satz 3 ADHGB). Vgl. dazu Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006, S. 172 und 404.

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2. Dieser Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung hat eine doppelte Funktion. Er ist zunächst einmal der jährliche Rechenschaftsbericht des Aufsichtsrats gegenüber seinem Wahlorgan (soweit es sich um die Anteilseignervertreter handelt), das über seine Wiederwahl entscheidet, und gegenüber seinem Kontrollorgan, das über seine Entlastung befindet, § 120 AktG4. Der Bericht dient darüber hinaus aber auch der Information der Hauptversammlung, dass und wie der Aufsichtsrat bestimmte Aufgaben erfüllt hat und welche Überlegungen ihn dabei geleitet haben. Der Bericht ist insoweit also Mittel sowohl der Selbstkontrolle wie der Fremdkontrolle durch die Hauptversammlung5. II. Der vom Gesetz geforderte Inhalt des Berichtes 1. Der Bericht zu Jahresabschluss und Konzernabschluss a) Der Bericht des Aufsichtsrats steht zunächst einmal in einem engen Zusammenhang mit dem Jahresabschluss und ggf. dem Konzernabschluss. Der Vorstand hat diese Unterlagen – Jahresabschluss und Lagebericht, ggf. Konzernabschluss und Konzernlagebericht – unverzüglich nach ihrer Aufstellung durch ihn dem Aufsichtsrat vorzulegen, § 170 Abs. 1 AktG. Vom Abschlussprüfer und vom Konzern-Abschlussprüfer erhält der Aufsichtsrat dazu deren Berichte, § 321 Abs. 5 HGB. Alle diese Unterlagen hat der Aufsichtsrat seinerseits zu prüfen, § 171 Abs. 1 AktG. Billigt er sie, so ist der Jahresabschluss festgestellt, § 172 Satz 1 AktG; lehnt er die Billigung ab, so entscheidet die Hauptversammlung, § 173 Abs. 1 AktG6. [2] Über all das – und weiteres (s. unten) – hat der Aufsichtsrat der Hauptversammlung zu berichten. b) Im Kontext mit dem Jahresabschluss und dem Konzernabschluss hat der Aufsichtsrat im Einzelnen zu berichten (1) über das Ergebnis seiner eigenen Prüfung von Jahresabschluss und Lagebericht sowie ggf. von Konzernabschluss und Konzern-Lagebericht sowie (2) über seine eigene Stellungnahme zum Ergebnis der Prüfung durch den Abschlussprüfer und den Konzern-Abschlussprüfer und dazu hat er Vetter, ZIP 2006, 257, 258; Trescher, DB 1989, 1981. Trescher, DB 1989, 1981, 1982. Eine zeitnahe Analyse dieser Berichte für die Hauptversammlungen 2007 der DAX- und SDAX-Gesellschaften geben Schichold/Grimberg in Der Aufsichtsrat 2007, 101 ff. 6 Gleiches gilt, wenn Vorstand und Aufsichtsrat sich einigen, die Hauptversammlung über die Feststellung des Jahresabschlusses entscheiden zu lassen. Eine Feststellung des Konzernabschlusses erfolgt nicht. Der Konzernabschluss wird vom Aufsichtsrat zwar ebenfalls „gebilligt“ oder eben missbilligt, nicht aber „festgestellt“; vgl. nur Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 172 AktG Rz. 85. 4 5

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(3) „am Schluss des Berichts zu erklären, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben sind und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billigt“, § 171 Abs. 2 Satz 4 AktG; und das Gleiche gilt für den Konzernabschluss. c) Der Aufsichtsrat hat also den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss und Lagebericht sowie Konzernabschluss und Konzern-Lagebericht zu prüfen; denn ohne das könnte er über seine Prüfung nicht berichten. Und ganz genau das Gleiche gilt für den Bericht und die Feststellungen des Abschlussprüfers und des Konzern-Abschlussprüfers. aa) Was das im Einzelnen bedeutet, ist schwer zu sagen; denn einerseits ist eine eigene Prüfung durch das Organ Aufsichtsrat vom Gesetz ausdrücklich gefordert; andererseits ist der Abschlussprüfer vor nun bald 80 Jahren gerade geschaffen worden, um den fachlich überforderten Aufsichtsrat zu unterstützen und seinerseits diese Unterlagen sachverständig zu prüfen. So gewiss das Gesetz also keine zweite Abschlussprüfung verlangt7, so gewiss verlangt es vom Aufsichtsrat doch eine eigene und eigenständige Prüfung. Das sagt sich leicht, ist in Wirklichkeit aber ein großes Problem. Denn der Aufsichtsrat verfügt selbst weder über eine Buchhaltung noch über eine Bilanzabteilung und da er selbst und unabhängig prüfen soll, würde es wenig Sinn machen, würde er maßgeblich auf diese Bereiche der Gesellschaft selbst bei seiner Prüfung zurückgreifen, Bereiche, die den von ihm zu prüfenden Abschluss gerade erstellt haben. Natürlich steht ihm das eigene Einsichtsrecht in die Unterlagen der Gesellschaft nach § 111 Abs. 2 AktG zur Verfügung8; aber dessen Ausübung setzt einen Beschluss des Gesamtaufsichtsrats voraus, und die Beauftragung einzelner Aufsichtsratsmitglieder oder auch Dritter zur Durchführung wäre eine Hauptund Staatsaktion. Das aber ist mit § 171 Abs. 1 AktG sicher nicht als Regel gemeint. bb) Die Aufstellung der fraglichen Unterlagen durch den Vorstand ist Teil seiner Geschäftsführung. Die Prüfungspflicht des Aufsichtsrats ist mithin Teil seiner Überwachungsaufgabe (§ 111 Abs. 1 AktG); und diese betrifft die Fragen nach der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Vorstandshandelns9. 7 H.M., vgl. Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 27; Claussen/Korth in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1991, § 171 AktG Rz. 7; Hoffmann-Becking in MünchHdb/AG, 3. Aufl. 2007, § 44 Rz. 15, je m.w.N. Im österreichischen AktG (§ 96) wird diese Prüfung durch den Aufsichtsrat ebenfalls verlangt. Strasser meint dazu, es handle sich „der Sache nach um eine Nachprüfung“, vgl. Jabornegg/Strasser, Kommentar zum öAktG, 2004, §§ 95–97 öAktG Rz. 55. 8 Nur der Gesellschaft, nicht aber der Tochtergesellschaften; vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 292. 9 Vgl. Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rz. 183 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 71 ff.; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 3 ff.

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cc) Bei der Rechtmäßigkeit geht es um die Einhaltung der allgemeinen gesetzlichen Regeln für die Bilanz und Konzernbilanz sowie die gesetzlichen und statutarischen Vorgaben zur Bildung von Rücklagen und um die Vollständigkeit der vom Gesetz verlangten Angaben im Lagebericht und Konzernlagebericht10. Die Ordnungsmäßigkeit bezieht sich vor allem auf die Übersichtlichkeit und Vollständigkeit der vom Gesetz verlangten Angaben und Unterlagen. Im Rahmen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit aber muss sich der Aufsichtsrat mit dem ungemein breiten Feld der Ausübung verschiedenster Bilanzierungs-Wahlrechte beschäftigen und die Rücklagenpolitik des Vorstands prüfen11. Insgesamt muss der Aufsichtsrat hier prüfen, ob die Bilanzpolitik des Vorstands mit den Finanzierungsinteressen der Gesellschaft in Einklang ist12. dd) Der Aufsichtsrat wäre bei Erfüllung dieser seiner Prüfungs- und Überwachungspflicht fraglos überfordert, stünden ihm nicht drei Hilfen zur Verfügung: Zum einen verlangt schon der Kodex13 und künftig auch das Gesetz14 die Einrichtung eines Prüfungsausschusses bei börsennotierten Unternehmen, dessen Vorsitzender „über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen … verfügen soll“15. Natürlich sollten auch andere Gesellschaften von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. In diesem Ausschuss kann die Prüfung unter Hinzuziehung des Abschlussprüfers und ggf. KonzernAbschlussprüfers und auch des Vorstands sorgfältig vorberaten, nicht aber entschieden werden, § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG. Der Aus- [3] schussvorsitzende wird also dem Gesamtaufsichtsrat schriftlich oder mündlich in der sog. Bilanzsitzung berichten und die Empfehlungen des Ausschusses erläutern. Zum zweiten liegen dem Aufsichtsrat und seinem Prüfungsausschuss der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers und ggf. des Konzern-Abschlussprüfers vor, in dem die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, die Vollständigkeit der Unterlagen und die Zweckmäßigkeit der Entscheidungen des Vorstands ausführlich erörtert werden, § 321 Abs. 2 HGB. Außerdem hat der Prüfer auf etwaige Un-

10 Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 24; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 3; Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2008, § 171 AktG Rz. 4 ff. 11 So zu Recht Hoffmann-Becking in MünchHdb/AG, 3. Aufl. 2007, § 44 Rz. 14; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 171 AktG Rz. 21; Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 28 ff.; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 7. 12 Heidel/Steiner, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 171 AktG Rz. 13 und 14; Euler/Müller in Spindler/Stilz, 2007, § 171 AktG Rz. 44. 13 Ziff. 5.3.2. 14 In Umsetzung von Art. 41 der geänderten 8. Richtlinie, ABl. EG 2006 Nr. L 157, 87. 15 Kodex, a.a.O.; weitergehend (mindestens die Hälfte der Mitglieder des Prüfungsausschusses mit besonderem Sachverstand) die Forderung des Arbeitskreises Externe und Interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft, DB 2007, 2129, 2130.

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richtigkeiten und Verstöße hinzuweisen16. Dabei hängt die Intensität der Prüfung des Aufsichtsrats naturgemäß davon ab, ob der Abschlussprüfer seinen Bestätigungsvermerk nach § 322 Abs. 3 HGB uneingeschränkt oder nach § 322 Abs. 4 HGB eingeschränkt erteilt oder gar verweigert hat17. Und gleiches gilt, wenn der Bericht des Prüfers Hinweise auf besondere Risiken oder gar Unregelmäßigkeiten enthält, § 321 HGB. Und schließlich verlangt schon das Gesetz in § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG die Anwesenheit des Abschlussprüfers bzw. Konzern-Abschlussprüfers bei der Sitzung des Aufsichtsrats, auf der diese Fragen behandelt und Entscheidungen getroffen werden. Aber selbstverständlich kann und sollte der Aufsichtsrat und insbesondere sein Prüfungsausschuss den Abschlussprüfer und den Konzern-Abschlussprüfer auch schon zu vorbereitenden Maßnahmen vor allem im Prüfungsausschuss hinzubitten18. ee) Besonders schwierig ist die Prüfung der Zweckmäßigkeit durch den Aufsichtsrat; denn hier geht es um die vielfältigsten Fragen der Ausübung von Wahlrechten im Jahresabschluss, dessen Grundlage nach wie vor das Handelsgesetzbuch ist. Seine Prüfungspflicht führt hier nicht zur Mitverantwortung für die Details bei deren Ausübung. Aber er hat diesen Jahresabschluss zu billigen. Und damit trägt er Mitverantwortung für die unternehmerischen Entscheidungen beim „Wie“ der Ausübung dieser Wahlrechte. Kurz: für die Bilanzpolitik. Diese ist daher mit dem Vorstand und ggf. im Beisein des Abschlussprüfers zu erörtern. Insoweit ist die Aufstellung des Jahresabschlusses durch den Vorstand nur ein Vorschlag, der in seinen vielfältigen Einzelheiten und Komponenten im Aufsichtsrat erörtert werden muss. Denn nur dann kann der Aufsichtsrat die ihm vom Gesetz auferlegte Mitverantwortung für diese bilanzpolitischen Maßnahmen tragen19. Zu diesem Gesamtkomplex gehört schließlich auch die Frage nach der Bildung oder Auflösung von Rücklagen und ihr Verhältnis zur Dividendenpolitik Vgl. Merkt in Baumbach/Hopt, 32. Aufl. 2006, § 321 HGB Rz. 2 ff. Zutr. Claussen/Korth in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1991, § 171 AktG Rz. 8 ff. 18 Überraschenderweise wird die in § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG angeordnete Anwesenheitspflicht des Abschlussprüfers und ggf. Konzernabschlussprüfers alternativ verstanden dahin, dass der Prüfer dann, wenn er bereits vor dem Prüfungsausschuss erschienen ist, nicht mehr vor dem Gesamtaufsichtsrat erscheinen muss. Verantwortlich für die Prüfung von Jahresabschluss und Konzernabschluss ist der Gesamtaufsichtsrat, also alle Aufsichtsratsmitglieder einzeln. Die müssen dann aber auch alle einzeln den oder die Prüfer befragen können; das ist der Sinn der Vorschrift. Dann aber muss auch das „oder“ in § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG kumulativ statt alternativ verstanden werden. Anderer Ansicht (zweckmäßig, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben) Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 108 und 109; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 11a; Heidel/Steiner, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 171 AktG Rz. 22; Euler/Müller in Spindler/Stilz, 2007, § 171 AktG Rz. 26. 19 Eingehend dazu Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 33, 44 und 45; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 7 und 8; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 171 AktG Rz. 21. 16 17

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(dazu unten 2.) und die Erörterung dessen im Aufsichtsrat und ggf. mit dem Vorstand. d) Der Aufsichtsrat hat über diese seine Prüfung von Jahresabschluss und Lagebericht und ggf. Konzernabschluss und Konzernlagebericht der Hauptversammlung zu berichten. Dafür genügt es nicht, wenn gesagt wird, er habe diese Unterlagen zur Kenntnis genommen und geprüft, sondern er muss jedenfalls kurz über die Art seiner Prüfung dieser Unterlagen berichten20. Dafür bietet sich die Aussage an, der Bilanz-Ausschuss habe diese Unterlagen unter Berücksichtigung des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers/Konzern-Abschlussprüfers und im Gespräch mit diesen vorbereitet und darüber dem Gesamtaufsichtsrat berichtet. Dieser habe in Kenntnis und unter Berücksichtigung dieses Berichtes seines Ausschusses sowie der Berichte von Abschlussprüfer und Konzern-Abschlussprüfer sowie in Gespräch und Diskussion mit diesen die fraglichen Unterlagen geprüft und gebilligt. Missbilligt der Aufsichtsrat diese Unterlagen, muss er darüber und über seine Gründe dafür eingehend berichten. Die Pflicht zur Überwachung des Vorstands intensiviert sich, wenn die Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät21. Das gilt dann auch für die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats hinsichtlich des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses22. Denn hier ist die Gefahr einer zu optimistischen Berichterstattung durch den Vorstand evident. Das betrifft im Besonderen den Lagebericht, den der Aufsichtsrat ebenfalls gerade hinsichtlich der realistischen Darstellung der Lage der Gesellschaft und ihrer Perspektiven zu prüfen hat. Die Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer/Konzern-Abschlussprüfer ist hier von zentraler Bedeutung. Wie die Prüfungsdichte und Prüfungsintensität der fraglichen Unterlagen von der Lage der Gesellschaft und dem Inhalt der Berichte über die Lage der Gesellschaft und des Konzerns abhängt, so hängt die Breite und Tiefe des [4] Berichtes des Aufsichtsrat an die Hauptversammlung von eben diesen Faktoren ab. Hat der Prüfer warnende Hinweise oder gar Beanstandungen in seinen Bericht aufgenommen, so ist es nicht Aufgabe des Aufsichtsrats, seinerseits darüber zu berichten; denn die Prüfungsberichte sind gerade nicht öffentlich. Aber er hat zu berichten, dass er Hinweise des Abschlussprüfers/Konzern-Abschlussprüfers

20 Zum Bericht des Aufsichtsrats s. Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 144 ff.; Claussen/Korth in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1991, § 171 AktG Rz. 13 ff.; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 12 ff.; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 171 AktG Rz. 58 ff.; Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2007, S. 195 ff. 21 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 87 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rz. 231 ff.; LG München I v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, AG 2007, 417 = BB 2007, 2170, 2173. 22 Zutr. OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, AG 2006, 379 = BB 2006, 1019.

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aufgenommen, mit dem Vorstand erörtert und für deren Berücksichtigung gesorgt habe. Das gleiche gilt bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft/des Konzerns. Hier ist nicht notwendig darüber zu berichten, was der Aufsichtsrat angeregt hat, wohl aber, dass er und ggf. sein Ausschuss in kurzen Intervallen mit dem Vorstand beraten und gemeinsam Wege aus der Krise gesucht haben. 2. Die Prüfung der Berichte des Abschlussprüfers und des Konzern-Abschlussprüfers a) Das Gesetz verlangt vom Aufsichtsrat aber nicht nur die Prüfung der sub II.1. erörterten Unterlagen, sondern auch die Prüfung der Berichte von Abschlussprüfer und Konzern-Abschlussprüfer. Das bedeutet nun erneut nicht, dass eine Art Parallelprüfung stattzufinden habe. Es bedeutet aber, dass der Aufsichtsrat diese Berichte sorgfältig studieren und in Verbindung bringen muss mit seinen eigenen Überlegungen bei der Prüfung von Jahresabschluss und Konzernabschluss. Anders gewendet: Die „Prüfung“ dieser Berichte verlangt vom Aufsichtsrat zunächst einmal, dass er sie bei seiner Prüfung von Jahresabschluss und Konzernabschluss sorgfältig zu Rate zieht. Und es bedeutet vor allem, dass der Aufsichtsrat etwaige Kritikpunkte des Abschlussprüfers/Konzern-Abschlussprüfers an der Aufstellung dieser Unterlagen sorgfältig zur Kenntnis nimmt und mit den Prüfern und dem Vorstand erörtert. Schließlich und vor allem aber bedeutet es, dass der Aufsichtsrat etwaigen Hinweisen der Prüfer nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB (Unrichtigkeiten, Verstöße gegen Gesetz oder Satzung, Bestandsgefährdung) aufs Genaueste nachgehen und sie mit den Prüfern und dem Vorstand erörtern muss. b) Über all das hat der Aufsichtsrat erneut an die Hauptversammlung zu berichten. Es genügt auch in diesem Zusammenhang nicht, dass der Aufsichtsrat nur mitteilt, dass er die fraglichen Prüfungsberichte geprüft habe. Der Bericht erfordert vielmehr erneut wenigstens kurze Hinweise darauf, wie das geschehen ist und welche Erkenntnisse der Aufsichtsrat daraus gewonnen hat, aber auch, ob die Berichte den gesetzlichen Anforderungen aus §§ 317, 321 HGB entsprechen: der Aufsichtsrat ist auf diesem Wege der erste Kontrolleur der Arbeit von Abschlussprüfer und Konzern-Abschlussprüfer. 3. Die Prüfung des Dividenden-Vorschlags a) Der Vorstand hat der Hauptversammlung einen Vorschlag zur Verwendung des Bilanzgewinns zu unterbreiten, § 170 Abs. 2 AktG. Auch diesen Vorschlag hat er vorweg dem Aufsichtsrat mitzuteilen. Und auch dazu hat der Aufsichtsrat Stellung zu nehmen. Das entspricht zunächst einmal der Normalsituati-

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on des § 124 Abs. 3 AktG, wonach der Aufsichtsrat zu jedem Beschlussvorschlag des Vorstands an die Hauptversammlung einen eigenen Vorschlag zu machen hat. Die Besonderheit besteht hier darin, dass der Aufsichtsrat diesen Vorschlag des Vorstands nach § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG seinerseits zu prüfen und über diese seine Prüfung ausdrücklich an die Hauptversammlung berichten muss, § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG. Das Gesetz verlangt hier also ein Mehr an Tätigkeit des Aufsichtsrats als in der Normalsituation. Der Aufsichtsrat muss sich hier also insbesondere mit der Liquidität der Gesellschaft, mit ihrer Finanzplanung und insbesondere Investitionsplanung beschäftigen. Nur wenn die vorgeschlagene Gewinnverteilung in diese Aspekte passt, wenn die Liquiditätslage der Gesellschaft nicht strapaziert, die Finanzierung der geplanten Investitionen dadurch nicht gestört und die Auswirkungen am Kapitalmarkt bedacht sind, kann der Aufsichtsrat entscheiden23. b) Aber nicht nur das. Diese Prüfungspflicht des Aufsichtsrats steht auch in Verbindung mit seiner Pflicht zur Prüfung der Bilanzpolitik des Vorstands (oben II.1.c)ee). Je konservativer diese ist, umso großzügiger kann die Dividende ausfallen; anderenfalls mag sich vorrangig eine Zuführung zu den Rücklagen empfehlen. Die Prüfungspflicht des Aufsichtsrats bezieht sich hier also auf die innere Stringenz von Bilanzpolitik und Ausschüttungspolitik einerseits, die Auswirkungen der Verteilung des Bilanzgewinns auf die Liquidität und Kreditwürdigkeit der Gesellschaft andererseits. Und schließlich sind diese Überlegungen abzurunden im Hinblick auf das Standing der Gesellschaft am Kapitalmarkt und etwa geplante Kapitalerhöhungen. c) Über all das hat der Aufsichtsrat ebenfalls der Hauptversammlung mindestens kurz zu berichten. Dafür genügt der Satz nicht, er schließe sich dem Vorschlag des Vorstands zur Verteilung des Bilanzgewinns an. Dafür hätte bereits § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG genügt, wonach der Aufsichtsrat dazu einen eigenen Beschlussvorschlag machen muss. Der Aufsichtsrat muss also mindestens kurz so darüber berichten, dass seine Überlegungen in diesem Kontext von Vorsorge für die Gesellschaft und Berücksichtigung der Aktionärsinteressen am Ergebnis deutlich werden. d) Tatsächlich geschieht dies jedoch in der Praxis nicht. Die Aufsichtsratsberichte der DAX-30-Unternehmen etwa des Jahres 2005 widmen dem Gewinnverwendungsvorschlag ausnahmslos genau einen Satz, wonach der Aufsichtsrat den Vorschlag des Vorstands geprüft hat (selbst dieser Hinweis fehlt in etwa jedem vierten Bericht) und sich ihm anschließt bzw. ihm zustimmt. [5]

23

Zutr. Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 8.

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4. Die Prüfung von Lagebericht und Konzernlagebericht a) Der Aufsichtsrat hat weiter den Lagebericht und den Konzernlagebericht zu prüfen (§ 171 Abs. 1 Satz 1 AktG) und auch darüber an die Hauptversammlung zu berichten (§ 171 Abs. 2 Satz 1 AktG). Hier geht es zunächst einmal um die Vollständigkeit dieser Berichte nach §§ 289, 315 HGB. Sodann hat der Aufsichtsrat zu prüfen, ob die vom Vorstand getroffenen Einschätzungen mit seinen Berichten an den Aufsichtsrat (§ 90 AktG) übereinstimmen oder ob sich Diskrepanzen zeigen und ob die Aussagen der beiden Berichte mit der eigenen Einschätzung des Aufsichtsrats übereinstimmen. Ist das nicht der Fall, hat der Aufsichtsrat darüber eingehend an die Hauptversammlung zu berichten24. Lagebericht, Konzernlagebericht und Bericht des Aufsichtsrats liegen zur Hauptversammlung öffentlich aus. Es ist mithin von großer Bedeutung für die Aktionäre zu erfahren, ob der Aufsichtsrat in seiner Einschätzung der Lage von Gesellschaft und Konzern mit der des Vorstands in seinem Bericht an die Hauptversammlung übereinstimmt oder teilweise bzw. insgesamt nicht übereinstimmt. Genau das muss der Aufsichtsrat mithin in seinem Bericht klar zum Ausdruck bringen. b) In der Praxis wurde im Zeitraum 2000–2005 von 28 der 30 DAX-30Unternehmen über die Prüfung des Lageberichts durch den Aufsichtsrat berichtet (zwei Aufsichtsratsberichte führten diesen Vermerk erst 2002 bzw. 2003 ein), wobei dies in einem zustimmenden Satz in meist formelhafter Weise geschah. Eine eigene, gar von der des Vorstands abweichende, Einschätzung des Aufsichtsrats wurde in keinem einzigen Fall dargelegt. 5. Schlusserklärung des Aufsichtsrats a) Schließlich verlangt das Gesetz in § 171 Abs. 2 Satz 4 AktG vom Aufsichtsrat in seinem Bericht eine ausdrückliche und eindeutige Erklärung „ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben sind und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billigt.“

Und das gilt entsprechend für den Konzernabschluss. Diese Formulierungen sind möglichst wörtlich in den Bericht des Aufsichtsrats aufzunehmen. Aus dieser herausgehobenen Erklärung wird noch einmal deutlich, wie ernst das Gesetz die Prüfungspflichten des Aufsichtsrats in diesem Zusammenhang nimmt. Und diesem Ernst muss denn auch der Bericht inhaltlich Rechnung tragen. 24

Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 150.

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b) Die Untersuchung der Aufsichtsratsberichte der DAX-30-Unternehmen im Zeitraum 2000 bis 2005 zeigt, dass diesem Erfordernis nach einer ausdrücklichen Schlusserklärung ausnahmslos nachgekommen wird, wobei Einwendungen in keinem einzigen Fall erhoben wurden. 6. Rechenschaftsbericht Das Gesetz nimmt diesen Bilanzbericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung aber auch zum Anlass, vom Aufsichtsrat einen Rechenschaftsbericht über die Erfüllung seiner eigenen Pflicht zur Überwachung des Vorstands nach § 111 Abs. 1 AktG zu verlangen. a) Zunächst einmal hat der Aufsichtsrat über seine Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands nach § 111 Abs. 1 AktG zu berichten, und zwar, wie das Gesetz ausdrücklich sagt, „in welcher Art“ und „in welchem Umfang“ die Überwachung stattgefunden hat. Der Aufsichtsrat hat hier also ggü. der Hauptversammlung über seine eigene Pflichterfüllung Rechenschaft zu legen. Das ist nur konsequent. Denn die Hauptversammlung wählt die Vertreter der Anteilseigner in den Aufsichtsrat; und sie hat jährlich über die Entlastung aller Aufsichtsratsmitglieder zu befinden, § 120 AktG. Das aber ist nur möglich, wenn die Hauptversammlung über die Erfüllung der Pflichten des Aufsichtsrats auch unterrichtet ist. b) Vor diesem Hintergrund sollte es klar sein, dass Formulierungen wie „Der Aufsichtsrat hat aufgrund der Berichte des Vorstands mit diesem die Entwicklung der Gesellschaft regelmäßig erörtert und sich ein eigenes Bild von der Lage der Gesellschaft verschafft“ kaum genügen können. Für börsennotierte Gesellschaften verlangt schon das Gesetz ausdrücklich die Beantwortung der Frage, ob und welche Ausschüsse gebildet worden sind und wie häufig der Aufsichtsrat und diese Ausschüsse getagt haben, § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG. Aber das alles gibt der Hauptversammlung noch keine ausreichende Grundlage für ihre Entscheidung über die Entlastung. Zwar ist der Aufsichtsrat in der Gestaltung seiner Berichte frei, aber in ihrem Inhalt sollte er auf fünf Fragen als Elemente der Überwachung25 ausdrücklich eingehen: (1) Ob der Vorstand seinen Informationspflichten aus Gesetz (§ 90 AktG) und Geschäftsordnung26 vollständig und zeitgerecht nachgekommen ist. Hat der Auf-

Vgl. oben Fn. 5. Insbesondere wenn der Aufsichtsrat die von mir (Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 100, 104 ff. und dem Kodex (Ziff. 3.4 Abs. 3) empfohlene Berichtsordnung erlassen hat. Zu deren inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Darstellung bei Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 2007, S. 79 ff. 25 26

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sichtsrat oder eines seiner Mitglieder Zusatz- oder Ergänzungsberichte27 verlangt, ist darauf ausdrücklich einzugehen28. (2) Ob und wie er sich von der Rechtmäßigkeit der Unternehmensführung überzeugt hat und ob diese Frage im Gespräch mit dem Abschlussprüfer erörtert worden ist. Sind Unregelmäßigkeiten vorgekommen, muss der Auf- [6] sichtsrat berichten, wie er die Aufklärung unternommen, auf welche Weise er reagiert und wie er sich von geeigneten Maßnahmen des Vorstands für die Zukunft überzeugt hat. Die Fälle des Jahres 2006 zeigen deutlich, wie wichtig gerade die Überwachung der Rechtmäßigkeit der Unternehmensleitung ist. Der Aufsichtsrat hat sich also zu vergewissern, dass der Vorstand selbst korrekt handelt und dass er je nach Größe des Unternehmens geeignete Maßnahmen zur Überwachung des Personals in dieser Hinsicht getroffen hat29, ob also etwa eine Compliance-Abteilung eingerichtet ist und wie diese arbeitet,30 ob sie wirkungsvoll und leistungsfähig ist31. Darüber hat der Aufsichtsrat zu berichten. (3) Auch die Ordnungsmäßigkeit der Unternehmensführung durch den Vorstand sollte angesprochen werden mit dem Hinweis, dass der Aufsichtsrat die Organisation der Gesellschaft und des Unternehmens mit dem Vorstand erörtert und sich von der Leistungsfähigkeit dieser Organisation überzeugt hat32. Das betrifft erneut die Compliance und das sub (4) erwähnte Risikomanagement. (4) Fragen der Überwachung der Zweckmäßigkeit sind weniger relevant – außerhalb der bereits oben sub II.3. angesprochenen Fragen zur Bilanz- und Dividendenpolitik, dafür sollte auf die Pflicht des Vorstands zum Risikomanagement nach § 91 Abs. 2 AktG und auf dem Hintergrund des Berichts des Abschlussprüfers ausdrücklich eingegangen werden und zwar unter den Aspekten, ob der Aufsichtsrat sich von der Leistungsfähigkeit des Systems überzeugt und sich regelmäßig vom Vorstand darüber hat informieren lassen.

Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 73 ff. Heidel/Steiner, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 171 AktG Rz. 33; Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2007, S. 214; LG München I v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, AG 2007, 417 = BB 2007, 2170, 2171. 29 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rz. 186 ff. 30 Die Zuständigkeit für diese Überwachung der Compliance sollte nach den Empfehlungen des DCGK innerhalb des Aufsichtsrats der Prüfungsausschuss innehaben, Ziff. 5.3.2. 31 Zu den Anforderungen an eine wirksame Compliance im Unternehmen vgl. Lamper in Hauschka, Corporate Compliance, 2007, S. 142, 145 ff.; Rodewald/Unger, BB 2007, 1629 ff.; Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2007, S. 415 ff.; Gebauer/Kleinert, ibid., S. 519 ff. 32 Der Vorstand der Siemens AG hat kürzlich verlautbart, keinen größeren Umbau des Konzerns und insbesondere keinen Übergang in eine Holding zu planen (FAZ v. 20.9.2007, S. 16). Damit folgt er Vorschlägen sachverständiger Dritter betont nicht. Darüber hat der Siemens-Aufsichtsrat der nächsten Hauptversammlung zu berichten. 27 28

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(5) Überwachungsgegenstand des Aufsichtsrats ist auch die Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung, also die Stärkung der Ertragskraft und die Beseitigung von etwaigen Verlustquellen. Auch das sollte ausdrücklich angesprochen werden. c) Dieser Bericht des Aufsichtsrats ist ein Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit und seine Maßnahmen. Der Bericht darf also nicht dahin missverstanden werden, dass in ihm über Umsatz und Erträge zu berichten sei; das ist Sache des Vorstands. Hingegen sind zustimmungspflichtige Geschäfte nach § 111 Abs. 4 AktG ein bedeutendes Mittel der Überwachung. Ihre Einführung ist im Gesetz vorgeschrieben, der Kanon der einzelnen Gesellschaft aber freigestellt. Der Bericht sollte daher ausdrücklich darauf eingehen, ob der Vorstand zustimmungspflichtige Geschäfte korrekt vorgelegt und der Aufsichtsrat ihnen zugestimmt und ob der Aufsichtsrat im Berichtsjahr neue zustimmungspflichtige Geschäfte festgelegt hat.33 Ähnliches gilt für große Investitions- oder Deinvestitionsprogramme, die in aller Regel aber sowieso zustimmungspflichtig sind. Kommt es zu Sonderentwicklungen, sei es zu einer wirtschaftlichen Schieflage34, sei es zu Unregelmäßigkeiten, und hat der Aufsichtsrat in diesem Zusammenhang von seinem Einsichtsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG Gebrauch gemacht, sei es für eines seiner Mitglieder oder einen außenstehenden dritten Sachverständigen, so ist auch darüber zu berichten. d) Schließlich ist der Aufsichtsrat auch zur Beratung des Vorstands und mit dem Vorstand verpflichtet. Diese Pflicht betrifft nicht das Tagesgeschäft, wohl aber vor allem die Planung und Strategie, aber auch Strukturfragen, bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten deren Überwindung inkl. einer nötigen Sanierung. Über all das hat der Aufsichtsrat ausdrücklich zu berichten. e) Der Aufsichtsrat ist aber auch zur Überwachung des Vorstands bei seiner Leitung des Konzerns verpflichtet; das ist heute unstreitig35. Daher muss der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung auch darauf ausdrücklich eingehen, insbesondere ob und wie er über die Entwicklung im Konzern informiert wurde und ob sich dabei Besonderheiten, insbesondere wirtschaftliche Schieflagen, ergeben haben. Das gleiche gilt für das Ob und Wie eines konzernweiten RisikoManagements und einer konzernweiten Compliance-Ordnung36: über all das ist zu berichten; all das ist Rechtspflicht. 33 Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2007, S. 214; so jetzt auch LG München I v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, AG 2007, 417 = BB 2007, 2170, 2173. 34 Dazu bereits oben II.1.d)bb); sowie Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 510. 35 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 131 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 148 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rz. 381 ff. 36 Vgl. die Neufassung des DCGK, Ziff. 3.4 Abs. 2 v. 14.6.2007 und dazu Bürkle, BB 2007, 1797, 1800; Rodewald/Unger, BB 2007, 1629, 1631.

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f) Über die Tatsache, dass der Aufsichtsrat den Vorstand kontrolliert und überwacht hat, wird – mit einer Ausnahme – im Jahr 2005 in sämtlichen Aufsichtsratsberichten der DAX-30-Unternehmen berichtet. Diese Mindestaussage zur Erfüllung der gesetzlichen Pflicht des Aufsichtsrats fehlte noch im Jahre 2000 in immerhin fünf Fällen. Ein deutlicher Wandel ist bei der Berichterstattung über das „wie“ der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats zu beobachten. Die Anzahl der abgehaltenen Sitzungen wird im Zeitraum 2000–2005 bereits durchgehend ge- [7] nannt. Über die Anwesenheit der einzelnen Mitglieder informieren im Jahre 2000 ein einziger, im Jahre 2005 bereits 21 der 30 untersuchten Aufsichtsratsberichte. Ein ähnliches Ergebnis zeigt die Berichterstattung über die Arbeit der verschiedenen Ausschüsse. Deren Existenz wurde auch im Jahre 2000 schon ausnahmslos mitgeteilt, über deren jeweilige Besetzung im gleichen Jahr jedoch nur in vier Berichten informiert. 2005 wurden bereits in 19 Unternehmen die Ausschussmitglieder namentlich genannt. In ähnlicher Weise nahm auch die Information über die eigentliche Tätigkeit der Ausschüsse zu, von einer bloßen Benennung hin zu eigenen Abschnitten über deren Zuständigkeiten, bearbeiteten Themen und Anzahl der abgehaltenen Sitzungen. Über die Anwesenheit der Abschlussprüfer bei den Beratungen des Aufsichtsrats zum Jahres- und Konzernabschluss, ggf. auch bei der betreffenden Sitzung des zuständigen Aufsichtsratsausschusses, wurde im Untersuchungszeitraum 2000 bis 2005 ausnahmslos berichtet. Insgesamt ist die Tendenz zu einer umfassenderen Berichterstattung über die eigene Überwachungstätigkeit deutlich.37 So wurden vermehrt auch inhaltliche Schwerpunkte der einzelnen Beratungen genannt oder in Einzelfällen besondere unternehmensexterne, aber auch -interne Vorkommnisse erwähnt, die Gegenstand außerordentlicher Sitzungen waren. 7. Die Prüfung des Abhängigkeitsberichts a) Ist die vom Aufsichtsrat zu überwachende Gesellschaft eine Aktiengesellschaft und ist sie nach § 17 AktG von einem anderen Unternehmen abhängig, so hat ihr Vorstand nach § 312 AktG jährlich einen Abhängigkeitsbericht zu erstatten, der seinerseits vom Abschlussprüfer dieser abhängigen Gesellschaft zu prüfen ist, § 313 AktG. Auch darüber hat der Abschlussprüfer zu berichten, § 313 Abs. 2 AktG. Beide Berichte – Abhängigkeitsbericht des Vorstands und Prüfungsbericht des Abschlussprüfers – sind dem Aufsichtsrat der abhängigen Ak-

37 Zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Berichterstattung insgesamt vgl. Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2007, S. 237.

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tiengesellschaft vorzulegen, der diese seinerseits zu prüfen und darüber an die Hauptversammlung zu berichten hat, § 314 Abs. 2 AktG. b) System und Aufgabenstellung an den Aufsichtsrat sind seiner Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses nachgebildet. Auf die obigen Ausführungen dazu (Ziff. II.1.) kann daher zunächst einmal verwiesen werden. Aber eine spezielle Funktion dieses Berichtes des Aufsichtsrats kommt hinzu. Durch seine Prüfungsund Berichtspflicht wird der Aufsichtsrat zum Treuhänder der abhängigen Gesellschaft und ihrer etwaigen Minderheit38, die keine Einsicht in den Abhängigkeitsbericht erhält39. Der Aufsichtsrat hat diese Prüfungsaufgabe daher mit großer Sorgfalt und Verantwortung vorzunehmen. c) Im Übrigen gilt: der Aufsichtsrat hat zunächst den Bericht des Vorstands zusammen mit dem des Abschlussprüfers zu studieren und hat etwaige Ungereimtheiten mit dem Abschlussprüfer zu erörtern und dabei das Schwergewicht auf drei Fragen zu legen: (1) Sind alle Rechtsgeschäfte zwischen herrschendem Unternehmen und der abhängigen Gesellschaft sowie alle „Maßnahmen“ des herrschenden Unternehmens (§ 312 Abs. 1 Satz 2 AktG) vollständig erfasst; (2) sind die Rechtsgeschäfte at arm’s length erfolgt oder (3) sind Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens für das abhängige Unternehmen nachteilig gewesen und ist der Nachteil vollständig und vor Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen worden? Auch hier hat der Aufsichtsrat nicht eine zweite Prüfung des Abhängigkeitsberichts vergleichbar der des Abschlussprüfers durchzuführen, sondern kann sich auf eine Plausibilitätsprüfung von Vorstandsbericht und Prüferbericht konzentrieren, es sei denn (1) der Prüferbericht gibt Anlass zu vertiefter Prüfung oder (2) der Aufsichtsrat selbst hat Zweifel an Aussagen in den ihm vorgelegten Berichten. d) Auch hier ist es zweckmäßig, wenn ein Prüfungsausschuss die Entscheidung des Aufsichtsrats vorbereitet und dabei den Abschlussprüfer hinzuzieht. Die Entscheidung über den Bericht aber ist unabdingbar dem Plenum vorbehalten (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG), an dessen abschließender Beratung erneut der Abschlussprüfer teilnehmen muss40. 38 Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2000, § 314 AktG Rz. 4 spricht von „Interesse der abhängigen Gesellschaft“, das der Aufsichtsrat zu wahren hat. 39 Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 314 AktG Rz. 5. 40 Die Formulierung des Gesetzes (§ 314 Abs. 4 AktG): „… Verhandlungen des Aufsichtsrats oder eines Ausschusses …“ legt auch hier (s. bereits oben Fn. 18) den Gedanken nahe, dass die Anwesenheit des Abschlussprüfers alternativ vor dem Ausschuss oder dem Plenum genügt, der Abschlussprüfer also zur Beratung des Plenums nicht mehr hinzugezogen werden muss, wenn er bereits an den Verhandlungen des Ausschusses teilgenommen hat. So: Heidel/Steiner,

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e) Ähnlich wie bei Jahresabschluss und Konzernabschluss gibt das Gesetz dem Aufsichtsrat Formulierungen für den Abschluss seines Berichtes hierüber an die Hauptversammlung vor. So ist „ein von dem Abschlussprüfer erteilter Bestätigungsvermerk in den Bericht aufzunehmen, eine Versagung des Bestätigungsvermerks ausdrücklich mitzuteilen.“ (§ 314 Abs. 2 Satz 3 AktG). [8]

Und weiterhin hat der Aufsichtsrat „am Schluss des Berichts … zu erklären, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen gegen die Erklärung des Vorstands am Schluss des Berichts über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen zu erheben sind.“ (§ 314 Abs. 3 AktG).

Dieses Zitat aus dem Bericht des Abschlussprüfers und diese Formulierung des Aufsichtsrats am Ende seines Berichts sind unabdingbar. Fehlt auch nur eines von beiden, so ist der Bericht unvollständig und der Aufsichtsrat kann nicht entlastet werden; anderenfalls ist der Entlastungsbeschluss anfechtbar41. III. Vorstandsfragen 1. Bericht über Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern? a) Neben der Überwachung des Vorstands und der Beratung mit ihm42 ist die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands sowie der Abschluss und die Kündigung des Anstellungsvertrages mit ihnen. Diesen Aspekt spricht das Gesetz beim Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung in § 171 Abs. 2 AktG nicht ausdrücklich an. Fraglich ist daher, wie der Aufsichtsrat damit in seinem Bericht umzugehen hat. b) Ganz gewiss ist der Aufsichtsrat nicht gehindert, darüber zu berichten. Fraglich ist also nur, ob er das sollte oder ob er es gar muss.

Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 171 AktG Rz. 22; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 171 AktG Rz. 11a. Diese Auffassung ist irrig. Denn das Plenum entscheidet in eigener Verantwortung, zwar auf der Grundlage des Berichtes seines Ausschusses, dem aber nur einige der Mitglieder des Plenums angehört haben. Zur verantwortlichen Entscheidung aller sind daher die Auskünfte und Erläuterungen des Abschlussprüfers unabdingbar. Das „oder“ ist also im Sinne eines „und“ zu verstehen. 41 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 52 = AG 2003, 273 – Macrotron; LG Berlin v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320. 42 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = AG 1991, 312 m. Anm. Wolf („Die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu überwachen, enthält die Pflicht, den Vorstand in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung zu beraten.“); bestätigt vom BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340 = AG 1994, 508; vgl. dazu Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 94 ff.

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aa) Die Information der Hauptversammlung über die Veränderungen im Vorstand während der Berichtsperiode ist gewiss sinnvoll und wird daher in der Praxis nahezu regelmäßig gemacht. Das „sollte“ ist daher klar zu bejahen. Dabei sind jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften keine Hinweise zu Abfindung o.ä. erforderlich, da sich diese schon aus dem VorstandsVergütungsbericht nach §§ 285 Satz 1 Nr. 9a und 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB ergeben43. bb) Damit aber ist die Frage nach dem gesetzlichen „Muss“ dieser Angaben noch nicht geklärt. Die Frage ist zu bejahen. Denn die Bestellung neuer und die Abberufung amtierender Vorstandsmitglieder ist jedenfalls mit Aspekten der Überwachung verknüpft. Und da das Gesetz in § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG ganz allgemein vom Bericht des Aufsichtsrats über seine Prüfung der Geschäftsführung spricht, ist dieser Aspekt mit erfasst44. Bei neu berufenen Vorstandsmitgliedern müssen die Gründe für die Bestellung nicht erläutert, wohl aber ihre besonderen Aufgaben, ihre Ressortzuständigkeit angegeben werden. cc) Ist mithin über Veränderungen im Vorstand zu berichten, so stellt sich weiter die Frage, ob dabei etwaige besondere Gründe für das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds zu nennen sind. Auch das ist der Fall; denn wenn der Aufsichtsrat Gründe für die Trennung von einem Vorstandsmitglied sieht, so ist das Teil und Folge seiner Überwachung. Und gerade darüber hat er ja zu berichten. 2. Bericht über Rechtsstreitigkeiten mit (ehemaligen) Vorstandsmitgliedern a) Führt die Überwachung des Aufsichtsrats zu der Feststellung, dass die Gesellschaft möglicherweise Schadensersatzansprüche gegen ein (ehemaliges) Vorstandsmitglied hat, so ist darüber zu berichten45, vor allem aber über die Maßnahmen, die der Aufsichtsrat in diesem Zusammenhang getroffen hat. Er hat also nach seiner Grundaussage über die etwaige Schadensersatzpflicht darüber zu berichten, ob er das (ehemalige) Vorstandsmitglied über den Anspruch informiert und Zahlung gefordert hat; ob er Auftrag zur Klageerhebung erteilt und insbesondere die etwaige D&O-Versicherung informiert und zur Zahlung aufgefordert hat oder

Vgl. auch Kodex Ziff. 4.2.5. Ebenso Vetter, ZIP 2006, 257, 260 sowie Kropff in G/H/E/K, 1973, § 171 AktG Rz. 32 (so in die 2. Aufl. nicht aufgenommen). 45 Ebenso Vetter, ZIP 2006, 257, 260. 43 44

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ob er von einer Durchsetzung des Anspruchs aus folgenden Gründen absieht. b) Hat der Aufsichtsrat über die Abberufung eines Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund berichtet, so wird sich aus der Abberufung in aller Regel ein Rechtsstreit mit dem Vorstandsmitglied entwickeln. Das Vorstandsmitglied wird gegen die Gesellschaft auf Feststellung klagen, dass ein wichtiger Grund nicht vorliegt und die Abberufung daher unwirksam ist, § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG. Auch darüber ist zu berichten sowie in der Folge über den Ausgang des Verfahrens. c) Zum Schutz des betreffenden Vorstandsmitglieds kann der Bericht hier in neutralisierter Form ergehen. -

IV. Berichtspflichten aus dem Aufsichtsrat 1. Entsprechens-Erklärung nach § 161 AktG Bei börsennotierten Gesellschaften haben Vorstand und Aufsichtsrat jährlich zu erklären, ob „den Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Die Erklärung ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen“.

Letzteres geschieht heute allgemein und zutreffend auf der Webseite der Gesellschaft46. Außerdem wird die Er- [9] klärung von einzelnen Gesellschaften in ihren Corporate Governance-Bericht aufgenommen.47 Damit ist das gesetzliche Erfordernis erfüllt. Eine zusätzliche Aufnahme in den Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung erübrigt sich damit. 2. Beauftragung des Abschlussprüfers und Konzern-Abschlussprüfers Nach § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG erteilt der Aufsichtsrat „dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluss gem. § 290 des Handelsgesetzbuchs.“

Das muss nicht gesondert berichtet werden, in der Regel auch nicht der Inhalt des Auftrages, der im Gesetz festgelegt ist, § 317 HGB. Es empfiehlt sich aber durchaus, dass mit dem Prüfer zusätzliche Prüfungsschwerpunkte oder Be-

46 Lutter in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2006, § 161 AktG Rz. 62; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 498; Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 161 AktG Rz. 162; Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 161 AktG Rz. 23. 47 Zur tatsächlichen Umsetzung der Erklärungsinhalte vgl. Theisen, DB 2007, 1317 ff.

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Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

richtspflichten48 vereinbart werden. Das ist dann zu berichten, weil es unmittelbar die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats und dessen Erfüllung betrifft. 3. Interessenkonflikte – Empfehlungen des Kodex Das geltende Aktienrecht beschäftigt sich an keiner Stelle mit der großen Anfälligkeit des Aufsichtsrats für Interessenkonflikte49. Anders der Kodex. Er empfiehlt zunächst einmal die interne Offenlegung des Konfliktes mit folgender Formulierung: „Jedes Aufsichtsratsmitglied soll Interessenkonflikte, insbesondere solche, die aufgrund einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Geschäftspartnern entstehen können, dem Aufsichtsrat gegenüber offenlegen“50.

Der Kodex empfiehlt aber darüber hinaus in seiner Ziff. 5.5.3 Satz 1 dem Aufsichtsrat, über solche Geschehnisse an die Hauptversammlung zu berichten: „Der Aufsichtsrat soll in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren.“

a) Gelangt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass ein Interessenkonflikt tatsächlich nicht vorliegt, so erübrigt sich jeder Bericht. b) Liegt hingegen auch aus der Sicht des Aufsichtsrats ein Interessenkonflikt vor, so ist darüber an die Hauptversammlung zu berichten – es sei denn, in der Erklärung nach § 161 AktG sei die Befolgung von Ziff. 5.5.3 des Kodex abgelehnt worden. Dieser Bericht muss weder den Grund des Konfliktes noch die betroffenen Personen benennen51. Es genügt der neutralisierte Hinweis, dass es einen solchen Konflikt gegeben hat und wie man mit ihm im Aufsichtsrat umgegangen ist. Dafür kommt – außer der Amtsniederlegung – schon von Rechts wegen nur ein Ausschluss des Betroffenen von Beratung und Beschlussfassung im Aufsichtsrat in Betracht52. Das ist dann im Bericht so auch ausdrücklich zu sagen. c) In den Berichten der Aufsichtsräte der DAX-30-Gesellschaften aus den Jahren seit 2002 (Inkrafttreten des Kodex) finden sich einige solcher Hinweisen, so etwa bei den Aufsichtsratsberichten der Deutschen Telekom und DaimlerCh48 Vgl. dazu Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 324. 49 Dazu Lutter/Quack in FS Raiser, 2005, S. 259; Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff.; Lutter in FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245 ff.; vgl. aber auch Wymeersch in Thevenoz/Bahar, Conflicts of Interest: Corporate Governance and Financial Markets, 2007, S. 261. 50 Ziff. 5.5.2; vgl. dazu Kremer in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 2. Aufl. 2005, Rz. 1101 ff. 51 Vgl. Vetter, ZIP 2006, 257, 261. 52 Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 876 f.

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rysler, die im Jahr 2005 im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Projekt „Toll Collect“ jeweils mitteilten, einzelne Aufsichtsratsmitglieder von Beratungen und/ oder Abstimmungen ausgeschlossen zu haben, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Vergleichbare Hinweise gaben auch die Commerzbank und die Deutsche Postbank53. 4. Rechtliche Konflikte a) Im ARAG-Fall54 hatte der BGH über die Klage einer AufsichtsratsMinderheit gegen die Mehrheit des Aufsichtsrats zu entscheiden. Ein solcher Konflikt „mitten im Aufsichtsrat“ befördert die Gefahr, dass der Aufsichtsrat seine Pflichten aus § 111 AktG nicht mehr korrekt erfüllen kann. Der Konflikt ist daher auch hier in neutralisierter Form der Hauptversammlung zu berichten. b) Denkbar ist, dass die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung angefochten ist. Es kann also sein, dass sich nach ein oder mehreren Jahren herausstellt, dass die Wahl unwirksam war. Das beeinträchtigt zwar nicht die Entscheidungen des Aufsichtsrats bis dahin; denn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Unwirksamkeit des Wahlbeschlusses gilt dieser als wirksam55. Aber die Stellung einzelner oder aller Aufsichtsratsmitglieder (der Anteilseigner) ist geschwächt. Auch das muss die Hauptversammlung – erneut in neutralisierter Form – durch den Bericht des Aufsichtsrats erfahren. c) Und schließlich ist sogar denkbar, dass ein noch amtierendes Mitglied des Aufsichtsrats gegen die Gesellschaft klagt56 oder die Gesellschaft gegen ein solches Mitglied etwa auf Schadensersatz nach §§ 116, 93 AktG. Möglich ist aber auch, dass dies eine Aktionärs-Minderheit nach § 148 AktG unternimmt. Über all das muss der Aufsichtsrat von Rechts wegen an die Hauptversamm- [10] lung berichten. Denn all das berührt die Fähigkeit des Aufsichtsrats zur Wahrnehmung seiner Aufgaben und insbesondere zur Überwachung des Vorstands. All dies gilt nicht, wenn der Konflikt ausgeschiedene Mitglieder betrifft. Denn davon ist der amtierende Aufsichtsrat nicht berührt.

Vgl. deren Geschäftsberichte des Jahres 2005. BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377. 55 Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2004, § 101 AktG Rz. 226; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 101 AktG Rz. 227. 56 So war es im berühmten Hertie-Fall, BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = AG 1983, 133. 53 54

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Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

5. Ausschüsse und Zahl der Sitzungen a) Für börsennotierte Gesellschaften verlangt das Gesetz in § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG ausdrücklich die Mitteilung im Bericht, welche Ausschüsse gebildet wurden. Dabei erhellt die Formulierung „welche“, dass die Mitteilung, es seien drei Ausschüsse gebildet worden, nicht ausreicht. Der Bericht muss vielmehr wenigstens in Kurzform deren Aufgabenbereich enthalten; dafür mag ihre Benennung als „Personalausschuss“, „Prüfungsausschuss“ etc. genügen57. b) Das Gesetz verlangt nicht die namentliche Bekanntgabe der Ausschussmitglieder; zweckmäßig ist das allemal58. c) Das Gesetz verlangt aber weiter die Angabe, wie oft der Aufsichtsrat und jeder seiner Ausschüsse getagt haben. Da das Gesetz die Angabe der „Zahl der Sitzungen“ von Aufsichtsrat und Ausschüssen verlangt, fällt ein Beschluss im Umlaufverfahren nicht darunter59. Hingegen kann man eine Videokonferenz, aber auch eine längere Telefonkonferenz als Sitzung werten, vorausgesetzt, es haben an ihr Mitglieder in einer Zahl teilgenommen, welche die Beschlussfähigkeit gewährleistet. d) Der Kodex verlangt darüber hinaus in Ziff. 5.4.8 für börsennotierte Gesellschaften eine Mitteilung im Bericht des Aufsichtsrats, wenn ein Aufsichtsratsmitglied im betreffenden Geschäftsjahr an weniger als der Hälfte der Sitzungen teilgenommen hat. Diese Mitteilung ist Rechtspflicht, wenn Vorstand und Aufsichtsrat das in ihrer Erklärung nach § 161 AktG nicht ausdrücklich abgelehnt haben. Das aber kommt praktisch nicht vor60. V. Der Bericht 1. Vollständigkeit Der Bericht muss vollständig und richtig sein und getreuer Rechenschaft entsprechen; das versteht sich von selbst61. Er sollte aber auch so aufgebaut sein, dass die einzelnen Berichtsteile erkennbar und unterscheidbar sind.62 Je mehr das der Fall ist, desto mehr vermeidet der Aufsichtsrat auch die Gefahr, dass einzelne Berichtserfordernisse von ihm übersehen werden. Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 159. Dazu schon oben sub II.6. f) 59 Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 160. 60 Vgl. die Berichte von v. Werder/Talaulicar, DB 2006, 849, 851; dies., DB 2007, 869, 871. 61 Vgl. Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 AktG Rz. 166. 62 Vgl. die detaillierten Gliederungsvorschläge bei Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2007, S. 215 und 254 ff. 57 58

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2. Schriftlichkeit, Auslage und Einreichung zum Handelsregister Der Bericht muss schriftlich abgefasst, vom Plenum des Aufsichtsrats beschlossen (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG), vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnet und so der Hauptversammlung vorgelegt werden, § 176 AktG. Er ist von der Einberufung der Jahres-Hauptversammlung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen, § 175 Abs. 2 AktG, und muss jedem Aktionär auf Anforderung auch zugesandt werden. Die Anlage kann unterbleiben, wenn die fraglichen Unterlagen von der Überprüfung bis zur Hauptversammlung auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich gemacht werden63. In der Hauptversammlung hat ihn der Aufsichtsratsvorsitzende zu erläutern, § 176 Abs. 1 Satz 2 AktG. 3. Wahrung der Vertraulichkeit Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Pflicht des Aufsichtsrats zur Wahrung von Geheimnis und Vertraulichkeit64 Vorrang hat vor seiner Berichtspflicht. Anders gewendet: hinsichtlich solcher Sachverhalte besteht nicht nur keine Berichtspflicht, sondern Berichte darüber sind dem Aufsichtsrat verboten65. VI. Gesetzgebung heute – eine Arabesque Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Übernahmerichtlinie66 musste der deutsche Gesetzgeber dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft aufgeben, jährlich im Lagebericht und Konzernlagebericht eine umfangreiche Darstellung der etwaigen Übernahmehindernisse in seiner Gesellschaft in neun Einzelpunkten zu geben, §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB67. Aus der englischen Fassung (Board) schloss man im Bundesministerium der Finanzen dann offenbar, dass die Richtlinie einen gleichen Bericht auch für den Aufsichtsrat vorschreibe. Dementsprechend hieß es seit dem Gesetz vom 8.7.2006 in § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG: „In dem Bericht hat der Aufsichtsrat … bei börsennotierten Gesellschaften … auch die Angaben nach § 289 Abs. 4, § 315 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs zu erläutern.“ Vgl. Bosse, DB 2007, 39 ff. Eingehend dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 384 ff. 65 Näher Drygala, AG 2007, 381; Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2008, § 171 AktG Rz. 15. 66 Richtlinie 2004/25/EG v. 21.4.2004, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, 12. 67 Gesetz v. 8.7.2006, BGBl. I 2006, 1426. 63 64

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Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

Was soll der Aufsichtsrat da „erläutern“? Er kann doch nur sagen, dass die Darstellung des Vorstands offenbar richtig und vollständig ist. Aber wir müssen uns den Kopf darüber nicht mehr zerbrechen. Denn inzwischen ist der Irrtum bemerkt worden: Art. 10 der Übernahmerichtlinie betrifft nur den Vorstand, nicht hingegen den Aufsichtsrat. Daher wurde genau dieser soeben zitierte Zusatz in § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG vom Juli 2006 im April 2007 wieder abgeschafft.68 [11] VII. Fazit Die Bedeutung des Aufsichtsrats für eine erfolgreiche und korrekte Unternehmensführung hat im letzten Jahrzehnt seit den Entscheidungen des BGH zur Beratungspflicht des Aufsichtsrats69 und seiner Pflicht zur Durchsetzung von etwaigen Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder70 sowie seit Eingriffen des Gesetzgebers im KonTraG71, dem TransPuG72 und dem UMAG73 ständig zugenommen. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf seine Berichtspflicht an die Hauptversammlung. War dieser Bericht über lange Jahrzehnte hin formelhaft und von sehr beschränktem Umfang, so hat sich das – nicht zuletzt unter dem Einfluss der Gerichte – sehr geändert. Diese Entwicklung ist ausgesprochen positiv zu sehen, zwingt sie den Aufsichtsrat doch auf Grund seiner Berichte an die Hauptversammlung zu einer jährlichen Selbstkontrolle. Der Bericht ist mithin heute ein Element guter Corporate Governance.

Gesetz v. 19.4.2007, BGBl. I 2007, 542. BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/98, BGHZ 114, 127, 130. 70 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377 – ARAG. 71 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich v. 27.4.1998, BGBl. I 1998, 786. 72 Transparenz- und Publizitätsgesetz v. 19.7.2002, BGBl. I 2002, 2681. 73 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802. 68 69

Professionalisierung des Aufsichtsrats DB 2009, S. 775-779 I. Einleitung In dem großen Werk von Bayer und Habersack über das Aktienrecht im Wandel1 habe ich über den Aufsichtsrat im Wandel der Zeit berichtet, aber – wie mir die erneute Lektüre deutlich gemacht hat – nicht nachdrücklich genug hervorgehoben, welchen Quantensprung das Recht des Aufsichtsrats durch KonTraG, TransPuG, UMAG, Kodex und Rechtsprechung allein in den letzten 10 Jahren erfahren hat. Das werde ich hier kurz zusammenstellen und erläutern, sodann die Entwicklung bei den herbrachten Aufgaben darstellen, um anschließend vor diesem Hintergrund der Frage nachzugehen, welche Rückwirkungen das gewachsene Pflichtenprogramm in Überwachung, Beratung und Entscheidung auf die Zusammensetzung und die Arbeit des Aufsichtsrats haben muss. II. Die neuen Aufgaben des Aufsichtsrats 1. Änderungen durch das KonTraG a) Durch das KonTraG hat der Gesetzgeber die Unternehmensplanung zur gemeinsamen Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat erhoben und den Vorstand zum regelmäßigen Bericht an den Aufsichtsrat verpflichtet, ob und inwieweit die Planziele erreicht wurden, § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Allein damit wurde der Aufsichtsrat vom (nur) Kontrolleur zum (auch) Mitunternehmer; denn Planung heißt Zukunft und ist damit eine ganz zentrale unternehmerische Aufgabe2. b) Seither hat auch jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied das Recht, zusätzliche Berichte des Vorstands an den Aufsichtsrat zu verlangen, § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG. Damit ist endgültig klargestellt, dass der Aufsichtsrat und jedes seiner Mitglieder mitverantwortlich sind für seine ausreichende Information durch den Vorstand3. Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2 Bände, 2007. Kort, in: Großkomm-AktG, 4. Aufl. 2008, § 76 Rdn. 36; Hefermehl/Spindler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 90 Rdn. 14 ff. (insbesondere Rdn. 17 f.). 3 So ausdrücklich der Kodex in Ziff. 3. 4. 1 2

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Professionalisierung des Aufsichtsrats

c) Weiter wurde der Vorstand zur Einrichtung eines Risiko-Überwachungssystems verpflichtet (§ 91 Abs. 2 AktG), das der Aufsichtsrat zu überwachen hat nicht nur in dem Sinne, dass es ein solches System überhaupt gibt, sondern auch dass seine Funktionstüchtigkeit dem Aufsichtsrat plausibel erscheint4. d) Darüber hinaus wurde der Aufsichtsrat verpflichtet, der Hauptversammlung Vorschläge zur Wahl des Abschlussprüfers und des Konzern-Abschlussprüfers zu machen und nach der Wahl die Verträge mit diesen zu schließen. Beide Abschlussprüfer sind heute zum Bericht über ihre Prüfung an den Aufsichtsrat und zur Teilnahme an seinen Beratungen verpflichtet, §§ 111 Abs. 2 Satz 3, 171 Abs. 1 Satz 2 AktG. Der Aufsichtsrat ist mithin heute für den ganzen Komplex Abschlussprüfung allein verantwortlich. e) Weiter wurde der Aufsichtsrat verpflichtet, der Hauptversammlung darüber zu berichten, ob und welche Ausschüsse und mit welchen Aufgaben er gebildet hat, § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG. Diese interessante, von Hommelhoff als „Anregernorm“5 bezeichnete Berichtspflicht hat ihre Funktion tatsächlich erfüllt: die Aufsichtsräte börsennotierter Gesellschaften bilden heute i. d. R. etwa drei Ausschüsse und intensivieren so ihre Arbeit nachdrücklich. f) Schließlich hat das KonTraG den Aufsichtsrat verpflichtet, nicht nur den Vorstand bei der Leitung der Gesellschaft, sondern auch seine Leitung des gesamten Konzerns zu überwachen, § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG. Das war zwar auch schon vor dem KonTraG so6, wurde aber in der Praxis nicht gelebt – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass es auch die Konzernbilanz erst seit gut 20 Jahren gibt. 2. Änderungen durch das TransPuG a) Durch das TransPuG hat der Gesetzgeber den Aufsichtsrat verpflichtet, zustimmungspflichtige Geschäfte festzulegen, um auf diese Weise eine begleitende Kontrolle über die wesentlichen Entscheidungen des Vorstands sicherzustellen, § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Er hat damit dem durch das MitbestG ausgelösten Trend zur Beseitigung fast aller zustimmungspflichtigen Geschäfte7 entgegengewirkt und den Aufsichtsrat erneut in die Rolle des Mitunternehmers gebracht8.

Vgl. Kort, a.a.O. (Fn. 2), § 91 Rdn. 55 ff.; Spindler, a.a.O. (Fn. 2), § 91 Rdn. 21 ff. Hommelhoff/Mattheus, AG 1998 S. 249. 6 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1. Aufl. 1979, S. 28 und 3. Aufl. 2006, Rdn. 148 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 2. Aufl. 1989, Rdn. 28 ff. und 5. Aufl. 2008, Rdn. 131 ff. 7 Dazu Ulmer, Die Anpassung der Satzungen von Aktiengesellschaften an das MitbestG 1976, 1980. 8 Lutter, in: Sadowski (Hrsg.), FS Albach, 2001, S. 225; kritisch demgegenüber Säcker, DB 2008 S. 2814. 4 5

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b) Zudem hat er den Kodex auf den Weg gebracht und Vorstand und Aufsichtsrat zur jährlichen Entsprechenserklärung nach § 161 AktG verpflichtet. Auch das kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, ist doch der Aufsichtsrat plötzlich mitverantwortlich geworden für die Corporate Governance des Unternehmens. 3. Änderungen durch das UMAG Durch das UMAG wurden Vorstand und Aufsichtsrat für unternehmerische Entscheidungen das Privileg der Business Judgement Rule ausdrücklich zugebilligt, das aber nur zum Zuge kommt, wenn die fragliche unternehmerische Entscheidung auf der Basis sorgfältiger und möglichst umfassender Information getroffen wurde9. Der BGH hat das in einer kürzlich ergangenen Entscheidung noch einmal nachdrücklich betont10. 4. Ausweitung der Pflichten des Aufsichtsrats durch die Rechtsprechung Auch die Rechtsprechung hat sich an dieser geradezu dramatischen Ausweitung der Pflichten des Aufsichtsrats beteiligt: a) Der BGH hat den Aufsichtsrat zur laufenden Beratung des Vorstands und mit dem Vorstand verpflichtet11. b) Der BGH und die Instanzgerichte haben den Umfang des Berichts des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung nach § 171 Abs. 2 AktG präzisiert und ausgeweitet und Verletzungen dieser Pflicht mit der Möglichkeit zur Vernichtung des Entlastungsbeschlusses bezüglich des Aufsichtsrats geahndet12. Seither sind [776] die bisher kurzen und formalen Berichte zu sorgfältigen, umfangreichen und informativen Darstellungen angewachsen13. 5. Ausweitung der Pflichten des Aufsichtsrats durch den Corporate Governance Kodex Und schließlich hat sich auch der Kodex mit seinen heute 80 Empfehlungen an der Ausweitung dieses Pflichtenprogramms für den Aufsichtsrat beteiligt: allein 32 dieser Empfehlungen betreffen den Aufsichtsrat, darunter etwa:

Lutter, ZIP 2007 S. 841. BGH-Urteil vom 3. 11. 2008 – II ZR 236/07, DB 2009 S. 509 = AG 2009 S. 117. 11 BGH-Urteil vom 25. 3. 1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114 S. 127 = DB 1991 S. 1212 = ZIP 1991 S. 653. 12 Vgl. BGH-Urteil vom 25. 11. 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153 S. 47 = DB 2003 S. 544 = ZIP 2003 S. 387; OLG München, AG 2006 S. 592 f.; OLG Stuttgart, AG 2006 S. 379. 13 Dazu Lutter, AG 2008 S. 1. 9

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Aufsichtsratsmitglieder sollen keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben, Ziff. 5. 4. 2. Wahlen zum Aufsichtsrat sollen als Einzelwahl durchgeführt werden, Ziff. 5. 4. 3. Der Aufsichtsrat soll in seinem Bericht, an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren, Ziff. 5. 3. III. Die traditionellen Aufgaben des Aufsichtsrats in heutiger Sicht

Über der Fülle der neuen Aufgaben dürfen aber die längst bestehenden Pflichten des Aufsichtsrats in ihrem heutigen Verständnis nicht vergessen werden: 1. Auswahl der Vorstandsmitglieder Die Auswahl der Vorstandsmitglieder, ihre Bestellung und Abberufung ist nach wie vor das Herzstück der Aufsichtsratspflichten14. Aber diese Aufgabe ist heute viel schwieriger als früher. Damals wuchsen die Vorstandsmitglieder im Unternehmen Schritt für Schritt heran; die Bestellung einer Person von außen war eher die Ausnahme. Heute springen gerade die Begabten von Unternehmen zu Unternehmen, um ihre Karriere zu beschleunigen. Der Aufsichtsrat muss also neben dem Personal im Unternehmen selbst auch den ganzen Markt für Führungspersonen im Auge behalten. 2. Aushandeln der Vorstandsverträge Hinzu kommen die heute hochkomplexen Vorstandsverträge. Auch wenn sie mit Hilfe erfahrener Rechtsberater formuliert werden15, so müssen sie doch zunächst einmal vom Aufsichtsrat ausgehandelt werden: Grundgehalt, Boni und kurzfristige Erfolgsbeteiligung, langfristige Erfolgsbeteiligung, Pension. All das hat der Aufsichtsrat mit jedem Vorstandskandidaten auszuhandeln, ehe juristischer Sachverstand ans Werk gehen kann.

14 Vgl. Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 6), 5. Aufl. 2008, Rdn. 331 sowie Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, passim. 15 Vgl. nur Fonk, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, S. 510.

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3. Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands Seit eh und je hat der Aufsichtsrat die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen, § 111 Abs. 1 AktG. Aber was ist daraus geworden? Noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ist man auf harsche Kritik gestoßen mit der These, dass der Aufsichtsrat den Vorstand in seiner Geschäftsführung konzernweit zu überwachen habe. Das ist seit dem KonTraG und dem geänderten § 90 Abs. 1 AktG nicht mehr streitig, aber für den Aufsichtsrat eines weltweit tätigen Unternehmens kann die Bedeutung dieser Aufgabe gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten Unternehmenskrisen von Tochtergesellschaften ausgelöst werden – von der einstigen Metallgesellschaft16 bis zur heutigen Hypo Real Estate17. Die Erfüllung dieser Aufgabe setzt zunächst einmal voraus, dass der Vorstand nach den Regeln des § 90 AktG auch über den Konzern im Soll-Ist-Vergleich berichtet. Ob er dies getrennt nach Sparten tut oder eher nach Regionen, hängt vom Tätigkeitsfeld des Konzerns ab. Auf jeden Fall aber muss er über besondere Vorkommnisse berichten, wie etwa Auftrags- und Beschäftigungsprobleme in den USA Kreditprobleme in Japan und den USA etc. Es gehört große Kenntnis und Erfahrung dazu, allein den rechtlichen Aufbau eines internationalen Konzerns und die Haftungsstrukturen zu durchschauen. 4. Legalität der Unternehmensführung Die Überwachung selbst betraf stets und zuförderst die Legalität der Unternehmensführung. Was das heute nach den immens teuren Kartell- und Bestechungsfällen der letzten Jahre bedeutet, welche Anforderungen heute an ein ComplianceSystem im Unternehmen gestellt werden müssen, kann nur der erfahrene Fachmann ermessen18. Immerhin ist unser Wissen um die Technik der Compliance in den letzten Jahren sehr gewachsen. Im Zentrum stehen drei Dinge: die ernsthafte und glaubhafte Aussage des Vorstands, dass keinerlei Rechtsverstöße im Unternehmen und Konzern geduldet, sondern mit arbeitsrechtlichen Sanktionen verfolgt werden19, die konsequente Schulung des Personals und 16 Die Gesellschaft hatte durch Fehlspekulationen ihrer US-amerikanischen Tochter i. H. von 2 Mrd. DM praktisch ihr ganzes Vermögen verloren. 17 Die Gesellschaft hat durch die Fehlspekulationen ihrer irischen Tochter Depfa Plc. mehr als ihr gesamtes Vermögen verloren. 18 Vgl. nur die Abhandlungen in dem Sammelband von Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, 2007. 19 Vgl. Hauschka, a.a.O. (Fn. 18), § 1 Rdn. 38; Greeve, ebd., § 24 Rdn. 68 ff.; Lampert, ebd., § 9 Rdn. 32.

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die Einrichtung eines Systems, wie Mitarbeiter anonym Verstöße und Beobachtungen mitteilen können. Über das Wie wird viel diskutiert; neben der Einrichtung eines internen Ombudsmanns ist die Beauftragung eines externen Anwalts die häufigste Lösung20. 5. Überwachung des Risikomanagements des Vorstands

Und nicht zuletzt hat der Aufsichtsrat das Risikomanagement des Vorstands zu überwachen – erneut konzernweit. Nach den enormen Verlusten der Banken durch ihre verfehlten Anlagen in die windigen amerikanischen Wertpapiere21 müssen sich alle Aufsichtsräte fragen, ob sie dem Risikomanagement in ihrem Unternehmen genügend Aufmerksamkeit gewidmet haben und widmen. Denn die Aufsichtsräte sind von Rechts wegen dazu da, solche Fehlentwicklungen zu verhindern: als Bank-Aufsichtsräte haben sie alle miteinander versagt. Es geht also darum, dass der Vorstand ein leistungsfähiges, konzernweites und vor allem unabhängiges Risikomanagement aufbaut. Die Wirtschaftsprüfer sind ihm dabei gerne behilflich. Der Aufsichtsrat hat sich sodann von der Plausibilität dieses Systems zu überzeugen und wird gut daran tun, den Leiter dieser Abteilung und den Abschlussprüfer mindestens einmal im Jahr anzuhören. Im Übrigen hat das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) in einem erweiterten § 107 AktG die konzernweite Pflicht des Aufsichtsrats zur Kontrolle des Risikomanagement-Systems noch einmal betont22. [777] 6. Kontrollpflichten hinsichtlich der Rechnungslegung Seit eh und je hat der Aufsichtsrat gemeinsam mit dem Vorstand die Bilanz festzustellen und heute auch die Konzernbilanz zu bestätigen, § 171 Abs. 2 AktG. Was das an Kenntnis über die verschiedenen Bilanzierungsmodelle nach HGB einerseits (Einzelbilanz) und IFRS andererseits (Konzernbilanz) bedeutet, ist kaum zu ermessen. Ganze Bibliotheken sind dazu geschrieben worden und werden weiter

Vgl. dazu Lampert, a.a.O. (Fn. 19), § 9 Rdn. 34. Dazu Lutter, ZIP 2009 S. 197. 22 § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG (neu) lautet: „Er (scil: der Aufsichtsrat) kann insbesondere einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des internen Risikomanagement-Systems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlußprüfung … befasst.“ Wenn der Aufsichtsrat diese Aufgaben an den Prüfungsausschuss geben kann, dann hat sie der Aufsichtsrat zunächst einmal selbst. 20 21

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geschrieben, aber der Aufsichtsrat muss für beide Bilanzen die Mitverantwortung übernehmen23. 7. Festlegung zustimmungspflichtiger Geschäfte Und schließlich hat der Aufsichtsrat, wie oben schon gesagt, zustimmungspflichtige Geschäfte festzulegen. Dabei handelt es sich in aller Regel um große unternehmerische Entscheidungen. Der Aufsichtsrat muss hier also wie ein Mitunternehmer weitreichende unternehmerische Entscheidungen treffen und naturgemäß auch mit verantworten. In der Sache kann er das nur auf der Basis einer sorgfältigen Vorlage des Vorstands, die mindestens die Rentabilität der geplanten Maßnahme, die Auswirkung für die Liquidität und die möglichen Alternativen spricht24. IV. Zwischenanalyse All das und noch mehr soll der Aufsichtsrat in vier eintägigen Sitzungen leisten, § 110 Abs. 3 Satz 1 AktG. Das ist schlechthin ausgeschlossen. Wer glaubt, diese vielfältigen und hochkomplexen Aufgaben könnten auf diese Weise in einem oft schwerfälligen Gremium von 16 oder gar 20 Mitgliedern25 solide erfüllt werden, der täuscht sich oder schließt bewusst die Augen. Die Frage lautet also: Was ist zu tun? V. Organisation der Aufsichtsratsarbeit Wenn der Aufsichtsrat als Gesamtgremium mit den dargestellten Aufgaben überfordert ist, muss er sich Hilfe beschaffen. Diese Hilfe kann von außen kommen, allerdings nur punktuell und nicht flächendeckend; das sagt das Gesetz in § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG ausdrücklich26. So kann der Aufsichtsrat eine Anwaltskanzlei etwa mit der Ausarbeitung des Entwurfs eines Vorstandsvertrages beauftragen, kann dieser Kanzlei aber nicht die ganzen Verhandlungen mit Vorstandsmitgliedern zur selbstständigen Erledigung übertragen27. 23 Näher dazu Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 14); Brönner, in: Großkomm-AktG, 4. Aufl. 2006, § 171 Rdn. 22 ff.; Lutter, AG 2008 S. 1. 24 Vgl. Säcker, DB 2008 S. 2814 (2819) sowie Lutter, a.a.O. (Fn. 6), 3. Aufl. 2006, Rdn. 86 ff. 25 § 7 Abs. 1 MitbestG. 26 Vgl. Semler, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 109 Rdn. 47 ff. 27 Vgl. Mertens, in: KölnKomm-AktG, 2. Aufl., § 109 Rdn. 16; Semler, a.a.O. (Fn. 25), § 109 Rdn. 47; Drygala, in: Karsten Schmidt/Lutter, AktG, § 109 Rdn. 8 ff.

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Die Hilfe kann aber auch von innen kommen durch die erhöhte Inanspruchnahme seiner Mitglieder in Ausschüssen. Das ist im Gesetz ausdrücklich vorgesehen (§ 107 Abs. 3 AktG), im Kodex mehrfach empfohlen (Ziff. 5.3) und heute die richtige Lösung, um den vielfach gestiegenen Aufgaben des Aufsichtsrats gerecht zu werden28. 1. Bereits die erste Fassung des Kodex von 2002 enthielt und enthält noch immer in Ziff. 5. 3. 2 die Empfehlung, einen Prüfungsausschuss einzurichten und ihm die Vorbereitung der Bilanzsitzung und die Kontrolle des Risikomanagements zu übertragen. Heute wird weiter empfohlen, dem Ausschuss auch die Kontrolle der Compliance im Unternehmen anzuvertrauen. Damit sind die obigen Positionen 3, 4 und 5 abgedeckt. 2. In vielen Unternehmen besteht auch ein sog. Präsidialausschuss, dem die Vorbereitung der Neubesetzung und Wiederbesetzung von Vorstandsmitgliedern sowie deren, Vergütung obliegt29. Damit ist die obige Position 1 erfasst. In großen und größeren Gesellschaften ist dieser Ausschuss nahezu unabdingbar. 3. Erneut der Kodex empfiehlt heute auch in Ziff. 5.3.3 die Einrichtung eines Nominierungsausschusses zur Vorbereitung von Vorschlägen des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung bezüglich der Wahl von neuen Aufsichtsratsmitgliedern oder deren Wiederwahl. Darauf ist zurückzukommen. 4. Damit bleiben dem Aufsichtsrat allein und ohne Hilfe eines Ausschusses die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands in Gesellschaft und Konzern sowie die Entscheidung über zustimmungspflichtige Geschäfte. a) Letztere stehen nur an, wenn der Vorstand ein solches Geschäft vornehmen will. Er wird dann seine Vorlage eingehend begründen, da er eine positive Entscheidung des Aufsichtsrats wünscht. Der Vorstand muss hier also die Vorbereitung der Entscheidung des Aufsichtsrats leisten30. Hier wird die Einschaltung eines Ausschusses nur in Ausnahmefällen erforderlich sein. b) Anders steht es um die allgemeine Überwachung. Sie wird einerseits durch die vierteljährlichen Berichte des Vorstands wesentlich erleichtert und kontu-

28 Das Gesetz denkt sich den Aufsichtsrat und seine Ausschüsse immer als Gremium, nie als einzelne Person. Nichts steht zwar dem entgegen, dass der Aufsichtsrat eines seiner Mitglieder bittet, eine bestimmte Frage zu prüfen. Aber der Bericht darüber geht an das Gremium, das allein zur Entscheidung befugt ist. Vgl. dazu Semler, a.a.O. (Fn. 26), § 107 Rdn. 226 ff. 29 Vgl. dazu Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 14), Rdn. 331. Bislang ist es üblich, diesen Ausschuss mit der Vorbereitung der Bestellung und Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern zu betrauen, ihm aber die Entscheidung über den Anstellungsvertrag und die Vergütung zu überlassen. Das soll, dem Vorschlag des Verf. entsprechend (FAZ vom 5. 3. 2009), künftig ausgeschlossen sein, sodass der Gesamtaufsichtsrat auch darüber befinden muss (vgl. Koalitions- und Kabinettsbeschluss vom 11. 3. 2009: www.bundesregierung.de). 30 Zu diesen Vorlageberichten vgl. Lutter, a.a.O. (Fn. 6), 3. Aufl. 2006, Rdn. 86 ff.; Säcker, DB 2008 S. 2814 (2819).

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riert31. Andererseits ist die Überwachungsaufgabe in großen und größeren Unternehmen so umfangreich und umfassend, dass sich eine gewisse Strukturierung empfiehlt. Das gilt insbesondere für die finanzielle Lage der Gesellschaft und des Konzerns. Zwar berichtet der Vorstand auch darüber vierteljährlich, und den Risiko-Aspekt beaufsichtigt der Prüfungsausschuss. Andererseits sind die Fragen von Liquidität und Ertrag für das Unternehmen und sein Wohl heute ebenso zentral wie wichtig und komplex. Es könnte sich also durchaus empfehlen, sie einem weiteren Ausschuss, einem Finanzausschuss anzuvertrauen. 5. Macht der Aufsichtsrat von diesen Möglichkeiten der Einrichtung von mehreren Ausschüssen Gebrauch, so erreicht er ein Doppeltes: arbeitsfähige kleine Gruppen und die Möglichkeit, seinen Aufgaben materiell und nicht nur formell gerecht werden zu können. VI. Die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats 1. Die Bildung von Ausschüssen mit den genannten Aufgaben ist ohne Zweifel eine ebenso hilfreiche wie notwendige Maßnahme, um die stark erweiterten Aufgaben des Aufsichtsrats zu erfüllen. Aber sie nützen nichts, wenn die Mitglieder der Ausschüsse von der Sache nichts verstehen. Das hat auch der Kodex erkannt und empfiehlt die Besetzung des Prüfungsausschusses mit mindestens einer Person, die Kenntnisse im Bereich von Rechnungslegung und Jahresabschluss hat (Ziff. 5.3.2). Und die geänderte 8. EU-Richtlinie ist ihm darin gefolgt32, sodass wir diese Empfeh- [778] lung in aller Kürze auch in § 105 Abs. 5 AktG als verbindliche Norm werden lesen können33. 2. a) In Wirklichkeit aber handelt es sich nicht um ein spezielles, sondern um ein allgemeines Problem. Dieses allgemeine Problem lautet: die Aufgaben des Aufsichtsrats sind heute so vielfältig und vielschichtig, dass nicht jedes Aufsichtsratsmitglied das alles persönlich leisten kann. Natürlich braucht man den Techniker im Aufsichtsrat, auch wenn er von der Erstellung von Bilanzen nichts versteht. Natürlich braucht man die Frau oder den Mann, die über breite Personalkenntnisse verfügen, auch wenn sie vom Risikomanagement oder der Compliance nichts verstehen. Kurz: man konnte im Grunde noch nie, heute aber erst recht nicht davon ausgehen, dass alle Aufsichtsräte allen anstehenden Aufgaben im Aufsichtsrat persönlich gerecht werden können. Dann aber gilt es – wie oben getan –, diese Aufgaben zu benennen und dafür zu sorgen, dass für jedes 31 Dazu Lutter, a.a.O. (Fn. 6), 3. Aufl. 2006, Rdn. 32 ff.; Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 14), Rdn. 193 ff.; Drygala, a.a.O. (Fn. 27), § 90 Rdn. 6 ff.; Kort, a.a.O. (Fn. 2), § 90 Rdn. 78 ff. 32 Art. 41 der RL 206/43/EG v. 17. 5. 2006, ABIEU Nr. L 157, S. 87. 33 Vorgeschlagen in Art. 5 Nr. 3 des RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008 und vom Bundestag inzwischen so beschlossen.

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dieser Felder mindestens ein Kenner der Materie im Aufsichtsrat vertreten ist – nicht anders als es Kodex, EU-Richtlinie und das Gesetz speziell für die Aufgaben des Prüfungsausschusses tun34. Das bedeutet: Der Aufsichtsrat, und zwar nur die Vertreter der Anteilseigner in ihm, haben der Hauptversammlung Vorschläge für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner zu machen, § 124 Abs. 3 AktG. Da die Hauptversammlung selbst zu einer solchen Auswahl gar nicht in der Lage ist, wird diesen Vorschlägen stets entsprochen. De facto handelt es sich also um eine Art Kooptation. Die Anteilseigner im Aufsichtsrat sind also verantwortlich für eine sachgerechte Zusammensetzung des Aufsichtsrats in der Zukunft. Das aber bedeutet, dass man die Wahl vorbereiten und planen muss. Man muss sich also im Kreis der Anteilseigner darüber klar werden und einigen, welche Kompetenzen im Gremium vertreten sein müssen, um dann erst auf die Suche nach den dafür am besten geeigneten Personen zu gehen35. Eine solche Idealbesetzung des Aufsichtsrats könnte also lauten: ein (früherer) Unternehmensleiter (mit Auslandserfahrung) ein Produktionsfachmann (Techniker) ein Entwicklungsfachmann ein Finanzfachmann ein unternehmensrechtlich und international erfahrener Jurist ein Steuerfachmann ein Rechnungsleger. Wenn hier von „Fachmann“ gesprochen wird, ist stets und immer die „Fachfrau“ mit gemeint: Auf sie sollte in Zukunft sehr viel häufiger zugegangen werden, repräsentiert sie doch die Hälfte der in unserer Gesellschaft vorhandenen Kompetenzen und Fähigkeiten. Anders gewendet: Es geht jedenfalls heute weniger um Leuchttürme als um Arbeiter im Weinberg. b) Die Bundesregierung wählt in ihrem Gesetzesvorschlag zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht vom 25. 3. 2009 einen anderen Ansatz. Danach sollen Aufsichtsratsmitglieder von Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern von der BaFin abberufen werden können, wenn sie die „zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen nicht haben“36. Die fachliche Eignung zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte soll also künftig de facto Voraussetzung für die Wahl zum Aufsichtsrat eines solchen Unternehmens sein.

Oben Fn. 32 und 33. Eingehend dazu v. Werder/Wieczorek, DB 2007 S. 297. 36 Vgl. Weber-Rey, Behörden können Räte abberufen, FAZ Nr. 77 vom 1. 4. 2009, S. 23. 34 35

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Versteht man die „fachliche Eignung“ weit, so ist nichts dagegen zu sagen; versteht man sie hingegen eng, so bestünde der Aufsichtsrat von Banken künftig nur noch aus Derivate-Spezialisten. Und das wäre gewiss nicht gut. 3. Das führt zu einem weiteren Aspekt in diesem Zusammenhang, der Auswahl des Aufsichtsratsvorsitzenden. Wie schon oben gesagt, wird der Aufsichtsrat immer als Gremium tätig, sei es als Plenum, sei es als Ausschuss mit mindestens drei Mitgliedern37. Das setzt einerseits Organisation und Planung der Aufsichtsratsarbeit voraus38, andererseits muss die ständige Verbindung mit dem Vorstand sichergestellt sein39. Beides kann nur der Aufsichtsratsvorsitzende leisten. Seine unternehmerische Erfahrung, seine Organisationskraft und seine zeitlichen Möglichkeiten sind von ganz entscheidender Bedeutung. Das ist von den Anteilseignern im Aufsichtsrat bei ihren Wahl-Vorschlägen an die Hauptversammlung sorgfältig zu bedenken; denn aus diesem Kreis müssen sie dann selbst den Aufsichtsratsvorsitzende auswählen, § 107 Abs. 1 AktG, § 27 MitbestG. 4. Und schließlich müssen infolge der stark gestiegenen Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats die zeitlichen Möglichkeiten seiner Mitglieder sorgfältig bedacht werden. Die besten Erfahrungen und Kompetenzen einer Person nutzen der Gesellschaft nichts, wenn sie aus Zeitgründen nicht zum Tragen kommen können. Das gilt für den Aufsichtsratsvorsitzenden allemal, aber auch für die Vorsitzenden der Ausschüsse und deren Mitglieder. Für den Aufsichtsratsvorsitzenden einer größeren oder großen Gesellschaft wird man heute die Arbeitszeit von zwei bis drei Monaten eines Jahres, für die Vorsitzenden von wesentlichen Ausschüssen sechs Wochen und für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder – die praktisch alle auch Mitglieder in Ausschüssen sein werden – vier Wochen zu rechnen haben. Das alles hat dann natürlich auch Bedeutung für ihre von der Hauptversammlung nach § 113 AktG festzulegende Vergütung40.

37 In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass jeder aktienrechtliche Ausschuss mindestens drei Mitglieder haben muss; vgl. BGH-Urteil vom 23. 10. 1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65 S. 190; Semler, a.a.O. (Fn. 26), § 107 AktG Rdn. 241. 38 So etwa Roth, in: Hopt, Großkomm-AktG, 4. Aufl., § 107 Rdn. 228 ff.; Semler, a.a.O. (Fn. 26), § 107 AktG Rdn. 226 ff. 39 Vgl. § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG und Ziff. 5.2 Abs. 3 des Kodex. In nicht wenigen Gesellschaften gehört das wöchentliche Gespräch zwischen Aufsichtsratsvorsitzendem und Vorstandsvorsitzendem zum eisernen Bestand ihrer Corporate Governance, in manchen Gesellschaften liegen sogar die Zimmer der beiden Vorsitzenden nebeneinander. 40 Lutter, ZIP 2003 S. 737; Lutter, ZIP 2006 S. 733; Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 6), 5. Aufl., S. 496. Die heute mehr und mehr geübte Berücksichtigung der Funktion nicht nur des Aufsichtsratsvorsitzenden und des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern auch des Vorsitzes und der Mitgliedschaft in Ausschüssen ist vollkommen richtig; vgl. dazu Semler/Wagner, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, S. 660.

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VII. Kenntnis vom Unternehmen Viele Aufsichtsräte werden heute gewählt, ohne dass sie das Unternehmen selbst kennen. Sie sitzen dann im Aufsichtsrat und müssen erst langsam verstehen, über welche speziellen Probleme eigentlich debattiert wird – zumal sich niemand gerne durch entsprechende Fragen als ignorant erweist. Diese Zeitverschwendung sollte vermieden werden durch ein zweitägiges Arbeitstreffen gleich zu Beginn der Amtszeit, in dem Vorstände und Abteilungsleiter den neuen Aufsichtsratsmitgliedern das Unternehmen vorstellen. Selbstverständlich sollte der Abschlussprüfer beteiligt sein und selbstverständlich auch der Vorsitzende [779] des Betriebsrats. Aber auch der visuelle Eindruck von der Tätigkeit der Gesellschaft und ihrer Produktion sollte nicht zu kurz kommen: Sauberkeit und Ordnung im Betrieb sowie Kompetenz und Freundlichkeit der Mitarbeiter sagen sehr viel über das Unternehmen und die Qualität seiner Leitung aus. Kurz: die neuen Aufsichtsratmitglieder sollten umgehend nach ihrer Wahl mit dem Unternehmen, seinen Besonderheiten und Problemen vertraut gemacht werden so, dass sie von der ersten Sitzung an fruchtbar mitarbeiten können. VIII. Weiterbildung 1. Der Aufsichtsrat hat sich nach einer Empfehlung des Kodex in Ziff. 5.6 selbst zu evaluieren. Das ist ein schwieriges Unterfangen41. Aber immerhin kann es zu der Erkenntnis führen, dass die Arbeit dieses Aufsichtsrats suboptimal ist. In diesem Falle ist guter Rat teuer. Aber es gibt ihn heute immerhin in Form von Einrichtungen, die ein entsprechendes ein- oder zweitägiges Lehrprogramm anbieten. Das gilt in gleicher Weise, auch wenn die Evaluierung gut ausgefallen ist, der Aufsichtsrat selbst aber der Meinung ist, dass seine Arbeit verbessert werden könnte. 2. Von diesen Anlässen bzw. Maßnahmen abgesehen, könnte man erwägen, den Aufsichtsräten zu empfehlen, alle zwei Jahre eine zweitägige „Auffrischung“ ihrer Kenntnisse und Erfahrungen zu unternehmen, in der sie insbesondere über neue Entwicklungen auf allen für sie relevanten Gebieten informiert werden. 3. Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance sagt dazu: „Der Verwaltungsrat sorgt für eine geeignete Einführung neuer, gewählter Mitglieder und, bei Bedarf, für eine aufgabenbezogene Weiterbildung.“42 Dem kann man nur zustimmen.

41 Vgl. dazu v. Werder, in: Kodex Kommentar, S. 293; v. Werder/Talaulicar, DB 2007 S. 869; Seibt, DB 2003 S. 2107. 42 Ziff. 13 des Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance.

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IX. Mitarbeiter des Aufsichtsrats In großen und größeren Unternehmen verfügt der Aufsichtsratsvorsitzende in aller Regel über eigene Räume und einige Mitarbeiter. Die anderen Aufsichtsratsmitglieder haben darauf keinen Zugriff. Vorstandsmitglieder anderer Unternehmen im Aufsichtsrat haben „zu Hause“ Assistenten, denen sie die sachliche Aufbereitung von Aufsichtsratssitzungen übertragen können43. Aber auch daran partizipieren die anderen Aufsichtsratsmitglieder nur mittelbar. Fraglich ist daher, ob die Arbeit des Aufsichtsrats dadurch effizienter gestaltet werden kann, dass er und seine Mitglieder Zugriff auf eigenes Personal haben. Ich bin mir da nicht sicher. Einerseits kann der Aufsichtsrat auf diese Weise zusätzliche Informationsquellen erschließen. Andererseits kann er schon heute die gleichen Fragen und Aufgaben dem Vorstand stellen. Man sollte also vielleicht zunächst einmal dieses zusätzliche Informationspotential aus § 90 Abs. 3 AktG erschließen und erst dann über die Frage entscheiden, ob dem Aufsichtsrat eigenes Personal an die Seite zu stellen ist. X. Zusammenfassung Die Aufgaben des Aufsichtsrats sind in den letzten Jahren ungewöhnlich stark gestiegen – teils durch die Zuweisung neuer Aufgaben, teils durch die gewachsene Komplexität der bisherigen Aufgabenfelder. Dem kann der Aufsichtsrat in seiner hergebrachten Arbeitsweise nicht mehr gerecht werden. Unabdingbar sind die Einrichtung von mindestens drei, besser vier Ausschüssen und die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner nach den im Unternehmen erforderlichen Kompetenzen. Darüber hinaus sollte man über eine jährliche Weiterbildungs-Sitzung und ein kleines Büro des Aufsichtsrats mit zwei bis drei Mitarbeitern immerhin nachdenken. Im Übrigen sollte man nicht vergessen, dass alle diese Fragen mit der Gefahr einer Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gekoppelt sind. Denn diese schulden sorgfältige Arbeit, § 116 AktG. Und das bedingt sorgfältige Auswahl der Personen44 und sorgfältige Organisation.

Vgl. dazu Lutter/Krieger, DB 1995 S. 257. Deswegen hat der Verf. bereits in seiner Abhandlung von 2003 (ZIP 2003 S. 417) über ein „Auswahlverschulden“ der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat gesprochen, wenn diese bei ihren Vorschlägen an die Hauptversammlung zur Wahl bzw. Wiederwahl von Aufsichtsratsmitgliedern nicht sorgfältig genug vorgehen. 43 44

Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten IN: HOMMELHOFF/RAWERT/K. SCHMIDT (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR HANS-

JOACHIM PRIESTER, KÖLN 2007, S. 417-425 Inhaltsübersicht I. II. III. IV.

Problemlage Lösungen Der Begriff des Interessenkonflikts Rechtsfolgen bei Verletzung der Verhaltenspflichten I. Problemlage

Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte sind auf das alleinige Wohl „ihrer“ Gesellschaft verpflichtet. Das ist nahezu unstreitig1. Aber sie leben nicht als Eremiten auf einer Insel, sondern haben in einem Geflecht von Beziehungen ihre eigenen Interessen, vor allem aber sind sie eingebunden in Interessen Dritter aus anderen Tätigkeiten und Bindungen oder solchen ihrer Familienmitglieder: Vorstand A der X-AG ist Inhaber einer Reinigungsfirma, die sich jetzt um einen Auftrag der X-AG bemüht; die Frau von Vorstandsmitglied B der Y-AG ist Inhaberin eines Zuliefer-Unternehmens, das in laufender Geschäftsverbindung mit der Y-AG steht; Aufsichtsrat C der Z-AG ist Vorstandsmitglied einer Bank, die Z finanziert und deren Aktien emittiert; etc.; etc.2 Solche widerstreitenden Interessen in der Person von Organmitgliedern lassen sich nicht a priori verhindern. Weder können und wollen wir A von Rechts wegen daran hindern, seine persönlichen Mittel unternehmerisch anderweitig 1 BGHZ 36, 296 (306 f.); BGH, NJW 1980, 1629, dazu Ulmer, NJW 1980, 1603 sowie Lutter, ZHR 145 (1981), 224 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrates, 4. Aufl. 2002, Rz. 842, 843; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 AktG Rz. 173; Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 116 AktG Rz. 5; Mertens in KölnKomm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 116 AktG Rz. 22 ff.; Semler/Stengel, NZG 2003, 1 (2); Dreher, JZ 1990, 896 (900). 2 Weitere Konfliktfelder bei Lutter, Bankenvertreter im Aufsichtsrat, ZHR 145 (1981), 224 ff. und Werner, Aufsichtsratstätigkeit von Bankenvertretern, ZHR 145 (1981), 252; Hopt, ZGR 2004, 1 ff.

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anzulegen, noch können wir B daran hindern, eine anderweitig engagierte Unternehmerin zu heiraten, noch ist es der Z-AG verboten, einen Bankier in ihren Aufsichtsrat zu wählen, der Vorstand ihrer Hausbank ist. Auf der anderen Seite aber hat man sofort erhebliche Zweifel, wenn A, handelnd für die X-AG, den Vertrag mit seiner Reinigungsfirma oder B, handelnd für die Y-AG, den Vertrag mit dem Unternehmen seiner Frau selbst [418] unterschreibt, oder C am Beschluss des Aufsichtsrats der Z-AG mitwirkt, mit dem der Kreditvertrag mit seiner Bank nach § 111 Abs. 4 AktG genehmigt wird. Es geht also um rechtlich verbindliche Verhaltensregeln für Organmitglieder im Interessenkonflikt und um die Frage, welche rechtlichen Sanktionen eingreifen, wenn sie nicht beachtet werden. II. Lösungen 1. Das Gesetz schweigt. Das hier zunächst nahe liegende Verbot des Selbstkontrahierens bzw. der Doppelvertretung nach § 181 BGB kommt nicht zum Zuge, weil in diesen Fällen die fraglichen Organmitglieder weder unmittelbar noch mittelbar beim Abschluss auf den beiden Seiten der Verträge tätig sind und § 181 BGB Interessenkonflikte als solche gerade nicht regelt3. Und diese Aussage – keine allgemeine Regelung in § 181 BGB von Interessenkonflikten – gilt auch bei Organbeschlüssen zur allgemeinen Geschäftsführung einer Gesellschaft4, wie das im dritten Beispiel des zustimmenden Aufsichtsratsbeschlusses der § 111 Abs. 4 AktG der Fall ist. 2. Unterzeichnet A den Reinigungsvertrag für X und B den Liefervertrag für Y selbst – was in praxi ungewöhnlich genug wäre5 –, so könnte man immerhin an einen Missbrauch ihrer Vertretungsmacht denken, ohne dass es auf einen Schaden von X oder Y ankäme. Denn nach heutiger Lehre und Rechtsprechung6

3 Allg. Meinung, vgl. nur BGHZ 91, 334 (335 ff.); Schramm in MünchKomm.BGB, 3. Aufl. 1993, § 181 BGB Rz. 34 ff.; Schilken in Staudinger, BGB, 13. Aufl. 1999, § 181 BGB Rz. 43; Frensch in Prütting/Wegen/Weinrich, BGB, 2006, § 181 BGB Rz. 10, 12; Leptien in Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 181 BGB Rz. 8 ff.; a. A. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 189 f. 4 Vgl. BGHZ 112, 339 (342) („rein interne Willensbildung über eine Geschäftsführungsmaßnahme“); anders aber Wilhelm, NJW 1983, 912 (913). 5 Verträge dieser Art werden üblicherweise von den zuständigen Abteilungsleitern als Prokuristen oder Bevollmächtigten abgeschlossen. Handeln andere Vorstandsmitglieder oder Prokuristen für die betroffene Gesellschaft X bzw. Y, ist § 181 BGB per se nicht anwendbar, vgl. BGHZ 91, 334 (335 f.). 6 Früher war außer dem Fehlen der Vertretungsmacht und der Kenntnis bzw. dem Kennen-Können des Partners ein bewusst die Gesellschaft schädigendes Verhalten des Vertreters erforderlich: BGHZ 50, 112 (114); so heute noch Leptien in Soergel (Fn. 3), § 177 BGB Rz. 17.

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genügen dafür das objektive Fehlen der Vertretungsmacht7 und die Kenntnis oder das Kennen-Können des Partners. Letzteres ist den hier angesprochenen Fällen nahezu fraglos gegeben, werden doch die Besitzverhältnisse auch den führenden Angestellten nicht verborgen geblieben sein. [419] 3. Kehren wir damit zu unserer Frage zurück, wie sich Organvertreter in Interessenkonflikten von Rechts wegen zu verhalten haben, auch wenn das Gesetz schweigt. Der Deutsche Corporate Governance Kodex sagt dazu für Vorstandsmitglieder: „4.3.4 Jedes Vorstandsmitglied soll Interessenkonflikte dem Aufsichtsrat gegenüber unverzüglich offen legen und die anderen Vorstandsmitglieder hierüber informieren …“

und für Aufsichtsratsmitglieder „5.5.2 Jedes Aufsichtsratsmitglied soll Interessenkonflikte, insbesondere solche, die aufgrund einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Geschäftspartnern entstehen könnten, dem Aufsichtsrat gegenüber offen legen.“

spricht also in beiden Fällen eine Empfehlung8 zur Offenlegung des Konfliktes aus. Aber: der Kodex ist nicht Gesetz. Ob diese seine Aussagen vielleicht aus anderen Gründen schon geltendes Recht sind, wird nachstehend erörtert9. 4. a) Oben hatten wir schon gesagt, dass Vorstände und Aufsichtsräte in ihrem Tun und Lassen ausschließlich auf das Wohl ihrer Gesellschaft verpflichtet sind10. Man könnte daher argumentieren, dass ihnen ein solches ausschließliches Handeln im Interesse der Gesellschaft im Interessenkonflikt nicht mehr möglich ist. Und genau das trifft auch zu: Niemand kann die Interessen der eigenen Gesellschaft (A) oder die Interessen des Unternehmens der Frau (B) oder der Gesellschaft des Hauptberufes (C) völlig ausblenden. Niemand ist in einer solchen Situation innerlich so frei, dass er nur an die Interessen „seiner“ Gesellschaft denken könnte, deren Organ er ist er mag sich persönlich noch so darum bemühen. Seine innere Befangenheit würde mithin zur sachlichen Gefahr für die GeVon dieser Schädigungsabsicht sieht der BGH spätestens seit den Entscheidungen WM 1988, 704 (706), ZIP 1997, 1419 und zuletzt ZIP 2006, 1391 ab. 7 Dazu unten sub II, 5 sowie BGHZ 127, 239 (241 f.); BGH, NZG 2004, 139, 140; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 82 AktG Rz. 7. 8 Werden Empfehlungen des Kodex nicht eingehalten, muß das in der Jahreserklärung nach § 161 AktG ausdrücklich gesagt werden; vgl. Lutter in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2006, § 161 AktG Rz. 47; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 1), § 161 AktG Rz. 136; v. Werder in KodexKomm., 2. Aufl. 2005, Rz. 1639. 9 Unten II. 4. Eingehend zu Interessenkonflikten von Organmitgliedern und ihrer Lösung Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 766 ff. 10 Vgl. Fn. 1.

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sellschaft und ihre Interessen. Anders gewendet: Die Gesellschaften X, Y und Z können nicht mehr sicher sein, dass nicht auch gegenläufige Interessen im Handeln ihrer Organmitglieder A, B und C wirksam werden. Das kann dann nur bedeuten, dass die betreffenden Organmitglieder in diesen Situationen für die Gesellschaft nicht handeln dürfen, mit anderen Worten: Die Organmitglieder A und B sind insoweit von der Geschäftsführung für die Gesellschaft und von jeg- [420] licher Mitwirkung an dem fraglichen Geschäft für diese von Rechts wegen ausgeschlossen. Ähnliches gilt für das Aufsichtsratsmitglied C: seine Befugnis zur Mitwirkung an der Beratung und Entscheidung im Aufsichtsrat der Z bezüglich des Kreditvertrages mit „seiner“ Bank ruht11. b) A, B und C sind aber auch von jeder anderen Art der Mitwirkung ausgeschlossen, dürfen – von Rechts wegen – die Verträge nicht verhandeln, dürfen an keiner Beratung und keiner Abstimmung über sie in Aufsichtsrat und Vorstand mitwirken; denn ihr gesamtes Handeln in diesem Zusammenhang ist geprägt von der Tatsache, dass – was immer sie auch in diesem Zusammenhang für die Gesellschaft tun – sie es nicht in deren alleinigen Interessen tun können: Unmögliches kann auch von Organmitgliedern nicht verlangt werden. Das aber führt nicht etwa zur Rücknahme oder gar Aufgabe des rechtlichen Anspruchs an das Organmitglied, sondern zum Ausschluss von der Organfunktion in diesem Zusammenhang. Denn die Interessen der Gesellschaft stehen im Zentrum; und sie dürfen nicht gefährdet werden. c) Wenn aber Organmitglieder bei bestimmten Vorgängen von Rechts wegen von der Beratung, Verhandlung, Abstimmung und dem förmlichen Abschluss ausgeschlossen sind, müssen das die anderen Vorstandsmitglieder wissen. Diese müssen wissen, dass sie jetzt allein zuständig sind bei X bzw. Y für deren Verträge mit dem Reinigungs- bzw. Zulieferer-Unternehmen. Diese anderen Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer müssen wissen, dass A und B nicht einmal an der Beratung der Verträge mitwirken dürfen, müssen daher – erneut von Rechts wegen – darüber von den Betroffenen informiert werden. Das gehört zu den Treupflichten12 von A und B je gegenüber ihrer Gesellschaft. Und ganz das Gleiche gilt für das Aufsichtsratsmitglied C. Was der Kodex in den zitierten Abschnitten als Empfehlung formuliert, ist in Wahrheit also geltendes Recht: Die Vorstände A und B haben ihre Mitvorstände, 11 Vgl. Fn. 2 und ferner Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 100 AktG Rz. 166 ff.; Möllers, ZIP 2006, 1615 (1619). 12 Zu den Treu- und Sorgfaltspflichten von Organen gegenüber ihrer Gesellschaft vgl. Fleischer in Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, S. 237 ff.; Bedkowski, Die Geschäftsleiterpflichten, 2006, S. 165 ff., 307 ff.; Lutter/Krieger (Fn. 1), Rz. 637 ff.; Lutter, ZHR 162 (1998), 164 ff. In Italien ist diese Informationspflicht eines Organmitgliedes über eigene Interessen (nicht notwendig: Interessenkonflikte) im Gesetz ausdrücklich geregelt und vorgeschrieben, Art. 2391 Abs. 1 Codice civile.

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der Aufsichtsrat C seine Mit-Aufsichtsräte über den bestehenden Interessenkonflikt zu informieren und dabei zweckmäßigerweise zu erklären, dass sie sich an diesen Vorgängen in keiner Weise beteiligen werden und auch nicht zu informieren sind. 5. Ist damit geklärt, wie sich der Interessenkonflikt auf die internen Befugnisse der Organmitglieder A, B und C auswirkt, so bleibt noch zu klären, ob [421] und welche Folgen der Konflikt für die Vertretungsmacht der Vorstände A und B hat. Hier ist uns der Unterschied zwischen dem Vertreten-Können und dem Vertreten-Dürfen seit langem vertraut und seit Art. 9 der 1. Richtlinie von 196813 europaweit festgeschrieben: Satzung, Geschäftsordnung und Anstellungsvertrag können Mitglieder von Vertretungsorganen in AG und GmbH verpflichten, von ihrer Vertretungsmacht in bestimmten Fällen und Umständen Dritten gegenüber keinen Gebrauch zu machen14. Hingegen ist es ausgeschlossen, diese Beschränkungen auf das rechtliche Können Dritten gegenüber auszudehnen; insoweit sind alle Versuche, die Vertretungsmacht einzuschränken, rechtlich wirkungslos15. Jede Ausübung der Vertretungsmacht für eine Gesellschaft ist aber zugleich auch Geschäftsführung für diese16. Daraus ergibt sich zwanglos, dass die Organmitglieder A und B in den oben behandelten Fällen intern verpflichtet sind, von ihrer Vertretungsmacht keinen Gebrauch zu machen. Sie sind als Folge des Interessenkonfliktes intern genauso verpflichtet, diese Beschränkung ihrer Vertretungsmacht zu beachten wie in den von §§ 82 Abs. 1 AktG, 37 Abs. 2 GmbHG ausdrücklich angesprochenen Fällen. Diese Normen sind auch nicht etwa abschließend zu verstehen, regeln sie doch das Innenverhältnis zwischen dem Organmitglied und der Gesellschaft und sind daher der Interpretation aus allgemeinen Organpflichten offen17. Und sollte man daran noch Zweifel haben, so genügt ein Hinweis auf die allen Organmitgliedern, gleich ob Vorstände, Geschäftsführer oder Aufsichtsräte obliegende Treupflicht gegenüber der Gesellschaft, die sie auf

13 1. Richtlinie (68/151/EWG) v. 9.3.1968, ABl. Nr. L 65 v. 14.3.1968, S. 8 ff. Die Änderung dieser Richtlinie durch die Richtlinie 2003/58/EG v. 15.7.2003, ABl. Nr. L 221 v. 4.9.2003, S. 13, hat Art. 9 nicht berührt. 14 Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit in den §§ 82 Abs. 2 AktG und 37 Abs. 1 GmbHG Gebrauch gemacht. 15 Hüffer (Fn. 7), § 82 AktG Rz. 3; Hefermehl/Spindler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 82 AktG Rz. 21. 16 Vgl. Hüffer (Fn. 7), § 77 AktG Rz. 3; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 1), § 77 AktG Rz. 2. 17 So kann ein Verstoß gegen § 82 Abs. 1 AktG bzw. gegen § 37 Abs. 2 GmbHG zugleich eine Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht begründen und zu Schadenersatzpflichten im Innenverhältnis führen. Für die AG vgl. Habersack in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2003, § 82 AktG Rz. 30; Hüffer (Fn. 7), § 82 AktG Rz. 14. Für die GmbH Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 37 GmbHG Rz. 40.

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deren alleiniges Wohl verpflichten18; und genau dem können sie im Interessenkonflikt nicht nachkommen und müssen sich daher weiträumig fernhalten. Da es mithin um eine interne Pflicht der Organmitglieder geht, entfällt die Außenwirkung; die Vertragsschlüsse von A und B für X und Y sind daher bei einer ersten Betrachtung wirksam. Aber: A und B haben ihre Vertretungs- [422] macht missbraucht, indem sie sich nicht an die interne Beschränkung gehalten haben19. Es kommt daher in concreto darauf an, ob der Partner auf der jeweiligen Gegenseite diese interne Beschränkung kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. Liegt das vor, können sich weder die Reinigungsfirma noch das ZulieferUnternehmen auf §§ 82 Abs. 1 AktG, 37 Abs. 2 GmbHG berufen20. Hier kommt es daher ganz entscheidend auf die Frage an, ob Kenntnis vom Vertretungsverbot bereits gegeben ist, wenn Kenntnis vom Interessenkonflikt vorliegt. Man muss das tatsächlich annehmen. Im Geschäftsverkehr besteht durchaus ein Empfinden dafür, dass man sich bei Interessenkonflikten zurückzuhalten hat und dass das nicht nur eine Frage des Anstands, sondern des Rechts ist. III. Der Begriff des Interessenkonflikts 1. Die Rechtsfolgen eines Interessenkonfliktes in Bezug auf die Verhaltenspflichten von Organmitgliedern sind also ausgesprochen weitreichend. Denn halten sich diese nicht daran, so verletzen sie ihre Organpflichten. Und entsteht der Gesellschaft aus dem Vorgang ein Schaden, so haften sie auf dessen Ersatz, §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG. Denn es ist in keinem dieser Fälle auszuschließen, dass das fragliche Geschäft ohne ihre unzulässige Mitwirkung nicht zustande gekommen wäre. 2. Auf dem Hintergrund dieser weit reichenden Folgen für die Vorstände, Aufsichtsratsmitglieder und Geschäftsführer in AG und GmbH ist zu fragen, ob sich der Begriff „Interessenkonflikt“ nicht deutlicher eingrenzen und handhabbarer formulieren lässt. Das ist für unsere Beispielsfälle kaum erforderlich; der Interessenkonflikt liegt dort auf der Hand. Das muss aber nicht immer so sein. Der Vorsitzende der Gewerkschaft G ist Mitglied im Aufsichtsrat der M-AG; G hat öffentlich und zur Werbung von Mitgliedern erklärt, sie werde sich mit allen Mitteln gegen die Verlagerung von Produktionen ins Ausland wehren. Ist V bei 18 Für die AG vgl. Fleischer in Fleischer (Fn. 12), S. 291 ff.; Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 93 AktG Rz. 156. Für die GmbH Hommelhoff/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 17), § 43 GmbHG Rz. 10; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 35 GmbHG Rz. 38 ff. 19 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 807; Hefermehl/Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 15), § 82 AktG Rz. 40. 20 Vgl. Kort in Fleischer (Fn. 12), S. 54 f.; Habersack in Großkomm.AktG (Fn. 17), § 82 AktG Rz. 13; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 18), § 37 GmbHG Rz. 38.

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der jetzt im Aufsichtsrat zu beratenden und zu beschließenden weiträumigen Umstrukturierung der M-AG, die auch die Verlagerung von Produktionen betrifft, wegen des Interessenkonfliktes ausgeschlossen? Ist K, Vorstand einer Kreditbank und Aufsichtsrat der A Automobil-AG von der Beratung und Beschlussfassung im Aufsichtsrat ausgeschlossen, wenn es um die Gründung einer Teilzahlungsbank durch A geht? a) Zunächst und vorweg: Beim Begriff des Interessenkonflikts mit seinen weitreichenden Rechtsfolgen für das betreffende Organmitglied kann es sich nur um einen „objektiven Tatbestand“ handeln. Es kommt also überhaupt [423] nicht darauf an ob sich das betreffende Organmitglied „befangen“ fühlt oder nicht ob es den Konflikt erkennt und empfindet oder nicht. Die Aussage: ich fühle mich ganz und gar frei o. ä. ist also für unsere Fragen ganz belanglos. b) Im Übrigen muss man auf die Grundaussage zurückgehen, wonach jedes Organmitglied allein auf die Interessen „seiner“ Gesellschaft verpflichtet ist21. Das bedeutet nicht dass Organmitglieder keine anderen Interessen als das Wohlergehen „ihrer“ Gesellschaft haben dürfen: jeder Mensch ist in ein Bündel höchst unterschiedlicher Interessen eingebunden. Aber Organmitglieder dürfen diese anderen Interessen eben nicht im objektiven Gegensatz zu den Interessen „ihrer“ Gesellschaft verfolgen22. Das ist der eigentliche Inhalt des Satzes, dass die Organmitglieder ausschließlich auf die Interessen „ihrer“ Gesellschaft festgelegt sind. Von daher erschließt sich dann aber auch der Begriff des Interessenkonflikts, also das, was unter ihm zu verstehen ist und was die oben erörterten Rechtsfolgen auslöst: Es ist diejenige Situation weiterer und einander objektiv entgegenstehender Interessen in der Person eines Organmitglieds einschließlich der ihm nahestehenden Personen und Unternehmen, von der man bei objektiver Betrachtung nicht sicher sein kann, dass das betreffende Organmitglied dennoch und unbedingt allein die Interessen seiner Gesellschaft verfolgen wird.

Nach dieser Definition führen mithin alle objektiven Interessengegensätze in der Person eines Organmitglieds im Zweifel zu den erörterten Rechtsfolgen.

21 Vgl. Fn. 1. Dies gilt auch, sofern zum Beispiel ein Aufsichtsrat eines Unternehmens zugleich Vorstandsmitglied eines Konkurrenzunternehmens ist, vgl. OLG Schleswig, ZIP 2004, 1143 (1144), dazu Lutter/Kirschbaum, ZIP 2005, 103 ff. 22 Eine Ausnahme davon gilt für die persönlichen Vertragsbedingungen des Organmitglieds. Dieser natürliche und evidente Interessenkonflikt muss im ersten Zugriff dem Organmitglied die Verfolgung, seiner persönlichen Interessen erlauben. Aber das gilt eben nur im ersten Zugriff; im zweiten bleibt das Organmitglied auch den Interessen der Gesellschaft verpflichtet, was insbes. die Vereinbarung unangemessener Bezüge ausschließt. Vgl. dazu Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1035; Semler in Liber amicorum Wilhelm Happ, 2006, S. 277; Lutter, ZIP 2006, 733 (735) und ferner BGH, NJW 2006, 522 (523) – Mannesmann.

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Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten

IV. Rechtsfolgen bei Verletzung der Verhaltenspflichten 1. Die hier dargestellten Informations- und Verhaltenspflichten von Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten sind Organpflichten. Werden sie nicht eingehalten, handelt es sich um Pflichtverletzungen i. S. v. §§ 93 Abs. 2 AktG, 43 Abs. 2 GmbHG. Das wurde oben schon gesagt. Erwächst der Gesellschaft daraus ein Schaden, so sind die Betroffenen ersatzpflichtig. Das Privileg des neuen Satzes 2 von § 93 Abs. 2 AktG, die sog. Business Judgment Rule, kommt ihnen dabei nicht zu Gute, weil es sich um Rechtspflich- [424] ten handelt, hinsichtlich deren Einhaltung es kein unternehmerisches Ermessen gibt23. 2. Soweit die Organmitglieder in bestimmten Situationen in ihrem Organ nicht teilnahme- und nicht stimmberechtigt sind, sich aber dennoch an der Abstimmung beteiligen, ist ihre Stimmabgabe nichtig24 und ihre Teilnahme an der Beschlussfassung wird für die Frage der Beschlussfähigkeit des Organs nicht gewertet25. Das beeinträchtigt den Beschluss des Gesamtorgans aber nur, wenn dadurch entweder die Beschlussfähigkeit des Organs entfällt26 oder der Beschluss nur mit Hilfe der Stimme des Ausgeschlossenen zustande gekommen ist27. 3. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes sind insgesamt also eher schwach. Denn ein materieller Schaden der Gesellschaft aus der Mitwirkung des Ausgeschlossenen ist schwer vorstellbar, mithin dessen Risiko aus §§ 93 Abs. 2 AktG, 43 Abs. 2 GmbHG gering. Im Aufsichtsrat aber sind „Kampfabstimmungen“ eher selten; daher wirkt sich auch die Nichtigkeit der Stimme des Ausgeschlossenen nur selten auf das Beschlussergebnis des Organs aus. Gefährdet sind also vor allem Aufsichtsräte mit nur drei Mitgliedern. Hier entfällt der Beschluss bei Mitwirkung des vom Stimmrecht Ausgeschlossenen. Aber auch dann, wenn der vom Stimmrecht Ausgeschlossene sich korrekt verhält, Näher Lutter, Die Business Judgment Rule, ZIP 2007, 841 ff. BayObLG, ZIP 2003, 1194 (1196); Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 73; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 223; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 53 ff. und 144. 25 BayObLG, ZIP 2003, 1194 (1196), und OLG Frankfurt/Main, ZIP 2005, 2322 (2324) mit eingehender Begründung gegen den Versuch in der Literatur (Mertens in KölnKomm.AktG [Fn. 1], § 108 AktG Rz. 49 und 57 und Semler in MünchKomm.AktG [Fn. 1], § 108 AktG Rz. 225 sowie Hopt/Roth in Großkomm.AktG [Fn. 1], § 100 AktG Rz. 167) jedenfalls die Beschlussfähigkeit im dreigliedrigen Aufsichtsrat zu „retten“, indem dem Betroffenen die Teilnahme an der Sitzung und die Stimmenthaltung gestattet wird. Das BayObLG mit eingehender Begründung (ZIP 2003, 1195 f. sub 4 a) und das OLG Frankfurt/Main (ZIP 2005, 2322 [2324 sub II. 2]) lehnen das ausdrücklich ab. 26 So die Fälle BayObLG, ZIP 2003, 1194, und OLG Frankfurt/Main, ZIP 2005, 2322. 27 BGHZ 47, 341 (346); dem folgend Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 143; Mertens in KölnKomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 74; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 224; Hüffer (Fn. 7), § 108 AktG Rz. 17. 23 24

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kann ein Beschluss nicht wirksam gefasst werden, da die verbleibenden zwei Aufsichtsräte nicht beschlussfähig sind28. Gefährdet aber sind auch Vorstände oder Geschäftsführer, die nur aus einem Mitglied bestehen, oder zwar zwei Mitglieder haben, in deren Satzung oder Geschäftsordnung aber bestimmt ist, dass bei Geschäften der fraglichen Art mindestens zwei Vorstände oder Geschäftsführer zusammenwirken müssen. [425] 4. Die rechtlichen Sanktionen auf die fehlerhafte Mitwirkung eines Ausgeschlossenen an Beratung und Abstimmung im Gremium ist also ausgesprochen schwach und gibt den Betroffenen kaum Anlass zu korrektem Verhalten. Man könnte daher darüber nachdenken, ob nicht der Beschluss insbesondere des Aufsichtsrats durch die Mitwirkung des Ausgeschlossenen insgesamt defekt ist. Immerhin zeigen die Fälle des BGH, des BayObLG und des OLG Frankfurt deutlich den Einfluss, den dort die Ausgeschlossenen auf die anderen Aufsichtsräte und mithin das Beschlussergebnis genommen haben. Eine solche weiterreichende Betrachtung entspricht auch der rechtlichen Beurteilung vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 17.4.196729. Die Vorinstanzen hatten damals noch in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 24.2.195430 den fraglichen Aufsichtsratsbeschluss insgesamt für nichtig angesehen. Der Bundesgerichtshof hatte das in der Entscheidung von 1954 wie folgt begründet: „… wenn schon die Stimmen der befugten Mitglieder die notwendige Mehrheit ergeben, ihre Stimmabgabe aber durch das Mitstimmen der Unbefugten beeinflußt worden ist; denn auch in diesem Fall ist der Beschluß der befugten Mitglieder durch die unzulässige Beteiligung der Unbefugten an der Abstimmung beeinflußt worden. Die Frage kann nur sein, ob nicht unabhängig davon, ob eine Beeinflussung vorlag oder nicht, Beschlüsse des Aufsichtsrats, an deren Fassung Unbefugte beteiligt waren, ohne weiteres in jedem Falle als nichtig angesehen werden müssen.“31

Dennoch und trotz der schwachen rechtlichen Reaktion auf die Mitwirkung Ausgeschlossener sollte man bei der heute erreichten rechtlichen Betrachtung verbleiben. Denn würde man die fraglichen Beschlüsse insgesamt und per se für defekt betrachten32, so bliebe nur deren Nichtigkeit, da es eine Anfechtbarkeit solcher Beschlüsse von Rechts wegen nicht gibt33, mithin auch keine gesicherten

Dazu bereits oben bei Fn. 25. BGHZ 47, 341. 30 BGHZ 12, 327 (330 f.). 31 BGHZ 12, 331. 32 Wie das Schlegelberger/Quassowski, Kommentar zum AktG 1937, 3. Aufl. 1939, § 92 AktG Anm. 26 und Godin/Wilhelmi, Kommentar zum AktG 1937, 3. Aufl. 1967, § 93 AktG Anm. 4, noch getan haben; ähnlich damals auch Baumbach/Hueck, Kommentar zum AktG 1937, 7. Aufl. 1951, § 92 AktG Anm. 2. 33 BGHZ 122, 342 (346 ff.); eingehend dazu Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 1), § 108 AktG Rz. 131 ff. mit allen Nachw. 28 29

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Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten

Fristen für die Geltendmachung der Nichtigkeit34. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Beschlusses bliebe auf lange Zeit hin offen und gäbe anderen Mitgliedern des Gremiums Angriffsmöglichkeiten aus ganz anderen Motiven. Das aber würde zu insgesamt sehr großer Rechtsunsicherheit führen, eine Folge, die gerade im Unternehmensrecht tunlichst vermieden werden muss.

34 Für weniger gravierende Beschlussmängel hält der BGH (BGHZ 12, 331 [351]) den Gedanken der Verwirkung für einschlägig.

Vorstand und Geschäftsführer

Zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers aus deliktischen Schäden im Unternehmen ZHR 157 (1993), S. 464-482 Der Beitrag setzt, wie auf S. 451 angekündigt, die von den Autoren verabredete Diskussion unterschiedlicher Standpunkte fort. Inhalt* I.

Einleitung ......................................................................................................... 464 Rechtsperson und natürliche Person ............................................................... 464 Zurechnungsprobleme zwischen Rechtsperson und natürlicher Person.... 466 Die Sachverhaltsgruppen ............................................................................... 467 Fallgruppen deliktischen Handelns .................................................................. 467 Die Organperson als Täter ................................................................................ 468 Die Organperson als Mittäter ........................................................................... 468 Die Organperson als Garant für das Ausbleiben deliktischer Schäden?..... 469 a) Die Pflichtenstellung der Organperson im Innen- und Außenverhältnis ......................................................................................................... 470 b) Garantenstellung und gesellschaftsrechtliche Risikoverteilung ................ 472 5. „Übernehmerhaftung“ als vermittelnde Lösung? .......................................... 474 a) Die Organperson als Träger originärer Geschäftsleitungspflichten ......... 475 b) Die These von der Haftung kraft Übernahme und die vertragliche Haftungsordnung ...................................................................................... 475 III. Die Grenzen der Organhaftung .................................................................... 476 1. Innenhaftung und Außenhaftung .................................................................... 476 2. Diskussionsstand ................................................................................................ 478 3. Vergleichende Rechtsprechungsanlayse .......................................................... 479 4. Konsequenzen .................................................................................................... 480 IV. Ergebnis............................................................................................................ 482

1. 2. II. 1. 2. 3. 4.

* Anm. d. Hrsg.: Die Inhaltsübersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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Haftung des Geschäftsführers aus deliktischen Schäden im Unternehmen

I. Einleitung 1. Rechtsperson und natürliche Person a) Rechtspersonen sind die wahren Träger des privaten Rechtsverkehrs, sind die eigentlichen Akteure des Wirtschaftslebens. Hätten wir nicht den Bäcker und Fleischer, den Zigarren- und Zeitungshändler, wir hätten nur noch GmbHs und Aktiengesellschaften als Partner. Rechtlich führt das zu keinen Besonderheiten: Die juristische Person ist wie selbstverständlich und von der natürlichen Person de jure kaum mehr unterscheidbar in das Privatrechtsgefüge eingebunden. Drei faktische Besonderheiten aus dem Phänomen Rechtsperson aber machen Kopfzerbrechen und sorgen für rechtliche Zusatzfragen: [465] (1) Da ist einmal die schlichte Tatsache, daß Rechtspersonen nicht nur wie alle im Wirtschaftsleben Tätigen arbeitsteilig mit der Hilfe von Mitarbeitern handeln, sondern selbst – und insoweit eben anders als der Bäcker und der Zeitungshändler – überhaupt nicht handeln können, mithin stets und für alles den Einsatz natürlicher Personen brauchen; damit tritt die Frage der Zurechnung ihres Handelns an die Rechtsperson hier nicht mehr oder minder häufig, sondern stets und immer auf. (2) Damit zusammen hängt die Beobachtung, daß sich diese „Vertreter“ der Rechtsperson, korrekter: ihre Organe, oft nicht an diese ihre Rolle halten, sondern die Grenze zwischen sich und ihr, der Rechtsperson, verwischen1. Das geschieht vor allem dann, wenn ihre Rolle nicht Organ von Bayer oder Daimler ist, sondern Organ einer der bald eine Million weitgehend unbekannter Verwaltungs-, Beratungs- oder Handels-Gesellschaften: Hier ist das Bestreben gut verständlich, die „eigentlich“ handelnde natürliche Person in das Zentrum zu stellen und die blasse Kunst-Person eher an den Rand zu rücken. (3) Und schließlich ist der wirtschaftliche Zusammenbruch der Rechtsperson, ihr Konkurs endgültig; es ist ihr Tod, sie wird in ihrem Register gelöscht – mögen die für sie handelnden natürlichen Personen auch morgen schon wieder in neuer Form unternehmerisch tätig sein. Anders die natürliche Person: Sie überlebt den Konkurs, bleibt als schuldende Person erhalten und mit ihr die Hoffnung der Gläubiger, vielleicht später doch noch Ansprüche realisieren zu können. 2. Bleibt man noch ein wenig bei diesen Phänomenen und bedenkt man ihre Folgen für die Rechtsbetrachtung, so ist unmittelbar einsichtig, daß eine Kombination der Phänomene (1) und (3) zur Frage führt, daß doch „eigentlich“ die 1 Vgl. etwa die Sachverhalte der Entscheidungen BGHZ 87, 27; BGH WM 1992, 699; BGH WM 1990, 759, 760; BGH ZIP 1990, 659, 660; BGH ZIP 1989, 1455, 1457, sowie Lutter/ Hommelhoff 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 28; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 224; Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., vor § 275 BGB Rdn. 218 ff., Palandt/Heinrichs, 52. Aufl., § 276 BGB Rdn. 93 ff.

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betreffende natürliche Person gehandelt oder pflichtwidrig nicht gehandelt und daher für die offenen Positionen einzustehen habe; der Gedanke liegt ganz nahe, den „eigentlich“ Handelnden mit in die allgemeine Rechtspflicht zum Schutz des Partners einzubeziehen, die Pflicht auf ihn zu „verlängern“. Nichts anderes geschieht ja auch in bezug auf das Mitglied der betreffenden juristischen Person, den Gesellschafter: Darauf beruhen die Rechtsfiguren des Durchgriffs2 und der Konzernhaftung3; aber davon ist hier nicht die Rede. [466] Dieser Gedanke der Inanspruchnahme des „eigentlich“ Handelnden liegt naturgemäß besonders nahe, wenn man die Phänomene (2) und (3) kombiniert: Hier hat sich doch die natürliche Organperson gerade nicht an ihre Rolle gehalten, sondern sich persönlich ins Gespräch gebracht4 – mag der Dritte auch gewußt haben, daß es um die Rechtsperson als seinen Partner geht. Anders gewendet: Der Gedanke, neben der eigentlich gemeinten Rechtsperson einen weiteren „Ersatzschuldner“ zu haben, liegt wegen des Phänomens (3) ganz außerordentlich nahe. Und gerade wegen dieses Ausfallrisikos gerät die Rechtsordnung und der Rechtsstaat leicht unter einen „sozialen Gerechtigkeitsdruck“5, die vom Recht gebaute Schranke zwischen der Rechtsperson und der für sie handelnden natürlichen Person zu heben, um dem „armen, außenstehenden Dritten“ doch noch die Liquidation seiner Ansprüche zu ermöglichen. Es ist gut, sich diesen wirtschaftlich-sozialen Hintergrund vor Augen zu stellen; denn niemand interessiert sich für Ansprüche gegen ein Organmitglied, solange der zur Leistung verpflichtete Organträger selbst leisten kann. Niemand kommt auf den Gedanken, ein Vorstandsmitglied von Hoechst in Anspruch zu nehmen wegen einer von der Hoechst AG angeblich vorgenommenen Patentoder Wettbewerbsverletzung. Der Gedanke wird erst virulent, wenn nicht Hoechst, sondern die Müller GmbH in Frage steht, diese im Konkurs ist und daher endgültig nicht mehr zahlen wird und einzig ihr einstiger Geschäftsführer Meier bleibt, bei dem – vielleicht – noch Zahlung zu erlangen ist.

2 Zur Durchgriffshaftung vgl. BGHZ 102, 95, 101 ff.; BGHZ 78, 318, 333 ff.; BGHZ 68, 312 ff.; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 13 GmbHG Rdn. 8 ff.; Scholz/Emmerich, 8. Aufl., § 13 GmbHG Rdn. 75 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., S. 200 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 221 ff.; Stimpel, FS Goerdeler 1987, S. 601 ff. 3 Zur Konzernhaftung Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., Anh. § 13 GmbHG Rdn. 21 ff.; Scholz/ Emmerich, 8. Aufl., GmbHG Anhang Konzernrecht Rdn. 216 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., S. 1015 ff.; sowie jetzt BGH JZ 1993, 575 (TBB) mit Anm. Lutter. 4 Vgl. oben Fn. 1 und allgemein zum Rollenverständnis im Recht Lutter, FS Coing II, 1982, S. 565 ff. 5 So die Argumentation von Brüggemeier, AcP 191 (1991), S. 33 ff., insb. S. 65, der in der fehlenden persönlichen Haftung der Organpersonen „ein nicht unerhebliches moralisches Risiko“ sieht.

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2. Zurechnungsprobleme zwischen Rechtsperson und natürlicher Person a) Die Rechtsordnung ist mit solchen „Verlängerungen“ und „Verlagerungen“ vielfach durchsetzt, vor allem aber in der umgekehrten Richtung, also von der natürlichen Person auf die Rechtsperson. Im Schuldverhältnis werden die Fehler und Versäumnisse der natürlichen Organperson unmittelbar, die Fehler der sonst für die Rechtsperson handelnden natürlichen Person über § 278 BGB der Rechtsperson zugewiesen, im Deliktsrecht geschieht mit § 31 BGB gleiches für die handelnde natürliche Organperson, mit § 831 BGB in eingeschränktem Rahmen das gleiche für alle sonst im Bereich der Rechtsperson handelnden natürlichen Personen. Eine „umgekehrte“ Zuweisung von der Rechtsperson auf die für sie Handelnden ist der geschriebenen Rechtsordnung hingegen unbekannt: Es gibt keine „umgekehrten“ §§ 31, 278 und 831 BGB. b) Ehe man nun an dieser Stelle beginnt, weiter nachzudenken, muß man sich vor Augen halten, daß in den „einfachen“ Deliktsfällen die fragliche Organperson sowieso und fraglos neben der juristischen Person haftet, weil sie selbst das betreffende Rechtsgut rechtswidrig und schuldhaft verletzt hat: § 31 BGB verlängert die [467] Haftung von der natürlichen Person auf die Rechtsperson, verlagert sie aber nicht: In diesen Fällen ebenso wie in den Fällen des § 831 BGB hat der Verletzte per se zwei Schuldner6. Das ist im rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnis ganz anders; hier handelt die Organperson direkt und unmittelbar für die Rechtsperson; sie selbst hat mit dem Schuldverhältnis eigentlich nichts zu tun7. Und in gleicher Weise besteht keine Verantwortung des Gehilfen, denn er ist nicht Partner dieses Schuldverhältnisses. Es geht von Anfang an und insgesamt nur um die Rechtsperson als Partner und den personalen Umfang ihrer Haftung, nicht um das Organ und den Gehilfen. Die „Verlängerung“ der Verantwortung auf die natürliche Person mußte daher in diesen Fällen rechtsgeschäftlich entstandener Verbindlichkeiten auch mit den Figuren des Rechtsgeschäfts geschehen: Von den seltenen Fällen eines Schuldbeitritts abgesehen wird die natürliche Person nicht in das Schuldverhältnis selbst einbezogen, mit der Figur der culpa in contrahendo aber praktisch zum Ausfallbürgen gemacht: Er hat die ihm zukommende Rolle nicht eingehalten, hat seine Person in den Vordergrund geschoben statt in der Rolle des loyalen Vertreters zu verharren (= Fehlverhalten) und wird dadurch zum Garanten für die korrekte Abwicklung des von ihm besorgten, aber nicht für sich abgeschlossenen Rechts6 Staudinger/Coing, 12. Aufl., § 31 BGB Rdn. 49; Staudinger/Schäfer, 12. Aufl., § 831 BGB Rdn. 6; Soergel/Hadding, 12. Aufl., § 31 BGB Rdn. 28; Medicus, FS Lorenz, 1991, S. 156 f. 7 Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 35 GmbHG Rdn. 1 ff.; Hachenburg/Mertens, 7. Aufl., § 35 GmbHG Rdn. 211; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 35 GmbHG Rdn. 21; MeyerLandrut/Miller/Niehus, §§ 35-38 GmbHG Rdn. 19 und § 43 GmbHG Rdn. 4; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., S. 220.

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geschäfts8. Die für diese Verlagerung gewählte Rechtsfigur ist merkwürdig genug (statt eines Vorwurfs wegen angeblicher Pflichtverletzung = cic läge der Gedanke eines konkludent geschlossenen Garantievertrages doch wahrlich näher), aber etabliert und soll uns hier nicht weiter beschäftigen: Unvernünftig oder gar unvertretbar sind die so gefundenen Ergebnisse nicht. II. Die Sachverhaltsgruppen 1. Fallgruppen deliktischen Handelns Sehr viel schwieriger sind die Deliktsfälle. Sie sind es deswegen, weil in ihrem Ausgangspunkt immer das Fehlverhalten einer natürlichen Person liegt: Der Fahrer des PKW der GmbH ist unvorsichtig gefahren, der Chemiker des Unternehmens der AG hat eine giftige Substanz entwickelt, der Polier der Bau-GmbH hat den fremden Eisenträger verbaut – hätten Vorstand und Geschäftsführung besser [468] aufgepaßt, ihr Unternehmen besser organisiert und kontrolliert, die Rechtsverletzung hätte – wohl – nicht stattgefunden. Mit dem naheliegenden Stichwort vom „Organisationsverschulden“ sind diese Fälle gut umschrieben, aber mitnichten gelöst. Auch hier gilt es – entsprechend dem bereits sub I, 2 b Gesagten – drei Fallgruppen zu unterscheiden: (1) Der Geschäftsführer A der X GmbH verletzt auf einer Dienstfahrt mit dem PKW der GmbH schuldhaft den Fahrradfahrer F oder macht selbst im Rahmen eines Interviews eine ehrverletzende Bemerkung über G. (2) Das Vorstandsmitglied B der Y AG erfährt, daß ein von der Y hergestelltes und vertriebenes Produkt gesundheitsschädlich ist. Er unternimmt nichts. (3) Der Geschäftsführer C der Z GmbH bestellt Baueisen bei G, das unter Vereinbarung eines verlängerten Eigentumsvorbehalts geliefert wird; es wird in ein Bauvorhaben eingebaut, bezüglich dessen C mit dem Bauherrn einen Ausschluß der Abtretung der Ansprüche der GmbH vereinbart hat. Im Konkurs der Z fällt G aus und nimmt jetzt den (einstigen weiteren) Geschäftsführer D der Z GmbH persönlich aus Eigentumsverletzung (§ 823 I BGB) auf Schadensersatz in Anspruch.

8 Zur c. i. c.-Haftung des Geschäftsführers vgl. BGH ZIP 1993, 763; WM 1992, 735; WM 1990, 759, 760; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 27 ff.; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 223 ff.; Meyer-Landrut/Miller/Niehus, § 43 GmbHG Rdn. 4.; Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., § 276 Rdn. 218 ff.

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2. Die Organperson als Täter Die Fallgruppe (1) bereitet keine Schwierigkeiten. Schon oben I, 2b wurde darauf hingewiesen, daß die deliktische Handlung stets eine natürliche Person als Täter voraussetzt und daß deren Haftung durch die Zuweisung der Ersatzpflicht auch an die juristische Person nach §§ 31 oder 831 BGB nicht berührt wird. Die persönliche und gesamtschuldnerische Schadensersatzpflicht des Geschäftsführers A neben der GmbH steht also außer Frage. 3. Die Organperson als Mittäter Auch die Fallgruppe (2) ist weniger problematisch, als es vielleicht zunächst erscheint. Auch das Zivilrecht kennt den Mittäter (§§ 830, 840 BGB); und auch das Zivilrecht behandelt nicht nur den als Täter, der selbst das Beil schwingt, sondern auch denjenigen, der lächelnd dabeisteht und das Ergebnis – die Verletzung – billigt9. Im unternehmerischen Bereich sind das die Fälle, in denen das Organmitglied um die (bevorstehende) Verletzung durch andere Angehörige des Unternehmens weiß, aber nicht einschreitet: B weiß um die Gesundheitsgefährdung durch Produktion und Vertrieb der Chemikalie, weiß um Kartellabsprachen seiner Bauabteilung, weiß um die geplante Patentverletzung seiner Produktionsabteilung, weiß um die Wettbewerbswidrigkeit der geplanten Anzeigenkampagne etc. In all diesen Fällen stellt sich B durch pflichtwidriges und bewußtes Unterlassen dem [469] aktiven Tun der anderen bei, wird dadurch Täter – wobei sich seine Rechtspflicht zum Einschreiten aus seiner verantwortlichen Stellung in und für die Gesellschaft ergibt10. Hier also hat der Geschädigte sogar drei Schuldner: den giftmischenden Chemiker und das Vorstandsmitglied B je persönlich aus §§ 823 I, 830 BGB und die AG kraft der Zuordnung aus § 31 BGB zusätzlich, alle drei als Gesamtschuldner (§ 840 BGB). 4. Die Organperson als Garant für das Ausbleiben deliktischer Schäden? Wirklich schwierig und problematisch ist nur die Fallgruppe (3), in der Angehörige des Unternehmens im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Unternehmen Dritte in ihren geschützten Gütern und Rechten verletzen, die Organperson, also die 9 Zur deliktischen Haftung wegen Unterlassens vgl. Erman/Schiemann, 9. Aufl., § 823 BGB Rdn. 13; Staudinger/Schäfer, 12. Aufl., § 823 BGB Rdn. 297 ff.; MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 823 BGB Rdn. 17 ff. 10 BGH NJW 1987, 127, 129; OLG Koblenz, GmbHR 1992, 378; OLG Düsseldorf, wistra 1989, 358, 359; Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 63; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 242.

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Geschäftsführer C und D, aber von der (bevorstehenden) Verletzungshandlung nichts wissen. Hierzu formuliert der Bundesgerichtshof11: „Eine solche Gefahrenlage, die von dem Geschäftsführer Maßnahmen der Organisation und Koordination erfordert, besteht, wo wie hier von der GmbH Baumaterial unter verlängertem Eigentumsvorbehalt zur Ausführung eines Bauvorhabens bestellt wird, für das sich die GmbH gegenüber den Bauherrn einem Abtretungsverbot unterworfen hat. Eine solche Interessenkollision (…) zu vermeiden, ist eine organisatorische Aufgabe, zu der zu allererst der Geschäftsführer berufen ist. In dieser Beziehung nimmt er dem Vorbehaltseigentümer gegenüber, der sein Eigentum der GmbH anvertraut hat, eine Garantenstellung ein, deren Verletzung zu einer deliktischen Eigenhaftung führen kann. Ebenso wie die Z.GmbH selbst traf daher als ihren Geschäftsführer den Beklagten die Verpflichtung, durch entsprechende Maßnahmen eine Verletzung des Vorbehaltseigentums der Lieferanten der Z.-GmbH durch Dispositionen über die Lieferungen im Rahmen des Möglichen zu verhindern. Diese Verpflichtung oblag der Z.-GmbH und ihrem Organ nicht allein aufgrund des Kaufvertrages gegenüber der Klägerin, sondern als allgemeine deliktische Verkehrspflicht aufgrund der von dem Lieferanten eingeräumten faktischen Möglichkeit zur Bestimmung über das Vorbehaltsgut. Da nicht nur verlängerte Eigentumsvorbehalte, sondern auch Abtretungsverbote in der Baubranche verbreitet sind, hatte die Z.-GmbH ihren Geschäftsbetrieb so zu organisieren, daß ein (…) Verlust des Vorbehaltseigentums … vermieden wurde. Es wäre daher Aufgabe des Beklagten als des für die Organisation in erster Linie Verantwortlichen der GmbH gewesen, solchen Kollisionen durch dafür geeignete organisatorische Maßnahmen (…) vorzubeugen.“ [470]

a) Die Pflichtenstellung der Organperson im Innen- und Außenverhältnis (1) Nimmt man die oben wiedergegebene Formulierung ernst12 – und wer wollte den BGH nicht ernst nehmen – so bedeutet das die persönliche und gesamtschuldnerische Haftung des Geschäftsführers und Vorstandsmitglieds einer Rechtsperson für alle Delikte im Unternehmen – vielleicht ausgenommen für den Autounfall eines Firmenwagens, der sich durch noch so sorgfältige Organisation und Kontrolle nicht ausschließen und nicht verhindern läßt13. Ansonsten aber läßt sich – jedenfalls in der theoretischen Betrachtung ex post – durch entsprechende Organisation und Kontrolle nahezu alles verhindern: Am Schaltpult der Produktionsanlage von Hoechst müssen halt rund um die Uhr zwei DiplomIngenieure stehen statt des bislang einen Schichtmeisters, kein Brief und keine Bestellung darf das Unternehmen künftig verlassen ohne den Segen der Rechtsabteilung und Material für die nächste Baustelle schon gar nicht. 11 BGHZ 109, 297, 304; dem folgend OLG Köln, BB 1993, 747, 748; enger jedoch OLG Koblenz, GmbHR 1992, 378. 12 An der Allgemeingültigkeit der von BGHZ 109, 297 aufgestellten Regeln zweifeln Mertens/Mertens, JZ 1990, 488, 489, die davon ausgehen, dem BGH sei die eigentlich gewollte enge Begrenzung der Deliktshaftung nicht gelungen; zurückhaltend bei der Annahme einer Garantenstellung auch OLG Köln, BB 1993, 748. 13 Selbst an dieser Begrenzung zweifelnd Medicus, FS Lorenz, 1991, S. 161.

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Ist das wirklich so? Die Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder von Rechtspersonen würden dadurch de facto zu Garanten der außenstehenden Dritten und ihrer Rechte; die Organpflichten würden durch ihre Anwendung im Außenverhältnis zur Grundlage einer umfassenden deliktischen Haftung14. Besteht also wirklich eine so umfassende Organisations- und Kontrollpflicht der Organmitglieder Dritten gegenüber? Intern, also ihrer Gesellschaft gegenüber, haben die Organmitglieder fraglos sehr weitgehende Organisations- und Kontrollpflichten. Aber diese Pflichten aus §§ 43 GmbHG, 93 AktG sind unbestritten Pflichten im Verhältnis Organ-Gesellschaft und betreffen nicht das Außenverhältnis, das Verhältnis also zu beliebigen Dritten, zu – mehr oder minder zufällig – Betroffenen15. (2) Beantwortet wird unsere Frage ausschließlich durch die §§ 823 I, 840 BGB und ihre Interpretation. Diese Normen aber sind ausgerichtet auf das Verhalten von natürlichen Personen, während es in unseren Fällen um Mängel in der Organisation einer Rechtsperson geht. Daß das Organmitglied seiner Gesellschaft korrekte Organisation und Überwachung schuldet mit dem Ziel der Vermeidung oder doch Minderung von Schadensrisiken, die die Rechtsordnung ihr zurechnet und auf sie verlagert, wurde bereits festgestellt und ergibt sich aus den genannten Vorschriften der §§ 43 GmbHG, 93 AktG. Und die Verlagerung der §§ 31, 831 BGB zeigt, daß die Rechtsordnung vor allem die Rechtsperson als diejenige ansieht, die zur Scha- [471] densvermeidung allen Dritten gegenüber verpflichtet ist: Sie ist diejenige, die den Verkehr eröffnet und die Gefahrenquellen beherrscht; das verpflichtet sie, die Rechtsperson, zum Ergreifen derjenige Maßnahmen, die nach den Sicherheitserwartungen des beteiligten Verkehrs erforderlich sind16. In Erfüllung dieser Verkehrssicherungspflicht schuldet sie dem Dritten auch eine Organisation und Überwachung, die eine Verletzung seiner Rechte möglichst verhindert17. Daraus erhellt auch die problemlose Rechtsfolge, daß die Rechtsperson Unterlassung schuldet und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verurteilt werden kann; sie wird vom Ehrverletzten oder in seiner Ehre Gefährdeten vom Konkurrenten bei Gefahr unlauteren Wettbewerbs, vom Patentinhaber etc. auf Unterlassung in Anspruch genommen, nicht das einzelne Organmitglied. Kein 14 Kort, DB 1990, 921, 923; Medicus, FS Lorenz, 1991, S. 160 f.; Krebs/Dylla-Krebs, DB 1990, 1271; H. P. Westermann, DNotZ 1991, 816 f.; Mertens/Mertens, JZ 1990, 488. 15 BGHZ 31, 258, 278; OLG Köln, BB 1993, 747, 748; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 26; Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 39; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 217; Medicus, FS Lorenz 1991, S. 165; H. P. Westermann, DNotZ 1991, 817; Kort, DB 1990, 923; Erman/Schiemann, 9. Aufl., § 823 BGB Rdn. 83. 16 BGH NJW 1985, 1076; MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 831 BGB Rdn. 39; Medicus, FS Lorenz, 1991, S. 166; Mertens/Mertens, JZ 1990, 489. 17 Staudinger/Schäfer, 12. Aufl., § 823 BGB Rdn. 351; MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 823 BGB Rdn. 177.

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Zweifel: sie, die Rechtsperson, schuldet dem außenstehenden Dritten aus § 823 Abs. 1 BGB und entsprechenden Vorschriften latent. (3) Die Frage lautet also: Schuldet auch die Organperson? Schulden Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, deren Aufgabe es ist, die Pflichten der Rechtsperson für diese zu erfüllen, genau das gleiche auch dem Dritten unmittelbar? Haben sie eine solche Verkehrssicherungspflicht gegenüber Dritten? Das ist hier die entscheidende Frage: Nicht die Existenz dieser Pflicht steht in Frage, sondern die Person des Pflichtigen. Und hier kreuzen sich die Wege von Literatur und Rechtsprechung, teilweise aber auch von Grunewald18 und mir. Der BGH versucht zunächst, diese Frage im Rahmen eines Regel-AusnahmeVerhältnisses zu beantworten. Er führt aus, daß für die Dritten gegenüber bestehenden Pflichten der GmbH prinzipiell diese und nicht deren Organ einstandspflichtig sei. Anderes könne aber dann gelten, wenn die Pflicht den Geschäftsführer aus besonderen Gründen persönlich gegenüber dem Dritten treffe19. Im folgenden misslingt dem BGH jedoch die Abgrenzung des so umschriebenen Ausnahmefalls20. Der BGH läßt nämlich, wie oben wörtlich wiedergegeben, bereits die Geschäftsführerstellung als einen solchen besonderen Grund für das Bestehen drittgerichteter Pflichten ausreichen21. Von „Ausnahme“ kann bei einem solchen – stets vorliegenden – Sachverhalt gewiß nicht die Rede sein. Und auch die Annahme, es bestehe eine Garantenstellung, wird nur behauptet, nicht aber begründet22. In Verbindung mit [472] der eingangs erwähnten Tatsache, daß eine juristische Person zwangsläufig und von Gesetzes wegen (§ 6 I GmbHG) auf einen Geschäftsführer angewiesen ist, wird jedoch aus der angeblichen Ausnahme der Regelfall: Nach dem Konzept des BGH ist in jeder GmbH wegen § 6 I GmbHG (mindestens) eine natürliche Person vorhanden, die für alle Schäden an Rechtsgütern Dritter einstandspflichtig ist, und zwar im Sinne einer umfassenden Organisations- und Kontrollpflicht mit Haftungsfolge im Außenverhältnis23. (4) Für eine solche Globallösung gibt es keinerlei Anhalt im Gesetz. Und das ist auch richtig so. Zum einen und eher vordergründig hat das Gesetz die juristische Person akzeptiert und ihre Pflichten von denen ihrer Mitglieder und Organe sorgfältig getrennt. Rechtsordnung und Gesetz haben das in voller Kenntnis der damit In diesem Heft sub II, 1 und 2. BGHZ 109, 297, 303. 20 So auch die Kritik von H. Hefermehl WuB II C § 43 GmbHG 3.90; Mertens/Mertens, JZ 1990, 488; H. P. Westermann, DNotZ 1991, 816; Kort, DB 1990, 921, 923; K. Schmidt, Karlsruher Forum 1992 (1993), sub VI, 3b, im Erscheinen. 21 Im Gegensatz dazu betraf der Fall OLG Koblenz, GmbHR 1989, 341, der zuweilen im Zusammenhang mit der hier fraglichen Entscheidung zitiert wird, eine Konstellation, in der der Geschäftsführer persönlich an der Rechtsverletzung mitgewirkt hatte. 22 Wie hier Medicus, FS Lorenz 1991, 155, 159. 23 Zust. U. H. Schneider, FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 476 f. und derselbe in Scholz, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 229 f. 18 19

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verbundenen Risiken im Hinblick auf den ebenso fraglos hohen volkswirtschaftlichen Nutzen getan. Es wäre auch schwer einsehbar und bedürfte sorgfältiger Folgenanalyse, weshalb die Rechtspflicht der Rechtsperson auch die ihrer Organmitglieder sein soll. Zwar sind die Organpersonen im Rahmen ihrer Zuständigkeit durchaus selbständige Akteure des Rechtsverkehrs24, aber daraus folgt noch nichts für ihre Pflichtenstellung im Verhältnis zu Dritten. Denn sie, die für die juristische Person handeln wollen und unmittelbar für sie handeln, sind nicht Akteure eines eigenen und von ihnen selbst geschaffenen, sondern eines fremden Risikobereichs. Das ist auch gar nichts besonderes; auch der Allgemeine Teil des BGB sieht es im Recht der Stellvertretung nicht anders, §§ 164 ff. BGB. b) Garantenstellung und gesellschaftsrechtliche Risikoverteilung (1) Juristische Personen sind auf große Organisationen und große Handlungsfelder hin angelegt, die auch größere und große Risiken einschließen und tragen können und sollen – Risiken, die das einzelne Vorstandsmitglied und der einzelne Geschäftsführer etwa einer Strom- oder Stahlgesellschaft für sich persönlich schlechthin nicht tragen und nicht übernehmen kann25. Und dies gilt selbst dann, wenn man die Möglichkeit eines Regresses der Organperson gegen die Gesellschaft mit in die Betrachtung einbezieht. Zwar kann der von Dritten in Anspruch genommene Geschäftsführer versuchen, sich bei der juristischen Person schadlos zu halten. Die amerikanische Entwicklung zeigt insoweit, zu welchen Konsequenzen eine deliktische Verantwortung der Organe im Außenverhältnis führt26: Die sta- [473] tutes der Gesellschaften und die Anstellungsverträge der Manager sind voll von indemnification-clauses, mit denen das Haftungsrisiko auf die Gesellschaft zurückverlagert werden soll; ohne entsprechende Zusagen ist qualifiziertes Geschäftsleitungspersonal schwer oder gar nicht zu bekommen27. Aber dies ändert wenig daran, daß sich im Konkurs der juristischen Person das Ausfallrisiko (§ 13 II GmbHG) vom Gläubiger auf den Geschäftsführer verlagert, dessen Ersatzanspruch – wie auch im Baustoff-Fall des BGH – wertlos wird. Diese Risikoverlagerung gefährdet nicht nur das Rechtsin-

24 Brüggemeier, AcP 191 (1991), S. 651, so wohl auch Adolf Maier, Wettbewerbsrechtliche Haftung geschäftsführender Organe, 1988, S. 121. 25 Das hat auch der BGH in einer früheren Entscheidung erkannt: BGH NJW 1987, 127, 129. 26 Zur deliktischen Haftung der Organe im Außenverhältnis nach US-amerikanischem Recht vgl. die Entscheidung des Bundesberufungsgerichts im Falle City of Chicago v. Matchmaker Real Estate Sales Center Inc., 1992 WL 362 383 (7th Cir. Dec. 10, 1992), in der dem Kläger zwar keine „punitive damages“ aber „compensatory damages“ gegen den Inhaber eines Maklergeschäfts zugesprochen wurden, obwohl dieser seine Angestellten sogar ausdrücklich angewiesen hatte, keine Verstöße gegen Diskriminierungsverbote zu begehen. 27 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rdn. 532ff., insbes. 547.

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stitut der beschränkten Haftung, sondern auch die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Gesellschaftsorgane. (2) Rechtfertigen läßt sich diese Risikoverlagerung auch nicht mit der Argumentation Brüggemeiers, daß die Annahme von eigenen Organisationspflichten gegenüber Dritten nur die notwendige Reaktion auf die „neuartigen“ Organwalterdelikte sei und die umfassende Haftung der Organperson eine wünschenswerte Kompensation für die beschränkte Haftung der juristischen Person darstelle28. Eine Gleichstellung der „neuartigen“ Organisationspflichtverletzung mit den eigenhändigen Delikten der Organperson ist weder notwendig noch rechtlich zulässig – ganz abgesehen davon, daß sie auch nach dieser hier abgelehnten Ansicht nicht vollständig durchführbar ist29. Notwendig ist sie nicht, denn mit der juristischen Person steht dem Geschädigten bereits ein Schuldner zur Verfügung. Und zulässig ist sie auch nicht, denn die Haftungsbeschränkung ist demgegenüber kein entscheidendes Argument, jedenfalls nicht, soweit es um eine Haftung des Geschäftsführers geht30. Zum einen ist die beschränkte Haftung der juristischen Personen eine bewußte gesetzgeberische Entscheidung, und zwar einschließlich des von Brüggemeier kritisierten Verzichts auf ein Gebot angemessener Kapitalausstattung. Zum anderen gerät durch die deliktische Geschäftsführerhaftung die falsche Person in die Schußlinie: Verantwortlich für die Finanzierung der Gesellschaft sind die Gesellschafter31, nicht die Geschäftsführer. Wo es darum geht, die Haftungsbeschränkung der §§ 13 II GmbHG und 1 I 2 AktG zu durchbrechen, muß sich das folglich gegen die Gesellschafter richten. Wo ein solcher Anspruch gesellschaftsrechtlich nicht begründbar [474] ist, bleibt es bei der Risikoverteilung, die §§ 13 II GmbHG, 1 I 2 AktG bewußt und betont getroffen haben32. Danach stellt zwar der Gesellschafter ein bestimmtes Kapital endgültig zur Verfügung, aber im Falle der Erschöpfung dieses Kapitals trägt der Gläubiger das Risiko des wirtschaftlichen Zusammenbruchs seines Schuldners, nämlich der Gesellschaft33. Das alles gilt in gleicher Weise für Mängel der Organisation: Sie mögen intern zur Haftung des So Brüggemeier, AcP 191 (1991), S. 65 f. Brüggemeier, AcP 191(1991), S. 66 will die Haftung für Organisationsverschulden an die interne Zuständigkeitsordnung knüpfen; ein Merkmal also, das beim eigenhändigen Delikt gerade keine Rolle spielt. 30 Im Ergebnis ebenso Hirte, JZ 1992, 258. 31 BGHZ 90, 381, 389; BGH BB 1985, 351; Medicus, FS Lorenz 1991, S. 164, Wiedemann, ZIP 1986, 1299 ff.; vgl. auch bez. der Durchgriffshaftung von Gesellschaftern bei Unterkapitalisierung Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 13 Rdn. 9; Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., Anh. § 30 GmbHG Rdn. 35 ff. sowie bez. deren Haftung bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen Lutter/ Hommelhoff, 13. Aufl., §§ 32a/b Rdn. 2 ff. 32 So auch Hirte, JZ 1992, 258. 33 Scholz/Emmerich, 8. Aufl., § 13 GmbHG Rdn. 55; Hachenburg/Raiser, 8. Aufl., § 14 GmbHG Rdn. 26; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 13 GmbHG Rdn. 6. 28 29

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Geschäftsführers/Vorstands nach §§ 43 GmbHG, 93 AktG führen, extern, also den Gläubigern gegenüber, kann es wiederum nur um eine (Durchgriffs-)Haftung der Gesellschafter deswegen gehen. Die oben dargestellte Verlagerung des Insolvenzrisikos auf den Geschäftsführer, der durch die Annahme einer umfassenden Deliktshaftung faktisch zum Ausfallbürgen für deliktische Schäden im Unternehmen wird, ist deshalb mit der gesellschaftsrechtlichen Risikoverteilung der §§ 13 II GmbHG, 1 I 2 AktG unvereinbar. 5. „Übernehmerhaftung“ als vermittelnde Lösung? In der Literatur werden vielfach Zwischenlösungen vertreten. So meint etwa Mertens34, der Geschäftsführer „übernehme“ die Pflichten der GmbH als eigene und begründe damit eine „Übernehmerhaftung“, die dann unter Wertungsgesichtspunkten eingeschränkt werden müsse. Mertens kommt auf diesem wahrlich komplizierten Wege zu dem Ergebnis, daß die bloße Organisationspflichtverletzung nicht haftungsbegründend sei; erforderlich sei vielmehr, daß das Organmitglied über die Organisationspflicht hinaus eine Verkehrspflicht der Gesellschaft verletzt habe35. Auch Grunewald und Ransiek36 halten es im Grundsatz für überzeugend, daß derjenige, der Maßnahmen zum Schutz fremden Eigentums fahrlässig unterläßt, ebenso haftet wie derjenige, der die Eigentumsverletzung eigenhändig begeht oder die Begehung durch einen Dritten veranlaßt. Um eine Kollision mit der Haftungsbeschränkung der juristischen Person zu vermeiden, wollen Grunewald und Ransiek hiervon aber Pflichten ausnehmen, die sich auf ein bestehendes Vertragsverhältnis beziehen, wie es beispielsweise im Baustoff-Fall des BGH in Gestalt des vereinbarten Eigentumsvorbehalts bestand. Grunewald und Ransiek kommen damit zu dem Ergebnis, daß – jenseits des ohnehin von § 823 II BGB erfaßten Bereichs strafrechtlich sanktionierter Pflichten – eine Garantenstellung des Geschäftsführers nur in Hinblick auf solche Pflichten bestehe, die ohnehin jedermann gleichermaßen treffen. [475] a) Die Organperson als Träger originärer Geschäftsleitungspflichten Den dargestellten Ansichten ist schon in ihrem Ansatz nicht zu folgen. Weder übernimmt der Geschäftsführer/Vorstand die genannten Pflichten der GmbH als eigene dem Dritten gegenüber, noch übernimmt er eine Garantenstellung Dritten gegenüber für alles, was in der GmbH schief läuft, noch zwingt ihn 34 MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 831 BGB, Rdn. 39; Mertens, Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 93 AktG Rdn. 181 ff., Mertens/Mertens, JZ 1990, 489. 35 MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 831 BGB Rdn. 39. 36 Grunewald, in diesem Heft sub II, 1 und 2; Ransiek, ZGR 1992, 226.

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das Gesetz dazu. Eine freiwillig-vertragliche Übernahme wäre die reine Unterstellung und Fiktion37. Das Gesetz akzeptiert die Rechtsperson als Subjekt und mithin autonome Haftungseinheit, leitet auf sie die deliktischen Schulden ihrer Organe und Gehilfen über, verlangt aber nicht zusätzlich die gesamtschuldnerische Haftung der Organmitglieder für alle im Unternehmen und vom Unternehmen veranlassten deliktischen Schäden. Weiterhin ist der Gedanke einer Haftung kraft Übernahme auch deshalb nicht einschlägig, weil die Pflichten des Geschäftsführers und der GmbH inhaltlich verschieden sind. Die Rechtsperson ist als Teilnehmer am Rechts- und Wirtschaftsverkehr in einem umfassenden Sinne verkehrssicherungspflichtig38. Niemand behauptet aber, daß diese Pflichten mit der Bestellung samt und sonders auf den Geschäftsführer übergingen. Der Geschäftsführer hat vielmehr eigene, originäre Pflichten dem Organträger, seiner Gesellschaft gegenüber39, deren Umfang maßgeblich durch §§ 43 GmbHG, 93 AktG bestimmt wird und zu denen die Organisation und Überwachung des Geschäftsverkehrs der Gesellschaft gehört40. Schon deshalb kann von einer Haftung kraft Übernahme nicht die Rede sein. Das Gesetz selbst zeigt die Pflichten und ihre Richtung. Zur Beantwortung der eigentlichen Frage, ob nämlich diese Pflichten des Geschäftsführers auch im Verhältnis zu Dritten bestehen, trägt die These von der Übernehmerhaftung daher schon vom Ansatz her nichts bei – es sei denn, sie sei ausnahmsweise wirklich rechtsgeschäftlich festgelegt oder allgemein und damit als reine Fiktion gedacht. b) Die These von der Haftung kraft Übernahme und die vertragliche Haftungsordnung Beantwortet man die Frage nach der Pflichtenstellung gegenüber Dritten im Sinne der Haftung kraft (rechtsgeschäftlicher) Übernahme und sieht so den Geschäftsführer/Vorstand unmittelbar als Verantwortlichen für deliktische Schäden von seiten des Unternehmens an, dann müßte das doch erst recht für Vertrags- [476] pflichten gelten. Auch insoweit ist der Geschäftsführer der GmbH bzw. der Vorstand der AG gegenüber doch verpflichtet, für die korrekte Erfül-

Ebenso Krebs/Dylla-Krebs, DB 1990, 1274. Vgl. Rowedder/Rowedder, 2. Aufl., § 13 GmbHG Rdn. 5; Hachenburg/Raiser, 8. Aufl., § 13 GmbHG Rdn. 11 ff.; Meyer-Landrut/Miller/Niehus, § 13 GmbHG Rdn. 5; MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 823 BGB Rdn. 192 ff.; Staudinger/Schäfer, 12. Aufl., § 823 BGB Rdn. 311 ff.; Erman/ Schiemann, 9. Aufl., § 823 BGB Rdn. 83; auch Krebs/Dylla-Krebs, DB 1990, 1273. 39 Vgl. Fn. 15; insoweit zutr. Krebs/Dylla-Krebs, DB 1990, 1271, 1274. 40 Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 4 ff., insb. Rdn. 12; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 42; Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 8 ff., insb. Rdn. 15; Krebs/Dylla-Krebs, DB 1990, 1274. 37 38

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lung und Abwicklung zu sorgen oder das gar selbst zu tun41. Wieso sollte der Geschäftsführer dann nicht aus c. i. c oder positiver Vertragsverletzung immer dann auch mit haften, wenn die GmbH nicht oder nicht korrekt erfüllt hat? Ein Unterschied unter dem Aspekt „Übernahme“ und „Übernahmehaftung“ ist nicht erkennbar. Jedenfalls liegt eine solche Verlängerung der Vertragspflichten auf den Geschäftsführer nicht ferner als der von Ransiek unternommene Versuch, insoweit einen Vorrang der Vertragsordnung zu entwickeln42. Im Baustoff-Fall ging es nicht nur um die deliktische Verletzung des Eigentums der Klägerin, sondern auch und erst recht um die Verletzung der vertraglichen Pflichten aus dem Kaufvertrag43. Wer immer den Gedanken einer „Übernehmerhaftung“ des Geschäftsführers im Rahmen der §§ 823 ff. BGB denkt – also gerade nicht von der fraglos eigenen Pflicht des Geschäftsführers gegenüber der GmbH oder AG im hier dargestellten Rahmen spricht –, kann hinsichtlich der „Übernahme“ nicht beim Delikt stehenbleiben, kann nicht zwischen deliktischer „Übernahme“ und vertraglicher „Übernahme“ unterscheiden, sondern muß die „Übernehmerhaftung“ erst recht für die ganzen rechts geschäftlichvertraglichen Pflichten der Rechtsperson von Rechts wegen genauso betrachten. Das zeigt, wie von Grund auf fehlsam der Ansatz ist. c) Und das gilt auch für die Annahme einer globalen Zuweisung aller die Rechtsperson betreffenden Verkehrssicherungspflichten auch an ihre Organpersonen – davon kann ich in Gesetz und Recht nichts feststellen – und ihren Ausschluß für auf Vertrag mit der Rechtsperson beruhende Pflichten: Kein Gläubiger würde solches akzeptieren oder gar erklären. Im Gegenteil würde er sagen: dann erst recht. Daß der Geschäftsführer auf „seine“ der GmbH vertraglich zur Verfügung gestellten Baustoffe gefälligst aufpassen möge wird ihm näher liegen als dessen angebliche Pflicht ihm gegenüber, die Treppen von Bananenschalen und den Gehweg von Eis zu säubern. III. Die Grenzen der Organhaftung 1. Innenhaftung und Außenhaftung a) Der Geschäftsführer/Vorstand übernimmt mit Annahme der Organstellung und mit Abschluß des Anstellungsvertrages der GmbH/AG gegenüber die 41 Vgl. Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 42; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 4 ff.; Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 8 ff. 42 Dieser Versuch ist schon deswegen problematisch, weil, wie auch Ransiek, ZGR 1992, 228, einräumt, das Vertragsrecht gerade nicht zu einer Schlechterstellung des Gläubigers führen soll und kann. 43 Insoweit zutr. Ransiek, ZGR 1992, 228.

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Pflicht, deren Pflichten als Eigentümerin oder Besitzerin fremder Güter, als Halterin eines [477] Fahrzeugs oder nach Eröffnung eines „Verkehrs“, aber auch als Vertragspartnerin zu erfüllen bzw. für die Erfüllung dieser Pflichten zu sorgen44. Aber all das sind Pflichten, die den Geschäftsführer nicht als solchen treffen, sie treffen ihn nur kraft seiner Organstellung und damit nur der GmbH/AG gegenüber45. Das wissen Gesetz und Gesetzgeber auch ganz genau; denn sonst würden sie nicht für Ausnahmefälle eine unmittelbar eigene Pflicht des Geschäftsführers begründen, wie das im Steuer- und Abgabenrecht zunehmend geschieht46. b) Das Gesetz gibt keine Anhaltspunkte für eine andere Betrachtung. Es kennt nur die Überleitung vom Organ (§ 31 BGB) und vom Gehilfen (§ 831 BGB) auf die Rechtsperson, nicht aber – von den erwähnten Ausnahmen im Steuer- und Abgabenrecht abgesehen – eine Überleitung auf den Geschäftsführer/Vorstand. Das gilt auch im Hinblick auf die Sonderregel des § 130 OWiG. Ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, daß der Geschäftsführer zur Organisation und Aufsicht auch im Außenverhältnis verpflichtet sei, läßt sich im Gegensatz zu einigen Ansichten in der Literatur47 aus dieser Vorschrift nicht herleiten. Dagegen spricht, daß auch im Anwendungsbereich des § 130 OWiG sehr sorgfältig zwischen eigener Täterschaft der Organperson und bloßem Organisationsverschulden unterschieden wird. Nach § 130 OWiG handelt selbst ordnungswidrig, wer die Aufsichtsmaßnahmen unterläßt, die erforderlich sind, um zu verhindern, daß Mitarbeiter betriebsbezogene Verstöße gegen Straf- oder Ordnungsnormen begehen. § 130 OWiG ist jedoch lediglich ein Auffangtatbestand, der nicht eingreift, wenn die Handlung des Vorgesetzten als Mittäterschaft oder fahrlässige Nebentäterschaft eingeordnet werden kann48. Eine Täterschaft des Betriebsinhabers wird dabei angenommen, wenn er den Verstoß durch den Mitarbeiter gekannt hat49. Dies deckt sich mit der Fallgruppe oben (2). Erweiternd wird angenommen, daß eine täterschaftliche Beteiligung auch schon dann vorliegen könne, wenn der Geschäftsführer zwar keine Kenntnis von einem konkreten Verstoß hat, aber weiß, daß gegenwärtig Verstöße der fraglichen Art im Unternehmen vorkommen, so daß ein Bezug auf eine konkrete Angelegenheit nicht erforderlich ist50. Auch Siehe oben Fn. 39. Siehe oben Fn. 15. 46 Vgl. § 34 Abs. 1 AO, § 69 AO, § 77 AO, § 93 AO, sowie §§ 137-153 AO, deren normierte Pflichten dem Organ der Rechtsperson, also dem Geschäftsführer auferlegt sind. 47 Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 236; Stapelfeld, Die Haftung des GmbHGeschäftsführers in der Gesellschaftskrise, 1990, S. 117. 48 Göhler, Komm. zum OWiG, 10. Aufl., § 130, Rdn. 26; Cramer in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130, Rdn. 100, je m.w.N. 49 So etwa BGH NJW 1987, 127, 129; BGH VRS 69, 234, 235; BGH VRS 67, 370; OLG Düsseldorf, wistra 1987, 358, 359. 50 BGH VRS 69, 234, 235; BGH VRS 67, 370; OLG Düsseldorf, wistra 1987, 358, 359; Cramer (Fn. 48), § 130 OWiG Rdn. 100, a.E. 44 45

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dies deckt sich mit dem oben vorgeschlagenen Verständnis mittäterschaftlicher Beteiligung. Als eigener Anwendungsbereich des § 130 OWiG verbleiben mithin nur die Fälle, in denen der Organperson lediglich eine Aufsichtspflichtverletzung zur Last [478] fällt. Es besteht daher eine Unterscheidung zwischen Fällen, in denen der Geschäftsführer von den Rechtsverstößen seiner Mitarbeiter wußte und deshalb als Täter etwa einer Körperverletzung in Betracht kommt, und Fällen, in denen er von solchen Vorgängen lediglich hätte wissen können. Dieser Unterschied ist auch zivilrechtlich von Bedeutung. Die letztere Fallgruppe führt nämlich nur in sehr eingeschränkter Weise zu deliktischen Ansprüchen gegen das Organmitglied: Als Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB kann man § 130 OWiG allenfalls dann ansehen, wenn die Norm, gegen die der Mitarbeiter verstößt, ihrerseits Schutzgesetz ist51. Nur für diese Fälle verlängert § 130 OWiG die – zivilrechtliche – Verantwortlichkeit auf den Geschäftsführer; in den übrigen Fällen hat die Norm jedoch gerade keinen drittschützenden Charakter. Damit verträgt es sich nicht, in diesen verbleibenden Fällen deliktische Ansprüche eines Dritten auf das Argument zu stützen, die Organperson habe ihre aus § 130 OWiG resultierenden Pflichten verletzt52, denn diese Norm erlegt die besagten Pflichten dem Organmitglied dann gerade nicht im Verhältnis zu Dritten auf. Eine allgemeine Organisations- und Aufsichtspflicht mit Haftungsfolge gegenüber Dritten ist daher aus § 130 OWiG nicht herzuleiten. 2. Diskussionsstand a) Damit ergibt sich als eigentliche Rechtslage: Der Geschäftsführer/Vorstand ist kraft seiner Organstellung verpflichtet und verpflichtet sich zusätzlich im Anstellungsvertrag, für die Erfüllung der Pflichten der GmbH/AG zu sorgen (nicht: sie als eigene zu übernehmen!53). Er übernimmt damit also keine Pflicht und keine Garantie dem Dritten gegenüber. Das könnte er ja auch gar nicht; eine solche Haftung stünde außerhalb seiner Verhältnisse und realen Handlungs- und Einflußmöglichkeiten, wäre der Sache nach nichts als reine Erfolgshaftung – von der unverhältnismäßigen Höhe des eingegangenen Risikos ganz abgesehen. Man denke nur an Unfälle in Stahlwerken oder Bauunternehmen, wo in den meisten Fällen Bedienungsfehler auf der 6. oder 7. Hierarchiestufe nach unten auslösend sind; selbstverständlich werden da irgendwo ein oder zwei Hierarchiestufen höher Überwachungs- und Anleitungsfehler vorgekommen sein; das ergibt sich ziemlich problemlos und nahezu stets bei einer ex post-Betrachtung54. Aber selbst das MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 831 BGB Rdn. 41; Ransiek, ZGR 1992, 223. So aber Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 236. 53 Vgl. oben Fn. 15. 54 Zu den Gefahren einer solchen Betrachtung Medicus, FS Lorenz 1991, S. 168. 51 52

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führt nicht bis zur Ebene des Vorstands oder Geschäftsführers. Alle haben dann dazugelernt. Aber dafür kann der Vorstand von Thyssen ebensowenig persönlich haften wie der Vorstand der Deutschen Bundesbahn für den Bedienungsfehler eines Lokführers, Stellwerkmeisters oder Schrankenwärters. Wohlgemerkt: Das mag im Sinne eigener Täterschaft dann anders sein, wenn der Vorstand von Thyssen nach dem Unfall dessen Ursache nicht analysiert bzw. analysieren läßt und dann nicht [479] entsprechende Sicherungsmaßnahmen gegen Wiederholungen trifft, sondern die Sache auf sich beruhen läßt und das Risiko der Wiederholung trägt: verwirklicht sich dann das derart bewußt übernommenes Risiko, so ist er Täter kraft jetzt pflichtwidriger Unterlassung. b) Es ist da nicht anders als im Lederspray-Fall55: Zunächst ist der Vorstand/ Geschäftsführer nicht betroffen, auch wenn die Zusammensetzung des Mittels giftig ist: Er ist weder Täter noch Garant für die Folgen aller Fehler im Unternehmen. Das wird sofort anders, wenn er um die auch nur mögliche Gefahr des Mittels weiß und weder Vertrieb noch Produktion bis zur Klärung stoppt. Durch die bewußte Hinnahme der Gefahr wird er zum Täter. 3. Vergleichende Rechtsprechungsanalyse Im übrigen hat die Rechtsprechung genau das in anderen Fällen und bei anderen Gegenständen auch nicht anders gesehen. a) Der BGH folgt der hier vorgeschlagenen Differenzierung in eigene Täterschaft einerseits und bloße Überwachungspflichtverletzung andererseits für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes. Insoweit hat er in der Entscheidung vom 26. 9. 8556 für den Fall einer Verletzung eines fremden Warenzeichens ausgeführt, daß der Geschäftsführer nicht persönlich hafte, wenn er an der Rechtsverletzung nicht teilgenommen hat und auch nichts von ihr wußte57. Dies entspricht der Fallgruppe 6). Den Einwand der Literatur, daß sich der Verantwortliche auf diese Weise durch Unkenntnis der Verantwortung entziehen könne58, hat der BGH selbst ausdrücklich und nachdrücklich zurückgewiesen, da ansonsten die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters mit einem zu hohen Risiko belastet würde. Diese Rechtsprechung ist seitdem h.M. im Bereich des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts59.

BGH JZ 1992, 253. BGH NJW 1987, 127 – Sporthosen –. 57 BGH NJW 1987, 127, 129. 58 So vor allem Maier (Fn. 24), S. 122; derselbe in WRP 1986, 71, 72; Baumbach/Hefermehl, 14. Aufl., Einl. UWG Rdn. 285, deutlich anders jetzt ders., 17. Aufl., Einl. UWG Rdn. 329. 59 Vgl. Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 63; Baumbach/Hefermehl, 17. Aufl., Einl. UWG Rdn. 329, jeweils m.w.N. 55 56

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b) Eine ganz ähnliche Auffassung hat unlängst das OLG Koblenz auch hinsichtlich einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts (§§ 823 I und II BGB i. V. m. §§ 186, 193 StGB) vertreten60. Im dortigen Fall hatte die Geschäftsführerin namens der von ihr vertretenen GmbH die Veröffentlichung eines beleidigenden Leserbriefs veranlaßt. Das OLG ließ die persönliche Inanspruchnahme der Geschäftsführerin mit dem Argument zu, daß sie den Leserbrief selbst verfaßt und nicht vorgetragen habe, dieser sei ohne ihr Wissen und/oder ihr Einverständnis zur Veröffentlichung gegeben worden. Diese Begründung läßt erkennen, daß das OLG – ebenso wie der BGH im Warenzeichenrecht – die Veröffentlichung mit Wissen und Wollen der [480] Geschäftsführerin als das entscheidende Haftungskriterium ansieht (also unsere Fallgruppe (1) oder (2)). c) Diese Entscheidungen stehen in unüberbrückbarem Gegensatz zu der Ansicht, die der BGH im Baustoff-Fall vertreten hat. Die im Sporthosen-Fall61 verletzten Zeichenrechte sind sonstige Rechte i. S. d. § 823 I BGB; gleiches gilt von dem im Falle des OLG Koblenz62 betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Man käme daher hinsichtlich deliktischer Ansprüche Dritter zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß bei einer Eigentumsverletzung (BGHZ 109, 297 – Baustoff –) Organisationsverschulden und damit fahrlässige Unkenntnis von der Verletzungshandlung genügt, bei einer Warenzeichen- oder Ehrverletzung dagegen Kenntnis vom Rechtsverstoß des Mitarbeiters erforderlich ist. Ein Grund für eine solche divergente Beurteilung ist weder erkennbar noch einsichtig; im Gegenteil: Ein unterschiedlicher Haftungsmaßstab je nach Art des verletzten Rechtsguts wäre gänzlich unsystematisch und aus der Sicht der betroffenen Organperson und selbst des betroffenen Dritten ganz und gar zufällig63. Bedenkt man zudem die bereits dargelegten Einwände gegen eine allgemeine Organisationshaftung des Geschäftsführers im Außenverhältnis, so spricht alles dafür, daß der Wettbewerbssenat des BGH auch für andere Rechtsgutsverletzungen die zutreffende Differenzierung gefunden hat: Der Geschäftsführer/Vorstand schuldet dem Dritten die Unterlassung von eigenhändiger Schädigung und das Einschreiten gegen von ihm erkannte Rechtsverstöße durch Mitarbeiter, mehr aber auch nicht64. Die Fallgruppe (2) stellt damit die Grenze der Außenhaftung dar.

OLG Koblenz, GmbHR 1992, 378. BGH NJW 1987, 127. 62 OLG Koblenz, GmbHR 1992, 378. 63 Diese Bewertung trifft allerdings auch den Versuch von Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 36, zwischen Gefahren für Leben und Gesundheit einerseits und sonstigen Rechtsgütern andererseits zu differenzieren. 64 Wie hier auch Medicus, FS Lorenz, 1991, S. 169. 60 61

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4. Konsequenzen Damit bleiben vor allem noch zwei Aspekte zu bedenken: a) „Unterhalb“ der Mittäterschaft und damit der Anwendbarkeit von §§ 823, 830 BGB unmittelbar auf den Geschäftsführer und das Vorstandsmitglied gibt es Fälle betonter oder grober Fahrlässigkeit: Aufgrund von Hinweisen müßte der Geschäftsführer annehmen, daß im Unternehmen Patentverletzungen stattfinden oder Gefahren für Besucher bestehen. Er trifft dennoch keine besonderen Maßnahmen. Führt das zu seiner persönlichen Haftung? Das ist nicht der Fall. Denn diese Fallgruppe läßt sich – so wie sie hier betont formuliert worden ist – mit dem oben entwickelten Konzept der Mittäterschaft nicht mehr erfassen. Mittäterschaft nach § 830 BGB setzt eine vorsätzliche Beteiligung am fremden Delikt voraus65, eine nur fahrlässige Beteiligung führt hingegen [481] zur Nebentäterschaft66. Freilich genügt zur Annahme einer Mittäterschaft insoweit auch bedingter Vorsatz, also das billigende Inkaufnehmen des Erfolges67. Diese Vorsatzform stellt jedoch – im Vergleich zum dolus directus – nur auf der voluntativen Seite des Vorsatzes geringere Anforderungen auf. An der Notwendigkeit des Wissens ändert sich nichts: Auch der bedingt vorsätzlich Handelnde muß den rechtswidrigen Erfolg als möglich erkannt haben68. Erforderlich ist daher, daß der Geschäftsführer aufgrund der Hinweise tatsächlich erkennt, daß Bestechungen etc. vorkommen. Das bloße „erkennen können“ reicht für bedingten Vorsatz nicht aus. Das bedeutet: Eine Einbeziehung der groben Fahrlässigkeit des Geschäftsführers/Vorstands in das hier entwickelte Konzept ist nicht möglich. Wenn man sich vom Erfordernis täterschaftlicher (und das heißt: vorsätzlicher) Beteiligung am deliktischen Handeln anderer im Unternehmen löst und fahrlässiges Handeln mit einbezieht, steht man vor der Frage, warum bei grober Fahrlässigkeit gehaftet werden soll, bei einfacher (= normales Organisationsverschulden) aber nicht. Ein normativer Anknüpfungspunkt für eine solche Differenzierung ist nicht erkennbar. b) Im Baustoff-Fall bestanden zwischen der Rechtsperson und dem Geschädigten nicht nur dingliche, sondern auch und gerade schuldrechtliche Beziehungen: Führt das etwa zu einem strengeren Maßstab der Haftung für den Geschäftsführer und das Vorstandsmitglied?

Palandt/Thomas, 52. Aufl., § 830 BGB, Anm. 2. BGHZ 30, 203; BGH NJW 1988, 1719. 67 Staudinger/Schäfer, 12. Aufl., § 830 BGB Rdn. 14; RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 830 BGB Rdn. 4. 68 BGHZ 7, 313; 69, 435; Palandt/Heinrichs, 52. Aufl., § 276 BGB, Anm. 10; Schönke/Schröder/Cramer, 24. Aufl., § 15 StGB Rdn. 73; Dreher/Tröndle, 46. Aufl., § 15 StGB Rdn. 9; Lackner, 19. Aufl., § 15 StGB Rdn. 23. 65 66

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Das ist für gewöhnliche vertragliche Beziehungen klar zu verneinen. Der Vertrag wird mit der GmbH geschlossen; dieser wird Ware geliefert, Kredit gewährt usw. Das Vertrauen des Geschäftspartners bezieht sich daher auf die GmbH. Selbst eine Ausnahme für besonders riskante oder insolvenzanfällige Geschäfte ist nicht begründbar69. Es bleiben damit nur die Fälle, in denen sich der Geschäftsführer betont in die Verhandlungen eingeschaltet und besonderes Vertrauen für sich persönlich in Anspruch genommen hat. Dann kommt in der Tat eine Garantenstellung des Geschäftsführers in Betracht, und zwar durch Schaffung eines Vertrauenstatbestands gegenüber dem Geschädigten70. Das setzt aber persönlichen Kontakt des Geschäftsführers mit dem späteren Geschädigten und ein entsprechendes vertrauensbegründendes Verhalten voraus71. Wo es daran fehlt, etwa weil der Geschäftsführer schon die Vertragsverhandlungen gar nicht selbst geführt oder nicht betont [482] auf sich und seine Person bezogen hat, bleibt es bei den allgemeinen Regeln72. Das gilt hier um so mehr, als sich der Geschädigte ja bewußt und gewollt auf die Rechtsperson als Vertragspartner eingelassen hat: Ihm stand im Gegensatz zum Deliktsgläubiger die Wahl offen. Um so mehr ist die Entscheidung des BGH im Baustoff-Fall unzutreffend. IV. Ergebnis 1. Die Organe juristischer Personen haften für deliktische Schädigungen im Unternehmen nur dann unmittelbar persönlich, wenn sie diese entweder eigenhändig begangen haben oder von ihrer Begehung durch andere wußten und die Schädigung pflichtwidrig nicht verhinderten (Haftung als Täter durch Tun oder pflichtwidriges Unterlassen). 2. Ansichten, nach denen eine Haftung bereits bei fahrlässiger Unkenntnis von deliktischen Schädigungen eingreift, ist nicht zu folgen. Eine Pflicht der Organpersonen (Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder), den Geschäftsbetrieb der juristischen Person für die Rechtsgüter Dritter gefahrlos zu organisieren, besteht Dritten gegenüber nicht. Sie ergibt sich weder aus dem Gesetz noch übernimmt die Organperson durch ihre Bestellung eine entsprechende Pflicht der Rechtsper-

Dazu ausführlich Medicus, FS Lorenz, 1991, 167 f. BGH ZIP 1993, 763; BGH WM 1992, 735; BGH WM 1990, 759, 760; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 28; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 224; Rowedder/ Koppensteiner, 2. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 869; MüKo/Mertens, 2. Aufl., § 823 BGB, Rdn. 190. 71 Statt vieler BGH WM 1990, 759, 760; Scholz/Schneider, 8. Aufl., § 43 GmbHG Rdn. 224. 72 Vgl. BGH WM 1987, 1431, 1434, wo eine Haftung des Geschäftsführers aus c. i. c. mangels Inanspruchnahme besonderen Vertrauens abgelehnt wurde. Ebenso BGH WM 1986, 854, 856 (allerdings nur Zurückverweisung) und BGH WM 1985, 1526, 1527 f.; vgl. auch Scholz/ Schneider, 8. Aufl., § 42 Rdn. 224. 69 70

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son. Eine Organisationshaftung der Organe im Außenverhältnis ist zudem unvereinbar mit der Haftungsverfassung der juristischen Person. 3. Diese Sicht wird im übrigen bestätigt durch die gesetzliche Haftung des Organmitglieds gegenüber der Rechtsperson nach §§ 43 GmbHG, 93 AktG: Sie legt Umfang und Ausmaß der Organisations- und Überwachungspflichten des Organmitglieds fest und zentriert deren Umfang auf die Rechtsperson. Wenn und insoweit der Geschäftsführer/Vorstand seine Pflichten der Rechtsperson gegenüber verletzt hat – und über diese Frage müßte man im Baustoff-Fall gesondert nachdenken –, steht es dem Gläubiger der Rechtsperson frei, in dieses Aktivum seiner Schuldnerin zu vollstrecken.

Haftung und Haftungsfreiräume des GmbH-Geschäftsführers 10 Gebote an den Geschäftsführer* GMBHR 2000, S. 301-312** Die Haftungsrisiken des Geschäftsführers wachsen. Sie zu beherrschen setzt Kenntnis der Risikofelder voraus. Sie sind hier in 10 Geboten für den Geschäftsführer zusammengefaßt. Darüber hinaus läßt sich das Risiko durch schriftlich festgelegte Ressortaufteilung verringern; auch darauf geht dieser Beitrag ein. Prof. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutter ist Sprecher des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn und Rechtsanwalt in Berlin. Inhaltsübersicht I. II. III.

Einleitung Innenhaftung des Geschäftsführers; § 43 GmbHG – Überblick Die Pflichten des Geschäftsführers im Innenverhältnis: 10 Gebote an den Geschäftsführer IV. Die Freistellung des Geschäftsführers von der Verantwortung für Fehlschläge bei geschäftlichen und geschäftspolitischen Entscheidungen V. Zwischenbilanz VI. Schaden, Kausalität und Schuld VII. Die Außenhaftung des Geschäftsführers VIII. Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung zugunsten des Geschäftsführers IX. Schlußbemerkung

* Der Beitrag geht auf ein Referat des Verfassers anläßlich der Ersten Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) im Jahre 1998 zurück und ist in Band 1 ihrer Schriftenreihe („Gesellschaftsrecht in der Diskussion“, Köln 1999) erstmals veröffentlicht worden. Für die Veröffentlichung hier wurden der Text um Ziff. VIII und die Nachweise erweitert. Der Verfasser dankt Herrn Referendar Jürgen Faust für die sorgfältige Aufbereitung des Materials und die Betreuung des Manuskripts. ** Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf www.legios.de.

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I. Einleitung Haftung ist ein unschönes Wort. Niemand freut sich, wenn er für angerichtete Schäden einstehen und zahlen muß – auch nicht der Geschäftsführer einer GmbH, der wegen wirklicher oder angeblicher Fehler in seiner Amtsführung von der Gesellschaft selbst oder außenstehenden Dritten in Anspruch genommen wird. Während nun außenstehender Drittgläubiger potentiell jedermann sein kann, diese Gläubiger-Richtung also wenig strukturiert ist, lassen sich potentielle Anspruchsteller im Innenbereich der GmbH eher feststellen: Da sind einmal die enttäuschten Gesellschafter, die den in ihren Augen unfähigen, faulen oder verantwortungslosen Geschäftsführer entlassen haben und jetzt mit Schadensersatzansprüchen der GmbH verfolgen1; da ist die Minderheit in der GmbH, die den von der Mehrheit gestellten oder jedenfalls gestützten Geschäftsführer zwar nicht stürzen, gegen ihn aber vielleicht Schadensersatzansprüche der GmbH durchsetzen kann: ARAG2 läßt grüßen; da ist oft der enttäuschte Erwerber der GmbH auf der Suche nach weiteren Aktiva und da ist vor allem der Konkursverwalter – seit 1.1.1999: Insolvenzverwalter3 – in rund 5.650 eröffneten GmbH-Insolvenzen pro Jahr4, dessen wichtigste Aufgabe es ist, Aktiva für die Masse aufzustöbern und geltend zu ma- [302] chen. In diesem Zusammenhang stehen dann die Gesellschafter und der Geschäftsführer der gescheiterten GmbH sehr rasch im Fadenkreuz seiner Überlegungen. Über lange Zeit hin hatten sich die Insolvenzverwalter auf die Gesellschafter konzentriert, wie schon die reiche Rechtsprechung der letzten 20 Jahre zur Frage der Erfüllung oder eben Nichterfüllung und daher noch offenen Einlagepflicht der Gesellschafter zeigt. Von ihnen ist hier heute nicht die Rede5. Jetzt scheinen sich die Insolvenzverwalter zusätzlich auf den Geschäftsführer zu besinnen, obwohl ihnen der BGH kürzlich die Zustän-

1 Zur jüngsten Diskussion zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Aktionärs gegen Vorstand und Aufsichtsrat im Wege einer eigenständigen Aktionärsklage vgl. Krieger, ZHR 163 (1999), 343; Sünner, ZHR 163 (1999), 364 sowie Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 und Bork, RWS Forum 10, Gesellschaftsrecht, 1997, S. 54. 2 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = ZIP 1997, 883. 3 Zum 1.1.1999 ist die neue InsO vollständig in Kraft getreten (InsO v. 5.8.1994; BGBl. I 1994, 2866); zur Bedeutung der neuen InsO für den GmbH-Geschäftsführer s. Uhlenbruck, GmbHR 1999, 313 u. 390; Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 2. Aufl. 1999, S. 1 ff. und Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rn. 4 ff. 4 Bei insgesamt 16400 GmbH-Insolvenzen im Jahr 1998 (Auskunft des Statistischen Bundesamtes – Abt. Insolvenzen). 5 Vgl. dazu Lutter, JuS 1998, 1073.

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digkeit für die sehr interessanten Ansprüche sog. Neugläubiger abgesprochen hat6. Das Terrain möglicher Gläubiger des Geschäftsführers ist also sehr weit und bedarf auch unter rechtlichen Aspekten der Ordnung. Dieser Beitrag konzentriert sich vor allem auf die sog. Innen-Ansprüche der GmbH selbst, direkte Ansprüche außenstehender Gläubiger7 werden der Vollständigkeit halber nur am Rande erwähnt8. II. Innenhaftung des Geschäftsführers; § 43 GmbHG – Überblick Die Magna Charta der Innenhaftung des Geschäftsführers ist § 43 GmbHG, der höchst unspezifisch von seiner „Pflicht zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“ spricht und ihn bei Verletzung dieser Pflicht zum Ersatz des der GmbH daraus entstandenen Schadens verpflichtet. So weit, so gut. Was aber ist nun ein ordentlicher Geschäftsmann? Das ist offenbar der, der seine Aufgaben korrekt erfüllt. Die Frage nach der Haftung des Geschäftsführers läßt sich also nur vom Kanon seiner Pflichten her beantworten. Und diese gilt es nun in erster Linie zu ermitteln. III. Die Pflichten des Geschäftsführers im Innenverhältnis: 10 Gebote an den Geschäftsführer 1. Gebot: Einhaltung der Gesetze und nicht zuletzt des GmbHG Diese Pflicht ist so selbstverständlich, daß sie kaum der Erwähnung nötig erscheint. Unter zwei Aspekten muß man sich mit ihr aber doch beschäftigen: Welche intern relevanten gesetzlichen Pflichten stehen hier im Zentrum? Und: Welche nach außen gerichteten gesetzlichen Pflichten gilt es zu bedenken, deren

6 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594; dazu auch Röhricht in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, VGR Bd. 1, 1999, S. 1 (7 ff.). 7 Lutter, GmbHR 1997, 329; Stein, DStR 1998, 1055; Lutter und Grunewald, ZHR 157 (1993), 451 (464). 8 Zur rechtlichen Durchsetzung dieser Innen-Ansprüche s. den Beitrag von Krieger in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, VGR Bd. 1, 1999, S. 111 ff.

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Verletzung zu Schäden der Gesellschaft führen kann, für die dann der Geschäftsführer wiederum regreßpflichtig9 wird? a) Interne gesetzliche Pflichten (1) Kapitalerhaltung, §§ 30, 32 a/b, 43 GmbHG Der Geschäftsführer ist für die Sicherung des Kapitals verantwortlich; das betont das Gesetz im AktG (§ 93) ebenso wie im GmbHG (§ 43 Abs. 3 S. 3). Achtet der Geschäftsführer nicht auf diese Schwelle und läßt er sich zu offenen oder verdeckten Leistungen an die Gesellschafter10 zu Lasten des Kapitals überreden, so haftet er jedenfalls in der Insolvenz der Gesellschaft auf Erstattung. Jeder Geschäftsführer einer GmbH, die sich in Schwierigkeiten befindet, sollte sich dieses Risikos voll bewußt sein11. (2) Pflicht zur Buchführung nach §§ 238 ff. HGB Diese fraglos den Geschäftsführer treffende Pflicht wird vor allem als öffentliche Pflicht verstanden, was sie auch ist12. Aber sie ist eben auch Pflicht des Geschäftsführers der GmbH gegenüber13. Wird sie vernachlässigt und lassen sich z.B. mögliche Ansprüche der GmbH deswegen nicht ausreichend nachvollziehen, so haftet der Geschäftsführer und das insbesondere natürlich in der Insolvenz. (3) Rechtzeitige Insolvenzanmeldung Schließlich besteht die Pflicht des Geschäftsführers zu rechtzeitiger Insolvenzanmeldung14. Sie ist öffentliche Pflicht15 des Geschäftsführers der GmbH 9 In fast allen Eides-Formeln von Amtsträgern findet sich die Formulierung, er verpflichte sich, „Schäden abzuwehren“. Das gilt natürlich auch für den Geschäftsführer, der die GmbH nicht schädigen darf, aber auch Schaden von ihr abzuwenden hat. 10 Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 191 ff.; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 90 f.; Thümmel, Die persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl. 1998, Rn. 112 ff. 11 Dabei geht es mitnichten nur um Zahlungen an den Gesellschafter, auch die unentgeltliche Überlassung für Nutzung kann man dazurechnen, s. auch Rowedder/Rowedder, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 30 Rn. 22; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 90 und § 30 Rn. 56 ff. 12 BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 (377) = GmbHR 1994, 390; Scholz/ Crezelius, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 41 Rn. 3; Budde/Kunz in Beck’scher Bilanz-Komm., 3. Aufl. 1995, § 238 HGB Rn. 59, 67; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 41 Rn. 5. 13 BGH v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, DB 1991, 326 = GmbHR 1991, 101; Goette, ZGR 1995, 648 ff.; Thümmel, Die persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl. 1998, Rn. 122 f. 14 Lutter, GmbHR 1997, 329 (331); Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 28 und § 64 Rn. 7 ff. 15 Daher strafbewehrt, vgl. §§ 283 ff. StGB und § 82 GmbHG; vgl. auch Reck, GmbHR 1999, 267.

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und ihren Gläubigern gegenüber. Wird sie versäumt, so kann der Insolvenzverwalter den berühmten Quotenschaden zur Masse gegen den Geschäftsführer geltend machen16. b) Externe gesetzliche Pflichten Diese sind potentiell kaum überschaubar und sollen daher hier nur in ihren wichtigsten Konstellationen angesprochen werden: [303] Uwe H. Schneider17 hat eine Aufstellung der speziell öffentlich-rechtlichen Pflichten versucht; nach deren Lektüre hat man Verständnis für eine Gefahrenzulage im Gehalt des Geschäftsführers. Immerhin ist klar, daß die Verletzung dieser Pflichten zu Schäden der GmbH führen kann – vom Bußgeld bis hin zum betroffenen Nachbarn –, für die der Geschäftsführer im Zweifel regreßpflichtig ist. Pflichten aus dem GWB: Selbstverständlich ist der Geschäftsführer gehalten, das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen einzuhalten. Verstößt er hiergegen, so kann es zu zivilrechtlichen Ansprüchen gegen die Gesellschaft, vor allem aber zu gewaltigen Bußgeldern gegen sie kommen18. Man muß nicht unbedingt gleich an die 180 Mio. DM Bußgelder19 gegen Heizungsröhren-Hersteller und die 248 Mio. ECU20 gegen Zementfabrikanten denken. Wäre ich Gesellschafter einer beteiligten Gesellschaft und wäre ich von den Absprachen nicht informiert gewesen (was mich mitschuldig gemacht hätte), ich würde den Geschäftsführer energisch für den der Gesellschaft entstandenen Schaden zur Verantwortung ziehen. Pflichten aus dem UWG: Die Verletzung dieser Regeln führt nicht selten zu hohen Ansprüchen gegen die Gesellschaft. Dennoch beschränken sie sich oft auf die Abschöpfung eines zu Unrecht von der Gesellschaft erzielten Gewinns21: insoweit entsteht der GmbH im Rechtssinne kein Schaden. Immer16 Lutter, GmbHR 1997, 329 (332 f.); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rn. 39 mit allen Nachw.; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 24, sowie Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617. Zum unmittelbaren Anspruch der sog. Neugläubiger auf Ersatz des negativen Interesses vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 (190) = GmbHR 1994, 539; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594. 17 Uwe H. Schneider, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473 ff.; Uwe H. Schneider, DB 1993, 1909. 18 Horn, ZIP 1997, 1129 (1136); ausführlich zur Haftung des Geschäftsführers bei Wettbewerbsverstößen Haß, GmbHR 1994, 666. 19 Entscheidung der EG-Kommission wegen unzulässigen Preisabsprachen zwischen Heizungsröhren-Herstellern, s. WuW 1998, 927. 20 Dannecker in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 1997, VO Nr. 17 Art. 15 Rn. 235 ff., 240. 21 Horn, ZIP 1997, 1129 (1136); BGH v. 22.4.1993 – I ZR 52/91, BGHZ 122, 262 ff.; v. 17.6.1992 – I ZR 107/90, WRP 1992, 700; allg. zur Haftung bei Wettbewerbsverstößen s. Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 20 f.

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hin hat die GmbH gerade in solchen Fällen oft für sehr hohe Kosten einzustehen. Pflichten aus dem Steuerrecht: Diese Pflichten sind Legion, von der Mehrwertsteuer über die Lohnsteuer bis zum Kindergeld und den vermögenswirksamen Leistungen, von der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer zu schweigen. Ihre Verletzung kann zu erheblichen Schäden der Gesellschaft führen – erinnert sei nur an die nicht selten hohen Lohnsteuer-Nachzahlungen22, die dann beim eigentlich betroffenen Arbeitnehmer oft nicht mehr zurückgeholt werden können Auch für diese Schäden ist der Geschäftsführer im Zweifel erstattungspflichtig. Dieser Überblick könnte nahezu beliebig verlängert werden; das soll hier nicht geschehen, vielmehr sollen die hier genannten Beispiele nur das Gefahrenpotential verdeutlichen, dem der Geschäftsführer aus diesen Aspekten unterworfen ist. 2. Gebot: Einhaltung von Satzung und Geschäftsordnung a) Schranken der Geschäftsführungsbefugnis Fraglos hat der Geschäftsführer die Satzung und die sich hieraus für ihn ergebenden Pflichten und Schranken zu beachten. Dazu gehören in erster Linie Zweck und Gegenstand, § 3 GmbHG23; vor allem der letztere ist eine den Geschäftsführer bindende Schranke der Geschäftsführungsbefugnis24: Import von Öl und Ölderivaten ist eben kein Freibrief für Devisenspekulationen, wie Fahrzeughandel eben gerade nicht zum Immobilienhandel berechtigt. In solchen Fällen muß zwar die GmbH für die Überschreitung ihres Gegenstands durch den Geschäftsführer einstehen25; dieser aber ist fraglos ersatzpflichtig für einen der Gesellschaft daraus erwachsenden Schaden.

22 Medicus, GmbHR 1998, 9 (13); Wimmer, NJW 1996, 2546 (2550); Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 194 ff.; Neusel, GmbHR 1998, 731. 23 Zum Unterschied zwischen beiden vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 1 Rn. 2. 24 Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 37 Rn. 7; Goette, DStR 1998, 938 (942). 25 § 37 Abs. 2 GmbHG; vgl. auch Art. 9 der 1. Gesellschaftsrechtlichen EG-RL v. 9.3.1968 (68/151/EGW), Abl. EG Nr. L 65 v. 14.3.1968, S. 5, 8 ff., abgedr. auch bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1995, S. 104 ff.

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b) Zustimmungsvorbehalte Das gleiche gilt, wenn etwa Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung aus der Satzung oder der Geschäftsordnung verletzt werden26. 3. Gebot: Einhaltung der Regeln des Anstellungsvertrags Auch der Anstellungsvertrag enthält in aller Regel zusätzliche Schranken der Geschäftsführungsbefugnis, die meist mit Werthöhen verknüpft sind27, etwa keine Aufnahme von Krediten über 100000 DM etc. Das sind klare Fälle. Aber auch die gar nicht seltene Zuweisung eines Ressorts an den einzelnen Geschäftsführer enthält bei richtiger Betrachtung auch eine Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis. Denn wem das Ressort „Verkauf“ zugeteilt ist, der kann den Abnehmern Zahlungsziele und Kredite einräumen und ggf. sogar mit Bürgschaften der Gesellschaft helfen; für die Finanzierung der GmbH aber ist er intern gerade nicht zuständig28; hier ist – von Sondersituationen abgesehen – mindestens die Mitwirkung des Finanzchefs erforderlich, soll ein größerer Bankkredit aufgenommen werden. Verletzt der Geschäftsführer diese Regeln und entsteht der GmbH daraus ein Schaden, ist er fraglos ersatzpflichtig. 4. Gebot: Einhaltung von Weisungen der Gesellschafter Erst kürzlich hat das OLG Frankfurt a.M. mit klaren Worten betont, daß der Geschäftsführer Weisungen der Gesellschafter bis zur Grenze der Gesetzwidrigkeit – also insbesondere der Verletzung des Kapitals – zu befolgen hat, [304] mag ihm ihr Inhalt sachlich auch noch so verfehlt erscheinen29. Selbstverständlich kann er Gegenvorstellungen erheben; bleiben die Gesellschafter aber bei ihrer Ansicht, muß er vollziehen oder zurücktreten; jedes andere Verhalten führt neben

26 Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 37 Rn. 19 f.; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 37 Rn. 14 ff. 27 Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 35 Rn. 70; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl. 1995, § 37 Rn. 7. 28 Zur internen Ressortaufteilung und ihrer Entlastungswirkung s. unten VIII.1. sowie Lutter, GmbHR 1997, 329 (331); Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 30 ff.; Medicus, GmbHR 1998, 9; Goette, DStR 1998, 938 (942). 29 OLG Frankfurt a.M. v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346; ebenso Hachenburg/ Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 37 Rn. 27; Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 95; das Ausführen einer rechtmäßigen Weisung wirkt für den Geschäftsführer regelmäßig haftungsbefreiend, vgl. auch Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (73); Thümmel, Die persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl. 1998, Rn. 127.

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allem anderen wie Abberufung30 etc. auch in das Risiko der Ersatzpflicht: Kauft er weisungswidrig das Öl oder das Silber nicht und steigt es im Preis, so hat er den Differenzschaden zu erstatten. Für den mit einer solchen Weisung konfrontierten Geschäftsführer stellen sich dennoch zwei Fragen. Zum einen: Stammt die Weisung vom richtigen Organ? So hat in der mehrgliedrigen GmbH der einzelne Gesellschafter kein Weisungsrecht31, es sei denn, die Satzung habe es ihm eingeräumt. Das ist anders in der Ein-Personen-Gesellschaft, wo der Allein-Gesellschafter stets zugleich die weisungsbefugte Gesellschafterversammlung ist; hier sollte der Geschäftsführer aber auf jeden Fall auf der vom Gesetz angeordneten Schriftform des Beschlusses bestehen, § 48 Abs. 3 GmbHG. Ähnliches gilt für einen Aufsichtsrat oder Beirat: Normalerweise haben sie kein Weisungsrecht; die Satzung kann es ihnen aber einräumen32. Zum anderen muß der Geschäftsführer prüfen, ob die Weisung – genauer: ihre Durchführung – Gesetz oder Satzung verletzt: Unmittelbare oder mittelbare Ausschüttungen zu Lasten des Kapitals sind ebenso verboten wie die Eingehung von unverantwortlichen Produktionsrisiken mit Gefährdung Dritter; hier darf der Geschäftsführer die Weisung nicht vollziehen33; tut er es doch, ist er durch den Beschluß nicht gedeckt, wie § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG für den Fall der Verletzung des Kapitals ausdrücklich hervorhebt. Auch ein Überschreiten des Gegenstands der Gesellschaft setzt mindestens die satzungsändernde Mehrheit für den Weisungsbeschluß voraus. 5. Gebot: Ordnungsgemäße Organisation der Gesellschaft Die ersten vier Gebote sind im Grundsatz einfach und machen jedenfalls dem Juristen nicht gar zu große Schwierigkeiten. Mit der hier formulierten fünften Pflicht werden die Dinge diffuser. Das gilt nicht so sehr für die Pflicht als 30 Ist die Zulässigkeit einer Abberufung vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig (§ 38 Abs. 2 GmbHG), dann kann die wiederholte Mißachtung einer Gesellschafterweisung einen solchen wichtigen Grund darstellen, vgl. OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476, zur Abberufung wegen Nichtbefolgens rechtmäßiger Weisungen s. auch Hachenburg/Stein, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 38 Rn. 46 f. Weigert sich der Geschäftsführer, auf Weisung der Gesellschafter-Versammlung die GmbH aus steuerlichen Gründen ins Ausland zu verlagern, ist eine Kündigung rechtmäßig, s. OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, DB 1997, 922 = GmbHR 1997, 346. 31 Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 37 Rn. 31 f.; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 71. 32 Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 37 Rn. 29. 33 Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (73); allg. zur Folgepflicht des GmbHGeschäftsführers s. BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 (278) = GmbHR 1960, 43 und Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 37 Rn. 27 ff. (30).

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solche, sie ist in der Betriebswirtschaftslehre vielfach erörtert und Teil der Organisationslehre34. Aber das eher Diffuse gilt für die Art der Umsetzung. Denn für diese fünfte Pflicht gibt es weder für alle Fälle gleiche noch gar eindeutige Antworten; die Organisation einer GmbH mit 40 Mitarbeitern und 50 Mio. DM Umsatz muß naturgemäß anders sein als die mit 400 Mitarbeitern und 500 Mio. DM Umsatz – von ganz kleinen Gesellschaften einmal ganz abgesehen. Auch erfordert ein Bauunternehmen andere Abläufe als eine Immobilienagentur. Und schließlich muß man dem Geschäftsführer ein weites Ermessen beim „Wie“ der Organisation einräumen: der eine schwört auf Ressortaufteilung35, der andere auf Matrix: ohne Vorgaben der Gesellschafter ist die eine Organisation so recht wie die andere. Eines aber ist sicher: Aufbau und Durchsetzung einer plausiblen, nicht zuletzt auf die Vermeidung typischer Risiken der Gesellschaft angelegten Organisation gehört zu den Grundpflichten des Geschäftsführers36. Der berühmte Baustoff-Fall des BGH37 gibt hierfür ein gutes Beispiel: Wird in der Gesellschaft regelmäßig auch mit Treugut gearbeitet, so muß es getrennt gelagert werden, und für seine Verwendung durch Mitarbeiter müssen klare Regeln gesetzt sein. Ist das der Fall und geschieht dennoch ein Fehler, so haftet die Gesellschaft, und zwar dem Geschädigten nach schuld- und sachenrechtlichen Grundsätzen; der Geschäftsführer aber hat seine Organisationspflicht erfüllt und hat für die Pflichtverletzung des Mitarbeiters nicht einzustehen. Hat er hingegen seine Organisationspflicht verletzt, so schuldet er der Gesellschaft Erstattung des ihr erwachsenen Schadens aus der Verletzung Dritter und ihrer entsprechenden Ersatzpflicht38.

34 Werder, DB 1995, 2177; Werder/Maly/Pohle/Wolff, DB 1998, 1193; Macharzina, Unternehmensführung, 1995, S. 378 ff.; Höhn, Die Geschäftsleitung der GmbH – Organisation, Führung und Verantwortung, 2. Aufl. 1995, S. 9 ff. 35 Eine Ressortaufteilung, welche nicht auf Satzung oder Gesellschafterbeschluß basiert, entläßt die Geschäftsführer nicht aus ihrer Gesamtverantwortung, s. BFH v. 17.5.1988 – VII R 90/85, GmbHR 1989, 170 (171 f.); OLG Koblenz v. 9.6.1998 – 3 U 1662/89, NZG 1998, 953 = GmbHR 1999, 122(LS); Roth/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 43 Rn. 7; Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 13b; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 31. Zur Gesamtverantwortung der Organmitglieder vgl. auch OLG Bremen v. 18.5.1998 – 3 U 2/98 – Bremer Vulkan, NZG 1999, 724 (726f.) sowie unten VIII. 36 Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 78 ff.; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 24; Thümmel, Die persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl. 1998, Rn. 137 f.; Abeltshauser, Leistungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 214 ff.; Martinek, Repräsentantenhaftung, 1979, S. 160 ff. 37 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 = GmbHR 1990, 207 und dazu Grunewald und Lutter, ZHR 157 (1993), 459 ff. (464 ff.) und Medicus, FS Lorenz, 1991, S. 160 ff. 38 Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 35 f.

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6. Gebot: Kontrolle der Organisation Organisation des Unternehmens und mithin Aufstellung von Regeln sowie vor allem Zuweisung von Aufgaben und Pflichten an die einzelnen Mitarbeiter zur Verwirklichung des Gegenstands der Gesellschaft ist das eine, Kon- [305] trolle der Durchführung das andere. Auch hier ist fraglos, daß der Geschäftsführer die Einhaltung der Organisation und ihrer Zuständigkeitsregeln kontrollieren muß, ob seine allgemeinen und speziellen Anordnungen auch eingehalten und verwirklicht werden39. Es genügt nicht, daß der Geschäftsführer anordnet, das Treugut sei getrennt vom Eigengut zu halten – er muß sich auch persönlich oder durch andere Vorgesetzte vergewissern, daß die Anordnung befolgt wird. Wie er das macht, unterliegt seinem Ermessen, nur müssen die Personen, denen der Geschäftsführer die Pflicht zur Sicherung des Treugutes zuweist, von ihm oder anderen Personen in Hinsicht auf die Erfüllung eben dieser Pflicht kontrolliert werden. Versäumt der Geschäftsführer das, so schuldet er der Gesellschaft Regreß. 7. Gebot: Regelmäßige Kontrolle der Liquidität und Finanzlage der Gesellschaft Organisation hat auch die Aufgabe, typische Risiken aller Unternehmen oder speziell dieser Gesellschaft zu vermeiden oder sie jedenfalls offenzulegen. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Finanzierung der Gesellschaft und die damit verbundenen Risiken. Denn Geld ist das Blut im Kreislauf der Unternehmen. Wird es knapp, so leidet das Unternehmen an Anämie; wird es noch knapper, entsteht die Gefahr, daß die Gesellschaft kollabiert, daß sie insolvent wird. Daher hat der für die Finanzen zuständige Geschäftsführer – und wenn es den nicht gibt: alle Geschäftsführer – die Pflicht zu ständiger Beobachtung von Liquidität und Verschuldung40. Aber das allein genügt jedenfalls in mittleren und größeren Unternehmen nicht. Denn je eher Anämie erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden. Deswegen ist hier auch eine Finanz- und Liquiditätsplanung erforderlich41, die den Soll-Ist-Vergleich erlaubt und so Finanzprobleme frühzeitig erkennbar macht. Fehlt es daran, so schuldet der Geschäftsführer Ersatz,

39 Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 70; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 24; Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 91 Rn. 6 ff.; Thümmel, Die persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl. 1998, Rn. 141 ff. 40 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 = GmbHR 1995, 299; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 24; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rn. 12, 33. 41 Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 24; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 52 f.

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wenn die Gesellschaft dartun kann, daß bei rechtzeitiger Kenntnis Heilmittel, sprich: neue Finanzmittel zur Verfügung gestanden hätten. 8. Gebot: Vermeidung übergroßer Risiken a) Pflicht zu laufender Risikobeobachtung Unternehmerisches Handeln ohne Risiko gibt es nicht; gegen steigende oder fallende Preise, gegen die Insolvenz eines Geschäftspartners etc. ist niemand gefeit, auch der Geschäftsführer nicht. Aber das Risiko trägt die Gesellschaft und wird es, realisiert es sich denn, in aller Regel auch verkraften. Anders ist es, wenn sich die Risiken häufen oder das einzelne Risiko außer Verhältnis zu den finanziellen Kräften der Gesellschaft steht. Daher besteht heute zu Recht sehr weitgehend Einigkeit, daß die Übernahme von Risiken, deren Verwirklichung – mag das noch so fernliegend erscheinen und mögen die Chancen noch so verlockend sein – die Gesellschaft in den Untergang reißen würde, pflichtwidrig ist42. Anders gewendet: Der Geschäftsführer hat vor Rechtsgeschäften einer bestimmten Größenordnung – einzeln oder kumuliert – die Höhe des Risikos zu kalkulieren und schon deswegen ggf. vom Geschäft Abstand zu nehmen. Übrigens: Das KonTraG hat diesem Gebot einen neuen Abs. 2 des § 91 AktG gewidmet43, der folgendermaßen lautet: „Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“

Diese Pflicht ist in das GmbH-Recht vom Gesetzgeber bewußt nicht übernommen worden44. Andererseits hat selbst der Gesetzgeber auf die Ausstrahlungswirkung dieser neuen Norm auch in das GmbH-Recht hinein hingewiesen45. Mindestens für die mittelgroße und große GmbH gilt daher heute zumindest eine Pflicht der Geschäftsführer zu laufender Risikobeobachtung46. Und dazu gehört auch die Risikoabschätzung bei der Eingehung besonderer einzelner Verpflichtungen.

42 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 – ARAG, BGHZ 135, 244; Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 38; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 27. 43 Dazu Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 91 Rn. 4 ff.; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249; Lück, DB 1998, 1925; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, Vor § 41 Rn. 3. 44 Vgl. BR-Drucks. 872/97, S. 37. 45 BR-Drucks. 872/97, S. 37; vgl. auch Scharpf, DB 1997, 737; Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 91 Rn. 9. Zu den Auswirkungen des KonTraG auf die GmbH s. Altmeppen, ZGR 1999, 291. 46 Allgemein zu Risikomanagement und Risikokontrolle s. Scharpf, DB 1997, 737.

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b) Vorbereitung von Risikoentscheidungen Die Abgrenzung zwischen erlaubtem und pflichtwidrigem Risiko ist daher das Hauptproblem bei der Frage nach der Innenhaftung eines GmbHGeschäftsführers. Bei bewußtem Eingehen eines geschäftlichen Risikos gilt der Grundsatz: Je größer der mögliche Schaden und je wahrscheinlicher das Eintreten eines solchen Schadens ist, desto gründlicher muß die Entscheidung durch das verantwortliche Organ vorbereitet werden47. Es ist insbesondere darauf abzustellen, ob das Risikogeschäft zweckmäßig vorbereitet wurde. Dazu gehört z.B. die Installation eines betrieblichen Planungs- und Controlling-Systems48 oder das Hinzuziehen eines Sachverständigen, umfassende Informationen eingeholt worden sind, alle Möglichkeiten der Risikominimierung getroffen wurden49, der mögliche Schaden bei Mißlingen der Leistungsfähigkeit des Unternehmens entspricht50, [306] und ob der erwartete Gewinn in angemessenem Verhältnis zum drohenden Verlust steht51. Bei Risikoentscheidungen kann eine haftungsbegründende Sorgfaltspflichtverletzung aber nur angenommen werden, wenn ex ante das hohe Risiko des Schadenseintritts unabweisbar war und keine nachvollziehbaren geschäftlichen Gründe vorlagen, das Risiko dennoch einzugehen – wie z.B. sehr hohe Gewinnerwartung52 – und das Risiko nicht außer Verhältnis zu den Ressourcen der Gesellschaft stand.

Scharpf, DB 1997, 737 (740). Ausführlich zur betriebswirtschaftlichen Vorgehensweise zur Risikominimierung s. Scharpf, DB 1997, 737 (739 ff.); Giese, WPg. 1998, 451. 49 Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (72); Götz, NJW 1997, 3275 (3276). Dazu gehört bei einem Unternehmenskauf z.B. eine ordnungsgemäß durchgeführte Due Diligence, vgl. Kiehte, NZG 1999, 976; Bremer, GmbHR 2000, 176. 50 Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 38; Mertens in Köln.Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 48. 51 Das Eingehen eines hohen Risikos bei gleichzeitig geringer Gewinnquote wird daher regelmäßig die Pflichtwidrigkeit des unternehmerischen Handelns indizieren. Speziell zum Fall einer mit einem hohen Kostenrisiko verbundenen Prozeßführung einer AG und der Haftung des Vorstands bei einem Fehlschlagen s. Geymeyer, GesRZ 1999, 31 (32 f.). 52 Horn, ZIP 1997, 1129 (1133). 47 48

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9. Gebot: Vermeidung, mindestens aber Offenlegung aller Konflikte zwischen den Interessen der GmbH und den Eigeninteressen des Geschäftsführers Der Geschäftsführer schuldet der Gesellschaft Treue53; das heißt vor allem, daß er in jeder Situation das Interesse der Gesellschaft mit Nachdruck verfolgen und seine eigenen Interessen ganz und gar hintanstellen muß. Ist er Inhaber oder Mitinhaber eines Lieferanten der Gesellschaft und geht es um einen Lieferauftrag, so muß sich der betreffende Geschäftsführer ganz und gar und zwar auf beiden Seiten des Geschäfts zurückziehen; andere Personen müssen den etwaigen Auftrag verhandeln. Darüber hinaus müssen die Gesellschafter informiert werden, um den Interessenkonflikt ggf. a priori durch ein Verbot geschäftlicher Beziehungen mit diesem Lieferanten auszuschließen. Die gleichen strengen Regeln gelten für die Geschäftschancen der Gesellschaft54. Daß sie ihr vorrangig gebühren, ist fraglos. Aber der Geschäftsführer, der sie aufnehmen will, kann weder über den Verzicht der Gesellschaft entscheiden noch darf er sie – selbst wenn ein dritter Geschäftsführer für die GmbH verzichtet – ohne ausdrückliche Information der Gesellschafter aufnehmen: diese haben letztlich zu entscheiden55. Schließlich sei an das Wettbewerbsverbot erinnert; es ist ebenso selbstverständlich wie seine Verletzung zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft führt56. 10. Gebot: Sorgfältige Vorbereitung geschäftlicher und unternehmerischer Entscheidungen Ehe dazu nähere Überlegungen angestellt werden können, muß der nächste Abschnitt vorgezogen, also zunächst der Frage nach den unternehmerischen Entscheidungen und dem unternehmerischen Ermessen des Geschäftsführers nachgegangen werden. 53 Allgemein zur Treupflicht des GmbH-Geschäftsführers s. Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 35 ff.; Lutter, ZHR 162 (1998), 164. 54 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, GmbHR 1989, 365; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (74); Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 144 ff.; Weisser, Corporate Opportunities, 1991, S. 146 ff.; Mertens in Köln.Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 67 f.; allgemein zur Geschäftschancenlehre im GmbH-Recht: Lawall, NJW 1997, 1742. 55 Vgl. Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 43 Rn. 19; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 40; Lawall, NJW 1997, 1742 (1745). 56 Während der Amtszeit muß das Wettbewerbsverbot nicht ausdrücklich vereinbart werden, denn es ist Bestandteil der Treupflicht des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft, s. auch Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 18 und Hachenburg/Stein, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 38 Rn. 33. In der jüngeren Rechtsprechung sind jedoch die Anforderungen an die Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots für Geschäftsführer und Vorstände kontinuierlich verschärft worden, zuletzt durch das OLG Düsseldorf v. 3.12.1998 – 6 U 151/98, ZIP 1999, 311 = GmbHR 1999, 120.

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IV. Die Freistellung des Geschäftsführers von der Verantwortung für Fehlschläge bei geschäftlichen und geschäftspolitischen Entscheidungen 1. Überblick – Das ARAG-Urteil des BGH Die erste Frage in diesem Zusammenhang lautet: Gibt es Entscheidungen des Geschäftsführers, für deren Folgen er nicht einstehen muß? Interessanterweise war die Frage umstritten57. Das braucht man heute nicht mehr zu erörtern; denn der BGH hat in seiner ARAG-Entscheidung klare und mustergültige Sätze dazu gefunden58: „Bei seiner Beurteilung, ob der festgestellte Sachverhalt den Vorwurf eines schuldhaft pflichtwidrigen Vorstandsverhaltens rechtfertigt, hat der Aufsichtsrat zu berücksichtigen, daß dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte des Gesellschaftsunternehmens ein weiter Handlungsspielraums zugebilligt werden muß, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewußten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewußt handeln, ausgesetzt ist. (…) Eine Schadensersatzpflicht des Vorstands kann daraus nicht hergeleitet werden. Diese kann erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewußtsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältigen Ermittlungen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muß, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist (…).“

Unsere Frage lautet mithin nicht mehr, ob es ein solches unternehmerisches Ermessen als rechtliche Kategorie gibt, sondern welche Entscheidungen das sind, was ihre Voraussetzungen und ihre rechtlichen Folgen sind. 2. Vom unternehmerischen Ermessen erfaßte Entscheidungen Unternehmerische Entscheidungen sind alle Maßnahmen des Geschäftsführers zur Verwirklichung des Gegenstands der Gesellschaft, die nicht einfach Vollzug von Gesetz und Satzung sind, Entscheidungen also, die – wie die klassische Vertragsfreiheit – hinsichtlich des „Ob überhaupt“, des „Wo“, „Wann“, „Mit

57 Für eine umfassende gerichtliche Überprüfung von Unternehmensentscheidungen noch BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 (74) = GmbHR 1981, 189. 58 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 (253) = ZIP 1997, 883 (885); vgl. dazu auch Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 45a; Henze, BB 2000, 209 (211); Kindler, ZHR 162 (1998), 101; Horn, ZIP 1997, 1129; Götz, NJW 1997, 3275; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (294 ff.); ähnlich auch OLG Zweibrücken v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506 = GmbHR 1999, 715 (LS).

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wem“ und „Zu welchen Kondi- [307] tionen“ offen sind59. Der Ausdruck „unternehmerische Entscheidung“ ist also etwas zu hochtrabend, man sollte mindestens von „geschäftlichen und unternehmerischen Entscheidungen“ sprechen. Denn die Freiheit des Geschäftsführers im obigen Sinne gilt für die Frage, wo das Briefpapier gekauft wird, ganz genauso wie für die Frage, ob die geplante Investition von 10 Mio. DM überhaupt erfolgen soll und wenn ja, ob in Großbritannien oder in Polen etc. Es kommt also nicht auf Art und Umfang der Maßnahme an, sondern auf die Freiheit der Gesellschaft und mithin ihres Geschäftsführers. 3. Voraussetzungen und Rechtsfolgen für die Anwendbarkeit der Regel im Einzelfall Rechtsfolge einer so getroffenen Entscheidung ist die Freistellung des Geschäftsführers von ihrem Risiko, vom Risiko ihres Fehlschlagens; dieses trägt nicht er, sondern die Gesellschaft, mittelbar also der Gesellschafter. Denn es ist ja wirklich so, wie es der BGH sagt: Fehlschläge können nicht vermieden werden, geschäftliches Handeln ohne Fehlentscheidungen ist uns Menschen nicht möglich. Im Gegenteil: Es gehört zur Regel unternehmerischen Handelns; alle, die im Juli 1998 Aktien gekauft haben, haben aus der Sicht der nächsten 12 Monate Fehlentscheidungen getroffen. Die Folgen aber trägt nicht der Handelnde, sondern – wie es schon § 164 Abs. 1 und § 278 BGB formulieren – derjenige, für den gehandelt wird. Dem Geschäftsführer wird also nicht eine Pflichtverletzungen vorgeworfen, nur weil man heute weiß, er hätte damals besser Aktien verkauft als gekauft. Die Frage lautet vielmehr: Welches sind die Voraussetzungen einer solchen geschäftlichen Entscheidung und sind sie in concreto eingehalten worden? Denkt man an die oben getroffene Bestimmung einer geschäftlichen/unternehmerischen Entscheidung, so verlangen diese Wahlmöglichkeiten des Geschäftsführers, mithin Alternativen. Genau die aber gibt es bei der Einhaltung von Gesetz, Satzung, Anstellungsvertrag und Weisung ebensowenig wie beim Verbot des Eingehens übergroßer Risiken oder der Verfolgung eigener Interessen im Widerspruch zu denen der Gesellschaft60: Die meisten unserer 10 Gebote sind also ermessensresistent, geben dem Geschäftsführer von Rechts wegen gerade keinen Ermessensspielraum. Im Fall ARAG hatte der Vorstand offenbar gegen das erste Gebot, im Fall Mannesmann offenbar gegen das neunte Gebot verstoßen. In solchen Fällen muß 59 Allgemein zum Ermessensspielraum bei unternehmerischen Entscheidungen s. Heermann, ZIP 1998, 761 (762 ff.); Kindler, ZHR 163 (1998), 101; Reuter, ZHR 135 (1971), 511 (520ff.); Hopt in Großkomm. zum AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 81 ff.; Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 13a; Henze, NJW 1998, 3309; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 6. 60 Vgl. auch BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 (253) = ZIP 1997, 883 (885 f.) (ARAG-Garmenbeck).

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der Geschäftsführer das ganze Geschäft rechtfertigen – was beim Verstoß gegen ein Gesetz a priori nicht gelingen kann. Hier trägt also letztlich er das Risiko des Nachteils aus einem solchen Geschäft61: Zwar haftet die Gesellschaft, der Geschäftsführer aber ist aus § 43 GmbHG regreßpflichtig. Schließlich können die Gesellschafter den dann noch verbliebenen Spielraum unternehmerischen Ermessens einschränken durch Zustimmungspflichten ab einer bestimmten Größenordnung; davon war schon die Rede. Immerhin: Bei allen geschäftlichen Entscheidungen trifft das Risiko allein die Gesellschaft. Daher liegt der Gedanke nahe, zu versuchen, dieses Risiko noch über die mögliche Begrenzung der Geschäftsführungsbefugnis, über Zustimmungsvorbehalte o.ä. hinaus zu minimieren. Damit schließt sich der Kreis und man ist wieder beim 10. Gebot, nämlich bei der sorgfältigen Vorbereitung solcher Entscheidungen. Wenn sich schon unternehmerische Fehlentscheidungen nicht vermeiden lassen und dem Geschäftsführer mithin auch nicht vorzuwerfen sind, so muß doch versucht werden, ihre Zahl und ihr Gewicht möglichst klein zu halten. Dieses Ziel kann gefördert werden durch angemessen sorgfältige Vorbereitung der Entscheidung62. Jeder weiß, daß spontane Entscheidungen ein höheres Risiko des Fehlschlags in sich bergen als sorgsam überlegte. Auch das ist heute anerkannt. Und weil das so ist, wird die sorgfältige Vorbereitung zur Rechtspflicht. Anders gewendet: Schlägt das Geschäft fehl, so haftet der Geschäftsführer nicht, weil es fehlgeschlagen ist – insoweit wird er durch das unternehmerische Ermessen vor rechtlichen Vorwürfen geschützt –, sondern weil er seine Entscheidung, das Geschäft zu tätigen, nicht angemessen sorgfältig vorbereitet hat. Es gibt dazu einen schönen Fall aus den USA63: Der Board einer Gesellschaft wird zu einer Sondersitzung zusammengerufen. Dort erfährt er, daß ein Übernahmeangebot vorliegt über 55 US-$ pro Aktie, deren Kurs an der Börse zuletzt zwischen 25 bis 40 US-$ notierte. Die Mitglieder des Board entscheiden sich nach einer nur zwanzigminütigen Präsentation der Fusionspläne durch den Chairman der Gesellschaft innerhalb von gerade einmal zwei Stunden für die Annahme des Angebots, ohne auch nur die kleinste Unterlage vor sich zu haben. Später klagen 61 Die Chancen und Risiken sind hier höchst einseitig verteilt: Ist das gesetzeswidrige Rechtsgeschäft erfolgreich, hat die Gesellschaft den Nutzen (und nur der Dritte könnte ggf. Rückabwicklung verlangen); bringt es jedoch Verluste, so muß die Gesellschaft sie tragen, kann dann aber vom Geschäftsführer Erstattung verlangen. 62 Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (72); Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 27; zur sorgfältigen Vorbereitung von Risikoentscheidungen s. Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 37 ff.; Hopt in Großkomm. zum AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 86 ff. 63 Vgl. Smith vs. van Gorkom, Delaware Supreme Court, 488A 2d 858 (1985). Die Entscheidung ist in den USA nicht nur auf Zustimmung gestoßen; vgl. Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (310).

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Aktionäre auf Aufhebung der Fusionsvereinbarung, ersatzweise auf Schadensersatz gegen den Board in der Höhe, in der der tatsächliche Wert der Gesellschaft den Fusionspreis von 55 US-$ pro Aktie überstieg. Das Gericht verweigert wegen der viel zu oberflächlichen Vorbereitung der Entscheidung ganz und gar zu Recht den Mitgliedern des Board das Privileg des unternehmerischen Ermessens, prüft die Entscheidung selbst voll nach und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß ein deutlich höherer Preis hätte erzielt werden können. Angemessene Vorbereitung heißt hier: gemessen an der Bedeutung der Investition oder des Geschäfts für die Gesellschaft. Handelt es sich um ein Routinegeschäft, so genügen kurze Kontrollfragen nach der Bonität des Partners und der Kalkulation. Handelt es sich um eine für die Gesellschaft bedeutende Investition, ist die sog. Investitionsrechnung ebenso erforderlich wie die Folgenabschätzung. Soll die Investition zu Angeboten am Markt führen, ist zusätzlich eine angemessene Marktanalyse erforderlich. Und geht es um ein großes Geschäft, sind Alternativen und [308] Risiken zu bedenken. Auch das alles ist heute Standard der Betriebswirtschaftslehre, Abteilung Entscheidungslehre64, und gehört damit zum professionellen Rüstzeug jedenfalls in größeren und großen Unternehmen – sei es des Geschäftsführers, sei es seiner Mitarbeiter. 4. Exkurs: Die berühmte business judgement rule im US-amerikanischen Recht Man muß nicht stets und nur das Rad neu erfinden. Daher lohnt sich ein Blick in Recht und Praxis des amerikanischen Rechts; denn dort spielen Fragen der Haftung des Managements seit einem halben Jahrhundert eine zentrale Rolle im Gesellschaftsrecht. a) Die Grundaussagen der business judgement rule A director or officer who makes a business judgement in good faith fulfills the duty under this section if the director or officer: (1) is not interested in the subject of the business judgement; (2) is informed with respect of the subject of the business judgement to the extent the director or officer reasonably believes to be appropriate and the circumstance; and

64 S. dazu auch Werder/Feld, RIW 1996, 481 (489 f.); Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 25 f. sowie Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 6 ff., 263 und Sieben/Schildbach, Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 3. Aufl. 1990, S. 1 ff.

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(3) rationally believes that the business judgement is in the best interests of the corporation65. Im US-amerikanischem Recht haftet der Manager zumindest dann nicht, wenn er kein eigenes persönliches Interesse an dem Geschäft hat, seine Entscheidung also unbefangen getroffen hat (1), er sich zur Vorbereitung einer Entscheidung umfassend informiert hat (2) und er nach seiner Überzeugung im besten Interesse des Unternehmens gehandelt hat (3). b) Zweck der business judgement rule Die business judgement rule ist eine Regelung mit Schutzwirkung für Manager. Ob überhaupt eine Pflichtverletzung des handelnden Geschäftsleiters in Betracht kommt, wird anhand eines „Eingangstests“ ermittelt66. So wird vermutet, daß der Verantwortliche im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung unvoreingenommen mit ausreichender Sorgfalt in gutem Glauben und ohne persönliches Interesse entschieden hat. Eine Überprüfung einer unternehmerischen Entscheidung durch die Gerichte ist erst dann möglich, wenn der Anspruchsteller darlegen kann, daß eine der oben genannten Voraussetzungen bei der Entscheidungsfindung des verantwortlichen Organs nicht vorlag. Sinn dieser Regelung ist die Schaffung eines haftungsfreien Handlungsspielraums für Manager, innerhalb dessen sie auch risikobehaftete Entscheidungen ohne Gefahr von Regreßansprüchen treffen können. c) Bedeutung für das deutsche Recht Auch der BGH hat sich bei seinen Überlegungen zum ARAG-Urteil offenbar von den Grundaussagen der business judgement rule leiten lassen67; zumindest zeigt die Annahme eines haftungsfreien Handlungsspielraums für Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführer in Unternehmen deutschen Rechts durch den Bundesgerichtshof deutliche Parallelen zum US-amerikanischen Recht. Damit

65 American Law Institute, Principles of Corporate Governance, Band 1 (1994), § 4.01 (c); allgemein zur business judgement rule s. Abeltshauser, Leistungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 130 ff.; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, S. 393; Schaefer/Missling, NZG 1998, 441 (444); Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 207 ff.; Hopt in Großkomm. zum AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 83. 66 Werder/Feld, RIW 1996, 481 (482); Abeltshauser, Leistungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 130. 67 Kindler, ZHR 162 (1998), 101 (107); Horn, ZIP 1997, 1129 (1134); Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (298 f.); Hopt in Großkomm. zum AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 81 ff.; Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 45a.

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aber sind früher geäußerte Zweifel68 an einem solchen Haftungsfreiraum für das deutsche Recht trotz seines Mangels an einer gesetzlichen Lösung69 heute obsolet. Ein großer Unterschied zum amerikanischen Recht bleibt aber bestehen und liegt in der Beweislastverteilung: Die business judgement rule geht von einem rechtmäßigen Handeln des Verantwortlichen aus. Ein Anspruchsteller muß dem Manager einen Verstoß gegen die Grundsätze der business judgement rule nachweisen. Unternehmerentscheidungen innerhalb dieser Grundregeln der business judgement rule sind Ansprüchen von außen gegenüber resistent. Das deutsche Recht hingegen begünstigt den Anspruchsteller: Ist streitig, ob der Vorstand die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat, so trägt dieser die Beweislast, § 93 Abs. 2 S. 2 AktG70. Diese Regelung im Aktienrecht ist auf die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH übertragbar71. Der GmbH-Geschäftsführer muß demnach nachweisen, daß eine Entscheidung innerhalb des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums lag – bei der gerade in dieser Frage bestehenden hohen Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Rahmens dieses Handlungsfreiraums sicherlich kein leichtes Unterfangen. Dennoch: Hält sich ein Unternehmensleiter (Geschäftsführer) an die oben aufgestellten Gebote, schlägt das Geschäft aber trotzdem fehl, so kann er sich mit Berufung auf den unternehmerischen Entscheidungsfreiraum entlasten72. Bei der Konkretisierung dieses [309] Freiraums können die einzelnen Kriterien der business judgement rule herangezogen werden. So finden insbesondere die ersten beiden Vorausset68 Hopt, Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, in FS Mestmäcker, 1996, S. 909 (920) sowie Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 217 f. 69 Hopt, Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, in FS Mestmäcker, 1996, S. 909 (920); vgl. auch den Vorschlag von Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (299). 70 Umfassend zur Darlegungs- und Beweislast: Goette, ZGR 1995, 648; Krieger in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, VGR Bd. 1, 1999, S. 111 (126); Fleck, GmbHR 1997, 237. 71 Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 167; Heermann, ZIP 1998, 761 (765); Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 66; Doralt in Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999, S. 745. 72 Kindler, ZHR 162 (1998), 101 (107); auch Horn, ZIP 1997, 1129 (1139) sowie Reuter, ZHR 135 (1971), 511 (521 f.) und Mertens in Fedderson/Hommelhoff/Schneider (Hrsg.), 1996, S. 155 (156) befürworten die Anerkennung eines haftungsfreien Handlungsspielraums für Unternehmer entsprechend der amerikanischen Regelung durch die business judgement rule; Abeltshauser, Leistungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 173, betont, daß ein „systematisierender Einbau der US-amerikanischen Regeln in das deutsche Recht“ zu mehr Rechtssicherheit in diesem Bereich führen könnte. Auf der gleichen Linie liegt der Vorschlag von Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 (299), in § 93 AktG (und dann wahrscheinlich auch in § 43 GmbHG) einen neuen Absatz mit folgendem Wortlaut einzufügen: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn der Schaden durch unternehmerisches Handeln im Interesse der Gesellschaft auf der Grundlage angemessener Information verursacht wurde, auch wenn dieses Handeln sich aufgrund späterer Entwicklungen oder Erkenntnisse als für die Gesellschaft nachteilig erweist.“

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zungen der business judgement rule Berücksichtigung auch bei den hier vorgetragenen Überlegungen73. V. Zwischenbilanz Thomas Raiser hat in einer Diskussion um diese Fragen darauf hingewiesen, daß die 10 Gebote an den Geschäftsführer und die Überlegungen zum geschäftlichen/unternehmerischen Ermessen des Geschäftsführers die Lösung des Einzelfalls zwar durch die so geschaffenen Kategorien erleichtern, für sich allein aber das richtige Verhalten noch nicht gewährleisten. Das trifft zu. Denn Organisation und Kontrolle sind ebenso wie die sorgfältige Vorbereitung von Entscheidungen zwar gewiß erforderlich, welches ihr angemessener Umfang und ihr Maß sind, läßt sich jedoch nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf den konkreten Einzelfall entscheiden. Auch dies gilt schon wieder nicht für die „absoluten“ Gebote74, die schlicht und einfach und unabhängig von ihrer Größe einzuhalten sind. VI. Schaden, Kausalität und Schuld 1. Schaden: Hier sei nur daran erinnert, daß die Haftung des Geschäftsführers stets einen Schaden der Gesellschaft voraussetzt; ohne diesen gibt es keinen Anspruch; die hier angestellten Überlegungen für Pflicht und Pflichtverletzung treffen zwar weiter zu, bleiben aber ohne Folgen. 2. Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden ist erforderlich; sie wird nicht vermutet, wie der BGH zu Recht festgestellt hat75. 3. Auch Verschulden des Geschäftsführers ist erforderlich; dieses aber wird in entsprechender Anwendung von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG vermutet76.

S. oben III.9. und 10. Gebot. Auch die katholisch-christliche Lehre unterscheidet bei einer Verletzung von Geboten zwischen Todsünden und leichteren Sünden. 75 BGH v. 9.12.1991 – II ZR 43/91, ZIP 1992, 108 = GmbHR 1992, 166; s. auch Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 66 m.w.N. 76 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 (200) = GmbHR 1994, 539; Meyke, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 1998, Rn. 58 f.; zur Beweislastverteilung s. v. Gerkan, ZHR 154 (1990), 39; Gehrlein, NJW 1997, 1905 f. sowie OGH v. 24.6.1998 – 3 Ob 34/97i, GesRZ 1998, 208. 73 74

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VII. Die Außenhaftung des Geschäftsführers Die Fälle der Haftung des Geschäftsführers unmittelbar Dritten gegenüber tendieren gegen unendlich. Daher sei hier77 nur auf einige wenige, aber besonders wichtige Aspekte hingewiesen: Erinnert sei an die Haftung des Geschäftsführers, der zu spät Konkurs angemeldet hat und daher den sog. Neugläubigern, also solchen Personen, die zwischen dem Zeitpunkt der Soll-Anmeldung und dem der Ist-Anmeldung mit der Gesellschaft kontrahiert haben, auf ihren Ausfall in der Insolvenz haftet78. Dieser Anspruch steht dem einzelnen geschädigten Gläubiger zu und hat mit dem Insolvenzverfahren nichts zu tun; der Insolvenzverwalter ist, wie der BGH richtig entschieden hat, für diese Ansprüche nicht zuständig79, anders als für den Quotenschaden, für den der Geschäftsführer in die Insolvenzmasse haftet80. Erinnert sei an die Haftung des Geschäftsführers für nicht abgeführte Lohnsteuer und nicht abgeführte Sozialabgaben81. Erinnert sei aber auch an die Haftung des Geschäftsführers aus culpa in contrahendo dann, wenn er im Zusammenhang mit Geschäftsabschlüssen Vertrauen des Partners auch auf seine Person zieht82. Formulierungen wie „Sie können mir doch vertrauen“ oder „sich doch auf mich verlassen“ sind in diesem Kontext typisch. 77 Vgl. im übrigen Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 35 ff.; Lutter, DB 1992, 129, sowie Lutter und Grunewald, ZHR 157 (1993), 451 (464); Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 110 ff. 78 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539 und v. 7.11.1994 – II ZR 108/93, GmbHR 1995, 226 f.; Lutter, GmbHR 1997, 329 (332 f.); Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rn. 16; die neue InsO verschärft die Haftung des Geschäftführers weiter: Nach § 26 Abs. 3 InsO haftet der Geschäftsführer bei nicht rechtzeitig gestelltem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusätzlich auch für die Verfahrenskosten; eine Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse soll so vermieden werden, dazu Maser/Sommer, BB 1996, 65 (71). Vgl. zur ständigen Verschärfung der Haftung des Geschäftsführers im Kontext der Insolvenz Stein, DStR 1998, 1055. 79 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594; dazu auch Röhricht in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, VGR Bd. 1, 1999, S. 1 (7 ff.). 80 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1993, § 64 Rn. 56; Meyke, Die Haftung des GmbHGeschäftsführers, 1998, Rn. 211. 81 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, ZIP 1996, 2017 = GmbHR 1997, 25; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15 Aufl. 2000, § 43 Rn. 43 ff.; Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 259 ff., 273 ff.; Stein, DStR 1998, 1055; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 118 ff.; Jestaedt, GmbHR 1998, 672; Cahn, ZGR 1998, 367; Medicus, GmbHR 2000, 7. 82 Lutter, GmbHR 1997, 329 (330); Lutter, DB 1994, 129 (133); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 28 ff.; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 113; vgl. zur Haftung aus c.i.c. bei Unternehmenskäufen: Sieger/Hasselbach, GmbHR 1998, 957 (959).

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Demgegenüber haftet der Geschäftsführer nicht, wenn er – mittelbar –, etwa als gleichzeitiger Mehrheits- oder gar Alleingesellschafter, an dem betreffenden Rechtsgeschäft selbst interessiert ist; das ist inzwischen auch in der Rechtsprechung geklärt83. [310] Der Geschäftsführer haftet persönlich und gewiß zu Recht, wenn er selbst im Zusammenhang mit seiner Unternehmensführung das absolut geschützte Recht eines Dritten (§ 823 Abs. 1 BGB) oder ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) schuldhaft verletzt84 oder die Verletzung selbst veranlaßt (z.B. Arbeitnehmer A anweist, das chlorhaltige Abwasser in den Bach abzuleiten, was den Fischen des Eigentümers E gar nicht bekommt), oder trotz Kenntnis von der Gefahr der Verletzung nicht eingreift (z.B. das giftige Lederspray weiter vertreiben läßt85). Das alles bedarf keiner näheren Erörterung; allenfalls sei daran erinnert, daß der Gläubiger hier neben dem primär haftenden Geschäftsführer auch noch über § 31 BGB die GmbH als Mitschuldnerin hat86. Hingegen haftet der Geschäftsführer nicht wegen der Verletzung angeblicher Organisationspflichten oder einer angeblichen Garantenstellung Dritten gegenüber87. Wenn ein Dritter der GmbH Waren unter Eigentumsvorbehalt verkauft, ist die GmbH Treuhänderin und daraus dem Dritten gegenüber verpflichtet, nicht der Geschäftsführer. Dieser ist das Instrument, mit dessen Hilfe die Kunstfigur GmbH ihre Pflichten gegenüber Vertragspartnern und Dritten erfüllt. Daher ist der Geschäftsführer ihr gegenüber – wie bereits erwähnt88 – zu angemessener Organisation und Kontrolle verpflichtet, um eben gerade solche Schäden von der GmbH abzuwenden. Aber diese Innenpflicht ist gewiß keine Außenpflicht dem Dritten gegenüber. Schließlich sei an die vielen, vielen öffentlich-rechtlichen Verhaltenspflichten und Organisationspflichten nicht nur der GmbH, sondern direkt des Geschäfts83 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539 in Übereinstimmung mit der h.M.; vgl. auch Lutter, DB 1994, 129 (133). 84 Umfassend zur deliktischen Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers s. Gross, ZGR 1998, 551; Medicus, ZGR 1998, 570; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 115 ff.; Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 20a; Grünwald, Die deliktische Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers für Organisationsdefizite, 1998, S. 21 ff.; speziell zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers für die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB s. Cahn, ZGR 1998, 367 sowie Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 196 ff.; Medicus, GmbHR 2000, 7. 85 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, ZIP 1990, 1413 = GmbHR 1990, 501. 86 Lutter, GmbHR 1997, 329 (333 f.); Lutter, ZHR 157 (1993), 464 (466 ff.); Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 115; Martinek, Repräsentantenhaftung, 1979, S. 20 ff. 87 So aber BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 = GmbHR 1990, 207; dazu auch Lutter, GmbHR 1997, 329 (334 f.) sowie Lutter, ZHR 157 (1993), 464 (469 ff.); Lutter, DB 1994, 129 (131 f.) sowie Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 241 f. 88 S. oben III., 5. bis 7. Gebot.

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führers erinnert89, deren Verletzung zu großen Schäden der GmbH und einer entsprechenden Ersatzpflicht des Geschäftsführers, aber auch zu seiner Eigenhaftung dort führt, wo diese Pflicht zugleich Schutzgesetz etwa gegenüber dem betroffenen Nachbarn oder dem potentiellen Partner ist90. VIII. Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung zugunsten des Geschäftsführers Im Zusammenhang mit den zuvor aufgezeigten hohen Haftungsrisiken für den GmbH-Geschäftsführer stellt sich zwangsläufig die Frage, mit welchen Instrumenten er seine Haftung gegenüber der Gesellschaft beschränken kann und in welchem Umfang ihm Haftungserleichterungen zugute kommen können. 1. Haftungsbeschränkung durch Ressortaufteilung Grundsätzlich sind alle Geschäftsführer einer GmbH entsprechend § 35 Abs. 2 S. 2 GmbHG für die Geschäfte der Gesellschaft gesamtverantwortlich91. Gerade bei größeren Unternehmen mit mehreren Geschäftsführern bietet sich eine Aufteilung der Geschäfte an. Jeder Geschäftsführer ist für das ihm durch Satzung, Geschäftsordnung, Anstellungsvertrag oder Gesellschafterbeschluß zugewiesenen Arbeitsgebiet voll verantwortlich92; fahrlässige Pflichtverletzungen in diesem Aufgabenbereich führen zwangsläufig zu einer Haftung des zuständi89 Allgemein zu den öffentlich-rechtlichen Pflichten des GmbH-Geschäftsführers s. Scholz/ U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 255 ff.; Uwe H. Schneider, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 181 ff. 90 Sollte § 325 HGB ein solches Schutzgesetz sein (wie selbst die Bundesregierung meint), so würden die Nicht-Einreichung des Jahresabschlusses zum Handelsregister und daraus erwachsende Schäden Dritter zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers dafür führen. 91 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 37 Rn. 28; Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 37 Rn. 21; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 279. Umfassend zur Gesamtverantwortung des Vorstands und den Grenzen der Geschäftsverteilung auch Heller, Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle unter besonderer Berücksichtigung der Gesamtverantwortung des Vorstands, 1998, S. 7 ff. 92 Nach einer Ansicht ist in Teilbereichen der Unternehmensführung auch eine faktische Geschäftsaufteilung ausreichend, s. OLG Frankfurt v. 9.12.1994 – 24 U 254/93, ZIP 1995, 213 = GmbHR 1995, 228 (LS); a.A. BFH v. 17.5.1988 – VII R 90/85, GmbHR 1989, 170; OLG Koblenz v. 9.6.1998 – 3 U 1662/89, NZG 1998, 953 (954) = GmbHR 1999, 122 (LS). Dem ist entgegenzuhalten, daß eine stillschweigende Ressortaufteilung zu Rechtsunsicherheiten führt: Jeder Geschäftsführer wird im Schadensfalle auf die Verantwortlichkeit der anderen verweisen. Insoweit ist also eine schriftliche Zuständigkeitsverteilung dringend anzuraten, vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 37 Rn. 37 sowie Medicus, GmbHR 1998, 9 (16) und Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 285.

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gen Geschäftsführers. Eine Ressortaufteilung ändert zwar grundsätzlich nichts an der Gesamtverantwortung der Geschäftsführer für die Geschäfte der Gesellschaft93. Sie bringt aber insoweit eine Haftungserleichterung, als sich für den nicht zuständigen Geschäftsführer der Pflichteninhalt ändert: Während jeder Ressortverantwortliche voll für seinen Geschäftsbereich einstehen muß, trifft die übrigen Geschäftsführer lediglich eine Überwachungspflicht. Liegen Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung eines Geschäftsführers vor, so müssen die anderen Geschäftsführer unverzüglich eingreifen. Das gilt auch und gerade bei einer Ressortaufteilung. Dulden sie das rechtswidrige Verhalten, dann handeln auch sie pflichtwidrig und sind folglich auch für die Schäden mitverantwortlich. Kommen sie andererseits ihrer Kontrollpflicht94 nach, so sind schon die Voraussetzungen für eine [311] Pflichtverletzung nicht erfüllt; insoweit ist ihre Haftung durch die Aufgabenverteilung beschränkt. 2. Vertragliche Haftungsbeschränkung und Verzicht Die zuvor aufgezeigte Tendenz einer zunehmenden Inanspruchnahme des Geschäftsführers bei Pflichtverletzungen birgt die Gefahr in sich, daß Geschäftsführer künftig angesichts der hohen Haftungsrisiken zu einem risikoarmen Management übergehen und die sich bietenden Geschäftschancen aufgrund der Gefahr, bei einem Mißlingen persönlich für die Folgen einstehen zu müssen, erst gar nicht wahrgenommen werden. Um dem entgegenzuwirken, kann sich eine vertragliche Haftungsbeschränkung in der Satzung oder dem Anstellungsvertrag anbieten95. Ein Verzicht oder ein Vergleich über Ersatzansprüche der Gesellschaft ist dann unwirksam, soweit die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger notwendig ist. Hier sind die gesetzlichen Regelungen der §§ 43 Abs. 3, 9b Abs. 1, 64 Abs. 2 S. 3 GmbHG eindeutig96. Umstritten ist hingegen, ob und in welchen Grenzen unter Beachtung der Gläubigerinteressen eine vertragliche Haftungsfreistellung gerade im Bereich S.o. Fn. 35 sowie Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 37 Rn. 29 m.w.N. Zu den Anforderungen an die Überwachungspflicht s. Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 88 f.; Heller, Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle unter besonderer Berücksichtigung der Gesamtverantwortung des Vorstands, 1998, S. 28 ff. sowie Thümmel, Die persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2. Aufl. 1998, Rn. 141 ff. 95 Eingehend zur Zulässigkeit einer vertraglichen Haftungsbeschränkung: Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 100 ff. 96 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 28; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 86; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (76); Meyke, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 1998, Rn. 66; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 108 f.; v. Gerkan, ZHR 154 (1990), 39 (62); Thümmel/Sparberg, DB 1995, 1013 (1019). 93 94

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des § 43 Abs. 2 GmbHG für künftige Schadensfälle möglich ist. So wird teilweise ein Haftungsausschluß bei leichter Fahrlässigkeit für zulässig erachtet, da die Festlegung des Sorgfaltsmaßstabes des § 43 Abs. 1 GmbH innerhalb der Grenzen der Dispositionsfreiheit der Gesellschafter liege97. Gegen die Reduzierung des Sorgfaltsmaßstabes des § 43 Abs. 1 GmbHG und einen vertraglichen Haftungsausschluß bei leichter Fahrlässigkeit spricht aber die Stellung des Geschäftsführers als treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens98; eine Haftungserleichterung im Vorfeld ist daher bedenklich. Unter Beachtung der Gläubigerschutzvorschriften bleibt daher nur die Möglichkeit eines Verzichts nach Eintritt des Schadens unter Beachtung der genannten Vorschriften und des § 30 GmbHG (Kapitalerhaltung)99. 3. Anwendbarkeit der Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung Nach gängiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommen Arbeitnehmern aufgrund ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit und aus Gründen der angemessenen Risikoverteilung Haftungserleichterungen zugute. Da der Arbeitnehmer aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers verpflichtet ist, ihm aufgetragene Tätigkeiten durchzuführen, soll ihm im Schadensfall unter bestimmten Voraussetzungen ein Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber zustehen. So haftet der Arbeitnehmer bei leichtester Fahrlässigkeit i.d.R. nicht; bei fahrlässigen Pflichtverstößen wird nach einer Einzelfallbetrachtung der Schaden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt, während hingegen bei grober Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz grundsätzlich die volle Haftung des Arbeitnehmers bestehen bleibt100. Zur Bestimmung des konkreten Haftungsumfangs sind bei einer Abwägung Umstände wie die Schadensgeneigtheit der Tätigkeit, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers in Bezug auf die Schadenshöhe, die Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts, die Versicherbarkeit des Schadenfalles und bedingt die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers wie Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Diese Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gelten entgegen der früheren Recht-

97 So u.a. Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 185; Köhl, DB 1996, 2597 (2599); Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 126 ff. 98 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 2 m.w.N. 99 Zur Möglichkeit einer vertraglichen Verkürzung der Verjährungsfrist des § 43 Abs. 4 GmbHG s. BGH v. 15.11.1999 – II ZR 122/98, GmbHR 2000, 187; dazu auch Altmeppen, BB 2000, 261. 100 BAG v. 27.9.1994 – GS 1/89 (A), AP Nr. 103 zu § 611 (Haftung des Arbeitnehmers) = BB 1994, 2205.

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sprechung des BAG bei allen betrieblichen Tätigkeiten und nicht nur bei solchen, die besonders gefahrgeneigt sind101. Je nach Ausprägung des Anstellungsverhältnisses könnte man erwägen, die Stellung des GmbH-Geschäftsführers mit der eines Arbeitnehmers zu vergleichen: Auch er ist (gegenüber den Gesellschaftern) weisungsgebunden, auch er kann – wie oben aufgezeigt – im Rahmen seiner Tätigkeit durch Pflichtverletzungen immense Schäden verursachen, die in keinem Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen. Daher könnte der Gedanke naheliegend sein, die arbeitsrechtlichen Grundsätze zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH zumindest analog anzuwenden. Eine solche Übernahme der arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegierung für Arbeitnehmer ist aber aufgrund der Besonderheiten des GmbH-Rechts, nur in ganz engen Ausnahmefällen zu befürworten102. Dabei ist weniger die regelmäßig fehlende Arbeitnehmereigenschaft des Geschäftsführers103 entscheidend, vielmehr die besondere Ausgestaltung der Organhaftung im GmbH-Recht104. Im [312] Gegensatz zum Arbeitnehmer, der die Weisungen des Arbeitgebers ausführen muß, handelt der GmbH-Geschäftsführer zumindest innerhalb seines typischen Pflichtenkreises selbständig als Vertreter der Gesellschaft. Nur durch ihn ist die Gesellschaft überhaupt handlungsfähig; er selbst kann daher Entscheidungen so ausgestalten, daß ein Haftungsrisiko ausgeschlossen oder zumindest minimiert wird105. Zudem ist zu beachten, daß sich der Pflichtenkreis des Geschäftsführers 101 BAG v. 12.6.1992 – GS 1/89, AP Nr. 101 zu § 611 (Haftung des Arbeitnehmers) sowie BGH v. 16.12.1993 – VII ZR 115/92, NJW 1994, 856; dazu Hanau/Rolfs, NJW 1994, 1439. 102 Nach ganz h.M. ist eine analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Haftungseinschränkungen zumindest im Bereich der typischen Geschäftsführerpflichten nicht möglich; vgl. Scholz/ U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 182; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 59 ff.; Boemke, ZfA 1998, 209 (229 f.); Gissel, Arbeitnehmerschutz für den GmbH-Geschäftsführer, 1987, S. 138 f.; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 294 f.; a.A. Köhl, DB 1996, 2597 (2605); differenzierend: Frisch, Haftungserleichterung für GmbH-Geschäftsführer nach dem Vorbild des Arbeitsrechts, 1998, S. 252 ff. 103 Ob das Anstellungsverhältnis eine GmbH-Geschäftsführers zugleich ein Arbeitsverhältnis begründet, kann nicht pauschal, sondern nur nach einer Einzelfallabwägung beurteilt werden. Entscheidend ist dabei nicht der Umfang der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers; vielmehr hängt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses entscheidend davon ab, inwieweit der Geschäftsführer bei der Ausgestaltung des betrieblichen Abläufe weisungsgebunden ist, s. BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, DB 1999, 1906 (1907) = GmbHR 1999, 925 sowie Köhl, DB 1996, 2597 (2605). 104 A.A. offenbar Köhl, DB 1996, 2597, der die Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Grundsätze von der Arbeitnehmereigenschaft des Geschäftsführers abhängig macht. 105 Führt er lediglich (rechtmäßige) Weisungen der Gesellschafter aus und kommt es daraufhin zu einem Schadensfall, so liegt schon gar keine Pflichtverletzung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft vor. Er kann sich vielmehr auf die Einrede des weisungsgemäßen Verhaltens berufen. In diesen Fällen bedarf es also gar keiner analogen Anwendung arbeits-

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nicht in dem Verhältnis zur Gesellschaft erschöpft, oftmals dienen die ihm auferlegten Pflichten auch dem Gläubiger- oder Minderheitenschutz106. Aus vorstehenden Gründen sind die arbeitsrechtlichen Haftungserleichterungen i.d.R. nicht auf die Tätigkeit des GmbH-Geschäftsführers anwendbar. Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn sich der Geschäftsführer außerhalb der üblichen Geschäftsführertätigkeit bewegt. Als Beispiel wird oftmals die Beschädigung eines gesellschaftseigenen Dienstwagens durch den Geschäftsführer angeführt. Hier handelt der Geschäftsführer außerhalb des typischen Pflichtenkreises, so daß in diesem Sonderfall keine Bedenken gegen eine Haftungserleichterung nach arbeitsrechtlichem Vorbild bestehen107. Kurzum: Handelt der Geschäftsführer innerhalb seines typischen unternehmerischen Tätigkeitsbereichs, kommt eine Haftungsbeschränkung grundsätzlich nicht in Betracht. Nimmt er hingegen wie jeder beliebige Dritte am Rechtsverkehr teil, ist eine analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze zur innerbetrieblichen Schadensteilung je nach Umständen des Einzelfalls möglich, die um so eher ausscheidet, je autonomer der Geschäftsführer handeln kann, und umso mehr in Betracht kommt, je mehr er in seinem Handeln – etwa als Geschäftsführer einer konzernabhängigen GmbH – gebunden ist. 4. Die D&O-Versicherung In Anbetracht der hohen Haftungsrisiken, denen der GmbH-Geschäftsführer ausgesetzt ist, und den insgesamt geringen Möglichkeiten einer Haftungsbeschränkung stellt sich die Frage nach der Versicherbarkeit möglicher Schäden. Gerade vor dem Hintergrund der zahlreichen Schadensersatzklagen mit zum Teil enorm hohen Regreßforderung schließen fast alle größeren US-amerikanischen Unternehmen für ihre Manager eine sog. „Directors and Officers Liability Insurance“ („D&O“) ab108. Versicherungsnehmer und Beitragszahler sind die Unternehmen selbst; der pflichtwidrig handelnde Manager haftet selbst nur im Rahmen rechtlicher Haftungsgrundsätze, s. auch Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rn. 95; Köhl, DB 1996, 2597 (2598, 2603 f.). 106 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 2; Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 84; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69 (76); Gissel, Arbeitnehmerschutz für den GmbH-Geschäftsführer, 1987, S. 139; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 294 f. 107 Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 84; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 295; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 61; Köhl, DB 1996, 2597 (2605); dazu auch OLG Koblenz v. 14.5.1998 – 5 U 1639/97, GmbHR 1999, 344 (345). 108 Allgemein zur D&O: Doralt in Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999, S. 763 f.; Ilhas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung, 1997, S. 32 ff.; Nölle, Die Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers, 1995, S. 111 ff.; Schaefer, NZG 1998, 447; U. H. Schneider/Ilhas, DB 1994, 1123; Thümmel/Sparberg, DB 1996, 1013 (1016 ff.).

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der bestehenden Selbstbeteiligung. Auch in Deutschland stößt eine Versicherung nach dem Vorbild der D&O nicht zuletzt aufgrund der fortschreitenden Globalisierung und der damit einhergehenden Deregulierung der Versicherungsmärkte zunehmend auf Interesse. Die früher geäußerten Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Haftpflichtversicherung und die Zahlung der Prämien durch die Gesellschaft bestehen dabei heute nicht mehr109. Dennoch gewährt auch der Abschluß einer Haftpflichtversicherung keinen umfänglichen Schutz vor einer Inanspruchnahme. Zum einen enthalten die Versicherungsbedingungen oftmals erhebliche Ausschlüsse110. Insbesondere aber Innenhaftungsansprüche sind aufgrund der hohen Mißbrauchsgefahr und der Befürchtung, daß die finanzielle Folgen von Fehlschlägen bei Risikogeschäften auf die Versicherungen abgewälzt werden, i.d.R. vom Versicherungsschutz ausgenommen111. Daher wird in Erwägung gezogen, Innenhaftungsansprüche nur bei größeren Aktiengesellschaften in die Deckung mit einzubeziehen112. IX. Schlußbemerkung Dieser Überblick hat vor allem der Innenhaftung des Geschäftsführers gegolten. Diese beruht (nur) auf der Verletzung seiner Pflichten gegenüber der GmbH. Daher stehen diese Pflichten im Zentrum. Um sie geht es in Wirklichkeit. Sie aber sind – ganz im Gegensatz zu den Fällen der Außenhaftung – im Gesetz selbst überhaupt nicht strukturiert, sind ganz und gar ungeordnet. Dem Versuch einer solchen Ordnung gelten die hier vorgelegten Überlegungen.

109 Ilhas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung, 1997, S. 59 f.; Doralt in Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999, S. 761. 110 Besonders bei Produkthaftungsansprüchen oder Umweltschäden ist eine Deckung oftmals ausgeschlossen, vgl. Thümmel/Sparberg, DB 1995, 1013 (1019); U. H. Schneider/Ilhas, DB 1994, 1123 (1128); grob fahrlässig oder vorsätzlich begangene Pflichtverletzung sind vom Versicherungsschutz sowieso ausgenommen. 111 Vgl. Doralt in Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999, S. 764; U. H. Schneider/Ilhas, DB 1994, 1123 (1125 f.); Thümmel/Sparberg, DB 1995, 1013 (1016). 112 So Thümmel/Sparberg, DB 1995, 1013 (1019) mit der Begründung, daß bei kleineren Unternehmen aufgrund der engeren Bindung zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern tendenziell ein höheres Mißbrauchsrisiko als bei börsennotierten Aktiengesellschaften besteht.

Die Business Judgement Rule und ihre praktische Anwendung* ZIP 2007, S. 841-848 Haftung – wer will schon haften? Und das gar als Vorstand einer AG oder Geschäftsführer einer GmbH für potenziell riesige Schäden? Genau da greift die neue Vorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ein, die diese Personen von Haftungsgefahren bei unternehmerischen Entscheidungen freistellt, wenn sie sich an bestimmte Regeln halten. Von diesen ist hier die Rede. I. Einleitung 1. Haftung ist kein schönes Thema und führt bei den potenziell Betroffenen oft zu großer Beunruhigung. Hier aber soll weniger von Haftung als von der Freistellung von Haftung gehandelt werden. Denn darum geht es bei der Rechtsfigur der Business Judgement Rule. 2. Manager sind in aller Regel nicht die Eigentümer der von ihnen geleiteten Unternehmen, sondern, wie der BGH betont hat, deren Treuhänder,1 Eigentümer sind die Aktionäre. Das wirtschaftliche Risiko unternehmerischen Handelns aber trägt stets der Eigentümer, der Geschäftsherr, nicht der Vertreter, und sei er auch wie Herr Beitz mit allen Befugnissen des Eigentümers gesegnet. Das ist ein allgemeines Prinzip. Und dieses Prinzip ist richtig. Denn welcher vernünftige Mensch wäre bereit, für andere zu handeln und sich einzusetzen, wenn er das Risiko seiner unternehmerischen Entscheidungen zwar tragen müsste, die Früchte aber nicht ernten dürfte. Derart einseitige Lösungen hätten keine Zukunft. Daher gilt dieses Prinzip nicht nur bei uns, sondern weltweit. Ohne

* Diese Abhandlung ist aus einer Reihe von Vorträgen entstanden, die Verf. im Laufe des Jahres 2006 gehalten hat; die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten. Sie erscheint in einer um die österreichische Rechtsprechung und Literatur erweiterten Fassung gleichzeitig in der in Wien erscheinenden Zeitschrift „Der Gesellschafter“. Verf. dankt seiner wiss. Mitarbeiterin Monika Kubaczynska herzlich für die Zusammenstellung der Literatur und die sorgfältige Betreuung des Manuskripts. 1 BGHZ 129, 30, 34 = ZIP 1995, 591 = NJW 1995, 1299; ähnlich OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27 = AG 1997, 231, 235; OLG Hamm ZIP 1995, 1263 = AG 1995, 512, 514; OLG Koblenz ZIP 1991, 870, 871.

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Risiko aber ist unternehmerisches Handeln nicht denkbar; daher muss es jemand tragen. Und das ist der Eigentümer. Dieses allgemeine Prinzip aber, wonach der Eigentümer eines Unternehmens Nutzen und Lasten, Chancen und Risiken trägt, gilt auch und gerade im Recht der Kapitalgesellschaften. Nur war das bis vor kurzem in keiner geschriebenen Norm verankert, weder in § 93 AktG noch in § 43 GmbHG, die von der Haftung des Managements handeln. Das hat sich nun mit dem UMAG geändert. Geändert aber hat sich nur die Tatsache der Kodifizierung. Der Sache nach hat das Prinzip in Deutschland seit eh und je gegolten. Schon im Entwurf des ersten aktienrechtlichen Reformgesetzes von 1884 wurde gesagt, dass „die Mitglieder des Vorstandes für ein mißglücktes oder Schaden bringendes Geschäft (nur) einstehen (müssen), wenn sie nicht den Beweis führen, daß von ihnen die Eingehung und Abwicklung des Geschäfts selbst mit der bezeichneten Sorgfalt erfolgt ist“.2 Ähnliches liest man in der Amtlichen Begründung zu § 84 AktG 1937: „den Vorständen dürfe nicht jeder Mut zur Tat genommen werden“.3 Und auch die Literatur hat die Notwendigkeit eines haftungsfreien unternehmerischen Ermessens relativ früh erkannt.4 Nur hat es noch viele Jahre gedauert, ehe man den Unterschied zwischen dem unternehmerischen Handeln des Vorstands einerseits und seinen anderen Pflichten klar erkannte. [842] Genau diese Differenzierung war in den USA früher gelungen, und über rechtsvergleichende Arbeiten haben die dortigen Erfahrungen unsere Diskussion befruchtet und ihr den Namen – Business Judgement Rule – gegeben.5 3. Die Rechtsprechung hat erst spät zu diesem Privileg eines unternehmerischen Ermessens Stellung nehmen müssen, was mit der merkwürdigen Lösung des deutschen Rechts zusammen hängt, dass der Aufsichtsrat zuständig ist für die Haftungsklage gegen den Vorstand und der Vorstand für Klagen gegen den Auf-

Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre modernes Aktienrecht, S. 508 bei Art. 241 sub I. Amtliche Begründung zu § 84 AktG 1937, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien nebst Einführungsgesetz und Amtliche Begründung, 1937, S. 71. 4 Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., 1985, § 93 Rz. 13; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 43 Rz. 6; Schilling, in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., 1973, § 93 Anm. 10; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 2. Aufl., 1992, § 14 Rz. 11; Paefgen, Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 99; Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 13; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1974, § 93 Rz. 10. 5 Etwa Abeltshauser, Leitungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Lutter, in: Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. II, 2000, S. 321, 332 ff.; Hopt, in: Festschrift Mestmäcker, 1996, S. 909, 919 ff.; Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung und unternehmerisches Ermessen, 2001; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002; M. Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001. 2 3

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sichtsrat – was eben praktisch nicht vorkommt,6 während etwa in der Schweiz die dort so genannte „Verantwortlichkeitsklage“ eine große Rolle spielt, weil jeder Aktionär klageberechtigt ist.7 In der Entscheidung „Kali und Salz“8 hat dann der BGH zwar noch nicht von einem unternehmerischen Ermessen gesprochen, wohl aber von einer „freien unternehmerischen Verantwortung“, vor allem aber betont, dass es nicht die Aufgabe der Gerichte sein könne, die eigene wirtschaftliche Beurteilung an die Stelle der „in freier unternehmerischer Verantwortung“ getroffenen Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat zu setzen. Auf den Punkt gebracht hat es dann die berühmte ARAG/GarmenbeckEntscheidung des BGH vom 21. 4. 19979 mit den folgenden Sätzen: „Bei seiner Beurteilung, ob der festgestellte Sachverhalt den Vorwurf eines schuldhaft pflichtwidrigen Vorstandsverhaltens rechtfertigt, hat der Aufsichtsrat zu berücksichtigen, daß dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte des Gesellschaftsunternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muß, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewußten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewußt handeln, ausgesetzt ist.“10 4. Nahezu das Gleiche gilt nicht nur in der Rechtsprechung der USA,11 sondern etwa auch der des österreichischen OGH12 und des schweizerischen Bundesgerichts.13

6 Bekannt sind Haftungsklagen des Insolvenzverwalters in der Insolvenz der Gesellschaft (vgl. die Übersicht bei Goette, ZGR 1995, 648, 650 ff.) und manchmal als Versuch des neuen Großaktionärs, seinen Kaufpreis durch eine Haftungsklage zu mindern. 7 Vgl. Forstmoser, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 1987, S. 41 ff.; Forstmoser/MeierHayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, § 36 N 41 ff.; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 3. Aufl., 2004, § 18 N 225 ff. In Deutschland ist die Individualklage jedes Aktionärs auf Leistung an die Gesellschaft stets abgelehnt worden, zuletzt auf dem 63. Deutschen Juristentag 2000 in Leipzig, Verhandlungen Bd. II/1 O 79 f. 8 BGHZ 71, 40 ff. 9 BGHZ 135, 244 = ZIP 1997, 883, dazu EWiR 1997, 677 (Priester). 10 BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 885. 11 Ausführlicher Überblick der US-amerikanischen Judikatur bei Abeltshauser (Fußn. 5), S. 50 ff. und Oltmanns (Fußn. 5), S. 19 ff. 12 OGH v. 24. 6. 1998, ecolex 1998, 744 ff.; OGH v. 26. 2. 2002 – 1 Ob 144/01k, GesRZ 2002, 86 ff.; OGH v. 22. 5. 2003 – 8 Ob 262/02s, online abrufbar unter www.ris.bka.gov.at/jus unter Entscheidungen des OGH. 13 Vgl. monographisch Andrea R. Grass, Business Judgement Rule, 1998, S. 1 ff. m.w.N.

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II. Die Normierung der Business Judgement Rule im AktG durch Ergänzung des § 93 Abs. 1 um einen neuen Satz 2 1. Während die Literatur noch damit beschäftigt war, die Aussagen des BGH zu systematisieren und zu gewichten,14 entwickelte Ulmer15 die These, die Business Judgement Rule solle in die gesetzliche Haftungsnorm des § 93 AktG aufgenommen werden. Dieser These haben sich der 63. Deutsche Juristentag im Jahre 2000 in Leipzig16 und auch die Regierungskommission „Corporate Governance“ im Jahre 2001 angeschlossen.17 Das Bundesministerium der Justiz ist dem dann in den Entwürfen zum UMAG gefolgt.18 Der Vorzug einer solchen Normierung liegt auf der Hand: Sie gibt Rechtssicherheit und schafft durch ihre Transparenz Beruhigung im Management. Darüber hinaus schafft sie mit subsumtionsfähigen Begriffen eine Erleichterung bei der Anwendung der Business Judgement Rule durch die Gerichte – hindert diese aber auch nicht an einer Fortentwicklung der Norm von Fall zu Fall. Gerade diese Überlegungen zur flexiblen Fortentwicklung der Business Judgement Rule haben sowohl in den USA19 als auch in Großbritannien20 dazu geführt, dass die Business Judgement Rule gerade nicht kodifiziert worden ist. Wiederum anders und in gleicher Weise wie der deutsche Gesetzgeber hat sich Australien21 für die Kodifizierung entschieden. 2. Der seit dem 1. 12. 2005 gültige neue Text des Satzes 2 von § 93 Abs. 1 AktG lautet: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“

14 Siehe etwa Horn, ZIP 1997, 1129 ff.; Kindler, ZHR 162 (1998), 101 ff.; Thümel, DB 1997, 1117; Henze, NJW 1998, 3309. 15 Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 299. 16 Verhandlungen des 63. DJT, 2000, Bd. II/1 O 79. 17 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 70. 18 Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, RefE, Januar 2004, abrufbar unter www.rws-verlag.de, RWS-Internet, Volltexte v. 28. 1. 2004, und RegE, abrufbar unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/797.pdf; vgl. dazu auch Fleischer, ZIP 2004, 685. 19 Vgl. dazu Hopt/Roth, Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., 2006, Nachtrag zu § 93, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n.F. Rz. 5; Fleischer, ZIP 2004, 685, 687 m.w.N. 20 Vgl. dazu Fleischer, ZIP 2004, 685, 687 f. m.w.N.; Gower/Davies, Principles of modern Company Law, 7. Aufl., 2004, S. 436 f. 21 Siehe dazu Fleischer, in: Festschrift Wiedemann, 2002, S. 827, 834 f. m.w.N. Der Text der australischen Regelung ist abgedruckt bei Lutter, 3. Europäischer Juristentag, ZSR 2005 II, 417, 463.

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III. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Business Judgement Rule 1. Die systematisch entscheidende Aussage: keine Pflichtverletzung Entscheidend und hilfreich an diesem Text ist die Aussage: Liegen die entsprechenden Voraussetzungen der Norm vor, so ist das Handeln des Vorstands nicht pflichtwidrig, d. h. rechtmäßig auch dann, wenn es wirtschaftlich völlig daneben gegangen ist. Es geht also bei der Business Judgement Rule nicht [843] darum, den Vorstand zu entschuldigen, sondern ihn schon vom Vorwurf eines pflichtwidrigen Handelns freizustellen. Er handelt korrekt, nicht unkorrekt. Greift die Business Judgement Rule ein, so bleibt am Vorstand kein Staubkorn eines Vorwurfs hängen – allenfalls der, dass er ohne Glück und Fortune gehandelt hat. Das ist, sieht man das Ausmaß der Schäden aus unternehmerischen Fehlentscheidungen etwa bei DaimlerChrysler oder BMW, ein stolzes Wort. 2. Die Voraussetzungen für die Freistellung vom Vorwurf der Pflichtwidrigkeit Daher ist es nunmehr ganz entscheidend wichtig zu wissen, unter welchen Voraussetzungen die Business Judgement Rule eingreift. Insgesamt fünf Tatbestandsmerkmale müssen erfüllt sein. 2.1 Erste Voraussetzung: Unternehmerische Entscheidung des Vorstands Dieses besonders wichtige Tatbestandsmerkmal der Business Judgement Rule lässt sich zunächst einmal negativ umschreiben: Pflichten kraft Gesetzes, kraft Satzung, Anstellungsvertrages, Geschäftsordnung oder verbindlicher Anweisung sind keine unternehmerischen Entscheidungen. Denn hier kann es kein Ermessen geben, sondern der Vorstand muss einfach dem folgen, was festgelegt ist.22 Das gilt auch für die kraft Gesetzes bestehenden, wenn auch nicht kodifizierten Treupflichten der Vorstandsmitglieder. 2.1.1 Das wird am ehesten an Beispielen deutlich: Bestimmt die Satzung, dass jeder Erwerb eines anderen Unternehmens der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf, so muss der Vorstand folgen; tut er es nicht, so handelt er per se pflichtwidrig – ein Ermessen gibt es hier nicht. 22 Vgl. Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 19; ebenso Goette, in: Hommelhoff/ Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 749, 761 f.; Goette, in: Festschrift 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 125, 130 f.; Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 7 Rz. 53 m.w.N.; Fleischer, WM 2006, 2021 zu den Buchführungspflichten; Hüffer, AktG, 7. Aufl., 2006, § 93 Rz. 4 f.; zuletzt Hauschka, GmbHR 2007, 11, 12 f. Achtung: Auch die Treupflichten des Vorstands sind Rechtspflichten und stehen nicht zu seiner Disposition; zutr. Roth (Fußn. 5), S. 58 ff.

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Legt die Geschäftsordnung fest, dass bei Geschäften über 5 Mio. € ein Beschluss des Gesamtvorstands erforderlich ist, und handelt ein Vorstandsmitglied doch alleine, so ist das per se pflichtwidrig. Im ARAG-Fall ging es um das versicherungsrechtliche Spartenprinzip, wonach eine Rechtsschutzversicherung eben nur diese und keine anderen Geschäfte machen darf Der Vorstand hat sich nicht daran gehalten, das war per se pflichtwidrig. Ein Ermessen gibt es da nicht. Der Vorstand drängt sich in eine Geschäftschance der Gesellschaft. Das ist per se pflichtwidrig. Das Gesetz verbietet die Einleitung chemischer Substanzen in öffentliche Gewässer. Ordnet der Vorstand an, das chemische Abwasser in den Bach zu leiten, so handelt er per se pflichtwidrig. Ein Ermessen gibt es da nicht. Aber auch die gesetzlichen Informationspflichten gegenüber den Aktionären und dem Kapitalmarkt sind schlicht zu erfüllen; ein unternehmerisches Ermessen, es nicht oder nur teilweise zu tun, gibt es da nicht. 2.1.2 Positiv kann man sagen: Eine unternehmerische Entscheidung liegt vor, wenn der Vorstand frei ist, sich so oder auch anders zu entscheiden und zu verhalten. Er kann A in den Grenzen des gesetzlichen Diskriminierungsverbots einstellen oder B, kann kaufen oder es sein lassen, kann in Tschechien oder in Irland investieren, kann das Produkt X vom Markt nehmen oder, im Gegenteil, durch verstärkte Werbung fördern. Er kann aber in einer bestimmten Situation auch entscheiden, nichts zu tun, etwa keinen Kredit aufzunehmen. Auch das ist eine unternehmerische Entscheidung.23 Der Vorstand muss also frei sein, so oder auch anders handeln zu können. Beim Angebot eines Kartellvertrags aber gibt es diese Freiheit gerade nicht. Kartellverträge sind vom Gesetz ebenso verboten wie Geldwäsche oder Bestechung. Hier gibt es nur eine zulässige Alternative: Das Angebot muss abgelehnt werden, die Annahme wäre per se pflichtwidrig. 2.1.3 Aus den Beispielen wird deutlich, dass „unternehmerische Entscheidung“ zwar ein stolzes Wort ist, dass es aber auf die Größe und Bedeutung des betreffenden Geschäfts nicht ankommt. Entscheidend ist, dass der Vorstand frei und ungebunden seine Entscheidung treffen kann – oder anders gewendet: „Eine ‘unternehmerische Entscheidung’ ist die bewusste Auswahl eines Organs der Gesellschaft aus mehreren tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Verhaltensalternativen.“24 2.1.4 An dieser Stelle gilt es, kurz einzuhalten und zwei Fragen zu klären: 23 Vgl. Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 19; zustimmend Hüffer (Fußn. 22), § 93 Rz. 4 f.; Paefgen, AG 2004, 245, 251; Fleischer, ZIP 2004, 685, 690 und Fleischer (Fußn. 22), § 7 Rz. 56; Schneider, DB 2005, 707, 709 m.w.N.; Hopt/Roth (Fußn. 19), § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n.F. Rz. 15; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 14. 24 Schneider, DB 2005, 707, 711.

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Natürlich muss sich ein Vorstand an seinen Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft halten oder an eine wirksam beschlossene Geschäftsordnung; das ist Rechtspflicht gegenüber der Gesellschaft und steht nicht zur Disposition des Organmitglieds. Wie aber steht es um Vertragspflichten der Gesellschaft gegenüber Dritten? Ist auch deren Verletzung durch den Vorstand zugleich Pflichtverletzung per se? Das ist nach ganz herrschender Meinung nicht der Fall.25 Vordergründig mag man sagen: Vertragspflicht der Gesellschaft ist keine den Vorstand treffende Gesetzespflicht. Überzeugender ist der Hinweis, dass der Vorstand auch insoweit frei sein muss, zwischen den Nachteilen einer Vertragserfüllung oder denen einer Schadensersatzpflicht zu entscheiden. Eine zweite Frage betrifft die so genannte nützliche Gesetzesverletzung. Ein schöner Fall dazu stammt aus den USA.26 Eine Paket-Dienst-Gesellschaft in New York hatte ihre Fahrer angewiesen, Park- und Halteverbote nicht zu beachten. So kamen im Jahr 1,5 Mio. US-$ an Bußgeldern zusammen. Ein Aktionär klagte gegen den Vorstand auf Ersatz dieses Betrags in die Kasse der Gesellschaft und bekam Recht: Die Beachtung all- [844] gemeiner Vorschriften stehe nicht zur Disposition des Vorstands. Die Antwort kann auch bei uns nicht anders lauten. Auch die nützliche Gesetzesverletzung bleibt Gesetzesverletzung und ist mithin Pflichtverletzung auch im Verhältnis zur Gesellschaft. 2.2 Zweite Voraussetzung: Wohl der Gesellschaft Der Vorstand muss in seiner Vorstellung ausschließlich zum Wohl der Gesellschaft handeln.27 Will er in Wirklichkeit der Gesellschaft schaden, weil er sich über den Großaktionär geärgert hat, entfällt vernünftigerweise das Privileg des unternehmerischen Ermessens. Ein Handeln zum Wohl der Gesellschaft ist aber ebenfalls nicht gegeben, wenn die Maßnahme den Bestand der Gesellschaft gefährdet oder sie in die dauernde Unrentabilität führt, wie das manchmal bei Maßnahmen im Konzern der Fall ist; hierfür steht das Privileg der Business Judgement Rule nicht zur Verfügung. Der Vorstand kann hier nicht „vernünftigerweise annehmen, zum Wohl der Gesellschaft“ zu handeln.

25 Hopt, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., 1999, § 93 Rz. 100; M. Roth (Fußn. 5), S. 123; für die GmbH Scholz/Schneider, GmbHG, 9. Aufl., 2000, § 43 Rz. 53; vgl. weiter dazu Fleischer, ZIP 2005, 141, 144, 150 m.w.N. 26 Fleischer, ZIP 2005, 141, 149 m.w.N. 27 Vgl. Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 19 f.; BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 886 – ARAG. So auch schon das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1930: RGZ 129, 272, 275.

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2.3 Dritte Voraussetzung: Frei von Interessenkonflikten Der Vorstand muss frei von Interessenkonflikten handeln, die ihn oder nahe Angehörige treffen. Trifft das Vorstandsmitglied etwa die Entscheidung, eine große Bestellung bei der X-GmbH aufzugeben, die seiner Frau gehört, so kann man nicht davon ausgehen, dass er in voller Unabhängigkeit und nur zum Wohl der Gesellschaft gehandelt hat, und ihn unbesehen vom Risiko dieses Geschäfts freistellen. Was das rechtlich bedeutet, wird später erörtert. Von diesem Tatbestandsmerkmal der Freiheit von Interessenkonflikten liest man nichts in der BGH-Formel der ARAG-Entscheidung und nichts im neuen Satz 2 des § 93 Abs. 1 AktG. Es besteht aber in der Literatur28 kein Zweifel, dass die im Interessenwiderstreit getroffene Entscheidung nicht ausschließlich am Wohl der Gesellschaft orientiert sein kann – eben weil der Vorstand hier Wasser auf beiden Schultern trägt und nicht nur auf der einen, der seiner Gesellschaft.29 Das war auch die Auffassung des deutschen Gesetzgebers, der dazu in der Begründung zum RegE des UMAG formuliert hat: „In der Regel darf nur der annehmen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln, der sich bei seiner Entscheidung frei von solchen Einflüssen weiß.“30 Abgesehen von persönlichen Interessen von Vorstandsmitgliedern und solchen ihrer Familienmitglieder hat diese Frage große Bedeutung im Konzern. Nehmen wir an, A sei Vorstand in der Mutter- und in der Tochtergesellschaft und verfüge dort jetzt die Schließung einer durchaus rentablen Produktionslinie aus Gründen der Konzernstrategie: Das Privileg der Business Judgement Rule steht ihm wegen des Interessenkonflikts zwischen Mutter und Tochter nicht zu – von konzernrechtlichen Sanktionen einmal ganz abgesehen (§§ 311, 317 AktG). 2.4 Vierte Voraussetzung: Auf Basis angemessener Informationen Diesem Erfordernis31 liegt folgender Gedanke zugrunde: Die Gesellschaft und ihre Aktionäre werden im Zusammenhang mit unternehmerischen Entscheidungen durch keine Haftung der handelnden Vorstände vor Schäden aus Fehleinschätzungen geschützt. Dann müssen diese Entscheidungen aber jedenfalls sorgfältig vorbereitet sein, um das mit ihnen notwendig verbundene Risiko zu minimieren. Dazu gibt es einen schönen Fall aus der amerikanischen Praxis.32 28 Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2068; Fleischer (Fußn. 22), § 7 Rz. 57; Fleischer (Fußn. 21), S. 827, 842; Fleischer, ZIP 2004, 685, 691. 29 Ebenso die Rechtsprechung in den USA, siehe Nachweise bei Abeltshauser (Fußn. 5), S. 132 in Fußn. 342 und Oltmanns (Fußn. 5), S. 50 ff. 30 Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 20. 31 Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 20 f.; ebenso bereits BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 885 – ARAG. 32 Smith v. Van Gorkum, Delaware Supreme Court, 488 A.2d 858 (1985), dazu Abeltshauser (Fußn. 5), S. 79 ff.

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Der Board einer börsennotierten Gesellschaft erhielt von einem Konkurrenzunternehmen ein freundschaftliches Übernahmeangebot: Beim Börsenkurs von 30 US-$ bot der Konkurrent 40 US-$ pro Aktie. Bei der eilig einberufenen Board-Sitzung gab es keinerlei Unterlagen, nur das Angebot des Konkurrenten. Auf dieser Basis akzeptierte der Board nach nur 1-stündiger Beratung das Angebot. Ein Aktionär erhob Haftungsklage gegen die Board-Mitglieder; das Gericht verweigerte dem Board das Privileg der Business Judgement Rule wegen unsorgfältiger Vorbereitung seiner Entscheidung, prüfte diese dann selbst nach und kam zum Ergebnis, dass der richtige Preis 55 US-$ gewesen wäre – je Aktie also ein Schaden von 15 US-$ eingetreten war. 2.4.1 Das unternehmerische Ermessen muss also auf möglichst breiter Informationsgrundlage und in aller Sorgfalt getroffen worden sein. Natürlich ist hier nach der Bedeutung der Entscheidung zu differenzieren. Geht es um den Einkauf von Büropapier, genügt die Einholung eines Konkurrenzangebots. Geht es hingegen um den Kauf eines Unternehmens in den USA für 100 Mio. US-$, dann sind Due Diligence, sachverständige Bewertung, Marktuntersuchung, Qualitätsprüfung etc. erforderlich.33 Kurz: Die Risiko-Minimierung für die Aktionäre findet im Vorbereich der Entscheidung statt. Und der Aufwand dafür hängt von der Bedeutung und dem Risiko des intendierten Geschäfts ab. 2.4.2 Die Frage; ob der Vorstand seine Entscheidung auf der Basis angemessener Informationen getroffen hat, wird in der Praxis den Hauptstreitpunkt hinsichtlich des Eingreifens der Business Judgement Rule bilden. Dabei geht es vor allem um zwei Fragen, nämlich wie weit die Informationsbeschaffungspflicht reicht und ob dem Vorstand schon bei der Auswahl und Gewichtung der Informationen das Privileg der Business Judgement Rule zugute kommt. Die zweite Frage wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich bejaht. Darin heißt es, dass dem Vorstand „in den Gren- [845] zen seiner Sorgfaltspflicht ein erheblicher Spielraum“ eingeräumt werde, „den Informationsbedarf abzuwägen und sich selbst eine Annahme dazu zu bilden“.34 Dem sollte man zustimmen, damit nicht an dieser Stelle die Gerichte ihre Sicht formulieren müssen, die zwangsläufig ex post getroffen ist.35 Größere Schwierigkeiten bereitet die erste Frage nach der Reichweite der Informationsbeschaffungspflicht. Der Gesetzgeber gibt sich in seiner Begründung 33 Das wird sehr schön deutlich am Fall des OLG Oldenburg v. 22. 6. 2006, BB 2007, 66 (m. Anm. Liese/Theusinger), wo beim Erwerb eines Unternehmens aus der Insolvenz viel zu geringe Informationen zusammengetragen werden. 34 Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 21. 35 Nachträgliche Ermessensentscheidungen oder sog. „hindsight bias“; dazu Fleischer, ZIP 2004, 685, 686 m.w.N.

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auch hier eher moderat. Er möchte bei der Entscheidungsfindung den oft hohen Zeitdruck berücksichtigt wissen und die Einsicht, dass keine Information allumfassend sein könne und das Organmitglied sich daher im Wesentlichen auf die betriebswirtschaftlichen Schwerpunkte wie Rentabilität, Risikobewertung. Investitionsvolumen und Finanzierung beschränken könne.36 Diese Vorstellungen des Gesetzgebers wird man im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen haben. Im Übrigen ist die Betriebswirtschaftslehre bemüht, diese Anforderungen zu objektivieren.37 Diese Bemühungen sollten von den Vorständen sorgfältig aufgenommen werden. Ein Arbeitskreis der Schmalenbach-Gesellschaft hat dazu „Goldene Regeln“ aufgestellt, die aber nur in Grenzen hilfreich sind.38 2.4.3 Da sich der Vorstand im Haftungsprozess auf das Privileg der Business Judgement Rule berufen wird, muss er die sorgfältige Vorbereitung auf angemessener Informationsgrundlage seinerseits dartun und beweisen. Er sollte also die Vorbereitungs-Unterlagen sorgfältig aufbewahren, bis die 5-jährige Verjährungsfrist für eine Haftungsklage gegen ihn abgelaufen ist. Damit ist keine „überbordende Dokumentation“ gemeint, wie manche fürchten.39 Dennoch sollte man die im betriebswirtschaftlichen Schrifttum vorgetragene Empfehlung berücksichtigen, zum Zwecke der Dokumentation Verlaufsprotokolle von Vorstandssitzungen anzufertigen, die neben dem Ergebnis auch den Diskussionsprozess während der Vorstandssitzung erfassen.40 2.5 Fünfte und letzte Voraussetzung: Keine Hazard-Entscheidungen Schließlich darf der Vorstand mit seiner geplanten Entscheidung kein übergroßes Risiko eingehen, darf also nicht die Existenz der Gesellschaft aufs Spiel setzen oder Leistung ohne Sicherheit erbringen. Solche Hazard-Entscheidungen sind vom Privileg der nicht weiter nachprüfbaren Ermessensentscheidung ausgenommen. Der BGH formuliert das mit den Worten: „wenn die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist“.41

So ausdrücklich Begr. RegE zum UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 21. Siehe dazu Grundei/v. Werder, AG 2005, 825. 38 Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung der Unternehmen“ der Schmalenbach Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Praktische Empfehlungen für unternehmerisches Entscheiden – Zur Anwendung der Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, DB 2006, 2189 ff., auszugsweise abgedruckt auch in ZIP 2006, 1068 („20 Goldene Regeln für die unternehmerische Entscheidung“). 39 Vgl. Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2067. 40 Grundmann/Grundei, DBW 2005, 652, 655. 41 BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 886 – ARAG. 36 37

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3. Anwendungsfall Diese Überlegungen könnten etwas blass und abstrakt erscheinen; ihre Überprüfung an einem Fall erscheint daher nützlich. Kürzlich hatte der Bundesgerichtshof42 über folgenden Fall zu entscheiden: Ein Bankdirektor gab einem ganz normalen Kunden einen ungesicherten Kredit über eine halbe Mio. €. Der Kredit fiel zu 100% aus. Von seiner Bank auf Ersatz des Schadens verklagt, berief sich der Bankdirektor auf die Business Judgement Rule. Der Bundesgerichtshof hat ihre Anwendung abgelehnt. Zu Recht? (1) Gewiss, es war eine unternehmerische Entscheidung. (2) Und es lag auch kein Interessenkonflikt vor – der Kunde war kein Verwandter und kein Freund. (3) Es lagen auch keine Informationsmängel vor; der Bankdirektor hatte alle erforderlichen Angaben. (4) Und existenzbedrohend für die Bank war der Ausfall des Kredites auch nicht. (5) Aber hat der Bankdirektor zum Wohl der Gesellschaft gehandelt? Objektiv gewiss nicht. Würde man aber die objektive Betrachtung entscheiden lassen, wäre das Nachdenken über die Haftungsfreistellung der unternehmerischen Entscheidung sinnlos; denn wir wissen ja heute, dass die Entscheidung nicht zum Wohl der Gesellschaft gereichte. Die Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmals (Wohl der Gesellschaft) muss also aus der Sicht (a) ex ante und (b) der eines vernünftigen Vorstandsmitglieds erfolgen. Zu fragen ist also, ob der Vorstand vernünftigerweise annehmen konnte, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln.43 Und genau daran fehlte es hier: Weshalb sollte die Gesellschaft an einem sinnlosen Risiko interessiert sein? 4. Die Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen einer korrekten Ermessensentscheidung vor, so hat das betreffende Vorstandsmitglied nicht pflichtwidrig gehandelt. Und damit entfällt schon die erste Voraussetzung einer Haftungsklage gegen ihn. Das wurde schon oben gesagt. Was aber gilt, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wenn also die große Bestellung beim Unternehmen der Frau getätigt oder die Entscheidung aus dem hohlen Bauch und ohne Vorbereitung getroffen wurde?

42 43

ZIP 2005, 981 = DStR 2005, 933, dazu EWiR 2005, 501 (Jungmann). So wörtlich § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG.

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Die fragliche Entscheidung des Vorstands ist auch in diesem Fall nicht etwa per se pflichtwidrig, sondern sie wird jetzt vom Gericht inhaltlich dahin überprüft, ob sie aus damaliger Sicht sorgfältig vorbereitet und inhaltlich jedenfalls vertretbar war. Bleiben wir im Beispiel der Bestellung beim Unternehmen der Frau. Es kann ja durchaus sein, dass der Vertrag at arm’s length geschlossen und zu Marktpreisen abgewickelt wurde. Dann ist [846] trotz des Interessenkonflikts alles in Ordnung. Denn es gibt ja nicht etwa ein Verbot von Verträgen mit nahen Angehörigen.44 Das Gleiche gilt auch für die sorgfaltswidrige Entscheidung beim Kauf eines Unternehmens: Es kann ja sein, dass sich herausstellt, ein Konkurrent hätte am nächsten Tag ein Übergebot vorgelegt, und dass es daher richtig war, sofort und ohne lange Vorbereitung zuzugreifen. Es kann auch sein, dass das Gebot von 40 US-$ im Van-Gorkum-Fall korrekt war; dann hat alles und trotz der schlecht vorbereiteten und nur kurzen Beratung seine Ordnung. Kurz: Greift die Business Judgement Rule ein, so kümmert sich das Gericht nicht um den Inhalt der Entscheidung und ihre Folgen, mögen diese auch noch so desaströs gewesen sein. Greift die Business Judgement Rule hingegen nicht, muss das Gericht den ganzen Vorgang auf die Frage eines sorgfaltswidrig schädigenden Handelns hin überprüfen; es gilt dann § 93 Abs. 2 Satz 1, nicht aber Satz 2 AktG.45 IV. Die Business Judgement Rule im Prozess 1. Die reguläre Darlegungs- und Beweislast im Manager-Haftungsprozess Normalerweise gilt im Prozess die Regel, dass der Kläger die seinen angeblichen Anspruch begründenden Tatbestandsmerkmale darlegen und – wenn der Beklagte widerspricht – auch beweisen muss. In unseren Fällen wäre das die fragliche Handlung – im ARAG-Fall der Erwerb einer sachfremden Beteiligungsgesellschaft; deren Pflichtwidrigkeit – im ARAG-Fall der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot; den Schaden daraus – im ARAG-Fall 80 Mio. DM; die Kausalität zwischen pflichtwidrigem Handeln und Schaden – im ARAGFall wäre der Schaden ohne den Beteiligungserwerb nicht eingetreten;

44 Lennarts, GesRZ 2005, Sonderheft, S. 41, 44, bezeichnet eine solche Lösung höchst plastisch als „overkill“. 45 Auch das wird sehr plastisch deutlich in der Entscheidung des OLG Oldenburg BB 2007, 66.

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das Verschulden des Vorstandsmitglieds – im ARAG-Fall wusste das Vorstandsmitglied um das gesetzliche Verbot. In diese Regelsituation greift das Gesetz zu Gunsten der Gesellschaft und zu Lasten der Vorstandsmitglieder ein, indem es in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG bestimmt: „Ist streitig, ob sie (scil: die Vorstandsmitglieder) die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast.“ Das bedeutet: Die Gesellschaft muss nur dartun und beweisen, dass in bestimmter Weise gehandelt worden ist und dass das kausal zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat,46 während es dem Vorstandsmitglied obliegt darzutun, dass dieses Handeln nicht pflichtwidrig war und, selbst wenn es pflichtwidrig war, ihn kein Verschulden daran trifft.47 Die Situation ist im Prozess also für den Vorstand nicht gut; ihm obliegt es, sein Handeln zu rechtfertigen, obwohl es zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat. -

2. Die Stellung der Business Judgement Rule in diesem System Genau hier greift die Business Judgement Rule ein. Sind nämlich ihre Voraussetzungen erfüllt, so ist das betreffende Handeln des Vorstandsmitglieds – wie oben schon gesagt – per se nicht pflichtwidrig. Allerdings: Die insgesamt fünf Voraussetzungen für das Eingreifen der Business Judgement Rule müssen vom betreffenden Vorstandsmitglied dargetan und ggf. bewiesen werden, also unternehmerische Entscheidung, also insbes. keine rechtliche Festlegung, Handeln zum Wohl der Gesellschaft („in good faith“), kein Interessenkonflikt, sorgfältige Vorbereitung aufgrund angemessener Informationen, keine übergroßen Risiken. Hier wird noch einmal deutlich, wie wichtig die Dokumentation der sorgfältigen Vorbereitung ist und wie wichtig ihre Aufbewahrung bis zum Ablauf der 5jährigen Verjährungsfrist für eine Haftungsklage, § 93 Abs. 6 AktG. Apropos: In den Vorstandsverträgen findet sich regelmäßig die Klausel, dass das Vorstandsmitglied bei seinem Ausscheiden alle Unterlagen, die die Gesellschaft und den Konzern betreffen, herauszugeben habe und nicht berechtigt sei, Kopien zu machen und zu behalten. Im Prozess steht dem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied mithin dieses Material nicht zur Verfügung. Hier hilft das Prozess46 Ebenso BGHZ 152, 280, 283 = ZIP 2002, 2314, 2315, dazu EWiR 2003, 225 (Schimmer); Goette, ZGR 1995, 648, 671 ff.; Hüffer (Fußn. 22), § 93 Rz. 16. 47 BGHZ 152, 280, 283 = ZIP 2002, 2314, 2315; BGH v. 8. 1. 2007, ZIP 2007, 322; Goette, ZGR 1995, 648, 671 ff.; Hüffer (Fußn. 22), § 93 Rz. 16.

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recht – wonach dann, wenn der Beklagte über die entsprechenden Unterlagen nicht verfügt, die Gesellschaft zur Vorlage oder Gewährung von Einsicht verpflichtet ist.48 V. Die Business Judgement Rule im Aufsichtsrat 1. Auch der Aufsichtsrat trifft unternehmerische Entscheidungen; von der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern bis zur Entscheidung über zustimmungspflichtige Geschäfte. Hier kommt auch ihm und seinen Mitgliedern das Privileg der Business Judgement Rule zugute. Das ergibt sich schon aus dem Verweis von § 116 AktG auf § 93 AktG, mithin auf die Haftungsregeln für Vorstandsmitglieder. 2. Die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf Entscheidungen des Aufsichtsrats ist daher unstreitig.49 Entscheidend sind deshalb auch hier die Fragen: [847] Was sind unternehmerische Entscheidungen des Aufsichtsrats? Wann entscheidet er auf der Grundlage angemessener Information? Eine ganze Reihe von Aufsichtsrats-Beschlüssen sind unternehmerische Entscheidungen, etwa Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder, Abschluss und Kündigung der Anstellungsverträge mit den Vorstandsmitgliedern, Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung, Einführung eines neuen Vergütungssystems, Entscheidung über Geschäftsverteilung im Vorstand, Feststellung des Jahresabschlusses, Ausübung von Bilanzierungswahlrechten, Zustimmung zu Maßnahmen der Geschäftsführung bzw. Versagung der Zustimmung,50 Entscheidung über Vorstandsabfindungen. Bei der Frage nach der angemessenen Information des Aufsichtsrats als Grundlage seiner Entscheidung kann man unterscheiden: BGHZ 152, 280, 285 = ZIP 2002, 2314, 2316; Hüffer (Fußn. 22), § 93 Rz. 17. BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 885 – ARAG; Hopt/Roth, Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., 2005, § 116 Rz. 66 ff.; MünchKomm-Semler, AktG, 2. Aufl., 2004, § 116 Rz. 288 ff.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl., 2006, § 15 Rz. 130 ff.; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1258; Hüffer, NZG 2007, 47, 48; Grotheer, WM 2005, 2070, 2073 f.; Hauschka, GmbHR 2007, 11. 50 Der Aufsichtsrat ist frei in seiner Entscheidung, den Vorschlag des Vorstands zu billigen oder nicht. Insoweit ist der Vorstand in seiner Leitungsmacht nach § 76 AktG beschränkt. Damit ist das Element einer unternehmerischen Entscheidung des Aufsichtsrats gegeben. 48 49

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Entscheidet der Aufsichtsrat wie bei der Bestellung von Vorstandsmitgliedern allein, so muss er sich umfassend informieren; daher empfiehlt sich hier auch die Vorbereitung der Entscheidung durch einen Ausschuss. Entscheidet er hingegen zusammen mit dem Vorstand wie etwa bei der Feststellung des Jahresabschlusses und bei zustimmungspflichtigen Maßnahmen, kann er auf der Information durch den Vorstand aufbauen,51 muss aber selbst entscheiden, ob er sich in concreto ausreichend informiert fühlt oder „nachfassen“ muss. 3. Nicht zu vergessen sind aber auch hier die Fragen etwaiger Interessenkonflikte. Geht es etwa um eine große Kooperation – Beispiel: VW und Porsche – und wirkt ein Vertreter des Partners an der Entscheidung im Aufsichtsrat mit, so hat jedenfalls er das Privileg der Business Judgement Rule wegen des Interessenkonflikts verspielt. Anders als beim Vorstand sind Interessenkonflikte im Aufsichtsrat häufig. Das gilt vom Vorstand der Mutter, der im Aufsichtsrat der Tochter sitzt, über den Bankier im Aufsichtsrat bis hin zum Lieferanten, Abnehmer oder gar Wettbewerber. Die Konflikte sind hier vorgezeichnet. Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt die Information des Gremiums, während Literatur52 und Rechtsprechung53 darüber hinaus die Abstinenz von Beratung und Abstimmung verlangen und die dennoch abgegebene Stimme für unwirksam erachten. Dass dem Betroffenen die Business Judgement Rule nicht zukommt, ist fraglos. Viel schwieriger ist die Frage, ob er – wenn er sich an der Beratung beteiligt und die anderen Aufsichtsräte keine Kenntnis von seinem Konflikt hatten – auch diese anderen „infiziert“; denn er beeinflusst sie ja und hindert sie unvermerkt, zum alleinigen Wohl der Gesellschaft zu handeln.54

51 Lutter, Information und Vertraulichkeit, 3. Aufl., 2006, Rz. 76 ff.; siehe auch Hopt/Roth (Fußn. 49), § 116 Rz. 126 ff.; Kropff, in: Semler/v. Schenk, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl., 2004, § 8 Rz. 94 ff. und Rz. 278 ff. 52 Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1996, § 108 Rz. 49; Ulmer, NJW 1982, 2288, 2293; Semler, in: Semler/v. Schenk (Fußn. 51), § 1 Rz. 223 f.; Doralt, in: Semler/v. Schenk (Fußn. 51), § 13 Rz. 50; Hopt/Roth (Fußn. 49), § 100 Rz. 166 ff. und § 108 Rz. 60; Möllers, ZIP 2006, 1615, 1619; Säcker, in: Festschrift Rebmann, 1989, S. 781, 793. 53 BayObLG ZIP 2003, 1194, dazu EWiR 2003, 847 (Leuering) und OLG Frankfurt/M. ZIP 2005, 2322, dazu EWiR 2006, 385 (S. Krüger/Thonfeld). 54 Dazu auch Lutter, in: Festschrift Canaris, 2007.

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Die Business Judgement Rule und ihre praktische Anwendung

VI. Die Business Judgement Rule in anderen UnternehmensRechtsformen 1. Überblick Die Business Judgement Rule ist im deutschen Recht nur für die AG normiert. Dennoch ist sie in der Lehre allgemein anerkannt und von der Rechtsprechung bestätigt. Daran ändert sich auch nichts durch den neuen Satz 2 von § 93 Abs. 1 AktG. Die neue Vorschrift betrifft zwar nur das Aktienrecht, will damit aber gleiche Überlegungen für andere Rechtsformen nicht etwa abschneiden. 2. KGaA § 283 AktG verweist hinsichtlich der persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA auf die Regeln zum Vorstand, mithin nach seiner Nr. 3 ausdrücklich auch auf § 93 AktG. Für die persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA gilt also ganz und gar das Gleiche wie für die Vorstände einer AG. In gleicher Weise verweist das Gesetz in § 278 Abs. 3 AktG ganz allgemein auf die Regeln der §§ 1277 AktG, mithin für den Aufsichtsrat der KGaA auf die §§ 116, 93 AktG. Bei unternehmerischen Entscheidungen kommt nicht nur den persönlich haftenden Gesellschaftern, sondern auch den Aufsichtsräten einer KGaA das Privileg der Business Judgement Rule zu. 3. GmbH Haftungsklagen gegen Geschäftsführer einer GmbH finden sehr viel häufiger statt als gegen Vorstandsmitglieder einer AG – es gibt ja auch annähernd 100-mal so viele GmbH wie AG. Es gibt daher reiches Anschauungsmaterial in der Rechtsprechung. Daher wurde hier auch die Business Judgement Rule früher herausgearbeitet. Sie ist heute in der Rechtsprechung55 und Lehre56 mit gleichem Inhalt wie bei der AG anerkannt. 55 BGHZ 152, 280, 282 = ZIP 2002, 2314, 2315; OLG Stuttgart GmbHR 2003, 835, 836, dazu EWiR 2003, 713 (Ziemons); OLG Oldenburg BB 2007, 66, 67; LG Düsseldorf GmbHR 2005, 1298, 1299. 56 Hommelhoff/Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., 2004, § 43 Rz. 14; Scholz/Schneider (Fußn. 25), § 43 Rz. 45a ff.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., 2006, § 43 Rz. 23; Hachenburg/Mertens, GmbHG, 8. Aufl., § 43 Rz. 19; Lutter, GmbHR 2000, 301, 306 ff.; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 12; U. H. Schneider/S. H. Schneider, GmbHR 2005, 1229, 1230; Fleischer, ZIP 2004, 685, 692.

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Zwei Besonderheiten des GmbH-Rechts und der GmbH-Praxis sind aber zu bedenken: [848] Zum einen ist der GmbH-Geschäftsführer an Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden. Insoweit entsteht die Frage des pflichtgemäßen Ermessens für ihn gar nicht, der Geschäftsführer handelt hier per se pflichtgemäß.57 Zum anderen besteht bei der GmbH sehr viel häufiger ein Interessenwiderstreit; denn sehr viele Geschäftsführer sind zugleich Gesellschafter. Das ist jeweils sorgfältig zu bedenken; denn mit dem Interessenwiderstreit entfällt das Privileg der Business Judgement Rule. 4. Genossenschaft Nichts anderes gilt für die Genossenschaft. Dort ist § 34 GenG nahezu wortgleich dem § 93 AktG nachgebildet. Und daher wendet die Rechtsprechung58 die Regeln der Business Judgement Rule unverändert auch auf den Vorstand einer Genossenschaft an. Für ihren Aufsichtsrat kann dann auch nichts anderes gelten. 5. Verein Schwieriger ist die Frage der Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf Vorstandsmitglieder eines Vereins zu beantworten. Handelt es sich allerdings um einen der seltenen Fälle eines wirtschaftlichen Vereins nach § 22 BGB, so dürften an der Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf seine Vorstandsmitglieder keine Zweifel bestehen. Und das gilt dann auch für Vereine, die eigentlich, wie etwa der ADAC oder Vereine der Fußball-Bundesliga, wirtschaftliche Vereine nach § 22 BGB sein müssten, mit Billigung des BGH59 aber weiter in der Rechtsform des Idealvereins bleiben. Anders ist es beim „echten“ Idealverein nach § 21 BGB. Hier dürften eigentliche unternehmerische Entscheidungen eher selten sein und sich auf so genannte Nebenbetriebe (Gaststätte, Vermietung von Sporthallen etc.) beschränken. In diesem Rahmen aber wird man die Business Judgement Rule dann auch für anwendbar anzusehen haben.

57 Zöllner/Noack (Fußn. 56), § 43 Rz. 33 m.w.N.; Scholz/Schneider (Fußn. 25), § 43 Rz. 95 f.; Hommelhoff/Kleindiek (Fußn. 56), § 43 Rz. 22. 58 BGH ZIP 2004, 407 = DB 2004, 534, 535, dazu EWiR 2004, 975 (Rottnauer); BGH ZIP 2002, 213, 214, dazu EWiR 2002, 341 (Schäfer); BGH ZIP 2005, 981, 982, dazu EWiR 2005, 501 (Jungmann). 59 BGHZ 85, 84 ff. – ADAC-Verkehrsrechtsschutz.

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Die Business Judgement Rule und ihre praktische Anwendung

6. Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts Ähnlich ambivalent ist die Rechtslage in den öffentlich-rechtlichen Unternehmensformen der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Diese haben in der Regel keine wirtschaftlichen Ziele, sondern sind ausgegliederter Teil der öffentlichen Hand zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben (z. B. Universitäten und Hochschulen, Akademien). Aber es kann auch ganz und gar anders sein; man denke nur an die Sparkassen, an die als Anstalten des öffentlichen Rechts verselbstständigten Universitäts-Kliniken in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, an die Studentenwerke. Sie alle sind Wirtschaftsunternehmen und müssen sich im wirtschaftlichen Umfeld und Wettbewerb behaupten. Daher muss man auch ihren Geschäftsführern und Vorständen das Privileg der Business Judgement Rule mit gleichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen zubilligen. VII. Schluss 1. Die Haftungsregeln für Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführer sind im deutschen Recht sehr streng. Das gilt insbesondere im Prozess, in dem sich die Vorstände und Geschäftsführer entlasten müssen. Eine vertragliche Einschränkung dieses Haftungsrahmens ist in der GmbH möglich,60 nicht aber bei Vorständen und Aufsichtsräten einer AG. 2. Bisher hat die Realisierung einer solchen Haftung in der Praxis der AG kaum eine Rolle gespielt: Welcher Vorstand klagt schon gegen seinen Aufsichtsrat, welcher Aufsichtsrat gegen seinen von ihm selbst ausgesuchten Vorstand. Im ARAG-Fall musste die Aufsichtsrats-Minderheit de facto gegen die AufsichtsratsMehrheit klagen, die das schuldige Vorstandsmitglied schützen wollte. Klagen gegen Aufsichtsratsmitglieder sind in Deutschland – im Gegensatz etwa zu Österreich61 – praktisch unbekannt. Das alles mag sich mit dem seit kurzem erleichterten Klagerecht einer Aktionärsminderheit nach dem neuen § 148 AktG ändern – einer Minderheit von nom. nur 100.000 €. 3. Umso wichtiger ist das Privileg der Business Judgement Rule. Vorstände und Geschäftsführer sollten in Zukunft sorgfältig darauf achten, dass sie durch Gesetz und ungeschriebenes Recht (z. B. Treupflicht), durch Satzung, Geschäftsordnung und Anstellungsvertrag festgelegte Pflichten korrekt erfül-

Siehe dazu Hommelhoff/Kleindiek (Fußn. 56), § 43 Rz. 37 ff. OGH v. 26. 2. 2002 – 1 Ob 144/01k, GesRZ 2002, 86; OGH v. 22. 5. 2003 – 8 Ob 26 2/02s, online abrufbar unter www.ris.bka.gav.at/jus unter Entscheidungen des OGH. 60 61

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len, denn insoweit haben sie keine Handlungsalternativen; daher steht ihnen auch hier die Business Judgement Rule nicht zur Verfügung; im Übrigen, also bei unternehmerischen Entscheidungen mit unternehmerischem Ermessen deren Vorbereitung sorgfältig dokumentieren und archivieren. Dann kann ihnen, selbst bei einem Desaster, wie bei der einstigen Metallgesellschaft, nichts passieren.

Interessenkonflikte und Business Judgment Rule IN: HELDRICH/PRÖLSS/KOLLER U.A. (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR CLAUSWILHELM CANARIS ZUM 70. GEBURTSTAG, BD. II, MÜNCHEN 2007, S. 245-256

Claus- Wilhelm Canaris hat sich ein wissenschaftliches Leben lang mit den Interessen der Beteiligten und ihren Wirkungen auf Rechte und Gegenrechte beschäftigt. Daher seien ihm hier ein paar Überlegungen zu den Folgen von Interessenkonflikten im Recht der Kapitalgesellschaften gewidmet. I. Überblick 1. Was schon immer geltendes Recht war,1 ist nun Gesetz: Für den Erfolg unternehmerischer Entscheidungen tragen nicht die Vorstände und Geschäftsführer2 das Risiko, sondern die Aktionäre und Gesellschafter3 – mag das nun die Fehlspekulation der einstigen Metallgesellschaft4 sein, der Fehlkauf von Rover durch BMW5 oder die Fehlinvestition von Daimler bei Fokker:6 die Vorstände und Geschäftsführer haften dafür nicht. Die neue Formulierung des Satzes 2 von § 93 Abs. 2 AktG lautet: 1 BGHZ 135, 244 (ARAG) und dazu: Großkomm-AktG/Hopt, 4. Aufl., § 93 Rn. 81 ff., m.w.N. in Fn. 230; MünchKomm-AktG/Hefermehl/Spindler, 2. Aufl., § 93 Rn. 24 ff.; Lutter, ZSR 2005, 415, 426 ff.; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 294; Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung und unternehmerisches Ermessen. Die Business Judgment Rule im deutschen und im amerikanischen Recht 2001, S. 233 ff., 261 ff.; Lohse, Unternehmerisches Ermessen. Zu den Aufgaben und Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat 2005, S. 11 ff. m.w.N. 2 Die Beschränkung der Kodifizierung der Business Judgment Rule auf die Aktiengesellschaft bedeutet nicht, dass die Geschäftsführer von GmbHs und Genossenschaften von dieser Regel ausgeschlossen sein sollten; insofern gilt die Regel für sie wie bisher als ungeschriebenes Recht weiter – oder eben in Analogie zum jetzigen Satz 2 des § 93 Abs. 1 AktG; vgl. zur GmbH Oltmanns, a.a.O. (Fn. 1), S. 352 ff.; Lutter, GmbHR 2000, 301 ff.; zustimmend bezüglich der GmbH auch Fleischer, ZIP 2004, 685, 692. Zur Haftung der Geschäftsführer von Genossenschaften siehe Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 14. Aufl. 2004, § 34 Rn. 7 ff. 3 Vgl. dazu Oltmanns, a.a.O. (Fn. 1), S. 212 ff. 4 Dazu AG 1994, S. R 44 f.; siehe auch Der Spiegel, 13/1997, S. 104 f. 5 Dazu AG 1994, S. 86 f.; AG 2000, S. R 183 und R 232; siehe auch Der Spiegel, 27/1997, S. 86 ff. 6 Dazu Der Spiegel, 4/1996, S. 76 ff. und 5/1996, S. 86 ff.; Berliner Zeitung vom 23. 1. 1996, S. 1.

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Interessenkonflikte und Business Judgment Rule „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“

2. Der Tatbestand dieser Norm nennt in Übereinstimmung mit der bisherigen Lehre und Rechtsprechung drei Voraussetzungen ausdrücklich: (1) Es muß sich um eine unternehmerische Entscheidung gehandelt haben, (2) sie muß zum Wohl der Gesellschaft getroffen worden sein, (3) und zwar auf der Grundlage angemessener Information. [246] Der Tatbestand nennt hingegen zwei Merkmale nicht, die ebenfalls von Rechtsprechung7 und Literatur8 als weitere Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule entwickelt worden sind, nämlich: Zum einen die Vermeidung unvertretbarer oder übergroßer Risiken,9 zum anderen die Freiheit des oder der Entscheidenden von Interessenkonflikten.10 Zu fragen ist also zunächst einmal, ob diese beiden Tatbestandsmerkmale nicht mit in die Norm haben aufgenommen werden sollen oder ob sie etwa im Tatbestandsmerkmal „Wohl der Gesellschaft“ enthalten sind. Das letztere ist der Fall. Zunächst einmal deuten die vielen Überlegungen bei Schaffung der Norm, von der Begründung des Regierungsentwurfs11 bis zu den Stellungnahmen der Literatur12 an keiner Stelle an, daß diese Tatbestandselemente etwa hatten aufgegeben werden sollen. Im Gegenteil. So heißt es in der Begründung zum Regierungsentwurf des UMAG: „Das Handeln muss dabei ferner unbeeinflusst von Interessenkonflikten, Fremdeinflüssen und ohne unmittelbaren Eigennutz sein.“13 Daher sind sie auch ganz selbstverständlich in die seitherigen Interpretationen der Norm aufgenommen worden.14 Und schließlich: ein Geschäftsleiter kann nicht annehmen, er handele zum Wohle seiner Gesellschaft, wenn er mit seiner Entscheidung unvertretbare Risiken für sie eingeht und dabei ggf. sogar die Existenz seiner Gesellschaft gefährBGHZ 135, 244, 253 (ARAG), Fn. 1. Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 298. 9 Der BGH formuliert dazu: „Diese (die Schadenersatzpflicht) kann erst in Betracht kommen, wenn … die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist …“, BGHZ 135, 244, 253 (ARAG), Fn. 1. Vgl. dazu weiter Kock/ Dingiel, NZG 2004, 441, 443; dezidiert a.A. Oltmanns, a.a.O. (Fn. 1), S. 243 ff. 10 GroßKomm-AktG/Hopt, § 93 Rn. 83; MünchKomm-AktG/Hefermehl/Spindler, § 93 Rn. 26; Fleischer, FS Wiedemann 2002, S. 827, 841 f. 11 Siehe die Begr RegE zum UMAG, BT-Drs. 15/5092 vom 14. 3. 2005, S. 11. 12 Vgl. etwa Paeffgen, AG 2004, 245 ff.; Ulmer, DB 2004, 859, 860; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257; Fleischer, ZIP 2004, 685, 690 f.; Ihrig, WM 2004, 2098, 2105. 13 Begr. RegE zum UMAG (Fn. 11), S. 11. 14 Hüffer, Kommentar zum AktG, 7. Aufl. 2006, § 93 Rn. 4e ff.; Fleischer, in: Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts 2006, § 7 Rn. 57 f. 7 8

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det.15 Das Tatbestandsmerkmal der „Vermeidung unvertretbarer Risiken“, vom Bundesgerichtshof in der ARAG-Entscheidung noch besonders betont,16 ist also tatsächlich als Element in der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung „Wohl der Gesellschaft“ enthalten.17 3. Im Übrigen kann und muß man das Tatbestandsmerkmal „Wohl der Gesellschaft“ als Handeln zum alleinigen Wohl der Gesellschaft interpretieren.18 [247] Das ist auch stets so verstanden worden.19 Denn der Unternehmensleiter soll ja nicht nur das Wohl der Gesellschaft auch berücksichtigen, sondern soll auf dieses ausschließlich ausgerichtet sein, wie etwa § 88 AktG mit seinem strikten Wettbewerbsverbot für Vorstandsmitglieder ebenso dokumentiert wie das Gebot, die ganze Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.20 Eine solche ausschließliche Ausrichtung auf das Wohl der Gesellschaft aber ist im Widerstreit der Interessen nicht möglich. Wenn ein Vorstand oder Geschäftsführer über eine Bestellung seiner Gesellschaft beim Unternehmen seiner Frau zu entscheiden hat, kann er das – er mag sich noch so sehr anstrengen – gar nicht im alleinigen Interesse seiner Gesellschaft tun – jedenfalls kann die Rechtsordnung davon nicht einfach und ungeprüft ausgehen, kann das nicht vermuten. Denn der Substanz nach handelt es sich bei der Business Judgment Rule auch um einen Vermutungstatbestand.21 Liegen ihre Voraussetzungen vor, so wird vermutet, daß der betreffende Vorstand oder Geschäftsführer zum alleinigen Wohl der Gesellschaft gehandelt hat. Das aber kann – als Inhalt einer gesetzlichen Vermutung – gewiß nicht angenommen werden, wenn der Betreffende objektiv im Interessenkonflikt gehandelt hat. Es ist also richtig, die „Freiheit von Interessenkonflikten“ als Inhalt 15 Vgl. BGHZ 69, 207, 213 ff.; OLG Jena NZG 2001, 86, 87; Kock/Dingiel, NZG 2004, 441, 443; MünchKomm-AktG/Hefermehl/Spindler, § 93 Rn. 23. Siehe auch Oltmanns, a.a.O. (Fn. 1), S. 247 f. 16 Siehe Fn. 9. 17 Begr. RegE zum UMAG (oben Fn. 11), S. 11. 18 So auch die Rechtsprechung des BGH: die Entscheidung habe sich ausschließlich am Unternehmenswohl zu orientieren, BGHZ 135, 244, 253 (ARAG), Fn. 1. Anders aber die Rechtsprechung einzelner Oberlandesgerichte zu § 43 II GmbHG, wo der Geschäftsführer „vorrangig“ die Interessen der Gesellschaft zu vertreten habe, OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 483, 484. Das mag dort wegen der stark auf die Gesellschafter bezogenen Struktur in Grenzen richtig sein, kann aber für die Aktiengesellschaft nicht gelten. 19 Etwa Kock/Dingiel, NZG 2004, 441, 443 ff.; sie vertreten die Meinung, dass nach dem Wortlaut des § 93 I 2 AktG ein Vorstand sich auch auf das Haftungsprivileg berufen könne, wenn er neben dem Interesse der Gesellschaft auch im eigenen Interesse handelt. Aus diesem Grund befürworteten sie im Gesetzgebungsprozeß, dass im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH in § 93 I 2 AktG das Wort „ausschließlich“ aufgenommen wird. 20 Fleischer, a.a.O. (Fn. 14), § 9 Rn. 16; KölnerKomm-AktG/Mertens, 2. Aufl., § 93 Rn. 58; GroßKomm-AktG/Hopt, § 93 Rn. 156; NomosKomm.-AktG/Landwehrmann, 2. Aufl., § 93 Rn. 21; für die GmbH Scholz/Schneider, GmbHG, 9. Aufl., § 43 Rn. 155; Baumbach/Hueck/ Zöllner/Noack, GmbHG, 18. Aufl., § 35 Rn. 49. 21 Zutr. Hüffer (Fn. 14), § 93 Rn. 4c.

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der heutigen Norm zu verstehen; und es ist daher ebenso richtig, wenn die Business Judgment Rule auf Entscheidungen, die im objektiven Interessenkonflikt22 zustande gekommen sind, nicht angewandt werden kann. Das bedeutet nicht, daß die so getroffene Entscheidung per se fehlsam wäre. Auch der Vertrag mit dem Unternehmen der Ehefrau kann at arm’s length getroffen sein und dem Drittvergleich mit anderen Verträgen gleicher oder ähnlicher Art standhalten. Es bedeutet aber, daß die Frage, ob das gegeben ist, ob also die Entscheidung sorgfältig, inhaltlich vertretbar und im wohl verstandenen Interesse der Gesellschaft getroffen wurde, vom Gericht im Haftungsprozeß voll nachzuprüfen ist.23 [248] II. Interessenkonflikte im Vorstand Der Grundsatz ist also klar und weitgehend unstreitig:24 im Interessenwiderstreit getroffene Entscheidungen nehmen am Privileg der Business Judgment Rule nicht teil. 1. Die Einzelheiten solcher Interessenkonflikte, ihrer Voraussetzungen und Folgen aber sind noch kaum erörtert. a) Trifft ein Vorstandsmitglied oder ein Geschäftsführer im Interessenkonflikt die fragliche Entscheidung für seine Gesellschaft allein, so ist die rechtliche Situation klar: die Business Judgment Rule ist auf den Handelnden und seine Entscheidung nicht anwendbar. Haben aber zwei Vorstandsmitglieder/Geschäftsführer oder der ganze Vorstand/Geschäftsführung gehandelt und ist nur ein Mitglied vom Interessenkonflikt betroffen, so mag man darüber nachdenken, ob das Problem des Interessenkonflikts für die anderen, die Nicht-Betroffenen, damit entfällt, insbesondere dann, wenn einstimmig oder nahezu einstimmig entschieden wurde, und mithin eine Mehrheit „unbelasteter“, vom Interessenkonflikt nicht betroffener Organmitglieder die Entscheidung getragen hat.25 Die Betrachtung wäre verfehlt. Denn die Entscheidung kommt ja erst nach Beratung und Diskussion zustande, ob nun förmlich in der Sitzung oder im Vorbereich der Entscheidung bei ihrer Vorbereitung und Vorberatung. Und in dieser Situation kann dann niemand mehr feststellen, welchen Einfluß die Argumente des vom Interessenkonflikt Betroffenen hatten, zumal wenn die anderen Vor22 Dazu Lutter, Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten, FS Priester, 2007. 23 Das Gericht wird hier nicht nur prüfen, ob die Entscheidung sorgfältig vorbereitet worden ist, sondern auch, ob sie in ihrem Ergebnis mindestens plausibel erscheint. 24 Fleischer, a.a.O., (Fn. 14), § 7 Rn. 57; ders., ZIP 2004, 685, 691; Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2068; Ihrig, WM 2004, 2098, 2105. 25 Zum amerikanischen Recht vgl. Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 17.

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standsmitglieder/Geschäftsführer über die Interessenkollision ihres Kollegen gar nicht informiert sind, dessen Argumente dann also nicht einmal besonders kritisch werten können. Das vom Interessenkonflikt betroffene und an der schadenstiftenden Entscheidung mitwirkende Mitglied „infiziert“ also den ganzen Vorstand und die ganze Geschäftsführung: bezüglich der fraglichen Entscheidung, die zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat, kann sich kein an der Entscheidung beteiligtes Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung auf das Privileg der Business Judgment Rule berufen.26 Die Betrachtung wirkt hart, verlieren doch die anderen Organmitglieder ohne eigenes Zutun den Schutz der Business Judgment Rule. Man könnte also erwägen, diese Folge nur dann eingreifen zu lassen, wenn diese anderen Organmitglieder den Konflikt zwar nicht kannten, aber hätten kennen können, also fahrlässig nicht erkannten. Dieser im Gesetz vielfach angelegte Rechtsgedanke27 dient der Sorgfalt im Rechtsverkehr und individuell gerechten Lösungen. Genau dieser [249] Rechtsgedanke ist auch hier angelegt; denn das Gesetz spricht davon, daß der Geschäftsleiter „annehmen durfte“, ausschließlich zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Weiß er aber nichts von der Befangenheit seines Kollegen, so ist er in seiner Unbefangenheit nicht betroffen. Allerdings: der Einfluß des Betroffenen auf seine, des Ahnungslosen Entscheidung bleibt. Und damit bleibt die Frage, ob dem Interesse der Gesellschaft an insgesamt unbeeinflußten Entscheidungen oder dem individuellen Interesse des seinerseits unbefangenen Organmitglieds auf eine per se-Freistellung vom Vorwurf der Pflichtwidrigkeit der Vorrang zu geben ist. Die Abwägung fällt schwer. Da es aber im Kontext von Haftungsfragen insgesamt um die Interessen der Gesellschaft geht und die Business Judgment Rule darin einen Ausnahmetatbestand bildet, sollte man der strengen Auffassung folgen:28 hat der Betroffene an der Entscheidung mitgewirkt, entfällt die Business Judgment Rule auch für alle an ihr Mitwirkenden. Dieses Ergebnis ist auch im Hinblick auf die betroffenen, aber unbefangenen Organmitglieder vertretbar. Denn wenn auch das Privileg der Business Judgment Rule entfällt, so ist damit doch die Frage der Haftung in concreto noch lange nicht beantwortet. Es geht jetzt um die konkrete Pflichtwidrigkeit (Sorgfalts26 Nach Oltmanns (a.a.O. Fn. 1, S. 306, 311) entspricht diese Lösung dem USamerikanischen Recht. Lag allein bei einem der handelnden Boardmitglieder ein Interessenkonflikt vor, so entfällt der Schutz der Business Judgment Rule für den gesamten Board und die Entscheidung unterliegt einer inhaltlichen gerichtlichen Überprüfung. 27 Vgl. nur §§ 122 Abs. 2, 142 Abs. 2, 173, 179 Abs. 3 BGB. 28 Der Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Organentscheidungen, die im Interessenkonflikt getroffen wurden, wird hier nicht weiter nachgegangen. Hier geht es um die Frage, daß die fragliche Entscheidung durchgeführt worden ist, zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat und die damals entscheidenden Organmitglieder sich jetzt auf die Business Judgment Rule berufen wollen.

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pflichtverletzung) und deren Verschulden. Das Entfallen des Privilegs bedeutet also nicht, daß die unbefangenen Vorstandsmitglieder schon verurteilt wären; aber es bedeutet, daß das Privileg der Business Judgment Rule „keine Pflichtwidrigkeit“ gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG entfällt und die Sorgfalt beim Abwägen des Pro und Contra der fraglichen Entscheidung vom Gericht zu überprüfen ist.29 b) Fraglich ist dann aber, ob anders zu entscheiden ist, wenn der vom Interessenkonflikt Betroffene diesen Konflikt den anderen Organmitgliedern offen legt,30 weiterhin aber an der Beratung und ggf. sogar der Entscheidung mitwirkt.31 Entscheidet hier die (unbefangene) Organmehrheit in Kenntnis des Konfliktes positiv, so wird die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule auf sie unter Hinweis auf die Praxis in den USA durchaus bejaht.32 Diese Auffassung überzeugt nicht. Denn so einfach kann sich niemand dem Einfluß eines Kollegen entziehen. Die Rechtsordnung kann daher in einer sol- [250] chen Konstellation gerade nicht unwiderleglich vermuten,33 die übrigen Organmitglieder hätten ganz und gar unbeeinflußt gehandelt. c) Seit eh und je gilt daher die Regel, daß ein von einem Interessenkonflikt betroffenes Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer an der fraglichen Entscheidung nicht mitwirken darf.34 Wird das in dem Sinne verstanden, daß der Betroffene weder an der Entscheidung noch in irgendeiner Art und Weise an deren Vorbereitung mitwirkt und ist das gesichert, so kann man nicht von einer „Infektion“ der anderen sprechen. Das „gesichert“ setzt aber voraus, daß die anderen Organmitglieder über den Interessenkonflikt rechtzeitig informiert worden sind, also ihrerseits Vorsorge vor Gesprächen etc. mit dem Betroffenen über den fraglichen Gegenstand treffen können, der Betroffene sorgfältig von allen Informationen über den fraglichen Gegenstand und

29 Vgl. Wiedemann, a.a.O. (Fn. 25), S. 19. Er spricht sich aus für eine dem amerikanischen Recht vergleichbare Lösung, nach der eine richterliche Kontrolle der Eigengeschäfte des Geschäftsführers auf ihre Angemessenheit bei Genehmigung lediglich durch die Aufsichtsratsmehrheit zulässig ist, es sei denn, dass die Handlung des Geschäftsführers auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. 30 Wie es der Kodex in seiner Ziff. 4.3.4. von jedem Vorstandsmitglied verlangt. 31 Wie das im Falle des OLG Frankfurt (ZIP 2005, 2322 ff.) offenbar geschehen ist; vgl. dazu nochmals Lutter, FS Priester, 2007 (Fn. 22). 32 Vgl. Paeffgen, AG 2004, 245, 252 f. 33 Zutr. sieht auch Hüffer, a.a.O. (Fn. 14), § 93 Rn. 4 c in dessen Abs. 2 Satz 2 eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung unbeeinflußten Handelns des betreffenden Organmitglieds allein im Interesse und zum Wohl der Gesellschaft. 34 Das OLG Frankfurt (Fn. 31) hält ein vom Genehmigungserfordernis nach § 114 Abs. 1 AktG (Beratervertrag) betroffenes Aufsichtsratsmitglied für nicht stimmberechtigt, einen nur aus drei Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat mithin für nicht beschlußfähig.

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er sich natürlich nicht nur von der Entscheidung selbst,35 sondern auch von jeder Beratung ferngehalten hat.36 d) Läßt sich dieses Vorgehen dartun und nachweisen, so kommt den anderen Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, die die fragliche Entscheidung getroffen haben, das Privileg der Business Judgment Rule zugute. Da sie im Prozeß um ihre etwaige Haftung wegen Schäden der Gesellschaft aus dieser Entscheidung die Voraussetzungen der Business Judgment Rule dartun und ggf. nachweisen müssen,37 also (1) die unternehmerische Entscheidung (2) das Handeln zum Wohl der Gesellschaft (3) die sorgfältige Vorbereitung aufgrund angemessener Information (4) die Freiheit von Interessenkonflikten und (5) keine übergroßen Risiken müssen sie in der Position (4) beim Tatbestandsmerkmal „frei von Interessenkonflikten“ ihrerseits dartun und ggf. beweisen, daß der Betroffene in keiner Weise am Entscheidungsprozeß und an der Entscheidung selbst beteiligt war. Gelingt das nicht, so ist die getroffene Entscheidung nicht per se pflichtwidrig; [251] aber die auf Schadenersatz in Anspruch Genommenen müssen jetzt dartun und beweisen, daß die getroffene Entscheidung – dennoch – in Ordnung war. Das wird dann, wenn der Betroffene an der Entscheidung mitgewirkt hat und der Gesellschaft aus der fraglichen Entscheidung tatsächlich ein Schaden entstanden ist, nur noch sehr schwer gelingen. 2. Aus ganz und gar eigenen Interessen müssen die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer im mehrgliedrigen Leitungsorgan mithin darauf achten, daß bei jedem von ihnen Interessenkonflikte möglichst vermieden, auf jeden Fall aber den Kollegen gegenüber unverzüglich offengelegt werden,38 und sich dann in -

OLG Frankfurt, a.a.O. (Fn. 31). A.A. Oltmanns, a.a.O. (Fn. 1) S. 312, der zwar für ein allgemeines Stimmverbot bezüglich der konfliktbefangenen Organmitglieder plädiert, doch sollte einem befangenen Vorstandsmitglied die Teilnahme und Mitwirkung an der Beratung des Vorstandes gestattet sein, a.a.O. (Fn. 1) S. 323. Sogar gegen den Stimmrechtsausschluss Paeffgen, AG 2004, 245, 253. 37 Die Vorstände haben ihrerseits darzutun und zu beweisen, daß die schadenstiftende Handlung keine Pflichtverletzung war; vgl. Goette, ZGR 1995, 648 ff. Da § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG bei Vorliegen der Tatbestände der Business Judgment Rule die Pflichtwidrigkeit ausdrücklich ausschließt, müssen die Vorstände jetzt die Erfüllung der Voraussetzungen dieser Regeln dartun und beweisen. Siehe Begr RegE zum UMAG, (Fn. 11), S. 12. Zur Beweislastregelung bei der Business Judgment Rule vgl. Fleischer, a.a.O. (Fn. 14), § 7 Rn. 61; Kock/Dingel, NZG 2004, 441, 448; kritisch Paeffgen, AG 2004, 245, 258 f. 38 So die wichtige und richtige Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 2. 6. 2005 in Ziff. 4.3.4. 35 36

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Interessenkonflikte und Business Judgment Rule

allen davon berührten Entscheidungen der Betroffene sorgfältig und nachweisbar39 von diesen und ihrer Vorbereitung fern hält. Da andererseits die unbeeinflußten Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer nicht sicher sein können, daß der vom Konflikt Betroffene seiner Informationspflicht ihnen gegenüber auch nachkommt, tun sie gewiß gut daran, sich etwa bei Verträgen mit Gesellschaften über die dahinter stehenden Personen zu informieren. III. Interessenkonflikte im Aufsichtsrat 1. Am Privileg der Business Judgment Rule nehmen aber nicht nur Vorstand und Geschäftsführer teil, sondern auch Aufsichtsräte;40 denn auch sie treffen unternehmerische Entscheidungen. Man denke nur an Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder Abschluß und Kündigung der Anstellungsverträge mit Vorstandsmitgliedern Zustimmung zu Maßnahmen der Geschäftsführung bzw. deren Versagung41 Beschlußvorschläge an die Hauptversammlung Einführung eines neuen Vergütungssystems Entscheidung über die Geschäftsverteilung im Vorstand Feststellung des Jahresabschlusses. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie für unternehmerische Entscheidungen von Vorständen und Geschäftsführern. Aber es bestehen gewichtige Unterschiede im Sachverhalt. Denn zum einen gibt es nicht den Allein-Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat besteht zwingend und immer, mag in concreto er selbst oder sein Ausschuß entschieden haben, aus einer Mehrzahl von Personen.42 [252] Zum anderen aber und vor allem sind die Mitglieder des Aufsichtsrats und ganz anders als der im Zweifel ausschließlich für seine Gesellschaft tätige Vorstand/ Geschäftsführer in die vielfältigsten anderen Tätigkeiten involviert: das Aufsichts-

39 Die schon für das Tatbestandsmerkmal (3): Sorgfältige Vorbereitung der Entscheidung auf der Basis angemessener Information naheliegende Dokumentation in den Akten der Gesellschaft empfiehlt sich hier erst recht. 40 Das folgt schon aus dem Verweis des § 116 AktG auf § 93 AktG, war aber auch zuvor nicht umstritten, vgl. erneut die ARAG-Entscheidung des BGH, BGHZ 135, 244 (Fn. 1). 41 Solche Entscheidungen auf der Grundlage von § 111 Abs. 4 AktG werden gerne als Maßnahmen der „begleitenden Kontrolle“ des Aufsichtsrats verstanden. Das trifft zu, steht aber der Wertung als zugleich (mit-)unternehmerische Entscheidungen nicht entgegen. 42 § 95 Abs. 1 Satz 1 AktG; für beschließende Ausschüsse ist das im Gesetz nicht geregelt, aber unstreitig in Rechtsprechung und Lehre; vgl. BGHZ 65, 190, 192 und BGH AG 1991, 398, 399 sowie OLG Frankfurt, ZIP 2005, 2322; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rn. 632; Hüffer, a.a.O. (Fn. 14), § 107 Rn. 17; GroßKomm-AktG/Hopt/Roth, 4. Aufl., § 107 Rn. 268.

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ratsamt ist ein Nebenamt,43 das einzelne Aufsichtsratsmitglied wird mithin meist in ein Hauptamt und oft genug noch in weitere Nebenämter eingebunden sein. Die Möglichkeiten von Interessenkollisionen steigen hier exponentiell. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um Vertreter von Lieferanten oder Abnehmern, Bankiers oder gar Wettbewerbern handelt. Wird nun ein Gegenstand im Aufsichtsrat oder einem seiner Ausschüsse beraten und entschieden, bezüglich dessen ein Interessengegensatz zwischen der Gesellschaft und einem ihrer Aufsichtsratsmitglieder besteht, so verlieren, wie beim mehrgliedrigen Vorstand, alle Mitglieder des Aufsichtsrats oder des betreffenden Ausschusses das Privileg der Business Judgment Rule, mögen sie nun informiert gewesen sein oder nicht, soweit der Betroffene mitgewirkt hat. Denn es kann nicht mehr von Gesetzes wegen und unwiderruflich angenommen werden, daß alle anderen unvoreingenommen nur zum Wohl und im Interesse der Gesellschaft entschieden und die Interessen des betreffenden Kollegen ganz und gar beiseite gelassen haben. Es gilt mithin das gleiche wie im mehrgliedrigen Vorstand, nur daß der Aufsichtsrat im Zweifel sehr viel mehr Mitglieder hat und deren Interessen außerhalb der Gesellschaft vielfältig sind: das Potential an Interessengegensätzen ist sehr hoch. Multipliziert man das mit der Zahl der Aufsichtsräte, so wird das Problem deutlich. Es ist bislang nur deswegen nicht virulent geworden, weil Haftungsklagen gegen den Aufsichtsrat und seine Mitglieder – von ARAG abgesehen44 – praktisch nicht vorgekommen sind. Das mag sich in der Zeit nach dem UMAG45 und der jetzt wesentlich erleichterten Aktionärs-Minderheitenklage gegen Vorstände und Aufsichtsräte nach §§ 147, 148 AktG (neu) ändern.46 Deshalb ist das Privileg der Business Judgment Rule heute für die Aufsichtsräte so ganz besonders wichtig. 2. Was bedeutet das nun für die Arbeit des Aufsichtsrats und wie müssen er und seine Mitglieder sich verhalten, um sich das Privileg der Business Judgment Rule zu sichern? a) Zunächst und vor allem müssen auch hier die anderen Mitglieder des Aufsichtsrats über allfällige Interessenkonflikte informiert sein. Insofern ist die [253]

43 Vgl. Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 42), Rn. 766; Marsch-Barner, In: Semler (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl. 2004, Rn. J 82 ff. 44 Oben Fn. 1. 45 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22. 9. 2005, BGBl. I 2005, 2802. 46 Die Vorschriften wurden durch das UMAG geändert; vgl. die eingehende Begr. RegE zum UMAG (Fn. 11), S. 19 ff. Zur Neuregelung der Aktionärsminderheitsklage vgl. etwa Spindler, NZG 2005, 865 ff.; K. Schmidt, NZG 2005, 796, 798 ff.; Fleischer, NJW 2005, 3525, 3526 ff.; Hüffer, a.a.O. (Fn. 14), §§ 147, 148 Rn. 1 ff.; Langenbucher, DStR 2005, 2083, 2089 ff.; Peltzer, In: Semler/Peltzer (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 2005, § 9 Rn. 259 ff.; Seibert/ Schütz, ZIP 2004, 252, 253 f.

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Interessenkonflikte und Business Judgment Rule

Empfehlung des Kodex47 in Ziff. 5.5.2 von großer allgemeiner, aber eben auch rechtlicher Bedeutung: „Jedes Aufsichtsratsmitglied soll Interessenkonflikte, insbesondere solche, die aufgrund einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Geschäftspartnern entstehen können, dem Aufsichtsrat gegenüber offen legen.“

b) Im Übrigen wird man praktisch zwischen potentiell häufigen und Einzelfällen von Interessenkonflikten unterscheiden müssen. Letztere vor allem sind von Ziff. 5.5.2 des Kodex angesprochen. Anders verhält es sich bei häufigen Konflikten. (1) Ist der Vertreter eines Zulieferer- oder Abnehmer-Unternehmens, wie in der Praxis ziemlich häufig, im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten, so wissen das die anderen Aufsichtsratsmitglieder; eine gesonderte Information über mögliche Konflikte mag nützlich sein, ist aber nicht geboten. Hier liegt bei allen Entscheidungen mit Bezug auf das betreffende Unternehmen per se ein Interessenkonflikt vor. Das kann in jedem Einzelfall dem Gesamtgremium mitgeteilt werden, versteht sich aber im Grunde von selbst. Hier schützt nur die sorgfältigste Abstinenz des Betroffenen bei allen einschlägigen Beratungen und Entscheidungen die anderen Aufsichtsratsmitglieder vor dem Verlust der Business Judgment Rule. (2) Gleiches gilt für Bankenvertreter.48 Ob es hier genügt, wenn der Betroffene versichert, er beteilige sich in seinem eigenen Haus nicht an Entscheidungen, die diese Gesellschaft betreffen,49 mag eher zweifelhaft sein; denn schon das allgemeine Gespräch über Bonität und Ertragskraft dieser Gesellschaft im Kreise der Kollegen des betreffenden Bankiers kann Einfluß auf die konkrete Kreditoder Emissionsentscheidung und deren Konditionen haben. Und solche Gespräche lassen sich kaum vermeiden. (3) Besonders problematisch ist die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat seitens des Vertreters eines Wettbewerbsunternehmens.50 Handelt es sich dabei um einen Wettbewerb „am Rande“ des gesamten unternehmerischen Geschehens der Gesellschaft, der nur sehr kleine Teile der Tätigkeit der Gesellschaft betrifft, so mag die Mitteilung im Einzelfall nach Kodex 5.5.2 genügen. Geht es aber um mehr, so greift an sich der zweite Satz von 5.5.3 des Kodex ein:

Deutscher Corporate Governance Kodex in seiner Fassung vom 12. 6. 2006. Zu der Problematik der Bankenvertreter im Aufsichtsrat siehe Raiser, NJW 1996, 2257 ff.; Lutter ZHR 145 (1981), 224 ff.; Werner, ZHR 145 (1981), 252 ff. 49 Dazu Lutter, a.a.O., S. 241; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 246; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 114, 127 ff. 50 Vgl. dazu Lutter, in: Börsen-Zeitung vom 30. 12. 2005 sowie Lutter/Kirschbaum, ZIP 2005, 103 ff. Zu den Meinungskontroversen im Schrifttum siehe Marsch-Barner, a.a.O. (Fn. 43), Rn. J 140 m.w.N. 47 48

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„Wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds sollen zur Beendigung des Mandats führen.“

Ob aber eine solche Situation im Einzelfall zu „wesentlichen Interessenkonflikten“ führt, wird von den Betroffenen häufig sehr unterschiedlich gesehen. [254] So soll sich der Wettbewerb zwischen VW und Porsche nach Aussage der Porsche-Vertreter auf 2% des VW-Umsatzes beschränken. Das wäre dann kein wesentlicher Wettbewerb. Im Übrigen gilt das oben (1) Gesagte auch hier: Die anderen Mitglieder wissen um die ständige Gefahr des Konfliktes. (4) Bei Überlegungen dieser Art werden die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat der betreffenden Gesellschaft gewöhnlich ausgeblendet, da die „klassischen“ Konflikte tatsächlich an ihnen vorbeigehen. Aber so einfach ist die Sachlage auch wieder nicht. Denn die Arbeitnehmer-Vertreter sind ja von den Mitarbeitern des Unternehmens gewählt, um ihre Interessen im Aufsichtsrat zu vertreten. Natürlich sind sie dabei vorrangig auf die Interessen des Unternehmens verpflichtet,51 aber das sind der Bankier und der Wettbewerber auch. Und doch sagt man von letzteren, man kann nicht sicher sein, daß sie ausschließlich im Interesse und zum Wohle dieser Gesellschaft handeln. Auf dieser Vermutung aber gründet das Privileg der Business Judgment Rule.52 Geht es mithin um die Schließung von Betriebsstätten, um die Verlagerung von Produktionen ins Ausland, um den Abbau von Personal, so ist der Interessenkonflikt evident. Und er „infiziert“ den gesamten Aufsichtsrat: lehnt dieser die unternehmerisch gebotene Schließung der Produktionsstätte ab und entsteht der Gesellschaft daraus ein Schaden, so kann sich der gesamte Aufsichtsrat und können sich alle seine Mitglieder nicht auf die Business judgment Rule berufen, sondern müssen das Gericht – trotz des eingetretenen Schadens – von der Richtigkeit ihrer Negativ-Entscheidung überzeugen. (5) Geradezu auf der Hand liegen zusätzliche Konflikte bei Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat. Sie sind zwar, wie an anderer Stelle erörtert,53 nicht gehindert, sich an einem Arbeitskampf zu beteiligen, von dem auch die Gesellschaft betroffen wird. Geht es aber um die Entscheidung über eine Strategie der Gesellschaft, die Risiken eines solchen Arbeitskampfes für die Gesellschaft für die Zukunft zu begrenzen, so kann nur der genaueste Ausschluß dieser Personen von Beratung und Entscheidung dafür sorgen, daß nicht alle Aufsichtsratsmitglieder die Chance der Business Judgment Rule verlieren. c) Kehrt man auf diesem Hintergrund zur Ausgangsfrage zurück, nämlich wie sich die Aufsichtsratsmitglieder in solchen Situationen verhalten müssen, damit

51 Vgl. Lutter/Krieger, a.a.O. (Fn. 42), Rn. 777; Marsch-Barner, a.a.O. (Fn. 43), Rn. J 125 ff., je mit allen Nachw. 52 Siehe die Begr. RegE zum UMAG (Fn. 11), S. 11 sowie oben bei Fn. 18. 53 Lutter/Quack, FS Raiser 2005, S. 259 ff.

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Interessenkonflikte und Business Judgment Rule

nicht für alle Aufsichtsratsmitglieder das Privileg der Business Judgment Rule entfällt, so zeigen sich große Schwierigkeiten. (1) Beim Einzelkonflikt hat sich gezeigt, daß schon die Mitwirkung des Konfliktbetroffenen an den Beratungen alle Mitglieder des Gremiums „infiziert“, sie nicht mehr frei sein läßt, ausschließlich im Interesse des Unternehmens zu handeln. Wird das nicht vermieden, so entfällt eine Berufung auf die Business Judgment Rule. Im übrigen kann auf die Ausführungen zu II zum mehrgliedrigen Vorstand verwiesen werden: Nur der Ausschluß des Betroffenen von Bera- [255] tung und Entscheidung sowie deren Dokumentation sichert den an sich nicht Betroffenen das Privileg der Business Judgment Rule. (2) Überträgt man diesen Gedanken auf die potentiell häufig betroffenen Aufsichtsräte, so fällt die Antwort schwer. Am ehesten lassen sich die Interessen noch auf der Ebene der Zulieferer und Abnehmer trennen. Fragen dieser vertraglichen Verbindungen werden den Aufsichtsrat eher selten erreichen, so daß sie separiert und im Einzelfall unter Ausschluß der betroffenen Aufsichtsratsmitglieder behandelt werden können. (3) Finanzierungsfragen und -entscheidungen hingegen erreichen den Aufsichtsrat häufiger. Unterhält die Gesellschaft überhaupt unternehmerische Beziehungen zur Bank des Aufsichtsratsmitglieds, also mehr als ein Konto mit Überziehungskreditlinie, gehört die Bank zum Emissionskonsortium der Gesellschaft, zum Übernahme-Financier oder zum Financier von Tochtergesellschaften, sind häufige bis gar laufende Interessenkonflikte unvermeidlich. Ob es da noch gelingen kann, die fraglichen Entscheidungen immer wieder von diesem Mitglied fernzuhalten, ist sehr zweifelhaft. Hier muß auch der bürokratische Aufwand bedacht werden, der beim Vorstand – wegen seiner Vorlagen an den Aufsichtsrat54 – und beim Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Vorbereitung aller Finanzentscheidungen entsteht, um jeweils und möglichst zuverlässig die Spreu vom Weizen zu trennen. (4) Beim Wettbewerber erscheint diese Trennung kaum mehr möglich zu sein, geht es hier doch um Fragen aus dem Zentrum des unternehmerischen Geschehens. Natürlich sind auch hier keineswegs alle Entscheidungen des Aufsichtsrats konfliktbeladen. Aber es kann kaum mehr gelingen, die einzelnen Fälle solcher Interessenkonflikte zuverlässig von den übrigen zu trennen. Die anderen Mitglieder des Aufsichtsrats können also nicht mehr sicher sein, im allfälligen Haftungsprozeß sich auf die Business Judgment Rule berufen zu können. Sie müssen fürchten, allein durch die Tatsache, daß sie den Wettbewerber in ihrem Kreise haben, „infiziert“ zu sein.

54 § 90 AktG und dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006.

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(5) Und erst recht gilt das bei allen Fragen, die mit Arbeit und Arbeitsplätzen zu tun haben. Da man bei diesen Fragen nicht alle Arbeitnehmer-Vertreter vor die Türe stellen kann, entfällt in diesem Bereich für alle Aufsichtsratsmitglieder die Möglichkeit, sich bei Schäden aus solchen Entscheidungen auf die Business Judgment Rule berufen zu können. [256] IV. Summa Vor Jahren hatte ich die These vertreten, der Wettbewerber oder sein Vertreter sei inhabil zur Übernahme eines Aufsichtsratsmandats in der vom Wettbewerb betroffenen Gesellschaft.55 Die überwiegende Meinung in der Literatur ist dieser These nicht gefolgt,56 obwohl sie am drastischen Fall des Gewerkschafts-Vorsitzenden Steinkühler entwickelt worden ist, der zu seiner Zeit Aufsichtsratsmitglied bei VW und Daimler war. Nun zeigt sich, daß schon viel weniger gravierende Interessenkonflikte zu Rechtsnachteilen nicht nur beim Betroffenen, sondern auch bei den an sich nicht betroffenen Aufsichtsratsmitgliedern führen können. Das sollten Aufsichtsräte bei ihren Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG künftig sorgfältig bedenken.

55 Lutter, FS Beusch 1993, S. 509, 515 ff.; ders., ZHR 145 (1981), 224, 236 ff.; ders., ZHR 159 (1995), 287, 303; Lutter/Kirschbaum, ZIP 2005, 103, 104 f.; ebenso Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde als Bestellungshindernisse zum Aufsichtsrat der AG, 1996, S. 61 ff. (Ergebnis S. 99 f.); Raiser, NJW 1996, 2257, 2260; Scheffler, DB 1994, 793, 795 und Reichert/Schlitt, AG 1995, 241, 247. Teilweise zustimmend Säcker, FS Rebmann 1989, S. 781, 788 f. Weitere Nachweise bei Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 100 Rn. 74, Fn. 286. 56 Hopt/Roth, a.a.O., § 100 Rn. 73 ff.; Steinbeck, Überwachungspflicht und Einwirkungsmöglichkeit des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft, 1992, S. 68 ff.; Decher, ZIP 1990, 277; Dreher, JZ 1990, 896, 898 ff., 904; Marsch-Barner, a.a.O. (Fn. 43), Rn. J 145; Mertens, a.a.O. (Fn. 20), § 100 Rz. 11; MünchKomm-AktG/Semler, § 100 Rz. 169 ff.; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 5 f.; Hüffer, a.a.O. (Fn. 14), § 103 Rn. 13b; Ulmer; NJW 1980, 1603 f.; Uwe H. Schneider, BB 1995, 365, 366 f.; Mülbert, in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider, Corporate Governance 1996, S. 99, 120 f.; Kübler; FS Claussen 1997, S. 239, 241 ff.

Kodex guter Unternehmensführung und Vertrauenshaftung IN: SCHWEIZER/BURKERT/GASSER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR JEAN NICOLAS

DRUEY, ZÜRICH/BASEL/GENF 2002, S. 463-478 Inhaltsübersicht* I. II. III. IV. V.

Einleitung ......................................................................................................... 463 Problemstellung ............................................................................................... 464 Aussagen des Kodex und Inhalt der Entsprechens-Erklärung ................. 465 Zur rechtlichen Bedeutung der Empfehlungen im Kodex........................ 468 Vertrauens-Haftung ........................................................................................ 469 1. Überblick.................................................................................................... 469 2. Culpa in contrahendo ............................................................................... 470 3. Haftung nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung .............................................................................. 473 VI. Summa .............................................................................................................. 478 Vielfach hat Jean Nicolas Druey die schwierigen Fragen der Haftung für erwecktes Vertrauen erörtert1. Und vielfach haben wir darüber diskutiert. Dieses Gespräch mit Jean Nicolas möchte ich hier und zu seinen Ehren mit einer neuen Variante dieser unendlichen Geschichte fortsetzen. I. Einleitung In der Schweiz und in Deutschland sind nahezu gleichzeitig, aber ohne jede Verbindung untereinander, aufgrund einer privaten (Schweiz) bzw. öffentlichen (Deutschland) Initiative Kodices guter Unternehmensführung entstanden2. Ihr * Anm. d. Hrsg.: Die Übersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original. 1 JEAN NICOLAS DRUEY, Konzernvertrauen, in FS Lutter, 2000, S. 1069 ff. und: Misstrauen in die Vertrauenshaftung? – nochmals zum Konzernvertrauen, SZW 2001, 190 ff. 2 Expertengruppe Corporate Governance, Swiss Code of Best Practice vom 28. Februar 2002; Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Fassung

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Kodex guter Unternehmensführung und Vertrauenshaftung

ausgesprochenes Ziel ist es, vor allem bei den ausländischen Anlegern in Aktien börsennotierter Schweizer und deutscher Gesellschaften Vertrauen zu schaffen und zu fördern in [464] Bezug auf deren getreue, verantwortliche und wertorientierte Leitung und Führung3. Zu diesem Zwecke sollen Vorstände und Aufsichtsräte deutscher börsennotierter Gesellschaften künftig einmal jährlich öffentlich erklären, ob sie den Kodex eingehalten haben und einhalten werden oder nicht bzw. ob und wo sie von ihm abweichen4. In der Schweiz wird die Börse (Swiss Exchange) durch Richtlinien festlegen, dass bei ihr gelistete Schweizer Gesellschaften umfangreiche Angaben über sich, ihre Konzernstruktur, ihre Aktienstruktur, ihre Organe und deren Vergütung etc. in einem eigenen Kapitel ihres jährlichen Geschäftsberichts veröffentlichen müssen – auch hier mit der Maßgabe, dass der Emittent auf die Offenlegung einzelner Angaben verzichten kann, wenn er dafür eine Begründung gibt. Auch in der Schweiz soll also das System „Comply or explain“ gelten5. II. Problemstellung So weit, so gut. Aber Juristen können sich mit diesem „gut“ leider nicht begnügen. Sie müssen auf den Fall vorbereitet sein, dass Vorstand und Aufsichtsrat einer deutschen börsennotierten Gesellschaft die Einhaltung des Kodex öffentlich erklären, es aber tatsächlich nicht tun6. Aber auch die Schweizer Kollegen vom 26. Februar 2002, abrufbar unter: www.corporate-governance-code.de, veröffentlicht in NZG 2002, 273 ff. 3 So der deutsche Corporate Governance-Kodex im 1. Abschnitt seiner Präambel ausdrücklich: „… Er will das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften fördern.“ Vgl. Regierungskommission Deutscher Corporate Governance-Kodex im Internet (oben Fn. 2). 4 So schon der Vorschlag der Regierungskommission Corporate Governance, vgl. BAUMS (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 9 ff.; ihm folgt jetzt der deutsche Regierungs-Entwurf eines „Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität“ vom Februar 2002, BundesratsDrucksache 109/02 vom 8.2.2002, S. 5, wonach ein neuer § 161 AktG lauten soll: „Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den im Bundesanzeiger elektronisch bekannt gemachten Verhaltensregeln der Kodex-Kommission zur Unternehmensleitung und -überwachung entsprochen wurde und wird oder welche Verhaltensregeln nicht angewandt werden …“ 5 Swiss Exchange, Richtlinie betreffend Information zur Corporate Governance, Version vom 14. Februar 2002. 6 Der Abschlussprüfer der Gesellschaft muss künftig die Abgabe der Erklärung durch Vorstand und Aufsichtsrat bestätigen, nicht aber ist er verpflichtet, ihre Richtigkeit zu prüfen; vgl. § 325 Abs. 1 Satz 1 HGB in der Fassung des soeben in Fn. 4 erwähnten deutschen Gesetzentwurfs; siehe hierzu auch SEIBERT, BB 2002, 583 f.; SEIBT, AG 2002, Heft 5.

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müssen daran denken, [465] dass der Verwaltungsrat einer Schweizer börsennotierten Gesellschaft vielleicht unrichtige Angaben zur Corporate Governance im Geschäftsbericht abgibt. In beiden Fällen können die Folgen unangenehm sein: Aufgrund einer solchen öffentlichen Erklärung hat ein ausländischer Fonds erhebliche Summen in die Aktien dieser Gesellschaft investiert. Als sich herausstellt, dass die Erklärung falsch war, bricht der Kurs der Aktien dieser Gesellschaft um 30% ein. Hat die Fondsgesellschaft, die nur in Aktien von Gesellschaften investiert, deren Verwaltung die Entsprechens-Erklärung abgegeben hat, einen Ersatzanspruch und gegen wen? Und damit sind wir beim Thema, der Frage nämlich nach einer etwaigen Haftung der Mitglieder von Vorstand, Aufsichtsrat und Verwaltungsrat aus der Erklärung oder allgemein aus veranlasstem Vertrauen. Ich werde diese Frage nur nach deutschem Recht diskutieren und überlasse die Antwort nach Schweizer Recht dem Jubilar. III. Aussagen des Kodex und Inhalt der Entsprechens-Erklärung 1. Ehe wir die rechtliche Bedeutung der Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat ausmessen können, muss man wissen, welche Aussagen dieser Kodex enthält und worauf sich die Entsprechens-Erklärung bezieht. Das aber ist gar nicht so einfach zu sagen. Denn der deutsche Kodex enthält drei Schichten von Aussagen, die nicht systematisch, sondern nur sprachlich voneinander getrennt sind6a: 1) Am oberen Ende der Skala finden sich Hinweise auf das geltende und per se verbindliche Recht. Der Satz etwa: „Der Aufsichtsrat bestellt die Mitglieder des Vorstands“ referiert nur § 84 AktG. Diese Hinweise sind sprachlich durch den Indikativ, durch „ist“ und „hat“ gekennzeichnet. Hier soll vor allem der ausländische Investor in klarer und einfacher Weise über das in Deutschland geltende Recht der Organisation, Verwaltung und Leitung börsennotierter Aktiengesellschaften informiert werden7. 2) Am anderen Ende der Skala stehen Anregungen für ein bestimmtes Verhalten, so wenn etwa gesagt wird: „Der Aufsichtsrat sollte bei Bedarf ohne den Vorstand tagen.“ [466]

Siehe hierzu auch SEIBERT, BB 2002, 582 f.; SEIBT, AG 2002, Heft 5. So der deutsche Kodex schon im ersten Satz seiner Präambel: „Der … Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften dar …“ 6a 7

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Kodex guter Unternehmensführung und Vertrauenshaftung

Diese Anregungen nehmen nicht teil am System von „Comply or Explain“; von ihnen kann ohne Hinweis und Begründung abgewichen werden8. 3) Eigentliches Zentrum des Kodex sind seine Empfehlungen. Sie gehen über die gesetzliche Lage hinaus und sind durch das sprachliche „soll“ gekennzeichnet; auch von ihnen kann abgewichen werden; doch das muss dann ausdrücklich offengelegt und – so jedenfalls der Kodex, nicht aber das Gesetz9 – begründet werden. Sieht man diese unterschiedlichen Schichten und Ebenen des Kodex10, so liegt ihre ebenso unterschiedliche Bedeutung für ein spezielles Vertrauen des Anlegers offen zu Tage: 2. Auf die „sollte“-Anregungen im Kodex lässt sich ein Vertrauen nicht gründen. Denn von ihnen kann, wie gesagt, ohne Offenlegung abgewichen werden: Die Entsprechens-Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat bezieht sich nicht auf sie11. 3. Ähnlich verhält es sich mit den Referaten des Gesetzes. Denn dieses gilt sowieso, und eines besonderen Vertrauens in seine Geltung bedarf es nicht. Die rechtlichen Sanktionen bei einem Verstoß regelt das Gesetz selbst; ein darüber hinaus besonders geschütztes Vertrauen in die an sich selbstverständliche Befolgung des Gesetzes gibt es nicht. Verletzen Vorstand oder Aufsichtsrat diese Regeln, so sind die betreffenden Maßnahmen entweder unwirksam12 oder führen zur Haftung der betreffenden Personen der Gesellschaft gegenüber, §§ 93, 116 AktG13. [467] 4. Ganz anders ist es mit den Empfehlungen des Kodex. Sie sind nicht Gesetz, sind aber auch nicht in das Belieben der Organe der Gesellschaft gestellt, vielmehr müssen Abweichungen von ihnen offengelegt werden; geschieht das 8 So der deutsche Kodex im 6. Abschnitt seiner Präambel: „… Ferner enthält der Kodex Anregungen, von denen ohne Offenlegung abgewichen werden kann; hierfür verwendet der Kodex Begriffe wie «sollte» oder «kann»“. Siehe auch SEIBT, AG 2002, Heft 5. 9 So § 161 AktG in der Fassung des oben Fn. 4 zit. Regierungs-Entwurfs: „Vorstand und Aufsichtsrat … erklären jährlich … welche Verhaltensregeln nicht angewendet werden.“ Vgl. auch SEIBT, AG 2002, Heft 5; SEIBERT, BB 2002, 583. Die Begründungspflicht enthält nicht das geplante Gesetz, wohl aber der Kodex, a.a.O. 10 Die das Gesetz referierenden Teile des Kodex machen etwa 50% des Textes aus, die Empfehlungen („soll“) etwa 40% und die Anregungen („sollte“) nur 10%. 11 Vgl. oben Fn. 8. Das mag anders sein, wenn etwa der Vorstand in der Hauptversammlung danach gefragt wird, ob auch die Anregungen des Kodex beachtet werden und er das ohne Widerspruch des Aufsichtsrats bejaht. Dann rücken auch diese Regeln in ihrem rechtlichen Rang neben die Empfehlungen. 12 Beispiel: Der Vorstand kooptiert sich selbst; die Bestellung der kooptierten ist unwirksam. 13 Beispiel: Der Vorstand hat den Aufsichtsrat über die Unternehmensplanung zu informieren und sich mit ihm darüber zu beraten (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG und BGHZ 114, 127, 130). Geschieht das nicht, haften die Organmitglieder auf Ersatz des der Gesellschaft dadurch erwachsenen Schadens.

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nicht, so kann jedermann auf der Grundlage der Erklärung „den Verhaltensregeln wurde und wird entsprochen“14 annehmen, dass sie auch tatsächlich beachtet wurden und in Zukunft beachtet werden14a. Dieser Zukunfts-Bezug ist hier von besonderer Bedeutung. Denn die Erklärung „es wurde entsprochen“ mag falsch sein, eine Maßnahme des jetzt überlegenden Investors aber kann auf sie kaum gestützt sein: Das Geschehen in der damaligen Zeit ist abgeschlossen, mag die Erklärung auch noch so falsch sein. Ganz anders die Erklärung: „Und wir werden den Verhaltensregeln entsprechen“: Diese Aussage zum Verhalten in der Zukunft will das Vertrauen des Investors gewinnen. Und damit sind wir erneut beim Thema. 5. Aber zuvor soll doch noch ein damit verbundener Aspekt erörtert werden. Vorstand und Aufsichtsrat bleiben nämlich frei, ihre einmal gefasste Entscheidung zum Kodex auch zu ändern. Sie können also jederzeit ganz oder teilweise vom Kodex abweichen, auch wenn sie zunächst und zuvor die uneingeschränkte Entsprechens-Erklärung für Vergangenheit und Zukunft abgegeben haben14b. Da sie aber mit dieser Erklärung um Vertrauen bei den Investoren werben15 und, wie man sagt, damit auch Kursvorteile für die Aktien der Gesellschaft erreichen16, liegt die Eignung zur Kursrelevanz einer künftigen Abweichung vom Kodex auf der Hand. Der Vorstand muss diese künftige Abweichung – wie auch, vice versa, die Aufgabe einer solchen Abweichung – daher als neue Tatsache gemäß § 15 WpHG unverzüglich bekannt machen17. Das aber schützt ihn und den Aufsichtsrat zugleich vor etwaigen Ansprü- [468] chen aus einem sonst fortwirken-

Siehe oben Fn. 4. Im Ergebnis auch SEIBERT, BB 2002, 583, der insoweit von einer „Dauererklärung“ spricht: Die auf den gegenwärtigen Moment bezogene Erklärung erlange erst durch das dauerhafte Einstellen ins Internet den Charakter einer sich stets wiederholenden Dauererklärung und damit Zukunfts-Bezug; ablehnend SEIBT, AG 2002, Heft 5: Erforderlich sei nur, dass die Entsprechens-Erklärung bis zur Abgabe dieser Erklärung zutreffend sei; das wird der Erklärung nicht gerecht. 14b Siehe auch SEIBERT, BB 2002, 583. 15 So ausdrücklich der Kodex, vgl. oben Fn. 3. 16 PELTZER/V. WERDER, AG 2001, 1 f.; U. H. SCHNEIDER/STRENGER, AG 2000, 107 mit weiteren Nachweisen; vgl. vor allem aber auch McKinsey Investor Opinion Survey, June 2000 und die eingehende Untersuchung von GOMPERS/ISHII/METRIK, Corporate Governance and Equity Prices, National Bureau of Economic Research, Cambridge, MA, Working Paper 8449, August 2001. 17 Zum Begriff der neuen „Tatsache“ sowie zur „Eignung zur erheblichen KursBeeinflussung“ in § 15 Abs. 1 WpHG vgl. KÜMPEL in Assmann/U. H. Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 1999, § 15 Rn. 33 ff.; GEIBEL in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, § 15 Rn. 27 ff., 92 ff. Insoweit auch SEIBT, AG 2002, Heft 5; vgl. auch SEIBERT, BB 2002, 583, der das Vorliegen einer kurserheblichen Tatsache jedoch nur „in seltenen Fällen“ für gegeben hält. 14

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Kodex guter Unternehmensführung und Vertrauenshaftung

den Vertrauen künftiger Anleger aus der früher abgegebenen und anders lautenden Entsprechens-Erklärung. IV. Zur rechtlichen Bedeutung der Empfehlungen im Kodex 1. Der Corporate Governance Kodex ist nicht Gesetz und will auch nicht Gesetz sein. Seine Regeln können daher rechtliche Bedeutung nur durch rechtsgeschäftliche Erklärung, rechtsgeschäftsähnliches Verhalten oder eine allgemeine Vertrauenshaftung erlangen. Ehe man das prüft, wird man nicht umhin können, auch in Betracht zu ziehen, dass diese Regeln, soweit sie nicht das Gesetz referieren, vielleicht sogar ganz ohne rechtliche Bedeutung sind. Das allerdings wäre einigermaßen überraschend. Denn dann könnte sich die einzelne Aktiengesellschaft der Einhaltung dieses Kodex aus anspruchsvollen Regeln berühmen, könnte damit das Engagement von Investoren erreichen und die – angebliche – besondere Qualität ihrer Leitung bei anderen Vertragsverhandlungen in Anspruch nehmen, ohne doch an diese Aussage gebunden zu sein. Das aber kann nicht der Plan des Gesetzgebers mit der von ihm verlangten Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 161 AktG sein. Folgt man dem Gedanken der rechtlichen Irrelevanz, so hätte die Entsprechens-Erklärung nur den Charakter einer unverbindlichen Werbeaussage; dafür aber haben weder die Bundesregierung die Kodex Kommission eingesetzt noch der Bundes-Gesetzgeber die jährlichen Erklärungen von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 161 AktG verlangt. Eine rechtliche Irrelevanz ist daher gewiss nicht gewollt, ohne dass damit die Frage selbst nach dem rechtlichen Charakter der Entsprechens-Erklärung schon irgendwie beantwortet wäre. 2. Auf der anderen Seite sind irgendwie geartete und individuelle rechtsgeschäftliche Erklärungen nicht erkennbar. Natürlich kann sich die Gesellschaft einem bestimmten Vertragspartner gegenüber, etwa einem großen Kreditgeber, zur Einhaltung dieser Regeln verpflichten. Und das mag durchaus auch geschehen gegenüber einem großen in- oder ausländischen Investor, um dessen Beteiligung etwa an einer Kapitalerhöhung zu erlangen. Aber diese speziellen und individuellen Gestaltungen sind nicht das hier Gemeinte und hier Interessierende. [469] 3. Im Grunde geht es also einmal wieder um eine Fallgestaltung, in der Personen – hier: Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft – bewusst und betont eine Vertrauenssituation schaffen. Man hat solche Erscheinungen früher mit der Figur einer (rechtsgeschäftlichen) Erklärung an die Öffentlichkeit zu lösen versucht18; das hat sich aus vielen Gründen als nicht sonderlich 18 Vgl. etwa RGZ 142, 98, 104 f., 107 f.; 145, 155, 158; 164, 115, 123; grundlegend zur Lehre von der „Erklärung an die Öffentlichkeit“ EHRENBERG in Handbuch des gesamten Handels-

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hilfreich erwiesen19: Einseitig verpflichtende rechtsgeschäftliche Erklärungen sind dem Zivilrecht eher fremd20; will man sich andererseits die „Annahme“ einer solchen Erklärung der Organe durch jeden Interessierten vorstellen, so wäre das nichts als reine Fiktion. Daher dürfte es richtig sein, hier allenfalls von rechtsgeschäftsähnlichen Pflichten aus einer selbst geschaffenen Vertrauenslage auszugehen, vergleichbar etwa den Pflichten aus einem selbst geschaffenen Rechtsschein21. 4. Mit anderen Worten: Die Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat über die Einhaltung oder (nur) teilweise Nicht-Einhaltung der Kodex-Regeln (genauer: ihrer Empfehlungen) ist keineswegs ohne rechtliche Bedeutung. Allerdings ist damit immer noch nichts gesagt zu der Frage, welche Rechtsfolgen auf welcher Rechtsgrundlage entstehen, wenn zwar die Entsprechens-Erklärung abgegeben wird, tatsächlich aber die Regeln ganz oder teilweise nicht eingehalten worden sind. Sicher ist nur, auf Ansprüche aus einem ein- oder mehrseitigen Rechtsgeschäft können solche Rechtsfolgen ohne Besonderheiten des Sachverhalts nicht gegründet sein. V. Vertrauens-Haftung 1. Überblick Werbung um das Vertrauen des Investors oder, genauer gesprochen, des künftigen Gesellschafters ist Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung Corporate Governance Kodex22 und mithin auch der Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat: Der Inves- [470] tor soll angeregt werden, Mitgesellschafter zu werden, sei es originär im Rahmen einer Neuausgabe von Aktien, sei es derivativ durch den Erwerb von Aktien von der Gesellschaft (eigene Aktien) oder von Dritten. In die damit angesprochenen Verträge mit dem Investor über den Erwerb von Aktien ist aber der Vorstand nur gelegentlich involviert, etwa bei seinen Bemühungen um einen großen Anlagebetrag im Rahmen einer Kapitalerhöhung; außerhalb solcher besonderer Situationen – von denen hier nicht weiter die Rede sein soll –, ist aber der Vorstand der Gesellschaft ebenso wenig in das Vertragsgeschehen eingeschaltet wie in allen Fällen der Aufsichtsrat und seine Mitglieder. Sie sind an rechts I, 1913, S. 645 ff.; vgl. auch die zahlreichen weiteren Nachweise bei CANARIS, Die Vertrauenshaftung, 1971, S. 153 Fn. 6 und 7. 19 Vgl. insbesondere die ablehnende Stellungnahme von CANARIS, Die Vertrauenshaftung, 1971, S. 154 ff. 20 Das BGB kennt nur die Auslobung nach §§ 657 ff. 21 Vgl. CANARIS, a.a.O. (Fn. 19). Zur Rechtsnatur des Kodex eingehend ULMER, ZHR 2002, Heft 2; vgl. auch SEIBT, AG 2002, Heft 5. 22 Vgl. noch einmal den deutschen Kodex im 1. Abschnitt der Präambel, oben Fn. 3.

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den Rechtsgeschäften des Investors, des künftigen Aktionärs also, nicht selbst beteiligt. Kann ihre Fehlaussage zur Corporate Governance in der Gesellschaft dennoch zu ihrer ganz persönlichen Haftung führen? Zwei Ansätze kommen in Betracht: Culpa in contrahendo23 und die allgemeine zivilrechtliche Vertrauenshaftung. 2. Culpa in contrahendo a) Das Gesetz spricht heute von der „Aufnahme von Vertragsverhandlungen“ als Basis für rechtsgeschäftliche Rechte und Pflichten. Vorstand und Aufsichtsrat sind nun aber in den hier erörterten Fällen nicht Partei des geplanten Rechtsgeschäfts und zwar auch nicht als Vertreter ihrer Gesellschaft. Diese Rechtsgeschäfte werden mit und von anderen Parteien geschlossen. Dennoch schließt das die Anwendung dieser Rechtsfigur nicht per se aus. Seit langem kennen wir nämlich Konstellationen, in denen sich Personen in rechtsgeschäftliche Verhandlungen einschalten mit dem Ziel, den Vertragsschluss zwischen Dritten durch eigenes Verhalten zu fördern: Typisch für solche Fälle ist der Geschäftsführer und mithin Vertreter einer Gesellschaft, der sich mit dem Satz: „Aber Sie können mir doch vertrauen“ um den Abschluss zwischen seiner Gesellschaft und dem Dritten bemüht24; Typisch ist aber auch der Architekt, der dem Verkäufer ein Gutachten über den baulichen Zustand des zu verkaufenden Hauses erstattet und dabei den einwand- [471] freien Zustand des Dachstuhls bestätigt, ohne diesen auch nur gesehen zu haben25. In diesen Fällen übernimmt der Dritte die Rolle einer Vertragspartei26, macht sie zu seiner eigenen und haftet dementsprechend wie ein potentieller Vertragspartner. Auch das ist heute im BGB in Abs. 3 des oben zitierten § 311 BGB n.F.27 geregelt: 23 Culpa in contrahendo, weit über ein Jahrhundert hin von der Lehre entwickelt und in unzähligen Entscheidungen von der Rechtsprechung ausgebaut, ist seit dem 1. Januar 2002 im BGB in § 311 n.F. weniger geregelt als vielmehr mit dem seit langem geltenden Satz in das Gesetz übernommen: „(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch 1. die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, …“ 24 Vgl. etwa BGH, NJW 1983, 1607; hierzu MEDICUS in FS Steindorff 1990, S. 725, 740. 25 Vgl. den Fall BGH, JZ 1995, 306 in der zutr. Interpretation von CANARIS, JZ 1995, 440. 26 Zur Bedeutung der Rolle im Recht vgl. LUTTER in FS Coing, 1982, Bd. 1, S. 565 ff. 27 Siehe oben Fn. 23.

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„(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Masse Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.“

Trotz dieser Ausdehnung der culpa in contrahendo auf Dritte bestehen erhebliche Zweifel, ob eine solche Vertrauenshaftung hier einschlägig ist. Denn c.i.c. denkt an den persönlichen Kontakt, an die Vertragsanbahnung, an das Vertrauen in die beteiligten Personen, an die persönliche Verlasssituation. Davon ist hier nicht die Rede. Weder kennen Vorstand und Aufsichtsrat den betreffenden Investor noch kennt dieser die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat; er hat keine Vorstellung von diesen Personen und vertraut daher nicht ihnen persönlich, sondern ihrer typisierten Erklärung. b) Da § 311 BGB n.F. nur die von Lehre und Rechtsprechung entwickelten und akzeptierten Grundsätze zur c.i.c. übernimmt28, ist zur Ausfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 311 Abs. 3 BGB n.F. und insbesondere des Merkmals der „Inanspruchnahme besonderen Vertrauens“ darauf zurückzugreifen. Danach muss der Dritte (hier: Vorstand und Aufsichtsrat) eine zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für Bestand und Erfüllung des in Aussicht genommenen Geschäfts bieten29; seine Erklärungen müssen dabei im Vorfeld einer Garantiezusage liegen30. Vor allem aber muss das besondere Vertrauen gerade für die Person des Dritten, hier also für die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats selbst in Anspruch genommen worden sein im Gegensatz zu einer bloß allgemeinen Vertrauenswerbung. Das einzelne Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied muss danach gleichsam seine Rolle als Mitglied eines Organs der Gesellschaft verlassen31 und persönliche Qualitäten ins Spiel bringen32. [472] Ob das hier vorliegt, ist aber eher zweifelhaft. e) Die Kodex-Regeln beziehen sich auf die Tätigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat selbst; die Gesellschaft profitiert nur davon. Die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat geben mit dieser Erklärung gegenüber dem Kapitalmarkt und potentiellen Investoren eine Erklärung über ihre eigene Führungs- und Überwachungstätigkeit ab. Sie geben sich damit selbst ein „Gütesiegel“. Vorstand und Aufsichtsrat ziehen also durchaus das Vertrauen der Investoren bewusst und gewollt auf sich, um so ein Engagement in der Gesellschaft zu erreichen.

Vgl. dazu die Amtliche Begründung in Bundestags-Drucksache 14/6040, S. 162. BGHZ 126, 181, 189; BGH ZIP 1991, 1140, 1143. 30 BGHZ 126, 181, 189. 31 LUTTER, a.aO. (Fn. 26). 32 Vgl. MEDICUS in FS Steindorff 1990, S. 725, 741; LUTTER, GmbHR 1997, 329, 330; LUTTER/HOMMELHOFF, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rn. 36. 28 29

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Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob dadurch auch die Inanspruchnahme „besonderen persönlichen Vertrauens“ gegeben ist; das Vertrauen des Investors bezieht sich zwar unmittelbar auf die besonderen Qualitäten der Unternehmensführung und Unternehmensüberwachung seitens der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Voraussetzung, dass sie damit in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nehmen in dem Sinne, dass sie aus ihrer Organstellung heraustreten und zu eigenen Personen werden, auf die sich das Vertrauen des Vertragspartners bezieht33, ist damit aber noch nicht gegeben. Darüber hinaus ist ein persönlicher Verhandlungs- oder Vertrauenskontakt zwischen dem Dritten und dem Investor notwendig34. Anders als in den „typischen“ Fällen der Dritthaftung, bei denen persönliche Vertragsverhandlungen unter Mitwirkung des Dritten stattfinden, kommt es im Vorfeld eines Aktienerwerbs aber gerade nicht zu einem persönlichen Kontakt zwischen dem Investor und den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat. Die für ihn entscheidungserheblichen Informationen beschafft sich der potentielle Erwerber von Aktien aus dem Geschäftsbericht oder anderen Publikationen der Gesellschaft sowie heute insbesondere aus dem Internet. Die einzelnen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, die hinter der Comply-Erklärung stehen und diese abgegeben haben, sind dem Investor im Vorfeld des Aktienerwerbs weder persönlich begegnet noch bekannt geworden. Bedeutet die Inanspruchnahme „besonderen persönlichen Vertrauens“ mithin, dass der oder die Dritten aus ihrer Organstellung heraustreten und zur eigenen Person werden, so scheidet eine unmittelbare Außenhaftung der Organmitglieder aus culpa in contrahendo aus. d) An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, wenn man vom soeben betonten „Rollenwechsel“ der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat absieht und statt dessen ihre eigene Erklärungspflicht aus § 161 AktG ins Zentrum der Überlegungen stellt. Denn auch mit dieser Änderung der Blickrichtung ändert sich doch die Dis- [473] tanz der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zum konkreten Rechtsgeschäft nicht; es fehlt weiter an der erforderlichen „Nähe“. Die aber bleibt konstitutiv, will man an eine Dritthaftung im Rahmen der c.i.c. denken35.

Vgl. die Nachweise in Fn. 32. WOLF, NJW 1994, 24 mit weiteren Nachweisen. 35 Allgemeine öffentliche Erklärungen dieser und ähnlicher Art machen deren Träger also nicht zu Partnern vertraglicher oder vorvertraglicher Verbindungen. Das war wahrscheinlich das entscheidende Missverständnis in der Swissair-Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts vom 15.11.1994 (BGE 120 II, 331 = SZW 1995, 93 mit Anm. DRUEY = AG 1996, 44 und dazu LUTTER in GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 229 ff. und FLEISCHER, ZHR 163 (1999), 461 ff.: Ein fruchtbares Missverständnis, wie das seitherige Gespräch zwischen Jean Nicolas Druey und mir über Fragen der Vertrauenshaftung erweist. 33 34

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3. Haftung nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung a) Im Gegensatz zur culpa in contrahendo knüpft die von der Rechtsprechung in Anlehnung zur speziellen börsenrechtlichen Prospekthaftung entwickelte allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung nicht an einen rechtsgeschäftlichen Kontakt an, sondern an einen an die Öffentlichkeit, also an eine unbestimmte Zahl von Personen zur Werbung von Anlegern gerichteten allgemeinen, also nicht förmlichen Prospekt36. Grundlage dieser allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung (im engeren Sinne)37 ist ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt gemachten und in den Verkehr gebrachten Angaben38. Die Haftung erfasst dabei nicht nur die Initiatoren, Gründer und Gestalter der Gesellschaft, son- [474] dern auch Personen, die als Mitglieder der Managements und des Aufsichtsrats besonderen Einfluss in der Gesellschaft ausüben und Verantwortung tragen39. Unerheblich und mithin im klaren Gegensatz zur c.i.c. ist dabei, ob dem Investor die Personen und ihr Einfluss überhaupt persönlich bekannt geworden sind40. Diese besondere Haftung kommt nur dort zum Zuge, wo keine spezialgesetzlich geregelten Vorschriften etwa der börsenrechtlichen Prospekthaftung eingreifen41. Das ist hier der Fall. 36 Dazu insbesondere ASSMANN, Prospekthaftung, 1985; DERSELBE in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7; WIEDEMANN in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, Vor § 275 Rn. 333 ff.; HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 20 ff.; HOPT in FS BGH, 2000, 497, 525 ff. 37 Zur Unterscheidung zwischen der Prospekthaftung im engeren Sinne und der Prospekthaftung im weiteren Sinne vgl. näher ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 7 Rn. 99 f.; HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 23: Die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung im weiteren Sinne knüpft nicht an typisiertes Vertrauen an, sondern beruht auf der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens und auf der Grundlage vertraglicher oder quasi-vertraglicher Aufklärungspflichten. Sie setzt also – wie die culpa in contrahendo – eine gezielte Kontaktnahme mit einer bestimmten Person voraus, ist hier mithin nicht einschlägig. 38 Vgl. BGHZ 71, 284, 287 f.; 77, 172, 175 f.; KG, NZG 2001, 1098, 1099; ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 7 Rn. 3, 94 ff; WIEDEMANN in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, Vor § 275 Rn. 233, 238 und 333 ff.; HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 23; EMMERICH in Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2001, Vor § 275 Rn. 131 ff.; zur Entwicklung der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung durch die Rspr. vgl. insbesondere auch die chronologische Zusammenstellung aller einschlägigen BGH-Urteile bei KRIEGER in FS Stimpel, 1985, S. 307, 312. Zur Vertrauenshaftung in diesem Zusammenhang vgl. auch Ulmer (oben Fn. 21) sub IV, 3 b. 39 BGHZ 77, 172, 175; KG, NZG 2001, 1098, 1099 mwN. 40 WIEDEMANN in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, Vor § 275 Rn. 233; HOPT in FS BGH, 2000, 497, 529. 41 ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 94; HOPT in FS BGH, 2000, 497, 527 f.

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b) Damit die Comply-Erklärung Anknüpfungspunkt für eine solche zivilrechtliche Prospekthaftung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sein kann, muss sie als eine als „Prospekt“ zu qualifizierende Publikation von Anlageinformationen angesehen werden können. Damit stellt sich hier die Frage nach dem Prospektbegriff dieser speziellen Haftung. Dabei ist die Frage, welche Publikationen im einzelnen als Prospekt in diesem Sinne qualifiziert werden können, bisher – soweit ersichtlich – nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung geworden. Soweit Instanzgerichte sich in einzelnen Entscheidungen42 mit dieser Frage auseinandergesetzt haben, sind sie deutlich über den typischen Werbeprospekt hinausgegangen und haben Anzeigen in Tageszeitungen und Magazinen als Anknüpfungspunkte für eine solche Prospekthaftung angesehen43. Dem ist im Interesse eines weitreichenden Anlegerschutzes zu folgen. Das bedeutet: Als Prospekt im Sinne der zivilrechtlichen Prospekthaftung ist jede marktbezogene schriftliche oder elektronische Erklärung anzusehen, die an einen unbestimmten Kreis von Personen gerichtet ist und für die Beurteilung von Vermögensanlagen erhebliche Angaben enthält44. Das aber trifft auf die ComplyErklärung zu44a: [475] (1) Soweit die Comply-Erklärung etwa im Geschäftsbericht der Gesellschaft mit anderen für die Anlage erforderlichen Informationen über die Gesellschaft veröffentlicht wird, ist sie jedenfalls als Bestandteil eines Prospektes im Sinne dieser Definition ein tauglicher Anknüpfungspunkt für diese zivilrechtliche Prospekthaftung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Entsprechens-Erklärung zum Kodex ist zwar nicht – wie gemeinhin ein Prospekt – unmittelbar auf die Gewinnung von Anlegern ausgerichtet, wohl aber mittelbar: das Vertrauen des Anlegers in die Gesellschaft und die Qualität ihrer Leitung soll damit gewonnen werden und als Folge sein Investment in die Aktien der Gesellschaft. Das genügt. (2) Darüber hinaus interessiert aber vor allem die Frage, ob die ComplyErklärung auch als Einzelangabe wie ein Prospekt in diesem Sinne angesehen werden kann. Dafür spricht, dass sie ohne Probleme unter die weite Definition des Prospektbegriffs subsumiert werden kann; dagegen jedoch, dass sie für sich be42 Siehe die Nachweise bei ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, Rn. 57 Fn. 127. 43 ASSMANN in Assmann/Schütze; Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 57 mN.; HOPT in FS BGH, 2000, 497, 528. 44 HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 25; ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 57; KIETHE, ZIP 2000, 216, 219; HOPT in FS BGH 2000, 497, 527 f. 44a Insoweit wohl auch SEIBT, AG 2002, Heft 5, der die Anwendbarkeit der Grundsätze der zivilrechtlichen Prospekthaftung auf die Entsprechens-Erklärung i. Erg. allerdings ablehnt; ablehnend SEIBERT, BB 2002, 584.

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trachtet unvollständig ist und insofern dem Gedanken der Prospektvollständigkeit kaum gerecht wird45. Dieser Aspekt der Vollständigkeit aber hat nur Bedeutung bei „frei erfundenen“ Prospekten, nicht hingegen – und zu Recht – dann, wenn die Aussage aufgrund einer gesetzlichen Publizitätspflicht erfolgt und dieser (scheinbar) genügt46, formell also vollständig, wenn auch inhaltlich unrichtig ist. Zum Vergleich ist hier vor allem an eine Veröffentlichung im Rahmen der ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG zu denken. Diese Veröffentlichungen fallen unter den Prospektbegriff und können, soweit sie unrichtig sind, auch eine zivilrechtliche Prospekthaftung auslösen47. Da die Comply-Erklärung geeignet ist, den Börsenkurs der Aktien der betreffenden Gesellschaft im Sinne von § 15 Abs. 1 WpHG erheblich zu beeinflussen48, kann sie also auch als Einzelangabe Anknüpfungspunkt für eine allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung sein. (3) Von diesem für den Juristen völlig legitimen Bestreben einmal abgesehen, einen ganz und gar neuen Fall öffentlicher Werbung um Vertrauen für AnlageEntschei- [476] dungen mit früheren Fällen ähnlicher Art unter dem Stichwort „Prospekt“ in Einklang zu bringen, muss man hier deutlich sagen: Gäbe es diese Möglichkeit der Anlehnung nicht, so müsste heute – wie damals vom Bundesgerichtshof mit seinen ersten Entscheidungen zur zivilrechtlichen Prospekthaftung – die Haftung für ein durch öffentliche Aussagen erstrebtes Vertrauen neu „erfunden“ werden. Denn keine zivile Rechtsordnung könnte, wollte sie ihren Anspruch auf gerechte Lösungen nicht aufgeben, die Lüge bei einer vom Gesetz verlangten öffentlichen Erklärung sanktionslos hinnehmen. Die hier getroffene Anlehnung an Überlegungen zum nicht-förmlichen Prospekt erleichtern also nur die Rechtsfindung, die anderenfalls und mit gleichem Ergebnis aus tieferen Schichten des Rechts hätte geschöpft werden müssen. c) Die zivilrechtliche Prospekthaftung knüpft an ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der publizierten Angaben an49. Der Anleger darf mithin erwarten, dass der „Prospekt“ ihn sachlich und richtig und vollständig informiert50. Maßgebend dafür ist in erster Linie der Zeitpunkt 45 Siehe näher hierzu HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 25; ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 57 ff., 59. 46 Zutr. HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 25; vgl. auch SEIBT, AG 2002, Heft 5. 47 Zumal der Haftungsausschluss des § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG nicht für eine Haftung nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung gilt, § 15 Abs. 6 Satz 2 WpHG. So auch HAMANN in Schäfer, WpHG, BörsG, VerkProspG, 1999, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 30. 48 Siehe bereits oben unter III. 5. 49 Siehe hierzu bereits oben unter V. 3. a). 50 BGHZ 79, 337, 344.

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der Ausgabe des Prospektes51. Ist die Erklärung schon in diesem Zeitpunkt unrichtig, weil sich Vorstand und Aufsichtsrat schon in diesen Momenten nicht an die eigene Erklärung halten, so behauptet der „Prospekt“ von Anfang an etwas Unrichtiges. Besondere Probleme entstehen hier nicht. Oft aber werden die Aussagen von Vorstand und Aufsichtsrat zunächst zutreffen, dann aber – weil sie sich nicht mehr daran halten – unrichtig werden: Immerhin wird die Beachtung des Kodex auch für die Zukunft ausgelobt. Hier treffen zwei Dinge zusammen: Der „Prospekt“ wirkt fort, ist nun aber unrichtig; und diese Sicht wird durch § 15 Abs. 1 WpHG abgerundet; denn die Nicht-MehrBeachtung des Kodex ist eine publizitätspflichtige Tatsache52. Das Gesetz macht damit seinerseits deutlich, dass die fortwirkende, jetzt falsche Aussage beseitigt werden muss, soll es sich nicht vom Zeitpunkt der Abweichung an um einen dann unrichtigen „Prospekt“ handeln. d) Die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat liegen per se als die Verantwortlichen des (unrichtigen) Prospekts fest; denn sie müssen als Personen und nicht etwa für die Gesellschaft und als deren Vertreter von Gesetzes wegen die Erklärung abge- [477] ben und haben mithin für dessen Richtigkeit zu sorgen. Sie sind mithin auch für eine erforderliche „Gegenpublizität“ verantwortlich, wenn sie – worin sie frei, aber erklärungspflichtig sind – den Kodex ganz oder teilweise für die Zukunft nicht mehr befolgen wollen. Ihr Verschulden richtet sich nach § 276 BGB53. Hier kommt es ganz auf die Umstände des Einzelfalls an. So werden die Fälle eher selten sein, in denen Vorstand und Aufsichtsrat bewusst und gemeinsam Unrichtiges erklären oder künftige Abweichungen nicht publizieren. Viel häufiger werden beide Organe die Comply-Erklärung abgeben, nur ein Organ oder gar nur einzelne Mitglieder aber sich nicht daran halten; dennoch ist der „Prospekt“ dann unrichtig. Das Erfordernis des Verschuldens führt hier zur notwendigen Differenzierung. Das „kennen müssen“ im Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 BGB aber macht bereits deutlich, dass eine wechselseitige Beobachtungspflicht besteht, Nicht-Wissen allein nicht zur Freistellung von Haftung führt. e) Anspruchsberechtigt ist jeder Anleger, der durch die unrichtige ComplyErklärung zum Erwerb der Aktien veranlasst wurde54. Der Anleger muss mithin 51

Rn. 65.

ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7

52 Denn ebenso wie die Comply-Erklärung als Werbung um das Vertrauen der Investoren in die gute Corporate Governance der Gesellschaft sich letztlich in einem höheren Börsenkurs der AG niederschlägt, ist umgekehrt auch die Nicht-Mehr-Beachtung der Regeln guter Corporate Governance eine neue „Tatsache“, die zur „erheblichen Kursbeeinflussung geeignet“ ist. Siehe hierzu bereits oben unter III. 5. und die Nachweise dort. 53 BGHZ 71, 284, 291; 79, 337, 345. 54 Vgl. ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 136.

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darlegen, dass die Comply-Erklärung für seinen Anlageentschluss entscheidend war55. Dieser Nachweis der Kausalität ist nicht leicht zu führen, es sei denn, der Anleger könnte – wie im obigen Ausgangsfall – belegen, dass er immer nur Aktien von Gesellschaften erwirbt, die den Kodex beachten. Im übrigen stellt die Rechtsprechung an den Nachweis der Kausalität zwischen dem unrichtigen „Prospekt“ und dem Entschluss des Anlegers keine sehr hohen Anforderungen. Sie lässt es genügen, wenn dieser behauptet, er hätte die Anlage in Kenntnis der wahren Umstände nicht getätigt56, oder geht gar von einer Vermutung zwischen dem mangelhaften Prospekt und dem Aktienerwerb aus57. Keinen Anspruch hingegen haben Anleger, die ihre Aktien erworben haben, bevor Vorstand und Aufsichtsrat von den Kodex-Regeln abgewichen sind; denn zu diesem Zeitpunkt war der „Prospekt“ noch nicht fehlerhaft, so dass kein haftungsbegründender Zusammenhang zwischen „Prospekt“ und Aktienerwerb besteht. f) Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haften dem Geschädigten Anleger als Gesamtschuldner, jedoch in Anlehnung an die Regeln zur culpa in contrahendo nur auf das negative Interesse. Der in seinem Vertrauen auf die Comply-Erklärung enttäuschte Anleger ist also so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er die [478] Aktien nicht erworben hätte58. Dabei ist nicht erforderlich, dass sich der Investor von den fraglichen Aktien trennt; auch wenn der Anleger die Aktien weiterhin hält, kann er den Minderwert, namentlich also die Kursdifferenz, als Schaden ersetzt verlangen59. VI. Summa Die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft haften also als Gesamtschuldner persönlich für das Vertrauen, das Anleger in die Richtigkeit der von ihnen nach § 161 AktG abgegebenen Erklärung legen, sich deshalb zum Erwerb von Aktien der Gesellschaft entschließen und wegen der Unrichtigkeit der Erklärung einen (Kurs-)Schaden erleiden. Dieses fortwir-

55 Vgl. ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 138. 56 Vgl. etwa BGHZ 74, 103, 112 f.; 111, 314, 321. 57 Vgl. etwa BGH, WM 1992, 1892; kritisch hierzu ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 140 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 58 Vgl. etwa BGHZ 79, 337, 346. 59 Siehe ausführlich zum Umfang der zivilrechtlichen Prospekthaftung ASSMANN in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 155 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

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kende Vertrauen kann nur durch eine öffentliche „Gegenerklärung“ beseitigt werden, die ihrerseits den Regeln von § 15 Abs. 1 WpHG entspricht. Nach deutschem Recht ist die Comply-Erklärung also Grundlage einer alle Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat erfassenden Vertrauenshaftung: Ein neuer Stein also in der stolzen Burg aus Vertrauen und Verantwortung. Ist damit der Grundsatz geklärt, so bleiben doch viele Einzelfragen offen, etwa wie zu entscheiden ist, wenn sich einzelne oder alle Mitglieder des Aufsichtsrats trotz der positiven Erklärung nicht an den Kodex halten, der Vorstand aber darauf vertraut: Kann er das kontrollieren? Ja muss er es gar, um Schaden von seiner Gesellschaft abzuwenden? Aber alle diese Facetten sollen den künftigen Gesprächen mit Jean Nicolas Druey vorbehalten bleiben.

Mannesmann/Vodafone IN: STIFTUNG HAUS DER GESCHICHTE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (HRSG.), SKANDALE IN DEUTSCHLAND NACH 1945, BIELEFELD 2007, S. 181-185

Die deutsche Wirtschaft erlebte 2000 einen Skandal, der alle bisherigen Dimensionen sprengte: Im „Fall Mannesmann“ ging es um das erste „feindliche“ Übernahmeangebot an eine der 30 großen börsennotierten DAX-Gesellschaften durch ein ausländisches Unternehmen. Die Mannesmann-Aktien verdoppelten ihren Wert in nur drei Monaten von 144,- Euro auf 353,- Euro; der Preis, den die angreifende Vodafone Air Touch plc am Ende zu zahlen bereit war, betrug 190 Milliarden Euro: eine bis dahin in Europa schlechthin unvorstellbare Summe. Aber damit nicht genug: Nachdem das Management von Mannesmann zur Abwehr von Vodafone für Berater, Anzeigen und andere Maßnahmen etwa 200 Millionen Euro aus der Firmenkasse bezahlt hatte, genehmigte es sich nach der Niederlage Prämien im Gesamtvolumen von 57 Millionen Euro. Besonders auffällig waren dabei die Sonderprämien in Höhe von 16 Millionen Euro für den bisherigen Vorstandsvorsitzenden Klaus Esser und in Höhe von rund fünf Millionen Euro für den bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Funk. Die hohen Zahlungen überstiegen offenkundig das für die deutsche Gesellschaft nachvollziehbare Maß – nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit und ökonomischer Krise mit zum Teil erheblichen Einbußen am realen Einkommen für große Teile der Bevölkerung. Die Anregung für die Sonderzahlungen kam von einem dankbaren Aktionär, der mit zehn Prozent an Mannesmann beteiligten Hutchison Whampoa Ltd., die durch den harten Widerstand des Managements von Mannesmann ihr Vermögen schlicht verdoppelt hatte. Das Management stimmte dem Prämienvorschlag zu, und der zuständige vierköpfige Präsidialausschuss des Aufsichtsrats von Mannesmann, bestehend aus Josef Ackermann, Joachim Funk, Jürgen Ladberg und Klaus Zwickel, beschloss entsprechend, wobei die beiden Arbeitnehmervertreter im Präsidium entweder nicht anwesend waren oder sich der Stimme enthielten. Als der Sachverhalt bekannt wurde, erreichte der „soziale Aufschrei“ mit Meldungen und Diskussionen in allen TV-Kanälen, allen Zeitungen und Zeitschriften sowie wütenden Protesten in Zehn- [182] tausenden von Leserbriefen jeden Winkel Europas, nicht aber das Gehör der Begünstigten: Klaus Esser und Joachim Funk vertreten bis heute die Auffassung, dass ihnen die Zahlungen zugestanden hätten – schließlich hätten sie das Vermögen der Aktionäre verdoppelt.

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Ob die Zahlungen rechtens waren, hätte ein Zivilgericht entscheiden müssen. Das Aktiengesetz sagt in Paragraf 87 ausdrücklich, dass Zahlungen an das Management „angemessen“ sein müssen. Und wenn sie nicht „angemessen“ waren, hätten sie an Mannesmann zurückgezahlt werden müssen. Aber Mannesmann hatte nur noch einen einzigen Aktionär, und das war Vodafone; dessen Management und insbesondere der Vorsitzende Chris Gent war mit den Zahlungen ausdrücklich einverstanden. Es gab zunächst einmal keinen Kläger. Die Prozesse Also konnte nur noch das Strafrecht helfen. Eine Stuttgarter Anwaltskanzlei erstattete bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf Anzeige wegen Untreue gegen Klaus Esser und Joachim Funk, aber auch gegen die Mitglieder des Aufsichtsratspräsidiums Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, und Klaus Zwickel, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Metall. Die Staatsanwaltschaft aber wollte kein Verfahren eröffnen, erst die Intervention beim Generalstaatsanwalt in Düsseldorf führte zur Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens und schließlich zur Anklage vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf und zwar, so der Hauptvorwurf, wegen Untreue nach Paragraf 276 Strafgesetzbuch. Das ist ein ebenso schwerwiegender wie schwerer Vorwurf. Schwer, weil das Gesetz darauf mit einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Gefängnis reagiert. Schwerwiegend, weil der Tatbestand verlangt, dass der Täter fremde Vermögensinteressen, die ihm anvertraut waren, verletzt hat. Fremdes Vermögen war den Angeklagten Esser, Funk, Ackermann und Zwickel fraglos in Form des Vermögens der Mannesmann anvertraut. Haben sie dieses Vertrauen verletzt oder haben sie nicht doch zu Recht – wie Esser und Ackermann bis zum Schluss erklärt haben – die Prämien bewilligt und genommen? Diese Frage konnte nur das Aktienrecht beantworten. Und da standen – und stehen sich noch heute – zwei Meinungen diametral gegenüber. Die eine Rechtsauffassung besagt: Nur wirklich bestehende Ansprüche dürfen von einer Aktiengesellschaft erfüllt werden, das heißt Ansprüche, die auch einen Gegenwert für die AG haben. Geschenke zu verteilen, steht den Organen einer AG nicht zu. Die andere Auffassung lautet: Wieso soll sich eine AG bei ihren Organen Vorstand und Aufsichtsrat nicht für besondere Leistungen bedanken dürfen? Das macht sie doch ganz selbstverständlich und unbestritten bei ihren Mitarbeitern, warum dann nicht auch bei ihren Organmitgliedern? Das Landgericht Düsseldorf ist der ersteren Meinung gefolgt und hat im Urteil vom 22. Juli 2004 ausdrücklich betont, die Zahlungen seien aktien- [183] rechtlich unzulässig gewesen. Es hat die Angeklagten dennoch nicht verurteilt, weil diese das Unrecht ihres Tuns nicht hätten erkennen können. Diese Entscheidung hat weder die aufgebrachte öffentliche Meinung noch die juristische Fach-

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welt eingesehen. Im Gegenteil: Es entzündeten sich öffentliche Diskussionen über die Führungsqualität deutscher Manager, über Absprachen in kleinen Zirkeln und die mangelnde Kontrolle des Vorstands durch die Aufsichtsräte. Die Namen Esser und Ackermann wurden in den Augen der Öffentlichkeit zum Synonym für eine aus den Fugen geratene Vergütungspraxis im Topmanagement. Zum Symbol des größten deutschen Wirtschaftsprozesses wurde Josef Ackermanns Siegeszeichen zum Prozessauftakt im Düsseldorfer Landgericht, eine als Ausdruck der Arroganz interpretierte Geste, die Empörung entfachte. Die Staatsanwaltschaft legte Revision beim Bundesgerichtshof ein. Und dieser hat die Revision angenommen, das Urteil des Landgerichts Düsseldorf aufgehoben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen. Das sehr eingehende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Dezember 2005 folgt unvermerkt der amerikanischen Waste-of-CorporateAssets-Theorie und sagt: Jede Leistung, die der Gesellschaft auch nur mittelbar nutzen kann, ist zulässig; jede ziellose Weggabe von Gesellschaftsvermögen hingegen unzulässig. Die Organe einer [184] AG seien – so der Vorsitzende Richter des BGH-Strafsenats Klaus Tolksdorf – keine Gutsherren, die nach Belieben über eigenes Vermögen verfügen könnten, sondern zu getreuer Sorgfalt verpflichtete Gutsverwalter. Im alsbald wieder aufgenommenen Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf ging es zentral um die Frage, ob die Zahlungen an den Vorstandsvorsitzenden die anderen Mitarbeiter der Mannesmann AG dazu motiviert haben, sich besonders anzustrengen, um eines Tages auch eine Prämie zu erhalten. Man kann sich plastisch vorstellen, wie die Verteidigung ein um den anderen Mitarbeiter der weiterhin existierenden Mannesmann AG – heute GmbH – in den Zeugenstand gerufen hätte zu der Frage, ob er oder sie sich durch die Zahlung besonders motiviert fühlen würde. Es war daher vernünftig, dass sich am 29. November 2006, fast sieben Jahre nach der Übernahme Mannesmanns durch Vodafone, Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung auf die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer sogenannten Auflage – die keine Strafe und keine Buße ist – in Höhe von insgesamt 5,8 Millionen Euro geeinigt haben. Die Presse kommentierte das Prozessende ohne rechtskräftiges Urteil mehrheitlich negativ und bemängelte, dass die Öffentlichkeit wissen wolle, ob das Verhalten der Angeklagten nun richtig oder falsch war. Der Vorwurf an die Justiz lautete: „Ackermann kauft sich frei“. Politik und Öffentlichkeit reagierten mit Empörung, beklagten gar einen Vertrauensverlust für das Rechtssystem und die Demokratie insgesamt. Das war zwar verständlich, aber in der Sache unzutreffend; denn einerseits ist ein solches Verfahren im Gesetz ausdrücklich vorgesehen, und andererseits hätte ein erneutes Verfahren von zwei bis drei Jahren Länge auch zu keiner größeren Klarheit geführt.

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Konsequenzen Als Folge dieser Ereignisse bleibt zum einen die Angst der Vorstände und Aufsichtsräte davor, ihnen könnte Ähnliches widerfahren. Das macht sie zwar in ihren Wünschen und Forderungen nicht zurückhaltender – wenn auch eine „Esser-Prämie“ seither nicht mehr vorgekommen ist. Die Angst führt aber dazu, dass etwaige künftige Zahlungen heute unter Einschaltung von zahlreichen Anwälten vorab sorgfältig festgelegt werden. So hat Klaus Esser seine Vorstandsposition durch den Übergang der Herrschaft auf Vodafone verloren. Ein solches Geschehen wird heute in sogenannten Change-of-Control-Klauseln in den Vorstandsverträgen im Vorfeld geregelt mit der Maßgabe, dass in diesem Falle in der Regel eine Zahlung in Höhe mehrerer Jahresgehälter zu leisten ist. Die [185] Konsequenz aus diesem Fall lautet also: rechtliche Vorsorge, nicht unbedingt Zurückhaltung. Zum anderen hat man inzwischen an vielen Stellen begonnen, darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln sich solche Auswüchse steuern lassen. Rasch wurde klar, dass eine amtliche „Gebührentabelle“ für Vorstände keine Möglichkeit ist. Und auch der von mir unternommene Versuch, die vom Gesetz in Paragraf 87 Aktiengesetz vorgeschriebene „Angemessenheit“ der Leistungen an Vorstände zu konkretisieren (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2003, S. 737 und 2006, S. 733), hat wenig Unterstützung gefunden. Formell erfolgreich war hingegen die Empfehlung der Kommission für einen Corporate-Governance-Kodex (die sogenannte Cromme-Kommission), die Leistungen an die Vorstände jährlich im Geschäftsbericht eines Unternehmens freiwillig offenzulegen. Leider sind die vom Kodex angesprochenen börsennotierten Aktiengesellschaften dieser Empfehlung nur teilweise gefolgt: Etwa ein Drittel hat sich verweigert. Das hat den Gesetzgeber auf den Plan gerufen: Aus der Kodex-Empfehlung machte er ein Gesetz, das der Deutsche Bundestag am 3. August 2005 verabschiedete. Heute kann jeder die jährlichen Leistungen an die Vorstände dieser Börsen-Gesellschaften – Festgehalt, Prämien, Optionen, Sachleistungen, Pensionszusagen und andere Leistungen – in den Geschäftsberichten dieser Gesellschaften nachlesen, was die Presse dann in Übersichten, Ranglisten und Statistiken zusammenfasst. Ob die damit erhoffte Bescheidung eintritt oder eher eine Gewöhnung an hohe Zahlen oder gar ein Wettbewerb um hohe Positionen, mag die Zukunft zeigen. Darüber hinaus hat die Cromme-Kommission auf ihrer Sitzung vom 14. Juni 2007 angeregt, in die künftigen Vorstandsverträge eine Klausel aufzunehmen, wonach die Obergrenze für alle Abfindungen auf maximal zwei Jahresgehälter begrenzt ist (ein sogenannter Abfindungs-Cap). Mannesmann hatte also durchaus Wirkungen. Geblieben aber ist zum Letzten das Bedauern, dass beide Gerichte, Landgericht Düsseldorf und Bundesgerichtshof, es sorgfältig vermieden haben, der Wirtschaftspraxis auch nur kleinste Hilfen und Hinweise zu geben für eine Materialisierung der gesetzlich vorge-

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schriebenen „Angemessenheit“ der Leistungen an Vorstände. Irgendwann wird diese Frage gerichtlich akut werden.

Zur Rechtmäßigkeit von internationalen Risikogeschäften durch Banken der öffentlichen Hand* BB 2009, S. 786-791** Diese Abhandlung geht der Frage nach, ob die Vorstände der Sächsischen Landesbank (SachsenLB), der Bayerischen Landesbank (BayernLB) und der Westdeutschen Landesbank (WestLB) rechtliche Schranken überschritten haben, als sie Risikogeschäfte in ausländischen Wertpapieren tätigten. Anders und juristisch gewendet: Durften die Vorstände das, was sie konnten, oder durften sie das nicht? Wäre dem so, so wären all die fraglichen Geschäfte zwar im Zweifel wirksam, aber per se rechtswidrig und damit pflichtwidrig seitens der Vorstände. I. Sachverhalt Viele europäische Banken haben im Zusammenhang mit der Hypothekenund Bankenkrise in den USA ungewöhnlich hohe Verluste erlitten. Diese waren die Folge eines neuartigen Geschäftes. Vor allem Hypothekenbanken in den USA, aber auch andere Kreditgeber hypothekengesicherter Baukredite bündelten diese in Zweckgesellschaften. Diese ihrerseits gaben darauf Schuldverschreibungen aus und veräußerten sie an Banken und Investoren zur Refinanzierung der von ihnen gekauften Kredite. Diese Wertpapiere hatten als Grundlage also die hypothekengesicherten Forderungen gegen viele oder sehr viele „Häuslebauer“. Ihr Vorzug lag in einer höheren Verzinsung, die von der Zweckgesellschaft geboten werden konnte, da Hypothekenzinsen höher liegen als Zinsen von Staats- oder Unternehmensanleihen. Ihr Risiko bestand im Ausfall einzelner oder vieler ihrer „gebündelten“ Schuldner, wie es dann auch eingetreten ist. Das Geschäft lief weltweit glänzend und die amerikanischen Banken bekamen durch den Verkauf ihrer Kredite immer wieder frisches Geld, das sie immer stärker und immer leichtsinniger in den Häusle-Markt drückten. Bis die Blase * Eberhard Schwark, dem klugen Kollegen und anregenden Partner zum 70. Geburtstag am 4.4.2009 herzlich gewidmet. ** Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf http://www.juris.de.

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platzte und tausende Hypothekenschuldner zahlungsunfähig wurden. Seither sind die einst so begehrten Papiere unverkäuflich, mithin heute weitgehend wertlos und niemand weiß, ob und in welcher Höhe sie einstens wieder werthaltig werden; denn natürlich sind nicht alle Häuslebauer pleite und nicht alle Häuser unverkäuflich. Zu den Abnehmern dieser Papiere gehörten auch deutsche Banken, brachten sie doch scheinbar mehr als die Erträge aus dem normalen Geschäft einer auf den Mittelstand ausgerichteten Bank, wie der IKB, oder eben einer Landesbank. II. Fragestellung Diese Abhandlung will nicht dem Problem nachgehen, ob die Vorstände dieser Banken sorgfältig genug bei ihren Anlagen vorgegangen sind, wie es Gesetz und Satzung von ihnen verlangen1. Vielmehr lautet die Frage: Durften die Banken-Vorstände das überhaupt, durften sie diese Geschäfte von Rechts wegen tätigen? Denn schließlich gehören diese Banken der öffentlichen Hand und mittelbar also dem Bürger und Steuerzahler. Darf, um es auf den Punkt zu bringen, der Finanzminister von NRW 100 000 Euro aus dem Steuersäckel nehmen und damit in Bad Neuenahr oder Baden-Baden auf Rechnung des Steuerzahlers spielen? Nichts anderes war doch der Kauf dieser Papiere. Dass man dabei ein schlechtes Gewissen hatte, zeigt die Tatsache, dass die Landesbank Sachsen sage und schreibe in Irland eine so genannte Zweckgesellschaft gründete, nur um in diesen Papieren zu handeln – natürlich mit der Garantie der Sächsischen Landesbank im Rücken: kein Stäubchen in deren Bilanz, aber unbegrenztes Risiko für Sachsens Steuerbürger. Gewiss, die Aktionäre einer privaten Bank AG können – und tun es – dem Management ihrer Bank erlauben, auch Spekulationsgeschäfte zu tätigen – das beginnt bei Aktien, geht weiter zu Rohstoffen und endet noch lange nicht bei Asset-Backed Securities. Das wissen die Aktionäre und hoffen auf Glück und Augenmaß bei ihren Vorständen: kein IKB-Aktionär kann sich über das „Ob“ solcher Geschäfte beschweren, allenfalls über das „Wie“. Aber gilt das auch für öffentlich-rechtliche Banken, die mittelbar dem Bürger gehören und mit Steuergeldern finanziert werden, wie der Sächsischen Landesbank und der Bayerischen Landesbank? Und gilt es für privatrechtlich organisierte Banken, die zu 100% der öffentlichen Hand und den öffentlich-rechtlichen Sparkassen gehören, wie die Westdeutsche Landesbank AG? Dieser Frage nach dem rechtlichen Dürfen wird in zwei Schritten nachgegangen:

1

Vgl. dazu Lutter, ZIP 2009, 197 ff.

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(1) Was sagen die Satzungen der Sächsischen Landesbank, der Bayerischen Landesbank und der Westdeutschen Landesbank dazu? (2) Gibt es immanente rechtliche Handlungs-Schranken für öffentliche Akteure? III. Die Satzungen der hier untersuchten Banken 1. Landesbank Sachsen Girozentrale (SachsenLB) a) Aufgaben nach § 2 der SachsenLB-Satzung Die Satzung der SachsenLB stammt vom 28.4.2006. Ihr § 2 lautet: § 2 Aufgaben (1) Der Bank obliegen die Aufgaben einer Staats-, Kommunal- sowie einer Zentralbank der sächsischen Sparkassen. Sie ist Geschäftsbank und betreibt als öffentlich-rechtliches Wettbewerbsunternehmen Bankgeschäfte aller Art und sonstige Geschäfte, die ihren Zwecken dienen. (2) Als Staats- und Kommunalbank unterstützt die Bank insbesondere den Freistaat Sachsen, seine kommunalen Körperschaften, die sonstigen Körperschaften, Anstalten [787] und Stiftungen des öffentlichen Rechts im Freistaat Sachsen und ihnen nahestehende Unternehmungen in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und in der Durchführung ihrer Bankgeschäfte. (3) Als Sparkassenzentralbank verwaltet die Bank insbesondere die Liquiditätsmittel der sächsischen Sparkassen durch eine geeignete Anlagepolitik und stellt ihnen angemessene Liquiditätskredite bereit. Ferner obliegen ihr in Zusammenarbeit mit den sächsischen Sparkassen alle sich aus dem Verbund ergebenden Geschäfte. (4) Als Geschäftsbank fördert die Bank insbesondere die Versorgung der Wirtschaft im Freistaat Sachsen mit Bankleistungen unter Berücksichtigung der von den sächsischen Sparkassen zu erfüllenden gesetzlichen Aufgaben. (5) Die Bank ist insbesondere berechtigt, a) Pfandbriefe, Kommunalschuldverschreibungen und sonstige Schuldverschreibungen auszugeben, b) Geschäfte in Finanzinnovationen und -derivaten zu tätigen, c) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte zu erwerben, zu veräußern und zu belasten sowie Wirtschaftsgüter zu erwerben, zu vermieten, zu verpachten und zu veräußern, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, d) mit Zustimmung der Rechtsaufsichtsbehörde andere Unternehmen und Beteiligungen an Unternehmen zu erwerben und zu veräußern. (6) Die Geschäfte der Bank sind unter Beachtung ihres öffentlichen Auftrags nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen.

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b) Würdigung Diese klar gegliederte Aufgabenbeschreibung macht in ihren Abs. 1-3 die öffentlichen Aufgaben deutlich, entsprechend den öffentlichen Aufgaben ihrer Eigner Freistaat Sachsen und den öffentlich-rechtlichen Sparkassen des Landes. Erst im Abs. 4 taucht das Wort „Geschäftsbank“ auf, doch erneut im Kontext mit (angeblich) öffentlichen Aufgaben des Landes („Versorgung der Wirtschaft mit Bankleistungen“) oder der Sparkassen („unter Berücksichtigung der von den sächsischen Sparkassen zu erfüllenden gesetzlichen Aufgaben“). Bis zu diesem Punkt würde man kaum an gezielte Investitionen in ausländische Wertpapiere denken. Aber es folgt noch der Abs. 5 (lit. b), wonach die Bank insbesondere berechtigt ist, „Geschäfte in Finanzinnovationen und -derivaten zu tätigen.“

Hier ist genau das angesprochen, was dann tatsächlich geschah und zum wirtschaftlichen Unglück führte: Bei den fraglichen Wertpapieren handelte es sich tatsächlich um Finanzinnovationen. Nach ihrer Satzung durfte das Management der Bank also in solche Wertpapiere investieren. Die Frage des dabei eingegangenen hohen „Klumpenrisikos“ ist nicht mehr ein Aspekt des rechtlichen „Dürfens“, sondern der Sorgfalt der Geschäftsführung und mithin nicht unser Thema. Allerdings: Da ist noch der zunächst reichlich mysteriöse Abs. 6. Da sollen (alle) Geschäfte „unter Beachtung ihres öffentlichen Auftrags“ geführt werden. Bei näherer Betrachtung aber schwindet der Nebel. Die Vorschrift beschäftigt sich ganz offensichtlich nicht mit der Frage, was getan werden soll, sondern wie es zu tun ist, wie die Geschäfte zu führen sind: die gesamte Geschäftsführung des Vorstands der SachsenLB steht nach Abs. 6 unter dem Gebot kaufmännischer Grundsätze und zugleich des öffentlichen Auftrags. Die „kaufmännischen Grundsätze“ besagen dabei: Die Geschäftsführung der Bank soll unter Beachtung der Grundsätze guter Kaufmannschaft und der Regeln für einen sorgfältigen Bankier ertragsorientiert, kurz: wie eine Privatbank, geführt werden. Der „öffentliche Auftrag“ aber besagt in diesem Zusammenhang, dass der Ertragsgedanke zurückgenommen werden kann, wenn es denn das öffentliche Interesse, der öffentliche Auftrag erfordert. Da sich Abs. 6 mit dem Wie der Geschäftsführung beschäftigt, kann er also nicht als Widerspruch zu Abs. 5 (lit. b) der Satzung interpretiert werden. c) Zwischenfazit Kurz: Das Management der SachsenLB durfte nach der Satzung seiner Bank diese Papiere erwerben, ob unmittelbar oder mittelbar über die irische Zweckgesellschaft, spielt dabei keine Rolle.

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2. Die Bayerische Landesbank (BayernLB) a) Aufgaben nach § 3 Bayern-LB-Satzung Die Satzung der BayernLB stammt vom 8.7.2005. Ihre Aufgaben werden in § 3 wie folgt beschrieben: § 3 Aufgaben (1) Die Bank hat insbesondere die Aufgaben einer Staatsbank sowie einer Kommunal- und Sparkassenzentralbank. Sie betreibt Bankgeschäfte aller Art im In- und Ausland, namentlich das Personal- und Realkreditgeschäft, und sonstige Geschäfte, die den Zwecken der Bank sowie des Freistaates Bayern und des Sparkassenverbands Bayern dienen. Die Hereinnahme von Spareinlagen ist ausgeschlossen, mit Ausnahme der Spareinlagen von Mitarbeitern und Pensionisten der Bank sowie von Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern dieser Personen. (2) Die Bank hat gleichrangig (a) den Freistaat Bayern als Hausbank in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, insbesondere der Strukturförderaufgaben, zu unterstützen; (b) den Sparkassenverband Bayern und seine Mitglieder zu unterstützen, insbesondere die Obliegenheiten einer Girozentrale der bayerischen Sparkassen wahrzunehmen, den Konsortialkredit mit ihnen zu pflegen, ihre Liquiditätsreserven zu verwalten und den Liquiditätsausgleich zu fördern, den Geldverkehr sowie finanz- und banktechnische Angelegenheiten des Sparkassenverbands Bayern, der Städte, Gemeinden, Landkreise sowie der sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere das Kommunalkreditgeschäft, zu besorgen und den bargeldlosen Zahlungsverkehr sowie Wertpapier- und Auslandsgeschäfte der Sparkassen zu unterstützen. (3) Die Bank ist ferner berechtigt (a) Pfandbriefe und sonstige Schuldverschreibungen auszugeben sowie Schuldbuchforderungen zu begründen, sowie (b) Grundstücke und Gebäude zu erwerben und zu veräußern. (4) Die Geschäfte der Bank sind nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen, wobei den der Bank öffentlichen Aufgaben Rechnung zu tragen ist.

b) Würdigung Die wenig klar gegliederte Aufgabenbeschreibung nennt in ihrem Abs. 2 nur öffentliche Aufgaben, in ihrem Abs. 3 einzelne Geschäftsfelder, zu denen ausländische Wertpapiere nicht gehören. Auch Abs. 1 spricht zunächst von „Staatsbank“ sowie einer „Kommunalund Sparkassenzentralbank“. Aber schon im nächsten Satz heißt es dann, dass die BayernLB „Bankgeschäfte aller Art im In- und Ausland betreibt“ sowie „sonstige Geschäfte, die den Zwecken der Bank sowie des Freistaates Bayern und des Sparkassenverbandes Bayern dienen“. Verbindet man diesen letzteren Aspekt mit den „kaufmännischen Grundsätzen“ des Abs. 4, so scheint die Satzung keine Sperre gegen Wertpapier- und Risikogeschäfte zu enthalten.

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Dieses Ergebnis könnte durch den zweiten Teilsatz des Abs. 4 eingeschränkt sein. Denn danach hat die Bank ihren „öffentlichen Aufgaben Rechnung zu tragen“. Davon kann bei internationalen Risikogeschäften gewiss keine Rede sein. Aber dieser Satzteil steht dann wieder [788] im Widerspruch zu den „kaufmännischen Grundsätzen“, die offenbar vor allem die Gewinnerzielung meinen. Wie schon bei der Satzung der SachsenLB gilt es auch hier zwischen dem Was getan werden darf und soll einerseits und dem Wie der Geschäftsführung zu unterscheiden. Abs. 4 beschäftigt sich nur mit dem Wie der Geschäftsführung. Insoweit kann auf die obige Auslegung von Abs. 6 der Satzung der SachsenLB verwiesen werden. Das jedoch, was getan werden soll, ist Inhalt der Abs. 1-3. Und da ist bei aller öffentlich-rechtlicher Umrahmung des Beginns des Satzes 2 von Abs. 1 entscheidend: „Sie (scil. die Bank) betreibt Bankgeschäfte aller Art im In- und Ausland, …“

c) Zwischenfazit Kurz: Der Satzung der BayernLB lässt sich eine klare Sperre gegenüber Risikogeschäften in ausländischen Wertpapieren nicht entnehmen. 3. Die Westdeutsche Landesbank AG (WestLB) a) Unternehmensgegenstand nach der WestLB-Satzung Die WestLB ging im Jahre 2002 aus der Aufspaltung der ehemaligen Westdeutschen Landesbank Girozentrale in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft hervor. Ihre Anteilseigner sind das Land NRW und der Sparkassenverband NRW. Ihr satzungsmäßiger Gegenstand des Unternehmens lautet: (1) Die WestLB AG betreibt bankmäßig Geschäfte aller Art und ergänzende Geschäfte einschließlich der Übernahme von Beteiligungen. (2) Der WestLB AG obliegen die Aufgaben einer Sparkassenzentralbank und einer Kommunalbank. Als Teil der Sparkassenorganisation umfasst der Geschäftszweck auch die Entwicklung und Bereitstellung bankmäßiger Produkte für Sparkassen und öffentliche Kunden. (3) Die WestLB AG hat Niederlassungen. Sie kann weitere Niederlassungen errichten und vorhandene Niederlassungen auflösen.

b) Würdigung Diese klar gegliederte Aufgabenbeschreibung erwähnt das Land NRW und die öffentlichen Aufgaben des Landes nicht, sondern spricht in ihrem Abs. 2 nur die öffentlich-rechtlichen Sparkassen an.

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Abs. 1 hingegen beschreibt die Tätigkeit einer ganz normalen Bank mit „bankmäßigen Geschäften aller Art“. Diese Aufgabenbeschreibung geht auf Wertpapiere o. Ä. nicht weiter ein, sondern belässt es bei den „bankmäßigen Geschäften aller Art“. c) Zwischenfazit Kurz: Eine Sperre gegenüber dem Erwerb ausländischer Wertpapiere und gegenüber Risikogeschäften ist der Satzung der WestLB nicht zu entnehmen. 4. Landesbank Hessen-Thüringen a) Aufgabenbeschreibung nach der Hessen-ThüringenLB-Satzung Die bisherigen Ergebnisse einer weit gespannten Aufgabenbeschreibung werden besonders deutlich auf dem Hintergrund der Satzung der Landesbank Hessen-Thüringen: § 5 Geschäfte … (6) Die Bank kann Bankgeschäfte aller Art und weitere im kreditwirtschaftlichen Bereich übliche Dienstleistungen und Geschäfte betreiben, soweit die Bankgeschäfte und weitere Dienstleistungen und Geschäfte unmittelbar oder mittelbar der Zweckerfüllung der Bank dienen. … (9) Die Geschäfte der Bank sind unter Beachtung kaufmännischer Grundsätze zu führen. Dabei sind allgemein wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen und die Belange der Sparkassen und der Kommunen zu fördern. Unter Berücksichtigung des öffentlichen Auftrages der Bank ist die Erzielung von Gewinn nicht Hauptzweck des Geschäftsbetriebes.

b) Würdigung Hier werden die Aufgaben einer Sparkassenzentral-, einer Kommunal- und einer Staatsbank nachdrücklich betont. Betont wird aber in Abs. 6 auch, dass zwar weitere Bankgeschäfte aller Art betrieben werden können, aber nur „soweit die Bankgeschäfte und weiteren Dienstleistungen und Geschäfte unmittelbar oder mittelbar der Zweckerfüllung der Bank dienen“. Diese dienende Funktion im Verhältnis zu den öffentlichen Aufgaben als Sparkassenzentral-, Kommunal- und Staatsbank wird dann noch einmal im Abs. 9 deutlich gemacht. Nach dem Hinweis, dass die Geschäfte nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen sind, wird erneut betont, dass die „Belange der Sparkassen und der Kommunen zu fördern“ sind. Ganz entscheidend aber ist dann der letzte Satz: „Unter Berücksichtigung des öffentlichen Auftrages der Bank ist die Erzielung von Gewinn nicht Hauptzweck des Geschäftsbetriebes.“

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c) Zwischenfazit Diese Satzung der Landesbank Hessen-Thüringen ist in ihrem § 5 deutlich als Sperre gegen beliebige Wertpapier-, Risiko- und Spekulationsgeschäfte zu verstehen. Hätte sich auch die Landesbank Hessen-Thüringen auf diese Geschäfte eingelassen, so bestünde kein Zweifel, dass sich ihr Vorstand und ggf. ihr Aufsichtsrat/Verwaltungsrat satzungswidrig und mithin pflichtwidrig verhalten hätte. 5. Ergebnis Die hier vor allem untersuchten drei Landesbanken – SachsenLB, BayernLB und WestLB – sind alle drei Chamäleons oder besser: janusköpfig. Der öffentliche Auftrag wird überall betont, nicht minder aber das allgemeine (privatrechtliche) Bankgeschäft. Im Hinblick darauf lassen sich den Satzungen Sperren gegen bestimmte privatrechtliche Wertpapiergeschäfte nicht entnehmen. Bei Gestaltung der Satzungen dieser Landesbanken wurde hier ganz offenbar bewusst gehandelt. Die betreffenden Landesbanken sollten nach den von ihren öffentlich-rechtlichen Eignern beschlossenen Satzungen nicht nur das ertragsschwache öffentlich-rechtliche Geschäft betreiben, sondern eben auch das potenziell lukrativere allgemeine Bankgeschäft. Das wird besonders deutlich, wenn man die Satzungen der drei genannten Landesbanken mit derjenigen der Landesbank Hessen-Thüringen vergleicht. IV. Durften die Landesbanken die fraglichen Geschäfte tätigen? Oder: Standen allgemeine Grundsätze des öffentlichen Rechts dem Abschluss der fraglichen Geschäfte entgegen? 1. Mittelbare Staatsverwaltung Alles, was der Staat tut, ist Staatsverwaltung. Geschieht das durch eine von ihm gegründete öffentlich-rechtliche Anstalt, so ist es mittelbare [789] Staatsverwaltung. Aber auch wenn der Staat für seine Ziele die privatrechtliche Form einer Aktiengesellschaft wählt – wie heute Sachsen LB und WestLB – bleibt es (mittelbare) Staatsverwaltung: der Staat kann nicht zum Bürger werden, er bleibt immer Staat, der stets dem öffentlichen Wohl verpflichtet bleibt2.

2 VerfGH, NRW v. 15.9.1986, DVBl. 1986, 1196, 1197; Koenig, WM 1995, 317; Isensee, DB 1979, 145, 146.

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2. Beschränkung der Zielrichtung staatlichen Handelns auf das Merkmal des „öffentlichen Zwecks“ Alles unmittelbare oder mittelbare Handeln des Staates muss mithin einem öffentlichen Zweck dienen3. Der Staat kann nicht rein private Zwecke verfolgen, kann nicht zum Privatmann werden4. Die Zielrichtung dieser Beschränkung liegt darin, die öffentliche Hand vor der Eingehung übermäßiger wirtschaftlicher Risiken und möglicher wirtschaftlicher Überforderung zu schützen5. Was im Einzelnen mit dem Merkmal „öffentlicher Zweck“ gemeint ist, lässt sich abstrakt nur schwer fassen6. Überwiegend heißt es, öffentlicher Zweck sei jede gemeinwohlorientierte, im öffentlichen Interesse der Einwohner liegende Zielsetzung, also die Wahrnehmung einer sozial-, gemeinwohl-, und damit einwohnernützigen Aufgabe7. Solche öffentlichen Zwecke sind heute Legion und reichen von Bildung über Arbeitsmarkt und Umwelt bis zu den vielfältigsten sozialen Aufgaben – inkl. Wohnungsvermittlung8, von der Arbeitsvermittlung ganz zu schweigen. Ja selbst die schlichte Erleichterung des Lebens seiner Bürger ist als öffentlicher Zweck anerkannt9. Und bei der Festlegung solcher öffentlicher Zwecke kommt dem Staat ein breites Einschätzungsermessen10 zu, in das die Gerichte nicht oder nur in äußersten Grenzen kontrollierend eingreifen können11. Aber einen Eckpunkt gibt es doch: das reine Gewinnstreben, die reine Gewinnerzielungsabsicht, ist kein öffentlicher Zweck12. Der Staat hat sich durch Steuern und Abgaben zu finanzieren, nicht durch reine Tätigkeiten am Markt, die in sich keinem speziellen öffent3 BVerfGE 61, 82, 107; Badura, FS Schlochauer, 1981, 3, 19 f.; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1995, S. 128; Ehlers, JZ 1990, 1089, 1091; Scharpf, Die Konkretisierung des öffentlichen Zwecks, GewArch 2005, 485, 487 (m. w. N.). 4 Selbst Schneider/Busch, die Landesbanken als „universelle Geschäftsbanken“ bezeichnen, geben zu, dass „der Rahmen des öffentlichen Zwecks eingehalten“ werden muss, WM 1995, 326, 329. 5 Katz, Kommunale Wirtschaft, 2004, Rn. 24; Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 117. 6 Moraing, WiVerw 1998, 233, 252. 7 Moraing, WiVerw 1998, 233, 252. 8 BVerwG, BayVBl. 1978 S. 375 f. – Kommunale Wohnraumvermittlung. 9 OVG NRW, DÖV 2005, 220 = NZV 2005, 218 – Autoschilder. 10 Vgl. Hill, BB 1997, 425, 429: er spricht von der „Einschätzungsprärogative der demokratisch legitimierten Gemeindevertretung, (…) die der richterlichen Überprüfung weitgehend entzogen“ sei. Zustimmend Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Deutschen Bundespost, 1980, S. 105 f.; Scholz, DÖV 1976, 441, 442. 11 Vgl. BGH, WRP 1959, 83, 84 – Versandbuchhandlung; BVerwGE 39, 329, 334; OLG Karlsruhe, WRP 1976, 181. 12 H. M., vgl. Hill, BB 1997, 425, 429; Ipsen, NJW 1963, 2102, 2107; Isensee, DB 1979, 145, 149; Moraing, WiVerw 1998, 233, 252; Schneider/Busch, WM 1995, 326, 328 unter Bezugnahme auf Maunz, DVBl. 1974, 1, 6; Schmidt-Aßmann/Röhl, Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, S. 92; Thode, Kreditwesen, 1994, S. 172, 174.

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lichen Zweck folgen13. Natürlich darf und soll der Staat bei der Verfolgung öffentlicher Zwecke Erträge erzielen14. Die Bundesbank und die Europäische Zentralbank sind gute Beispiele dafür. Ihre evident öffentlichen Zwecke sind die Versorgung der Unternehmen und der Bürger mit Geld, die Sicherung der Geldwertstabilität und der Aufbau und Erhalt von Währungsreserven. Wenn diese Tätigkeiten zu Gewinnen führen – umso besser. Aber das ist allenfalls ein Nebenzweck, nicht der Grund für die Existenz dieser Einrichtungen. Im Übrigen: Würde auch eine ausschließliche oder primär auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit als zulässig angesehen, ließe sich damit jedes Geschäftsverhalten rechtfertigen, so dass die für juristische Personen des öffentlichen Rechts anerkannte Zweckbindung durch die öffentliche Aufgabe leerliefe und sinnlos würde15. Die Grenzen zwischen öffentlicher und privater unternehmerischer Tätigkeit würden sich auflösen16. 3. Verfolgung öffentlicher Zwecke durch die fraglichen Landesbanken Solche öffentlichen Zwecke hatten und haben auch die hier untersuchten drei Landesbanken zu verfolgen17. Die SachsenLB hat den Freistaat Sachsen sowie die Kommunen, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts im Freistaat zu unterstützen. Die WestLB und die BayernLB sind Sparkassen-Zentralbank und Kommunalbank. Und alle drei Landesbanken haben die Sparkassen des Landes zu fördern und zu unterstützen. Kurz: ein öffentlicher Zweck ist bei allen drei Instituten fraglos gegeben. Aber hier zeigt sich schon, dass die Frage nach dem öffentlichen Zweck solcher Einrichtungen nicht pauschal beantwortet werden kann, sondern den einzelnen Tätigkeitsfeldern des jeweiligen Instituts folgen muss18. Wenn sie SparkassenZentralbanken sind, dann ist alles, was sie den öffentlichen Sparkassen und deren Kunden als Bankleistung bieten, vom öffentlichen Zweck gedeckt – das wäre sofort anders, wenn sie diese Bankleistungen gegenüber privaten Banken erbringen würden. Und wenn Kunden der Sparkassen Exportfinanzierung und SicheVgl. Ehlers, JZ 1990, 1089, 1091; Isensee, DB 1979, 145, 149. Schmidt-Aßmann/Röhl, Besonderes Verwaltungsrecht, a. a. O., S. 92; Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Deutschen Bundespost, 1980, S. 107; Ehlers, JZ 1990, 1089, 1091; Moraing, WiVerw 1998, 233, 252. 15 Thode, Der öffentliche Auftrag der Landesbanken, in: Kreditwesen 1994, 172, 174. 16 Scharpf, Die Konkretisierung des öffentlichen Zwecks, VerwArch 2005, 485, 491. 17 Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Deutschen Bundespost, 1980, S. 106: „Das Legitimationserfordernis des öffentlichen Zwecks hat eine doppelte Funktion: es schützt zum einen die Privatwirtschaft vor willkürlichen Staatsinterventionen in den Markt und zum anderen den Staat und die öffentliche Hand selbst vor ökonomischen Experimenten.“ – Wären die Organmitglieder der drei Landesbanken doch dieser Einsicht gefolgt! 18 Badura, FS Schlochauer, S. 3, 19 f.; Isensee, DB 1979, 145, 149 f. 13 14

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rung von Währungsrisiken nachfragen und die drei Landesbanken genau das vorhalten und den Sparkassen und ihren Kunden zur Verfügung stellen, dann besteht kein ernsthafter Zweifel am öffentlichen Zweck19. Und nichts anderes gilt für die Nachfrage der Sparkassen-Kunden nach Wertpapieren und Börsengeschäften. Erst recht ist das so, wenn die drei Landesbanken als Staatsbanken tätig werden, die betreffenden Länder mit Krediten versorgen oder deren Liquidität verwalten. 4. Tätigwerden der fraglichen Landesbanken als „Geschäftsbanken“ Problematisch wird das alles, wenn die fraglichen Landesbanken außerhalb öffentlicher Zwecke als „Geschäftsbanken“ tätig werden, „bankmäßige Geschäfte aller Art“ tätigen und etwa Eigengeschäfte in börsennotierten Wertpapieren vornehmen. Das ist ein durchaus isolierbarer Geschäftszweig rein spekulativer Art. Ein öffentlicher Zweck solcher Geschäfte ist schlicht nicht zu erkennen20. Und Steuergelder sollen grundsätzlich gerade nicht für solche Risiken verwendet werden21. [790] Vor allem gilt das für die amerikanischen Wertpapiere. De facto haben die Erwerber dieser Wertpapiere amerikanische Banken finanziert, indem sie ihnen mittelbar die an Tausende von Häuslebauern und Häuslekäufern ausgegebenen Darlehen abgekauft haben. Denn die fraglichen Wertpapiere haben genau das und nur das zum Inhalt: Weder die amerikanische Bank noch ihre zwischengeschaltete Zweckgesellschaft haften, ja häufig haften nicht einmal der Darlehensnehmer selbst, sondern nur das belastete Haus. SachsenLB, BayernLB und WestLB sind also mittelbar Gläubiger von Krediten auf amerikanische Häuser geworden – nicht mehr und nicht weniger. Was hat das mit dem öffentlichen Zweck und den öffentlichen Interessen der Länder Bayern, NRW und Sachsen zu tun? Ganz offensichtlich nichts. Es ging nur um Gewinn-Interessen unter Ausblendung der damit verbundenen Risiken. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, in welchem Umfange diese Papiere von den Landesbanken bzw. ihren Tochtergesellschaften oder Zweckgesellschaften gekauft worden sind: BayernLB: 30 Mrd. Euro (in Worten: Dreißigtausend Millionen Euro) Anders Koenig, WM 1995, 319, 321 f. für Swaps. Zutr. Koenig, WM 1995, 321: „… die institutionelle Legitimation von Landesbanken … genügt nicht, um deren Tätigkeiten auf den Finanzmärkten zu legitimieren. Hierfür ist eine eigenständige tätigkeitsbezogene Prüfung der zumindest mittelbaren öffentlichen Zweckerfüllung erforderlich.“ Worin also soll diese „mittelbare öffentliche Zweckerfüllung“ beim Kauf von 20, 25 oder 30 Milliarden Euro amerikanischer Wertpapiere liegen? 21 Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 117; Katz, Kommunale Wirtschaft, 2004, Rn. 24. 19 20

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SachsenLB: mind. 20 Mrd. WestLB: mind. 25 Mrd. Euro. Worin könnte der Zweck des Erwerbes dieser vieler Milliarden Wertpapiere amerikanischen Rechts bestehen, wenn nicht in der Erwartung höherer Zinsen, mithin höherer Erträge? Das aber ist kein öffentlicher Zweck. Dennoch hat der Verwaltungsrat der BayernLB dem Vorhaben des Vorstands ausdrücklich zugestimmt. Um den hoch spekulativen Charakter dieser Erwerbe abzurunden, gilt es schließlich zu bedenken, dass diese Erwerbe alle auf Kredit erfolgten. Weder die SachsenLB noch erst recht ihre irische Zweckgesellschaft verfügten über eigene Mittel in Höhe von 20 Milliarden Euro, noch die BayernLB und ihre Zweckgesellschaft über 30 Milliarden Euro, etc. Als die Wertpapiere wegen des Ausfalls ihrer Schuldner, der amerikanischen Häuslebauer und Häuslekäufer sowie ihrer Häuser, unverkäuflich wurden, waren die Banken nicht sofort überschuldet, sondern illiquide: sie konnten die meist kurzfristigen Darlehen mangels Erträgen aus den Wertpapieren und mangels ihrer Verwertbarkeit nicht zurückzahlen. -

5. Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „öffentlicher Zweck“ obliegt den ordentlichen Gerichten Der Bundesgerichtshof hat in einer höchst problematischen Entscheidung vom 21.11.195822 die Ansicht vertreten, dass die Entscheidung über die Frage, ob und welche Grenzen für die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand zu setzen seien, keine Aufgabe der ordentlichen Gerichte sei. Das Bundesverwaltungsgericht23 und das OLG Karlsruhe24 sind dem BGH darin gefolgt. Das kann nicht richtig sein. Der „öffentliche Zweck“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff25. Dessen Auslegung und Anwendung im konkreten Einzelfall ist eine Rechtsfrage, die zu entscheiden Aufgabe der Gerichte ist, die sie nicht ablehnen

WRP 1959, 83. BVerwGE 39, 329, 334. Immerhin schränkt das Gericht seine Aussage ein mit der Formulierung: „Die Beurteilung des öffentlichen Zwecks … ist daher der Beurteilung durch den Richter weitgehend entzogen“. (durch Verf.) Anders das BVerwG in einer Entscheidung von 1978 (BayVBl. 1978, 375): Das Wettbewerbsverhältnis zwischen öffentlicher Hand und privatem Wettbewerber sei unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses grundsätzlich der Beurteilung und Entscheidung der Gerichte unterworfen; der Schutz des privaten Wettbewerbers wäre gefährdet, wenn eine gerichtliche Nachprüfung der öffentlichen Zweckbindung generell ausgeschlossen wäre. 24 WRP 1976, 181. 25 Zutr. Hidien, Das Ermessen der Gemeinden über die Zweckbindung ihrer wirtschaftlichen Unternehmen, DÖV 1983, 1002; Koester, Kreditwesen 1978, 540, 542; Scharpf, GewArch 2005, 485, 506. 22 23

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können26. Der Beurteilungsspielraum der öffentlichen Hand darf nicht so interpretiert werden, dass er im Ergebnis eine schrankenlose Einschätzungsprärogative bedeutet27. Damit würde das als Begrenzung gedachte Kriterium des öffentlichen Zwecks weitestgehend leerlaufen28. Das würde der Grundrechtsrelevanz unternehmerischer Tätigkeit der öffentlichen Hand nicht gerecht. Wenn also die Frage rechtshängig wird, ob die Vorstandsmitglieder, Verwaltungsräte und Aufsichtsräte der drei Landesbanken pflichtwidrig, weil rechtswidrig, weil außerhalb jeden öffentlichen Zweckes gehandelt haben, dann müssen die angerufenen Gerichte die Frage, ob ein öffentlicher Zweck bei diesen Geschäften vorlag, selbstverständlich prüfen und entscheiden. 6. Zwischenergebnis Alle Organe und alle Organmitglieder der drei hier untersuchten Landesbanken haben mithin beim Erwerb der fraglichen Papiere jenseits jeglichen öffentlichen Zweckes gehandelt und mithin rechtswidrig und objektiv rechtswidrig. V. Persönliche Haftung der Vorstände 1. Haftung der Vorstandsmitglieder der WestLB Für die Vorstandsmitglieder der WestLB AG führt die festgestellte Pflichtverletzung direkt zur persönlichen Haftung aus § 93 AktG; denn der Schaden ist bekannt und das Verschulden dieser Vorstandsmitglieder wird vom Gesetz vermutet29. Natürlich haben die Vorstandsmitglieder beim Kauf der amerikanischen Wertpapiere unternehmerische Entscheidungen getroffen. Dennoch kommt ihnen das Privileg der sog. Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht zugute. Denn sie haben ohne ausreichende Information über den Inhalt und

26 H. M., vgl. BVerfGE 84, 34, 49 f.; BVerwGE 94, 307, 309; 100, 221, 225; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, Rn. 354 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 7 Rn. 35. 27 Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, S. 708; Ruffert, VerwArch 2001, 27, 40; Scharpf, GewArch 2005, 485, 507. 28 Scharpf, GewArch 2005, 508. 29 Vgl. Krieger/Sailer, in: K. Schmidt/Lutter, KommAktG, § 93 Rn. 31; Hopt, in: GroßkommAktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 285; Mertens, in: Kölner Komm AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 102; Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 93 Rn. 16 (h. M.).

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die rechtliche Struktur dieser amerikanischen Wertpapiere entschieden und dabei völlig unvertretbar hohe Risiken auf ihre Bank genommen30. 2. Keine Haftungsnorm im öffentlichen Korporationsrecht Anders als das zivile Korporationsrecht mit seinen §§ 93, 116 AktG, 43 GmbHG enthält das öffentliche Korporationsrecht schon mangels jeder systematischen Kodifikation keine Normen zur Haftung ihrer Organmitglieder. Manchmal findet sich dazu ein Satz in den Statuten, in der Regel aber schweigen sie zu diesem Thema. In Betracht kommen zwei Ansätze: a) Vertragshaftung der Vorstandsmitglieder Zum einen stehen jedenfalls die Vorstände dieser öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in einem Anstellungsverhältnis zu ihrer Bank. Daraus schulden sie naturgemäß Sorgfalt bei der Amtsausübung. Diese vertragliche Sorgfaltspflicht wäre hier objektiv verletzt und ebenso [791] wäre subjektiv mindestens Fahrlässigkeit gegeben sowie Schaden und Kausalität: die Haftung der Vorstandsmitglieder wäre Vertragshaftung und stünde zur Disposition der Parteien31. b) Analoge Anwendung der Organhaftungsregeln des Privatrechts Näher liegt es, das Fehlen jeder gesetzlichen Regelung als unbewusste Lücke im öffentlichen Recht zu verstehen und wegen der Identität von Struktur (rechtlich selbständige Korporationen) und Organisation (Vorstand und Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat) die Organhaftungsregeln des Privatrechts entsprechend anzuwenden32. Auch hier lägen Pflichtwidrigkeit, Schaden und Kausalität vor, das Verschulden würde hier vermutet33. 3. Haftung aller Vorstandsmitglieder auf den vollen Schaden Jeder der beiden Ansätze führt hier ebenfalls zur Haftung aller Vorstandsmitglieder auf den vollen Schaden. Aufgabe des Aufsichtsrats/Verwaltungsrats ist 30 Das ist in der Abhandlung des Verf. über „Bankenkrise und Organhaftung“ in ZIP 2009, 197, eingehend dargelegt. 31 Dazu näher Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 13 ff., mit näheren Gründen zur Ablehnung dieses Haftungsmodells. 32 Dazu eingehend Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 6 ff., 10 ff. mit umfangreichen Nachw. 33 Oben Fn. 31.

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es, im Interesse der öffentlich-rechtlichen Banken diese Ansprüche auch geltend zu machen; es gibt keinen erkennbaren Grund, davon abzusehen: der Sachverhalt ist längst öffentlich bekannt, sonstige Nachteile der Bank-Unternehmen aus der Verfolgung dieser Ansprüche sind nicht erkennbar, die Rechtspflicht zur Geltendmachung der Ansprüche ist also klar gegeben. Der Bundesgerichtshof hat in seiner ARAG-Entscheidung von 199734 klar und deutlich gesagt: „Stehen der AG nach dem Ergebnis dieser Prüfung durchsetzbare Schadensersatzansprüche zu, hat der Aufsichtsrat diese Ansprüche grundsätzlich zu verfolgen.“

Und von dieser Pflicht zur Geltendmachung des Schadens nur zwei Ausnahmen zugelassen: (1) wenn „gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls“ dagegen sprechen oder (2) wenn das betreffende Vorstandsmitglied im wesentlichen vermögenslos ist. Gewichtige – und wie der BGH sagt: überwiegende35 – Gründe des Gesellschaftswohls sind hier schlicht nicht erkennbar, während zum persönlichen Vermögen der Vorstandsmitglieder jedenfalls deren Gehalts- und Pensionsansprüche gehören, gegen die die Bank aufrechnen kann. 4. D&O-Versicherung Ob für die Vorstände eine sog. D&O-Versicherung36 abgeschlossen wurde, ist nicht bekannt. Besteht die Versicherung, so ist die Pflicht des Aufsichtsrats/ Verwaltungsrats zur Geltendmachung des Schadens erst recht gegeben. VI. Fazit Alle Organe und alle Organmitglieder der drei hier untersuchten Landesbanken haben beim Erwerb der fraglichen Papiere jenseits jeglichen öffentlichen Zweckes gehandelt. Als Einrichtungen der betreffenden Länder und der öffentlich-rechtlichen Sparkassen war dieser öffentliche Zweck Inhalt und Schranke37. Diese Schranke wurde missachtet. Alle diese Organmitglieder haben mithin rechtswidrig und damit objektiv pflichtwidrig gehandelt und auf diese Weise viele,

BGHZ 135, 244. BGH a. a. O., (LS d). 36 Dazu Ulmer, FS Canaris Bd. II, 2007, S. 451 ff. 37 Vgl. noch einmal Ossenbühl, oben Fn. 21. 34 35

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viele Milliarden Steuergelder der Bürger ihres Landes verspielt38. Sie sind dabei von den jeweiligen Landesgesetzgebern und Landesregierungen unterstützt worden, die „Bankgeschäfte aller Art und sonstige Geschäfte“ (BayernLB, SachsenLB) bzw. „bankmäßige Geschäfte aller Art und ergänzende Geschäfte“ (WestLB) in ihre Satzungen schrieben und den öffentlichen Zweck als Schranke nicht erwähnt haben – anders etwa als die Satzung der LB Hessen-Thüringen, die in § 5 Abs. 9 ausdrücklich vom „öffentlichen Auftrag“ der Bank spricht. Davon abgesehen aber sollten sich alle damals tätigen Organmitglieder dieser drei Landesbanken – Vorstände, Verwaltungsräte und Aufsichtsräte – und ihre Abschlussprüfer in Grund und Boden schämen, dass sie die wahren Geschäfte ihrer Bank und deren ungewöhnlich hohe Risiken durch die Einschaltung von ausländischen Tochtergesellschaften und Zweckgesellschaften in ihren Bilanzen verschleiert haben – obwohl alle Welt seit Enron weiß, wie gefährlich dieses Verfahren ist. Der Aufsichtsrat bzw. der Verwaltungsrat ist gehalten, im Interesse der öffentlich-rechtlichen Banken die gegen die pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglieder bestehenden Haftungsansprüche geltend zu machen.

38 Zur Frage der Gültigkeit der Rechtsgeschäfte in diesem Zusammenhang wird ausdrücklich nicht Stellung genommen; vgl. dazu Koenig, WM 1995, 323 ff. und Schneider/Burgard, FS Claussen, 1997, S. 499 ff.

Bankenkrise und Organhaftung* ZIP 2009, S. 197-201 Bankiers in Deutschland und auf der ganzen Welt haben mit ihren riesigen Spekulationen in amerikanischen Wertpapieren ein großes Unglück angerichtet, haben eine weltweite Bankenkrise ausgelöst und in ihrem Gefolge eine weltweite Wirtschaftskrise. Die Politik aller Länder bemüht sich mit wiederum riesigen Summen der Steuerzahler um Eindämmung der Krisen. Darüber ist bisher die Frage nach der Verantwortung der Bankiers vergessen worden. Das wird hier nachgeholt. I. Einleitung Die Bankenkrise ist in aller Munde und die Vorschläge zu ihrer Überwindung überschlagen sich weltweit. Diese Krise ist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern ist das Werk von Menschen, vor allem von Bankiers. Über ihre Verantwortung und ihre etwaige persönliche Haftung wird bislang geschwiegen. Das mag mit der unerhörten Höhe der Schäden zusammenhängen, die die Kraft einzelner Menschen zur Kompensation weit übersteigt. Dennoch muss man wissen, ob und welche Pflichten verletzt worden sind, und sei es auch nur zu ihrer Vermeidung in der Zukunft. Im Übrigen ist es angemessen, wenn die Verantwortlichen und ihre Versicherungen wenigstens ihr Scherflein zur Schadensbegrenzung beitragen, wie das in diesen Tagen die einstigen Manager der Schweizer UBS getan haben. Diese Abhandlung will also der Frage nachgehen, ob Vorstände, Aufsichtsräte und Abschlussprüfer deutscher Banken ihre Pflichten verletzt haben. Ehe man damit beginnen kann, gilt es, den Sachverhalt zu klären, auf den dann die rechtlichen Überlegungen aufsetzen können.

* Die Abhandlung beruht auf Vorträgen, die Verfasser im Dezember 2008 im Rahmen des Symposions „Finanzkrise: Grundsatzfragen und politische Verantwortung“ (Prof. Grundmann) an der HumboldtUniversität in Berlin und im Januar 2009 vor dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) in Frankfurt/M. gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibehalten, die Nachweise auf das Nötigste beschränkt. Der Parallel-Vortrag aus betriebswirtschaftlicher Sicht von Prof. Dr. v. Werder erscheint im März in dieser Zeitschrift. Sämtliche Vorträge des vorerwähnten Symposions erscheinen in Kürze als Buch im Verlag de Gruyter, Berlin. Verfasser dankt dem Verlag für seine Erlaubnis zu dieser Vorveröffentlichung.

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II. Sachverhalt Nicht nur Spezialinstitute wie Hypothekenbanken, sondern praktisch alle Banken geben hypothekarisch gesicherte Darlehen an ihre Kunden, die ein Haus bauen oder kaufen wollen. So ist es auch in den USA. Normalerweise nehmen die Banken diese Darlehen in ihren Bestand und warten die Zins- und Tilgungsleistungen ab. Bis, ja bis einer dieser amerikanischen Bankiers, nämlich Lewis Ranieri, auf die Idee kam, diese vielen hunderte und tausende Darlehen an eine von ihm gegründete Zweckgesellschaft – sog. Single Purpose Corporation – abzutreten. Diese bündelte die vielen vielen Darlehen und gab darauf Wertpapiere aus, die an den hypothekarisch gesicherten Zins- und Rückzahlungen der Häuslebauer bzw. käufer entsprechend partizipieren, sog. Mortgage Backed Securities (MBS) oder auf deutsch: hypothekenbesicherte Wertpapiere. Eine Emittentenhaftung der Zweckgesellschaft gab und gibt es nicht. Das neue, zunächst durchaus seriöse Geschäftsmodell breitete sich aus wie ein Flächenbrand und spülte den amerikanischen Banken immer neues Geld in die Kassen, die damit immer schlechtere Kunden finanzierten. Die Papiere der Zweckgesellschaften wurden geratet, gingen an institutionelle Anleger wie Banken, Hedgefonds etc. weltweit weg wie warme Semmeln, da ihre Verzinsung leicht über dem damals sehr niedrigen Marktzins lag. Diese Wertpapiere amerikanischen Rechts waren an keiner Börse notiert, doch bildete sich rasch ein informeller Markt. Als aber immer mehr Häuslebauer ihre Zins- und Rückzahlungen einstellten und die Papiere nicht mehr bedient werden konnten, brach dieser Markt zusammen und die Papiere wurden unverkäuflich und damit praktisch wertlos. Kein Mensch weiß, wie viele dieser Papiere in Umlauf gebracht worden sind; die Untergrenze der Schätzungen liegt bei 800 Milliarden US-$, die Obergrenze bei 2,8 Billionen US-$, immerhin eine Schätzung der Bank of England.1 [198] Das System und die Wertpapiere hatten von Anfang an drei große Schwächen: 1. Im Gegensatz zu unseren Pfandbriefen gibt es hier keine Haftung der emittierenden Zweckgesellschaft. Die Zins- und Kapitalrückzahlung der amerikanischen Wertpapiere hängt also allein von der Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Häuslebauer ab. 2. Die rechtlichen Bedingungen, die den Wertpapieren zugrunde lagen und liegen, sind ungemein komplex, 300 bis 400 Seiten englischen Textes lang und sie enthielten irgendwo auf S. 390 die Bestimmung, dass die Zweckgesellschaft einzelne Darlehen aus dem Bündel herausnehmen und dafür andere hineinlegen 1 Zum Sachverhalt vgl. die sorgfaltige Darstellung in: Die Zeit Nr. 49 v. 27.11.2008, S. 17 ff.; vgl. weiter Rudolph, Lehren aus den Ursachen und dem Verlauf der internationalen Finanzkrise, zfbf 2008, 713 ff. und Hellwig, Systemic Risk in the Financial Sector, Bonn 2008 (noch nicht veröffentlicht).

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dürfe. Als die neuen Darlehen immer schlechter wurden, wurde davon reichlich Gebrauch gemacht: gute raus und schlechte rein, zuletzt auch Verbraucherkredite und Kreditkarten-Forderungen. 3. Die amerikanischen Rating-Agenturen haben Erfahrung mit dem Raten von Unternehmen, ihren Aktien und Schuldverschreibungen. Das Raten von Darlehen an Häuslebauer und Verbraucher war ihnen hingegen ganz und gar fremd. Wie fremd, wird an ihren katastrophalen Fehleinschätzungen deutlich, auf die sich weltweit die Bankiers verlassen haben. Auf diesem Hintergrund haben deutsche Banken, private wie die IKB Deutsche Industriebank AG, die Commerzbank AG, die Deutsche Bank AG – die im Übrigen „Lieferantin“ dieser Papiere an die IKB war – und öffentliche wie die SachsenLB und die BayernLB, Milliarden und Milliarden Euro in diese Papiere investiert, alle kurzfristig finanziert, so dass sie mit dem Zusammenbruch des Marktes dieser Papiere nicht nur überschuldet, sondern illiquide wurden. III. Rechtliche Betrachtungen Soviel zum Sachverhalt. Jetzt zur rechtlichen Wertung in Bezug auf Pflichtverletzungen und die etwaige persönliche Haftung der deutschen Bank-Manager und ihrer Aufseher. 1. Öffentlich-rechtliche Banken Für die Vorstände, Aufsichtsräte und Verwaltungsräte der hier involvierten öffentlich-rechtlichen Banken und nur für sie stellt sich als erstes die Frage, ob sie nach den für sie geltenden Regeln des öffentlichen Rechts diese Geschäfte überhaupt hätten betreiben dürfen. Diese sehr schwierige Frage wird hier ausgespart. 2. Sorgfaltspflicht Für alle betroffenen Vorstände, Aufsichtsräte und Verwaltungsräte geht es um die Frage, ob sie bei diesen Geschäften die Sorgfalt eines gewissenhaften Bankiers bzw. eines gewissenhaften Aufsichts- oder Verwaltungsrats beachtet haben, §§ 93, 116 AktG.2

2 Diese Vorschriften gelten für die öffentlich-rechtlichen Banken nicht unmittelbar, de facto aber aufgrund entsprechender Anwendung; näher dazu Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 4 ff.

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3. Vorstände 3.1 Über die Sorgfalts-Anforderungen an einen Bankier wissen wir durch die Regeln des KWG,3 durch internationale Abmachungen wie Basel II sowie die Vorgaben der BaFin4 relativ gut Bescheid. In unserem Zusammenhang spielen dabei drei Aspekte eine besondere Rolle: das Handeln auf ausreichend informierter Grundlage, die Vermeidung von übergroßen Risiken, insbesondere sog. Klumpenrisiken, und die Einhaltung professioneller Regeln. Das Handeln auf ausreichend informierter Grundlage schützt den Bankier, weil er dann durch die Business Judgment Rule vom unternehmerischen Risiko freigestellt ist.5 Sie schützt aber auch die betreffende Gesellschaft, weil nur auf diese Weise das ihr zugewiesene unternehmerische Risiko begrenzt werden kann. Fraglich ist also, ob die betreffenden Bankiers beim Kauf dieser amerikanischen Wertpapiere ausreichend informiert waren.6 Anders gewendet: Was muss ein Bankier beim Erwerb eines solchen Papiers wissen und was hat er gewusst? (1) Zunächst einmal muss der Bankier die Haftungsverhältnisse des Papiers kennen. Da nun ist von großem Gewicht, dass die emittierenden amerikanischen Zweckgesellschaften nicht haften. Aber auch die Häuslebauer und -käufer haften keineswegs notwendig; nach einigen amerikanischen Landes-Rechten beschränkt sich die Haftung auf das belastete Haus: Der Eigentümer gibt den Schlüssel für das haftende Haus bei der Bank ab und zieht zwar ohne Haus, aber schuldenfrei weiter. Als Haftungssubstrat stehen also in vielen Fällen nur die belasteten Häuser zur Verfügung. Das ist keine sehr starke Stellung für den Gläubiger in Europa dann, wenn die Schuldner in relevanter Zahl ausfallen und verschwinden. (2) Sodann muss der Bankier die rechtlichen Daten des Papiers kennen und abwägen. Das sind die berühmten 300 bis 400 Seiten Bedingungen auf Englisch. Man kann sicher sein, dass keiner der handelnden Bankiers sie gelesen und studiert hat. Hoffen wir, dass es sein Justiziar getan hat. Immerhin wäre ihm oder dem Justiziar dann aufgefallen, dass sich die Qualität seines Wertpapiers ohne 3 Vgl. dazu Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1995, Rz. 15.54 ff., und 3. Aufl., 2005, Rz. 19.42 und 19.111 ff. Allein zu den Grundsätzen I und II (§§ 10 u. 10a KWG) gibt es in der Sammlung von Consbruch/Fischer, KWG, Stand: August 2008, 169 einzelne Aussagen. 4 Allein die Erläuterungen der BaFin in den sog. MaRisk v. 30.10.2007 umfassen mehr als 40 Einzelaussagen auf 50 eng beschriebenen Seiten. 5 Näher dazu Lutter, ZIP 2007, 841; Fleischer, Handbuch des Vorstandsrecht 2006, § 7 Rz. 45 ff.; Krieger/Sailer, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 9 Rz. 10 ff. 6 Die Pflicht des Vorstands, nur auf der Grundlage ausreichender Information zu handeln, ist als Teilaspekt seiner Sorgfaltspflicht unstr.; vgl. nur BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883 – ARAG, dazu EWiR 1997, 677 (Priester), und OLG Hamm ZIP 1995, 1263, 1269 sowie jüngst BGH ZIP 2009, 223 (in diesem Heft) = WM 2009, 26; Lutter, ZIP 2007, 841; Krieger/Sailer (Fußn. 5), § 93 Rz. 13; MünchKomm-Spindler, AktG, 3. Aufl., § 93 Rz. 47; Hopt, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., § 93 Rz. 84.

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sein Zutun gegenüber dem Zeitpunkt des Ratings beliebig verschlechtern kann. Und so ist es dann ja auch geschehen. (3) Weiterhin wurden die Papiere im Umlaufvermögen der Bank bzw. ihrer Tochter- (IKB) oder Zweckgesellschaften (BayernLB, SachsenLB) gehalten, sollten also liquide sein und nicht auf ewig und immer gehalten werden. Das galt umso mehr, als diese Papiere ihrerseits finanziert waren und nicht etwa ganz oder teilweise aus dem Eigenkapital der Bank be- [199] zahlt worden sind.7 Hier galt es also für den Bankier, den Markt für diese Papiere zu analysieren und abzuschätzen. Dabei wäre deutlich geworden, dass dieser Markt in keiner Weise institutionalisiert, also unerhört labil war. Gibt es plötzlich und aus welchen Gründen auch immer keine Käufer für diese Papiere mehr, so existiert der Markt schlicht nicht mehr. Und so ist es ja auch geschehen. (4) Man kann sich schwer vorstellen, dass die handelnden Bankiers über all das wirklich informiert waren. Übrigens trifft sie im Haftungsprozess dafür die Beweislast.8 Waren sie aber tatsächlich informiert, dann haben sie für einen kleinen Zinsvorteil ungewöhnlich hohe Risiken auf ihre Bank genommen. Die Bankiers werden sich auf das Rating dieser Papiere berufen und erklären, damit entfalle ihre Pflicht zu eigener Information; das alles sei ja durch die RatingAgentur geprüft worden. Diese Argumentation wäre schon im Ansatz verfehlt; denn die Vorstände müssen selbst verantwortlich handeln. Im Übrigen hätte ihnen auffallen müssen, dass die häufig AAA geratete Qualität eines von einer selbst nicht haftenden Zweckgesellschaft ausgegebenen Wertpapiers über Forderungen an tausende unbekannter Dritter schlechthin nicht gleich der Schuldverschreibung eines AAA gerateten und haftenden Unternehmens, wie Daimler oder General Electric, sein kann. 3.2 Damit ist schon das Stichwort des nächsten Prüfungsabschnitts gefallen: übergroße Risiken. Kein Manager, gleich ob Bankier oder Vorstand eines Industrie- oder Handelsunternehmens, handelt sorgfältig, wenn er Risiken für sein Unternehmen eingeht, die, wenn sie sich verwirklichen, zum Untergang dieses Unternehmens führen können.9 So aber war es hier. Angenommen, die Bankiers waren informiert, so hätten sie sehenden Auges das rechtliche Risiko dieser Papiere ihr Qualitätsrisiko 7 Spanien ist von der Bankenkrise verschont geblieben, weil dort die Bankenaufsicht die Unterlegung dieser Papiere mit Eigenkapital der Bank verlangt hat. Dadurch waren die Papiere nicht mehr attraktiv und wurden von den spanischen Banken nicht gekauft. Auch in Deutschland hätte das die BaFin tun können, hat es aber versäumt. 8 Dazu Goette, ZGR 1995, 648; Lutter, ZIP 2007, 841, 846; Fleischer (Fußn. 5), § 11 Rz. 69 ff.; Krieger/Sailer (Fußn. 5), § 93 Rz. 31 ff.; vgl. auch BGH ZIP 2002, 2314, dazu EWiR 2003, 225 (Schimmer). 9 BGHZ 135, 244 = ZIP 1997, 883; Lutter, ZIP 2007, 841, 845; Krieger/Sailer (Fußn. 5), § 93 Rz. 13; Hopt (Fußn. 6), § 93 Rz. 82; Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 93 Rz. 49.

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das Marktrisiko und das Klumpenrisiko die Bank genommen und das gleich in Höhe von 20 und mehr Milliarden € (IKB, WestLB und BayernLB) bzw. 30 Milliarden € (SachsenLB). Die Folgen kennen wir: Ohne die Hilfe von außen wäre jede dieser Banken heute wie Lehman Brothers in New York insolvent. Die fraglichen Bankiers haben also weit überzogene Risiken auf ihre Bank genommen. 3.3 Bleibt als letztes die Frage, ob die Bankiers in diesem Zusammenhang auch gegen Sorgfaltsregeln ihres Metiers verstoßen haben. Das ist der Fall. Seit eh und je gilt der Grundsatz, dass langfristige Engagements nicht kurzfristig finanziert werden dürfen10 bzw. nur aufgrund einer sorgfältigen und überschaubaren Liquiditätsplanung und Liquiditätskontrolle. So aber war es offenbar hier. Die Milliarden-Investitionen in die amerikanischen Wertpapiere waren offenbar kurzfristig finanziert und durch die Verlagerung der Engagements in (ausländische) Zweckgesellschaften der eigenen Bilanz und der Bankenaufsicht entzogen. Denn nach dem Zusammenbruch des Marktes haben sich die fraglichen Banken nicht etwa wegen der hohen Buchverluste für überschuldet erklärt, sondern für illiquide. Das aber signalisiert, dass kurzfristige Verbindlichkeiten aus dem Engagement nicht mehr erfüllt werden konnten. Darüber hinaus widerspricht auch das eingegangene Klumpenrisiko den Sorgfaltsregeln für einen Bankier.11 Was er schon nach den gesetzlichen Regeln bei Großkrediten und Krediten an Konzerngesellschaften beachten muss, gilt als Sorgfaltsregel natürlich auch für alle anderen Risiken. Hier wird mit Sicherheit eingewandt werden, dass es ganz verschiedene Wertpapiere unterschiedlicher Emittenten waren. Das ist zwar richtig, beseitigt aber das Klumpenrisiko nicht. Da die Emittenten der Papiere nicht haften, spielt die Frage, ob die Papiere von A oder B kommen, keine Rolle: Das Risiko bleibt gleich. Aber auch der Inhalt dieser Papiere und ihr Risiko waren gleich: Es ging um Hypothekarkredite gegenüber einer großen Zahl unbekannter Schuldner. Die Gefahr etwaiger Ausfälle war ganz und gar gleich. Genau dem will das Gebot, Klumpenrisiken zu vermeiden, entgegenwirken.12 Im Übrigen hätten schon die einfachsten Sorgfaltsregeln die Bankiers misstrauisch und zurückhaltend machen müssen. Welcher sorgfältige Bankier inves-

10 Kümpel (Fußn. 3), 1. Aufl., Rz. 15.91 f., und 3. Aufl., Rz. 19.148 ff.; vgl. auch § 11 KWG und dort die Grundsätze I und II sowie Fischer, Bankrecht, 3. Aufl., Ziff. 2.151 und C. P. Claussen, Bankrecht, 3. Aufl., § 3 Rz. 10 zur „Goldenen Bankregel“. 11 Kümpel (Fußn. 3), 1. Aufl., Rz. 15.32 f und 3. Aufl., Rz. 19.171 ff. sowie Fischer (Fußn. 10), Ziff 2.168. Der Gesetzgeber hat das für so wichtig angesehen, dass er bestimmte Klumpenrisiken schlicht verboten hat, §§ 13, 13a KWG; vgl. dazu C. P. Claussen (Fußn. 10), § 3 Rz. 8. 12 C. P. Claussen (Fußn. 10), § 3 Rz. 8.

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tiert schon für seine mittelständische Bank ein Drittel der Bilanzsumme in ausländische, weitgehend unbekannte Wertpapiere (so die IKB), wer eine Summe in Höhe des dreifachen Landeshaushalts (so die SachsenLB)? Hier wäre die Bankenaufsicht sicher eingeschritten, hätten die heute insolventen Banken das Geschehen nicht mit Hilfe von Tochter- und Zweckgesellschaften ins Ausland verlegt (Irland, USA) und damit den Eingriffsmöglichkeiten der BaFin entzogen. Rätselhaft aber bleibt, dass diese nicht wegen der verbliebenen irrsinnig hohen Bürgschafts- und Garantie-Risiken eingeschritten ist; denn die Tochter- und Zweckgesellschaften waren weitgehend vermögenslos und kreditwürdig nur aufgrund der Bürgschaften und Garantien ihrer Mütter. IV. Ergebnis Was also ist das Ergebnis unserer Untersuchung und was sind die Rechtsfolgen? 1. Vorstände 1.1 Ob die Vorstände der betreffenden Banken auf dem Hintergrund ausreichender Information über rechtliche Struktur [200] und Risiken der fraglichen Papiere gehandelt haben, ist nicht geklärt. Insbesondere dort, wo durch Tochtergesellschaften (WestLB) oder Tochter-Zweckgesellschaften (SachsenLB) gehandelt wurde, könnten daran Zweifel bestehen. 1.2 Sicher ist, dass alle Vorstände gegen das Verbot der Übernahme übergroßer Risiken und sog. Klumpenrisiken verstoßen und so die Sorgfaltspflichten verletzt haben. 1.3 Naheliegend und wahrscheinlich haben sie darüber hinaus gegen die Regel verstoßen, dass längerfristige Engagements nicht bzw. nur unter Beachtung sorgfältiger Kautelen kurzfristig finanziert werden dürfen. 1.4 Das alles gilt auch dann, wenn die Geschäfte durch Tochtergesellschaften oder sog. Zweckgesellschaften abgewickelt wurden. Denn die fraglichen Vorstände haben dafür in verschiedenster Weise die Haftung ihrer Banken erklärt. Die Vorstände hätten daher die Geschäftsführer dieser Tochter- und Zweckgesellschaften sorgfältig überwachen und die absurd hohen Risiken verhindern müssen. 1.5 Die Aufsichtsräte und Verwaltungsräte dieser Vorstände sind also von Rechts wegen verpflichtet, gegen diese auf Leistung von Schadensersatz vorzugehen. Das gilt umso mehr, als häufig nur dann die hier nützlichen Leistungen einer D&O-Versicherung in Anspruch genommen werden können. Verzögern die Aufsichtsräte dieses Vorgehen und lassen sie gar Verjährung eintreten, so haften

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sie selbst. Das alles ist durch den BGH in der berühmten ARAG-Entscheidung geklärt.13 2. Haftung der Aufsichtsräte/Verwaltungsräte Die Aufsichts- und Verwaltungsräte dieser Banken sind zur Überwachung der Geschäftsführung ihrer Vorstände verpflichtet mit dem Ziel, solche Unglücke zu verhindern. Das gerade ist der Sinn des sog. dualen Systems, in ihm findet es seine Bewährung oder eben nicht. Von einigen dieser Räte, wie dem Verwaltungsrat der BayernLB, weiß man, dass sie dem Geschehen und mithin dem pflichtwidrigen Handeln der Vorstände sogar ausdrücklich zugestimmt haben. Ihre Haftung ist fraglos. In allen anderen Fällen kommt es darauf an, was die Aufsichts- und Verwaltungsräte aufgrund der Berichte ihrer Vorstände wussten oder bei entsprechender Sorgfalt hätten wissen können: Möglich ist durchaus, dass Vorstände diese Geschehnisse in Tochter- und Zweckgesellschaften verlagert haben, gerade um diese vor ihren Aufsichtsräten zu verschleiern. Andererseits sind die einige Jahre lang hohen Erträge nicht aus dem Nichts gekommen. Die Aufsichts- und Verwaltungsräte mussten also im Grunde das System kennen. Dennoch: Hier bedarf es der Aufklärung in jedem Einzelfall. Fraglich ist nur, wer das machen soll. Denn Ansprüche der Gesellschaft gegen Aufsichts- und Verwaltungsräte macht der Vorstand geltend, § 78 AktG. Das ist schon an sich grotesk genug – welcher Vorstand klagt gegen seinen Aufsichtsrat? –, ist hier aber doppelt verfehlt, weil die Vorstände selbst und in der gleichen Sache involviert sind. Hier kann nur die Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG oder die Aktionärsklage nach § 148 AktG bei den privaten Bank-Aktiengesellschaften helfen. Ob sich die Eigner der öffentlich-rechtlichen Landesbanken, also die Sparkassen und die betroffenen Bundesländer Sachsen, Bayern, NordrheinWestfalen und jetzt auch Baden-Württemberg dazu aufraffen werden, ist außerordentlich zweifelhaft. 3. Appendix: Haftung der Abschlussprüfer 3.1 Auch der Abschlussprüfer ist zu sorgfältiger Amtsausübung verpflichtet; das folgt schon aus seinem Prüfvertrag mit der Gesellschaft, im Übrigen aus § 323 HGB. Unabhängig von der Frage, ob die handelnden Tochter- (WestLB) oder Zweckgesellschaften (SachsenLB) mit ihren hohen Aktiva und Passiva in die Konzernbilanz aufgenommen werden mussten, bestanden hohe Bürgschaften 13

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und Garantien der jeweiligen Muttergesellschaften; sie gerade haben das Unglück ausgelöst. Solche Haftungsverhältnisse führen entweder zur Pflicht, entsprechende Rückstellungen zu bilden – was hier mangels akuter Gefährdung zunächst nicht zutraf –, oder zur Pflicht, sie unter der Bilanz oder im Anhang anzugeben, § 268 Abs. 7, § 251 HGB. Dieser Komplex gehört selbstverständlich mit zum Prüfungsprogramm des Abschlussprüfers. Dieser wusste also um die Höhe der potenziellen Risiken. Fraglich ist damit, ob er nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB verpflichtet war, in seinem Prüfungsbericht auf die ungewöhnliche Höhe dieser Bürgschaften etc. hinzuweisen und auf die hohe Gefahr für den Bestand des Unternehmens im Falle ihrer Realisierung. Das ist tatsächlich anzunehmen. Die Vorschrift hat den Sinn, den Vorstand, vor allem aber den Aufsichtsrat des geprüften Unternehmens auf mögliche Bestands-Gefährdungen aufmerksam zu machen.14 Dabei steht hier nicht nur die ungewöhnliche Höhe dieser Risiken zur Debatte, sondern ihr Klumpen-Charakter: Bricht das labile System dieser ausländischen Wertpapiere ein oder bricht es gar zusammen, so verwirklicht sich das gesamte Risiko auf einen Schlag. Das hätte dem Abschlussprüfer auffallen müssen und hat zu seiner „Redepflicht“ geführt, genauer: zu seiner Pflicht zu einem entsprechenden Vermerk im Rahmen seines Prüfungsberichts.15 Das gilt umso mehr, als jeder Kenner der Materie und erst recht jeder Wirtschaftsprüfer weiß, dass genau eine solche Konstellation zum Zusammenbruch der amerikanischen Großgesellschaften Enron und WorldCom geführt hat. 3.2 Auch die Abschlussprüfer haften also wegen unterlassener Redepflicht, allerdings nur in dem sehr eingeschränkten Rahmen des § 323 Abs. 2 HGB (1 Mio. € oder 4 Mio. €). V. Zusammenfassung Folgt man den obigen Ergebnissen, so gibt es im kommenden Jahr für Anwälte, Justitiare und Versicherungen viel zu tun, denn: [201] 1. Die damaligen Vorstände der betroffenen Banken haften diesen auf Ersatz ihres Schadens, insbesondere kommt ihnen das gesetzliche Privileg der Business Judgment Rule nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht zugute; denn sie alle haben im

14 Vgl. nur IDW PS 450 Tz. 35 ff., WPg 2006, 113; Hopt/Merkt, HGB, 33. Aufl., § 321 Rz. 4; Zimmer, in: Großkomm. z. HGB, 4. Aufl., § 321 Rz. 23 und 24. 15 Die Redepflicht bzw. Berichtspflicht besteht nur, wenn der Abschlussprüfer „bei Durchführung der Prüfung“ die Gefahrenlage feststellt Das ist hier problemlos, weil die Höhe der Bürgschaften und Garantien unter der Bilanz bzw. im Anhang angegeben werden mussten. Das hatte der Abschlussprüfer zu prüfen und so muss er ganz selbstverständlich auf die riesigen Zahlen gestoßen sein.

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Bankenkrise und Organhaftung

Zweifel auf der Basis unzureichender Informationen gehandelt und weit überzogene Risiken auf ihre Bank genommen. Darüber hinaus müssen sich die Organmitglieder im Haftungsprozess selbst entlasten. Sie müssen dartun und beweisen, dass sie nicht pflichtwidrig, sondern auf der Grundlage ausreichender Informationen nicht fahrlässig gehandelt haben. 2. Das Gleiche gilt für die Aufsichtsräte und Verwaltungsräte dieser Banken: sie haben dem sorgfaltswidrigen Treiben der Vorstände, die sie zu beaufsichtigen hatten, keinen Einhalt geboten. 3. Die rechtliche Position der geschädigten Aktienbanken ist de lege lata also sehr gut. 4. Ganz anders steht es um die Frage, wer die Ansprüche geltend macht. Das ist der Aufsichtsrat gegenüber den Mitglieder des Vorstands und der Vorstand gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats: eine, wie sich heute zeigt, ganz und gar verfehlte Lösung. Nach geltendem Recht kann hier nur eine Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG zur Klärung des Sachverhalts helfen und eine anschließende Klage von Aktionären nach § 148 AktG, die mindestens nominal 100.000 € Aktien der Gesellschaft halten. All das muss schließlich innerhalb der 5-jährigen Verjährungsfrist des § 93 Abs. 6 AktG geschehen, von denen mindestens zwei bis drei Jahre bereits verstrichen sind, da es auf den Erwerbszeitpunkt der Wertpapiere ankommt. All das gilt materiell auch für die Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte bzw. Verwaltungsratsmitglieder der öffentlich-rechtlichen Banken. Die Haftung der damals amtierenden Vorstandsmitglieder ist gewiss, die ihrer Aufsichts- und Verwaltungsratsmitglieder sehr wahrscheinlich. Aber die Durchsetzung dieser Ansprüche ist noch viel schwieriger als in den Aktienbanken. Die Vorstandsmitglieder der SachsenLB werden einwenden, der klagende Verwaltungsrat habe ihr Handeln ausdrücklich gebilligt. Und ob dann auch gegen dessen Mitglieder geklagt wird, ist eine rein politische Entscheidung: denn der damalige Verwaltungsrat bestand aus Regierungsmitgliedern und Sparkassen-Präsidenten. All das gilt für die anderen öffentlich-rechtlichen Banken in gleicher Weise.

DIE GESELLSCHAFT IM KONZERN UND IM KAPITALMARKT

Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften IN: LOEBENSTEIN/MAYER/FROTZ/DORALT (HRSG.), WIRTSCHAFTSPRAXIS UND

RECHTSWISSENSCHAFT, FESTSCHRIFT FÜR WALTHER KASTNER ZUM 70. GEBURTSTAG, WIEN 1972, S. 245-267 I. Der Sachverhalt 1. Im Jahre 1969 begaben ausländische Tochtergesellschaften dreier deutscher Aktiengesellschaften (SIEMENS AG, BAYER AG und BASF AG)1, nämlich die Siemens Western Finance N. V., die Bayer International Finance N. V. und die BASF Overzee N. V., sämtliche mit Sitz in Curaçao auf den Niederländischen Antillen, Inhaber-Teilschuldverschreibungen über 40 Millionen US-Dollar (SIEMENS) bzw. 75 Millionen US-Dollar (BAYER und BASF). Die Schuldverschreibungen haben eine Laufzeit zwischen zehn und zwölf Jahren, werden mit 5,5% (SIEMENS) bzw. 6% (BAYER und BASF) verzinst und wurden teils mit einem Disagio2, teils zum Nennwert3 begeben. 2. Die Besonderheit dieser Anleihen besteht darin, daß jeder Teilschuldverschreibung über 1000 US-Dollar Inhaber-Optionsscheine auf eine bestimmte Zahl von Aktien der betreffenden Muttergesellschaft beigegeben sind4. Diese Optionsscheine können getrennt von der Schuldverschreibung übertragen werden und berechtigen während der Laufzeit der Anleihe zum Bezug einer bestimmten Zahl von Aktien der deutschen Muttergesellschaft zu einem bestimmten Bezugskurs. Die deutschen Muttergesellschaften haben für Anleihe und Bezugsrecht je ihrer ausländischen Tochtergesellschaften die unbedingte und vorbehaltlose Garantie gegenüber den jeweiligen Inhabern (Gläubigern) von Schuldverschreibung und 1 Genauer: bei SIEMENS und BAYER handelt es sich um 100%ige Tochtergesellschaften von 100%igen Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft, also um 100%ige EnkelGesellschaften. 2 SIEMENS: 99,25%; BAYER: 99,5%. 3 BASF Overzee N. V. 4 SIEMENS: Bezugsrecht auf 12 Stammaktien im Nennbetrag von je DM 50,- zum Bezugskurs von DM 280,-; BAYER: Bezugsrecht auf 19 Stammaktien im Nennbetrag von je DM 50,- zum Bezugskurs von DM 200,- pro Stück; BASF: Bezugsrecht auf 16 Stammaktien im Nennbetrag von je DM 50,- zum Bezugskurs von DM 225,- pro Stück.

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Optionsschein übernommen. Diese Garantierklärungen sind im Emissionsprospekt der Anleihe und auf den Schuld- und Optionsurkunden [246] mit abgedruckt. Die Hauptversammlungen der Muttergesellschaften wurden weder zur Ausgabe der Anleihe noch zu den Garantieerklärungen gehört. 3. Zur Sicherung der Bezugsverpflichtungen gegenüber den Inhabern der Optionsscheine hat die Hauptversammlung der Bayer AG nachträglich ein bedingtes Kapital über DM 71.250.000, beschlossen, das auch im Handelsregister eingetragen ist5. Bei der Siemens AG6 und der BASF7 bestehen demgegenüber u. a. für diese Zwecke je ein genehmigtes Kapital8. 4. Vertragliche Abreden zwischen der jeweiligen Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft über die primäre Zuständigkeit bei der Einlösung der Bezugsverpflichtung sind nicht bekannt. Immerhin machen das bedingte Kapital bei BAYER, der entsprechende Versuch von SIEMENS9 sowie die Erklärungen der Verwaltungen von SIEMENS und BASF im Zusammenhang mit dem zur Sicherung der Bezugsrechte reservierten genehmigten Kapital deutlich, daß die Einlösung der Bezugsverpflichtung aus den Optionsscheinen als Aufgabe der Muttergesellschaft, nicht als die der ausländischen Tochtergesellschaft angesehen wird10. II. Überblick 1. Ausgestaltung im Allgemeinen Optionsanleihen sind zunächst einmal verzinsliche Schuldverschreibungen. Darüber hinaus aber erhält der Erstzeichner die Zusage, eine bestimmte Zahl von Aktien der Emittentin zu einem bestimmten Kurs und während einer bestimmten Frist – die in aller Regel der Laufzeit der Anleihe entspricht – erwerben zu könDie Angaben stammen aus dem Börseneinführungsprospekt vom November 1970. Diese Angabe ist dem Börseneinführungsprospekt vom Mai 1969 entnommen. 7 Angaben aus dem Börseneinführungsprospekt vom März 1970. 8 Auch die SIEMENS hatte m. W. zunächst ein bedingtes Kapital vorgesehen, diesen Plan jedoch im Hinblick auf Bedenken des Registergerichts aufgegeben. Bei SIEMENS ist weiter von Interesse, daß mit der Deutschen Bank AG eine Vereinbarung zugunsten der Inhaber von Optionsscheinen getroffen wurde für den Fall, daß das genehmigte Kapital am 31. März 1973 ausläuft und von der Hauptversammlung nicht verlängert wird. Durch diese Vereinbarung ist „sichergestellt“, daß die für die Erfüllung der Optionsansprüche reservierten Stammaktien von der Deutschen Bank AG gezeichnet und mit der Verpflichtung übernommen werden, sie bis zum 31. August 1979 für die Inhaber der Optionsscheine bereitzuhalten. 9 Vgl. FN 8. 10 Auf dieser Ebene liegen auch die Erwägungen von Silcher, Bedingtes Kapital für „Warrant-Anleihen“ von Tochtergesellschaften, in FS Gessler (1971) 185 ff, 191 f (sub 11, 3 b), der den vereinbarten Bezugskurs unmittelbar in Verbindung setzt zu entsprechenden Ausgaben der Muttergesellschaft BAYER auf das bedingte Kapital. 5 6

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nen. Dieses „Option“ genannte Recht kann mit der Anleihe fest verbunden werden – dann ist der jeweilige Anleihegläubiger auch Optionsberechtigter – oder selbständig gestaltet sein11 – dann können Option und [247] Schuldverschreibung auch getrennt übertragen werden. Damit wird zugleich deutlich, wodurch sich solche Optionsanleihen von der eher bekannten Wandelschuldverschreibung unterscheiden: Während bei dieser die Rechte aus der jeweiligen TeilSchuldverschreibung (Zahlungsanspruch) mit der Wandlung untergehen, bestehen bei der Optionsanleihe der Zahlungsanspruch aus der Schuldverschreibung und das Bezugsrecht unabhängig und kumulativ nebeneinander. 2. Wirtschaftliche Gründe a) Zahlungsansprüche unterliegen den Schwankungen des Geldwertes, sind gegebenenfalls mit Wechselkursrisiken behaftet und daher für den Anleger im Hinblick auf die Höhe der Verzinsung erst dann von Interesse, wenn sie für den Emittenten schon fast zu teuer werden. Teilweise kann hier die Wandelschuldverschreibung einen Ausgleich schaffen: Der Anleihegläubiger kann in den „Sachwert“ Aktie ausweichen; vor allem aber kann er eine niedrigere Verzinsung akzeptieren im Hinblick auf den etwaigen Kursgewinn aus der möglichen Wandlung12. Die Wandelschuldverschreibung ist jedoch noch nicht das Ende der möglichen Differenzierung; sie läßt dem Zeichner nämlich „nur“ die Wahl zwischen der gänzlichen Veräußerung seines Rechtes, der vollständigen Wandlung in Aktien und der Beibehaltung des Zahlungsanspruchs aus der Schuldverschreibung: Eine „Teilung“ der Rechte ist nicht möglich; diese Möglichkeit schafft erst die Optionsanleihe mit selbständigen und nebeneinander bestehenden Zahlungs- und Bezugsansprüchen13. b) In den hier interessierenden Fällen beträgt die Verzinsung der zwischen zehn und zwölf Jahren laufenden Anleihen 5,5% bzw. 6% und damit wesentlich weniger, als bei allgemeinen Anleihen zum Ausgabezeitpunkt gezahlt werden mußte: Die „Differenz“ liegt in der über lange Jahre hin möglichen Spekulation mit zwischen 11 und 16 selbständigen und börsenfähigen Optionsscheinen.

11 Insbesondere kann das Optionsrecht in einem eigenen Inhaberpapier verbrieft sein: So in den unter I genannten drei Optionsanleihen. Vgl. im übrigen Linnhof, Optionsanleihen (1956). 12 Vgl. dazu Hidding, Das Wertpapier 1971, 273 ff. 13 Dabei ist weiter von Bedeutung, daß Zahlungsanspruch und Optionspreis nach Fälligkeit und Höhe so aufeinander bezogen sind, daß bei Fälligkeit der Anleihe der Rückzahlungsbetrag darauf zur Leistung des Bezugskurses ausreicht, dann also – im wirtschaftlichen Ergebnis – auch eine Wandlung möglich ist.

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3. Sonstige Fälle Außer den hier erwähnten drei Anleihen ist nach 1945 in der BRD nur noch die Optionsanleihe der Deutschen Lufthansa AG bekanntgeworden14. 4. Rechtliche Ordnung Optionsanleihen deutscher Aktiengesellschaften sind in § 221 Abs 1 und 3 AktG 1965 geregelt15. Danach bedarf einerseits die Ausgabe solcher Anleihen – [248] im Gegensatz zur Ausgabe einer normalen Anleihe – der Zustimmung der Hauptversammlung der emittierenden Gesellschaft; andererseits haben die Aktionäre – ebenfalls im Gegensatz zu einer normalen Anleihe – ein Bezugsrecht auf die Anleihe. Schließlich kann für die Bedienung der so eingeräumten Bezugsrechte nach § 192 Abs 2 Z 1 dAktG ein bedingtes Kapital geschaffen werden. Darüber hinaus ist möglicherweise auch in diesem Zusammenhang § 187 dAktG zu beachten, wonach die Verwaltung Bezugsrechte an Dritte nur unter Wahrung der Bezugsrechte von Aktionären (§ 186 dAktG) einräumen kann. III. Die Besonderheiten der hier erwähnten Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften 1. Rechtliche Besonderheiten Während bisher nur Optionsanleihen bekannt waren, bei denen Ausgeberin und Schuldnerin der Anleihe zugleich eine Option auf eigene Aktien gewährte, gehen die Optionsansprüche hier auf Aktien einer dritten Gesellschaft, eben der Konzern-Muttergesellschaft. Diese Trennung wird auch durch die Garantie der betreffenden Muttergesellschaft nicht aufgehoben. 2. Wirtschaftliche Besonderheiten16 Die Aufnahme von Anleihen durch Tochtergesellschaften ist nicht neu, aber noch immer ungewöhnlich. Weder rechtliche noch praktische Schwierigkeiten wären zu erörtern, hätten hier die Konzern-Muttergesellschaften selbst solche Zu den Optionsanleihen vor 1945 vgl. Linnhoff, Optionsanleihen (vgl. FN 11). Früher § 174 AktG 1937. Diese Vorschrift entspricht § 174 des Österreichischen Gesetzes über Aktiengesellschaften vom 31. März 1965. 16 Dazu eingehend Silcher, in FS Gessler 185 ff. 14 15

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Optionsanleihen aufgelegt, begeben und mit einem bedingten oder genehmigten Kapital abgesichert17. Tatsächlich aber waren diese Unternehmen durch besonders hohe Investitionsvorhaben – vor allem auch im Ausland selbst – und das hohe Zinsniveau im Inland gezwungen, alle sich bietenden Finanzierungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Dabei spielte die Ergiebigkeit des sogenannten EuroDollar-Marktes ebenso eine gewichtige Rolle wie die Frage der Erhebung einer Quellensteuer bei den Anleihezinsen: Bei Ausgabe der Anleihe durch die Deutsche Muttergesellschaft in der BRD wäre auf alle Anleihezinsen für Ausländer die Quellensteuer (Kuponsteuer), für Inländer die Einkommensteuer angefallen; auf Grund der Steuergesetze der Niederländischen [249] Antillen kann der Quellenabzug ganz vermieden18, auf Grund bestehender Doppelbesteuerungsabkommen mit einzelnen Ländern auch die Ertragsbesteuerung nach dem Heimatrecht des Zeichners (Inhabers) verhindert werden. IV. Rechtsfragen Hätte in diesen Fällen statt der ausländischen Tochtergesellschaft die deutsche Mutter-AG die Optionsanleihe begeben, so hätte die Ausgabe nach § 221 Abs 1 dAktG nur mit Zustimmung der Hauptversammlung erfolgen dürfen. Außerdem hätte in diesem Falle den Aktionären der Muttergesellschaft ein Be17 Weder § 221 noch § 192 dAktG verpflichten die emittierende Gesellschaft einer Wandelschuldverschreibung oder Optionsanleihe, zur Sicherung der Bezugsrechte ein bedingtes Kapital zu bestellen: Die §§ 192 ff. dAktG schaffen nur eine Möglichkeit, nicht jedoch einen Zwang. Ebenso Schilling in Großkomm2 § 174 AktG Anm 3; Linnhoff, Optionsanleihen 52 ff; Rusch, Die Wandelschuldverschreibung (1956) 30 ff; Silcher, im FS Gessler 195 ff., Georgakopoulos, Zur Problematik der Wandelschuldverschreibungen, ZHR 120, 84 ff, 157 ff. 18 Das ist von solcher Bedeutung, daß nach den insoweit wörtlich gleichen Anleihebedingungen der BASF Overzee N. V. und der SIEMENS Western Finance N. V. (je § 6) festgelegt ist: §6 (1) Zahlungen von Kapital und Zinsen erfolgen ohne jeden Abzug irgendwelcher in den Niederländischen Antillen oder in der Bundesrepublik Deutschland erhobenen Steuern oder Abgaben. Falls irgendwelche solche Steuern oder Abgaben in Zukunft im Wege des Quellenabzugs erhoben werden sollten, wird die Anleiheschuldnerin die zusätzlichen Beträge an Kapital und Zinsen zahlen, die erforderlich sind, damit die Anleihegläubiger den vollen auf den Teilschuldverschreibungen und Zinsscheinen genannten Betrag erhalten. Die Anleiheschuldnerin ist jedoch zur Zahlung der zusätzlichen Beträge nur verpflichtet, wenn und soweit solche Steuern oder Abgaben in den Niederländischen Antillen oder der Bundesrepublik Deutschland nur deshalb erhoben werden, weil die Anleihegläubiger Inhaber von Teilschuldverschreibungen oder Zinsscheinen sind. (2) Die Anleiheschuldnerin kann mit einer Frist von wenigstens 3 Monaten alle Teilschuldverschreibungen zu jedem Zinstermin zum Nennbetrag zur Rückzahlung kündigen, falls irgendwelche im Absatz (1) erwähnten Steuern oder Abgaben erhoben werden sollten. Die Kündigung ist gemäß § 11 zu veröffentlichen.

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zugsrecht auf die Anleihe nach § 221 Abs 3 dAktG zugestanden, soweit es nicht durch die Hauptversammlung der betreffenden Muttergesellschaft nach den förmlichen und materiellen Voraussetzungen der §§ 221 Abs 3, 186 Abs 3 und 4 dAktG ausgeschlossen worden wäre. Andererseits wäre die Absicherung der Bezugsverpflichtungen durch ein bedingtes Kapital oder auch ein genehmigtes Kapital unproblematisch gewesen. Daraus ergeben sich insgesamt folgende Fragen: 1. Kann die Verwaltung der deutschen Muttergesellschaft die Zahlungsverpflichtung der Tochtergesellschaft aus der Optionsanleihe ohne Zustimmung der Hauptversammlung garantieren? 2. Kann sich die deutsche Muttergesellschaft im Wege der Garantie für die Optionsverpflichtung ihrer Tochtergesellschaft selbst zur Lieferung von „eigenen“ Aktien verpflichten? 3. Sind die Aktionäre der deutschen Muttergesellschaft in bestimmter Weise zu schützen, stehen ihnen insbesondere Bezugsansprüche auf die Optionsanleihe der ausländischen Tochtergesellschaft zu? 4. Kann für eine gegebenenfalls wirksam begründete Verpflichtung der Muttergesellschaft hinsichtlich der Bezugsansprüche der Optionsgläubiger ein bedingtes oder genehmigtes Kapital der Muttergesellschaft geschaffen werden? [250] V. Vorfrage: Anwendbares Recht 1. Die „Garantie“ der Muttergesellschaften (BASF, BAYER, SIEMENS) für Anleihebetrag und Zinsen richtet sich nach deren ausdrücklicher Erklärung ausschließlich nach deutschem Recht. Da sich die Garantien auf Zahlungsverpflichtungen beziehen, also typisch schuldrechtlichen Inhalt haben, ist diese Regelung nach deutschem IPR wirksam und verbindlich19. 2. Demgegenüber kann die Garantie der Bezugsrechte nicht nur unter obligatorischen Gesichtspunkten gesehen werden, greift sie doch möglicherweise – ihre Wirksamkeit unterstellt – in die Fragen des Kapitals (z. B. § 71 dAktG) und der inneren Organisation der AG (§§ 186, 187, 221 dAktG) ein. Die Beantwortung dieser Fragen hängt vom Personalstatut der betreffenden Korporation ab20. Das aber kann bei einer in der BRD gegründeten und dort im Handelsregister eingetragenen Aktiengesellschaft mit Sitz in der BRD nur deutsches Recht sein21. Insofern kann die Erklärung der Muttergesellschaften in der Garantie der Bezugsrech-

RGZ 120, 70/72; Kegel, Lehrbuch des IPR2 (1964) 227 ff. Vgl. Raape, Internationales Privatrecht2 (1961) 201 ff. 21 BGHZ 25, 134, 144; Raape, IPR 201 ff; Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht (1971) 105 ff, 121 ff. 19 20

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te, daß auch für sie ausschließlich deutsches Recht maßgebend sei, nur einen so ex lege bereits bestehenden rechtlichen Zustand deklarieren, nicht aber schaffen. VI. Garantie der Anleihe und Erfordernis eines zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses nach § 221 Abs 1 dAktG 1. Für die Ausgabe einer Anleihe ebenso wie für die Garantie der Anleihe eines Dritten ist grundsätzlich der Vorstand sowohl intern (Geschäftsführungsbefugnis) als auch nach außen (Vertretungsmacht für die AG) zuständig, §§ 76 bis 78 dAktG. Eine Ausnahme von dieser Regel könnte sich nur aus § 221 Abs 1 dAktG ergeben. Danach dürfen Wandelschuldverschreibungen im weiteren Sinne22 nur mit Zustimmung der Hauptversammlung ausgegeben werden. Da mit dieser „Ausgabe“ nicht die Einwirkung auf bzw. die Mitwirkung bei dritten Gesellschaften gemeint sein kann, ist unmittelbar sicher nur die eigene Ausgabe solcher Titel gemeint. Tatsächlich begibt in den hier interessierenden Fällen nicht die dem deutschen Recht unterworfene Muttergesellschaft die Anleihe, sondern ihre ausländische Tochtergesellschaft. Darüber hinaus ist fraglich, ob sich die Muttergesellschaft hier überhaupt zu einer abstrakten Leistung im Sinne des § 793 BGB (Inhaberschuldverschreibung) verpflichtet: Sie verspricht nicht die Leistung, sondern „garantiert“. Im deutschen Recht ist die „Garantie“ bekanntlich nicht geregelt, aber durchaus gebräuchlich. Sie beruht auf Vertrag und enthält die selbständige, also nicht notwendig akzessorische Verpflichtung, für einen bestimmten Erfolg [251] einstehen zu wollen23. Dem entspricht der Inhalt des hier gegebenen Versprechens, da die Muttergesellschaften gerade für den Fall, daß ihre Tochtergesellschaft – gleich aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – nicht oder nicht rechtzeitig leistet, voll verpflichtet sein soll. Damit geht der Inhalt des Versprechens nicht auf eine abstrakte Verpflichtung zur Leistung, sondern auf die Sicherstellung des garantierten Erfolges; daß daraus eine Zahlungsverpflichtung entstehen kann, verändert den Inhalt der Verpflichtung nicht. 2. Damit ist deutlich, daß die Muttergesellschaft selbst keine Schuldverschreibung ausgegeben hat; § 221 Abs 1 dAktG ist unmittelbar nicht anwendbar. Fraglich aber bleibt, ob die Regeln dieser Norm nicht wegen der Nähe des Vorgangs zum Regelvorgang des § 221 Abs 1 dAktG anzuwenden sind. Das hängt

22 Das dAktG bezeichnet Anleihen, die ein Umtauschrecht gewähren (Wandelschuldverschreibungen im engeren Sinne) und solche, die ein selbständiges Bezugsrecht auf Aktien gewähren (Optionsanleihen) einheitlich als Wandelschuldverschreibungen; vgl. § 192 Abs 2 Z 1 und vor allem § 221 Abs 1 dAktG. 23 RGZ 163, 91, 99; BGH, NJW 1958, 1483.

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davon ab, welche spezifischen Zwecke § 221 dAktG zu erfüllen hat und ob diese Zwecke in gleicher Weise auch in den hier erörterten Fällen von Bedeutung sind. a) Mit Abs 1 beschränkt § 221 dAktG die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands, wenn nicht nur Schuldverschreibungen beliebigen Inhalts ausgegeben, sondern diese zusätzlich mit einem Umtauschrecht in bzw. einem Bezugsrecht auf Aktien ausgestattet werden24. Das Gesetz sichert also die Mitsprache der Hauptversammlung immer dann, wenn die Beschaffung von Mitgliedschaften zur Debatte steht. Dabei verlangt § 221 dAktG nicht die Verbindung dieses Vorganges mit einem bedingten oder genehmigten Kapital25; auch ohne dieses können die erforderlichen Aktien für den Umtausch oder Bezug beschafft werden, z. B. über eine später beschlossene Kapitalerhöhung oder ein genehmigtes Kapital. Das Zustimmungserfordernis resultiert also nicht aus Erwägungen des Kapitalschutzes, sondern berücksichtigt den besonders spekulativen Charakter dieser Anleihen: Der Vorstand soll so weitreichende und spezifische Verpflichtungen, deren Folgen für die Gesellschaft gravierend sein können und die außerdem über diese Bezugs- und Umtauschrechte auch die künftige interne Struktur der Gesellschaft berühren, nur in Kenntnis und mit Zustimmung der Hauptversammlung eingehen26. b) Aus dieser Funktion wird zugleich deutlich, daß § 221 dAktG – mindestens im Grundsatz – nur solche Anleihen meint, die mit einem Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien gerade der emittierenden Gesellschaft verbunden sind. Das wird deutlich aus der Verbindung, die zwischen § 221 und § 187 dAktG besteht: Verbietet § 187 dAktG die Zusage von Bezugsrechten an Dritte ohne Berücksichtigung der Aktionärsrechte aus § 186 dAktG, so beruht § 221 dAktG gerade auf der Freiheit von dieser Schranke27: Die dort geforderte Mitwirkung der Hauptversammlung in Form eines Kapitalerhöhungs- [252] beschlusses unter Beseitigung der Bezugsrechte der Aktionäre wird hier durch die Mitwirkungspflicht der Hauptversammlung und durch das Bezugsrecht aus Abs 3 übernommen. Daher auch sollen die Aktionäre durch § 221 Abs 3 dAktG einerseits an der Spekulationschance partizipieren, andererseits, da Mitgliedschaften (Aktien) gerade dieser Gesellschaft in Frage stehen, Beteiligungsverhältnis und Beteiligungsstruktur sich also durch solche Maßnahmen mehr oder minder stark verändern können, durch ein Bezugsrecht (§ 221 Abs 3 dAktG) geschützt werden. Ohne dieses Bezugsrecht könnte einzelnen Aktionären oder Dritten entgegen den Grundsätzen des § 186 dAktG über einen günstigen Bezugskurs – sei es auf junge Aktien nach

24 Ob und wann der Vorstand außerdem nach § 111 Abs 4 dAktG der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. 25 Vgl. die Nachweise oben FN 17. 26 Ebenso Silcher, in FS Gessler 190. 27 Näher dazu unten Punkt VII 2 b.

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§§ 192 ff dAktG, sei es auf anderweitig verschaffte Aktien28 – zu Lasten der Gesamtheit der Aktionäre Vorteile vermittelt werden. Denn: Nur bei günstiger Entwicklung des Bezugskurses im Verhältnis zum Börsenkurs der Aktien werden diese Rechte ja ausgeübt; Umtausch- bzw. Bezugsrechte bei Wandelschuldverschreibungen veranlassen den Interessenten zur Zeichnung der Anleihe in der Hoffnung, daß sich der Bezugskurs im Verhältnis zum Börsenkurs günstig entwickeln, die AG und damit die Gemeinschaft aller Aktionäre also mit der Wandlung bzw. dem Bezug einen „Schaden“ erleiden wird. 3. Nach Klärung dieser Zweckrichtung der besonderen Regeln aus § 221 dAktG ist nun zu fragen, ob die Garantie der Optionsanleihe eines Dritten auf Aktien der garantierenden Gesellschaft gleiche oder doch ähnliche Schutzbedürfnisse entstehen lasse. Sieht man nur den Garantievertrag in seiner Ausprägung als Sicherung (Haftung für einen Dritten), so könnte diese Beurteilung schwerfallen; denn im allgemeinen soll die Garantie ja nur in dem Ausnahmefall praktisch eingreifen, daß der garantierte Erfolg nicht gewährleistet ist, kurz: der eigentliche Schuldner der Anleihe (Tochtergesellschaft) nicht oder nicht rechtzeitig leistet. Die § 221 dAktG entsprechende Gefahr wäre durch die geringe Wahrscheinlichkeit der konkreten Einstandspflicht der Muttergesellschaft merklich reduziert. So aber verhält es sich in den hier geschilderten Fällen gerade nicht. Denn tatsächlich haben die Tochtergesellschaften weder die rechtliche Möglichkeit der Kapitalerhöhung bei der Muttergesellschaft noch die finanziellen Mittel, um sich Aktien in dem hier erforderlichen Umfang29 anderweitig (z. B. über die Börse) beschaffen zu können. Denn auch hier ist ja immer wieder zu bedenken, daß das Bezugsrecht nur ausgeübt wird, wenn die Beschaffung der Aktien über die Börse teurer ist als die Einnahmen aus der Leistungspflicht (Bezugskurs) der Bezieher. Tatsächlich betrachten daher auch alle drei Muttergesellschaften die Verschaffung der Aktien als ihre Aufgabe und den Bezugskurs als den Kurs, zu dem sie bei Ausübung der Option ihren Tochtergesellschaften Aktien aus einem bedingten oder geneh- [253] migten Kapital zur Verfügung stellen müssen30. Damit aber unterscheidet sich die Rechtswirklichkeit aus der Garantie in nichts von der Rechtslage, die bestehen würde, hätte die Muttergesellschaft selbst die Option 28 Auch bei der Veräußerung wie auch immer erworbener eigener Aktien (§ 71 dAktG) hat die Verwaltung strengste Neutralität zu wahren und daher in der Regel nach den Grundsätzen des § 186 dAktG zu verfahren. Näher dazu Lutter in Kölner Kommentar zum dAktG (1970) § 71 AktG Anm 3. 29 SIEMENS: bis zu nominal 24 Mio DM; BASF: bis zu nominal 60 Mio DM; BAYER: bis zu nominal 71,250 Mio DM. 30 Das wird deutlich aus der Existenz eines bedingten oder genehmigten Kapitals in entsprechender Höhe bei allen drei Muttergesellschaften. Aber auch die Ausführungen von Silcher, in FS Gessler 191 f weisen darauf hin; denn dort wird der Bezugskurs – der ja zunächst einmal das Verhältnis des Gläubigers zur emittierenden Tochtergesellschaft bestimmt – unter Gesichtspunkten der angemessenen Einlage bei der Muttergesellschaft erörtert.

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eingeräumt: Das Vermögensrisiko aus der Kursentwicklung trifft unmittelbar einzig und allein sie31. Und auch Mitgliedschaft und Beteiligungsquote der Aktionäre werden nicht mehr und nicht weniger betroffen als bei einer Ausgabe der Anleihe und der Bezugsrechte durch die Muttergesellschaft selbst. Damit aber unterscheidet sich auch die gesamte Interessenlage in nichts von der, wie sie zum Zustimmungserfordernis aus § 221 Abs 1 dAktG geführt hat. Insbesondere besteht auch keinerlei Sicherheit, daß der Bezugskurs aus der Option – und damit das eigentliche Risiko – angemessen festgelegt wird. Dieser Bezugskurs wurde in den hier interessierenden Fällen durch die Verwaltung der mitwirkenden Gesellschaften (Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft) nach mehr oder minder zutreffenden Kriterien festgelegt, ebenso, wie wenn für eine reguläre Wandelschuldverschreibung die Mitwirkung der Hauptversammlung nicht erforderlich wäre: Es besteht aus der Zwischenschaltung der Tochtergesellschaft keinerlei Mehr an Sicherheit für einen „richtigen“, „angemessenen“ Kurs als bei unmittelbarer Ausgabe durch die Muttergesellschaft32. Bei einem funktionalen Verständnis des § 221 Abs 1 dAktG muß daher nach den bisherigen Überlegungen angenommen werden, daß diese Norm auch auf alle Fälle einer solchen Anleihegarantie anzuwenden ist, in denen in Wirklichkeit (wirtschaftlich) die garantierende Muttergesellschaft, nicht dagegen der Hauptschuldner (Tochtergesellschaft) das eigentliche Risiko trägt33. VII. Die Garantie der Bezugsrechte durch die Muttergesellschaft Ehe jedoch eine endgültige Aussage zu der soeben behandelten Frage getroffen werden kann, ist noch zu klären, ob die Muttergesellschaft nach den Regeln des für sie verbindlichen deutschen Rechts überhaupt eine Garantie [254] für die Zusage von Bezugsrechten durch Dritte auf ihre eigenen Aktien übernehmen kann. Sollte das verneint werden müssen, die Garantie für diese Bezugsrechte also nicht bestehen, so wäre die entsprechende Anwendung von § 221 Abs 1 dAktG, der

31 Es bedarf daher hier auch keines Zurückgehens auf Gedanken der Unternehmenseinheit zwischen Muttergesellschaft und ihrer 100%igen Tochtergesellschaft: Auch bei voller Anerkennung des Trennungsprinzips gilt die hier getroffene Aussage. 32 Anderer Ansicht hier Silcher, in FS Gessler 192 f; weshalb eine Geldforderung (Bezugskurs) immer angemessen sein soll, will mir nicht recht einleuchten. Der Hinweis auf § 192 Abs 2 Z 3 dAktG scheint mir auch nicht schlüssig, weil die Einlage auf Arbeitnehmer-Aktien ex definitione (Sozialbereich) nicht „angemessen“ in dem Sinne sein muß wie die Leistung eines neu hinzutretenden Aktionärs für seine Mitgliedschaft. Vgl. dazu auch Lutter in Kölner Kommentar § 186 AktG Anm 49 ff. 33 Natürlich mögen die Bezugsaktien nach Ausübung des Bezugsrechts durch die Tochtergesellschaft den Beziehern ausgehändigt werden. Darauf aber kommt es für die entsprechende Anwendung des § 221 Abs 1 dAktG nicht an.

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eine Verbindung von Anleihe und Bezugsrechten voraussetzt, auf die Garantie der Anleihe (Zahlungsanspruch; oben VI) kaum diskutabel. 1. Es bedarf keiner besonderen Ausführungen, daß eine AG im allgemeinen für Verbindlichkeiten Dritter und erst recht auch für solche einer Tochtergesellschaft die Haftung, also ein wirtschaftliches Risiko übernehmen kann; hier entstehen nur Fragen der Zweckmäßigkeit, nicht jedoch solche der rechtlichen Zulässigkeit. 2. Diese allgemeine Möglichkeit erscheint jedoch im Zusammenhang mit der Garantie von Bezugsrechten etwas problematisch, da hier möglicherweise die §§ 71 oder 187 dAktG mit Verboten eingreifen. Die Frage läßt sich nur aus dem Inhalt der Verpflichtung und dem Zusammenhang mit verschiedenen Normen beantworten. a) Zunächst ist davon auszugehen, daß die Muttergesellschaft aus der Garantie – ihre Wirksamkeit unterstellt – den Inhabern der Bezugsrechtscheine einen Erfolg schuldet, nämlich die Verschaffung von Mitgliedschaften an sich selbst. Die Muttergesellschaft schuldet also nicht etwa ihrerseits Lieferung: Sie muß nur dafür sorgen, daß die Gläubiger die versprochenen Mitgliedschaften zum vereinbarten Bezugspreis auch tatsächlich erhalten. Das „Wie“ ist nicht Inhalt der Obligation. Dennoch ist fraglich, ob die Muttergesellschaft überhaupt in der Lage ist, eine solche Garantie auch zu erfüllen: Wäre zu erkennen, daß eine solche Erfüllung nicht möglich ist, so hätte das Einfluß auch auf die rechtliche Möglichkeit und Wirkung der Verpflichtung selbst. b) Vier Wege stehen der Muttergesellschaft bei der Inanspruchnahme aus der Garantie der Bezugsrechte praktisch offen: aa) Erwerb der erforderlichen Aktien von Dritten (Börse) zur Weitergabe an die Gläubiger, bb) Beschaffung der Aktien durch einen Dritten (Bank) zur Weitergabe an die Gläubiger (Geschäftsbesorgung), cc) Rückgriff auf Aktien im eigenen Portefeuille, die von der AG bei anderer Gelegenheit erworben wurden, dd) Kapitalerhöhung – gleich ob als reguläre Kapitalerhöhung, bedingte Kapitalerhöhung, Ausgabe eines genehmigten Kapitals – und Zuweisung der Bezugsrechte (unmittelbar oder mittelbar) an die Gläubiger zum vereinbarten Bezugskurs. Zu aa): § 71 Abs 1 dAktG verbietet der Gesellschaft grundsätzlich jeden Erwerb eigener Aktien. Es könnte hier allenfalls die Ausnahmeregel des § 71 Abs 1 Z 1 dAktG (Abwendung eines schweren Schadens) Abhilfe schaffen und den

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Erwerb in solchen Fällen erlauben34. Als Basis hierfür könnten allen- [255] falls etwaige Schadenersatzansprüche gegen die Gesellschaft aus der Nichterfüllung ihrer Garantie in Betracht kommen. Wollte man das akzeptieren, so könnte man § 71 dAktG beliebig aus den Angeln und die AG sich selbst – wie einst Münchhausen – am eigenen Zopf aus der Schlinge des Gesetzes ziehen. Zu bb): Würde ein Dritter die Aktien beschaffen und zur Erfüllung der Verpflichtung aus der Garantie den Gläubigern zum Bezugskurs liefern, so würde die Muttergesellschaft zwar nicht „erwerben“, wohl aber das wirtschaftliche Risiko tragen; denn die Gläubiger machen von dem Bezugsrecht nur Gebrauch, wenn der Börsenkurs der Aktien höher als der für sie festgelegte Bezugskurs ist. Der Dritte müßte also selbst mehr aufwenden als er – über den Bezugskurs – von den Gläubigern erhält. Ein solcher Dritter findet sich naturgemäß nur, wenn er die negative Differenz – gleich auf welche Weise – von der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar erstattet erhält. Das aber ist durch § 71 Abs 5 dAktG verboten: Der betreffende Geschäftsbesorgungsvertrag ist nichtig35; jede dennoch an den Dritten gezahlte Entschädigung müßte nach §§ 57 Abs 1, 62 Abs 1 dAktG zurückgezahlt werden36. Zu cc): Hat die Muttergesellschaft schon Aktien im Portefeuille, so steht nach außen nichts entgegen, diese Aktien für Zwecke einer solchen Garantie zu verwenden37. Zu dd): a) Die Hauptversammlung der Muttergesellschaft ist frei, eine Kapitalerhöhung zu beschließen. Weder sie selbst noch gar die Verwaltung können jedoch die AG hierzu verpflichten. Darüber hinaus entsteht mit der Kapitalerhöhung das Bezugsrecht der Aktionäre (§ 186 dAktG), das auch durch die HV keineswegs beliebig eingeschränkt werden kann. Vor allem aber ist § 187 Abs 2 dAktG von Gewicht. Nach dieser Vorschrift darf die Verwaltung keine Verpflichtung zur Gewährung von Bezugsrechten (sogenannte vertragliche Bezugsrechte) eingehen. Geschieht es doch, so ist nach einer Meinung das vertragliche Bezugsrecht nichtig38, richtiger Ansicht nach steht es unter dem Vorbehalt ordnungsgemäßen Ausschlusses des gesetzlichen Bezugsrechts39. Wäre diese Vorschrift anwendbar, so müßte es im hohen Maße zweifelhaft sein, ob eine 34 Die übrigen Ausnahmefälle des § 71 Abs 1 dAktG scheiden von vornherein aus diesen Überlegungen aus. 35 Vgl. dazu Schlegelberger-Quassowski3 § 65 AktG Anm 30; Barz in Großkomm3 § 71 AktG Anm 39; Lutter in Kölner Kommentar § 71 AktG Anm 83 ff; Baumbach-Hueck13 § 71 AktG Anm 22. 36 Siehe dazu Lutter, Verwertungsaktien, AG 1970, 185 ff. 37 Selbstverständlich ist der Vorstand intern verpflichtet, die besonderen Zwecke zu beachten, deretwegen der Erwerb geschah, z. B. § 71 Abs 1 Z 2 dAktG (Arbeitnehmer-Aktien). 38 Vgl. Schlegelberger-Quassowski3 § 154 AktG Anm 3; Baumbach-Hueck13 § 187 AktG Anm 3. 39 Fischer in Großkomm2 § 154 AktG Anm 2; Ritter2 § 154 AktG Anm 3; Lutter in Kölner Kommentar § 187 AktG Anm 14 ff.

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Garantie, die allein im Ausnahmefall (cc) überhaupt eingelöst werden kann, begründet werden darf. b) Zu bedenken ist jedoch, ob § 221 dAktG als lex specialis zu § 187 Abs 2 dAktG gesehen werden muß. Tatsächlich ist jene Vorschrift, wie nachgewiesen, in Fällen der Garantie einer solchen Anleihe dann anwendbar, wenn [256] auch die Garantie der Bezugsrechte möglich und wirksam ist. Versteht man § 221 Abs 1 dAktG in dieser Weise als lex specialis, so hätte dies zur Folge, daß die Verwaltung der AG im Zusammenhang mit der Ausgabe oder Garantie von Schuldverschreibungen mit Wandlungs- und Bezugsrechten ausnahmsweise schon vor einem Erhöhungsbeschluß die Gesellschaft in entsprechender Weise verpflichten kann. Die Möglichkeit der Erfüllung dieser Wandlungsund Bezugsrechte würde zwar weiter – vom Ausnahmefall cc) abgesehen – davon abhängen, daß die Hauptversammlung tatsächlich das Kapital erhöht und das gesetzliche Bezugsrecht ausschließt40. Entscheidend aber ist, daß die Wirksamkeit der Verpflichtung aus dem rechtsgeschäftlichen Bezugsrecht bzw. der Garantie nicht mehr in Zweifel gezogen werden könnte, d. h. die Gesellschaft jedenfalls auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden kann41. aa) Die Vorschrift des § 221 Abs 1 dAktG regelt ihrem unmittelbaren Inhalt nach das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung. Andererseits geht die Vorschrift in ihren Voraussetzungen gerade davon aus, daß die Verwaltung überhaupt Bezugsrechte gewähren kann („Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern ein Umtausch- oder Bezugsrecht eingeräumt wird, …“). Das aber könnte die Verwaltung – verantwortliches Handeln vorausgesetzt – rechtlich und praktisch nicht, wären die so begründeten Verbindlichkeiten in ihrer Durchsetzung allein auf den Sonderfall (cc) beschränkt, im übrigen aber nicht einmal Schadenersatzansprüche zu befürchten. Da § 221 Abs 1 dAktG ausdrücklich kein Junktim zwischen der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und der Schaffung eines bedingten oder genehmigten Kapitals herstellt und der Gesetzgeber ein solches Junktim auch nicht herstellen wollte, muß man annehmen, daß § 221 Abs 1 dAktG der Verwaltung die Befugnis zur Einräumung solcher Umtauschoder Bezugsrechte im Zusammenhang mit der Ausgabe von Schuldverschreibungen ausdrücklich gewährt. bb) Hierfür sprechen auch die Entstehung der Vorschrift und ihr systematischer Zusammenhang. Wäre die Verwaltung bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen aus § 187 Abs 2 dAktG auf die vorherige Erhöhung des 40 Für diesen Bezugsrechtsausschluß wäre die Gültigkeit der Verpflichtung und die sonst drohenden Schadenersatzansprüche auch ein berechtigender Grund („Erforderlichkeit“). 41 Zur Sicherung der AG vor Schadenersatzansprüchen aus vertraglichen Bezugsrechten vgl. Lutter in Kölner Kommentar § 187 AktG Anm 14 ff.

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Kapitals – gleich in welcher Form – angewiesen, so wäre die Mitwirkung der Hauptversammlung unabdingbar; denn nur die Hauptversammlung kann eine Kapitalerhöhung beschließen. Dann aber wäre nicht recht erkennbar, weshalb die Mitwirkung der Hauptversammlung nochmals im § 221 Abs 1 dAktG vorgeschrieben wird: Sollte zunächst einmal die Hauptversammlung zur Beseitigung der Schranken aus § 187 dAktG eine reguläre Kapitalerhöhung, ein bedingtes oder genehmigtes Kapital beschließen müssen – wobei in ersterem und [257] letzterem Falle noch ein Ausschluß des gesetzlichen Bezugsrechts hinzukommen müßte –, so hinge es allein von ihr ab, ob die Wandelschuldverschreibung oder Optionsanleihe ausgegeben werden kann oder nicht; ihre Mitwirkung wäre voll gesichert; die nochmalige Zustimmung nach § 221 Abs 1 dAktG wäre gänzlich überflüssig. So hat es offenbar auch der Gesetzgeber des Jahres 1937 gesehen, auf dessen § 174 AktG 1937 der heutige § 221 dAktG zurückgeht. Er wollte die Mitwirkung der Hauptversammlung gewährleisten, obwohl auch damals schon die Regelung des heutigen § 187 dAktG (damals: § 154 AktG 1937 und davor schon § 283 HGB a.F.) und auch die des heutigen § 71 dAktG (damals: § 65 AktG 1937) bestand. Mag der Gesetzgeber des Jahres 1937 vielleicht auch Umfang und Gewicht der Erwerbsverbote aus § 65 AktG 1937 insgesamt nicht voll übersehen haben, so wollte er doch die Möglichkeit der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen gewährleisten42. Und daran hat die Reform von 1965 nichts geändert; die Vorschriften wurden – soweit sie hier von Bedeutung sind – unverändert übernommen. cc) Das Ergebnis dieser Überlegungen ist nicht unbedenklich; zwar bleiben die Verbote aus § 71 dAktG unberührt bestehen; auch ist die Hauptversammlung nach wie vor rechtlich frei, die erforderlichen Bezugsrechte durch Kapitalerhöhung zu sichern oder das entsprechende Ansinnen der Verwaltung abzulehnen. Aber die Verpflichtung aus den mit der Anleihe verbundenen Umtausch- oder Bezugsrechten bleibt bei dieser Interpretation des § 221 Abs 1 dAktG wirksam und führt bei einer solchen Entwicklung zu Schadenersatzansprüchen der Gläubiger gegen die AG. Das gilt auch, wenn nicht einmal die Hauptversammlung nach § 221 Abs 1 dAktG gehört wurde; denn die Vorschrift beschränkt nur die Geschäftsführungsbefugnis, nicht die Vertretungsmacht des Vorstands43. Tatsächlich ist also die Hauptversammlung bei einer Interpretation des § 221 Abs 1 dAktG als lex specialis zu § 187 dAktG nicht mehr frei: Sie kann zwar die Kapitalerhöhung ablehnen, muß aber den dann der Gesellschaft drohenden Vgl. Schlegelberger-Quassowski3 § 174 AktG Anm 1 ff. § 221 Abs 1 Satz 1 dAktG formuliert ausdrücklich „dürfen nur … ausgegeben werden“ statt „können nur … ausgegeben werden“. Diese Interpretation ist unbestritten, vgl. Schlegelberger-Quassowski3 § 174 AktG Anm 5; Schilling in Großkomm2 § 174 AktG Anm 16; BaumbachHueck13 § 221 AktG Anm 2; v. Godin-Wilhelmi3 § 221 AktG Anm 6; Lutter in Kölner Kommentar § 221 AktG Anm 34. 42 43

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Schadenersatz hinnehmen. Dieses Ergebnis kann man akzeptieren, wenn die Hauptversammlung nach § 221 Abs 1 dAktG tatsächlich zugestimmt hat; wurde die Hauptversammlung jedoch übergangen, so kommt gerade sie in die Zwangslage, die § 187 Abs 2 dAktG vermieden wissen will. Dem könnte de lege lata nur dadurch begegnet werden, daß man entweder die Zustimmung der Hauptversammlung nach § 221 AktG als Wirksamkeitserfordernis begreift oder § 187 Abs 2 dAktG auch für § 221 Abs 1 dAktG als vorrangig erachtet. In beiden Fällen wären jedoch eigentlich betroffen die Gläubiger der Anleihe, die nicht nur ihren Bezugsanspruch und die etwaigen Schadenersatzansprüche daraus verlieren würden, deren Schuldverschreibung darüber hinaus [258] im ersteren Falle nichtig, im letzteren Falle möglicherweise über § 139 BGB ebenfalls nichtig wäre. Diese Konsequenz verbiete es, so scheint mir, die sehr bedenkliche Einbruchstelle des § 221 Abs 1 dAktG im Schutzsystem der §§ 71 (Kapitalschutz) und 187 dAktG (Aktionärsschutz) de lege lata in der angedeuteten Weise zu schließen. 3. Kann die Verwaltung Bezugsrechte im Zusammenhang mit einer Wandelschuldverschreibung oder Optionsanleihe unabhängig von § 187 Abs 2 dAktG wirksam begründen, so gewinnt das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung aus § 221 Abs 1 dAktG um so größeres Gewicht. Die oben unter VI vorläufig getroffene Feststellung, daß auch Garantien der unter I geschilderten Art dieser Regel unterfallen, wird damit bestätigt und erfährt zusätzlich ihre Rechtfertigung: Sind die rechtlichen (Bindung) und wirtschaftlichen (Risiko) Folgen für die Gesellschaft gleich, so können die Voraussetzungen nicht divergieren. 4. Verstöße und Haftung Wird die Garantie vom Vorstand ohne zustimmenden Beschluß der Hauptversammlung oder gar gegen deren Willen vereinbart, so ist sie dennoch rechtswirksam; die beschriebene Zwangslage der Gesellschaft ist ohne oder gar gegen den Willen der Hauptversammlung eingetreten. Vorstand und gegebenenfalls Aufsichtsrat haben jedoch ihre Pflichten zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung bzw. Überwachung der Geschäftsführung verletzt und haften der Gesellschaft aus §§ 93 Abs 2, 116 dAktG auf Schadenersatz. Das kann insbesondere dann von praktischer Bedeutung werden, wenn die Hauptversammlung später eine Kapitalerhöhung ablehnt, die Gesellschaft keine eigenen Aktien im Portefeuille hat und sie daher von den Bezugsgläubigern auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Fraglich ist, ob die Zustimmung der zunächst übergangenen Hauptversammlung im Sinne einer Genehmigung der getroffenen Maßnahmen nachgeholt werden kann. Nach den allgemeinen Regeln für das Zusammenwirken mehrerer Gesellschaftsorgane an einer Maßnahme müßte dies angenommen werden. Doch

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greift hier § 93 Abs 3 Z 3 dAktG als Sonderregel ein; denn mit der Garantie ohne Zustimmung der Hauptversammlung hat der Vorstand seine Pflichten verletzt und ist seine Schadenersatzpflicht der Gesellschaft gegenüber dem Grunde nach entstanden. Eine wirksame Nachholung des Hauptversammlungsbeschlusses im Sinne einer Genehmigung müßte die Wirkung einer Beseitigung dieser Schadenersatzpflicht, also eines Verzichtes haben. Das aber ist der Hauptversammlung verboten: § 93 Abs 4 dAktG schützt die Hauptversammlung vor dem fait accompli der Verwaltung44. Daher entfaltet weder eine aus- [259] drückliche noch eine konkludente Genehmigung45 der Hauptversammlung nach Erklärung der Garantie durch den Vorstand mehr Wirkungen; insbesondere die Schadenersatzpflicht der Verwaltung bleibt unverändert bestehen. VIII. Bezugsrecht der Aktionäre der Muttergesellschaft auf die Anleihe der Tochtergesellschaft Steht damit fest, daß die Verwaltung der Muttergesellschaft die Optionsanleihe ihrer Tochtergesellschaft nur mit Zustimmung ihrer Hauptversammlung nach den Regeln des § 221 Abs 1 dAktG garantieren darf, so ist nunmehr zu prüfen, ob nicht daraus auch die Anwendbarkeit von § 221 Abs 3 dAktG (Bezugsrecht der Aktionäre) folgt. 1. Begibt die Muttergesellschaft eine Optionsanleihe, so steht ihren Aktionären darauf ein Bezugsrecht zu, § 221 Abs 3 dAktG. Begibt die Tochtergesellschaft, so steht dieses Bezugsrecht – soweit deutsches Recht anwendbar ist der – Muttergesellschaft als Aktionärin, nicht jedoch deren Aktionären zu. Dennoch wäre es überraschend, könnte auf so einfache Weise – Zwischenschaltung einer Tochtergesellschaft bei voller Garantie der Muttergesellschaft – das Bezugsrecht eliminiert werden. 2. Funktion des Bezugsrechts im Zusammenhang mit § 221 Abs 3 dAktG a) Das reguläre Aktienbezugsrecht nach § 186 dAktG hat die Aufgabe, Umfang und Wert der Beteiligung an der AG im Rahmen einer Kapitalerhöhung aufrechtzuerhalten. Die Einzelheiten dieser Funktion sind viel erörtert worden

44 Herrschende Meinung; vgl. Mertens in Kölner Kommentar § 93 AktG Anm 56; BaumbachHueck13 § 93 AktG Anm 12; Schilling in Großkomm3 § 93 AktG Anm 35; Ritter2 § 84 AktG Anm 6 d; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht2 125. 45 Sie wäre etwa in der nachträglichen Schaffung eines bedingten oder genehmigten Kapitals in Kenntnis der Garantie und zur Sicherung der garantierten Bezugsrechte zu sehen.

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und brauchen hier nicht wiederholt zu werden46. Von Bedeutung ist jedoch, daß eben nicht nur der (Verkaufs-)Wert der Beteiligung, sondern auch die Beteiligungsquote (Einfluß) durch das reguläre Bezugsrecht geschützt ist47. Diese Aufgabe dehnt Abs 3 des § 221 dAktG durchaus zutreffend auch auf Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen aus; denn die mit der Anleihe verbundenen Wandlungs- oder Bezugsrechte können zu Mitgliedschaften und damit – ebenso wie bei einer normalen Kapitalerhöhung – sowohl zur Verwässerung der Beteiligung als auch zur Minderung der Beteiligungsquote führen. Selbst wenn daher im konkreten Einzelfall der Bezugskurs angemessen [260] festgelegt ist48 – der spekulative Charakter des Gesamtrechts spricht im Grunde eher dagegen – so ist damit dem Anliegen des § 221 Abs 3 dAktG doch nicht Genüge getan. Das Bezugsrecht des § 186 dAktG ebenso wie das des § 221 Abs 3 dAktG kann daher auch nicht schon dann gegen den Willen der Minderheit ausgeschlossen werden, wenn nur der Bezugskurs angemessen ist; wegen des Eingriffs in die Beteiligungsstruktur müssen darüber hinaus entscheidende Gründe gerade diesen Ausschluß verlangen: Der Ausschluß muß erforderlich sein49. b) Die Garantie der Muttergesellschaft und ihr Verhältnis zur ausgebenden Tochtergesellschaft führen dazu, daß die versprochenen Bezugsrechte unmittelbar oder mittelbar von der Muttergesellschaft bedient werden müssen; diese trifft, wie wir unter I gesehen haben, schon heute Vorsorge, um die erforderlichen jungen Aktien aus einem bedingten oder genehmigten Kapital zur Verfügung zu haben. Und sie akzeptiert auch heute schon bis zum Auslaufen der Bezugsrechte den von der Tochtergesellschaft festgelegten Bezugskurs. Damit sind beide Elemente der Schutzfunktion des Bezugsrechts (Gefahr der Verwässerung und der Minderung der Beteiligungsquote) auch hier involviert: Ist der Bezugskurs nicht angemessen, so wird der Wert der bisherigen Mitgliedschaftsrechte zugunsten der Bezieher beeinträchtigt – und darauf spekulieren diese bei einer solchen Anleihe

46 Vgl. außer den Kommentierungen zu § 186 dAktG 1965 und § 153 AktG 1937 vor allem Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre (1958) 130 ff; derselbe, Zur aktienrechtlichen Stellung der Verwaltung bei Kapitalerhöhungen, BB 1961, 945 ff; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden (1963) 308 ff, 351 ff; Blumenröhr, Die inhaltlichen Schranken des Bezugsrechtsausschlusses und der Begebung junger Aktien (Diss. München 1966). 47 Vgl. dazu vor allem Mestmäcker, Verwaltung 131 ff; Lutter in Kölner Kommentar § 186 AktG Anm 49. 48 Hierauf stellt vor allem Silcher, in FS Gessler 190 ff ab, ohne daß jedoch für diese Angemessenheit eine Gewißheit bestünde: Welcher Schutz besteht dagegen, daß die Verwaltung die Wandelschuldverschreibung oder Optionsanleihe zu „günstigen“ Bedingungen begibt und sie – unmittelbar oder mittelbar – dem Großaktionär oder der Mehrheitsgruppe zukommen läßt? 49 Eingehend dazu: Zöllner, Stimmrechtsmacht 308 ff, 351 ff; Blumenröhr, Bezugsrechtsausschluß (vgl. FN 46); Lutter in Kölner Kommentar § 186 AktG Anm 49 ff. Zurückhaltender Wiedemann in Großkomm3 § 186 AktG Anm 2 und 12.

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gerade; auf jeden Fall aber wird – werden neue Mitgliedschaften hierfür ausgegeben – in die Beteiligungsquote der Altaktionäre eingegriffen50. 3. Anwendbarkeit des Abs 3 a) Da die hier erörterten Anleihen materiell dem in § 221 dAktG geregelten Sachverhalt entsprechen und die durch Abs 3 geschützten Interessen in gleicher Weise tangiert werden wie bei einer regulären Wandelschuldverschreibung oder Optionsanleihe, könnte an sich die Anwendung des Abs 3 auch hier nicht zweifelhaft sein. Da aber eine unmittelbare Anwendung nicht in Betracht kommt – das deutsche Aktienrecht kann der ausländischen Tochtergesellschaft kein Bezugsrecht für deutsche Aktionäre vorschreiben – ist zu erwägen, ob der Aktionärsschutz in ähnlicher Weise verwirklicht werden kann und muß51. [261] Nun steht nichts im Wege, daß die Tochtergesellschaft den Aktionären der Muttergesellschaft ein § 221 Abs 3 dAktG entsprechendes unmittelbares oder mittelbares Bezugsrecht auf ihre Anleihe einräumt. Insbesondere wird der Anleihezweck durch ein solches Bezugsrecht nicht berührt: Wer die Anleihe zeichnet und den Anleihebetrag leistet, ist sowohl für die Muttergesellschaft als auch für die Tochtergesellschaft ohne Belang. Selbst wenn das ausländische Recht ein Bezugsrecht für die Muttergesellschaft vorschreibt, so steht nichts im Wege, die Bezugsrechte zugunsten der Aktionäre der Muttergesellschaft auszuschließen oder es durch Erklärung der Muttergesellschaft an die Aktionäre nach den Regeln des Abs 3 weiterzuleiten. Sieht man dies richtig und berücksichtigt, daß Abs 3 „an sich“ zu beachten ist, so wird deutlich, daß die Verwaltung der Muttergesellschaft die Garantie nur unter eben dieser Voraussetzung erteilen darf. Denn sie hat die Interessen ihrer Aktionäre entsprechend den Grundlagen und Anweisungen des AktG zu wahren. Geschieht dies nicht, so verletzt die Verwaltung ihre Pflicht. b) Darf die Garantie der Muttergesellschaft in entsprechender Anwendung des § 221 Abs 3 dAktG nur erfolgen, wenn ein Bezugsrecht der Aktionäre der Muttergesellschaft sichergestellt ist, so gilt das nicht nur als Pflicht der Verwaltung, sondern ebenso als Schranke der Hauptversammlung. Wie im Falle des § 186 dAktG kann sich auch hier nicht etwa die Mehrheit über die Belange der Minderheit beliebig hinwegsetzen. Es gilt vielmehr folgendes: 50 Sind die Beteiligungsverhältnisse in der Gesellschaft z. B. 45% : 20% : 20% : 15%, so könnte mit einer solchen allein an den Großaktionär (45%) gegebenen Anleihe mühelos dessen Marsch über die 50%-Grenze gefördert werden. 51 Würde die Ausgabe durch eine 100%ige Tochtergesellschaft deutschen Rechts erfolgen, so könnte ein Durchgriff erwogen werden, und zwar entweder unmittelbar als Pflicht der Tochtergesellschaft aus § 221 Abs 3 dAktG (Durchgriff) oder mittelbar als Pflicht der Muttergesellschaft, die ihr nach Abs 3 zustehenden Bezugsrechte an ihre Aktionäre weiterzuleiten (mittelbares Bezugsrecht).

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aa) Die Hauptversammlung der Muttergesellschaft darf der geplanten Garantie nur zustimmen, wenn die projektierten Anleihebedingungen der Tochtergesellschaft ein Bezugsrecht zugunsten der Aktionäre der Muttergesellschaft enthalten oder ein Bezugsrecht der Muttergesellschaft kraft Gesetzes besteht (bzw. vereinbart ist) und die Muttergesellschaft sich verpflichtet, es an ihre Aktionäre nach den Regeln der §§ 221 Abs 3, 186 Abs 1 u. 5 dAktG weiterzugeben. Fehlt es daran und stimmt die Hauptversammlung dennoch zu, so ist der Beschluß anfechtbar. bb) Wie bei unmittelbarer Anwendbarkeit des § 221 Abs 3 dAktG, so kann auch hier das Bezugsrecht ausgeschlossen werden. Zuständig hierfür ist nur die Hauptversammlung der Muttergesellschaft in einem besonderen Beschluß im Zusammenhang mit der nach § 221 Abs 1 dAktG erforderlichen Zustimmung (§§ 221 Abs 3, 186 Abs 3 u. 4 dAktG). Gegen den Willen einer Minderheit kann ein solcher Beschluß jedoch nur gefaßt werden, wenn er im Interesse der Muttergesellschaft erforderlich und unter Abwägung auch anderer Möglichkeiten verhältnismäßig die geringste Art der Belastung für die Altaktionäre ist52. Eine solche Sondersituation wird im Zusammenhang mit Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen nur äußerst selten vorliegen. [262] 4. Verstöße – Schadenersatz a) Wird gegen die zum Bezugsrecht der garantierenden Muttergesellschaft entwickelten Regeln verstoßen, so ist ein entsprechender Zustimmungsbeschluß nach § 221 Abs 1 dAktG gemäß den Regeln des § 243 dAktG als gesetzwidrig anfechtbar. Aber auch ohne eine Anfechtung ist die Verwaltung nicht berechtigt, einen solchen – gesetzwidrigen! – Beschluß zu vollziehen53. Sie darf also in solchen Fällen trotz Zustimmung der Hauptversammlung die Garantieerklärung nicht abgeben; andernfalls verletzt sie ihre Pflichten der AG gegenüber und wird dieser gegebenenfalls ersatzpflichtig. b) Der etwaige Schaden der AG und damit die Ersatzpflicht der Verwaltung ihr gegenüber ist bei Verletzung der Ansprüche der Aktionäre auf Sicherung des Bezugsrechts nicht identisch mit deren Schaden. So mag z. B. der Bezugskurs im Hinblick auf die Höhe der Anleihezinsen, der sonstigen Lage des Geldmarktes usw. im Augenblick der Ausgabe durchaus vertretbar erscheinen, tatsächlich aber – wie sich später herausstellt – einen hohen Spekulationsgewinn ermöglichen. Dem Aktionär der Muttergesellschaft und potentiellen Zeichner ist bei Verletzung seiner Rechte aus § 221 Abs 3 dAktG damit ein Schaden entstanden. Wurde daher die Garantie seitens der Muttergesellschaft ohne Zustimmung der Haupt52 53

Vgl. dazu FN 49. Mestmäcker, BB 1961, 945, 948.

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versammlung gegeben oder wurde im Zustimmungsbeschluß der Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre nicht berücksichtigt bzw. zu Unrecht ausgeschlossen, so hat die Muttergesellschaft diesen Schaden durch ihren Vorstand verursacht; sie ist damit dem einzelnen Aktionär entsprechend §§ 275, 280 BGB in Höhe des Differenzbetrages (Bezugskurs im Verhältnis zum Kurs bei anderweitigem Erwerb) zum Ersatz verpflichtet54. Ihrerseits kann die AG aus §§ 93, 116 dAktG Regreß bei den Mitgliedern der Verwaltung nehmen. IX. Sicherstellung der Bezugsansprüche aus der Garantie (bedingtes und genehmigtes Kapital) 1. Weder die Verwaltung noch die Hauptversammlung können die AG oder sich selbst zu einem Beschluß über die Kapitalerhöhung verpflichten. Weil daher die Möglichkeit der Bedienung von wirksam eingeräumten Bezugsrechten (§ 221 Abs 1 dAktG) in Frage stehen kann, wurde im AktG 1937 das bedingte Kapital geschaffen: Der Beschluß zur Kapitalerhöhung ist gefaßt, Hauptversammlung und Gesellschaft sind damit gebunden (§ 192 Abs 4 dAktG), die Durchführung aber hängt von der Inanspruchnahme der Bezugsrechte ab. In gleicher Weise kann der Verwaltung zur Bedienung von Umtausch- oder Bezugsrechten ein genehmigtes Kapital eingeräumt werden55; da die Form des [263] genehmigten Kapitals weniger auf die Bedienung von Umtausch- und Bezugsrechten abgestellt ist, müssen erhebliche materielle56 und technische Schwierigkeiten57 in Kauf genommen werden58. 2. Bedingtes oder genehmigtes Kapital für allgemeine Verpflichtungen Dritter aus Bezugs- oder Umtauschrechten a) Nach § 192 Abs 2 dAktG soll das bedingte Kapital nur zu drei Zwecken beschlossen werden, nämlich zur Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten an Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen, 54 Vgl. dazu im einzelnen Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958) 202 ff, 340; Blumenröhr, Bezugsrechtsausschluß 120 ff; Klette, Die Rechtsfolgen eines zu niedrigen Emissionskurses beim genehmigten Kapital, BB 1968, 1101 ff. 55 Vgl. oben FN 17 sowie Silcher, in FS Gessler 195 ff. 56 Höchstdauer des genehmigten Kapitals: 5 Jahre, § 202 Abs 1 u. 2 S 1 dAktG. 57 Beschlüsse des Vorstandes und ggf. des Aufsichtsrats sind erforderlich; laufende Anmeldungen zum Handelsregister müssen erfolgen, damit die Mitgliedschaften entstehen können: §§ 204, 203 Abs 1 i. V. m. §§ 188, 189 dAktG. 58 Näher dazu Silcher, in FS Gessler 195 ff.

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zur Vorbereitung des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmen, zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer der AG. b) Die Ausprägung als Sollvorschrift besagt nicht, daß auch beliebig andere Zwecke mit dem bedingten Kapital verwirklicht werden können. So ist insbesondere für den zur Prüfung berechtigten und verpflichteten Registerrichter dieses „Soll“ zunächst einmal verbindlich59. Damit ist zu fragen, ob das Gesetz zwar jede Abweichung verbietet, einen Verstoß aber nicht mit der Nichtigkeitsfolge des § 241 dAktG sanktionieren will, oder ob mit dem „Soll“ ein gewisser Spielraum für neue Entwicklungen verbleibt. Sicher sollte zunächst einmal die Frage der etwaigen Nichtigkeit geklärt und Abs 2 des § 192 dAktG in dieser Weise deutlich von der Nichtigkeitsfolge seines Abs 3 abgehoben werden. Darüber hinaus ist anzunehmen, daß Gestaltungen, die zwar nicht wörtlich, wohl aber in Inhalt und Auswirkung den zulässigen Fällen entsprechen, bei denen also die Ziele des Gesetzes ebenso wie die Folgen für Gesellschaft und Aktionäre denen der §§ 192 ff dAktG entsprechen, die Regeln des bedingten Kapitals für sich in Anspruch nehmen können. Im übrigen aber zeigt die ausdrückliche Haftungsbestimmung des § 93 Abs 3 Z 9 dAktG, daß das Gesetz die Möglichkeit einer beliebigen Erweiterung deutlich verneint. c) Damit aber ist hier zunächst zu klären, ob bei Ausgabe von Schuldverschreibungen durch eine Gesellschaft mit sie verpflichtenden Bezugsrechten auf Aktien einer dritten Gesellschaft diese nach § 192 dAktG berechtigt ist, dafür – also für die Erfüllung der Verpflichtung eines Dritten – ein bedingtes Kapital zu schaffen. Auch insoweit handelt es sich um „Wandelschuldverschreibungen“, also um eine Schuldverschreibung, die dem Gläubiger Ansprüche gegen Emittenten (Tochtergesellschaft) auf Aktien einer (dritten) Gesellschaft gewährt („Bezugsrechte“). Dem reinen Wortlaut der Vorschrift des § 192 [264] Abs 2 Z 1 dAktG nach könnten ihr also auch Anleihen Dritter unterfallen60. Das aber genügt nicht, die Frage schon zu bejahen; denn es liegt keineswegs auf der Hand, daß tatsächlich mit § 192 dAktG auch Anleihen und Bezugsverpflichtungen Dritter durch ein bedingtes Kapital der „betroffenen“, aber nicht selbst emittierenden Gesellschaft geschützt werden können. Hiergegen spricht einmal, daß das Gesetz in § 192 Abs 2 Z 1 ebenso wie in § 221 Abs 1 dAktG von „Wandelschuldverschreibungen“ und „Bezugsrechten“ spricht, in § 221 Abs 1 dAktG damit aber unmittelbar nur eigene Anleihen und vor allem nur eigene Bezugsverpflichtungen der betreffenden Gesellschaft meint; anders wäre weder das Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses nach § 221 Abs 1 dAktG verständlich noch das Bezugsrecht des § 221 Abs 3 dAktG durchsetzbar. Der Gedanke liegt nahe, daß die Formulierung -

59 Vgl. dazu Lutter, Die Eintragung anfechtbarer Hauptversammlungsbeschlüsse im Handelsregister, NJW 1969, 1873, 1878; vgl. auch Baumbach-Hueck13 § 182 AktG Anm 7; Fischer in Großkomm2 § 149 AktG Anm 10. 60 Zutreffend Silcher, in FS Gessler 188 f.

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„Wandelschuldverschreibung“ in beiden Vorschriften gleich zu verstehen ist. Zum anderen ist zu bedenken, daß das Gesetz sowohl bei der regulären Kapitalerhöhung (§ 186 dAktG), als auch beim genehmigten Kapital (§ 203 i. V. m. § 186 dAktG) und bei den Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs 3 dAktG) mit dem Bezugsrecht der Aktionäre energisch deren Schutz vor Verwässerung ihrer Mitgliedschaft und Reduzierung ihres Einflusses sicherstellt: Nur beim bedingten Kapital fehlt dieses Bezugsrecht. Das kann nun nicht als Zufall oder als Freibrief zu beliebiger Ausnutzung erklärt werden, sondern ist allein aus den zulässigen Zwecken des bedingten Kapitals verständlich: Wie sonst bei der regulären Kapitalerhöhung und dem genehmigten Kapital – ein angemessener Umfang vorausgesetzt – für die Ausgabe von Arbeitnehmer-Aktien sowie zur Ausgabe von Aktien gegen Sacheinlagen (insbesondere auch: Zusammenschluß von Unternehmen)61 das Bezugsrecht ausgeschlossen werden kann – und ausgeschlossen werden muß, soll der intendierte Zweck (Ausgabe an Arbeitnehmer, Erwerb von Sacheinlagen) erreicht werden –, so besteht das Bezugsrecht beim bedingten Kapital in den entsprechenden Fällen des § 192 Abs 2 Z 2 u. 3 dAktG erst gar nicht. Anders liegt es bei der Sicherung von Wandelschuldverschreibungen (§ 192 Abs 3 Z 1 dAktG): Hier besteht kein allgemeiner Grund für eine Beseitigung des Aktionärsschutzes. Dennoch konnte man beim bedingten Kapital von einer – sonst sicher sehr komplizierten – Regelung absehen, da der hier fehlende Schutz im Interesse der Gesellschaft von § 221 Abs 3 dAktG übernommen wird: Werden Bezugsrechte mit einer Anleihe verbunden, so soll der Aktionär auch die Anleihe zeichnen müssen und nicht nur das Bezugsrecht übernehmen können. Diese Lösung des Gesetzes ist auch durchaus zutreffend; denn ein noch so korrekt festgelegter Bezugs- oder Umtauschkurs schützt die Aktionäre weder vor dem Verlust ihrer Beteiligungsquote noch vor Entwicklungen, die den Bezugskurs später für den Berechtigten besonders attraktiv werden lassen: Darauf beruht ja gerade das System der Wandelschuldverschreibung. Diese Überlegungen erhalten weiter Gewicht, wenn man auch § 187 dAktG beachtet; [265] diese sehr energische Vorschrift sichert die Aktionäre vor Zwangslagen derart, daß sie entweder ihr Bezugsrecht verlieren oder die AG – und damit mittelbar wiederum sich selbst – erheblichen Schadenersatzansprüchen aus wirksam begründeten Bezugsverpflichtungen gegenübersehen. Es ist kein noch so ferner Grund ersichtlich, weshalb dieses streng durchgehaltene System gerade im Zusammenhang mit den §§ 192 ff dAktG aufgegeben worden sein sollte. d) Daraus ergibt sich, daß ein bedingtes Kapital nach § 192 Abs 2 Z 1 dAktG grundsätzlich nur beschlossen werden kann, wenn die betreffende Gesellschaft identisch ist mit der Schuldnerin der Bezugsansprüche und der Anleihe: Für allge61 In den letzten Jahren wurden nicht selten Aktien aus einem genehmigten Kapital begeben, auf die Mitgliedschaften an anderen Unternehmen als Sacheinlage eingebracht wurden. So etwa vollzog sich der Erwerb der Nordmark-Werke GmbH durch die BASF.

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meine Verpflichtungen Dritter aus von ihnen eingeräumten Bezugsrechten auf Mitgliedschaften an einer anderen Gesellschaft kann von dieser kein bedingtes Kapital geschaffen werden62. Das gilt nicht in gleicher Weise auch für ein genehmigtes Kapital63; da für dieses aber, soll es die Erfüllung der Bezugsverpflichtungen des Dritten ermöglichen, das Bezugsrecht der eigenen Aktionäre ausgeschlossen werden müßte und kein Grund dies so leicht „erforderlich“ werden läßt, wird auch das genehmigte Kapital allenfalls in besonderen Ausnahmefällen (insbesondere: mit Zustimmung aller Aktionäre) geschaffen werden können. 3. Bedingtes oder genehmigtes Kapital bei Verpflichtungen Dritter aus Umtausch- oder Bezugsrechten, die von der Gesellschaft garantiert werden a) Die hier vor allem interessierenden Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften unterscheiden sich von der soeben erörterten Regelsituation bei Anleihen Dritter durch die Garantie der Muttergesellschaft, auf deren Aktien sich das Bezugsrecht bezieht. Hierzu wurde bereits festgestellt, daß die tatsächliche und rechtliche Lage so sehr den materiellen Zielen des § 221 Abs 1 u. 3 dAktG entspricht, daß diese Regeln im Zusammenhang mit der Garantie der Muttergesellschaft zu beachten sind. Das bedeutet, daß diese Garantie sowohl im Sinne des Abs 1 von § 221 dAktG (Zustimmung der Hauptversammlung) als auch im Sinne des Abs 3 (Bezugsrecht) wie eine Wandelschuldverschreibung dieser Muttergesellschaft zu behandeln ist. Dann aber sind, wie soeben unter Punkt 2 erläutert, keine Bedenken mehr gegeben, diese Garantie auch im Sinne des § 192 Abs 2 Z 1 dAktG wie eine von der betreffenden Gesellschaft selbst ausgegebene Wandelschuldverschreibung zu behandeln; der Gleichklang des Anwendungsbereiches von § 192 Abs 2 Z 1 und § 221 Abs 1 dAktG ist gegeben und das Bezugsrecht der Aktionäre aus § 221 Abs 3 dAktG inhaltlich gesichert; die „Identität“ von Schuldnerin der Verpflichtung aus dem Bezugsrecht und betroffener Gesellschaft ist durch deren Garantie hergestellt. b) Auch ein genehmigtes Kapital ist zulässig; eine Änderung gegenüber der [266] allgemeinen Situation (oben Punkt 2) tritt jedoch auch hier insofern ein, als die Rechte der Aktionäre bereits durch § 221 Abs 3 dAktG gewahrt sind, so daß dem – erforderlichen – Ausschluß des Bezugsrechtes nach §§ 203, 186 Abs 3 u. 4 dAktG insoweit keine Bedenken mehr entgegenstehen, als es zur Bedienung der Bezugsansprüche aus der Anleihe dienen soll: Eine Doppelsicherung der Aktionäre ist nicht erforderlich. 62 Ebenso Gustavus, Die Sicherung von mit ausländischen Optionsanleihen verbundenen Bezugsrechten auf deutsche Aktien, BB 1970, 694 f; a. A.: Silcher, in FS Gessler 188 ff. 63 Zutreffend Silcher, in FS Gessler 195 ff.

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4. Ergebnis Damit läßt sich allgemein feststellen, daß ein bedingtes Kapital nach § 192 Abs 2 Z 1 dAktG immer dann, aber auch nur dann begründet werden darf, wenn zugleich die Regeln des § 221 Abs 1 u. 3 dAktG eingreifen. Zugleich ergibt sich für die hier erörterten Fälle von garantierten Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, daß ein bedingtes Kapital von der Muttergesellschaft beschlossen und im Handelsregister eingetragen werden konnte. Letztlich aber ergibt sich auch, daß keine deutsche Aktiengesellschaft einerseits die Möglichkeiten der §§ 192 Abs 1 Z 1, 193 ff dAktG in Anspruch nehmen, andererseits aber die Regeln des § 221 dAktG als für sie dennoch nicht verbindlich erklären kann: Beide Normkomplexe sind in ihrem Anwendungsbereich aufeinander bezogen64. X. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Die deutsche AG, deren ausländische Tochtergesellschaft eine Anleihe begibt verbunden mit Bezugsansprüchen auf Aktien der Muttergesellschaft (Optionsanleihe), kann eine Garantie für die Erfüllung der Verpflichtung der Tochtergesellschaft aus der Anleihe (Zahlungsverpflichtung) und den Bezugsrechten übernehmen. 2. a) Die Verwaltung der deutschen Muttergesellschaft (AG) darf die Garantieerklärung bezüglich der Bezugsrechte nur mit vorheriger Zustimmung ihrer Hauptversammlung nach den Regeln des § 221 Abs 1 dAktG begeben. Fehlt die Zustimmung, so ist die Garantieerklärung dennoch wirksam; die Verwaltung wird jedoch der AG für allen daraus entstehenden Schaden ersatzpflichtig. Diese Ersatzpflicht kann auch durch eine nachträgliche (ausdrückliche oder konkludente) Zustimmung der Hauptversammlung (Genehmigung) nicht beseitigt werden. b) Die Garantie darf nur übernommen werden, wenn den Aktionären der garantierenden Muttergesellschaft ein – unmittelbares oder mittelbares – Bezugsrecht auf diese Anleihe nach den Regeln der §§ 221 Abs 3, 186 Abs 1 u. 5 dAktG eingeräumt wird, sei es durch die ausländische Tochtergesellschaft auf Grund ihrer Anleihebedingungen, sei es durch die Muttergesellschaft durch Weitergabe eines ihr selbst zustehenden Bezugsrechts. Diese Voraussetzung [267] kann nur durch die Hauptversammlung der garantierenden Gesellschaft nach den Regeln und in den Schranken der §§ 221 Abs 3, 186 Abs 3 u. 4 dAktG (förmlicher Aus64 Wobei es zwar Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen ohne ein bedingtes Kapital, nicht aber Wandelschuldverschreibungen oder Optionsanleihen außerhalb des § 221 dAktG, aber mit einem bedingten Kapital geben kann.

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schluß des Bezugsrechts) beseitigt werden; ein Zustimmungsbeschluß, der diese Voraussetzungen nicht beachtet, ist anfechtbar und darf – unabhängig ob tatsächlich angefochten wird oder nicht – von der Verwaltung als gesetzwidrig nicht vollzogen werden. Verstößt die Verwaltung hiergegen, so greift die AG durch sie in individuell geschützte Positionen jedes einzelnen Aktionärs ein (Bezugsrecht) und ist entsprechend §§ 275, 280 BGB zum Schadenersatz verpflichtet. Diese Ersatzpflicht kann nicht durch einen nachträglichen Mehrheitsbeschluß der Hauptversammlung entsprechend den Regeln der §§ 221 Abs 3, 186 Abs 3 u. 4 dAktG (Ausschluß des Bezugsrechts) gegen den Willen der einzelnen Aktionäre beseitigt werden. Die Mitglieder der Verwaltung sind der AG nach § 93 dAktG zum Regreß aus solchen Ersatzforderungen verpflichtet. 3. Zur Sicherstellung der Pflichten der AG aus einer Garantie o. ä. der Bezugsrechte kann ein bedingtes Kapital (§§ 192 ff dAktG) nur dann geschaffen werden, wenn – wie hier – zugleich die Voraussetzungen des § 221 dAktG gegeben sind: § 192 Abs 2 Z 1 dAktG und § 221 Abs 1 u. 3 dAktG sind so aufeinander bezogen, daß alle und zugleich nur solche Gestaltungen ein bedingtes Kapital nach § 192 Abs 2 Z 1 dAktG erlauben, die zugleich § 221 Abs 1 u. 3 dAktG unterfallen. Unter den gleichen Voraussetzungen kann der Verwaltung zur Bedienung dieser Bezugsansprüche unter Ausschluß des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre ein genehmigtes Kapital eingeräumt werden. 4. Wegen der sachlichen Identität der hier entscheidenden Normen des deutschen Rechts (§§ 186, 187, 192 ff, 221 dAktG 1965) mit denen des österreichischen Aktiengesetzes (§§ 153, 154, 159 ff, 174 öAktG 1965) gelten die hier gefundenen Ergebnisse auch für das österreichische Recht.

Zur Wirkung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auf nahestehende Gesellschaften IN: LUTTER/STIMPEL/WIEDEMANN (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR ROBERT FISCHER, BERLIN

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I. Übersicht 1. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG weist der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft als Satzungsgeberin die Befugnis zu, bestimmte „Geschäfte“, die der Vorstand plant, der Mitwirkung (Zustimmung) seines Aufsichtsrats zu unterwerfen. Und die gleiche Befugnis steht auch dem Aufsichtsrat selbst zu, der von dieser Möglichkeit durch einfachen Beschluß Gebrauch machen kann. So finden sich in den Satzungen der Aktiengesellschaften, aber auch in den von den Aufsichtsräten selbst erlassenen Geschäftsordnungen höchst unterschiedliche Regelungen zu diesem Aspekt. Sie reichen vom Verzicht auf jede Inanspruchnahme dieser Befugnis über wenige Details bis hin zu recht umfangreichen Zustimmungskatalogen. Und auch die Streitfragen spannen sich vom Versuch, den Verzicht auf jede Inanspruchnahme der Norm statutarisch zu zementieren – also dem Aufsichtsrat die Möglichkeit zu eigener Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zu nehmen1 – bis hin zu den Grenzen ihrer Anwendbarkeit im Hinblick auf die dem Vorstand allein zustehende Geschäftsführungsbefugnis2. Aber von diesen Problemen soll hier nicht gehandelt werden. Vielmehr geht es hier um die Frage, wie solche Zustimmungsvorbehalte der Satzung oder des Aufsichtsrats zu verstehen sind, wenn sich der unternehmerische Einfluß des vom Zustimmungsvorbehalt betroffenen Vorstands nicht nur auf die betreffende Gesellschaft selbst erstreckt, sondern auf weitere, also nahestehende, abhängige oder gar konzernverbundene Gesellschaften.

1 Vgl. dazu näher Immenga, ZGR 1977, S. 261 ff.; zuletzt Fitting-Wlotzke-Wißmann, Komm. zum MitbestG, 2. Aufl. 1978, § 25 Anm. 48 m. w. Nachw. 2 Siehe dazu § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG; näher dazu Baumbach-Hueck, Komm. Zum AktG, 13. Aufl. 1968, § 111 Anm. 11; Mertens, in: Kölner Komm. zum AktG, § 111 Rnr. 61; MeyerLandrut, in Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 111 Anm. 15; Hölters, BB 1975, S. 797, 798 sowie Hoffmann-Lehmann-Weinmann, Komm. zum MitbestG, 1978, § 25 Anm. 83.

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Zur Wirkung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG

2. a) Wird von der Möglichkeit aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG Gebrauch gemacht, so lauten die entsprechenden Artikel der Satzung oder Geschäftsordnung in ihrem Kern üblicherweise: „Der Vorstand bedarf zu folgenden Geschäften3 der Zustimmung des Aufsichtsrats“ [420]

oder (seltener): „Der Vorstand hat in folgenden Fällen die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen“.

Unter den derart zustimmungspflichtigen „Geschäften“, „Maßnahmen“ oder „Fällen“ des Vorstands finden sich dann höchst unterschiedliche Bereiche angesprochen. Sie reichen von den fast klassischen Geschäftsvorfällen wie „Kreditaufnahmen von mehr als X DM“ „Erteilung von Bürgschaften“ „Erwerb und Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten“ „Erwerb von Beteiligungen und ihre Veräußerung“ über „moderne“ betriebswirtschaftliche Bestimmungen wie „die jährliche Investitionsplanung sowie diejenige der einzelnen Konzernsparten“, „Investitionspläne und solche Investitionen, die über den Bedarf des regelmäßigen Geschäftsverkehrs hinausgehen und nicht in einem genehmigten Investitionsplan enthalten sind“, bis hin zu „Betriebsaufgaben“, „Betriebsstillegungen“ oder der „Einrichtung und Auflösung von Zweigniederlassungen“ sowie zu Personalproblemen wie „Bestellung von Prokuristen“ „Anstellung und Entlassung von Angestellten mit jährlichen Bezügen von mehr als X DM“ „Ernennung von Generalbevollmächtigten“ etc. b) Soweit festzustellen war, finden sich in diesen Katalogen aber nur ganz selten unmittelbare oder mittelbare Hinweise auf Vorgänge, die sich im Bereich anderer Gesellschaften verwirklichen. Das gilt insbesondere für unmittelbare Zustimmungspflichten bei Vorgängen in anderen Gesellschaften. Bei der Durchsicht von Satzungen sind hier nur die folgenden Regelungen für zustimmungspflichtige Geschäfte aufgefallen: In der Satzung der Hussel-Holding AG (§ 10) der „Abschluß von Organschafts- und Ergebnisabführungsverträgen der Konzerngesellschaften“

3 In Einzelfällen wird hier auch die Formulierung „Maßnahme“ alternativ oder kumulativ gewählt; ausgewertet wurden hierzu die Satzungen von gut 50 Aktiengesellschaften. MöhringSchwartz-Rowedder-Haberlandt, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung, 2. Aufl. 1966 schlagen demgegenüber S. 157 die Formulierung „Rechtsgeschäfte“ vor.

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sowie bei dieser Gesellschaft und bei der Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg AG die „Kapitalerhöhungen bei Konzerngesellschaften“ (Hussel) bzw. „Beteiligungsgesellschaften“ (PWA). Mittelbare (versteckte) Hinweise auf solche Fallgestaltungen sind etwas häufiger, insbesondere etwa im Zusammenhang mit der Festlegung einer Zustimmungspflicht bei dem [421] „Erwerb, der Veräußerung oder der Liquidation von Tochtergesellschaften (Beteiligungsgesellschaften)“, der „Beteiligung an neu zu errichtenden Unternehmen und deren Aufgabe“ oder bei der „Veräußerung des Unternehmens oder einzelner Teile davon“. Von diesen wenigen Hinweisen abgesehen, schweigen die entsprechenden Bestimmungen und vermitteln damit das Bild von der Existenz einer monolithischen Einheitsgesellschaft, während doch in der Rechtswirklichkeit der mehr oder minder festgefügte Verbund mehrerer Unternehmen überwiegt. Daher ist es auch nicht selten von der rein unternehmenspolitischen Situation abhängig, ob etwa eine geplante Investition in der Gesellschaft selbst oder in einer ihrer Tochtergesellschaften durchgeführt, ob eine Beteiligung von der Gesellschaft selbst oder einer ihrer abhängigen Gesellschaften erworben wird, ob die erforderliche Betriebsstillegung die Gesellschaft oder eine ihrer Konzerngesellschaften trifft. Soll daher eine Maßnahme der hier behandelten Art nicht in der betreffenden Gesellschaft selbst, sondern in einer ihr nahestehenden oder gar von ihr abhängigen anderen Gesellschaft durchgeführt werden, so mag sich der Vorstand in vielen Fällen fragen, ob er auch hierzu die Zustimmung seines eigenen Aufsichtsrates braucht. Dieser Frage soll hier nachgegangen werden. II. Zur rechtlichen Möglichkeit, Zustimmungsvorbehalte auf Beteiligungsgesellschaften auszuweiten 1. Ausgangspunkt der Untersuchung muß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG sein, wonach der Aufsichtsrat bestimmen kann, daß „bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen“.

Macht der Aufsichtsrat von dieser Möglichkeit Gebrauch, so ist der Vorstand verpflichtet, vor Durchführung des betreffenden Geschäftes die Zustimmung einzuholen. Kommt er dem nicht nach, so verletzt er seine Pflichten; die dennoch durchgeführte Maßnahme aber ist deshalb nicht unwirksam. Es handelt sich

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mithin um eine rein interne Verhaltenspflicht des Vorstands, nicht um ein Gültigkeitserfordernis für das fragliche Geschäft4. 2. Das Gesetz selbst spricht von „Geschäften“, die der Zustimmungspflicht unterworfen werden können. Zu klären ist daher zunächst, welche Sachverhalte von dieser die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands beschränkenden Mitwirkungsbefugnis des Aufsichtsrats überhaupt erfaßt [422] werden können: alle Handlungsbereiche des Vorstands oder nur ein bestimmter Sektor? Die Wortwahl des Gesetzes ist eigentümlich unscharf. Denn es gibt im juristischen Sprachgebrauch sonst Rechtsgeschäfte, Geschäftsführung, Geschäftsbericht oder Geschäftsjahr, nur selten aber die Formulierung „Geschäft“ allein5. Diese unpräzise Formulierung könnte daher sowohl einschränkend im Sinne von Rechtsgeschäft oder aber weitergehend in Anlehnung etwa an §§ 311, 312 AktG als Maßnahmen verstanden werden. a) Satz 2 von § 111 Abs. 4 AktG steht in unmittelbarem sachlichen und sprachlichen Zusammenhang mit Satz 1 dieser Vorschrift. Dort wird bestimmt, daß „Maßnahmen der Geschäftsführung“ dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden können. Es liegt also nahe, die „Geschäfte“ des Satzes 2 mit der „Geschäftsführung“ des Satzes 1 in Verbindung zu bringen. Das würde für ein weites, keineswegs auf „Rechtsgeschäfte“ beschränktes Verständnis der Norm sprechen: dem Zustimmungsvorbehalt unterworfen werden kann aus dieser Sicht dann alles, was der Geschäftsführung des Vorstands unterliegt und nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Weisung dem Vorstand allein zugeordnet ist (z. B. Einberufung der Hauptversammlung, Durchführung von Hauptversammlungsbeschlüssen, Anmeldung von Vergleich und Konkurs etc.). b) Diese Sicht wird bestätigt, wenn man die Funktion der Norm in Rechnung zieht. Die Mitwirkung des Aufsichtsrats über den Zustimmungsvorbehalt zu seinen Gunsten an Geschäften des Vorstands ist mitunternehmerische Teilhabe an bestimmten Vorgängen im Unternehmen: in diesem Bereich müssen die unternehmerischen Zielvorstellungen von Vorstand und Aufsichtsrat in concreto übereinstimmen, damit das betreffende „Geschäft“ vorgenommen werden kann6. Dieser Aufgabenbereich des Aufsichtsrats aber ist schon aus Rechtsgründen beschränkt; denn die unternehmerische Grundverantwortung des Vorstands darf nicht tangiert werden, arg. §§ 76, 111 Abs. 4 Satz 1 AktG. Umfassend und zentral ist demgegenüber seine Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG, den Vorstand in seiner Aufgabe als Leiter des Unternehmens zu überwachen. Überwachung aber bedeutet nicht etwa nur Legalitätskontrolle, sondern auch und vor allem den ständigen Vergleich zwischen den allgemeinen und konkreten Zielen der Gesellschaft und demjeni4 Vgl. Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Kommentar zum AktG, § 111 Rnr. 78; Mertens (o. Fn. 2), § 111 Rnr. 66. 5 Etwa „Beginn der Geschäfte“ in § 123 Abs. 2 oder § 176 HGB. 6 In der Tendenz ebenso Mertens, ZGR 1977, S. 270, 280 ff.

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gen, was der Vorstand tatsächlich erreicht7. Auch dieser Aufgabe des Aufsichtsrats dient der Zustimmungsvorbehalt; denn auf diese Weise erfährt der Aufsichtsrat frühzeitig von geplanten Geschäften und kann seinerseits noch vor ihrem Vollzug sicher- [423] stellen, daß sie mit den Zielen der Gesellschaft auch tatsächlich übereinstimmen8. Beide Aspekte dieser Mitwirkung des Aufsichtsrats sind nicht auf Rechtsgeschäfte beschränkt, sondern betreffen das gesamte Handeln des Vorstands. Auch unter diesem Gesichtswinkel sind also unter „Geschäften“ im Sinne von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG alle Maßnahmen der Geschäftsführung des Vorstands zu verstehen9. c) § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG erlaubt es also, jegliche Art von Vorstandshandeln intern einem Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats zu unterwerfen. Grenzen sind insoweit lediglich das Geschäftsführungsverbot aus Abs. 4 Satz 1 sowie die Beschränkung des Abs. 4 Satz 2 auf „bestimmte Arten von Geschäften“: die Maßnahmen müssen sich abstrakt-generell formulieren lassen, dürfen nicht jegliches Vorstandshandeln umfassen, müssen sich auf gewichtige Geschäftsvorfälle beschränken10 und dürfen nicht in Fälle ausschließlicher Zuständigkeit des Vorstands (oben a) eingreifen. 3. Steht damit fest, daß die Formulierung „Geschäfte“ in § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG im Sinne von „Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands“ und damit in einem denkbar weiten Sinne zu verstehen ist, so bleibt zu klären, ob und in welchem Maße dazu auch die Geschehnisse in anderen Gesellschaften gerechnet werden können, soweit diese überhaupt zum Einflußbereich eben dieser Gesellschaft und ihrer durch § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG verknüpften Organe gehören. a) In Personengesellschaften sind die Gesellschafter Träger des Geschehens in der Beteiligungsgesellschaft. Führt daher die beteiligte Gesellschaft über ihren Vorstand die Geschäfte der Personen-Beteiligungsgesellschaft, so übt er (originäre) Geschäftsführung für diese Beteiligungsgesellschaft und zugleich Geschäftsführung für seine beteiligte Aktiengesellschaft aus: der Vorstand ist der „verlängerte Arm“ des Gesellschafters Aktiengesellschaft, diese ist Trägerin der Geschäftsführungspflicht und der Geschäftsführungsbefugnis in der Beteiligungsgesellschaft und kann dabei – bis zur Grenze dessen, was die Pflicht zu gesellschaftlicher Treue von ihr in der Personenbeteiligungsgesellschaft verlangt – Dazu näher Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1979, S. 20. Diese Doppelfunktion von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG betont auch Ballerstedt, in: Festschrift für Duden, 1976, S. 31. Demgegenüber betont die h. M. vor allem die Verstärkung der Überwachungsmöglichkeiten durch diese Norm, vgl. Immenga, ZGR 1977, S. 261 f. 9 Ebenso Mertens (o. Fn. 2), § 111 Rnr. 58. 10 Dazu näher vor allem Immenga, ZGR 1977, S. 261 ff. und Mertens, ZGR 1977, S. 280 f.; vgl. weiter Baumbach-Hueck (o. Fn. 2), § 111 Anm. 11.; Meyer-Landrut (o. Fn. 2), § 111 Anm. 15; Mertens (o. Fn. 2), § 111 Rnr. 61 sowie Fitting-Wlotzke-Wißmann, (o. Fn. 1), § 25 MitbestG Anm. 49 und Hoffmann-Lehmann-Weinmann (o. Fn. 1), § 25 MitbestG Anm. 84 ff. 7 8

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nach ihren inter- [424] nen Organisationsregeln die für sie Handelnden (Vorstand) bestimmten Schranken unterwerfen. Dazu gehört auch die Schranke aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. b) Ist die Beteiligungsgesellschaft eine GmbH, so ist deren Gesellschafterversammlung in einer nicht geringen Zahl von Fällen selbst zur Geschäftsführung gehalten11, im übrigen aber weisungsbefugt gegenüber der Geschäftsführung ihrer Gesellschaft12. Diese Gesellschafterversammlung kann zwar ihrerseits ebensowenig mit Außenwirkung handeln wie der Vorstand einer Obergesellschaft oder einer Hauptgesellschaft in den Fällen der §§ 308, 323 AktG. Im Unterschied zu diesen Konzerngestaltungen des Aktienrechts steht die Weisungsbefugnis aber hier nicht der beteiligten Aktiengesellschaft, sondern der Gesellschafterversammlung der GmbH zu. Dort aber nimmt der Vorstand dieser Aktiengesellschaft deren Mitgliedschaftsrechte wahr, Rechte also derjenigen Gesellschaft, für die er als Geschäftsführungsorgan tätig ist. Daher steht nichts entgegen, wenn der Vorstand der beteiligten Aktiengesellschaft über § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG hinsichtlich der Ausübung von Gesellschafterrechten in der betreffenden GmbH und insbesondere bei der Beschlußfassung über Weisungen an die dortige Geschäftsführung gebunden wird13. c) Aber auch dort, wo die Gesellschaften vom Gesetz her stärker voneinander getrennt organisiert sind, insbesondere also bei Aktiengesellschaften als Beteiligungsgesellschaften, kann es auch und zwar nicht nur im Vermögensbereich (§ 322 AktG), sondern gerade auch im Geschäftsführungsbereich – nicht im Vertretungsbereich! – zu Überschneidungen kommen14. Ist nämlich die Beteiligungsgesellschaft eingegliedert oder besteht zwischen ihr und der hier erörterten Aktiengesellschaft ein Beherrschungsvertrag, so ist die Hauptgesellschaft (§ 323 AktG) bzw. die Obergesellschaft (§ 308 AktG) weisungsberechtigt. Dieses Weisungsrecht steht der betreffenden Gesellschaft zu; die Ausübung obliegt ihrem Vorstand und ist damit wiederum Wahrung von Rechten dieser Gesellschaft, ist Geschäftsführung für sie. Für die Ausübung der Weisungsrechte sind

Vgl. dazu Hommelhoff, ZGR 1978, S. 119 ff., insb. 121-130. Zur Weisungsbefugnis in der GmbH vgl. Schilling, in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 6. Aufl. 1959, § 37 Anm. 1; Hommelhoff (o. Fn. 11), S. 121 ff.; Zöllner, ZGR 1977, S. 318, 324 ff. 13 Daß auch diese Bindung dem Gebot gesellschaftlicher Treue entsprechen muß, bedarf kaum der Erwähnung. Ihre Wirkung ist nicht unähnlich der aus einer Stimmbindung; daher kann die Schranke, bis zu welcher der Vorstand gehalten ist, der – bremsenden – Auffassung seines eigenen Aufsichtsrats zu folgen und ab wann er nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen allein zu handeln berechtigt ist, in ähnlicher Weise wie bei der Stimmbindung ermittelt werden. Vgl. dazu Overrath, Die Stimmrechtsbindung, 1973, S. 60 ff., insbes. S. 81 ff. 14 Vgl. näher Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Komm. zum AktG, § 308 Anm. 9 ff. 11 12

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daher [425] ebenfalls Zustimmungsschranken des Vorstands der Obergesellschaft (Hauptgesellschaft) aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG offenbar möglich15. d) Damit ist aber auch schon der Weg offen für eine allgemeine Beantwortung der hier gestellten Fragen: jegliche Ausübung von Beteiligungsrechten für die beteiligte Aktiengesellschaft ist Geschäftsführung für diese. Daher kann, unabhängig von der Rechtsform der Beteiligungsgesellschaft und unabhängig von (zusätzlichen) vertraglichen Positionen, die Ausübung insbesondere des Stimmrechts über § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG an die Mitwirkung des Aufsichtsrats gebunden werden. Für die „Verlagerungsmöglichkeiten“ einer Bindung aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ist also keineswegs (nur) die Enge der Beziehungen zwischen der betreffenden Aktiengesellschaft und ihrer Beteiligungsgesellschaft maßgebend – sie hat nur bei den besonderen Geschäftsführungshandlungen „Erteilung von Weisungen“ im Rahmen von Unternehmensverträgen sowie bei der Geschäftsführung in einer Personengesellschaft eigenes Gewicht – sondern die Tatsache der Mitgliedschaft in der Hand der beteiligten Aktiengesellschaft und deren Bedeutung für sie: denn die einzelne Geschäftsführungshandlung des Vorstands muß von wenigstens einigem Gewicht für die Aktiengesellschaft sein, um der Bindung aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterworfen werden zu können. 4. Diese unmittelbar aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG entwickelte Sehweise für die Wirkung von Zustimmungsvorbehalten auf nahestehende Unternehmen hat auch, darauf sei abschließend hingewiesen, ihren Niederschlag in einigen gesetzlichen Regeln gefunden. a) So ist in § 32 MitbestG die Mitwirkung des Aufsichtsrats der Obergesellschaft an Entscheidungen in Tochtergesellschaften ausdrücklich vorgesehen. Die Vorschrift regelt den Sonderfall, daß eine mitbestimmungspflichtige Konzernspitze an einem anderen mitbestimmungspflichtigen Unternehmen mindestens zu 25% beteiligt ist. In derartigen Fällen darf der Vorstand der Obergesellschaft die aus der Beteiligung fließenden Rechte in vielen Fällen nur nach vorheriger Zustimmung durch die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Obergesellschaft ausüben. Ungeachtet aller Streitfragen um Sinn oder Widersinn der genannten Vorschrift16 ist hier dem Gesetz eine bestimmte Sicht von der Unternehmenseinheit im Konzern und damit auch von einer notwendigen Einheit der Kontrolle zu entnehmen. [426]

15 Ausdrücklich hierzu Fitting-Wlotzke-Wißmann (o. Fn. 1), § 30 MitbestG, Anm. 21: „Die Weisungserteilung stellt eine bestimmte Art von Geschäften im Sinne des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG dar.“ 16 Lutter, Mitbestimmung im Konzern, 1975, S. 68 ff. mit weiteren Nachw. sowie Schneider, in: Gemeinschaftskommentar zum MitbestG, § 32 Anm. 9 ff., Raiser, Komm. zum MitbestG, 1977, § 32 Anm. 3; Fitting-Wlotzke-Wißmann (o. Fn. 1), § 32 MitbestG Anm. 3 f.; Duden, ZHR 141 (1977), S. 152 ff.

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b) Für eine Verlängerung der Aufsichtsratskontrolle im Konzern spricht weiterhin § 337 Abs. 4 AktG17. Das Gesetz gewährt hier den Aktionären ein Auskunftsrecht bezüglich aller in den Konzernabschluß einbezogener Unternehmen und zwar ohne Rücksicht darauf, in welcher Form die Herrschaft der Obergesellschaft über diese Unternehmen stattfindet. Diese gesetzliche Wertung kann auch auf alle Kontrollsachverhalte in der Aktiengesellschaft als Obergesellschaft übertragen werden. Das bedeutet: der gegenständliche Umfang der Kontrollrechte des Aufsichtsrats kann jedenfalls nicht geringer sein als derjenige der Hauptversammlung der Obergesellschaft. Hat letztere Anspruch auf Auskunft im Konzern so ist auch der Aufsichtsrat dieser Gesellschaft berechtigt und verpflichtet, das Handeln seines Vorstands im Konzern zu überwachen18; zu den Instrumenten dieser Überwachung aber gehört auch der Zustimmungsvorbehalt aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. c) Schließlich ist auf die Berichtspflichten des Vorstands über verbundene Unternehmen hinzuweisen, § 90 Abs. 1 Satz 2 und § 90 Abs. 3 Satz 1 AktG19. Die ausdrückliche Einbeziehung verbundener Unternehmen in das Berichtssystem des Vorstands an seinen Aufsichtsrat ist im vollen Lichte des § 111 AktG zu sehen. Ein solcher Bericht wäre nämlich ohne erkennbaren Sinn, würde er nicht als Basis der Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat verstanden. Diese und ihre Instrumente sind aber in § 111 AktG geregelt. Daraus erhellt, daß § 111 AktG die Kontrolle der gesamten Vorstandstätigkeit, auch die im verbundenen Unternehmen meint, und dafür – so § 111 AktG – nicht nur die nachträgliche sondern auch gerade eine vorherige Kontrollmöglichkeit des Aufsichtsrats schafft: soweit der Aufsichtsrat von wichtigen Vorgängen im Gesamtunternehmen erfahren kann und muß, kann er diese auch einem Vorbehalt aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterwerfen. 5. Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß der Aufsichtsrat über § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG durchaus berechtigt ist, Einfluß zu nehmen auf die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten und sonstige korporative Positionen (Unternehmensverträge) seines Vorstands in anderen Gesellschaften. a) Art, Ausmaß und Bedeutung dieses Einflusses hängen damit von der faktischen Bedeutung der betreffenden Beteiligung für die Aktiengesellschaft ab, aber vor allem auch von den Befugnissen, welche die genannten Rechte vermitteln. Sie sind umfassend bei Unternehmensverträgen; als reine Mitgliedschaftsrechte können sie ebenfalls umfassend sein, nämlich [427] bei der Mitgliedschaft in Personengesellschaften und insbesondere in Gesellschaften mbH; sie sind aber durch17 Dazu eingehend meine Ausführungen „Zur Binnenstruktur des Konzerns“, in: Festschrift für Westermann, 1974, S. 347, 354 ff. 18 Näher dazu Lutter, Informationen und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat 1979, S. 28 ff. mit weiteren Nachw. 19 Lutter, a. a. O.

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aus eingeschränkt in der Aktiengesellschaft; denn die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, auf welche sich eben die Mitgliedschaftsrechte der beteiligten Aktiengesellschaften beziehen, hat ihrerseits nur sehr eingeschränkte Befugnisse (§ 119 Abs. 2 AktG); der andere Teil dieser korporativen Kompetenzen liegt beim Aufsichtsrat der Beteiligungs-Aktiengesellschaft selbst (vor allem: Bestellung des Vorstands und seinerseits Zustimmungsrechte aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG), mündet also gerade nicht in Mitgliedschaftsrechte der beteiligten Aktiengesellschaft selbst aus. b) Nun sind Vorstandsmitglieder der hier gedachten Aktiengesellschaft in aller Regel auch zugleich Mitglieder im Aufsichtsrat der BeteiligungsAktiengesellschaft20. Daher ist zu erörtern, ob ihre Tätigkeit dort ebenfalls als Geschäftsführung für die „eigene“ Aktiengesellschaft und damit als simultane Tätigkeit in doppelter Funktion zu interpretieren ist, oder nur als rechtlich vom Vorstandsamt getrennte und autonome Amtsausübung im Organ der Beteiligungs-Aktiengesellschaft. Oder anders gefragt: wenn Mitglieder des VEBAVorstands in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglieder der Preussen-Elektra daran mitwirken, deren Vorstand zu bestellen, kann dann der Aufsichtsrat der VEBA diese Mitwirkung seiner Zustimmung nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterwerfen? Oder könnte gar ganz allgemein der Aufsichtsrat der beteiligten Gesellschaft festlegen, daß sein Vorstand im Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft die Zustimmung nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG erst dann erteilen darf, wenn zuvor der Aufsichtsrat der beteiligten Gesellschaft (Obergesellschaft) seinerseits zugestimmt hat? Es scheint alles dafür zu sprechen, die Frage zu bejahen. Hat die beteiligte Gesellschaft die Stimmenmehrheit in der Untergesellschaft, so ist es ihr gutes Recht, daß sie auch die Anteilseigner-Aufsichtsräte in dieser Gesellschaft mit dem Ziel auswählt, ihre eigenen Interessen eben nicht nur über die Hauptversammlung, sondern daneben auch ganz vordringlich über die Mitwirkung im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft zu sichern. Denn das Aktiengesetz selbst begreift diese Kombination von Einflussmöglichkeiten als die Basis für seine Vermutungstatbestände über Herrschaft, Abhängigkeit und sogar über die Eigenschaft als Konzern nach §§ 17 und 18 AktG21. Und so sind denn auch die Vorstandsmitglieder der Oberge- [428] sellschaft nicht in erster Linie wegen ihrer besonderen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse Mitglieder im Aufsichtsrat der Untergesell20 Diese Wahrung der Interessen der betreffenden Aktiengesellschaft in den Aufsichtsräten ihrer Beteiligungsgesellschaften wird nicht nur als ganz selbstverständlich sondern geradezu als Pflicht des Vorstands der betreffenden Aktiengesellschaft angesehen. So ist der Vorstandsvorsitzende der VEBA AG ganz selbstverständlich Mitglied in den Aufsichtsräten der wichtigsten Beteiligungsgesellschaften dieser Aktiengesellschaft, Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank sind ebenso selbstverständlich im Aufsichtsrat von Daimler Benz etc. 21 Näher dazu Lutter, Mitbestimmung im Konzern, S. 25 ff. mit weiteren Nachw.

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schaft, sondern vor allem deshalb, weil sie Vorstandsmitglieder der beteiligten Gesellschaft, also einer maßgeblichen Gesellschafterin in der Untergesellschaft sind; sie nehmen im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft in mediatisierter Form Interessen der Obergesellschaft als Anteilseignerin wahr: auch das ist Geschäftsführung für diese. Dennoch wäre es problematisch, allein diesen Bezug zur beteiligten Gesellschaft und nicht zugleich die Doppelfunktion dieser Personen als Organmitglieder im Vorstand der einen und zugleich im Aufsichtsrat der anderen Gesellschaft zu sehen. Insbesondere wäre es problematisch, aus der Geschäftsführung für die beteiligte Gesellschaft sogleich den Schluß zu ziehen, daß auch die Tätigkeit im Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft ohne weiteres der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats in der Obergesellschaft mit verbindlicher Wirkung unterworfen werden könne. Das trifft aus der rechtlichen Sicht der beteiligten Gesellschaft sicher zu, berücksichtigt aber nicht die Rechtslage in der Beteiligungsgesellschaft. Denn das Handlungsfeld des Organs Aufsichtsrat wird allein durch die Ziele und die Interessen dieser Gesellschaft bestimmt, es sei denn, ein Unternehmensvertrag ändere das Ziel ab in Richtung auf vorrangige Konzerninteressen. Von dieser Ausnahme abgesehen, haben in der Aktiengesellschaft daher Vorstand und Aufsichtsrat im Handlungsfeld der Gesellschaft autonom zu agieren. Für den Vorstand ist das in § 76 AktG ausdrücklich gesagt; es gilt in gleicher Weise für den Aufsichtsrat: er ist autonom in seiner Amtsführung, sein ganzes Verhalten und insbesondere der Einsatz seiner Befugnisse hat sich nicht am Willen eines Dritten, auch nicht an dem eines bestimmten Gesellschafters zu orientieren, sondern zuvörderst an seinen Pflichten als Aufsichtsrat dieser Gesellschaft und damit an der pflichtgemäß gebildeten Vorstellung vom Besten für diese Gesellschaft. Daher sind auch die Aufsichtsratsmitglieder selbstverantwortliche Organträger und nicht etwa Vertreter ihrer Wahlkörperschaft oder gar eines etablierten Teils davon (Mehrheitsaktionär, herrschendes Unternehmen). Diese Beurteilung ist heute noch ebenso zutreffend wie vor 100 Jahren22. Andererseits hindert die Ausrichtung auf die Gesellschaft und ihre Interessen das einzelne Aufsichtsratsmitglied nicht, innerhalb dieses Rahmens auch das spezielle Interesse der beteiligten Gesellschaft (Obergesellschaft) zu verfolgen. Nur darf das Aufsichtsratsmitglied dieses Interesse nicht absolut setzen; es darf sich weder der Mitwirkung daran versa- [429] gen, die im Aufsichtsrat der Gesellschaft auszugleichenden unterschiedlichen Interessen im Wege des gegenseitigen Nachgebens zu harmonisieren, noch darf es – vor allem anderen – die Grenzen

22 Vgl. zur Unabhängigkeit und höchstpersönlichen Struktur der Aufsichtsratsposition meine Ausführungen in: Festschrift für Duden, 1977, S. 269 ff., 270 f. sowie in: Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat (o. Fn. 18), S. 191.

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der Interessen gerade dieser Gesellschaft unterschreiten23. Innerhalb dieses Ausgleichsprozesses bleibt dem Vorstandsmitglied der beteiligten Gesellschaft im Aufsichtsrat der Untergesellschaft noch immer genügend Raum, um seiner typischen Motivationslage, der Neigung zu seiner Obergesellschaft Rechnung tragen zu können. Und deshalb wurde diese typische Motivationslage zu Recht auch in den §§ 17 und 18 AktG nachgezeichnet. Vorstandsmitglieder einer Beteiligungsgesellschaft (Obergesellschaft) im Aufsichtsrat einer Untergesellschaft müssen sich jedoch stets vergegenwärtigen, daß sie Diener zweier Herren sind: was im Interesse der Obergesellschaft unabdingbar erforderlich erscheinen mag, kann dem Interesse der Untergesellschaft klar zuwiderlaufen. Eine solche Konfliktsituation dürfen doppel-funktional tätige Organmitglieder jedenfalls nicht dadurch lösen, daß sie Interessen der Untergesellschaft einfach ausblenden. Für Vorstandsmitglieder, die in ihrer Gesellschaft Schranken aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterworfen sind, folgt daraus die Pflicht, den eigenen Aufsichtsrat über geplante Maßnahmen entsprechender Art in der Beteiligungsgesellschaft zu informieren24 und seine Zustimmung anzuregen. Wird sie nicht erteilt, so sind sie daran nur nach Maßgabe dessen gebunden, was mit ihren Pflichten in der Beteiligungsgesellschaft zu vereinbaren ist. Andernfalls bleibt ihnen nur die Möglichkeit zum Rücktritt vom Amt des Aufsichtsrats, da die Konfliktlösung zu Lasten der Beteiligungsgesellschaft unzulässig wäre und unabdingbar zu Schadensersatzansprüchen gegen sie führen würde, §§ 93, 116 AktG. Bestehen in der beteiligten Aktiengesellschaft Zustimmungsvorbehalte mit Wirkung für eine Beteiligungsgesellschaft, so kann man aus diesen Gründen erwägen, schon den Eintritt eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft als zustimmungspflichtige Maßnahme anzusehen. Die derart erteilte Zustimmung des eigenen Aufsichtsrats könnte dann als rechtlicher Obersatz verstanden werden mit dem Inhalt, daß dem betreffenden Vorstandsmitglied im konkreten Einzelfall gestattet ist, den Konflikt nicht im Wege des persönlichen Rücktritts son- [430] dern zu Lasten der beteiligten Aktiengesellschaft und zu Gunsten der Beteiligungsgesellschaft zu lösen. 6. Auf dem Hintergrund des soeben erörterten Spannungsfeldes in der Doppelrolle Vorstand-Aufsichtsrat ist dann auch die Frage zu klären, wie ein aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG seinem Aufsichtsrat gegenüber gebundenes Vorstandsmit23 Das gilt selbst dann, wenn das betreffende Aufsichtsratsmitglied nach § 101 Abs. 2 AktG oder nach § 7 MitbestErgG entsandt wurde: seine Motivation ist wegen seiner leichten Abberufbarkeit nach § 103 Abs. 2 AktG vielleicht noch stärker an die Interessen des Entsenders gebunden: aber in seinen Rechten und Pflichten steht er „normalen“ Aufsichtsratsmitgliedern völlig gleich; vgl. BGHZ 36, S. 296, 306 und näher Mertens, Kölner Komm., § 101 Rnr. 51 mit weiteren Nachw. 24 Soweit es sich nicht um ein Geschäftsgeheimnis der Tochtergesellschaft handelt, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Zu den Sonderfragen der Information im Konzern vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat (o. Fn. 18), S. 28 ff., 34 ff.

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glied zu verfahren hat, das zugleich – also in doppelter Funktion – Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer in einer Beteiligungsgesellschaft ist25. a) Als Vorstandsmitglied einer Tochter-Aktiengesellschaft hat das betreffende Vorstandsmitglied nach §§ 76, 93 AktG sein Handeln ausschließlich am Wohl dieser Gesellschaft zu orientieren und keiner Instanz außer den anderen Organen dieser Gesellschaft innerhalb ihrer Zuständigkeitsbefugnisse Einfluß auf sein Handeln einzuräumen, auch nicht seinem Aufsichtsrat in der anderen Gesellschaft, mag diese auch das herrschende Unternehmen sein. Das gilt auch unter den Aspekten der §§ 311 ff. AktG. Denn die Versagung einer Zustimmung des „Oberaufsichtsrates“ und die Ausrichtung des Handelns des Vorstands der Untergesellschaft daran wäre als „Maßnahme“ den Regeln aus §§ 311, 312 AktG unterworfen. Der Vorstand der Untergesellschaft bleibt selbst in diesen Fällen autonom und kann von Rechts wegen nicht auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt werden. Aber selbst wenn er bereit ist, dem Wunsch – und nur darum handelt es sich rechtlich – des „Oberaufsichtsrats“ zu folgen, dürfte er doch die Versagung einer Zustimmung durch diesen nur berücksichtigen, wenn entweder kein Nachteil zu verzeichnen ist oder dieser damit verbundene Nachteil für die Untergesellschaft überhaupt ausgleichsfähig ist und tatsächlich auch ausgeglichen wird26. Auch in diesen Konstellationen können also die Bindungen aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG nur mit der gleichen eingeschränkten Wirkung auf die Vorstandstätigkeit in der Beteiligungsgesellschaft übergreifen, wie sie soeben auch für die Aufsichtsratstätigkeit dort erörtert wurde. Das gilt übrigens auch für den etwaigen Versuch, dieses Übergreifen im Anstellungsvertrag des Vorstands – sei es bei der Obergesellschaft oder bei der Untergesellschaft – oder in einer Geschäftsordnung des Vorstands festzulegen: was organschaftlich verboten ist, nämlich sich als Vorstandsmitglied außerhalb von §§ 308, 320 AktG Dritteinflüssen rechtlich verbind- [431] lich zu unterwerfen, kann auch durch den Anstellungsvertrag oder die Geschäftsordnung nicht wirksam begründet werden27. d) Nicht unbedingt gleich ist die Rechtslage in einer GmbH. Infolge des dispositiven Organisationsstatuts in dieser Gesellschaftsform28 und der starken Stel25 Auch das ist bei großen Konzerngesellschaften keineswegs unüblich; so sind etwa die Vorstandsvorsitzenden der großen VEBA-Töchter zugleich Vorstandsmitglieder im VEBAVorstand. 26 Vgl. Geßler, in: Festschrift für Westermann, 1974, S. 145 ff., insbes. S. 155 ff.; weiterhin Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, 1977, passim, insbes. S. 179 ff. 27 Teilweise a. A. Schneider, ZGR 1977, S. 339 ff.; dagegen zutreffend Raiser, ZGR 1978, S. 391 ff., 401. 28 Die Satzung kann neue Organe schaffen (Aufsichtsrat, Beirat) und Befugnisse von Organen auf Unterorgane delegieren (Gesellschafterausschuß); zu möglichen Grenzen vgl. Hommelhoff-Timm, AG 1976, S. 330 ff.

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lung der Gesellschafterversammlung mit ihrer autonomen Entscheidungs- und Weisungsbefugnis gegenüber der Geschäftsführung besteht die Autonomie der Geschäftsführung nicht, kann also diese durchaus unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt werden29. Zwar wäre der rechtlich begründete Einfluß völlig außenstehender Dritter auf die Gesellschaft sicher bedenklich30; aber der Einfluß des Organs eines Mitgesellschafters unterliegt diesen Bedenken nicht. Dieses Organ ist nicht außenstehender Dritter und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daß die GmbH keinen Einfluß auf seine Zusammensetzung hat: denn als Organ ist der Aufsichtsrat Teil des betreffenden Mitgliedes und also auch in die gesellschaftlichen Pflichten dieses Mitgliedes eingebunden. Daher können die Gesellschafter der GmbH im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluß eine ihrer eigenen Untergliederungen – die Gesellschafterin Aktiengesellschaft also auch ihr Organ Aufsichtsrat – mit bestimmten Befugnissen in der Beteiligungsgesellschaft GmbH ausstatten – soweit diese Untergliederung dabei nicht ihr eigenes verbindliches Organisationsstatut verletzt: der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft darf auch in der Beteiligungs-GmbH nicht aktiv sondern nur mitentscheidend (Veto) tätig werden. Soll also das betreffende Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft auch in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Beteiligungs-GmbH an den Zustimmungsvorbehalt aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG gebunden sein, so sind zwei Elemente erforderlich: die Regelung nach dieser Norm in der Muttergesellschaft und die Festlegung im Gesellschaftsvertrag oder einem Gesellschafterbeschluß der GmbH, daß das einzelne Vorstandsmitglied auch als Geschäftsführer dieser GmbH daran gebunden sein soll. III. Zum Verständnis der konkreten Satzungsbestimmungen Steht damit fest, daß sich die Bindungen aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auch auf andere Gesellschaften auswirken können, so ist zugleich geklärt, daß die oben erwähnten wenigen Satzungsregeln, die eine solche Ausdehnung auf die Vorgänge in anderen Gesellschaften im hier als zulässig fest- [432] gestellten Umfange vorsehen, ihrerseits wirksam sind und vom Vorstand der betreffenden Gesellschaft beachtet werden müssen. Nicht aber ist geklärt, wie die Zustimmungsvorbehalte nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG in solchen Gesellschaften zu verstehen sind, die in ihrem Wortlaut weder positiv noch negativ die hier erörterte Frage überhaupt ansprechen. Diesem Aspekt soll hier zum Abschluß nachgegangen werden.

29 30

Vgl. näher vor allem Hommelhoff, ZGR 1978, S. 119 ff., insbes. 121-130. Vgl. Wiedemann, in: Festschrift für Barz, 1974, S. 561, 567 ff.

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1. Satzungsartikel, aber auch Organbeschlüsse einer Aktiengesellschaft, sind Rechtsgeschäfte und daher auslegungsfähig und auslegungsbedürftig31. Die Satzung ist die rechtliche Grundordnung der komplexen und rechtlich selbständigen Einrichtung Aktiengesellschaft, für sie ist daher zu Recht anerkannt, daß sich ihre Auslegung – entgegen der Vorstellung von §§ 133, 157 BGB – vor allem an den objektiven Elementen ihrer normativen Gestalt, allenfalls in zweiter Linie an den voluntativen Vorstellungen ihrer Verfasser zu orientieren hat. Für die Auslegung der Geschäftsordnung eines Aufsichtsrats, von ihm und für sich selbst beschlossen, wird man demgegenüber einen Mittelweg einzuschlagen haben. Einerseits handelt es sich auch hier nicht um eine individuelle und persönliche Vereinbarung sondern um die Schaffung einer Verhaltensordnung für eine Personenmehrheit, möglicherweise statuiert durch Mehrheitsbeschluß. Andererseits ist die betreffende Gruppe wiederum nicht so groß, als daß nicht die rechtlichen Vorstellungen einzelner durchscheinen und als Basis der Entschließung auch feststellbar wären; aber auch das wiederum gilt nur so lange, wie die Geschäftsordnung gerade von diesem Aufsichtsrat beraten und votiert, nicht mehr dagegen, wenn sie aus früheren Amtsperioden übernommen wurde. Da für das konkrete Verständnis der einzelnen Geschäftsordnung somit möglicherweise Einzelaspekte und Vorstellungen der betreffenden Aufsichtsratsmitglieder zu berücksichtigen sind, können diese Geschäftsordnungen als Basis eines Zustimmungsvorbehaltes hier nicht mehr weiter verfolgt werden. Die restlichen Überlegungen beziehen sich daher nur auf entsprechende Zustimmungsvorbehalte in Satzungen von Aktiengesellschaften. 2. a) Ein erster Hinweis zur Lösung der Frage, ob „neutral“ formulierte Zustimmungsvorbehalte auch die entsprechenden Mitwirkungshandlungen des Vorstands in Beteiligungsgesellschaften erfassen, gibt ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 197232. Der Bundesgerichtshof hatte dort über den vergleichbaren Fall der statutarischen Bindung der Geschäftsführer einer Kommanditgesellschaft an die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu befinden. In der Begründung seiner Ent- [433] scheidung ging der Bundesgerichtshof von einer Auslegungsregel aus, daß „die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages der Obergesellschaft, wonach bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen ohne Zustimmung der Kommanditisten nicht zulässig sind, im Zweifel auch gelten, soweit der geschäftsführende Gesellschafter der Obergesellschaft deren Rechte in der Untergesellschaft wahrnimmt“. Im konkreten Fall hatte es sich um eine 100%ige Tochtergesellschaft gehandelt. Zur Begründung führte der II. Senat des Bundesgerichtshofs im wesentlichen aus, daß „wirtschaftlich gesehen ein einheitliches Unternehmen vorliegt, aus 31 Dazu siehe vor allem Barz, in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 23 Anm. 19 und Wiedemann, DNotZ Sonderheft 1977: „75 Jahre Deutsche Notar-Zeitschrift“, S. 99. 32 BGH LM Nr. 2 zu § 116 HGB = WM 1973, S. 170 = BB 1973, S. 212.

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dem lediglich ein Teil organisatorisch und rechtlich ausgegliedert und verselbständigt worden ist“. b) Soweit diese Problematik auch im Schrifttum behandelt wurde33, ist dem Bundesgerichtshof zugestimmt worden. Darüber hinaus hat Schneider34 die These des Bundesgerichtshofs auch für entsprechende Bestimmungen in einer GmbHSatzung (Gesellschaftsvertrag) übernommen, indem er ausführt: Nach Inhalt und Zweck der entsprechenden Satzungsbestimmung sei in der Regel die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung vorgesehen, weil die Gesellschafter ungewöhnliche und besonders risikoreiche Entscheidungen im Unternehmen nicht dem Geschäftsführer überlassen wollten. Der Zweck des statutarischen Vorbehalts – Sicherung eines Überblicks über Fortgang und Risiko des Unternehmens – spreche deshalb für die Entscheidungszuständigkeit der Gesellschafterversammlung bei allen Maßnahmen im Unternehmen, nicht nur in der eigenen Gesellschaft. c) Diese Überlegungen zum Umfang von Zustimmungsvorbehalten in den Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften und Gesellschaften mbH – wirtschaftliche Einheit des Konzern und Ermittlung des Vorbehaltszweckes – gelten in gleicher Weise für den Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften. Schon die Kontrollinteressen des Aufsichtsrats, welche mit einem solchen Zustimmungsvorbehalt verfolgt werden, führen zu der Annahme, daß sich dieser im Zweifel auf das gesamte unternehmerische Geschehen und die gesamte unternehmerische Verantwortung des Vorstands erstrecken soll. Das objektive Ziel eines solchen Vorbehaltes ist es nämlich, alle Maßnahmen zu erfassen, die nach Größenordnung, Risiko oder präjudizieller Wirkungen den Bestand und die weitere Entwicklung des Unternehmens beeinflussen können. Daß diese Interessen durch Maßnahmen in Tochtergesellschaften in gleicher Weise betroffen werden können, ist evident: so trägt etwa im Vertragskonzern die Obergesellschaft gemäß § 302 AktG mittelbar die volle Er- [434] gebnisverantwortung der Vorgänge bei Tochtergesellschaften. Noch deutlicher wird das im Eingliederungskonzern, in dem jegliches Risiko der eingegliederten Gesellschaften nach § 322 AktG voll auf die Hauptgesellschaft zurückfällt. Hieraus erhellt: eine Beschränkung der zustimmungsbedürftigen Geschäfte auf Maßnahmen bei der Obergesellschaft selbst könnte dem Zweck des Vorbehalts diametral entgegenlaufen; die Möglichkeit, durch eine vorherige Mitwirkung des Aufsichtsrats unternehmerische Risiken zu minimieren, würde allenfalls partiell erreicht. Das spricht im Zweifel gegen eine derartige Beschränkung auf Maßnahmen des Vorstands nur in der Obergesellschaft.

33 34

Vgl. Uwe H. Schneider, in: Festschrift für Johannes Bärmann, 1975, S. 873 ff. in: Der GmbH-Konzern, 1976, S. 100 f.

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d) Kann somit die Auslegungsfrage, wie „neutrale“ Zustimmungsvorbehalte bei Konzernsachverhalten zu verstehen sind, offenbar ohne gar zu große Schwierigkeiten beantwortet werden, so bleibt die Frage offen für einfache Beteiligungsgesellschaften. Hier ist das unternehmerische Engagement des angesprochenen Vorstands deutlich geringer, da es an der „einheitlichen Leitung“ im Sinne von § 18 AktG fehlt. Andererseits können die Vorgänge in einem großen Gemeinschaftsunternehmen oder in einer bedeutenden Beteiligungsgesellschaft von großem Gewicht für die wirtschaftliche und unternehmerische Entwicklung der betreffenden Aktiengesellschaft sein. Man kann in diesem Bereich also nicht mit einer Einheitslösung antworten; vielmehr ist davon auszugehen, daß der Zustimmungsvorbehalt auch in solchen Fällen nicht restriktiv im Sinne eines Ausschlusses von Sachverhalten in Beteiligungsgesellschaften zu verstehen, wohl aber in seiner konkreten Bedeutung am Gewicht der Maßnahme für die betreffende Aktiengesellschaft zu entwickeln ist. Sieht daher die Satzung beispielsweise einen Zustimmungsvorbehalt für den „Abschluß von Unternehmensverträgen“ vor, so ist davon das geplante Votum des Vorstands in der Hauptversammlung einer Beteiligungsgesellschaft betroffen, wenn diese Beteiligungsgesellschaft – ohne doch Konzerngesellschaft sein zu müssen – gewichtige Bedeutung für die fernere Entwicklung der betreffenden Aktiengesellschaft hat. e) Schließlich sei darauf hingewiesen, daß sich die Auslegung ganz allgemein auch an den einzelnen Zustimmungsvorbehalten orientieren muß. So sprechen unternehmerische Vorgänge wie z. B. Investitionen, Unternehmensverträge etc. eher für ein ausdehnendes Verständnis als etwa Zustimmungsvorbehalte zu Personalentscheidungen. Diese sind in aller Regel orientiert an der Rangordnung in der betreffenden Gesellschaft. Ein Prokurist in der Konzernobergesellschaft ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Prokuristen in einer Konzernuntergesellschaft: hier wird man davon auszugehen haben, daß eine Prokuristenbestellung in der Beteiligungsgesellschaft von Zustimmungsvorbehalten nicht erfaßt ist. Das aber wiederum muß dann nicht gelten, wenn sich der Zustimmungsvorbehalt zu einer Personalentscheidung nicht nach Rangordnungen sondern nach [435] der Höhe der Bezahlung richtet: diese Frage hat in der Gesellschaft selbst das gleiche Gewicht wie in einer Beteiligungsgesellschaft. 3. Das bisherige Ergebnis – Geltung des Zustimmungsvorbehaltes im Zweifel auch für Sachverhalte, die in Beteiligungsgesellschaften verwirklicht werden – wird auch durch den Blick auf eine nahestehende Situation erhärtet. Die statutarische Bestimmung des Unternehmensgegenstandes enthält nämlich eine § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG vergleichbare Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands. Deutlich wird das, wenn die Hauptversammlung den Katalog der zustimmungsbedürftigen Geschäfte nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG selbst festgelegt hat. Gegenstandsbestimmung und Festlegung interner Zustimmungspflichten sind nach allgemeiner Meinung dann die einzigen Mittel der Hauptversammlung, die eigenverantwortliche Leitungsmacht des Vorstands ein-

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zugrenzen; beide Elemente begrenzen die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands in gleicher Weise35. Für die Gegenstandsbestimmung aber ist anerkannt, daß diese Beschränkung ein Mehrfaches enthält, nämlich: (1) der Vorstand eines Elektrounternehmens darf dieses nicht in eine Chemiefabrik umwandeln; (2) er darf ein solches Unternehmen auch nicht zusätzlich errichten oder (3) Beteiligungsrechte in einem solchen Unternehmen erwerben36. Diese Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis durch die Bestimmung des Gegenstandes gelten also nicht nur in Bezug auf das eigene Unternehmen sondern für den gesamten der Leitungsmacht des Vorstands unterfallenden Bereich. Diese Erstreckung beruht auf der zutreffenden Erkenntnis, daß ohne diese Verlängerung der Vorstand autonome und unkontrollierte Freiräume erhalten würde. Der etwaige Abschreibungsbedarf beim Fehlschlag der Investition wäre von den Aktionären zu tragen, ohne daß diese Gelegenheit gehabt hätten, eine eigene Anlageentscheidung über das zusätzliche Risiko zu treffen. Diese Überlegungen können in gleicher Weise auf interne Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Aufsichtsrats übertragen werden. Sie grenzen den Handlungsspielraum des Unternehmensleiters ein, um besonders schwerwiegende Entscheidungen einer zusätzlichen Prüfungsinstanz zu unterwerfen. Sofern eine Maßnahme das gleiche unternehmerische Risiko enthält, spielt es keine Rolle, ob sie unmittelbar durch die Gesellschaft verwirklicht wird oder durch eine Beteiligungsgesellschaft, deren Ergebnis sich zu Lasten [436] der Obergesellschaft auswirkt, etwa in Folge der Rechtspflicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Übernahme des Risikos oder auch nur durch einen erhöhten aber erheblichen Abschreibungsbedarf. Hier würden Risiken eingegangen, die durch Einführung des Zustimmungsvorbehaltes gerade vermieden werden sollten.

35 Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, Vorb. § 76 Rnr. 15 und § 82 Rnr. 11; Lutter (o. Fn. 17), S. 347 ff.; zu den Sanktionen vgl. Knobbe-Keuk, in: Festschrift für Ballerstedt, 1975, S. 239, 244 ff. sowie Mertens, AG 1978, S. 309 ff. 36 Hefermehl, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Komm. z. AktG, § 82 Rnr. 27; Wiedemann, in: Großkomm. z. AktG, § 179 Anm. 7 (m. w. N.); Kraft, in: Kölner Komm. z. AktG, § 23 Rnr. 28; vgl. auch Zöllner, Kölner Komm., § 243 Anm. 183.

Zustimmungspflichtige Geschäfte im Konzern IN: HOFFMANN-BECKING/LUDWIG (HRSG.), LIBER AMICORUM WILHELM HAPP,

KÖLN 2006, S. 143-149 I. Einleitung Vor 25 Jahren bin ich in der Festschrift für Robert Fischer der Frage nachgegangen, wie Zustimmungserfordernisse eines Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG im Konzern zu verstehen sind: wirkt die Bindung des Vorstands einer Obergesellschaft an die Zustimmung seines Aufsichtsrats für bestimmte Maßnahmen auch für sein, des Vorstands Handeln in den abhängigen Konzerngesellschaften?1 Die Frage war, mit leisen Einschränkungen, zu bejahen.2 Damals ging es um die Auslegung einer Norm und um das Verständnis einer Satzungsbestimmung bzw. eines Aufsichtsrats-Beschlusses über Zustimmungsvorbehalte. Heute soll uns die Frage beschäftigen, welche Gestaltungsmöglichkeiten dieser Art im Konzern bestehen. Denn es ist in den Konzernen inzwischen sehr weitgehend üblich geworden, die Leitung der Untergesellschaften an solche Zustimmungen zu binden, etwa mit einer „Weisung“ des Vorstands der Obergesellschaft an alle Konzerngesellschaften, seine, des Vorstands, Zustimmung zu bestimmten Geschäften in den Tochter- und Enkel-Gesellschaften vor ihrer Vornahme einzuholen.3 Und zusätzlich verlangt dann gar nicht selten ein Beschluß des Aufsichtsrats der Obergesellschaft, daß sein Vorstand solche Zustimmungen erst erteilt, wenn er, der Aufsichtsrat der Obergesellschaft, seinerseits zugestimmt hat.4 [144]

Lutter/Stimpel/Wiedemann (Hg.) FS Robert Fischer, 1979, S. 437 ff. Ähnlich heute Hüffer AktG, 6. Aufl., § 111 Rn. 21; MünchKomm-AktG-Semler 2. Aufl., § 111 Rn. 414, 419 ff.; Kölner Kommentar zum AktG-Mertens 2. Aufl., § 111 Rn. 78; HoffmannBecking in Münchener Handbuch AG, 2. Aufl., § 29 Rn. 40; ders. ZHR 159 (1995) 325, 339 ff.; Lenz AG 1997, 448 ff.; Götz ZGR 1990, 633, 655. 3 Vgl. Krieger in Lutter (Hg.) Holding-Handbuch, 4. Aufl., § 6 Rn. 41 ff.; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl., Rn. 148 ff.; Semler (Fn. 2) § 111 Rn. 415 ff. 4 Semler (Fn. 2) Rn. 418; vgl. Semler Zustimmungsvorbehalte als Instrument der Überwachung durch den Aufsichtsrat, in FS Peter Doralt, 2004, S. 609 ff. 1 2

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Zustimmungspflichtige Geschäfte im Konzern

II. Zustimmung des Aufsichtsrats der Obergesellschaft zu geplanten Zustimmungen des Vorstands der Obergesellschaft zu Maßnahmen in Konzerngesellschaften Die Satzung der Obergesellschaft oder ihr Aufsichtsrat durch Beschluß können nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG zu allen „Geschäften“ des Vorstands ihrer Gesellschaft einen Zustimmungsvorbehalt festlegen, soweit diese „Geschäfte“ nur von einiger Bedeutung sind.5 Fraglich ist also nur, ob es sich bei der Zustimmung des Vorstands zu Maßnahmen in Konzerngesellschaften um ein solches „Geschäft“ handelt. Tatsächlich ist „Geschäft“ nicht etwa als „Rechtsgeschäft“ zu verstehen, sondern im weitesten Sinne als „Maßnahme der Geschäftsführung“ des Vorstands.6 Damit bleibt zu klären, ob eine solche Zustimmung des Vorstands zu Maßnahmen in den Untergesellschaften ihrerseits eine Maßnahme seiner Geschäftsführung ist, die an die Zustimmung seines Aufsichtsrats gebunden werden kann. Denn tatsächlich geht es ja nicht um eine Maßnahme in der Obergesellschaft selbst, sondern um ein Vorhaben in einer Konzerngesellschaft, also einer Tochter- oder Enkelgesellschaft. Eine solche Betrachtung – keine Maßnahme in der Obergesellschaft, sondern in einer Konzerngesellschaft – würde viel zu kurz greifen; denn die fragliche Tochter- oder Enkelgesellschaft gehört zum unternehmerischen Vermögen, zu den Aktiva der Obergesellschaft; und dieses Vermögen zu verwalten und zu betreuen, unternehmerisch zu leiten und zu beaufsichtigen ist ureigenste Aufgabe des Vorstands.7 Die Ausübung von Beteiligungsrechten und sonstigen Maßnahmen in Konzerngesellschaften durch den Vorstand der Obergesellschaft sind mithin (auch) Geschäftsführung für die Obergesellschaft selbst.8 Das wird besonders deutlich, wenn man an eine Holding-Obergesellschaft denkt; hier beziehen sich nahezu alle Maßnahmen des Holding-Vorstands auf Geschäfte in Tochterund Enkelgesellschaften; das sind die Aktiva der Holding, die der Vorstand unternehmerisch zu betreuen hat.9

5 Happ Aktienrecht, 2. Aufl., 8.01 Rn. 20; Mertens in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 111 Rn. 66; Semler (Fn. 2) § 111 Rn. 399; Lutter/Krieger (Fn. 3) Rn. 112. 6 Hüffer (Fn. 2) § 111 Rn. 18. 7 Hommelhoff Die Konzernleitungspflicht, 1988, S. 188; Lutter/Krieger (Fn. 3) Rn. 132; Semler Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rn. 374; ders. (Fn. 2) § 111 Rn. 229; Götz ZGR 1998, 524 ff.; Drygala ibid., S. 547 ff. 8 Semler aaO. 9 Vgl. Keller in Lutter (Hg.) Holding-Handbuch, § 4 Rn. 16 ff.; Scheffler Die konzernleitende Holding im faktischen Konzern, in Schulte (Hg.) Holding-Strategien, 1992, S. 245 ff.; ders. Konzernmanagement, 2. Aufl. 2005, insbes. S. 85 ff.

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Zustimmungen, die der Vorstand in Konzerngesellschaften zu erteilen oder eben zu verweigern hat, sind also „Geschäfte“, die der Zustimmung seines eigenen Aufsichtsrats unterworfen werden können. [145] III. „Anweisungen“ des Vorstands der Obergesellschaft an die Vorstände/Geschäftsführer der Konzerngesellschaften, ihm bestimmte „Geschäfte“ zur Zustimmung vorzulegen 1. Überblick „Anweisungen“ eines Aktionärs oder eines GmbH-Gesellschafters an den Vorstand seiner AG oder den Geschäftsführer einer GmbH sind der Rechtsordnung im Grunde unbekannt. Doch muß man genauer hinsehen und unterscheiden: Handelt es sich bei dem fraglichen Konzern um einen Vertragskonzern, besteht also zwischen Obergesellschaft und Tochtergesellschaft ein Beherrschungsvertrag? Falls kein Beherrschungsvertrag besteht, handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um eine AG oder um eine GmbH? 2. Beherrschungsvertrag Ein solcher Unternehmensvertrag kann in den gehörigen Formen, Beschlüssen und Eintragungen im Handelsregister sowohl mit einer AG als auch mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft geschlossen werden, §§ 291, 293 ff. AktG. Diese für die abhängige AG geschaffenen Vorschriften gelten nach gefestigter Lehre und Rechtsprechung für die GmbH entsprechend.10 Besteht ein solcher Beherrschungsvertrag, so ist der Vorstand der Obergesellschaft berechtigt, dem Vorstand oder Geschäftsführer der Tochter hinsichtlich der Leitung dieser Gesellschaft „Weisungen zu erteilen“, § 308 Abs. 1 Satz 1 AktG. Der Vorstand der Obergesellschaft kann also den Vorstand oder Geschäftsführer der Tochter anweisen, eine Beteiligung zu verkaufen, ein Werk stillzulegen, die Bank zu wechseln oder überflüssige Liquidität der Obergesellschaft als Darlehen zu überlassen.11 Das ist unstreitig.12 Fraglich aber ist, ob auch

BGHZ 105, 324; Lutter/Hommelhoff GmbHG, 16. Aufl., Anh. § 13 Rn. 31 ff. Wobei die Rechtsprechung des BGH zur de facto Anwendbarkeit von § 43a GmbHG auch auf Darlehen an Gesellschafter zu beachten ist: BGHZ 157, 72. Vgl. im übrigen Vetter Konzernweites Cash-Management, in Lutter (Hg.) Holding-Handbuch, S. 310 ff. 10 11

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die (An-)Weisung möglich ist, ihm, dem Vorstand der Obergesellschaft, bestimmte in der Tochter geplante „Geschäfte“ vor ihrer Durchführung zur Zustimmung vorzulegen. Das kann nicht ernsthaft bezweifelt werden.13 [146] Zunächst einmal lautet die fragliche Anweisung in eine Langfassung übersetzt eigentlich: „Sie (scil: Vorstand oder Geschäftsführer der Untergesellschaft) werden hiermit angewiesen, die folgenden Geschäfte zu unterlassen, es sei denn, wir (scil: der Vorstand bzw. die Geschäftsführung der Obergesellschaft) hätten dem vorweg zugestimmt.“

Eine solche Negativ-Weisung an die Leitung der Untergesellschaft ist gewiß möglich. Und ebenso gewiß kann der Vorstand oder Geschäftsführer der Obergesellschaft diese seine generelle Weisung zur Unterlassung bestimmter Geschäfte im konkreten Einzelfall auch zurücknehmen. Das wäre bei Zustimmung zu einem konkret geplanten „Geschäft“ der Untergesellschaft der Fall. Davon abgesehen muß man aber auch bedenken, daß ein solcher Zustimmungsvorbehalt, sieht man ihn ohne die implizit damit verbundene NegativWeisung, ein Minus ist gegenüber einer konkreten Handlungs-Weisung. Ist schon letztere zulässig – siehe die Beispiele oben –, so kann für den Zustimmungsvorbehalt nichts anderes gelten. Besteht ein Beherrschungsvertrag, so kann der Vorstand oder Geschäftsführer der Tochtergesellschaft mithin nach § 308 Abs. 1 Satz 1 AktG angewiesen werden, bestimmte Zustimmungsvorbehalte des Vorstands oder Geschäftsführers der Obergesellschaft zu beachten. Eine Nichtbeachtung dieser durch Weisung geschaffenen Zustimmungspflicht seitens des Vorstands oder Geschäftsführers der Untergesellschaft wäre pflichtwidrig14 und mithin Grundlage einer Abberufung sowie einer Kündigung des Anstellungsvertrages mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund15 sowie einer Klage der Tochtergesellschaft gegen ihren Vorstand oder Geschäftsführer auf Ersatz des ihr daraus etwa entstandenen Schadens, §§ 93 AktG, 43 GmbHG.16

12 Vgl. nur Koppensteiner in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 308 Rn. 27 ff. und Altmeppen in MünchKommen-AktG, 2. Aufl., § 308 Rn. 83 ff. je mwN. 13 Vgl. nur Altmeppen (Fn. 12) § 308 Rn. 13. Der Streit zwischen Altmeppen (aaO Rn. 11) einerseits und Hüffer (Fn. 2, § 308 Rn. 10) sowie Koppensteiner (Fn. 12, § 308 Rn. 23) andererseits geht nicht um die Zulässigkeit einer solchen Weisung, sondern um die Frage, ob ein solches Zustimmungsrecht allein für einen Beherrschungsvertrag genügen kann, ob also das Weisungsrecht im Unternehmensvertrag auf ein Zustimmungsrecht reduziert werden kann. 14 Altmeppen (Fn. 12) Rn. 71; Koppensteiner (Fn. 12) Rn. 61 ff. 15 Altmeppen aaO. 16 Koppensteiner (Fn. 12) Rn. 62. Beispiel: Der Vorstand/Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft kreditiert einen Abnehmer ohne die erforderliche Zustimmung des Vorstands/Geschäftsführers der Obergesellschaft einzuholen. Der Abnehmer wird anschließend insolvent, der Kredit fällt aus.

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3. GmbH als Untergesellschaft ohne Unternehmensvertrag In der GmbH ist die Gesellschafterversammlung dem Geschäftsführer gegenüber weisungsberechtigt.17 Es gilt also gleiches wie soeben zum Unternehmensvertrag entwickelt wurde. Zu beachten ist allerdings, daß das Weisungsrecht nicht wie bei § 308 AktG dem Vorstand oder Geschäftsführer der Obergesellschaft als solchem zusteht, sondern der Gesellschafterversammlung der betreffenden GmbH. Ist die Obergesellschaft zu 100% an dieser GmbH beteiligt, so ist deren Vorstand oder [147] Geschäftsführer praktisch die Gesellschafterversammlung. Da diese Gesellschafterversammlung ohne besondere Formalien jederzeit als Vollversammlung entscheiden kann,18 ist die Anweisung des Vorstands oder Geschäftsführers der Obergesellschaft an den Geschäftsführer der Unter-GmbH in dieser Weise zu verstehen; die Voraussetzungen eines Gesellschafterbeschlusses der abhängigen GmbH sind erfüllt, ihr Geschäftsführer zur Befolgung verpflichtet.19 Es gilt mithin gleiches, wie soeben zu § 308 AktG im Beherrschungsvertrag entwickelt wurde. Ist die Obergesellschaft hingegen nicht zu 100% an der abhängigen GmbH beteiligt, so bedarf es der Mitwirkung auch des oder der anderen Gesellschafter am Weisungsbeschluß. Das geschieht durch einen nunmehr förmlichen Beschluß in einer Versammlung oder – je nach den Regeln der Satzung der GmbH durch einen Beschluß im Umlaufverfahren20 mit einfacher Mehrheit, es sei denn, die Satzung der betreffenden GmbH verlange eine höhere Mehrheit. 4. Aktiengesellschaft als Untergesellschaft ohne Unternehmensvertrag Außerhalb eines Beherrschungsvertrages steht dem herrschenden Unternehmen und seiner Leitung gegenüber einer abhängigen AG kein Weisungsrecht zu.21 Es kann auch weder durch die Satzung der AG noch durch einen Beschluß in der Hauptversammlung geschaffen werden. Der Vorstand der Untergesellschaft bleibt mithin frei. Hier kann sich der Vorstand oder Geschäftsführer der Obergesellschaft aber kraft seiner Stimmenmacht in der Hauptversammlung der abhängigen AG in deren Aufsichtsrat wählen (lassen) und dann dort für einen entsprechenden Beschluß nach § 111 Abs. 4 AktG sorgen. Er entscheidet dann zwar nicht allein, 17 Unstr., vgl. nur Lutter/Hommelhoff (Fn. 10) § 37 Rn. 1 und Rn. 17 ff. sowie Scholz/U. H. Schneider GmbHG, 9. Aufl., § 37 Rn. 30 ff. 18 Lutter/Hommelhoff (Fn. 10) § 51 Rn. 17 ff. 19 Lutter/Hommelhoff (Fn. 10) § 37 Rn. 40. 20 § 48 Abs. 2 GmbHG und dazu Eickhoff Die Praxis der Gesellschafterversammlung bei GmbH und GmbH & Co., 3. Aufl. 2001. 21 Kropff in MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 311 Rn. 78; Koppensteiner (Fn. 12) § 311 Rn. 4.

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sondern gemeinsam mit den anderen Aufsichtsräten der Tochter-AG, ist aber sicher, daß er jedenfalls bei der Erörterung konkreter Fälle (mit-)befaßt ist. IV. Zustimmungsvorbehalte in Enkel- und Urenkel-Gesellschaften 1. Überblick Die Bedeutung dieser Gesellschaften im Konzernverbund ist in aller Regel nicht so gewichtig, als daß die Leitung der Obergesellschaft unmittelbar Einfluß auf sie und das Geschehen in ihnen nehmen müßte. Hier genügt es, wenn die Obergesellschaft [148] dort, wo sie es kann,22 durch Weisung gegenüber den Vorständen und Geschäftsführern der Töchter dafür sorgt, daß diese ihrerseits für einen entsprechenden Zustimmungskatalog in ihren Tochtergesellschaften sorgen, der dann von ihnen zu verantworten ist. 2. Einzelheiten Es gibt aber auch Enkelgesellschaften, die so groß sind oder deren Bedeutung für den Gesamtkonzern so wichtig ist, daß sich die Konzernleitung unmittelbaren Einfluß auf sie sichern muß. Das ist auch durchaus möglich. a) Besteht zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein Beherrschungsvertrag und ist die Enkelgesellschaft eine GmbH, so kann die Mutter die Tochter anweisen, bei der Enkelgesellschaft durch entsprechenden Weisungsbeschluß einen Zustimmungskatalog zu ihren, der Obergesellschaft Gunsten einzuführen. Die Geschäftsführung der Enkelgesellschaft ist dann von Rechts wegen verpflichtet, entsprechende Maßnahmen erst nach Zustimmung durch die Konzernleitung durchzuführen. Bei dieser Gestaltung regiert die Obergesellschaft an der Tochter vorbei und nimmt unmittelbar Einfluß auf die Enkelgesellschaft. Um das zu vermeiden, kann die Obergesellschaft aber auch die Leitung der Tochtergesellschaft anweisen, entsprechende Zustimmungsvorbehalte zu ihren Gunsten bei der Enkelin einzurichten; und sie kann dann weiter bestimmen, daß die Leitung der Tochtergesellschaft diese ihre Zustimmung in allen oder bestimmten Fällen erst nach vorgängiger Zustimmung der Leitung (Vorstand/Geschäftsführer) der Obergesellschaft erteilen darf. Und diese Zustimmung des Vorstands oder Geschäftsführers der Obergesellschaft kann nun ihrerseits wieder an die vorgängige Zustimmung des Aufsichtsrats der Obergesellschaft gebunden werden.23

22 23

Vgl. oben sub II und III. Siehe oben II.

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b) Besteht kein Unternehmensvertrag, sind aber Tochter- und Enkelgesellschaften GmbHs, so gilt im Prinzip Gleiches, nur daß ggf. förmliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung erforderlich sind.24 c) Sind aber Tochtergesellschaft oder Enkelgesellschaft Aktiengesellschaft und besteht kein Unternehmensvertrag, so kann das gewünschte Ziel nur durch gestaffelte und förmliche Zustimmungsvorbehalte nach § 111 Abs. 4 AktG erreicht werden: der an Zustimmungsvorbehalte seines Aufsichtsrats gebundene Vorstand der Tochter kann zwar nicht angewiesen, aber von seinem Aufsichtsrat gebeten werden, für einen entsprechenden Zustimmungskatalog in der Enkelgesellschaft zu sorgen; [149] sodann werden die derart geplanten Zustimmungen in den Katalog der zustimmungspflichtigen Geschäfte der Tochter-AG aufgenommen. Wird das schon bei Gründung der Enkelgesellschaft bedacht, so entstehen keine Probleme für die Staffel von der Enkelgesellschaft über die Tochter zur Mutter. V. Ergebnis Zustimmungsvorbehalte für bestimmte Geschäftsführungs-Maßnahmen spielen im Konzern eine große Rolle. Zu Recht, sichern sie doch die Information der Konzernleitung über wichtige Vorhaben in den Konzerngesellschaften und zugleich den Einfluß der Konzernleitung auf wesentliche Geschehnisse und Maßnahmen in diesen. Dennoch muß jeweils sorgfältig danach unterschieden werden, welche rechtlichen Verhältnisse zwischen Mutter-, Tochter- und Enkelgesellschaften bestehen und welche Rechtsformen die letzteren haben. Nicht zu vergessen sind bei entsprechenden Planungen im Konzern daher auch die Enkelund Urenkelgesellschaften. Einen unmittelbaren Einfluß auf sie hat die Obergesellschaft nicht; sie ist weder an ihnen beteiligt noch besteht mit ihnen ein Unternehmensvertrag. Will die Obergesellschaft auch hier unmittelbar Einfluß nehmen, so hilft nur die entsprechende Einwirkung auf die Vorstände und Geschäftsführer der Tochtergesellschaft und deren Rückkoppelung an die Obergesellschaft und deren Leitung. Nur wenn all das sorgfältig bedacht wird, entstehen Rechtspflichten der Vorstände und Geschäftsführer der Konzern-Untergesellschaften, die bei Verstößen dann auch entsprechende Sanktionen tragen.

24

Wenn Minderheitsgesellschafter vorhanden sind; siehe dazu oben.

Zur Vorbereitung und Durchführung von Grundlagenbeschlüssen in Aktiengesellschaften IN: GOERDELER/HOMMELHOFF/LUTTER/WIEDEMANN (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR HANS-JOACHIM FLECK, ZGR-SONDERHEFT

7, BERLIN 1988, S. 169-190

Inhaltsübersicht I. II. 1. 2. 3. 4. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2. V. 1. 2.

Einleitung Fälle und Fragen Löwenbräu AG Thyssen AG Allianz Fragen Vorbereitung der Hauptversammlung Zum Umfang der Bekanntmachung des neuen unternehmerischen Konzeptes Begründung des Konzeptes? Sonstige Erfordernisse Abgrenzung der relevanten Fälle Verfahren und Beschlußfassung in der Hauptversammlung selbst Fragerecht Erforderliche Mehrheit Sichernde Maßnahmen im Kontext von Strukturbeschlüssen Erklärungen der Verwaltung und ihre rechtliche Bedeutung Statutarische Gestaltung a) Rücklagenbildung b) Sicherung des Beteiligungsbesitzes I. Einleitung

Hans-Joachim Fleck hat an vielen bedeutenden Entwicklungen in der Rechtsprechung des II. Senates mitgewirkt und nicht zuletzt an der Entscheidung

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Durchführung von Grundlagenbeschlüssen in Aktiengesellschaften

Holzmüller1. Große Urteile aber entscheiden nicht nur einen historischen Konflikt unter zwei Parteien, sondern gestalten das Recht, entwickeln unsere Kenntnis von ihm und nehmen damit Einfluß auf das künftige Verhalten der Bürger, Unternehmen und ihrer Berater. Strukturentscheidungen in der Aktiengesellschaft und in bestimmtem Umfange auch in ihren wesentlichen Tochtergesellschaften bedürfen, wie wir [170] seit Fleck2 und Holzmüller3 wissen, der Mitwirkung der Hauptversammlung. Da die fraglichen Fälle aber im Gesetz nicht unmittelbar geregelt sind, fallen sie, was ihre Vorbereitung und Durchführung betrifft, zunächst in keine der vom Aktiengesetz vorgeformten Kategorien, wie einfache Beschlüsse (Aufsichtsratswahlen, Gewinnverteilung, Entlastung), satzungsändernde Beschlüsse oder Zustimmungsbeschlüsse zu bestimmten Verträgen (Unternehmensverträge, Fusion). Diesen Fragen korrekter Vorbereitung und Durchführung solcher Hauptversammlungsbeschlüsse dienen die folgenden Überlegungen: schlichte Ausführungen also im Dienste Fleck’scher Grundsätze. II. Fälle und Fragen Ehe wir die Einzelheiten erörtern, sollen einige relevante Fälle der letzten Zeit mitgeteilt werden, um die hier gestellten Fragen zu verdeutlichen: 1. Löwenbräu AG Im Jahre 1982 entschlossen sich Verwaltung und Hauptaktionäre (v. Fink, Allianz, Hochtief) der Münchener Löwenbräu AG zu einer Teilung des Unternehmens in eine Getränke-Gesellschaft (die den Namen Löwenbräu AG fortführt) und eine Grundbesitz-Gesellschaft, die (künftige) Monachia AG. Nach dem Vorbild der Varta-Teilung aus dem Jahre 19764 war auch hier das rechtliche Herzstück der Konstruktion eine Kapitalherabsetzung mit Ausschüttung des frei werdenden Kapitalbetrages nicht in Geld, sondern in Aktien eben der BGHZ 83, 122. Vgl. die Anmerkung von FLECK zur Holzmüller-Entscheidung, LM Nr. 1 zu § 118 AktG 1965 sowie seine Erläuterungen WM 1986, 1205, 1210f. 3 Weitere Besprechungen der Entscheidung: GROSSFELD/BRONDICS, JZ 1982, 589, 599ff; REHBINDER, ZGR 1983, 92ff; MARTENS, ZHR 147 (1983), 377ff; WERNER, ZHR 147 (1983), 492ff; SÜNNER, Die AG 1983, 169ff; SEMLER, BB 1983, 1566, 1570f; GÖTZ, Die AG 1984, 85ff; vgl. außerdem die Aufsätze von WESTERMANN, ZGR 1984, 352ff; HEINSIUS, ZGR 1984, 383; BEUSCH, FS Werner, 1984, S. 1ff; U. HÜBNER, FS Stimpel, 1985, S. 791ff; LUTTER, FS Stimpel, 1985, S. 825ff; WESTERMANN, FS Pleyer, 1986, S. 421ff. 4 Kurze Sachverhaltsschilderung bei TIMM, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 7f. 1 2

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Monachia AG. Dementsprechend war für die Hauptversammlung beantragt und in dieser beschlossen worden5: [171] „Das Kapital der Gesellschaft in Höhe von nom. 14610400,- DM wird … auf nom. 7305200,- DM herabgesetzt. Die Herabsetzung erfolgt zum Zweck der Rückgewähr von Teilen des Grundkapitals in Form der Zuteilung von Aktien … Die durch die Kapitalherabsetzung frei werdenden Mittel in Höhe von 7305200,- DM werden nicht in bar, sondern dem Zweck der Kapitalherabsetzung entsprechend in Form von Aktien der Monachia Immobilien AG, deren gesamtes Aktienkapital in Höhe von nom. 7305200,- DM bei der Löwenbräu AG liegt, an die Aktionäre der Löwenbräu AG ausgeschüttet …“

Die rechtliche Konstruktion der Unternehmensteilung durch Kapitalherabsetzung sicherte per se die Mitwirkung der Hauptversammlung der Löwenbräu AG, §§ 179, 222 AktG. Dennoch hatte die Verwaltung zunächst um Zustimmung zu ihrem Konzept gebeten, hatte also den KapitalherabsetzungsBeschluß als Durchführungs-Beschluß und nicht als Grundsatzbeschluß verstanden und daher den folgenden Antrag vorgeschaltet6: „Es ist beabsichtigt, die Unternehmensbereiche Brauerei und alkoholfreie Getränke einerseits sowie Grundbesitzverwaltung andererseits … in zwei rechtlich selbständige Aktiengesellschaften zu trennen. Zu diesem Zweck soll … Wegen der hiermit verbundenen wesentlichen Änderung der Unternehmensstruktur legt der Vorstand die geplante Maßnahme der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vor. Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, die Zustimmung zu erteilen.“

2. Thyssen AG Es sind erst fünf Jahre vergangen und doch ist es fast schon vergessen, daß im Jahre 1982 die drei vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff eingesetzten sogenannten Stahl-Moderatoren (Bierich, Herrhausen, Vogelsang) verschiedene Vorschläge zur Neuordnung der deutschen Stahlindustrie vorgelegt haben, die auf einen Zusammenschluß von bislang selbständigen Stahlunternehmen oder von Spezialbereichen aus ihnen abzielten. In Vorbereitung darauf entschloß sich die Thyssen AG, ihren gesamten allgemeinen Stahlbereich in eine selbständige Tochtergesellschaft, die künftige Thyssen Stahl AG als 100%ige Tochtergesellschaft auszugliedern und gleichzeitig die Zusammenlegung ihres Edelstahlbereichs mit demjenigen der Krupp Stahl AG in einem Gemeinschaftsunternehmen vorzubereiten7. Die rechtliche Konstruktion dafür, nämlich 5 Quelle: Einladung und Tagesordnung zur Jahreshauptversammlung 1982 der Löwenbräu AG. 6 Quelle: Einladung und Tagesordnung zur Jahreshauptversammlung 1982 der Löwenbräu AG. 7 So die Mitteilung des Vorstandes der Thyssen AG im Aktionärsbrief vom Februar 1983.

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Gründung der Thyssen Stahl AG und Übertragung bzw. Verpachtung (nur!) des Stahlbereichs an diese ist ebensowenig per se hauptversammlungspflichtig7a wie [172] die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit der Krupp Stahl AG und die Übertragung der entsprechenden Aktiva auf diese gegen Mitgliedschaftsrechte8; eine Übertragung des gesamten Vermögens im Sinne von § 361 AktG lag nicht vor (siehe auch 3.). Dennoch hatte die Verwaltung folgende Beschlußanträge der Hauptversammlung der Thyssen AG vorgelegt: TOP 5 „Beschlußfassung über die Ausgliederung des Stahlbereichs und den Abschluß eines Beherrschungsvertrages zwischen der Thyssen AG und der Thyssen Stahl AG.“ „Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, der Ausgliederung des Stahlbereichs der Thyssen AG, bestehend aus … in eine Tochtergesellschaft, Thyssen Stahl AG zuzustimmen, deren Anteile von der Thyssen AG gehalten werden …9“ TOP 6 „Beschlußfassung über die Ausgliederung des in der Thyssen Edelstahlwerke AG zusammengefaßten Edelstahlbereichs aus der Thyssen-Gruppe.“ „Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, der Ausgliederung des in der Thyssen Edelstahlwerke AG zusammengefaßten Edelstahlbereichs … aus dem Konzernverbund der Thyssen AG zuzustimmen. Die Thyssen Edelstahlwerke AG soll mit dem Edelstahlbereich der Krupp Stahl AG ein Gemeinschaftsunternehmen bilden, an dem die Thyssen AG und die Krupp Stahl AG paritätisch beteiligt sind …10“

3. Allianz Die Allianz Versicherungs-AG war (und ist) ein Unternehmen, das selbst und durch Tochtergesellschaften (z. B. Allianz Lebensversicherungs-AG) in allen Sparten des Versicherungsgeschäftes im In- und Ausland tätig ist und daher der Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in Berlin unterliegt. Allianz hatte daneben aber wesentliche weitere Tätigkeitsbereiche entwickelt und ausgebaut, insbesondere den Erwerb und die Veräußerung sowie das Halten und Verwalten von Immobilien11, aber auch Beteiligungen an Indust7a Per se ist die Hauptversammlung nur zuständig bei der Übertragung des gesamten Vermögens (§ 361 AktG) bzw. bei Verpachtung des gesamten Betriebes; vgl. KOPPENSTEINER, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 292 Rdn. 64 und KRAFT, Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., § 361 Rdn. 8. 8 Zur gleichen Lösung bei der Hoesch AG in ihrem einstigen Zusammenschluß mit der niederländischen Hoogovens N.V. vgl. BGHZ 82, 188 und LUTTER, Die AG 1977, 113ff (Anmerkung zum erstinstanzlichen Urteil des LG Dortmund Die AG 1977, 109). 9 Quelle: Einladung zur Jahreshauptversammlung 1983 der Thyssen AG, TOP 5. 10 Quelle: Einladung zur Jahreshauptversammlung 1983 der Thyssen AG, TOP 6. 11 Vgl. oben II.1. zur Löwenbräu AG.

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rieunternehmen (z. B. Mercedes Automobil-Holding, Beiersdorf, Lahmeyer, Metallgesellschaft)12. Insbesondere wegen der Einwirkungsmöglichkeiten des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen13 auch auf diese letzteren [173] Teile des Unternehmens, erwies sich die konglomerate Struktur als hinderlich für eine wirkungsvolle und expansive Unternehmensführung14. Die Verwaltung entwickelte daher den Plan, die Versicherungsaktivitäten auf eine Tochtergesellschaft mit der alten Firma „Allianz Versicherungs-AG“ (neu) zu übertragen und die bisherige Gesellschaft selbst in die Funktion einer Holding mit neuer Firma (Allianz Holding AG) zu überführen15. Da die Versicherungsaktivitäten mit den dazugehörigen Aktiva nur etwa die Hälfte der Bilanzsumme der Allianz Versicherungs-AG (alt) ausmachten, war wiederum die Mitwirkung der Hauptversammlung nicht schon per se gegeben, § 361 AktG16. Dennoch unterwarf die Verwaltung ihr Konzept dem Votum der Jahres-Hauptversammlung 1985 – hier gewiß auch in Kenntnis und Berücksichtigung der 1983 ergangenen Holzmüller-Entscheidung. Dementsprechend war beantragt und entsprechend positiv von der Hauptversammlung votiert worden: „Ausgliederung des direkten Versicherungsgeschäfts Es ist eine Änderung der Konzernstruktur durch Ausgliederung des direkten Versicherungsgeschäfts beabsichtigt … Der Vorstand hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemäß § 119 Abs. 2 AktG die Zustimmung der Hauptversammlung zu beantragen. Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor zu beschließen: Die Hauptversammlung stimmt der Übertragung des direkten Versicherungsgeschäfts zu …17“

12 Vgl. HOPPENSTEDT (Hrsg.), Handbuch der deutschen Aktiengesellschaft, 1986/87, S. 3432, 3434. 13 Dazu näher BARBEY, VersR 1985, 101ff und RITTNER, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., 1987, S. 565ff. 14 Darauf hat die Allianz Versicherungs-AG (alt) in dem schriftlichen Hinweis, den sie ihren Aktionären für die Hauptversammlung 1985 unterbreitete, selbst hingewiesen. 15 Die Ausgliederung einer Unternehmensfunktion unterliegt ebenfalls der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen; vgl. dazu U. HÜBNER, FS Stimpel, 1985, S. 791, 806ff. Einsprüche von Versicherungsunternehmern gegen die Umstrukturierung der Allianz wurden vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen zurückgewiesen, VerBAV 1986, 262 (noch nicht bestandskräftig). 16 Bei allen Unterschieden in den Auffassungen, wann das Tatbestandsmerkmal „ganzes Gesellschaftsvermögen“ i. S. v. § 361 AktG erfüllt ist, bestand und besteht Einigkeit jedenfalls insoweit, daß mehr als die Hälfte des unternehmerischen Vermögens erfaßt sein muß; die Gesellschaft darf nicht mehr in der Lage sein, „ihre in der Satzung festgelegten Unternehmensziele weiterhin, wenn auch in eingeschränktem Umfang, selbst zu verfolgen“: so BGHZ 83, 122, 128 a. E.; TIMM, aaO (Fn. 4), S. 114ff; das aber hatte im Allianz-Fall fraglos ebensowenig vorgelegen wie im Thyssen-Fall. 17 Quelle: Einladung zur Jahreshauptversammlung 1985 der Allianz Versicherungs-AG.

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4. Fragen In allen drei hier geschilderten Fällen hatten die Gesellschaften die fraglichen Beschlüsse sorgfältig vorbereitet und sowohl in als auch außerhalb der Hauptversammlung eingehend begründet. Was aber sagt das Gesetz dazu? Das nun hängt mit der Frage zusammen, um welche Art von HauptversammlungsEntscheidungen es dabei geht. Denn das Aktiengesetz kennt, wie oben schon [174] erwähnt, reguläre Entscheide, satzungsändernde Beschlüsse und Zustimmungsbeschlüsse18. Um welche Art geht es hier? Der Bundesgerichtshof hat sich bei seinem Votum für die Notwendigkeit einer Zustimmung der Hauptversammlung zu Strukturmaßnahmen vor allem auf § 119 Abs. 2 AktG gestützt und mit der im Verwaltungsrecht bekannten „Ermessensreduzierung“ bezüglich des Freiraumes der Verwaltung zur Einschaltung der Hauptversammlung argumentiert19. Diese Norm – § 119 Abs. 2 AktG – aber ist sehr blaß und gehört ihrer Art nach zu den einfachen HauptversammlungsEntscheidungen20. Andere verstehen Grundlagenbeschlüsse – wenn sie nicht schon per se Satzungsänderungen sind, wie infolge der Kapitalherabsetzungen in den Fällen Löwenbräu AG und Varta AG – als faktische Satzungsänderung und unterstellen sie damit den Regeln für satzungsändernde Hauptversammlungs-Beschlüsse21. Schließlich aber kann man auch daran denken, diese Entscheide der Hauptversammlung als den „Zustimmungsbeschlüssen“ am nächsten stehend zu werten, da mit ihnen ähnlich wie bei Fusion oder Unternehmensvertrag – Maßnahmen der Verwaltung autorisiert werden; und im Falle einer Gründung von Gemeinschaftsunternehmen handelt es sich auch materiell um fusionsähnliche Vorgänge (Teilfusionen)22.

18 In der Literatur werden die satzungsändernden Beschlüsse und die Zustimmungsbeschlüsse als „Grundlagenbeschlüsse“ bzw. „Grundlagenzuständigkeiten“ zusammengefaßt; vgl. etwa RAISER, Recht der Kapitalgesellschaften, 1983, § 16 I 3, S. 99; K. SCHMIDT, Gesellschaftsrecht, 1986, § 28 IV 4 a, S. 646; ZÖLLNER, Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., § 119 Rdn. 19. Das ist für eine systematische Betrachtung sicher zutreffend; für die hier erörterten Fragen der Vorbereitung und des Ablaufs einer solchen Grundlagenentscheidung empfiehlt es sich, die Zustimmungsbeschlüsse als eigene Kategorie zu sehen, da sie gerade in der Entscheidungsvorbereitung charakteristische gemeinsame Merkmale haben, die dem „einfachen“ satzungsändernden Beschluß fehlen (insbesondere Informationen). 19 BGHZ 83, 122, 131. 20 Darauf weist U. HÜBNER, FS Stimpel, S. 791, 795 zutreffend hin. 21 Vgl. TIMM, aaO (Fn. 4), S. 130ff; DERS., Die AG 1980, 172, 179ff; REHBINDER, FS Coing, Bd. II, 1982, S. 423, 430; SEMLER, BB 1983, 1566, 1570. 22 LUTTER, FS Barz, 1974, S. 199, 213 (§ 293 Abs. 1 AktG analog); ebenso U. HÜBNER, FS Stimpel, S. 791, 795f; vorsichtig in diese Richtung auch BIEDENKOPF/KOPPENSTEINER, Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., vor § 291 Rdn. 36.

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Damit ist aber zu fragen: Wie müssen die Beschlüsse in der Tagesordnung angekündigt werden? Welche Informationen sind den Aktionären vor und welche während der Hauptversammlung zu gewähren? Und welche Mehrheiten sind für die entscheidende Hauptversammlung erforderlich? Davon soll nunmehr gehandelt werden. [175] III. Vorbereitung der Hauptversammlung 1. Zum Umfang der Bekanntmachung des neuen unternehmerischen Konzeptes a) In allen hier berichteten Fällen ging es um eine grundlegende Änderung des unternehmerischen Konzeptes: Einmal durch Teilung der Gesellschaft, beim zweiten durch die Vorbereitung von Teilfusionen, im dritten durch eine Konzernumorganisation mit dem Ziel, die Gesellschaft selbst in eine HoldingFunktion zurückzunehmen. Gewünscht und erhalten wurde die Zustimmung der Hauptversammlung zu diesen grundlegenden neuen unternehmerischen Konzepten. Mithin erforderlich war zunächst einmal deren Darstellung und Erläuterung gegenüber den eigenen Aktionären, deren Zustimmung nachgesucht wurde23. Eine solche Situation aus dem Verhältnis von Planung der Verwaltung und Zustimmung der Hauptversammlung ähnelt sehr stark der Situation bei einer geplanten Vermögensübertragung, bei Unternehmensverträgen oder Fusionen: Auch sie zielen auf ein neues unternehmerisches Konzept mit erheblicher Auswirkung auf die bisherige Gesellschaft; ihre Form ist „Vertrag“, ihr Inhalt eine unternehmerische Neuorganisation. Für die Vorbereitung dieser Beschlüsse formuliert das Gesetz zum Teil ziemlich eingehende Regeln: (1) Zunächst ist der „Gegenstand“, über den Beschluß gefaßt werden soll, mit der Tagesordnung zusammen bekanntzumachen, § 124 Abs. 1 AktG24; (2) nach § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG ist darüber hinaus bei Einberufung der Hauptversammlung der „wesentliche Inhalt des Vertrages“ (scil. Vermögensübertragung, Unternehmensvertrag, Fusionsvertrag) bekanntzumachen;

23 Daß eine sachgemäße Ausübung des Stimmrechts entsprechende Kenntnisse und Einsichten voraussetzt, ist unbestritten; vgl. nur ZÖLLNER, aaO (Fn. 18), § 131 AktG Rdn. 2; BAUMBACH/HUECK, Komm. z. AktG, 13. Aufl., 1968, § 124 Rdn. 2; K. SCHMIDT, aaO (Fn. 18), § 21 III, S. 462; WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, § 7 II 2, S. 374 je m. w. N. Zum Umfang der Bekanntmachung der Tagesordnung unter diesen Aspekten vgl. jetzt WERNER, FS Fleck, 1988, S. 401 (in diesem Buch). 24 „Tagesordnung“ i. S. v. § 124 Abs. 1 AktG meint eine Kurzbezeichnung für die einzelnen Angelegenheiten, die in der Hauptversammlung Gegenstand von Verhandlungen und Beschlußfassung sein sollen; vgl. ZÖLLNER, aaO (Fn. 18), § 124 AktG Rdn. 6; ECKARDT, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. z. AktG, 1974, § 124 Rdn. 8.

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(3) dieser geplante bzw. vom Vorstand bereits abgeschlossene Unternehmensvertrag, Fusionsvertrag oder Vertrag über die Vermögensübertragung ist von der Einberufung der Hauptversammlung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und auf Verlangen jedem Aktionär in Abschrift zu übersenden, §§ 293 Abs. 3 Satz 2 und 3, 340d Abs. 2 und 4, 361 Abs. 2 AktG; (4) und schließlich soll die Verwaltung – wie stets, so auch hier – Vorschläge zum Inhalt der Beschlußfassung machen, § 124 Abs. 3 AktG. [176] b) In den hier interessierenden Fällen sind „Verträge“ nicht vorgesehen; es geht hier im ersten und entscheidenden Schritt vielmehr um die Einbringung von Aktiva und Passiva in eine Tochtergesellschaft, sei es mit dem Ziel ihrer „Verteilung“ an die Aktionäre im Rahmen der gleichzeitig stattfindenden Kapitalherabsetzung, sei es zur Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens mit einem Dritten, sei es zur rechtlichen Verselbständigung eines Unternehmensbereiches. Obwohl es also nicht um die Zustimmung zu einem Vertrag geht, entsprechen die Grundsätze dieser Regel doch am ehesten der hier vorliegenden Gesamtsituation: Die Hauptversammlung soll über ein neues Konzept für einen wesentlichen Teil des Unternehmens entscheiden; und auf diese Entscheidung müssen sich die Aktionäre gründlich und anders vorbereiten können als über die Frage der Verteilung der Jahres-Dividende. Dafür aber kann die notwendigerweise kurz und allgemein gehaltene Ankündigung der Tagesordnung25 – etwa: „Ausgliederung von Unternehmensteilen“ – mit dem Vorschlag der Verwaltung, die Hauptversammlung möge dem zustimmen, bei weitem nicht genügen26. Entsprechend dem Grundgedanken der erwähnten Normen zu Vermögensübertragung, Unternehmensvertrag und Fusion muß daher an die Stelle dieser Verträge hier eine genaue Darstellung des Konzeptes und der geplanten Maßnahme treten, also etwa: Welche Aktiva und welche Passiva des Unternehmens auf welche Tochtergesellschaft übergehen sollen, mit welchen Folgen für die künftige Bilanz und die künftige Struktur der Gesellschaft. Und dieses Konzept ist dann wie „der Vertrag“ der §§ 291 ff, 340 ff, 361 AktG zu behandeln mit der Folge, daß es in seinem wesentlichen Inhalt, also in groben Umrissen mit der Tagesordnung bekanntzumachen ist und in seiner Langfassung, also als genaue, auf Einzelheiten eingehende Darstellung von der Einladung der Hauptversammlung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und den Aktionären auf Wunsch zuzusenden ist.

25 Diese Tagesordnung ist im Bundesanzeiger und in den sonstigen Gesellschaftsblättern im Wortlaut zu veröffentlichen, § 124 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. § 25 AktG. 26 So auch BAUMBACH/HUECK, aaO (Fn. 23), § 124 AktG Rdn. 6 und WERNER, FS Fleck, 1988, S. 401, 412 bei Fn. 41 (in diesem Buch) dann, wenn der Vorstand nach § 119 Abs. 2 AktG die Entscheidung der Hauptversammlung für an sich nicht zustimmungspflichtige Vorgänge sucht: In diesen Fällen ist nach deren Ansicht § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG anwendbar; zurückhaltender ZÖLLNER, aaO (Fn. 18), § 124 AktG Rdn. 25.

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2. Begründung des Konzeptes? Zur Vorbereitung der Hauptversammlung verlangt § 293 Abs. 3 Satz 5 AktG keine besondere schriftliche Vorweg-Begründung der Verwaltung bezüglich ihres Vorschlages zum Abschluß eines Unternehmensvertrages, konzentriert die Begründung also allein auf die Hauptversammlung selbst. Demgegenüber ver- [177] langen die §§ 340a, 340d Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 AktG bei der Fusion eine solche schriftliche Begründung der Verwaltung in Form eines Berichtes, einer Darstellung der rechtlichen und wirtschaftlichen Gründe für die Fusion aus der Sicht des Vorstands27. Diese Begründung ist dann zusammen mit dem „Vertrag“ (scil. Fusionsvertrag) in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und auf Anforderung von Aktionären zusammen mit dem „Vertrag“ auch zu versenden. Zweckmäßig ist eine solche schriftliche Vorweg-Begründung gewißlich auch in den hier interessierenden Fällen; fraglich ist nur, ob sie rechtlich notwendig ist in dem Sinne, daß ihr Fehlen ein Gesetzesverstoß wäre, der dann auch zur Anfechtbarkeit des betreffenden Beschlusses führen müßte, § 243 AktG. Das ist tatsächlich anzunehmen. Das Aktiengesetz in seiner Fassung von 1965 kannte solche schriftlichen Begründungen und Erläuterungen im Vorstadium der Hauptversammlung zwar noch nicht. Aber diese Begründungen sind das Kennzeichen der seither eingetretenen Änderungen aufgrund der 2. und 3. EG-Angleichungs-Richtlinie28. Das gilt insbesondere für § 340a AktG29, aber auch für § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG im Zusammenhang mit dem Ausschluß des Bezugsrechts30. Aus dieser Entwicklung läßt sich der Schluß ziehen, daß nach dem heutigen System und der heutigen Vorstellung des Aktienrechts die Aktionäre, welche über wesentliche Maßnahmen der unternehmerischen Gestaltung oder ihres persönlichen Interesses zu beschließen haben, nicht nur mit deren Inhalt, sondern auch mit den Gründen dafür aus der Sicht der Verwaltung vor Beginn der Hauptversammlung vertraut sein müssen: Diese jüngeren Regeln des Aktiengesetzes bestimmen insoweit den heutigen Auslegungsgehalt des Aktienrechts31. Vgl. PRIESTER, NJW 1983, 1459, 1461. 2. (Kapital-)Richtlinie vom 13.12.1976 mit Durchführungsgesetz vom 13.12.1978 abgedruckt bei: LUTTER, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 1984, S. 95-111 und dazu DERS., Zur Europäisierung des deutschen Aktienrechts. FS Ferid, 1978, S. 599ff; 3. (Fusions-)Richtlinie vom 9.10.1978 mit Durchführungsgesetz vom 25.10.1982 abgedruckt bei: LUTTER, Europäisches Gesellschaftsrecht, aaO, S. 113-126 und dazu GANSKE, DB 1981, 1551ff; TIMM, JZ 1982, 403, 407ff; PRIESTER, NJW 1983, 1459ff. 29 Zum Verschmelzungsbericht PRIESTER, NJW 1983, 1459, 1461. 30 Dazu HIRTE, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 85ff; LUTTER, ZGR 1979, 401, 407ff; DERS., BB 1981, 861, 863. 31 Zur Auslegung des nationalen Rechts, das entsprechend einer EG-Richtlinie angeglichen wurde, LUTTER, Europäisches Gesellschaftsrecht, aaO (Fn.28), S. 19f. 27 28

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Diese demnach auch hier erforderliche Begründung für die Umstrukturierung und das ihr zugrunde liegende unternehmerische Konzept ist wie dessen Darstellung selbst zu behandeln, also vom Tage der Einberufung der Hauptversammlung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und den Aktionären auf Verlangen auch zu übersenden. [178] 3. Sonstige Erfordernisse Die neuen Fusionsregeln sehen neben der Auslage/Zusendung von Fusionsvertrag und dessen Begründung weitere Unterlagen zur Auslage/Zusendung vor, nämlich insbesondere die Jahresabschlüsse und Lageberichte der beteiligten Gesellschaften aus den letzten drei Jahren und die Berichte der Verschmelzungsprüfer nach § 340b AktG. Vor allem letztere sind von größerer Bedeutung32; denn sie gehen auf die materiellen Bedingungen des geplanten Fusionsvertrages und das in ihm festgelegte Umtauschverhältnis ein. Vergleichbares findet bei einer internen Umstrukturierung (Allianz, Thyssen-Thyssen Stahl) nicht statt; insofern ergeben sich hier auch keine Anhaltspunkte für zusätzliche Anforderungen zur Vorbereitung solcher Beschlüsse. Anders aber könnte es sein bei geplanten Teilfusionen, dort also, wo die interne Umstrukturierung nur Vorstufe zur Bildung etwa eines Gemeinschaftsunternehmens (Thyssen/Krupp-Edelstahl) ist. Hiervon sind die Aktionäre zwar – anders als bei der Fusion – nicht unmittelbar betroffen; ihre Mitgliedschaftsrechte bestehen unverändert fort; wohl aber werden sie mittelbar betroffen; denn ihre Mitgliedschaften beziehen sich künftig allein (Fall Hoesch) oder zum Teil (Thyssen) auf die Beteiligung an einem Gemeinschaftsunternehmen, also auf einen quasi-fusionierten Bereich33. Fraglich also ist, ob § 340b AktG auf solche Fälle entsprechend anzuwenden ist mit der Maßgabe, daß von Wirtschaftsprüfern kontrolliert wird, ob die geplante Beteiligung im Gemeinschaftsunternehmen

Dazu PRIESTER, NJW 1983, 1459, 1461f. Besonders deutlich wird die Fusionsähnlichkeit im einstigen Zusammenschluß HoeschHoogovens. Die – niederländische – Zentralgesellschaft ESTEL N.V. HoeschHoogovens war Inhaberin aller Aktien der beiden produzierenden Ausgangsgesellschaften Hoesch Werke AG (mit allen Töchtern) und Hoogovens (mit allen Töchtern). An dieser Zentralgesellschaft waren dann die deutschen Hoesch-Aktionäre mittelbar über die Hoesch AG zu 50% beteiligt; ihre unternehmerische Beteiligung ging also auf einen (quasi) fusionierten Verbund. Zur Darstellung des Modells vgl. LUTTER, Verhandlungen des 48. DJT, 1970, Bd. I (Gutachten), S. 50ff, 150; DERS., Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, 1974, S. 8 und DERS., FS Zweigert, 1981, S. 251ff, 264 sowie HOFMANN, Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Gesellschaftsorganen und grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse in der Europäischen Gemeinschaft, Diss. Bonn, 1976. 32 33

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(üblicherweise 50% zu 50%)34 auch den eingelegten und angenommenen Werten tatsächlich entspricht. Man wird auch das annehmen müssen. Denn liegt ein solcher Fall einer relevanten Teilfusion vor und sind damit die Voraussetzungen für die Mitwir- [179] kung der Hauptversammlung überhaupt erst gegeben, dann muß man sich fortdenkend auch am gesetzlichen Leitbild orientieren. Und dazu gehört heute eben auch die Werthaltigkeitsprüfung des Wirtschaftsprüfers nach § 340b AktG. 4. Abgrenzung der relevanten Fälle Sehr schwierig zu beantworten ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen man eine relevante, nach den soeben erörterten Regeln durch die Hauptversammlung zu entscheidende Umorganisation (Ausgliederung als Tochtergesellschaft) bzw. Teilfusion anzunehmen hat. Im Holzmüller-Urteil mußte der Bundesgerichtshof diese Abgrenzungsfrage nicht näher entscheiden, da dort die Übertragung auf die Tochtergesellschaft den „wertvollsten Betriebszweig“ betraf, sich „im Kernbereich der Unternehmenstätigkeit“ der bisherigen Gesellschaft abspielte35 und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts36 auf jeden Fall die Hälfte des unternehmerisch eingesetzten Vermögens betraf. Nach Wortlaut und Zusammenhang des Urteils sollte damit aber keine Untergrenze gefunden und festgelegt, sondern ein insoweit klarer Sachverhalt entschieden werden. Zur Festlegung einer solchen Untergrenze kommen verschiedene Merkmale in Betracht, will man die Bedeutung des betroffenen Unternehmensteils im Verhältnis zum bisherigen Gesamtunternehmen ermessen: Umsatz, Ertragskraft, Anteil an der Bilanzsumme, Bedeutung für die historisch gewachsene Vorstellung vom Unternehmen. Diesen letzteren Aspekt – historisch gewachsenes Bild vom Unternehmen – wird man stets jedenfalls mit zu berücksichtigen haben (z. B. Stahl für Thyssen, Versicherung für Allianz). Im übrigen jedoch muß man unterscheiden. Die Umorganisation (Allianz) mediatisiert zwar den Einfluß der Hauptversammlung, nicht – oder jedenfalls nicht entscheidend – aber den der Verwaltung: Statt direkter Leitung findet künftig Konzernleitung statt37. Anders ist es bei Teilfusionen; 34 So die einstigen Verbindungen AEG und Siemens bei der Kraftwerk Union AG (KWU), so Agfa-Gevaert, Fokker-VFW, Hoesch-Hoogovens und so die einst geplante EdelstahlVerbindung Thyssen-Krupp. 35 BGHZ 83, 122, 131 a. E. 36 OLG Hamburg ZIP 1980, 1000, 1005 = JZ 1981, 231 (insoweit nicht abgedruckt) mit Anm. GROSSFELD. 37 Die Hauptversammlung hat also erneut zu entscheiden, wenn nach einer reinen Umorganisation später die Tochtergesellschaft dann doch noch in ein Gemeinschaftsunternehmen o. ä. eingebracht wird.

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hier tritt ein dritter Partner voll mit in die unternehmerische Leitung und Verantwortung ein (Hoesch-Hoogovens, Thyssen-Krupp Edelstahl). Daher muß man dort dem gesetzlichen Grundgedanken aus § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG folgen, wonach die Mitwirkung der Hauptversammlung auch bei allen TeilGewinngemeinschaften erforderlich ist, und die hier erörterten Regeln auf alle [180] Teilfusionen anwenden, die über großzügig bemessene Bagatellfälle hinausgehen (z. B. weniger als 10% vom Umsatz)38. Bei Strukturmaßnahmen im Unternehmen und Konzern selbst (Allianz) kann man aus den genannten Gründen – Fortdauer der alleinigen unternehmerischen Verantwortung – die Schwelle in der Regel39 höher ansetzen und etwa von doppelten Größen ausgehen, wobei sich bei solchen Strukturmaßnahmen der Umsatz deutlich weniger als Größenmerkmal eignet als etwa der Anteil an der Bilanzsumme (betroffene Aktiva) und an der Ertragskraft40. IV. Verfahren und Beschlußfassung in der Hauptversammlung selbst In der Hauptversammlung selbst sind die soeben erwähnten Unterlagen – Darstellung des Vorhabens, Berichte (Begründungen), ggf. Prüfung durch Wirtschaftsprüfer – erneut auszulegen (arg. §§ 340d Abs. 5 Satz 1 und 293 Abs. 3 Satz 4 AktG). Darüber hinaus hat der Vorstand das geplante Vorhaben und seine Gründe dort noch einmal mündlich zu erläutern (arg. §§ 340d Abs. 5 Satz 2 und 293 Abs. 3 Satz 5 AktG). Das aber ist nichts besonderes41. Probleme können sich jedoch beim Fragerecht der Aktionäre und bei den erforderlichen Mehrheiten ergeben

38 Vgl. LUTTER, FS Barz, 1974, S. 199, 214 (weniger als 10% vom Umsatz); DERS., FS Stimpel, 1985, S. 825, 850; GESSLER, FS Stimpel, S. 771, 787 (10% vom Grundkapital oder Eigenkapital); TIMM, aaO (Fn. 4), S. 162f ohne nähere Zahlen. 39 Die Regel gilt z. B. dann nicht, wenn mehr oder minder gleichzeitig mehrere kleine Bereiche ausgegliedert werden. 40 Also stets dann, wenn 20% der Aktiva oder der gemittelten Erträge der letzten 20 Jahre betroffen sind; vgl. bereits LUTTER, FS Stimpel, S. 825, 850 (20-25%); a. A. GESSLER, FS Stimpel, S. 771, 787, der gerade auch die Strukturmaßnahmen jenseits der 10%-Grenze für hauptversammlungspflichtig ansieht. Bei der Ermittlung der Zahlen sind allerdings Sonderbewegungen wie ein wichtiger „Investitionsausschub“ zu berücksichtigen, vgl. LUTTER, FS Stimpel, S. 825, 851. 41 Vgl. dazu etwa BIEDENKOPF/KOPPENSTEINER, aaO (Fn. 22), § 293 AktG Rdn. 17f und KOPPENSTEINER, aaO (Fn. 7a), § 293 AktG Rdn. 22.

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1. Fragerecht Inhalt einer solchen Strukturmaßnahme oder Teilfusion ist vordergründig die Kapitalherabsetzung oder Ausgliederung, tatsächlich aber das damit verknüpfte, das dahinter stehende neue unternehmerische Konzept. Dieses ist neben der rechtlichen Maßnahme als solcher der eigentliche Inhalt und damit der eigentliche Gegenstand der intendierten Beschlußfassung. Daher ist hier der Umfang des Fragerechts sehr weit und betrifft nicht nur die rechtliche Gestaltung, [181] sondern alle Elemente der damit erstrebten neuen unternehmerischen Ziele und Vorteile: Weshalb und mit welchen Kostenfolgen ist die gesellschaftsrechtliche Ausgliederung eher erstrebenswert als die rein unternehmensinterne Organisation in Bereiche (Divisions); weshalb und mit welchen erhofften Vorteilen ist der unternehmerische Zusammenschluß mit einem bisherigen Wettbewerber günstig; welche besonderen und zusätzlichen vertraglichen Abreden bestehen mit dem künftigen Partner42 und welche steuerlichen Vor- und Nachteile sind zu bedenken etc. Aber das Auskunftsrecht geht bei geplanten fusionsähnlichen Maßnahmen (Thyssen/Krupp) noch deutlich weiter und schließt auch Fragen zu den unternehmerischen Teilen ein, die von dem anderen Partner/Unternehmen in das Gemeinschaftsunternehmen eingebracht werden sollen. Das macht der neue § 340d Abs. 6 AktG heute mit aller notwendigen Klarheit deutlich43. Und schließlich dürfte die Verwaltung in diesem Zusammenhang kaum einmal berechtigt sein, die Auskunft nach § 131 Abs. 3 AktG44 zu verweigern: Es wäre ein Widerspruch in sich, von der Hauptversammlung die Zustimmung zu verlangen, ihr gleichzeitig aber wesentliche Informationen zu dem Projekt unter Hinweis auf unternehmerische Nachteile zu versagen. Die Vorschrift des § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG ist schon ihrem Wortlaut nach auf Abwägung eingestellt („vernünftige kaufmännische Beurteilung“, „nicht unerheblicher Nachteil“); das verlangt dann aber auch eine Berücksichtigung der Bedeutung des fraglichen Gegenstandes45; und da unterscheidet sich eben eine Teilfusion oder Strukturmaßnahme wesentlich etwa von einer jährlich wiederholten Entlastung.

42 Vgl. BGHZ 82, 188, 198f (Hoesch-Hoogovens), wo der nicht ausreichend bekanntgemachte Grundvertrag Abmachungen über Gewinnpoolung und -ausschüttung, gemeinsame Stimmrechtsausübung, Verwendung von Eigenkapital und Fremdmitteln usw. enthielt; die ablehnende Entscheidung des OLG Hamm auf die Anfechtungsklage mußte daher aufgeboten werden. 43 Zum alten Verschmelzungsrecht vgl. bereits KRAFT, aaO (Fn. 7a), § 340 AktG Rdn. 15. 44 § 131 Abs. 3 AktG ist als lex generalis an sich auf den Auskunftsanspruch nach § 340d Abs. 6 AktG anwendbar, vgl. Begr. RegE § 328 (§ 340 Abs. 4 a. F.) AktG, bei KROPFF, Aktiengesetz, 1965, S. 457. 45 Dazu BGHZ 86, 1, 18ff; K. SCHMIDT, aaO (Fn. 18), § 28 IV 3 c, S. 643 m. w. N.

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2. Erforderliche Mehrheit Der Bundesgerichtshof46 hat, wie oben schon erwähnt47, das Erfordernis einer Mitwirkung der Hauptversammlung bei Strukturmaßnahmen auf § 119 Abs. 2 AktG gestützt und sich damit nicht auf eine Analogie zu den §§ 179 Abs. 2 (Satzungsänderung), 340c Abs. 2 (Fusion) und 361 Abs. 1 Satz 2 AktG (Vermö- [182] gensübertragung) eingelassen, ist mithin vom Erfordernis der einfachen Mehrheit ausgegangen. Die Verwaltungen in den hier berichteten Fällen sind dem gefolgt und haben sich jeweils auch auf § 119 Abs. 2 AktG berufen. Die Entscheidung, ob es damit bei der einfachen Mehrheit verbleibt oder trotz Ablehnung der Analogie und trotz des Hinweises auf § 119 Abs. 2 AktG die satzungsändernde Mehrheit erforderlich ist, erscheint ausgesprochen schwierig48; denn es handelt sich tatsächlich nicht um einen Unternehmensvertrag, eine Fusion oder eine Vermögensübertragung. Andererseits aber ist es eben auch keine mehr oder minder wichtige Maßnahme der allgemeinen Geschäftsführung – wie sie § 119 Abs. 2 AktG ganz offenbar im Auge hat49 –, sondern eine Strukturmaßnahme, welche auch in der Sicht des Bundesgerichtshofs die Rechtsfolge aus § 119 Abs. 2 AktG vom „Kann“ zum „Muß“ befördert50. Tatsächlich ist die Entscheidung zwischen diesen beiden Polen doch nicht so schwierig, wie sie zunächst erscheint. Denn § 292 AktG stellt „Teil“-Unternehmensverträge wie den Teil-Gewinnabführungsvertrag oder die Teil-Gewinngemeinschaft den „eigentlichen“ Unternehmensverträgen gleich und damit den Regeln über satzungsändernde Beschlüsse. Diesen Ansatz kann man jedenfalls für Teilfusionen aufnehmen51; man kann und sollte diesen Rechtsgedanken aber auch aufnehmen für unternehmens(konzern-)interne Umstrukturierungen; denn insoweit handelt es sich um Maßnahmen, die der Satzungsänderung ebenso nahestehen wie die Fälle des § 292 AktG dem eigentlichen Unternehmensvertrag nahestehen. Darüber hinaus hat Geßler52 in einer sorgfältigen Analyse nachgewiesen, daß die Gesetzgeber des AktG 1937 und des AktG 1965 alle ihnen vertrauten „Strukturmaßnahmen“ dem Votum der Hauptversammlung und – so muß man die Überlegungen Geßlers fortführen – jeweils mit satzungsändernder Mehrheit unterworfen haben. DeutBGHZ 83, 122, 131. Unter II. 4. 48 Instruktiv die Vorgehensweise von TIMM, aaO (Fn. 4), der beim Konzernaufbau regelmäßig den Unternehmensgegenstand betroffen sieht, S. 117ff und passim, bei Strukturveränderungen im bestehenden Konzern dagegen die Lösung in einer Ermessensreduzierung des § 119 Abs. 2 AktG sieht, S. 175ff. 49 Eingehend dazu GESSLER, FS Stimpel, S. 771, 773ff. 50 Die Frage nach der erforderlichen Mehrheit brauchte in BGHZ 83, 122, nicht beantwortet zu werden (S. 140), offen auch bei TIMM, aaO (Fn. 4), S. 165ff. 51 So bereits oben III. 5. bei Erörterung der relevanten Fälle. 52 GESSLER, FS Stimpel, S. 771, 779ff und besonders S. 786. 46 47

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lich näher als der Hinweis auf § 119 Abs. 2 AktG – dessen einfacher Hauptversammlungsbeschluß bei Teilfusionen sofort durch §§ 292, 293 AktG in vielfacher Hinsicht modifiziert werden müßte – liegt daher der Gedanke einer Gesamtanalogie, wie er von Rehbinder53 erstmals vorgetragen und von Geßler54 aufgenommen worden ist. [183] Folgt man diesen Überlegungen, so gelten für alle diese Beschlüsse die gesetzlichen Regeln des § 179 AktG entsprechend einschließlich etwaiger statutarischer Erschwerungen, aber ohne die Möglichkeit einer Reduzierung der Dreiviertel-Kapitalmehrheit (arg. §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 293 Abs. 1 Satz 3, 340c Abs. 2 Satz 2 AktG). V. Sichernde Maßnahmen im Kontext von Strukturbeschlüssen Konzernbildung führt unabdingbar zur Mediatisierung des Aktionärseinflusses und zur Stärkung der Verwaltungsmacht. Das sind, aus den Urteilsgründen deutlich erkennbar, die eigentlichen und zentralen Gründe, die den Bundesgerichtshof zu seiner Rechtsfindung – Notwendigkeit der Mitwirkung der Hauptversammlung – im Holzmüller-Urteil gebracht haben55. Nun kann es sein, daß die Verwaltung oder die Aktionäre die fragliche Maßnahme zwar akzeptieren, ihre Folgen – eben diese Mediatisierung ihres Einflusses – aber einschränken wollen. So könnte etwa den Aktionären von Thyssen oder Allianz daran gelegen sein, daß die Verwaltung weder die 100%ige Beteiligung an der Thyssen Stahl AG (Allianz Versicherungs-AG) noch die Beteiligung am Edelstahl-Gemeinschaftsunternehmen veräußern darf. Andererseits könnte die Verwaltung etwa von Allianz daran interessiert sein, ihre zum Teil großen und sehr einflußreichen Aktionäre von der Sorge zu befreien, künftig würden doppelte Rücklagen gebildet – bei der Versicherungstochter ebenso wie bei der Holding – und damit Dividenden geschmälert56. Zwei Lösungen für diese naheliegenden Probleme kommen in Betracht: Erklärungen der Verwaltung und statutarische Festlegungen.

REHBINDER, ZGR 1983, 92, 98. GESSLER, FS Stimpel, S. 771, 786. 55 BGHZ 83, 122, 131 und besonders S. 139. 56 Zu dieser – höchst umstrittenen – Problematik zuletzt LUTTER, FS Goerdeler, 1987, S. 327ff einerseits und GOERDELER, Wpg 1986, 229ff sowie WESTERMANN, FS Pleyer, 1986, S. 421ff andererseits. 53 54

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1. Erklärungen der Verwaltung und ihre rechtliche Bedeutung Zeichnen sich im Vorfeld der Beratungen Bedenken der einflußreichen Aktionäre in der erwähnten Art ab, so könnte die Verwaltung vorschlagen, öffentlich etwa folgendes zu erklären: a) Sie werde die Beteiligung der Thyssen AG an der Thyssen Stahl AG (am Edelstahlverbund) weder ganz noch teilweise ohne Zustimmung der Hauptversammlung der Thyssen AG veräußern; [184] b) sie habe nicht die Absicht, die bisherige Rücklagenpolitik zu ändern, und werde daher die notwendige Rücklagenbildung bei der Thyssen Stahl AG angemessen bei der Bildung von Rücklagen nach § 58 Abs. 2 AktG in der Thyssen AG selbst berücksichtigen. Verboten sind solche Erklärungen gewiß nicht57. Entscheidend aber ist die Frage, ob solche Erklärungen die Gesellschaft und damit ihre jeweilige Verwaltung binden; denn nur dann können die Aktionäre sicher sein, daß solche Erklärungen auch den Wechsel des derzeitigen Vorstands und der derzeitigen Aufsichtsratsmitglieder über die Jahre hin überstehen werden. Im Rahmen dieser Betrachtung kommt es also allein auf die rechtliche Relevanz solcher Erklärungen an – ohne daß der Verfasser darüber vergisst, wie stark außerrechtliche Faktoren, etwa das Ansehen der Gesellschaft und ihrer Verwaltung etc. gerade in solchen Zusammenhängen eine Rolle spielen können, aber eben nicht müssen. Eine rechtliche Bindung der Gesellschaft durch Erklärungen solcher Art ist nicht möglich. Es gilt, zwischen Dritterklärungen und Binnenerklärungen zu unterscheiden. In ihrem Verhältnis zu Dritten kann der Vorstand – von wenigen im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen abgesehen (z. B. Fusionsvertrag) – für die Gesellschaft rechtlich bindende Erklärungen stets abgeben58. Er kann aber durch solche Erklärungen nicht das vom Gesetz festgelegte Kompetenzgefüge in der Gesellschaft ändern; das steht nicht zu seiner Disposition. Das aber wäre im Hinblick auf die Einschränkung seiner Freiheit aus § 76 AktG die Folge, wäre die Erklärung im Verhältnis zur Hauptversammlung bindend. Im übrigen: Die Verwaltungsorgane einer Aktiengesellschaft sind zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung verpflichtet, § 93 Abs. 1 AktG. Was das im einzelnen bedeutet, läßt sich für die Zukunft – und das heißt für alle Zukunft der betroffenen Gesellschaft – nicht festlegen. Daher ist es gerade der Sinn von § 23 Abs. 5 AktG einerseits (sehr eingeschränkte Satzungsautonomie in der AG), von 57 Vgl. etwa die öffentliche Erklärung des Vorstands der Deutsche Bank AG in den Geschäftsberichten 1980 (S. 50) und 1981 (S. 52) zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit ihrer BankBeteiligungsgesellschaften: „Im Rahmen unserer Quote tragen wir in den vorgenannten Fällen dafür Sorge, daß die betreffenden Unternehmen ihre Verbindlichkeiten erfüllen können.“ 58 Daher ist die rechtliche Bindung der Deutsche Bank AG an die soeben (Fn. 57) zitierte Erklärung ihres Vorstands außer Frage.

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§ 76 AktG andererseits (Autonomie des Vorstands in der Führung der Gesellschaft), den Vorstand – und entsprechend auch Aufsichtsrat und Hauptversammlung – von gesellschaftsinternen Zukunftsbindungen solcher Art frei zu halten. Vorstände dürfen daher nicht nur keine Erklärungen dieser Art abgeben, sondern sie können es überhaupt nicht: Erklärungen dieser Art wären a priori unverbindlich. Die gesetzliche Ermächtigung zur Rücklagenbildung in der eigenen Gesellschaft ist ebenso wie die autonome Führung der Geschäfte der [185] Gesellschaft nach § 76 AktG zwingend der Verwaltung zugewiesen, steht nicht zur Disposition der Aktionäre: Die Verwaltung kann auf diese Verwaltungsmacht ebensowenig verzichten wie auf ihr Leitungsrecht aus § 76 AktG. Aus diesen Ausführungen erhellt zugleich, daß ausdrücklich unverbindlich formulierten Erklärungen solcher Art keine rechtlichen Bedenken entgegenstehen. Das liegt auf der Hand, bedeutet aber, daß sie schon ihrem Inhalt nach gar nicht den Versuch machen, die Gesellschaft wirklich und rechtlich zu binden. 2. Statutarische Gestaltung Haben Erklärungen der dargestellten Art nur allgemeine, das heißt gesellschaftliche, aber keine rechtliche Relevanz, so kommt der Frage nach der Möglichkeit statutarischer Gestaltung gesteigertes Gewicht zu. a) Rücklagenbildung Geht man der Einfachheit halber einmal im Thyssen-Fall (Allianz-Fall) davon aus, daß der Stahl-Bereich (Versicherungsbereich) nicht nur 50% des unternehmerischen Vermögens, sondern auch 50% der Erträge der Thyssen AG (Allianz AG) vor der Ausgliederung ausgemacht hat, so mindert sich der selbsterwirtschaftete Ertrag der Thyssen AG (Allianz AG) als „Dividendenlieferant“ ihrer Aktionäre nach der Ausgliederung auf 50% des bisherigen Umfangs. Ob und wieviel der Ertrag der Thyssen AG (Allianz AG) darüber hinaus ansteigt, hängt ausschließlich von der künftigen Ausschüttungspolitik in der Thyssen Stahl AG (Allianz Versicherungs-AG) ab (Kontinuität der Erträge einmal unterstellt). Dort aber kann die eigene Verwaltung der Thyssen Stahl AG (Allianz VersicherungsAG) bis zu 50% ihres Jahresüberschusses nach § 58 Abs. 2 AktG, die Verwaltung der Thyssen AG (Allianz Holding AG) als Hauptversammlung ihrer fraglichen Tochter über § 58 Abs. 3 AktG die anderen 50% ganz oder teilweise thesaurieren. Ist eine Satzungsbestimmung denkbar, die das eine oder das andere verbietet? aa) Die Satzung einer Aktiengesellschaft (hier: der Thyssen Stahl AG bzw. der Allianz Versicherungs-AG) kann zwar die Kompetenz der Verwaltung zur Rücklagenbildung nach § 58 Abs. 2 AktG erweitern und sie kann sogar bestimmen, daß der Bilanzgewinn ganz oder teilweise einem Dritten (z. B. Rotes Kreuz) zukommen soll; sie kann aber weder die gesetzliche Regelkompetenz der Verwal-

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tung aus § 58 Abs. 2 AktG (50% des in gewisser Weise korrigierten Jahresüberschusses) einschränken noch die eigene Hauptversammlung (hier: der Tochtergesellschaft) verpflichten, den verbleibenden Bilanzgewinn auf jeden Fall [186] (hier: an die Muttergesellschaft) auszuschütten. Über die Vernunft dieses gesetzlichen Konzeptes mag man streiten59: doch ist das Konzept so festgelegt und kann durch die Satzung nicht geändert werden, § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG. Das ist aufgrund der klaren Aussagen während der Entstehung der Norm60 unstreitig und wird deshalb in der Literatur auch nicht mehr weiter problematisiert61. bb) Das Gleiche gilt für die Satzung der Obergesellschaft, in den Beispielsfällen also der Thyssen AG oder der Allianz Holding AG: Sie kann den Vorstand nicht zu einem bestimmten Verhalten in der Tochtergesellschaft verpflichten62. Insoweit geht es um die Geschäftsführung der Obergesellschaft (Thyssen AG bzw. Allianz Holding AG) in der Form der Verwaltung ihres Beteiligungsbesitzes (Beschluß über Ausschüttungen bei einer Tochtergesellschaft)63. Hätte hier die Satzung einer Obergesellschaft Ordnungs- und Festlegungskompetenz, so wäre das zugleich eine nahezu beliebig fortsetzbare Einschränkung der autonomen und eigenverantwortlichen Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands, wie sie § 76 AktG nachdrücklich hervorhebt. Das aber, de facto also die Verlagerung von Geschäftsführungskompetenz der Verwaltung und insbesondere des Vorstands auf die Hauptversammlung ist vom Gesetz gerade nicht gewollt. Daher ist auch in der Obergesellschaft eine Satzungsbestimmung eben des Inhalts, die Verwaltung sei gehalten, für weitestgehende Ausschüttungen des Jahresüberschusses in der Tochtergesellschaft zugunsten der Obergesellschaft zu sorgen o. ä., nicht möglich und, falls doch beschlossen und eingetragen, nach

59 Vgl. HEFERMEHL/BUNGEROTH, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. z. AktG, 1983, § 58 Rdn. 3-10 mit zahlreichen weiteren Nachw. auch zur Diskussion um § 58 im Zuge der Aktienrechtsreform 1965 sowie LUTTER, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1988, § 58 Rdn. 18ff. 60 Begr. RegE § 55 (jetzt § 58) AktG bei KROPFF, aaO (Fn. 44), S. 74 sowie dort der Ausschußbericht S. 76. 61 Vgl. BARZ, Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., 1970, § 23 Anm. 18; LUTTER, aaO (Fn. 59), § 58 AktG Rdn. 26 sowie 35 und 36; HEFERMEHL/BUNGEROTH, aaO (Fn. 59), § 58 AktG Rdn. 38; GODIN/WILHELMI, Komm. z. AktG, 4. Aufl., 1971, § 58 Anm. 3. 62 Vgl. dazu und zum Folgenden HEFERMEHL, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. z. AktG, 1973, § 82 Rdn. 27; ECKARDT, aaO (Fn. 24), § 119 AktG Rdn. 17; MEYERLANDRUT, Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., 1973, § 76 Anm. 6; BARZ, Großkomm. z. AktG, 1972, § 119 Anm. 7; MERTENS, Kölner Komm. z. AktG, § 76 Rdn. 4; ZÖLLNER, aaO (Fn. 18), § 119 AktG Rdn. 43. 63 Zur Beteiligungsverwaltung ist der Vorstand der Obergesellschaft nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet; umfassend dazu HOMMELHOFF, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 53f, 104ff; zuvor schon LUTTER, FS Westermann, 1974, S. 347, 357; TIMM, aaO (Fn. 4), S. 96.

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§ 241 Nr. 3 AktG sogar nichtig64; denn genau das – die Veränderung der Kompetenzstruktur durch Satzung – würde dem Wesen der Aktiengesellschaft nach dem Inhalt des Aktiengesetzes widersprechen. [187] cc) Damit müssen wir feststellen: Es gibt keine die Verwaltung von Rechts wegen bindende Regel sei es der Satzung, sei es öffentlicher Erklärungen der Verwaltung selbst, die diese verpflichten könnte, die Thesaurierungspolitik im Konzern in bestimmter Weise zu handhaben. Da das so ist, wird erneut deutlich, daß die Lösung dieses Problems eben auch nur auf der Ebene des Gesetzes und seiner Interpretation und nicht der Gestaltung durch Satzung gesucht und gefunden werden kann. Allerdings: Nichts steht entgegen, geltendes Recht, also etwa Normen des Aktiengesetzes, in der Satzung deklaratorisch zu wiederholen. Das geschieht vielfach65. Daher steht nichts entgegen, in die Satzung der Obergesellschaft den geltenden, wenn auch ungeschriebenen Rechtssatz66 aufzunehmen, der die Berücksichtigung von im Konzern bereits gebildeten Rücklagen bei der Inanspruchnahme von § 58 Abs. 2 AktG durch die Verwaltung der Obergesellschaft regelt: Was sowieso gilt, muß zwar nicht Inhalt der Satzung sein, schadet dort aber auch nicht, sondern nützt gerade bei ungeschriebenem Recht. b) Sicherung des Beteiligungsbesitzes aa) Für Erklärungen der Verwaltung in bezug auf den Beteiligungsbesitz gilt das bereits oben a) zur Rücklagenbildung Gesagte. bb) Damit bleibt die Frage, ob wenigstens hier eine statutarische Gestaltung denkbar ist, welche eine Verfügung der Verwaltung über diesen Besitz ausschließt. Als normale „Anweisung“ scheidet sie hier aus den gleichen Gründen aus, wie sie soeben zur Thesaurierungspolitik ausgeführt wurden. Fraglich aber ist, ob das Halten eines bestimmten Beteiligungsbesitzes, also die 100%ige Beteiligung der Thyssen AG an der Thyssen Stahl AG bzw. der Allianz Holding AG an der Allianz Versicherungs-AG oder die 50%ige Beteiligung der Thyssen AG am einst geplanten Edelstahl Gemeinschaftsunternehmen mit Krupp oder die 25,01%ige Beteiligung der Mercedes Automobil-Holding AG an der Daimler Benz AG zum statutarischen „Gegenstand“ der Gesellschaft erhoben werden können. Dieser Gegenstand der Gesellschaft ist verpflichtende Leitlinie des Handelns ihrer Verwaltung, die jedenfalls das „Dürfen“ des Vorstands, wenn auch nicht sein rechtliches „Können“, kanalisiert und be64 Zur Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG vgl. HOFFMANN, Die AG 1980, 141ff und HUBER, FS Coing, Bd. II, 1982, S. 167ff. 65 Etwa wenn man in den Satzungen von Aktiengesellschaften wortgleich mit § 78 Abs. 1 AktG den Satz liest: „Der Vorstand vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich.“ 66 Vgl. bei LUTTER, FS Goerdeler, 1987, S. 327, 340.

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schränkt67. [188] Sollte es also möglich sein, die Innehabung und das Halten dieser Aktien als statutarischen Gegenstand festzulegen, so wäre jede Veräußerung auch nur einer Aktie eine Pflichtverletzung des Vorstands. Mit der nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG notwendigen Festlegung des „Gegenstandes“ der Gesellschaft in der Satzung ist zunächst einmal die Branche (hier also Stahl, Versicherung) zu nennen, in der die Gesellschaft tätig sein soll. Darüber hinaus kommt es aber auch darauf an, als was die Gesellschaft in dieser Branche tätig wird: als Produzent oder Verwalter, als Händler oder Berater. Und schließlich ist es von Bedeutung, ob die Gesellschaft selbst tätig wird oder mittels anderer Unternehmen, an denen sie (nur) beteiligt ist68. Daher ist es nicht nur zulässig, sondern – wenn gewollt – geradezu erforderlich, daß die Satzung der Verwaltung ausdrücklich erlaubt, den ihr vorgegebenen Gegenstand nicht (nur) durch eigenes Handeln zu verwirklichen, sondern sich dabei (auch) der Möglichkeit zu bedienen, mittels und durch andere Unternehmen zu handeln69. Akzeptiert man diese Sehweise, so ist aber auch zu bedenken, daß die Art und Weise einer solchen mittelbaren Tätigkeit davon abhängt, wie diese gesellschaftsrechtlich organisiert ist. Sind, wie in unseren Beispielen, die Tochtergesellschaften in der Rechtsform von Aktiengesellschaften organisiert, so wird das besonders deutlich: Sollte zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein Unternehmensvertrag geschlossen werden und würde dann ein Dritter Aktien der Tochter erwerben, so hätte das unabdingbar die Auflösung dieses Unternehmensvertrages zur Folge, § 307 AktG70. Und bestünde kein Unternehmensvertrag, so müßten die beiden beteiligten Gesellschaften erst recht und in besonderer Weise bei der Unternehmensführung auf die Interessen von (künftigen) Minderheitsaktionären achten und wären zugleich ständig einem natürlichen Mißtrauen, entsprechenden Fragen (§ 131 Abs. 1 Satz 2 AktG) und sogar der Gefahr von Klagen ausgesetzt (§§ 317 Abs. 4, 318 Abs. 4, 309 Abs. 3-5 AktG)71. Die Höhe der 67 Vgl. K. SCHMIDT, aaO (Fn. 18), § 4 II 3 b, S. 53; TIMM, aaO (Fn. 4), S. 22ff m. w. N.; WIEDEMANN, aaO (Fn. 23), § 6 III 1, S. 329; WÜRDINGER, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, § 10 II 1 b, S. 40f. 68 Vgl. zum ganzen BARZ, aaO (Fn. 61), § 23 AktG Anm. 11; ECKARDT, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. z. AktG, 1984, § 23 Rdn. 59ff; KRAFT, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1986, § 23 Rdn. 46ff. 69 Unstreitig; vgl. nur KRAFT, aaO (Fn. 68), § 23 AktG Rdn. 47; ECKARDT, aaO (Fn. 68), § 23 AktG Rdn. 62; TIMM, aaO (Fn. 4), S. 88ff; WERNER, ZHR 147 (1983), 428, 441; HEINSIUS, ZGR 1984, 383, 406ff. 70 Vgl. dazu H. WILHELM, Die Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, 1976, S. 21f; auf diese Rechtsfolge hat auch die Allianz Versicherungs-AG (alt) ihre Aktionäre in der Informationsbroschüre mit Nachdruck hingewiesen, in der sie eine entsprechende Satzungsänderung vorschlug und erläuterte. 71 Anschauliche Übersicht zu den Minderheitsrechten bei ZANKEL, BB 1978, 1755; allgemein zum Minderheitenschutz WIEDEMANN, aaO (Fn. 23), § 8, S. 404ff sowie K. SCHMIDT, aaO (Fn. 18), § 16 III, S. 350ff.

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Beteiligung, insbesondere also der Ausschluß von Minderheitsaktionären in einer 100%igen Beteiligungsgesellschaft, wirkt sich also von Rechts wegen ganz [189] nachdrücklich auf die Möglichkeit einer Koordination zwischen Unternehmen und damit auf die Art und Weise einer solchen mittelbaren unternehmerischen Tätigkeit aus. Kann und muß der Satzungsgeber die Frage der unmittelbaren oder nur mittelbaren Tätigkeit über Beteiligungsgesellschaften regeln, so muß er auch berechtigt und in der Lage sein, dieses spezielle „Wie“ der unternehmerischen Tätigkeit zu ordnen: Die Höhe der Beteiligung hat Rechtsqualität und beeinflusst das „Wie“ der (mittelbaren) unternehmerischen Tätigkeit72. Anders gewendet: Der Satzungsgeber, der das „Wie“ der unternehmerischen Tätigkeit festzulegen berechtigt ist, muß dann auch befugt sein, genauere Regeln zur Sicherung eben dieser Tätigkeit festzulegen, also zu bestimmen: mindestens 25%ige Beteiligung an X; mehrheitliche Beteiligung an Y, 100%ige Beteiligung an Z73. cc) Aber auch in diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, daß es der Satzung nicht verboten sein kann, geltendes Recht (deklaratorisch) zu wiederholen. Strukturmaßnahmen aber bedürfen per se der Zustimmung der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit74. Insoweit diese gemeint sind, können sie in der Satzung auch außerhalb des „Gegenstandes“ der Gesellschaft erwähnt werden und zwar ebenso allgemein („Wesentliche Strukturmaßnahmen bedürfen der Zustimmung der Hauptversammlung nach den Regeln der Satzungsänderung“) wie in konkreter Ausformung der allgemeinen Norm („Die Veräußerung von Aktien der Thyssen Stahl AG oder des Unternehmens dieser Gesellschaft bedarf …“)75. Problematisch sind hier allerdings Grenzfälle: Thyssen Stahl AG ist für Thyssen gewiß ebenso ein nach Art und Größe relevanter Bereich wie die Allianz Versicherungs-AG (neu) für die Allianz Holding AG. Gilt das Gleiche aber notwendigerweise auch für die (einst geplante) 50%ige Beteiligung der Thyssen AG am Edelstahl-Verbund mit Krupp? Man sollte hier der Satzung einen Raum der verbindlichen Interpretation einräumen derart, daß – innerhalb vernünftiger Grenzen – jedenfalls das von ihr als für die Gesellschaft relevant Bezeichnete auch als relevant akzeptiert und nicht als zu unbedeutend angesehen wird76. Umgekehrt aber ist Vorsicht geboten; die Satzung kann [190] relevante Strukturmaßnahmen gewiß nicht von der notwendigen Zustimmung der HauptVgl. TIMM, aaO (Fn. 4), S. 95. Vgl. TIMM, aaO (Fn. 4), S. 95; WERNER, ZHR 147 (1983), 429, 450; HEINSIUS, ZGR 1984, 383, 407. 74 Oben unter IV. 2. 75 Vgl. dazu auch WERNER, ZHR 147 (1983), 429, 451 und HEINSIUS, ZGR 1984, 383, 407f, die beide ebenfalls die Frage diskutieren, ob eine Satzungsbestimmung zu Beteiligungen auch außerhalb der Regelung des Unternehmensgegenstandes möglich ist. 76 So wohl auch MARTENS, ZHR 147 (1983), 377, 393. 72 73

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versammlung ausnehmen77. Daher sollte man relevante Elemente und Maßnahmen in der Sicht des Satzungsgebers durchaus nennen, aber davon Abstand nehmen, in die Satzung eine Art „Negativkatalog“ darüber aufzunehmen, was – angeblich – alles nicht Strukturmaßnahmen oder Teilfusionen in diesem Unternehmen sind.

77 Insoweit a. A. MARTENS, ZHR 147 (1983), 377, 393, der eine Satzungsbestimmung für zulässig hält, nach der der Vorstand ohne Mitwirkung der Hauptversammlung über die Ausgliederung des wesentlichen Unternehmensvermögens entscheiden kann.

Das Vor-Erwerbsrecht/Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse* AG 2000, S. 342-345** Große deutsche DAX-Gesellschaften geben derzeit ganze Unternehmenssparten an die Börse: Siemens die Infineon AG, in der alle Halbleiter-Aktivitäten gebündelt wurden. Die Deutsche Telekom AG hat ihren Online-Bereich in einer Tochter-Aktiengesellschaft zusammengefaßt und anschließend an die Börse gebracht. Die Commerzbank ist mit ihrer Tochter Comdirect AG in gleicher Weise verfahren und Thyssen-Krupp haben ähnliche Pläne mit ihrer Stahl-Tochtergesellschaft. Während Siemens Angebote von jedermann entgegennahm und den Verkauf in einem sog. bookbuilding-Verfahren vorbereitete1 und dabei ganz offensichtlich zu billig war (die Aktien verdoppelten ihren Preis innerhalb von Stunden und hielten diesen Preis)2, plante die Telekom eine Bevorzugung ihrer Kunden beim Verkauf der Aktien, hat diesen Plan aber in der Folge aufgegeben und ebenfalls über ein Bankenkonsortium an jedermann verkauft; hier stieg der Preis zwischen Ausgabe und erster Notierung „nur“ um 40%3. In beiden Fällen erhielten offenbar Führungskräfte und Mitarbeiter eine bevorzugte Zuteilung. Eigentümlicherweise dachte bislang offenbar niemand daran4, daß die eigenen Aktionäre der fraglichen Gesellschaften (Siemens AG, Telekom AG und Commerzbank AG) doch die erste Erwerbsgruppe bilden müßten, und das gewiß nicht nur aus allgemeinen Aspekten der Freundlichkeit gegenüber den Eigentümern, sondern schlicht aus Rechtsgründen. 1. Der Vorgang beginnt häufig zunächst einmal mit einer Ausgliederung. Die betreffenden Gesellschaften (Infineon AG, T-Online AG, Comdirect AG) wurden zum Teil aus den verschiedensten Teilen des Vermögens der Muttergesellschaft zusammengestellt und zusammengebaut, bis die gewollte Komposition Diese Ausführungen beruhen nicht auf einer Anfrage aus der Praxis. Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf www.legios.de. 1 Näher zum Bookbuilding-Verfahren GROSS, ZHR 162 (1998), 318; HEIN, WM 1996, 1. 2 Vgl. die Übersicht bei PELLENS/FÜLBIER, FAZ v. 15. 5. 2000, S. 32. 3 Vgl. erneut die Übersicht bei PELLENS/FÜLBIER, FAZ v. 15. 5. 2000, S. 32. 4 Anders vor allem PELLENS/FÜLBIER, Handelsblatt v. 15. 3. 2000 sowie im Ansatz schon PELLENS, ZfbF 1993, 892. *

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596 Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse erreicht war. Dieser Vorgang ähnelt der Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG. Würde diese Form gewählt statt der Ausgliederung, kämen die neuen Aktien ipso iure zu den Mutter-Aktionären, § 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG. Allerdings: Die Muttergesellschaft erhielte keine Gegenleistung, während in den hier zu erörternden Fällen die Mutter über die Börse verkauft und im Infineon-Fall immerhin rund 5,4 Mrd. Euro und im T-Online-Fall rund 3,1 Mrd. Euro erlöst hat. Die Entscheidung darüber steht zunächst der Muttergesellschaft und ihrer Verwaltung frei; sie macht die entsprechenden Vorschläge, über die sodann die MutterAktionäre befinden. Das steht bei der Abspaltung im Gesetz und unterliegt keinem Zweifel, §§ 123, 125, 13 UmwG. Bei der Ausgliederung kommt es auf den Einzelfall an: Geht es um die Ausgliederung unmittelbar aus dem Vermögen der Mutter, so ist die Holzmüller-Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu beachten5 mit der Folge, daß bei einem Anteil der Tochter am Gesamtunternehmen Siemens bzw. Telekom von mehr als 15–20% die Hauptversammlung zu entscheiden hat6, ansonsten treffen Vorstand und ggf. Aufsichtsrat die Entscheidung. Geht es hingegen um die Neuordnung im bereits existenten Konzern, ist dafür allein der Vorstand zuständig. 2. Im nächsten Schritt veräußert dann die Mutter einen Teil ihres Vermögens. Dabei ist die Abwicklung über die Börse nur eine Verkaufs-Modalität, die für die rechtliche Beurteilung jedenfalls zunächst keine Rolle spielt. Hätte die Hauptversammlung der Muttergesellschaft (Siemens, Telekom) bereits der Ausgliederung zugestimmt7, so hätte sie im Zweifel auch den Verkauf gebilligt. Das mag sich nicht immer unmittelbar aus dem Beschlußwortlaut ergeben, wird sich aber unter Verwendung der Begründung für den Beschlußantrag jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen8. [343] 5 BGHZ 83, 122 und dazu näher LUTTER in Festschrift Stimpel, 1985, S. 825 ff.; LUTTER in Festschrift Fleck, 1988, S. 168 ff.; MARTENS, ZHR 147 (1983), 377; REHBINDER, ZGR 1983, 93; WERNER, ZHR 147 (1983), 429. 6 Wann der Vorgang „wesentlich“ ist, wurde vom BGH nicht entschieden. Überwiegend wird heute von einem Anteil der Tochter an den Aktiva, am Umsatz oder am Ertrag des Gesamtunternehmens in Höhe von etwa 20% ausgegangen; vgl. etwa KRIEGER in Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch, 3. Aufl. 1998, Rz. E 44 mit umfangreichen Nachweisen. Bei einem Anteil von unter 10% ist der Vorgang unstreitig nicht mehr als wesentlich anzusehen, LUTTER in Festschrift Fleck, 1988, S. 169 f., sowie LUTTER in Festschrift Stimpel, 1985, S. 825, 850 f.; HEFERMEHL/BUNGEROTH in G/H/E/K, Band IV, 1994, § 182 AktG Rz. 16. 7 In den genannten Fällen ist das nicht geschehen. 8 Der Beschluß ist Rechtsgeschäft (vgl. nur BALTZER, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965, S. 177 ff.) und daher auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Die Grundsätze für diese Auslegung aber sind noch wenig erforscht und wären einer Monographie wert. Jedenfalls seine objektiven Elemente (Wortlaut, schriftliche Materialien und Begründungen) können und müssen dabei ähnlich wie bei der Auslegung von Satzungen (dazu LUTTER/HOMMELHOFF, 15. Aufl. 2000, § 2 GmbHG Rz. 11 m. w. N.) herangezogen werden. Demgegenüber dürften subjektive Elemente allgemein bei Satzungsbeschlüssen und speziell bei Börsengesellschaften keine Rolle spielen, wohl aber bei „privaten“

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Fehlt es – bislang – an einem Hauptversammlungs-Beschluß, so ist dieser spätestens vor dem Beginn der Veräußerung über die Börse erforderlich, wenn die – ganz oder teilweise – zu veräußernde Tochter entweder den bestimmenden Teil des Unternehmens der Mutter ausmacht, also etwa PKW bei Daimler-Chrysler, Versicherungen bei Allianz etc.9 oder wertmäßig in den „Holzmüller-Bereich“ fällt, also nach Bilanzsumme, Anteil am Umsatz oder Anteil an den Aktiva des Konzerns etwa 15–20% der Mutter ausmacht. Die Einzelheiten dazu wurden an anderer Stelle eingehend erläutert; das muß hier nicht wiederholt werden10. Ist ein solcher Fall gegeben, so ist in jedem Falle ein satzungsändernder Beschluß erforderlich11; in dessen Rahmen kann dann die Hauptversammlung auch die Modalitäten der Veräußerung festlegen und etwa in Anlehnung an den Rechtsgedanken aus §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 192 Abs. 2 Nr. 3, 204 Abs. 3 AktG in einem angemessenen Umfange bestimmen, daß Mitarbeitern beim Verkauf ein Vorrecht zukommen soll. 3. a) Entscheidende Frage aber ist nun, an wen die Tochter-Aktien verkauft werden dürfen. Bei der Beantwortung dieser Frage wird bislang ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß allein der Vorstand und der Markt das bestimmen. Warum eigentlich? Wieso kann den Aktionären von Siemens plötzlich das Halbleiter-Geschäft entzogen, den Aktionären von Telekom das OnlineGeschäft, den Aktionären der Commerzbank das Direkt-Bank-Geschäft weggenommen werden? Möglicherweise haben Investoren Siemens-Aktien gerade wegen des Halbleiter-Geschäftes erworben. Auch hat der Bundesgerichtshof schon vor vielen Jahren festgestellt, daß den Aktionären in der Liquidation nicht einfach Vermögen der Gesellschaft – wenn auch entgeltlich – entzogen werden darf12. Wieso sollte das hier anders sein? b) Im übrigen: Die Veräußerung eines Unternehmensteils ist stets und immer ein Preisproblem. Hier gilt es zu unterscheiden: Soll an einen Erwerber veräußert werden, so sind sorgfältige Maßnahmen der Bewertung dieses Unternehmensteils erforderlich13; hier besteht kein Markt, man kann ihn nur nach betriebswirtschaftlichen Methoden simulieren unter dem AsGesellschaften und insbes. GmbHs; vgl. dazu OLG München, EWiR § 133 BGB 1/89, 1167 mit Anm. FREY sowie allg. HEFERMEHL in Soergel, 1. Band, 12. Aufl. 1998, § 133 Rz. 155, sowie PALM in Erman, 10. Aufl. 2000, § 133 BGB Rz. 37. 9 Dazu LUTTER/LEINEKUGEL, ZIP 1998, 225 ff. 10 LUTTER/LEINEKUGEL, ZIP 1998, 225 ff. sowie LUTTER/LEINEKUGEL, ZIP 1998, 805 ff. 11 LUTTER in Festschrift Fleck (oben FN 5). 12 BGHZ 103, 184, 189 – Linotype. 13 MERTENS in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1989/96, § 93 AktG Rz. 53; HOPT in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 AktG Rz. 111.

598 Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse pekt: Was würde ein rational handelnder Käufer zahlen. Das ist dann die Verhandlungsbasis. Soll der Unternehmensteil hingegen am Markt (Börse) bestens verkauft werden, so kommen andere Aspekte zum Zuge; doch muß auch hier dieser Markt zunächst simuliert werden. Dennoch: Der Vorstand mag noch so sorgfältig seine Preis-Entscheidung vorbereiten, bislang hat der Markt fast regelmäßig anders votiert: Bei Infineon kam der höchste Preis im bookbuilding-Verfahren zum Zuge, der Markt (die Börse) hat ihn dennoch innerhalb von nur einer Stunde verdoppelt. Anders gewendet: Der Vorstand von Siemens hat das HalbleiterGeschäft um die Hälfte zu billig verkauft, rund 5 Mrd. DM Vermögen seiner Aktionäre verschenkt. Das soll – jedenfalls im Kontext dieser Überlegungen – kein Vorwurf, sondern nur eine Feststellung sein. Aber fraglos ist doch: Die Siemens-Aktionäre haben einen erheblichen Verlust an – mittelbar – eigenem Vermögen erlitten, ein Verlust, der als Vorteil beliebigen außenstehenden Dritten zugute gekommen ist14. Genau dieses Problem der Verwässerung ist dem Aktienrecht in anderem Zusammenhang längst vertraut; es stellt sich bei jeder Kapitalerhöhung: Entweder es gibt einen Börsenkurs für die (Alt-)Aktien; dann kennt man den Marktpreis auch der neuen Aktien und der Vorstand muß sich danach richten, arg. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG15; oder es gibt (bislang) keinen bzw. – wie hier – noch keinen Börsenkurs, dann greift das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 186 AktG ein und sichert sie auf diesem Wege vor genau der Verwässerung ihres Vermögens, die sie als Siemens-Aktionäre im Infineon-Fall und als Telekom-Aktionäre im T-OnlineFall „erleiden“ mußten16. 4. Damit liegt die uns beschäftigende Rechtsfrage offen zu Tage: Das Gesetz kennt das Problem um den „richtigen“ Ausgabepreis und die Gefahr einer „Verwässerung“ des Vermögens der Aktionäre bei einer Kapitalerhöhung seit langem und hat darauf – europaweit! – mit der Figur des Bezugsrechts geantwortet17. Die Veräußerung von Unternehmensteilen am Markt aber ist eine ausgesprochene 14 Ganz und gar gutgläubig war der Vorstand gewiß nicht, sonst hätte er seinen Mitarbeitern nicht die Chance der bevorzugten Zeichnung eingeräumt. 15 Wird das neue Kapital unter Ausschluß des Bezugsrechts begeben, so muß die Ausgabe zum höchsten erreichbaren Preis – Kurs – geschehen. Das war im Grunde stets anerkannt (vgl. u. a. LUTTER in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 182 AktG Rz. 26 und § 186 AktG Rz. 94 ff.) und ist durch den neuen § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vom Gesetzgeber im Jahre 1994 bestätigt worden. 16 Das Bezugsrecht hatte stets und hat noch immer auch die Funktion, vor genau dieser Verwässerungsgefahr zu schützen; vgl. nur LUTTER in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 7; WIEDEMANN in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 7; HEFERMEHL/BUNGEROTH in G/H/E/K, 1994, § 186 AktG Rz. 1; HÜFFER, 4. Aufl. 1999, § 186 AktG Rz. 2; MARTENS in Festschrift Fischer, 1979, S. 437, 443. 17 Art. 29 der 2. EU-Richtlinie v. 13. 12. 1976, ABl. EG Nr. L 26 v. 31. 1. 1977, S. 1 ff., abgedruckt auch bei LUTTER, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 114 ff.

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Neuigkeit; Gesetz, Lehre und Rechtsprechung konnten auf diese Neuigkeit im Verhalten der Unternehmen bisher nicht reagieren. a) Zunächst einmal wird man daran denken, die Vorschriften über das Bezugsrecht analog auf die vorliegenden Sachverhalte anzuwenden. In Fällen, in denen die an der Börse zu plazierenden Aktien durch eine Kapitalerhöhung bei der Tochter geschaffen werden – wie etwa in den Fällen T-Online oder Comdirect18 –, liegt diese Lösung sicherlich nahe. Darauf habe ich schon vor einem Vierteljahrhundert in der Festschrift für Harry Westermann19 hingewiesen. Und der Bundesgerichtshof hat das in seiner Holzmüller-Entscheidung von 198220 aufgenommen und ausdrücklich auf die Beschluß-Kompetenz der Hauptversammlung der Muttergesellschaft und das Bezugsrecht der Muttergesellschafts-Aktionäre an den jungen Aktien der Tochter hingewiesen: Es ist schon etwas rätselhaft, daß Großunternehmen wie der Telekom AG und der Commerzbank AG und ihren Beratern das entgangen sein soll. b) Dem gegenüber wird man in Fällen des unmittelbaren Verkaufs bereits bestehender Anteile über den [344] Markt – also im Falle Infineon21 – die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit mit dem gesetzlich geregelten Fall des Bezugsrechts bei Kapitalerhöhungen eher verneinen müssen22. Das Fehlen einer besonderen Regelung aber für diese Fälle ist nicht als die Vorstellung von einem rechtsfreien Raum mißzuverstehen. (1) Hat die Mutter die Aktien der Tochter in ihrem Portefeuille und will sie diese jetzt an das Publikum veräußern, so greift das soeben erörterte, auf die Tochter verlängerte Bezugsrecht an deren Kapitalerhöhung nicht ein. Aber das Ergebnis – Vorerwerbsrecht der Mutter-Aktionäre – kann naturgemäß nicht anders sein und ist es nicht. Das Recht der Mutter-Aktionäre folgt hier unmittelbar aus der Mitgliedschaft23. Auch das Bezugsrecht hat sich in einem historisch langwierigen Prozeß aus der Mitgliedschaft und zu deren Schutz vor Eingriffen entwickelt24. Genau vor der gleichen Situation, wenn auch in anderem Gewande, steht man jetzt. Durch den Verkauf der Aktien an der Tochter verlieren die Mutter-Aktionäre ihr mittelbares Miteigentum an der Tochter. Und sie stehen zudem vor der Gefahr einer Verwässerung, mithin eines Vermögensverlustes aus ihrer 18

S. 32.

Vgl. die Darstellung der Sachverhalte bei PELLENS/FÜLBIER, FAZ v. 15. 5. 2000,

LUTTER in Festschrift Westermann, 1974, S. 347 ff., 366. BGHZ 83, 122, 142 f. 21 PELLENS/FÜLBIER, FAZ v. 15. 5. 2000, S. 32. 22 So schon LUTTER in Festschrift Westermann, 1974, S. 347 ff., 366; vgl. im übrigen auch MARTENS, ZHR 147 (1983), 376, 413. 23 Zum Inhalt der Mitgliedschaft ZÖLLNER, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, insbes. S. 31 ff., 318 ff. sowie LUTTER, AcP 180 (1980), 84 ff. 24 Vgl. etwa BERNECKEN, Das Bezugsrecht des Aktionärs, 1928, passim, insbes. S. 36. 19 20

600 Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse Beteiligung: Das aber ist der Mehrheit ebenso wie erst recht der Verwaltung untersagt25. Der Eingriff in die Mitgliedschaft der Aktionäre liegt auf der Hand. Und daraus hat der Bundesgerichtshof in der Holzmüller-Entscheidung die Mitwirkungsbefugnis der Hauptversammlung, das Klagerecht jedes Aktionärs bei Verletzung dieser Mitwirkungsbefugnis und das Bezugsrecht der Mutter-Aktionäre an der Kapitalerhöhung in der Tochter entwickelt26. Die Folgen des nachteiligen Eingriffs durch die Verwaltung sind hier noch evidenter als bei der Ausgliederung; sie sind die gleichen wie beim Ausschluß oder bei der Nichtbeachtung des gesetzlichen Bezugsrechts. (2) Im übrigen sollte nicht vergessen werden, daß die Organe der betreffenden Gesellschaft an ihre allgemeinen Pflichten gebunden bleiben und dabei die bisherigen rechtlichen Erfahrungen als Pflichtenrahmen zu berücksichtigen haben. Dabei geht es hier nicht nur um die Pflicht dieser Organe gegenüber der Gesellschaft, Vermögen der Gesellschaft möglichst günstig und zu höchsten Kursen zu verkaufen; das ist ganz selbstverständlich27. Es geht hier auch und vor allem um die Treupflicht der Gesellschaft und ihrer Organe gegenüber ihren Aktionären28: Wie kommen die Gesellschaft und ihre Verwaltungsorgane dazu, ihren Eigentümern, deren Treuhänder sie sind, eine Unternehmenssparte, die bisher Teil „ihres“ Unternehmens war, einfach zu entziehen und sie zusätzlich der Gefahr der Vermögensverwässerung auszusetzen? Da nun aber festzustehen scheint, daß sich ein Verkauf der Tochter über den Markt wegen der Verbindung mit dem gleichzeitig ersten Börsengang der Tochter nicht zum wirklichen, sondern zunächst nur zu einem fiktiven Marktwert realisieren läßt – erst nach dem Verkauf kennt man den wirklichen Marktwert der Tochter – und weil man zur Vermeidung von Risiken eines Kurseinbruches an der Börse vorsichtig sein will, ist die Vermögensverwässerung geradezu vorgezeichnet. Die jedenfalls in der Person ihrer Aktionäre zu vermeiden aber sind Vorstand und Aufsichtsrat fraglos verpflichtet: Das aber kann nur ein dem Bezugsrecht nachgebildetes Erwerbs-Vorrecht verhindern. Vgl. etwa GRUNDMANN, Der Treuhandvertrag, 1997, S. 458, 479. Vgl. nochmals BGHZ 83, 122 und die Nachweise oben FN 5. 27 Zum Verbot, Gesellschaftsvermögen zu verschwenden, vgl. ABELTSHAUSER, Leitungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1988, S. 190 ff.; HOPT in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 AktG Rz. 111. 28 Diese wechselseitige Treupflicht der Aktionäre zur Gesellschaft und der Gesellschaft zu ihren Aktionären war nie umstritten; vgl. nur LUTTER, JZ 1976, 225 ff. und 562 f.; LUTTER, AcP 180 (1980), 85 ff., 102 ff.; LUTTER, ZHR 160 (1998), 164 ff., 176 ff., je m. w. N.; auch in der Rechtsprechung ist sie heute allgemein anerkannt, vgl. nur BGHZ 103, 184 – Linotype; BGHZ 129, 136 – Girmes. Diese Treupflicht ist in erster Linie Abwehr- und Kontrollrecht der Minderheit und des einzelnen Aktionärs gegen Übergriffe der Mehrheit oder Verwaltung; sie kann sich jedoch durchaus zu aktiven Verhaltenspflichten verdichten, wie die beiden zuletzt zitierten Entscheidungen (Linotype und Girmes) deutlich machen. 25 26

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601

Und warum auch sollte das – von Rechts wegen! – nicht so sein? Warum können Vorstände auf den Gedanken kommen, ihre Mitarbeiter und ihre Kunden mit solchen „Schnäppchen“ zu bedienen, nicht aber ihre Eigentümer, zu deren Lasten sie diese Gaben verteilen? Zeitaspekte, die beim Bezugsrecht bereits börsennotierter Gesellschaften eine Rolle spielen29, sind hier ganz irrelevant: Es kommt ja nur darauf an, daß die Aktionäre und nicht etwa Kunden, institutionelle Investoren und beliebige Dritte bevorzugt bedient werden. (3) Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht nicht etwa um die Anmahnung und Verteilung von Geschenken an die Aktionäre, sondern es geht um die Vermeidung ganz und gar unberechtigter und rechtswidriger Nachteile, die die Eigner durch eine anders kaum vermeidbare Verwässerung ihres Vermögens erleiden. 5. Im übrigen: Die Gesellschaft trennt sich von einem Unternehmensteil; dieser wird rechtlich verselbständigt an den Markt gebracht und segelt nun frei, selbständig und getrennt (abgespalten!) von der bisherigen Muttergesellschaft. Was kann es in diesem Zusammenhang mehr für die Verwaltung der Muttergesellschaft zu berücksichtigen geben als – neben ihrem Interesse am Erlös – die Interessen der eigenen Aktionäre? Mit den anderen neuen Eigentümern der bisherigen Tochter verbindet die Mutter und ihre Verwaltung von Rechts wegen nichts, zu ihren Aktionären aber stehen sie in einem Rechtsverhältnis. Aber auch sonstige Aspekte des (Kapital-)Marktes stehen diesen Überlegungen nicht entgegen: Ob nun Herr Müller oder Frau Maier Glück haben oder es im ersten Zugriff die Aktionäre Müller und Maier sind, ist für den Markt ohne Bedeutung. Gewiß, es mag ein paar zusätzliche technische Aufgaben geben, die erfüllt werden müssen; vielleicht mag es zweckmäßig sein, den Markt mit einer kleinen Tranche „freier“ Aktien zu stimulieren. Das mögen die Fachleute entscheiden. Aber auf die eigentliche Menge der jungen Aktien haben die Eigentümer von Rechts wegen den ersten Zugriff. 6. Diese Überlegungen wurden an den Vorgängen einer vollständigen Veräußerung der Tochter durch die Mutter am Markt entwickelt. Aber sie gelten selbstverständlich und selbstverständlich mit gleichem Tenor auch für eine Teilveräußerung der Tochter, etwa im Zu- [345] sammenhang mit einer Kapitalerhöhung. Auch das hat der Bundesgerichtshof schon vor 20 Jahren erkannt30. Und daran soll hier nur erinnert werden31. 29 Vor Einführung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Jahre 1994 war das ein vielfach erörterter Aspekt, wenn junge Aktien zu möglichst hohen Kursen ausgegeben werden sollten; vgl. etwa LUTTER in Köln-Komm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 76. 30 BGHZ 83, 122, 137 – Holzmüller; vgl. dazu auch die Nachweise oben sub FN 5. 31 Bislang ist diese Erinnerung (vgl. schon LUTTER in Handelsblatt vom 14. 6. 2000, S. 5) noch nicht sehr erfolgreich gewesen; denn die Siemens AG hat im Juli 2000 über ihre Tochtergesellschaft Siemens Nederland N.V. eine 2-Mrd.-Euro-Wandelanleihe begeben, die mit einem Umtauschrecht in Infineon-Aktien aus dem Bestand des Mutterhauses (derzeit noch 71%)

602 Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse Aber diese Erinnerung macht zugleich deutlich, daß diese hier vorgetragenen Überlegungen ganz und gar nicht überraschend sind. Überraschend ist eigentlich nur, daß sie nicht viel eher schon die Überlegungen der betreffenden Gesellschaften bestimmt haben. 7. Dieses Vor-Erwerbsrecht der Aktionäre aus Bezugsrecht, Mitgliedschaft und Treupflicht der Gesellschaft und ihrer Organe ist Anspruch gegen die Gesellschaft, nicht anders als das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 186 Abs. 1 AktG Anspruch ist32. Dieser Anspruch kann – nicht anders als das Bezugsrecht – gegen die Gesellschaft durchgesetzt, die Gefahr seiner Verletzung durch einstweilige Verfügung33 von jedem einzelnen Aktionär verhindert werden: Die Nichtbeachtung des Bezugsrechts bzw. Erwerbs-Vorrechts wäre eine Verletzung seiner subjektiven Rechte gegen die Gesellschaft. Werden diese nicht beachtet und entsteht den Aktionären ein Schaden daraus, so haftet die Gesellschaft auf Ersatz34, jedes Vorstands- und jedes Aufsichtsratsmitglied nach §§ 93, 116 AktG auf Ausgleich (Regreß) dieses Schadens der Gesellschaft gegenüber35. Auch das sind keine überraschenden Neuigkeiten. 8. Gibt es ausnahmsweise ein objektives Interesse der Gesellschaft an einer anderweitigen Veräußerung der Tochter am Markt, so kann das im Zusammenhang mit der Erlaubnis zur Veräußerung der Tochter, sonst in einem eigenen Beschluß der Hauptversammlung entsprechend § 186 Abs. 3 und 4 AktG festgestellt werden: Die Mitgliedschaft und die Treupflicht, auf der die Pflichten zur vorrangigen Berücksichtigung der eigenen Aktionäre gründen, wird dann verdrängt von den insoweit vorrangigen Interessen der Gesellschaft. Allerdings: Beim Verkauf am Markt oder über die Börse wird ein solches vorrangiges Interesse allenfalls aus Marktaspekten und allenfalls für (kleinere) Teile der Tranche in Betracht kommen. Ein anderes objektives Interesse der Mutter, die sich von ihrer Tochter über den Markt trennen will, ein Interesse, die Tochter in andere Hände zu geben als die ihrer eigenen Aktionäre, ist bei einem solchen Verkauf kaum denkbar: Der Preis bleibt gleich und wäre auch im Infineon-Fall, im T-OnlineFall und im Comdirect-Fall der gleiche geblieben. versehen ist – ohne entspr. § 221 Abs. 4 AktG das Vorerwerbsrecht ihrer eigenen Aktionäre daran zu bedenken. 32 Dazu LUTTER in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 36 und WIEDEMANN in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 19; HÜFFER, 4. Aufl. 1999, § 186 AktG Rz. 17. 33 LUTTER in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 36 und WIEDEMANN in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 19. 34 LUTTER in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 41 und LUTTER in Festschrift Westermann, 1974, S. 347, 366, sowie WIEDEMANN in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 103. 35 Dazu HOPT in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 AktG Rz. 98 und MERTENS in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1989/96, § 93 AktG Rz. 34, je m. w. N.

Zur Herrschaft mehrerer Unternehmen über eine Aktiengesellschaft NJW 1973, S. 113-118 I. Eine kürzlich ergangene Entscheidung des OLG Karlsruhe1 hat eine bislang vor allem in der Literatur2 heftig diskutierte konzernrechtliche Frage erneut3 zu forensischer Bedeutung gebracht: Können statt eines auch mehrere Unternehmen zusammen „herrschendes Unternehmen“ im Sinne von § 17 Abs. 14 sein, zusammen eine Aktiengesellschaft in die Rolle der „abhängigen Gesellschaft“ drängen und auf diese Weise die Anwendbarkeit vor allem der Regeln über den sog. Faktischen Konzern (§§ 311 ff.) auslösen? Die Frage ist möglicherweise so einheitlich, wie sie hier gestellt wurde, gar nicht zu beantworten; denn die einzelnen Gestaltungen der Praxis – Gemeinschaftsunternehmen mit zwei oder mehr Partnern, Konsortial- und Stimmbindungsverträge, Tochtergesellschaften im Rahmen von Gleichordnungskonzernen, personelle Verflechtungen etc. – zeigen sehr große Unterschiede. Die folgenden Überlegungen beschränken sich daher im wesentlichen auf Sachverhalte solcher Art, wie sie durch das erwähnte Urteil des OLG Karlsruhe hervorgehoben wurden: Drei Unternehmen (eine GmbH, zwei Kommanditgesellschaften) halten zusammen die Aktienmehrheit einer vierten Gesellschaft. Die drei Unternehmen („S-Unternehmen“) sind untereinander kapitalmäßig nicht verflochten, doch haben sie die gleichen Gesellschafter, die an den drei Gesellschaften im wesentlichen auch in gleichem Maße beteiligt sind. Auch auf der Ebene der Geschäftsführung ist die personelle Verflechtung erheblich. Die Produkte der Aktiengesellschaft runden die Produktion bei zwei Beteiligungsunternehmen (die zusammen 50% Urt. v. 30. 5. 1972, 8 U 231/71, nicht rechtskräftig, Betr. 72, 1572 = BB 72, 979. KLEIN, Neue Betriebswirtschaft 66, 62 u. 64; BUSSE V. COLBE, Die AG 66, 269, 274; LEO, WPg 68, 395; KOPPENSTEINER, ZHR 131 (1968), 289; LUCHTERHAND, ZHR 132 (1969), 149, 164; HAESEN, Der Abhängigkeitsbericht im faktischen Konzern, 1970, S. 48 ff.; BOETIUS, Betr. 70, 1964; NORDMEYER, BB 71, 70; GESSLER, BB 71, 1015; WÜRDINGER, Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1970, § 18 Anm. 8; BIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, Kölner Kommentar zum AktG, 1970, § 18 Anm. 20; BARZ, Festschrift für H. Kaufmann, 1972, S. 59; GESSLER, Festschrift für Knur, 1972, S. 145, 158. 3 Vgl. aber auch schon BAG, Beschl. v. 18. 6. 1970, AP Nr. 20 zu § 76 BetrVerfG = NJW 70, 1766 (Leitsätze) = BB 70, 1048 (Leitsätze) = Betr. 70, 1595 = Die AG 70, 268. 4 Vorschriften ohne nähere Bezeichnung sind solche des Aktiengesetzes von 1965. 1 2

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der Aktien halten) ab; zum dritten Beteiligungsunternehmen (Beteiligung an der AG: unter 5%) bestehen geringfügige Überschneidungen in der Produktion. Der Vorstand der betreffenden Aktiengesellschaft hat die Voraussetzungen der §§ 17, 311 ff. verneint und daher auch keinen Bericht nach § 312 (Abhängigkeitsbericht) erstellt; das zuständige Registergericht ist daraufhin gegen den Vorstand nach § 407 vorgegangen; dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch wurde Vorstand und Aufsichtsrat von der Hauptversammlung dieser Aktiengesellschaft Entlastung erteilt. Zwei Minderheitsaktionäre haben hiergegen Widerspruch zu Protokoll und sodann Anfechtungsklage nach §§ 243, 246 erhoben mit dem Antrag, den Entlastungsbeschluß für nichtig zu erklären. II. 1. Interessant ist schon der im Ausgangsfall von den Klägern gefundene Weg einer Anfechtung des Entlastungsbeschlusses. Denn weder die Aktionäre allgemein noch gar eine Minderheit, unter ihnen haben einen Anspruch auf Vorlage des oder auf Einsicht in den Abhängigkeitsbericht;5 zwar können sie Schadensersatzansprüche ihrer abhängigen Gesellschaft für diese gegen die eigene Verwaltung oder das Management des herrschenden Unternehmens geltend machen (§§ 317 Abs. 4 und 318 Abs. 4 i. V. m. § 309 Abs. 4): Aber einmal geht es in solchen Fällen wenigstens zunächst gar nicht um Schadensersatz; vor allem aber fehlen den Minderheitsaktionären in aller Regel gerade die zur Begründung des Ersatzanspruchs erforderlichen Detailinformationen. Zwar ist auch der Abschlußprüfer nach § 313 verpflichtet, auf die Erstellung eines Abhängigkeitsberichts hinzuwirken und ggf. sein Testat zu beschränken:6 Aber die Minderheitsaktionäre können auf die Rechtsansicht des Abschlußprüfers und sein sonstiges Verhalten keinen Einfluß nehmen. Und schließlich: Zwar ist der Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft zur Erstellung des Berichts verpflichtet; aber diese Pflicht besteht der Gesellschaft und nicht den Aktionären gegenüber; diese Pflicht kann daher von den Aktionären weder eigenen Namens noch für die Gesellschaft geltend gemacht werden.7 2. So bleibt als Ansatzpunkt für die Minderheitsaktionäre zunächst tatsächlich nur der jährliche Beschluß der Hauptversammlung über die Entlastung der Verwaltung nach § 120. Dieser Beschluß hat keine unmittelbaren Rechtsfolgen, § 120 Abs. 2 Satz 2; sein Inhalt ist jedoch eine allgemeine Billigung der Verwaltung, § 120 Abs. 2 Satz 1. Und einer solchen Billigung stehen, so könnte man annehBIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, § 312 Anm. 2 u. 3; WÜRDINGER, § 312 Einl. ADLER-DÜRING-SCHMALTZ, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 1968, § 160 Tz. 222 u. § 313 Tz. 23, 26, 45 f.; HAESEN (Fußn. 2), S. 122 f. m. w. Nachw.; BIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, § 313 Anm. 3 ff. Richtiger Ansicht nach kann der Abschlußprüfer seine Auffassung, daß entgegen der Ansicht der Verwaltung die Voraussetzungen der §§ 17, 312 gegeben sind, dem Gericht nach § 169 zur Entscheidung vorlegen. 7 Die Möglichkeit einer Sonderprüfung nach § 315 ist für Fälle dieser Art nicht gegeben. 5 6

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men, Pflichtverletzungen der Verwaltung entgegen. Doch keineswegs: Wie gerade § 120 Abs. 2 Satz 2 zeigt, kann die Hauptversammlung auch [114] einer pflichtvergessenen Verwaltung Entlastung erteilen. Mit der Behauptung allein, es habe „Entlastung trotz Pflichtverletzung“ stattgefunden, können daher im Anfechtungsverfahren nach §§ 243, 246 Erfolge nicht erzielt werden. 3. § 243 Abs. 1 erlaubt die Vernichtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen Verletzung von Gesetz oder Satzung. Naturgemäß muß dabei zwischen Verletzungstatbestand und Beschluß eine Verbindung bestehen; der Beschluß muß möglicherweise auf dieser Verletzung beruhen, oder, anders gewendet: Es muß die Möglichkeit bleiben, daß der Beschluß ohne die Verletzung von Gesetz oder Satzung nicht zustande gekommen wäre.8 Dabei genügt als Verletzungstatbestand auch die Verweigerung einer von Gesetz oder Satzung vorgeschriebenen Information, arg. § 243 Abs. 4. Minderheitsaktionäre, welche die Pflicht der Verwaltung zur Erstattung des Abhängigkeitsberichtes durchzusetzen bemüht sind, könnten daher vortragen: Hätte die Verwaltung ihrer Pflicht zur Vorlage eines Abhängigkeitsberichtes genügt, so wäre – im Hinblick auf dessen Inhalt9 – möglicherweise die Entlastung unterblieben. Das klingt reichlich überraschend; denn wieso hätte wohl der Bericht über Sachverhalte, die der Hauptversammlungsmehrheit, im Ausgangsfall also der Verwaltung der drei S-Unternehmen, doch sowieso vertraut gewesen sind, die Mehrheit zur Änderung ihrer Haltung in der Frage der Entlastung bringen können? Hier scheint es schon an der Möglichkeit eines Einflusses auf das Ergebnis der Abstimmung zu fehlen. Dennoch ist das OLG Karlsruhe dieser Argumentation – de facto zwar ohne Begründung – im Ergebnis zu Recht gefolgt. Hätte nämlich der Abhängigkeitsbericht zur Aufdeckung von Nachteilen bei der abhängigen Gesellschaft geführt, so hätte das in den Geschäftsbericht der Gesellschaft übernommen werden müssen, § 312 Abs. 3. Selbst das hätte zwar der Entlastung nicht entgegengestanden. Aber: Möglicherweise wäre es über Tatsache und Höhe der von der Verwaltung dieser abhängigen Gesellschaft (oder ihrem Abschlußprüfer) angenommenen Nachteile zu Divergenzen zwischen dieser und den – nach §§ 311, 317 hiervon betroffenen – Mehrheitsunternehmen gekommen mit der Folge, daß die Entlastung deswegen, also wegen interner Differenzen zwischen der Verwaltung der abhängigen Gesellschaft und denen der Mehrheitsunternehmen, unterblieben wäre. Wegen dieser, gedanklich nicht auszuschließenden Möglichkeit, ist § 243 Abs. 1 im Ausgangsfall auf jeden Fall einschlägig. 8 BGHZ 14, 264, 267 = NJW 54, 1563 m. Nachw. aus der Rechtsprechung BGHZ 36, 121, 139 ff. = NJW 62, 104; BAUMBACH-HUECK, Komm. zum AktG, 1968, § 243 Anm. 8; SCHILLING, Großkomm. AktG, 2. Aufl. 1965, § 197 Anm. 10, auch OLG Celle, Betr. 72, 1816, 1820. 9 Vgl. §§ 312-314: Fehlender Ausgleich des Nachteils; eingeschränktes Testat schlußprüfers; Einwendungen des Aufsichtsrates der abhängigen AG; etc.

des RG; 13. Aufl. 10a; vgl. des Ab-

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4. Bleibt man bei diesem „hätte“ und „möglicherweise“, so erhellt, daß der Entlastungsbeschluß keineswegs immer der geeignete Ansatzpunkt zur Klärung der Frage sein kann, ob ein Abhängigkeitsbericht zu erstellen ist oder nicht; die Mehrheit könnte nämlich auch erklären, daß sie die Verwaltung auf jeden Fall und unabhängig davon entlaste, ob nun ein Abhängigkeitsbericht hätte erstellt werden müssen oder nicht, und was auch immer sein Inhalt sei. Damit würde das Gedankengebäude zusammenbrechen, wonach die Frage wenigstens „möglicherweise“ Einfluß auf das Beschlussergebnis hatte. Das Gesetz selbst hat die Gefahr aus einer solchen Intransigenz der Mehrheit an anderer Stelle, nämlich bei Verletzung des Auskunftsrechts eines Aktionärs erkannt, § 243 Abs. 4: Auch im dortigen Zusammenhang könnte die Mehrheit die Rechte der Minderheit dadurch verkürzen, daß sie – die ja in aller Regel die Verwaltung und deren Verhalten gegenüber der Minderheit stützt – erklärt, die Beschlußfassung unabhängig von der etwaigen Verletzung des Auskunftsrechts zu treffen. § 243 Abs. 4 läßt das für Verletzungen des Auskunftsrechts nicht gelten und erklärt ein solches Verhalten der Mehrheit schlicht für „unerheblich“. Nun dient der Abhängigkeitsbericht viel stärker noch als das Auskunftsrecht nach §§ 131, 132 dem Schutz der Minderheit durch Information. Sowohl nach Mittel wie nach Funktion (Schutz der Minderheit) sind beide Regelungen einander nahe verwandt. Es wäre auch kaum zu vertreten, den einzelnen Minderheitsgesellschafter beim Abhängigkeitsbericht, der u. a. seinen Interessen zu dienen hat, ohne Schutz gegenüber einer solchen Haltung der Mehrheit zu lassen. Erklärt daher die Mehrheit bei einer solchen Sachlage, daß sie Vorstand und Aufsichtsrat auf jeden Fall entlaste, so ist der Rechtsgedanke des § 243 Abs. 4 a fortiori anwendbar.10 Damit ist zugleich die objektive Beurteilung wieder eröffnet; nach ihr (s. oben 3) ist kein Fall vorstellbar, in dem nicht wenigstens die Möglichkeit eines Einflusses dieses Berichtes und seiner Zusammenhänge (Aufnahme der Schlußerklärung des Vorstandes in den Geschäftsbericht nach § 312 Abs. 3 Satz 3; Testat des Abschlußprüfers und dessen Aufnahme in den Prüfungsbericht, § 313 Abs. 5 Satz 2) auf das Beschlußergebnis besteht trotz noch so gefestigter Mehrheit. Unabhängig von Art und Intensität der Mehrheitsverhältnisse in einer AG kann daher jeder einzelne Minderheitsaktionär auf dem Hintergrund der Anwendung von § 243 Abs. 4 durch Anfechtung des Entlastungsbeschlusses immer die gerichtliche Klärung der Frage erzwingen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen der §§ 17, 311 ff. und damit die Pflicht zur Vorlage eines Abhängigkeitsberichtes gegeben sind. III. Von Bedeutung ist weiter in Fällen der hier behandelten Art das Verhältnis der Beurteilungskompetenz des Gerichts im Anfechtungsverfahren zu derje10 Der Frage, ob dem Rechtsgedanken des § 243 Abs. 4 im Rahmen des Anfechtungsrechtes nicht nochweitergehende Bedeutung zukommt, soll an anderer Stelle nachgegangen werden.

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nigen des Registergerichts im Zwangsverfahren nach § 407: Kann das Zivilgericht im Verfahren nach §§ 243, 246 von der – positiven oder negativen – Beurteilung des gleichen Sachverhalts durch das Registergericht11 im Verfahren der Ordnungsstrafe abweichen? Wäre das Zivilgericht gebunden, würde die Entscheidung nach § 407 eine Rechtsgestaltung nach Art vieler anderer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit12 enthalten. Davon kann bei Festsetzung einer Ordnungsstrafe jedoch nicht die Rede sein; darauf hat auch das OLG Karlsruhe zu Recht hingewiesen.13 Damit aber ist die Frage noch nicht endgültig beantwortet. Deshalb auch hat der weitere Hinweis des Gerichts auf die noch [115] fehlende Bestandskraft der Entscheidung des Registergerichts im Ordnungsstrafverfahren nur singuläre und eher zufällige Bedeutung: Es bleibt die allgemeine Frage, ob das Zivilgericht auch dann, wenn die Festsetzung der Ordnungsstrafe gegen die Vorstandsmitglieder der betroffenen Aktiengesellschaft schon bestandskräftig ist, zu eigener Beurteilung der entscheidungserheblichen Frage (Abhängigkeit) berechtigt bleibt. Bedenkt man, daß beide Gerichte Teile der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind, so muß es für die Beantwortung der Frage maßgeblich auf die Struktur des Verfahrens und die Mitwirkung der Betroffenen in ihm ankommen: Ist für sie eine bestimmte Rechtslage endgültig geklärt, so ist auch das andere Gericht entsprechend gebunden. Jenseits der rechtsgestaltenden Entscheidungen wird daher eine Bindung anderer Gerichte und insbesondere der Zivilgerichte an Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den sog. echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit angenommen.14 Aber auch dazu gehört das Ordnungsstrafverfahren nach § 407 nicht. Im Verhältnis der Verfahren nach § 407 einerseits, §§ 243, 246 andererseits ist entscheidend, daß der Kläger im Anfechtungsverfahren am Verfahren nach § 407 nicht beteiligt ist, mithin keinen Einfluß auf dessen Ausgang nehmen und kein Rechtsmittel einlegen kann, wie andererseits Beklagte im Anfechtungsstreit die betroffene Aktiengesellschaft, vom Verfahren nach § 407 Betroffene jedoch die einzelnen Vorstandsmitglieder in Person sind. Bei dieser Sachlage können die Anfechtungskläger einerseits, die Aktiengesellschaft andererseits an Ergebnisse des Verfahrens nach § 407 nicht gebunden sein. Völlig unabhängig davon, ob das 11 Bzw. des Gerichts der Beschwerde oder der weiteren Beschwerde, also der Beschwerdekammer bzw. des Beschwerdesenats des gleichen Gerichts, vor dem auch das Anfechtungsverfahren nach §§ 243, 246 anhängig ist. 12 Z. B. Bestellung eines Pflegers, Eintragung in einem Register, Bestellung von Organen eines Verbandes; vgl. dazu ROSENBERG-SCHWAB, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl. 1969, § 13 III 3, S. 48 m. w. Nachw. 13 Ziff. I, 2 der Begründung. 14 Vgl. dazu KEIDEL-WINKLER, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 10. Aufl. 1972, § 12 Anm. 109, 110 und BÄRMANN, AcP 154, 373, je mit umfangreichen Nachw., sowie BÄRMANN, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Notarrecht, 1968, S. 22 ff.

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Verfahren nach § 407 also bestandskräftig abgeschlossen ist oder nicht, bleibt das Gericht im Verfahren nach §§ 243, 246 in jedem Falle zu eigener Beurteilung der entscheidungserheblichen Fragen (Herrschaft und Abhängigkeit) berechtigt und verpflichtet. IV. 1. Grundlage des wichtigsten Teils der hier zu behandelnden Fragen sind die §§ 17 Abs. 1, 312; während § 17 Abs. 1 eine Definition des „abhängigen“ und des „herrschenden“ Unternehmens versucht, statuiert § 312 eine der Rechtsfolgen für die abhängige Aktiengesellschaft, soweit deren Abhängigkeit nicht auf einem Beherrschungsvertrag nach den §§ 291, 293 ff., sondern auf anderen Gründen beruht: Der Vorstand dieser abhängigen Aktiengesellschaft muß einen Bericht über die Beziehungen seiner Gesellschaft zu „dem herrschenden Unternehmen“ erstellen. Dabei hat eben dieser Abhängigkeitsbericht zusammen mit anderen Regelungen, insbesondere der Ausgleichspflicht nach §§ 311, 317, 318, die Aufgabe, den Fortbestand der abhängigen Aktiengesellschaft in Vermögen und Ertrag so sicherzustellen, als sei diese in Wirklichkeit unabhängig (System des „als ob“). Schutzobjekte der Norm sind also die abhängige Aktiengesellschaft, deren Gläubiger und deren Minderheitsaktionäre.15 2. Die gesetzliche Formulierung geht in § 17 Abs. 1 von „einem“ herrschenden Unternehmen aus.16 Nicht zuletzt an dieser Fassung hat sich die umfangreiche Diskussion entzündet, ob überhaupt „mehrere“ Unternehmen gemeinsam „herrschendes Unternehmen“ im Sinne dieser Regelung sein können.17 Das OLG Karlsruhe hat sich jedoch bei dieser Formulierung des Gesetzes nicht lange aufgehalten und auch die Herrschaft durch „mehrere“ unter § 17 Abs. 1 gesehen. Im Ergebnis zu Recht. a) Einen kleinen Anhaltspunkt für die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt schon § 16; dort ist vom Mehrheitsbesitz eines Unternehmens an einem anderen Unternehmen die Rede. Und Abs. 4 dieser Vorschrift rechnet die Mitgliedschaftsrechte, die ein abhängiges Unternehmen an einem dritten Unternehmen hält, den eigenen 15 BIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, Vorb. § 311 Anm. 12; GODIN-WILHELMI, Komm. zum AktG, 4. Aufl. 1971, Vorbem. §§ 311-318; ADLER-DÜRING-SCHMALTZ (Fußn. 6), Tz. 64 vor § 311; KRONSTEIN, BB 67, 641, 642. 16 Manchmal wird zwischen dieser Fassung und einer Formulierung des Reichsgerichts (RGZ 167, 40, 50) eine Verbindung hergestellt. So erklärt z. B. BARZ (Fußn. 2, S. 62/63): „… an der bewährten, vom Reichsgericht gegebenen Definition des Begriffes der Abhängigkeit, nämlich daß sie den allein, also ohne Mitwirkung eines Dritten ausübbaren beherrschenden Einfluß durch ein anderes Unternehmen erfordert, ist festzuhalten …“ Tatsächlich formuliert das RG aaO (S. 50) jedoch sehr viel vorsichtiger: „… von einem Abhängigkeitsverhältnis kann auch nur dann gesprochen werden, wenn das Unternehmen selbst imstande ist, beherrschenden Einfluß auf das andere Unternehmen auszuüben. Das ist nicht der Fall, wenn es zur Durchsetzung seines Willens auf eine Mitwirkung Dritter angewiesen ist, auf die es nicht mit Bestimmtheit rechnen kann …“ und läßt damit die Herrschaft durch mehrere für besondere Fälle durchaus offen. Vgl. dazu auch GESSLER, Festschrift für Knur, 1972, S. 145, 158 u. Fußn. 61 ebd. 17 Vgl. die Nachweise oben Fußn. 2.

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Anteilen der herrschenden Gesellschaft an eben diesem dritten Unternehmen zu. Hier wird also die Möglichkeit gesehen, daß zwei oder mehrere rechtlich selbständige Unternehmen zusammen erst die Mehrheit halten, daß dennoch aber Mehrheitsbeteiligung gegeben ist, weil das herrschende Unternehmen auf die Ausübung der betreffenden Mitgliedschaftsrechte im Besitz des oder der abhängigen Unternehmen Einfluß nehmen kann: Schon nach der Vorstellung des Gesetzes in § 16 Abs. 4 ist also nicht die rechtliche Gestaltung entscheidend, sondern die faktische Möglichkeit18 einer Koordinierung des Einflusses aus der Mehrheit der Mitgliedschaftsrechte. Die gleiche Anweisung enthält auch § 17. Dort findet sich zwar keine dem § 16 Abs. 4 entsprechende Norm, wohl aber die Formulierung, daß der beherrschende Einfluß „unmittelbar oder mittelbar“ ausgeübt werden kann. Mit dieser durchaus zutreffenden Gleichstellung von unmittelbarem und mittelbarem Einfluß des herrschenden Unternehmens auf das abhängige Unternehmen findet eine Zusammenfassung von Einflußsphären aus vertikalen Konzernbeziehungen,19 aber z. B. auch aus Stimmbindungsverträgen statt.20 Auch in solchen Fällen verteilt sich die Basis des Einflusses auf mehrere Unternehmen, wird aber einem Unternehmen in der richtigen Erkenntnis zugerechnet, daß es bei Herrschaftsmöglichkeiten nicht so sehr auf die rechtliche Gestaltung, sondern ebenso auf die faktische Situation im Einzelfall ankommt. Immerhin: In allen bislang behandelten Fällen besteht die Herrschaftsmöglichkeit, ob nun unmittelbar oder mittelbar, aus einem Unternehmen heraus, das seinen Willen ggf. über mehrere Stationen hinweg durchsetzen kann. b) Problematischer ist schon die Frage, ob eine Mehrheit von Unternehmen, die zwar unter einheitlicher Leitung stehen, nicht aber untereinander oder von einem [116] Dritten (z. B. Holding) abhängig sind (sog. Gleichordnungskonzern, § 18 Abs. 2), zusammen „herrschendes Unternehmen“ im Sinne von § 17 Abs. 1 sein kann. Wäre dieser Konzern als solcher „Unternehmen“ im Sinne von § 17 Abs. 1, so wäre die Frage bereits beantwortet; denn daß dieser „Gesamtkomplex“ die Herrschaft über die den einzelnen Konzerngliedern gehörenden Mitgliedschaften an einem dritten Unternehmen ausüben kann, steht bei „einheitlicher Leitung“ außer Frage. Von dieser Auffassung scheint das OLG Karlsruhe21 auszugehen; denn 18 Allein die Möglichkeit der Herrschaft genügt; das zeigt das „kann“ in § 17 Abs. 1 und ist unstr.; vgl. z. B. WÜRDINGER, § 17 Anm. 4; BIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, § 17 Anm. 4. Wird die Herrschaft tatsächlich ausgeübt, so bilden herrschendes und abhängiges Unternehmen einen Konzern, § 18. 19 ADLER-DÜRING-SCHMALTZ (Fußn. 6), Tz. 41 vor § 311; BAUMBACH-HUECK, § 17 Anm. 5; BIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, § 17 Anm. 18. 20 WÜRDINGER, Großkomm., § 17 Anm. 5; HAESEN (Fußn. 2), S. 53 f. m. w. Nachw. 21 Betr. 72, 1573 Ziff. II, 2 der Begründung.

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stünden die S-Unternehmen mit ihren drei untereinander kapitalmäßig nicht verflochtenen Gesellschaften unter einheitlicher Leitung, so würde nach Auffassung des Oberlandesgerichts „damit eine Abhängigkeit der Beklagten (= abhängige Aktiengesellschaft) von der S-Gruppe kraft Mehrheitsbeteiligung des Konzerns“22 vorliegen. Damit folgt das Gericht der sog. funktionalen Theorie, wonach „Unternehmen“ im Sinne des Konzernrechts jeder „Träger einer unternehmerischen Planungs- und Entscheidungsgewalt“ ist.23 Leider ist offenbar, daß einem solchen Verständnis des „Unternehmens“ schon der Wortlaut gerade des § 18 Abs. 2 selbst widersprechen würde: Denn ist „das Ganze“ (= der Gleichordnungskonzern) „Unternehmen“, so können aus funktionaler Sicht nicht zugleich die angeschlossenen Teile auch „Unternehmen“ sein: So aber formuliert es das Gesetz. Andererseits wird schon bei einer ersten Analyse deutlich, daß nicht nur allgemein ein einheitlicher Begriff vom Unternehmen fehlt,24 sondern daß die Formulierung „Unternehmen“ selbst in den §§ 15 ff. durchaus uneinheitlich gebraucht wird: So liegt es nahe, die Formulierung „rechtlich selbständige ‘Unternehmen’“ in den §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 2 als allgemeine Umschreibung für Aktiengesellschaften, Gesellschaften mbH, Genossenschaften, etc., „andere ‘Unternehmen’“ in den §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 dagegen als Abgrenzung etwa von Privatpersonen zu verstehen. Vom Wortlaut der hier einschlägigen Normen her ist also ein klares Ergebnis nicht zu gewinnen. c) So bleibt, die Rechtsfindung aus dem funktionalen Verständnis der maßgebenden Vorschriften (§§ 17, 311 ff.) zu versuchen. Ihre Aufgabe im Recht des sog. faktischen, d. h. des nicht auf einem Unternehmensvertrag (§§ 291 ff.) beruhenden (Abhängigkeits-)Konzerns besteht nun nicht darin, jeden denkbaren Interessenkonflikt zwischen etablierter Mehrheit und „ewiger“ Minderheit zu kanalisieren; nicht dieser allgemeine Konflikt ist Gegenstand der Regelung, sondern – enger – nur die besondere Gefahr aus der Möglichkeit, mehrere Unternehmen, also mehrere wirtschaftliche Einheiten verschiedener Unternehmensträger (Rechtsubjekte) nach den Vorstellungen der Mehrheit zu koordinieren, die (abhängige) Aktiengesellschaft auf die Interessen eines anderen, eben des „herrschenden“ Unternehmens auszurichten. Diese Gefahr für die Interessen der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft besteht nicht, soweit die Mehrheit nicht über die abhängige Gesellschaft hinausreichende unternehmerische Ziele verfolgt, auf die hin sie das abhängige Unternehmen ausrichten könnte; das gilt z. B. für „private“ Hervorhebung des Verf. Zu den Unternehmenstheorien im Zusammenhang mit den §§ 15 ff. vgl. HAESEN (Fußn. 2), S. 7 ff.; GESSLER (Fußn. 2), S. 145 ff.; BIEDENKOPF-KOPPENSTEINER, § 15 Anm. 5 ff. 24 Vgl. vor allem GESSLER, aaO (Fußn. 2). 22 23

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Aktionärskonsortien in der betreffenden Gesellschaft. Und die Gefahr besteht auch nicht, solange das „herrschende“ Unternehmen (noch) selbst unkoordiniert, (noch) nicht „etabliert“ ist, keinen dauerhaften Willen zur Koordination des Unternehmensbereiches der „abhängigen“ Aktiengesellschaft mit seinen eigenen unternehmerischen Zielen entwickeln kann: In einer solchen Situation hat die normale Interessenvielfalt noch die Chance, die einheitliche Ausrichtung der betroffenen Aktiengesellschaft auf das noch nicht herrschende andere Unternehmen zu unterbinden. Dagegen kann es von der Schutzfunktion dieser Normen her keinen Unterschied machen, ob die etablierte unternehmerische Mehrheit zur Koordination die Mittel nur einer oder mehrerer Organisationen einsetzen muß: Verfügt sie über diese, so ist die Gefahr für die Interessen von Minderheit und Gläubigern der betroffenen Aktiengesellschaft die gleiche, wie wenn es sich um die Mittel nur eines Unternehmens handeln würde. Das ist, wie schon erwähnt, im § 16 Abs. 4 ebenso wie im § 17 Abs. 1 zutreffend für bestimmte Fälle erkannt und muß in ganz der gleichen Weise auch für den Gleichordnungskonzern gelten. Denn er wird gerade dadurch charakterisiert, daß in ihm die Leitung und damit die Disposition über die gesamten Mittel mehrerer Unternehmen möglich ist. Wie dieser Gleichordnungskonzern organisiert ist, spielt dann auch keinerlei Rolle; daher auch ist mindestens im Zusammenhang dieser Überlegungen die Frage ohne Bedeutung, ob denn nun der „Überbau“ dieses Gleichordnungskonzerns selbst eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und damit Unternehmensträger im technischen Sinne ist oder nicht.25 d) Durchaus zutreffend hat daher das OLG Karlsruhe26 angenommen, ein Gleichordnungskonzern könne als solcher „herrschendes Unternehmen“ im Sinne von § 17 Abs. 1 sein. Um so überraschender ist es, daß das OLG Karlsruhe diesen Ansatz im tatsächlichen Bereich verwirft mit der kurzen Begründung, es bestehe „… auch kein Anhalt dafür, daß die S-Gesellschaften unter einheitlicher Leitung stehen …“. Versteht man unter „einheitlicher Leitung“ die Verfolgung eines einheitlichen Wirtschaftsplanes, einer unternehmerischen Gesamtkonzeption auf dem Hintergrund der „wirtschaftlichen Einheit“ der Gruppe,27 so sprechen hier alle Indizien 25 Die Fragen des Gleichordnungskonzerns werden meist unter dem Gesichtspunkt einer „inneren Abhängigkeit“ untersucht: Sind die angeschlossenen Unternehmen im Verhältnis zu ihrem gemeinsamen Leistungsorgan „abhängige Unternehmen“?; vgl. dazu BIEDENKOPFKOPPENSTEINER, § 15 Anm. 3 m. w. Nachw.; GESSLER (Fußn. 2), S. 153 f. Diese Frage ist hier ohne Belang. 26 Ebenso SCHERPF, Handbuch der Aktiengesellschaft, Teil VI, Rz. 495; HAESEN (Fußn. 2), S. 52 f.; KOPPENSTEINER, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht, 1971, 328 ff. 27 LUTTER, Gutachten H zum 48. Deutschen Juristentag, 1970, S. 79 ff.; BIEDENKOPFKOPPENSTEINER, § 18 Anm. 6 ff.; WÜRDINGER, § 18 Anm. 4 ff.

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für einen solchen Sachverhalt: Die Gesellschafter der S-Unternehmen und ihre Anteile sind weitgehend gleich, die Geschäftsführungsorgane der Gesellschaften sind in hohem Maße mit den gleichen Personen besetzt, und die Produktionsprogramme ergänzen sich, überschneiden sich also nicht, so daß kein oder doch nahezu kein Wettbewerbsverhältnis besteht. Was spricht bei einer solchen Häufung der Faktoren eigentlich noch gegen die Annahme einer „einheitlichen Leitung“ der S-Unternehmen im Sinne von § 18 Abs. 2? Immerhin bewegen sich diese Überlegungen auf rein tatsächlichem Gebiet, auf dem ein Gericht der zweiten Instanz nicht nur von Rechts wegen über das letzte Wort verfügt, sondern auch tatsächlich den besseren Überblick hat. [117] e) Damit bleibt die weit schwierigere Frage, ob eine Mehrheit von Unternehmen, die nicht unter einheitlicher Leitung stehen, also selbst nicht einen Konzern bilden herrschende Unternehmen im Sinne unseres Konzernrechts sein können. aa) Da es einen Gleichordnungskonzern unter den S-Unternehmen aus rein tatsächlichen Gründen abgelehnt hatte, war auch das OLG Karlsruhe vor die Beantwortung dieser Frage gestellt. Völlig zutreffend geht es dazu auf die Schutzfunktionen der einschlägigen Normen zurück (s. oben c) und bejaht von daher ihre Anwendbarkeit mit den Worten:28 „Es liegt auf der Hand, daß die mit der Abhängigkeit eines Unternehmens von einem anderen Unternehmen für die Minderheitsaktionäre bestehenden Gefahren, denen die aktienrechtlichen Konzernvorschriften begegnen wollen, auch dann vorliegen, wenn die Aktienmehrheit nicht einem, sondern mehreren Unternehmen zusteht, die sich ihrerseits – ausdrücklich oder stillschweigend – auf eine gemeinsame Geschäftspolitik gegenüber den Beteiligungsunternehmen geeinigt haben.“

Da die Mehrheit der drei S-Unternehmen bei der betreffenden Aktiengesellschaft allein nicht ausschlaggebend sein kann – sonst würde ja jede beliebige Mehrheit zur „Abhängigkeit“ führen –, liegt der entscheidende Teil der Begründung in der angenommenen „Einigung“ der drei S-Unternehmen über eine „gemeinsame Geschäftspolitik“ gegenüber der betroffenen Aktiengesellschaft. Das allein kann die Entscheidung nicht tragen. Eine solche Einigung kann nämlich, wie die im Zusammenhang mit einer „Mehrmütter-Herrschaft“ besonders problematischen joint venture zeigen,29 höchst allgemeiner Natur sein; sie schützt keineswegs vor Konflikten unter den Mitregenten und ist in der Durchsetzung keineswegs gesichert. Aber selbst wenn man den allgemeinen Thesen des OLG folgt, trägt seine Begründung nicht; denn sie weist keineswegs die einheitliche Geschäftspolitik der drei S-Unternehmen nach, sondern rekurriert auf deren etwaige Basis, nämlich

28 29

Sub II, 4 der Gründe. BARZ (Fußn. 2), S. 61 ff.

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„gleiche Gesellschafter“, „keine Konkurrenten“ und „personelle Verflechtung des Managements“;30 daraus allein wird dann die Folgerung gezogen:31 „Diese Umstände begründen eine tatsächliche Vermutung für die Abhängigkeit der Beklagten von den drei S-Gesellschaften.“

Das hat ersichtlich mit „einheitlicher Geschäftspolitik“ gegenüber der betroffenen Aktiengesellschaft nichts zu tun. bb) Durch den Hinweis auf diese Faktoren hat das OLG Karlsruhe zwar nicht die Begründung für seinen eigenen Obersatz, wohl aber den Ansatz für die hier entscheidenden Gesichtspunkte gefunden. Wie schon dargelegt (oben c), geht es im Recht des sog. Faktischen Konzerns und insbesondere im Bereich der §§ 311 ff. um den Schutz der abhängigen Gesellschaft vor Gefahren aus etablierter unternehmerischer Mehrheit. Es kommt dabei, wie § 17 Abs. 1 klar erweist, überhaupt nicht auf den Tatbestand der „einheitlichen Geschäftspolitik“ oder gar der „einheitlichen Leitung“ an: Die Möglichkeit hierzu genügt;32 die Regeln der §§ 311 ff. und insbesondere § 312 gehen von der Gefahr aus und greifen nicht erst ein, wenn die Benachteiligung schon eingetreten ist. Diese Gefahr ist nicht gegeben, wenn sich die Mehrheit erst immer wieder finden muß; ein solcher Prozeß dient zugleich dem Schutz der Interessen des betroffenen Unternehmens und der Minderheiten. Anders ist es bei einer etablierten unternehmerischen Mehrheit. In diesem Falle sorgen keinerlei divergierende Interessen und Vorstellungen mittelbar für einen Schutz der betreffenden Gesellschaft und der „ewigen Minderheit“; darauf aber kommt es an. Die Regeln des Konzernrechts greifen daher nicht ein, wenn sich die Interessen der Mehrheitsaktionäre der betroffenen Gesellschaft nur auf diese richten, also keine unternehmerische Verbindung (Koordination) zu anderen Unternehmen herstellen wollen. Sind aber diese Interessen der Mehrheit unternehmerisch orientiert, so kann noch immer auf die Schutznormen des Konzernrechts verzichtet werden, soweit sich diese Interessen wenigstens in der Tendenz gegenseitig behindern oder gar möglichst gegenseitig aufheben; anders gewendet: Die Unabhängigkeit der Gesellschaft und ihres Managements muß dann aus der potentiellen Interessendivergenz ihrer unternehmerisch ausgerichteten Aktionäre resultieren. Ist auch die tendenzielle Interessendivergenz nicht gegeben, so steht die betreffende Gesellschaft den gleichgerichteten Interessen der Mehrheit ihrer Aktionäre schutzlos offen. Diese Mehrheit ist etabliert, sie ist unternehmerische Mehrheit und damit „Unternehmen“ und „herrschend“, die betreffende Aktiengesellschaft aber ist abhängig. cc) Genau das aber ist die tatsächliche Lage im gegenständlichen Fall: Die Interessen des einen S-Unternehmens stehen den Interessen des oder der anderen BB 72, 980, sub II, 5 der Gründe. aaO. 32 WÜRDINGER, Großkomm., § 312 Anm. 2 a. E. 30 31

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S-Unternehmen in bezug auf die betroffene Aktiengesellschaft nicht so entgegen, als daß diese darin ihren Schutz finden könnte. Im Gegenteil: Bei quasi gleichen Gesellschaftern und quasi gleichem Management in den beteiligten S-Gesellschaften kann sich eine solche Divergenz weder entwickeln noch gar artikulieren. Mindestens deshalb ist die betreffende Gesellschaft im Falle des OLG Karlsruhe eine abhängige Aktiengesellschaft im Sinne der §§ 17, 312. f) Unabhängig von der Sondersituation der 50 : 50-Unternehmen meint BARZ,33 eine „Mehrmütter-Herrschaft“ verbiete sich schon deswegen, weil bestimmte andere Vorschriften, die ihrerseits auf § 17 Abs. 1 Bezug nehmen,34 auf solche Situationen a priori nicht anwendbar. seien. Ob schon diese Prämisse zutrifft, mag hier dahinstehen.35 Jedenfalls sollte der nicht gerade starke Schutzbereich der §§ 311 ff. nicht dadurch geschmälert werden, daß gegenüber einem funktionalen Normverständnis die – de lege lata durchaus problematische – Einheit und Geschlossenheit eines konzernrechtlichen Systems in den Vordergrund gehoben werden.36 Das gleiche gilt für die Überlegung, herrschendes Unternehmen könne nur sein, wer auch Partner eines [118] Unternehmensvertrages nach §§ 291 f. sein könne.37 Entscheidend ist viel eher, daß bei Gestaltungen der hier gegenständlichen Art, also bei entsprechenden Mehrheiten, ein Unternehmensvertrag zwischen der Gesellschaft und einem der mitherrschenden Unternehmen vereinbart werden könnte, ohne daß dadurch den anderen mitherrschenden Unternehmen und deren Gesellschaftern ein Nachteil erwachsen würde. g) Schließlich ist auch nicht zu übersehen, daß das geltende Recht des faktischen Konzerns und seine Regeln zum Schutze von Gläubigern und Minderheitsaktionären ziemlich beliebig aus den Angeln gehoben werden könnte, würde man auf Fälle der hier behandelten Art die §§ 311 ff. nicht anwenden: Schon die Aufspaltung eines Unternehmens – nach außen als Betriebsaufspaltung deklariert –, das einerseits die Mehrheit in einer Aktiengesellschaft hält, andererseits von einem aaO (Fußn. 2) S. 63. z. B. §§ 71 Abs. 4, 291 Abs. 1 Satz 1, 329; darüber hinaus sind zu beachten: §§ 56, 136 Abs. 2. Vgl. darüber hinaus BARZ, aaO (Fußn. 2) S. 68 ff. 35 Für die Fälle der §§ 56, 71 Abs. 4 bestehen keine Bedenken einem von mehreren Aktiengesellschaften abhängigen Unternehmen den Erwerb von Aktien aller mitherrschenden Gesellschaften zu verbieten. Stellt man dabei auf den Kapitalschutz ab, so enthalten die genannten Vorschriften sowieso keine erkennbare Linie und sind weitgehend mißlungen; vgl. LUTTER, Kölner Kommentar zum AktG, § 56 Anm. 28 ff. und § 71 Anm. 62 ff. Sieht man dagegen den Schwerpunkt der Normen in der Verhinderung von Selbstkontrolle, so kann ihre Anwendung auf mehrere Mütter nur richtig sein: Sonst wäre z. B. die Selbstkontrolle im Gleichordnungskonzern nach Art des Unilever-Konzerns (vgl. LUTTER, Gutachten H zum 48. DJT, S. 55 ff., 152) auch im deutschen Recht zulässig. Für das 50 : 50-Gemeinschaftsunternehmen bejaht daher auch BARZ (aaO, Fußn. 2, S. 68) die Anwendbarkeit eben dieser Regeln. 36 Ebenso KOPPENSTEINER, ZHR 131, 289, 326 ff. 37 aaO (Fußn. 2) S. 66, 67. 33 34

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Alleingesellschafter, einem Großaktionär, einer Familie oder einem Konsortium geführt (beherrscht) wird, würde genügen, die Anwendbarkeit u. a. der §§ 311 ff. zu beseitigen. Das kann nicht Rechtens sein. 3. Steht damit fest, daß eine Mehrheit von Unternehmen, die nicht einmal einen Konzern im Sinne des § 18 bilden müssen, „herrschendes Unternehmen“ im Verhältnis zu einer abhängigen Aktiengesellschaft sein können, so bleibt nur noch zu klären, ob die abhängige Aktiengesellschaft gegenüber allen Teilen dieses „herrschenden Unternehmens“ als abhängig anzusehen und damit zur Erstattung des Berichts nach § 312 in bezug auf mehrere Unternehmen verpflichtet ist. Zieht man zunächst einmal § 312 zu Rate, so besteht die Berichtspflicht im Hinblick auf alle Rechtsgeschäfte mit dem herrschenden Unternehmen und auf alle sonstigen Maßnahmen des herrschenden Unternehmens oder eines mit ihm „verbundenen“ Unternehmens. Bei mehreren herrschenden Unternehmen der hier interessierenden Art ist ein „Verbund“ nach § 15 gerade nicht gegeben. Aber schon dieser Ansatz, eines der betreffenden Unternehmen im Sinne von § 312 als allein herrschend und die anderen als mit ihm verbunden anzusehen, wäre unzutreffend; denn tatsächlich sind ja alle beteiligten Unternehmen zusammen herrschendes Unternehmen. Daher muß, wie auch das OLG Karlsruhe richtig erkannt hat, der Abhängigkeitsbericht im Verhältnis zu allen Gliedern des Herrschaftsverbandes erstattet werden.38 Dies gilt um so mehr, als der Abhängigkeitsbericht alle etwaigen nachteiligen Maßnahmen des herrschenden Verbandes bei der abhängigen Aktiengesellschaft aufdecken soll. Zwar kann keines an der Herrschaft beteiligten Unternehmen allein eine solche Maßnahme durchsetzen. Wohl aber kann der herrschende Verband seinerseits beliebig bestimmen, wohin die etwaigen Vorteile solcher Maßnahmen fließen sollen, ob zu allen mitherrschenden Unternehmen oder nur zu einzelnen oder gar einem allein. Da es für diese Unternehmen nach der Sachlage im Grunde keinen Unterschied macht, wem von ihnen die etwaigen Vorteile aus dem Einfluß zugute kommen, ist auch keine auf gegenläufigen Interessen beruhende interne Kontrolle bei den an der Herrschaft beteiligten Gesellschaften institutionell in der Lage, eine solche Gestaltung zu verhindern. Daher müssen die laufenden Beziehungen zwischen der abhängigen Aktiengesellschaft und allen Gliedern des Herrschaftsverbandes durch den Abhängigkeitsbericht aufgedeckt werden.

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Ebenso HAESEN (Fußn. 2), S. 53 f.

Zur Binnenstruktur des Konzerns IN: HEFERMEHL/GMÜR/BROX (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR HARRY WESTERMANN ZUM 65.

GEBURTSTAG, KARLSRUHE 1974, S. 347-368 Übersicht

I. II.

Einleitung, Fragestellung und Begrenzung des Themas Die Aktiengesellschaft als Inhaberin von Mitgliedschaftsrechten an anderen Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH Zwischenüberblick Gewinnverwendung und Rücklagenbildung in der Tochtergesellschaft einer AG Kapitalmaßnahmen in und Veräußerungen von Mitgliedschaften an Tochtergesellschaften von Aktiengesellschaften Unternehmerische Grundentscheidungen in der Untergesellschaft

III. IV. V. VI.

I. Einleitung, Fragestellung und Begrenzung des Themas A. Der Konzern wird bestimmt durch die einheitliche Leitung mehrerer Unternehmen, § 181. Damit steht fest, daß Glieder eines solchen Konzerns gerade Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH sein können und daß einheitliche Leitung mehrerer dieser Gesellschaften überhaupt zulässig ist. Zugleich aber wird daraus deutlich, daß der Konzern nicht als Rechtsform, sondern funktional als zielgerichtete Verbindung von Unternehmen gleicher oder unterschiedlicher Rechtsformen zu denken ist. B. 1. Die sehr differenzierte Ordnung der juristischen Personen Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH hat zunächst einmal die Aufgabe, diese künstlichen, erst von der Rechtsordnung geschaffenen Einrichtungen zu organisieren, notwendige Organe für sie zu etablieren und deren Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche zu bestimmen und gegeneinander abzugrenzen. So ist es eben Aufgabe des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, die Gesellschaft eigenverantwortlich zu leiten; Aufgabe ihres Aufsichtsrates, den Vorstand zu bestellen und zu überwachen sowie an bedeutenden Entscheidungen der Geschäftsleitung mitzuwirken; 1

Vorschriften ohne nähere Angaben sind solche des Aktiengesetzes von 1965.

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Aufgabe der Hauptversammlung, den Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und ihrer Dauer (Liquidation) zu bestimmen, an Maßnahmen der Finanzierung mitzuwirken, einen Teil der [348] Mitglieder des Aufsichtsrates zu bestimmen und ihrerseits Vorstand und Aufsichtsrat zu überwachen (Entlastung). 2. Diese Ordnung besteht nicht um ihrer selbst willen. Die Schaffung rechtlich selbständiger Privatrechtssubjekte und ihre Zulassung zur unternehmerischen Tätigkeit, die Erlaubnis, ihr Schicksal und vor allem ihre Lebensdauer von den hinter ihr stehenden Personen unabhängig zu machen, Ihre „Unsterblichkeit“, ihre Fähigkeit, durch viele Mitglieder große Kapitalien an sich zu ziehen und dauernd zu binden, die Möglichkeit, Anteile an diesen Gebilden marktmäßig zu handeln etc. bedeuten, daß die Voraussetzungen für hohe Leistungsfähigkeit, damit zugleich aber auch für Zentren wirtschaftlicher Macht geschaffen wurden2. Im Kontext dieser Erfahrung, die dem Gesetzgeber durchaus gegenwärtig war und ist, bedeutet die Einrichtung mehrerer Organe und die Abgrenzung ihrer Zuständigkeitsbereiche gegeneinander nicht nur Kontrolle, sondern auch – alten Erfahrungen folgend – Beschränkung von Macht durch ihre Teilung. Die Grundzüge der gesetzlichen Organisation einer Aktiengesellschaft dienen also nicht nur dem Schutz der unmittelbar Betroffenen wie insbesondere der Gläubiger, der gegenwärtigen und der künftigen Aktionäre, sondern sind ebenso Teil der allgemeinen Wirtschaftsordnung: Wie Dezentralisation allgemein das Merkmal der geltenden Wirtschaftsordnung ist, so ist auch die Ordnung der Aktiengesellschaft verbindlich (§ 23 V) auf eine Mehrheit von Entscheidungs-, also „Macht“Zentren angelegt. 3. Diese Überlegungen gelten nicht in gleicher Weise für die GmbH; ihr ist die Börse verschlossen, so daß nach den Vorstellungen des Gesetzes auch die interne Zuständigkeitsverteilung sehr viel lockerer gehandhabt werden kann: Bis auf die Außenvertretung kann die Gesellschafterversammlung weite Aufgabenbereiche an sich ziehen3 und in alle Tätigkeiten eingreifen4; Dezentralisation ist nicht zwingend vorgesehen, da das wirtschaftliche Machtzentrum der einzelnen GmbH mangels Zugang zum Kapitalmarkt als nicht besorgniserweckend angesehen wurde. Diese Sehweise hat sich mit den Regeln zur Mitbestimmung5 und zur Publizität6 für große Gesellschaften mbH bereits etwas geändert. [349] 2 Vgl. dazu insbesondere Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, Tübingen 1968, S. 85 ff. 3 Der Aufsichtsrat einer mitbestimmten GmbH kann nur vorschreiben, daß bestimmte Geschäfte (auch) seiner Zustimmung bedürfen, §§ 77 I BetrVG 1952, § 111 IV AktG. 4 Schilling, in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 6. Aufl. 1956, § 37 Anm. 3; Scholz, Komm. zum GmbHG, 5. Aufl. 1964, § 37 Anm. 1; Brodmann, Komm. zum GmbHG, 2. Aufl. 1929, § 37 Anm. 1. 5 § 77 BetrVG 1952; § 3 MitbestG 1951. 6 § 3 des Gesetzes über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen vom 15. 8. 1969, BGBl. I, 1189 (PublizitätsG).

Festschrift für Harry Westermann zum 65. Geburtstag, Karlsruhe 1974, S. 347-368

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C. Obwohl im Konzern die einheitliche Leitung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen erlaubt ist, wird der Konzern doch von der Rechtsordnung weder als rechtliche Einheit begriffen noch als solche behandelt: es gibt keine allgemeine Konzernhaftung, keine gesetzliche Vertretung des Konzerns, keine Konzernorgane. Wenige Einzelregelungen wie die Vorschriften zum Konzernabschluß7, zum Konzernbetriebsrat8, zur Wahl der Arbeitsnehmervertreter in den Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft9 und zur Bildung eines Aufsichtsrates in der Konzernobergesellschaft nach der Holding-Novelle zum Mitbestimmungsgesetz10 ändern dieses Bild nicht grundlegend, sondern zeigen eher die Existenz eines Problems. Andererseits bestehen in den Konzerngliedern die gesetzlichen Organe mit ihren im Gesetz festgelegten Zuständigkeiten fort. Diese offensichtliche Divergenz zwischen funktionaler und formaler Struktur legt die Vermutung nahe, daß sich in der Überlagerung von Konzernstruktur und Innenstruktur der Einzelgesellschaft Ungleichgewichte auch außerhalb der bekannten Problematik von Gesellschaftsgläubiger und Minderheitsaktionär ergeben können. Daher soll hier der Frage nachgegangen werden, ob sich, gemessen am Bild der regulären Ordnung einer Aktiengesellschaft, im Konzern Verlagerungen in der Organzuständigkeit und in der Organstruktur zeigen; im Anschluß daran wird zu erörtern sein, ob und welche Rechtsfolgen sich de lege lata daraus ergeben können. D. 1. Wegen ihrer im Gesetz zwingend festgelegten Organisationsstruktur konzentrieren sich die Überlegungen hier auf die Aktiengesellschaft als Obergesellschaft; für die Untergesellschaft werden dagegen Aktiengesellschaft und GmbH nebeneinander berücksichtigt werden. 2. Der Konzern verdankt seine Entstehung der Tatsache, daß die rechtliche Möglichkeit der Beteiligung einer Korporation an einer anderen außer Frage steht und ernsthaft auch nie in Frage gestellt worden ist11. Obwohl rechtlich keineswegs auf die Fälle der Beteiligung beschränkt – so setzen selbst die Unternehmensverträge nach den §§ 291, 292 de jure keine Beteiligung der einen an der anderen Gesellschaft voraus –, beruht de facto die Bildung und Stabilisierung eines Konzerns noch immer auf der Beteiligung der Obergesellschaft an der Untergesellschaft oder – im Gleichordnungskonzern – auf der gemeinsamen Beteiligung an einer oder mehreren dritten [350] Gesellschaften. Im klassischen vertraglichen Abhängigkeitskonzern (Organschaft) nach § 291 wird die Beteili§§ 329 ff. §§ 54 ff. BetrVG 1972. 9 § 76 IV BetrVG 1952. 10 Gesetz zur Ergänzung des MitbestG. vom 7. 8. 1956, BGBl. I, 707. 11 Vgl. Großfeld, a.a.O. (FN 2), S. 149 f. mit weiteren Nachw. Anders in den USA, wo diese Möglichkeit zunächst lebhaft umstritten war, dann aber durch sog. holding-company-clauses in den Gesetzen der Einzelstaaten ausdrücklich und allgemein zugelassen wurde; vgl. Großfeld, a.a.O., S. 163 ff. mit Nachw. 7 8

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gung der Obergesellschaft an der Untergesellschaft darüber hinaus durch die Schutzrechte zugunsten der außenstehenden Aktionäre (§§ 305, 306) gefördert: die Obergesellschaft muß ihnen die Abfindung durch den Erwerb ihrer Aktien anbieten. Daher beschränkt sich diese Untersuchung auf Beteiligungsfälle und geht von einer Mehrheitsbeteiligung der Obergesellschaft an der Untergesellschaft aus. 3. Schließlich konzentrieren sich diese Überlegungen auf das Verhältnis von Vorstand und Hauptversammlung in der Konzernobergesellschaft; denn in der Konzernuntergesellschaft kann die gesetzlich vorgestellte Machtbalance zwischen Vorstand und Hauptversammlung per definitionem nicht stattfinden. Sieht man dies richtig, so ist es wenig fruchtbar, die Position der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung im Verhältnis zum geschäftsführenden Organ in der abhängigen Gesellschaft zu erörtern; von Bedeutung ist allein die herrschende Gesellschaft und damit die Frage, welche Position deren Organe in bezug auf eben die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft haben. 4. So formuliert mag die soeben gestellte Frage überraschen. Ist doch nach bisheriger Meinung und Praxis die Beteiligung nichts anderes als ein beliebiges Aktivum der Obergesellschaft, das zu verwalten Aufgabe ihres Organs Vorstand ist. Dennoch scheint es der Überlegung wert, ob mit einer solchen Beteiligung wirklich nur Aktiva der Obergesellschaft verwaltet oder nicht zugleich Positionen wahrgenommen werden, die nach der gesetzlichen Struktur der Aktiengesellschaft anderen Organen, insbesondere ihrer Hauptversammlung zustehen. Das gilt um so mehr, als sich bei der Erörterung von Einzelfragen aus diesem Themenbereich12 bereits herausgestellt hat, daß diese Auffassung von der reinen „Verwaltung“ der Mitgliedschaftsrechte in den Tochtergesellschaften zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führt. Daher soll zunächst eine Analyse der allgemeinen Mitverwaltungsrechte der Aktionäre unternommen und zu den Erscheinungen bei BeteiligungsGesellschaften ins Verhältnis gesetzt werden, um anschließend die daraus ersichtlichen Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten zu erörtern. [351]

12 Vgl. meine Abhandlungen „Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften“, in: Festschrift für Kastner, Wien 1972, S. 245 ff. = Die AG 1972, S. 125 ff. sowie „Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen“, in: DB 1973, Beilage 21 zu Heft 48, S. 2 ff.

Festschrift für Harry Westermann zum 65. Geburtstag, Karlsruhe 1974, S. 347-368

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II. Die Aktiengesellschaft als Inhaberin von Mitgliedschaftsrechten an anderen Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH A. Übersicht Die regulären Mitverwaltungsrechte der Aktionäre in ihrem Organ Hauptversammlung haben ihren Schwerpunkt in folgenden Bereichen: 1. Wahl und Abberufung einer bestimmten Zahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats, § 101; 2. Entscheidungen über die Verwendung des Bilanzgewinns, §§ 58, 174; 3. Entlastung der Verwaltung, § 120; 4. Satzungsänderung sowie Mitwirkung bei unternehmerischen Grundentscheidungen (Unternehmensverträge, Fusion u. a.), §§ 179, 182 ff., 293, 340. Diese Mitverwaltungsrechte der Aktionäre sind nach Art und Umfang zunächst einmal völlig unabhängig davon, ob die Aktiva der einzelnen Aktiengesellschaft aus unternehmerischem Anlage- oder Umlaufvermögen bestehen oder aber – mehr oder minder – in Beteiligungen an anderen Gesellschaften. Denn eben diese Mitverwaltungsrechte beziehen sich auf die eigene Gesellschaft, die Aufgaben ihrer Organe und deren Verhältnis zueinander, nicht aber auf einzelne Gegenstände, also auch nicht auf das oder die abhängigen Beteiligungsunternehmen und deren Organe. Gerade diese Sicht ist möglicherweise zu undifferenziert; sie muß am materialen Gehalt dieser Mitverwaltungsrechte überprüft werden. B. Aufsichtsratsmitglieder in der Untergesellschaft 1. Im allgemeinen wird Leitung und Kontrolle der Tochtergesellschaft seitens der Obergesellschaft nicht dadurch ausgeübt, daß die Mitglieder der geschäftsführenden Organe personenidentisch sind; üblich ist vielmehr die Repräsentanz des Vorstands der Obergesellschaft im Überwachungsorgan der Tochtergesellschaft. Dort aber sind diese Vorstandsmitglieder zunächst einmal dem Einfluß ihres eigenen Aufsichtsrats entzogen. Wird etwa ein solches Vorstandsmitglied in der Obergesellschaft abberufen oder, nach Ablauf seiner Amtsperiode, nicht wieder neu bestellt, so ist es de jure nicht gezwungen, zugleich auch als Aufsichtsratsmitglied der Tochtergesellschaft zu demissionieren. Der Einfluß des Aufsichtsrats der Obergesellschaft auf den Vorstand dieser Gesellschaft dürfte jedoch in aller Regel ausreichen, um diesen notfalls zu einem Vorgehen nach § 103 zu veranlas-

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sen13: als Vertreter der Stimmenmajorität in der Tochtergesellschaft kann er die Abberufung des nicht mehr erwünschten Aufsichtsratsmitglieds erzwingen. [352] 2. Sind Mitglieder des Aufsichtsrats der Obergesellschaft zugleich solche der Tochtergesellschaft – eine Konstellation, die sich nicht selten bei HoldingGesellschaften und Gleichordnungskonzernen findet –, so ist die Situation möglicherweise schon kritischer. Werden nämlich Aufsichtsratsmitglieder nach § 103 von der Hauptversammlung der Obergesellschaft abberufen, so hat diese Hauptversammlung zunächst einmal weder rechtliche noch besondere praktische Mittel, um auch die Abberufung dieser Personen in der Tochtergesellschaft zu erzwingen. Auch diese Feststellung wäre zwar richtig, würde jedoch die realen Machtverhältnisse übersehen. Kommt es wirklich zur Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds in der Obergesellschaft, dann wird deren Vorstand im Zweifel nicht zögern, den gleichen Schritt notfalls14 in der Untergesellschaft nachzuvollziehen. 3. Im übrigen aber ist die Gefahr zu erkennen, daß die Wahlperiode eines Aufsichtsratsmitgliedes oder die Amtsperiode eines Vorstandsmitgliedes über Positionen in der Untergesellschaft mittelbar verlängert wird: es braucht etwa nur im letzten Jahr der Vorstandstätigkeit die – langjährige – Wahl zum Aufsichtsratsmitglied bzw. die Bestellung zum Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer in der Tochtergesellschaft zu erfolgen, um die gesetzlichen Schranken aus den §§ 84 und 102 ein wenig überspielen zu können. Auf jeden Fall wird hier der Einfluß der Hauptversammlung offenbar etwas mediatisiert. C. Gewinnverwendung 1. Die Hauptversammlung der Aktionäre einer Aktiengesellschaft befindet über die Verwendung des Bilanzgewinns, §§ 58, 174. Dieser selbst wird nach den Bewertungsregeln der §§ 153 ff. und unter Berücksichtigung des begrenzten Rechts der Verwaltung zur Bildung offener Rücklagen nach § 58 II ausgewiesen. Das Entscheidungsrecht der Aktionäre hat also einen genau begrenzten Hintergrund, der auf seine Weise den materiellen Gehalt des Entscheidungsrechtes bestimmt und gewährleistet. 2. Macht die Beteiligung an der oder den Konzerngesellschaften einen nicht unerheblichen Teil der Aktivität der Gesellschaft aus15, so kann der materielle

Die Vorschrift gilt auch für den Pflicht-Aufsichtsrat einer GmbH, § 77 BetrVG 1952. Wenn das betreffende Aufsichtsrats-Mitglied eben nicht selbst zurücktritt. Darin liegt zugleich ein Seitenproblem: das betreffende Mitglied kann nämlich die Besonderheit der Situation dazu benutzen, wenigstens eine Abfindung zu erreichen. 15 So betrugen etwa Bilanzsumme und Umsatz der BASF-Gruppe im Jahresabschluß 1971 mehr als 170% der Bilanzsumme bzw. des Umsatzes der Konzernobergesellschaft BASF AG. 13 14

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Gehalt dieses Rechtes der Hauptversammlung erheblich berührt werden: Aufgrund ihrer Gewinnverwendungsbeschlüsse in den Beteiligungs- [353] gesellschaften bestimmt nämlich die Verwaltung der Obergesellschaft darüber, was dieser an Mitteln zufließt und auf dem Wege über ihren Jahresabschluß als ihr Bilanzgewinn ausgewiesen werden kann und muß16. Akzeptiert man die Zuständigkeit der Verwaltung der Obergesellschaft für diese Entscheidungen in der Untergesellschaft, so kann eben die Verwaltung der Obergesellschaft weit über die Schranken des § 58 II hinaus offene Rücklagen bei den Tochtergesellschaften und damit mittelbar auch bei der Obergesellschaft selbst bilden. 3. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß bisher nur für die Aktiengesellschaft die verpflichtenden Bewertungsregeln der §§ 153 ff. insoweit gelten, als sie auch Mindestregeln für die einzelnen Wertansätze bestimmen17. Werden daher die Beteiligungsgesellschaften in anderen Rechtsformen betrieben, so ist zunächst deren Recht zuständig, und es können – mit der gleichen rechtlichen und praktischen Wirkung wie bei den offenen Rücklagen – in hohem Maße dort auch stille Reserven gebildet werden, die das Aktienrecht für den Jahresabschluß der betreffenden Obergesellschaft nicht zulassen würde18. D. Entlastung der Verwaltung Im Zuständigkeitskatalog der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft hat die Entlastung der Verwaltung gewichtige Bedeutung. Das gilt weniger im Hinblick auf die Folgen einer Versagung; sie sind bescheiden genug19. Entscheidend ist die Tatsache, daß dieser notwendige Tagesord- [354] nungspunkt jeder Die 60%ige Beteiligung der Thyssen AG an der Rheinstahl AG bezieht sich auf ein Unternehmen, das im Geschäftsjahr 1971 etwas mehr als 50% der Bilanzsumme und etwas weniger als 50% des Umsatzes des Thyssen-Konzerns im gleichen Geschäftsjahr hatte. Besonders deutlich wird das Problem an reinen Holding-Gesellschaften, wie etwa der VEBA AG, die für 1971 ein eigenes Sachanlagevermögen von knapp 170 Mio. DM, aber Beteiligungen zum Buchwert von knapp 1,8 Mrd. DM auswies. Quellen: Geschäftsberichte der genannten Gesellschaften für die Geschäftsjahre 1971. Für die USA vgl. dazu Eisenberg, megasubsidiaries: the effect of corporate structure on corporate control, 84 Havard Law Review (1971), S. 1577 ff. 16 Das gilt nicht, wenn ein Gewinnabführungsvertrag besteht. Es wäre aber irrig anzunehmen, daß alle wichtigen Konzernverhältnisse durch solche Verträge charakterisiert sind. Beispiele wie Thyssen/Rheinstahl, BAYER im Verhältnis zum AGFA-GEVAERT-Komplex etc. machen das deutlich. 17 §§ 153 I, 154 I, 155 I. 18 Nach den §§ 132 II, 133 V RegE GmbHG sollen solche stillen Reserven auch in Zukunft zulässig sein. 19 Vgl, dazu Zöllner, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 120 Anm. 21 ff.; Barz, Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 120 Anm. 3, 6 ff.; Baumbach-Hueck, Komm. zum AktG, 13. Aufl. 1968, § 120 Anm. 6 ff.

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Jahreshauptversammlung (§ 120) den Aktionären die Möglichkeit zu umfassender Orientierung, Diskussion und Erörterung aufgrund ihres Auskunftsrechtes nach § 131 AktG gibt20. Könnte dieses Recht durch die Untergliederung in Tochtergesellschaften sachlich beeinflußt werden, so gäbe es insoweit – von den Aktionären her gesehen – kontrollfreie Räume im Konzern. 1. Das Aktiengesetz nimmt sich der Frage in zwei Vorschriften an. So erstreckt sich „die Auskunftspflicht des Vorstandes der Obergesellschaft in der Hauptversammlung, der der Konzernabschluß und der Konzerngeschäftsbericht vorgelegt werden, … auch auf die Lage des Konzerns und der in den Konzernabschluß einbezogenen Unternehmen“ (§ 337 IV).

Das Gesetz anerkennt hier also die wirtschaftliche Einheit über alle organisatorischen Grenzen hinweg, erkennt selbst das hier erörterte Problem und löst es im Sinne eines „Durchgriffs“: Die Aktionäre der Obergesellschaft können alle Fragen zur Situation der Untergesellschaft so stellen, als wären es Fragen zur Obergesellschaft selbst. Und da es kaum Fragen zu der betreffenden Untergesellschaft von einiger Relevanz gibt, die nicht zugleich mit ihrer und mit der wirtschaftlichen Lage des Konzerns im Zusammenhang stehen, gibt es auch kaum vernünftige Fragen, die nicht zur Beurteilung auch „erforderlich“ wären (§ 131 I, 1)21. 2. Damit sind die notwendigen Kontrollmöglichkeiten der Hauptversammlung und ihrer Aktionäre insoweit gegeben, als die jeweilige Untergesellschaft in den Konzernabschluß einbezogen ist. Die Pflicht hierzu fehlt aber in einer Reihe von Fällen, insbesondere bei Untergesellschaften, die ausländischem Recht unterliegen22; sind diese Konzerngesellschaften nicht freiwillig im Konzernabschluß der deutschen Obergesellschaft berücksichtigt, so gelten für das Auskunftsrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung insoweit nur die allgemeinen Regeln, nicht aber § 337 IV. Nach diesen allgemeinen Regeln erstreckt sich „die Auskunftspflicht auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen“ (§ 131 I, 2),

auf jeden Fall also auf Geschäftsabschlüsse und sonstige Übereinkommen zwischen der ausländischen Untergesellschaft und der betreffenden deutschen Aktiengesellschaft. Damit ist jedoch für die hier gestellte Frage noch [355] nicht viel gewonnen, die ja auf die Offenlegung, den Durchblick und die Kontrolle der unternehmerischen Verhältnisse (Investition, Finanzstruktur, allgemeine Geschäftspolitik) in der Tochtergesellschaft abzielt. Die Beurteilung der wirtschaftliNäheres dazu vgl. bei Lutter, Der. Aktionär in der Marktwirtschaft, Berlin 1973, S. 25 ff. Zur zentralen Bedeutung der „Erforderlichkeit“ für Art und Umfang des Auskunftsanspruchs vgl. Zöllner, a.a.O. (FN 19), § 131 Anm. 20 ff. mit weiteren Nachw. 22 Nach § 329 II sind in den Konzernabschluß nur „Konzernunternehmen mit Sitz im Inland“ einzubeziehen. 20 21

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chen Situation in der Tochtergesellschaft und der dort verfolgten unternehmerischen Ziele aber ist Voraussetzung für das Verständnis der wirtschaftlichen Gesamtlage der Obergesellschaft22a. So betrachtet kann es daher keinen Unterschied machen, ob sich das Auskunftsbegehren des Aktionärs auf die ausländische Konzerntochter oder auf den Betrieb der fraglichen Aktiengesellschaft selbst bezieht: Es sind jeweils „Angelegenheiten der Gesellschaft“ (§ 131 I 1). Zwei Überlegungen könnten dieser Feststellung entgegenstehen. a) Einmal regeln § 337 IV Fragen zum Konzernabschluß und § 131 I 2 Fragen zu verbundenen Unternehmen ausdrücklich. Sollen damit alle Fälle in diesem Zusammenhang erfaßt sein, so haben sie abschließende Bedeutung gegenüber dem allgemeinen Wortlaut von § 131 I 1. So etwa versteht Barz23 den Satz 2 von § 131 I, während Hueck24 und Godin-Wilhelmi25 eine mittlere Linie zu halten versuchen; selbst Zöllner26, der richtig erkennt, daß sich die Bedeutung der genannten Vorschriften in einer Exemplifizierung dessen erschöpft, was § 131 I 1 bereits allgemein normiert, faßt seine Überlegungen in dem Satz zusammen, daß „über verbundene Unternehmen nicht in faktisch gleichem Umfang Auskunft zu erteilen ist wie über das eigene Unternehmen …“27. Jedes Auskunftsbegehren zur wirtschaftlichen Lage einer KonzernUntergesellschaft steht im Zusammenhang mit der Behandlung des Jahresabschlusses und der Entlastung der Verwaltung der Obergesellschaft; ohne Information darüber können weder die Gesamtlage der Obergesellschaft noch Leistung und Pläne ihrer Verwaltung sachgerecht beurteilt werden. Das [356] aber gerade will § 131 I 1 gewährleisten. Allein entscheidend für den Anspruch des Aktionärs ist daher, ob die begehrte Auskunft zur Untergesellschaft nach Art und Inhalt erforderlich ist, um die beiden Tagesordnungspunkte sachgerecht beurteilen und votieren zu können. Insofern gelten keine anderen Grundsätze als für die Obergesellschaft selbst: ist die Untergesellschaft ganz unbedeutend, so müssen 22a Nach dem Geschäftsbericht der BASF AG für 1972 verhalten sich die Zahlen der Obergesellschaft BASF AG zu den Zahlen der BASF-Gruppe (In- und Auslandsaktivitäten) in der Bilanzsumme wie 100:171, im Umsatz wie 100:217, wobei zu berücksichtigen ist, daß in den Zahlen der BASF AG Teile der Auslandsbeteiligungen (als Aktiva) und des Umsatzes mit ausländischen Konzerntöchtern enthalten sind, so daß die Zahlen der BASF AG im Verhältnis zu denen der Weltbilanz zu hoch sind. 23 a.a.O. (FN 19), § 131 Anm. 8 („… nur die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen…“); ebenso Möhring-Tank, Handbuch der AG, Rz I, 388 u. 518. 24 a.a.O. (FN 19), § 131 Anm. 8. 25 Komm. zum AktG, 4. Aufl., § 131 Anm. 5. 26 a.a.O. (FN 19), § 131 Anm. 27-30; ebenso Ebenroth, Die Erweiterung des Auskunftsgegenstandes im Recht der verbundenen Unternehmen, Die AG 1970, S. 104 ff., 105 (rechte Spalte) mit weiteren Nachw. 27 a.a.O., Anm. 30.

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die Fragen zu ihr dazu in gleichem Verhältnis stehen wie zu einem untergeordneten Bereich der eigenen unternehmerischen Tätigkeit der Obergesellschaft. b) Zum anderen bleibt zu bedenken, ob eine solche Interpretation nicht in Rechte von Minderheitsgesellschaftern der Untergesellschaft eingreift. Das gilt sicher nicht für die AG als Untergesellschaft, in deren Hauptversammlung die Verwaltung der Obergesellschaft mit entsprechenden Fragen selbst die fraglichen Komplexe offenlegen könnte, ohne an besondere Geheimhaltungspflichten außerhalb von § 131 III 1 gebunden zu sein. Dagegen könnte man bei der GmbH mit Minderheitsgesellschaftern zögern; noch unterliegt die GmbH keiner allgemeinen Publizitätspflicht, noch werden ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht auf offenem Markt verhandelt28. Doch diese Situation verpflichtet nicht zur Geheimhaltung; ist der GmbH-Gesellschafter selbst also grundsätzlich frei, die wirtschaftliche Lage seiner Gesellschaft in den Grenzen von § 131 und unter Beachtung der Grundsätze aus § 131 III 1 zu erörtern, so stehen entsprechende Pflichten aus dem GmbH-Recht der Auskunftspflicht der Verwaltung der Obergesellschaft ihren Aktionären gegenüber nicht entgegen. 3. Schließlich ist zu erwägen, ob der Auskunftsanspruch dann beschränkt ist, wenn das Recht der ausländischen Tochtergesellschaft andere Regeln zur Auskunftserteilung enthält. Hier ist zu unterscheiden: a) Enthält das ausländische Recht Geheimhaltungsvorschriften an Organe und Gesellschafter, so sind sie von der Verwaltung der deutschen AG im Rahmen des § 131 und dessen Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 5 zu beachten: Die deutsche Norm will die zur Auskunft Verpflichteten nicht zur Verletzung ausländischen Rechts aufrufen, dem sie sich im Rahmen der Tätigkeit für die Gesellschaft unterworfen haben. b) Normiert das ausländische Recht dagegen nur geringere Auskunftspflichten als sie im deutschen Recht gelten, kann also der dortige Gesell- [357] schafter nichts oder weniger erfahren als der Gesellschafter einer entsprechenden deutschen Gesellschaft, so kann sich der deutsche Vorstand hierauf nicht berufen. Darf er nach ausländischem Recht Auskunft erteilen; so ist er dazu nach deutschem Recht zugleich im Rahmen des § 131 I verpflichtet. 4. Die bisherigen Überlegungen haben die Entlastung nicht besonders hervorgehoben. Sie ist, wie bereits gesagt wurde, nicht wegen ihrer Folgen, sondern 28 Anders die Vorhaben de lege ferenda, insbesondere im Zusammenhang mit der Reform des GmbH-Rechtes und der Angleichung des Gesellschaftsrechts in der EWG nach Art. 54 III lit. g) des EWG-Vertrages. Vgl. dazu § 151 RegE GmbHG und Art. 2 Abs. 1 lit. f) der Richtlinie des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 1968 (ABl. Nr. L 65/8 vom 14. 3. 1968) sowie Rittner, Rechnungslegung und Publizität, in: Probleme der GmbH-Reform, Köln 1970, S. 133 ff. und Hoffmann, Rechnungslegung und ihre Publizität im Regierungsentwurf eines GmbHGesetzes im Hinblick auf die Rechtsentwicklung in der EWG, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht – Festschrift für Heinz Kaufmann, 1972, S. 213 ff.

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wegen der Diskussion um sie von Bedeutung. Hat aber die Verwaltung der AG vor ihrer eigenen Hauptversammlung keine Verantwortung zu tragen für das wirtschaftliche Schicksal der Untergesellschaft oder fehlt gar der Hauptversammlung insoweit speziell die Beurteilungszuständigkeit, so könnten naturgemäß auch keine Fragen zum Komplex Tochtergesellschaft im Zusammenhang mit der Entlastung der Verwaltung der Obergesellschaft gestellt werden. Beide Hypothesen treffen nicht zu. Konzern-Untergesellschaften sind wirtschaftliche Teile des Gesamtverbandes, an dessen Spitze die Konzernobergesellschaft steht. Nachdem einheitliche Leitung gestattet oder doch toleriert ist29 und die Leitung von der Obergesellschaft (oder dem gemeinsamen Leitungsinstrument) auch tatsächlich ausgeübt wird (sonst wäre es kein Konzern), ist dies auch Teil der „Verwaltung“ der Obergesellschaft, die von ihrem Vorstand und Aufsichtsrat zu verantworten ist. Im Konzern ist daher die Hauptversammlung der Obergesellschaft Kontrollorgan, hat volles Informationsrecht und kann die Entlastung der Verwaltung auch wegen Mängeln in der Konzernleitung versagen – wie man kaum bezweifeln wird, daß der Vorstand der Konzernobergesellschaft zu ordentlicher und gewissenhafter Leitung des Konzerns verpflichtet; der Aufsichtsrat der Obergesellschaft aber zur Überwachung auch dieses Bereiches der Vorstandstätigkeit zuständig ist. E. Allgemeine Satzungsänderung, Kapitalerhöhung und unternehmerische Grundentscheidungen Die Satzung bestimmt den Rahmen, in dem sich die jeweilige Gesellschaft bewegt; die Höhe des Kapitals ist von Bedeutung für die Beteiligungsstruktur und den relativen Wert der Beteiligung des einzelnen Aktionärs. Beide Elemente gehören nach §§ 179, 181 ff. ebenso zur ausschließlichen Zustän- [358] digkeit der Hauptversammlung wie ihre Mitwirkung bei unternehmerischen Grundentscheidungen erforderlich ist, die oft aus mehr technischen als materiellen Gründen nicht zugleich förmliche Satzungsänderungen sind. In diese Befugnis der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft wird durch eine allgemeine Satzungsänderung, eine Kapitalerhöhung oder einen Unternehmensvertrag mit Dritten in der Untergesellschaft unmittelbar nicht eingegriffen; es handelt sich um rechtlich völlig getrennte Bereiche. Diese Sicht wird jedoch rasch relativiert, sobald man den materiellen Erscheinungen im einzelnen folgt.

29 Für den vertraglichen Abhängigkeitskonzern ist das durch § 308 ausdrücklich, für den Gleichordnungskonzern durch § 18 II mittelbar fixiert. Zur Frage, ob ein faktischer Abhängigkeitskonzern erlaubt oder nur – mit den Beschränkungen aus §§ 311 ff. – gerade noch toleriert ist, vgl. zuletzt Koppensteiner, Faktischer Konzern und Konzentration, ZGR 1973, 1 ff. und Emmerich-Sonnenschein, Konzernrecht, München 1973, § 8 B VII, S. 145 ff. mit umfangreichen Nachw.

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1. Verpachtet etwa die Untergesellschaft ihr Unternehmen an eine dritte Gesellschaft, so sind die Regeln aus §§ 292, 293 ff. einzuhalten, wenn diese Untergesellschaft selbst Aktiengesellschaft ist; ist die Untergesellschaft GmbH, so sind in aller Regel die §§ 53 ff. GmbHG anwendbar30. Die Beachtung dieser Regeln führt dazu, daß der Vorstand der Obergesellschaft – der in aller Regel eben diesen Pachtvertrag selbst konzipiert und vielleicht sogar paraphiert hat – in förmlicher und feierlicher Haupt- oder Gesellschafterversammlung der Untergesellschaft entsprechend positiv votiert31. Ist damit dem materiellen Anspruch aus diesen Normen wirklich Genüge getan? Angenommen, die wirtschaftliche Aktivität der Obergesellschaft konzentriere sich im wesentlichen auf zwei Tochtergesellschaften, deren Unternehmen nunmehr aus den verschiedensten Überlegungen heraus verpachtet werden: Ist damit nicht der gleiche wirtschaftliche und unternehmerische Effekt erzielt, als habe die Obergesellschaft selbst ihren Betrieb verpachtet? Die Frage ist offenbar zu bejahen: die über die Steuerung der Tochtergesellschaften bisher ausgeübte eigene unternehmerische Aktivität der betreffenden Obergesellschaft beschränkt sich in Zukunft auf die Überwachung des Inkassos von Pachtgeldern durch ihre Tochtergesellschaften. Bei Maßnahmen der hier geschilderten Art gibt die Obergesellschaft mit ihrer Zustimmung zu entsprechenden Unternehmensverträgen der Untergesellschaft mit Dritten jeweils einen Teil ihrer eigenen unternehmerischen Aktivität praktisch in ganz der gleichen Weise auf, als würde sie selbst einen Teil ihres Unternehmens verpachten. 2. Ganz ähnliche Erscheinungen und Überlegungen gelten für andere Unternehmensverträge. So wirkt ein Gewinnabführungsvertrag der Untergesellschaft wie ein Spartengewinnabführungsvertrag der Obergesellschaft, eine Gewinngemeinschaft der Untergesellschaft wie eine Teilgewinngemeinschaft der Obergesellschaft. In allen diesen Fällen ist die Mitwirkung der Gesellschafter vorgeschrieben; tatsächlich wird diese Mitwirkung jedoch [359] durch das Leitungsorgan des Gesamtverbandes, die Verwaltung der Obergesellschaft wahrgenommen. 3. Schwierigkeiten bereitet auch die Frage der Kapitalerhöhung bei Tochtergesellschaften. Das gilt nicht für die mehr oder minder „nominelle“ Erhöhung durch volle Übernahme des Erhöhungsbetrages seitens der Obergesellschaft – nominell insofern, als die Art der langfristigen Finanzierung einer Tochtergesellschaft ein Managementproblem, nicht in erster Linie dagegen ein Rechtsproblem aus der Binnenstruktur des Konzerns ist. Das gleiche gilt, wenn es sich um die gemeinsame Tochtergesellschaft mehrerer Unternehmen handelt und das neue Kapital im bisherigen Verhältnis übernommen wird. 30 Vgl. Näheres dazu bei Lutter, Fusionsähnliche Unternehmensverbindungen (FN 12), DB 1973, Beilage Nr. 21, S. 12 ff. 31 Vgl. etwa den Fall des OLG Frankfurt vom 28. 2. 1973, WM 1973, 342, wo dann allerdings der Pachtvertrag zwischen Ober- und Untergesellschaft geschlossen wurde.

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Ganz anders aber ist die Lage, wenn eine Kapitalerhöhung bei der Tochtergesellschaft als Grundlage für die Beteiligung Dritter benutzt wird, sei es bei der Entwicklung zu sogenannten Gemeinschaftsunternehmen32, sei es zur allgemeinen Finanzierung unternehmerischer Vorhaben. In solchen Fällen wird die korporative Struktur des Konzerns betroffen, indem Mitgliedschaftsrechte an den „Ästen“ geschaffen und Dritten überlassen werden: Der Einfluß der Muttergesellschaft und ihrer Organe einschließlich ihrer Hauptversammlung wird reduziert. Je nach der Gestaltung des Einzelfalles reichen diese Folgen von der Notwendigkeit, künftig Minderheitsrechte beachten zu müssen, bis hin zur Aufgabe des bestimmenden Einflusses der Obergesellschaft auf die betreffende Untergesellschaft, etwa im Gemeinschaftsunternehmen. Ein weiteres kommt hinzu. Den Aktionären der Obergesellschaft steht bei Kapitalerhöhungen ein Bezugsrecht aus § 186 zu. Dieses Recht schützt unter anderem den Vermögenswert der Anlage des einzelnen Aktionärs in dieser Gesellschaft im Hinblick auf die Unsicherheiten bei der Bestimmung des „richtigen“ Ausgabekurses. Dieser Schutz versagt bei der Ausgabe von Mitgliedschaftsrechten der Untergesellschaft an Dritte, solange daran nicht eben die Aktionäre der Obergesellschaft unmittelbar partizipieren. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß es gar nicht des Vorganges der Kapitalerhöhung bedarf, um vergleichbare Probleme und Ergebnisse zu erreichen: Schon die einfache Veräußerung von Mitgliedschaftsrechten an eben solchen Tochtergesellschaften seitens der Obergesellschaft läßt Dritte zu Inhabern von Mitgliedschaftsrechten werden. Ebensowenig wie bei der Kapitalerhöhung ist bislang bestritten, daß dieser Vorgang als die Verwaltung von Aktiva der Muttergesellschaft in den Zuständigkeitsbereich ihres Vorstandes und ggf. ihres Aufsichtsrates (§ 111 IV) fällt. [360] III. Zwischen-Überblick Zu Beginn unserer Überlegungen haben wir vier zentrale Zuständigkeits- und Aufgabenbereiche der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft betont und gefragt, ob und in welchem Maße diese Bereiche, entwickelt für die zentrale, monistisch gedachte Aktiengesellschaft, durch die gegliederte Struktur des Konzerns beeinträchtigt werden. Die Untersuchung ergab bislang, daß

32 Beispiel: die 100%ige Tochtergesellschaft X-AG der A-AG erhöht ihr Kapital von 10 Mio. DM auf 20 Mio. DM; die 10 MIO. DM neuen Kapitals werden voll von der B-AG gegen Sacheinlagen übernommen zum Ausbau der Produktion in Richtung auf ein klassisches Gemeinschaftsunternehmen.

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die Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Kontrolle und Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Obergesellschaft der gegliederten Konzernstruktur folgt; die Befugnis zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern sowie die Befugnis des Aufsichtsrats zur Bestellung und Abberufung des Vorstandes zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar dadurch tangiert werden können, daß ein unmittelbarer Zugriff auf die abgeleitete Position in der Untergesellschaft nicht besteht; aus faktischen Gründen kann dieser Bereich im Augenblick aber als nicht besonders gravierend betrachtet werden; die Befugnisse der Hauptversammlung aus §§ 58, 179, 182 ff. und aus verwandten Tatbeständen (z. B. §§ 291 ff.) materiell dagegen durchaus tangiert werden. Diese letzteren Fälle bedürfen daher der weiteren Erörterung. Drei Ansätze für eine Lösung kommen in Betracht. A. Man kann der Auffassung sein, der Gesetzgeber des Jahres 1965 habe die Ordnung des Konzerns eben nur teilweise geregelt. Fragen der hier entwickelten Art müßten daher wie bislang behandelt und der Zuständigkeit der Verwaltung zugeordnet werden. Nur in diesen Grenzen sei die Kompetenz der Aktionäre in ihrem Organ Hauptversammlung zu verstehen. Eine Argumentation dieser Art würde übersehen, daß sich der Gesetzgeber von 1965 zur Aufgabe gestellt hatte, gerade die Position des Aktionärs zu verbessern und sie nicht zuletzt im Konzern zu stärken. Diese Zielsetzung hat ihren Niederschlag in einer Reihe von Vorschriften gefunden33, deren Zusammenklang als Gesamtwertung des Verhältnisses von Aktionär und Verwaltung anzusehen ist. Von daher ist es nicht gestattet, das Ungeregelte a priori als Sache der Verwaltung und damit der Hauptversammlung entzogen anzusehen. B. Ist man derart auf die Suche nach Lösungen angewiesen, so lassen sich wiederum zwei Wege vorstellen: 1. Einmal kann versucht werden, die Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft in externe Kompetenzen und interne Befugnisse zu zerlegen. Im- [361] merhin ist dem Korporationsrecht die Erscheinung wohl vertraut, daß Organe gegenüber Dritten rechtlich viel mehr können als sie im Verhältnis zu anderen Organen ihrer eigenen Korporation eigentlich dürfen34. Es mag daher sein, daß die dargestellten Interferenzen im Gefolge des Konzerns nur deshalb so unbefriedigend erscheinen, weil dieser Aspekt bei Beurteilung der internen Zuständigkeiten nicht genügend berücksichtigt wurde. -

So etwa vor allem die §§ 293-299, 304-306, 317, 329 ff. Vgl. etwa § 82 II AktG, § 37 I GmbHG, § 126 II HGB und dazu insgesamt Mertens, Die Schranken gesetzlicher Vertretungsmacht im Gesellschaftsrecht, JurA 1970, 466 ff. 33 34

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2. Andererseits ist dem Korporationsrecht auch die Figur des Durchgriffs bekannt. In Einzelfällen macht das Gesetz selbst davon Gebrauch35; stärker haben sich Rechtsprechung und Lehre seiner bedient36. Dabei galt es jeweils, die Lösung für extreme Ungleichgewichtslagen im Korporationsrecht zu finden. Durchgriff bedeutet Aufhebung der regulären korporativen Organstruktur. Da das Gesetz den Konzern als die Verbindung selbständiger und selbständig strukturierter Einheiten anerkennt, kann dieser Durchgriff nicht die Regellösung sein, sondern muß die ultima ratio bleiben37. Die Untersuchung der hier interessierenden Fragen muß daher diese Reihenfolge der Instrumente beachten. IV. Gewinnverwendung und Rücklagenbildung in der Tochtergesellschaft einer AG A. Die Ordnung des Aktienrechts trifft klare Regeln für die Berechnung des Jahresüberschusses, den Umfang seiner Minderung nach § 58 II und die Zuweisung des Bilanzgewinns in die Hoheit der Hauptversammlung. Diese Regeln sind in sich zwingend; ihre Nichtbeachtung führt zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses (§ 256 I Nr. 4) oder zur verbindlichen Festlegung für spätere Bilanzen (§§ 258 ff., 261). In erster Linie aber wenden sich die Vorschriften an die Verwaltung und sind Teil ihrer Pflichten im [362] Rahmen einer ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben; sie bestimmen also Art und Weise der Tätigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat einer AG, das Wie ihrer Aufgabenerfüllung38. Dieses Wie der ordentlichen und gewissenhaften Verwaltung einer AG (§ 93 I) ist umfassend und bestimmt den gesamten Bereich dieser Tätigkeit, soweit es sich nicht ausnahmsweise um Einzel- oder Sonderpflichten handelt. Davon aber kann gerade im Rahmen der Regelungen zur Ermittlung, zum Ausweis und zur Verwendung des Jahresüberschusses keine Rede sein. Die Regeln hierzu standen im Zentrum der Aktienrechtsreform von 1965 und sollten in entscheidender Weise das Verhältnis

35 36

So z. B. der oben behandelte § 337 IV, aber auch § 322. BGHZ 22, 226; 25, 115; 31, 258, 270; 45, 204; BGH WM 1968, 891; BGH NJW 1970,

2015. Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, Berlin und Tübingen 1955; Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959. Zuletzt mit umfangreichen Nachw. aus Rechtsprechung und Literatur Meyer-Landrut, in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 1 Anm. 23 ff. und Kraft, Kölner Kommentar zum AktG, § 1 Anm. 66 ff. 37 So hat das AktG nicht einmal im vertraglichen Abhängigkeitskonzern der §§ 291, 300 ff., 308 ff. die Haftung der Obergesellschaft für die Verbindlichkeiten der Untergesellschaft normiert; diese Haftung gilt erst bei der Eingliederung, § 322. 38 Vgl. Hefermehl, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Komm. zum AktG, 1973, § 76 Anm. 11; Baumbach-Hueck, a.a.O. (FN 19), § 82 Anm. 10 u. 11.

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von Verwaltung, und Hauptversammlung der Aktiengesellschaft bestimmen39. Ihr Inhalt ebenso wie die Aufgabe, das mit dieser Regelung verfolgte Ziel zu verwirklichen, gehören daher zum zentralen Aufgaben- und Pflichtenbereich der Verwaltung. Daraus folgt, daß der Vorstand der Obergesellschaft – unter der Aufsicht seines Aufsichtsrats – verpflichtet ist, diese Grundsätze für den Gesamtbereich der Gesellschaft und damit auch für den Bereich der eigenen Konzernuntergesellschaften zu verwirklichen: er ist nicht berechtigt, diesen Regeln durch Verlagerung des Problems in selbständige Tochtergesellschaften auszuweichen, sondern ist im Gegenteil verpflichtet, die genannten Grundsätze in den Konzernuntergesellschaften nach Möglichkeit dadurch zu verwirklichen, daß er für die volle Verlagerung des (anteiligen) Jahresüberschusses auf die Mutter-Aktiengesellschaft votiert und in der GmbH als Untergesellschaft außerdem für eine Bilanzierung nach aktienrechtlichen Bewertungsregeln Sorge trägt. Wollte man die Pflichtenlage schon in ihrem Grundsatz anders verstehen, so müßte man dem Gesetz unterstellen, daß es die Kompetenzverteilung in §§ 58, 174 gar nicht so ernst gemeint und, im Gegenteil, den Vorstand in § 76 ermächtigt habe, den Anwendungsbereich der Vorschrift durch entsprechende Maßnahmen der korporativen Organisation (Tochtergesellschaften) selbst zu bestimmen. Das wäre sicher ein Mißverständnis. Diesen Überlegungen könnten jedoch noch Einwände aus dem eigenen Recht der Untergesellschaft und den Rechten etwaiger Minderheitsgesellschafter dort entgegenstehen. 1. Zunächst einmal steht es weder Aktien- noch GmbH-Recht entgegen, auf die Bildung offener Rücklagen – außerhalb der gesetzlichen Reserve – zu verzichten und den Jahresabschluß ungeschmälert in Bilanzgewinn zu überführen. Ebensowenig verbietet das GmbH-Recht der Untergesellschaft, die Aktiva nicht nur zu Höchst-, sondern auch zu den Mindestwerten des [363] Aktienrechts anzusetzen40. Die obigen Feststellungen zur Bilanzerstellung in der GmbH als Untergesellschaft gelten daher ohne Einschränkung. 2. Die Bildung von Rücklagen dient aber nicht nur beliebiger Gewinnthesaurierung, sondern schützt die Gesellschaft vor Gefahren und stärkt ihre Möglichkeiten am Markt. Fraglich könnte daher sein, ob die Verwaltung der Obergesellschaft nicht in gleicher Weise verpflichtet ist, in diesem Zusammenhang auch die

39 Vgl. dazu Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 58 Anm. 2 ff.; Barz, a.a.O. (FN 19), § 58 Anm. 3 ff.; zur Entwicklung der Vorschrift vgl. die Nachweise bei Kropff, Aktiengesetz 1965, bei § 58 (S. 76 ff.). 40 Es handelt sich auch bei diesen Mindestwerten des Aktiengesetzes (§§ 153 ff.) um die Ausprägung von Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung. Daher darf die GmbH jedenfalls nach diesen Regeln bilanzieren; vgl. Berg, in: Handbuch der GmbH, Rz II, 86.

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Interessen der selbständigen Korporation Untergesellschaft und ihrer Gesellschafter zu berücksichtigen. Man wird wiederum zu unterscheiden haben. a) Ein Interesse der selbständigen Korporation, des Unternehmens als solchem, gibt es in diesem Zusammenhang nicht, wohl aber Interessen der von ihm Betroffenen und an ihm Interessierten. Das sind zunächst einmal etwaige Minderheitsgesellschafter. Gibt es sie in der Untergesellschaft und nehmen sie noch am wirtschaftlichen Schicksal ihrer Gesellschaft teil41, so kann deren Interesse an Festigung und Förderung der Gesellschaft in angemessenem, aber keineswegs beliebigem Umfange auch durch Bildung von (offenen!) Rücklagen42 ebenso zu berücksichtigen sein wie die Tatsache, daß die Gesellschaft ein Konzernunternehmen der betreffenden Obergesellschaft ist. b) Hat die Untergesellschaft keine eigeninteressierten Minderheitsgesellschafter, so sind noch die Interessen von Gläubigern und Arbeitnehmern zu beachten. Im allgemeinen sind diese Interessen durch die gesetzlichen Vorschriften zum Kapital, zur gesetzlichen Reserve und zur Bewertung der Aktiva und Passiva bei der Bilanzierung ausreichend berücksichtigt. Nur in Sonderfällen kann hier also die Bildung besonderer Rücklagen aus Überlegungen der hier angedeuteten Art gerechtfertigt sein; dabei sind aber in jedem Falle die Grundsätze aus § 58 II zu berücksichtigen. 3. Sind Ausnahmen der soeben erörterten Art gegeben und werden offene Rücklagen über die gesetzliche Rücklage hinaus in der Untergesellschaft gebildet, daneben aber auch Bilanzgewinn ausgeschüttet und an die Obergesellschaft abgeführt, so setzen diese Überlegungen der Verwaltung zugleich Schranken für die Anwendung von § 58 II in der Obergesellschaft. Die Minderung des Jahresüberschusses durch die Verwaltung selbst darf in einem solchen Falle nicht den vollen Umfang von § 58 II ausschöpfen, [364] sondern muß die Tatsache der Rücklagenbildung in der Untergesellschaft angemessen berücksichtigen: andernfalls würde die Verwaltung faktisch und damit pflichtwidrig die Kompetenz aus § 58 II mehrfach, d. h. im Ergebnis überhöht in Anspruch nehmen. B. Diese Überlegungen beruhen insgesamt auf Pflichten der Verwaltung. Ihre Verletzung berechtigt zur Versagung der Entlastung; sie führt aber in aller Regel nicht zu einem materiellen Schaden der Obergesellschaft, so daß die §§ 93, 116 de facto unanwendbar bleiben. Damit aber bleibt zugleich die Frage, ob die hier aus §§ 58 II, 93 I entwickelte Lösung dieses konzerninternen Divergenzproblems wirklich ausreichend ist. Trotz des schwachen Sanktionenkatalogs ist das anzunehmen, da sich weder Vorstand noch Aufsichtsrat auf die Dauer dem Vorwurf 41 Das ist z. B. nicht der Fall, wenn sie alle Begünstigte einer Dividendengarantie der Obergesellschaft sind. 42 Ein sachlicher Grund, weshalb die Bildung (und Auflösung) von Rücklagen verdeckt sein müßte, ist nicht zu erkennen. Die Debatte darum braucht hier nicht erneut aufgenommen zu werden; sie ist für den aktienrechtlichen Bereich in den §§ 153 ff. entschieden.

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der Pflichtwidrigkeit aussetzen können, und das um so weniger, als das Auskunftsrecht der Aktionäre zugleich für die volle Offenlegung des Verhaltens der Verwaltung in diesem Bereich sorgt. V. Kapitalmaßnahmen in und Veräußerungen von Mitgliedschaften an Tochtergesellschaften von Aktiengesellschaften A. Wendet man die soeben erläuterten Grundsätze zur Bestimmung von besonderen Aspekten der allgemeinen Pflicht des Vorstands zu ordentlicher Verwaltung einer Aktiengesellschaft als Konzernobergesellschaft aus spezifischen Normen des Aktienrechts auf das Problem der Mitgliedschaft in Tochtergesellschaften an, so muß Ausgangspunkt aller Überlegungen das Bezugsrecht aus § 186 sein. Seine Doppelbedeutung für den Schutz des in der Mitgliedschaft verkörperten Vermögenswertes und der Beteiligungsstruktur ist inzwischen gesicherte Erkenntnis43. Auch wurde bereits an anderer Stelle dargelegt, daß diese Regel nicht nur für die Kapitalerhöhung gilt, sondern von der Verwaltung auch bei der Veräußerung eigener Aktien zu beachten ist44. Daraus erwächst der Verwaltung einer Aktiengesellschaft zugleich die Pflicht, bei Maßnahmen, die unmittelbar oder mittelbar in gleicher oder verwandter Weise in die Mitgliedschaft eingreifen, eben diesen Schutzbereich der Vorschrift zu beachten. B. Die Veräußerung von Mitgliedschaftsrechten an Konzernuntergesellschaften oder die Kapitalerhöhung in der Konzernuntergesellschaft mit [365] Zulassung Dritter zur Übernahme des neuen Kapitals wirkt nicht unmittelbar auf die Mitgliedschaft in der Obergesellschaft ein. Und auch mittelbar wirkt der Vorgang zunächst einmal nicht anders, als wenn ein beliebiger Vermögensgegenstand der Obergesellschaft – z. B. ein Betrieb – (teilweise) veräußert würde. Von Extremfällen abgesehen wird man daher den Gedanken des Vermögensschutzes der Beteiligung aus § 186 auf Fälle dieser Art nicht anwenden können: das Gesetz schützt mit § 186 den Aktionär nur vor einer ganz speziellen Gefahr für den Wert seiner Mitgliedschaft, überläßt noch so gefährliche Vermögensumschichtungen in der Gesellschaft aber bis zur Grenze aus § 361 allein der Verwaltung. C. Die gleichen Überlegungen müssen nicht notwendig für den Schutz der Beteiligungsstruktur gelten. Hier steht die Sicherung des Einflusses aus der Mitgliedschaft im Vordergrund mit dem Ziel, diesen Einfluß auf die unmittelbaren und mittelbaren unternehmerischen Entscheidungen nicht zur Disposition der Verwaltung oder der einfachen Mehrheit (§ 186 III) zu stellen. Ist dieser Einfluß 43 Vgl. Götz Hueck, Kapitalerhöhung und Aktienbezugsrecht, in: Festschrift für Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 427 ff. sowie Lutter, a.a.O. (FN 39), § 186 Anm. 6 und Wiedemann, in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 186 Anm. 2 ff. je mit weiteren Nachw. 44 Lutter, a.a.O., § 71 Anm. 93.

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bereits mediatisiert, weil sich das tatsächliche unternehmerische Geschehen in einer Untergesellschaft vollzieht, so muß dafür im Grundsatz das gleiche gelten: ist es der Verwaltung nicht gestattet, den Einfluß der bisherigen Gesellschafter gegen ihren Willen durch Aufnahme neuer Gesellschafter zu verändern, so kann nichts anderes gelten, wenn sich dieser Einfluß über Tochtergesellschaften verwirklicht. Verfolgt etwa die Obergesellschaft ihre gesamte unternehmerische Aktivität über eine Tochtergesellschaft45, so wirkt die Aufnahme fremder Gesellschafter dort im Grundsatz nicht anders als der gleiche Vorgang in der Obergesellschaft selbst. Die Verwaltung der Obergesellschaft ist demnach verpflichtet, bei einer nicht nur unwesentlichen Veränderung in ihrer Beteiligung an einer Konzernuntergesellschaft die Interessen ihrer eigenen Aktionäre durch ein Angebot auf diese Mitgliedschaften (Veräußerung) nach den Regeln aus § 186 I, II u. V sicherzustellen oder die Bezugsrechte (Kapitalerhöhung) nach den gleichen Regeln an die eigenen Aktionäre weiterzuleiten. D. Diese Überlegungen müssen noch unter zwei Gesichtspunkten überprüft werden. 1. Einmal ist zu fragen, ob auch die Abgabe einer mehr oder minder einflußlosen Minderheitsbeteiligung in der Untergesellschaft diesen Pflichten der Verwaltung aus § 186 unterfällt. Während nämlich in der Obergesellschaft eine auch nur geringfügige Verschiebung der Beteiligungsstruktur erhebliche Rechtsfolgen haben kann, gilt das für die Tochter- [366] gesellschaft nicht notwendig in gleicher Weise: hat die Obergesellschaft bisher eine 80%ige Beteiligung und akzeptiert sie eine weitere Fremdbeteiligung von 5% in der Untergesellschaft, so ist ihre Herrschaft rechtlich unverändert und faktisch nach wie vor gesichert. Das aber gilt im Hinblick auf die Regeln des Konzernrechts, insbesondere der §§ 311 ff. nicht, wenn etwa erstmals Fremdgesellschafter der Untergesellschaft beitreten oder sich die Mehrheitsverhältnisse grundsätzlich ändern. 2. Zum anderen wird zu erwägen sein, ob diese Grundsätze auch für Untergesellschaften gelten, die nur einen kleinen Bereich des gesamten unternehmerischen Geschehens der Obergesellschaft verwirklichen. Immerhin ist die hier angesprochene Beteiligungsstruktur weniger tangiert, wenn Mitgliedschaften einer Untergesellschaft in Frage stehen, die nicht einmal 15% des unternehmerischen Geschehens im Gesamtkonzern bestimmt. Da es sich hier um die Bestimmung des Rahmens für die ordnungsgemäße Geschäftsführung handelt, können solche Elemente sachgerechter und vernünftiger Abwägung durchaus berücksichtigt werden, was dort nicht möglich ist, wo es um die Zuständigkeit selbst geht (§ 186 unmittelbar).

45 Das Vermögen der Hoesch AG, einer großen deutschen Publikumsgesellschaft, besteht jetzt nur noch in der 50%igen Beteiligung an der niederländischen ESTEL HoeschHoogovens N. V.

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E. Will die Verwaltung von diesen Grundsätzen abweichen, so ist sie auf die zustimmende Mitwirkung der Hauptversammlung der Obergesellschaft nach den Regeln aus § 186 III u. IV angewiesen. Die Hauptversammlung selbst kann nur unter der Voraussetzung sachlicher Notwendigkeit, nicht also aus beliebigen Gründen und nur mit der hohen Mehrheit des § 186 III der vorgesehenen Veränderung in der Untergesellschaft zustimmen46. F. Verstößt die Verwaltung gegen diese Regeln, so handelt sie pflichtwidrig. In Einzelfällen mag der Obergesellschaft daraus ein Schaden entstehen. Im allgemeinen aber sind die Aktionäre der Obergesellschaft hier persönlich betroffen. Sie können die Erstattung des ihnen daraus erwachsenen Schadens dann, wenn nicht auch die Gesellschaft selbst betroffen ist, gegen die Gesellschaft aus §§ 31, 823 II BGB, 186 AktG und notfalls auch gegen die Mitglieder der Verwaltung der Obergesellschaft aus §§ 823 II BGB, 266 StGB durchsetzen47. G. Auch in diesem Zusammenhang genügen die Anforderungen aus §§ 93, 116, die Rechte und Interessen der Aktionäre der Obergesellschaft im Konzern zu sichern. Eines Durchgriffs etwa derart, daß § 186 unmittelbar zugunsten der Aktionäre der Obergesellschaft auch bei Kapitalerhöhungen in der Untergesellschaft zu beachten wäre, bedarf es nicht. [367] VI. Unternehmerische Grundentscheidungen in der Untergesellschaft Für diesen weiten Bereich von Mitwirkungsaufgaben der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft kann zunächst einmal auf die soeben dargestellten Grundsätze, im übrigen auf frühere Überlegungen an anderer Stelle48 verwiesen werden. A. Nach diesen Grundsätzen ist in einer ganzen Reihe von Fällen die Mitwirkung der Hauptversammlung der Obergesellschaft zu solchen Grundentscheidungen in der Untergesellschaft erforderlich. Das gilt etwa dann, wenn Unternehmensverträge zwischen einer Untergesellschaft und einem Dritten wie ein Teilgewinnabführungsvertrag oder eine Teilgewinngemeinschaft bzw. eine Spartengewinngemeinschaft des Gesamtunternehmens (Konzerns) mit eben diesem Dritten wirken. 1. Auch hier besteht kein Anlaß, mit Überlegungen des Durchgriffs in die Struktur der Untergesellschaft einzugreifen: Die entsprechenden Verträge werden durch die Organe der Untergesellschaft geschlossen und durch ihre Haupt- bzw. 46 Lutter, a.a.O., § 186 Anm. 49 ff. und – zurückhaltender – Wiedemann, a.a.O., § 186 Anm. 12 je mit weiteren Nachw. 47 Einzelheiten dazu bei Lutter, a.a.O., § 186 Anm. 66 und Wiedemann, a.a.O., § 186 Anm. 10 je mit weiteren Nachw. 48 DB 1973, Beilage Nr. 21, S. 6 ff. (oben FN 12).

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Gesellschafterversammlung votiert. Die Verwaltung der Obergesellschaft ist jedoch gehalten, die Mitwirkung der eigenen Hauptversammlung nach den entsprechenden Einzelregelungen des AktG sicherzustellen und nur diesem Votum entsprechend selbst in der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung der Untergesellschaft zu votieren. Obwohl es sich hier um Einzelmaßnahmen von besonderem Gewicht handelt und nach diesen Überlegungen die Außenkompetenz der Verwaltung der Untergesellschaft nicht berührt wird, sind doch die Rechte der Hauptversammlung der Obergesellschaft auch ohne Durchgriff ausreichend gewahrt. Denn wird gegen diese Grundsätze verstoßen, so kann sich doch der Vertragspartner der Untergesellschaft im allgemeinen nicht auf diese Kompetenz der Organe der Untergesellschaft berufen; er weiß im Zweifel – oder muß es zumindest wissen – um die Schranken, die sich aus den hier entwickelten Regeln für deren Mitglieder ergeben49. 2. Da wiederum Pflichten der Verwaltung der Obergesellschaft in Frage stehen, nicht aber die Kompetenz von Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung der Untergesellschaft oder gar der Hauptversammlung der Obergesellschaft, können auch hier – wie schon oben50 – Abwägungen stattfinden und daher solche Fälle ausgenommen werden, die für den Gesamtkonzern (nahezu) bedeutungslos sind. Auch hieraus rechtfertigt sich die oben getroffene Entscheidung, von Überlegungen des Durchgriffs abzusehen. B. In anderen Fällen der hier behandelten Art steht der Verwaltung der Obergesellschaft die alleinige Befugnis zur Entscheidung zu. Das gilt [368] etwa bei Pachtverträgen über den Betrieb einer (von mehreren) Untergesellschaft; denn Pachtverträge über Einzelbetriebe unterfallen auch in der Obergesellschaft nicht § 292 I 351. Hier können sich aus der Konzernstruktur keine anderen und insbesondere keine stärkeren Schranken für die Verwaltung der Obergesellschaft ergeben als bei Maßnahmen solcher Art in einer monistisch strukturierten und damit dem Bild des Gesetzes entsprechenden Aktiengesellschaft.

Vgl. bereits oben und Mertens, a.a.O. (FN 34). S. 366 sub D 2. 51 Baumbach-Hueck, a.a.O. (FN 19), § 292 Anm. 11; Biedenkopf-Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 292 Anm. 21; Godin-Wilhelmi, a.a.O. (FN 25), § 292 Anm. 5; Würdinger, in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 292 Anm. 17. 49 50

Konzernrechtlicher Präventivschutz im GmbH-Recht* NJW 1982, S. 409-420** In seiner Entscheidung vom 16. 2. 1981 (NJW 1981, 1512) hat der BGH die Begründung der „Abhängigkeit“ (i. S. von § 17 AktG) einer bislang unabhängig operierenden GmbH erschwerenden Voraussetzungen unterworfen. Neben formale Beschlußerfordernisse für einen hierauf hinzielenden Gesellschafterbeschluß – etwa: einfache oder qualifizierte Stimmenmehrheit – tritt eine materielle Prüfung des abhängigkeitsbegründenden Vorgangs hinzu. Welche Bedeutung hat dieses Urteil für andere Entscheidungen als den dort behandelten Beschluß über die Befreiung eines Gesellschafters von einem vertraglichen Wettbewerbsverbot? Von dieser Fragestellung ausgehend wird im folgenden versucht, allgemeine Leitlinien für das bislang noch ungeschriebene GmbH-Konzernrecht zu entwickeln. I. Problematik Das weitgehend dispositive Organisationsstatut der GmbH und die hierarchische Ordnung ihrer Organe erlauben, die GmbH stärker als alle anderen Gesellschaftsformen als Instrument der Konzernbildung zu nutzen – sei es als herrschendes, sei es als abhängiges Unternehmen (vgl. § 17 AktG)1. MehrheitsherrGemeinsam mit Wolfram Timm. Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf http://beck-online.beck.de/. 1 Vgl. Schilling, in: Festschr. f. Hefermehl, 1976, S. 383 ff. Gesamtdarstellungen des GmbHKonzernrechtes finden sich bei Hachenburg-Barz, GmbHG, 7. Aufl. (1975), Anh. II zu § 13; Scholz-Emmerich, GmbHG, 6. Aufl. (1978), Anh. II („Die GmbH als verbundenes Unternehmen“); Emmerich-Sonnenschein, KonzernR, 2. Aufl. (1977), S. 232 ff.; und in dem Sammelband „Der GmbH-Konzern“, 1976. An weiteren wichtigeren Darstellungen und Abhandlungen sind insb. Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970; Ihde, Der faktische GmbH-Konzern, 1974, zu nennen; aus letzterer Zeit Verhoeven, GmbH-KonzernInnenR, 1978; K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 121 ff.; Hönle, Betr 1979, 485 ff.; Gutbrod, BB 1980, 288 ff.; K. Schmidt, ZGR 1981, 455, 470 ff.; Timm, BB 1981, 1491 ff. Aus der Rechtsprechung zum GmbH-Konzernrecht vgl. BGHZ 65, 15 (ITT) = NJW 1976, 191 m. Anm. Ulmer = BB 1975, 1450 m. Anm. Schilling = GmbHRdsch 1975, 269; dazu Brezing, AG 1976, 5; E. Rehbinder, ZGR 1976, 386; H. P. Westermann, GmbHRdsch 1976, 77; Wiedemann, JZ 1976, 392. Jüngst hierzu auch BGHZ 80, 69 ff. („Süssen“) = NJW 1981, 1512 = BB 1981, 574 = Betr 1981, 931 = ZIP 1981, 399 = WM 1981, 357. *

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schaft in der GmbH bedeutet die Möglichkeit auch der legalen Herrschaft über die Geschäftsführung, §§ 37, 46 GmbHG. Die GmbH ist daher normtypisch ideale Konzerntochter: Legionen von GmbH-Tochtergesellschaften legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Anders als in der AG scheint der Beherrschungsvertrag im Recht der GmbH daher weitgehend entbehrlich zu sein2. Und das ist auch der Grund, weshalb – sieht man vom Gläubigerschutz einmal ab3 – das Bedürfnis für eine gesetzliche Ordnung des GmbH-Konzerns tendenziell geringer einzustufen ist als für die AG4. Das nun besagt keineswegs, daß jede Maßnahme der Mehrheit in der GmbH per se zulässig wäre. Im Gegenteil: Im Hinblick auf das Wohl der Gesellschaft wurde gerade hier eine allgemeine Förderpflicht der Gesellschafter generell und des Mehrheitsgesellschafters im besonderen entwickelt und zusätzlich seine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber der Minderheit aus treuhänderischer Bindung betont5. In dieser Weise konnte in der Vergangenheit ein ansehnliches Schutzrechtsinstrumentarium zugunsten der Minderheit entwickelt werden, das sich selbständig und vollständig losgelöst von den aktienrechtlichen Vorgaben der §§ 311 ff., 291 ff. AktG entfaltet hat6. Das gilt um so mehr, als sich der legislative Grundgedanke aus den §§ 311 ff. AktG – Aufrechterhaltung der unternehmerischen Selbständigkeit der abhängigen Gesellschaft7 – vielleicht im Aktienrecht (wegen § 76 AktG) verwirklichen läßt8, nicht aber im GmbH-Recht mit seiner institutionell von der Mehrheit abhängigen Geschäftsführung9. Nachteilige Maßnahmen des herrschenden GmbH-Gesellschafters, durch die er ausschließlich oder doch primär seine Interessen verfolgt, sind also mitnichten legal, und zwar [410] selbst dann nicht, wenn er die Nachteile seiner im Konzern-

2 „Scheint“ deshalb, weil entgegen dem Wortlaut von §§ 37, 46 GmbHG keineswegs jede Maßnahme der Mehrheit zulässig ist: Eine Änderung der Interessenausrichtung der abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen ist nur im Vertragskonzern zulässig; vgl. dazu U. H. Schneider, ZGR 1980, 519, sowie u. unter IV 2. 3 Dazu Barz (o. Fußn. 1), Rdnrn. 45 ff. 4 Wie hier zuletzt K. Schmidt, ZGR 1981, 470. 5 Ausführlicher hierzu Lutter, AcP 180 (1980), 84 ff., 114 ff. 6 Allerdings: Vieles ist noch in den Einzelheiten umstritten. Und selbst unproblematisch erscheinende Fragen – etwa die entsprechende Übernahme der Verlustausgleichsverpflichtung nach § 302 AktG auch für den vertraglich organisierten GmbH-Konzern – haben die Feuerprobe eines Gerichtsverfahrens noch nicht bestehen müssen! 7 Die Ratio der §§ 311 ff. AktG ist bekanntlich umstritten; vgl. dazu insb. Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, 1977, S. 5 ff.; wie hier insb. Geßler, in: Festschr. f. Westermann, 1974, S. 145 ff. 8 Zur Bewährung des aktienrechtlichen Konzernrechts vgl. Lutter, SAG 1976, 152 ff. m. w. Nachw.; Emmerich-Sonnenschein (o. Fußn. 1), S. 202 ff. 9 So zutr. Schilling (o. Fußn. 1) S. 398; vgl. weiter dazu Timm, BB 1981, 1492 f.

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interesse angeordneten Maßnahmen in anderer Weise ausgleichen sollte10. Zu Recht hat sich der BGH deshalb im ITT-Urteil11 nahezu vollständig vom prägenden Vorbild des aktienrechtlichen Konzernrechts freigemacht und für die GmbH deutlich andere Akzente gesetzt. Obwohl eine solche Rückbesinnung auf die Loyalitätspflichten der Gesellschafter in punktuellen Mehrheits-/Minderheitskonflikten überzeugende und abgewogene Lösungen ermöglicht12, bleibt das allgemeine Problem der potentiell dauernden und breitflächigen Einflußnahme des unternehmerischen Mehrheitsgesellschafters auf das Schicksal der GmbH bislang ungelöst; denn der isolierte Zugriff auf Einzelmaßnahmen, sei es nun die nur in Grenzen erlaubte Schädigung mit Nachteilsausgleich nach § 311 AktG oder der punktuelle Ansatz der Rechtsprechung entsprechend dem ITT-Fall, kann die im Prinzip legale und doch zugleich nicht mehr autonome Steuerung der Gesellschaft durch einen unternehmerischen Mehrheitsgesellschafter in dessen Sinne weder verhindern noch erfolgreich kontrollieren13. Will man das im Hinblick auf die Minderheit in der GmbH nicht schicksalhaft hinnehmen, so bleiben zwei Möglichkeiten der Reaktion: Man sichert die Minderheiten im Konzern nicht nur punktuell, sondern umfassend ab (insbesondere: durch Austrittsrechte der Minderheit13a oder durch eine Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens-Gesellschafters, vgl. § 30214), oder man legt eine besondere Barriere an den Beginn der Entwicklung15 – wobei sich die beiden Reaktionen mitnichten ausschließen, also auch kumulativ eingesetzt werden können. Mit dem letzten Aspekt – Prävention – begegnet uns ein Gedanke wieder, der seit der Aktienrechtsreform von 1965 und seiner Ordnung der verbundenen Unternehmen in den §§ 15 ff., 291 ff. AktG verschüttet schien: der Schutz der Minderheit vor Entstehung von Abhängigkeit und im Konzern statt des Versuches, punktuell in das nun einmal entstandene Geflecht einzugreifen – ein Versuch, der ohnehin nur bei isolierten Maßnahmen Erfolg verspricht (ITT), nicht 10 Die analoge Anwendbarkeit des § 243 II 2 AktG im GmbH-Konzernrecht ist umstritten; vgl. einerseits Scholz-K. Schmidt, GmbHG, 6. Aufl., § 45 Rdnrn. 72 ff., 75; andererseits (wie hier) Timm, GmbHRdsch 1981, 184, und ausf. Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, § 16 B. 11 BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191 (dazu auch Fußn. 1). 12 Zuletzt hierzu Lutter, AcP 180 (1980), 114 f. m. w. Nachw.; vor dem ITT-Urteil insb. Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 261 ff. 13 Vgl. dazu den geradezu klassischen, wenn auch nicht beispielhaften MehrheitsMinderheits-Konflikt, wie er der Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts v. 22. 5. 1979 (JZ 1981, 236) zugrunde lag; näher dazu Lutter, JZ 1981, 216 ff. 13a Dazu vor allem Wiedemann, ZGR 1978, 277 ff.; ders., GesellschaftsR I, 1980, S. 468 ff. Näher dazu u. IV, 4 (bei Fußn. 68 ff.). 14 Dazu BGH, NJW 1980, 231 ff. = WM 1979, 937 ff. („Gervais“), sowie hierzu Raiser, ZGR 1980, 558 ff., und U. H. Schneider, ZGR 1980, 511 ff. 15 Hierfür tritt insb. Immenga, ZGR 1978, 269 ff., ein; näher dazu u. IV 4 (bei Fußn. 61 ff.).

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aber mehr helfen kann, wenn die „Schlange“ Konzern den „Laokoon“ bereits von allen Seiten umschlungen hält. Der BGH hatte sich in letzter Zeit mit beiden Aspekten zu beschäftigen: Mit dem einer allgemeinen Korrektur unternehmerischer Mehrheitsherrschaft in einem stark verdichteten Konzern16 und mit dem eines Eingangsschutzes, eines „Wehret den Anfängen“17. An die allgemeine Korrektur – die GervaisEntscheidung mit der Rechtsfolge einer Pflicht zum Verlustausgleich im qualifizierten Konzern – sei hier nur erinnert; von ihr soll nicht die Rede sein. Der letztere Aspekt hingegen, zentrales Thema der Entscheidung des II. Senates vom 16. 2. 1981, soll uns näher beschäftigen. In ihr ging es vordergründig um die Befreiung eines Gesellschafters von einem vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbot durch einen Mehrheitsbeschluß der Gesellschafterversammlung, tatsächlich aber um wesentlich mehr. II. Der Sachverhalt Die beklagte GmbH stand im Wettbewerb mit einer anderen Gesellschaft. Als diese plötzlich zum Verkauf anstand, hatte die GmbH ein lebhaftes Interesse daran, daß dieses Konkurrenzunternehmen nicht von einem weiteren (finanzstarken) Unternehmen übernommen wurde; der Marktzutritt dieses dritten Unternehmens in den Geschäftsbereich der GmbH sollte verhindert werden. Ein Gesellschafter der GmbH, der zugleich Mitglied der die Mehrheit haltenden Familie und Geschäftsführer der GmbH war, erwarb daher das Konkurrenzunternehmen auf eigene Rechnung und begehrte hierzu in der Gesellschafterversammlung Befreiung von einem vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbot, welches ihm alle Konkurrenzgeschäfte untersagte. Diese gewünschte Befreiung wurde ihm mit den Stimmen seiner Angehörigen und gegen den Willen der Gesellschafterminderheit gewährt. Ein typischer Konflikt aus dem Recht der verbundenen Unternehmen, so wie er aus den §§ 15 ff., 291 ff., 311 ff. AktG bekannt ist18, scheint hier nicht vorzuliegen, vielmehr eine Lösung des Falles über allgemeine oder spezielle Stimmver-

16 BGH, NJW 1980, 231 ff. = WM 1979, 937 ff. = BB 1979, 231 ff. = BB 1979, 1735 ff. = Betr 1979, 1833 ff. („Gervais“-Fall). 17 BGHZ 80, 69 ff. = NJW 1981, 1512 = BB 1981, 574 = Betr 1981, 931 = WM 1981, 357 = ZIP 1981, 399. Zu einem anderen Aspekt der Entscheidung bereits Timm, GmbHRdsch 1981, 177 ff. 18 Zur typischen Konzernrechtsproblematik, die in § 17 AktG mit den Begriffen „herrschendes Unternehmen“ bzw. „abhängiges Unternehmen“ umschrieben ist, vgl. ausführlicher Lutter-Timm, BB 1978, 836 ff.

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bote nahezuliegen19. Der zugrunde liegende Sachverhalt wies jedoch noch einige Besonderheiten auf. Erworben wurde die Konkurrenzgesellschaft nicht unmittelbar von dem betreffenden Gesellschafter, sondern von einer weiteren Gesellschaft, an der dieser Gesellschafter wiederum mehrheitlich beteiligt war. Anders formuliert: Der betreffende Gesellschafter war nicht bloß Mitglied der Mehrheitsgruppe, sondern darüber hinaus „Unternehmer“ (bzw. genauer: „herrschendes Unternehmen“) i. S. des § 17 AktG20. Damit sind Konfliktfelder unterschiedlicher Art vorgezeichnet: Aus der Sicht des „Unternehmers“ konnte durchaus ein eigenes Interesse daran vorliegen, daß die andere von ihm beherrschte Gesellschaft die fragliche Konkurrenz-Gesellschaft erwarb, nicht aber die GmbH; Aus der Sicht der Gesellschafterminderheit der GmbH erhöhte sich mit dem Erwerb der Konkurrenzgesellschaft hingegen erheblich das Konfliktpotential, welches vom „herrschenden Unternehmer“ ausging: Vor dem Erwerb der Konkurrenzgesellschaft war der betreffende Gesellschafter im Tätigkeitsbereich der GmbH nur in dieser selbst tätig, nach dem Erwerb zugleich in einer konkurrierenden Gesellschaft. Die Entscheidung des BGH betraf nur diesen zweiten Aspekt des konzernrechtlichen Eingangsschutzes (dazu unter IV); dennoch sei hier (unter III) auch das erste Konfliktfeld geschildert, belegt es doch geradezu beispielhaft die Notwendigkeit eines solchen Eingangsschutzes. III. Die Zuordnung von Erwerbsinteressen im Konzern 1. Die Zuordnung von Erwerbsinteressen in der selbständigen Korporation Geschäftsführer – unter Umständen in der personalistisch strukturierten GmbH auch einzelne Gesellschafter – dürfen [411] Erwerbschancen der GmbH nicht als Eigengeschäft wahrnehmen21. Hierzu rechnen alle geschäftlichen Chancen, die in den üblichen oder möglichen Tätigkeitsbereich der Gesellschaft fallen 19 Hierzu – gerade auch unter dem Aspekt des Wettbewerbsverbotes – BGHZ 49, 30 = NJW 1968, 396; BGH, GmbHRdsch 1965, 194 m. Anm. Winter = WM 1964, 1320; GmbHRdsch 1968, 141 m. Anm. Schaudwet = LM § 626 BGB Nr. 14; GmbHRdsch 1977, 129 = WM 1977, 361 (dazu Wank, ZGR 1979, 233 ff.); NJW 1976, 797 = WM 1976, 77; WM 1979, 1329; BGH, Urt. v. 18. 3. 1976 – II ZR 210/74 (nicht veröffentlicht). Noch immer grundlegend zum Stimmrechtsverbot Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, passim. 20 Dazu BGHZ 69, 334 (337) = NJW 1978, 104; sowie hierzu Lutter-Timm, BB 1978, 836 ff., und Zöllner, AG 1978, 40 ff. 21 Näher hierzu und dem folgenden Timm, GmbHRdsch 1981, 177 ff. (m. w. Nachw. aus der Rspr.). Vgl. zur Geschäftschancenlehre weiter Immenga (o. Fußn. 12), S. 156 ff.; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 166 ff.

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oder für diese „wesentlich“ sind. Derartige Erwerbschancen dürfen die Verpflichteten nur dann selbst ergreifen, wenn die Gesellschafterversammlung eine Freigabe ausdrücklich beschlossen hat. Ein solcher Beschluß kann aber nicht beliebig erfolgen: Sind in dem geplanten Projekt eigene Interessen der Gesellschaft involviert, so darf der Beschluß nur gefaßt werden, wenn sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft positiv für die Freigabe sprechen. Entstehen durch eine hiernach ausnahmsweise zulässige Freigabeerklärung dennoch Nachteile für die GmbH, so muß ein „Interessenausgleich“ zugunsten der Gesellschaft oder ihrer Minderheit zuvor festgelegt werden. Da diese Voraussetzungen im konkreten Sachverhalt nicht erfüllt waren, konnte der angefochtene Beschluß bereits mit einer solchen Begründung aufgehoben werden22. 2. Die Zuordnung von Erwerbschancen in verbundenen Unternehmen Aufgrund der Überlegungen zu 1 ließe sich also begründen, daß der betreffende Gesellschafter-Geschäftsführer verpflichtet war, die Erwerbschance (Konkurrenzgesellschaft) für die GmbH wahrzunehmen. Damit aber ist allein das gesellschaftsinterne Verhältnis in dieser Gesellschaft angesprochen. Der betreffende Gesellschafter war jedoch zugleich geschäftsführender Gesellschafter auch der (seiner) weiteren (Verwaltungs-) Gesellschaft. Wie wäre zu entscheiden, wenn er aufgrund seiner Bindungen auch dort zum gleichen Verhalten verpflichtet gewesen wäre, nämlich zum Kauf für diese Gesellschaft? Allgemeiner gesprochen: Wie erfolgt in verbundenen Unternehmen mit unter Umständen verschiedenen Minderheitsgruppen die Zuordnung von Geschäftschancen? Was also gilt – um die Fragestellung auf die Spitze zu treiben –, „wenn die Treuepflichten unlöslich kollidieren, wie es bei der Verflechtung konkurrierender Unternehmen oft zutreffen wird?“23. Man könnte versuchen, den Konflikt dadurch zu lösen, daß man ihn einfach negiert: Solange nicht der Verband als Vertragskonzern besteht, innerhalb dessen die Interessen der Minderheit in ausreichender Weise anderweitig (vgl. §§ 304, 305 AktG) berücksichtigt sind, wäre das Prinzip der rechtlichen und wirtschaftlichen Selbständigkeit jeder Korporation uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. Der objektive Tatbestand der Geschäftschance für die Gesellschaft wäre ausreichend, um ihr die Chance auch zuzurechnen24. Der Pflichtenkonflikt in der Person des

Näher dazu Timm, GmbHRdsch 1981, 177 ff. So die zutreffende Fragestellung bei Mestmäcker (o. Fußn. 21), S. 173. 24 So das erstinstanzliche Gericht im amerikanischen Fall Blaustein v. Pan American Petrolium and Transport Corporation, 21 N. Y. 2 d 651 (1940); ausführlicher dazu Mestmäcker (o. Fußn. 21), S. 174 ff. 22 23

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Geschäftsführers oder Gesellschafters wäre ein Datum, das allein diesen betreffen würde; er allein wäre Haftungsrisiken ausgesetzt. Diese Lösung wäre wenig überzeugend; denn läßt sich die Geschäftschance nicht einer der verbundenen Gesellschaften klar und eindeutig zuordnen, so könnte sich der betreffende Geschäftsführer oder Gesellschafter überhaupt nur fehlsam verhalten: Unternimmt er gar nichts, so führt er in aller Regel die Geschäfte beider Gesellschaften schlecht. Entscheidet er sich für eine Gesellschaft, so nimmt er potentiell die Schädigung der anderen Gesellschaft in Kauf, indem er sich nicht für diese entschieden hat (et vice versa). Die rechtliche Lösung müßte also von der Perplexität der rechtlichen Pflichten, vom fehlsamen Verhalten weg und aktienrechtlichem Vorbild folgend zum Ausgleich bei der benachteiligten Gesellschaft führen. Sie würde damit schnurgerade in diejenige Lösung münden, an deren praktischer – nicht nur: erdachter – Wirksamkeit seit Erfindung der §§ 311, 317 AktG Zweifel bestehen25. Eine andere Lösung ist deshalb naheliegender: Wenn in verbundenen Unternehmen eine klare Zurechnung von Geschäftschancen nicht möglich ist, so muß bereits auf einer früheren Stufe angesetzt werden. Das erfordert Schutzmechanismen für den Augenblick der Geburt, der Entwicklung einer Unternehmensverbindung. Ist der Konzern erst begründet, so ist es in aller Regel unmöglich, den Zustand einer – hypothetisch gedachten – Unabhängigkeit der Gesellschaft aufrechtzuerhalten26. IV. Die Konzernbildung als „archimedischer Punkt“ der Unternehmensverbindung 1. Das Problem Konzernrecht, oder besser: das Recht der verbundenen Unternehmen, kann als Recht der bestehenden Unternehmensverbindungen gedacht werden, aber auch als Ordnung der Konzernbildung27. Unser geltendes Recht ist ganz entscheidend geprägt von der Ordnung der existenten Verbindung. Das machen die allgemein gültigen Definitionen verbundener Unternehmen in den §§ 15 bis 25 Näher hierzu Emmerich-Sonnenschein (Fußn. 1), S. 202 ff.; vgl. zur Kritik der §§ 311 ff. AktG weiter Lutter, SAG 1976, 152 ff.; a. A. in der Bewertung die Mehrzahl der bei Walther, ZGR 1974, 208 ff., mitgeteilten Stellungnahmen aus der Praxis, vgl. insb. S. 215 ff. 26 Wie hier bereits Mestmäcker (o. Fußn. 21), S. 178. 27 So insb. Behrens, ZGR 1975, 440 ff.; Wiedemann, ZGR 1978, 487 ff.; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 71 ff.; Lutter, Rivista delle Società 1981, 666 ff.

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18 AktG ebenso deutlich wie die §§ 311 ff. AktG. Demgegenüber haben die §§ 291 ff. AktG, die den Aspekt der Änderung des Status einer Gesellschaft von einer – gedacht – unabhängigen zu einer konzerneingebundenen Gesellschaft in § 293 AktG immerhin ansprechen, kein eigenes Gewicht entwickeln können; denn sie kommen erfahrungsgemäß erst dann zum Zuge, wenn längst andere (frühere) Formen der Unternehmensverbindung bestanden haben, treffen also den eigentlichen archimedischen Punkt nicht28. Demgegenüber sehen andere Rechtsordnungen den Moment der Bildung einer solchen Unternehmensverbindung als die eigentliche Regelungsaufgabe an29. Während also das deutsche Konzernrecht primär den Schutz der beherrschten Gesellschaft als Regelungsziel ansieht und den Schutz der Minderheit im wesentlichen als Reflexschutz während des Bestehens der Konzerneinbeziehung der Gesellschaft begreift, haben die uns benachbarten Rechte eher den Schutz der von der Konzernbildung betroffenen Gesellschafter im Auge. Die auf europäischer Ebene breit erörterten Vorschläge für „Übernahmeangebote“ („take-overbids“ bzw. „prises de contrôle“) haben immerhin auch bei uns erneut die Frage aufkommen lassen, ob und inwieweit Minderheitsgesellschafter bereits während der Entstehung unternehmerisch ausgerichteter Mehrheitsbeteiligungen zu schützen sind. Die Mitteilungspflichten beim Erwerb von Beteiligungen (vgl. §§ 20 ff. AktG) deuten insoweit an, daß hier ein möglicher Regelungskomplex liegen könnte30. Übernahmeangebote spielen bei uns bei weitem nicht die Rolle, die sie – vornehmlich aus kapitalmarktrechtlichen Gründen – etwa im englischen, amerikanischen oder französischen Recht einnehmen; auch der wettbewerbsrechtliche Hintergrund (§§ 23 ff. GWB) ist bei uns weitaus stärker als in anderen Ländern hinderlich für Übernahmeangebote. Das allgemeine, hinter den Überlegungen für Übernahmeangebote stehende Probleme – nämlich die Kontrollerlangung über ein anderes Unternehmen („prises de contrôle“) – stellt sich hingegen bei uns in gleicher Weise. So haben – den Übernahmeangeboten der ausländischen Rechte durchaus vergleichbare – Kämpfe um die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit einer Gesellschaft in der Vergangenheit [412] bereits vielfach (wenn auch in anderem Gewande) unsere Gerichte beschäftigt – und zwar in den Urteilen zur Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses in der AG nach § 186 III AktG31. In diesen Entscheidungen haben das RG32 und der BGH33 zwar weitgehend auf So zutr. Wiedemann, ZGR 1978, 487. Vgl. hierzu ausführlicher Behrens, ZGR 1975, 440 ff.; Gore-Heinsius-Schmitthoff, Übernahmeangebote im AktienR, 1976, passim; Colombo, Rivista delle Società 1978, 1443 ff.; Lutter, Rivista delle Società 1981, 666 ff. 30 So auch H. P. Westermann, in Gore u. a. (Fußn. 29), S. 68. 31 Näher dazu u. IV 4 (bei Fußn. 80 ff.). 32 Vgl. etwa RGZ 132, 149 („Victoria“). 28 29

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konzernrechtliche Überlegungen verzichtet und die betreffenden Konflikte allein mit allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Kriterien zu lösen versucht; der Sache nach handelte es sich in jenen Entscheidungen jedoch um typisch konzernrechtliche Konfliktlagen. Ähnliches gilt im Grunde für die unter dem Stichwort der „Überfremdung“ geführte Diskussion zur Zulässigkeit von nachträglich eingeführten Höchststimmrechten im Aktienrecht (vgl. § 134 AktG)34. Diese Überlegungen zeigen: Das Konzernrecht des Aktiengesetzes hat die Problematik der Konzernbildung verschüttet, jedenfalls weitgehend außer acht gelassen. Dennoch kann gerade dieser Ansatz den bisherigen konzernrechtlichen Überlegungen neue Impulse verleihen, kann zum Überdenken der bisherigen Strukturen führen und auf diese Weise insbesondere im hierfür offenen GmbHRecht dazu führen, bei künftigen Überlegungen andere Akzente zu setzen, als sie im Aktiengesetz vorgezeichnet sind. Eine solche Rückbesinnung auf den konzernrechtlichen Eingangsschutz macht zunächst erforderlich, den Prozeß der Konzernierung näher aufzufächern, um erkennen zu können, an welcher Stelle und in welcher Weise ein solcher Präventivschutz möglich und sinnvoll ist. 2. Der Unternehmenszusammenschluß als Prozeß Der Zusammenschluß mehrerer Unternehmen zu einer neuen wirtschaftlichen Einheit ist in der Regel ein Prozeß, der sich in vier Phasen35 entwickelt: (1) Mehrheitserwerb36 (2) Ausübung der Mehrheitsherrschaft (gelegentliche Einflußnahme oder in gesteigerter Form: faktische Konzernierung37) (3) Vertragliche Absicherung der Herrschaft (Vertragskonzern)38 (4) Fusion39, übertragende Umwandlung40 oder Eingliederung41. Sieht man den Weg einer unabhängigen Gesellschaft bis zur Eingliederung in ein anderes Unternehmen genauer, so lassen sich sogar weitere Stufen herausar-

33 Vgl. BGHZ 21, 354 = NJW 1956, 1753; BGHZ 33, 175 = NJW 1961, 26 („Minimax“); BGHZ 71, 40 = NJW 1978, 1316 („Kali + Salz“). 34 Näher dazu u. IV 4 (bei Fußn. 95 ff.). 35 Näher hierzu Timm (Fußn. 27), S. 57 ff.; Behrens, ZGR 1975, 440 ff. 36 In Betracht kommen: Beteiligungserwerb durch Paketkauf, sukzessive Einzelkäufe oder Übernahmeangebote. 37 Vgl. §§ 311 ff. AktG für die AG. 38 Vgl. für die AG §§ 291 ff. AktG; zur GmbH vgl. Timm, BB 1981, 1491 ff. m. w. Nachw. 39 §§ 343 ff. AktG; §§ 19 ff. KapErhG. 40 §§ 1 ff. UmwG. 41 §§ 319 ff. AktG.

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beiten, die als Feingliederung zu den soeben genannten vier Phasen verstanden werden können: (1) Mehrheitsfreie Gesellschaft. Diese „normative Musterlage“ versteht sich ohne etablierte Mehrheit; keine einzelne Person oder Gruppe bestimmt die Geschäftsleitung oder kann sie beeinflussen. Die erforderlichen Beschlüsse werden mit wechselnden Mehrheiten gefaßt. (2) Mehrheitsherrschaft. Das Prinzip wechselnder Mehrheiten wird im allgemeinen zu einem sachgerechten Ausgleich der möglicherweise divergierenden Gesellschafterinteressen führen. Dort, wo ein Gesellschafter ohne Rücksicht auf fremde Interessen kraft eigener Mehrheit allein entscheiden kann, besteht hingegen die Gefahr, daß dieser Gesellschafter seine Befugnisse auch einmal zum Nachteil der Gesellschaft mißbraucht. Die Anfechtungsbefugnis der Minderheit und ihre Möglichkeit, selbst Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Mehrheit geltend zu machen (actio pro societate)42 steuern dieser Gefahr. Vinkulierung der Geschäftsanteile (vgl. § 15 V GmbHG, § 68 II AktG) und Vorkaufsrechte im Gesellschaftsvertrag sind präventive Maßnahmen. Auch die Möglichkeit der Statutierung von Höchststimmrechten zielt in die gleiche Richtung (vgl. § 134 I 2 AktG). (3) Abhängigkeit. Die Gefahren, die von der Mehrheitsherrschaft in einer Gesellschaft ganz allgemein ausgehen, verstärken sich, wenn der herrschende Gesellschafter („herrschendes Unternehmen“ i. S. des § 17 AktG) auch noch außerhalb der Gesellschaft unternehmerisch tätig ist. Eine solche unternehmerische Tätigkeit begründet die Besorgnis, daß die Gesellschaft fremden Unternehmensinteressen dienstbar gemacht wird43. (4) Qualifizierte Abhängigkeit. Die Gefahr, daß das herrschende Unternehmen seine Einflußmöglichkeiten zum Nachteil der Gesellschaft geltend macht, vergrößert sich deutlich, wenn es nicht nur mehrere Unternehmen betreibt, mit der Folge, daß die eine oder andere Beteiligungsgesellschaft für fremde oder übergeordnete Ziele eingespannt werden kann, sondern wenn es sich auf dem gleichen Markt oder einem Produktions- oder Vertriebsbereich betätigt, der diesem Markt nahekommt44. (5) „Dezentrale Konzerneinbeziehung“ (lockerer „Konzern“-Verbund). Die aus der Abhängigkeit herrührende Möglichkeit der Herrschaft kann das herrschende Unternehmen zur gelegentlichen Einflußnahme nutzen, ohne daß aus dieser gelegentlichen Einflußnahme bereits eine Konzernherrschaft herrührt. Das Näher hierzu Lutter, AcP 180 (1980), 132 ff. Vgl. BGHZ 69, 334 (337) = NJW 1978, 104; dazu Zöllner, AG 1978, 40 ff.; Koppensteiner, ZGR 1979, 92 ff.; Lutter-Timm, BB 1978, 836 ff. 44 Diese „qualifizierte“ Abhängigkeitslage wurde in der Rechtsprechung zum ersten Mal in der Gervais-Entscheidung angesprochen; vgl. BGH, NJW 1980, 231 ff. = WM 1979, 937 (940 f.). 42 43

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abhängige Unternehmen wird gewissermaßen „an der langen Leine“ geführt. Es besteht ein lockerer Verbund. Diesen Gefahren sucht das Aktienrecht in den §§ 311 ff. AktG zu steuern („Verantwortlichkeit bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages“). Die §§ 311 ff. AktG regeln also mitnichten den „faktischen Konzern“; ihr Regelungsgegenstand ist vielmehr der bloß locker strukturierte Unternehmens-„Verbund“45. In der Praxis werden die hiermit angesprochenen Strukturen meist unter dem Stichwort des „Konzerns im Konzern“ erörtert46, bei dem es letztlich um die Frage „Konzern“ oder „noch-nicht-Konzern“ geht. (6) Faktische Konzernierung. Die nur gelegentliche Einflußnahme kann sich zur dauerhaften Herrschaft auf einem wesentlichen Unternehmensbereich (zum Beispiel Finanzen, Vertrieb oder ähnlichem) steigern. Damit liegt rechtlich nunmehr Konzernherrschaft i. S. des § 18 AktG vor47. (7) Qualifizierte faktische Konzernierung48. Steigert das herrschende Unternehmen die Konzernherrschaft breitflächig in der Weise, daß die abhängige Gesellschaft nurmehr als unselbständige Betriebsabteilung erscheint, werden erneute Gefahrenmomente sichtbar: Typischerweise wird das herrschende Unternehmen den eigenen Interessen den Vorrang vor den Interessen der abhängigen Gesellschaft einräumen; zugleich werden im Regelfall mit dieser qualifizierten Herrschaft für etwaige Mitgesellschafter oder Gläubiger die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse undurchsichtig und unkontrollierbar. (8) Vertragskonzern. Eine Änderung der Interessenausrichtung der abhängigen Gesellschaft ist nur zulässig, wenn die Konzernierung mit Zustimmung der Gesellschafter durch eine klare organisationsrechtliche Grundlage vertraglich abgesichert wird49. Die Konzernherrschaft wird legalisiert; zugleich dokumentiert der Mehrheitsgesellschafter seine Verantwortung nach außen. Er übernimmt konzernintern die [413] Haftung für Gesellschaftsschulden und garantiert etwaigen Minderheitsgesellschaftern die Integrität ihrer Interessen durch Ausgleichszahlungen oder Abfindung dieser Interessen. 45 Ausf. dazu Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, § 5 m. w. Nachw.; Strohn (Fußn. 7), S. 95 ff. Zutreffend deshalb die Folgerung von Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. (1981), S. 343, daß die §§ 311 ff. AktG nicht auf die Ausübung der Leitung abstellen, sondern auf jede einzelne Einflußnahme. 46 Dazu Lutter-Schneider, BB 1977, 553 ff.; Geßler, BB 1977, 1313 ff.; v. Hoyningen-Huene, ZGR 1978, 515 ff. 47 Zum Begriff der einheitlichen Leitung, der für den Konzernbegriff konstitutiv ist, vgl. Lutter-Schneider, BB 1977, 556; Würdinger, AktienR und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. (1981), § 65 IV. 48 Zum qualifizierten Konzern vgl. de lege ferenda den Vorschlag des Arbeitskreises GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Bd. 2, 1972, S. 47 ff. Vgl. hierzu weiter die Überlegungen im Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, Rdnrn. 1662 ff., sowie dazu K. Schmidt, ZGR 1981, 472 ff. De lege lata zum qualifizierten faktischen Konzern vor allem Strohn (o. Fußn. 7), passim. 49 Vgl. U. H. Schneider, ZGR 1980, 519.

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(9) Eingliederungskonzern. Auch im Vertragskonzern ist die Herrschaft noch nicht grenzenlos zulässig. Das Bestandsinteresse der abhängigen Gesellschaft ist zu wahren50. Sollen beide Vermögensmassen weiter vermischt und die Herrschaft weiter gesteigert werden, so stellt das Aktiengesetz in den §§ 319 ff. AktG hierfür die Eingliederung zur Verfügung: Trotz rechtlicher Selbständigkeit wird die eingegliederte Gesellschaft faktisch zur bloßen Betriebsabteilung. (10) Verschmelzung oder übertragende Umwandlung. In letzter Konsequenz kann aus der wirtschaftlichen auch eine rechtliche Einheit werden, etwa durch Verschmelzung oder übertragende Umwandlung. Die Verschmelzung ist also vielfach keine Verschmelzung zwischen wirtschaftlich unabhängigen Gesellschaften, sondern sogenannte „Konzernverschmelzung“51. Hieraus die gebotenen Folgerungen zu ziehen, scheint nunmehr auch der Gesetzgeber bereit zu sein52. Diese klare und in sich schlüssige Systematik der Entwicklung eines Unternehmensverbundes wird durch die Vorschriften der §§ 291 ff. AktG eher verdunkelt: Mittelpunkt der gesetzgeberischen Bemühungen ist erst die schon entstandene Konzernverbindung. Kennzeichnend hierfür ist, daß der Vertragskonzern, der mit Ausnahme der noch höheren Zusammenschlußformen Eingliederung oder Fusion in der Regel der Endpunkt der Einbeziehung eines Unternehmens in den Herrschaftsbereich eines anderen ist, systematisch am Anfang der konzernrechtlichen Regelungen des Aktiengesetzes steht53. Diese verfehlte Systematik des Gesetzes verdeckt, daß die faktische Verbindung (§§ 311 ff. AktG) der vertraglichen Regelung (§§ 291 ff. AktG) vorangeht. Die Formen sind entgegen der gesetzlichen Systematik nicht Alternativen, sondern Stufen eines Prozesses, sind mithin weder gleichwertig noch beliebig untereinander austauschbar54. Vergegenwärtigt man sich diese Stufenfolge, so wird zugleich deutlich, daß der Prozeß der Konzernierung nicht mit einfachen Lösungen geregelt werden kann. Ebenso gestufte Eingriffsnormen und Abwehrmechanismen sind erforder50 Dazu Wilhelm, Die Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, 1976, passim; Immenga, ZHR 140 (1976), 301 ff.; Geßler, ZHR 140 (1976), 433 ff.; Clemm, ZHR 141 (1977), 197 ff. 51 Dazu die Beispiele bei Günther, AG 1968, 98 ff.; Immenga, BB 1970, 629 ff. 52 Vgl. § 352c AktG in der Fassung des RegE zur Umsetzung der 3. EG-Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechtes in das deutsche Recht, BR-Dr 344/81 v. 28. 8. 1981, S. 19 (Begründung, ebenda, S. 68 ff.). 53 Auf diese verfehlte Systematik hat bereits Behrens, ZGR 1975, 441, hingewiesen. 54 Ähnlich Behrens, ZGR 1975, 441. Auch Sura, ZHR 145 (1981), 438 (in Anlehnung an seine früheren Überlegungen in: Sura, Fremdeinfluß und Abhängigkeit im AktienR, 1980, S. 43 f.) betrachtet das Konzernrecht als dynamischen Prozeß, nicht aber als statischen Zustand; umso verfehlter deshalb die Konsequenz, konzernrechtlichen Schutz (durch einen „Sicherungsstock“) erst für die Zeit nach Auflösung der Unternehmensverbindung vorzusehen, nicht aber bereits auf früheren Stufen der Unternehmensverbindung; zutreffend deshalb die Kritik, die Geßler, ZHR 145 (1981), 457 ff., insb. 463, gegen diesen rechtspolitisch schon in der Tendenz verfehlten Vorschlag richtet.

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lich, um je nach dem Grad der Beeinträchtigung des Eigeninteresses der Gesellschaft Minderheitsgesellschafter und Gläubiger zu sichern. Das aktienrechtliche Raster ist bislang viel zu grob, um auf jeder Stufe die jeweils angemessene Sanktionsform zur Verfügung zu stellen; insbesondere für den qualifizierten faktischen Konzern fehlen jegliche Regeln, so daß zu Recht hier eine der Schwachstellen des Aktienkonzernrechtes gesehen wird54a. Wirksamer Interessenschutz beteiligter Minderheiten ist nur in den ersten Phasen möglich. Der entscheidende Gefahrenzeitpunkt liegt dabei in dem Moment, in dem die Gesellschaft potentiell ihre Eigenständigkeit verliert. Ist der Unternehmensverbund erst hergestellt, herrscht meist „Friedhofsruhe“55. Aus der Sicht der Minderheit kann es danach nur noch graduelle Verschlechterungen geben; die Grundentscheidung – selbständige oder unselbständige Tätigkeit der Gesellschaft – ist hingegen faktisch gefallen, sobald die Gesellschaft abhängig geworden ist, sie eventuell sogar von einem Wettbewerber abhängig wird. 3. Die unterschiedlichen Wege in die Abhängigkeit Das GmbH-Gesetz enthält keinerlei konzernrechtliche Regelungen56; damit ist zu fragen, ob sich Regeln zur Konzernbildung57 aus allgemeinen Grundsätzen entwickeln lassen, die den Weg einer unabhängigen GmbH in eine abhängige Gesellschaft gegen den Willen der Gesellschafterminderheit erschweren, gar unmöglich machen oder die Gesellschafterminderheit in anderer Weise schützen. Man kann dabei kaum auf Überlegungen wie den „Gleichheitsgrundsatz“58 oder eine allgemeine Formel vom „Minderheitenschutz“59 zurückgreifen, die im Grundsatz ihre Ausprägung in „gewöhnlichen“ Mehrheits-/Minderheitskonflikten gefunden haben, hingegen die spezielle konzernrechtliche Gefährdungslage nur unvollkommen erfassen. Auch kommt es sehr auf die konkrete gesellschaftliche Situation an; in der personalistisch strukturierten Gesellschaft einer „Mitarbeitsgemeinschaft“ der Gesellschafter können weitaus strengere Anforderungen als in einer eher kapitalistisch verfaßten Gesellschaft bei der Begründung einer Abhängigkeitslage gestellt werden. Und schließlich sind zwei ganz verschiedene Wege in die Abhängigkeit zu unterscheiden: einmal den Wechsel von MitgliedAusführlicher dazu Lutter, ZGR 1982, Heft 2 (demnächst). Wiedemann, ZGR 1978, 487. In der Tendenz ebenso bereits Mestmäcker (Fußn. 21), S. 178. 56 Umfassende Literatur zum GmbH-Konzernrecht ist oben in Fußn. 1 nachgewiesen. 57 Die Benachteiligung der GmbH im entstandenen Verbund ist in aller Regel eine Verletzung der Pflicht zu loyaler Förderung des Gesellschaftsinteresses; vgl. BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191 (ITT-Fall). 58 Dazu G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im PrivatR, 1958, passim; Wiedemann (o. Fußn. 13), S. 427 ff. 59 Dazu Wiedemann, aaO, S. 404 ff. 54a 55

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schaften (d. h. die Übertragung einer Mitgliedschaft auf einen „UnternehmensGesellschafter“) und zum anderen die Aufnahme neuer, eigener unternehmerischer Tätigkeiten durch Gesellschafter, deren Tätigkeit bislang allein auf diese eine Gesellschaft ausgerichtet war. In ersteren Fällen bieten zunächst einmal (fakultative) Regeln des Gesellschaftsvertrages zur Vinkulierung der Geschäftsanteile Schutz60. Doch kann ein solcher vertraglicher Schutz in concreto fehlen oder die Zustimmung der Mehrheit ausreichen. Auch im zweiten Fall kommen vertragliche Verbote jeder anderen unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschafter oder jedenfalls von Konkurrenztätigkeiten in Betracht; doch können derartige Blockaden hier erst recht fehlen oder der Mehrheitsentscheidung unterliegen – wie der eingangs geschilderte Fall zeigt. Gelten für die in concreto vertraglich nicht geregelten Fälle von Wegen in die Abhängigkeit dann rechtliche Besonderheiten? Ist die Abtretung von Geschäftsanteilen an einen Konkurrenten, die Aufnahme einer unternehmerischen Konkurrenztätigkeit durch einen Mitgesellschafter unter besonderen rechtlichen Aspekten zu sehen? Die derart allgemein gestellten Fragen können, wie schon angedeutet, nicht allgemein beantwortet werden; Antworten lassen sich vielmehr nur unter typisierender Betrachtung der konkreten Situation der betreffenden Gesellschaft entwickeln. Damit stellt sich zunächst – vor Erörterung einzelner Fallgruppen – die Frage, auf welchen Wegen sich überhaupt ein Präventivschutz dissentierender Minderheiten verwirklichen läßt. Erst wenn Klarheit über den allgemeinen Lösungsweg besteht, lassen sich sodann für konkrete Fallgruppen speziellere Regeln entwickeln. [414] 4. Formelle oder materielle Schranken? Es geht also um konzernrechtlichen Präventivschutz der Minderheit, der die möglichen nachteiligen Folgen einer Abhängigkeit der Gesellschaft vermeiden oder abmildern soll. Gedanklich ließe sich ein solcher Schutz auf drei völlig unterschiedlichen Wegen verwirklichen: durch Unterbindung beherrschenden Einflusses, d. h. durch einen Stimmrechtsausschluß des herrschenden Unternehmens in bestimmten Situationen (= formelle Schranke); durch Abfindungsrechte (= Austrittsrecht) der Minderheit in Konzernverhältnissen;

60 Dazu U. H. Schneider, in: Der GmbH-Konzern (o. Fußn. 1), S. 89; Verhoeven (o. Fußn. 1), Rdnrn. 57 ff.

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durch materielle Schranken für das Handeln der Mehrheit in und gegenüber der Gesellschaft (konkrete Mißbrauchs- bzw. Rechtmäßigkeitskontrolle nach materiellen Kriterien). 1. Stimmrechtsausschluß. Die materielle Bindung beherrschenden Einflusses – sei es durch die §§ 311 ff. AktG, sei es durch Treuepflichten in der GmbH – soll nach Auffassung von Immenga61 weder konzeptionell noch praktisch geeignet sein, die nachteilige Ausnutzung von Abhängigkeitslagen nachhaltig zu verhindern; deshalb müsse dem herrschenden Unternehmen bereits präventiv die Möglichkeit genommen werden, die andere Gesellschaft den eigenen Interessen dienstbar zu machen. Als letzte Stufe in der Kanalisierung von Mehrheitsmacht sei folglich an eine Unterbindung beherrschenden Einflusses von UnternehmensGesellschaftern zu denken, d. h. konkret an ein (beschränktes) Stimmverbot, welches – über § 47 IV GmbHG hinausgehend – den Bereich erfaßt, welcher für das herrschende Unternehmen unter konzernpolitischen Gesichtspunkten interessant ist62. Ein solches Stimmverbot würde insbesondere eingreifen bei der Entscheidung über die Bestellung der Mitglieder des Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans der abhängigen Gesellschaft63. Das hinter diesen Gedanken stehende Konzept ist ebenso klar wie einleuchtend: Wer die unternehmerische Verbindung mehrerer Gesellschaften anstrebt, muß – um die Geschäftsführungen als Lenkungsstellen des Konzerns besetzen zu können – der Minderheit die konzernrechtlichen Garantien anbieten (vgl. §§ 302, 304 ff. AktG)64. Dennoch überzeugt das Konzept nicht: Zum einen beginnt der Schutz zeitlich erst in einer nachgelagerten Stufe, nämlich dann, wenn bereits eine Abhängigkeitslage geschaffen ist. Der entscheidende Zeitpunkt der Kontrollerlangung wird damit verfehlt65. Auch hat die Abhängigkeitslage nicht notwendig zur Konsequenz, daß aus der Verbindung der Unternehmen – vermittelt durch die Beteiligung – auch eine konzernmäßige Verbindung hervorgeht66. In solchen Situationen droht stets aus der Mehrheitsherrschaft eine Minderheitsherrschaft zu werden, würde man auch hier mit dem Stimmverbot ernst machen: eine unter Umständen verfassungsrechtlich bedenkliche Entwicklung, die einer Enteignung nahekommen kann! Und schließlich bergen formelle Schranken wie der Stimmrechtsausschluß in erhöhtem Maße die Gefahr naheliegender Umgehungsmög-

Immenga, ZGR 1978, 281 ff. Immenga, ZGR 1978, 283. 63 Immenga, ZGR 1978, 284. 64 So ausdrücklich Immenga, ZGR 1978, 283. 65 Auf diesen Zeitpunkt stellt auch Wiedemann, ZGR 1978, 486 ff., ab. 66 Vgl. BGHZ 62, 193 ff. = NJW 1974, 855 („Seitz“); dazu Geßler, ZGR 1974, 482 und Lutter, NJW 1973, 113 ff. (zum Urteil der Berufungsinstanz). 61 62

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lichkeiten in sich67. Effektiver Präventivschutz ist bei dieser Lösung daher nicht zu erwarten. 2. Konzernrechtliche Abfindungsrechte. Ein GmbH-Gesellschafter kann aus wichtigem Grunde aus der Gesellschaft austreten; entsprechend § 738 BGB erhält er einen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft (soweit nicht im Einzelfall die §§ 30, 31 GmbHG entgegenstehen)68. Zwar ist § 211 RegEGmbHG 1971, der diese Regel gesetzlich vorsehen wollte, nicht Gesetz geworden; das Austrittsrecht ist dennoch heute weitgehend anerkannt69. Umstritten ist allein, welche Umstände im einzelnen als „wichtiger Grund“ für einen Austritt anzuerkennen sind. Ist das – wie etwa von Wiedemann70 vertreten wird – bereits der „Verlust der Selbständigkeit“ der Gesellschaft infolge des Übergangs der Kontrolle auf ein herrschendes Unternehmen, so wäre damit ein ausreichender Präventivschutz gegeben. Eine solche Sicht erscheint jedoch aus mehreren Gründen problematisch. Dem Abfindungsanspruch können in concreto die §§ 30, 31 GmbHG entgegenstehen; er müßte sich also – entsprechend § 305 II AktG – (zumindest hilfsweise) gegen das herrschende Unternehmen richten. Entscheidender als dieser eher praktische Einwand ist ein anderer Umstand: Der Übergang der Kontrolle auf ein herrschendes Unternehmen, d. h. die Abhängigkeitsbegründung, muß keineswegs zur Konzerneinbeziehung der GmbH und damit zu einem nachhaltigen Verlust ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit führen71. Die Abhängigkeit begründet lediglich die abstrakte Besorgnis, der Unternehmens-Gesellschafter könnte künftig das Eigeninteresse der abhängigen Gesellschaft beeinträchtigen. Das muß aber mitnichten so sein: Das Unternehmen kann im Einzelfall auch weiterhin völlig selbständig und ausschließlich eigeninteressiert ausgerichtet operieren72. Auch können sich infolge eines „Verbundeffektes“ für das Unternehmen wirtschaftlich gesehen vielfältige Vorteile ergeben, etwa eine größere Kreditfähigkeit der GmbH (da der Gesellschaft die größere Kreditfähigkeit des herrschenden Unternehmens zugute kommen kann) oder eine erhebliche Geschäftsausweitung infolge größerer verbundinterner Lieferungen73. Anknüpfungspunkt für ein Austrittsrecht des Gesellschafters kann jedoch nur eine einschneidende Veränderung der bisherigen gesell67 Hiervon legen die zahlreichen umfassenden Untersuchungen zur persönlichen Reichweite der Stimmrechtsverbote – aber auch zum Umfang des § 181 BGB – beredtes Zeugnis ab; vgl. statt vieler Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 10), § 47 Anm. 133 ff. 68 Zum Austrittsrecht in der GmbH vgl. Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 1), Anh. § 34 Anm. 43 ff.; Fischer, GmbHG, 9. Aufl. (1981), § 15 Anm. 7. Allg. zum Austrittsrecht Wiedemann, ZGR 1978, 477 ff.; ders. (o. Fußn. 13), S. 400 ff., 468 ff. 69 Vgl. hierzu die Nachw. bei Ulmer (o. Fußn. 68), Anm. 43 ff. 70 ZGR 1978, 448; nicht ganz klar die Position von Schilling (o. Fußn. 1), S. 388. 71 Vgl. o. bei Fußn. 66. 72 Hiervon gehen die §§ 311 ff. AktG aus; näher dazu Hommelhoff (o. Fußn. 10), § 5 m. w. Nachw. 73 Näher hierzu Strohn (o. Fußn. 7), S. 67 ff.

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schaftsrechtlichen Geschäftsgrundlage sein74, d. h. der nachhaltige Verlust der Selbständigkeit der GmbH75. Ein solcher nachhaltiger Verlust der Selbständigkeit ist jedoch nicht bereits bei einem Übergang der Mehrheitsmacht auf einen Unternehmensgesellschafter gegeben (Begründung einer Abhängigkeitslage), sondern liegt frühestens bei Einbeziehung in einen Konzern vor, wahrscheinlich erst bei nachhaltiger Beeinträchtigung des Eigeninteresses der Gesellschaft durch den Unternehmens-Gesellschafter (qualifizierter Konzern)76, mag dies nun rechtmäßig sein oder nicht. Das Abfindungsrecht kann deshalb, entgegen der Auffassung von Wiedemann77, erst auf einer späteren Stufe einsetzen, [415] nicht aber schon bei der Begründung einer Abhängigkeitslage. Erforderlich ist es erst, wenn das Eigeninteresse der Gesellschaft durch fremdunternehmerische Einflußnahmen nachhaltig beeinträchtigt ist. 3. Materielle Erfordernisse einer Abhängigkeitsbegründung. Die Begründung einer Abhängigkeitslage wird in der GmbH im Regelfall einen Beschluß der Gesellschafterversammlung erforderlich machen, sei es daß die Gesellschafterversammlung die Zustimmung zur Abtretung eines Anteils an einen Unternehmensgesellschafter erteilen oder daß sie ihre Zustimmung zur Befreiung von einem Wettbewerbsverbot geben soll. Damit liegt es nahe, den entsprechenden Beschluß der Gesellschafterversammlung besonderen materiellen Voraussetzungen zu unterwerfen. Im oben erwähnten Ausgangsfall78 folgt der BGH genau dieser Konzeption einer konkreten Beschlußkontrolle und geht also weder den Weg über einen Stimmrechtsausschluß der betroffenen Gesellschafter noch verweist er die Minderheit auf ein Austrittsrecht; die Abhängigkeitsbegründung wird materiellen Schranken unterworfen: Sofern eine Maßnahme – im konkreten Fall also: Befreiung eines Gesellschafters vom Wettbewerbsverbot – dazu führt, daß die Gesellschaft hierdurch von einem als Wettbewerber tätigen Gesellschafter abhängig wird (im konkreten Fall: Begründung einer qualifizierten Abhängigkeit), ist die Maßnahme nur zulässig, wenn sie im Gesellschaftsinteresse sachlich geboten ist. Es muß also ein sachlicher Grund aus dem Interesse der künftig abhängigen Gesellschaft vorliegen. Mit diesen Formulierungen knüpft der BGH verbal an

Vgl. Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 68), Anh. § 34 Anm. 43 ff. Auf die Nachhaltigkeit des Verlustes stellt auch Wiedemann, ZGR 1978, 495, ab – ohne hieraus allerdings die hier angedeuteten Konsequenzen zu ziehen. 76 Vgl. hierzu auch die Überlegungen de lege ferenda des Arbeitskreises GmbH-Reform (o. Fußn. 48), S. 47 ff. 77 Wiedemann, ZGR 1978, 495; im Ergebnis wie hier K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 131 f. m. w. Nachw.; ders., ZGR 1981, 473. Offenbar generell gegen Abfindungsrechte – selbst im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern – demgegenüber Kübler, GesellschaftsR, 1981, S. 363, der die Minderheit auf einen Abwehrkampf gegen rechtswidrige Eingriffe verweisen will. 78 BGHZ 80, 69 ff. = NJW 1981, 1512. 74 75

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entsprechende Ausführungen im „Kali + Salz“-Fall79 zum Bezugsrechtsausschluß in der AG an. a) Die Bezugsrechtsausschluß-Fälle als konzernrechtliche Entscheidungen. Überblickt man den Gedankengang der beiden wichtigsten Entscheidungen des BGH zur Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses in der AG, so scheint in beiden Fällen – BGHZ 33, 17580 und BGHZ 71, 4081 – jeder konzernrechtliche Bezug zu fehlen82. Begründet wurde das Ergebnis beide Male ohne jeden Rückgriff auf konzernrechtliche Erwägungen. Betrachtet man die Fälle hingegen aus dem Blickwinkel eines möglichen konzernrechtlichen Eingangsschutzes83, so erscheinen sie in einem anderen Licht. In beiden Entscheidungen ging es im Grunde um einen geplanten Unternehmensverbund. Im „Minimax“-Fall84 sollte die Selbständigkeit des Unternehmens gesichert werden; im „Kali + Salz“-Fall85 ging sie verloren – beides mit Hilfe einer Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluß! In seiner neuen Entscheidung vom 16. 2. 1981 zur Aufhebung des Wettbewerbsverbotes86, in der es ähnlich wie im „Minimax“-Fall um die Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Unternehmens ging, bezieht sich der II. Senat allein auf die „Kali + Salz“-Entscheidung – dies, obwohl vom Ergebnis her ein Hinweis auf BGHZ 33, 175 näher gelegen hätte. Die tragende Begründung lautete damals nämlich so: Ein Bezugsrechtsausschluß sei zulässig, „wenn die Maßnahme erforderlich ist, um den planmäßig verfolgten Fremdeinfluß eines Konzerns abzuwehren und so die wirtschaftliche Selbständigkeit des Unternehmens auf dem Markt zu erhalten“. Diese – allerdings erst von Martens87 in dieser Weise formulierte – im Kern zutreffende Begründung wurde im konkreten Begründungsgang eher verdunkelt88 und erst in der „Kali + Salz“-Entscheidung BGHZ 71, 40 ff. = NJW 1978, 1316. BGHZ 33, 175 = NJW 1961, 26 = LM § 11 AktG 1937 Nr. 1 (R. Fischer) wurde im Schrifttum sehr unterschiedlich beurteilt; vgl. etwa G. Hueck, in: Festschr. f. Nipperdey I, 1965, S. 427; sowie zuletzt Martens, in: Festschr. f. Fischer, 1979, S. 437 ff. (zustimmend); Mestmäcker, BB 1961, 945 ff. (ablehnend). Die Entscheidung BGHZ 21, 354 = JZ 1957, 179 m. Anm. Mestmäcker = LM § 169 AktG 1937 Nr. 1 (R. Fischer) = LM § 197 AktG 1937 Nr. 4 (R. Fischer) erging in der gleichen Sache. 81 Dazu vor allem Lutter, ZGR 1979, 401 ff., aber auch Martens (o. Fußn. 80), S. 437 ff. 82 Aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung vgl. insb. RGZ 132, 149 = JW 1931, 2951 m. Anm. Hachenburg („Victoria-Fall“). 83 So zuerst Martens (o. Fußn. 80), S. 437 ff. 84 BGHZ 33, 175 = NJW 1961, 26 (dazu o. Fußn. 80). 85 BGHZ 71, 40 = NJW 1978, 1316 (dazu o. Fußn. 81). 86 Vgl. o. Fußn. 17. 87 Martens (o. Fußn. 80), S. 441. 88 Die gegen dieses Urteil gerichtete Kritik (vgl. Lutter, in: Kölner Komm., § 71 Anm. 15, § 186 Anm. 50, 57), wird damit für konzernbegründende Vorgänge modifiziert. 79 80

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nachgeliefert: Der Bezugsrechtsausschluß sei immer dann, aber auch nur dann zulässig, wenn er „durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist“, wobei diese Rechtfertigung eine „Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck“ einschließt89. Das im Minimax-Fall angeschnittene Konzernproblem wurde im übrigen auch im „Kali + Salz“-Fall zwar angesprochen („kann die Gesellschaft … abhängig werden“)90, dann aber nicht mehr weiterverfolgt. Insofern hatte der II. Senat zur Begründung seines Ergebnisses im Kali + Salz-Fall die falsche Kontrollfrage gestellt91. Es konnte letztlich nicht darum gehen, ob ein Interesse der Gesellschaft an der fraglichen Sacheinlage bestand; Ziel des Bezugsrechtsausschlusses sollte vielmehr eine wirtschaftliche Verschmelzung von „Kali + Salz (alt)“ mit der Salzdetfurth AG sein. Hierbei wurde nun außer acht gelassen, daß auf dem Wege zu diesem Ziel zunächst einmal die Abhängigkeit von „Kali + Salz (alt)“ begründet wurde. Die Kontrollfrage zur „Erforderlichkeit“ des Eingriffes in die Aktionärsrechte hätte deshalb zunächst lauten müssen, ob zur Erreichung des Ziels einer wirtschaftlichen Verschmelzung die Begründung der Abhängigkeit der Gesellschaft notwendig war (so die nunmehr zutreffende Kontrollfrage des BGH in seiner oben erwähnten Entscheidung zur Aufhebung des Wettbewerbsverbots). Diese Frage wäre zu verneinen gewesen. Nunmehr, in der Entscheidung vom 16. 2. 1981, kombiniert der BGH die richtigen Elemente aus den beiden früheren Entscheidungen: Die zutreffende Erwägung zum Begründungszwang und zum Entscheidungsprozeß der Mehrheitsfindung in BGHZ 71, 40; Die zutreffenden Überlegungen zum konzernrechtlichen Eingangsschutz aus BGHZ 33, 175. Und schließlich nimmt der BGH in seiner Entscheidung vom 16. 2. 198192 einen weiteren Gedankengang auf, der bereits an anderer Stelle93 zum Bezugsrechtsausschluß vorgetragen wurde: Im Rahmen der „Erforderlichkeit“ des Ausschlusses sei zu prüfen, „wie groß die Nachteile … für die Aktionäre sind und ob und gegebenenfalls wie diese gemildert werden könnten.“ Genau diesem Lösungsvorschlag schließt sich der BGH jetzt an. Wenn der Eingriff in die Gesellschafterrechte gegebenenfalls sachlich geboten sei, so sei noch immer zu prüfen, ob dieser Nachteil durch einen im Verhandlungswege zu klärenden „Interessenausgleich“ zwischen Mehrheit und Minderheit beseitigt werden könne; der be-

BGHZ 71, 40 (46) = NJW 1978, 1316. BGHZ 71, 40 (45) = NJW 1978, 1316. 91 Näher dazu bereits Lutter, ZGR 1979, 406. 92 BGHZ 80, 69 (75) = NJW 1981, 1512. 93 Lutter, ZGR 1979, 404 (sub c, bb). 89 90

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günstigte Gesellschafter müsse gegebenenfalls treuhänderische Bindungen zugunsten der Minderheit übernehmen94. b) Der nachträgliche statutarische Schutz vor Abhängigkeit. aa) Die nachträgliche Einführung von Höchststimmrechten. Betrachtet man die genannten Entscheidungen unter diesem Aspekt des konzernrechtlichen Eingangsschutzes, so läßt sich in diese Entwicklungskette auch die MannesmannEntscheidung des BGH vom 19. 12. 1977 zur Zulässigkeit eines nachträglich eingeführten Höchststimmrechtes nach § 134 AktG einfügen95. Dort, wo die „Überfremdung“ einer Gesellschaft droht, muß es Mittel des Selbstschutzes der Gesellschaft [416] bzw. ihrer Gesellschafter geben; entsprechend wurde die Zulässigkeit von Höchststimmrechten in der Begründung zum Regierungsentwurf des Aktiengesetz 196596 so erläutert: Das Höchststimmrecht sei ein „besonders brauchbares Mittel gegen die Unterwanderung durch Konkurrenzunternehmen.“ Oder – konzernrechtlich formuliert – gegen die mögliche Abhängigkeit der Gesellschaft! Hat die Gesellschaft auf einen entsprechenden Präventivschutz in der Ursprungssatzung verzichtet, bedeutet das nicht notwendig, daß das nachträgliche Einfügen dieses Schutzes unzulässig oder auch nur erschwert wäre. Zwar ließe sich argumentieren, daß – sofern dieser nachträgliche Schutz dazu führt, daß in bestehende Rechte einzelner Aktionäre eingegriffen wird – dieser Eingriff nur zulässig sei, wenn der nachträgliche Schutz in concreto erforderlich sei, d. h. wenn eine konkrete Gefährdung der Gesellschaftsinteressen drohe. Anders gewendet: Der nachträgliche Präventivschutz müsse als Eingriff in die Aktionärsrechte nunmehr notwendig und verhältnismäßig sein. Bei einer solchen Sicht käme die Maßnahme – allein schon wegen der für die Einberufung einer Hauptversammlung zu beachtenden Fristen – unter Umständen jedoch zu spät. Deshalb ist eine umgekehrte Betrachtungsweise richtig: Die Gesellschaft darf auch ohne konkreten Anlaß in ihrer Satzung die potentielle Abhängigkeit ausschließen, mithin selbst dann, wenn hiermit Eingriffe in die Rechte einzelner Aktionäre verbunden sein sollten97. Das gemeinsame Interesse aller Aktionäre prävaliert insoweit vor den Partikularinteressen etwa betroffener Mitglieder. Ist ein solcher präventiver konzernrechtlicher Eingangsschutz gesellschaftsvertraglich vorgesehen, so darf er 94 Umfassende treuhänderische Bindungen in Konzernverbindungen hatte bereits Mestmäcker (o. Fußn. 21), S. 195 ff., 223, 355, vorgeschlagen. 95 BGHZ 70, 117 ff. = NJW 1978, 540; dazu auch Timm (o. Fußn. 27), S. 83 f.; ders., JZ 1980, 668. 96 Abgedr. bei Kropff, Textausgabe des Aktiengesetz 1965 mit Begründung, 1965, S. 25 (Begründung zu § 12); vgl. weiter S. 192 (zu § 134). 97 Insofern noch nicht deutlich genug Lutter-Schneider, ZGR 1975, 195, wo der spezifisch konzernrechtliche Aspekt nicht angesprochen wird.

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nun allerdings nicht ohne weiteres aufgehoben werden98, sondern allenfalls auf der Basis ausreichender Erläuterung von Zweck und Hintergrund dieser Aufhebung (§ 186 IV 2 AktG analog). bb) Die nachträgliche Einführung der Anteilsvinkulierung. Nach § 180 II AktG bedarf ein Beschluß, durch den die Übertragung von Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden wird, der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre. Gilt gleiches nun auch für die GmbH99? Die nachträgliche Einführung von Beschränkungen nach § 15 V GmbHG durch einen bloßen satzungsändernden Beschluß nach § 53 GmbHG wird auch hier als nicht zulässig angesehen100; haben diesem Beschluß nicht alle Gesellschafter zugestimmt, so soll er nur die zustimmenden Gesellschafter binden101. Eine solche Sicht ist jedoch verfehlt. Zielt die nachträgliche Vinkulierung allein darauf hin, die Selbständigkeit der Gesellschaft auch für die Zukunft zu sichern, so ist die satzungsändernde Mehrheit ausreichend102. Dissentierenden Minderheitsgesellschaftern, die sich dieser nachträglichen Vinkulierung widersetzen, ist jedoch ein Austrittsrecht aus wichtigem Grunde zu gewähren103. Sofern vorher die freie Übertragbarkeit der Geschäftsanteile vorgesehen war, muß ihnen die Möglichkeit erhalten bleiben, sich gegen eine potentielle Einmauerung in der Gesellschaft zu wehren – eben durch ein Austrittsrecht aus wichtigem Grunde bei Einführung der Vinkulierung. Die nachträgliche Vinkulierung von Geschäftsanteilen der GmbH durch bloßen Mehrheitsbeschluß ist jedoch allein dann zulässig, wenn die Gesellschaft unabhängig ist. In einer bereits abhängigen Gesellschaft kommt eine erleichterte Einführung nachträglichen Präventivschutzes nicht mehr in Betracht. In solchen Fällen kann dann auf eine Analogie zu § 180 II AktG zurückgegriffen werden. c) Die allgemeine Regel. In den genannten Beispielen ging es vordergründig um punktuelle Aspekte wie Aufhebung eines Wettbewerbsverbotes, Ausschluß des Bezugsrechtes, Einführung von Höchststimmrechten oder nachträgliche Vinkulierung von Ge98 Insofern für die GmbH konzernrechtlich bedenklich OLG Stuttgart, GmbHRdsch 1974, 257, sowie die herrschende Meinung in der Literatur; vgl. etwa Hachenburg-Schilling, GmbHG, 7. Aufl., § 15 Anm. 103. 99 Dafür etwa Wiedemann (o. Fußn. 13), S. 401. Zur Problematik vor Erlaß des Aktiengesetzes 1965 Wiedemann, NJW 1964, 282 ff.; Möhring, GmbHRdsch 1963, 201 ff. 100 Dazu ausführlicher Immenga (o. Fußn. 12), S. 76 ff.; Scholz-Priester (o. Fußn. 1), 11. Lfg. 1982, § 53 Anm. 127; Hachenburg-Ulmer, § 3 Anm. 95; in der Tendenz – entgegen der herrschenden Meinung – wie hier Hachenburg-Schilling, GmbHG, 6. Aufl., § 15 Anm. 102. 101 Vgl. Goutier-Seydel, Handkomm. z. GmbHG, 1980, § 53 Anm. 11 ff.; Hachenburg-Schilling (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 13; Scholz-Priester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 77. 102 Hierfür plädierte de lege ferenda auch Wiedemann, NJW 1964, 282 ff. 103 So zutr. in der Tendenz Wiedemann, NJW 1964, 285; Im Ergebnis wie hier HachenburgSchilling (o. Fußn. 100), § 15 Anm. 102.

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schäftsanteilen – d. h. scheinbar Einzelfragen ohne konzeptionellen Hintergrund. Bei näherer Betrachtung verbarg sich hinter diesen isolierten Einzelfragen jedoch das viel allgemeinere Problem eines konzernrechtlichen Präventivschutzes. Damit liegt nahe, aus diesen Detailfragen die gemeinsamen Regeln herauszuschälen, die sodann für weitere bislang nicht behandelte Fälle fortgeschrieben werden können. Stellt man dementsprechend die konzernrechtlich relevanten Aussagen der verschiedenen Detailprobleme zusammen, so lassen sich folgende allgemeine Regeln formulieren: Zuständig für den konzernrechtlichen Eingangsschutz sind in erster Linie die Gesellschafter selbst; sie bestimmen auch Art und Umfang des Schutzes weitgehend selbst (z. B. Höchststimmrecht; Wettbewerbsverbot; Bezugsrechtsausschluß; Vinkulierung der Anteile)104. Die Durchbrechung eines derart bestehenden Präventivsystems ist nur mit Zustimmung der jeweiligen Gesellschafter-(Haupt-)Versammlung möglich; bei der Entscheidung über einen Verzicht im Einzelfall oder eine generelle Aufhebung dieses Schutzes sind von der Gesellschaftermehrheit materielle Schranken zu beachten: Der Eingriff muß sachlich geboten sein. Sachlich gebotene Eingriffe sind nur auf der Basis ausreichender Erläuterung und Stellungnahme der Verwaltung möglich (vgl. § 186 IV 2 AktG). Darüber hinaus sind sachlich gebotene Eingriffe gegebenenfalls durch einen Interessenausgleich zwischen Mehrheit und Minderheit abzumildern. V. Einzelne Fallgruppen 1. Vertragliche Lösungen a) Übersicht. Die Vertragspraxis nutzt die Flexibilität des GmbH-Rechts weitgehend aus; die nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Selbständigkeit wird durch eine Vielzahl von Klauseln zu sichern gesucht, die sich teilweise im Gesellschaftsvertrag, teilweise aber auch in Stimmrechtsvereinbarungen oder in Anstellungsverträgen mit dem Geschäftsführer finden lassen105. Gerade der oben geschilderte 104 Ähnlich wie hier K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 132 („in erster Linie Aufgabe der Vertragsgestaltung“). Dies deckt sich mit den Ergebnissen, die Verhoeven (o. Fußn. 1), Rdnrn. 57 ff., aus seiner empirischen Untersuchung gewonnen hat. Auch der BGH hat den Aspekt des Selbstschutzes wiederholt betont; vgl. zuletzt etwa BGH, NJW 1980, 1465 = WM 1980, 459 (460); für die Personengesellschaft (Publikums-KG) ähnlich Stimpel, in: Festschr. f. Fischer, S. 778 ff.; für die AG vgl. Timm (o. Fußn. 27), S. 179 ff. 105 Dazu die Übersicht bei Verhoeven (o. Fußn. 1), Rdnrn. 57 ff.; U. H. Schneider, in: Der GmbH-Konzern (o. Fußn. 1), S. 78, 89. In der Betonung des vertraglichen Aspektes ähnlich wie

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Fall, bei dem das fragliche Wettbewerbsverbot ausdrücklich im Rahmen begleitender Absprachen zur Übertragung der Anteilsmehrheit von einer früheren auf die jetzige Mehrheitsgruppe vereinbart worden war106, belegt das deutlich. Das Wettbewerbsverbot kann zwar nicht die Abhängigkeit der Gesellschaft, wohl aber deren qualifizierte Abhängigkeit verhindern. Im praktischen Ergebnis wird damit unterbunden, daß sich die Abhängigkeit zum Nachteil der Gesellschaft auswirken kann. Den Gegenstand der Gesellschaft darf die Mehrheit in diesen Fällen nur in der und durch die Gesellschaft selbst verfolgen, nicht aber anderweitig. Damit ist die [417] Stellung der Gesellschaft als selbständiger Wettbewerber gesichert107. Eine straffe Konzernierung der Gesellschaft ist rechtlich wie faktisch ausgeschlossen; denn die Gesellschaft kann nicht arbeitsteilig wie eine bloße Betriebsabteilung innerhalb einer gesamtunternehmerisch geführten Organisation und Konzeption betrieben werden. Das ändert sich schlagartig in dem Moment, in dem die Gesellschaft als von einem Wettbewerber abhängiges Unternehmen anzusehen ist. Von diesem Zeitpunkt an hätte der Mehrheitsgesellschafter die Wahl, eine Maßnahme beliebig in der einen oder anderen Gesellschaft ausführen zu lassen108. Vor diesem Zeitpunkt hat der Gesellschafter dagegen rechtlich lediglich die Möglichkeit, Tätigkeiten, die in den Geschäftsbereich der Gesellschaft fallen, in dieser Gesellschaft selbst zu verfolgen. Oder anders formuliert: Die Eigenständigkeit als selbständiger Wettbewerber wird erst, aber auch bereits dann gefährdet, wenn dem Mehrheitsgesellschafter, der die Geschicke der Gesellschaft steuernd beeinflussen kann, die Alternative eingeräumt wird, ob er mehr das Wohl dieser oder einer anderen (Konkurrenz-) Gesellschaft fördern will. Das gleiche Ziel – Verhinderung möglicher nachteiliger Einflußnahmen in Konzern-Verhältnissen – läßt sich außer durch ein Wettbewerbsverbot in ganz ähnlicher Weise auch dadurch erreichen, daß das Stimmrecht des Gesellschafters davon abhängig gemacht wird, daß er nicht zugleich an einem anderen Unternehmen beteiligt ist, das Konkurrenzgeschäfte betreibt109. Weitere vertragliche Maßnahmen zur Sicherung der Selbständigkeit sind insbesondere die Vinkulierung von Anteilen (§ 15 V GmbHG), Höchststimmrechte, Ankaufs- oder Vorkaufsrechte der Gesellschafter110, der Ausschluß eines Gesellhier auch die Stellungnahme im Bericht der Unternehmensrechtskommission (o. Fußn. 48), Rdnr. 1653. 106 Vgl. BGHZ 80, 69 ff. = NJW 1981, 1512. 107 So wohl auch BGHZ 80, 69 (74) = NJW 1981, 1512. 108 Hierauf stellt offenbar auch der II. Senat entscheidend ab, vgl. BGHZ 80, 69 (74): durch die Konkurrenztätigkeit entfalle der objektive Maßstab für die jeweils sachgerechte Maßnahme. 109 Dazu bereits – betont unter konzernrechtlichen Gesichtspunkten – Immenga-Werner, GmbHRdsch 1976, 54. 110 Zum konzernrechtlichen Selbstschutz durch Vinkulierungsregeln vgl. bereits – im Anschluß an Verhoeven (o. Fußn. 1), Rdnrn. 43, 57 – K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 132. Vgl. auch BGHZ 48, 141 = NJW 1967, 2159: Vinkulierung mit der Maßgabe, daß die Zustimmung nur

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schafters für den Fall anderweitiger unternehmerischer Betätigung111, Mehrfachstimmrechte einzelner Gesellschafter für den Fall anderweitiger Betätigung eines Mitgesellschafters oder Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis zugunsten der Gesellschafterversammlung oder einzelner Mitgesellschafter. All diese vertraglichen Lösungen können die Abhängigkeit bzw. zumindest eine qualifizierte Abhängigkeitsklage der Gesellschaft wirksam unterbinden. b) Durchbrechung oder Aufhebung abhängigkeitsausschließender Klauseln. Die entsprechenden Schutzregeln können im Gesellschaftsvertrag allerdings zur Disposition der Gesellschaftermehrheit gestellt sein. Üblicherweise kann „die Gesellschafterversammlung“ oder „die Gesellschaft“ (d. h. praktisch: die Mehrheit!) im Einzelfall die Befreiung von einem Wettbewerbsverbot erteilen112, ihre Zustimmung zur Anteilsübertragung auf einen neuen Gesellschafter geben usw. Über eine solche Situation hatte der BGH im oben mitgeteilten Sachverhalt zu befinden. Effektiv ist der gesellschaftsvertraglich vorgesehene Präventivschutz in derartigen Fällen nur, wenn der Beschluß, der die künftige Abhängigkeit der Gesellschaft ermöglicht, lediglich unter erschwerten materiellen Zulässigkeitsschranken ergehen darf, d. h. – wie der in seinen Wirkungen vielfach vergleichbare Bezugrechtsausschluß113 – den Gesichtspunkten von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entspricht. Sind im Gesellschaftsvertrag Klauseln zum Schutz vor dieser Gefahrenlage vorgesehen, so kann die Gesellschafterversammlung hierüber nicht beliebig verfügen, sondern nur dann und nur insoweit wie dies im Interesse der Gesellschaft selbst erforderlich ist; denn durch diesen Beschluß wird in minderheitsschützende Positionen eingegriffen. Es genügt deshalb auch nicht, die Entscheidung der Gesellschaft über die Erteilung einer konkret notwendigen Zustimmung nach § 15 V GmbHG ganz formal und ohne materielle Einbindung der Entscheidungsbefugnis zu verstehen; insofern wird bislang allenfalls die Versagung der Genehmigung als Rechtsmißbrauch angesehen114. Das mag dann die richtige Sicht sein, wenn ausnahmsweise

erteilt werden darf, wenn der Geschäftsanteil zuvor allen Gesellschaftern zum Kauf angeboten worden ist. 111 Zweckmäßig und in der Praxis vielfach auch anzutreffen ist eine Klausel, wonach ein Ausschluß des Gesellschafters in diesen Fällen auch dann zulässig ist, wenn nicht der Gesellschafter selbst, sondern seine Ehefrau oder andere nahe Angehörige diese (Konkurrenz-) Tätigkeit aufnehmen. 112 So auch im Falle BGHZ 80, 69 ff. = NJW 1981, 1512. 113 Vgl. o. IV 4. 114 Zum Rechtsmißbrauch bei Versagung der Genehmigung nach § 15 V GmbHG vgl. statt vieler Fischer (o. Fußn. 68), § 15 Anm. 5.

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statt der üblichen Mehrheitsentscheidung115 Einstimmigkeit oder die Zustimmung aller Gesellschafter zur Entscheidung verlangt wird; denn insoweit muß es Mittel geben, die Weigerung obstruierender Mitglieder zu ersetzen115a. Übersehen wird hierbei in aller Regel, daß auch die umgekehrte Blickrichtung, nämlich die Erteilung der Genehmigung als Rechtsmißbrauch anzusehen, Bedeutung erlangen kann; insoweit ist die Lage nicht anders als bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Wettbewerbsverbotes. Die übliche Mehrheitsentscheidung, so wie sie in den meisten Gesellschaftsverträgen für die Vinkulierung vorgesehen ist, reicht als Minderheitenschutz vor künftiger Abhängigkeit vollständig aus – das allerdings nur, weil die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter hierbei materiell gebunden sind. Im Rahmen dieser Entscheidung findet eine materielle Inhaltskontrolle nicht nur dann statt, wenn die Gesellschafter zur Entscheidung berufen sind; die gleiche Pflichtenbindung, die die Gesellschafterversammlung trifft, gilt auch für den Geschäftsführer oder einen sonstigen Dritten, soweit dieser im konkreten Fall zur Entscheidung befugt ist. Die Rechtslage ist hier nicht anders als beim genehmigten Kapital mit der Ermächtigung aus § 203 II AktG: Auch dort folgt die materielle Pflichtenbindung der konkreten Entscheidungszuständigkeit, ist mithin nicht auf die Gesellschafter beschränkt. Der Verwaltung obliegt hier der gleiche Pflichtenrahmen, der bei einem konkreten Bezugsrechtsausschluß von der Hauptversammlung zu beachten wäre115b. Ist ein Eingriff aber, aus welchen Gründen auch immer, erforderlich, so verlängert sich nun der Minderheitenschutz auf die nächste Stufe. Die Mehrheit hat zum Schutze der Minderheit gegebenenfalls treuhänderische Bindungen einzugehen, die das bislang im Gesellschaftsvertrag angelegte und abgesicherte Interesse der Minderheit trotz Umgestaltung ihrer Interessen auch weiterhin sichert. Der Minderheit und der Mehrheit wird hiermit im Ergebnis nahegelegt, im Wege vertraglichen Ausgleichs den Schutz der Minderheitsinteressen auf der oder den nachgelagerten Konzernierungsstufen auszuhandeln. [418] Im Rahmen dieses Interessenausgleichs (oder zutreffender formuliert: „Sozialplans für Minderheitsgesellschafter“) kann der Interessenschutz, den das Ak115 Die hierauf hinzielenden gesellschaftsvertraglichen Kompetenzzuweisungen lauten üblicherweise „entscheidet die Gesellschafterversammlung“ bzw. „entscheidet die Gesellschaft“; in BGHZ 80, 69 ff. = NJW 1981, 1512 wird eine Zustimmung durch „die Gesellschafterversammlung“ als Zuweisung an eine Mehrheitsentscheidung verstanden, eine Zuweisung an „die Gesellschafter“ als Notwendigkeit der Zustimmung aller Gesellschafter. Die Auslegung gerade der letztgenannten Kompetenzzuweisung ist umstritten; vgl. hierzu Scholz-Winter, GmbHG, 6. Aufl., § 15 Anm. 69; Hachenburg-Schilling (o. Fußn. 100), § 15 Anm. 111 ff. 115a Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979, passim. 115b Näher dazu Lutter, BB 1981, 861 ff.; zuletzt zum genehmigten Kapital Timm, Betr 1982, 211 ff.

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tiengesetz in § 304 II 3 AktG erst für den Vertragskonzern vorsieht, im GmbHRecht zeitlich vorverlagert werden. Durch diesen vorgezogenen Interessenausgleich wird allerdings nur der Nachteil ausgeglichen, der sich für die GmbH daraus ergibt, daß sie nunmehr ein von einem Konkurrenten bzw. einem anderweitig unternehmerisch interessierten Gesellschafter abhängiges Unternehmens ist. Damit ist weder eine volle Konzerneinbeziehung zulässig noch sind weitergehende Minderheitenrechte für den Fall einer strafferen Konzerneinbeziehung abgeschnitten (etwa: Austrittsrecht im qualifizierten faktischen Konzern). Der hier zu vereinbarende Ausgleich ist der (Minimal-) Preis für die Abhängigkeit oder eine „qualifizierte Abhängigkeit“, nicht aber der (weitergehende) Preis für eine (noch immer unzulässige) volle Konzerneinbeziehung des Unternehmens. c) Es ist das große Verdienst der nun schon mehrfach erwähnten BGHEntscheidung116, die Lösung nicht im formellen Stimmrechtsausschluß, sondern in materiellen Kriterien angelegt zu haben; denn wir wissen nun: Handelt es sich um eine personal-strukturierte Gesellschaft, so kann die Mehrheit den Weg in die Abhängigkeit nicht beliebig öffnen, sondern darf ihn nur aus dem Interesse für die Gesellschaft gehen oder muß zuvor den Akkord mit der Minderheit finden. Das, was der BGH dort zum Wettbewerbsverbot ausgeführt hat, gilt also in ganz ähnlicher Weise für die Entscheidung über eine gesellschaftsvertraglich notwendige Zustimmung zur Anteilsübertragung auf einen Unternehmensgesellschafter (sofern dieser damit zum herrschenden Unternehmer wird!), zur Aufhebung eines Höchststimmrechtes in einer solchen Situation usw. – kurz: für alle abhängigkeitsbegründenden oder die Abhängigkeit ermöglichenden Beschlüsse der Gesellschafterversammlung. Solche Gesellschafterbeschlüsse unterliegen mithin generell besonderen materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen117. Das gilt – von den bereits erwähnten Fällen abgesehen – überdies auch für solche Beschlüsse, durch die die Geschäftsanteile eines UnternehmensBGHZ 80, 69 ff. = NJW 1981, 1512. Entsprechendes gilt für abhängigkeitsverstärkende Beschlüsse: Etwa den Mehrheitsbeschluß, wonach einen Unternehmens-Gesellschafter nachträglich durch satzungsändernden Mehrheitsbeschluß die Geschäftsführungsbefugnis als Sonderrecht eingeräumt werden soll, oder ähnliche Klauseln. Zur materiellen Pflichtenbindung der Mehrheitsentscheidung (anstelle des Einstimmigkeitsprinzip) beim Abschluß eines Beherrschungsvertrages im GmbH-Recht vgl. Timm, BB 1981, 1495. Zum Minderheitenschutz bei der Verschmelzung von GmbH vgl. Timm, AG 1982, Heft 3 (demnächst). Auch durch einen Stimmbindungsvertrag kann die Abhängigkeit der Gesellschaft bzw. kann Konzernrechtsmacht begründet werden (vgl. K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 132); allerdings nur dann, wenn der begünstigte Gesellschafter „Unternehmen“ i. S. des Konzernrechtes ist (dies hat Ruwe, AG 1980, 21 ff., übersehen; zutreffend deshalb BGH, AG 1980, 342; vgl. weiter Müller, AG 1981, 306 ff.). Die Rechtsfolgen müssen hier offenbleiben. 116 117

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Gesellschafters statutarisch mit einem mehrfachen Stimmrecht ausgestattet werden sollen, sofern dieser Gesellschafter hierdurch zum herrschenden Unternehmen wird, oder durch die einem Unternehmer-Gesellschafter oder einem dritten „Unternehmen“ ein Geschäftsführungssonderrecht eingeräumt werden soll, sei es als: Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung satzungsmäßige Befugnis, sich selbst oder einen Dritten als Geschäftsführer zu bestellen Entsendungsrecht für den Aufsichtsrat, sofern damit faktisch die Besetzungskompetenz für die Geschäftsleitung verbunden ist. d) Gegen diese Lösung könnte man einzuwenden versuchen: In den zuletzt genannten Fällen werde herkömmlicherweise die Zustimmung aller Gesellschafter verlangt, so daß nach der hier vertretenen Lösung eine deutliche Verschlechterung des Minderheitenschutzes eintrete. Die Notwendigkeit allseitiger Zustimmung wird teils118 mit § 53 III GmbHG begründet, teils119 wird darauf verwiesen, daß die Zustimmung der betroffenen Gesellschafter nicht nur bei einer Vermehrung von Leistungen erforderlich sei, sondern auch bei Eingriffen in ihre Rechtsstellung. Auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz soll es bei der nachträglichen Einführung von Sonderrechten der Zustimmung der benachteiligten Gesellschafter bedürfen120. All diese Einwände können trotz ihres in der Tendenz berechtigten Ansatzes letztlich nicht überzeugen. Die nachträgliche Begründung von Sonderrechten ist – was nicht bestritten wird – Satzungsänderung und bedarf folglich der in § 53 II GmbHG statuierten Dreiviertelmehrheit; eine darüber hinausgehende Zustimmung aller Gesellschafter ist dagegen nicht erforderlich. Der Gleichheitssatz (vgl. auch § 53a AktG) kann die Notwendigkeit individueller Zustimmung nicht rechtfertigen, da selbst die willkürliche Ungleichbehandlung eines Gesellschafters kein Unwirksamkeitsgrund, sondern nur ein Anfechtungsgrund ist121. Selbst in solchen Extremfällen findet nur eine Mißbrauchskontrolle statt. Auch der Hinweis auf den Eingriff in die Rechtsstellung der benachteiligten Gesellschafter überzeugt nicht. In den §§ 376, 355 AktG, § 20 KapErhG hat das Gesetz das 118 Eine extensive Interpretation des § 53 III GmbHG wird insb. von Scholz, GmbHG, 5. Aufl., § 53 Anm. 21 vertreten (Gleichstellung von Rechtsverkürzungen mit Leistungsvermehrungen); ähnlich zuletzt H. P. Westermann, in: Pro GmbH, 1980, S. 41 f.; a. A. Scholz-Priester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 46. 119 Vgl. etwa Hachenburg-Schilling (o. Fußn. 199), § 53 Anm. 13. 120 Hachenburg-Schilling (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 27. 121 Vgl. Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 1), § 45 Anm. 76 m. w. Nachw., § 47 Anm. 9; ScholzPriester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 48.

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Mehrheitsprinzip selbst für schwerwiegende Eingriffe in die Mitgliedschaftsposition einzelner Gesellschafter als ausreichend anerkannt122. Diese Wertung gilt es zu berücksichtigen; sie verbietet, allein aus der Tatsache des Eingriffs in die Mitgliedschaft den Schluß auf die Notwendigkeit der Zustimmung dieses Gesellschafters zu ziehen. Gleiches gilt für den Versuch, aus § 53 III GmbHG eine Grenze für die Verkürzung mitgliedschaftlicher Positionen zu entwickeln. Der Begriff der „Leistungsvermehrung“ kann nicht zu weit ausgelegt werden; er erfaßt nur Erhöhungen der Pflichtensituation des Gesellschafters, nicht aber bloße Verkürzungen seiner Rechte123. Bei einer anderen Lösung gerät man in nicht auflösbare Wertungswidersprüche zu den § 20 KapErhG, §§ 355, 376 AktG. Sieht man von den Sonderfällen des § 53 III GmbHG sowie des Eingriffs in statutarische Vorzugsrechte ab, so ist die Zustimmung aller Gesellschafter der GmbH nur zu solchen Beschlüssen erforderlich, für die der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich (bzw. konkludent) die Zustimmung aller Gesellschafter vorsieht. In allen anderen, insbesondere den unter c) genannten Fällen reicht die Beschlußmehrheit des § 53 II GmbHG aus – dies allerdings in Konzernsachverhalten allein deshalb, weil der entsprechende Gesellschafterbeschluß besonderen materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterliegt. Diese bewegliche Schranke, die sich an der Schwere des in Aussicht genommenen Eingriffs orientiert124, erlaubt erheblich flexiblere Ergebnisse als die extensive Auslegung eines (nicht bestehenden) Einstimmigkeitsprinzipes in der GmbH125, welches wiederum nur mit der Annahme von Zustimmungspflichten dissentierender Minderheiten zu praktikablen Lösungen gelangen kann. 2. Fehlen einer vertraglichen Regelung Fehlen in conreto vertragliche Regelungen, so kommt es auf die Pflichtensituation des einzelnen Gesellschafters an, letztlich auf die konkrete Realstruktur der Gesellschaft126. Insoweit ist zu unterscheiden: [419]

Näher dazu – mit umfangreichen Nachweisen – Timm, AG 1982, Heft 3 (demnächst). Wie hier insb. Hachenburg-Schilling (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 11; nunmehr auch – anders als in der Vorauflage – Scholz-Priester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 46. 124 Vgl. dazu auch Scholz-Priester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 49. 125 Zutreffend Scholz-Priester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 1: In der GmbH gilt das Mehrheitsprinzip. 126 Ausführlicher zur Bedeutung der Realstruktur der Gesellschaft Lutter, AcP 180 (1980), 105 ff. 122 123

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a) Personalistisch strukturierte Gesellschaft. Personalistisch strukturierte Gesellschaften, vor allem also die Mitarbeitsgemeinschaft unter mehreren Gesellschaftern, dürften in aller Regel bereits durch die Vinkulierung der Anteile gekennzeichnet sein127. Dann gelten insoweit die obigen Überlegungen: Der Beschluß, der die Abtretungsbeschränkung in eine Richtung aufhebt, welche die Abhängigkeit der Gesellschaft begründet, bedarf nicht nur der in Gesetz oder Satzung festgelegten Mehrheit, sondern muß auch den materiellen Aspekten von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Und die Erfüllung dieses Erfordernisses kann dann im Anfechtungsverfahren überprüft werden. In derartigen Mitarbeitsgemeinschaften kann deshalb im Regelfall nur der Entstehungsgrund „Abhängigkeit infolge neu aufgenommener anderweitiger unternehmerischer Tätigkeit“ des bisherigen Mehrheitsgesellschafters Schwierigkeiten bereiten. Insoweit muß dann im Hinblick auf die in Aussicht genommene Tätigkeit unterschieden werden: Im Tätigkeitsgebiet der Gesellschaft unterliegt der Gesellschafter einer personalistisch strukturierten Gesellschaft auch ohne vertragliche Regelung und obwohl eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt einem Wettbewerbsverbot, § 112 HGB analog128. Will er die entsprechende Tätigkeit dennoch aufnehmen, so benötigt er hierzu das positive Votum der Gesellschafterversammlung. Für dieses gelten dann wiederum die oben angestellten Überlegungen zu den materiellen Erfordernissen. Das soeben behandelte Wettbewerbsverbot betrifft nur das eigene Tätigkeitsgebiet der GmbH. Es hindert den (Mehrheits-) Gesellschafter also nicht daran, einen weiteren Geschäftsbetrieb mit einem anderen Tätigkeitsfeld aufzu-

127 So auch das Abgrenzungsmerkmal im Bericht der Unternehmensrechtskommission (o. Fußn. 48), Rdnrn. 621 ff., und so ganz offenbar auch die Vorstellung des Gesetzgebers; vgl. § 376 II 2 AktG. Warum übrigens eine dieser Norm vergleichbare Regelung in § 20 KapErhG nicht aufgenommen wurde, erscheint unverständlich! Ausführlicher dazu Timm, AG 1982, Heft 3 (demnächst). Fehlt eine ausdrückliche Vinkulierungsbestimmung, so kann diese unter Umständen durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages gewonnen werden; vgl. hierzu Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechtes durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 56 m. w. Nachw. 128 Ausführlicher dazu Lutter, AcP 180 (1980), 112 ff., und Timm, GmbHRdsch 1981, 177 ff.; ebenso bereits Winkler (o. Fußn. 127), S. 36 f. Dieses Konkurrenzverbot gilt jedoch – entsprechend § 165 HGB – nicht für Gesellschafter, die in der Geschäftsführung nicht tätig sind und auch keinen maßgeblichen Einfluß auf die Gesellschaft besitzen. Enger als hier ScholzPriester (o. Fußn. 100), § 53 Anm. 137 (unter Hinweis auf RG, JW 1931, 2975 – eine heute allerdings in der Tendenz überholte Entscheidung): Wettbewerbsverbot nur für GesellschafterGeschäftsführer. Gerade das gesetzliche Wettbewerbsverbot zeigt, daß entgegen der Vermutung von K. Schmidt (GmbHRdsch 1979, 133) doch ein gesetzlicher Präventivschutz im GmbHKonzernrecht besteht.

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bauen129 und auf diese Weise zum „herrschenden Unternehmen“ zu werden. Derartige Möglichkeiten lassen sich nur durch zusätzliche, über das gesetzliche Wettbewerbsverbot hinausgehende Vertragsklauseln verhindern, z. B. durch die Verpflichtung aller Gesellschafter, die Arbeitskraft voll der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen (Übertragung des Gedankens aus § 88 AktG auf den GmbHGesellschafter)130 oder durch eine Beschränkung der Stimmrechtsmacht eines Gesellschafters in der GmbH für den Fall anderweitigen unternehmerischen Engagements oder im Extremfall durch die Befugnis zum Ausschluß des Gesellschafters, der anderweitig unternehmerisch tätig wird. Sind derartige Präventivklauseln nicht vorhanden und ist der Mehrheitsgesellschafter nicht (mehr) Geschäftsführer, so kann er also durchaus zum „herrschenden Unternehmen“ i. S. von § 17 AktG werden. Allerdings gebietet hier die Treupflicht dem GmbHGesellschafter, die Tatsache anderweitigen unternehmerischen Engagements den übrigen Gesellschaftern unaufgefordert bekanntzugeben131, sie also darauf hinzuweisen, daß er, der Mehrheitsgesellschafter (oder das bestimmende Mitglied einer Mehrheitsgruppe), zum herrschenden Unternehmer geworden ist132. Aufgrund der Warnfunktion dieser Mitteilung haben es die Mitgesellschafter sodann in der Hand, durch sachgerechte Ausübung ihrer Kontrollrechte für den Schutz ihrer Interessen selbst zu sorgen, vor allem durch die Geltendmachung von Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüchen bei rechtswidriger Konzernierung. Da der 129 Ist der betreffende (Mehrheits-) Gesellschafter zugleich Geschäftsführer – und das ist der typische Fall in Mitarbeitsgemeinschaften –, so kann sich daraus ein allgemeines Verbot der Tätigkeit in anderen Unternehmen ergeben; vgl. Timm, GmbHRdsch 1981, 177 ff. m. w. Nachw. 130 Eine derartige ausdrückliche Vereinbarung kommt in der Praxis sowohl in GmbH-, aber auch in Personengesellschaftsverträgen wohl nur gelegentlich vor. 131 So wohl auch – wenn auch nicht ganz klar – bereits Schilling (o. Fußn. 1), S. 387; wie hier K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 133 (allerdings nur für personalistisch strukturierte Gesellschaften). Für eine entsprechende Auskunftspflicht auf Befragen ebenso U. H. Schneider, in: Der GmbH-Konzern (o. Fußn. 1), S. 91. Vgl. zur Publikums-KG ebenso – wie hier vertreten – BGHZ 79, 373 (344) = NJW 1981, 1450. 132 Vgl. BGHZ 79, 337 (344) = NJW 1981, 1450: „… Der Entschluß, einer Publikums-KG beizutreten, ist für den einzelnen Beitrittswilligen von weittragender wirtschaftlicher Bedeutung und im Regelfalle mit erheblichen Risiken verbunden. Dabei hat der Beitrittsinteressent im allgemeinen keine eigenen Unterrichtungsmöglichkeiten; er ist vielmehr darauf angewiesen, sich anhand des Emissionsprospekts über das zu finanzierende Vorhaben zu informieren. Dieser bildet im Regelfall die Grundlage für den Beitrittsentschluß. Ungeachtet dessen, daß er ein Risikogeschäft eingeht und ihm das wirtschaftliche Risiko seiner Beteiligung bleiben muß, darf er erwarten, daß er ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt erhält, d. h. daß der Prospekt ihn über alle Umstände, die für seine Entschließung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, sachlich richtig und vollständig unterrichtet, insbesondere über die Tatsachen, die den Vertragszweck vereiteln können. Er fordert damit nichts Unzumutbares, sondern nur etwas, was nach Treu und Glauben jedenfalls dann geboten ist, wenn eigene Unterrichtungsmöglichkeiten fehlen. Die Anerkennung dieser Forderung führt auch nicht dazu, daß ihm das Risiko des Geschäfts abgenommen wird. Sie hat nur zur Folge, daß er über den Umfang des ohnehin bestehenden Risikos aufgeklärt wird …“

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Weg einer Beschlußkontrolle in diesen Fällen nicht gegeben ist, ist in Ausnahmesituationen auch an ein Austrittsrecht der anderen Gesellschafter aus wichtigem Grund zu denken (Beispiel: Der Großgesellschafter hat sich bereits mehrfach „fehlsam“ im Sinne einer ausschließlich eigenorientierten Machtausübung verhalten; nunmehr betätigt er sich auch außerhalb der Gesellschaft in einem unmittelbar angrenzenden Markt, so daß die Absicht einer künftig einheitlichen Leitung der rechtlich verschiedenen Unternehmen in hohem Maße naheliegt)133. Im Regelfall kommt dieses Antrittsrecht aus wichtigem Grunde jedoch erst bei erheblicher, über die Abhängigkeit hinausgehender Bildung oder Verstärkung einer Konzernstruktur in Betracht. b) Kapitalistisch verfaßte Gesellschaft. Sieht der Gesellschaftsvertrag keine minderheitsschützenden Vertragsklauseln vor (etwa Vinkulierung der Geschäftsanteile oder ein Wettbewerbsverbot entsprechend § 112 HGB oder gar entsprechend § 88 AktG) und handelt es sich auch nicht um eine durch ein besonderes Vertrauensverhältnis der Gesellschafter untereinander gekennzeichnete Gesellschaft, so besteht auch kein konzernrechtlicher Eingangsschutz134. Das ist auch richtig so, da die Gesellschafter in der Ursprungssatzung hierauf verzichtet haben und spätere Mitglieder der Gesellschaft in Kenntnis dieser Tatsache beigetreten sind. Spezifisch konzernrechtlicher Schutz ist deshalb hier erst auf nachgelagerten Stufen erforderlich. Ausreichend für den Schutz der Minderheit ist auch hier der Hinweis des herrschenden Gesellschafters gegenüber seinen Mitgesellschaftern, daß er (nunmehr) auch anderweitig unternehmerisch [420] tätig sei. Hierzu ist er auch in einer nicht-personalistisch strukturierten GmbH verpflichtet, da sich durch sein autonomes Handeln die Qualität der Gesellschaft ändert135.

133 Insoweit zutreffend die Feststellung von Schilling (o. Fußn. 1), S. 388, daß man den Gesellschafter nicht auf einen Abwehrkampf bei zu erwartenden rechtswidrigen Maßnahmen verweisen darf. 134 So auch U. H. Schneider, in: Der GmbH-Konzern (o. Fußn. 1), S. 89; K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 133. 135 Ob man dies mit einer Analogie zu § 20 AktG begründet oder mit der gesellschaftsrechtlichen Treue- bzw. Förderpflicht, dürfte nebensächlich sein. Zutreffend hat der BGH für den vergleichbaren Fall einer (kapitalistisch verfaßten!) Publikums-KG entscheidend allein auf den Vertragszweck der Gesellschaft abgestellt; vgl. BGHZ 79, 337 (344) = NJW 1981, 1450. De lege ferenda vgl. auch den Vorschlag im Bericht der Unternehmensrechtskommission (o. Fußn. 48), Rdnr. 1672 (vgl. dort weiterhin noch Rdnr. 2037). Enger als hier K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 133. Die Frage nach den Sanktionen muß hier offenbleiben.

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3. Schlussbetrachtung Die hier vertretene Auffassung führt im Ergebnis dazu, die Bildung faktischer Konzerne in einer Vielzahl von Fällen ähnlichen Regeln zu unterwerfen wie die Bildung eines Vertragskonzerns mit einer GmbH als Untergesellschaft136 – das jedenfalls dann, wenn in der künftig abhängigen Gesellschaft Minderheitsgesellschafter vorhanden sind. Dies Ergebnis überrascht jedoch nicht: Es löst sich von der verfehlten Vorgabe des Aktienrechts und verlagert den konzernrechtlichen Schutz zutreffend dorthin, wohin er gehört – auf den Augenblick der Abhängigkeitsbegründung der GmbH. VI. Zusammenfassung 1. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes ist überwiegend auf die Ordnung der bereits existenten Unternehmensverbindung gerichtet. Der konzernrechtlich neuralgische Punkt und damit die eigentliche Regelungsaufgabe aber liegen darin, schon die Bildung einer Unternehmensverbindung rechtlich zutreffend zu erfassen. Dieser Aufgabe kann das flexiblere und hier normativ nicht verfaßte GmbHRecht eher gerecht werden. 2. Konzernrecht – und hier insbesondere das GmbH-Konzernrecht – umfasst also nicht nur die Regeln, welche die bereits entstandene Unternehmensverbindung rechtlich ordnen, sondern auch und vor allem solche Regeln, welche den Prozeß der Umwandlung einer bislang unabhängigen Gesellschaft in eine abhängige oder konzernierte Gesellschaft begleiten. 3. „Archimedischer Punkt“ der Unternehmensverbindung im GmbH-Recht ist der Moment, in dem die Abhängigkeit der GmbH begründet wird. Entsprechend der Bedeutung dieses Zeitpunktes unterliegen alle Beschlüsse der Gesellschafterversammlung, die eine Abhängigkeit der GmbH begründen (können), besonderen

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Ähnlich auch K. Schmidt, GmbHRdsch 1979, 132.

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materiellen Beschlußvoraussetzungen (Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, schonendstes Mittel). 4. Sachlich gebotene Eingriffe dieser Art sind nur auf der Basis ausreichender Erläuterungen und Stellungnahmen der Verwaltung möglich (analog § 186 IV 2 AktG); im übrigen sind sie durch einen Interessenausgleich zugunsten der Minderheit abzumildern. 5. Fehlen im Einzelfall vertragliche Regelungen, die eine Abhängigkeitslage der Gesellschaft verhindern können, so ist zwischen personalistisch strukturierten und kapitalistisch strukturierten Gesellschaften zu unterscheiden: a) In der personalistischen Mitarbeitergemeinschaft unterliegt der Gesellschafter auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung einem Wettbewerbsverbot. In derartigen Fällen ist die Begründung einer qualifizierten Abhängigkeitslage gegen den Willen der Gesellschafterminderheit nicht möglich, soweit die Mehrheit nicht das Interesse der Gesellschaft selbst an einer Aufhebung des Verbotes darlegen kann. b) Darüber hinaus ist der Mehrheits-Gesellschafter einer GmbH in aller Regel gehalten, die Tatsache anderweitige unternehmerischen Engagements den übrigen Gesellschafter unaufgefordert bekanntzugeben, sie also auf die (künftige) Abhängigkeitslage hinzuweisen. Durch eine sachgemäße Ausübung ihrer Rechte aus § 51a GmbHG können die anderen Gesellschafter dann für den Schutz ihrer Interessen selbst sorgen. c) In einer kapitalistisch strukturierten GmbH ist ein über die Offenlegungspflicht (nach Buchstabe b) hinausgehender konzernrechtlicher Eingangsschutz nicht erforderlich.

Die zivilrechtliche Haftung in der Unternehmensgruppe* ZGR 1982, S. 244-275 Inhaltsübersicht I. II. 1. 2. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. IV. 1. 2. V. VI.

Einleitung Die Haftung außerhalb gruppenspezifischer Tatbestände Durchgriff Patronatserklärung und Vertrauenshaftung Gruppenspezifische Haftungstatbestände Vorbemerkung Die einfache Beteiligung Herrschende und abhängige Unternehmen Einfacher Konzern Qualifizierter Konzern Förmliche Eingliederung Geltendmachung der Haftungsansprüche Gruppenunabhängige Haftungstatbestände Gruppenspezifische Haftungstatbestände Schlußbemerkung Zusammenfassung

* Um die Anmerkungen ergänzter Vortrag, den Verf. am 16. Okt. 1981 während Tagung der Deutsch-Französischen Juristenvereinigung in Dijon gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibehalten. Vgl. auch die Ausführungen zum gleichen Thema aus der Sicht des französischen Rechts von DOMINIQUE SCHMIDT, in diesem Heft S. 276 ff. In französischer Sprache sind beide Vorträge veröffentlicht in Revue des Sociétés 1981, 697 ff und 725 ff.

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I. Einleitung 1. Zum Thema Das Thema unserer gemeinsamen Bemühungen lautet auf französisch: „La responsabilité civile dans la groupe“, auf deutsch hingegen: „Haftung in Konzernverbindungen“. Jeder Kenner unserer Materie aber weiß, daß „groupe de sociétés“ gerade nicht „Konzern“ bedeutet, schon deshalb nicht, weil die Besonderheit des [245] Konzerns – die einheitliche Leitung mehrerer Unternehmen – nach französischer Rechtsvorstellung der Pflicht zu autonomer Führung jeder personne morale klar widersprechen würde –, also von Rechts wegen unzulässig ist und daher jedenfalls de lege nicht vorkommt. Im deutschen Recht ist das bekanntlich anders; wir haben die Legaldefinition des Konzerns in § 18 AktG, haben die Unternehmensverträge der §§ 291 ff AktG mit ihrer Befugnis zu einheitlicher Leitung, haben den Konzernabschluß der §§ 329 ff AktG, haben viele Probleme mit dem faktischen Konzern1, aber wir haben insgesamt keinen Zweifel, daß es den legalen Konzern im Aktienrecht ebenso gibt wie auch in anderen Rechtsformen2. Da es nun wenig zweckmäßig wäre, wenn ich über ein verwandtes, aber eben doch anderes Thema sprechen würde als mein Kollege Dominique Schmidt, folge ich in meinen Ausführungen der französischen Fassung unseres Themas über die zivilrechtliche Haftung in der Unternehmensgruppe: sie ist weiter als die deutsche Fassung und umfaßt daher auch die Fragen des Konzernrechts im engeren Sinne. 2. Vorbemerkungen Ehe ich nun allerdings zum Thema selbst sprechen kann, muß ich noch drei Bemerkungen voranstellen. a) Wir sprechen hier von der responsabilité civile, von zivilrechtlicher Haftung. Ich verstehe darunter nur die Haftung aufgrund Gesetzes, nicht auch die aufgrund eines allgemeinen schuldrechtlichen Vertrages, wie z. B. der Bürgschaft oder des Garantievertrages: Das Thema wäre sonst uferlos. Aber auch in diesem Bereich der gesetzlichen Haftung gibt es Tatbestände, die eine Haftung für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft auslösen, eine Gruppe von Unternehmen aber über1 Zur Problematik der faktischen Konzerne vgl. EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, 2. Aufl., 1977, § 8, S. 197 ff sowie LUTTER, Das Konzernrecht in der Bundesrepublik Deutschland: Ziel, Wirklichkeit und Bewährung, Schweiz. AG 1976, 152 ff. 2 Zum Konzernrecht außerhalb des AktG vgl. EMMERICH/SONNENSCHEIN, aaO (Fn. 1), § 9, S. 230 ff m. w. N.

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haupt nicht voraussetzen, mitnichten gruppenspezifisch sind. Um das sogleich an Beispielen zu erläutern: Für die Entscheidung der Frage, ob etwa die Gesellschafter im Falle der offensichtlichen Unterkapitalisierung ihrer Gesellschaft für deren Schulden haften, ist es völlig unerheblich, ob diese Gesellschafter Privatpersonen sind oder aber Gesellschaften sind und dann, zusammen mit der unterkapitalisierten Gesellschaft eine Unternehmensgruppe bilden. Oder: Greifen die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft oder GmbH fast beliebig in die Kasse ihrer Gesellschaft, halten sie also das Vermögen der [246] Gesellschaft nicht genügend getrennt von ihrem Privatvermögen, so mag sich ein solcher Sachverhalt durchaus innerhalb einer Unternehmensgruppe verwirklichen, insbesondere wenn sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Aber: Tatbestand und Rechtsfolge aus einem solchen Sachverhalt sind ganz und gar unabhängig davon, ob nun die fehlsam handelnden Gesellschafter Privatpersonen sind oder Unternehmen. Dennoch sind diese Fälle für unser Thema von Bedeutung; denn Tatbestände dieser Art werden eben nicht selten gerade innerhalb einer Unternehmensgruppe verwirklicht. Außerdem liegen hier, wenn ich es richtig sehe, die Schwerpunkte für die Lösungsansätze im französischen Recht. Daher werde ich diese Tatbestände hier behandeln, obwohl sie, um das noch einmal zu sagen, überhaupt nicht gruppenspezifisch sind. b) Im Zusammenhang mit den gruppenunabhängigen Haftungsfiguren hat man aber auch Tatbestände zu berücksichtigen, die auf der Grenze zwischen der Haftung aus Rechtsgeschäft (Vertrag) und derjenigen aus Gesetz liegen. Ich denke hier an Rechtsfiguren wie die Patronatserklärung einerseits und die Vertrauenshaftung andererseits. Auch hier handelt es sich nicht um Rechtsfiguren, welche die Gruppe irgendwie voraussetzen; doch ist faktisch die Nähe zur Gruppe ganz und gar gegeben; denn es handelt sich dabei typischerweise um Erklärungen oder um das Verhalten einer Muttergesellschaft in bezug auf eine ihrer Tochtergesellschaften. c) Schließlich sei mir ein letzter Hinweis erlaubt. Die groupe de sociétés, die Unternehmensgruppe, ist durch die Verbindung mehrerer, in der Regel rechtlich selbständiger Gesellschaften (juristischer Personen) gekennzeichnet; sie besteht also aus mehreren selbständigen Vermögenseinheiten – wie eine Familie, deren einzelne Mitglieder durchaus selbständige Vermögensträger sind, innerhalb derer aber bestimmte Vorgänge, wie die Verteilung von Aufgaben, Lasten und Risiken leichter ablaufen als unter Fremden. Diese Einheit in Trennung hat zur Folge, daß innerhalb der Gruppe verschiedene und voneinander getrennte Vermögensmassen bestehen: die Güter des einen sind nicht die des anderen, dessen Schulden nicht die der anderen Gruppenmitglieder. Die Vermögensmassen der Gruppenmitglieder ebenso wie ihre wirtschaftlichen Chancen und Risiken sind, wie Wiede-

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mann es plastisch formuliert, durch Staudämme voneinander getrennt3. Diese Gestaltung und ihre Rechtsfolge, die Vermögenstrennung und Risikoverteilung, ist nach deutschem Recht weder verboten noch per se mißbräuchlich. Das haben die Gerichte in der Bundesrepublik immer wieder entschieden4, und darüber bestehen auch in der Literatur kaum divergierende [247] Auffassungen5. Die Aufteilung wirtschaftlicher Risiken durch Schaffung verschiedener rechtlicher Einheiten – sei es in der Gruppe und im Konzern, sei es durch den einzelnen Kaufmann bei Schaffung einer Ein-Mann-Gesellschaft – ist legitim6. Ja dieser Vorgang ist nach deutscher Rechtsvorstellung so legitim, daß eine Gesellschaft heute nach den Regeln des neuen GmbH-Rechts (§§ 1, 7 Abs. 2, 8 Abs. 2 GmbHG) ganz allein und ohne weiteres durch Ein-Mann-Gründungen fortlaufend neue GmbH-Töchter gebären kann6a. Man kann sogar noch weitergehen und sagen: Diese Risikotrennung ist nicht nur legitim, sondern auch volkswirtschaftlich durchaus zweckmäßig; denn sie verhindert – jedenfalls in der Theorie –, daß sich der Brand eines Hauses zum Flächenbrand einer ganzen Stadt entwickelt. 3. Zusammenfassung Faßt man die hier angedeuteten Aspekte zusammen, so folgt aus ihnen, daß die Haftung innerhalb einer Unternehmensgruppe, also (a) die Einstandspflicht des einen Gruppenmitglieds für alle oder bestimmte Schulden des anderen Gruppenmitglieds oder (b) sonstige finanzielle Ausgleichspflichten innerhalb der Gruppe im deutschen Recht keineswegs die Regel, sondern die klare Ausnahme ist. Es müssen Sondertatbestände vorliegen, damit eine solche Haftung in Betracht gezogen werden kann: Die Bildung einer Gruppe führt gerade nicht zur Überwälzung der wirtschaftlichen Risiken auf alle Mitglieder der Gruppe.

WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 222, 229. So insbesondere die Rechtsprechung zur Durchgriffsproblematik von RGZ 99, 233, 234 über BGHZ 20, 4, 11 und BGHZ 22, 226, 229 bis BGHZ 68, 312, 314, 320 ff. 5 Vgl. WIEDEMANN, aaO (Fn. 3), § 4, I; KÜBLER, Gesellschaftsrecht, 1981, § 23; E. REHBINDER, Zehn Jahre Rechtsprechung zum. Durchgriff im Gesellschaftsrecht, FS Fischer, 1979, S. 579 ff; MERTENS, in: Hachenburg, Komm. z. GmbHG, 7. Aufl., § 13 Anh. I, Anm. 37 ff; K. MÜLLER, Die Haftung der Muttergesellschaft für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft im Aktienrecht, ZGR 1977, 1 ff. 6 BGHZ 68, 312, 314; MÜLLER, aaO (Fn. 5); H. P. WESTERMANN, JA 1981, 599, 601. 6a Zur derart möglichen Selbstzeugung nach neuem GmbH-Recht und der hierzu von ULMER (BB 1980, 1001 ff) ausgelösten Kontroverse vgl. zuletzt FEZER, JZ 1981, 608 ff; HÜFFER, ZHR 145 (1981), 521; K. SCHMIDT, ibid. S. 540 sowie SCHOLZ/WINTER, Komm. z. GmbHG, 6. Aufl., § 1 n.F. Anm. 22 ff. 3 4

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In dieser Grundaussage besteht, wenn ich es recht sehe, volle Übereinstimmung zwischen dem französischen und dem deutschen Recht: Die Urteile der Cour d’Appel de Paris vom 29. März 19797 und der Cour d’Appel d’Amiens vom 3. Febr. 19768 sagen beide ausdrücklich, daß die participation nicht zur Haftung der Muttergesellschaft führt. Die Sondertatbestände, welche ausnahmsweise zum Flächenbrand, zur Verlagerung der Risiken führen, können allgemeiner oder gruppenspezifischer Natur [248] sein. Mit diesen beiden Aspekten haben wir uns nunmehr zu beschäftigen. Ich beginne mit der Haftung außerhalb gruppenspezifischer Sachverhalte, also mit Tatbeständen der sogenannten Durchgriffshaftung wie Unterkapitalisierung und unzureichender Vermögenstrennung, sowie Patronatserklärung und Vertrauenshaftung, um erst dann zur gruppenspezifischen Haftung überzugehen. II. Die Haftung außerhalb gruppenspezifischer Tatbestände 1. Durchgriff Die juristische Person allgemein und im besonderen die rechtlich selbständigen Gesellschaften des Handelsrechts – also vor allem Aktiengesellschaft und GmbH – werden in der deutschen Rechtswissenschaft heute überwiegend als außerordentlich erfolgreiche Zweckgebilde verstanden, als Einrichtungen der Rechtsordnung, die bestimmte soziale und wirtschaftliche Aufgaben hervorragend erfüllen9. Zu diesen legitimen Zwecken gehört auch die Möglichkeit der Haftungsbegrenzung. Jedes Zweckgebilde der Rechtsordnung aber läuft Gefahr, zu zweckwidrigen Zielen mißbraucht zu werden. Daher müssen auch die Gesellschaften gegen einen zweckwidrigen Gebrauch und insbesondere den zweckwidrigen Einsatz des mit ihnen verbundenen Haftungsprivilegs von Rechts wegen abgeschirmt werden. Das geschieht im deutschen Recht weitgehend unter dem Stichwort des Durchgriffs10. Unter diesem Aspekt werden eine Reihe sehr verschiedener Tatbestände solcher Zweckverfehlungen oder zweckwidriger Verwendung der juristischen Personen und ihres Privilegs der Haftungsbegrenzung zuGazette du Palais vom 17. Januar 1980 S. 33 ff. Bulletin mensuel d’information soc. 1976 no. 249 S. 423. 9 Vgl. W. MÜLLER-FREIENFELS, Zur Lehre vom sogenannten „Durchgriff“ bei juristischen Personen des Privatrechts, AcP 156 (1957), 522 ff; WIEDEMANN, KÜBLER und REHBINDER, je aaO (Fn. 5). 10 Vgl. dazu vor allem SERICK, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955, der den Begriff des „Durchgriffs“ in die Diskussion eingeführt hat; DROBNIG, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959; WIEDEMANN/BÄR/DABIN, Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, 1968; J. WILHELM, Rechtsform und Haftung bei juristischen Personen, 1981, sowie die Nachw. oben Fn. 4 und 9. 7 8

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sammengefaßt. „Durchgriff“ bedeutet hierbei, daß die Gläubiger der betreffenden Gesellschaft nicht nur auf deren Vermögen beschränkt sind, sondern ihre Ansprüche auch gegen die „hinter“ dieser Gesellschaft stehenden Personen – seien es natürliche Personen oder Gesellschaften – geltend machen können, daß diese Personen und Gesellschaften für deren Schulden mithaften11. Vier Fallgruppen kann man unter diesen Aspekten unterscheiden: [249] a) Unterkapitalisierung Immer wieder einmal begegnen uns in der Praxis Fälle, in denen wir ein ganz ungewöhnliches Mißverhältnis zwischen dem Geschäftsumfang einer Gesellschaft und ihren eigenen Mitteln (Kapital) feststellen müssen. Ein wenig schönes Paradebeispiel war hier über lange Jahre hin eine Tochtergesellschaft der Lufthansa, die Lufthansa-Service GmbH; sie hatte bei einem Umsatz von mehr als 200 Mio DM ein Kapital von nur 20 000 DM, tätigte also mit einer einzigen Mark Eigenkapital einen Umsatz von mehr als 10 000 DM. Würde eine Gesellschaft dieser Art auch nur einen vergleichsweise kleinen Betriebsverlust erleiden – was wäre schon ein Betriebsverlust von 100 000 DM bei 200 Mio DM Umsatz? – so wäre sie bereits weit überschuldet und müßte Konkurs anmelden. Die Gläubiger der Gesellschaft würden mit Sicherheit hohe Verluste erleiden. Müßten in einem solchen Falle die Gesellschafter – gleich ob Privatpersonen oder Unternehmen – für diese Verluste einstehen? Ich meine: ja. Gerade unser Beispiel der Lufthansa Service GmbH macht deutlich, worin überhaupt die zentrale rechtliche Funktion des Grund- und Stammkapitals einer Gesellschaft besteht, nämlich in einem Risikopolster12, einer gesetzlichen Maßnahme des Bestandsschutzes zugunsten der Gesellschaft und damit auch ihrer Gläubiger, einer gesetzlichen Auflage zu finanzieller Solidität. Soll dieser gesetzliche Zweck erfüllt werden, dann muß aber die Höhe des Kapitals wenigstens im Ansatz den wirtschaftlichen Risiken der betreffenden Gesellschaft entsprechen. 20 000 DM Risikopolster bei einem Umsatz von mehr als 200 Mio DM aber sind ganz offenbar eine quantité négligeable. Daher ist der von Wiedemann13 und Ulmer14 entwickelten Normzwecklehre zu folgen15. Sie besagt, Eine rechtssatzmäßige Formulierung des Durchgriffstatbestandes unternimmt WIEDE(Fn. 3), S. 221 unten. 12 Eingehend dazu LUTTER, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964, S. 42 ff, 50 ff sowie LUTTER/HOMMELHOFF, Nachrangiges Haftkapital und Unterkapitalisierung in der GmbH, ZGR 1979, 31 ff, 57 ff. 13 WIEDEMANN, Haftungsbeschränkung und Kapitaleinsatz in der GmbH, in: Wiedemann/Bär/Dabin, aaO (Fn. 10), S. 17 f. 14 ULMER, Gesellschafterdarlehen und Unterkapitalisierung bei GmbH und GmbH & Co. KG, FS Duden, 1977, S. 661, 677 ff. 15 Zur Entwicklung der Normzwecklehre vgl. im einzelnen WIEDEMANN, aaO (Fn. 3), S. 570 ff. In den Fällen der Unterkapitalisierung handelt es sich um eine Verfehlung des Norm11

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daß ein völlig unzureichendes Kapital zwar nicht die Entstehung der juristischen Person verhindert, andererseits aber auch nicht zum Privileg der Haftungsbefreiung führen kann16: [250] Die Gesellschafter einer derart verfehlten Konstruktion haften persönlich den finanziellen Ausfall, den Gläubiger im Konkurs einer solchen Gesellschaft erleiden. Die Rechtsprechung akzeptiert das Ergebnis, folgt aber nicht in der Begründung17; sie bevorzugt statt dessen derzeit noch18 den Weg über die Haftung aus vorsätzlich sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB, verlangt also – im Gegensatz zur Normzwecklehre – den Nachweis der Schuld: im konkreten Einzelfall werden sich die Ergebnisse nicht gar zu sehr voneinander unterscheiden. Die deutsche Rechtsprechung nimmt damit hier den gleichen Ansatz über faute wie die französische Cour d’Appel d’Aix-en-Provence19; und auch die Sätze: „Une société qui créé … une entreprise dépourvue des moyens indispensables … commet une faute et engage sa responsabilité …“

könnten mit dem gleichen Ergebnis aus § 826 BGB im Urteil eines deutschen Obergerichtes stehen. In der Tendenz entsprechen diese Überlegungen und Ergebnisse übrigens auch der neueren belgischen Gesetzgebung20. Dort haften die Gesellschafter im Konkurs ihrer Gesellschaft ebenfalls für deren Schulden, wenn der Zusammenbruch innerhalb von drei Jahren seit der Gründung erfolgt und sich dann herausstellt, daß das Kapital zur ordnungsgemäßen Finanzierung der Gesellschaft offenbar unzureichend war. Übertragen wir diese Überlegungen auf die Gruppe, so heißt das: Eine Muttergesellschaft, die ihre Tochtergesellschaft mit einem völlig unzureichenden Kapital ausstattet, haftet beim Zusammenbruch der Tochter selbst für alle nicht zweckes der §§ 5 Abs. 1 GmbHG, 7 AktG, die auf Konkursvermeidung angelegt sind; vgl. dazu LUTTER/HOMMELHOFF, ZGR 1979, 31, 59. Sehr kritisch gegenüber dieser Lehre WILHELM, aaO (Fn. 10). 16 Dogmatisch wird das durch eine teleologische Reduktion der §§ 13 Abs. 2 GmbHG, 7 AktG erreicht, vgl. ULMER, aaO (Fn. 14), S. 678 sowie DERS. in: Hachenburg, aaO (Fn. 5), Anh. zu § 30 GmbHG, Anm. 56. 17 So etwa das OLG Hamm, mitgeteilt im Urteil des BGH vom 30. November 1978, WM 1979, 229; anders noch das Urteil des OLG Hamburg vom 15. Febr. 1973, BB 1973, 1231; strikt ablehnend BGHZ 68, 312, 316 ff mit umfangreichen Nachw. 18 Nachdem die Rechtsprechung aber über viele Jahre hinweg die Rechtsfigur des Gesellschafterdarlehens ausgeformt und im Falle der Unterfinanzierung die Behandlung dieser Darlehen wie Kapital entwickelt hat, ist die selbständige Haftung der Gesellschafter bei evidenter Unterkapitalisierung im Grunde vorgezeichnet. Zum Gesellschafterdarlehen vgl. BGHZ 31, 258; BGHZ 75, 334; BGHZ 76, 326 sowie zuletzt BGH ZIP 1981, 974 = WM 1981, 870 und BGH ZIP 1981, 1200. 19 Urteil vom 18.Juni 1975, Revue de jurisprudence commerciale 1976, 95 mit Anm. CALAIS-AULOY. 20 Art. 35 Nr. 6 Lois coordonnées sur les sociétés commerciales.

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gedeckten Verbindlichkeiten. Soll also in der Gruppe die an sich legale Risikoverteilung rechtlich wirksam stattfinden, so darf kein Mitglied der Gruppe mit einem offenbar unzureichenden Kapital ausgestattet sein. [251] b) Vermögensvermischung Das deutsche Recht stand der Ein-Mann-Gesellschaft stets freundlich gegenüber21, mußte dann aber auch häufig die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß dieser einzige Gesellschafter „seine“ Gesellschaft wie einen beliebigen privaten Vermögensgegenstand behandelte, zwischen „Mein“ im Sinne seines Privatvermögens und „Dein“ im Sinne des Gesellschaftsvermögens nicht mehr unterschied22. Solche Fälle verstoßen gegen das allgemeine und allgemein akzeptierte Verbot eines venire contra factum proprium: Wer selbst nicht die Regeln der Vermögenstrennung einhält, kann sich dann aber auch dem Gläubiger der Gesellschaft gegenüber nicht auf die Vermögenstrennung berufen, haftet dann also auch persönlich mit seinem Vermögen für die Schulden der Gesellschaft23, 24. Auch hier ist die Rechtsfolge der Haftung unabhängig davon, wer die Gesellschafter sind, ob natürliche Personen oder Gesellschaften; die Rechtsfolge der Haftung ist also auch gegeben, wenn eine solche Vermögensvermischung in einer Unternehmensgruppe stattfindet. c) Sphärenvermischung Ähnlich wie bei der Vermögensvermischung kann man unter diesem Stichwort Fälle erfassen, in denen die Regeln der Selbständigkeit der juristischen Person nicht genügend beachtet werden: Hat die betreffende Gesellschaft eine ähnliche Firma, den gleichen Sitz, die gleichen Geschäftsräume, den gleichen Telefonanschluß und gleiche Bedienstete, wird also die rechtliche Trennung zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern nach außen hin überspielt, so kann sie sich den Gläubigern gegenüber wiederum nicht auf die rechtlich [252]

21 Vgl. dazu MERTENS, in: Hachenburg, aaO (Fn. 5), Anh. I zu § 13 mit umfangr. Nachw. Seit dem 1. 1. 1981 ist auch eine Ein-Mann-Gründung möglich, § 1 GmbHG. Vgl. dazu bereits oben Fn. 6a. 22 Fallgruppen der Vermögensvermischung nennt E. REHBINDER, Konzernaußenrecht und Allgemeines Privatrecht, 1969, S. 151 f. 23 Vgl. WIEDEMANN, aaO (Fn. 3), S. 224 m. w. N. aus der deutschen und französischen Rspr., der die Vermögensvermischung unter dem Oberbegriff der Sphärenvermischung behandelt. 24 Eine solche Vermögensvermischung ist aber noch keineswegs gegeben, wenn etwa die Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft einen Kredit gewährt und ihr ein Grundstück zur Nutzung und zur Kreditsicherung zur Verfügung stellt; vgl. dazu das Urteil des BGH vom 26. November 1957, GmbH-Rdsch. 1958, 111 m. Anm. FREESE = (ausführlicher) WM 1958, 460.

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existente Trennung berufen: Der Rechtsschein der Identität führt zur Identität auch der Haftung25. Diese Überlegungen scheinen mir auch dem Urteil der Cour d’Appel d’Amiens vom 3. Febr. 197626 zugrunde zu liegen mit den Sätzen: „Doit être déclaré corresponsable avec sa filiale … la société mère qui s’est … immiscée dans les rapports … et qui s’est même en diverses occasions substituée à cette dernière …“

d) Institutsmißbrauch Neben diesen speziellen Erscheinungsformen des Durchgriffs ist aber auch noch auf die allgemeine Rechtsfigur des Institutsmißbrauches hinzuweisen. Mit diesem Stichwort können Tatbestände erfaßt werden, in denen zwar alle gesetzlichen Regeln zuverlässig eingehalten werden, keine Unterkapitalisierung vorliegt und keine Vermögens- oder Sphärenvermischung stattgefunden hat, dennoch aber die Verwendung der juristischen Person und die mit ihr verbundene Haftungsbegrenzung mißbräuchlich erscheint. So formuliert könnte diese Rechtsfigur im Zusammenhang mit der Gruppe und der Haftung in ihr durchaus eine Rolle spielen; könnte sage ich mit Bedacht; denn die Trennung der Risiken ist ja, wie nun schon mehrfach betont, kein solcher Institutsmißbrauch. Andere Fälle, die unter diesen Aspekt fallen könnten, sind aber in der Bundesrepublik bislang kaum in Erscheinung getreten. Zu erwähnen ist hier nur der sogenannte Architektenfall: Hier hatten zwei Personen eine GmbH (genauer: GmbH & Co. KG) gegründet und anschließend diese Gesellschaft beauftragt, a) für sie ein großes Gebäude mit vielen Wohnungen zu einem Festpreis zu erstellen und b) die derart erstellten Wohnungen dann für ihre Rechnung, also die der beiden Gründer, zu veräußern. Der Gewinn aus dem Verkauf der Wohnungen kam also den Gründern zugute, das Risiko aus dem Festpreis aber trug allein die Gesellschaft. Wegen der Festpreisgarantie fiel die Gesellschaft in Konkurs. Ein Gläubiger – der Architekt des Bauvorhabens – verlangte von den Gesellschaftern persönlich sein Honorar.

Der Bundesgerichtshof27 sprach den Anspruch aus § 826 BGB zu. Das ist sicher nicht falsch, setzt aber den dolus der Gesellschafter voraus. Unseres [253] 25 Vgl. dazu die Urteile des BGH vom 8. Januar 1958, WM 1958, 463 und des OLG Nürnberg vom 26. Mai 1955, WM 1955, 1566; hierher gehört auch der Fall des OLG Karlsruhe vom 10. Dez. 1942, DR 1943, 811, in dem der Gesellschafter einem Gläubiger eine zusammengefaßte Bilanz seines Privatvermögens und des Gesellschaftsvermögens überreicht hatte: Obwohl eine tatsächliche Vermögensvermischung nicht eingetreten war, konnte er sich diesem Gläubiger gegenüber natürlich nicht auf die fortbestehende Vermögenstrennung berufen. 26 AaO (Fn. 8). 27 Urteil vom 30. November 1978, WM 1979, 229. Vgl. dazu H. P. WESTERMANN, Jura 1980, 532 ff.

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Erachtens führt hier schon der Sachverhalt rein objektiv zur Haftung der Gesellschafter; denn eine Konstruktion nach dem Prinzip: die schlechten Risiken ins Kröpfchen der GmbH (hier: Festpreis), die guten Risiken dagegen ins Töpfchen der Gesellschafter (hier: Abführung des Veräußerungsgewinnes aus dem gleichen Vorgang an die Gesellschafter) ist ein Mißbrauch des Haftungsprivilegs und der Risikotrennung. Häufig werden in diesem Zusammenhang auch die amerikanischen TaxiFälle28 genannt: Ein Unternehmen betreibt 50 Taxis. Um teure Versicherungsprämien zu sparen, schließt es eine viel zu niedrige Haftpflichtversicherung ab. Um andererseits aber das nun hohe eigene Risiko zu begrenzen, bildet es aus je 2 Taxis eine selbständige Corporation (insgesamt also 25 Corporations). Durch die Schuld eines der Taxifahrer wird ein Fahrgast schwer verletzt; die Versicherungssumme reicht bei weitem nicht aus; an Haftungsmasse aber findet der Verletzte nur den Wert von zwei gebrauchten Taxis.

Die amerikanischen Gerichte haben die Aufteilung in die 25 Gesellschaften für mißbräuchlich erklärt und den Durchgriff gestattet. Ich halte das Ergebnis für richtig, die Begründung aber für falsch. Denn nicht die Aufteilung der Risiken ist mißbräuchlich; im Gegenteil: die Risikoteilung ist – jedenfalls nach deutschem Recht – ausdrücklich erlaubt und legal. Falsch aber war hier die offenbar unzureichende Ausstattung der Gesellschaft mit Kapital, gemessen am Risiko der unterversicherten Taxis. e) Die Ablehnung der Durchgriffslehre Wilhelm29 hat ein ganzes Buch dem Ziel gewidmet, die soeben dargestellten Überlegungen und ihren gedanklichen Ansatz zu falsifizieren. Zu diesem Zwecke stellt Wilhelm die juristische Person in das Zentrum seiner Überlegungen, betont ihre rechtliche Selbständigkeit und – das ist der entscheidende Aspekt – ihre Unabhängigkeit von den Mitgliedern, den Gesellschaftern. „Durchgriff“ ist für Wilhelm daher von der Idee und vom Bilde her verfehlt: Ebensowenig wie hinter einer natürlichen Person eine andere steht, auf die „durchgegriffen“ werden könnte, stehen „hinter“ der juristischen Person andere Personen auch nicht ihre Gesellschafter. Die Argumentation ist frappierend – rein intellektuell vielleicht gar schlüssig, auch wenn schon das Gesetz selbst klare Ausnahmen kennt (z. B. § 322 AktG). Und doch geht Wilhelm fehl, da er rein begrifflich argumentiert. Denn mühsam genug haben wir gelernt, daß die juristische Person eben kein „Ding an sich“ ist, [254] kein Subjekt mit einem realen, auch für die Rechtsordnung unverrückWalkovsky v. Carlton, 223 North Eastern Reporter (N.E.) 2d 6 (1966); vgl. dazu WIEDEGesellschaftsrecht, aaO (Fn. 3), S. 228. 29 WILHELM, aaO (Fn. 10). 28

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baren Sein wie der Mensch, sondern eben eine Kunstform, ein Zweckgebilde der Rechtsordnung, ungemein geeignet als Form dauerhafter Kooperation ebenso wie zur Haftungsbegrenzung, frei von den Schrecken des Todes ebenso wie von den Unbilden eines Menschenschicksals. Aber gerade weil das so ist, braucht die Rechtsordnung noch lange nicht in die Rolle des Zauberlehrlings zu verfallen, hilflos dem selbst geschaffenen Gebilde ausgeliefert, sondern kann durchaus das selbst erfundene Kunstgebilde in seine von ihren Zwecken her bestimmten Schranken weisen. Dieser Zweck bestimmt daher das rechtliche Verständnis, er bestimmt auch die Voraussetzungen und die Schranken des Gebrauchs, den die natürlichen Personen – die wirklich Handelnden, die Adressaten unserer Regeln über pflichtgemäßes und verantwortliches Verhalten – von eben diesem Kunstgebilde zu machen berechtigt sind – einem Ding, das eben nicht an sich ist wie der Mensch, sondern nur durch die Rechtsordnung, das keinem vorgegebenen Rechte folgt, sondern voll unterworfen ist den Zwecken des Rechts. Daher mögen Begriff und Bild vom „Durchgriff“ vielleicht ein wenig unglücklich sein, gemeint ist – dem Kundigen unschwer erkennbar – der fehlsame Gebrauch, der verfehlte Umgang mit der juristischen Person und die daraus folgende Haftung ihrer Mitglieder – sei es wegen der Inanspruchnahme der Zweckfigur völliger Unterkapitalisierung (Verlagerung des Risikos auf die Gläubiger), sei es als Folge der unzureichenden Trennung der fremden von der eigenen Kasse, sei es als Rechtsfolge für die ungenaue Bezeichnung, den ungenauen Hinweis auf gemeinte Person etc. 2. Patronatserklärungen und Vertrauenshaftung Eine hohe Affinität zu Vorgängen in der Gruppe haben schließlich Sachverhalte, welche eine Einheit betonen, ohne sie jedoch rechtlich unmittelbar dingfest zu machen. Drei Beispiele mögen das erläutern: (1) Gegenüber der kreditgebenden Bank ihrer Tochtergesellschaft erklärt das Unternehmen U: „Die Leitung unserer Tochtergesellschaft genießt unser volles Vertrauen; außerdem entspricht es den Prinzipien unseres Hauses, die Bonität und Liquidität unserer Tochter aufrechtzuerhalten.“ (2) Gegenüber Behörden, Regierung und Presse erklärt der Bankpräsident H: „Meine Bank wird stets für die erforderliche Liquidität unserer Tochtergesellschaft in … sorgen30.“ [255]

30 Siehe dazu den Fall Hessische Landesbank/Banque de Commerce International (Genève) mit dem die Klage abweisenden Urteil des LG Frankfurt a. M. vom 8. März 1977, Die AG 1977, 321; ebenso das OLG Frankfurt im unveröffentlichten Berufungsurteil vom 18. Januar 1979, Az. 1 U 277/77.

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Die zivilrechtliche Haftung in der Unternehmensgruppe (3) Die Muttergesellschaft M wird von ihrer Tochtergesellschaft T unterrichtet, daß man mit dem Unternehmen U über einen sehr interessanten Vertrag verhandele. Daraufhin schaltet sich das Vorstandsmitglied V von M in die Verhandlungen ein, betont das Interesse auch seiner Gesellschaft an dem geplanten Vertrag mit T, verspricht, sich um alles zu kümmern etc. Später brechen M und T die Verhandlungen mit U grundlos ab. T fällt in Konkurs. U verlangt Ersatz seines Schadens von M31.

a) Werden Erklärungen der unter (1) geschilderten Art einem oder mehreren bestimmten Dritten gegenüber abgegeben, so werden sie heute zu Recht als Angebot auf Abschluß eines Vertrages sui generis verstanden32 oder als Auslöser einer gesetzlichen Haftung kraft besonderen Vertrauens angesehen33. Kann dann der eigentliche Schuldner (Tochtergesellschaft) nicht mehr leisten, so ist der Erklärende (Muttergesellschaft) den Gläubigern gegenüber dann zur Leistung in gleicher Weise wie die Tochtergesellschaft verpflichtet34. b) Schwieriger ist die Beurteilung dann, wenn die Erklärung nicht gegenüber einer bestimmten Person erfolgt, sondern allgemein, gewissermaßen gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere so, daß mit ihrer Kolportage in der Wirtschaftspresse gerechnet wird oder doch gerechnet werden muß (Fall 2). Hier würde der Gedanke, das Verhalten des Bankpräsidenten als eine Willenserklärung (Vertragsangebot) gegenüber jedermann zu werten, die Figur der Willenserklärung und des Vertrages überdehnen35. Andererseits können solche Erklärungen, die Vertrauen erwecken sollen, dann, wenn sie Erfolg haben, nicht einfach rechtlich folgenlos sein. Richtiger Ansatz zur Lösung dieser Frage ist daher die vertragsähnliche Haftung für selbst veranlaßtes Vertrauen (sog. Vertrauenshaftung)36: [256]

31 Der Fall ist nachgebildet dem Urteil des BGH vom 12. Juni 1975, BB 1975, 1128; vgl. auch E. REHBINDER, FS Fischer, S. 599. 32 So vor allem OBERMÜLLER, Die Patronatserklärung, ZGR 1975, 1, 20 ff und K. MÜLLER, ZGR 1977, 28, während RÜMKER, Probleme der Patronatserklärung in der Kreditsicherungspraxis, WM 1974, 991, 992, die Entstehung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses anPatronatserklärungen deutscher nimmt. Demgegenüber mißt MOSCH, Konzernmuttergesellschaften und ihre Bedeutung für die Rechnungslegung, 1978, S. 59 ff diesen Erklärungen lediglich den Charakter einer Auskunft bei. 33 So etwa E. REHBINDER, Konzernaußenrecht, aaO (Fn. 22), S. 33 ff. 34 Ablehnend im Ergebnis GERTH, Atypische Kreditsicherungen, 2. Aufl., 1980, S. 117 einem ausführlichen Überblick über die insoweit vertretenen Auffassungen ibid. S. 111 ff und MOSCH, aaO (Fn. 32), S. 59 ff, 65 ff. 35 Zur Ausnahme einer Haftungsübernahme durch Erklärung gegenüber der Allgemeinheit vgl. K. MÜLLER, ZGR 1977, 1, 29 und BARZ in: Hachenburg, Komm. z. GmbHG, § 13 Anh. II Anm. 50. 36 Vgl. CANARIS, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 369 ff; WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, aaO (Fn. 3) S. 237 f.

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Die Bank muß im Falle (2) den vertrauenden Gläubiger jedenfalls so stellen, als hätte sie die Erklärung nicht abgegeben und der Gläubiger daher nicht kontrahiert (Vertrauensinteresse)37. c) Am schwierigsten zu entscheiden ist der Fall (3); das gilt vielleicht nicht so sehr für den Inhalt der Entscheidung als für die Begründung. Denn für die Lösung von Fallgestaltungen dieser Art läge der Gedanke durchaus nahe, zugunsten von Gesprächs-, Verhandlungs- und Vertragspartnern der Tochtergesellschaft eine Art „Konzernvertrauen“ zu postulieren und aus ihm eine spezielle Gestalt der soeben bereits angesprochenen allgemeinen Vertrauenshaftung zu entwickeln. So naheliegend der Gedanke ist, er wäre ungemein gefährlich. Denn mit ihm würde man zugleich die ja durchaus erlaubte Risikoverteilung in Frage stellen und Gefahr laufen, die besonderen rechtlichen Regeln zur Haftung im Konzernrecht – Regeln, auf die wir unten zu sprechen kommen – aus den Angeln zu heben: Wo immer in Zukunft der Name BAYER auftauchen würde – und würde auch noch so klar auf den Charakter als Tochtergesellschaft hingewiesen (z. B. BAYER Kunststoffe GmbH) – stets läge die Basis für „Konzernvertrauen“ vor und die Haftung der Muttergesellschaft BAYER AG für alle vertraglichen oder vertragsähnlichen Verbindlichkeiten ihrer Tochtergesellschaften wäre gegeben. Das wäre schlicht systemwidrig38 und müßte dazu führen, die wenig ergiebige Debatte um den angeblichen „Gleichlauf von Herrschaft und Haftung“ erneut zu entfachen39. Zutreffender ist es daher, den Fall (3) im Hinblick auf die konkrete Einmischung der Muttergesellschaft und ihrer Organe in die Verhandlungen der Tochter als eine Erscheinungsform der oben bereits behandelten „Sphärenvermischung“ anzusehen und nach den Regeln des Durchgriffs zu lösen. Möglich wäre es aber auch, die Muttergesellschaft als eigeninteressierte Vertreterin der Tochter anzusehen mit der Folge, daß sie dann – wiederum wegen ihrer Intervention – [257] aus culpa in contrahendo für den Vertrauensschaden des Unternehmens U einzustehen hätte40.

37 Kausalität zwischen Erklärung, Vertrauen und Vertragsschluß ist hier zu vermuten doch kann die Bank Gegenbeweis dafür erbringen, daß der betroffene Gläubiger von ihrer Erklärung nichts wußte oder aus sonstigen Gründen auf jeden Fall kontrahiert hätte. 38 Nachdrücklich anderer Meinung WIEDEMANN, FS Bärmann, 1975, S. 1037, 1054 ff., der dort Gefahr läuft, die Erfahrungen des amerikanischen Konzernrechts in den ganz anderen – vor allem: normativ verfestigten – Boden deutscher Konzernrechtsordnung implantieren zu wollen. Ähnlich aber auch E. REHBINDER, Konzernaußenrecht, aaO (Fn. 22), S. 324 ff. 39 Vgl. dazu die Entscheidung des BGH vom 17. März 1966, BGHZ 45, 204 (der berühmte „Rektorfall“) und die Ausführungen dazu von WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, aaO (Fn. 3), § 10 III, 2. 40 Zur Haftung bei grundlosem Abbruch der Vertragsverhandlungen vgl. LUTTER, Der Letter of Intent, 1982, S. 63 ff und die Entscheidung der Cour de Cassation (Chambre commerciale) vom 20. März 1972, Jurisclasseur Périodique 1973 II. 17543 mit Anm. von J. SCHMIDT.

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III. Gruppenspezifische Haftungstatbestände 1. Vorbemerkung Ehe wir uns nun mit Haftungstatbeständen speziell in der Gruppe beschäftigen, muß Ich kurz erläutern, welche besonderen Bezeichnungen, welche Begriffe ich hier verwenden will: Unter Gruppe verstehe ich Gesellschaften – Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mbH –, von denen die eine an der anderen zu mindestens 25% beteiligt ist. Diese Abgrenzung ist von mir getroffen. Einen gesetzlichen oder sonst allgemein anerkannten terminus technicus dieser Art gibt es in der Bundesrepublik nicht. Dennoch wähle ich die Bezeichnung „Gruppe“, um mich möglichst weitgehend französischer Terminologie anzupassen; und ich wähle die Abgrenzung von 25%, weil sie bei bestimmten Regeln auch dem deutschen Recht vertraut ist, nämlich bei Anzeigepflichten nach § 20 AktG bei Pflichten gegenüber dem Kartellamt gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2a GWB; bei Sperrminoritäten nach §§ 179 Abs. 2, 182 Abs. 1, 293, 340 AktG, 53 Abs. 2 GmbHG, 20 KaperhG. Die deutsche Terminologie kennt demgegenüber den Ausdruck „verbundene Unternehmen“, § 15 AktG; dieser Begriff ist enger als der hier gewählte Begriff der Gruppe. Den Regeln des Gesetzes, aber auch bestimmten Theorien folgend, werde ich die so definierte „Gruppe“ in fünf unterschiedlich dichte Bereiche unterteilen, nämlich in (1) einfache Beteiligungen (2) die Zusammenfassung eines herrschenden mit einem abhängigen Unternehmen (3) den einfachen Konzern (4) den qualifizierten Konzern und (5) die Eingliederung [258] 2. Die einfache Beteiligung Nehmen wir dazu den folgenden Fall: Die Gesellschaft A stellt Tierfutter her; sie ist an der X AG bzw. der Y GmbH zu 30% beteiligt. Der Verwaltung von A gelingt es durch sanften Druck, die X bzw. Y zur Aufgabe ihrer Produktion von Hundefutter zu bewegen; dadurch erlangt A einen Marktvorteil, X bzw. Y erleiden einen erheblichen finanziellen Nachteil. Haftet A? a) Im Text des deutschen GmbH-Gesetzes finden wir keine Bestimmung, die der Y hilfreich sein könnte. Doch haben Rechtsprechung und Lehre für die

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GmbH aus dem Recht der Personengesellschaften die Rechtsfigur der „gesellschaftlichen Treuepflicht“41 – genauer: der Pflicht aller Gesellschafter zur Förderung der gemeinsamen Ziele und zur Rücksicht auf die Interessen ihrer Gesellschaft – übernommen42. Gewißlich ist dieser Rechtssatz von der besonderen Treuepflicht eines GmbH-Gesellschafters zunächst einmal sehr allgemein und bedarf der Konkretisierung je nach der besonderen Struktur der einzelnen Gesellschaft. Dennoch kann in unserem Falle kaum ein Zweifel bestehen, daß die A der Y zwar am Markt, also extern die heftigsten Konkurrenzgefechte liefern darf, daß sie aber nicht berechtigt ist, die Y durch interne Maßnahmen des gesellschafterlichen Einflusses zu einer schädlichen unternehmerischen Maßnahme zu veranlassen. A ist also der Y gegenüber zum Ersatz ihres Schadens verpflichtet. In ganz der gleichen Weise hat der Bundesgerichtshof in der berühmten Entscheidung ITT bezüglich der von ITT veranlaßten und in Anspruch genommenen Konzernumlage judiziert: Die Tatsache, daß ITT in diesem Falle Mehrheitsgesellschafter ist, war nicht bestimmend für die Entscheidung; sie hätte bei einer Beteiligung von nur 30% nicht anders gelautet43. b) Im Aktienrecht, das hier für unsere Gesellschaft X AG zuständig ist, hat sich die Rechtsfigur der gesellschaftlichen Treuepflicht noch nicht durchsetzen können44. Dort aber haben wir seit dem AktG 1937 eine Regelung (§ 101 AktG [259] 37, jetzt § 117 AktG 65), die genau unseren Fall trifft: Kein Zweifel, daß A auch der X AG gegenüber zum Schadenersatz aus dieser Norm verpflichtet wäre45. c) Über diese Einzelhaftung auf Schadenersatz hinaus aber ist die Einfluß nehmende Gesellschaft A zu nichts verpflichtet. Nicht etwa muß A wegen ihres einmaligen oder jedenfalls nicht häufigen nachteiligen Eingriffs bei der X bzw. Y jetzt etwa für alle Schulden dieser Gesellschaft haften. Die materielle Rechtslage ist hier also ziemlich klar. Problematisch aber ist die prozessuale Durchsetzung: 41 Zur Entwicklung der Treuepflicht in der GmbH vgl. WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, aaO (Fn. 3), S. 412 ff m.w.N. 42 Näher dazu LUTTER, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 84 ff, 110 ff m.w.N. 43 Urteil vom 5. Juni 1975, BGHZ 65, 15; vgl. dazu REHBINDER, Treuepflichten im GmbH-Konzern, ZGR 1976, 386 ff m.w.N.; WIEDEMANN, JZ 1976, 392; H. P. WESTERMANN, GmbH-Rdsch. 1976, 77. 44 Vgl. dazu das Urteil des BGH vom 16. Febr. 1976 (AUDI/NSU), JZ 1976, 561 (mit Anm. LUTTER) sowie SKIBBE, WM 1977, 726 und KÜBLER, Gesellschaftsrecht, aaO (Fn. 5), S. 179 m.w.N. Demgegenüber habe ich eine solche Treuepflicht auch im Aktienrecht unter bestimmten eingeschränkten Voraussetzungen bejaht in: Zur Treuepflicht des Großaktionärs JZ 1976, 225 ff; vgl. auch LUTTER, Holdingprobleme, JZ 1981, 216 ff. 45 Vgl. dazu EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), S. 199; MERTENS, Kölner Komm. z. AktG, § 117 Anm. 9-15; KROPFF, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Komm. z. AktG, § 117, Anm. 13-26; MEYER-LANDRUT, Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 117 Anm. 1-6; WÜRDINGER, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, § 31.

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Sie verlangt in jedem Falle den Nachweis, daß A Einfluß genommen hat und daß die schädigende Handlung des Managements auf diesem Einfluß beruht. d) Die Lösung des deutschen Rechts beruht sowohl im Aktien- wie im GmbH-Recht auf dem Gedanken der „faute“, so daß sich Unterschiede zum französischen Recht kaum ergeben werden. 3. Herrschende und abhängige Unternehmen Wandeln wir jetzt unseren Fall etwas ab und nehmen an, A sei an X bzw. Y zu 55% oder zwar nur zu 46% beteiligt, während sich aber die restlichen 54% auf viele kleine Gesellschafter verteilen. In diesen beiden Fällen ist A im Sinne von § 17 AktG herrschendes Unternehmen, X bzw. Y sind abhängige Unternehmen46. Diese Bezeichnung können wir für das GmbH-Recht ebenso verwenden wie sie für das Recht der Aktiengesellschaften maßgebend ist47. a) Beginnen wir hier mit den Regeln des Aktienrechts. Der Hinzuerwerb von nur 16% bzw. 25% durch A bei der X AG hat die Rechtslage im Aktienrecht völlig geändert, weil nun auf einmal nicht mehr § 117 AktG, sondern die berühmten Vorschriften der §§ 311 ff AktG als leges speciales48 anwendbar sind. Die Besonderheit dieser Rechtsnormen (§§ 311 ff AktG) liegt nun darin, daß sie [260] das herrschende Unternehmen (A) privilegieren49. War das Verhalten von A mit einer Beteiligung von 30% verboten und führte zur Schadenersatzpflicht aus § 117 AktG, so ist es jetzt, wo A herrschendes Unternehmen geworden ist, plötzlich nicht mehr verboten. A darf der Verwaltung von X eine solche nachteilige Maßnahme ansinnen und – nahezu unvorstellbar für einen französischen Juristen des Handelsrechts – die Verwaltung der abhängigen X AG ihrerseits darf – nicht muß! – diesem Ansinnen auch folgen. Allerdings: Diese „nachteilige Maßnahme“ im Sprachgebrauch des § 311 AktG ist nur dann legal – legal sowohl als Einfluß von A wie als Verhalten der Verwaltung von X –, wenn die A der X einen Ausgleich verspricht, der den Nachteil für X beseitigen soll. Um dieser Pflicht zu entsprechen ist A bereit, demnächst die eigene Produktion von Katzenfutter einzustellen und der X diesen 46 BGHZ 69, 334, 347 und dazu LUTTER/TIMM, Zum Veba/Gelsenberg-Urteil des Bundesgerichtshofes, BB 1978, 836 ff sowie KROPFF, ZHR 144 (1980), 74 ff. 47 Zur Anwendbarkeit der Definitionsnormen der §§ 15 ff AktG im GmbH-Recht vgl. BIEDENKOPF/KOPPENSTEINER, Kölner Komm. z. AktG, § 15 Anm. 3 und SCHOLZ/EMMERICH, Komm. z. GmbHG, 6. Aufl., Anh. II Anm. 7 u. 27; BARZ, aaO (Fn. 35) Anm. 3 ff. 48 Ebenso BAUMBACH/HUECK, Komm. z. AktG, 13. Aufl., 1968, § 311 Anm. 6 und KROPFF, aaO (Fn. 45), § 117 Anm. 47-50; a. A. vor allem BIEDENKOPF/KOPPENSTEINER, aaO (Fn. 47), § 317 Anm. 31 und MERTENS, ibid., § 117 Anm. 34-41 m.w.N. 49 Zum privilegierenden Charakter der §§ 311 ff AktG vgl. STROHN, Die Verfassung der AG im faktischen Konzern, 1977, S. 6 ff.

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Markt zu überlassen. Geschieht das und sind die beiden ausgetauschten Produktionsbereiche gleichwertig, so hat alles seine Ordnung. Geschieht das aber nicht, so haftet das Unternehmen A und es haften die Mitglieder der Verwaltung beider Gesellschaften für den eingetretenen Schaden persönlich, §§ 317, 318 AktG. Das System mag überraschen, ist aber gedanklich durchaus in sich schlüssig: Es erlaubt den – auch negativen – Einfluß im Einzelfall, denkt unternehmerisch („Ausgleich“) und nicht in zivilrechtlichen Kategorien (nicht: „Schadenersatz“). Es hat allerdings zum Ziel, die Elemente Feuer (nämlich „Herrschaft“ von A) und Wasser (den Autonomieanspruch der abhängigen Gesellschaft X) miteinander zu versöhnen. Ob das, was in der Natur nicht möglich ist, im Recht gelingen kann, bleibt zweifelhaft50. Immerhin: Trotz vielfältiger Einzelfragen steht die Pflicht von A, den Nachteil für X zu kompensieren, hier außer Frage. b) Im Recht der GmbH gelten die §§ 311 ff AktG nicht. Der Gedanke, sie auch im GmbH-Recht zu verankern, ist nicht Gesetz geworden51; und auch der naheliegende Gedanke, diese Vorschriften auf die abhängige GmbH analog [261] anzuwenden, ist sowohl von der Rechtsprechung wie mehrheitlich im Schrifttum zu Recht verworfen worden52. Daher gilt für das Verhältnis von A zu Y auf der Stufe von Herrschaft und Abhängigkeit zunächst nichts anderes als auf der Stufe der einfachen Beteiligung: A haftet der Y auf Ersatz ihres Schadens wegen Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht. Fraglich könnte aber sein, ob die hier eindeutig illegale Maßnahme – illegal als Einfluß von A und illegal als Handlung der Geschäftsführung der Y-GmbH – dadurch legalisiert werden kann, daß A mit Y vorweg den ganzen Aspekt von Schädigung und Schadenersatz regeln, kurz: ob man den Rechtsgedanken der §§ 243 Abs. 2, 311 ff AktG jedenfalls in der (eingeschränkten) Weise in das GmbH-Recht übernehmen kann, daß eine nachteilige Maßnahme als Einfluß einerseits und schädigende Handlung der Geschäftsführung andererseits ausnahmsweise gestattet ist, wenn der Nachteil sogleich und vollständig kompensiert wird53. 50

Das ist die zentrale Frage an das Regelungsmodell der §§ 311-318 AktG; vgl. dazu EM(Fn. 1), Schweiz.

MERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), § 8 und LUTTER, aaO AG 1976, 159 sowie HOMMELHOFF, Die Konzernleitungspflicht, 1982, § 5.

51 So noch die §§ 251 ff im RegE GmbHG von 1971/1973. Zur Diskussion dieser Frage im Rahmen der Novellierung des GmbH-Rechts vgl. Arbeitskreis GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge Bd. II, 1972, S. 47 ff. Vgl. weiter dazu die Überlegungen im Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, Tz. 1653 ff. 52 BGHZ 65, 15 (ITT); EMMERICH, H. P. WESTERMANN u. a., Der GmbH-Konzern, 1976, S. 9 ff, 41 ff; sowie EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), S. 232 ff je m. w. N. 53 So EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), S. 237, 239 f.

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Das ist nicht anzunehmen; denn ein solcher Eingriff in die unternehmerischen Interessen der abhängigen GmbH betrifft nicht nur die Aspekte des Vermögensschutzes und des Interessenschutzes von Y, sondern auch die der Kompetenz: Hier ist also auch die Frage von Bedeutung, wer zuständig ist, ein solches „Geschäft“ zu tätigen. Und da gilt es zu bedenken, daß die weiträumige Kompetenzzuweisung an die Verwaltung einer Aktiengesellschaft (§ 76 AktG) im GmbHRecht keine Entsprechung hat. Eine solche Maßnahme – Verkauf von Interessen der Gesellschaft gegen Ausgleich, hier: Einstellung der Produktion von Hundefutter gegen Überlassung, sagen wir, einer Seifenfabrik – ist nicht mehr „Geschäftsführung“, bedarf daher der Erörterung und Entscheidung im Kreise der Gesellschafter (Gesellschafterversammlung); nur deren Votum mit jedenfalls satzungsändernder Mehrheit kann darüber entscheiden – nicht die Geschäftsführung54. c) In der GmbH-Lösung besteht, so meine ich, wiederum Übereinstimmung zwischen dem deutschen und französischen Recht („faute“); demgegenüber weicht die aktienrechtliche Lösung deutlich von den französischen Rechtsvorstellungen ab. [262] 4. Einfacher Konzern In unserem nächsten Schritt müssen wir den Sachverhalt erneut etwas verändern. A hat nun eine Beteiligung von 60% an X bzw. Y, bestimmt die Mitglieder der Geschäftsführung (also das leitende Management), setzt jährlich die unternehmerischen Ziele fest und stellt entsprechend dem jährlichen Finanzplan in der ganzen Gruppe auch die erforderlichen Mittel zur Verfügung. Im übrigen verlangt A jetzt wiederum die Einstellung der Produktion von Hundefutter und bietet dafür den Markt für Katzenfutter. In der Terminologie des deutschen Rechts besteht hier zwischen A als herrschendem Unternehmen und X bzw. Y als abhängigem Unternehmen ein Konzern nach § 18 Abs. 1 AktG. a) Unternehmensvertrag Nehmen wir an, daß die rechtliche Basis für dieses Verhältnis über die Beteiligung von A hinaus ein Unternehmensvertrag mit X bzw. Y nach den §§ 291 ff AktG sei, so ist die Rechtsfolge im Hinblick auf die Wünsche von A zur Umgestaltung der Produktion bei X bzw. Y klar: A ist zu dieser Maßnahme berechtigt (§ 308 Abs. 1 AktG), die Verwaltung von. X bzw. Y zur Befolgung der

54 Die satzungsändernde Mehrheit ist wegen des Eingriffs in den Gegenstandsbereich der Gesellschaft erforderlich, der mit einer solchen Maßnahme zwangsläufig verbunden ist.

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Anweisung verpflichtet (§ 308 Abs. 2 AktG)55: Irgendeinen Ausgleich für den etwaigen Nachteil von X bzw. Y oder gar Schadenersatz hat A nicht zu leisten56. Aber: Weist der Jahresabschluß von X bzw. Y demnächst einen Verlust aus, so hat ihn A voll zu erstatten, ohne daß es auf die Verlustquelle und ihre Feststellung irgendwie ankäme, § 302 Abs. 1 AktG. X bzw. Y verlieren also ihre unternehmerische Autonomie, daher auch jeden Anspruch auf den Ersatz von Schäden seitens der A, können aber, solange nur A selbst noch zahlungsfähig ist, auch ihrerseits nicht untergehen: Alle künftigen Bilanzverluste von X und Y hat A auszugleichen; der Anspruch entsteht kraft Gesetzes und ist sofort fällig. Hier findet also kein Schadenersatz und kein Ausgleich der einzelnen Eingriffe mehr statt, sondern eine globale Kompensation: Das wirtschaftliche Risiko der unternehmerischen Tätigkeit von X bzw. Y ist auf A übergegangen. Die Gläubiger von X und Y können nicht unmittelbar gegen A vorgehen, können ihre Ansprüche gegen X und Y nicht bei A liquidieren; sie sind aber mittelbar dadurch geschützt, daß bei X und bei Y keine Unterbilanzen (Bilanzverluste) [263] mehr entstehen können, X und Y jedenfalls so lange solvent bleiben, wie auch A selbst noch leistungsfähig ist. b) Faktischer Konzern Besteht kein solcher Unternehmensvertrag, so sprechen wir von einem faktischen Konzern normaler Struktur. Für ihn verbleibt es bei der oben unter 3) erörterten Lösung: Die etwaige Schädigung der abhängigen Gesellschaft wird also im einfachen faktischen Konzern nicht anders behandelt als bei schlichter Abhängigkeit. Und das gilt für die Aktiengesellschaft (§§ 311 ff AktG) ebenso wie für die GmbH (Schadenersatz wegen Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht): Ohne Unternehmensvertrag verbleibt es also im einfachen faktischen Konzern bei der Pflicht zur Kompensation bezüglich jedes einzelnen schädigenden Eingriffs. 5. Qualifizierter Konzern In einem nun bald letzten Schritt müssen wir den Sachverhalt noch einmal verändern. Nehmen wir an, A habe seine Beteiligung nunmehr auf 90% aufgestockt und bestimme nicht etwa nur das Management, die jährlichen Unternehmensziele und das Finanzbudget, sondern unterwerfe X bzw. Y voll den eigenen 55 Zu den Grenzen des Weisungsrechtes aus § 308 AktG vgl. IMMENGA, ZHR 140 (1976), 301 ff und GESSLER, ibid. S. 433 ff m. w. N. 56 Obwohl die §§ 291 ff AktG expressis verbis nur für (künftig abhängige) Aktiengesellschaften gelten, ist die Möglichkeit des Abschlusses von Unternehmensverträgen mit einer GmbH in Anlehnung an die §§ 291 ff AktG anerkannt; dazu sowie zu den Formerfordernissen vgl. TIMM, BB 1981, 1491.

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unternehmerischen Zielen, greife auch laufend mit der Auswechselung von Personal, vor allem aber mit Einzelweisungen und dem Diktat schlechter Konzernverrechnungspreise in die Geschäftsführung ein. Auch hier ordnet nun A die Einstellung der Produktion von Hundefutter bei X bzw. Y an. a) Unternehmensvertrag Liegt ein Unternehmensvertrag vor, so sind alle diese Maßnahmen einschließlich der Weisung zur Produktionseinstellung legal57; der etwaige Verlust von X oder Y ist jährlich von A auszugleichen, §§ 302, 308 AktG. b) Faktischer Konzern Sehr viel schwieriger aber wird die Beurteilung der rechtlichen Situation dann, wenn kein solcher Unternehmensvertrag besteht. [264] Um das zu erläutern, muß man versuchen, den entscheidenden Unterschied im Sachverhalt zwischen der Fallalternative „einfacher Konzern“ und der jetzigen Alternative noch deutlicher zu entwickeln. In der Alternative „einfacher Konzern“ hatte A der abhängigen Gesellschaft unternehmerische Ziele gesteckt, die finanziellen Möglichkeiten unter den Mitgliedern der Gruppe koordiniert und die Auswahl des leitenden Personals bestimmt, im übrigen aber nur ausnahmsweise in die Geschäftsführung selbst eingegriffen. A hat also den Konzern an „langer Leine“, in dezentraler Form geführt und damit X und Y sowie ihrem Management noch erhebliche unternehmerische Autonomie belassen. Ganz anders ist das Verhältnis von A zu X bzw. Y in der jetzigen Alternative: Hier greift das herrschende Unternehmen A laufend in, die Geschäftsführung ein, führt X und Y wie eine Betriebsabteilung, macht sie ausschließlich den Interessen des Gesamtkonzerns dienstbar; im Zweifel werden die Entscheidungen stets zu Lasten der Tochter und zu Gunsten der Muttergesellschaft getroffen. Anders gewendet und plakativ gesagt: X und Y werden hier als Sklaven behandelt. Daher auch spricht man hier von einem qualifizierten Konzern58. Nun ist der Einfluß des herrschenden Unternehmens auf die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft legitim; das ergibt § 311 AktG für die abhängige Aktiengesellschaft, § 45 GmbHG für die abhängige GmbH. Aber dieser Einfluß Vgl. Fn 55. Die Unterscheidung zwischen dem einfachen und dem qualifizierten faktischen Konzern und damit die Dreistufigkeit von einfachem faktischen Konzern – qualifiziertem faktischen Konzern – Vertragskonzern wurde vom Arbeitskreis GmbH-Reform, aaO (Fn. 51) entwickelt und von der Literatur inzwischen übernommen; vgl. etwa SCHILLING, ZHR 140 (1976), 528, 532 f; K. SCHMIDT, ZGR 1981, 455, 465, 469, 472 ff. m. w. N. sowie EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), S. 217 ff, 242 f (die von einem „durchgeführten“ faktischen Konzern sprechen). Zur Abgrenzung im einzelnen vgl. STROHN, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, 1977, S. 102 ff. 57 58

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muß auch die Interessen von Minderheiten und selbstverständlich auch das fortbestehende Prinzip der Vermögenstrennung und der Vermögensautonomie beachten: Wie bei der Leitung der autonomen Gesellschaft die Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung zu beachten sind, so sind auch Unternehmensgruppen unter Beachtung solcher Regeln und Grundsätze zu leiten. Diese Regeln einer ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung werden von A mißachtet. Ein solches Verhalten von A, eine solche Form der Konzernführung entspricht nicht mehr dem Grundgedanken der §§ 311 ff AktG. Denn deren Hintergrund ist die Vorstellung, daß trotz einzelner nachteiliger Eingriffe des herrschenden Unternehmens die Autonomie der abhängigen Gesellschaft im Prinzip erhalten bleibt und vom herrschenden Unternehmen auch respektiert wird. Auf diesem Hintergrund beruht das gesamte System des Einzelausgleichs [265] jeder einzelnen nachteiligen Maßnahme59: Ein solcher Einzelausgleich (§ 311 AktG) aber ist bei ständigen Eingriffen, beim Verlust nahezu jeglicher unternehmerischer Autonomie praktisch ausgeschlossen: Niemand kann die Fülle der Eingriffe mehr feststellen, niemand ihre Folgen bewerten, niemand mehr von der Hypothese fortbestehender Autonomie her denken. Daher wird ein solches Konzernverhalten von A durch die Sondervorschriften der §§ 311 ff AktG oder des § 117 AktG nicht mehr legitimiert60. Und auch das am Einzeleingriff ausgerichtete Sanktionensystem, sei es der §§ 311 ff AktG oder des § 117 AktG oder der Verletzung von Treuepflichten im GmbH-Recht kann hier weder genügen noch helfen. Über diese rechtliche und faktische Beurteilung besteht in der Rechtslehre in hohem Maße Einigkeit61. Aber damit endigt die Einigkeit auch schon. Denn über die sich nun anschließende Frage, was denn statt dessen rechtlich zu gelten hat, bestehen große Unsicherheiten und Divergenzen: aa) So stellt etwa Strohn62 zu Recht fest, daß sich A so nicht verhalten dürfe. Das ist sicher richtig. Aber diese Feststellung genügt nicht. Denn Palmströms Satz, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, hat sich bekanntlich nicht durchsetzen können. Bei allem Wert und aller Kraft der Analyse ist in dieser Betrachtung die so wichtige Rechtsfolgenseite noch unterentwickelt.

Eingehend dazu KROPFF, aaO (Fn. 45), § 311 AktG Anm. 4-20 und 22-28 sowie GESSLeitungsmacht und Verantwortlichkeit im faktischen Konzern, FS Westermann, 1974, S. 145-165 je m. w. N. 60 Es ist schlicht verboten; vgl. KROPFF und GESSLER, je oben Fn. 59. 61 Vgl. außer KROPFF und GESSLER, aaO (Fn. 59) weiter SCHOLZ/EMMERICH, aaO (Fn. 54), Anm. 136 u. 137 sowie EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), S. 207 f. 62 STROHN, aaO (Fn. 58), insbes. S. 144 ff. 59

LER,

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bb) Eine andere Auffassung interpretiert das Verhalten der beteiligten Gesellschaft (A einerseits, X bzw. Y andererseits) als konkludent geschlossenen Unternehmensvertrag (Beherrschungsvertrag) mit der Folge, daß A für alle Verluste von X und Y bereits aus § 302 AktG einzustehen hätte63. Die Rechtsfolge mag hier überzeugen, nicht aber kann das für die Voraussetzungen gelten: Der Rechtsgedanke an einen konkludent geschlossenen Unternehmensvertrag ist ein Widerspruch in sich; denn das Gesetz schreibt nun einmal für Unternehmensverträge vielfältige Formalien vor, die hier samt und sonders fehlen64. Darüber hinaus aber würde mit dieser Betrachtung auch die interne Zuständigkeit verlagert; denn der konkludente Unternehmensvertrag wäre eine Folge des ManagementVerhaltens, der förmliche Unternehmensvertrag aber fällt unabdingbar in die Zuständigkeit der Gesellschafter beider betroffenen Unterneh- [266] men, also sowohl des abhängigen als auch – wegen der Übernahme des unternehmerischen Risikos – des herrschenden Unternehmens65. cc) Der Bundesgerichtshof66 hat in einem ähnlichen Fall, nämlich in der GervaisEntscheidung vom 5. November 1979 das System des Einzelausgleichs abgelehnt und die Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich angenommen. Er hat dies in doppelter Weise begründet: Zum einen wurde die Gesamtheit der getroffenen Maßnahmen und Vereinbarungen unter den Beteiligten als Beherrschungsvertrag gewertet (interpretiert); Zum anderen aber hat der BGH von der „Eingliederung“ der abhängigen Gesellschaft „in die Unternehmensorganisation“ des herrschenden Unternehmens gesprochen und die „Unkontrollierbarkeit der Beziehungen“ betont. Im Gervais-Fall war die abhängige Gesellschaft eine Personengesellschaft; ihr Gesellschaftsvertrag ist formfrei. Daher läßt sich in diesem Sonderfall die Gesamtwürdigung der Beziehung zwischen den beiden Unternehmen als Unternehmensvertrag noch rechtfertigen. Aber: weiterführend ist dieser Rechtsgedanke nicht; er ist zu sehr auf den Einzelfall bezogen. Fruchtbar ist demgegenüber der Hinweis des Gerichtes auf die unternehmerische Eingliederung. Gemeint ist dabei ganz offenbar nicht die rechtliche Eingliederung im Sinne der §§ 319 ff AktG (dazu unten 6.), sondern ein faktischer Befund, nämlich die Dichte des unternehmerischen Einflusses und die vollständige Ausrichtung der EMMERICH/SONNENSCHEIN, Konzernrecht, aaO (Fn. 1), S. 217 ff, 243. Zur Aktiengesellschaft vgl. §§ 293, 294 AktG, zur GmbH TIMM, BB 1981, 1491. 65 Dazu TIMM, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 55 ff. 66 BGH NJW 1979, 2245 = WM 1979, 937; vgl. dazu U. H. SCHNEIDER, Konzernbildung, Konzernleitung und Verlustausgleich im Konzernrecht der Personengesellschaften, ZGR 1980, 511 ff und TH. RAISER, Beherrschungsvertrag im Recht der Personengesellschaften, ZGR 1980, 558 ff. 63 64

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abhängigen Gesellschaft auf die Belange des herrschenden Unternehmens. Es könnte naheliegen, bereits auf diesen Befund die Rechtsfolge einer Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich zu gründen, etwa mit dem Argument, breitflächiger Einfluß bedinge als Korrelat auch die Übernahme des unternehmerischen Risikos. Das wäre aber nichts anderes als eine Anwendung des oft behaupteten Grundsatzes vom „Gleichlauf von Herrschaft und Haftung“. Einen solchen Grundsatz aber gibt es im deutschen Korporationsrecht gerade nicht67. Außerdem geht das Gesetz selbst im Prinzip vom Einzelausgleich der Schäden aus (§§ 117, 311 ff AktG) und verläßt diesen Gedanken nur, wenn die Autonomie der abhängigen Gesellschaft vertraglich beseitigt ist. Fehlt dieser vertragliche Aspekt, so kann der Autonomieverlust allein nicht genügen, vielmehr muß Ausgangspunkt der Überlegung auch im Falle der „unternehmerischen Eingliederung“ die Schädigung der abhängigen Gesellschaft sein. Beschränkt sich diese auf Einzelfälle, so kann es beim Einzelausgleich bleiben; wird aber ständig in die Interessen der abhängigen Gesell- [267] schaft schädigend eingegriffen (Gedanke der „Unkontrollierbarkeit der Beziehungen“) und werden damit die oben erläuterten Grundsätze ordnungsgemäßer Konzerngeschäftsführung verletzt, so ist der Einzelausgleich nicht mehr zu verwirklichen; der Globalausgleich in Form des Verlustausgleichs muß dann die Rechtsfolge sein68. Die Abgrenzung zwischen Einzelausgleich und globalem Verlustausgleich ist sonach mit Hilfe des Stichworts von der „ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung“ zu treffen69. Sieht man die Besonderheit des Konzerns in der wirtschaftlichen Einheit bei fortbestehender rechtlicher Vielheit, so bedeutet ordnungsgemäße Konzerngeschäftsführung: Anerkennung der rechtlichen Selbständigkeit der Konzernglieder und Sicherung des Trennungsprinzips derart, daß die wirtschaftlichen Risiken zwischen Obergesellschaft und Tochtergesellschaft angemessen verteilt bleiben und nicht ständig zu deren Lasten verändert werden. Solange in dieser Weise eine ordnungsgemäße Konzerngeschäftsführung stattfindet (die durchaus gelegentliche nachteilige Maßnahmen einschließt), kann es beim gesetzlich vorgezeichneten Einzelausgleich verbleiben. Die unternehmerische Einbindung der abhängigen Gesellschaft in einen qualifizierten Konzern genügt also de lege lata noch nicht, um die Folge des Verlustausgleichs zu rechtfertigen; es muß die beständige und breitflächige Schädigung ihrer Interessen hinzukommen so, daß ein Einzelausgleich ausgeschlossen ist70. Wo aber 67 68

539 f.

Vgl. oben bei Fn. 39. Ähnlich K. SCHMIDT, ZGR 1981, 455, 473; a.A. U. H. SCHNEIDER, ZGR 1980, 511,

Vgl. dazu auch U. H. SCHNEIDER, BB 1981, 249, 257. Der vom Arbeitskreis GmbH-Reform eingeführte Begriff des qualifizierten Konzerns (siehe oben Fn. 51 und 58) war Teil eines Vorschlages de lege ferenda; hier geht es aber um die Ausfüllung einer Lücke im gesetzlichen System mit Hilfe von Elementen der geltenden Rechts69 70

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diese beständige und breitflächige Schädigung der abhängigen Gesellschaft einmal festgestellt wurde, ist die Rechtsfolge dann unabdingbar der Verlustausgleich, nicht dagegen die Haftung der Obergesellschaft für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaften; eine solche Haftung entspricht nicht der Systematik des deutschen Konzernrechts. 6. Förmliche Eingliederung Damit bin ich fast am Ende meiner Analyse. Es bleibt mir noch der Hinweis, daß das Aktienrecht – nicht auch das GmbH-Recht – noch zusätzlich die förmliche Eingliederung nach den §§ 319 ff AktG kennt. Sie führt als stärkste Form des Zusammenschlusses nicht mehr nur zur Pflicht zum Verlustausgleich [268] der Hauptgesellschaft, sondern auch und zusätzlich zu deren Haftung für alle Schulden der eingegliederten Gesellschaft, § 322 Abs. 1 AktG. IV. Geltendmachung der Haftungsansprüche Das Recht genießt so viel Autorität, wie seiner Kraft und der Chance seiner Durchsetzung entspricht: Die schönsten hier dargestellten Ansprüche nützen der abhängigen Gesellschaft, ihren Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern gar nichts, wenn sie nicht tatsächlich verwirklicht werden und auch verwirklicht werden können. Daher müssen wir auf diesen Aspekt der Durchsetzung hier noch kurz eingehen mit der Frage: wer kann die hier festgestellten Ansprüche geltend machen. 1. Gruppenunabhängige Haftungstatbestände Die Haftung eines Gesellschafters – hier: des Gruppenmitgliedes – wegen offenbarer Unterkapitalisierung kann nur im Konkurs und dort nur vom Konkursverwalter geltend gemacht werden71. Die übrigen Durchgriffsfälle haben den Zusammenbruch der schuldenden Gesellschaft ebenfalls zur Voraussetzung, stehen dann allen oder auch nur einzelnen Gläubigern zu und können von diesen durchgesetzt werden72. Das gleiche gilt für die Haftung aus Patronatserklärung ordnung. Es ist daher kein Widerspruch, sondern liegt geradezu nahe, daß de lege lata die Abgrenzung anders und im Zweifel enger verlaufen muß als im Rahmen von Vorschlägen de lege ferenda. 71 LUTTER/HOMMELHOFF, ZGR 1979, 31, 62 ff. 72 Vgl. WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, aaO (Fn. 3), S. 222 f. Stehen allerdings die Ansprüche im Prinzip allen Gläubigern zu – wie etwa in den Fällen der Vermögensvermischung –, so wird man sie mit ähnlichen Überlegungen wie bei der Unterkapitalisierung (oben Fn. 71) als

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und für die Fälle einer speziellen Vertrauenshaftung73. Kurz: die nicht gruppenspezifischen Ansprüche sind Gläubigeransprüche und können von diesen oder den Konkursverwaltern durchgesetzt werden: Hier bestehen keine rechtlichen Probleme, sondern allenfalls faktische Probleme des Nachweises solcher Vorgänge. 2. Gruppenspezifische Haftungstatbestände Problematisch wird unsere Frage der Geltendmachung von Ansprüchen im Grunde erst bei den gruppenspezifischen Ansprüchen. Und das aus zwei Gründen, einem rechtlichen und einem faktischen. Denn rechtlich handelt es sich hier um Ansprüche der geschädigten Gesellschaft, nicht um die eines bestimmten oder aller ihrer Gläubiger. Und faktisch richtet sich der Anspruch gerade gegen [269] Personen (und herrschende Gesellschaften), die besonders einflußreich sind: Das ist ja Ausgangspunkt und Kern des Problems. Wer aber verklagt schon gerne als Vorstand oder Geschäftsführer einer abhängigen Gesellschaft diejenige Einrichtung, die einen jederzeit entlassen kann? Das bedeutet: Die schönsten Schadenersatz- und Ausgleichansprüche einer abhängigen Gesellschaft gegen das einflussreiche oder gar herrschende Unternehmen nutzen der abhängigen Gesellschaft zunächst einmal wenig, da ihr Management sich nicht bereitfinden wird, diese Ansprüche auch tatsächlich gegen das herrschende Unternehmen durchzusetzen74. a) Rechtlich einfach ist die Situation wieder im Konkurs: Alle hier erörterten gruppenspezifischen Ansprüche können im Konkurs der betroffenen Gesellschaft von ihrem Konkursverwalter geltend gemacht werden. Das ist rechtlich kein Problem, soweit nur der Konkursverwalter faktisch auch von den entsprechenden Tatsachen Kenntnis erhält und diese nachweisen kann. b) Außerhalb des Konkurses können die Gläubiger der betroffenen Gesellschaft deren Ansprüche gegen das Gruppenmitglied geltend machen, sei es ein Anspruch aus § 117 AktG oder ein solcher aus §§ 311, 317, 318 AktG, sei es einer aus Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht oder aus der Pflicht zum Verlustausgleich, indem sie diese Ansprüche wegen ihrer Forderung pfänden und dann zur eigenen Befriedigung gegen das betroffene Gruppenmitglied durchsetzen. Die Ansprüche aus den §§ 317, 318 AktG können von den Gläubigern aber unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Gesellschaft (Prozeßstandschaft) geltend gemacht werden, § 309 Abs. 4 Satz 3 AktG. Ansprüche der Gesellschaft zu qualifizieren haben, die dann auch der Konkursverwalter und nicht der einzelne Gläubiger nach dem Windhund-Prinzip geltend macht. 73 Vgl. K. MÜLLER, ZGR 1977, 1, 28 ff. 74 Auf dieser Erfahrung beruht die „Erfindung“ des Abhängigkeitsberichtes (§ 312 AktG) und der Pflicht zu seiner Prüfung durch den Abschlußprüfer; vgl. BIEDENKOPF/KOPPENSTEINER, Kölner Komm. z. AktG, § 312 Anm. 1.

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c) Die Gläubiger können also selbst oder durch den Konkursverwalter dafür sorgen, daß die hier erörterten Ansprüche ihnen auch tatsächlich zugute kommen. Aber: Nicht immer steht ja die Zahlungsfähigkeit der betreffenden Gesellschaft in Frage. Dennoch bleibt eine Gruppe von Personen vom schädigenden Eingriff betroffen, die wir bislang noch gar nicht näher bedacht haben, nämlich die Minderheitsgesellschafter. Für sie ist es von elementarem Interesse, die Ansprüche ihrer Gesellschaft auch gegen das einflußreiche Mitglied der Gruppe und notfalls auch gegen den Willen der eigenen Verwaltung ihrer Gesellschaft durchsetzen zu können; denn die Verwaltung ihrer Gesellschaft ist ja selbst betroffen, ist am Eintritt des Schadens mit beteiligt und wird daher ihrerseits nichts unternehmen. Das Problem ist durchaus bekannt; in den kontinentalen Rechten hat es für die Personengesellschaft zur Ausprägung der actio pro socio geführt, in den USA [270] ganz allgemein zur derivative suit75. Was aber gilt hier im Aktien- und GmbH-Recht für die Minderheitsgesellschafter des deutschen Rechts? aa) Das deutsche Aktienrecht folgte in der Novelle von 1884 nicht dem Vorbild des französischen Gesetzes von 1867, sondern hat im wesentlichen und seit dem AktG 1937 ausschließlich das System der Sonderprüfung verwirklicht (Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen die Verwaltung oder einflußreiche Dritte durch einen „besonderen Vertreter“); dabei ist es für das allgemeine Aktienrecht auch 1965 verblieben, §§ 142 ff, 147 AktG. Demgegenüber wurden für das Konzernrecht solche Klagerechte einzelner Aktionäre auf Leistung an die Gesellschaft neu geschaffen (insbesondere §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG). Dabei handelt es sich vor allem um die Ersatzansprüche der abhängigen Aktiengesellschaft gegen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowohl des herrschenden wie des abhängigen Unternehmens, aber auch um den Anspruch der abhängigen Aktiengesellschaft gegen das herrschende Unternehmen selbst. bb) Im GmbH-Recht ist diese Frage seit eh und je ungeregelt. Daraus wurde auf das Fehlen jeder Klagebefugnis des einzelnen GmbH-Gesellschafters zur Geltendmachung von Ansprüchen der GmbH geschlossen. Dann aber wurde erkannt, daß in der GmbH rechtliche Beziehungen nicht nur zwischen der Gesellschaft selbst und ihren Mitgliedern, sondern auch zwischen den Mitgliedern untereinander bestehen76. Das wurde vom Bundesgerichtshof gerade in der ITTEntscheidung vom 5. Juni 1975 wieder nachdrücklich betont. Diese Erkenntnis hat dann aber auch den Blick für die Feststellung geöffnet, daß die mitgliedschaftlichen Beziehungen in der Personengesellschaft mit denen in der GmbH sehr nahe verwandt sind. Und das wiederum hat zur Übertragung der im Personengesellschaftsrecht allgemein anerkannten actio pro socio als actio pro societate in Vgl. dazu BUXBAUM und U. H. SCHNEIDER, in diesem Heft S. 199 ff m.w.N. Grundlegend BALLERSTEDT, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949, S. 187 ff sowie IMMENGA, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 272 ff; vgl. weiter LUTTER, AcP 180 (1980), 84, 129 f. 75 76

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das GmbH-Recht geführt. Kurz: Heute ist überwiegend anerkannt, daß der einzelne Gesellschafter einer GmbH bei Ansprüchen aus gruppenspezifischen Vorgängen für die GmbH dann zu klagen berechtigt ist, wenn die Untätigkeit der primär zuständigen Geschäftsführung feststeht77. cc) Damit können wir feststellen: In gruppenspezifischen Sachverhalten kann der einzelne Gesellschafter einer GmbH stets, der einzelne Aktionär in den wichtigsten Fällen den Anspruch seiner Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen auch tatsächlich durchsetzen. Dennoch bleibt ein Problem, das [271] mit der Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche eng verknüpft ist, nämlich das der Information78. Wer nämlich den Sachverhalt nicht kennt, auf den der Anspruch gründet, und diesen Sachverhalt auch nicht erfahren kann, der kann auch die darauf beruhenden Rechte und Ansprüche nicht durchsetzen. Unter diesem Aspekt ist die rechtliche Stellung des Gesellschafters in einer GmbH ungleich günstiger als die eines Aktionärs. Denn der GmbH-Gesellschafter hat heute umfassende und nahezu unbeschränkte Möglichkeiten, sich zu informieren, §§ 51a, 51b GmbHG. Der einzelne Aktionär hingegen hat nur ein sehr eingeschränktes Informationsrecht in der Hauptversammlung (§ 131 AktG) und kann allenfalls versuchen, mit anderen Aktionären zusammen – insgesamt mindestens 10% des Kapitals – eine Sonderprüfung nach den §§ 142 ff AktG zu erreichen, die dann zu weiteren Informationen führt. V. Konkurrenzen 1. Damit haben wir zum Schluß noch die Frage zu erörtern, welche rechtlichen Regeln den Vorrang haben: die allgemeinen Ansprüche (beispielsweise Durchgriff) oder die gruppenspezifischen Ansprüche des Konzernrechts. Hat eine Muttergesellschaft im qualifizierten Konzern Verlustausgleich zu leisten, haftet sie dann auch noch den Gläubigern der gleichen Tochtergesellschaft unter dem Aspekt der Unterkapitalisierung? Die Fragen zu entscheiden ist weniger schwierig als es zunächst erscheint. Denn die allgemeinen Ansprüche stehen in der Regel bestimmten Gläubigern, die

77 BGHZ 65, 15 und die Nachw. oben Fn. 43; LUTTER, AcP 180 (1980), 80, 135 ff; SCHOLZ/EMMERICH, aaO (Fn. 47), Anm. 129 f. Weitergehend SCHOLZ/FISCHER, Komm. z. GmbHG, 9. Aufl., 1981, § 13 Anm. 5 und WIEDEMANN, JZ 1976, 395, die dem einzelnen Gesellschafter eine nicht nur subsidiäre Zuständigkeit geben wollen. 78 Vgl. dazu SCHOLZ/K. SCHMIDT, Komm. z. GmbHG, 6. Aufl., § 51a Anm. 3 ff sowie LUTTER, Zum Informationsrecht des Gesellschafters nach neuem GmbH-Recht, ZGR 1982, 1 ff. Vgl. weiter LUTTER, Die Information der Gesellschafter und Dritter im deutschen Gesellschaftsrecht, Convegno Internazionale „L’Informazione societaria“ der Rivista delle Società, Venedig 1981.

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gruppenspezifischen Rechte hingegen stets der benachteiligten Gesellschaft zu79. Da die Ansprüche also verschiedenen Personen zustehen, besteht in weitem Maße überhaupt keine Konkurrenz unter den Ansprüchen. Damit reduziert sich die Frage auf wenige Aspekte der Subsidiarität. Um im Beispiel zu bleiben: Da die Tochtergesellschaft im qualifizierten Konzern Anspruch auf Verlustausgleich hat, kann sie für sich allein wirtschaftlich nicht zusammenbrechen; damit aber kommt die potentielle (zusätzliche) Haftung der Muttergesellschaft aus Unterkapitalisierung praktisch nicht zum Zuge, weil diese ihrerseits den Konkurs der Tochtergesellschaft voraussetzt. 2. Die hier gewonnene Erkenntnis gilt es noch einmal festzuhalten: Die allgemeinen Ansprüche schützen die Gläubiger der Gesellschaft unmittelbar durch Haftungsregeln zu Lasten Dritter (insbesondere der Muttergesellschaft); [272] die gruppenspezifischen Ansprüche aber schützen die Gesellschaft, haben deren Wohlergehen und deren Überlebenschance vor Augen; sie dienen dadurch auch dem Schutz ihrer Gläubiger und Minderheitsgesellschafter, aber mittelbar, nicht unmittelbar. VI. Schlußbemerkung Damit sind wir am Ende unserer Überlegungen zur responsabilité civile dans la groupe. Lassen Sie mich schließen mit dem Hinweis, daß mich zwei Erfahrungen, die ich bei der Ausarbeitung dieses Vortrages gemacht habe, selbst überrascht haben: Zum einen die Tatsache, daß in der Bundesrepublik offensichtlich nur recht selten Haftungstatbestände im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer Unternehmensgruppe geltend gemacht werden. Nun muß man bedenken, daß Haftungsfragen in der Gruppe zwei Interessen berühren: Die der Minderheitsgesellschafter und die der Gläubiger. Bei ersteren wird die Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen das herrschende Unternehmen bislang häufig am Mangel der Information gescheitert sein: Hier mag sich künftig im GmbH-Recht aufgrund des neuen § 51a GmbHG eine Änderung ergeben. Demgegenüber wird die Haftung eines Gruppenmitglieds für den Gläubiger allemal erst im Konkurs von praktischer Bedeutung. Die Seltenheit von Haftungsprozessen gegen andere Gruppenmitglieder im Konkurs eines Gruppenmitglieds scheinen mir darauf hinzudeuten, daß man in der Gruppe offenbar doch „zusammenhält“ und sich wechselseitig so lange stützt, bis endlich die ganze Gruppe zusammenbricht und sich die Durchsetzung gegenseitiger Ansprüche nicht mehr lohnt. Das aber würde im Ergebnis bedeuten, daß das System der Risikotrennung und Risikoverteilung endgültig doch nicht durchgehalten wird,

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Näher dazu oben sub IV. 1.

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daß die kunstvoll errichteten Staudämme im Ernstfall von den beteiligten Unternehmen selbst geöffnet werden. Ein zweites Moment der Überraschung war die relative Häufigkeit von Haftungsprozessen in Frankreich. Nun glauben wir nicht, daß sich französische Kaufleute im Geschäftsverkehr grundsätzlich anders verhalten als deutsche Kaufleute. Unsere Hypothese lautet daher: Die Formulierung gruppenspezifischer Verhaltensregeln im Gesetz, in den §§ 291 ff, 311 ff AktG, hat zu einer rechtlichen Klärung und – jedenfalls teilweise – auch zur Anpassung der Beteiligten an diese Regeln, also zu einem gruppenlegalen Verhalten geführt, während die gleiche Aufgabe – was darf man in der Gruppe tun und was nicht – in Frankreich mühsam und in vielen kleinen Schritten von Rechtsprechung und Lehre noch geleistet werden muß. [273] VII. Zusammenfassung 1. Im deutschen Recht sind Unternehmensgruppe und Konzern durchaus legale Erscheinungen. Daher stehen auch der Gliederung eines wirtschaftlich einheitlichen Unternehmens in mehrere rechtlich selbständige Teile mit dem Ziel, wirtschaftliche Risiken gegeneinander abzugrenzen, weder rechtliche noch rechtspolitische Bedenken entgegen80. 2. Zivilrechtliche Haftung in der Unternehmensgruppe hat im deutschen Recht zwei ganz verschiedene Aspekte, nämlich (a) die Haftung eines Gruppenmitgliedes für Verbindlichkeiten eines anderen Gruppenmitgliedes und (b) die Haftung eines Gruppenmitgliedes für Nachteile (Schäden) eines anderen Gruppenmitgliedes diesem gegenüber. Der erste Aspekt (a), also die Haftung eines Gruppenmitgliedes für fremde Verbindlichkeiten, beruht fast ausschließlich auf gruppenunabhängigen Tatbeständen,

80 Übrigens deutet sich gerade in diesem Zusammenhang eine sehr merkwürdige Diskrepanz zwischen Recht und Praxis an, eine Bataille mit nicht nur schiefer Schlachtordnung sondern verkehrten Fronten. Während nämlich üblicherweise der Theorie vorgeworfen wird, Rechtspflichten zu entwerfen, die weit über die praktischen Möglichkeiten ihrer Verwirklichung oder Einhaltung hinausgriffen, ist hier die Theorie „konservativ“ und verteidigt das Prinzip getrennter Haftung auch in der Unternehmensgruppe hartnäckig. Zunehmend gehen nun aber einzelne Unternehmen, ihrer eigenen Philosophie folgend, freiwillig weiter. So erklären manche, „sie stünden ein“ für alle in ihren Konzernabschluß einbezogenen Gesellschaften, andere, sie wären „in Höhe ihrer Beteiligungsquote für ihre Beteiligungsgesellschaften verantwortlich“ u. a. m. Werden Erklärungen dieser Art zur Regel, kehrt sich hier das Regel-Ausnahme-Verhältnis um, so muß die rechtliche Betrachtung folgen: Wiedemanns These zur Haftung aus Konzernvertrauen (oben Fn. 38) wäre dann die angemessene allgemeine Rechtsfolge aus der Verbindung von Unternehmen.

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während die Haftung für Schäden eines anderen Gruppenmitgliedes (b) ihren Grund ganz überwiegend in gruppenspezifischen Tatbeständen findet. 3. Bei gruppenunabhängiger Haftung unterscheiden wir zwischen den Stichworten „Durchgriff“ und „Vertrauenshaftung“. 4. Durchgriffstatbestände beruhen auf Wertungen mit dem Ziel den funktionswidrigen Gebrauch (z. B. Institutionenmißbrauch) oder die zweckwidrige Ausgestaltung (z. B. Unterkapitalisierung) des „Allzweckmöbels“ juristische Person zu verhindern. Diese Durchgriffstatbestände beseitigen zu Lasten der Gesellschafter und zugunsten einzelner oder aller Gläubiger der betreffenden Gesellschaft das Privileg der Haftungsfreistellung, führen also zu Haftungsansprüchen von Gesellschaftsgläubigern gegenüber Gesellschaftern – gleichgültig ob diese Gesellschafter natürliche Personen oder ihrerseits wieder Gesellschaften (z. B. Muttergesellschaften in der Gruppe) sind. [274] 5. Die Vertrauenshaftung hat vertragsähnlichen Charakter; sie führt ebenfalls zur Haftung einzelner Gesellschafter (meist: Muttergesellschaft in der Gruppe) gegenüber einzelnen Gläubigern für Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaft (meist: Tochtergesellschaft). 6. Gruppenspezifische Haftung beruht auf Maßnahmen und Gestaltungen innerhalb der Gruppe, welche in der Regel eine der beteiligten Gesellschaften schädigen; ihr Charakter (rechtliche Qualität) und ihr Umfang sind in besonderem Maße davon abhängig, um welche Art von Gruppe es sich in concreto handelt. Zu diesem Zwecke muß man nach der Dichte der Intensität der Beziehungen in der Gruppe unterscheiden: (a) die schlichte Beteiligung, (b) Herrschaft und Abhängigkeit im Sinne von § 17 Abs. 1 AktG, (c) den einfachen Konzern, (d) den qualifizierten Konzern und (e) die Eingliederung. 7. Gruppenspezifische Haftung führt zum Anspruch eines Gruppenmitgliedes (in der Regel: Tochtergesellschaft) gegen ein anderes Gruppenmitglied (in der Regel: Muttergesellschaft) und ist gerichtet auf Schadenersatz oder Nachteilsausgleich oder Verlustausgleich. Welche Leistung in concreto geschuldet ist, hängt wiederum von der Intensität der Beziehungen in der betreffenden Gruppe ab: (a) Im Falle der schlichten Beteiligung kommen nur Schadensersatzansprüche aus § 117 AktG (für Aktiengesellschaften) oder aus Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht (GmbH) in Betracht;

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(b) beim Verhältnis von Herrschaft und Abhängigkeit sowie im einfachen Konzern gilt für die GmbH das gleiche, für die Aktiengesellschaft kommen Ausgleichsansprüche nach § 311 AktG und Schadensersatzansprüche nach §§ 317, 318 AktG in Betracht; (c) im qualifizierten (faktischen) Konzern und beim förmlichen Abschluß von Unternehmensverträgen findet keinerlei Einzelausgleich von Schäden mehr statt: die Muttergesellschaft schuldet der Tochtergesellschaft Verlustausgleich; (d) im Falle der förmlichen Eingliederung (nur Aktiengesellschaften) schuldet die Muttergesellschaft Verlustausgleich und haftet zusätzlich den Gläubigern der eingegliederten Tochtergesellschaft für deren Schulden. 8. Gruppenunabhängige Haftungsansprüche können vor allem von den begünstigten Gläubigern, im Konkurs der primär schuldenden Gesellschaft gelegentlich auch von deren Konkursverwalter geltend gemacht werden. [275] 9. Gruppenspezifische Haftungsansprüche sind Ansprüche der betroffenen Gesellschaft und können daher in erster Linie von dieser Gesellschaft (also: ihrem Vorstand bzw. ihrer Geschäftsführung), im Konkurs von ihrem Konkursverwalter durchgesetzt werden. Darüber hinaus können unter bestimmten Umständen auch Gläubiger dieser Gesellschaft sowie einzelne ihrer Gesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft klagen, also für die betreffende Gesellschaft vorgehen (actio pro socio, derivative suit). 10. Gruppenunabhängige Haftungsansprüche von Gläubigern und gruppenspezifische Haftungsansprüche von Gruppenmitgliedern (Tochtergesellschaften) können de jure meist nebeneinander bestehen; de facto aber läßt jedenfalls die Pflicht einer Gesellschaft zur Deckung des Verlustes einer anderen Gesellschaft (Verlustausgleichspflicht der Konzern-Muttergesellschaft) Haftungsansprüche von Gläubigern gegen die gleiche Gesellschaft (Muttergesellschaft) ohne (rechtliches) Interesse werden: diese Gläubiger sind durch die Pflicht der KonzernMuttergesellschaft zum Verlustausgleich so lange ausreichend geschützt, wie diese selbst solvent ist.

Fragerecht und Informationsanspruch des Aktionärs und GmbH-Gesellschafters im Konzern* Rechtsanwalt Dr. Walter Oppenhoff, Köln, zum 80. Geburtstag herzlich zugeeignet AG 1985, S. 117-124 Inhaltsübersicht I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

Einleitung Die gesetzlichen Vorschriften: Ziel und Hintergrund Funktionale Betrachtung Berichtspflicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG oder § 334 AktG? Auskunftsanspruch des Aktionärs nach § 131 AktG „Erforderlichkeit“ in bezug auf die Entlastung des Aufsichtsrats Fragen zu ähnlichen Sachverhalten Ergebnis I. Einleitung

1. Das Organisationsrecht der Aktiengesellschaft ist auf die Einzel-AG, die Aktiengesellschaft außerhalb eines Verbundes und ohne abhängige Gesellschaften ausgerichtet. Nur in wenigen Aspekten des Gesetzes blitzt die – in der Wirklichkeit ganz und gar selbstverständliche – Tatsache des Verbundes auf: in der Pflicht zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichtes (§ 312 AktG) oder zur Aufstellung eines Konzernabschlusses (§§ 329 ff. AktG), im Verbot bestimmter Doppelfunktionen im Verbund (§ 100 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AktG) und in der NichtAnrechnung von sogenannten Konzernmandaten (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AktG), in der Modifikation des § 76 AktG im Organschaftsvertrag (§ 308 Abs. 3 AktG) oder in der schlichten Abhängigkeit (§ 311 AktG): All das löst *

Der Abhandlung liegt kein Rechtsgutachten zugrunde.

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Einzelprobleme und gewißlich zum Teil ganz gravierende Einzelprobleme, macht im übrigen aber allenfalls deutlich, daß eine systematische Gesamtbetrachtung und Problemanalyse bei Schaffung des AktG 1965 nicht stattgefunden hat. Das ist fern jeden Vorwurfs festgestellt: Die Summe der getroffenen Lösungen ist, gemessen an der Vielzahl der Problemaspekte und der erst langsam wachsenden Problemerfahrung beachtlich; die obige Feststellung soll nur Verständnis dafür wecken, daß allenthalben merkbare Lücken im Regelsystem einerseits geradezu zwangsläufig, andererseits nicht ganz einfach – und auch nicht so leicht zur Überzeugung einer Mehrheit der Kenner – zu schließen sind. 2. Über einen geradezu klassischen Aspekt aus diesem Bereich hatte kürzlich das LG Dortmund1 zu befinden: Eine Aktiengesellschaft ist KonzernObergesellschaft mit mehreren Tochtergesellschaften, in denen verschiedene ihrer Vorstandsmitglieder als Aufsichtsräte tätig sind. Im Geschäftsbericht unserer Aktiengesellschaft ist, wie das Gesetz es befiehlt, die Summe der Vorstandsbezüge ausgewiesen, § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG. In der Hauptversammlung dieser Aktiengesellschaft wünscht nun ein Aktionär unter Hinweis auf § 131 AktG Auskunft darüber, welche Gesamtbezüge die Vorstandsmitglieder als Aufsichtsräte in Konzerngesellschaften zusätzlich bezogen haben. Der Vorstand verweigert die Auskunft, obwohl unstreitig ist, daß Vorstandsmitglieder in Aufsichtsräten von Tochtergesellschaften tätig sind und dafür Vergütungen von diesen erhalten. Im Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG vor dem LG Dortmund unterliegt der Aktionär: Nach Ansicht des Gerichtes handelt es sich bei dem angesprochenen Komplex zwar um eine „Angelegenheit der Gesellschaft“ im Sinne von § 131 AktG, doch sei Kenntnis der erfragten Summe zur sachgemäßen Entscheidung über die Gegenstände der betreffenden Hauptversammlungs-Tagesordnung – Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der betreffenden Aktiengesellschaft – „nicht erforderlich“. 3. Nichts steht entgegen, daß die Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften zugleich Aufsichtsratsmitglieder in abhängigen Konzerngesellschaften sind2; § 100 AktG bestätigt das mittelbar, legt allerdings auch dafür eine Höchstgrenze von 15 Mandaten fest. Aber nicht nur bestehen keine Bedenken: Häufig findet sich in Anstellungsverträgen von Vorstandsmitgliedern die Klausel, daß das einzelne Vorstandsmitglied sogar verpflichtet ist, Aufsichtsratsmandate in Konzerngesellschaften zu übernehmen3. Und das ist gewißlich nicht nur rechtens, sondern 1 Beschluß vom 26. 8. 1983, WM 1984, 661 = AG 1984, 83. Ebenso schon OLG Hamm, AG 1977, 233 ohne nähere Begründung. 2 Vgl. dazu HOMMELHOFF, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 110; GESSLER, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Kommentar zum AktG, § 100 Rdnr. 19; MERTENS, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 100 Rdnr. 16. 3 In der VEBA mit ihren sechs großen Tochtergesellschaften Preußenelektra, VEBA Öl, VEBA Chemie, VEBA Kraftwerk, VEBA Glas und Stinnes sind einige der Vorstandsmitglieder zugleich Vorstandsvorsitzende einzelner Töchter, andere – und hier vor allem der Vorstands-

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auch zweckmäßig, ja teilweise notwendig: Sind Unternehmen in besonderem Maße durch ihre Tochtergesellschaften bestimmt (Holding), so zwingt die Verantwortung für den eigenen unternehmerischen Bereich die Vorstandsmitglieder geradezu, mindestens im Aufsichtsrat dieser Töchter mitzuarbeiten. Nicht darin liegt also das Problem; es liegt vielmehr in der Chance der betreffenden Organmitglieder, bestimmte und für sie hinder- [118] liche Regeln durch ein „Splitten“ zu unterlaufen: Will etwa der (Großaktionär und) Vorstandsvorsitzende der XAG ein Jahresgehalt von einer Mio. DM, fürchtet er aber Widerstände unter den Arbeitnehmer-Vertretern seines Aufsichtsrats oder scheut er den Hinweis nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG oder törichte Fragen der Presse oder des Finanzamtes (verdeckte Gewinnausschüttung), so kann er sich mit 500000 DM ganz bescheiden geben, wenn ihm in 5 Tochtergesellschaften – davon zwei bis drei möglichst noch im Ausland – je 100000 DM für den Aufsichtsratsvorsitz vergütet werden4. Kurz: Vor uns liegt ein Aspekt des altbekannten Konzernproblems – der Einheit in Vielheit5. Die Einheit des Einflusses gestattet Maßnahmen so, wie wenn es sich um ein einziges Unternehmen handeln würde. Die rechtliche Vielheit aber erlaubt Gestaltungen, die eben jene Einheit der Maßnahmen leugnet. Einfluß und koordinierter Einfluß von der Obergesellschaft auf die abhängige Untergesellschaft sind erlaubt; das Gesetz akzeptiert ihn an vielen Stellen mehr oder minder ausdrücklich, §§ 17, 18, 308, 311 ff. AktG, § 46 Nr. 6 GmbHG. Dann aber muß die Aufgabe einer konsistenten konzernrechtlichen Betrachtung darin liegen, die Vielfalt der Gestaltungen und Gestaltungsmöglichkeiten auf ihren möglicherweise einheitlichen Kern hin zu zentrieren. Damit wird mitnichten, wie gerne gesagt wird, das Element der Vielheit im Konzern negiert, sondern nur der Ausgleich zwischen einer (konzernfrei konzipierten) gesetzlichen Einzelwertung und (erlaubtem) Verbund hergestellt: Es handelt sich also um ein ganz und gar klassisches Normanwendungsproblem6.

vorsitzende – in deren Aufsichtsrat als Aufsichtsratsvorsitzender tätig, was zu der Merkwürdigkeit führt, daß sich die kollegialen Vorstandsmitglieder der VEBA bei den Tochtergesellschaften in unterschiedlichen Rollen wiedertreffen, nämlich zum einen als Geschäftsleiter und zum anderen als sie überwachende Aufsichtsräte; aber davon ist hier nicht die Rede. 4 Vgl. dazu den schönen Fall Togal, den das schweizerische Bundesgericht zu entscheiden hatte: JZ 1981, 236 und dazu LUTTER, JZ 1981, 216. 5 L. RAISER, Die Konzernbildung als Gegenstand rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchung, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, 1964, S. 54 ff. und HOMMELHOFF, a.a.O., S. 227 ff. 6 LUTTER, FS Westermann, 1974, S. 347 ff.; REHBINDER, FS Coing, Bd. II, 1982, S. 423, 426 ff.

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II. Die gesetzlichen Vorschriften: Ziel und Hintergrund 1. § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG verpflichtet den Vorstand, im Geschäftsbericht für das abgelaufene Geschäftsjahr auch die Summe der an (alle) aktiven Vorstandsmitglieder gezahlten Bezüge und sonstigen Vergütungen auszuweisen. Damit sind ersichtlich diejenigen Leistungen gemeint, die aus der Kasse eben dieser Gesellschaft geflossen oder für ihre Rechnung (z. B. von ihrer Bank) gezahlt worden sind. 2. Weder Gesetz noch Tarifvertrag legen die Bezüge von Vorstandsmitgliedern fest; doch gibt das Gesetz nicht ganz und gar freie Bahn. In § 87 AktG bestimmt es, daß die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft zu stehen haben. Auch damit sind, jedenfalls einmal zunächst, die Bezüge zu Lasten der betreffenden Gesellschaft gemeint, nicht sonstige Bezüge, mögen sie bezahlt werden von wem und wie auch immer. 3. Beide Vorschriften haben gewißlich ihren Sinn; und sie ergänzen sich. Einerseits soll den Aktionären und der Öffentlichkeit gegenüber der finanzielle Aufwand für die Honorierung des Vorstands offengelegt werden7. Das ist die im Aktienrecht vielfach feststellbare Kontrolle durch Öffentlichkeit. Und andererseits sollen die Aktionäre dann eben auch die Möglichkeit haben, grosso modo zu prüfen, ob der Aufsichtsrat bei seiner Festlegung der Vorstands-Vergütung die Schranke des § 87 AktG beachtet hat. Denn die Aktionäre in ihrem Organ Hauptversammlung haben jährlich den Vorstand (zu hohes Gehalt?) und den Aufsichtsrat (beachtet er auch § 87 AktG?) zu entlasten (§ 120 AktG), d. h. ihr Handeln im abgelaufenen Geschäftsjahr zu billigen und damit zugleich Vertrauen für die künftige Aufgabenerfüllung zu signalisieren8. Damit zugleich deutet § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG an, daß die individuelle Gehaltssumme des einzelnen Vorstandsmitglieds – obwohl fraglos „Angelegenheit der Gesellschaft“ – in der Regel auch über § 131 AktG nicht erfragt werden kann9.

7 Für die Honorierung der Aufsichtsräte ist sowieso die Hauptversammlung zuständig, sei es allgemein in der Satzung, sei es speziell in einem Hauptversammlungsbeschluß, § 113 Abs. 1 AktG. Vgl. dazu auch LUTTER, AG 1979, 85 ff. 8 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 120 Rdnr. 24 f.; BARZ in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 120 Anm. 7. 9 So die h.M. in Rspr. und Lehre, die hier nicht in Frage gestellt werden soll; vgl. etwa ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 47 f.; BARZ, Großkomm., § 131 Anm. 33; ECKARDT in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, a.a.O., § 131 Rdnr. 42; EBENROTH, Das Auskunftsrecht des Aktionärs und seine Durchsetzung im Prozeß, Bielefeld 1970, S. 120 ff.

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III. Funktionale Betrachtung Führt man einmal ganz naiv, gewissermaßen in der Rolle eines neutralen Betrachters oder eines Gesetzgebers im Stadium nicht der Entscheidung, sondern der Konzeption, die sub I dargestellte faktische Lage im Konzern zusammen mit dem sub II entwickelten normativen Ist, so läßt sich vielleicht sagen: 1. Der Gesamtaufwand, den die Gesellschaft für ihren Vorstand aufzubringen hat, ist offenzulegen; es ist kein Grund ersichtlich, weshalb man diese Regel abschaffen oder betont restriktiv verstehen sollte. 2. Welche Einkünfte die Mitglieder des Vorstands aus sonstigen Tätigkeiten darüber hinaus haben, geht im allgemeinen weder die Öffentlichkeit noch die Aktionäre etwas an; im allgemeinen: Ausnahmen im Zusammenhang mit gar zu umfangreichen Nebentätigkeiten oder gar mit Aktivitäten in Konkurrenzunternehmen, mit der Übernahme von Geschäftschancen der Gesellschaft10 oder erheblichen Zulieferungen auf eigene Rechnung mögen durchaus denkbar und dann gewißlich störend sein; sie erlauben aber weder noch erfordern sie beim gegenwärtigen Stand der Kenntnis eine allgemeine Regelung derart, daß darüber stets im Sinne von § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG berichtet werden müßte. 3. Damit bleibt die Frage, ob „sonstige Einkünfte“ des Vorstands aus dem Bereich des Konzerns nach (1) oder nach (2) behandelt werden sollten. „Technisch“ gehören sie gewißlich zu (2); denn der fragliche Aufwand trifft nicht die Kasse der betreffenden Aktiengesellschaft, berührt deren Gewinn- und Verlustrechnung nicht. Materiell ist die Frage hingegen nicht ganz so einfach zu beantworten und das mitnichten nur im Hinblick auf die oben sub I geschilderten Möglichkeiten der „vermeidenden Gestaltung“. Denn der Konzern ist zunächst einmal (funktionale) Leitungseinheit, § 18 AktG; davon jedoch wird unser Problem weniger be- [119] rührt, das mit Aufwand und Vermögen im Verbund und weniger mit dem Aspekt der Leitung verzahnt ist. Aber der aktienrechtliche Konzern ist eben auch stets Erfolgseinheit; diese Erfolgseinheit ist sozusagen der Sinn der unternehmerischen Leitungseinheit, wie die – zu Recht – vom Gesetz als zwingend stipulierte Konzern-Gewinn- und Verlustrechnung (§§ 332, 333 AktG) und der Konzern-Geschäftsbericht nach § 334 AktG erweisen: Die Obergesellschaft soll über den Erfolg des von ihr geleiteten Unternehmensverbundes so berichten, als wäre er auch rechtlich ein Unternehmen (ihr einziges Unternehmen). Und das gilt dann naturgemäß auch und gerade für die Leistungsbewegungen innerhalb des Gesamtkonzerns: was nur im internen Bereich Aufwand und Ertrag ist, wird eliminiert; und das hat Gültigkeit für Lieferungen ebenso wie für Dienstleistungen: Der bei der X-AG angestellte, zu 30% aber auch bei der Tochtergesell10 Vgl. dazu TIMM, GmbHR 1981, 177 ff. (zum GmbH-Recht) und KÜBLER, FS Werner, 1984, S. 437 ff.

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schaft Y tätige Prokurist erscheint nicht mehr mit 100% des Gehaltsaufwands bei X und 30% bei Y (die dann bei X „sonstige Erträge“ sind), sondern eben nur einmal mit seinen vollen Kosten. Sieht man diese, uns heute ganz selbstverständliche und von der 7. EG-Richtlinie auch europaweit durchgesetzte Gesamtbetrachtung in der Konzernrechnungslegung11, so liegt der Gedanke mindestens sehr nahe, diese Gesamtbetrachtung auch auf die Personen der Konzernleitung auszudehnen: Was nützt, so könnte man in Fortsetzung der Argumentation zur Rechnungslegung im Konzern12 sagen, die Kenntnis vom Aufwand für den Vorstand bei der X-AG allein, wenn dieser Vorstand eben auch „Konzernvorstand“ ist und als solcher in der Regel weitere Revenuen aus eben dieser seiner Tätigkeit bezieht, Revenuen, deren Besonderheit allein darin besteht, daß sie – ähnlich dem obigen Beispiel des Prokuristen – aus den Kassen anderer Konzerngesellschaften fließen: In allen Ehren, ohne Heimlichkeiten und „vermeidende Gestaltungen“, einfach weil diese Konzerngesellschaften Aufsichtsräte auch aus anderen beruflichen Bereichen haben und haben müssen (z. B. MitbestG 1976), und alle Aufsichtsräte dann auch gleich vergütet werden sollen. Kurz: In der Konsequenz konzernspezifischer Information läge die entsprechende „Verlängerung“ von § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG durchaus13. Das ist, wie gesagt, zunächst nur eine funktionale Analyse aus vorgegebenen und vorgefundenen, mitnichten etwa neuen Zielen14. Zu fragen bleibt daher, ob und ggf. mit welchem Inhalt sich dieser „vernünftige“ Ansatz, diese funktionale Feststellung auch schon de lege lata treffen läßt: Dafür sind gewisslich andere und weitere Überlegungen vonnöten. IV. Berichtspflicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG oder § 334 AktG? Nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG sind die Gesamtbezüge des Vorstands einer AG im jährlichen Geschäftsbericht anzugeben; darüber hinaus bestimmt Satz 4 dieser Norm: „Erhalten Mitglieder des Vorstands der Gesellschaft von verbundenen Unternehmen für ihre Tätigkeit für die Gesellschaft oder für ihre Tätigkeit als gesetzliche Vertreter oder Angestellte der verbundenen Unternehmen Bezüge, so sind diese Bezüge gesondert anzugeben.“

11 Richtlinie vom 13. 6. 1983, ABl.EG Nr. L 193 vom 18. 7. 1983, S. 1 ff., abgedruckt auch bei LUTTER, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 1984, S. 167 ff. 12 BUSSE v. COLBE-ORDELHEIDE, Konzernabschlüsse, 4. Aufl., 1983, S. 30 ff. 13 MARTENS, ZHR 147 (1983), 377, 409 spricht in anderem Zusammenhang von „konzerndimensionaler Ausweitung“. 14 Nach den strengen Kritiken von BEUSCH, FS Werner, 1984, S. 1 ff. und HEINSIUS, ZGR 1984, 383 ff., muß man da heute sehr vorsichtig sein.

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Damit regelt das Gesetz drei Fälle, die dabei stets im Kontext unserer speziellen Frage zu sehen sind: Im ersten Fall zahlt die Untergesellschaft für eine Tätigkeit, die Vorstandsmitglieder in ihrer eigenen (Konzernober-)Gesellschaft erbringen. Im zweiten sind Vorstandsmitglieder zugleich gesetzliche Vertreter (Vorstände, Geschäftsführer) der Untergesellschaft und werden dafür honoriert. Und im dritten und letzten Fall sind sie dort in einem entgeltlichen (anderen) Arbeitsverhältnis. Alle drei Fälle treffen unsere Fragestellung nicht. Daher besteht auch zu Recht Einigkeit, daß die Aufsichtsratsbezüge von Vorstandsmitgliedern in Konzernuntergesellschaften vom Gesetzgeber bewußt unerwähnt geblieben und daher im Geschäftsbericht auch nicht zu berücksichtigen sind15. Gesonderte Angaben zu den Bezügen des Vorstands und der Geschäftsführer im Konzern sind in § 334 AktG nicht vorgesehen. V. Auskunftsanspruch des Aktionärs nach § 131 AktG Ist die Geschäftsleitung, wie festgestellt, von sich aus nicht verpflichtet, über ihre Bezüge in Aufsichtsräten von Konzernuntergesellschaften zu berichten, so bleibt als Informationszugang nur der Auskunftsanspruch des einzelnen Aktionärs in der Hauptversammlung dieser Gesellschaft. Und genau darum ging es im Verfahren vor dem LG Dortmund16. Voraussetzungen des Informationsanspruchs nach § 131 AktG sind, daß (1) ein Aktionär (oder Aktionärsvertreter) in der Hauptversammlung fragt, (2) es sich beim Gegenstand der Frage um eine „Angelegenheit der Gesellschaft“ handelt, (3) die Auskunft „zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich“ ist und (4) kein spezieller Auskunftsverweigerungsgrund nach Abs. 3 der Norm vorliegt. Die Voraussetzungen (1) und (4) interessieren hier nicht näher; sie haben auch vor dem LG Dortmund keine Rolle gespielt. Fraglich sind also die „Angelegenheit der Gesellschaft“ und die „Erforderlichkeit“ zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung.

15 Begr. RegE bei KROPFF, Aktiengesetz, S. 260; KROPFF, in: Geßler-HefermehlEckardt-Kropff, a.a.O., § 160 Rdnr. 95; MELLEROWICZ, in: Großkomm. z. AktG, § 160 Anm. 39 a. E.; CLAUSSEN, Kölner Komm., § 160 Rdnr. 60; GODIN-WILHELMI, Kommentar z. AktG, 4. Aufl., § 160 Rdnr. 12; BAUMBACH-HUECK, Kommentar z. AktG, 13. Aufl., § 160 Rdnr. 19. 16 Oben FN 1.

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1. Die Bezüge des Konzernvorstands als „Angelegenheit der Gesellschaft“ a) Unmittelbare „Angelegenheiten der Gesellschaft“ sind Konzernbezüge gewißlich nicht; es geht ja um Kosten, die gerade nicht bei „der Gesellschaft“ entstanden sind. [120] b) Aber auch Zuweisungen zu den Angelegenheiten der Gesellschaft aufgrund spezieller konzernrechtlicher Normen (z. B. § 337 Abs. 4 AktG) liegen hier nicht vor. c) Damit bleibt als Ansatz zunächst nur der inzwischen wohlbekannte Satz 2 von § 131 Abs. 1 AktG, wonach sich die Auskunftspflicht in der Hauptversammlung „… auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen“ erstreckt. Aber inzwischen wurde längst erkannt, daß dieser in Satz 2 besonders geregelte Sachverhalt („auch“ auskunftspflichtig) in Wahrheit gar keine Besonderheit ist, sondern nur einen Einzelfall aus dem weiten Felde klarer „Angelegenheiten der Gesellschaft“ anspricht: Die scheinbare Besonderheit ist eine Normalität; denn die „rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu …“ betreffen eben auch und gerade die Konzernobergesellschaft und sind damit auch deren Angelegenheit. Das ist heute nahezu unstreitig17. d) Ist die in Satz 2 geregelte Scheinbesonderheit in Wahrheit eine Normalität, so könnte es immerhin sein, daß sich das Gesetz nur schlecht ausgedrückt hat und in Wirklichkeit von „rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen in verbundenen Unternehmen“ sprechen wollte. Das wäre wirklich eine regelungswerte Besonderheit, da dann jedenfalls der unmittelbare Bezug zur Obergesellschaft fehlen und die Gleichstellung der Nicht-Angelegenheit mit der Angelegenheit der Gesellschaft zur Auskunftspflicht führen würde. Aber es bestehen keine Zweifel, daß der Gesetzgeber wirklich von den Beziehungen zwischen der Obergesellschaft und den mit ihr verbundenen Unternehmen sprechen wollte und gerade nicht von Vorgängen in den verbundenen Unternehmen18. e) Damit bleibt letztlich zu fragen, ob die Aufsichtsratsbezüge des Vorstands im Konzern nicht wenigstens mittelbar Angelegenheiten der Gesellschaft sind in dem Sinne, daß die Angelegenheit der Konzernuntergesellschaft (die Zahlung der 17 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 27-29 m. w. N.; ECKARDT in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 131 Rdnr. 52; EBENROTH, AG 1970, 104, 105; LUTTER, FS Westermann, 1974, S. 347, 353 ff. Diesem Verständnis von Satz 2 entspricht es, daß eine wortgleiche Formulierung im RegE zu § 51a GmbHG vom Rechtsausschuß des Bundestages mit der Begründung gestrichen wurde, eine gesonderte Regelung erübrige sich, da es sich um Angelegenheiten der Gesellschaft handle; vgl. BT-Drucks. 8/1347 (RegE) und 8/3908 (Beschluß des Rechtsausschusses). 18 Begr. RegE bei KROPFF, S. 185; OLG Hamburg, AG 1970, 50, 52; ECKARDT in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 131 Rdnr. 55; BARZ, Großkomm., § 131 Anm. 8; BAUMBACH-HUECK, a.a.O., § 131 Rdnr. 8.

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Aufsichtsratsbezüge dort) Rückwirkungen auf die Obergesellschaft hat und dadurch Angelegenheit dieser Gesellschaft wird19. Diese Frage müßte sofort negativ beantwortet werden, wenn sich herausstellen würde, daß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG durch Satz 2 in der Weise eingeschränkt wird, daß im Hinblick auf verbundene Unternehmen nur die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen, nicht dagegen andere Umstände dieser Unternehmen Gegenstand des Auskunftsrechts sein sollen. Doch ergeben die Materialien20, daß das mit dem Text des Satzes 2 gewißlich nicht gemeint war, eine „Sperre“ im Text des Satzes 2 also nicht zu sehen ist21. Daher hat auch das Landgericht Dortmund hier das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Angelegenheit der Gesellschaft“ kurzerhand bejaht und erklärt, die amtsbezogenen Nebenvergütungen seien noch als Angelegenheit der Gesellschaft anzusehen, da die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft ihre Aufsichtsratsmandate in den Untergesellschaften unzweifelhaft ausschließlich aufgrund ihrer Stellung bei der Obergesellschaft erhalten hätten. Die knappe Feststellung, das Kriterium „Angelegenheit der Gesellschaft“ sei weit auszulegen, entspricht zwar der herrschenden Meinung22, ist jedoch nicht sehr hilfreich, wenn es darum geht festzustellen, ob ein Vorgang bei einer Konzernuntergesellschaft gleichzeitig auch eine Angelegenheit der Obergesellschaft ist. Dabei geht es nicht um die wirtschaftliche Lage der Konzerngesellschaft, die sich ohnehin aus dem Konzernabschluß ergibt, sondern um interne Vorgänge und Angelegenheiten der abhängigen Gesellschaft. Eine undifferenziert „weite“ Auslegung würde dazu führen, daß im Konzern nahezu jeder Vorgang in einer abhängigen Gesellschaft als eigene „Angelegenheit der (Ober-)Gesellschaft“ zu klassifizieren wäre, da es an irgendeinem, wenn auch minimalen Bezug zur Obergesellschaft selten mangeln wird. Dabei 19 Diese Möglichkeit wird überwiegend bejaht; vgl. Begr. RegE bei KROPFF, S. 185 f.; ECKARDT in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 131 Rdnr. 55; BAUMBACH-HUECK, a.a.O., § 131 Rdnr. 8; BARZ, Großkomm., § 131 Anm. 8; GODIN-WILHELMI, a.a.O., § 131 Anm. 5; weitergehend ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 29; ablehnend EBENROTH, a.a.O. (FN 9), S. 63; DERS., AG 1970, 104, 106. 20 Begr. RegE bei KROPFF, S. 185. 21 H. M.; vgl. ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 29; ECKARDT in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 131 Rdnr. 52; BAUMBACH-HUECK, a.a.O., § 131 Rdnr. 8; BARZ, Großkomm., § 131 Anm. 8; GODIN-WILHELMI, a.a.O. (FN 15), § 131 Anm. 5; offenbar a. A. EBENROTH, AG 1970, 106. 22 Vgl. ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 18, der als Angelegenheit der Gesellschaft alles ansieht, was für die Beurteilung eines Tagesordnungspunktes relevant ist; ähnlich BARZ, Großkomm., § 131 Anm. 7; BAUMBACH-HUECK, a.a.O., § 131 Rdnr. 7; BROX, DB 1965, 733. Ebenso für das GmbHG, das in § 51a die gleiche Formulierung verwendet: SCHOLZK. SCHMIDT, Komm. z. GmbHG, 6. Aufl., Anh. Zu § 51 Rdnr. 12, § 51a n. F. Rdnr. 9; FISCHER, Komm. z. GmbHG, 10. Aufl., § 51a Anm. 2; GRUNEWALD, ZHR 146 (1982), 211, 214; v. BITTER, ZIP 1981, 825, 826; BUNTE, Informationsrechte in der GmbH und im GmbH-Konzern, 1976, S. 133; K. SCHMIDT, in: Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981, S. 96.

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wird aber verkannt, daß trotz der wirtschaftlichen Einheit die Selbständigkeit der Gesellschaft erhalten bleibt und sich insbesondere die Zuständigkeit der Hauptversammlung der Obergesellschaft gerade nicht automatisch auch auf Angelegenheiten abhängiger Gesellschaften erstrecken kann23; das zeigt auch § 337 Abs. 4 AktG, der die Auskunftsrechte der Aktionäre einer Konzernobergesellschaft zwar auf die Lage der abhängigen Unternehmen erstreckt, zugleich damit aber deutlich macht, daß nicht alles und jedes in abhängigen Unternehmen schon Angelegenheit der Obergesellschaft ist. Auch diese Vorschrift wäre sonst überflüssig: und das kann so rasch jedenfalls nicht angenommen werden. Das gleiche gilt daher auch für die Ansicht des LG Dortmund, es handele sich um eine Angelegenheit der (Konzernober-)Gesellschaft, weil die Vorstandsmitglieder die Stellung im Aufsichtsrat der Untergesellschaft ausschließlich aufgrund ihrer Position bei der Obergesellschaft erhalten hätten. Das ist in dieser Allgemeinheit zu nichtssagend und daher wiederum zu [121] weit. Nach dieser Begründung wäre auch ein Bankdarlehen, das ein Vorstandsmitglied unter Hinweis auf diese seine Stellung oder einfach von der Hausbank erhält, bereits eine Angelegenheit der Obergesellschaft. Dennoch: In der Sache ist diese Beurteilung zutreffend. Vergütungen der Vorstandsmitglieder für ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat einer (Konzern-)Untergesellschaft sind tatsächlich ureigene Angelegenheiten der Obergesellschaft; denn diese Tätigkeiten sind jedenfalls auch Maßnahmen der Geschäftsführung des Vorstands für „seine“, die (Konzern-)Obergesellschaft. Zu dieser Geschäftsführung gehört nämlich nicht nur das direkte Handeln für die Gesellschaft selbst, sondern u. a. auch die Ausübung der Rechte aus Beteiligungen24. Ist eine Gesellschaft (innerhalb oder außerhalb eines Konzerns) an einer anderen Gesellschaft beteiligt, so gehört es zu den selbstverständlichen Aufgaben des Vorstandes aus §§ 76, 77 AktG, in der Hauptversammlung dieser Gesellschaft die Stimmrechte für seine, die beteiligte (Ober-)Gesellschaft auszuüben oder ausüben zu lassen, und das ist „Geschäftsführung“. Da nun die Hauptversammlung nicht nur die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner wählt (§ 101 Abs. 1 AktG), sondern auch ihre Vergütung bestimmt, sofern diese nicht bereits in der Satzung festgesetzt ist (§ 113 Abs. 1 AktG), beruht die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder (die zugleich Vorstandsmitglieder der Obergesellschaft sind) in diesen Fällen letztlich auf ihrer eigenen Geschäftsführungsmaßnahme. Daß aber diese zu den „eigenen 23 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 30; vgl. auch LUTTER, FS Westermann, 1974, S. 347, 349 und BGHZ 83, 122, 131 (Holzmüller) mit seiner Betonung des Ausnahmecharakters einer solchen Zuständigkeit. 24 LUTTER, FS Fischer, 1979, S. 419, 423 ff.; DERS., FS Westermann, S. 347, 357; EMMERICH-SONNENSCHEIN, Konzernrecht, 2. Aufl., 1977, S. 17 f.; TIMM, Die AG als Konzernspitze, 1980, S.95 f.; DERS., AG 1980, 172, 181; SEMLER, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 104 ff., 109, 117 ff.; WÜRDINGER, Aktien- und Konzernrecht, 4. Aufl. 1981, S. 120; HOMMELHOFF, a.a.O. (FN 2), S. 43 ff.

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Angelegenheiten“ eben dieser Gesellschaft i. S. d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zu rechnen sind, wird man kaum bezweifeln können. Der Umstand, der die Frage der Aufsichtsratsbezüge von Vorstandsmitgliedern zur Angelegenheit der Konzernobergesellschaft macht, ist also nicht die Personenidentität zwischen Vorstand der Obergesellschaft und Aufsichtsratsmitgliedern der Untergesellschaft per se, sondern das klare Recht und die klare Pflicht des Vorstands zur Verwaltung der Beteiligungsrechte seiner Gesellschaft und damit auch zur Stimmabgabe als Vertreter der Anteilseignerin Obergesellschaft in dem u. a. die Vergütung festsetzenden Organ Hauptversammlung (Gesellschafterversammlung) der Untergesellschaft. f) Über die Ausübung von Beteiligungsrechten hinaus ist aber auch der allgemeine Gesichtspunkt einer Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands im Konzern ein mögliches Abgrenzungskriterium bei der Frage, wann ein Vorgang in einer Konzernuntergesellschaft zugleich eine Angelegenheit der Obergesellschaft ist. Denn die für den Konzern vorausgesetzte einheitliche Leitung nach § 18 Abs. 1 AktG wird durch den Vorstand der Obergesellschaft im Rahmen seiner faktischen und rechtlichen Möglichkeiten wahrgenommen25: Die Ausübung dieser Leitungsmacht gehört zu den Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands gemäß §§ 76, 77 AktG. Maßnahmen innerhalb dieses Rahmens erfahren also eine doppelte Zuordnung: sie sind unmittelbar eigene der Untergesellschaft und zugleich mittelbare der Obergesellschaft26. Was aber der Vorstand nicht beeinflussen kann, ist auch nicht Teil seiner Geschäftsführung. Übt daher die Obergesellschaft ihre Konzernleitung ohne Beteiligungsbesitz und nur aufgrund eines Unternehmensvertrages aus (§ 308 AktG), so steht ihrem Vorstand kein Einfluß auf die Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung der Untergesellschaft offen, in der die Bezüge für Aufsichtsratsmitglieder festgelegt werden: In diesem gewißlich sehr konstruierten Sonderfall wäre es schwierig, insoweit von einer „Angelegenheit der (Konzernober-)Gesellschaft“ zu sprechen. g) Im übrigen aber und für den Regelfall können wir festhalten: die Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern in der Konzernuntergesellschaft ist eine „Angelegenheit der (Konzernober-)Gesellschaft“ im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG. Und, so läßt sich der Vollständigkeit halber und wegen der bewußt gewählten Identität des Gesetzeswortlautes anfügen, auch im Sinne von

25 LUTTER, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 41 f.; HOMMELHOFF, a.a.O. (FN 2), S. 77 ff.; SEMLER, a.a.O. (FN 24), S. 108 ff.; TIMM, a.a.O. (FN 24), S. 96 ff.; U. H. SCHNEIDER, in: Der GmbH-Konzern, 1976, S. 81, 98 f. 26 Ausführlich dazu HOMMELHOFF, a.a.O. (FN 2), S. 78 ff.; LUTTER, FS Fischer, S. 423 ff.; TIMM, a.a.O. (FN 24), S. 99; DERS., AG 1980, 181 ff.

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§ 51a GmbHG (Informationsanspruch des GmbH-Gesellschafters) für den Fall, daß die Konzernobergesellschaft in der Rechtsform der GmbH organisiert ist27. 2. „Erforderlichkeit“ der Auskunft über Konzernbezüge des Vorstands a) Die Entscheidung unserer Frage hängt damit letztlich davon ab, ob die Auskunft an den Aktionär „zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist“. Aufgabe dieses Tatbestandsmerkmals ist ersichtlich, das weite Feld der möglichen Informationsgegenstände – die alle „Angelegenheiten der Gesellschaft“ sind – einzuschränken28. Das gilt zunächst einmal für viele Kleinigkeiten und Quisquilien: Die Fragen und Gegenstände müssen in einer vernünftigen Relation zum Gegenstand der Entscheidung stehen; das Gehalt des Pförtners Müller ist zwar gewißlich Angelegenheit der Gesellschaft, aber in der Regel völlig unerheblich in bezug auf die hier relevante Entlastung und die mit ihr gewünschte Vertrauenserklärung in das Handeln der Verwaltung. Das gleiche gilt aber auch für den Zusammenhang der Frage mit dem betreffenden Tagesordnungspunkt: Hier soll nicht Geschichte und Gegenwart erörtert, sondern eine konkrete Entscheidung hic et nunc durch Diskussion vorbereitet werden. Daher genügt ein mehr oder weniger loser Zusammenhang zwischen Frage und Gegenstand der beantragten Entscheidung (Tagesordnungspunkt) nicht29. [122] Bei der hiernach erforderlichen Abgrenzung ergeben sich gewöhnlich besondere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der von § 120 AktG erzwungenen jährlichen Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat; denn damit stehen praktisch die gesamte Tätigkeit der Verwaltung im abgelaufenen Geschäftsjahr sowie sämtliche Vorgänge innerhalb der Gesellschaft in dieser Zeit zur Erörterung30.

27 Vgl. Begr. RegE zu § 51a GmbHG, BT-Drucks. 8/1347, S. 43 f.; Bericht des Rechtsausschusses zu § 51a GmbHG, BT-Drucks. 8/3908, S. 75 f. Zu gerade diesen Fragen des Informationsanspruchs von GmbH-Gesellschaftern über Angelegenheiten in Konzerngesellschaften vgl. GRUNEWALD, ZHR 146 (1982), 211, 233 ff.; BUNTE, a.a.O. (FN 22), S. 133 ff.; U. H. SCHNEIDER, a.a.O. (FN 25), S. 101 ff.; K. SCHMIDT, GmbHR 1979, 128. 28 Begr. RegE bei KROPFF, a.a.O., S. 185; ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 23; EBENROTH, a.a.O. (FN 9), S. 34; NITSCHKE-BARTSCH, AG 1969, 97. 29 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 23; ECKARDT in: Geßler-HefermehlEckardt-Kropff, § 131 Rdnr. 32; BARZ, Großkomm., § 131 Anm. 10; GODIN-WILHELMI, a.a.O., § 131 Anm. 4; EBENROTH, a.a.O. (FN 9), S. 38; NITSCHKE-BARTSCH, AG 1969, 97; HEFERMEHL, FS Duden, 1975, S. 110; vgl. auch LG Dortmund, AG 1967, 237 und LG Frankfurt, AG 1968, 25. 30 LUTTER, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1973, S. 20 ff.; NITSCHKEBARTSCH, AG 1969, 96.

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b) Auch an dieser Stelle hat es sich das LG Dortmund mit seiner Begründung zu leicht gemacht. Den einzigen Anknüpfungspunkt für ein Informationsbedürfnis des Aktionärs sieht es in möglichen Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Aufsichtsratsmandate mit der Vorstandstätigkeit, sei es aus Konkurrenzgründen, sei es wegen der möglichen Gefahr einer Überlastung. Völlig zu Recht nimmt das Landgericht an, aus der verlangten Auskunft über die Höhe der AufsichtsratsBezüge ließen sich keine Rückschlüsse auf die Arbeitsbelastung ziehen; der dann folgende Schluß – somit sei die Auskunft nicht geeignet, die Entscheidung des Aktionärs zur Entlastung des Vorstands zu fördern – aber ist voreilig. Denn damit allein ist die Relevanz der verlangten Auskunft für die Entlastung des Vorstands noch lange nicht ausgelotet. c) Entlastung des Vorstands bedeutet vor allem: Billigung der bisherigen Geschäftsführungstätigkeit der Vorstandsmitglieder, Einverständnis mit der Führung der Geschäfte durch sie31. Darüber hinaus enthält sie aber auch eine Vertrauenserklärung für die Zukunft32: Die Erteilung oder die Verweigerung der Entlastung ist ein holzschnittartiges Ausdruckmittel des Grundorgans Hauptversammlung, das dadurch eine grundlegende und zugleich öffentliche Kontrolle gegenüber der Verwaltung wahrnimmt33. Daher muß sich der Aktionär, dem eine derartige Vertrauenserklärung abverlangt wird, auch diejenigen Kenntnisse verschaffen können, die er benötigt, um die Vertrauenswürdigkeit des Vorstands beurteilen zu können34. Und dazu kann durchaus auch die Kenntnis von den näheren Umständen einzelner Geschäftsführungsmaßnahmen gehören. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Entlastung immer nur einheitlich gewährt oder verweigert werden kann; auf einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen kann sie nicht beschränkt werden35. Da der Beschluß über die Entlastung eine Gesamtwürdigung der Verwaltungstätigkeit des Vorstands verlangt, sind Fragen nach einzelnen Maßnahmen also nur dann „erforderlich“, wenn sie auch in ihrer Isoliertheit zur sachgemäßen Gesamtwürdigung beitragen können, also von einigem Gewicht sind36. 31 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 120 Rdnr. 24; ECKARDT, in: Geßler-HefermehlEckardt-Kropff, § 120, Rdnr. 35; BAUMBACH-HUECK, a.a.O., § 120 Rdnr. 6; NITSCHKEBARTSCH, AG 1969, 96. 32 BARZ, Großkomm., § 120 Anm. 7; ZÖLLNER, Kölner Komm. § 120 Rdnr. 24; GODIN-WILHELMI, a.a.O., § 120 Anm. 2; EBENROTH, a.a.O. (FN 9), S. 40; NITSCHKEBARTSCH, AG 1969, 96. 33 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 120 Rdnr. 25. 34 NITSCHKE-BARTSCH, AG 1969, 96. 35 ZÖLLNER, Kölner Komm., § 120 Rdnr. 37; ECKARDT, in: Geßler-HefermehlEckardt-Kropff, § 120 Rdnr. 18; BARZ, Großkomm., § 120 Anm. 5; HEFERMEHL, a.a.O. (FN 29), S. 122; unklar: BAUMBACH-HUECK, a.a.O., § 120 Anm. 5. 36 HEFERMEHL, a.a.O. (FN 29), S. 123; in diesem Sinne auch ZÖLLNER, Kölner Komm., § 131 Rdnr. 24; weitergehend NITSCHKE-BARTSCH, AG 1969, 97, die im Zusammenhang mit der Entlastung nur sehr wenige Fragen überhaupt als unzulässig beurteilt wissen wollen.

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Das aber ist gerade dann zu bejahen, wenn das Verhalten von Mitgliedern der Verwaltung in bestimmten Einzelsituationen Rückschlüsse auf ihre Integrität im allgemeinen erlaubt37. Speziell beim Konzernvorstand, dem die vielfältigen Einflußmöglichkeiten auf Untergesellschaften nicht geringe Machtbefugnisse verschaffen, kann das Wissen um sein Verhalten in Situationen, die es ihm erlauben, sich unter Ausnutzung rechtlicher Positionen der Gesellschaft eigene Vorteile zu verschaffen, das Vertrauen der Aktionäre in die Geschäftsleitung nachhaltig beeinflussen. Die Konstellation ist ja wirklich nicht ohne Pikanterie: Der Vorstand einer Konzernobergesellschaft ist in allen Tochtergesellschaften deren Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung, bestellt sich selbst zum Aufsichtsrat und setzt sich selbst sodann die Vergütungen fest38. Da sowohl die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied (§ 101 AktG) als auch die Entscheidung über die Höhe der Vergütung (§ 113 AktG) mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 133 AktG) entschieden wird, ist der Vorstand sogar in der Lage, sich gegen den Willen etwaiger Minderheitsgesellschafter in der Konzernuntergesellschaft durchzusetzen. Besitzt somit die Obergesellschaft die Mehrheit der Stimmen, so ist stets die abstrakte Gefahr einer gewissen Inkorrektheit gegeben. Das gilt um so mehr, als die eigenen Kontrollen in der Konzernuntergesellschaft versagen: Die dortige Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung ist gerade unser Vorstand; und die Vertreter der Anteilseigner in ihrem Aufsichtsrat bestellt ebenfalls er: Das ist ja auch der Grund – und ein Grund, der Erfahrung und Plausibilität gewiß auf seiner Seite hat –, weshalb das Gesetz in dieser Konstellation den Tatbestand des Konzerns vermutet, § 18 Abs. 1 AktG. Eine Kontrolle kann daher nur in der Obergesellschaft ausgeübt werden39; das hierfür – jedenfalls auch – zuständige Organ40 ist die Hauptversammlung, der als Korrelat für ihren weitgehenden Ausschluß von Einwirkungen auf die Geschäftsführung das Recht zusteht, den Vorstand gerade im Hinblick auf die Geschäftsführung durch Ausübung ihres Auskunftsrechts sowie die Entscheidung über die Entlastung zu überwachen41. 37 Beispiele: Das auf Geschäftsreisen häufig betrunkene Vorstandsmitglied X; der Vorstand, der zum dritten Mal in kurzer Zeit die Hausbank wechselt. 38 Zeitlich umgekehrt ist es gewißlich geschickter; aber auch auf dem hier gewählten Wege steht § 136 Abs. 1 AktG der Ausnutzung des Stimmrechts durch den Vorstand nicht entgegen, da die dort erwähnten drei Fälle eines Stimmverbotes nicht eingreifen; vgl. dazu ZÖLLNER, Kölner Komm., § 136 Rdnr. 6; ECKARDT in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 136 Rdnr. 10 ff.; BARZ, Großkomm., § 136 Anm. 9. 39 LUTTER, FS Westermann, 1974, S. 357; ebenso zur Frage der Kontrolle des Konzernvorstandes durch den Aufsichtsrat der Obergesellschaft LUTTER, Information und Vertraulichkeit (FN 25), S. 40 ff. 40 Selbstverständlich hat auch der Aufsichtsrat der Obergesellschaft den Vorstand insoweit zu überwachen (vgl. nur SEMLER, a.a.O. [FN 24], S. 103 ff.) und möglicherweise Regeln aufzustellen (ggf. auch zur Anrechnung dieser Bezüge); aber das macht die Befugnis der Hauptversammlung um so mehr evident. 41 HEFERMEHL, a.a.O. (FN 29), S. 124.

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3. Ausstrahlung von § 160 Abs. 3 Nr. 8 auf die Interpretation von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG a) Abgesehen von den zuletzt erörterten funktionalen Aspekten der notwendigen Wiederherstellung von Kontrolle des Vorstands im Konzern bleibt aber auch [123] zu bedenken, daß § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG ja klare und allgemein akzeptierte Aufgaben hat: Unterrichtung von Aktionären und Öffentlichkeit über die Kosten des Vorstands; Kontrolle der Bezüge durch die Hauptversammlung im Hinblick auf die Schranken aus § 87 Abs. 1 AktG und Kontrolle dieser Schranken auch durch die Gefahr öffentlicher Kritik42. Und alle diese Funktionen können leerlaufen, wie oben schon näher erörtert. Das nun kann nicht zu einer extensiven Auslegung des § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG über seinen klaren Wortlaut hinaus führen, wohl aber zu einer Interpretation von § 131 Abs. 1 AktG sub specie dieser Funktion. Und das hat dann auch Folgen für die Art und den Umfang des Informationsanspruchs: Fragen und ihre Beantwortung haben sich am Muster von § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG zu orientieren mit der Folge, daß nicht individuelle Zahlen bezüglich einzelner Vorstandsmitglieder, sondern nur die Summe aller zusätzlichen Zahlungen an den Vorstand aus Funktionen in Konzerngesellschaften (Aufsichtsrat, Beirat, Verwaltungsrat) auf Frage anzugeben sind. b) Auch das LG Dortmund hat gerade den Aspekt der Kontrolle erwogen, ist jedoch zu einem genau gegenteiligen Ergebnis gekommen. Das ist wenig verständlich. Denn entweder ist § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG sinnlos; dagegen aber spricht für jeden Rechtsanwender eine Vermutung, die er widerlegen müßte; oder aber man anerkennt Sinn und Funktion von § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG, dann muß das Auswirkungen auch auf das Fragerecht nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG haben: Wie kann die Frage nach zusätzlichen Bezügen aus Aufsichtsratsfunktionen in Konzerngesellschaften überflüssig („nicht erforderlich zur Entscheidungsfindung“) sein, wenn die Bezüge in der eigenen Gesellschaft in diesem Zusammenhang als so wichtig angesehen werden, daß sie ungefragt mitgeteilt werden müssen?

42 Vgl. nur KROPFF in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 160 Rdnr. 88; im übrigen hat die Aktienrechtsreform von 1965 die Pflichtangaben nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 AktG betont und bewußt ausgeweitet und differenziert; vgl. Begr. RegE bei KROPFF, a.a.O., S. 260.

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VI. „Erforderlichkeit“ in bezug auf die Entlastung des Aufsichtsrats Damit bleibt nur ergänzend noch zu fragen, ob der hier erörterte Informationsanspruch auch im Hinblick auf die Aufgabe der Hauptversammlung zu bejahen ist, die Mitglieder des Aufsichtsrats dieser Konzernobergesellschaft zu entlasten, § 120 AktG. Auch daran kann kein ernsthafter Zweifel bestehen. Denn der Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft hat den Vorstand auch und gerade in bezug auf die Leitung des Konzerns zu überwachen43. Und dazu gehört ganz selbstverständlich die Art und Weise der Verwaltung des Beteiligungsbesitzes der Gesellschaft und damit auch die Ausübung des Stimmrechts. Gerade weil der Aufsichtsrat insoweit nicht selbst die Bezüge des Konzernvorstands festlegt (es handelt sich um die Aufsichtsratsbezüge in Untergesellschaften), vielmehr der Vorstand es selbst tut, und zwar entweder unmittelbar – qua Beschluß in der Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung der Untergesellschaft – oder mittelbar – im Falle der Festlegung in der Satzung/Gesellschaftsvertrag der Untergesellschaft –, muß der Aufsichtsrat prüfen: Es gibt keinen überwachungsfreien Raum im Recht unserer privaten Korporationen und ihrer Organe; anders wäre die Autonomie und Selbstverwaltung großer Wirtschaftseinheiten unerträglich, die Schaffung einer öffentlichen Aufsicht (Aktienamt) unabdingbar. Der Aufsichtsrat hat das Recht und die Pflicht, die Bezüge des Vorstands festzulegen; er hat dabei die Grundsätze des § 87 AktG zu beachten; und es wäre geradezu komisch, wenn es ihm erlaubt wäre, sich dabei vom Vorstand selbst durch selbstgewählte Bezüge in Konzerngesellschaften unterlaufen zu lassen. Das ihrerseits zu kontrollieren und durch Verweigerung der Entlastung ggf. zu beanstanden, ist Aufgabe der Hauptversammlung. Und dafür benötigt sie und die in ihr versammelten Aktionäre die fragliche Information. VII. Fragen zu ähnlichen Sachverhalten Die bisherigen Überlegungen zu den Aufsichtsratsbezügen von Vorstandsmitgliedern im Konzern sind als pars pro toto zu verstehen. Sie gelten naturgemäß auch und erst recht, wenn Vorstandsmitglieder der betreffenden Konzernobergesellschaft in Konzernuntergesellschaften nicht als Aufsichtsräte, sondern ebenfalls als Vorstände oder Geschäftsführer tätig sind44: die Rechtslage kann 43 Eingehend zur Überwachung im Konzern SEMLER, a.a.O. (FN 24), S. 103 ff.; LUTTER, Information und Vertraulichkeit (FN 25), S. 40 ff.; LUTTER-KRIEGER, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 1981, S. 29 ff.; HOMMELHOFF, a.a.O. (FN 2), S. 188; MARTENS, ZHR 147 (1983), 377, 417 f.; für eine noch umfassendere Überwachung U. H. SCHNEIDER, BB 1981, 249, 252. 44 So etwa im VEBA-Konzern: vgl. oben FN 3.

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dann nicht anders sein als in der divisional organisierten Einheitsgesellschaft, in der Vorstandsmitglieder zugleich Bereichsleiter sind. Und es kann weiter keinen Unterschied machen, ob die betreffende Konzernuntergesellschaft im Inland oder im Ausland ihren Sitz hat, also deutschem oder ausländischem Recht unterliegt: Mag sie, die Tochter, auch nach ausländischem Recht organisiert sein, die Auskunftspflicht nach § 131 AktG orientiert sich allein am deutschen Recht – es sei denn, eine bestimmte Frage (hier also insbesondere die Frage nach den Organbezügen) unterläge im ausländischen Recht einer besonderen Geheimhaltungspflicht: Dann wäre mindestens § 131 Abs. 3 AktG involviert. Von einer solchen Regelung des ausländischen Rechts im Zusammenhang mit Bezügen ist dem Verfasser bisher nichts bekannt geworden – eher im Gegenteil. Und schließlich ist es ohne Belang, auf welcher Stufe des Konzerns die betreffende Untergesellschaft angesiedelt ist; denn auch sie wird aus der Spitze des Konzerns „geleitet“ (§ 18 Abs. 1 AktG); und diese „Leitung“ ist Geschäftsführung für die Konzernobergesellschaft, §§ 76 ff. AktG. VIII. Ergebnis Ist eine Aktiengesellschaft Konzernobergesellschaft und beruht ihre Leitungsmacht (auch) auf ihrer Stimmenmacht, so können Aktionäre in ihrer Hauptversammlung allgemeine Fragen zur Konzerngeschäftsführung und spezielle Fragen zu den (Gesamt-)Bezügen des Vorstands in Aufsichtsräten (Beiräten, Verwaltungsräten), Vorständen oder Geschäftsführungen in Konzernuntergesellschaften stellen. Diese Fragen [124] müssen vom Vorstand der Konzernobergesellschaft nach § 131 AktG beantwortet werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei diesen Konzernunternehmen um in- oder ausländische Gesellschaften handelt. Und es macht erneut keinen Unterschied, auf welcher Stufe des Konzerns sich das Konzernunternehmen befindet, in dem die fragliche Tätigkeit ausgeübt wird: auch Enkel- und Urenkelgesellschaften sind Teil des Konzerns und der Konzerngeschäftsführung. Ist eine GmbH Konzernobergesellschaft, so steht ihren Gesellschaftern das gleiche Fragerecht aus § 51a GmbHG zu.

Organzuständigkeiten im Konzern IN: LUTTER/MERTENS/ULMER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR WALTER STIMPEL ZUM 68.

GEBURTSTAG, BERLIN 1985, S. 825-854

Wenn Walter Stimpel in diesen Tagen die rote Robe des Bundesrichters ablegt und den Stuhl des Vorsitzenden verläßt, dann hat die seinem Senat anvertraute Rechtslandschaft ein anderes Gesicht, hat neue Konturen und andere Farben als sie zu Beginn seiner Tätigkeit hatte. Gewiß, eine gewisse und gewißlich kurze Zeit der Goldgräber-Mentalität in der Bundesrepublik1 hat das ihre dazu beigetragen, dem Senat auch die farbigen Sachverhalte zu liefern. Immerhin: die Landschaft des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts hat mit Publikums-KG und Gruppentheorie (Flume), mit Inhaltskontrolle, Differenzhaftung und Ethisierung (Wiedemann) andere Formen, mit der endgültigen Klärung des Erbfolgeproblems in der Personengesellschaft, mit Doppelaktstheorie und actio pro socio für den GmbH-Gesellschafter andere Konturen erhalten – vom weithin sichtbaren und vielfach mit Söllern und Zinnen versehenen Schloß des Gesellschafterdarlehens zu schweigen. Und selten genug in der juristischen Zunft – die Sachkundigen waren’s zufrieden: Zwar wurde dort eine Böschung, hier eine Dachneigung und da ein Fensterkreuz bekrittelt; doch im allgemeinen war man des Lobes voll. Selbst die fast unvermerkten Schritte in eine Konzern-Gründungskontrolle bei der GmbH2 wurden schweigend akzeptiert und die dicken Stolpersteine beim genehmigten Kapital3 – wenn auch murrend4 – hingenommen. Nur ein Bauwerk mißfiel den Sachkundigen in ihrer Mehrheit und den Betroffenen vollkommen, wurde als mißlungen, ja geradezu als unästhetisch5 empfunden, so daß man dem Baumeister dringend den Abriß6 empfahl7: Die Villa Holzmüller8. [826] 1 Vielleicht schreibt jemand einmal ein spannendes Buch mit dem Titel: Von der Abschreibungsgesellschaft über die Warenterminoption zum Bauherren-Modell. 2 BGHZ 80, 69; dazu Lutter/Timm, NJW 82, 409. 3 BGHZ 83, 319 (Holzmann); vgl. dazu Quack, ZGR 83, 257. 4 Heinsius, ZGR 84, 383, 386. 5 Im Schreckenswort „basisdemokratisch“ ebenso verdeutlicht wie im Vorwurf des „modischen“: Beusch, FS Werner, 1984, S. 1, 21 und schon im Titel bei Martens, ZHR 147 (1983), 377 („Die Entscheidungsautonomie des Vorstands und die ‘Basisdemokratie’ in der AG“). 6 Martens, a. a. O., S. 428; auch schon S. 390 Fn. 33: „Holz“-Weg; vgl. auch Heinsius, a.a.O., S. 410 f; ähnlich Flume (juristische Person, 1983, S. 313 f), Semler (BB 83, 1566, 1573) und Werner (ZHR 147 [1983], 429, 453); ablehnend auch Götz, (AG 84, 85 ff, 94), der aber einige Nebengebäude stehen lassen will; zögernd Westermann (ZGR 84, 352, 382), der die gedankliche Linie der

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Wird in einem zivilen Streit ein Rechtsspruch so sehr angezweifelt, dann ist das Grund genug, seinen Entwurf noch einmal zu bedenken. I. Konzern und Konzernorganisation 1. Der Konzern als Organisationsform Der Zusammenschluß mehrerer Korporationen zu einem unternehmerischen Verbund, zum Konzern, gehört zu den fruchtbaren Erfindungen auf der Nahtstelle zwischen Wirtschaftspraxis und Jurisprudenz9. Konzerne sind ungemein leistungsfähige, weil flexible Formen der Organisation wirtschaftlicher Tätigkeit. Spätestens seit dem Ende des 2. Weltkrieges sind sie in herausragendem Umfange die Träger nicht nur des binnenwirtschaftlichen, sondern vor allem des grenzüberschreitenden unternehmerischen Handelns: Die Organisationsform des Multinationalen Unternehmens ist der Konzern10. Mit dieser Organisationsform wird der – sonst unvermeidliche – Konflikt mit den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen vermieden: Diese Konzerne sind aus nationalen Einzelteilen, aus amerikanischen, französischen, ägyptischen, japanischen und bald auch chinesischen Elementen zum polykorporativen Verband11 zusammengefügt; sie haben die Möglichkeit der unterneh- [827] merischen Kooperation mit unterschiedli-

Entscheidung nur eine Strecke weit fortgeführt wissen will; überwiegend zustimmend E. Rehbinder (FS Coing, 1982, Bd. II, S. 423 ff und ZGR 83, 92, 108). 7 Auch sonst gibt es der Bilder viele: Nach Heinsius (a. a. O., S. 403 und 411) ist das Urteil ein „Labyrinth“, in dem die Rechtssicherheit „Land unter“ vermeldet. Nach Beusch (a. a. O., S. 21) hat der BGH zunächst in den Himmel geschaut, hat dort „Wunschbilder modischer basisdemokratischer Vorstellungen“ erblickt und darob die harten Steine des Weges übersehen; so kam es wie es kommen mußte: er ist gestrauchelt, dann gestolpert und gestürzt: Gott sei Dank ist Beusch bereit, dem BGH „vom Sturze aufzuhelfen und ihm Hilfe zu sein, auf den rechten Weg zurückzufinden“. Auch Martens (a.a.O., S. 428) ist zur Nachsicht bereit („auch dem Bundesgerichtshof gebührt ein Recht auf Irrtum“), wenn, ja wenn nur der BGH sich entschließt, von seinen Fehlern „Abschied zu nehmen“. 8 BGHZ 83, 122 = AG 82, 158 = WM 82, 388 = NJW 82, 1703 = DB 82, 742 = BB 82, 827. 9 Das wurde schon früh erkannt; vgl. etwa L. Raiser und Pohmer in: Raiser/Sauermann/ Schneider (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. 33 (1964), S. 51 ff, 57 ff. 10 Das wird in der breiten Diskussion zum Multinationalen Unternehmen gerne übersehen; vgl. Lutter, in: Aktuelle Fragen multinationaler Unternehmen, Sonderheft 4/1975 der ZfbF, S. 61 ff; hierzu ferner Behrens, RabelsZ 1982, 308 und Langen, Die Haftung des herrschenden Unternehmens für Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft bei einem Multinationalen Unternehmen, Diss. Bonn. 11 Krämer, FS Rieger, 1963, S. 256, 267 („Polykorporativer Aufbau“); Bälz, FS L. Raiser, 1974, S. 287, 320 („Polykorporatives Unternehmen“).

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chen Eignern12 einschließlich der Kooperation mit den verschiedenen Staaten selbst. Konzerne erlauben unternehmerische Versuche, schaffen Spielwiesen und Titel und ermöglichen es den jungen Organisatoren der nächsten Generation – wie in den Ministerien für Wissenschaft und Schule – alle 10 Jahre alles einmal grundlegend auf den Kopf zu stellen13. 2. Der Konzern: Ein Unternehmen ohne Rechtsform Organisationsformen zweckgerichteten unternehmerischen Handelns, welche die Kooperation mehrerer Personen an diesem Zweck erlauben, mögen sich im historischen Prozeß vom reinen Sein zum Rechtsgebilde hin entwickelt haben: Heute sind sie samt und sonders vom Rechte eingefangen (Personengesellschaften) oder leben gar überhaupt nur aus dem Recht, sind Geschöpfe des Rechts, das sie schaffen14, aber auch verstoßen kann15. Der Konzern nun gehört zu den Organisationsformen zweckgerichteten Handelns, die weder vom Recht erfunden wurden (GmbH), noch aus dem Rechte leben (der Konzern ist selbst nicht juristische Person), sondern die sich aus dem Handeln phantasiebegabter Menschen entwickelt haben, wie einst die OHG und letztens die GmbH & Co. In seinen Grundaspekten aber unterscheidet sich dieser Konzern von anderen Formen partnerschaftlicher Kooperation überhaupt nicht: Er entsteht (wird durch willentliches und zweckgerichtetes Handeln gegründet), handelt, wächst oder schwindet und endet eines Tages – still oder mit lautem Getöse; in den Begriffen des Rechts ergeben sich also ganz und gar die gleichen Fragen und Aufgaben wie bei den anderen Organisationsformen auch16: Wie und durch wen kommt es [828] zur

12 Der international tätige Konzern hat heute Haupteigner (das sind die Aktionäre der Konzern-Muttergesellschaft) und Neben- oder Teileigner, das sind vor allem die – häufig vom nationalen Recht erzwungenen – Kapitaleigner und Partner in einzelnen ausländischen Konzerngesellschaften (z. B. Brasilien, Indien). 13 Es gibt dazu sogar ein kaufmännisches Sprichwort: Machst Du seit zwei Jahren das gleiche, so bedenke es mit Sorgfalt; tust Du’s seit 5 Jahren, so sei besorgt; sind aber gar 10 Jahre vergangen, so zerstöre alles und beginne von neuem. 14 Wie kürzlich etwa das „groupement d’interêt économique“ im französischen Recht (ordonnance Nr.67-821 vom 23. 9. 1967); vgl. dazu Langer, RIW/AWD 70, 61 ff; zur Diskussion um die Übernahme ins deutsche Recht vgl. Lutter, Gutachten H zum 48. DJT, München 1970, S. H 31 ff und Müller-Gugenberger, RIW/AWD 71, 263; zur bevorstehenden Einführung des GIE in das europäische Recht vgl. Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 1984, S. 70 und S. 443 ff. 15 So zuletzt etwa bei uns die Kolonialgesellschaften (vgl. dazu Kübler, Gesellschaftsrecht, 1981, S. 6 f) sowie die Bergrechtlichen Gewerkschaften, die gemäß §§ 163 ff BBergG v. 13. 8. 1980 (BGBl I S. 1310) bis zum 1. 1. 1986 aufgelöst bzw. umgewandelt werden müssen. 16 Dazu bereits U. H. Schneider, BB 81, 249 f sowie Lutter, The Law of Groups of Companies in Europe, in: Forum Internationale, Vol. 1, Nr. 1 (1983), S. 5, 11 ff.

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Gründung17, nach welchen Regeln erfolgt die Finanzierung18 und die Willensbildung, wer ist zuständig für das zweckgerichtete Handeln, wie werden Dritte (Gläubiger) vor spezifischen Gefahren des Verbundes und Minderheiten vor einer Ausbeutung geschützt und wie und nach welchen Regeln findet die Auflösung statt? Diese Fragen sind für bestimmte Konzernfälle – nämlich die sogenannten Vertragskonzerne – wenigstens zum Teil geregelt (Bildung, Gläubigerschutz, Minderheitenschutz, Auflösung), so daß man insoweit durchaus von einer „TeilVerfassung“19, einer unvollkommenen Rechtsform20 des Gebildes Konzern sprechen kann21. Außerhalb des Unternehmensvertrages aber gibt es nur die gesetzliche „Abwehrstrategie“ der §§ 311 ff AktG22, die aber den (faktischen) Konzern nicht verhindern23, weil es keine Träger (Subjekte) dieser Abwehrstrategie gibt: in Tochtergesellschaften sind sehr häufig keine Minderheitsgesellschafter; und vom Konkurs, dem eigentlichen Problem des Gläubigerschutzes, ist hier nicht die Rede. Insoweit bleibt es bei Ballerstedts kluger Beobachtung, daß „der Konzern der paradoxe Fall des Unternehmens (ist), das als solches überhaupt keine Rechtsform hat“24. Aber so ganz lange mag das nicht mehr gelten; denn fast überall wird der Konzern von seinen Rändern her dem geschriebenen Recht eingebunden, so in der Bundesrepublik vor allem vom Gläubiger- und [829] Minderheitenschutz her (aber auch mit so lustigen Arabesken wie den „Konzernmandaten“ des § 101 AktG), in Europa von der uralten Pflicht des Kaufmanns zur Buchführung 17 Dazu §§ 291 ff AktG sowie für die GmbH OLG Düsseldorf BB 81, 1482 mit Anm. Timm, BB 81, 1491; LG Hamburg ZIP 84, 838. 18 Dazu U. H. Schneider, Das Recht der Konzernfinanzierung, ZGR 84, 497 ff sowie Hommelhoff, Eigenkapitalersatz im Konzern und in Beteiligungsverhältnissen, WM 84, 1105; vgl. auch BGH AG 84, 52. 19 Dazu vor allem U. H. Schneider mit dem Titel: „Konzernleitung als Rechtsproblem – Überlegungen zu einem Konzernverfassungsrecht“, BB 81, 249 ff. 20 Im Ansatz völlig treffend, in der Interpretation aber dann zu weitgehend Bälz, a.a.O. (Fn. 11), S. 321 ff. 21 Unvollkommen in vieler Hinsicht: Es fehlt vor allem der Schritt zur Rechts- und Zuordnungseinheit: Der Konzern ist weder Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts noch Rechtssubjekt. Und es fehlen, wir werden es noch näher feststellen, die Regeln zur Willensbildung. 22 Vgl. die ungemein klugen Überlegungen zu all dem, was da im sogenannten faktischen Konzern alles nicht sein darf von Bälz, a. a. O. (Fn. 11), S. 307 ff über Flume (Die juristische Person, 1983, S. 118 ff) und Geßler (FS Westermann, 1974, S. 145 ff) bis zu Würdinger (Großkomm. AktG, 3. Aufl., Vorbem. 2 und Anm. 5 ff zu § 311 und: Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., S. 340 ff). 23 Man betrachte nur mit klaren Augen die Geschäftsberichte etwa von Thyssen und VEBA, um zu sehen von welcher Kraft diese faktischen Verbindungen sind! 24 In: Arndt, Die Konzentration in der Wirtschaft, Schriften des Vereins für Socialpolitik, 20, Bd. I, S. 603, 630 f.

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und Rechnungslegung25, in anderen Rechtsordnungen vom Arbeitsrecht26 oder gar vom Insolvenzrecht her27, 28. 3. Die „Organe“ des Konzerns Ist der Konzern also die Organisationsform des einen Unternehmens29, dem selbst Rechtsform und Rechtsfähigkeit fehlen, die je seinen Teilen zukommt, so muß diese Einheit auch handlungsfähig sein: ohne „Konzerngewalt“30 wäre diese unternehmerische Einheit – die ja gerade [830] nicht Rechtseinheit ist – rasch zu Ende. Daher gilt es jetzt, dem Aspekt der „Verwaltung“ als dem wichtigsten und lebendigsten Element einer unternehmerischen Organisation nachzugehen; denn jede auf Dauer ausgerichtete Organisation bedarf der organisierten Verwaltung30. 25 Man kann sich zwar noch nicht einmal über den Konzernbegriff (als Gegenstück zum Kaufmannsbegriff) einigen, aber über die Pflicht zur Rechnungslegung in der Gruppe besteht kein Zweifel: vgl. die 7. EG-Angleichungs-Richtlinie vom 13. Juni 1983 bei Lutter, Europ. Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1984, S. 167 ff. 26 In Frankreich ist die Rechtslage aus unserer Sicht besonders eigentümlich; das klassische Gesellschaftsrecht leugnet nämlich die Existenz des Konzerns: den Verlust der Autonomie einer juristischen Person darf es nicht geben, also gibt es ihn eben nicht – es sei denn als Straftatbestand; andererseits war und ist der Konzern eine selbstverständliche Figur im französischen Arbeitsrecht und dort längst bekannt ehe etwa Konzen (Arbeitnehmerschutz im Konzern, RdA 84, 65. ff) und Henseler (Der Arbeitsvertrag im Konzern, 1983) einem deutschen Konzernarbeitsrecht das Wort geredet haben; vgl. dazu Lutter, Forum Internationale (Fn. 16), passim und Houin, Les groupes de sociétés en droit français, in: Hopt (Hrsg.), Groups of Companies in European Laws, 1982, S. 45 ff. 27 Bis zum Jahre 1979 hatten Literatur und Rechtsprechung Italiens den Konzern praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Dann schrieb der Gesetzgeber in Art. 3 der legge Prodi von 1979 über die Verwaltung krisenbetroffener Großunternehmen ein paar wenige Worte über verbundene Unternehmen (vgl. Colombo, ZGR 82, 63, 80). Da plötzlich entdeckte die Literatur den Konzern und explodierte förmlich vor konzernrechtlichen Betrachtungen (vgl. Pavone La Rosa, Rivista delle Società, 1984, 401 ff und die dortigen Nachweise). In jüngster Zeit hat die ital. Unternehmensrechts-Kommission die Einführung einiger Regeln nach dem Vorbild der §§ 311 ff AktG empfohlen (Rivista delle Società, 1984, 261 ff). 28 Erinnert sei, daß im Gesellschaftsrecht die gesetzliche „Anerkennung“ der GmbH & Co. als eigenständige Rechtsform auch von den „Rändern“ her begann, nämlich bei der Firma (§ 19 V HGB) und der Insolvenz (Überschuldung als Konkurstatbestand, §§ 130a, 177a HGB). 29 Unternehmen i.S.v. zweckgerichteter Handlungseinheit, insoweit durchaus richtig beschrieben im „gemeinsamen Zweck“ des § 705 BGB, nur daß die dort gedachte Gleichordnung der Partner dem Unterordnungskonzern nicht entspricht (wohl aber dem Gleichordnungskonzern, der alten „Interessengemeinschaft“). Dabei stört die Tatsache, daß diese Organisationsform phänotypisch (nur) aus Kunstfiguren (Juristischen Personen) zusammengesetzt ist und auf natürliche Personen als Partner im allgemeinen verzichten muß, gar nicht. Im englischen Recht kennzeichnet der Übergang von gemeinschaftlichen Einzelunternehmungen (Ausrüsten eines Schiffes) zu gemeinschaftlichen Dauerunternehmen (die Kolonial-Companies) exakt den Übergang vom Schuldrecht (agency) zur Korporation (Company). 30 E. Rehbinder Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, 1969, S. 55 ff.

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Gibt es also eine Konzernverwaltung? Und ist das nicht nur eine betriebswirtschaftliche Beschreibung oder gar nur ein pompöses Namensschild, sondern eine rechtliche Kategorie? Der allgemeine und sehr weit gefaßte Begriff der „Verwaltung“ einer Organisation umfaßt in der Regel alles, was zwischen Gründung und Auflösung geschieht. Dabei wird allgemein in Leitung der Korporation (vgl. § 76 AktG): o Überwachung (vgl. § 111 AktG) o Rechnungslegung (vgl. §§ 149 ff AktG) und Grundentscheidungen (die, aus welchen Gründen auch immer, über „Leitung“ hinausgehen) unterteilt. Kann man diese fraglos rechtlichen Kategorien auch als rechtliche Kategorien der Organisationsform „Konzern“ verstehen? a) Leitung: Im Recht der Bundesrepublik wird der Konzern geradezu durch Leitung („einheitliche Leitung“) definiert (§ 18 I und II AktG), ist „Leitung“ konstitutives Element des Konzerns und damit in unserer Fragestellung selbstverständlich. Allerdings handelt es sich um eine Leitung in „angepasster“ Zuständigkeitsordnung31, die nicht direkt leitet wie im Einheitsunternehmen (§ 76 AktG), sondern mittelbar über und in („rechtlicher“) Abstimmung mit dem Vorstand/Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft, §§ 308, 311 AktG32. Nur noch am Rande sei auf das Recht zur Leitung aus § 308 AktG hingewiesen und an die vielfach umstrittene Frage erinnert, wie weit Leitung im faktischen Konzern (§ 311 AktG) gehen darf33. Nicht (mehr) umstritten aber ist, daß auch die Aktiengesellschaft (die GmbH wegen §§ 37 I, 45 I GmbHG sowieso) in einen faktischen Unterordnungskonzern eingebunden werden kann, es also „Konzernleitung“ vor allem durch, aber auch über eine Aktiengesellschaft in vertraglicher und faktischer Form gibt und von Rechts wegen geben kann34. Es wundert daher auch gar nicht, daß dieses rechtliche „Dürfen“ und „Können“ im Sinne von § 76 AktG, § 37 [831] GmbHG jetzt durchaus auch im Sinne eines rechtlichen „Müssens“ erörtert wird35. b) Überwachung im Konzern ist ein Aspekt, der längere Zeit eher im Schatten rechtswissenschaftlicher Erörterung stand. Das mag (auch) damit zusammenhängen, daß sich die rechtliche Debatte zum Aufsichtsrat so lange mit seiner ZuU.H. Schneider, BB 81, 249, 250. So zutr. Schneider, a. a. O. 33 Vgl. oben Fn. 22. 34 Vgl. hierzu insbes. U.H. Schneider, a. a. O. 35 Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, passim; kritisch dazu Kropff, ZGR 84, 112; Rittner, AcP 183 (1983), 295 ff; Koppensteiner, AG 83, 230; eher zustimmend E. Rehbinder. ZHR 147 (1983), 464. 31 32

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sammensetzung und seinen Befugnissen beschäftigen mußte (MitbestG 1976), daß darüber seine Hauptaufgabe – eben die Überwachung – etwas aus dem Auge geriet. Inzwischen haben monographische Untersuchungen36 nachgewiesen, daß jedenfalls der übliche Abhängigkeitskonzern vollständig in das Rechtssystem der Überwachung einbezogen ist37, wobei dieses System im Konzern maßgeblich bestimmt wird von der Rechtsform der Konzernobergesellschaft: Die Aktiengesellschaft als Obergesellschaft hat stets einen Pflichtaufsichtsrat; und dieser ist Überwachungsorgan für diese Gesellschaft und zugleich Überwachungsorgan in bezug auf die Leitung des Konzerns, übt damit „Konzernüberwachung“ aus38. c) Rechnungslegung im Konzern ist bei uns, aber auch in anderen Ländern und jetzt auch in der EG der älteste Ansatz für die Einbindung des Konzerns in das geschriebene Recht. Dazu bedarf es hier keiner weiteren Ausführungen. d) Ziehen wir die Summe aus diesem kurzen Überblick, so bleibt die vielleicht nicht überraschende, aber doch bemerkenswerte Tatsache, daß der Konzern als im deutschen Recht fraglos anerkannte, wenn auch nicht systematisch geregelte Organisationsform unternehmerischer Tätigkeit – sagen wir ruhig: Korporation sui generis39 – über alle rechtlichen Elemente einer (eigenen) Verwaltung verfügt; er hat eine Leitung, die (im hier vor allem interessierenden Unterordnungskonzern) vom Leitungsorgan der Konzernobergesellschaft ausgeübt wird; [832] ein Überwachungsorgan stets dann, wenn die Konzernobergesellschaft von Rechts wegen einen Aufsichtsrat zu bilden hat40; eine eigene Pflicht zur Rechnungslegung, wenn eine Aktiengesellschaft Mitglied im Konzern ist (§§ 329 AktG, 28 EGAktG), im übrigen alsbald auch als reiner GmbH-Konzern nach den Regeln der 7. EG-Richtlinie. Damit ist noch offen, wer in diesem korporativen Verbund die sogenannten Grundentscheidungen trifft, wer also vor allem über seine Bildung, Erweiterung, Änderung und Auflösung befindet41.

36 Dazu Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, Köln 1980; zurückhaltender D. Hoffmann, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1985, Rdn. 247. 37 Dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 40 ff; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, S. 29 ff; auch schon Würdinger, Großkomm. AktG, § 308, Anm. 5; zurückhaltender Mertens, AG 80, 67, 70. 38 U. H. Schneider, a. a. O. (Fn. 31), S. 252. 39 U. H. Schneider, a. a. O. (Fn. 31), S. 249 definiert Konzernrecht als das „Organisationsund Verhaltensrecht für eine besondere Unternehmensform“. 40 Das ist wegen der §§ 76, 77 BetrVG 1952, §§ 1 und 5 MitbestG 1976 in den hier interessierenden Fällen praktisch stets gegeben. 41 Die Unternehmensrechtskommission hat sich bemüht, solche Grundentscheidungen herauszuarbeiten, schon zur Klärung der Frage, welche Zuständigkeiten dem „Grundorgan“ einer (großen) Korporation zukommen sollen; vgl. Bericht der Unternehmensrechtskommission, Köln 1980, Tz. 575 ff.

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II. Konzernorgane 1. Das „Grundorgan“ im Konzern Und damit sind wir beim eigentlichen Problem. Der Bundesgerichtshof hatte im Holzmüller-Fall über zwei ganz verschiedene Aspekte im Leben der Organisation Konzern zu befinden: Über seine Bildung – genauer: über eine von mehreren Formen, in der er gebildet werden kann – und über eine gewichtige Entscheidung während seines Bestandes (Kapitalerhöhung, ggf. unter Aufnahme neuer Partner). Beide Aspekte der Entscheidung werden in allen vom Recht geregelten Organisationsformen als „Grundentscheidung“ begriffen und vom „Grundorgan“ getroffen, also von allen Partnern gemeinsam oder als Beschluß der Versammlung ihrer Eigner42. Eine „Eigner-Versammlung“ im Konzern gibt es nicht und kann es nicht geben, eben weil der Konzern zwar Unternehmens-, aber nicht Rechtsform ist. Aber der Konzern hat eine „Leitung“; und Leitungsorgan ist der Vorstand der Obergesellschaft; der Konzern wird überwacht; und Überwachungsorgan ist der Aufsichtsrat der Obergesellschaft; er hat eine eigene Rechnungslegung; und diese findet in und aus der Obergesellschaft statt; weshalb sollte er also nicht auch ein „Grundorgan“ haben mit der Eigner-Versammlung der Obergesellschaft? Im GmbH-Konzern mit einer GmbH als Obergesellschaft ist das so und wird allseits unvermerkt akzeptiert. Nur die sprachliche Fixierung auf das „Weisungsrecht“ der Gesellschafterversammlung verstellt die [833] Sicht darauf, daß eben die Gesellschafterversammlung hier auch „Grundorgan“ in der Organisation „Konzern“ ist. Die Besonderheit liegt nur darin, daß ihre Zuständigkeiten insoweit nicht a priori festliegen, sondern von ihr selbst allgemein (Satzung) oder speziell (Einzelbeschluß) bestimmt werden. Es liegt also nahe, dieses Regelungsprinzip unseres privaten Organisationsrechts als Rechtsprinzip zu erkennen und es dementsprechend auch auf ungeregelte Sachverhalte anzuwenden. Man könnte das als institutionellen Ansatz bezeichnen, als Rechtsfindung aus dem System der rechtlichen Organisation von Korporationen. Dieser institutionelle Ansatz denkt in System und Systemrationalität; mit ihm soll die Basis für die Lösung einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle geschaffen werden: der gedankliche Ansatz liegt hier zwischen dem Gesetz und dem einzelnen Fall. Er ist dem Korporationsrecht durchaus vertraut: Zuletzt fand mit seiner Hilfe die Übertragung aktienrechtlicher Haftungs- und Beschlussregeln auf die Publikums-GmbH & Co. KG statt. Diese Sicht führt zu der Erkenntnis, daß es auch in der rechtlich anerkannten Unternehmensform Konzern ein „Grundor42 Für die organisierte Personengesellschaft ist das wegen des Vertragsprinzips fraglos, für die organisierte Rechtsperson vgl. die §§ 23 ff, 182 ff AktG, 1 ff, 55 ff GmbHG.

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gan“ geben muß und daß dieses Grundorgan nach den allgemeinen Organisationsprinzipien unseres Korporationsrechts nur das Grundorgan der Konzernobergesellschaft, in der Aktiengesellschaft also nur deren Hauptversammlung sein kann43. Folgt man dieser Sicht, so bleibt für den aktienrechtlichen Konzern die Frage, welches dann die Zuständigkeiten der Hauptversammlung in ihrer Eigenschaft als Grundorgan des Konzerns sind; denn anders als in der GmbH kann die Hauptversammlung das nicht selbst bestimmen; diese Zuständigkeiten müssen in anderer Weise ermittelt werden44. Ist man überhaupt bereit, systematische Aspekte als Elemente der Rechtsfindung zu akzeptieren, so wird man die Stringenz dieser Sicht nicht leugnen können45. Und auch der Bundesgerichtshof hat im ersten Teil seiner Entscheidung (zur Ausgliederung) diesen Gedankengang jedenfalls gestreift, als er für grundlegende Strukturentscheidungen ein Votum der Hauptversammlung der betreffenden Aktiengesellschaft verlangte46. [834] 2. Der „Eingriff“ und seine Legitimation Statt derart systematisch in der Rechtsfigur des Konzerns zu denken, kann man den Schwerpunkt des Konfliktes aber auch stärker in der Obergesellschaft selbst sehen und nach der Verletzung, dem etwaigen „Eingriff“ in die Position der Aktionäre der Obergesellschaft und ihres Organs Hauptversammlung fragen: Wehrt sich ein Gesellschafter gegen eine bestimmte Entscheidung, so beruht das meist nicht auf abstrakten Gründen einer Beeinträchtigung eher theoretischer Rechtspositionen, sondern viel eher auf der Sorge, jetzt oder in Zukunft einen konkreten Nachteil in seinen Gütern zu erleiden. Auf dieser Ebene hat der Bundesgerichtshof in der Holzmüller-Entscheidung vor allem gedacht und argumentiert; und das lag für ihn auch durchaus nahe; denn er konnte seinen spätestens mit der Kali- und Salz-Entscheidung deutlich gewordenen Ansatz eines Schutzes der Mitgliedschaft fortsetzen47, konnte im eigenen Gedankengerüst des notwendigen Schutzes der Mitgliedschaft vor unbegründeten und nachteiligen Eingriffen 43 Das hat also mit politischen Zielen und Vorstellungen überhaupt nichts zu tun, sondern ist das dem Juristen wohl vertraute „Fortdenken“ von Entscheidungen, die das Gesetz getroffen hat. 44 Die Argumentation der Gegner einer solchen Betrachtung liegt auf der Hand: Die Zuständigkeit der Hauptversammlung sei abschließend geregelt; möge die Vergleichsebene zum „Grundorgan“ noch so naheliegend sein, die Übertragung scheitere an § 119 AktG (dazu unten). 45 Vgl. vor allem Rehbinder, FS Coing, Bd. II, 1982, S. 423, 429 ff, 432. 46 BGHZ 83, 122, 131 ff. 47 BGHZ 71, 40 und dazu Lutter, ZGR 79, 401, sowie Martens, F5 Fischer, 1979, S. 437 ff; zum genehmigten Kapital vgl. BGHZ 83, 319 ff.

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durch Mehrheitsentscheidungen bleiben und diesen Ansatz auf die Frage übertragen: Welches Organ kann den Eingriff legitimieren? Denn Konzernbildung ist nicht a priori verboten; führt sie aber – wie z. B. bei Kapitalerhöhung unter Ausschluß des Bezugsrechts – zu Nachteilen bei den Aktionären, so liegt die Frage nahe: Muß der Eingriff legitimiert werden und von wem? Wird ersteres bejaht, so ergibt sich letzteres nahezu von selbst; denn nur der einzelne Betroffene oder die Gruppe der Betroffenen kann die Legitimation erteilen48. Dabei versteht der Bundesgerichtshof unter „nachteilig“ sowohl die vermögensmäßige Wertminderung der Mitgliedschaft wie auch die Rechtsminderung, also die Wegnahme von Einfluß und Mitwirkungspotential bei der Gestaltung des künftigen Geschehens in der Gesellschaft: Denn darin – aber darin eben auch in vollem Ernst – unterscheidet sich Mitgliedschaft von anderen Formen der Beteiligung am unternehmerischen Risiko, von der Gewinnschuldverschreibung bis zum Genußschein. Unternehmerische Entscheidungen im angelegten und angestammten Bereich der Gesellschaft trifft in der Aktiengesellschaft die Verwaltung; sie müssen von der jeweiligen Minderheit hingenommen werden. Das aber gilt nicht für die qualitative Änderung oder gar den Ausschluß von der Mitwirkung an Zukunftsgestaltung; Vorschriften nach Art der §§ 186, 293, 361 AktG dokumentieren das. Die Richtigkeit dieser so betont vorsichtig formulierten Grundthese des Bundesgerichtshofs ist kaum bestreitbar und wird von seinen Kritikern [835] tatsächlich auch nicht bestritten: Diese bemühen sich vielmehr um den Nachweis, daß (1) überhaupt kein Eingriff in die Mitgliedschaft vorliegt49; (2) ein Eingriff zwar theoretisch vorliegen mag, dieser „Eingriff“ aber vom Gesetz ausdrücklich oder jedenfalls erkennbar in die Kompetenz der Verwaltung gestellt worden sei, so daß in der Sicht des Gesetzes von „Eingriff“ nicht die Rede sein könne50; (3) ein Eingriff zwar vorliegen mag, eine Entscheidung darüber im deshalb möglicherweise zuständigen „Grundorgan“ aber völlig unpraktikabel sei und daher nicht stattfinden dürfe, solle das Unternehmen daran nicht Schaden leiden51. Die folgenden Überlegungen werden beide Ansätze, den institutionellen wie den mitgliedschaftsrechtlichen, aufnehmen.

Das ist der Grundgedanke etwa der §§ 180, 186 IV AktG. So etwa Götz, AG 84, 85, 87 ff im Hinblick auf Kapitalerhöhungen in Tochtergesellschaften und Werner, a. a. O. (Fn. 6), S. 448 ff hinsichtlich Ausgliederung und Kapitalerhöhung je mit der Begründung, daß schutzwürdige Interessen nicht tangiert würden. 50 So vor allem Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 404 ff im Hinblick auf die Pflichten der Verwaltung zu treuhänderischer Unternehmensführung. Aber: bei solcher Betrachtung konnte man auf das Organ Hauptversammlung ganz verzichten. 51 So vor allem Beusch, a. a. O. (Fn. 5), S. 5 ff und Heinsius, ZGR 84, 383, 391 ff. 48 49

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III. Zum System der Organzuständigkeiten in der Aktiengesellschaft und im aktienrechtlichen Konzern 1. Vorbemerkung zur GmbH Vorweg ist festzuhalten, daß die Probleme des Holzmüller-Falles betont aktienrechtlicher Natur sind. In der GmbH gibt es de jure nahezu keinen autonomen Bereich der Geschäftsführung; das bedeutet aber auch, daß die Geschäftsführer im vermuteten Einverständnis der Gesellschafter handeln, die ihrerseits alle unternehmerischen Fragen und Entscheidungen jederzeit an sich ziehen können, also insbesondere auch die der Konzernbildung, der Konzernerweiterung, der Satzungsänderung in Konzerngesellschaften etc. In der GmbH ist die Gesellschafterversammlung nicht nur oberstes und nahezu allzuständiges Gesellschaftsorgan, sondern – vermittelt über die Beteiligungs- und Vertragsrechte – auch oberstes Konzernorgan, das bis in die letzten Verästelungen hinunter regieren kann. Damit sind Fragen der hier gestellten Art in der GmbH ohne systematische Relevanz: Sie können jederzeit zum Mehrheits-Minderheits-Problem werden, sind damit sofort – über die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung – gerichtlich nachprüfbar (Mißbrauch der Mehrheitsmacht), hinsichtlich der Kompetenz aber problemlos: Die Gesellschafterversammlung kann jederzeit über alle [836] Fragen entscheiden – und eine Minderheit von 10% kann sie jederzeit dazu auch zwingen, § 50 GmbHG. 2. Leitung versus Grundentscheidung Im Aktienrecht ist das wegen der vom Gesetz selbst vorgenommenen Zuweisung bestimmter Kompetenzen an die verschiedenen Organe anders. Wir haben es im Kontext des Holzmüller-Konfliktes also mit einem Auslegungsproblem im Zusammenhang mit einer Kompetenznorm zu tun52; denn das Gesetz weist dem Vorstand die „Leitung der Gesellschaft“ und ihre Vertretung zu, §§ 76, 78 AktG, der Hauptversammlung aber die Entscheidung über bestimmte, enumerativ genannte Einzelfragen. Der Auslegungskonflikt ist also geradezu vorprogrammiert und lautet: Ist die Enumeration „absolut“ zu verstehen oder läßt sie ein „System“ erkennen, ein „Prinzip“, aus dem heraus unsystematisch wirkende „Löcher“ in der Enumeration geschlossen werden können: Denn das Gesetz selbst denkt in gar keiner Weise an „Grundentscheidungen“ im Konzern, während es „Konzernleitung“ implizit dem Vorstand zuweist53 Das sieht Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 384 ff völlig richtig. Zum Begriff der Geschäftsführung in diesem Zusammenhang vgl. Lutter, FS Fischer, 1979, S. 419, 423 ff sowie Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, passim sowie oben sub I, 3 a. 52 53

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und „Konzernüberwachung“ durch Auslegung des Gesetzes entwickelt werden konnte54. Andererseits ist zu fragen, ob „Leitung“ alles erfaßt, was nicht Aufsichtsrats- oder Hauptversammlungs-Zuständigkeit ist, so daß es gar keine „Löcher“ gibt, weil in Wirklichkeit alles geregelt und erfaßt ist, ähnlich dem Verfassungsprinzip föderaler Staaten: alles was nicht dem Bund zugewiesen ist, bleibt in der Zuständigkeit der Länder. Aber schon dieses so naheliegende Beispiel macht hellhörig: Nur die Länder haben eine ursprüngliche, jener – der Bund – hingegen nur eine abgeleitete Zuständigkeit. Von einer „ursprünglichen“ Zuständigkeit des Vorstands für alle Aufgaben in der Gesellschaft und einer nur abgeleiteten der Hauptversammlung kann aber gewißlich nicht die Rede sein; wenn man schon einen solchen Gedanken verfolgen will, dann müßte die Folgerung umgekehrt lauten; denn Korporationen des Privatrechts werden nach wie vor „von unten“ gebildet und aufgebaut: Unsere Korporationen sind Personenverbände, nicht Anstalten; Keinmann-Gesellschaften sind als Widerspruch in sich zu sehen55. [837] 3. Die Position der Hauptversammlung nach dem Gesetz Will man daher die Position der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft richtig verstehen, so muß man die ihr nach den Reformen von 1937/1965 zugewiesenen Zuständigkeiten analysieren; und das sind: Einfluß-, Finanz-, Strukturentscheidungen §§ 58, 182-220, 221, 222- §§ 179-181, 262 ff, 291 ff, §§ 101, 120, 142, 240 AktG 339 ff, 359-368 AktG 163 AktG Hält man sich diese Fülle von Zuständigkeiten bei Entscheidungen über laufend wiederkehrende (Einflußentscheidungen), mittelfristige (Finanzentscheidungen) und seltene bzw. einmalige (Strukturentscheidungen) Maßnahmen im Leben der Aktiengesellschaft einmal in aller Ruhe vor Augen, so kann man die Bedeutung dieses Organs im „Bauplan“ des Gesetzes gewiß nicht unterschätzen56, 57. Dazu oben Fn. 36 und 37. Vgl. Winter in: Scholz, Komm. zum GmbHG, 6. Aufl., § 13 Rdn. 6 und Hohner, in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 7. Aufl., § 33 Rdn. 57 ff je m. w. N.; a. A. Kreutz in diesem Bande. 56 Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 407 aber tut das mit der Behauptung, der Aktionär sei aus den unternehmenspolitischen Entscheidungen verdrängt worden. Versteht man aber, wie das hier geschieht, nicht nur Produktions- und Investitions-, sondern auch Finanz- und Strukturentscheidungen als „unternehmenspolitisch“, so trifft das gerade nicht zu; denn das Organ der Aktionäre, die Hauptversammlung, ist dafür zuständig. 57 Man mag das begrüßen oder nicht: das ist hier nicht die Frage. Auch die Debatte über die „strukturelle Inkompetenz“ der Hauptversammlung (vor allem Beusch, a. a. O. Fn. 5) wird hier nicht wieder aufgenommen; insofern habe ich meine Auffassung formuliert (Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1973). Interessant ist, daß von Personen, denen gewißlich nicht 54 55

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Nimmt man nun dieses „Baumuster“ des Gesetzes und vergleicht es mit der „Normallage“ in einem Konzern, so liegen die Brüche ganz offen zutage: 1. Fall: Hoesch (alt) Das gesamte Aktivvermögen der Hoesch AG (vor der Trennung von Hoogovens) bestand in einem Aktienpaket von 50% an der ESTEL58. Auf das Geschehen in dieser Gesellschaft waren die Aktionäre von Hoesch ohne jeden Einfluß; ESTEL hätte verkauft, alle Gewinne hätten thesauriert, ein dritter Gesellschafter hätte zu Vorzugsbedingungen aufgenommen werden können – alles ohne jede Mitwirkung der Hoesch-Aktionäre. [838] 2. Fall: VEBA Die VEBA ist eine Holding und versteht sich auch so. Das aktive Geschäft führen ihre großen „Unterkonzerne“59. Alle Maßnahmen, die soeben als Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung festgestellt wurden, werden dort vom Vorstand der VEBA getroffen: Dieser ist „die Hauptversammlung“ der Unterkonzerne60. Wann und mit wem und zu welchen Bedingungen in diesen „eigentlichen“, diesen operativen Gesellschaften der VEBA fusioniert wird, Unternehmensverträge geschlossen werden, Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen stattfinden, bestimmt allein der Vorstand der VEBA. 4. Veränderung der Bedingungen von Leitung in der AG Der Vorstand soll die Gesellschaft „leiten“; das ist sicher ein weiter und in vielfältiger Weise vom einzelnen Vorstand auszufüllender Begriff. Sehr unterschiedliche Verhaltensweisen fallen darunter: Hierarchische Leitung, Bereichsgliederung, dezentrale Organisation, Matrix-Organisation; das Gesetz aber hat eine der Vorwurf des Elfenbeinturms gemacht werden kann, zur Beseitigung der Eigenkapital-Lücke in der Wirtschaft eine energische Ausweitung der Hauptversammlungs-Zuständigkeit durch Abschaffung des § 119 II AktG im neuen Modell einer Börsengesellschaft vorgeschlagen wird; vgl. Semler, Referat auf dem 55. DJT Hamburg, Verhandlungen des 55. DJT Bd. II, München 1985. 58 Vgl. nur den Geschäftsbericht 1981 der Hoesch AG sowie BGHZ 82, 188 (Hoesch); vgl. dazu weiter Lutter, Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, 1974 sowie Lutter, FS Zweigert, 1981, S. 251 ff. 59 Das sind vor allem (1) die Preussische Elektrizitäts-AG, (2) die VEBA OEL AG, (3) die Chemische Werke Hüls AG und (4) die Stinnes AG; weitere Töchter sind die VEBA Kraftwerke Ruhr AG und die VEBA GLAS AG; vgl. Geschäftsbericht 1983 der VEBA, S. 72 ff. 60 Genauer: Der Vorstand der VEBA ist praktisch alles: (1) der Vorstandsvorsitzende der VEBA ist Aufsichtsratsvorsitzender jedes „Unterkonzerns“. (2) Je ein weiteres Vorstandsmitglied der VEBA ist der Vorstandsvorsitzende je eines „Unterkonzerns“. (3) Und der Gesamtvorstand der VEBA ist „die Hauptversammlung“ jedes „Unterkonzerns“.

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klare Vorstellung von „Leitung“: Nämlich die eigenverantwortliche Verwirklichung des Zweckes der Gesellschaft61. Und es weist diese Aufgabe dem Vorstand zu. Ist sie noch erfüllt, wenn der Vorstand die Hälfte des Unternehmens als Tochtergesellschaft organisiert? Gewißlich kann man sagen, daß jedenfalls „einheitliche Leitung“ im Sinne von § 18 Abs. 1 AktG noch „Leitung“ im Sinne von § 76 AktG sei62. Wenn nunmehr aber der Vorstand Mitgliedschaftsrechte an der Tochter abgibt und bei der Leitung plötzlich Interessen Dritter berücksichtigt werden müssen? Wenn das aber nun nicht mehr die gleiche „Leitung“ ist (gemessen am Ausgangsstadium): Wie kommt es dann, daß der zur Leitung Verpflichtete die Bedingung und den Umfang seiner Pflicht selbst bestimmt? Indem der Vorstand auf solche Weise sich de jure und de facto immer mehr von der Front absetzt, verändert er selbst die rechtlichen Bedingungen von und die rechtliche Verantwortung für Leitung: Gegenüber der faktischen Toch- [839] ter (§§ 311, 317 AktG), ja sogar gegenüber der vertraglich abhängigen Gesellschaft (§ 308 I, 2 AktG) gibt es gewichtige Schranken des Einflusses, gegenüber dem eigenen Unternehmen und seinen verschiedenen Betrieben aber nicht63. 5. Veränderung der Bedingungen von Konzernleitung Der Vorstand leitet die Gesellschaft, aber er kann auf diese Leitung nicht etwa ohne Mitwirkung seiner eigenen Hauptversammlung verzichten; das machen mindestens die §§ 291 ff AktG deutlich. In gleicher Weise leitet er den Unternehmensverbund Konzern, § 18 I AktG. Kann er dann aber dort auf die Leitung dadurch teilweise verzichten, daß er einen bestimmten unternehmerischen Teil abgibt, etwa durch Zustimmung zu einem Organschaftsvertrag, der die PreussenElektra64 zur abhängigen Gesellschaft von RWE werden läßt? Die Vorstellung, das sei die richtige Lösung, fällt noch schwerer, wenn man an Teilgewinnabführungsverträge (§ 292 AktG) denkt, die unabdingbar der Mitwirkung der Aktionäre nach §§ 293 ff unterliegen.

Zweck im Sinne von Ziel und Gegenstand. Oben I, 3 und Würdinger, Großkomm. AktG, § 308 Anm. 5. 63 Gerade diese Grenzen betont auch Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 411 mit dem Satz, daß „Rechtsformgrenzen Zuständigkeitsgrenzen markieren“. Genau das meint auch der BGH (a. a. O., S. 137). Und das wird auch hier im Prinzip nicht bestritten. Doch folgt aus diesem Satz doch gerade nicht, daß man damit auch befugt sei, diese Bedingungen der eigenen Zuständigkeit einseitig zu ändern. Darum aber geht es; und genau das geschieht durch den Unternehmensverbund. 64 Siehe oben Fn. 59. 61 62

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6. Veränderung der Bedingungen von Kontrolle Die Hauptversammlung hat, wie soeben festgestellt, gewisse und keineswegs gewichtlose „Einflussentscheidungen“ zu treffen. Dazu gehört die Entlastung; gewiß, sie ist vor allem eine fleet in being, aber doch mit erheblicher Kontrollund Steuerungswirkung65. Wie aber kommt es, daß der durch die Entlastung Kontrollierte, dadurch Beeinflusste und in gewisser Weise auch in seinem Verhalten Gesteuerte die Bedingungen dafür seinerseits bestimmt? In einer Konstruktion Hoesch (alt) kann der Vorstand von Rechts wegen jede Verantwortung bezüglich dessen ablehnen, was bei ESTEL geschieht: Zum einen darf man nichts sagen („fremdes Unternehmen mit eigenen Interessen“); zum anderen hat man sich nicht durchsetzen können. Das mag stimmen: Aber wie [840] kommt es, daß man selbst die Bedingungen schaffen kann unter denen man unkontrollierbar wird?66 7. Rechtliche Folgerung a) Von zwei Seiten her haben sich „Ungereimtheiten“ im Zusammenhang mit bestimmten Konzernsachverhalten gezeigt. Zum einen konnten wir feststellen, daß die Organisationsform Konzern von Rechts wegen durch ein Leitungs- und ein Aufsichtsorgan verwaltet wird und über ihr Ergebnis Rechnung zu legen hat. Ungeklärt blieb die Frage, wer im Konzern die „Grundentscheidungen“ trifft. Genau an dieser Stelle zeigten sich dann bei systematischer Betrachtung auch die Brüche im System der „normalen“ Verwaltung einer Aktiengesellschaft. Beide Betrachtungen führten zu gleichen Fragen und zur Feststellung von Ungereimtheiten im „normalen“ Ablauf, von Brüchen und Verwerfungen im regulären Gefüge. Kurz: zur „Lücke“ in der rechtlichen Ordnung67. Fraglich ist damit noch der Grad von Spannung zwischen der Normalität und der festgestellten Verwerfung. Denn nicht jede Unebenheit zwingt zur rechtlichen Anpassung68; es muß 65 Stimmenthaltung. bei der Entlastung oder gar deren Ablehnung durch „Nein“-Stimme sind die wichtigsten Maßnahmen, mit denen Aktionäre ihre Unzufriedenheit mit Vorstand und Aufsichtsrat (Kontrolle) formulieren und zugleich auf deren künftiges Verhalten (Einfluß) einwirken können; vgl. gerade dazu den Jahresbericht 1984 der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V., Düsseldorf 1985. 66 Beispiel: Ich gebe meine Geschäftsunterlagen in einen Safe und schließe mit der Bank einen Vertrag, daß Jedermann einschließlich meiner selbst für 10 Jahre an jedem Zugriff gehindert ist. Dann lehne ich bedauernd Auskunftsbegehren von Gläubigern und Finanzbehörden ab. 67 Ähnlich Götz, AG 84, 85, 86 ff und jüngst Geßler in: FS Meilicke, 1985, S. 18 ff zum Problem des § 58 AktG im Konzern; a. A. Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 409. 68 Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 380 ff und Heinsius, a. a. O. (Fn. 4), S. 394 haben generelle Bedenken gegen die ausdehnende oder restriktive Interpretation oder gar entsprechende Anwendung von Zuständigkeitsnormen. Soweit es dabei um den Schutz Dritter geht, um das „rechtli-

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eine Toleranzgrenze überschritten sein, ehe das System unter Anpassungsdruck gerät. Aber auch dann bleibt noch zu erwägen, ob der Anpassungsdruck stark genug ist, um die Sicherheit einfacher Lösungen – der Vorstand leitet alles und vertritt unbeschränkt – zugunsten zwar funktional angepaßter, aber eben auch weniger sicherer Lösungen aufzugeben69. In diesem Zusammenhang ist es zweckmäßig, sich noch einmal die Organisationsstruktur der GmbH vor Augen zu stellen. Dort wird das Hierarchieprinzip durch Maßnahmen konzernrechtlicher Art nicht [841] ernsthaft tangiert: die Gesellschafterversammlung kann auf Konzernbildung fördernd, hindernd oder gestaltend Einfluß nehmen; und sie kann alle Maßnahmen der Konzernleitung sowie alle Maßnahmen in den Konzerngesellschaften durch entsprechende Beschlüsse bindend beeinflussen. Diese einfache Lösung scheitert in der Aktiengesellschaft am Enumerationsprinzip; doch wird aus dem Beispiel GmbH deutlich, daß die im Aktienrecht festgestellte Möglichkeit der Veränderung von Einflußzonen mitnichten einem materiellen Prinzip des Gesellschaftsrechts entspricht. Nimmt man daher die materielle Verteilung von Zuständigkeiten und Einflußbereichen im Aktienrecht ernst und sieht man die offene Flanke des Konzerns; erkennt man den Konzern als selbstgeschaffene, neue Organisationsform der Wirtschaft und sieht man, daß er, wie andere selbst geschaffene Organisationsformen der Wirtschaft auch (z. B. GmbH & Co. KG), erst in das Gefüge der Rechtsformen eingebunden werden muß70, dann hat die Notwendigkeit einer Anpassung jedenfalls mehr Argumente für als gegen sich. Hat man das aber akzeptiert, so steht als Rechtsfolge dieser Anpassung eine Zuständigkeit der Hauptversammlung außer Frage: Als Hauptversammlung der Konzernobergesellschaft, deren reguläre Zuständigkeiten im Konzern verblassen, übernimmt sie – nicht anders als Vorstand und Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft auch – die bislang offene Position eines „Konzernorgans“ für Grundsatzfragen. Damit aber ist noch nicht gesagt, welche Zuständigkeiten ihr im einzelnen zuwachsen. Denn die schlichte Herstellung eines gedanklichen status quo ante, des – einst – konzernlosen Zustands, ist gerade nicht möglich. Die Lösung muß dache Können“, hat das gute Gründe für sich (vgl. auch Art. 9 der 1. EG-Richtlinie und die engen Grenzen der Rechtsfigur vom „Mißbrauch der Vertretungsmacht“, BGHZ 50, 112). Hier aber geht es um das korporationsinterne „Dürfen“. In diesem Bereich kann ich keinen Grund erkennen, der den allgemeinen Regeln der Interpretation und Rechtsanwendung entgegenstehen könnte. 69 Das genau ist auch der Hauptansatzpunkt mancher Kritik an der Entscheidung des BGH: „Unpraktikabel“, will sagen schwierig und unsicher in der jeweiligen Entscheidung des Einzelfalls; so insbes. Beusch (oben Fn. 5), Heinsius (oben Fn. 4), Semler (oben Fn. 6) und Werner (oben Fn. 6). 70 Man denke nur an den großen Anpassungsbedarf, der vom Sein der Publikums-KG ausging, und an die vielen Rechtsentscheide, die erforderlich waren, sie in sachgerechter Weise dem System unserer normierten Rechtsformen einzubinden. Vgl. dazu Krieger in diesem Bande sowie die Arbeiten von Hopt (Gutachten) und Mertens (Referat) für den 51. DJT 1976 (Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, Bd. I 1976, Bd. II 1977).

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her in einem möglichst sicheren System entsprechend dem „Sicherheitsstreben“ des Gesetzes durch Enumeration in § 119 I AktG versucht werden; und sie muß außerdem in einem System der „Gewichtigkeit“ erfolgen, das berücksichtigt, daß die Hauptversammlung in aller Regel ihre Aufgaben an nur einem Tag im Jahre erfüllen soll, § 120 I und III AktG. b) Systematisch läßt sich die im Aktienrecht eingetretene Verwerfung und die entsprechende „Leerstelle“ in der Konzernorganisation (fehlendes Grundorgan) in dreierlei Weise durch ein „Fortdenken“ des gesetzlichen Organisationsprinzips beseitigen: [842] (1) Einmal durch die Ermächtigung des Vorstands zu entsprechenden Maßnahmen von seiten des „betroffenen“ Organs Hauptversammlung; da hierdurch der Zuständigkeitsbereich auf Dauer verschoben wird, würde das – ähnlich der Ermächtigung durch genehmigtes Kapital – als Satzungsänderung zu qualifizieren sein71. Diese Lösung hat den Vorzug der Einfachheit und Klarheit, aber den Nachteil einer Art von Formelkompromiß: die Satzungen der Aktiengesellschaften müßten – wie nach Erlaß des MitbestG 1976 – einmal angepaßt werden; sodann könnte man ohne weitere sachliche Änderung gegenüber der heutigen Handhabung zur Tagesordnung übergehen. (2) Man könnte weiterhin auf den Gedanken kommen, die bisherige Zuständigkeit der Hauptversammlung um Maßnahmen im Konzern einfach zu „verlängern“ und statt des an sich zuständigen Organs der Tochtergesellschaft die Hauptversammlung der Konzernobergesellschaft unmittelbar über deren Unternehmensverträge etc. entscheiden zu lassen. Eine solche Lösung wäre verfehlt72. Sie würde die im Konzern strikt durchgehaltene und vorrangige Zuständigkeit je der eigenen Organe der angeschlossenen rechtlich verfaßten Unternehmen mißachten: Auch der Konzernvorstand leitet die Tochter nicht direkt, ist – selbst im Vertragskonzern73 – nicht deren Organ; und der Konzernaufsichtsrat überwacht nicht den Vorstand/Geschäftsführer der Tochter, sondern die Leitung des Verbundes durch den Vorstand der Konzernobergesellschaft: der Konzern ist und bleibt eben de facto und de jure ein Verbund, der aus mehreren Korporationen zusammengesetzt ist. Daher muß es bei den regulären Zuständigkeiten in den

71 Erinnert sei auch an die frühere Diskussion zum Recht der Unternehmensverträge, die nach anfänglicher Unsicherheit zur Erkenntnis des Organisationsvertrages und seines satzungsändernden Charakters kam; vgl. Zöllner in: Kölner Komm. zum AktG, § 179 Rdn. 17 m. w. N. 72 Zutr. U. H. Schneider, BB 81, 249, 252; Martens, a.a.O. (Fn. 5), S. 411; Westermann, ZGR 84, 352, 372; Rehbinder, FS Coing, S. 427 f. 73 § 308 AktG erlaubt nur die Weisung an den Vorstand der Konzerntochter, nicht aber den unmittelbaren Eingriff in deren Geschäftsführung; vgl. Würdinger, a. a. O. (Fn. 62), § 308 Anm. 1 und 7 sowie Geßler, in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 308 Rdn. 8 und 26.

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angeschlossenen Korporationen bleiben; es kann nur um zusätzliche Maßnahmen auch in der Obergesellschaft gehen74. [843] (3) Möglich aber ist eine Anpassung für die verlorene Zuständigkeit der Hauptversammlung und ihre fehlende Zuständigkeit als Konzernorgan auch dadurch, daß die Hauptversammlung materiell die Entscheidungen trifft so, wie wenn sie die Zuständigkeit hätte, während der Vorstand diese Entscheidung dann förmlich vollzieht75. Eine solche Art der Anpassung mag zunächst überraschend erscheinen; und doch gebührt ihr de lege lata der Vorzug. Sie entspricht dem Ablauf beim genehmigten Kapital und ist dem Gesellschaftsrecht auch sonst vielfältig vertraut: Im GmbH-Recht gehören Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung zu den Routineangelegenheiten der Satzung; und im Aktienrecht ist die gleiche Gestaltung für das Verhältnis Vorstand-Aufsichtsrat in § 111 IV, 2 AktG ausdrücklich vorgesehen; und eine ähnliche Lösung mit noch stärkerer Bindung des Vorstands ist mit § 32 MitbestG 1976 erst kürzlich Gesetz geworden: Der Gesetzgeber hat also das uns beschäftigende Konzernproblem im Zusammenhang mit der Mitbestimmung nicht nur erkannt76, sondern als lösungsbedürftig und im dargestellten Sinne auch als lösungsfähig angesehen. Und schließlich ist an das Verhältnis Hauptversammlung-Vorstand bei Fusion und Unternehmensvertrag zu erinnern; auch dort haben wir das gleiche Entscheidungsmuster: Initiative durch den Vorstand – materielle Entscheidung durch die Hauptversammlung – Vollzug durch den Vorstand. Dieser Lösungsweg entspricht der Sache nach exakt dem Muster, nach dem der Bundesgerichtshof im Falle Holzmüller für die Ausgliederung judiziert hat. Der BGH hat sich dabei allerdings in einer unnötigen und mißverständlichen, daher auch angreifbaren77 Weise auf § 119 II AktG berufen78: Der gedankliche Ansatz beim „eigentlich“ vorhandenen, dann aber „geschrumpften“ Ermessen des Vorstands ist ein doppelter Umweg. Bei systematischer Betrachtung fehlt 74 Dieses „auch“ mag nach einem „mehr“ als im bisherigen System klingen. Aber das trifft nicht zu. Denn auch wenn (nur) der Vorstand der Obergesellschaft über die Art und Weise der Stimmabgabe in der Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung der Untergesellschaft entscheidet, so muß er doch entscheiden – und rechtlich ist das nichts anderes als die Entscheidung der Hauptversammlung: eben die Entscheidung in einem Organ der Obergesellschaft. 75 Beispiel: Die Tochtergesellschaft wird Partner eines Unternehmensvertrages; in ihrer Hauptversammlung votiert der Vorstand der Obergesellschaft nach den Regeln der §§ 293 ff AktG, 53 ff GmbHG. Er votiert aber seinerseits aufgrund eines „Erlaubnis“- oder „Ermächtigungs“-Beschlusses seiner eigenen Hauptversammlung. Vgl. hierzu bereits Lutter, FS Barz, 1974, S. 199, 212 ff und jetzt Götz, AG 84, 85, 92. 76 Sog. Kaskadenwirkung der Mitbestimmung im Konzern; näher dazu Lutter, Mitbestimmung im Konzern, 1975. 77 Vgl. nur Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 377, 384 ff; ähnlich Heinsius, ZGR 84, 383, 393 ff; Westermann, ZGR 84, 352, 363 ff und Werner, a. a. O. (Fn. 6), S. 437 ff. 78 BGHZ 83, 122, 131.

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dem Vorstand in Wirklichkeit und per se die materielle Entscheidungskompetenz. Im sachlichen Ergebnis aber ist die Entscheidung gerade unter den Aspekten einer systematischen Auslegung zutreffend. [844] IV. Die Eingriffslösung Die soeben vorgetragene systematische Problembetrachtung und ihre ebenfalls aus dem System der Zuständigkeitsverteilung in der Aktiengesellschaft entwickelte Lösung ist von zweigliedriger Struktur: Im Vergleich zum gesetzlichen Modell der Zuständigkeitsordnung in der Aktiengesellschaft führt der Konzerntatbestand zu Verwerfungen, zu einer materiell anderen Art der Zuständigkeitsverteilung. Gleichzeitig fehlt der Organisation Konzern ein Grundorgan. Das indiziert den Anpassungsbedarf in der Rechtsanwendung, um dem erkennbaren Ziel des Gesetzes, seinem Konzept der Gewaltenteilung und der bestimmten Art von Gewaltenverteilung, möglichst nahe zu kommen79. Auch der BGH nimmt zunächst einmal diese von der Literatur verschiedentlich dargestellten Verwerfungen auf, läßt sie allein aber nicht genügen, sondern denkt weiter – in Fortsetzung seiner Rechtsprechung zum Bezugsrechtsausschluß und zur Treuepflicht – in die Gefahren aus Eingriffen in die Mitgliedschaft. Nicht die Verwerfung allein ist für ihn Basis für die Anpassung, sondern nur diejenige Verwerfung, welche zugleich und darüber hinaus die Gefahren des Eingriffs in die Mitgliedschaft des Aktionärs impliziert. Damit bewegt sich der BGH einerseits auf einem ihm vertrauten Argumentationsgelände – Schutz der Mitgliedschaft –, andererseits entsteht zusätzlicher Argumentationsbedarf und entstehen zusätzliche Angriffsflächen. Denn im systematischen Ansatz war die Spannung zwischen dem Plan des Gesetzes und der Realität des Geschehens ausreichend, um Überlegungen zur Beseitigung der Spannung zu legitimieren. Hier nun muß zusätzlich ein Nachteil für die Mitgliedschaft drohen: Der Verlust an Einfluß als solcher durch den Unternehmensverbund genügt in dieser Argumentation nicht. Dennoch erscheint diese Eingriffs-Argumentation nützlich und hilfreich zum Verständnis der gesamten Frage, die hierdurch an Farbe und als Problem an Plausibilität gewinnt. Notwendig für eine entsprechende Anwendung bestimmter Normen ist sie aber nicht. Denn die vom Gesetz postulierte Gewaltenteilung in der Aktiengesellschaft ist als Basis für die Feststellung von Abweichung und die daran anschließende Suche nach einem normativen Ausgleich, einem „Fortdenken“ der gesetzlichen Lösung ausreichend. Der BGH hätte es sich argumentativ einfacher machen können. Und das gilt auch im Hinblick auf 79 Dieses Konzept ist nicht nur Organisationsprinzip, sondern auch vom Gesetz statuiertes Führungsprinzip für die großen selbstverwalteten Unternehmen des Privatrechts in unserem System: Kein Organ darf Herrschaft über die anderen erhalten.

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das von ihm akzeptierte Klagerecht des [845] Aktionärs: Das kompetenzwidrige Verhalten der Verwaltung ist dafür Grundlage genug80. Darüber hinaus hat der Eingriffsgedanke den Nachteil, daß die Ebene zur vergleichbaren Zuständigkeit der Hauptversammlung in der Einheitsgesellschaft nicht stets erkennbar ist. Das hat dann auch prompt zu dem Vorwurf geführt, nach Auffassung des BGH stünden den Gesellschaftern (Hauptversammlung) im Konzern offenbar mehr Rechte zu als in der Einheitsgesellschaft. Vor allem Beusch81, Heinsius82, aber auch Martens83 weisen darauf hin, der Aktionär sei von großen Investitionen und Desinvestitionen viel stärker „betroffen“ als von bestimmten rechtlichen oder organisatorischen Maßnahmen im Konzern. Das mag völlig richtig sein, trifft aber überhaupt nicht das eigentlich Gemeinte und sollte daher rasch wieder aus der Argumentation eliminiert werden: Es geht um Rechtsminderung, um Eingriff in das rechtliche Substrat von Mitgliedschaft und der ihr zugewiesenen Befugnisse, nicht um „Verlängerung“ der Aktionärsrechte in die dem Vorstand fraglos zustehende „eigentliche“ Leitung84. Man muß daher die Überlegungen zum Eingriff mit den oben entwickelten systematischen Argumenten verbinden: Entscheidend ist zunächst die Lücke im System der Organzuständigkeiten. Dann bekommt auch der Eingriffsgedanke seinen guten Sinn; denn tatsächlich kann die Hauptversammlung der Obergesellschaft gut und gerne auf die Mitwirkung an eher technischen Entscheidungen wie Firma, Sitz, Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln etc. verzichten. Insoweit fehlt es – trotz systematischer Nähe – am Eingriff in die Mitgliedschaft. V. Offene Fragen 1. Zustimmungsvorbehalt oder Entzug der Handlungsvollmacht (§ 119 II versus § 83 AktG) Martens85 hat mit sicherem Blick erkannt, daß die Lösung des BGH nicht mit dem übereinstimmt, was sich bei einer strikten systematischen Entsprechung ergeben würde: § 119 II AktG beläßt die Initiative beim [846] Vorstand und statuiert auch keine Folgepflicht, wie das bei § 83 II AktG und den oben dargeVgl. den BGH a. a. O., S. 135 und dazu Großfeld/Brondics, JZ 82, 589 ff. FS Werner, S. 5. 82 ZGR 84, 393. 83 ZHR 147 (1983), 377, 388 ff. 84 Es gilt ganz und gar das gleiche wie im Einheitsunternehmen: Die Hauptversammlung bestimmt über jede noch so kleine Kapitalerhöhung (z. B. zuletzt bei der Daimler-Benz AG über etwas mehr als 100 Mio. DM), die Verwaltung aber über jede noch so große Investition (die Daimler-Verwaltung über ein etwa gleichzeitig verabschiedetes Investitionsprogramm von rund 10 Mrd. DM). 85 A. a. O. (Fn. 5), S. 384 ff. 80 81

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stellten strukturellen Zuständigkeiten in der Hauptversammlung der Fall ist. Nun ist das gewiß keine Abweichung von der Praxis: Auch dort geht die Initiative in den Fällen der §§ 293, 319, 339, 361 AktG etc. stets vom Vorstand, allenfalls vom Großaktionär und jedenfalls nie von der Hauptversammlung aus. Davon abgesehen müßte Martens den BGH aber eigentlich loben; denn statt der „vollen Übertragung“ der vergleichbaren Normen mit ihren Gefahren für die Rechtssicherheit – mangelnde Vertretungsmacht des Vorstands – hat der BGH der Tatsache Rechnung getragen, daß die Vergleichsebene selbst nicht zur vollständigen Entsprechung führt – dem Unternehmensvertrag der Obergesellschaft entspricht der Unternehmensvertrag der Tochter eben nur nach dem Maße ihrer Bedeutung für das Ganze: seine Lösung berücksichtigt dieses Minus86. Die Leitung des Konzerns ist mithin etwas stärker in die Hand des Vorstands gelegt als im Einheitsunternehmen: Die Initiativen zu seiner Umorganisation liegen allein bei ihm. Das überzeugt ebenso wie die Verdichtung des Problems und seiner Lösung auf den Innenbereich der Gesellschaft; die – gewisse – Rechtsunsicherheit wird nicht auf außenstehende Dritte verlagert. 2. Das Verhältnis von Satzung und Kontrolle der Konzernbildung a) Schon früh ist erkannt worden, daß viele Konzernbildungen zugleich „faktische“ Satzungsänderungen sind, sei es wegen der faktischen Erweiterung des von der Obergesellschaft dadurch verfolgten Gegenstandes87, sei es durch die mittelbare statt unmittelbare Art der Unternehmensführung (Holding oder TeilHolding)88. Es ist daher heute zu Recht anerkannt, daß der statutarische Gegenstand der Obergesellschaft auch die in den Konzerngesellschaften rechtlich und faktisch verfolgten unternehmerischen Gegenstände mit umfassen muß89. [847]

86 Martens, a. a. O. (Fn. 5), gründet vor allem auf diese Divergenz seine Generalkritik an der „Verlängerung“ von Zuständigkeitsnormen. Mir leuchtet das nicht ein. Die Analogie zu den §§ 292, 361 AktG wäre allemal möglich gewesen; das hat die Diskussion auf dem ZGRSymposion gezeigt (ZGR 84, 412). Deren harte Rechtsfolge hätte die von den Kritikern des BGH so betonte Gefahr für die Rechtssicherheit aber deutlich erhöht. Davon abgesehen folgt die jetzige Lösung dem Gedanken: ein (etwas) geringerer Anlaß sollte auch weniger schneidige Rechtsfolgen haben; und sie gewährleistet außerdem die allgemein als so besonders wichtig angesehene (etwas) größere Flexibilität. 87 Vgl. Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze. 1980, S. 87 ff, ders., AG 80, 179 ff; E. Rehbinder, FS Coing, 1982, S. 430 ff. 88 Vgl. Timm, Konzernspitze, S. 131 ff; Duden/Schilling, AG 74, 202, 212; Lutter, Holdingprobleme, JZ 81, 216 ff. 89 Vgl. hierzu Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 267 ff. Das Problem hatte sich beim Kauf des Büromaschinenherstellers Triumph-Adler AG durch die VW AG in aller Deutlichkeit gestellt.

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Aber zugleich wurde auch erkannt, daß die Einhaltung dieser selbstverständlichen Regel keinen Schutz gegen die hier angesprochene Problematik der Zuständigkeitsminderung bietet: Sie sichert den Aktionär eines Chemieunternehmens nur davor, plötzlich mit seinem Investment (auch) im Maschinenbau beteiligt zu sein. Anerkannt ist aber inzwischen auch, daß die (nur) mittelbare statt der im Gesetz gedachten unmittelbaren Verwirklichung des unternehmerischen Gegenstandes durch Tätigkeiten in Tochtergesellschaften der statutarischen Ermächtigung bedarf90. Aber weil auch das heute geläufiger Inhalt praktisch jeder Satzung ist91, liegt auch darin ein eher formeller äußerer als ein materieller Schutz des Anlegers vor einer grundlegenden Veränderung der Unternehmensorganisation. Dennoch kann kein Zweifel bestehen, daß die Satzung die Erlaubnis zu mittelbarer unternehmerischer Tätigkeit überhaupt geben muß; und das wäre mit obiger Formel bei Veränderung der Gesellschaft von einer wesentlich selbsttätigen zu einer stark holdingmäßig organisierten Gesellschaft nicht der Fall: Das müßte klarer formuliert sein92. Fraglich aber ist sofort, ob bei einer noch weitergefaßten und ausdrücklichen Ermächtigung in der Satzung93 die konkrete Ausgestaltung dann durch die Verwaltung stets erfolgen kann. Das ist gewißlich im Prinzip so. Problematisch ist nur ein Fall nach Art von Holzmüller: die nachträgliche Veränderung in einem Schritt – sei es durch Ausgründung, sei es (in vergleichbarer Größenordnung) durch den Verkauf eines wesentlichen Unternehmensteiles und dafür den Kauf eines anderen Unternehmens als Tochter. Bei derart grundlegenden Veränderungen handelt es sich nicht mehr um „Leitung“ und Vollzug der Satzung, sondern um „Umgestaltung“ und daher um eine Grundentscheidung, die stets Sache des „Grundorgans“ ist. Davon kann auch die Satzung nicht entbinden: Auch das sieht der BGH also durchaus richtig94. Der Vorzug einer entsprechenden Regelung in der Satzung liegt dann aber darin, daß nur mehr die einfache Mehrheit (in der Sicht des BGH: entspr. § 119 II AktG), nicht aber mehr die qualifizierte Mehrheit des § 179 AktG erforderlich ist. Fehlt es hingegen an einer entsprechenden Vor-Ordnung durch die Satzung, so ist Satzungsänderung erforder- [848] lich; die beiden Beschlußgegenstände (generelle und spezielle Erlaubnis) fallen dann de facto zusammen.

90 Vgl. Kraft in: Kölner Komm. zum AktG, § 23 Rdn. 28; Eckardt in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, § 23 AktG, Rdn. 62; Timm, AG 80, 172, 179 ff; Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 389 f; Rehbinder, a. a. O. (Fn. 87). 91 Regelmäßig heißt es im Abschnitt über den Gegenstand der Gesellschaft: „Die Gesellschaft kann andere Unternehmen erwerben oder sich an ihnen beteiligen“. 92 So auch Heinsius, ZGR 84, 383, 406. 93 „Die Gesellschaft kann andere Unternehmen erwerben oder sich an ihnen beteiligen und ihren Gegenstand auch ganz oder teilweise mittelbar (als Holding) verwirklichen“. 94 BGHZ 83, 130 ff.

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3. Das Verhältnis von Mitwirkung bei der Konzernbildung zur Mitwirkung bei der Konzernleitung a) Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß der Verlust an Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung im Konzern unabwendbar ist und auch – bei sachgerechter Handhabung – durch Mitwirkung bei der Konzernleitung (sog. Konzernleitungskontrolle) nicht ersetzt werden kann. Obwohl das Verhältnis der beiden Figuren zueinander im Urteil des Bundesgerichtshofs letztlich offenbleibt95, wird der Eingangskontrolle ersichtlich ein höherer Stellenwert zugebilligt, als der Konzernleitungskontrolle: Erstere ist unabdingbar96; nur sie kann (möglicherweise) für letztere stehen. Der BGH trägt damit der Tatsache Rechnung, daß eine Lösung der im Konzern eingetretenen Verwerfungen durch ständige „Verlängerung“ von Hauptversammlungskompetenzen in die Konzerngesellschaften tatsächlich gar nicht möglich ist; man denke nur an § 58 AktG (Gewinnverwendung) einerseits und an § 122 AktG (Entlastung) andererseits: Hier ist Rechtsminderung infolge Kompetenzverlustes durch Konzernbildung praktisch unausweichlich und endgültig. Vom Eingriffsgedanken her ist daher die Legitimation durch Mitwirkung bei Schaffung des „GrundnachteilsTatbestandes“ unerläßlich; zugleich erlaubt das allein den Verzicht auf eine Konzernleitungskontrolle dort, wo später – im Konzerngeschehen – sich zwar die Rechtsminderung manifestiert (z. B. bei einer allgemeinen Satzungsänderung in der Tochter), ein Eingriff in die Substanz materiell aber nicht gegeben ist. Der Mitwirkung des Grundorgans Hauptversammlung bei Konzernbildung oder Konzernumbildung gebührt also der Vorrang vor einer reinen Konzernleitungskontrolle, d. h. der Mitwirkung nur bei Maßnahmen im Konzern97. [849] b) Damit aber bleibt das Verhältnis von Grund-Zustimmung zu den Einzelmaßnahmen im Konzerngeschehen noch zu klären. Hat sich nämlich der Konzern aufgrund von Satzung und Hauptversammlungsbeschluß entwickelt, so bleibt die Frage, ob (mittelbare) Eingriffe in die Mitgliedschaft damit ausgeglichen sind oder ob sie sich weiterhin in mittelbaren Zuständigkeiten fortsetzen. Das ist

BGHZ 83, 122 Leitsatz (e). Näher dazu Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 71 ff und AG 80, 172 ff; ähnlich Rehbinder (Fn. 87), S. 427 und (wenn überhaupt) Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 426 f. 97 In meinen ersten Überlegungen zu diesem Thema (Fusionsähnliche Unternehmensverbindungen, 1974; Teilfusionen, FS Barz, 1974) hatte ich die Vorbereitungsmaßnahmen durch Ausgliederung auf 100%ige Tochtergesellschaften noch als reine Leitungsmaßnahmen qualifiziert. Diese Meinung hatte ich mir an einem im Grunde einheitlichen Vorgang (Ausgründung auf eine 100%ige Tochter und gleichzeitige Einbringung in ein Gemeinschaftsunternehmen) gebildet. Ich gebe sie ausdrücklich auf, da man zwischen dem Gründungstatbestand und den Folgetatbeständen von Rechts wegen unterscheiden muß und nicht dem Zufall zeitlicher Koinzidenz folgen darf. 95 96

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– stets den wesentlichen Eingriff vorausgesetzt98 – tatsächlich der Fall; denn die Hauptversammlung kann sich auch in der Satzung ihrer eigentlichen Mitwirkungsrecht bei den entscheidenden Strukturmaßnahmen im Konzern ebensowenig begeben wie der Grundentscheidungen bei sich selbst, arg § 202 II AktG99. Soll also die Struktur des Konzerns durch Aufnahme fremder Partner100, durch Abschluß von Unternehmensverträgen mit Dritten oder durch die Fusion einer Konzerntochter mit einem anderen Unternehmen verändert werden, so ist Ermächtigung nur in dem Sinne möglich, wie es auch das Gesetz selbst vorsieht: Beschlußfassung in der Hauptversammlung aufgrund einer entsprechenden Vorlage der Verwaltung, Festlegung der Details und Durchführung dann im einzelnen durch die Verwaltung101. 4. Tiefenstaffelung im Konzern: Auslandssachverhalte Für die soeben behandelten Aspekte der Konzernbildung und Konzernleitung kann es von Rechts wegen keine Rolle spielen, ob es sich um Tochter- oder Enkelgesellschaften handelt. Wäre im Falle Holzmüller zwischen die Mutter- und die neue Tochtergesellschaft noch eine Zwischenholding geschaltet worden mit der Folge, daß die (heutige) operative Tochter sofort zur operativen Enkelin geworden wäre, so hätte das die Notwendigkeit der Zustimmung der Hauptversammlung nicht beeinflussen können. Das gleiche gilt entsprechend für die Konzernleitung: Aus der Sicht der Obergesellschaft ist die Frage ohne Belang, ob sich die Maßnahme in der Tochter- oder Enkelgesellschaft vollzieht wie es auch ohne Belang ist, ob sich die betreffende Konzerngesellschaft im Ausland oder Inland befindet; denn Fragen zur Kompetenz und zur Zuständigkeit der Organe einer deutschen (Ober-)Gesellschaft unterlie- [850] gen deutschem Recht102, mögen die außenwirksamen Handlungen dann auch solche sein, die ihrerseits ausländischem Recht unterworfen sind, also etwa die Kapitalerhöhung unter Aufnahme dritter Gesellschafter in einer ausländischen Tochtergesellschaft. Daher auch steht es außer Frage, daß sich ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 IV, 98 Das setzt Eingriff voraus (z. B. Änderung der Konzernstruktur durch Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens; Verlagerung eines wesentlichen Teils der Aktiva von oben nach unten durch entspr. Kapitalerhöhung) und Wesentlichkeit (dazu unten). 99 A. A. Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 394 f. 100 Die („normale“) Kapitalerhöhung bei einer Konzerngesellschaft unter Übernahme aller bzw. der anteiligen neuen Mitgliedschaften ist in der Regel keine Strukturmaßnahme; sie kann es aber sein als Teil einer Neuorganisation des Konzerns (Beispiel: die bislang kleine Tochter erhöht ihr Kapital, das die Mutter voll übernimmt und auf das sie ein Drittel ihres Vermögens in Geld oder Sachen einbringt). 101 Vgl. §§ 293, 340, 361 AktG und dazu BGHZ 82, 188 (Hoesch). 102 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 814 f.

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2 AktG nicht nur auf eine Maßnahme in einer Inlandstochter103, sondern auch auf eine ausländische Tochtergesellschaft beziehen kann104. 5. Umfang der Kontrolle („schwerwiegende“ Maßnahmen) Will man den Umfang dieser Hauptversammlungszuständigkeit in Fragen der Konzernbildung und Konzernführung außerhalb der allgemein notwendigen Ermächtigung in der Satzung105 – Erwerb und Gründung von Tochtergesellschaften, Holdingfunktion – feststellen, so muß man zum Ausgangspunkt der Überlegung zurückkehren: Der Unterscheidung von Maßnahmen der Leitung und Strukturentscheidungen. a) Strukturentscheidung meint nicht die Gründung einer Tochter für eine spezielle oder neue unternehmerische Aufgabe – mag sich diese auch vielleicht in Zukunft zu einem wesentlichen Teil des Unternehmens entwickeln. Strukturentscheidung meint: Maßnahmen, die zwar nicht den Tatbestand der §§ 339 ff (Fusion), 361 (Vermögensübernahme), 362 ff (Umwandlung) oder des § 186 IV AktG (Bezugsrechtsausschluß; Eintritt neuer Gesellschafter) erfüllen, solchen Vorgängen aber jedenfalls sehr nahestehen106. Im Holzmüller-Fall ging es immerhin um 60% des Gesamtvermögens, im Falle Löwenbräu107 um ein Drittel, bei Thyssen108 um mehr als 50% der Bilanzsumme. Die Vergleichsebene entfällt auf jeden Fall, wenn die Relation 10% unterschreitet109. Insgesamt mag es sich als richtig erweisen, die Grenzlinie bei etwa 20-25% der Aktivseite der Bilanz zu sehen, wobei allerdings eine gewisse Kumulation in der [851] Zeit berücksichtigt werden muß110. Trotz dieser Anhaltspunkte sollte man mit Zahlen vorsichtig sein; denn diese selbst wie ihre Bildung können sich in gefährlicher Weise dem Zufall nähern: Geht man (nur) von den Bilanzwerten in der Konzernobergesellschaft

103 Würdinger, Großkomm. AktG, § 308 Anm. 5; Lutter, FS Fischer, 1979, S. 419 ff; Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 419. 104 Beispiel: Bestellung des président-directeur général oder des general managers in einer Auslandstochter; Investitionsvorhaben von mehr als 10 Mio. Dollar im Ausland; etc. 105 Dazu oben V, 2. 106 Bewußt habe ich daher schon früher von „Teilfusionen“ gesprochen; vgl. FS Barz, 1974, S. 199 ff. Vgl. dazu jetzt auch Götz, AG 84, 85, 91 f. 107 Bei der Ausgründung der Monachia Grundstück AG aus der Löwenbräu AG ging es um ca. 33% der Bilanzsumme; vgl. Erläuterungen zur Tagesordnung für die 103. ordentliche HV der Löwenbräu AG am 24. 5. 1982. 108 Geschäftsbericht Thyssen ’83, S. 54/55. 109 So schon in FS Barz, S. 214. 110 FS Barz, S. 215. Ebenso Eisenberg, The Structure of the Corporation, Boston 1976, S. 273 f.

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aus111, so hängt vieles vom Zufall des Erwerbs- oder Gründungszeitpunkts der betreffenden Konzern-Tochtergesellschaft ab; geht man vom Verhältnis der Aktivseiten beider Gesellschaften oder dem Verhältnis ihrer Ertragszahlen aus, so kann ein besonders wichtiger „Investitionsschub“ das Bild verfälschen. b) Ist der Konzern aufgrund entsprechender Satzungsermächtigung und der etwa erforderlichen Zustimmung der Hauptversammlung gebildet, so gibt es eine legitimierte Konzernleitung; von dieser müssen Entscheidungen getroffen werden, die „an sich“ Sache der Hauptversammlung wären (von Wahlen der Aufsichtsräte und Bestellung der Wirtschaftsprüfer bis zur Gewinnverwendung in den Konzernuntergesellschaften), die aber zur regulären Führung des Konzerns gehören. Das trifft, wie festgestellt, auch auf eine ganze Reihe von Satzungsänderungen (Firma und Sitz, Fusion mit einer anderen Tochter, Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln) zu, nicht mehr jedoch auf solche, welche die Konzernstruktur entscheidend verändern oder in die Mitgliedschaft eingreifen. Im ersteren Fall geht es wieder um wesentliche Strukturänderungen, also um die Veränderung des Konzernbildes, des Objektes, in das der Aktionär investiert hat112. Diese grundlegende Änderung unterliegt der gleichen Kontrolle wie die Konzernbildung, ist nicht Konzernleitung, sondern Konzernstrukturmaßnahme. Schwieriger ist die Frage dort, wo zwar der Eingriff in die Mitgliedschaft gegeben, die Schwelle des „schwerwiegenden“ aber nach Art und Struktur der betreffenden Maßnahme nicht erreicht ist (Kapitalerhöhung bei einer Tochtergesellschaft, die im Gesamtbereich des Konzerns nicht „wesentlich“ ist). Ist der Konzern statutarisch legitimiert, so handelt es sich um übliche, häufige und notwendige Maßnahmen in dieser Organisation; es geht daher um „Leitung“, nicht um „Struktur“, mag diese Leitung auch theoretisch mit einem „Eingriff“ verbunden sein. Hier entfällt also die Mitwirkung der Hauptversammlung der Konzernobergesellschaft. [852] 6. Eingriff Strukturmaßnahmen bei Bildung oder Umbildung des Konzerns sind leicht erkennbar; in den Untergliederungen des Konzerns sind sie oft förmliche Hauptversammlungs-/Gesellschafterversammlungs-Angelegenheiten; im übrigen werden sie an ihrer strukturellen Nähe zu Fusion, Umwandlung oder Vermögensübertragung deutlich. Schwieriger erscheint zunächst der Eingriffsgedanke des BGH. Tatsächlich deckt er sich sehr weitgehend mit dem Kompetenzverlust bei 111 Also von einem Verhältnis des dort angesetzten Wertes der Tochtergesellschaft zur gesamten Aktivseite. 112 Beispiel: VEBA trennt sich von ihren gesamten Ölinteressen, BAYER von seiner Pharma-Sparte. Wie hier auch Westermann, ZGR 1984, 352, 373, der von der „Anlageentscheidung“ des Aktionärs ausgeht.

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den Mitverwaltungsrechten der Hauptversammlung und damit den soeben angesprochenen Strukturmaßnahmen. Entscheidend aber dürften in der Betrachtung des BGH darüber hinaus die Vermögensrechte sein; und hier liegen die schon oft angesprochenen Probleme der Beteiligung (Bezugsrecht)113 und des Gewinnanspruchs auf der Hand: Gerade über den letzteren befindet nach §§ 58 AktG, 29 GmbHG der Konzernvorstand in den Konzern-Untergesellschaften – ob und inwieweit er dabei gebunden ist an diese Regeln114 oder das Recht zu eigener Rücklagenbildung hat, ist inzwischen außerordentlich streitig115. Das gilt auch für Kapitalerhöhungen und Bezugsrechte116 dort, wo sie mit einer Strukturentscheidung verbunden sind – sei es, daß wesentliche Teile der Aktiva der Gesellschaft „nach unten“ verlagert, sei es, daß in einer für den Konzern wesentlichen Tochter dritte Gesellschafter aufgenommen werden sollen. Denn der Rechtsgedanke aus § 186 AktG ist eben auch die Garantie, vor [853] anderen im eigenen Unternehmen – und das sind die Gliedgesellschaften auch – investieren zu können117. VI. Schlußbetrachtung 1. Die Verbindung von Unternehmen und ihre Verdichtung zum Konzern hat sich als flexible und anpassungsfähige Form der Organisation von Unternehmen ungemein bewährt. Nicht um Zweifel daran oder gar um ihre Abschaffung

113 Beusch, FS Werner, S. 5 bezeichnet Kapitalmaßnahmen als „Beschlüsse rein formeller Art“: Ich vermag ihm da nicht zu folgen. Was wohl ist weniger „formell“ und mehr „materiell“ als die Mitgliedschaft in einem Verband und das Vorrecht, in diesem Verband mit gleicher materieller Beteiligung Partner zu sein und zu bleiben? Das sehen Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 412 ff und Westermann, ZGR 84, 375 f genauso. Und auch Götz (AG 84, 87 ff) läßt im Ansatz daran keinen Zweifel und nimmt nur an, eben diese (mittelbare) Beteiligung auch an den Konzerngesellschaften sei beim Konzernvorstand im Interesse der Aktionäre in besten Händen. Das sieht § 186 AktG allerdings anders, und das sieht sogar das brasilianische Aktienrecht anders, das in seinem Art. 253 ausdrücklich ein Bezugsrecht der Aktionäre der Obergesellschaft bei 100%igen Tochtergesellschaften dann stipuliert, wenn der Konzernvorstand diese Aktien für die Konzernobergesellschaft nicht übernehmen will: und nur davon ist in diesem Zusammenhang die Rede. 114 Eingehend dazu Götz, AG 84, 86 f, 93 f und Geßler, FS Meilicke, 1985, S. 18 ff je mit weitreichenden Vorstellungen zum Schutze der Aktionäre; auch schon Lutter, FS Westermann, 1974, S. 361 ff. 115 Vgl. Fn. 114. Aus jüngster Zeit weiter dazu Werner, in dieser FS sowie Thomas, ZGR 85, 365. 116 Vgl. die ganz unterschiedlichen Positionen gerade zu dieser Frage von Martens, a. a. O. (Fn. 5), S. 411 ff und Westermann, a. a. O. (Fn. 6), S. 381, die die Auffassung des BGH zu diesem Aspekt akzeptieren, während Götz, a. a. O. (Fn. 114), S. 87 sie in anderen Aspekten für diskutabel, gerade beim Bezugsrecht aber für unzutr. hält. 117 Vgl. nochmals dazu Art. 253 des brasilianischen Aktienrechts, abgedruckt in ZGR 79, 608, 620.

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geht es118, sondern um die Einbindung dieser „Unternehmensform ohne Rechtsform“ in die Zuständigkeitsordnung des Aktienrechts: Nur diese, auf Verteilung der Organzuständigkeiten („Gewaltenteilung“) beruhende Ordnung wird vom Konzern empfindlich gestört – ganz anders als die einfache, weil schlicht hierarchische Ordnung der GmbH. 2. Mit gutem Grund hat der Bundesgerichtshof daher für wesentliche strukturelle Änderungen die Mitwirkung der Hauptversammlung verlangt. Systematische Überlegungen zeigen, daß das mit einer entsprechenden Anwendung der Normen des Aktienrechts hätte begründet werden können. Die Einbindung der Anpassung in § 119 II AktG ist demgegenüber ein Minus; dieses Minus hat den Vorzug erhöhter Flexibilität und schützt Dritte vor Unklarheiten aus den Binnenbeziehungen im Konzern. Das rechtfertigt die Übernahme der Rechtsfolge aus § 119 II AktG119; Rechtsgrund aber ist nicht ein „geschrumpftes Verwaltungsermessen“, sondern die Wiederherstellung der vom Gesetz gedachten, also normativen und auch nicht dispositiven Kompetenzordnung in der Aktiengesellschaft. 3. Die Satzung muß die Möglichkeit der Beteiligung an anderen Unternehmen eröffnen. Ist das geschehen, so sind die üblichen Vorgänge des Erwerbes und der Gründung von Tochter- und Enkelgesellschaften als Maßnahmen der Konzerngründung und Konzernleitung gedeckt und bedürfen keiner Mitwirkung der Hauptversammlung. 4. Wird der Rahmen von (3) überschritten und soll die Aktiengesellschaft daher ganz oder zu einem erheblichen Teil zur Holding werden (können), so kann und muß das durch die Satzung (Gegenstand) gedeckt sein; denn es handelt sich um eine zwar zulässige, aber andere Art der Unternehmensleitung, als primär im Gesetz gedacht. Nimmt die opera- [854] tive Gesellschaft aufgrund einer solchen Erlaubnis der Satzung Schritt für Schritt den Holdingcharakter an, so ist das von der Satzung als alternatives Verhalten an die Verwaltung delegiert. Eine solche Satzungsbestimmung deckt aber nicht die unversehene und grundstürzende Veränderung des bisherigen „Bildes“ der Gesellschaft. Eine solche Maßnahme – sei es durch Ausgliederung, sei es durch den Kauf einer Tochter – übersteigt, wenn mehr als 20% der Aktiva des Unternehmens erfaßt sind, in jedem Falle den Charakter von Leitung und bleibt Kompetenz der Hauptversammlung: Dort genügt – da es um eine Konkretisierung der Satzung geht – als Legitimation des Vorstands die einfache Mehrheit. Schweigt die Satzung, so fallen deren Änderung und der konkrete Legitimationsbeschluß zusammen; die materiellen Regeln der Satzungsänderung sind zu beachten.

So aber die Annahme von Semler, a. a. O. (Fn. 6). Sehr zutr. spricht Rehbinder, a. a. O. (Fn. 87), S. 427 ff davon, daß es um die Wiederherstellung des Gleichgewichtes in der Kompetenzstruktur durch gleichwertige, nicht notwendig gleichartige Rechte gehe. 118 119

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5. Hat die Obergesellschaft in regulärer Form (4) den Charakter einer (Teil-)Holding angenommen, so gewinnen alle Maßnahmen im Konzern den Charakter von „Leitung“ und unterliegen keiner Konzernleitungskontrolle. Das gilt auch für Satzungs- und Strukturänderungen in den Konzerngesellschaften (soweit nicht 4), wie z. B. Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder Kapitalerhöhung gegen Einlage unter voller Übernahme des Erhöhungsbetrages. Sollen hingegen Mitgliedschaften in wesentlichen Konzernbereichen abgegeben oder gar nicht erst aufgenommen werden, so ist dazu ein Beschluß der Hauptversammlung unter den formellen und materiellen Voraussetzungen des § 186 III und IV AktG erforderlich. Im übrigen hat der Konzernvorstand die Regeln aus § 58 AktG bei seiner Leitung des Konzerns zu beachten; das ist Teil seiner Pflicht zu ordentlicher (Konzern-)Geschäftsführung, §§ 76, 93 AktG. 6. Die vom BGH und der Literatur hierzu angesprochenen Fragen betreffen nur die rechtlichen Aspekte von Bildung oder grundlegender Veränderung eines Konzerns sowie einzelne rechtliche Strukturmaßnahmen in den angeschlossenen Gesellschaften. Sie betreffen in keiner Weise geschäftspolitische Maßnahmen wie Investitionen, Entwicklung oder Aufgabe von Produkten, Vertrieb, Erweiterung oder Stillegung einzelner Werke. 7. Die Holzmüller-Entscheidung des Bundesgerichtshofs verwirklicht einen notwendigen Schritt entsprechender Anwendung geltenden Rechts auf nahestehende Sachverhalte in einer Weise, die der Praxis zwar Aufgaben stellt, ihr Können aber gewißlich nicht überfordert und also auch die Gebote der Rechtssicherheit angemessen beachtet. Die Villa Holzmüller ist also wohl gegründet und lege artis errichtet; es gibt keinen Grund, sie wieder abzureißen.

Rücklagenbildung im Konzern IN: HAVERMANN (HRSG.), BILANZ- UND KONZERNRECHT, FESTSCHRIFT ZUM 65. GEBURTSTAG VON DR. DR. H. C. REINHARD GOERDELER, DÜSSELDORF 1987, S. 327-348

I.

Das Problem Die Gesetzgebungsgeschichte Sachverhalte II. Stand der Meinungen III. Die Anwendbarkeit der Norm außerhalb der unmittelbar betroffenen AG 1. Wortlaut 2. Funktion 3. Funktion und Norminhalt IV. Rechtsfolge 1. Volle oder eingeschränkte Anwendung 2. Abgrenzung der relevanten Unternehmensverbindungen V. Einzelheiten der Rechtsfolge 1. Der Rechtssatz 2. Anwendung im Regelfall 3. Zwischengewinne und Erträge aus Ausschüttungen von Konzerngesellschaften VI. Ausländische Konzerngesellschaften VII. Die Aufgaben des Abschlußprüfers VIII. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Konzernregeln für die Rücklagenbildung 1. Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach § 256 AktG? 2. Anfechtung des Jahresabschlusses, § 257 AktG 3. Entsprechende Anwendung der §§ 258 ff. AktG (Sonderprüfung) 4. Unterlassungs- und Feststellungsklage 5. Entlastung der Verwaltung und Anfechtung des Entlastungsbeschlusses [329*] Mit seinem Bonner Vortrag und dessen Veröffentlichung hat Götz1 ein Rechtsproblem zu großer und lebendiger Aktualität gebracht, für das ich2 selbst 1. 2.

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Anm. d. Hrsg.: S. 328 ist eine Leerseite.

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zehn Jahre zuvor kaum Gehör gefunden hatte: Wie nämlich in verbundenen Unternehmen, insbesondere in Konzernen, § 58 Abs. 2 AktG zu handhaben ist. Seither hat auch Reinhard Goerdeler3, der Adressat dieses Versuchs und dieses ganzen Buches, seine Sicht des Themas vorgelegt und mir auf diese Weise die Möglichkeit gegeben, die vielen fruchtbaren Gespräche mit ihm über die Dinge des Rechts auf diese Weise fortzusetzen. Fruchtbare Gespräche aber sind selten affirmativ und meist kontrovers. Reinhard Goerdeler weiß das. So wird er verstehen und jedenfalls nachsehen, wenn ich auch an dieser Stelle das Gespräch mit ihm und anderen in dieser Weise fortsetze. I. Das Problem Die Aktienrechtsreform von 1965 – die Reform des nur dreißig Jahre alten und in seinen ersten zwanzig Jahren nicht sonderlich aktuellen AktG von 1937 – hatte die klar formulierte Aufgabe, die Gewichte im Zusammenspiel der Organe Vorstand-Aufsichtsrat-Hauptversammlung zugunsten der Hauptversammlung und der Rechte der einzelnen Aktionäre zu verschieben4. So sehr viel Bewegungsspielraum gab es da aber gar nicht; denn die autonome Befugnis des Vorstands zur Leitung der Gesellschaft (§ 70 AktG 1937, heute § 76) stand ebensowenig zur Disposition wie der Ausschluß der Hauptversammlung vom Einfluß auf die Geschäftsführung (§ 103 Abs. 2 AktG 1937, heute § 119 Abs. 2). Und auch am Recht des Aufsichtsrats konnte zugunsten der Aktionäre, ihrer Interessen, ihres Einflusses und ihrer Rechte, nichts für die Praxis wesentliches geändert werden. Um so mehr standen daher der Ertrag der Gesellschaft, seine jährliche Feststellung und seine Verwendung im Zentrum der Reformüberlegungen. Dabei ging es dann auch nicht um eine, sondern gleich um drei miteinander verbundene Fragen: Um (1) die Berechnung von Gewinn und Verlust, um (2) dessen Ausweis und um (3) dessen Verwendung. 1. Die Gesetzgebungsgeschichte Das AktG 1937 hatte der Verwaltung nicht nur das Recht und die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses, also insbesondere der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zugewiesen, sondern auch das Recht zu dessen Feststel- [330] 1 Götz, Die Sicherung der Rechte der Aktionäre der Konzernobergesellschaft bei Konzernbildung und Konzernleitung. AG 1984, S. 85 ff. 2 Lutter, Zur Binnenstruktur des Konzerns, in: Festschrift für Westermann, 1974, S. 344 ff. 3 Goerdeler, Rücklagenbildung nach § 58 Abs. 2 AktG 1965 im Konzern, WPg 1986, S. 229 ff. 4 Begr. RegE bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 14 ff.

Festschrift zum 65. Geburtstag von Dr. Dr. h. c. Reinhard Goerdeler

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lung sowie, so nahm man in dessen Gefolge an, damit verbunden auch das Recht zur Bildung offener Rücklagen5. Jedenfalls an der reinen Feststellungsbefugnis sollte sich ebenfalls nichts ändern und hat sich nichts geändert (§ 125 Abs. 3 AktG 1937, heute § 172). Aber: Für diesen Jahresabschluß des AktG 1937 galt nicht das Verbot der Bildung stiller Willkür-Reserven6; es galt aber auch keine gesetzliche Schranke für die allgemein akzeptierte Befugnis der Verwaltung zur Bildung offener Rücklagen im selbst festgestellten Jahresabschluß7: Sowohl die Art des Gewinnausweises wie die Gewinnverwendung standen nach dem AktG 1937 also voll zur Disposition der Verwaltung. Das hatte zur Folge, daß die Verwaltung – natürlich: entsprechend ertragreicher Unternehmen – nur denjenigen Betrag als Bilanzgewinn überhaupt auswies, der ihr – unter Berücksichtigung ihrer Abwägung der Interessen von Unternehmen, Aktionär und Kapitalmarkt – angemessen erschien; die Differenz verschwand entweder unsichtbar als stille Rücklage in überhöhten Abschreibungen oder aber – wenigstens sichtbar – als Zuweisung an die offenen Rücklagen. Damit waren die Aktionäre und potentiellen Anleger von der Kenntnis der wirklichen Ertragslage (wie hoch ist der „wirkliche“ Ertrag?) und von der Befugnis zur Entscheidung über die Verwendung des Gewinns ausgeschlossen. Unter dem Einfluß amerikanischer Erfahrungen (insbesondere vermittelt durch Mestmäcker8 sowie vor allem Kronstein und Claussen9 konnte man sich zunächst einmal auf das künftige Verbot stiller Rücklagen, also auf Kronsteins und Claussens „gläserne Taschen“ einigen10: Bis zum Inkrafttreten des BiRiLiG waren das die §§ 153-155 AktG, verbunden mit der Nichtigkeitsfolge aus § 256 Abs. 5 AktG. Damit war die Offenlegung der wirklichen Erträge mit der wirklichen Ertragslage geklärt. Die Verwaltung aber hatte damit zugleich ihre bisherige Befugnis zur Bildung stiller (Willkür-)Rücklagen verloren. Damit rückte die dritte und letzte Frage ins Zentrum der Diskussion, nämlich die Frage über den Fortbestand ihrer Befugnis zur Bildung – wenigstens – offener Rücklagen (Kronstein/Claussens „geschlossene Taschen“)11. [331] Und als Ergebnis dieser Diskussion kam es 5 Schlegelberger/Quassowski, Kom. AktG, 3. Aufl. 1939, § 52 Rdn. 10; Fischer, Großkom. AktG, 2. Aufl. 1961, § 52 Anm. 21. 6 Schlegelberger/Quassowski, Kom. AktG, § 129 Rdn. 23; Baumbacb/Hueck, AktG, 12. Aufl. 1965, § 133 Anm. 2) C; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kom. AktG, 1983, § 58 Rdn. 3. 7 Hefermehl/Bungeroth, Kom. AktG, § 58 Rdn. 3. 8 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958. 9 Kronstein/Claussen, Publizität und Gewinnverteilung im neuen Aktienrecht, 1960, S. 121 ff. 10 Zu den Reformberatungen s. Begr. RegE und den Bericht des Rechtsausschusses bei Kropff, Aktiengesetz, S. 237 ff.; Claussen, Kölner Kom. AktG, Vorb. § 153 Rdn. 1 ff.; Geßler, Das neue Aktienrecht, BB 1965, S. 679 ff. 11 Vgl. dazu Begr. RegE und den Bericht des Rechtsausschusses bei Kropff, Aktiengesetz, S. 74 ff. Aus der Fülle der Stellungnahmen in der Literatur seien nur genannt: Hengeler/Kreifels,

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dann zu dem geradezu klassischen Kompromiß über die Halbierung der Zuständigkeiten: 50% des Jahresüberschusses in die Kompetenz der Verwaltung, der Rest – wegen bestimmter Steuerfolgen beträgt er de facto weniger als 50% – in die Kompetenz der Hauptversammlung, § 58 Abs. 2 und 3 AktG12. Das Ergebnis der Reform in diesem einzigen, für die Position der Aktionäre wirklich relevanten Punkte war also: Pflicht der Verwaltung zum Ausweis der wirklichen Ertragslage, Entzug der Kompetenz zur Bildung stiller Rücklagen (und deren ebenso stiller Auflösung) und Teilung der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Verwendung des derart offen ausgewiesenen jährlichen Ertrags (Jahresüberschuß) unter Verwaltung (Vorstand und Aufsichtsrat, §§ 58 Abs. 2 und 172 AktG) und Aktionäre (§§ 58 Abs. 2 und 3 mit 174 AktG): Die Verwaltung darf und kann bis zu 50% des Jahresüberschusses in die freien (offenen) Rücklagen (Gewinnrücklagen) einstellen (muß es aber nicht, kann der Hauptversammlung also einen größeren Teil zur Entscheidung überlassen), die Hauptversammlung muß über den derart verbleibenden Rest des Jahresüberschusses – genannt Bilanzgewinn – entscheiden, kann und darf dabei aber ihrerseits wieder zwischen (zusätzlicher) Bildung freier (offener) Rücklagen (heute: Gewinnrücklagen, §§ 266 Abs. 3 A III und 272 Abs. 3 HGB), Gewinnvortrag oder Ausschüttung wählen. Kurz: Offenlegung der Erträge und damit der Ertragslage sowie Teilung der Zuständigkeiten über ihre Verwendung zwischen Verwaltung und Hauptversammlung war das Ergebnis dieser wirklichen und gewichtigen Reform. 2. Sachverhalte Soweit, so gut. Niemand aber dachte damals daran, daß sich im Konzern – genauer: in Aktiengesellschaften, die zugleich Konzernobergesellschaften sind –, die alte, bewußt geänderte Rechtslage de facto ganz einfach fortsetzen läßt. Das möge folgendes verdeutlichen: 120 Mio. Erwirtschaftet eine AG einen Jahresüberschuß von 60 Mio. so kann die Verwaltung davon einstellen, so daß die Hauptversammlung nach §§ 58 Abs. 3, 60 Mio. 174 AktG über zu befinden hat [332] Ist unsere AG jedoch eine Holding (z. B. VEBA, VIAG) und werden diese 120 Mio. wie folgt erwirtschaftet Absicht und Wirklichkeit im Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, und Barz, Die Feststellung der Bilanz, beides in: Hengeler (Hrsg.), Beiträge zur Aktienrechtsreform, Heidelberg 1959, S. 21 ff. und 61 ff.; Flume, Der Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, 1959, S. 7 ff.; Claussen, Zum Bilanzfeststellungsrecht der Hauptversammlung, AG 1964, S. 183 ff. 12 Auch nach dem AktG 1965 brach die Diskussion nicht ab. Vgl. dazu mit weit. Nachw. Hefermehl/Bungeroth, Kom. AktG, § 58 Rdn. 5.

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Jahresüberschuß 50 Mio. 30 Mio. 20 Mio. 20 Mio. 120 Mio. so können in diesen Töchtern nach § 58 Abs. 2 AktG mindestens 60 Mio. und – wenn die Verwaltung der Obergesellschaft in den Tochter-AGen außerdem als Hauptversammlung die Kompetenz aus § 58 Abs. 3 AktG wahrnimmt – sogar die vollen 120 Mio. als Gewinnrücklage gebildet werden. Entscheidet sich die Holding und ihre Verwaltung für folgende Einstellung in die Gewinnrücklage nach § 58 Abs. 2 AktG bei den Töchtern (1) Tochter-AG 1 20 Mio. (2) Tochter-AG 2 15 Mio. (3) Tochter-AG 3 10 Mio. (4) Tochter-AG 4 50 Mio. 50 Mio. und Ausschüttung an die Mutter im übrigen, so beträgt der Jahresüberschuß der AG in diesem Falle 70 Mio. von diesen 70 Mio. kann die Verwaltung für die eigenen Rücklagen 35 Mio. nach § 58 Abs. 2 AktG abzweigen 35 Mio. so daß für die Hauptversammlung im hier gewählten Beispiel verbleiben bei einem „zusammengerechneten“ Überschuß von 120 Mio. Der Sachverhalt verschärft sich naturgemäß in dem Maße, in dem der Konzern tiefer gestaffelt, also in Enkel- und Urenkelgesellschaften gegliedert ist. Und er verschärft sich erst recht, wenn in den Tochter-AGen die Kompetenz der Verwaltung nach § 58 Abs. 2 S. 2 AktG erweitert wurde oder die Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH oder der KG geführt werden13. Damit verfügt die Verwaltung einer AG als Konzernobergesellschaft de facto nach wie vor über den gleichen Spielraum zur Bildung jedenfalls offener Rücklagen (Gewinnrücklagen), wie wenn der Kompromiß des § 58 Abs. 2 AktG im Jahre 1965 nicht stattgefunden hätte14. 3. Von diesen Sachverhalten her wird das Problem, wenn ich richtig sehe, nicht in Frage gestellt15. [333] (1) Tochter-AG 1 (2) Tochter-AG 2 (3) Tochter-AG 3 (4) Tochter-AG 4

13 Vgl. nur § 29 Abs. 2 GmbHG: „Gesellschafter“ ist de facto der Vorstand der Obergesellschaft-AG. Und gleiches gilt erst recht im KG-Recht. 14 Vgl. Lutter, FS Westermann, a.a.O. (Fn. 2), S. 352 f.; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 90 f.; Hefermehl/Bungeroth, Kom. AktG, § 58 Rdn. 8; Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, Tz. 1282. 15 Werner, Gewinnverwendung im Konzern, in: Festschrift für Stimpel, 1985, S. 935 ff., 940 f.

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II. Stand der Meinungen 1. Es waren Sachverhalte dieser Art, die den Bundesgerichtshof in der berühmten Holzmüller-Entscheidung dazu gebracht haben, den Aktionären Einfluß auf die Konzernbildung einzuräumen16. Das mag hier dahinstehen. Götz17 aber hat sich mit der Entscheidung, ihren Grundlagen und Thesen betont kritisch auseinandergesetzt und hält sie für falsch, weil – verkürzt gesagt – der BGH einem Scheinproblem erlegen sei: Konzernverwaltung und Konzernkontrolle sei für Aktionäre weder ein Rechtsproblem noch ein faktisches Problem; wichtig und entscheidend seien für sie allein der Ertrag und ihre Anteile daran in Form der Ausschüttung; diese ihre konkreten Anteile am Ertrag in Form der Ausschüttung aber könnten im Konzern tatsächlich – wie gezeigt – verkürzt werden. Dieses Problem aber könne und müsse durch Interpretation der einschlägigen Norm, also durch konkrete Anwendung des § 58 Abs. 2 AktG gelöst werden, nicht aber auf dem Umweg über eine Konzernbildungskontrolle oder einen Einfluß der Hauptversammlung der Obergesellschaft auf Maßnahmen in Tochtergesellschaften. Die Lösung des „eigentlichen“ Konzernproblems – nämlich des Problems aus § 58 Abs. 2 AktG – sei auf dem Wege über eine entsprechende „Durchrechnung“ möglich, so daß der Betrachtung des Bundesgerichtshofes bei richtiger Anwendung der allein für den Aktionär im Konzern interessanten Norm von § 58 Abs. 2 AktG in Wirklichkeit der Boden entzogen sei. Götz18 interpretiert also „Jahresüberschuß“ in § 58 Abs. 2 AktG als „Konzernjahresüberschuß“ und „Einstellung in andere Gewinnrücklagen“ als die Summe der Einstellungen im Gesamtkonzern (in allen Konzerngesellschaften) mit der Folge, daß bei Überschreitung der 50%-Grenze der Jahresabschluß der Konzernobergesellschaft-AG nach § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG nichtig ist. 2. Nur kurze Zeit später hatte sich Geßler19 mit einer isolierten Frage aus diesem Zusammenhang zu beschäftigen; ihm ging es um das Problem, ob die Verwaltung einer Obergesellschaft im Vertragskonzern (Organschaft) berechtigt sei, Rücklagen der Organtochter zu bilden mit der Folge einer entsprechenden Reduzierung des Gewinnausweises in der Obergesellschaft. Geßler hat die Befugnis der Verwaltung zur Bildung von Rücklagen in der Tochter aus § 58 Abs. 2 AktG verneint und diese Position in einer kurz darauf erschienenen Abhandlung20 in energischer Auseinandersetzung mit Thomas21 bestätigt. Auch Geßler wendet also BGHZ 83, S. 122, 136; vgl. auch Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 952. Götz, AG 1984, S. 85, 92 ff. 18 Götz, AG 1984, S. 93. 19 Geßler, Rücklagenbildung bei Gewinnabführungsverträgen, in: Festschrift für Meilicke, 1985, S. 18 ff. 20 Geßler, Rücklagenbildung im Konzern, AG 1985, S. 257 ff. 21 Thomas, Rücklagenbildung im Konzern, ZGR 1985, S. 365 ff. 16 17

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§ 58 Abs. 2 AktG unmittelbar an mit der Folge der Nichtigkeit eines dem widersprechenden Jahresabschlusses der Obergesell- [334] schaft nach § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG22, beschränkt allerdings diese unmittelbare Anwendbarkeit von § 58 Abs. 2 AktG auf den Vertragskonzern23. 3. Die Gegenmeinung ließ nicht auf sich warten; sie wird heute vor allem vertreten von Reinhard Goerdeler24, Thomas25, Werner26 und zuletzt H. P. Westermann27. Ihre Argumente liegen auf der Ebene derjenigen ihrer Gegner: § 58 AktG handle nun einmal von der Gesellschaft und nicht vom Konzern; für Rechtsfortbildung bestehe weder ein Grund noch sei dafür Raum28; auch habe der Gesetzgeber des AktG 1965 die Möglichkeit der Bildung von freien Rücklagen/Gewinnrücklagen in Konzerngesellschaften erkannt und gebilligt, ohne darauf Konsequenzen zu ziehen29. Und schließlich führe eine „Verlängerung“ von § 58 AktG in den Konzern und eine „Durchrechnung“ durch den Konzern zu ganz verfehlten, ja abwegigen Ergebnissen und zu großer Rechtsunsicherheit30. 4. Gerade im Hinblick auf diese Einwände gilt es in den folgenden Überlegungen zu trennen zwischen der Anwendbarkeit der Norm, ihren Rechtsfolgen und den Folgen eines Verstoßes. III. Die Anwendbarkeit der Norm außerhalb der unmittelbar betroffenen AG 1. Wortlaut § 58 Abs. 2 AktG spricht von der Feststellung „des Jahresabschlusses“, von einem „Teil des Jahresüberschusses“, von „Vorstand“, „Aufsichtsrat“ und „Satzung“. Es ist gewiß richtig, daß damit zunächst einmal nur die Dinge dieser AG angesprochen sind, daß es um deren Jahresabschluß und Jahresüberschuß geht und daß andere Gesellschaften, mögen sie der betreffenden AG noch so nahestehen, damit unmittelbar jedenfalls nicht erfaßt sind31. Es steht damit auch fest, daß die Geßler, FS Meilicke, a.a.O. (Fn. 19), S. 25 ff. Geßler, AG 1985, S. 257, 261. 24 Goerdeler, WPg 1986, S. 229 ff. 25 Thomas, ZGR 1985, S. 365 ff. 26 Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 935 ff. 27 H. P. Westermann, Grundfragen der Rechtsfortbildung im Aktienkonzernrecht, in: Festschrift für Pleyer, 1986, S. 421, 437 ff. 28 Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 940 ff., 950; Goerdeler, WPg 1986, S. 233 ff.; H. P. Westermann, FS Pleyer, a.a.O. (Fn. 27), S. 441 f. 29 Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 941 ff. 30 Thomas, ZGR 1985, S. 379 ff., 383. 31 Zutr. Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 941 f. 22 23

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Hauptversammlung der Obergesellschaft keine unmittelbaren eigenen Kompetenzen in den Tochtergesellschaften hat, nicht ihrerseits – jedenfalls nicht direkt – über deren Ergebnis und seine Verwendung (mit-)entscheidet. [335] 2. Funktion Ist die Funktion einer Norm klar – und über die Kompetenzverteilung zwischen Verwaltung und Hauptversammlung bezüglich des ganzen Ertrages der AG, der durch keine freiwillig gebildeten Rücklagen zuvor geschmälert wurde, kann es keinen ernsthaften Zweifel geben –, führt ihre unmittelbare Anwendung aber – je nach Sachlage – nicht zu dem gedachten Ziel, so ist damit die Aufgabe des Rechtsanwenders nicht etwa abgeschlossen, sondern sie beginnt überhaupt erst. Würde man unser Geflecht von Normen ohne Berücksichtigung des mit ihnen Gewollten anwenden, gewissermaßen losgelöst von den Aufgaben, die sie „eigentlich“ zu erfüllen haben, die Jurisprudenz erläge rasch der Gefahr, in Zufall und damit Willkür zu versinken. Und an der Richtigkeit dieses Ansatzes für das Verständnis und die Auslegung von Normen bestand kein Zweifel, lange ehe von „Rechtsfortbildung“ die Rede war32. Daher ist es nicht die Frage, ob man eine Norm zu Ende zu denken hat, sondern wie das, in welchem Umfange und in welchen Grenzen diese Interpretation geschehen kann und muß. 3. Funktion und Norminhalt a) Tochtergesellschaften einer AG als Obergesellschaft sind dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen Vermögen dieser Obergesellschaft (Beteiligung) unternehmerisch, also mit dem Ziel der Erwirtschaftung unternehmerischer Erträge angelegt ist, und daß die Verwaltung dieses Vermögens dem unternehmerischen Einfluß der AG-Obergesellschaft („einheitliche Leitung“, § 18 AktG!) unterliegt im Rahmen und bis zu den Grenzen, welche die Rechtsordnung im Hinblick auf die 32 Geradezu klassisch für diese Aufgabe der Jurisprudenz ist das Beispiel der „eigenhändigen“ Testamente nach § 2247 BGB. Viele durch den 1. Weltkrieg Versehrte lernten, mit dem Mund oder mit den Füßen zu schreiben. Waren ihre Testamente nichtig? Denn eigenhändig waren sie gewiß nicht. Lehre und Rechtsprechung haben das zunächst angenommen, bis Fritz von Hippel, Formalismus und Rechtsdogmatik, 1935, dem ein Ende machte, indem er an die Interpretationsbedürftigkeit jeder Norm und die Funktion der Norm als Interpretationsmittel erinnerte. Vgl. im übrigen zum Verhältnis von Interpretation zu „Rechtsfortbildung“ Engisch, Subsumtion und Rechtsfortbildung, in: Festschrift 600 Jahr-Feier Heidelberg 1986, S. 3, 8 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 428 ff., 472 ff. sowie MayerMaly, Über die der Rechtswissenschaft und der richterlichen Rechtsfortbildung gezogenen Grenzen, JZ 1986, S. 557 ff.

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rechtliche Selbständigkeit der Konzerngesellschaften, deren Gläubigern und deren etwaigen Minderheitsgesellschaftern setzt (z. B. §§ 311 ff. AktG). Aber diese Schranken sind hier nicht das Thema. Fraglos handelt es sich um – ausgegliedertes – Vermögen der Obergesellschaft; und fraglos ist der Einfluß der Obergesellschaft und ihrer Organe: Gerade das macht die Beteiligungsgesellschaft zur Konzerngesellschaft, § 18 AktG. Wenn [336] es sich mithin um ausgegliedertes unternehmerisches Vermögen der AG-Obergesellschaft und somit auch um deren – ausgegliederte – Erträge handelt, und wenn die Verwaltung darauf – fraglos – Einfluß hat und es – von Ausnahmen abgesehen – ihrer Entscheidung unterliegt, was mit diesen Erträgen geschieht, wie soll dann jedenfalls der Rechtsgedanke des § 58 Abs. 2 AktG, der über den unmittelbaren Ertrag der AG und über die Zuständigkeit zu seiner Verwendung bestimmt, nicht anwendbar sein? Die Parallelität der Erscheinungen, die Identität mit der Funktion aus § 58 Abs. 2 AktG liegt offen auf der Hand: Es geht um Erträge aus dem unternehmerischen Vermögen dieser AG; und es geht um den Einfluß der Organe dieser AG auf ihre Verwendung. Wo läge die Erklärung dafür, daß die Verwaltung die offen zu Tage liegende Funktion der Norm mißachten dürfte, nur weil sie dieses Vermögen der AG nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar verwaltet? b) Nun stehen Recht und Rechtsordnung unter der Souveränität des Gesetzgebers, soweit – und davon kann hier keine Rede sein – verfassungsrechtliche Grenzen nicht angesprochen sind. Der Gesetzgeber des Jahres 1965 hätte also die Konzernflanke bewußt offenlassen und damit seinen Willen insoweit einer funktionalen Interpretation entgegenstellen können. Es wäre dann immer noch die Frage, ob der Rechtsanwender an einen solchen ggf. funktionswidrigen, mithin zur Ungleichheit führenden gesetzgeberischen Willen gebunden wäre. Aber es wird sich zeigen, daß sich die Frage so nicht stellt. Werner33 weist zu Recht darauf hin, daß die alten Vorschriften des AktG 1965 zum Jahresabschluß durchaus erkennen lassen, daß auch abhängige Konzerngesellschaften freie Rücklagen bilden können; und daran hat auch das BiRiLiG nichts geändert. Ebenso ergibt sich aus § 301 AktG, daß selbst in Unternehmensverträgen mit Gewinnabführungspflicht die abhängige Gesellschaft jedenfalls von Gesetzes wegen nicht gehindert ist, freie Rücklagen zu bilden. Insofern ist das rechtliche Können gewiß gegeben. Aber damit ist ja nicht entschieden, ob das in beliebiger Weise geschehen darf, noch ist entschieden, ob das ohne Rückwirkung auf die Rechtsmacht der Verwaltung der Obergesellschaft aus § 58 Abs. 2 AktG bleibt: Der Gesetzgeber des Jahres 1965 ist eben in seinen Lösungen stets von der Einzelgesellschaft ausgegangen, hat gewisse Einflüsse auf die Untergesellschaft bedacht und geregelt, die Rückwirkungen von Unternehmensverbindungen auf 33 Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 941 ff.; ebenso H. P. Westermann, FS Pleyer, a.a.O. (Fn. 27), S. 441 f.

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die Obergesellschaft aber nicht berücksichtigt; das habe ich in vielen Einzelaspekten bereits aufgezeigt34; und es wird gerade in unserem Zusammenhang auch von Geßler bestätigt35. [337] Obwohl also die Untergesellschaften Rücklagen bilden können und obwohl diese Tatsache im Text von § 58 Abs. 2 AktG keine Spuren hinterlassen hat, ist eine negative Sperre seitens des Gesetzgebers nicht erkennbar. Die Normen stehen unverbunden nebeneinander, und es ist, wie so oft, die Aufgabe des Rechtsanwenders und Interpreten, die „scheinbare“ Unausgewogenheit der Normen dort, wo sie miteinander in Kontakt treten, aufzulösen. c) Nun wendet Werner36 gegen den Versuch einer Interpretation des § 58 Abs. 2 AktG aus seiner Funktion und seinem Zusammenhang mit anderen Normen noch ein, es bestehe kein Bedarf, es werde gewissermaßen ein Scheinproblem traktiert; denn in der Praxis habe keine Obergesellschaft versucht, ihre Aktionäre auf solche Weise „auszuhungern“. Das mag durchaus so sein und gewiß sind weder Grund noch Anlaß dieser Überlegungen irgendwelche mir bekannten „Missbräuche“. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Gewiß, die §§ 58 Abs. 2 und 153-155 AktG a. F. (heute §§ 252 ff. HGB) haben auch den Sinn, ein „Aushungern“ von Aktionären zu verhindern. Aber diese Normen gehen weit darüber hinaus; sie sichern der Hauptversammlung im Bereich der Innenfinanzierung ein Mitspracherecht; denn es gibt ja nicht nur die Alternative der Ausschüttung – wie in diesem Zusammenhang oft unterstellt wird –, sondern auch die der weiteren Rücklagenbildung (§§ 58 Abs. 3, 174 AktG). In diesem Aspekt der FinanzierungsMitentscheidung liegt die mindestens gleiche Bedeutung der Norm wie in ihrer Sicherung von ausschüttungsfähigen Mitteln für die Hauptversammlung und die Aktionäre. Jede Einbehaltung von Erträgen – also nach allen Abschreibungen und Risikovorsorgen – ist zusätzliches Investment. Dieses darf die Verwaltung zu 50% der jährlichen Erträge (Jahresüberschuß) beschließen – und muß sich dafür noch nicht einmal den steuerlichen Mehraufwand anrechnen lassen. Nur über den verbleibenden Rest trifft die Hauptversammlung die Entscheidung über Ausschüttung, Gewinnvortrag oder (zusätzliche) Einstellung in die Gewinnrücklagen. d) Diese gesetzgeberische Lösung aus der Verteilung von Einfluß und Macht unter den Organen der als „groß“ gedachten Aktienunternehmung drängt geradezu auf Anwendung im Konzern; denn anders wäre sie „unehrlich“, wäre Scheinlösung: Und das kann der Interpret einer offenen, in ihrem Verständnis – wie festgestellt – gerade nicht „gesperrten“ Norm vom Gesetzgeber als den von ihm 34 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1984, S. 40 ff.; ders., Zur Wirkung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG auf nahestehende Gesellschaften, in: Festschrift für Fischer, 1979, S. 419 ff. 35 Geßler, FS Meilicke, a.a.O. (Fn. 19), S. 18 ff. und AG 1985, S. 257 ff. 36 Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 946.

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gewollten Norminhalt nicht annehmen. Anders gewendet: Wer glaubt, § 58 Abs. 2 AktG restriktiv nur auf die Einzelgesellschaft interpretieren zu können, müßte dem Gesetz und dem Gesetzgeber mindestens Resignation, wenn nicht gar Zynismus unterstellen; denn die als Zentrum der damaligen Reform gedachte und zwingende Norm stünde in Wirklichkeit zur Disposition der – durch eben diese Reform – in ihren Befugnissen insoweit eingeschränkten Verwaltung. [338] e) Das „Ob“ der Anwendbarkeit von Funktion und Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 AktG im Konzern kann daher nicht in Frage stehen. IV. Rechtsfolge 1. Volle oder eingeschränkte Anwendung Entscheidend ist damit das „Wie“ der Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG, seiner Regeln und seiner Funktion im Konzern. Zwei Möglichkeiten sind dafür bislang vorgetragen worden: Die unmittelbare Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG in Form einer direkten „Durchrechnung“ mit unmittelbarem Einfluß auf den Jahresabschluß der AG-Obergesellschaft und dessen Gültigkeit einerseits37, die mittelbare Anwendung unter Restriktion des Norminhaltes des § 58 Abs. 2 AktG von einem von Rechts wegen „Nicht-anders-Können“ auf ein „Nicht-anders-Dürfen“ andererseits38. Während die erstere Auffassung lehrt, daß Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluß der Konzernobergesellschaft nicht anders als unter Beachtung des Konzernsachverhaltes feststellen können (wenn anders der Jahresabschluß nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG nichtig sein soll), lehrt letztere, daß Vorstand und Aufsichtsrat der Obergesellschaft zwar diesen Jahresabschluß ohne – korrekte – Beachtung des Konzernsachverhaltes wirksam feststellen können, aber es nicht dürfen, wollen sie nicht ihre Pflichten zu korrekter Geschäftsführung, Überwachung und Rechnungslegung aus den §§ 76, 93, 111, 116 AktG, 242 ff., 264 HGB verletzen. Das letztere scheint mir nach wie vor und trotz der erkennbaren Schwächen des hierdurch zurückgenommenen Rechtsbefehls (erheblich schwächere Rechtsfolgen) in Methode und Ergebnis richtig zu sein. Richtig, weil jedes „NichtKönnen“ als Anordnung einer Norm auch das „Nicht-Dürfen“ gegenüber dem Normadressaten (Vorstand und Aufsichtsrat) zum Inhalt hat. Richtig aber auch, weil im gesetzlichen Modell das „Nicht-Können“ mit seiner notwendigen Rechtsfolge der Nichtigkeit einer dennoch getroffenen abweichenden Maßnahme (Fest37 Götz, AG 1984, S. 93 f.; Geßler, FS Meilicke, a.a.O. (Fn. 19), S. 26 ff. und AG 1985, S. 259, 261. 38 Lutter, FS Westermann, a.a.O. (Fn. 2), S. 347, 361 ff.; Hefermehl/Bungeroth, Kom. AktG, § 58 Rdn. 8.

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stellung des Jahresabschlusses unter Missachtung der Grenzen von § 58 Abs. 2 AktG) auf dem Hintergrund eines zunächst einmal vergleichsweise einfachen Sachverhaltes steht: Der Jahresüberschuß laut – geprüfter – Gewinn- und Verlustrechnung für den Normalfall des § 58 Abs. 2 Sätze 1 und 4 AktG sowie ggf. die in der – geprüften – Bilanz ausgewiesenen offenen Gewinnrücklagen für die erweiterte Befugnis nach § 58 Abs. [339] 2 Sätze 2-4 AktG ergeben einfach, sofort und fraglos den Rahmen des „Könnens“ der Verwaltung. Dieses Modell ließe sich auf relativ einfache und klare Konzernsachverhalte, also die Eingliederung, den Organschaftsvertrag und den (isolierten) Gewinnabführungsvertrag noch übertragen; denn – von den Problemen unterschiedlicher Geschäftsjahre einmal abgesehen – stehen hier die relevanten Voraussetzungen des Konzerntatbestandes (§ 18 Abs. 1 S. 2 AktG) und der Bilanzdaten fest39. Bei faktischen Verbindungen aber geht die vergleichsweise einfache gesetzliche Lösung verloren, weil schon der Konzerntatbestand mit so vielen faktischen und rechtlichen Unsicherheiten verbunden ist, daß die Nichtigkeitsfolge unangemessen wäre. Unangemessen aber wäre auch die Trennung der Rechtsfolge von Vertragskonzern und faktischem Konzern, wie Geßler40 das vorschlägt: Denn weshalb soll Osram bei Siemens von Rechts wegen anders behandelt werden als VEBA-Öl bei VEBA? Vom Ausgangspunkt der hier relevanten Überlegung aus – ausgegliedertes unternehmerisches und ertragbringendes Vermögen der AG unter Einfluß ihrer Organe – scheint diese Abgrenzung nicht vertretbar. Folgt man dieser Auffassung, dann ergibt sich die hier vertretene Reduktion der Rechtsfolge „Nicht-Können“ auf das „Nicht-Dürfen“ nahezu zwangsläufig. Darüber hinaus ist das „Dürfen“ flexibler als das „Können“ und wird den komplexeren Strukturen und Verwerfungen in Unternehmensverbindungen eher gerecht. Das wird am Problem der Zwischengewinne besonders deutlich41. 2. Abgrenzung der relevanten Unternehmensverbindungen a) Soeben hatten wir dargelegt, daß sich die Interpretation von § 58 Abs. 2 AktG bei Unternehmensverbindungen nicht auf Unternehmensverträge beschränken läßt. Damit aber ist die genaue Abgrenzung dieser Interpretation noch nicht geleistet: Erfaßt sie, um in der Terminologie zu bleiben, nur Konzernsachverhalte oder auch (einfache) Mehrheitsbeteiligungen und abhängige Unternehmen? 39 Das ist offenbar auch der Grund, weshalb Geßler, FS Meilicke, a.a.O. (Fn. 19), S. 26 ff. und AG 1985, S. 259, 261, insoweit die unmittelbare Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG und § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG vertritt. 40 Geßler, AG 1985, S. 261. 41 Siehe unten IV. 2.

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Maßgebend für die interpretatorische Zusammenschau von verbundenen Unternehmen im Tatbestand des § 58 Abs. 2 AktG war die Tatsache des „ausgelagerten“ Vermögens und des unternehmerischen Einflusses darauf oder, etwas verkürzt gesagt, die im wesentlichen gleiche unternehmerische Struktur bei (nur) anderer rechtlicher Organisation. Das aber setzt mehr als nur die Möglichkeit der Einflußnahme voraus, es verlangt die Beteiligung (wegen des [340] Elements „ausgelagerten“ eigenen Vermögens der AG) und es verlangt die (einheitliche) Leitung (wegen der unternehmerischen Einheit). Da letztere von außen nur schwer erkennbar ist, muß man auch hier die – durchaus widerleglichen – Vermutungen der §§ 18 Abs. 1 S. 3 und 17 Abs. 2 AktG in Anspruch nehmen. Dabei können sich gewisse Rand-Unstimmigkeiten mit dem Konzernabschluß der §§ 290 ff. HGB ergeben, da sich dort, wie bekannt, nicht die deutsche Konzernvorstellung, sondern die angelsächsische Vorstellung von den verbundenen Unternehmen durchgesetzt hat mit der Folge, daß für die Pflicht zur Einbeziehung von Unternehmen in den Konzernabschluß nicht stets die Voraussetzung des § 18 AktG erfüllt sein muß. Anders gewendet: Der Kreis der für § 58 Abs. 2 AktG relevanten, mit der betreffenden AG als Obergesellschaft verbundenen Unternehmen kann (geringfügig) kleiner sein, als die Summe der in den Konzernabschluß dieser AG einzubeziehenden Unternehmen. b) In der Konsequenz dieser Überlegungen liegt es, daß die Rechtsform der Untergesellschaft keine Rolle spielt. Der entscheidende Rechtsbefehl ist an die AG gerichtet; in welcher Form sie ausgelagertes unternehmerisches Vermögen verwaltet, kann dabei keine Rolle spielen. V. Einzelheiten der Rechtsfolge 1. Der Rechtssatz Aus den obigen Überlegungen ergibt sich der durch Interpretation gewonnene Rechtssatz: Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft als Konzernobergesellschaft dürfen nach § 58 Abs. 2 AktG im Jahresabschluß dieser AG nicht mehr an Gewinnrücklagen bilden, als sie hätten bilden können, wären ihre Konzerngesellschaften in Wirklichkeit ein unausgegliederter Teil von ihnen selbst gewesen (Fiktion der Einheit). Darüber hinausgehende Gewinnrücklagen können nur mit Zustimmung der Hauptversammlung nach §§ 58 Abs. 3, 174 AktG gebildet werden.

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2. Anwendung im Regelfall In unserem oben sub I, 2 vorgelegten Beispiel dürfte die betreffende AG als Obergesellschaft bei Beachtung des obigen Rechtssatzes selbst nur noch geringfügige eigene Rücklagen bilden: 120 Mio. Summe der Jahresüberschüsse Fiktion der Einheit und Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG darauf = Höchstbetrag der Gewinnrücklagen [341] die von den Verwaltungen 60 Mio. nach dieser Norm gebildet werden dürfen: 50 Mio. bereits gebildete Rücklagen bei den Töchtern verbleiben für die Obergesellschaft 10 Mio. Dieses Ergebnis ist auch angemessen. Denn die Obergesellschaft in diesem Beispiel ist reine Holding ohne eigene Erträge. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb ihre Verwaltung zusätzlich auch noch für die Holding Rücklage ohne Zustimmung der Hauptversammlung bilden können soll. 3. Zwischengewinne und Erträge aus Ausschüttungen von Konzerngesellschaften a) Schwieriger ist die viel häufigere Situation einer selbst unternehmerisch tätigen Konzernobergesellschaft. Denn in deren Jahresabschluß sind eigenerwirtschaftete Erträge enthalten, zugeflossene Erträge aus den Konzerngesellschaften und außerdem können in ihnen sogenannte Zwischengewinne aus Umsätzen mit eben diesen Konzerngesellschaften enthalten sein. Alles das gilt es unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von § 58 Abs. 2 AktG zu berücksichtigen. b) Die Möglichkeit zur Bildung von Gewinnrücklagen beruht stets und allein auf dem Jahresabschluß der betreffenden Gesellschaft. Der Konzernabschluß ist ein ungemein wichtiges Informationsinstrument, bildet aber selbst nicht die Basis für Entscheidungen dieser Art, also für die Frage nach Ausschüttung oder Bildung von Rücklagen42. Daher sind in diesen Einzelabschlüssen in aller Regel Zwischengewinne enthalten; sie hindern weder die Ausschüttung noch – erst recht – die Bildung von Rücklagen. Das Problem der Zwischengewinne im Konzern hat aber durchaus gewichtige Bedeutung43. Legt man nämlich die soeben sub 1 formulierte „Norm“ zugrunde, so ist die Hälfte des „Gesamt-Jahresüberschusses“ möglicherweise mehr, als im Konzern „wirklich“ verdient wurde. Im obigen Beispiel betrug die Summe der Jahresüberschüsse 120 Mio. 42 U. H. Schneider, Das Recht der Konzernfinanzierung, ZGR 1984, S. 520 f.; Thomas, ZGR 1985, S. 370 f.; anders de lege ferenda Busse v. Colbe, in diesem Band S. 61 ff. 43 Darauf weisen sowohl Werner, FS Stimpel, a.a.O. (Fn. 15), S. 939 Fn. 12 und Begr. RegE bei Kropff, Aktiengesetz S. 442 hin. Vgl. auch Busse v. Colbe, BFuP 1986, S. 367.

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die Kompetenz der Verwaltung zur Bildung von Gewinnrücklagen also und die Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung

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60 Mio. 60 Mio. 120 Mio. 20 Mio. 100 Mio.

Enthält nun der „Gesamt-Jahresüberschuß“ Zwischengewinne von so würde der „echte“ Konzernjahresüberschuß also nur betragen. [342] In diesem Falle ginge diese Entwicklung tatsächlich zu Lasten der Verwaltung, die zur Eliminierung der bilanziellen Zwischengewinne 20 Mio. 40 Mio. ansetzen und an „echten“ Gewinnrücklagen de facto nur noch zur Verfügung hätte 60 Mio. Obwohl die Verwaltung der AG nach geltendem Recht die vollen 120 Mio. durch entsprechende Ausschüttungen „nach oben“ transportieren und dort der Hauptversammlung nach § 58 Abs. 3 AktG voll zur Ausschüttung zur Verfügung stellen könnte und dürfte, wäre eine Vorweg-„Eliminierung“ dieser 20 Mio. gewiß sachgerecht. Dem kann die hier getroffene flexible Lösung der Pflichten der Verwaltung aus § 58 Abs. 2 AktG entsprechen44. Ein ähnliches Problem stellt sich für die der AG zufließenden Erträge aus Konzerngesellschaften; denn sie wandern durch die Bilanzen der Konzerngesellschaften und mehren so rechnerisch mindestens zweimal, bei Enkelgesellschaften dreimal etc. den für unsere Überlegungen jährlich durch schlichte Addition festgestellten „Konzernjahresüberschuß“. c) Zwei Lösungen kommen in Betracht: (1) In einer ersten Lösung wäre Ausgangspunkt der Konzernjahresüberschuß nach den §§ 297, 298, 275 HGB. In ihm sind Zwischengewinne eliminiert. In die Kompetenz der Hauptversammlung der Obergesellschaft müßten dann mindestens 50% dieses Betrages fallen: Soviel müßte der Hauptversammlung nach §§ 58 Abs. 2, 174 AktG vom Jahresüberschuß der AG mindestens zu eigener Entscheidung verbleiben45. Wegen des time-lags zwischen AG-Bilanz und Konzern-Bilanz können sich hier bei erstmaliger Anwendung dieses Rechtsgedankens gewisse Verwerfungen ergeben; ihnen könnte durch eine sachgerechte Zwischenrechnung der Verwaltung mit entsprechenden Erläuterungen an die Hauptversammlung durchaus Rechnung getragen werden. (2) In der zweiten Lösung verbleibt es bei der Zusammenrechnung der einzelnen Jahresüberschüsse, doch dürfte die Verwaltung mit entsprechender Begründung ein Mehr an Rücklagen konzernweit bilden, um den – insgesamt erwünschten – Übergang zu einer materiellen Betrachtung der zunächst rein rechnerischen Überschüsse zu gewährleisten. 44 Zum Problem des Konzernabschlusses als Obergrenze für eine Ausschüttung vgl. U. H. Schneider, ZGR 1984, S. 520 f.; Thomas, ZGR 1985, S. 370 f. 45 Das entspricht dem Gedanken von Busse v. Colbe, BFuP 1986, S. 367.

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Rücklagenbildung im Konzern

Diese zweite Lösung dürfte nur sinnvoll sein, wenn der Konsolidierungskreis nach den §§ 290 ff. HGB wesentlich größer ist als der Kreis von Unternehmen, der in die Gesamtbetrachtung aus § 58 Abs. 2 AktG einzubeziehen ist. Im übrigen ist der – geprüfte – Konzernabschluß die gewißlich sicherste Größe für möglichst klare Rechtsfolgen aus § 58 Abs. 2 AktG. [343] d) Die Entscheidung zwischen den beiden Wegen obliegt der Verwaltung. Wählt sie die zweite Lösung, so muß sie die erforderliche „Nebenrechnung“ im Anhang zu ihrem Jahresabschluß offenlegen und begründen. Dabei entfallen naturgemäß in den zusammengerechneten Abschlüssen auch alle Erträge, die der Obergesellschaft oder einer Untergesellschaft aus anderen Konzerngesellschaften zugeflossen sind, da diese sonst doppelt berücksichtigt würden. VI Ausländische Konzerngesellschaften Konzerngesellschaften, die im Ausland und nach ausländischen Recht gegründet wurden und auch dort ihren Sitz haben, unterliegen nicht deutschem, sondern dem für sie zuständigen ausländischen (Heimat-)Recht46. Diese ausländischen Rechte aber sehen gar nicht selten Ausschüttungsbeschränkungen vor, begrenzen die Dividendenhöhe oder errichten devisenrechtliche Schranken gegen den Transfer der zur Ausschüttung beschlossenen Dividenden47. In solchen Fällen sind diese Gesellschaften und ihre deutsche Konzernleitung gezwungen, mehr Rücklagen im dortigen Ausland zu bilden, als ihrem internationalen Gesamtkonzept eigentlich entspricht48. Wollte man in diesen Fällen die Anrechnung nach dem oben erläuterten System voll durchführen, dann wäre das eine Benachteiligung derjenigen anderen Konzerngesellschaften inklusive der deutschen AGObergesellschaft, welche solchen Schranken nicht unterworfen sind; im Extremfall könnte es dann sein, daß die Verwaltung der AG wegen der ausländischen Einwirkungen überhaupt keine eigenen Rücklagen mehr bilden könnte. Auch an dieser Stelle bewährt sich die hier vertretene flexible Lösung: Die Verwaltung darf die über 50% des betreffenden Jahresüberschusses hinaus „er-

46 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 782 ff.; Großfeld, Internationales Unternehmensrecht, 1986, S. 20 ff.; Lutter, Rechtliche Struktur multinationaler Unternehmen, in: Aktuelle Fragen multinationaler Unternehmen, ZfbF Sonderheft 4/75, S. 61 ff. Liegen Ort und Recht der Gründung einerseits und aktueller Sitz andererseits der Gesellschaft nicht im gleichen Land, so wird heute überwiegend das Recht des Sitzes für maßgebend angesehen, vgl. Staudinger/Großfeld, Kom. BGB, 12. Aufl. 1984, EGBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdn. 18 ff. mit weit. Nachw. und Ebenroth, Münchener Kom. BGB, 1983, nach Art. 10 EGBGB, Rdn. 114 ff. Diese Frage spielt in unserem Zusammenhang aber nur eine höchst untergeordnete Rolle. 47 Vgl. Wiedemann, a.a.O. (Fn, 46), S. 139 f. 48 Genau das ist vom betreffenden nationalen Gesetzgeber gewollt.

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zwungenen“ ausländischen Rücklagen außer Betracht lassen, muß das aber in ihren Erläuterungen (Anhang) entsprechend darlegen und begründen. VII. Die Aufgaben des Abschlußprüfers Sowohl der Jahresabschluß der AG wie auch der Konzernabschluß dieser AG sind zu prüfen, § 316 Abs. 1 und 2 HGB. Und diese Prüfung „… hat sich [344] darauf zu erstrecken, ob die gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung beachtet sind“, § 317 Abs. 1 S. 2 HGB. Folgt man daher der hier entwickelten Ansicht vom Inhalt des geltenden Aktienrechts, so ist genau das hier zu § 58 Abs. 2 AktG Entwickelte auch Gegenstand der Prüfung des Abschlußprüfers. Das kann auch nicht anders sein. Es ist ja gerade die Aufgabe des Abschlußprüfers, durch seine Prüfung die Einhaltung von Gesetz und Satzung in Bezug auf den Jahresabschluß zu gewährleisten, völlig unabhängig davon, welche Rechtsfolgen die etwaige Verletzung solcher Regeln nach sich zieht. Gerade weil der Jahresabschluß und der Konzernabschluß durch Abschlußprüfer geprüft wird, kann das Gesetz die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines einmal festgestellten Jahresabschlusses sehr zurückdrängen49. Der Abschlußprüfer des Jahresabschlusses der AG, die zugleich Obergesellschaft eines Konzerns ist, hat also zu prüfen, ob Vorstand und Aufsichtsrat die ihnen nach § 58 Abs. 2 AktG gesetzten Grenzen unter Beachtung der im Konzern gebildeten Rücklagen eingehalten haben. Zweifel daran, daß die Beachtung der gesetzlichen und ggf. statutarischen Schranken aus § 58 Abs. 2 AktG vom Abschlußprüfer zu überprüfen sind, konnten im Schrifttum nicht festgestellt werden50. VIII. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Konzernregeln für die Rücklagenbildung 1. Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach § 256 AktG? Oben wurde bereits erläutert, daß die Anwendung des § 58 Abs. 2 AktG auf eine Aktiengesellschaft als Konzernobergesellschaft eine gewisse Reduktion der vom Gesetz primär angeordneten Rechtsfolge verlangt: Das Gesetz geht in erster Linie von dem einfachen Sachverhalt der unkonzernierten Einheitsgesellschaft Vgl. § 256 AktG. Die Frage wird im Schrifttum nur gestreift, aber offenbar – und zu Recht – als selbstverständlich angesehen; vgl. Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kom. AktG, 1973, § 162 Rdn. 14 und WP-Handbuch 1981, S. 1228 und 1239. 49 50

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aus und kann auf diesem Hintergrund die scharfe Aussage formulieren, daß Vorstand und Aufsichtsrat nicht mehr als 50% des Jahresüberschusses an Gewinnrücklagen bilden können, andernfalls der Jahresabschluß nichtig ist, § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG. Diese Rechtsfolge paßt auf die komplexen Sachverhalte des Konzerns nicht; Probleme des Konzerntatbestandes, ausländischer Beschränkungen und komplizierter Berechnungen würden sonst zur Basis einer Nichtigkeitsfolge gemacht. Das ist erkennbar vom Gesetz nicht gewollt. Daher ist auch ein nach den hier erörterten Regeln fehlerhaft festgestellter Jahresabschluß – jedenfalls mindestens vorläufig – gültig. [345] 2. Anfechtung des Jahresabschlusses, § 257 AktG Das Gesetz kennt die Anfechtung des Jahresabschlusses einer Aktiengesellschaft nur für den Fall, daß ihn die Hauptversammlung durch Beschluß nach § 173 AktG selbst festgestellt hat51. Das entspricht der Strategie des AktG, nur Hauptversammlungsbeschlüsse dem System der Anfechtung zu unterwerfen, Verwaltungsbeschlüsse aber aus dem System der Anfechtbarkeit herauszunehmen und bei ihnen in anderer Weise für Kontrolle und Sanktionen zu sorgen (z. B. §§ 258 ff. AktG)52. Das mag rechtspolitisch nicht unbedenklich sein, ist aber de lege lata hinzunehmen. 3. Entsprechende Anwendung der §§ 258 ff. AktG (Sonderprüfung) Wurden die Schranken der Rücklagenbildung aus Konzerntatbeständen nicht beachtet, so hatten wir festgestellt: Die Verwaltung konnte die überhöhte Bildung von Gewinnrücklagen zwar vornehmen, durfte es aber nicht. Diese Situation entspricht materiell, wenn auch nicht formell dem Fall der Bildung stiller Rücklagen durch eine zu niedrige Bewertung von Aktiva oder die überhöhte Bewertung von Passiva in der Bilanz: Auch das kann die Verwaltung, darf es aber nicht. Und auch in diesem Vorgang werden Rücklagen gebildet. Und dafür sieht das Gesetz in den §§ 258 ff. AktG ein besonderes Prüfungsverfahren vor. Es liegt daher durchaus nahe, mit Götz53 die genannten §§ 258 ff. AktG mit ihrem System der Sonderprüfung auf den hier interessierenden Fall einer mangelnden Berücksichtigung von 51 Schilling, Großkom. AktG, 3. Aufl. 1973, § 243 Anm. 3; Zöllner, Kölner Kom. AktG, § 243 Rdn. 15. 52 Vgl. Lutter, Kölner Kom. AktG, § 186 Rdn. 36 und § 203 Rdn. 14 und 15 sowie Zöllner, ebenda, § 243 Rdn. 15. So auch Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 206 ff. 53 Götz, AG 1984, S. 93 f.

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Konzernrücklagen im Rahmen des § 58 Abs. 2 AktG entsprechend anzuwenden mit der Folge, daß auf Antrag von Aktionären durch das Gericht Sonderprüfer bestellt werden können zur Feststellung einer etwa zu hohen Rücklagenbildung durch die Verwaltung in der betreffenden AG. Der so festgestellt überhöhte Rücklagenbetrag steht dann allerdings nicht, wie bei der Aufdeckung stiller Reserven, als zusätzlicher Ertrag zur Verfügung; denn hier wird kein zusätzlicher Ertrag „gefunden“, sondern seine falsche Verwendung festgestellt. Daher ist eine unmittelbare Anwendung von § 261 AktG hier nicht möglich. Wohl aber ist es möglich, den als überhöhte Rücklage festgestellten Differenzbetrag im Rahmen des folgenden Jahresabschlusses vorweg vom Jahresüberschuß abzuziehen und der Verwaltungskompetenz auf diese Weise zu entziehen. Die Hauptversammlung kann dann die Ausschüttung beschließen oder nach § 58 Abs. 3 AktG die zusätzliche Rücklagenbildung sanktionieren. [346] Dieses Konzept einer entsprechenden Anwendung der §§ 258 ff. AktG ist in sich schlüssig: Es handelt sich in beiden Fällen um die vom Gesetz nicht gedeckte Bildung von Rücklagen durch die Verwaltung. Und in beiden Fällen ist der dem Gesetz nicht entsprechende Jahresabschluß dennoch gültig und auch nicht anfechtbar. Im materiellen Ausgangspunkt liegen die beiden Situationen einander sehr nahe; und in den Rechtsfolgen ist auch nur eine geringfügige Veränderung erforderlich, um dem Problem der hier relevanten offenen Gewinnrücklagen statt der von §§ 258 ff. AktG in erster Linie gemeinten stillen Rücklagen Rechnung zu tragen. 4. Unterlassungs- und Feststellungsklage Die §§ 258 ff. AktG, deren entsprechende Anwendbarkeit soeben festgestellt wurde, geben nicht – wie bei der Anfechtungsklage – dem einzelnen Aktionär das Antragsrecht auf Einsetzung von Sonderprüfern, sondern verlangen für den Antrag die Mitwirkung einer qualifizierten Minderheit von 5% des Kapitals bzw. der Inhaber von nom. 1 Mio. DM Aktien, § 260 Abs. 3 S. 4 AktG. Es ist klar, daß das Gesetz damit eine Sperrwirkung erreichen wollte und, wie die außerordentlich geringe Zahl der Verfahren nach dieser Regelung zeigt, auch tatsächlich erreicht hat. Fraglich ist also, ob der einzelne Aktionär neben diesem eingeschränkten Minderheitenrecht selbst noch andere (Individual-)Rechte hat und ob diese nicht durch die Anwendbarkeit der §§ 258 ff. AktG ausgeschlossen sind. a) Greift eine Maßnahme der Verwaltung in mitgliedschaftliche Rechte eines Aktionärs ein54, so sieht das Gesetz selbst dafür keine besonderen Sanktionen vor.

54 Die Betonung auf Mitgliedschaftsrecht soll vor allem deutlich machen, daß es nicht um eine klageweise Überprüfung der Geschäftsführung des Vorstands geht, sondern um die Sicherung

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Knobbe-Keuk55 hat jedoch nachgewiesen, daß es sich insoweit um eine Lücke im Gesetz handelt, die nach den allgemeinen Regeln des Prozessrechts zu schließen ist: Dem Aktionär steht gegen die Gesellschaft, die durch ihre Organe Vorstand und Aufsichtsrat seine subjektiven Mitgliedschaftsrechte verletzt hat oder zu verletzen beabsichtigt, die Unterlassungsklage zu. Der [347] Bundesgerichtshof hat diesen Gedanken in seiner Entscheidung vom 25. Februar 1982 (Holzmüller)56 aufgenommen und bestätigt57. Der Eingriff in die Mitgliedschaft ist hier evident, entzieht die übersteigerte Rücklagenbildung dem Aktionär doch die ihm (mit-)zustehende Entscheidung über die entsprechenden Erträge seiner AG, §§ 58 Abs. 3, 174 AktG; und sie entzieht ihm den Anspruch auf seinen Anteil an dem – richtigerweise erhöhten – Bilanzgewinn nach § 58 Abs. 4 AktG58 für den Fall, daß die Hauptversammlung nicht ihrerseits erhöhte Rücklagen beschließt. Jedem Aktionär steht damit in Fällen der hier behandelten Art die Unterlassungsklage gegen die Gesellschaft zu. Offen ist damit noch, ob stattdessen Feststellungsklage erhoben werden kann; denn an sich schließt die hier mögliche Unterlassungsklage als Leistungsklage aus Gründen der Prozeßökonomie die Feststellungsklage aus. Doch ist zu Recht anerkannt, daß für die Verwaltung von Aktiengesellschaften die Vermutung gilt, diese würden sich nach Klärung der Rechtslage auch rechtmäßig verhalten59; mit dieser Vermutung wird angenommen, daß hier nicht die Gefahr bestehe, der Aktionär müsse trotz eines entsprechenden Feststellungsurteils wegen der Hartnäckigkeit des Schuldners (AG) dann doch noch auf Leistung (Unterlassung) vorgehen. Daher kommen hier (vorbeugende) Unterlassungsklage und Feststellungsklage gleichermaßen in Betracht, wobei sich die Feststellungsklage im Hinblick auf ihre Eignung zur Klärung der hier in erster Linie streitigen Rechtsfragen empfiehlt.

der auf der Mitgliedschaft beruhenden Mitverwaltungs- und Vermögensrechte der Aktionäre gegen Übergriffe der Verwaltung in eben diesem Bereich. 55 Knobbe-Keuk, Das Klagerecht des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft wegen gesetzund satzungswidriger Maßnahmen der Geschäftsführung, in: Festschrift für Ballerstedt, 1975, S. 239 ff.; ebenso Flume, Die juristische Person, 1983, S. 309 ff.; Großfeld, JZ 1981, S. 234 ff.; Timm, Hauptversammlungskompetenzen und Aktionärsrechte in der Konzernspitze, AG 1980, S. 185 f.; einschränkend Hommelhoff, Der aktienrechtliche Organstreit, ZHR 1979, S. 288, 310; ablehnend Wiedemann, a.a.O. (Fn. 46), S. 463 f. 56 BGHZ 83, S. 122. 57 Vgl. dazu auch Flume, Die juristische Person, a.a.O. (Fn. 55), S. 309 ff.; Rehbinder, Zum konzernrechtlichen Schutz der Aktionäre einer Obergesellschaft, ZGR 1983, S. 92, 103 ff.; Martens, Die Entscheidungsautonomie des Vorstands und die „Basisdemokratie“ in der Aktiengesellschaft, ZHR 1983, S. 377 ff., 400 ff. 58 Dazu näher demnächst Lutter, Kölner Kom. AktG, 2. Aufl., § 58 und Hefermehl/Bungeroth, Kom. AktG, § 58 Rdn. 115 ff. 59 BGHZ 83, S. 122, 125 ff.; Hirte, a.a.O. (Fn. 52), S. 207; Lutter, Bezugsrechtsausschluß und genehmigtes Kapital, BB 1981, S. 861, 864.

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b) Damit aber ist noch nicht die Frage beantwortet, ob die als entsprechend anwendbar erkannten §§ 258 ff. AktG über die Bestellung von Sonderprüfern als leges speciales die Unterlassungs- bzw. Feststellungsklage „sperren“, sie ausschließen. Der Gedanke liegt nahe, trifft aber letztlich nicht zu. Zunächst einmal sind die §§ 258 ff. AktG im Kontext der regulären Sanktionen des AktG zu sehen, nämlich der Nichtigkeit und der Anfechtbarkeit eines Jahresabschlusses. Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses ist als Sanktion für den „Normalfall“ der Bildung stiller Reserven betont ausgeschlossen (§ 256 Abs. 5 AktG) und nur für extreme Sonderfälle akzeptiert. Die Anfechtbarkeit aber betrifft überhaupt nur Hauptversammlungsbeschlüsse und somit nur den Sonderfall der Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung selbst, § 173 AktG; aber auch für diesen Sonderfall ist die Anfechtbarkeit für alle Fragen der Bewertung wiederum ausgeschlossen, § 257 Abs. 1 S. 2 AktG. Da- [348] mit tritt hier die Sonderprüfung nach §§ 258 ff. AktG an die Stelle der „an sich“ sonst zugreifenden allgemeinen Sanktionen des Aktienrechts: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit werden verdrängt. Über die Einzelklagebefugnis aber ist damit nichts gesagt. Darüber hinaus ergänzen sich die Regeln der beiden Verfahren – Einzelklage und Sonderprüfung – in sehr zweckmäßiger Weise: Das Verfahren nach §§ 258 ff. AktG ist wenig geeignet, die rechtlichen Grundlagen für eine konzernweite Gesamtrechnung zu klären; dafür eignet sich in besonderem Maße die Unterlassungs- oder Feststellungsklage. Diese hinwiederum eignet sich wenig zur Klärung diffiziler Sachverhalte und schwieriger Rechenoperationen; dafür sind sachverständige Sonderprüfer besonders geeignet. Das ist auch der Hintergrund der §§ 258 ff. AktG: Sie beruhen auf einer an sich einfachen und klaren Rechtslage, hingegen auf einem komplexen Sachverhalt. Dem entspricht die Rechtslage nach Abschluß der Feststellungsklage (Klarheit), während der Sachverhalt von Jahr zu Jahr komplex bleibt. Daraus erhellt noch einmal, daß die §§ 258 ff. AktG ihrer Struktur nach nicht geeignet sind, die Einzelklage auf Feststellung bzw. Unterlassung im hier relevanten Problembereich auszuschließen, zu „sperren“. 5. Entlastung der Verwaltung und Anfechtung des Entlastungsbeschlusses Jährlich in der „ordentlichen“ Hauptversammlung ist über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats zu verhandeln und zu beschließen, § 120 AktG. Entlastung aber bedeutet: Prinzipielles Einverständnis mit der Führung der Geschäfte durch den Vorstand und dessen Überwachung durch den Aufsichtsrat. Aber sie bedeutet auch eine Vertrauenserklärung an die Verwaltung für die Zukunft60. Erklärt die Verwaltung aber, sie habe Konzerntatbestände bei 60 Vgl. BGHZ 94, S. 324, 326; Zöllner, Kölner Kom. AktG, § 120 Rdn. 24 und 25; Barz, Großkom. AktG, 3. Aufl. 1973, § 120 Anm. 7.

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der Bildung von Gewinnrücklagen anläßlich der Feststellung des Jahresabschlusses der AG nicht berücksichtigt und werde das auch in Zukunft nicht tun, so liegt darin eine so klare Aussage gegen Gesetz und Recht, daß die dennoch erteilte Entlastung (Beschluß) selbst auf einer Gesetzesverletzung beruht: Eine solche Entlastung bestätigt de facto die Gesetzesverletzung und ermuntert die Verwaltung zur Fortführung. Die Ermunterung zur Fortsetzung eines gesetzwidrigen Verhaltens im Entlastungsbeschluß aber ist selbst gesetzwidrig; daher kann ein solcher Entlastungsbeschluß nach § 243 AktG von jedem Aktionär angefochten werden61.

61 Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1974, S. 20 ff.; Zöllner, Kölner Kom. AktG, § 120 Rdn. 47.

Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft Haftungsrisiken beim ‘asset stripping’* IN: BAUR/HOPT/MAILÄNDER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR ERNST STEINDORFF ZUM 70.

GEBURTSTAG, BERLIN 1990, S. 125-150 I. Überblick 1. Das Geschehen

Es gibt im Wirtschaftsrecht kleine Anlässe mit großen Folgen: Hätte ITT gedacht, daß es mit der – aus seiner Sicht – „normalen“ Konzernumlage den Grundstein für das deutsche GmbH-Konzernrecht legen würde1? Hätte der Vorstand der kleinen Hamburger Hafen- und Holz-AG wohl geahnt, daß er sich am Bau der Villa Holzmüller beteiligen würde2? Und konnte der Gesellschafter Heidemann wissen, daß er zwar mit seinen Autokränen Schiffbruch erleiden, dafür aber als Zimmermann des qualifizierten Konzerns in die Geschichte eingehen würde3? Auf der anderen Seite gibt es Fälle, die mit großem Getöse beginnen und versprechen, Rechtsgeschichte zu schreiben, dann aber wie ein Strohfeuer erlöschen. Dazu gehört das Verfahren Feldmühle Nobel AG, der einstigen FlickTochter: Die beiden Flick-Neffen hatten eine Sonderprüfung beantragt und waren mit diesem Begehren vom Amtsgericht Düsseldorf energisch abgewiesen worden4. Und damit gaben sie dieses Begehren ebenso auf wie ein laufendes

Die Ausführungen beruhen zum Teil auf einer Anfrage aus der Praxis. BGHZ 65, 15 und dazu Rehbinder. ZGR 1976, 386; Ulmer, NJW 1976, 191; Wiedemann, JZ 1976, 392; Stimpel, AG 1986, 117; zuletzt Lutter, in: Hommelhoff u. a., Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, ZGR-Sonderheft 6, 1986, S. 192 ff. 2 BGHZ 83, 122 und dazu Martens, ZHR 147 (1983), 377 ff. sowie Lutter, FS Stimpel, 1985, S. 825 ff. mir allen Nachw. 3 BGHZ 95, 330 und dazu u. a. Lutter, ZIP 1985, 1425; Rehbinder, AG 1986, 85; Stimpel, AG 1986, 117; Ulmer, AG 1986, 123; Semler, FS Goerdeler, 1987, S. 551, 571 ff.; Wiedemann, ZGR 1986, 656; Assmann, JZ 1986, 881 und 928. 4 ZIP 1988, 1970 und dazu Hirte, ZIP 1988, 953. *

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Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

Anfechtungsverfahren vor, dem zuständigen Landgericht. [126] Zur Erörterung der eigentlichen Probleme ist es vor den Gerichten daher nicht gekommen. Worum ging es? Flick – genauer: Die Friedrich Flick KG – hatte im Dezember 1985 seine 100%ige Beteiligung an der Feldmühle Nobel AG zu 98% an eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bank AG (die „Alma-Beteiligungsgesellschaft mbH“) und zu 2% an die Baden-Württembergische Bank AG verkauft und per 31.12.1985/01.01.1986 dinglich übereignet. Diesem Vorgang waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen, die in einem Angebot der Friedrich Flick KG vom 28.11.1985 und deren Annahme durch die Deutsche Bank AG für die Erwerber am 17.12.1985 endeten. Zum Vermögen der Feldmühle Nobel AG gehörten industrielle Beteiligungen (Feldmühle AG, Dynamit Nobel AG und Buderus) und Finanz-Beteiligungen, vor allem eine solche an der US-Corporation Grace und eine 10%ige Beteiligung an der Daimler-Benz AG. Schon in den Verhandlungen mit Flick war festgelegt worden, daß diese Finanzbeteiligungen umgehend von der Feldmühle Nobel AG veräußert werden sollten, anschließend ein Rumpfgeschäftsjahr gebildet, der Sonderertrag aus der Veräußerung der Finanzbeteiligungen an die neuen Aktionäre (Alma und Treuhänderin BadenWürttembergische Bank) ausgeschüttet und die so „leichter“ gewordenen Aktien der Feldmühle Nobel AG an der Börse plaziert werden sollten. Exakt so geschah es dann auch. Die Flick-Neffen erwarben später Aktien der „geleichterten“ Feldmühle Nobel AG und warfen dem Vorstand in der nächsten Hauptversammlung der nunmehr in Streubesitz befindlichen AG am 15.07.1987 vor, Beteiligungsvermögen der AG auf Veranlassung der Deutschen Bank unter seinem wirtschaftlichen Wert veräußert, mithin verschleudert und die AG auf diese Weise geschädigt zu haben; sie beantragten daher eine Sonderprüfung und fochten verschiedene Beschlüsse der fraglichen Hauptversammlung an. Der Vorstand der Feldmühle Nobel AG bestritt energisch jeden Gedanken an eine „Verschleuderung“ der Beteiligungen und bestritt darüber hinaus, zum Zeitpunkt der Veräußerungen (Grace am 05./10.12.1985; Daimler am 17./18.12.1985) ein von der Deutschen Bank abhängiges Unternehmen gewesen zu sein und auf deren Veranlassung gehandelt zu haben. Damit endet das Geschehen. Ungeklärt blieb die Frage der angeblichen Veräußerungen „unter Wert“; ungeklärt blieben aber auch die Rechtsfragen. Und sie lauten u. a., also ohne jede Absicht, Vollständigkeit zu erreichen: [127] (1) War die Feldmühle Nobel AG damals ein von der Deutschen Bank abhängiges Unternehmen? (2) War die Veräußerung durch die Deutsche Bank veranlaßt oder mitveranlaßt? Wenn Mit-Veranlassung: Genügt das im Sinne der §§ 311 ff. AktG?

Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag, Berlin 1990, S. 125-150

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(3) Unterstellt, die Beteiligungen seien unter Preis veräußert worden: Hat die Feldmühle Nobel AG dadurch einen Schaden erlitten, wo doch der ganze Differenzgewinn sofort an die Alleinaktionäre Alma und BadenWürttembergische Bank AG ausgeschüttet werden sollte und wurde? (4) Sollte auch das bejaht werden, hätte dann einer der „neuen“ Aktionäre diesen Schaden der Feldmühle Nobel AG nach §§ 309, 317, 318 AktG für diese geltend machen können? 2. Das Problem Dieser soeben geschilderte Fall und seine Fragen wurden nicht entschieden. Er kann sich aber in ähnlicher Weise, wenn auch unter anderen Voraussetzungen wiederholen. Hier ging es um die durchaus nachvollziehbare Trennung einer AG von ihren „teuren“, aber wenig rentierlichen Finanzanlagen; ein anderes Mal mag es schlicht um „asset stripping“ gehen: Verkauf gerade der wichtigen unternehmerischen Töchter oder des wichtigen Grundbesitzes. Vorgänge solcher Art sind in den USA heute an der Tagesordnung5: Die Übernahmepreise sind inzwischen so phantastisch6 und stehen oft so außerhalb jeden Verhältnisses zu den eigenen Ressourcen des Übernehmers, daß überhaupt nur durch den Verkauf von Teilen des Unternehmens (übrigens oft schon vor dem Take-over-Kampf mit den Erwerbern festgelegt) und der Ausschüttung des Verkaufserlöses an den Erwerber die Rückzahlung des Kredites möglich ist, der von ihm zur Bezahlung der im Rahmen des Übernahmeangebotes dann übernommenen Aktien aufgenommen worden war7. Die obigen Rechtsfragen sind also unmittelbar verkoppelt mit der Frage, wie sich das deutsche Aktienrecht – nur von ihm ist hier die Rede – zu Vorgängen dieser Art verhält. [128] Nur am Rande sei erwähnt, daß in einer Aktiengesellschaft mit außenstehenden Aktionären eine Veräußerung von Gesellschaftsvermögen solchen Umfanges nie und nimmer durch den Vorstand oder die Verwaltung oder gar den Großaktionär allein veranlaßt und durchgeführt werden darf, sondern selbstverständlich als eine sog. Strukturmaßnahme der Zustimmung der Hauptversammlung der be-

Lutter/Wahlers, AG 1989, 1 ff. Im Falle Nabisco hat das Übernahmeangebot sage und schreibe 24 Mrd. Dollar ausgemacht; vgl. Lutter/Wahlers, AG 1989, 2 (Fn. 7 u. 24). 7 Näher Lutter/Wahlers, aaO. – Auch hier wurde übrigens von der Deutschen Bank mit der Erwerberin die Veräußerung der Grace-Beteiligung schon vor dem Erwerb der Aktien von Flick festgelegt. 5 6

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Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft

treffenden AG mit satzungsändernder Mehrheit bedarf8. Hält sich die Verwaltung nicht daran, so kann jeder Aktionär auf Unterlassung klagen. Und das gilt naturgemäß auch, wenn die Verwaltung dieses Vorhaben in Einzelschritten verwirklicht, die je für sich den Charakter einer Strukturmaßnahme nicht erreichen: Es kommt dann auf eine zeitliche und gegenständliche Gesamtbetrachtung an9. II. Die Feldmühle Nobel AG ein damals von der Deutschen Bank abhängiges Unternehmen? 1. Überblick Die Feldmühle Nobel AG (damals noch eine KGaA) gehörte zu 100% der Friedrich Flick KG, deren einziger Vermögensgegenstand sie war; diese ihrerseits gehörte praktisch zu 100% dem persönlich haftenden Gesellschafter Dr. F. K. Flick (Dr. F.). In der Feldmühle Nobel AG und nicht etwa in der Friedrich Flick KG waren mithin die gesamten industriellen und unternehmerischen Beteiligungen von Dr. F. zusammengefaßt, nicht also in der KG. Dr. F. selbst hatte noch erhebliches, aber rein „privates“, also nicht-unternehmerisches Vermögen. Damit ist bereits die Frage problematisch, ob die AG überhaupt von der KG bzw. Dr. F. persönlich im Sinne von § 17 AktG abhängig war. Und es ist weiter problematisch, ob sie statt dessen oder auch von der Deutschen Bank abhängig war; denn diese hatte das ihr von der KG gemachte Angebot auf Übernahme der Aktien durch ihre Tochter erst nach dem Verkauf von Grace und gleichzeitig mit der Veräußerung der Daimler-Beteiligung angenommen; und dinglich gingen die Aktien überhaupt erst auf ihre Tochter über, als Grace und Daimler längst veräußert waren. Die Deutsche Bank war also im Zeitpunkt der Ver- [129] käufe noch nicht (mittelbarer) Inhaber der Mitgliedschaften (Aktien) an der Feldmühle Nobel AG. Selbstverständlich handelte der Vorstand dieser AG nicht aus eigener Initiative, sondern auf den gemeinsamen „Wunsch“ von Dr. F. und dem Vorstand der Deutschen Bank hin. Aber das mag ggf. für § 117 AktG relevant sein; die Befolgung dieses „Wunsches“ für sich begründet aber gewiß noch nicht das Merkmal der Abhängigkeit im Sinne von § 17 AktG.

8 BGHZ 83, 122 (Holzmüller) und dazu Lutter, FS Stimpel, 1985, S. 825 ff.; ders., ZHR 151 (1987), 444, 452 ff. sowie ders., FS Fleck, 1988, S. 169 ff. je mit weiteren Nachw.; vgl. auch Martens, aaO. (oben Fn. 2). 9 Vgl. die Nachw. in Fn. 8 und die gleichen Überlegungen zur sog. verdeckten Sacheinlage (gegenständliche Gesamtbetrachtung und zeitliche Erstreckung, vgl. Lutter, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 66 Rdn. 31 ff. sowie Lutter, FS Stiefel, 1987, S. 505 ff.).

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2. Abhängigkeit von der Flick KG? a) Die Feldmühle Nobel AG ist gewiß ein Unternehmen; und sie war damals dem bestimmenden Einfluß des Alleinaktionärs Flick KG ebenso gewiß ausgesetzt. Aber der Abhängigkeitsbegriff des AktG ist verkoppelt mit dem Begriff des herrschenden Unternehmens: Abhängig ist man im Sinne von § 17 AktG nur von einem herrschenden Unternehmen10. Und damit geht es um die Frage, ob die Flick KG im Sinne dieser Norm „Unternehmen“ war. Die Frage mag merkwürdig genug erscheinen: Wieso soll eine im Handelsregister eingetragene und einige Milliarden DM „reiche“ KG nicht Unternehmen sein?11 Tatsächlich aber ist der Begriff des Unternehmens vom Gesetzgeber des AktG „erfunden“ worden, um den „unternehmerischen Aktionär“ vom „Privataktionär“ zu trennen12. Hinter diesen Begriffen verbirgt sich – übrigens unstreitig – der Gedanke, daß man bei „normalen“ Aktionären davon ausgehen kann, daß sie „ihre“ Gesellschaft in jeder Hinsicht und aus ganz naheliegenden egoistischen Gründen uneingeschränkt fördern, das Interesse am Wohlergehen der AG mit den Interessen aller ihrer Aktionäre also identisch ist13. Hat hingegen ein Aktionar noch weitere unternehmerische Interessen außerhalb der AG, ist er also im einfachsten Fall noch an einem anderen Unternehmen maßgeblich beteiligt, dann muß man fürchten, daß er das eine Unternehmen zugunsten des anderen benachteiligt: Die Vermutung einheitlicher und gemeinsamer Interessen aller Gesellschafter in der betreffenden AG besteht dann nicht mehr, die betreffende AG und ihre etwaigen anderen Aktionäre sind „gefährdet“14. [130] b) Über diese Struktur des Abhängigkeitsbegriffs besteht Einigkeit15. Und es besteht daher auch weitgehend Einigkeit, daß in diese Vorstellung die „reine“ (Zwischen-)Holding wenig paßt16: Sie ist von der funktionalen Betrachtung her so „ungefährlich“ wie der „Privataktionär“; denn sie hat keine anderen unternehmerischen Interessen als die Beteiligung in eben dieser einen AG. Bei der Auslegung kommt es mithin entscheidend darauf an, ob man dem formalen Aspekt unternehmerischer Organisation folgt – und dieses Merkmal 10 Näher dazu Koppensteiner, Kölner. Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 17 Rdn. 17 ff. und Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. z. AktG, 1973, § 17 Rdn. 18 ff. 11 Vgl. Zöllner, Zum Unternehmensbegriff der §§ 15 ff. AktG, ZGR 1976, 1 ff. 12 Zöllner, aaO., S. 7 ff.; Koppensteiner, Kölner Komm. z. AktG (Fn. 10), § 15 Rdn. 7 ff. und Geßler, aaO. (Fn. 10), § 15 Rdn. 17 ff.; vgl. auch Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 3. Aufl. 1989, § 2 III, S. 44 ff. 13 Begründung zum RegE. des AktG 65 und. Ausschußbericht zu §§ 20, 21 AktG bei Kropff, AktG 1965, S. 39 ff. und S. 373 f. 14 Lutter, NJW 1973, 113 ff. 15 Geßler und Koppensteiner, wie Fn. 10 und Fn.12 je mit weiteren Nachw. 16 Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 35; Wiedemann/Martens, AG 1976, 197, 201.

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wäre dann bei der Flick KG fraglos erfüllt – oder aber der funktionalen Betrachtung, die dann zu einer entsprechenden Restriktion des Begriffes hier, hingegen zu einer Erweiterung beim unorganisierten Privataktionär mit seinerseits mehrfacher Beteiligung führen muß17. Für die letztere Betrachtung sprechen viele gute Argumente. Das Gesetz hat nicht jeden Mehrheitsaktionär zum „herrschenden Unternehmen“ erklärt; und es hat das bewußt getan, u. a. um die betroffene AG bei offenbar konfliktfreien Lagen von zusätzlichen Lasten (insbesondere § 312 AktG: Abhängigkeitsbericht) freizustellen. Es hat die AG und ihre anderen Aktionäre aber auch nicht schutzlos gestellt: Immerhin ist § 117 AktG auf Fälle reiner Mehrheitsherrschaft zugeschnitten. c) Trotz dieser Systematik und ihrer im Grundsatz richtigen Abfolge sollte man auch die „eindimensionale“ Holding als Unternehmen im Sinne von §§ 15 ff. AktG verstehen, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen muß man gerade auf solche Konstruktionen § 71d Satz 2 AktG mit seinem Verbot wechselseitiger Beteiligungen anwenden; dort aber ist im Gesetzestext gerade vom „herrschenden“ und „abhängigen“ Unternehmen die Rede18. Darüber hinaus aber kann eine solche Holding jederzeit eigene Aktivitäten entfalten oder eine kleine andere Beteiligung hinzuerwerben und würde dadurch ständig vom „Unternehmen“ zum „Nicht-Unternehmen“ oszillieren; das wäre im Hinblick auf die Stabilität der gesetzlichen Ordnung eine besonders unangebrachte Rechtsfolge. Und schließlich vermittelt die Holding hier über die Feldmühle Nobel AG, die ihrerseits Unternehmen mit vielen Beteiligungsgesellschaften war (und ist), auch (mittelbaren) Einfluß auf diese vielen Enkel-Gesellschaften. [131] Auch die „eindimensionale“ Holding ist daher als Unternehmen anzusehen19. Damit war die Feldmühle Nobel AG ein von der Flick KG abhängiges Unternehmen. 3. Abhängigkeit von Dr. F. persönlich? Damit ist aber noch nicht entschieden, ob die Feldmühle Nobel AG nicht auch ein von Dr. F. persönlich abhängiges Unternehmen war. Würde etwa Siemens seine Beteiligung an Osram über eine „reine“ Zwischenholding halten, so 17 Beispiel aus früherer Zeit: Quandt persönlich als Aktionär von BMW und IWKA; dazu Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 32 mit weiteren Nachw. 18 Näher Lutter, Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 71d Rdn. 8 ff.; ders., ZHR 151 (1987), 444, 452. 19 Ebenso Geßler, aaO. (Fn. 10), § 15 Rdn. 31 u. 32; Emmerich/Sonnenschein, aaO. (Fn. 12), § 2 III, 2. d), S. 49; Ruwe, AG 1980, 21; ders., DB 1988, 2037, 2041; a. A. BGH AG 1980, 342; OLG Saarbrücken, AG 1980, 26; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 35 mit weiteren Nachw.

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wären diese und Siemens Unternehmen im Sinne von § 17 AktG; und da auch der mittelbare Einfluß nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 17 AktG ausreicht und Siemens selbst vielfach anderweitig engagiert ist, wäre in einer solchen Konstruktion Osram ein von Siemens abhängiges Unternehmen. Auch hier steht damit die Unternehmenseigenschaft, diesmal die von Dr. F., zur Diskussion. Folgt man, wie es hier geschehen ist, im Grundsatz der funktionalen Argumentation, so kommt es auf die rechtliche Befindlichkeit von Dr. F. persönlich nicht an, nicht also auf die Frage, ob er seine übrigen Verhältnisse irgendwie handelsrechtlich o. ä. organisiert hatte. Entscheidend allein ist die Frage, ob er persönlich mehrfach unternehmerisch engagiert war, also insbesondere weiteren unternehmerischen Besitz neben seiner Beteiligung in der KG hatte. Und das war bis auf eine hier nicht interessierende, weil „schlafende“ GmbH mit einem Stammkapital von DM 50 000,-, offenbar nicht der Fall. „Private“ Güter aber hat jedermann – mehr oder minder. Das hat auch das Gesetz im Unternehmensbegriff gesehen. Diese privaten Güter sind also nicht „konfliktträchtig“. Da also Dr. F. all seine industriellen und unternehmerischen Interessen über die KG in der Feldmühle Nobel AG konzentriert hatte, kann auch er persönlich nicht als „Unternehmen“ im Sinne von § 17 AktG angesehen werden20. 4. Abhängigkeit von der Deutschen Bank? a) Damit bleibt die Frage, wie die Deutsche Bank als „künftige“ mittelbare Inhaberin (praktisch) aller Aktien der Feldmühle Nobel AG im damaligen Zeitpunkt zu beurteilen ist, also als am 5. Dezember die [132] Grace-Beteiligung und am 17. Dezember die Daimler-Aktien veräußert wurden, während die Feldmühle Nobel-Aktien erst am 18. Dezember schuldrechtlich und am 31. Dezember dinglich erworben wurden. Hier nun geht es überhaupt nicht um die Frage, ob die Deutsche Bank Unternehmen war und ist; darüber lohnt es nicht zu reden. Entscheidend ist vielmehr, ob die Deutsche Bank in bezug auf die Feldmühle Nobel AG damals schon, also zum Zeitpunkt der Veräußerung der Grace- und Daimler-Beteiligungen (mittelbar) herrschendes Unternehmen war. Es sieht so aus, als lohne es sich auch darüber nicht, viel zu reden. Denn fraglos war die Deutsche Bank damals; also zu Zeiten der Veräußerung der fraglichen Finanzbeteiligungen durch den Vorstand der Feldmühle Nobel AG, weder unmittelbar noch mittelbar Inhaberin der Mitgliedschaften, konnte damals also ihren Einfluß (noch) nicht auf dem für (Allein-)Aktionäre typischen Weg der Stimmrechtsausübung geltend machen. Auch hat sich inzwischen die zunächst 20 Im Ergebnis h. M.; vgl. BGHZ 19, 334, 337 (VEBA-Gelsenberg) und dazu Lutter/Timm, BB 1978, 836 sowie Emmerich/Sonnenschein (Fn. 12), § 2 III, S. 44 ff.; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 15 Rdn. 30 ff.; Zöllner, ZGR 1976, 1 ff. und AG 1978, 40.

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umstrittene Auffassung21 durchgesetzt, daß wirtschaftlicher Einfluß allein keine „Abhängigkeit“ im Sinne von § 17 AktG begründen kann. Die Diskussion hat sich sogar auf die Aussage hin verdichtet, daß mit „Herrschaft“ im Sinne des § 17 AktG überhaupt nur der durch Mitgliedschaft vermittelte Einfluß gemeint sei22. Folgt man dem, so kann von der Deutschen Bank als einem „herrschenden“ Unternehmen in bezug auf die Feldmühle Nobel AG damals nicht die Rede sein23. b) Man sollte dennoch die Überlegungen hier nicht vorzeitig abbrechen; denn es wäre für den „Herrschafter“ gar zu einfach, die mit der Herrschaft verbundenen Lasten im rechten Moment abzuschütteln oder erst nach den entscheidenden Maßnahmen aufzunehmen24. Der damalige Vorstand der Feldmühle Nobel AG wäre ja von sich aus nicht im Traume auf den Gedanken gekommen, die Beteiligungen an Grace und Daimler zu veräußern. Sein bisheriger „Chef“ Dr. F. hat dieses Projekt zwar ausdrücklich mitgetragen, wollte es aber für sich – aus welchen [133] Überlegungen auch immer – nicht. Die Deutsche Bank aber konnte die Aktien wohl aus steuerlichen Gründen überhaupt erst zum 31.12./01.01. dinglich erwerben, war aber doch und natürlich und völlig unbestritten der spiritus rector des ganzen Vorganges. Solche Situationen sind dem Gesellschaftsrecht aus anderen Bereichen durchaus vertraut. Man denke nur an den künftigen Aktionär im Zusammenhang mit der verdeckten Sacheinlage25, an verbotete Leistungen an den ehemaligen oder künftigen Aktionär oder das Darlehen eines künftigen Aktionärs26. Damit stellt sich die Frage, ob der künftige „Herrschafter“ gleich einem existenten „Herrschafter“ zu behandeln ist. Das ist tatsächlich jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich die Voraussetzungen der Herrschaft so konkret abzeichnen, daß sich ein „normaler“ und „vernünftiger“ Vorstand darauf einstellt, so, wie er sich dem herrschenden Unternehmen in Kenntnis von dessen Machtmitteln gegenüber einstellt, und so wie es schließlich auch hier war. Noch einmal: Der Vorstand der Feldmühle Nobel AG wäre von sich aus niemals auf den Gedanken 21 Zum einstigen Stand der Diskussionen vgl. einerseits Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft auf schuldvertraglicher und tatsächlicher Grundlage, 1978, und H. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, andererseits Ulmer, ZGR 1978, 457 ff. und Kahler) NJW 1978, 2473, 2476 ff. 22 BGHZ 90, 381 = WM 1984, 625, 628; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 17 Rdn. 50 und Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 (Aktiengesellschaft), 1988, § 68 Rdn. 40 je mit allen Nachw. 23 Nach dem 01.01.1986 war die Deutsche Bank ganz fraglos (mittelbar) herrschendes Unternehmen; und das ist von allen Beteiligten auch so gesehen und in einem Abhängigkeitsbericht der Feldmühle Nobel AG bzgl. des Rumpfgeschäftsjahres 1986 zum Ausdruck gebracht worden. 24 Wie es hier ja auch tatsächlich geschah – ob im Hinblick auf § 17 AktG oder aus anderen Erwägungen, sei ganz dahingestellt. 25 Lutter, Kölner Komm. (Fn. 9), § 54 Rdn. 52 und § 66 Rdn. 31 ff. 26 Lutter, Kölner Komm. (Fn. 9), § 57 Rdn. 40 und Rdn. 98.

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gekommen, diese Beteiligungen zu veräußern; das Konzept ist von der Deutschen Bank erarbeitet worden; und der Vorstand wußte, daß die Deutsche Bank selbst oder durch eine Tochtergesellschaft alle Aktien übernehmen wird, wenn der Startschuß zur Veräußerung gegeben wird: Dann gab es kein Zurück mehr. Nachdem der Vorstand der Feldmühle Nobel AG den definitiven „Wunsch“ zur Veräußerung der Aktien von Grace und Daimler erhalten hatte, war ihm spätestens klar, daß die Deutsche Bank das Ruder übernommen hatte, und zwar auf dem Hintergrund künftiger und dann fraglos mitgliedschaftlicher Herrschaft. Und weshalb sollte man die Zeit vom 05.12. bis zum 31.12.1985 als Nicht-Herrschaft, die nach dem 01.01.1986 – als alles das, was die Deutsche Bank entwickelt hatte, bereits erledigt war – als Herrschaft ansehen? Weshalb also sollte man diese Zeit von 2 Wochen vor Annahme der Offerte und von 4 Wochen vor dem dinglichen Übergang der Aktien von der Flick KG auf die Alma (Deutsche Bank) nicht bereits sub specie der bevorstehenden mitgliedschaftlichen Herrschaft betrachten? Der potentielle Konflikt am 05./10.12.1985 ist identisch mit dem am 01.01.1986. Und es liegt in der Tendenz der §§ 311 ff. AktG, den mit ihnen intendierten Schutz der abhängigen AG auf die Zeit der faktischen, wenn auch noch nicht mitgliedschaftlich vermittelten Herrschaft vorzuziehen27. [134] Die Deutsche Bank war also schon zu Beginn der „Verkaufsaktion“ herrschendes Unternehmen im Sinne der §§ 17, 311 ff. AktG. 5. Mehrfache Abhängigkeit? Nach den bisherigen Feststellungen ist die Feldmühle Nobel AG damals ein abhängiges Unternehmen sowohl von der Flick KG als auch von der Deutschen Bank AG gewesen. Das aber erscheint auf den ersten Blick problematisch. Denn Abhängigkeit von mehreren Unternehmen ist zwar durchaus möglich und anerkannt, betrifft aber (nur) den Fall der Koordination (koordinierten Herrschaft) unter den herrschenden Unternehmen28. Die Frage, ob es in Ausnahmefällen nicht auch mehrfache Herrschaft ohne besondere Koordination geben kann, ist theoretisch gewiß interessant, bedarf hier aber keiner Vertiefung. Denn die angesprochene Koordination unter den beiden Herrschaftern lag durchaus vor: Die Deutsche Bank hatte eine Option auf die Feldmühle Nobel-Aktien und hat aus dieser Position heraus auch nachdrücklich agiert; die Flick KG aber war durch die 27 Ausgehend von seinem weiten Herrschaftsbegriff bejaht Geßler, in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 17 Rdn. 59 „tatsächliche Verhältnisse“ als Grundlage der Beherrschung; aber auch die sehr viel engere Ansicht von Koppensteiner (Kölner Komm., § 17 Rdn. 54) bejaht „psychologische Sonderumstände“ offenbar dann als Herrschaftsmittel, wenn dieser Einfluß „sicher“ ist: Das aber war hier gewiß der Fall. 28 BGHZ 62, 193, 196 ff.; 74, 359, 360; Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 17 Rdn. 70 ff. und Krieger (Fn. 22), § 68 Rdn. 50 ff. je mit umfassenden Nachw.

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Option gebunden, hatte die Veräußerungspläne der Deutschen Bank mit getragen und deren Handeln toleriert, mithin ersichtlich mit der Deutschen Bank kooperiert. Sie war dazu aber auch nach den getroffenen schuldrechtlichen Abreden verpflichtet: Hätte sie das Handeln der Deutschen Bank mit den ihr noch zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Mitteln zu verhindern versucht, so hätte sie mindestens ihre vorvertraglichen Pflichten aufgrund der Option, wenn nicht gar – nach Annahme des Angebotes durch die Deutsche Bank – ihre Vertragspflichten aus dem Aktienverkauf positiv verletzt. Kurz: Die Kooperation bestand und war sogar schuldrechtlich abgesichert. III. Veranlassung im Sinne von § 311 AktG Die zweite Frage nach der Veranlassung ist mit den obigen Ausführungen fast schon beantwortet. Denn der Plan zur Veräußerung ist von der Deutschen Bank entwickelt, auf ihren Wink hin in Gang gesetzt und von einigen ihrer Vorstandsmitglieder auch in den Verhandlungen mit den Käufern begleitet worden. Daß dies alles damals auch mitgetragen wurde vom – noch – formellen Gesellschafter Dr. F., ist hier von untergeordneter Bedeutung: Ohne das Startzeichen der Deutschen Bank [135] hätte weder der Vorstand der AG gehandelt noch Dr. F. Das aber genügt für das Merkmal der Veranlassung im Sinne von § 311 AktG29. IV. Schaden der AG Unvergleichlich viel schwieriger als die soeben angesprochene zweite ist die dritte Frage zu beantworten: Hat die Feldmühle Nobel AG im Sinne von § 317 AktG einen Schaden erlitten, selbst wenn sie zunächst einen Schaden erlitten hat30? Anders gewendet: Nimmt man einmal an, der Verkauf einer oder aller Finanzbeteiligungen sei tatsächlich unter Wert erfolgt, so bleibt doch der Einwand zu bedenken, der Mehrertrag wäre an die Deutsche Bank bzw. ihre Tochtergesellschaft gewiß auch ausgeschüttet worden, so daß nicht etwa die Feldmühle Nobel AG, sondern allenfalls die Deutsche Bank selbst als (mittelbare) Aktionärin geschädigt worden sei.

29 Vgl. Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 311 Rdn. 8 u. 10 ff. sowie Kropff, in: Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 311 Rdn. 90 u. 95 ff. 30 Das „Weniger“ in der Kasse der Feldmühle Nobel AG gegenüber dem „Mehr“ ist zunächst einmal gewiß ein Schaden im „natürlichen“ Sinne: Aber auch im Sinne von § 317 AktG?

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1. Unternehmerisches Beurteilungsermessen des veranlaßten Vorstands Diese Überlegungen wollen nicht näher auf die Frage eingehen, was in diesem Zusammenhang genau „Nachteil“ der AG im Sinne von § 311 AktG, was ihr „Schaden“ im Sinne von § 317 AktG ist. Wohl aber ist es von Gewicht, zu prüfen, ob dem veranlaßten Vorstand für die Festlegung des Kaufpreises der Finanzbeteiligungen ein unternehmerisches Beurteilungsermessen zukommt so, wie es im allgemeinen Handeln des Vorstands und vor allem beim Verkauf von Gegenständen ohne einen Marktpreis ganz selbstverständlich ist31. Man muß das annehmen. Denn die Veranlassung als solche wird vom Gesetz ja gerade nicht verboten oder gar diskriminiert; sie ist erlaubt. Nur, wo sie im Ergebnis vom vergleichbaren Geschäft eines sorgfältig handelnden unabhängigen Vorstands ohne solchen Einfluß negativ abweicht, ist sie nachteilig bzw. schädigend32. Das Gesetz verlangt vom Vorstand einer abhängigen nicht mehr als vom Vorstand einer unabhängigen Aktiengesellschaft, arg. § 317 II AktG; es will keine Sonderleistungen vom abhängigen Vorstand, sondern ein pflichtgemäßes Normalverhalten; das aber gibt dem unter- [136] nehmerisch unabhängigen Vorstand naturgemäß einen nicht unerheblichen Spielraum. 2. Schaden Angenommen nun, die weiten Grenzen dieses Spielraums seien hier überschritten, die Veräußerungen aus Gründen der Zeit o. ä. überhastet und, wie man jetzt weiß, deswegen nachteilig getätigt: Ist es dann noch immer ein Schaden der AG? Zunächst war es unter dieser Prämisse gewiß ein Nachteil der AG; sie hätte – das Faktum unterstellt – mehr Geld in ihre Kasse bekommen. Und das ist stets der klarste und einfachste Nachteil für eine natürliche oder auch juristische Person. Fraglich ist also unter der hier angenommenen Prämisse nicht der „Grund“Nachteil, fraglich ist vielmehr, ob dieser Nachteil (und der auf ihm beruhende Schaden des § 317 AktG) nicht später entfallen ist. Zwei denkbare Einwände des herrschenden Unternehmens Deutsche Bank sind zu berücksichtigen: (1) Die AG stünde im jetzigen Zeitpunkt auch nicht besser da, wenn ihr ein höherer Kaufpreis zugeflossen wäre, da dieser zusammen mit den übrigen Gewinnen an die damaligen Aktionäre ausgeschüttet worden wäre.

31 Vgl. Lutter, FS Stiefel, 1987, S. 505, 528 f. sowie ders., Kölner Komm. (Fn. 10), § 57 Rdn. 16 ff.; vgl. weiter Mertens, Kölner Komm. (2. Aufl.), § 76 Rdn. 10 und § 93 Rdn. 29. 32 Koppensteiner, Kölner Komm. (Fn. 10), § 311 Rdn. 33 ff. und Kropff, aaO., § 311 Rdn. 158.

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(2) Das herrschende Unternehmen bzw. seine Tochtergesellschaft hätte aber auch mit der AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nach den §§ 291, 293 ff. AktG abschließen können; in diesem Fall hätte man als herrschendes Unternehmen kraft des Weisungsrechts aus § 308 AktG die abhängige AG zum ungünstigen Verkauf anweisen können, ohne zum Ausgleich der Nachteile daraus verpflichtet gewesen zu sein. a) Beide möglichen Einwände des herrschenden Unternehmens, also sowohl die hypothetische Dividendenzahlung wie die hypothetische Weisung im hypothetischen Organschaftsvertrag, weisen darauf hin, daß derselbe Schaden des abhängigen Unternehmens auch in anderer Weise hätte eintreten bzw. hätte herbeigeführt werden können. Dieser Aspekt hat Rechtsprechung und Literatur zum Recht des Schadens und seines Ersatzes vielfach beschäftigt, ist früher unter dem Stichwort der „überholenden Kausalität“ behandelt worden und wird heute überwiegend unter dem Gesichtspunkt der „hypothetischen Ursachen“ bzw. der „Reserveursachen“ erörtert33. [137] Unter diesem Stichwort werden durchaus unterschiedliche Fälle angesprochen, die sich jedoch in homogenen Fallgruppen zusammenfassen lassen. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Frage, auf welche Weise bzw. durch wen veranlaßt der Schaden auch noch hätte eintreten können, wäre er nicht bereits eingetreten. Dabei kommen vor allem drei Varianten in Betracht: (1) Der Schaden wäre ohne Eingriff einer dritten Person auch entstanden (der beschädigte Pkw wäre später auf jeden Fall durch Hochwasser zerstört worden, das verletzte Bein hätte später als Raucherbein sowieso amputiert werden müssen); (2) der Schaden wäre durch eine dritte Person ausgelöst (der beschädigte Pkw wäre unweigerlich in eine von X veranlaßte Massenkarambolage verwickelt worden) oder (3) gar vom Geschädigten selbst herbeigeführt worden (der Geschädigte hatte das beschädigte Bild bereits zum Verbrennen vor den Kamin gelegt). Keine dieser drei Fallgestaltungen ist hier angesprochen. Aber: Es gibt darüber hinaus noch Fälle, in denen der – wie hier – rechtswidrig Schädigende den gleichen Erfolg (Schaden) auch durch rechtmäßiges Tun hätte herbeiführen können (sog. rechtmäßiges Alternativverhalten). Diese vierte und letzte Fallgruppe wird hier von den möglichen Einwänden des herrschenden Unternehmens angesprochen und bedarf allein der Erörterung. b) Ob ein solcher Hinweis auf eine gleiche Folge, veranlaßt durch ein völlig legales anderes Verhalten, beachtet werden muß, ist vielfach umstritten. Die An33 Eingehend dazu Lange, Handbuch des Schuldrechts, Bd. 1 „Schadensersatz“, Tübingen 1979, § 4, S. 110 ff.; Staudinger-Medicus, 11. Aufl., § 249 BGB Rdn. 98 ff.; Münchener Kommentar-Grunsky, 2. Aufl., vor § 249 BGB Rdn. 78 ff.; Soergel-Mertens, Komm. zum BGB, 11. Aufl. 1986, Vor § 249 Rdn. 152 ff.

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sichten reichen von der allgemeinen Bejahung34 über die ebenso allgemeine Ablehnung35 bis zur Differenzierung nach dem Schutzzweck der verletzten Norm36. Dieser letzten Auffassung ist zu folgen, da sie dem Normenkonflikt durch Differenzierung gerecht wird und die den Schadensersatz stipulierende Vorschrift als Schutznorm ins Zentrum der Überlegung rückt. Eine schematische Freistellung bzw. Nicht-Freistellung von der an sich vorgesehenen Ersatzpflicht wird auf diese Weise vermieden. [138] aa) Die §§ 311 ff., 317 AktG sind geradezu klassische Vorschriften zum (mittelbaren) Schutz der Gläubiger einer abhängigen Aktiengesellschaft37. Gerade die §§ 311 und 317 AktG haben die Aufgabe, alle etwaigen ungünstigen Rechtsgeschäfte der abhängigen AG, die später nur schwer aufgedeckt werden können, möglichst zu vermeiden und jedenfalls spätestens bis zum Ende des Geschäftsjahres auszugleichen. Diesem Schutzzweck zugunsten der mittelbar geschützten Gläubiger würde ein real abgeschlossener Unternehmensvertrag mit seiner anderen, aber nicht minder wirksamen Form des Gläubigerschutzes (Verlustausgleichspflicht nach § 302 AktG) durchaus gerecht, nicht aber ein nur gedachter Unternehmensvertrag. Denn für den Gläubiger der abhängigen AG ist es durchaus etwas anderes, ob die abhängige AG tatsächlich unter dem Schutz des § 302 AktG steht und von dem herrschenden Unternehmen den Ausgleich jeden Bilanzverlustes verlangen kann, oder ob das so gerade nicht gilt. Ein herrschendes Unternehmen kann daher die mit einem Beherrschungsvertrag verbundenen „Privilegien“ nur in Anspruch nehmen, wenn es einen solchen Vertrag auch abschließt und die damit verbundenen Rechtsnachteile auf sich nimmt. Es kann sich hingegen nicht später, wenn sich gezeigt hat, daß eine veranlaßte Maßnahme nachteilig war, auf die bloße Möglichkeit zum Vertragsabschluß berufen, um sich den Rechtspflichten aus der real gegebenen Situation zu entziehen. Daher bestimmt das Gesetz in § 294 AktG auch, daß ein Organschaftsvertrag nur wirksam wird mit seiner Eintragung im Handelsregister. Auch das zeigt, daß die Vorteile eines solchen Unternehmensvertrages nur beansprucht werden können, wenn sein Bestehen auch nach außen dokumentiert ist.

34 So vor allem Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 59 ff.; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten im haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang, 1977, passim; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT, 6. Aufl., § 33 III, 2.; Münchener Kommentar-Grunsky, vor § 249 BGB Rdn. 90 ff. 35 So vor allem Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl., § 55 VI, 4. 36 So BGHZ 96, 157, 173 mit umfangreichen Nachw. und BAG NJW 1984, 2846, 2847 sowie Lange, aaO. (Fn. 33), § 4 XII, 5; Staudinger-Medicus, aaO. (Fn. 33), § 249 BGB Rdn. 111; Soergel-Mertens, aaO. (Fn. 33), Vor § 249 BGB Rdn. 160 ff. 37 Unstr., vgl. nur BGHZ 69, 335, 336 f.; Amtl. Begr. zum AktG 65 bei Kropff, AktG 1965, S. 373 und 407; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., § 72 I.

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bb) Gleiche Überlegungen gelten für den Hinweis auf die sonst erfolgte Ausschüttung. Auch dieser Einwand zielt darauf ab, ein Verhalten aufzuzeigen, das auf rechtmäßige Art und Weise zu den gleichen Erfolgen geführt hätte. Aber auch hier steht der Schutzgedanke der Norm einer Berücksichtigung entgegen. Denn wenn ein höherer Ertrag erzielt worden wäre, wäre die Differenz zunächst einmal in das Vermögen der AG gelangt; der Schaden bei der AG wäre gerade nicht entstanden. Freilich wäre später (wahrscheinlich) die Dividende an den Alleinaktionär höher ausgefallen. Dieser Aspekt führt aber nicht dazu, daß ein Schaden der AG entfallen würde. Denn es ist allein Sache der Gesellschaft und ihrer für die jeweilige Maßnahme zuständigen Organe, wie sie mit ihrem Vermögen verfährt38. [139] Insbesondere ist es vollkommen üblich, daß eine AG Überschüsse an ihre Aktionäre ausschüttet. Das soll aber nicht zur Folge haben, daß damit der Schädiger entlastet wird. Daher gilt das gleiche auch dann, wenn in der AG das vom Gesetz für Ausschüttungen vorgesehene Verfahren (§§ 172, 174, 58 AktG) nicht eingehalten wurde. Wäre es anders, so könnte auf diese Weise praktisch jeder Fall einer verbotenen offenen oder verdeckten Gewinnausschüttung in den Rang des Rechtmäßigen erhoben, das Verbot der §§ 57, 58, 62 AktG beliebig unterlaufen werden allein mit dem Argument, daß die AG wohlhabend genug war, um die Ausschüttung auch korrekt und offen vorzunehmen. Eine solche Betrachtung entspricht nicht dem Gesetz39, 40. Außerdem könnte eine ertragreiche AG, die stets ihren gesamten Bilanzgewinn an ihre Aktionäre ausschüttet, bei einer solchen Argumentation überhaupt nicht geschädigt werden. Denn nach der Verteilung des Bilanzgewinns stünde sie immer genau so da, wie sie auch ohne das schädigende Ereignis stehen würde. Und das gleiche würde für jede AG gelten, die einen Gewinnabführungsvertrag nach den §§ 291 ff. AktG wirksam geschlossen hat und mithin stets ihren gesamten Gewinn an den Vertragspartner abzuführen hat. Daraus erhellt, daß es von Rechts wegen dem Schädiger nicht zugute kommen kann, wie die geschädigte abhängige AG ihre Vermögensobjekte und Erträge verwendet hätte.

38 Zutr. weist Grunsky (Münchener Kommentar), Rdn. 85 vor § 249 BGB darauf hin, daß die Frage, wie der Geschädigte mit dem Mehrerlös umgegangen wäre, zu seiner für die Schadensersatzpflicht irrelevanten Privatsphäre gehört. Ebenso auch Mertens, Kölner Komm., 2. Aufl., § 93 AktG Rdn. 25. 39 Das zeigt auch § 62 III AktG, wonach die Rückgewährpflicht einer unzulässigen Ausschüttung nur entfällt, wenn die Ausschüttung als Gewinn bezogen wurde und der Aktionär nicht wußte, daß er zum Bezug nicht berechtigt war. 40 Vgl. Lutter, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 57 Rdn. 5 und 14 sowie § 62 Rdn. 17 ff. und Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 57 Rdn. 4 u. 10 sowie § 62 Rdn. 9 ff. je mit allen Nachw.

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3. Verzicht der AG auf den Anspruch gegen das herrschende Unternehmen? Der somit aus § 317 I AktG begründete Anspruch gegen das Unternehmen Deutsche Bank – unterstellt, die Beteiligungen seien wirklich unter Wert veräußert worden – könnte schließlich durch einen Verzicht des Vorstands der abhängigen AG auf diesen Anspruch erloschen sein. Ein solcher Verzicht aber ist nur sehr eingeschränkt überhaupt zulässig. Wie die §§ 317 IV, 309 III AktG zeigen, kann die geschädigte AG erst nach Ablauf von drei Jahren seit Entstehen des Anspruchs und dann auch nur auf ihn verzichten, wenn ein Sonderbeschluß der außenstehenden Aktionäre gefaßt wird. [140] V. Geltendmachung der Ansprüche durch jetzige Aktionäre der Feldmühle Nobel AG Damit bleibt noch als letzte und vierte Frage zu erörtern, ob die jetzigen Aktionäre der AG die oben festgestellten Ansprüche für die AG geltend machen können. 1. Zur Geltendmachung berechtigte Personen Ein Schadensersatzanspruch der abhängigen AG gegen das herrschende Unternehmen aus § 317 AktG kann von drei Personengruppen für die AG geltend gemacht werden, nämlich vom Vorstand der AG selbst – denn es sind Ansprüche der AG –, von jedem einzelnen ihrer Aktionäre (§ 317 IV in Verbindung mit § 309 IV AktG) sowie von jedem Gläubiger der AG, der bei ihr keine Befriedigung seiner Ansprüche findet. Hier geht es nur um die Geltendmachung der Ansprüche von einzelnen der jetzigen Aktionäre einer abhängigen AG. 2. Ausschluß der Klagebefugnis wegen Kenntnis vom Verkauf der Beteiligungen a) Gegen die vom Gesetz den Aktionären der geschädigten AG zunächst fraglos gewährte Prozeßstandschaft/Klagebefugnis für die AG und zur Leistung an sie könnte eingewandt werden, daß eine Geltendmachung dieses Anspruchs gerade durch die Aktionäre im vorliegenden Fall treuwidrig wäre, weil sie beim Erwerb der Aktien wußten, daß die fraglichen Beteiligungen aus dem Vermögen der AG bereits ausgeschieden waren41. 41 Insoweit waren die im Verkaufsprospekt (Börsenprospekt) für die Aktien der Feldmühle Nobel AG (neu) gegebenen Informationen klar und korrekt.

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Diese Offenlegung führt aber nur dazu, daß kaufvertragliche Ansprüche, etwa geschützt durch culpa in contrahendo, gegen den Veräußerer der Aktien (die Deutsche Bank bzw. ihre Tochtergesellschaft) ausscheiden. Nur in diesem Vertragsverhältnis entfallen aufgrund der ordnungsgemäßen Unterrichtung der Aktionäre etwaige Ansprüche. Rechtspositionen der AG werden von dieser Vereinbarung nicht betroffen und können, wie schon § 309 III AktG zeigt, auch gar nicht betroffen werden. Nur ein Anspruch dieser Gesellschaft wird aber von den Aktionären nach § 309 IV AktG geltend gemacht; eigene Ansprüche werden hiermit nicht verfolgt. Daher müssen sich die Aktionäre auch nicht entgegenhalten lassen, daß sie um den Verkauf der Beteiligungen wußten. [141] b) Dieses Ergebnis wird durch den Sinn und Zweck des Klagerechts nach § 309 IV AktG unterstrichen: Den Aktionären wurde das Recht zur Geltendmachung der Ansprüche der AG aus §§ 317 und 318 AktG zugewiesen, weil mit einer Geltendmachung eben dieser Ansprüche durch den Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft nicht gerechnet werden kann. Denn der Vorstand der abhängigen AG ist in aller Regel seinerseits von dem herrschenden Unternehmen abhängig. Hinzu kommt, daß er mit einer Klage gegen das herrschende Unternehmen oftmals zugleich Hinweise auf seine eigene Verantwortlichkeit nach § 318 AktG geben müßte42. Gerade dieses Ziel, die Durchsetzung der Ansprüche der Gesellschaft in jedem Fall zu sichern, würde aber konterkariert, wenn allein die Tatsache, daß das herrschende Unternehmen den Vermögensbestand der AG den neu hinzukommenden Aktionären offenlegt, zum Verlust der Klagebefugnis führen würde. Demgemäß muß eine Geltendmachung des Anspruchs gegen das herrschende Unternehmen durch die Aktionäre immer dann möglich sein, wenn auch der Vorstand der abhängigen AG ihn geltend machen könnte. Die Aktionäre treten also gewissermaßen an die Stelle des in dieser Situation typischerweise funktionsunfähigen Vorstands43. Daher spielen Informationen, die sie bei Erwerb der Aktien erhalten haben, keine Rolle. 3. Ausschluß der Klagebefugnis mangels „Bedürfnis“? Denkbar wäre allerdings, daß die Aktionäre im vorliegenden Fall deshalb treuwidrig handeln, weil sie die auf §§ 317, 318 AktG gestützten Ansprüche der AG geltend machen, obgleich diese dem Schutz der Gläubiger und der Aktionäre dienen sollen, tatsächlich aber keine dieser beiden Personengruppen im konkreten Fall schutzbedürftig ist.

Koppensteiner, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 309 Rdn. 30. Koppensteiner, aaO., § 309 Rdn. 30 u. 31; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 309 Rdn. 36. 42 43

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Aktionäre sind als Mitglieder des Verbandes „Aktiengesellschaft“ dieser gegenüber zur mitgliedschaftlichen Treue verpflichtet44, können aber nach Maßgabe der konkreten Situation in der betreffenden AG auch ihren Mitaktionären gegenüber zu mitgliedschaftlicher Treue verpflichtet sein45. Hier kommt nur der letztere Aspekt in Betracht. Denn [142] Ansprüche der AG für diese gegen Dritte geltend zu machen, kann kaum gegenüber dieser AG treuwidrig sein, möglicherweise aber gegenüber dem der AG schuldenden Mitaktionär. a) Das Klagerecht der Aktionäre dient dazu, den als funktionslos gedachten Vorstand der AG zu substituieren. Daher kann ein treuwidriges Verhalten der Aktionäre nur dann angenommen werden, wenn sich auch der (aktuelle) Vorstand entgegenhalten lassen müßte, daß die Ansprüche aus § 317 AktG in dieser Situation nicht geltend gemacht werden können oder dürfen. Weder § 317 AktG noch sonst eine Norm aus dem Bereich des Rechts der verbundenen Unternehmen aber setzen eine aktuelle Gläubigergefährdung voraus. Die Idee, die der gesetzlichen Regelung des faktischen Konzerns zugrunde liegt, ist eine andere: Das Vermögen der abhängigen AG soll erhalten bleiben. Daher müssen eventuelle Nachteile, die auf die Einbindung (Konzernierung) zurückzuführen sind, bis zum Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen werden46. Das Gesetz schützt das Vermögen der abhängigen AG, nicht das der Aktionäre oder Gläubiger. Diese genießen Reflexschutz, sind aber nicht Subjekte der Norm; es geht, aus welchen Gründen auch immer, um die abhängige AG als selbständiges Rechtssubjekt. Diese Konzeption dient naturgemäß auch dem Gläubiger und dem Aktionär. Sie setzt aber nicht voraus, daß die Aktionäre im Moment der Geltendmachung des Anspruchs aktuell gefährdet sind: Das gilt, vernünftigerweise, nur für die Gläubiger und ihr Klagerecht, § 309 IV 3 AktG. Auch kann der Anspruch erst nach Ablauf einer 5jährigen Verjährungsfrist nicht mehr durchgesetzt werden (§§ 317 IV, 309 V AktG), ganz unabhängig von der Frage, wie sich die Vermögenslage der AG zwischenzeitlich entwickelt hat. b) Das Gesetz zeigt also in den §§ 311, 317 AktG bestimmte Verhaltensweisen auf, die in einem faktischen Verbund stets und immer unzulässig gegenüber der abhängigen AG sind, und sanktioniert sie mit Schadensersatzansprüchen. An § 311 AktG hat man sich auch zu halten, wenn die Geschäfte gut gehen und auch dann, wenn es sich um eine Einmann-AG handelt. Nur durch ein so generell gefaßtes Verbot kann erreicht werden, daß auf § 317 AktG gestützte Ansprüche 44 RGZ 158, 248, 254; näher dazu Lutter, JZ 1976, 225 ff. und AcP 180 (1980), 84, 102 ff. sowie Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 335 ff.; ders., Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., Einl. Rdn. 160 ff. 45 BGHZ 103, 184 und dazu Lutter, ZHR 153 (1989), 446 ff.; ders., JZ 1976, 225 ff.; Th. Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, S. 246 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 433; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1987, S. 438. 46 Koppensteiner, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 311 Rdn. 1 und Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 311 Rdn. 1 u. 35.

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auch real durchsetzbar bleiben. Denn weitere, von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängige und zusätzliche Einschränkungen dieses Anspruchs würden dazu führen, daß das herrschende Unternehmen kaum noch mit Aussicht auf Erfolg verklagt werden kann. Dies aber könnte letztlich zu einer Erosion des gesetzlichen Systems führen, das bestimmte Verhaltensweisen eben [143] nur im Vertragskonzern gestattet. Zwischen diesen beiden Konzernierungsformen muß ein Unternehmen wählen. Wählt es den faktischen Konzern, so impliziert dies, daß der Vermögensbestand der abhängigen Aktiengesellschaft per se erhalten werden muß und nur und ausschließlich in den vom Gesetz vorgesehenen Formen (z. B. förmliche Kapitalherabsetzung; Verteilung förmlich festgestellten Bilanzgewinns) gemindert werden darf. c) Die hier angestellten Überlegungen sehen die abhängige AG und ihre Interessen im Zentrum, den klagenden Aktionär als Instrument eben dieses Interesses. Dieser Sehweise könnte man geneigt sein, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. September 198547 entgegenzuhalten. In dieser Entscheidung wurde, anders als hier soeben vorgetragen, das konkrete Gläubigerinteresse ins Zentrum gerückt und die Frage, ob die betreffende Gesellschaft auch um ihrer selbst willen zu schützen ist48, ausdrücklich offengelassen49. Dennoch widerspricht die genannte Entscheidung nicht der hier vorgetragenen Auffassung. Anders als in der AG sind in der GmbH, wie auch der BGH in der genannten Entscheidung betont50, die jeweiligen Gesellschafter jederzeit berechtigt, in den Vermögensbestand der GmbH bis zur Grenze des § 30 GmbHG (Kapital) einzugreifen; das Verhalten des herrschenden Unternehmens Deutsche Bank wäre also gegenüber eine abhängigen GmbH zulässig gewesen. Das aber macht den Unterschied in den Rechtsformen aus: Auch der AlleinAktionär ist nach deutschem Aktienrecht strikt an das Verbot nachteiliger Eingriffe gebunden und wird nicht dadurch – mittelbar – entlastet, daß den späteren Aktionären die Klagebefugnis streitig gemacht werden könnte; es geht um die abhängige AG und ihren Bestand; der Rest ist Reflex und trifft daher den Alleinaktionär doppelt: als unmittelbar Pflichtigen aus §§ 311, 317 AktG und zugleich als Begünstigten des Reflexschutzes. Letzteres aber ist nur Teil-Grund, nicht Inhalt der Regelung. [144]

BGHZ 95, 330 (Autokran). So Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 416 ff.; a.A. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, Kommentar z. GmbHG, 15. Aufl. 1988, Schlussanhang I Rdn. 35 mit weiteren Nachw.; zum Stand der Debatte vgl. Lutter, in: Hommelhoff u. a., Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, ZGRSonderheft 6, 1986, S. 192, 210 ff. mit weiteren Nachw. 49 BGHZ 95, 330, 345 f. 50 BGHZ 95, 330, 340. 47 48

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VI. Sonderregeln für eine „Teil-Liquidation“? 1. Die Fragestellung Letztlich könnte man erwägen, den ganzen damaligen Vorgang als eine Art Liquidation zu werten, für die dann die Bestandsschutzregeln der §§ 311 ff. AktG möglicherweise nicht mehr in gleicher Weise gelten: Im Falle der Liquidation verfügen die Anteilseigner frei und unbeschränkt über ihre Gesellschaft51. Das gilt insbesondere auch für die Art der Vermögensverwertung, über die sie frei beschließen können52. Fraglich ist also, ob gleiches auch im Falle einer „Teil-Liquidation“ gilt, insbesondere also bei der Herauslösung und Versilberung eines ganz wesentlichen Teiles des Gesellschaftsvermögens. 2. Stellungnahme a) Im Falle der Liquidation einer Gesellschaft und bei der Entscheidung der Gesellschafter über die Verwertung des Vermögens der Gesellschaft kann tatsächlich ein irgendwie geartetes „Eigeninteresse“ der zu liquidierenden Gesellschaft an ihrem Fortbestand oder am Erhalt ihres Vermögens nicht (mehr) ausgemacht werden53. Eine Haftung des herrschenden Unternehmens und der beteiligten Organe nach §§ 317, 318 AktG für Weisungen im Rahmen der Vermögensverwertung kann daher durchaus fraglich sein, insbesondere dann, wenn weder Minderheiten noch Gläubigerinteressen tangiert sind. Aber all das ist ganz anders, wenn die Gesellschaft fortbesteht. Das Gesetz läßt nirgends erkennen, daß die Aktionäre und die Organe einer abhängigen AG bei der Verfügung über wesentliche Vermögensteile der abhängigen Gesellschaft plötzlich an die gesetzlichen Regeln der §§ 311, 317, 318 AktG nicht mehr gebunden sein sollen. Im Gegenteil: Der umgekehrte Schluß liegt deutlich näher. Gerade wenn bedeutsame Teile des Gesellschaftsvermögens betroffen sind, muß sich das herrschende Unternehmen besonders dringlich an die Regeln der §§ 311, 317 und 318 AktG BGHZ 103, 184, 190 f. mit Nachw. zum Stand der Diskussion. Umstritten ist hier, ob § 119 II AktG mit seinem Ausschluß der Hauptversammlung von Entscheidungen über Fragen der Geschäftsführung auch in Liquidationsverfahren zu beachten ist (vgl. dazu Kraft, Kölner Komm., 1. Aufl., § 268 Rdn. 4 einerseits, Wiedemann, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 268 Anm. 5 andererseits); das aber ist hier nicht die Frage; denn die Veräußerung der gesamten Finanzbeteiligungen ist nicht normale Geschäftsführung und bedarf daher auch in der Liquidation einer Entscheidung durch die Hauptversammlung (so auch Kraft, aaO., Rdn. 5). 53 Vgl. die Entscheidung BGHZ 103, 184 (Linotype) und dazu Lutter, ZHR 151 (1989), 446 ff. 51 52

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halten. Eine Privilegierung für das Herauslösen besonders großer Vermögensstücke, mit der Begründung, dann liege eine Teilliquidation vor, widerspricht diesem System. [145] b) Der hier geschilderte Fall macht das besonders deutlich: Ein hoher Veräußerungserlös aus dem Verkauf des Beteiligungsbesitzes wäre für die abhängige AG von Vorteil gewesen, sieht man in diesem Zusammenhang erst einmal von der geplanten Ausschüttung des zusätzlichen Gewinns an das herrschende Unternehmen ab. Denn das Desinvestitionsinteresse der Gesellschafter legitimiert nur zur Herauslösung einzelner Vermögensstücke der abhängigen Gesellschaft; aber es führt nicht an den Regeln des Aktiengesetzes vorbei, also an der Berücksichtigung der Vorstandspflichten aus § 93 AktG einerseits, den §§ 311, 317, 318 AktG andererseits. Die fortbestehende AG hat durchaus ein „Eigeninteresse“ am Erhalt der nach § 311, 317 AktG geschuldeten Summe. Von einem Wegfall des eigenständigen Unternehmensinteresses der abhängigen AG in bezug auf den abzuwickelnden Vermögensteil kann keine Rede sein. Vielmehr ist die abhängige AG als werbendes Unternehmen nach wie vor an der Durchsetzung ihrer Ansprüche interessiert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß auf „Weisung“ des herrschenden Unternehmens gerade besonders wertvolle Vermögensobjekte in Geld umgesetzt wurden. c) Schließlich muß man auch bedenken, daß eine förmliche Liquidation mit ihrer breiten Publizität etc. nicht beschlossen worden ist. Daher ist es auch materiell richtig, wenn das Gesetz so lange auf der strikten Einhaltung seiner Regeln beharrt, als sich die Gesellschafter nicht öffentlich zur Liquidation ihrer Gesellschaft bekennen. Dann sind alle Dritten gewarnt und das Gesetz kann sich mit seinen Schutzregeln auf die Besonderheiten der Liquidation zurückziehen. „Doppelvorteile“ – going concern und die Vorteile des Gegenteils, der Liquidation – sind von Gesetzes wegen nicht das Gemeinte. VII. Haftung der beteiligten Verwaltungen 1. Vorstand des herrschenden Unternehmens Liegen die Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht des herrschenden Unternehmens vor, so haften nach § 317 III AktG auf die fragliche Differenz auch diejenigen seiner gesetzlichen Vertreter (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer), die den Vorstand der abhängigen AG zu den fraglichen und nachteiligen Verkäufen veranlaßt haben.

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2. Vorstand der abhängigen AG a) Eher fraglich ist die Haftung auch der Vorstandsmitglieder der abhängigen AG. Denn nach dem Wortlaut des hier einschlägigen § 318 I AktG ist Haftungsgrund die fehlende Angabe des Nachteils im Abhän- [146] gigkeitsbericht. Darum allein aber geht es nicht54. Eigentlich gemeint ist, daß der Vorstand seine Pflichten aus § 311 AktG verletzt hat, indem er jeweils nicht sorgfältig geprüft hat, ob der vom herrschenden Unternehmen veranlaßte Verkauf der Beteiligungen zu den von diesem festgelegten Preisen nachteilig ist; diesen Nachteil dem herrschenden Unternehmen gegenüber nicht festgelegt und auf Ausgleich bis zum Abschluß des Geschäftsjahres (Rumpfgeschäftsjahrs) gedrängt sowie eben notfalls die entsprechenden Angaben darüber im Abhängigkeitsbericht gemacht hat, also insgesamt nicht mit den Formen und Mitteln des Gesetzes dafür gesorgt hat, daß der Nachteil seiner Gesellschaft ausgeglichen wird. Von einem solchen gesetzmäßigen Verhalten des Vorstands der abhängigen AG kann hier – unter den angenommenen Prämissen – ganz offenbar nicht die Rede sein. b) Nach §§ 93 IV, 318 III AktG tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. Ein förmlicher Beschluß ist hier nicht gefaßt worden. Denkbar wäre aber, daß die formlose Billigung der Vorstandsmaßnahme durch den Quasi-Alleinaktionär einem Beschluß der Hauptversammlung hier gleichsteht. Das ist nicht der Fall; im Aktienrecht sind formlose oder gar konkludente Hauptversammlungsbeschlüsse gänzlich unbekannt55. De lege lata kann zwar der Alleinaktionär auf Förmlichkeiten der Einberufung zu einer Hauptversammlung verzichten56; muß aber die Regeln einer förmlichen Versammlung strikt beachten; andernfalls handelt es sich um einen Nicht-Beschluß57. Im übrigen: Soweit es hier um die Einhaltung der Berichtspflicht nach § 312 AktG geht, hat die in § 318 III AktG aufgeführte Enthaftungsregel keine praktische Bedeutung. Denn auch ein förmlicher Beschluß der Hauptversammlung der abhängigen AG kann ihren Vorstand nicht von dieser Pflicht zur Be-

Dazu Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 318 Rdn. 2 ff. Zöllner, Kölner Komm., 1. Aufl., § 119 AktG Rdn. 4. 56 Zöllner, aaO., § 121 Rdn. 50 ff. 57 Zurückhaltend Zöllner, aaO., § 241 AktG Rdn. 49 ff. 54 55

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richterstattung befreien, da diese Regel nicht dispo- [147] sitiv ist. Ein gleichwohl gefaßter Beschluß wäre nicht gesetzmäßig im Sinne des § 318 III AktG58. c) Sämtliche damaligen Mitglieder des Vorstands der abhängigen AG haften also als Gesamtschuldner neben dem herrschenden Unternehmen der abhängigen AG auf Schadensersatz, soweit sie nicht je für sich nachweisen, die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers doch beachtet zu haben – ein kaum zu erbringender Nachweis, wenn doch die Überschreitung eines unternehmerischen Ermessens schon Voraussetzung des schädigenden Ereignisses selbst hier ist59. Selbst eine zwischenzeitliche Entlastung würde hieran nichts ändern, § 120 II 2 in Verbindung mit §§ 318 IV und 309 III AktG. VIII. Kontrollüberlegungen Hat man das alles so bedacht, die Herrschaft der Deutschen Bank über die Feldmühle Nobel AG im Dezember 1985 und ihre Veranlassung zum Verkauf der Finanzbeteiligungen bejaht, den Nachteil unterstellt und den Fortbestand des Schadens angenommen sowie die Klagebefugnis der neuen Aktionäre trotz ihrer Kenntnis und Information bestätigt, dann empfiehlt es sich doch einzuhalten für eine Kontrolle des Gesamtergebnisses. Denn was hier bisher vertreten wurde, führt zum Schutz der AG per se und vor allem zu ihrem Schutz vor und gegen den alleinigen Aktionär. Das mutet überraschend an und wie die fröhliche Urständ des „Unternehmens an sich“60. Tatsächlich führen plakative Formulierungen solcher Art aber nicht viel weiter. 1. Verdeckte Gewinnausschüttungen Vorgänge der hier erörterten Art – Veräußerungen durch eine Gesellschaft zu günstigen Bedingungen – finden nicht selten unmittelbar zwischen der AG und einem ihrer Aktionäre statt. In einem solchen Falle spricht man von einer sog. „verdeckten Gewinnausschüttung“, genauer und besser im Sprachgebrauch des Aktiengesetzes von „verdeckter Einlagenrückgewähr“61. Solche Gestaltungen werden vom [148] Aktiengesetz mit Nachdruck mißbilligt und mit aller Energie verfolgt: Der betreffende Aktionär ist zur Rückeinlage nach § 62 AktG verpflichKropff, aaO., § 318 Rdn. 9 und Koppensteiner, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 318 Rdn. 8. Siehe oben sub IV, 1. 60 Zur Debatte um das „Unternehmen an sich“ vor allem in den 20er Jahren vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 6 I, 2., S. 300 ff. sowie Zöllner, Stimmrechtsmacht (oben Fn. 44), S. 67 ff. 61 Vgl. Lutter, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 57 Rdn. 15 ff. sowie Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (oben Fn. 10), § 57 Rdn. 11 ff. 58 59

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tet, der Vorstand haftet aus § 93 AktG persönlich auf die Differenz; die AG kann den Anspruch weder erlassen noch auf seine Geltendmachung verzichten; dem Aktionär ist jede Einrede und jede Aufrechnungsbefugnis genommen62. In diesen Zusammenhängen spielt es – im Gegensatz zum GmbH-Recht – überhaupt keine Rolle, ob die AG mit der verdeckten Ausschüttung den Bereich ihres Kapitals und ihrer gesetzlichen Rücklage tangiert; denn in der AG unterliegt das ganze Gesellschaftsvermögen der Sperre aus §§ 57, 58 V AktG: Ohne förmlichen Ausschüttungsbeschluß ist jedwede Leistung an den Aktionär causa societatis schlichthin verboten. Das ist unstreitig63. Und das alles gilt auch und gerade, wenn es sich um den Mehrheits- oder Alleinaktionär handelt: Das Gesetz trifft keinerlei Unterscheidung nach der Zahl der Aktionäre64. 2. Verdeckte Gewinnausschüttung im faktischen Unternehmensverbund Diese Rechtslage ändert sich, wenn der betreffende Aktionär, wie im hier erörterten Fall, herrschendes Unternehmen ist. Hier treten für Sachverhalte der soeben genannten Art (verdeckte Gewinnausschüttung bzw. Einlagenrückgewähr) an die Stelle der §§ 57, 58, 62 AktG die §§ 311 ff. AktG als leges speciales65. Die Besonderheit dieser Normen besteht aber nur darin, daß der Vorgang unter der Voraussetzung rechtzeitiger Leistung des Ausgleichs erlaubt ist; nicht aber soll die AG etwa schlechter stehen: Das zeigen die §§ 317, 318 AktG; sie treten mit erweiterter Rechtsfolge (Schadensersatz statt nur Rückeinlage) an die Stelle von § 62 AktG. Es ist, sieht man diese Zusammenhänge richtig, überhaupt kein Grund ersichtlich, weshalb die Zahl der Aktionäre etc. bei §§ 311 ff., 317, 318 AktG eine Rolle spielen sollte, während sie bei den durch sie verdrängten Normen der §§ 57, 58, 62 AktG ohne jede Bedeutung ist. [149] 3. Zuwendung an Dritten Wird nun ein Vorgang der hier erörterten Art nicht im Verhältnis vom herrschenden Unternehmen zur abhängigen AG abgewickelt, sondern – wie hier – durch gewollte oder ungewollte Zuwendung des Vorteils an einen Dritten, so Näher dazu Lutter, aaO., § 62 Rdn. 4 ff., 28. Vgl. insbes. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 285; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 10 IV, 2.; K. Schmidt, ZHR 147 (1983), 175; Lutter, aaO., § 57 Rdn. 5 ff.; Hefermehl/Bungeroth, aaO., § 57 Rdn. 4; Barz, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 57 Anm. 3. 64 Vgl. dazu Lutter, FS Stiefel, 1987, S. 505, 527. 65 Lutter, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 57 Rdn. 76 ff. und Koppensteiner, ibid., § 311 Rdn. 107; Hefermehl/Bungeroth (oben Fn. 61), § 57 Rdn. 64 und Kropff, ibid., § 311 Rdn. 65; vgl. auch LG Düsseldorf, AG 1979, 290, 291. 62 63

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kann wiederum nichts anderes gelten: Weshalb auch sollte hier die Zusammensetzung des Aktionärskreises für die Rechte der AG und die Pflichten ihrer Verwaltung von Bedeutung sein? Die §§ 311 ff. AktG sollen ja u. a. auch alle Fragen danach, weshalb das herrschende Unternehmen eingreift und wohin der Vorteil fließt, obsolet machen66. Das herrschende Unternehmen, gleich ob Alleinaktionär oder nur Mehrheitsaktionär, soll entweder den Nachteil ausgleichen mit der Rechtsfolge: Beseitigung des rechtlichen Makels aus seiner Veranlassung oder eben Schadensersatz leisten. Der damit verbundene Bestandsschutz der abhängigen AG auch gegenüber ihrem Alleinaktionär ist hier ebenso gewollt wie im System der §§ 57, 58 V, 62 AktG67. Insofern enthalten die §§ 317, 318 AktG mit ihrer Pflicht zur Schadlosstellung der abhängigen AG keinerlei Besonderheit. 4. Unbilliges Ergebnis? Letztlich bleibt zu bedenken, daß auf diese Weise Personen (Aktionären) mittelbar Vermögensvorteile zukommen – Schadensersatzleistungen an die abhängige Aktiengesellschaft, die ggf. dann an sie ausgeschüttet werden können68 –, auf die sie so keinen „Anspruch“ haben. Man könnte also geneigt sein, das Ergebnis deswegen als unbillig, ja ungerecht anzusehen. [150] Aber das trifft nach Lage des Gesetzes nicht zu. Dieses hat sich bewußt und betont zum Schutz der abhängigen AG und nicht zum individuellen Schutz der Gläubiger69 und Aktionäre entschlossen70. Die hier eintretende „Begünstigung“ der

66 Dieser Aspekt ist nicht mit dem notwendigen Interesse des herrschenden Unternehmens an der nachteiligen Maßnahme zu verwechseln, vgl. dazu Koppensteiner, aaO., § 311 Rdn. 61; Kropff, aaO., § 311 Rdn. 34; Flume, Juristische Person, S. 122; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1987, S. 727. Auch wenn der Vorteil hier den Käufern zukommt, war das eigene Interesse des herrschenden Unternehmens an schneller Abwicklung fraglos gegeben. 67 Die hier vertretene Auffassung deckt sich im Ergebnis, wenn auch gewiß nicht in der Begründung, mit einer Lehre, die eine strengere Achtung und Beachtung der Rechtsfigur der juristischen Person fordert (insbes. Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333 ff. mit weiteren Nachw.). Und diese Auffassung entspricht ihrerseits der traditionellen Lehre und Rechtsprechung in Frankreich, welche die Autonomie der juristischen Person stets nachdrücklich betont hat (vgl. etwa Yves Guyon, Droit des Affaires I, 5. Aufl., Paris 1988, Rdn. 615) eine Lehre, die erst ganz kürzlich durch die Cour de Cassation im berühmten Fall Rozenblum vorsichtig etwas gemildert worden ist (Revue des Sociétés, 1985, 648). 68 Wie einstens die hohe Schadensersatzleistung des Bundes an die Lufthansa AG wegen des Bummelstreiks ihrer Beamten und Fluglotsen zu einer erhöhten Dividende an die Aktionäre geführt hat; vgl. Geschäftsbericht der Lufthansa AG für 1984, S. 31. 69 Anders die Rechte der USA, die den Gläubiger (nur) individuell und ad hoc durch Zuerkennung eines Durchgriffsrechtes (piercing the corporate veil) schützen. Vgl. dazu näher Drüke, Haftung einer Muttergesellschaft für Schulden ihrer Tochter nach US-amerikanischem und deutschem Recht, Diss. Bonn 1989.

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neuen Aktionäre ist im Interesse der abhängigen AG gewollt; sie tritt daher auch ganz selbstverständlich ein, wenn ein Aktionär in Unkenntnis solcher Dinge zu schlechten Kursen veräußert und der „Neue“ die Chance zufällig entdeckt. Seine „Prämie“ ist im System des Gesetzes gewollt, kann also nicht unbillig sein; denn das Gesetz ist frei, auch durch solche „Lockmittel“ ein bestimmtes und gewünschtes Ergebnis zu erzielen71. Man mag diesen Schutz der abhängigen AG für übertrieben erachten, de lege lata ist er gewollt und in die Systematik des Aktiengesetzes mit seinen §§ 57, 58 V, 62 AktG einerseits und ersatzweise seine §§ 311, 317, 318 AktG andererseits eingebunden. Das aber hat dann auch den gewiß großen Vorteil, daß die Aktiengesellschaft deutschen Rechts vor den Angriffen eines etwaigen Plünderers mit viel stärkeren Mauern geschützt ist als etwa eine US-Corporation72 oder auch eine deutsche GmbH, deren Vermögen dem Zugriff ihrer Gesellschafter stets und jederzeit bis hinab zur Grenze des förmlichen Stammkapitals (§ 30 GmbHG) offensteht73.

70 Dieser Individualschutz tritt mit den §§ 304-306 AktG erst im Vertragskonzern neben den fortbestehenden, wenn auch anders gearteten Schutz der Gesellschaft nach §§ 302, 303 AktG (Pflicht zum Verlustausgleich). 71 Ein klares Beispiel dieser Art sind die „punitive damages“ des US-amerikanischen Rechtes; vgl. dazu Thümmel, RIW 1988, 613 f. mit vielen Nachw. Solche „punitive damages“ sind aber auch dem deutschen Recht jedenfalls de lege ferenda nicht mehr ganz fremd; vgl. etwa § 25 I des Vorschlages für ein Insider-Gesetz des Arbeitskreises Gesellschaftsrecht (G. Hueck, Lutter, Mertens, Rehbinder, Ulmer, Wiedemann, Zöllner), Heidelberg 1976, S. 66 und S. 110 ff. 72 Dazu eingehend Lutter/Wahlers, AG 1989, 1 ff. 73 Dazu Lutter, Kölner Komm. (oben Fn. 10), § 57 Rdn. 6; ders., FS Stiefel, 1987, S. 505, 525 ff.

Aktienerwerb von Rechts wegen: Aber welche Aktien? IN: IMMENGA/MÖSCHEL/REUTER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR ERNST-JOACHIM

MESTMÄCKER, BADEN-BADEN 1996, S. 943-954 I. Einleitung und Problemstellung In vielen Fällen der Umstrukturierung von Gesellschaften schreibt das Gesetz vor, daß den betroffenen Gesellschaftern Aktien der begünstigen Gesellschaft zu gewähren oder mindestens anzubieten seien. So ist die Verschmelzung geprägt von dem Gedanken, daß die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft dann, wenn übernehmende Gesellschaft eine Aktiengesellschaft ist, Aktien dieser Gesellschaft zum Ausgleich für ihre bisherigen und jetzt untergehenden Mitgliedschaften erhalten. Das sagen die §§ 3 und 5, 66 ff. UmwG 1994 ebenso klar wie Art. 3 der Verschmelzungs-Richtlinie1. Und genauso bestimmt es § 305 Abs. 1 AktG als Wahlrecht für die Aktionäre der (vertrags-)abhängigen Gesellschaft und § 320b AktG für die ausscheidenden Aktionäre der eingegliederten Gesellschaft. Kein Wort aber sagen alle diese Regeln zu der Frage, in welche Art oder Gattung von Aktien umzutauschen ist, welche Ausgestaltung von Mitgliedschaften angeboten werden muß: Nur Stammaktien oder auch Vorzugsaktien, Mehrstimmrechtsaktien oder vinkulierte Aktien? Muß die aufnehmende Gesellschaft in der Verschmelzung oder Abspaltung, die Haupt- oder Obergesellschaft bei Eingliederung oder Unternehmensvertrag genau die Gattung liefern, die der Berechtigte verliert, oder sind auch andere Kriterien maßgebend? Die Frage hat große rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung für die betroffenen Gesellschafter; schließlich sind Höhe des Stimmrechts und stete Verfügbarkeit entscheidende und wertbildende Elemente der Aktie. Aber darin erschöpft sich das Problem 1 Richtlinie 78/855/EWG vom 9.10.1978 ABl EG Nr. L 295 vom 20.10.1978, S. 36 ff., abgedruckt auch bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 131 mit weiteren Nachweisen. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie lautet: „Im Sinne dieser Richtlinie ist die Verschmelzung durch Aufnahme der Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt.“

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mitnichten. Ein Blick auf den Kurszettel macht deutlich, daß Stammaktien nahezu immer um ein erhebliches, nämlich um 20 bis 30% höher bewertet werden als stimmrechtslose Vorzugsaktien. Darauf aber nehmen die Wertgutachten keine Rücksicht, die vom Gesetz (§§ 293b ff. und 320 Abs. 3 AktG, §§ 9 ff., 125 UmwG) in allen diesen Fällen gerade zum Schutz der betroffenen Gesellschaften verlangt werden. Denn diese stellen den Wert der beiden beteiligten Unternehmen fest, errechnen daraus und aus der Höhe der jeweiligen Grundkapitalien den – rechnerischen – Wert einer Aktie und gelangen so zum jeweiligen Umtauschver- [944] hältnis – behandeln also Aktie gleich Aktie. Und tatsächlich repräsentiert ja jede Aktie einen gleichen Anteil am Vermögen der betreffenden Gesellschaft; nur vermittelt sie eben darüber hinaus noch einige zusätzliche Rechte – einige mehr, andere minder. Wie also ist zu verfahren, welche Art von Aktien sind zu liefern? Davon ist hier zu handeln. II. Die Meinungen in der Literatur 1. Für den Fall der Eingliederung wird einhellig die Ansicht vertreten, daß Inhaber von Stammaktien der eingegliederten Gesellschaft stets mit Stammaktien der Hauptgesellschaft abzufinden seien. Es wird dabei allerdings weder erörtert, welche Aktiengattungen bislang von der Hauptgesellschaft ausgegeben worden sind, noch gar nach diesem Kriterium differenziert2. Begründet wird die Forderung nach der Gattungsgleichheit der Aktien damit, daß unter Zugrundelegung des Feldmühle-Urteils des Bundesverfassungsgerichts3 „die zu gewährenden Aktien solcher Art sein [müßten], daß sie keine Beeinträchtigung der Mitgliedschaftsrechte enthalten“ dürften4. Weiterhin wird angeführt, daß es den Aktionären der eingegliederten Gesellschaft nicht zuzumuten sei, daß ihre Aktien anläßlich der Eingliederung verändert würden5, und im übrigen wird darauf abgestellt, daß nur die Gewährung von Stammaktien mit dem vom Gesetz bezweckten Primärschutz der Aktionäre gegen Beeinträchtigung ihrer aus der Mitgliedschaft folgenden Herrschaftsrechte in Einklang zu bringen sei6. 2 Hüffer, AktG, 2. Aufl. 1995, § 320b Rn. 4; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., 1987, § 320 Rn. 22; Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4 (Aktiengesellschaft), 1988, § 73 Rn. 19; Semler/Grunewald, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1991, § 320 Rn. 22; Würdinger, in: Großkommentar AktG, 3. Aufl. 1975, § 320 Anm. 14; Petzel, Ansprüche der Minderheitsaktionäre bei Unternehmensverbindung und Umwandlung, DISS. Göttingen, 1967, S. 84 f. 3 BVerfGE 14, 263. 4 Würdinger, (Fn. 2), § 320 Anm. 14. 5 Semler/Grunewald, (Fn. 2), § 320 Rn. 22. 6 Hüffer, (Fn. 2), § 320b Rn. 4; Würdinger, (Fn. 2).

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2. Das Problem der Abfindung mit Aktien stellt sich in gleicher Weise beim Abschluß eines Unternehmensvertrages, § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 S. 1 AktG. Auch hier wird die Ansicht vertreten, daß Stammaktionäre ohne ihre Zustimmung nur mit Stammaktien der herrschenden Gesellschaft abgefunden werden könnten7. Eine Gegenansicht erlaubt hier aber die Abfindung von Stammaktionären mit stimmrechtslosen Vorzugsaktien, da dem Vorstand der künftig vertragsabhängigen Gesellschaft bei der Festsetzung des Umtauschverhältnisses und der Art bzw. Gattung der als Abfindung anzubietenden Aktien Ermessen eingeräumt sei, das auch [945] die Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse gebiete8 und das Gesetz neben der Abfindung eben auch den Ausgleich zur Wahl stelle9. 3. Breiter ist das Meinungsspektrum bei der mit der Eingliederung wirtschaftlich am ehesten vergleichbaren Verschmelzung. Hier hat die fehlende gesetzliche Regelung in Hinblick auf die Gattung der im Umtausch zu gewährenden Aktien zu einer Kontroverse in der Literatur geführt, die bislang noch nicht durch ein höchstrichterliches Urteil geklärt wurde. a) Ein Teil der Literatur läßt die Abfindung von Stammaktionären mit Aktien der Gattung, also auch stimmrechtslosen Vorzugsaktien, und ohne Rücksicht auf die von der Hauptgesellschaft bislang ausgegebenen Aktien zu10. Eine Zustimmung der Aktionäre sei nicht erforderlich, solange der Gleichheitsgrundsatz in der übertragenden Gesellschaft gewahrt bleibe, sie also alle ihr Stimmrecht verlieren würden11. Zur Begründung wird angeführt, daß das Gesetz nur von Aktien spreche und keine Ausführungen zu ihrer Ausstattung mache12. Weiterhin habe ein Minderheitsaktionär kein Recht auf einen unveränderten Bestand der Mitgliedschaft. Das ergebe sich aus der gesetzlichen Regelung zur Auflösung der Gesellschaft, die mit Dreiviertelmehrheit beschlossen werden könne13, sowie aus der Möglichkeit der nachträglichen Beeinträchtigung des Stimmrechts ohne Zustimmung der Betroffenen durch die Einführung von Krieger, (Fn. 2), § 70 Rn. 73; Petzel, (Fn. 2), S. 46. Würdinger, (Fn. 2), § 305 Anm. 11. 9 Würdinger, (Fn. 2), § 315 Anm. 11 und § 320 Anm. 14. 10 Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., 1990, § 339 Rn. 52; Barz, AG 1972, 1 ff (6). Zum AktG 1937: v. Godin, DJ 1939, 1165 ff (1165); Klausing, ZAkDR 1939, 505 ff (506); Dietrich, DR 1940, 1121 ff (1123 f); Böttcher/Meilicke, Umwandlung und Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 5. Aufl., 1958, § 233 Rn. 24; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 2. Aufl., 1966, S. 223; ders., Gesellschaften, 2. Teil Kapitalgesellschaften, 1943, S. 201; von Godin/Wilhelmi, AktG, 2. Aufl., 1950, § 233 Anm. 5. 11 Von Godin/Wilhelmi, (Fn. 10), § 233 Anm. 5; von Godin, DJ 1939, 1165 ff (1167); Kraft, (Fn. 10), § 339 Rn. 52. 12 Von Godin, DJ 1939, S. 1165 ff; Dietrich, DR 1940, S. 1121 ff (1123); Kraft, (Fn. 10), § 339 Rn. 52. 13 Klausing, ZAkDR 1939, 505 ff (508); a.A. Weipert, ZHR 110 (1944), 23 ff (41 f). 7 8

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Höchst- oder Mehrstimmrechten, die mit satzungsändernder Mehrheit möglich seien, oder auch durch die Zusammenlegung von Aktien bei einer Verschmelzung aufgrund unterschiedlicher Unternehmenswerte14. Im übrigen erfolge der Erwerb der Aktien im Rahmen der Verschmelzung originär, somit liege kein typischer Fall einer zustimmungspflichtigen Umwandlung der Aktiengattung vor15. Schließlich ergebe sich die Zulässigkeit der Ausgabe von Vorzugsaktien an ehemalige Stammaktionäre daraus, daß man in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den gleichen Erfolg auch über die Schritte Vermögensveräußerung gegen stimmrechtslose Vorzugsaktien, anschließender Auflösung der Gesellschaft und Verteilung des Liquidationserlöses in Natur (i.e. stimmrechtslose Vorzugsaktien) erreichen könne16. [946] Einige Vertreter dieser Ansicht schränken die Freiheit der Wahl der Aktiengattung ein, indem sie verlangen, daß der Gleichheitsgrundsatz auch im Verhältnis zu den Aktionären der aufnehmenden Gesellschaft gewahrt werden müsse, da dieser auch im Verhältnis der Aktionäre beider Gesellschaften zueinander gelte, weil sie in Zukunft Aktionäre derselben Gesellschaft seien. Eine Zustimmung der Aktionäre der Überträgerin sei notwendig, wenn sie ungleich behandelt würden, wenn also alle Aktionäre der Übernehmerin ihr Stimmrecht behalten würden, während sie das ihrige im Zuge der Verschmelzung verlieren würden17, bzw. weil im übrigen die in §§ 179 Abs. 3 und 182 Abs. 2 AktG niedergelegten Grundsätze zu beachten seien18. Das aber gelte wiederum nicht, wenn eine Aktiengattung neu geschaffen werde und alle Aktionäre der Überträgerin der gleiche Vor- bzw. Nachteil treffen würde19. Würdinger schränkt die Freiheit zur Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien dahingehend ein, daß sie nur zulässig sein soll, wenn der Vorzug den Wegfall des Stimmrechts kompensiere20. b) Die überwiegende Ansicht in der Literatur hält den Umtausch von Stammaktien der übertragenden Gesellschaft in stimmrechtlose Vorzugsaktien der aufnehmenden Gesellschaft für unzulässig. Die zum Tausch angebotenen Aktien müßten stets gleichwertig sein, d. h. der gleichen Gattung angehören21: Bei Von Godin, DJ 1939, 1165 ff (1167). Klausing, ZAkDR 1939, 505 ff (506); von Godin, DJ 1939, 1165 ff (1166); a. A. Weipert, ZHR 110 (1944), 23 ff (44 f). Ähnlich wie Klausing und v. Godin jetzt Widmann/Mayer, UmwG, Teil A, Rn. 191 zu § 13 II des neuen UmwG 1994. 16 Von Godin, DJ 1939, 1165 ff (1166); Klausing, ZAkDR 1939, 505 ff (506). 17 Böttcher/Meilicke, (Fn. 10), § 233 Rn. 24; a.A. Kraft, (Fn. 10), § 339 Rn. 52. 18 So Kraft, (Fn. 10), § 339 Rn. 52. 19 Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., 1986, § 11 Rn. 36 f. 20 Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, S. 232; ders., Aktien- und Konzernrecht, 3. Aufl., 1973, S. 212. 21 Dehmer, Umwandlungsrecht, Umwandlungssteuerrecht, Kommentar, 1994, § 339 Anm. 5; Sagasser/Bula, Umwandlungen, 1995, S. 67; Grunewald, (Fn. 2), § 340 Rn. 9; von Go14 15

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dieser Aussage wird nicht danach differenziert, welche Gattung(en) von Aktien von der aufnehmenden Gesellschaft bisher ausgegeben worden sind. Hingegen wird teilweise und umgekehrt zugelassen, daß anstelle von stimmrechtslosen Vorzugsaktien den Aktionären der Überträgerin Stammaktien der Übernehmerin angeboten werden22. Das Erfordernis der Gattungsgleichheit wird damit begründet, daß auch im Rahmen der Verschmelzung die allgemeinen Grundsätze zur Änderung von Mitgliedsrechten, also die §§ 179 Abs. 3 und 182 Abs. 2 AktG beachtet werden müßten23. So könne den Aktionären das Stimmrecht nicht mittels eines Mehrheitsbeschlusses entzogen werden; an diesem Grundsatz ändere sich nichts und könne sich nichts ändern, wenn im Zuge einer Verschmelzung ein Aktientausch zwischengeschaltet werde24. Im übrigen stelle es für den Fall, daß die Übernehmerin Mehrheitsgesellschafterin der Überträgerin sei, einen Mißbrauch der Mehrheitsmacht dar, wenn sie [947] den Aktionären der Überträgerin zugunsten ihrer eigenen Aktionäre das Stimmrecht nehme25. An anderer Stelle verlangt Schilling die Abfindung von Stammaktionären der übertragenden Gesellschaft mit Stammaktien der aufnehmenden Gesellschaft nur für den Fall, daß in der Übernehmerin lediglich Stammaktien ausgegeben worden sind. Er begründet dies damit, daß der gesellschaftsrechtliche Gleichheitssatz auch im Verhältnis der Aktionäre beider Gesellschaften zueinander gelte, da sie in Zukunft Aktionäre derselben Gesellschaft seien. Eine Zustimmung der Gesellschafter der Überträgerin sei also nur notwendig, wenn sie ungleich behandelt würden, wenn also die Aktionäre der Übernehmerin ihr Stimmrecht behalten würden, während sie das ihrige im Zuge der Verschmelzung verlieren würden26. III. Kritik 1. Keine der soeben referierten Meinungen in der Literatur, von Ansätzen bei Schilling abgesehen, erörtert die Frage, welche Aktien und ggf. in welcher Verteidin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl., 1971, § 339 Anm. 8; Schilling, in: Großkommentar AktG, 3. Aufl., 1975, § 339 Anm. 8; Heckschen, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 1989, S. 18; zum AktG 1937: Schlegelberger/Quassowski, AktG, 3. Aufl., 1939, § 233 Rz. 8; Weipert, in: Großkommentar AktG, 1. Aufl., 1939, § 233 Anm. 15; Schilling, in: Großkommentar AktG, 2. Aufl., 1965, § 233 Anm. 15; Weipert, ZHR 110 (1944), 23 ff (37, 41). 22 So z. B. Schilling (Fn. 21), 3. Aufl., § 339 Anm. 8 und für die Eingliederung auch Hüffer, (Fn. 2), § 320b Rn. 4. 23 Dehmer, (Fn. 21), § 339 Anm. 5. 24 Sagasser/Bula, (Fn. 21); Grunewald, (Fn. 2), § 340 Rn. 9; von Godin/Wilhelmi, (Fn. 10), § 339 Anm. 8; Schilling, 3. Aufl., (Fn. 21), § 339 Anm. 8; Schlegelberger/Quassowski, (Fn. 21), § 233 Anm. 8; Schilling, 2. Aufl., § 233 Anm. 15; Weipert, ZHR 110 (1944), 23 ff (37 ff). 25 Schilling, (Fn. 21), 3. Aufl., 1975, § 339 Anm. 8; ders., 2. Aufl., (Fn. 21), § 233 Anm. 15. 26 Schilling, JZ 1953, 489 ff (490); ders., Großkomm., 3. Aufl., § 339 Anm. 8.

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lung die aufnehmende Gesellschaft (Hauptgesellschaft, Obergesellschaft) selbst bislang ausgegeben hat, ob es bisher überhaupt nur Stammaktien dort gibt und Vorzugsaktien jetzt erst anläßlich der Umstrukturierung geschaffen werden sollen, ob es bislang überhaupt nur vinkulierte Namensaktien gibt und solche zum Umtausch jetzt wieder geschaffen werden sollen etc. Dabei unterscheiden sich die Fälle deutlich: Im ersten Fall soll mit Hilfe des Wechsels der Aktiengattung gestaltet werden – etwa um die Herrschaftsverhältnisse in der aufnehmenden Gesellschaft (Hauptgesellschaft, Obergesellschaft) nicht zu berühren –, im letzteren Falle sollen dann hingegen nur die bisherigen Strukturen relativ unverändert fortgeführt werden. 2. Die Literatur berücksichtigt bislang noch überhaupt nicht, daß alle die verschiedenen Gattungen von Aktien zwar alle entsprechend ihren Nominalwerten relativ die gleichen Anteile am Vermögen der Gesellschaft repräsentieren, dennoch aber am Markt ganz unterschiedlich bewertet werden. Eine Vorzugsaktie ohne Stimmrecht wird normalerweise mit einem Abschlag von 20 bis 30% gegenüber der betreffenden Stammaktie gehandelt27; aber es kann auch ganz anders sein, wenn nämlich der Vorzug so hoch ist, daß er den Gewinn der Gesellschaft mehr oder minder vollständig aufzehrt. Eine gar zu „lineare“ Antwort wäre zu einfach und würde gar Spekulationen die Türen öffnen. [948] IV. Eigene Überlegungen 1. Die maßgebenden rechtlichen Grundsätze a) Die Position der Literatur, die eine Abfindung bzw. einen Tausch nur mit Aktien gleicher Gattung zuläßt, wie sie der betroffene Aktionär bislang in Händen hält, wird von dem Gedanken bestimmt, den Aktionären der übertragenden bzw. einzugliedernden bzw. beherrschten Gesellschaft in der „neuen“ Gesellschaft gleichwertige Herrschaftsrechte zu gewähren. Das ist zutreffend und findet eine Stütze in der Begründung zum Regierungsentwurf zu § 305AktG 1965, wonach die Ansprüche auf Garantiedividende gemäß § 304 AktG keinen Ausgleich für die mit dem Abschluß eines Unternehmensvertrages verbundene Beeinträchtigung der Herrschaftsrechte darstellen28. Das Gesetz will aber nicht nur einen Ausgleich für den Verlust der Herrschaftsrechte gewähren, es will vor allem, daß die Aktionäre ein wertmäßiges Äquivalent für den Verlust ihrer Beteiligung an der einzugliedernden bzw. übertragenden Gesellschaft erhalten. Diese beiden Aspekte kommen zum Ausdruck,

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S. unten Fn. 36. Begr. RegE bei Kropff, S. 397.

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wenn das Gesetz auf die Verschmelzung verweist. So bestimmt § 320b Abs. 1 Satz 4 AktG: „Werden als Abfindung Aktien der Hauptgesellschaft gewährt, so ist die Abfindung als angemessen anzusehen, wenn die Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der Hauptgesellschaft zu gewähren wären, wobei Spitzenbeträge durch bare Zuzahlung ausgeglichen werden können.“

und § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG formuliert: „Werden als Abfindung Aktien einer anderen Gesellschaft gewährt, so ist die Abfindung als angemessen anzusehen, wenn die Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der Hauptgesellschaft zu gewähren wären, wobei Spitzenbeträge durch bare Zuzahlung ausgeglichen werden können.“

b) Bei der Behandlung der Umtauschaktien geht das Gesetz vom Modell der Verschmelzung aus. Das bedeutet, daß Verschmelzung, Eingliederung und Unternehmensvertrag im Hinblick auf die Aktionäre, soweit sie ipso jure (Verschmelzung) oder kraft eigener Entscheidung (Eingliederung, Unternehmensvertrag) Aktien der aufnehmenden (herrschenden) Gesellschaft zu erhalten wünschen (Umtausch), nach gleichen Grundsätzen behandelt werden sollen und zwar solchen, die sich am Modell der Verschmelzung orientieren. Die Verschmelzung – sei es durch Aufnahme oder durch Neugründung – führt nun aber nicht nur dazu, daß sich zwei Vermögensmassen vereinigen, sondern zugleich auch zwei Gesellschafter- (Aktionärs-)kreise. Nach dem Abschluß eines solchen [949] Vorgangs finden sich alle Vermögensteile, aber auch alle Gesellschafter in einer Gesellschaft wieder. Aus dieser Tatsache, daß die Aktionäre der an einer Verschmelzung beteiligten Gesellschaften Aktionäre einer Gesellschaft werden, folgt, daß auch zwischen ihnen der generell im Gesellschaftsrecht geltende Gleichheitssatz gelten muß29. Es müssen also nicht nur die Gesellschafter der beiden Gesellschaften untereinander – wie § 53a AktG ganz selbstverständlich postuliert –, sondern auch die Gesellschafter der aufnehmenden bzw. Hauptgesellschaft und die der übertragenden bzw. einzugliedernden Gesellschaft gleichbehandelt werden30. c) Im Ergebnis soll aus der Verschmelzung mithin – und das ist evident – keiner der Gesellschafter/Aktionäre der beteiligten Gesellschaften Nachteile erleiden. Es soll aber auch kein Gesellschafter Vorteile aus dem Vorgang als solchem ziehen können und dürfen: Es handelt sich um ein sogenanntes NullSummen-Spiel: Niemand soll Nachteile haben, also kann auch niemand Vorteile haben; denn einen außenstehenden Dritten, der zuzahlen müßte, gibt es nicht. Auch das Gesetz formuliert diesen Gedanken, zwar nicht unmittelbar, aber durchaus erkennbar mittelbar, indem es sich mit großer Sorgfalt um die Gruppe So schon Schilling, oben Fn. 26. So zutreffend: Böttcher/Meilicke, (Fn. 10), § 233 Rn. 25 und vor allem Schilling, JZ 1953, 489 ff (490). 29 30

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der potentiell Gefährdeten, eben der übergehenden Gesellschafter kümmert. Mit Offenlegung der Daten, Bericht der Verwaltung, Prüfung durch unabhängige Prüfer und Kontrolle des Gerichts31 soll sichergestellt sein, daß sie, die potentiell Gefährdeten, nach Abschluß des Vorgangs zwar nicht genauso, aber vermögensund wertmäßig genauso gut dastehen wie zuvor: Vermögensnachteile werden ihnen nicht zugemutet32. Aber diese Sichtweise zeigt zugleich: Die Betroffenen haben auch keinen Anspruch auf Vorteile, auf eine wie auch immer geartete Besserstellung. Und weiter heißt das: Den Gesellschaftern/Aktionären der aufnehmenden bzw. herrschenden Gesellschaft/Hauptgesellschaft wird kein Vermögensopfer abverlangt; auch sie sollen hinterher gewiß nicht besser, aber eben auch nicht schlechter dastehen als zuvor: das ist nur die andere Seite der ganz und gar gleichen Medaille. Das ist auch der Grund, weshalb sie, die Gesellschafter der aufnehmenden Gesellschaft, berechtigt sind, mit der Behauptung einer Bevorzugung der anderen, jetzt hinzutretenden Gesellschafter/Aktionäre ihrerseits den Zustimmungsbeschluß als rechtswidrig anzufechten und gerichtlich überprüfen zu lassen33. Um „angemessen“ im Sinne der §§ 305 Abs. 3 Satz 1 und 320b Abs. 1 Satz 4 AktG zu sein, muß das Umtauschangebot an die ausscheidenden Gesellschafter allen Aspekten der Gleichwertigkeit Rechnung tragen. Das bedeutet im Einzelnen: Unter Wahrung des Gleichheitssatzes und des Gebotes, [950] daß niemand gewinnen, aber auch niemand verlieren soll, muß das Umtauschangebot erstens der Forderung nach Gleichwertigkeit der Herrschaftsrechte und zweitens der Forderung nach gleichem Wert der Beteiligungen gerecht werden. 2. Praktische Folgerungen für die Herrschaftsrechte a) Hält man sich diese klaren und in sich schlüssigen Prinzipien vor Augen, so kann das Gebot der Gleichwertigkeit nicht nur für die rechnerische Beteiligung, das reine Umtauschverhältnis gelten, es muß auch die Qualität der Mitgliedschaft mit in die Überlegungen einbeziehen. So muß die Gruppe der potentiell Gefährdeten nicht nur im Anteil am Vermögen nach Abschluß des Vorgangs §§ 5-15 UmwG 1994. § 15 Abs. 1 UmwG formuliert diesen Gedanken klar und deutlich: „Ist das Umtauschverhältnis der Anteile zu niedrig bemessen oder ist die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger kein ausreichender Gegenwert …“ 33 Grunewald, (Fn. 2), § 352c Rn. 8. Vgl. auch die Begründung zum RegE UmwG § 14 bei Ganske, Umwandlungsrecht, 2. Aufl., S. 64, wo ausdrücklich darauf eingegangen wird, weshalb dieses Anfechtungsrecht der Anteilsinhaber der aufnehmenden Gesellschaft in § 14 Abs. 2 UmwG 1994 nicht ausgeschlossen worden ist. 31 32

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genauso stehen wie vorher, sondern auch im Stimmrecht. Anders gewendet: sie muß die gleichen Herrschaftsrechte erhalten, wie sie vorher hatte: Das ist der Grund, weshalb die herrschende Literaturmeinung so schlicht und einfach auf der Gewährung von Stammaktien besteht34. Im deutschen Aktienrecht gilt das Kapitalprinzip für die Bemessung der Stimmkraft. In dem Grundsatz „eine Aktie – eine Stimme“ nach § 12 Abs. 1 AktG kommt zum Ausdruck, daß das Stimmrecht in Relation zum eingesetzten Kapital stehen muß35. Das sieht die oben dargestellte herrschende Meinung richtig und deshalb genügt es nicht, den die Mitgliedschaft wechselnden Aktionären nur einen richtigen Anteil an den neuen Mitgliedschaften an sich zu geben: Eine Hingabe der zwar richtigen Menge, aber nur als stimmrechtslose Aktien wäre gewiß verfehlt und mithin unrichtig. Auch das sieht die herrschende Meinung zutreffend. Aber auch insoweit muß der oben entwickelte Satz gelten: Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. b) Zur Erläuterung dieses Aspekts diene das folgende Beispiel: Die A-AG soll auf die B-AG verschmolzen werden. Beide Gesellschaften haben je ein Grundkapital von TDM 1000, das in Aktien zu je DM 100,00 eingeteilt ist, und je ein Vermögen von TDM 2000. Das Umtauschverhältnis liegt mithin bei 1 : 1. Einzige Besonderheit ist, daß auf das Kapital von A nur Stammaktien ausgegeben worden sind, während das von B je zur Hälfte aus Stammaktien und stimmrechtslosen Vorzugsaktien besteht. In Hinblick auf die mit den Stammaktien verknüpfte Herrschaftsmacht qua Stimmrecht über das gesamte Grundkapital sieht die Situation vor der Verschmelzung in den beiden Gesellschaften folgendermaßen aus: Ein Aktionär der A-AG, der zehn Stammaktien zu nominal DM 100,00 hält, kann damit über DM 1.000,00 des Grundkapitals bestimmen. Ein Aktionär der B-AG, der zehn Stammaktien zu nominal DM 100,00 hält, [951] kann damit über DM 2.000,00 des Grundkapitals bestimmen, da sich sein Stimmrecht auch auf das gegen stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgegebene Grundkapital auswirkt. Anders gewendet: Bei A gibt es 10.000 Aktien und 10.000 Stimmen, bei B 5.000 Stammaktien und 5.000 Stimmen. Bei gleichem Vermögen wie A hat ein BAktionär mit Stammaktien faktisch ein doppeltes Stimmrecht. Würde man nun auf diesen Fall die stereotyp wiederholte Lehre der herrschenden Meinung anwenden und den Aktionären von A nur Stammaktien zusprechen, so würden sich die Verhältnisse nach Abschluß des Vorgangs in B wie folgt darstellen: Dazu oben Fn. 21. Brändel, in: Großkommentar AktG, 4. Aufl., 1992, § 12 Rn. 4; Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 12 Rn. 3. 34 35

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Aktienerwerb von Rechts wegen: Aber welche Aktien?

B hätte ein Grundkapital von 2.000 TDM, das eingeteilt wäre in 15.000 Stammaktien und 5.000 stimmrechtlose Vorzugsaktien: 75% Stammaktien bestimmen dann 100% des Kapitals. Das aber bedeutet: Ein einstiger Aktionär der A, der für seine 10 alten Aktien zehn neue Stammaktien erhalten würde, könnte damit über einen Kapitalanteil von DM 1.333,33 bestimmen. Seine durch die Aktienstimmrechte vermittelte Herrschaftsmacht hätte sich bei gleichem Kapitaleinsatz um ein Drittel erhöht. Ein Altaktionär von B hätte nach wie vor 10 Stammaktien, die damit verknüpfte Herrschaftsmacht wäre aber von DM 2.000,00 auf DM 1.333,33 gesunken. Während die Aktionäre der A in Hinblick auf die in ihren Aktien verkörperten Herrschaftsrechte von der Fusion profitiert haben, haben die Alt-Aktionäre der B verloren. Das widerspricht dem Prinzip des Null-Summen-Spiels. c) Betrachtet man die Lage der Alt- und der Neugesellschafter in dieser Sicht insgesamt, so sieht die Lage wie folgt aus: Die Altaktionäre von B hätten nach wie vor 5.000 Stimmen aus 5.000 Stammaktien und hielten zusätzlich 5.000 stimmrechtslose Vorzugsaktien. Die einstigen Aktionäre von A hätten 10.000 Stammaktien und ebenso viele Stimmen. Sie hätten also in der fusionierten Gesellschaft zwei Drittel der Stimmen, obgleich sie nur die Hälfte des Vermögens eingebracht haben. Das kann nicht richtig sein und zeigt, daß eben – bei aller Sorgfalt für die Interessen der zunächst Betroffenen, hier also der Aktionäre von A –, die andere Sicht, die der aufnehmenden bzw. herrschenden Gesellschaft und ihrer Aktionäre nicht übersehen werden darf. 3. Praktische Folgerungen für die Wertrelationen Zur Bemessung der angemessenen Abfindung wird für die Feststellung der Werte und Wertrelationen der beteiligten Unternehmen einhellig und zu Recht auf den Ertragswert abgestellt36. Der Börsenkurs der Aktien der beteiligten Gesellschaften spielt in diesem Zusammenhang bewußt und betont keine Rolle; auch das entspricht [952] gefestigter Meinung in Rechtsprechung37 und Literatur38 und wird hier nicht in Frage gestellt.

36 BGH, DB 1967, 854; KG, DB 1971, 613 (616); LG Dortmund, AG 1982, 257 (258); Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1991, § 305, Rn. 43, 46; Grunewald, (Fn. 2), § 340a, Rn. 11 ff; Hüffer, (Fn. 2), § 305 Rn. 19; Kraft, (Fn. 10), § 339 Rn. 52; Schilling, (Fn. 21), 3. Aufl., § 341 Anm. 5. 37 BGHZ 71, 40, 51; BGH, DB 1967, 854; KG, DB 1971, 613 (615); LG Dortmund, AG 1982, 257 ff (258); LG Frankfurt, AG 1985, 310 (311).

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Das muß dann aber auch im Sinne einer „börslichen Neutralität“ für beide beteiligten Gesellschaften gelten. Geht man erneut davon aus, daß die hier erörterten Verbindungen von Unternehmen für keinen der beteiligten und betroffenen Gesellschafter einen Nachteil, aber eben deshalb auch für keinen Aktionär einen Vorteil, einen „windfall-profit“, bringen soll, so sind eben auch „eingebaute“ Vorteile zu vermeiden. Stimmrechtslose Vorzugsaktien aber werden, von ganz seltenen Ausnahmen einer ungewöhnlich hohen Vorzugsdividende abgesehen, an der Börse stets schwächer gewertet als Stammaktien39. Nimmt man erneut das obige Beispiel und nimmt man auf dem Hintergrund dieser Erfahrung nunmehr an, daß die Stammaktien von B mit DM 240,00, die Vorzugsaktien aber nur mit DM 160,00 an der Börse gehandelt werden: Die Aktionäre von A hätten bei gleicher Ausgangslage wie die von B nach Abschluß des Vorgangs DM 2,4 Mio Börsenwert in Händen, diejenigen von B nach wie vor nur DM 2,0 Mio. Damit die Abfindung insgesamt angemessen ist, muß daher ein unterschiedlicher Wert der Aktien, der sich aus den mit Vorzugs- bzw. Stammaktien verbundenen Vor- bzw. Nachteilen ergibt, berücksichtigt werden40. 4. Zusammenfassende Betrachtung Das alles zeigt, daß die Aktionäre von A für ihre bisherigen Stammaktien natürlich nicht beliebig mit Vorzugsaktien abgespeist werden dürfen, wie das die oben zitierte herrschende Meinung zu Recht betont. Es zeigt aber auch, daß Differenzierungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten in der aufnehmenden/herrschenden Gesellschaft von Rechts wegen möglich sein müssen und daher auch möglich sind; denn das Gesetz schützt die Betroffenen, die Gesellschafter/Aktionäre der aufgenommenen/eingegliederten/vertraglich beherrschten Gesellschaft und „garantiert“ ihnen das vermögensmäßige und herrschafts-

38 Geßler, (Fn. 36), § 305 Rn. 34; Hüffer, (Fn. 2), § 305 Rn. 20; Kraft, (Fn. 10), § 340, Rn. 21; Schilling, (Fn. 21), § 341 Anm. 4; von Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl., 1971, § 305 Anm. 3; Würdinger, in: Großkommentar AktG, 3. Aufl., § 305 Anm. 11. 39 Z. B. notierten am 6. September 1995 BMW Stämme DM 831,00, BMW Vorzüge aber DM 591,00; Dyckerhoff Stämme DM 655,00, Dyckerhoff Vorzüge aber DM 400,00; Kaufhof Stämme DM 535,00, Kaufhof Vorzüge aber DM 380,00; Binding Stämme DM 616,00; Binding Vorzüge DM 495,00. Während der ganzen Zeit ihrer Existenz waren die Aktien der Mercedes Automobil Holding AG, obwohl in der Substanz einer Daimler Aktie vollkommen identisch, wegen des nur mittelbaren Stimmrechts 20% geringer bewertet (dazu Leinkauf, Sternstunde, 1995, S. 156 ff.). Vgl. zur schwächeren Bewertung von Vorzugsaktien: Bezzenberger, Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, 1991, S. 37 f; Reckinger, in: AG 1983, S. 216 ff (220 f); Hüffer, (Fn. 2), § 139 Rz. 3. 40 Geßler, (Fn. 36), § 305 Rn. 48.

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mäßige Äquivalent ihrer bisherigen Beteiligung. Damit sagt es zugleich: Aber auch nicht mehr steht ihnen zu. [953] Diese Haltung des Gesetzes ist evident und kann im Hinblick auf die Aktionäre der aufnehmenden Gesellschaft (Hauptgesellschaft, herrschendes Unternehmen) und ihrer durchaus gleichberechtigten Interessen auch gar nicht anders sein. Nur die richtige Umsetzung dieser Erkenntnis in die Praxis des Einzelfalles ist etwas schwieriger als die Anwendung der einfachen Formel der herrschenden Meinung. 5. Kontrollüberlegung aus der Bewertung und Ergebnis Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß sich das gleiche Ergebnis mit Zwangsläufigkeit aus der Bewertung der betroffenen Gesellschaften und dem hieraus errechneten Umtauschverhältnis ergibt. Denn bei der Bewertung wird das betreffende Unternehmen wie es steht und liegt bewertet, ganz gleichgültig, wie seine Finanzierung angelegt und wie hoch der Eigenkapitalanteil ist. Der so errechnete Wert wird sodann auf die ausgegebenen Aktien verteilt: Im obigen Beispiel repräsentiert jede 100-DM-Aktie einen Wert-Anteil von DM 200,- und zwar bei A genauso wie bei B, auch wenn die B-Aktien zur Hälfte Vorzugsaktien und nur zur anderen Hälfte Stammaktien sind: Darum kümmern sich Gutachten und Gutachter nicht; mit der Feststellung der beiden Unternehmenswerte und dem daraus errechneten Umtauschverhältnis ist ihre Aufgabe erfüllt: Nach Feststellung der beiden Unternehmenswerte und deren Umrechnung auf das gesamte Grundkapital der betroffenen Gesellschaften liegt das Umtauschverhältnis fest. Es werden Wertrelationen festgestellt, ohne nach der Art ihrer Repräsentation in Aktien zu fragen: Grundkapital wird gleich Grundkapital behandelt. Dann aber muß auch seine Repräsentation in Aktien spiegelbildlich verlaufen, da sonst die Aktionäre der übertragenden (vertragsabhängigen, eingegliederten) Gesellschaft weniger (nur Vorzugsaktien) oder mehr (nur Stammaktien) erhielten, als diesem Verhältnis entspricht. Das im Beispiel gebrachte Umtauschverhältnis 1 : 1 setzt je das gesamte Grundkapital der beiden Gesellschaften ins Verhältnis. Die 1 von B ist aber in Wirklichkeit 0,5 Stamm- und 0,5 Vorzugsaktien; auch das ergibt sich zwangsläufig, da das Wertgutachten das ganze B-Grundkapital zum ganzen AGrundkapital ins Verhältnis setzt. Dem muß die vertragliche Festlegung (Fusionsvertrag, Abspaltungsvertrag, Abfindungsangebot) Rechnung tragen können. Die richtige Lösung für den Beispielsfall lautet mithin: Für je zwei A-Aktien erhalten die früheren Aktionäre von A je eine Stamm- und eine Vorzugsaktie von B. Wird das Verhältnis anders gewählt, so geht es nicht nur um ein Wertproblem

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– auf das § 15 UmwG anwendbar ist41 –, sondern es geht um Regeln, deren Verletzung zur Anfechtbarkeit führen42. 6. Sonstige Besonderheiten Im Prinzip müssen die hier für stimmrechtslose Vorzugsaktien entwickelten Grundsätze auch für andere Besonderheiten gelten. Besteht bei B ein statutarisches [954] Höchststimmrecht von 5% (§ 135 Abs. 1 AktG), so ist das zwar keine besondere Gattung von Aktien, aber eine statutarische Bechränkung. Entscheiden sich die A-Aktionäre mit 3/4-Mehrheit zur Fusion mit B, so müssen sie das hinnehmen43. Sind alle Aktien bei B vinkuliert, so können die A-Akionäre keine frei verfügbaren Aktien verlangen: In B gibt es statutarisch nur vinkulierte Aktien44. Ausuferungen in der praktischen Anwendung dieser Grundsätze, etwa weil X Großaktionär bei A und B ist und die bei A nicht mehr erreichbare Vinkulierung jetzt auf diesem Wege sicherstellen will, müssen mit der Figur des Mehrheitsmißbrauchs und können nicht über das Gebot: jedenfalls freie Stammaktien gelöst werden45. Das gilt nicht zuletzt bei der Fusion (Abspaltung) zur Neugründung, wo solche Besonderheiten in der neuen Satzung neu geschaffen werden können. V. Ergebnis Beim Umtausch in Aktien einer aufnehmenden oder bei der Abfindung in Aktien einer vertraglich herrschenden (Haupt-)Gesellschaft sind hinsichtlich Art und Ausstattung der Aktien nicht nur die Verhältnisse in der übertragenden (vertraglich abhängigen, einzugliedernden) Gesellschaft, sondern auch die in der zum Umtausch (Abfindung) verpflichteten Gesellschaft zu berücksichtigen. Der Gedanke einer bereits vorwirkenden Gleichbehandlung beider Aktionärsgruppen ist zutreffend46. Und neben der rechnerischen Gleichstellung sind in diesem Verhältnis auch die Marktrelationen zu beachten.

Ebenso §§ 305 Abs. 5, 320b Abs. 2 AktG, 125 UmwG. Oben Fn. 33. 43 Ebenso Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, S. 232. 44 Genau das bestätigt jetzt auch § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG 1994: Die Aktionäre der übertragenden Aktiengesellschaft erhalten in der aufnehmenden Gesellschaft vinkulierte Aktien, können aber (dann) Abfindung verlangen. 45 Zum Mißbrauch der Mehrheitsmacht und ihren Folgen für die Anfechtbarkeit des darauf beruhenden Beschlusses vgl. Zöllner, in: Kölner Komm., 1. Aufl., § 243 Rn. 189 ff; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, § 243 Rn. 40 ff; Lutter, JZ 1976, 225, 228 ff. 46 Oben Fn. 29 und 30. 41 42

Teilfusionen im Gesellschaftsrecht IN: FISCHER/MÖHRING/H.

WESTERMANN (HRSG.), WIRTSCHAFTSFRAGEN DER GEGENWART, FESTSCHRIFT FÜR CARL HANS BARZ, BERLIN 1974, S. 199-218 Übersicht

A.

Einleitung Vorbemerkung Fragestellung Rechtliche und praktische Bedeutung der Fragestellung I. Gestaltungen der Praxis und ihre Beurteilungen II. Teilfusion Die rechtlichen Mittel der Teilfusion I. Teilfusion unter Verwendung der förmlichen Fusion II. Teilfusion unter Verwendung anderer Formen als der förmlichen Fusion Entscheidungskompetenz bei Teilfusionen I. Mitwirkung von Vorstand und Geschäftsführung II. Mitwirkung des Aufsichtsrates III. Mitwirkung der Gesellschafter Schlußbetrachtungen I. II.

B. C.

D.

E.

A. Einleitung I. Vorbemerkung Der Titel dieser Überlegungen ist, gemessen am geltenden Recht, ein Widerspruch in sich; denn Fusion ist nun einmal die vollständige rechtliche Verbindung zweier Gesellschaften, ihrer Aktiva und Passiva, einer Verbindung, von der nicht einmal der kleinste Teil ausgenommen werden kann, § 346 III, 1 und IV, 1 AktG1. Dennoch sind diese Überlegungen nicht etwa dem künftigen, sondern durchaus dem geltenden Recht gewidmet. So empfiehlt es sich, zunächst einmal 1 Ebenso die §§ 267 ff., 274 II RegE GmbHG für die geplanten Regelungen zur Fusion der GmbH.

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Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

zu erläutern, wovon hier gehandelt, was unter Teilfusion verstanden werden soll, welche Fallgestaltungen der Praxis gemeint sind; sodann ist zu klären, welche Fragen der Erörterung bedürfen, ehe schließlich der Versuch unternommen werden kann, sie auch zu beantworten. [200] II. Fragestellung Barz, dem diese Zeilen gewidmet sind, hat kürzlich das Gemeinschaftsunternehmen unter konzernrechtlichen Aspekten untersucht2, andere haben sich eingehend mit den kartellrechtlichen Fragen des Gemeinschaftsunternehmens beschäftigt3, Kropff hat Gedanken zu der im deutschen Recht ungeregelten scission, der Unternehmensspaltung vorgetragen4. Alle diese Untersuchungen gelten ganz oder überwiegend einer merkwürdigen Erscheinung von Marktorganisation und internationalem Marktverhalten der Unternehmen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts: den Gemeinschaftsunternehmen. Seine Formen sind so vielfältig wie die Gründe für seine Entstehung, die von der Arbeitsteilung zwischen Rohstofflieferant und Abnehmer bei der Herstellung von Zwischenprodukten5 über die Kooperation zwischen dem ausländischen Produzenten und dem inländischen Kenner des Marktes bis zur vollen Verbindung von ganzen Teilbereichen von Unternehmen reichen, ja bis zur Quasi-Fusion von Unternehmen unterschiedlicher Nationalität führen können. Hier soll nicht einem Gesamtaspekt dieser Gemeinschaftsunternehmen nachgegangen werden. Auch stehen Fälle der vollständigen Verbindung von Unternehmen in Form des Gemeinschaftsunternehmens6 hier ebensowenig zur Erörterung wie die schon angedeuteten Fragen des Kon2 „Das 50 : 50-Gemeinschaftsunternehmen und das Konzernrecht“, Festschrift für Heinz Kaufmann, Köln 1972, S. 59 ff. 3 Fikentscher, Kooperation und Gemeinschaftsunternehmen im Lichte der Art. 85 und 86 EWGV, Europees Kartelrecht, Antwerpen und Uetrecht 1969; Kleim, Gemeinschaftsunternehmen und Funktionsgemeinschaften im Verhältnis zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, FIW-Schriftenreihe, Heft 29, Köln etc. 1966; Maurer, Das Gemeinschaftsunternehmen im amerikanischen Antitrustrecht, Diss. Stuttgart 1969; Sandrock, Probleme des Gemeinschaftsunternehmens nach europäischem Kartellrecht, DB AWD 1970, 337 ff.; Schlewing, Das deutschausländische paritätische Gemeinschaftsunternehmen im Konzern- und Kartellrecht, FIWSchriftenreihe, Heft 63, Köln etc. 1973. 4 „über die ‚Ausgliederung’“, Festschrift für Ernst Geßler, München 1971, S. 111 ff. 5 So z. B. Ölgesellschaften und Chemieunternehmen bei Raffinerien, etwa die Rheinische Olefinwerke GmbH als gemeinsame Tochtergesellschaft der BASF und der Deutschen Shell AG. 6 So der Zusammenschluß der deutschen Hoesch AG mit der niederländischen Koninklijke Nederlandse Hoogovens en Staalfabrieken N. V. in der ESTEL HoeschHoogovens N. V. Vgl. dazu meine Überlegungen in „Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen“, Schriftenreihe DER BETRIEB, Düsseldorf 1974, S. 2 und passim.

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zern- und Kartellrechts. Hier soll vielmehr erörtert werden, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Verbindungen solcher Art entstehen; es interessieren hier Voraussetzungen des Begründungs-, des Abschlußtat- [201] bestandes: Wer eigentlich trifft nach den korporationsrechtlichen Regeln der beteiligten Ausgangsunternehmen in diesen die Entscheidung über die Bildung solcher Gemeinschaftsunternehmen, wie sind die Kompetenzen der verschiedenen Organe in diesem Zusammenhang zueinander geordnet. B. Rechtliche und praktische Bedeutung der Fragestellung I. Gestaltungen der Praxis und ihre Beurteilung 1. Um die Relevanz der soeben gestellten Frage zu erläutern, sei auf einige wichtige Fälle aus der Wirtschaftspraxis der vergangenen Jahre hingewiesen. a) Schon im Jahre 1963 schlossen die deutsche SIEMENS AG und die niederländische PHILIPS N. V. ihre unternehmerischen Tätigkeiten auf dem Gebiete der Produktion von Schallplatten zusammen; die betreffenden Unternehmensbereiche waren schon damals im wesentlichen in selbständigen und 100%igen Tochtergesellschaften dieser Unternehmen organisiert. Die Technik dieses sehr erfolgreichen Verbundes bestand im Austausch je 50%iger Beteiligungen an den betreffenden Tochtergesellschaften durch SIEMENS und PHILIPS; hinsichtlich der Einzelheiten und der seitherigen Entwicklung kann auf anderweitige Darstellungen verwiesen werden7. b) In ähnlicher Weise verband die BAYER AG ihre Fotointeressen, die in der AGFA AG konzentriert waren, deren Aktien wiederum zu über 90% bei der BAYER AG lagen, mit der belgischen GEVAERT N. V. Die technischen Einzelheiten dieses Zusammenschlusses sind schon wiederholt geschildert worden und sollen hier nicht wiederholt werden8. c) Im Jahre 1968 beschlossen die Unternehmensleitungen der SIEMENS AG und der Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft AG (AEG), ihre Tätigkeiten auf dem Gebiete der technischen Ausrüstung von Kraftwerken zusammenzuführen. Daher wurden jeweils bestimmte Aktiva – nämlich die unselbständigen Betriebe dieses Bereiches und die auf diesem Gebiete operierenden selbständigen Tochter- [202] gesellschaften – aus den beiden beteiligten Unternehmen ausgegliedert

7 Beusch in Lutter, Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, 1972 S. 78 ff. Vgl. auch die Angaben zur Polygram GmbH bzw. Polygram B. V. im SIEMENSGeschäftsbericht 1972/73. 8 Silcher in Lutter, a. a. O., S. 80 ff.; Lutter, Gutachten H zum 48. deutschen Juristentag, S. 50 ff. und S. 149.

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und als Sacheinlage in die Kraftwerk Union AG so eingebracht, daß die beiden Ausgangsunternehmen heute zu je 50% an dieser Gesellschaft beteiligt sind9. d) Schließlich steht die Verwirklichung eines sehr weitreichenden Verbundes unternehmerischer Tätigkeiten auf dem Gebiete der Elektro/Haushaltsgeräte zwischen der Robert Bosch GmbH und der SIEMENS AG unmittelbar bevor10. 2. Die soeben geschilderten Gestaltungen der Praxis, deren Übersicht fast beliebig verlängert werden kann, lassen erkennen, daß die mit Hilfe des oder der Gemeinschaftsunternehmen hergestellte Verbindung zwischen den Ausgangsgesellschaften zwar vollständig sein kann11, in der Regel aber nur sachlich selbständige Bereiche oder unternehmerische Teilbereiche des Unternehmens der beteiligten Gesellschaften erfaßt: in den typischen Fällen umfaßt die Verbindung jeweils einen Teil der sehr weitgespannten Tätigkeitsbereiche der Ausgangsgesellschaften. So betrug etwa der Umsatzanteil der zum 1. 1. 1969 auf die Kraftwerk Union AG übertragenen Unternehmensbereiche damals bei der SIEMENS AG 3% des konsolidierten Inlandsumsatzes von SIEMENS und 2,5% des konsolidierten SIEMENS-Weltumsatzes, bei der AEG 3% des Umsatzes der Muttergesellschaft bzw. 2,5% des konsolidierten AEG-Konzernumsatzes bzw. 2,4% des konsolidierten AEG-Weltumsatzes12. Der Umsatz der AGFA AG machte im Geschäftsjahr 196313 27% des Gesamtumsatzes der BAYER AG und 12,9% des konsolidierten BAYER-Weltumsatzes dieses Geschäftsjahres aus14, während der in den Verbund [203] mit PHILIPS eingebrachte Umsatzanteil (Umsatz der Deutschen Grammophon) 1,95% des konsolidierten Inlandsumsatzes der SIEMENS AG und 1,69% des konsolidierten Weltumsatzes der SIEMENS AG im Geschäftsjahr 1961/62 betrug15.

9 Quelle: Auskunft der Gesellschaft und Erläuterungen im SIEMENS-Geschäftsbericht 1969/70. 10 Quelle: Auskunft der Gesellschaft und SIEMENS-Geschäftsbericht 1972/73. 11 So für die GEVAERT N. V. im Verband AGFA/GEVAERT sowie für jeweils beide Unternehmen in den Verbindungen HOESCH/HOOGOVENS und FOKKER/VFW. Vgl. dazu die Nachweise oben Fn. 6 und 7 sowie Gäbelein in: Lutter, Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, 1972, S. 82 ff. 12 Quellen: Geschäftsberichte der SIEMENS AG und der AEG sowie briefliche Angaben der Unternehmen. Die entsprechenden Zahlen lagen bei der AEG im Geschäftsjahr noch mehr als doppelt so hoch, nämlich: 7% des Umsatzes der AEG, 6% des konsolidierten Konzernumsatzes Inland und 5,2% des konsolidierten AEG-Weltumsatzes. 13 Der Zusammenschluß AGFA/GEVAERT erfolgte zum 1. Juli 1964; als Vergleichsgrundlage wurde daher hier das Geschäftsjahr 1963 gewählt (bei AGFA 1. 4. 1963-31. 3. 1964). 14 Quellen: BAYER-Geschäftsberichte für 1963 und 1964 sowie AGFA-Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1963/64. 15 Die Verbindung mit PHILIPS erfolgte im Geschäftsjahr 1963, so daß das vorausgehende Geschäftsjahr als Vergleichsgrundlage gewählt wurde. – Quellen: Geschäftsbericht der SIEMENS AG für das Geschäftsjahr 1961/62 und Schreiben der SIEMENS AG.

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Andererseits ist für die Verbindungen der hier interessierenden Art typisch, daß sie den fraglichen Teilbereich unternehmerischer Tätigkeit der betreffenden Gesellschaften voll erfaßt: BAYER verfolgt in keinem anderen seiner Bereiche mehr Fotointeressen, die AEG keine sonstigen Kraftwerksinteressen, SIEMENS außerhalb der Verbindung mit PHILIPS keine Schallplattentätigkeiten und künftig außerhalb der Verbindung mit Bosch auch keine Interessen im Haushaltsgerätebereich mehr. II. Teilfusion 1. Sind damit die Fakten hinreichend geklärt, so bedarf doch die Bezeichnung als „Teilfusion“ noch der Erläuterung. Korporation und Unternehmen sind nicht identisch; de lege lata ist die Korporation der Träger, der Veranstalter des Unternehmens und wirkt auf dessen Entscheidungen ein. Unternehmen aber ist – von Definitionen mit anderen Aufgaben hier abgesehen16 – die organisatorische Zusammenfassung von sachlichen und persönlichen Mitteln zur Verwirklichung eines wirtschaftlichen Zieles. Demnach hat jedes Unternehmen notwendig seinen Rechtsträger, nicht jeder Rechtsträger aber notwendig und unbedingt auch ein Unternehmen17. Hat nun eine Korporation, klassischer Vorstellung entsprechend, ein Unternehmen und wird zu dessen Nutzen der Zusammenschluß mit einem anderen Unternehmen geplant, so ist die Verbindung der Korporationen, der Rechtsträger, durchaus der geeignete Weg für den wirtschaftlichen Zusammenschluß auch der Unternehmen: die Zusammenführung der [204] Rechtsträger führt auch zum Zusammenschluß der Unternehmen. So kommt es, daß die Fusion als Zusammenschluß der Rechtsträger zugleich der klassische Weg für die Verbindung der Unternehmen ist. Haben Korporationen dagegen mehrere Unternehmen18, verselbständigte Unternehmensteile oder thematisch abgrenzbare Unternehmensbereiche18a und 16 Etwa der besonders umstrittene Unternehmensbegriff des Konzernrechts; vgl. dazu die Übersichten bei Biedenkopf-Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 15 Anm. 5 ff.; Würdinger, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 15 Vorbem. II S. 129 ff.; Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckard-Kropff, Komm. zum AktG, § 15 Anm. 6 ff. sowie Emmerich-Sonnenschein, Konzernrecht, 1973, S. 20 ff. je mit weiteren Nachw. 17 Bedenkt man, daß etwa eine Änderung der Rechtsform des Unternehmensträgers auf die wirtschaftliche Wirklichkeit des Unternehmens – mindestens zunächst – keinerlei Einfluß hat, so wird die hier angesprochene Divergenz zwischen Unternehmensträger und Unternehmen evident. 18 Etwa dadurch, daß sie an mehreren Tochtergesellschaften die Mitgliedschaftsrechte zu 100% halten, diese Tochtergesellschaften aber höchst unterschiedliche Unternehmen betreiben. So z. B. die VEBA AG mit ihren 100%igen Tochtergesellschaften VEBA Kraftwerke Ruhr AG, VEBA Chemie AG, VEBA Glas AG und der fast 100%igen Tochtergesellschaft Hugo Stinnes AG.

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soll nur einer davon mit dem Unternehmen oder Unternehmensteilbereich einer anderen Korporation verbunden werden, so würde die Fusion als Verbindung der Korporationen über das gestellte wirtschaftliche Ziel hinausgehen: sie würde Unternehmen bzw. Unternehmensteile zusammenführen, deren Zusammenschluß nicht geplant ist19, bezüglich derer die Autonomie der bisherigen Rechtsträger unangetastet bleiben soll. „Fusion“ meint hier also „Unternehmensfusion“, nicht Fusion der Rechtsträger. Und „Teilfusion“ geht davon aus, daß nicht der gesamte unternehmerische Bereich eines Unternehmensträgers mit dem Unternehmen oder dem Unternehmensteilbereich eines anderen Rechtsträgers zusammengefaßt wird, sondern eben nur ein sachlich selbständiger Teil, ein sachlich abgrenzbarer Bereich eines von mehreren Unternehmen oder Unternehmensbereichen im vorerläuterten wirtschaftlich-organisatorischen Sinne19a. Diese Erscheinung wird besonders deutlich, wenn der fragliche Teilbereich des Gesamtunternehmens bereits organisatorisch als Tochtergesellschaft ausgegliedert ist. [205] 2. Fusion ist ein rechtstechnisch genau umschriebener Vorgang auf der Ebene der Korporation. Geht es hier um die Fusion von Unternehmen und Unternehmensteilbereichen, so kann sich die Untersuchung auf den technischen Vorgang der Fusion nicht beschränken; maßgebend ist der wirtschaftliche Erfolg. Gegenstand dieser Untersuchung sind daher alle Vorgänge, die im wirtschaftlichen Ergebnis zwei oder mehr Unternehmen oder Unternehmensbereiche aus verschiedenen Korporationen so zusammenführen, daß sie künftig als ein Unternehmen angesehen und geführt werden können20. 18a Fotointeressen bei BAYER, Schallplatteninteressen bei PHILIPS, Kraftwerksausrüstungen bei AEG etc. – Auf dieser Erscheinung beruht auch die Gliederung von Unternehmen in Unternehmensbereiche (Division) mit Erfolgsverantwortung und weitreichender Entscheidungskompetenz. Vgl. dazu Poensgen, Geschäftsbereichsorganisation, Opladen 1973. 19 Bei den Fusionen heutigen Umfanges ist das eine geläufige Erscheinung; es handelt sich, um eine Frage des Maßes; daher werden überschießende Bereiche bei Vollfusionen oft als quantité négligeable hingenommen und später bereinigt. So hat etwa die BASF nach der Übernahme der Wintershall AG eine Reihe von Tochtergesellschaften und Beteiligungen aus diesem Bereich wieder abgegeben, z. B. die Westfalenbank AG an die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München. 19a Im Kartellrecht wird das Problem schon seit längerer Zeit behandelt, ist seit der 2. Novelle zum GWB von 1973 Gegenstand einer besonderen Regelung (insbes. § 23 I u. II GWB 1973) und wird neuerdings in der Literatur dazu auch unter dem Stichwort der „Teilfusion“ erörtert; vgl. etwa Lanzenberger, Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt, in: Auslegungsfragen zur Zweiten GWB-Novelle, FIW-Schriftenreihe, Heft 66, Köln 1974, S. 75 ff., 85. 20 Die Definition des „einen“ Unternehmens ist bei einem Gemeinschaftsunternehmen in Form einer gemeinsamen Tochtergesellschaft ohne besondere Bedeutung, sehr wohl jedoch dort, wo mehrere Unternehmens- und damit Entscheidungsträger zusammenwirken, also bei der Überkreuzverflechtung von zwei oder gar vier Gesellschaften (AGFA/GEVAERT), bei der Zusammenfassung durch Zwischenholding nach Art von FOKKER/VFW (insgesamt fünf Gesellschaften) oder des Unternehmensvertrages nach § 292 AktG. In diesen Fällen ist ein Unternehmen gegeben, wenn das wirtschaftliche Potential des Gesamtverbandes mindestens auf gewisse Dauer nach einem einheitlichen Wirtschaftsplan unternehmerisch geführt werden kann

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C. Die rechtlichen Mittel der Teilfusion Da die Teilfusion keine rechtliche sondern eine von der Unternehmenspraxis entwickelte, an wirtschaftlichen Zielsetzungen orientierte Figur ist, sind auch die Formen der Verwirklichung verschieden. Allerdings kommt der unten erwähnten Form der Zusammenfassung in einer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft bei je 50%iger Beteiligung der Ausgangsgesellschaften an diesen neben der je 50%igen Überkreuzverflechtung besondere Bedeutung zu. I. Teilfusion unter Verwendung der förmlichen Fusion Ist der unternehmerische Teilbereich, der zusammengefaßt werden soll, bei den Ausgangsgesellschaften bereits rechtlich verselbständigt (Tochtergesellschaft), so kann bei Aktiengesellschaften allgemein (§§ 339 ff. AktG) und bei Gesellschaften mbH, soweit sie von einer Aktiengesellschaft aufgenommen werden sollen (§§ 355, 356 AktG), [206] von den förmlichen Möglichkeiten der Fusion durch Aufnahme oder durch Neugründung Gebrauch gemacht werden: über die förmliche Fusion der Tochtergesellschaften werden die betreffenden unternehmerischen Teilbereiche der Mutterkorporationen zusammengefaßt und verbunden. In gleicher Weise kann verfahren werden, wenn der bislang rechtlich unselbständige Unternehmensbereich zunächst ausgegliedert und – durch Einbringung in eine Tochtergesellschaft – rechtlich verselbständigt wird; danach kann dann durch förmliche Fusion die eigentliche Verbindung der fraglichen Bereiche hergestellt werden. II. Teilfusion unter Verwendung anderer Formen als der förmlichen Fusion Förmliche Fusionen sind selten, solche von rechtlich selbständigen Teilbereichen (Tochtergesellschaften) kaum feststellbar: vielfältige Gründe stehen entgegen; sie reichen von Rechtsgründen über Steuergründe bis zu solchen der Organisation und Tradition. Daher sind gerade im Bereich der Teilfusionen andere Formen mit fusionsähnlicher Wirkung die Regel. Dabei kann man unterscheiden Teilfusionen auf mitgliedschaftlicher Ebene, auf Vermögensebene und auf Leitungsebene. so wie wenn die beteiligten Unternehmen einem Rechtsträger unterstünden. Vgl. dazu Lutter, Gutachten zum 48. Deutschen Juristentag, S. 91 und S. 125 ff. sowie in „Die Rechte der Gesellschafter …“ (Fn. 6), S. 11 ff. sub D I je mit weiteren Nachw.

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Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

1. Teilfusionen auf mitgliedschaftlicher Ebene Sind die fraglichen unternehmerischen Teilbereiche der betreffenden Korporation bereits rechtlich verselbständigt (Tochtergesellschaft), so kann die Verbindung der Tochtergesellschaften auch dadurch erfolgen, daß die Mitgliedschaften an den Tochtergesellschaften je zur Hälfte ausgetauscht (Fall AGFA/GEVAERT) oder insgesamt in eine neu gegründete gemeinsame Tochter als Zwischenholding (Fall FOKKER/VFW) eingebracht werden21. Die Zentralisation des Einflusses bzw. der Zwang zur Kooperation wegen der gleichstarken Beteiligung sichert die einheitliche unternehmerische Führung des neuen Verbundes. [207] 2. Teilfusion auf Vermögensebene Ist der unternehmerische Teilbereich einer beteiligten Korporation nicht ausgegliedert sondern rechtlich unausgegliederter Teil der betreffenden Korporation, so kann durch Übertragung des dem betreffenden Unternehmensbereich dienenden Vermögens auf die Tochtergesellschaft des anderen Unternehmens (gegen Mitgliedschaften an diesem) oder durch Einbringung in eine gemeinsam neu geschaffene oder ausgestaltete Tochtergesellschaft die gewünschte Teilfusion in gleicher Weise erreicht werden (Fall SIEMENS/AEG bei der Kraftwerk Union AG). 3. Teilfusion auf der Ebene der Leitung Schließlich können die fraglichen unternehmerischen Bereiche rechtlich voll in den beteiligten Korporationen integriert bleiben, durch Vereinbarung von Betriebs- und Spartengewinngemeinschaften über sie aber funktional so verbunden und vereinheitlicht werden, daß der Gesamtbereich wie ein selbständiges Unternehmen geführt werden kann. Da eine solche Betriebsgewinngemeinschaft, soll sie von Nutzen sein, ertragswirksame Eingriffe in die fraglichen unternehmerischen Teilbereiche bedingt, ist ihre Absicherung durch zusätzliche Vereinbarungen über die Ausübung der gemeinsamen unternehmerischen Leitung der zusammengefaßten Bereiche die Regel22.

21 Zur rechtlichen Gestaltung des Zusammenschlusses FOKKER/VFW vgl. Gäbelein in: Lutter, Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, S. 82 ff. sowie Lutter, Gutachten zum 48. DJT, S. 53 ff. und S. 150. 22 Auch ohne Leitungsvereinbarung ist die reine Gewinngemeinschaft auf die Vergemeinschaftung der Leitung gerichtet, da alle Beteiligten an einem möglichst hohen Gewinn interessiert sind; so zutr. Biedenkopf-Koppensteiner (Fn. 16), § 292 Anm. 11 mit weiteren Nachw.

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D. Entscheidungskompetenz bei Teilfusionen Die bisherigen Überlegungen dienten der Aufnahme des Tatbestandes und seiner rechtlichen Erscheinungen. Nunmehr ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine solche Teilfusion zustande kommt, vor allem also, welche Organe der beteiligten Gesellschaften an dem Vorgang mitzuwirken haben. I. Mitwirkung von Vorstand und Geschäftsführung 1. Gleich in welcher organisatorischen Form die Teilfusion stattfindet, in jedem Falle sind außenwirksame Maßnahmen zu treffen: vom Abschluß des Fusionsvertrages bei der Tochtergesellschaft über den Tausch der Mitgliedschaften und die Gründung von Tochtergesell- [208] schaften sowie die Einbringung von unternehmerischem Vermögen in sie bis zum Abschluß der Verträge über Leitungs- und Gewinngemeinschaften sind Vorgänge abzuwickeln, die nur vom Vorstand der Aktiengesellschaft, dem oder den Geschäftsführern der GmbH oder dem oder den persönlich haftenden Gesellschaftern bei OHG und KG vorgenommen werden können (§§ 78 AktG, 35 GmbHG, 125 HGB) oder jedenfalls deren Mitwirkung bedingen. 2. In aller Regel sind Maßnahmen der hier geschilderten Art von besonderem Gewicht für die beteiligten Unternehmen. Über die Informationspflichten aus § 115 HGB und das Kollegialitätsprinzip für Geschäftsführung und Vorstand (§§ 77 I AktG, 35 II GmbHG) dürfen solche Maßnahmen daher intern nur unter Einschaltung aller Mitglieder des Geschäftsführungsorgans vorgenommen werden23. II. Mitwirkung des Aufsichtsrates Ist eine Aktiengesellschaft beteiligt, so hat der Vorstand – von Fällen ganz untergeordneter Bedeutung abgesehen – den Aufsichtsrat vor Abschluß der betreffenden Rechtsgeschäfte zu informieren und ihm Gelegenheit zu eigener Stellungnahme zu geben, § 90 I Nr. 4 und II AktG. Haben beteiligte Gesellschaften anderer Rechtsformen ein Organ der Überwachung, so hängt es ganz von der Lage des Einzelfalles, dem Gesellschaftsvertrag der betreffenden Gesellschaft und den Regeln ihrer Geschäftsordnung ab, ob und zu welcher Zeit Informationspflichten 23 Ausnahmen können allenfalls im GmbH-Recht bei entsprechend klarer Fassung der Satzung zugunsten einzelner Geschäftsführer gelten; vgl. Schilling, in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 6. Aufl., § 35 Anm. 34. – Zur AG vgl. Hefermehl, in: Geßler-Hefermehl-EckardKropff, Komm. zum AktG, § 77 Anm. 21 a. E.; Mertens, in: Kölner Komm. zum AktG, § 77 Anm. 12 ff., 15.

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bestehen. Das gilt auch für die GmbH mit einem Pflichtaufsichtsrat nach § 77 I BetrVerfG 1952 oder einem Wahlaufsichtsrat nach § 52 GmbHG, da nach beiden Vorschriften der § 90 I AktG auf diese Aufsichtsräte nicht anwendbar ist. In gleicher Weise bestimmt sich nach Lage des Einzelfalles, ob dieser Aufsichtsrat nicht nur informiert werden muß, sondern seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme intern – etwa nach § 111 IV AktG – erforderlich ist. III. Mitwirkung der Gesellschafter Als sehr viel schwieriger erweist sich die Frage, ob und in welchem Umfange die Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften selbst an [209] dem Vorgang der Teilfusion mitzuwirken haben. Hier zeigt sich wie nach Überlegungen zu Vorgängen, die einer vollständigen Fusion entsprechen24, nicht anders zu erwarten war –, daß das Gesetz diesen von der Praxis entwickelten funktionalen Figuren bislang keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. 1. Bei den Personengesellschaften ist die Frage noch am ehesten zu übersehen. Zwar bedeuten die hier erwähnten Gestaltungen der Teilfusion – im Gegensatz zu bestimmten Formen, die der Vollfusion entsprechen – in keinem Falle einen Eingriff in die Mitgliedschaft selbst. Doch sind die Ausgliederung von Unternehmensteilen in selbständige Tochtergesellschaften, die Fusion einer Tochtergesellschaft mit einer anderen Korporation, der Austausch von Mitgliedschaften an Tochtergesellschaften und der Abschluß von Leitungs- und Betriebsgewinngemeinschaften in der Personengesellschaft – von höchst seltenen Ausnahmefällen abgesehen – Vorgänge, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes dieser Gesellschaft hinausgehen, §§ 116, 164 HGB: im Innenverhältnis ist hier die Mitwirkung aller Gesellschafter erforderlich25. Im Gesellschaftsvertrag können Abweichungen von dieser Regel getroffen werden; insbesondere kann allgemein ein Mehrheitsbeschluß der Gesellschafter auch für solche Fälle vorgesehen oder sogar die alleinige Zuständigkeit für solche Fälle der Geschäftsleitung übertragen sein. 2. Bei der Aktiengesellschaft hat die Hauptversammlung der Aktionäre keine allgemeinen sondern nur besonders normierte Zuständigkeiten. Sie ist nicht mehr allgemein zuständig zur Mitwirkung an „bedeutenden Entscheidungen“, ist nicht mehr das Zentralorgan der Gesellschaft sondern eines von drei Gesellschaftsorganen, die nicht hierarchisch einander zugeordnet sind. Daher ist die Hauptversammlung auch nicht etwa berechtigt, Gegenstände von besonderer Bedeutung zur eigenen Entscheidung an sich zu ziehen, § 119 II AktG. Damit ist aber die Vgl. Fn. 6. Das gilt auch für die Kommanditgesellschaft, da § 164 II den § 116 II HGB nicht modifiziert; es bleibt also bei dessen Anwendung über § 161 II HGB; vgl. RGZ 158, 302, 305 ff. 24 25

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hier gestellte Frage noch keineswegs beantwortet. Vielmehr sind Einzelzuständigkeiten der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft und vor allem ihre Zuständigkeiten bei Eingriffen in die Mitgliedschaft selbst und beim Abschluß von Unternehmensverträgen im Hinblick auf die verschiedenen Gestaltungsformen der Teilfusion zu bedenken. [210] a) Beruht die Teilfusion auf einer betrieblichen Leitungs- und Gewinngemeinschaft, so ist die Mitwirkung der Hauptversammlung in § 292 I Nr. 1 AktG (Betriebsgewinngemeinschaft) ausdrücklich vorgesehen. Die Hauptversammlung hat volles Informationsrecht vor (§ 293 III AktG) und während (§ 131 AktG) der Hauptversammlung. Und der Vertrag wird überhaupt nur wirksam, wenn die Hauptversammlung mit der in § 293 I AktG vorgesehenen satzungsändernden Mehrheit zugestimmt hat26. b) In allen übrigen Fällen (Ausgliederung, Fusion der Tochtergesellschaft, Tausch von Mitgliedschaften, Einbringung von Vermögensteilen in andere Gesellschaften) ist eine Mitwirkung der Hauptversammlung im Aktiengesetz nicht besonders vorgesehen. Das gilt selbst für die förmliche Fusion einer Tochtergesellschaft; denn deren Mitgliedschaftsrechte und damit auch die Stimmrechte daraus in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft über diese Frage (§§ 340, 355 AktG) werden durch die Verwaltung der Muttergesellschaft ausgeübt: es handelt sich um Fragen der Außenbeziehung der Aktiengesellschaft, um Vertretungshandlungen nach § 78 AktG. Es gilt aber auch dort, wo mit dem Tausch von Mitgliedschaften und der Einbringung von Vermögensteilen in andere Korporationen Vermögensbewegungen nicht unerheblichen Umfanges stattfinden; denn die Gleichstellung der Vermögensübertragung mit der Fusion nach § 361 AktG gilt eben nur für die Übertragung des „ganzen Gesellschaftsvermögens“. Auch wenn man diese Formulierung „ganz“ nicht ganz wörtlich nimmt sondern in Anlehnung etwa an die §§ 419, 1365 BGB27 im Sinne von „fast ganz“, „nahezu ganz“ oder „im wesentlichen ganz“ interpretiert28, werden die hier interessierenden Fälle von dieser Norm nicht erfaßt – zu Recht, da ja gerade nicht die Nähe zur Vollfusion sondern die Teilfusion zur Erörterung steht. Nach dem bisherigen Stand der Überlegungen wäre in den meisten und praktisch wichtigsten Fällen der Teilfusion die Verwaltung allein zur Entscheidung befugt. Wie schon anderwärts nachgewiesen29, ist [211] jedoch gerade diese Sicht 26 Die Zustimmung der Hauptversammlung ist hier – wie in ähnlichen Fällen, z. B. §§ 179 III, 182 II AktG – Wirksamkeitserfordernis; dem Vorstand fehlt die Vertretungsmacht zum alleinigen Handeln, seine Vertretungsmacht ist beschränkt; vgl. Würdinger, a. a. O. (Fn. 16), § 293 Anm. 3; Biedenkopf-Koppensteiner, a. a. O. (Fn. 16), § 293 Anm. 8; Baumbach-Hueck, Kommentar zum AktG, 13. Aufl., § 293 Anm. 4. 27 RGZ 137, 324, 349; BGHZ 43, 174, 176. 28 Vgl. RGZ 124, 279, 294 f.; Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 361 Anm. 8. 29 Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, Schriftenreihe DER BETRIEB, Düsseldorf 1974.

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des Verhältnisses von Verwaltung zu Hauptversammlung zu vordergründig. Käme es für die Ordnung der Zuständigkeiten nur auf die ausdrücklich geregelten Einzelfälle an, so könnte die Verwaltung durch die Wahl der Form einer Maßnahme die materielle Ordnung der Entscheidungszuständigkeiten an sich ziehen: Trotz wirtschaftlich gleicher, ja zum Teil weit umfassenderer Ergebnisse als bei einer Teil- oder Betriebsgewinngemeinschaft nach §§ 292, 293 AktG30 könnte die Verwaltung darüber befinden, ob sie die Mitwirkung der Hauptversammlung will oder nicht. Hätte demnach die Verwaltung die alleinige Zuständigkeit überall dort, wo im Gesetz keine ausdrücklichen Regelungen getroffen sind, so läge dem geltenden Aktienrecht in Wirklichkeit doch wieder eine hierarchische Ordnung zugrunde. Eine solche Lösung wäre nicht nur überraschend sondern widerspräche der erkennbaren Tendenz des Gesetzes, ein ausgewogenes Verhältnis der Organe der Aktiengesellschaft zueinander und ihrer Zuständigkeiten herzustellen. Die Verteilung der Entscheidungszuständigkeiten ist daher – auf dem Hintergrund der im Gesetz getroffenen Einzellösungen – für ungeregelte Fälle auch nach funktionalen und nicht nur nach formalen Kriterien zu treffen. aa) Sieht man unter diesem Aspekt die Fragen der Ausgliederung von Teilen des Unternehmensvermögens in eigene Tochtergesellschaften, so finden sich im Aktiengesetz keine Anhaltspunkte für eine Mitwirkungsbefugnis der Hauptversammlung. Die „technische“ Organisation, die Gliederung des unternehmerischen Vermögens der Korporation in betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht ist Aufgabe der Verwaltung. Ob und in welcher Weise sie dabei von den verschiedenen Figuren der Ordnung in rechtlich selbständige Einheiten, in betriebswirtschaftlich selbständige Einheiten (Unternehmensbereiche) oder in Mischformen beider Gebrauch macht, ist Sache der Unternehmensleitung, des Vorstands, allenfalls unter Mitwirkung des Aufsichtsrats (§ 111 IV AktG). Bedenkt man allerdings die Wirkungen solcher rechtlicher Untergliederungen in Tochter- und Enkelgesellschaften, die damit zunächst einmal verbundene Mediatisierung des Einflusses der Hauptversammlung der Obergesellschaft, so könnte man an der Richtigkeit dieser Überlegungen und ihres Ergebnisses zweifeln; denn die Hauptversammlung der Obergesellschaft ist eben nicht zugleich Hauptversammlung der Tochtergesellschaft, verliert ihre Kompetenzen an diese. Tatsächlich ist jedoch die Einflußminderung der Hauptversammlung [212] überwiegend nur scheinbar; denn wie an anderer Stelle nachgewiesen werden konnte, bestehen diese Mitwirkungsrechte der Hauptversammlung – wenn auch in etwas modifizierter Form fort31. Daher ist es nicht erforderlich, mit besonderen Überle-

30 Dort wird das Vermögen der Gesellschaft von der Vereinbarung nicht berührt, wohl aber beim Tausch von Mitgliedschaftsrechten an Tochtergesellschaften und ähnlichen Gestaltungen. 31 Vgl. dazu meine Überlegungen „Zur Binnenstruktur des Konzerns“, in: Festschrift für Harry Westermann, 1974, sub IV, V und VI, S. 361 ff.

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gungen bei der bislang unbestrittenen Organisationshoheit der Verwaltung anzusetzen. bb) Fusioniert die Untergesellschaft einer Aktiengesellschaft mit einem anderen Unternehmen, so wird der in der Untergesellschaft organisierte Teilbereich des Gesamtunternehmens der rechtlichen und faktischen Leitungsbefugnis der Obergesellschaft und ihrer Verwaltung entzogen und unterschiedlichen Mitentscheidungsbefugnissen Dritter (Minderheitsgesellschafter, Mehrheitsgesellschafter, Parität bei reinem Gemeinschaftsunternehmen) unterworfen. Zugleich wird vor allem bei den hier vornehmlich interessierenden paritätischen Lösungen – über die Beteiligung der Ausgangsunternehmen am Gewinn der fusionierten Tochtergesellschaften eine – bezogen auf die beteiligten Unternehmen – Betriebsgewinngemeinschaft erreicht: hinsichtlich des Gewinnes und Verlustes ist es nicht anders als wären die in den Tochtergesellschaften betriebenen „Sparten“ in einem Betriebsgewinn- und Verlustgemeinschaftsvertrag verbunden worden. Könnte das Gemeinschaftsunternehmen nicht in der Form einer gemeinsamen, hier durch Fusion entstandenen Tochtergesellschaft rechtlich aus dem Bereich der Obergesellschaft ausgegliedert werden, so hätte der angestrebte Erfolg der wirtschaftlichen Teilfusion nur über die erwähnte Betriebsgewinn- und Verlustgemeinschaft verbunden mit einer entsprechenden Leitungsgemeinschaft erreicht werden können. Diese Lösung aber hätte die Mitwirkung der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit nach §§ 292 I Nr. 1, 293 I AktG vorausgesetzt. Daher muß hier der bereits oben angesprochene Gedanke zum Tragen kommen: die Art der formalen Gestaltung eines Gemeinschaftsunternehmens kann nicht entscheidend sein für die Verteilung von Entscheidungsbefugnissen in einer Aktiengesellschaft; diese Verteilung folgt funktional-rationalen Kriterien, nicht formalen Zufälligkeiten. Daher kann die mehr oder minder zufällige, historisch bedingte organisatorische Struktur und Gliederung des Unternehmens einer Aktiengesellschaft für die Entscheidungszuständigkeit über die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens nicht signifikant sein. Maßgebend muß neben der Identität der wirtschaftlichen Ergebnisse sein, ob auch durch Gestaltungen dieser Art der legislatorische Grund für die Mitwirkung der Hauptversammlung nach §§ 292, 293 AktG zutrifft. Hier weist Würdinger32 zu Recht darauf hin, daß die Aktien- [213] gesellschaft auf autonome Zielverwirklichung, auf selbständige Gewinnerzielung und Gewinnverwendung angelegt ist. Sollen hier Einflüsse und Rechte Dritter geschaffen werden, so ist die Mitwirkung der Aktionäre in ihrem Organ Hauptversammlung erforderlich; § 292 I Nr. 1 AktG statuiert also nur eine Regel, die sich auch aus allgemeinen Prinzipien des Korporationsrechts und ggf. anderer Normen des Aktienrechts (z. B. §§ 58, 174 AktG) hätte entwickeln lassen32a. Großkommentar AktG, 3. Aufl., § 292 Einleitung. Das war schon früher der richtige Ansatz, als es um die Lösung der Frage ging, ob die im AktG 1937 (§ 256) nicht geregelten Organschaftsverträge auch der Zustimmung der Haupt32

32a

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Dieser Gesichtspunkt trifft auch auf die Fusion der echten Tochtergesellschaft33 zu. Die Verwaltung der Obergesellschaft hat dafür Sorge zu tragen, daß auch in dieser Form und mit diesem Vermögen die eigenen Unternehmensziele verfolgt werden und der erzielte Gewinn über entsprechende Ausschüttungen der eigenen Hauptversammlung zur Disposition gestellt wird34. Und diese Ausgangslage ändert sich grundlegend mit der Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Fusion der Tochtergesellschaften. Funktionale Gleichheit der wirtschaftlichen Ergebnisse und Übereinstimmung im legislatorischen Grund lassen demnach die Anwendbarkeit von § 293 AktG auch auf Fälle dieser Art notwendig erscheinen: die Mitwirkung der Hauptversammlung mit den Mehrheiten aus § 293 I AktG ist erforderlich. Da die angesprochene formale rechtliche Struktur der Unternehmen jedoch maßgebend ist für das Außenverhältnis und im Interesse Dritter auch grundsätzlich unangetastet bleiben muß, kann die Zustimmungsbefugnis der Hauptversammlung in solchen Fällen nicht auf der Ebene der unmittelbaren Mitwirkung in der Tochtergesellschaft ansetzen sondern nur beim Handeln ihrer eigenen Verwaltung: diese darf im Verhältnis zu ihrer eigenen Hauptversammlung in der Tochtergesellschaft die entsprechenden Beschlüsse nur fassen, wenn zuvor die eigene Hauptversammlung nach den gleichen Regeln und mit den gleichen Mehrheiten zugestimmt hat, die für eine Entscheidung nach §§ 292, 293 AktG auf der Ebene der Obergesellschaft erforderlich gewesen wäre. [214] cc) Findet die Teilfusion nicht durch förmliche Fusion von Tochtergesellschaften statt sondern durch den Abschluß eines Gewinnpoolvertrages nach § 293 I Nr. 1 AktG auf der Ebene der Tochtergesellschaft, durch den Tausch von Mitgliedschaftsrechten an Tochtergesellschaften (Aufbau einer Überkreuzverflechtung) oder die Einrichtung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Ausgliederung bisher unselbständiger Unternehmensteile, so kann nichts anderes gelten. Auch hier begibt sich die Obergesellschaft eines Teiles ihres bisherigen unternehmerischen Einflusses, verlangt die Gesamtorganisation des Unternehmens für den fraglichen Bereich die Berücksichtigung eines fremden Willens und damit eines dritten Risikos, wird der Erfolg und Mißerfolg dieses Bereiches nicht mehr von der Unternehmensleitung der Obergesellschaft allein bestimmt und verantwortet. Wieder handelt es sich funktional um Entscheidungen, die über den allgemeinen Verwaltungsbereich hinausgehen und, wie § 292 I Nr. 1 AktG deutversammlung bedürfen. – Vgl. dazu Ballerstedt, Handels- und gesellschaftsrechtliche Probleme der Organschaft, DB 1956, 813 ff., 837 ff.; Duden, Aktienrechtliche Fragen zur „Organschaft“ mit einem Großaktionär, BB 1957, 49 ff.; Flume, Die Organschaft im Körperschaftssteuerrecht, DB 1956, 455 ff., 457. 33 Also 100%ige Tochtergesellschaften oder Tochtergesellschaften mit kaum ins Gewicht fallenden Minderheitsgesellschaftern. 34 Lutter, Festschrift Westermann (Fn. 31), sub IV, S. 361 ff.

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lich macht, der Mitwirkung der Hauptversammlung bedürfen. Diese Argumentation wird beim Tausch von Mitgliedschaften durch § 186 AktG verstärkt: Mitgliedschaften an Tochtergesellschaften sind nicht beliebige Aktiva des Unternehmens sondern stehen den Mitgliedschaftsrechten an der Obergesellschaft selbst nahe35; dieser Bereich aber ist der Zuständigkeit der Verwaltung entzogen, ist Sache der Hauptversammlung. dd) Fusionen sind Vorgänge, die über das Gesamtvermögen der beteiligten Gesellschaften auch den Gesamtbereich der unternehmerischen Tätigkeit erfassen. Demgegenüber wirkt die Betriebsgewinngemeinschaft nur auf den Ertrag der beteiligten Unternehmen und zwingt von daher zur Koordinierung des betreffenden unternehmerischen Teilbereiches. Teilfusionen der hier behandelten Art zeigen funktionale Ähnlichkeiten mit beiden Figuren, ohne eine ganz zu sein: einerseits kennt das Gesetz nur die volle Fusion; andererseits sind die soeben behandelten Formen zum Teil von anderer Struktur als die reinen Betriebsgewinngemeinschaften des § 292 I Nr. 1 AktG, etwa dann, wenn sie, wie die Fusion, auch auf das Vermögen der Unternehmen einwirken. Daher ist zu erwägen, ob hier – und damit anders als bei Fusionen und Verträgen nach § 292 AktG – den Besonderheiten des Einzelfalles. Rechnung getragen werden kann: ist die Teilfusion von ganz untergeordneter Bedeutung für den unternehmerischen Gesamtbereich der Obergesellschaft36, so kann wegen [215] ihrer nur geringfügigen Auswirkung auf Vermögen, Gewinn und Leitung der Obergesellschaft von einer Mitentscheidung der Hauptversammlung abgesehen werden; das gilt um so mehr, als hier nicht die äußere Wirksamkeit von rechtlichen Maßnahmen sondern die interne Bindung des Organs Vorstand an die Mitwirkung des Organs Hauptversammlung zur Erörterung steht. Schließlich ist dabei auch zu berücksichtigen, daß die Effizienz der Hauptversammlung ebenso wie die der Verwaltung in einem ausgewogenen Verhältnis von Zuständigkeiten aufrechterhalten werden muß. Diese Argumentation erscheint widersprüchlich, beruhen doch die hier angestellten Überlegungen auf der funktionalen Nähe von Teilfusionen und ihren Wirkungen zu den anderen Unternehmensverträgen des § 292 I AktG; dort aber ist eine Abgrenzung nach der „Bedeutung“ des Falles gerade nicht vorgesehen. Doch ist zu bedenken, daß hier eine entsprechende Anwendung von Normen des Aktiengesetzes stattfindet, die ihrerseits nicht kritiklos erfolgen muß, sondern die Auswirkungen im Geschehen der Gesellschaft berücksichtigen kann. Sollten allerdings mehrere, sachlich aufeinander bezogene und zeitlich einander nahe Teilfusionen stattfinden, so sind sie für obige Überlegungen wiederum aus funktionalen Gesichtspunkten als ein Vorgang zu behandeln.

Lutter, Festschrift Westermann (Fn. 31), sub V mit weiteren Nachw. (S. 364 ff.). Dabei ist an Fallgestaltungen gedacht, in denen der von der Teilfusion betroffene Umsatzanteil nicht einmal 10% des Gesamtumsatzes der Obergesellschaft ausmacht. 35 36

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ee) Schließlich ist zu bedenken, daß der hier vorgetragene Lösungsvorschlag für die Entscheidungsbefugnis über Teilfusionen nur internen Charakter hat, nicht also die Vertretungsmacht des Vorstandes berührt, insofern also anders aufgebaut ist und wirkt als die gesetzliche Lösung der §§ 291 ff. und 339 ff. AktG: dort ist die Mitwirkung der Hauptversammlung Voraussetzungen für die Gültigkeit des Vorganges überhaupt37, hier darf der Vorstand zwar nicht ohne die Hauptversammlung handeln, kann es aber an sich. Dennoch ist der Unterschied nur gering. Denn diese typische Drittschutzregel gilt nach gefestigter Lehre und Rechtsprechung nicht, wenn es sich – wie hier in aller Regel – um erfahrene Vertragspartner handelt, welche die interne Rechtslage mindestens kennen müssen und deshalb am allgemeinen Vertrauensschutz dieser Regelung nicht teilnehmen38. 3. Die hier angeschnittenen Fragen haben bei der Gesellschaft mbH als Verbundpartner andere Bedeutung und anderes Gewicht. Denn hier besteht die klare Überordnung der Gesellschafterversammlung [216] über die Geschäftsführung mit der Folge, daß die Gesellschafterversammlung durch entsprechende Weisungen an die Geschäftsführung jede von ihr gewünschte Maßnahme durchsetzen und jeden von ihr nicht gewünschten Vorgang verhindern kann39. Insofern steht hier die rechtliche Möglichkeit zur Mitwirkung bei der Entscheidung über Bildung von Gemeinschaftsunternehmen seitens der Gesellschafterversammlung fest. Fraglich ist jedoch, mit welchen Mehrheiten die Gesellschafterversammlung mitzuwirken hat und ob gesichert ist, daß sie rechtzeitig Informationen über Planungen der hier behandelten Art erhält. a) Das geltende GmbH-Recht enthält keine Regeln über die Fusion und über den Abschluß von Unternehmensverträgen. Daher müssen alle Fragen in diesem Zusammenhang aus allgemeinen Grundsätzen des GmbH-Rechts entwickelt werden. aa) Findet die Teilfusion über eine Betriebsgewinngemeinschaft statt, so werden vordergründig die Risiken eines bestimmten Geschäftsbereiches verringert, schuldrechtliche Abreden über Maßnahmen der Kooperation getroffen, kurz: Vorgänge der allgemeinen Geschäftsführung behandelt. Sieht man jedoch näher hin, so ist zu erkennen, daß ein so globaler Vorgang unmittelbar in die Entstehung von Bilanzgewinn eingreift und – wie bereits oben ausgeführt – über die hier notwendige Koordination der Leitung zugleich die Autonomie der Gesellschaft beschränkt. Damit handelt es sich um eine Maßnahme, die – überschreitet sie eine für das Gesamtunternehmen relevante Größe – der Mitwirkung der Ge37 Vgl. die Nachw. in Fn. 26 sowie Baumbach-Hueck (Fn. 16), § 340 Anm. 4; Kraft, in: Kölner Komm. zum AktG, § 340 Anm. 6; Schilling, in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 340 Anm. 3. 38 So BGHZ 50, 112 und Mertens, JurA 1970, 466 ff. mit umfangreichen Nachw. 39 Brodmann, Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1929, § 37 GmbHG Anm. 1; Schilling, in: Hachenburg, Kommentar zum GmbHG, 6. Aufl. 1956, § 37 Anm. 3; Scholz, Kommentar zum GmbHG, 5. Aufl. 1964, § 37 Anm. 1; Eder, in: Handbuch der GmbH, 3. Aufl., Rz. I, 574.

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sellschafter mit satzungsändernder Mehrheit bedarf, argumentum §§ 29 I, 46, 53 GmbHG. Das gilt um so mehr, als auch die Gesellschafterversammlung der betreffenden Gesellschaft mit Abschluß des betreffenden Vertrages die Autonomie über die erfolgsrelevanten Entscheidungen verliert: zwar kann der eigene Bereich nach wie vor beeinflusst werden, der nicht minder erfolgsrelevante Bereich des anderen Unternehmens dagegen nicht. bb) Ist dieses Ergebnis in sich schlüssig, so kann für die anderen Gestaltungen der hier interessierenden Art nichts anderes gelten. Wie im Aktienrecht ist dann Ausgangspunkt der Gesamtüberlegungen die Teil- und Betriebsgewinngemeinschaft. Da eine solche Gewinngemeinschaft in Tochtergesellschaften und der Austausch von Mitglied- [217] schaftsrechten an Tochtergesellschaften nicht anders wirkt, ja das allgemeine Risiko noch auf den Vermögensbereich des betreffenden Unternehmensteils ausgedehnt wird, kann die Lösung für diese Fälle keine andere sein. Das gilt im GmbH-Recht um so mehr, als der Mangel fast aller konkreter Normen in diesem Bereich insgesamt zu einem betont funktionalen Normverständnis und zu entsprechender Normanwendung zwingt. b) Folgt man dieser Betrachtung erneut, so ist die rechtzeitige Information der Gesellschafter keine besondere Frage mehr: ist ihre Mitwirkung im Hinblick auf §§ 29 I, 46, 53 GmbHG mit satzungsändernder Mehrheit erforderlich, so sichern die Regeln über die Einberufung einerseits (§§ 49, 51 GmbHG), diejenigen über das Fragerecht aller Gesellschafter in der Versammlung40 andererseits in ausreichendem Maße das Informationsbedürfnis der Gesellschafter. c) Im übrigen ist § 49 II GmbHG zu beachten, der die Geschäftsführer in Fällen relevanten Umfanges auf jeden Fall zwingt, die Gesellschafter rechtzeitig und vollständig zu informieren. E. Schlußbetrachtungen I. Teilfusionen werden an Bedeutung zunehmen. Denn die Größe der Unternehmen einerseits, ihre Diversifikation in unterschiedliche Tätigkeitsbereiche andererseits steht der „reinen“ und vollständigen Fusion klassischer Form zunehmend entgegen. Teilfusionen geben hier die Chance der Rationalisierung und der Marktbereinigung; auf der anderen Seite sind ihre Gefahren für Markt und Marktordnung ebenso wie für den Einfluß der Gesellschafter der beteiligten Ausgangsunternehmen auf das künftige Geschehen im Gemeinschaftsunternehmen nicht zu übersehen: davon war hier nicht zu handeln. Entscheidend ist hier 40

Vgl. Fn. 29.

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Teilfusionen im Gesellschaftsrecht

jedoch die Feststellung, daß der Rückgang der praktischen Bedeutung der förmlichen Fusion und die Übernahme ihrer Aufgaben durch fusionsähnliche Tatbestände und Teilfusionen schon de lege lata nicht zur Beseitigung der Mitentscheidungsbefugnisse der Gesellschafter geführt haben: Teilfusionen von einigermaeinigermaßen signifikanter Bedeutung für das Gesamtunternehmen unterliegen nach Aktien- und GmbH-Recht sowie nach dem – insoweit allerdings dispositiven – [218] Recht der Personengesellschaften der Mitentscheidung der Gesellschafter, im allgemeinen nach den Regeln für die Änderung der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrages. II. Im Rahmen dieser Überlegungen wurde davon ausgegangen, daß die an der Teilfusion beteiligten Unternehmen nur Teile ihres Gesamtbereiches fusionieren, während einer früheren Untersuchung41 der Fall zugrunde lag, daß die beteiligten Gesellschaften eine volle Verbindung außerhalb der Rechtsfigur einer förmlichen Fusion eingehen (fusionsähnliche Unternehmensverbindung). Naturgemäß ist auch eine Mischung beider Erscheinungsformen derart möglich, daß die Verbindung für die eine der beteiligten Korporationen eine Teilfusion, für die andere dagegen eine volle „fusionsähnliche Unternehmensverbindung“ ist. In einem solchen Falle sind für die Fragen des Abschlußtatbestandes auf das letztere Unternehmen die Regeln der „fusionsähnlichen Unternehmensverbindung“, auf das erstere die hier entwickelten Grundsätze für Teilfusionen anzuwenden.

41

Wie Fn. 29.

Die Übertragende Auflösung: Liquidation der Aktiengesellschaft oder Liquidation des Minderheitenschutzes?* IN: FORSTER/GRUNEWALD/LUTTER/SEMLER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR BRUNO KROPFF, DÜSSELDORF

I. II. 1. 2. 3. III. 1. 2. 3. 4. 5.

6.

*

1997, S. 191-223

Einleitung Die Moto-Meter-Entscheidung als Ausgangspunkt der Überlegungen Der Sachverhalt Die Entscheidung Die daraus folgende Rechtsregel Die Übertragende Auflösung als Umgehungssachverhalt Bisherige Rechtslage Der Einfluß des neuen UmwG Die Vermögensschutzvorschriften im neuen UmwG Der Bestandsschutz der Mitgliedschaft im Umwandlungsgesetz Die Umgehungsfestigkeit des Vermögensschutzes a) Notwendigkeit eines besonderen Vermögensschutzes aa) Die Unterschiede zur „echten“ Liquidation bb) Position der Rechtsprechung cc) Stellungnahme aaa) Hinreichender Selbstschutz durch Wettbewerb zwischen Mehrheit und Minderheit bbb) Selbstschutz durch freiwillige Begutachtung b) Identität der Interessenlage mit den im UmwG geregelten Sachverhalten c) Anerkennung eines Umgehungsschutzes durch das UmwG selbst d) Rechtsfolge Umgehungsfestigkeit des Bestandsschutzes der Mitgliedschaft a) Notwendigkeit einer eigenständigen Betrachtung b) Der Umfang des Bestandsschutzes c) Interessenabwägung aa) Das Bestandsinteresse des Aktionärs Gemeinsam mit Tim Drygala.

834

Die Übertragende Auflösung

bb) cc)

7. 8.

IV. V. 1. 2. 3. 4.

VI. VII.

Das Rationalisierungsinteresse der Gesellschaft Vorrangigkeit der ökonomischen Interessen d) Rechtsvergleichende Betrachtung Ergebnis: Umgehung nur der Vermögensschutzvorschriften Allgemeine Konsequenzen a) Notwendigkeit eines schriftlichen Berichts b) Pflicht zur Prüfung des Vorgangs c) Bekanntmachung d) Zulassung von Gegengeboten e) Anfechtbarkeit bei Verletzung von Formvorschriften f) Gerichtliche Wertkontrolle [192] Materielle Beschlußkontrolle Rechtsmißbrauchskontrolle Möglicher Mißbrauch der Liquidation Funktionsfremder Einsatz der Auflösung Position der Rechtsprechung Stellungnahme a) Mißbrauch in Hinblick auf finanzielle Interessen der Minderheit b) Mißbrauch der Auflösung zur Verdrängung aus der Mitgliedschaft c) Mißbrauch im Hinblick auf den Einzelfall aa) Keine Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Börsengang bb) Vorhandensein weiterer bedeutender Aktionäre Treupflichtverletzung gegenüber der AG und den Minderheitsaktionären Zusammenfassung und rechtspolitischer Ausblick [193] I. Einleitung

Das zum 1. 1. 1995 in Kraft getretene neue Umwandlungsgesetz hat auch eine Stärkung des Minderheitenschutzes mit sich gebracht. So wurde insbesondere das bisher nur von der aktienrechtlichen Verschmelzung her bekannte Schutzsystem des Berichts der Geschäftsleitung, der sachverständigen Prüfung des Vorhabens und der Möglichkeit einer gerichtlichen Wertkontrolle auf alle Gesellschaftsformen ausgedehnt und außerdem nicht nur für die Verschmelzung, sondern auch für alle anderen im UmwG geregelten Formen der Umstrukturierung vorgesehen. Die Durchführung der Umwandlung ist dadurch nicht unbedingt leichter geworden, was in der Literatur zum Teil beklagt, vom Gesetzgeber aber im Interesse des Minderheitenschutzes in Kauf genommen wird1. Zusätzlich wurde für viele Fälle ein Anspruch auf eine angemessene und gerichtlich nachprüfbare Abfindung eingeführt (vgl. §§ 29, 125, 207 UmwG). 1

Näher dazu Lutter in Lutter (Hrsg.), UmwG, § 8, Rdnr. 6.

Festschrift für Bruno Kropff, Düsseldorf 1997, S. 191-223

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Zur Freude der beteiligten Wirtschaftskreise scheint sich aber ein weiterer Weg zu eröffnen, mit dem zwar dieselben Wirkungen wie mit einer Verschmelzung erreichbar sind, der aber die Beachtung der im UmwG vorgesehen Schutzmaßnahmen weitgehend entbehrlich macht. Dieser Weg ist die Vermögensübertragung auf den Mehrheitsaktionär verbunden mit der Liquidation der ursprünglichen Gesellschaft (§ 179a III AktG). Das OLG Stuttgart hat eine solche Vorgehensweise unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt2. Nachdem der BGH die Revision gegen diese Entscheidung nicht angenommen hat3 und das Urteil des OLG bzw. die im wesentlichen gleichlautende Entscheidung der Vorinstanz4 in der Literatur auch aus Kreisen des BGH5 überwiegend auf Zustimmung stießen6, erscheint diese (im Anschluß an die Entscheidung des OLG Stuttgart so genannte) Moto-Meter-Methode der Beratungspraxis als ein gangbarer und einfacher Weg zur Umstrukturierung von Unternehmen. Es kann daher nicht verwundern, daß in Fällen, in denen das Steuerrecht keine Hindernisse in den Weg legt, bei Unternehmen und ihren Beratern darüber nachgedacht wird, ob man dem Moto-Meter-Beispiel folgen sollte. Aus diesem Grunde und weil das neue Umwandlungsgesetz einige neue Aspekte in die Diskussion hereingetragen hat, soll an dieser Stelle die Zulässigkeit der Vermögensübertragung auf den Mehrheitsaktionär, verbunden mit der Auflösung der Gesellschaft, noch einmal genauer untersucht werden. Aus Vereinfachungsgründen wird dabei der Vorgang im folgenden als Übertragende Auflösung bezeichnet. [194] II. Die Moto-Meter-Entscheidung als Ausgangspunkt der Überlegungen 1. Der Sachverhalt Im Jahre 1991 erwarb die Robert Bosch GmbH die qualifizierte Mehrheit an der Moto-Meter AG in Stuttgart und baute sie durch börsliche und außerbörsliche Zukäufe weiter aus. Ihre Beteiligung betrug zuletzt 97,76%. Im Jahre 1992 gab die Mehrheitsaktionärin ihren Plan bekannt, die Moto-Meter AG aufzulösen und ihren Geschäftsbetrieb zu erwerben. In Vorbereitung dieses Vorhabens bot sie den freien Aktionären eine Übernahme ihrer Aktien zum Preis von 615 DM pro Aktie an. Zur Stützung ihres Angebots hatte sie ein WirtschaftsprüfergutachOLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515ff. Beschluß v. 5. 12. 1994 – II ZR 8/94 (unveröffentlicht). 4 LG Stuttgart, DB 1993, 472. 5 Henze, ZIP 1995, 1473; ders., FS Boujong, 1996, 233, 240; vgl. zum Thema auch Henze, DStR 1993, 1863, 1866f. 6 Für Zulässigkeit Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 8. Aufl., § 60, Rdnr. 16; Friedrich, BB 1994, 89, 94; a.A. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl., § 60, Rdnr. 6; Lutter in Lutter (Hrsg.), UmwG, § 1, Rdnr. 21. 2 3

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ten zum Wert der Moto-Meter eingeholt, das einen Unternehmenswert von 429 DM pro Aktie ermittelte. Weiterhin wurde in Vorbereitung der Übernahme eine 100%ige Tochtergesellschaft gegründet, auf die später die Vermögensübertragung erfolgen sollte. Im Mai 1992 wurde zwischen der Moto-Meter und dieser Tochtergesellschaft ein Vermögensübernahmevertrag geschlossen, der unter der Bedingung einer Zustimmung der Hauptversammlung stand. Ferner wurde im Mai die Auflassung der Betriebsgrundstücke erklärt. Im Juli 1992 stimmte die Hauptversammlung mit überwältigender Mehrheit der Vermögensübertragung und der Auflösung zu. 2. Die Entscheidung Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage von Kleinaktionären und der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz blieb in allen Instanzen erfolglos. Wenig überraschend war dabei, daß die Gerichte der Ansicht der Anfechtungskläger nicht folgten, die übertragende Auflösung in der hier praktizierten Form sei eine Umgehung der Schutzvorschriften für die Verschmelzung und habe außerdem der sachlichen Rechtfertigung bedurft. Diese Einwände hatte der BGH bereits in zwei Entscheidungen zu vergleichbaren Sachverhalten für unbegründet erklärt7. Überraschung verursachten jedoch die Ausführungen der Gerichte zur Frage der Treupflichtverletzung, denn noch in BGHZ 103, 184 – Linotype – hatte der BGH ausgeführt, daß der Mehrheitsgesellschafter treuwidrig handele, wenn er vor der Beschlußfassung der Hauptversammlung bereits Absprachen über die Übernahme wesentlicher Teile des Gesellschaftsvermögens treffe und damit der Minderheit die Chance nehme, sich um den Erwerb dieser Unternehmensteile zu bemühen und das Unternehmen in irgendeiner Form selbst fortzuführen8. Genau dies schien hier passiert zu sein. Das OLG Stuttgart9 kam jedoch zu einer anderen Beurteilung. Zwar habe eine unzulässige Vorabsprache im Sinne der Linotype-Entscheidung vorgelegen. Diese [195] sei aber im konkreten Fall folgenlos geblieben, weil angesichts der Größe des Unternehmens (eines bedeutenden Automobilzulieferers) der Minderheit die finanziellen Möglichkeiten zum Erwerb von vornherein gefehlt hätten10. Auch ein Sondervorteil zugunsten des Mehrheitsaktionärs liege nicht vor, da der Übernahmepreis durch einen Wirtschaftsprüfer geprüft worden sei und zudem einen „Sicherheitszuschlag“ gegenüber den Feststellungen des Gutachtens enthal7 BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 187ff. – Linotype –; zustimmend aus der Literatur etwa Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., Anh. § 47, Rdnr. 51; Schulze/Osterloh in Baumbach/Hueck, aaO., § 60, Rdnr. 18; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 8. Aufl., § 60, Rdnr. 16. 8 BGHZ 103, 184, 193f. 9 OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515ff. 10 OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1518.

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te. Weitere Anhaltspunkte für eine zu niedrige Festsetzung des Übernahmepreises seien nicht erkennbar11. Der BGH hat die dagegen eingelegte Revision nicht angenommen12. Die Ausführungen des Bundesrichters Henze zum Thema13 lassen erkennen, daß der BGH offenbar mit dem OLG Stuttgart einer Meinung war und der Revision deshalb keine Aussicht auf Erfolg beigemessen hat. 3. Die daraus folgende Rechtsregel Abstrahiert man von dem entschiedenen Einzelfall, so scheint danach folgende Rechtsregel zu gelten: Eine Aktiengesellschaft kann mit satzungsändernder Mehrheit aufgelöst und ihr Vermögen im Ganzen an den Mehrheitsgesellschafter (oder ein von ihm abhängiges Unternehmen) verkauft werden, sofern die Gesellschaft groß genug ist, um eine Kaufmöglichkeit für die Minderheit wirtschaftlich auszuschließen und zuvor ein Bewertungsgutachten eingeholt wurde, an dem sich der zwischen der Gesellschaft und dem Mehrheitsaktionär vereinbarte Kaufpreis orientiert. Diese Regel soll im folgenden auf ihre Vereinbarkeit mit dem geltenden Aktienrecht und insbesondere mit dem neuen UmwG überprüft werden. III. Die Übertragende Auflösung als Umgehungssachverhalt 1. Bisherige Rechtslage Das wirtschaftliche Ergebnis der hier diskutierten Vorgehensweise legt den Gedanken an eine Gesetzesumgehung ausgesprochen nahe; das ist schon vor der Linotype-Entscheidung des BGH vielfach ausgesprochen worden14. Denn einerseits ist es zulässig, das Vermögen einer Aktiengesellschaft auf einen Dritten zu übertragen. § 179a III AktG (früher: § 361 AktG) erklärt es auch für zulässig, anläßlich der Vermögensübertragung die Aktiengesellschaft aufzulösen. Der Vorgang als solcher ist [196] daher im Prinzip dem Gesetz bekannt: Es ist zulässig, das Vermögen einer Aktiengesellschaft uno actu auf einen Dritten zu übertragen und gleichzeitig die Gesellschaft aufzulösen. Fraglich ist aber andererseits, ob das auch dann gilt, wenn dieser Dritte zugleich der Mehrheitsgesellschafter oder eine ihm nahestehende Person, z. B. eine OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1519ff. Siehe oben bei Fn. 3. 13 Henze, ZIP 1995, 1473ff.; ders. DStR 1993, 1866f; ders., FS Boujong, 233ff. 14 Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 151f.; Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1987, 299f.; Timm, JZ 1980, 665, 670; ablehnend dazu Henze, DStR 1993, 1867. 11 12

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Tochtergesellschaft, ist15. Denn dann kann wirtschaftlich das gleiche Ergebnis erreicht werden wie durch die Eingliederung nach §§ 319ff. AktG, den Abschluß eines Unternehmensvertrages oder eine Verschmelzung auf den Mehrheitsgesellschafter bzw. eine von ihm kontrollierte Tochter. Bei Abschluß eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages wäre jedoch nach § 305 AktG den Minderheitsaktionären eine angemessene Abfindung zu gewähren. Bei einer Verschmelzung auf den Mehrheitsgesellschafter oder eine ihm gehörende Gesellschaft würde Gleiches gelten. Nach § 29 I UmwG kann bei einer Verschmelzung von Rechtsträgern unterschiedlicher Rechtsform jeder Anteilseigner verlangen, daß der übernehmende Rechtsträger seine Anteile gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung übernimmt. Vor allem aber kann auf dem Wege der Auflösung der Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft entfernt werden, was auf dem Wege der Verschmelzung und des Unternehmensvertrages nicht möglich wäre16. Eine Umgehung könnte jedoch nur dann vorliegen, wenn den genannten Vorschriften – bzw. ihren Vorläufern aus der Zeit vor dem UmwG – Ausschließlichkeitswirkung zukäme. Dies hat die bisherige Rechtsprechung stets verneint17. §§ 33 Abs. 2 KapErhG, 369 Abs. 2 AktG a.F., die dem heutigen § 29 UmwG entsprechen, sei nicht zu entnehmen, daß die Fortführung einer Aktiengesellschaft in der Rechtsform einer GmbH allein bei Einhaltung der für die verschmelzende Umwandlung vorgesehenen Voraussetzung möglich sei. Das sei vor allem nicht der Fall, weil das Gesetz nur eine Verschlechterung der Beteiligungsposition des Aktionärs verhindern wolle, die dann eintrete, wenn er Gesellschafter in einer GmbH werde. Eines solchen Schutzes bedürfe es für den Fall der Vermögensübernahme durch den Mehrheitsgesellschafter nicht, weil der Gesellschaftszweck mit der Auflösung beendet werde und der Gesellschafter damit aus der Gesellschaft ausscheide18. 2. Der Einfluß des neuen UmwG § 29 Abs. 1 UmwG übernimmt den Schutz der Aktionäre, der für die Verschmelzung einer AG oder KGaA mit einer GmbH gilt, und dehnt ihn auf alle anderen Fälle der Mischverschmelzung aus, weil auch bei ihnen der Grund für 15 Bejahend Friedrich: DB 1994, 89, 94; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 70, Rdnr. 14; Hachenburg/Hohner, GmbHG, § 70, Rdnr. 15. 16 Zutr. K. Schmidt, GesR, § 38 IV, S. 992f. 17 BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 187ff.; ablehnend auch Henze, DStR 1993, 1867; Scholz/K. Schmidt, aaO., Rdnr. 16; offener nach Inkrafttreten des neuen UmwG ders. in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 243, Rdnr. 49. 18 BGHZ 103, 184, 188f.; OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1518; zust. Henze, ZIP 1995, 1473, 1475.

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diesen besonderen [197] Schutz in Form eines Anspruchs auf Barabfindung gegeben ist19. Da die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes eine Vermögensübertragung auf andere als die in diesem Gesetz geregelte Weise nicht ausschließen, insbesondere auch nicht für den Fall, daß der Mehrheitsgesellschafter die Auflösung betreibt und das Vermögen oder wesentliche Vermögensteile der aufgelösten Gesellschaft übernimmt, wird vor allem von Henze angenommen, daß sich an der Rechtsprechung des BGH auch unter der Geltung des Umwandlungsgesetzes nichts zu ändern habe und daher auch nichts ändern werde20. Diese Ansicht greift jedoch entschieden zu kurz. Sie vernachlässigt bereits den rechtlichen Hintergrund der bisherigen Entscheidungen zur Auflösung von Aktiengesellschaften unter Vermögensübertragung auf den Mehrheitsaktionär. In diesen Fällen wurde oftmals eine Umstrukturierung angestrebt, weil aufgrund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse oder der wirtschaftlichen Gegebenheiten die auf Publikumsbeteiligung angelegte Rechtsform der AG nicht mehr als zweckmäßig empfunden wurde21. Es handelte sich damit um Maßnahmen des „going private“, also des Ausschlusses der Öffentlichkeit in einer ursprünglich als öffentlich angelegten Gesellschaft22. Ein solches going private wurde vom bisherigen Recht aber dadurch fast unmöglich gemacht, daß §§ 369 II AktG, 33 III KapErhG für den Formwechsel von der AG in die GmbH Einstimmigkeit forderten und damit ein praktisch nicht zu realisierendes Erfordernis aufstellten. Angesichts dieser Tatsache konnte man es als vertretbar ansehen, daß der BGH den Umweg über die Auflösung als gangbar ansah. Es fragt sich aber, ob nicht das neue Umwandlungsgesetz neue Gesichtspunkte gebracht hat, die nach einer Neubewertung der Umgehungsfrage verlangen. Diese Problematik hat zwei Aspekte: Zum einen schützt das UmwG das Interesse des Aktionärs, bei der Umwandlung nicht finanziell benachteiligt zu werden, und zwar insbesondere durch die Kontrolle des Umtauschverhältnisses und der zu gewährenden Abfindung (Vermögensschutz). Zum anderen schützt das UmwG aber auch das Interesse am Erhalt der Mitgliedschaft als solcher, und zwar durch die Möglichkeit, die Mitgliedschaft in dem umgewandelten Rechtsträger fortzusetzen (Bestandsschutz). Beide Fragen können auch für die übertragende Auflösung relevant werden. Da sie unterschiedliche Problemkreise betreffen, sollen sie im folgenden getrennt beleuchtet werden.

19 Dehmer, Umwandlungsrecht, 2. Aufl. 1996, § 29 UmwG, Rdnr. 1; Bermel in Goutier/Knopf/Tulloch, Komm. zum UmwG, § 29, Rdnr. 1. 20 So Henze, ZIP 1995, 1473, 1477. 21 Vgl. BGHZ 103, 184 – Linotype –; OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515 – Moto-Meter –. 22 Näher dazu Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459.

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3. Die Vermögensschutzvorschriften im neuen UmwG Die Ansicht Henzes23 unterschätzt das Ausmaß, im dem sich die Rechtslage durch das UmwG geändert hat. Das gilt vor allem für den Vermögensschutz der Aktionäre. [198] § 240 I UmwG erlaubt heute den Formwechsel in eine GmbH mit einer Mehrheit von ¾ des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals; §§ 50 I, 65 I UmwG stellen dasselbe Erfordernis für die Verschmelzung auf eine GmbH auf. Die Mehrheitsanforderungen wurden damit deutlich abgesenkt, sie entsprechen nunmehr dem, was auch für die Vermögensübertragung und die Liquidation erforderlich ist, §§ 179a, 262 I Nr. 2 AktG. Vermögensübertragung in Verbindung mit Auflösung einerseits und Verschmelzung und Formwechsel andererseits sind daher heute noch mehr als früher austauschbare Vorgänge. Schon von daher besteht Anlaß, über die Frage der Umgehung erneut nachzudenken24. Gleichzeitig mit der Abschwächung des Mehrheitserfordernisses hat das Gesetz jedoch den Minderheitenschutz auf andere Weise ausgebaut. Es hat nämlich für alle Rechtsformen den Umwandlungsbericht und für alle Fälle des Rechtsformwechsels den Anspruch auf angemessene Barabfindung eingeführt, wobei im letzteren Falle die Höhe der Barabfindung einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Spruchverfahren, §§ 305ff. UmwG). Damit erweist sich die Aussage als unzutreffend, daß die Schutzvorschriften des Umwandlungsgesetzes den Gesellschafter nur in seiner aktiven Rolle als Mitglied der werbenden Gesellschaft schützen wollen und daß für einen solchen Schutz kein Anlaß mehr besteht, sobald die Gesellschaft aufgelöst sei25. Das Gegenteil ist richtig. Das Gesetz schützt umfassend auch denjenigen, der gegen Abfindung aus der Gesellschaft ausscheidet, nämlich zum einen durch den Umwandlungsbericht (§§ 8, 127, 192 UmwG), der stets auch Aussagen zur angemessenen Höhe der Abfindung enthalten muß. Mit dessen Hilfe kann der Aktionär die Angemessenheit der Abfindung zumindest auf Plausibilität überprüfen26. Hinzu kommt zum anderen die Überprüfung durch einen Sachverständigen (§§ 912 UmwG). Ist der Aktionär mit dem Ergebnis nicht einverstanden, so kann er Antrag auf Festsetzung einer angemessenen Abfindung durch das Gericht stellen (§ 34 UmwG). Das gilt insbesondere auch für den Fall, daß der Aktionär mit den Henze, ZIP 1995, 1473, 1474f. So auch K. Schmidt in Großkomm. zum AktG, § 243, Rdnr. 49; ders. ZGR 1995, 675, 676. 25 So aber BGHZ 103, 187ff.; OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1518; Henze, ZIP 1995, 1473, 1474f. 26 Vgl. Lutter in Lutter (Hrsg.), Komm. zum UmwG, § 8, Rdnr. 14; Sagasser/Bula, Umwandlungen, Rdnr. G 69; Dehmer, Umwandlungsrecht, § 8 UmwG, Rdnr. 17; ebenso schon zum alten Recht Kraft in Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 340a, Rdnr. 5; Grunewald in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 340a, Rdnr. 5. 23 24

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Feststellungen des Sachverständigen nicht übereinstimmt. Diese Regelungen zeigen, daß das System des heutigen Gesetzes ganz anders funktioniert: Nach § 369 AktG a.F. konnte der Aktionär den Formwechsel in die GmbH verhindern und damit seine mitgliedschaftliche Rechtsposition unverändert erhalten. Nach heutigem Recht muß er die Veränderung dulden, kann aber entweder in der Gesellschaft bleiben und die Höhe des Umtauschverhältnisses gerichtlich überprüfen lassen oder sich aber seine Mitgliedschaft gegen angemessene Abfindung abkaufen lassen. Er wird also nicht nur in seiner mitgliedschaftlichen Rechtsposition, sondern auch in seinen Vermögensinteressen umfassend geschützt. Dieser Schutz geht verloren, wenn statt der Umwandlung der Weg der Auflösung unter Vermögensübertragung gewählt wird. Denn zum einen verkürzt ein [199] solches Verfahren die Informationsmöglichkeiten der Minderheit. Ein Bericht über die Wertverhältnisse des betroffenen Unternehmens, wie ihn § 8 UmwG vorsieht, muß weder erstellt noch den Aktionären zugänglich gemacht werden. Die Pflicht zur Offenlegung des Vermögensübernahmevertrages, der nach §§ 179a, 124 II 2 AktG in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und seinem wesentlichen Inhalt nach in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen ist27, bildet kein hinreichendes Korrektiv. Denn der Vertrag enthält lediglich das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Parteien, insbesondere also die Verpflichtung zur Vermögensübertragung zu einem bestimmten Preis. Diese Angabe ist als solche aber nichtssagend. Im Gegensatz zum Bericht nach § 8 UmwG enthält der Vertrag keine Angaben zum Wie und Warum des Vorgangs und des vereinbarten Preises; weder die Motive für die Vermögensübertragung noch die Modalitäten der Preisfindung gehen daraus hervor. Die Pflicht zur mündlichen Erläuterung in der Hauptversammlung (§ 179a II 4 AktG) kann das nicht ausgleichen: Aufgrund der lediglich mündlichen Darstellung und der in der Hauptversammlung nur beschränkt zur Verfügung stehenden Zeit ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vertragsinhalt nicht möglich. Genau aus diesem Grund verlangt das UmwG einen vorherigen schriftlichen Bericht28. Verkürzt wird zum anderen auch der Schutz der §§ 9-12 UmwG. Die Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer ist lediglich auf freiwilliger Basis möglich, wobei die Minderheit auch dabei nicht über die Vorgehensweise und die einzelnen Feststellungen des Prüfers informiert wird29. Vor allem aber fehlt der Minderheit die Möglichkeit, die Angemessenheit der Abfindung gerichtlich nachprüDarauf abstellend Henze, ZIP 1995, 1473, 1478. Ausdr. Begr. zum Reg.-Entw. Ganske, S. 53: „Ein solches formalisiertes Informationsrecht hat einen größeren Wert als die allgemeinen Unterrichtungs- und Einsichtsrechte.“ Ebenso schon zu § 340a AktG a.F. Keil, Der Verschmelzungsbericht nach § 340a AktG, S. 23; Timm, AG 1989, 103f. 29 Gerade dieses Informationsdefizit wurde im Moto-Meter-Fall von den Aktionären gerügt, vgl. OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1521. 27 28

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fen zu lassen. Das Verfahren nach §§ 305ff. UmwG ist nicht analogiefähig, weil die Zuständigkeit des Gerichts und die Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des FGG nicht im Wege der Analogie, sondern nur durch eine Entscheidung des Gesetzgebers hergestellt werden können30. Eine Wertkontrolle im Rahmen des Anfechtungsprozesses ist zwar denkbar, aber für sie fehlen der Minderheit die Informationen, um die Festsetzung eines zu niedrigen Kaufpreises substantiiert darlegen zu können31. Hier trifft die mangelnde Information der Minderheit zusammen mit der Tatsache, daß in einem Anfechtungsprozeß der Beibringungsgrundsatz, in einem Spruchverfahren hingegen der [200] Amtsermittlungsgrundsatz nach dem FGG gilt (vgl. § 307 I UmwG). Dasselbe gilt in bezug auf den Schadensersatzanspruch der Minderheit im Falle eines zu billigen Verkaufs an den Mehrheitsaktionär, den der BGH als Schutzmöglichkeit erwogen hat32: Auch hier werden dem Minderheitsaktionär die Informationen fehlen, die er benötigt, um eine Klage auch nur schlüssig erheben zu können. Ohne ergänzende Informationen und/oder Erleichterungen der Darlegungslast ist ein effektiver Schutz der finanziellen Interessen der Minderheit im Anschluß an eine übertragende Auflösung der Gesellschaft daher nicht zu gewährleisten33. 4. Der Bestandsschutz der Mitgliedschaft im Umwandlungsgesetz Bisher nicht genügend gewürdigt wird auch, daß das UmwG den Bestandsschutz der Mitgliedschaft als solcher verstärkt hat. Denn sind bei Umwandlungsvorgängen nach dem UmwG Minderheitsgesellschafter abzufinden, so ist diese Abfindung stets als ein Angebot der Gesellschaft ausgestaltet. Dieses Angebot kann der Minderheitsgesellschafter annehmen, aber auch ablehnen. Wenn er möchte, ist er also nicht daran gehindert, seine Beteiligung an der neuen Gesellschaft bzw. in der neuen Rechtsform fortzusetzen. Insbesondere hat das UmwG die letzten Möglichkeiten beseitigt, in denen im Zuge einer Umstrukturierung widersprechende Gesellschafter gegen ihren Willen aus der Gesellschaft verdrängt werden konnten. §§ 11 Nr. 2, 24 II Nr. 2 UmwG a.F., die entsprechendes vorsa30 So LG Stuttgart, DB 1993, 473f.; OLG Stuttgart, DB 1997, 267; wohl auch Hüffer, AktG, 2. Aufl., § 179a, Rdnr. 12: Abfindungsanspruch analog § 305 AktG nur de lege ferenda möglich. 31 Instruktiv dazu OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1521: Einerseits wird eine Pflicht zur Offenlegung des Wirtschaftprüfergutachtens unter Geheimhaltungsaspekten verneint; andererseits wird von der Aktionärsminderheit die substantiierte Darlegung einer Fehlbewertung gefordert – das kann nicht richtig sein. Aus diesem Grunde kann – entgegen OLG Stuttgart, DB 1997, 268 – die Anfechtungsmöglichkeit auch nicht als hinreichende Form des Minderheitenschutzes angesehen werden. 32 Vgl. BGHZ 103, 189. 33 Das übersehen insbesondere Friedrich, DB 1994, 89, 93f. und OLG Stuttgart DB 1997, 268.

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hen, wurden durch das UmwG 1995 aufgehoben34. Das neue Umwandlungsgesetz erlaubt demgegenüber in § 120 I die Verschmelzung mit dem Vermögen des Mehrheitsgesellschafters nur noch für den Fall, daß diesem alle Anteile des zu verschmelzenden Rechtsträgers gehören. Diese Veränderung rechtfertigt die Gesetzesbegründung mit der Erwägung, daß „die Möglichkeit, außenstehende Anteilsinhaber gegen eine Abfindung, aber ohne ihre Zustimmung aus der Gesellschaft hinauszudrängen, nicht den Grundsätzen des Minderheiten- und Anlegerschutzes entspricht“35. Dieser Grundsatz gilt auch im Recht des Vertragskonzerns. Für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge bestimmt § 305 AktG, daß eine Abfindung nur auf Verlangen des außenstehenden Aktionärs zu erfolgen hat. Bei der Eingliederung sieht zwar § 320 IV AktG den Übergang der Minderheitsaktien auf die Hauptgesellschaft vor. Dafür sind der Minderheit aber Aktien der Hauptgesellschaft zu gewähren (§ 320 V 2 AktG). Ist die Hauptgesellschaft selbst eine abhängige Gesell- [201] schaft, besteht eine Pflicht zur Barabfindung. Jedoch ist auch diese Barabfindung eine wahlweise Abfindung, die der Aktionär annehmen kann oder auch nicht36. Auch hier besteht also – ähnlich wie bei der Verschmelzung – die Möglichkeit, die Mitgliedschaft im neuen Rechtsträger fortzusetzen. Nach Inkrafttreten des UmwG ergibt sich daher folgende, bisher nicht hinreichend zur Kenntnis genommene Lage: Die übertragende Auflösung würde, wenn man sie für zulässig hielte, de lege lata die einzige Möglichkeit darstellen, einen Aktionär (oder überhaupt einen Gesellschafter) im Zuge einer Umstrukturierung gegen seinen Willen aus der mitgliedschaftlichen Beteiligung zu verdrängen und auf einen (ungeprüften) Geldzahlungsanspruch zu verweisen. Mitentscheidend für das Ergebnis ist daher weniger, wie man die rechtstechnischen Unterschiede zwischen übertragender Auflösung und Verschmelzung beurteilt, sondern die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine derartige Zwangsabfindung mit dem geltenden Recht vereinbar ist. Das gilt vor allem im Hinblick auf die oben zitierte, über das Umwandlungsgesetz hinausweisende Gesetzesbegründung, die ein solches Ergebnis für unerwünscht erklärt. Dieser Frage muß man sich stellen, anstatt lediglich zu behaupten, die Liquidation sei das Recht des Gesellschafters, der über die satzungsändernde Mehrheit verfügt, wobei der dahinterstehende wirtschaftli-

Näher dazu Decher in Lutter (Hrsg.), Komm. zum UmwG, § 207, Rdnr. 1f. So ausdr. Begr. zum Reg.-Entw. zu § 120 UmwG, abgedr. bei Ganske, Umwandlungsrecht, 2. Aufl., S. 146. Demgegenüber hat der österreichische Gesetzgeber bei der jüngsten Reform des Umwandlungsgesetzes die Möglichkeit zur Umwandlung auf den mit mehr als 90% beteiligten Mehrheitsgesellschafter beibehalten. Die Minderheit scheidet dabei gegen Abfindung aus. Zur Vorbereitung des Beschlusses und zur Kontrolle der Abfindung sind die minderheitenschützenden Vorschriften der §§ 220ff. öAktG entsprechend anzuwenden, vgl. § 2 II öUmwG i.d. Fassung des EU-GesR-ÄnderungsG, ÖBGBl. 1996, Nr. 304 sowie Hügel, ecolex 1996, 527, 538f. 36 Vgl. Hüffer, Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 320, Rdnr. 15. 34 35

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che Zweck keine Rolle spiele37. Insbesondere stellt sich die Frage, ob nicht in den neuen Regelungen des UmwG und des Konzernrechts eine allgemeine Absage des Gesetzes an einen mittelbaren Ausschluß der Minderheit aus der Aktiengesellschaft zu sehen ist38. 5. Die Umgehungsfestigkeit des Vermögensschutzes Die bisherige Betrachtung hat gezeigt, daß das UmwG eine erhebliche Stärkung des Minderheitenschutzes bewirkt hat. Eine Gesetzesumgehung setzt jedoch weiterhin voraus, daß zwischen den fraglichen gesetzlichen Regeln und dem zu untersuchenden Tatbestand ein so enger Zusammenhang besteht, daß es geboten erscheint, die gesetzlichen Regeln auch auf die von den Parteien gewählte, anderweitige Gestaltung anzuwenden39. Auch dies soll für den Vermögensschutz und den Bestandsschutz getrennt untersucht werden. a) Notwendigkeit eines besonderen Vermögensschutzes Im Hinblick auf den Vermögensschutz stellen sich Umwandlung und übertragende Auflösung als austauschbare Vorgänge dar. Die Tatsache, daß der eine Vorgang im [202] Wege der Gesamtrechtsnachfolge, der andere im Wege der Einzelübertragung erfolgt, stellt unter Wertungsgesichtspunkten keinen Unterschied dar. Insbesondere rechtfertigen der mit der Einzelübertragung verbundene Aufwand und die steuerliche Benachteiligung des Vorgangs es nicht, größere Eingriffe in die Mitgliederinteressen zuzulassen. Nicht zutreffend ist es auch, die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes lediglich als einen Schutz der existenten Mitgliedschaft zu verstehen. Vielmehr zeigen die §§ 8, 9ff., 29 UmwG deutlich, daß auch der ausscheidende Gesellschafter geschützt werden soll40. Weiterhin läßt sich gegen eine Gleichwertigkeit der in Frage stehenden Gestaltungsformen nicht einwenden, auf einen derartigen Schutz bestehe im Liquidationsverfahren kein Anspruch41. Es kann auf keinen Fall richtig sein, daß der Liquidationsbeschluß der Mehrheit freie Hand zu einer Benach37 So in der Sache Henze, ZIP 1995, 1473ff.; ebenso Friedrich, DB 1994, 89, 93f. und OLG Stuttgart, DB 1997, 267. 38 Nur zur Vermeidung aller Mißverständnisse: Die „echte“ Auflösung unter „echter“ Liquidation steht nicht in Frage und kann von der satzungsändernden Mehrheit ohne sachlichen Grund beschlossen werden, vgl. Lutter, ZHR 153 (1989), 446ff. 39 Sog. Umgehungszusammenhang, vgl. Teichmann, Die Gesetzesumgehung, 1962, 67ff.; Lieser, JA 1988, 621. 40 Vgl. dazu Lutter in Lutter (Hrsg.), Komm. zum UmwG, § 8, Rdnr. 14; Sagasser/Bula, Umwandlungen, Rdnr. G 69; Dehmer, Umwandlungsrecht, § 8 UmwG, Rdnr. 17; Bermel in Goutier/Knopf/Tulloch, Komm. zum UmwG, § 8, Rdnr. 2. 41 So aber BGHZ 103, 189.

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teiligung der Minderheit geben würde. Zwar wird der gemeinsame Zweck durch den Liquidationsbeschluß beendet, aber die Gesellschafter sind jedenfalls bis zur Vollbeendigung noch Gesellschafter. Daher bleibt die Mehrheit auch verpflichtet, auf deren Belange angemessene Rücksicht zu nehmen42. Blendet man an dieser Stelle das Interesse am Erhalt der Mitgliedschaft als solcher aus der Betrachtung aus (dazu unten 6), so kann sich dieses Interesse nur auf den ordnungsgemäßen Verlauf des Liquidationsverfahrens richten. Das hier relevante Interesse der Minderheit ist daher finanzieller Natur: Es besteht darin, im Rahmen der Liquidation den bestmöglichen Erlös zu erhalten, oder – negativ formuliert – darin, zu verhindern, daß der Mehrheitsgesellschafter das Unternehmen oder dessen wesentliche Teile unter Wert übernimmt43. aa) Die Unterschiede zur „echten“ Liquidation Anders als im Fall der echten Liquidation kann man für die übertragende Auflösung nicht davon ausgehen, daß der Minderheitsaktionär im Falle der Liquidation eines besonderen Vermögensschutzes nicht bedürfe. Zwar enthalten die §§ 262ff. AktG keine besonderen Bestimmungen zum Minderheitenschutz44. Aber das findet seinen Grund darin, daß bei einer „echten“ Liquidation unter Veräußerung des Gesellschaftsvermögens an Dritte die Interessen von Mehrheit und Minderheit identisch sind: Beiden geht es darum, von dem Käufer des Unternehmens bzw. einzelner Teile davon einen möglichst hohen Kaufpreis zu erzielen, um so die zur Verteilung [203] anstehende Liquidationsmasse nach Kräften zu erhöhen45. Den Vermögensinteressen der Minderheit ist damit bei der Veräußerung an Dritte Rechnung getragen, weil dann die Kräfte des Marktes für eine Kontrolle des Kaufpreises ausreichen. Ist hingegen der Mehrheitsgesellschafter oder eine ihm nahestehende Gesellschaft der Käufer, so entfällt dieser Interessengleichlauf. Hier kann es für den Mehrheitsgesellschafter durchaus günstiger sein, den Kaufpreis möglichst niedrig festzusetzen, denn je niedriger der Kaufpreis ausfällt, um so geringer ist der Anteil, der bei der Vermögensverteilung auf die freien Aktionäre entfällt. Rechtlich ist der Mehrheitsgesellschafter nicht einmal gehindert, den Kaufpreis auf Null festzusetzen46.

42 Zutr. Wiedemann, JZ 1989, 447, 448f.; ders. FS Heinsius, 949, 962; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, 143. 43 So auch Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 262, Rdnr. 44; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., Anh. § 47, Rdnr. 51; Rowedder/Koppensteiner, GmbHG, 2. Aufl., § 47, Rdnr. 105; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 60, Rdnr. 29. 44 Näher dazu Kraft in Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., vor § 262, Rdnr. 31; OLG Stuttgart, DB 1997, 267. 45 Wie hier auch Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 143; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1986, S. 158 mwN. 46 Zutr. Timm, ZGR 1987, 403, 434.

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Man kann daher hinsichtlich des Schutzes der Vermögensinteressen nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß der Kaufvertrag über das Gesellschaftsvermögen zwischen abhängigem und herrschendem Unternehmen zustandekommt. Das Gesetz betrachtet solche Geschäft mit Mißtrauen, wie sich etwa an §§ 311ff. AktG zeigt. Denn es kann nie ausgeschlossen werden, daß sich beim Abschluß des Vertrages nicht die entgegengesetzten Interessen zweier unabhängiger Vertragsparteien gegenüberstehen, sondern daß sich das Interesse des Mehrheitsgesellschafters durchsetzt. Verträge gewinnen ihre inhaltliche Ausgewogenheit aber erst aus dem Interessengegensatz zwischen den Parteien. Dieser Gegensatz sorgt dafür, daß das Ergebnis aus Sicht der Parteien angemessen ist und deshalb auch von der Rechtsordnung akzeptiert werden kann47. Diese Richtigkeitsgewähr fehlt, wenn der eine Vertragspartner die Entscheidung des anderen kraft seiner Mehrheitsbeteiligung beeinflussen kann, sei es, daß er im Liquidationsverfahren Einfluß auf die Liquidatoren nimmt, sei es, daß er kraft seiner Mehrheit von vornherein nach § 179a AktG bestimmt, daß der Verkauf zu den festgelegten Konditionen an ihn erfolgen soll. Konsequenz dieser gestörten Richtigkeitsgewähr des Veräußerungsvertrages ist es, daß die Rechtsordnung zur Reaktion aufgerufen ist. Sie darf die einseitige Interessendurchsetzung nicht hinnehmen, sondern muß die Störung der vertraglichen Richtigkeitsgewähr zur Kenntnis nehmen und darauf angemessen reagieren48. bb) Position der Rechtsprechung Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur halten es für möglich, den Minderheitsinteressen auch ohne Aufstellung besonderer Vorschriften für den Vermögensschutz Rechnung zu tragen. Denn anders als derjenige Gesellschafter, der gegen Abfindung aus der Gesellschaft ausscheide, erhalte der Aktionär in der aufgelösten Gesellschaft nicht nur Geld, sondern könne sich am Wettbewerb um den Erwerb der Güter der AG im Rahmen der Liquidation beteiligen und so selbst Unternehmer werden. Schon diese Konkurrenz mit dem Mehrheitsgesellschafter um den Erwerb [204] der Güter werde für einen angemessenen Preis sorgen. Zusätzlich könne ein Bewertungsgutachten durch einen neutralen Sachverständigen eingeholt werden, um den Preis des Unternehmens angemessen zu bestimmen49. cc) Stellungnahme 47 Sog. Richtigkeitsgewähr, vgl. Schmidt-Rimpler, in FS Raiser, 1974, S. 14, 25; Canaris in FS Lerche, S. 873, 882; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S. 73ff. mwN. 48 So BVerfGE 82, 242 – Handelsvertreter –; BVerfG WM 1993, 2199ff. = ZIP 1993, 1775 = NJW 1994, 36 – Bürgschaft –. 49 So OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515ff.; zust. Henze, ZIP 1995, 1478; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, S. 162.

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Mit der oben geforderten angemessenen Reaktion der Rechtsordnung auf die gestörte Richtigkeitsgewähr des Vermögensübernahmevertrages steht in keiner Weise fest, wie diese angemessene Reaktion zu erfolgen hat. Als mildestes Mittel könnte man in der Tat zunächst an einen Selbstschutz durch die Beteiligten denken, wie er dem OLG Stuttgart und Henze offenbar vorschwebt. Dieser Selbstschutz läge dann in der Möglichkeit, den Kaufpreis durch einen neutralen Dritten kontrollieren zu lassen, und im Recht der Minderheit, bei zu niedrigem Kaufpreis ein eigenes Angebot abzugeben50. Fraglich ist aber, ob darin ein ausreichender Selbstschutz zu sehen ist. aaa) Hinreichender Selbstschutz durch Wettbewerb zwischen Mehrheit und Minderheit Problematisch ist vor allem die Effektivität eines Konkurrenzangebots der Minderheitsaktionäre. Dessen Wirksamkeit ist schon deshalb eingeschränkt, weil der Mehrheitsgesellschafter kraft seiner satzungsändernden Mehrheit jederzeit auch die Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft beschließen kann, § 274 AktG. Wenn also konkurrierende Angebote seine Absicht zu vereiteln drohen, das Vermögen billig zu übernehmen, kann er den ganzen Vorgang schlicht rückgängig machen. Daß ein Konkurrent mit seinem Angebot wirklich eine Chance auf Erfolg hat, ist keineswegs sichergestellt. Das mindert die Bereitschaft von Aktionären, aber auch von Dritten, sich um einen Erwerb überhaupt zu bemühen, nachdem der Großaktionär signalisiert hat, er strebe die Übernahme des Vermögens im Ganzen an51. Problematisch ist auch die angebliche Konkurrenz zwischen der Mehrheit und der Minderheit beim Erwerb. Faktisch wird diese Konkurrenz dadurch eingeschränkt, daß in vielen Fällen die Übernahme des Unternehmen als Ganzes die beste Form der Liquidation ist, denn dann kann das Unternehmen zu den höheren Fortführungs- und nicht lediglich zu Liquidationswerten veräußert werden52. Dann kann von vornherein nur ein Interessent zum Zug kommen. Hinzu kommt, daß in vielen Fällen der Minderheit die finanziellen Möglichkeiten fehlen werden, um das Unternehmen oder Teile davon zu erwerben. Der Gedanke einer Konkurrenz zwischen Mehrheit und Minderheit um den Erwerb der Vermögensgegenstände hat vom [205] Recht der GmbH her Eingang in die Erwägungen gefunden53. Bei den dort gegebenen personalistischen Strukturen ergibt ein solches Kriterium durchaus einen Sinn, weil der Minderheitsgesellschafter häufig eine So OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1520; BGHZ 103, 184, 192; Henze, ZIP 1995, 1473. Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 451. 52 Scholz/K. Schmidt, § 70 GmbHG, Rdnr. 14; Hüffer, AktG, § 268, Rdnr. 3; ders. in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 268, Rdnr. 4; Kraft in Kölner Komm. zum AktG, § 268, Rdnr. 3. 53 BGHZ 76, 352, 354; näher dazu Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbHRecht, S. 158f. 50 51

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zwar unter 25% liegende, aber doch immerhin eine beachtliche Beteiligung an der Gesellschaft hält, dort unter Umständen auch selbst geschäftlich tätig ist und deshalb über entsprechendes Know-how verfügt, um sich mit einem Teil des Unternehmens selbständig zu machen54. Anders ist es aber in der typischen Publikums-AG mit ihrem rein finanziell beteiligten Kleinaktionären. Dort ist der Gedanke an eine Konkurrenz im Erwerb in der Regel aussichtslos55, so daß entsprechende Angebote von Kleinaktionären von der Gesellschaft als erkennbar unseriös zurückgewiesen werden56. Die Möglichkeit der Konkurrenz steht daher in der allergrößten Vielzahl der aktienrechtlichen Fälle nur auf dem Papier und ist daher kein hinreichender Schutz für die Minderheit. Dem kann man auch nicht entgegenhalten, es komme nur auf die rechtliche, nicht auf die tatsächliche Möglichkeit zum Erwerb an57. Denn hier geht es um die Abwägung, ob eine Selbstkontrolle durch Rechtsgeschäft die gerichtliche Kontrolle entbehrlich macht, die das UmwG für Fälle dieser Art vorsieht. Einen Selbstschutz durch rechtsgeschäftliche Gestaltung kann man aber nur dann für relevant erklären, wenn er – zumindest in der Mehrzahl der Fälle – auch wirklich funktioniert. Denn die bloße rechtliche Möglichkeit, sich durch Verträge und bei Abschluß von Verträgen selbst zu schützen, hat jeder geschäftsfähige Bürger kraft seiner Privatautonomie. Um die tatsächliche Fähigkeit zu solchem Schutz ist es in vielen Fällen – von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bis zum Haustürgeschäft – deutlich schlechter bestellt. Gerade in diesen Fällen erachtet die Rechtsordnung das rechtliche Potential zum Selbstschutz nicht für ausreichend, sondern fragt danach, ob der vertragliche Selbstschutz mit zumutbaren Mitteln auch durchsetzbar ist. Wo diese Möglichkeit deutlich eingeschränkt ist, besteht typischerweise Bedarf für die Intervention des Rechts. Das kann auch hier nicht anders gesehen werden. Wer nur auf die rechtliche Möglichkeit abstellt, mit dem Mehrheitsgesellschafter in Konkurrenz zu treten, setzt das Fernrohr (bewußt?) an das blinde Auge58. [206]

54 Auch die amerikanische Praxis behandelt den freezeout in der close corporation nach anderen Regeln als denjenigen, die für die börsennotierte Gesellschaft gelten, vgl. Clark, Corporate Law, 1986, § 12.3 einerseits, § 12.4 andererseits. Auch nach deutschem Recht zwingt nichts dazu, die beiden Gesellschaftsformen im Hinblick auf die hier untersuchte Problematik unbedingt gleich zu behandeln. 55 So Wiedemann, JZ 1989, 447, 449; Bommert, JZ 1988, 509, 510; für Differenzierung nach der Rechtsform auch Martens, GmbHR 1984, 265, 270. 56 Vgl. OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1520. 57 So aber BGHZ 76, 352; BGHZ 103, 184, 192. 58 Die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG wurde oben (bei Fn. 48) nicht ohne Grund zitiert. Denn die Argumentation des II. Senats des BGH und des OLG Stuttgart (DB 1997, 268) in dieser Frage erinnert fatal an die Aussage des BGH in den Bürgschaftsfällen, rechtlich sei jeder Erwachsene zur angemessenen Ausgestaltung der von ihm geschlossenen Verträge in der Lage (BGHZ 106, 269ff.; BGH WM 1989, 669ff.). Es ist zu hoffen, daß die zweifellos notwen-

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bbb) Selbstschutz durch freiwillige Begutachtung Somit verbleibt als ernsthafte Schutzmöglichkeit nur die Kontrolle durch den Wirtschaftsprüfer. Auch insoweit ist Skepsis angezeigt. Denn die Auswahl des Wirtschaftsprüfers erfolgt durch den Vorstand der aufzulösenden Gesellschaft. Dabei sind Beeinflussungen durch den Mehrheitsgesellschafter nicht nur nicht auszuschließen, sondern gang und gäbe59. Dem kann man sich nicht mit Hinweis darauf entziehen, daß der Wirtschaftsprüfer kraft seiner Stellung unabhängig und nur seiner Berufsordnung (mit den entsprechenden Haftungsfolgen) verpflichtet sei60. Man sollte zwar meinen, daß von einem derartigen neutralen Dritten eine verläßliche und auch den Interessen der Minderheit gerecht werdende Bewertung zu erwarten sei. Dagegen sprechen aber die im Verschmelzungsrecht gemachten Erfahrungen. Auch die Verschmelzung verlangte nach altem und verlangt nach neuem Recht die Begutachtung des Verschmelzungsvertrages durch sachverständige Prüfer. In zahlreichen solchen Fällen haben die nachfolgenden Spruchverfahren Unterbewertungen zu Lasten der Minderheit aufgedeckt und zu Nachzahlungen geführt61, und zwar in einem Umfang, der über den vom OLG Stuttgart postulierten Sicherheitszuschlag62 weit hinausgeht. Das weckt deutliche Zweifel an der unbedingten Verläßlichkeit des vom Mehrheitsgesellschafter in Auftrag gegebenen Wirtschaftprüfergutachten, und zwar trotz der Beteiligung „renommierter“ Wirtschaftprüfungsgesellschaften, denen das OLG Stuttgart offenbar besonderes Vertrauen entgegenbringt. Schuld an diesem Problem ist nicht eine fehlerhafte Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer, sondern das Recht. Denn die Unternehmensbewertung in ihrer heute praktizierten Form enthält zahlreiche Unsicherheiten, da sie in nicht unerheblichem Maß auf Prognosen der zukünftigen Entwicklung beruht63. Zusätzlich eröffnet sie Bewertungsspielräume, die von den zukünftigen Abschreibungen und Reinvestitionen bis zur Festsetzung des Risikozuschlags im Kapitalisierungszinsdige Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse hier auch ohne Intervention des Verfassungsrechts gelingt. 59 Nicht umsonst verlangt § 60 III UmwG eine gerichtliche Bestellung, wenn für die übertragende und die übernehmende Aktiengesellschaft ein gemeinsamer Verschmelzungsprüfer bestellt werden soll. Zu den Hintergründen dieser Norm vgl. Grunewald in Lutter, UmwG, § 60, Rdnr. 4; Lutter in Lutter, UmwG, § 10, Rdnr. 8. 60 So aber OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1521. 61 Deutlich war dies etwa jüngst im Falle Paulaner mit einer Heraufsetzung der Abfindung von 900 auf 1500 DM, vgl. BayObLG, AG 1996, 127ff.; besonders deutlich im Fall Bauverein zu Hamburg mit einer Heraufsetzung der Ausgleichszahlung von 90 auf 430 DM, vgl. LG Hamburg, AG 1995, 517. Diese Beispielsfälle lassen sich beliebig vermehren. 62 OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1521. 63 Vgl. Lutter/Drygala, AG 1995, 49; Lutter in Lutter (Hrsg.), Komm. zum UmwG, § 10, Rdnr. 13; Dehmer, § 10 UmwG, Rdnr. 5.

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fuß reichen64. Alles dies sind „weiche“, in hohem Maße interpretationsbedürftige und interpretationsfähige Kriterien. Aus diesem Grunde bestehen auch bei Einhaltung der Vorschriften der WPO und der zur Unternehmensbewertung aufgestellten Grundsätze65 [207] erhebliche Unsicherheiten und Spielräume, die sich zugunsten des Mehrheitsaktionärs ausnutzen lassen, ohne sich dem Vorwurf eines Parteigutachtens aussetzen zu müssen. Die Erfahrungen mit der gerichtlichen Nachprüfung in den Spruchstellenverfahren lassen es jedenfalls als sinnvoll erscheinen, daß der Gesetzgeber des UmwG sich nicht auf die einmalige Prüfung durch den Wirtschaftsprüfer beschränkt, sondern eine „zweite Instanz“ zur Kontrolle in Gestalt der §§ 305ff. UmwG nachgeschaltet hat. Das spricht im starken Maße dagegen, sich bei der übertragenden Auflösung allein auf das Gutachten eines Wirtschaftsprüfers zu verlassen. b) Identität der Interessenlage mit den im UmwG geregelten Sachverhalten Das alles belegt, daß in Hinblick auf die Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre zwischen der Umwandlung und der übertragenden Auflösung wertungsmäßig kein Unterschied besteht. In beiden Fällen geht das Interesse der Aktionäre dahin, für die aufzugebende Mitgliedschaft einen angemessenen Gegenwert zu erhalten. Die vom BGH angeführten Schutzinstrumente zugunsten der Minderheit im Falle der übertragenden Auflösung erweisen sich nicht als zureichend, so daß ein angemessener Vermögensschutz damit nicht realisiert werden kann. Das überrascht um so mehr, als die Rechtsprechung in anderem Zusammenhang ausdrücklich auf dem Standpunkt steht, daß mit Hinblick auf die Feldmühle-Entscheidung des BVerfG66 ein Verlust mitgliedschaftlicher Rechtspositionen nur gegen gesicherten Ersatz des vollen wirtschaftlichen Werts der Beteiligung zulässig sei67. Gerade das ist im Rahmen der Moto-Meter-Methode in keiner Weise sichergestellt. Daher besteht Bedarf, auf die Vorschriften des UmwG zurückzugreifen. Nur so läßt sich sicherstellen, daß der ausscheidende Aktionär im Rahmen der Liquidation auch tatsächlich das erhält, was ihm wertmäßig gebührt.

64 Vgl. Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 304, Rdnr. 16; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 304, Rdnr. 79. 65 Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des IDW, abgedruckt bei Helbing, Unternehmensbewertung, 547ff. 66 BVerfGE 14, 263ff. 67 BGH ZIP 1996, 346, 348 zum Ausscheiden aus einer LPG; die dafür maßgeblichen Regeln des LwAnpG sind inhaltlich mit den Regeln des UmwG 1995 in vielen Punkten identisch, so daß die dort vertretenen Auslegungsgrundsätze auch hier gelten müssen. Vgl. zum Problem auch Lohlein, ZIP 1994, 1065, 1066f.

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c) Anerkennung eines Umgehungsschutzes durch das UmwG selbst Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber bei der Reform des Umwandlungsrechts an einen vergleichbaren Umgehungsfall gedacht hat: Durch Art. 6 Nr. 6 des Umwandlungsbereinigungsgesetzes wurden die §§ 293a-g in das AktG eingefügt und damit die Rechtsinstitute des Umwandlungsberichts und der Umwandlungsprüfung auf den Abschluß von Unternehmensverträgen ausgedehnt. Damit folgt auch das Recht des Vertragskonzerns nunmehr dem vom UmwG her bekannten System von Bericht, Prüfung, Beschluß und Wertkontrolle68. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus, daß es sich bei Verschmelzung und Unternehmens- [208] vertrag aus Sicht der Minderheit um austauschbare Vorgänge handele, bei denen die Anwendung derselben Regeln geboten sei69. Auch das spricht dafür, daß der Gesetzgeber mit dem Minderheitenschutzsystem des UmwG nicht nur eine punktuelle Regelung erreichen wollte, sondern mit diesem Gesetz den Standard definiert hat, der heute zum Schutz der Minderheit vor Vermögenseinbußen bei Umstrukturierungen insgesamt erforderlich ist. Er hat zudem auch die Möglichkeit erkannt, auf anderweitige Gestaltungen auszuweichen und dies für einen besonders relevanten Fall, nämlich den Unternehmensvertrag, zu unterbinden versucht. Das spricht in starkem Maße dafür, ein Unterlaufen dieses Standards durch die übertragende Auflösung nicht zuzulassen. d) Rechtsfolge Fraglich ist damit die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung. Diese besteht regelmäßig nicht in der schlichten Unzulässigkeit des Vorgangs, sondern in der Anwendung der umgangenen Norm auf den Umgehungssachverhalt. Das ist für den wohl bedeutendsten Fall der Gesetzesumgehung im Gesellschaftsrecht, nämlich für die verdeckte Sacheinlage70, allgemein anerkannt: Die fraglichen Gegenstände können eingelegt werden, aber nur unter Beachtung der für Sacheinlagen geltenden Regeln. Genauso ist hier zu verfahren, zumal ein Verbot der Vermögensübertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge mit den Intentionen des UmwG auch nicht vereinbar wäre71. Die Gesellschaft kann also mit der erforderlichen Mehrheit aufgelöst und ihr Vermögen auf den Mehrheitsgesellschafter übertragen werden, jedoch sind auf diesen Vorgang die vermögensschützenden Vorschriften des UmwG und der §§ 293a ff. AktG entsprechend anzuwenden. Auch insoweit haben das UmwG und die ergänzenden Vorschriften des AktG eine bedeutsame Verände68 Näher zu dieser Neuregelung Bungert, DB 1995, 1384, 1449; Hüffer, Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 293a, Rdnr. 2. 69 Vgl. Begr. zum Reg. Entw. bei Ganske, Umwandlungsrecht, 1. Aufl., S. 297. 70 Zu dieser BGHZ 100, 47ff.; BGHZ 113, 335; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl., § 5, Rdnr. 36, jeweils mwN. 71 Zutr. K. Schmidt, ZHGR 1995, 675, 676; ebenso Lutter in Lutter, UmwG, § 1, Rdnr. 21.

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rung mit sich gebracht: Während nach altem Recht die Annahme eines Umgehungssachverhalts eine faktisch unüberwindliche Auflösungsbremse gewesen wäre, weil das Einstimmigkeitserfordernisses in § 369 II AktG a.F. nicht zu erreichen war72, geben das neue UmwG und die entsprechenden Bestimmungen des AktG nun die Möglichkeit, unter dem Gesichtspunkt des Vermögensschutzes flexibler zu reagieren. Statt der generellen Unzulässigkeit steht nur noch die entsprechende Anwendung der Vermögensschutzvorschriften des UmwG und der §§ 293a ff. AktG im Raum, während das Mehrheitserfordernis nach § 179a AktG und den entsprechenden Vorschriften des UmwG identisch ist. Um so unplausibler ist es, auch unter der neuen Rechtslage schlicht an der alten Lösung festzuhalten. Vielmehr spricht alles dafür, dasselbe Problem – Schutz des Vermögens der ausscheidenden Aktionäre – auch mit denselben Mitteln zu bewältigen. [209] 6. Umgehungsfestigkeit des Bestandsschutzes der Mitgliedschaft a) Notwendigkeit einer eigenständigen Betrachtung Unabhängig von der soeben untersuchten Problematik ist die Frage zu beantworten, ob auch der vom UmwG gewährte Bestandsschutz der Mitgliedschaft umgehungsfest ausgestaltet ist. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Tatsache, daß nach § 29 UmwG keine Zwangsabfindung möglich ist, sondern Aktionäre, die die Abfindung nicht annehmen, auch an der neuen Gesellschaft beteiligt werden müssen. Die Frage, ob § 29 UmwG auch insoweit Umgehungsschutz genießt, muß von der oben behandelten Frage des Vermögensschutzes getrennt bewertet werden, weil die Wertungsgrundlagen in zweifacher Hinsicht unterschiedlich sind: Zum einen kann sich ein Umgehungsschutz auch in Hinblick auf die Erhaltung der Mitgliedschaft nicht auf Art. 6 Nr. 6 des Umwandlungsbereinigungsgesetzes und die dadurch eingeführten §§ 293a-g AktG stützen. Diese Vorschriften betreffen vielmehr ausschließlich Maßnahmen des Vermögensschutzes (Bericht, Sachverständigenprüfung), während sich die Frage nach dem Erhalt der Mitgliedschaft beim Unternehmensvertrag gar nicht stellt: Da das abhängige Unternehmen in seiner rechtlichen Struktur unverändert fortbesteht, kommt eine Zwangsabfindung von vornherein nicht in Betracht. Von daher ist die bestehende Parallele zum Recht des Vertragskonzerns hier schwächer ausgeprägt als bei der oben erörterten Problematik. Zum anderen sind die Folgen wesentlich einschneidender, die sich aus einer Umgehungsfestigkeit auch des Mitgliedschaftsschutzes ergeben würden. Denn würde man insoweit einen allgemeinen Grundsatz anerkennen, daß bei Fortfüh72

Darauf abstellend Emmerich, Jus 1988, 908.

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rung des Unternehmens die Mitgliedschaft an der Gesellschaft nicht entzogen werden darf, wäre der Weg der übertragenden Auflösung endgültig versperrt. Die oben bejahte Möglichkeit, unter Heranziehung ergänzender Regeln den Minderheitenschutz zu verstärken, ohne die Zulässigkeit der Maßnahme selbst in Frage zustellen, besteht hier nicht. Es geht vielmehr um das schlichte Verbot der Auflösung unter Vermögensübertragung auf den Mehrheitsaktionär. Angesichts der Tatsache, daß § 179a AktG die Vermögensübertragung unter gleichzeitiger Auflösung der Gesellschaft ausdrücklich zuläßt, ohne dabei nach der Person des Vermögenserwerbers zu fragen, ist ein solches generelles Verbot nur schwer und nicht ohne wirklich zwingende Gründe zu bejahen. Ob solche zwingenden Gründe für einen Umgehungsschutz auch im Hinblick auf die Bestandsinteressen der Mitglieder vorliegen, ist nachfolgend zu prüfen. b) Der Umfang des Bestandsschutzes Für einen möglichst weitgehenden Bestandschutz spricht, daß die Mitgliedschaft des Aktionärs ein wohlerworbenes Gut ist, das nicht ohne zwingenden Grund angetastet werden darf. Deshalb ist ein Ausschluß gegen den Willen des Gesellschafters regelmäßig nur zulässig, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund dafür besteht73. [210] Auch läßt § 29 UmwG eine Wertungsentscheidung des Gesetzgebers dahingehend erkennen, daß ein Verlust der Mitgliedschaft nach Kräften vermieden werden und die Entscheidung über das Gehen oder Bleiben in die Hand des Gesellschafters gelegt werden soll74. Die Gesetzesbegründung zum Umwandlungsrecht betrachtet dies als ein zwingendes Gebot des Minderheitenschutzes75. Unantastbar ist die Mitgliedschaft deshalb aber nicht. Es kann im Interesse des Unternehmens notwendig sein, in diese Mitgliedschaft einzugreifen; diese Eingriffe können bis hin zum Verlust der Mitgliedschaft führen76. Gänzlich gewährleisten läßt sich die Mitgliedschaft ohnehin nicht. Insbesondere sind die Inhaber von Kleinstbeteiligungen im Falle von Kapitalherabsetzungen gefährdet, wenn sie weniger Aktien besitzen, als nach einer Zusammenlegung für den Besitz einer Aktie nötig sind77. Von daher ist die Kleinbeteiligung von vornherein anfäl73 Statt aller Wiedemann, GesR I, S. 382ff.; Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, S. 29ff. 74 So auch Decher in Lutter (Hrsg.), Komm. zum UmwG, § 207, Rdnr. 1. 75 Vgl. Begr. zum Reg.-Entw. zu § 120 UmwG bei Ganske, Umwandlungsrecht, 2. Aufl., S. 146. 76 Vgl. BGHZ 55, 381, 386 – Gema – BGHZ 63, 382, 294; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, S. 384f. 77 Vgl. Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, S. 158; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, S. 31ff.; Lutter in Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 222, Rdnr. 24f.

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lig für den Verlust der Mitgliedschaft. Dasselbe Problem stellt sich auch im UmwG, das den Mindestbetrag eines GmbH-Geschäftsanteils in §§ 46 I und 54 III auf 50,- DM festsetzt. Auch hier stellt sich die Frage, wie mit Aktionären zu verfahren ist, die mit weniger als 10 Aktien im Nennwert von je 5,- DM an einer AG beteiligt sind und ob diese Gesellschafter nicht auch gegen ihren Willen abgefunden werden können78. Schon aus diesen Gründen kann die Gesetzesbegründung zu § 120 UmwG nicht als generelle Absage an ein zwangsweises Ausscheiden der Minderheit gedeutet werden: Sie definiert vielmehr einen Regelfall, der aber Ausnahmen zuläßt. c) Interessenabwägung aa) Das Bestandsinteresse des Aktionärs Sieht man von möglichen finanziellen Einbußen ab, die nach hier vertretener Ansicht aber durch Anwendung der Regeln des UmwG aufgefangen werden können, so ist der Verlust der Mitgliedschaft für den Aktionär vor allem unter dem Gesichtspunkt beachtlich, daß seine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Kapitalanlage mißachtet wird. Ihm wird das Recht genommen, sich gerade an diesem Unternehmen zu beteiligen, in dessen wirtschaftliches Potential er unter Umständen große Erwartungen hat79. Das könnte dafür sprechen, einen Ausschluß durch übertragende Auflösung nicht oder nur unter ganz engen Voraussetzungen zuzulassen80. [211] bb) Das Rationalisierungsinteresse der Gesellschaft Gegen die generelle Berücksichtigung dieses Interesses des Aktionärs spricht aber, daß ihm widerstreitende Interessen des Unternehmens entgegenstehen. Denn verneint man die generelle Möglichkeit, durch eine Auflösung unter Vermögensübertragung die Kleinaktionäre zu verdrängen, so erweist sich die Entscheidung zur Aufnahme von Minderheitsgesellschaftern als eine Einbahnstraße: Hat man sich einmal dafür entschieden, kann ein Minderheitsgesellschafter, dem es darum zu tun ist, auf alle Zeiten beteiligt bleiben. Mögliche Formwechsel und Verschmelzungen des Unternehmens ändern daran nichts. Das kann zu der Lage führen, daß neben dem Großaktionär nur noch ganz wenige freie Aktionäre beteiligt sind. In einer solchen Lage steht der Nutzen, der dem Unternehmen aus der Beteiligung dieser Aktionäre zufließt, in keinem Verhältnis mehr zu dem 78 Dafür Winter in Lutter (Hrsg.), UmwG, § 54, Rdnr. 32; Bermel in Goutier/Knopf/Tulloch, UmwG, § 46, Rdnr. 12; Grunewald in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 344, Rdnr. 16; a.A. zum alten Recht Dehmer, UmwR, 1. Aufl., § 23 KapErhG, Rdnr. 12; Scholz/Priester, 7. Aufl., § 23 KapErhG, Rdnr. 12. 79 Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 255; Bommert, JR 1988, 509, 511 mwN. 80 So Timm, ZGR 1987, 435 (Trennung der Aktionäre von „ihrem Unternehmen“).

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Aufwand, den die Abhaltung von Hauptversammlungen, die Erteilung von Informationen und die Führung von Anfechtungsprozessen verursacht. Dieses Argument gewinnt in dem Maß an Bedeutung, in dem der Gesetzgeber fortfährt, an die Börsennotierung einer Aktiengesellschaft Sonderpflichten zu knüpfen, die von der ad-hoc-Publizität bis zu Verhaltenspflichten bei Übernahmeangeboten reichen. Diese Sonderpflichten auf sich zu nehmen, wird um so unrationeller, je kleiner der verbleibende Rest an Aktionären ist81. Hat sich daher der Aktionärskreis entsprechend verkleinert, besteht ein lebhaftes Interesse der Gesellschaft daran, sich zur Einsparung unnötiger Kosten vom verbliebenen Rest der Aktionärsminderheit zwangsweise zu trennen. cc) Vorrangigkeit der ökonomischen Interessen Es fragt sich daher ernsthaft, ob ein Zwang zur fortdauernden Mitgliedschaft des Minderheitsaktionärs durch dessen Bestandsinteresse gerechtfertigt werden kann. Dieses Interesse wird nämlich weiterhin dadurch relativiert, daß der typische Kleinaktionär die oben angesprochene Bindung an „sein Unternehmen“ nicht aufweist. Für ihn handelt es sich um eine Kapitalanlage, die durch andere Anlagen, insbesondere durch den Erwerb von Aktien eines anderen Unternehmen, jederzeit ersetzbar ist. Seinen Interessen kann im Regelfall jedenfalls bei der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft – in einer personalistischen Gesellschaft kann dies deutlich anders sein – mit einer Wertkontrolle hinreichend gedient werden. Das vermindert deutlich die Notwendigkeit, einen absoluten Schutz der Mitgliedschaft als solcher einzuführen bzw. beizubehalten. Vielmehr kann sich in solchen Fällen der typischen Finanzbeteiligung auch ein Ausscheiden der Minderheit gegen eine vollwertige und gerichtlich nachprüfbare Abfindung als eine sachgerechte und angemessene Regelung darstellen82. Für diese Sichtweise spricht auch, daß sich die Beteiligung des Aktionärs an „seinem Unternehmen“ ohnehin nicht halten läßt. Denn wann man vom unzweifel- [212] haft zulässigen Vorgang der Verschmelzung her denkt, dann ist die Beteiligung an dem aufnehmenden Rechtsträger auch nicht mehr identisch mit der Beteiligung, die der Aktionär ursprünglich einmal erworben hat. Denn gerade die Zusammenfügung mit einer anderen Gesellschaft ändert das Gepräge des Unternehmens ganz entscheidend, so daß sich die Beteiligung an der alten und an der neuen Gesellschaft nur bedingt als identisch darstellt. Dann ist es aber auch keine große Einbuße, wenn man dem Aktionär die Beteiligung an diesem Aliud verweigert und ihn zwangsweise mit Geld abfindet. Unter Umständen kann

So auch Hopt, FS Volhard, S. 74, 78. So – unter verfassungsrechtlichen Aspekten – auch BVerfGE 14, 263, 282ff. – Feldmühle –. Die Tatsache, daß eben dies im Rahmen der Moto-Meter-Methode in keiner Weise gesichert ist, verkennt OLG Stuttgart, DB 1997, 268. 81 82

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er sich mit diesem Geld in eine Gesellschaft einkaufen, die der untergegangenen ähnlicher ist als die, die aus dem Untergang entstand. Zu berücksichtigen sind auch die einschneidenden Konsequenzen, die sich auf Seiten der Gesellschaft ergeben, wenn man eine Umgehung des § 29 UmwG auch unter dem Aspekt der Mitgliedschaft bejahen wollte. Ein solcher absoluter Schutz der Mitgliedschaft zwingt sie zur Beibehaltung einer Rechtsform, die den wirtschaftlichen Strukturen nicht mehr angemessen ist und damit letztlich zu einem ökonomisch unrationellen Verhalten. Diese Konsequenz geht vor allem dann zu weit, wenn man bedenkt, daß sie im wesentlichen nur durch das Interesse des Aktionärs daran gerechtfertigt werden kann, gerade an diesem und an keinem anderen Unternehmen beteiligt sein zu wollen. All dies spricht dafür, eine generelle Umgehung insoweit, als es um den Verlust der Mitgliedschaft geht, trotz der Regelung der §§ 29, 120 UmwG nicht anzunehmen, sofern lediglich die finanziellen Interessen einer kleinen Minderheit betroffen sind, die sich auch durch eine angemessene Abfindung hinreichend kompensieren lassen. Verneint man für diesen Fall einen Schutz des Bestandsinteresses, so muß man aber die Frage nach der generellen Unzulässigkeit der übertragenden Auflösung unter Umgehungsaspekten verneinen. Denn ob Interessen betroffen sind, die über diejenigen einer reinen Finanzbeteiligung hinausgehen, kann nur im Einzelfall entschieden und daher mit dem rechtlichen Instrument der Umgehung nicht hinreichend beurteilt werden. Vielmehr ist die Frage, ob der Mitgliedschaftsverlust im Einzelfall doch zu einer maßgeblichen Interessenverletzung führt, im Rahmen der Mißbrauchskontrolle zu berücksichtigen. d) Rechtsvergleichende Betrachtung Für das hier gefundene Ergebnis sprechen auch die Erfahrungen aus dem US-amerikanischen Recht. Auch dort stellte sich das hier bearbeitete Problem, das dort unter dem Stichwort dissolution freezeout bekannt geworden ist83. Die ältere Rechtsprechung tendierte zur Unzulässigkeit dieser Methode, und zwar mit der auch hier vertretenen Begründung, daß bei der Veräußerung die Rechte der Aktionäre, insbesondere das Recht auf Gleichbehandlung, nicht gewahrt seien84. Auf diesen Zustand [213] reagierte die Gesetzgebung. Sie erkannte an, daß in bestimmten Situationen ein Recht der Mehrheit, sich von der Minderheit zu trennen, anerkennenswert sei. Gleichzeitig versuchte sie, den Schutz der Minderheit innerhalb des Abfindungsvorgangs zu verbessern. Daher erlauben heute die meisten Gesellschaftsrechtsgesetze der USA, daß die Minderheit bei Verschmelzungen 83 Vgl. Merkt, US-Amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rdnr. 1035; Wiedemann, JZ 1989, 447; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 162. 84 Kellog v. Georgia Pacific Paper Corp., 227 F.Supp. 719 (W.D. Ark. 1964); Zimmermann v. Tide Water Associated Oil Co., 143 p. 2d 409 (1943); Kirtz v. Grossman, 463 S.W. 2d 541 (Mo.App. 1971); Cathedral Estates Inc. v. Taft Ralty Corp., 157 F. Supp 895 (D. Conn. 1954).

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zwangsweise in Bargeld abgefunden wird (Cash-Out oder Short-Form Merger). Diese Form der Zwangsabfindung ist heute nicht nur in den Staaten anzutreffen, die beim Minderheitenschutz „nachlässig“ sind, sondern es ist auch im Gesellschaftsrechts-Modellgesetz (R.M.B.C.A.) vorgesehen (dort § 11.01 B 3)85. Der Schutz der Minderheit erfolgt durch ein hohes Mehrheitserfordernis (90%), eine rechtzeitige Information über Zwecke und Auswirkungen des Going Private (fairness of disclosure) und eine gerichtliche Abfindungskontrolle (fairness of price). Ein Teil der Rechtsprechung verlangt zudem, daß der Ausschluß der Minderheit einem anerkennenswerten geschäftlichen Zweck gedient hat (business purpose test)86. Auch wenn das deutsche Recht die gesetzliche Möglichkeit zur Zwangsabfindung nicht kennt, spricht die amerikanische Erfahrung doch dagegen, in der Trennung von der Minderheit per se eine Umgehung der Schutzbestimmungen des UmwG und des Konzernrechts zu sehen. Denn die amerikanischen Fälle sprechen dafür, daß es für ein solches Vorgehen durchaus legitime Gründe geben kann87, weshalb man nach deutschem Recht die Möglichkeit, dieses Ziel wenigstens im Wege der Auflösung zu erreichen, nicht verbauen sollte. 7. Ergebnis: Umgehung nur der Vermögensschutzvorschriften Die Betrachtung hat gezeigt, daß die Aussage des BGH, eine Umgehung liege nicht vor, auch unter der Geltung des neuen UmwG insoweit zutrifft, als es um den zwangsweisen Ausschluß der Minderheit geht. Hier sprechen in der Tat gute Gründe dafür, die Maßnahme jedenfalls nicht generell für unzulässig zu halten. Entscheidend zu kurz greift aber die Aussage, auch eine finanzielle Benachteiligung sei nicht zu erwarten. Insbesondere trifft die Überlegung nicht zu, der finanzielle Minderheitenschutz sei durch Konkurrenz im Liquidationsverfahren oder durch ein Bewertungsgutachten hinreichend gesichert. Die finanziellen Minderheitsinteressen bedürfen vielmehr der Anwendung der Schutzvorschriften, die auch das UmwG und das AktG für den Schutz derjenigen vorsehen, die gegen Abfindung aus der Gesellschaft ausscheiden.

Näher Merkt, aaO., Rdnr. 1039. Näher Merkt, aaO., Rdnr. 1056ff.; Wiedemann, JZ 1989, 447; Clark, Corporate Law, 1986, S. 504ff. 87 Ebenso aus europäischer Perspektive Hopt, FS Volhard, 1996, 74, 78. Zur Rechtslage in Österreich vgl. bei Fn. 35. 85 86

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8. Allgemeine Konsequenzen Die übertragende Auflösung einer Aktiengesellschaft ist unter Umgehungsgesichtspunkten nicht generell unzulässig. Unzulänglich sind jedoch die Schutzvorkehrun- [214] gen, die der BGH in Hinblick auf die Sicherung des Liquidationserlöses eingeführt hat. Diese bedürfen der Verstärkung durch vorsichtige Heranziehung der Regeln des UmwG. Das bedeutet: a) Notwendigkeit eines schriftlichen Berichts Den Minderheitsaktionären ist in einem ausführlichen Bericht das Vorhaben als solches, die dafür sprechenden Gründe, der abzuschließende Vermögensübertragungsvertrag, die Auswirkungen auf die Vermögenslage der Gesellschaft und des einzelnen Aktionärs sowie die Höhe des zu erwartenden Liquidationserlöses ausführlich zu erläutern (Vermögensübernahmebericht analog § 8 UmwG). Der Bericht muß – mit Ausnahme geheimhaltungsbedürftiger Daten – die wesentlichen Grundlagen der Unternehmensbewertung einschließlich des dazugehörigen Zahlenwerks offenlegen88. b) Pflicht zur Prüfung des Vorgangs Der vorgeschlagene Übernahmevertrag und die vorgenommene Unternehmensbewertung sind von einem Wirtschaftsprüfer zu begutachten89, der über das Ergebnis seiner Prüfung zu berichten hat (analog §§ 9-12 UmwG). c) Bekanntmachung Der Übernahmevertrag, der Vermögensübernahmebericht und die Stellungnahme des Wirtschaftsprüfers sind entsprechend den Regeln des UmwG bekanntzumachen (§ 63 UmwG analog). d) Zulassung von Gegengeboten Den Aktionären ist die Möglichkeit einzuräumen, selbst Gegenstände aus der Liquidationsmasse zu erwerben. Zwar könnte man daran denken, dieses vom BGH eingeführte Recht mit Hinblick auf die hier befürwortete Verstärkung der anderweitigen Minderheitenrechte für entbehrlich zu erklären. Dagegen spricht aber, daß bei jeder Liquidation – auch ohne Beteiligung des Mehrheitsaktionärs – den Abwickler die Verpflichtung trifft, alles zu tun, um eine möglichst reichhaltige Verteilungsmasse zu erwirtschaften. Wenn der maximale Erlös durch eine Zur Reichweite der Angaben vgl. Lutter in Lutter (Hrsg.), UmwG, § 8, Rdnr. 20ff. Insoweit übereinstimmend OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1520f.; Benze, ZIP 1995, 1473, 1478. 88 89

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Veräußerung des Unternehmens als Ganzes erzielt wird, ist so zu verfahren. Das Recht der Abwickler, das Unternehmen als Ganzes zu veräußern, ist seit langem anerkannt90. Denn die Mehrleistung, die in der Übertragung eines intakten Gesamtunternehmens gegenüber der Einzelveräußerung liegt, eröffnet die Chance auf einen höheren Erlös. Liegt dagegen der realisierbare Substanzwert der Vermögensgegenstände, die zum [215] Gesellschaftsvermögen gehören, namentlich des Grundbesitzes, höher, dann ist die Einzelveräußerung vorzuziehen91. Da die hier vertretene Lösung die Minderheitsrechte stärken und nicht schwächen soll, muß diese Abwägung zwischen Einzel- und Gesamtveräußerung auf jeden Fall erfolgen. Das wird zwar in der Regel dazu führen, daß der Gesamtveräußerung der Vorzug zu geben ist, aber im Einzelfall kann dies auch einmal anders sein: Denkt man z.B. an eine Wohnungsbaugesellschaft, so ist durchaus vorstellbar, daß einzelne Immobilien das Interesse einzelner Aktionäre finden und daß dabei auch ein besserer Preis zu erzielen ist als bei einem Paketverkauf aller Immobilien auf einen Schlag, für den es naturgemäß nur wenige Interessenten geben wird. Gelegenheit zur Abgabe von konkurrierenden Angeboten besteht dabei innerhalb der Frist zwischen Offenlegung des Vorhabens mitsamt den erforderlichen Unterlagen und der Durchführung der Hauptversammlung. Die Frist beträgt somit einen Monat. Gehen in dieser Zeit ernstzunehmende Angebote ein, die zu einer besseren Verwertung als der im Vermögensübertragungsvertrag vorgesehenen führen, so handelt die Mehrheit treuwidrig, wenn sie gleichwohl die Vermögensübertragung mit ihrer satzungsändernden Mehrheit beschließt (näher dazu unten VI). e) Anfechtbarkeit bei Verletzung von Formvorschriften Die Verletzung dieser Informations- und Prüfungspflichten begründet – wie im Umwandlungsrecht – die Anfechtbarkeit des darauf beruhenden Beschlusses92. f) Gerichtliche Wertkontrolle Probleme macht die Wertkontrolle. Eine analoge Anwendung des Spruchverfahrens scheidet aus93. Daher ist nur möglich, einem potentiellen Kläger Erleichterungen im Rahmen des streitigen Verfahrens zu verschaffen. Da er die fraglichen Umstände nicht oder nur schwer erkennen kann, weil sie aus der Sphäre der Gesellschaft stammen, bieten sich hier, ähnlich wie im Konzernrecht, Erleichte90 So RG LZ 1913 Sp. 212 Nr. 5; BGHZ 76, 352, 356; Kraft in Kölner Komm. zum AktG, § 268, Rdnr. 3; Wiedemann in Großkomm. zum AktG, § 268, 3. Aufl., Rdnr. 6. 91 Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 268, Rdnr. 4. 92 Zur Entbehrlichkeit eines besonderen Kausalitätsnachweises Lutter in Lutter, aaO., § 8, Rdnr. 51. 93 Zutr. LG Stuttgart, DB 1993, 473f.

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rungen der Substantiierungslast an94. Der Kläger muß daher nur Indizien darlegen, die auf eine Fehlbewertung der Vermögensgegenstände hindeuten. In diesem Fall muß sich die Gesellschaft zur Korrektheit der Bewertung erklären. Im Zweifelsfall ist – wie im Spruchverfahren – ein erneutes Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen einzuholen. IV. Materielle Beschlußkontrolle Zustimmung verdient hingegen die Rechtsprechung des BGH zur Frage der materiellen Beschlußkontrolle. Der BGH vertritt bekanntlich in dieser Frage eine diffe- [216] renzierende Ansicht, wonach es in einem ersten Schritt auf die Frage ankommt, ob der Beschluß in die – fortbestehende – Mitgliedschaft der Minderheit eingreift95, und sodann in einem zweiten Schritt gefragt wird, ob der Beschlußinhalt vom Gesetz als per se gerechtfertigt angesehen wird96. Den Beschluß über die Auflösung einer Kapitalgesellschaft zählt der BGH zu Recht zur letzteren Kategorie. Es überzeugt dabei vor allem die Begründung, daß man durch die Forderung nach einer sachlichen Rechtfertigung die Bindung des investierten Kapitals in einem Maße erhöhen würde, das über die vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen hinausgeht97. Denn die Auflösung der Gesellschaft dient dem Zweck, das eingesetzte Kapital dem unternehmerischen Risiko, das mit der Investition in eine Aktiengesellschaft zwangsläufig einhergeht, wieder zu entziehen. Wollte die Rechtsprechung hier kontrollierend eingreifen, bestünde die Gefahr, die auflösungswilligen Gesellschafter gegen deren Willen an diesem Risiko festzuhalten98. Dieses Ergebnis wäre aber auch mit dem Anliegen des Minderheitenschutzes nicht zu begründen. Für die Lösung des BGH in dieser Frage spricht auch, daß für den vergleichbaren Fall der Verschmelzung nach zutreffender Auffassung eine materielle Beschlußkontrolle ebenfalls nicht erforderlich ist99.

94 Vgl. dazu BGHZ 122, 123, 131f. – TBB –, Drygala, GmbHR 1993, 317, 327f.; Kowalski, GmbHR 1993, 253. 95 BGHZ 71, 40, 44ff.; BGHZ 80, 69, 74; BGHZ 83, 319, 322. 96 BGHZ 70, 117, 121ff. – Mannesmann –; BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 189ff. – Linotype –. Dem BGH folgend u. a. Timm, ZGR 1987, 401ff.; Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 448f.; Zöllner, Kölner Komm. zum AktG, 1. Aufl., § 243, Rdnr. 193; K. Schmidt in Großkomm. zum AktG, 4. Aufl., § 243, Rdnr. 45f.; a.A. und für eine generelle Beschlußkontrolle Wiedemann, JZ 1989, 448f.; ders. in FS Heinsius, 949, 964f.; Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163ff.; Martens, FS Robert Fischer, 1979, S. 437, 445; ders., GmbHR 1984, 370. 97 BGHZ 103, 190f.; Ulmer in FS Möhring, S. 301ff. 98 So auch Hüffer, AktG, 2. Aufl., § 243, Rdnr. 28. 99 Vgl. Lutter in Lutter (Hrsg.), Komm. zum UmwG, § 13, Rdnr. 22; ders., ZGR 1981, 171, 177ff.; Timm, ZGR 1987, 403, 412ff.; Kindler, ZHR 1994, 339ff.

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Für den Beschluß zur Vermögensübertragung gilt nichts anderes, da er im wesentlichen Folge des Auflösungsbeschlusses ist100. V. Rechtsmißbrauchskontrolle 1. Möglicher Mißbrauch der Liquidation Mit der Ablehnung einer Sachkontrolle des Auflösungs- und Vermögensübertragungs-Beschlusses ist nur die 1. Stufe der Kontrolle von Mehrheitsentscheidungen beantwortet. Offen ist noch, inwieweit die übertragende Auflösung unter dem Gesichtspunkt des Mehrheitsmißbrauchs angreifbar ist. Gerade in den Fällen, in denen keine materielle Beschlußkontrolle stattfindet, besteht die Notwendigkeit zur Überprüfung des Beschlusses in Hinblick auf einen etwaigen Rechtsmißbrauch (Mißbrauch der Mehrheitsmacht). [217] 2. Funktionsfremder Einsatz der Auflösung Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme können sich in Fällen der hier erörterten Art aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Auflösung und Liquidation ergeben. Ihr Zweck ist es, die Gesellschafter in die Lage zu versetzen, das investierte Kapital liquide zu machen und für andere Verwendungen freizustellen. Verfolgen aber die Mehrheit und insbesondere ein einzelner Mehrheitsgesellschafter gar nicht dieses Ziel, sondern benutzen sie die Möglichkeit der Liquidation der Gesellschaft dazu, deren Vermögen zu übernehmen, so könnte es sich de facto um den Ausschluß der Minderheit aus der Gesellschaft handeln, der lediglich in die Form einer (wirtschaftlich gar nicht durchgeführten) Liquidation gekleidet ist101. 3. Position der Rechtsprechung Der BGH vertritt auch hierzu eine restriktive Auffassung. Er begründet diese damit, daß die Maßnahme nicht einem Ausschluß aus der Gesellschaft gleichkomme. Ein Unterschied bestehe darin, daß der Minderheitsaktionär im Falle des Insoweit zutr. Henze, ZIP 1995, 1473, 1476. Lutter, ZHR 1989, 153f.; ders. ZGR 1981, 171, 177ff.; Timm, JZ 1980, 665, 669f.; Immenga, Kapitalgesellschaft, 1970, S. 258f.; Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 243, Rdnr. 52ff.; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 60, Rdnr. 31; Martens, GmbHR 1984, 270; unklar K. Schmidt in Großkomm. zum AktG, 4. Aufl., § 243, Rdnr. 49; a.A. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, S. 162. 100 101

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Ausschlusses aus Rechtsgründen sowohl von der Weiterverfolgung des Gesellschaftszwecks als auch von der Fortführung des Unternehmens abgeschnitten ist. Dies sei bei der Liquidation anders, da der Minderheiter hier rechtlich nicht gehindert sei, sich um den Erwerb des Unternehmens oder von Teilen davon zu bemühen, um so den Gesellschaftszweck – wenn auch vielleicht in verringertem Umfang – fortzusetzen102. Auch werde die Auflösung in einem solchen Fall nicht zu einem eigensüchtigen und funktionsfremden Zweck eingesetzt. Vielmehr finde durchaus eine Liquidation statt, deren Folgen auch alle Gesellschafter in gleichem Maße treffen. Die in der Literatur vermißte Freisetzung des investierten Kapitals liege bereits darin, daß es nicht mehr der gesellschaftsrechtlichen Zweckbindung unterliege. Auch sei kein Anhaltspunkt ersichtlich, warum es dem Mehrheitsgesellschafter generell verboten sein sollte, im Zuge der Liquidation Teile der frei gewordenen Vermögensmasse zu erwerben103. 4. Stellungnahme Der Unterschied zwischen den beiden Ansichten liegt darin begründet, daß sie von einem unterschiedlichen Verständnis vom Zweck der Liquidation ausgehen. Für den [218] BGH liegt Liquidation schon vor, wenn das Vermögen aus der gesellschaftsrechtlichen Zweckbindung gelöst und einer neuen Verwendung zugeführt wird. Die Literatur verlangt hingegen, daß es zu einer Desinvestition im materiellen Sinne kommt, daß also das in der Gesellschaft gebundene Kapital „flüssig gemacht“ wird104. Anders gewendet bedeutet dies, daß die Rechtsprechung allein auf den Fortbestand der Gesellschaft abstellt, während die Literatur den Mißbrauch darin sieht, daß trotz Auflösung der Gesellschaft das von ihr betriebene Unternehmen fortgesetzt wird105. Dann fehlt es vor allem an der bereits oben angesprochenen Absicht, das Kapital aus dem unternehmerischen Risiko zu lösen: Zweck der Maßnahme ist ja gerade die Fortsetzung der bisher betriebenen unternehmerischen Tätigkeit und damit auch des bisherigen Risikos. Das ist natürlich vor allem dann der Fall, wenn der Mehrheitsgesellschafter selbst die Vermögensgegenstände der Gesellschaft ganz oder zum großen Teil übernimmt. a) Mißbrauch in Hinblick auf finanzielle Interessen der Minderheit Fraglich ist aber, ob der letztgenannte Gedanke wirklich zutrifft. Denn an einer Aufgabe der unternehmerischen Tätigkeit und einer Freisetzung des gebundenen Kapitals fehlt es auch, wenn der Mehrheitsgesellschafter ursprünglich BGHZ 103, 184, 192; ebenso Winter, aaO., S. 162. BGHZ 103, 192f. 104 So ausdr. Lutter, ZGR 1981, 177. 105 Ausdr. Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1987, S. 298f. 102 103

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vorhatte, die Vermögensgegenstände am Markt anzubieten, sich dann aber kein Käufer findet und er sich dann entschließt, die Gegenstände oder das Unternehmen als Ganzes selbst zu erwerben. Eine solche nachträgliche Entscheidung muß zulässig sein, wenn man nicht dem Mehrheitsgesellschafter die Beteiligung an der Liquidation vollständig verbieten will106. Dann unterscheidet sich der Fall der von vornherein geplanten Übernahme durch den Mehrheitsaktionär von dieser – zulässigen – Gestaltung nur durch die von Anfang an bestehende Absicht des Großaktionärs, das Unternehmen in anderer Form fortzusetzen. Allein durch diesen Willen werden die Interessen der Minderheit aber finanziell nicht beeinträchtigt107. Denn wenn der Großaktionär diesen Willen nicht gebildet hätte und das Unternehmen am Markt veräußert worden wäre, hätten die Minderheitsaktionäre ebenfalls nur den Liquidationserlös erhalten. Unter finanziellen Gesichtspunkten betrachtet, wäre ein denkbarer Mißbrauch der Mehrheitsmacht damit zumindest durch den Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens gerechtfertigt. b) Mißbrauch der Auflösung zur Verdrängung aus der Mitgliedschaft Anders kann man das Verhalten der Mehrheit nur dann sehen, wenn man den Gedanken des Mißbrauchs auf die Mitgliedschaft als solche bezieht. In diesem Fall könnte [219] man argumentieren, daß die Beendigung der Mitgliedschaft rechtsmissbräuchlich sei, wenn tatsächlich keine Beendigung der Unternehmenstätigkeit gewollt sei108. Dann müßte man aber annehmen, daß das geltende Aktienrecht die Mitgliedschaft als solche auch bei Fehlen finanzieller Nachteile um ihrer selbst willen schützt. Das kann aber speziell für den Fall der Auflösung aus den oben (III 6) dargestellten Gründen nicht per se angenommen werden. Vielmehr gibt es durchaus legitime Gründe, die die Mehrheit zur Wahl der übertragenden Auflösung und zur Trennung von der Minderheit bestimmen können. In einem solchen Fall, in dem das Bestandsinteresse der Kleinaktionäre hinter die Interessen der Gesellschaft zurücktritt, kann man die Auflösung der Gesellschaft nicht allein mit dem Argument für missbräuchlich erklären, daß eine „wirkliche“ Liquidation nicht gewollt war.

106 Für ein solches Verbot Timm, JZ 1980, 665, 670; Bommert, JZ 1988, 509, 511; dagegen Lutter ZGR 1981, 181; Hachenburg/Hohner, GmbHG, 8. Aufl., § 70, Rdnr. 17; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 8. Aufl., § 70, Rdnr. 14 mwN. 107 Insoweit zutr. Henze, DStR 1993, 1867. 108 Timm, JZ 1980, 665, 669f.; Immenga, Kapitalgesellschaft, 1970, S. 258f.; Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 243, Rdnr. 52ff.; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 60, Rdnr. 31.

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c) Mißbrauch im Hinblick auf den Einzelfall Fraglich aber bleibt, ob ein Einsatz der übertragenden Auflösung damit stets zulässig ist, sofern nur die entsprechende Mehrheit erreicht wird. Die generelle Zulässigkeit der übertragenden Auflösung folgt nach der hier vertretenen Ansicht aus der Tatsache, daß den finanziellen Interessen der Minderheit auf andere Weise Rechnung getragen werden kann und daß die Auflösung legitim ist, wenn sie dem Zweck dient, die Trennung von einer wirtschaftlich nicht mehr nennenswerten und daher für das Unternehmen eher belastenden Minderheit herbeizuführen. Aus dieser Zweckbestimmung folgt zugleich die Grenze des Einsatzes dieses Rechtsinstruments. Illegitim und damit rechtsmißbräuchlich ist die übertragende Auflösung daher, wenn sie nicht dem zuletzt genannten Zweck dient. In diesem Fall läßt sich zugunsten der Zulässigkeit der Maßnahme insbesondere nicht der Umstand anführen, daß die Trennung von der Minderheit aus wirtschaftlichen Gründen zwingend geboten ist; das impliziert, daß in Wirklichkeit anderweitige Absichten verfolgt werden. Damit kommt es für die Frage des Rechtsmißbrauchs entscheidend darauf an, wie sich der Kreis der Minderheitsgesellschafter zusammensetzt und ob Aktionäre beteiligt sind, deren Interessen im Einzelfall durch eine Abfindung objektiv nicht gewahrt werden können. Hierzu kommen mehrere Fallgruppen in Betracht. aa) Keine Änderung der Verhältnisse gegenüber Börsengang Zum einen ist zu erwägen, inwieweit die Öffnung der Gesellschaft gegenüber der Öffentlichkeit einen Vertrauenstatbestand begründet109. Hat sich die Gesellschaft zu einem früheren Zeitpunkt entschlossen, eine bestimmte Menge Aktien der Öffentlichkeit anzubieten, so geht diese Öffentlichkeit durchaus davon aus, daß mit dem Erwerb der Aktien eine dauerhafte Beteiligung erworben werden kann110. An die [220] Möglichkeit, im Wege der übertragenden Auflösung wieder aus der Gesellschaft verdrängt zu werden, denkt niemand. Dieser Aspekt spricht dagegen, eine übertragende Auflösung stets dann für zulässig anzusehen, wenn nicht mehr als 25% freie Aktionäre beteiligt sind111. Hier ist das Vertrauensinteresse der Aktionäre, das durch den Börsengang der Gesellschaft begründet wurde, ohne weiteres vorrangig. Das kann anders sein, wenn – wie etwa in den Fällen Linotype und MotoMeter – nach einer Unternehmensübernahme und einem Kaufangebot durch den neuen Mehrheitsaktionär nur noch ein verschwindend kleiner Rest an Aktionären in der Gesellschaft zurückbleibt, die weder durch Geld noch durch gute Worte 109

S. 160. 110 111

Vgl. zu derartigen vertrauensschaffenden Maßnahmen im GmbH-Recht Winter, aaO., So unter dem Gesichtspunkt des delisting auch Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 478. So aber Friedrich, BB 1994, 89, 93f.

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zum Verkauf zu überreden sind112. Bei einer solchen Lage, die durch einen länger anhalten Schrumpfungsprozeß im Kreis der freien Aktionäre und eine überwältigende Mehrheit des Großaktionärs gekennzeichnet ist, wird das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der Anlagemöglichkeit zerstört, so daß die übertragende Auflösung mit dem erstrebten Bereinigungszweck gerechtfertigt werden kann. Die Grenze dafür wird man bei einem Rest von 5% an freien Aktionären zu ziehen haben, wie sich aus einer Parallelwertung zu § 320 I AktG ergibt. Auch nach dieser Vorschrift ist es möglich, eine nur 5%ige Minderheit zur Abgabe ihrer Aktien zu zwingen, wobei den außenstehenden Aktionären allerdings die Möglichkeit verbleibt, ihre Mitgliedschaft in der Muttergesellschaft fortzusetzen (§ 320 II Nr. 2 AktG). Die vergleichbare Intensität des Eingriffs in das Bestandsinteresse der freien Aktionäre rechtfertigt es, sich an diesem Mehrheitserfordernis zu orientieren und die übertragende Auflösung nur dann nicht für rechtsmißbräuchlich zu halten, wenn sie von einer 95%igen Mehrheit der Aktionäre getragen wird. Da die Börsenzulassung zumeist die Plazierung eines höheren Anteils an den Aktien der Gesellschaft voraussetzt (vgl. § 9 I 2 BörsZulVO), ist für die börsenzugelassene Gesellschaft der Weg der übertragenden Auflösung nur in Ausnahmefällen gangbar. bb) Vorhandensein weiterer bedeutender Aktionäre Weiterhin beruht die Annahme, die übertragende Auflösung sei unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, auf der Voraussetzung, daß die noch vorhandenen Minderheitsaktionäre mit ihrer Beteiligung vornehmlich finanzielle Zwecke verfolgen und daß deshalb eine Betrachtung des Vorgangs unter rein finanziellen und nicht unter mitgliedschaftlichen Zwecken ausreicht, um ihre Interessen zu wahren113. Davon kann keine Rede sein, sofern noch Minderheitsaktionäre vorhanden sind, die mit ihrer Beteiligung erkennbar andere als nur reine Geldanlagezwecke verfolgen. Ein solches Interesse muß man vor allem bei Aktionären annehmen, die eine Beteiligung in solcher Höhe halten, daß diese besondere Minderheitenrechte vermittelt. Das ist ab 5% der Fall. Hat die Gesellschaft also noch Minderheitsaktionäre, [221] die mit mehr als 5% beteiligt sind, so ist die übertragende Auflösung im Zweifel als mißbräuchliche Verdrängung der Minderheit anzusehen114. Eine solche Lage läßt sich auch nicht dadurch bereinigen, daß man dem „großen Kleinaktionär“ die Möglichkeit einräumt, sich nach oder im Zuge der Vermögensübertragung an der neuen Gesellschaft zu beteiligen und so seine Zustimmung zum Vorhaben erwirkt. Denn ermöglicht man einigen Minderheits112 Die Mehrheit des Großaktionärs betrug in diesen Fällen 96 bzw. 99%, vgl. zum Sachverhalt BGHZ 103, 184 sowie OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515. 113 Siehe oben bei Fn. 45. 114 Anders allerdings BGHZ 76, 352 zur GmbH.

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aktionären die Fortsetzung ihrer Mitgliedschaft in der neuen unternehmenstragenden Gesellschaft, anderen jedoch nicht, so liegt ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nach § 53a AktG vor, an das gerade die Mehrheit gebunden ist115: Der Auflösungsbeschluß wäre aus diesem Grund anfechtbar. Denn es bedarf keiner näheren Begründung, daß die übertragende Auflösung nicht dazu gedacht sein kann, dem Mehrheitsaktionär die Auswahl zu ermöglichen, welchen der ursprünglichen Minderheitsaktionäre er in die neue Gesellschaft mitnimmt. Hier kann das Motto nur lauten: Alle oder keiner. VI. Treupflichtverletzung gegenüber der AG und den Minderheitsaktionären Das Argument der Treupflicht, unter dem die Rechtsprechung die hier behandelten Fälle überwiegend gewürdigt hat116, spielt für das Ergebnis nur noch eine untergeordnete Rolle. Das gilt vor allem für die Frage der vorherigen Absprache hinsichtlich der Verwertung des Gesellschaftsvermögens. Nach der hier vertretenen Ansicht ist dieser Gesichtspunkt im Regelfall ohne Bedeutung, da es nur selten ernsthafte konkurrierende Angebote geben wird. Für diese Ausnahmefälle hat das Kriterium immerhin weiterhin seine Bedeutung. Denn der Beschluß der Mehrheit, anstelle des besseren Konkurrenzangebots das Angebot des Mehrheitsgesellschafters anzunehmen, wäre eine Verfolgung von Sondervorteilen, wie sie deutlicher kaum denkbar ist117. Wurde der Minderheit hingegen Gelegenheit gegeben, während der Vorbereitung der Hauptversammlung konkurrierende Angebote abzugeben und wurde davon kein Gebrauch gemacht, so ist in der Tat nicht ersichtlich, warum der Beschluß treuwidrig sein soll. Denn sofern die oben beschriebenen Schutzmechanismen im Hinblick auf die Vermögensinteressen der Aktionäre beachtet sind und die Maßnahme auch unter dem Aspekt des Beteiligungsinteresses keinen Bedenken begegnet, darf der Mehrheitsaktionär durchaus mit offenen Karten spielen und die Überleitung der Vermögensgegenstände auf sich selbst bereits vor der formellen Auflösung der Gesellschaft in die Wege leiten118. Auch im übrigen ist kaum vorstellbar, daß eine übertragende Auflösung

115 Näher dazu Lutter/Zöllner, Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 53a, Rdnr. 25, 31ff.; Hüffer, aaO., § 53a, Rdnr. 4. 116 BGHZ 76, 352, 353f.; BGHZ 103, 184, 195; Lutter, JZ 1976, 225; ders. ZHR 1989, 453f.; Zöllner in Kölner Komm. zum AktG, § 243, Rdnr. 195. 117 So auch Bommert, JR 1988, 510. 118 Insoweit zutr. Friedrich, DB 1994, 89, 93f.

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unter Wahrung der Vermögensinteressen [222] und ohne Verletzung eines besonderen Beteiligungsinteresses als treuwidrig zu beurteilen wäre119. Die Rechtsprechung gelangt zu gleichen Ergebnissen. Sie hält zwar das Kriterium der Vorabsprache nach wie vor für beachtlich, erklärt es aber im Ernstfall für folgenlos: Nach den Ausführungen der Moto-Meter-Entscheidung wird die Treupflichtverletzung nicht kausal für einen Schaden der Minderheit, wenn diese von vornherein keine wirtschaftliche Aussicht auf Erwerb des Unternehmens hatte120. Der nach dieser Ansicht materiell vorliegende Treupflichtverstoß ist daher in der normalen Publikums-AG ohne Bedeutung, so daß das herrschende Unternehmen nach der Einholung eines Bewertungsgutachtens allen rechtlichen Pflichten gegenüber der Minderheit ledig ist. Auch hierin zeigt sich, daß das aus dem Recht der GmbH übernommene Kriterium der Konkurrenz in der Liquidation nur ganz ausnahmsweise in der Lage ist, einen Beitrag zum aktienrechtlichen Minderheitenschutz zu leisten. VII. Zusammenfassung und rechtspolitischer Ausblick 1. Die übertragende Auflösung stellt in der Form, wie sie nach Ansicht der Rechtsprechung in der Folge des Moto-Meter-Urteils gegenwärtig praktiziert werden kann, eine gefährliche offene Flanke im System des Minderheitenschutzes dar. Denn die Rechtsprechung vernachlässigt die Vermögensinteressen der Aktionäre. Sieht man von der angeblichen Konkurrenz um den Erwerb der Liquidationsmasse ab, die unter den Bedingungen der typischen Aktiengesellschaft wirklichkeitsfremd ist, so verbleibt als einziger Schutz der Minderheit ein Wirtschaftsprüfergutachten, das weder offengelegt werden muß noch in Hinblick auf die festgestellten Unternehmenswerte einer gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Das entspricht nicht den Erfordernissen der Transparenz und des effektiven Rechtsschutzes, die ansonsten im Kapitalgesellschaftsrecht allgemein anerkannt sind und durch das UmwG noch einmal verstärkt wurden. An dieser Stelle ist Nachbesserung dringend erforderlich. Zu diesem Zweck sind die Schutzmaßnahmen des UmwG mit seinem System des Berichts, der Prüfung und der Wertkontrolle entsprechend heranzuziehen. 2. Entscheidet man sich für den hier vorgeschlagenen Ausbau des Vermögensschutzes, so kann man im übrigen großzügigere Maßstäbe anlegen. Denn im Regelfall ist dem typischen Anlagegesellschafter mit einer dem wirtschaftlichen 119 In Betracht käme allenfalls noch, daß die Auflösung aus besonderen Gründen „zur Unzeit“ erfolgt (vgl. BGHZ 103, 189) oder die Mehrheit mit der Auflösung bezweckt, die Minderheit von einer besonderen Geschäftschance abzuschneiden, die sich der Gesellschaft zur Zeit des Beschlusses bietet (vgl. zu diesen Fällen Merkt, aaO., 1028). 120 OLG Stuttgart, ZIP 1995, 1515, 1519.

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Wert entsprechenden Abfindung ebenso gut geholfen wie mit einer Fortsetzung seiner Mitgliedschaft. Zu berücksichtigen sind jedoch das durch den Börsengang erzeugte Vertrauen und das besondere Beteiligungsinteresse von Minderheitsgesellschaftern, die mit mehr als 5% an der Gesellschaft beteiligt sind. [223] 3. Dem bisher vom BGH im Rahmen des Treupflicht erörterten Kriterium, ob Vorabsprachen über den Erwerb getroffen wurden, kommt zukünftig kaum noch Bedeutung zu. Nach hier vertretener Ansicht ist die Vorabsprache unbedenklich, wenn die unter 1) angesprochenen Schutzmaßnahmen eingehalten wurden und die Vorabsprache konkurrierenden Angeboten noch Raum läßt. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Vorabsprache zwar nach wie vor unzulässig, aber im Regelfall folgenlos. 4. Die immer wieder aufkeimenden Konflikte um die übertragende Auflösung lassen erkennen, daß hier ein wirtschaftliches Bedürfnis auf Seiten von Gesellschaften besteht, für die sich die Publikums-Aktiengesellschaft nicht mehr als die geeignete Rechtsform darstellt. Das weckt Zweifel daran, ob der Gesetzgeber gut beraten war, den Grundsatz der Erhaltung der Mitgliedschaft im UmwG so durchgängig festzuschreiben, wie dies jetzt geschehen ist. Denn die Rigidität des UmwG in dieser Frage provoziert geradezu die Herausbildung praeter legem entwickelter Verfahren121, bei denen dann die Minderheit – wie gerade die MotoMeter-Methode zeigt – vermögensmäßig und im Hinblick auf die Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes schlechter steht als sie bei Anwendung des UmwG stünde. Deshalb und aufgrund des anerkennenswerten ökonomischen Arguments auf Seiten der Gesellschaften erscheint es vorzugswürdig, diese Fälle, wenn man sie denn ohnehin nicht verhindern kann, zumindest in rechtlich geordnete Bahnen zu lenken. Der Gesetzgeber sollte daher bei passender Gelegenheit für den Fall des Formwechsels oder der Mischverschmelzung einer AG die zwangsweise Abfindung einer nicht mehr als 5%igen Minderheit unter voller Wahrung ihrer finanziellen Interessen zulassen122. Das erspart einerseits den Gesellschaften die mit der Auflösung verbundenen Nachteile und stellt andererseits den Mindeststandard des vermögensmäßigen Minderheitenschutzes, wie er durch das UmwG definiert wird, für diese Gesellschaften zweifelsfrei wieder her.

121 Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die AG auf eine Personengesellschaft oder GmbH zu verschmelzen und deren Gesellschaftsvertrag zuvor so unattraktiv zu gestalten, daß der Minderheit faktisch nur der Austritt und die Wahl der Abfindung übrig bleibt; zu dieser Methode Lutter in Lutter, UmwG, § 13, Rdnr. 39. 122 Für eine gesamteuropäische Regel dieses Inhalts auch Hopt, FS Volhard, 1996, S. 74, 78.

Konzernrecht: Schutzrecht oder Organisationsrecht?* IN: REICHERT/SCHIEDERMAIR/STOCKBURGER/WEBER (HRSG.), RECHT, GEIST UND KUNST, LIBER AMICORUM FÜR RÜDIGER VOLHARD, BADEN-BADEN

1996,

S. 105-113 I. In den vorausgegangenen Abschnitten dieser Vorlesung über das Konzernrecht in Deutschland und Europa habe ich dargelegt, daß es heute nicht mehr die einzelne Gesellschaft ist, die das Arbeitsleben und das wirtschaftliche Geschehen auf dem Boden Deutschlands, Europas und der Welt bestimmt, sondern daß an die Stelle des Einzelunternehmens der Verbund von Unternehmen getreten ist, bei uns etwas überbetont Konzern genannt, in den anderen Sprachen überraschend einheitlich groupe de sociétés, gruppi di società, groups of companies. Diese Unternehmens-Gruppen sind unserem Sonnensystem nicht unähnlich; sie haben ein Zentrum – das herrschende Unternehmen, die Sonne; und sie haben von diesem Zentrum abhängige, im übrigen aber durchaus eigenständige Glieder; ja selbst der Mond ist diesem System von Unternehmensgruppen als EnkelGesellschaft wohl vertraut. Dieses System der Unternehmensgruppe ist ein durchaus eigen Ding und versteht sich auch so: „der Bayer-Konzern“ ist eine ebenso geläufige Kennzeichnung wie die Selbstbezeichnung als „Ein Unternehmen der Swiss-Air-Gruppe“. Diese Unternehmensgruppen beruhen alle und ähnlich der Gravitation auf der vom Recht gewährten Möglichkeit, daß sich eine Gesellschaft an einer anderen beteiligt. Diese Möglichkeit, uns heute ganz selbstverständlich und kaum mehr reflektiert, ist ebenso einfach wie leistungsfähig. In ihrer rechtlichen Struktur gleichen die Systeme also einander, sind aber mitnichten gleich. Aber – und nun bemühe ich das Bild vom Sonnensystem vorerst zum letzten Mal – mit dem Eintritt eines Körpers in ein solches System verändert sich seine Gestalt zwar nicht, wohl aber das Sein: das einzelne Verbundmitglied ist jetzt in weiten Teilen fremdbestimmt, genießt einerseits die Vorteile des Sonnenlichts und bezahlt sie andererseits mit dem Verlust an Freiheit. Das System selbst wird reicher und *

Abschiedsvorlesung am 13. Februar 1996 in Bonn.

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vielgestaltiger, aber auch verletzlicher, seine Risiken wachsen. Hinzu kommt seine geradezu chamäleonhafte Erscheinung: mal hell und leuchtend die Einheit betonend, mal dunkel die Selbständigkeit seiner Glieder. Dieser Ambivalenz entsprechen die meisten Umschreibungen: Einheit in Vielheit, unitas multiplex, polykorporativer Verband. Die Gründe für die Entstehung solcher Systeme sind äußerst vielfältig, sind aber keineswegs zufällig, sondern zielgerichtet und final; sie reichen von der hohen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Flexibilität der Gruppe bis hin zur Überwindung der Divergenz zwischen der Nationalität des Rechts und der internationa- [106] len Handlungsfreiheit, der Divergenz zwischen nationalem Charakter des Korporationsrechts und der Internationalität des Marktes. Die Gruppe, der Konzern wird heute daher auch weit überwiegend als moderner und leistungsfähiger eingeschätzt als die große Einzelgesellschaft. Der schlichte Erfolg bestätigt es: die größten mir bekannten Gruppen haben weit über 1000 rechtlich selbständige Glieder – Tochter, Enkel und Urenkel. Bei aller Vielgestaltigkeit der Erscheinungen dieser Unternehmensgruppen und der Gründe für ihre Existenz besteht Einigkeit unter den Vertretern des Korporationsrechts, daß die Gruppe gegenüber dem Einzelunternehmen zu einer grundstürzenden Verschiebung der Rechtsbetrachtung und zu ganz spezifischen neuen Rechtsfragen führt. Kronstein und Mestmäcker haben es früh auf den Punkt gebracht mit der Frage: wie kann man die einheitliche Leitung des Konzerns mit der vom Recht geprägten Ordnung der einzelnen abhängigen Gesellschaft in Einklang bringen? Aber die Fragen gehen weit darüber hinaus. Nehmen wir nur den Ihnen wohlbekannten Daimler-Fokker-Fall: Daimler hält über seine Tochter DASA die Mehrheit an Fokker und jedermann verstand Fokker als integrierten Teil des Daimler-Konzern. Fokker hat in dieser Zeit mehrere hohe Anleihen aufgelegt. Muß Daimler für deren Zahlung einstehen, wenn Fokker zahlungsunfähig wird? oder Die Metallgesellschaft kam durch hohe Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften in den USA an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Können Vorstand und Aufsichtsrat der deutschen AG dafür verantwortlich gemacht werden oder haben sie mit dem Geschehen in ihrer fernen Tochter auf einem fernen Kontinent in einem fremden Recht von Rechts wegen nichts zu tun?

II. Die Frage meiner im doppelten Sinne abschließenden Betrachtungen lautet mithin: Sieht das Recht den Konzern als Fremdkörper und antwortet daher nur auf als untypisch gedachte Unfälle oder akzeptiert, es den Konzern in seiner Gestalt und seinen Besonderheiten und versteht ihn so, wie er sich selbst versteht, als Form und Organisation unternehmerischen Handelns und ordnet ihn aus dieser Sicht?

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Diesen Fragen möchte ich mich in 3 Schritten nähern: 1. Zunächst werde ich vom Konzern im Recht und in der Rechtsordnung handeln. 2. Sodann vom Schutzrecht: Wieso und warum Schutz wessen vor wem? Und wenn schon Schutz, was sagt dann die Rechtsordnung dazu? 3. Und schließlich komme ich zur Frage des Organisationsrechts: Gesellschaftsrecht ist mindestens auch Organisationsrecht. Gilt das auch für den Konzern? 1. Zur ersten Frage: So selbstverständlich es auf der Welt seit nun 150 Jahren, seit der Überwindung des Konzessionssystems, ausgefeilte Gesetze über Gesellschaften gibt, ebenso selbst- [107] verständlich wurde die Gruppe und der Konzern vom Recht zunächst negiert, die Autonomie der einzelnen Gesellschaft betont, ein Gruppeninteresse als Rechtsaspekt geleugnet, der Rest als atypischer Unfall gesehen und mit den allgemeinen Regeln des Rechts zu lösen versucht. Das ist noch immer die Sicht des englischen und bis zu einem erheblichen Grade auch die des französischen und belgischen Rechts. Es ist das bleibende Verdienst des deutschen Gesetzgebers, diese rein abwehrende und viel zu passive Sicht überwunden zu haben: Ansatzweise und basierend auf Arbeiten auch und gerade jüdischer Kollegen wie Friedländer, Hachenburg, Kronstein und Nußbaum schon im AktG von 1937, dann aber mit Nachdruck und großem Gestaltungswillen und stark beeinflußt von Mitgliedern dieser Fakultät: Kurt Ballerstedt, Werner Flume und Ernst Geßler im AktG von 1965. Seither ist in Deutschland der Konzern von der Rechtsordnung akzeptiert, mithin legalisiert und jedenfalls teilweise eigenen Regeln unterworfen. Der europäische Gesetzgeber ist dem knappe 20 Jahre später mit der 7. Richtlinie, der Festlegung einer Konzernrechnungslegung und Konzernpublizität teilweise gefolgt. Trotz dieser Fakten und obwohl weltweit eigentlich nur noch der Konzernabschluß zählt, ist doch dieser Aspekt der Legalität des Konzern, seine Herausnahme aus der Grauzone des gerade noch Legalen oder schon Illegalen, noch lange nicht genügend bedacht worden und zwar weder als das mittelbare Anliegen des deutschen Gesetzgebers von 1965 noch des europäischen Richtlinien-Gebers von 1983. Seither läßt sich die Lehre vom Konzern als Unfall des Gesellschaftsrechts nicht mehr vertreten. Gruppe und Konzern sind keine Unfälle, sondern autonome Gegenstände der Ordnung und der Rechtsbetrachtung. 2. Aber jedes Ding hat 2 Seiten. Damit komme ich bereits zum 2. Abschnitt meiner Überlegungen: Wieso Schutz und Schutzrecht? Wer bedarf des Schutzes und warum? Heute besteht Einigkeit unter den Juristen in nahezu allen Ländern Europas: der Konzern ist einerseits ein höchst leistungsfähiges Gebilde, andererseits aber auch eine latente Gefahr für seine Glieder, und deshalb eine latente Gefahr für die Gläubiger und Schuldner der abhängigen Gesellschaft. Man bedenke: als die AEG vor 10 Jahren auf ihre Insolvenz zulief, hat sie, als Konzernobergesellschaft,

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Abend für Abend in einem Clearing-System (cash-Management genannt) jeden Pfennig Geldes bei ihren Töchtern und Enkeln eingesammelt und diesen jeden nächsten Morgen pfennigweise die für diesen Tag erforderlichen Mittel wieder zur Verfügung gestellt: man fühlt sich an Romane des 19. Jahrhunderts erinnert. Und als die AEG dann tatsächlich zum Konkursrichter mußte, waren alle ihre Töchter und Enkel im gleichen Moment auch konkursreif, nicht weil sie etwa überschuldet waren, sondern weil sie so illiquide waren, wie man sich das bis dahin schlechthin nicht hat vorstellen können. Für die Gläubiger der Töchter ist der Konzern also tatsächlich eine latente Gefahr. Und das gleiche gilt für die Minderheitsgesellschafter in Töchtern und Enkeln. Nicht umsonst sind die sogenannten Verrechnungspreise im Konzern international [108] das zentrale Streitthema u.a. mit den nationalen Finanzbehörden. Denn VW braucht doch nur seine Autos zu exakt dem Preis an die französische Vertriebs-Tochter zu liefern, der dort am Markt zu erzielen ist, damit in Frankreich kein Franc und in Deutschland der gesamte Gewinn aus dem Verkauf dieses Autos entsteht. Hat die französische Vertriebstochter aber – wie häufig – einen oder mehrere Minderheitsgesellschafter, so sind diese ebenso wie der französische Fiskus gewinnlos gestellt. Diese Analyse ist heute europaweit und auch darüber hinaus akzeptiert. Aber in der Reaktion auf diese Erkenntnis unterscheiden wir uns von anderen Ländern teilweise geradezu dramatisch. Der deutsche Gesetzgeber hat nämlich für die abhängige Aktiengesellschaft ein System der Prophylaxe erfunden, ein System, das die abhängige AG und mithin mittelbar deren Gläubiger und Minderheitsaktionäre vor solchen Gefahren schützen soll mit Hilfe von Berichten, Prüfungen und Testaten: Das Karnickel soll frech und munter vor dem Maul der Schlange herumspringen können, ohne um seine Glieder und sein Leben fürchten zu müssen. Dieses aufwendige System hat sich wahrscheinlich bewährt, wie Untersuchungen von Hommelhoff zur Vorbereitung des Deutschen Juristentages 1992 ergaben und wie es auch die Mitglieder der dortigen Abteilung in ihren Beschlüssen bestätigt haben. Trotz der innovativen Kraft dieses Rechtsgedankens der Prophylaxe und trotz seines offenbaren Erfolges wird dieses System weltweit abgelehnt und auch bei uns wird seine Übernahme für die GmbH heute – als zu aufwendig – nicht mehr erwogen. Die Rechtsordnungen vertrauen hier also weltweit – bis auf den schmalen Sektor der deutschen AG – auf die Reaktion, die nachträgliche Korrektur, sie vertrauen auf den Feuerwehrmann, der das Kind – möglichst lebend – aus dem Brunnen holen soll. Unzählbar sind daher die Verfahren und Urteile, vor allem in den USA, die sich mit solchen unzulässigen Eingriffen der Mutter in die Interessen der Tochter oder die Gewinnverlagerung von der Tochter auf die Mutter beschäftigen. Eher seltene, aber umso berühmtere Verfahren in Frankreich und in den Niederlanden runden das Bild – von deutschen GmbH-Verfahren wie ITT, Autokran und TBB ganz zu schweigen. Meis-

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tens kommt die Reaktion zu spät, ist das Kind nicht mehr zu retten. Aber die Prophylaxe wird abgelehnt in Frankreich ebenso wie in Großbritannien, in Belgien ebenso wie in Italien. Als deutscher Jurist könnte man sich damit zufrieden geben, sich an dem Reichtum und der Phantasie der Lösung im eigenen Lande freuen und darüber, daß man weltweit unter corporate lawyers Gesprächsstoff ist und bleibt: aber eine wirkliche Lösung ist das natürlich nicht. Die Idee der Prophylaxe wird dem Bild und der Realität des Konzerns fraglos mehr gerecht. Man bedenke: die reiche Judikatur zum qualifizierten faktischen Konzern beschränkt sich auf die GmbH; im Recht der abhängigen Aktiengesellschaft hat es bislang keinen einzigen solchen Fall gegeben. Damit können wir als Zwischenergebnis festhalten: der Konzern als funktionaler Verbund von Unternehmen hat sich in einer mehr und mehr europäisch und weltweit ausgerichteten Wirtschaft als besonders leistungsfähig erwiesen. Seine Bildung [109] und Ausgestaltung beruhen weitgehend auf der privatautonomen Entscheidung der Wirtschaftssubjekte. Er ist vom Recht akzeptiert, das im übrigen seine latente Gefahr für die Interessen der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter in den abhängigen Gliedgesellschaften erkannt hat und zu ordnen bestrebt ist. III. So weit, so gut. In Wirklichkeit aber, so lautet meine These, haben wir damit das eigentliche Rechtsproblem um den Konzern noch gar nicht erörtert. Schon vor genau 25 Jahren schrieb Kurt Ballerstedt es gelte „für ein Gebilde eine organisationsrechtliche Einkleidung zu finden, das als solches gerade keine Rechtsform hat.“

Und damit bin ich beim dritten und letzten Abschnitt meiner Überlegungen. Lassen Sie mich das erneut am Beispiel der Metallgesellschaft verdeutlichen. Rechtlich lautet da die Frage: Wer leitet eigentlich ein solches Gebilde? Wer trägt die Verantwortung für ein solches Desaster: das Management der Metallgesellschaft-Tochter in den USA oder Vorstand und Aufsichtsrat in Deutschland oder beide? Wie wird ein solches Gebilde eigentlich finanziert und wer entscheidet über seine Zusammensetzung? Ist es von Rechts wegen richtig, daß der Vorstand von Daimler unter großem Fremd- und Eigenlob erst 10 Milliarden DM für den Aufbau eines integrierten Technologiekonzerns ausgibt, um ihn nach nur 7 Jahren und 20-25 Milliarden Mark Verlust wieder aufzulösen – und erneut dafür belobigt sein will? 1. National und international stehen hier drei Auffassungen einander gegenüber: (1) Der betont liberale Ansatz, wie er am besten in einer Formulierung von Rittner deutlich wird:

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Konzernrecht: Schutzrecht oder Organisationsrecht? „Derartige Verbindungen von Unternehmen überantwortet das Wirtschaftsrecht grundsätzlich der freien Entscheidung der Beteiligten.“

Diese Sehweise hat viele Anhänger, von Mestmäcker bis zu meinen Kollegen in Frankreich und Belgien. Relevant wird der Konzern hier erst im Konkurs; Konzernrecht verkürzt sich zu Konzern-Insolvenzrecht. (2) Zweitens: Die schwer darstellbare Flechtwerkthese vor allem von Teubner und Bälz, wonach das Recht dem Oszillieren des Konzerns zwischen Einheit und Vielheit zwischen Hierarchie und Markt zu folgen habe, im wesentlichen aber auf die eigene Organisationskraft des Konzerns vertrauen könne und allenfalls die Glieder zur Wahrung ihrer Interessen anhalten müsse. [110] (3) Und drittens: Die Lehre vom Konzernrecht als dem Recht einer eigenen Unternehmensorganisation. Die erste Auffassung hat den Charme der Liberalität und trägt doch den Mangel auf der Stirn: der Konkurs ist nicht der Vater aller Dinge; Fragen der Zuständigkeit und Kompetenz, der Verantwortung und des Minderheitenschutzes können wir vernünftigerweise nicht nur dem Konkurs anvertrauen. Konzernrecht in dieser Sicht würde zur Selbstaufgabe des Gesellschaftsrechts führen; denn es gibt dieses einfach nicht mehr ohne jenes. Die Flechtwerktheorie hat den Charme des Neuen und Intelligenten, der Verknüpfung mit Luhmann und der modernen Soziologie. Sie hat nur bisher nicht deutlich machen können, was eigentlich ihre Instrumente sind und wo diese besser wirken als das hergebrachte Handwerkszeug. So muß es, meine ich, beim Konzernrecht als Konzernorganisationsrecht bleiben, das, da nur rudimentär kodifiziert, seine Aussagen aus den Regeln und Prinzipien der Einzelgesellschaft entfalten muß, dabei stets sorgfältig bedenkend, daß dieses so entfaltete Konzernorganisationsrecht die Vorteile des Konzerns nicht über Gebühr bedrängt: Aufgabe ist hier also eine verständige Verknüpfung von Freiheit und Ordnung im privaten Wirtschaftsrecht: wenn man an die Entwicklung des Zivilrechts in den vergangenen 50 Jahren denkt, ist das bestimmt keine ungewöhnliche Aufgabe. 2. Was bedeutet das nun im einzelnen? Peter Hommelhoff, Uwe Schneider und Wolfram Timm haben sich unter dieser Prämisse als erste intensiv und systematisch mit den so entstehenden Fragen beschäftigt. Seit Hommelhoffs Untersuchung wissen wir, daß der Vorstand der Obergesellschaft den Konzern zu leiten hat: ihm sind Vermögen und Mittel der Obergesellschaft, also auch die Beteiligungen an den Töchtern und Enkeln, zu unternehmerischer Verwaltung anvertraut; er darf sich gar nicht passiv zurücklehnen und sich mit dem Coupon-Schneiden begnügen – es sei denn die Satzung lege ihn auf die Struktur einer Finanzholding fest. Wenn dementsprechend die Vorstände von VEBA, Thyssen und Daimler von Rechts wegen gehalten sind, ihr föderal geordnetes Reich auch tatsächlich zu regieren, dann kann für den Auf-

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sichtsrat dieser Obergesellschaften nichts anderes gelten. Nach den Untersuchungen von Semler steht auch das fest. Das OLG Düsseldorf verlangt gar, der Aufsichtsrat habe sich bei einer großen ausländischen Tochter vor Ort von der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung zu überzeugen. Seit Uwe Schneiders tief bohrenden Überlegungen wissen wir um den Tresoreffekt, den Teleskopeffekt und den Pyramideneffekt bei der Finanzierung der Konzerne und vor allem darum, daß durch die schlichte Existenz des Konzerns nichts mehr stimmt in unseren biederen Aussagen zum Kapital, zur Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. Aber wir wissen inzwischen auch, daß die Leitung der Konzernspitze nicht nur die Minderheitsaktionäre in der Tochter austrocknen und dividendenlos stellen kann, sondern eben auch die eigenen Aktionäre. Es genügt dafür eine Tochter auf den [111] Bahamas oder in Singapur zur Sparkasse zu machen: die Konzernspitze von Daimler hat sich auf diese Weise die Kriegskasse beschafft, die dann – mittelalterlichen Feudalkriegen nicht unähnlich – in der Idee des integrierten Großkonzerns verbraucht wurde. Wo ein Juliusturm ist, wird auch geplündert – es fragt sich nur von wem und zu wessen Nutzen. 3. Leuchtet insoweit die Aufgabe des Rechts, seine Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Gestaltung unmittelbar ein, so kann für die Grundfragen und Grundentscheidungen in dem Unternehmen Konzern nichts anderes gelten. Es ist, wie erst kürzlich wieder Herbert Wiedemann nachgewiesen hat, bestimmender Grundsatz des Verbandsrechts, daß die Aktionäre und Gesellschafter in ihrer Gesellschaft über die Grundfragen und die Grundstruktur ihres Verbandes entscheiden, nicht anders als bei Fusion und Umwandlung, bei Kapitalerhöhung und dem Abschluß von Unternehmensverträgen. Weshalb soll dieser Grundsatz dann plötzlich nicht mehr gelten, wenn der Zusammenschluß nicht durch Fusion, sondern durch Bildung eines Konzerns erfolgt, wenn die einstige Hoesch AG mit der niederländischen Hoogovens N.V. sich zu einem Konzern verbindet, der die einst selbständigen und stolzen Ausgangsgesellschaften zu reinen Betriebsgesellschaften werden läßt. 4. Kurz: natürlich ist der Konzern selbst Verband und es wäre merkwürdig genug, wenn er, der sich aus lauter rechtlich sorgfältig geregelten Gliedern zusammensetzt, seinerseits rechtlich nicht verfaßt wäre. Genau darum aber geht es und ich will daher in der mir verbleibenden Zeit – 10 Minuten nach 32 Jahren – versuchen, diese rechtliche Position noch etwas näher zu erläutern: Korporationen und Verbände entstehen vielfach durch das Recht – AG und GmbH sind Beispiele. Aber das ist nicht zwangsläufig so. Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und die OHG waren längst im Recht existent, ehe sie in Gesetzbüchern aufgeschrieben wurden. Recht entsteht nicht nur durch Gesetzgebung – das wird bei 1000 Seiten Bundesgesetzblatt pro Jahr leicht vergessen. Wenn also ein Haupteinwand gegen meine Ordnungsthese lautet: Es fehle an rechtlichen Regeln für eine solche Verfaßtheit, so ist das nicht nur eine faktisch-

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resignative Aussage, sondern es ist vor allem eine rechtliche Aussage; denn natürlich kann man auch auf die andere Seite der Betrachtung gehen und dann per analogiam entscheiden, die erforderliche Regel in Einzelanalogie und Gesamtanalogie finden. Von seiner Wiege – der Bildung und Entstehung – bis zur Bahre – seiner Auflösung, man denke nur an die AEG – entstehen im Konzern ganz und gar die gleichen Fragen wie in der gesetzlich verfassten Gesellschaft auch und verlangen Antworten von Rechts wegen. Das müssen mitnichten die gleichen Antworten sein wie in der Einzelgesellschaft – davon ist nicht die Rede, nur um Antworten überhaupt aus dem Recht geht es hier. Es bleibt vor allem der Einwand, das Denken in Verfassung, in rechtlich systematischer Ordnung also, werde dem Konzern a priori nicht gerecht; denn diesen gebe es als solchen gar nicht, allenfalls könne man ganz verschiedene Ausformungen von Galaxien feststellen, zwischen diffusem Nebel und fester Materie. Wolle man die [112] aber nach einheitlichen Rechtsvorstellungen behandeln, so tue man Unrecht und verspiele auch noch den Vorteil des Konzerns, seine Flexibilität und seine Fähigkeit zu rascher Anpassung. Ich nenne das die Chamäleon-Argumentation. Denn tatsächlich verändert der Konzern ständig seine Gestalt, erwirbt Teile hinzu und stößt andere ab, folgt heute der Philosophie des Zentralismus und morgen der einer dezentralen Führung an ganz langer Leine. Der Sachverhalt ändert sich also tatsächlich, wenn nicht ständig, so doch häufig; und damit ändern sich möglicherweise auch die Antworten des Rechts. Aber man kann doch gewiß nicht sagen, daß das Recht die Waffen strecken müsse nur weil der Teich heute mit Wasser und Morgen mit Eis gefüllt ist. Damit bleibt im Grunde nur noch zu prüfen, von welcher Art die rechtlichen Antworten sein sollen. Sollen es, wie Teubner und auch die Vertreter der liberalen Schule vorschlagen, allenfalls interne Antworten aus einem Netzwerk vertragsähnlicher Verbindungen unter den Teilen des Konzerns sein, Antworten, die im Zusammenbruch des Verbundes aktuell werden, wenn es die Trümmer zu ordnen gilt? Ich meine: Nein. Gerade die Insolvenz mit ihrer Folge, daß der Gesellschafter sein gesamtes Investment verliert, zeigt doch, daß die Eigentümer der ganzen Veranstaltung die Aktionäre und Gesellschafter, von den Fragen der Grundordnung und Verfassung ihres Verbandes nicht ausgeschlossen werden können. Das bestätigt im übrigen mit besonderem Nachdruck auch das neue Umwandlungsgesetz, das die Antwort über die Grundfragen der Organisation in die Hand eben der Eigentümer legt. Und es zeigt bis zu einem gewissen Grade auch die heute europaweit, ja weltweit geltende Pflicht zur Konzernrechnungslegung. Denn Rechnungslegung ist, wie ich immer wieder mit Nachdruck betone, eben auch Rechenschaftslegung der Verwaltung vor dem Eigentümer. Dann aber muß es auch von Rechts wegen Verantwortliche in dieser Veranstaltung Konzern geben, sonst könnte von Rechenschaftslegung nicht die Rede sein. Anderes gewendet: verantwortliche Personen, die von Rechts wegen bestimmte Rechte und Pflich-

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ten, Aufgaben und Verantwortlichkeiten in Hinsicht auf dieses Gebilde Konzern haben. IV. Und damit bin ich fast schon am Ende meiner Überlegungen. Sie haben uns gezeigt, daß der Konzern selbst eine Form der Organisation unternehmerischen Handelns ist und daher auch vom Recht so verstanden und in seinen spezifischen Fragen beantwortet wird und beantwortet werden muß. Ist das aber so, dann löst sich meine anfangs gestellte Frage einfach. Jedes Verbandsrecht muß für sich die Frage des Gläubigerschutzes und des Minderheitenschutzes beantworten; es sind Aspekte, gewiß sehr wichtige Aspekte, aber eben auch nur Aspekte des Ganzen: Konzernrecht ist also Organisationsrecht, zu dem der Minderheitenschutz und der Gläubigerschutz in den abhängigen Gliedgesellschaften als wichtige, aber nicht [113] alleinige Elemente gehören: Konzernrecht ist Schutzrecht und Organisationsrecht. Das aber bedeutet nun nicht, daß dieses Organisationsrecht alle Teile umfaßt, die auch das kodifizierte Gesellschaftsrecht enthält. Das Organisationsrecht des Konzerns umfaßt Regeln zu seiner Bildung und Finanzierung, zur Führung, Verantwortung und zur Haftung. Aber es ist, wie Wolfgang Zöllner zu Recht betont, ein Binnen-Organisationsrecht. Der Konzern ist zwar, soziologisch betrachtet, Unternehmen; aber er ist nicht Subjekt. Entsprechende Ansätze von Isay über Friedländer bis Thomas Raiser haben sich zu Recht nicht durchgesetzt. Es gibt also keine Vertretung des Konzerns und keine Verträge des Konzerns, keine Ansprüche des Konzerns und keine Schulden des Konzerns: die rechtliche Zuordnung der Rechte und Pflichten erfolgt stets und nur an seine Glieder, die Obergesellschaft oder die vielen von ihr abhängigen Gliedgesellschaften.

Haftung aus Konzernvertrauen? IN: SCHÖN (HRSG.), GEDÄCHTNISSCHRIFT FÜR BRIGITTE KNOBBE-KEUK,

KÖLN 1997, S. 229-245 I. II. III. 1. 2. 3. 4. 5. IV. V.

Einleitung Der Konzern als eigenständige Haftungsgrundlage? Konzernvertrauen als eigenständige Haftungsgrundlage? Überblick Die Haftung eines außenstehenden Dritten aus culpa in contrahendo Vertrauenshaftung der Konzernobergesellschaft Ergebnis Coda Haftung aus fehlerhafter Konzerngeschäftsführung statt aus Konzernvertrauen Rückblick I. Einleitung

1. Brigitte Knobbe-Keuk, derer wir hier gedenken, hat in ihrem wunderbaren Buch über „Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht“ auch von der Organschaft gehandelt und die abhängige Gesellschaft als Organ der herrschenden Gesellschaft geschildert, der „es – nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung – untergeordnet ist und dessen wirtschaftlichen Zwecken es dient“1. Mit wenigen Worten hat sie damit das Dilemma der abhängigen Gesellschaft geschildert: Rechtlich selbständig, wirtschaftlich aber abhängig und mit beschränkter Funktion eingegliedert in den Konzern. Nun ist das im Vertragskonzern – von dem KnobbeKeuk zu handeln hatte – nicht anders als im faktischen Konzern; und während dort die Muttergesellschaft zwar nicht für die Schulden der Tochter unmittelbar haftet, wohl aber mittelbar über die Pflicht zum Verlustausgleich und damit jedenfalls das wirtschaftliche Risiko der gesamten Veranstaltung trägt, ist diese Frage – Haftung der Muttergesellschaft für Schulden der Tochter – im faktischen

1

Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1993, § 20, S. 696.

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Haftung aus Konzernvertrauen?

Konzern eine unendliche Geschichte mit den vielfältigsten Facetten2: Die Geschichte der BGH-Entscheidungen von Autokran3 über Tiefbau4 zu Video5 und wieder zurück zu TBB6 gibt ein gutes Bild davon. In jüngster Zeit bricht nun ein neues [230] Grün aus dem viel beackerten Boden: Ob Blume oder gefährliches Unkraut soll hier erörtert werden. 2. Vor knapp drei Jahren hatte das Schweizer Bundesgericht7 über folgenden Fall zu befinden: Die „Swissair Beteiligungen AG“, eine 100%ige Tochter der Swissair AG beschloß – wie es viele Fluggesellschaften einige Jahre lang gemacht haben –, sich nicht nur um den Transport ihrer Passagiere, sondern auch um deren Ziele zu kümmern, also schöne Hotels in der Nähe schöner Golfplätze. So gründete die Tochter ihrerseits eine Tochter, die „IGR Holding Golf and Country Residences AG“ (IGR). Diese ihrerseits bot nun nicht einfach Hotel-Plätze an, sondern jährliche Wohnrechte von ein, zwei und mehr Wochen an verschiedenen Plätzen der Welt. Dazu durfte IGR das Swissair-Zeichen (ein schräg gestelltes Schweizer Kreuz) benutzen und sich als „ein Unternehmen der Swissair-Gruppe“ bezeichnen. Die Geschäfte waren dennoch nicht sehr erfolgreich; trotzdem sprach IGR ihren Partnern gegenüber von großen Erfolgen. Aber schließlich trennte sich die Swissair-Beteiligungen von ihrer Tochter, die mit dem Erwerber zusammengefaßt und neu organisiert wurde. Davon wurden die bereits gewonnenen Partner unterrichtet. Später bot IGR die Rückzahlung der Wohngelder an; dazu aber kam es nicht mehr; denn IGR fiel in Konkurs. Die Klage einer Wibru-Holding AG gegen die Swissair-Beteiligungen wegen ihrer verlorenen Fr. 90 000 Wohngeld war in beiden Vorinstanzen erfolglos; sie war zunächst auf Durchgriff gestützt; in der Revisionsinstanz brachte Wibru zusätzlich Schadensersatz ins Gespräch und war damit erfolgreich: Das Schweizer Bundesgericht hält einen Schadensersatzanspruch der Wibru gegen die Mutter Swis-

2 Vgl. die Monographien von Drüke, Die Haftung der Muttergesellschaft für Schulden der Tochtergesellschaft, 1990 (USA) und Wolf, Konzernhaftung in Frankreich und England, 1995; Timmerman/Lennarts, ZGR 1993, 489 für die Niederlande sowie Lutter und Schmidt, ZGR 1982, 276 und 244 für Frankreich und Deutschland. 3 BGHZ 95, 330. 4 BGHZ 107, 7. 5 BGHZ 115, 187. 6 BGHZ 122, 123. 7 Urteil vom 15. 11. 1994, BGE 120 II, 331 = Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1995, 93 mit Anm. Druey = AG 1996, 44. Vgl. dazu aus Schweizer, aber auch aus rechtsvergleichender Sicht M. Wick, Die Vertauenshaftung im schweizerischen Recht AJP/PJA 1995, 1270, und Gonzenbach, Senkrechtstart oder Bruchlandung? – Unvertraute Vertrauenshaftung aus „Konzernvertrauen“, recht 1995, 117 sowie Walter, Vertrauenshaftung im Umfeld des Vertrages, Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (ZBJV) 132 (1996), 273; vgl. weiter die Anmerkungen von Druey (aaO) sowie von Amstutz/Watter, AJP/PJA 1995, 502 und Bär, ZBJV 132 (1996), 454.

Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 229-245

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sair Beteiligungen AG aus culpa in contrahendo für möglich, hob daher auf und verwies zurück mit im wesentlichen folgender Begründung: „Erwecktes Vertrauen in das Konzernverhalten der Muttergesellschaft kann jedoch unter Umständen auch bei Fehlen einer vertraglichen oder deliktischen Haftungsgrundlage haftungsbegründend sein. Das ergibt sich aus einer Verallgemeinerung der Grundsätze über die Haftung aus culpa in contrahendo. Wird … diese als besonderer Haftungstatbestand anerkannt, so darf in wertungsmäßig vergleichbaren Fällen der haftpflichtrechtliche Schutz ebenfalls nicht versagt werden. Das der Culpa-Haftung zugrundeliegende, bestimmte gegenseitige Treuepflichten der Partner begründende Vertragsverhandlungsverhältnis ist als [231] Erscheinungsform einer allgemeinen Rechtsfigur aufzufassen … Im Konzernverhältnis kann das in die Vertrauens- und Kreditwürdigkeit des Konzerns erweckte Vertrauen ebenso schutzwürdig sein wie dasjenige, das sich die Partner von Vertragsverhandlungen hinsichtlich der Richtigkeit, der Ernsthaftigkeit und der Vollständigkeit ihrer gegenseitigen Erklärungen entgegenbringen … Die Haftung aus erwecktem Konzernvertrauen ist allerdings – wie die Haftung aus culpa in contrahendo – an strenge Voraussetzungen zu knüpfen … Ob und in welcher Hinsicht der Muttergesellschaft die Erweckung berechtigter Erwartungen entgegengehalten und deren Enttäuschung vorgeworfen werden kann, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles … Die Klägerin durfte einerseits aus der Betonung der Einbindung der IGR in den SwissairKonzern und insbesondere aus der Aussage, die Swissair stehe hinter der IGR, nach Treu und Glauben die Zusicherung ableiten, daß die Beklagte die IGR mindestens in der Aufbauphase mit ausreichenden Mitteln dotieren werde … Andererseits durfte die Klägerin aber aufgrund der Werbeunterlagen auch allgemein darauf vertrauen, daß die werbemäßig herausgestrichene Einbindung der IGR in den SwissairKonzern ein zuverlässiges und korrektes Geschäftsgebaren verbürge und daß die Beklagte als Muttergesellschaft für diese Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit einstehe …“

3. Im Jahre 1993 erwarb die Daimler-Benz Aerospace AG (DASA), ihrerseits eine Tochtergesellschaft der Daimler Benz AG, die Mehrheit an dem niederländischen Flugzeugbau-Unternehmen Fokker N.V. und übernahm dort, wie DASA stets und wiederholt betonte, die „unternehmerische Führung“. In der Folge wurde Fokker immer wieder als „integraler Teil des DASA-Konzern“ bezeichnet; auf Werbeträgern stand unter dem Schriftzug „Fokker“ auch das DASA-Zeichen (Logo) und das Schriftzeichen „DASA“. Fokker brauchte ständig und in hohem Umfange finanzielle Hilfe von DASA, erwies sich aber schon nach kurzer Zeit als Faß ohne Boden, so daß DASA und Daimler bereits im Februar 1996 öffentlich jede weitere finanzielle Unterstützung ablehnten und die „unternehmerische Führung“ niederlegten. Nur drei Wochen später mußte Fokker Konkurs anmelden8. Der Vorgang hat in der deutschen „Unternehmenskultur“ ein kleines Erdbeben ausgelöst; denn in den nun 50 Jahren deutscher Nachkriegs-Wirtschafts8

Der Sachverhalt ist u.a. dargestellt in: Das Wertpapier 1996 Heft 4 S. 26, 71; Heft 8 S. 79.

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geschichte hatte kein großes deutsches Unternehmen (außerhalb seines eigenen wirtschaftlichen Zusammenbruches) je eine Tochter in den Konkurs fallen lassen. Man – die Gläubiger – wussten um die [232] rechtliche Trennung; und man – die Gläubiger – wussten auch, daß es keine förmlichen Garantien oder Zusagen der Verlustübernahme gab; man hatte sich aber doch angewöhnt, auf die Mutter zu „vertrauen“. Zu Recht? II. Der Konzern als eigenständige Haftungsgrundlage? 1. Der Konzern ist geprägt durch die Divergenz zwischen der unternehmerischen Einheit („einheitliche Leitung“, § 18 AktG) und der rechtlichen Vielheit seiner Glieder. Dem entsprechen Formulierungen wie „Einheit in Vielheit“9 oder „Polykorporativer Verband“10. Er ist also ein rechter Widerspruch in sich – vielleicht gerade deswegen so ungemein erfolgreich11. Denn blickt man auf die Einheit, so kann man die Haftungs- und Vermögenstrennung schwer verstehen12. Blickt man aber auf die rechtliche Vielheit, erscheint die Fortgeltung des Trennungsprinzips13 hingegen selbstverständlich. 2. Tatsächlich ist der Konzern heute national und international als legale und ungemein erfolgreiche Form der Organisation von Unternehmen durch die deutsche ebenso wie die ausländischen Rechtsordnungen anerkannt.14 Er ist als solcher also gerade kein Unrechtstatbestand, der zur Haftung der Obergesellschaft oder gar des gesamten Verbandes führen würde. Im deutschen Recht ergibt sich das schon aus den §§ 15 ff. AktG, die den Unternehmensverbund und dessen einheitliche Leitung ausdrücklich akzeptieren. Rechtsfolge eines solchen Tatbestandes ist aber gerade nicht die Haftung der Obergesellschaft für die Schulden ihrer Tochter. Das erhellt schon aus den speziellen Vorschriften für die Eingliederung und den Organschaftsvertrag. die dort besonders angeordnete unmittelbare (§ 322 AktG) oder mittelbare (§§ 302, 303 AktG) Haftung der Mutter für die 9 L. Raiser in: Raiser/Sauermann/Schneider, Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, 1964, S. 51, 54. 10 Bälz, in: FS für L. Raiser, 1974, S. 287 ff. 11 Man bedenke für das Inland die große Beliebtheit der Holding (Lutter, HoldingHandbuch, 2. Aufl. 1996), während jede grenzüberschreitende internationale Tätigkeit zwangsläufig zur Konzernbildung führt. Zum Ganzen Ordelheide, BFuP 1986, 293 ff. mit statistischen Angaben. 12 Und sie wird auch immer wieder in Frage gestellt; vgl. nur Vagts, ZGR 1994, 227 einerseits, Michael Lehmann, ZGR 1986, 345 andererseits. 13 Dazu Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 4 I, 2b S. 198 f. 14 Vgl. nur Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, 1995; Mestmäcker/Behrens (Hrsg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991; Wymeersch (Hrsg.), Groups of companies in the EEC, 1993; vgl. auch Lutter, Stand und Entwicklung des Konzernrechts in Europa, ZGR 1987, 324.

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Schulden der Tochter wäre überflüssig und unverständlich, wenn schon der Konzerntatbestand als solcher zu dieser Rechtsfolge führen würde. Im übrigen erhellt dieses Ergebnis auch aus § 311 AktG: Die dort angeordnete spezielle Ausgleichspflicht der Obergesellschaft für veranlaß- [233] te Nachteile bei ihrer Tochter wäre ganz unverständlich, wenn die Mutter sowieso Bürgin aller Verbindlichkeiten ihrer Tochter wäre. Gleiches gilt heute international und europaweit. Die einige Jahre zurückliegende Debatte um die multinationalen Unternehmen15 macht das ebenso deutlich wie die 1983 verabschiedete 7. EG-Richtlinie zum konsolidierten Abschluß16 und die 1988 verabschiedete EG-Transparenz-Richtlinie17: Beide beruhen auf der Akzeptanz und der legalen Existenz von Unternehmensverbindungen und Konzernen und machen das zum Ausgangspunkt anderer und gerade nicht haftungsrelevanter Regelungen. 3. Ganz ähnliche Überlegungen gelten für die „unternehmerische Führung“. Solche und ähnliche Formulierungen sind Synonyma zum gesetzlichen Begriff der (einheitlichen) Leitung in § 18 AktG. Versteht man darunter die Entwicklung eines unternehmerischen Konzeptes unter Einbeziehung der Tochter und dessen Verwirklichung (Durchführung)18, so wird die Identität der Umschreibungen deutlich. Wer sich also „unternehmerischer Führung“ über eine Mehrheit von Unternehmen berühmt, bestätigt nicht mehr und nicht weniger als die Ausübung von einheitlicher Leitung nach § 18 AktG, die ihm das Gesetz ohne allgemeine Haftungsfolge erlaubt.

15 Dazu Lutter, Enterprise Law Corp. v. Entity Law, Inc. AJCL 38 (1990) S. 49 ff.; vgl. auch Vagts, The Multinational Enterprise: A New Challenge for Transnational Law, Harv. L. Rev. 83 (1969/70) S. 739 ff. und Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995. Siehe auch Großfeld/Hübner, ZGR 1978, 156 ff. 16 Richtlinie vom 13. 6. 1983 über den konsolidierten Abschluß (83/349/EWG), ABl. EG Nr. L 193 vom 18. 7. 1983, S. 1 ff., abgedruckt auch bei Lutter, Europ. Unternehmensrecht, 4. Aufl., S. 207 ff. 17 Richtlinie vom 12. 12. 1988 – Transparenzrichtlinie (88/627/EWG), ABl. EG Nr. L 348 vom 17. 12. 1988, S. 62 ff., abgedruckt auch bei Lutter, aaO, S. 585 ff. 18 Vgl. nur Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 18 Rn. 18 und Hüffer, Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 18 Rn. 11 sowie Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, Kommentar zum AktG, § 18 Rn. 25 ff.

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III. Konzernvertrauen als eigenständige Haftungsgrundlage? 1. Überblick Ist der Konzern als solcher mithin gewiß nicht Grund und Grundlage einer auf ihn oder die Obergesellschaft bezogenen Haftung für Schulden der Tochter19, so ist damit noch nichts gesagt zu dem Ansatz eines speziellen [234] Vertrauens in den Konzern und seine Obergesellschaft sowie die damit etwa verbundenen Rechtsfolgen. Ging es soeben beim Konzern als Haftungsgrundlage um einen objektiven Ansatz, der zur Globalhaftung führen würde und führen müßte, so ist Vertrauen ein individueller Ansatz, der auch die Konzernhaftung – vordergründig auf den Vertrauenden konzentrieren und beschränken würde. Dabei wäre allerdings, je allgemeiner das Vertrauen konzipiert wäre, auch die Zahl der (individuell) Vertrauenden kaum überschaubar, so daß die Gefahr bestünde, daß sich der individuelle Ansatz praktisch doch zum Globalansatz ausweiten würde. 2. Die Haftung eines außenstehenden Dritten aus culpa in contrahendo In Rechtsprechung-20 und Lehre21 ist anerkannt, daß auch ein Dritter, der selbst nicht Vertragspartei ist und es auch nicht werden soll, unter bestimmten Umständen doch auch für Schäden einer der Vertragsparteien aus culpa in contrahendo einzustehen hat. Bekanntester und zugleich wichtigster Anwendungsfall dieser Fallgruppe für die Haftung eines am Vertrag oder intendierten Vertrag nicht beteiligten Dritten aus c.i.c. ist die Eigenhaftung des Vertreters, etwa des Geschäftsführers einer GmbH oder des Vorstands einer Aktiengesellschaft22.

19 Die oben schon erwähnte und inzwischen zu Recht aufgegebene Strukturhaftung nach BGHZ 115, 187 – Video war im Grunde eine solche Haftung aus dem Konzerntatbestand als solchem; denn die Ausübung einheitlicher Leitung war der Ausgangspunkt einer – praktisch kaum widerlegbaren – Vermutungskaskade, die in der Globalhaftung der Obergesellschaft entsprechend § 303 AktG endete. 20 BGH GmbHR 1990, 296; BGH ZIP 1990, 1402; BGH GmbHR 1991, 409, 410 f. 21 Vgl. dazu nur Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971 und Wiedemann, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., vor § 275 BGB Rn. 218; Kramer in: Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl., vor § 241 Rn. 76 ff. sowie E. Schmitz, Dritthaftung aus culpa in contrahendo, Berlin 1980. 22 Grundlegend Ballerstedt, Zur Haftung für culpa in contrahendo bei Geschäftsabschluß durch Stellvertreter, AcP 151 (1950/51), 501 ff.; vgl. ferner Medicus, Zur Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen, FS Steindorff, 1990, S. 725 ff.; Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, 14. Aufl., § 43 Rn. 28 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., § 43 Rn. 4c je mit vielfältigen Nachweisen.

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a) Zunächst einmal treffen in solchen Fällen alle Rechtswirkungen des rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Handelns (c.i.c.) den Vertretenen, § 164 BGB; der Vertretene hat dabei auch für die Fehler des Vertreters einzustehen, § 278 BGB. Nicht zuletzt diese Einstandshaftung des Vertretenen für das Handeln seines Beauftragten war und ist ein Grund für den großen Erfolg der Rechtsfigur der culpa in contrahendo (Einstandspflicht des Vertretenen nach § 278 BGB statt Haftung nur nach § 831 BGB für beschränkte Deliktstatbestände und mit der Möglichkeit der Exkulpation). b) Es gibt aber Konstellationen, in denen dieser Vertreter seine Rolle als Agent des Vertretenen verläßt23, aus dem Schatten des eigentlichen Geschäftsherrn heraustritt und sich neben oder gar vor diesen stellt. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Geschäftspartner zögert, mit der vom [235] Geschäftsführer vertretenen GmbH zu kontrahieren, weil er Zweifel an deren Leistungsfähigkeit hat, und er dann vom Geschäftsführer mit Worten wie: „Sie können sich doch auf mich verlassen“ oder „Sie können mir doch vertrauen“ zum Vertragsschluß überredet wird, dann aber – insbesondere durch den Konkurs der betreffenden GmbH – in diesem Zusammenhang doch Schäden erleidet. Der Vertreter übernimmt in diesen Fällen also keine eigene Bürgschaft oder Garantie, bewegt sich mit seinem Verhalten aber ganz in der Nähe dessen, was als konkludentes Angebot eines solchen Vertrages gewertet werden könnte24. Grund für diese Haftung des Vertreters ist das im Umfeld des durch ihn vermittelten Vertrages von ihm persönlich in Anspruch genommene, dem dritten Vertragspartner angebotene und von diesem akzeptierte Vertrauen. Rechtsgrundlage für diese Eigenhaftung des Vertreters ist culpa in contrahendo25; zu Recht, denn der Vertreter übernimmt eine eigene Position, zieht Verhandlungsvertrauen auf sich. 3. Vertrauenshatftung der Konzernobergesellschaft a) Ähnlich wie in den Vertreter-Fällen ist auch in Konzernfällen die Ausgangslage zunächst klar: Wie dort das Handeln des Vertreters zunächst nur für und gegen den Vertretenen wirkt, also die Person des Handelnden gerade nicht trifft, so gilt hier das Trennungsprinzip: Wird für die Tochter rechtsgeschäftlich gehandelt, so treffen die Folgen dieses Handelns aktiv und passiv die Tochter und gerade nicht die Mutter. 23 Zur Bedeutung solcher Rollen hier des Vertreters und gerade nicht Geschäftsherren – vgl. Lutter, Rolle und Recht, FS Coing, 1982, Band I S. 565 ff. 24 BGH ZIP 1994, 1106. 25 Vgl. Medicus, Kramer und Wiedemann, jeweils aaO mit vielfältigen Nachweisen. Zum ganzen E. Schmitz, Dritthaftung aus culpa in contrahendo, aaO, insbes. S. 59 ff.

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Das gilt sogar noch beim Bestehen eines Unternehmensvertrages: Die Mutter schuldet und haftet den Gläubigern der Tochter nicht unmittelbar, sondern schuldet nur der Tochter den Ausgleich etwaiger Verluste, § 302 AktG. b) Nun kann man sich aber Fallgestaltungen vorstellen, in denen die rechtsgeschäftlichen Ziele der Tochter durch die Mutter in ähnlicher Weise unterstützt werden, wie man es aus den Vertreter-Fällen kennt. Zögert etwa der potentielle Vertragspartner der Tochter, weil er Zweifel an deren Leistungsfähigkeit hat, so liegt es nahe, daß diese die Mutter einschaltet und um eine unterstützende Intervention bittet. Geschieht das, und verwendet der Mutter-Vorstand/Geschäftsführer in dieser Situation ähnliche Formulierungen wie in den Vertreter-Fällen („Sie können sich doch auf uns verlassen“ o.ä.), so ist kaum ein rechtlicher Grund erkennbar, weshalb das dann nicht auch zu den gleichen Rechtsfolgen führen sollte: Hier wirbt die Mutter mit ihrer Person um eigenes Vertrauen und um Vertrauen für die Tochter beim potentiellen Vertragspart- [236] ner, auch dieses Verhalten bewegt sich an der Grenze zum konkludenten Angebot auf Abschluß eines Garantievertrags und führt zur Haftung der Mutter aus in Anspruch genommenem Vertrauen nach den Regeln der c.i.c.26 c) Die soeben erörterte Fallgestaltung erfaßt aber noch nicht ausreichend die spezifische Konzernsituation. Für den Konzern ist vielmehr charakteristisch, daß er eine wirtschaftlich-strategische Unternehmenseinheit bildet bei fortbestehender Mehrheit der Rechtssubjekte27 und daß er sowohl die Einheit wie die Vielheit offenlegt, ja auslobt und dazu vom Gesetz auch angehalten wird: So sind die einzelnen Gesellschaften eines Konzerns je für sich zur Veröffentlichung ihres Jahresabschlusses verpflichtet (§§ 242 ff., 264 ff., 325 ff. HGB), die Obergesellschaft aber eben auch zur Aufstellung und Veröffentlichung des Konzernabschlusses, in dessen Anhang die Konzerngesellschaften aufzuführen sind, §§ 290 ff., 313 HGB. Darüberhinaus finden sich in der Unternehmenspraxis nicht selten Formulierungen wie „ein Unternehmen des X-Konzerns“ oder „eine Tochtergesellschaft der Y-Gruppe“ oder wie hier – „Fokker, ein integraler Teil des DaimlerKonzerns“, ja gar nicht selten findet man in diesem Kontext sogar die Aufnahme des Namens der Mutter in die Firma der Tochter (z.B. VEBA-Öl AG; Allianz Lebensversicherungs AG). In allen diesen Fällen wird unmittelbar oder mittelbar das Ansehen der Gruppe und das Prestige der Mutter auf die Tochter übertragen, ihr dieses Ansehen gewissermaßen mit zur Verfügung gestellt. Führt nun dieses mehr oder minder betonte „Unter die (weiten) Konzern-Flügel Nehmen“ der 26 Illustrativ BGH WM 1975, 923 und dazu Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 254. Eingehend dazu auch Schnyder, Schweizer Juristenzeitung (SJZ) 1990, 57. Vgl. auch Lutter, ZGR 1982, 244, 254 f. 27 Vgl. nur L. Raiser, in: Raiser/Sauermann/Schneider (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, 1964, S. 61 ff.; Bälz, FS für L. Raiser, 1974, S. 287 ff.; Lutter, ZGR 1987, 324, 329; Scheffler, Konzernmanagement, 1992, S. 1 ff.

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Tochter ganz oder teilweise zur Haftung der Mutter für deren Schulden aus c.i.c.? Ist hier eine ähnliche Vertrauenslage geschaffen worden wie bei der Aussage „Sie können sich doch auf uns verlassen“? Die Frage ist von großer allgemeiner Bedeutung; denn nicht der schlichte Konzerntatbestand als solcher, sondern die öffentlich betonte Gruppenstruktur und Gruppenzugehörigkeit der Tochter wäre in diesen Fällen das haftungsauslösende Moment. d) Rechtsprechung – vom oben erwähnten Urteil des Schweizer Bundesgerichts abgesehen – ist bislang nicht bekannt geworden. Und auch in der deutschen Literatur finden sich nur wenige Aussagen dazu. Zunächst hat E. Rehbinder28 und später H. Wiedemann29 eine solche Haftung aus c.i.c. [237] wegen eines Konzernvertrauens für möglich erachtet. Wiedemann hat dabei ganz besonders auf die soeben angedeuteten Firmen-Fälle abgestellt und formuliert: „… der Geschäftsverkehr wird die ‚Ullstein-Mode-Verlags-GmbH’ als Bestandteil des Ullstein-Verlags betrachten und eine ‚Rheinstahl Export GmbH & Co.’ der Rheinstahl AG zurechnen wollen. Die Firmenbildung gibt zu erkennen, daß es sich hier um eine verselbständigte Betriebsabteilung handelt, der das Prestige und der good will der Muttergesellschaft mit auf den Weg gegeben wird. Die Hauptgesellschaft ist nicht verpflichtet, deratige Filialgesellschaften durch entsprechende Firmenbildung zu unterstützen. Wenn sie aber der Tochtergesellschaft aus Werbegründen ihren eigenen Namen verleiht, muß sie gewärtigen, daß der Rechts- und Geschäftsverkehr daraus den Rückschluß ihrer Verantwortlichkeit zieht. Das Rechtsgefühl unserer Zeit wird mit einer derartigen Konzern-Vertrauenshaftung nicht überfordert …“30

Eine eingehendere und weiterreichende wissenschaftliche Diskussion hat sich daraus bis heute jedenfalls in Deutschland nicht entwickelt. e) Die Haftung einer Person kraft des von ihr selbst geschaffenen Vertrauens ist im Zivilrecht überwiegend anerkannt31, wenn auch mitnichten unbestritten32. Canaris hat es in seiner bis heute maßgebenden und beispielhaften Monographie zur Vertrauenshaftung33 unternommen, für diese einen abstrakten Tatbestand zu entwickeln und zu formulieren. So setzt Haftung aus Vertrauen zunächst einmal einen Vertrauenstatbestand voraus. Dieser kann durch betonte Erklärung geschaffen werden. Daher macht es keine besonderen Schwierigkeiten, die oben bereits angesprochenen Vertreter-Erklärungen und Muttergesellschafts-Interventionen

Konzernaußenrecht und Allgemeines Privatrecht, 1969, S. 311 ff. FS für Johannes Bärmann, 1975, S. 1037, 1054 ff. sowie Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 237 und schließlich in: Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S. 89 f. 30 FS Bärmann, aaO, S. 1055/1056; ganz ähnlich in „Unternehmensgruppe“, aaO, S. 89 f. 31 Vgl. die Nachweise oben FN 20-22. 32 Vgl. nur Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. II, 3. Aufl., § 10/5, S. 132 ff. sowie E. Schmitz, aaO (oben FN 21), S. 29 ff. 33 Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971. 28 29

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als solche Tatbestände zu erkennen, zu werten und dem Erklärenden selbst auch zuzurechnen. Schwieriger ist es schon, einen solchen Vertrauenstatbestand in dem allgemeinen Hinweis auf den Konzern, die Gruppe etc. zu erkennen und noch schwieriger, das in den Firmen-Fällen für möglich anzusehen. Zwar kann es gar keine Frage sein, daß auch hierdurch Vertrauen geschaffen und eingeworben werden soll. Und Vertrauen, genauer: enttäuschtes Vertrauen, ist der Grund der culpaHaftung. Die Auffassung von Rehbinder über Wiedemann bis zum Schweizer Bundesgericht ist also im ersten Ansatz kaum zu bezweifeln. Andererseits sind wir von ganzen Schwärmen umgeben, die ständig unser Vertrauen zu gewinnen suchen. Aber das kann als Grundlage einer rechtsgeschäftsähnlichen Haftung gewißlich nicht genügen. Entscheidend ist vielmehr, ob durch ein bestimmtes [238] Verhalten ein rechtlich relevantes Vertrauen geschaffen wird. Und das ist zunächst und vor allem eine Rechtsfrage. Und bei deren Beantwortung sind naturgemäß die anderen Aussagen der Rechtsordnung mit zu bedenken. Schreibt nun aber das Gesetz selbst eine bestimmte Äußerung vor oder gibt ihr ausdrücklich seinen Segen, ohne Haftungsfolgen daran zu knüpfen, so wäre es ein Verstoß gegen das Gesetz und seine Regeln und eine in sich widersprüchliche Entscheidung, wenn gerade eine solche Äußerung zum Vertrauenstatbestand und damit zur Grundlage einer Haftung gemacht würde. Darauf wird sofort einzugehen sein. Hier gilt es festzuhalten: Nicht jedes mögliche, in einem natürlichen Sinn betrachtete Vertrauen ist deswegen schon von Rechts wegen ein zur Haftung führender Vertrauenstatbestand, kann deswegen schon rechtlich relevante Vertrauensgrundlage sein. f) Das gilt zunächst und insbesondere für die oben erwähnten und von Wiedemann herausgehobenen Firmen-Fälle. Das geltende Recht schreibt teilweise ausdrücklich die Aufnahme des Namens der Mutter in die Firma der Tochter vor: Beteiligt sich die Rheinstahl AG als persönlich haftende Gesellschafterin an der Gründung der „Rheinstahl Export GmbH & Co KG“, so wird ihr diese Firma vom Gesetz schlicht vorgeschrieben, § 19 Abs. 2 HGB. Das gilt zwar nicht in gleicher, aber doch ähnlicher Weise auch für die GmbH und die Aktiengesellschaft. Bei ersterer ist den Gründern die Personenfirma immerhin gleichrangig mit der Sachfirma zur Wahl gestellt34 und auch bei der Aktiengesellschaft ist die Möglichkeit der Personenfirma offengehalten35. Vor allem aber verlangt das Gesetz gerade für solche Fälle die Unterscheidbarkeit (§ 30 HGB), begnügt sich aber auch damit. Das Gesetz selbst 34 § 4 GmbHG und dazu Lutter/Hommelhoff, aaO, § 4 Rn. 8; Hueck in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., § 4 Rn. 25 ff. 35 § 4 AktG und dazu Brändel in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., § 4 Rn. 15 ff.; Kraft in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 4 Rn. 17 ff.; Hüffer, Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 4 Rn. 16.

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geht also von gewollten und ungewollten Firmen- und Namens-Ähnlichkeiten aus und verlangt, umgekehrt, vom Rechtsverkehr, daß er die Unterscheidungsmerkmale erkennt und als solche zur Kenntnis nimmt: Die VEBA Öl AG ist eben nicht die VEBA AG und die Allianz-Lebensversicherungs-AG ist eben nicht die Allianz AG. Wollte man hierauf eine Haftung der Mutter gründen, so wäre das explizit contra legem. Denn der Gesetzgeber des HGB, des GmbHG und des AktG hat in den genannten gesetzlichen Fällen Personenfirma und Trennungsprinzip ausdrücklich nebeneinander gestellt und gerade nicht die Beseitigung des Trennungsprinzips durch das Prinzip der Personenfirma angeordnet. Eine andere Entscheidung de lege lata oder auch de lege ferenda hätte geradezu grundstürzende Folgen. Denn: Warum sollte das nur in Konzernverhältnissen gelten? Es gäbe keinen rechtlichen Grund, den namengebenden Gesellschafter Max Müller der Max Müller GmbH anders zu behandeln als den namengebenden Ullstein-Verlag im Beispiel von Wiedemann. [239] Die Verknüpfung der Firma von Mutter und Tochter führt also gerade nicht zu einem von Rechts wegen relevanten Vertrauenstatbestand und mithin nicht zur Möglichkeit einer Vertrauenshaftung ex lege. g) Damit ist aber noch nicht entschieden, ob es sich bei Auslobungen wie „ein Unternehmen der X-Gruppe“ oder des „Y-Konzerns“ oder „integraler Teil des Daimler-Konzerns“ um einen rechtlich relevanten Vertrauenstatbestand handeln kann oder ob hier ein gleiches negatives Ergebnis wie für die soeben behandelten Firmen-Fälle gilt. Tatsächlich hat das Schweizer Bundesgericht die Vertrauenshaftung der Muttergesellschaft Swissair Beteiligungen-AG nicht zuletzt aus der Formulierung „ein Unternehmen der Swissair-Gruppe“ abgeleitet sowie aus der Tatsache, daß die faillierte Enkeltochter das Firmenlogo der Mutter Swissair Beteiligungen-AG auf der Fußleiste ihrer Briefe führte. Es hat diese Haftung auf culpa in contrahendo gegründet und damit das Verhalten der Mutter ähnlich dem Verhalten in den Vertreter-Fällen gewertet, hat dann aber doch aus der Formulierung „Ein Unternehmen der Swissair-Gruppe“ mitnichten eine Globalhaftung der Mutter für alle Schulden ihrer Tochter abgeleitet, sondern betont selektiv entschieden: Das besondere (Konzern-)Vertrauen beziehe sich bei Formulierungen solcher Art auf eine korrekte (Anfangs-)Finanzierung der Tochter einerseits und eine korrekte Leitung andererseits. Aber von diesen Einschränkungen des Schweizer Bundesgerichts in den Rechtsfolgen abgesehen bleibt jetzt die allgemeine Frage im Sinne von Rehbinder und Wiedemann zu beantworten, ob Hinweise der Mutter (oder der Tochter mit Billigung der Mutter) auf die Zugehörigkeit der Tochter zu dem von ihr geführten Konzern („ein Unternehmen der SwissairGruppe“, „integraler Teil des Daimler-Konzerns“) zur Haftung der Mutter allgemein für die Schulden der Tochter führen. Das ist nicht der Fall.

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h) Der Konzern ist, es wurde schon betont, die legale Verbindung von rechtlich selbständigen Unternehmen unter Fortgeltung des Trennungsprinzips36. Die Rechtsordnung verbietet die bekannte Situation der wirtschaftlich-strategischen Unternehmenseinheit (Konzern) bei rechtlicher Vielheit (der beteiligten rechtlich selbständigen Unternehmen/Gesellschaften) und fortbestehendem Trennungsprinzip gerade nicht. Aber das allein mag vielleicht noch nicht entscheidend sein; denn die Rechtsordnung erlaubt auch die Eingliederung unter Fortbestand der Tochter mit Haftungsfolge für die Mutter, § 322 AktG. Entscheidend ist vielmehr, daß die Rechtsordnung den Konzern nicht nur erlaubt, sondern in vielfältiger Weise darauf besteht, daß genau dieser Tatbestand auch bekannt wird: Investoren, Anleger, Gläubiger und Dritte sollen um diesen Sachverhalt wissen und sich darauf einrichten können. Deswegen verlangt die [240] Rechtsordnung von den Konzerngesellschaften und insbesondere den Konzernobergesellschaften die Einhaltung umfangreicher öffentlicher Aussagen und Bekanntmachungen (Publizitätspflichten) zum Verbund, seinen Gliedern und seiner Struktur. Diese Pflichten reichen von Mitteilungspflichten nach § 20 AktG über eingehende Pflichten im Rahmen des publizitätspflichtigen Konzernabschlusses unter Auflistung aller in den Konzernabschluß einbezogenen Unternehmen (§ 313 Abs. 2 HGB) bis zu Mitteilungspflichten nach § 21 WpHG. Aus diesen vielfältigen Publizitätspflichten erhellt, daß die Rechtsordnung gerade auf die Kenntnis der Öffentlichkeit von den Konzerntatbeständen betont und nachdrücklich Wert legt – und das mit der Maßgabe, daß – wie ebenfalls schon betont wurde – das Trennungsprinzip dadurch nicht tangiert wird, sondern gerade auch in (faktischen) Konzernen fortgilt37. Das aber bedeutet: Die Tatsache, daß eine Obergesellschaft (nur) auf die Konzernzugehörigkeit einer bestimmten Tochter und deren Funktionen im Gesamtkonzern hinweist, entspricht gerade der vom Gesetz gedachten Normalität und Zielrichtung. Sie kann daher ohne eine zusätzliche Anweisung im Gesetz gerade nicht zum Gegenstand besonderer und besonders nachteiliger Rechtsfolgen gemacht werden. Wollte man sich anders entscheiden, man müßte sich bewußt rechtlich widersprüchlich verhalten38. i) Daraus erhellt: Die Hinweise allein auf eine Gesellschaft als Tochter im Konzern, ihre Bezeichnung als „ein Unternehmen der X-Gruppe“, als „integraler Teil des Y-Konzerns“ und ihre Einbindung in die „unternehmerische Führung“ 36 Und genau das ist auch ökonomisch erwünscht; vgl. etwa Lehmann. ZGR 1986, 345 und Amstutz, Konzernorganisationsrecht, Bern 1993, S. 192 ff., 256 ff., 444 ff. 37 Vgl. dazu auch Bork, Zurechnung im Konzern, ZGR 1994, 237 ff. 38 Es überrascht, daß dieser Gedanke in den umfangreichen Stellungnahmen der Schweizer Literatur zum Swissair-Urteil (oben FN 7) nur an einer einzigen Stelle (Druey, Schweizer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (SZW) 1995, 96 r. Sp.) formuliert wird. Das mag mit der Tatsache zusammenhängen, daß die Schweiz weder der EG noch dem EWR angehört, die 7. EGRichtlinie dort also nicht gilt und eine Pflicht zur Publizität von Konzern-Tatbeständen erst vor kurzer Zeit eingeführt worden ist (heute Art. 663b Ziff. 7 und 663c OR).

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der Obergesellschaft stellen als solche keinen rechtlich relevanten Vertrauenstatbestand dar und führen daher gerade nicht zu einer Vertrauens-Haftung der Mutter für Verbindlichkeiten der Tochter aus c.i.c. Nur Erklärungen, die darüberhinausgehen und auf spezifisches Vertrauen abzielen („Sie können uns doch vertrauen“) mögen das Ergebnis verändern davon war oben schon die Rede. Das gilt dann aber auch, wo der Konzern (die Gruppe) und seine Mitglieder am Markt betont einheitlich auftreten. Wenn sich Opel als ein Unternehmen des General Motor-Konzerns bezeichnet oder die deutsche Tochter der amerikanischen Ford Motor Corp. als Ford AG oder die südamerikanische Tochter von VW als „VW do Brasil“ firmieren, so werden diese vom Recht erlaubten, ja erwünschten Informationsziele nicht in Richtung auf ein spezielles Vertrauen überschritten. Auch der weltweite Gebrauch des einheitlichen VW- oder Ford-Logos ändert daran nichts. [241] Schwieriger wird es, wenn zusätzlich etwa von der Mutter auf die „selbstverständliche und weltweite Einhaltung des hohen VW-Standards“ hingewiesen, genau das dann aber von der Tochter nicht eingehalten wird. Hier lag für die Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts wahrscheinlich die eigentliche ratio decidendi: Mit Kenntnis der Mutter hatte die Tochter auf den „hohen Standard“ der Gruppe hingewiesen, ohne ihn selbst einzuhalten. 4. Ergebnis a) Konzernvertrauen – als Stichwort, soweit ersichtlich, erstmals von E. Rehbinder39 ins Gespräch gebracht – ist mithin als eigene und allgemeine Haftungskategorie nachdrücklich abzulehnen. Sie würde zwangsläufig ohne Schranken wirken; denn einheitliche Leitung läßt sich nicht verbergen und muß sogar offengelegt werden; „VW do Brasil“ als Name der südamerikanischen Tochter von VW würde rasch als Vertrauensgrundlage (miß-)verstanden. Die Schotten und Dämme des Trennungsprinzips zwischen den einzelnen Konzerngliedern müßten brechen, der Konzern würde seine rechtliche und faktische Besonderheit der Einheit in Vielheit verlieren. Und es wäre auch de lege lata der falsche Ansatz; das Gesetz akzeptiert die Einheit in Vielheit des Konzerns und hat für die allfälligen Probleme der Gläubiger ein eigenes Schutzsystem aufgebaut: den Einzelausgleich nachteiliger Einflußnahmen40 und den Verlustausgleich im Vertragskonzern41. Dieses System würde unterspült und obsolet, könnte sich jedermann in rechtsgeschäftlichen Verhältnissen auf sein Konzernvertrauen berufen. Tatsächlich bietet der Konzern als solcher und ex lege keine Grundlage für ein haftungsKonzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, aaO (oben FN 28). §§ 311-318 AktG; BGHZ 65, 15 – ITT und BGHZ 122, 123 – TBB. 41 § 302 AktG. 39 40

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relevantes Vertrauen. Insofern ist das Urteil des Schweizer Bundesgerichts mit der Hervorhebung des Konzernvertrauens jedenfalls aus deutscher Sicht – eine Beurteilung aus Schweizer Sicht steht dem Autor nicht an – unzutreffend. Eine Haftung schlicht und nur aus dem Gedanken an ein Konzernvertrauen scheidet daher auch im Fokker-Fall aus: Mag noch so sehr die „unternehmerische Einheit“ betont worden sein, die „Vielheit“ einer – noch dazu im Ausland gelegenen – Tochter lag ebenso offen für jedermann zutage. b) Anders gewendet: Vertrauen kann auch außerhalb bereits bestehender rechtlicher Beziehungen zur Grundlage von Rechtspflichten werden, seine Enttäuschung mithin zur Haftung desjenigen führen, der dieses Vertauen auslobt und anbietet. Insofern und insoweit ist dem Schweizer Bundesgericht42 zu folgen. Schwierig und zugleich entscheidend ist es, aus der Fülle Vertrauen heischenden Verhaltens die rechtlich relevanten Fälle herauszufiltern. Beispielhaft sei hier erinnert an die (Prospekt-)Haf- [242] tung Dritter, am intendierten Vertrag gerade nicht beteiligter Personen (Architekten, Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) im grauen Kapitalmarkt43. Einfacher als dieses positive Herausfiltern relevanter Tatbestände aus dem Meer von Vertrauen ist es, Fallgruppen aufgrund bestimmter gesetzlicher Vorgaben auszuschließen. Ein solcher eher einfacher Fall liegt hier vor: die Rechtsordnung will die Auslobung des Konzerns, den Hinweis auf ihn und die Publizität über ihn; dann kann eben dieses nicht die Haftung auslösen, mag damit noch so sehr die Hoffnung auf seine finanzielle Stabilität und auf die Bereitschaft seiner Glieder zu wechselseitiger Hilfe entstanden sein. Der Satz aus einem Lied des großen Qualtinger „Der Papa wird’s schon richten, der Papa läßt mich nicht im Stich“ hat zwar Erfahrungswert, aber keinen Rechtswert. 5. Coda Nur um Mißverständnisse zu vermeiden: Mit diesem Ergebnis ist gewiß nicht gesagt, daß nicht auch eine Muttergesellschaft in bestimmten Situationen besonderes Vertrauen auf sich ziehen kann und dann dafür auch einzustehen hat. Der oben schon gebrachte Hinweis auf die gar nicht seltene (positive) Einmischung der Mutter in Vertragsverhandlungen der Tochter macht das deutlich: Selbstverständlich haftet die Mutter dann aus culpa in contrahendo. Aber das ist kein allgemeines und typisiertes Konzernvertrauen, sondern vom Konzern im Grunde unabhängig und mit ihm eher zufällig verknüpft. Es ist speziell angebotenes und in Anspruch genommenes Vertrauen im Einzelfall.

42 43

Oben FN 7. Vgl. dazu Assmann, Prospekthaftung. 1985, insbes. S. 216 ff.

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IV. Haftung aus fehlerhafter Konzerngeschäftsführung statt aus Konzernvertrauen 1. Hat sich der Ansatz einer Haftung aus allgemeinem Konzernvertrauen als unzutreffend erwiesen, so bedeutet das noch nicht notwendig, daß der SwissairFall in der Sache (und auch aus deutscher Sicht) falsch entschieden ist44. Immerhin hat die IGR ihre Partner falsch informiert; im Verhältnis zu diesen war das eine positive Vertragsverletzung und möglicherweise hat die Swissair Beteiligungen AG (Mutter) davon gewußt. Es könnte also immerhin sein, daß die Mutter in diesem Zusammenhang eigene Pflichten verletzt hat. Aber welche und vor allem: wem gegenüber? 2. Bindet eine Muttergesellschaft ihre Tochter in den Konzern ein, leitet sie einheitlich im Sinne von § 18 Abs. 1 AktG und übt sie mithin „unternehmerische Führerschaft“ aus, so handelt sie in Konzerngeschäftsfüh- [243] rung. Diese Tatsache wird gerne übersehen, obwohl doch Uwe H. Schneider45 schon vor über 15 Jahren darüber eingehend gehandelt hat46. Unbeachtet bleibt aber häufig auch die Tatsache, daß die Leitung des Verbundes rechtlich und faktisch andere Aufgaben stellt als die Führung eines Einzelunternehmens47. Wie immer diese Aufgaben genau lauten mögen: Auch für sie gilt naturgemäß die Pflicht zu ordnungsgemäßer und korrekter Ausführung48. Die Einzelheiten einer korrekten KonzernGeschäftsführung sind bislang vor allem unter betriebswirtschaftlichen Aspekten behandelt worden49. Rechtlich sind diese Fragen hingegen noch wenig erörtert50; und die wenigen Ausführungen beschäftigen sich vor allem mit einzelnen Verletzungstatbeständen51. Als Tatbestände einer solchen Verletzung ordnungsgemäßer

44 Zu Fokker und der Konzerngeschäftsführung von DASA und Daimler liegen dem Verf. keine Erkenntnisse vor. 45 BB 1980, 249. Jüngst dazu Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, mit Ausführungen S. 158 ff. zur Konzerngeschäftsführung. 46 Davor bereits Würdinger in: Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 309 Anm. 1 mit der Formulierung: „Die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens sind nach zwei Richtungen hin verantwortlich: zum einen gegenüber ihrer eigenen Gesellschaft …; zum anderen gegenüber der beherrschten Gesellschaft.“ 47 Vgl. nur Scheffler, Konzernleitung aus betriebswirtschaftlicher Sicht, DB 1985, 2005; ders., Konzernmanagement, 1992; Semler, aaO. 48 Würdinger, aaO und Anm. 3 ibid. 49 Manuel René Theisen, Der Konzern, 1991. 50 Etwas ausführlicher Lutter, ZGR 1987, 324, 349-354 sowie Semler, aaO. 51 Vgl. außer U. H. Schneider, aaO (FN 26), auch Lutter, ZIP 1985, 1425, 1429; ders., AG 1990, 179, 181 ff.

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Konzerngeschäftsführung in Bezug auf die Tochter kommen vor allem in Betracht52 die kontinuierliche Verletzung der unternehmerischen und finanziellen Eigeninteressen der Tochter; der Entzug (nahezu) aller Liquidität der Tochter (cash-Management), das „Ausplündern“ des Personals der Tochter; die Übernahme des Marktpotentials der Tochter. 3. Aber alle diese Pflichten sind Pflichten gegenüber der Tochter (aus Gesetz, § 311 ff. AktG, oder Treupflicht) und führen daher auch zu Ausgleichs- oder Ersatzpflichten gegenüber der Tochter, nicht aber zu unmittelbaren Ansprüchen der Vertragspartner und sonstiger Gläubiger der Tochter gegen die Mutter. Zu fragen ist mithin, ob es unter dem Stichwort der „ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung“ auch Pflichten der Mutter unmittelbar gegenüber den Partnern der Tochter gibt. Man [244] wird das in bestimmten Fällen tatsächlich annehmen müssen. Damit sind nun aber nicht Pflichten gemeint, wie sie jeder Gesellschafter und daher vom Konzern ganz unabhängig auch die Mutter hat, Pflichten, die sich nur äußerstenfalls in solche gegenüber Dritten entwickeln können53. Gemeint ist auch nicht etwa die ordnungsgemäße Konzerngeschäftsführung und deren Verletzung als solche: Führt die Mutter schlecht, überwacht sie die Tochter nicht effizient genug, so verletzt sie damit ebensowenig die Pflichten gegenüber dem Partner der Tochter wie die schlechte Verwaltung der eigenen Gesellschaft eine Pflichtverletzung im Verhältnis zu den eigenen Vertragspartnern ist. Lobt aber die Mutter selbst oder die Tochter mit Wissen der Mutter einen besonderen Standard der Konzerngeschäftsführung aus, so mag das durchaus zu selbständigen Pflichten der Mutter auch gegenüber Partnern der Tochter führen. Entspricht dem die Realität dann nicht und erleidet der Tochter-Partner daraus Nachteile, so kann man das als Verletzung einer ihm gegenüber bestehenden, weil übernommenen Pflicht verstehen. Grundlage ist hier die Verletzung selbst gesetzter und selbst ausgelobter Standards. Man mag das dann wie Köndgen54 mit Selbstbindung begründen oder wie das Schweizer Bundesgericht aus culpa in contrahendo, in der Sache geht es um korrekte Konzerngeschäftsführung, die in

52 In den Kontext dieser Aspekte gehört auch die Frage, ob denn die Obergesellschaft überhaupt zur Leitung verpflichtet ist. Vgl. dazu vor allem Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982/1988, passim und Semler, aaO, S. 162 ff. Würdinger aaO Anm. 3 (oben FN 46) zitiert dazu aus einem Brief Petrarcas an Kaiser Karl IV.: „Es wäre gewiß ohne zu freveln möglich gewesen, sie (scil. die Herrschaft) nicht zu ergreifen, da sie aber ergriffen ist, ist es ohne zu freveln nicht möglich, sie nachlässig zu führen.“ 53 Rechtsfolge des qualifizierten faktischen Konzerns: Haftung der Mutter entspr. § 303 AktG. 54 Selbstbindung ohne Vertrag, 1981.

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solchen besonderen Fällen und ausnahmsweise auch dem Dritten unmittelbar geschuldet ist55. V. Rückblick Als Rehbinder und Wiedemann vor über 20 Jahren den Gedanken eines Konzernvertrauens als Grundlage einer Durchgriffshaftung entwickelt haben56, standen unsere Überlegungen zum Konzern nicht gerade am Anfang57, hatten aber ihre heute besser erkennbare Richtung noch nicht deutlich genug gefunden58. Damals hätte der Weg auch in Richtung der Überlegungen von Rehbinder und Wiedemann gehen können: Zur Freiheit der Wahl zwischen erlaubtem Schweigen der Mutter oder ihrem rechtserheblichen Reden und Ausloben des Konzerns. Seither ist die [245] Rechtsentwicklung im deutschen Recht und europaweit59 einen anderen Weg gegangen: Der Konzern hat sich als legale Organisationsform etabliert und ist vielfach Gegenstand von gesetzlichen Regelungen geworden60. Diese Regelungen aber zielen heute in erster Linie auf Information und Publizität. Sie wollen den Konzern gerade nicht mit subtilen Schranken und Risiken diskriminieren und unterdrücken, sondern anerkennen ihn und sorgen für Kenntnis der Öffentlichkeit von ihm. In gewisser Weise ist die leidenschaftliche Diskussion um den qualifizierten faktischen Konzern61 und die damals weithin angenommene Globalhaftung62 daraus zu einem letzten Nachhutgefecht geworden: Wäre es bei Video63 geblieben und nicht zu TBB64 gekommen, so wäre der Oben III, 2 und FN 20. Oben FN 28 und 29. 57 Zwei Phasen der Diskussion hatten bereits stattgefunden: In den 20er Jahren hatte die Diskussion einen ersten Höhepunkt erreicht; vgl. dazu Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982 (Nachdruck 1988), S. 2 ff. Die 2. Phase begann mit der Vorbereitung des AktG 1965 und seiner §§ 15 ff., 291 ff.; vgl. dazu erneut Hommelhoff, aaO, S. 29 ff. mit allen Nachweisen. 58 Es ging mehr um individuellen oder generellen Gläubiger- und Minderheitenschutz als um Publizität und Information. 59 Vgl. nur die 7. EG-Richtlinie zum konsolidierten Abschluß von 1983 (bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., S. 207 ff.); die Transparenzrichtlinie von 1988 (bei Lutter, aaO, S. 585 ff.) und die Änderung der 2. EG-Richtlinie (Kapitalrichtlinie) durch die Richtlinie vom 23. 11. 1992 (bei Lutter, aaO, S. 109 ff.). 60 Das gilt nicht nur für die Umsetzung der soeben genannten Richtlinien in nationales Recht, sondern auch für das Steuerrecht; vgl. dazu Schaumburg (Hrsg.), Kölner Konzernrechtstage, Köln 1997. 61 Vgl. nur die Referate und Diskussion in: Hommelhoff/Stimpel/Ulmer (Hrsg.), Der qualifiziert faktische GmbH-Konzern, Köln 1992. 62 Eine Zeitlang führte die vom Urteil Video postulierte Strukturhaftung tatsächlich zu einer breit angelegten Konzern-Durchgriffshaftung, vgl. nur OLG Saarbrücken ZIP 1992, 1623 ff. mit abl. Anm. Drygala. 63 BGHZ 115, 187. 55 56

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Konzern weitgehend diskriminiert und in seinen Lebensmöglichkeiten breit zurückgedrängt worden. Die Überwindung des verfehlten Strukturgedankens und seiner Haftungsfolgen betont heute seine Legalität. Zugleich wurden, aber eher unbemerkt und auf einem Nebengleis, die Kenntnisse von ihm und seiner Zusammensetzung im Einzelfall durch Publizitätsvorschriften Schritt für Schritt erweitert. Der individuelle Hinweis auf ihn und seine Zusammensetzung im Einzelfall ist also nicht mehr als das Zu-Ende-Denken des gesetzlichen Konzeptes: Anerkennung des Konzerns als legale Erscheinung, die damit verbundene Bestätigung des Trennungsprinzips als sein Lebenselement einerseits und die Sicherung der detaillierten Kenntnismöglichkeiten von ihm und seiner Zusammensetzung andererseits lassen den Gedanken an Konzernvertrauen als allgemeine Grundlage von Haftung genauso systemwidrig erscheinen wie es die Strukturhaftung nach Art von Video war.

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BGHZ 122, 123.

Der Aufsichtsrat im Konzern* AG 2006, S. 517-521** Der Konzern ist nicht Person, sondern die unternehmerische Verbindung mehrerer Personen. Daher hat er auch keinen eigenen Aufsichtsrat. Da aber der Vorstand der Obergesellschaft diesen Konzern „einheitlich leitet“, wie das Gesetz in § 18 AktG sagt, muss er auch in dieser Funktion überwacht werden. Dafür kommt nur der Aufsichtsrat der Obergesellschaft in Betracht. Wie das geschieht, ist Gegenstand dieser Abhandlung. Die Veranstalter dieses schönen Symposions haben mit dem Thema vom Aufsichtsrat im Konzern klug gewählt, verbindet es doch den Großvater Marcus Lutter mit Vater Uwe H. Schneider und Sohn Sven H. Schneider auf das Schönste unter Einschluss von Bruder Peter Hommelhoff und Vetter Johannes Semler. Begonnen hat diese Familiengeschichte im Jahre 1979 mit einer Abhandlung von Uwe H. Schneider in der ZHR1 und meinem Buch über die Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat2, schon im nächsten Jahr gefolgt von Johannes Semlers Dissertation über die Überwachung der Gesellschaft und des Konzerns3, gefolgt von Uwe H. Schneiders „Konzernleitung als Rechtsproblem“4 und einem Statement aus der Feder von Peter Hommelhoff5. Kurz: es ist wirklich eine rechte Familiengeschichte6. Heute gehört die Frage nach Art und Weise der Überwachung des Vorstands im Konzern zum Standard eines einschlägigen Handbuchs7 und * Vortrag anlässlich des Symposions zum 65. Geburtstag von Uwe H. Schneider am 10.2.2006 an der Universität Mainz. Die Vortragsform wurde beibehalten, die Nachweise sind auf das Nötigste beschränkt. Meinem wiss. Mitarbeiter Jan-Philipp Mohr danke ich für die sorgfältige Betreuung des Manuskripts. ** Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf www.legios.de. 1 Uwe H. Schneider, Die Personengesellschaft als herrschendes Unternehmen im Konzern, ZHR 143 (1979), 485 ff., 501 ff. 2 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1. Aufl. 1979, 3. Aufl. 2006. 3 Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, Diss. Köln 1980, 2. Aufl. 1996 unter dem Titel „Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft“. 4 Uwe H. Schneider, BB 1981, 249 ff. 5 Hommelhoff, AG 1995, 225 ff. 6 Jetzt auch Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, AG 2005, 57 ff. 7 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 131 ff., 228 ff.; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl. 2004, § 7 Rz. 36 f., 61 ff.

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Der Aufsichtsrat im Konzern

Kommentars8. Kaum zu glauben, aber wahr: Die Frage nach dem Aufsichtsrat und seinen Aufgaben im Konzern wird erst seit gut 25 Jahren gestellt9. Dafür ist der seither erreichte Stand der Erkenntnis beachtlich: Ich verweise noch einmal auf unseren viel zu jungen Jubilar und seine Abhandlung über den Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens im Konzern in der FS Hadding10, wie ich überhaupt einfach aus seinen Arbeiten hier vorlesen und mir die Mühe einer eigenen Formulierung sparen könnte. Nur wegen einiger Nuancen tue ich es nicht. I. Kein Konzern-Aufsichtsrat Einen Konzern-Aufsichtsrat im eigentlichen Sinne gibt es nicht; denn der Konzern ist keine selbständige Einheit, ist wirtschaftliche Einheit, nicht Person. II. Erweiterung der Pflichten des Aufsichtsrats der Obergesellschaft Daher lautet die Frage, ob sich die Aufgaben des allein für seine Gesellschaft – die Obergesellschaft – konzipierten Aufsichtsrates erweitern, wenn diese Gesellschaft Konzern-Obergesellschaft ist. Das eben ist der Fall. Die einer Muttergesellschaft gehörenden Beteiligungen sind Teil ihres Vermögens, das der Vorstand zu betreuen hat und dabei von seinem Aufsichtsrat überwacht wird. Verbindet dieser Vorstand nun die verstreuten Teile unter seiner – wie das Gesetz sagt – einheitlichen Leitung, so entsteht ein Konzern, § 18 Abs. 1 AktG. Damit ändert sich die Position der Tochter- und Enkelgesellschaften, sie werden abhängig und funktional mit der Obergesellschaft zu einer wirtschaftlichen – nicht: rechtlichen – [518] Einheit verbunden. Und der seit dem AktG von 196511 verpflichtend vorgeschriebene und praktisch immer wichtigere Konzernabschluss zeigt, dass jedenfalls heute12 der Konzern insgesamt im Zentrum der Betrachtung steht. Da nun aber der Aufsichtsrat den Vorstand in seiner gesamten Geschäftsführung, seinem gesamten Tun zu überwachen hat, weitet sich sein Pflichtenfeld 8 Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 AktG Rz. 220 ff.; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 369 ff. 9 Das gilt nur grosso modo; schon das AktG 1965 hat die Konzernrechnungslegung geschaffen, § 328 ff. AktG (alt); und das MitbestG von 1976 hat in seinem § 32 den AnteilseignerVertretern im Aufsichtsrat der Obergesellschaft sogar Weisungsrechte für bestimmte Maßnahmen der Konzernführung eingeräumt. 10 Uwe H. Schneider in FS Hadding, 2004, S. 621 ff. 11 Siehe oben Fn. 9. 12 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 vom 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. EG Nr. L 243, 1 und Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (BilReG), BGBl. I 2004, 3166.

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über die Obergesellschaft hinaus – deren Aufsichtsrat er nach wie vor ist – auf die Leitung des Konzerns durch den Vorstand aus. Das ist heute nichts Neues mehr und im Prinzip akzeptiert13, seit dem KonTraG auch mittelbar vom Gesetz durch entsprechende Informationspflichten des Vorstands der Obergesellschaft gegenüber seinem Aufsichtsrat anerkannt14. III. Umfang der Pflichten-Ausweitung Dann aber ist nun zu fragen, wie sich dieses Pflichtenfeld des Aufsichtsrats der Obergesellschaft ausweitet. Zu diesem Zweck müssen wir daran erinnern, dass der Aufsichtsrat nur ganz bestimmte, im Gesetz abschließend aufgezeigte Pflichten in seiner Gesellschaft, also der Obergesellschaft, hat: er bestellt den Vorstand und beruft ihn ab, schließt den Anstellungsvertrag mit ihm und kündigt ihn, §§ 84 und 87 AktG; er überwacht die Geschäftsführung des Vorstands, § 111 Abs. 1 und 2 AktG; er schließt den Vertrag mit dem von der Hauptversammlung gewählten Abschlussprüfer, § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG; er berichtet an die Hauptversammlung, § 171 Abs. 2 AktG; er wirkt an bestimmten Maßnahmen des Vorstands mit, wie insbesondere der Feststellung des Jahresabschlusses nach § 172 AktG und der Entsprechens-Erklärung nach § 161 AktG und er erteilt seine Zustimmung oder lehnt sie ab zu bestimmten, vom Vorstand geplanten Geschäften und Maßnahmen, § 111 Abs. 4 AktG. Gehen wir nun diese Aufgaben durch, so werden wir feststellen, dass viele von ihnen vom Konzern nicht betroffen werden: der Aufsichtsrat der Obergesellschaft ist nicht zugleich der Aufsichtsrat der Untergesellschaft; ihm steht also die Personalhoheit über die Vorstände und Geschäftsführer der Untergesellschaften im Grundsatz15 nicht zu; hingegen ist es seine Aufgabe, den Vertrag mit dem Konzern-Abschlussprüfer zu schließen, 13 Vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 131 ff., 228 ff.; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl. 2004, § 7 Rz. 36 f., 61 ff.; Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 AktG Rz. 220 ff.; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 369 ff. 14 Seither lautet § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG: „Ist die Gesellschaft Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs), so hat der Bericht auch auf Tochterunternehmen und auf Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs) einzugehen.“ und formuliert damit heute, was Semler (oben Fn. 3) und ich (oben Fn. 2) bereits 1979 und 1980 praeter legem entwickelt hatten. 15 Ausnahme ist der bereits in Fn. 9 erwähnte § 32 MitbestG 76, der die Entscheidung über die Besetzung der Anteilseigner-Vertreter im Aufsichtsrat der Untergesellschaft den Anteilseigner-Vertretern im Aufsichtsrat der Obergesellschaft zuweist.

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und er hat an seine Hauptversammlung auch über seine Prüfung des Konzernabschlusses zu berichten. Andererseits hat er nichts zu tun mit etwaigen Entsprechens-Erklärungen von Tochtergesellschaften und nichts mit der Feststellung ihres Jahresabschlusses, und er kann auch keinen Zustimmungsvorbehalt für bestimmte Geschäfte in den Tochter- und Enkelgesellschaften anordnen. Und schließlich steht ihm auch die Aufsicht über die Töchter und ihre Vorstände und Geschäftsführer nicht zu: das ist und bleibt die Aufgabe von deren Aufsichtsräten, wohl aber und vor allem die Überwachung des den Konzern leitenden Vorstands der Obergesellschaft. Also: Mit der Konzernierung wird der Aufsichtsrat der Obergesellschaft nicht zum Aufsichtsrat der Töchter, in einzelnen Aspekten aber durchaus zum Konzern-Aufsichtsrat, so, wenn er den Vertrag mit dem Konzernabschlussprüfer schließt und an die Hauptversammlung über die Prüfung dieses Konzernabschlusses berichtet. Im Übrigen: seine Aufgaben sind und bleiben auf seine Gesellschaft, die Obergesellschaft, konzentriert. Diese aber weiten sich aus mit der Ausweitung der Pflichten des Vorstands, kurz: mit dessen Pflichten im Konzern. Das nämlich ist und bleibt Geschäftsführung für die Obergesellschaft und unterliegt daher der Aufsicht ihres Aufsichtsrats. Anders gewendet: diesem Aufsichtsrat der Obergesellschaft obliegt die Aufsicht über die Konzernleitung des Vorstands. -

IV. Ausweitung der Vorstandspflichten Steht damit fest, dass es um eine Ausweitung der Pflichten des Vorstands der Obergesellschaft im Konzern geht, die der Aufsichtsrat zu überwachen hat, so muss man zunächst einmal wissen: was sind denn das für besondere Pflichten des Vorstands im Konzern? Und da haben Uwe H. Schneider mit seiner „Konzernleitung“16 und Johannes Semler mit seiner Dissertation17 sowie Uwe und Sven H. Schneider mit ihrem Aufsatz aus dem letzten Jahr zur „Vorstandshaftung im Konzern“18 Pionierarbeit geleistet. Diese besonderen Pflichten des Vorstands im Konzern sind: [519] Festlegung der Konzernstrategie; 16 Uwe H. Schneider, BB 1981, 249 ff.; vgl. dazu auch Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982. 17 Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, Diss. Köln 1980, 2. Aufl. 1996 unter dem Titel „Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft“. 18 Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, AG 2005, 57 ff.; vgl. auch Fleischer, DB 2005, 759 ff.

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Konzernplanung inkl. Konzern-Personalplanung; Konzernorganisation unter Optimierung der rechtlichen Grundlagen des Konzerns, etwa Abschluss von Unternehmensverträgen, Umwandlung von Töchtern in die „konzernfreundliche“ GmbH, Übernahmeangebote; Aufbau eines konzernweiten Informationssystems; Einrichtung eines Konzern-Controllings und einer Konzern-Revision; Konzernfinanzierung inkl. einer konzernweiten Liquiditätsplanung und Liquiditätskontrolle; Festlegung von Zustimmungsvorbehalten. V. Art der Überwachung

All das hat der Aufsichtsrat der Obergesellschaft zu überwachen. Wie aber macht er das? Im Prinzip genauso wie bei der Obergesellschaft selbst. Es geht um Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, also Organisation und Planung, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Konzernleitung. Wie aber erreicht der Aufsichtsrat das, wo er doch von den Töchtern noch weniger aus eigener Anschauung weiß als von der Obergesellschaft? Wiederum wie bei der (Ober-)Gesellschaft selbst in erster Linie also durch Berichte des Vorstands. Dazu verpflichtet das Gesetz den Vorstand heute ausdrücklich in § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG. Das Wie dieser Berichte wird dann entweder von Aufsichtsrat und Vorstand gemeinsam erarbeitet oder vom Aufsichtsrat in einer Berichtsordnung für den Vorstand19 festgelegt. Ob man sich dabei am Konzern als Ganzem im Soll-IstVergleich orientiert oder nach Sparten berichtet oder nach den wesentlichen Tochtergesellschaften, hängt ganz vom Einzelfall ab. Auch steht es dem Aufsichtsrat und jedem seiner Mitglieder frei, Ergänzungsberichte anzufordern. Nicht hingegen steht dem Aufsichtsrat das unmittelbare Einsichtsrecht bei den Töchtern zu; das ist eine deutliche Schwächung seiner Informationsmittel. Immerhin hat er Zugriff auf alle den Konzern betreffenden Unterlagen, die sich bei der Obergesellschaft befinden, insbesondere der Konzern-Revision und des Konzern-Controllings. Im Einzelnen:

19 Dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 100 ff. und Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 311 ff.

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1. Rechtmäßigkeit der Konzernleitung Es gehört zu den Pflichten des Aufsichtsrats im Konzern, den Vorstand anzuhalten, auf die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung bei den Konzerngesellschaften zu achten mit seinen – des Vorstands – Mitteln, insbesondere Abberufung von Vorständen und Geschäftsführern der Töchter, gegen Rechtsverstöße dort – Kartellverstöße, Steuervergehen, Bilanzfälschung, Bestechung, Umweltverschmutzung etc. etc. – einzuschreiten: das alles kommt erfahrungsgemäß bei Konzerntöchtern eher vor als bei der Mutter selbst20. Er hat aber auch den Vorstand hinsichtlich der Beachtung von § 311 AktG im faktischen Aktienrechts-Konzern zu überwachen21. 2. Ordnungsmäßigkeit der Konzernleitung

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Hier geht es, wie schon oben angesprochen, um die angemessene Organisation des Konzerns; die Planung im Konzern; den Aufbau eines konzernweiten und einheitlichen Berichtsystems22; den Aufbau einer Konzern-Revision und den Aufbau eines konzernweiten Risiko-Managements sowie die Sicherung der Finanzierung. Das alles hat der Aufsichtsrat zu prüfen und zu werten. 3. Wirtschaftlichkeit

Die vierteljährlichen Berichte des Vorstands über den Konzern enthalten bereits Angaben zu Liquidität und Rentabilität. Diese müssen mit großer Sorgfalt

20 Der Deutsche Corporate Governance Kodex formuliert diese Pflicht des Aufsichtsrats der Obergesellschaft, für die Legalität im Konzern zu wachen, wie folgt: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Unternehmen hin.“ Vgl. dazu Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Aufl. 2005, Rz. 615 ff. und Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 246, 247. Vgl. auch zum „Compliance-Officer“ im Konzern M. Creutz im Handelsblatt vom 12.4.2006, S. 26. 21 Vgl. nur § 314 AktG und dazu BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 52 = AG 2003, 273 – Macrotron. 22 Sind die Untergesellschaften GmbHs oder Aktiengesellschaften, die durch Unternehmensvertrag mit der Obergesellschaft verbunden sind, so ist das rechtlich kein Problem: sie sind an Weisungen des Vorstands der Obergesellschaft gebunden; schwieriger ist es, wenn die Untergesellschaft Aktiengesellschaft ist und Minderheitsaktionäre hat. Vgl. dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 148 ff.

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mit dem Vorstand erörtert werden, um nicht von Ertrags- oder Finanzproblemen in den Konzerngesellschaften überrascht zu werden23. 4. Zweckmäßigkeit Der Vorstand leitet den Konzern, er bestimmt die Organisation. Der Aufsichtsrat kann das nur auf innere Folgerichtigkeit und Plausibilität hin überprüfen. VI. Zusätzliche Mittel des Einflusses und der Überwachung des Aufsichtsrats im Konzern 1. Der Aufsichtsrat hat jederzeit Zugriff auf den Konzern-Abschlussprüfer. Er ist neben dem Vorstand sein [520] wichtigster Informant und Berater in allen Fragen über die Lage des Konzerns, seine Ertragskraft, Liquidität und Verschuldung. Der Aufsichtsrat oder sein Prüfungsausschuss sollten daher regelmäßig und nicht nur das eine Mal im Jahr von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, zu dem das Gesetz ihn in § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG verpflichtet. 2. Der Aufsichtsrat kann sich vom Vorstand den Bericht der internen Konzern-Revision und des Konzern-Controllings vorlegen lassen und sollte das auch regelmäßig tun24. 3. Zustimmungsvorbehalte sind besonders wichtige und effektive Mittel der Überwachung25. Aber der Aufsichtsrat kann sie nicht bei den Töchtern einsetzen, denn er ist nicht ihr Aufsichtsrat, sondern nur beim eigenen Vorstand. Hierfür kommen in Betracht: Zustimmungsvorbehalt für die Konzernplanung; Zustimmungsvorbehalt für jeden relevanten Beteiligungserwerb oder jede relevante Beteiligungsveräußerung; Zustimmungsvorbehalt für die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern in relevanten Tochter-GmbHs; denn das geschieht vom Vorstand kraft der Beteiligung der Obergesellschaft an der Untergesellschaft. Diese Einflussmöglichkeit des Aufsichtsrats „oben“ auf das leitende Personal „unten“ ist besonders wichtig. Bestehen in den Untergesellschaften Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Vorstands der Obergesellschaft, so kann der Aufsichtsrat anordnen, dass be-

23 Wirtschaftliche Unglücke haben ihre Ursache häufig in den – oft ausländischen – Tochtergesellschaften; man denke nur an Klöckner und Metallgesellschaft. 24 Zum verbundweiten Informations- und Kontrollsystem Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 197 ff. 25 Zu ihrer Zulässigkeit und ihren Grenzen ausführlich Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 302 ff.

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stimmte Zustimmungen des Vorstands zu Maßnahmen „unten“ zunächst seiner eigenen vorherigen Zustimmung bedürfen. Beispiel: In einer unserer DAX-Gesellschaften sind die Töchter durch Organschaftsvertrag mit der Mutter verbunden. Hier hat der Vorstand der Obergesellschaft nach § 308 AktG Zustimmungsvorbehalte für geplante Maßnahmen der Vorstände/Geschäftsführer der Töchter festgelegt26. Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft hat gegenüber seinem Vorstand dann nach § 111 Abs. 4 AktG angeordnet, dass dieser bestimmte Zustimmungen nur nach seiner, des Aufsichtsrats, eigenen vorherigen Zustimmung erteilen dürfe. 4. Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft hat den Konzernabschluss in Gegenwart des Konzern-Abschlussprüfers selbst zu prüfen. Das ist eine sehr gewichtige Aufgabe, die in großen und größeren Gesellschaften in einem Prüfungsausschuss vorbereitet werden muss, zumal der Aufsichtsrat über das Ergebnis dieser seiner Prüfung der Hauptversammlung berichten muss, § 171 Abs. 2 AktG. Der Vorsitzende dieses Ausschusses soll daher nach den Empfehlungen des Kodex ein Fachmann der Rechnungslegung sein27. Der Aufsichtsrat erhält auf diesem Wege umfangreiche Informationen über die Lage des Konzerns, über das „Ist“ im Vergleich zur Planung etc. Es ist daher erneut unstreitig, dass der Aufsichtsrat von diesen Möglichkeiten seiner eigenen Information mit Nachdruck Gebrauch machen muss28. 5. Das führt zu einem letzten Aspekt im Zusammenhang mit zusätzlichen Informationsmöglichkeiten des Aufsichtsrats über den Konzern. Bisher war es in der Literatur weitgehend unbestritten, dass der Aufsichtsrat, von seltenen Ausnahmen abgesehen, kein Zugriffsrecht auf das Personal unterhalb des Vorstands hat29; in der Regel konnte er nur den Vorstand bitten, einzelne Personen zur nächsten Sitzung mitzubringen. Ausnahmen galten nur beim Ver-

26 Ausführungen in Kommentaren zu solchen Zustimmungsvorbehalten auf der Grundlage von § 308 AktG könnten missverstanden werden. Die Ausführungen von Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 308 AktG Rz. 23 und Hüffer, 6. Aufl. 2004, § 308 AktG Rz. 10 gegen Altmeppen in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2000, § 308 AktG Rz. 11 betreffen nicht, wie man vielleicht meinen könnte, die Zulässigkeit solcher Zustimmungsvorbehalte, sondern die Frage, ob diese alleine schon ausreichen, um den Vertrag zum Beherrschungsvertrag zu qualifizieren. 27 Deutscher Corporate Governance Kodex, Ziff. 5.3.2. 28 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 182 ff., 184; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 343 ff. 29 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rz. 69; v. Schenk, NZG 2002, 64, 66; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 15 Rz. 3; Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 AktG Rz. 286; a.A. M. Roth, AG 2004, 1, 9; Scholz/Uwe H. Schneider, 9. Aufl. 2002, § 52 GmbHG Rz. 61; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 512.

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dacht der bewussten Fehlinformation durch den Vorstand oder gar seiner Untreue30. Die Richtigkeit dieser lang tradierten und auch von mir vertretenen Auffassung31 wird neuerdings in Zweifel gezogen: das Gesetz verbiete dem Aufsichtsrat den Zugriff auf das Personal nicht, also stehe es ihm sehr wohl zur Verfügung und müsse dann auch als Informationsquelle benutzt werden32. Richtig ist: das Gesetz verbietet den unmittelbaren Zugriff des Aufsichtsrats auf das Personal „seiner“ Gesellschaft, also der Obergesellschaft – und nur von ihr ist hier die Rede – expressis verbis nicht. Und richtig ist auch: die Informationsbasis des Aufsichtsrats würde sich wesentlich erweitern, würde er das unkontrollierte Gespräch mit dem Personal der zweiten und dritten Stufe suchen und führen können. Zunächst: nichts steht natürlich entgegen, wenn der Aufsichtsrat oder sein Bilanzausschuss den Vorstand bittet, den Leiter der Konzernrevision zur nächsten Sitzung mitzubringen, etwa um das Risiko-Vorsorge-System im [521] Konzern zu erläutern. Der Vorstand kann dann entscheiden, ob er an diesem Gespräch teilnimmt oder nicht. Daher steht auch nichts entgegen, wenn – wie das neuerdings vorkommt33 – Aufsichtsrat und Vorstand eine Vereinbarung treffen über die regelmäßige Teilnahme bestimmter Mitarbeiter an bestimmten Aufsichtsrats- oder Ausschusssitzungen. Es steht dann erneut dem Vorstand frei, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen. Im Übrigen aber bleibe ich bei meiner im Grundsatz ablehnenden Haltung gegenüber einem unmittelbaren, mit dem Vorstand nicht abgesprochenen direkten und regulären Zugriff des Aufsichtsrats auf das Personal der Gesellschaft. Und das aus folgenden Gründen: a) Vorstand und Aufsichtsrat sind keine Gegner, sind keine Antagonisten, sondern Organe der Gesellschaft mit unterschiedlichen Funktionen. Sie arbeiten, nach der Formulierung des Kodex, zum Wohle des Unternehmens eng zusammen34. Würde man sie als Gegner sehen, wäre das ein Unglück für die Gesellschaft. Allgemein wird daher auch von der Pflicht der beiden Organe zu intensivem und vertrauensvollen Zusammenwirken gesprochen35. Die aber wäre schlechthin nicht vorstellbar, müsste der Vorstand davon ausgehen, dass einzelne Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 310 ff. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 310 ff. 32 So vor allem Roth, AG 2004, 1 ff.; Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, vor allem S. 158 ff.; Kropff, NZG 2003, 346, 350; Kropff in FS Raiser, 2005, S. 225, 242; differenzierend Dreher in FS Ulmer, 2003, S. 87 ff. 33 Vgl. Roth, AG 2004, 1, 9 f. 34 Kodex, Ziff. 3.1. 35 Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Aufl. 2005, Rz. 359; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 767. 30 31

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Aufsichtsratsmitglieder im Auftrag des Aufsichtsrats ohne seine Kenntnis Informationen und dazu naturgemäß auch Wertungen bei einzelnen Angestellten einsammeln würden. Das ist keine Basis für Vertrauen36. b) Die neue Auffassung stützt sich auch auf entsprechende Erfahrungen in den USA und Großbritannien37. Das ist problematisch. Denn im unitarischen System des amerikanischen und englischen Board ist dieser der Vorgesetzte aller Mitarbeiter, hat also diesen gegenüber die Stellung und die Rolle unseres Vorstands. Das Gespräch mit Mitarbeitern und die Gewinnung von Informationen bei ihnen ist daher dort die natürlichste Sache der Welt. Der Aufsichtsrat im dualen System aber ist mitnichten der Vorgesetzte des Personals, im Gegenteil, er hat gerade keine Anordnungs- und Weisungsrechte. Die Frage ist daher im deutschen Recht allein aus dem sensiblen Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat zu beantworten. Und da ist im Hinblick auf das duale System Vorsicht und Zurückhaltung geboten. c) Die Gegenmeinung öffnet im Übrigen eine Büchse der Pandora. Denn wenn das Personal dem Aufsichtsrat jederzeit für Informationen zur Verfügung steht, dann ist das nicht nur ein Recht des Aufsichtsrats, sondern seine Pflicht, davon auch Gebrauch zu machen. Dann aber weiß niemand mehr, wo die Informationspflicht des Aufsichtsrats endet. Und bei wirtschaftlichen Unglücken liegt der Vorwurf an den Aufsichtsrat und seine Mitglieder nahe, sie hätten das durch weitergehende Fragen bei den Mitarbeitern verhindern können – ein Vorwurf, der sich praktisch nie entkräften lässt38. d) Folgt man dennoch dieser neueren Ansicht, so müssten die Mitarbeiter ihrerseits verpflichtet sein, dem Aufsichtsrat Auskunft zu geben. Ob das so einfach der Fall ist, erscheint mir mehr als zweifelhaft: der Aufsichtsrat ist nicht der Vorgesetzte des Personals und ist ihm gegenüber ohne Weisungsrecht und ohne Vertretungsmacht. Die Pflicht zur Aussage müsste daher vom Vorstand angeordnet werden. Das aber führt dann zu einer für diese Mitarbeiter schwierigen Situation; denn sind sie kritisch und erfährt es der Vorstand, so ist ihres Bleibens im Unternehmen nicht mehr lange. Bleiben sie aber dem Vorstand gegenüber loyal, ist die Informationslage für den Aufsichtsrat schlechter, weil schiefer als zuvor.

36 So auch Dreher in FS Ulmer, 2003, S. 102. Der spätere Reichskanzler v. Caprivi trat 1886 als Chef der Admiralität zurück, weil Kaiser Wilhelm II Untergebene v. Caprivis ohne dessen Wissen konsultiert hatte; vgl. Gordon A. Craig, Deutsche Geschichte 1866–1945, München 1996, S. 210 f. 37 So vor allem Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, vor allem S. 158 ff.; aber auch Roth, AG 2004, 1 ff. 38 Im Balsam-Fall führte der Vorwurf, der Aufsichtsrat hätte beim Vorstand weiter nachfragen müssen, zur Haftung des Aufsichtsrats; vgl. LG Bielefeld v. 16.11.1999 – 15 O 91/98, WM 1999, 2457 = AG 2000, 136.

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VII. Haftung Alles was ich hier genannt habe, sind Rechtspflichten des Aufsichtsrats der Obergesellschaft. Lässt er sich die Konzernplanung nicht vorlegen, lässt er sich nicht mindestens vierteljährlich nach den gesetzlichen Vorgaben über den Konzern berichten, so handelt er per se pflichtwidrig39. Das Ob ist Rechtspflicht, das Wie hingegen obliegt seinem unternehmerischen Ermessen. Das gilt insbesondere für die Gestaltung der Berichtsordnung. Er hat den Vertrag mit dem KonzernAbschlussprüfer zu schließen; das ist Rechtspflicht; sein Inhalt unterliegt seinem Ermessen etc. Herr Habersack hat das auf dem Genfer Juristentag des letzten Jahres sehr schön dargestellt40. Insgesamt aber kann man sagen: Der Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft muss sich schon sehr nachlässig und sehr unprofessionell anstellen, soll er wegen Fehlern bei der Überwachung der Konzerngeschäftsführung des Vorstands in die Haftung kommen. Hält man sich aber die oben dargelegten Pflichten des Vorstands der Obergesellschaft im Konzern vor Augen, so läuft dieser viel größere Risiken. Das haben Uwe H. Schneider und Sven H. Schneider kürzlich sehr gut deutlich gemacht41. Doch das ist nicht mehr unser Thema.

Dazu Lutter, Zeitschrift für Schweizer Recht (ZSR) 124 (2005), II, S. 415, 441. Habersack, Zeitschrift für Schweizer Recht (ZSR) 124 (2005), II, S. 533 ff. 41 Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, AG 2005, 57 ff. 39 40

Das unvollendete Konzernrecht* IN: BITTER/LUTTER/PRIESTER/SCHÖN/ULMER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR

KARSTEN SCHMIDT, KÖLN 2009, S. 1065-1076 Karsten Schmidt ist nicht nur ein juristisches Universal-Genie1, er ist auch ein großer Musikkenner. Und so weiß er natürlich, dass bis heute die Frage nicht sicher beantwortet werden konnte, ob Schuberts „Unvollendete“ nicht vielleicht doch vollendet ist. Genau dieser Frage soll hier für das Konzernrecht nachgegangen werden. 1. Träger des wirtschaftlichen Geschehens auf der Welt sind die Unternehmen2. Ihr Bild aber schwankt in der Geschichte. War lange Zeit der Einzelkaufmann bestimmend – von Fugger über die Buddenbrooks bis zu Krupp –, so verlangte schon der Bau und die Ausrüstung eines Schiffes, das nach Ostindien segeln sollte, das Zusammengehen Mehrerer. Ein neuer Schub in diese Richtung geschah im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung, vor allem aber mit dem Bau der Eisenbahnen: hier war die Finanzkraft Einzelner oder Weniger endgültig überfordert. Die Antwort der Juristen darauf war die Aktiengesellschaft als Sammelbecken für das Kapital Vieler – eine geniale Erfindung, sage niemand, Juristen würden keine Erfindungen machen3. Aber auch das war noch lange nicht das Ende der Geschichte. Zum einen erweiterten diese Aktiengesellschaften ihre Geschäftsfelder – die EisenbahnGesellschaften investierten in Immobilien und gründeten dafür eigene Tochtergesellschaften, die Elektrizitätswerke bauten ihre Netze auf sowie die regionalen und örtlichen Vertriebsgesellschaften und gründeten Tochtergesellschaften dafür, die Stahlwerke merkten, dass man an der Veredelung des Roheisens viel mehr verdienen kann und gründeten Tochtergesellschaften für Edelstahl über Aufzüge * Das Manuskript ist aus einem Vortrag am 21. April 2008 vor der Juristischen Fakultät der Universität Jena hervorgegangen; die Vortragsform ist beibehalten. Ich widme diese Überlegungen meinem Freund und Bonner Nachfolger, meinem Mitherausgeber und Kollegen Karsten Schmidt in herzlicher Verbundenheit. 1 Vgl. dazu den schönen und gelungenen Bericht von Bitter über Karsten Schmidt in Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 2, 2008. 2 Dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 4 S. 63 ff. 3 Zur Geschichte der AG vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 26 II S. 758 ff.; vgl. auch Hueck/Windbichler, Gesellschaftsrecht, 21. Aufl. 2008, § 25 III Rz. 25 ff. und Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 2 Rz. 1 ff.

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bis zum Bau ganzer Industrieanlagen. Das Tempo dieser Entwicklung vervielfachte sich mit der Öffnung der Grenzen und der Möglichkeit zur Gründung von Tochtergesellschaften weltweit. So entstanden Sonnensysteme mit nicht nur acht, sondern Hunderten von Planeten, die von ihrer Mutter-Sonne streng auf Bahn gehalten werden: Ford in Deaborn/USA hat auf jedem Kontinent eine zentrale Tochtergesellschaft, so auch eine in London, die ihrerseits Tochtergesellschaften in allen europäischen Ländern hat und leitet [1066] inkl. der deutschen Ford AG in Köln. Diese „Konzern“ oder „(Unternehmens-)Gruppe“ genannten Gebilde sind also Realität, legale Realität und erfolgreiche Realität4. Kurz: Weltweit ist nicht mehr die Aktiengesellschaft die Organisationsform großer und international tätiger Unternehmen, aber durchaus auch mittelständischer Unternehmen, sondern der Konzern5. Während nun aber die Einzel-AG von den Gesetzgebern dieser Welt minutiös geregelt wird – zuletzt in Großbritannien mit weit über 1000 Artikeln im neuen Companies Act6 – ist der Konzern im wesentlichen ein weißer Fleck auf der weltweiten Landkarte des Rechts7. 2. Im Wesentlichen; denn Deutschland gehört zu den ganz wenigen Ländern auf der Welt, die in den §§ 291 ff. AktG über ein gesetzlich geregeltes Konzernrecht verfügen. Aber hier kommt schon die erste Einschränkung: es gilt nur für Aktiengesellschaften. Immerhin. Dieses Konzernrecht des AktG von 1965 unterscheidet zwischen dem sog. Vertragskonzern, in dem sich zwei oder mehr Gesellschaften, wie der Name besagt, vertraglich zu einem Konzern verbinden, mit – in der Regel – einer herrschenden Gesellschaft – sagen wir der Lufthansa AG – und einer oder mehreren von ihr abhängigen Gesellschaften – sagen wir ihrer Tochtergesellschaft Lufthansa Service AG. Von diesem Vertragskonzern wissen wir, wie er von Rechts wegen gegründet und geleitet wird und wie die wirtschaftlichen Risiken in ihm verteilt sind8. Sehr viel häufiger sind aber die sogenannten faktischen Konzerne. Auch sie bestehen in der Regel aus einer herrschenden Gesellschaft – sagen wir der VW AG – und mindestens einer abhängigen Gesellschaft – sagen wir der AUDI AG. Hier besteht kein Vertrag. Aber die herrschende Gesellschaft hält an der abhängigen AG die Mehrheit der Aktien oder gar alle Aktien und kann auf diese Weise den Aufsichtsrat der AUDI AG so besetzen, dass über dessen Personalpolitik – sprich: die Besetzung des Vorstands in der Tochter – eine Leitung der beiden Unternehmen nach einheitlichen Grundsätzen erfolgen kann. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 674 ff. Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 1 („Der Konzern … beherrscht die Unternehmenspraxis“). 6 Vgl. dazu C. Just (Hrsg.), Englisches Gesellschaftsrecht, Textausgabe, 2008. 7 Theisen (Fn. 4), S. 75 ff.; Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 676 ff.; Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, 1994. 8 Eingehend dazu Raiser/Veil (Fn. 3), § 54 Rz. 1 ff. 4 5

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Das AktG von 1965 hat hier klar die Risiken für die Aktionäre der abhängigen AG und deren Gläubiger erkannt. Denn wenn die Mutter einheitlich leitet, dann wird das in ihrem Interesse oder im Interesse des Verbundes geschehen, nicht notwendig aber im Interesse der abhängigen Gesellschaft. Diese Risiken zu vermeiden oder sie auszugleichen, wenn sie sich denn realisiert haben sollten, hat das AktG von 1965 in den §§ 311 ff. viel getan und war dabei, so kann [1067] man annehmen, insgesamt recht erfolgreich9. Jedenfalls hat es in den gut 40 Jahren seither nicht ein einziges Verfahren auf Schadensersatz gegen die Mutter gegeben, obwohl die Normen scharf sind (§§ 317, 318 AktG) und sogar jeder Minderheitsaktionär der Tochter deren etwaigen Anspruch geltend machen kann (§§ 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 mit § 309 Abs. 3-5 AktG) – eine dem Aktienrecht sonst ganz und gar fremde sog. actio pro societate. Dieser Schutz von Gläubigern und Aktionären der abhängigen Gesellschaft ist nicht mein Thema. Mir geht es um die Organisation und Leitung dieses Verbundes von zwei oder mehr Unternehmen. Davon aber handelt die geschriebene Rechtsordnung nicht. Und genau das interessiert mich. 3. Dazu eine Vorbemerkung. Unsere Freunde von den Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten betrachten den Konzern, also die Verbindung aus zwei oder mehr – in der Praxis bis zu 1000 und mehr – rechtlich selbständigen Gesellschaften ganz selbstverständlich als ein Unternehmen10. Die rechtliche Struktur dieses einen Unternehmens – mag es Herr Krupp persönlich oder die e-on AG mit ihren 1000 Tochter-, Enkel- und Urenkelgesellschaften sein – interessiert sie nicht sonderlich. Dieser unverfälschte Blick auf die Realität fasziniert und ihm folge ich für meine künftigen Überlegungen. 4. Wenn man jetzt zur rechtlichen Betrachtung zurückkehrt, dann müsste dieses eine Unternehmen ja in bestimmter Weise verfasst sein. Schon in den ganz frühen Erscheinungsformen der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft beschäftigte man sich vor 200 und mehr Jahren mit der Frage, wie diese gegründet werden, durch welche Organe mit welchen Befugnissen sie geleitet und wie sie eines Tages beendet – juristisch: liquidiert – werden. Obwohl aber der Konzern heute national und international die mit weitem Abstand verbreitetste Form der Unternehmen ist11, hat dieses Unternehmen doch weder national und noch viel weniger international eine gesetzliche Verfassung, hat keine Regeln über

9 Vgl. dazu Hommelhoff in Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, Bd. I, 1992, S. G 1, G 19 ff. sowie Hoffmann-Becking, ibid. Band II, S. R 8, R 31 f. und Zöllner, ibid., S. R 35, 54. 10 Etwa Bleicher, Forderungen strategischer und struktureller Unternehmensentwicklung an die rechtliche Konzipierung des Konzerns, in Druey (Hrsg.), Konzernrechtsgespräch, 1988, S. 55, 69; Theisen (Fn. 5), S. 22 m. w. N. 11 Ordelheide, Der Konzern als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Forschung, BFuP 1986, 293 ff.

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seine Entstehung, seine Organe und deren Kompetenzen und sein Vergehen12 – von der schon erwähnten Ausnahme des deutschen Vertragskonzerns einmal abgesehen. Sieht man die 400 Paragraphen des AktG und die über 1000 Artikel des neuen englischen Companies Act, so ist das schon sehr merkwürdig. Denn natürlich braucht ein solches Gebilde irgendeine rechtliche Ordnung; man denke nur daran, dass der Kartellverstoß bei ThyssenKrupp von einer Enkelgesellschaft ausging und die Bestechungsgelder bei Siemens auf der Ebene von Enkel- und Urenkelgesellschaften eingesammelt wurden; dennoch wird das alles ganz [1068] selbstverständlich etwa vom Ordnungsrecht der Konzernspitze ThyssenKrupp und Siemens zugerechnet13. Obwohl die fraglichen Dinge irgendwo in Ägypten, Italien und der Schweiz passiert sind, haben Herr Kleinfeld und Herr von Pierer ihre Ämter an der Münchener Spitze abgeben müssen. Dafür muss es rechtliche Gründe geben. Und die gibt es auch. 5. Zunächst einmal kennt das deutsche Recht – wie schon gesagt und gefolgt auf der ganzen Welt nur von Brasilien, Kroatien, Portugal, Slowenien, Taiwan und Ungarn14 – den Vertragskonzern. Dieser Vertrag erfordert die Zustimmung der Gesellschafter beider Gesellschaften und regelt daneben die Verteilung der wirtschaftlichen Risiken und den Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern. Und er kann natürlich gekündigt werden. Diese Regeln zur Bildung, Leitung, Haftung und Auflösung kann man durchaus als die Verfassung dieses Verbundes verstehen – wie man ja auch von der Verfassung einer AG spricht. Aber sie ist nur ein Angebot an die Gesellschaften, keine Pflicht. 6. Die Gründung eines solchen Vertragskonzerns ist den meisten Unternehmen zu aufwendig und zu teuer. Deswegen ist auch bei uns der sogenannte faktische Konzern die Regel; und international gibt es überhaupt nur ihn. Ausgangspunkt ist hier die mehrheitliche oder oft 100%ige Beteiligung einer Gesellschaft an einer anderen, also VW an AUDI, Siemens an Osram, ThyssenKrupp an der ThyssenKrupp Aufzüge GmbH, etc. Und diese mehrheitliche Beteiligung gibt der Obergesellschaft genügend rechtliche und faktische Möglichkeiten, um aus den beiden (oder vielen) Gesellschaften einen aus der Obergesellschaft heraus geführten Verbund – oder wie die Wirtschaftswissenschaftler sagen: ein Unternehmen – herzustellen. So einfach ist das bei uns und auf der ganzen Welt – unerhört leistungsfähig und unerhört flexibel. Jetzt aber beginnen die Fragen: Darf der Vorstand einer AG oder der Geschäftsführer einer GmbH das Geld seiner Gesellschaft zur Gründung oder zum Kauf von Tochtergesell12 So etwa mit Erstaunen von dem Wirtschaftswissenschaftler Küting konstatiert: Stichwort „Konzern“ in Wirtschaftslexikon, 1994, S. 1198. 13 Vgl. § 30 OWiG und dazu König in Göhler, 14. Aufl. 2006, § 30 OWiG Rz. 9 ff., 13 ff. 14 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 679.

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schaften einsetzen, statt es für die eigenen Aktivitäten seiner Gesellschaft zu verwenden? Wenn Vorstand und Geschäftsführer der Obergesellschaft die Tochter dann also haben, müssen sie diese Tochtergesellschaft in den Verbund integrieren und leiten, oder können sie sich auch wie ein desinteressierter Aktionär verhalten und nur die jährliche Dividende einkassieren? Muss der Aufsichtsrat die Konzernleitung des Vorstands überwachen und wie macht er das? Dürfen Vorstand und Geschäftsführer der Obergesellschaft die fragliche Tochter einfach wieder verkaufen? In Aktiengesellschaft und GmbH treffen die Gesellschafter in ihrem Organ Hauptversammlungen bzw. Gesellschafter-Versammlungen die wesent- [1069] lichen unternehmerischen Entscheidungen wie z.B. Verschmelzung mit einer anderen Gesellschaft, die Aufspaltung des Unternehmens oder die Liquidation. Der Konzern hat aber keine Gesellschafterversammlung oder Hauptversammlung. Was gilt da? Anders gewendet: Der Konzern existiert, er ist national und international führend und besonders erfolgreich. Aber er hat keine von der Rechtsordnung gesetzte Verfassung – und das nahezu nirgends auf der Welt. Die Fragen aber bleiben. Versuchen wir also, sie zu beantworten. Das ist das Besondere an der Jurisprudenz, dass sie Rechtsfragen auch ohne gesetztes Recht beantworten kann und muss – Großbritannien hat viele Jahrhunderte ohne gesetztes Recht gelebt und doch eine hoch entwickelte und leistungsfähige Rechtsordnung gehabt, indem die Juristen den Blick von rechts nach links wandern ließen, immer auf der Suche nach ähnlichen, früher schon einmal entschiedenen Fragen15. Versuchen wir also, in ähnlicher Weise vorzugehen. 7. Einigkeit herrscht in der Literatur, dass Vorstände und Geschäftsführer den in der Satzung der Gesellschaft notwendigerweise festgelegten Unternehmensgegenstand – also Herstellung und Vertrieb von Maschinen, Führung von Bankgeschäften etc. – in ihrer Gesellschaft selbst verwirklichen müssen die ihnen gestellte Aufgabe also nicht einfach Tochtergesellschaften überlassen dürfen16. Aber: Einigkeit besteht zu Recht auch darüber, dass die Satzung der AG oder GmbH genau das erlauben kann – bis hin zur Holding, die bekanntlich selbst überhaupt nicht am Markt auftritt, sondern das operative Geschäft nur durch ihre Tochter- und Enkelgesellschaften machen lässt – so heute etwa die Allianz AG und die ThyssenKrupp AG. 15 Vgl. dazu Williams, Learning the Law, 13. Aufl. 2006, und Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 7. Aufl. 2003. 16 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 8. Aufl. 2005, § 9 I 1; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, Vor § 311 AktG Rz. 11; Krieger in MünchHdb. Gesellschaftsrecht, Bd. 4 Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2007, § 69 Rz. 7 f.

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Enthält die Satzung also diese sogenannte Konzernklausel, so können Vorstand und Geschäftsführer Tochtergesellschaften gründen oder kaufen17. 8. Scheinbar schwieriger ist die zweite Frage nach der Pflicht des Vorstands zur Organisation und Leitung des Verbundes. Noch vor 25 Jahren wurde eine solche Pflicht allgemein abgelehnt, bis Peter Hommelhoff mit seinem Buch über die Konzernleitungspflicht mit dieser fehlsamen Lehre aufgeräumt hat18. Denn das Vermögen der Gesellschaft dient der unternehmerischen Verwirklichung ihres Gegenstandes durch ihre Organe. Geschieht das aufgrund der Konzernklausel auch in Tochtergesellschaften, so bleibt doch die Leitungspflicht beim Vorstand der Obergesellschaft. Denn diese Tochtergesellschaften sind und [1070] bleiben unternehmerisches Vermögen der Obergesellschaft und dafür sind deren Organe zuständig und verantwortlich19. Vorstand oder Geschäftsführer der Obergesellschaft werden so zwangsläufig zum Vorstand oder Geschäftsführer des Konzerns. Auch das kann durch die Satzung geändert werden. Es geschieht selten. Aber immerhin gibt es in Berlin eine Elektro Holding AG, die sich laut Satzung nichtunternehmerisch, also nur durch Minderheitsbeteiligungen an Stromerzeugern beteiligt. Hier hat der Vorstand keine Leitungspflicht, sondern kann sich auf die Rolle eines engagierten Aktionärs zurückziehen. Aber das ist die ganz seltene Ausnahme. 9. Noch viel schwieriger erschien lange Zeit die Frage nach der Aufsicht und Kontrolle im Konzern. Ebenso wenig wie der Konzern als solcher einen Vorstand oder einen Geschäftsführer hat, so wenig hat er einen Aufsichtsrat. Den Aufsichtsrat der Obergesellschaft aber hielt man lange Zeit dafür nicht für zuständig20. Auch diese Auffassung hat sich seit etwa 10 Jahren nach zäher Vorarbeit in der Literatur21 geändert und ist heute vom Gesetz ausdrücklich akzeptiert, § 90 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AktG in der Neufassung durch das KonTraG von 1998. Denn tatsächlich gehören die Konzerngesellschaften ja mehrheitlich oder ganz der Obergesellschaft, sind deren Vermögen, das unternehmerisch eingesetzt Vgl. dazu BGHZ 159, 30, 36 „Gelatine II“. Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982. 19 Man denke nur an die häufigste Form der Holding, die sog. Führungs- oder Management-Holding; bei ihr ist die Leitung der Gruppe der alleinige Grund ihres Seins. Und als Leitungszentrale werden die Deutsche Bahn AG, die MAN AG, die Allianz AG und wie sie alle heißen, in der Öffentlichkeit auch wahrgenommen. Vgl. dazu Lutter, Begriff und Erscheinungsform der Holding, in Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch, 4. Aufl. 2004, Rz. 1 ff., 16. 20 So etwa Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973, § 90 AktG Anm. 3. 21 Vgl. etwa Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1979, S. 28 ff., und 3. Aufl. 2006, Rz. 148 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 131 ff.; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249 ff.; Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 158 ff., 2. Aufl. 1996, S. 233 ff., 271 ff.; zuletzt Lutter, Der Aufsichtsrat im Konzern, AG 2006, 517, je m. allen Nachw. 17 18

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wird unter der Leitung ihres Vorstands. Dieser ist dabei für die Obergesellschaft tätig. Und in allem, was er für die Obergesellschaft tut, unterliegt er der Überwachung durch seinen Aufsichtsrat. Wie der Vorstand der Obergesellschaft kraft seiner Leitungspflicht zum Vorstand des Verbundes, des Konzerns wird, so wird der Aufsichtsrat kraft seiner pflicht, diesen Vorstand zu überwachen, zum Konzern-Aufsichtsrat. Diese erst vergleichsweise junge Erkenntnis hat ungemein weitreichende Folgen. Denn plötzlich ist dieser Aufsichtsrat nicht nur zur Überwachung des Vorstands in seinem direkten Handeln für die Obergesellschaft zuständig, sondern ebenso für dessen Leitung des Verbundes. Der Aufsichtsrat der Allianz AG hat sich also nicht nur um die Allianz AG zu kümmern, sondern auch um den ganzen und riesigen Allianz-Konzern mit mehr als 180000 Mitarbeitern weltweit, um dessen Strategie, Finanzierung, Ertragskraft und Gesetzestreue – neudeutsch: Compliance genannt. Im neuen Vorstand von Siemens ist ein Mitglied zuständig für die Einhaltung von Recht und Gesetz im ganzen SiemensKonzern – auch bei der [1071] Tochter- oder Enkelgesellschaft in Peking oder Tokyo, in San Francisco, Toronto oder St. Petersburg. Und weil das so ist, hat der Vorstand der Obergesellschaft den Aufsichtsrat nicht nur über diese, sondern über den gesamten Konzern und seine Teile zu informieren, muss über die verlustträchtige Enkelin in den USA ebenso wie über die erfolgreiche Tochter in China und Indien berichten und darlegen, was er zur Verbesserung der Situation in den USA unternommen hat oder unternehmen will, § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Aufgaben des Aufsichtsrats einer Konzern-Obergesellschaft sind infolge dieser Erkenntnis ungewöhnlich stark gewachsen, und ich zweifle sehr, ob sich das bei allen Aufsichtsräten schon ausreichend herumgesprochen hat. Daher ist es auch richtig, wenn man nicht nur den Vorstand von Siemens verantwortlich macht für Unrecht in irgendwelchen Enkelgesellschaften in Ägypten, Italien oder der Schweiz, sondern genauso nach der Verantwortung des Aufsichtsrats von Siemens dafür fragt. 10. Von all dem, was ich bisher zur Leitung und Aufsicht im faktischen Konzern unter einer deutschen Obergesellschaft vorgestellt habe, steht nur die oben schon erwähnte Pflicht des Vorstands der Obergesellschaft zur Information seines Aufsichtsrats über den Konzern im Gesetz. Und doch sind meine Aussagen rechtliche Aussagen, die durch Wertungen und Fortdenken aus den Antworten des geschriebenen Rechts gewonnen werden konnten. Diese Aussagen sind heute nach anfänglich strikter Ablehnung von der juristischen Community sehr weitgehend akzeptiert. Es bleiben allenfalls Nuancen, die Grundaussagen aber entsprechen heute der herrschenden Meinung22. 22 Vgl. statt aller Semler in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 AktG Rz. 220 ff.; ebenso Habersack, ibid., 3. Aufl. 2008, § 111 AktG Rz. 52 ff.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG,

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Umso mehr muss uns interessieren, ob das auch für die beiden uns verbleibenden Fragen gilt: dürfen Vorstand und Geschäftsführung die von ihnen gegründeten, entwickelten oder gekauften Tochtergesellschaften auch wieder verkaufen? Darf der Vorstand von Siemens die Osram GmbH, der Vorstand von VW die AUDI AG so ohne weiteres verkaufen? Und wie steht es um sogenannte Strukturentscheidungen: der Vorstand von VW will AUDI nicht verkaufen, sondern mit MAN verschmelzen. Darf er das all eine machen oder braucht er dazu die Zustimmung seiner Hauptversammlung? Für Kenner verbinden sich diese Fragen mit den BGH-Entscheidungen Holzmüller23 und Gelatine24. Ehe ich aber dazu im Einzelnen komme will ich versuchen, das rechtliche Umfeld zu klären. [1072] Das deutsche Umwandlungsgesetz von 1994 ist ein großer Gewinn für die deutsche Unternehmensrechtsordnung. Es regelt die Verschmelzung, die Spaltung, die Ausgliederung und den Formwechsel von Unternehmen. Seine außerordentlich liberale Struktur erlaubt alle diese Maßnahmen der Umorganisation und Umstrukturierung von Gesellschaften, aber alle nur mit Zustimmung der Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften, je mit satzungsändernder Mehrheit25. Einige weitere solche Maßnahmen sind im AktG geregelt, wie Unternehmensvertrag, Eingliederung und Squeeze-out: auch sie sind gekennzeichnet durch die Notwendigkeit einer Zustimmung der Aktionäre mit jeweils mindestens satzungsändernder Mehrheit26. 11. Betrachten wir auf diesem Hintergrund nun die Fälle Verschmelzung und Verkauf von AUDI. Für die Verschmelzung von AUDI mit MAN stehen zwei Wege zur Verfügung: AUDI wird aus dem Vermögen von VW förmlich abgespalten und mit MAN verschmolzen. VW erhält entsprechend Aktien an MAN. AUDI wird direkt mit MAN verschmolzen und VW erhält entsprechend Aktien an MAN. Im ersteren Falle unterliegt der Vorgang dem Umwandlungsgesetz und bedarf der Zustimmung der Hauptversammlung von VW27; im letzteren Fall schweigt das Gesetz28. Dieses Schweigen gilt auch beim schlichten Verkauf von AUDI, durch den VW Geld statt MAN-Aktien erhält. 4. Aufl. 2005, § 111 AktG Rz. 369 ff.; Drygala in Karsten Schmidt/Lutter, 2008, § 111 AktG Rz. 21 ff. 23 BGHZ 83, 122, und dazu Lutter, Organzuständigkeit im Konzern, in FS Stimpel, 1985, S. 825 ff. 24 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575, und BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860. 25 Lutter/Drygala in Lutter, 4. Aufl. 2008, § 13 UmwG Rz. 21. 26 §§ 293, 319, 327a AktG. 27 §§ 125, 165 UmwG. 28 Natürlich muss die Hauptversammlung von AUDI zustimmen. Aber das ist der Vorstand von VW.

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Betrachten wir die Situation aus der Sicht eines Anlegers, so könnte der sagen: eigentlich hatte ich mich an AUDI und seinen großen Markterfolgen beteiligen wollen. Aber das ging nicht, denn AUDI gehört zu 100% VW; es gibt keine AUDI-Aktien am Markt. Daher habe ich VW-Aktien gekauft. Wenn jetzt AUDI andere Wege gehen soll, dann will ich gefragt werden. Und so sieht es auch das Gesetz in dem von ihm geregelten Fall der Abspaltung. 12. Wir haben oben beim Vorstand und beim Aufsichtsrat die nur für die einzelne AG geregelten Rechte und Pflichten in den ungeregelten Konzern hinein „verlängert“ und sind so zu stimmigen und weitgehend akzeptierten ungeschriebenen Rechtsregeln für einen Konzernvorstand und einen Konzernaufsichtsrat gekommen. Es ist daher nur konsequent, wenn wir nunmehr beim dritten Organ, der Hauptversammlung, in ähnlicher Weise argumentieren. Wir entnehmen Wertentscheidungen des Gesetzes aus parallelen Vorgängen und sagen: Abspaltung, Verschmelzung und Verkauf von Tochtergesellschaften sind strukturell gleiche oder mindestens vergleichbare Veränderungen. Dann kann die Frage einer Mitwirkung der Hauptversammlung doch nicht davon abhängen, welchen Weg der Vorstand von VW geht. Anders gewendet: Es steht dem Vorstand doch gewiss nicht zu, durch die Wahl des rechtlichen Weges über die [1073] Mitwirkung oder Nicht-Mitwirkung seiner Hauptversammlung zu entscheiden. Sind vergleichbare Sachverhalte teils vom Gesetz geregelt, teils nicht geregelt, so müssen die offenen Fragen durch Analogie geschlossen werden, nicht in Analogie zu einer bestimmten Figur, sondern durch eine sogenannte Gesamtanalogie29: bei allen vom Gesetz geregelten Strukturentscheidungen ist die Befassung der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit vorgeschrieben. Das muss dann auch für die nicht geregelten Fälle solcher Strukturentscheidungen gelten30. Gewiss, das alles gilt nur für wirkliche Strukturentscheidungen: de minimis non curat praetor. Es wäre unangemessen, die Hauptversammlung wegen des Verkaufs oder der Verschmelzung einer weniger bedeutsamen Tochtergesellschaft zu bemühen. Man muss hier materiell, nicht formell denken. 13. Wie ist nun der Bundesgerichtshof mit diesem Problem umgegangen? Die erste Entscheidung von 1984, die berühmte Holzmüller-Entscheidung31 hat keinen Gedanken auf die hier angesprochene Gesamtanalogie gerichtet, sondern sich an einer Spezialnorm des geltenden Aktienrechts orientiert. Danach ist die Haupt29 Dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 384: „Gesamtanalogie. Hier wird mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände mit gleicher Rechtsfolge anknüpfen, ein ‚allgemeiner Rechtsgrundsatz’ entnommen, der auf den im Gesetz nicht geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft wie auf die geregelten Tatbestände.“ 30 Vgl. Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 153: „Die Analogie ist als Folge des Gleichheitssatzes gerechtfertigt und somit als Fall der systematischen Auslegung zu bezeichnen.“ 31 BGHZ 83, 122.

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versammlung über die im Gesetz festgelegten Fälle hinaus zur Entscheidung nur befugt, wenn ihm diese vom Vorstand vorgelegt werden, § 119 Abs. 2 AktG. Und dieses freie Vorstands-Ermessen zur Vorlage verdichte sich – so der BGH – zur Vorlagepflicht an die Hauptversammlung, wenn das wertvollste Gut in eine Tochtergesellschaft ausgelagert oder in eine besonders wichtige Tochtergesellschaft fremde Gesellschafter aufgenommen werden sollen. Die Entscheidung hat zur Entstehung einer ganzen Holzmüller-Bibliothek geführt mit zwei Diskussions-Schwerpunkten: trägt der aus dem Verwaltungsrecht übernommene Gedanke über die Schrumpfung des Ermessens auch in diesem gesellschaftsrechtlichen Zusammenhang? Vor allem aber: wo genau liegt die Grenze, bei deren Überschreitung das Kann zur Vorlage an die Hauptversammlung zur Pflicht wird? Denn ein einzelnes besonders wertvolles Gut ist selten: AUDI für VW und Osram für Siemens wären solche Fälle. Meist aber handelt es sich um ganze Geschäftsfelder mit tausenden von einzelnen Gegenständen, wie etwa im Milupa-Fall, wo das Geschäftsfeld Babynahrung einer 100%igen Tochtergesellschaft veräußert werden sollte32. Das Geschäftsfeld machte ungefähr 40% des Gesamtvermögens der Mutter-AG und 40 bis [1074] 50% ihrer Ertragskraft aus. Die einen dachten nur an Extremfälle und sahen die Grenze bei etwa 80%, die anderen, wie ich, in einer de minimis-Betrachtung bei 20 bis 30%. Auf diesem Stand verharrte der Streit 20 Jahre33, ehe der BGH erneut Gelegenheit zur Entscheidung hatte. In seinen beiden Gelatine-Entscheidungen von 200434 verwarf der BGH zunächst einmal den eigenen Ansatz seiner VorgängerEntscheidung aus § 119 Abs. 2 AktG35. Er verwarf aber auch meinen in nun gut 30 Jahren entwickelten Ansatz einer konzernverfassungsrechtlichen Gesamtanalogie36, obwohl dieser Rechtsgedanke in der Literatur mehr und mehr Zustimmung gefunden hatte37, und bekannte sich statt dessen zu einer offenen, aber sehr restriktiven Rechtsfortbildung38: Nur bei einer Mediatisierung der Aktionärsrechte und nur wenn rund 80% des Vermögens der AG davon betroffen sind, soll ausnahmsweise die Hauptversammlung

32 BGH v. 15.1.2001 – II ZR 124/99, NJW 2001, 1277; Vorinstanz OLG Frankfurt v. 23.3.1999 – 5 U 193/97, DB 1999, 1004. 33 Zum Diskussionsstand vor den Gelatine-Entscheidungen des BGH (oben Fn. 24) vgl. Habersack (Fn. 16), Vor § 311 AktG Rz. 33; Hüffer, 6. Aufl. 2004, § 119 AktG Rz. 18; Mülbert in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 119 AktG Rz. 20 ff. 34 Oben Fn. 24. 35 BGHZ 159, 30, 42 f. = NJW 2004, 1860, 1863. 36 Beginnend mit „Zur Binnenstruktur des Konzerns“ in FS Harry Westermann, 1974, S. 347 ff. 37 Vor allem Mülbert (Fn. 33), § 119 AktG Rz. 23, 29 ff. m. w. N. 38 BGHZ 159, 30, 43 = NJW 2004, 1860, 1863 rechte Sp.

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zur Entscheidung zuständig sein39 – dann allerdings mit satzungsändernder Mehrheit. 14. Gegen die Aussage eines Gerichts, es entscheide in offener Rechtsfortbildung, kann man nicht argumentieren. Das ist eine autonome Entscheidung des Gerichts. Ähnliches gilt für die seit der Siemens-Nold-Entscheidung von 199740 erkennbare Tendenz des BGH, dem Vorstand rasche wirtschaftliche Entscheidungen selbst von größter Tragweite zu ermöglichen41, statt sie an Beschlüsse einer schwerfälligen Hauptversammlung zu binden – von den Anfechtungsrisiken unserer „Räuber“ einmal ganz abgesehen42. All das ist verständlich. Verloren gegangen aber ist dabei die Chance, den Schlussstein in das Gebäude eines systematischen und in sich stimmigen Konzernverfassungsrechts zu setzen. Mag das auch nicht die primäre Aufgabe eines Revisionsgerichts sein, den Wissenschaftler betrübt der Verlust dieser Chance um so mehr. 15. Wie also müsste es richtig sein? Kommen wir zur Klärung dieser Frage zurück zu unserer obigen Feststellung, dass der Vorstand der Obergesellschaft zugleich der Vorstand des Konzerns, der Aufsichtsrat der Obergesellschaft zugleich der Aufsichtsrat des Konzerns ist, was ist dann die Aufgabe des dritten Organs, eben der Hauptversammlung der Obergesellschaft? Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir uns streng an ihren gesetzlichen Aufgaben in der Einzelgesellschaft orientieren – genau wie [1075] es bei den Aufgaben des Vorstands im Konzern und des Aufsichtsrats im Konzern geschieht. (1) Da ist zunächst die Konzernbilanz, der Konzernabschluss. Dieser ist – wie der Einzelabschluss – bereits heute zunächst im Aufsichtsrat der Obergesellschaft zu prüfen und ggf. von ihm zu billigen und in der Folge der Hauptversammlung vorzulegen, §§ 171 Abs. 1 und 2, 175 Abs. 2 AktG. (2) Da ist die Wahl des Konzern-Abschlussprüfers; sie erfolgt schon heute durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft, § 318 Abs. 1 Satz 1 HGB. Zwischenfeststellung: Das Gesetz selbst versteht die Hauptversammlung der Obergesellschaft mithin für bestimmte Aspekte als Hauptversammlung des Konzerns und weist ihr Aufgaben zu, die auch in der Einzelgesellschaft ihre Aufgaben sind. Aber gehen wir weiter: (3) Da ist die Gewinnverteilung. Die Konzernbilanz ist jedenfalls heute noch keine Ausschüttungsbilanz; also kann die Hauptversammlung hier nicht tätig werden. Das mag sich in Zukunft ändern.

BGHZ 159, 30, 43 ff. = NJW 2004, 1860, 1863 f. BGHZ 136, 133. 41 BGH, JZ 2007, 371 m. Anm. Lutter. 42 Vgl. dazu Baums, ZIP 2007, 1629 ff. 39 40

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(4) Damit bleiben von den regulären Kompetenzen der Hauptversammlung die Satzungsänderung und die sogenannten Strukturentscheidungen. Da der Konzern keine Satzung hat, kann auch die Hauptversammlung insoweit nicht tätig werden. Andererseits finden ständig sogenannte Strukturentscheidungen43 im Konzern statt: Tochtergesellschaften erhöhen ihr Kapital, verschmelzen mit dritten Gesellschaften oder spalten sich auf – alles Vorgänge, die, würden sie in der Obergesellschaft stattfinden, ganz selbstverständlich die Einschaltung der Hauptversammlung verlangen. Die Frage lautet also: Erkennt man – wie Vorstand und Aufsichtsrat der Obergesellschaft – auch die Hauptversammlung der Obergesellschaft als Quasi-Organ des Konzerns an oder lehnt man das – ganz und gar systemwidrig – ab. Genau das hat der Bundesgerichtshof in der berühmten und oben bereits erwähnten Holzmüller-Entscheidung und erneut in den Gelatine-Entscheidungen von 2004 getan. Im ersten hat er für extreme Sonderfälle aus § 119 Abs. 2 AktG argumentiert, in den letzteren für die gleichen extremen Sonderfälle freie Rechtsfortbildung für sich in Anspruch genommen. Alle drei Entscheidungen aber haben den systematischen Aspekt nicht aufgenommen44, sondern vor allem aus der nach dem Gesetz beschränk- [1076] ten Zuständigkeit der Hauptversammlung argumentiert – ohne zu erkennen, dass diese Vorschrift des § 119 Abs. 1 AktG aus der Idee der unverbundenen Einzelgesellschaft heraus entstanden ist, der Gesetzgeber damals den Konzern und seine tiefgreifenden Besonderheiten aber einfach übersehen und nicht zur Kenntnis genommen hat45. Dieses Ausblenden der Besonderheiten des Konzerns muss mehr und mehr zu Einzelfall- und Fehlentscheidungen führen: Legt man die Aussagen des Bundesgerichtshofs in seinen Gelatine-Entscheidungen zugrunde, dann kann der Vorstand von VW mit AUDI und der Vorstand von Siemens mit Osram machen was er will: Verkaufen, mit Opel fusionieren, an die Börse bringen etc.: eine Einschaltung der Hauptversammlung wäre nicht erforderlich. Das kann schlechterdings nicht richtig sein. Aber nicht nur das: nach weit verbreiteter Meinung soll er auch berechtigt sein, den im Konzern erwirtschafteten Gewinn entgegen dem Rechtsgedanken aus § 58 Abs. 2 AktG beliebig in den 43 Vgl. dazu R. Leinekugel, Die Ausstrahlungswirkungen des Umwandlungsgesetzes, 2000, S. 69 ff. 44 In den Gelatine-Entscheidungen (oben Fn. 24) hat der BGH diese systematische Argumentation mit der Folge einer Gesamtanalogie durchaus gesehen, aber im Hinblick auf die angebliche Nichtigkeitsfolge bei Nichtbefassung der Hauptversammlung abgelehnt. Das wäre verständlich, wäre die Nichtigkeitsfolge denn zwingend. Das aber ist sie nicht. Denn bei ungeschriebenen statt geschriebenen Zuständigkeiten der Hauptversammlung kann dem Aspekt der gewissen Rechtsunsicherheit durch Flexibilität auf der Rechtsfolgenseite Rechnung getragen werden; zutr. Jansen, Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten, 2007, S. 32 ff., 71. 45 Gessler, der „Vater“ des AktG von 1965, hat das in seinem Beitrag zur FS Stimpel, 1985, S. 771, 780 ff. ausdrücklich bestätigt.

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Untergesellschaften einzubehalten46 und beim Verkauf von AUDI über die Börse nicht einmal verpflichtet sein, den eigenen Aktionären ein Vorerwerbsrecht einzuräumen47. Die Besonderheiten im Konzern und die Notwendigkeit einer Einbindung in die Grundaussagen des Unternehmensrechts werden hier schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Das alles kann bei wertender und systematischer Betrachtung nicht richtig sein. 16. Mit dieser Aussage bin ich aber auch schon am Ende. Denn: Roma locuta causa finita. Frühestens in 10 Jahren und in einer gänzlich neuen Besetzung des II. Senats des BGH kann sich die Frage neu stellen. Das war der Grund, weshalb ich meine Überlegungen unter das Motto vom unvollendeten Konzernrecht gestellt habe. Meine Versuche, den Bundesgerichtshof von der Richtigkeit einer Gesamtanalogie und von der Notwendigkeit einer systematisch stimmigen Lösung zu überzeugen, sind gescheitert. Anders gewendet: Das Konzernrecht ist tatsächlich unvollendet; denken wir, wie eingangs, an Schuberts Unvollendete, so fehlt ihm der dritte Satz. Den Stab, ihn zu schreiben, gebe ich an meine jungen Kollegen weiter.

46 So Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2000, § 58 AktG Rz. 58 ff.; Hüffer, 8. Aufl. 2008, § 58 AktG Rz. 17; Werner in FS Stimpel, 1985, S. 935, 941 f.; Goerdeler, WPg 1986, 229, 234 ff.; Beusch in FS Goerdeler, 1987, S. 25 ff.; a. A. Gessler in FS Meilicke, 1985, S. 18, 25 ff.; ders., AG 1985, 287 ff.; Götz in FS Moxter, 1994, S. 573, 576 ff.; vermittelnd Lutter in KölnKomm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 58 AktG Rz. 41 ff.; ders. in FS Goerdeler, 1987, S. 327, 334 ff.; ebenso unter Darstellung des aktuellen Streitstandes Fleischer in Karsten Schmidt/Lutter, 2008, § 58 AktG Rz. 27 ff. und Bayer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 58 AktG Rz. 66 ff., 69. 47 So Emmerich/Habersack (Fn. 16), S. 109 m. allen N. Ganz a.A. Lutter, AG 2001, 349; ders., AG 2001, 349; umfassend jetzt Kowalewski, Das Vorerwerbsrecht der Mutteraktionäre beim Börsengang einer Tochtergesellschaft, 2008.

Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt IN: LIEB/NOACK/H. P. WESTERMANN (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR WOLFGANG

ZÖLLNER, BAND I, KÖLN 1998, S. 363-383 I. Einleitung Wolfgang Zöllner, dem dieser Versuch in herzlicher Freundschaft gewidmet ist, hat wie kein anderer das Recht der Kapitalgesellschaften als partnerschaftliches Recht geprägt und die Gesellschafter als Mitglieder einer von ihnen gemeinsam getragenen Unternehmung verstanden. Der heutige Schutz des Bezugsrechts vor reiner Mehrheitsherrschaft geht ebenso wie die heute akzeptierte Treubindung der Partner untereinander und zum Verband, also betont personale Elemente der Rechtsbetrachtung, auf seine einflußreiche Habilitationsschrift1 zurück: das heute stärker personale Verständnis der Mitgliedschaft hat hier seine Wurzel.2 Nun mag es aber sein, daß sich heute, fast 40 Jahre später, neue Rechtsaspekte zeigen, die diese Erkenntnis gewiß nicht verdrängen, aber in Teilen neben sie treten, daß der Markt personale Aspekte modifiziert. Kurz: vom Einfluß und den Wirkungen des Kapitalmarktrechts auf das Gesellschaftsrecht soll die Rede sein, wobei diese nicht gerade überraschende, aber nun doch einigermaßen plötzliche Entwicklungen in drei Varianten zu erörtern ist: (1) Zum einen geht es um schlichte Überlagerungen; ein neues, rasch wachsendes Rechtsgebiet trifft mit neuen Regeln, neuen Aspekten und neuen Zielen auf einen alt-gewachsenen Rechtsbereich. Das ist für das Recht und seine Anwender an sich nichts besonderes; die Instrumente für die Behandlung solcher Fälle liegen längst bereit.3 (2) Zum anderen geht es nicht nur um die Interpretation neuer Regeln und neuer Wertungen in ihren Auswirkungen auf ein alt-gefügtes Rechtsgebiet, son1 Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, München, 1963. 2 Das geistige Klima in München muß diesen damals neuen Rechtsbetrachtungen förderlich gewesen sein. Denn Wolfgang Zöllners „Brüder“ beim gemeinsamen Lehrer Alfred Hueck haben sich mit ähnlichen Ansätzen beschäftigt; vgl. Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, München 1958, und Herbert Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, 1966, sowie ders., Rechtsethische Maßstäbe in Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, ZGR 1980, 174 ff. 3 Lex posterior derogat legi inferiori; lex specialis derogat legi generali; etc.

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dern auch [364] um Trennung. In der Euphorie des Neuen und seiner Betrachtung wird gerne übersehen, daß der Anwendungsbereich des Neuen limitiert ist: Wie sich vor Kalifornien die heute noch Halbinsel Inverness mehr und mehr vom Festland trennt und bald etwas anderes sein wird als dieses, so trennt sich die neue, börsennotierte Aktiengesellschaft vom Festland der alten Aktiengesellschaft, die selbst aber durch das Neue in ihrem Recht und ihrem Verständnis gerade nicht berührt wird. (3) Und schließlich ist die Frage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen die einzelne Gesellschaft unter die Besonderheiten des neuen Rechts gerät: Niemand braucht ja auf den Markt zu gehen, um seine Produkte dort zu verkaufen. Man muß also wissen, unter welchen Voraussetzungen der Vorstand die Aktien seiner Gesellschaft an der Börse zulassen und seine Gesellschaft mithin den Regeln des neuen Rechts unterwerfen darf; und wann und unter welchen Voraussetzungen er sie dort wieder abmelden kann. Im übrigen: Daß hier von Aktiengesellschaften und Aktienrecht zu handeln ist, liegt auf der Hand. Was aber ist Kapitalmarktrecht? Jedenfalls mehr, als hier interessieren kann. Börsenprospekt und Börsenzulassung, Börsenhandel und Information sind der seit eh und je existierende Hintergrund. Neu aber sind das Insider-Handelsverbot und die Ad-hoc-Publizität, aber auch aktienrechtliche Sonderregeln für börsennotierte oder gerade nicht börsennotierte Gesellschaften.4 Die zuletzt genannten Teile, diese Schnittmenge soll Gegenstand der folgenden Überlegungen sein. II. Veränderungen des Aktienrechts durch Kapitalmarktrecht 1. Ganz und gar symptomatisch für das Überlagerungsphänomen sind die neuen Regeln zur Ad-hoc-Publizität5 nach § 15 WpHG. Danach sind vom Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft kursrelevante Tatsachen unverzüglich zu veröffentlichen. Die Vorschrift geht auf Schema C Abschnitt 5a der EUBörsenzulassungs-Richtlinie vom 5. 3. 19796 zurück und setzt diese Vorgabe heute7 in deutsches [365] Recht um, muß also – darauf wird in der Literatur viel zu wenig hingewiesen8 – im Lichte dieser Richtlinie ausgelegt werden.9 4 Ausführlich Assmann in Großkommentar zum AktG, Einl. Rn. 252, 343 ff. vgl. auch Grundmann, RabelsZ 54 (1990), 283, 285 ff. 5 Dazu aus schweizerischer Sicht auch von Planta, SZW Sondernummer 1997, S. 27, 33. 6 Richtlinie 79/279/EWG ABl. EG Nr. L 66 vom 16. 3. 1979, S. 21 ff., abgedruckt mit ihren verschiedenen Ergänzungen und Änderungen (die aber alle Schema C Abschnitt 5a nicht betreffen) auch bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., S. 528 ff., 532 ff. 7 Früher § 44a BörsG. 8 So findet sich in dem vorzüglichen Kommentar von Assmann/Schneider zum WpHG im ganzen § 15 WpHG nur unter Rn. 1 und Rn. 42 ein Hinweis auf die Börsenzulassungs-

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Die Vorschrift des § 15 WpHG und insbesondere seines Abs. 1 hat schon aus sich heraus Schwierigkeiten genug: Wann ist eine Tatsache geeignet, „den Börsenpreis erheblich zu beeinflussen“, was ist „erheblich“ etc.? Davon ist hier nicht zu handeln. Hier soll es um die Frage gehen, wann eine kapitalmarktrechtliche „Tatsache“ vorliegt; denn die meisten „Tatsachen“ entwickeln sich in der Zeit und springen nicht, wie einst, plötzlich als Ölquelle aus dem Boden. Für unsere Überlagerungs-Betrachtung sind daher Tatsachen von besonderem Interesse, die sich als rechtlich relevante Entscheidungen im Rahmen eines mehrstufigen gesellschaftsrechtlichen Prozesses verwirklichen: Der Vorstand der Bayer AG beschließt, die Tochtergesellschaft AGFA zu verkaufen. Er legt seine Entscheidung gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG satzungsgemäß dem Aufsichtsrat und, nach dessen Zustimmung, der Hauptversammlung zur Zustimmung vor.10 Daß der Vorgang geeignet ist, den Kurs der Aktien der Bayer AG erheblich zu beeinflussen, liegt auf der Hand. Wann aber in seinen insgesamt drei Abschnitten ist der Vorgang „Tatsache“ im Sinne der Richtlinie und des an ihr orientierten § 15 Abs. 1 WpHG? 2. Die Literatur11 ist sich einig, daß es nicht auf den Beschluß der Hauptversammlung ankommen kann. Das ist, wie sich später zeigen wird, in der Systematik der meisten literarischen Meinungen wenig überzeugend, in der Sache schon deshalb richtig, weil der Beschluß-Vorschlag und der wesentliche Inhalt des Berichts des Vorstands12 dazu spätestens mit der Einladung zur Hauptversammlung zu veröffentlichen sind, §§ 121 Abs. 3, 124 Abs. 1 AktG. Schon hier erweist sich also, daß „Tatsache“ im Sinne [366] von § 15 Abs. 1 WpHG nicht nur der gesellschaftsrechtlich abgeschlossene Entscheidungs-Sachverhalt sein kann. Die Dreistufigkeit des Entscheidungs-Verfahrens mag zwar der Zahl nach seltener sein, der Substanz nach aber sind Umstrukturierungen solcher Art, Kapitalerhöhungen und Umwandlungen besonders gewichtige Fälle kursrelevanter Tatsachen Richtlinie, aber nicht auf deren genauen Wortlaut. Dieser lautet: „Die Gesellschaft muß das Publikum unverzüglich über neue erhebliche Tatsachen in Kenntnis setzen, die in ihrem Tätigkeitsbereich eingetreten sind und die der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind, aber wegen ihrer Auswirkung auf ihre Vermögens- und Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf zu einer beträchtlichen Änderung der Kurse ihrer Aktien führen können.“ 9 So der EuGH in st. Rspr., etwa EuGH vom 13. 11. 1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990, 4135 – Marleasing; EuGH vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94, Slg. 1995 S. 4165 – Gebhard; vgl. dazu auch Lutter, Die Auslegung angeglichenen Rechts, JZ 1992, 593, 596; Burgard, ZHR 162 (1998), 51, 53. 10 Vgl. dazu BGHZ 83, 122 – Holzmüller, sowie jüngst LG Frankfurt, ZIP 1997, 1698 ff.; Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225 ff. sowie dies., ZIP 1998, 805 ff. 11 Vgl. Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 120 und die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwalt-Vereins, AG 1997, 559, 561 sowie Kiem/Kotthoff, DB 1995, 1999, 2001. 12 Lutter, FS Fleck, 1988, S. 169, 176 ff.; Hüffer, Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 124 Rn. 11, sowie Lutter/Leinekugel, a.a.O. (Fn. 10).

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und bedürfen je der Mitwirkung aller drei Organe. Und sie sind doch „Tatsache“ noch vor dem Entscheid der Hauptversammlung. Gesellschaftsrecht mit § 124 AktG und Kapitalmarktrecht mit § 15 Abs. 1 WpHG stimmen hier also im Ansatz einer frühzeitigen Information überein, mögen ihre Gründe – hier Vorbereitung der Aktionäre auf die Hauptversammlungs-Entscheidung, dort Information des Marktes über kursrelevante Tatsachen – auch noch so verschieden sein. 3. Damit ist nun zu klären, in welchem früheren Stadium als der Hauptversammlungs-Entscheidung und ihrer Vorbereitung denn von einer „Tatsache“ zu reden ist. Das läßt sich nun nicht mehr so einfach durch parallele Publizitätsnotwendigkeiten im Entscheidungsverfahren beantworten; denn gesellschaftsrechtlich hat der Vorstand seine Vorlagen an den Aufsichtsrat gewiß nicht zu publizieren, eher im Gegenteil. Zwar ist die Frage wenig erörtert, ob der Vorstand gesellschaftsrechtlich berechtigt ist, eine von ihm geplante Kapitalerhöhung oder Fusion vor der Entscheidung seines Aufsichtsrats zu publizieren.13 Einerseits handelt es sich dabei um eine vertrauliche Tatsache im Sinne von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, über die jedes Vorstandsmitglied Stillschweigen zu bewahren hat. Andererseits gilt der Vorstand, also das Organ, als Herr des Geheimnisses der Gesellschaft, gilt also als berechtigt, im Interesse der Gesellschaft den vertraulichen Tatbestand offenzulegen.14 Immerhin wird ein solcher Fall gesellschaftsrechtlich ganz gewiß die Ausnahme sein, weil der Vorstand schon aus seiner Treupflicht heraus gehalten ist, seinen eigenen Aufsichtsrat nicht zu präjudizieren.15 Insgesamt muß man also sagen: Im Zweifel ist der Vorstand gesellschaftsrechtlich nicht berechtigt, Maßnahmen, die aktienrechtlich einer Mitwirkung seines Aufsichtsrats bedürfen, vor dessen Entscheidung zu publizieren. 4. Ändert sich diese Aussage nun unter der Herrschaft von § 15 Abs. 1 WpHG und unter dem Schema C/5a der Börsenzulassungs-Richtlinie? Genau das ist lebhaft umstritten.16 Die eine Seite argumentiert mit der gemeinsamen Verwaltung der Gesell- [367] schaft durch Vorstand und Aufsichtsrat (arg. § 120 Abs. 2 AktG), in deren Kontext die Entscheidungen des einzelnen Organs nur unselbständige Schritte seien, die erst zusammen zur „Tatsache“ werden könnten.17 Diese Argumentation ist stark gesellschaftsrechtlich geprägt. 13 Dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl., S. 136; Hüffer, Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 8; Wiesner in MünchHdb AG § 25 Rn. 28. 14 Vgl. Lutter (Fn. 13) S. 150. 15 Zur Treupflicht des Vorstands allgemein vgl. Kölner Kommentar zum AktG-Mertens, 2. Aufl., § 93 Rn. 57 ff. sowie seiner Pflicht zu vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat Hüffer (Fn. 13) § 84 Rn. 9. 16 Vgl. dazu Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 122 mit allen Nachweisen einerseits, Pananis, WM 1997, 460 andererseits. 17 Kümpel in Assmann/Schneider (Hrsg.), Kommentar zum WpHG, § 15 Rn. 50; ders., Bankund Kapitalmarktrecht, 1995, 14.101 (S. 1167); Deutsche Börse AG, WM 1994, 2038, 2043; Happ,

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Die andere Seite argumentiert vor allem aus der Funktion von § 15 Abs. 1 WpHG, der – so aus den Gesetzesmaterialien nachweisbar18 – vor allem dem Risiko des Insider-Wissens und der Gefahr des Insider-Handelns durch möglichst frühzeitige Publikation steuern soll.19 a) Die Frage ist zunächst und in erster Linie und soweit wie möglich aus der europarechtlichen Vorgabe der einschlägigen Richtlinie zu beantworten. Führt deren Auslegung zu einem klaren Ergebnis, so muß und kann dieses Ergebnis in die Interpretation der hier entscheidenden Vorschriften der §§ 15 Abs. 1 WpHG und 93, 120 AktG einfließen; denn keine dieser Normen ist in der einen oder anderen Richtung so festgelegt, daß das Verständnis der Richtlinie nicht in sie einfließen könnte; die fraglichen Normen sind also im Prinzip offen für die Aufnahme europarechtlicher Vorgaben.20 b) Die Richtlinie selbst (Schema C/5a) hat nahezu den gleichen Wortlaut wie § 15 Abs. 1 WpHG.21 Insbesondere ist auch dort von „Tatsachen“ die Rede, die zu einer „beträchtlichen Änderung der Kurse ihrer Aktien führen können“. Ein Unterschied im Text besteht nur darin, daß die Richtlinie von „erheblichen“ Tatsachen, § 15 Abs. 1 WpHG aber von „neuen“ Tatsachen spricht. Für unsere Frage wann liegt eine Tatsache vor – hat dieser Unterschied ersichtlich keine Bedeutung. Aber auch die Erwägungsgründe zur Richtlinie sind nur wenig hilfreich. Sie erwähnen zwar ausdrücklich den Anlegerschutz22 und sprechen im übrigen von einem „ersten Schritt auf dem Wege zu einer späteren weitergehenden Angleichung“.23 [368] Diese ist inzwischen mit drei weiteren Richtlinien erfolgt, nämlich der Insider-Richtlinie24 (Art. 7), der Transparenz-Richtlinie25 (Art. 1 Abs. 4) und JZ 1994, 240, 242; ders./Semler, ZGR 1998, 116, 125; Benner-Heinacher, DB 1995, 765; Hopt, ZHR 159 (1995) 135, 152; Claussen, Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität, 1996, Rn. 113; Wittich, AG 1997, 1, 3; Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 23; Assmann in Lutter/Scheffler/Schneider (Hrsg.), Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rn. 12, 45 ff. mit allen Nachw. Nicht selten wird diese Meinung dann aber wegen der Gefahr des Insiderhandelns doch relativiert; vgl. etwa Kümpel, a.a.O., Rn. 54. 18 BT-Drucks. 12/6679, S. 48 und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 102. 19 Kiem/Kotthoff, DB 1995, 1999, 2002; Pananis, WM 1997, 460, 462; Burgard, ZHR 162 (1998), 51, 73; jetzt auch Kümpel, AG 1997, 66, 68; ders./Ott (Hrsg.), Kapitalmarktrecht, Kz. 065, S. 33. 20 Burgard, ZHR 162 (1998), 51, 71 f. 21 Vgl. oben Fn. 8. 22 Abs. 1 der Erwägungsgründe, abgedruckt bei Lutter, Europ. UR (Fn. 6), S. 532. 23 Erwägungsgründe letzter Absatz, a.a.O. 24 Richtlinie 89/592/EWG, ABl. EG Nr. L 334 vom 18. 11. 1989, S. 30 ff., abgedruckt auch bei Lutter, Europ. UR (Fn. 6), S. 594 ff., 601 ff. 25 Richtlinie 88/627/EWG vom 12. 12. 1988, ABl. EG Nr. L 348 vom 17. 12. 1988, S. 62 ff., abgedruckt auch bei Lutter (Fn. 6), S. 585 ff., 589 ff.

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der Emissionsprospekt-Richtlinie.26 In deren Kontext ist die BörsenzulassungsRichtlinie und ihre Regelung in Schema C/5a daher heute zu sehen. Das hat auch der Deutsche Bundestag so gesehen, als er § 15 Abs. 1 WpHG nicht nur als Erfüllung einer Pflicht aus der Börsenzulassungs-Richtlinie, sondern auch und gerade als Mittel zur Verhinderung von Insider-Verstößen durch möglichst frühzeitige Publikation kursrelevanter Tatsachen verstanden wissen wollte27: Der präventive Zweck28 des europäischen Rechts der Richtlinie und von § 15 Abs. 1 WpHG zur Vermeidung von Insider-Verstößen ist also klar erkennbar. Europäisches und nationales Recht stimmen also sowohl im Wortlaut der Norm „Tatsache“ – als auch in ihrer Zielrichtung – allgemeiner Anlegerschutz und Verhinderung von Insider-Verstößen – überein. Die Auslegung der deutschen Norm ist also durch keine Divergenzen unter den beiden Rechtsebenen belastet und kann daher den allgemeinen Grundsätzen und Regeln der Auslegung folgen, wobei der einheitlichen Zielrichtung beider Normen besonderes Gewicht zukommt.29 5. „Tatsachen“ sind nach hergebrachter Definition gegenwärtige oder vergangene, äußere und erkennbare Geschehnisse, mithin abzugrenzen von zukünftigen Geschehnissen und Meinungen. In diesem Sinne sind Entscheidungen des Vorstands gewißlich „Tatsachen“ auch dann, wenn sie zu ihrer rechtlichen Wirksamkeit oder Vollständigkeit noch der Mitwirkung des Aufsichtsrats bedürfen.30 [369] Nun wird durchaus zu Recht darauf hingewiesen, daß jedenfalls in diesen Fällen Vorstand und Aufsichtsrat die Gesellschaft gemeinsam verwalten.31 Und ebenso richtig ist der Hinweis auf die Gefahr einer Desorientierung der Öffentlichkeit und der Anleger dann, wenn der Aufsichtsrat der geplanten Maßnahme 26 Richtlinie 89/298/EWG vom 17. 4. 1989, ABl. EG Nr. L 124 vom 5. 5. 1989, S. 8 ff., abgedruckt auch bei Lutter (Fn. 6), S. 605 ff., 610 ff. 27 Deswegen nimmt Art. 7 der Insider-Richtlinie auch ausdrücklich Bezug auf Schema C/5a der Börsenzulassungs-Richtlinie. 28 Vgl. Hopt, ZGR 1991, 17, 50; ders., ZHR 159 (1995), 135, 137; Kümpel in Assmann/Schneider (Fn. 17), § 15 Rn. 11; Pananis, WM 1997, 460. 29 Der für die Auslegung der hier maßgebenden Richtlinien letztlich allein zuständige EuGH (Art. 177 EGV – künftig Art. 234 EGV der Amsterdamer Fassung und dazu Lutter, Europ. Unternehmensrecht, S. 28 ff.) stellt die Funktion der Richtlinie und ihrer Normen betont ins Zentrum seiner Überlegungen; vgl. etwa EuGH vom 26. 2. 1975, Rs. 67/74, Slg. 1975, 297 ff., 306 – Bonsignore –; EuGH vom 5. 6. 1985, Rs. 107/84, Slg. 1985, 2655 ff., 2668 – Kommission ./. Deutschland –; Lutter, JZ 1992, 593, 602. 30 Die Unterscheidung wird deutlich, wenn man an die Kapitalerhöhung durch Ausgabe aus dem genehmigten Kapital denkt: Hier ist die Mitwirkung des Aufsichtsrats zur Wirksamkeit der Maßnahme erforderlich, § 204 Abs. 1 S. 2 AktG. Schlägt hingegen der Vorstand der Hauptversammlung eine reguläre Kapitalerhöhung vor, so hat der Aufsichtsrat diesem Vorschlag nur einen eigenen Vorschlag – gleich welchen Inhalts – zur Seite zu stellen, § 124 Abs. 3 AktG. 31 Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 125.

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nicht zustimmt und diese daher unterbleiben (Ausgabe von genehmigten Kapital) oder geändert werden muß (Jahresabschluß).32 Eine solche Situation ist gewißlich nicht erstrebenswert.33 Aber das kann nicht entscheidend sein. Fraglich ist vielmehr, ob das Verständnis der Tatsache als einer wirksamen bzw. vollständigen Maßnahme dem Begriff und der Funktion der Norm entsprechen. Und das ist nicht der Fall. a) Man mag versuchen, „Tatsachen“ als „wirksamen Sachverhalt“ zu verstehen. Aber das wäre zum einen ungewöhnlich; zum anderen käme die Auslegung mit sich selbst in Konflikt dort, wo auch noch die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist; und schließlich würde diese Auslegung die Fälle der sonstigen Mitwirkung des Aufsichtsrats nicht treffen.34 b) Vor allem könnte man erwägen, daß sowohl der europäische Richtliniengeber wie der deutsche Gesetzgeber in Kenntnis der dualen Verwaltungsstruktur von Aktiengesellschaften in Deutschland (und Österreich und den Niederlanden35) entschieden haben und den darin angelegten zweistufigen Entscheidungsprozeß durch ihre Maßnahmen weder stören noch sachlich entwerten wollten. Der Gedanke hat durchaus seine Faszination, zumal er sogar mit dem europarechtlich leidvollen Thema der Mitbestimmung36 insofern verknüpft ist, als sich diese gerade im Aufsichtsrat verwirklicht und ihr Gewicht mit dessen Einfluß im unternehmerischen Entscheidungs- [370] prozeß direkt verknüpft ist. Tatsächlich ist ein solcher Begründungsansatz weder aus dem Wortlaut und den Erwägungsgründen der europäischen Normen noch aus der deutschen Norm heraus möglich; diese Texte verhalten sich zu diesem Aspekt nicht einmal in der leisesten Andeutung. Auch wäre es eher unwahrscheinlich anzunehmen, der europäische Gesetzgeber habe die duale Struktur von Aktiengesellschaften in einigen Mitglied32 Anders als eine Kapitalerhöhung kann der Jahresabschluß nicht einfach unterbleiben; der Vorstand muß also entweder auf die Wünsche des Aufsichtsrats eingehen oder beide müssen die Hauptversammlung zur Entscheidung anrufen, §§ 172, 173 AktG. 33 Das wird am Beispiel der im Oktober 1997 geplanten Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital bei VW deutlich: Erst wurde die Ausgabe einer sehr hohen Tranche aus dem genehmigten Kapital bekanntgemacht und der Kurs der VW-Aktie sank. Nur wenige Tage später wurde der Plan zurückgestellt, ordnungsgemäß publiziert und der Kurs der VW-Aktie schoß nach oben. Vgl. Pressemitteilung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) vom 9. 9. 1997. 34 Siehe oben Fn. 30. 35 Wobei in den Niederlanden der „Raad van Commissarissen“ sogar über einen gesetzlichen Mindestkatalog von Zustimmungserfordernissen verfügt, vgl. BW 2 Art. 164. Ebenso in Österreich, § 95 Abs. 5 öAktG. 36 Sie blockiert seit nun schon über zwei Jahrzehnten die Bemühung um die Schaffung einer europaweiten AG (S.E.), um die internationale Fusion (10. gesellschaftsrechtliche Richtlinie) und um die Harmonisierung bestimmter Organstrukturen in der AG (5. gesellschaftsrechtliche Richtlinie). Dazu zuletzt der sog Davignon-Report vom Mai 1997 (C 4-0455/97); vgl. auch die Nachweise bei Lutter, Europ. Unternehmensrecht, insbes. S. 65 ff.

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staaten mit der Erlaubnis zu späterer Veröffentlichung als in den weit überwiegenden Ländern einfacher Entscheidungsstruktur honorieren wollen. Und schließlich ist, was viele Meinungen in der Literatur übersehen, weder der deutsche Gesetzgeber noch der Rechtsanwender allein und ohne Ermächtigung aus dem europäischen Text befugt, eine spätere Publikation festzulegen37: Eine entsprechende Auslegung des § 15 Abs. 1 WpHG allein genügt also gewiß nicht. Aber auch wenn der europäische Gesetzgeber eine solche Sonderordnung für duale Entscheidungsstrukturen in Erwägung gezogen hätte, ist kaum anzunehmen, daß er sie endgültig akzeptiert oder doch dem nationalen Gesetzgeber eine solche Sonderordnung erlaubt hätte. Denn die Gefahr des Insider-Handelns ist hier – bei der dualen Struktur – ja besonders hoch: wer den Beschluß des Vorstands kennt und weiß, daß nun erst einmal einige Tage oder gar Wochen ins Land gehen, ehe der Aufsichtsrat mit einer Wahrscheinlichkeit von 10:1 zustimmen wird, hat reichlich Zeit für Insider-Handeln und deren Verschleierung. Kurz: Die durch die europäischen Regeln zu bändigende Gefahr würde im Gegenteil erhöht. Ein solches Normverständnis kann schon deswegen nicht richtig sein. 6. Ganz gewiß nicht zu folgen ist der „Prognose“-Theorie38, wonach der Vorstand nur „bei hoher Eintrittswahrscheinlichkeit“ (Assmann, ähnlich Wölk) der Zustimmung des Aufsichtsrats oder bei „normalem Geschehensverlauf“ (Kiem/ Kotthoff, ähnlich Caspari) zur Mitteilung, im übrigen aber zum Abwarten verpflichtet sei. Soll wirklich das Bußgeld von bis zu 3 Mio. DM nach § 39 WpHG von der Prognosesicherheit des Vorstands abhängen? Im übrigen: Publiziert der Vorstand, so ist der Aufsichtsrat gekränkt, weil er sich als „Kopfnicker“ fühlen muß („hohe Eintrittswahrscheinlichkeit“); publiziert der Vorstand nicht, so muß der Aufsichtsrat Irritationen in seinem Verhältnis zum Vorstand vermuten. Der Versuch einer Zwischenlösung führt also viel eher zu Störungen der „corporate gouvernance“ als eine klare kapitalmarktgerechte Entscheidung. 7. Insgesamt ergibt sich mithin, daß „Tatsache“ im Sinne von § 15 Abs. 1 WpHG in Verbindung mit Art. 7 der Insider-Richtlinie und Schema C/5a der Börsenzulas- [371] sungs-Richtlinie auch schon der erste Teil einer mehrstufigen Entscheidung sein kann (insbesondere: Vorstandsbeschluß). Ob er es endgültig ist, bestimmt sich nach den weiteren Kriterien der Norm (Eignung zu erheblicher Kursbeeinflussung etc.); davon ist hier nicht zu handeln. Entscheidend für unsere Überlegungen ist, daß das Kapitalmarktrecht hier modifizierend in das allgemeine Aktienrecht eingreift, aber nur in das Recht der rund 700 börsennotierten 37 Zur Wirkungslosigkeit nationaler Gesetzgebung entgegen Anordnungen einer europäischen Richtlinie nach Ablauf deren Umsetzungsfrist vgl. Lutter, Europ. UR (Fn. 6), S. 22 f.; Everling) FS Reimer Schmidt, 1976, S. 165, 174 f. 38 Assmann, WM 1996, 1337, 1341; Caspari in: Baetke (Hrsg.), Insiderrecht und Ad-hocPublizität, 1997, S. 68, 69, 77; Kümpel, AG 1997, 66, 68; Wölk, AG 1997, 73, 78.

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Aktiengesellschaften, mitnichten auch in das Recht der anderen gut 3000 Aktiengesellschaften: Während es für diese bei § 93 Abs. 1 S. 2 AktG und der Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand verbleibt, vertrauliche Angelegenheiten bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats auch tatsächlich vertraulich zu behandeln, gilt das so für börsennotierte Aktiengesellschaften nicht mehr: insoweit hat § 15 Abs. 1 WpHG auf dem Hintergrund des europäischen Rechts verändernd in das allgemeine Aktienrecht eingegriffen.39 8. Übrigens kann dieser Streit um das richtige Verständnis von „Tatsache“ im dualen Entscheidungs-System deutscher Aktiengesellschaften sogar enge Familienbande betreffen. Während nämlich Klaus Hopt40 Kronzeuge für den Deutschen Anwalt-Verein41, Happ/Semler42 und die Position des Aufsichtsrats ist, votiert sein Schüler Gehrt43 energisch dagegen und zeiht seinen (Doktor-)Vater gar paternalistischer Anwandlungen, weil er dem Anleger die eigene Urteilsfähigkeit abspreche. Darum geht es Klaus Hopt gewiß nicht; ihm geht es um corporate governance, um Sicherung des autonomen Einflusses des Aufsichtsrats. Dieser durchaus berechtigte Ansatz kann aber nicht durch die zeitliche Verlegung von Tatsachen verwirklicht werden, sondern nur durch die Aktualisierung der Treupflicht des Vorstands in seinem Verhalten zum Aufsichtsrat. Das ist nunmehr zu erörtern. 9. An dieser Stelle kommt nämlich jetzt die Pflicht des Vorstands zu loyaler Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat in besonderer Weise zum Tragen. Im Hinblick auf die mittelbaren Wirkungen dieser rechtlichen Veränderungen auf das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist der Vorstand von Rechts wegen gehalten, diese Veränderung so gering wie möglich zu halten: Weder sollte der Aufsichtsrat präjudiziert noch darf die Gefahr der Irritation des Marktes durch eine später ablehnende [372] Entscheidung des Aufsichtsrats provoziert werden, nachdem zuvor die positive Entscheidung des Vorstands publiziert worden war. So muß auf jeden Fall der Aufsichtsratsvorsitzende schon in die Pläne des Vorstands zu Kapital- und Strukturveränderungen eingebunden werden44, um ggf. Bedenken aus den ihm bekannten Vorstellungen des Gesamtaufsichtsrats einfließen lassen zu können. Auch wird es sich für den Vorstand gewiß empfehlen, die 39 In der Literatur wird hier gelegentlich die Formulierung vom Vorrang des Kapitalgesellschaftsrechts oder des Gesellschaftsrechts allgemein gesprochen (vgl. Schwark/Geiser, ZHR 161 [1997], 739, 745). Das ist verfehlt. Es geht nicht um Rang und Rangverhältnis – beides ist Bundesrecht –, sondern um die Auflösung einander widersprechender gleichrangiger Rechtsbefehle (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG einerseits, § 15 Abs. 1 WpHG andererseits). Das aber ist Aufgabe systematischer Rechtswissenschaft. 40 ZHR 159 (1995), 135, 152. 41 AG 1997, 559, 562. 42 ZGR 1998, 116, 123. 43 Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG, 1997, S. 125. 44 § 90 Abs. 1 S. 2 AktG und dazu Mertens, Kölner Komm., 2. Aufl., § 90 AktG Rn. 39 sowie Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl., S. 17.

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eigene Entscheidung zeitlich sehr nah an eine (längst zeitlich festgelegte) Aufsichtsratssitzung heranzuschieben, um ggf. eine Publizität doch erst nach dem Entscheid auch des Aufsichtsrats verantworten zu können.45 Und wo sich das – aus welchen Gründen auch immer – nicht realisieren läßt, bleibt immer noch die Möglichkeit des ausdrücklichen Hinweises in der Mitteilung nach § 15 WpHG: „Der Vorstand hat, vorbehaltlich der noch ausstehenden Zustimmung des Aufsichtsrats, beschlossen …“ Diese hier nur angedeuteten Möglichkeiten des Vorstands börsennotierter Aktiengesellschaften sind Rechtspflichten mit dem Ziel, den aktienrechtlich systemstörenden Einfluß des hier und insoweit sich durchsetzenden Kapitalmarktrechts möglichst gering zu halten. III. Erleichterungen im Aktienrecht durch Kapitalmarktrecht Haben unsere bisherigen Überlegungen gezeigt, wie Kapitalmarktrecht und insbesondere europäisch geprägtes Kapitalmarktrecht modifizierend und segmentierend, also nur Börsengesellschaften und ihr Recht erfassend in das Aktienrecht eingreift, so soll unser nächster Abschnitt zeigen, daß genau diese segmentierende Lösung auch in anderen Zusammenhängen richtig ist. Genau das ist übrigens dem französischen Recht mit seinen Sonderregeln für „Sociétés faisant publiquement appel à l’épargne“ seit langem vertraut46 und ist kürzlich mit § 186 Abs. 3 S. 4 AktG47 auch in das deutsche Recht ausdrücklich eingeführt worden. Richtig gesehen geht es dabei heute schon um ein allgemeines Rechtsprinzip: Für Börsengesellschaften gelten zusätzliche Regeln und Grundsätze nicht nur an der Börse, sondern auch in dem sie konstituierenden Gesellschaftsrecht. 1. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich im Siemens-Nold-Urteil48 seine bisherige Rechtsprechung zur Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses gegen Sacheinlagen [373] beim genehmigten Kapital49 von Grund auf geändert.50 Es ging um den Wunsch der Siemens-AG, ein genehmigtes Kapital zu schaffen unter Ausschluß des Bezugsrechts der Aktionäre zum Erwerb von geeigneten anderen Unternehmen oder Beteiligungen. In der Holzmann-Entscheidung51 von 1982 hatte der BGH das in einem vergleichbaren Fall abgelehnt, weil bei einer derart allgemeinen Formulierung zur Ermächtigung des Vorstands eine Kontrolle des Interesses der Kiem/Kotthoff, DB 1995, 1999, 2003. Vgl. Guyon, Droit des Affaires, Bd. 1, 9. Aufl., nos. 219, 283 ff. 47 Und erst recht mit dem neuen § 3 Abs. 2 AktG (Definition der börsennotierten AG). 48 Urteil vom 23. 6. 1997, JZ 1998, 47 mit Anm. Lutter, ibid. S. 50 ff. 49 BGHZ 83, 319 – Holzmann. 50 BGH 23. 6. 1997, a.a.O.: „… (Aufgabe von BGHZ 83, 319)“. 51 Oben Fn. 49. 45 46

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Gesellschaft sowie der Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit des Bezugsrechtsausschlusses52 nicht möglich sei; es bedürfe einer stärkeren Eingrenzung des Angestrebten im Ermächtigungsbeschluß.53 Von diesem Erfordernis hat der BGH jetzt völlig und ohne Einschränkung abgerückt und hat dazu formuliert: „Im Rahmen des genehmigten Kapitals kann die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre dann ausschließen oder den Vorstand zu dem Bezugsrechtsausschluß ermächtigen, wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird.“54

2. Das Urteil ist ein Jammer, aber nicht wegen seiner spezifischen Aussage im konkreten Fall; denn die Kriterien der Holzmann-Entscheidung hatten in der Praxis tatsächlich zu großen Schwierigkeiten geführt55, die eine Überprüfung durch den BGH nahelegten.56 Der gravierende Mangel des BGH im Siemens-Urteil liegt darin, nicht erkannt zu haben, daß er über einen vom Kapitalmarkt und dessen Recht geprägten Fall zu entscheiden hatte und daß er sich darauf hätte beschränken müssen: [374] a) Wird bei einer börsennotierten Gesellschaft das Kapital erhöht und werden die jungen Aktien an Dritte gegeben, so besteht für die Aktionäre die Gefahr von Vermögensverlusten an ihrem Aktienbestand durch Ausgabe der jungen Aktien unter Wert (sogenannter Verwässerungseffekt); außerdem sinkt ihr bisheriger Einfluß durch die Verminderung ihrer Beteiligungsquote. All das ist heute

52 Diese seit BGHZ 71, 40 – Kali und Salz – allgemein akzeptierte Formel ist von Wolfgang Zöllner durch kluge Zusammenführung verstreuter Ansätze entwickelt worden; vgl. Schranken (oben Fn. 1), S. 349 ff. 53 BGHZ 83, 319: „… nur zulässig, wenn nach Lage der Gesellschaft und dem Stand der Pläne für ihre Zukunft konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, es könnte sich innerhalb der dem Vorstand eingeräumten Frist als notwendig und auch im Hinblick auf die Interessen der betroffenen Aktionäre als vertretbar erweisen, bei der Ausgabe neuer Aktien das Bezugsrecht auszuschließen.“ Dazu näher mit den verschiedenen in der Literatur vertretenen Varianten Kölner Komm.Lutter, 2. Aufl., § 203 AktG Rn. 18 ff. 54 JZ 1998, 47. 55 Näher dazu Heinsius, FS Kellermann, 1991, S. 115 ff. und Martens, ZIP 1992, 1677 ff., deren Ausführungen den BGH überzeugt haben. 56 BGH vom 23. 6. 1997, JZ 1998, 47, 48 (r. Sp.): „Die Anforderungen, die der Senat im Rahmen des genehmigten Kapitals an den Bezugsrechtsausschluß bei der Ausgabe von Aktien gegen Sacheinlagen stellt, sind wie sich in der Praxis der Unternehmen und der Rechtsprechung der Tatsachengerichte gezeigt hat, zu streng und nicht praktikabel …“. Allerdings: Der BGH beschränkt diese Aussage nicht, wie es richtig gewesen wäre, auf Börsengesellschaften.

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und eingeleitet durch die Arbeiten von Wolfgang Zöllner57 und bestätigt durch die Entscheidung des BGH vom 13. 3. 1978 (Kali & Salz)58 im wesentlichen unstreitig.59 Werden nun die Aktien der betreffenden Gesellschaft an einer Börse gehandelt, so kann beiden Gefahren begegnet werden. Orientiert sich der Ausgabepreis der jungen Aktien am Börsenkurs, so wird das Maximum an erzielbarem Gegenwert erreicht; denn auch der Aktionär würde keine Aktie für 200 beziehen, wenn er sie an der Börse für 180 erwerben könnte. Ist außerdem der Erhöhungsbetrag maßvoll, so kann der Aktionär durch Zukauf an der Börse seine Beteiligungsquote erhalten: Er ist nicht schlechter gestellt als bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht; auch dort hätte er, will er seine Quote erhalten, zusätzlich investieren müssen. § 186 Abs. 3 S. 4 AktG in der Neufassung des Gesetzes über kleine Aktiengesellschaften von 199460 sieht das für die Barkapitalerhöhung richtig und regelt es zutreffend. b) All das gilt aber für Nicht-Börsengesellschaften nicht: Weder gibt es einen Marktpreis für die Aktien noch eine gesicherte Möglichkeit des Zukaufs. Andererseits sind solche „privaten“ Aktiengesellschaften sehr viel häufiger von tradierten, familienbezogenen Mehrheits-Minderheits-Konflikten bestimmt. Und schließlich ist der vom BGH für Börsengesellschaften zu Recht für erforderlich gehaltene Erleichterungs- [375] effekt61 bei „privaten“ Aktiengesellschaften in aller Regel gar nicht erforderlich; dort kann eine Hauptversammlung unter den

57 Siehe oben Fn. 1 und 52. Zur reichhaltig folgenden Literatur vgl. die Nachw. bei Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 186 AktG vor Rn. 1 und Wiedemann, GroßKomm. zum AktG, 4. Aufl., § 186 AktG vor Rn. 1. 58 BGHZ 71, 40 und dazu Lutter, ZGR 1979, 401 ff. 59 BGHZ 71, 40, 44: „Schwerer Eingriff in seine (scil. des Aktionärs) Mitgliedschaft“. Zur Verwässerungsgefahr und zur Gefahr der Einflußminderung vgl. im einzelnen Hefermehl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum AktG, 1988, § 186 Rn. 1; Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 186 Rn. 7 und 58; Wiedemann, Großkomm. zum AktG, 4. Aufl., § 186 Rn. 13 ff. und 104 ff. Im übrigen sei daran erinnert, daß das gesetzliche Bezugsrecht heute europaweit in Art. 29 der 2. EU-Richtlinie (Kapital-Richtlinie) vom 13. 12. 1976, ABl. EG Nr. L 26 vom 31. 1. 1977, S. 1 (abgedruckt auch bei Lutter, Europ. UR, 4. Aufl., S. 109 ff., 114 ff.) festgelegt ist und durch die Satzung nicht abbedungen werden kann. 60 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2. 8. 1994 (BGBl. I, 1961) und dazu Seibert/Köster, Die kleine AG, 3. Aufl., 1997. 61 Oben Fn. 56. Außerordentliche Hauptversammlungen von Börsengesellschaften sind organisatorisch schwierig, zeitaufwendig und teuer. Allerdings: Wenn die Verwaltungen es wirklich wollen, zögern sie nicht. So hat die Metro AG, kaum war das BGH-Urteil vom 23. 6. 1997 bekannt geworden, eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen, um sich dort ein ungewöhnlich hohes genehmigtes Kapital mit der Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses einräumen zu lassen.

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erleichternden Bedingungen des Gesetzes von 199462 rasch und relativ kostengünstig einberufen werden. 3. Der Fall macht deutlich, daß auch das Gesellschaftsrecht von Aspekten und Argumenten des Kapitalmarktrechts profitiert. Gesellschaftsrechtliche Schutzinteressen können zurückgenommen werden, wenn der Markt das gleiche oder annähernd das gleiche leistet wie – bislang – die Rechtsordnung. Das ist das berechtigte Anliegen von Vertretern des Kapital-Marktrechts63 und insofern vom Gesetz in § 186 Abs. 3 S. 4 AktG und vom BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung zu Recht aufgenommen worden. Aber eben auch nur insoweit. Denn all das gilt eben nur in diesem Maße und nur im Kontext von Kapitalmarkt. Gesellschaften ohne Markt für Mitgliedschaften bedürfen sehr viel stärker des Schutzes ihrer Minderheit durch das Recht: Diese Minderheit kann noch nicht einmal „mit den Füßen abstimmen“. All das ist nicht zuletzt aus dem Recht der GmbH bekannt.64 Hätte der BGH diese besondere Seite des Falles erkannt, er hätte im Ergebnis gleich und zugleich in der Begründung richtig entscheiden können. Aber das ist hier nicht das Problem. Uns geht es um die Erkenntnis, daß sich in ganz verschiedenen Bereichen und ohne Änderung des Gesetzestextes und nur aufgrund der Fernwirkung bestimmter Normen wie § 15 WpHG und §§ 3 Abs. 2, 186 Abs. 3 S. 4 AktG das Aktienrecht immer stärker unterschiedlichen Inhalt hat, je nach dem, ob es sich um eine börsennotierte Gesellschaft handelt oder nicht: Das [376] Urteil des BGH Siemens/Nold ist daher in seiner Begründung unrichtig, weil genau das nicht berücksichtigt worden ist.65 IV. Der Übergang von der privaten zur börsennotierten Aktiengesellschaft 1. In zwei Bereichen konnte der direkte Einfluß von Kapitalmarkt und Kapitalmarktrecht auf das Recht der Aktiengesellschaft deutlich gemacht werden, einmal das Aktienrecht modifizierend und die Verwaltung der Gesellschaft eher 62 Vgl. §§ 121 Abs. 4 u. 6, 124 Abs. 1 S. 3, 130 Abs. 1 S. 3 AktG und dazu etwa Lutter, AG 1994, 429 ff.; Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1 ff. 63 Auf diese Möglichkeit bei Börsengesellschaften ist von den Vertretern des Kapitalmarktrechts immer wieder und durchaus zu recht hingewiesen worden; vgl. etwa Kübler, SZW/RSDA 1995, 223, 226 m.w.N.; ders., AG 1994, 141 ff.; Hirte, in: Lutter/Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S. 61 ff. Allgemein zu den Regelungsaufgaben des Kapitalmarktrechts Assmann in GroßKomm. zum AktG, 4. Aufl., Einl. Rn. 357 ff. 64 Die sehr ausgefeilten Treupflichten der Gesellschafter in der GmbH sind u.a. eine Folge dieser Bindung des einzelnen Gesellschafters an die Gesellschaft. Vgl. dazu Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988; Raiser in Hachenburg, Kommentar zum GmbHG, 8. Aufl., § 14 Rn. 64 sowie Lutter, Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 162 (1998), 164 ff. 65 Betont a.A. Kindler, ZGR 1998, 35 ff., der – leider – auf diese notwendige Differenzierung nicht eingeht.

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belastend (ad-hoc-Publizität), das andere Mal den Handlungsspielraum der Gesellschaft und ihrer Verwaltung erweiternd. Natürlich gibt es weitere Felder solcher Einwirkungen. Alle diese Wirkungen einschließlich der Aufgabe einer ganzen Reihe aktienrechtlicher Erleichterungen aus dem Gesetz vom 2. 8. 199466 aber hängt von der Börsenzulassung oder dem contrarius actus, dem Verzicht auf die Zulassung ab. Wer aber entscheidet darüber? Vor den oben erwähnten EURichtlinien und ihrer heutigen Umsetzung vor allem im WpHG und vor dem Gesetz über kleine Aktiengesellschaften von 1994 hatte die Frage kein gar so großes Gewicht, da die Zulassung zur Börse für die Aktionäre im wesentlichen günstig, der spätere Verzicht sehr selten und die aus der Börsenzulassung folgende rechtliche Veränderung geringfügig war. Nunmehr aber wird mit dem Gang zur Börse auch über wesentliche Veränderungen im anwendbaren Gesellschaftsrecht entschieden. Obliegt diese Entscheidung dem Vorstand (und ggf. dem Aufsichtsrat) oder den Aktionären, sprich: der Hauptversammlung? 2. Das Gesetz schweigt zu unserer Frage. Insbesondere ist der Wechsel von der Nicht-Börsenaktiengesellschaft zur börsennotierten Gesellschaft im Gesetz von 1994 durchaus zutreffend nicht als Satzungsänderung ausgestaltet worden.67 Das ist aus der Sicht des damaligen Gesetzgebers auch richtig, der am Modell der einen AG festgehalten und an das Tatbestandsmerkmal „Börsenzulassung“ bzw. „Nicht-Börsenzulassung“ nur Sonderregeln der nach wie vor einen Aktiengesellschaft geknüpft hat – nicht anders als zuvor schon das HGB mit seinen Sonderregeln für [377] kleine und mittelgroße Aktiengesellschaften.68 Vor diesem Gesetz hätte man vielleicht sagen können: Die Aktiengesellschaft ist per se vom Gesetz als Börsengesellschaft konzipiert und ausgestaltet; das ist gewissermaßen der Normalfall; eine Abweichung davon – der Vorstand ist nicht berechtigt, die Börsenzulassung zu betreiben – bedürfte besonderer statutarischer Ordnung. Das alles ist seit dem genannten Gesetz von 1994, dem WpHG und dem neuen § 3 Abs. 2 AktG hinfällig: Heute lebt die Nicht-Börsen-Aktiengesellschaft nach vielfach anderen Regeln als die Börsen-AG. 3. Der Vorstand ist gewiß für das gesamte Verfahren der Börsen-Zulassung zuständig; hier vertritt er die Gesellschaft, § 78 AktG. Es geht also, wie so oft im Gesellschaftsrecht, um die Frage, wann er das, was er kann, auch darf. Und diese Frage läßt sich auch hier nur aus den allgemeinen Grundsätzen des Verhältnisses

66 Vgl. die Hinweise oben Fn. 62; darüber hinaus ist nach § 267 Abs. 3 S. 2 HGB jede Börsen-AG unabhängig von ihrer Größe in den Anforderungen an ihren Jahresabschluß, dessen Prüfung und Publizität wie eine große AG zu behandeln. 67 Das haben die Vorschläge von Albach/Lutter, Deregulierung des Aktienrechts: Das DreiStufen-Modell, Gütersloh 1988, noch anders gesehen; vgl. dort S. 27 den Vorschlag eines § 181a AktG. 68 §§ 267, 274a, 276, 288, 293 HGB.

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der Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung zueinander beantworten. a) Die Grundordnung einer Gesellschaft ist ihre Satzung. Und da das AktG die Frage der Börsenzulassung überhaupt nicht anspricht, sperrt § 23 Abs. 5 AktG eine Ordnung dieser Frage in der Satzung nicht.69 Die Satzung der betreffenden Aktiengesellschaft kann daher – und sollte es – die Frage eines Ganges an die Börse in bestimmter Weise ordnen. Fehlt eine ausdrückliche Regelung in der Satzung, so kann die Frage dort noch implizit behandelt sein. Die Satzung muß mithin im nächsten Schritt nach objektiven Gesichtspunkten70 ausgelegt werden. Findet sich dort etwa die Regelung: „Der Aufsichtsrat besteht zunächst aus 6 Mitgliedern; sobald die Gesellschaft an der Börse zugelassen ist, erhöht sich ihre Zahl auf 9 Mitglieder“, so wird damit implizit das Ziel alsbaldiger Börsenzulassung formuliert und bedarf keiner erneuten Ordnung mehr. b) Ohne „Material“, sprich: ohne Aktien, kann ein Handel an der Börse nicht stattfinden. Diese Aktien müssen also von Aktionären überlassen oder im Rahmen einer Kapitalerhöhung geschaffen und dem Emissionskonsortium zur Verfügung gestellt werden.71 Kommt hier eine Einigung unter allen Aktionären zustande, so bedarf es keiner weiteren Entschließung mehr. Das gleiche gilt, wenn eine solche Einigung im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung und dem gänzlichen oder teilweisen Verzicht aller Aktionäre auf das Bezugsrecht erzielt wird. [378] c) Zwei Fallgestaltungen bedürfen jedoch genauerer Erörterung: Nur die Mehrheit in der Gesellschaft ist bereit, Aktien an den Markt zu geben; die Minderheit ist nicht gefragt worden oder ist explizit gegen den Börsengang. Oder: Die erforderlichen Aktien sollen durch Kapitalerhöhung und Ausschluß des Bezugsrechts geschaffen werden; die Minderheit verweigert sich sowohl dem Bezugsrechtsausschluß wie dem Börsengang. (1) Der Gang zur Börse führt zu einer erheblichen Änderung des auf die betreffende Gesellschaft anwendbaren Rechts. Das wurde bereits dargestellt. Darüber hinaus gilt es zusätzlich zu bedenken, daß sich in einer Börsengesellschaft notwendig auch die Treuebindungen unter den Aktionären lockern, die Struktur der Gesellschaft auch dadurch eine Veränderung erfährt.72 Es handelt sich also de 69 Näher zu statutarischen Ergänzungen Röhricht, Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 23 Rn. 189; Kraft, in Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 23 Rn. 85 sowie Zöllner, ibid., § 179 AktG Rn. 70 ff. je mit umfangreichen Nachw. Die hier erörterte Frage wird von den genannten Autoren jedoch nicht behandelt. 70 Dazu eingehend Röhricht (Fn. 68), § 23 Rn. 29 ff.; kritisch Grunewald, ZGR 1995, 68 ff. 71 Ausführlich Lutter/Drygala, FS Raisch, 1995, S. 239, 242 ff. 72 Dazu eingehend Lutter, AcP 180 (1980), S. 85 ff. mit Überlegungen zur rechtlichen Bedeutung der Realstruktur von Gesellschaften.

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facto – wenn auch nicht de iure – um einen Vorgang ähnlich der Umwandlung einer GmbH in eine AG, also um eine sog. Strukturentscheidung.73 Eine solche Entscheidung kann nur vom Grundorgan der Gesellschaft, der Hauptversammlung getroffen werden; das ist heute der Standard vieler gesetzlicher Regelungen74 und daher auch für die nicht geregelten Fälle weitgehend anerkannt.75 Daher kann auch hier kaum ein Zweifel bestehen: Nur die Hauptversammlung kann über die Änderung des auf die Gesellschaft anwendbaren und für sie maßgebenden Rechts befinden.76 Und weil es sich um eine Strukturentscheidung ähnlich den Vorgängen der Umwandlung handelt, ist dafür auch satzungsändernde Mehrheit erforderlich.77 Wegen der Bedeutung der Entscheidung und ihrer praktischen und rechtlichen Folgen für die Minderheit ist das auch sachlich richtig und angebracht. Damit wird erneut deutlich, [379] daß sich eine Ordnung der Frage in der Satzung von Anfang an empfiehlt, insbesondere also bei der Umwandlung einer KG oder GmbH in die AG nach den Regeln des UmwG. Auch Wiedemann78 betont die Bedeutung des Börsengangs für die Struktur der Gesellschaft und die Minderheit und sieht vor allem den Verlust der „Privatgesellschaft“, weshalb der dissentierenden Minderheit nach §§ 305, 306 AktG analog ein Abfindungsangebot zu unterbreiten sei. Im Ansatz entspricht das der hier getroffenen Feststellung, daß jedenfalls ein satzungsändernder Beschluß erforderlich ist. Enthält die Satzung keine Festlegung auf eine „Privatgesellschaft“, so muß auch die Minderheit mit einem going public rechnen; ein Abfindungsangebot ist nicht erforderlich. Enthält aber die Satzung eine solche Festlegung auf die Privatgesellschaft, so schließt auch das zwar die Änderung dieser Satzungsregel nicht aus; in einem solchen Fall hat dann aller-

73 Zum Begriff der Strukturentscheidung vgl. Mertens, FS Stimpel, 1985, S. 421; Grossfeld/Brondics, AG 1987, 293, 295; Henze, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Aktienrecht, 3. Aufl., 1997, Rn. 745; Schwark/Geiser, ZHR 161 (1997), 739, 762; Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225, 230, sowie dies., ZIP 1998, 805 ff. 74 §§ 119 Abs. 1, 179 Abs. 1, 293 Abs. 1 AktG, § 65 Abs. 1 UmwG. 75 Geßler, FS Stimpel, 1985, S. 771; Hübner, FS Stimpel, 1985, S. 791; Lutter, FS Stimpel, 1985, 825, 843; ders., ZHR 151 (1987), 444, 452; ders./Leinekugel, ZIP 1998, 225, 230; Hüffer (Fn. 12), § 119 Rn. 18; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 6. Aufl., 1997, S. 74 ff.; Altmeppen, DB 1998, 49, 50. 76 Vgl. Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 1995, S. 83 ff. sowie Lutter/Drygala, FS Raisch, a.a.O. (Fn. 70), S. 240 ff. Das gilt insbes. auch, wenn im Konzern eine Tochtergesellschaft an die Börse gebracht werden soll, in der sich noch Minderheitsaktionäre befinden; so zutr. Baums/Vogel in: Lutter/Scheffler/Schneider (Hrsg.), Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rn. 9, 53 ff. 77 Es sei denn, die Satzung habe von der Möglichkeit aus § 179 Abs. 2 S. 2 AktG Gebrauch gemacht: auch wenn es um eine Strukturentscheidung geht, erlaubt das Gesetz die Reduzierung der Kapitalmehrheit; vgl. Zöllner, Kölner Komm., 2. Aufl., § 179 AktG Rn. 151 ff., 159. 78 GroßKomm. AktG, 4. Aufl., § 186 Rn. 159.

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dings die Minderheit Anspruch auf besonderen Schutz durch ein entsprechendes Abfindungsangebot. Insoweit ist der Ansicht von Wiedemann zu folgen. (2) Mit einer Kapitalerhöhung zum Zweck des Ganges an die Börse wird implizit und explizit auch über den Börsengang selbst durch satzungsändernden Beschluß entschieden.79 Hier aber ist fraglich, ob der geplante Gang an die Börse auch den Ausschluß des Bezugsrechts rechtfertigt. Das ist im Grundsatz anzunehmen.80 Die Aktiengesellschaft ist vom Gesetz als Börsengesellschaft konzipiert. Verhält sich die Satzung also nicht dagegen und postuliert sie nicht den Verzicht auf den Gang zur Börse, so ist der Weg dorthin offen im Sinne einer freien, nicht weiter mehr zu rechtfertigenden Entscheidung der satzungsändernden Mehrheit; in diesem Sinne ist der Bezugsrechtsausschluß dann erforderlich. Ob er auch verhältnismäßig und angemessen ist, hängt von seinen konkreten Bedingungen ab, wobei insbesondere der Umfang und der Ausgabepreis von Bedeutung sind: Die Minderheit darf auch in diesem Zusammenhang nicht in ihren Vermögensinteressen (Ausgabepreis) und nicht übermäßig in ihren Interessen auf Erhaltung der Beteiligungsquote betroffen werden. Auch insoweit ist der Rechtsgedanke aus § 186 Abs. 3 S. 4 AktG zu beachten, wenn auch die dort festgelegten 10% in diesem Zusammenhang nicht direkt [380] verbindlich sind.81 Und der Ausgabepreis darf gewißlich nicht ohne sorgfältige Beratung mit Sachverständigen festgelegt werden. 4. a) Steht damit fest, daß der Börsengang wegen seiner großen Relevanz für das auf die Gesellschaft anwendbare Recht entweder der Vor-Ordnung in der Satzung bedarf oder eines Beschlusses der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit, so kann für den contrarius actus des sog. „Delisting“82 kaum etwas anderes gelten. Auch hier also bestimmt nicht etwa der Vorstand über den Weggang von der Börse, sondern vollzieht nur den ihm von der Hauptversammlung mit erneut satzungsändernder Mehrheit erteilten Auftrag.

79 Der Vorstand muß in diesem Fall den gewünschten Ausschluß des Bezugsrechts nach § 186 Abs. 4 S. 2 AktG in einem schriftlichen Bericht an die Hauptversammlung begründen. Er wird das mit dem geplanten Börsengang tun. Der spätere Beschluß der Hauptversammlung enthält damit mittelbar auch die Aussage: zum Zwecke der Zulassung an der Börse. 80 BGHZ 125, 239 für den Fall der Zulassung an einer ausländischen Börse, und dazu Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 186 Rn. 72; allg. zum Bezugsrechtsausschluß zum Zwecke der Börseneinführung Wiedemann, in: GroßKomm. zum AktG, 4. Aufl., § 186 Rn. 159; Hefermehl/Bungeroth, a.a.O. (oben Fn 58), § 186 Rn. 133; Hüffer, § 186 Rn. 31. 81 Es kommt auf die im konkreten Einzelfall für die Börsenzulassung erforderliche Zahl an Aktien an; vgl. §§ 38 Abs. 1 Nr. 1 BörsG, 9 BörsZulVO. Ebenso BGHZ 125, 239, Lutter, a.a.O., § 186 Rn. 72 und Hüffer, § 186 Rn. 31 bei geplanter Einführung an einer ausländischen Börse. 82 Dazu eingehend Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459 ff. und Schwark/Geiser, ZHR 161 (1997), 739 ff.

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Daran ändert auch die neue Börsen-Regelung zum Delisting im 3. Finanzmarkt-Förderungsgesetz83 nichts. Ihr Zweck ist Schutz der Anleger und der Marktteilnehmer im Zuge der Durchführung des Delisting, nicht etwa eine Regelung auch der unternehmensinternen Vorgänge.84 Immerhin könnte aus dieser neuen kapitalmarktrechtlichen Vorschrift für das Gesellschaftsrecht geschlossen werden, daß der interne Entscheid der Hauptversammlung jedenfalls keiner weiteren Rechtfertigung bedarf, weil der erforderliche Schutz der Minderheit dem Gesetz selbst im Vollzug des Vorgangs gelingt und dort sichergestellt wird. b) Dennoch bleibt es fraglich, ob dieses soeben dargelegte, an der Veränderung des auf die Gesellschaft künftig anwendbaren Rechts orientierte Verfahren einer Entscheidung der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit genügt, die Belange der Minderheit beim Delisting auch tatsächlich ausreichend zu schützen. Das ist tatsächlich nicht der Fall. Denn immerhin könnten 75% der Aktionäre die anderen 25% durch den Weggang von der Börse praktisch in der Gesellschaft „einmau- [381] ern“85; und befinden sich gar nur Teile des Kapitals am Markt86, so könnten die Aktionäre mit nicht-gelisteten Aktien den Inhabern notierter Aktien den Markt entziehen. Hier ist fraglos ein zusätzlicher Schutz erforderlich. (1) Dieser Schutz kann zum einen hier vom Kapitalmarktrecht selbst erfolgen. So sieht der bereits erwähnte neue § 43 Abs. 4 BörsG vor, daß entweder andere Möglichkeiten des Handels fortbestehen oder aber längere Auslauffristen beachtet werden müssen, ehe ein Delisting erfolgen kann. Ob solche Marktregeln allerdings ausreichen, um der Minderheit eine Veräußerung ihrer Aktien zu fairen Bedingungen zu ermöglichen, erscheint eher zweifelhaft; denn wer ist schon am Erwerb eines Auslaufmodells interessiert? (2) Will man den Gang zur Börse nicht gerade zur Einbahnstraße werden lassen, so muß man an zusätzliche gesellschaftsrechtliche Schutzmechanismen im

83 Die neue Vorschrift des § 43 Abs. 4 BörsG hat folgenden Wortlaut: „(4) Die Zulassungsstelle kann die Zulassung zur amtlichen Notierung auf Antrag des Emittenten widerrufen, wenn der Schutz der Anleger einem Widerruf nicht entgegensteht. Der Schutz der Anleger ist insbesondere dann gewährt, wenn auch nach dem Wirksamwerden des Widerrufs ein ordnungsgemäßer Börsenhandel in dem Wertpapier an einem Markt im Sinne von § 2 Abs. 5 des Wertpapierhandelsgesetzes gewährleistet erscheint. Der Emittent hat den Widerruf der Zulassung unverzüglich in mindestens drei Börsenpflichtblättern zu veröffentlichen. Die näheren Bestimmungen über den Widerruf der Zulassung sind in der Börsenordnung zu treffen. Die Börsenordnung muß insbesondere Bestimmungen enthalten über den Zeitpunkt, zu dem der Widerruf wirksam wird. Der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des Widerrufs darf zwei Jahre nicht überschreiten.“ 84 Schwark/Geiser, ZHR 161 (1997), 739, 746. 85 Vgl. dazu den sehr instruktiven, 1969 vom obersten Gericht des Staates Kalifornien entschiedenen Fall 81 Cal.Rep. 592, 1 Cal 3d 93 und dazu Lutter, JZ 1976, 225 ff. 86 In der Regel genügen 25% des Kapitals; vgl. §§ 38 Abs. 1 BörsG, 9 BörsZulVO.

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Zusammenhang mit dem Weggang von der Börse denken. Zwei Wege kommen dabei vor allem in Betracht: Zum einen könnte man erwägen, den Hauptversammlungsbeschluß über den Wegzug von der Börse als treuwidrig und daher als anfechtbar anzusehen87, es sei denn, die Mehrheit könnte sachliche und vorrangige Gründe im Interesse der Gesellschaft für den Entscheid geltend machen. Dieser Weg würde die betroffene Minderheit zwar vor gar zu schneidigen Entscheidungen der Mehrheit schützen, nicht aber vor Verlusten dann, wenn der Beschluß wirksam ist.88 Damit bleiben zum anderen als Lösungsmodell nur noch das Abfindungs- oder das Übernahmeangebot. Das erstere ist unserer Rechtsordnung als Folge entsprechender Strukturentscheidungen vertraut: Vom Unternehmensvertrag (§ 305 AktG) bis zur Umwandlung (§§ 29, 207 UmwG) ist das Abfindungsangebot die Antwort der Rechtsordnung auf grundstürzende Entscheidungen im Aktienrecht. Allerdings gilt es hier zu bedenken, daß die Gesellschaft über ausreichende Rücklagen verfügen oder eine Kapitalherabsetzung beschließen muß, damit das System der Abfindung auch tatsächlich gesichert ist, § 71 Abs. 2 S. 2 AktG. Das Übernahmeangebot der Gesellschaft89 unterscheidet sich nicht grundlegend von der Abfindung; es ist zwar mehr kapitalmarktorientiert, unterliegt aber an den zwei entscheidenden Stellen den gleichen Problemen wie das Abfindungsangebot: [382] Was ist der faire Preis und wie kann im Verfahren sichergestellt werden, daß die Gesellschaft über ausreichende freie Mittel verfügt. c) Die Fülle der beim Weggang von der Börse entstehenden Fragen des Minderheiten- und Anlegerschutzes lassen sich de lege lata nicht wirklich befriedigend beantworten; denn jeder einzelne Fall müßte je für sich von den Gerichten entschieden werden, ohne daß ihnen und den Parteien dabei die Erleichterung eines Verfahrens nach § 306 AktG zugute kommen könnte. Es sollte also eine die kapitalmarktrechtlichen Regeln des § 43 Abs. 4 BörsG begleitende Regelung im Aktienrecht getroffen werden, die sich sachlich an die bekannten Ordnungen der §§ 306 AktG, 29 UmwG anlehnen kann. Wie oben bei der Umwandlung einer statutarisch abgesicherten „Privat-AG“ in eine Börsen-AG muß man auch hier Abfindungspflichten zugunsten der Minderheit vorsehen. Da diese Fragen vor allem entstehen, wenn nur noch wenige Aktien am Markt und die meisten in festen Händen sind, decken sich diese Überlegungen mit einem Vorschlag, euro-

87 Dazu Lutter, Die Treupflicht des Aktionärs, ZHR 153 (1989), 446 ff., 467 ff.; ders., ZHR 162 (1998), 164 ff.; Henze, Die Treupflicht im Aktienrecht, BB 1996, 489 ff. 88 Vgl. Schwark/Geiser, ZHR 161 (1997), 739, 763; Grupp (Fn. 75) S. 199 ff. 89 Dieses Übernahmeangebot der Gesellschaft darf nicht verwechselt werden mit dem takeover, dem Übernahmeangebot eines Dritten; vgl. dazu nur Hopt, ZHR 161 (1997), 368 ff. mit allen Nachw. auch zum freiwilligen Übernahmekodex von 1995 (ibid. S. 393 ff.).

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paweit der Mehrheit von mindestens 95% die Möglichkeit des Erwerbs der restlichen Aktien zu geben.90 5. Für die Vorbereitung dieser Hauptversammlungs-Beschlüsse beim Gang an die Börse und beim Weggang von der Börse liegt ebenfalls eine Orientierung am heutigen Standard solcher Beschlüsse nahe. Diese Regeln sehen ausnahmslos einen förmlichen und schriftlichen Vorstandsbericht mit zeitlichem Vorlauf zur Hauptversammlung der Aktionäre vor, §§ 186 Abs. 4, 293a AktG, 8 UmwG. Das muß entsprechend auch hier gelten. In diesem Bericht besteht Gelegenheit, den Börsengang, den Ausgabepreis und den Umfang der zur Börse gegebenen Aktien aus den Interessen der Gesellschaft heraus ebenso zu begründen91 wie umgekehrt die Gründe für den Weggang von der Börse und die Minderung etwa zu erwartender Nachteile für die widersprechende Minderheit. V. Schluss Ein ganzes Vierteljahrhundert war das Aktienrecht mit sich selbst beschäftigt und hat über Strukturentscheidungen, Gesellschafterdarlehen und Konzernrecht gehandelt sowie sich um die Integration europäischer Vorgaben bemüht. Neuerdings wirken normative Einflüsse aus anderen, wenn auch benachbarten Rechtsgebieten mit anderen Vorstellungen und Zielen auf sein Verständnis und seine Entwicklung ein. [383] Das wird sich in Zukunft eher verstärkt fortsetzen, so daß man mehr und mehr zwischen zwei verschiedenen Aktiengesellschaften, der Börsen-AG einerseits und der „privaten“, „geschlossenen“, sog. „kleinen“ Aktiengesellschaft andererseits unter dem Dach des nach wie vor einen Aktiengesetzes bei seiner Auslegung und Anwendung zu unterscheiden hat. Auch das macht die Rechtsanwendung nicht gerade einfacher: Wolfgang Zöllner hat das vielleicht so nicht gewollt; aber bei der national, europäisch und international geradezu sprunghaft wachsenden Bedeutung des Kapitalmarkts und mithin seines Rechts ist diese Entwicklung unvermeidbar.

Vgl. die Vorschläge des Arbeitskreises Konzernrecht in Europa, ZGR 1998, Heft 4. Zu den Berichtspflichten der Verwaltung im Rahmen von Grundlagenbeschlüssen Lutter, FS Fleck, 1988, S. 177; Wiedemann (Fn. 77) § 179 Rn. 69 ff.; Hüffer (Fn. 12) § 124 Rn. 11; Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225 ff.; dies., ZIP 1998, 805 ff. je m.w.N sowie jüngst LG Karlsruhe ZIP 1998, 385 – Badenwerk AG. 90 91

DAS KAPITAL UND SEIN SCHUTZ

Gescheiterte Kapitalerhöhungen IN: FISCHER/HEFERMEHL (HRSG.), GESELLSCHAFTSRECHT UND UNTERNEHMENSRECHT, FESTSCHRIFT FÜR WOLFGANG SCHILLING, BERLIN

I. II. III. IV. 1. 2. 3. V. VI. 1. 2. 3. 4. 5. VII. VIII.

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Überblick Vorgänge, die auf den wirksamen Erhöhungsbeschluß einwirken .......... 210* Sonstige Hindernisse bei Durchführung der Kapitalerhöhung ................ 213 Materieller Teil der Kapitalerhöhung ........................................................... 215 Eingehung der Verpflichtung.................................................................. 215 Rechtsnatur von Zeichnung und Übernahme des Kapitals ................ 217 Fortdauer der Verpflichtung ................................................................... 218 Zwischenbilanz ................................................................................................ 221 Die rechtliche Stellung von Zeichner und Übernehmer nach dem Scheitern der Kapitalerhöhung...................................................................... 222 Leistung der Zeichner und Übernehmer an die Gesellschaft ............. 222 Rückgewähr der Leistung ........................................................................ 223 Sicherung des Rückgewähranspruchs .................................................... 224 Sonstige Ansprüche der Zeichner und Übernehmer ........................... 228 Ansprüche der Gesellschaft gegen Zeichner und Übernehmer ......... 229 Unzulässige Eintragung der Durchführung im Handelsregister ............... 231 Genehmigtes und bedingtes Kapital der Aktiengesellschaft ..................... 231 I. Überblick 1.

Kapitalerhöhungen bei Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind rechtlich und technisch reichlich komplizierte Vorgänge, um deren Erhellung sich der verehrte Adressat dieser Zeilen hohe Verdienste erworben hat. Diese Schwierigkeiten treten in vielen Fällen nicht so stark in Erscheinung, weil die großen und größeren Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften fast ohne Ausnahme über Banken und Bankenkonsortien abgewickelt * Anm. d. Hrsg.: Die Übersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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Gescheiterte Kapitalerhöhungen

werden, während die nach Betrag und Zahl der beteiligten Personen meist kleineren Kapitalerhöhungen der GmbH von den beratenden Berufen, also vor allem den Rechtsanwälten, Notaren und Wirtschaftsprüfern betreut werden. a) Bei der Kapitalerhöhung von Aktiengesellschaften sichern die mitwirkenden Banken oder Bankenkonsortien in aller Regel nicht nur die technische Abwicklung sondern zeichnen selbst den ganzen Erhöhungsbetrag; dadurch verlagert sich die Frage, ob und in welchem Maße die Kapitalerhöhung auch tatsächlich bei den bisherigen Aktionären oder im Publikum unterzubringen ist, auf die Zeit nach dem rechtlichen Abschluß der Kapitalerhöhung; diese Unterbringung mag [208] sich als noch so schwierig erweisen, rechtlich ist die Erhöhung durchgeführt und damit abgeschlossen. Es mehren sich jedoch die Fälle, in denen Aktiengesellschaften auf die Mitwirkung von Banken verzichten und die Erhöhung selbst durchführen oder – mangels Bereitschaft der Banken zur Mitwirkung – durchführen müssen; ein solcher Fall war die letzte Kapitalerhöhung der ATLANTIS AG1. b) Bei der Kapitalerhöhung einer GmbH wäre die Mitwirkung einer Bank – soweit diese nicht selbst Gesellschafterin ist oder es bei dieser Gelegenheit werden will – ungewöhnlich. Doch liegen auch hier nicht selten schon vor dem Erhöhungsbeschluß feste Abmachungen unter den bisherigen Gesellschaftern oder der Gesellschaft und prospektiven neuen Gesellschaftern vor, welche die tatsächliche Durchführung der Kapitalerhöhung sicherstellen. Solche Vereinbarungen sind jedoch nicht die Regel; außerdem gilt, was sehr oft übersehen wird, für die Verpflichtung des künftigen Übernehmers von Kapital nach § 55 I GmbHG die Form der notariellen Beurkundung oder Beglaubigung2. Daher sind bei Gesellschaften mbH Kapitalerhöhungen, die zwar beschlossen wurden, endgültig aber nicht zum Erfolg führen, keineswegs selten. 2. Sieht man von weniger bedeutsamen Einzelheiten ab, so vollzieht sich die reguläre Kapitalerhöhung sowohl bei der Aktiengesellschaft wie bei der GmbH in vier Schritten:

1 Vgl. die Kommentierungen von Schilling der §§ 1-19 und 53-59 GmbHG in der 6. Aufl. des Hachenburg’schen Kommentars und der §§ 192-206 und 221 AktG in der 3. Aufl. des Kommentars von Gadow-Heinichen. Vgl. Das Wertpapier 1972, S. 325, 581, 92 f. 2 RGZ 50, 47, 48; 149, 385, 394 f.; Hachenburg-Schilling, Kommentar zum GmbHG, 6. Aufl. 1959, § 55 Anm. 23; Scholz, Kommentar zum GmbHG, 5. Aufl. 1964, § 55 Anm. 15 mit weiteren Nachw.; Baumbach-Hueck, Kommentar zum GmbHG, 13. Aufl. 1969, § 55 Anm. 4 A; Fischer, GmbHRdsch. 1954, 129.

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dem satzungsändernden Beschluß von Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung über die Kapitalerhöhung (§§ 179, 182 AktG, § 53 GmbHG) der Zeichnung bzw. Übernahme des Erhöhungsbetrages durch Aktionäre (Gesellschafter) oder Dritte (§§ 185 AktG, 55 GmbHG) der tatsächlichen Leistung auf das erhöhte Kapital (§§ 188 II, 36 II AktG, §§ 57 II GmbHG) und der Anmeldung sowie anschließenden Eintragung der so durchgeführten Kapitalerhöhung im Handelsregister (§§ 188, 189 AktG; § 57 GmbHG) [209] Der Erhöhungsbeschluß selbst enthält nur die Absicht der Gesellschaft zur Erhöhung ihres Grund- bzw. Stammkapitals. Im übrigen wird mit diesem Beschluß keinerlei Verbindlichkeit der Aktionäre und der GmbH-Gesellschafter begründet. Das gilt auch für diejenigen, die den Beschluß angeregt oder ihm zugestimmt haben. Kapitalübernahme (Zeichnung) und tatsächliche Leistung sind ihrerseits Schritte auf dem Weg zum Vollzug der Kapitalerhöhung; sie begründen Verpflichtungen der Zeichner und verschaffen der Gesellschaft eine Leistung, führen aber ihrerseits immer noch nicht zur rechtlichen Erhöhung des Grund- bzw. Stammkapitals: Das bewirkt erst die Eintragung der durchgeführten Erhöhung im Handelsregister. Als „gescheitert“ wird demnach hier eine Kapitalerhöhung bezeichnet, die zwar von der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft nach § 182 AktG oder der Gesellschafterversammlung einer GmbH nach § 53 GmbHG wirksam beschlossen, nicht jedoch gemäß §§ 188, 189 AktG, § 57 GmbHG als durchgeführt im Handelsregister eingetragen wurde. -

3. Zu handeln ist hier von der regulären Kapitalerhöhung gegen Einlagen, nicht von der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Bedingtes Kapital und genehmigtes Kapital, zwei Formen der Kapitalerhöhung, die bei der GmbH unbekannt sind, sollen hier nur am Rande mit berücksichtigt werden. 4. Ist die Eintragung der durchgeführten Kapitalerhöhung im Handelsregister unumgänglich und beruht diese auf den vorangehenden drei Schritten, so sind zunächst Fragen zu erörtern, welche den Erhöhungsbeschluß berühren. Sodann stehen Einzelheiten eher materieller Natur aus dem weiteren Gang der Kapitalerhöhung zur Erörterung. Dabei ist zu bedenken, daß Mängel und gegenläufige

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Gescheiterte Kapitalerhöhungen

Entwicklungen aus allen vorangehenden Abschnitten der Kapitalerhöhung die endgültige Eintragung der Erhöhung im Handelsregister ausschließen3. Abschließend ist zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Zeichner bzw. Übernehmer des erhöhten Kapitals im Hin- [210] blick auf das Scheitern der Kapitalerhöhung Ansprüche gegen die Gesellschaft oder, umgekehrt, der Gesellschaft gegen ihn zustehen. II. Vorgänge, die auf den wirksamen Erhöhungsbeschluß einwirken 1. Mit dem Erhöhungsbeschluß formuliert die Gesellschaft nur ihre Absicht zur Kapitalerhöhung. Diese Absicht kann sie durch actus contrarius, also durch Gegenbeschluß wieder zurückzunehmen4, 5. Dieser Gegenbeschluß ist auch dann noch zulässig, wenn Zeichnungen bzw. Übernahmen auf das erhöhte Kapital bereits erfolgt sind. Weder aus dem Erhöhungsbeschluß selbst heraus noch aus der Entgegennahme von Zeichnungen bzw. Übernahmen von Kapital entsteht ein rechtlicher Zwang zur Durchführung der Kapitalerhöhung6. Die Autonomie von Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH zur Änderung ihrer Satzung nach den allgemeinen Regeln erlischt in diesem Bereich erst mit Eintragung der Durchführung im Handelsregister7.

3 Vgl. § 188 III u. IV AktG. Zum Prüfungsrecht und zur Prüfungspflicht des Registerrichters im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung vgl. Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Notarrecht, 1968, S. 292; Zöllner, Kölner Kommentar zum AktG, 1971, § 181 Anm. 15 ff.; Wiedemann, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl. 1971, § 181 Anm. 4; Lutter, NJW 1969, 1873 f.; Menold, Das materielle Prüfungsrecht des Handelsregisterrichters, Diss. Tübingen 1966. 4 Dieser Beschluß kann vor seiner Eintragung im Handelsregister mit einfacher Mehrheit gefaßt werden, da Satzungsänderungen erst mit dieser Eintragung wirksam werden, §§ 181 III AktG, 54 III GmbHG, die Aufhebung eines nicht eingetragenen satzungsändernden Beschlusses also keine Satzungsänderung ist; so für die AG: Zöllner, § 179 Anm. 39; BaumbachHueck, Kommentar zum AktG, 13. Aufl. 1968, § 181 Anm. 4; Godin-Wilhelmi, Kommentar zum AktG, 4. Aufl. 1971, § 181 Anm. 10; Wiedemann, § 181 Anm. 9; anderer Ansicht: Schilling, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl. 1971, § 195 Anm. 7a. Für die GmbH wie hier: Baumbach-Hueck, GmbHG, § 55 Anm. 2 B; a. A. HachenburgSchilling, § 53 Anm. 39; Scholz, § 53 Anm. 32. 5 Ist die Anmeldung dieses Beschlusses zum Handelsregister bereits erfolgt, so muß der Antrag zurückgenommen werden: Zöllner, § 181 Anm. 14. 6 Wiedemann, § 181 Anm. 3 b; Lutter, § 189 Anm. 5. 7 Damit ist naturgemäß die Frage nach etwaigen Ansprüchen der Betroffenen gegen die Gesellschaft noch nicht beantwortet; vgl. dazu unten VI, 4.

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2. Von Fällen eines solchen ausdrücklichen Gegenbeschlusses abgesehen sind weiter Beschlußgegenstände ganz anderen Inhalts zu erörtern, soweit sie möglicherweise einen solchen Gegenbeschluß mit enthalten. a) Beschließt die Gesellschaft nach der Kapitalerhöhung ihre Liquidation, so ist darin konkludent die Aufhebung einer zuvor beschlossenen Kapitalerhöhung zu sehen. Zwar ist eine Kapitalerhöhung und [211] ihre Durchführung auch während der Liquidation durchaus zulässig8; sie bleibt aber ungewöhnlich. Nach einem Liquidationsbeschluß kann die Kapitalerhöhung von der Verwaltung daher nur dann weiter durchgeführt werden, wenn die Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung ausdrücklich den Fortbestand des Wunsches zur Kapitalerhöhung formuliert hat. b) Ähnliches hat zu gelten, wenn die Gesellschaft nach einem Erhöhungsbeschluß die Herabsetzung des Kapitals beschließt. Zwar sind Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung nicht selten miteinander kombiniert, insbesondere dann, wenn es um die Beseitigung einer Unterbilanz und die anschließende Zuführung neuen Eigenkapitals geht9. Sind die Maßnahmen jedoch nicht in dieser Weise zueinander koordiniert, ist insbesondere eine Unterbilanz nicht erkennbar, deren Beseitigung zur Durchführung der Kapitalerhöhung sich als erforderlich erweist, so wird man in einem späteren Herabsetzungsbeschluß in aller Regel auch konkludent die Aufhebung des früheren Erhöhungsbeschlusses zu sehen haben. Auch hier ist die Durchführung der Kapitalerhöhung trotz gleichzeitiger Kapitalherabsetzung durchaus zulässig; doch muß der entsprechende Wunsch der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung ausdrücklich formuliert sein. c) Auch sonstige Beschlüsse der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung, welche die Grundlagen der Gesellschaft deutlich verändern, müssen in aller Regel als konkludenter Gegenbeschluß zum Erhöhungsbeschluß gesehen werden. Das gilt z. B. bei einem späteren Fusionsbeschluß, bei der die betreffende Gesellschaft durch eine dritte Gesellschaft aufgenommen oder mit ihr durch Neugründung einer Gesellschaft zusammengefaßt wird. Ähnliches gilt, wenn die ihr Kapital erhöhende Gesellschaft mit einer dritten Gesellschaft einen Unternehmensvertrag schließt, wonach sie abhängige Gesellschaft wird bzw. ihr Unternehmen an eine dritte Gesellschaft verpachtet. Alle diese Vorgänge schließen die Kapitalerhöhung de jure nicht aus, dürfen aber ohne eine Klarstellung durch die Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung nicht fortgeführt werden. 8 BGHZ 24, 279, 286; Schlegelberger-Quassowski, Kommentar zum AktG 1937, 3. Aufl. 1939, Anm. 10 vor § 203; Wiedemann, § 182 Anm. 15; Lutter, § 182 Anm. 35 ff.; Scholz, § 55 Anm. 7 und § 69 Anm. 5 je mit weiteren Nachw.; Hachenburg-Schmidt, § 69 Anm. 40. 9 Darauf nehmen die §§ 228, 235 AktG ausdrücklich Rücksicht.

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3. Schließlich können auch Vorgänge außerhalb des Willens der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter auf den Erhöhungsbeschluß einwir- [212] ken. Das gilt insbesondere für die Eröffnung des Konkurs- und Vergleichsverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft. a) Auch während des Konkursverfahrens ist eine reguläre Kapitalerhöhung durchaus zulässig10; im Gegenteil: Die Beschaffung neuer Einlagen kann vom Ziel des Konkurses her gesehen – Befriedigung der Gläubiger – nur unterstützt werden. Daher bestehen keine Bedenken gegen einen Kapitalerhöhungsbeschluß im Laufe des Konkursverfahrens selbst. Dagegen erscheint die Zulässigkeit der Fortführung einer vor Konkurseröffnung beschlossenen Kapitalerhöhung fraglich. Denn Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung haben die Tatsache des Konkurses nicht in ihre Überlegungen aufgenommen. Die Tatsache der Konkurseröffnung ist aber ein so gravierender Einschnitt im Schicksal der Gesellschaft, daß dadurch die Basis eines solchen Entschlusses betroffen ist; seine Grundlage, die normale Fortentwicklung der Gesellschaft, ist tangiert. Wegen dieser einschneidenden Änderung muß es der Gesellschafterversammlung bzw. Hauptversammlung überlassen bleiben, darüber zu entscheiden, ob die Freiheit der Gesellschaft zu selbständiger Aktion durch Kapitalerhöhungen wieder gewonnen oder aber resigniert werden und damit praktisch die Liquidation der Gesellschaft im Rahmen des Konkurses erfolgen soll. b) Die gleichen Überlegungen gelten für die Zeit nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses. Obwohl gerade hier eine Kapitalerhöhung zur Bereinigung der Situation führen kann, ist es doch Aufgabe der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung, über Ziele und Maßnahmen unter Berücksichtigung der neuen Situation zu befinden. 4. a) In allen soeben erörterten Fällen darf die Verwaltung auch dann, wenn im übrigen alle Voraussetzungen bereits gegeben sind, die Kapitalerhöhung nicht weiter durchführen und darf insbesondere die Durchführung zum Handelsregis-

10 Hachenburg-Schmidt, § 63 Anm. 16; Scholz, § 63 Anm. 16; Lutter, § 182 Anm. 35ff. mit weiteren Nachw.; a. A. die überwiegende Meinung: RGZ 77, 152, 155; 85, 205, 207; OLG Bremen, NJW 1957, 1560; Baumbach-Hueck, AktG, § 182 Anm. 4; Godin-Wilhelmi, § 182 Anm. 1; Wiedemann, § 182 Anm. 15.

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ter nicht anmelden11. Ist dieser Antrag in den hier erörterten Fällen bereits gestellt, so muß er im Zweifel zurückgenommen werden12. [213] b) Aber nicht nur die Verwaltung hat entsprechende Pflichten, sondern auch der Registerrichter. Er ist zu voller Kontrolle der Legalität des Vorganges berechtigt und verpflichtet13. Dazu gehört als Basis des ganzen Vorganges auch der (noch) wirksame Erhöhungsbeschluß. Diese Legalität aber ist nicht gewahrt, wenn trotz der soeben dargelegten neuen Vorgänge und neuen Daten und ggf. ohne eine erneute Stellungnahme durch die Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung vorgegangen wird14. III. Sonstige Hindernisse bei Durchführung der Kapitalerhöhung 1. Der Erhöhungsbeschluß enthält mit dem Erhöhungsbetrag das Ausmaß der geplanten Kapitalerhöhung und fixiert damit die Grenze, unterhalb derer sie scheitern muß. Gelingt es nicht, Gesellschafter oder Dritte zur Zeichnung bzw. Übernahme von Kapital in der beschlossenen Gesamthöhe zu gewinnen, so muß die weitere Durchführung der Kapitalerhöhung und insbesondere die zu ihrer endgültigen Wirksamkeit erforderliche Anmeldung und Eintragung der Durchführung im Handelsregister unterbleiben15. Diese Folge ist jedoch nicht in jedem Falle zwingend. Mit dem Erhöhungsbeschluß durch Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung soll die Mitentscheidung durch die Gesellschafter bei einer die Mitgliedschaft und ihren Wert stark berührenden Maßnahme sichergestellt werden. Das aber ist auch gewährleistet, wenn die Gesellschafter nur den Rahmen der gewünschten und jetzt durchzuführenden Kapitalerhöhung bestimmen, ohne sich auf einen genauen Betrag endgültig festzulegen. Daher kann der Beschluß von Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung statt eines festen Betrages [214] auch einen 11 Diese Pflicht kann sich auch aus der Einwirkung solcher Ereignisse auf die Wirksamkeit früherer Zeichnungen und Kapitalübernahmen ergeben; vgl. dazu unten IV, 3 b. 12 Zöllner, § 181 Anm. 14. 13 Vgl. dazu die Nachweise oben Fn. 3. 14 Steht nicht ein Gegenbeschluß in Frage, sondern ist eine klärende Stellungnahme erforderlich, so empfiehlt es sich nicht, den Eintragungsantrag sofort abzulehnen; vielmehr ist unter Hinweis auf diese Vorgänge und ihre Bedeutung eine klärende Stellungnahme im Wege der Zwischenverfügung anzuregen; denn diese Klärung kann innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen. 15 So ausdrücklich § 57 I GmbHG; vgl. Hachenburg-Schilling, § 57 Anm. 2; Scholz, § 57 Anm. 3; Baumbach-Hueck, GmbHG, § 57 Anm. 1. Zum AktG vgl. RGZ 85, 205, 207; BaumbachHueck, AktG, § 188 Anm. 3; Lutter, § 188 Anm. 7; Wiedemann, § 188 Anm. 2.

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Mindest- und einen Höchstbetrag der gewünschten Kapitalerhöhung enthalten16, 17. 2. a) Der Erhöhungsbeschluß kann darüber hinaus bestimmen, innerhalb welcher Frist die Kapitalerhöhung durch Eintragung im Handelsregister nach §§ 188, 189 AktG, 57 GmbHG vollzogen sein muß18. Diese Frist zwischen Erhöhungsbeschluß und Durchführung der Kapitalerhöhung darf einen angemessenen Umfang von höchstens sechs Monaten nicht überschreiten; andernfalls wäre, zumal in Verbindung mit einem variablen Erhöhungsbetrag, die Grenze zum genehmigten Kapital in so nicht zulässiger Weise überschritten. Das gilt in besonderem Maße für die GmbH, bei der das genehmigte Kapital de lege lata nicht besteht und völlig zu Recht auch de lege ferenda nicht vorgesehen ist19. b) Enthält der Erhöhungsbeschluß keine solche Frist, so haben Vorstand und Aufsichtsrat bzw. Geschäftsführung die Durchführung der Kapitalerhöhung unverzüglich zu betreiben20. Je nach dem, welche sonstigen Fristen zu beachten sind – z. B. § 186 I und II AktG – darf dabei ein Rahmen von 2-3 Monaten nicht überschritten werden21, 22. 3. Erreicht das Zeichnungsergebnis nicht den Erhöhungsbetrag bzw. dessen Mindestsumme oder wurde die Durchführungsfrist überschritten, so darf die Anmeldung der Durchführung zum Handelsregister nicht mehr erfolgen; geschieht dies dennoch, so hat das Registergericht den Eintragungsantrag zurückzuweisen. [215] 16 RGZ 85, 205; Baumbach-Hueck, AktG, § 182 Anm. 3; Godin-Wilhelmi, § 182 Anm. 3; Lutter, § 182 Anm. 12; Wiedemann, § 182 Anm. 7a; für die GmbH: Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 2; Baumbach-Hueck, GmbHG, § 55 Anm. 2; Scholz, § 55 Anm. 8. 17 Dieser Beschluß kann so auch nach § 184 AktG im Handelsregister eingetragen werden; zu den Wirkungen dieser, von der Durchführung der Kapitalerhöhung streng zu unterscheidenden Eintragung vgl. Lutter, § 184 Anm. 4. 18 Baumbach-Hueck, AktG, § 182 Anm. 3b; Lutter, § 182 Anm. 12. 19 Vgl. die §§ 154 ff. des RegE für ein neues GmbHG vom 31. 1. 1972. 20 RGZ 144, 138, 142; Godin-Wilhelmi, § 182 Anm. 3; Lutter, § 182 Anm. 12; zurückhaltender Baumbach-Hueck, AktG, § 182 Anm. 3; Wiedemann, § 182 Anm. 7b. 21 RGZ 87, 164, 167. 22 Dabei darf der Zusammenhang mit der nach § 185 I Nr. 4 AktG zwingend vorgeschriebenen Befristung der Bindung des Zeichners an die Zeichnung nicht übersehen werden; eine solche Befristung ist für die Übernahmeerklärung nach § 55 GmbHG nicht vorgeschrieben, aber zulässig: vgl. Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 18 und unten IV, 3.

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IV. Materieller Teil der Kapitalerhöhung Kapitalerhöhungen gegen Einlagen haben die Aufgabe, der Gesellschaft neues Eigenkapital zu verschaffen, sei es dadurch, daß hierfür der Gesellschaft ganz neue Mittel zufließen, sei es in der Form, daß bisheriges Fremdkapital in Eigenkapital umgewandelt wird. Das kann nicht durch die Gesellschaft selbst geschehen, sondern bedarf Mitwirkung der bisherigen Gesellschafter oder Dritter, die künftig Gesellschafter werden wollen. Dabei ist auch hier, wie insgesamt in unserer Rechtsordnung, zwischen Verpflichtung zur Mitwirkung ihrer Erfüllung zu unterscheiden. 1. Eingehen der Verpflichtung a) Die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Kapitalerhöhung seitens eines bisherigen Gesellschafters23 oder eines Dritten entsteht allein durch die Zeichnung nach den Regeln des § 185 AktG bzw. durch die Übernahme nach § 55 GmbHG. Beide Erklärungen sind formbedürftig; sie sind der eine Teil – in aller Regel das Angebot eines Vertrages auf Beitritt zur Gesellschaft oder auf Erweiterung der mitgliedschaftlichen Stellung in der Gesellschaft; Vertragspartner ist die Gesellschaft24. Die rechtsgeschäftliche Erklärung der Gesellschaft in diesem Zusammenhang ist formfrei, kann also auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden25 und bedarf in aller Regel nicht des Zuganges beim Vertragspartner, § 151 S. 1 BGB26; es genügt also, wenn die Gesellschaft den Interessenten in die nach §§ 188 III Nr. 1 AktG, 57 III Nr. 2 GmbHG erforderliche Liste einträgt, seine Erklärung [216] dem Registerrichter nach §§ 188 AktG, 57 GmbHG vorlegt oder sonstige rein interne Maßnahmen vornimmt, die nur als Annahme des Beitrittsangebotes zu werten sind.

23 Zum Bezugsrecht des Aktionärs vgl. § 186 AktG, zum Bezugsrecht des GmbHGesellschafters de lege lata vgl. Skibbe, GmbHRdsch. 1963, 46 ff., de lege ferenda siehe § 157 RegE GmbHG. 24 Als Aktiengesellschaft wird sie dabei unstreitig vom Vorstand, als GmbH dagegen nach Auffassung des BGH (BGHZ 45, 117, 119) durch die Gesellschafter vertreten – eine Interpretation, die einerseits dem stärker personalistischen Charakter der GmbH Rechnung trägt, andererseits ihre Organisationsstruktur ebenso wie die Tatsache übersieht, daß auch die GmbH sehr viele Gesellschafter haben kann: Durch den Hinweis, daß die Gesellschafter wiederum die Geschäftsführung entsprechend bevollmächtigen können und diese Vollmacht auch konkludent erteilt werden kann, wird die Aussage des BGH allerdings stark entwertet und zur Möglichkeit der richterlichen Korrektur im Einzelfall zurückgeführt. 25 Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 11; Scholz, § 55 Anm. 10; Baumbach-Hueck, GmbHG, § 55 Anm. 4 A; Godin-Wilhelmi, § 185 Anm. 3; Wiedemann, § 185 Anm. 1a. 26 Scholz, § 55 Anm. 10.

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b) Der Zeichner bzw. Übernehmer ist an sein Angebot aus der Zeichnungsbzw. Übernahmeerklärung über die regulären gesetzlichen Fristen nach §§ 145148 BGB und auch über die Dauer der von Vorstand oder Geschäftsführung bekanntgegebenen Zeichnungsfrist hinaus bis zum Ablauf der im Zeichnungsschein (§ 185 I Nr. 4 AktG) genannten Frist, sonst bis zum Ablauf der längsten Frist, bis zu der die Kapitalerhöhung vollzogen sein muß (oben Ziff. III 2), gebunden. Vorstand bzw. Geschäftsführung müssen also ihre Annahmeentscheidung nicht sofort treffen, sondern können die damit verbundene Auswahlentscheidung auch hinauszögern, bis sie einen entsprechenden Überblick über Erfolg und Personen der Kapitalerhöhung gewonnen haben. Bei dieser Sachlage und der damit verbundenen Ungewißheit für den Zeichner über einen nicht geringen Zeitraum hin, ist die Frage von Bedeutung, ob der Zeichner (Übernehmer) selbst nach § 148 BGB eine früher endigende Frist bestimmen kann, nach deren Ablauf sein Angebot die Wirksamkeit verliert und von der Gesellschaft nurmehr mit der Wirkung eines nun eigenen, den Zeichner selbst nicht verpflichtenden Angebotes (§ 150 I BGB) angenommen werden kann. Dem könnten zwei Überlegungen entgegen stehen. Einmal verlangt § 185 I Nr. 4 AktG ausdrücklich, daß im Zeichnungsschein eine Frist bestimmt ist, mit deren Ablauf die Zeichnung unverbindlich wird, „wenn nicht bis dahin die Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals im Handelsregister eingetragen ist“. Daraus könnte man schließen, daß eine anderweitige Befristung des Angebotes unzulässig ist. Zum anderen ist anerkannt, daß die aktienrechtliche Zeichnung nach § 185 II – von der eben erwähnten Regel des § 185 I Nr. 4 abgesehen – ebenso wie die Übernahme erhöhten Kapitals bei der GmbH unbedingt und unbefristet sein muß27; auch das könnte dahin verstanden werden, daß eine Befristung des Angebotes selbst unzulässig ist. Beides trifft nicht zu. aa) Entgegen seinem etwas mißverständlichen Wortlaut betrifft § 185 I Nr. 4 den Zeichnungsvertrag. Die Vorschrift sorgt dafür, daß die gesetzliche Bindung an die durch Vertrag begründete Obligation (§ 305 BGB) nach Ablauf einer überschaubaren Frist (s. oben III, 2) [217] und gemäß den Regeln für die auflösende Bedingung28 erlischt, ohne daß der Zeichner auf die thematisch und beweistechnisch schwierigen Regeln der §§ 275, 323 ff. BGB rekurrieren müßte. Angesprochen ist hier also die Bindung durch Obligation, nicht die Bindung nach §§ 145 ff. BGB an das Angebot. bb) Die gleichen Erwägungen gelten für das Verbot von Beschränkungen der Zeichnungserklärung. Dieses Verbot betrifft den Inhalt des Zeichnungs- bzw. 27 KG JW 1935, 1796; Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 17 und § 2 Anm. 39 ff.; Scholz, § 55 Anm. 17; Wiedemann, § 185 Anm. 5; Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, 1964, S. 91 mit weiteren Nachw. 28 Wiedemann, § 185 Anm. 1; Lutter, § 185 Anm. 37.

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Übernahmevertrages, damit also auch den sachlichen Inhalt des Angebots in der Zeichnungs- oder Übernahmeerklärung. Das Verbot bedeutet jedoch nicht, daß es dem Zeichner (Übernehmer) verwehrt sei, durch eine Befristung seines Angebotes nach § 148 BGB auf eine rasche Entscheidung der Verwaltung zu drängen, ob sein im übrigen unbeschränktes Angebot überhaupt berücksichtigt wird, eine Obligation überhaupt entstehen soll. 2. Rechtsnatur von Zeichnung und Übernahme erhöhten Kapitals Zeichnung und Kapitalübernahme sind Verträge und sichern damit dem Interessenten die Freiheit des Engagements29, der Gesellschaft die Auswahlfreiheit. Im übrigen haben sie den Beitritt des Interessenten zur Korporation Aktiengesellschaft bzw. GmbH oder die Erweiterung seines Engagements in der Gesellschaft zum Inhalt; sie sind korporative Aufnahme- und Beitrittsverträge. Mit ihrem Abschluß verliert die Gesellschaft – ggf. innerhalb der durch das Bezugsrecht gesetzten Grenzen, §§ 186, 187 AktG – die Auswahlfreiheit, während sich der Zeichner oder Übernehmer zur Leistung der Einlage und zur Erfüllung aller künftigen Aufgaben als Gesellschafter verpflichtet. Dagegen entsteht die Mitgliedschaft, also dasjenige, was der Zeichner oder Übernehmer eigentlich erstrebt, kraft Gesetzes (§ 189 AktG); sie wird von der Gesellschaft nicht „geliefert“, nicht „beschafft“. Eine Verpflichtung hierzu ist der Gesellschaft im Hinblick auf die Unsicherheiten aus dem Zeichnungsergebnis, den Fristen etc. auch mittelbar nicht möglich. Der Zeichnungs- und Übernahmevertrag ist daher (unvollkommen) zweiseitig verpflichtender Vertrag, nicht aber gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB30. Das elementare Interesse der Gesellschaft an der Vorleistung auf die Einlage dokumentiert jedoch eine gewisse Übereinstimmung mit den Interessen des [218] Zeichners oder Übernehmers an der künftigen Mitgliedschaft, so daß** in einzelnen Bereichen eine Anwendung der §§ 320 ff. BGB in Betracht kommen kann31, 32; im übrigen aber verbleibt es bei den allgemeinen Regeln. Siehe auch § 54 I AktG. BGHZ 49, 117, 119; BGH WM 1966, 1262, 1263; Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 10; Scholz, § 55 Anm. 10; Baumbach-Hueck, GmbHG, § 55 Anm. 3; Fischer, Großkomm. AktG, 2. Aufl., § 30 AktG 1937 Anm. 3; vgl. auch Wiedemann, § 185 Anm. 1. ** Anm. d. Hrsg.: Die (Original-)Zeile von „Zeichners“ bis „so daß“ steht im Original wohl druckfehlerhaft zwischen „3. Fortdauer der Verpflichtung“ und „a) Durch § 184 …“. 31 Zur entsprechenden Anwendung der §§ 320 ff. BGB im Korporationsrecht vgl. Staudinger-Keßler, Kommentar zum BGB, 11. Aufl. 1958, § 705 Anm. 6 ff.; A. Hueck, Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, S. 53 ff.; Lutter, § 185 Anm. 20 ff. 32 Das gilt insbesondere für § 326 BGB; da die Gesellschaft ohne die Mindesteinlage auf jede Zeichnung oder Kapitalübernahme nach §§ 188 II, 36 II AktG, 57 II, 7 II GmbHG nicht anmelden kann, damit aber die ganze Kapitalerhöhung ggf. gefährdet wird, muß sie nach 29 30

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3. Fortdauer der Verpflichtung a) Durch § 184 I Nr. 4 AktG ist, wie soeben schon erwähnt wurde, sichergestellt, daß die vertragliche Bindung des Zeichners aus dem Zeichnungsvertrag ebenso wie die der Gesellschaft selbst nach den Regeln für eine auflösende Bedingung (§ 158 II BGB) erlischt, wenn nicht die Durchführung der Kapitalerhöhung fristgemäß im Handelsregister eingetragen wird. Fehlt es daran, so ist der Zeichnungsvertrag mit Wirkung ex tunc ohne jede rechtliche Wirkung. Eine solche Regelung kennt das GmbH-Recht bislang nicht und soll es auch künftig als zwingende Regelung nicht enthalten (§ 156 IV RegE GmbHG). Dennoch ist sie auch dort schon heute zulässig33. Denn hier steht nicht die Gefahr einer in die künftige Mitgliedschaft hineinwirkenden Beschränkung oder Beseitigung der Leistungspflicht in Frage, sondern der Ausfall einer Kapitalübernahme vor deren Vollzug im Handelsregister. Daher ist ebenso klar, daß eine auflösende Bedingung, die über diesen Zeitpunkt der Eintragung von Kapitalerhöhung und ihrer Durchführung im Handelsregister hinaus wirken soll, unzulässig ist. Ist eine solche Abrede bei der GmbH-Kapitalerhöhung nicht getroffen worden, läßt aber der Vollzug im Handelsregister über die angegebene aber gesetzliche Frist hinaus (oben III, 2) auf sich warten, so entsteht für den Übernehmer die Frage, ob seine Bindung an die Obligation noch fortbesteht oder ob und ggf. wie er sie notfalls beseitigen kann. In diesem Zusammenhang wurde bereits oben festgestellt, daß eine verspätet eingereichte oder verspätet erst ordnungsgemäß gewordene Anmeldung über die Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister nach Ablauf der im Erhöhungsbeschluß genannten oder sonst angemessenen Frist vom Registergericht nicht mehr vollzogen werden darf – bei der AG schon im Hinblick auf [219] §§ 185 I Nr. 4, 188 AktG, bei der GmbH aus allgemeinen Erwägungen. Da man bei der rechtlichen Beurteilung von der ordnungsgemäßen Abwicklung einer Maßnahme auszugehen hat, ist hier von Bedeutung, daß die Durchführung der Kapitalerhöhung von der Verwaltung nicht mehr zum Handelsregister angemeldet und, sollte das doch geschehen, vom Registergericht nicht mehr eingetragen werden darf. Dem Abschluß der Kapitalerhöhung stehen also zwingende rechtliche Gründe entgegen, die in keiner Weise mehr von der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern beeinflußt werden können: Die endgültige Durchführung der Kapitalerhöhung ist also unmöglich geworden und zwar

§ 326 BGB vorgehen und den säumigen Zeichner oder Übernehmer durch einen Dritten ersetzen können. 33 Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 18; Liebmann-Saenger, Kommentar zum GmbHG, 7. Aufl. 1927, § 55 Anm. 7.

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aus rechtlichen Gründen34. Ist das der Fall, so mögen Ersatzansprüche der einen oder anderen Seite und somit auch Zahlungsansprüche der GmbH gegen den einzelnen Übernehmer verbleiben. Aber eine „Einlage“ des Übernehmers an die Gesellschaft kann es – ohne Kapitalerhöhung – nicht mehr geben: Der vorgestellte Zweck der vertraglich vom Übernehmer versprochenen Leistung, eine Einlage auf eine bestimmte Kapitalerhöhung zu erbringen, kann nicht mehr erreicht werden. Damit aber ist auch die Verpflichtung des Übernehmers selbst unmöglich geworden35. Der Übernehmer ist nach Ablauf der Frist, nach der die Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister nicht mehr eingetragen werden kann, ohne weiteres von seiner Einlagepflicht gemäß § 275 BGB frei36. b) Unter II wurden Erwägungen zu gravierenden Änderungen im Schicksal der Gesellschaft während einer laufenden Kapitalerhöhung aus dem Gesichtspunkt und aus den Interessen der Gesellschaft selbst getroffen. Dabei stand nur zur Erörterung, ob eine Fortsetzung der Kapitalerhöhung aus Überlegungen im Bereich der Gesellschaft selbst [220] ausgeschlossen ist. Nunmehr gilt es noch zu prüfen, wie diese Ereignisse auf einen etwa bereits bestehenden Zeichnungs- oder Übernahmevertrag einwirken. Führen sie zur Beseitigung der Verpflichtung aus diesen Verträgen, so ist insoweit zugleich die Durchführung der Kapitalerhöhung gestört: Ihre Fortführung mag nach den unter II entwickelten Regeln zwar zulässig sein, könnte jedoch bei Annahme dieser Rechtsfolge auf diese Zeichnungen oder Übernahmen von Kapital nicht mehr gestützt werden. aa) Die Aufhebung des Erhöhungsbeschlusses beseitigt die rechtliche Bindung der Partner aus Zeichnungs- und Übernahmeverträgen, die auf seiner Grundlage abgeschlossen wurden. Der Erhöhungsbeschluß ist die Basis für diese Maßnahmen. Entfällt er, so entfallen auch die auf ihm basierenden und zu seinem Vollzuge unternommenen Maßnahmen. Der vorgestellte Vertragszweck, nämlich die Aufnahme als Mitglied und die Leistungen als Einlage im Rahmen dieser Kapital-

34 Dazu vgl. Esser, Schuldrecht, Bd. I, 4. Aufl. 1970, § 33 I, 1, S. 203; Fikentscher, Schuldrecht, 3. Aufl. 1971, § 42 IV, 1, S. 186; Erman-Battes, Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 1972, Anm. 18 vor § 275 BGB. 35 Zum Leistungsbegriff, der nicht nur Leistungsverhalten, sondern auch einen Leistungserfolg umfaßt, vgl. Esser, § 35 I, S. 222; Wieacker, Festschrift Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 812; Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969, S. 16 f. mit weiteren Nachw.; Medicus, Bürgerliches Recht, 5. Aufl. 1971, S. 56. 36 Im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung wird überwiegend gelehrt, der Übernehmer habe die Möglichkeit des Rücktritts aus wichtigem Grund entspr. § 723 BGB, so z. B. RGZ 87, 164, 166; Hachenburg-Schilling, § 55 Anm. 18; Scholz, § 55 Anm. 20. Das widerspricht der oben vertretenen These, daß die Kapitalerhöhung einer GmbH im Hinblick auf die Abgrenzung zum hier verbotenen genehmigten und bedingten Kapital überhaupt nur innerhalb einer bestimmten Frist durchgeführt werden kann; dann aber kann auch die Bindung des Übernehmers die Frist nicht überdauern: Eine Gestaltung durch ihn nach Art einer Kündigung ist ebenso verfehlt wie überflüssig; im Ergebnis wie hier Liebmann-Saenger, § 55 Anm. 7.

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erhöhung, kann, da die Gesellschaft im Satzungsbereich, wie bereits erörtert, autonom bleibt, von keiner Seite mehr erreicht werden, § 275 BGB. Beschließt die Gesellschaft daher erneut eine Kapitalerhöhung, so kann ihre Durchführung auf Zeichnungen und Übernahmen auf den ursprünglichen Erhöhungsbeschluß selbst dann nicht gegründet werden, wenn die Frist zur Durchführung (oben III, 2) nicht überschritten wird37. bb) Diese Folge gilt nicht notwendig in gleicher Weise bei der Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahren über das Vermögen der Gesellschaft; denn diese Verfahren stehen der Durchführung einer regulären Kapitalerhöhung nicht entgegen. Doch ist es zunächst einmal Aufgabe der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung, über die etwaige Fortsetzung dieser Kapitalerhöhung zu befinden. a 1) Entschließen sich diese Versammlungen zum Abbruch der einst geplanten Kapitalerhöhung, so hat das im Verhältnis zu den Zeichnern und Übernehmern die gleiche rechtliche Wirkung wie ein Aufhebungsbeschluß: Die entsprechenden Pflichten der Vertragspartner werden, da ihr Zweck nicht mehr erreicht werden kann, unmöglich und damit wirkungslos, § 275 BGB. a 2) Wird dagegen die Fortsetzung der Kapitalerhöhung beschlossen, so bleibt die rechtliche Bindung der Zeichner und Übernehmer [221] bestehen38; da die Fortsetzung der ursprünglichen Kapitalerhöhung möglich ist, sind Konkurs und Vergleich keine Gründe, die zur Unwirksamkeit der Zeichnungs- und Übernahmeverträge ipso jure führen könnten. Wohl aber ist zu bedenken, daß sich die Basis des einstigen Entschlusses der Zeichner oder Übernehmer grundlegend geändert hat: Das endgültige Scheitern und gar Erlöschen der Gesellschaft ist naheliegend. Was ursprünglich ein normaler wirtschaftlicher Vorgang war, wird jetzt zu einem äußersten Versuch der Rettung. Der einzelne Zeichner und Übernehmer kann daher in der Regel aus wichtigem Grund seinen Zeichnungs- oder Übernahmevertrag kündigen39. Um von diesem seinem Recht Gebrauch machen zu können, muß der Betroffene Kenntnis von der geänderten Situation erhalten. Das ist keineswegs immer durch Presse und sonstige Mitteilungen gewährleistet. Fehlt es daran – was insbesondere bei kleineren Gesellschaften mbH dem Über37 Einen Hinweis auf diese Rechtsfolge gibt § 185 I Nr. 1 AktG mit dem Erfordernis, den Tag des Erhöhungsbeschlusses in den Zeichnungsschein aufzunehmen. Vgl. auch § 156 III Nr. 1 RegE GmbHG. 38 Anderer Ansicht Baumbach-Hueck, AktG, § 185 Anm. 3, die annehmen, der Konkurs vor Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister führe zur Nichtigkeit jedes Zeichnungsvertrages. Diese Auffassung beruht offenbar auf der Ansicht, daß eine Kapitalerhöhung während des Konkurses der Gesellschaft weder begonnen noch fortgesetzt werden könne; vgl. dazu oben II, 3 und Fn. 10. 39 Die Regel gilt nicht, wenn der Betreffende in voller Kenntnis der drohenden Gefahr eines Konkurses oder Vergleiches und mit dem Ziel, die Gefahr durch Kapitalerhöhung zu beseitigen, gezeichnet hat.

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nehmer einmal entgehen kann – so hat die Gesellschaft die vertragliche Nebenpflicht zu entsprechender Information des Zeichners oder Übernehmers40. V. Zwischenbilanz Unser Überblick hat gezeigt, daß unter einer Vielzahl tatsächlicher und rechtlicher Gründe die Durchführung einer einmal beschlossenen Kapitalerhöhung unterbleiben kann und ggf. unterbleiben muß; dadurch scheitert die Kapitalerhöhung endgültig. Eng verknüpft damit ist die Obligation zwischen der Gesellschaft und einem Zeichner (Übernehmer); sie kann aus den verschiedensten Gründen entfallen und damit ihrerseits den Vollzug der Kapitalerhöhung unmöglich machen; sie kann aber auch selbst erlöschen als Folge des fehlenden [222] Vollzuges der Kapitalerhöhung im Handelsregister. Daraus aber ergibt sich nun die Frage, wie sich die rechtliche Position der Beteiligten bei Abwicklung des gescheiterten Vorhabens darstellt. VI. Die rechtliche Stellung von Zeichner und Übernehmer nach dem Scheitern der Kapitalerhöhung 1. Leistungen der Zeichner und Übernehmer an die Gesellschaft Die bei der regulären Kapitalerhöhung vorgeschriebene Mindestleistung auf die Einlagepflicht aus Zeichnung bzw. Übernahme (§§ 188 II, 36 II AktG, §§ 57 II, 7 II GmbHG41) muß vor Anmeldung der Durchführung zum Handelsregister an die Gesellschaft und zur freien Verfügung des Vorstands bzw. der Geschäftsführung erfolgen. Nicht also ist die Leistung bereits mit Eingehung der Verbindlichkeit vorgeschrieben. Damit besteht an sich für die Gesellschaft die Möglichkeit, zunächst das Ergebnis von Zeichnungs- und Übernahmeaufforderung abzuwarten, Leistung aber erst zu begehren, wenn sich die Kapitalerhöhung vom Ergebnis her insgesamt als durchführbar erweist. Ein solches Vorgehen mag bei der Kapitalerhöhung von Gesellschaften mbH und kleineren Aktiengesellschaften auch einmal praktikabel sein. Das Verfahren ist jedoch praktisch – nicht rechtlich 40 Wird dem Registergericht fristgemäß eine vor Konkurseröffnung beschlossene und später bestätigte Kapitalerhöhung zur Eintragung der Durchführung vorgelegt, so hat es seinerseits den Fortbestand der Zeichnungen und Übernahmen aus der Zeit vor dem Konkurs bzw. Vergleich zu prüfen und ggf. entsprechende Bestätigungen von Vorstand bzw. Zeichner und Übernehmer anzufordern; zum Umfang des Prüfungsrechtes und der Prüfungspflicht vgl. die Nachweise oben Fn. 3. 41 25% und das etwaige Agio bei Bareinlagen im Aktienrecht, 25% ohne Agio, aber Sacheinlagen in voller Höhe im GmbH-Recht: Vgl. dazu Lutter, Kapital, S. 119, 250, 323, 482 f.

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– undurchführbar, wenn eine große oder größere Zahl von Zeichnungen zu erwarten ist; denn die Fristen, bis zu deren Ablauf die Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister eingetragen sein muß, erlauben es nicht, an jeden einzelnen Zeichner noch einmal mit der Aufforderung zur Zahlung heranzutreten. Darüber hinaus ist allgemein zu bedenken, daß die Anmeldung der Durchführung einer Kapitalerhöhung im Handelsregister voraussetzt, daß die vorgeschriebene Mindestleistung auf jede Einlage auch tatsächlich erbracht ist42; einzelne Zeichner (Übernehmer) können daher allein durch eine verspätete Leistung ihres Einlageteils die geplante Kapitalerhöhung dadurch in Gefahr bringen, daß die Anmeldung der [223] Durchführung zum Handelsregister deswegen nicht mehr rechtzeitig innerhalb der doch engen Fristen erfolgen kann. Die ganz eigentümliche Lösung des Gesetzes wird hier besonders deutlich: Der einzelne Zeichner ist zwar durch den Zeichnungsvertrag gebunden, kann jedoch durch Nichtleistung des Geschuldeten maßgebend darauf hinwirken, daß eben diese seine Obligation entfällt43. Daher verwundert es nicht, daß die Gesellschaften in aller Regel ihre Annahme des Zeichnungs- bzw. Übernahmeangebotes davon abhängig machen, daß mit dem Angebot auch schon die zur Anmeldung der Durchführung erforderliche Einlageleistung an die Gesellschaft erbracht wird. Das ist zulässig; das Gesetz verbietet die frühere Leistung nicht. Der Zeichner erfüllt damit die mit der Annahme seines Angebots entstehende Einlagepflicht; das aber ist nicht zwingend; denn möglicherweise entsteht die Pflicht überhaupt nicht oder sie entfällt später wieder: Wird sein Angebot nicht angenommen oder entfällt aus den dargelegten Gründen die Verpflichtung zur Leistung, so entsteht die Frage, ob und mit welchen Risiken diese Leistung zurückzugewähren ist. 2. Rückgewähr der Leistung a) Ist die Kapitalerhöhung endgültig gescheitert und ist damit die Obligation des Zeichners bzw. Übernehmers entfallen (§§ 158 II, 275 BGB), so ist der Zeichner oder Übernehmer endgültig zur Leistung nicht verpflichtet; hat er bereits geleistet, so geschah diese Leistung sine causa. Die Gesellschaft hat das Erlangte, also das Geld bzw. die sonstigen Gegenstände bei Sacheinlagen, gemäß §§ 158 II, 812 ff. BGB einschließlich aller hieraus gezogenen Nutzungen (§ 818

42 Vgl. den Wortlaut der §§ 36 II AktG und 7 II GmbHG, die über §§ 188 II AktG und 57 II GmbHG anwendbar sind; vgl. weiter Hachenburg-Schilling, § 7 Anm. 17; Scholz, § 7 Anm. 8; Baumbach-Hueck, GmbHG, § 57 Anm. 2 B; Kraft, Kölner Kommentar zum AktG, 1970, §§ 36 u. 37 Anm. 29; Godin-Wilhelmi, § 36 Anm. 11. 43 Zu den etwaigen Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft vgl. unten VI, 5.

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I BGB) zurückzugewähren44 oder, soweit sie dazu nicht mehr in der Lage ist, nach § 818 II BGB Wertersatz in Höhe des Verkehrswertes zu leisten45. Hat sie den Gegenstand einer Sacheinlage bereits unter dessen Wert veräußert, so ist in der Regel nach § 818 III nur der geringere Wert zu erstatten, während ein spekulativer Mehrerlös der Gesellschaft verbleibt46; dies gilt jedoch nach §§ 820, 818 IV, 292, 987 ff. [224] BGB dann nicht, wenn der Zeichner oder Übernehmer und die Gesellschaft entsprechend den Umständen damit gerechnet haben, daß die Kapitalerhöhung scheitern und der Rechtsgrund damit wegfallen kann47. b) Von diesem zurückzugewährenden Betrag kann die Gesellschaft nicht unter dem Gesichtspunkt der Entreicherung nach § 818 III BGB ihre Unkosten im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung ganz oder anteilsmäßig in Abzug bringen. Insoweit besteht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Vorteil (Leistung auf die Einlage an die Gesellschaft) und den Unkosten der Kapitalerhöhung48; diese Unkosten sind nicht im Hinblick auf diese Leistung entstanden, sondern schon zuvor aus dem allgemeinen Ziel der Gesellschaft zur Kapitalerhöhung; deshalb auch wären die Unkosten auf jeden Fall der Gesellschaft entstanden. c) Der Anspruch des Zeichners oder Übernehmers ist ein schuldrechtlicher Rückabwicklungsanspruch; er weist keine Besonderheiten auf. Im Konkurs und Vergleich der Gesellschaft handelt es sich daher auch nur um eine reguläre Vergleichs- bzw. Konkursforderung, §§ 25 ff. VglO, §§ 61 ff. KO. Weder besteht ein Aussonderungsrecht49, noch erst recht ein Anspruch auf abgesonderte Befriedigung nach den §§ 47 ff. KO. Zeichner und Übernehmer tragen also für die Zeit zwischen der Leistung ihrer Einlage und der Eintragung des Vollzuges der Kapi-

44 RG LZ 1914, 775, 776; Barz, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl. 1970, § 36 Anm. 18; Lutter, § 185 Anm. 37; Baumbach-Hueck, AktG, § 185 Anm. 6. 45 BGH NJW 1962, 2293; Soergel-Mühl, Kommentar zum BGB, 10. Aufl. 1969, § 818 BGB Anm. 11; Erman-Seiler, § 818 BGB Anm. 12; Fikentscher, § 100 V, S. 598; Larenz, Schuldrecht, Bd. II, 10. Aufl. 1972, § 70 I, S. 436. Anderer Ansicht Esser, Schuldrecht, Bd. II, 4. Aufl. 1971, § 105 I, 2, S. 378. 46 Soergel-Mühl, § 818 Anm. 11; Erman-Seiler, § 818 Anm. 12; Fikentscher, a. a. O.; Larenz, a. a. O. 47 BGH, Urteil vom 10.7.1961, LM Nr. 1 zu § 820 BGB. 48 BGH LM Nr. 2, 6, 7 zu § 818 III BGB; Erman-Seiler, § 818 Anm. 16. Die neuere Rechtslehre erachtet das Merkmal des adäquaten Zusammenhangs als zu ungenau und stellt statt dessen darauf ab, ob der Bereicherte die Aufwendungen im Vertrauen auf die Beständigkeit des vermeintlichen Vermögenszuwachses gemacht hat (vgl. Palandt-Thomas, Kommentar zum BGB, 32. Aufl. 1973, § 818 Anm. 6 A; Larenz, Bd. II, S. 440; Esser, Bd. II, S. 381; Staudinger-Seufert, § 818 Anm. 35 mit weiteren Nachw.): Auch unter diesem Gesichtspunkt kommt ein Abzug von Unkosten nicht in Betracht. 49 RGZ 70, 55, 57; RG LZ 1914, 775, 776; Böhle-Stamschräder, Kommentar zur KO, 10. Aufl. 1971, § 43 Anm. 7; Jaeger-Lent, Konkursordnung, 8. Aufl. 1958, § 43 Anm. 31; MentzelKuhn, Kommentar zur KO, 7. Aufl. 1962, § 43 Anm. 67.

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talerhöhung im Handelsregister das volle Risiko eines persönlichen Gläubigers der Gesellschaft. 3. Sicherung des Rückgewähranspruches a) Im Hinblick auf die soeben erörterte Rechtsfolge wird nicht selten versucht, das Risiko für Zeichner und Übernehmer aus dem Scheitern der Kapitalerhöhung infolge eines Konkurses oder Vergleichs der Gesellschaft zu beseitigen oder doch zu verringern. Dabei muß von folgenden Daten ausgegangen werden: [225] Spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem Vorstand und Aufsichtsrat bzw. Geschäftsführung die Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister anmelden, muß die vom Gesetz geforderte Mindesteinlage50 auf das erhöhte Kapital der Gesellschaft so an diese geleistet sein, daß sie zur freien Verfügung von Vorstand bzw. Geschäftsführung steht. Die Einlage muß dann also in das Eigentum (Vermögen) der Gesellschaft übergegangen und frei von allen Lasten und Beschränkungen sein. Andererseits ist eine Einforderung der Einlage vom Zeichner oder Übernehmer erst zu diesem Zeitpunkt mit hohen Zeitverlusten und Unkosten sowie Risiken für die Gesellschaft verbunden, so daß von daher die Leistung zusammen mit der Zeichnung geboten ist; doch muß die Leistung in diesem Zeitpunkt noch nicht in das Vermögen der Gesellschaft übergegangen sein; es genügt, wenn die Verfügung kurzfristig erfolgen kann. Unter diesen Aspekten sind verschiedene Gestaltungen möglich und werden mit unterschiedlichem Erfolg in der Praxis auch versucht. b) Gefahr für Zeichner und Übernehmer besteht überhaupt nur, wenn die Leistung (Geld oder sonstige Gegenstände) in das Eigentum der Gesellschaft gelangt ist. Bleibt die dingliche Zuständigkeit beim Zeichner und Übernehmer (Eigentum, Gläubigersteilung), so geht der Rückgewähranspruch nach §§ 812 ff. BGB überhaupt nur auf den Besitz und ähnliche Positionen, während ggf. zusätzlich ein Vindikationsanspruch (§ 985 BGB) besteht. Hier können Zeichner und Übernehmer Aussonderung nach § 43 KO begehren. Eine solche rechtliche Lage kann unter höchst verschiedenen tatsächlichen Gestaltungen bestehen. aa) Hatten Zeichner oder Übernehmer andere Gegenstände als Geld zu leisten, so konnte die Übereignung (§ 929 BGB) oder die Abtretung (§ 398 BGB) unter der aufschiebenden Bedingung der Anmeldung bzw. der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung erfolgen51. Soweit nicht im Hinblick 50 51

Vgl. oben Fn. 41. Dies gilt nicht bei Grundstücken, § 925 II BGB.

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auf die Natur des Gegenstandes Vermischung mit der Folge des Eigentumsverlustes (§§ 948, 947 II BGB) eingetreten ist, kann in diesen Fällen auch gegen den Konkursverwalter vindiziert werden, §§ 43 KO, 985 BGB. Das gleiche gilt bei einer Vermischung mit der Rechtsfolge des Miteigentums nach §§ 948, 947 I in Verbindung mit §§ 741 ff. BGB. bb) Hat ein Zeichner oder Übernehmer Geld zu leisten, so konnte die geschuldete Leistung durch Übereignung, aber auch durch Begrün- [226] dung einer Forderung der Gesellschaft gegen eine Bank erbracht werden, arg. § 54 III AktG52. Geschah ersteres, so kann wieder die auflösende oder aufschiebende Bedingung zur Möglichkeit der Aussonderung führen, wenn das Geld getrennt vom übrigen Geld der Gesellschaft gehalten wurde: Gesondert gehaltenes Geld kann in diesem Falle vindiziert, also auch ausgesondert werden53. Ähnliches gilt, wenn die Gesellschaft die fraglichen Gelder auf ein besonderes Konto eingezahlt hat. Hier wurde zwar die Bank Eigentümerin (§§ 929, 932, 161 III BGB) und die Gesellschaft Gläubigerin; der Vorgang war jedoch entgeltlich (Erwerb der Gläubigersteilung durch die Gesellschaft), so daß Ersatzaussonderung nach § 46 KO aus dem Sonderkonto stattfinden kann54. Hat die Gesellschaft die Beträge allerdings mit ihrem übrigen Geld vermischt, so entfällt jede Möglichkeit der Aussonderung55; auch § 46 KO ist nicht anwendbar, da keine Verfügung stattfand56. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Vorstand bzw. Geschäftsführung der Gesellschaft damit ggf. gegen ihre Zusagen verstoßen haben; das mag zu Schadenersatzansprüchen gegen die Gesellschaft und die Organmitglieder führen, nicht aber zu Rechten aus §§ 43, 46 KO. Bei Bareinlagen ist also selbst die Übereignung unter aufschiebender Bedingung und Verpflichtung von Vorstand oder Geschäftsführung zu gesonderter Aufbewahrung keineswegs „konkurssicher“. Wurde durch Begründung einer Forderung der Gesellschaft gegen eine Bank unter aufschiebender oder auflösender Bedingung geleistet, so entfällt mit dem Scheitern der Kapitalerhöhung die Gläubigersteilung der Gesellschaft. Zeichner oder Übernehmer haben dann vertragliche Ansprüche, mindestens aber Ansprüche aus §§ 812 ff. BGB gegen die Bank. Auch das gilt nicht mehr, wenn die Gesellschaft zuvor über die Guthaben verfügt hat, es sei denn, diese Verfügung habe entgegen den Vereinbarungen der Zeichner oder Übernehmer mit der Bank stattgefunden. cc) Haben Zeichner oder Übernehmer einem Dritten Geld oder sonstige Gegenstände übergeben mit der Weisung, an die Gesellschaft bei Vorlage der ordNäheres dazu bei Schilling in Hachenburg, § 7 Anm. 20. Mentzel-Kuhn, § 43 KO Anm. 4; Böhle-Stamschräder, § 43 KO Anm. 1. 54 Vgl. dazu Jaeger-Lent, § 46 KO Anm. 2, 13, 17 und 17a; Mentzel-Kuhn, § 46 KO Anm. 10. 55 Vgl. die Nachweise Fn. 53. 56 BGHZ 30, 176, 180. 52 53

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nungsgemäßen Anmeldung zum Handelsregister zu leisten und hat der Dritte sich an diese Weisung gehalten, so ist an die Gesellschaft überhaupt noch nicht geleistet worden. Der Dritte [227] ist hier Treuhänder der Leistenden und in aller Regel zugleich dinglich Berechtigter. Ist die Kapitalerhöhung gescheitert, so ist nicht die Gesellschaft, sondern der Treuhänder zur Rückgabe aufgrund des Treuhandvertrages verpflichtet. Das etwa ist der Fall, wenn die Abwicklung bei einem Rechtsanwalt oder Notar über ein sogenanntes Anderkonto erfolgt. In gleicher Weise kann aber auch eine Bank die Treuhänderstellung übernehmen. c) Die Gesellschaft selbst als Treuhänder? Wird, was in der Praxis gelegentlich geschieht57, die Bareinlage auf einem Sonderkonto der Gesellschaft verwahrt mit der Maßgabe, das Vorstand bzw. Geschäftsführung erst nach Vorlage der Anmeldung zum Handelregister verfügungsberechtigt sind, so ist Eigentümerin des Geldes bzw. Gläubigerin der Bankforderung die Gesellschaft. Bei einer solchen Abrede kann nicht ohne weiteres eine auflösende Bedingung der Übereignung des Geldes angenommen werden; die Überlegungen, wie sie soeben (b) angestellt wurden, treffen hier also nicht zu. Aufgrund der umfassenden Verfügungsbeschränkung der Gesellschaft ist in einem solchen Falle jedoch anzunehmen, daß die Gesellschaft selbst zunächst nur Treuhänder der ihr künftig zugedachten Leistung sein soll58. Dagegen Bestehen keine Bedenken; ebenso wie die Leistung unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung erbracht werden kann, ist es auch möglich, sie dinglich unbedingt, im übrigen aber so zu erbringen, daß aufgrund der schuldrechtlichen Sonderabreden wirtschaftlich der Schuldner vorerst noch Inhaber des fraglichen Gutes ist. Dann aber können die Leistungen auch hier nach §§ 43, 46 KO ausgesondert werden; denn im Konkurs des Treuhänders ist das Gut des Treugebers grundsätzlich aussonderungsfähig59. Das gilt insbesondere, wenn das Geld in natura gesondert verwahrt wurde oder auf einem Sonderkonto der Gesellschaft liegt60. [228] Vgl. RGZ 154, 70, 71. RG, a. a. O. 59 Vgl. dazu Jaeger-Lent, § 43 KO Anm. 38 ff.; Mentzel-Kuhn, § 1 KO Anm. 89 und § 43 KO Anm. 10 ff.; Böhle-Stamschräder, § 43 KO Anm. 9 ff. 60 Soweit die Leistung des Zeichners oder Übernehmers an die Gesellschaft nicht in der Verschaffung eben dieser Forderung gegen die Bank bestand – deren Abtretung dann verlangt bzw. deren Erlös ausgesondert werden kann – sondern in Bargeld (Scheck, Überweisung auf ein anderes Konto etc.), das von der Gesellschaft absprachegemäß diesem Konto gutgeschrieben wurde, ist Ersatzaussonderung der Forderung nach § 46 KO mit gleichem Ergebnis möglich; denn die Hingabe des Geldes (Forderung) seitens der Gesellschaft an die Bank zur Begründung der Forderung auf diesem Sonderkonto erfolgte entgeltlich; vgl. im übrigen die Nachw. oben Fn. 54. 57 58

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Hat sich die Gesellschaft allerdings an diese Regeln nicht gehalten, so haben Zeichner und Übernehmer das Nachsehen; denn der Rückgewähranspruch ebenso wie der Schadenersatzanspruch aus der Verletzung des Treuhandvertrages sind nur reguläre Konkursforderungen. 4. Sonstige Ansprüche der Zeichner und Übernehmer a) Zeichnungs- und Übernahmeverträge haben korporative Charakter; sie sind keine Austauschverträge61. Ihr allgemeiner Inhalt wurde bereits oben erörtert62. Fraglich ist aber noch, ob die Gesellschaft aus diesem Vertrag heraus auch verpflichtet ist, alles erforderliche zu tun alles zu unterlassen, was dem Ziel – Durchführung der Kapitalerhöhung – entgegenwirken könnte, ob sie dem Zeichner und Übernehmer gegenüber also noch zur Beseitigung des Erhöhungsbeschlusses, zur Versäumung der Fristen für die Anmeldung zum Handelsregister etc. berechtigt ist. Diese Frage ist durch die oben festgestellte fortdauernde Autonomie der Gesellschaft auch in diesem Bereich nicht beantwortet; denn sie besagt zunächst nur, daß die Gesellschaft noch entsprechend vorgehen kann, nicht aber ob sie den Zeichnern und Übernehmern gegenüber es auch noch darf. b) Die Autonomie der Gesellschaft über ihre Satzung im normativen Rahmen ist ein Strukturprinzip des Korporationsrechts: Dritte sollen auf die statutarische Gestaltung der einzelnen Gesellschaft keinen Einfluß gewinnen63. Daher gibt es keine wirksame Verpflichtung der Gesellschaft zu bestimmter statutarischer Gestaltung oder Nichtgestaltung64. Diese Autonomie ist auch unabhängig von der Organzuständigkeit im Einzelfall; es ist also gleichgültig, ob die mangelnde Eintragung der durchgeführten Kapitalerhöhung auf einem Gegenbeschluß der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung beruht oder auf die Untätigkeit des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung zurückzuführen ist. Ein Anspruch des Zeichners oder Übernehmers auf Durchführung der Kapitalerhöhung („Erfüllung“ im Sinne der Verschaffung der erstrebten Mitgliedschaft) kann daher [229] nicht bestehen. Das schließt zugleich einen Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses aus; denn dieser Anspruch ist eine Folge der Umwandlung

BGHZ 49, 117, 119; BGH WM 1966, 1262, 1263. Vgl. oben IV, 2. Dabei ist hier auch ohne Belang, wer die Gesellschaft vertritt; vgl. BGH, a. a. O., gegen RGZ 109, 79 sowie oben Fn. 24. 63 Vgl. Wiedemann, § 179 Anm. 4a. 64 Dem steht nicht entgegen, daß sich der einzelne Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen verpflichten kann, bei einer bestimmten Abstimmung in bestimmter Weise zu votieren; vgl. dazu Lübbert, Abstimmungsvereinbarungen in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG-Staaten, der Schweiz und Großbritannien, 1971, S. 95 ff.; Overrath, Die Stimmrechtsbindung, Diss. Bochum 1972. 61 62

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des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs65, für dessen mangelnde Realisierbarkeit ein Ausgleich gewährt werden soll. Auch das „Erfüllungsinteresse“ von Zeichner und Übernehmer ist also rechtlich nicht geschützt. c) Die Gesellschaft ist dennoch nicht ohne vertragliche Pflichten gegenüber Zeichner und Übernehmer. So kann sie vor allem keinem Dritten mehr vorziehen. Darüber hinaus entstehen für sie aus diesem Schuldverhältnis Schutz- und Treuepflichten66. Diese Nebenpflichten der Gesellschaft muß man hier um so mehr betonen, als die Pflichtenlage zwischen Gesellschaft und Zeichner bzw. Übernehmer im Zeitraum zwischen Vertragsschluß und Eintragung der Durchführung im Handelsregister ungleichmäßig verteilt ist: Zeichner und Übernehmer sind zur Leistung von Vermögen an die Gesellschaft verpflichtet, die Gesellschaft selbst aber nicht zur Verschaffung der Mitgliedschaft. Aus dieser Lage ist es der Gesellschaft nicht gestattet, ihre fortbestehende Autonomie beliebig zu Lasten von Zeichner und Übernehmer auszuüben. Zwar kann der Gesellschaft mangels entsprechender Verpflichtung die Einräumung der Mitgliedschaft weder unmöglich werden noch kann sie damit in Verzug geraten. Doch wo sie durch Aufhebungsbeschluß, bewußte Verzögerung etc. die Kapitalerhöhung verhindert und damit ohne Rücksicht in die von ihr selbst geschaffene Lage von Zeichner und Übernehmer eingreift, muß sie diese durch Ersatz des sog. Vertrauensinteresses so stellen, als habe der gesamte Vorgang nicht stattgefunden67. Das gilt naturgemäß nicht, wo die Gesellschaft nicht autonom handelt, die Kapitalerhöhung vielmehr aus anderen Gründen (ungenügendes Zeichnungsergebnis, Konkurs, Vergleich) scheitert. 5. Ansprüche der Gesellschaft gegen Zeichner und Übernehmer Haben Zeichner oder Übernehmer nicht geleistet, war deshalb die Anmeldung der durchgeführten Kapitalerhöhung nicht möglich (§§ 188 II, 36 II AktG, 57 II, 7 II GmbHG) und ist auf diese Weise die Kapitalerhöhung gescheitert, so mag sich die Gesellschaft fragen, [230] ob sie ihren Schaden daraus beim säumigen Vertragspartner liquidieren kann. a) Für den Ersatz des reinen Verspätungsschaden kann daran bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen aus § 286 I BGB kein Zweifel bestehen. b) Im übrigen aber ist mit dem endgültigen Scheitern der Kapitalerhöhung der Zeichnungsvertrag nach §§ 185 I Nr.4 AktG, 158 II BGB in jedem Falle, der 65 Soergel-Reimer-Schmidt, § 280 BGB Anm. 1; Staudinger-Werner, § 280 Anm. 4; PalandtHeinrichs, § 280 Anm. 1; Larenz, Schuldrecht, Bd. I, 10. Aufl. 1970, § 22 I, S. 243; Fikentscher, § 44 II, 2 a, S. 200. 66 Larenz, Bd. I, S. 8; Esser, Bd. I, S. 26 f.; Soergel-Reimer-Schmidt, Anm. 37 vor § 275. 67 Vgl. dazu Esser, Bd. I, § 52 VII, 1, S. 387; Soergel-Reimer-Schmidt, Anm. 39 vor § 275 BGB.

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Übernahmevertrag nach den ggf. gleichermaßen vereinbarten Regeln wirkungslos. Hat der Zeichner selbst dieses Ergebnis herbeigeführt, so ist § 162 BGB anwendbar68 mit der Folge, daß das Schuldverhältnis an sich als fortbestehend gilt. Das kann unmittelbar hier nicht in Frage kommen, da eine Einlage auf eine nicht mehr durchführbare Kapitalerhöhung aus korporationsrechtlichen Gründen ausscheidet. Dann aber gilt hier im Rahmen der Fiktion des § 162 BGB das gleiche wie allgemein für den Übernahmevertrag69: Der vom Zeichner und Übernehmer mit der versprochenen Leistung verfolgte Zweck – Einlage auf eine bestimmte Kapitalerhöhung – kann nicht mehr erreicht werden; die versprochene Leistung ist unmöglich geworden. Die Rechtsfolge zugunsten der Gesellschaft ergibt sich dann einheitlich aus §§ 275, 280 BGB; die Gesellschaft kann von dem betreffenden Zeichner oder Übernehmer Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen; dieser Anspruch umfasst alle Nachteile der Gesellschaft aus dem Scheitern des Vorhabens. Dieses hohe Risiko von Zeichner und Übernehmer korrespondiert wenig mit dem soeben (Ziff. 4) festgestellten Haftungsrahmen der Gesellschaft selbst, wenn durch ihr Verhalten die Kapitalerhöhung scheitert. Zur Minderung dieser einseitigen Risikoverteilung trägt die Gesellschaft eine strenge Schadenminderungspflicht. So muß die Gesellschaft gegen einen Ausfall von Einlageverpflichtungen möglichst umfassend Vorsorge treffen. Diesem Erfordernis wird Genüge getan, wenn der Antrag von Zeichner und Übernehmer überhaupt nur bei gleichzeitiger Leistung der Mindesteinlage angenommen wird. Da gerade dieses Vorgehen üblich ist und die Gesellschaft in hohem Maße vor einem Scheitern der Kapitalerhöhung aus solchen Gründen schützt, führt jede andere Gestaltung in der Regel zu einer erheblichen Minderung und möglicherweise gar einem Ausschluß des grundsätzlich bestehenden Schadenersatzanspruchs nach § 254 I BGB. Sollte die Festlegung der Sofortleistung im Einzelfalle unterbleiben, so ist die Gesellschaft jedenfalls unter den Aspekten der Schadens- [231] minderung verpflichtet, sich innerhalb der zur Verfügung stehenden Fristen vom Säumigen nach den Regeln des § 326 BGB zu lösen70 und zu versuchen, einen anderen Interessenten und dessen Leistung noch innerhalb der hier zur Verfügung stehenden Fristen zu gewinnen.

68 Zur Bedeutung des § 162 BGB und des in ihm formulierten allgemeinen Rechtsgedankens vgl. Staudinger-Coing, Anm. 11 zu § 162. 69 Siehe dazu oben Fn. 35. 70 Zur Anwendbarkeit von § 326 BGB bei Verzug des Zeichners oder Übernehmers vgl. Fn. 32.

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VII. Unzulässige Eintragung der Durchführung im Handelsregister Haben in den erörterten Fällen Vorstand und Aufsichtsrat bzw. Geschäftsführung die Durchführung der Kapitalerhöhung zu Unrecht beim Handelsregister angemeldet und wurde sie dort ebenso zu Unrecht eingetragen, so ist das Kapital der Gesellschaft erhöht. Die Eintragung wirkt in vollem Umfange konstitutiv. Neue Mitgliedschaften sind entstanden, die normalerweise de jure in der Person der Zeichner oder Übernehmer entstehen. In vielen Fällen sind deren Zeichnungs- und Übernahmeverträge jedoch vor dieser Eintragung wirkungslos geworden, §§ 158 II, 275 BGB und ggf. Kündigung aus wichtigem Grund. Da insoweit keine rechtlich wirksamen Verbindungen zwischen diesen Personen und der Gesellschaft mehr bestehen, können auch die Mitgliedschaften nicht für sie entstehen. An der rechtlichen Stellung dieser einstigen Partner der Gesellschaft aus einem Zeichnungs- oder Übernahmevertrag so, wie sie oben erläutert wurden, ändert sich also auch durch eine unzulässige Eintragung der Durchführung im Handelsregister grundsätzlich nichts; allerdings ist in einzelnen dieser Fälle Heilung nach § 185 III AktG bei Ausübung von Aktionärsrechten möglich. VIII. Genehmigtes und bedingtes Kapital der Aktiengesellschaft 1. Für das genehmigte Kapital ergeben sich gegenüber den hier entwickelten Grundsätzen keine wesentlichen Besonderheiten; denn diese Form der Kapitalerhöhung unterscheidet sich von der regulären Kapi- [232] talerhöhung vor allem durch eine erweiterte Zuständigkeit der Verwaltung. So kann etwa hier die Verwaltung – wie sonst die Hauptversammlung – ihren Entschluß zur Kapitalerhöhung zurücknehmen. Im Konkurs und Vergleich der Gesellschaft kann sich die Verwaltung allerdings auf die Ermächtigung aus §§ 202 ff. AktG nicht mehr berufen; hier können Maßnahmen nur fortgesetzt und neue nur eingeleitet werden unter Mitwirkung der Hauptversammlung. 2. a) Demgegenüber besteht beim bedingten Kapital die Besonderheit, daß die Kapitalerhöhung für jeden einzelnen Bezugsfall von der Verwaltung durch „Ausgabe“ junger Aktien vollzogen werden kann, § 199 AktG. Hier entsteht also weder praktisch noch theoretisch der sonst möglicherweise erhebliche zeitliche Abstand zwischen Zeichnung und Leistung einerseits, Vollzug der Kapitalerhöhung andererseits.

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Darüber hinaus ist die Gesellschaft aus den auf dieser Grundlage ausgegebenen Bezugsrechten (§§ 192 AktG) und dem bedingten Kapital, das nicht mehr der Autonomie der Gesellschaft unterliegt (§ 192 IV AktG), auch zur Lieferung von Bezugsaktien verpflichtet. Die praktischen Fälle des Scheiterns reduzieren sich daher hier auf die Eröffnung von Konkurs oder Vergleich nach der Bezugserklärung des Berechtigten (§ 198 AktG) und Leistung seiner Einlage einerseits, der geplanten Aktienausgabe nach § 199 AktG andererseits. Zunächst gelten die oben bereits angestellten Erwägungen. Doch ist die Ausgabe von Bezugsaktien in diesen Fällen nicht ausgeschlossen, sondern bei ausdrücklicher Zustimmung des Betroffenen zulässig: Wegen § 192 IV AktG kann die Hauptversammlung auch im Hinblick auf den Konkurs nicht anders disponieren; und die Abwicklung als Kapitalerhöhung ist für die Konkursgläubiger nur günstig. b) Besondere Fragen können sich jedoch bei Wandelschuldverschreibungen ergeben. Hier hat der Berechtigte zunächst einen Zahlungsanspruch gegen die Gesellschaft aus § 793 BGB. Dieser Anspruch ist sehr oft dinglich gesichert und schützt den Gläubiger vor Ausfällen in Konkurs und Vergleich. Macht der Berechtigte nun mit der Wandlungserklärung von der ihm weiter zustehenden facultas alternativa Gebrauch, so verliert er einerseits seinen Zahlungsanspruch aus § 793 BGB, erfüllt aber andererseits seine aktienrechtliche Einlagepflicht71. Kommt es jetzt zur Eröffnung von Konkurs oder Vergleich, ehe die Ausgabe der Bezugsaktie nach § 199 erfolgte, so ist der Be- [233] troffene nicht mehr Gläubiger nach § 793 BGB und noch nicht Aktionär. Lehnt er in dieser Lage die Mitwirkung bei der Ausgabe der ihm zustehenden Bezugsaktie nach § 199 AktG ab72, so hat es dabei sein Bewenden: Ihm kann die Stellung als Aktionär nicht aufgezwungen werden. Es verbleibt ihm dann ein völlig ungesicherter Anspruch aus § 812 BGB als Konkurs- bzw. Vergleichsforderung73.

71 Vgl. dazu Schilling in Großkomm. § 221 Anm. 1; Baumbach-Hueck, AktG, Anm. 5 vor § 221; Godin-Wilhelmi, § 221 Anm. 3; Lutter, § 194 Anm. 3 und § 221 Anm. 11; derselbe, Kapital, S. 168, 244 f.; Meyer, BB 1955, 549. 72 Zum Charakter der Aktienausgabe nach § 199 AktG als Begebungsvertrag vgl. GodinWilhelmi, § 199 Anm. 2; Lutter, § 199 Anm. 3 und Anh. zu § 68 Anm. 9. 73 Zu Unrecht nehmen Jaeger-Weber, Anm. 45 zu §§ 207, 208 KO an, daß der Wandlungsgläubiger die Rechte aus der Schuldverschreibung behalte, solange er diese in Händen hat. Dabei wird übersehen, daß die Gestaltungserklärung des Gläubigers aufgrund seiner Ersetzungsbefugnis die Basis seines Rechtsverhältnisses und seiner Ansprüche zur Gesellschaft endgültig geändert hat und daß diese Tatsache von der Gesellschaft (Konkursverwalter) nach § 796 BGB dem Betreffenden entgegengesetzt werden kann, soweit er aus der Inhaberschaft an der Urkunde weitergehende Rechte herleiten will.

Vorleistungsrisiko der Zeichner und „freie Verfügbarkeit“ bei Gründung und Kapitalerhöhung IN: KÜBLER/MERTENS/WERNER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR THEODOR

HEINSIUS, BERLIN 1991, S. 497-521 I. Einleitung 1. Das Problem Nach den §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 2, 188 Abs. 2 AktG darf die Anmeldung einer Aktiengesellschaft oder einer Kapitalerhöhung in ihr zum Handelsregister erst erfolgen, wenn bei Sacheinlagen voll und bei Bareinlagen der eingeforderte Geldbetrag – nach § 36a Abs. 1 AktG mindestens 25% – ordnungsgemäß geleistet/ eingezahlt worden sind und endgültig zur freien Verfügung des Vorstands stehen. Im Prinzip gelten die gleichen Regeln auch für die GmbH, ihre erstmalige Anmeldung zum Handelsregister und spätere Kapitalerhöhungen in ihr, §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a und 57 Abs. 2 GmbHG; das GmbHG ist insoweit strenger, als Mindestregeln für die erste Leistung bei Gründung der GmbH bestehen (§ 7 Abs. 2 S. 2 GmbHG) – eine Regelung, die das AktG nicht kennt1. Da die Mitgliedschaftsrechte erst mit Eintragung der Gesellschaft bzw. der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister entstehen, zwingt das Gesetz die Zeichner bzw. Übernehmer des Kapitals mithin zu Vorleistungen. Wie bei allen Vorleistungen wird dadurch ein nicht geringes Risiko für den Leistenden begründet2. Scheitert nämlich die Gründung oder scheitert die Kapitalerhöhung3, so stehen den Gesellschaftern/Zeichnern zwar schuldrechtliche Rückabwicklungsansprüche zu; diese sind jedoch bei gescheiterter Gründung nur Liquidationsansprüche mit

1 Da das Mindest-Grundkapital bei der AG DM 100000,- beträgt, führt die Regelung über die Mindestleistung nach § 36a Abs. 1 AktG zu ebenfalls DM 25000,-: GmbH und AG können also gleichermaßen mit liquiden Mitteln von nur DM 25000,- gegründet werden. 2 Das zu vermeiden, ist der Sinn der gesetzlichen Zug-um-Zug-Lösung in § 320 BGB. 3 Zu den Gründen für das Scheitern einer Kapitalerhöhung vgl. Lutter, Gescheiterte Kapitalerhöhungen, FS Schilling, 1973, S. 207 ff; ders., in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 189 Rdn. 7 ff.

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Nachrang hinter allen anderen Verbindlichkeiten der [498] Vorgesellschaft4; bei gescheiterter Kapitalerhöhung handelt es sich zwar um Rückgewähransprüche nach §§ 812 ff BGB5, die jedoch in der Insolvenz der Gesellschaft nur reguläre Vergleichs- bzw. Konkursforderung (§§ 25 ff VerglO, 61 ff KO), dann also nur noch von ganz geringem Wert sind: weder besteht ein Aussonderungsrecht6, noch erst recht ein Anspruch auf abgesonderte Befriedigung nach den §§ 47 ff KO. Solche Fälle sind im GmbH-Recht gar nicht selten: Verbrauch der Anfangsleistung der Gesellschafter schon vor Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister7 oder Sanierungsversuch durch Kapitalerhöhung mit Konkurseröffnung vor deren Vollzug. In der Praxis des Aktienrechts werden diese negativen Entwicklungen für den normalen Aktionär mindestens bei der Kapitalerhöhung durch die Einschaltung von Emissionskonsortien vermieden8; aber das löst auch in der AG nicht das Problem von Sacheinlagen9 und auch nicht die gar nicht so seltenen unmittelbaren Zeichnungen durch große Aktionäre10. Da somit die Übernehmer/Zeichner von Kapital für die Zeit zwischen ihrer Leistung nach den Regeln der §§ 36, 36a Abs. 2, 188 Abs. 2 AktG, [499] 7, 8, 56a, 4 Dazu RG LZ 1914, 775, 776; Barz, Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 36 Anm. 18; Kraft, Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 41 Rdn. 33; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 11 Rdn. 56; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 11 Rdn. 8; Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., GmbHG, § 11 Rdn. 41; Rowedder/Rittner, GmbHG, § 11 Rdn. 66; Baumbach/Hueck/Hueck, GmbHG, § 11 Rdn. 27. 5 Näher dazu Lutter, Gescheiterte Kapitalerhöhungen, FS Schilling, 1973, S. 207 ff; ders., in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 189 Rdn. 7 ff; ferner RGZ 87, 165, 167; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 185 Anm. 6; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 55 Rdn. 22; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 55 Rdn. 60; Scholz/Priester, GmbHG, § 55 Rdn. 81; Rowedder/Zimmermann, GmbHG, § 55 Rdn. 39; Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften, 1990, S. 11. 6 RGZ 70, 55, 57; RGZ LZ 1914, 775, 776. 7 Vgl. nur die Fälle BGHZ 105, 300; OLG Köln ZIP 1989, 238, 240; BayObLG NJW 1988, 1599. 8 Im Zusammenhang mit einem sog. mittelbaren Bezugsrecht (dazu Lutter, Kölner Komm., § 186 Rdn. 102 ff) oder einer anderweitigen breiten Plazierung der Aktien übernimmt/zeichnet ein Kreditinstitut oder ein Konsortium verschiedener Kreditinstitute den Erhöhungsbetrag. Aufgrund entsprechender Vorklärungen beim Registergericht kann dann die Zeit und damit das Risiko zwischen Zahlung (auf ein Konto beim betreffenden Kreditinstitut bzw. beim konsortial führenden Kreditinstitut!; dazu Lutter, Kölner Komm., § 54 Rdn. 37), Anmeldung und Eintragung auf ganz wenige Tage, ja oft nur auf Stunden reduziert werden. 9 So gerade kürzlich die Einbringung eines ganzen Unternehmensbereiches von Siemens im Rahmen einer Sach-Kapitalerhöhung bei der Nixdorf AG? Vgl. BAnz. Nr. 122 vom 5. 7. 1990, S. 3453. 10 Vgl. etwa die als Sanierung geplante Kapitalerhöhung bei der Beton- und Monierbau AG (BuM) mit den sich anschließenden Verfahren des Konkursverwalters gegen verschiedene Zeichner: BGHZ 96, 231; ferner das Engagement von General Motors in der IBH und dazu die Feststellungen des LG Koblenz (WM 1986, 1315, 1316).

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57 Abs. 2 GmbHG und der Eintragung der Gesellschaft bzw. des Vollzuges der Kapitalerhöhung im Handelsregister das volle Risiko eines persönlichen und ungesicherten Gläubigers der (werdenden) Gesellschaft tragen, werden sie vernünftigerweise bestrebt sein, das Risiko zu minimieren, das sich aus einem etwaigen Scheitern der Gründung oder der Kapitalerhöhung für sie ergeben kann. 2. Die Gestaltungsmöglichkeiten Eine der weniger rechtlichen als praktischen Möglichkeiten zur Minderung des Risikos ist die Reduzierung des Faktors Zeit zwischen Leistung der Einlage und dem Vollzug der fraglichen Eintragung im Handelsregister; davon war soeben schon die Rede11 und soll fürderhin nicht mehr die Rede sein. Es geht hier um rechtliche Maßnahmen. Die dafür möglicherweise geeigneten Gestaltungsformen lassen sich im wesentlichen in zwei Fallgruppen unterteilen: a) Bei der ersten wird versucht, dem Zeichner/Übernehmer die dingliche Verfügungsmacht über den Einlagegegenstand möglichst lange zu erhalten. Hierzu gehört die Übertragung des Einlagegegenstandes nach den für ihn jeweils maßgeblichen Vorschriften unter der aufschiebenden Bedingung der Anmeldung zum bzw. Eintragung der Gesellschaft/Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister oder der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Gründung oder Kapitalerhöhung. b) Bei der zweiten Fallgruppe soll den Sicherungsinteressen der Übernehmer/ Zeichner durch Einschaltung eines Treuhänders Rechnung getragen werden. Hierzu gehört etwa der Fall, daß die Einlageleistung über ein Notaranderkonto abgewickelt wird mit der Maßgabe, die Mittel gleichzeitig mit der ordnungsgemäßen Anmeldung zum oder der Eintragung der Gesellschaft bzw. der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister für den Vorstand/Geschäftsführer freizugeben. Ob es sich bei der bedingungsabhängigen Leistung bzw. der Einschaltung eines Treuhänders um zulässige Gestaltungsformen zur Sicherung der Zeichnerinteressen handelt, ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Denn fehlt es an den Voraussetzungen der §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG bzw. der §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a, 57 Abs. 2 GmbHG, so riskiert die Gesellschaft die Zurückweisung der Eintragung durch das Registergericht. Darüber hinaus kommt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorstandes bzw. der Geschäftsführer nach den Vorschriften der §§ 399 Abs. 1 AktG, 82

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Oben sub 1.

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Abs. 1 [500] GmbHG in Betracht12. Und schließlich läuft der Zeichner/Übernehmer Gefahr, seine Leistung erneut erbringen zu müssen, wenn durch die gewählte Art der Einlageleistung die Befreiung von der Einlagepflicht nicht eingetreten ist13. 3. Übersicht über den Meinungsstand a) Die bedingte Einlageleistung Ob eine Einlageleistung, insbesondere eine Sacheinlage, an der im Zuge der Gründung/Kapitalerhöhung das volle Recht eingebracht werden soll, zur freien Verfügung des Vorstands/Geschäftsführers bewirkt ist, wenn sie der Gesellschaft (aufschiebend oder auflösend) bedingt auf die Anmeldung oder Eintragung übertragen wurde, wird in der Rechtsprechung und Literatur nur vereinzelt behandelt. aa) BGH, Urteil vom 13. 6. 1958 – VIII ZR 202/57 In dem diesem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Kläger im Rahmen einer GmbH/Kapitalerhöhung eine Stammeinlage übernommen und sich zur Leistung von Maschinen darauf, also zu einer Sacheinlage verpflichtet. Der Kläger erbrachte die versprochenen Leistungen; es kam jedoch nicht zur Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister. Der Bundesgerichtshof hat die auf § 985 BGB gestützte Herausgabeklage für begründet gehalten, weil die Einbringung der Maschinen als Übereignung unter der aufschiebenden Bedingung der demnächstigen Eintragung (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB) habe gedeutet werden müssen14. bb) Das Schrifttum

12 Vgl. dazu die Nachw. Fn. 10 sowie BGH AG 1988, 331 („Kerkerbachbahn“); LG Koblenz, WM 1988, 1630 („IBH/Esch“); LG Koblenz, WM 1990, 2078, 2079 („IBH“); vgl. ferner die statistischen Angaben bei Scholz/Tiedemann, GmbHG, vor §§ 82 ff Rdn. 7. 13 BGHZ 96, 231 (BuM) und BGH WM 1990, 222 (IBH) sowie Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 54 Rdn. 46; Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., § 7 Rdn. 48; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl. 1991, § 7 Rdn. 12; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 112. 14 Der BGH, S. 4 seiner Entscheidungsgründe: „… Wenn er (scil. der klagende Übernehmer) die übernommene Sacheinlage in dem Vertrag zur freien Verfügung der Geschäftsführer der Gesellschaft gestellt und die einzubringenden Gegenstände dann auch tatsächlich der Beklagten zur Benutzung überlassen hat, so ist damit nicht schon notwendigerweise Eigentum auf die Beklagte übertragen worden. Es ist vielmehr möglich, daß die Gegenstände der Beklagten zunächst nur zur Benutzung überlassen oder nur unter der aufschiebenden Bedingung der demnächstigen Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister übereignet worden sind.“

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Im Schrifttum ist diese Entscheidung auf Kritik gestoßen. In seiner Urteilsanmerkung hält Pleyer15 es zwar grundsätzlich für möglich, daß [501] jemand (zunächst) nicht Eigentümer wird, obwohl er zu freier Verfügung über den fraglichen Einlagegegenstand ermächtigt ist, verlangt aber – da hierfür „ziemlich komplizierte Abreden erforderlich seien“ – konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen, vom Regelfall der unbedingten Übereignung abweichenden Vereinbarung. Demgegenüber steht die Einlage nach der Ansicht von Priester16, Ulmer17, Rittner18 und Winter19 im Falle einer Leistung unter einer aufschiebenden Bedingung nicht endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer. Die genannten Autoren nehmen dabei je auf die oben genannte Entscheidung des BGH ablehnend Bezug; daher gilt ihre ablehnende Aussage zunächst für die dort behandelte aufschiebende Bedingung der Eintragung der Gesellschaft bzw. der Kapitalerhöhung im Handelsregister; es bleibt aber eher offen, ob sie ihre ablehnende Haltung auch für den dort nicht behandelten Fall der Übereignung unter der aufschiebenden Bedingung der Anmeldung (der Gesellschaft bzw. der Kapitalerhöhung) zum Handelsregister getroffen haben. Soweit ersichtlich, ist die aufgezeigte Problematik für die Erbringung von Bareinlagen bislang nicht behandelt worden. b) Die Einschaltung eines Treuhänders aa) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts In seiner Entscheidung vom 13. 5. 1913 hatte sich das Reichsgericht20 erstmals mit der Abwicklung der Einlageerbringung bei der Gründung einer GmbH über einen Treuhänder befaßt. Danach sollten Zahlungen dann zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen, wenn sich die Gesellschafter des Geldes dadurch entäußern, daß es einem Treuhänder übergeben wird, damit dieser, wenn auch erst nach der Anmeldung der Gesellschaft bzw. Kapitalerhöhung zum Handelsregister das Geld den Geschäftsführern ausfolge. Denn – so das Reichsgericht – auch in diesem Falle habe die tatsächliche Übergabe der Einzahlungen für die künftige GmbH stattgefunden. Diese Rechtsprechung hat das Reichsgericht in seinem Urteil vom 8. 12. 193621 auch auf den Fall übertragen, daß nicht ein Dritter, sondern die Gründergesellschaft selbst bei Entgegennahme der Einzahlung auf die Bareinlageverpflichtung als Treuhänder der Zeichner gehandelt hat. [502] GmbHR 1959, 94. Scholz/Priester, GmbHG, 7. Aufl., § 56a Rdn. 21. 17 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 7 Rdn. 55. 18 Rowedder/Rittner, GmbHG, 2. Aufl., § 7 Rdn. 36. 19 Scholz/Winter, GmbHG, 7. Aufl., §7 Rdn. 32. 20 RG LZ 1913, 946, 947. 21 RGZ 154, 65, 70 f. 15 16

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bb) OLG Stuttgart, Urteil vom 24.1.1985 – 7 O 261/8422 In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden, eine GmbH & Co. KG betreffenden Sachverhalt waren Einzahlungen auf das Stammkapital der GmbH, die neben der Geschäftsführungstätigkeit für die KG keine weitere Tätigkeit entfaltete, auf das Geschäftskonto der KG erfolgt, weil ein auf den Namen der GmbH lautendes Konto nicht existierte. Das OLG nahm an, daß die Bareinlagen nicht zur freien Verfügung des Geschäftsführers gestanden haben: die KG habe insofern nicht als uneigennützige Treuhänderin der GmbH angesehen werden können; denn durch die eingezahlten Geldbeträge habe gerade auch die Liquidität der KG erhöht werden sollen23. cc) Der Meinungsstand im Schrifttum Die Lehre folgt der Auffassung des Reichsgerichts24: Die Gutschrift der zu leistenden Barmittel auf einem Treuhandkonto führe zur freien Verfügung des Vorstands bzw. der Geschäftsführer, sofern es sich um eine uneigennützige Treuhand handele, die eingelegten Mittel vor möglichen Zugriffen aus der Sphäre der Gesellschafter und des Treuhänders geschützt seien und gewährleistet sei, daß sie spätestens nach Eintragung der Gesellschaft bzw. der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister dem Zugriff des Vorstands bzw. der Geschäftsführer unterliegen. Nur Eckardt25 und Schlegelberger-Quassowski26 folgen dieser [503] Lehre nicht und vertreten die Auffassung, daß die Leistung an einen Treuhänder nicht zur freien Verfügung des Vorstands bzw. der Geschäftsführer führe, weil nur der Treuhänder, nicht aber eben der Vorstand bzw. die Geschäftsführer über den eingezahlten Betrag verfügen könne. DB 1985, 1985. Karsten Schmidt kritisiert in seiner Anmerkung die Entscheidung mit einer Doppelerwägung: Die GmbH & Co. KG könne hinsichtlich der Regeln über die Kapitalaufbringung als Einheit angesehen werden, wenn sich die Rolle der GmbH in ihrer Komplementärfunktion erschöpfe; in einem solchen Falle nehme die Kommanditgesellschaft im Verhältnis zu den GmbH-Gesellschaftern die Funktion eines Treuhänders und einer Zahlstelle der GmbH wahr. Der BGH ist in seiner das OLG bestätigenden Entscheidung dieser Auffassung nicht gefolgt (DB 1986, 318). 24 Für das GmbH-Recht Brodmann, GmbHR, § 7 Anm. 4c; Meyer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG, § 7 Rdn. 21; Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., § 7 Rdn. 5; Bartl/Henkes, GmbHG, § 7 Rdn. 148; Karsten Schmidt, DB 1985, 1985, 1986; für das Aktienrecht Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 188 Rdn. 14; Teichmann/Köhler, § 49 Anm. 3 am Ende; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 36 Anm. 5; Barz, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 36 Anm. 15; Fischer, Großkomm. AktG, 2. Aufl., § 28 Anm. 15; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 109; einschränkend Kraft, Kölner Komm. 2. Aufl., § 36 Rdn. 22 und Godin/Wilhelmi, Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 36 Anm. 13 wonach es darauf ankommen soll, ob durch die Leistung an einen Treuhänder die freie Verfügung des Vorstandes beeinträchtigt wird. 25 Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Kommentar zum AktG, § 36 Rdn. 27. 26 Schlegelberger/Quassowski, Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 1937, § 49 Anm. 7. 22 23

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II. Konkretisierung der maßgeblichen Vorschriften 1. Überblick Die Regelungen der §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 1,188 Abs. 2 AktG und der §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a, 57 Abs. 2 GmbHG sind zentraler Bestandteil im System der realen Kapitalaufbringung27. Sie gewährleisten einen effektiven Mittelzufluß in der Weise, daß sie die Anmeldung der Gesellschaft bzw. der Durchführung der Kapitalerhöhung erst dann zulassen, wenn die vom Gesetz geforderte Mindesteinlage auf das (erhöhte) Kapital so an die Gesellschaft geleistet ist, daß sie dem Vorstand bzw. den Geschäftsführern vorbehaltlos zur Verfügung steht. Soweit sich das Erfordernis endgültig freier Verfügung auf das Bewirken der Einlage bezieht, bildet es eine bei der Leistung zu beachtende Voraussetzung, ohne deren Vorliegen eine Erfüllungswirkung nicht eintritt28. Zugleich ist das Erfordernis freier Verfügbarkeit über die eingelegten Mittel Gegenstand der Erklärung des Vorstands bzw. der Geschäftsführer bei Anmeldung der Gesellschaft oder ihrer Kapitalerhöhung. Entgegen einer neuerdings vertretenen Auffassung bezieht sich die Erklärung aber auch nur auf das soeben angesprochene ordnungsgemäße Bewirken der Einlageleistung und nicht auf mehr29. [504] 2. Der Gesetzestext und sein funktionaler Hintergrund

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Nimmt man die Formulierungen der Gesetzestexte einmal ganz naiv „daß der eingezahlte Betrag zur freien Verfügung des Vorstands steht“ (§ 37 Abs. 1 AktG) „endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“ (§ 36 Abs. 2 AktG)

27 Lutter, Kapital, 1964, S. 54 und Kölner Komm., 2. Aufl., Vorb. § 53a Rdn. 9 sowie Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl. 1991, § 19 Rdn. 1; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 109. 28 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 7 Rdn. 48; Lutter, Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 54 Rdn. 46 ff, § 188 Rdn. 11. 29 Die Bedeutung des Merkmals der „freien Verfügbarkeit“ im Rahmen der Versicherungen nach §§ 8 Abs. 2 GmbHG und 37 Abs. 1 AktG ist streitig; zum Streitstand Lutter, NJW 1989, 2649, 2651 ff m. w. N. Diskussionsgegenstand ist dabei neuerdings die Frage, ob sich die eingelegten Mittel im Zeitpunkt der Anmeldung noch immer in der vollen Herrschaft der Geschäftsführer bzw. des Vorstands befinden müssen, wie etwa OLG Köln GmbHR 1988, 227 und ZIP 1989, 238, 240 sowie BayObLG NJW 1988, 1599 zu Unrecht annehmen. Diese Frage ist deutlich zu trennen von der ganz anderen Frage, ob die Geschäftsführer zusätzlich eine Erklärung über die bilanzielle Vollständigkeit des Gesellschaftsvermögens abzugeben haben, was anzunehmen ist, vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl. 1991, § 8 Rdn. 12 und Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., § 7 Rdn. 49.

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„daß der Gegenstand der Leistungen sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet“ (§ 8 Abs. 2 S. 1 GmbHG), so muß man energische Zweifel an der rechtlichen Möglichkeit solcher Gestaltungen haben. Diese Zweifel aber werden sofort geringer, wenn man nach der Aufgabe und der Funktion dieser Regelungen fragt. a) Die Versorgung der Vor-Gesellschaft, also der Gesellschaft noch vor ihrer Entstehung mit frei verfügbaren also auch frei verwendbaren Mitteln, kann der Sinn nicht sein. Als die fraglichen Normen geschaffen wurden, galt noch das strikte Vorbelastungsverbot, also ex lege die Anweisung an Vorstand und Geschäftsführer, vor Entstehung der Gesellschaft durch ihre Eintragung im Handelsregister für diese nicht oder allenfalls insoweit zu handeln, als das für ihre Entstehung unabdingbar ist; es sollte nach dieser rechtlichen Sicht also auch und gerade nicht über die Mittel der Gesellschaft verfügt werden30. Das gilt zwar seit der Entscheidung des BGH vom 9. 3. 198131 so nicht mehr32, doch hatte diese relativ junge Änderung der Rechtslage jedenfalls zunächst keinen Einfluß auf die Interpretation und das Verständnis der hier anstehenden und sehr viel älteren Normen. Auch die Tatsache, daß die gleiche Regelung für Kapitalerhöhungen gilt, kann nicht zu der Auslegung führen, das Gesetz wolle der Verwaltung die sofortige und von der Eintragung unabhängige Zugriffsmöglichkeit auf die fraglichen Mittel verschaffen. Denn die §§ 188 AktG und 57 GmbHG sind ganz ohne eigene Aussage; sie verweisen einfach auf das Gründungsrecht, reflektieren also gar nicht die geänderte rechtliche Situation: hier rechtlich existente Gesellschaften, uneingeschränkt handlungsfähig, in voller Tätigkeit, dort ein noch nicht abgeschlossener Geburtsvorgang, wo zwar – nach heutiger Rechtsansicht – rechtlich für die Vorgesellschaft und die mit ihr identische Gesellschaft nach Eintragung gehandelt werden kann, aber doch gewiß nicht unbedingt gehandelt werden muß und soll. [505] Der Grund der gesetzlichen Regelung kann also nicht in der Verschaffung alsbaldiger Liquidität vor den entsprechenden Eintragungen liegen. b) Hilfreich für das Verständnis der Normen könnte aber der Gedanke sein, die Erklärung von Vorstand/Geschäftsführern zum Handelsregister über die freie Verfügbarkeit der Mittel enthalte zugleich diejenige über das wertmäßige NochVorhandensein dieser Mittel, enthalte also zusätzlich die Erklärung über die Voll-

Zum einstigen Vorbelastungsverbot vgl. Lutter, NJW 1989, 2649. BGHZ 80, 129 und dazu Ulmer, ZGR 1918, 594 m. w. N. 32 Der Übergang vom einstigen Vorbelastungsverbot zur heutigen Unterbilanzhaftung der Gesellschafter ist allgemein akzeptiert worden. Vgl. die Nachw. bei Lutter, NJW 1989, 2649 ff und Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl. 1991, § 11, Rdn. 10. 30 31

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ständigkeit des Kapitals33: „Frei verfügbar“ wäre in diesem Verständnis „wertmäßig noch voll verfügbar“. Aber der Gedanke trifft nicht zu. Historisch müßte die „freie Verfügbarkeit“ uminterpretiert werden, denn das war damals nicht Gegenstand des Problems; Inhaltlich wäre die Erklärung trotz gleichen Wortlauts verschieden zu verstehen, je nachdem, ob sie bei der Gründung oder bei einer Kapitalerhöhung abgegeben wird: denn in letzterem Fall kann von einer Notwendigkeit des „wertmäßig noch vorhanden“ als Erklärungs-, Anmeldungs- und Eintragungsvoraussetzung nicht die Rede sein34. Daraus erhellt bereits, daß die freie Verfügbarkeit und die Erklärung des Vorstands/der Geschäftsführer dazu weder mit dem Problem des (wertmäßig) NochVorhandenseins der Mittel noch mit einem Ziel des Gesetzes, der Gesellschaft schon vor ihrer Entstehung Liquidität zum sofortigen Gebrauch zu verschaffen, erklärt werden kann; ihr Sinn muß in einem anderen, dritten Grunde liegen. Und so ist es auch. 3. Historische Entwicklung Tatsächlich geht es dem Gesetz mit seinen betreffenden Formulierungen allein um die korrekte Erfüllung der angeforderten Leistung ohne Wenn und Aber. Das läßt sich historisch nachweisen, wie von Karsten Schmidt35 und Hommelhoff/ Kleindiek36 eingehend und überzeugend dargelegt worden ist: Während das Erfordernis der freien Verfügung schon im GmbH-Gesetz des Jahres 1892 enthalten war und seither ist, fand es Eingang in das Aktienrecht erst durch das Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs vom 7. 3. 1935. Dort ersetzte es verwandte Formulierungen aus Art. 210 Abs. 3 ADHGB (1884) und § 195 Abs. 3 HGB (1897), wonach [506] in der Anmeldung die Erklärung abzugeben war, daß auf jede Aktie, soweit nicht andere als durch Barzahlung zu leistende Einlagen gemacht sind, „der eingeforderte Betrag bar eingezahlt und im Besitz des Vorstandes sei“. Den mit dieser Formulierung verfolgten Zweck verdeutlicht die Entstehungsgeschichte des Art. 210 Abs. 3 ADHGB (1884): In dem Regierungsentwurf eines Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften37 wurde die Errichtung einer 33 Daß eine solche (zusätzliche) Erklärung zum Registergericht heute erforderlich ist, wurde bereits oben Fn. 29 betont. 34 Das habe ich bereits in NJW 1989, 2649 ff dargetan; darauf kann verwiesen werden. 35 AG 1986, 106, 107 ff. 36 ZIP 1987, 474, 482 ff. 37 Reichstagsverhandlungen, 5. Legislaturperiode, 4. Session Aktenstück Nr. 21 vom 7. 3. 1884, wiedergegeben bei Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre modernes Aktienrecht, ZGR Sonderheft 4, 1985, S. 387 ff.

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öffentlichen Hinterlegungsstelle für Bareinlagen zur Verhinderung von Scheinzahlungen erwogen. Zur Vermeidung des damit verbundenen administrativen Aufwands und der bürokratischen Freiheitsbeschränkung suchte man das Korrektiv gegen jene Scheinoperationen in der zivil- und strafrechtlichen Verantwortung der Gesellschaftsorgane und der Gründer. In der ursprünglich vorgesehenen Erklärung, daß der eingeforderte Betrag „bar eingezahlt und dem Vorstand übergeben“ sei, sah der Entwurf die Garantie, daß die Leistung auf das Grundkapital in der bezeichneten Höhe zur sofortigen Verfügung des Vorstands steht. Die später in ihrem Wortlaut geänderte und so vom Reichstag verabschiedete Fassung des Art. 210 Abs. 3 ADHGB (1884) sollte in gleicher Weise die Gewähr dafür bieten, daß der Vorstand, wenn auch nicht „in tatsächlichem Gewahrsam … aber doch die gegenwärtige Verfügungsgewalt über das Geld haben müsse“38. Der Vorstand hatte also die Valuta entgegenzunehmen und sicherzustellen, daß er – und niemand anders – die Möglichkeit erhielt, über sie – wenngleich natürlich als Vertreter der Gesellschaft – zu verfügen39: berühmte Fälle, wonach dem Vorstand vor dem Notar das Geld übergeben und wenige Minuten später wieder abgenommen wurde, sollten mit der dreifachen Drohung: keine Erfüllung der Einlageschuld, zivilrechtliche Haftung aller Beteiligten und strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorstands unterbunden werden. Festzuhalten bleibt somit: Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers verfolgte Art. 210 Abs. 3 ADHGB (1884) sowie der entsprechende § 195 Abs. 3 HGB (1897) vor allem den Zweck, Scheinoperationen einen Riegel vorzuschieben40. [507] 4. Entwicklung von Lehre und Rechtsprechung Unter Berücksichtigung dieses, auch dem GmbH-Gesetz zugrundeliegenden gesetzgeberischen Zieles41, haben Rechtsprechung und Lehre das Merkmal der freien Verfügung weiter konkretisiert. Entscheidend ist danach, daß die Leistung der Gesellschaft so zugeflossen ist, daß die Organe sie rechtlich und tatsächlich für die Gesellschaft verwenden kön-

38 Reichstagsverhandlungen, 5. Legislaturperiode, 4. Session, Aktenstück Nr. 128, S. 10, hier zitiert nach RGSt. 24, 286, 292. 39 Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 483. 40 So schon RGSt. 24, 286, 289 und für § 8 Abs. 2 GmbHG RG JW 1927, 1698; vgl. auch Brodmann, Aktienrecht, § 195 HGB Anm. 6b; vgl. im übrigen Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 Il 1 a S. 669; ders., AG 1986, 106, 109; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 483. 41 RG JW 1927, 1698 und Brodmann, GmbHG, § 8 Anm. 4b.

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nen42. Mit anderen Worten: Vorstand bzw. Geschäftsführer dürfen weder tatsächlich noch rechtlich daran gehindert sein, über den eingezahlten Betrag zu verfügen43. Das setzt voraus, daß der Gegenstand der Einlage völlig aus dem Herrschaftsbereich des Einlegers ausgesondert und der Gesellschaft vorbehaltlos und risikofrei zugeflossen ist44. Das alles hat mit korrekter Erfüllung zu tun und hätte insoweit – betrachtet man es unter heutigen Aspekten und unserer heutigen Erfahrung mit dem Kapitalschutz – kaum der besonderen Regelung bedurft. Das entscheidende Moment liegt in dem Drohpotential, das mit der geforderten Erklärung über die freie Verfügbarkeit von Gesetzes wegen verbunden ist: Staat und Bürokratie mischen sich in die Selbstverwaltung der Gesellschaft auch insoweit nicht ein schreiben weder Hinterlegung noch spezielle Bestätigungen Dritter vor, aber die Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder riskieren nicht nur ihre persönliche Haftung für Fehlbeträge, sondern eben auch energische strafrechtliche Sanktionen (§§ 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG, 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). Und das gleiche gilt für die Gründer. Neben diesem Drohpotential liegt in der ausdrücklich geforderten Erklärung auch eine versteckte Warnung, daß bei nicht korrekter Leistung auch Erfüllung nicht eintritt mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen45. [508] 5. Der Zeitfaktor a) Damit bleibt noch der Zeitfaktor zu klären: muß diese freie Verfügbarkeit spätestens im Augenblick der Leistung, spätestens im Augenblick der Versicherung des Vorstands/Geschäftsführers oder spätestens im Augenblick der fraglichen Eintragung gewährleistet sein? Hier kann zunächst an die obigen Ausführungen angeknüpft werden. Der Wortlaut der Vorschriften spricht für die beiden früheren Zeitpunkte; Funktion und systematischer Zusammenhang für den Zeitpunkt der betreffenden Eintragung als allerdings denkbar spätester Augenblick.

42 BGH (5. Strafsenat) AG 1978, 166, 167; Scholz/Winter, GmbHG, 7. Aufl., § 7 Rdn. 30 und 35; Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., § 8 Rdn. 13; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 7 Rdn. 10 ff; Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 54 Rdn. 46 und § 188 Rdn. 15. 43 BGH GmbHR 1962, 233 und AG 1978, 166 f sowie BGHZ 96, 231, 241; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 109; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 485; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 36 Rdn. 27; Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 188 Rdn. 11; Meyer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG, § 8 Rdn. 21; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 7 Rdn. 10 ff. 44 Lutter, aaO, § 54 Rdn. 46 f und § 188 Rdn. 12 ff; Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., § 7, Rdn. 47; Wiesner, In: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 (Aktiengesellschaft), § 16 Rdn. 6. 45 Vgl. die Nachw. o. Fn. 13.

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Geht man einmal von letzterem aus, so würde das bedeuten: Es muß eine rechtliche Lage geschaffen sein, die den vorbehaltlosen Zugriff von Vorstand/ Geschäftsführer auf die fraglichen Mittel im Augenblick der betreffenden Eintragung im Handelsregister ohne jedes rechtliche Risiko so sicherstellt, daß diese die Erklärung über die freie Verfügbarkeit bei der Anmeldung, also zeitlich vorweg abgeben könne. Denn daran kann kein Zweifel sein: der zeitlich späteste Moment, also der Augenblick der betreffenden Eintragung im Handelsregister (Ersteintragung oder Eintragung der Kapitalerhöhung) kommt überhaupt nur in Betracht, wenn er in der rechtlichen Qualität – Gewährleistung der vorbehaltlosen Erfüllung – der Vorleistung durch den Gesellschafter gleichkommt; Vermeidung jeden Risikos für die Gesellschaft ist das vorrangige und daher auch vorrangig zu beachtende Interesse des Gesetzes. b) Genau dieser Betrachtung – Verzicht auf vollständige Vorleistung bei Ausschaltung jeden Risikos – hat die Rechtspraxis im übrigen längst Rechnung getragen, ohne sich dabei allerdings gar zu lange mit theoretischen Aspekten aufzuhalten. Sie akzeptiert nämlich bei registerpflichtigen Sacheinlagen – also insbesondere beim Erwerb von Grundbesitz – als ausreichend für das Element der „freien Verfügbarkeit“, wenn alle Eintragungsvoraussetzungen vorliegen und keinerlei rechtliche Risiken bezüglich des korrekten Vollzuges für die Gesellschaft mehr bestehen46. Um die Entstehung der Gesellschaft bzw. die Entstehung der Mitgliedschaften bei einer Kapitalerhöhung nicht um die oft lange Eintragungszeit beim Grundbuch zu verzögern, setzt man hier also die Herstellung einer rechtlichen Anwartschaft gleich mit der Erfüllung – und das sogar zeitlich unlimitiert, also über den Moment der Eintragung hinaus. Diese [509] in der Sache richtige und auch überwiegend akzeptierte Betrachtung47 signalisiert, daß Vorleistung im Sinne von vollständiger Vorerfüllung nicht unabdingbar ist – wie umgekehrt alle rechtlichen und faktischen Einflüsse des Leistenden ebenso wie Dritter auf den Vollzug der Erfüllung vom Augenblick der Abgabe der Erklärung des Vorstands/der Geschäftsführer zum Handelsregister über die freie Verfügbarkeit ausgeschlossen sein müssen. Aus diesem Grunde ist es auch richtig, schon in diesem Zeitpunkt die Leistung auf ein von allen Beschränkungen der kontoführen-

46 Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 188 Rdn. 27; Meyer-Landrut, aaO, § 7 Rdn. 24; Roth, GmbHG, 2. Aufl., § 7 Anm. 6; Scholz/Priester, GmbHG, 7. Aufl., § 56a Rdn. 21; ders., DNotZ 1980, 523; Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., § 7 Rdn. 11; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 7 Rdn. 10; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 7 Rdn. 45; Bartl/Henkes, GmbHG, 2. Aufl., § 7 Rdn. 150. 47 Vgl. die Nachw. in Fn. 46; a. A. nur Scholz/Winter, GmbHG, 7. Aufl., § 7 Rdn. 37; Rowedder/Rittner, GmbHG, 2. Aufl., § 7 Rdn. 36; Hüffer, ZHR 148 (1984), S. 74, 76.

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den Bank freies Konto der Gesellschaft zu verlangen48, die vorbehaltlose Einlösung zahlungshalber hingegebener Schecks etc.49. Unter diesen Gesichtspunkten nicht notwendig schon Erfüllung, aber Schaffung einer rechtlichen Situation, die unabdingbar und von außen unbeeinflußbar auf die Erfüllung hinläuft, gilt es nun die hier angeschnittenen Fragen bedingter Leistung bzw. Leistung an einen Treuhänder zu prüfen. III. Die bedingungsabhängige Einlageerbringung und das Merkmal der „freien Verfügbarkeit“ 1. Die Übertragung der Einlage unter der aufschiebenden Bedingung der Anmeldung a) Auf dem Hintergrund der bereits getroffenen Feststellungen bereitet eine Gestaltung geringere Auslegungsprobleme, nach der die Einlage der Gesellschaft unter der aufschiebenden Bedingung der Anmeldung übertragen wird. Das von der Gesellschaft erworbene Anwartschaftsrecht erstarkt mit dem Eingang der Anmeldung beim Handelregister zum Vollrecht. In diesem Zeitpunkt sind die Einlagemittel auch rechtlich endgültig aus dem Vermögen des Inferenten ausgeschieden und der Gesellschaft vorbehaltlos und risikofrei zugeflossen. Die Geschäftsleitung kann sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht frei über die Verwendung dieser Mittel bestimmen. Die von ihr nach den §§ 37 Abs. 2 AktG, 8 Abs. 2 GmbHG abzugebende Versicherung unterliegt daher [510] keinerlei Bedenken, soweit sie sich auf den Stand des Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt der Anmeldung bezieht. b) Zweifelhaft könnte dieses Ergebnis allenfalls im Hinblick auf den Wortlaut von § 7 Abs. 3 GmbHG sein, wonach Sacheinlagen „vor der Anmeldung“ zu bewirken sind. Diese Formulierung muß jedoch als unspezifisch angesehen werden. Sie vermeidet nur das sprachliche Perfektum des Abs. 1 („geleistet ist“) und ersetzt das „ist“ durch eine Formulierung im Präsens; die aber kann dann schlecht „bei Anmeldung“ formulieren; es bestünde sonst die Gefahr, daß aus dem „bei“ als spätestem Moment eine Leistungspflicht genau in diesem Moment verstanden würde. Es ist mithin kein Grund ersichtlich, weshalb die logische Sekunde vor Abgabe der Anmeldung genügen, die gleiche logische Sekunde aber bei Abgabe der Erklärung unzureichend sein sollte. 48 BGH GmbHR 1962, 233 und AG 1978, 166; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 7 Rdn. 5; Scholz/Winter, GmbHG, § 7 Rdn. 28; Hachenburg/Ulmer, § 7 Rdn. 53; Lutter, Kölner Komm., § 188 Rdn. 16 und 17. 49 Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 54 Rdn. 44; Rowedder/Rittner, GmbHG, 2. Aufl., § 7 Rdn. 23; Scholz/Priester, GmbHG, 7. Aufl., § 56a Rdn. 7; ders., DB 1987, 1473; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 7 Rdn. 5.

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Die aufschiebende Bedingung der Anmeldung ist mithin dort, wo sie möglich ist (nicht bei der Auflassung von Grundbesitz, § 925 Abs. 2 BGB), eine korrekte Gestaltung: kommt es zur Anmeldung, so hat die Gesellschaft rechtlich und faktisch alles, was festgelegt und vereinbart ist; kommt es nicht zur Anmeldung, ist der Inferent geschützt. 2. Die Übertragung des Einlagegegenstandes unter der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung a) Die Frage, inwieweit die Übertragung des Einlagegegenstandes unter der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung den Anforderungen der §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 2, 188 Abs. 2 AktG und §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a, 57 Abs. 2 GmbHG genügt, ist bereits weitaus schwieriger zu beantworten. Bei der auflösenden Bedingung tritt die gewollte Rechtsänderung zunächst ein, der durch die Bedingung Begünstigte erwirbt bei Eintritt der Bedingung ipso jure zurück, hat eine gesicherte Rechtsposition (Anwartschaft) auf die Wiederherstellung des früheren Rechtszustandes50. Aber der Erwerber ist in der Zwischenzeit voller Rechtsinhaber und de jure in keiner Weise an einer Verfügung über den Gegenstand gehindert; denn auch § 161 BGB ist kein solcher Hinderungsgrund. Dennoch könnten Zweifel bestehen: So könnte es bereits nach den allgemeinen Regeln über die Tilgung einer Schuld fraglich sein, ob eine derart auflösend bedingte Leistung zur Erfüllung führt. So wird mit den Formulierungen „einzahlen“ (§ 36 Abs. 2 AktG), „leisten“ (§ 36a AktG) [511] und „bewirken“ (§ 7 Abs. 3 GmbHG) ebenso wie im Rahmen des § 362 Abs. 1 BGB51 nicht nur die bloße Vornahme der Leistungshandlung, sondern die Herbeiführung des Leistungserfolges verlangt52. Da sich der Inhalt der Leistung aus dem zu erfüllenden Schuldverhältnis ergibt53, kommt es für den Eintritt der Erfüllungswirkung – vorbehaltlich der besonderen, sich aus dem Erfordernis der Leistung zur freien Verfügung ergebenden Anforderungen – darauf an, ob die Gesellschaft mit dem Erwerb der Einlage unter der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung weniger erhält, als sie nach den §§ 36 Abs. 2, 36a AktG, 7 50 Münchener Kommentar/Westermann, 2. Aufl., § 158 BGB Rdn. 39 und § 161, Rdn. 2 ff; Erman/Hefermehl, 8. Aufl., § 158 BGB Rdn. 9; Soergel/Knopp, 11. Aufl., § 161 BGB Rdn. 2; Palandt/Heinrichs, 50. Aufl., § 158 BGB Rdn. 1. 51 Vgl. BGHZ 12, 268 und 87, 162. 52 Vgl. dazu Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 54 Rdn. 35; Baumbach/Hueck, § 7 Rdn. 9; Scholz/Winter, § 7 Rdn. 28 und 32. 53 Palandt/Heinrichs, aaO, § 362 BGB, Rdn. 2; ders., in: Münchener Komm., 2. Aufl., § 362 BGB Rdn. 3.

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Abs. 2, 3 GmbHG zu fordern berechtigt ist. Denn nur wenn eine andere oder eine unvollständige Leistung erbracht wird, tritt die Erfüllungswirkung nicht ein. Das aber ist gerade nicht der Fall, wie die folgende Überlegung ergibt. Beispiel: Vereinbarung eines Schenkungsvertrages über 100 Goldstücke mit der Maßgabe, daß der Beschenkte im Falle des Rauchens auch nur einer Zigarette zur Rückzahlung verpflichtet sein soll; daher erfolgt auch die Übereignung des Geldes auflösend bedingt. Die Parallele zum hier angesprochenen Problem liegt auf der Hand: Beim Scheitern der Kapitalerhöhung entsteht ein Rückzahlungsanspruch; dieser wird durch die Bedingung „dinglich gesichert“; das Scheitern ist als (unerwünschte) Möglichkeit in das Rechtsverhältnis so einprogrammiert wie das (unerwünschte) Rauchen einer Zigarette. Haben die Zeichner/Übernehmer gem. §§ 188 Abs. 2 AktG, 57 Abs. 2 GmbHG Leistungen an die Gesellschaft erbracht und scheitert die Kapitalerhöhung, so ist mit der Einlageverpflichtung auch die causa für die Leistung entfallen. Wenn aber der Einlageanspruch seiner Wirkung nach selbst unter der – untechnisch gesehen – auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung steht54, dann kann der Einlageleistung schuldtilgende Wirkung nicht schon deshalb abgesprochen werden, weil sie unter eben dieser Bedingung erfolgt. b) Diese Überlegung ist auch hinsichtlich des Erfordernisses der freien Verfügbarkeit von Bedeutung. Mit der Übertragung der Einlage unter der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung haben sich die Zeichner endgültig ihrer Verfügungsgewalt über den Einlagegegenstand begeben und dem Vorstand bzw. den Geschäftsführern der Gesellschaft die [512] rechtliche wie tatsächliche Möglichkeit verschafft, über das Vollrecht für die Zwecke der Gesellschaft zu verfügen. Daß dieses Vollrecht mit dem Anwartschaftsrecht des Zeichners belastet ist, berührt die Verfügungsgewalt der Geschäftsleitung nicht, weil eine solche Belastung dem Zweck, den das Erfordernis der freien Verfügung verfolgt, nicht zuwiderläuft. Da es erst dann zu einem Rückfluß der eingelegten Mittel an den Zeichner/Übernehmer kommt, wenn die causa der Einlageleistung ohnehin entfallen ist, sind sie der Gesellschaft endgültig zugeflossen. Von einer Scheinoperation kann also keine Rede sein55. Zudem ist die Geschäftsleitung weder tatsächlich noch rechtlich daran gehindert, die Einlage vor der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung für die Zwecke der Gesellschaft einzusetzen. Daß die Gesellschaft in Hinblick auf Vgl. Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 189 Rdn. 14 ff. Das ist anders dort, wo Umstände außerhalb des Eintragungsvorganges zur Bedingung erhoben werden. Ungenügend wäre daher die Leistung unter der auflösenden Bedingung, daß bei einer Verwertung der Aktien durch den Zeichner ein bestimmter Mindestbetrag erreicht wird; vgl. Lutter, aaO, § 188 Rdn. 20. 54 55

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die Vorschrift des § 160 Abs. 2 BGB bzw. unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmängelhaftung (§ 440 Abs. 1 BGB) das Risiko eingeht, schadensersatzpflichtig zu werden, fällt dabei nicht ins Gewicht. Die Sachlage ist nämlich insoweit nicht anders zu beurteilen als in den Fällen, in denen Vorstand bzw. Geschäftsführer trotz einer vorherigen schuldrechtlichen Verwendungsbindung abredewidrig über den Einlagegegenstand verfügen. Hier wie dort ist es für die Frage der freien Verfügbarkeit entscheidend, daß weder der Mittelzufluß noch die Verfügungsbefugnis des Vorstandes bzw. der Geschäftsführer beeinträchtigt wird56. 3. Die Übertragung des Einlagegegenstandes unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung a) Damit sind noch jene Fälle zu erörtern, in denen die Zeichner der jungen Aktien bzw. Übernehmer neuer Geschäftsanteile der Gesellschaft den Einlagegegenstand unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der Kapitalerhöhung bzw. Durchführung der Kapitalerhöhung zur Verfügung stellen. Ob eine solche Leistung den Anforderungen der §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 2, 188 Abs. 2 AktG und der §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a, 57 Abs. 1 GmbHG gerecht wird, könnte aus mehreren Gründen zweifelhaft sein. Kommt hier der Einlageleistung unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung bereits schuldtilgende Wirkung zu, obwohl doch das Vollrecht am Einlagege- [513] genstand einzubringen ist? Sind die Mittel endgültig aus dem Vermögen des Inferenten ausgeschieden und der Gesellschaft vorbehaltlos und risikofrei zugeflossen, wenn der Inferent bis zum Zeitpunkt der Eintragung nach wie vor Berechtigter ist und als Berechtigter über den Einlagegegenstand verfügen kann? Und schließlich: Vermag die Geschäftsleitung frei über die Verwendung der der Gesellschaft zugeflossenen Mittel zu entscheiden, wenn sie zu Verfügungen über das Vollrecht erst im Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung (GmbH) bzw. ihrer Durchführung (AG) berechtigt wird? Schon diese Fragestellungen verdeutlichen, daß im Schrifttum nicht von ungefähr die Ansicht überwiegt, die eine Einlageleistung unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung bzw. der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister als unvereinbar mit dem Merkmal der freien Verfügbarkeit einstuft57. b) Anders als bei der Einlageleistung unter der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Kapitalerhöhung erhält die Gesellschaft im Falle der Leistung unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung weniger als sie zu fordern berechtigt ist. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung steht ihr 56 57

Vgl. dazu Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 485. Vgl. die Nachw. oben Fn. 16-19.

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lediglich das Anwartschaftsrecht an der Einlage zu. Die tatsächliche Verfügungsgewalt des Vorstands bzw. der Geschäftsführer liegt zwar vor, an der rechtlichen Verfügungsmacht aber mag es fehlen. Das führt jedoch nicht notwendig dazu, daß es am Erfordernis freier Verfügbarkeit fehlt. Auch hier ist daran zu erinnern, daß es die h. M. bei der Einbringung von Grundstücken und anderen Immobiliarsachenrechten, deren Übertragung an die Eintragung im Grundbuch oder einem entsprechenden Register gebunden ist, zu Recht für die Zwecke der Anmeldung genügen läßt, daß die Einigung bindend vollzogen und die Bewilligung zum Grundbuch erteilt ist, mit anderen Worten, daß der Gesellschaft ein Anwartschaftsrecht an dem grundbuchpflichtigen Recht zusteht (§§ 873 Abs. 2, 925 BGB)58. Zwar wurden im Gesetzgebungsverfahren der GmbH-Novelle 1980 hiergegen Bedenken erhoben59; doch wird diesen, wie bereits ausgeführt, zu Recht nicht gefolgt. [514] Da § 17 GBO die Gesellschaft vor Zwischenverfügungen des Einlegers schützt, ist sowohl ein vorbehaltloser und risikofreier Mittelzufluß als auch die effektive Aussonderung der Einlage aus dem Herrschaftsbereich des Einlegers gewährleistet. Aus diesem Grunde halten es auch diejenigen, die bei beweglichen Sachen eine aufschiebend bedingte Übereignung als unzulässig ablehnen, im Hinblick auf die Beschleunigung der Eintragung der Kapitalerhöhung bzw. ihrer Durchführung letztlich für entbehrlich, daß Vorstand bzw. Geschäftsführer sogleich über das Vollrecht am Einlagegegenstand verfügen60. Ob zwischen den beiden Fallkonstellationen – Anwartschaftsrecht an Immobilien einerseits, aufschiebend bedingte Leistung von Rechten und Mobilien andererseits – ein wertungsrelevanter Unterschied besteht, erscheint indes zweifelhaft. Gemäß § 161 Abs. 1 BGB werden Verfügungen, die der Rechtsinhaber (hier: Inferent) während der Schwebezeit trifft, mit Bedingungseintritt unwirksam, soweit sie die Rechte des Erwerbers vereiteln oder beeinträchtigen. Zwar erklärt § 161 Abs. 3 BGB zum Schutz des Zwischenerwerbers die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb für entsprechend anwendbar; das gilt nur für Mobilien. Aber selbst ein solcher gutgläubiger Erwerb von Mobilien incl. Geld scheitert am Besitz der Gesellschaft. § 936 BGB ist hier entsprechend anwendbar61. Daher 58 Priester, DNotZ 1980, 523; Baumbach/Hueck/Hueck, GmbHG, § 7 Rdn. 11; Lutter/Hommelhoff, § 7 Rdn. 10; Roth, GmbHG, § 7 Rdn. 6; Hachenburg/Ulmer, § 7 Rdn. 45; für das Aktienrecht Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 188 Rdn. 27 sowie oben die Nachw. oben Fn. 46. 59 Begründung zum Regierungsentwurf der GmbH-Novelle, BT-Drucksache 8/1347, S. 33; vom BT-Rechtsausschuß bestätigt (Ausschußbericht, BT-Drucksache 8/3908, S. 71); ebenso Scholz/Winter, § 7 Rdn. 37; Rowedder/Rittner, 2. Aufl., § 7 Rdn. 36; Hüffer, ZHR 148 (1984), S. 74, 76. 60 So Hachenburg/Ulmer, § 7 Rdn. 45; Scholz/Priester, § 56a Rdn. 21; konsequent dagegen Scholz/Winter, § 7 Rdn. 33. 61 Ganz h. M., vgl. BGHZ 45, 186, 190 und BGH NJW 1954, 1325; Palandt/Bassenge, 50. Aufl., § 936 BGB Rdn. 1; Soergel/Mühl, 12. Aufl., § 936 BGB Rdn. 3; Staudinger/Berg,

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kommt ein gutgläubiger Erwerb nur in Betracht, wenn der Zwischenerwerber aufgrund der Veräußerung Besitz an dem Einlagegegenstand erlangt (§ 936 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB); und auch bei einer Veräußerung des Einlagegegenstandes nach den §§ 931, 934 BGB steht einem Erlöschen der Anwartschaft der Gesellschaft § 936 Abs. 3 BGB entgegen, solange nur die Gesellschaft im unmittelbaren Besitz der Sache ist62. Mit anderen Worten: Die Übergabe an die Gesellschaft muß erfolgen, die Einigung kann aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung erklärt sein; denn in diesen Fällen ist der Mittelzufluß nicht weniger vorbehaltlos und risikofrei als in den Fällen der Einbringung eines Grundstücks oder Immobiliarsachenrechts vor der Eintragung. Im Gegenteil: Berücksichtigt man, daß der Schutz vor Zwischenverfügungen nach § 17 GBO durch die Zurückweisung des Eintragungsantrags [515] durch das Grundbuchamt gem. § 18 Abs. 1 S. 1 (1. Fall) GBO beseitigt wird, so erscheint die Schutzwirkung der §§ 161, 931, 934, 936 BGB noch ausgeprägter. Folglich kann man für die Zwecke der Anmeldung auch die Einlageleistung unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der Kapitalerhöhung bzw. ihrer Durchführung genügen lassen. c) Insgesamt mag es zweifelhaft sein, ob es sich bei dem so gefundenen Ergebnis noch um eine funktionale Auslegung der fraglichen Vorschriften handelt oder schon um eine teleologische Reduktion. Mit dem Erfordernis „der Leistung zur freien Verfügung“ will das Gesetz verhindern, daß die eingelegten Mittel wieder an den Einleger zurückfließen63. Einer solchen Gewährleistung der endgültigen Mittelzuflusses bedarf es aber nur, solange die causa der Leistung, d. h. die Einlageverpflichtung nicht weggefallen ist. Soweit die §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 2, 188 Abs. 2 AktG, 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a, 57 Abs. 1 GmbHG mit den Formulierungen „einzahlen“, „leisten“ und „bewirken“ daher auf den Eintritt des Leistungserfolges im Zeitpunkt der Anmeldung abstellen, sind sie entgegen ihrem Regelungszweck zu weit gefaßt. Sie bedürfen einer Einschränkung dahingehend, daß es für die Zwecke der Anmeldung ausreicht, wenn sich der Zeichner/Übernehmer durch die Vornahme der Leistungshandlung der Verfügungsgewalt über den Einlagegegenstand derart begeben hat, daß es zu einem Mittelrückfluß nur im Falle des Wegfalls der causa für die Leistung kommt.

12. Aufl., § 936 Rdn. 16; für ein gleiches Ergebnis unmittelbar aus § 161 BGB Quack, in: Münchener Komm., 2. Aufl., § 936 Rdn. 19. 62 Vgl. dazu BGHZ 45, 186, 190; Soergel/Mühl, aaO, § 936 Rdn. 3; RGR-Komm./Pickardt, 12. Aufl., § 936 Rdn. 16. 63 Barz, in Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 36 Anm. 15; Kraft, Kölner Komm., 2. Aufl., § 36 Rdn. 33; Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., § 7 Rdn. 38; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 III S. 699 und AG 1986, 106, 109.

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Beide methodischen Ansätze – funktionale Interpretation und teleologische Reduktion – sind zulässige Formen eines Umgangs mit dem Gesetz; da sie hier zu gleichen Ergebnissen führen, bedarf es keiner weiteren Klärung. 4. Aufschiebende Bedingung bei Leistung vor Eintragung der Gesellschaft a) Innerhalb der soeben abgeschlossenen Einzelprüfungen zur bedingten Leistung wurde bewußt die Gründung ausgespart. Ihre gesetzlichen Regeln sind die gleichen wie bei der Kapitalerhöhung. Insofern besteht kein Unterschied. Der Unterschied liegt jedoch in der Rechtsfolge beim Scheitern der geplanten Maßnahme. Während bei der Kapitalerhöhung schlicht die causa entfällt und das Subjekt Gesellschaft das sine causa [516] Geleistete nach §§ 812 ff BGB zurückzugewähren hat64 – wenn das Geleistete nicht schon durch die erörterte Bedingungslösung dinglich zurückfällt –, ist das bei der Gründung anders. Scheitert diese, so gibt es keine juristische Person, die „zurückzuleisten“ hätte: Und weil mit Sicherheit irgendwo Kosten entstanden sind, müssen diese auch verteilt werden. Lehre und Rechtsprechung haben daher die Auffassung entwickelt, daß die gescheiterte Vorgesellschaft nach den Regeln ihres intendierten Rechtes – geplante GmbH nach GmbHG, geplante AG nach AktG – zu liquidieren ist65. Nun stehen Bedingungslösungen der hier erörterten Arten dieser Rechtsfolge an sich nicht im Wege. Die Liquidation hindert den Rückfall ipso jure nicht. Nur: die dingliche Rückgewähr aller Einlagen führt zum Verbleib nur der Schulden bei der gescheiterten Vorgesellschaft; oder die bedingten Leistungen der Gesellschafter wurden für Gebühren, Honorare etc. vom Vorstand/den Geschäftsführern benutzt, dann folgt nun der Konflikt aus § 161 BGB mit Schadensersatzansprüchen gegen die handelnden Personen etc. b) Der Sachverhalt klingt dramatischer als er ist. Denn selbst wenn alle Einlagen unversehrt vorhanden sind und mit der Bedingungslösung an die Inferenten zurückfallen, bleiben diese verpflichtet, so viel anteilig erneut in die Gesellschaft einzuschütten, wie zur Begleichung der nahezu zwangsläufig angefallenen Schulden erforderlich ist64. Es ist daher auch unstreitig, daß zum Zwecke der korrekten Liquidation noch nicht geleistete Einlagen eingefordert werden können, mag die

Lutter, FS Schilling, 1973, S. 207 ff sowie Kölner Komm., 2. Aufl., § 189 Rdn. 13ff. Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., § 11 Rdn. 42; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 11 Rdn. 8; Baumbach/Hueck, 15. Aufl., § 11 Rdn. 27; Rowedder/Rittner, 2. Aufl., § 11 Rdn. 67; Scholz/Karsten Schmidt, 7. Aufl., § 11 Rdn. 56; Münchener Komm./Reuter, 2. Aufl., § 21, 22 BGB Rdn. 73. Für die Anwendung der §§ 730 ff. BGB demgegenüber zu Unrecht BGHZ 51, 30, 34 und 86, 122, 127; Kraft, Kölner Komm., 2. Aufl., § 41 Rdn. 33; Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch zum Gesellschaftsrecht, Bd. 4 (Aktiengesellschaft), § 3 Rdn. 29. 64 65

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eigentliche causa auch entfallen sein66. Das wirkt sich vor allem bei Sacheinlagen aus: Der Inferent ist beim endgültigen Scheitern der Eintragung automatisch wieder Eigentümer der eingelegten Sache geworden. Das bedeutet, daß die von ihm eingelegte Sache dem Liquidationsverfahren entzogen ist und nicht verwertet werden kann; der Inferent muß zur Begleichung der Schulden der Vorgesellschaft nun in bar einzahlen. Umgekehrt gilt aber ebenso, daß er nur in bar einzahlen, der Gesellschaft also nicht einfach den Einlagegegenstand zur Verwertung überlassen kann: Kraft [517] der geschlossenen Vereinbarungen gilt jetzt wieder Bareinlagepflicht in der Höhe, die zur Abwicklung der Liquidation anteilig erforderlich ist. c) Dieser Betrachtung steht allenfalls ein praktisches Argument entgegen. Ist nämlich bedingungsfrei geleistet, so hat die Vor-Gesellschaft die volle Verfügungsmacht über die Leistung und kann diese für die Zwecke der Liquidation einsetzen, ehe die etwa verbleibenden Teile den Gesellschaftern zurückzugewähren sind. Für die Vor-Gesellschaft gestaltet sich die Liquidation also einfacher, wenn sie nicht erst den für eben diese Liquidation erforderlichen Einschuß bei den Gesellschaftern beitreiben muß. Aber auch das kann letztlich nicht entscheidend sein. Zum einen wurde bereits oben darauf hingewiesen, daß es nicht Zweck der erörterten Schutzregeln ist, der Gesellschaft bereits im Gründungsstadium Liquidität zu verschaffen. Zum anderen muß die Gesellschaft auch bei der Bedingungslösung jedenfalls an Geld und sonstigen Mobilien Besitz haben, bezüglich dessen ihr bis zur Leistung des Einschusses ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zusteht. Und schließlich gibt es viele Sachleistungen auf das Kapital (z. B. Nutzungen, künftige Leistung eines Gegenstandes nach § 36a Abs. 2 S. 2 AktG), die in der Liquidation unbrauchbar sind, daher entfallen und an deren Stelle dann die „an sich“ geschuldete Barleistung67 tritt: auch in allen diesen Fällen muß die Vor-Gesellschaft i. L. beitreiben. d) Da mithin die Bedingungslösung der korrekten Abwicklung der gescheiterten Vorgesellschaft nicht im Wege steht, kann sie daher auch im Zusammenhang mit der Gründung gewählt werden.

66 Scholz/Karsten Schmidt, 7. Aufl., § 69 Rdn. 21 und 23; ders., Gesellschaftsrecht, § 34 III, S. 770; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, 15. Aufl., § 69 Rdn. 4; Rowedder/Rasner, 2. Aufl., § 69 Rdn. 5. 67 Zur Sacheinlage als einer besonderen datio in solutum auf die „an sich“ geschuldete Barleistung vgl. Lutter, Kapital, 1963, S. 269 und 285; ders., Kölner Komm., 2. Aufl., § 183 Rdn. 8.

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IV. Die Einschaltung eines Treuhänders Führt man sich die Anforderungen vor Augen, die Rechtsprechung und Lehre an die Leistung zur freien Verfügung stellen, so verwundert auf den ersten Blick, daß die ganz herrschende Meinung die Einschaltung eines Treuhänders bei der Erbringung der Einlage für unbedenklich hält. Das gilt um so mehr, als es vielfach sogar an einer Auseinandersetzung mit der Frage fehlt, wie denn das Treuhandverhältnis konkret ausgestaltet sein muß. 1. Der Eintritt der Erfüllungswirkung Ebenso wie bei der aufschiebend bedingten Übertragung stellt sich zunächst die Frage nach dem Zeitpunkt, in dem bei einer vertraglich [518] vorgesehenen Hinterlegung des Einlagegegenstandes bei einem Treuhänder (z. B. Zahlung auf ein Notaranderkonto) der Leistungserfolg eintritt. Mit der Einschaltung eines Treuhänders soll dem Zeichner das Risiko der Vorleistung im Falle des Scheiterns der Gründung oder der Kapitalerhöhung insbesondere wegen einer Insolvenz der Gesellschaft abgenommen werden68. Bei einer solchen Hinterlegung zu Sicherungszwecken ist es allein sinnvoll, den Eintritt der Erfüllung der Einlagepflicht erst an den Erwerb des Einlagegegenstandes seitens der Gesellschaft vom Treuhänder zu knüpfen. Würde bereits der Hinterlegung beim Treuhänder Erfüllungswirkung beigemessen, so trüge der Übernehmer/Zeichner bis zur Eintragung der Gesellschaft bzw. der Kapitalerhöhung oder ihrer Durchführung im Handelsregister das Insolvenzrisiko der Gesellschaft nicht anders als bei einer direkten Übertragung auf die Gesellschaft69. Soll der Treuhänder die Einlage aber erst nach der Anmeldung bzw. nach der Eintragung der Gründung bzw. Kapitalerhöhung oder ihrer Durchführung im Handelsregister auf die Gesellschaft übertragen, so ist die Geschäftsführung bis zu diesem Zeitpunkt weder tatsächlich noch rechtlich in der Lage, über die eingelegten Mittel zu verfügen.

68 Die Insolvenz führt dazu, daß die noch nicht abgeschlossene Kapitalerhöhung vom Vorstand/Geschäftsführer nicht mehr weiter durchgeführt werden darf, mithin zum Erlöschen der causa für die Einlageleistung führt und die Pflicht zur Rückerstattung aus §§ 812 ff BGB auslöst. Aber das ist dann eine schlichte Konkursforderung des Gesellschafters ohne jeden Vorrang! Vgl. dazu Lutter, Kölner Komm., 2. Aufl., § 189 Rdn. 10 und 13 ff sowie Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., § 55 Rdn. 20. 69 Vgl. BGHZ 87, 156, 164 zur Hinterlegung des Kaufpreises beim Notar.

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2. Rechtfertigung der herrschenden Lehre Wenn die herrschende Lehre70 dennoch annimmt, daß mit der Übergabe an den uneigennützigen Treuhänder zur freien Verfügung von Vorstand und Geschäftsführer geleistet sei, so beruht dies zum einen darauf, daß die Einlage endgültig dem Zugriff des Zeichners bzw. seiner Gläubiger entzogen ist. Zum anderen findet es seine Grundlage in der persönlichen Wertschätzung, die dem Treuhänder z. B. als Rechtsanwalt oder Notar entgegengebracht wird. Bei diesem Personenkreis wird das Risiko einer Veruntreuung der hinterlegten Mittel so gering geschätzt, daß man es für hinnehmbar hält, wenn Vorstand bzw. Geschäftsführer erst nach der Eintragung frei über die Verwendung der Mittel bestimmen können. Eine solche Gestaltung läuft dem Normzweck der §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 1 AktG und der §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2 GmbHG auch durchaus nicht zuwider, hatte man sich nur deshalb gegen die Einrichtung einer öffentlichen Hinter- [519] legungsstelle als des vermeintlich durchgreifenderen Sicherungsmittels entschieden, weil man den damit verbundenen bürokratischen Aufwand fürchtete71: mit dem uneigennützigen Treuhänder in herausgehobener beruflicher Position wird daher im Grunde dieses Modell verwirklicht. Übernimmt also beispielsweise ein Notar als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes (§ 1 BNotO) die Funktion einer „öffentlichen Hinterlegungsstelle“, so ist der mit dem Merkmal der freien Verfügbarkeit verfolgte Regelungszweck, Scheinoperationen einen Riegel vorzuschieben, am ehesten verwirklicht und jedenfalls nicht beeinträchtigt, wenn durch den Inhalt des Treuhandvertrages zugleich gesichert ist, daß die Einlage der Gesellschaft spätestens im Zeitpunkt der Eintragung zufließt. 3. Die Ausgestaltung des Treuhandvertrages Ob das der Fall ist, hängt entscheidend von der Ausgestaltung des Treuhandvertrages ab. Da es einen typischen Treuhandvertrag nicht gibt, müssen die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten nach den jeweiligen Erfordernissen des einzelnen Falles bestimmt werden. Da der Mangel der rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsgewalt des Vorstandes bzw. der Geschäftsführer über die eingelegten Mittel im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung dadurch kompensiert werden sollen, daß die Einlage dem Treuhänder übertragen und damit ein vorbehaltloser und risikofreier Mittelzufluß spätestens im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft oder Kapitalerhöhung bzw. ihrer Durchführung gewährVgl. die Nachw. oben Fn. 21, 22 und 24. Reichstagsverhandlungen, 5. Legislaturperiode, 4. Session, Aktenstück Nr. 21 vom 7. 3. 1884, wiedergegeben bei Schubert/Hommelhoff, S. 387 ff. 70 71

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leistet ist, bedarf es einer sogenannten doppelseitigen Treuhand72, die dem Treuhänder sowohl den Zeichnern als auch der Gesellschaft gegenüber Rechte und Pflichten einräumt. Bei der doppelseitigen Treuhand überträgt der Schuldner das Treugut dinglich auf den Treuhänder73, damit dieser es für ihn verwaltet, also insbesondere seine Sicherungsinteressen als potentieller Rückgewähr-Gläubiger wahrt (fremdnützige Treuhand), es aber ebenso auch im Interesse der Gesellschaft verwaltet (fremd- und drittnützige Treuhand). Damit sind sowohl die Interessen des Übernehmers/Zeichners in bezug auf den Schutz vor den Gefahren der Vorleistung als auch das Schutzinteresse der Gesellschaft vor Zugriffen Dritter auf das Treugut hinreichend gesichert. [520] Vollstrecken Gläubiger des Treuhänders in das Treugut, so haben sowohl der Zeichner/Übernehmer als auch die Gesellschaft ein Widerspruchsrecht aus § 771 ZPO (fremdnützige Treuhand)74. Vollstrecken dagegen Gläubiger des Zeichners in das Treugut, so steht das Recht zur Vollstreckungserinnerung nach §§ 766, 808 ZPO bzw. das Widerspruchsrecht des § 771 ZPO dem Treuhänder zu75. Damit ein vorzeitiger Mittelrückfluß an den Zeichner verhindert wird, müssen Zeichner und Gesellschaft den Treuhänder gemeinsam unwiderruflich angewiesen haben, das Treugut nach der Anmeldung bzw. nach der Eintragung auf die Gesellschaft zu übertragen. Denn nur in diesem Fall hat der Treuhänder die erteilte Weisung, ungeachtet eines späteren einseitigen Widerrufs durch den Treugeber, also den Inferenten, zu befolgen76. V. Sonstige Gestaltungen Bei Kapitalerhöhungen kann man neben den beiden hier erörterten Fallgestaltungen auch noch daran denken, den Gesellschafter vom Vorleistungsrisiko 72 Dazu BGH NJW 1966, 1116; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungseigentum, Band II, 1965, § 19 II, S. 73. 73 Die bloße Einräumung von Verfügungsmacht über den Einlagegegenstand würde vorliegend nicht genügen, da der Einleger nicht gehindert wäre, selbst anderweitig über den Gegenstand zu verfügen. 74 RGZ 153, 366, 369; BGHZ 11, 37, 41; BGH NJW 1959, 1223, 1224; Erman/Brox, 8. Aufl., vor § 164 Rdn. 19; Staudinger/Dilcher, 12. Aufl., vor §§ 104 ff Rdn. 63; Palandt/Bassenge, 50. Aufl., § 903 Rdn. 42. 75 Kiesow, JW 1933, 132; Mühl, Der außergerichtliche Liquidationsvergleich, NJW 1956, 401, 404; Soergel/Leptien, 12. Aufl., vor § 164 Rdn. 79; Soergel/Mühl, BGB, 11. Aufl., § 930 Rdn. 69; a. A. OLG Celle, HRR 1931, Nr. 865; KG JW 1933, 132. 76 H.M., vgl. etwa KG OLGE 42, 410, 414; OLG Hamm DNotZ 1983, 702f; OLG Düsseldorf DNotZ 1987, 556, 577; Haug, Die Amtshaftung des Notars, 1989, Rdn. 706 ff, 713, 715 mit weiteren Nachw.; a. A. KG DNotZ 1973, 498; OLG Schleswig DNotZ 1975, 371; vermittelnd Volhard, DNotZ 1987, 523, 530.

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durch Sicherheitsleistung der Gesellschaft freizustellen77. Allerdings muß dann sorgfältig darauf geachtet werden, daß die Sicherheit den Zeitpunkt der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung nicht überdauert. VI. Zusammenfassung Zu Beginn dieser Ausführungen wurden die Grundsätze der realen Kapitalaufbringung betont, deren Sicherung die hier erörterten Vorschriften dienen. Es wurde aber auch das starke Vorleistungs-Risiko des Inferenten betont. Beiden Aspekten kann mit der Rechtsfigur der (aufschiebenden oder auflösenden) Bedingung und mit der fremdnützigen Treuhand Rechnung getragen werden, nämlich: [521] 1. Die Leistung der Einlage unter der aufschiebenden Bedingung der Anmeldung oder unter der auflösenden Bedingung des endgültigen Scheiterns der Gründung oder der Kapitalerhöhung einer Aktiengesellschaft oder GmbH, ist mit den Anforderungen der §§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 2, 188 Abs. 2 AktG und § 37 Abs. 2 und 3, 8 Abs. 2, 56a, 57 Abs. 1 GmbHG vereinbar. 2. Nach der Ratio dieser Bestimmungen gilt das auch für die Leistung der Einlage unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung bzw. ihrer Durchführung. 3. Die Einschaltung eines Treuhänders zur Leistung der Einlage nach Anmeldung bzw. Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung an diese ist im Grundsatz ebenfalls zulässig und mit den genannten gesetzlichen Bestimmungen vereinbar. Das gilt im Einzelfall aber nur dann, wenn es sich bei dem Treuhänder um eine ex lege unabhängige Person handelt (Rechtsanwalt, Notar, Wirtschaftsprüfer) und zuzüglich sichergestellt ist, daß der Gründer oder Zeichner/Übernehmer die Anweisung zur Übertragung der Einlage an die Gesellschaft nach deren Anmeldung bzw. Eintragung oder nach Anmeldung bzw. Eintragung der Kapitalerhöhung nicht einseitig widerrufen kann.

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Dazu eingehend Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften, 1990, S. 11 ff.

Die Rückabwicklung fehlerhafter Kapitalübernahmen IN: CREZELIUS/HIRTE/VIEWEG (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR VOLKER RÖHRICHT,

KÖLN 2005, S. 369-382 Inhaltsübersicht I. II. III. IV. V. VI.

Einleitung Die nichtige Kapitalerhöhung und ihre Folgen Publizitätswirkung und Schutz der Willensfreiheit Lösungsmöglichkeiten Fragen zur Durchführung Zur Höhe der Vergütung des betroffenen Aktionärs 1. Ausgangspunkt 2. Zur Höhe der Entschädigung I. Einleitung

In einer frühen Arbeit habe ich mich mit der Bestandskraft von mangelhaften Kapitalübernahmen im Rahmen von Gründungen und Kapitalerhöhungen bei Kapitalgesellschaften beschäftigt1 und dabei, durchaus im Einklang mit Rechtsprechung und Lehre2, den Grundsatz des Vorrangs der Interessen von Gesellschaft und Gläubigern herausgearbeitet: Nach Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung im Handelsregister können noch so große Mängel – von Fragen der Handlungsfähigkeit und insbesondere der Minderjährigkeit abgesehen3 – bei der Übernahme des Kapitals durch den Gesellschafter nicht mehr zu ihrer Beseitigung führen. Die ex-tunc-Lösung des BGB mit ihren §§ 116 ff., 119, 123

Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, 1964, S. 85 ff. RGZ 142, 103; 145, 158; 147, 257 (268 ff.); 149, 28; 165, 193 sowie BGHZ 13, 320 und 21, 382; eingehend Lobedanz, Der Einfluß von Willensmängeln auf Gründungs- und Beitrittsgeschäfte, 1938, S. 146 ff. 3 Lutter (Fn. 1), S. 84 f. 1 2

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und 142 wird vom Bestandsinteresse im Recht der Kapitalgesellschaften verdrängt. Das ist auch heute noch die allgemeine Meinung4. [370] Aber schon damals hatte ich vorgetragen, dass dies nicht das letzte Wort sein könne5. Auch im Kapitalgesellschaftsrecht bestehe kein absoluter Bestandsschutz. Und tatsächlich machen das ja Vorschriften wie die §§ 222 ff. AktG (Kapitalherabsetzung), § 237 AktG (Einziehung), § 34 GmbHG (Einziehung), §§ 58 ff. GmbHG (Kapitalherabsetzung) deutlich, die alle zu einer Beendigung der fraglichen Mitgliedschaften führen6. Wie aber im einzelnen Fall eine Lösung aussehen könnte, hat mich damals nicht beschäftigt. Das soll nun und zu Ehren von Volker Röhricht nachgeholt werden. II. Die nichtige Kapitalerhöhung und ihre Folgen Ehe wir diese Fragen in Angriff nehmen, sei aber zunächst an eine andere Entwicklung erinnert. Liegt nämlich der Mangel nicht in der Beitrittserklärung des einzelnen Mitglieds, sondern im Beschluss über die Kapitalerhöhung selbst, so war lange herrschende und auch von mir vertretene Meinung7, dass hier selbst die Eintragung des später für nichtig erklärten Erhöhungsbeschlusses nicht vor einer Vernichtung auch der hierauf ausgegebenen Aktien schütze. Dieser Lehre ist Wolfgang Zöllner8 als erster entgegengetreten, indem er die im Personengesellschaftsrecht entwickelte Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf diese Konstellation übertragen und angewandt hat: keine Vernichtung des Vorgangs ex tunc, sondern Rückabwicklung der Mitgliedschaften ex nunc. Diese Auffassung hat sich inzwischen durchgesetzt9. 4 Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1992 ff., § 185 Rz. 64 ff.; Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 185 Rz. 28 und § 248 Rz. 7a; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, Bd. 1, 8. Aufl. 1992, § 2 Rz. 94 ff., 103; Emmerich in Scholz, GmbHG, Bd. 1, 9. Aufl. 2000, § 2 Rz. 73 f.; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 2 Rz. 21 ff.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 2 Rz. 33 ff., 38; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 302 ff.; Grunewald in FS Claussen, 1997, S. 103 (113 f.); vgl. dazu auch schon Breit, ZHR 76 (1915), 415 (417 ff.). So im Übrigen auch die Lehre und Rspr. in unseren Nachbarländern; s. Lutter (Fn. 1), S. 69 ff.; zuletzt wieder die Cour d’Appel de Liège, Urteil v. 14.10.2002, Rev.Soc. (belge) 2003, 218. 5 Lutter (Fn. 1), S. 88. 6 Vgl. nur Lutter in KölnKomm.AktG, Bd. 5/1, 2. Aufl. 1995, § 237 AktG Rz. 13 ff. und Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 34 Rz. 13 und 38. 7 Lutter in KölnKomm.AktG, § 191 Rz. 5 in Übereinstimmung mit der Rspr. des Reichsgerichts (RGZ 143, 394 [399]; 144, 138 [141]) und der damals h.M., vgl. etwa Hueck in Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl. 1968, § 191 Rz. 4 und Wiedemann, Großkomm.AktG, Bd. 3, 3. Aufl. 1973, § 191 Anm. 5. 8 Zöllner, AG 1993, 68 (75 ff.). 9 Wiedemann in Großkomm.AktG, § 189 Rz. 34, 41; Huber in FS Claussen, 1997, S. 147 (151); Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998,

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Damit steht aber auch für einen unserem Thema verwandten Bereich des Kapitalgesellschaftsrechts fest, dass aus anderen Gründen unwirksame Beitrittserklärungen – mangelhaft nicht wegen eines Mangels in der Erklärung des Aktionärs, sondern wegen Wegfalls ihrer Grundlage, des Beschlusses über die Kapitalerhöhung – rückabgewickelt werden müssen. Allerdings ist in den soeben erwähnten Fällen die Kapitalerhöhung mit der Rechtskraft des der Anfechtung stattgebenden Urteils hinfällig, so sind die auf ihr beruhen- [371] den (neuen) Mitgliedschaften ebenfalls, aber nach neuer und richtiger Erkenntnis eben ex nunc und nicht ex tunc, hinfällig. Die betroffenen Aktionäre sind um diesen ex lege eintretenden Verlust ihrer bis dato bestehenden Mitgliedschaft abzufinden – nicht anders als nach Eintragung der Eingliederung im Handelsregister gemäß §§ 320a/b AktG. Hier geht es also nicht um eine Beseitigung der Mitgliedschaften – sie tritt ipso iure mit der Rechtskraft des die Kapitalerhöhung vernichtenden Urteils ein –, sondern „nur“ um das „Wie“ der Abfindung10. Im Gegensatz zu diesen soeben angesprochenen Fällen gibt es in den hier zu behandelnden Konstellationen keinen ipso-iure-Verlust der Mitgliedschaft, vielmehr bedarf gerade das erst der Klärung. III. Publizitätswirkung und Schutz der Willensfreiheit Den hier angesprochenen Fällen von Willensmängeln bei Beitrittserklärungen werden durch das vorrangige Prinzip der Publizitätswirkung des Handelsregisters und des Gläubigerschutzes die ex-tunc-Wirkung des § 142 BGB entzogen. Andererseits aber steht nirgends geschrieben, dass es damit sein Bewenden haben müsste. Auch in anderen langfristigen Rechtsverhältnissen wie vor allem dem Arbeitsvertrag wird die ex-tunc-Wirkung solcher Mängel von vorrangigen anderen Rechtsprinzipien verdrängt11. Dem Betroffenen wird aber nicht die Möglichkeit der Lösung aus dem ungewollten Rechtsverhältnis ex nunc genommen, also insbeS. 212; Schockenhoff, DB 1994, 2327f.; Hommelhoff, ZHR 158 (1994), 11 ff.; Krieger, ibid. S. 35 ff.; Kort, ZGR 1994, 291 ff.; zuletzt Meyer-Panhuisen, Die fehlerhafte Kapitalerhöhung, 2003, mit allen Nachw. 10 Dazu eingehend Zöllner/Winter, ZHR 158 (1994), 59 (63 ff.). 11 Zum Arbeitsvertrag: BAGE 5, 58 (Leitsatz 3, Formnichtigkeit), BAGE 5, 159 (Anfechtung nach § 123 BGB); aus neuerer Zeit: BAGE 41, 54 (65); 51, 167 (176 ff.) für in Funktion gesetzte Arbeitsverhältnisse BAGE 90, 251; Heinrichs in Palandt: BGB, 63. Aufl. 2004, § 119 Rz. 5, § 142 Rz. 34; Richardi in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1999, § 611 Rz. 176 ff.; Roth in Staudinger, BGB, Neubearb. 2003, § 142 Rz. 34. Vgl. zum Ganzen schon Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, 1948, S. 27 ff., 30. Zum Mietvertrag ist es streitig, ob der Anfechtung eine Rückwirkung zukommt; für eine ex-nunc-Wirkung im Einzelfall LG Trier, Urt. v. 14.11.1989, MDR 1990, 342 sowie Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 1960, S. 231 ff. und Horn, Vertragsdauer, in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1981, S. 635; a. A. die h. M.

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sondere die Möglichkeit einer sofortigen Kündigung, soweit nicht schon der Anfechtungserklärung selbst eine kündigungsähnliche Wirkung zugesprochen wird12. [372] Seit langem weiß man, dass die bei den so genannten Willensmängeln angeordnete Rechtsfolge der Vernichtung des betreffenden Rechtsgeschäfts und der ex-tunc-Rückabwicklung nur für die relativ einfachen und kurzzeitigen Rechtsgeschäfte passen, nicht aber für langfristige Rechtsgeschäfte. Andererseits hat man auch nicht in Erwägung gezogen, diese Mängel einfach zu ignorieren – trotz ihres unterschiedlichen Gewichtes für die Betroffenen, man denke nur an den selbstverschuldeten Irrtum einerseits über den Dissens bis zu Täuschung und Drohung andererseits. Das sollte auch in unserem Zusammenhang gelten. Gesetz und Tradition haben diese Mängel stets ernst genommen und einen Kompromiss unter den widerstreitenden Interessen gesucht: Immerhin „bezahlt“ der Irrende die Möglichkeit der Lösung aus der Bindung mit der Leistung von Schadensersatz an den „schuldlosen“ Partner, § 122 BGB. Das gilt es auch in diesem Kontext zu respektieren und entspricht der Lösung bei den anderen, hier beispielhaft erwähnten Rechtsverhältnissen mit der für sie geltenden Abwandlung der Ex-tunc- zur Ex-nunc-Lösung. Das bedeutet: In allen Fällen, in denen Gesetz und Recht Mängel akzeptieren, die Grundsätze des Kapitalgesellschaftsrechts aber die „klassische“ Rechtsfolge einer Lösung ex tunc verdrängen, hat das die zunächst begünstigte Gesellschaft hinzunehmen und zu respektieren. Sie ist also aus dem bestehenden, wenn auch in seiner Begründung defekten Mitgliedschaftsverhältnis zum Übernehmer und jetzigen Mitgesellschafter gehalten, an einer Lösung unter voller Beachtung der Regeln des Kapitalgesellschaftsrechts mitzuwirken. Insoweit handelt es sich um nichts anderes als eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Prinzips der Treupflicht zwischen der Gesellschaft und ihrem Mitglied13. IV. Lösungsmöglichkeiten Damit ist jetzt nach den Wegen zu fragen, die der Gesellschaft für eine Lösung der Mitgliedschaft ex nunc zur Verfügung stehen. 12 Zum Arbeitsrecht BAG v. 3.12.1998, ZIP 1999, 458 (459): Der Anfechtung wird die kündigungsähnliche Wirkung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft zugeschrieben; streitig ist, ob es letztlich um die Ausübung einer modifizierten Anfechtung oder aber um eine (außerordentliche) Kündigung geht, vgl. insoweit Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, 37 (96 ff.); Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 445 ff. 13 Dazu eingehend Lutter, ZHR 153 (1989), 446 ff. und ZHR 162 (1998), 164 ff.; Henze, BB 1996, 489 ff. und ZHR 162 (1998), 186 ff.; Hüffer in FS Steindorff, 1990, S. 59 ff.; Timm, WM 1991, 481 ff.; Wiedemann in FS Heinsius, 1991, S. 949 ff.

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1. Der natürlichste Weg, nämlich die Rückgabe der Einlage an den Inferenten Zug um Zug gegen Hingabe der mangelhaft übernommenen Aktien an die Gesellschaft steht nicht zur Verfügung; denn das Gesetz verbietet in § 57 AktG strikt die Rückgabe der Einlage an den Zeichner14 und steht damit voll [373] und ganz in Einklang mit der europäischen Vorgabe der Art. 15 und 16 der Zweiten Richtlinie15. 2. Andererseits könnte die Gesellschaft ihr Kapital nach den §§ 222 ff. AktG herabsetzen und die fraglichen Aktien nach Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister gemäß § 226 AktG für kraftlos erklären. Darin läge vordergründig zwar eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach § 53a AktG, da nur der Betroffene von der Maßnahme „profitiert“ und nicht auch die anderen Aktionäre. Doch wäre hier die Pflicht der Gesellschaft zur Mitwirkung an einer Lösung zugunsten des Betroffenen ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund16. Damit wäre zwar das Problem der Aktien gelöst, die Zahlung an den Aktionär aber setzt die Befriedigung oder Sicherstellung aller Gläubiger voraus, die sich innerhalb einer Frist von sechs Monaten seit Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister bei der Gesellschaft gemeldet haben, § 225 AktG. Das ist sehr teuer für die Gesellschaft. Und außerdem muss hier der betroffene Aktionär lange auf sein Geld warten, während er seine Aktien schon verloren hat. Im Übrigen erhält der Aktionär nur den Nominalbetrag; denn nur dieser wird durch die Kapitalherabsetzung aus der Vermögensbindung frei, § 225 Abs. 2 AktG17. Der Aktionär würde auf diesem Wege das im Zweifel gezahlte Agio verlieren. 3. Seit langem kennt das Aktiengesetz darüber hinaus die Einziehung von Aktien. Zwar handelt es sich dabei nur um eine spezielle Form der Durchführung einer Kapitalherabsetzung – von einer sub 4. sogleich zu erörternden Ausnahme abgesehen –, aber es kommen dafür doch ganz neue Elemente ins Spiel. a) Für die reguläre Einziehung gelten nach § 237 Abs. 1 und Abs. 2 AktG die allgemeinen Regeln der Kapitalherabsetzung, so dass die gleichen Nachteile für Gesellschaft und Aktionär bestehen, wie sie soeben sub 2. erörtert worden sind. b) Das Gesetz schafft aber mit den Absätzen 3 bis 5 von § 237 AktG eine erleichterte Form der Kapitalherabsetzung. Sieht man einmal von der Regelung des Abs. 3 Nr. 1 bei einem unentgeltlichen Erwerb der Aktien des Betroffenen ab – 14 Vgl. nur Bayer in MünchKomm.AktG, Bd. 2, 2. Aufl. 2003, § 57 Rz. 9; Henze in Großkomm.AktG, § 57 Rz. 7; Hüffer, AktG, § 57 Rz. 7; Lutter in KölnKomm.AktG, Bd. 1, 2. Aufl. 1988 § 57 Rz. 5 je mit allen Nachw. 15 Richtlinie vom 13.12.1976 (77/91/EWG), ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1 ff., abgedruckt auch bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 114 ff. 16 Dazu Lutter/Zöllner in KölnKomm.AktG, § 53a Rz. 13 ff. 17 Vgl. Lutter in KölnKomm.AktG, § 225 Rz. 42 ff. und Oechsler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl., § 225 Rz. 31, 32.

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was hier ja gerade nicht gilt, da dieser das auf die Einlage Geleistete zurückerhalten soll –, so kommt vor allem Abs. 3 Nr. 2 in Betracht. Hier erwirbt die Gesellschaft zu einem vereinbarten oder anderweitig festgelegten Betrag die fraglichen Aktien und zahlt sofort die darauf geleiste- [374] te Einlage zurück – vorausgesetzt sie kann diese Leistung aus freien Mitteln erbringen, also ein noch nicht verteilter, aber bereits festgestellter Bilanzgewinn oder andere Gewinnrücklagen nach § 266 Abs. 3 A I 4 HGB. Der Schutz der Gläubiger erfolgt hier nicht durch Sicherstellung und späte Zahlung an den Aktionär, sondern durch die Leistung an den Aktionär aus freien, also ausschüttungsfähigen Mitteln und die Zuweisung des aus der Kapitalherabsetzung frei werdenden Kapitalbetrages an die Kapitalrücklage nach § 237 Abs. 5 AktG. Dieser außerordentlich elegante Weg schützt alle hier relevanten Interessen: die der Gläubiger durch die Leistung an den Aktionär nur aus freien Mitteln (Abs. 3 Nr. 2) und die Zuweisung des frei werdenden Kapitalbetrages auf das Konto Kapitalrücklage (Abs. 5); die des betroffenen Aktionärs, der sich gegen Vergütung unter Wahrung der Gläubigerinteressen aus der mangelbehafteten Mitgliedschaft lösen kann; und die der Gesellschaft, die nur freie, also zur Disposition stehende Mittel verliert. 4. Seit kurzem, nämlich seit dem TransPuG von 2002, bietet das Gesetz der Gesellschaft mit Abs. 3 Nr. 3 eine weitere Möglichkeit zur Lösung solcher Konflikte18. Sind nämlich in der Gesellschaft Stückaktien ausgegeben – und von dieser Möglichkeit haben inzwischen sehr viele Aktiengesellschaften Gebrauch gemacht –, so haben diese keinen unmittelbaren Nennwert mehr, sondern nur noch einen mittelbaren, der sich aus dem Verhältnis von Zahl der ausgegebenen Aktien zur Höhe des Kapitals ergibt. Hier kann auf die Herabsetzung des Kapitals ganz verzichtet werden; es vermindert sich nur die Zahl der Aktien. Damit sind die Interessen der Gläubiger überhaupt nicht involviert. Denn die Höhe des Kapitals bleibt unverändert und der Erwerb der Aktien durch die Gesellschaft erfolgt zum Zwecke der Einziehung, entspricht also den Vorgaben des Gesetzes, §§ 237 Abs. 3 Nr. 3, 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG. Im Gegensatz zur Nr. 2 offen und vom Gesetz überraschenderweise nicht angesprochen ist allerdings die Frage, zu Lasten welcher Mittel die Vergütung des Aktionärs geschehen kann. Gebundene Mittel (Kapital, gesetzliche Rücklage, Kapitalrücklage, § 150 AktG) sind dafür – zu Recht im Gesetz nicht vorgesehen; § 57 AktG ist in Abs. 3 Nr. 3 nicht eingeschränkt worden; und da keine Kapitalherabsetzung stattfindet, werden auch keine Mittel aus der Bindung frei. Damit 18 Diese Ergänzung des Gesetzes geht auf eine Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance zurück; vgl. Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 234.

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muss man die Vorgaben der Nr. 2 hier entsprechend anwenden mit der Folge, dass eine Vergütung des Aktionärs auch hier nur [375] aus freien, mithin ausschüttungsfähigen Mitteln möglich ist19. Das aber bedeutet, dass die Einziehung nur in Abstimmung mit dem betreffenden Aktionär erfolgen kann; würde sie erfolgen, ohne dass eine Vergütung gezahlt werden könnte, würde es sich de facto um eine Enteignung handeln. Die Möglichkeit zur Leistung der Vergütung ist mithin Wirksamkeitsvoraussetzung für den Einziehungsbeschluss, sei es der Hauptversammlung, sei es des Vorstands20. V. Fragen zur Durchführung Steht damit fest, dass die Gesellschaft verschiedene Möglichkeiten zur Lösung des mangelhaften Beitritts hat, so bleiben doch eine Reihe von zusätzlichen Fragen zu klären. 1. Die hier besonders nahe liegende Lösung durch Einziehung der Aktien des betroffenen Aktionärs nach § 237 AktG setzt in allen ihren Spielarten voraus, dass sie in der Satzung der betreffenden Gesellschaft angeordnet oder doch gestattet ist21. Fehlt es daran in der Satzung der betreffenden Gesellschaft, so scheint dieser Weg verbaut zu sein. Tatsächlich trifft das nicht zu. Die Literatur hat sich in den vergangenen Jahren eingehend mit den Fragen der Abwicklung einer vollzogenen, später aber vernichteten Kapitalerhöhung beschäftigt22. Auch in diesem Zusammenhang besteht heute Einigkeit, dass die fraglichen Mitgliedschaften auf jeden Fall bis zur Rechtskraft des den Kapitalerhöhungsbeschluss vernichtenden Urteils wirksam bestehen, danach aber rückabgewickelt werden müssen. Für diese Fälle hat bereits Kort herausgearbeitet, dass sie in Analogie zu § 237 AktG abzuwickeln sind, die Einziehung aber in diesen Fällen nicht in der Satzung angelegt sein muss23. Kort begründet dies im Wesentlichen mit einem Vergleich zum Ausschluss eines GmbH-Gesellschafters aus wichtigem Grund und weist zu Recht darauf hin, dass diese Überlegungen auch im Aktienrecht

19 Im GmbH-Recht ist das in § 34 Abs. 3 GmbHG ausdrücklich geregelt. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass das AktG erlaubt, das Entgelt aus gebundenen Mitteln zu zahlen. 20 Dieselbe Problematik besteht im GmbH-Recht. Dort wird der Einziehungsbeschluss überhaupt erst wirksam mit Zahlung des Entgelts; vgl. BGHZ 9, 157 (173) sowie Lutter/Hommelhoff, GmbHG § 34 Rz. 26 ff. mit allen Nachw. 21 Näher Lutter in KölnKomm.AktG, § 237 Rz. 22 ff.; Hüffer, AktG, § 237 Rz. 10, 15. 22 Schon oben sub II und Fn. 9. 23 Kort, ZGR 1994, 291 (314 f.).

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vorgetragen werden24. Auch in diesem Zusammenhang kann es [376] naturgemäß auf eine Regelung in der Satzung der betreffenden AG ebenso wenig ankommen wie im GmbH-Recht25. Noch deutlicher wird das in der von Oechsler entwickelten Begründung, wonach die Rechtsgrundlage für die Abwicklung in den Fällen nichtiger Kapitalerhöhungen nicht in einer Satzungsregelung, sondern in gesetzlichen Ordnungsideen zu suchen sei, die eine Beseitigung der Mitgliedschaftsrechte unabhängig von individuell statutarischen Gegebenheiten der betroffenen AG erforderlich machen26: Der Anlegerschutz durch die Warnfunktion der Satzung finde seine Schranke hier in den vom Gesetz geregelten Anfechtungsgründen, die zur Nichtigkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses führen. Diese Gedanken treffen auch auf die hier erörterten Mängel zu. Denn es geht nicht um willkürliche Gestaltung der Parteien, sondern um den Vollzug des vorrangigen Gesetzes: Dieses ordnet zwar im modernen Verständnis weder bei einem nichtigen Kapitalerhöhungsbeschluss noch bei nichtiger Beitrittserklärung die Rückabwicklung ex tunc an, wohl aber die Rückabwicklung an sich. Und diese muss daher – ohne dass es auf individuelle Satzungsgestaltungen ankommen könnte – auch rechtlich möglich sein. Auch wenn die Satzung schweigt, ist der Weg über § 237 AktG mithin möglich. 2. Darüber hinaus verlangt das Gesetz für alle oben erörterten Gestaltungen einen Beschluss der Hauptversammlung der betreffenden Aktiengesellschaft. Hier wird man unterscheiden müssen: a) Geht es bei einem der oben aufgezeigten Wege um eine förmliche Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft, so handelt es sich zwingend um eine Änderung der Satzung. Die aber kann, so scheint es, nur von der Hauptversammlung beschlossen werden, §§ 119 Abs. 1 Nr. 5, 179 AktG. Tatsächlich aber macht das Gesetz selbst in § 237 Abs. 6 AktG von dem Erfordernis eines Hauptversammlungs-Beschlusses eine Ausnahme dann, wenn es um die so genannte Zwangseinziehung geht, wenn also in der Satzung nicht nur die Möglichkeit der Einziehung eröffnet wird, sondern die tatsächlichen Voraussetzungen so genau bestimmt werden, dass es keines Willensentschlusses mehr, sondern nur noch des Vollzuges bedarf27. In diesen Fällen kann die Satzung den Vorstand zu diesem reinen Vollzug ermächtigen, ohne dass die Hauptversammlung mitwirken müsste.

24 Vor allem Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1987, S. 50 ff. mit eingehender und insoweit zustimmender Besprechung von Röhricht, AcP 189 (1989), 386 ff., 389 f.; Becker, ZGR 1986, 383 ff.; Lutter in KölnKomm.AktG, § 237 Rz. 118 ff. 25 Dazu eingehend Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 32 ff. mit allen Nachw. 26 Oechsler in MünchKomm.AktG, § 237 Rz. 120. 27 Lutter in KölnKomm.AktG, § 237 Rz. 34; Oechsler in MünchKomm.AktG, § 237 Rz. 111 ff.; Hüffer, AktG, § 237 Rz. 40.

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Zu fragen ist daher, ob die uns hier beschäftigenden Fälle dieser Konstellation – reiner Vollzug – so nahe sind, dass der Rechtsgedanke des § 237 Abs. 6 AktG übertragen werden kann. Das trifft tatsächlich zu. Denn in den Fällen des Abs. 6 geht es um eine Anordnung der Satzung, hier um eine Anordnung des Gesetzes: Die mangelhaft begründeten Mitgliedschaften sind zu beseiti- [377] gen. Es könnte also nur sein, dass die Hauptversammlung über den konkreten Weg unter den drei möglichen Wegen der Lösung befinden soll. Aber auch insoweit entscheidet sich § 237 Abs. 6 AktG für die Kompetenz des Vorstands. Dann aber muss das auch in den hier erörterten Fällen gelten28. b) Diese Überlegungen gelten erst recht, wenn die Gesellschaft Stückaktien ausgegeben hat und mithin der Weg über Abs. 3 Nr. 3 von § 237 AktG offen steht. Hier handelt es sich nicht einmal um eine Satzungsänderung. Dennoch ordnet das Gesetz einen Hauptversammlungs-Beschluss an, wenn auch nur mit einfacher Mehrheit, § 237 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AktG. Wenn aber das Gesetz die Lösung für die mangelhaften Mitgliedschaften vorschreibt, kann das nicht mehr vom zufälligen Willen der anderen Aktionäre abhängen. c) Folgt man den soeben angestellten Überlegungen zur Rechtsähnlichkeit mit dem Fall des § 237 Abs. 6 AktG nicht und hält mithin am Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung fest, so kommt hier die Treupflicht der Aktionäre gegenüber ihrem – noch – Mitaktionär und gegenüber der verpflichteten Gesellschaft selbst zum Zuge; denn diese ist von Rechts wegen verpflichtet, eine Lösung zu schaffen. Ist mithin der Mangel zwischen der Gesellschaft und dem betroffenen Aktionär unstreitig oder rechtskräftig festgestellt, so sind die anderen Aktionäre verpflichtet, an einer Lösung durch einen entsprechenden Beschluss mitzuwirken29. Tun sie das nicht, so kann durch Anfechtungsklage verbunden mit einer positiven Beschlussfeststellungsklage über die negativen Stimmen hinweggegangen werden30. VI. Zur Höhe der Vergütung des betroffenen Aktionärs 1. Ausgangspunkt Würde man die allgemeinen Regeln anwenden, so gäbe es keine besonderen Fragen: Der Aktionär erhielte das von ihm Geleistete, also Einlage und Agio nach den Regeln der §§ 812 ff. BGB zurück. Aber diese allgemeinen Regeln wenden Im Ergebnis ebenso Kort, ZGR 1994, 291 (315). Zur Treupflicht des Aktionärs vgl. Lutter, JZ 1976, 225; ders., ZHR 153 (1989), 446; ders., ZHR 162 (1998), 164; Timm, WM 1991, 481; Wiedemann in FS Heinsius, 1991, S. 949 ff.; Henze in FS Kellermann, 1991, S. 141; ders., BB 1996, 489; ders., ZHR 162 (1998), 186. 30 Vgl. dazu vor allem Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rz. 92 ff. 28 29

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wir zum Teil wegen § 57 AktG31, teilweise im Hinblick auf den jedenfalls vorläufigen Bestand der Mitgliedschaft gerade nicht an. Diese ist und bleibt existent, bis sie mit Maßnahmen ex nunc nach § 237 AktG beseitigt sind. Bis dahin war und ist der Betroffene Aktionär. Das entspricht ganz der Betrachtung in den Vergleichsfällen anderer langfristiger Rechtsverhältnisse: Auch das Arbeits- und das Mietverhältnis auf man- [378] gelhafter Grundlage ist und bleibt existent und gültig, bis es aufgrund des Mangels durch außerordentliche Kündigung des Betroffenen ex nunc gelöst wird; eine Rückabwicklung nach den Regeln der §§ 812 ff. BGB kommt nicht in Betracht, ist aber auch nicht nötig, da der Vermieter die Miete, der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt aufgrund des als gültig behandelten Rechtsverhältnisses rechtens behält32. b) So einfach ist die Rechtslage in unseren Fällen nicht. Denn der Betroffene hat um der Mitgliedschaft willen auf die Einlage geleistet; verliert er diese im Zuge der Rückabwicklung, so muss er dafür entschädigt werden. Anders wäre es keine Rückabwicklung ex nunc, sondern eine Enteignung; das Ziel unserer Überlegungen wäre offenbar verfehlt. 2. Zur Höhe der Entschädigung Da es sich in unseren Fällen gerade nicht um eine Rückabwicklung nach dem Muster des Bürgerlichen Rechts handelt, sondern um eine Rückabwicklung unter Verwendung der besonderen Figuren des Rechts der Kapitalgesellschaften, müssen die Besonderheiten dieser Figuren auch bei der Frage der Entschädigung bedacht werden33. a) Dieser Aspekt wird besonders deutlich bei einer Beseitigung der fraglichen Mitgliedschaften im Wege einer förmlichen Kapitalherabsetzung. In diesem Falle sinkt das Grundkapital nur um den Nominalbetrag dieser Aktien, mithin wird auch nur dieser Betrag aus der Bindung des § 57 AktG frei, kann also auch nur dieser Betrag an den Betroffenen gezahlt werden. Hat dieser seinerseits nur nominal geleistet, so ist diese Lösung korrekt. Hat er – wie bei Kapitalerhöhungen die Regel – darüber hinaus ein Agio geleistet, wird und kann er mit dieser Lösung kaum einverstanden sein34. b) Ganz anders ist die Rechtslage, wenn die Beseitigung der Mitgliedschaft nach den besonderen Regeln des § 237 Abs. 3 Nr. 2 oder 3 AktG erfolgt. Hier Dazu oben sub IV. 1 und Fn. 14. Vgl. nur BAG v. 3.12.1998, ZIP 1999, 458 (460). 33 Auch an dieser Stelle wird die hier andere Situation im Vergleich zur vernichteten Kapitalerhöhung deutlich: Dort sind die Mitgliedschaften untergegangen, hier müssen sie erst mit Hilfe spezieller und speziell geregelter Rechtsfiguren beseitigt werden. 34 Dazu schon oben bei Fn. 16. 31 32

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verweist das Gesetz in Nr. 2 ausdrücklich auf die freien Mittel der Gesellschaft, verhält sich aber mit keinem Wort zur Höhe der Abfindung. Diese bestimmt sich mithin nach anderen Kriterien. Im Übrigen ist hier nochmals zu unterscheiden: (1) Im Falle der Nr. 2 handelt es sich noch immer um eine Kapitalherabsetzung, zu deren Ausgleich ihr aber ein gleich hoher Betrag in die Kapitalrücklage einzustellen ist (Umbuchung von Kapital auf Kapitalrücklage). Die Leis- [379] tung an den Betroffenen muss also zur Gänze aus freien Mitteln möglich sein; frei gewordenes Kapital steht dafür nicht zur Verfügung. Andererseits sagt das Gesetz aber auch nur, dass die Einziehung zu Lasten der freien Mittel möglich sein muss, beschränkt die Inanspruchnahme dieser Mittel – so vorhanden – der Höhe nach aber nicht. (2) Im Falle der Nr. 3 handelt es sich um eine Rückkehr zu der bis 1937 im Aktienrecht (§ 227 HGB aF) und bis heute im GmbH-Recht (dort § 34 GmbHG) bekannten Amortisation35. Sie verändert die Ziffer des Grundkapitals nicht, ist also nicht Kapitalherabsetzung. Das Grundkapital sinkt nicht, wird nicht tangiert, nur die Zahl der Aktien sinkt und damit erhöht sich der Anteil der verbleibenden Aktien an diesem, ihr mittelbarer Nominalwert steigt36. Daher auch hätte Abs. 5 mit seiner Anordnung einer Zuweisung an die Kapitalrücklage bei Einführung von Abs. 3 Nr. 3 durch das TransPuG auf die Fälle der Nr. 1 und 2 beschränkt werden müssen37: Bei der Amortisation ist kein Grund für eine solche Zuweisung ersichtlich; denn das Kapital wird gerade nicht (teilweise) aus der Bindung frei38. Andererseits hätte es nahe gelegen, in Nr. 2 für diejenigen Fälle zu verweisen, in denen es nicht um die Einziehung bereits erworbener Aktien geht, sondern um solche eines Aktionärs der noch zu entschädigen ist. Das muss hier durch entsprechende Auslegung geschehen; denn es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Amortisation zu Lasten des Kapitals möglich sein sollte39. Auch die oben schon erörterte Zuweisung zur Kapitalrücklage orientiert sich nur am (mittelbaren)

Dazu Lutter in KölnKomm.AktG, § 237 Rz. 3; Hüffer, AktG, § 237 Rz. 34a. Näher dazu Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 2 ff. 37 Ebenso Hüffer, AktG, § 237 Rz. 38. 38 Allenfalls hätte eine andere Zuweisung nahe gelegen. Handelt es sich bei den eingezogenen Aktien nämlich um solche, welche die Gesellschaft nach § 71 AktG selbst erworben und für die sie entsprechend § 71 Abs. 2 AktG, § 272 Abs. 4 HGB die erforderliche Sonderrücklage gebildet hat, so wird diese Rücklage durch Einziehung der Aktien frei. Man hätte es als zweckmäßig ansehen können, diese Rücklage dann der Kapitalrücklage zuzuführen, statt sie an die Aktionäre ausschütten zu können. Notwendig ist es aber nicht. Daher bleibt es bei der hier postulierten Einschränkung des Abs. 5 für die Fälle des Abs. 3 Nr. 3. 39 Ebenso Hüffer, AktG, § 237 Rz. 38; so auch ausdrücklich die Lösung des GmbHG in § 34 Abs. 3; näher dazu Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 14 und Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34 Rz. 33; Westermann in Scholz, GmbHG, § 34 Rz. 48 ff. sowie oben sub IV. 3. 35 36

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Nominalbetrag der eingezogenen Aktien, nicht an der tatsächlichen Leistung an den Aktionär. Die Regel der Nr. 2 von § 237 Abs. 3 AktG und § 34 Abs. 3 GmbHG muss also jedenfalls auf diejenigen Fälle der Nr. 3 entsprechend angewandt werden, in denen es sich nicht um die Einziehung eigener Aktien der Gesellschaft selbst handelt. [380] c) Verfügt die Gesellschaft in den Fällen der Nr. 2 und 3 von § 237 Abs. 3 AktG über ausreichende freie Mittel, so enthält das Gesetz keine weitere Sperre hinsichtlich der Höhe der Leistung an den betroffenen Aktionär. Auch das entspricht der Regelung im GmbH-Recht40. Somit ist nun zu klären, was der Gesellschafter zu beanspruchen hat. Zwei Ansätze sind möglich. Zum einen kann man sich an § 812 BGB orientieren und das mit der Herkunft des Problems aus den Mängeln der §§ 116 ff., 142 BGB begründen. Zum anderen kann man die ex-nunc-Lösung in den Mittelpunkt stellen und kommt damit zum Gedanken der Abfindung: Der Betroffene war und ist Aktionär und verliert diese Position jetzt. Das würde zur Höhe der Abfindung nach dem jetzigen Wert der Mitgliedschaft führen, also unter Berücksichtigung aller stillen Rücklagen und aller Wert-Mehrungen und -Minderungen in der Zeit seiner Mitgliedschaft. Insoweit treffen sich diese Überlegungen dann auch wieder mit denen zur Abfindung des Aktionärs bei späterer Vernichtung des Kapitalerhöhungs-Beschlusses. (1) Eine Lösung nach den Regeln der §§ 812 ff. BGB scheidet im Prinzip aus, und das aus mehreren Gründen. Zum einen wäre es schon systematisch wenig überzeugend, hinsichtlich der Mitgliedschaft auf die Lösung ex nunc zu gehen, hinsichtlich der „Gegenleistung“ aber bei einer Ex-tunc-Abwicklung zu bleiben. Im Übrigen aber enthalten die §§ 812 ff. BGB kaum überzeugende Abrechnungsschwierigkeiten dann, wenn über längere Zeiträume hin mit Erträgen und Aufwendungen abgerechnet werden müsste, § 818 BGB. (2) Systematisch richtig ist daher auch insoweit die Lösung im Sinne einer Abfindung des Aktionärs um seine Mitgliedschaft ex nunc, unabhängig von allen Fragen, was und wie viel er denn einst auf die Mitgliedschaft geleistet hat. Das entspricht auch ganz der Lösung, die bei einer notwendigen Abfindung der Aktionäre einer vernichteten Kapitalerhöhung vorgeschlagen wird41. Und sie entspricht der Lösung beim Austritt des Gesellschafters im GmbH-Recht42; denn

40 Soweit das Kapital nicht tangiert wird, ist die Höhe der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters eine rein interne Angelegenheit; vgl. dazu Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 49 ff. 41 Vgl. insbesondere Zöllner/Winter, ZHR 158 (1994), 59 ff. 42 Zum Austritt im GmbH-Recht vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 43 ff. und Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 34 Rz. 15 ff. mit allen Nachw.

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auch hier tritt der betroffene Aktionär de facto aus der Gesellschaft aus, indem er den Mangel seines damaligen Beitritts jetzt als Lösungsgrund geltend macht. (3) Folgt man dieser Betrachtung, so ist der Aktionär nach dem vollen wirtschaftlichen Wert seiner Aktien abzufinden43, also dem anteiligen Betrag des Preises, den ein Dritter als Erwerber des gesamten Unternehmens der AG zahlen würde, mindestens aber – bei börsennotierten Aktien – dem aktuel- [381] len Börsenkurs44. Die Fragen zur Feststellung dieses Wertes sind vielfach erörtert worden45; das muss hier nicht wiederholt werden. d) Das derart gefundene Ergebnis bedarf aber unter zwei Gesichtspunkten einer Korrektur: (1) Zum einen kann dem betroffenen Aktionär bei dieser Lösung zum anteiligen vollen wirtschaftlichen Wert seiner Aktien ein Windfall-Profit zufallen. Hat die Gesellschaft zu 200 die fraglichen Aktien ausgegeben, während der wirtschaftliche Wert 500 war und ist, so liquidiert der Aktionär die Differenz ohne einen erkennbaren Grund. Gemeint ist hier also nicht der wirtschaftliche Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft in der Zeit seiner Mitgliedschaft. Gemeint ist der damalige Mehrwert der Beteiligung im Verhältnis zur Höhe der Einlage. Seine Zuweisung an den Aktionär kann durchaus relevante Gründe haben. War er etwa schon vor der Kapitalerhöhung Aktionär und hat er die vom Mangel betroffenen neuen Aktien aufgrund seines Bezugsrechts bezogen, so steht ihm der Mehrwert fraglos zu. Fehlt es hingegen an einem solchen rechtlich relevanten Grund, beruht der Mehrwert also eher auf Zufall und Nachlässigkeit des Vorstands bei Festlegung des damaligen Ausgabepreises, dann kann man auf den Ausgangsgedanken des Gesetzes aus §§ 142, 812 ff. BGB zurückgreifen und die Abfindung insoweit auf die Höhe des vom Betroffenen selbst Geleisteten reduzieren, den reinen Windfall-Profit beim Betroffenen mithin vermeiden. (2) Zum anderen kann es sich bei der Einlage des Betroffenen aber auch um eine Sacheinlage gehandelt haben. Hat der Inferent etwa eine Immobilie geleistet oder eine wesentliche Beteiligung oder gar ein gesamtes Unternehmen eingebracht und steht der damalige Willensmangel gar in Verbindung mit diesen Gegenständen, so kann das Interesse des Betroffenen noch viel mehr auf Rückerhalt des damals Geleisteten gehen denn nur auf Lösung aus der Gesellschaft. Wendet man allein den Gedanken der Abfindung an, so ist für diesen Aspekt kein Raum. Behält man aber im Auge, dass das Gesetz eigentlich die Rückabwicklung anordnet und man diese Anordnung nur aus den vorrangigen Grundsätzen der Publizität und des Gläubigerschutzes im Kapitalgesellschaftsrecht modifizieren muss, so BGHZ 9, 157 (168); zuletzt BGHZ 116, 359 (370) und BVerfG, AG 2003, 624 (625). BVerfGE 100, 289 (305 ff.) und BGHZ 147, 108. 45 Einzelheiten bei Hüffer, AktG, § 305 Rz. 19 ff. und Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 50 ff. mit weiteren Nachw. 43 44

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ist auch hier ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken der §§ 142, 812 BGB geboten: Ist Rückgewähr (noch) möglich, so ist dem Anliegen des Aktionärs auf Rückgewähr zu entsprechen46 unter Zuschlag der erwirtschafteten Erträge (Rechtsgedanke des § 818 Abs. 1 BGB) und Abschlag noch vorhandener Aufwendungen (Rechtsgedanke des § 818 Abs. 3 BGB). [382] Allerdings: Die Abfindung zum wirtschaftlichen Wert der Aktien steht im Zentrum. Die Rückgabe der einstigen Sacheinlage darauf ist vom Aktionär gewollte datio in solutum47. Berücksichtigt das nicht eine seitherige Wertveränderung der Gesellschaft selbst, also etwa einen anderweitigen Verlust der Gesellschaft, so bleibt der Aktionär im Risiko und muss die Differenz in bar ausgleichen. Beträgt also der anteilige Wert der Aktien des betroffenen Aktionärs wegen anderer Verluste der Gesellschaft heute nur noch 80 und verlangt er „sein“ Unternehmen zum Einbringungswert von heute immer noch 100 zurück, so muss er – da er an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft als solcher rechtens beteiligt ist – die Differenz in Höhe von 20 bar ausgleichen. Da er berechtigt ist, „seinen“ einstigen Einbringungsgegenstand als datio in solutum auf die Abfindung zu verlangen, hat er das Wahlrecht zwischen 80 in Geld oder Rückgabe des Gegenstandes Zug um Zug gegen Zahlung von 20 in bar an die Gesellschaft.

46 Ähnlich Zöllner/Winter, ZHR 158 (1994), 59 (64 f.) sowie Zöllner laut Diskussionsbericht ibid. S. 97 (98). 47 Ähnlich Zöllner/Winter, ZHR 158 (1994), 59 (65).

Die „Sterbehaus-Konstruktion“ IN: HADDING/IMMENGA/MERTENS/PLEYER/SCHNEIDER (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR WINFRIED WERNER, BERLIN

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I. Einführung Slagter hat kürzlich eingehend über eine gesellschaftsrechtliche Konstruktion berichtet, die bei „kranken“ Konzernen in den Niederlanden offenbar schon häufiger mit Unterstützung von Banken verwirklicht worden ist und für die er den höchst plastischen Namen einer „Sterbehaus-Konstruktion“ gefunden hat1. Wir wollen hier darlegen und erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Konstruktion nach deutschem Recht zulässig wäre. Zu diesem Zweck werden wir zunächst die Grundzüge der Konstruktion2 darstellen, um sie anschließend an den Regeln des deutschen Rechts zu messen: Innerhalb eines Konzerns arbeiten eine Reihe von Tochtergesellschaften mit Gewinn, andere mit wechselndem Erfolg aber insgesamt ausgeglichen, während eine letzte Gruppe von Tochtergesellschaften mit hohen Verlusten abschließt. Aufgrund dieser Verluste und der dadurch ständig wachsenden Verschuldung gerät der Konzern insgesamt in finanzielle Schwierigkeiten, die seinen Fortbestand nachdrücklich gefährden: die Muttergesellschaft droht insolvent zu werden. In dieser Situation werden folgende Rechtsgeschäfte vorgenommen: (1) Die Konzernobergesellschaft gründet die Holding-Gesellschaft A und bringt ihre Anteile an den gesunden Tochtergesellschaften als Sacheinlage in diese neue Gesellschaft ein. (2) Die Gläubigerbanken der Konzernobergesellschaft gründen ihrerseits die Holding-Gesellschaft B. (3) Die Holding-Gesellschaft B kauft zu einem angemessenen, also insgesamt völlig korrekten Preis von der Konzernobergesellschaft deren sämtliche Anteile an der Holding-Gesellschaft A. (4) Sodann tritt die Konzernobergesellschaft ihre Kaufpreisforderung gegen die Holding-Gesellschaft B zur Sicherung ihrer Kredite an die Gläubigerbanken ab (Alternative: sie tritt die Kaufpreisforderung an

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Slagter, TVVS 1983, 25 ff. In der bei OGEM gewählten Ausgestaltung, siehe Slagter, TVVS 1983, S. 25 f.

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Die „Sterbehaus-Konstruktion“

die Gläubigerbanken zum Zwecke der Erfüllung entsprechend hoher Kreditschulden endgültig ab). Die Konzernobergesellschaft und die bei ihr verbliebenen („kranken“) Tochtergesellschaften werden alsbald insolvent und beantragen die Eröffnung des Vergleichs- bzw. Konkursverfahrens. [478] II. Die Praxis in der Bundesrepublik hat vergleichbare Handlungsmuster bislang nicht entwickelt. Selbstverständlich veräußern auch bei uns Unternehmen in der Krise einzelne Unternehmensbereiche oder Tochtergesellschaften. Ziel solcher Vorgänge ist aber vor allem die Gewinnung von eigener Liquidität bei der Konzernobergesellschaft aus dem Kaufpreis, allenfalls die Minderung von Lasten durch den Abgang einer defizitären und hoch verschuldeten Tochter. Das Besondere der „SterbehausKonstruktion“ aber liegt nicht in der Veräußerung von Tochtergesellschaften, ja nicht einmal in deren Auswahl (nur die guten kommen ins Töpfchen, die schlechten bleiben im eigenen Kröpfchen) – denn nur die guten bringen ja Erlös –, sondern (1) im (mittelbaren) Erwerb der guten Töchter durch die Gläubigerbanken des Konzerns (2) unter Verwendung ihrer an den Konzern ausgelegten Kredite als Kaufpreis und (3) einer gewissen Entschuldung der Konzernobergesellschaft, aber ohne Zuführung neuer liquider Mittel an diese. Die folgenden rechtlichen Überlegungen sind also hypothetischer Natur und beruhen nicht auf Erfahrungen aus vergleichbaren Sachverhalten in der Bundesrepublik. Immerhin: Beispiele könnten ja Schule machen2a. Für eine solche rechtliche Betrachtung nach den Regeln des deutschen Rechts kommen zwei Ansätze in Betracht, nämlich gesellschaftsrechtliche Überlegungen (dazu unter III) und konkursrechtliche Aspekte (dazu unter IV).

2a Vgl. jüngst OLG Stuttgart vom 21. Juni 1983, 12 U 280/82: Die Gemeinschuldnerin hatte den für sanierungsfähig gehaltenen Betrieb veräußert, während der als nicht mehr lebensfähig erachtete Teil stillgelegt werden sollte, tatsächlich aber insolvent wurde; die Entscheidung ist inzwischen rechtskräftig: der BGH hat mit Beschluß vom 22. 3. 1984 die Annahme der Revision abgelehnt, da bereits von der tatsächlichen Seite her keine Zweifel an der Sanierungsmöglichkeit bestanden (ZIP 1984, A 26). Vgl. aber auch zu einem ähnlichen Vorgang in Frankreich bei Schneider/Creusot-Loire den Bericht der FAZ vom 30. 5. 1984, S. 11.

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III. Gesellschaftsrechtliche Überlegungen zur Sterbehaus-Konstruktion 1. Überblick Allein der Vorstand einer AG und die Geschäftsführer einer GmbH vertreten ihre Gesellschaft Dritten gegenüber; und sie sind diesen Dritten gegenüber hierzu nahezu unbeschränkt berechtigt: es gibt nur [479] wenige Ausnahmen, in denen Vorstand oder Geschäftsführer nicht oder nicht allein vertretungsberechtigt sind; gerade solche Fälle können aber möglicherweise hier von Bedeutung sein (dazu sub 2). Vorstand und Geschäftsführer haben darüber hinaus intern, also im Verhältnis zu anderen Organen der Gesellschaft – Aufsichtsrat, Hauptversammlung, Gesellschafterversammlung – bestimmte Schranken zu beachten. Diese internen Pflichten sind hier von besonderer Bedeutung (dazu sub 3). 2. Beschränkung der Vertretungsmacht von Vorstand oder Geschäftsführung a) Nach § 361 AktG wird ein Vertrag, durch den sich eine Aktiengesellschaft zur Übertragung ihres ganzen Vermögens verpflichtet, nur mit Zustimmung ihrer Hauptversammlung wirksam. Der Zustimmungsbeschluß bedarf einer Mehrheit von mindestens 75% des bei der Beschlußfassung vertretenen Kapitals. Diese Vorschrift will die Aktionäre davor schützen, daß der Vorstand ohne Kenntnis und Willen der Aktionäre das Gesellschaftsvermögen als Grundlage ihrer satzungsmäßigen Unternehmenstätigkeit völlig aus der Hand gibt3. Daher besteht Einigkeit, daß eine solche Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens auch dann vorliegt, wenn einzelne Vermögensteile bei der übertragenden Gesellschaft zurückbleiben, soweit sie im Verhältnis zum Gesamtvermögen nur geringfügig sind4. Über die Frage, was denn „ganzes Gesellschaftsvermögen“, was „geringfügig“ ist und wie das Verhältnis von übertragenem zu verbliebenem Vermögen im einzelnen zu sehen ist, wurde vielfach und lange gestritten5. Der Bundesgerichtshof6 hat nun dazu kürzlich entschieden: „… ist … Gegenstand der Vermögensübertragung ein lebendes Unternehmen, so entfällt … nach Wortlaut und Zweck der Tatbestand des § 361 AktG nur, wenn die Gesellschaft BGH, WM 1982, 86 ff (Hoesch/Hoogovens); BGHZ 83, 122, 128 (Holzmüller). RGZ 124, 279, 294-296; Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 361 Anm. 8; Schilling, in: Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 361 Anm. 4; Baumbach/Hueck, Komm. zum AktG, 13. Aufl. 1968, § 361 Anm. 2; Godin/Wilhelmi, Komm. zum AktG, 3. Aufl. 1967, § 361 Anm. 1. 5 Dazu bereits RGZ 124, 279, 294-296; ferner Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, Köln 1980, S. 115 f; ders., AG 1980, 172, 175 ff; Sandrock, Festschrift für Bosch, 1976, 841 ff (zum Begriff des „Vermögens im ganzen“ nach § 1365 Abs. 1 BGB). 6 BGHZ 83, 122, 128. 3 4

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mit dem zurückbehaltenen Betriebsvermögen noch ausreichend in der Lage bleibt, ihre in der Satzung festgelegten Unternehmensziele weiterhin, wenn auch in eingeschränktem Umfang, selbst zu verfolgen …“

Im Rahmen der Sterbehaus-Konstruktion verbleiben der Obergesellschaft vor allem die Anteile an den verlustbringenden und allenfalls an [480] den ertraglos arbeitenden Tochtergesellschaften. Diese Vermögensteile sind nun aber offensichtlich weder dazu geeignet noch nach der gesamten Gestaltung und Absicht der Obergesellschaft dazu bestimmt, das bisherige Unternehmen weiter zu betreiben: gerade das letztere erfährt seine Bestätigung im alsbaldigen Konkurs der Obergesellschaft und ihrer verbliebenen Tochtergesellschaften. Trotz der möglicherweise hohen nominellen Vermögenswerte, die der Konzernobergesellschaft verbleiben, sollte man die Sterbehaus-Konstruktion daher als Übertragung des „ganzen Vermögens“ der Obergesellschaft sehen, die nach § 361 AktG nur mit Zustimmung der Hauptversammlung bei qualifizierter Mehrheit wirksam werden kann: Der Vorstand allein kann hier nicht wirksam handeln. Folgt man dieser Auffassung nicht – und ihr zu folgen verlangt einen gewissen Mut, wenn hohe, allerdings nicht mehr lebensfähige Vermögensteile zurückbleiben – so bleiben noch die Erwägungen sub 3. b) Eine § 361 AktG vergleichbare Vorschrift kennt das GmbH-Recht nicht. Überlegungen zu einer analogen Anwendbarkeit dieser Norm auf die Vermögensübertragung durch eine GmbH müssen jedoch erst dann angestellt werden, wenn geklärt ist, daß die Vertretungsmacht der Geschäftsführer zum Abschluß der betreffenden Verträge nicht etwa schon aus anderen Gründen beschränkt ist. aa) Die Übertragung des ganzen Vermögens der Gesellschaft kann je nach dem Inhalt der betreffenden Satzung gegen den dort festgelegten Gegenstand verstoßen. Maßnahmen dieser Art wären daher satzungswidrig und damit gewißlich nicht von der Geschäftsführungsbefugnis der Geschaftsführer gedeckt. Aber das betrifft die internen Schranken nach § 37 Abs. 1 GmbHG und nicht die Vertretungsmacht. Für diese formuliert § 37 Abs. 2 GmbHG die denkbar weiteste Unabhängigkeit von internen Beschränkungen. Daher besteht Einigkeit, daß statutarische Schranken – und der statutarische Gegenstand ist eine solche Handlungsschranke – nicht auf die Vertretungsmacht „durchschlagen“7. Das entspricht deutscher handelsrechtlicher Tradition und ist so auch in Art. 9 der 1. Rechtsangleichungs-Richtlinie von 1968 festgeschrieben worden: Damit handelt es sich hier um ein geradezu klassisches Beispiel dafür, daß Rechtsprechung und Lehre ohne jeden Hinweis in den deutschen Gesetzestexten in ihren Überle-

7 Vgl. U. H. Schneider, in: Scholz, Komm. zum GmbHG, 6. Aufl., § 35 Anm. 43; Ulmer, in: Hachenburg, Komm. zum GmbHG, 7. Aufl. 1984, § 53 Rdn. 94; Timm, Die AG als Konzernspitze, S. 117 f.

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gungen hier auch an die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers gebunden sind8. [481] bb) Könnte somit die Geschäftsführung die GmbH bei den Rechtsgeschäften zur Vermögensübertragung an sich wirksam vertreten, so bleibt zu prüfen, ob sie durch einen solchen Vorgang etwa ihre Vertretungsmacht mißbraucht mit der Folge, daß die Gesellschaft doch nicht an die betreffenden Rechtsgeschäfte – hier: Veräußerung aller Anteile an der Holding – gebunden wäre. Denn die Rechtsfigur des „Mißbrauchs der Vertretungsmacht“ ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß der zur Vertretung Berechtigte seine internen Bindungen mit Hilfe seines breiten rechtlichen „Könnens“ nach außen überspielt. Allerdings: hier handelt es sich schon von vornherein nicht um einen solchen Fall, in dem der Geschäftsführer bewußt zum Nachteil der Gesellschaft handelt9; davon kann hier nicht gesprochen werden: die Anteile an den rentablen Tochtergesellschaften werden zu einem angemessenen Preis veräußert und die Abtretung der Kaufpreisforderung an die Gläubigerbanken führt in Höhe dieser Forderung zur Entschuldung der Gesellschaft. Fehlt es aber an der Schädigungsabsicht des Vertreters, so kommen die Regeln über den Mißbrauch der Vertretungsmacht auch dann nicht zur Anwendung, wenn sein Handeln satzungswidrig war und der Geschäftspartner das wußte10: Außerhalb eines bewußt nachteiligen Handelns ihres Geschäftsführers hat die Gesellschaft selbst das Risiko zu tragen, daß ihr Vertreter die ihm durch die Satzung auferlegten Beschränkungen nicht einhält. Dieses Risiko bei „einfacher“ Überschreitung der internen Schranken auf den Geschäftspartner abzuwälzen, widerspräche dem oben schon angesprochenen Wortlaut und dem Sinn von § 37 Abs. 2 GmbHG11. cc) Damit bleibt nun doch zu prüfen, ob § 361 AktG auf die GmbH analog angewandt werden muß. Eine klare Aussage des Gesetzgebers fehlt. Zwar war in § 286 des Regierungs-Entwurfs für ein GmbHG von 1973 eine § 361 AktG völlig entsprechende Vorschrift vorgesehen12. Doch ist der ganze Entwurf „zu den

Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1984, Einleitg. Vgl. den Überblick bei Scholz/U. H. Schneider, § 35 GmbHG Anm. 71 ff sowie bei Geßler, in: Festschrift für v. Caemmerer, 1978, S. 531, 533 ff. 10 BGHZ 50, 112, 114; Fischer, in: Festschrift für Schilling, 1973, S. 3 ff, 20; ders., Komm. zum GmbHG, 10. Aufl. 1983, § 37 Anm. 3; Scholz/U. H. Schneider, § 35 GmbHG Anm. 73; Hachenburg/Mertens, § 37 GmbHG Rdn. 35; Mertens, Kölner Komm., § 82 Rdn. 15; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Komm. zum AktG, § 82 Rdn. 40; a. A. Hübner, in: Festschrift für Klingmüller, 1974, S. 173 (181); Geßler, Festschrift v. Caemmerer, S. 534. 11 Vgl. BGH, WM 1976, 658 (659); Geßler, Festschrift v. Caemmerer, S. 540; Scholz/U. H. Schneider, § 35 GmbHG Anm. 73; Hachenburg/Mertens, § 37 GmbHG, Rdn. 35; Fischer, § 37 GmbHG, Anm. 3; Roth, Komm. zum GmbHG, 1983, § 37, Anm. 4.2.1. 12 BT-Drucks. VII/253. 8 9

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Akten“ gelegt worden, so daß sich [482] speziell zu dieser Norm weder positiv noch negativ eine besondere Aussage machen läßt. Eine analoge Anwendung setzt voraus, daß die Interessenlage bei der Vermögensübertragung durch eine AG und ihre Bewertung durch das Gesetz die gleiche ist wie bei der Vermögensübertragung durch eine GmbH13. Das vom Aktiengesetz und vom Aktiengesetzgeber normierte Interesse der Aktionäre lautet: Der Vorstand soll nicht ohne Kenntnis und Zustimmung der Aktionäre die Grundlage der Unternehmenstätigkeit – das Gesellschaftsvermögen – veräußern können14. Das allgemeine, normativ nicht verfestigte Interesse der GmbH-Gesellschafter ist damit durchaus gleichgelagert. Darüber hinaus ist die gesetzliche Vertretungsmacht des Vorstands ebenso umfassend (§ 82 Abs. 1 AktG) wie die der Geschäftsführer einer GmbH (§ 37 Abs. 2 GmbHG): Die allgemeine Vertretungsmacht des Vorstands würde also wie bei der GmbH zur Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens auch ohne Wissen und Willen der Aktionäre legitimieren, gäbe es § 361 AktG nicht15. Insoweit sind die zwei Elemente des hier angesprochenen Konfliktes durchaus gleichgelagert. Nun muß man bei analoger Anwendung einer Norm aber nicht nur deren Voraussetzungen, sondern auch ihre Rechtsfolgen sehen. Und diese Rechtsfolge geht hier auf Einschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands, also zu Lasten Dritter. Eine solche Analogie zu Lasten Dritter aber ist problematisch und, jedenfalls ohne gewisse Einschränkungen, nur schwer begründbar. Die Einschränkung könnte sich aus der Person des von der Analogie betroffenen Dritten ergeben: Hat er Kenntnis oder war er offenbar rechtsblind, so ließe sich eine Einschränkung von § 37 Abs. 2 GmbHG aus dem Rechtsgedanken des § 361 AktG vertreten, andernfalls aber nicht. Im hier erörterten Fall wird man genaue Rechtskenntnis auf allen Seiten annehmen und insbesondere auch die Kenntnis von § 361 AktG unterstellen können, also auch und gerade die Divergenz in der lex scripta und die Bereitschaft, gerade das auszunutzen. [483] Im Zweifel sind daher die Fälle einer GmbH als Konzernspitze mit denen einer Aktiengesellschaft rechtlich gleich zu behandeln16. 13 Dazu allgemein M. Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, 1970, S. 3; zur entsprechenden Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des AktG auf die GmbH vgl. RGZ 166, 129, 131; 172, 76, 78; OLG Hamburg, JZ 1953, 405 f mit Anm. Schilling; BGHZ 11, 231, 235, 237. Zum Problem allgemein auch Scholz/H. P. Westermann, Einl. 55 f, 61; Hachenburg/Schilling, Einl. Rdn. 3. 14 Vgl. BGH WM 1982, 86, 88; BGHZ 83, 122, 128. 15 Siehe insoweit Schilling, Großkomm., § 361, Anm. 10; Kraft, Kölner Komm., § 361 Anm. 13; Baumbach/Hueck, § 361 Anm. 7; Lutter, Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, 1974, S. 33. 16 In dieser Richtung bereits meine Überlegungen in: Lutter, Die Rechte der Gesellschafter, S. 33. So jetzt auch Hachenburg/Ulmer, § 53 GmbHG, Rdn. 38.

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3. Interne Zustimmungserfordernisse a) Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so steht außer Frage, daß Vorstand bzw. Geschäftsführung diesen vor Abschluß solcher Verträge jedenfalls informieren müssen, § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG. Darüber hinaus kann es sein, daß der Aufsichtsrat selbst nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG dem Vorgang vorweg zustimmen muß. b) Folgt man der soeben unter (2) entwickelten Sicht zu § 361 AktG und insbesondere seiner entsprechenden Anwendbarkeit auch auf die GmbH nicht, so bleibt die Frage, ob jedenfalls intern die Gesellschafter (Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung) zustimmen müssen. Das ist tatsächlich der Fall. Denn die Obergesellschaft kann nach Abschluß des Vorganges ihre statutarische Unternehmenstätigkeit nicht mehr oder nur noch in sehr eingeschränktem Maße fortsetzen. Daher handelt es sich um eine faktische Änderung des Gegenstandes der Obergesellschaft17. Dieser Gegenstand aber ist notwendiger Inhalt der Satzung einer Aktiengesellschaft und einer GmbH, §§ 23 Abs. 3 AktG, 3 GmbHG. Seine dortige Festlegung ist nicht nur aus dem Wortlaut, sondern vor allem auch aus der Realität des derzeitigen tatsächlichen Handelns der Gesellschaft zu interpretieren18. Soll von diesem aktuellen Bild künftig grundlegend abgewichen werden, so ist eine förmliche Satzungsänderung durch Beschluß der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung erforderlich. Und der Verkauf des gesamten rentablen Teils eines Unternehmens wäre gewißlich eine grundlegende Änderung des bisherigen Bildes des Konzerns. Würde die Verwaltung dieser Pflicht nicht nachkommen und ohne vorherige Zustimmung der Haupt- oder Gesellschafterversammlung handeln, so könnte jeder Aktionär und jeder GmbH-Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Unterlassung klagen19: Vorstand und Geschäftsführer, die sich an diese internen Regeln nicht halten, würden also ein erhebliches Risiko eingehen. [484] Im GmbH-Recht ist darüber hinaus § 49 Abs. 2 GmbHG zu beachten. Danach haben die Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn es „im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint“. Das aber ist stets der Fall, wenn das bisherige Bild der Gesellschaft und ihrer Tätigkeit deutlich verändert werden soll: § 49 Abs. 2 GmbHG macht auf eine sehr unvermerkte und mittelbare Weise deutlich, daß in diesen Fällen jedenfalls die interne Kompetenz 17 Zur „faktischen Gegenstands- (oder Satzungs-)änderung“ s. etwa BGHZ 83, 122, 130; Mertens, AG 1978, 309 ff; Timm, Die AG als Konzernspitze, S. 117 ff. 18 Vgl. Wiedemann, Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 179 Anm. 7 und Timm, Die AG als Konzernspitze, S. 117 ff, 122 ff mit vielfältigen Nachweisen. 19 BGHZ 83, 122, 133 ff; vgl. Knobbe-Keuk, Festschrift für Ballerstedt, 1975, S. 239 ff; Hommelhoff, ZHR 1979, 288 ff (310 f); Timm, AG 1980, 172 ff (185 f); vgl. Scholz/Priester, § 53 GmbHG, Anm. 26; Lutter, Die Rechte der Gesellschafter, S. 33 f.

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auf die Gesellschafter übergegangen ist. Die Geschäftsführer dürfen nicht mehr ohne ein entsprechendes Votum der Gesellschafterversammlung handeln. IV. Die konkursrechtliche Problematik 1. Vorbemerkung a) Unter dem Blickwinkel des Konkursrechts liegt der Schwerpunkt der Rechtsfragen nicht bei der Einbringung der gesunden Tochtergesellschaften in die Holding-Gesellschaft A; denn hierdurch findet nur eine konzerninterne Umstrukturierung statt, kein Verkehrsgeschäft mit Dritten: An die Stelle der Mitgliedschaften an den einzelnen Tochtergesellschaften tritt die Mitgliedschaft an der Holding. Im Zentrum steht auch nicht die Veräußerung dieser Mitgliedschaften an die Holding B zu einem angemessenen Preis; denn solche regulären Umsatzgeschäfte sind der Geschäftsführung auch in der Krise nicht verboten20. Problematisch ist hier aber die Abtretung der Kaufpreisforderung aus diesem Umsatzgeschäft an die Gläubigerbanken, sei es sicherungshalber, sei es solvendi causa. In dieser Abtretung manifestiert sich eine Vermögensverschiebung von der Obergesellschaft an die Gläubigerbanken. Sie ist endgültig bei Tilgung; wird nur zur Sicherung abgetreten, so verbleibt zwar im Vermögen der Obergesellschaft ein Anspruch auf Rückübertragung der Forderung bei (anderweitiger) Erfüllung des Sicherungszweckes. Dazu aber dürfte es hier angesichts der Höhe der Kredite und der Lage des Konzerns kaum je kommen; dieser (bedingte) Rückabtretungsanspruch kann hier also als wertlos vernachlässigt werden. b) Für die Frage, ob der Konkursverwalter die Abtretung der Kaufpreisforderung an die Gläubigerbanken anfechten und damit die Rückgewähr des veräußerten Vermögenswertes zur Konkursmasse nach § 37 KO verlangen kann, ist zwischen mehreren Tatbeständen zu unterscheiden. Dabei wird hier zunächst dem Fall der Sicherungsabtretung nachgegangen und erst in zweiter Linie der Abtretung solvendi causa. [485] 2. Die Tatbestände des § 30 Nr. 1 und 2 KO § 30 KO enthält drei Anfechtungstatbestände, die alle hinsichtlich des Zeitpunkts der vom Gemeinschuldner – Konzernobergesellschaft – vorgenommenen Rechtsgeschäfte (= Sicherungsabtretung) auf die Zahlungseinstellung oder den Antrag auf Konkurseröffnung oder die letzten 10 Tage vor diesen beiden Zeit20 Lediglich Rechtsgeschäfte, die die Konkursgläubiger benachteiligen, können vom Konkursverwalter nach den §§ 29 ff KO angefochten werden; dazu sogleich im Text zu (2) bis (4).

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punkten abheben. Da aber anzunehmen ist, daß die Obergesellschaft die Sicherungsabtretung vor Zahlungseinstellung oder Antrag auf Konkurseröffnung und auch früher als 10 Tage vor diesem Zeitpunkt vorgenommen hat, scheidet deren Anfechtbarkeit nach diesen Tatbeständen aus. 3. Der Tatbestand des § 31 Nr. 1 KO Diese Vorschrift formuliert den alten Grundsatz der par conditio creditorum, der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im Konkurs. Daher kann der Konkursverwalter Rechtshandlungen anfechten, die der Gemeinschuldner (= Obergesellschaft) in der dem anderen Teil (Erwerber = Holding-Gesellschaft B) bekannten Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Dabei ist es hier unerheblich, wann der Gemeinschuldner (= Obergesellschaft) die betreffende Rechtshandlung (= Sicherungsabtretung) vorgenommen hat: Fristen spielen hier keine Rolle. Die Sicherungsabtretung müßte mithin die übrigen Gläubiger benachteiligen (a); sie müßte in dieser Absicht vorgenommen sein (b); und die Erwerber (Banken) müßten das auch wissen (c). a) Durch die Sicherungsabtretung der Kaufpreisforderung an die Gläubigerbanken werden die übrigen Gläubiger der Obergesellschaft objektiv benachteiligt20a: denn dieser Wert steht nunmehr den übrigen Gläubigern nicht mehr zur Befriedigung zur Verfügung, insbesondere also auch nicht zur anteiligen Befriedigung in der Insolvenz der Konzernspitze. b) Für die Beurteilung der Benachteiligungsabsicht ist zwischen den Fällen der sogenannten kongruenten und denen der sogenannten inkongruenten Deckung zu unterscheiden. Dabei liegt kongruente Deckung vor, wenn der Konkursgläubiger genau das erhält, was er zu beanspruchen hatte21. Inkongruente Deckung ist in allen anderen Fällen gegeben. [486] aa) Nach Ziff. 19 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der privaten Banken (AGB-Banken)22 hat die kreditgebende Bank jederzeit einen Anspruch gegen ihren Schuldner (hier: Obergesellschaft) auf Bestellung oder Verstärkung bankmäßiger Sicherheiten. Dem Schuldner bleibt hiernach aber die freie Wahl unter allen in Betracht kommenden Sicherungsmitteln23. Daher ist die vom 20a Die Feststellung einer objektiven Gläubigerbenachteiligung kann im Einzelfall sehr schwierig sein, dazu instruktiv OLG Stuttgart, aaO (Fn. 2a), sub II. 21 Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 9. Aufl. 1979, § 30 Rdn. 42; BöhleStamschräder/Kilger, KO, 14. Aufl. 1983, § 30 Anm. 14; Jaeger/Lent, KO, 8. Aufl. 1958, § 30 Anm. 44; Kropshofer, in: Hess/Kropshofer, Kommentar zur KO, 1982, § 30 Rdn. 18. 22 Ähnlich die AGB der Sparkassen, Ziff. 21 Abs. 4 (Fassung Januar 1984). 23 BGHZ 33, 389 (393); BGH WM 1981, 150 (151); Canaris, Großkomm. z. HGB, 3. Aufl. (2. Bearb.) 1981, Rdn. 2653.

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Schuldner der Bank in einem solchen Falle konkret gewährte Sicherheit keineswegs die auch speziell geschuldete. Der Sicherungsanspruch der Bank nach Ziff. 19 Abs. 1 der AGB-Banken ist also zu unbestimmt, als daß zwischen ihm und gerade der vom Gemeinschuldner gewährten Sicherheit eine kongruente Deckung bestehen könnte24. Bei der Sicherungsabtretung der Kaufpreisforderung durch die Obergesellschaft an die Gläubigerbanken handelt es sich also um einen Fall der inkongruenten Deckung: die Gläubigerbanken konnten die Sicherung so, wie erhalten, nicht beanspruchen. Dabei kommt es hier überhaupt nicht darauf an, ob die Sicherung angemessen ist oder der Kaufpreis dem Marktpreis entspricht oder nicht. Allein entscheidend ist, ob die Gläubigerbanken einen Anspruch auf Bestellung gerade der gewährten Sicherheit hatten. bb) Bei inkongruenter Deckung ist die Benachteiligungsabsicht schon dann anzunehmen, wenn der Gemeinschuldner (= Obergesellschaft) die Benachteiligung anderer Gläubiger als notwendige Folge seines Handelns erkannt hat; und dafür ist die Tatsache, daß die inkongruente Deckung überhaupt gewährt wurde, ein starkes Beweisanzeichen25. Im Rahmen der Sterbehaus-Konstruktion tritt die Obergesellschaft ihre Kaufpreisforderung an die Gläubigerbanken ab, um diesen eine weitere Sicherheit für die ihr gewährten Kredite zu bestellen; das geschieht aber auch und gerade deshalb, um das in den Anteilen an den gesunden Tochtergesellschaften liegende Vermögen dem Zugriff der übrigen Gläubiger zu entziehen. Die Obergesellschaft handelt also fraglos in der Absicht, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen. c) Und schließlich fehlt es auch nicht an der Kenntnis der Gläubigerbanken von der Absicht der Obergesellschaft, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen: Die Rechtshandlungen der Banken (Gründung einer [487] Holding und deren Ausstattung mit den für die Zahlung des Kaufpreises erforderlichen Mitteln; Abschluß eines Vertrages mit der Obergesellschaft über die Sicherungsabtretung der Kaufpreisforderung) und die der Obergesellschaft stehen derart in einem inneren Zusammenhang, daß mangelnde Kenntnis der Banken von der Benachteiligungsabsicht der Obergesellschaft praktisch ausscheidet. Damit steht fest, daß der Konkursverwalter der Obergesellschaft die Sicherungsabtretung der Kaufpreisforderung gegen die Holding-Gesellschaft B an die Gläubigerbanken nach § 31 Nr. 1 KO anfechten könnte mit der Folge, daß der volle Kaufpreis für die „guten“ Tochtergesellschaften der Konkursmasse der Obergesellschaft zugute käme. 24 BGHZ 33, 389, 393, bestätigt durch BGH WM 1969, 888, 890 und BGH WM 1969, 968; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, § 30 Rdn. 52; Böhle-Stamschräder/Kilger, § 30 Anm. 20; Canaris (Fn. 23), Rdn. 2655; a. A. Scholz, NJW 1961, 2006 f. 25 BGH WM 1959, 1007; WM 1961, 387, 388; WM 1965, 85, 87; WM 1969, 374, 375; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, § 31 Rdn. 9; Böhle-Stamschräder/Kilger, § 31 Anm. 4; Jaeger/Lent, § 31 Anm. 5 f.

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4. Der Tatbestand des § 32 Nr. 1 KO Nach § 32 Nr. 1 KO sind unentgeltliche Verfügungen anfechtbar, die der Gemeinschuldner im letzten Jahr vor Konkurseröffnung getroffen hat. Die in der Sicherungsabtretung der Kaufpreisforderung an die Gläubigerbanken liegende Verfügung der alten Muttergesellschaft ist indessen nicht unentgeltlich. Zwar ist der Anspruch der Gläubigerbanken nach Ziff. 19 Abs. 1 ihrer AGB auf Bestellung oder Verstärkung bankmäßiger Sicherheiten nicht bestimmt genug, als daß zwischen ihm und der von der Obergesellschaft gewährten Sicherungsabtretung eine kongruente Deckung im Sinne des § 31 Nr. 1 KO bestehen könnte. Das bedeutet aber nicht zugleich, daß die Sicherungsabtretung durch die Obergesellschaft unentgeltlich erfolgt wäre. Da die Obergesellschaft durch die Bestellung der Sicherheit in Höhe der abgetretenen Forderung von ihrer Verbindlichkeit gemäß Ziff. 19 Abs. 1 der AGB der Banken frei wird, liegt in der Sicherungsabtretung eine entgeltliche Verfügung26, die nicht nach § 32 Nr. 1 KO anfechtbar ist. 5. Exkurs: Die Rechtslage bei Abtretung solvendi causa Die bisherigen Überlegungen gingen entsprechend den niederländischen Sachverhalten von einer Sicherungsabtretung aus. Aber diese Gestaltung könnte eher zufällig sein. Denn viel näher könnte es liegen, daß die Gläubigerbanken ihre Kreditlinien endgültig zurückführen wollen; und auch die Obergesellschaft mag es als Erleichterung empfinden, einen wahrscheinlich beträchtlichen Teil ihrer teuren Kredite auf diese Weise tilgen zu können27. Auch hier scheiden wieder die Tatbestände der [488] §§ 30 und 32 KO aus, so daß sich die rechtliche Beurteilung auf § 31 Nr. 1 KO zu konzentrieren hat. Bei der Abtretung solvendi causa ist die Inkongruenz nicht fraglich, so daß es auf die besondere Problematik einer sofortigen Fälligstellung der Bankkredite gar nicht ankommt28. Im Falle der Befriedigung ist nämlich eine inkongruente Deckung zwischen dem Anspruch des Gläubigers und dem Rechtsgeschäft des GeVgl. Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, § 32 Rdn. 4. Einer der hauptsächlichen Streitpunkte in der Abwicklung des Konkurses der Betonund Monierbau AG (BuM) (Großaktionär: OGEM) ist die systematische Rückführung der Kredite der Westdeutschen Landesbank von ursprünglich etwa 127 Mio. DM auf letztlich noch knapp 20 Mio. DM; vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 1983, 786 ff und H. P. Westermann, ZIP 1983, 1281 ff. 28 Zur Frage, ob die Kontokorrentkredite eines Unternehmens gerade in der Krise gekündigt werden können, vgl. neuestens OLG Düsseldorf, ZIP 1983, 786, 795 sowie BGH WM 1959, 626, 629 ff; BGH WM 1978, 234 (237); Hopt, ZHR 1979, 139 (168 ff); Canaris (Fn. 23), Rdn. 1272; Rümker, KTS 1981, 493 ff; ders., ZHR 1979, 113 ff; H. P. Westermann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 1980, § 610 Rdn. 16. 26 27

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meinschuldners (= Obergesellschaft) nicht nur dann gegeben, wenn der Gläubiger die Befriedigung gar nicht, sondern auch dann, wenn er sie nicht zu der Zeit oder nicht in der Art zu beanspruchen hatte (vgl. § 30 Nr. 2 KO). Ein Gläubiger hat die ihm gewährte Befriedigung nicht in der Art zu beanspruchen, wenn ihm anstelle dessen, was er zu fordern hat, etwas an Erfüllungs Statt oder erfüllungshalber gegeben wird, so zum Beispiel wenn ihm zur Erfüllung eines Zahlungsanspruchs eine Forderung abgetreten wird29. Denn im Gegensatz zu der ihm abgetretenen Forderung ist der Zahlungsanspruch des Gläubigers in der Krise des Schuldners nicht mehr viel wert. Fraglich ist hier aber vor allem, ob die Obergesellschaft ähnlich wie bei der Sicherungsabtretung in der Absicht gehandelt hat, die übrigen Konkursgläubiger zu benachteiligen. Auch das ist der Fall. Denn Inkongruenz liegt vor, so daß für die Benachteiligungsabsicht der Obergesellschaft eine Vermutung nach den obigen Ausführungen gilt. Auch die Abtretung der Kaufpreisforderung solvendi causa kann also nach § 31 Nr. 1 KO vom Konkursverwalter angefochten werden. Die Anfechtung unterliegt nicht der Jahresfrist des § 32a S. 2 KO und zwar auch dann nicht, wenn den Krediten eigenkapitalersetzender Charakter zukommt30. § 32a S. 1 KO, auf den S. 2 dieser Vorschrift verweist, richtet sich nämlich nur gegen Gläubiger von Forderungen, die unter § 32a Abs. 1 und 3 GmbHG fallen, also nicht gegen den kreditgebenden und vom Gemeinschuldner besicherten31. Genau das aber trifft auch auf unsere Fallgestaltung zu: nicht ein Gesellschafter der Obergesellschaft [489] hat den kreditgebenden Dritten (den Banken) Sicherheiten gewährt oder diese befriedigt, sondern die Obergesellschaft, die spätere Gemeinschuldnerin selbst. 6. Exkurs: Die Rechtslage bei Aufrechnung gegen die Kaufpreisforderung Im Rahmen der Sterbehaus-Konstruktion sind weitere Gestaltungen denkbar. So könnten etwa die Gläubigerbanken die Anteile an den rentablen Tochtergesellschaften nicht mittelbar über eine zwischengeschaltete Holdinggesellschaft, sondern unmittelbar von der Konzernobergesellschaft erwerben und sodann mit ihrem fällig gestellten Rückzahlungsanspruch aus den Krediten gegenüber der Kaufpreisforderung der Konzernobergesellschaft aufrechnen. 29 RG LZ 1908, Sp. 71 f; LZ 1908, Sp. 608 f; RG Warn. Rspr. 1940, Nr. 112 (S. 242); BGH LM § 3 Anfechtungsgesetz Nr. 14 (Blatt 3); OLG Schleswig, ZIP 1982, 83; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, § 30 Rdn. 47; Jaeger/Lent, § 30 Anm. 51; Böhle-Stamschräder/Kilger, § 30 Anm. 19b; Kropshofer, in: Hess/Kropshofer, § 30 Rdn. 22. 30 Dazu Hachenburg/Ulmer, Anh. § 30 Rdn. 92 f; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 39 ff; Karsten Schmidt, WM 1983, 490, 494 f. 31 Böhle-Stamschräder/Kilger, § 32a Anm. 7.

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Die Aufrechnung gegen eine Forderung des späteren Gemeinschuldners (Konzernobergesellschaft) ist konkursrechtlich durchaus zulässig32. Ausnahmen hiervon regelt § 55 KO, dessen Tatbestände in unserem Fall aber keine Anwendung finden. Das schließt aber eine Anfechtung der Aufrechnung nach den §§ 29 ff. KO dann nicht aus, wenn die Voraussetzungen der Aufrechnung in anfechtbarer Weise geschaffen worden sind33. Eine konkursrechtliche Anfechtung des Kaufvertrags und der Aufrechnung kommt hier wiederum nach den Tatbeständen der §§ 30 und 32 KO nicht in Betracht, wohl aber nach § 31 Nr. 1 KO. Ebenso wie in den zuvor behandelten Fällen ist objektiv eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger gegeben. Entscheidend ist also die subjektive Vorstellung der Beteiligten. Für die sonach erforderliche Benachteiligungsabsicht der Konzernobergesellschaft ist wiederum von Gewicht, ob zwischen Kaufvertrag und Aufrechnung einerseits und Darlehensrückzahlungsanspruch andererseits kongruente oder inkongruente Deckung besteht. Dabei dürfen der Kaufvertrag über die Anteile an den rentablen Tochtergesellschaften und die anschließende Aufrechnung mit der bzw. gegenüber der Darlehensforderung nicht isoliert gesehen, sondern müssen als Gesamtvorgang betrachtet werden34; dazu gehört, daß die Konzernobergesellschaft und die Gläubigerbanken sich über den Zweck des Verkaufs der Anteile einig waren: durch Schaffung der Aufrechnungslage für die Gläubigerbanken sollten diese hinsichtlich ihrer Darlehensforderungen befriedigt werden. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich hierbei um eine [490] Hingabe der Anteile an den Tochtergesellschaften an „Erfüllungs Statt“, § 364 Abs. 1 BGB35. Das macht deutlich, daß den Gläubigerbanken inkongruente Deckung36 für ihre Forderung gewährt wurde; denn die Banken erhalten – wie bereits ausgeführt – mit den Anteilen an den rentablen Tochtergesellschaften etwas anderes und vor allem weit mehr, als ihre Darlehensforderung in der Krise des Schuldners noch wert war. Hinsichtlich der Absicht der Konzernobergesellschaft, die übrigen Konkursgläubiger zu benachteiligen, kann daher wieder auf die Ausführungen zu 3 b (bb) verwiesen werden: auch diese Aufrechnung könnte vom Konkursverwalter angefochten, der Kaufpreis mithin zur Masse gezogen werden.

Vgl. dazu BGHZ 58, 108, 113; Jaeger/Lent, § 30 Anm. 51. BGH und Jaeger/Lent a. a. O. 34 Vgl. RGZ 26, 81, 84 f; RG JW 1895, 82 Nr. 4; BGHZ 58, 108, 113; BGH WM 1971, 908, 909; Jaeger/Lent, § 30 Anm. 51; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, § 30 Rdn. 47; BöhleStamschräder/Kilger, § 30 Anm. 19b. 35 BGH WM 1971, 908, 909; OLG Braunschweig, Nds. Rpfl. 1952, 165. 36 Vgl. die Nachw. in Fn. 34. 32 33

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7. Exkurs: Sicherungsabtretung gegen neue Kredite Ist der Kaufpreis für die verkauften Mitgliedschaften an der Holding A und damit – praktisch – an den gesunden Tochtergesellschaften aus welchen Gründen auch immer nicht sofort fällig, soll er aber der Obergesellschaft verbleiben – also nicht mit Altkrediten verrechnet werden –, so liegt der Gedanke an eine Vorfinanzierung durch Aufstockung der Kredite an die Obergesellschaft gegen Sicherungszession der Kaufpreisforderung nahe. Auch hier steht § 31 Nr. 1 KO zur Debatte, kommt aber nicht zur Anwendung. Denn schon objektiv fehlt die Benachteiligung der anderen Gläubiger, also die Verletzung der par conditio creditorum: der Kreditgeber stellt dem (späteren) Gemeinschuldner Vermögenswerte zur Verfügung und erhält dafür angemessene Sicherheit. Durch solche Rechtsgeschäfte wird die (künftige) Gleichbehandlung der Konkursgläubiger nicht verletzt37. Und daran ändert auch die Krise nichts. 8. Exkurs: Verpfändung der Mitgliedschaftsrechte an den Tochtergesellschaften vor Durchführung der Sterbehaus-Konstruktion In die Krise gerät die Obergesellschaft nicht von heute auf morgen; daher hat sie in aller Regel schon lange zuvor ihre Kreditmöglichkeiten mehr und mehr ausgeschöpft. In diesem Zusammenhang liegt dann aber auch die Verpfändung der Anteile an den Tochtergesellschaften zur Besicherung solcher (weiterer) Kredite nahe. Hatte dementsprechend die Obergesellschaft schon vor dem ganzen Vorgang und somit auch vor der [491] Abtretung des Kaufpreises – sei es zur Sicherheit, sei es solvendi causa – in einem solchen Zusammenhang ihre Anteile an den Tochtergesellschaften ganz oder teilweise verpfändet38, so werden die übrigen Konkursgläubiger durch die jetzige Abtretung der Kaufpreisforderung nicht benachteiligt: die verpfändeten Anteile an den Tochtergesellschaften standen ihnen bereits vor dem ganzen Vorgang nicht mehr zur Befriedigung zur Verfügung. An die Stelle des Pfandrechts an den Mitgliedschaftsrechten tritt jetzt dessen Liquidierung (Leistung solvendi causa) oder wertgleiche Umgestaltung (Sicherungsabtretung).

37 BGH NJW 1977, 718 f; Canaris, Festschrift 100 Jahre Konkursordnung, 1977, S. 73, 82 f; Karsten Schmidt, WM 1983, 490, 493 f: das Vermögen des Schuldners werde zwar umgeschichtet, aber nicht geschmälert; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, § 30 Rdn. 41. 38 Dazu näher Uwe H. Schneider, Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit im Konzern, in: Hadding/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Abteilung B, Band 17, Berlin 1979, S. 287 ff.

Festschrift für Winfried Werner, Berlin 1984, S. 477-493

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V. Aspekte der Bankenaufsicht Die Kenntnis von den soeben dargestellten gesellschaftsrechtlichen und konkursrechtlichen Schranken einer „Sterbehaus-Konstruktion“ hat solchen Gestaltungen in der Bundesrepublik gewißlich entgegengewirkt. Aber auch die Regeln der deutschen Bankenaufsicht sollten nicht vergessen werden. So dürfen etwa nach § 12 KWG die dauernden Anlagen eines Kreditinstituts in Grundstücken, Gebäuden, Schiffen und Beteiligungen zusammengerechnet das haftende Eigenkapital nicht übersteigen. Es mag vielleicht zweifelhaft sein, ob eine nur mittelbare Beteiligung – die von den Banken errichtete Holding-Gesellschaft B hält die Anteile an der Holding-Gesellschaft A, die wiederum die Anteile an den rentablen Tochtergesellschaften hält – als Beteiligung im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen ist. Darüber hinaus hängt es – da sich objektive Merkmale hierfür kaum finden lassen – in erster Linie von der Absicht des Kreditinstituts ab, ob es sich bei der Beteiligung um eine Daueranlage handelt39. Dennoch würden die Banken auch aufgrund der Beschränkungen aus § 12 KWG Zurückhaltung bei einer SterbehausKonstruktion üben. Im übrigen gehen die rechtspolitischen Bestrebungen dahin, die Vorschrift des § 12 KWG durch eine Objektivierung des Beteiligungsbegriffes zu verschärfen. Nach dem Referenten-Entwurf des Bundesfinanzministeriums zur Änderung des KWG40 soll eine Beteiligung im Sinne dieser Vorschrift stets ab einem Anteil von 10% am Kapital eines anderen Unternehmens vorliegen, ohne daß es darauf ankäme, ob das [492] Kreditinstitut die Beteiligung als dauernde Anlage zu halten beabsichtigt oder nicht. Diese rechtspolitische Zielsetzung wird im übrigen auch von den deutschen Banken weitgehend akzeptiert. Diese halten sich derzeit auch aus anderen Überlegungen beim Erwerb industrieller Beteiligungen betont zurück. Schon deshalb ist nicht anzunehmen, daß eine Sterbehaus-Konstruktion heute in der Bundesrepublik durchgeführt würde – wenn auch kein Gläubiger mit hohen Forderungen und Risiken in der Aufregung vor einer großen Insolvenz vor überraschenden, von Panik bestimmten Schritten gefeit ist. VI. Aspekte der Sanierung Die Sterbehaus-Konstruktion erweckt zunächst einmal wenig angenehme Gefühle im Betrachter. Und sie ist ja auch, wie nachgewiesen, vom Recht nicht 39 Vgl. Reischauer/Kleinhans, Kommentar zum KWG, Stand August 1983, § 12 Rdn. 2; Bähre/Schneider, Kommentar zum KWG, 2. Aufl. 1976, § 12 Anm. 2. 40 Az. VII B 7 – W 5700-67/83.

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Die „Sterbehaus-Konstruktion“

gedeckt. Davon abgesehen muß man aber wenigstens einmal kurz bedenken, daß mit ihr auch eine Teil-Sanierung des offenbar sterbenskranken Konzerns geplant ist: Die gesunden Teile des Konzerns sollen vom kranken Körper noch rechtzeitig gelöst und davor geschützt werden, mit in den Strudel der Konzerninsolvenz gezogen zu werden41. Das ist gewißlich ein vernünftiger Gedanke. Aber: Dieser im Prinzip richtige Gedanke darf nun nicht mit einer einseitigen Verteilung der Sanierungslasten verbunden werden. Das aber ist in der Sterbehaus-Konstruktion der Fall: Zwar werden die gesunden Teile wirksam vom kranken Körper gelöst; bleiben also wirtschaftlich lebensfähig. Zwar erhält der Rest-Konzern, so muß man unterstellen, mit dem Kaufpreis für die Tochtergesellschaften auch einen angemessenen Gegenwert oder wird in entsprechender Höhe von Schulden entlastet. Aber dieser Gegenwert kommt, jedenfalls in der Absicht der Beteiligten, nur einem Teil der Gläubiger zugute, nämlich den betreffenden Banken. Das aber bedeutet: die Sanierungslast tragen hier allein die anderen Gläubiger. Eine solche Lösung widerspricht evident dem Rechtsgrundsatz der par conditio creditorum. Der in der Sterbehaus-Konstruktion verwirklichte Gedanke ist also wirtschaftlich durchaus vernünftig, im Verfahren jedoch verfehlt. Die Tatsache einer solchen Konstruktion bestätigt daher nachdrücklich, daß der rechtspolitische Gedanke zutreffend ist, de lege ferenda das Insolvenzverfahren um ein förmliches Sanierungsverfahren zu erweitern42. In [493] einem solchen förmlichen Verfahren können vom Sanierungsverwalter dann die gleichen Schritte unternommen, die gesunden Teile des Konzerns in gleicher Weise abgelöst, zugleich aber die Vor- und Nachteile daraus allen Gläubigern anteilig zugewiesen werden – sei es als anteilige Reduzierung ihrer Forderung, sei es als anteilige Quote nach Liquidation des Rest-Konzerns.

41 Zum Verhalten von Tochtergesellschaften in der Krise der Obergesellschaft vgl. den interessanten Bericht von Kübler, ZGR 1984, Heft 3. 42 Vgl. die Gutachten von K. Schmidt und Hanau, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht, Verhandlungen des 54. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil D und E, München 1982; Timm, ZIP 1983, 225 ff; Zwischenberichte über die Arbeit der Insolvenzrechtskommission geben Arnold, Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 34 vom 19. 2. 1982 sowie Kilger, ZIP 1982, 884-886 (in Thesenform).

Das überholte Thesaurierungsgebot bei Eintragung einer Kapitalgesellschaft im Handelsregister NJW 1989, S. 2649-2656* Entgegen der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte enthält das Merkmal der freien Verfügbarkeit nach §§ 36, 37 AktG und § 8 GmbH keine Beschränkungen des Vorstands bzw. der Geschäftsführer in der Verwendung der Geldeinlagen vor Eintragung der Gesellschaft bzw. der Kapitalerhöhung im Handelsregister. In Anlehnung an BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 wird die Geltung der sogenannten Unterbilanzhaftung auch im Aktienrecht begründet. I. Einleitung Änderungen im Wirtschaftsrecht, seien es Änderungen durch das Gesetz oder durch Lehre und Rechtsprechung, finden meist nicht kontinuierlich und vorsichtig, sondern in Sprüngen und Eruptionen statt; das führt dann zu klar erkennbaren Verschiebungen im Zentrum des Vorgangs. Demgegenüber dauert es in aller Regel sehr viel länger, ehe sich der Staub auch an der Peripherie des Geschehens gelegt hat. Diese Beobachtung gilt auch für die Entscheidung des II. Senats des BGH vom 9. 3. 19811 und für das mit dieser Entscheidung aufgegebene Vorbelastungsverbot im GmbH-Recht sowie seine Ersetzung durch die Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) der Gesellschafter. Das Zentrum der Veränderung – Differenzhaftung statt Vorbelastungsverbot – liegt damit klar zu Tage. Die durch die Entscheidung ausgelösten und bis heute fortbestehenden Unklarheiten aber betreffen vor allem das Problem der „freien Verfügbarkeit“ von Einlageleistungen und die Übertragbarkeit der Entscheidung und ihrer Grundsätze in das Aktienrecht. Dem soll hier nachgegangen werden.

Anm. d. Hrsg.: Beitrag zitiert nach der online-Fassung auf http://beck-online.beck.de/. BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373; und u. a. dazu Ulmer, ZGR 1981, 593 ff.; Flume, NJW 1981, 1753 ff.; Lieb, in: Festschr. f. Stimpel, 1985, S. 399 ff. *

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II. Die Rechtslage im GmbH-Recht 1. Vorbelastungsverbot und Differenzhaftung a) Das einstige Vorbelastungsverbot. Unter der kontinentalen Philosophie eines festen Grund- und Stammkapitals2 sowie seiner formellen und materiellen Bedeutung für das Verständnis einer juristischen Person des Handelsrechts müssen Fragen der Belegung dieses Kapitals geradezu zwangsläufig eine große Rolle spielen3. An ihrem Rande sind diese Fragen dann noch mit einem Stichtagsproblem verknüpft: Wenn die Kunstfigur „juristische Person“ erst mit ihrer Eintragung in einem Register entsteht, dann muß man auch dafür sorgen, daß sie in eben diesem Augenblick das ihr zugedachte Vermögen (Kapital) auch wirklich hat, sei es als real erbrachte Leistung oder als korrekt begründeten Anspruch gegen den oder die Gesellschafter; nach diesem Zeitpunkt gelten dann die allgemeinen Lebensregeln für solche Gesellschaften, insbesondere die Kapitalerhaltungsvorschriften und die Gesetze des Marktes. Diese durchaus vernünftigen und nachvollziehbaren Gedanken haben zunächst und in einem langen und differenzierten Prozeß zur Ausprägung des sogenannten Vorbelastungsverbotes geführt4: Der „werdenden juristischen Person“ (Rittner) war es von Rechts wegen untersagt, mit dem ihr bereits zugewiesenen oder zugeflossenen Vermögen, also den vor Eintragung der Gesellschaft vorgeschriebenen Einlageleistungen zu arbeiten, dieses Vermögen also den normalen unternehmerischen Risiken auszusetzen. Sanktion dieses Verbotes war nicht die Nichtigkeit der betreffenden Rechtsgeschäfte, son- [2650] dern ihre Trennung von der entstandenen juristischen Person (kein ipso jure-Übergang auf sie) und die persönliche Haftung des „Handelnden“5. Eine Reminiszenz aus der Zeit dieses Denkens ist vor allem § 41 II AktG, aber auch eine reiche Debatte vor allem im Aktienrecht 2 Vgl. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964, insb. S. 38 ff.; Wiedemann, GesellschaftsR I, 1980, S. 556 ff.; diese Philosophie ist in der 2. EG-Angleichungs-Richtlinie vom 13. 12. 1976 (abgedr. bei Lutter, Europäisches GesellschaftsR, 2. Aufl. (1984), S. 95 ff.) nachdrücklich bestätigt worden. 3 Lutter (o. Fußn. 2), insb. S. 57 ff.; Scholz-Winter, GmbHG, 7. Aufl., § 5 Rdnrn. 11 f. 4 Eingehend dazu Ulmer, ZGR 1981, 593 ff., sowie Barz, in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl. (1973), § 41 Anm. 7 ff. m. w. Nachw.; Kraft, in: Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., § 41 Rdnrn. 47 ff. und 2. Aufl., § 41 Rdnrn. 59 ff., 118 ff.; Lutter (o. Fußn. 2), S. 118 ff.; aus der Rechtsprechung: RGZ 83, 370 (373 f.); BGHZ 17, 385 (390 f.) = NJW 1955, 1229 – eG; BGHZ 53, 210 (212) = NJW 1970, 806 – GmbH. 5 § 41 I AktG und § 11 II GmbHG sowie dazu Barz und Kraft (o. Fußn. 4) und Fischer-Lutter-Hommelhoff, GmbHG, 12. Aufl. (1987), § 11 Rdnrn. 11 ff.; Baumbach-Hueck-Hueck, GmbHG, 15. Aufl. (1988), § 11 Rdnrn. 41 ff., je m. w. Nachw.; Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 3), § 11 Rdnrn. 91 ff.

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darüber, welche Rechtsgeschäfte „notwendig“ sind und daher wirksam auch für die künftige Rechtsperson abgeschlossen werden können und welche eben nicht6. b) Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung). Dieses Denken in der Form eines stichtagsbezogenen, unmittelbaren Kapitalschutzes wurde mit der Entscheidung des BGH vom 9. 3. 19817 aufgegeben; Grund dafür war vor allem die Tatsache, daß man Sacheinlagen8 nicht einfach liegen lassen kann, sondern versorgen (Grundbesitz) und betreiben (Unternehmen) muß. In der Sache selbst aber ist dieser einstige unmittelbare Kapitalschutz ersetzt worden durch einen mittelbaren stichtagsbezogenen Kapitalschutz, durch die sogenannte Differenzhaftung (oder neuerdings: Unterbilanzhaftung): Den Gesellschaftern wird freigestellt, durch den oder die Geschäftsführer bereits vor Entstehung ihrer GmbH und für die werdende GmbH, die Vor-GmbH, mehr oder minder lebhaft rechtsgeschäftlich handeln zu lassen, wobei die Rechte und Pflichten daraus ipso jure auf die juristische Person mit ihrer Entstehung übergehen (Identität zwischen Vor-GmbH und GmbH). Führt dieses Handeln aber per saldo zu einem Verlust, so haften die Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile auf die Differenz. Soweit der Verlust bereits im Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister entstanden und bezifferbar ist, muß er spätestens in diesem Zeitpunkt (Anmeldung) durch bare Leistung an die Vor-GmbH ausgeglichen werden: der fehlende Ausgleich ist Eintragungshindernis9. Die VorGmbH hat einen sofort fälligen Anspruch auf die fragliche Differenz10. Da sich die Gründer aber bis zur Eintragung der GmbH zum Abbruch der Gründung und zur Liquidation der Vor-GmbH entschließen können11, dann aber zum Dif-

6 Eingehend dazu Barz (o. Fußn. 4), § 41 Anm. 9 ff.; Möhring-Nirk-Tank, Hdb. d. AktienR I, Rdnr. 15. 7 BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = WM 1981, 400 = ZIP 1981, 394. 8 Auch sie sind bereits an die werdende juristische Person zu leisten, § 7 III GmbHG. 9 Zutr. Fleck, GmbHRdsch 1983, 11, und Meister, in: Festschr. f. Werner, 1984, S. 536; Roth, DNotZ 1989, 7; vgl. auch Gustavus, GmbHRdsch 1988, 51 f.; a. A. Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 58, und Ulmer, ZGR 1981, 606, der meint, auf diese Weise werde das Vorbelastungsverbot durch die Hintertür wieder eingeführt. Das ist allerdings eine Mißdeutung, da die Gesellschafter durch die Aufgabe des Vorbelastungsverbots nicht von der richterlichen Kontrolle ihrer realen Kapitalaufbringung freigestellt werden sollen. – Zu den erforderlichen Erklärungen der Anmeldenden und zur Prüfungspflicht des Registerrichters im einzelnen Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 8 Rdnr. 12, § 11 Rdnr. 10. 10 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 9; Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 3), § 11 Rdnr. 127. 11 BGHZ 80, 129 (142) = NJW 1981, 1373; Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 11 Rdnrn. 30, 58.

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ferenzausgleich (nicht mehr) verpflichtet sind12, geht der Anspruch mithin im Falle eines Liquidationsbeschlusses der Gesellschafter unter. Vermögensminderungen, die erst zwischen Anmeldung und Eintragung entstehen, können naturgemäß erst nach Eintragung der GmbH geltend gemacht werden13. c) Freiheit zu rechtsgeschäftlichem Handeln vor Eintragung im Handelsregister. Das alles bedeutet insgesamt: Die Gesellschafter einer werdenden GmbH sind von Rechts wegen frei, den Geschäftsführer zu ermächtigen, sofort nach Errichtung der Vor-GmbH durch Abschluß des Gesellschaftsvertrages und über die zur Eintragung der GmbH im Handelsregister notwendigen Maßnahmen hinaus, also über die Einziehung und Entgegennahme der Mindesteinlage nach § 7 II GmbHG, die Mitwirkung an der Übereignung von Sacheinlagen auf die Vor-GmbH14, die Zahlung von Gebühren und gegebenenfalls Steuern15 hinaus für diese werdende GmbH zu handeln. Die Rechte und Pflichten daraus gehen ipso jure auf die mit der Vor-GmbH identische GmbH mit deren Entstehung durch Eintragung im Handelsregister über16. Das wirtschaftliche Risiko aus diesem zusätzlichen, nicht notwendigen, aber erlaubten Handeln tragen die Gesellschafter persönlich mit dem Stichtag: Eintragung der GmbH im Handelsregister17. Auf diese Weise ist gesichert, daß die GmbH mit einem ungeschmälerten Vermögen mindestens in Höhe ihres Kapitals entsteht. Danach kann sich die Rechtsordnung nur mehr gegen Übergriffe der Gesellschafter (§§ 30,

12 Im Ergebnis ebenso: Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 58, und Ulmer, ZGR 1981, 604, die davon ausgehen, daß der Differenzanspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht entstanden ist. 13 Baumbach-Hueck-Hueck und Fischer-Lutter-Hommelhoff, je aaO; a. A. Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 3), § 11 Rdnr. 127, der den Anspruch insgesamt auf die bis zur Anmeldung entstandenen Verluste begrenzt. 14 Nach § 7 III GmbHG sind Sacheinlagen heute vor Anmeldung der GmbH zum Handelsregister fällig; ihre Leistung vor Eintragung ist Voraussetzung für die Eintragung, § 8 II GmbHG. Näher dazu Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 7 Rdnr. 10; Baumbach-HueckHueck (o. Fußn. 5), § 7 Rdnrn. 9 ff.; Ulmer, in: Hachenburg, Komm. z. GmbHG, 7. Aufl. (1985), § 7 Rdnrn. 43, 44; Roth, Komm. z. GmbHG, 2. Aufl. (1987), § 7 Anm. 6. 15 Die Zahlung der Kapitalverkehrssteuer (Gesellschaftsteuer) ist heute nicht mehr Voraussetzung für die Eintragung, vgl. § 7 V KVStDV. 16 BGHZ 80, 129 (138) = NJW 1981, 1373; Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), § 11 Rdnrn. 70 ff.; Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 3), § 11 Rdnr. 25; Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 2; Fleck, GmbHRdsch 1983, 5, 8; W. H. Roth, ZGR 1984, 600. 17 Das entspricht der h. M.: s. BGHZ 80, 129 (141) = NJW 1981, 1373; Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 9; Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 58, jeweils m. w. Nachw.; Rowedder-Rittner, Komm. z. GmbHG, 1985, § 11 Rdnr. 26; nach anderer Ansicht ist der Zeitpunkt eines ordnungsgemäßen Eintragungsantrags maßgebend: Scholz-K. Schmidt (o. Fußn. 3), § 11 Rdnr. 122, 126 m. w. Nachw.; Priester, ZIP 1982, 1146 ff.

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31 GmbHG) wehren, jedoch keine Vorsorge gegenüber den allgemeinen wirtschaftlichen Risiken mehr treffen. 2. Das Problem der „freien Verfügbarkeit“ a) Das Gesetz. Nach § 8 II GmbHG haben der oder die Geschäftsführer bei Anmeldung der GmbH zum Handelsregister zu versichern: „…, daß der Gegenstand der Leistungen sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet.“

Diese „freie Verfügung“ hat eine lange Geschichte im Recht der Kapitalgesellschaften18 und hat dennoch die Gerichte19 und die Literatur20 der letzten Jahre viel beschäftigt. b) Formelle und materielle Bedeutung der gesetzlichen Formulierung. Das Stichwort der freien Verfügbarkeit hat verschiedene Aspekte. Daher besteht ständig die Gefahr, daß die Aspekte miteinander vermischt und untereinander verwechselt werden oder daß in der Debatte nicht streng genug zwischen den einzelnen Aspekten getrennt wird. Dabei gilt es vor allem zwischen den materiellen Anforderungen an die angesprochene Leistung in diesem Begriff einerseits und seinen formellen Elementen andererseits zu unterscheiden. [2651] aa) Die von Karsten Schmidt21 ausgelöste und von Hommelhoff-Kleindiek22 fortgeführte Debatte um den Begriff der „freien Verfügbarkeit“ und seinen Inhalt betreffen die materiellen Aspekte der Leistung durch den jeweiligen Gesellschafter. Diese Debatte hat zu der Formulierung geführt, daß mit Hilfe dieses Begriffes die Mittelaufbringung (Kapitalaufbringung) von der Mittelverwendung (Kapitalerhaltung), also dem Einsatz der Mittel im unternehmerischen Prozeß abgegrenzt wird. Diese Formulierung ist hoch einprägsam und daher durchaus hilfreich. Das damit angesprochene Problem der korrekten Erfüllung und des Eintritts der 18 S. dazu die Übersichten bei Karsten Schmidt, AG 1986, 107 ff., und Hommelhoff-Kleindiek, ZIP 1987, 482 ff. 19 Vgl. etwa BGHZ 96, 231 = NJW 1986, 837; OLG Koblenz, AG 1987, 88; WM 1988, 1013; OLG Köln, WM 1984, 740; OLG Düsseldorf, ZIP 1984, 540; BayObLG, WM 1988, 622; LG Koblenz, WM 1988, 1630; LG Mainz, AG 1988, 171. 20 S. vor allem Karsten Schmidt, AG 1986, 106 ff.; Hommelhoff-Kleindiek, ZIP 1987, 477 ff.; Lutter, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl. (1988), § 54 Rdnrn. 46 ff., und Kraft, ibid., § 36 Rdnrn. 28 ff., je m. w. Nachw.; Heinsius, in: Festschr. f. Fleck, 1988, S. 89 ff.; Priester, Betr 1987, 1473 ff.; Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333; Allerkamp, WM 1988, 521. 21 AG 1986, 115 ff. 22 ZIP 1987, 477 ff.; ihnen folgend: Allerkamp, WM 1988, 522.

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Erfüllungswirkung von Einlageleistungen war natürlich längst bekannt und ist über mehr als 100 Jahre lang vielfach behandelt worden23. In einem System festen Kapitals muß dem Gesetz daran liegen, daß dieses Kapital von den Gründern/Gesellschaftern auch materiell belegt wird: Was nützt eine noch so schöne und runde Ziffer des Kapitals, wenn ihr keine Realität entspricht24. So ist die „freie Verfügbarkeit“ des Vorstands/der Geschäftsführer über das zugeflossene Vermögen ein Ausschnitt aus dem komplexen Problem der realen Kapitalaufbringung. Um es an frühen Beispielen aus einer langen Geschichte des Problems deutlich zu machen: Es sollte klargestellt werden, daß es eben zum Eintritt der Tilgungswirkung nicht genügt, wenn das Geld dem Geschäftsführer gezeigt oder nur kurz in die Hand gedrückt und anschließend wieder weggenommen wird25, man ihm einen ungedeckten Scheck überreicht26 oder auf ein zugunsten Dritter gesperrtes Konto zahlt27: Die „freie Verfügbarkeit“ sollte sicherstellen, daß die fraglichen Mittel und sonstigen Gegenstände endgültig aus dem Vermögen des Gesellschafters ausgeschieden und ebenso endgültig in das Vermögen der Gesellschaft so übergegangen sind, wie sie geschuldet sind28. Der Sache nach geht es insoweit um ein Problem korrekter Erfüllung29, ein Problem, um das sich das allgemeine Zivilrecht weniger Gedanken machen muß, da der Gläubiger normalerweise dafür selbst sorgen wird; das aber gilt hier, bei der faktischen Identität von Gläubiger und Schuldner so nicht. Deshalb muß das Gesetz helfend eingreifen. bb) Nach diesen materiellen Aspekten des Themas – ist die Einlageschuld des betreffenden Gesellschafters befreiend geleistet oder nicht – müssen nun die formellen Aspekte betrachtet werden: Das Gesetz verlangt die Versicherung des Geschäftsführers, daß der Gegenstand der Leistung sich endgültig in seiner freien Verfügung befindet (§ 8 II 1 GmbHG). Versteht man das nun richtig als Versicherung einer Leistung ohne Wenn und Aber derart an die Vor-GmbH, daß Erfüllung eingetreten ist, so spielt der Zeitpunkt keine Rolle; entscheidend ist allein, daß die befreiende Leistung stattgefunden hat. 23 Das zeigen ganz deutlich bereits die Ausführungen von Auerbach, Das Aktienwesen, 1873, S. 58 ff.; Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaft, 1898, S. 361 f.; Bergmann, ZBH 1933, 207; Barz, GmbHRdsch 1967, 189, und zuletzt Lutter (o. Fußn. 20), § 54 Rdnrn. 34-64. 24 Lutter (o. Fußn. 2), S. 49 ff., 112 ff. 25 RGSt 24, 286 (287 f.); 30, 300 (314 f.); RG, JW 1911, 514; 1927, 1698; in der Fallgestaltung ganz ähnlich: OLG Koblenz, BB 1989, 451. 26 Vgl. Lutter (o. Fußn. 20), § 54 Rdnr. 44; auch RGZ 157, 213 (225); BGH, NJW 1959, 383. 27 BGH, WM 1962, 644 = GmbHRdsch 1962, 233; BGHZ 96, 231 = NJW 1986, 837; Lutter (o. Fußn. 20), § 54 Rdnrn. 49 ff. 28 Lutter (o. Fußn. 20), § 57 Rdnr. 47; Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 7 Rdnr. 11; Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), § 7 Rdnr. 45; Karsten Schmidt, AG 1986, 109. 29 S. RGZ 144, 138 (146 f.); Lutter (o. Fußn. 20), § 54 Rdnr. 34.

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Genau das aber sehen Teile der Literatur und in jüngster Zeit auch der Rechtsprechung ganz anders. Diese nämlich interpretieren das „in der freien Verfügung … befindet“ als: irgendwann an die Vor-GmbH geleistet und noch immer in der vollen Herrschaft des Geschäftsführers. Hier taucht also in der Versicherung über die freie Verfügbarkeit plötzlich ein Element der zeitlichen Verwendung – genauer: der Nicht-Verwendung – dieser Mittel für Zwecke der Gesellschaft auf. 3. Das zeitliche Element An einigen Beispielen der letzten Zeit sei dieser „Umschlag“ in der zeitlichen Betrachtung geschildert. a) Die Rechtsprechung. aa) Eine Import- und Export-GmbH war mit einem Stammkapital von 50000 DM errichtet worden und hatte von ihren beiden Gesellschaftern mit Geschäftsanteilen von 48000 DM und 2000 DM am 21. 10. auf ihr Bankkonto 24000 DM bzw. 1000 DM, zusammen also 25000 DM erhalten. Daraufhin erfolgte am 29. 10. die Anmeldung einschließlich der Versicherung der Geschäftsführer über die Leistung und die freie Verfügbarkeit. Zwischen dem 21. und dem 29. 10. hatte der anmeldende Geschäftsführer mit einer anderen GmbH aber einen Darlehensvertrag geschlossen (22. 10.) und dem Darlehensnehmer das Geld überwiesen (27. 10.). Das BayObLG erklärte die Versicherung des Geschäftsführers für objektiv falsch und lehnte mit den Vorinstanzen die Eintragung der GmbH ins Handelsregister ab30, und zwar mit folgender Begründung: „… Die Anmeldung des Geschäftsführers ging zusammen mit der Versicherung am 29. 10. beim Registergericht ein; das ist der entscheidende Zeitpunkt. An diesem Tag stand aber die geleistete Einlage nicht mehr zur freien Verfügung, da der Geschäftsführer … rechtlich nicht mehr frei über die Einlage verfügen konnte … Der Rückerstattungsanspruch aus § 607 I BGB kann … nicht der vom Gesetz zwingend geforderten endgültigen freien Verfügbarkeit gleichgesetzt werden …“

Die ganze Angelegenheit war aus anderen Gründen vielfach problematisch: War überhaupt befreiend geleistet worden oder lag eine Scheinzahlung, eine verdeckte Hin- und Herzahlung vor31? War der Darlehens-Rückforderungsanspruch vollwertig oder war bereits im Zeitpunkt der Anmeldung ein bilanzieller Verlust eingetreten, der vor Anmeldung hätte ausgeglichen werden müssen32? Darauf soll hier nur hingewiesen werden mit der Vermutung, daß das BayObLG im Ergebnis WM 1988, 622. Dazu o. sub II 2 a. 32 Dazu o. sub II 1 b. 30 31

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richtig entschieden hat. Aber die Begründung, wonach die freie Verfügbarkeit fehle, ist außerordentlich problematisch. Denn nach Ansicht des BayObLG dürfte die Vor-GmbH zwar ihre Geschäfte aufnehmen, ein Ladenlokal anmieten, Arbeitnehmer einstellen, vielfache Import- und Export-Geschäfte tätigen, müßte all das aber mit Krediten finanzieren, da die 25000 DM Bareinlage auf ihrem Sonderkonto bis zur eintragungsfähigen Anmeldung reserviert liegen bleiben müssen. bb) Nur wenige Wochen später hat das OLG Köln33 ähnlich entschieden. Auch hier war eine GmbH mit 50000 DM Stammkapital gegründet worden und auch hier waren 25000 DM auf dem Konto der Vor-GmbH eingegangen. Noch vor dem Eingang der Anmeldung beim Registergericht hatte der Geschäftsführer aber für insgesamt 16400 DM eine Kaution geleistet und einen Pkw für die Gesellschaft erworben. Das OLG bestätigte die Ablehnung des Eintragungsantrags mit folgender Begründung: „… Erst recht steht ein Geldbetrag dem Geschäftsführer nicht mehr zur freien Verfügung, wenn er über ihn im Zeitpunkt der Einreichung des Eintragungsantrags bereits verfügt hat …“

Auch hier kann man sehr wohl darüber nachdenken, ob mit den getätigten Rechtsgeschäften Verluste für die GmbH bereits im Zeitpunkt der Anmeldung verbunden waren (Voll- [2652] wertigkeit des Pkw und des KautionsRückgewähranspruchs?), die in bar hätten ausgeglichen werden müssen. Aber: Fehlen der freien Verfügbarkeit? cc) In einem obiter dictum hatte zuvor das OLG Hamburg34 formuliert: „Dieser (scil: der Geschäftsführer) hat … darüber zu wachen, daß das Viertel sich bei der Anmeldung noch zu seiner freien Verfügung befindet (RGZ 83, 370 (375))“35.

b) Die Literatur. Die Formulierungen in der Literatur verbreiten hier – man muß es leider sagen – viel Nebel und Unklarheit; aber die Literatur wird andererseits auch von der Rechtsprechung nicht geduldig genug zu Rate gezogen. Ihre Positionen lassen sich in drei Gruppen aufteilen: aa) Zu einer ersten Gruppe gehören alle diejenigen Formulierungen, die das Element der freien Verfügbarkeit klar und deutlich nur auf die Erfüllungswirkung der fraglichen Leistung hin formulieren, aber keinerlei Aussagen in Richtung auf die vom BayObLG und dem OLG Köln behauptete Notwendigkeit machen, die

33 Betr 1988, 955. Die gleiche Auffassung findet sich auch in einem jüngst ergangenen Urt. v. 10. 11. 1988, ZIP 1989, 238. 34 GmbHRdsch 1982, 157 (158). 35 Krit. dazu bereits K. Schmidt, AG 1986, 114.

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korrekte Leistung müsse so noch vorhanden sein. Hierzu rechnen etwa Ulmer36 und Fischer-Lutter-Hommelhoff37. Auch Meyer-Landrut38 und Roth39 beschäftigen sich unter diesem Stichwort der „freien Verfügbarkeit“ nur mit der Art der Leistung und verknüpfen das in keiner Weise mit dem Zeitproblem. bb) Zu einer zweiten, schon weniger klaren Gruppe rechnen diejenigen Aussagen, die das Leistungsproblem jedenfalls grammatikalisch mit einem Zeitproblem koppeln. So schreibt etwa G. Hueck40: „Der Geldbetrag muß bei Anmeldung zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen, …“ Hier ist die Auslegung auszulegen. Der Satz kann meinen: Das Geld muß spätestens im Zeitpunkt der Anmeldung befreiend geleistet sein (und dafür sprechen die nachfolgenden Beispiele der Scheinzahlung etc.); die Formulierung kann aber auch meinen: Das Geld muß bei Anmeldung (noch) zur freien Verfügung stehen. Auch bei Rittner fehlt das „noch“ (im Sinne von: muß noch vorhanden sein) in der Formulierung, doch ist sie insgesamt dem sprachlich fehlenden „noch“ nahezu äquivalent41: „Die Einzahlungen müssen sich im Zeitpunkt der Anmeldung in der freien Verfügung der Geschäftsführer befinden; …“ cc) Zu einer dritten Gruppe gehören dann Aussagen, die diesen Zeitaspekt noch verstärken und das „noch“ ausdrücklich formulieren. So schreibt etwa Winter42: „…, daß die eingezahlten Beträge endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen müssen, und zwar noch im Zeitpunkt der Anmeldung43.“ Und Raiser44 sieht es als Aufgabe des Registergerichts an, vor Eintragung zu prüfen: „… ob die Mindesteinlagen gezahlt wurden, bei Eintragung noch vorhanden sind und zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen.“

Ist das, was hier zusätzlich dem Element „freie Verfügbarkeit“ zugeschoben wird, tatsächlich vom Gesetz so gefordert? Verlangt das Gesetz wirklich die Aussonderung der geleisteten Gelder jedenfalls bis zur Abgabe der eintragungsreifen Anmeldung zum Handelsregister als Voraussetzung für die Eintragung der GmbH im Handelsregister? Die Aussonderung der Gelder aber ist praktisch Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), § 7 Rdnr. 45. Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 7 Rdnr. 11. 38 Meyer-Landrut, in: Meyer-Landrut-Miller-Niehus, Komm. z. GmbHG, 1987, § 7 Rdnr. 22, § 8 Rdnr. 21. 39 Roth (o. Fußn. 14), § 7 Anm. 3.4. 40 Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 7 Rdnr. 5. 41 Rowedder-Rittner (o. Fußn. 17), § 7 Rdnr. 25. 42 Scholz-Winter (o. Fußn. 3), § 7 Rdnr. 30. 43 Winter (o. Fußn. 3), § 7 Rdnr. 30, verweist dann in seiner Fußn. 45 auf die soeben zit. Stellen bei Hueck, Rittner und Ulmer und verleitet damit die Rspr., auch dort das fehlende „noch“ mitzulesen. 44 Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 1983, § 26 III 3 a. 36 37

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notwendig, wenn sie unangetastet zur Verfügung stehen sollen, während die VorGmbH im übrigen geschäftlich tätig ist. Denn daß der Geschäftsführer im Falle des OLG Köln das Auto für die Vor-GmbH kaufen und die Kaution leisten durfte, daran besteht ja seit der Entscheidung des BGH vom 9. 3. 198144a kein Zweifel. 4. Kapitalerhöhung Ehe wir den soeben gestellten Fragen weiter nachgehen, müssen wir noch einen Blick auf die Rechtslage bei der Kapitalerhöhung werfen. Hier hat man drei Daten zu beachten: (1) Die GmbH ist existent, handelt fraglos und vielfach rechtsgeschäftlich und darf es auch; sie mehrt oder mindert auf diese Weise ihr Vermögen zwischen dem Kapitalerhöhungsbeschluß und seiner Eintragung im Handelsregister laufend; (2) das Gesetz verweist in den §§ 56a, 57 II GmbHG hinsichtlich der Leistungspflichten auf das Gründungsrecht, und (3) es formuliert in § 57 II 1 GmbHG erneut: „In der Anmeldung ist die Versicherung abzugeben, daß … der Gegenstand der Leistung sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet.“ Soll das im Sinne der Rechtsprechung der OLGe Hamburg und Köln sowie des BayObLG heißen: Dieses Geld muß mindestens bis zur Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister auf einem Sonderkonto bleiben? Priester45 und Ulmer46 lehnen das expressis verbis ab, während G. Hueck47 und MeyerLandrut48 davon sprechen, die Versicherung der Geschäftsführer müsse darauf gerichtet sein, daß sich der Gegenstand der Leistung „in der freien Verfügung der Gesellschaft befindet“ (G. Hueck) bzw. „der Geschäftsführer befindet“ (MeyerLandrut): Das hier gewählte Präsens deutet wieder auf ein „noch befindet“ hin. 5. Wertung Die hier erörterten Regeln gehören zum System der sogenannten realen Kapitalaufbringung. Mit ihnen will das Gesetz dafür sorgen, daß die GmbH mit einem Vermögen mindestens in Höhe ihrer Kapitalziffer entsteht49, während es BGHZ 80, 129=NJW 1981, 1373 in: Scholz (o. Fußn. 3), § 57 Rdnr. 10. 46 Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), § 57 Rdnr. 6. 47 Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 57 Rdnr. 7. 48 Meyer-Landrut (o. Fußn. 38), § 57 Rdnr. 7. 49 BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373. 44a 45

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bei der Kapitalerhöhung nur dafür sorgen will, daß der GmbH neue Mittel mindestens in Höhe des Erhöhungsbetrages auch tatsächlich zufließen50: Zur Gesamt-Vermögenssituation kann das Gesetz hier keine Regelungen mehr treffen. Im Kontext dieser Ziele hatte das Tatbestandselement der freien Verfügbarkeit stets – wie Karsten Schmidt nachgewiesen hat51 – die Aufgabe, ScheinLeistungen und belastete Leistungen an die Gesellschaft zu vermeiden, während dieses Tatbestandsmerkmal mit der Aufgabe, ein bis zur Entstehung der Gesellschaft auch vollständig erhaltenes Kapital zu sichern, nie betraut war: Das war die Aufgabe des einstigen Vorbelastungsverbotes und ist heute die Aufgabe der Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) bei der Gründung, einer Haftung, die naturgemäß – ebenso wie einst das Vorbelastungsverbot – bei der Kapitalerhöhung nicht mehr zum Zuge kommt, weil das Gesetz hier kein bestimmtes Vermögen der GmbH mehr garantiert und auch gar nicht mehr garantieren kann. Damit ist klar: Weder bei der Gründung noch erst recht bei der Kapitalerhöhung sind die Gesellschafter und der Geschäftsführer verpflichtet, Leistungen auf die Einlage (Kapital) unberührt liegen zu lassen51a. Ist wirksam geleistet, so ist dieses Kapitel für die Gesellschaft abgeschlossen. Daher ist auch nur das Inhalt der Versicherung des Geschäftsführers und der etwaigen Prüfung durch den Registerrichter. Wurde vor Eintragung für die GmbH rechtsgeschäftlich gehandelt – und [2653] zwar völlig gleichgültig, ob unter Verwendung der Einlageleistungen oder ohne diese - so kommen nur noch Ansprüche aus Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) in Betracht, wenn das Vermögen der GmbH im Augenblick ihrer Entstehung zuzüglich gezahlter Steuern, Gebühren und Notarkosten geringer ist als die Ziffer des Kapitals52. Da der Registerrichter insoweit – wie auch in bezug auf eine verdeckte Sacheinlage – prüfungsberechtigt und prüfungsverpflichtet ist53, kann er dazu Recherchen anstellen und Nachweise verlangen53a. Die Verwendung der Leistung auf die Bareinlage, zu welchem Zweck auch immer, ist aber kein Prüfungsgegenstand und erst recht per se kein Grund zur Ablehnung des Eintragungsantrags. Alles andere wäre die Fortsetzung

Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 5 Rdnr. 1, und Lutter (o. Fußn. 2), S. 52 ff. AG 1986, 106 ff. 51a So auch Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333, 366 Fußn. 91. 52 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 9; Gustavus, GmbHRdsch 1988, 49 f. 53 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 10. 53a Deshalb auch ist es mindestens ungenau, wenn die Erklärung des Geschäftsführers dazu mit der Erklärung über die freie Verfügbarkeit vermischt wird. Dementsprechend trennen Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5) § 8 Rdnrn. 11 und 12; K. Schmidt, AG 1986, 106, 115 f.; Gustavus, aaO.; während mit der freien Verfügbarkeit vermischen Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 8 Rdnr. 13a; Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), Ergbd. § 7 Rdnr. 48; Rowedder-Rittner (o. Fußn. 17), § 8 Rdnr. 20. 50 51

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der Sprache und des Denkens im Sinne des Vorbelastungsverbots, das aber nicht mehr Teil unseres geltenden GmbH-Rechts ist54. III. Die Rechtslage im Aktienrecht Mit Klärung der Fragen für die GmbH sind die gleichen Fragen für die Aktiengesellschaft noch nicht beantwortet: Gelten hier die gleichen Regeln oder sind Sonderaspekte zu bedenken? 1. Die Gesetzeslage a) § 36 II AktG statuiert ebenfalls das Gebot der freien Verfügbarkeit, formuliert das Problem aber anders als im GmbH-Recht, nämlich: „… Wenn … der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 54 III) und, soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt wurde, endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht.“ b) Auf diese Formulierung nimmt § 37 I AktG offenbar Bezug, dessen Sätze 2, 3 und 5 Nachweise in bezug auf diese freie Verfügbarkeit zur Vorlage an das Registergericht verlangen. c) Die Regeln der regulären Kapitalerhöhung nehmen in § 188 II AktG auf die §§ 36 II, 37 I AktG Bezug, während die Regeln des genehmigten Kapitals in § 203 I AktG auf § 188 II AktG und mithin mittelbar ebenfalls auf die §§ 36 II und 37 I AktG verweisen. 2. Rechtsprechung und Lehre a) Die Rechtsprechung. Die Rechtsprechung des Aktienrechts hat sich zwar schon zu Zeiten des RG55 zur sogenannten Identitätstheorie bekannt, also zur Aussage, daß die end-

54 55

K. Schmidt, AG 1986, 114. RGZ 151, 86 (91) und dazu Kraft, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 41 Rdnrn. 62 ff.

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gültig entstandene AG mit ihrer eigenen Vorgesellschaft rechtlich identisch ist56; aber sie hat ebenso strikt und mit voller Zustimmung der Lehre auf dem Vorbelastungsverbot bestanden57: Nur notwendige Rechtsgeschäfte und ihre Kosten trafen die entstandene AG per se58. Im übrigen mußte der Vorstand die im Namen der künftigen AG getätigten Rechtsgeschäfte nach Entstehung der AG genehmigen, sollten sie für die AG verbindlich sein; alle namens der Vorgesellschaft getätigten Rechtsgeschäfte aber bedurften der Schuldübernahme nach § 41 II AktG, um die entstandene AG zu binden. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage: Vorbelastungsverbot oder Differenzhaftung im Aktienrecht, ist bislang nicht bekannt geworden. Die Entscheidung des BGH vom 9. 3. 198159 aber bezieht sich nur auf die GmbH und sagt – aus der Sicht des Gerichts gewiß zu Recht – keinen Satz zu ihrer Anwendbarkeit oder Nicht-Anwendbarkeit auch im Aktienrecht60. b) Die Position der Lehre. Dennoch hat sich in ganz kurzer Zeit und nahezu ohne Widerspruch in der Literatur die Meinung durchgesetzt, daß nun auch im Aktienrecht das Vorbelastungsverbot abgeschafft und durch die Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) ersetzt worden sei61. aa) Das trifft auch zu, denn die gesetzlichen Vorschriften zur Gründung von Aktiengesellschaften und GmbH sind Ausdruck eines einheitliches Systems realer Kapitalaufbringung62. Die strukturellen Gemeinsamkeiten beider Gesellschaftsformen führten dann auch zwangsläufig zu den gleichen Schwierigkeiten in der Handhabung des Vorbelastungsverbots, die insbesondere bei der Einlage von 56 Vgl. dazu v. Gadow, in: Großkomm. AktG, 1. Aufl. (1939), § 34 Anm. 19, 17; v. GodinWilhelmi, AktG, 1. Aufl. (1937), § 34 Anm. 4; Schlegelberger-Quassowski, AktG, 1. Aufl. (1937), § 34 Rdnr. 3; Ritter, AktG, 2. Aufl. (1938), § 34 Nr. 3, letzterer aber unter ausdrücklicher Ablehnung der Identitätstheorie. 57 RGZ 83, 373; 105, 229; 134, 122; 154, 286. 58 Vgl. nur Barz, in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 41 Anm. 11 ff. m. w. Nachw. 59 BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373. 60 Eine eher vorsichtige Zurückhaltung signalisiert der BGH (BGHZ 80, 129 (139) = NJW 1981, 1373 ff.), indem er ausführt, das GmbH-Gesetz beschränke Erwerbsgeschäfte im Gründungsstadium nicht so streng wie das Aktienrecht. 61 Eingehend Kraft, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 41 Rdnrn. 118 ff., der diese Entwicklung für die AG durchaus begrüßt (Rdnr. 123): „… Man sollte aber nicht verkennen, daß durch die Differenzhaftung, wie der BGH sie versteht, nunmehr eine fast subtil zu nennende Ausgewogenheit hergestellt wird …“. Ebenso Farrenkopf-Cahn, AG 1985, 209 ff.; EscherWeingart, AG 1987, 310 ff.; Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des GesellschaftsR IV (Aktiengesellschaft), 1988, § 3 Rdnr. 31; K. Schmidt, GesellschaftsR, § 27 II 4d; in der Tendenz auch G. Hueck, GesellschaftsR, 18. Aufl. (1983), S. 322; zurückhaltend Eckardt, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Komm. z. AktG, 1984, § 41 Rdnrn. 14, 15. 62 Lutter (o. Fußn. 2), passim.

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Sachen und Unternehmen deutlich wurden63. Auch die Gründe, die den BGH zur Aufgabe des Vorbelastungsverbots in der GmbH veranlaßten, sind nicht spezifisch auf die GmbH zugeschnitten, sondern gelten in gleicher Weise auch für die AG64. Die Geltung von Vorbelastungsverbot oder Differenzhaftung ist aber auch eine so zentrale Frage im Gründungsrecht der Kapitalgesellschaften, daß eine unterschiedliche Behandlung von GmbH und AG ganz und gar unsystematisch, für die Betroffenen unverständlich und aus der Sicht der Gesamtrechtsordnung nahezu willkürlich wäre. Daher ist die Übertragung der Differenzhaftung auf die AG unter Aufgabe des Vorbelastungsverbots richtig. bb) Nunmehr wird allerdings die Bedeutung der §§ 36 II, 37 I 1 und 5 sowie insbesondere des § 41 II AktG zweifelhaft, deren Konzept nur auf der Basis des Vorbelastungsverbots wirklich verständlich ist und die auch bisher immer als Ausprägung des Vorbelastungsverbots verstanden worden sind65. Die an den einzelnen Vorschriften ansetzenden Auslegungsversuche führen daher auch zu wenig überzeugenden Ergebnissen. [2654] So versteht Escher-Weingart66 § 41 II AktG in dem Sinne, daß die Handelndenhaftung nach § 41 I AktG erst bei vertraglicher Übernahme durch die Aktiengesellschaft erlischt. Im Gegensatz dazu endigt im GmbH-Recht die Handelndenhaftung nach allgemeiner und zutreffender Auffassung bereits mit Eintragung der GmbH im Handelsregister67. Die strukturellen Gemeinsamkeiten der Gründungsregeln von Aktiengesellschaft und GmbH, denen durch die Übernahme der Differenzhaftung ins Aktienrecht gerade Rechnung getragen werden soll und in der Literatur auch getragen worden ist, werden aber mit einer solchen Lehrmeinung – ohne in der Sache liegenden Grund – wieder geleugnet. Tatsächlich hat die Handelndenhaftung sowohl im GmbH- als auch im Aktienrecht den Zweck, den Gläubigern der Vorgesellschaft einen Ausgleich für die (noch) fehlende registergerichtliche Prüfung der realen Kapitalaufbringung in der werdenden Gesellschaft zu gewähren68. Daher erlischt die Handelndenhaftung sowohl im Aktien- als auch im GmbH-Recht mit Eintragung der Gesellschaft im Handelregister69. § 41 II AktG behält damit nur noch 63 Dazu Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), § 11 Rdnrn. 23 ff.; Barz, (o. Fußn. 4), § 41 AktG Anm. 11; Ballerstedt, ZHR 127 (1965), 100 ff.; Fabricius, in: Festschr. f. Kastner, 1972, S. 108 ff. 64 S. BGHZ 80, 129 (135, 137 f.) = NJW 1981, 1373 ff. 65 Vgl. Baumbach-Hueck, AktG, 13. Aufl. (1968), § 41 Anm. 5; Barz (o. Fußn. 4), § 41 AktG Anm. 14; Brodmann, AktienR, 1928, § 200 AktienR. 1 a; Eckardt (o. Fußn. 61), § 41 AktG Rdnr. 15; G. Hueck (o. Fußn. 61), S. 322. Der Streit um die Geltung der sog. Einheitstheorie hatte für die Geltung des Vorbelastungsverbots keine bestimmende Wirkung, s. Barz (o. Fußn. 4), § 41 AktG Anm. 3 ff. 66 AG 1987, 311. 67 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 14 m. w. Nachw. 68 BGHZ 80, 182 (184) = NJW 1981, 1373; Baumbach-Hueck-Hueck (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 41; Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 11. 69 So auch Hoffmann-Becking (o. Fußn. 61), § 3 Rdnr. 33.

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einen ganz rudimentären Anwendungsbereich, etwa für den Fall, daß der Handelnde i. S. des § 41 I 2 AktG ohne Vertretungsmacht für die Vor-AG gehandelt hat und eine Genehmigung des Geschäfts für die AG wegen § 177 II BGB nicht mehr möglich ist70. cc) Auch die formellen Vorschriften der §§ 36 II a. E., 37 I 5 AktG haben auf der Grundlage der Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) keinen wirklichen Sinn mehr; denn es ist dann selbstverständlich und bedürfte keiner Erwähnung im Gesetzestext, daß aus den eingezahlten Einlagebeträgen die bei Gründung anfallenden Steuern und Gebühren zu Lasten des Gesellschaftsvermögens gezahlt werden dürfen. Obwohl sich der Wortlaut dieser Vorschriften auf die freie Verfügbarkeit von Einlageleistungen bezieht, wird doch das dahinterstehende Konzept des Vorbelastungsverbots klar erkennbar. c) Ergebnis. Als Ergebnis der vorstehenden Überlegungen läßt sich festhalten, daß die Analyse der §§ 41 II, 36 II, 37 I 5 AktG ergibt, daß diese Bestimmungen auf der Lehre vom Vorbelastungsverbot beruhen und nur durch das Vorbelastungsverbot erklärbar sind. Der Gesetzgeber hat sich also ursprünglich für eine Geltung des Vorbelastungsverbots im Aktienrecht entschieden. Doch daran muß die Übertragung der Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) in das geltende Aktienrecht nicht scheitern. Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der realen Kapitalaufbringung als tragenden Pfeiler des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts errichtet, der in gleicher Weise das GmbH- wie auch das Aktienrecht trägt. Diese Einheit gilt es nun zu wahren, auch um den Preis einer gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung („contra legem“) im Aktienrecht71. Die Gründer einer errichteten AG (§ 29 AktG) können also den Vorstand in mehr oder minder breitem Umfange zum Handeln im Rahmen des statutarischen Gegenstandes für die Vor-AG ermächtigen und damit zugleich für die mit dieser identischen AG so, wie diese mit Eintragung im Handelsregister entsteht. Und eine solche Ermächtigung ist zu vermuten, wenn es um die Fortführung eines in die AG eingebrachten Unternehmens geht72. Entstehen dann Verluste und wird hierdurch das Vermögen unter die Kapitalziffer gesenkt, so haften die Gründer nach dem Verhältnis der Nennbeträge der von ihnen übernommenen Aktien.

So wohl Kraft (o. Fußn. 61), § 41 Rdnrn. 111, 109; Farrenkopf-Cahn, AG 1985, 209. S. zu den Voraussetzungen der Rechtsfortbildung contra legem; v. Hoyningen-Huene, in: Festschr. f. Juristische Fakultät Heidelberg, 1986, S. 355; Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl. (1983), S. 410 ff., gegen eine Rechtsfortbildung contra legem Seidl, ZGR 1988, 309 f. 72 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 5. 70 71

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d) Belehrungspflichten. Es liegt auf der Hand, daß die Gründer über dieses, dem Aktienrecht bislang unbekannte Risiko von dem die Gründung beurkundenden Notar belehrt werden müssen73; und es steht bei Übernahme dieser Rechtsfigur in das Aktienrecht weiterhin fest, daß auch die Kautelen – sprich: die Prüfungspflicht des Registerrichters – zu übertragen sind. Das hat zur Folge, daß alle Gründer und alle Mitglieder des Vorstands heute bei Anmeldung der AG wie im GmbH-Recht versichern müssen, daß keine Unterbilanz entstanden oder aber zwar entstanden, aber vor Anmeldung der AG bar und zur freien Verfügung des Vorstands ausgeglichen worden ist. Das Registergericht aber muß auf Vorlage dieser Versicherung bestehen und deren Richtigkeit gegebenenfalls überprüfen bzw. überprüfen lassen. 3. Die Behandlung der Bareinlagen und der Versicherung über die freie Verfügbarkeit a) Die Lehre vom „Thesaurierungs“-Gebot. aa) Während die Literatur die Abschaffung des Vorbelastungsverbotes und seine Ersetzung durch die Unterbilanzhaftung trotz § 41 II AktG und an dieser Norm vorbei in das Aktienrecht übernommen hat, gilt gleiches doch ganz offenbar nicht für das Problem der Behandlung von Bareinlagen. Hier bleibt es unter dem Stichwort der „freien Verfügbarkeit“ unverändert bei der tradierten Auffassung, daß aus den eingezahlten Geldbeträgen nur die Steuern und Gebühren74 und allenfalls die Kosten des Gründungsprüfers75, sonst aber nichts und insbesondere nicht die Kosten der Fortführung eines eingebrachten Betriebes oder Unternehmens bezahlt werden dürfen76. Kurz: Die Beträge müssen bis zur Eintragung der AG im Handelsregister gesondert gehalten werden: „Der auf Bareinlagen vor der Eintragung der Gesellschaft gezahlte Betrag muß noch im Augenblick der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister vorhanden sein …“, postuliert Eckardt77. Dementsprechend lauten dann auch die Erläuterungen zur Versicherung nach § 37 I 1 AktG und zu den Nachweisen nach § 37 I 2, 3 und 5 AktG, insbesondere bezüglich des Nachweises über die gezahlten Steuern und Gebühren: Es wird einheitlich im Sinne von „nur“ Steuern und Gebühren78 und „Sicherstellung 73 Zur Beratungspflicht des Notars jüngst Allenkamp, Die sogenannte erweiterte Belehrungspflicht des Notars, Diss. Bonn, 1989. 74 Vgl. nur Kraft (o. Fußn. 61), § 36 Rdnrn. 28, 29. 75 Kraft (o. Fußn. 61), § 36 Rdnr. 30. 76 Kraft (o. Fußn. 61), § 36 Rdnr. 31. 77 Eckardt (o. Fußn. 61), § 36 Rdnr. 28. 78 Eckardt (o. Fußn. 61), § 37 Rdnr. 13.

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der Kapitalgrundlage“ verstanden79. Das alles entspricht einer tradierten „Thesaurierungslehre“ der h. M., die nur in Kleinigkeiten umstritten war. Sie wird am besten durch den Satz von Barz dokumentiert – also einer Stellungnahme lange vor der Entscheidung des BGH vom 9. 3. 1981 –, wonach selbst die Kosten für den Druck von Aktien nicht aus der Geldeinlage bezahlt werden dürfen80: „Ihre Zahlung aus der Bareinlage vor Anmeldung beseitigt die freie Verfügung des Vorstandes.“ „Freie Verfügung“ wird also mit „unangetastete Geldeinlage“ gleichgesetzt. Daß diese Auffassung so nicht zutreffend ist und schon historisch verfehlt war, hat bereits Karsten Schmidt dargetan81. Sieht man aber einmal von dieser verfehlten Verknüpfung mit der freien Verfügbarkeit ab, so ließe sich die referierte Auffassung viel eher auf den Wortlaut der §§ 36 II, 37 I AktG stützen; die Thesaurierungs-Lehre ist also mit ihrer Ablösung von der verfehlten Verbindung zur „freien Verfügbarkeit“ noch nicht per se falsifiziert. [2655] bb) Nach tradierter h. M. gilt das alles auch für die reguläre Kapitalerhöhung und das genehmigte Kapital82; und das ist durchaus naheliegend, da, wie schon gesagt, auch das Gesetz selbst auf die Gründungsvorschriften verweist. b) Wertung. aa) Diese Auffassung war in ihrem Grundsatz sicher richtig unter der Herrschaft des Vorbelastungsverbotes: Wenn man rundum das Geld beisammenhält, wird das Prinzip eines unangetasteten Kapitals am ehesten gesichert. Die Auffassung entsprach und entspricht aber auch noch heute der Praxis, die offenbar in aller Regel Bareinlagen auf ein Sonderkonto überweist, über das die betreffende Bank eine Bestätigung bezüglich der Höhe und der freien Verfügbarkeit erteilt und über das der Vorstand erst nach der Anmeldung – in der Regel sogar erst nach Eintragung – verfügt83. Diese Auffassung hat gravierende Folgen, da sie

Kraft (o. Fußn. 61), § 37 Rdnr. 21. Barz (o. Fußn. 4), § 36 Anm. 15. 81 Karsten Schmidt, AG 1986, 114 f. 82 Es gibt dazu derzeit nur Äußerungen aus der Zeit vor der Entscheidung BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373, so daß die „Thesaurierungs-Theorie“ im Ergebnis nicht überrascht: Wiedemann, in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 188 Anm. 2, verweist schlicht auf Barz (o. Fußn. 4), § 36 Anm. 15; ich selbst gehe in der 1. Aufl. des Kölner Komm. durch Verweis auf das Erfordernis einer Bankbestätigung ebenfalls davon aus: § 188 AktG Rdnr. 8 a. E. und § 54 Rdnr. 39 a. E. 83 So schreiben Happ-Lange, Formularkommentar AktienR, Tz. 2.01 Rdnr. 46: „Nach Eingang der Anmeldung beim Handelsregister dürfen die Beträge vom Vorstand für die Aufnahme der werbenden Tätigkeit verwendet werden.“ 79 80

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rasche Reaktionsmöglichkeiten in der Krise verhindert; darauf ist an anderer Stelle bereits hingewiesen worden84. bb) Geht man einmal davon aus, daß sich GmbH und AG in allen diesen Fragen systematisch und strukturell nicht unterscheiden, dann entstehen bei der Gründung der AG die gleichen Probleme, die den BGH für die GmbH davon überzeugt haben, daß eine Änderung des geltenden Rechts durch Übergang vom Vorbelastungsverbot zur Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) erforderlich war85. Es ist daher nicht nur richtig, die Lehre von der Differenzhaftung auch auf die AG und in das Aktienrecht zu übertragen, sondern es ist dann auch notwendig, die vom (einstigen) Vorbelastungsverbot geprägten technischen Vorschriften restriktiv zu interpretieren. Wollte man anders argumentieren und entscheiden, so würde man sich in unaufhörliche Widersprüche verfangen: während die Bareinlage thesauriert wird, könnte und müßte aus Krediten geleistet werden. Und wie mit den Aktiva und Passiva eines Unternehmens zu verfahren ist, wüßte erneut niemand. Die hier entwickelte und vor dem Hintergrund der Differenzhaftungslehre notwendige Aufgabe des Thesaurierungsgebotes würde bedeuten: (1) Das Element der „freien Verfügbarkeit“ wird künftig im Aktienrecht so verstanden, wie es allein historisch gemeint war: es hat allein die Aufgabe, die vorbehaltlose Leistung an die AG sicherzustellen so, wie sie zwischen den Gründern bzw. der AG und ihren Zeichnern festgelegt worden ist. (2) Die nach § 37 I 2 u. 3 AktG erforderlichen Nachweise über die freie Verfügbarkeit und die Bankbestätigung sind entsprechend (1) zu verstehen, d. h. dahin, daß das Geld der AG auf ihrem Konto als Leistung auf die Einlage zugeflossen ist – nicht aber, daß es sich dort auch noch befinden muß. (3) Entsprechend dem System der Differenzhaftung haben die Anmeldenden dann (nur) bei der Gründung zusätzlich zu erklären, daß keine Vorbelastungen bestehen, die die Deckung des Kapitals tangieren könnten86. Zum einfachen Nachweis dessen kann dann natürlich die zusätzliche Bestätigung der Bank vorgelegt werden, daß sich das Guthaben – bis auf die Zahlung von Kosten und Steuern – unberührt auf dem Konto der Gesellschaft befindet. (4) Bei der Kapitalerhöhung kommen nur (1) und (2) zum Zuge; nichts steht entgegen, die eingezahlten Mittel noch vor Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister dem regulären Betrieb der Gesellschaft 84 Dazu Lutter-Hommelhoff-Timm, BB 1980, 744; Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 58 Rdnr. 20; Priester, in: Festschr. f. Fleck, 1988, S. 231 ff. 85 Barz, der große und langjährige Erfahrungen mit der Gründung von Aktiengesellschaften hatte, schreibt in Großkomm. z. AktG, § 41 AktG Anm. 11: „… in der Rechtswirklichkeit die Sachgründung, und zwar eine solche unter Einbringung oder Übernahme eines Handelsgeschäftes, den Regelfall bildet.“ 86 Weitergehend verlangt Roth, DNotZ 1989, 11, die Aufzählung der mit den Einlagebeträgen getätigten (wertneutralen oder wertsteigernden) Rechtsgeschäfte.

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zuzuführen87. Hier ist daher auch nur die Bestätigung der Bank erforderlich, daß der Betrag von X DM als Leistung auf die Kapitalerhöhung auf dem Konto der AG eingegangen ist und dort keiner Verfügungsbeschränkung unterlag. IV. Neuere Entwicklung in der Rechtsprechung Der BGH hat hier erörterten Problemkreis unmittelbar noch nicht Stellung genommen; dazu bedarf es erst einer Divergenzvorlage durch ein OLG in einem Registerverfahren. Er hat aber kürzlich bestätigt, daß sogar die Mehrleistung über die vom Gesetz geforderte – und hier vor allem erörterte – MindesteinlageLeistung hinaus vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister ohne weitere Voraussetzungen befreiend geleistet werden kann88. Und an dieser Rechtsfolge ändert sich heute - im Gegensatz zur früheren Rechtslage89 – auch dann nichts, wenn die betreffenden Mittel bei Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister nicht mehr vorhanden sind: Die Differenz zur Höhe des Stammkapitals/Grundkapitals wird von der Unterbilanzhaftung der Gesellschafter übernommen90. Das alles bestätigt mittelbar die hier vertretene These: Entscheidend ist die vorbehaltlose Leistung in das Vermögen der (Vor-) Gesellschaft, nicht aber ist entscheidend, wieviel davon bei der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister noch vorhanden ist. V. Zusammenfassung 1. Auch im Aktienrecht ist heute nicht mehr die Lehre vom Vorbelastungsverbot anwendbar, sondern es gilt wie im GmbH-Recht seit der Entscheidung des BGH vom 9. 3. 1981 die Differenzhaftung (Unterbilanzhaftung) der Gründer nach dem Verhältnis der von ihnen übernommenen Aktienbeträge.

87 Der Vorstand darf die Mittel also benutzen, muß es aber natürlich nicht. Er wird es insbesondere dann nicht tun, wenn Gefahr besteht, daß die Kapitalerhöhung scheitert oder aus anderen Gründen nicht vollzogen wird. Denn dann sind diese zurückzugewähren. Näher dazu Lutter, in: Festschr. f. Schilling, 1973, S. 207 ff. 88 BGH, NJW 1989, 710 = WM 1989, 16 = ZIP 1989, 27. 89 Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, 1964, S. 127 ff. mit allen Nachw. 90 BGH, NJW 1989, 710.

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Das überholte Thesaurierungsgebot bei Eintragung einer Kapitalgesellschaft

2. Der Vorstand der Vor-AG ist – ebenso wie der Geschäftsführer im Recht der Vor-GmbH – bei entsprechender Ermächtigung durch die Gründer bereits vor Eintragung der AG berechtigt, mit Wirkung für die künftige AG und unter Verwendung der geleisteten Einlagen die Geschäfte der AG aufzunehmen. 3. Das Merkmal der „freien Verfügbarkeit“ nach §§ 36 II 1, 37 I, 188 II, 203 I AktG, §§ 8 II 1, 57 II 1 GmbHG verlangt die vorbehaltlose Leistung der Einlage an die Gesellschaft so, wie sie versprochen wurde (ohne Wenn und Aber), enthält aber keinerlei Beschränkungen der Geschäftsführer oder des Vorstands in der Verwendung der Mittel auch vor Eintragung der Gesellschaft bzw. der Kapitalerhöhung im Handelsregister. Mindestens in ihren Begründungen treffen daher die Entscheidungen des OLG Hamburg91, des OLG Köln92 und des BayObLG93 nicht zu. [2656] 4. Implizit sagt auch der BGH in seinem Urteil vom 24. 10. 198894 genau das gleiche; denn er betont die Lösung fehlenden Kapitals aus der Unterbilanzhaftung der Gesellschafter, sieht die Lösung also gerade nicht in einer Sanktion für die Verletzung eines angeblichen Thesaurierungsgebotes bzw. einer angeblich fehlenden freien Verfügbarkeit. 5. Gründer, Vorstand, Aufsichtsrat und Geschäftsführer müssen weder bei der Gründung noch bei der Kapitalerhöhung einer GmbH oder AG Erklärungen darüber abgeben oder Nachweise erbringen, daß die fraglichen EinlageBarbeträge noch vorhanden sind; sie sind jedoch bei der Gründung gehalten und verpflichtet, zu versichern, daß die Deckung des Kapitals der Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung durch Verluste nicht gemindert ist; als einfacher Nachweis dessen kann – nicht muß! – die Thesaurierung dieses Betrages auf dem GmbHRdsch 1982, 157. Betr 1988, 955; ZIP 1989, 238. 93 WM 1988, 622. 94 NJW 1989, 710 = WM 1989, 16. 91 92

NJW 1989, S. 2649-2656

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Konto der Gesellschaft und seine Verwendung allenfalls zur Zahlung von die Gesellschaft betreffenden Gebühren und Steuern von der Bank bestätigt werden. 6. Die Notare sind zur Belehrung der Gründer einer GmbH oder AG darüber verpflichtet, daß eine Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft vor Eintragung im Handelsregister zwar rechtlich möglich und üblich ist, aber ihre persönliche Haftung pro rata der übernommenen Kapitalanteile auf die bis zur Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister etwa entstehende Unterbilanz auslöst (Differenzhaftung), eine Verpflichtung, die erst 5 Jahre nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister verjährt95. 7. Die Ermächtigung des Vorstands einer Vor-AG oder des Geschäftsführers einer Vor-GmbH zur Geschäftsaufnahme vor Eintragung im Handelsregister setzt die Mitwirkung aller Gründer voraus96. Die Ermächtigung muß nicht Bestandteil der Satzung sein, sondern kann auch konkludent durch alle Gründer erklärt werden; das ist bei Einbringung eines Betriebes oder Unternehmens anzunehmen, doch kann diese Vermutung von den Gründern durch ausdrückliche Gegenweisung beseitigt werden.

95 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 9 a. E. sowie jüngst BGH, NJW 1989, 710 = WM 1989, 16 ff. 96 Fischer-Lutter-Hommelhoff (o. Fußn. 5), § 11 Rdnr. 5; Hachenburg-Ulmer (o. Fußn. 14), § 11 Rdnr. 53; Rowedder-Rittner (o. Fußn. 17), § 11 Rdnr. 85; Fleck, GmbHRdsch 1983, 9; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1345.

Die Verbrauchsstiftung – Stiftung auf Zeit IN: WALZ/KÖTZ/RAWERT/K. SCHMIDT, NON PROFIT LAW YEARBOOK

2004,

KÖLN 2005, S. 43-58 I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. III. 1. 2. IV. 1. 2. V. VI.

Das Problem der Kapitalisierung für die „Ewigkeit“ .................................. 43* Zulässigkeit der Gründung einer Verbrauchsstiftung ...................................45 Verbrauchsstiftung und Dauerhaftigkeit ..................................................45 Das Prinzip der Dauerhaftigkeit ................................................................45 Vermögenserhaltung nach den Landesstiftungsgesetzen .......................46 Sinn und Zweck von Dauerhaftigkeit und Vermögenserhaltung..........47 Umsetzung durch entsprechende Satzung in den Grenzen der Satzungsautonomie ......................................................................................48 Verwirklichung der Verbrauchsstiftung in der Satzung..........................50 Ergebnis ........................................................................................................51 Lösungsmöglichkeiten ohne Gestaltung in der Satzung ...............................51 Unmöglichkeit der Erreichung des Stiftungszwecks? .............................52 Zulässigkeit der Umstellung bestehender Stiftungen auf „Verbrauch“ ..........................................................................................................53 Satzungsänderungen ..........................................................................................55 Zur Auslegung des Stifterwillens ...............................................................55 Möglichkeiten der „technischen Umstellung“ .........................................57 Zusammenfassung .............................................................................................58 Summary..............................................................................................................58

Stiftung meint Ewigkeit – und voller Bewunderung stehen wir vor Stiftungen wie den Franckeschen Stiftungen zu Halle oder der Zeiss-Stiftung in Oberkochen. Und daher liegt auch dem Stiftungsrecht dieser Ewigkeitsgedanke nahe, wenn nicht gar zugrunde. Aber die Realität ist oft anders. Die Unglücke von Kriegen über Naturkatastrophen bis hin zu Börsenkrächen und schlechten Verwaltern haben das Stiftungsvermögen häufig so dezimiert, dass an eine Erfüllung des Stiftungszweckes und des historischen Stifterwillens nicht mehr zu denken ist. Aber nicht nur das. Auch der Stifterwille selbst kann vor der Ewigkeit kapitulieren: nur Yehudi Menuhin soll lebenslang unterstützt, nur Josef Beuys lebenslang * Anm. d. Hrsg.: Die Übersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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von den lästigen Pflichten der Verwaltung freigestellt sein. Aber beider Leben ist endlich, von Ewigkeit auf Erden kann nicht die Rede sein. Ist solche Stiftung möglich? Und was geschieht mit ihrem Vermögen nach dem Ende des Stiftungszwecks? Soll es dem Staat verfallen, obwohl doch die Endlichkeit vor Augen lag? Von den Fragen der Endlichkeit, nicht der Ewigkeit, soll daher hier gehandelt werden. I. Das Problem der Kapitalisierung für die „Ewigkeit“ Die selbständige Stiftung wird definiert als eine rechtsfähige Organisation, die bestimmte, durch ein Stiftungsgeschäft festgelegte Zwecke mit Hilfe eines Vermögens verfolgt, das diesem Zweck dauernd gewidmet ist1. Der Stifterwille, der sich im Stif- [44] tungsgeschäft bei der Festlegung des Stiftungszweckes manifestiert hat, kann dabei als oberstes Leitprinzip des Stiftungsrechts angesehen werden2. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts vom 15.07.20023, das am 01.09.2002 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber ein Tatbestandsmerkmal in den Wortlaut des § 80 Abs. 2 BGB aufgenommen, über dessen Erfordernis seit jeher4 Einigkeit bestand: Die Erfüllung des Stiftungszwecks muss dauerhaft gesichert erscheinen. Dieses Kriterium dient der Abgrenzung zur bloßen Spende, Schenkung oder dem Sammelvermögen5. Die Verleihung der Rechtsfähigkeit als selbständige Stiftung rechtfertigt sich erst bei einem organisierten Vermögen, das auch hinreichend Bestand haben soll. Die meisten Landesstiftungsgesetze sehen deshalb auch ausdrücklich vor, dass das eigentliche Stiftungsvermögen, häufig als Grundstockvermögen bezeichnet, erhalten werden muss, der Stiftungszweck also nur aus den Erträgen des Vermögens verwirklicht werden soll6.

1 BayObLG NJW 1973, 249; Staudinger/Rawert, 13. Aufl., 1995, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 4; MünchKomm/Reuter, 4. Aufl., 2001, Vor § 80 Rn. 14; Palandt/Heinrichs, 64. Aufl., 2005, Vorb. v. § 80 Rn. 5. 2 BVerfGE 45, 73, 85; Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 6; so ausdrücklich in Art. 2 Abs. 1 BayStiftG für die Handhabung des Gesetzes. 3 BGBl. I 2002, 2634. 4 Vgl. etwa MünchKomm/Reuter (Fn. 1), Vor § 80 Rn. 15; Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 8, jew. m.w.N. 5 Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 8. 6 Z.B.: § 7 Abs. 1 StiftG NW, § 6 Abs. 1 HessStiftG, § 7 Abs. 2 StiftG BW; anders etwa das StiftG Brandenburg; sämtliche Landesstiftungsgesetze sind im Internet abrufbar auf der Seite: http://www.stiftungen.org/stiftungswesen/index.html; eingehend: Carstensen, Die Erhaltung des Stiftungsvermögens, in: IDW (Hrsg.), Stiftungen, Rechnungslegung, Kapitalerhaltung, Prüfung und Besteuerung, 1997, S. 61 ff.

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Probleme ergeben sich in der Rechtswirklichkeit aber für solche Stiftungen, die nur (noch) über ein Grundstockvermögen verfügen, dessen Erträge gerade zur Deckung der Verwaltungskosten genügen, zur Verwirklichung des eigentlichen Stiftungszwecks und Stifterwillens aber nichts Nennenswertes (mehr) beisteuern können. Dieses Problem stellt sich insbesondere für manche betagte Stiftung, da neuen Stiftungen mit einer strukturellen Unterkapitalisierung von vornherein die Anerkennung versagt würde. Wirtschaftlich und ideell sinnvoll sind solche Stiftungen nicht mehr. Viel gravierender noch dürfte aber sein, dass ein solches totes Kapital den Stiftungszweck nicht mehr verwirklicht und damit dem Stifterwillen nicht mehr gerecht werden kann. Im folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, ob Stiftungen, die einen limitierten Zweck haben oder nur mit einem beschränkten Grundstockvermögen ausgestattet sind, von vornherein befristet errichtet werden können, wobei sie zur Erreichung ihres befristeten Zwecks neben den Erträgen auch das Grundstockvermögen aufbrauchen können. Noch weitergehend soll untersucht werden, ob nicht eine bestehende unterkapitalisierte Stiftung auf „Verbrauch“ ihres Grundstockvermögens umgestellt werden kann, um wenigstens für einen gewissen Zeitraum den eigentlichen Stiftungszweck noch erreichen zu können, und wie das ggf. zu geschehen hätte. [45] II. Zulässigkeit der Gründung einer Verbrauchsstiftung Zunächst stellt sich die Frage, ob überhaupt eine zeitlich befristete Stiftung gegründet werden kann, die dabei zur Erreichung ihres Zweckes auch das Grundstockvermögen der Stiftung mitverbraucht. 1. Verbrauchsstiftung und Dauerhaftigkeit Das Erfordernis der Dauerhaftigkeit des Stiftungszwecks wird übereinstimmend so verstanden, dass der Bestand der Stiftung nicht auf Ewigkeit garantiert sein muss7. Eine Stiftung mit einem a priori endlichen Zweck, etwa eine Stiftung zur Errichtung oder zum Wiederaufbau eines Kulturdenkmals, wäre, wollte man anders entscheiden, gar nicht anerkennungsfähig. Hier soll unter einer Verbrauchsstiftung daher eine Stiftung verstanden werden, die über einen begrenzten Zeitraum hin Leistungen erbringt, etwa Zahlungen zum Aufbau des Kulturdenkmals. 7 Burgard, Das neue Stiftungsprivatrecht, NZG 2002, 697, 699; Schwarz, Zur Neuregelung des Stiftungsprivatrechts (Teil I), DStR 2002, 1718, 1724; Soergel/Neuhoff, 13. Aufl., 2000, Vor § 80 Rn. 13; MünchKomm/Reuter (Fn. 1), Vor § 80 Rn. 16; Erman/Werner, 11. Aufl., 2004, Vor § 80 Rn. 23; Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 8.

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Um diese Leistungen aber möglichst groß und effektiv erbringen zu können, soll nach dem Stifterwillen neben den Kapitalerträgen auch der Kapitalstock bis zur Erreichung des Stiftungszwecks (das Denkmal steht) verbraucht werden. 2. Das Prinzip der Dauerhaftigkeit a) Wortlaut des § 80 Abs. 2 BGB Die Formulierung des § 80 Abs. 2 BGB, wonach die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheinen muss, gibt keine klare Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit einer Verbrauchsstiftung. Immerhin macht der Wortlaut einerseits deutlich, dass es sich bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit des Stiftungszwecks für die Anerkennungsbehörde nur um eine Prognoseentscheidung handeln kann. Zum anderen wird (nur) die dauernde Erreichung des Zweckes verlangt, nicht aber der dauernde Bestand der Stiftung. Ist der Stiftungszweck nur vorübergehender Natur, wie die Stiftung zur Errichtung eines Denkmals, kann der Stiftung nicht die Anerkennung allein wegen der Endlichkeit ihres Zweckes verwehrt werden. Eine solche Betrachtung wäre vom Wortlaut nicht getragen: Dauerhaftigkeit der Zweckerreichung bedeutet nicht zugleich eine Dauerhaftigkeit des Zweckes selbst. Eine zeitlich befristete Stiftung ist mithin möglich8. [46] b) Auswirkungen der Reform des Stiftungsrechts Gerade in Zeiten zunehmender Verarmung der Staatskassen und abnehmender staatlicher Gemeinwohlpflege blüht das Stiftungswesen mehr denn je und übernimmt zunehmend gesellschaftliche Verantwortung. Exemplarisch kann diese für das Stiftungswesen erfreuliche Entwicklung anhand der Zunahme so genannter Bürgerstiftungen genannt werden9. Unter solchen sind Stiftungen zu verstehen, die räumlich begrenzt verschiedenste Aufgaben für das Gemeinwohl übernehmen und dafür ständig Kapital ansammeln10. Der Reformgesetzgeber hat sich zwar nicht dazu durchgerungen, für diese Stiftungen eigenständige Regelungen zu schaffen, vielmehr hat er es Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen, diese Entwicklung der Rechtswirklichkeit mit dem Gesetzesrecht in Einklang zu

8

Rn. 8.

Erman/Werner (Fn. 7), Vor § 80 Rn. 23; Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff.

9 Hierzu und insb. zu den rechtl. Problemen: Rawert, Bürgerstiftungen – Ausgewählte Rechts- und Gestaltungsfragen, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Bürgerstiftungen, 2. Aufl., 2004, S. 151 ff. 10 Im Internet stehen auf der Seite http://www.buergerstiftungen.de vielfältige Informationen zur Verfügung.

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bringen. Doch hat er mit dem Gesetz vom 14. Juli 200011 Stiftungen als Instrument privater Gemeinwohlpflege ausdrücklich gefördert12, was die Attraktivität der Stiftung für privates Engagement noch einmal gesteigert hat. Der Gesetzgeber hat sich bei der Reform also trotz Kenntnis der Entwicklungen in der Rechtswirklichkeit mit deren Regulierung zurückgehalten. Allein aus der Tatsache, dass der Bundestag als Reformgesetzgeber nunmehr das Wort dauerhaft in den Tatbestand des § 80 Abs. 2 BGB aufgenommen hat, obwohl dieses Merkmal auch vorher schon für die Stiftung Voraussetzung war, kann kein Schluss auf die Unzulässigkeit von Verbrauchsstiftungen gezogen werden: „dauerhaft“ ist eben nicht „ewig“, „dauernde Erfüllung des Stiftungszweckes“ nicht „Ewigkeit des Stiftungszweckes“13. 3. Vermögenserhaltung nach den Landesstiftungsgesetzen Unabhängig von der Frage einer – wie festgestellt: zulässigen – zeitlichen Befristung des Stiftungszweckes ist aber weiter von Belang, ob dann auch der Verbrauch des Grundstockvermögens zulässig ist. Hierzu sehen die meisten Landesstiftungsgesetze in unterschiedlicher Formulierung, inhaltlich aber weitgehend übereinstimmend vor, dass das Kapital der Stiftung erhalten werden muss. Gleichzeitig lassen diese Regelungen aber auch Ausnahmen zu. Als insoweit typische Regelung sei hier § 7 Abs. 1 StiftG NW14 zitiert: [47] „Das Stiftungsvermögen ist, soweit die Satzung nichts Abweichendes bestimmt, ungeschmälert zu erhalten. Hiervon kann abgesehen werden, wenn anders der Stifterwille nicht zu verwirklichen ist und die Lebensfähigkeit der Stiftung dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt wird; die Zustimmung der Stiftungsaufsichtsbehörde ist erforderlich.“

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass viele Stiftungsgesetze der Länder (noch) nicht an die Neufassungen der Stiftungsrechtsreform angepasst sind15. In der Literatur gibt es unterschiedliche Ansichten über die Ausgestaltung der neu zu fassenden Landesstiftungsgesetze. Hüttemann/Rawert16 BGBl. I, 1034 ff. Rawert (Fn. 9), S. 153. 13 Das Merkmal „dauerhaft“ wurde auf Betreiben des Bundesrats in den Wortlaut aufgenommen – Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 14/8765, S. 13; Gegenäußerung der BReg. BT-Drucks. 14/8765, S. 15; ausdrücklich soll eine Baudenkmal-Errichtungs-Stiftung als Verbrauchsstiftung in Ausnahmefällen als rechtsfähig anerkannt werden – Gegenäußerung der BReg. BT-Drucks. 14/8765, S. 15; Rechtsausschuss BT-Drucks. 14/8765, S. 10; Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht vom 19.10.2001, S. 40 f. 14 Stiftungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21.06.1977. 15 Angepasst sind die StiftG derzeit nur in Brandenburg, Hessen, Berlin, BadenWürttemberg, dem Saarland und Schleswig Holstein. 16 Hüttemann/Rawert, Der Modellentwurf eines Landesstiftungsgesetzes, ZIP 2002, 2019 ff., 2022. 11 12

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wollen zur Maximierung der Stifterautonomie in ihrem Musterentwurf auf die Normierung der Vermögenserhaltung verzichten. Andere17 halten die Autonomie der Stiftungen für wichtiger als die des Stifters und seinen Willen und fordern deshalb, am Vermögenserhaltungsgebot auch in den Neufassungen der Landesstiftungsgesetze festzuhalten. Die bisherige Länderpraxis ist überwiegend der letzteren Ansicht gefolgt18. 4. Sinn und Zweck von Dauerhaftigkeit und Vermögenserhaltung Sinn des Merkmals der Dauerhaftigkeit ist neben der oben bereits genannten Abgrenzung zu Sammelvermögen, Spende und Schenkung auch noch ein Schutzgesichtspunkt. Der Rechtsverkehr soll sich erst dann einer von ihrem Initiator unabhängigen eigenständigen Rechtspersönlichkeit gegenüber sehen, wenn wenigstens ein hinreichender Bestand der Stiftung dies rechtfertigt. Hinreichender Bestand aber ist nicht unbegrenzt. Auch ein zeitlich begrenzter Zweck kann daher für die Errichtung einer Stiftung ausreichen. Entscheidend ist, dass der Stiftungszweck so angelegt ist, dass er nicht durch die einmalige Hingabe oder den bloßen Verbrauch des Stiftungsvermögens erfüllt werden kann. Der Stiftungszweck muss es erfordern, dass der Stiftung das in ihr gebundene Vermögen über einen gewissen Zeitraum erhalten bleibt19. Schwierig aber bleibt dabei eine konkrete Grenze für diesen Zeitraum zu ziehen. Letztlich muss im Einzelfall die Frage beantwortet werden, ob die Inanspruchnahme der Rechtsfigur der Stiftung und die Erlangung der Rechtsfähigkeit im Hinblick auf die Dauer als funktionswidrig erscheint oder nicht. Als Beispiele, bei denen sicher keine Funktionswidrigkeit vorläge, kann man etwa eine Stiftung für die Verwundeten eines be- [48] stimmten Krieges nennen20, aber eben auch den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden oder die Unterstützung der Dichterin Hilde Domin; alles das sind längerdauernde, aber a priori endliche Zwecke.

17 Backert, Nochmals: Der Modellentwurf eines Landesstiftungsgesetzes, ZIP 2003, 284 ff. und Carstensen, Nochmals: Der Modellentwurf eines Landesstiftungsgesetzes, ZIP 2003, 286 ff. 18 Lediglich Brandenburg hat auf die Normierung verzichtet, während BadenWürttemberg, Berlin, Hessen, das Saarland und Schleswig Holstein am Vermögenserhaltungsgebot festgehalten haben. 19 Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 8. 20 MünchKomm/Reuter (Fn. 1), Vor § 80 Rn. 16 in Anlehnung an Staudinger/Coing, 12. Bearbeitung, 1980, § 80 Rn. 2.

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5. Umsetzung durch entsprechende Satzung in den Grenzen der Satzungsautonomie a) Keine Satzungssperre Die Satzung ist das Kernstück der Verfassung der Stiftung21. Bei der Gestaltung einer Stiftungssatzung ist zwischen dem notwendigen und dem zusätzlichen Inhalt zu unterscheiden. Der Mindestinhalt wird in § 81 Abs. 1 Satz 3 BGB geregelt. Eine Regelung über die Zulässigkeit des Verbrauchs des Grundstockvermögens einer Stiftung gehört nicht zum Mindestinhalt der Stiftungssatzung. Fraglich ist mithin, ob sie als sonstiger Inhalt der Satzung getroffen werden kann. Das Gesetz mit seinen Vorschriften im BGB behandelt die Frage nicht und die Landesstiftungsgesetze sehen nur teilweise die Möglichkeit ergänzender Satzungsregelungen ausdrücklich vor22. Die Gesetze kennen allerdings keine § 23 Abs. 5 AktG entsprechende Schranke für zusätzliche Regelungen. Die generelle Frage der Zulässigkeit bestimmter zusätzlicher Regelungen muss daher aus dem Rechtscharakter der Stiftung und den zwingenden Normen des Stiftungsrechts beantwortet werden. Charakteristisch für die Stiftung ist, dass sie im Vergleich zu den Rechtsformen des Gesellschaftsrechts eine Vielfalt von möglichen Zwecken aufweist. Hierin ist ein Grund zu sehen weshalb lediglich eine geringe Standardisierung ihrer Organisation besteht. Die Möglichkeit weiterer Regelungen, welche durch den Stifter in die Stiftungssatzung eingefügt werden, ist dem Gedanken der Privatautonomie im Stiftungsrecht mithin immanent. Soll der Verbrauch des Grundstockvermögens möglich sein, liegt eine entsprechende Regelung in der Satzung nahe. b) Möglicher Satzungsinhalt Sind weitere Regeln der Satzung über ihren Mindestinhalt hinaus mithin möglich, so bleibt zu klären, ob und inwieweit auch eine Regelung der Satzung über den Verbrauch des Stiftungsvermögens möglich ist. Das bestimmt sich zunächst nach den vorrangigen Vorschriften des Bundesrechts, sodann nach dem Stiftungsrecht der Länder. aa) Die Vorschrift des § 81 Abs. 1 S. 3 BGB enthält nur Mindestregeln zum Satzungsinhalt, sagt aber nichts über ergänzende Regelungen, verbietet diese aber ganz offenbar auch nicht. Ihre Grenze findet die somit gegebene Gestaltungshoheit nur bei einer Verletzung der Stiftungsidee und bei ihrem Missbrauch. Beides ist hier, bei Endlichkeit des Stiftungszweckes und entsprechendem Vermögensverbrauch nicht gege- [49] ben. Im Gegenteil: der erlaubten Endlichkeit entspricht die parallele Behandlung des Vermögensstockes, der beim nahenden Ende zum Verbrauch freigegeben wird. 21 22

Palandt/Heinrichs (Fn. 1), § 81 Rn. 5. Vgl. § 5 Abs. 3 StiftG NW; § 7 HmbAGBGB.

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Die Verbrauchsstiftung – Stiftung auf Zeit

bb) Damit ist nun zu fragen, ob die Landesstiftungsgesetze diese Satzungshoheit im Kontext von Endlichkeit und Vermögensverbrauch enger sehen und, wenn ja, ob sie das unter den Vorgaben des Bundesrechts überhaupt können. Nach dem, was oben schon angesprochen wurde, muss man insoweit drei landesgesetzliche Gestaltungen unterscheiden: (1) In der ersten Variante enthält das entsprechende Landesstiftungsgesetz – entsprechend den Vorschlägen von Hüttemann und Rawert23 – keine Aussage zur Vermögenserhaltung. In diesem Falle wird auf diese Weise dem Stifterwillen (Stifterautonomie) bewusst Spielraum auch in Richtung auf die Vermögenserhaltung oder den Verbrauch des Vermögens gegeben. Bei dieser Gestaltung der Landesgesetze kann eine vom Stifter gewollte Endlichkeit des Stiftungszweckes mit dem Verbrauch auch des Stiftungsvermögens in Einklang gebracht werden etwa in der Weise, dass in der betreffenden Stiftungssatzung die Vermögenserhaltung nur bis zum absehbaren Ende des Zweckes angeordnet, sodann aber der Verbrauch zur endgültigen Verwirklichung des Zweckes angeordnet wird. Das entspricht dann ganz und gar dem Stiftungszweck und Stifterwillen. (2) In der zweiten Variante formuliert das Landesstiftungsgesetz eine Vermögenserhaltungspflicht nach Art des oben zitierten § 7 StiftG NW. Dagegen ist auch unter der Gestaltungsfreiheit des Bundesrechts nichts zu sagen; denn der Satz lautet insgesamt: „Das Stiftungsvermögen ist, soweit die Satzung nichts Abweichendes bestimmt, ungeschmälert zu erhalten.“24

und gibt mithin ebenfalls der Satzungsautonomie ausdrücklich Vorrang. Auch in dieser Variante wäre also die gleiche Gestaltungshoheit gegeben wie unter der Variante (1), dem Verzicht auf jedes Gebot der Vermögenserhaltung im Gesetz. Der Wortlaut des Gesetzes ist auch deutlich. Satz 1 legt die Pflicht zur Vermögenserhaltung fest, stellt sie zugleich aber unter den Vorbehalt der Satzung. Selbstverständlich darf die Satzung dabei nicht dem Gebot der Dauerhaftigkeit widersprechen; Zweck, Dauerhaftigkeit in Bezug auf den Zweck und seine Verfolgung sowie der Erhalt des dafür erforderlichen Vermögensstockes müssen in Einklang miteinander stehen. (3) Die landesgesetzliche Vorschrift enthält aber noch einen weiteren Satz, der lautet: „Hiervon kann abgesehen werden, wenn anders der Stifterwille nicht zu verwirklichen ist und die Lebensfähigkeit der Stiftung dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt wird; die Zustimmung der Stiftungsaufsichtsbehörde ist erforderlich.“ [50]

Hüttemann/Rawert, ZIP 2002, 2019 ff. Im Wortlaut ähnlich, in der Sache aber gleich § 7 Abs. 2 StiftG BW, § 3 StiftG Berlin, § 4 Abs. 2 StiftG SchlH, § 7 Abs. 2 StiftG RhlPf. 23 24

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Dieser Satz 2 ist, wie die sprachliche Trennung von Satz 1 deutlich macht, ganz unabhängig zu sehen. Er behandelt den Fall, dass die Satzung keine Regelung enthält. Auch dann soll es aber möglich sein, das grundsätzlich statuierte Gebot der Vermögenserhaltung zu überwinden. Darauf ist in anderem Zusammenhang zurückzukommen. 6. Verwirklichung der Verbrauchsstiftung in der Satzung Nachdem geklärt werden konnte, dass sowohl nach Bundes- wie nach vielen Landesstiftungsrechten die Endlichkeit eines Stiftungszweckes und der darauf bezogene Verbrauch des Stiftungsstockvermögens beim Auslauf des Stiftungszweckes durch entsprechende Regelung in der Satzung möglich sind, soll nunmehr nach zweckmäßigen Gestaltungen der Satzung gesucht werden. Hier müssen wir wiederum zwei unterschiedliche Situationen unterscheiden: a) Endlicher Zweck Im ersten Fall ist der Stiftungszweck per se endlich. Hier geht es also um die oben bereits genannten Beispiele des zu fördernden Menschen und seines Todes oder des Bauwerks, das vollendet ist. Hier könnte eine Formulierung lauten: „Hat sich der Stiftungszweck erledigt, so ist das restliche Vermögen für einen verwandten Zweck (Beispiel: Gesamtausgabe für Dichter, Grabdenkmal für Musiker; Museums-Saal für Maler; Vortrags- oder Bibliothekssaal für Wissenschaftler) zu verbrauchen und die Stiftung sodann aufzuheben.“

Geht es hingegen um die bevorstehende Erledigung des Zweckes, so könnte man formulieren: „Nähert sich der Stiftungszweck seiner Erledigung, so ist das Stiftungsvermögen insgesamt zur restlichen Zweckerfüllung einzusetzen. Nach seinem vollständigen Verbrauch ist die Stiftung aufzuheben.“

b) Potentiell unendlicher Zweck In der zweiten Situation ist der Stiftungszweck im Prinzip nicht endlich und könnte bis ans Ende aller Tage verfolgt werden25. Will der Stifter hier Vorsorge treffen für den Fall, dass es zur Verfolgung des Stiftungszweckes notwendig oder zweckmäßig ist, auch das Grundstockvermögen zu verbrauchen, so ist jedenfalls die Festlegung eines festen Termins dafür gewiss ungeeignet. Denn man könnte auf diese Weise den sachlich genau falschen Zeitpunkt festlegen und die durchaus weiterhin zweckvolle Tätigkeit der Stiftung ungewollt erwürgen. 25

Rn. 10.

Vgl. Seifart/v. Campenhausen/Hof, Handbuch des Stiftungsrechts, 2. Aufl., 1999, § 8

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Die Verbrauchsstiftung – Stiftung auf Zeit

Hier wird es sich empfehlen, die Stiftungsorgane zu ermächtigen, durch übereinstimmenden Beschluss festzustellen, dass der Stiftungszweck nur noch durch den Verbrauch des verbliebenen Vermögens zu verwirklichen ist. Geschieht das in dieser [51] Weise, so ist der Satzungsvorbehalt des § 7 StiftG NW und vergleichbarer anderer Stiftungsgesetze26 ausgefüllt. Eine entsprechende Regelung in der Satzung könnte also zunächst lauten: „Das Stiftungsvermögen ist zu erhalten, der Stiftungszweck aus den Erträgen des Vermögens zu verwirklichen.“

Tritt nun eine Entwicklung ein, die das Stiftungsvermögen stark beeinträchtigt, so dass der Stiftungszweck aus diesem Vermögen nicht mehr dauerhaft und nachhaltig erfüllt werden kann, so benötigen die Stiftungsorgane für den Zugriff auf das Grundstockvermögen einer entsprechenden Ermächtigung in der Satzung. Diese könnte lauten: „Erlauben die Erträge des Stiftungsvermögens erkennbar keine dauernde und nachhaltige Verwirklichung des Stiftungszweckes mehr, so stellen die Stiftungsorgane (oder: Vorstand und Kuratorium) das durch einen entsprechenden Beschluss fest, den sie der Stiftungsaufsicht mitteilen. Sie sind dann berechtigt, das Stiftungsvermögen dem Stiftungszweck entsprechend zu verbrauchen.“

7. Ergebnis Eine Stiftung kann mit einem endlichen Zweck geschaffen werden. In diesem Zusammenhang kann dann der Stifter in der Satzung festlegen, dass mit dem Ende oder absehbaren Ende dieses Zweckes das Grundstockvermögen zweckentsprechend ausgegeben wird. So sind Verwundete des 1. Weltkriegs knapp 100 Jahre nach seinem Ende nicht mehr zu betreuen; doch hätte bestimmt werden können, dass das restliche Vermögen für eine Stätte zur Erinnerung an ihre Leiden verwandt wird. Nach dem Tode von Hilde Domin wäre der Stiftungszweck erloschen. Doch könnte der Stifter festlegen, dass das restliche Stiftungsvermögen für eine Gesamtausgabe ihrer Werke verwandt wird. Kurz: Dauerhaftigkeit ist nicht Ewigkeit; und das Ende des endlich formulierten Stiftungszwecks führt nicht notwendig zum anderweitigen Anfall des Stiftungsvermögens, sondern kann durch entsprechende Regelung in der Satzung zur „Abrundung“ des Zweckes verbraucht werden. Aber auch für die eingangs erwähnten Unglücke mit ihren Folgen für das Stiftungsvermögen, dessen Erträge keine angemessene Zweckverfolgung mehr erlauben, kann der Stifter in der Satzung Vorsorge treffen und die Umstellung auf den Verbrauch des Restvermögens ermöglichen.

26

Vgl. oben Fn. 24.

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III. Lösungsmöglichkeiten ohne Gestaltung in der Satzung Bislang haben wir uns mit Fragen der Gestaltbarkeit und der konkreten Gestaltung von Endlichkeit und Verbrauch des Grundstockvermögens in der Satzung einer Stif- [52] tung beschäftigt. Nunmehr ist zu erörtern, wie man zu verfahren hat, wenn sich solche Fragen in der Wirklichkeit des (Stiftungs-)Lebens stellen, in der Satzung aber keine allgemeine oder spezielle Lösung dazu getroffen wurde. 1. Unmöglichkeit der Erreichung des Stiftungszwecks? a) Überblick § 87 Abs. 1 BGB regelt Fälle, in denen die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde dann der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie aufheben. Eine solche Unmöglichkeit ist tatsächlich der Fall in den oben erörterten Beispielen, dass der zu fördernde Künstler verstorben, das Bauwerk vollendet ist oder es keine Verletzten des Krieges mehr gibt. Schweigt hier die Satzung und kann aus dieser auch durch Auslegung keine (andere) Lösung gefunden werden (dazu unten 2), so ist § 87 Abs. 1 BGB auf diese Fälle anzuwenden. b) Anwendbarkeit auf Fälle der Ertragsschwäche? Darüber hinaus liegt der Gedanke nahe, diese Norm auch auf Fälle anzuwenden, in denen die Erträge des Grundstockvermögens im Wesentlichen nur noch zur Deckung der Verwaltungskosten ausreichen, eine ernsthafte Förderung des Stiftungszwecks durch Verwendung nur der Erträge des Stiftungsvermögens mithin unmöglich geworden ist. Ein solches Verständnis der Norm wäre allerdings problematisch. Denn unmöglich ist die Erreichung des Stiftungszweckes nur aus den Erträgen, nicht aber – jedenfalls vorerst aus dem Stiftungskapital. Eine Anwendung von § 87 Abs. 1 BGB auf diese Situation würde bedeuten, dass der Stifterwille, obwohl er wenigstens noch mit dem Grundstockvermögen eine Zeit lang verwirklicht werden könnte, nun gar nicht mehr verwirklicht werden kann. Das restliche Vermögen würde vielmehr an den Fiskus fließen und dieser hätte das Vermögen lediglich zweckentsprechend zu verwenden, §§ 88 S. 3, 46 S. 2 BGB. Ein derartiger Weg, bei dem der Wille des Stifters in den Hintergrund gedrängt würde, steht dem Grundgedanken, dass dieser Wille des Stifters oberste Richtschnur für die

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Verwendung der Stiftungsmittel ist27, klar entgegen und kann daher nicht als das vom Gesetz gewollte Ergebnis angenommen werden. Der in § 87 BGB geregelte Fall ist ein anderer. In der hier angesprochenen Situation – Ertragsschwäche – befindet sich die Stiftung nicht schon in der Phase der endgültigen Unmöglichkeit der Zweckerfüllung, sondern lediglich in einer Phase der prospektiven Unmöglichkeit, der Vor-Unmöglichkeit. Die gesetzliche Regelung betrifft hingegen Fälle, in denen die Erfüllung des Zweckes endgültig unmöglich geworden ist, der Wille des Stifters unter keinen Umständen mehr verfolgt werden kann – sei es, [53] weil der Zweck selbst unmöglich geworden ist, sei es, weil das Stiftungsvermögen durch Insolvenz insgesamt verloren gegangen ist28. c) Ergebnis Halten wir fest: § 87 Abs. 1 BGB ist dann, wenn die Satzung schweigt, auf einen Teil der hier erörterten Fälle anzuwenden, nicht jedoch auf die Fälle der dauernden Ertragsschwäche. 2. Zulässigkeit der Umstellung bestehender Stiftungen auf „Verbrauch“ a) Überblick Fraglich bleibt mithin, wie verfahren werden kann, wenn zwar ein Grundstockvermögen noch vorhanden ist, dieses aber keine Erträge in einer für die Zweckverfolgung ausreichender Höhe mehr erbringt29. Eine solche Entwicklung muss keineswegs nur betagte Stiftungen treffen, deren Grundstockvermögen

BVerwG DVBl. 1973, 795; Seifart/v. Campenhausen/Hof (Fn. 25), § 4 Rn. 17. Das ist vor allem bei einer so genannten Unternehmens-Stiftung möglich, deren Vermögen in der unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einem Unternehmen besteht. Vgl. dazu Götz, Die unternehmensverbundene Stiftung im Zivil- und Steuerrecht, StW 2004, 628 ff.; MünchKomm/Reuter (Fn. 1), Vor § 80 Rn. 43 ff.; Staudinger/Rawert (Fn. 1), Vorbem. zu §§ 80 ff Rn. 83 ff. 29 Nimmt man einmal an, das ursprüngliche Vermögen von 300.000 Euro mit dem Zweck der Ausgabe von Stipendien an russische Studierende in Deutschland habe jährliche Erträge in Höhe von 8% = 24.000 Euro erbracht. Dafür konnten zwei Jahres-Stipendien vergeben und die Verwaltungskosten gedeckt werden. Heute ist das Kapital durch eine unglückliche Anlage des Vermögens auf 60.000 Euro geschrumpft. Das erbringt heute bei allenfalls 3,5% Zins gerade einmal Erträge von Euro 2.000. Diese decken gerade die Verwaltungskosten der Geschäftsführung (Rechtsanwalt), Rechnungslegung (Steuerberater) und den Bericht an die Aufsichtsbehörde. Der eigentliche Stiftungszweck kann nicht mehr verfolgt werden. Bei Verbrauch des Stiftungskapitals aber könnten noch einmal 6 Stipendien vergeben werden. 27 28

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dramatisch an Wert verloren hat30, sondern kann durchaus auch neuere Stiftungen treffen, selbst wenn sie, absolut betrachtet, noch ein größeres Vermögen aufweisen. Man denke etwa an den Fall, dass eine Stiftung mit einem solchen Vermögen zwar ständig ihrer Vermögenserhaltungspflicht nachkommt, hierbei sogar nach der streng verstandenen Vermögenserhaltungspflicht auf Einflüsse der Inflation eingeht31 und mithin auch den Substanzwert ihres Vermögens erhält. Selbst eine solche Stiftung kann in die Situation geraten, nicht mehr ihren Zweck erfüllen zu können, etwa dann, wenn dieser sehr eng [54] bestimmt wurde und die Ausgaben für die Erfüllung dieses Zwecks unverhältnismäßig angestiegen sind. b) Auslegung der Satzung Wie bereits oben dargelegt wurde, sind nach den Landesstiftungsgesetzen Ausnahmen von der Vermögenserhaltungspflicht vorgesehen. Das setzt eine Regelung in der Satzung voraus. Ist das nicht ausdrücklich geschehen, so geht es zunächst einmal um die Auslegung der Satzung; denn auch wenn der Verbrauch nicht besonders geregelt ist, könnte sich die Erlaubnis dazu doch durch Auslegung als Inhalt der Satzung ergeben. Fraglich ist mithin, wie die Auslegung einer Stiftungssatzung vorgenommen werden muss. Dazu liegt es nahe, zunächst einen Blick auf die Grundsätze der Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen im Gesellschaftsrecht zu werfen. Dabei stellt man fest, dass dort durchaus uneinheitliche Auslegungsmaßstäbe gelten. Die unterschiedlichen Gesellschaftsformen erfordern auch unterschiedliche Regeln für die Auslegung ihrer jeweiligen Grundordnung. Teilweise wird daher danach differenziert, ob es sich um die Satzung einer Körperschaft oder den Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft handelt. Geht es um die Auslegung der Satzung einer Körperschaft, so soll objektiv ausgelegt werden32. Bei der Auslegung von Gesellschaftsverträgen hingegen soll der Maßstab der §§ 133, 157 BGB angewandt und mithin auf den wirklichen Willen des oder der Erklärenden unter Beachtung des Empfängerhorizonts abgestellt werden33. Nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung34 soll bei den Körperschaften hin30 Stiftungen aus der Zeit vor 1914 sind mit ihrem Vermögen durch zwei Inflationen gegangen! 31 Vgl. hierzu Carstensen, Die ungeschmälerte Erhaltung des Stiftungsvermögens, Die Wirtschaftsprüfung 1996, 781 ff.; ausführlich zum Begriff der Vermögenserhaltung Hüttemann, Der Grundsatz der Vermögenserhaltung im Stiftungsrecht, in: Festschrift für Werner Flume zum 90. Geburtstag, 1998, S. 59 ff. 32 RGZ 106, 120, 123; BGH NJW 1971, 879, 880; Flume, Juristische Person, 1983, S. 315 ff.; Hüffer, AktG, 6. Aufl., 2004, § 23 Rn. 39. 33 RGZ 156, 129, 133; BGHZ 14, 25, 36 f.; 123, 347, 350; Erman/Westermann, § 705 Rn. 34; Flume, Die Personengesellschaft, 1977, S. 32 ff. 34 So zuerst Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1. Aufl., 1986, S. 68.

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gegen nicht allgemein objektiv ausgelegt, sondern danach abgegrenzt werden, ob die fragliche Klausel „überindividuellen verbandsrechtlichen Charakter“ hat oder eher individueller Natur ist35; ist ersteres der Fall, so soll es bei der objektiven Auslegung bleiben, anderenfalls soll ebenfalls der wirkliche Wille gemäß §§ 133, 157 BGB entscheidend sein. Betrachtet man unter diesen Aspekten die Stiftungssatzung und die Rechtsform der Stiftung, so wäre bei Übernahme der gesellschaftsrechtlichen Überlegungen eine objektive Auslegung der Stiftungssatzung vorzunehmen. Denn die Stiftung hat eine körperschaftliche Struktur, ja man könnte sie, die keine Mitglieder hat, als stärkste Ausprägung der privaten Körperschaft überhaupt bezeichnen; und ihre Satzung hat „überindividuellen verbandsrechtlichen Charakter“. Stellungnahmen in der Literatur zum Stiftungsrecht kommen zu demselben Ergebnis. Die durch die Erklärung des Stifters in Verbindung mit dem Stiftungsgeschäft durch eine Willenserklärung erstellte Stiftungssatzung richtet sich entsprechend der gesetzlichen Regelungen an alle, die mit der Stiftung in Kontakt treten. Die Stiftungs- [55] satzung hat daher Normcharakter36 und ist wie ein Gesetz auszulegen. Maßstab für die Auslegung der Satzung ist mithin der objektivierte Stifterwille37. Die Satzung ist also nach ihrem Wortlaut, ihrem objektivierten Inhalt und ihrem typischen Sinn auszulegen38. Fehlt eine ausdrückliche Regelung in der Satzung, die besagt, dass eine Stiftung auch ihr Grundstockvermögen zur Verfolgung des Stiftungszweckes aufbrauchen kann, und fehlt auch jeder andere Hinweis in diese Richtung, so wird ein objektiver Dritter die Satzung kaum dahingehend verstehen können, dass ein Verbrauch des Grundstockvermögens zur Zweckerreichung vom Stifter gewollt war. Ohne eine entsprechende Satzungsregelung und ohne jeden Hinweis ähnlicher Art in der Satzung scheint der Verbrauch des Grundstockvermögens nicht erlaubt zu sein. IV. Satzungsänderungen Ist der Verbrauch des Stiftungsvermögens in der Satzung nicht ausdrücklich geregelt und auch nicht durch Auslegung der Satzung zu gewinnen, so bleibt immer noch die Möglichkeit, eine Satzungsänderung etwa nach § 12 Abs. 1

35 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, S. 90; Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 89; Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, 11. Aufl., 2000, S. 38. 36 Staudinger/Rawert (Fn. 1), § 85 Rn. 5. 37 BGHZ 99, 344; Staudinger/Rawert (Fn. 1), § 80 Rn. 7. 38 Vgl. BVerfGE 1, 299, 312; Palandt/Heinrichs (Fn. 1), Einleitung Rn. 50.

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Nr. 1 StiftG NW39 vorzunehmen. Voraussetzung einer solchen Änderung ist zunächst einmal ein Beschluss des zuständigen Stiftungsorgans. Dieser Beschluss bedarf der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde. Diese ihrerseits darf nur verweigert werden, wenn der Beschluss dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Stifters widerspricht. Das maßgebliche Kriterium ist mithin auch hier der Stifterwille. 1. Zur Auslegung des Stifterwillens a) Realer und mutmaßlicher Wille In den beiden hier vorgestellten Ansätzen fehlt eine entsprechende Regelung dieses Aspekts in der Satzung der Stiftung. Das ist – jedenfalls bis heute – der Normalfall. Aber auch eine anderweitige Erklärung des Stifters in diese Richtung wird in solchen Fällen nur selten festzustellen sein. Das aber bedeutet nicht notwendig, dass der Verbrauch des Grundstockvermögens zur Verfolgung des Stiftungszwecks nicht vom Stifter gewollt war. Stifter können bei der Errichtung ihrer Stiftung deren Entwicklungen nicht absehen und bedenken daher derartige Aspekte nur selten im Zeitpunkt der Stiftungserrichtung. Sie befinden sich somit in einer ähnlichen Situation wie ein Erblasser. Anders als bei diesen kann man den Stifter aber zu seinen Lebzeiten befragen. Wird also einer hier erörterten Satzungsänderung eine Erklärung des Stifters bei- [56] gefügt, dass diese seinem Willen entspreche und so stets entsprochen habe, so muss die Aufsichtsbehörde genehmigen. Ist der Stifter verstorben, so hat man eine ähnliche Situation wie beim Erblasser; ihr Wille ist für die Entwicklung und Gestaltung von Rechtsverhältnissen maßgebend. Aber diesen Willen können wir nicht mehr erfragen und er wird mit dem Ablauf der Zeit immer diffuser und nebulöser. Daher ist hier wie dort40 nicht nur der reale, sondern auch der mutmaßliche Wille maßgebend41. Es stellt sich also nicht nur die Frage, was der Stifter wirklich gewollt und tatsächlich geäußert hat – das hat in jedem Falle Vorrang – sondern darüber hinaus auch, was der Stifter in der besonderen Situation gewollt hätte42.

39 Die Stiftungsgesetze der anderen Bundesländer enthalten häufig entsprechende Regelungen. Vgl. z.B. § 9 Abs. 1 HessStiftG; § 21 StiftG Thüringen; § 7 Saarländisches StiftG. 40 BGHZ 22, 360; BGH FamRZ 62, 257; MünchKomm/Leipold, 4. Aufl., 2004, § 2084 Rn. 77 ff.; Palandt/Edenhofer (Fn. 1), § 2084 Rn. 8 ff.; Staudinger/Otte, Neubearbeitung 2003, § 2084 Rn. 1. 41 Vgl. Werner, Stiftung und Stifterwille, in: Stiftungen in Deutschland und Europa, Düsseldorf, 1998, S. 243 ff. 42 Werner, Stiftung und Stifterwille (Fn. 41).

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Um diesen Willen feststellen zu können, ist das gesamte Stiftungsgeschäft zu betrachten. Dieses stellt eine nichtempfangsbedürftige Willenserklärung dar43. Es ist daher nicht auf einen Empfängerhorizont abzustellen, sondern ausschließlich das zu berücksichtigen, was der Stifter gewollt hat44. Handelt es sich um eine Stiftung von Todes wegen, so gelten die Auslegungsregeln für die Auslegung einseitiger letztwilliger Verfügungen45. Maßgebend ist, was der Erblasser erklären und welchen Erfolg er herbeiführen wollte46. Gleiches gilt für die Auslegung von Erklärungen des Stifters im Rahmen des Stiftungsgeschäfts. Es gilt § 133 BGB47. Daher ist weniger auf buchstäblichen Wortlaut der Erklärung, als auf den wirklichen Willen des Stifters zustellen. Führt das zu keinem Ergebnis, so ist es erforderlich, auf die so genannte ergänzende oder hypothetische Auslegung zurückzugreifen48. Zu fragen ist, was der Stifter gewollt hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass der tatsächlich geäußerte Wille wegen geänderter Umstände bzw. wegen damals nicht absehbarer Verläufe nicht zur Erreichung des erstrebten Ziels führen kann, sondern hierzu eine andere Willenserklärung erforderlich gewesen wäre49. Die Antwort auf diese Frage orientiert sich an dem anerkannten Erfahrungssatz, dass der Erklärende etwas Vernünftiges gewollt hätte50. Auszugehen ist also von einem vernünftigen Stifter, der jeden möglichen Weg wählt, um den erstrebten Stiftungszweck verfolgen und erreichen zu können. Es ist demnach die Auslegung vorzunehmen, bei der der Stifterwille seine optimale Geltung erlangt51. Zu berücksichtigen ist, dass die Willensverwirklichung eine der wesentlichen Voraussetzungen und Gründe dafür ist, dass Stifter bereit sind, [57] ihr Vermögen nicht für eigennützige Zwecke auszugeben bzw. an nahe Verwandte oder Freunde weiterzugeben, sondern in der Stiftungserrichtung eine Möglichkeit sehen, die von ihnen gewollten und meist gemeinnützigen Zwecke zu verwirklichen52. Der Stifter muss also darauf vertrauen können, dass seine Vorstellungen und Ziele fortgedacht und auch bei einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse zum Erfolg geführt werden. In der Regel ist daher anzunehmen, dass als vom Stifter gewünschter Erfolg die möglichst effektive Verfolgung des Stiftungszwecks gewollt ist. Und dazu gehört eben auch, das unzureichend gewordene 43 Erman/Werner (Fn. 7), § 80 Rn. 3; Hübner, BGB AT, 2. Aufl., 1996, Rn. 279; Palandt/Heinrichs (Fn. 1), § 80 Rn. 1; Seifart/v. Campenhausen/Hof (Fn. 25), § 7 Rn. 10. 44 Vgl. Erman/Palm (Fn. 7), § 133 Rn. 26; Hübner (Fn. 43), Rn. 754. 45 Werner (Fn. 41), S. 248. 46 Werner, FS Lübtow, 1991, S. 270, 272; Palandt/Edenhofer (Fn. 1), § 2084 Rn. 1. 47 Staudinger/Rawert (Fn. 1), § 80 Rn. 7. 48 Staudinger/Dilcher, 12. Auflage, 1980, § 133 Rn. 39 ff.; Erman/Palm (Fn. 7), § 133 Rn. 20-30. 49 Staudinger/Dilcher (Fn. 48), § 133 Rn. 43; Erman/Palm (Fn. 7), § 133 Rn. 20-22. 50 BGHZ 86, 41 zur Auslegung eines Testaments. 51 Seifart/v Campenhausen/Hof (Fn. 25), § 8 Rn. 16. 52 Vgl. Werner (Fn. 41), S. 257.

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Grundstockvermögen für den Stiftungszweck auszugeben. Somit umfasst der hypothetische Wille des Stifters auch, dass die Satzung geändert und das Grundstockvermögen verbraucht werden darf, wenn erst hierdurch eine effektive (letzte) Zweckverfolgung möglich wird.53 Eine entsprechende Satzungsänderung mit dem Ziel, die chronisch ertragsschwache Stiftung in eine Verbrauchsstiftung zu verwandeln, ist also in der Regel auch durch Auslegung aus dem hypothetischen Willen des Stifters möglich, selbst wenn der Text der Satzung schweigt. b) Wortlaut der Landesstiftungsgesetze Für diese Auslegung sprechen auch manche Formulierungen in den Landesstiftungsgesetzen. So finden sich etwa folgende Formulierungen: „Das der Stiftung zur dauernden und nachhaltigen Erfüllung des Stiftungszwecks zugewandte Vermögen (Stiftungsvermögen) ist in seinem Bestand zu erhalten, es sei denn, dass die Satzung eine Ausnahme zulässt oder der Stifterwille anders nicht zu verwirklichen ist.“54

Daraus wird deutlich, dass die letzte Möglichkeit der Zweckverfolgung durch Verbrauch des restlichen Stiftungsvermögens nicht am Prinzip der Vermögenserhaltung scheitern soll. 2. Möglichkeiten der „technischen Umstellung“ Die hier erörterten Fälle unterfallen nicht § 87 BGB; das wurde geklärt55. Unabhängig davon sehen manche der Landesstiftungsgesetze aber eine Möglichkeit zum hoheitlichen Eingriff in die Satzung vor, auch unterhalb der Schwelle von Unmöglichkeit oder Gefährdung des Gemeinwohls56. Voraussetzung hierfür ist im Allgemeinen nur eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse. Darunter könnte man auch die uns beschäftigenden Fälle der dauernden Ertragsarmut subsumieren und mithin annehmen, dass die Stiftungsaufsicht in den betreffenden Bundesländern genau zu den Maßnahmen befugt ist, die hier für nötig angesehen werden, die aber, wie festgestellt, [58] eben auch durch die Stiftungsorgane selbst vorgenommen werden können. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Kompetenzen zueinander.

53 Im Ergebnis nicht unähnlich Hüttemann (Fn. 31), der auf anderem Weg und mit anderen Argumenten auch zur ausnahmsweisen Erlaubnis des Verbrauchs gelangt. 54 § 4 Abs. 2 Satz 1 StiftG SchlH; ebenso oder ähnlich § 7 Abs. 2 StiftG BW; § 7 Abs. 2 StiftG RhlPf und § 6 Abs. 1 Satz 2 Saarländisches StiftG. 55 Siehe oben: III, 1. 56 Vgl. z.B. § 6 Satz 2 StiftG BW; § 11 Abs. 1 HambAGBGB.

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Hier ist an die Autonomie der Stiftung und ihrer Organe zu erinnern und ihrer Befugnis, allfällige Schwierigkeiten selbst zu beseitigen. Das ist anerkannt57. Beschließen also die Stiftungsorgane in dieser Situation und aufgrund der hier dargestellten rechtlichen Grundlage eine Satzungsänderung, so verdrängen sie damit zunächst einmal die Befugnis der Aufsichtsbehörde zum Eingriff. Daraus folgt aber auch, dass die Aufsichtsbehörde etwa geplante Eingriffe in die Satzung den Stiftungsorganen mitteilen muss mit dem Ziel, diese zur Ausübung ihrer vorrangigen Befugnisse zu veranlassen. Erst wenn das klar gescheitert ist, kann die Aufsichtsbehörde tätig werden. Daraus erhellt aber auch, dass die Aufsichtsbehörde nicht berechtigt ist, ihre Lösungsvorstellungen an die Stelle derer der Stiftungsorgane zu stellen. Wird daher in der hier erörterten Situation der dauerhaften Ertragsarmut die Satzung von den Stiftungsorganen mit der hier entwickelten Begründung geändert und auf Verbrauch umgestellt, so muss die Stiftungsaufsicht dem zustimmen. V. Zusammenfassung Verbrauchsstiftungen sind zulässig. Zunächst besteht die Möglichkeit, eine Stiftung unmittelbar als Verbrauchsstiftung zu gründen. Fehlt eine solche Regelung in der Stiftungssatzung, so ist es doch möglich, auch eine solche Stiftung später unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere: mangelnde Erträge) auf „Verbrauch“ umzustellen. Das kann zunächst durch Auslegung der Satzung, vor allem durch eine Satzungsänderung geschehen, die auf einem entsprechenden (mutmaßlichen) Willen des Stifters gründet. VI. Summary Foundations are aimed at unlimited existence, as various excellent examples remind us. But this principle is not unexceptionable. Also temporary objects are permitted and in such cases it is legitimate to spend the foundations’ capital stock. The situation is more difficult when the object is not restricted regarding time, but the capital is insufficient to serve the object. Do these situations justify spending the remainder of the capital stock for the foundation before the foundation will be wound up? This paper addresses that question and answers in the affirmative.

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Vgl. hierzu nur Seifart/v. Campenhausen/Hof (Fn. 25), § 11 Rn. 52 ff.

GESELLSCHAFTSRECHT IN EUROPA

Für einen Europäischen Vertragskonzern ZEITSCHRIFT FÜR SCHWEIZERISCHES RECHT N.F. 90 (1971), I. HALBBD., S. 267-291 I. Einleitung 1. Über Notwendigkeit und wirtschaftliches Bedürfnis zur Konzentration von Unternehmen ist in den vergangenen Jahren viel verhandelt worden. Die vielfältigen Überlegungen haben keineswegs zu Übereinstimmung im einzelnen geführt, aber ein Ergebnis sichergestellt: Die sog. externe Unternehmensexpansion, die Vergrößerung also der Unternehmen durch einen Zusammenschluß, kann je nach Lage des Einzelfalles und insbesondere der Marktsituation nützlich, ja sogar notwendig sein.1 2. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat – mindestens – die Herstellung von rechtlichen Verhältnissen zum Ziel, die bei Waren, Dienstleistungen und Kapital den Marktverhältnissen gleichen, die auf dem Gebiet eines einheitlichen Staates gelten. Die Wirtschaftsgemeinschaft soll also für einen Teilbereich die Staatlichkeit der sechs – und künftig hoffentlich mehr – Territorien überwinden. Man nennt das treffend „die Herstellung binnenmarktmäßiger Verhältnisse“. Ein einheitlicher Markt für Güter, Dienstleistungen und Kapital kann aber nicht von seinen Subjekten absehen, die diese Güter anbieten oder nachfragen; das ist der entscheidende Unterschied zwischen einer Zollunion und der Wirtschaftsunion der EWG. Sollen binnenmarktmäßige Verhältnisse bestehen, so muß der einzelne Marktteilnehmer – gleich ob natürliche oder juristische Person – an jedem Ort der Gemeinschaft seine wirtschaftliche Chance ebenso wahren, sich also auch mit anderen Marktsubjekten zu neuen Unternehmenseinheiten verbinden können: Wie Unternehmensverbindungen national zur Verfügung stehen, müssen sie aus diesen Gründen auch EWG-international offenstehen. [268] 3. Ein weiterer Gedanke ist in diesem Zusammenhang nicht minder von Gewicht. Die vergangenen Jahre haben in den Ländern mit bisher überwiegend mittelständischer Wirtschaftsstruktur, wie insbesondere in Frankreich, aber auch 1 Vgl. insbesondere die Referate und Diskussionen auf der Frankfurter Tagung der ListGesellschaft, 1969, abgedruckt in: Notwendigkeit und Gefahr der wirtschaftlichen Konzentration in nationaler und internationaler Sicht, hg. von EDGAR SALIN, JACQUES STOHLER und PETER PAWLOWSKY, Basel 1969.

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in der Bundesrepublik, eine Welle von Unternehmenszusammenschlüssen auf nationaler Ebene gebracht. Diese Konzentrationen waren keineswegs nur Reaktionen auf die Veränderungen der entsprechenden nationalen Märkte, sondern ebenso, ja wenn nicht überwiegend, auch Anpassung an die Voraussetzungen und Bedürfnisse des Großmarktes der EWG und an die Daten, die durch große Konkurrenten auf den internationalen Märkten gesetzt werden. Passen sich aber die Unternehmen als Marktsubjekte den Daten des EWG-Marktes rein national an, d.h. verwirklichen sie die im Binnenmarkt der EWG erforderliche Unternehmensgröße nur im nationalen Bereich, so können die wirtschaftspolitischen Folgen für die Gemeinschaft nicht ernst genug in Erwägung gezogen werden2. Es müssen sich dann – um nur ein Phänomen zu erwähnen – für den Bereich der Gemeinschaft die gleichen Probleme ergeben, wie sie heute schon bei regional beherrschenden Unternehmen bekannt sind: Die regionale politische Einheit (Gemeinde, Kanton) muß sich mit den Problemen dieses Unternehmens identifizieren und muß damit die ausgeglichene Gesamtentwicklung stören. 4. Diese Überlegungen führen unmittelbar zu einer weiteren Frage, die in der Debatte um Unternehmensverbindungen – die ja stets wirtschaftliche Konzentrationen zum Inhalt haben – offen, aber auch unterschwellig eine große Rolle spielt: die Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs. Die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Wettbewerbs für die Aufrechterhaltung einer privaten Wirtschaftsordnung und für die Sicherung einer angemessenen Wirtschaftsentwicklung steht, so meine ich, außer Zweifel. Dabei sollten wir mit einigem Stolz vermerken, daß andere Wirtschaftsverfassungen – wie insbesondere die Wirtschaftsverfassung der Oststaaten – nachdrücklich versuchen, dieses Stimulans in ihr System einzubauen. Diese notwendige und allseits akzeptierte Wettbewerbsordnung kann – auch darüber sind Zweifel nicht mehr möglich – durch Kartellverträge ebenso wie durch Unternehmenskonzentrationen tangiert werden: Es kommt, so haben wir erfahren, nicht so sehr auf die rechtliche Form an, in der sich die Verringerung der Zahl von Marktteilnehmern vollzieht, sondern auf das Faktum überhaupt. Unternehmenskonzentrationen deswegen [269] aber insgesamt als unliebsam zu betrachten und ihre rechtlichen Schwierigkeiten generell zu begrüßen, wäre ebenso kurzsichtig, wie es sich inzwischen als unzweckmäßig herausgestellt hat, gegen Kooperationen und Bagatellkartelle zu intervenieren. Denn die auf freiem Wettbewerb und auf offenen Märkten beruhende Wirtschaftsverfassung der EWG ist auf Marktsubjekte angewiesen, deren Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt der EWG

2 Dazu eingehend LECOURT, Rev. MC 1968, S. 6 ff. sowie TEITGEN, ibid., S. 539 ff. – Vgl. auch den Bericht BERKHOUWER vor dem Europa-Parlament, Europ. Parlament Dok. 197/69.

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ebenso wie auf den internationalen Märkten gesichert ist3. Es wäre daher ganz verfehlt, die rechtlichen Formen der Unternehmensverbindungen eher zufällig zu beschränken. Das Gesellschaftsrecht mit seinen allgemeinen Gestaltungsformen ist nicht der richtige Ansatzpunkt für wirtschaftspolitische Einflußnahmen auf die Marktstruktur. Die Fragen bedürfen je selbständiger Behandlung: Eine abgewogene und sorgfältig kodifizierte Konzentrationskontrolle – als Teil der Wettbewerbsordnung – ist ebenso erforderlich wie die selbständige Entwicklung und Bereitstellung rechtlicher Formen für nationale und internationale Unternehmensverbindungen. 5. Haben wir damit festgestellt, daß internationale Unternehmensverbindungen in der EWG möglich sein müssen – sowohl zur Herstellung binnenmarktmäßiger Verhältnisse als auch zur Entwicklung einer angemessenen Wirtschaftsstruktur – und daß die erforderliche Sicherung des Wettbewerbs diese Überlegungen nicht generell tangiert, so haben wir nunmehr zu erwägen, ob die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten für internationale Unternehmenskonzentrationen ausreichen oder ob und in welcher Weise sie ergänzt und neu entwickelt werden müssen. II. Möglichkeiten und Formen internationaler Unternehmenskonzentration 1. Überblick Die großen Unterschiede im Gesellschaftsrecht der europäischen Länder sind uns durch umfangreiche rechtsvergleichende Arbeiten des letzten Jahrzehnts bekannt und vertraut4. Es überrascht daher keineswegs, daß die nationalen Gesellschaftsrechte in Europa auch auf dem Gebiet der [270] Unternehmensverbindung ungewöhnlich große Divergenzen zeigen. Dabei wird man in groben Zügen zwischen dem englischen, niederländischen und deutschen Recht einerseits, den Rechten des code civil andererseits unterscheiden können. Vom dogmatischen Bild der juristischen Person ausgehend, beharren die romanischen Rechte auf der Selbständigkeit der juristischen Person und der Notwendigkeit, sie ausschließlich

3 So auch die KOMMISSION DER EWG in: Das Problem der Unternehmenskonzentration im Gemeinsamen Markt, Brüssel 1966 = WuW 1966, S. 330 sowie im Memorandum zur Industriepolitik, März 1970. 4 Vgl. u. a. JOHANNES BÄRMANN, Die Willensbildung in den Europäischen Aktienrechten, Karlsruhe 1964; DERSELBE, Europäische Integration im Gesellschaftsrecht, Köln 1970, vor allem S. 184 ff.; PIERRE VAN OMMESLAGHE, Le régime des sociétés par actions et leur administration en droit comparé, Brüssel 1960; MARCUS LUTTER, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, Karlsruhe 1964.

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in ihrem Interesse zu fördern und zu verwalten5. Demgegenüber hat sich in den Rechten Großbritanniens und der Bundesrepublik eine wesentlich pragmatischere Beurteilung erhalten oder durchgesetzt; dort neigt man dazu, vom einzelnen Problem auszugehen, also insbesondere vom Schutz der Gläubiger und der Minderheitsaktionäre, und flexiblere Lösungen dann zuzulassen, wenn dem genannten Schutzbedürfnis in anderer Weise Rechnung getragen ist. In besonderer Weise zeigt sich dies am deutschen Recht, das mit dem Aktiengesetz von 1965 ein besonderes Konzernrecht kodifiziert hat; es läßt Unternehmensverbindungen zu, die in den anderen Rechten an der vorerwähnten dogmatischen Betrachtung scheitern müssen. Dieses unterschiedliche nationale Recht kommt aber nicht nur bei rein nationalen Unternehmensverbindungen zur Anwendung, sondern gerade auch bei Konzentrationen, an denen Unternehmen aus verschiedenen Ländern beteiligt sind. Denn es gibt in Europa kein internationales, sondern nur nationales Gesellschaftsrecht. Seine Anwendbarkeit auf grenzüberschreitende Tatbestände richtet sich nach den (nationalen!) Regeln des sog. internationalen Privatrechts, das in den meisten Fällen an den Sitz des einzelnen Unternehmens anknüpft6. Planen also eine deutsche Aktiengesellschaft und eine société anonyme mit Sitz in Paris den Zusammenschluß ihrer Unternehmen, so steht außer Frage, daß sowohl deutsches als [271] auch französisches Recht zu beachten ist. Damit potenzieren sich bei internationalen Tatbeständen von Unternehmenskonzentrationen die rechtlichen Schwierigkeiten; denn niemand kann zwei Herren dienen oder – juristisch formuliert – unterschiedliche Rechtsbefehle gleichzeitig befolgen. 2. Die Fusion In allen europäischen Rechten ist die Fusion bekannt. Auch dort, wo sie nicht besonders geregelt ist, wird sie nach bestimmten Grundsätzen praktiziert7.

5 Siehe dazu die Berichte von BERNINI, PATRY, PENNINGTON, RENAULD, RODIÈRE und SANDROCK in: Evolution et Perspectives du droit des sociétés à la lumière des différentes expériences nationales, hg. von VERRUCOLI, Bd. II, Milano 1968. Siehe weiter RODIÈRE, Rev. trim. dr. com. 1965, S. 621; SINAY, Gaz. Pal. 1968 I Doctr., S. 118; PIERRE VAN OMMELSLAGHE, Rev. prat. soc. 1965, S. 153 (No. 22); DERSELBE, ZHR 132, 1969, S. 201 ff., 215 ff. 6 So Belgien, Frankreich und Luxemburg: Vgl. LOUSSOUARN/BREDIN, Droit du Commerce International, Paris 1969, S. 261 ff., 429 ff., 496, 497; ebenso die BRD: BGH, Urteil vom 30.1.1970, DB 1970, S. 441. Für Italien vgl. art. 2505 c.c. Anders die Niederlande (Gründungstheorie): vgl. LEMAIRE, Nederlands International Privaatrecht, Leiden 1968, S. 196, 200; LOUSSOUARN/BREDIN, a.a.O., S. 497. 7 Vgl, dazu vor allem die Berichte von GESSLER, RENAULD, BRUILLARD, GUERRA, WEBER, VAN OVEN und VAN LEEUWE in: Rapports au Colloque international de Droit Européen,

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Da jedoch die nationalen Schutzregeln für Gläubiger der beteiligten Gesellschaften und die Minderheitsaktionäre stark differieren und außerdem die Steuerfolgen einer Fusion – vor allem einer internationalen Fusion – fatal sind, können internationale Fusionen derzeit nicht verwirklicht werden. Dabei ist über alle rechtlichen Schwierigkeiten hinaus zu bedenken, daß bedeutende Unternehmen derzeit schon aus psychologischen Gründen nicht in ein ausländisches Unternehmen fusionieren können: Sie würden ihre bisherige – vor allem nationale – Marktposition gefährden, ihre Aktionäre verschrecken und die Basis ihrer Finanzierung (Aktionäre, Banken) in Frage stellen. 3. Eingliederung Eine der Fusion ähnliche Form ist die dem deutschen Recht bekannte „Eingliederung“8. Bei ihr behält das aufzunehmende Unternehmen zwar seine rechtliche Selbständigkeit, wird jedoch im übrigen sowohl rechtlich als auch praktisch zur Betriebsstätte der aufnehmenden Gesellschaft: Diese hat unbeschränkten Einfluß auf das eingegliederte Unternehmen, haftet ihrerseits aber auch für dessen Verbindlichkeiten; die Minderheitsaktionäre scheiden kraft Gesetzes aus und werden abgefunden. Da den anderen Rechten eine ähnliche Fusionsform unbekannt ist, ist die Eingliederung über die Grenze hinweg allenfalls dann möglich, wenn das einzugliedernde Unternehmen seinen Sitz in der Bundesrepublik hat. Sicher aber können Unternehmen mit Sitz in anderen Ländern nicht eingegliedert werden. [272] 4. Beteiligung a) Die Beteiligung einer Gesellschaft an einer anderen ist die übliche und am weitesten verbreitete Form der Konzentration. Sie läßt rechtlich selbständige Organisationen bestehen, sichert aber, je nach dem Maß der Beteiligung, dem beteiligten Unternehmen als Mitgesellschafter über das Stimmrecht den gewünschten Einfluß; sie kann praktisch bis zur Alleinherrschaft des beteiligten Unternehmens über die Beteiligungsgesellschaft führen. Das Ausmaß der Konzentration durch Bildung solcher Beteiligungskonzerne ist unterschiedlich, in allen europäischen Ländern aber von erheblichem Gewicht.

Brüssel 1962. Siehe auch CONARD, Corporate Fusion in the Common Market, American Journal of Comparative Law, vol. 14, 1965/66, S. 573 ff. 8 §§ 319-327 AktG 1965.

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b) Aktiengesellschaften dürfen in allen europäischen Rechten die Aktien anderer Gesellschaften erwerben9. Für die GmbH kennt nur Belgien ein solches Erwerbsverbot. Im übrigen wird zwischen in- und ausländischen Gesellschaften grundsätzlich nicht unterschieden; nur nach dem französischen Décret Nr. 67/78 bedarf der Erwerb einer wesentlichen Beteiligung an einer französischen Aktiengesellschaft durch Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen der Genehmigung des Wirtschaftsministers; die Gültigkeit dieser Regelung gilt jedoch nicht für Gesellschaften mit Sitz in einem anderen EWG-Land. Ein solcher Beteiligungserwerb ist in den meisten Rechten unbegrenzt erlaubt10. Allerdings gilt in einigen Rechten nach wie vor das Verbot der Ein-Mann-Gesellschaft11, so daß dort 100%ige Beteiligungen rechtlich nicht möglich sind, aber mit Hilfe von Strohmännern organisiert werden können. Auch wechselseitige Beteiligungen unterliegen verschiedenen Beschränkungen; doch sind die Kriterien höchst unterschiedlich und erlauben außerdem in der Regel Gestaltungen, die auf Umwegen zum gleiche Ziel führen12. c) In hohem Maße unterschiedlich sind jedoch die Möglichkeiten des Einflusses aus einer solchen Beteiligung13. Dabei ist evident, daß das Inter- [273] esse eines beteiligten Unternehmens (herrschende Gesellschaft, Muttergesellschaft) an der Führung und Entwicklung der Beteiligungsgesellschaft wesentlich anders sein kann als das eines normalen Aktionärs: Wir haben uns in der Bundesrepublik angewöhnt, in diesem Zusammenhang zwischen dem Konzerninteresse und dem Interesse des Einzelaktionärs zu unterscheiden; denn das beteiligte Unternehmen hat in der Regel den Gesamtkomplex seiner wirtschaftlichen Aktivität vor Augen, während der Einzelaktionär allein an der möglichst günstigen Entwicklung seiner Gesellschaft interessiert ist. Diesen typischen Interessenwiderstreit lösen die Gesellschaftsrechte Europas in höchst unterschiedlicher Weise. Während die Rechte Frankreichs, Belgiens und wohl auch Italiens und der Niederlande auf dem Hintergrund ihres Dogmas von der Selbständigkeit jeder Gesellschaft ausgehend die Einflußnahme immer nur im Interesse der betroffenen Gesellschaft gestatten14 – und damit einerseits eine praktisch unüberbrückbare Kluft zwischen 9 Gewisse Beschränkungen im italienischen Recht (z.B. art. 2361 c.c.) bleiben hier außer Betracht. 10 Großbritannien, Italien (vgl. aber art. 2362 c.c.), Niederlande, BRD. 11 Belgien, Frankreich (vgl. aber Art. 9 loi 24.7.1966), Luxemburg. 12 Näheres bei MARCUS LUTTER, Empfehlen sich für die Zusammenfassung europäischer Unternehmen neben oder statt der europäischen Handelsgesellschaft und der internationalen Fusion weitere Möglichkeiten der Gestaltung auf dem Gebiete des Gesellschaftsrechts? Gutachten zum 48. Deutschen Juristentag, München 1970, S. 21 mit weiteren Literaturhinweisen; DERSELBE, Kapital (Anm. 4), S. 452 ff. 13 Zur Begrenzung des Stimmrechts (z.B. Belgien, Art. 76 Lois coordonnées) vgl. MARCUS LUTTER, Gutachten (Anm. 12), S. 24 ff. 14 Vgl. oben Note 5.

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Recht und Wirklichkeit schaffen, andererseits zur Beseitigung von lästigen Minderheiten zwingen – erlauben das deutsche (§§ 311 ff. AktG 1965) und englische Recht die Durchsetzung eines Konzerninteresses bei gleichzeitiger Sicherung der Interessen von Gläubigern und Minderheitsaktionären. Diese höchst unterschiedlichen Ansatzpunkte zur Regelung eines einheitlichen Problems haben im Bereich internationaler Beteiligungen bisher nur selten zu akuten Schwierigkeiten geführt. Immerhin hat der berühmte Fall Fruehauf15 in allen Zentralen internationaler Konzerne beunruhigt: Nicht weil der Tatbestand selbst zur Wiederholung drängt; sondern weil die Labilität solcher internationaler Beteiligungsstrukturen dadurch offengelegt wurde. Von all dem abgesehen, ist zu bedenken, daß jede wesentliche Beteiligung an einem Unternehmen zunächst einmal in hohem Maße Kapital bindet: Der Erwerb der Mitgliedschaften muß mit Mitteln bezahlt werden, die der Investition in produktive neue Wirtschaftsanlagen damit entzogen werden. 5. Vertragliche Unternehmensverbindungen a) Nur das deutsche Recht regelt als weitere Form der Unternehmensverbindung den Unternehmensvertrag. Er gibt die Möglichkeit, das wirt- [274] schaftliche Potential mehrerer Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammenzufassen. Auf dieser Grundlage kann der Unternehmensvertrag den Einfluß aus einer Beteiligung festigen, vor allem aber eine gemeinschaftliche Leitungsinstanz ohne – wesentliche – Beteiligung aufbauen. Darüber hinaus dient der Unternehmensvertrag nach dem Aktiengesetz von 1965 in besonderem Maße der Klärung des Verhältnisses zu den Gläubigern (§ 303 AktG) und zu den Minderheitsaktionären (sog. außenstehende Aktionäre, §§ 304 ff. AktG) des abhängigen Unternehmens. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang der Beherrschungsvertrag – er erlaubt dem einen (herrschenden) Unternehmen, die wirtschaftliche Leitung über das andere (abhängige) Unternehmen auszuüben –, der Gewinnabführungsvertrag – mit ihm wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einen Unternehmens dem anderen zur Verfügung gestellt, das aber damit zugleich auch zur Verlustdeckung verpflichtet ist – und der Vertrag über eine Gewinngemeinschaft – hier wird die Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen gepoolt (§§ 291, 292 AktG 1965). b) Kein anderes europäisches Recht gestattet die Vereinbarung eines Gewinnabführungsvertrages und – so muß man daraus schließen – einer Gewinngemeinschaft. Ein solcher Vertrag würde gegen das Prinzip verstoßen, daß nur die ordentliche Hauptversammlung über die Verwendung des Periodengewinnes 15 Cour d’appel PARIS, 22.5.1965, Gaz. Pal. 1965 II, S. 86 = Rev. trim. dr. com. 1965, S. 619 mit Anmerkung von RODIÈRE; CONTIN, Rev. soc. 1968, S. 363 ff.

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bestimmen kann und daß dieser Gewinn nur den Aktionären (und gegebenenfalls den Arbeitnehmern) kraft ihrer Mitgliedschaft zusteht. Da keinerlei andere Regeln zum Schutze der außenstehenden Aktionäre (Minderheitsaktionäre) bestehen, können diese Rechte auch gar nicht anders reagieren, wollen sie die Minderheit nicht beliebigen Maßnahmen der Mehrheit aussetzen. Ebenso unwirksam wäre in diesen Rechten eine Vereinbarung, wonach die Organe einer dritten Gesellschaft (der herrschenden Gesellschaft) berechtigt sein sollen, den Organen der eigenen (abhängigen) Gesellschaft verbindliche Weisungen bezüglich der Geschäftsführung zu erteilen. Hierin läge ein Verstoß gegen das ebenfalls gesicherte Prinzip der Verbandsautonomie: Nur die Organe der einzelnen Gesellschaft sind zu deren Leitung befugt. Allenfalls für das englische Recht könnte man vielleicht annehmen, daß ein solcher Einfluß dann erlaubt ist, wenn die Minderheitsaktionäre durch entsprechende Zusicherungen abgesichert sind. c) Da die anderen europäischen Rechte solche Unternehmensverträge nicht kennen und den Gesellschaften ihres Rechts nicht gestatten, sind auch Unternehmensverbindungen auf dieser Basis international nicht möglich: Das internationale Privatrecht unterstellt Fragen der Organisation und [275] inneren Struktur von Gesellschaften eindeutig dem Heimatrecht (Nationalität) der betreffenden Gesellschaft16. 6. Unternehmenspachtverträge sind allen europäischen Unternehmensrechtsordnungen bekannt. Sie verschaffen dem pachtenden Unternehmen nicht die Herrschaft über die Korporation, sondern über das Unternehmen, seine wirtschaftliche Kraft und Organisation. Auch hierdurch wird ein wirtschaftlicher Verbund erreicht. Daher können solche Verträge auch nicht nur schuldrechtlich betrachtet und der Privatautonomie des Schuldrechts unterstellt werden; denn sie greifen nachdrücklich in die Struktur des einzelnen Unternehmens ein. Es müssen deshalb z. B. auch bei einem internationalen Pachtvertrag die Regeln der §§ 292 ff. AktG beachtet werden. Ähnliches gilt für die anderen Rechtsordnungen, die hierzu jedoch bislang keine spezifischen Regeln entwickelt haben, sieht man einmal von der Frage des Abschlußtatbestandes (Zustimmung der Hauptversammlung) ab. Obwohl gerade in Frankreich und Belgien der Unternehmenspachtvertrag von nicht geringer praktischer Bedeutung ist, bleibt – mangels jeder spezifischen Regelung im Gesellschaftsrecht – auch hier ein so großes Maß an rechtlicher Unsicherheit, daß es

16 Dabei ist es in diesem Zusammenhang ganz gleichgültig, ob dieses „Heimatrecht“ einer juristischen Person im Einzelfall nach der Sitztheorie oder der Gründungstheorie (vgl. Note 6) bestimmt wird.

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wenig geraten erscheint, größere Unternehmenszusammenschlüsse mit Hilfe von internationalen Pachtverträgen zu unternehmen. 7. Nationale Rechtswirklichkeit und internationale Gestaltungen Die bisherigen Ausführungen könnten den Eindruck erwecken, als könnten sich Konzerne in den kontinentalen Rechten – mit Ausnahme der BRD – nur mit Mühe behaupten. Der Eindruck wäre völlig verfehlt. In Wirklichkeit existieren in allen europäischen Ländern Konzerne in großer Zahl und arbeiten Unternehmensverbindungen in allen europäischen Rechten mit großem Erfolg. Es stört sie ganz und gar nicht, daß die sie betreffenden Rechtsordnungen – von wenigen Einzelregelungen abgesehen – nach wie vor den Anschein erwecken, als würden diese Unternehmensverbindungen nicht existieren. Und selbstverständlich werden die vielfältigsten Konzerngestaltungen mit den unterschiedlichsten Mitteln ver- [276] wirklicht, ganz unabhängig davon, ob die Dogmatik der betreffenden Rechtsordnung diese Mittel akzeptiert oder nicht16a. Entscheidend für die hier zu treffenden Erwägungen ist jedoch, daß sich „nationale Usancen“ durchaus als tragfähige Basis für die Entwicklung nationaler Unternehmensverbindungen erweisen können, daß sie aber wegen ihrer rechtlichen Problematik ungeeignet sind für internationale Lösungen. Obwohl also vertragliche Absprachen nach Art eines Unternehmensvertrages sowohl im französischen als auch im belgischen Recht (dort vor allem als association en participation) durchaus und gar nicht selten vorkommen, müssen sie als rechtliche Grundlage für einen internationalen Zusammenschluß nicht nur von etablierten Großunternehmen sondern überhaupt versagen: die Rechtsunsicherheit ist hier, wo Kenntnis der nationalen Usancen und das Vertrauen in sie fehlen, von ungleich größerem Gewicht. III. Von der Praxis entwickelte Ersatzlösunzen für internationale Unternehmensverbindungen Vom Beteiligungserwerb und – in Grenzen – Unternehmenspachtvertrag abgesehen, scheitern damit derzeit im internationalen Bereich alle diejenigen Formen von Unternehmenskonzentrationen, die in den einzelnen nationalen Rechten üblich sind. Es hat jedoch schon immer den guten Juristen ausgezeichnet, daß er die Probleme einer Situation zu analysieren versteht, nicht aber resigniert, sondern nach neuen Lösungen im Rahmen der rechtlichen Gegebenheiten sucht. 16a Es sei in diesem Zusammenhang nur auf die Berichte von RENAULD und RODIÈRE in Evolution et Perspectives du droit des sociétés à la lumière des differentes expériences nationales, hg. von VERRUCOLI, Bd. II, Milano 1968, verwiesen.

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Dabei haben sich bestimmte Formen der Beteiligung international als tragfähiger Ausgangspunkt erwiesen. 1. Internationale Unternehmensverbindung durch Holding Unternehmen der Flugzeugindustrie können die ungewöhnlichen Kosten für die Entwicklung neuer Modelle allenfalls ab einer gewissen Unternehmensgröße aufbringen. Diesem Faktum stand vor kurzer Zeit die niederländische „Fokker N.V.“ und die deutsche „Vereinigte Flugtechnische Werke GmbH“ gegenüber. Gesellschafter und Unternehmensleitungen beschlossen daher den Zusammenschluß der beiden Unternehmen. Die sonst naheliegende Form des Zusammenschlusses (Fusion) war [277] aus rechtlichen und psychologischen Gründen verschlossen. Die Unternehmen fanden folgende Lösung: Die niederländische „Fokker N.V.“, eine Publikumsgesellschaft, gründete eine Betriebsgesellschaft, in die die gesamten Produktionsbetriebe eingebracht wurden. Weiterhin gründete diese „Fokker N.V.“ zusammen mit den Gesellschaftern der deutschen „Vereinigte Flugtechnische Werke GmbH“ eine „FokkerVFW GmbH“ mit Sitz in Düsseldorf; die deutsche Gruppe und die niederländische „Fokker N.V.“ sind daran zu je 50% beteiligt. In diese GmbH brachte die niederländische N.V. sämtliche Mitgliedschaftsrechte ihrer Betriebsgesellschaft, die deutsche Gruppe die sämtlichen Geschäftsanteile der „Vereinigte Flugtechnische Werke GmbH“ ein. Auf diese Weise entstand mit der „FokkerVFW GmbH“ in Düsseldorf eine sog. „Zentralgesellschaft“, aus der heraus die beiden Betriebsgesellschaften in den Niederlanden und in Deutschland gesteuert werden. Die Organe dieser Gesellschaft sind paritätisch besetzt. Betriebswirtschaftlich handelt es sich um ein Unternehmen, das von zwei gleich starken Gruppen (der niederländischen Fokker N.V. und der deutschen Gesellschaftergruppe) mit gleichem Einfluß gehalten wird17. 2. Internationale Unternehmensverbindung durch Doppel-Holding a) Der Zusammenschluß von Unternehmen durch eine Doppel-Holding wurde erstmals von der deutschen Siemens AG und der niederländischen Philips N.V. entwickelt. Beide Gesellschaften waren u. a. im Schallplattengeschäft tätig, das ihrer Überzeugung nach zu größeren Unternehmenseinheiten drängte. Auch hier waren die sonst national üblichen Wege (Fusion, Vertragskonzern) international verschlossen. Man entschloß sich zu folgender Konstruktion:

17

Vgl. das Schaubild für diese Konstruktion bei LUTTER, Gutachten (Anm. 12), S. 150.

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Die Siemens AG brachte ihre gesamten Schallplatteninteressen in die „Deutsche Grammophon GmbH“ ein. In gleicher Weise gliederte die Philips N.V. ihr Schallplattengeschäft in die „N.V. Philips Phonographische Industrie“ aus. An beiden Schallplatten-Gesellschaften sind die Siemens AG und die Philips N.V. zu je 50% beteiligt, Siemens AG und Philips N.V. also zu je 50% an der „Deutsche Grammophon GmbH“ und zu je 50% an der „N.V. Philips Phonographische Industrie“. Gleichzeitig wurden die paritätische Besetzung der Organe festgelegt und Richtlinien für die gemeinsame Geschäftspolitik vereinbart. [278] b) Den mit diesem Modell vorgezeichneten Weg sind die Deutsche „Farbenfabriken Bayer AG“ (als Muttergesellschaft der Agfa AG) und die belgische „Gevaert Fotoproducten N.V.“ bei dem Zusammenschluß ihrer Fotointeressen im Jahre 1964 gegangen. Auch in diesem Fall waren die Gegebenheiten eines internationalen Marktes, auf dem die amerikanische Firma Kodak beherrschend war, bestimmend. Auch hier wurden Betriebsgesellschaften gegründet (in Deutschland die Agfa-Gevaert AG; in Belgien die Gevaert-Agfa N.V.), an der die Muttergesellschaften (Agfa AG und Fotoproducten Gevaert N.V.) zu je 50% beteiligt sind18. Darüber hinaus aber wurden eingehende Vereinbarungen unter den beiden Gesellschaftern getroffen, wonach die Geschäftsführung in beiden Betriebsgesellschaften personengleich und paritätisch besetzt, der Aufsichtsrat beider Betriebsgesellschaften – bis auf die deutschen Arbeitnehmervertreter – personengleich und paritätisch besetzt werden soll, eine gemeinsame Geschäftspolitik für beide Unternehmen festzulegen ist, gemeinsame Grundsätze für die Rechnungslegung und damit die Erfolgskontrolle der beiden Betriebsgesellschaften gelten sollen. 3. Unternehmensverbindung durch Gleichordnungsvertrag Auf dem Hintergrund gestaltungsfähiger und liberaler Gesellschaftsrechte in den Niederlanden und Großbritannien bestehen schon seit Jahrzehnten Unternehmensverbindungen von Großgesellschaften. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist der Verbund zwischen der niederländischen „Unilever N.V.“ und der englischen „Unilever Ltd.“19. Beide Gesellschaften sind Publikumsgesellschaften, deren – ganz verschiedene – Aktionäre über die ganze Welt verstreut sind. Aufgrund eines Unternehmensvertrages ist jedoch sichergestellt

18 Vgl, das Schaubild für diese Konstruktion bei LUTTER, Gutachten (Anm. 12), S. 149. – Vgl. dazu auch MOTTE, Rev. MC 1968, S. 392 ff. 19 Demgegenüber hat der Verbund Royal Dutch-Shell eher Ähnlichkeiten mit dem Modell Agfa-Gevaert, einer Doppelholding.

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die einheitliche und paritätische Besetzung des obersten Managements beider Gesellschaften damit zugleich die Unternehmensführung nach einheitlichen Grundsätzen sowie ein Dividendengleichschritt, der notfalls durch einen Gewinnausgleich unter den beiden Muttergesellschaften sichergestellt wird. [279] Diese rein vertragliche Verbindung wird abgesichert durch Vorzugsaktien, mit denen ein Bestimmungsrecht (Vorschlagsrecht) für die Organe der beiden Muttergesellschaften verbunden ist. Diese Vorzugsaktien befinden sich je zu 50% im Besitz von Tochtergesellschaften der Unilever N.V. und der Unilever Ltd. (was übrigens in allen anderen europäischen Rechten zum Ausschluß des Stimmrechts aus diesen Vorzugsaktien führen würde)20. -

4. Vor- und Nachteile dieser Verbundformen a) Das System der Zentralgesellschaft erlaubt die Führung des Gesamtunternehmens nach einheitlichen Gesichtspunkten. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich jedoch aus der Tatsache, daß die Leitungsgesellschaft als nationale Gesellschaft mit einem bestimmten Sitz gegründet werden muß. So ist es der niederländischen Gruppe im Falle Fokker/VFW nicht leicht gefallen, die Leitungszentrale dem deutschen GmbH-Recht zu unterstellen. Das gilt um so mehr, als hierdurch der deutsche Gesetzgeber, etwa schon mit der geplanten Reform des deutschen GmbH-Rechts, unmittelbar Einfluß auf die wichtigste Schaltstelle dieses internationalen Verbundes nehmen kann, ohne daß eine Berücksichtigung der niederländischen Interessen erfolgen müßte. b) Auch das System der Doppel-Holding hat sich – trotz vielfältiger Schwierigkeiten zu Beginn – betriebswirtschaftlich bewährt. Gewisse Gefahren ergeben sich aus dem Fehlen einer einzigen Zentrale, die aber durch die Personenidentität in den Organen ausgeglichen wird. Besonders nachteilig wirkt sich jedoch aus, daß in diesem einheitlichen Verbund aus rechtlichen Gründen ein Gewinn- und Verlustausgleich nicht möglich ist; deshalb muß – aus psychologischen Gründen – das Gesamtunternehmen immer möglichst so geführt werden, daß sich die Ertragslage im belgischen Sektor möglichst ebenso wie im deutschen Sektor entwickelt. Damit sind gewisse Beschränkungen bei der Unternehmensführung unausweichlich. c) Der seit Jahrzehnten erfolgreiche britisch-niederländische Unternehmensverbund Unilever ist aus rein rechtlichen Gründen in anderen europäischen Ländern nicht zu verwirklichen: Mit Ausnahme des deutschen Rechts verbieten alle übrigen Rechte den Gleichordnungsvertrag; und Vorzugsaktien der dort prakti20 Vgl. auch hier das Schaubild für diese Konstruktion bei LUTTER, Gutachten (Anm. 12), S. 55 ff. und S. 152.

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zierten Art gibt es außerhalb des niederländischen und des englischen Rechts in keinem anderen europäischen Gesellschaftsrecht. [280] IV. Europäische Aktiengesellschaft 1. Zur Überwindung dieser vielfältigen Schwierigkeiten für internationale Unternehmensverbindungen und zur Herstellung der Freizügigkeit auch für Unternehmen auf dem Gebiet der EWG hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, basierend auf einem Vorentwurf meines niederländischen Kollegen SANDERS, im Sommer 1970 den Entwurf für das Statut einer europäischen Aktiengesellschaft vorgelegt21. Die Grundzüge dieses Statuts sind allgemein bekannt. Grundlage ist die Überlegung, daß für eine Aktiengesellschaft europäischen Typs in allen Mitgliedsländern einheitliches Recht gelten und eine Anknüpfung an das unterschiedliche nationale Recht (Personalstatut) damit entfallen soll. Da keine divergierenden Rechtsbefehle aus unterschiedlichem nationalen Recht mehr bestünden, könnten Zusammenschlüsse (Fusionen, Konzerne) auf der Grundlage dieses Sonderrechts ohne rechtliche Schwierigkeiten stattfinden. 2. Damit würde, so könnte man meinen, allen Erfordernissen Rechnung getragen. Und es liegt die Frage nahe, weshalb man noch weitere und andere Möglichkeiten erörtern sollte, statt alle Kräfte auf die Verwirklichung dieses Zieles, dieser europäischen AG, zu konzentrieren. Diese Überlegung trifft jedoch nur zum Teil zu. Tatsächlich würde die SOCIETAS EUROPAEA (= S.E.) weite Möglichkeiten für die Entwicklung europäischer Unternehmen und europäischer Unternehmensverbindungen geben. Ihre Handhabung wäre konstruktiv und organisationstechnisch einfach. Darüber hinaus würde die S.E. den in Europa entwickelten und vertrauten Gedanken der Kodifikation fortsetzen, wäre also für die Juristen des Kontinents in ihrer rechtstechnischen Erscheinung vertraut. Diese Vorzüge sind aber zum Teil auch die Nachteile der S.E. Als Konzentrationsform bietet sie nur die Vollkonzentration (Fusion) oder – für Teilkonzentrationen – nur das joint venture, das Gemeinschaftsunternehmen. Nicht berücksichtigt werden können in dieser Rechtsform alle Vor- und Zwischenlösungen, wie sie etwa im deutschen Bereich in vielfältiger Weise eine Rolle spielen: vom Gewinnpool über den Pool von Spartenergebnissen zum Unternehmenspachtvertrag und den Leitungsgemeinschaften. Vor allem aber müßten die Partner eines Verbundes in der S.E. [281] vom Fleck weg heiraten, ohne eine rechtlich gesicherte und legitimierte Verlobungszeit durchlaufen zu können – obwohl doch die Verlo21 Vgl. PIETER SANDERS, Vorentwurf eines Statuts für eine Europäische Aktiengesellschaft, Textausgabe und Kommentar, Dezember 1966; KOMMISSION DER EWG, Vorschlag eines Statuts für Europäische Aktiengesellschaften, Sonderbeilage zum Bulletin 8-1970 der Europäischen Gemeinschaften.

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bungszeit bei Unternehmungen – anders als beim Menschen – eine besonders schwierige Zeit sein soll. Das ist die eine Seite. Zum anderen ist zu bedenken, daß die Schaffung einer S.E. die umfangreichsten Arbeiten und den umfassendsten politischen Konsensus der Mitgliedstaaten verlangt: Nicht nur über ihre Gründung, die Aktien in Form und Übertragung, die Organisation der Verwaltung, die Durchführung einer Kapitalerhöhung und die Probleme ihrer Sanierung, sondern auch über so brisante Fragen wie Zugang, Konzernrecht und vor allem die Mitbestimmung ist eine Einigung aller sechs Länder – und künftig noch weiterer Länder (Großbritannien, Irland, Dänemark, Norwegen) – erforderlich, wobei es gleichgültig ist, ob dieser Konsensus der Regierungen im Ministerrat der EWG bei Erlaß einer Verordnung22 oder in den nationalen Parlamenten im Wege eines internationalen Abkommens erreicht werden muß23. Sieht man die Dringlichkeit des Anliegens, so ist auch aus diesem Grunde die Entwicklung tragfähiger und aussichtsreicher Alternativen erforderlich. 3. Schließlich ist aber auch zu bedenken, daß die Organisation von Großunternehmen in Form einer einzigen Gesellschaft (Einheitsgesellschaft) zunehmend auf Probleme stößt. So ist die interne Gliederung von Unternehmen nach dem sog. Divisions-Prinzip oder nach dem System der profit centers nichts anderes als der betriebswirtschaftliche Versuch, unter dem Rechtskleid einer einzigen Gesellschaft rechnerisch verschiedene Unternehmen zu ermöglichen. Es könnte also durchaus sein, daß sich auf längere Zeit stärker differenzierte Organisationsformen wie z. B. der Konzern auch als leistungsfähiger erweisen. V. Eigene Vorschläge 1. Prämissen a) Bedenkt man alle diese Schwierigkeiten, so empfiehlt es sich, vor der Entwicklung weiterer Vorschläge in diesem mit Vorschlägen reich gesegneten Bereich einzuhalten und sich folgende Fragen vorzulegen: [282] welche internationalen Unternehmensverbindungen müssen verwirklicht werden können, dringend und unabhängig von längerfristigen Entwicklungen? Wie läßt sich dieser Bedarf möglichst einfach, möglichst flexibel und unter möglichst weitgehender Heranziehung der vorhandenen nationalen Rechte verwirklichen? 22 So der auf Art. 239 EWGV gestützte Vorschlag der Kommission der EWG (siehe Anm. 21). 23 So der insoweit wesentlich realistischere Vorschlag SANDERS.

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b) Die bisherigen Unternehmenskonzentrationen erfolgten meist vertikal über den Erwerb des einen durch das andere Unternehmen, der Aktienmehrheit oder – seltener – in Form der Fusion durch Aufnahme. Ich möchte diesen Vorgang als Konzentration der ersten Stufe bezeichnen, die immer mehr auch national an Grenzen der Verwirklichung stößt, international aber – schon aus psychologischen Gründen und weil nur die – immer teurere! – Möglichkeit des Erwerbes der Aktienmehrheit besteht – sehr viel eher undurchführbar wird. Die so entstehenden internationalen Abhängigkeitskonzerne haben mit gewissen rechtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich aber zumindest bisher nicht prohibitiv ausgewirkt haben. Insofern genügen vorerst die rechtlichen Instrumente; im übrigen kann die erforderliche rechtliche Vereinfachung und Klarstellung durch die eingeleitete Rechtsangleichung abgewartet werden. c) Horizontale Konzentrationen müssen dagegen dann stattfinden, wenn die Partner zwar die denkbar engste Kooperation suchen, nicht aber die Unterwerfung des einen unter den anderen. Vielleicht sollte man hier von Konzentrationen der zweiten Stufe sprechen. Das sind diejenigen Fälle, denen wir unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden sollten. Hier stehen international nur Teillösungen – wie das Gemeinschaftsunternehmen – oder gewisse Hilfskonstruktionen nach den Modellen Agfa-Gevaert, Fokker-VFW, Dunlop-Pirelli u.ä. zur Verfügung. Ihre Mängel sind hier schon nachdrücklich vorgetragen worden. Erforderlich ist also vornehmlich eine Lösung der – im rechtlichen, nicht im wirtschaftlichen Sinne – horizontalen internationalen Unternehmenskonzentration, die nicht Anschluß oder Unterwerfung, sondern institutionelle, verfestigte Partnerschaft sucht. Das gilt nicht nur für große, sondern vor allem auch für mittlere und sogar kleine – nicht besonders spezialisierte – Unternehmen; die Lösung muß also für alle Unternehmensgrößen interessant sein. d) Diese Analyse wird bestätigt durch die oben erörterten praktischen Fälle internationaler Unternehmensverbindungen: Entweder wurden Unternehmen gekauft oder sie haben sich in einer horizontalen Partnerschaft zusammengefunden: Die deutsch-niederländische Grammophon-Gesell- [283] schaft, AgfaGevaert, Fokker-VFW, etc. sind ihrer wirklichen Struktur nach Gleichordnungskonzerne: Nur bei ihnen bestehen im internationalen Bereich rechtliche und praktisch drängende Probleme, nicht dort, wo der Verbund nach dem Muster von Herrschaft und Unterwerfung hergestellt wird. e) Damit ist nun weiter zu fragen, welche unternehmerischen, nicht so sehr juristischen Bedürfnisse erfüllt sein müssen, um eine solche institutionelle Partnerschaft zu ermöglichen. Ziel eines solchen Verbundes ist die Steigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Koordination seiner Kräfte und Möglichkeiten. Das bedeutet: Der Verbund muß nach einem einheitlichen Wirtschaftsplan handeln können. Diese Voraussetzung wird traditionell durch Bildung einer rechtlichen Unternehmenseinheit – Einheitsgesellschaft – mit einheitlichen Organen erreicht, sie kann aber auch durch die Bildung einer besonderen Leitungsin-

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stanz bewirkt werden, soweit diese ihre Entscheidungen im Verbund durchzusetzen berechtigt ist. Kurz gesagt: Die Koordination von zwei oder mehr Unternehmen muß nicht mit den traditionellen korporativen Mitteln erreicht werden; entscheidend ist nicht die rechtliche Einheit des Unternehmens – wir wissen das zur Genüge aus den Phänomenen des Abhängigkeitskonzerns, der aus vielen rechtlich selbständigen Einheiten besteht – sondern die Möglichkeit, sich wirtschaftlich wie ein Unternehmen verhalten zu können. Anders ausgedrückt: Nicht die Fusion im rechtstechnischen Sinne ist erforderlich, es genügt auch die Fusionsähnlichkeit des Unternehmensverbundes. Wird aber diesen Bedingungen Rechnung getragen, so werden einzelne Leitungsentscheidungen für das eine oder andere der angeschlossenen Unternehmen nachteilig sein; denn: sollen die Vorzüge der Unternehmensverbindung zum Tragen kommen, so liegen sie eben gerade in der Investitionsentscheidung, der Produktkonzentration etc. zugunsten des einen und zuungunsten des anderen Partners. Soll der Verbund zustande kommen und lebensfähig sein, so dürfen daher die daraus resultierenden Nachteile für das betroffene Unternehmen, seine Aktionäre und Gläubiger natürlich nur vorläufig, nicht endgültig sein: Das benachteiligte Unternehmen, seine Gläubiger und Aktionäre müssen am Rationalisierungsvorteil solcher Entscheidungen im Verbund in gleichem Maße partizipieren wie das begünstigte Unternehmen. 2. Vertraglicher Gleichordnungskonzern a) Geht man von diesen Daten einerseits, von der Notwendigkeit eines möglichst umfassenden Rückgriffs auf die bestehenden nationalen Rechte [284] der beteiligten Unternehmen andererseits aus, so bietet sich der Gedanke, die Lösung in einem vertraglichen Gleichordnungskonzern zu suchen, geradezu an. Das gilt um so mehr, als es – wie schon hervorgehoben – inzwischen zahlreiche Beispiele solcher Gleichordnungskonzerne im internationalen Bereich gibt, die sich eben bisher nur zusätzlicher institutioneller Hilfen (z.B. Doppel-Holding, Vorzugsaktien) bedienen, weil die vertraglichen Grundlagen international ungesichert sind. Würde dagegen die vertragliche Lösung ausgebaut, so könnte von diesen institutionellen Zwischenformen abgesehen werden, die betreffenden Gesellschaften würden nach wie vor ihrem nationalen Recht unterstehen; Basis des Verbundes wäre nur der Unternehmensvertrag und die aus ihm fließenden wirtschaftlichen Entscheidungen auf die Organe der beteiligten Korporation. b) Einzelheiten Folgt man diesen Überlegungen, so sind nunmehr die Einzelheiten eines solchen internationalen Unternehmensverbundes in Form eines vertraglichen Gleichordnungskonzerns zu erörtern.

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aa) Struktur Um von einem Unternehmen sprechen zu können, müssen drei „Linien“ vereinheitlicht sein: Eine Leitungszentrale muß die Verwirklichung eines einheitlichen Wirtschaftsplanes sicherstellen, Gewinne und Verluste aller angeschlossenen Gesellschaften müssen vergemeinschaftet sein, Den Gläubigern jedes einzelnen Unternehmens muß das gesamte Vermögen aller beteiligten Gesellschaften haften. bb) Zentrale Leitung Herzstück eines solchen Unternehmensverbundes ist die zentrale Leitung. Von ihr aus ist der Verbund wie ein Unternehmen zu leiten. Daher muß der zentralen Leitung die Kompetenz zustehen, verbindliche Weisungen an die Geschäftsführung der angeschlossenen Untergesellschaften zu erteilen. Diese Befugnis ist für den deutschen Juristen keine Überraschung; sie ist im deutschen Konzernrecht (Vertragskonzern, Eingliederung) verwirklicht (§§ 308, 323 AktG). Das gleiche gilt für die Rechtswirklichkeit in den anderen europäischen Ländern: Welcher Président-Directeur Général einer französischen Tochtergesellschaft wird wohl die Aufforderung des Président-Directeur Général der Muttergesellschaft, eine bestimmte geschäftliche Maßnahme zu ergreifen, unter Hinweis auf seine Unabhängigkeit ablehnen? [285] Dieses notwendige Weisungsrecht der Zentrale kann dadurch praktisch gemildert werden, daß die zentrale Leitung aus zwei Organen besteht, nämlich der eigentlichen Leitungsinstanz (Direktorium) und einem Aufsichtsrat und daß beide Organe aus den korrespondierenden Organen der angeschlossenen nationalen Unternehmen durch Delegation bestimmt werden. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß die Interessen aller angeschlossenen Gesellschaften in den entscheidenden Zentralorganen mit vollem Gewicht zur Geltung kommen. cc) Gewinn- und Verlustgemeinschaft Soll die Leitung des Verbundes in der Lage sein, die angeschlossenen Gesellschaften wie ein Unternehmen nach einem einheitlichen Wirtschaftsplan zu führen, so sind mindestens kurzfristige Unterschiede in den Entwicklungen der angeschlossenen Gesellschaften unvermeidlich. Aus diesem Grunde müssen die Gefahren, die mit einer Zentralisierung der Leitung für die angeschlossenen Gesellschaften verbunden sein können, durch einen Gewinn- und Verlustpool aufgefangen werden: Nur so können die Aktionäre jeder angeschlossenen Gesellschaft vor gewollten oder zufälligen Unterschieden in der wirtschaftlichen Ent-

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wicklung „ihrer“ Gesellschaft sicher sein; nur so aber ist auch die zentrale Leitung in der Lage, nach dem Gesamtinteresse des Verbundes zu disponieren. dd) Liquidationsgemeinschaft Darüber hinaus sind längerfristige Entwicklungen zu bedenken, die nicht nur den einzelnen Jahresertrag, sondern die Ertragskraft der Gesellschaft überhaupt betreffen (Forschung, Investition). Solange der Verbund besteht, spielen diese Entwicklungen infolge der Gewinn- und Verlustgemeinschaft (bb) keine entscheidende Rolle. Wird der Verbund dagegen später aufgelöst, so bedarf diese Frage der Überprüfung. Denn die Stellung der Aktionäre beider Unternehmen sollte zu jeder Zeit wie die in einem fusionierten Unternehmen sein. Die Gewinn- und Verlustgemeinschaft muß daher durch eine Liquidationsgemeinschaft ergänzt werden, die bei der Auflösung des Verbundes solche unterschiedlichen langfristigen Entwicklungen und stillen Reserven ausgleicht. ee) Haftungsgemeinschaft Die Gläubiger der angeschlossenen Gesellschaften sind durch die Gewinnund Verlustgemeinschaft weitgehend gesichert. Gewinnverlagerungen können nur zeitlich von Bedeutung werden. Immerhin sollte zur Beseitigung aller denkbaren Gefahren der Leitungseinheit auch eine Haf- [286] tungseinheit der angeschlossenen Gesellschaften entsprechen. Das hätte zur Folge, daß jede angeschlossene Gesellschaft wie ein Bürge für die Verbindlichkeiten der anderen Gesellschaft(en) haftet. Für diese Lösung spricht auch, daß der Verbund selbst nicht Subjekt ist und Dritten gegenüber daher rechtlich nicht in Erscheinung tritt; auch aus diesem Grunde sollte seine wirtschaftliche Einheit durch die wechselseitige Haftung der angeschlossenen Gesellschaften für alle Verbindlichkeiten betont dokumentiert werden. Auch das entspricht wieder der hier angestrebten Fusionsähnlichkeit des Verbundes. ff) Dauer des Verbundes Ein Verbund selbständiger Gesellschaften verschiedener Nationalität mit fusionsähnlichem Charakter und dem Ziel, nach innen und außen wie ein Unternehmen zu wirken, zeigt seine besonderen Vorteile gerade in der Förderung langfristiger Entwicklungen. Müssen die angeschlossenen Gesellschaften und die gemeinsame Leitung fürchten, daß Gesellschaften in einer für sie besonders günstigen Situation den Verbund verlassen, so würden langfristige Planungen verhindert. Das ist auch der Grund, weshalb sich Unternehmen bisher nicht auf Absprachen verlassen, sondern Sicherheit vor solchen Gefahren in der Beteiligung an der anderen Gesellschaft suchen. Man muß daher eine Mindestdauer des Verbundes (10 Jahre) und längere Kündigungsfristen vorsehen. Darüber hinaus dürfte die Kündigung nicht allein in die Kompetenz der Geschäftsführung jeder Ge-

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sellschaft fallen; denn sie würde wie eine Auflösung des Gesamtunternehmens wirken. Daher müßte die Zustimmung der Hauptversammlung der kündigenden Gesellschaft mit der gleichen Mehrheit vorgesehen werden, wie sie für die Auflösung dieser Gesellschaft selbst erforderlich wäre. gg) Abschluß des Unternehmensvertrages Der Vertrag sollte, orientiert an den üblichen Regeln für die Gründung einer neuen Gesellschaft, der notariellen Beurkundung und der Eintragung im Handelsregister jeder beteiligten Gesellschaft bedürfen. Darüber hinaus müßte der Vertrag die Zustimmung der Hauptversammlungen der beteiligten Gesellschaften in gleicher Weise finden, wie sie für eine entsprechende nationale Fusion erforderlich wären. Zum weiteren Schutz der Aktionäre sollte die Hinzuziehung von Sachverständigen vorgesehen werden, die zu den Einzelheiten des Vertrages Stellung zu nehmen hätten (ähnlich den heute üblichen Lösungen bei Sacheinlagen), insbesondere zu den Modalitäten des Gewinn- und Verlustausgleichs sowie des Liquidationsausgleichs. [287] hh) Aufgabe der Hauptversammlungen der angeschlossenen Unternehmen Die Hauptversammlungen der angeschlossenen Unternehmen würden nicht funktionslos. Nach wie vor würden sie über Änderungen der Satzung ihrer Unternehmen beschließen. Nach wie vor hätten sie vor allem die Organe der beteiligten Gesellschaften zu bestellen und würden damit nicht nur die Besetzung ihrer eigenen Geschäftsführung bestimmen, sondern – wegen des Delegationsprinzips – zugleich entscheidenden Einfluß nehmen auf die Zusammensetzung der zentralen Leitung. Darüber hinaus könnte man vorsehen, daß jede Hauptversammlung nicht nur über die Entlastung ihrer eigenen Verwaltungsmitglieder, sondern über sämtliche Mitglieder der zentralen Leitung zu beschließen hat. 3. Verwirklichung: Staatsvertrag Dieser Überblick sollte verdeutlichen, daß nur sehr wenige Sonderregeln für einen solchen internationalen Vertragskonzern geschaffen werden müßten. Im übrigen könnte das nationale Gesellschaftsrecht ungehindert und auch mit unterschiedlichem Inhalt fortbestehen. Die Fähigkeit einer solchen Unternehmensverbindung, wie ein Unternehmen handeln zu können, wäre dennoch gesichert. Die wenigen gemeinsamen Regeln aber, die erforderlich sind, könnten in einem Staatsvertrag unter den interessierten Ländern Europas unschwer getroffen werden: Es wurde

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schon über wesentlich schwierigere und umfangreichere Abkommen in erträglicher Zeit eine Übereinkunft erzielt24. 4. Gegenargumente Gegenüber diesem Modell werden vor allem vier gewichtige Bedenken geltend gemacht25: Es sei ohne eine mindestens gleichzeitige Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte nicht zu verwirklichen; es biete gegenüber der internationalen Fusion und der S. E. keine Vorzüge bei der Lösung des Problemes der Mitbestimmung; [288] das geltende europäische Wettbewerbsrecht stehe überhaupt oder möglicherweise dieser Lösung entgegen und seine Verwirklichung durch einen Staatsvertrag sei viel zu umständlich, langwierig und unflexibel. a) Wie dargelegt, ist der Unternehmensvertrag in den meisten europäischen Ländern noch unbekannt. Diese Länder werden sich schwertun, den Unternehmensvertrag für internationale Unternehmen zu akzeptieren, für ihr nationales Recht aber weiter zu verbieten. Insofern liegt der Gedanke eines Junktims zwischen dem Vorschlag für einen internationalen Vertragskonzern und der Rechtsangleichung nahe. Auf diesen Gedanken kann durchaus zurückgegriffen werden; denn in den letzten Monaten sind gewichtige Fortschritte für die Angleichung des Gesellschaftsrechts in der EWG erzielt worden. Zwei neue Richtlinien-Entwürfe (Kapital und interne Fusion) liegen vor, ein dritter Entwurf zur Organstruktur der Aktiengesellschaft wird erwartet und die Sachverständigenberichte zur Angleichung des Konzernrechts und des Rechts der Rechnungslegung (Jahresabschluß) liegen der EWG-Kommission bereits vor26. Nichts stünde also von hier entgegen, zugleich die Arbeiten an einer Angleichung des nationalen Konzernrechts und an der Schaffung eines internationalen Vertragskonzerns in Angriff zu nehmen. b) Ein bisher unlösbares Problem bei Schaffung des Statuts einer S.E. sind die großen Unterschiede im geltenden nationalen Recht der Mitbestimmung und in 24 Wie sich aus meinem Entwurf eines solchen Staatsvertrages ergibt, wären nicht einmal 20 Artikel für eine solche Vereinbarung erforderlich. Vgl. LUTTER, Gutachten (Anm. 12), S. 140 ff. 25 Vgl. dazu den Sitzungsbericht über die Diskussion in der Handelsrechtlichen Arbeitsgemeinschaft des 48. Deutschen Juristentages, Bd. II (R) der Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages, München 1970, S. 37 ff. 26 Vgl. dazu LUTTER, Stand der Arbeiten zur Angleichung des Gesellschaftsrechts durch die Organe der EWG, Juristische Analysen, 1970, S. 509 ff. sowie JOHANNES BÄRMANN, Europäische Integration im Gesellschaftsrecht, Köln 1970, S. 298 ff. und WILHELM F. BAYER, Die Europäische Aktiengesellschaft und die Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts, RabelsZ 35, 1971, S. 201 ff.

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den politischen Vorstellungen über die Fortentwicklung der Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Unternehmen. Während im deutschen Recht die Arbeitnehmer in der Regel ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats stellen27 – im Bereich von Kohle und Eisen sogar die Hälfte (sog. paritätische Mitbestimmung)28 –, bestehen vergleichbare [289] Regelungen in den anderen europäischen Rechten nicht29. Die deutschen Gewerkschaften erstreben darüber hinaus eine Ausweitung dieser Mitbestimmung mit allen Kräften; sie finden hierfür allenfalls im politischen Bereich der Niederlande, nicht jedoch in den übrigen EWG-Ländern Gefolgschaft. Faktisch erstreben die deutschen Gewerkschaften mit ihrer Haltung gegenüber den bisherigen Vorschlägen zur Lösung des Problems bei der S.E. nicht nur einen Export der deutschen Lösung, sondern sie versuchen, die S.E. als Hebel zur Durchsetzung ihres Wunsches für eine Ausweitung der Mitbestimmung zu benutzen. Mein Vorschlag versucht, diese Frontstellung dadurch aufzulösen, daß kein nationales Recht zu einer Änderung seiner Regeln zur Mitbestimmung veranlaßt und auch nicht für künftige Entwicklungen präjudiziert wird: Nach meinen Vorstellungen wird der Zentrale Aufsichtsrat durch Delegation aus den nationalen Aufsichtsräten besetzt. Dadurch verwirklichen sich in diesem Organ die einzelnen nationalen Lösungen. Natürlich ist unbestreitbar, daß bei meiner Lösung dann, wenn der Verbund z. B. aus einem italienischen und einem deutschen Unternehmen besteht, also italienisches und deutsches Recht die Zusammensetzung des Zentralen Aufsichtsrats bestimmt, ein relatives Absinken des Einflusses aus der (deutschen) Mitbestimmung eintritt. Andererseits schlägt aber auch in diesem Organ jede Erweiterung der Mitbestimmung – gleich in welchem Partnerland sie eintritt – unmittelbar durch. Hier, so meine ich, wäre die Grundlage für einen tragbaren Kompromiß. Die deutschen Gewerkschaften werden, so hoffe ich, ernsthaft überlegen, ob sie Entwicklung und leistungsfähige Struktur der europäischen Wirtschaft durch das Problem der Mitbestimmung gefährden wollen. c) Die Frage der Zulässigkeit eines solchen Verbundes unter den Gesichtspunkten des Wettbewerbsrechts entscheidet sich nach den Art. 85 und 86 EWGV. Danach sind Absprachen und abgestimmte Verhaltensweisen verboten. Hierzu rechnen Unternehmenszusammenschlüsse der klassischen Art (Fusion, Erwerb von Betei§ 76 des Betriebsverfassungs-Gesetzes. Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie vom 21.5.1951 sowie Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie vom 7.8.1956. 29 Vgl. die Begründung der EWG-Kommission zu den Regeln über die Mitbestimmung (Art. 137 ff.) im Vorschlag für eine Europäische Aktiengesellschaft; vgl. weiter LYON-CAEN, Beitrag zu den Möglichkeiten der Vertretungen der Interessen der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft, Dokument 7.974/IV/69 der EWG-Kommission. 27 28

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Für einen Europäischen Vertragskonzern

ligungen) nach fast einhelliger Ansicht nicht30. Ob das wirtschaftspolitisch die immer richtige Entschei- [290] dung ist, stehe hier dahin. Unterfällt aber der Unternehmenszusammenschluß in den klassischen Formen nicht Art. 85 EWGV, so muß das auch für den hier vorgeschlagenen Unternehmensverbund im Hinblick auf seine Fusionsähnlichkeit gelten. Die Abgrenzung kann dann nicht nach dem Gesichtspunkt von Vertrag bzw. Erwerb der Mitgliedschaft geschehen, sondern muß funktionell erfolgen. Dann aber steht der hier vorgeschlagene Unternehmensverbund nicht einem Kartellvertrag, sondern einem Fusionsvertrag gleich. d) Ausarbeitung und Durchsetzung eines internationalen Abkommens ist stets ein langwieriges Unterfangen. Solange aber die Wirtschaftsgemeinschaft nicht politische Gemeinschaft ist, wird sie mit solchen Schwierigkeiten leben müssen. Allein aus diesem Grunde ein relativ unkompliziertes Abkommen für nicht verwirklichbar zu erklären, entspricht einfach nicht der Realität: Das Anerkennungsabkommen nach Art. 220 EWGV steht vor der Ratifizierung, das Fusionsabkommen vor der Paraphierung; dies zeigt sowohl die Möglichkeit als auch die Leistungsfähigkeit eines solchen Systems. VI. Zusammenfassung Die EWG ist als Zollunion verwirklicht und soll Wirtschaftsunion werden. Dem überwiegend dezentralen Aufbau dieser Gemeinschaft – im wirtschaftlichen Bereich vergleichbar einer Föderation, nicht einem Zentralstaat – entspricht die Kooperation der Marktsubjekte viel eher als die Schaffung von Einheitslösungen durch Kodifikation (S.E.). Adäquates Mittel der Kooperation aber ist wiederum am ehesten der Vertrag. Im Unternehmensrecht ging die Entwicklung des kontinentalen Rechtsden- [291] kens in den letzten 100 Jahren den umgekehrten Weg; von dem am Einzelfall orientierten vertraglichen Denken führte es hin zur Institution. Hier sollte eine gewisse Auflockerung möglich sein, ohne daß deswegen die VorVgl. die Nachweise bei LUTTER, Gutachten (Anm. 12), S. 124 ff. sowie WOLFGANG HEUnternehmenszusammenschlüsse im Lichte der Art. 85 und 86 des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kooperation und Konzentration im Gemeinsamen Markt, Köln/Berlin/Bonn/München 1968, S. 59 ff.; ULRICH HUBER, Zur kartellrechtlichen Problematik der Zusammenfassung von Konzernunternehmen unter einer einheitlichen Leitung im Sinne des § 18 AktG, ZHR 131, 1968, S. 193 ff.; DERSELBE, Konzerninterne Vereinbarungen im EWG-Kartellrecht nach der Kommissionsentscheidung im Falle Christiani & Nielsen, AWD 1969, S. 429 ff.; HANS-JÜRGEN SONNENBERGER, Schranken für Fusionen, Konzernbildungen und Errichtung von Gemeinschaftsunternehmen aus dem Kartellrecht?, Juristische Analysen 1970, S. 492 ff. Für Beteiligungen (Tochtergesellschaften) ist das inzwischen auch von der Kommission der EWG durch die Entscheidung Christiani und Nielsen (AWD 1969, S. 367 = Die AG 1969, S. 294) anerkannt. 30

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züge ausgefeilter nationaler Kodifikationen des Unternehmensrechts und ohne daß die Elemente unserer Wettbewerbsordnung aufgegeben oder auch nur wesentlich geändert werden müßten. Würden diese flexiblen Möglichkeiten vertraglicher Gestaltungen auch für den Bereich internationaler Unternehmensverbindungen von den nationalen Instanzen der europäischen Länder oder den Organen der europäischen Gemeinschaften aufgenommen und energisch entwickelt, so könnten erhebliche Fortschritte erzielt werden. Man könnte dann die erforderliche internationale Verflechtung der Unternehmen in der EWG erreichen, ohne in die Zuständigkeit der nationalen Rechte für das eigene Unternehmensrecht entscheidend eingreifen zu müssen. Abkürzungen Die AG AktG AWD BGH DB EWGV Gaz. Pal. RabelsZ Rev. MC Rev. prat. soc. Rev. soc. Rev. trim. dr. com. WuW ZHR

Die Aktiengesellschaft. Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 6.9.1965 (Bundesgesetzblatt I, S. 1089) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Bundesgerichtshof Der Betrieb Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft La Gazette du Palais, Paris Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Berlin u. Tübingen Revue du marché commun Revue pratique des sociétés civiles et commerciales Revue des sociétés Revue trimestrielle de droit commercial, Paris Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

Zur Europäisierung des deutschen Aktienrechts IN: HELDRICH/HENRICH/SONNENBERGER (HRSG.), KONFLIKT UND ORDNUNG, FESTSCHRIFT FÜR MURAD FERID ZUM 70. GEBURTSTAG, MÜNCHEN 1978, S. 599620

Der Titel dieser Betrachtung, dem Meister der Rechtsvergleichung und Freunde des Vaters gewidmet, scheint widersprüchlich zu sein. Und doch, so meinen wir, beschreibt er recht genau einen Vorgang, der in überraschender Lautlosigkeit vor sich geht, so, als ob nur technische Korrekturen einer fernen Bürokratie in Frage stünden und nicht Verlagerungen der rechtlichen Qualität und der legislativen Zuständigkeit für zentrale Teile der nationalen Wirtschaftsrechte. Die Rede ist von einem Teilbereich dieses Phänomens, der Angleichung der nationalen Aktienrechte in den neun Mitgliedstaaten der EG durch Richtlinien des Ministerrates auf der Grundlage von Art. 54 Abs. 3 lit. (g) des EWG-Vertrages.1 Nach einer Pause von 8 Jahren seit Erlaß der 1. Richtlinie,2 veranlaßt vor allem durch den zwischenzeitlichen Beitritt neuer Mitglieder, hat der Ministerrat der EG Ende 1976 die 2. Rechtsangleichungs-Richtlinie für das Gesellschaftsrecht beschlossen.3 Der Referenten-Entwurf (RefE) eines deutschen Durchführungsgesetzes liegt bereits vor.4 Diese Maßnahmen, die auf sorgfältigen und breit angelegten rechtsvergleichenden Studien beruhen, haben Auswirkungen auf die deutsche Ordnung des Aktienrechts, die weit über die unmittelbar vorgesehenen Änderungen einzelner Normen hinausgehen. Diese Auswirkungen sollen uns hier vornehmlich beschäftigen. [600]

1 Zum Umfang der erfaßten Materie vgl. Marx, Funktion und Grenzen der Rechtsangleichung nach Art. 100 EWGV, Köln 1976, S. 17ff. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Richtlinien, Richtlinienentwürfe und Abkommen findet sich bei Lutter, EuR 1975, S. 44. Einen Überblick über den derzeitigen Stand der Entwürfe gibt Pipkorn, ZHR 141 (1977), 330ff. Vgl. weiter Nobel, Europäisierung des Aktienrechts, 1974, passim, insbes. S. 43ff., 91ff.; sowie Goldmann, Droit commercial européen, 1975, S. 693ff. 2 Vom 9. März 1968, ABl der EG Nr. L 65/8 vom 14. 3. 1968 und deutsches Durchführungs-Gesetz vom 15. 8. 1969 BGBl I, 1146. 3 Veröffentlicht in ABl der EG Nr. 26/1 vom 31. 1. 1977. 4 Mit Stande vom 20. 6. 1977. Seit Januar 1978 liegt nun auch ein Regierungs-Entwurf (RegE) vor; er konnte teilweise nur noch in den Fußnoten berücksichtigt werden (BundesratsDrucksache 2/78).

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I. Die große Idee der Rechtsvergleichung, heute noch wie eh lebendig in der Person des Jubilars, galt dem Verständnis fremder Rechtskulturen5 und, auf diesem Wege, auch dem Abbau der auf Unkenntnis und Fremdheit beruhenden Feindschaft unter den Völkern;6 sie galt dem Lernen rechtlicher Lösungen anderer Gemeinschaften für gleiche oder ähnliche Sozialkonflikte,7 sie galt im letzten aber auch einem droit commun, einem Grundbestand einheitlichen Rechtes der zivilisierten Völker,8 nicht zuletzt aber auch einer Wiederbelebung des jus unum europae:9 der Rechtsvereinheitlichung als Garantie des Rechtsfriedens und damit auch des Völkerfriedens vor allem in Europa. In den drei Genfer Abkommen über das Einheitliche Wechsel- und Scheckrecht erreichte diese breite rechtswissenschaftliche Bewegung ihren ersten sinnfälligen Ausdruck. Nach 1945 waren die gleichen Ideen lebendig,10 zugleich aber auch das Wissen um die unendlichen Schwierigkeiten solcher Vorhaben; vor allem aber ahnte man die Unterschiede in den politisch-sozialen Zielvorstellungen und damit die Gefahren im Lösungsdetail. Immerhin gelangen mit den Haager Abkommen, wie etwa dem über das internationale Kaufrecht, weitere Einheitslösungen für wichtige Rechtsbereiche,11 darüber hinaus aber mit dem EWG-Vertrag selbst nicht nur ein politisches Datum von unvergleichlichem Gewicht sondern auch die Rechtseinheit in einer Form, wie sie von der klassischen Idee der Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung nicht gedacht war und zugleich in einem Maße, wie sie in ihrer heutigen Gestalt wohl selbst die Verfasser des Vertrages überraschen würde. Denn die Vereinheitlichung war und ist ganz und gar unsystematisch – kein „Rechtsgebiet“ sondern ein an den wirtschaftlichen Freiheiten des Vertrages ausgerichteter Funktio- [601] nenkatalog –; sie ist von anderer Qualität als in Abkommen zur Rechtsvereinheitlichung – höherrangiges Gemeinschaftsrecht12 statt des zwar einheitlichen, aber nationalen Rechts –; und ihr Ausmaß verdankt sie vor allem dem durch die Lehre vorbereiteten13 und von der Rechtsprechung Ferid, Das französische Zivilrecht, I, 1971, S. 3. Vgl. dazu Constantinesco, Rechtsvergleichung I, Köln 1971, S. 191ff. 7 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung I, 1971, S. 14 und 54ff.; Constantinesco (Fn. 6), S. 166ff. 8 Saleilles, La fonction juridique du droit comparé in: Festschrift Kohler, (Stuttgart 1909), S. 176. 9 Bärmann, Revue internationale du droit comparé (Rev. int. dr. comp.) 1960, 9ff., 60. 10 Constantinesco, (Fn. 6), S. 191ff. 11 Vgl. zum Umfang Zweigert/Kropholler, Quellen des Internationalen Einheitsrechts, I-III, 1971-73 sowie Kropholler, Internationales Einheitsrecht, Tübingen 1975, S. 93ff. 12 Vgl. EuGH (Rs 34/67), Rspr. XIV, 364. 13 Dazu Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972, S. 120ff.; Constantinesco, Die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsnormen und der Rechtschutz von Einzel5 6

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des Europäischen Gerichtshofs gesicherten weiten Verständnis seiner unmittelbar anwendbaren (self executing) Regeln.14 Von diesem unmittelbaren Zugriff zur Schaffung eines punktuellen europäischen Einheitsrechts abgesehen, verdeutlicht der EWG-Vertrag aber auch die klare Zurückhaltung der politischen Instanzen der Nachkriegszeit gegenüber den klassischen Ideen der Rechtsvereinheitlichung: diese ist im Vertrag nicht mehr selbst Motor einer aus kulturellen Daten wachsenden politischen Einheit sondern hat dienende Funktion15 in einer Gemeinschaft, deren wirtschaftliche und soziale Schwerpunkte den Verbund tragen und über lockere zu immer dichteren Formen der politischen Einheit führen sollen. Nur in diesem funktionalen Kernbereich ist eine – wiederum unsystematische – sekundäre Rechtseinheit durch unmittelbar anwendbares europäisches Verordnungsrecht vorgesehen, Art. 189 II EWGV. Im übrigen soll es nach den Vorstellungen des Vertrages bei der nationalen Rechtshoheit und damit bei den unterschiedlichen nationalen Rechten verbleiben, und zwar durchaus auch im wirtschaftlich-sozialen Gegenstandsbereich des Vertrages selbst. Nur dort, wo diese Unterschiedlichkeiten die Verwirklichung der Vertragsziele stören oder gar verhindern, sollen diese Hindernisse punktuell beseitigt, aber selbst dann nicht durch die Einheit europäischen Rechts ersetzt werden: Rechtsangleichung war hier die Innovation, die Zauberformel des Vertrages, welche die Lösung zwischen sachlich notwendiger Regelungseinheit und Fortbestand der nationalen Rechtshoheit – und damit den Besonderheiten des nationalen Rechts – bringen sollte, Art. 54 III, 100-102 EWGV.16 Ob und mit welchem Ergebnis dieses Konzept gelungen ist, soll vornehmlich an Hand der soeben erwähnten 2. Richtlinie erörtert werden. [602] II. Die 2. Richtlinie, in über 6 Jahren vielfach beraten,17 ist von Anfang an als „Kapitalrichtlinie“ bezeichnet worden. Obwohl damit ihr Schwerpunkt zutreffend hervorgehoben wird, ist die Bezeichnung insgesamt ungenau. Denn einerseits ist sie nach ihrem Art. 1 im Gegensatz zur 1. Richtlinie nur anwendbar auf das natipersonen im Recht der EWG, Baden-Baden 1969; derselbe JuS 1956, 289 und 340; Mestmäcker, Die Vermittlung von europäischem und nationalem Recht im System unverfälschten Wettbewerbs, 1969, S. 61ff. 14 Seit der Entscheidung Costa-Enel, EuGH Rspr. X, 1269. 15 Lutter, Die Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht, Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd. 39, 1968, S. 5 und 35 sowie NJW 1966, 273. 16 Bärmann, Die europäischen Gemeinschaften und die Rechtsangleichung, JZ 1959, 553ff.; ders., Europäische Integration im Gesellschaftsrecht, Köln 1970, S. 33ff. 17 Der Entwurf datiert vom März 1970; ein Vorentwurf existiert allerdings seit Mai 1965 (Dok. Kom. 6063/111 c 65-D vom 4. 5. 1965).

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onale Recht der Aktiengesellschaften; vor allem die Kapitalregeln des GmbHRechts sind also nicht angesprochen. Andererseits geht die Richtlinie ihrem Inhalt nach nicht unwesentlich über Fragen des Kapitalschutzes dadurch hinaus, daß auch allgemeine Fragen der Gründung und des Satzungsinhaltes angesprochen sind. 1. Die Richtlinie fixiert zunächst einmal das kontinentale System des festen Kapitals, der intangibilité du capital.18 Insofern ist sie für das englische und irische Recht von großer, für das niederländische Recht immerhin noch von erheblicher, für das deutsche wie das französische, belgische und italienische Recht aber von geringerer Aktualität.19 Dieser zentrale Regelungsbereich der Richtlinie reicht vom gesetzlichen Mindestkapital über Vorschriften zu den Einzahlungsfristen, den Sacheinlagen,20 den eigenen Aktien21 und der Einziehung von Aktien bis zur Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung. 2. Darüber hinaus enthält die Richtlinie aber auch – zum Teil in Ergänzung zu den Vorschriften der 1. Richtlinie – noch einmal eingehende Bestimmungen zur Gründung der Aktiengesellschaft sowie zum Mindestinhalt ihrer Satzung.22 3. Die einzelnen Bestimmungen der Richtlinie sind meist ungemein detailliert und so speziell, daß sie dem nationalen Gesetzgeber kaum einen materiellen Spielraum belassen. Das gilt nicht nur für den Satzungsinhalt – insoweit kann der Richtlinientext fast nur noch abgeschrieben werden – und für die Vorschriften zu den Sacheinlagen und ihrer Prüfung, sondern auch für Fragen der [603] Abschlagsdividende (Art. 15 II), den Erwerb eigener Aktien, das Bezugsrecht und die Einziehung. Vorschriften nach Art des Art. 7 „Das gezeichnete Kapital darf nur aus Vermögensgegenständen bestehen, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Jedoch können diese Vermögensgegenstände nicht aus Verpflichtungen zu Arbeits- oder Dienstleistungen bestehen“

sind typisch. III. Die Richtlinie ist, wie schon gesagt, von unterschiedlicher Aktualität für das deutsche Recht. Von Bedeutung sind vor allem die folgenden Aspekte:

Art. 2 der Richtlinie. Vgl. dazu bereits Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, 1964, insbes. S. 42ff., 498ff. 20 Vgl. Art. 7, 9 II, 10. 21 Vgl. Art. 18-24. 22 Vgl. Art. 2-5. 18 19

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1. Eigene Aktien Nach deutschem Recht können eigene Aktien zu Lasten des Kapitals erworben werden. Diese klare Inkonsequenz gegenüber dem sonst minutiös geregelten Schutz des gebundenen Vermögens der Aktiengesellschaft ist bereits früher als Schwäche des Aktiengesetzes von 1965 beklagt und als angleichungsbedürftig dargelegt worden.23 Nach der Richtlinie aber „darf der Erwerb nicht dazu führen, daß das Nettoaktivvermögen den … Betrag (des Kapitals) unterschreitet; …“24

und um diesen Zustand auch während der Besitzzeit aufrecht zu erhalten, verlangt Art. 22 Abs. 1 lit. b die Bildung einer passiven Sonderrücklage für die Dauer der Besitzzeit, wenn die Aktien von der Gesellschaft aktiviert werden. Und schließlich hat die Verwaltung künftig die nächste Hauptversammlung über die Gründe und den Zweck des getätigten Erwerbs, über Zahl und Nennbetrag sowie den Kaufpreis eingehend zu unterrichten. Der RefE nimmt die Anweisung im Vorschlag für einen künftigen § 71b Abs. 2 AktG auf, fixiert die Pflicht zur Bildung einer Sonderrücklage in gleicher Höhe wie die betreffenden eigenen Aktien auf der Aktivseite der Bilanz zu Buche stehen und formuliert dann weiter: „Die Rücklage darf erst nach der Ausgabe, der Veräußerung oder der Einziehung der eigenen Aktien nach § 71c aufgelöst werden.“24a [604]

Diese Gestaltung berührt wichtige Zuständigkeitsprobleme sowohl beim Erwerb wie bei der Veräußerung eigener Aktien; sie gäbe, würde sie so Gesetz, Vorstand und Aufsichtsrat einen noch breiteren Einfluß auf die Ausschüttungspolitik der Gesellschaft als er heute schon besteht: a) Der Erwerb eigener Aktien führt immer zu einer Umschichtung des Aktivvermögens der Gesellschaft, darüber hinaus künftig aber auch noch zusätzlich zur Bindung ausschüttungsfähiger Teile des Vermögens. Damit tritt diese Regelung in Konflikt zur Ordnung aus § 58 I und II AktG, wonach Hauptversammlung und Verwaltung je zur Hälfte über die Verwendung der ausschüttungsfähigen Teile des Vermögens bestimmen. Die Richtlinie sagt dazu naturgemäß nichts; aber auch der RefE schweigt, wo er sicher reden müßte: denn in der von ihm geplanten Kombination zwischen § 71 und § 71b AktG verfügt die Verwaltung vorweg über ausschüttungsfähige Teile des Jahresüberschusses und greift damit de facto in das ausgewogene System des § 58 AktG ein. b) Die gleiche Folge tritt bei Veräußerung der Aktien ein; hier wird die Sonderrücklage frei; der ausschüttungsfähige Betrag des Jahresüberschusses erhöht 23 Vgl. dazu bereits meine Überlegungen in Kapital, S. 528ff. und im Kölner Kommentar zum AktG, § 71 Anm. 3ff. 24 Art. 19 I, lit. c. 24a Sachlich gleich nunmehr der Vorschlag eines § 150a AktG im RegE.

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sich, fließt also in die Kompetenz der Hauptversammlung zurück. Das allein aber genügt nicht. Denn im Wechsel zwischen Bildung und Auflösung der Rücklage entsteht für die Verwaltung eine Gestaltungsmöglichkeit in bezug auf die Höhe des Jahresüberschusses, die dem Gedanken des § 58 AktG nicht entspricht. Auch insoweit schweigt der RefE. 2. In der Richtlinie selbst findet sich in Art. 2 lit. (d) eine Bestimmung, die bei näherer Betrachtung sehr merkwürdig anmutet. Danach hat die Satzung folgende Angaben zu enthalten: „Die Bestimmungen, welche die Zahl … der Mitglieder derjenigen Organe, die mir der Vertretung gegenüber Dritten, mit der Verwaltung, der Leitung … der Gesellschaft betraut sind, festlegen, soweit sich dies nicht aus dem Gesetz ergibt.“

Dementsprechend sieht der RefE die Ergänzung des § 23 Abs. 3 AktG bezüglich des notwendigen Satzungsinhalts einer AG durch eine Nr. 5 mit folgendem Wortlaut vor: „Die Zahl der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats.“24b [605]

Der RefE folgt also der Richtlinie bezüglich der Zahl der Vorstandsmitglieder und geht über sie bezüglich der Aufsichtsratmitglieder hinaus; denn deren Zahl ergibt sich aus dem Gesetz.25 a) Der RefE begründet den Zwang zur Angabe der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder in der Satzung mit der Schaffung eines schnellen und einfachen Überblicks für den Rechtsverkehr. Der Vorschlag ist jedoch unzweckmäßig. Zwar ergibt sich diese Zahl aus dem Gesetz und das, so könnte man meinen, läßt sich vielleicht für die Satzung abschreiben. Tatsächlich aber werden vielfältige rechtliche Unsicherheiten bei der Feststellung der richtigen Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern nun auch in die Satzung der Aktiengesellschaft und ihrer Wirksamkeit getragen: künftig sollen also so schwierige, faktisch ebenso wie rechtlich umstrittene Fragen wie die Zahl der Arbeitnehmer,26 die Zurechnung vom Gemeinschaftsunternehmen,27 die Existenz eines Zwischenkonzern28 zum Satzungsstreit befördert werden – von dem Erfordernis künftig laufender Änderungen der Satzung bei Änderung der Arbeitnehmerzahl einmal ganz abgesehen. b) Die künftig erforderliche Angabe der Zahl von Vorstandsmitglieder ist ein gesetzgeberisches Kuriosum; denn mit dieser Regel ist eine Rückkehr zum

24b Anders jetzt der RegE (§ 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG): „die Zahl der Mitglieder des Vorstandes oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird.“ 25 §§ 95, 96 AktG und § 7 MitbestG 1976; die Satzung kann höhere Zahlen festsetzen. 26 Vgl. dazu Lutter, ZGR 1977, 204ff. 27 Dazu Klinkhammer, Mitbestimmung im Gemeinschaftsunternehmen, Berlin 1977. 28 Vgl. dazu einerseits Lutter/Schneider, BB 1977, 553ff., andererseits Klinkhammer, DB 1977, 1601ff.

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Rechtszustand verbunden, wie er vor Erlaß der 1. Angleichungs-Richtlinie und des Durchführungsgesetzes dazu bestanden hatte.29 Sachlich kann die Lösung von Richtlinie und RefE kaum überzeugen; denn die tatsächlich amtierenden Vorstandsmitglieder müssen im Handelsregister eingetragen30 und auf allen Schriften der Gesellschaft namentlich aufgeführt sein.31 Welchen Nutzen es dann haben soll, den Aufsichtsrat in den sachlichen Notwendigkeiten über die Zusammensetzung des Vorstands an die Vorgabe der Hauptversammlung zu binden, bleibt rätselhaft. Aber die Richtlinie ist bindend; welche Möglichkeiten der Korrektur allenfalls verbleiben, soll sogleich unter IV, 3b erörtert werden. 3. Mit ihrem Art. 42 sorgt die Richtlinie schließlich für ein besonders komple- [606] xes Problem im Zusammenhang mit der Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre. Die Richtlinie ist vorsichtig und formuliert: „Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden.“

Demgegenüber greift der Vorschlag eines künftigen § 53a AktG im RefE und RegE voll in die Saiten und formuliert schneidig: „Aktionäre sind unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln.“

a) Das Gleichbehandlungsgebot läßt sich im geltenden Aktienrecht zwar nur mittelbar aus einzelnen Anwendungsfeldern erschließen (z. B. § 134 I, 1, 186 AktG); dennoch ist seine allgemeine Geltung in Rechtsprechung und Lehre unbestritten.32 Das erkennt auch die Begründung des RefE; denn § 53a soll das deutsche Recht keineswegs novellieren sondern lediglich „auch im Wortlaut des Aktiengesetzes der Richtlinie entsprechen“. Tatsächlich aber gelingt das erstere nicht während letzteres (Textanpassung) überflüssig ist. b) Das Gleichbehandlungsgebot ist Teil des geltenden Aktienrechts. Seine Beseitigung durch eine Änderung von Lehre und Rechtsprechung steht überhaupt nicht in Frage. Offenkundig ist damit schon die Angleichungsbedürftigkeit des deutschen Rechts fraglich. Und die Frage ist klar zu verneinen. Im Gegenteil: gerade hier könnte sich der Grundgedanke der Rechtsangleichung einmal durchsetzen. Denn das europäische Recht der Richtlinie enthält Zielvorgaben für das materielle Recht des einzelnen Mitgliedslandes; wie sich aber dieses Recht technisch verwirklicht, gehört zum Entscheidungsbereich des nationalen Gesetzge29 Gesetz v. 15. 8. 1969, BGBl I, 1146; zu den bereits früher bestehenden Zweifelsfragen vgl. Meyer-Landrut in: Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., § 76 Anm. 13. 30 §§ 36, 37, 81 AktG; s. Art. 2 und 3 der 1. Richtlinie (oben Fn. 2). 31 § 80 AktG, insoweit allerdings über Art. 4 der 1. Richtlinie weit hinausgehend. 32 Vgl. BGHZ 33, 175ff.; 21, 354ff.; RGZ 132, 149ff.; aus der Literatur: Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, München 1958, passim; Zöllner, Kölner Kommentar zum AktG, § 243 Anm. 145ff. m. w. N.; zuletzt Lutter, JZ 1976, 225, 228.

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bers. Und dieser hatte sich schon 1965 entschieden, das auch damals bereits gültige Prinzip der Gleichbehandlung nicht zu kodifizieren. Warum sollte er diese Haltung ohne Zwang jetzt aufgeben? c) Ist also die mit § 53a vorgeschlagene technische Umsetzung von Art. 42 der Richtlinie überflüssig, so bleibt die Frage nach den sonstigen Vor- und Nachteilen der geplanten Norm, deren Inhalt weit über den begrenzten Bereich der Richtlinie hinausgeht. Erste Zweifel ergeben sich bereits angesichts der Rigidität der Formulierung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, bisher als abdingbare Regel verstanden mit [607] der Folge, daß kein Verstoß vorliegt, wenn die benachteiligten Mitglieder der Ungleichbehandlung zugestimmt haben,33 scheint nach dem RegE zum zwingenden Prinzip erstarrt zu sein. Zwar erklärt die Begründung zum RefE, eine materielle Rechtsänderung sei nicht beabsichtigt. Hält man sich dagegen zunächst und in erster Linie an den Wortlaut der geplanten Vorschrift und sieht diesen zusätzlich im Zusammenhang mit § 23 Abs. 5 AktG, so scheinen abweichende Beschlüsse und Satzungsbestimmungen schlechthin unzulässig zu sein. Sinnvoll wäre eine solche Regel sicher nicht. Warum soll ein Mitglied nicht auf ganz bestimmte, klar umrissene Positionen verzichten können?34 Dann aber sollte das auch in der Formulierung klar zum Ausdruck kommen. Stärker noch wiegen andere Bedenken. Das deutsche Recht läßt bisher unter bestimmten engen Voraussetzungen – etwa im sog. Gesellschaftsinteresse – Abweichungen von der Regel zu.35 Das Gebot gleicher Behandlung verbietet die willkürliche Differenzierung; es muß nicht berührt sein bei einer sachlichen Rechtfertigung, die außerhalb der unmittelbaren Aktionärsinteresse liegen können. Während nun die Richtlinie durch ihre Formulierung „… die sich in denselben Verhältnissen befinden“ noch Anhaltspunkte dafür gibt, daß sachlich gerechtfertigte Abweichungen möglich sind – sofern sich die Aktionäre eben nicht in denselben Verhältnissen befinden –, birgt der deutsche Text keine Anhaltspunkte für diese Deutung.35a Im Gegensatz zur vorgeschlagenen positiven Fassung des RegE würde daher – will man auf die Regelung nicht ganz verzichten – eine negative Fassung (Verbot der Willkür) weit eher einen Anhaltspunkt und Maßstab für die Anwendung des Gebotes im Einzelfall geben.36 Darüber hinaus bleiben weitere Fragen in der jetzigen Fassung ungeklärt. Legt die Formulierung „Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen“ den Maßstab Zöllner, (Fn. 32), § 243 Anm. 149ff. Das bedeutet nur: Dem Prinzip der Vertragsfreiheit Vorrang einzuräumen, vgl. näher Zöllner (Fn. 32), Anm. 150 m. w. N. 35 Näher dazu Zöllner (Fn. 32), Anm. 153ff. 35a Diese Bedenken berücksichtigt auch die neue Fassung des RegE („gleiche Voraussetzungen“) nicht genügend. 36 Wie hier Götz Hueck (Fn. 32), S. 182. 33 34

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der Gleichbehandlung auf die Kapitalbeteiligung fest oder kann Maßstab im Einzelfall auch eine Gleichbehandlung nach Köpfen sein? Inwieweit kann die Satzung trotz § 23 Abs. 5 AktG den Maßstab selbst regeln?37 Völlig unklar ist schließlich das Verhältnis dieses § 53a zum Konzernrecht. Das Gesetz erlaubt im Konzern ausdrücklich eine unterschiedliche Behand- [608] lung der Aktionäre, etwa im Hinblick auf Einflußnahmen der Obergesellschaft oder die Gewinnabführung. Zudem kann nach bisherigem Verständnis die Konzerneinbindung einer Gesellschaft Sachgrund für die Vornahme von Differenzierungen in der Gleichbehandlung sein,38 etwa im Rahmen des § 131 AktG.39 Ob all das künftig noch zulässig sein soll, ist nach dem Wortlaut des geplanten § 53a AktG völlig offen. Schafft der Entwurf insoweit mehr Unsicherheiten als er zur Klärung beiträgt, ja besteht nicht einmal die Notwendigkeit dieser Regelung, so sollte lieber auf die Normierung überhaupt verzichtet werden. Das gilt um so mehr, als Art. 42 der Richtlinie bereits heute Teil der innerdeutscher Rechtsordnung ist und sich seine Qualität mit Ablauf der Anpassungsfrist von zwei Jahren aus Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie noch einmal verdichtet: die weitere Entwicklung und Anwendung des Gleichbehandlungsgebotes im Aktienrecht wird künftig Art. 42 der Richtlinie als normative Grundlage mit zu beachten haben. IV. Beurteilt man die wenigen soeben unter II. und III. mitgeteilten Daten der Richtlinie zunächst einmal vordergründig, so überwiegt sicher die Zustimmung mit einer das deutsche Recht in seiner Substanz bestätigenden, in seinen Details oft sogar verbessernden Maßnahme. Sieht man aber die bisherige Richtlinienpraxis in einem systematischen Zusammenhang, so eröffnen sich merkwürdige und bislang wenig reflektierte Zusammenhänge. 1. Die Richtlinie hält sich zwar formell strikt an die Weisung aus Art. 189 III EWGV: der europäische Gesetzgeber formuliert die materiellen Gesetzgebungsziele, der nationale Gesetzgeber verwirklicht sie nach den Regeln seiner Verfassung durch entsprechende Umsetzung in nationales Recht. Darin aber, so muß man annehmen, sollte sich in den Vorstellungen der Verfasser des EWGV der Gedanke der Rechtsangleichung gegenüber der Rechtsvereinheitlichung nicht erschöpfen: hier sollte offenbar materieller Gestaltungsspielraum bleiben. Denn weshalb sonst das komplizierte, mit vielen sachlichen und inhaltlichen Fallstricken Zu diesen Fragen vgl. Zöllner (Fn. 32), Anm. 159ff. Zöllner (Fn. 32), Anm. 164f. 39 Zöllner (Fn. 32), § 131 Anm. 69; Bedenken insoweit allerdings bei Hommelhoff/Timm, AG 1976, 330, 332. 37 38

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umgebene Verfahren einer vielfältigen Rechtsetzung? [609] Sieht man nüchtern wie die Stück für Stück nach dem Auftrag der 2. Richtlinie angeglichenen nationalen Aktienrechte einst aussehen werden, so bleibt allenfalls unbedeutendes Rankenwerk und – auch das nicht immer – die formelle Textgestaltung der nationalen Aktiengesetze, materiell aber kaum mehr ein Unterschied gegenüber etwa dem vereinheitlichten Wechsel- und Scheckrecht mit seinen eher gewichtigeren nationalen Abweichungsvorbehalten. Diese Entwicklung zu immer detaillierteren Richtlinienvorschriften widerspricht, wie vielfältige Untersuchungen gezeigt haben,40 weder dem europäischen Recht noch läßt sie sich der Sache nach immer vermeiden. Sie widerspricht aber klar der Konzeption von Rechtsangleichung als einem aliud gegenüber der Rechtsvereinheitlichung und bedeutet die Aufgabe eines ihrer tragenden Elemente: mindestens für das Aktienrecht hat sich also dieser Gedanke der Rechtsangleichung kaum als eine tragfähige sachliche Alternative zur klassischen Rechtsvereinheitlichung erwiesen.41 Im Gegenteil: neun trotz aller Detaileinheit noch immer unterschiedliche Texte bei weitgehend gleichem Sachgehalt werden den Blick auf das tatsächlich gewonnene Maß der Rechtseinheit verstellen und das erforderliche Maß wechselseitigen Vertrauens in die fremde Rechtsordnung42 letztlich doch zu wenig fördern. 2. Die Richtlinie umschreibt das nationale Mindest-Grundkapital in Rechnungseinheiten, Art. 6. Die RE ist aber weder europäische noch nationale Währung, kann also so nicht in das nationale Recht übernommen werden; dieses muß das Mindestgrundkapital in nationaler Währung ausdrücken. Andererseits ändert sich die Situation von RE zur einzelnen nationalen Währung, wie Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie selbst betont. 25 000 RE waren Ende Mai 1975 ca. 20,3 Mio, Mitte September 1977 sind es ca. 25 Mio italienische Lire. Ändert dementsprechend der italienische Gesetzgeber sein nationales Recht erneut in Anpassung an Art. 6 der Richtlinie, so kann er aus eben dieser Vorschrift in Kürze schon wieder zu einer Änderung seines nationalen Rechtes genötigt [610] sein. Denn Art. 6 bleibt fortgeltendes europäisches Recht; die Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers aus ihr erlischt nicht etwa mit der ersten, damals richtigen Umsetzung sondern lebt bei entsprechender Entwicklung erneut auf. Darauf geht Abs. 2 des Art. 6 der Richtlinie ausdrücklich ein. Das System der Rechtsangleichung zwingt also den 40 Ipsen in: Festschrift Ophüls (1965), S. 76ff.; Zweigert in: Festschrift Dölle, Bd. II (1963), S. 411ff.; Lutter, Rechtsangleichung (Fn. 15), S. 29 m.w.N.; a.A. vor allem Rodière, Revue trimestrielle de droit européen (Rev. trim. dr. eur.) 1965, 336ff. Vgl. auch Bärmann, Integration (Fn. 16), S. 61ff. 41 Ebenso Kropholler (Fn. 11), S. 115, der die Unterscheidung des EWGV in seinem Art. 189 III zwischen Ziel (insoweit EG-Vorgabe) und Mittel (insoweit nationales Reservat) „praktisch als undurchführbar“ ansieht und zutreffend andeutet, daß hier zum Teil Rechtsvereinheitlichung nach dem Modell einer loi uniforme stattfindet; vgl. dazu auch bereits Lutter, EuR 1969, S. 1, 9. 42 Das ist der sachliche Grund für die Angleichung dieses Rechtsgebietes, vgl. Lutter, Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht (Fn. 15), S. 15ff.

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nationalen Gesetzgeber ggf. zu laufenden, nicht etwa nur zu einmaligen Anpassungen seines nationalen Rechts und schafft damit Notwendigkeiten, die der nationalen Gesetzgebungspraxis im Gesellschaftsrecht bislang durchaus fremd sind.43 Aber die Bedeutung dieser Norm reicht noch weiter. Richtiger Ansicht nach wird eine Richtlinie nach Ablauf der dem nationalen Gesetzgeber gesetzten Frist zur Anpassung seines nationalen Rechts in dem Maße unmittelbar und allgemein geltendes europäisches Recht (self-executing), in dem ihre Anweisungen ausreichend präzise und ohne materielle Alternativen sind.44 Das trifft für „25 000 RE“ sicher zu. Paßt daher der nationale Gesetzgeber nach einer Änderung der Umrechnungsparität sein nationales Recht nicht innerhalb der durch Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie bestimmten erneuten Frist an, so hat der nationale Registerrichter die Eintragung einer Gesellschaft mit zu geringem Kapital abzulehnen und die bestehenden Gesellschaften mit zu geringem Kapital entsprechend seinen nationalen Möglichkeiten (z. B. § 144a FGG) und trotz der formellen Fortgeltung der nationalen Vorschrift mit dem niedrigerem Mindestkapital zur Anpassung anzuhalten.45 Damit hat sich auch der zweite Aspekt von Rechtsangleichung als einem aliud gegenüber der Rechtsvereinheitlichung letztlich als nicht tragfähig erwiesen. Denn eigentlich sollte mit ihr eine nur sehr begrenzte Rechtsetzungskompetenz auf die Ebene der Gemeinschaft verlagert und die Gemeinschaft insofern gerade nicht zur Quelle eines allgemeinen Rechtes werden: die Notwendigkeiten des Vertrages haben diese zu schwach gebaute Mauer nationaler Rechtsautonomie schon bald zusammenbrechen lassen.46 [611] 3. Die soeben getroffenen Feststellungen zum self executing-Charakter einer solchen Richtlinie nach Ablauf ihrer Umsetzungsfrist leiten über zu zwei weiteren Aspekten, die unmittelbar das Verhältnis zur nationalen Gesetzgebungshoheit betreffen:

43 Vgl. insbes. auch noch die Aufzeichnung des Rates der EG vom 10. 12. 1976 – R/1395/76 (ES 13) unter Ziff. 1 und das dort vorgesehene Verfahren zur zusätzlichen Änderung der Mindestkapitalfestsetzung nach Art. 6 Abs. 1 und 3 – mit dem Bestreben „die Wahl der Rechtsform der AG den großen und mittleren Unternehmen vorzubehalten“. 44 EuGH in den Rs 9/70 und 20/70, Rspr. XVI, 825 + 841 (Leberpfennig). Dazu ausführlich Lutter, ZZP 86 (1973), 107, 142ff. m. w. N.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 123; Bleckmann, Europarecht, 1976, S. 201f. 45 Vgl. dazu bereits die Warnung des Bundesrates vor den Folgen einer unmittelbaren Anwendbarkeit der 2. Richtlinie in seiner Stellungnahme zum Vorschlag der 2. Richtlinie, BRDrucks. 197/1970 v. 19. 2. 1971, Anlage Punkt 3. 46 Vor allem die Schwerfälligkeit der anderen Sanktionen des Vertrages gegen Mitgliedstaaten, die ihre Pflichten aus Art. 189 III EWGV nicht erfüllen: so der EuGH (Fn. 44).

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a) Ein erster Punkt ist in RefE und RegE selbst angesprochen. Dort wird für den künftigen § 71 Abs. 1 AktG als zulässiger Erwerb eigener Aktien u. a. in Ziff. 3 formuliert: „wenn der Erwerb geschieht, um Aktionäre nach § 305 Abs. 2 oder § 320 Abs. 5 abzufinden, …“

Die Vorschrift nimmt damit Bezug auf Regeln des sog. Konzernrechts, wonach bei Eingliederung oder Unternehmensverträgen unter bestimmten Voraussetzungen das herrschende Unternehmen den „außenstehenden Aktionären“ der abhängigen Gesellschaft eigene Aktien zur Abfindung anzubieten hat. Die Richtlinie selbst aber erlaubt das nur für „Aktien, die erworben werden, um Minderheitsaktionäre verbundener Gesellschaften zu entschädigen; …“47

In der Richtlinie sind also nur Minderheitsaktionäre, nicht außenstehende Aktionäre angesprochen; außenstehende Aktionäre sind aber keineswegs notwendig Minderheitsaktionäre. Die Richtlinie ist in ihrem Erlaubnisrahmen also enger als der RefE, in durchaus sachlicher Weise an Normen des geltenden Aktienrechts orientiert, zu normieren vorschlägt. Ist das zulässig? Verstößt ein Vorstand, der dementsprechend verfährt, künftig dennoch gegen geltendes Recht, weil die insoweit self-executing gewordene Richtlinie als höherrangiges europäisches Recht das entgegenstehende nationale Recht verdrängt? Die Begründung zu § 71 Abs. 1 Nr. 3 des RefE beruft sich auf einen „Redaktionsfehler“; denn es habe „Einigkeit darüber bestanden, daß gerade die Regelung des deutschen Konzernrechts erhalten bleiben soll, dem die Richtlinienbestimmung nachgebildet ist“. Eine authentische Interpretation steht dem Bundesgesetzgeber kaum zu. Insofern kann sein Votum das durch die Richtlinie fixierte europäische Recht nicht verändern. Maßgebend ist also allein dessen Inhalt. Aber auch das europäische Recht ist naturgemäß auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Und dieser Auslegung haben sich in erster Linie die angesprochenen Mitglied- [612] staaten zu stellen.48 Da sie am europäischen Gesetzgebungsverfahren durch je einen Vertreter im Ministerrat beteiligt waren, sind sie über das mit der Richtlinie im einzelnen Gewollte genau informiert. Für das durch die Bundesregierung formulierte Verständnis der Richtlinie spricht, daß der Vorentwurf einer Konzernrechtsrichtlinie (II. Teil)49 selbst Regeln nach Art der §§ 305, 320 AktG vorsieht.50 Außerdem ist Vgl. Art. 20 I lit. f. Im Zusammenhang mit den Methoden der Auslegung im internationalen Einheitsrecht ebenso Kropholler, (Fn. 11), S. 291, der eine solche Auslegung durch den nationalen Gesetzgeber zuläßt, um die „systematische Kohärenz“ des nationalen Rechts zu erhalten. 49 Dok. Kom. XI/593/75 rev. D. 50 Vgl. Art. 9 II des Vorentwurfs, der allerdings wiederum von den „freien Aktionären“ spricht. Zu dieser Begriffsvielfalt im Rahmen der Rechtsangleichung des Gesellschaftsrechts vgl. 47 48

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nicht anzunehmen, daß die Bundesregierung einer so tiefgreifenden Änderung des deutschen Konzernrechts zugestimmt hätte. b) Oben wurde bereits Art. 2 lit. (d) der Richtlinie erwähnt mit der Bestimmung, daß die Satzung die Zahl der Vorstandsmitglieder enthalten müsse.51 Rechtspolitisch ist diese Regelung verfehlt: sachlich verlagert sie Aufgaben vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung und senkt damit die für ManagementEntscheidungen so wichtige Reaktionsgeschwindigkeit der Gesellschaft;52 praktisch zwingt sie den Aufsichtsrat zu verfehlten Entscheidungen oder zum Verstoß gegen eine sanktionslose Norm: denn was sind die Rechtsfolgen, wenn der Aufsichtsrat kein 5. Vorstandsmitglied bestellt ?53 Soll etwa der Registerrichter von Amts wegen nach § 85 AktG eingreifen? Oder gelten etwa, wie im RefE vorgesehen, die rigiden Folgen aus § 144a FGG.53a Kurz: der Bundesgesetzgeber wäre sachlich gut beraten, wenn er eine Vorschrift dieser Art nicht in Kraft setzen würde. Die Frage ist nur, ob er das kann, ohne seine Pflichten aus dem EWG-Vertrag zu verletzen (Art. 189 III) und ohne Gefahr zu laufen, daß etwa die Registergerichte doch Satzungen ohne Angaben über die Zahl der Vorstandsmitglieder beanstanden unter Hinweis auf das nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar anwendbar gewordene Recht aus Art. 2 der Richtlinie. [613] aa) Der Wortlaut der Richtlinie ist klar. Und die in ihr enthaltene Einschränkung „…, soweit sich dies nicht aus dem Gesetz ergibt;“

trifft für den Vorstand des AktG nicht zu.54 bb) Die Bestimmung ist so, wie sie formuliert wurde, auch gewollt, greift sie doch nur eine Bestimmung auf, wie sie ähnlich früher bereits galt.55 Damit kann eine Auslegung nur an der hier entscheidenden Formulierung „Zahl festlegen“ (scil: der Mitglieder des Vorstands) ansetzen. Eine gewisse Festlegung in der Satzung ist danach unvermeidlich. Fraglich ist jedoch, ob die Zahl bestimmt sein

insbes. Geßler in: Lutter, Die Europäische Aktiengesellschaft, Köln 1976, S. 275ff. (zu Art. 228ff. des SE-Statuts). 51 Nach der Begründung zum RefE ist damit die „konkrete Zahl“ gemeint. Zurückhaltender jetzt der RegE. 52 Zur Bedeutung der Besetzungskompetenz des Aufsichtsrats, Hommelhoff, BB 1977, 322, 324ff. 53 Die Satzung verlangt fünf Vorstandsmitglieder. Zwar findet sich für den 5. Sitz keine überzeugende Person, aber … 53a Vgl. dazu aber Art. 2 des RefE. 54 Hier gelten nur Mindestregeln, § 76 II, 2 AktG, im Gegensatz zu den Regeln für den Aufsichtsrat, §§ 95, 96 AktG. 55 Bis 1969 galt eine Nr. 5 des § 23 III AktG und schrieb als Satzungsinhalt die „Zusammensetzung des Vorstands“ vor.

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muß oder ob ein Rahmen für die Zahl der Vorstandsmitglieder genügt.56 Für ersteres spricht, daß „Zahl“ eine Assoziation auf bestimmte Zahl evoziert; für letzteres, daß es im Text eben nicht „bestimmte“ oder „genaue“ Zahl heißt. Läßt der Wortlaut daher – zur Not – beide Möglichkeiten offen, so ist ein restriktives Textverständnis aus ratio legis und legislativem Sachzusammenhang möglich. Beide aber sprechen deutlich dafür, eine Rahmenregelung für ausreichend zu erachten, da Dritte durch die Eintragungen im Handelsregister und die Angaben auf den Geschäftsbögen ausreichend informiert sind. cc) Bleibt damit dem nationalen Gesetzgeber ein durch Auslegung der Richtlinie gewonnener Spielraum, so sollte er ihn nutzen und dem Aufsichtsrat einen sachgemäßen Gestaltungsbereich für den Fall belassen, daß sich auch der Satzungsgeber dazu entschließt. Dieser hat danach die Möglichkeit, zwischen der exakten Angabe in der Satzung57 und der Festlegung eines Rahmens58 zu entscheiden. Das aber sollte im Text der deutschen Norm auch klar zum Ausdruck gebracht werden.58a [614] c) In der gleichen Richtliniennorm (Art. 2 lit. d) ist eine weitere Auslegungsfrage verborgen; sie wird im RegE des Ausführungsgesetzes nicht weiter angesprochen. Künftig soll die Satzung auch „die Bestimmungen über die Verteilung der Zuständigkeiten“ zwischen den Organen Vorstand und Aufsichtsrat festlegen, soweit sich diese nicht bereits aus dem Gesetz ergibt. Das ist im deutschen Recht mit den §§ 76 und 111, 112 AktG weitgehend der Fall. Allerdings kann der Aufsichtsrat nach § 111 IV 2 AktG im Einzelfall oder allgemein in seiner Geschäftsordnung oder der des Vorstands bestimmen, daß der Vorstand bestimmte Geschäfte nur mit seiner Zustimmung vornehmen kann. Ist damit die Zuständigkeitsfrage angesprochen,59 so müßte diese von der Satzung unabhängige Möglichkeit in Zukunft entfallen und § 111 IV AktG entsprechend geändert

56 Vgl. zu dieser Frage bereits die Kontroverse um § 23 III, Nr. 5 a.F. („Zusammensetzung des Vorstandes“) – Nachweise bei Godin/Wilhelmi, Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 1967, § 23 Anm. 12 und § 76 Anm. 10. Bis zur Aufhebung dieser Norm im Jahre 1969 waren Satzungsbestimmungen üblich, welche die „Zusammensetzung des Vorstands“ mit „ein oder mehreren“, „zwei oder mehr“, „mehrere“, „mindestens drei“ oder „mindestens drei und höchstens zwölf“ umschrieben. 57 „Die Gesellschaft hat 5 Vorstandsmitglieder“. 58 „Die Gesellschaft hat mindestens 3 und höchstens 6 Vorstandsmitglieder“. 58a Dem entspricht der neue Vorschlag im RegE (oben Fn. 24b): der RegE macht von hier ermittelten Auslegungsspielraum des nationalen Gesetzgebers Gebrauch. Nach der amtl. Begründung zu dem geänderten Vorschlag des RegE soll nun aber bereits die Satzungsbestimmung „Der Aufsichtsrat bestimmt die Zahl der Mitglieder des Vorstands“ der Richtlinie genügen, da mit ihr gerade dieser Praxis Rechnung getragen werden sollte. Das könnte nun allerdings den textlichen Auslegungsrahmen sprengen. 59 Hierzu scheint etwa Immenga, ZGR 1977, 249, 261f. zu tendieren.

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werden.60 Versteht man den Zustimmungsvorbehalt dagegen nur als Konkretisierung der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat, so ist § 111 IV 2 AktG durch die Richtlinie nicht angesprochen. Eine überzeugende Beantwortung der Frage aus dem deutschen Recht wird kaum gelingen. In einem zweiten Ansatz – und das ist exemplarisch für die jetzt und in Zukunft61 erforderliche Exegese richtlinienbetroffener Materien – muß also versucht werden, das Verständnis von „Zuständigkeit“ im Begriff der Richtlinie zu klären. Aus dieser Sicht mag es sein, daß in der Richtlinie nicht differenzierte Fragen der soeben geschilderten Art behandelt werden sondern eher einfache Elemente, wie sie im deutschen Aktienrecht mit den §§ 76 und 111 längst normiert sind. Das ist offenbar der Fall. Denn tatsächlich hatte der europäische Gesetzgeber nationale Aktienrechte zu berücksichtigen, in denen diese grundlegende Aufteilung der Befugnisse nicht normativ fixiert ist.62 Da diese Frage aber Gegenstand der geplanten 5. Richtlinie ist,63 lag es nahe, im Rahmen der 2. Richtlinie wenigstens dafür zu sorgen, daß diese grundlegenden Befugnisse der Verwaltungsorgane wenigstens durch die Satzung geklärt werden. [615] Zuständigkeit im Sinne von Art. 3 lit. d meint also einen Grundbereich von Handlungszuständigkeiten, nicht differenzierte Zwischenbereiche.63a Eine Änderung von § 111 IV AktG ist danach nicht erforderlich. Die Überlegung dokumentiert, auf welch vielschichtigen Ebenen sich Auslegungsfragen zu ganz „normalen“ Problemen des nationalen Aktienrechts künftig bewegen müssen. 4. Ein weiterer Aspekt soll sich mit denkbaren Konflikten zwischen nationalem und europäischem Recht sowie der verbleibenden Gesetzgebungshoheit der Mitgliedstaaten beschäftigen. Nach ihrem Art. 1 betrifft die Richtlinie die deutsche Aktiengesellschaft, ausdrücklich also nicht die GmbH. Deren Mindestkapitel etc. sind also nicht angesprochen. Angenommen nun, Bundesregierung und Bundestag kämen zu der Auffassung, die in gewisser Weise „übernormierte“ Aktiengesellschaft führe zur Verödung des Kapitalmarktes, was wiederum ihrer Politik der breiten Eigentumsstreuung entgegenstehe. Der Bundestag hebt daher § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG auf (Formpflicht bei der Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen), eröffnet 60 Vgl. auch die Bedenken gegen die ursprüngliche Fassung der 2. Richtlinie in der gemeinsamen Stellungnahme von DIHT, BDI usw. vom 15. 7. 1970, S. 4 zu Art. 2 lit. g. 61 Da die Richtlinie aktuelles europäisches Recht bleibt, gehört sie zum Normenbestand der Bundesrepublik und muß daher vom deutschen Richter künftig in seine Exegese einbezogen werden. Vgl. dazu. bereits oben bei Fn. 44. 62 Vgl. etwa für Belgien Art. 53ff. 63 der Lois coordonées v. 30. 11. 1935 i. d. F. von 1973. 63 Vgl. Art. 2 des Entwurfs der 5. Richtlinie, Beilage 10/72 zum Bulletin der EG. 63a Die nicht nach außen hin sich auswirkende, rein interne Einschaltung des Aufsichtsrates wäre also kein „Zuständigkeits“-problem i. S. der Richtlinie, da sie – von § 32 MitbestG abgesehen – die Vertretungsmacht des Vorstandes unberührt läßt.

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die Möglichkeit, Geschäftsanteile in Wertpapieren öffentlichen Glaubens zu verbriefen und erlaubt den Handel dieser Titel im geregelten Freiverkehr an den Börsen: das alles ohne Namensänderung und unter Einbau in die Vorschriften des geltenden GmbH-Gesetzes. Materiell verliert damit die GmbH ihren normativen Charakter einer „geschlossenen“ Gesellschaft; sie wird praktisch zur Aktiengesellschaft. Formell bleibt sie GmbH und wird nach wie vor von Art. 1 der Richtlinie nicht erfaßt. Muß dennoch der Registerrichter aufgrund des höherrangigen und längst unmittelbar anwendbar gewordenen europäischen Rechts der Richtlinie auf ein Mindest-Stammkapital von umgerechnet 25 000 RE entsprechend Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestehen? Zunächst: nach Ablauf der Umsetzungsfrist von 2 Jahren würde der deutsche Gesetzgeber seine Pflichten aus dem EWG-Vertrag verletzen, würde er neues materielles Recht mit einem Inhalt verabschieden, der dem in der Richtlinie normierten Angleichungszielen entgegenstünde. Aber das wäre nicht die einzige Rechtsfolge. Denn ist, wie hier vertreten,64 die Richtlinie in weiten Teilen nach Ablauf eben dieser Frist self-executing und damit unmittelbar wirksames europäisches Recht mit allgemeiner, nicht nur staatengerichte- [616] ter Geltung geworden, so tritt eben dieses Recht in Konflikt mit neuen nationalen Normen, die seinen Aussagen inhaltlich entgegenstehen. Die Rechtsfolge kann daher nicht anders sein als bei nationalem Recht, das versucht, von Anfang an unmittelbar geltendes europäisches Recht etwa aus einer Verordnung abzuändern, ihm entgegenzuwirken: es wäre – mindestens – sachlich wirkungslos und dürfte von den nationalen Gerichten – ggf. nach entsprechender Vorlage und Klärung durch den Europäischen Gerichtshof, Art. 177 EWGV – nicht angewandt werden.65 Die Beantwortung der oben gestellten Fragen ist damit abhängig vom Inhalt der Richtlinie: erfaßt sie die Aktiengesellschaft als materielle Erscheinung, so wären auf ein derart verändertes GmbH-Recht die Regeln der Richtlinie anzuwenden; der Bundesgesetzgeber wäre verpflichtet, ihre Daten in das so geänderte GmbHRecht einzubauen; und die Gerichte müßten, soweit das nicht geschieht, die dann unmittelbar anwendbar gewordenen Teile der Richtlinie (z. B. Mindestkapital) als für diesen neuen Typ von GmbH verbindliches europäisches Recht anwenden. Erfaßt die Richtlinie dagegen nur die Aktiengesellschaft in ihrer so vom nationalen Gesetzgeber bezeichneten Form, dann mögen Maßnahmen, wie sie hier unterstellt wurden, neue Angleichungsprobleme für den europäischen Gesetzgeber ergeben; die Richtlinie erfaßt dann de lege eine wie auch immer veränderte GmbH nicht.

Oben Fußn. 44. EuGH vom 17. 5. 64 (Costa-Enel), Rspr. X, 1251 und erneut 13. 7. 72 Rspr. XVIII, 534. BVerfG Beschluß vom 9. 6. 1971, BVerfGE 31, 154; vgl. näher Lutter, ZZP 86 (1973), 145ff. 64 65

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Wir neigen hier der ersteren und damit dem materiellen Verständnis des Anwendungsbereiches einer solchen Richtlinie zu. Denn wäre es anders, so käme die europäische Rechtsordnung sehr schnell in die Rolle des Hasen aus der Geschichte vom Hasen und Igel: der nur scheinbar zu europäischer Gefolgschaft bereite nationale Gesetzgeber könnte auf die hier geschilderte und vielfache ähnliche Weise durch das Ausweichen in andere Rechtsformen und die Schaffung neuer Rechtsformen stets neue Angleichungstatbestände schaffen und deren Verwirklichung als Mitglied des europäischen Gesetzgebungsorgans Ministerrat über lange Strecken verhindern. Damit stünde der Stand der Angleichung und der Inhalt einer Richtlinie im Grunde doch zur Disposition [617] nationalen Gesetzgebers. Das aber ist so weder vom System des europäischen Rechts noch vom europäischen Gesetzgeber selbst als gewollt anzunehmen. Das Gebot des stand-still aus einer Rechtsangleichungs-Richtlinie66 dieser Art ist also materiell, nicht nur formell zu verstehen. V. Die soeben erörterten Fragen zur Auslegung von Art. 2 der Richtlinie und von Art. 1 Nr. 1 des RegE zum künftigen § 23 Abs. 3 Nr. 5 AktG leiten über zu einer letzten Frage im Zusammenhang mit dem Gestaltwandel des deutschen Aktienrechts: nach welchen Aspekten hat die Auslegung der von solchen Richtlinien erfaßten Teile des deutschen Aktiengesetzes künftig zu geschehen? Angenommen also, § 23 Abs. 3 Nr. 5 wird entsprechend dem Vorschlag der Bundesregierung im RefE Gesetz und verlangt künftig die Angaben der „Zahl der Mitglieder des Vorstands“; angenommen weiter, ein Registergericht hat dann die Frage zu klären, ob in einem konkreten Fall die Angabe „mindestens drei und höchstens sechs“ genügt. Welche Kriterien hat dieses Gericht zu berücksichtigen?67 Die Frage hat drei Aspekte: 1. Die Vorschrift beruht auf dem Vollzug einer verpflichtenden Anweisung des europäischen Rechts, Art. 189 III EWGV. Dabei ist davon auszugehen, daß der deutsche Gesetzgeber eben diese seine Rechtspflicht korrekt und vollständig erfüllen wollte. Basis dieses objektivierten Gesetzgebungswillen ist die Richtlinie und ihr im Text verfestigter Wille des europäischen Gesetzgebers: insoweit können und müssen daher ggf. die Materialien und Erläuterungen bei Abfassung der 66 Zur Sperrwirkung einer Richtlinie gegenüber dem nationalen Gesetzgeber, vgl. EuGH Rspr. XVI, 825 (Leberpfennig) und XVI 427 und 451 sowie Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, Hamburg 1966, S. 118; derselbe EuR 1971, 1, 21; Ipsen (Fn. 13), S. 701f.; Marx (Fn. 1), S 47. 67 Zur Auslegung im internationalen Einheitsrecht vgl. insbes. Kropholler (Fn. 11) § 19, S. 258ff.

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Richtlinie zu Rate gezogen werden;68 sie bestimmen den volitiven Hintergrund der Richtlinie und damit den objektivierten Willen des nationalen Gesetzgebers. 2. Wird im Rahmen einer Auslegung festgestellt, daß der Text des nationalen Gesetzes hinter dem europäischen Gesetzgebungsziel zurückbleibt und ist eine extensive Auslegung des nationalen Textes zur Schließung der so festgestellten Lücke zwischen Anforderung und ihrer Erfüllung durch den nationa- [618] len Gesetzgeber nicht möglich, so ist zu fragen, ob die legislative Differenz, die Lücke zwischen europäischem Anspruch und nationalem Vollzug durch die unmittelbare Geltung der Richtlinie als innerstaatlichem Recht europäischen Ursprungs geschlossen worden, ob also die Richtlinie mit dem von ihr intendierten Inhalt unmittelbar anwendbares Recht geworden ist. 3. Die soeben erörterten Auslegungsmomente sind auch dann zu beachten, wenn der Text des nationalen Rechts zwar im Regelungsbereich der Richtlinie liegt, aber im Vollzugsgesetz unverändert blieb, weil etwa – tatsächlich oder nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers – das geltende Aktienrecht insoweit den Anforderungen der Richtlinie bereits entsprach:69 sowohl im Bereich der finalen Auslegung dieses unveränderten nationalen Textes wie bei Überlegungen zur Lücke und ihrer Ausfüllung durch die Richtlinie selbst sind dann die obigen Erwägungen zu beachten; sie überlagern den alten Text und bringen ihn, auch ohne Veränderung, in die Dimension des europäischen Rechts.70 4. Die drei soeben angesprochenen Aspekte sind Fragen zum Inhalt und zum Anwendungsbereich des europäischen Rechts. Die nationalen Untergerichte können, die letztinstanzlichen Obergerichte (OLG oder BGH) müssen daher – soweit nicht aufgrund anderweitiger Vorlagen schon geklärt – die Frage nach Art. 177 Abs. 2 und 3 EWGV dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, um die Einheitlichkeit der europäischen Rechtsentwicklung sicherzustellen. Zum Verständnis und zum Auslegungsrahmen einer nationalen Norm, die in Vollzug einer gesellschaftsrechtlichen Richtlinie entstanden war, hat das der Bundesgerichtshof kürzlich getan71 und der Europäische Gerichtshof hat entsprechend entschieden;72 zur Vorlagepflicht und Vorlagemöglichkeit bei Fragen zur unmittelbaren Anwend-

68 Dazu näher Kropholler (Fn. 11), S. 274ff. (S. 275: „… oft sogar die einzige Möglichkeit, zu einem gesicherten Ergebnis zu gelangen.“). 69 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben zum Gleichbehandlungsgebot: ausreichend wäre die Weitergeltung des bisherigen deutschen Rechts unter Berücksichtigung von Art. 42 der Richtlinie. 70 Vgl. die ähnlichen Überlegungen in der Entscheidung des EuGH vom 12. 11. 1974, Rs 32/74 (Haaga), Rspr. XX, 1201. 71 Beschluß vom 14. 2. 1974, NJW 1974, 1640: Vorlage zur Haaga-Entscheidung des EuGH (Fn. 70) im Rahmen eines Verfahrens nach § 38 II FGG. 72 EuGH (Rs 32/74) Rspr. XX, 1201 (Haaga).

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barkeit einer Richtlinie kann vor allem auf die Leberpfennig-Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs verwiesen werden.73 Mit den beiden zuletzt angesprochenen Aspekten – europäische Überlagerung des nationalen Textes und Auslegungszuständigkeit des Europäischen [619] Gerichtshofs – wird noch einmal deutlich, in welchem Maße sich der Charakter eines nationalen Aktiengesetzes im Angleichungsbereich einer solchen Richtlinie qualitativ entscheidend verändern wird: es unterscheidet sich künftig grundlegend von „normalen“ Gesetzen europaferner Materien. VI. Schien der Titel unserer Überlegungen zu Beginn noch übertrieben, ja widersprüchlich, so hat der notwendig kursorische Überblick die in ihm angelegte These, wie wir meinen, bestätigt: immer weitere Teile des deutschen Aktienrechts werden final und funktional überlagert von europäischen Gesetzgebungsvorstellungen und dem europäischen Gesetzgebungswillen; der nationale Aspekt tritt zurück und erhält zunehmend sekundären Charakter: er sichert den systematischen Zusammenhang und regelt autonom nur noch diejenigen Teile, die von Richtlinien nicht erfaßt oder dem nationalen Gesetzgeber zu autonomer Gestaltung ausdrücklich überwiesen sind.74 Immer größere Teile des deutschen Aktienrechts werden darüber hinaus der Gestaltungshoheit des nationalen Gesetzgebers entzogen; weicht dieser bei Vollzug der Richtlinie oder durch spätere Eingriffe vom Richtlinienbefehl ab, so verletzt er nicht nur seine Pflichten aus dem EWGVertrag, sondern läuft Gefahr, wirkungsloses nationales Recht zu statuieren. Und schließlich unterliegt die Auslegung, und damit auch die Fortentwicklung immer wichtigerer Teile dieses Rechtsgebietes, der Auslegungszuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs und damit einer Instanz, die der Gesamtbetrachtung eines europäischen Unternehmensrechts zugewendet und verpflichtet ist und nicht etwa einer an nationalen Zielen orientierten Interpretation. Es wäre danach ein arges Mißverständnis, die Rechtsangleichung des EWGVertrages in ihren Wirkungen als ein Minus gegenüber dem klassischen Bilde der Rechtsvereinheitlichung zu sehen. Im Gegenteil: die materiellen Spielräume der nationalen Gesetzgeber sind oft geringer als sie aus Vorbehalten in Einheitsabkommen fließen; und ihre eigentümliche und fortwirkende Bedeutung als europäische lex wird gesichert durch die einheitliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Sieht [620] man

EuGH Rspr. XVI, 825, 841 (Leberpfennig). So z. B. Art. 3 der 1. Richtlinie bei der Wahlfreiheit zwischen den Systemen der Eintragung oder der Niederlegung im Recht des Handelsregisters. 73 74

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Zur Europäisierung des deutschen Aktienrechts

das, so wäre es bis zum Versuch auch einer (weitgehenden) Einheit der nationalen Texte kein großer Schritt mehr. Diese Entwicklung ist im EWG-Vertrag angelegt. Sie mag in einzelnen Aspekten vielleicht weitergehen als zunächst erwartet, insgesamt aber kann sie nicht überraschen. Gerade der Aspekt des stand-still im Regelungsbereich einer solchen Richtlinie sollte aber auch als Gefahr erkannt werden: das dynamische Unternehmensrecht kommt mit dem stand-still nicht aus.75 Es muß anpassungsfähig bleiben. Dazu aber ist das jetzige Gesetzgebungsverfahren in Europa sowohl hinsichtlich seines procedere wie auch hinsichtlich seiner politischen Aspekte ungeeignet.76 Sollen aber die europäisierten nationalen Aktienrechte ihren wirtschaftspolitischen und sozialen Anforderungen gerecht bleiben und soll ihre Europäisierung nicht an sozialen und politischen Zwängen zerbrechen, dann ist eine Übertragung der Regelungsbefugnis aus Vorschriften, wie sie Art. 54 EWGV vorsieht, auf ein frei gewähltes und damit politisch autonomes Europäisches Parlament unabdingbar.

Dazu näher Lutter, EuR 1975, 44, 52f. Insoweit wohl a.A. Pipkorn, ZHR 141 (1977), 330, 354; wie hier Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 699. 75 76

Europas Werden durch das Recht* IN: DORALT/NOWOTNY (HRSG.), KONTINUITÄT UND WANDEL, BEITRÄGE ZUM

UNTERNEHMENSRECHT, FESTSCHRIFT FÜR WALTHER KASTNER ZUM 90. GEBURTSTAG, WIEN 1992, S. 301-316 Vor 20 Jahren, anläßlich der ersten Festschrift Kastner, ging es mir um die Probleme der Finanzierung international tätiger Unternehmen, um die internationalen Optionsanleihen. „International“ war dabei der Sachverhalt, die Rechtsfrage war und ist rein nationalen Rechts, war und ist eine Frage des deutschen Aktienrechts1. Diesen nationalen Ansatz hat Walther Kastner aber schon vor 30 Jahren in einer großen Arbeit über die Fragen des Gesellschaftsrechts in Europa gesprengt2. Die damals von Walther Kastner angeschnittenen Fragen sind heute wie damals unerhört aktuell, in allen EG-Ländern und in Österreich. Sie sollen hier aufgegriffen und in einen weiteren Zusammenhang gestellt werden. I. Einleitung 1. Über lange Zeiten seiner Geschichte hin hat Österreich, dieses schöne Land, nach dem glücklichen Prinzip gehandelt: tu felix Austria nube. Jetzt plant Österreich wieder eine Hochzeit. Aber diesmal geht es nicht um den Gewinn einer schönen italienischen Prinzessin und um ein weiteres Stück des heiteren Veneto, diesmal geht es um Österreichs Verbindung mit gleich 12 europäischen Staaten in einer Gemeinschaft, die Rechtsgemeinschaft ist. Denn dieses Europa ist, wie Walter Hallstein, einer seiner Väter sagte, gleich in dreifacher Hinsicht ein Phänomen des Rechts: es ist durch Recht entstanden, ist eine Schöpfung des Rechts; es ist selbst in erstaunlichem Maße Rechtsquelle; und ist für uns, seine Bürger, Rechtsordnung. Diese Gemeinschaft, auch und gerade die eines Tages um Österreich als ihrem 13. Mitgliedstaat erweiterte Gemeinschaft mag noch so sehr auf * Teile dieser Abhandlung hat der Verfasser auf der Eröffnungsveranstaltung des 10. Österr. Juristentages in Linz 1990 vorgetragen. Der Vortrag erscheint 1992 in der verkürzten Form in den Verhandlungen des 10. Österr. Juristentages. 1 Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, FS Kastner, 1972, 245 ff; dazu jüngst Schumann, Optionsanleihen, 1990. 2 Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts unter dem Gesichtspunkt der europäischen Integration, Verhandlungen des 2. Österr. Juristentages, Bd d 1 Teil 5, Wien 1964.

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die politischen Visionen ihrer Gründer zurückgehen und mag noch so stark durch Aspekte von Wirtschaft und Wohlstand motiviert sein, verwirklicht ist diese Gemeinschaft in der Idee des Rechts. Mehr als jede Verfassung schafft der Vertrag, durch den sie entstanden und der ihre Verfassung ist, unmittelbare Rechte für ihre Bürger. Und mehr als jeder andere internationale Vertrag weist der EWG-Vertrag den durch ihn geschaffenen Organen legislative Befugnisse zu, ist er die sprudelnde Quelle für ständig neu entstehendes europäisches Recht: [302] Dieses Europa der 12 und künftig 13 ist nicht einfach, es wird aus sich heraus mehr und mehr zu einer wahren Rechtsgemeinschaft. Ging es anfangs darum, mit den Mitteln des Rechts einen Markt auf dem Gebiete von ursprünglich 6, dann 12 und künftig 13 und mehr Staaten zu schaffen, so sind wir heute weit darüber hinaus und mitten im Aufbau und in der Verwirklichung einer europäischen Rechtsgemeinschaft. Deren wichtigste Elemente aber sind eine Teil-Verfassung, eine weite Wirtschaftsrechts- und beginnende Steuerrechtsordnung und eine sich immer stärker entwickelnde Arbeits- und Sozialrechtsordnung. Davon, vom Sein und Werden Europas durch das Recht und seinen Folgen, soll hier die Rede sein. 2. Geboren wurde die EG als Wirtschaftsgemeinschaft. Recht aber prägt Wirtschaft und das Geschehen in ihr. Nichts macht das deutlicher als die Umwälzung in den Ländern des europäischen Ostens, die dort zur völligen Änderung der Rechtsordnungen geführt hat: Ein ganz und gar einmaliger Vorgang, über den die Menschen noch in Generationen staunen werden. Sollte daher die Wirtschaftsgemeinschaft gelingen, so mußte sie von Anfang an auch Rechtsgemeinschaft sein. Wirtschaft aber war nicht nur gedacht als Gütermarkt, sondern auch als Markt für Arbeit und Dienstleistungen, vor allem aber auch als Freiheit zum Markt, also Freiheit zur Niederlassung und beruflichen Tätigkeit überall in der Gemeinschaft. Die berühmten Freiheiten des Vertrages – Freiheit des Waren-, des Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehrs, die Freiheit der Niederlassung und des Wettbewerbs sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer – konstituieren die Gemeinschaft. II. Zur Freiheit des Warenverkehrs Geht man von diesen Freiheiten aus, so liegt uns zunächst die Freiheit des Warenverkehrs besonders nahe; und es wundert daher nicht, daß es den Mitgliedsstaaten seit langem verboten ist, Waren aus einem anderen Mitgliedsland an ihren Grenzen aufzuhalten, Einfuhrzölle zu erheben oder einer Beschränkung der Menge nach – nur 1000 VW Golf pro Jahr nach Italien – zu unterwerfen. Das ist in den berühmten Art 30 ff des EWG-Vertrages festgelegt und heute akzeptiert.

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Dafür sind die Staaten um so einfallsreicher, wenn es um Maßnahmen geht, die gleiche oder doch ähnliche Wirkungen haben. Aber die Rechtsordnung der Gemeinschaft war und ist darauf vorbereitet durch den schlichten Satz, daß auch Maßnahmen gleicher Wirkung ebenfalls verboten sind, Art 30 EWG-Vertrag. Zwei Fälle, die europäische Rechtsgeschichte gemacht haben, hatte der EuGH in diesem Zusammenhang ausgerechnet gegen die Bundesrepublik zu entscheiden; ein weiterer aus jüngster Zeit und gegen das kleine Land Luxemburg wird schon bald zu diesen causes celèbres gerechnet werden. a) Der erste war der Fall Cassis de Dijon3. Alle kennen diesen köstlich duftenden Likör aus schwarzen Johannisbeeren, der sich im Sommer wunderbar für [303] einen Kir Royal eignet. Dessen Import in die Bundesrepublik aber wollte die deutsche Zollverwaltung nicht zulassen; denn das deutsche Branntweingesetz schreibt für Liköre einen Mindest-Alkoholgehalt von 30% vor – übrigens: kein Mensch weiß warum –, der Cassis de Dijon aber hat nur 25%. Deswegen wurde er an der Grenze angehalten und zurückgeschickt. Der EuGH hat den Bilderbuch-Fall zum Anlaß für eine sehr weitgehende Entscheidung genommen. Er hat nämlich gesagt: Die Schutzstandards der EG-Länder zur Sicherung ihrer Bürger vor echten oder auch nur eingebildeten Gefahren sind nicht gar so verschieden. Daher darf jedes in einem Mitgliedsland nach dessen Regeln rechtswirksam in den Verkehr gebrachte Gut auch in jedem anderen Land vertrieben werden gleichgültig, was dieses Land sonst und insbesondere für seine eigenen Produkte an sonstigen Spezialitäten haben möge. Die ganz unerhörte BefreiungsWirkung von nationalstaatlichen Extra-Vorstellungen, die mit dieser Entscheidung erreicht wurde, liegt auf der Hand. Vor allem aber waren damit nationale Besonderheiten oft genug zur Abschirmung vor fremden Waren sorgsam gepflegt – für diesen Zweck ungeeignet geworden und wirken sich jetzt nur noch gegen die eigenen Unternehmen aus4. b) Der zweite Fall betraf das deutsche Bier5. Tatsächlich ist das älteste, sachlich unveränderte deutsche Gesetz das bayerische Biergesetz von 1516, heute eingegangen in den § 10 I des deutschen Biersteuergesetzes. Danach darf unter der Bezeichnung Bier in Deutschland nur ein Produkt vermarktet werden, das einzig aus Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt ist. Sonst nichts. In unseren Nachbarländern ist das anders. Da wird zB Reis mitvergoren und manche Stabilisatoren kommen mit in den Gärbottich hinein. Trotzdem schmecken 3 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs 120/78 „REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntweine“, Slg 1979, 649 ff. 4 Sog Inländer-Diskriminierung; vgl dazu Schöne, RIW 1989, 450 ff; Fastenrath, JZ 1987, 170 ff; Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984; Schlachter, Die Inländerdiskriminierung nach der Rechtsprechung des EuGH und des französischen Conseil d’Etat, 1983. 5 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs 178/84 „Kommission/Bundesrepublik“, Slg 1987, 1227 ff = NJW 1987, 1133 ff.

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Heineken-Bier in Holland und Biere d’Alsace in Straßburg gut und niemand hat bisher behauptet, diese Getränke seien besonders gesundheitsschädlich. Daher auch hat die deutsche Zollverwaltung den Import holländischen oder französischen Bieres nicht etwa als gesundheitsschädlich gerügt, sondern nur seine Vermarktung unter der Bezeichnung Bier verboten: Soll es doch, so meinte man, „Malzgetränk“ oder „Frischbrause“ oder was sonst auch immer heißen, nur eben nicht Bier. Die wettbewerbliche Implikation liegt auf der Hand: Heineken Bier als „Malzgetränk“ hätte gegen Bitburger Bier im Wettbewerb keine Chance. Daher hatte erneut der EuGH zu entscheiden und getreu dem Satz „der Freiheit eine Gasse“ entschied er wieder gegen die Bundesrepublik. Zu Recht. Denn das Anliegen der Deutschen nach reinem Bier kann auch durch zusätzliche Informationen der Verbraucher auf den Flaschen und Gläsern erfüllt werden – etwa mit dem Hinweis: Gebraut nach dem alten Reinheitsgebot –, muß also nicht unbedingt mit dem Namen Bier verkoppelt sein6. [304] Übrigens hatten die Italiener genau das gleiche Problem mit ihrer Lieblingsnahrung, den Spaghetti: Diese dürfen nach italienischem Recht nur aus Hartweizen hergestellt werden – auch da kann niemand so genau sagen, warum – und daher wurden deutsche Nudeln, die zum Teil aus Weichweizen bestehen, an der Grenze mit Abscheu zurückgewiesen. Der EuGH hat wie beim Bier entschieden7. Seither dürfen auch deutsche Teigwaren in Italien verkauft werden. c) Der dritte und jüngste Fall8 betraf eine belgische Supermarktkette, die ua auch im belgisch-luxemburgischen Grenzgebiet Filialen betreibt. Diese hatte auch in Luxemburg Werbezettel verteilen lassen, in denen Waren – im Rahmen eines Sonderverkaufs – unter Angabe des früheren Preises angeboten wurden. Diese Art der Werbung war nach belgischem Recht zulässig, stellte jedoch einen Verstoß gegen das luxemburgische Recht des Unlauteren Wettbewerbs dar, das die Werbung mit Preisgegenüberstellungen verbietet. Demgemäß war die Verteilung der Werbezettel in Luxemburg untersagt worden. Die belgische Kette wehrte sich. Vor dem EuGH argumentierte die luxemburgische Regierung, die Regeln des EWG-Vertrages seien von vornherein nicht berührt, weil es hier nur um geschäftliche Werbung, nicht aber um den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten gehe. Dem widersprach der EuGH und stellte fest, daß der freie Warenverkehr auch durch Beeinträchtigung der Absatzmöglichkeiten beschränkt werden könne.

6 Diese Information, früher sinnlos, da sie per se für alle Biere in Deutschland galt, erweist sich inzwischen als Marketing-Hit für deutsche Biere: Keine Flasche, kein Glas und keine Unterlage sind heute mehr sicher vor dem Reinheits-Jubel. 7 EuGH, Urteil vom 14. 7. 1988, Rs 90/86 „Strafverfahren gegen Zoni“, Slg 1988, 4285 ff = NJW 1988, 2169 f. 8 EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990, Rs C 362/88 „GB-INNO-BM/Conféderation du commerce Luxembourgeois“, EuZW 1990, 222 ff und dazu Alt, EuZW 1990, 311 ff sowie kritisch Sack, EuZW 1990, 313 ff.

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Drei Punkte an dieser Entscheidung sind bemerkenswert: Zum einen bestätigt der EuGH9, daß vom freien Warenverkehr nicht nur der gewerbsmäßige Handel, sondern auch der private Endverbraucher erfaßt wird. Zum anderen läßt er für das Tatbestandsmerkmal der Einfuhr die Tatsache genügen, daß die bereits in Belgien erworbenen Waren erst anschließend von den Endverbrauchern nach Luxemburg eingeführt werden. Und schließlich erachtet er die Anwendbarkeit des Art 30 EWG-Vertrag auch bezüglich einer sich nur mittelbar auf den freien Warenverkehr auswirkenden Regelung für geboten. 3. Die mitgeteilten Fälle und ihre Entscheidungen mögen je für sich eher kurios erscheinen. Ihre Bedeutung für die Freiheit des Geschehens in Europa aber kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber diese Bedeutung reicht noch viel weiter: Die Entscheidungen führen nämlich zu einer Schlechterstellung des Inländers, zur sogenannten Inländer-Diskriminierung10: In Deutschland darf nach wie vor nur nach dem Reinheitsgebot gebraut, in Italien nur mit Hartweizen Nudeln hergestellt und in Luxemburg nur nach den engeren luxemburgischen Regeln geworben werden: Das nationale Recht gerät durch Europa unter Anpassungszwang. [305] III. Die Niederlassungsfreiheit Mit seiner Rechtsprechung zur unmittelbaren und mithin verdrängenden Wirkung von Art 30 EWG-Vertrag und insbesondere seiner strengen Kontrolle der von Art 36 EWG-Vertrag erlaubten Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hat der EuGH den heute sehr weitgehend freien Fluß der Güter über alle Binnengrenzen hinweg durchgesetzt. Sehr viel schwieriger und komplexer und mithin für Juristen heute besonders spannend sind die Fragen zur Niederlassungsfreiheit. Hier aber gilt es zu unterscheiden zwischen den einzelnen Menschen und den Unternehmen: 1. Freiheit der Niederlassung heißt: Jeder Bürger eines EG-Staates darf sich ohne weiteres und ohne besondere Genehmigung in jedem anderen EG-Land niederlassen, um dort selbständige Erwerbstätigkeiten aufzunehmen und auszuüben. Für Nichtselbständige gilt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die die Abschaffung jeder auf die Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen umfaßt. Das klingt gewiß gut, wenn es auch für deutsche Schriftsteller auf Capri oder englische Maler in der Toskana kaum je große Schwierigkeiten gegeben haben dürfte. Probleme und 9 Vgl bereits EuGH, Urteil vom Uitgeversmaatschappij BV“, Slg 1982, 4575 ff. 10 Dazu bereits oben FN 4.

15. 12. 1982,

Rs 286/81

„Oosthoek’s

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Bedeutung dieser Freiheiten liegen an anderer Stelle: Darf der italienische Zahnarzt in Düsseldorf praktizieren, obwohl er nie eine deutsche Universität von innen gesehen hat? Darf der englische public accountant als Wirtschaftsprüfer in einer französischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig werden, obwohl er die Prüfung als Wirtschaftsprüfer in Frankreich nicht gemacht hat? Darf der Spanier mit italienischem Abitur wie ein Franzose in Paris studieren? a) Die Sprengkraft so einfacher Fragen liegt auf der Hand: Entweder sind die schönen Freiheiten nichts wert, oder aber es müssen Lösungen gefunden werden für den Konflikt zwischen den – ja im Prinzip durchaus vernünftigen – nationalen Regeln der Berufsqualifikation und den Freiheiten der Zuwanderer. Und diese Lösungen werden tatsächlich mehr und mehr gefunden mit zum Teil erneut fast unglaublichen Folgen. Technisches Mittel hierfür ist die sogenannte Rechtsangleichung11. Ihre Grundsätze werden von Fall zu Fall und von Problembereich zu Problembereich in Brüssel erarbeitet und festgelegt; die Mitgliedsländer aber sind dann verpflichtet, diese Grundsätze in ihr nationales Recht umzusetzen, Art 189 Abs 3 EWG-Vertrag. Ziel dieses unerhört aufwendigen Vorgangs ist es, die Standards gleichwertig zu gestalten mit der Folge, daß die auf ihnen beruhenden Qualifikationen überall anerkannt werden können. Auf diesem Wege sind heute schon viele nationale Examina und nationale Zeugnisse europaweit anerkannt, vom Abi- [306] tur bis zum Ingenieurexamen12. Ähnliche Prinzipien gelten auch für die Rechtsanwälte; längst haben sich deutsche Anwälte in Paris und englische Anwälte in Düsseldorf niedergelassen13. 11 Zu den Problemen der Rechtsangleichung bei der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes siehe Everling, FS Steindorff, 1990, 1155 ff; vgl ferner Dens, Zur Funktion des Europäischen Gerichtshofes bei der Rechtsangleichung in der EG, FS Lukes, 1989, 359 ff. 12 Vgl insbesondere die Richtlinie des Rates vom 21. 12. 1988 betreffend die Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (89/48/EWG), ABl EG Nr L 19 von 1989, 16 ff und dazu jüngst Dörig, EuZW 1991, 243 ff; kritisch Hempel, Die Niederlassungsfreiheit und ihre Auswirkungen auf die Freien Berufe in Österreich, in: Korinek – Rill (Hrsg), Österreichisches Wirtschaftsrecht und das Recht der EG, Wien 1990, 191 ff. Vgl auch EuGH, Urteil vom 28. 6. 1977, Rs 11/77 „Patrick/Minister für kulturelle Angelegenheiten“, Slg 1977, 1199 ff, wonach die Mitgliedstaaten auch bei Fehlen spezifischer Richtlinien verpflichtet sind, ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Diplom auf seine Gleichwertigkeit mit dem innerstaatlichen Diplom zu prüfen und ggf als gleichwertig anzuerkennen. 13 Vgl dazu zuletzt Rabe, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der Anwälte in der EG, 1992, passim; siehe auch Richtlinie des Rates vom 22. 3. 1977 betreffend die Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (77/249/EWG), Abl EG Nr L 78 vom 26. 3. 1977, 17 ff und EuGH, Urteil vom 28. 4. 1977, Rs 71/76 „Thieffry/Conseil de l’ordre des Avocats à la Cour d’Appel Paris“, Slg 1977, 765 ff. Hier hatte ein Belgier mit dem von der Universität Paris als gleichwertig anerkannten belgischen „Doctorat en Droit“ das französische „Certificat d’aptitude à la profession d’avocat“ erlangt. Gleichwohl wurde seine Zulassung als Rechtsanwalt in Frankreich mit der Begründung abgelehnt, die Anerkennung des belgischen Doctorat sei nur zwecks Fortsetzung seiner Studien in Frankreich, nicht aber als Berufszulassung erfolgt. Der EuGH entschied, Art 52 werde unzuläs-

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b) Diese europaweite Entwicklung hat nun wiederum dazu geführt, daß nationale Regeln, zB in Deutschland das Anwaltsrecht und die Juristenausbildung unter Reformdruck geraten sind14. Das Anwaltsrecht steht durch die Entscheidung Klopp des EuGH15 vor folgender Situation: Der deutsche Anwalt Klopp mit Zulassung in Düsseldorf hatte die Voraussetzungen auch für die Zulassung als französischer Anwalt. Die Anwaltskammer in Paris lehnte dennoch ab mit der Begründung, ein Doppelsitz sei nach französischem und übrigens auch deutschem Anwaltsrecht nicht möglich. Den EuGH hat das alles nicht gerührt; vor europäischem Recht der freien Niederlassung könne das nicht bestehen. Mit anderen Worten: Ein deutscher Anwalt kann zwar gleichzeitig in Düsseldorf, London und Paris niedergelassen sein, nicht aber gleichzeitig in Frankfurt und Berlin. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Ergebnis aus nationalem Recht nicht lange durchzuhalten ist. Ähnliches gilt für die Juristenausbildung. Zum einen dauert sie bei uns in Deutschland viel, viel zu lange – jedenfalls über drei Jahre länger als die eines Engländers oder Franzosen. Und zum anderen kommen in ihr die internationalen [307] Aspekte viel zu kurz, so daß unsere jungen Juristen einem doppelten Wettbewerbsnachteil unterliegen: Sie beginnen ihre Berufstätigkeit, wenn ihre englischen Alterskollegen und Konkurrenten schon drei bis vier Jahre Berufserfahrung gesammelt haben; und sie sind viel zu viel domestic orientiert. Kurz: Geltendes europäisches Recht sorgt dafür, daß in Kürze alle Angehörigen freier Berufe ein offenes Betätigungsfeld über zwölf Staaten und über 320 Mio Einwohner hin haben, aber auch dem Wettbewerb aus diesem großen Bereich ausgesetzt sind. Die nationalen Gemüsegärten werden geschlossen und gehen auf im großen europäischen Park. 2. Ist dieses Niederlassungsrecht des einzelnen Bürgers im Prinzip einfach, wenn auch im Detail delikat, so gewinnt es für Unternehmen eine zusätzliche Dimension. Denn Unternehmen in der Rechtsform der AG und GmbHs sind juristische Personen, sind Kunstgebilde, unerhört wirkkräftige Erfindungen der Juristen. Aber weil sie Kunstgebilde sind, diese Aktiengesellschaften und GmbHs, diese public limited companies und beslooten vennootschaps, deshalb sind sie an ihre Rechtsordnungen gebunden. Menschen verändern sich nicht, wenn sie über die Grenze gehen; juristische Personen hingegen verlieren ihr Sein, fallen ins Bodenlose, wenn sie versuchen, ihren Sitz von Bonn nach Brüssel zu verlegen. So jedensig beschränkt, wenn der Inhaber eines als gleichwertig anerkannten Zeugnisses der Berufszugang nur deshalb versagt würde, weil der Betreffende nicht im Besitz des Prüfungszeugnisses des Niederlassungsstaats sei. 14 Die Reform der Juristenausbildung war Gegenstand des Deutschen Juristentages 1990; vgl dazu Gutachten E von Hassemer und Kübler sowie Gutachten F von Hensen und Kramer, in: Verhandlungen des 58. Deutschen Juristentages in München 1990, Band I Gutachten. 15 Urteil vom 12. 7. 1984, Rs 107/83, Slg 1984, 2971 ff.

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falls glaubt man bis heute in Deutschland16. Dennoch ist ihnen genau diese Möglichkeit in Art 58 des EWG-Vertrages versprochen worden. Aber die Schwierigkeiten sind ungewöhnlich groß: Sie beginnen bei der Steuer, die den Wegzug drakonisch bestraft, und enden bei der Mitbestimmung, die es nicht mehr gäbe, würde VW seinen Sitz von Wolfsburg nach Manchester verlegen. a) Zur Lösung dieser Probleme verfolgt die Kommission in Brüssel seit Jahrzehnten eine Doppel-Strategie: Einerseits verpflichtet sie die Mitgliedstaaten in immer neuen Richtlinien zur Angleichung ihrer Unternehmensrechte mit dem Ziel, die gravierendsten Unterschiede zu beseitigen und so den Boden für einen problemfreien Grenzübertritt auch der Gesellschaften zu ebnen17. Andererseits versucht die Kommission, die ganzen vielen Schwierigkeiten mit einem großen Sprung zu überwinden durch Schaffung einer Europäischen Aktiengesellschaft18, also einer juristischen Person, die aus europäischem Recht leben soll und keinem nationalen Recht mehr verbunden wäre: Für diese Europäi- [308] sche AG wäre die Sitzverlegung von Hamburg nach Palermo so problemlos wie die einer österreichischen AG von Wien nach Linz19. Die Schwierigkeiten beider Strategien sind enorm, wenn man bedenkt, daß etwa Mitbestimmung für Deutschland und Österreich ein Heiligtum, für Großbritannien aber des Teufels ist, Mitbestimmung aber in beiden Strategien geklärt sein muß, sollen die Gesellschaften die ihnen zugesagte Freizügigkeit auch tatsächlich verwirklichen können. Beide Strategien werden im Jahre 1992 ihr entscheidendes Stadium erreichen. b) Übrigens: Auch zu diesen Fragen hatte der EuGH zu befinden in der berühmten Daily Mail-Entscheidung aus dem Jahre 198820: Die Verlagsgesellschaft von Daily Mail, einer public limited company englischen Rechts, wollte ihren Sitz von Großbritannien in die Niederlande verlegen. Das ist nach britischem und niederländischem Recht im Prinzip möglich21. Doch ist nach britischem Recht die Zustimmung des Finanzamts dazu erforderlich. Und die wurde natürlich nicht erteilt. 16 Zuletzt OLG Zweibrücken, Urteil vom 27. 6. 1990, DB 1990, 1660 f. Andere Rechte sind da heute schon liberaler; so etwa Panama und die Schweiz (vgl die Entscheidung OLG Frankfurt, DB 1990, 1224 f), aber auch Großbritannien und die Niederlande (dazu Großfeld – Jasper, RabelsZ 53 [1989], 52 ff) sowie teilweise Italien und Luxemburg (dazu schon Kastner, aaO [FN 2], 41 ff). 17 Dazu umfassend Lutter, Europäisches Unternehmensrecht3 1991, passim. 18 Geänderter Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft, ABl EG Nr C 263 vom 16. 10. 1989, 41 ff; abgedruckt bei Lutter, aaO (FN 17); siehe dazu auch AG 1990, 413-458 mit Beiträgen von Lutter – Hommelhoff – Knobbe-Keuk – von Maydell – Wahlers. 19 Auch dazu schon Kastner, aaO (FN 2), 55 ff. 20 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs 81/87, Slg 1988, 5483 ff = NJW 1989, 2186 ff = RIW 1989, 304 ff = JZ 1989, 384 ff. 21 Siehe oben FN 16.

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Daily Mail klagte und wies auf den einschlägigen Art 58 des EWG-Vertrages hin. Der sonst mutige und freiheitlich denkende, Europa zugewandte Europäische Gerichtshof war hier ganz ängstlich und entschied entgegen früheren Judikaten, Art 58 EWG-Vertrag sei nur Zielvorstellung, nicht jedoch geltendes und direkt anwendbares Recht22. c) Inzwischen aber ist gerade hier eine überraschende Entwicklung festzustellen. Denn nach über 20 Jahren Beratungszeit konnte tatsächlich eine Richtlinie über die Angleichung direkter Steuern in der EG verabschiedet werden und zwar die Richtlinie über die Freistellung von jeder Besteuerung bei einer internationalen Fusion oder Einbringung von Unternehmen bzw Unternehmensteilen über die Grenze23. In der Sache geht es dabei genau um das Daily Mail-Problem. Die meisten nationalen Rechte in der EG und auch das deutsche Recht interpretieren die grenzüberschreitende Fusion als Liquidation mit der Folge, daß die stillen Bewertungsreserven aufzudecken und zu versteuern sind. Das ist eine nahezu tödliche Reaktion für jedes Unternehmen und wirkt schlechthin prohibitiv. Genau diese Reaktion verbietet nunmehr die Richtlinie, die bis zum 1. 1. 1992 in nationales Recht umzusetzen war24. [309] Die rechtlichen Folgen dieser harmlos erscheinenden Richtlinie sind gewaltig: Zum einen bedarf die Daily Mail Verlagsgesellschaft seit 1. 1. 1992 keiner Zustimmung des Finanzamtes London mehr, wenn sie in die Niederlande fusionieren und auf diese Weise Großbritannien verlassen will25. Zum anderen und vor allem aber muß man sich folgendes vor Augen halten: Es hat in den letzten 100 Jahren in Europa keinen mir bekanntgewordenen Versuch einer Fusion über die Grenze hinaus gegeben. Der Vorgang fand nur in den Büchern und dort überwiegend mit negativem Ergebnis statt26. Konstruktiv gelangte man zu diesem negativen Ergebnis in der Weise, daß man den Vorgang uno actu an der Grenze – wie an der einstigen Berliner Mauer – scheitern und die juristische Person beim Überschreiten der Grenze sterben ließ. Diese Betrachtung ist extrem Zur Bindungswirkung dieser Entscheidung eingehend Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 ff. Richtlinie vom 23. 7. 1990 über das gesamte Steuersystem für Fusionen, Spaltungen und die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (90/434/EWG), ABl EG Nr L 225 vom 20. 8. 1990, 1 ff, abgedruckt bei Lutter, aaO (FN 17), 627 ff und dazu Knobbe-Keuk, AG 1990, 435 ff. 24 In Deutschland soll das im Rahmen der Steuer-Änderungs-Gesetze 1992 geschehen. 25 Die reine Sitzverlegung wäre weiter ein Problem, da die Richtlinie die Sitzverlegung nicht erfaßt. Aber natürlich hat die Daily Mail Verlagsgesellschaft irgendeine kleine Tochtergesellschaft in den Niederlanden und könnte auf diese verschmelzen. Der Unterschied interessiert nur Juristen, wirtschaftlich ist das Ergebnis ganz gleich. 26 Vgl dazu bereits Kastner, aaO (FN 2), 43 ff und Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 ff sowie Lutter, Gutachten H zum 48. Deutschen Juristentag 1970, und Lutter – Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG13, 1991, Anhang Verschmelzung, § 19 KapErhG Rn 17. 22 23

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nationalistisch. Sie konnte ohne größere Anstrengungen beim Nachdenken fortgepflegt werden, da sie keinen Erprobungsfall fürchten mußte. Das ist nun vorbei. Nunmehr muß man bei der Überprüfung dieser Lehre mindestens im Recht der EG und ihrer 12 und künftig 13 und mehr Mitglieder mitbedenken, daß der EWG-Vertrag auch den Gesellschaften die Freizügigkeit zusichert. Und schließlich ist von Interesse, daß in den letzten Jahren nicht nur eine Auflockerung der einst harschen wissenschaftlichen Antworten auf die grenzüberschreitende Fusion und Sitzverlegung erreicht wurde27, sondern echte Vorgänge dieser Art aus südamerikanischen Ländern nach der Schweiz und nach den Niederlanden stattgefunden haben28: Diese Gesellschaften sind ohne Identitätsverlust in ihrer neuen Heimat angekommen und dort im Register deklaratorisch eingetragen worden. Es geht also. Kurz: Noch vor dem Jahr 2000 und ohne größere Maßnahmen der nationalen oder des europäischen Gesetzgebers wird sich die grenzüberschreitende Fusion und Sitzverlegung in der EG etabliert haben. IV. Die EG als Sozialgemeinschaft Nach diesem langen Exkurs ins Land der juristischen Person ist noch einmal zurückzukommen zur natürlichen Person und ihren Nöten. Man kann also ohne Schranke und Erlaubnis, ohne Fremdenpolizei und Quote von Kopenhagen bis Palermo und Athen ohne Paß und Visum ziehen und Arbeit überall annehmen. So weit, so gut. [310] 1. Wie aber steht es mit dem sozialen Schutz und dem Schutz der Familien bei Krankheit und Unfall, bei Alter und Arbeitslosigkeit? Es ist ein großes Verdienst der Kommission und des Rates, daß beide in Anwendung von Art 51 EWG-Vertrag früh und zielstrebig Lösungen gesucht und gefunden haben, die heute auf dem sogenannten Gleichbehandlungsprinzip beruhen. Grundlegend ist in diesem Bereich die Verordnung des Ministerrates der EG von 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern29. Sie gilt für alle Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen hinsichtlich der Risiken Krankheit und Mutterschaft, Invalidität, Alter, Tod, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit und Familienleistungen betreffen. In der praktischen Auswirkung führt dieses „europäische“ Sozialsystem zu einem Leistungsexport in dem Sinne, Vgl nur Knobbe-Keuk, ZHR 1990, 325 ff und Großfeld – Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52 ff. Vgl OLG Frankfurt, DB 1990, 1224 f. 29 Verordnung Nr 1408/71, ABl EG Nr L 149 vom 5. 7. 1971, 2 ff; in der Zwischenzeit wurde die Verordnung mehrfach geändert, näher dazu Randelzhofer in Grabitz, Kommentar zum EWGV, Stand: 9/1989, Art 51 Rn 3 ff. 27 28

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daß die von den Arbeitnehmern in den einzelnen Mitgliedstaaten erworbenen Anwartschaften und Ansprüche zusammengerechnet und die zurückgelegten Versicherungszeiten einheitlich bei den Versicherungen berücksichtigt und so etwaige Anspruchsminderungen vermieden werden. Auch ist der Rentenbezug unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sich der Arbeitnehmer nach Erreichen der Altersgrenze niederläßt. 2. Zwei Fälle sollen verdeutlichen, welchen Einfluß das europäische auf das nationale Arbeits- und Sozialrecht inzwischen hat: a) Der eine Fall wurde kürzlich vom EuGH entschieden30. Nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) erhält ein Arbeitnehmer, der unverschuldet aus dem öffentlichen Dienst ausscheidet – also insbesondere bei Krankheit und Alter –, ein sogenanntes Übergangsgeld von maximal 4 Monatsgehältern. Dieses Übergangsgeld erhält nun aber nur ein Vollzeit-Arbeitnehmer, nicht ein TeilzeitArbeitnehmer: Die deutschen Gewerkschaften haben eine nicht erklärbare Aversion gegen Teilzeitarbeit. Eine ausgeschiedene Teilzeit-Arbeitnehmerin klagte dennoch gegen ihren einstigen Arbeitgeber – die Freie und Hansestadt Hamburg – auf Zahlung. Das Arbeitsgericht setzte aus und legte die Sache zur Klärung der Rechtslage nach Art 177 EWG-Vertrag dem EuGH zur Entscheidung vor. Wieso das? Wieso soll hier europäisches Recht betroffen sein? Nun, Art 119 EWGV sagt: „Jeder Mitgliedstaat wird … den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beibehalten.“31 [311]

Wieso soll hier Ungleichbehandlung vorliegen? Die Klägerin hatte dazu vorgetragen: Teilzeit-Arbeitnehmer sind vor allem Frauen. Daher handle es sich bei dieser Vorschrift um eine sogenannte mittelbare Diskriminierung. Der EuGH hat die Argumentation der Arbeitnehmerin akzeptiert und das Arbeitsgericht in Hamburg angewiesen, Feststellungen darüber zu treffen, ob tatsächlich unverhältnismäßig viele Teilzeit-Arbeitnehmer Frauen sind. Sollte das Gericht diese Feststellung treffen – und so ist es –, so wäre dem Anspruch der Klägerin stattzugeben, da sich dann die Regelung des BAT tatsächlich als mittelbare Frauen-Diskriminierung erweise und unwirksam sei. b) Auch der andere Fall betrifft das deutsche Recht. In Umsetzung einer Richtlinie zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen32 aus dem Jahre 1976 30 EuGH, Urteil vom 27. 6. 1989, Rs C-33/89 „Kowalska/Freie und Hansestadt Hamburg“, EuZW 1990, 316 f sowie jüngst Urteil vom 7. 2. 1991, Rs C 184/89 „Nimz/Freie und Hansestadt Hamburg“, EuZW 1991, 217 ff. 31 Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ hat zu verschiedenen EG-Maßnahmen geführt; vgl etwa FN 32 und Richtlinie des Rates vom 10. 2. 1972 über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (75/117/EWG), ABl EG Nr L 45 vom 19. 2. 1975, 19 ff sowie zur Rechtsprechung Colneric, EuZW 1991, 75 ff.

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hat der deutsche Gesetzgeber im Jahre 1980 das Benachteiligungsverbot in einen neuen § 611a BGB aufgenommen und in dessen Abs 2 den Arbeitgeber für den Fall einer geschlechtlichen Diskriminierung zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Das hat zur Folge, daß etwa ein Arbeitgeber, der bei Besetzung einer Stelle zu Unrecht auf das Geschlecht abstellt, gegenüber dem oder der benachteiligten Bewerber(in) zwar schadensersatzpflichtig wird, wegen der Begrenzung auf den Vertrauensschaden regelmäßig aber nur deren Bewerbungskosten – Kopierkosten und Briefmarken – zu ersetzen hat. Der EuGH hat demgegenüber schon 1984 erklärt: Gewährt ein Mitgliedstaat eine Entschädigung als Sanktion für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, so muß diese – damit ihre abschreckende Wirkung gewährleistet ist – in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen und somit über einen rein symbolischen Schadensersatz hinausgehen33. Nachdem der deutsche Gesetzgeber auf diesen Hinweis nicht reagiert hat, ist das Bundesarbeitsgericht34 unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH dazu übergegangen, in diesen Fällen eine weitaus höhere Schadensersatzpflicht, und das aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herzuleiten (3 Monats-Gehälter) ungeachtet der Tatsache, daß der deutsche Gesetzgeber in diesen Fällen gerade keine weitergehenden Ersatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers begründen wollte. c) Diese Entscheidungen haben das deutsche Recht grundstürzend verändert. Und sie machen deutlich, bis zu welchem Maße und bis zu welchen entlegenen Bereichen das europäische Recht heute in die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsländer eingreift. V. Konsumentenschutz Ein letzter und gewichtiger Bereich europäischen Wirtschaftsrechts betrifft den Konsumentenschutz und mithin einen Zentralbereich des Zivilrechts. Hier hat [312] die EG ein eigenes System der Produzentenhaftung entwickelt und eingeführt35. Und für den Konsumentenkredit36 und den Schutz vor Überrumpe32 Richtlinie vom 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (76/207/EWG), ABl EG Nr L 39 vom 14. 2. 1976, 40 ff. 33 EuGH, Urteile vom 10. 4. 1984, Rs 14/83 „von Colson“ und Rs 79/83 „Harz“, Slg 1984, 1891 ff und 1921 ff = DB 1984, 1042 ff. 34 BAG, Urteile vom 14. 3. 1989, DB 1989, 2279 ff. 35 Richtlinie des Rates vom 25. 7. 1985 über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), ABl EG Nr L 210 vom 7. 8. 1985, 29 ff. 36 Richtlinie des Rates vom 22. 12. 1986 über den Verbraucherkredit (87/102/EWG), ABl EG Nr L 42 vom 12. 2. 1987, 48 ff.

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lung durch Haustürgeschäfte37 gilt ähnliches: Niemand hätte noch vor 20 Jahren an ein derart massives Eingreifen der Gemeinschaftsrechtsordnung in die nationalen Zivilrechtsordnungen gedacht. Auch das sei an einem Fall der letzten Monate deutlich gemacht. Die EG hat 1985 die soeben schon erwähnte Verbraucherschutzrichtlinie38 erlassen, die ua für sogenannte Haustürgeschäfte ein kurzfristiges Widerrufsrecht des Käufers vorsieht. Diese Richtlinie war von Spanien nach seinem Beitritt im Jahre 1986 nicht zuletzt deswegen nicht umgesetzt worden, weil Spanien unter dem Eindruck des Speiseöl-Skandals selbst 1984 ein Verbraucherschutzgesetz verabschiedet hatte, auf das man sehr stolz ist. Dieses Gesetz enthält aber kein Widerrufsrecht. Nun berief sich vor dem Oberlandesgericht Celle39 ein deutscher Urlauber unmittelbar auf die Richtlinie, nach deren Regelung er ordnungsgemäß von seinem Widerrufsrecht bei einem dem spanischen Recht unterliegenden Vertrag Gebrauch gemacht hatte, und das Oberlandesgericht gab ihm Recht. Die Entscheidung geht außerordentlich weit. Zwar hat der EuGH vielfach entschieden, daß sich der Bürger im Verhältnis zur öffentlichen Hand auf ihm günstige Regeln einer nicht fristgemäß umgesetzten Richtlinie, deren Bestimmungen hinreichend genau und inhaltlich unbedingt sind, berufen kann mit der Folge, daß entgegenstehendes nationales Recht unanwendbar wird40. Das Besondere aber an dieser Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle ist, daß das nationale Gericht zum einen die Berufung auf die Richtlinie auch im Verhältnis zweier Privater untereinander akzeptiert hat: Das hat der EuGH bislang stets und strikt abgelehnt, das OLG Celle geht insoweit also über die Rechtsprechung des EuGH hinaus. Zum anderen führt die Anwendung der Richtlinie zur unmittelbaren Geltung einer bis dahin so in Spanien überhaupt nicht vorhandenen Regelung. Richtlinien können nach diesem Verständnis also unmittelbar gestaltend in das nationale Recht einwirken: Das entspricht durchaus – wie soeben dargestellt – herrschender Lehre und Rechtsprechung des EuGH. [313]

37 Richtlinie des Rates vom 20. 12. 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (85/577/EWG), Abl EG Nr L 372 vom 31. 12. 1985, 31 ff. 38 Soeben FN 37. 39 Urteil vom 28. 8. 1990, EuZW 1990, 550 ff. 40 Zur Entwicklung dieser Lehre vgl Lutter, aaO (FN 17), 14 ff mit vielen Nachweisen. Vgl aus letzter Zeit die EuGH-Urteile „Marleasing“ (Urteil vom 13. 11. 1990, Rs C-106/89, DB 1991, 157 f und dazu Stuyck, CMLR 1991, 205 ff) und „Marina Karella“ (Urteil vom 30. 5. 1991, Rs C 19/90 und C 20/90, DB 1991, 1616 f), in denen es genau um diese faktischverdrängende Wirkung aus Richtlinien-Bestimmungen geht.

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VI. Europäisches Verfassungsrecht Im letzten Teil meiner Überlegungen geht es um die Verfassung der Gemeinschaft. 1. Gewiß, die Gemeinschaft hat Organe mit Zuständigkeiten und gesetzgeberischen Befugnissen. Diese institutionellen Teile des EWG-Vertrages in seiner durch die Einheitliche Akte (EAA) erweiterten Fassung sind bekannt und sollen hier nicht weiter interessieren. Unerhört spannend und weitreichend ist hingegen die Europäische Rechtsordnung als materielle Verfassungsordnung. Das klingt wahrlich überraschend. Es soll daher auf dem Hintergrund von zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erörtert werden: a) In seinem Beschluß vom 29. 5. 1974 hatte das Bundesverfassungsgericht41 über die Verfassungsbeschwerde eines deutschen Bürgers zu entscheiden, der sich durch ein Urteil des EuGH in seinen Grundrechten verletzt fühlte. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Erörterung und Entscheidung über diese Frage ausdrücklich für zuständig erklärt: Solange der EuGH bei seinen einen deutschen Bürger betreffenden Entscheidungen die Grundrechte nicht im erforderlichen Umfange gewährleiste, sei das Bundesverfassungsgericht zuständig und auch zur Korrektur befugt. b) 12 Jahre später kam es dann zum sogenannten „Solange II“-Beschluß vom 22. 10. 1986 und das Bundesverfassungsgericht42 entschied: Nachdem die Rechtsprechung des EuGH einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften gewährleiste, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten sei, werde das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit in Fällen des Gemeinschaftsrechts nicht mehr ausüben. Damit geht das Bundesverfassungsgericht heute davon aus, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung Grundrechte in mindestens vergleichbarem Umfang wie das Grundgesetz verbürgt und daß der EuGH eben diese Verbürgung auch in seiner Rechtsprechung gewährleistet: Das Bundesverfassungsgericht postuliert mithin die Existenz einer materiellen Verfassungsordnung mit Grundrechten und Grundrechtsschutz in der Gemeinschaft. 2. Wirtschaft ist dynamisch. Daher kann auch das Recht in ihr nicht statisch sein. Das einmal im Jahre 1958 geschaffene europäische materielle Wirtschaftsrecht ist zwar wichtig, würde aber rasch lückenhaft sein, könnte es nicht ergänzt und erweitert werden. Daher sieht der Rom-Vertrag eine eigene Rechtssetzungsbefugnis der Gemeinschaft vor, die dieses materielle europäische Recht ausbauen 41 42

BVerfGE 37, 271 ff = NJW 1974, 1697 ff („Solange I“). BVerfGE 73, 339 ff = NJW 1986, 577 f („Solange II“).

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und ergänzen kann (Art 189 EWG-Vertrag). Solche Rechtssetzung geschieht ständig und in wachsendem Umfange. [314] a) Dieses sogenannte sekundäre Gemeinschaftsrecht entsteht in zwei verschiedenen Formen: als Verordnung und als Richtlinie. Die Struktur und Wirkung der Verordnung ist einfach. Sie gilt unmittelbar überall in der EG, ist von höherem Range als nationales Recht, geht diesem vor, verdrängt es, wo es entgegensteht, und macht es schlicht unanwendbar43. b) Die Väter des Vertrages haben diesen Effekt genau erkannt. Und sie haben ihn insoweit akzeptiert, wie es für die Verwirklichung der Gemeinschaft und ihrer Ziele notwendig ist – aber eben auch nicht einen einzigen Schritt weiter: eingezwängt zwischen die Skylla des ungeliebten Einheitsrechts und der Charybdis, der Notwendigkeit gleicher rechtlicher Vorgaben für die Wirtschaft von zwölf Staaten, haben die Väter der Gemeinschaft ein ganz neues rechtliches Instrument erfunden, die Richtlinie. Diese nämlich schafft zunächst kein unmittelbar anwendbares Einheitsrecht, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten nur zur Anpassung ihres weiterhin nationalen Rechtes. Dieser durch Richtlinie angesprochene Teil des europäischen Rechts ist sehr viel umfangreicher als der durch Verordnung geregelte Teil. So beruht etwa das gesamte System der Mehrwertsteuer in der EG ebenso auf EGRichtlinien wie das gesamte Recht der Rechnungslegung, Bilanzierung und Publizität für allein 500.000 deutsche Unternehmen44. Dieser Teil wird sich ständig ausdehnen; denn mit ihm wird die Niederlassungsfreiheit der Bürger und Unternehmen abgesichert, werden Bankenaufsicht und Börsenzulassung geordnet, sollen europaweit die Takeover-Verfahren und das Versicherungsrecht gleichwertig und wettbewerbsneutral gestaltet werden45. Diese höchst eigentümliche Form der Rechtsetzung – europäischer Beschluß und Folgepflicht der zwölf nationalen Parlamente – führt aber auch zu einer höchst merkwürdigen Struktur des Rechts. Denn es ist nach wie vor nationales Recht; aber nicht nationales Recht geboren aus dem Willen und den Zielen der nationalen Parlamente oder Regierungen, sondern nationales Recht als ein Pflichtrecht, ein Recht, dessen innerer Grund auf Überlegungen der Verwaltung in Brüssel und dem politischen Beschluß des Ministerrates beruht und gerade nicht auf rechtspolitischen Zielen in den Ministerien von Bonn und Paris. Das hat natürlich Auswirkungen für das Verständnis dieses Rechts: Die Finalität einer 43 Vgl zB Conseil d’Etat, Urteil vom 24. 9. 1990 „Boisdet“, EuZW 1991, 124 f und dazu Stotz, EuZW 1991, 118 f. Vgl ferner oben FN 40 sowie Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EGRichtlinien, FS Carstens, 1984, 95 ff. 44 Vgl dazu die 4., 7. und 8. gesellschaftsrechtliche Richtlinie sowie die am 8. 11. 1990 verabschiedete Mittelstandsrichtlinie und die GmbH & Co. KG-Richtlinie, alle abgedruckt bei Lutter, aaO (FN 17). 45 Ausführlich dazu Lutter, aaO (FN 17), 1 ff.

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Norm ist stets und überall in der modernen Welt ein bestimmender Faktor für ihre Auslegung. Obwohl also keineswegs wortgleiche nationalstaatliche Normen in den Mitgliedsländern das gleiche Problem mit gleicher Zielrichtung regeln – etwa die Haftung einer Gesellschaft für das Handeln ihrer Organe oder die Haftung eines Herstellers für Schäden seines Produktes – haben diese Normen unverkennbar eine Tendenz [315] zu materieller Einheit. Und diese Tendenz wird durch gleich zwei geniale Einfälle verstärkt. So hat der EuGH in der Entscheidung Kolpinghuis von 198746 entschieden: „Das Gericht eines Mitgliedstaates hat bei der Anwendung seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften diese im Licht des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen.“

Das nationale Gericht hat also bereits den Text seiner nationalen Norm sub specie des Angleichungsgebotes, also unter Berücksichtigung des Textes der Richtlinie und ihrer Ziele zu verstehen. Dieses Gebot drängt die nationalen Juristen und Gerichte zum Verlassen ihrer hergebrachten nationalen Denkbahnen und überredet, ja zwingt sie, europarechtlich zu argumentieren. Und das geht nach der Marleasing-Entscheidung des EuGH vom November 199047 sogar so weit, daß der nationale Richter richtlinienwidrige Regeln seines nationalen Aktienrechts schlicht nicht beachten darf. Aber nicht nur das. Hat nämlich das nationale Gericht Schwierigkeiten beim Verständnis und bei der Auslegung der betreffenden Richtlinie als Basis seiner nationalen Norm, so ist es nun nach Art 177 des RomVertrages verpflichtet, die Auslegungsfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen48. Dessen Entscheidung über das Verständnis der betreffenden Richtlinien-Bestimmung ist dann zwar nicht de jure, aber doch de facto europaweit maßgebend für die Auslegung der betreffenden Norm. Kurz: Mit zwei einander ergänzenden Regeln sorgt das System für ein einheitliches Verständnis und eine einheitliche Anwendung auch dieses Teils des europäischen Rechts, das nur der Form nach noch nationales, materiell-inhaltlich aber ebenfalls europäisches Recht ist. VII. Schluß 1. Die Juristen Österreichs begrüßen den Beitritt ihres Landes zur EG; mehrere beachtliche Werke zu den Fragen des österreichischen EG-Beitritts machen das deutlich49. Sie schätzen aber die Wirkungen der globalen Übernahme des Urteil vom 8. 10. 1987, Rs 80/86, Slg 1987, 3969 ff. Vgl oben FN 40. 48 Dazu grundlegend Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, 1986, passim. 49 Vgl etwa Koppensteiner (Hrsg), Der Weg in den Binnenmarkt, Wien 1991; Korinek – Rill (Hrsg), Österreichisches Wirtschaftsrecht und das Recht der EG, Wien 1990; Hummer – Schweit46 47

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Gemeinschaftsrechts, den acquis communautaire, für die Rechtsordnung Österreichs eher modest ein; das ist zu bezweifeln. Die Gemeinschaft ist und wird durch das Recht. Und die unerhörte Dynamik des Vorgangs ist offensichtlich. Die Gemeinschaft wird auch einflußreicher und mächtiger mit dem wachsenden Umfang des Gemeinschaftsrechts. Doch nicht nur das: Mit jeder Maßnahme des [316] europäischen Gesetzgebers stirbt endgültig und für immer die Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers in diesem Bereich. Mit jeder Entscheidung des EuGH über die Auslegung europäischen oder angeglichenen nationalen Rechts verliert dieses einen Teil seiner Autonomie, wird selbst immer mehr europäisch und kann aus diesem Verständnis auch nie mehr gelöst werden50. Aber nicht nur verlieren die nationalen Gesetzgeber und nationalen Gerichte mehr und mehr die Hoheit über das Recht und seine verbindliche Auslegung, sie können nicht einmal Initiativen zu seiner Veränderung ergreifen: zuständig dafür sind nur die Organe der europäischen Gesetzgebung; und da haben weder die deutsche noch eine andere Regierung, weder der deutsche Bundestag noch sonst ein Parlament auch nur ein Initiativrecht. 2. Das alles stärkt Europa, und es ist wahrlich stark und lebendig geworden durch das Recht. Aber die Überzeugungskraft dieses Rechts in der Bevölkerung droht zu sinken. Wie einst im fernen Rom oder Wien werden Gesetze gemacht, deren Sinn dem Bürger in Hamburg oder Kopenhagen fremd bleibt: Die in den nationalen Bereichen gut entwickelten Wege der Diskussion und Information, das Hin und Her der Abwägung haben noch keinerlei Entsprechung in Europa gefunden. Das Europäische Parlament aber ist eher schwach, wenig bekannt und ohne Initiativrecht. Hier sollten die Vertreter der Politik rechtzeitig bedenken, daß in einer so organisierten Rechtsgemeinschaft stets die Gefahr besteht, daß der Glaube und der Optimismus für Europa im Mißmut über „die da oben“ versandet. 3. Der jungen Generation von Juristen steht eine faszinierende Aufgabe bevor. Ein halbes Jahrtausend lang herrschte auf diesem Kontinent ein gemeinsames, gemeines Recht und verband die Juristen von Salamanca bis Helsinki und von Madrid bis Wien und Warschau. Heute wächst es neu heran, moderner, leistungsfähiger, sozialer. In großen Steinen liegt es noch roh vor uns. Aufgabe dieser jungen Juristengeneration wird es sein, diese Steine zu behauen und zum Gebäude zu fügen: eine wunderbare Aufgabe, an der auch Walther Kastner zu seinem Teile mitgewirkt hat. zer, Möglichkeiten und Grenzen der Dynamisierung der Beziehungen Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften, EA 1987, 343 ff, sowie den Schlußbericht der von der österr. Bundesregierung 1987 eingesetzten „Arbeitsgruppe für Europäische Integration“. 50 Näher zu diesem ständigen Verlust der Mitgliedstaaten an Gesetzgebungskompetenz in zentralen Bereichen des Wirtschaftsrechts vgl. Lutter, Europäisches Unternehmensrecht (Fn 17) S. 17 ff.

Die Auslegung angeglichenen Rechts* JZ 1992, S. 593-607 Rechtsangleichung hat in den zurückliegenden Jahren in vielen Bereichen des Zivil- und Wirtschaftsrechts zu erheblichen Änderungen des deutschen Rechts geführt. Diese Änderungen – allein im Aktienrecht mehr als 150 an der Zahl – haben den nationalen Charakter des betroffenen Rechts nicht beseitigt. Doch sind diese Normen jetzt durch die verbindlichen Vorgaben aus den EG-Richtlinien nach Art. 189 II EWGV „europäisch geprägt“. Welche Bedeutung das für Auslegung und Verständnis dieser Rechtsmaterie hat und welche Besonderheiten dabei zu berücksichtigen sind, ist Gegenstand der folgenden Abhandlung. I. Einleitung 1. Fragestellung Rechtsanwendung wird schwieriger – in allen ihren Teilen, auch und gerade bei der Auslegung des geschriebenen Rechts. Hat man sich in vielen Generationen von Arbeitern im Weinberg des Rechts auf die berühmten vier Auslegungscanones geeinigt – Text, Kontext, Entstehung, Zweck –, hat man sich weiter verständigt, daß sie heute die Frage nach der Übereinstimmung der Norm mit der Verfassung enthalten, daß sie aber im übrigen in keiner festen Rangordnung zueinander stehen, so blieb als bislang letzter und methodisch bislang nicht abgesicherter Schritt die Einbeziehung der Präzedenzien: im kontinentalen Rechtsdenken gelten sie als Autorität, nicht aber als eigene Rechtsquelle. Diese seit Savigny1 konsequent geführte und immer wieder bereicherte Diskussion2 um

* Diese Untersuchung ist aus einem Seminar über „Methoden der Rechtsangleichung“ der Träger und Mitglieder des Graduiertenkollegs „Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht“ an der Universität Bonn hervorgegangen. Verf. dankt seiner Kollegin B. Knobbe-Keuk und seinen Kollegen U. Everling, U. Huber, B. v. Maydell und W.-H. Roth sowie den Mitgliedern des Kollegs für die engagierte Diskussion seiner Thesen, vor allem aber der Wiss. Mitarbeiterin Frau Hildegard Ziemons für die sorgfältige und geduldige Aufbereitung des Materials und die Betreuung des Manuskripts. 1 Vgl. von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band I, Berlin 1840, S. 206 ff. 2 Vgl. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl. Tübingen 1964; S. 107ff.; ders., Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfin-

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das richtige Verständnis und die richtige Methode zur Anwendung des eigenen nationalen Rechts, wird nahezu unvermutet von Grundwellen einer neuen Kategorie getroffen: plötzlich und geradezu sprunghaft ist unser Recht durchsetzt von europäischem Recht, das seinerseits Geltung verlangt und Auslegungsansprüche erhebt: seiner selbst, aber eben auch des von ihm beeinflußten nationalen Rechts. Drei Beispiele mögen die neue Situation verdeutlichen, die sich bei Fragen der Auslegung stellt: a) Im Falle Marleasing3 hatte die Klägerin die Nichtigerklärung der Beklagten beantragt, da deren Gründung allein zur Schädigung der Gläubiger der Gründungsgesellschafter erfolgt sei. Dies sei ein Nichtigkeitsgrund nach dem zuständigen spanischen Recht. Die 1. Angleichungsrichtlinie von 19684, die das Motiv der Gläubigerschädigung nicht als Nichtigkeitsgrund anerkennt, hatte der spanische Gesetzgeber nicht umgesetzt. Wie sollte das spanische Gericht entscheiden? b) Im Falle Karella5 hatte Griechenland ein Sanierungsgesetz erlassen, das dem Staat oder einer von ihm geschaffenen Einrichtung erlaubt, in Gesellschaften, die sich in der Wirtschaftskrise befinden, aber für das Gemeinwesen von besonderer Bedeutung sind, die Verwaltung zu übernehmen und auch über alle Kapitalmaßnahmen zu beschließen. Eine private Aktiengesellschaft wurde diesem Verfahren unterstellt und in der Folge eine Kapitalerhöhung ohne Mitwirkung der Hauptversammlung verfügt. Mehrere Gesellschafter hielten das für unwirksam. Wie sollte das griechische Gericht im Konflikt zwischen seinem nationalen Recht und der entgegenstehenden Vorschrift der 2. Angleichungsrichtlinie von 19766 entscheiden? c) Kürzlich wurde gefragt, ob das Verbot der Finanzhilfe beim Erwerb von Aktien aus § 71a I AktG auch die spätere Umfinanzierung erfasse. Was war geschehen? Eine ausländische Gesellschaft hatte in Deutschland einen Kredit aufgenommen, um die Aktien einer deutschen AG zu erwerben. Der Kredit sollte aus den Dividenden der – jetzt – deutschen Tochter-Aktiengesellschaft zurückgezahlt werden. Das erwies sich als zu optimistisch: die Zinsen für den Kredit stiegen und die Erträge der Tochter waren geringer als gedacht. Aber die Tochter hatte hohe und nicht benötigte Liquidität. Weshalb sollte nicht die Finanzierung von der teuren Bank auf sie, die günstigere Tochter umgeleitet werden? Aber das verstößt vielleicht gegen § 71a I AktG. Zwar verknüpft der Wortlaut der Norm dung, Frankfurt 1970, S. 113ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. Berlin etc., 1991, S. 312ff.; Flume, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Bd., 3. Aufl., § 16. 3 EuGH Slg. 1990 S. 4135ff. = DB 1991, 157f. 4 Publizitätsrichtlinie, RiL 68/151 EWG, ABl. Nr. L 65/8 v. 14. 3. 1968; abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 3. Auflage Berlin 1991. S. 163ff. 5 EuGH DB 1991, 1616f., M. Karella und N. Karellas, noch nicht in Slg. 6 Kapitalrichtlinie, RiL 77/91 EWG, ABl. Nr. L 26/1 v. 31. 1. 1977; abgedruckt bei Lutter, (Fn. 4), S. 173ff.

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die Kredithingabe [594] und den Erwerb mit der Formulierung „zum Zwecke“. Aber signalisiert nicht schon § 71e AktG, daß sich die Aktiengesellschaft aus der Finanzierung eigener Aktien in Händen Dritter heraushalten soll? So und ähnlich kann man sich die Argumente und Schritte zur Interpretation einer rein deutschen Norm vorstellen. Aber das ist § 71a I AktG nicht; die Norm beruht auf Art. 23 I der 2. EG-Angleichungs-Richtlinie7 und übernimmt deren Text ziemlich wortgenau. Dann aber entstehen exakt die gleichen Fragen an die Richtlinie selbst und ihren Art. 23. Wie aber ist diese dann zu verstehen? Die Erwägungsgründe zur Richtlinie sagen dazu nichts und publizierte Materialien gibt es nicht. Durch sorgfältige Studien kann man aber feststellen, daß die Norm aus dem englischen Recht in die Richtlinie kam: andere Rechtsordnungen kannten die Norm bis zum Jahre 1976 nicht. Ist daher die Richtlinie aus der Lehre und Rechtsprechung zum britischen Recht heraus zu verstehen? Das wäre, allgemein betrachtet, eine unerhörte Aufgabe. Denn es müßte bei jeder Frage zur Auslegung angeglichenen Rechts auf den damaligen Rechtsstatus der nationalen Rechte zurückgegriffen, ja dieser Status überhaupt erst einmal festgestellt werden. Und wenn die Regel – wie etwa das Prinzip der realen Kapitalerhaltung – damals schon in mehreren nationalen Rechten galt, aber durchaus unterschiedlich interpretiert wurde8, welches damalige nationale Recht hätte dann wohl den Vorrang? 2. Der wachsende Umfang des europäischen Rechts Deutsches Recht ist nicht immer heimischen Ursprungs. Die Internationalität der Wirtschaftsbeziehungen schlägt sich im Recht nieder. Das ist uns vertraut. So ist insbesondere das wirtschaftsnahe Privatrecht durch fremde Einflüsse geprägt. Es sei nur an das Wechsel- und das Scheckgesetz erinnert, die auf internationalem Einheitsrecht9 beruhen. Heute aber sind es vor allem die Rechtsakte der EG, die mit unterschiedlicher Intensität auf das nationale Recht einwirken. Nach einer Untersuchung von Siedentopf10 ist bereits heute mehr als 50% des neu entstehenden deutschen Rechts europäischen Ursprungs und nach Vollendung des Binnenmarktes sollen es gar 80% sein. Man will ihm gerne glauben,

Wie Fn. 6. Vgl. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, Karlsruhe 1964, passim. 9 Genfer Abkommen vom 7. 6. 1930 über das einheitliche Wechselgesetz, RGBl. 1933 II, S. 377; BGBl. 1953 II, S. 148; Genfer Abkommen über das einheitliche Scheckgesetz, RGBl. 1939 II, S. 537, BGBl. 1953 II, S. 117, 592. 10 Siedentopf, Europäische Gemeinschaft und kommunale Beteiligung, DÖV 1988, 981 ff. (984). 7 8

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wenn man allein die große Zahl von Richtlinien auf dem Gebiet des Unternehmensrechts11 und des wirtschaftsnahen Zivilrechts12 bedenkt. 3. Die Struktur und Wirkungsweise des europäischen Rechts Dieses europäische Recht auf dem Boden der zwölf Nationen hat keine einheitliche Struktur. a) Primärrecht und Verordnungen Den Grundfreiheiten des EWGV hat der EuGH bereits früh die unmittelbare Anwendbarkeit zuerkannt13, so daß sich der einzelne Bürger vor den nationalen Gerichten auf die betreffenden Vorschriften des Vertrages und ihren Vorrang vor nationalem Recht berufen kann14. Weite Teile des EWGV selbst einschließlich seiner Änderungen enthalten mithin ebenso wie die auf ihm beruhenden Verordnungen nach Art. 189 II EWGV unmittelbar anwendbares Recht, das nationalem Recht vorgeht und dieses verdrängt. Hier geht es also um ein einheitliches Recht, dessen Besonderheit allein in seinem supranationalen Charakter, seiner eigentümlichen Art der Entstehung und der Letzt-Zuständigkeit des EuGH bei seiner Auslegung besteht, Art. 177 EWGV. b) Richtlinien Ganz anders verhält es sich mit den Richtlinien und ihrer auf Art. 189 III EWGV beruhenden Wirkung; denn hier wird die Schaffung nationalen Rechts von Rechts wegen gefordert: nationales Recht entsteht neu oder nationales Recht wird verändert, aber sein Grund und sein Ursprung ist das europäische Recht der Richtlinien. Und nicht nur das; diese Richtlinien sind Recht; nur sind sie (zunächst) nicht allgemeines Recht, ihre Adressaten sind vielmehr die Mitgliedstaaten und deren gesetzgebende Organe entsprechend ihrer jeweiligen Verfassung. Folgt aber der nationale Gesetzgeber dem Richtliniengebot nicht oder nicht rechtzeitig oder folgt er nicht vollständig oder weicht er später wieder davon ab, so entwickelt die Richtlinie im betreffenden nationalen Recht ein Eigenleben, wird mehr Vgl. die Zusammenstellung bei Lutter (Fn. 4). Produkthaftungsrichtlinie, RiL 85/374 EWG, ABl. Nr. L 210/29 v. 7. 8. 1985; Verbraucherkreditrichtlinie, RiL 87/102 EWG, ABl. Nr. L 42/48 v. 12. 2. 1987; Verbraucherschutzrichtlinie, RiL 85/577 EWG, ABl. Nr. L 372/31 v. 31. 12. 1985. 13 Z. B. EuGH Slg. 1963 S. 3ff. (24ff.) van Gend & Loos = NJW 1963, 974; EuGH Slg. 1970 S. 1213ff. (1223) S. A. C. E. = NJW 1971, 1006; EuGH Slg. 1974, S. 631 Reyners = NJW 1975, 513; vgl. dazu den Überblick bei Lenz, Entwicklung und unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts, DVBl. 1990, 903ff. (905ff.). 14 Vgl. Grabitz, in: Grabitz, Kommentar zum EWG-Vertrag, München, Stand Juni 1990, Art. 12 Rz. 21. 11 12

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und mehr allgemeines Recht, und erlaubt dem Bürger, sich zu seinen Gunsten und mit zugleich verdrängender Wirkung gegenüber nationalem Recht auf eben diese Richtlinie zu berufen, wenn sie nur unbedingt formuliert und klar genug gefaßt ist15. Die praktischen Wirkungen sind bedeutend und sehr weitreichend. So hat der EuGH in der oben erwähnten Marleasing-Entscheidung dem spanischen Gericht nahegelegt, eine der 1. EG-Angleichungs-Richtlinie entgegenstehende Norm seines nationalen spanischen Rechts nicht anzuwenden. Und in gleicher Weise hat er in der ebenfalls erwähnten Karella-Entscheidung16 judiziert, wo es um nachträglich geschaffenes, richtlinienwidriges nationales Recht ging17. c) Wirkung der Rechtsangleichung Die Rechtsangleichung bewirkt, daß nationales Recht auf den Schultern des EG-Rechts ruht. Es leuchtet mithin unmittelbar ein, daß die Auslegung und Anwendung angeglichenen nationalen Rechts in anderer oder mindestens modifizierter Weise erfolgen muß, als wenn es sich um „normales“ nationales Recht handeln würde. Dabei sei aber hier und vorweg auf zwei gravierende, eher technische Besonderheiten hingewiesen: aa) Zum einen sieht man es dem nationalen Recht nicht an, ob es aus rein nationaler Quelle stammt oder europäisch geprägt ist.18 Ein Beispiel dafür ist wieder das Aktiengesetz. In Durchführung von EG-Richtlinien wurde es zwischen 1969 und heute viermal verändert19. Dabei wurden mindestens 100 [595] Vorschriften geändert und etwa 50 ganze Vorschriften oder einzelne Absätze neu eingefügt. Versäumt man es, in neueren Kommentaren nachzuschlagen – und welcher Kommentar könnte da auch nur einigermaßen zeitlich à jour sein? – oder in sorg-

15 EuGH Slg. 1979 S. 1629ff. (1642) Ratti = NJW 1979, 1764ff.; EuGH Slg. 1982 S. 53ff. (71) Becker = NJW 1982, 479 ff.; EuGH Slg. 1986 S. 723ff. (748) Marshall = NJW 1986, 2178ff.; sowie: Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien: Ein Beispiel richterlicher Rechtsfortbildung auf der Basis gemeinsamer Rechtsgrundsätze, FS Carstens, Band I, Köln etc. 1984, S. 95ff. 16 Fn. 5. 17 Ähnlich der Fall Simmenthal II, EuGH Slg. 1978 S. 629ff. (644) =NJW 1978, 1741ff. 18 Wie Everling (ZGR 1992/Heft 3) richtig bemerkt, weiß der Rechtsanwender oft nicht um den EG-Ursprung bzw. EG-Bezug einer Vorschrift; ebenso Siedentopf, The Implementation of Directives in the Member States, in: Siedentopf/Ziller (Hrsg.), Making European Policies Work, Vol. 1, London etc. 1988, S. 169ff. (179); vgl. auch Mansel, Rechtsvergleichung und europäische Rechtseinheit, JZ 1991, 529ff. (531). 19 Vgl. die Durchführungsgesetze: Gesetz zur Durchführung der 1. RiL v. 15. 8. 1969, BGBl. 1969 I, S. 1146ff.; Gesetz zur Durchführung der 2. RiL v. 13. 12. 1978, BGBl. 1978 I, S. 1959ff.; Gesetz zur Durchführung der 3. RiL v. 25. 10. 1982, BGBl. 1982 I, S. 1425ff.; Gesetz zur Durchführung der 4., 7. und 8. RiL v. 19. 12. 1985, BGBl. 1985 I, S. 2355ff.

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fältig erstellten Registern20, so ist die Herkunft der Norm einfach nicht erkennbar: nichts weist auf die Herkunft aus Richtlinien hin! bb) Zum anderen befinden sich die europäisch geprägten Vorschriften in einer kaum durchschaubaren Gemengelage mit rein nationalen Normen. Ein Beispiel dafür: die §§ 71-71e AktG beruhen auf der 2. EG-Angleichungs-Richtlinie – aber nur, soweit es sich um den Erwerb eigener Aktien durch die AG selbst handelt, nicht soweit die fraglichen Aktien von einer Tochtergesellschaft, einer abhängigen Gesellschaft erworben werden: dazu sagt die 2. EG-Richtlinie nichts und bislang auch keine andere EG-Vorschrift. Dennoch sind diese Fragen schon textlich mit den EG-veranlaßten Fragen unmittelbar verwoben. Ein Beispiel für eine solche Text-Situation ist § 71d AktG, der zum Teil, aber eben auch nur zum Teil auf Art. 19 der 2. EG-Richtlinie beruht. Dort wird zunächst einmal im Satz 1 ein Dritter, der für Rechnung der AG deren Aktien erwerben will, dem gegen die AG selbst gerichteten Verbot des § 71 AktG gleichermaßen unterworfen; das entspricht Art. 19 I der 2. Richtlinie. Dann folgt Satz 2 mit einer Ausdehnung des Erwerbsverbotes auf von der AG abhängige Unternehmen. Dieser Satz ist nicht durch die EG-Richlinie veranlaßt, sondern entspricht der deutschen Regelung seit dem AktG 1937. Die folgenden Sätze 3-6 beziehen sich dann auf beide Fälle, also sowohl auf den „für Rechnung“ (= Art. 19 der 2. Richtlinie) als auch auf den für „abhängige Unternehmen“ (= rein deutsche Lösung). Der Rechtsanwender ist nicht zu beneiden! d) Erscheinungsformen angeglichenen Rechts aa) Durch Rechtsangleichung entstandenes nationales Recht kann also zu ganz neuen Vorschriften-Komplexen, wie etwa das auf die 4., 7. und 8. EG-Richtlinie zurückgehende ganze neue 3. Buch des HGB mit seinen §§ 238-339,

zu neuen Einzelvorschriften, wie die §§ 53a, 71a und 340a-340b AktG,

oder auch nur zu neuen Absätzen und Sätzen in sonst unveränderten Bestimmungen führen, wie etwa der neue Absatz 3 in § 183 AktG oder die Sätze 2 in § 184 I und § 186 IV AktG.

bb) Hierher gehört aber auch und vor allem die große Zahl geänderter Normen. So blieben die Normen des AktG zur Fusion zwar in ihrer Struktur gleich, doch wurde – von den schon erwähnten und neu eingefügten Vorschriften abgesehen – praktisch jede „alte“ Vorschrift ein bißchen geändert oder ergänzt.

20 Den Bearbeitern des „Schönfelder“ und seiner Ableger sei dafür ein ganz besonderes Lob gesagt!

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cc) Angeglichenes Recht sind aber auch diejenigen Normen, die zwar von der Umsetzung der Richtlinie ihrem Wortlaut nach unberührt geblieben sind, wohl aber in deren Anwendungsbereich liegen. Dazu gehören etwa die §§ 7 und 9 AktG21: das in § 7 AktG 1965 festgelegte Mindestkapital von DM 100000 entspricht reichlich Art. 6 der 2. Richtlinie; und das in § 9 AktG formulierte Verbot der Unterpari-Emission entspricht seit langem deutschem Recht; insoweit war eine textliche Angleichung durch Art. 8 der 2. Richtlinie nicht veranlaßt. Aber auch hier sollte man von angeglichenem Recht sprechen; denn mit der Umsetzungsgesetzgebung wollte der deutsche Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus dem EWGV nachkommen, d.h. das in der jeweiligen Richtlinie enthaltene System von Normen insgesamt in sein nationales Recht übertragen und integrieren. Auch soweit dazu keine Änderung des alten Wortlauts des nationalen Rechts notwendig war, ist die Norm dennoch in Zukunft unter den Aspekten von Art. 5 und 189 III EWGV „angeglichenes Recht“22. II. Die herkömmlichen Auslegungsmethoden im deutschen Recht Auslegung ist Sinnerschließung. Als Auslegung von Normen nationalen Rechts geschieht sie nach methodischen Gesichtspunkten mit dem Ziel, dem Auslegungsergebnis den Anspruch auf Richtigkeit und Nachprüfbarkeit zu geben23. Dabei ist Auslegung keineswegs nur die Reparatur mehr oder minder gravierender textlicher Mängel; vielmehr halten wir – im Gegensatz zu der im angloamerikanischen Rechtskreis verbreiteten sense-claire Regel24 – Auslegung auch dann für notwendig, wenn der Normtext (scheinbar) klar und verständlich ist25. 1. Die grammatikalische Auslegung Ausgangspunkt jeder Auslegung ist die Feststellung der Wortbedeutung und des Wortsinns der fraglichen Norm nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem besonderen Sprachgebrauch des betreffenden Gesetzes26. Dabei ist sowohl

21 Vgl. dazu: Lutter, Zur Europäisierung des deutschen Aktienrechts, in: Konflikt und Ordnung, FS Ferid, München 1978, S. 599ff. (618); zuletzt Everling, Zur Auslegung des durch EGRichtlinien angeglichenen nationalen Rechts, ZGR 1992 Heft 3. 22 Vgl. Bach, Direkte Wirkungen von EG-Richtlinien, JZ 1990, 1108ff. (1112). 23 Vgl. Larenz, (Fn. 2), S. 319. 24 Vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts, Band II, Tübingen 1975, S. 125f. 25 Vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts, Band III, Tübingen 1976, S. 659; Larenz (Fn. 2) S. 343. 26 Larenz, (Fn. 2), S. 222.

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das Wortverständnis zur Zeit des Erlasses der Norm als auch unser heutiges zu berücksichtigen27. 2. Die systematische Auslegung Die systematische Auslegung bezieht das allgemeine normative und das spezielle Umfeld des betreffenden Gesetzes in die Überlegung ein. Hierdurch ist es etwa möglich, von der Stellung einer Norm im Regelungsgefüge auf ihren Inhalt zu schließen28. 3. Die historische Auslegung Die historische Auslegung erweitert den Kreis der Aspekte über Text und Kontext hinaus und bezieht die Entstehungsgeschichte der Norm also die Gesetzesmaterialien und andere feststellbare Erwägungen bei Erlaß des Gesetzes in die Überlegungen mit ein. Hierdurch wird es möglich, auf die Regelungsabsicht, die Zwecke, Ziele und Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers zu schließen29. 4. Die teleologische Auslegung Die teleologische Auslegung erweitert den Kreis der Erwägungen noch einmal, entfernt sich damit noch stärker vom Text und seinem Wortlaut, gewinnt aber mit ihren vielfältigen Einzelaspekten schon im Hinblick auf die Masse des Rechtsstoffes und der Texte immer größere Bedeutung für eine in sich stimmige Interpretation. Hier geht es also zunächst einmal um die möglichste Freiheit von Widersprüchen im Verhältnis zu anderen Teilen der Rechtsordnung und um die Konformität mit der Verfassung. Hier geht es aber nicht nur um die Vermeidung widersprüchlicher Normbefehle und Normaussagen, sondern auch um die Vermeidung von Wertungswider- [596] sprüchen. Weiter ist zu fragen, ob das so 27 Diese können durchaus voneinander abweichen: sei es aufgrund technischen Fortschritts, sei es aufgrund eines geänderten Werteverständnisses. So hat man 1871 bei Abfassung des Gesetzes zum Schadensersatz für die beim Betriebe von Eisenbahnen etc. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen, RGBl. 1871 I S. 207, unter „Schienenbahn“ nur die mit Dampf- oder Pferdeantrieb verstanden. Vgl. dazu auch BGHSt 1, 1ff. (3). 28 Vgl. Fikentscher, (Fn. 25), S. 672f. 29 Vgl. Larenz, (Fn. 2), S. 328. Larenz kann nicht gefolgt werden, wenn er das Ergebnis der historischen Auslegung als verbindliche Grenze der Auslegung betrachtet: Das Ergebnis der teleologischen Auslegung kann über die Zwecke des historischen Gesetzgebers hinausgehen. In diesem Sinne auch Fikentscher, (Fn. 25), S. 675.

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erreichte Verständnis der Norm als sachgemäße Regelung eines Lebensbereichs, ja überhaupt als gerecht angesehen werden kann. Neuerdings wird hier auch die Verwirklichung rechtsethischer Prinzipien angesprochen30, wobei nicht klar ist, ob damit mehr als gerecht gemeint ist, oder ein besonderer Zweck angesprochen ist. 5. Verhältnis der Auslegungskriterien zueinander Alle diese vielen Aspekte der Auslegung stehen in keinem festen Rangverhältnis zueinander: alle sind zu beachten31. Allenfalls ließe sich sagen, daß die Bestimmung der Wortsinngrenze einerseits und die teleologische Auslegung andererseits besonders gewichtige Kriterien sind32. III. Fortgeltung dieser Grundsätze auch bei angeglichenem Recht? 1. Überblick Über diese soeben skizzierten Auslegungsfragen herrscht in der deutschen Wissenschaft und Praxis in hohem Maße Einigkeit; auch das BVerfG33 folgt ausdrücklich diesen Lehren. Bei rein deutschen Normen läßt sich auf diese Weise mit Kunst, Erfahrung und Gespür ein richtiges, gerechtes und überzeugendes Auslegungsergebnis finden. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts europäischen Ursprungs die gleichen Regeln gelten oder nicht, ob also die für „normales“ nationales Recht anerkannten Methoden der Auslegung und Anwendung beibehalten werden können oder ob sie modifiziert werden müssen34.

30 Vgl. Fikentscher, (Fn. 25), S. 676f.; Larenz, (Fn 2), S. 334f.; Wiedemann, Rechtsethische Maßstäbe im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR 1980, 147ff. 31 Anders offenbar Larenz, (Fn. 2), S. 344; wie hier: Canaris, Die Bedeutung allgemeiner Auslegungs- und Rechtsfortbildungskriterien im Wechselrecht, JZ 1987, 543ff. (545). 32 Vgl. Fikentscher, (Fn. 25), S. 364. 33 Vgl. BVerfG JZ 1952, 419 = BVerfGE 1, 299ff. (312). 34 Zum Parallelproblem im internationalen Einheitsrecht, vgl. Canaris, (Fn. 31), JZ 1987, 543ff.

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2. Richtlinie und nationales Recht a) Richtlinie als Motiv In den hier angesprochenen Fällen ist die Richtlinie die causa der nationalen Norm. Es handelt sich also um einen Vorgang nicht ganz und gar unähnlich der Übernahme eines Normenkomplexes kraft völkerrechtlichen Vertrages35. Auch dort ist unstreitig, daß das Abkommen und sein Text für die Auslegung der nationalen Norm von besonderer Bedeutung sind36. b) Die Rangfrage Hier kommt jedoch hinzu: im Gegensatz zur Entstehung nationalen Rechts in Erfüllung internationaler Verpflichtungen steht hier zusätzlich eine Rangordnung der Rechtsmaterien zur Debatte37. Das ist für das primäre Gemeinschaftsrecht des Vertrages und das sekundäre Gemeinschaftsrecht der Verordnungen inzwischen unstreitig: beide haben Vorrang vor nationalem Recht, haben verdrängende Wirkung38. Diese Aussage über den Vorrang des europäischen Rechts wird aber gerne ganz undifferenziert für das gesamte Gemeinschaftsrecht getroffen und soll dann auch die Richtlinien als Teil des Gemeinschaftsrechts erfassen39. So aber ist das nicht. Der EuGH hat bislang nie entschieden und es wird auch in der Literatur, soweit ersichtlich, nicht vertreten, daß die Richtlinie mit dem Ablauf ihrer Umsetzungsfrist allgemeines Recht werde mit Wirkung für und gegen jedermann. Es gäbe dann keinen qualitativen Unterschied mehr zwischen Verordnung und Richtlinie, sondern nurmehr einen Unterschied im Beginn der zeitlichen Wirkung. Aber so groß, wie es nach der Lehre des EuGH scheinen mag, sind die Unterschiede auch nicht.

35 System der loi uniforme, so das Wechsel- und das Scheckgesetz (Fn. 9) und so zuletzt das Wiener Kaufrechtsübereinkommen, Wiener Übereinkommen v. 4. 11. 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf, in: BGBI. 1989 II S. 588ff. Zu den Besonderheiten des Einheitsrechts, das auf völkerrechtlichen Verträgen auf der Grundlage von Art. 220 beruht, vgl. Pirrung, Die Einführung des EG-Schuldvertragsübereinkommens in die nationalen Rechte, in: von Bar, (Hrsg.) Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, Köln etc. 1991, S. 21 ff. 36 Vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 2. Auflage Heidelberg 1987, Einleitung Rz. 32; sowie Kropholler, Internationales Einheitsrecht Tübingen 1975, S. 258ff., insbes. S. 262ff. 37 Das gilt nicht für Einheitsrecht aus völkerrechtlichen Verträgen. Sein Geltungsgrund ist das nationale Umsetzungsgesetz; das fragliche Recht befindet sich also auf der „gleichen“ Rangstufe wie normales Bundesrecht. 38 Vgl. für das Primärrecht die Nachweise bei Fn. 8; für die Verordnungen: EuGH Slg. 1971, S. 1039ff (1049), Politi; EuGH Slg. 1972 S. 89ff. (96) Marimex. 39 Vgl. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1970, Rz. 10/36.

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c) Die Richtlinie in der nationalen Rechtsanwendung aa) Im Verhältnis Bürger versus Staat Zunächst einmal hat der EuGH die Wirkung nicht oder nicht vollständig oder nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien40 auf das Verhältnis Bürger bzw. Unternehmen versus Mitgliedstaat und seine Einrichtungen beschränkt41. Und sodann hat das Gericht stets verlangt, daß die fragliche Richtliniennorm hinreichend klar und bestimmt sein müsse und dem betreffenden Mitgliedstaat keinen materiellen Handlungsspielraum lassen dürfe42. Beide Schranken stehen einer allgemeinen Wirkung der Richtliniennorm entgegen43. Sind diese einschränkenden Kriterien erfüllt, so hat der EuGH zwar zunächst von „unmittelbarer Wirkung“44 gesprochen, diese Formulierung jedoch auf Widerspruch der nationalen Gerichte45 zurückgenommen und sich jetzt auf die Formel zurückgezogen, der betroffene Bürger oder das betroffene Unternehmen „könne sich auf die ihm günstige Richtlinienbestimmung berufen“46, 47. Was aber 40 Diese Feststellung kann erst nach dem – vergeblichen – Versuch einer richtlinienkonformen Auslegung des fraglichen nationalen Rechts getroffen werden. Dazu näher im Text unten IV und V. 41 EuGH Slg. 1970 S. 1213ff. (1224) S. A. C. E.; EuGH Slg. 1986 S. 723ff. (749) Marshall; EuGH Slg. 1986 S. 1651ff. (1691) Johnston; EuGH Slg. 1987 S. 2141ff. (2159) Traen; EuGH Slg. 1987 S. 2545ff. (2570) Pretore di Salo; EuGH Slg. 1987 S. 3969ff. (3985) Kolpinghuis Nijmegen. 42 EuGH Slg. 1974 S. 1337ff. (1349) van Duyn = Leitsätze NJW 1975, 2165; EuGH Slg. 1983 S. 2727ff. (2744) Auer II = NJW 1984, 2022f.; EuGH Slg. 1986, S. 385Sff. (3876) Federatie Nederlandse Vakbeweging; EuGH Slg. 1988, S. 4635ff. (4662) Beentjes = Leitsätze NJW 1990, 1414. 43 Dies verbieten insbesondere, wie der EuGH in der Entscheidung Kolpinghuis (Fn. 41) zu recht betont, das Gebot der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot. 44 EuGH Slg. 1970 S. 825ff. (838f.) Grad (Leberpfennig) = NJW 1970, 2182ff.; EuGH Slg. 1970 S. 861ff. (876) Lesage; EuGH Slg. 1970 S. 881ff. (895) Haselhorst; EuGH Slg. 1970 S. 1213ff. (1224) S. A. C. E. Die drei erstgenannten Entscheidungen betreffen Empfehlungen im Sinne von Art. 14 III EGKSV. Da Empfehlung und Richtlinie einander entsprechen, können die genannten Entscheidungen ohne weiteres auch für die Wirkung von Richtlinien herangezogen werden. 45 Z. B. Conseil d’Etat Urteil v. 22. 12. 1978, Cohn-Bendit, EuR 1979, S. 292ff.; Conseil d’Etat, Urteil v. 2. 3. 1988, Revue de Droit Rural 1988, S. 303ff.; BFHE 133, 470ff.; BFHE 143, 383ff. 46 EuGH Slg. 1974 S. 1337ff. (1348f.) van Duyn; EuGH Slg. 1977 S. 113ff. (126f.) Nederlandse Ondernehmingen = NJW 1977, 2022; EuGH Slg. 1979 S. 1629ff. (1642) Ratti; EuGH Slg. 1982 S. 53ff. (71) Becker; EuGH Slg. 1982 S. 2301ff. (2312) Grendel; EuGH Slg. 1984 S. 1075ff. (1085) Kloppenburg; EuGH Slg. 1986 S. 3855ff. (3874f.) Federatie Nederlandse Vakbeweging; EuGH Slg. 1987 S. 3969ff. (3985) Kolpinghuis Nijmegen; EuGH Slg. 1988 S. 4689ff. (4722) Moormann. Zuletzt EuGH DB 1991, 1616f. Karella. Die Formulierung des EuGH in französischer Sprache macht den Gedanken noch einmal deutlich: „… l’article 25, paragraphe 1 [scil.: der 2. Richtlinie] est susceptible d’être invoqué devant les jurisdictions nationales par un particulier à l’encontre des autorités publiques.“ 47 Ursprünglich lag dieser Argumentation das Verbot des venire contra factum proprium zugrunde: die öffentliche Hand dürfe schließlich aus der eigenen Vertragsverletzung (Art. 5, 189 III EWGV) nicht auch noch Vorteile ziehen. Inzwischen behandelt der EuGH den Satz vom

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das in bezug [597] auf das nationale Recht bedeutet, hat der EuGH bisher nicht gesagt und er konnte es auch nicht sagen: insoweit handelt es sich nämlich um die Auslegung und Anwendung nationalen Rechts, für die er nicht zuständig ist (Idee der getrennten Rechtsordnungen). Der EuGH ist hier, wo es sich nicht um eine schlicht verdrängende Wirkung des EG-Rechts gegenüber dem nationalen Recht handelt, in einer schwierigen Situation und auf die Mitwirkung des nationalen Richters angewiesen. Dementsprechend formuliert er auch: der nationale Richter habe das nationale Recht unter Berücksichtigung des Wortlauts und der Zielsetzung der Richtlinie auszulegen, um zu verhindern … (Marleasing) bzw. die Richtlinie sei so auszulegen, daß sie einer nationalen Norm bestimmten Inhalts entgegenstehe, um sicherzustellen … (Karella). Auf diesem Hintergrund sind unterschiedliche Fälle zu bedenken: (1) Das nationale Recht enthält keine Regelung48. Dann, so kann man annehmen, strömt europäisches Recht der Richtlinie in die Lücke. Ob das dann europäisches Recht ist oder nationales Recht der Lückenfüllung mit dem Inhalt des Richtliniengebotes kann hier dahinstehen; denn diese Lückenfüllung hat jedenfalls „im Lichte der Richtlinie“ und ihrer Ordnung zu geschehen. (2) Das nationale Recht enthält eine richtlinienwidrige Regelung. Das war die Lage im Fall Becker49, die nationale Steuervorschrift bestand noch, obwohl die Richtlinie Abschaffung angeordnet hatte und die Frist abgelaufen war. Der EuGH verlangte Nichtanwendung der nationalen Norm, postulierte also de facto die Verdrängung der nach wie vor formell gültigen nationalen Norm als richtlinienwidrig. Geht man vom Bilde der beiden Rechtsordnungen – EG-Recht und nationales Recht – aus und stellt auf diesem Hintergrund dann in concreto ihre teilweise Überschneidung fest, so postuliert die Entscheidung des EuGH eine Kollisionsregel zugunsten des europäischen Rechts der Richtlinie: (1) das nationale Recht verlangt vom Bürger eine Steuer; (2) das europäische Recht der Richtlinie will ihn davon freistellen; (3) das europäische Recht setzt sich zugunsten des Bürgers und gegen die öffentliche Hand durch. Ob man das nun insoweit (zugunsten des Bürgers und gegen die öffentliche Hand) „unmittelbare Wirkung“ (so der EuGH in den frühen Leberpfennig-Entscheidungen) nennt oder „Möglichkeit sich darauf zu berufen“ (wie jetzt zuletzt im Falle Karella) oder schlicht „Verdrängung“ (so mein Vorschlag50) ist eine façon de parler, aber in der Sache nicht entscheidend.

„sich-berufen-können“ des Bürgers wie eine (Kollisions)Norm des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zum betreffenden nationalen Recht, die von Amts wegen zu berücksichtigen ist (EuGH Urteil v. 11. 7. 91, Rs 87-89/90 A. Verholen, noch nicht veröffentlicht, Leitsätze RIW 1991, S. 869). 48 Vgl. dazu: OLG Celle, EuZW 1990, 550ff. (552). 49 EuGH Slg. 1982 S. 53ff. Becker. 50 Vgl. oben III 2 b.

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Nicht viel anders war die Problemlage im Fall Karella51. Hier hatte Griechenland später, also nach Erlaß und Umsetzung der 2. Richtlinie, eine Vorschrift geschaffen, die ihrem Art. 25 I 1 widerspricht. Dort ist wörtlich bestimmt: „Jede Kapitalerhöhung muß von der Hauptversammlung beschlossen werden.“

Und der Gerichtshof entschied: Art. 5 I der 2. Richtlinie könne von einem Betroffenen vor den nationalen Gerichten der öffentlichen Hand gegenüber geltend gemacht werden. Die Art. 25 I und 41 I der 2. Richtlinie müßten in dem Sinn verstanden werden, daß sie einer nationalen Regelung entgegenstünden, die eine Kapitalerhöhung ohne Beteiligung der Hauptversammlung ermögliche. „Font obstacle“ sagt das Gericht in der französischen Fassung des Urteils, die Richtliniennorm stehe der Anwendbarkeit entgegengesetzten nationalen Rechts entgegen, soweit dieses die öffentliche Hand richtlinienwidrig begünstige: der verdrängende Charakter der Richtliniennorm liegt auf der Hand. -

bb) Im Verhältnis der Bürger untereinander Schwierig ist die Rechtslage, wenn durch die Nicht-Umsetzung der Richtlinie oder die richtlinienwidrige Schaffung nationalen Rechts Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern betroffen sind. Bislang nämlich hat der EuGH eine „durchschlagende Wirkung“ von Richtlinien im Verhältnis der Bürger untereinander nicht angenommen52. Das hängt auch mit seiner ursprünglichen Begründung für die soeben beschriebene Wirkung der Richtlinie im Verhältnis zur öffentlichen Hand zusammen: Diese könne sich schließlich nicht auch noch auf ihre eigene Verletzung des EWGV berufen und müsse daher die Berufung des Bürgers auf die Richtlinie akzeptieren, mithin eine Rechtslage, die bestünde, hätte sich die öffentliche Hand vertragsgerecht (Art. 5, 189 III) verhalten. Mit diesem Ansatz läßt sich der Konflikt auf der Ebene der Bürger untereinander nicht lösen. Zwar hat sich die Begründung des EuGH inzwischen von diesem Ansatz eher gelöst53, will man aber wegen Art. 189 III EWGV und der besonderen Struktur der Richtlinie über diesen Ansatz nicht hinausgehen, will man insbesondere insoweit gerade keine

Vgl. Fn. 5. Vgl. die Nachweise bei Fn. 41; anders: OLG Celle, Fn. 48. 53 Zusammengefaßt noch einmal in der Entscheidung Busseni (EuGH Slg. 1990 S. 495ff. [529]): „Daher kann ein Mitgliedstaat, der die in der Richtlinie vorgeschriebenen Durchführungsmaßnahmen nicht fristgerecht erlassen hat, den einzelnen nicht entgegenhalten, daß er die aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen nicht erfüllt hat. Demnach können sich die einzelnen in Ermangelung von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen; einzelne können sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit diese Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können.“ 51 52

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Konfliktregel schaffen, so kann man nur noch an „Beeinflussung“ denken. Und genau das tut der EuGH: Im Marleasing-Fall54 ging es um die unzureichende Umsetzung der 1. Richtlinie durch Spanien. Der EuGH verlangte vom spanischen Richter die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts mit folgenden Worten: „Der EuGH hat weiterhin festgestellt, daß sich aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Erfüllung ihrer Verpflichtung, das in den Richtlinien vorgesehene Ziel zu erreichen, zu gewährleisten, ergibt, daß bei der Anwendung des nationalen Rechts, gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Rechtsvorschriften handelt, das zu seiner Auslegung berufene nationale Gericht dies soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie tun muß, um das Ziel dieser Richtlinie zu erreichen und um Art. 189 III EWG auf diese Weise nachzukommen. Zur Auslegung des Art. 11 der Richtlinie, insbesondere seiner Nr. 2 Buchstabe b, ist festzustellen, daß die Richtlinie, wie sich aus ihrer Präambel ergibt, die Fälle der Nichtigkeit sowie die Rückwirkung der Nichtigerklärung beschränken soll. Deshalb ist der Ausdruck „Gegenstand des Unternehmens“ so zu verstehen, daß er sich auf den Gegenstand der Unternehmens bezieht, wie er in der Gründungsakte oder in der Satzung umschrieben ist. Die Nichtigkeit der Gesellschaft kann also nicht als Folge ihrer tatsächlichen Tätigkeit wie z. B. der Vereitelung der Ansprüche der Gläubiger der Gründer ausgesprochen werden.“

Mit diesem letzten Satz mischt sich der EuGH geradezu in die Auslegung des nationalen spanischen Rechts ein, vor allem aber wird durch ihn deutlich, wie sich der EuGH die richtlinienkonforme Auslegung vorstellt: Das im nationalen Recht und nach dessen Regeln vom spanischen Gericht durch Auslegung gewonnene Ergebnis war richtlinienwidrig. Daher verlangte der EuGH eine Änderung eben dieser Auslegung. In Wirklichkeit geht es nicht mehr um Auslegung im hergebrachten Sinne, sondern um eine Änderung des Verständnisses vom Inhalt des spanischen Rechts durch Integration der Richtlinie. d) Zusammenfassung: Richtlinie und nationales Recht Methodisch sind mithin zwei Ausgangslagen zu unterscheiden: aa) Geht es um eine Richtlinienbestimmung, ist diese inhaltlich klar und hinreichend bestimmt und hat der Mitglied- [598] staat sie nicht oder nicht vollständig umgesetzt oder später wieder entgegenstehendes nationales Recht geschaffen, so kann sich der einzelne Bürger und das einzelne Unternehmen diesem Staat und allen seinen Untergliederungen gegenüber auf die Richtlinie und ihren Text so berufen, als sei diese förmlich und korrekt in das nationale Recht integriert worden. Insoweit verdrängt die Richtlinie entgegenstehendes nationales Recht55 oder füllt offene Lücken in ihm. Das hat mit Auslegung im klassischen Verständnis wenig zu tun, son-

54

Vgl. Fn. 3.

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dern ist die jeder Auslegung vorgehende Frage nach dem anwendbaren Recht und der Anwendbarkeit der konkreten Norm. Die Auslegung der letztlich anwendbaren Norm folgt dann erst diesem Schritt. bb) Besteht die gleiche Ausgangssituation, ist jedoch ein Rechtsverhältnis zwischen einem Bürger und einem anderen Bürger betroffen, so verdrängt die Richtlinie nicht56, greift nicht unmittelbar ein, sondern zwingt den nationalen Richter (nur), sein allein anwendbares nationales Recht „so weit wie möglich im Lichte des Wortlautes und des Zwecks der Richtlinie“ auszulegen, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen. Während also der erste Vorgang (aa) relativ überschaubar und jedem Rechtsanwender in komplexen staatlichen Ordnungen durchaus vertraut ist57, macht die in der zweiten Fallgruppe (bb) erforderliche Integration der Richtlinie in das nationale Recht sehr viel größere Schwierigkeiten. Denn sie verlangt vom nationalen Rechtsanwender, die Richtliniennorm ohne eigentliche „Verdrängung“ auch gegen den Inhalt seiner nationalen Norm durchzusetzen. Der EuGH nennt auch das „Auslegung“. IV. Die Auslegung der Richtlinie Die soeben erörterten Fragen des Konfliktes zwischen zwei aufeinander bezogenen, aber getrennten Rechtsordnungen – der Gemeinschaftsrechtsordnung und der nationalen Rechtsordnung – sind eng verbunden mit der Frage, wie die Richtlinie zu verstehen, wie sie selbst auszulegen ist. Unmittelbar daran schließt sich sodann die weitere Frage, wie eben dieses Auslegungsergebnis auf die nationalen Rechtsordnungen und ihren jeweiligen Stand ausstrahlt, wie also das nationale Recht zu verstehen ist. 1. Grundlagen a) Im Normalfall des von Art. 189 III EWGV gedachten Verfahrens ist die Richtlinie Grund und Anlaß der nationalen Regel, ist ihre causa, so, wie in anderen Gesetzgebungsverfahren der Gestaltungsgrund und Gestaltungswille des politischen Gesetzgebers: wie dort der Schutz des Bürgers vor nachteiliger Vertragsgestaltung in AGB oder der Schutz der Umwelt als Lebensgrundlage der Nation die Regelungsgründe sind, so ist es hier die Richtlinie an sich. 55 Oder um die Diktion des EuGH zu benutzen: Die Richtlinie genießt Anwendungsvorrang vor nationalem Recht. 56 In diesem Sinne aber: OLG Celle, EuZW 1990, 550ff. (552). 57 Vgl. nur Art. 31, 72, 74 GG.

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Für den Rechtsanwender in der kontinentalen Tradition steht daher die Berücksichtigung der Richtlinie im Rahmen der Auslegung seines angeglichenen nationalen Rechts als Zweck eben dieser nationalen Norm ganz außer Frage. Insofern und insoweit ist die berühmte Aussage des EuGH von der Notwendigkeit richtlinienkonformer Auslegung überhaupt keine Besonderheit, sondern im kontinentalen Auslegungsverständnis selbstverständlich58. Das gilt auch für die Vermutung, der nationale Gesetzgeber habe die Richtlinie korrekt und vollständig verwirklichen wollen: von der Vertragstreue der Mitgliedstaaten (Art. 5 I, 189 III EWGV) kann als praesumptio iuris ausgegangen werden58a. Das ist anders, wenn der Mitgliedstaat nicht umgesetzt hat (EuGH Becker59) oder später entgegenstehendes Recht geschaffen hat (EuGH Karella60): Hier geht es – im Gegensatz zu den Formulierungen des EuGH – eben nicht um „Auslegung“ sondern um Integration oder Verdrängung. b) Die Auslegung und Anwendung des derart angeglichenen nationalen Rechts erfordert aber, daß der Rechtsanwender den Inhalt der Richtlinie selbst kennt und versteht, kurz: daß er die Richtlinie und ihre in casu relevanten Bestimmungen selbst ausgelegt hat. Richtlinienkonforme Auslegung setzt also zunächst einmal Auslegung der Richtlinie selbst voraus61. 2. Auslegungsmethode Zunächst ist hier zu klären, ob eine Richtlinie und ihre Bestimmungen nach den gleichen Regeln und Aspekten auszulegen ist wie eine nationale Norm, ob hier also die gleichen Auslegungscanones gelten wie sie uns vertraut sind und oben bereits beschäftigt haben61a. Das ist durchaus fraglich; denn die Richtlinie ist Teil einer supranationalen Rechtsordnung, entstanden in einem supranationalen Gesetzgebungsverfahren einer supranationalen Organisation. Auslegung aber ist eng verknüpft mit dem geschichtlichen und geistigen Hintergrund einer Rechtsordnung oder eines Rechtskreises62.

58 Insoweit übereinstimmend: Herber, Hat der deutsche Richter das Bilanzrichtliniengesetz an den ihm zugrunde liegenden EG-Richtlinien zu messen? FS Döllerer, Düsseldorf 1988, S. 225ff. (227). 58a Dazu Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991, 211ff., 217. 59 EuGH Slg. 1982, 53ff. 60 Siehe Fn. 5. 61 Vgl. Everling, Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft, FS Reimer Schmidt, S. 165ff. (174). 61a Zutr. weist auch Junker, RabelsZ 55 (1991), 674ff. daraufhin, daß nationales Recht nicht rein nationalen Ursprungs besonderer Auslegungsmethoden bedarf. 62 Vgl. Fikentscher, (Fn. 25), S. 789.

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Aus dem EWGV ergibt sich insoweit nur, daß die EG ein Gebilde sui generis ist zwischen einer völkerrechtlichen Organisation und einem Bundesstaat. Diese Ambivalenz hat zur Folge, daß sowohl Elemente der völkerrechtlichen Auslegungsmethode in Betracht kommen – einer Methode, die vor allem am Wortlaut des Textes und am Willen der Vertragsschließenden orientiert ist63, – als auch eher nationalstaatliche Methoden zum Zuge kommen können. Eingedenk der rasch fortschreitenden Integration und der Verrechtlichung des Geschehens in der EG, die auch das BVerfG64 betont, liegt der breiter angelegte Kanon der nationalstaatlichen Auslegungsmethode näher. Auch der EuGH, der gemäß Art. 177 EWGV das Gemeinschaftsrecht verbindlich auslegt, bedient sich dabei eher der aus den kontinentaleuropäischen Rechten bekannten Auslegungsmethoden, die er durch EG-spezifische Kriterien anreichert65, nämlich insbesondere Regelungszusammenhang (Art. 54 oder 100 EWGV) effet utile [599] hypothetischer Wille des Gesetzgebers Mißbrauchsausschluß Ausnahmen nur, wenn sie klar und eindeutig angeordnet wurden. 3. Grammatikalische Auslegung a) Text und Textkritik Ausgangspunkt der Auslegung von Richtlinien ist die grammatikalische Auslegung. Sie beginnt – anders als im nationalen Recht – mit der Textkritik, d. h. der genauen Feststellung des Richtlinienwortlauts66. Das ist notwendig, weil der Wortlaut der Richtlinie zwar in allen Sprachen verbindlich ist, die Texte aber manchmal nicht übereinstimmen (Übersetzungsfehler). Durch Vergleich der sprachlichen Fassungen67 gilt es festzustellen, welche genaue Formulierung „eigentlich“ gemeint ist. Vgl. Fikentscher, (Fn. 25), S. 788 und die dort in Fn. 449 gegebenen Hinweise. Vgl. BVerfGE 73, 339ff. (Solange II). 65 Vgl. dazu die Analysen von Hoffmann-Becking, Normaufbau und Methode, Eine Untersuchung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Tübingen 1973 sowie Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1982, 1177ff.; ferner: Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1112); Mertens de Wilmars, Le droit comparé dans la jurisprudence de la Cour de justice des Communautés européennes, Journal des Tribunaux 1991, S. 37ff. (37). 66 Vgl. Fikentscher, (Fn. 25), S. 657. 67 EuGH Slg. 1967 S. 462ff. (473) van der Vecht; EuGH Slg. 1977 S. 1999ff. (2010) Boucherau = NJW 1978, 497f.; EuGH Slg. 1979 S. 2717ff. (2724) Koschniske; EuGH Slg. 1982 S. 3415ff. (3430) C. I. L. F. I. T. = NJW 1983, 1257f.; EuGH Slg. 1985 S. 2655ff. (2666) Kommission ./. Deutschland; EuGH Slg. 1988 S. 3845ff. (3871) Moksel; mustergültig die Schlußanträge des Generalanwalts Warner in der Rs 47/79 Nehlsen, Slg. 1979 S. 3639ff. (3652-3655); vgl. weiterhin: Bleckmann, Probleme der Auslegung von EG-Richtlinien, RIW 1987, 929 ff. (930). 63 64

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Das sei an zwei Beispielen verdeutlicht: aa) Nach Art. 100a II EWGV deutscher Fassung findet das Beschlussverfahren nach Art. 100a EWGV keine Anwendung für die Angleichung der „Bestimmungen über die Freizügigkeit“. Im französischen Text lautet die Formulierung „dispositions à la libre circulation des personnes“ und in der englischen Fassung heißt es „dispositions … relating to the free movement of persons“. Während in der englischen und französischen Fassung alle natürlichen Personen erfaßt sind, trifft die deutsche Version nur eine Regelung für die Arbeitnehmer. In Anbetracht dessen, daß die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bereits in den Art. 48ff. EWGV geregelt ist, insoweit also kein Bedürfnis zur Angleichung nationaler Vorschriften besteht, muß die deutsche Fassung auf einem Redaktionsversehen beruhen. Maßgeblich ist also die Bedeutung „Bestimmungen über die Einreise und den Aufenthalt und Zuzug von Personen“68. bb) Art. 11 II lit. b der 1. Angleichungsrichtlinie nennt als Nichtigkeitsgrund einer Aktiengesellschaft den Fall, daß „(der) tatsächliche Gegenstand des Unternehmens“ gegen eine gesetzliche Vorschrift verstößt; ähnlich die niederländische Fassung „het werkelijke doel van de vennootschap“. Die anderen Versionen hingegen sprechen von „the objects of the company“, „l’objet de la société“ und „oggetto della società“. Die sich daraus ergebende Streitfrage, ob nun der statutarische Unternehmensgegenstand oder der Gegenstand des tatsächlich betriebenen Unternehmens gemeint ist, hat der EuGH zugunsten des statutarischen Unternehmensgegenstandes geklärt69. Über das Wort „tatsächlich“ muß man also hinweglesen. b) Wortsinn Vom so ermittelten Wortlaut ist der Wortsinn zu unterscheiden. Diese Unterscheidung spielt im Rechtsraum eines Nationalstaates mit einheitlicher Sprache, Kultur und Tradition keine große Rolle, sie ist jedoch im Raum der EG als einer supranationalen Gemeinschaft durchaus von Bedeutung. Die Gründe hierfür liegen zunächst in einer sich langsam mehr und mehr entwickelnden eigenen Rechtssprache der EG70. So findet sich etwa die Formulierung „richtlinienkonforme Auslegung“ in allen Sprachen der EG, der Sache nach handelt es sich um einen terminus technicus des EG-Rechts.

68 Vgl. dazu: Everling, Probleme der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes, FS Steindorff, Berlin etc., 1990, S. 1155ff. (1167). 69 EuGH Slg. 1990 S. 4135ff. (4159f.) Marleasing und dazu die Schlußanträge des Generalanwalts Van Cerven (ibid. S. 4151f.) sowie die Anmerkung zum Urteil von Stuyck, CMLR 1991, 205ff. (219ff.). 70 Vgl. EuGH Slg. 1982 S. 3415ff. (3430) C. I. L. F. I. T.

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Soweit sich noch kein spezieller EG-rechtlicher Wortsinn herausgebildet hat, muß man versuchen auf den gemeinschaftsweiten Wortsinn zurückzugreifen71. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein gemeinschaftsweiter allgemeiner Sprachgebrauch nicht die Regel ist. Zu denken ist hier etwa an das unterschiedliche Verständnis der Begriffe „Wohnsitz“ im deutschen und „domicil“ im englischen Recht. Während in Deutschland hierunter eine bestimmte politische Gemeinde, z. B. Köln oder Berlin, verstanden wird, meint man im Vereinigten Königreich hiermit eine Region, also etwa England oder Wales. Dieses Beispiel macht deutlich, daß für rechtliche Begriffe in Richtlinien ein gemeinschaftsrechtlicher (Wort-)Sinn bestimmt werden muß. Dem entspricht es, wenn der EuGH Begriffe des Gemeinschaftsrechts meist „autonom“ auslegt und insoweit nicht auf die Rechtsordnungen und Rechtsbegriffe der Mitgliedstaaten verweist. Diese „autonome“ Auslegung ist, worauf Bleckmann71a und Everling71b hinweisen, häufig das Resultat (wertender) Rechtsvergleichung. Indem auch der EuGH nach dem gemeinschaftsrechtlichen Sinn fragt, mißt er dem Wortlaut der einzelnen sprachlichen Fassungen nicht die Funktion einer Auslegungsgrenze zu72. 4. Historische Auslegung In der deutschen und kontinentalen Auslegungslehre spielen die historischen Aspekte einer Norm, also Vorgänger-Normen und deren Verständnis in Lehre und Rechtsprechung sowie vor allem die Materialien der Gesetzgebung (Referenten- und Regierungsentwürfe mit ihren Begründungen, Protokolle der Parlamentsausschüsse etc.) eine große Rolle73. Das gilt für EG-Normen nicht in ganz der gleichen Weise. Aufgrund der Besonderheiten des EG-Rechtssetzungsverfahrens74 ergeben sich gegenüber der historischen Auslegung nationaler Gesetze Abweichungen. So ist zu berücksichtigen, daß die Richtlinie das Ergebnis eines Kompromisses ist, aufgrund dessen Elemente aus verschiedenen Rechtsordnungen in Richtlinienbe71 Vgl. EuGH Slg. 1982 S. 3415ff. (3430) C. I. L. F. I. T.; Bleckmann, Europarecht, 6. Auflage Köln etc. 1990, Rz 252; Mertens de Wilmars, (Fn. 65), Journal des Tribunaux 1991, 37ff. (38). 71a Bleckmann, Probleme der Auslegung europäischer Richtlinien, ZGR 1992 Heft 3. 71b Everling (Fn. 21), ZGR 1992 Heft 3. 72 Vgl. EuGH Slg. 1973 S. 216ff. (244f.) Europemballage und Continental Can = NJW 1973, 966ff.; EuGH Slg. 1979 S. 777ff. (800) Simmenthal (III); Hartung, Unmittelbare Wirkung von Bestimmungen der EG-Bilanzrichtlinie, RIW 1978, 52ff. (52, Fn. 7). 73 Es sei nur an das weiterhin wache Interesse an den Materialien zum BGB und zur Aktienrechtsreform von 1884 erinnert. 74 Vgl. Siedentopf, (Fn. 18), S. 171f.

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stimmungen Eingang finden. Auch die Gesetzesmaterialien selbst sind lange nicht so übersichtlich wie im nationalen Recht. Der EuGH hat in einigen Entscheidungen75 die Entstehungsgeschichte der Norm als Auslegungshilfe herangezogen, allerdings eher als Hilfsbegründung des teleologisch gefundenen Ergebnisses und weniger als autonomen Begründungsstrang. a) Amtliche Begründungen Im nationalen Recht sind für das Verständnis vom Werden und Entstehen einer Norm die Begründungen der zuständi- [600] gen Verwaltung von besonderem Gewicht, so bei uns die Begründungen zu den Referenten- und Regierungsentwürfen. Das trifft auch für das EG-Recht zu. Hier besteht jedoch die Besonderheit, daß es zwei Typen von Begründungen gibt: die Erwägungsgründe der verabschiedeten Richtlinie und die Begründung der Kommission. aa) Die Erwägungsgründe Jede Richtlinie ist gemäß Art. 190 EWGV mit Erwägungsgründen zu versehen. Sie werden von der Kommission formuliert, der das alleinige Initiativrecht zusteht76 und die mithin den gesetzgebenden Prozeß überhaupt erst einleitet77 und bis zu seinem Ende begleitet. Sie werden mit Verabschiedung der Richtlinie durch den Rat deren Bestandteil, ähnlich der Präambel eines deutschen Gesetzes. Sie geben somit sowohl den Willen und die Beweggründe der zuständigen Verwaltung als auch des Rates als Gesetzgeber wieder. Das macht sie zu einem Auslegungsmittel von besonderem Rang hinsichtlich der Beweggründe, die zum Erlaß der Richtlinie geführt haben, als auch hinsichtlich der mit ihr verfolgten Ziele78. Sie haben daher auch eine große Bedeutung in der Rechtsprechung des EuGH79. bb) Die Begründung Zur Richtlinie insgesamt und zu den einzelnen Artikeln gibt die Kommission Begründungen, aus denen sich Bedeutung, Zweck und Ziel der Richtlinie und ihrer einzelnen Bestimmungen ergeben. Sie werden als Kommissionspapiere, 75 EuGH Slg. 1976 S. 153ff. (160) Süddeutsche Zucker; EuGH Slg. 1979 S. 2693ff. (2701) Maggi; EuGH Slg. 1977 S. 2059ff. (2071) AIMA; EuGH Slg. 1985 S. 3909ff. (3930) Mainfrucht Obstverwertung. 76 Vgl. Art. 100 I, Art. 100a I EWGV. 77 Abgesehen von der Möglichkeit des Rates, die Kommission aufzufordern für die Verwirklichung der Ziele des EWGV geeignete Vorschläge zu machen (Art. 152 EWGV), was auch die Aufforderung, einen Richtlinienvorschlag zu unterbreiten, beinhaltet. 78 Vgl. Bleckmann, (Fn. 67), RIW 1987, 929ff. (931). 79 Vgl. EuGH Slg. 1980 S. 813ff. (823) van Walsum; EuGH Slg. 1980 S. 1495ff. (1507) Lee = NJW 1981, 509f.; EuGH Slg. 1983 S. 3781ff. (3791, 3793) Merck.

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teilweise auch im Amtsblatt zusammen mit dem Richtlinienvorschlag veröffentlicht80. In Deutschland ist es üblich, sie zusammen mit dem Richtlinienvorschlag in einer Bundestagsdrucksache zu veröffentlichen81. Sie sind Grundlage für die Meinungsbildung im Rat und geben mithin wieder, was die Kommission als Initiatorin des Gesetzgebungsvorganges und der Rat als Gesetzgeber mit der Richtlinie und ihren einzelnen Bestimmungen generell oder speziell bezweckten. Auch sie sind fraglos als Mittel zur Erforschung des objektiven Willens des historischen Gesetzgebers heranzuziehen82. b) Materialien aa) Arbeitsmaterialien Die Arbeitsmaterialien der Kommission, insbesondere der zuständigen Generaldirektionen und Abteilungen sowie die Ergebnisse der Beratungen unter Beteiligung nationaler Experten werden nicht veröffentlicht. Mithin stehen sie als Auslegungsmittel zum Verständnis der Richtlinie und ihrer einzelnen Normen nicht zur Verfügung. bb) Vorgänger-Richtlinie Hat die betreffende Richtlinie Vorläufer, soll sie eine Richtlinie nur ergänzen, abändern oder erweitern, so ist der Rückgriff auf diese Vorgänger-Richtlinie83, insbesondere auf ihr Verständnis, die Vorstellungen von ihren Mängeln und Defiziten, ebenfalls nicht nur zulässiges, sondern nötiges Mittel der Auslegung. cc) Protokollerklärungen und Stellungnahmen Im europäischen Gesetzgebungsverfahren, das zur Richtlinie führt, kommt es nicht selten zu unterschiedlichen Erklärungen und Stellungnahmen der am Verfahren beteiligten Organe und Regierungen. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie bei der Auslegung zu berücksichtigen sind, ist nicht einfach zu beantworten. Unstreitig ist, daß ihre Heranziehung bei der Auslegung mit dem in der EG geltenden und zu beachtenden Rechtsstaatsprinzip vereinbar sein muß. Somit müssen sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an Rechtssicherheit und Authentizi80 Z. B. Kapitalrichtlinie (Fn. 6): Der Textvorschlag der Kommission ist abgedruckt in ABl. Nr. C 48/16 v. 24. 4. 1970, die Begründung in ABl. Nr. C 48/8 vom gleichen Tag. 81 Vgl. für die Kapitalrichtlinie: Vorschlag der Kommission in BT-Drs. VI/595 S. 1ff., Begründung ebd. S. 9ff. 82 Davon unabhängig ist die Frage, welches Gewicht einer solchen Begründung noch zukommt, wenn sie im Hin und Her langer Beratungen zwischen Kommission, Rat und Parlament viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung verliert. 83 Vgl. für Verordnungen das Verfahren Süddeutsche Zucker (Fn. 75).

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tät84 entsprechen. Von besonderer Bedeutung sind daher die Allgemeinzugänglichkeit85 dieser Erklärungen und die Offenlegung ihrer Herkunft. (1) Protokollerklärungen des Rates Überlegungen des Rates, die in den Erwägungsgründen und den Bestimmungen der Richtlinie keinen Niederschlag gefunden haben, werden häufig in Protokollerklärungen festgehalten86. Sie können mithin wertvolle Hinweise für das Verständnis der Richtlinie enthalten. Da sie vom Gesetzgebungsorgan selbst stammen, können sie grundsätzlich als Auslegungshilfe herangezogen werden. Sie können als Ausdruck des historischen Gesetzgeberwillens jedoch nur Berücksichtigung finden, wenn sie mit dem für den Erlaß der Richtlinie erforderlichen Stimmenquorum verabschiedet wurden, von ihrem Wortlaut und Regelungszusammenhang gedeckt sind und veröffentlicht wurden87. Das Veröffentlichungserfordernis wirft jedoch Probleme auf. Protokollerklärungen unterliegen – wie die gesamten Beratungen im Rat – gemäß Art. 18 der Geschäftsordnung des Rates88 der Geheimhaltung, es sei denn, daß der Rat ihrer Veröffentlichung zustimmt. Da dies relativ selten der Fall ist, wird vorgeschlagen, auch unveröffentlichte Protokollerklärungen des Rates könnten zur Auslegung einer Richtlinie herangezogen werden, sofern man sich auf diese (noch) nicht unmittelbar berufen könne89. Dieser Auffassung muß nachdrücklich widersprochen werden: Von dem Erfordernis der Veröffentlichung kann aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht abgesehen werden. Das Gebot der Rechtssicherheit verlangt, daß jeder Betroffene, auch der nur mittelbar von einem Rechtsakt der EG Betroffene, die Möglichkeit des Zuganges zu den entscheidungserheblichen Rechtstexten hat90, und zwar 84 Authentizität ist hier im Sinne von „den Willen des Gesetzgebers verbindlich widerspiegelnd“ gemeint. 85 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Warner in der Rs 28/76 Milac, EuGH Slg. 1976 S. 1639ff. (1665). 86 Z. B. die Protokollerklärung des Rates zur 4. RiL (ABl. Nr. L 222/11 vom 14. 8. 1978) die u.a. bei Schruff, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft und GmbH nach neuem Recht, 1978, S. II / 93ff. abgedruckt ist. 87 Vgl. Everling, Probleme atypischer Handlungsformen bei der Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Bieber/Ress (Hrsg.), Die Dynamik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Baden-Baden 1987, S. 417ff. (428); Herdegen, Auslegende Erklärungen von Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten zu EG-Rechtsakten, ZHR 155 (1991), 52ff. (63f.); Karl, Zur Rechtswirkung von Protokollerklärungen in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1991, 593ff. (597); Pechstein, Die Bedeutung von Protokollerklärungen zu Rechtsakten der EG, EuR 1990, 249ff. (253ff.). 88 ABl. Nr. L 268/1 v. 24. 7. 1979, ABl. Nr. L 291/27 v. 20. 7. 1987. 89 Herdegen, (Fn. 87), ZHR 155 (1991), 52ff. (63); Everling, (Fn. 87), S. 428. 90 Pechstein, (Fn. 87), EuR 1990, 249ff. (254f.).

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auch dann, wenn der Rückgriff sich nicht zu seinen Lasten auswirkt91: Geheime Kabinettsordern haben im demokratischen Rechtsstaat keinen Platz in der Rechtsfindung. Im übrigen: Rechtliche Verbindlichkeit kann Protokollerklärungen auch im Hinblick auf die sich ständig vergrößernde EG nur im Falle ihrer Veröffentlichung zuerkannt werden. Andernfalls wären nämlich neu hinzutretende Mitgliedsstaaten diskriminiert. Indem der Rat von einer Veröffentlichung absieht, trifft er damit die bewußte Entscheidung, seine Überlegungen nicht zur Grundlage der Auslegung der Richtlinie zu machen. Er mißt seiner Protokollerklärung keine rechtliche Wirkung zu. Sie wird somit zu einer Hilfe für das Verständnis der Richtlinie ohne jegliche Autorität, gleichrangig mit der Meinung des Auslegers. Protokollerklärungen müssen mithin allgemein zugänglich sein, soll ihr Inhalt in die Auslegungsdiskussion einbezogen werden kön- [601] nen. Ob sie nun im Amtsblatt, einem Ratsdokument oder in anderer Weise publiziert werden, ist unerheblich; nicht ausreichend ist jedoch die Vorlage der Beratungsniederschrift (nur) beim EuGH92. (2) Protokollerklärungen der Kommission Gemäß Art. 7 I der Geschäftsordnung des Rates kann die Kommission Erklärungen zu Protokoll des Rates geben, die einzelne Normen einer Richtlinie erläutern93. Diese Erklärungen der Kommission sind für die historische Auslegung von Gewicht94, da sie die Begründung der Richtlinie ergänzen. Allerdings sind sie im Verhältnis zu Protokollerklärungen des Rates selbst von untergeordneter Bedeutung. Selbstverständlich müssen sie veröffentlicht und von Wortlaut und Regelungszusammenhang gedeckt sein, um als Auslegungshilfe Autorität beanspruchen zu können. (3) Protokollerklärungen einzelner Mitgliedstaaten Auch einzelne Mitgliedstaaten geben Erklärungen zu Protokoll, in denen sie ihr Verständnis von der Richtlinie oder einer ihrer Bestimmungen darlegen95. Derartige Erklärungen sind politisch von Gewicht; darüber hinaus kommt ihnen im Völkervertragsrecht Bedeutung zu. So sind sie nach Art. 31 II des Wie-

So aber: Karl, (Fn. 87), JZ 1991, 593ff. (597). Vgl. zu dieser Möglichkeit Art. 18 II Geschäftsordnung des Rates. 93 Z. B. die Protokollerklärungen der Kommission zur Fernsehrichtlinie, RiL 89/552 EWG, ABl. Nr. L 298/23 v. 17. 10. 1989, sowie die gemeinsamen Erklärungen von Kommission und Rat; teilweise abgedruckt in: BT-Drs. XI/6855 v. 29. 3. 1990. 94 A. A.: Pechstein, (Fn. 87), EuR 1990, S. 249ff. (253). 95 So in den Verfahren EuGH Slg. 1970 S. 47ff. (56ff.) Kommission ./. Italien; EuGH Slg. 1985 S. 427ff. (435f.) Kommission ./. Dänemark; EuGH Slg. 1986 S. 1247ff. (1256) Kommission ./. Belgien; EuGH Slg. 1988 S. 843ff. (851f.) Kommission ./. Italien. 91 92

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ner Übereinkommens über das Recht der Verträge96 bei der Auslegung eines Vertrages zu berücksichtigen. Für die Auslegung von Richtlinien sind sie jedoch nicht heranzuziehen. Denn nicht die Mitgliedstaaten sind der Gesetzgeber, sondern der Rat. Einseitige Protokollerklärungen werden auch nicht etwa zu Ratserklärungen, wenn sie unwidersprochen bleiben. Eine Konsensorientierung, wie sie Art. 31 II des Wiener Übereinkommens über die Verträge zugrunde liegt, ist mit dem Charakter der EG als supranationaler Organisation nicht zu vereinbaren97. (4) Stellungnahmen des Europäischen Parlaments Das Europäische Parlament ist in den Gesetzgebungsprozeß der EG eingebunden. Seine Mitwirkung bestimmt sich danach, auf welcher Rechtsgrundlage es in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen wird. Vor Verabschiedung einer auf Art. 100 I EWGV gestützten Richtlinie ist es anzuhören, Art. 100 II EWGV. Gemäß Art. 36ff. Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments wird der Kommissionsvorschlag beraten. In einer abschließenden Stellungnahme billigt es den Vorschlag oder schlägt gegebenenfalls Änderungen vor. Die rechtliche und praktische Bedeutung dieser Stellungnahme ist mit dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vergleichbar: Sie ist von großer politischer Bedeutung für den Willensbildungsprozeß im Gesetzgebungsorgan Rat98. Wird die Richtlinie vom Rat in der vom Parlament gebilligten bzw. geänderten Form verabschiedet, so kann die Stellungnahme des Europäischen Parlaments als Materialie mit erheblicher Autorität bei der historischen Auslegung Verwendung finden. Wird das Europäische Parlament im Zusammenarbeitsverfahren99 gemäß Art. 100a II, 149 II EWGV tätig100, so sind ihm weitergehende Einflußmöglichkeiten auf den Inhalt der Richtlinie eingeräumt. Soweit der Rat den Vorschlägen des Parlaments folgt, gelten die gleichen Überlegungen: Seine Stellungnahmen sind mit hohem Gewicht und in ähnlicher Weise wie Berichte des Rechtsausschusses des Bundestages für die historische Auslegung heranzuziehen. (5) Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses Vor Erlaß einer Richtlinie gibt der Wirtschafts- und Sozialausschuß eine Stellungnahme ab, die gemäß Art. 51 I der Geschäftsordnung des Wirtschafts- und Sozialausschusses im Amtsblatt zu veröffentlichen ist. Obgleich diese StellungBGBl. 1985 II S. 926. So auch Herdegen, (Fn. 87), ZHR 155 (1991), 52ff. (66); Karl, (Fn. 87), JZ 1991, 593ff. (597); Pechstein, (Fn. 87); EuR 1990, 249ff. (253). 98 Läufer, in: Grabitz, (Fn. 14), Art. 137 Rz. 25. 99 Zum Kooperationsverfahren vgl. Bieber, Gesetzgebungsverfahren der Zusammenarbeit gemäß Art. 149 EWGV, NJW 1989, 1395ff. 100 Für das Verfahren gelten die Art. 36-52 Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. 96 97

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nahmen durchaus politisches Gewicht haben, sind sie doch als Auslegungshilfe in der Regel nicht verwendbar. Das liegt zum einen an ihrem Inhalt; aufgrund seiner Zusammensetzung, Art. 193 II EWGV, und der ihm zukommenden Funktion einer Interessenvertretung aller am gesellschaftlichen Leben beteiligten Gruppen, gibt der Wirtschafts- und Sozialausschuß selten eine klare Stellungnahme ab. Vielmehr sind in ihr die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedergruppen wiedergegeben, vgl. Art. 30, 43 der Geschäftsordnung des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Zum anderen liegt es daran, daß der Wirtschafts- und Sozialausschuß seinen Stellungnahmen selbst keine besondere Bedeutung beimißt101, vor allem aber, daß der Rat an sie in keiner Weise gebunden ist. c) Das nationale Herkommen einer Richtliniennorm als Auslegungshilfe im Rahmen der historischen Interpretation aa) Entlehnung des Wortlauts aus nationalen Regelungen Richtlinien haben höchst unterschiedliche Gegenstände zum Inhalt und sie haben die vielfältigsten Ziele. Aber sie schweben nicht im luftleeren Raum101a. Gerade wo es um Rechtsangleichung geht, sind die Vorbilder einer Richtlinienbestimmung oft genug feststellbar. Bekanntestes Beispiel ist das Gebot des true and fair view, das aus dem englischen Recht kommt102 und über Art. 2 III der 4. EGRichtlinie103 europaweite Geltung erlangte und im deutschen Recht heute in § 264 II HGB formuliert ist. Weniger bekannt ist, daß § 71a I 1 AktG in der Fassung des Gesetzes von 1978 nahezu wörtlich Art. 23 I der 2. EG-Richtlinie entspricht, diese Richtlinienbestimmung ihrerseits aber nahezu wörtlich section 54 des englischen Companies Act von 1948 entnommen wurde. Kein anderer Mitgliedstaat der EG kannte damals eine vergleichbare Regelung. bb) Folgen der Berücksichtigung der Herkunft Für beide soeben erwähnten Normen des deutschen (angeglichenen) Rechts besteht ein hoher Auslegungsbedarf104, der durch den Text und die Textkritik der Richtlinien (weitgehend gleich mit den deutschen Normtexten) auch nicht befrie101 Es gibt keine Bestimmung in der Geschäftsordnung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, wonach dieser die Berücksichtigung seiner Stellungnahmen im Richtlinienentwurf kontrolliert. 101a Vgl. Hopt, Harmonisierung im europäischen Gesellschaftsrecht, ZGR 1992 Heft 3. 102 Tubbesing, „A True and Fair View“ im englischen Verständnis und 4. EG-Richtlinie, AG 1979, 91ff. (92f.). 103 Jahresabschlußrichtlinie, RiL 78/660 EWG, ABl. Nr. L 222/11 v. 14. 8. 1978. 104 Dazu Lutter, Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. Köln etc. 1988, § 71a Rz 1ff.; ders., Rechnungslegung als Rechenschaftslegung in: Institut der Wirtschaftsprüfer, Bericht über die Fachtagung 1991, S. 409ff.

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digt wird. Kann für die Auslegung der Richtlinie daher die englische Lehre und Rechtsprechung zu Rate gezogen werden? So naheliegend der Gedanke ist, so sehr ist doch Zurückhaltung geboten: (1) Zunächst einmal könnte es sich nur um Erkenntnisse des englischen Rechts bis zum Erlaß der betreffenden Richtlinien handeln (1976 und 1978); nur sie können die damaligen Überlegungen bestimmt haben. Das wäre ein sehr statischer und rückwärtsgerichteter Ansatz. (2) Die Auslegung einer Norm ist im nationalen Recht selten unumstritten105. Auf welche Auslegung hätte man abzu- [602] stellen? Auf die der Rechtsprechung, die der überwiegenden Meinung in der Literatur oder auf eine vermittelnde Ansicht? Selbst wenn die Norm in ihrem Herkunftsland einmütig ausgelegt würde, kann ihr Verständnis doch falsch sein106. Wie die englische Diskussion um s. 54 Companies Act 1948 zeigt, war die englische Rechtsprechung und Literatur bald der Auffassung, daß diese Regelung viel enger zu verstehen sei, als dies vor 1948 aufgrund der gleichlautenden Regelung des Companies Act 1929 der Fall war107. (3) Wenn in mehreren Mitgliedstaaten vergleichbare Regelungen bestünden, diese aber unterschiedlich ausgelegt würden – welche mitgliedstaatliche Auslegung ist heranzuziehen? (4) Entschlösse man sich zu einer Auslegung der Richtlinie nach dem nationalen Herkommen einzelner Bestimmungen, so bedeutete dies, daß nach Umsetzung der Richtlinie die nationalen Rechtsnormen im Sinne des jeweiligen Herkunftslandes geprägt wären108. Da es vom Verhandlungsgeschick der Delegationen oder von der personellen Zusammensetzung der zuständigen Generaldirektion oder Abteilung abhängt, welche nationale Regelung in die Richtlinie übernommen wird109, hinge es vom Zufall ab, welches nationale Recht auf dem Wege der Auslegung in das supranationale Recht der EG promoviert würde. Ein 105 Man denke an den Streit um das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage (unten bei Rn. 131), die Diskussion um die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Anfechtungsrechts wegen Mißbrauchs etc. 106 Vgl. Canaris, (Fn. 31), JZ 1987, 543ff. (549). 107 Vgl. nur Weinberg/Blank, Takeovers and Mergers, 5. Aufl. London 1989, S. 3067ff.; Jenkins Report, para 175. 108 Z. B Konzernrechnungslegung – die Richtlinie übernimmt die Konzeption der englischen Regelung der Konsolidierung (vgl. Lutter, [Fn. 4], S. 53); wenn nun zur Auslegung der Richtlinie auf die englischen Ergebnisse zurückgegriffen werden muß, bedeutet dies, daß europaweit die englische Auslegung gilt. Vgl. weiterhin: Guyon, La coordination communautaire du droit français des sociétés, RTDE 1990, 241ff. (247), der zutreffend darlegt, daß für die 3. und 6. gesellschaftsrechtliche Richtlinie das französische Recht Pate stand. 109 Vgl. Heinichen, The role of national governments, and in particular the permanent representation, in the legislative process: a German point of view, in: Schwarze (Hrsg.), Legislation for Europe 1992, Baden-Baden 1989, S. 107ff. (108f.); Everling, (Fn. 61), FS Reimer Schmidt, S. 165ff. (173); Wolf, Privates Bankrecht im EG-Binnenmarkt, WM 1990, 1941ff. (1942).

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derartiges Vorgehen widerspräche auch dem autonomen und supranationalen Charakter des EG-Rechts. Denn wie bei der Schaffung internationalen Einheitsrechts soll durch die Richtlinie primär autonomes EG-Recht geschaffen werden und nicht einer nationalen Rechtsordnung zu internationaler Herrschaft verholfen werden110. cc) Europäisierung der Norm So überraschend es auch erscheinen mag: alle diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, daß für die Auslegung der Richtlinie ihr Herkommen und ihre etwaige Geschichte in einzelnen nationalen Rechten allenfalls Zur Ergänzung und Erläuterung, im übrigen aber nicht zu berücksichtigen ist111: Auf dem Wege über die Gemeinschaftsorgane und ihre Gesetzgebung streift die betreffende Norm ihr nationales Herkunftskleid ab und wird autonomes EG-Recht. Das bekräftigt auch der EuGH in der Entscheidung Cormann112, wenn er sagt, daß Sinn und Tragweite der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nicht unter Rückgriff auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu bestimmen sind, es sei denn, die Richtlinie sehe dies ausdrücklich vor. Daß dies richtig ist, erhellt auch ein Blick auf das Instrument der Richtlinie selbst: sie will ein geschlossenes und stimmiges System der in ihr verkörperten Normen aufstellen. Würden nun einzelne Bestimmungen im Lichte ihres Herkommens ausgelegt, so käme die Einheitlichkeit in Gefahr. Systematische Brüche wären unvermeidlich: jede nationale Norm des nichtangeglichenen Rechts hat eine bestimmte Funktion in ihrem nationalen System; wird sie nun isoliert samt ihrer Auslegung in eine Richtlinie übernommen, so trifft sie auf Normen aus anderen Rechtssystemen (samt deren nationalen Auslegungen), mit denen sie nicht harmonieren kann, weil sie ihrer organischen Funktion im Gesamtsystem beraubt wurde. Etwas anderes gilt dann, wenn sich aus einer veröffentlichten Erklärung bzw. einem veröffentlichten Protokoll des Rates ergibt, daß man die betreffende nationale Regelung übernehmen wollte, weil man sie für allein sachgerecht hielt. Das dürfte allerdings sehr selten sein113.

Vgl. Kropholler, Einheitsrecht (Fn. 36), S. 265. Ebenso die deutsche Kommentierung zu § 264 II HGB, vgl. etwa Claussen, Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. Köln etc. 1988, § 264 HGB Rz 26ff.; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. Stuttgart, Stand 1988, § 264 Rz 51. Zu gewissen Einschränkungen beim Einheitsrecht vgl. Canaris (Fn. 31), JZ 1987, 543ff. (549). 112 EuGH Slg. 1982 S. 13ff. (24) Cormann; sowie Generalanwalt Reischl in seinen Schlußanträgen zur gleichen Sache S. 30. 113 Vgl. Kropholler, Einheitsrecht, (Fn. 36) S. 265, in bezug auf Einheitsrecht. 110 111

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5. Teleologische Auslegung a) Überblick Neben Wortlaut und Wortsinn sind beim heutigen Stande des Gemeinschaftsrechts die (objektiven) Zwecke und Ziele einer Richtliniennorm besonders wichtig. Darin stimmen EuGH114 und Literatur115 überein. Demgegenüber tritt die im nationalen Recht wichtige Auslegung aus der dokumentierten subjektiven Zielrichtung des historischen Gesetzgebers wegen des ganz anderen Gangs der Gesetzgebung in Europa zurück116, soweit sie sich nicht gerade aus den Erwägungsgründen ergibt. Das gleiche gilt für die in den nationalen Rechten des Kontinents ebenfalls bedeutsame systematische Auslegung unter Heranziehung des Kontextes und der Stellung der Norm im Gesamtgefüge der Rechtsordnung117; dieser Auslegungsaspekt ist im bislang eher eklektischen Rechtsgebäude der EG weniger ergiebig, wenn gewiß auch nicht bedeutungslos. Unter dem Topos der teleologischen Auslegung werden – ähnlich wie im nationalen Recht118 – als Hauptpunkte (1) Ziel und Zweck der Norm aus objektiver Sicht, (2) die Sachgemäßheit der Regelung, (3) die Verwirklichung objektiver Zwecke des Rechts und (4) die Konformität mit dem EWGV und den übrigen Normen des Gemeinschaftsrechts geprüft. b) Ziel und Zweck Ziel und Zweck einer Richtliniennorm werden vom EuGH immer wieder hervorgehoben als die entscheidenden Elemente für ihr Verständnis und das darauf beruhende Verständnis der nationalen Norm119: Was ist ihr Gegen-

114 EuGH Slg. 1975 S. 297ff. (306) Bonsignore = NJW 1975, 1096; EuGH Slg. 1982 S. 3415ff. (3430) C. I. L. F. I. T.; EuGH Slg. 1985 S. 2655ff. (2668) Kommission ./. Deutschland. 115 Vgl. Bleckmann, Die Bindungswirkung der Praxis der Organe und der Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Lückenfüllung des Europäischen Gemeinschaftsrechts: Die Rolle des Art. 5 EWGV, in: Bieber/Ress (Hrsg.), Die Dynamik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Baden-Baden 1987, S. 161ff. (200); Bleckmann, (Fn. 67), RIW 1987, 929ff. (933); Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1112). 116 Vgl. Siedentopf, (Fn. 18), S. 171f. 117 Wo es möglich ist, berücksichtigt der EuGH gleichwohl die Systematik, vgl. nur: EuGH Slg. 1977 S. 1999ff. (2010) Boucherau; EuGH Slg. 1982 S. 3415ff. (3430) C. I. L. F. I. T.; EuGH Slg. 1986 S. 3855ff. (3877) Federatie Nederlandse Vakbeweging; EuGH Slg. 1988 S. 4635ff. (4656) Beentjes. 118 Vgl. Larenz, (Fn. 2), S. 319ff. 119 EuGH Slg. 1970 S. 116ff. (1174) Köster =NJW 1971, 1006; EuGH Slg. 1980 S. 291ff. (300) Meyer Uetze; EuGH Slg. 1980 S. 247ff. (258, 260) Damas; sowie die in Fn. 79 genannten Entscheidungen. Erneut: EuGH DB 1991, 1616f. Karella mit der Frage nach dem „Objet“ der 2. Richtlinie und der Antwort „d’assurer un niveau minimal de protection …“.

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stand, [603] was soll mit ihr erreicht werden120. Geht es um die Sicherung von Arbeitnehmeransprüchen durch Maßnahmen der öffentlichen Hand121 oder um den Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung122 oder um Produktgefahren123: all das steht selbstverständlich im Zentrum der Auslegung. Wichtig ist hier auch die allgemeine Zielrichtung des europäischen Gesetzgebungsaktes selbst. Das bedeutet, daß die hierfür maßgeblichen Rechtsgrundlagen auch für die Auslegung der Richtliniennorm heranzuziehen sind. So ist bei gesellschaftsrechtlichen Richtlinien danach zu unterscheiden, ob sie aufgrund Art. 54 III lit. g, Art. 100 oder Art. 100a EWGV erlassen wurden. Bestimmungen einer allein auf Art. 54 III EWGV beruhenden Richtlinie sind so zu interpretieren, daß sie der Niederlassungsfreiheit unter Berücksichtigung des Gesellschafter- und Gläubigerschutzes zu größter Wirkung verhelfen. Normen einer auf Art. 100 EWGV gestützten Richtlinie hingegen müssen so ausgelegt werden, daß sie der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes weitestgehend dienen. c) Sachgemäßheit der Regelung Unter diesem Stichwort ist danach zu fragen, welche Wirkung die fragliche Norm im Rahmen des Gesamtsystems der Richtlinie entfalten soll. Die einzelne Norm ist dabei so auszulegen, daß sie den ihr zugedachten Platz im Regelungssystem der Richtlinie so ausfüllt, daß insgesamt eine sachgerechte und widerspruchsfreie Regelung erreicht wird. Dabei können die Erwägungsgründe sehr hilfreich sein. d) Objektive Zwecke des Rechts Jede Norm ist auch daran zu messen, ob sie den objektiven Zwecken des Rechts gerecht wird. Das beinhaltet nicht nur die Untersuchung, ob die betreffende EG-Norm den Erwartungen bezüglich Gerechtigkeit und Friedenssicherung entspricht. Bei der teleologischen Auslegung von EG-Recht und insbeson-

120 Im berühmten Verfahren zu § 611a II BGB als unzureichende Umsetzung der sog. Gleichbehandlungsrichtlinie v. 9. 2. 1976, ABl. Nr. L 39/40 v. 14. 2. 1976 hat sich der EuGH Slg. 1984 S. 1891ff. Colson & Kamman = NJW 1984, 2021, ganz nachdrücklich mit Zweck und Ziel der Richtlinie befaßt und daran das Ergebnis der nationalen Umsetzung gemessen („… die Richtlinie hat zum Ziel“, „vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung“). 121 So EuGH EuZW 1991, 758ff (760f.) Francovich und Bonifaci = DWiR 1992, S. 22f. [noch nicht in Slg.] wegen der Nichtumsetzung der RiL 80/987 EWG v. 20. 10. 1980, ABl. Nr. L 283/23 v. 28. 10. 1980, in Italien. 122 Haustürwiderruf, RiL 85/577 EWG v. 20. 12. 1985, ABl. Nr. L 372/31 v. 31. 12. 1985. 123 Produkthaftungsrichtlinie, RiL 85/374 EWG v. 25. 7. 1985, ABl. Nr. L 210/29 v. 7. 8. 1985.

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dere Richtlinien ist vor allem auch so zu verfahren, daß die Norm die größtmögliche Wirkung im Sinne des Gemeinschaftsrechts entfalten kann124. In den Entscheidungen des EuGH ist dieser Aspekt eng mit der Vorrangfrage des EG-Rechts verquickt und unter dem Stichwort „effet utile“ behandelt125. e) Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung Ein besonders wichtiger Unterpunkt ist die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung. Gemeint sind damit zwei Aspekte: Konformität mit den Zielen des Rechtsaktes einerseits und Freiheit von Widersprüchen im Verhältnis zu anderen EG-Normen andererseits. Während der erste Aspekt weitgehend identisch ist mit der Auslegung nach Ziel und Zweck der Richtlinie und ihren einzelnen Normen, zielt der zweite auf Homogenität und Freiheit von Widersprüchen im Gemeinschaftsrecht, also auf eine der wichtigsten Aufgaben jeder Auslegung. Diese Prüfung läßt sich zweckmäßigerweise unterteilen in eine primärrechts- und eine sekundärrechtskonforme Auslegung: aa) Konformität mit dem Primärrecht Richtlinien dürfen nicht mit dem EWGV kollidieren. Das liegt auf der Hand. Denn der Rat kann die Verfassung der EG, eben den EWGV nicht ändern. Daher sind Richtlinien sowie ihre einzelnen Bestimmungen so zu interpretieren, daß sie den Regeln und Zielen des EWGV entsprechen126; denn andernfalls müßten sie vom EuGH für nichtig erklärt werden127. Neben dem dort geschriebenen Recht ist aber zunehmend auch noch ein ungeschriebenes Primärrecht zu beachten, das aufgrund der fortschreitenden Integration, der damit einhergehenden Verrechtlichung der EG und einer verfestigten Rechtsprechung des EuGH entstanden ist und laufend entsteht127a. So sind der Kernbestand der Grundrechte128, das Rechtsstaatsprinzip sowie allgemeine Rechtsgrundsätze wie das Umgehungs124

(1180).

Vgl. Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1112); Bleckmann, (Fn. 67), NJW 1982, 1177ff.

125 EuGH Slg. 1974 S. 1337ff. (1348) van Duyn; EuGH Slg. 1977 S. 113ff. (126f.) Nederlandse Ondernehmingen; EuGH Slg. 1978 S. 2327ff. (2340) Delkvist; EuGH Slg. 1988 S. 4635ff. (4655) Beentjes; EuGH Slg. 1988 S. 4689ff. (4723) Moormann. 126 Vgl. Steindorff, Gesellschaftsrechtliche Richtlinien der EG und strengeres staatliches Recht, EuZW 1990, 251ff. (252); Wolf, (Fn. 109), WM 1990, S. 1941ff. (1944). 127 Vgl. EuGH JZ 1992, 147ff. Französische Republik ./. Kommission = DWiR 1991, 59ff. mit Anmerkung von Ebenroth/Rapp. [noch nicht in Slg.]. 127a Everling (Fn. 21), ZGR 1992 Heft 3, betont zu Recht, daß insbesondere die Grundrechte bei der Auslegung, von Richtlinienbestimmungen berücksichtigt werden müssen. 128 Vgl. BVerfGE 73, 339ff. (Solange II); EuGH Slg. 1979 S. 3727ff. (3744) Hauer = NJW 1980, 505 ff.; Everling, Brauchen wir „Solange III“?, EuR 1990, 195ff. (209); Kirchhoff, Die Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs für Europa und für die einzelnen Marktteilnehmer, DB 1989, 2261ff. (2262).

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verbot, Treu und Glauben etc. als ungeschriebenes Primär-EG-Recht zugleich Richtschnur für die Auslegung von Richtlinienbestimmungen129. bb) Sekundärrechtskonformität Es bedarf kaum der besonderen Erwähnung, daß die einzelne EG-Norm mit den anderen Normen des gleichen Rechtsetzungsaktes und den übrigen Normen des EG-Sekundärrechts in Einklang zu bringen ist. Das Gebot der Freiheit von Widersprüchen gilt für jede Rechtsordnung. Dabei ist im Verhältnis zu früheren Rechtsakten des Sekundärrechts auch der Gedanke zu beachten, daß die lex posterior der lex prior vorgeht, also eine Vermutung für die Verdrängung der älteren Norm durch die jüngere auch im EG-Recht gilt. Insoweit läßt sich ein zunächst angenommener Widerspruch beseitigen oder gar als nicht existent erkennen. 6. Rechtsvergleichung als Mittel der Richtlinien-Auslegung a) Oben haben wir festgestellt: la recherche de la paternité (einer Richtliniennorm) est interdite. Was schon lange für die leibliche Abkommenschaft nicht mehr gilt, das gilt jetzt für das Herkommen einer Richtliniennorm; nach ihrer Abstammung wird nicht gefragt. [604] Ganz anders aber ist möglicherweise die Frage zu beurteilen, ob und welche Bedeutung für das Verständnis einer Richtliniennorm die Art ihrer Umsetzung in die nationalen Rechte der Nachbarländer und ihre dortige Anwendung haben könnte. b) Aufgrund einer bestimmten Richtlinie haben heute 12 und künftig noch mehr nationale Gesetzgeber ihr nationales Recht in bestimmter Weise gestaltet. Dabei mußten sie von einem bestimmten Richtlinienverständnis ausgehen, um ihrer Aufgabe richtlinienkonformer Umsetzung gerecht werden zu können – soweit sie sich nicht einfach darauf beschränkt haben, den Richtlinientext wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen. Ist schon diese gestaltende Umsetzung lehrreich und erhellend für den Rechtsanwender im Nachbarland bei seiner Suche nach dem Verständnis der Richtlinie, so gilt das erst recht für die Anwendungs- und Spruchpraxis im betreffenden Nachbarland, die sich aufgrund dieser angeglichenen nationalen Norm entwickelt hat. Die Berücksichtigung solcher Betrachtungen und Erfahrungen in anderen EG-Ländern bei der Feststellung des 129 EuGH Slg. 1958 S. 157ff. (190, 194, 196f.) Compagnie des Hautes Fourneux de Chasse; EuGH Slg. 1961, S. 109ff. (114f.) S. N. U. P. A. T.; EuGH Slg. 1964 S. 175ff. (204) SchmitzWollast; EuGH Slg. 1973 S. 723ff. (729, 731) Westzucker; EuGH Slg. 1979 S. 69ff. (86) Racke = Leitsätze NJW 1979, 1772; EuGH Slg. 1979, S. 101ff. (111) Decker; EuGH Slg. 1983 S. 3461ff. (3498) Michelin; EuGH Slg. 1989 S. 2609ff. (2639) Wachauf; dazu auch Everling, (Fn. 128), EuR 1990, 195ff. (208).

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Richtlinieninhalts kann jedenfalls das eigene Auslegungsergebnis des Rechtsanwenders bekräftigen oder in ihm Zweifel wecken und auf dieser Grundlage zur Vorlage an den EuGH führen. Das bedeutet: Rechtsvergleichung im Sinne von Überprüfung der anderen nationalen Rechte und ihrer Positionen im Verständnis der Richtlinie, Überprüfung aber nicht nur am Text der angeglichenen Normen anderer Länder, sondern auch unter Berücksichtigung ihrer Lehre und Rechtsprechung, ist geschuldeter Teil der Auslegung der Richtlinie und auf diesem Hintergrund Teil der richtlinienkonformen Auslegung und Anwendung des eigenen nationalen angeglichenen Rechts sowie der Formulierung etwa erforderlicher Auslegungsfragen an den EuGH130. Korrekte Auslegung führt hier zu einer Verschmelzung der nationalen Rechte in zwei Bewegungen: Durch Übernahme von Argumenten zum Verständnis der Richtlinie vom einen in das andere Recht und durch das Erkennen von Divergenzen in eben diesem Verständnis, was zu ihrer Beseitigung durch die dann notwendige Auslegungsentscheidung des EuGH führt. c) Diese Überlegungen werden deutlich auch aus der Situation des EuGH und seiner Aufgabe, das Gemeinschaftsrecht zu entwickeln und seine einheitliche Auslegung und Anwendung zu sichern. Das geschieht gerade im Vorlageverfahren nach Art. 177 EWGV in einem diskursiven Prozeß der Auseinandersetzung mit der Rechtsmeinung zunächst einmal des vorlegenden Gerichts. Weshalb in diesem diskursiven Prozeß dann aber die veröffentlichte Rechtsmeinung anderer nationaler Gerichte, der rechtswissenschaftlichen Literatur in Europa nicht berücksichtigt werden sollte, wäre kaum zu erklären130a. Im Gegenteil: ein solches Verfahren spart Kräfte und wird dem Gedanken der Kooperation zwischen den nationalen Rechtssystemen und ihren Gerichten einerseits und dem EuGH andererseits am ehesten gerecht. Das ist bei den am ehesten vergleichbaren 130 Vorlage an den EuGH nach Art. 177 EWGV ist nur dann nicht geboten, wenn auf diese Art und Weise ein klares Ergebnis erreicht wird und der nationale Richter das Auslegungsergebnis als fraglos erachten kann; das bedeutet, daß der nationale Richter auch vorlegen wird, wenn Zweifel möglich erscheinen. Der EuGH hat diese Pflicht des nationalen Richters in Slg. 1982 S. 3415 C. I. L. F. I. T. wie folgt formuliert: „Das innerstaatliche Gericht darf jedoch nur dann davon ausgehen, daß ein solcher Fall (scil. von Klarheit) vorliegt, wenn es überzeugt ist, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewißheit bestünde.“ Praktisch bedeutet das: Nachforschungen über die Ansichten der Gerichte in den anderen Mitgliedstaaten oder Vorlage an den EuGH! Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Auslegung von Richtlinien auch Hopt, ZGR 1992 Heft 3 und Steindorff, Vorlagepflicht nach Art. 177 Abs. 3 EWGV und europäisches Gesellschaftsrecht, ZHR 156 (1992), 1ff. (15). 130a In diesem Sinne auch Hommelhoff, Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung, AcP 192 (1992), 71ff. (98), der dem EuGH nahelegt, bei der Auslegung von Richtlinien auf gemeinsame Prinzipien des Zivilrechts der Mitgliedstaaten zurückzugreifen. Ähnlich Steindorff, aaO., S. 16. Everling, ZGR 1992 Heft 3 bestätigt genau das, wenn er betont, daß der EuGH, wenn auch häufig in seinen Urteilen nicht dokumentiert, die Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten verfolge und berücksichtige.

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Divergenzvorlagen von Oberlandesgerichten an den BGH (§ 20 II FGG) oder den Vorlagen nach Art. 100 GG an das BVerfG auch nicht anders. Insofern ist es durchaus verdienstlich, wenn sich wissenschaftliche Arbeiten zunehmend mit Fragen der unterschiedlichen Interpretation von Richtlinien in den Mitgliedstaaten und ihrem entsprechenden angeglichenen Recht beschäftigen131: sie verbreitern die Basis der Argumentation. Ob und in welchem Maße dann der EuGH davon Gebrauch macht, unterliegt seinem richterlichen Ermessen. V. Folgerungen für die richtlinienkonforme Auslegung des angeglichenen nationalen Rechts Der in dieser Weise ermittelte Inhalt der Richtliniennorm ist maßgebend für die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts. 1. Grundsätze richtlinienkonformer Auslegung a) In ständiger Wiederholung verwendet der EuGH die Formel, das nationale Recht sei soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das Ziel derselben zu erreichen und so der mitgliedstaatlichen Verpflichtung aus Art. 5 und 189 III EWGV nachzukommen132. Folgt man dem, so bedeutet es für den nationalen Rechtsanwender und insbesondere die nationalen Gerichte folgendes: aa) Bei der richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Norm ist ähnlich der uns bekannten verfassungskonformen Interpretation zu verfahren133. bb) Die richtlinienkonforme Auslegung ist vorrangiges Auslegungskriterium134. Ihr Ergebnis geht allen anderen Auslegungsergebnissen vor135. Wichtig ist 131 Vgl. etwa Lutter/Gehling, Verdeckte Sacheinlagen, Zur Entwicklung der Lehre und zu den europäischen Aspekten, WM 1989, 1445ff.; Meilicke, Die Kapitalaufbringungsvorschriften als Sanierungsbremse – Ist die deutsche Interpretation des § 27 II AktG richtlinienkonform? (Teil I), DB 1989, 1067ff. 132 EuGH Slg. 1984 S. 1891ff. (1909) von Colson & Kamman; EuGH Slg. 1984 S. 1921ff. (1942) Harz; EuGH Slg. 1989 S. 3533ff. (3546) Nijmann; EuGH DB 1991, 157f. (158) Marleasing S. A. [noch nicht in Slg.]. 133 Vgl. Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1112); Everling, (Fn. 15), FS Carstens, S. 95ff. (107); Jarass, EuR 1991, 211ff. (214). Die eher methodische Frage, ob die richtlinienkonforme Auslegung als ein fünfter oder gar sechster Auslegungscanon (unter Berücksichtigung der verfassungskonformen Auslegung) anzusehen ist oder ob sie in alle Auslegungsstufen einfließt (so Hommelhoff, AcP 1992, 71ff., 96ff.), ist nicht einfach zu beantworten. Ich neige zum eigenen und eigenständigen Charakter dieses Auslegungsaspektes. 134 A. A.: Di Fabio, Richtlinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip?, NJW 1990, 947ff. (952f.), der über Art. 24 I GG nur unmittelbar anwendbares Sekundärrecht, also Richtlinien nur, insoweit sie vom EuGH für „berufbar“ erklärt worden sind, den Vorrang

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jedoch, daß man sich vor Augen hält, daß dies nicht Folge einer direkten Ho- [605] rizontalwirkung der Richtlinie ist135a, sondern lediglich Erfüllung des an die Mitgliedstaaten gerichteten Gebots, den Maßnahmen der EG zu größtmöglicher Wirkung zu verhelfen. b) Die Richtigkeit dieser letzteren Aussage vom Vorrang richtlinienkonformer Auslegung ist kürzlich von Di Fabio in Zweifel gezogen worden136. Richtig daran ist zunächst einmal die Beobachtung, daß dadurch mit einer seit Savigny137 anerkannten und seither scheinbar unbestrittenen Auffassung des Gleichrangs aller Auslegungsaspekte gebrochen wird. Scheinbar; denn tatsächlich hat schon heute das Auslegungsziel der Verfassungskonformität Vorrang: wer wollte schon, wenn vermeidbar, mit einem Auslegungsergebnis enden, das zwar methodisch überzeugend, aber im Ergebnis verfassungswidrig wäre? Insofern folgt hier der Vorrang dieses Interpretationsaspektes dem Vorrang der Verfassung vor einfachem Recht. aa) Genau auf dieser Ebene liegen dann auch die Zweifel von Di Fabio. Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung bedeutet zugleich Vorrang des europäischen Rechts und seiner Aspekte: nicht die Verbindung der Norm mit älteren nationalen Rechtsschichten, nicht die systematischen Zusammenhänge mit anderen Teilen der nationalen Rechtsordnung, nicht die auch sonst übliche nationale Rechtssprache sind mit der Richtlinienkonformität gleichrangig zu erörtern, sondern die Konformität mit der Richtlinie geht vor und erst dann und insofern dann noch nötig folgen die anderen Auslegungsaspekte. Die Frage ist also tatsächlich verknüpft mit dem Rang und der Stellung des europäischen Rechts der Richtlinie, wobei spezielle Fragen der Zeit (unten 2) und der „Verdrängung“138 hier ausgeklammert sind. bb) Auf einer derart allgemeinen Grundlage kann man dann fragen, in welchem Maße der deutsche Gesetzgeber auch insoweit von Art. 24 II GG Gebrauch gemacht und die vorrangige Interpretation seines nationalen Rechts aus der Richtlinie heraus akzeptiert, also auch insoweit Befugnisse an Europa und

vor nationalem Recht und damit auch vor dem Grundgesetz zugesteht. Ähnlich: Herber, (Fn. 58), FS Döllerer, S. 225ff. (241ff.). Wie hier: Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1111); Everling, (Fn. 15), FS Carstens, S. 97ff. (101, 107); Kirchhoff, (Fn. 128), DB 1989, 2261ff. (2264); Timmermanns, Directives: Their Direct Effect within the National Legal Systems, CMLR 1979, 533ff. (545ff.); Zuleeg, Die Rechtswirkungen europäischer Richtlinien, ZGR 1980, 466ff. (471). 135 Nach Jarass, EuR 1991, 211, 218 findet dieser Vorrang seine Grenze dort, wo das Ergebnis der richtlinienkonformen Auslegung unter den Aspekten einer rein nationalen Auslegung unvertretbar wäre. Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden; sie widerspricht klar den oben (sub III, 2c) entwickelten Grundsätzen vom Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts und dessen Verdrängung richtlinienwidrigen nationalen Rechts. 135a Ebenso Jarass, aaO. S. 218; ähnlich Stuyck (Fn. 69), CMLR 1991, 205ff., 211f. 136 NJW 1990, 947ff. 137 Oben Fn. 1. 138 Oben sub III, 2c.

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seine Organe (hier: den EuGH) abgegeben hat138a. Anders gewendet: muß man davon ausgehen, daß sich der deutsche Gesetzgeber die Schaffung wirksamen richtlinienwidrigen Rechts vorbehalten wollte und vorbehalten hat, um allenfalls nur über Art. 169 EWGV belangt werden zu können? Bringt man diese Frage zusammen mit der aus Art. 5 und 189 III EWGV auch von Deutschland selbstverständlich übernommenen Pflicht zur Vertragstreue, so müßte eine Interpretation im Sinne eines solchen Vorbehalts als treuwidriges Verhalten der Bundesrepublik, als venire contra factum proprium verstanden werden. Die wirksam übernommene Pflicht zur Gemeinschaftstreue führt also tatsächlich zu einem Verständnis vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch insoweit als der richtlinienkonformen Auslegung Vorrang vor den allgemeinen Interpretationsaspekten des nationalen Rechts zukommt138b. 2. Zeitpunkt, ab dem das angeglichene nationale Recht richtlinienkonform auszulegen ist Steht die richtlinienkonforme Auslegung als vorrangiges Auslegungsmittel der angeglichenen nationalen Norm damit fest, so ist nun zu fragen, ab wann das nationale Recht den spezifischen Anforderungen richtlinienkonformer Auslegung unterliegt. Dabei besteht weitgehend139 Einigkeit, daß jedenfalls nach Ablauf der Umsetzungsfrist das nationale Recht im Anwendungsbereich der Richtlinie in Übereinstimmung mit dieser ausgelegt werden muß140. Nicht maßgebend hierfür ist also der Tag des Inkrafttretens der Richtlinie140a; das folgt aus Art. 5 i. V. m. Art. 189 III EWGV, wonach die Mitgliedstaaten bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist in ihrer Rechtsetzung und damit auch in ihrer Rechtsanwendung frei sind141. Fraglich kann also nur sein, ob die Richtlinie bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist vom nationalen Richter berücksichtigt werden kann. Das scheidet jedenfalls insoweit aus, als das zur Nichtanwendung einer deutschen Norm führen würde. Ob nämlich eine Norm des nationalen Rechts weiterhin angewendet werden soll oder nicht, ist wegen des Gewaltenteilungsprinzips während der Umsetzungsfrist in die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers gestellt. Everling (Fn. 21), ZGR 1992 Heft 3. Vgl. Jarass, EuR 1991, 211, 216. 139 A. A.: Di Fabio, (Fn. 134), NJW 1990, 947ff. (952); sowie Herber, (Fn. 58), FS Döllerer, S. 225ff. (243). 140 Vgl. Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1112); Spetzler, Die Kollision des europäischen Gemeinschaftsrechts mit nationalem Recht und deren Lösung, RIW 1990, 286ff. (288); Wolf, (Fn. 109), WM 1990, 1941ff. (1944). 140a A.A. Lenz (Fn. 13), DVBl. 1990, 903ff. (908). 141 EuGH Slg. 1979 S. 1629ff. (1645) Ratti; vgl. auch Jarass, EuR 1991, 211ff. (221). 138a

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Läßt sich hingegen Richtlinienkonformität mittels einfacher Auslegung im nationalen Recht herstellen, so ist der Richter jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis befugt, sein bisheriges Auslegungsergebnis zu korrigieren und den geänderten rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen142. Der deutsche Richter darf also die Richtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist bei der Auslegung seines nationalen Rechts berücksichtigen, er muß es aber nicht. Ist aber vor Ablauf der Frist die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden, so ist nunmehr so vorzugehen, als sei die Frist abgelaufen143, es sei denn, der nationale Gesetzgeber habe für die verbleibende Frist bewußt „unterwertig“ umsetzen wollen: das war und ist nach EG-Recht nicht verboten. 3. Sonderfälle In der Regel deckt sich das Ergebnis der richtlinienkonformen Auslegung mit dem unter rein nationalen Aspekten gewonnenen Ergebnis. Dann ist das angeglichene Recht wie nicht angeglichenes nationales Recht anzuwenden. Aber es können sich durchaus Abweichungen ergeben. Wie diese zu behandeln sind, sei an drei wichtigen Fallgruppen dargestellt144: a) Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung widerspricht dem Ergebnis der verfassungskonformen Auslegung Obgleich dieser Fall wegen der nahezu vollständigen Implementierung der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips in das EG-Recht äußerst selten vorkommen wird145, ist dem Beschluß des BVerfG146 vom 22. 10. 86 (Solange II) zu entnehmen, daß der richtlinienkonformen Auslegung auch in diesem Fall der Vorrang einzuräumen ist147. Denn durch [606] Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG ist diese berechtigt, jenseits der durch Art. 19 II und 79 III GG unantastbaren Verbürgungen, in Ausübung der ihr durch den EWGV übertragenen

Vgl. Larenz, (Fn. 2), S. 314, 352f. Dazu EuGH EuZW 1990, 96f. (96) Guy Blanguernon [noch nicht in Slg.] 144 Zum Parallelproblem im Einheitsrecht: Canaris, (Fn. 31), JZ 1987, 543ff. (551). 145 Vgl. die Nachweise in Fn. 129, sowie Oppermann, Europarecht, München 1991, Rz. 411ff.; Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, BadenBaden 1976, S. 223ff. 146 BVerfGE 73, 339ff. (Solange II). 147 Vgl. Everling, (Fn. 128), EuR 1990, 195ff. (213); Tomuschat, Aller guten Dinge sind III?, EuR 1990, 340ff. (344); a. A. Löw, Steht das Europäische Recht einem Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang entgegen?, DB 1991, 546ff. (547). 142 143

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Kompetenzen die Randzonen der durch die Rechtsprechung der BVerfG entwickelten Grundrechtsverbürgungen im Interesse der Integration zu verändern148. b) Der durch richtlinienkonforme Auslegung der Norm gewonnene Inhalt bleibt hinter der nationalen Norm und ihrer Auslegung zurück (= strengere nationale Norm)149 aa) Mindest- oder Höchststandard einer Richtlinie Daß Richtlinien einen Mindeststandard aufstellen ist selbstverständlich; unter das Geforderte kann der nationale Gesetzgeber nicht gehen. Ob der Gesetzgeber aber weitere, strengere Anforderungen stellen darf, ist davon abhängig, ob die Richtlinie nicht zugleich einen Höchststandard aufstellt. Daher ist die Richtlinie erneut und im Hinblick darauf zu interpretieren, ob sie nur einen Mindeststandard aufstellt150 oder zugleich einen Höchststandard festlegt150a. Die Beantwortung dieser Frage läßt sich manchmal dem Richtlinientext selbst entnehmen. So formuliert z. B. Art. 2 der 2. Richtlinie: „Die Satzung oder der Errichtungsakt der Gesellschaft enthält mindestens folgende Angaben“151. Läßt sich aus dem Text und seinen Zusammenhängen die Frage nicht beantworten, so hängt die Entscheidung zunächst einmal davon ab, auf welcher Rechtsgrundlage die Richtlinie ergangen ist. bb) Richtlinien im Bereich des Art. 30 EWGV Bei einer auf Art. 100 i. V. m. Art. 30 EWGV gestützten Richtlinie, die etwa – wie die Maschinenschutzrichtlinie – zum Ziel hat, eine Ware in Europa marktfähig zu machen, stellt die Richtliniennorm gleichzeitig einen Mindest- und einen Höchststandard dar. Denn andernfalls wäre das Angleichungsziel gerade nicht erreichbar, die betreffende Ware wäre jenseits der Grenze ihres Herstellungslandes nach wie vor nicht marktfähig. cc) Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht Bei einer auf Art. 54 III lit. g) EWGV gestützten Richtlinie, also etwa der Kapital- oder Fusionsrichtlinie, ist die Frage, ob die Richtlinie Höchst- oder nur Mindeststandards aufstellt, nicht so leicht zu beantworten. Die Stellung von Art. 54 EWGV im Kapitel der Niederlassungsfreiheit und die nahestehende 148 Vgl. Spetzler, Die unmittelbare Wirkung von Richtlinienbestimmungen als neue Sanktionskategorie nach Art. 189 EWG-Vertrag, RIW 1989, 362ff. (363). 149 So im Fall Marleasing (Fn. 3). 150 Vgl. Jarass, Voraussetzungen der innerstaatlichen Wirkung des EG-Rechts, NJW 1990, 2420ff., 2421. 150a Vgl. zu dieser Frage aus neuerer Zeit Bleckmann und Hopt, je ZGR 1992 Heft 3. 151 Vgl. dazu auch: BGHZ 110, 47ff. (70ff.).

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Grundnorm des Art. 52 EWGV, mit ihrem Ziel des Abbaus aller Schranken und Beschränkungen, legen den Gedanken an einen gleichzeitigen Höchststandard nahe152. Denn damit wäre der Angleichungseffekt am stärksten und die Beseitigung von „Stolpersteinen“ aus Spezialitäten des nationalen Rechts für den Fremden am vollkommensten berücksichtigt. Auf der anderen Seite wäre der Eingriff in die nationalen Rechte mit einem solchen gleichzeitigen Höchststandard ungewöhnlich stark. Fallen nämlich Höchstund Mindeststandard zusammen, so handelt es sich de facto um Rechtsvereinheitlichung und nicht mehr um Rechtsangleichung. Dieser Effekt ist sehr zu bedenken. Denn der EWGV und ihm im Zweifel folgend der Richtlinien-Gesetzgeber wollte ja gerade nicht ein einheitliches Unternehmensrecht in Europa schaffen, wollte nicht die Verantwortung für zwölf nationale Unternehmensrechtsordnungen übernehmen, sondern vor allem das Mißtrauen des Inländers (z. B. die italienische Bank in Neapel) vor der Solidität des Ausländers (die dort tätige Niederlassung einer dänischen Aktiengesellschaft) beseitigen, sowie die allgemein (Art. 52 und 58 EWGV) gewährte und inzwischen verwirklichte Freiheit zur Niederlassung von Unternehmen aus dem EG-Ausland absichern. Demgegenüber spielte die technische Vereinfachung der Niederlassung durch angeglichenes Recht eine eher sekundäre Rolle: der Grieche, der in Belgien eine Aktiengesellschaft gründet, braucht sowieso örtlichen Rechtsrat und Hilfe; für ihn ist die Identität zwischen seinen vom griechischen Recht geprägten Vorstellungen und der Wirklichkeit des belgischen Rechts nicht conditio der Niederlassung: mit Unterschieden rechnet er; es dürfen nur keine ihn diskriminierenden Hürden sein. Die Interpretation einer Richtlinie und ihrer Vorschriften als Höchstnorm ist mithin nicht die Regel. Sie ginge über das Auslegungsziel hinaus und wäre ein unverhältnismäßiger und so in der Regel auch nicht erforderlicher Eingriff in das System der nationalen Rechte153. Höchstregeln müssen sich mithin aus dem Text oder einer erkennbaren speziellen und nicht nur allgemeinen Zielsetzung der Richtlinie selbst ergeben154. dd) Konsequenzen für die Rechtsanwendung

152 Vgl. Steindorff, (Fn. 126), EuZW 1990, 251ff. (254); a. A. etwa Groß, Die Lehre von der verdeckten Sacheinlage, AG 1991, 217ff. (221), der Art. 52 EWGV nur das Gebot der Inländergleichbehandlung entnimmt. Vgl. allgemein zur Niederlassungsfreiheit: Everling, Das Niederlassungsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, DB 1990, 1853ff. 153 Everling, (Fn. 61), FS Reimer Schmidt, S. 165ff. (171) und Schneider, Europäische und internationale Harmonisierung des Bankvertragsrechts, NJW 1991, 1985ff. (1993) sehen die Gefahr von Spannungen im nationalen Recht. 154 Dementsprechend formuliert der EuGH DB 1991, 1616f. Karella auch ganz selbstverständlich unter Tz 25: „Die 2. RiL hat also einen Mindeststandard des Aktionärsschutzes zum Gegenstand“ („un niveau minimal de protection“).

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Im Ergebnis bedeutet das: Stellt die Richtlinie ausnahmsweise einen Höchststandard auf, so ist die nationale Norm im Zuge der richtlinienkonformen Auslegung enger, restriktiver auszulegen als vor der Angleichung155. Ist das nicht möglich, weil im deutschen Recht der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung markiert156, so muß der deutsche Richter die deutsche Norm unangewendet lassen157: Das ist nichts anderes als die oben festgestellte „Verdrängung“ der nationalen Norm durch die insoweit klare und bestimmte Richtliniennorm158. Diese Nichtanwendung nationalen Rechts stellt keine zur Vorlage an das BVerfG verpflichtende Außerkraftsetzung dar159, sondern ist Nichtanwendung einer Vorschrift [607] aufgrund einer Kollisionsregel aus dem Verhältnis EG-Recht zum nationalen Recht160. Schreibt die Richtlinie hingegen nur einen Mindeststandard vor, so darf die nationale Norm auch unter dem Aspekt der Richtlinienkonformität wie bislang ausgelegt, ja im Zuge der nationalen Rechtsentwicklung und Rechtserkenntnis sogar noch strenger werden, wie sich etwa die deutsche Praxis zum Problem der verdeckten Sacheinlage161 seit Erlaß der dafür thematisch einschlägigen 2. Richtlinie von 1978 verschärft hat. c) Das nationale Recht bleibt hinter den Geboten der Richtlinie zurück Ein typisches Beispiel für diese Fallgruppe ist der Karella-Fall162: Durch sein Sanierungsgesetz hat der griechische Gesetzgeber das der Hauptversammlung durch die 2. Richtlinie eingeräumte Recht, allein über Kapitalerhöhungen zu entscheiden, genommen. Er gibt der Hauptversammlung also weniger Rechte als die Richtlinie vorschreibt. Mit den Mitteln üblicher Auslegung läßt sich hier die Verpflichtung zu richtlinien- und gemeinschafskonformer Anwendung nationalen Rechts kaum erfüllen. An dieser Stelle steht der nationale Richter zwischen der Skylla, seiner Treue zum

155 Vgl. dazu Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, Köln 1969, S. 153; Stuyck, (Fn. 69), CMLR 1991, 205ff. (211). 156 Vgl. Larenz, (Fn. 2), S. 322; Spetzler, Die richtlinienkonforme Auslegung als vorrangige Methode steuerjuristischer Hermeneutik, RIW 1991, 579ff. (581). 157 Vgl. Bach, (Fn. 22), JZ 1990, 1108ff. (1113); Timmermanns, Die europäische Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht, RabelsZ 1984, 1ff. (35 f.). 158 Dazu oben I 3 b. Im Karella-Urteil heißt es denn auch: der Anwendbarkeit der richtlinienwidrigen nationalen Norm stehen die Richtlinienvorschriften entgegen („les dispositions … de la deuxième directive … font obstacle à une réglementation nationale …“). 159 Zuleeg, (Fn. 134), S. 154; a. A. Di Fabio, (Fn. 134), NJW 1990, 947ff. (953). 160 Ähnlich den dem deutschen Richter bekannten Regeln lex posterior derogat legi priori bzw. lex specialis derogat legi generali. 161 Vgl. BGHZ 110, 47ff. 162 Oben Fn. 3.

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geschriebenen nationalen Recht, und der Charybdis, an einer Vertragsverletzung seines Landes i. S. von Art. 5 169 EWGV mitzuwirken. Der Konflikt läßt sich lösen, wenn die Richtlinienbestimmung inhaltlich hinreichend klar und bestimmt ist also ihre „unmittelbare Anwendbarkeit“ oder besser die mit ihr verbundene Möglichkeit, sich „auf sie zu berufen“163 in Betracht kommt164. Dann hat die Richtlinienbestimmung Vorrang vor dem nationalen Recht, hat verdrängende Wirkung. Scheidet diese Möglichkeit aus,. so ist richterliche Rechtsfortbildung im Lichte der Richtlinie gefordert165. Solange diese gesetzesimmanent ist, sich also am Plan und der Teleologie des nationalen Gesetzes orientiert166, ist die Entscheidung für Rechtsfortbildung im Sinne der Richtlinie geboten; der nationale Richter darf sich ihr nicht verweigern. Endgültig schwierig wird die Entscheidung für den nationalen Richter erst dann, wenn die Richtliniennorm nicht hinreichend klar und bestimmt ist, die Kollisionsregel also nicht zum Zuge kommt, die Auslegung der Richtlinie aber den Gegensatz zum nationalen Recht erweist. Hier ist (wäre) Rechtsfortbildung contra legem erforderlich, um der Richtliniennorm gegen die nationale Norm zur Durchsetzung zu verhelfen. Der nationale Richter wird dabei zu bedenken haben, daß er an der Vermeidung eines Rechtskonfliktes zwischen seinem Staat und der Gemeinschaft mitwirken, daß er gar zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen gegen seinen Staat167 beitragen kann, wenn er der Verpflichtung seines Staates zur korrekten Umsetzung der Richtlinie und der Beibehaltung dieser Umsetzung im Wege der Rechtsfortbildung nachkommt. Schreckt er gleichwohl immer noch vor dem offenen Konflikt mit seinem nationalen Recht und vor einer Entscheidung zugunsten der Richtliniennorm zurück, so mag er daran denken, daß er zur direkten Anwendung der Richtliniennorm entgegen seinem nationalen Recht verpflichtet wäre, wenn diese „klar und bestimmt“ wäre. Wählt er den Weg der Rechtsfortbildung im Lichte der Richtlinie, so wird er dabei den Rahmen und die leitenden Prinzipien der nationalen Gesamtrechtsordnung, insbesondere seines Verfassungsrechts, zu beachten haben.

163 Dabei ist Berufung nicht als Evokation zu verstehen; vgl. dazu: Weymüller, Der Anwendungsvorrang von EG-Richtlinien – Eine Diskussion ohne Ende?, RIW 1991, 501ff. (503f.). Im übrigen vgl. oben Fn. 47. 164 Vgl. hierzu: Stuyck, (Fn. 69), CMLR 1991, 205ff. 165 Vgl. Spetzler, (Fn. 156), RIW 1991, 579ff. (582). 166 Vgl. Larenz, (Fn. 2), S. 366. 167 Vgl. EuGH EuZW 1991, 758ff. (760f.) Francovich und Bonifaci; sowie Karl, Aktuelle Überlegungen zur Reform der EG-Gerichtsbarkeit RIW 1991, 745ff. (750ff.).

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VI. Schluß Will man eine Summe dieser Überlegungen zur Auslegung und Anwendung angeglichenen nationalen Rechts versuchen, so drängen sich näher- und fernerliegende Aspekte auf: 1. Nimmt man die nun schon ein Drittel Jahrhundert währende Rechtsgeschichte der EG in den Blick, so war ihre erste Hälfte geprägt von der Entfaltung der Institutionen der Gemeinschaft und von den großen Trassen der Freiheiten des Vertrages, die durch Kommission, Ministerrat und EuGH geschlagen und gesichert wurden. Die zweite und noch währende Hälfte aber ist geprägt von Differenzierung und Rechtsangleichung, von nahezu zahllosen Eingriffen in das nationale Recht, insbesondere auch und gerade von Eingriffen in etablierte und traditionsreiche Gebiete des nationalen Rechts, vom klassischen Handelsrecht bis zum Wettbewerbs- und Gesellschaftsrecht, vom Vertragsrecht bis hin zur außervertraglichen Haftung, vom Arbeits- und Sozialrecht bis zum Steuerrecht. 2. Rechtsanwendung, in einer komplizierten Gesellschaft schon immer ein komplexer Vorgang, wird im Zeichen der EG noch einmal sehr viel schwieriger. Anders als im bisherigen Recht, in dem die Rechtsebenen gegeneinander getrennt waren und mithin erkennbar blieben, erkennbar auch in ihrer Hierarchie, entsteht jetzt ein kompliziertes Mischverhältnis verschiedener Ebenen innerhalb einer an sich einheitlichen Materie. Auslegung und Anwendung dieses Mischrechts verlangen dennoch die Trennung, die Ent-Mischung. Denn unsere bisherigen Erkenntnisse zur Rechtsanwendung folgen den Müttern, der Herkunft einer Norm und erklären sie für Inhalt und Verständnis als vor allem bestimmend. Unterstützt wird dieses hergebrachte Verständnis durch Art. 177 EWGV und die Rechtsprechung des EuGH zur Rechtspflicht richtlinienkonformer Auslegung nationalen Rechts, wobei der entscheidende Richtlinieninhalt der Auslegungsprärogative des EuGH unterliegt: genau das zwingt zur „Ent-Mischung“ der Rechtsebenen, da diese Pflicht im rein nationalen Recht weder besteht noch erfüllt werden könnte. 3. Erst eine dritte Entwicklungsphase wird zeigen, ob sich dieses am Verhandlungstisch und ohne praktische Erfahrung „erfundene“ System der Rechtsangleichung, der „Einmischung“ in das nationale Recht wirklich bewährt und durchhalten läßt. Bedenkt man noch einmal die hier entfaltete Komplexität der Rechtsanwendung in diesem Bereich, so mag es durchaus sein, daß die systemgerechte Anwendung dieser Ordnung einen solchen Aufwand an Intelligenz und Rechtstechnik verlangt, daß sich die Praxis verweigert und Vereinfachung erzwingt. Diese aber könnte nicht in einer Re-Nationalisierung, sondern nur in einer verstärkten Europäisierung bestehen: Rechtsangleichung würde fließend übergehen in eine faktische Rechtseinheit, eben das neuerdings wieder vielbeschworene Jus Commune Europae.

Zum Umfang der Bindung durch Richtlinien IN: DUE/LUTTER/SCHWARZE (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR ULRICH EVERLING,

BAND I, BADEN-BADEN 1995, S. 765-782 I. Einleitung 1. Die Europäische Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft des Rechts1. Daran hat sich auch nichts durch den Vertrag von Maastricht über die Europäische Union und die damit verbundenen Anpassungen des EGV einschließlich des Subsidiaritätsprinzips (Art. 3b Abs. 2 EGV) geändert. Zur Herstellung dieser Rechtsgemeinschaft wird neben der Verordnung nach Art. 189 Abs. 2 EGV vor allem die Richtlinie nach Art. 189 Abs. 3 EGV eingesetzt. Sie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet und für diese im Hinblick auf das zu erreichende Ziel verbindlich. 2. Bei und nach der Transformation einer Richtlinie in das nationale Recht ergeben sich für den nationalen Gesetzgeber und den Rechtsanwender ganz spezifische Probleme. Denn: Lex posterior derogat legi inferiori – so einfach ist es im rein nationalen Recht. Was immer der nationale Gesetzgeber in den Grenzen seiner Verfassung frei beschließt, gilt und verdrängt entgegenstehendes früheres Recht. Aber eben das gilt nicht mehr, wenn vom nationalen Gesetzgeber EGRecht mit zu berücksichtigen ist. Auch da ist es wiederum einfach, wenn dieses EG-Recht klare Bestimmungen enthält, wie etwa Art. 6 EGV mit seinem Diskriminierungsverbot oder Art. 25 Abs. 1 S. 1 der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie2 mit seiner Festlegung, daß die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft über eine Kapitalerhö-

1 Vgl. Hallstein, RabelsZ 28 (1964), S. 211 ff. (228 ff.); Everling, RabelsZ 50 (1986), S. 193 ff. (193 f.); Lutter, Stand und Dynamik des europäischen Wirtschaftsrechts, Schriften des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht, Heft 1 (1990). 2 Sog. Kapitalrichtlinie, Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976, ABl. EG L 26/1 vom 31.1.1977, abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 3. Auflage 1990, S. 173 ff. Art. 25 Abs. 1 S. 1 lautet: „Jede Kapitalerhöhung muß von der Hauptversammlung beschlossen werden“.

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Zum Umfang der Bindung durch Richtlinien

hung beschließen muß, oder Art. 6 Abs. 1 der gleichen Richtlinie, wonach das Mindestkapital einer Aktiengesellschaft 25.000 ECU zu betragen hat3. Wie aber ist es sonst, wenn die Richtlinie über zusätzliche Regelungen schweigt? Gilt dann automatisch ein Verbot strengeren nationalen Rechts? Oder gilt genau das Gegenteil, nämlich die Freiheit des nationalen Gesetzgebers zu ergänzenden [766] oder strengeren Regelungen? Im Fall Meilicke des EuGH4 wäre die Frage – fast – entscheidungserheblich geworden. Aber viel wichtiger als für den noch so wichtigen Einzelfall ist die Frage für den nationalen Gesetzgeber, der einerseits vertragstreu sein (Art. 5 EGV), andererseits aber wissen will, welche Spielräume er zur eigenen Entscheidung und damit zur Gestaltung des eigenen nationalen Rechts noch hat. Dieser Frage – einer ganz typischen „Everling“-Frage – soll hier nachgegangen werden. II. Überblick 1. Für den nationalen Gesetzgeber stellt sich vor der Umsetzung einer Richtlinie die Frage, ob und wie er das nationale Recht ändern muß, um den Vorgaben der Richtlinie nachzukommen. Bei der Frage nach dem „ob“ der Umsetzung ist nicht nur danach zu fragen, ob das nationale Recht bereits Regelungen enthält, die der Richtlinie entsprechen, oder ob es entgegenstehende Regelungen enthält, die aufgehoben werden müssen5, sondern auch, ob eine bereits vorhandene Regelung, die in den Regelungsbereich der Richtlinie fällt, ohne ihr direkt zu widersprechen, aufrecht erhalten werden kann. Das bedeutet, daß der nationale Gesetzgeber sich fragen muß, ob die Regelung der Richtlinie abschließend ist und damit zusätzliche Regelungen des nationalen Rechts ausschließt, ob sie also eine allseits verbindliche Regelung oder nur eine Ober- bzw. Untergrenze für das nationale Recht aufstellt. 2. Nach der Transformation muß sich der nationale Gesetzgeber bei eigenen Gesetzgebungsvorhaben stets fragen, ob die Richtlinie nicht eine Sperrwirkung entfaltet. Eine solche Sperrwirkung gilt fraglos für solche geplanten Normen, die der 3 „Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten fordern (…) die Zeichnung eines Mindestkapitals, dessen Betrag nicht auf weniger als 25.000 Europäische Rechnungseinheiten festgesetzt werden darf.“ 4 EuGH RS C 83/91, Meilicke, Slg. 1992, S. 4871 ff.; zahlreiche weitere Fälle aus anderen Rechtsgebieten bei Furrer, Die Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen, 1994. 5 Beispiel: Das KWG sah vor der Umsetzung der 2. Bankrechtskoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 89/646/EWG vom 15.12.1989, ABl. EG L 386/1 vom 30.12.1989, abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 413 ff.) für Zweigniederlassungen ausländischer Banken generell ein Dotationskapital vor. Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie verbietet das.

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Richtlinie klar widersprechen; das würde etwa für das Vorhaben gelten, das Mindestkapital für eine Aktiengesellschaft in Deutschland auf DM 30.000,- zu senken. Die Sperrwirkung geht aber möglicherweise weit darüber hinaus; sie entfaltet also möglicherweise ein Stand-still nationaler Gesetzgebung in diesem Regelungsbereich überhaupt6. [767] 3. Auch für den Rechtsanwender hat die Existenz einer Richtlinie weitreichende Konsequenzen: Ist die Richtlinie bereits umgesetzt worden, muß er die nationalen Normen mit Rücksicht auf und „im Lichte der Richtlinie“ auslegen7. Entsprechendes gilt, wenn die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, ohne daß eine Transformation stattgefunden hat; möglicherweise muß er dann trotz fehlender oder unzureichender Umsetzung der Richtlinie ihre Bestimmungen doch anwenden und entgegenstehendes nationales Recht unangewendet lassen8. Damit er diesen Anforderungen gerecht werden kann, sind auch für den Rechtsanwender die Fragen nach dem Charakter der Richtlinie als offener oder abschließender Regelung und ihrer Bestimmungen als Höchst- oder Mindeststandards von großer Bedeutung. III. Regelungen im EG- Vertrag und in der Richtlinie selbst 1. EG-Vertrag Teilweise trifft der EGV selbst eine Aussage darüber, in welchem Maße Richtlinien für die Mitgliedstaaten verbindlich im Sinne eines Abweichungsverbotes sind. Vor allem Bestimmungen, die durch die Einheitliche Europäische Akte und den Maastrichter Unionsvertrag in den EGV eingeführt worden sind, wie die Art. 118a Abs. 3 und 129a EGV, enthalten häufig die Aussage, daß auf sie gestützte Richtlinien „Mindestvorschriften“ enthalten. Mindestvorschriften im Sinne dieser Vertragsbestimmungen sind als Mindeststandards zu verstehen, von denen die Mitgliedstaaten durch strengere Vorschriften abweichen dürfen9.

6 Wie ernst die Frage vom nationalen Gesetzgeber genommen wird, erhellt die Tatsache, daß die Begründung zum Regierungsentwurf eines deutschen Gesetzes im Anwendungsbereich einer Richtlinie neuerdings die Erklärung enthält, daß die vorgeschlagenen Normen den Bestimmungen der betreffenden Richtlinie nicht widersprechen. 7 Vgl. dazu EuGH, RS C 14/83, von Colson & Kamman, Slg. 1984, S. 1891 ff.; EuGH RS C 80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, S. 3969 ff.; EuGH RS C 106/89, Marleasing, Slg. 1990, S. 4135 ff.; ausführlich dazu Lutter, JZ 1992, S. 594 ff. und Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994. 8 Vgl. EuGH, RS C 8/81, Becker, Slg. 1982, S. 53 ff. 9 Anders Heinze, ZfA 1992, S. 331 ff. (357), der annimmt, darin komme das Gebot zum Ausdruck, die Richtlinie dürfe die Harmonisierung nur innerhalb der Unterschiede der einzelstaatlichen Rechte anstreben, also keine eigenen Lösungen verwirklichen; wie hier Furrer, (Fn. 4), S. 244 ff.

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2. Ausdrückliche Unter- oder Obergrenzen in der Richtlinie Richtlinien regeln teilweise ausdrücklich, daß Abweichungen von ihren Bestimmungen nicht oder nur in einem bestimmten Rahmen zulässig sind. Ein Beispiel hierfür ist Art. 11 der 1. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie10, der durch seine Formulierung11 zum Ausdruck bringt, daß die Mitgliedstaaten schlicht gehindert [768] sind, andere und weitere Nichtigkeitsgründe zu schaffen. Noch deutlicher ist der bereits erwähnte Art. 6 der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, der bestimmt, daß das Grundkapital einer Aktiengesellschaft mindestens 25.000 ECU betragen muß12. Auf diese Weise wird die Untergrenze festgelegt, zugleich aber der Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers nach oben geöffnet13. Fälle dieser Art sind Legion14. 3. Öffnungsklauseln Einige Richtlinien enthalten allgemeine Öffnungsklauseln. So ermächtigt Art. 6 der Insiderrichtlinie15 die Mitgliedsstaaten, „strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie vorgesehenen oder zusätzliche Vorschriften (zu) erlassen, sofern diese Vorschriften allgemein gelten“. Ähnliches gilt für viele Arbeitnehmer-Richtlinien16; sie enthalten eine Öffnungsklausel, die es den Mitgliedstaaten gestattet, „für Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen“ – eine Formulierung, die – wie die deutsche Diskussion um die Vereinbarkeit des Widerspruchsrechts der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang mit der Richtlinie zeigt17 – nicht ganz unproblematisch ist, da die Gewährung eines Vorteils meist 10 Sog. Publizitätsrichtlinie, 68/151/EWG vom 9.3.1968, ABl. EG L 65/8 vom 14.3.1968, abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 163 ff. 11 „Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bedingungen regeln: …“; ähnlich Art. 22 Abs. 1 der 3. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, (sog. Fusionsrichtlinie, 78/855/EWG vom 9.10.1978, ABl. EG L 295/36 vom 20.10.1978), abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 191 ff. 12 Vgl. Fn. 3. 13 Ähnlich die Art. 2 der 1. und der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie mit ihren Katalogen zum Mindestinhalt der Satzung bzw. der publizitätspflichtigen Angaben. 14 Z. B. Art. 5 Abs. 2, 6 Abs. 1, 7 Abs. 1, 10 Abs. 2, 11 Abs. 1; 13 Abs. 2; 20, 21 der 3. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, (Fn. 11). 15 Richtlinie 89/592/EWG vom 13.11.1989, ABl. EG L 334/30 vom 18.11.1989; abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 381 ff. 16 Z. B. Richtlinie 77/187/EWG vom 14.2.1977, ABl. L 61/26 vom 5.3.1977, hier Art. 7; Richtlinie 80/987/EWG vom 20.10.1980, ABl. L 283/23 vom 28.10.1980, hier Art. 9; Richtlinie 75/129/EWG vom 17.2.1975, ABl. L 48/29 vom 19.5.75, hier Art. 5. 17 Vgl. dazu einerseits: BAG, ZIP 1990, S. 120 ff. = AP Nr. 81 zu § 613a BGB; Joost, ZIP 1991, S. 220 ff.; Löw, in: DB 1991, S. 546 ff. (548); und andererseits: Meilicke, DB 1990,

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auch einen Rechtsverlust an anderer Stelle bedingt und eine Saldierung oft nicht möglich ist. Solche Öffnungsklauseln können auch bewirken, daß beim Erlaß der Richtlinie bestehendes nationales Recht weitgehend unangetastet bleibt. Ein Beispiel hierfür ist Art. 13 der Produkthaftungsrichtlinie18. Diese Vorschrift läßt einzelstaatliche „Vorschriften über die vertragliche und außervertragliche Haftung oder aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung“

unberührt. Daraus kann man schließen, daß bestehende nationale und verschuldensabhängige Haftungsordnungen aufrechterhalten werden können. Die Richtli- [769] nie verpflichtet die Mitgliedstaaten nur, daneben eine verschuldensunabhängige Haftung in ihr nationales Recht einzuführen, oder, soweit eine solche Haftung bereits besteht, diese den Vorgaben der Richtlinie anzupassen19. Wie das Zitat aus der Produkthaftungsrichtlinie zeigt, ist innerhalb solcher Öffnungsklauseln noch einmal zwischen spezifischer allgemeiner Öffnung und der Erhaltung (nur) des status quo vor ihrem Erlaß zu unterscheiden. 4. Wahlrechte Zum Kontext unserer Frage nach den verbliebenen Spielräumen des nationalen Gesetzgebers gehören auch Wahlrechte, die eine Richtlinie den Mitgliedstaaten einräumt. Solche Wahlrechte können von sehr unterschiedlicher Art sein. Haupttypen sind: (1) Das Wahlrecht zwischen zwei oder mehr Alternativen (z.B. Art. 8 und 22 der 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie20); (2) das Einräumen einer Option, zusätzliche Regelungen zu treffen (z.B. Art. 15 der Produkthaftungsrichtlinie21) sowie (3) bestimmte Sachverhalte von den Regelungen des Umsetzungsgesetzes ausnehmen zu dürfen (z.B. Art. 2 Abs. 4 Satz 2 der Insiderrichtlinie22). S. 1770 ff.; ders., DB 1991, S. 1326 ff. (1327). Der EuGH hat das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer in seiner Entscheidung vom 16.12.1992, RS C 132, 138 und 139/91, Katsikas, noch nicht in Slg., AP Nr. 97 zu § 613a BGB, für mit der Richtlinie vereinbar erklärt. 18 Richtlinie 85/374/EWG vom 25.7.1985, ABl. EG L 210/29 vom 7.8.1985. 19 Die Richtlinie läßt spezialgesetzliche Haftungen wie die deutsche Arzneimittelhaftung unberührt, verlangt aber, daß ihr Umsetzungsgesetz auf die dort geregelten Fälle ergänzend, und nicht, wie § 15 Abs. 1 Produkthaftungsgesetz vorschreibt, nicht angewandt wird. 20 Richtlinie 78/660/EWG vom 25.7.1978, ABl. EG L 222/11 vom 14.8.1978; abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 207 ff. 21 Vgl. Fn. 18.

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Beim Alternativmodell muß der nationale Gesetzgeber sich für eine der zur Wahl gestellten Alternativen entscheiden. Hat er von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht, so beurteilt sich seine Bindung genauso, als liege eine Richtlinie ohne Wahlrecht und mit fester Bindung vor. Im Optionsmodell hingegen ist der nationale Gesetzgeber in der Grundsatzentscheidung des „ob“ oder „ob nicht“ frei. Entschließt er sich jedoch für die Aufnahme der Option, so muß das nach den Vorgaben der Richtlinie geschehen. Macht also ein nationaler Gesetzgeber von seinem in Art. 15 der Produkthaftungsrichtlinie eingeräumten Recht Gebrauch, auch landwirtschaftliche Produkte in das nationale Produkthaftungsrecht einzubeziehen, so muß das nach Maßgabe der allgemeinen Regeln der Richtlinie geschehen23. [770] Diesem Muster folgt manchmal eine ganze Richtlinie, so die 6. gesellschaftsrechtliche Richtlinie zur Spaltung24: Das deutsche Recht kannte die Spaltung nicht; der deutsche Gesetzgeber war nicht zur Einführung der Spaltung und mithin auch nicht zur Umsetzung der Richtlinie selbst verpflichtet25. Nunmehr hat der deutsche Gesetzgeber die Rechtsfigur der Spaltung eingeführt26 und mußte dabei die Vorgaben der 6. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie beachten27. Besteht die Option in der Möglichkeit, bestimmte Regelungen nicht anwenden zu müssen, so ist das von indizieller Bedeutung für die Grundregelung der Richtlinie: Sie wird dann Höchst- und Mindeststandard zugleich sein, da Abweichungen nur insoweit zulässig sind, als sie durch das Wahlrecht eingeräumt werden. Auch das läßt sich am Beispiel der Insider-Richtlinie28 exemplifizieren: Deren Art. 2 Abs. 4 S. 1 nimmt bestimmte Geschäfte einer Zentralbank vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus; S. 2 ermächtigt die Mitgliedstaaten, auch Vgl. Fn. 15. Ein solches Optionsmodell enthält auch Art. 6 der 12. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Einpersonen-Richtlinie 89/667/EWG vom 22.12.1989, ABl. EG L 395/40 vom 30.12.1989; abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 309 ff.): der nationale Gesetzgeber ist frei, die EinpersonenGründung auch bei der Aktiengesellschaft zuzulassen. Wenn er es tut, gilt die Richtlinie. Dementsprechend hat der deutsche Gesetzgeber jetzt eine ganze Reihe von Vorschriften des Aktiengesetzes neu fassen oder ergänzen müssen, nur weil er die Einpersonen-Gründung auch für die AG zulassen wollte. Vgl. Gesetz vom 2.8.1994, BGBl. 1994 I, S. 1961 („Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“) und dazu Lutter, AG 1994, S. 429 ff., (430 ff.). 24 Richtlinie 82/891/EWG vom 17.12.1982, ABl. EG L 378/47 vom 31.12.1982; abgedruckt bei Lutter, (Fn. 2), S. 249 ff. 25 Das war anders bei der 3. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, (Fn. 11): Nach ihrem Art. 2 waren die nationalen Gesetzgeber zur Einführung der förmlichen Fusion (also Rechtsnachfolge uno actu) in ihr Recht verpflichtet, soweit diese dort – wie damals etwa in den Niederlanden – noch nicht bestand. 26 Gesetz vom 28.10.1994, BGBl. 1994 I, S. 3210 ff. 27 Was mit großer Sorgfalt geschehen ist, wie die Begründung zum Regierungsentwurf dieses Gesetzes erweist; vgl. dazu Ganske, Umwandlungsrecht, 2. Aufl. 1995, passim. 28 Vgl. Fn. 15. 22 23

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Gliedstaaten und diesen gleichzustellende Gebietskörperschaften vom Anwendungsbereich auszunehmen. Das hat einerseits zur Folge, daß die Mitgliedstaaten andere Gebietskörperschaften, z. B. die Landschaftsverbände, und die Zentralbanken der Gliedstaaten, z. B. die Landeszentralbanken, nicht befreien können; es bedeutet andererseits aber auch, daß es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, die Zentralbank den Regelungen des Umsetzungsgesetzes zu unterwerfen. IV. Ungeschriebene Aussagen zu den Höchst- und Mindeststandards 1. Überblick Während in den soeben genannten Fällen der Charakter einer Richtlinie oder einzelner Richtlinienbestimmungen als verbindliche Ober- oder Untergrenze für nationale Regelungen aus der betreffenden Vorschrift selbst mehr oder minder klar hervorgeht, ist das bei der Mehrzahl der Richtlinienregelungen nicht der Fall. Dennoch läßt sich eine generelle Aussage etwa des Inhalts, daß solche Richtlinien mangels einer ausdrücklichen Regelung stets nur einen Mindeststandard enthalten oder aber stets als Obergrenze oder gar als eine abschließende, keine abweichende nationale Regelung zulassende Festlegung anzusehen sind, nicht treffen. [771] Die Einordnung als stets abschließende Regelung ließe unberücksichtigt, daß die Richtlinie nicht der Rechtsvereinheitlichung, sondern der Harmonisierung, der Annäherung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten dient29. Daß einzelne Richtlinienbestimmungen gleichwohl einen sehr konkreten Normsetzungsauftrag ohne Abweichungsspielraum enthalten können30, spricht nicht dagegen. Es kann durchaus sein, daß zur Erreichung des Ziels einer Richtlinie nur ein einziger Weg möglich ist31; das aber wird eher selten der Fall und gewiß nicht die Regel sein. Selbst eine detaillierte Richtlinie, wie die zum Schutz bestimmter Tierarten32, will nicht etwa eine abschließende Regelung des Inhalts treffen, daß der nationale Gesetzgeber andere Tierarten nicht schützen darf.

29 Grabitz/Langeheine, Kommentar zum EWG-Vertrag, Band 1, Art. 100 Rz. 1 ff., 6 ff.; von der Groeben/Thiesing/Ehlermann/Taschner, Kommentar zum EWG-Vertrag, Band 2, 4. Auflage 1991, Art. 100 Rz. 1 ff., 7 ff.; Lutter, (Fn. 2), S. 4 f.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, 4. Auflage 1993, S. 342; Fichna, RIW 1988, S. 887 ff. (889); erhellend ist auch ein Vergleich der verschiedenen sprachlichen Fassungen: englisch: approximation; französisch: rapprochement; italienisch: ravvicinamento. 30 Vgl. nur Art. 11 Abs. 1 der 1. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, (Fn. 10), und Art. 22 Abs. 1 der 3. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, (Fn. 11). 31 EuGH, RS C 38/77, Enka, Slg. 1977, S. 2203 ff.; EuGH, RS C 148/78, Ratti, Slg. 1979, S. 1629 ff. (1642 f.). 32 Richtlinie über die Erhaltung wildlebender Vogelarten vom 2.4.1979, ABl. EG L 103/1 vom 25.4.1979.

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Andererseits: Richtlinien bestehen nicht um ihrer selbst willen. Rechtsangleichung dient vor allem der Verwirklichung des Binnenmarkts und seiner Freiheiten, hat mithin dienende Funktion. In diesem Sinne müssen Richtlinien also auch hinsichtlich des Umfangs ihrer Sperrwirkung ausgelegt werden32a. 2. Die Bedeutung der Rechtsgrundlage und der Ziele des EGV für die hier erörterte Frage a) Auf Art. 100 EGV gestützte Richtlinien (1) Richtlinien, die sich auf Art. 100 EGV stützen, sollen solche Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen beseitigen, die das Funktionieren des Binnenmarktes stören. Daher wird die Ansicht vertreten, daß solche Richtlinien stets Höchst- und Mindeststandard zugleich seien33. Diese Meinung läßt jedoch außer acht, daß die Ziele des EGV vielschichtig sind und in aller Regel nicht so einfach voneinander isoliert werden können. Sie stehen nämlich – ähnlich den Eckpunkten des Stabilitätsgesetzes34 oder den Grundrechten des Grundgesetzes – in einem Spannungsverhältnis zueinander, das ständige gegenseitige Beeinflussung und [772] auch wechselseitige Beschränkungen in der Verfolgung der betreffenden Ziele bedingt – je nachdem welches Ziel im Vordergrund steht und welche anderen Ziele auch bzw. in welcher Art und Weise und in welcher Intensität betroffen sind35: Freiheit des Kapitalverkehrs erfordert (beschränkende) Aufsicht, Freiheit des Zahlungsverkehrs schließt Kontrollen nicht aus etc. Dieser Sicht widerspricht auch nicht etwa das Urteil des EuGH in der Sache Cremonini36. Dort ging es um strengere Vorschriften des nationalen Rechts gegenüber den Regeln der auf Art. 100 EGV gestützten Richtlinie 73/23/EWG. Der EuGH entschied, daß die Richtlinie ihrer Funktion beraubt würde, „wenn die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sich bei der Ausübung der ihnen vorbehaltenen Befugnis hinsichtlich der Form und der Mittel zur Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der durch die Richtlinie gezogenen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums bewegten, da jede Überschreitung dieser Grenzen neue Ungleichheiten und damit neue Handelshemmnisse verursachten sowie als Folge hiervon de(n) freie(n) Warenverkehr auf

32a Ähnlich Furrer (Fn. 4), S. 183 ff., 191, der allerdings zusätzlich und insoweit einer Unterscheidung Steindorffs folgend (Grenzen der EG-Kompetenzen, Beiheft 65 der ZHR, 1990), zwischen binnenmarktbezogenen („reaktiven“) und sonstigen („aktiven“) Richtlinien unterscheidet. 33 Bleckmann, Europarecht, 5. Auflage 1990, Rz. 172; Magnus, JZ 1990, S. 1100 ff. (1103). 34 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967, BGBl. 1967 I, S. 582. 35 Dazu für das Versicherungsrecht: Roth, RabelsZ 54 (1990), S. 63 ff. (111 ff.). 36 EuGH, RS C 815/79, Cremonini und Vrankovich, Slg. 1980, S. 3583 ff.

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einem Gebiet verhindern könnte, auf dem der Gemeinschaftsgesetzgeber die Vorkehrungen getroffen hat, um ihn zu gewährleisten“37.

Diese Ausführungen sind zutreffend. Sie sagen gerade nicht, daß jede auf Art. 100 EGV gestützte Richtlinie Sperrwirkung nach oben und nach unten habe, sondern sprechen von den „durch die Richtlinie gezogenen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums“. In concreto ergab sich das aus Art. 9 der Richtlinie, der ein bestimmtes Vorgehen für den Fall vorschreibt, daß ein Mitgliedstaat strengere Anforderungen stellen möchte. (2) Die Frage, ob eine auf Art. 100 gestützte Richtlinie Standards festschreibt, die der nationale Gesetzgeber weder über- noch unterschreiten darf, wird auch an mehreren Stellen der Produkthaftungsrichtlinie bedeutsam. So schreibt Art. 9 lit. b) eine Haftung für Sachschäden nur vor, wenn der Schaden 500 ECU übersteigt und wenn die beschädigte Sache ihrer Art nach für den privaten Ge- und Verbrauch bestimmt ist sowie vom Geschädigten auch tatsächlich und hauptsächlich privat ge- bzw. verbraucht worden ist. Hat dies nun etwa zur Folge, daß die Mitgliedstaaten eine Haftung nach den Grundsätzen der Richtlinie nicht auch auf Sachen ausweiten können, die zwar generell zum privaten Gebrauch dienen, aber nicht hauptsächlich privat eingesetzt worden sind? Kann der nationale Gesetzgeber auf die Selbstbeteiligung verzichten? Bei der Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur auf die Rechtsgrundlage des Art. 100 EGV und das damit verbundene Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes, sondern eben auch auf das Ziel des Verbraucherschutzes (Art. 129a EGV) abzustellen. Auch wenn Art. 129a EGV erst durch den Maastrichter Unionsvertrag in den EGV eingefügt worden ist, steht das seiner Berücksichtigung bei Beantwortung der Frage nicht entgegen, ob die [773] Richtlinie Abweichungen zuläßt oder nicht: Es gilt ganz allgemein der Grundsatz der dynamischen Auslegung des Gemeinschaftsrechts38 und der Schutz der Verbraucher39 ist speziell im 1. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie ausdrücklich angesprochen. Das Beispiel zeigt deutlich, daß man sich nicht auf einfache Lösungen zurückziehen kann: Binnenmarkt und Verbraucherschutz stehen hier in Antinomie. Und auch die Tatsache, daß die Richtlinie ein geschlossenes Haftungssystem enthält, zwingt nicht dazu, ihre Vorgaben als absolute Sperre „nach oben“ anzusehen40. Ein solches Verbot der Abweichung „nach oben“ käme zwar der ErEuGH, RS C 815/79, Cremonini und Vrankovich, Slg. 1980, S. 3583 ff. (3607). Vgl. EuGH, RS C 148/77, Hansen, Slg. 1978, S. 1787 ff. (1806); EuGH RS C 204/90, Bachmann, Slg. 1992, S. 249 ff. (283); Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 5/72, S. 131; Meyer, JURA 1994, S. 455 ff. (457); Blomeyer, NZA 1994, S. 633 ff. (636); teilw. krit.: Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 266, 500. 39 Damit sind alle Endabnehmer gemeint. 40 So aber Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, Kommentar, 2. Auflage 1990, Einführung Rz. 165; Magnus, JZ 1990, S. 1100 ff. (1103). Furrer (Fn. 4), S. 181 stellt hier darauf ab, ob sich die Abweichung primärrechtlich rechtfertigen läßt. 37 38

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leichterung des Binnenmarktes und der Wettbewerbsgleichheit zugute; aber dem steht das Ziel des Verbraucherschutzes gegenüber. Daher dürfte es zulässig sein, daß einzelne Mitgliedstaaten zugunsten (teil-)gewerblicher Endverbraucher von dem Erfordernis der tatsächlichen hauptsächlichen privaten Verwendung einer beschädigten Sache absehen, wenn diese jedenfalls objektiv ihrer Art nach zum privaten Gebrauch bestimmt ist. Denn für den Hersteller von Glühbirnen kann es unter Wettbewerbsgesichtspunkten keinen Unterschied machen, ob die zu ersetzende Lampe im häuslichen Arbeitszimmer (kein hauptsächlich privater Gebrauch) oder im Wohnzimmer (dann wohl) steht. Anders sieht es im Hinblick auf die Selbstbeteiligung aus: Unser Glühbirnenhersteller braucht in einem Binnenmarkt, in dem er die Export- und Importströme nicht mehr lenken kann und will, die Gewißheit, daß er für kleinere Sachschäden nirgends verschuldensunabhängig haften muß. b) Auf Art. 100a EGV gestützte Richtlinien Eine andere Beurteilung ist möglicherweise bei Richtlinien geboten, die auf Art. 100a EGV gestützt sind: Dessen Abs. 4 räumt den (überstimmten) Mitgliedstaaten das Recht ein, strengere nationale Regelungen einzuführen bzw. beizubehalten, die durch Erfordernisse im Sinne des Art. 36 EGV, des Schutzes der Arbeitsumwelt oder des Umweltschutzes gerechtfertigt sind. Daraus könnte man schließen, die auf Art. 100a EGV gestützte Richtlinie enthalte Regelungen, von denen nur nach Maßgabe des Verfahrens nach Art. 100a Abs. 4 EGV abgewichen werden könne, enthalte also das Gebot zu totaler Harmonisierung. Andererseits könnte man die Vorgabe auch dahin verstehen, Richtlinien dürften auch eine bloß optionelle Harmonisierung bezwecken mit der Folge, daß die Mitgliedstaaten für den innerstaatlichen Bereich höhere Anforderungen festlegen können, sie jedoch gehindert sind, ausländische Produkte, die den Anforderungen der Richtlinie [774] nicht entsprechen, vom Markt fernzuhalten41: Inländerdiskriminierung ist nicht verboten42. Die Frage stellt sich deutlich bei Betrachtung der Maschinenschutzrichtlinie43: Einerseits soll sie Maschinen, die in einem Mitgliedstaat hergestellt werden, 41 Vgl. dazu Becker, Der Gestaltungsspielraum der EG-Mitgliedstaaten im Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und freiem Warenverkehr, 1991, S. 105. 42 Vgl. z. B. EuGH RS C 35/82, Morson, Slg. 1982, S. 3723; EuGH RS C 98/86, Mathot, Slg. 1987, S. 809; EuGH RS C 132/93, Steen II, Slg. 1994, S. 2715; Ipsen, (Fn. 38), 30/11, S. 599; Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 1237 ff.; Weis, NJW 1983, S. 2721 ff.; Götz, JZ 1994, S. 1061 f. m. w. N. Dieser Grundsatz gilt nicht uneingeschränkt. Im Hinblick auf die Personenverkehrsfreiheit hat der EuGH entschieden, daß eine Inländerdiskriminierung grundsätzlich unzulässig ist, vgl. nur EuGH RS C 175/78, Saunders, Slg. 1979, S. 1129 ff.; EuGH, RS C 115/78, Knoors, Slg. 1979, S. 399 ff. 43 Richtlinie 89/392/EWG vom 14. Juni 1989, ABl. L 183/9 vom 29.6.1989. Vgl. dazu: Coen, in: Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 1861 f.

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in der Gemeinschaft verkehrsfähig machen, mit der Konsequenz, daß der nationale Gesetzgeber für Importe keine strengeren Anforderungen wird festlegen dürfen44 – insofern also ein Höchststandard vorliegt. Andererseits soll sie, obwohl auf Art. 100a EGV und nicht auf Art. 118a EGV gestützt, auch die Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten, die mit den Maschinen umgehen45; wäre dies der alleinige Geltungsgrund wäre man geneigt, ihre Vorschriften als Mindeststandard zu verstehen; denn Art. 118a Abs. 2 EGV legt ausdrücklich fest, daß zur Verbesserung der Arbeitsumwelt nur Mindestvorschriften erlassen werden sollen, und darüber hinaus erlaubt Abs. 3 zum Schutz der Arbeitnehmer weitergehende nationale Normen. Dieses Spannungsverhältnis wird durch Art. 3 lit. g) EGV zum Spannungsdreieck: Der Wettbewerb soll vor Verfälschungen geschützt werden. Was bedeutet all das für die Maschinenschutzrichtlinie und die Frage nach dem Umfang ihrer Sperrwirkung? Ihr Beispiel macht erneut deutlich, daß es keine einfache Lösung der Frage gibt; denn durchaus unterschiedliche Vertragsziele sind hier zum Ausgleich zu bringen und keinem von ihnen kann man einfach die Priorität einräumen. Das übersehen Steindorff und ihm folgend Furrer mit ihrer zwar übersichtlichen und erhellenden, in der Realität aber zu einfachen Aufteilung in aktive und reaktive Rechtsangleichung45a. Die Lösung ist darin zu sehen, daß die Vorschriften der Richtlinie für den Warenverkehr als Höchst- und Mindeststandards zugleich aufzufassen sind, daß aber der nationale Gesetzgeber frei ist, für Sachverhalte ohne Auslandsberührung im Interesse des Arbeitnehmerschutzes höhere Standards vorzuschreiben46. Daraus resultierende Diskriminierungen inländischer Hersteller, die höhere nationale Standards einhalten müssen, werden teilweise durch Wettbewerbsvorteile aufgewogen, da sie mit besonders sicheren Maschinen [775] werben können, und müssen im übrigen aus europarechtlicher Sicht auch (vorläufig noch) hingenommen werden. Das Problem der Inländeroder umgekehrten Diskriminierung kann vorläufig nur auf nationaler Ebene – in Deutschland über Art. 3 GG – gelöst werden47.

44 Dann wird man auch die Berufsgenossenschaften, die für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung die Anforderungen an Arbeitsmittel und Arbeitsplatzgestaltung festlegen, als auf die Standards der Richtlinie verpflichtet ansehen müssen, mit der Folge, daß sie ihren Mitgliedsbetrieben keine strengeren Auflagen machen dürfen. 45 Vgl. nur den 1. und 4. Erwägungsgrund. 45a Vgl. die Nachweise oben Fn. 32a. 46 In diesem Sinne ist wohl auch Art. 4 Abs. 1 i.V.m. dem 10. Erwägungsgrund der Richtlinie zu verstehen. 47 Zur Inländerdiskriminierung vgl. die Nachweise bei Fn. 42, sowie Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 871 ff.

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c) Auf Art. 54 EGV gestützte Richtlinien Die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien sind in aller Regel auf Art. 54 Abs. 3 lit. g) EGV gestützt. Zielrichtung der hierauf gestützten Rechtsangleichung ist es, die per se bestehende Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften (Art. 52, 58 EGV) zu flankieren: Insbesondere aus der Sicht der Mitgliedstaaten war die Niederlassungsfreiheit und damit eine Öffnung für ausländische Gesellschaften nur dann hinnehmbar, wenn eine Angleichung des Schutzniveaus für Gesellschafter und Gläubiger erfolgen würde48. Ausweislich des Wortlauts von lit. g) dienen die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien dem Schutz der Gläubiger und der Gesellschafter von Personen- und Kapitalgesellschaften. Daraus könnte man schließen, daß sie lediglich Mindeststandards enthalten49. Andererseits steht Art. 54 EGV im Kapitel Niederlassungsfreiheit; deren Verwirklichung fordert zwar für sich allein betrachtet gemäß Art. 52 Abs. 2 EGV nur eine Inländergleichbehandlung. Aber der Binnenmarkt könnte dazu führen, daß die Niederlassungsfreiheit jedenfalls nunmehr als Beschränkungsverbot zu verstehen ist und strengere nationale Regelungen – ähnlich wie im Bereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrs – nur noch dann gerechtfertigt sind, wenn der Mitgliedsstaat ein zwingendes Allgemeininteresse an der Regelung nachweist50. Anders als bei den eben genannten Freiheiten verändert aber der Niederlassungswillige seinen Produktionsstandort auf Dauer, um die Bedingungen, die ihm der neue Standort bietet, in Anspruch zu nehmen. Dann aber muß er auch die Vorschriften dieses Mitgliedstaates in Kauf nehmen, vorausgesetzt, sie diskriminieren ihn nicht. Eine Regel nach Art einer Rosinentheorie, wonach alle für ihn angenehmen und vorteilhaften Regeln des Herkunftslandes auch im Niederlassungsland gelten müßten, läßt sich aus Art. 52 EGV nicht herleiten. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 5 EGV: Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, alles einzelstaatliche Recht gemeinschaftsfreundlich auszugestalten und auszulegen, mit der Folge, daß störende Abweichungen, die den Übergang von einer Rechtsordnung in die andere erschweren, nur noch ausnahmsweise, d.h. bei nachgewiesenem Allgemeininteresse zulässig wären51. Und auch Art. 3 lit. c) [776] EGV verpflichtet zwar zur Schaffung eines Binnenmarktes im Hinblick auf die Freiheit des Personenverkehrs und damit auch der Niederlassung und beeinflusst so letztlich auch die Auslegung von Art. 52 EGV. Aber das gilt alles nur nach Maßgabe des EGV. Mit anderen Worten: die Art. 3, 5 und 52 EGV stehen zueinander in Wechselwirkung, jede dieser Vorschriften muß im 48 Vgl. Timmermans, RabelsZ 48 (1984), S. 1 ff. (13); zu weiteren Gründen vgl. Lutter, in: Semler u. a. (Hrsg.), Reformbedarf im Aktienrecht, 1994, S. 121 ff. 49 So z. B. Bleckmann, BB 1984, S. 1525 f. (1525). 50 So Steindorff, EuR 1988, S. 19 ff. und Behrens, RabelsZ 52 (1988), S. 498 ff. (512). 51 So auch von der Groeben/Thiesing/Ehlermann/Troberg, Kommentar zum EWGVertrag, Band 1, 4. Auflage 1991, Art. 52 Rz. 37 f.

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Lichte der anderen ausgelegt werden, eine Methode, die dem deutschen Rechtsanwender – Stichwort: Wechselwirkung der Grundrechte – vertraut ist. Bezogen auf die Niederlassungsfreiheit bedeutet das, daß ein Niederlassungswilliger nicht von den allgemeinen Marktzutrittskosten entlastet werden soll, zu denen neben der fremden Sprache auch die fremde Rechtsordnung gehört. Er soll vielmehr nur vor offenen oder auch verschleierten Diskriminierungen, d.h. solchen Normen geschützt werden, die einen Ausländer stärker als einen Inländer belasten52. Eine weitergehende Auslegung der Niederlassungsfreiheit wird von Art. 52 EGV – vergleicht man seinen Wortlaut mit Art. 30, 36, 59 und 100a Abs. 4 EGV – nicht verlangt. Für diese Lösung, die letztlich bedeutet, daß auf Art. 54 lit. g) EGV gestützte Richtlinien in aller Regel lediglich Mindeststandards setzen, wenn sie keine ausdrücklich andere Anordnung treffen, spricht auch, daß damit dem Wettbewerb in der Gemeinschaft ein weiteres Feld eröffnet wird: Dem Wettbewerb der Rechtsordnungen53. Jedem Marktbürger (dazu zählen selbstverständlich auch die Unternehmen und Gesellschaften) wird die Wahl einer ihm genehmen Rechtsordnung ermöglicht, zu der ihm – und dies ist die wahre Bedeutung der Niederlassungsfreiheit – ungehindert Zugang gewährt werden muß. Der in den Anfangsjahren der EG befürchtete Delaware-Effekt wird durch die Mindestharmonisierung vermieden und die volkswirtschaftlich sinnvolle Allokation der Ressourcen gewährleistet54. 3. Erste Zusammenfassung Nach dem soeben Gesagten wird eine auf Art. 100 oder 100a EGV gestützte Richtlinie im Zweifel keine vollständige Harmonisierung anstreben; etwas anderes mit der Folge, daß jedes Abweichen nach oben oder unten verboten ist, gilt nur dann, wenn sich das klar aus dem Wortlaut oder der Zielsetzung bzw. den entsprechenden Erwägungsgründen der Richtlinie ergibt. Im übrigen wird auch unter noch so starker Betonung des Binnenmarkts höchstens eine optionelle Harmonisierung angestrebt sein, mit der Folge, daß die Richtlinie für Importe, ausländi- [777] sche Dienstleister etc. verbindliche Standards setzt, die Mitglied52 EuGH, RS C 96/85, Kommission ./. Frankreich, Slg. 1986, S. 1475 ff.; EuGH, RS C 71/76, Thieffry, Slg. 1977, S. 765 ff.; EuGH, RS C 16/78, Choquet, Slg. 1978, S. 2293 ff. Das in diesem Zusammenhang häufig erwähnte Urteil Klopp (RS C 10/83, Slg. 1984, S. 2971 ff. [2989 f.]) betrifft weniger die Frage des Verbots von Beschränkungen, sondern die Gewährleistung der sekundären Niederlassungsfreiheit durch Errichtung einer Zweigniederlassung; vgl. zu den Aussagen des Urteils Klopp auch Everling, in: DB 1990, S. 1853 ff. (1855 f.); Roth, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, E I Rz. 63; ders., RabelsZ 54 (1990), S. 63 ff. (83). 53 Vgl. Eyles, Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft, 1990, S. 32 f. 54 Im Ergebnis ähnlich: Roth, RabelsZ 54 (1990), S. 63 ff. (71).

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staaten jedoch für Sachverhalte mit reinem Inlandsbezug höhere Anforderungen stellen können55. Auf Art. 54 EGV und im Zweifelsfall auch auf andere Rechtsgrundlagen gestützte Richtlinien enthalten Mindeststandards. Für dieses Verständnis sprechen neben den soeben dargestellten Gründen auch Praktikabilitätsgesichtspunkte; denn Richtlinien bewirken in ihrem Regelungsbereich ein Standstill-Gebot an den nationalen Gesetzgeber56; enthält aber die Richtlinie nur Mindestgebote, so gilt die Sperre nicht für Ergänzungen und Verschärfungen. Wird dann aufgrund veränderter wirtschaftlicher oder sozialer Umstände eine Änderung notwendig, so kann das durch nationale Regeln geschehen. Wer um das Gesetzgebungsverfahren der EU weiß, kennt die lange Dauer vom Entwurf der Kommission bis zum Beschluß des Europäischen Rates. Dieser langwierige Prozeß57 wird entbehrlich, wenn die Richtlinie nur Mindestvorgaben enthält: Der nationale Gesetzgeber kann flexibel auf geänderte Umstände reagieren. 4. Zusätzliche Aspekte im ungeschriebenen Recht a) Allgemeine Rechtsgrundsätze (1) Für das Verständnis einer Richtlinie und die Frage ob sie nur Mindeststandards enthält oder ob sie eine Festlegung im Sinne eines Einheitsstandards anstrebt, sind auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze58 von Bedeutung. Zunächst einmal sind diese Grundsätze Bestandteil des Rechts der EG und der EU59. Man kann das in gewisser Weise aus Art. 215 Abs. 2 EGV entnehmen60. Vor allem aber gelten für die EG als supranationaler Organisation auch die Regeln des Völkerrechts61. Dort aber ist anerkannt, daß solche allgemeinen Rechtsgrundsätze als

55 Vgl. dazu Schwartz, in: Festschrift von der Groeben, 1987, S. 333 ff. (357); Roth, in: Current Issues of Cross-Border Establishment of Companies in the European Union, Maastricht, 1995. 56 Vgl. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S. 14 f., 37; Lutter, (Fn. 2), S. 17 ff.; Furrer, (Fn. 4), S. 90 ff. 57 Neuere Richtlinien sehen im Hinblick auf ihre Änderung ein vereinfachtes Verfahren vor, vgl. auch schon die Entschließung des Rates vom 28.5.1969 über die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse im Warenverkehr an den technischen Fortschritt, ABl. EG C 76/8. 58 Dazu ausführlich m.w.N.: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, 1993, S. 241 f.; Oppermann, Europarecht, 1991, Rz. 404 ff. 59 Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, (Fn. 58), S. 188 f., 240 ff. 60 Art. 215 Abs. 2 EGV lautet: „Im Bereich der außervertraglichen Haftung ersetzt die Gemeinschaft den durch ihre Organe … verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.“ 61 Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, (Fn. 58), S. 184; Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 347 ff.; Oppermann, (Fn. 58), Rz. 408.

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Teil des geltenden Völkerrechts existieren62 – mag sich ihr Inhalt auch nur aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen der nationalen Rechte von Staaten einer bestimmten Region gewinnen lassen. [778] Schließlich ist zu bedenken, daß durch Richtlinien europäischen Rechts Einfluß auf das innerstaatliche nationale Recht genommen wird; in allen Mitgliedstaaten aber gelten allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts, wie das Gebot von pacta sunt servanda, das Umgehungsverbot und das Verbot des venire contra factum proprium63 und – ganz allgemein – das Gebot von Treu und Glauben64. Allgemeine Rechtsgrundsätze, die im wesentlichen in allen Mitgliedstaaten gleich sind, werden zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen des EG-Rechts, die auf Primärrechtsebene angesiedelt sind65. Und schließlich läßt sich für das Umgehungsverbot sogar eine Verankerung im EGV selbst nachweisen: So verbietet Art. 30 EGV mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung und formuliert auf diese Weise nichts anderes als ein ausdrückliches Umgehungsverbot auf Ebene des Primärrechts. (2) Das alles bedeutet nun: Die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten, soweit sie im wesentlichen übereinstimmen, sind Teil der Rechtsordnung der EG; sie beeinflussen mithin auch das von ihr gesetzte sekundäre Recht. Das ist die Betrachtung „von oben“. Andererseits wirkt das europäische Gemeinschaftsrecht der Richtlinie nun seinerseits auf die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ein, die ihrerseits und vor allem im Zivilrecht zahlreiche und meist ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze enthalten. Das ist die Betrachtung „von unten“. Beide Betrachtungen zusammen führen zu dem Ergebnis, daß die Richtlinien der EG solche Grundsätze, wenn nicht selbst enthalten und „transportieren“, so doch auf jeden Fall deren Fortgeltung im nationalen Anwendungsbereich der Richtlinie nicht sperren: Es wäre ja merkwürdig genug, wenn europäisches Gemeinschaftsrecht mehr oder minder allgemein solche wichtigen Regeln des nationalen Rechts aussperren wollte. Von ihrer Fortgeltung auch und gerade im Anwendungs- und Umsetzungsbereich einer Richtlinie ist mithin auszugehen, soweit diese Grundsätze nicht ausnahmsweise in einen klaren Widerspruch zur betreffenden Richtlinie und ihrer Zielsetzung geraten. (3) Ungeklärt ist die Frage, ob man den Inhalt von Richtlinien im Bereich des Zivilrechts stets um einen ungeschriebenen Teil mit solchen allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu „verlängern“ oder von einer Duldung dieser Grundsätze je in der Ausprägung des nationalen Rechts auszugehen hat. Das ist durchaus von Belang. Im ersteren Falle würden die Grundsätze auf EG-(Primär-)Rechtsebene definiert und der EuGH könnte ihre konkrete Ausformung bestimmen und abweichende Vgl. Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 282 ff. Vgl. dazu u. a. EuGH, RS C 8/81, Becker, Slg. 1982, S. 53 ff. 64 Vgl. nur EuGH RS C 44/59, Fiddelaar, Slg. 1960, S. 1115 ff. (1139). 65 Vgl. Lukes, in: Dauses, (Fn. 52), B II, Rz. 44. 62 63

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Entwicklungen in einzelnen nationalen Rechten stoppen – soweit sie auf die Auslegung der Richtlinie Auswirkungen haben – und insoweit als richtlinienwidrig ansehen; dabei würde gewiß nicht der kleinste gemeinsame Nenner maßgebend [779] sein, sondern – wie der EuGH es treffend für die Grundrechte entschieden hat66 – die für das Recht der EG und die Ziele der Harmonisierung effektivste und möglichst gerechte Ausgestaltung67. Die letztere Lösung – Öffnung der Richtlinie für die nationalen Rechtsgrundsätze – würde dazu führen, daß diese je in ihrer nationalen Ausprägung vom EGV und von der Richtlinie als richtliniengemäß akzeptiert werden. Aus dem Sinn und Zweck der Rechtsangleichung ist indes zu folgern, daß man bei Auslegung der Richtlinie primär die EG-rechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsätze berücksichtigen muß. Die nationalen allgemeinen Rechtsgrundsätze kommen nur insoweit zum Zuge, als es um die Auslegung des angeglichenen Rechts geht und da auch nur insoweit, als sie den geschriebenen und ungeschriebenen Regelungen der Richtlinie nicht widersprechen. Wäre dem nicht so, würde die Richtlinie je nach Ausgestaltung der allgemeinen Rechtsgrundsätze in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt: In Mitgliedstaat A besteht ein Umgehungsverbot dergestalt, daß eine Umgehungsabsicht erforderlich ist, in Mitgliedstaat B reicht eine objektive Umgehung aus – das Ziel der Rechtsangleichung wäre verfehlt. (4) Die Bedeutung des EG-rechtlichen Umgehungsverbots für nationales Recht wird am Beispiel des Streits um die Vereinbarkeit der deutschen Lehre von der verdeckten Sacheinlage mit der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie deutlich. Während der Generalanwalt Tesauro68 und mit ihm ein Teil der Literatur69 die Regelungen der Richtlinie als Einheitsstandards betrachtet, geht man in Deutschland überwiegend davon aus, daß die 2. Richtlinie mangels besonderer Anordnungen nur Mindeststandards oder gar selbst ein Umgehungsverbot enthält und damit die Lehre von der verdeckten Sacheinlage mindestens zuläßt70. Akzeptiert man die These, daß dem EG-Recht selbst ein Umgehungsverbot immanent ist, so gelangt man zu der (vorläufigen) Folgerung, daß die Rechtsfigur der verdeckten Sacheinlage als Umgehung der Sacheinlagekautelen von der Richtlinie mindestens erlaubt, wenn nicht gar geboten ist. Etwas anderes könnte sich aber daraus erge66 Vgl. dazu die umfangreichen Nachweise bei Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, (Fn. 58), S. 243 f.; sowie Bleckmann, (Fn. 33), Rz. 296; Oppermann, (Fn. 58), Rz. 411 ff. 67 Vgl. EuGH, RS C 110/75, Mills, Slg. 1976, S. 955 ff.; EuGH, RS C 155/79, AM & S Europe Ltd., Slg. 1982, S. 1575 ff. 68 In den Schlußanträgen zur RS C 83/91, Meilicke, Slg. 1992, S. 4907 ff. 69 Meilicke, Die „verschleierte“ Sacheinlage – eine deutsche Fehlentwicklung –, 1989, S. 98 ff.; kritisch auch: Knobbe-Keuk, DB 1990, S. 2573 ff. (2582 ff.). 70 Vgl. BGHZ 110, 47; Lutter/Gehling, WM 1989, S. 1445 ff.; Ebenroth/Kräutter, DB 1990, S. 2153 ff. (2156); Frey, ZIP 1990, S. 288 ff. (294); Joost, ZIP 1990, S. 549 ff. (565 f.); Groß, AG 1991, S. 217 ff. (221 f.); Wiedemann, ZIP 1991, S. 1257 ff. (1268 f.).

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ben, daß ein Fall der Umgehung dieser Vorschriften in Art. 11 der 2. Richtlinie eine ausdrückliche Regelung erfahren hat71. Kann man aber aus der Tatsache daß ein einzelner Umgehungsfall in der Richtlinie ausdrückliche Regelung erfahren hat, bereits schließen, daß andere Umgehungsfälle damit erlaubt sind? Die Frage ist gewiß zu verneinen: Der EG-Gesetzgeber wollte durch Schaffung der [780] Nachgründungsvorschriften einen besonders wichtigen Fall ausdrücklich regeln, weil eine AG nicht selten gerade in den beiden ersten Jahren nach ihrer Gründung zu Manipulationen mißbraucht wird. Im übrigen ist zu bedenken, daß die Richtlinienvorschrift im Verhältnis zu den Grundsätzen der verdeckten Sacheinlage einerseits weiter und andererseits enger ist: während der zeitliche Rahmen der Nachgründung ausgedehnt wird (zwei Jahre statt enger zeitlicher Zusammenhang) wird der sachliche Anwendungsbereich eingeschränkt (Volumen mindestens 10% des Grundkapitals und nur in Zusammenhang mit der Gründung). Entscheidend aber ist die Begründung der Kommission zu den Nachgründungsregeln: „Sicherlich kann man Mittel und Wege finden, auch das in Art. 8 [Art. 8 des Entwurfs betrifft die heute in Art. 10 geregelten Sachgründungsvorschriften] vorgesehene Verfahren zu umgehen; es kann aber den nationalen Gesetzgebern, nachdem sie das Verfahren in ihr Recht übernommen haben, überlassen bleiben, es gegebenenfalls weiter auszubauen“72.

Demnach sollten die Nachgründungsregeln gerade keine abschließende Regelung für das Problem der Umgehung von Sacheinlagevorschriften darstellen73. b) Ungeschriebene Obergrenzen Enthält eine Richtlinie nur Mindeststandards, so sind die Mitgliedstaaten frei zu strengeren und ergänzenden nationalen Regelungen. Diese Freiheit ist aber nicht grenzenlos: Art. 5 EGV verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue und damit auch zu einer mit den Zielen der Gemeinschaft konformen nationalen Gesetzgebung. Daher sind nicht nur die Verwirklichung der Grundfreiheiten bei der Umsetzung der Richtlinie und bei Schaffung strengeren Rechts in ihrem Regelungsbereich stets zu beachten, sondern auch alle anderen Ziele, wie das Funktionieren des Binnenmarkts insgesamt und die Sicherung eines wirksamen Wettbewerbs. Anders gewendet: Auch dann, wenn eine Richtlinie strengere nationale Normen erlaubt, ist ihr doch eine Obergrenze immanent74.

Der Fall der sog. Nachgründung, vgl. etwa § 52 AktG im deutschen Recht. ABl. C 48/11 vom 24.4.1970. 73 Insoweit zutreffend Ebenroth/Neiß, BB 1992, S. 2085 ff. (2088); die weitergehende Annahme von Ebenroth/Neiß, durch die Erläuterung der Kommission sollte nur klargestellt werden, daß die Mitgliedstaaten ermächtigt werden sollten, strengere Vorschriften in Hinblick auf die offene Sacheinlage zu erlassen, entbehrt der Grundlage. 74 Kritisch dazu Timmermans, RabelsZ 48 (1984), S. 1 ff. (29). 71 72

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Neben dieser immanenten rechtlichen Obergrenze bestehen aber auch politische und psychologische Hindernisse für die Mitgliedstaaten, über das von der Richtlinie Geforderte „unmäßig“ hinauszugehen: Sei es, daß Interessengruppen besondere Begründungen für das „mehr“ im nationalen Recht verlangen, sei es, daß die Betroffenen zu Recht Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten befürchten75. [781] V. Stand-still und Änderung des nationalen Rechts im Regelungsbereich der Richtlinie Der nationale Gesetzgeber ist gehindert, Normen seines nationalen Rechts, die dem Angleichungsziel einer Richtlinie entsprechen, richtlinienwidrig zu ändern76. Das liegt im Grunde auf der Hand: Wie Art. 189 Abs. 3 EGV zur Angleichung des nationalen Rechts an die Vorgaben der Richtlinie verpflichtet (Gebot), so enthält die Vorschrift incidenter auch das Verbot, das richtlinienkonforme nationale Recht durch spätere Rechtssetzungsakte richtlinienwidrig abzuändern77. Diese klare und im Grunde unbestrittene Sperrwirkung der Richtlinie gilt aber nur gegenüber richtlinienwidrigem neuem nationalen Recht; hält sich die beabsichtigte Änderung im Rahmen der von der Richtlinie eröffneten Spielräume, so besteht auch noch lange nach der Umsetzung der Richtlinie für den nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, entsprechende Änderungen und Ergänzungen seines nationalen Rechts vorzunehmen78. Diese Spielräume sind nach dem EG-Recht im Zeitpunkt der nationalen Änderungsgesetzgebung zu beurteilen. Hatte die ursprüngliche Richtlinie weite Spielräume gegeben, eine Änderung der Richtlinie diese aber eingeschränkt79, so gilt nun die engere Grenze. Darüber hinaus kann es aber sein, daß sich die Spielräume im Laufe der Zeit durch die fortschreitende Integration auch ohne förmliche Änderung der Richtlinie verändert haben. So unterscheiden Art. 9 und 10 der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zwischen Bar-Leistung und Sacheinlage auf das Kapital einer Aktiengesellschaft, enthalten aber keine Regelung zu der Frage, Vgl. dazu Niessen, RabelsZ 48 (1984), S. 81 ff. (115). Vgl. Lutter, (Fn. 2), S. 17 ff.; Lukes, in: Dauses, (Fn. 52), B II, Rz. 67; kritisch: Kötz, RabelsZ 50 (1986), S. 1 ff. (10 f.). 77 Vgl. EuGH, RS C 19 und 20/90, Karella und Karellas, Slg. 1991, S. 2691 ff.; Lutter, (Fn. 2), S. 17 ff. 78 Vgl. Timmermans, RabelsZ 48 (1984), S. 1 ff. (7). 79 So etwa die Änderung der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie durch die Richtlinie 92/101/EWG vom 23.11.1992, ABl. EG L 347/64 vom 28.11.1992, mit dem Ziel, ab jetzt auch den Erwerb von Aktien des herrschenden Unternehmens durch ein abhängiges Unternehmen zu regeln; vgl. dazu Kindl, ZEuP 1994, S. 77 ff. 75 76

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ob die Aufrechnung korrekte Bar-Leistung ist – wovon viele nationale Rechte in der EG ausgehen80 – oder Sacheinlage, wie nach deutschem Recht auf dem Hintergrund des ausdrücklichen Aufrechnungsverbots nach § 66 AktG. Da der Richtliniengesetzgeber um die unterschiedliche Behandlung der Aufrechnung in den nationalen Rechten wußte81, gleichwohl aber keine ausdrückliche Regelung getroffen hat, konnte man bei Erlaß der Richtlinie im Jahre 1976 davon ausgehen, daß der nationale Gesetzgeber insoweit frei war, selbst zu entscheiden82. Denn unter Rechtsstaatsgesichts- [782] punkten, die auch im Verhältnis Mitgliedstaaten-Gemeinschaft gelten83, ist ein eindeutiger Umsetzungsauftrag erforderlich. Auch angesichts der Tatsache, daß fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie nach den Art. 169 ff. EGV sanktioniert werden kann, bedarf es eines konkreten Umsetzungsauftrages. Das bedeutet: Soll eine Richtlinie mitgliedstaatliche gesetzliche, richter- oder gewohnheitsrechtliche Regelungen, die zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung bestehen und ihren Bestimmungen nicht diametral entgegenlaufen, außer Kraft setzen, so muß sie das ausdrücklich anordnen. Dies ist auch in der Vergangenheit mehrfach beherzigt worden. So ordnet die 2. Bankrechtskoordinierungsrichtlinie84 in ihrem Art. 4 ausdrücklich an, daß mitgliedstaatliche Regelungen, die für Niederlassungen ausländischer Banken ein Dotationskapital vorsahen, aufgehoben werden mußten. Wenn also durch die 2. gesellschaftsrechtliche Richtlinie die deutsche Regelung zur Aufrechnung untersagt werden sollte, hätte dies einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Demzufolge konnte und durfte sich der deutsche Gesetzgeber damals für die Beibehaltung des § 66 AktG entscheiden. Ob das heute, 15 Jahre nach Umsetzung der Richtlinie, noch genauso zu sehen wäre, wenn der deutsche Gesetzgeber erst heute eine dem § 66 AktG entsprechende Regelung einführen, d. h. die geplante Aufrechnung erst jetzt verbieten und den Regeln der Sacheinlage unterwerfen würde, ist durchaus zweifelhaft. Solche – ursprünglich erlaubten – Alleingänge in Hinblick auf einen in der Richtlinie nicht ausdrücklich geregelten, Rat und Kommission aber damals durchaus bekannten Problembereich, die sich aber zu einem späteren Zeitpunkt als gewichtige Änderung des angeglichenen nationalen Rechts durch Schaffung eines Novum darstellen, sind heute EG-widrig85; denn es widerspräche dem IntegrationsVgl. dazu Lutter/Gehling, WM 1989, S. 1445 ff. Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung als Grundlage der Rechtsangleichung: Schwartz, in: FS von der Groeben, 1987, S. 333 ff. (338). 82 Im Ergebnis ähnlich Ebenroth/Kräutter, DB 1990, S. 2153 ff. (2156). 83 Allgemein zur Geltung des Rechtsstaatsprinzips: EuGH RS C 101/78, Granaria, Slg. 1979, S. 623 ff. (637). 84 Vgl. Fn. 5. 85 Timmermans, RabelsZ 48 (1984), S. 1 ff. (7, 36), ordnet derartige Gesetze gar als ultra vires ein, was zur Folge hätte, daß die betreffenden nationalen Normen nichtig sind. Das ist indes zu 80 81

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ziel, wenn die Mitgliedstaaten sich einseitig von dem – wie auch immer – erreichten und nun langjährig stabilen Standard entfernen würden86.

weitgehend; auch nach dem Verständnis des EuGH sind EG-rechtswidrige Normen lediglich unanwendbar, vgl. EuGH, RS C 19 und 20/90, Karella und Karellas, Slg. 1991, S. 2691 ff. 86 So auch Everling, RabelsZ 50 (1986), S. 193 ff. (196).

Mißglückte Rechtsangleichung: das Chaos der Ein-Personen-Gesellschaft in Europa IN: PFEIFFER/KUMMER/SCHEUCH (HRSG.), FESTSCHRIFT FÜR HANS ERICH

BRANDNER, KÖLN 1996, S. 81-95 I. II. III.

Überblick Die Ein-Personen-Richtlinie Die Rechtsfolgen 1. Ein-Personen-Unternehmen mbH 2. Ein-Personen-GmbH: Systematische Brüche 3. Ein-Personen-GmbH: Einzelheiten IV. Sonstige Gefahren V. Schluß I. Überblick Ach wie waren doch vordem, die Zeiten in Europa schön: So drängt es einen zu sagen, denkt man an die Ein-Personen-Gesellschaft in Europa1 vor und nach ihrer „Angleichung“ aufgrund der 12. EG-Richtlinie von 19892. Denn diese Rechtsfigur hat in Europa nicht nur eine ganz und gar merk1 Ein rechtsvergleichender Überblick zur Ein-Personen-GmbH findet sich bei Hachenburg/Mertens, GmbHG-Kommentar, 7. Aufl., Bd. 2, § 13 Anh. I Rn 70 ff. Allgemein zu den Gesellschaftsrechten in Europa, insbesondere für die GmbH: Butterworths Company Law in Europe, Losebl., Stand Mai 1995; Centrale für GmbH (Hrsg.), Die GmbH-Rechte in den EG-Staaten, 1993; de Kluiver/van Gerven, The European Private Company?, 1995; Robert (Hrsg.), European company laws: A Comparative Approach, 1993; Lutter, Die Entwicklung der GmbH in Europa und in der Welt, in: Lutter/Ulmer/Zöllner (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992; ders., Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., 1996; ders. (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl., 1995; ders., Limited Liability and Private Company, in: International Encyclopedia for Comparative Law, 1996, Bd. 13; Roth, G., (Hrsg.), Das System der Kapitalgesellschaften im Umbruch – ein internationaler Vergleich, 1990. 2 Zwölfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 21. 12. 1989 (89/667 EWG), ABl. EG Nr. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 40 ff., auch abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, Fn. 1, S. 274 ff.; vgl. dazu Lutter/Hommelhoff, GmbHG-Kommentar 14. Aufl., Einl. Rn. 11; Eckert, Die Harmonisierung des Rechts der Einpersonen-GmbH, EuZW 1990, 54 ff.; Hahn, Mißlungener EG-Richtlinienvorschlag für Einpersonen-Gesellschaften, GmbHR 1988,

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würdige Geschichte, sie ist auch ein Beispiel dafür, wie Rechtsangleichung nicht geschehen sollte. [82] 1. Bis vor ganz kurzer Zeit, bis zur GmbH-Novelle von 1980 in Deutschland3, war die Ein-Personen-Gründung von Gesellschaften ganz allgemein unbekannt, insoweit bestand quer durch Europa Übereinstimmung4. Ganz anders war es mit der nachträglichen Entwicklung einer GmbH oder Aktiengesellschaft zur Ein-Personen-Gesellschaft, hier standen Gläubige des Vertragsgedankens5 den Vertretern einer weltlich-nüchternen Sicht ziemlich unversöhnlich gegenüber: Während die Rechtsordnungen von Dänemark6, Deutschland7, Österreich8 und den Niederlan- [83] den9 in der späteren Entwicklung R 57; Camuzzi, Srl con unico socio non responsabile e impresa individuale a responsabilità limitata nella 12a Direttiva CEE, Rivista della Società 1990, S. 500 ff.; Mousoulas, La Société Unipersonnelle à Responsabilité Limitée Communautaire – Appreciation de la XIIe Directive du Conseil en Matière de Sociétés, Revue des Sociétés 1990, S. 395 ff. 3 Gesetz zur Änderung des GmbH-Gesetzes vom 4. 7. 1980, BGBl. I S. 836; seither gibt es in Deutschland die Ein-Personen-Gründung der GmbH (§ 1 GmbHG). Der Gesetzgeber ist damit einem Vorschlag des Arbeitskreises GmbH-Reform gefolgt (Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Band II, 1972, S. 35ff.). 4 Daher war die Zulassung der Ein-Personen-Gründung der GmbH in Deutschland „ein mutiger Schritt“ (Lutter, Die GmbH-Novelle und ihre Bedeutung für die GmbH, die GmbH & Co. KG und die Aktiengesellschaft, DB 1980, 1317, 1319): nur Dänemark kannte zu dieser Zeit die Gründung der Ein-Personen-Gesellschaft (siehe Fn. 6). 5 In Frankreich, Belgien, Spanien und Portugal wurde die „théorie contractuelle“ aus Art. 1832 Code Civil abgeleitet, der in seiner alten Fassung (Loi no 78-9 du 4 janv. 1978) lautete: „La société est un contrat par lequel deux ou plusieurs personnes mettent quelque chose en commun, dans la vue de partager le bénéfice qui pourra en résulter.“ Vgl. Gyon, Droit des Affaires, 6. Aufl. 1990, Bd. I, Nr. 96; de Leiris, Définition de la société, J.C.-Sociétés, fasc. 6, Nr. 4; Reinhard, Droit des Sociétés, Nr. 18; Aussedat, Société unipersonnelle et patrimoine d’affectation, Revue des sociétés 1974, S. 221, 225; Paillusseau, The nature of the Company, in: European Company Laws, S. 19, 20; siehe auch Holleben, Die rechtliche Struktur der Handelsgesellschaften im französischen Recht unter besonderer Berücksichtigung der Einmanngesellschaft, 1969, S. 119 f. und die dortigen Nachweise. 6 In Dänemark wurde mit der Einführung der Rechtsform der GmbH durch das dänische Gesetz Nr. 371 vom 13. 6. 1973 über Anteilsgesellschaften (Lov on anpartselskaber – ApSL) auch die Ein-Personen-Gründung zugelassen (§ 3 Abs. 1 ApSL, abgedruckt bei Hachenburg/Behrens, GmbHG, Kommentar, 7. Aufl., Gesetzestexte, S. 394). 7 In Deutschland wurde die nachträglich entstandene GmbH schon früh von Lehre und Rechtsprechung anerkannt; vgl. Reinhardt, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 3. Aufl. Berlin 1917 und die Grundsatzentscheidung RGZ 23, 202 über die Vereinigung sämtlicher Kuxe einer bergrechtlichen Gewerkschaft in einer Hand; diese Rechtsprechung wurde nach Inkrafttreten des GmbH-Gesetzes für die Ein-Personen-GmbH ausdrücklich bestätigt in RGZ 85, 380, 382 ff. 8 Hier wird die nachträglich entstandene Ein-Personen-Gesellschaft (AG und GmbH) schon seit langem von Lehre und Rechtsprechung für zulässig gehalten; vgl. Pisko, Lehrbuch des österreichischen Handelsrechtes, 1923, S. 445, S. 472; Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts, 5. Aufl. 1990, A III I, S. 15; Koppensteiner, GmbH-Gesetz, Kommentar, 1994, § 3 Rn. 3; OGH AC 2968; VwGH GesRZ 1978, 182. Der jüngste Entwurf

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einer Kapitalgesellschaft zur Ein-Personen-Gesellschaft überhaupt kein Problem sahen und sehen und daher für diesen Fall auch keine speziellen Rechtsfolgen kannten und kennen, verstanden die meisten romanischen Länder diesen Vorgang als Widerspruch in sich, nach ihrer Vorstellung entstand die Gesellschaft nicht nur aufgrund eines Vertrages, sondern dieser Vertrag unter den Gesellschaftern blieb konstitutiv für die ganze Zeit der Existenz der Gesellschaft10. Diese Rechte – vor allem Belgien, Frankreich, Portugal und Spanien – verstanden die Kapitalgesellschaft also nicht anders als wir die – fraglos auf Vertrag beruhende – Personengesellschaft: Die Ein-Personen-Gesellschaft kann es in dieser Sicht ebensowenig geben, wie bei uns die Ein-Personen-OHG. Und daher war die EinPersonen-Gesellschaft in der Vorstellung dieser Rechtsordnungen ipso iure aufgelöst und war zu liquidieren11. Allerdings: Da die Ein-Personen-Gesellschaft ja nun einmal juristische Person und mithin Rechtssubjekt war und ist, bestand sie in der Vorstellung auch dieser Rechtsordnungen bis zum Abschluß der Liquidation fort und konnte daher auch – mit vielfachen Unterschieden im Detail – durch Beitritt eines weiteren Gesellschafters vor ihrem sonst zwangsläufigen Weg zum Grab gerettet werden12. [84] 2. Aus dieser schönen Einheit in Dualität brachen nur das italienische, englische und irische Recht aus.

des österreichischen EU-Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz (EU-GesRÄG) sieht nun die Einführung der Ein-Personen-Gründung der GmbH vor (Art. III, 1. EU-GesRÄG). Von der Ermächtigung in Art. 2 der 12. Richtlinie wird nicht Gebrauch gemacht. 9 Die in Deutschland und Österreich früher praktizierte Lösung, zwar bei der Gründung eine Gesellschaftermehrzahl zu fordern, aber die Übertragung aller Anteile auf einen Gesellschafter zuzulassen, ist in den Niederlanden bei der 1971 eingeführten besloten venootschap met beperkte aansprakelijkheid (b.v.) übernommen worden; vgl. Art. 36a in Verbindung mit Art. 57c wetboek von koophandel in der Fassung vom 3. 5. 1971, abgedruckt bei Hachenburg/Behrens, Fn. 6, Gesetzestexte, S. 315 f. 10 Sog. „contrat successif“, vgl. Aussedat, Fn. 5, S. 221, 225; Holleben, Fn. 5, S. 119. 11 Dazu Huber, La S.P.R.L. Unipersonnelle, 1988, Nr. 535 ff.; Lutter, Limited Liability and Private Company, in: International Encyclopedia for Comparative Law, Fn. 1, Nr. 42ff.; van Ryn, Principes de droit commercial, 1954, I, Nr. 341. In Frankreich wurde die „dissolution de plein droit“ als Folge der Vereinigung aller Anteile in einer Hand durch das Reformgesetz von 1966 (Loi No 66-537 du 24 juill. 1966) abgemildert: Die Auflösung sollte nicht mehr ipso iure eintreten, wohl aber von jedermann, rechtliches Interesse vorausgesetzt, nach Ablauf eines Jahres verlangt werden können (Art. 9; dazu: Aussedat, Fn. 5, S. 221, 229 ff.). Das Prinzip des „contrat de société“ wurde dadurch aber nicht umgestoßen (Ilgen, Die Einmanngesellschaft als atypische Gesellschaftsform im deutschen und französischen Recht, 1969, S. 84 m.w.N.). 12 Lutter, Fn. 11. So wurde in Frankreich durch Gesetz vom 30. 12. 1981 (Loi No 81-1162 du 30 dec. 1981) Art. 9 des Gesetzes von 1966 durch Art. 1844-5 Code Civil ersetzt. Art. 1844-5 sieht vor, daß das mit einem Auflösungsantrag befaßte Gericht – auch noch nach Ablauf eines Jahres – dem Alleingesellschafter eine weitere Frist von sechs Monaten zur Anpassung an die Gesetzeslage (unipersonale Gesellschaft) setzen kann bevor es zum Auflösungsbeschluß kommt (vgl. dazu Gyon, ZGR 1985, 74, 96; Merle, Droit commercial, 3. Aufl. 1992, Rn. 27).

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a) 1942 ganz neu im Codice Civile formuliert, versuchte Italien einen möglichst unideologischen Mittelweg: Anerkennung der nachträglichen Ein-PersonenGesellschaft einerseits, aber um den Preis der persönlichen Haftung des Alleingesellschafters für alle Schulden der Gesellschaft andererseits. Das italienische Recht kannte also das Institut der haftungsfreien Ein-Personen-Gesellschaft nicht. War das Gesellschaftskapital in der Hand nur eines Gesellschafters, so galt folgendes: Weil eine interne Kontrolle der Geschäftsführungsmaßnahmen in der entstandenen Ein-Personen-Gesellschaft praktisch ausgeschlossen ist13, ließ der codice von 1942 das Haftungsprivileg entfallen: Bei Zahlungsunfähigkeit der GmbH (s.r.l.) haftete der Alleingesellschafter nach Art. 2497 Abs. 2 oder der Alleinaktionär nach Art. 2362 unbeschränkt14. Da aber diese Rechtsfolge von den Betroffenen als viel schlimmer betrachtet wurde als die – reparable – Auflösung, hat der italienische Gesetzgeber mit dieser strengen Haftungsdrohung dafür gesorgt, daß es die Ein-Personen-Gesellschaft in der Rechtswirklichkeit Italiens praktisch nicht gab und – wie sich zeigen wird – auch heute nicht gibt15; Ehegatten, Verwandte und Strohmänner waren und sind davor16. Das gilt um so mehr, als die h.M. auch widerlegbare Vermutungen für das Vorliegen einer Ein-Personen-Gesellschaft anerkennt. So kann sich z.B. aus einem Verwandtschafts- oder Dienstverhältnis zwischen zwei Gesellschaftern ergeben, daß es sich materiell nur um einen einzigen Gesellschafter handelt. Dasselbe gilt, wenn der oder die Restgesellschafter nur einen einzigen Anteil halten, so daß die Gesamtbetrachtung zur Annahme einer Ein-Personen-Gesellschaft führt17. b) In England bestand eine ganz ähnliche Regelung. Seit Solomon v. Solomon Co. Ltd.18 ist die abgeleitete Ein-Personen-company zulässig. Aber das Führen der Geschäfte durch nur einen Gesellschafter führte zu [85] dessen persönlicher Haftung19; und zwar „jointly and severally with the company for the payments contracted“. Außerdem konnte die Gesellschaft durch gerichtlichen Beschluß liquidiert werden: sec. 122 (1) Insolvency Act 1986, der lautete: 13 Ein Gedanke, den auch die BGH-Rechtsprechung zur Konzernhaftung der Einpersonen-Gesellschaften aufgegriffen hat (BGHZ 115, 187 – „Video“). 14 Zu dieser Form der Durchgriffshaftung vgl. Laule, RIW 1979, 29 ff. sowie Lutter, Die Einbindung der nationalen Gesellschaftsrechte in das europäische Recht, in: Semler u.a. (Hrsg.), Reformbedarf im Aktienrecht. 1994 (ZGR-Sonderheft 12); Beispielsfall: Corte di Cassazione, Urteil vom 29. 11. 1983, Nr. 7125, Giur. ital. 1985, I, 1, 90 = RIW 1985, 659 f. Dazu auch Ferii, Diritto Commerciale, 9. Aufl. 1993 (Nachdruck 1995), Nr. 183. 15 Damit kommt die italienische Lösung in ihrer Wirkungsweise einer Verbotskonzeption gleich: Hachenburg/Mertens, Fn. 1, Rn. 74. 16 Bei diesem Verfahren, das die Praxis bereits unter Geltung des Codice di Commercio von 1882 entwickelt hat, bedient sich der Gründer eines Treuhänders als Gründungshelfer. Dazu Ferrara jr.-Corsi, Gli imprenditori e le società, 9. Aufl. 1994, Nrn. 6.5, 7.14, 12.5. 17 Vgl. Ferri, Le società, 2. Aufl. 1985, S. 388 ff. 18 [1897] A.C. 22 H.L. 19 Sec. 31 Companies Act 1948 (jetzt sec. 24 CA 1985).

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„A company may be wound up by the court if – (e) the number of members during the period is reduced below two …“

Daher galt auch in England die Empfehlung, einen weiteren Gesellschafter zu halten, auch wenn er den Anteil nur als Strohmann für die „Einperson“ oder die Muttergesellschaft hielt20. Im übrigen sei diese Vorschrift nutzlos und nur eine Falle für den schlecht Informierten21. c) Gleiches gilt auch für Irland: Dort waren zur Gründung einer private company immer zwei Gründer erforderlich (sec. 5 (1) Companies Act 1963)22. Außerdem bestand – ebenfalls wie in England und Wales – die Gefahr der persönlichen Haftung des Gesellschafters bei einer nachträglich entstandenen Ein-PersonenGesellschaft (sec. 36 CA 1963)23. Und schließlich kannte das irische Recht auch die Möglichkeit der Auflösung der abgeleiteten Gesellschaft durch Gerichtsbeschluß, sec. 213 CA 196324. 3. Theoretisch war das alles vielleicht sogar kompliziert und für normale Menschen schwer durchschaubar. Aber die Praxis der Unternehmen und ihre Berater kannten die Fallstricke und wußten ihre internationale Klientel zu schützen: Ganze Generationen von Strohfrauen und Strohmännern – vornehmer gesagt: Treuhändern – waren behilflich und hatten ein zwar geringes, aber praktisch arbeits- und risikoloses Zusatzeinkommen gewiß. Im übrigen standen zur Aufrechterhaltung der Mehrgliedrigkeit ja auch Konzerngesellschaften zur Verfügung; wollte die Pariser oder Mailänder Muttergesellschaft in Madrid eine Tochtergesellschaft gründen oder erwerben, so beteiligte sich daran halt mit 1% die belgische Tochter, die ihrerseits ebenfalls zu 99% der Pariser oder Mailänder Mutter gehörte etc. II. Die Ein-Personen-Richtlinie 1. In diese heile Welt aus Konzernpolitik und juristischem Geheimwissen, Grundlage bescheidener aber regelmäßiger Einkünfte als Versiche- [86] rung gegen unerwünschte rechtliche Überraschungen, brach Europa mit geradezu puritanischem Eifer ein, hob die Ein-Personen-Gesellschaft ohne Wenn und Aber auf ihr Banner und war nach über 20 Jahren mühevoller Beratungen erfolgreich – scheinbar. 20 Gower/Prentice/Pettet, Gower’s Principles of Modern Company Law, 5. Aufl. 1992, Kap. 6, S. 109. 21 Mayson/French/Ryan, Company Law, 11. Aufl. 1994, S. 34. 22 In der Fassung von 1993. 23 Er entspricht damit sec. 24 des englischen Companies Act 1985. 24 Vgl. zum Ganzen: Keane, Company Law in the Republic of Ireland, 2. Aufl. 1991, Kap. 4.01, 11.09 und 38.08.

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Erfolgreich, weil Art. 2 Abs. 1 der 12. Richtlinie bestimmt: „Die Gesellschaft kann bei ihrer Errichtung sowie infolge der Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in einer einzigen Hand einen einzigen Gesellschafter haben (Einpersonengesellschaft).“

Scheinbar erfolgreich, weil die Richtlinie in ihrem Art. 2 Abs. 2 ferner bestimmt: „Bis zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht können die Gesetze der Mitgliedstaaten besondere Bestimmungen oder Sanktionen vorsehen, sofern a) eine natürliche Person einziger Gesellschafter von mehreren Gesellschaften ist oder b) eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Gesellschafter einer Gesellschaft ist.“

2. Die Richtlinie stützt sich in ihren Erwägungsgründen auf Art. 54 des EGVertrages und das EG-Programm für kleine und mittlere Unternehmen25. Sieht man von diesem letzteren Hinweis ab – die Ein-Personen-GmbH dürfte außerhalb ihrer Funktion als Haftungsträger einer GmbH & Co. KG in Deutschland ebenso häufig als Konzerntochter wie als Instrument kleiner und mittlerer Unternehmen vorkommen –, so geht es um inzwischen klassische Rechtsangleichung. Ihre Funktion ist einerseits die Beseitigung von Wettbewerbsnachteilen im Binnenmarkt26, andererseits die Absicherung und Erleichterung der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen und Unternehmer, Art. 52, 58 EGV27. Unter beiden Aspekten läßt sich einiges zugunsten der Angleichung des Rechts der EinPersonen-Gesellschaft sagen: Wer als Einzelunternehmer die Haftungsbeschränkung erreichen kann, hat wettbewerbliche Vorteile vor seinem Konkurrenten, der entweder einen Partner akzeptieren oder es hinnehmen muß, daß seine wirtschaftlichen und unternehmerischen Risiken auf sein Privatvermögen durchschlagen. Und auch die Niederlassungsfreiheit wird erleichtert, wenn großen und kleinen Unternehmen ein solches organisatorisches Instrument europaweit zur Verfügung steht. [87]

ABl. EG Nr. C 287/1 vom 14. 11. 1986. Hommelhoff, Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung, AcP 192 (1992), 71, 72 f.; Taschner, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWGVertrag, 4. Aufl. 1991, Bd. 2, Art. 100 Rn. 2. 27 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, Kap. 11.5.2, S. 405 f.; Schwarz, Zur Konzeption der Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: Festschrift Walter Hallstein, 1966, S. 474, 476; Taschner, Fn. 26, Rn. 3. 25 26

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III. Die Rechtsfolgen Lassen sich mithin viele gute Argumente für eine Angleichung des Rechts der Ein-Personen-Gesellschaft in Europa finden, war der Ansatz von Kommission und Rat also richtig, so bleibt nun zu fragen: Was ist daraus geworden? Um es klar zu sagen: viel mehr Unterschiede und rechtliche Fallstricke als zuvor, die mehr Grund zur Vorsicht und Sorge geben und viel mehr Anlaß, die Einpersonengesellschaft jedenfalls in einigen unserer Partnerländer der Gemeinschaft überhaupt, mindestens aber durch Einschaltung von Treuhändern zu meiden. 1. Ein-Personen-Unternehmen mbH Die Regeln der Richtlinie greifen in das Gefüge des klassischen Rechts der Kapitalgesellschaften der EG-Mitgliedsländer überhaupt nur ein, wenn der nationale Gesetzgeber nicht eine eigene Rechtsform für das Ein-Personen-Unternehmen geschaffen hat, Art. 7 der Richtlinie. Von dieser Möglichkeit hat nur Portugal Gebrauch gemacht und in einem eigenen Gesetz28 das Einzelunternehmen mit beschränkter Haftung (E.I.R.L.) geschaffen: Es ist bis heute ohne Bedeutung in der Praxis geblieben29 und das signalisiert, daß man dort einfach nach den alten und gewohnten Regeln der Treuhand und Strohmannschaft fortfährt. De facto gilt in Portugal also materiell das alte romanische Recht mit allen seinen Vorbehalten gegenüber der Ein-Personen-Gesellschaft fort30, aber eben auch die Akzeptanz der Treuhand und der Konzernlösungen bei Gründung und späterer Entwicklung zur materiellen Ein-Personen-Gesellschaft. 2. Ein-Personen-GmbH: Systematische Brüche a) In allen anderen Rechten der EU greifen die Regeln der Richtlinie ein in das Gefüge des klassischen Rechts der Kapitalgesellschaft31 und führen zunächst Decreto-Lei No. 248/86 vom 25. 8. 1986. Driesen, Die GmbH im portugiesischen Recht, GmbHR 1994, 49, 50. 30 Es gilt der Grundsatz, daß eine GmbH („limitada“) zwei Gründungsgesellschafter aufweisen muß; bei der AG („Sociedade Anónima“) sind sogar fünf Gründungsaktionäre erforderlich (vgl. Art. 197 bzw. 273 Códigeo das Sociedades Comerciais). 31 Eine Ausnahme ist Irland: Dort sind die entsprechenden Vorschriften zur Gründung, Haftung und Auflösung einer (Ein-Personen-)company noch immer in Kraft und die Richtlinie noch nicht umgesetzt (vgl. Note 4b zu sec 5 Companies Act 1963, in: MacCann (Hrsg.), Butterworth Ireland Companies Acts 1963-1990, 1993); die Implementierung ist offenbar auch noch nicht geplant (Conrads-Hassel, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im irischen Recht, GmbHR 1992, 438, 439). 28 29

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einmal zu einer Trennung zwischen Aktien- und GmbH-Recht. Das mag zunächst wenig beeindrucken, sind doch auch sonst die rechtlichen Unterschiede zahlreich – die GmbH wäre sonst nicht so erfolgreich32. Aber diese Unterschiede gelten sonst nicht für rechtliche Grund- [88] fragen, wie sie nun einmal mit der ein- bzw. mehrgliedrigen Struktur einer Kapitalgesellschaft verbunden sind. So hat etwa England33 die Regeln der Richtlinie ausdrücklich auf die GmbH beschränkt mit der Folge, daß es dort die Ein-Personen-Gründung für die public company nicht gibt und auch die Informationspflichten für die später entstehende Ein-PersonenGesellschaft (Art. 3 der Richtlinie) für die Aktiengesellschaft nicht gelten34; auch die Möglichkeit der gerichtlichen Zwangsliquidation im Falle einer nachträglich entstandenen Ein-Personen-Gesellschaft ist nur für die private company abgeschafft worden35. b) Erst recht gilt das alles natürlich auch für manche der romanischen Länder, die die ungeliebten Regeln der Richtlinie gerne auf die GmbH beschränkt haben und dafür das systematische Durcheinander ebenso wie die unterschiedlichen materiellen Regeln zwischen ursprünglicher und späterer Ein-PersonenAktiengesellschaft und ursprünglicher und späterer Ein-Personen-GmbH in Kauf nehmen. So ist in Belgien die persönliche Haftung des einzigen Gesellschafters einer GmbH ausgeschlossen, die eines Alleinaktionärs dagegen eingeführt worden (Art. 104bis L.C.S.)36. Frankreich sieht wie bisher die Auflösung einer nachträglich entstandenen S.A. vor und hält auch an der persönlichen Haftung des Alleinaktionärs fest37. Ähnliches gilt für Italien, wo Art. 2497 (Haftung des Ein-PersonenGesellschafters) zwar aufgehoben wurde, nicht aber Art. 2362 für den Alleinakti-

32 Deutschland: 3600 Aktiengesellschaften und 550 000 Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Niederlande: 2800 Naamlooze Vennootschap und über 320 000 Besloten Vennootschap, Vereinigtes Königreich: 12 000 Public Companies und 1 Mill. Private Companies. 33 Zur Umsetzung der 12. Richtlinie in England siehe Schmitthoff (Hrsg.), Palmer’s Company Law, Losebl. Stand Mai 1995, Kap. 16.110/2-6. 34 Sec. 1 (3 A) des Companies Act 1985 formuliert die Beschränkung auf die private Company ausdrücklich. Die Vorschrift lautet: „[Formation by one person] Notwithstanding subsection (1), one person may, for a lawful purpose, by subscribing his name to a memorandum of association and otherwise complying with the requirements of this Act in respect of registration, form an incorporated company being a private company limited by shares or by guarantee.“ 35 Sec. 122 des Insolvency Act 1986 beschreibt die Umstände für eine Liquidation nun wie folgt: „[Circumstances] A company may be wound up by the court if – … (e) except in the case of a private company limited by shares or by guarantee, the number of members is reduced below 2, …“ 36 Siehe im einzelnen unten sub III, 3a). 37 Art. 1844-7 C.C. und Art. 101 Loi 67-563.

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onär38. In Griechenland ist Art. 44 § 2 des griechischen GmbH-Gesetzes (persönliche Haftung des einzigen Gesellschafters) aufgegeben worden; die Haftung des Alleinaktionärs besteht fort, kann aber nicht mehr wie bisher39 mit einer Analogie zu Art. 44 begründet werden. [89] c) Demgegenüber erlauben Deutschland seit dem Gesetz über kleine Aktiengesellschaften von 199440, die Niederlande41 und neuerdings auch Spanien42 auch die Ein-Personen-Gründung von Aktiengesellschaften. Dasselbe gilt schon seit längerer Zeit auch in Schweden; dort wurde zum 1. 1. 1995 das einheitliche Aktienrecht in die „private Aktiebolag“ und die „public Aktiebolag“ getrennt43: beide können von nur einer Person gegründet werden44. 3. Ein-Personen-GmbH: Einzelheiten All das sind kleine, aber ärgerliche Stolpersteine für die Praxis des Unternehmensrechts in Europa, und es sind systematische Brüche für die Theorie: wie und woraus sollen sich solche willkürlich anmutenden Unterschiede zwischen Aktienund GmbH-Recht erklären? Gemessen an dem, was die Richtlinie insgesamt und in ihrer Umsetzung im übrigen an Durcheinander in Europa mit Art. 2 Abs. 2 bewirkt hat, sind es aber Kleinigkeiten. Halten wir noch einmal fest: In Portugal gibt es die eigenständige Rechtsform des Ein-Personen-Unternehmens; in allen anderen EG-Ländern – (noch) bis auf Österreich und Irland – die originäre Ein-Personen-GmbH und die sich später, erst nach der Gründung entwickelnde Ein-Personen-GmbH ohne negative Rechtsfolge, also insbesondere ohne drohende Liquidation und ohne – wie früher in Italien und England – die drohende persönliche Haftung des Alleingesellschafters. All das gilt nur für die GmbH, nicht notwendig auch für die Aktiengesellschaft. Aber für die GmbH auch nur dann uneingeschränkt, wenn der nationale Gesetzgeber nicht von den Möglichkeiten des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie Gebrauch gemacht

Siehe Fn. 45. Vgl. Baetge, Einmann-GmbH im griechischen Recht, RIW 1995, 25 ff., Fn. 11. 40 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2. 8. 1994, BGBl. I 1994, 1961 mit seiner Neufassung von § 2 AktG. 41 Art. 64 Abs. 2 von Buch 2 des neuen Burgerlijk Wetboek. 42 Mit dem neuen GmbH-Gesetz (Ley 2/1995, de 23 marzo 1995) wurden auch neue Regeln zur AG eingeführt: Die Vorschrift zur Mindestanzahl der Gründer (Art. 14 Abs. I, S. 2 des Ley de Sociedades Limitades [L.S.C.]) wurde gestrichen, in der Absicht, die Ein-PersonenGründung der AG zu ermöglichen (vgl. Exposicion de Motivos, Kapitel IV, Ley 2/95). Siehe auch Art. 311 L.S.C. n.F., der die Regeln zur Einpersonen-GmbH (Art. 126 ff. Ley 2/95) für anwendbar erklärt. 43 Vgl. Butterworths Company Law in Europe, Fn. 1, Kap. N [4]. 44 Vgl. Butterworths Company Law in Europe, Fn. 1, Kap. N [6]. 38 39

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hat wie Dänemark, Deutschland, Großbritannien, die Niederlande, Österreich und Schweden. Anders die romanischen Länder und Griechenland: a) Besonders einfallsreich und differenziert ist hier das belgische Recht: (1) Die Tatsache vor Augen, daß es aufgrund der Richtlinie die ursprüngliche und spätere Ein-Personen-„Société Privée à Responsabilité Limitée“ geben muß, sah man sich in Belgien zunächst einmal veranlaßt, auch die [90] entsprechenden Fragen bei der Aktiengesellschaft neu zu regeln. Man tat das aber betont und bewußt nicht im Sinne der Richtlinie. Gehörte Belgien früher zu den Ländern der ipso-iure-Auflösung im Falle der Vereinigung aller Aktien oder Geschäftsanteile in einer Hand45 – einer zwar systematisch strengen, praktisch aber nicht gar zu gefährlichen Rechtsfolge –, so ist das heute für die Aktiengesellschaft ausdrücklich aufgehoben, aber um die bis dahin unbekannte Rechtsfolge der persönlichen Haftung des Alleinaktionärs verschärft worden. Art. 104bis der „Lois Coordonnées sur les Sociétés“ (L.C.S.) in ihrer Fassung von 1990 lautet: „La réunion de toutes les actions entre les mains d’une seule personne n’entraîne ni la dissolution de plein droit ni la dissolution judiciare de la société. Si dans un délai d’un an, un nouvel actionnaire n’est pas entré dans la société, si celle-ci n’est pas régulièrement transformée en société privée à responsabilité limitée ou dissoute, l’actionnaire unique est réputé caution solidaire de toutes les obligations de la société nées après la réunion de toutes les actions entre ses mains jusqu’à l’entrée d’un nouvel actionnaire dans la société ou la publication de sa transformation en société privée à responsabilité limitée ou de sa dissolution.“

Während also die Rechtsfolge persönlicher Haftung des einzigen Gesellschafters von der Richtlinie für die GmbH ausdrücklich verboten wird, wurde diese Rechtsfolge gleichzeitig in Belgien für die Aktiengesellschaft eingeführt: Welch eine unerhörte Erleichterung für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr in Europa und welch eine elegante Falle für ahnungslose Ausländer! (2) Für die GmbH waren haftungsfreie Ein-Personen-Gründung und haftungsfreie spätere Entwicklung zur Ein-Personen-Gesellschaft im Prinzip nicht zu vermeiden, Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie. Dafür konnte man aber Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie für subtile Gefahren nutzen und tat es denn auch: Art. 123 Abs. 2 Nr. 8 L.C.S. lautet: „Les fondateurs … sont tenus solidairement envers les intéressés, malgré toute stipulation contraire: de tous les engagements souscrits aussi longtemps que la société ne compte comme associé unique que la personne morale ayant constitué seule cette société.“

Art. 123bis lautet: „Une personne physique ne peut être l’associé unique que d’une seule société privée à responsabilité limitée.

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Van Ryn, Fn. 11, Nr. 341.

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Cette personne physique est réputée caution solidaire des obligations de toute autre société privée à responsabilité limitée qu’elle constituerait seule ou dont elle deviendrait ensuite l'associé unique, sauf si les parts lui sont transmises pour cause de mort. [91] Cette personne physique ne sera plus réputée caution solidaire des obligations des sociétés visées à l’alinéa précédent dès l’entrée d’un nouvel associé dans la société ou dès la publication de sa dissolution.“

Das alles bedeutet mithin: Ist einzige Gründerin einer belgischen GmbH eine juristische Person, so haftet diese persönlich für alle Schulden ihrer Tochter so lange, bis die Tochter mehrgliedrig geworden ist. Entwickelt sich die GmbH hingegen erst nachträglich zur Ein-Personen-Gesellschaft und ist alleinige Gesellschafterin eine juristische Person, so gilt gleiches erst nach Ablauf eines Jahres (bei der Aktiengesellschaft sofort!). Ist hingegen eine natürliche Person Alleingesellschafterin nicht nur einer sondern zweier oder weiterer GmbH, so ist sie dort so lange praktisch persönlich haftender Gesellschafter, bis die Gesellschaft mehrgliedrig geworden oder sie aus dieser Gesellschaft ausgeschieden ist. Also: Ist eine juristische Person Alleingesellschafterin einer belgischen GmbH so haftet sie wie ein persönlich haftender Gesellschafter für alle Schulden ihrer Tochter, eine natürliche Person aber nur, wenn sie Alleingesellschafterin in einer zweiten oder dritten GmbH ist. In der Aktiengesellschaft aber haftet jeder Alleingesellschafter persönlich. (3) Hätte man Examens-Prüfungsaufgaben durch Gesetzgebung erfinden wollen man hätte es nicht besser machen können. Aber auch sachlich kann man sich mit diesem Ergebnis wenig anfreunden und wird allen an der Niederlassung in Belgien Interessierten den Rat geben: Wie auch immer, bleibt bei Gründung und auch später beim System des Strohmanns/Treuhänders, dann kann nichts passieren; und dieser Treuhänder kann durchaus auch eine andere Konzerngesellschaft sein. b) Italien trennt ebenfalls zwischen Aktienrecht und GmbH-Recht46 und bestimmt dafür in seinem neuen Art. 2497 letzter Absatz C.c.: „In caso di insolvenza della società, per le obbligazioni sociali sorte nel periodo in cui le quote sono appartenute ad un solo socio, questi risponde illimitatamente: a) quando sia una persona giuridica ovvero sia socio unico di altra società di capitali …“ 46 Mit Dekret Nr. 88 vom 3. 3. 1993 ist die Gründung der Ein-Personen-GmbH (s.r.l.) eingeführt worden. Gemäß der neu eingeführten Art. 2475 und 2497 C.C. kann eine s.r.l. nunmehr auch von einem Gesellschafter gegründet werden. Die persönliche Haftung des Gesellschafters der Ein-Personen-s.r.l. (Art. 2497 C.C.) wurde aufgehoben. Für die Ein-Personen-s.p.a, dagegen haftet der verbliebene Alleinaktionär wie bisher (Art. 2362 C.C.). Zum Ganzen Jaeger/Denozza, Appunti di Diritto Commerciale, Bd. 1, Impresa e Società, 3. Aufl. 1994, Nr. 13; Colombo. Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Italien, in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, Fn. 1, S. 323; Kindler. Italienische Gesetzgebung zum Gesellschaftsrecht, ZGR 1995, 225, 240 ff.

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Das bedeutet: Ist alleinige Gesellschafterin eine – inländische oder ausländische – juristische Person, so haftet diese im Konkurs ihrer Tochter [92] für alle Verbindlichkeiten47. Und das gleiche gilt für eine natürliche Person, die im Zeitpunkt der Konkurseröffnung – vielleicht mehr oder minder zufällig – auch Alleingesellschafterin einer anderen Aktiengesellschaft oder GmbH ist. Gleiches – persönliche Haftung im Konkurs – gilt übrigens auch, solange die von Art. 3 der Richtlinie vorgeschriebene Publizität nicht stattgefunden hat48. Da ein Gesellschafter die zur Haftung führenden Tatbestände nicht sicher vermeiden kann, bleibt auch hier nur die Fortsetzung der alten Tradition, das heißt die Einschaltung von Treuhändern; auch hier können das andere inländische oder ausländische Konzerngesellschaften sein. c) In Frankreich gilt das Verbot der Ein-Personen-Gründung nicht mehr. Mit dem Gesetz vom 11. 7. 198549 wurde das Gesetz von 196650 entsprechend geändert: Es ist nun möglich, die Ein-Personen-GmbH (SARL) durch einseitiges Rechtsgeschäft als „entreprise unipersonelle à responsabilité limitée“ (EURL) zu gründen (Art. 34, Gesetz von 1966)51, aber auch eine SARL als solche nach Vereinigung aller Anteile in einer Hand fortzuführen, denn die Möglichkeit, eine so abgeleitete Ein-Personen-SARL auf Antrag aufzulösen, besteht nicht mehr (Art. 36-1)52. Die Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Ein-Personen-SARL hat allerdings ihre Grenzen: Für die GmbH galt von 1985 bis 1994 der Satz 1 des Art. 36-2 des Gesetzes von 1966 mit folgendem Wortlaut: „Une personne physique ne peut être associé unique que d’une seule société à responsabilité limitée.“

Diese Bestimmung wurde kürzlich aufgehoben53; folgende Bestimmung blieb bestehen:

47 Der Begriff der juristischen Person wird strikt ausgelegt; er umfaßt nicht Personenhandelsgesellschaften, auch nicht jene, deren persönlich haftende Gesellschafter juristische Personen sind (Assonime, La s.r.l. unipersonale, Riv. soc. 1993, 740, 741; Spolidoto, La legge sulla s.r.l. unipersonale, Riv. soc. 1993, 97, 114; zum Ganzen auch Kindler, Fn. 46, 244. 48 Spolidoto, Riflessioni sulla s.r.l. unipersonale con unico socio illimitatamente responsibile per le obbligazioni sociali, Giur. comm. 1993, Bd. 1, 647, 650 f. 49 Gesetz Nr. 85-697 vom 11. 7. 1985 (Loi no 85-697 du 11 juillet 1985). Siehe dazu Weyand, Zur Einführung der Einmann-GmbH in Frankreich, RIW 1986, 418 ff. 50 Siehe Fn. 6. 51 Nach Art. 11 ff. des Gesetzes von 1985 gilt dies auch für landwirtschaftliche Unternehmen, exploitation agricole à responsabilité limitée associée (EARL). 52 Art. 1844-5 Code Civil (vgl. oben Fn. 7) wurde mit dem Gesetz von 1985 (Art. 3) hinsichtlich der SARL für nicht mehr anwendbar erklärt (vgl. dazu Daigre, J.C.-Sociétés, fasc. 82, Nr. 27). Allgemein zur EURL: Cbampaud, L’entreprise unipersonelle à responsabilité limitée, Rev. Trim. dr. comm. 1979, S. 579 ff.; Daigre, J.C.-Sociétés, fasc. 82. 53 Durch Gesetz Nr. 94-126 vom 11. 2. 1994.

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„Une société à responsabilité limitée ne peut avoir pour associé unique une autre société à responsabilité limitée composée d’une seule personne. [93] En cas de violation des dispositions de l’alinéa précédent, tout intéressé peut demander la dissolution des sociétés irrégulièrement constituées. Lorsque l’irrégularité résulte de la réunion en une seule main de toutes les parts d’une société ayant plus d’un associé, la demande de dissolution ne peut être faite moins d’un an après la réunion des parts. Dans tous les cas, le tribunal peut accorder un délai maximal de six mois pour régulariser la situation et ne peut prononcer la dissolution si, au jour où il statue sur le fond, la régularisation a eu lieu.“

Das bedeutet zunächst einmal, daß Frankreich in keinem Fall mit persönlicher Haftung im Zusammenhang mit solchen Tatbeständen droht. Es bedeutet weiter, daß in Frankreich Konzerntatbestände nicht verfolgt und eine in- und ausländische Muttergesellschaft gefahrlos Alleingesellschafterin ihrer französischen GmbH-Tochter sein kann. Das ist nur dann anders, wenn es sich bei der Allein-Gesellschafterin etwa um eine Zwischenholding in der Rechtsform einer GmbH handelt; denn „composée d’une seule personne“ unterscheidet nicht nach natürlicher oder juristischer Person. Darüber hinaus können auch natürliche Personen Alleingesellschafter mehrerer GmbH sein. In Frankreich könnte sich also die Ausgangslage der berühmten Autokran-Entscheidung des BGH durchaus ergeben54. Die insgesamt verbliebenen Beschränkungen sind mithin modest und reparabel. d) Auch Spanien hat mit dem neuen GmbH-Gesetz55 die Gründung einer Ein-Personen-GmbH zugelassen56. Wird die GmbH erst nachträglich durch Übertragung ihrer Anteile zur Ein-Personen-Gesellschaft, ist dies dem Handelsregister anzuzeigen. Kommt der Gesellschafter dieser Pflicht nicht nach, trifft ihn eine persönliche Haftung für alle ab der Vereinigung der Anteile in seiner Hand entstandenen Gesellschaftsschulden. Sobald die Gesellschaft als Ein-PersonenGmbH im Handelsregister eingetragen ist, entfällt die persönliche Haftung für alle ab diesem Zeitpunkt entstehende Gesellschaftsschulden (Art. 129 Ley 2/95). Diese Haftungsregelung ist eine äußerst kritisch zu betrachtende Lösung: Die persönliche Haftung des Allein-Gesellschafters wird durch die 12. EG-Richtlinie verbindlich beseitigt und die Ausnahme in Art. 2 Absatz 2 der Richtlinie besonders erwähnt. Dazu gehört dieser Fall nicht.

BGHZ 95, 330. Ley 2/1995, de marzo 1995, de Sociedades de Responsabilidad Limitada, Boletin Oficial des Estado Nr. 71 vom 24. 3. 1995. Allgemein zum neuen spanischen GmbH-Recht siehe Meyer, Das neue GmbH-Gesetz in Spanien, GmbHR 1995, 435-438. 56 In Art. 125-129 des Ley 2/1995 ist die Ein-Personen-GmbH nun umfassend geregelt (für die AG wird auf diese Vorschriften verwiesen, siehe Fn. 42). 54 55

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Andererseits ist das nationale Recht natürlich frei, Pflichten, die die Richtlinie vorschreibt, auch zu sanktionieren; ob das auch für die Sanktion „persönliche Haftung“ gilt, ist außerordentlich zweifelhaft. [94] e) Den Reigen unserer Darstellung möge Griechenland beschließen. Hier ist die 12. Richtlinie durch Präsidial-Dekret Nr. 279 von 199357 umgesetzt worden. War bislang die Entwicklung zur Ein-Personen-Gesellschaft ein Auflösungsgrund und ist das für die Aktiengesellschaft auch so geblieben, so wurde das für die Gründung (nur) der GmbH und für ihre spätere Entwicklung zur Ein-PersonenGesellschaft beseitigt. Aber: Ist Alleingesellschafter eine andere Ein-PersonenGesellschaft oder ist Alleingesellschafter eine natürliche Person, die zugleich in einer anderen GmbH Alleingesellschafter ist, so bestimmt das Gesetz58 als Rechtsfolge, daß die GmbH „nichtig“ ist59 (so ausdrücklich der benutzte terminus technicus „akirotita“). Das aber kann nicht sein, denn es würde klar gegen Art. 11 der ersten Richtlinie von 196860 und die dort abschließend formulierten Gründe, die allein eine Nichtigkeit auslösen können, verstoßen. Daher wird man „Nichtigkeit“ hier im Sinne von „ipso iure aufgelöst“ verstehen müssen, vergleichbar der Rechtslage bei der Ein-Personen-Gründung einer Aktiengesellschaft61. Immerhin: Auch Griechenland droht in den Fällen des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie nicht etwa mit der persönlichen Haftung des betreffenden Alleingesellschafters, wohl aber mit der Liquidation. IV. Sonstige Gefahren Von den soeben erörterten höchst unterschiedlichen Regelungen in Voraussetzungen und Rechtsfolge bei Ausnutzung von Art. 2 Abs. 2 der 12. Richtlinie und den damit verbundenen Risiken für weniger erfahrene Ausländer abgesehen, bleiben ganz allgemein ungeklärte Fragen: 1. In der „schönen Zeit“ war die Ein-Personen-Gründung allgemein unbekannt; und ebenso allgemein wurde in allen Ländern dieses Gebot der „mindestens zwei“ mit Zustimmung von Lehre und Rechtsprechung62 durch die Figur der Regierungsanzeiger (FEK), Heft A, Blatt 122 vom 27. 7. 1993. Und zwar wurde das griechische GmbH-Gesetz aus dem Jahre 1955 um einen neuen Artikel 43a ergänzt, der zusammenfassend die Einpersonen-GmbH (Monoprossopi etairia periorismenis evthinis) regelt. Dazu Baetge, Fn. 39. 59 Vgl. Baetge, Fn. 39, 27. 60 Erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 9. 3. 1968 (68/151/EWG), ABl. EG Nr. L 65 vom 14. 3. 1968, S. 8 ff., auch abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, Fn. 1, S. 101 ff. 61 Pampoukis, Aktienrecht, 2. Aufl., Band 1, S. 113 ff. 62 Hachenburg/Mertens, Fn. 1, Rn. 1 H.; Scholz/Winter, GmbHG-Kommentar, 6. Aufl. 1978, § 13 Rn. 69 m.w.N. (siehe dazu auch Fn. 7 und 8). 57 58

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Treuhand (Strohmann) umschifft. In vielen Ländern war dann die nachträgliche Entwicklung zur Ein-Personen-Gesellschaft mit der ex iure Auflösung, später mit der Möglichkeit gerichtlicher Auflösung verbunden und nur in Italien, England und Irland drohte die persönliche Haftung des Alleingesellschafters: auch hier wurde das treu- [95] händerische Halten eines kleinen Anteils zur Vermeidung der Ein-Personen-Situation allgemein akzeptiert. Daraus auf fortdauernde Sicherheit durch Treuhand zu schließen, wäre voreilig; immerhin hat sich mit Umsetzung der 12. Richtlinie die Gesetzeslage in allen Ländern geändert; die Gerichte in Belgien könnten, wie bisher schon Lehre und Rechtsprechung in Italien63, nunmehr auf den Gedanken kommen, die jetzt neuen Vorschriften materiell und nicht mehr nur formell zu verstehen. 2. Im übrigen sprechen die Regeln in Belgien und Italien jeweils von einer „Société Privée à Responsabilité Limitée“ bzw. einer anderen „società di capitali“ als Voraussetzung persönlicher Haftung. Sind damit nur belgische GmbH und italienische Kapitalgesellschaften gemeint oder gilt die Haftung einer natürlichen Person in Belgien auch, wenn diese in Großbritannien und Deutschland EinPersonen-Gesellschaften hält und dann in Belgien eine Ein-Personen-GmbH gründet? Eine solche Situation wäre ja gerade für einen niederländischen mittelständischen Unternehmer eine ganz normale Entwicklung, könnte aber in Belgien dann plötzlich zu seiner persönlichen Haftung führen. V. Schluß Nehmen wir alles zusammen, so muß man sagen: Das Ergebnis, daß heute in ganz Europa – derzeit noch bis auf Österreich und Irland – Ein-Personen-GmbH (Portugal: Ein-Personen-Unternehmen) gegründet werden und rechtlich unbehelligt auch später dazu werden können, ist bitter hoch bezahlt worden. War bis zur 12. Richtlinie die Rechtslage klar: allenfalls drohte die Auflösung, die in Ruhe repariert werden konnte (mit dem allgemein bekannten „Ausrutscher“ drohender Haftung in Großbritannien Irland und Italien), so kann sich heute niemand darauf verlassen, daß nicht wegen Art. 2 Abs. 2 der 12. Richtlinie nationale Tretminen lauern: Der Beratungsbedarf ist gestiegen und die modesten, dafür weitgehend arbeitslosen Einkommen für Strohmänner und Strohfrauen wurden eher gefestigt als in Frage gestellt.

63

Siehe oben sub I, 2.

Das Europäische Unternehmensrecht im 21. Jahrhundert ZGR 2000, S. 1-18 Inhaltsübersicht* I. II. 1. 2. 3. III. 1. 2. 3. IV. V. 1. 2. 3. 4. 5.

Einleitung .............................................................................................................. 1 Der Stand des Europäischen Unternehmensrechts......................................... 2 Gläubigerinteressen ....................................................................................... 3 Unternehmerinteressen ................................................................................. 3 Anlegerinteressen ........................................................................................... 5 Wertung des bislang Erreichten ......................................................................... 7 Aktiengesellschaft .......................................................................................... 7 GmbH ............................................................................................................. 7 Ausfälle............................................................................................................ 8 Harmonisierung, soft law oder Wettbewerb der Rechtsordnungen.............. 8 Einzelheiten eines Programms ........................................................................... 9 Gläubigerinteressen ....................................................................................... 9 Anlegerinteressen .........................................................................................10 Interessen der Unternehmer und der Unternehmen ..............................12 Arbeitnehmer ...............................................................................................16 Corporate Governance ...............................................................................17 I. Einleitung

1. Unternehmen sind die Motoren des europäischen Binnenmarkts. Die Art und Weise ihrer rechtlichen Ausgestaltung hat also durchaus Einfluss auf ihre Leistungsfähigkeit und ihren Erfolg auf diesem Markt. Das gilt um so mehr, als die allein aus dem Recht lebenden Kapitalgesellschaften europaweit einen immer größeren Anteil unter den Teilnehmern am europäischen Binnenmarkt stellen. Das machen die Analyse ebenso wie die Rechtspolitik schwieriger; denn in diesen Kunstgebilden des Rechts verbinden sich durchaus unterschiedliche Individualin* Anm. d. Hrsg.: Die Inhaltsübersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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teressen: Der Unternehmer möchte von seinem Rechtskleid beschützt, aber möglichst wenig behindert werden; der Gläubiger – auch und gerade der Gläubiger ohne Verhandlungsmacht oder gar ohne Verhandlungsmöglichkeit wie der Deliktsgläubiger – verlangt die Protektion durch das Recht; der Arbeitnehmer erhofft Mitsprache zum Schutze seiner Interessen; und auch der Investor, der nicht- [2] unternehmerische Anleger verlangt die Berücksichtigung seiner Interessen für die Zeit vor seiner Entscheidung (Publizität) und danach (Information und Mitwirkungsrechte). Wie stark hier die rechtlichen Tendenzen wechseln können, macht ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte deutlich: Das ungemein liberale deutsche Aktienrecht von 18701 förderte einerseits den Wirtschaftsaufschwung in jenem Jahrzehnt, andererseits den Anlagebetrug; die Antwort war die strikte Reform von 18842. Hundert Jahre später standen noch immer Gläubiger und Minderheitsgesellschafter im Zentrum des rechtlichen Interesses, nur um in diesen Tagen mehr und mehr vom Anleger und seinen Interessen bedrängt und teilweise verdrängt zu werden. Will man daher vom Europäischen Unternehmensrecht in der näheren und weiteren Zukunft handeln, so gilt es zunächst diese Interessen soweit wie möglich offen zu legen; die Verteilung der Gewichte ist dann eine (rechts-)politische Entscheidung, an deren Vorbereitung sich die Rechtswissenschaft zwar beteiligen kann und beteiligen muss, die zu treffen aber nicht in ihre Zuständigkeit fällt. 2. Auf diesem Hintergrund gilt es zunächst, die bisher getroffenen Maßnahmen zu analysieren, um den heutigen Stand des Europäischen Unternehmensrechts und die Verteilung der Interessen in ihm festzustellen3. In einem weiteren Schritt gilt es dann, das Erreichte zu werten4, um in einem nächsten Schritt über die Methoden künftiger Maßnahmen zu handeln5, um schließlich Vorstellungen zu formulieren, wie dieses Europäische Unternehmensrecht vom Torso zur Gestalt werden konnte6.

1 Art. 173-249a ADHGB in der Fassung des Gesetzes vom 11. Juni 1870, abgedruckt bei SCHUBERT/HOMMELHOFF, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 107 ff. 2 Dazu SCHUBERT, in: Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 1 ff und HOMMELHOFF, in: Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 53 ff. 3 Dazu sogleich unter II. 4 Dazu unter III. 5 Dazu unter IV. 6 Dazu unter V.

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II. Der Stand des Europäischen Unternehmensrechts Dieser gegenwärtige Stand des Unternehmensrechts in Europa ist verschiedentlich dargestellt worden, zuletzt von Hopt7 und mir8; das soll hier nicht wiederholt werden. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, wie die unterschiedlichen Interessen in Europa heute verteilt sind. [3] 1. Gläubigerinteressen Diese Gläubigerinteressen standen zu Beginn der Arbeiten der Kommission an einem Europäischen Unternehmensrecht ganz und gar im Zentrum: a) So sorgte die 1. Richtlinie9 für eine europaweit standardisierte Mindestinformation für die aktuellen und potentiellen Gläubiger einer Aktiengesellschaft oder GmbH über ihre Schuldnerin und ihre rechtlichen Daten. Zugleich hat die Richtlinie zwei elementare Gefahren für die Gläubiger beseitigt: Zum einen kann sich eine solche Gesellschaft, ist sie erst einmal im nationalen Register eingetragen, auch bei noch so großen rechtlichen Mängeln nicht mehr in „Luft auflösen“, sondern nur noch ex nunc liquidiert werden. Und zum anderen kann dem Vertragspartner nicht mangelnde Vertretungsmacht der im Register eingetragenen Organmitglieder entgegengehalten werden, also weder Bestellungsmängel oder zwischenzeitliche Abrufung noch solche Aspekte, die sich – wie die englische ultra vires-Lehre – aus gesellschaftsinternen oder nationalrechtlichen Besonderheiten ergeben. b) Mit der Festschreibung des kontinentalen Systems des festen Kapitals und den damit verbundenen Grundsätzen realer Kapitalbringung und realer Kapitalerhaltung hat die 2. Richtlinie10 – allerdings beschränkt auf die Aktiengesellschaft – ein System des materiellen Gläubigerschutzes europaweit etabliert. Insoweit wurde die Seriosität dieses Rechtsgebildes Aktiengesellschaft standardisiert und ungute Erfahrungen der Gläubiger in den 70er Jahren des letzten und den 20er Jahren dieses Jahrhunderts europaweit berücksichtigt.

HOPT, ZIP 1998, 96 ff. LUTTER, in: Nobel, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, S. 129 ff; DERS., in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten der Harmonisierung, 2000. 9 Richtlinie vom 9. März 1968 (68/151/EWG), ABl. EG Nr. L 65 vom 14. März 1968, S. 8 ff (Publizitäts-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., 1996, S. 104 ff. 10 Richtlinie vom 13. Dezember 1976 (77/91/EWG), ABl. EG Nr. L 26 vom 31. Januar 1977, S. 1 ff (Kapital-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 114 ff. 7 8

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2. Unternehmerinteressen Im Rückblick von nun dreißig Jahren eines Europäischen Unternehmensrechts stellt man mit einer gewissen Überraschung fest, wie stark die Arbeiten der Kommission auch an einer Stärkung der unternehmerischen Flexibilität und Gestaltungsvarianz ausgerichtet waren und gerade hier großen Weitblick bewiesen haben. [4] a) Aus der heutigen Sicht großer rechtspolitischer Schwierigkeiten in Europa kann man über die Verabschiedung der 3. und 6. Richtlinie11 nur staunen. Denn sie hat nicht nur die Fusion mit ihren Merkmalen der Gesamtrechtsnachfolge und des Anteilstausches europaweit etabliert und in manchen Mitgliedsländern überhaupt erst eingeführt, sondern zugleich mit den Rechtsfiguren unabhängige Prüfung und schriftlicher Bericht der Geschäftsleitung Instrumente des Minderheitsschutzes geschaffen, deren Modernität und Leistungsfähigkeit beeindrucken. Das gleiche gilt für die Spaltungs-Richtlinie, die zusätzlich mit dem Instrument der Freiwilligkeit bei ihrer Verwirklichung durch die Mitgliedsländer arbeitet: Kein Mitgliedsland ist zur Einführung der Rechtsfigur „Spaltung“ verpflichtet; wenn es das aber tut, muss es die Regeln der 6. Richtlinie beachten: Nahezu alle Mitgliedsländer haben sich inzwischen von der Nützlichkeit dieses Instruments der Umgestaltung und Umorganisation von Unternehmen überzeugen lassen und haben die Regeln der Spaltungs-Richtlinien konform in ihr Recht eingeführt. b) Auf der gleichen Ebenen liegt die Ein-Personen-Richtlinie12. Diese Richtlinie ist unter den Aspekten einer Stärkung unternehmerischer Handlungsmöglichkeiten ein großer Erfolg. Man bedenke: Noch vor zwanzig Jahren war die EinPersonen-GmbH und die Ein-Personen-AG in den romanischen Ländern – nicht anders als heute noch im deutschen Recht der Personengesellschaften – eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich: „Gesellschaft“ als der vertragliche Zusammenschluss unter zwei oder mehr Personen kann nicht als EinPersonen-Gesellschaft bestehen oder fortbestehen13. Die romanischen Länder

11 Richtlinie vom 9. Oktober 1978 (78/855/EWG), ABl. EG Nr. L 295 vom 20. Oktober 1978, S. 36 ff (Fusions-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 131 ff und Richtlinie vom 17. Dezember 1982 (82/891/EWG), ABl. EG Nr. L 378 vom 31. Dezember 1982, S. 47 ff (Spaltungs-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 199 ff. 12 Richtlinie vom 22. Dezember 1989 (89/667/EWG), ABl. EG Nr. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 40 ff (Ein-Personen-GmbH-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 278 ff. 13 Näher dazu LUTTER, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XIII, 1998, sec. 42 ss. mit vielfältigen Nachw.; vgl. weiter MICHEL, La S.P.R.L. Unipersonelle, 1988 und WEIGMANN, Società di un solo socio, in: Digesto, Vol. XIV (Commerciale), 4. Aufl., 1997, S. 209 ff.

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haben mit der Verabschiedung dieser Richtlinie also einen großen Sprung über den Schatten ihrer lange etablierten Rechtsbetrachtung gemacht. Diese gewisse Überforderung mancher Mitgliedsländer und ihrer Rechtstradition ist der Richtlinie und ihrer Qualität andererseits deutlich anzu- [5] merken; ihre inneren Brüche und Widersprüche sind mit Händen zu greifen14 und nur aus dieser Überforderung zu erklären. Man bedenke nur: In Italien führt die originäre oder abgeleitete Ein-Personen-GmbH richtlinienkonform gerade nicht zur Haftung ihres einzigen Gesellschafters, wohl aber weiterhin die Entwicklung zur EinPersonen-AG15. Hierdurch kann die europaweit mögliche Ein-PersonenGesellschaft zur Haftungsfalle für ausländische Investoren werden: Denn wer mag schon an einen solchen Unterschied zwischen den Rechtsformen AG und GmbH glauben. c) Die Zweigniederlassungs-Richtlinie16 ist in diesem Kontext weniger spektakulär. Denn die rechtliche Möglichkeit zur Errichtung von Zweigniederlassungen in EU-Mitgliedsländern war bereits mit dem EG-Vertrag und seiner Niederlassungsfreiheit für die Gesellschaften nach Art. 43, 48 EGV (Art. 52, 58 a. F.) geschaffen. Die Richtlinie hat also nicht zur Etablierung eines neuen Instruments der Freiheit und Beweglichkeit von Unternehmen in Europa geführt, sondern zur Standardisierung ihrer Anwendung und zum Schutz der davon betroffenen Partner durch breite und ebenfalls standardisierte Informationen. 3. Anlegerinteressen a) Die Interessen der Anleger standen – zusammen mit den Interessen aktueller und potentieller Gläubiger – im Zentrum der Richtlinien zur Rechnungslegung, Prüfung und Publizität von Jahresabschlüssen und Konzernabschlüssen. Die 4., 7. und 8. Richtlinie17 sind das wohl aufwendigste und am meisten ambiziöse Vorhaben der EU im Bereich des Unternehmensrechts gewesen. Über Erfolg oder – eher – Mißerfolg soll hier nicht gehandelt werden. Sicher ist nur: Diese Akte sind in der Welt, bestimmen das Unternehmensrecht in Europa mit und können in den kommenden Jahren nur verbessert, gewiss aber nicht wieder abgeDazu LUTTER, FS Brandner, 1996, S. 81 ff. Art. 2362 Codice Civile. 16 Richtlinie vom 22. Dezember 1989 (89/666/EWG), ABl. EG Nr. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 36 ff, abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 269 ff. 17 Richtlinie vom 25. Juli 1978 (78/660/EWG), ABl. EG Nr. L 222 vom 14. August 1978, S. 11 ff (Jahresabschluss-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 147 ff und Richtlinie vom 13. Juni 1983 (83/349/EWG), ABl. EG Nr. L 193 vom 18. Juli 1983, S. 1 ff (Richtlinie über den konsolidierten Abschluss), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 211 ff sowie Richtlinie vom 10. April 1984 (84/253/EWG), ABl. EG Nr. L 126 vom 12. Mai 1984, S. 20 ff (Prüferbefähigungsrichtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 232 ff. 14 15

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schafft werden. Denn [6] mindestens der Konzernabschluss steht heute so sehr im Zentrum der EU-Politiken zum Schutz der Anleger durch Information, dass dieses Instrument wie auch immer nur entwickelt, nicht aber als europaweit standardisiertes Instrument aufgegeben werden kann. b) Der Anlegerschutz in Europa hat im übrigen während des vergangenen Jahrzehnts eine gewisse Verengung, aber auch Zuspitzung erfahren. Ging es mit Rechnungslegung, Prüfung und Publizität noch um eine breite Gemengelage von Interessen (Anleger, Gläubiger, Öffentlichkeit), stand jetzt speziell der Kapitalmarkt im Zentrum und damit die Aktiengesellschaft als europaweit einzige börsenfähige Rechtsform. An sie – die börsennotierte AG – wenden sich denn auch vier Richtlinien des Kapitalmarktrechts. Die Richtlinie über Halbjahresberichte von 198218; die Richtlinie über Meldepflichten beim Erwerb oder der Veräußerung bedeutender Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften (sogenannte Transparenz-Richtlinie)19, die Richtlinie über das Verbot von Insiderhandlungen von 198920 und die Pflichten zur ad-hoc-Publizität in der Börsenzulassungs-Richtlinie von 197921. Zusammen mit weiteren börsenrechtlichen Richtlinien22 wie insbesondere die zu den Prospektpflichten haben diese Richtlinien zum Ausbau und zur Entwicklung eines ganz speziell harmonisierten Rechtsgebiets geführt, zum Schutz nämlich des Anlegers am öffentlichen und regulierten Kapitalmarkt. Diese Richtlinien betreffen zwar Fragen der Unternehmen und ihres Rechts, haben aber weniger die allgemeine Ordnung von Unternehmen und ihrer Organisation zum Gegenstand als die speziellen Interessen der Anleger, um die und deren Kapital sich speziell diese Unternehmen bemühen. Diese Richtlinien zielen auf den individuellen Kapitalanleger und seinen Schutz, zugleich aber auch auf die Funktionsfähigkeit eines Marktes, der europaweit gedacht ist und die Perspektive eines von nur drei großen Kapitalmärkten auf dieser Welt hat. [7]

18 Richtlinie vom 15. Februar 1982 (82/121/EWG), ABl. EG Nr. L 48 vom 20. Februar 1982, S. 26 ff (Halbjahresberichtsrichtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 581 ff. 19 Richtlinie vom 12. Dezember 1988 (88/627/EWG), ABl. EG Nr. L 348 vom 17. Dezember 1988, S. 62 ff (Transparenz-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 589 ff. 20 Richtlinie vom 13. November 1989 (89/592/EWG), ABl. EG Nr. L 334 vom 18. November 1989, S. 30 ff (Insider-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 601 ff. 21 Richtlinie vom 5. März 1979 (79/279/EWG), ABl. EG Nr. L 66 vom 16. März 1979, S. 21 ff (Börsenzulassungs-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 532 ff. 22 Näher dazu LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 93 ff und S. 552 ff.

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III. Wertung des bislang Erreichten Will man nun diese einzelnen Maßnahmen des europäischen Rechts für Unternehmer, Gläubiger und Anleger zusammenbringen und werten, so lassen sich drei Feststellungen machen: 1. Aktiengesellschaft Das auf die Aktiengesellschaft anwendbare Recht ist in seinen nach außen wirkenden Teilen einschließlich der Kapitalbeschaffung (Gläubigerschutz, Information) sowie in seinen Aspekten der Umorganisation sehr weitgehend harmonisiert. Darüber hinaus hat diese Harmonisierung zu einer Zweiteilung im Recht der Aktiengesellschaft und damit der Aktiengesellschaft selbst geführt oder diese (wie etwa in Frankreich und Deutschland) festgeschrieben: Börsennotierte Aktiengesellschaften unterliegen europaweit zusätzlichen Regeln zum Schutz der Anleger und zur Festigung und Wettbewerbsfähigkeit eines europäischen Kapitalmarkts. Nur die Aspekte der inneren Organisation von Aktiengesellschaften, also ihrer Organe und deren Zuständigkeiten sind bislang von (fast) jedem Einfluss des europäischen Rechts frei. Das bedeutet auch, dass die Arbeitnehmerinteressen an der Mitwirkung an Unternehmensentwicklungen sich im europäischen Rahmen bislang nicht durchsetzen konnten. Im übrigen kann man sagen: Der Standard des Rechts der Aktiengesellschaft in Europa hat sich durch diese Maßnahmen der Harmonisierung deutlich erhöht. 2. GmbH Diese Aussage gilt ganz und gar nicht für die GmbH. Hier hat zwar die 1. Richtlinie mit Publizität, Beseitigung der Nichtigkeit ex tunc und der unbeschränkten Vertretungsmacht der Geschäftsführer, und haben die Richtlinien zur Rechnungslegung, Prüfung und Publizität Standards auch für die GmbH gesetzt. Die fehlende Anwendbarkeit der 2., 3. und 6. Richtlinie aber hat weit offene Flanken im Gläubigerschutz einerseits und in der unternehmerischen Beweglichkeit andererseits gelassen. Mehr noch: Das Recht der GmbH ist heute in Europa und vor allem in Kontinental-Europa disparater als vor Beginn der europäischen Harmonisierungsbemühungen. Das hängt damit zusammen, dass in einigen Rechtsordnungen Regeln eines festen Kapitals überhaupt nicht bestehen (Großbritannien, Irland), in anderen es insoweit bei ihren tradierten und rein nationalen Regeln (z. B. Deutschland) verblieben ist, während in dritten Mitgliedsländern schließlich [8] die (freiwillige) Anwendung der 2. Richtlinie (z. B. Italien) bzw. der 3. und 6. Richtlinie (z. B. Deutschland) zu einer Erhöhung des allgemeinen Standards des betreffenden GmbH-Rechts geführt hat.

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3. Ausfälle Und schließlich sind für einzelne Aspekte schlicht Ausfälle zu verzeichnen. So gibt es im Europäischen Recht – vom Konzernabschluss abgesehen – weder Regeln zu verbundenen Unternehmen noch hat sich der Gedanke einer europäischen Gesellschaft – jenseits der für Unternehmen uninteressanten EWIV – durchsetzen können. IV. Harmonisierung, soft law oder Wettbewerb der Rechtsordnungen Dreißig Jahre einer in sich und in ihren Ergebnissen wenig koordinierten Harmonisierung hat zu einem Torso des europäischen Unternehmensrechts geführt und wir haben uns nun, am Beginn eines neuen Jahrhunderts und zum Beginn der Amtszeit einer neuen Kommission, Gedanken darüber zu machen, ob es im wesentlichen bei diesem Torso bleiben soll oder ob es noch einmal einer Anstrengung wie in der Zeit von 1968 (1. Richtlinie) bis 1989 (Ein-PersonenRichtlinie) bedarf. Kurz: Wie sieht aus heutiger Sicht das Konzept eines künftigen standardisierten Rechts der Kapitalgesellschaften in Europa aus. Das Scheitern vieler großer und als wichtig angesehener Vorhaben wie etwa der Struktur-Richtlinie23 und der Europäischen Aktiengesellschaft24, der sehr große Zeit-, Kraft- und Beratungsaufwand, der für die Verabschiedung einer Richtlinie der bis heute 15 Mitgliedsländer erforderlich ist, und erkennbare Nachteile der Rechtsangleichung, vor allem ihre Schwerfälligkeit, bei notwendigen Änderungen, haben zu großen Vorbehalten ihr gegenüber und mithin gegenüber einer weiteren Europäisierung des Unternehmensrechts mit rechtlichen Mitteln geführt25. An ihre Stelle ist mehr und mehr [9] der Gedanke eines Wettbewerbs unter den nationalen Rechtsordnungen getreten26 nach dem Motto: Das Bessere wird sich auch hier im Wettbewerb durchsetzen. Im übrigen meint man, dass guidelines oder codes of best practice ausreichen könnten27, statt rechtlicher Festlegung, Anpassungszwang und Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs.

23 Dazu ABELTSHAUSER, Strukturalternativen für eine europäische Unternehmensverfassung, 1990; HOPT, ZIP 1998, S. 101 ff; LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 171 ff. 24 Näher JAEGER, Die Europäische Aktiengesellschaft – europäischen oder nationalen Rechts, 1994; LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 715 ff; RASNER, ZGR 1992, 314; HABERSACK, Europäisches Gesellschaftsrecht, 1999, S. 305 ff, je mit vielfältigen Nachw. 25 Vgl. KÖTZ, RabelsZ 50 (1986), 1 ff; BEHRENS, RabelsZ 50 (1986), 19, 26; KÜBLER, AG 1994, 141, 145. 26 Dazu SCHÖN, ZHR 160 (1996), 221, 232 ff; MERKT, RabelsZ 59 (1995), 545 ff und DREHER, JZ 1999, 105 ff, je mit vielfältigen Nachw. 27 Vgl. KÖTZ, RabelsZ 50 (1986), 1 ff; VON BORRIES, FS Deringer, 1993, S. 22, 33.

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Wie so oft bei Fragen von Konzeption und Politik lassen sich einfache Antworten nur schwer finden. Das gilt auch hier. Die drei hier soeben angesprochenen Modelle – Rechtsangleichung, Wettbewerb der Rechtsordnungen und soft law – haben je ihren Reiz und je ihr Anwendungsfeld; aber keines von ihnen ist geeignet, den gesamten relevanten Interessen gerecht zu werden. Es ist also erneut zu prüfen, welche Interessen aus Gründen der Freiheiten und ihrer Verwirklichung im Binnenmarkt einer europäische Ordnung bedürfen und welcher Weg zu ihrer Verwirklichung hier angemessen ist: Die Europäische Aktiengesellschaft ist auf dem Wege über einen Wettbewerb der Rechtsordnungen ebensowenig zu verwirklichen wie Fragen der Arbeitnehmer-Mitbestimmung durch soft law zu regeln sind. V. Einzelheiten eines Programms 1. Gläubigerinteressen a) GmbH und Private Company Mit seinem Urteil vom 9. März 1999 – „Centros“ hat der EuGH28 gerade die kleinen und mittleren Unternehmen geradezu angestoßen und ermutigt, statt den relativ komplizierten und aufwendigen Weg der Gründung von Tochtergesellschaften im europäischen Ausland zu gehen, doch die dort eingetragene Zweigniederlassung zu wählen. Die Mitgliedsländer müssen also in Zukunft mehr und mehr mit solchen Gästen aus fremden Rechtsordnungen rechnen. Vertrauen zu schaffen auch für Rechtssubjekte fremden Rechts durch Schutz der örtlichen Vertragspartner und Gläubiger aber war einer der Gründe für die Verabschiedung der 2. (Kapital-)Richtlinie und ist nur durch Rechtsangleichung zu lösen. Die Beschränkung der 2. Richtlinie auf Aktiengesellschaften ist daher heute immer weniger gerechtfertigt: Sie [10] in ihren Kernaussagen – Mindestkapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung – auf die GmbH und die englische Private Company auszudehnen sollte daher zügig unternommen werden29. b) Information Das System der handelsrechtlichen Publizität ist früh behandelt und europaweit standardisiert30, durch die Kapital-Richtlinie31 und vor allem die Richtlinie

EuGH ZIP 1999, 438. So schon LUTTER, in: De Kluiver/van Gerven, The European Private Company?, 1995, S. 201 ff. 30 AaO (Fn. 9). 28 29

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zur Rechnungslegung32 ausgebaut worden; das alles war ein großer Erfolg. Inzwischen aber wirken die große örtliche Streuung der Register33 und Hinterlegungsstellen und die Berge von Papier, die der Publizität zugrunde liegen, schon wieder eher kontraproduktiv und veraltet. Um dieses im Prinzip erfolgreiche System der handelsrechtlichen Publizität noch schlagkräftiger und für den Gläubiger/Vertragspartner interessanter zu machen, sollte zum einen an die Einrichtung eines europäischen Zentralregisters34 sowie an den Übergang auf elektronische Medien gedacht werden. 2. Anlegerinteressen a) Mitgliedschaftsrechte und ihre Ausübung Die Europäische Union ist längst nicht mehr nur ein Binnenmarkt der Waren und Dienstleistungen, im Gegenteil: Der europäische Kapitalmarkt ist heute der mit Abstand am raschesten wachsende Teil des Binnenmarkts. Für den Kapitalmarkt aber ist das Erfordernis einer Standardisierung seiner Produkte stets akzeptiert worden35. Das steht nicht der Innovation neuer Produkte entgegen. Aber Aktien sollten im wesentlichen gleiche Rechtsprodukte sein oder Unterschiede offen ausweisen (z. B. Vorzugsaktien). Von [11] dieser Vorstellung aber ist man in Europa wegen der Unterschiede in den nationalen Aktienrechten, aber auch in der Praxis dieses Aktienwesens noch einige Meilen weit entfernt: Stimmrecht und Stimmrechtsausübung durch Vertreter: Die Unterschiede in Europa könnten kaum größer sein36 und geben dem dänischen Anleger in Kopenhagen derzeit nicht die geringste Chance, seine Beteiligungsrechte als Aktionär der italienischen Sozietà per Azioni auszuüben37 – von Fragen etwa einer schriftlichen Stimmabgabe kaum zu reden.

31 Art. 2 und 3 der 2. Richtlinie, aaO (Fn. 10), enthalten Regeln zum Mindestinhalt der Satzung einer Aktiengesellschaft, die dann auch entsprechend publiziert werden muss. 32 AaO (Fn. 11). 33 Allein in Deutschland gibt es 426 Handelsregister, aber kein Zentralregister. 34 Das Europäische Zentralregister müsste nicht die Funktion der örtlichen Handelsregister haben, sondern könnte sich auf die Rolle einer Dokumentationszentrale für alle in Europa stattgehabten Eintragungen beschränken. 35 Darauf beruht u. a. der Gedanke der Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG. 36 Vgl. dazu BAUMS, in: Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge, Comparative Corporate Governance, 1998; HOHN ABAD, Das Institut der Stimmrechtsvertretung im Aktienrecht. Ein europäischer Vergleich, 1995; BECKER, Die institutionelle Stimmrechtsvertretung der Aktionäre in Europa, 2000. 37 Vgl. dazu DEUTSCHE SCHUTZVEREINIGUNG FÜR WERTPAPIERBESITZ E.V., DSWEuropastudie, Eine rechtsvergleichende Studie über Minderheitenrechte der Aktionäre sowie Stimmrechtsausübung und -vertretung in Europa, 1999, insbesondere S. 95 ff.

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Teilnahme an den Hauptversammlungen: Viele nationale Aktienrechte schreiben nur eine Einberufungsfrist von zwei Wochen vor; ehe der belgische Anleger davon erfährt, hat die Hauptversammlung seiner Gesellschaft in Madrid längst stattgefunden. Informationsrechte außerhalb des Jahresabschlusses und spezieller Börseninformationen: Manche Rechtsordnungen gewähren dem Aktionär ein schriftliches Fragerecht, während andere wie z. B. Deutschland Fragen nur während der Hauptversammlung gestatten. Kontrollrechte gegenüber Beschlüssen vor den Gerichten, also die Anfechtungsrechte nach deutschem Recht: Auch diese Fragen sind außerordentlich unterschiedlich geregelt. Soll hier der Marktteilnehmer, der Anleger also, nicht frustriert werden mit der Folge, dass er sich vom europäischen Markt zurückzieht und sich wieder rein national verhält oder überhaupt nur noch in Fonds investiert, ist eine Angleichung dieser Rechte unabdingbar: üb hier der Wettbewerb überhaupt Abhilfe schaffen könnte und wann das wirken würden, ist ganz und gar offen. -

b) Übernahmeregeln Nur noch wenige nationale Rechtsordnungen in der EU enthalten keine Regeln zur Abwicklung von Übernahmeangeboten, aber auch nicht zu [12] Pflichtangeboten ab einer bestimmten Beteiligungshöhe38; Deutschland gehört dazu39. Die längst zu Ende beratene und erneut vielfach geänderte 13. (Takeover-)Richtlinie zu Übernahmeangeboten40 sollte jetzt kurzfristig verabschiedet werden. 3. Interessen der Unternehmer und der Unternehmen Die Gesellschaften waren vom ersten Tag der römischen Verträge an Subjekte seiner Freiheiten, haben von Anfang an insbesondere von der ihnen zugesagten Freizügigkeit nach Art. 43 und 48 EGV (Art. 52, 58 a. F.) profitiert. Dennoch sind gerade hier und nach nunmehr 40 Jahren eine ganze Reihe von Fragen ungelöst.

38 Näher ASSMANN/BOZENHARDT, in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer, Übernahmeangebote, 1990, S. 1 ff. 39 In Deutschland besteht ein freiwilliger Übernahmekodex, dem sich aber bei weitem nicht alle deutschen börsennotierten Gesellschaften angeschlossen haben; vgl. KALLMEYER, ZHR 161 (1997), 435; KIRCHNER/EHRICKE, AG 1998, 105. 40 Der zuletzt veröffentlichte Text (2. überarbeitete Fassung) der geplanten Richtlinie ist zusammen mit einer Einführung von NEYE abgedruckt in ZIP 1997, 2172; dazu VON DER CRONE/FRAUENFELDER, FS Zäch, 1999, S. 489 ff.

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a) Freizügigkeit aa) Freizügigkeit von Unternehmen besteht nicht nur in der Gründung oder dem Erwerb von Tochtergesellschaften oder der Errichtung von Zweigniederlassungen im europäischen Ausland, sie hat ihren Kern in der Möglichkeit, den Sitz nicht nur von Köln nach Hamburg verlegen zu können, sondern eben auch von Köln nach Paris41. Wegen des rein nationalen Charakters der Kapitalgesellschaftsrechte in Europa ist gerade das aber derzeit noch nicht möglich: Die deutschen Gerichte erklären die Gesellschaft für aufgelöst42, die französischen Behörden betrachten den Vorgang als Neu-Gründung nach den Regeln ihres Rechts43. Dass diese Rechtslage gegen den EU-Vertrag verstößt, ist praktisch unbestritten44. Nur eine Minderheit in der Literatur glaubt, dieses offenbare und vertragswidrige Defizit [13] einer identitätswahrenden Sitzverlegung in Europa mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs überwinden zu können45. Die Mehrheit in der Literatur hält hingegen eine entsprechende Rechtsangleichung für erforderlich; und dem entspricht auch der seit 1998 vorliegende Vorentwurf einer Richtlinie46 zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung. Das mag tatsächlich für die förmliche Sitzverlegung, also die Verlegung des Satzungssitzes zutreffen. Für die faktische Sitzverlegung, also die Verlegung (nur) des Entscheidungszentrums der Gesellschaft von London nach Kopenhagen47 oder nach München48, lässt sich durchaus die Ansicht vertreten, der EuGH habe genau das in seiner „Centros“-Entscheidung49 unter den Schutz des vorrangigen europäischen Rechts gestellt und jedem „Ankunftsland“ einer in ihrem Herkunftsland rechtmäßig errichteten und im Register eingetragenen Gesellschaft untersagt, dieser die Rechtsfähigkeit auf seinem Boden abzusprechen50. Denn tatsächlich: Wie sollte für die „Centros Ltd.“ in Frankfurt eine Zweigniederlassung, immerhin die 41 Vgl. dazu die Arbeiten des 10. Bonner Europa-Symposions zu den Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Unternehmen, ZGR 1999, 3 ff. 42 BayObLG WM 1992, 1371; OLG Hamm ZIP 1997, 1696. 43 Näher zur im einzelnen ungeklärten französischen Rechtslage POHLMANN, Das französische Internationale Gesellschaftsrecht, 1988, S. 88 ff. 44 BEHRENS, ZGR 1994, 1, 18 ff; KNOBBE-KEUK, ZHR 154 (1990), 325, 345. 45 So etwa LUTTER, Komm. z. UmwG, 2. Aufl., 2000, § 1 Rdn. 9; DERS., ZGR 1992, 435, 449; MEILICKE, GmbHR 1999, 896. 46 Text veröffentlicht in ZGR 1999, 157; dazu auch die Referate und Diskussionen auf dem 10. Bonner Europa-Symposion, veröffentlicht in ZGR 1999, 3 ff. 47 So der Sachverhalt der „Centros“-Entscheidung, EuGH ZIP 1999, 438. 48 So der Sachverhalt der Entscheidung des BayObLG NJW-RR 1999, 401. 49 EuGH ZIP 1999, 438, 439, insbesondere Tz. 17. 50 So etwa BEHRENS, IPRax 1999, 323, 325; WYMEERSCH, FS Buxbaum, 2000. So jetzt auch der österreichische OGH in seinen beiden Beschlüssen vom 15. 7. 1999, 6 Ob 123 und 124/99.

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Zweigniederlassung einer ausländischen GmbH51 eingetragen werden können, wenn eben diese Centros Ltd. nach deutscher Rechtsprechung52 und Lehre53 keine rechtsfähige englische Private Company (mehr) ist? Kurz: die faktische Sitzverlegung innerhalb Europas und ohne Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts ist damit europarechtlich akzeptiert; das aber erzwingt geradezu die maßvolle Ausdehnung der 2. (Kapital-)Richtlinie auf die GmbH sowie die englische und irische Private Company54. [14] Eine solche Interpretation entspricht im übrigen auch der Rechtsprechung des EuGH zu den anderen Freiheiten55 und der darauf beruhenden Politik der Gemeinschaft56 zur Durchsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung57: Was im Herkunftsland rechtmäßig in den Verkehr gebracht bzw. rechtmäßig errichtet worden ist, muss im Ankunftsland so akzeptiert werden58 – von seltenen Ausnahmen eines vorrangigen öffentlichen Interesses des Gemeinwohls einmal abgesehen. Insofern wäre die berühmte Sitztheorie durch vorrangiges europäisches Recht tatsächlich verdrängt59. bb) Aber es geht nicht nur um die reine Sitzverlegung, es geht auch um die Umstrukturierung von Unternehmen über die Grenze, also um die Fusion und Spaltung

Dazu LUTTER/HOMMELHOFF, Komm. z. GmbHG, 15. Aufl., 2000, § 12 Rdn. 12 ff. BGHZ 51, 28; 53, 183; 78, 334; 97, 269 sowie BayObLG NJW-RR 1999, 401; vgl. aber auch OLG Frankfurt ZIP 1999, 1710, das nunmehr für den besonderen Fall der sitzlosen Gesellschaft der Gründungstheorie folgt. 53 GROßFELD, Internationales und europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl., 1995, S. 38 ff; ZIMMER, Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S. 197 ff; ASSMANN, Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., 1992, Einl. Rdn. 528 ff sowie LUTTER/HOMMELHOFF, aaO (Fn. 51), Einl. GmbHG Rdn. 20 ff, je m. w. N. 54 Oben V.1.a. 55 BLECKMANN, Europarecht, 5. Aufl., 1990, S. 432 ff; HERDEGEN, Europarecht, 2. Aufl., 1999, S. 211 ff und SCHWEITZER/HUMMER, Europarecht, 5. Aufl., 1996, S. 340 ff; Je mit allen Nachw. aus der Rechtsprechung des EuGH. 56 FAZ vom 2. November 1999, S. 29: „Im Binnenmarkt kommt es auf die gegenseitige Anerkennung an“. 57 SCHWEITZER/HUMMER, aaO (Fn. 55), S. 346 f. 58 Treffend daher BEHRENS, IPRax 1999, 323, 325: „… Ist eine Gesellschaft in irgendeinem Mitgliedstaat wirksam gegründet, so sind die Mitgliedstaaten nach Gemeinschaftsrecht verpflichtet, diese Gesellschaft unabhängig von der Lokalisierung ihres Verwaltungssitzes als existent zu behandeln …“. 59 Zu den insoweit höchst unterschiedlichen Interpretationen der „Centros“-Entscheidung vgl. nur MEILICKE, DB 1999, 627 einerseits und EBKE, JZ 1999, 656 andererseits. Zu mittleren Positionen mit realistischem Ausblick auf die Auswirkungen der Entscheidung vgl. BEHRENS, IPRax 1999, 323; SONNENBERGER/GROSSERICHTER, RIW 1999, 721 sowie KIENINGER, ZGR 1999, 724. 51 52

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über die Grenze60. Auch das ist Teil der Freizügigkeit. Daher müssen die inzwischen eingestellten Arbeiten an dem Entwurf einer 10. Richtlinie über die internationale Fusion61 wieder aufgenommen werden. b) Konzernrecht Beim derzeitigen Stand des Gesellschaftsrechts in der EU stehen der Errichtung von Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedsländern zwar keinerlei rechtlichen und faktischen Probleme entgegen; im Gegenteil: die 11. Richt- [15] linie von 1989 über die Registerpublizität von ausländischen Zweigniederlassungen62 sorgt für einheitliche Standards. Aber noch immer erweist es sich im örtlichen Verkehr mit Banken und Behörden als einfacher, eine (Tochter-)Gesellschaft nationalen Rechts zu sein. Die Freizügigkeit des Vertrages führt also Land auf, Land ab zur Entstehung von Konzernen auch im mittelständischem Bereich. Für das Verhältnis von Muttergesellschaft zu Tochtergesellschaft sowie für die Verteilung der wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken aber fehlen in nahezu allen europäischen Ländern klare rechtliche Regeln. Im Gegenteil: Die Rechtslage könnte nicht verwirrender sein, wenn man allein bedenkt, dass sich Deutschland zwei Konzernrechte leistet, ein geschriebenes für die AG (§§ 311 ff AktG) und ein davon ganz und gar verschiedenes, von der Rechtsprechung entwickeltes für die GmbH63. Der Unternehmer und das Unternehmen mit Sitz in Kopenhagen können also nach wie vor nicht überblicken, welches ihre Risiken sind, wenn sie dem Geschäftsführer in der Tochtergesellschaft in Düsseldorf oder Madrid bestimmte Weisungen geben64 und ob sie ihre Haftung für alle Schulden riskieren, wenn die Tochtergesellschaft auf ihre Briefbögen druckt: „Ein Unternehmen der X-Gruppe“65.

60 Vgl. dazu die Referate und Diskussionen des 5. Bonner Europa-Symposions über „Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Unternehmen im Binnenmarkt“, ZGR 1994, 1 ff. 61 Vorschlag einer 10. Richtlinie vom 8. Januar 1985, ABl. EG Nr. C 23 vom 25. Januar 1985, S. 11 ff (Internationale Fusions-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 262 ff. 62 AaO (Fn. 16). 63 Seit BGHZ 65, 15 (ITT); näher LUTTER/HOMMELHOFF, aaO (Fn. 51), Anh. zu § 13 GmbHG Rdn. 16; ZÖLLNER, in: Baumbach/Hueck, Komm. z. GmbHG, 16. Aufl., 1996, Schlussanhang I und HACHENBURG/ULMER, Komm. z. GmbHG, 8. Aufl., 1996, Anh. zu § 77, je mit allen Nachw. 64 Vgl. LUTTER, in: Ein Konzernrecht für Europa, Schriftenreihe des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn, Nr. 109, 1999, S. 116. 65 Vgl. dazu die schweizerischen Fälle „Swissair“ und „Motor Columbus“ bei FLEISCHER, NZG 1999, 685; vgl. weiter dazu LUTTER, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 229 ff; FLEISCHER, ZHR 163 (1999), 461; KUZMIZ, Haftung aus „Konzernvertrauen“ – Die Außenhaftung des Konzerns im Schweizerischen Privatrecht, 1998.

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Die Unternehmen und die Unternehmer aber haben Anspruch auf Rechtssicherheit, wenn sie von, ihrer Grundfreiheit zur Niederlassung in anderen EULändern Gebrauch machen. Und daher ist zwar keine systematische, wohl aber eine punktuelle, problembezogene Angleichung dieses Rechtsgebietes erforderlich. Vorschläge dafür liegen vor66. c) Gesellschaften europäischen Rechts Fast so lange wie es die EWG und heute EU gibt, besteht auch der Plan zur Schaffung einer Gesellschaft, die nicht mehr aus – mehr oder minder [16] angeglichenem – nationalem Recht, sondern aus überall in der Gemeinschaft gleichem europäischen Recht lebt67. Der Gedanke war und ist ebenso faszinierend wie er naturgemäß die Führung der Unternehmen in Europa und ihre Stellung am Markt von der Börse über die Finanzierung bis zum standing sehr erleichtern würde. Dennoch scheitert das Vorhaben einer Europäischen Aktiengesellschaft seit 25 Jahren am Problem der Mitbestimmung und eine Lösung scheint nicht in Sicht zu sein. Genau dieses Problem aber würde einer Europäischen GmbH68, einer European Private Company nicht entgegenstehen, wenn man sie in der Zahl ihrer Mitarbeiter beschränkt – auch in Deutschland ist die GmbH mit weniger als 500 Arbeitnehmern nicht mitbestimmt. Im Interesse gerade der mittelständischen Unternehmen und um ihnen die Kosten und Risiken einer Konzernbildung zu ersparen, sollte dieser Gedanke mit Nachdruck von der Kommission aufgenommen und weiter verfolgt werden. Übrigens: Verweist man im Statut für eine solche europäische Gesellschaft auf nationales Recht und bewirkt so eine Verknüpfung der einzelnen „europäischen“ Gesellschaft mit einem bestimmten nationalen Recht, so ist unabdingbare Folge ein Wettbewerb dieser nationalen Rechtsordnungen um solche „europäischen“ Subjekte. Die Seriosität dieser Gesellschaft stünde zwar nicht in Frage – dafür würde das Statut europäischen Rechts sorgen –, aber oberhalb dieser Schwelle würden sich genaue Analysen lohnen; es bedarf keiner großen Fantasie, um festzustellen, dass gerade darüber heute bereits nachgedacht wird.

66 Eingehend dazu FORUM EUROPAEUM KONZERNRECHT, ZGR 1998, 672-772 mit Thesen und Vorschlägen auf S. 766 ff; HOMMELHOFF, ZGR 1992, 121. 67 Dazu und zur Geschichte dieses Gedankens näher LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 715 ff sowie DERS., Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl., 1978; HOPT, ZIP 1998, 103 f. 68 Conseil National du Patronat Français. Société Privée Européenne, 1998; Commission Européenne, Propositions pour une société fermée européenne Luxembourg (Sous la direction des Jeanne Boucourechliev); vgl. dazu HELMS, Die Europäische Privatgesellschaft, 1998; HOMMELHOFF, WM 1997, 2101, 2105; DERS., in: Müller-Graff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 287, 298 f; HOMMELHOFF/HELMS, GmbHR 1999, 53.

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4. Arbeitnehmer Hier hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass man zwischen Information der Arbeitnehmer und Mitbestimmung unterscheiden kann und muss. Die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat69 ist von großer [17] praktischer und psychologischer Bedeutung, zeigt sie doch, wie man europaweit sehr gut versteht, dass die Zeiten der Konfrontation zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmern der Vergangenheit angehören (sollten) und dass es für die Kooperation mit den eigenen Arbeitnehmern und für ihre Loyalität nichts Förderlicheres gibt als die vertrauensvolle Information von Vertretern der Belegschaft und das Gespräch mit ihnen und auf dieser Grundlage über bevorstehende Entscheidungen. Das ist gelungen. Ganz anders steht es um die Mitentscheidung der Arbeitnehmer70; hier ist kein wirklicher Kompromiss in Sicht, wobei man erkennen muss, dass in den Rechten des one board-Systems, also immerhin Großbritannien, Irland, Frankreich, Belgien und Luxemburg eine Mitbestimmung deutscher, niederländischer, österreichischer Prägung nicht zu verwirklichen ist; die Mitbestimmung im Verwaltungsrat (board) wäre ein aliud. Mit diesem Unterschied wird Europa also leben müssen. Und das wäre auch nicht weiter gravierend, würde dieser Aspekt nicht die Fragen der Freizügigkeit der Unternehmen so negativ beeinflussen71: Warum nur haben die deutschen Gewerkschaften solche Angst, die deutschen mitbestimmten Unternehmen könnten alle nach Frankreich und Großbritannien emigrieren? Warum nur haben sie so wenig Vertrauen in sich und das von ihnen durchgesetzte System? Warum glauben sie selbst nicht an den von ihnen betonten Standortvorteil? 5. Corporate Governance Das führt zu einem letzten Aspekt. Sehr früh schon hat sich die Kommission des Themas Corporate Governance im Entwurf einer 5. Richtlinie angenom-

69 Richtlinie vom 22. 9. 1994 (94/45/EG), ABl. EG Nr. L 254 vom 30. September 1994, S. 64 ff (Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 685 ff. 70 Diese Mitentscheidung der Arbeitnehmer findet in den deutschen, niederländischen und österreichischen Modellen stets im Aufsichtsrat statt und partizipiert mithin an den Entscheidungsbefugnissen des Aufsichtsrats. Diesem steht in keinem Falle die Leitung der Gesellschaft zu, wohl aber die Auswahl des leitenden Personals und dessen Überwachung. 71 Tatsächlich blockieren die unterschiedlichen Vorstellungen zur unternehmerischen Mitbestimmung die Verabschiedung der Verordnung über die Europäische Aktiengesellschaft sowie der Richtlinien über die Internationale Fusion und die Internationale Sitzverlegung und natürlich auch die Struktur-Richtlinie.

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men72. Damals sollten die Regeln zur Leitung der Gesellschaft, sei es im one board-System oder im two tier-Systern harmonisiert werden. Die [18] Richtlinie ist vordergründig an der Mitbestimmung gescheitert. Tatsächlich aber musste man sich immer mehr fragen, ob denn die Fragen der Leitung einer Gesellschaft der Harmonisierung durch Rechtsakt überhaupt bedürfen, ja wegen ihrer starken Einbindung in die Tradition der Mitgliedsländer der Harmonisierung überhaupt fähig sind. Im Ergebnis sollte man akzeptieren, dass hier europäische Rechtsregeln eher überflüssig und störend sind. Das aber hindert mitnichten, auf diesem für den Erfolg und die Kontrolle von Unternehmen so ungemein wichtigen Gebiet von einander zu lernen und nach den vielfach vorliegenden nationalen73 und internationalen Codices74 auch einen europäischen Code of best Practice für die Fragen ordnungsgemäßer Geschäftsführung und Kontrolle zu entwickeln: Hier hat soft law sein treffendes Anwendungsfeld.

72 3. geänderter Vorschlag einer 5. Richtlinie vom 20. 11. 1991, ABl. EG Nr. C 321 vom 12. Dezember 1991, S. 9 ff (Struktur-Richtlinie), abgedruckt auch bei LUTTER, aaO (Fn. 9), S. 176 ff. 73 Report of the Committee on the financial Aspects of Corporate Governance, 1992, S. 58 ff; HOPT/WYMEERSCH, Comparative Corporate Governance, 1997, M 1 ff; WYMEERSCH, in: Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge, Comparative Corporate Governance, 1998, S. 1045 ff. 74 OECD Principles of Corporate Governance – Grundsätze der Unternehmensführung und -kontrolle für die Welt, AG 1999, 342 ff mit Vorbemerkungen von SEIBERT auf S. 337 ff.

Zur überschießenden Umsetzung von Richtlinien der EU IN: SÖLLNER/GITTER/WALTERMANN/GIESEN/RICKEN (HRSG.), GEDÄCHTNISSCHRIFT FÜR MEINHARD HEINZE, MÜNCHEN

2005, S. 571-584

I. Einleitung 1. Meinhard Heinze war ein Europäer. Unvergessen sind seine acht (!) Bonner Symposien zum europäischen Arbeits- und Sozialrecht,1 seine Überlegungen zur Europäischen Aktiengesellschaft und zur Mitbestimmung in ihr,2 zum Sozialen Dialog in Europa,3 zum Europäischen Betriebsrat4 und vieles, vieles mehr. Daher seien gerade ihm und seinem Gedächtnis einige Überlegungen zum europäischen Recht gewidmet, genauer: zur nationalen Übererfüllung europäischer Vorgaben.5 Was ist damit wohl gemeint; denkt man doch unwillkürlich an die vielen, vielen Fälle der Nicht-Erfüllung oder unzureichenden Erfüllung europäischer Vor1 Die Unfallversicherung in der europäischen Union, Band 42 der Schriften des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn (1994); Der soziale Dialog in Europa, Band 67 der vorgenannten Schriftenreihe (1996); Die Krankenversicherung in der europäischen Union, Band 83 der vorgenannten Schriftenreihe (1997); Arbeitsforderung in Europa, Band 93 der vorgenannten Schriftenreihe (1997); Grenzüberschreitende Behandlungsleistungen im Binnenmarkt, Band 109 der vorgenannten Schriftenreihe (1999); Koordinierte Beschäftigungsstrategie, Band 107 der vorgenannten Schriftenreihe (1999); Gesundheitswesen in Europa, Band 127 der vorgenannten Schriftenreihe (2002). 2 Heinze, Die europäische Aktiengesellschaft, ZGR 2002, 66ff. 3 Heinze, Die Rechtsgrundlagen des sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene, ZfA 1997, 505ff. 4 Heinze, Der europäische Betriebsrat, AG 1995, 385ff. 5 Abgekürzt wird folgende Literatur zitiert: Basedow, Der Bundesgerichtshof, seine Rechtsanwälte und die Verantwortung für das europäische Privatrecht, in: FS Brandner, 1996, S. 651ff.; Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien 2003; Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47ff.; Pranzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft 1999; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2003 (EuropGesR); Hirte, Die Vorlagepflicht auf teilharmonisierten Rechtsgebieten am Beispiel der Richtlinien zum Gesellschafts- und Bilanzrecht, RabelsZ 66 (2002), S. 553ff.; Hommelhoff, Die Rolle der nationalen Gerichte bei der Europäisierung des Privatrechts, FS 50 Jahre BGH II, 2000, S. 889ff.; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996 (EuropUR); W. H. Roth, Europäisches Recht und nationales Recht, in: FS 50 Jahre BGH II 2000, S. 847ff.; Schnorbus, Autonome Harmonisierung in den Mitgliedstaaten durch die Inkorporation von Gemeinschaftsrecht, RabelsZ 65 (2001), S. 654ff.

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gaben durch die Mitgliedsländer: mehr als ein Viertel aller Verfahren vor dem EuGH betreffen solche Vertragsverletzungen – und dann auf einmal „Übererfüllung“? 2. Europäisches Recht ist entweder unmittelbar geltendes (primäres) Vertrags- bzw. (sekundäres) Verordnungs- oder mittelbar geltendes RichtlinienRecht. Das unmittelbar geltende Recht, das Recht der Europäischen Verträge und das Verordnungs-Recht, ist in seiner Art und Struktur einfach: Es gilt, wie geschrieben, europaweit und [572] verdrängt entgegenstehendes nationales Recht, gleich ob dieses schon existiert oder erst geschaffen werden soll, Art. 249 Abs. 2 EG.6 Viel komplizierter ist das mittelbare europäische Recht, das RichtlinienRecht. Es wendet sich an die Mitgliedsländer und verpflichtet sie, ihr nationales Recht in bestimmter Weise zu gestalten, Art. 249 Abs. 3 EG. Dieses europäische Richtlinien-Recht ist ganz und gar bestimmend auf den Gebieten des Arbeitsund Sozialrechts, des Zivil-, Handels- und Unternehmensrechts. Weil RichtlinienRecht die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, in bestimmter Weise tätig zu werden, sind seine Vorgaben oft sehr genau. So sagt etwa die 2. gesellschaftsrechtliche (Kapital-)Richtlinie7 in ihrem Art. 1, sie sei nur anwendbar auf Aktiengesellschaften. Und ganz das Gleiche sagen die 3. (Verschmelzungs-)Richtlinie8 (anwendbar nur auf Aktiengesellschaften, Art. 1) und die 6. (Spaltungs-)Richtlinie9 ebenfalls in ihrem Art. 1, während die 12. (Einpersonen-)Richtlinie10 nach ihrem Art. 1 nur für GmbHs in Europa gilt. 3. Minderleistungen gegenüber der europäischen Vorgabe sind per se Vertragsverletzung des betreffenden Mitgliedslandes, Übererfüllungen hingegen nicht unbedingt. Eine solche Übererfüllung europäischer Richtlinien-Vorgaben kommt in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen vor. So schreibt der Europäische Gesetzgeber etwa vor, dass bestimmte Hinweise und Angaben von Personen und Unternehmen gemacht, bestimmte Schutzregeln für Verbraucher beachtet werden müssen etc. Nationale Gesetzgeber satteln hier gerne auf und verlangen in ihren nationalen Umsetzungs-Gesetzen weitere Angaben und schaffen zusätzliche Schutzregeln. Dadurch entsteht dann die Frage, ob die Richtlinie abschließenden Charakter hat und somit zusätzliche Erfordernisse des nationalen Gesetzgebers verbietet und Weiterungen versperrt11 oder ob sie nur eine Mindest-

Siehe nur Lutter, EuropUR, S. 14; Habersack, EuropGesR, Rn. 29ff. m.w.N. Richtlinie v. 13. 12. 1976 (77/91/EWG), ABl EG Nr. L 26 v. 31. 1. 1977, S. 7ff. 8 Richtlinie v. 9. 10. 1978 (78/855/EWG), ABl EG Nr. L 295 v. 20. 10. 1978, S. 36ff. 9 Richtlinie v. 17. 12. 1982 (82/891/EWG), ABl EG Nr. L 378 v. 31. 12. 1982, S. 47ff. 10 Richtlinie v. 21. 12. 1989 (89/667/EWG), ABl EG Nr. L 395 v. 30. 12. 1989, S. 40ff. 11 Beispielsweise Art. 10, 11 der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie 68/151/EWG, in denen abschließende Nichtigkeitsgründe aufgezählt werden. 6 7

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Harmonisierung erreichen will und deshalb strengere Regeln erlaubt.12 Oft wird das in der betreffenden Richtlinie ausdrücklich gesagt, oft genug aber auch nicht. Dann ist die Frage durch Auslegung der Richtlinie zu beantworten13 und dem EuGH vorzulegen.14 4. Die „Übererfüllung“ kommt aber auch in einer ganz anderen Form vor. In ihr geht es nicht um eine Verschärfung gegenüber den Regeln der Richtlinie, sondern um eine erweiterte Anwendung, eine Anwendung auf andere Sachverhalte oder andere Personen. Eine solche Erweiterung stört das europäische Recht in aller Regel nicht. Was auch sollte seinen Zielen entgegenstehen, wenn ein nationaler Gesetzgeber findet, [573] die Regeln der 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zum Kapital sollten nicht nur – wie vorgeschrieben – für seine nationalen Aktiengesellschaften, sondern eben auch für die GmbHs seines nationalen Rechts gelten? Und genau diesem Gedanken sind die nationalen Gesetzgeber aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder gefolgt: a) In Italien ist das Aktien- und GmbH-Recht nicht nur im allgemeinen Zivilgesetzbuch des Codice Civile geregelt, sondern die Regeln zur GmbH nehmen in hohem Maße auf diejenigen zur Aktiengesellschaft Bezug. Wurden dementsprechend die Regeln zur Aktiengesellschaft der Richtlinie entsprechend geändert, so waren die GmbH und ihr Recht automatisch miterfasst. b) In Deutschland hat sich der Gesetzgeber zu einer systematisch einheitlichen Regelung aller sog. Umwandlungen – Verschmelzung, Spaltung, Ausgliederung, Rechtsformwechsel – entschlossen und ein einheitliches Umwandlungsgesetz verabschiedet. Zwei der dort geregelten Vorgänge aber waren durch europäische Vorgaben geprägt – Verschmelzung und Spaltung –, ihre verpflichtenden Regeln aber sind auf Aktiengesellschaften beschränkt.15 Der deutsche Gesetzgeber stand also vor der Frage: sollte er die systematische Einheit aufbrechen oder die Vorgaben der beiden Richtlinien auf alle Gesellschaftsformen ausdehnen? Er hat sich im Prinzip für Letzteres entschlossen und seine allgemeinen Teile bezüglich Verschmelzungen (§§ 2ff. UmwG) und Spaltungen (§§ 123ff. UmwG) nicht auf die Aktiengesellschaft begrenzt. Auf diese Weise ist es zu einer grandiosen „Übererfüllung“ gekommen. c) Erwähnt sei hier aber auch ein jüngster Fall. So wurde im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung auch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie umge-

12 So die meisten Richtlinien zum Verbraucherschutz, z.B.: Art. 15 der Richtlinie 87/102/EWG über den Verbraucherkredit; Art. 8 der Richtlinie 91/13/EWG über missbräuchliche Klauseln; Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf. 13 Dazu unter II. 14 Dazu unter III. 15 Siehe oben sub 2.

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setzt.16 Während diese Richtlinie zentrale Begriffe des Kaufrechts nur auf Verbraucherverträge bezieht, hat der deutsche Gesetzgeber etwa durch die Definition des Sachmangels in § 434 BGB europarechtlich geprägte Vorschriften in den für alle Kaufverträge geltenden „Allgemeinen“ Teil des Kaufrechts implementiert.17 5. Europarechtlich stand und steht den hier erwähnten „Übererfüllungen“ nichts im Wege; die erstgenannten Richtlinien mit ihrer Ausrichtung nur auf die Aktiengesellschaft sind nicht als „Sperre“ im Hinblick auf andere Gesellschaftsformen zu verstehen,18 die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nicht als Sperre gegenüber einer allgemeinen Regelung im Kaufrecht.19 Aber ganz andere Fragen entstehen, nämlich: (1) Nationales Recht, das auf verpflichtenden Vorgaben europäischer Richtlinien beruht, ist richtlinienkonform auszulegen; das ist heute unstreitig20 und vielfach so vom EuGH entschieden worden.21 Gilt das aber auch für dasjenige nationale Recht, das [574] über die Pflicht der Richtlinie hinaus geschaffen worden ist, oder ist eine solche Norm rein national zu verstehen? (2) Sollte die nationale Norm auch in ihrer erweiterten Form richtlinienkonform auszulegen sein, kann dann oder muss gar die Auslegungsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 234 EG auch in diesem erweiterten Bereich vorgelegt werden? Davon ist hier zu handeln. II. Einheitliche Auslegung? 1. Rechtsprechung a) Der Bundesgerichtshof hatte sich vor kurzer Zeit mit unserer Frage zu beschäftigen. Bei der Umsetzung der Haustürwiderruf-Richtlinie22 in § 1 HWiG hatte der deutsche Gesetzgeber ihren Anwendungsbereich bewusst erweitert.23 16 Richtlinie 1999/44/EG v. 25. 5. 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs, ABl EG Nr. L 171, S. 12ff. 17 Weitere Beispiele bei Brandner, aaO Fn. 5, S. 15ff. 18 Dafür finden sich keine Anhaltspunkte in den Richtlinien; vgl. Schnorbus, WM 2000, 2321ff. 19 Näher Bärenz, DB 2003, 375. 20 Statt aller Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994; Pranzen, aaO Fn. 5, S. 291ff. 21 Erstmals EuGH v. 10. 4. 1984, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984 I, 1909; aus der letzten Zeit nur EuGH v. 15. 5. 2003, Rs. C 160/01 (Karin Mau/BA), Slg. 2003 I, 4791; EuGH v. 9. 9. 2003, Rs. C-151/02 (Landeshauptstadt Kiel/N. Jaeger), NJW 2003, 2971. 22 Richtlinie 85/577/EWG v. 20. 12. 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl EG Nr. L 372, S. 31ff.

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Im Zusammenhang mit die Auslegung des HWiG betreffenden Verfahren Heininger wurde in der Literatur die Frage erörtert, ob eine richtlinienkonforme Auslegung auch für den überschießenden Bereich angezeigt sei.24 Der BGH griff die – im Ergebnis nicht entscheidungsrelevante – Diskussion auf und verwies auf den Willen des Gesetzgebers zur Gleichstellung beider Sachverhalte: eine unterschiedliche Auslegung widerspreche diesem Ziel und müsse außerdem in der Praxis zu großen Abgrenzungsproblemen führen.25 b) Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu unserer Frage ist uneinheitlich. Während das Bayerische Oberste Landesgericht für eine gespaltene Auslegung plädiert und sich zur Begründung mit einem Hinweis auf den Text der Fusions-Richtlinie und ihrer Beschränkung auf Aktiengesellschaften begnügt,26 stellt das OLG Naumburg, ebenfalls in einem Fall zum UmwG, auf den Willen des deutschen Gesetzgebers zu einheitlicher Behandlung aller Unternehmensformen ab.27 2. Literatur Die wissenschaftliche Diskussion hat zunächst einmal und zu Recht herausgearbeitet, dass es hier nicht um eine Frage des europäischen Rechts und seiner Anwendung geht, [575] sondern ganz und gar um eine Frage des nationalen Rechts. Die autonome Unterstellung weiterer Sachverhalte unter die europäisch veranlasste nationale Norm durch den nationalen Gesetzgeber mache sie nicht zur europäischen Norm und führe daher auch nicht zur europarechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformer Auslegung.28 Das trifft sicher zu. Die Frage nach einheitlicher oder gespaltener Auslegung sei also eine Frage rein nationaler Normanwendung. Daher komme es auf die klassischen nationalen Auslegungselemente von Text, Kontext und Funktion der Norm sowie auf den historischen Willen des Gesetzgebers an, auf Konformität mit der Richtlinie aber nur dann, wenn der nationale Teil der Norm dies deutlich mache oder der nationale Gesetzgeber dieser Vorstellung gefolgt sei.29 23 Art. 1 der Richtlinie verlangte die Abgabe eines Angebots in einer Haustürsituation, der damalige § 1 HWiG (heute § 312 BGB) lässt die reine Vertragsanbahnung ausreichen. 24 Habersack, WM 2000, 981; Hoffmann, ZIP 2002, 145; Staudinger, NJW 2002, 653; Wagner, BKR 2002, 194; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545ff. 25 BGH, ZIP 2002, 1075ff.; vgl. dazu auch Pranzen, JZ 2003, 321. 26 BayObLG, AG 1999, 185, 187; ähnlich OLG Stuttgart, AG 1997, 136, 137. 27 OLG Naumburg, GmbHR 1997, 1152, 1155. 28 Canaris, aaO Fn. 5, S. 47, 74; Hommelhoff, aaO Fn. 5, S. 889, 915; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 548; auch Pranzen, aaO Fn. 5, S. 372. 29 Brandner, aaO Fn. 5, S. 99ff.; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 551; W. H. Roth, aaO Fn. 5, S. 847, 884f.; H. Schmidt, in: Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 39 Rn. 13; Schulze, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, 1999, S. 9, 17.

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3. Stellungnahme a) Ausgangspunkt aller Überlegungen muss die Feststellung sein, dass sich der nationale Gesetzgeber frei und ohne jede Bindung und Verpflichtung gegenüber dem europäischen Recht für die erweiterte Anwendung der europäischen Vorgaben entschieden hat. Er hätte das auch in Form eines allgemeinen Verweises machen können etwa mit der Formulierung: „Die Vorschriften der §§ a-k gelten auch für …“

Und bei dieser Gelegenheit hätte er dann auch bestimmen können: „mit Ausnahme von § d Abs. 1 und § e Abs. 3“.

Daraus erhellt: allein entscheidend ist der Gestaltungswille des nationalen Gesetzgebers; durch keine europäische Norm und keine spezielle Norm des deutschen Verfassungsrechts ist er gehindert, die gedachte Erweiterung ganz oder eben nur teilweise vorzunehmen. Wo immer sich daher im Text der nationalen Norm ein Hinweis auf eine solche Differenzierung findet, ist diese vom Rechtsanwender gewisslich mit aller Sorgfalt zu beachten. Das gilt aber auch für entsprechende Hinweise in den Materialien; denn insoweit handelt es sich um eine rein nationale Norm. Nach dem bei uns allgemein akzeptierten Kanon der Auslegungsmittel gehört aber die Entstehungsgeschichte einer Norm dazu.30 Solche Hinweise in den Materialien sind also aufzunehmen und in die Auslegung einzubeziehen zusammen mit allen anderen Aspekten. Ein solcher Hinweis in den Materialien führt also – anders als bei textlicher Differenzierung – nicht zwangsläufig zu einem ungleichen Ergebnis; doch hat das Argument einer entsprechenden Aussage zum Willen des Gesetzgebers großes Gewicht. b) Weiß man erst einmal um den hier allein maßgeblichen Willen des nationalen Gesetzgebers bei Entscheidung der Frage nach dem Maß der einheitlichen oder eben [576] nicht einheitlichen Anwendung der europäisch geprägten Norm, so hat man auch festen Grund für die Klärung der viel häufigeren Fälle, in denen weder der Text des Gesetzes noch die Materialien der nationalen Gesetzgebung irgendwelche direkten Hinweise enthalten. Hier muss dann aus allen anderen Umständen auf eben den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des nationalen Gesetzgebers geschlossen werden. aa) Ein wichtiger Hinweis ist hier die genaue Kenntnis des nationalen Gesetzgebers um die eingeschränkte Pflicht aus dem europäischen Recht und der europäischen Norm. So waren sich die das Umwandlungsgesetz vorbereitenden Mitarbeiter des Bundesministerium der Justiz bei der Formulierung des Diskussionsentwurfs und des späteren Referenten- und Regierungs-Entwurfs ganz und gar bewusst, dass die Regeln der 3. und 6. Richtlinie eben nur für die Aktienge30

Siehe nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 313ff.

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sellschaft verpflichtend sind.31 Und nicht minder wussten ihre Kollegen bei der Formulierung des neuen § 434 BGB um die weit geringere Ausdehnung der europarechtlichen Pflicht aus der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie.32 Die bewusst gleiche Gestaltung des europäisch geprägten Tatbestandes mit dem ganz und gar nationalen Tatbestand deutet nachdrücklich daraufhin, dass eben keine Besonderheiten gewollt waren. bb) Nicht minder gewichtig sind systematische Aspekte. Dem BGB sind Sonderregeln zum Verbraucherrecht durchaus und vielfach vertraut. Es wäre also keine Überraschung gewesen, wenn der Gesetzgeber bei der neuen Fassung des § 434 BGB nach allgemeinem Kauf und Verbrauchsgüterkauf unterschieden hätte. Er hat es aber eben nicht getan. Ähnliches gilt für den Gesetzgeber des Umwandlungsgesetzes. Er wollte die von der Rechtsform unabhängige, möglichst weitgehend einheitliche Behandlung aller Rechtsträger, ob Aktiengesellschaft oder nicht. Das wird hier am Aufbau des Gesetzes besonders deutlich. Denn das Gesetz unterscheidet zwischen allgemeinen (§§ 3ff., 123ff.) und speziellen (z.B. §§ 39ff.) Regelungen, formuliert also durchaus Besonderheiten etwa für die GmbH. Die von der 3. Richtlinie geprägten allgemeinen Vorschriften der §§ 2-38 UmwG mit ihren Vorgaben zum Verschmelzungsplan, zum Bericht, zur Prüfung, zur Versammlung der Gesellschafter und zum Minderheitenschutz hätten also unschwer ganz oder teilweise für die GmbH und die vielen anderen Gesellschaftsformen abgeändert werden können. Es ist weitestgehend nicht geschehen. cc) Des Weiteren kann eine allgemeine Absicht des nationalen Gesetzgebers spezielle Hinweise geben. So wollte etwa der deutsche Gesetzgeber die rechtsformübergreifende Lösung des Umwandlungsgesetzes und hat diese Lösung gegen vielfache Angriffe im Gesetzgebungsverfahren verteidigt.33 Er wollte in den zentralen Fragen der Umwandlung eben gerade keine Einzellösung. Das gibt einen deutlichen Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen zu einheitlicher Lösung, einheitlichem Verständnis und einheitlicher Auslegung. [577] dd) Und schließlich müsste durch Hinweise welcher Art auch immer aufscheinen, wenn der nationale Gesetzgeber der Einheitslösung nicht vertraut hätte. Wenn er aber über seine europarechtlichen Pflichten hinausgeht und andere Sachverhalte der gleichen Lösung unterwirft, müsste das Aufbrechen dieser Einheit durch Auslegung irgendwie angedeutet sein. Ist das nicht der Fall, so spricht eine Vermutung dafür, dass der nationale Gesetzgeber die europarechtliche Lö-

Vgl. Begründung des RegE zu § 2 UmwG, BT-Drucks. 12/6699, S. 81. BT-Drucks. 14/6040, S. 211. 33 Begründung des RegE zu § 2 UmwG, BT-Drucks. 12/6699, S. 81; vgl. auch die Diskussionen im Rahmen des 7. ZGR-Symposions, ZGR 1990, S. 391ff., und die Beiträge des Arbeitskreises Umwandlungsrecht, ZGR 1993, S. 321ff. 31 32

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sung für rundum richtig auch für seine nationale Erweiterung eingesetzt und eine auf Dauer einheitliche Lösung gewollt hat. 4. Damit lässt sich sagen: Gibt es weder im Text des nationalen Gesetzes noch in den Materialien Hinweise für sachliche Unterschiede trotz gleichen Wortlauts, so ist davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber die ganz und gar gleiche Lösung für die europäisch verpflichtenden und die darüber hinausgehenden Sachverhalte wollte. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Sachverhalte durch den Rechtsanwender ist dann nicht gerechtfertigt. 5. Eine ganz andere Frage entsteht, wenn der EuGH zur Auslegung der Richtlinie angerufen wird und dem nationalen Rechtsanwender und insbesondere dem Richter aufgibt, diese seine – des EuGH – Auslegung der Richtlinie auch der Auslegung des auf der Richtlinie verpflichtend beruhenden nationalen Rechts zugrunde zu legen (richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts).34 Das ist die Pflicht des nationalen Rechtsanwenders. Aber es ist nicht seine Pflicht dort, wo dem EuGH die Kompetenz fehlt. Das leitet schon über zu unserer zweiten Frage, nämlich nach dem Vorlagerecht und der Vorlagepflicht der nationalen Gerichte und der Kompetenz des EuGH in solchen Fällen. III. Der EuGH und seine Kompetenz bei nationaler Übererfüllung Die einfach klingende Überschrift hat in Wirklichkeit unterschiedliche Facetten. Sie reichen von der Frage, ob der nationale Richter vorlegen muss oder jedenfalls vorlegen kann, ob der EuGH die Frage beantworten kann oder muss und schließlich ob der vorlegende Richter an die Antwort des EuGH auch gebunden ist. 1. Die Rechtsprechung des EuGH a) Der EuGH hatte sich erstmals im Jahre 1985 mit einer immerhin ähnlichen Frage zu beschäftigen. Hier hatte die damals noch bundesunmittelbare Deutsche Bahn den Gemeinsamen Zolltarif (GZT) für ihr Gütertarifsystem übernommen. Der Bundesfinanzhof legte seine Auslegungsfrage dem EuGH vor, und dieser akzeptierte sie gegen energische Bedenken des Generalanwalts Mancini mit der großmütigen Bemerkung, es [578] sei Sache des vorlegenden Gerichts zu

34 Dies ergibt sich bereits aus der Auslegungskompetenz des EuGH. Vgl. auch Habersack, EuropGesR, Rn. 38f.

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befinden, „ob die Beantwortung der zur Vorabentscheidung gestellten Frage zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens erforderlich ist“.35 b) Mit der überschießenden Umsetzung von Richtlinien befasste sich der Gerichtshof dann erstmals in der Entscheidung Dzodzi aus dem Jahre 1990.36 Hintergrund war die Auslegung einer europarechtlichen Vorgabe, die ausländischen Ehegatten von EU-Bürgern ein Aufenthaltsrecht im Gastland gewährt, wenn Letztere von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen.37 Die belgische Regelung räumte zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung dem ausländischen Ehegatten eines belgischen Staatsangehörigen ein entsprechendes Recht – in Belgien – ein. Im darauf beruhenden Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG nahm der Gerichtshof seine Zuständigkeit an, obwohl sie von Belgien, der Kommission und auch wieder dem Generalanwalt energisch bestritten wurde.38 Das nationale Gericht müsse im Rahmen seines Beurteilungsspielraums allein entscheiden, ob die aufgeworfenen Fragen bezüglich Erforderlichkeit und Entscheidungserheblichkeit zu einer Vorlage berechtigen. Daran sei er gebunden. Nur wenn das Vorlageverfahren zweckentfremdet würde, also bei der Vorlage fiktiver Sachverhalte oder offenkundig nicht betroffenem Gemeinschaftsrecht, sei der Gerichtshof aus Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs nicht zuständig.39 c) In der Sache Kleinwort Benson ging es um eine Auseinandersetzung zwischen englischen und schottischen Gerichten bezüglich ihrer Zuständigkeit nach britischem Verfahrensrecht. Dieses war fast vollständig dem EuGVÜ nachgebildet und zwar auch für Sachverhalte, die sich innerhalb der Vereinigten Königreichs abspielten. Der Gerichtshof folgte hier dem Schlussantrag des Generalanwalts, der sich deutlich gegen eine Zuständigkeit ausgesprochen hatte.40 Dabei verwies der Gerichtshof allerdings auf die Tatsache, dass die britische Regelung gerade keine Verweisung enthalte, sondern das EuGVÜ nur als Muster verwendet hatte mit Abweichungen an einzelnen Stellen. Damit entfalle die Bindungswirkung der Entscheidung des Gerichtshofs.41 d) Die Sache Leur-Bloem42 war erneut ein klassischer Fall der überschießenden Umsetzung von Richtlinien, denn die niederländische Regelung zur steuerlichen Behandlung von innerstaatlichen Unternehmensfusionen entsprach der Behand35 EuGH v. 26. 9. 1985, Rs 166/84 (Thomasdünger), Slg. 1985, 3001 Tz. 11; ähnlich und auch zur Auslegung des GZT EuGH v. 8. 11. 1990, Rs C 231/89 (Gmurzynska-Bscher), Slg. 1990 I, 4003. 36 EuGH v. 18. 10. 1990, Rs C 297/88 u. C 197/89 (Dzodzi), Slg. 1990 I, 3763. 37 VO Nr. 1612/68 u. 1251/70; Richtlinien 64/221/EWG u. 68/360/EWG. 38 Siehe die Nachweise in der Entscheidung Dzodzi, Slg. 1990 I, 3763. 39 EuGH v. 18. 10. 1990, Rs C 297/88 u. C 197/89 (Dzodzi), Slg. 1990 I, 3763 Tz. 29ff. 40 EuGH v. 28. 3. 1995, Rs C 346/93 (Kleinwort Benson), Slg. 1995 I, 615, 626ff. (Generalanwalt Tesauro); 639 (Gerichtshof). 41 EuGH v. 28. 3. 1995, Rs C 346/93 (Kleinwort Benson), Slg. 1995 I, 615 Tz. 20ff. 42 EuGH v. 17. 7. 1997, Rs C 28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997 I, 4161.

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lung grenzüberschreitender Fusionen, welche auf der entsprechenden internationalen Fusion-Steuer-Richtlinie basiert.43 Die Vorlage des Amsterdamer Gerechtshof enthielt [579] ausdrücklich die Fragestellung, ob dem Gerichtshof auch solche Auslegungsfragen vorgelegt werden können, die nur nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers in gleicher Weise wie Richtlinien zu behandeln sind. Generalanwalt Jacobs verneinte eine Zuständigkeit des Gerichtshofs und forderte weitergehend, dass die nach Kleinwort Benson bestehende Hintertür, eine Zuständigkeit bei unmittelbarer Verweisung des nationalen Rechts auf Gemeinschaftsrecht, geschlossen werden müsste.44 Anders der Gerichtshof: er stellt seine Zuständigkeit fest und verweist erneut auf den Beurteilungsspielraum des nationalen Gerichts. Solange sich die nationalen Gerichte bei ihrer Entscheidung zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts veranlasst sähen, sei der Gerichtshof gehalten, über die Auslegung zu befinden.45 Der Gerichtshof bezeichnet diese Vorgehensweise als „Dzodzi-Rechtsprechung“.46 Anders als bei Kleinwort Benson sei hier die Verklammerung des nationalen mit dem Gemeinschaftsrecht zwingend; deshalb seien die Gerichte dann auch an die Rechtsprechung des Gerichtshofs gebunden, während in Situationen ähnlich Kleinwort Benson lediglich eine Berücksichtigungspflicht bestünde.47 e) In der Rechtssache ICI schließlich bekräftigte der Gerichtshof seine Tendenz zur Annahme seiner Zuständigkeit.48 Gegenstand des Verfahrens waren britische Vorschriften des Steuerrechts, über deren Auslegung in Sachverhalten, die grundsätzlich nicht dem Gemeinschaftsrecht unterfielen, das House of Lords Klarheit begehrte. Zu der Frage der Zuständigkeit äußert sich der Gerichtshof schon fast routiniert, dass es „nach ständiger Rechtsprechung es allein Sache der nationalen Gerichte (ist), bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen.“49

43 Richtlinie 90/434/EWG v. 23. 7. 1990, ABl EGL 225 v. 20. 8. 1990, S. 5ff.; abgedruckt bei Lutter, EuropUR, S. 810ff. 44 EuGH v. 17. 7. 1997, Rs C 28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997 I, 4161 Tz. 67ff. 45 EuGH v. 17. 7. 1997, Rs C 28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997 I, 4161 Tz. 23ff. 46 EuGH v. 17. 7. 1997, Rs C 28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997 1, 4161 Tz. 27. 47 EuGH v. 17. 7. 1997, Rs C 28/95 (Leur-Bloem), Slg. 1997 I, 4161 Tz. 29; siehe auch EuGH v. 17. 7. 1997, Rs C 130/95 (Giloy), Slg. 1997 I, 4291 Tz. 16ff. (teilweise wortidentisch). 48 EuGH v. 16. 7. 1998, Rs C 264/96 (ICI), Slg. 1998 I, 4695; vgl. dazu Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 918f. 49 EuGH v. 16. 7. 1998, Rs C 264/96 (ICI), Slg. 1998 I, 4695 Tz. 15.

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Das Ersuchen des nationalen Gerichts könne nur zurückgewiesen werden, wenn erkennbar kein Zusammenhang zwischen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und dem Ausgangsverfahren bestünde.50 f) Aus der jüngeren Rechtsprechung sei noch auf die Sache BIAO aus dem Jahr 2003 hingewiesen, in der sich der Gerichtshof auf Vorlage des FG Hamburg mit der Auslegung der Jahresabschluss-Richtlinie und deutschen Rechnungslegungsvorschriften befasste.51 Generalanwalt Jacobs würdigt in seinem Schlussantrag ausführlich [580] die bisherige Rechtsprechung zu dem Komplex, bestreitet aber energisch eine „geschlossene Rechtsprechung“ in diesem Zusammenhang.52 So kommt er auch zu dem Ergebnis, dass der Gerichtshof außerhalb des direkten Anwendungsbereichs von Gemeinschaftsrecht keine Kompetenz zur Auslegung des Rechts habe und daher auch nicht zuständig sei.53 Anders der EuGH, der – wieder einmal – auf die alleinige Verantwortung des nationalen Gerichts verweist, über die Relevanz des Gemeinschaftsrechts für seine eigene Entscheidung zu befinden. Erneut nennt er als Grenze den bereits bekannten Maßstab, dass es sich nicht um fiktive Sachverhalte oder fern von Gemeinschaftsrecht liegende Fragen handeln dürfe.54 g) Aus den Entscheidungen ergibt sich folgende Linie: Der Gerichtshof ist auch für die Auslegung nationalen Rechts zuständig, wenn das nationale Gericht in seinem – wohl weiten – Beurteilungsspielraum zu dem Ergebnis kommt, dass die Auslegung des Gemeinschaftsrechts von entscheidungserheblicher Bedeutung ist. Eine bloße Beratungsfunktion lehnt der EuGH ab, d.h. die Verbindung des nationalen mit dem Gemeinschaftsrecht muss – nach Auffassung des vorlegenden Gerichts – so eng sein, dass von der Auslegung durch den EuGH eine Bindungswirkung für die nationale Rechtsprechung ausgeht. Dies soll dann der Fall sein, wenn die nationale Regelung die vom europäischen Recht vorgegebenen und die durch die überschießende Umsetzung erfassten Sachverhalte identisch behandelt oder der überschießende Teil ausdrücklich auf das europäische Recht als Quelle verweist.55 Zu der Frage, ob eine Pflicht des letztinstanzlichen Gerichts zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG bestehen könnte, hat der Gerichtshof sich bisher nicht geäußert.

EuGH v. 16. 7. 1998, Rs C 264/96 (ICI), Slg. 1998 I, 4695 Tz. 15. EuGH v. 7. 1. 2003, Rs C 306/99 (BIAO), Slg. 2003 I, 1. 52 EuGH v. 7. 1. 2003, Rs C 306/99 (BIAO), Slg. 2003 I, 1, 23. 53 EuGH v. 7. 1. 2003, Rs C 306/99 (BIAO), Slg. 2003 I, 1, 25. 54 EuGH v. 7. 1. 2003, Rs C 306/99 (BIAO), Slg. 2003 I, 1 Tz. 88. 55 S. auch Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 921. 50 51

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2. Deutsche Rechtsprechung a) In verschiedenen Entscheidungen zum UmwG haben die Instanzgerichte ein Gesuch der Parteien zur Vorlage an den EuGH stets abgelehnt. Dies geschah allein mit dem Hinweis, dass der in Frage stehende Sachverhalt von dem Anwendungsbereich der Richtlinie nicht erfasst werde. Daran bestünden keinerlei Zweifel (acte-claire).56 b) Der Bundesgerichthof ging in seiner Begründung zum Vorlagebeschluss in Sachen Heininger57 nicht näher auf die Problematik ein. Das ist insofern nicht verwunderlich, als im Vordergrund der Entscheidung das Verhältnis des HWiG zum VerbrKrG stand und die Diskussion über die möglicherweise gespaltene Auslegung des HWiG in der Literatur erst im Anschluss an diesen Vorlagebeschluss aufkam. Aufgrund der späteren Entscheidung des BGH kann man aber vermuten, dass er ein Vorlagerecht annehmen [581] würde.58 Dafür spricht allein sein entschiedenes Eintreten für eine einheitliche Auslegung und die Berücksichtigung des entsprechenden gesetzgeberischen Willens, der nur dann angemessen umzusetzen ist, wenn der EuGH im Zweifelsfall auch zu Rate gezogen werden kann.59 3. Die Meinungen der Literatur a) Die Frage nach der Zuständigkeit des EuGH ist, wie bereits erwähnt, zu unterteilen in die Möglichkeit einer Vorlage nach Art. 234 Abs. 2 EG und die Pflicht des letztinstanzlichen Gerichts zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG. Beide Fragen werden kontrovers diskutiert, wobei die Möglichkeit einer Vorlage zur Auslegung überschießenden Rechts überwiegend bejaht wird.60 Maßgeblich stützt sich diese Ansicht auf den gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund. Auch wenn das Gemeinschaftsrecht auf freiwilliger Weise in nationales Recht implementiert werde, bleibe es doch beim Auslegungsmonopol des EuGH mit der Folge, dass nur dieser abschließend und einheitlich über den Richtlinien-Text entscheiden könne. Dabei entspräche die Auslegung durch den Gerichtshof eben auch dem 56

II.1.a).

BayObLG, AG 1999, 185, 187; OLG Stuttgart, AG 1997, 136, 137; vgl. oben unter

BGH, ZIP 2000, 177ff. BGH, ZIP 2002, 1075, 1079f. 59 Siehe bereits oben sub II.1. 60 Basedow, S. 651, 662; Brandner, aaO Fn. 5, S. 125ff.; Brause, Stimmrechtslose Vorzugsaktien bei Umwandlungen, 2002, S. 80; Franck, BKR 2002, 709, 715f.; Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 484; Hirte, S. 553, 576; Lutter, in: Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, Einl Rn. 31ff.; H. Schmidt, in: Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 39 Rn. 13; Schulze, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts 1999, S. 9, 18f. 57 58

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Willen des deutschen Gesetzgebers. Dieser werde sich nur zur weitergehenden und freiwilligen Rechtsharmonisierung entscheiden, wenn das Gemeinschaftsrecht auch im überschießenden Bereich die sinnvollste Lösung sei. Daher müsse das Gemeinschaftsrecht auch bei bloß mittelbarer Anwendbarkeit einheitlich vom EuGH ausgelegt werden.61 Teilweise wird sogar argumentiert, auch Drittstaaten, die freiwillig europäisches Recht übernommen haben, sollten vorlageberechtigt sein.62 b) Gegen die Möglichkeit zur Vorlage wird insbesondere die Funktion des Vorlage-Verfahrens angeführt. Um die mit der Richtlinie verbundene Rechtsangleichung zu erreichen, müsse auch auf der Ebene der Rechtsanwendung Einheitlichkeit sichergestellt sein. Damit die Gerichte in den Mitgliedstaaten in Zweifelsfallen die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht in unterschiedliche Richtungen entwickelten, gäbe es die Möglichkeit der Vorlage an den EuGH, dem die verbindliche Interpretation obliege. Um derartige Rechtsangleichung könne es aber nur so weit gehen, wie die Richtlinie als Instrument der Rechtsangleichung diene. Darüber hinaus sei das Vorlageverfahren nicht eröffnet.63 Mit originärem Gemeinschaftsrecht wird auch noch in eine andere Richtung argumentiert. Bei Verweisungen nationalen Rechts auf Gemeinschaftsrecht komme nur [582] dann die Auslegung durch den EuGH in Betracht, wenn es noch um den Anwendungsbereich als Gemeinschaftsrecht ginge. Den Mitgliedsstaaten fehle jedoch die Kompetenz, diesen Anwendungsbereich einseitig zu erweitern. Gemeinschaftsrecht sei gemeinschaftlich gesetztes Recht. Auch wenn sich mittelbar Fragen des Gemeinschaftsrecht bei der Auslegung nationalen Rechts ergäben, ließe sich dadurch die Zuständigkeit des EuGH nicht begründen.64 c) Ähnlich verläuft die Diskussion zu der Frage, ob in diesem Zusammenhang das letztinstanzliche Gericht eine Pflicht zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG trifft. Diejenigen, die eine Möglichkeit zur Vorlage annehmen, verpflichten folgerichtig das Gericht der letzten Instanz auch zur Vorlage. Dies sei nur die Konsequenz aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber dem Gerichtshof die Auslegung des Gemeinschaftsrechts übertragen habe.65 Die Gegenansicht kommt naturgemäß ohne besonderen Begründungsaufwand aus: wenn bereits die Möglichkeit zur Vorlage nicht bestehe, so sei im Sinne Brause, Stimmrechtslose Vorzugsaktien bei Umwandlungen, 2002, S. 80. Hirte, aaO Fn. 5, S. 553, 576f. 63 Hommelhoff, aaO Fn. 5, S. 889, 919ff. 64 Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 918ff.; kritisch auch Habersack, EuropGesR, Rn. 39a; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 2. Aufl., § 8 Rn. 37; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545. 65 Brause, Stimmrechtslose Vorzugsaktien bei Umwandlungen 2002, S. 81; Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 487f.; H. Schmidt, aaO (wie Fn. 60); Schnorbus, S. 654, 692; Wassermeyer, aaO Fn. 5, FS Lutter, 2000, S. 1633ff. (zur Bilanzrichtlinie). 61 62

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eines Erstrecht-Schlusses auch eine etwaige Pflicht zu verneinen.66 Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die darauf hinweisen, dass der EuGH nur durch gesetzliche Anordnung, nicht aber durch Gerichtsbeschluss zum gesetzlichen Richter im Sinne von 101 Abs. 1 S. 2 GG werden könne, wiegen aber in diesem Zusammenhang eher stärker.67 4. Stellungnahme a) Der vom Gerichtshof eingeschlagene Weg stellt einen angemessen Umgang mit der überschießenden Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten dar. In seinem Ansatz, den nationalen Gerichten die Feststellung des gemeinschaftsrechtlichen Bezugs zu überlassen, wird deutlich, dass auch der Gerichtshof den Rechtsgrund für die Koppelung des nationalen mit dem Gemeinschaftsrecht im jeweiligen Recht des Mitgliedstaats sieht. So ist sicher gestellt, dass zunächst eine Prüfung durch das nationale Gericht zu erfolgen hat, das den Willen seines Gesetzgebers zu einer einheitlichen Auslegung zu erforschen hat. Dies ist nach hier vertretener Auffassung im Zweifel der Fall, wenn er sich zu einer einheitlichen Regelung entschieden hat und keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen. Durch die daraus resultierende Pflicht des nationalen Richters zu insgesamt richtlinienkonformer Auslegung auch im überschießenden Bereich ist gleichzeitig sichergestellt, dass der EuGH gerade keine reine Be- [583] ratungsfunktion ausübt, sondern seine Auslegung für die Anwendung des nationalen Rechts verbindlich ist. Ohne die Möglichkeit zur Vorlage würde das gesetzgeberische Ziel, die Wertungen der Richtlinie auf weitere Sachverhalte zu erstrecken, in der Tat leer laufen, da in Zweifelsfragen nur das Vorlageverfahren die Einheitlichkeit der nationalen Rechtsprechung sichert. Dabei wird das Verfahren auch nicht etwa zweckentfremdet: Im System der Rechtsharmonisierung durch Richtlinien, die in aller Regel keinen abschließenden Charakter haben, sondern den Mitgliedstaaten ausdrücklich erlauben, in ihren Vorschriften weiter zu gehen, ist bereits angelegt, dass einzelne Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich nach ihren Vorstellungen erweitern können und sollen. Wenn dem aber so ist, muss auch die Rechtsanwendung dieser Systematik folgen können.

66 Anders Hirte, der zwar die Vorlageberechtigung anerkennt, ohne Begründung eine Pflicht zur Vorlage aber ablehnt; RabelsZ 66 (2002), 553, 565. Siehe auch Brandner (aaO Fn. 5, S. 134f.), der die Pflicht zu Vorlage mit der Begründung ablehnt, eine solche sei dem nationalen Recht nicht zu entnehmen. 67 Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 918ff.; Habersack, EuropGesR, Rn. 39a; kritisch wohl auch Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, 2. Aufl., § 8 Rn. 37.

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Im Übrigen gilt es festzuhalten: der EuGH legt nicht in diesen Fällen nationales Recht aus,68 sondern es geht für ihn und das vorlegende Gericht nur um die Auslegung des europäischen Rechts und insbesondere das der Richtlinie. Dieses europäische Recht ist kraft der freien Entscheidung des nationalen Gesetzgebers maßgebend für das Verständnis seines nationalen Rechts. Ja, man kann sogar sagen, dass das europarechtliche Konzept der Mindestharmonisierung darauf angelegt ist, dass die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecht auf weitere Sachverhalte erstrecken. Auch verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bestehen nicht.69 Durch den ausdrücklichen oder vermuteten Willen des nationalen Gesetzgebers, die Auslegung des überschießenden Bereichs an die Richtlinie und ihre Auslegung zu koppeln, besteht bereits eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Überdies ergibt sich die. Zuständigkeit des EuGH aus Art. 234 EG, wenn das vorlegende Gericht die Entscheidungserheblichkeit der Auslegung durch den Gerichtshof für seine eigene Entscheidung feststellt.70 Nach den Grundsätzen, die der EuGH in seinen oben geschilderten Entscheidungen aufgestellt hat, findet eben diese Prüfung durch das nationale Gericht auch im Fall der überschießenden Umsetzung statt. Im Übrigen stellt es eine autonome und zulässige Entscheidung des Gesetzgebers dar, das Prüfungs- und Auslegungsmonopol deutscher Gerichte zu reduzieren. Dies ist bei Kollisionsnormen nicht anders.71 b) Diese Überlegungen gelten aber nicht nur für das Recht, sondern eben auch die Pflicht zur Vorlage. Durch den Willen des nationalen Gesetzgebers entfaltet die Richtlinie Auswirkungen auch auf die Auslegung erweiterten nationalen Rechts. Ist sie entscheidungserheblich, so kann mindestens in letzter Instanz auf eine Vorlage nicht verzichtet werden, da sonst dem Willen des nationalen Gesetzgebers einerseits und der Relevanz des Gemeinschaftsrechts andererseits keine ausreichende Geltung verschafft würde. Würde man eine Pflicht zur Vorlage verneinen, so würde das letztinstanzliche nationale [584] Gericht die gemeinschaftsrechtliche Auslegung übernehmen. Genau das verträgt sich aber nicht mit dem Auslegungsmonopol des EuGH.

68 Bedenken in dieser Richtung kommen von den Generalanwälten, vgl. Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 484ff. 69 So aber Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 920. 70 Näher Schnorbus, aaO Fn. 5, S. 654, 700ff. 71 Vgl. Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 487.

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IV. In summa: 1. Der europäische Gesetzgeber entscheidet, ob seine Richtlinien abschließenden Charakter haben sollen und eine erweiterte Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber daher verbieten, oder ob sie nur eine Mindest-Harmonisierung anstreben. Schweigt die Richtlinie dazu, so muss ihr Inhalt durch Auslegung ermittelt werden; das fällt in die Kompetenz des EuGH nach Art. 234 EG.72 2. Geht der nationale Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung einer Richtlinie nicht abschließenden Charakters über deren Anwendungsbereich hinaus, indem er die von der Richtlinie erfassten Sachverhalte und zusätzlich andere Bereiche identisch regelt, so ist beim Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte von einem gesetzgeberischen Willen zur einheitlichen Auslegung und Anwendung beider Regelungsbereiche auszugehen. Jedes andere Verständnis müsste zu einer Zersplitterung des nationalen Rechts und zu großer Rechtsunsicherheit führen. Die nationalen Gerichte müssen in diesen Fällen daher auch den überschießenden Regelungsbereich im Sinne der Richtlinie, also richtlinienkonform auslegen. 3. Der Pflicht zu einheitlicher, richtlinienkonformer Auslegung kann nur dann entsprochen werden, wenn die nationalen Gerichte Zweifelsfragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen können bzw. in letzter Instanz müssen. Eine solche Vorlage ist aber nur möglich, wenn der nationale Gesetzgeber diese angeordnet hat und die Entscheidung des EuGH somit Bindungswirkung entfaltet. Ausdrückliche Aussagen dieser Art eines nationalen Gesetzgebers sind uns bisher nicht bekannt geworden. Man muss daher auch insoweit den Willen des nationalen Gesetzgebers ermitteln und im Zweifel von einem solchen Willen ausgehen.

72 In seiner Entscheidung „Inspire Art“ vom 30. 9. 2003 – Rs C-167/01, ZIP 2003, 1885 hat der EuGH in dieser Weise die 11. (Zweigniederlassungs-)Richtlinie vom 22. Dezember 1989 (98/666/EWG, ABl EG Nr. L 395 vom 30. 2. 1989, S. 36ff., abgedruckt bei Lutter, EuropUR, S. 266ff.) ausgelegt und ihren abschließenden Charakter festgestellt.

Das (feste Grund-)Kapital der Aktiengesellschaft in Europa Zusammenfassung der Überlegungen des Arbeitskreises „Kapital in Europa“ IN: LUTTER (HRSG.), DAS KAPITAL DER AKTIENGESELLSCHAFT IN EUROPA,

ZGR-SONDERHEFT 17, BERLIN 2006, S. 1-14 Inhaltsübersicht* I. II. III. IV.

Einführung ............................................................................................................ 1 Das Kapital der Aktiengesellschaft .................................................................... 2 Mindestkapital und Höhe des Kapitals ............................................................. 7 Aufbringung (Leistung) des gesetzlichen oder statutarischen Kapitals ..........................................................................................................................8 V. Erhaltung des Kapitals ........................................................................................ 9 VI. Kapital und Insolvenz .......................................................................................12 VII. Haftungsdurchgriff auf Gesellschafter ............................................................12 VIII. Ausschluss unseriöser Personen aus dem Management ...............................13 IX. Gesellschafterdarlehen ......................................................................................13 X. Empfehlungen für die Europäische Kommission .........................................13 XI. Nationale Reformen ..........................................................................................14 I. Einführung 1. Alte und anscheinend bewährte, in der Praxis und Rechtsprechung ausziselierte Rechtsinstitute kommen neuerdings ganz plötzlich unter Druck und Begründungszwang. So erging es der kontinentalen Handelsbilanz mit ihrem Prinzip der Vorsicht und ihrem Satz des ehrbaren Kaufmanns, dass „on ne paie pas des espérances mais des écus“ (Realisationsprinzip). Diese Prinzipien haben ihren kurzen Kampf mit den Informationswünschen der Anleger und Investoren, mit * Anm. d. Hrsg.: Die Übersicht wurde aus dem Original übernommen, die Seitenzahlen beziehen sich folglich auf das Original.

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Das (feste Grund-)Kapital der Aktiengesellschaft in Europa

IAS, IFRS und US-GAAP weitgehend verloren. Jetzt steht das ebenfalls kontinentale Prinzip des festen Kapitals (Grundkapitals) unter Druck. Noch vor 30 Jahren wurde es in der 2. Richtlinie von 19761 verbindlich festgeschrieben für heute 25 EU- und 3 EWR-Länder, verbindlich auch für die in allen diesen Ländern geltende Europäische Gesellschaft (SE), verbindlich aber auch von der [2] Schweiz über die Türkei bis nach Russland. Eine vom britischen Accounting Standards Board und dem Company Law Centre am British Institute of International and Comparative Law angeregte Kommission unter der Leitung von Jonathan Rickford kommt hingegen in ihrem Bericht von 20042 zu einem vernichtenden Ergebnis über Sinn und Nutzen dieses Kapitals: kostspielig und überflüssig. Überflüssig, weil es weder die Insolvenz der Gesellschaft verhindere noch gewährleiste, dass die Gründer der Gesellschaft ein angemessenes Kapital zur Verfügung stellen müssen. Überflüssig aber auch, weil der Aufwand – wenn die Regeln zum festen Kapital überhaupt etwas bewirkten – in keinem Verhältnis zum Ertrag stehe. Kostspielig, weil es angemessene Ausschüttungen verhindere. Für diese reiche die Feststellung aus, ob die Ausschüttung ohne Gefährdung der Liquidität der Gesellschaft in näherer Zukunft und zur Befriedigung ihrer Gläubiger möglich sei (Solvenztest). Die Rickford-Kommission empfiehlt deshalb die Abschaffung des festen Kapitals als europaweit verbindliche Regelung durch Aufhebung der 2. Richtlinie. Dem folgt die englische Regierung und verlangt von der Europäischen Kommission mit Nachdruck eine entsprechende Initiative. 2. Die 2. Richtlinie, der Rickford-Bericht und die hier veröffentlichten Arbeiten betreffen nur die Aktiengesellschaft. Für sie allein gilt es die anstehenden Fragen zu diskutieren. Demgegenüber ist das Recht der GmbH offen für die Gestaltung der Mitgliedsländer, die davon auch fröhlich Gebrauch machen, wie die neuere Gesetzgebung in Frankreich, Italien und Spanien erweist. II. Das Kapital der Aktiengesellschaft 1. Das feste Kapital hat in Deutschland eine Tradition von weit mehr als 100 Jahren und ist in all diesen Jahren als Rechtsinstitut nie in Frage gestellt worden. Aber das Institut hat seine Zielrichtung, seine Funktion geändert. Ursprünglich hatte es – wie in den USA3 – die Aufgabe des Minderheitenschutzes: jeder Aktio1 2. Richtlinie vom 13. Dezember 1976 (Kapital-Richtlinie) (77/91/EWG), ABl. EG Nr. L 26 vom 31. 1. 1977, S. 1ff. 2 JONATHAN RICKFORD, Reforming Capital, Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, European Business Law Review (EBLR) 2004, 919, 971ff. 3 Vgl. den Bericht von RICHARD A. BOOTH in diesem Band, S. 717ff.

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när sollte das gleiche pro Aktie leisten müssen und auch tatsächlich leisten, alle die gleichen Chancen bei der Ausgabe neuer Aktien haben und niemand Gefahr laufen, dass seine Aktien verwässert werden. Diese Funktion hat das Kapital durchaus behalten; als seine eigentliche und zentrale Funktion aber wurde etwa seit 1930 der abstrakte Gläubigerschutz gesehen, dessen Regeln zwingend und – anders als beim Minderheitenschutz – auch [3] bei Zustimmung aller Gesellschafter nicht abdingbar sind und deswegen auch vor Umgehung geschützt werden müssen. Für die einzelnen Gläubiger sind alle diese Regeln belanglos, so lange ihre Schuldnerin, die betreffende Gesellschaft, arbeitet und ihre Schulden bezahlt. Insgesamt betrachtet aber sorgen diese Regeln für eine gewisse Seriosität der Unternehmensführung, die den Gläubigern mittelbar zu Gute kommt. Und in der Insolvenz führen sie zur Anreicherung der Masse und kommen den betroffenen Gläubigern zu Gute, wenn gegen sie verstoßen wurde und von den Gesellschaftern nachgeleistet werden muss. 2. In den anderen Ländern Europas und vielen Ländern in der übrigen Welt hat sich das feste Kapital vor allem mit der GmbH und ihrer Ausbreitung über die Welt seit 1894 fest etabliert. Wie der Bericht von Mme. Urbain-Parléani belegt, ist das feste Kapital in manchen Ländern Europas im Aktienrecht erst später heimisch geworden. Als Institut des Rechts der Kapitalgesellschaften ist es aber in den romanischen und germanischen Rechten und ihren Nachfolgern auf der Welt seit nahezu einem Jahrhundert fest verankert. 3. Immer wieder wird von den Gegnern des festen Kapitals darauf hingewiesen, dass es die Insolvenz der Gesellschaft nicht verhindert und nicht verhindern kann, mithin kein endgültiger Schutz für die Gläubiger ist. Das ist richtig; denn das Kapital ist eben auch unternehmerisches Eigenkapital und unterfällt damit den allgemeinen unternehmerischen Risiken. Aber diese Aussage der Gegner des Kapitals ist trivial: niemand hat je behauptet, das Kapital könne die Insolvenz verhindern und die Gläubiger endgültig schützen. Eigenkapital aber ist gewiss nicht von Schaden. Es fördert die Seriosität der Unternehmensführung: bei der Gründung unterstützt es den unternehmerischen Start und verhindert das rasche Abgleiten in die Insolvenz, im weiteren Geschehen der Gesellschaft sichert es die Ausschüttung nur von freien Mitteln, vor allem von erzielten Gewinnen und dient darüber hinaus als Warnlampe bei einer wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft verbunden mit entsprechenden Handlungspflichten des Managements und der Gesellschafter. 4. Ist das feste Kapital durch Verluste gemindert, so verhindert das Ausschüttungen an die Gesellschafter und verlangt seine Wiederherstellung aus künftigen Gewinnen. Auch das ist ein Gebot solider Unternehmensführung und sollte so auch verstanden werden. Wird die Wiederherstellung des durch Verluste angegriffenen Kapitals vom Management und den Gesellschaftern für nicht (mehr) erforderlich gehalten oder

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Das (feste Grund-)Kapital der Aktiengesellschaft in Europa

soll die Fähigkeit der Gesellschaft zu alsbaldiger Emission junger Aktien rasch wieder hergestellt werden, so kann der Verlust auch zur einfachen Reduzierung des Kapitals führen4. [4] 5. Das feste Kapital ist also auch eine Finanzierungsregel, hat mithin einen eminent ökonomischen Hintergrund: es zwingt die Gründer, der Gesellschaft ein Minimum an Eigenkapital zur Verfügung zu stellen; und es regt sie an, je nach den Bedürfnissen ihrer Gesellschaft ein höheres Eigenkapital in der Satzung festzulegen und ihr auf Dauer zu belassen sowie bei etwaigen Verlusten aus künftigen Gewinnen wieder herzustellen. Das Kapital verlangt mithin eine Seriosität der finanziellen Führung des Unternehmens, die den potentiellen Gläubigern und Vertragspartnern durch die Publizität des Kapitals auch bewusst offen gelegt wird. 6. Nicht zuletzt sorgt das Kapital für Rechtssicherheit5 bei den Aktionären und Geschäftsführern. Werden seine Regeln eingehalten und wird nach seinem Verlust das förmliche Liquidations- oder Insolvenzverfahren rechtzeitig eingeleitet, so ist das ein vollkommen sicherer Hafen für sie: niemand kann dann von ihnen die Auffüllung der Insolvenzmasse unter welchen Aspekten auch immer verlangen: das Risiko tragen die Gläubiger. 7. Das führt zu einem weiteren Aspekt. Noch immer gilt der Satz, dass, wer am wirtschaftlichen Leben teilnimmt, die Vor- und Nachteile persönlich trägt. Dieser Satz gilt im System der Kapitalgesellschaften nicht. Mit der leicht erreichten Eintragung der Aktiengesellschaft trägt der Unternehmer oder Anleger nur mehr das Risiko des Verlustes dessen, was er dafür an Mitteln zur Verfügung gestellt hat. Das übrige Risiko tragen die Gläubiger. Ist es da nicht fast eine Frage der Gerechtigkeit, dass dieses Kunstgebilde „juristische Person“ von seinen entsprechend privilegierten Gesellschaftern wenigstens eine finanzielle Mindestausstattung erhält, statt nur auf Kredit und Risiko der Gläubiger zu existieren? Und sollte diese Gerechtigkeitsfrage nicht eher der Gesetzgeber als der anonyme Markt beantworten?6 8. Die Arbeitsgruppe hat daher nahezu einhellig den Nutzen der Rechtsfigur des festen Kapitals – Grundkapitals – bejaht.7 Sein Nutzen und seine Vorteile wurden vor allem in folgenden Elementen gesehen:

4 So genannte Kapitalherabsetzung zum Verlustausgleich; von Art. 33 der 2. Richtlinie ausdrücklich zugelassen. 5 Das betont auch KUHNER, Zur Zukunft der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüttungssperren im Gesellschaftsrecht Europas, ZGR 2005, 753, 786f. 6 Zu diesem Aspekt der Beteiligung des Gesellschafters am unternehmerischen Risiko und seiner verhaltenssteuernden Wirkung vgl. VETTER, ZGR 2005, 788, 800; DRYGALA, ZGR 2006, Heft 5, unter II. 3. 7 Vgl. nur EMBID IRUJO, in diesem Band, S. 680: „corporate capital plays … an economic productive role“ und „corporate capital plays an important security role for the benefit of the company’s creditors.“

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(1) Die wirtschaftliche und finanzielle Gesundheit der Gesellschaft ist der beste Schutz für die Gläubiger. Für dieses Ziel ist ein anfängliches Nettovermögen ebenso von Nutzen wie die Sperre gegen überhöhte Ausschüttungen. (2) Das Kapital ist eine ökonomische Regel zur Finanzierung von Gesellschaften, deren Gesellschafter persönlich nicht für deren Schulden haften. Sein [5] Ausweis signalisiert potentiellen Gläubigern, in welchem Maße die Gesellschafter bereit sind, der Gesellschaft Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Es zwingt mithin zu einer Seriosität der Finanzierung solcher Gesellschaften. (3) Das Kapital schafft Rechtssicherheit für die Gesellschafter und die Geschäftsführer: werden seine Regeln eingehalten und ggf. das Liquidations- oder Insolvenzverfahren rechtzeitig eingeleitet, so haben sie nichts zu befürchten. Das ist in Ländern mit vielen bestimmenden Großaktionären wie etwa Deutschland und Italien ein wichtiger Aspekt. (4) Das Kapital wirkt präventiv. Mit seinem Zwang zu einer gewissen Solidität und Seriosität ist es Teil der kontinentalen Rechtskultur8 und verhindert, dass in der Insolvenz Fragen des Missbrauchs der juristischen Person etc. untersucht werden müssen9. Dadurch aber würden für die Beteiligten und die Volkswirtschaft insgesamt die gleichen Kosten entstehen wie durch die präventive Rechtsfigur des Kapitals. (5) Große und einflussreiche Gläubiger vereinbaren nicht selten in Rechtsordnungen ohne festes Kapital zu relativ hohen Transaktionskosten Vergleichbares wie das Kapital und seine Regeln mit der Gesellschaft (sog. covenants); die anderen Gläubiger aber bleiben ungeschützt10. Das Kapital hingegen wirkt wie ein solcher Vertrag mit allen Gläubigern. (6) Sofern das Kapital mit einem Mindestkapital kombiniert wird, verhindert es, dass unvorhergesehene Verluste sofort auf die Gläubiger durchschlagen (Risikopuffer). (7) Die Regeln zum Kapital verhindern die sog. Agiotage, also die Ausschüttung von Agio als angeblichen Gewinn, ein System, das Ertragsstärke vortäuscht und das Schneeballsystem ermöglicht11.

8 HERBERT WIEDEMANN (Gesellschaftsrecht Bd. I, 1980, S. 588) hat es als „Kulturleistung ersten Ranges“ bezeichnet. 9 Das wird ganz deutlich hervorgehoben von MIOLA, S. 612 ff (sub IV 2): „Das AlternativKonzept zum festen Kapital ist charakterisiert durch seinen Wechsel vom Gesellschaftsrecht zum … Insolvenzrecht“ und „Die ex-post-Regeln werden als vorzugswürdig gegenüber dem Kapital gesehen.“ Das genau wird hier bezweifelt. 10 Diese Aussage ist in der Literatur umstritten; näheres siehe in den Ausführungen von MANKOWSKI, S. 488ff. 11 Diese These gilt nur, wenn man Art. 15 der 2. Richtlinie entsprechend der Regelung und dem Verständnis in Deutschland so interpretiert, dass damit auch das Agio wie das Kapital

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Das (feste Grund-)Kapital der Aktiengesellschaft in Europa

(8) Das Kapital verhindert in seinem Rahmen die Plünderung der Gesellschaft, insbesondere nach einer Übernahme. (9) Das Kapital sichert auf technisch einfache Weise die Minderheitsgesellschafter vor der Verwässerung ihrer Aktien (Bezugsrecht) und schützt sie außer- [6] dem in ihrem Interesse, dass auch die anderen Gesellschafter ihre Einlageleistungen erfüllen müssen (Minderheitenschutz). (10) Die durch das Kapital bewirkte Ausschüttungsbegrenzung12 befreit das Management vom Druck der Gesellschafter.13 (11) Eine durch das feste Kapital begrenzte Ausschüttung ist, im Unterschied zu der eher kurzfristigen Aussage eines alleinigen Solvenztests14, eine langfristig wirkende Regelung. (12) Im Übrigen: Wollte man die präventiven Wirkungen des Kapitals abschaffen und durch die Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten ersetzen, so müsste man die Haftung des Managements, also von Vorstand und Aufsichtsrat wesentlich verschärfen und ihre Durchsetzung ähnlich der Situation in den USA sicherstellen. 9. Alle diese Aspekte des festen Kapitals können nicht schlecht sein. Die Aussage, das Kapital sei überflüssig, kann daher auch nicht richtig sein. In Wahrheit geht es daher um die Frage, ob diese positiven Effekte des Kapitals durch andere, einfachere und mithin billigere Instrumente erzielt werden können. Die soeben hier vorgetragenen Aspekte sub (3), (4), (5), (6) und (12) lassen das zweifelhaft erscheinen. Das näher zu untersuchen ist Gegenstand dieses Buches. 10. Die Arbeitsgruppe war auch weit überwiegend der Meinung, dass eine Abschaffung des rechtlichen Instrumentes „Kapital“ auf jeden Fall so lange nicht angezeigt ist, wie die Funktion und Leistungsfähigkeit alternativer Instrumente nicht sicher getestet ist. Das aber ist für das Europa der 25 plus 3 bis heute ganz sicher nicht der Fall. Im Übrigen ist das feste Kapital in der Rechtskultur des Kontinents tief verankert. Seine Beseitigung müsste zu einer Fülle von Änderungen nicht nur in den nationalen Aktienrechten, sondern auch in den verschiedensten anderen Gesetzen führen. Auf den notwendigen Ausbau von Haftungsvorschriften gegenüber dem Management wurde bereits hingewiesen; ähnliches gilt für die gesamte rechtliche Ordnung der Insolvenz in den Mitgliedsländern und die Praxis der Kreditsiche-

gebunden sein soll. Tatsächlich ist das in der Literatur umstritten; insbesondere englische Autoren wie DAVIES, FERRAN und RICKFORD sind hier anderer Auffassung. 12 Ausschüttungsbegrenzungen sind technisch auch in anderer Weise darstellbar (Beispiel: Kalifornien, Großbritannien). Dem System des Kapitals aber sind sie inhärent. 13 GERHARD HERTIG/HIDEKI KANDA, Creditor Protection, in: KRAAKMAN/DAVIES et al. (ed.), The Anatomy of Corporate Law, Oxford 2004, S. 71ff., 88 werten das als Nachteil. 14 Dazu unten sub V.

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rung. Die Kosten einer solchen Änderung wären mithin sehr hoch, ihr Nutzen kaum überschaubar und nicht planbar. [7] III. Mindestkapital und Höhe des Kapitals 1. Die Rechtsfigur des festen Kapitals ist unabhängig von der Frage eines Mindestkapitals. Das erweisen auch die neuen französischen Regeln zur EinEuro-GmbH. Man kann sich also eine AG ohne gesetzliches Mindestkapital durchaus vorstellen. Nur darf man nicht meinen, dass man damit auch die Fragen der realen Aufbringung des Kapitals beseitigt hätte; man stellt nur die Höhe des Kapitals in das Ermessen der Gesellschafter. In der von ihnen festgelegten Höhe muss es dann aber auch tatsächlich geleistet und in der Gesellschaft belassen werden. Das verlangt schon der Minderheitenschutz und die mit dem Kapital verbundene Erklärung an die Öffentlichkeit: weist die Gesellschaft ein Kapital von Euro 1 Mio. in ihrer Satzung und ihren Veröffentlichungen aus, dann muss sich die Öffentlichkeit auch darauf verlassen können, dass die Gesellschafter tatsächlich so viel (oder so wenig) der Gesellschaft real zur Verfügung gestellt haben und es ihr belassen werden. Auch das wird im Übrigen durch die französischen Regeln zur Ein-Euro-GmbH bestätigt. Aus diesen Gründen war die Frage nach einem Mindestkapital in der Arbeitsgruppe umstritten. Die Freigabe dieses Aspektes an die Mitgliedstaaten wurde durchaus erwogen15. Doch muss man hier – was gerne übersehen wird – zwischen AG und GmbH unterscheiden. Jedenfalls in der deutschen Praxis der AG spielt das Mindestkapital von Euro 50.000 ebenso wie in Frankreich mit seinem Mindestkapital von Euro 37.000 keine besondere Rolle. Es wird in aller Regel in der individuellen Gesellschaft weit übertroffen. In allen nationalen Rechtsordnungen besteht zudem die Möglichkeit, in die GmbH mit einem deutlich niedrigeren oder gar fehlenden Mindestkapital auszuweichen. Aus nationaler, aber eben auch aus europäischer Sicht soll sich die AG mit ihrer Satzungsstrenge und Börsenfähigkeit von der GmbH des jeweiligen Mitgliedslandes deutlich unterscheiden, soll auf die Beteiligten und die Allgemeinheit seriöser wirken als die GmbH. Dem entspricht auch der Gedanke, ihr ein anfängliches, wahrlich geringes Nettovermögen von Euro 25.000, 50.000 oder 120.000 (SE) zu verschaffen und ihr eine solche Mindest-Pufferzone für die Dauer ihrer Existenz vorzuschreiben: hat man sich erst für die Beibehaltung des festen Kapitals in Europa entschieden, ist die Frage nach der Belassung auch des Mindestkapitals und seiner Höhe von deutlich geringerem Gewicht.

15 Vgl. unten die Ausarbeitung von EIDENMÜLLER/GRUNEWALD/NOACK zum Mindestkapital, S. 17ff.

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2. Da die Wirtschaftswissenschaft keine Regeln für eine richtige Höhe des Kapitals (Eigenkapitals) zur Verfügung stellen kann, bleibt seine Feststellung durch die Gesellschafter jenseits eines Mindestkapitals willkürlich. Das kann zur Unterkapitalisierung führen, aber auch zur Bindung überflüssigen Kapitals in der Gesellschaft, was von den Gegnern des Kapitals gerügt wird. Im Rahmen einer [8] regulären Kapitalherabsetzung kann dem Rechnung getragen werden. Die Regeln der 2. Richtlinie (Art. 32) dafür sind nicht übermäßig hinderlich, werden aber von manchen nationalen Rechten zusätzlich erschwert (z. B. § 225 dAktG). IV. Aufbringung (Leistung) des gesetzlichen oder statutarischen Kapitals 1. Wie soeben ausgeführt, verlangt die Figur des festen Kapitals als zweiten Schritt bestimmte Regeln und Grundsätze, die diese konkrete Erklärung an die Öffentlichkeit (Höhe des Kapitals) materiell untermauern, die die tatsächliche und reale Leistung des Versprochenen sichern. Dem folgt die 2. Richtlinie mit ihren Regeln in den Art. 3 lit (g), Art. 8-11, wobei Art. 10 zur Wertfeststellung von Sacheinlagen gerade erleichtert werden soll16. Die nationalen Rechte folgen diesen Vorgaben und bauen sie teilweise noch aus17. 2. Ist das Gebot der realen Leistung des Versprochenen in die Gesellschaft im System des festen Kapitals aus den genannten Gründen unabdingbar, so folgt daraus, dass alles nicht oder nur scheinbar Geleistete noch offen ist und im Interesse der Öffentlichkeit, der Gläubiger und der anderen Gesellschafter noch geleistet werden muss, bis Verjährung eingetreten ist. Dieser Grundsatz hat zu vielen, vielen Einzelfragen in Lehre und Praxis der Mitgliedsländer geführt, auch und gerade im deutschen Recht. Diese vielen Details sind lästig und umstritten und führen fraglos zu einer objektiven Verteuerung des Systems. Das zu ändern kann nicht Aufgabe der EU sein; das müssen die Mitgliedsländer selbst in die Hand nehmen. Im Übrigen: auch in Rechtsordnungen ohne ein festes Kapital gibt es die Einlagen der Gesellschafter. Und auch zu ihnen gibt es verbindliche Regeln und muss es mindestens zum Schutze der Minderheitsgesellschafter geben. 3. Eine ganz andere Frage ist es, ob sich die staatlichen Instanzen um die Erfüllung dieser oder einzelner ihrer Voraussetzungen zu kümmern haben. Gemeint sind damit nicht die Gerichte, die selbstverständlich für die Durchsetzung der Einlageansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter zur Verfügung stehen müssen. Gemeint ist, ob etwa die Registergerichte oder Registerbehörden die 16 Die Änderungs-Richtlinie zur 2. Richtlinie mit ihren Erleichterungen u. a. für Art. 10 steht vor ihrer Verabschiedung. 17 Deutschland etwa mit den erforderlichen Nachweisen in § 37 Abs. 1 AktG und der Verpflichtung zur vollen Leistung des Agios in § 36a Abs. 1 AktG.

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tatsächliche Leistung der Mindesteinlagen überprüfen müssen, wie das § 38 des deutschen AktG vorschreibt. Die 2. Richtlinie verlangt das nicht. Die Diskussion dazu muss mithin in den nationalen Rechtsordnungen geführt werden. Diese nationalen Besonderheiten tragen also Vorwürfe an die Figur des Kapitals in Europa nicht. Die von der Richtlinie vorgeschriebene Leistungspflicht der [9] Aktionäre in Höhe des statutarischen Kapitals würde vollauf genügen; der Rest ist dann Aufgabe eines pflichtgemäß handelnden Managements und der notfalls gerichtlichen Durchsetzung gegen die säumigen Aktionäre. V. Erhaltung des Kapitals 1. Das Kapital – ggf. inkl. des Agios – ist die Summe der Einlagen, die die Aktionäre ihrer Gesellschaft als Eigenkapital auf Dauer zur Verfügung stellen und das auch nach außen hin kundtun. Ist das als eine Regel der Finanzierung von Kapitalgesellschaften und „Gegenleistung“ für die Freistellung der Aktionäre von Haftung für die Schulden der Gesellschaft erst einmal akzeptiert, so liegt es auf der Hand, dass dieses Eigenkapital nicht jederzeit und beliebig wieder abgezogen werden kann. Zwar wird von manchen in diesem Zusammenhang auf die Kommanditgesellschaft verwiesen, in der eine solche Rückzahlung erlaubt ist (§ 172 Abs. 4 HGB). Das ist zwar gewiss richtig; doch wird die Rückzahlung mit dem Wiederaufleben der persönlichen Haftung in entsprechender Höhe erkauft. Für die AG ist das kein erstrebenswertes Konzept. Sie ist auf viele bis sehr viele Aktionäre angelegt; hier wäre der Gedanke an einige oder viele tausend relativ kleiner Schuldner nicht sehr hilfreich – von Fragen des Kapitalmarktes und der Schuldübernahme seitens der Aktienerwerber einmal ganz abgesehen. 2. Akzeptiert man die Lösung einer Finanzierung der Gesellschaft u. a. durch ein selbst festgelegtes festes Kapital, dann ist damit zugleich der Vorteil verbunden, dass man leicht zwischen Einlagen der Gesellschafter und erzielten Gewinnen unterscheiden kann. Und es ist fraglos notwendig zu verhindern, dass Einlagen als angeblicher Gewinn ausgeschüttet werden (sog. Agiotage). Eine solche Täuschung über die wirkliche Ertragslage der Gesellschaft würde gegen alle Prinzipien eines fairen Kapitalmarktes verstoßen. Genau das verhindert ein Liquiditätstest nicht; hingegen vermeidet man genau das dadurch, dass man die Einlagen bindet und von jeder Ausschüttung ausschließt. Das feste Kapital ist also nicht nur eine vernünftige Finanzierungsregel, es verhindert auch gefährliche Manipulationen am Kapitalmarkt18.

18 In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Schwede Kreuger ein ZündholzImperium aufgebaut. Durch hohe Dividenden gewann er im Rahmen von Kapitalerhöhungen immer neue Aktionäre. Die jungen Aktien wurden mit einem hohen Agio ausgegeben, das dann

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3. Sind das – in den Grenzen des geringen Mindestkapitals – frei gewählte Kapital und das Agio gebunden, so ist die Gesellschaft hinsichtlich aller ihrer ordentlichen und außerordentlichen Erträge frei, ob sie das frei Verfügbare aus- [10] schütten will und in welcher Form (Bar-Dividende, Sach-Dividende, Erwerb eigener Aktien). 4. Schwierig an diesem in sich schlüssigen Modell ist nur die Feststellung des Gewinns. Sie erfolgt traditionsgemäß durch die Jahresbilanz (Jahresabschluss) der Gesellschaft und ihre Gewinn- und Verlustrechnung. Diese war weit in die Geschichte zurück stets vom Gedanken der Vorsicht geprägt (Realisationsprinzip, Imparitätsprinzip). Beide Prinzipien sind heute durch IFRS wesentlich verändert. Die mit einer IFRS-Bilanz als Grundlage der Gewinnfeststellung verbundene Gefahr einer Ausschüttung reiner Buchgewinne hat den Arbeitskreis lange und nachdrücklich beschäftigt: a) Die Unternehmen am Kapitalmarkt haben nach IFRS zu bilanzieren. Daneben verlangt die Steuerbehörde eines jeden Staates eine (zweite) Bilanz nach Steuerregeln und auch die Unternehmen selbst wollen nicht realisierte Gewinne möglichst nicht versteuern und drohende Risiken berücksichtigt wissen. Eine dritte Bilanz und ihre Prüfung nach den Regeln des HGB (4. Richtlinie) zur Vermeidung des Ausweises nicht realisierter Gewinne aber wollte der Arbeitskreis den Unternehmen aus Zeit- und Kostengründen nicht zumuten. Er hat daher erwogen, die Steuerbilanz um spezifische Steuerregeln zu bereinigen und sie dann der Ausschüttung zugrunde zu legen. Aber es hat sich sehr schnell gezeigt, dass auch ein solches Vorgehen de facto zu einer eigenen und mithin dritten Bilanz tendiert, die gerade vermieden werden sollte. b) In Anlehnung an das Modell des kalifornischen Rechtes wurde sodann erwogen, der Gefahr einer Ausschüttung auf zu optimistischer Grundlage durch eine pauschal höhere Vermögensbindung gegen zu steuern. So könnte man etwa bestimmen, dass nur derjenige Teil des in der IFRS-Bilanz ausgewiesenen Überschusses der Aktiva über die Passiva (inkl. des Kapitals und Agios) ausgeschüttet werden kann, der 10% oder 20% der Summe der Aktiva übersteigt. Dieses Polster würde wie eine gesetzliche Rücklage wirken, sich in der Höhe aber an der Bilanzsumme und nicht am beliebig gewählten Kapital orientieren. Diese Lösung hat viele Vorzüge und könnte als Wahlrecht der Unternehmen durchaus in eine künftige Lösung eingebaut werden. Als alleinige Lösung aber erscheint sie dem Arbeitskreis zu streng, da sie möglicherweise zu einer übersteigerten Bindung der Erträge führt oder die Gesellschaften veranlasst, ihr Kapital unangemessen niedrig festzulegen.

die nächste Dividende speiste – und so weiter, und so weiter bis zum Zusammenbruch der beiden Kreuger-Gesellschaften im Jahre 1931. Kreuger selbst endete durch Selbstmord. Siehe aber auch oben II, 8 (7) und dort Fn. 11.

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c) Schließlich war zu prüfen, ob man sich von der Bilanz ganz lösen und allein auf einen Solvenztest für Ausschüttungen abstellen sollte19. Vor allem zwei Gründe stehen dem entgegen: (1) Zum einen erlaubt eine solche Lösung die Ausschüttung von Einlagen der Gesellschafter. Das bedeutet die Abschaffung des Kapitals und ermöglicht die [11] Agiotage (oben Fn. 11). Das aber widerspräche allen Vorstellungen des Arbeitskreises vom Nutzen des Kapitals und der Seriosität der Unternehmensführung. (2) Zum anderen bedarf dieser Solvenztest nach der Vorstellung des RickfordBerichtes keiner Prüfung durch den Abschlussprüfer20. Trifft der Solvenztest des Managements dann nicht zu, so bleiben als einzige Sanktionen nur dessen persönliche Haftung und die Pflicht der Aktionäre zur Rückzahlung. Das letztere sollte bei einer am Kapitalmarkt orientierten Gesellschaft tunlichst vermieden werden. Die persönliche Haftung des Managements für die ausgeschüttete Summe aber steht außer jedem Verhältnis zur Höhe der hier anstehenden Beträge. Dieser Mangel könnte wiederum nur durch eine sehr hohe und sehr teure D&OVersicherung ausgeglichen werden. Verlangt man hingegen die Prüfung durch den Abschlussprüfer und sein Testat, so würde man ein Instrument schaffen, das möglicherweise zeitaufwendiger und teurer ist als das ganze System des Kapitals. d) Der Arbeitskreis hat sich daher letztlich für eine duale Lösung entschieden: Entweder erstellt die Gesellschaft – aus welchen Gründen auch immer – eine HGB-Bilanz (Bilanz nach 4. Richtlinie), die geprüft und testiert wird, und legt diese dem Ausschüttungsbeschluss zugrunde, so hat alles seine Ordnung. Oder die Gesellschaft bilanziert nach IFRS und diese Bilanz wird geprüft und testiert, so genügt das für eine Ausschüttung aus den genannten Gründen nicht. Zwar bleibt diese Bilanz für die Möglichkeit einer Ausschüttung maßgebend, wegen der genannten Gefahren aber ist zusätzlich ein Solvenztest erforderlich. Die Ausschüttung bleibt also auch in dieser Variante bilanzbezogen; statt der nahe liegenden Korrektur dieser IFRS-Bilanz unter Aspekten von Realisation und Imparität wird – wegen der unvermeidlichen Tendenz dieser Korrektur hin zu einer eigenen (dritten) Bilanz – die geplante Ausschüttung einem auf ein bis maximal zwei Jahre angelegten Solvenztest unterworfen. Andererseits kommt eine Ausschüttung allein nach einem positiven Solvenztest nicht in Betracht, da anderenfalls das feste Eigenkapital (Kapital und Agio) doch zur Disposition der Gesellschaften und ihrer Organe stünde: danach fragt dieser Test gerade nicht. Der Arbeitskreis ist sich bewusst, dass diese Lösung alle Schwächen und Inkonsequenzen eines Kompromisses in sich trägt; denn Realisation und Imparität So der Rickford-Bericht, aaO., S. 968ff., insbesondere S. 979ff.; vgl. auch PELFAZ vom 5. 12. 2005, S. 26. 20 AaO., S. 973-975. 19

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können allenfalls zufällig durch einen Solvenztest ersetzt werden; in der Sache haben beide unterschiedliche Ziele und unterschiedliche Funktionen. Dennoch hält der Arbeitskreis diese Lösung im Interesse der Vermeidung von wesentlichen Kosten für die Gesellschaften einerseits, Vermeidung unvertretbarer Ausschüttungen und mithin der Seriosität ihrer Finanzierung andererseits nicht für ideal, aber für vertretbar. [12] Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass der hier vorgelegte Vorschlag bereits vielfach in anderen Ländern Realität ist. So kennen die meisten US-Rechte sowie das Recht Neuseelands neben dem Solvenztest weiterhin zusätzlich den BalanceSheet-Test, also eine zusätzliche bilanzielle Ausschüttungssperre. VI. Kapital und Insolvenz In einem System gebundenen Eigenkapitals liegt es nahe, über die Gesellschaft das Insolvenzverfahren dann zu eröffnen, wenn dieses Eigenkapital verbraucht ist und die Gesellschaft jetzt nur noch auf Risiko ihrer Gläubiger fortgeführt werden könnte. Heute entstehen in allen Ländern mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusätzliche Lasten für die Gesellschaft, wie z. B. Abfindung der Mitarbeiter und Kosten des Verwalters. Daher liegt der Gedanke nahe, die Insolvenz schon früher auszulösen oder die Gesellschaft schon zuvor bestimmten Pflichten zu unterwerfen wie insbesondere der Wiederherstellung des Eigenkapitals durch neue Einlagen der Gesellschafter oder Liquidation der Gesellschaft einerseits, besonderen Pflichten des Managements andererseits. Der Arbeitskreis hat alle diese Aspekte untersucht, macht aber dazu keine nach Brüssel gerichteten Vorschläge: alle diese Aspekte sind so stark mit den Besonderheiten der nationalen Gesellschaftsrechte und der nationalen Insolvenzrechte verwoben, dass hier große Zurückhaltung geboten ist. VII. Haftungsdurchgriff auf Gesellschafter Das soeben angesprochene Gebot zur Zurückhaltung gegenüber Vorschlägen zur Rechtsangleichung gilt nicht weniger für das Problem des sog. Durchgriffs auf die Gesellschafter und die Haftung des Managements. Dieser Fragenkreis ist mit Aspekten des Kapitals insoweit verknüpft, als seine Bedeutung mit dessen Verbrauch wächst. Solange die Gesellschaft liquide ist, stellt sich die Frage einer Inanspruchnahme der Aktionäre oder des Managements nicht. Für sie wachsen bestimmte Pflichten erst mit der beginnenden Insolvenz, also der Unfähigkeit der Gesellschaft, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die hier vorgelegten eingehenden Untersuchungen zu diesen Fragen sollen die „kranken“ Fälle zeigen, die in jedem System, ob mit oder ohne festes Kapital entstehen.

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Allerdings: Die Erfahrung in den USA zeigt, dass in einem System ohne festes Kapital die Auseinandersetzungen um solche nachträglichen Haftungen in der Insolvenz der Gesellschaft sprunghaft ansteigen (Haftung der Gesellschafter aus Durchgriff; Haftung des Managements wegen Pflichtverletzung; Haftung von Vertragspartnern aus fraudulent transfer). So rechnet man mit bis zu 4.000 Durchgriffsfällen pro Jahr. [13] VIII. Ausschluss unseriöser Personen aus dem Management Mit dem Kapital nicht näher korreliert, aber mit durchaus gläubigerschützender Zielrichtung sind auch die Fragen zum Ausschluss bestimmter Personen von der Geschäftsführung. Die damit angestrebte Sicherung einer seriösen Unternehmensführung trifft sich mit der gleichen Tendenz des Kapitals. Hier hat das britische Recht eine Vorreiter-Rolle übernommen, um unsolide Personen aus der Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften zu entfernen. Die Zielrichtung ist klar und begrüßenswert: Eine wirtschaftlich intakte und gut und solide geführte Gesellschaft ist der beste Schutz für die Gläubiger (und die Gesellschafter). Wenngleich die Erprobung dieses Gedankens in Großbritannien von vielen Beobachtern als Erfolg gesehen wird, wirft die detaillierte Analyse seiner praktischen Umsetzung eine Reihe von noch ungeklärten Fragen auf. Deshalb meint der Arbeitskreis von Vorschlägen zur Rechtsangleichung jedenfalls vorerst absehen und die Entscheidung den nationalen Gesetzgebern überlassen zu sollen21. IX. Gesellschafterdarlehen Die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft können ihrer Gesellschaft nicht nur Eigenkapital, sondern auch Fremdkapital zur Verfügung stellen. Das wird weltweit nicht bezweifelt. Erst in der Insolvenz der Gesellschaft wird dann in vielen Jurisdiktionen von den USA über Italien, Spanien, Deutschland, Österreich und anderen gefragt, ob diese Gesellschafter-Kredite wie „normales“ Fremdkapital oder aber als eine Zwischenform zwischen Fremd- und Eigenkapital zu behandeln und mithin erst nach dem normalen Fremdkapital zu befriedigen sind – sog. Subordination. Wie das Beispiel der USA zeigt, besteht dieser Problemkreis aber ganz unabhängig von der Frage, ob in der betreffenden Jurisdiktion die Rechtsfigur des festen Kapitals gilt oder nicht. Aus dem Aspekt Gesellschafter-

21 Um der Rechtswahlfreiheit insoweit entgegenzuwirken, wäre erwägenswert, das Instrument selbst durch Richtlinie festzulegen, die Ausgestaltung hingegen dem nationalen Gesetzgeber weitgehend zu überlassen.

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darlehen lassen sich also Argumente weder für noch gegen das feste Kapital gewinnen. X. Empfehlungen für die Europäische Kommission Die Mitglieder des Arbeitskreises „Kapital in Europa“ sprechen sich auf diesem Hintergrund für den Fortbestand der 2. Richtlinie in ihrer kürzlich geänderten Fassung aus. [14] Die Europäische Kommission wird jedoch gebeten, Art. 15 (1) der 2. Richtlinie unter den hier sub V. vorgetragenen Überlegungen sowie den Überlegungen von Pellens/Sellhorn in diesem Buch zu bedenken. Die in Art. 15 (1) der 2. Richtlinie formulierte klassische Ausschüttungsbegrenzung auf den Überschuss der Aktiva über die Passiva inkl. Kapital und Agio einerseits und den Jahresüberschuss andererseits nimmt Bezug auf den Abschluss des letzten Geschäftsjahres der Gesellschaft. Handelt es sich bei diesem um einen IAS/IFRS-Abschluss, so ist nicht gesichert, dass das materielle Ziel dieser Norm im Hinblick auf darin möglicherweise enthaltene Buchgewinne und die ggf. nicht berücksichtigten drohenden Verluste erreicht wird. Hier ist ein zusätzliches Instrument der Sicherung erforderlich – sei es ein nach anderen Kriterien erstellter zusätzlicher Abschluss, sei es – wie hier vorgeschlagen – ein zusätzlicher Solvenztest. XI. Nationale Reformen Der Arbeitskreis hat sich strikt an seine Aufgabe gehalten, den Vorschlag zur Abschaffung der 2. Richtlinie zu überprüfen. Weder wurde die GmbH – von Ausnahmen in einzelnen Länderberichten abgesehen – einbezogen, noch nationale Besonderheiten erörtert22. Doch besteht Einigkeit unter den Mitgliedern des Arbeitskreises, dass sich in vielen Rechtsordnungen und nicht zuletzt der deutschen Rechtsordnung um die Rechtsfigur des festen Kapitals viele „Schlacken“ angesammelt haben, die dringend der Überprüfung bedürfen. Aber das ist eine Aufgabe des nationalen, nicht hingegen des europäischen Gesetzgebers.

22 Ausnahme: die deutschen Regeln zum Gesellschafterdarlehen in der deutschen Fassung dieses Berichtes.

Europa und das Unternehmensrecht* IN: RIESENHUBER (HRSG.), DIE EUROPÄISIERUNG DES PRIVATRECHTS, PRAXISHEFTE ZUM EUROPÄISCHEN PRIVATRECHT, HEFT

1, BERLIN 2006, S. 21-32

I. Überblick 1. Sieht man einmal vom unmittelbar geltenden europäischen Kartellrecht ab, dann stand das Unternehmensrecht in Europa von Beginn der EWG an mit ihren damals nur 6 Mitgliedern im Zentrum der zivilrechtlichen Überlegungen. Das begann europaweit bereits 1960 mit der Diskussion um die Europäische Aktiengesellschaft1 und wurde fortgesetzt mit einer Debatte in Deutschland zwischen Johannes Bärmann2 und Ernst Gessler,3 ob man denn die deutsche Aktienrechtsreform auf die Zeit nach der Rechtsangleichung vertagen oder – im Gegenteil – zügig durchfechten solle, um in Brüssel eine bessere Ausgangsposition zu haben. Die zügige Reform des AktG von 1965 hat sich durchgesetzt und tatsächlich war der deutsche Einfluss bei der nun einsetzenden Rechtsangleichung zunächst groß. Ich berichte das um darzutun, mit welcher Euphorie man im noch kleinen Europa an die Europäisierung des Unternehmensrechts herangegangen ist.4 Und die ersten Richtlinien waren ja wirklich Erfolge: der Standard der nach wie vor nationalen Unternehmensrechte hat sich auf diesem Wege in den Jahren von 1968-1989 nachdrücklich erhöht. 2. Die Wende kam mit dem unglücklichen Kompromiss um die 4. und 7. Richtlinie zur Bilanz und Konzernbilanz von 1978 und 1983.5 Hier standen * Vortrag, zur Eröffnung der Ruhr-Akademie für Europäisches Privatrecht an der Universität Bochum am 16. November 2006 gehalten. Die Vortragsform wurde beibehalten, die Nachweise auf das Notwendigste beschränkt. 1 Zur Geschichte dieses frühen Gedankens einer Europäisierung des Unternehmensrechts vgl. Bärmann, Europäische Integration im Gesellschaftsrecht (1970), S. 12 ff., 19 ff., 143 ff.; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht (4. Aufl. 1996), S. 7 und 15 ff. 2 Bärmann, Ist eine Aktienrechtsreform überhaupt noch zulässig?, JZ 1959, 434 ff. 3 Gessler, Europäisches Gesellschaftsrecht am Scheideweg?, DB 1969, 1001 ff. 4 Die Literatur zur Rechtsangleichung ist damals geradezu explodiert; vgl. die Nachw. bei Bärmann (Fn. 1). 5 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. L 222 v. 14.8.1978, S. 11 ff., abgedruckt auch bei Lutter (Fn. 1), S. 139 ff.; Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3

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sich der Kontinent und die englisch/irischen Inseln ziemlich [22] unversöhnlich gegenüber und der damals gefundene Formelkompromiss schwächte Europa, wie sich nur 15 Jahre später beim plötzlich entstehenden internationalen Kapitalmarkt und seinen Anforderungen zeigen sollte. Vor allem der Beitritt immer neuer Mitgliedsländer führte zur Stagnation der einst euphorisch begrüßten Rechtsangleichung: zwischen 1989 und 2004 geschah an dieser Front praktisch nichts – im Gegenteil: der 2002 Hals über Kopf beschlossene Übergang der Rechnungslegung auf IAS und IFRS6 führte für Europa zum Verlust der Regelungskompetenz für dieses zentrale Rechtsgebiet. 3. Nach fast einem halben Jahrhundert seit Gründung der EWG und heutigen EU, nach dem Anwachsen der Zahl der Mitglieder von 6 auf 25 (und 3 weiteren Mitgliedern des EWR) und nach der Centros-Rechtsprechung des EuGH7 war klar, dass ein neuer Ansatz für das Unternehmensrecht in Europa überlegt werden musste. Denn statt homogener Rechtsangleichung war plötzlich der Wettbewerb unter den Rechtsordnungen ausgebrochen und Europa in die gleiche Lage versetzt wie die USA: höchst unterschiedliche nationale Rechtsformen können sich überall auf dem Gebiet der Union auch mit ihrem faktischen Hauptsitz niederlassen und bleiben doch ihrem Gründungsrecht verhaftet. Auf dem Boden der Bundesrepublik ebenso wie auf dem aller anderen Mitgliedsländer der EU und des EWR stehen also nicht mehr nur die üblichen drei bis vier verschiedenen Rechtsformen für Kapitalgesellschaften zur Verfügung, sondern heute weit mehr als 60. [23] Die Kommission läutete ihre Suche nach einem neuen Ansatz mit der Berufung einer High Level Group of Experts on Corporate Law ein, die ihrerseits ihre Arbeit mit der Verwendung eines umfangreichen Fragebogens begann8 und mit einem Report of the High Level Group of Company Law Experts on a modern Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluss, ABl. Nr. L 193 v. 18.7.1983, S. 1 ff., abgedruckt auch bei Lutter (Fn. 1), S. 207 ff. Für beide Richtlinien wurde am 14.6.2006 eine Änderungsrichtlinie verabschiedet: Richtlinie 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.7.2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABl. Nr. 224 v. 16.8.2006, S. 1 ff. 6 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 v. 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. L 243 v. 11.9.2002, S. 1 ff. 7 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 Centros Ltd ./. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 und in der Folge die Entscheidungen EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00 Überseering BV ./. Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Slg. 2002, I-9919 NJW 2002, 3614 und EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01 Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam ./. Inspire Art Ltd., Slg. 2003, I-1155 = NJW 2003, 3331. 8 Vgl. dazu die Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law zum Konsultationsdokument der High Level Group of Experts on Corporate Law in ZIP 2002, 1310 ff.

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Regulatory Framework for Company Law in Europe9 beendete. Die Kommission übernahm dessen Ergebnisse sehr weitgehend in einem Aktionsplan,10 den sie derzeit in Einzelschritten verwirklicht und gleichzeitig überarbeitet. Seine Analyse soll uns im weiteren Teil dieses Vortrags beschäftigen. II. Der Aktionsplan der Kommission zum Europäischen Unternehmensrecht und seine Umsetzung 1. Ein leistungsfähiges Unternehmensrecht Das Ziel aller Handlungen der Kommission auf dem Gebiet des Unternehmensrechts wird heute nicht mehr bestimmt durch die Rechtsangleichung als solche, sondern durch die Lissabon-Beschlüsse des Ministerrats, wonach die Gemeinschaft bis zum Ende des Jahrzehnts zum leistungsfähigsten Wirtschaftsraum werden soll. Dementsprechend soll das Unternehmensrecht und hier besonders das Aktienrecht nicht nur höchst wettbewerbsfähig, sondern auch unbürokratisch, kostengünstig und nicht zuletzt attraktiv für den internationalen Kapitalmarkt sein. [24] 2. Der Aktionsplan der Kommission Auf diesem Hintergrund muss man die Einzelheiten des Aktionsplans der Kommission sehen. a) Gesellschaftsrechtsbezogene Maßnahmen aa) Europaweite Umstrukturierung der Unternehmen Durch die EuGH-Entscheidungen Centros, Überseering, Inspire Art11 und insbesondere Sevic12 ist zwar gesichert, dass sich die nationalen Gesellschaften 9 Der vollständige Text mit über 160 Seiten kann abgerufen werden unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/modern/index_de.htm. Vgl. dazu die Stellungnahme dieser Group of German Experts on Corporate Law zu diesem Report in ZIP 2003, 863 ff. 10 Abgedruckt in NZG 2003, Sonderbeilage zu Heft 13; dazu auch Maul/Lanfermann/Eggenhofer, Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Reform des Europäischen Gesellschaftsrechts, BB 2003, 1289 ff; Wiesner, Corporate Governance und kein Ende. Zum Aktionsplan der EU-Kommission über die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance, ZIP 2003, 977 ff. 11 Oben Fn. 7. 12 EuGH v. 13.12.2005 – Rs C-411/03 SEVIC Systems AG, Slg. 2005, I-10805 = JZ 2006, 782 und dazu Lutter/Drygala, Internationale Verschmelzungen in Europa, JZ 2006, 770 ff.

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über die Grenzen hinweg verschmelzen können; und durch die 3. (Fusions-)13 und 6. (Spaltungs-)14 Richtlinie ist rechtstechnisch der Weg dahin in den angesprochenen nationalen Rechten sehr ähnlich vorgezeichnet15. Dennoch bleiben gewisse rechtliche Unsicherheiten, die durch die kürzlich beschlossene Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung beseitigt werden sollen16. Ob die Argumente in der Entscheidung Sevic auch für die Spaltung und insbesondere für die Spaltung zur Aufnahme eines Teils des sich spaltenden Unternehmens über die Grenze hin (Teilfusion) gelten, ist zwar streitig17, könnte aber vom EuGH zu gegebener Zeit nicht anders als in Sevic entschieden werden. Ich bin daher insoweit auf die Haltung [25] unserer Registergerichte ausgesprochen gespannt, die bekanntlich bis zur EuGH-Entscheidung Sevic kategorisch jede grenzüberschreitende Umstrukturierung abgelehnt haben.18 Einigkeit bestand lange Zeit auch darüber, dass die internationale Verlegung des Satzungssitzes zu diesem Bereich der internationalen Umstrukturierung gehört und daher auch durch Richtlinie geregelt werden sollte. Ein entsprechender Entwurf liegt seit langem vor.19 Nachdem aber der EuGH die faktische Sitzverlegung entschieden und zugleich in denkbar einfacher Weise zugelassen hat, ist das Er-

13 Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9.10.1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. L 295 v. 20.10.1978, S. 36 ff. 14 Sechste Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17.12.1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertragesbetreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften, ABl. L 378 v. 31.12.1982, S. 47 ff. 15 Vgl. dazu Lutter/Drygala (Fn. 12). 16 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. L 310/1 v. 25.11.2005, S. 1 ff. und dazu der Regierungsentwurf eines deutschen Umsetzungsgesetzes abrufbar unter http://www.bmj.de/media/archive/1297.pdf. 17 Vgl. dazu Bayer, Die Gründung einer Europäischen Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, in: Lutter/Hommelhoff, Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 25, 28; Oplustil/Schneider, Zur Stellung der Europäischen Aktiengesellschaft im Umwandlungsrecht, NZG 2003, 13, 17; Marsch-Barner; Die Rechtsstellung der Europäischen Gesellschaft (SE) im Umwandlungsrecht, in: Hoffman-Becking/Ludwig (Hrsg.), Festschrift für Happ (2006), S. 165, 170. 18 Vgl. dazu nur die Vorlageentscheidung des LG Koblenz, Beschluss v. 16.9.2003 – 4 HK.T 1/03, NZG 2003, 1124, sowie die Nachweise bei Lutter-Lutter/Drygala Kommentar zum UmwG (3. Aufl. 2004), § 1 Rn. 5 mit Fn. 6. 19 Vgl. den Vorschlag für eine Vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gemeinschaft maßgeblichen Rechts, ZIP 1997, 1721; vgl. dazu die Vorträge und Diskussionen auf dem 10. Bonner EuropaSymposium, abgedruckt in ZGR 1999, 1 ff.; Meilicke, Zum Vorschlag der Europäischen Kommission für die 14. EU-Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts SitzverlegungsRichtlinie, GmbHR 1998, 1053. Im Februar 2004 fand dazu eine öffentliche Konsultation statt; vgl. dazu http://ec.europa.eu/yourvoice/results/transfer/index_de.htm.

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fordernis einer solchen Richtlinie fraglich geworden.20 Tatsächlich wird es nicht mehr viele Fälle geben, in denen eine niederländische Inspire Art b.v. durch Verlegung ihres Satzungssitzes nach Düsseldorf zur deutschen GmbH werden will – es sei denn, der Wettbewerb der Rechtsordnungen führt dazu, dass man bestimmte nationale Rechtskleider auf diesem Wege gerne loswerden und andere auf einfache Weise gewinnen will: wenn die deutsche GmbH durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu kompliziert geworden ist, verlegt sie ihren Satzungssitz nach Dublin und wird so zur irischen Limited – bleibt aber mit ihrer Tätigkeit und ihrem faktischen Sitz weiterhin in Deutschland. bb) Internationale Ausübung von Gesellschafterrechten Ziel der Freiheit des Kapitalverkehrs in Europa (Art. 56 ff. EG) ist der Aufbau und die Entwicklung eines europäischen Kapitalmarkts, der von den Bürgern Europas auch entsprechend angenommen wird. Da seine [26] Objekte in hohem Maße die Aktien nationaler Aktiengesellschaften der Mitgliedsländer sind, muss der Investor auch in der Lage sein, seine Mitgliedschaftsrechte in diesen Gesellschaften und insbesondere ihren Hauptversammlungen auszuüben. Das ist heute mitnichten gewährleistet.21 Die Probleme reichen hier von kurzen Einberufungsfristen über die fehlende Möglichkeit zur Vertretung bis hin zur erleichterten Teilnahme an Diskussionen und Abstimmung. Die Kommission hat hier einen sehr eingehenden Richtlinien-Vorschlag vorgelegt,22 der derzeit im europäischen Parlament beraten wird. Geht hier alles gut, so könnte das zu einer starken Veränderung im Ablauf von Hauptversammlungen führen und zu einer wesentlich stärkeren Einflußnahme der Aktionäre auf die Geschicke der Unternehmen. cc) Die Europäische Privatgesellschaft Nach dem nicht gerade furiosen Start der Europäischen Aktiengesellschaft in Europa überrascht es, dass die Umfrage der Kommission und die Diskussion 20 Die Teilnehmer an der Umfrage der Kommission zum Aktionsplan haben sich allerdings erneut mit sehr großer Mehrheit für eine solche Richtlinie ausgesprochen; vgl. Directorate General for Internal Market and Services, Consultation and Hearing on Future Priorities for the Action Plan on Modernising Company Law and Corporate Governance, Summary Report, S. 16 (der Report ist im Internet verfügbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/consultation/index_de.htm). 21 Baums/Wymeersch (Hrsg.), Shareholder voting rights and practices in Europe and the United States (1999); B. C. Becker, Die institutionelle Stimmrechtsvertretung der Aktionäre in Europa (2001), sowie jüngst Grundmann/Winkler, Das Aktionärsstimmrecht in Europa, ZIP 2006, 1421. 22 Richtlinienvorschlag der Kommission vom 5.1.2006 abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/shareholders/index_de.htm; vgl. dazu Noack, Der Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte von Aktionären börsennotierter Gesellschafter, NZG 2006, 321.

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darüber in Brüssel am 3. Mai 2006 mit hoher Mehrheit den Wunsch nach einer europäischen Privatgesellschaft unterstützt haben.23 Dieser von unseren Kollegen Hommelhoff und Helms in Heidelberg24 sowie der französischen Handelskammer in Paris entwickelte Vorschlag würde zu einer Art europäischer GmbH führen. Tatsächlich sind diese Rechte in den 25 Mitgliedsländern sehr verschieden; wir erleben es derzeit am Erfolg der englischen Limited in Deutschland. Ob es gelingen kann, daraus ein einheitliches Statut zu entwickeln ohne ständige Verweise auf das jeweils nationale GmbH-Recht, ist hier die entscheidende Frage. Denn das Ziel dieses Projekts, dem Mittelstand in Europa eine europaweit einheitliche, einfache und flexible Gesellschaftsform zur Verfügung zu stellen, hängt davon in ganz entscheidendem Maße ab. Wir können insoweit auf die [27] Debatte und die Entwicklung in den nächsten Jahren sehr gespannt sein. b) Kapitalmarktbezogene Maßnahmen Unternehmensrecht ist nicht Kapitalmarktrecht.25 Aber auf dem Kapitalmarkt werden die Papiere der Unternehmen – Aktien, Optionen, Anleihen etc. – gehandelt. Es liegt daher auf der Hand, dass sich die Verhaltens- und Informationspflichten des Kapitalmarktrechts an die Unternehmen und deren Organe wenden müssen und dabei durchaus die Farbe des Unternehmensrechts annehmen können. Entscheidender Unterschied aber bleibt, dass sich diese Regeln nur an Aktiengesellschaften wenden, die an einer Börse zugelassen sind. Von solchen Regeln ist hier die Rede. aa) Zusätzliche Publizitätspflichten Das bereits bestehende Kapitalmarktrecht wimmelt geradezu von zusätzlichen Publizitätspflichten. Das beginnt nicht erst bei der Pflicht zu ad-hocMitteilungen (§ 15 WpHG) und endet noch lange nicht bei den Anzeigepflichten hinsichtlich des Auf- und Abbaus bestimmter Beteiligungen an den betreffenden Gesellschaften (§§ 21 WpHG). Derzeit ist die Bundesregierung mit der Umsetzung der Transparenz-Richtlinie beschäftigt26 und will, was sehr umstritten ist, die Vgl. die oben in Fn. 20 zit. Umfrage der Kommission, S. 24. Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft (2001); ferner Boucourechliev/Hommelhoff, Vorschläge für eine Europäische Privatgesellschaft (1999); ferner auch „La Société Privée européenne, une société des partenaires“, Publikation der Pariser Industrieund Handelskammer, Sept. 1998. 25 Dazu Lutter, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht, in: Lieb (Hrsg.), Festschrift für Zöllner (1998), Band I, S. 363 ff. 26 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 390 v. 31.12.2004, S. 38 ff., erhältlich unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/transparency/draft_formal_proposal_de. 23 24

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Halbjahresberichte der Unternehmen mindestens einer prüferischen Durchsicht unterwerfen. Sie will hier also über den von der Richtlinie geforderten europäischen Standard hinausgehen. bb) Corporate Governance In Anlehnung an die Entwicklungen in Großbritannien und Deutschland sind in Europa in den letzten Jahren über 40 Corporate Governance-Kodizes mit höchst unterschiedlicher Verbindlichkeit bzw. Nicht-Verbindlichkeit für die börsennotierten Unternehmen entstanden. Hier lag der [28] Gedanke an eine Angleichung dieser Kodizes in Europa nahe. Das hätte zu schönen Fragen hinsichtlich der Kompetenz der EU dazu geführt. Denn diese Kodizes sind ja nirgends Recht, der EGV aber spricht in seinen Kompetenzregeln zur Rechtsangleichung von „Bestimmungen“ (Art. 44 Abs. 2 lit. g EG) oder „Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ (Art. 94 EG), nicht aber von soft law. Wie dem auch sei, die Kommission hat diesen Gedanken – den Vorschlägen der High Level Group insoweit folgend – ausdrücklich abgelehnt27 und ist zur Philosophie der Publizität zurückgekehrt: die Börsen-Unternehmen sollen in ihre Jahresberichte einen Corporate Governance Bericht aufnehmen und darin über tausend Dinge berichten, die zum Teil einfach schon im Gesetz stehen. Der Gedanke ist dennoch gut, erlaubt dieser Bericht doch dem ausländischen Investor eine genaue Kenntnis über die Entscheidungsabläufe in der von ihm anvisierten Gesellschaft. cc) Haftung der Vorstände und Aufsichtsräte Die schrecklichen Bilanzskandale in den Fällen Enron, WorldCom u.a. haben im amerikanischen Sarbanes-Oxley-Act dazu geführt, dass alle Mitglieder des Board of Directors heute die Bilanz unterschreiben und für deren Richtigkeit mithin persönlich einstehen müssen.28 Dieser Gedanke wird von der Kommission ebenso wie von der High Level Group aufgegriffen und ist bereits in eine entsprechende Richtlinie eingegangen.29 Entscheidend wird hier die Frage sein, ob es sich um eine eher demonstrative Maßnahme der Innenhaftung oder um eine sehr weit reichende Maßnahme der Außenhaftung handelt. Die Innenhaftung würde die Rechtslage in Deutschland nicht verändern; denn schon heute müssen alle Vorstandsmitglieder die Bilanz der Gesellschaft pdf und dazu RegE des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 3.5.2006, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de. 27 Aktionsplan, NZG 2003, Sonderbeilage zu Heft 13, S. 5 ff. 28 Umgesetzt durch CFR § 229.401 (h), Release Nr. 33-8177 in der Fassung vom 24.1.2003; im Internet abrufbar unter www.sec.gov/rules/final.shtml. Vgl. dazu auch Lanfermann/Maul, Auswirkungen des Sarbanes-Oxley Acts in Deutschland, DB 2002, 1725. 29 Art. 50b und 50c der oben Fn. 5 zit. Änderungsrichtlinie vom 14.7.2006.

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unterzeichnen und haften nach den Regeln des § 93 AktG für die Sorgfalt bei ihrer Erstellung. Und das gilt nicht weniger für die Aufsichtsräte, die nach §§ 171, 172 AktG diesen Jahresabschluss zu prüfen haben und über dessen Billigung Beschluss fassen müssen. Ihre Haftung folgt dann aus § 116 AktG. [29] Soll es sich allerdings um eine unmittelbare Außenhaftung dieser Organmitglieder gegenüber etwa geschädigten Aktionären handeln, so wäre das ein ungemein weiter Schritt. Ein entsprechender Gesetzes-Vorschlag der SchröderRegierung30 ist bekanntlich und zu Recht gescheitert.31 3. Teilweiser Paradigmenwechsel Wir sprechen über das europäische Zivilrecht in seiner Ausprägung im europäischen Unternehmensrecht. Wir sprechen also über europäisches oder europäisch geprägtes nationales Privatrecht in seiner Gestalt als Verordnung oder Richtlinie.32 Und wir wissen alle, wie stark die Richtlinie über die Figur der richtlinienkonformen Auslegung auf das Verständnis des nationalen Rechts einwirkt. Das alles gilt weiterhin, man denke nur noch einmal an die Übernahme-Richtlinie,33 die Transparenz-Richtlinie,34 die Änderungs-Richtlinien zur 1.,35 2.,36 und 8. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie.37 In all diesen Bereichen entsteht neues europäisiertes nationales Zivilrecht. [30] 30 Der unter Federführung des Bundesministeriums der Finanzen erstellte Diskussionsentwurf eines Kapitalinformationshaftungsgesetzes (KapInHaG) vom 7.10.2004, der ursprünglich gemeinsam mit dem UMAG und dem KapMuG im Kabinett verabschiedet werden sollte, wurde zurückgezogen. 31 Art. 50c der oben Fn. 5 zit. Änderungsrichtlinie spricht nur die Innenhaftung verpflichtend an und läßt die Frage der Außenhaftung ausdrücklich offen. 32 Vgl. dazu Zimmermann, Die Europäisierung des Privatrechts und die Rechtsvergleichung (2006). 33 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. L 142 v. 30.4.2004, S. 12 ff. 34 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004, ABl. L 390 v. 31.12.2004, S. 38 ff. 35 Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.7.2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. L 221 v. 4.9.2003, S. 13 ff. 36 Richtlinie 92/101/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.11.1992 zur Änderung der Richtlinie 77/91 EWG über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung des Kapitals, ABl. L 347/64 v. 5.12.1993, S. 64 ff sowie vor allem die soeben verabschiedete Änderungsrichtlinie 2006/68/EG vom 6. September 2006, ABl. L 264 v. 25.9.2006, S. 32 ff. 37 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl. L 157 v. 9.6.2006, S. 87 ff.

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Aber die Kommission hat begonnen zusätzlich zu diesen Richtlinien als weiteres Instrument die Empfehlung einzusetzen. Und diese ist, wie wir wissen, nach Art. 249 Abs. 5 EG nicht verbindlich, ist also kein europäisches Recht, ja will nicht einmal nationales Recht erreichen, sondern gibt sich mit einer Umsetzung im nationalen Corporate Governance Kodex zufrieden. Zwei solcher Empfehlungen sind in letzter Zeit ergangen. a) Die Empfehlung der Kommission vom 14. Dezember 2004 zur Veröffentlichung der Gehälter von Vorständen und Aufsichtsräten38 Diese Empfehlung hat in Deutschland für Aufsichtsräte offene Türen eingerannt; denn nach § 113 AktG muß die Hauptversammlung die Vergütung der Aufsichtsräte in der Satzung oder einem besonderen Beschluss festlegen. Beide sind öffentlich. Die Offenlegung der Vorstandsgehälter hatte bereits damals der deutsche Corporate Governance Kodex empfohlen; der Bundestag hat dann – wenn auch aus anderen Gründen – nachgebessert und das Vorstands-Offenlegungs-Gesetz beschlossen.39 Diese Empfehlung hat also zu nationalem Recht geführt und ich zögere, dieses als „europäisiert“ zu qualifizieren: es ist rein nationales Recht, das vom deutschen Gesetzgeber auch wieder abgeschafft werden könnte. b) Die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren etc.40 Diese Empfehlung der Kommission betrifft u. a. die Unabhängigkeit der Aufsichtsräte bzw. – im monistischen System – der nicht im Unternehmen tätigen Direktoren. Die Kommission möchte, dass die Aufsichtsräte der nationalen Aktiengesellschaften – soweit sie überhaupt Aufsichtsräte [31] kennen – mehrheitlich aus unabhängigen Personen zusammengesetzt sind und dass dies auch nach außen verlautbart wird. Bei uns hat das der deutsche Corporate Governance Kodex aufgegriffen und formuliert dazu in Ziff. 5.4.2: 38 2004/913/EG, Empfehlung der Kommission vom 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften Text, ABl. L 385 v. 29.12.2004, S. 55 ff. 39 Das Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütung (VorstOG) ist am 3.8.2005 in Kraft getreten, BGBl I 2005, 2267; vgl. dazu Baums, Zur Offenlegung von Vorstandsvergütungen, ZHR 169 (2005), 299; Fleischer, Das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, DB 2005, 1611; Lücke, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen – Der erste unbestimmbare und unbestimmte Rechtsbegriff?, NZG 2005, 692, 693. 40 2005/162/EG, Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats ABl. L 52 v. 25.2.2005, S. 51 ff.

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„Um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen, soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören. Ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet.“

Die Sache hat ein praktisches Problem und einen rechtlichen Aspekt: (1) Die Kommission hat alle Arbeitnehmer-Vertreter per se für unabhängig erklärt. Das ist – wenn man denn die Unabhängigkeit ernst nehmen will – barer Unfug. Aber ohne diese Fiktion wären in Deutschland alle Aufsichtsräte der großen Unternehmen mehrheitlich mit abhängigen Aufsichtsräten besetzt. Das so zu verlautbaren, wäre natürlich auch Unfug. In der jetzigen Situation genügt also ein Unabhängiger aus dem Kreis der Anteilseigner-Vertreter, wie etwa unser Kollege Pellens bei ThyssenKrupp oder bis vor kurzem unser Kollege Kirchhof bei der Deutschen Bank, um das Gremium mehrheitlich unabhängig zu machen. (2) Rechtlich sind die Empfehlungen der Kommission und die des Kodex unverbindlich. Wenn nun aber der Aufsichtsrat einer deutschen börsennotierten AG nach § 161 AktG erklärt, er befolge alle Empfehlungen des Kodex, obwohl alle Anteilseignervertreter vom Großaktionär benannt sind, spricht er dann noch wahr? Denn: was unabhängig ist, weiß niemand. Die Kommission hat daher ihrer Empfehlung vom 6. Oktober 2004 einen Anhang mitgegeben, in dem sie festlegt, wer nicht unabhängig ist und das ist nach ihrer Meinung jeder Vertreter des Großaktionärs. Hat das nun Bedeutung für unsere Auslegung von § 161 AktG und die Frage nach einer wahren Erklärung? Ich möchte das mit einem klaren Nein beantworten. Wenn wir im nationalen Recht einer Empfehlung folgen, ist das nur ein Motiv.41 Die Rechtsebene aber ist rein national und ihre [32] Auslegung erfolgt daher nach nationalen Grundsätzen, allerdings unter Beachtung der Empfehlung.42

41 Empfehlungen sind unverbindliche Rechtsakte, die höchstens dann rechtlich erheblich sein können, wenn sie als Verfahrensvoraussetzungen für ein Tätigwerden anderer Organe oder desselben Organs ausgestaltet sind, dazu von der Groeben/Schwarze-Schmidt, Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (6. Auflage 2004), Band 4, Art. 249 Rn. 50; Lenz/Borchardt-Hetmeier, Kommentar zum EU- und EG-Vertrag (3. Auflage 2003), Art. 249 Rn. 20. 42 EuGH v. 13.12.1989 – Rs. C-322/88 Salvatore Grimaldi ./. Fonds des Maladies Professionelles, Slg. 1989, 4407 = NZA 1991, 283; dazu auch von der Groeben/Schwarze-Schmidt, Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (6. Auflage 2004), Band 4, Art. 249 Rn. 50.

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III. Schluss Es gäbe noch über vieles zu reden und zu diskutieren, nicht zuletzt über die Europäische AG, wie sie nach 40 Jahren Beratung geworden ist.43 Aber die Zeit ist allemal begrenzt. Wenn jetzt also eine Ruhr-Akademie für Europäisches Privatrecht eröffnet wird, dann können wir für die zukünftige Arbeit dieser Akademie feststellen: ein großer Teil des heute existierenden europäischen oder europäisierten nationalen Unternehmensrechts gehört zu diesem europäischen Privatrecht, um das sich die Akademie in ihrer Zukunft kümmern wird.

43 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. L 294, S. 1 und dazu die deutschen Ausführungsgesetze SEAG vom 22.12.2004 (BGBl. 2004 I, 3575) und SEBG vom 22.12.2004 (BGBl. 2004, 3686).

RECHNUNGSLEGUNG

Zur Rechnungslegung und Publizität gemeinnütziger Spenden-Vereine IN: DOMSCH/EISENFÜHR/ORDELHEIDE/PERLITZ (HRSG.), UNTERNEHMENSERFOLG, PLANUNG – ERMITTLUNG – KONTROLLE, WALTHER BUSSE VON ZUM 60.

COLBE

GEBURTSTAG, WIESBADEN 1988, S. 235-255 I. Einleitung

Gemeinnützige Vereine haben eine große Bedeutung im täglichen Leben der Bundesrepublik und über ihre Grenzen hinaus. Das gilt vor allem für Vereine mit sozialen, karitativen und wissenschaftlichen Zwecken und Zielen1. Es mag genügen, an so wichtige Einrichtungen wie das Deutsche Rote Kreuz, die großen kirchlichen (Caritas) und freien (Arbeiterwohlfahrt) Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, an die Deutsche Krebshilfe, die Kinderdörfer und Kindernothilfe zu erinnern, an die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft und den Samariterbund, aber auch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, um das breite Geflecht dieser gesellschaftlich-sozialen Suborganisationen zu verdeutlichen. Ein moderner Sozialstaat ist ganz offensichtlich auf die Initiative und Einsatzbereitschaft seiner Bürger in solchen Einrichtungen angewiesen; er könnte diese dort übernommenen Aufgaben selbst nur unter großen Mühen und wohl auch nur unter erheblichen Effizienzverlusten leisten. Gemeinnützige Vereine dieser Art nehmen also öffentliche Aufgaben wahr, öffentliche Aufgaben vor allem im Sinne des Sozialstaatsgebotes unseres Grundgesetzes. Daher ist es auch ganz naheliegend, daß die Einnahmen dieser Vereine von der Steuer freigestellt sind. Sie dienen der Verwirklichung sozialer Aufgaben, nicht der Erzielung von Gewinn und dessen Verteilung; sie mehren nicht das Sozialprodukt, sondern sind Verbrauchsausgaben der Spender, fremdnützige Leistungen, die auch vom Spender selbst erbracht werden könnten – und in anderen Zusammenhängen von ihm auch vielfach erbracht werden: von der Versorgung alter und kranker Menschen bis zur kostenlosen Aufnahme von Studenten und Förderung von Künstlern –, aus Gründen der Organisation und Effizienz aber in diesen Einrichtungen zusam1 Die folgenden Überlegungen verstehen sich pars pro toto; sie gelten im Zweifel auch für gemeinnützige Vereine anderer Zielrichtung, wie z. B. Einrichtungen der politischen Bildung oder Sportvereine, die sich ebenfalls um Spenden bemühen, sich aber nicht ausschließlich oder weit überwiegend durch Spenden finanzieren.

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mengefaßt werden und auch zusammengefaßt werden müssen: Nicht anders als im Bereich der Wirtschaftsunternehmen gilt auch hier, daß die Größe der Aufgabe (z. B. Rotes Kreuz, internationale Kindernothilfe) auch die Größe der Organisation bedingt. Nicht ganz so selbstverständlich, wohl aber ungemein wirksam ist die – zusätzliche – steuerliche Begünstigung der wichtigsten „Einkunftsart“ dieser Vereine beim Geber der Beiträge und Spenden: Diese mindern im Rahmen bestimmter Höchstbeträge [236] dessen steuerliche Bemessungsgrundlage, §§ 10b, 34g EStG, § 9 Nr. 3 KStG und § 9 Nr. 5 GewStG. Die Summe der so erzielten „Einkünfte“ gemeinnütziger Körperschaften soll sich auf rund 2 Mrd. DM im Jahr belaufen (KRÖGER 1986; LEY 1982, S. 120; WORCH 1982)2 – davon allein rund 85 Mio. DM beim Deutschen Roten Kreuz3 –, die Beteiligung der Allgemeinheit daran durch Steuerausfall soll rund 900 Mio DM pro Jahr betragen (Bundesregierung 1985, S. 256, 264, 272). Bei Größenordnungen dieser Art liegt es auf der Hand, daß sich auch Raubritter beteiligen und Einfallsreiche sich wärmen wollen (dazu ROLL 1982, S. 47 ff.) Ein Verein ist leicht gegründet, ein gemeinnütziger Zweck schnell gefunden, die nach § 56 BGB erforderlichen 7 Mitglieder aus Familie und naher Freundschaft rasch rekrutiert, die Bestätigung des Finanzamts über die Gemeinnützigkeit nach wenigen Wochen erteilt – und schon kann mit dem guten Zweck und der Steuerbescheinigung geworben werden, einer Bescheinigung, welche die Beteiligung des Finanzamts durch Absetzbarkeit garantiert, aber eben auch den Anschein geprüfter Güte, Qualität und Seriosität erweckt. Was macht es, wenn die Kosten des Feldzuges, will sagen der Einwerbung von Spendengeldern, 50% der Einkünfte verschlingen, wenn nur der Rest für anständige und nur zu oft sehr anständige Vorstandsgehälter der Raubritter reicht? Kein Fremder schaut in die Bücher, niemand kann die Aufnahme in den Verein mit dem Ziel der Kontrolle des Vorstands erzwingen: Die Initiatoren rechnen mit sich selbst ab. Was schadet es, wenn das Finanzamt als äußerste Reaktion nach einigen Jahren die Gemeinnützigkeit entzieht4? Der Verein entschläft, sein Know How und seine Adressenkartei werden auf einen neuen Verein an einem neuen Orte übertragen, und das Spiel 2 DER SPIEGEL (o. V. 1985b) geht sogar von einem Gesamtspendenaufkommen von 3,5 Mio. DM aus. Zum steuerlich geltend gemachten Spendenaufkommen in der Bundesrepublik teilt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (Wochenbericht 46/82 vom 18.11.1982) u. a. mit, daß sich das Volumen von 1965 bis 1977 auf 1,1 Mrd. DM annähernd vervierfacht hat. Für 1984 wurde ein steuerlich geltend gemachter Betrag von 1,7 Mrd. DM geschätzt. 3 Das Deutsche Rote Kreuz hat 1985 84.331.000 DM an zweckgebundenen Erträgen aus Spenden, Stiftungen, Lotterien und Zuschüssen Dritter eingenommen (DEUTSCHES ROTES KREUZ 1985, S. 198). Siehe auch die Übersichten über die Finanzen einiger gemeinnütziger Körperschaften in: Borgmann-Quade 1982 a, S. 159 ff. 4 Von Betrug und Steuerhinterziehung abgesehen und sie liegen bei „erfolglosen“ oder „erfolgsarmen“ gemeinnützigen Vereinen so schnell nicht vor – richten sich die staatlichen Sanktionen eben nur gegen den Verein, dessen höchstes – und hier im Zweifel einkalkuliertes – Risiko der Konkurs ist.

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kann erneut beginnen: Kein Wunder bei einem „Kuchen“ von 2000 Mio. DM pro Jahr mit steigender Tendenz, kein Wunder auch, wenn sich richtige, halbrichtige und falsche Meldungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen über das „Versickern“, gar Unterschlagen von Spendengeldern häufen (o. V. 1980; o. V. 1982; o. V. 1985a; o. V. 1985b; o. V. 1985c, S. 92). Aber nicht nur darum geht es. Denn Vorhaben gemeinnütziger, also sozialer und karitativer Art sind vielfältig und komplex; auch ihre Organisation und Verwirklichung setzt Sachverstand, Engagement und Kompetenz voraus, während andererseits die Erfolgskontrolle des Marktes weitgehend fehlt: Wenn das Wirtschaftsunternehmen A mit seinen Produkten am Markt keinen Erfolg hat, dann liegt der Fehler offen zutage; wenn aber die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) im Jahre 1986 294 Menschen aus dem Wasser gerettet hat (69 mehr als [237] 1985) (DGzRS 1986, S. 7; DGzRS 1987, S. 7), ist das dann ein Erfolg oder, gemessen an den vielen nicht Geretteten, ein Mißerfolg? Eine „Messung“ ist nicht möglich; es gibt keine Vergleichsunternehmen. Ein Bedürfnis nach Kontrolle liegt auf der Hand, und nicht nur, weil Staat und Allgemeinheit unmittelbar mit Steuermitteln beteiligt sind, sondern auch, weil 2000 Mio. DM jährlich eingeworben werden mit dem Anspruch, einen öffentlichen Zweck zu erfüllen. Eine solche Kontrolle kann „von innen“ kommen, also aus dem Verein selbst heraus; aber der Verein ist frei in der Auswahl seiner Mitglieder und seiner inneren Organisation: Kein Gesetz schreibt ihm einen Prüfungsausschuß, einen Aufsichtsrat o. ä. vor. Kontrolle kann aber auch von außen erfolgen: Aber weder ist es Aufgabe der Finanzämter, die Geschäftsführung von Vereinen, deren Personalentscheidungen und Personalkosten zu kontrollieren und die Effizienz des Mitteleinsatzes zu prüfen, noch kann ein „Vereinsamt“ (ähnlich etwa den Bundesaufsichtsämtern für das Kredit- und das Versicherungswesen) ernsthaft erwogen werden. Und damit befindet man sich plötzlich und zur eigenen Überraschung im Schatten einer Debatte, die WALTHER BUSSE VON COLBE und den Verfasser vor einem Vierteljahrhundert erstmals zusammengeführt hat: Die Rechnungslegung und Publizität von Wirtschaftsunternehmen. Gewiß, auch vor 1965 haben Aktiengesellschaften schon öffentlich Rechnung gelegt; aber sie durften dabei die Wahrheit vernebeln durch die nahezu beliebige Bildung und Auflösung stiller Reserven5. Dem Aktionär, Geldgeber für Wirtschaftsunternehmen, war also, wie heute dem Geldgeber gemeinnütziger Vereine (Spender), eine wirksame Kontrolle der Verwaltung ebenso wie eine sachgerechte Information über sein Investment – den Gebrauch seiner Mittel – verwehrt. Beides wurde mit dem Aktiengesetz von 1965 bewußt und gewollt durch eine Ausweitung der Pflicht zur Rechnungsle5 Zur damaligen Debatte vgl. KRONSTEIN/CLAUSSEN (1960, S. 17, 98 ff.) sowie RegE AktG 1965 bei KROPFF (1965, S. 237 ff.); weitere Nachweise bei LUTTER (1987).

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gung, Prüfung und Publizität wenn nicht gelöst, so doch maßgeblich verbessert6. Und genau das gleiche Ziel verfolgt jetzt das Bilanzrichtlinien-Gesetz von 1985. Könnte es sein, daß sich die Lösung unseres hier dargestellten Problems ebenfalls in der Figur öffentlicher und kontrollierter Rechnungslegung finden läßt? Die folgende, dem Meister der Rechnungslegung gewidmete Untersuchung will versuchen, die Beantwortung der Frage zu fördern. II. Externe Rechnungslegung und Publizität von Vereinen de lege lata Dem Vereinsrecht sind Regeln zur externen Rechnungslegung und Publizität im Prinzip unbekannt. Weder das BGB noch das Bilanzrichtlinien-Gesetz noch das Publizitäts-Gesetz erfassen den Idealverein, mag dieser noch so groß und bedeutend sein. Eine Ausnahme gilt nach § 3 PublG nur für den großen und genehmigungs- [238] pflichtigen Wirtschaftsverein nach § 22 BGB von dem hier nicht die Rede ist: Gemeinnützige Vereine können gelegentlich wirtschaftliche Nebenbetriebe haben (sog. Nebentätigkeitsprivileg, vgl. dazu SCHMIDT 1984, S. 183 ff.; HEMMERICH 1982, S. 78 ff. mit weiteren Nachweisen; REICHERT/DANNECKER/ KÜHR 1984, S. 20 Rn. 51 f.), in ihrem Zentrum wirtschaftlich handelnde Vereine aber sind nicht gemeinnützig. III. Interne Rechnungslegung von Vereinen de lege lata 1. Finanzielle Rechnungslegung Auch die gesetzlichen Regeln zur internen Rechnungslegung von Vereinen muten geradezu archaisch an. In den Vereinsvorschriften des BGB findet sich nämlich nur in § 27 III BGB ein Verweis auf das Auftragsrecht (§ 666 BGB) und von dort zurück auf die ganz allgemeine Regelung des § 259 BGB, die für Eltern und Vorerben ebenso gilt wie für Vormünder und Testamentsvollstrecker: Danach hätte der Vorstand überhaupt erst nach Ablauf seiner Vorstandstätigkeit, also möglicherweise erst nach Ablauf vieler Jahre Rechnung zu legen (IKELS 1976, S. 51; SAUTER/SCHWEYER 1986, S. 195 Rn. 281); im übrigen hätte er nur die Mitglieder in der jährlichen Mitgliederversammlung (§ 666, 2. Alternative BGB) aufgrund von deren Fragen zu informieren. Das ist gewiß sachlich und rechtlich überholt. Die Lehre versteht daher heute die fraglichen Normen als Pflicht zu periodischer Rechnungslegung, d. h. zu einer am Kalenderjahr orientierten Rechnungslegung, soweit die Satzung nichts anderes vorsieht (REICHERT/DANNECKER/ 6 Im BiRiLiG vom 19.12.1985 wurde dieser Gedanke bestätigt, verstärkt und auf die GmbH übertragen.

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KÜHR 1984, S. 291 Rn. 953; STÖBER 1980, S. 99 Rn. 127). Das gilt natürlich um so mehr, als auch das Steuerrecht eine solche Jahresrechnung vorschreibt, § 140 AO 1977; danach hat der Vereinsvorstand die vereinsrechtlich vorgeschriebenen Aufzeichnungspflichten auch im Interesse der Besteuerung zu erfüllen. Im übrigen verlangt das Gesetz in § 259 BGB für die Art und Weise dieser internen Rechnungslegung nur eine „geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben“, beschränkt sich also bewußt und betont und in klarer Abgrenzung von handelsrechtlichen Regeln auf eine sog. Einnahmen-/AusgabenRechnung. Und dem entspricht die Praxis der allermeisten Vereine. Ob der Vorstand bei entsprechenden sachlichen Voraussetzungen (z. B. wesentlicher eigener Grundbesitz des Vereins) stattdessen auch berechtigt und ggf. gar verpflichtet ist, eine an der handelsrechtlichen Rechnungslegung orientierte Jahresabschlußbilanz und eine Art Gewinn- und Verlustrechnung vorzulegen, mag hier dahinstehen; man wird es insbesondere dann anzunehmen haben, wenn auch die steuerlichen Regeln eine solche Form der Rechnungslegung akzeptieren oder gar verlangen. 2. Geschäftsbericht/Lagebericht Weitergehende Informationen über die finanzielle Lage des Vereins, seine Erfolge und Mißerfolge sieht das Gesetz nicht vor. Da die Mitglieder aber in der Jahres-Mit- [239] gliederversammlung den Vorstand beliebig viel und lange über seine Tätigkeiten, seine Erfolge und Mißerfolge für den Verein, über die Vermögenslage, den Stand der Vorhaben und die Planung befragen können, haben sich in vielen mittleren und großen Vereinen die Vorstände entschlossen, in einem schriftlichen Bericht vorweg Erläuterungen zu geben, um auf diese Weise den Vorgang in der Mitgliederversammlung zu kanalisieren und abzukürzen, aber auch, um ihrerseits das Heft über Art und Weise der Darstellung und ihrer Ordnung in der Hand zu behalten. Denn auch für die Art und Weise eines solchen freiwilligen Geschäftsberichts gibt es über die allgemeinen Regeln hinaus, daß er getreuer Rechenschaft entsprechen muß, also weder lügen noch bewußt Probleme unterschlagen darf, keine gesetzlichen Regelung. 3. Keine Pflichtprüfung de lege lata Das Vereinsrecht kennt keine Pflichtprüfung der jährlichen Rechnungslegung des Vorstands. Eine Ausnahme gilt nur für gemeinnützige Wohnungsbauvereine, Lohnsteuerhilfevereine und Rabattvereine, die einer jährlichen Pflichtprüfung unterworfen sind (§§ 4 Abs. 2 RabattG, 22 StBerG, 26 Abs. 3WGG, vgl. auch REICHERT/DANNECKER/KÜHR 1984, S. 290 Rn. 945). Die Satzung des Vereins kann fraglos bestimmen, daß die Jahresrechnung intern durch bestimmte Mitglieder oder zusätzlich extern von unabhängigen Prü-

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fern kontrolliert wird; die Wahl des externen Prüfers obliegt dann in aller Regel der Mitgliederversammlung (REICHERT/DANNECKER/KÜHR 1984, S. 290 Rn. 947). In der Praxis lassen sich insbesondere größere gemeinnützige Vereine freiwillig prüfen. 4. Keine Publizitätspflicht de lege lata Obwohl gemeinnützige Vereine keiner rechtlichen Pflicht unterliegen, der Öffentlichkeit ihre Jahresrechnung offenzulegen7, publizieren einige dennoch freiwillig ihre Daten in sog. Jahresberichten, die jedermann zugänglich sind8. Das hängt wohl damit zusammen, daß mit dieser Veröffentlichungspraxis neben der Information der Vereinsmitglieder und der interessierten Öffentlichkeit auch ein gewisser Werbeef- [240] fekt verbunden ist9. Der Gedanke einer Rechenschaftslegung gegenüber der Allgemeinheit ist dabei offenbar weniger stark ausgeprägt. IV. Zusammenfassung zum status quo Gemeinnützige Vereine der hier erörterten Art wenden sich mit ihren Finanzierungsanliegen an die Öffentlichkeit, formulieren ihre sozialen und karitativen Anliegen in Anzeigen, Postwurfsendungen, breit gestreuten Einzelbriefen etc. und fordern zur Beteiligung an diesen ihren Vorhaben auf durch Beteiligung an der Finanzierung. Dieser Vorgang ist mehrfach steuerlich begünstigt, d. h. die Gesellschaft der Bundesrepublik anerkennt die Übernahme solcher Gemeinschaftsaufgaben (öffentliche Aufgaben) durch private Initiative. Eine Rechnungs7 Anderes gilt im Recht der politischen Parteien: Art. 21 Abs. 4 Satz 4 GG i. V. m. §§ 2331 ParteienG schreibt eine umfassende öffentliche Rechenschaftspflicht der Parteien vor. Danach soll die Finanzierung und die finanzielle Unterstützung der Parteien transparenter gemacht werden mit dem Ziel, etwaige Einflußnahmen auf die jeweilige Parteipolitik offenzulegen. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 ParteienG besteht der vorgeschriebene Rechenschaftsbericht aus einer Einnahmen-/Ausgabenrechnung sowie einer Vermögensrechnung. In dem Rechenschaftsbericht der Parteien sind die Einzelberichte der Landesverbände und ihrer Unterorganisationen gesondert auszuweisen. Der Bericht ist nach Prüfung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer beim Bundestagspräsidenten einzureichen und im Bundesanzeiger zu veröffentlichen (§ 23 Abs. 2 ParteienG) (vgl. dazu GRIMM 1983, S. 348 f.; HENKE Art. 21 Rn. 63). 8 Dazu gehören z. B. Deutsche Krebshilfe, Deutsches Rotes Kreuz, Kindernothilfe, Care, Deutsche Welthungerhilfe, Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, JohanniterUnfall-Hilfe, Flüchtlings-Starthilfe etc. (weitere Hinweise bei BORGMANN-QUADE 1982a, S. 157 ff.). 9 Auf diesen durchaus legitimen Aspekt weisen HUNDHAUSEN (1962, S. 26) und MINZ (1962) hin. Auch die zur Erstellung eines Geschäftsberichts (§ 160 AktG) bzw. heute Lagebericht (§ 289 HGB) verpflichteten Unternehmen haben das inzwischen längst begriffen und bemühen sich mit abgewogenen Texten und schönen bunten Bildern auf glänzendem Papier um eine gute Selbstdarstellung.

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legung gegenüber dem außenstehenden Financier (Spender) oder dem interessierten und ipso jure mitfinanzierenden Steuerbürger aber findet nicht statt, allenfalls gegenüber dem internen „Mitträger“ der Veranstaltung, dem Vereinsmitglied. Aktuelle und potentielle Spender sowie die Steuerbürger befinden sich dem gemeinnützigen. Verein gegenüber also in der gleichen Rolle eines „interessierten und engagierten Außenstehenden“ wie die Gläubiger, potentiellen Anleger und die Öffentlichkeit im Verhältnis zu einem Wirtschaftsunternehmen. Daher ist nun zu fragen, welche Überlegungen und welche Gründe dort zur Pflicht öffentlicher und kontrollierter Rechnungslegung geführt haben. V. Der Zweck öffentlicher Rechnungslegung im Wirtschaftsunternehmen 1. Die historische Entwicklung im Unternehmensrecht ist schon häufiger dargestellt worden (DÖLLERER 1958; HUNDHAUSEN 1967; SCHWARK 1979, S. 174 ff.) und soll hier nicht à fond wiederholt werden. Nur einige wichtige Aspekte seien hervorgehoben: Seit dem Aufkommen von Aktiengesellschaft und Aktie im Europa des 17. Jahrhunderts war man sich über die Gefahren für die Anleger klar; ihnen zu steuern wurde bis in die Zeit des Hochliberalismus hinein als Aufgabe des Staates angesehen (VON CAEMMERER 1962, S. 143 ff.). Daher verlangte nach § 24 Satz 2 des preußischen Gesetzes über die Aktiengesellschaften vom 9. November 1843 (abgedruckt in BAUMS 1981, S. 217) die Einreichung der jährlichen Bilanz bei der zuständigen staatlichen Wirtschaftsbehörde, d.h. der gleichen Behörde, die auch die Genehmigung, [241] den octroy, die Konzession als juristische Person erteilt hatte. Mit dem Übergang zum Normativ-System im Gesetz von 1870 entfiel das und wurde sofort durch eine Publizitätspflicht eben dieser Bilanz ersetzt (Art. 239 Abs. 1 Satz 2 ADHGB des Norddt. Bundes) (abgedruckt in SCHUBERT/HOMMELHOFF 1985, S. 123). Seither, also seit nun über 100 Jahren ist man mit Überzeugung in diesem System verblieben, nur wurden die Informationsgegenstände, die Informationsmittel und die Informationspflichten ausgeweitet: Mit der Reform von 1884 (vgl. nur die klare Erkenntnis der Kontrollfunktion durch Publizität in der Begründung der Aktienrechtsnovelle von 1884 bei VON CAEMMERER 1962, S. 158 Fn. 50) kam die gewinn- und Verlustrechnung als zusätzliches Informationsmittel hinzu (Art. 185c und 239a), und die gesamten Unterlagen mußten publiziert werden. Mit der Reform von 1931/1937 folgte dann die Pflichtprüfung dieser Unterlagen durch unabhängige Wirtschaftsprüfer (dazu SCHWARK 1979, S. 178; KROPFF § 162 Rn. 2 f.; CLAUSSEN § 162 Rn. 1, 3), weil unseriöse Aktiengesellschaften schlicht gefälschte Bilanzen erstellt und publiziert hatten. Mit der Aktienrechtsreform von 1965 wurde die Information selbst verbessert durch Abschaffung der Erlaubnis zur Bildung stiller Reserven (CLAUSSEN

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Vorbem. § 153 Rn. 1 ff. sowie Anm. 5): Die positiven und negativen Elemente des Handelns der Verwaltung sollten offenliegen. Während dieser ganzen langen Entwicklung war man sich stets über die Notwendigkeit von Kontrolle einig und sah sie deutlich (nur) in den beiden Möglichkeiten: Staatskontrolle oder Publizität (VON CAEMMERER 1962, S. 165). 2. Rechnungslegung gegenüber dem Financier war seit eh und je Aufgabe der Rechnungslegung, wurde jedoch lange als interne Angelegenheit verstanden; erst als man erkannte, daß interne Mittel wie Mitgliederversammlung und schriftlicher Verkehr mit den Mitgliedern im Hinblick auf deren große und ständig wachsende Zahl nicht mehr ausreichten, trat die publizierte, also öffentliche Rechnungslegung an deren Stelle (VON CAEMMERER 1962, S. 161 f.). Und das wurde immerhin schon 1870, spätestens 1884 erkannt. 3. Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit Das private, von öffentlichen Kontrollen freie Unternehmen ist in einer modernen Wirtschaftsgesellschaft der wichtigste Träger der Wertschöpfung; trotz seiner privaten Trägerschaft besteht also ein offensichtliches und vitales Interesse der Öffentlichkeit am Unternehmen als Wertschöpfungsveranstaltung. Dieses öffentliche Interesse: an der Institution Unternehmen und dem Schutz der Institution vor Mißwirtschaft, an öffentlicher Rechenschaftslegung bei öffentlicher Aufforderung zur Mitwirkung an der Finanzierung und [242] an Kenntnis über die wirtschaftliche Lage beschränkt haftender Subjekte, die unbeschränkt am Rechts- und Wirtschaftsleben teilnehmen und die Gewährleistung dieses Interesses durch die Publizität der geprüften Darstellung von Vermögens- und Ertragslage ist heute weitgehend unbestritten und seit der 4. und 7. EG-Richtlinie europaweit anerkannt10.

10 Aus diesen beiden sowie der 8. (Prüfer-)Richtlinie hat der Rechtsgedanke einer Kontrolle durch Öffentlichkeit mittels Offenlegung einer standardisierten und geprüften Rechnungslegung aller juristischen Personen des Handels-Privatrechts seinen Höhepunkt erreicht: Er ist damit in einem Wirtschaftsgebiet von mehr als 200 Mio. Einwohnern durchgehend geltendes Recht geworden.

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4. Größenspezifische Abstufungen der öffentlichen Rechnungslegung hat es im deutschen Recht erstmals mit dem Publizitäts-Gesetz gegeben und mit der dadurch bewirkten Aufgabe des bis dahin herrschenden reinen Rechtsform-Prinzips (vgl. RITTNER S. 63 ff.). Diese Abstufung hat wirkliche Breite aber erst jetzt mit dem Bilanzrichtlinien-Gesetz und seinen §§ 264 ff. HGB bekommen. Damit ist der Gedanke akzeptiert, daß das öffentliche Interesse an kleineren Einheiten geringer und daher auch deren Belastung mit Kosten und Verlusten an Privatheit geringer sein kann. VI. Übertragbarkeit der Erkenntnisse zur öffentlichen Rechnungslegung von Wirtschaftsunternehmen auf gemeinnützige Vereine Nachdem wir die Probleme und die Interessen an öffentlicher Rechnungslegung gemeinnütziger Vereine festgestellt sowie die Parallelen zur Rechnungslegung und Publizität der Wirtschaftsunternehmen und ihre Entwicklung dargestellt haben, gilt es zu klären, ob sich daraus rechtspolitische Erkenntnisse gewinnen lassen. Dabei sind Sorgfalt und Zurückhaltung angebracht. Denn in einer modernen Rechtsgemeinschaft wie der Bundesrepublik steht die Rechtsordnung im Grunde ständig und insbesondere mit dem Ziel ihrer Verbesserung zur Disposition (RITTNER 1964, S. 113). Dieses Ziel aber gründet gar zu oft nur auf Wunsch und Meinung, auf allgemeinem Rechtsempfinden oder gar Vorurteil statt auf rationalen Argumenten und strenger Durchdringung der Materie. Auch gilt es, schonend mit dem knappen Gut der Rechtssetzungskapazität umzugehen. Zwar ist gerade im Recht das Bessere stets der Feind des Guten; aber es muß auch wirklich das Bessere sein. [243] 1. Rechenschaftslegung gegenüber dem Financier Gemeinnützige Vereine sind keine Wirtschaftsunternehmen; sie wenden sich nicht an ein anlagewilliges Publikum, versprechen keine Gewinne, erstreben keine Wertschöpfung und nehmen auch nicht zum Zwecke der Wertschöpfung am Rechts- und Wirtschaftsverkehr teil. Insofern sind gemeinnützige Vereine von anderer Art und Struktur als Wirtschaftsunternehmen. Auf der anderen Seite wenden sie sich an eine mehr oder minder breite Öffentlichkeit mit dem Ziel der Mittelaufbringung unter Auslobung bestimmter Tätigkeiten – nur, daß sie diese

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Mittel zum alsbaldigen Verbrauch11 und mithin im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen nicht zum Zweck der bleibenden Mitunternehmerschaft (unternehmerische Mitgliedschaft) wünschen: Der Spender gibt seine Mittel endgültig und nicht als Anlage. Insoweit ist dessen unmittelbares Interesse an Rechnungslegung über die Verwendung seiner Mittel im Grunde sogar stärker als beim Anleger. Und dieses naheliegende Interesse führt dann auch im übrigen dazu, daß institutionelle Geber großer Spenden, also insbesondere Wirtschaftsunternehmen, von den gemeinnützigen Empfängern Rechenschaft verlangen und erhalten (WORCH 1982, S. 28): Wir finden die gleiche Situation wie vor dem Erlaß des Bilanzrichtlinien-Gesetzes bei der GmbH; der institutionelle Kreditgeber einer GmbH war natürlich über deren wirtschaftliche Verhältnisse informiert, erhielt Einsicht in die internen Abschlüsse und Zwischenabschlüsse, nur der kleine Geschäftspartner eben nicht. Rechenschaftslegung ist intern möglich, löst diese Frage aber nicht; sie ist auch ad personam möglich, also gegenüber dem einzelnen Spender; ob dieser darauf Anspruch hat, mag hier dahinstehen (dazu demnächst FURCHE); denn in größeren Verhältnissen ist das ebenso illusorisch wie bei der Aktiengesellschaft, und es wäre zudem für den einzelnen Verein weit kostenintensiver als öffentliche Rechnungslegung. Akzeptiert man daher überhaupt den Gedanken der Notwendigkeit einer Rechnungslegung gegenüber dem Geldgeber – und daran kann ernsthaft wohl kaum gezweifelt werden –, so bleibt auch hier im Prinzip nur die öffentliche Rechnungslegung! 2. Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit liegt hier besonders nahe, beteiligt sich diese doch über die Steuer an den Aktivitäten dieser Einrichtungen. a) Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit eines Vereins führt zu bedeutenden steuerlichen Vorteilen. Welche Zwecke als steuerbegünstigt gelten, ist in den §§ 52 ff. AO 1977 geregelt; die hier angesprochenen sozialen, karitativen und wissenschaftlichen Zwecke gehören fraglos dazu. Die hierauf beruhenden Steuervorteile werden dann in den einzelnen Steuergesetzen bestimmt. Im einzelnen sehen die §§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG, 3 Nr. 6 GewStG, 3 Abs. 1 Nr. 12 VStG, 13 Abs. 1 Nr. 16, 17 ErbStG und [244] § 7 Abs. 1 Nr. 1 KVStG Steuerbefreiungen vor, die §§ 4 Nr. 18a, 22b UStG und § 18 Nr. 2 RennwLottG normieren weitreichende Steuervergünstigungen für gemeinnützige Vereine. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch das zuständige Finanzamt hat deklaratorische Wirkung

11 Deshalb verbietet das Steuerrecht auch den gemeinnützigen Einrichtungen die unbeschränkte Bildung relevanter Rücklagen aus steuerbegünstigten Zuwendungen (vgl. dazu SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 136 mit weiteren Nachweisen; BRANDMÜLLER 1978).

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und bezieht sich nur auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum (VON WALLIS/ STEINHARDT 1977, S. 102 Rn. 78). aa) Die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen ein Verein als gemeinnützig anerkannt wird, sind in § 52 AO 1977 festgelegt. Danach muß die Vereinstätigkeit darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos, ausschließlich und unmittelbar zu fördern. In § 52 Abs. 2 AO 1977 ist nochmals die Förderung sozial-karitativer Tätigkeiten ausdrücklich hervorgehoben. Ein Verein fördert einen gemeinnützigen Zweck dann selbstlos und ausschließlich, wenn er nur solche steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verfolgt, die nicht primär eigenwirtschaftlichen Interessen dienen. Daß der Verein ausschließlich den in der Satzung festgelegten Zweck zu fördern hat, schließt aber nicht aus, daß mehrere steuerbegünstigte Zwecke zur gleichen Zeit verfolgt werden können (MÄRKLE 1984, S. 121; SCHULZEOSTERLOH 1982, S. 131; TROLL 1983, S. 496; VON WALLIS/STEINHARDT 1977, S. 59 Rn. 52). Schließlich liegt nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 eine unmittelbare Förderung vor, wenn der Verein selbst die gemeinnützigen Ziele verwirklicht. Am Rande sei bemerkt, daß gemeinnützige Vereine den Genuß der Steuervergünstigungen nicht verlieren, auch wenn ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten wird (REICHERT/DANNECKER/KÜHR 1984, S. 816 Rn. 2461; VON WALLIS/STEINHARDT 1977, S. 81 Rn. 63). Nach § 64 AO 1977 in Verbindung mit den einschlägigen Einzelsteuergesetzen unterliegt der Verein dann nur in bezug auf den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und dessen Ergebnisse der Steuerpflicht. Vermögensverwaltung oder das Führen eines Zweckbetriebes sind in der Regel nicht steuerschädlich. bb) Nur denjenigen Vereinen, bei denen die Verwirklichung des steuerbegünstigten Zweckes satzungsgemäß festgelegt und die tatsächliche Geschäftsführung auf die Erfüllung des Satzungszweckes gerichtet ist, werden die Steuervergünstigungen nach § 59 AO 1977 gewährt. Zum Nachweis darüber, daß die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins den Erfordernissen der Gemeinnützigkeit entspricht, hat der Vorstand gemäß § 63 Abs. 3 AO 1977 ordnungsgemäße Aufzeichnungen über die getätigten Einnahmen und Ausgaben zu führen. Einnahmen und Ausgaben von steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben und von steuerunschädlichen Zweckbetrieben sind getrennt aufzuzeichnen (MÄRKLE 1984, S. 209; TROLL 1983, S. 125 f.). Die weiteren Anforderungen an die in § 63 Abs. 3 AO 1977 statuierte steuerrechtliche Aufzeichnungspflicht ergeben sich aus den Vorschriften der §§ 145 ff. AO 1977. b) Ausgaben zur Förderung mildtätiger, kirchlicher, religiöser, wissenschaftlicher, staatspolitischer und gemeinnütziger Zwecke, die als besonders förderungswürdig anerkannt sind, können nach den §§ 10b EStG und 9 Nr. 3 KStG als Sonderausgaben bzw. als abziehbare Aufwendungen in begrenztem Umfang, d. h. bis zu bestimmten Höchstbeträgen von der jeweiligen Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Spendewillige werden durch die Abzugsfähigkeit ihrer Ausga-

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be mit den Mitteln des Steuerrechts ermutigt, gemeinnützige Vereine zu unterstützen (MÄRKLE 1984, S. 157; WEBER/ENDLICH 1981, S. 1331). [245] Die Anerkennung gemeinnütziger Zwecke als besonders förderungswürdig erfolgt aufgrund einer Verwaltungsanordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates (§ 48 Abs. 2 EStDV). Die bisher anerkannten gemeinnützigen Zwecke sind in der Anlage zu Abschnitt 111 Abs. 1 EStR zu entnehmen. Unter anderem sind gemeinnützige Zwecke, die der Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, der Jugendpflege und -fürsorge, der Wohlfahrtspflege, der Rettung aus Lebensgefahr, dem Tier- und Naturschutz und der Entwicklungshilfe dienen, in diesem Verzeichnis aufgenommen. Weiterhin kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates nach § 48 Abs. 4 EStDV weitere Körperschaften benennen, bei denen die Abzugsfähigkeit der Spenden ermöglicht wird, obwohl die erforderlichen Voraussetzungen einer Anerkennung nicht gegeben sind. Die Spenden können von den Spendern nur dann als Sonderausgaben geltend gemacht werden, wenn sie von Spendenempfängern eine Spendenbescheinigung erhalten12. Darin wird bestätigt, in welcher Höhe der Spendenempfänger eine Spende erhalten hat und daß die Zuwendung für den steuerbegünstigten Zweck verwendet wird. c) Die Allgemeinheit beteiligt sich also – mittelbar – in hohem Maße an den Aktivitäten der gemeinnützigen Vereine, die ihre Tätigkeit, deren Umfang und die Organisation dennoch frei und autonom bestimmen können. Wer mitfinanziert, trägt auch Mitverantwortung. Dennoch besteht nach geltendem Recht keine allgemein zugängliche Informationsquelle, die es den Steuerzahlern ermöglichen würde, sich über die Aktivitäten dieser steuerlich privilegierten Gruppe ausreichend zu informieren, sofern man von den – relativ seltenen und oft ungeprüften – freiwilligen Angaben der Vereine absieht. Hier greift das Konzept öffentlicher Rechenschaftslegung ein: Da den gemeinnützigen Vereinen mittelbar über die Beteiligung des Fiskus an den Spenden der Geber staatliche Zuschüsse und außerdem auch noch eigene Steuervergünstigungen zukommen, müßten sie konsequenterweise im Gegenzug gehalten sein, der Öffentlichkeit Rechenschaft über die Herkunft und die Verwendung ihrer finanziellen Mittel abzulegen. Die Veröffentlichung der Abschlüsse gemeinnütziger Vereine würde aber auch der Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit dienen (vgl. HUNDHAUSEN 1962, S. 26; RITTNER 1964, S. 126, 142); das ist angesichts der öffentlichen Kritik an fehlinvestierten Subventionen und der nicht unerheblichen Anzahl von Spendenbetrügereien ein durchaus wichtiges Argument, um eine Publizitätspflicht gesetzlich vorzuschreiben. Diese Vertrauenskrise zwischen gemeinnützigen Kör12 Die Vorlage der Spendenbescheinigung ist Tatbestandsvoraussetzung für den Spendenabzug (vgl. MÄRKLE 1984, S. 180; REICHERT/DANNECKER/KÜHR 1984, S. 931 Rn. 2700 f.; SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 135; TROLL 1983, S. 457).

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perschaften und der Öffentlichkeit – nicht erst seit der Parteispendenaffäre oder dem Neue-Heimat-Skandal – sollte aktiv abgebaut werden. [246] 3. Kontrolle durch die Öffentlichkeit ist mit dem Gedanken der Rechenschaftslegung eng verbunden; dennoch sei auf diesen wichtigen Aspekt noch einmal hingewiesen: es gibt bislang keine Form der institutionellen Kontrolle über das Verhalten, die Geschäftsführung und die Mittelverwendung privater gemeinnütziger Vereine. Das ist, bedenkt man die vielfältigen Kontrollen über private Unternehmen durch Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer und Publizität, natürlich überraschend und muß zur Ausnutzung, zur Verschwendung durch Inkompetenz und eben auch gelegentlich zu Missbrauch führen. Ohne Einblick in die Angelegenheiten dieser Vereine aber kann die Öffentlichkeit nicht kontrollierend auf die Geschäftsführung der Vereinsorgane einwirken (vgl. schon REINHARDT 1959, S. 448 f.; RITTNER 1964, S. 141 f.; MOXTER 1962, S. 64 ff.). Diese Einwirkung aber wäre fraglos gegeben, da sich niemand gerne öffentlich dem Vorwurf der Erfolglosigkeit, Inkompetenz oder gar der Verschwendung ausgesetzt sieht: Kontrolle durch Öffentlichkeit ist ungemein wirksam! Nicht umsonst steht und fällt der Gedanke von Demokratie mit der Sicherung der Pressefreiheit. 4. Institutionenschutz hängt seinerseits eng mit Kontrolle zusammen. Die Institution des gemeinnützigen, auf privater Initiative arbeitenden Vereins mit sozialen und karitativen Zielen ist nützlich, ja notwendig. Es gibt außer der privaten Stiftung und der gemeinnützigen GmbH, die beide im Grunde auf anderen Voraussetzungen beruhen – die Stiftung auf ihrem Stiftungsvermögen und dessen Verwaltung, die GmbH im Grunde ausgerichtet auf unternehmerische Tätigkeit –, dafür nur die Rechtsform des privaten, ungemein liberal geregelten Idealvereins. Sollen daher weder diese bewährte Organisationsform noch die Einrichtung privater, auf „nachbarliche“ Hilfe angewiesener Einrichtungen Gefahr laufen, durch Fehler einzelner insgesamt diskreditiert zu werden,13 so ist Kontrolle nötig: Hierfür bieten sich die

13 Die gut geführte, geprüfte und fleißig publizierende Kindernothilfe e.V. in Duisburg hat im Jahre 1986 durch negative Presseberichte allgemeiner Art oder über andere Spenden-Vereine über 5000 (!) Paten für ausländische Kinder verloren („Bericht über die Arbeit im Jahre 1986“, S. 1): das waren 5% eines Bestandes von über 100.000 Patenschaften. Diese Vereine müßten also ein lebhaftes Interesse an einer allgemeinen Regelung der Rechnungslegung, Prüfung und Publizität haben.

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standardisierte Rechnungslegung, ihre Prüfung und Publizität aufgrund der Erfahrung aus vielen Jahrzehnten geradezu an. VII. Gegenargumente Die bisherigen Überlegungen haben viele Argumente für eine künftige standardisierte Rechnungslegung der gemeinnützigen Vereine und deren Publizität zutage gefördert. Aber das schließt Gegenargumente nicht aus: [24714] 1. Kontrolle durch das Finanzamt Ein spezielles Anerkennungsverfahren, mit dem das Vorliegen der Gemeinnützigkeit festgestellt würde, sieht das Gemeinnützigkeitsrecht nicht vor (MÄRKLE 1984, S. 154 f.; SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 133; TROLL 1983, S. 532; VON WALLIS/STEINHARDT 1977, S. 101 Rn. 78). Das zuständige Finanzamt entscheidet im Rahmen des regulären Veranlagungsverfahrens, ob der Verein steuerbegünstigten Zwecke verfolgt. Wenn das Finanzamt zu dem Ergebnis kommt, dass die oben geschilderten materiellen und formellen Voraussetzungen gegeben sind, erlässt es einen Freistellungsbescheid (REICHERT/DANNECKER/ KÜHR 1984, S. 815 Rn. 2460; SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 133; TROLL 1983, S. 532; VON WALLIS/STEINHARDT 1977, S. 101 Rn. 78). Die Befugnis zur Erteilung einer abzugsfähigen Spendenbescheinigung ergibt sich dann ebenfalls aus diesem Bescheid (MÄRKLE 1984, S. 174 f.; SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 135). Die Finanzverwaltung ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verein gemeinnützig ist, weitgehend auf die Angaben des Vereinsvorstandes angewiesen, der nach § 90 AO 1977 einer steuerrechtlichen Mitwirkungspflicht unterliegt. Der Freistellungsbescheid ist spätestens alle drei Jahre zu überprüfen (REICHERT/DANNECKER/KÜHR 1984, S. 816 Rn. 2460). In der Zwischenzeit muß der Vereinsvorstand nach § 137 AO 1977 dem Finanzamt alle Umstände anzeigen, die für die steuerliche Erfassung relevant sind. Obwohl die Finanzverwaltung eine Außenprüfung des Vereins vornehmen kann, um die Gemeinnützigkeit zu überprüfen, kann sich diese Kontrolle nur auf die Rechtmäßigkeit der Anerkennung der Steuerbegünstigung beziehen. Ob der Verein effektiv und kostengünstig wirtschaftet, entzieht sich der steuerrechtlichen Prüfung. Auch wenn gewisse Unregelmäßigkeiten bei der Mittelherkunft und -verwendung festgestellt werden sollten, könnte die Information den interessierten Personenkreisen nur in den 14 [Anm. d. Hrsg.: Auf S. 247 findet sich diese Fn. 14, die allerdings nicht im Text gesetzt ist.] Das war eines der Probleme des NH-Falles; und dieses Problem ist gerade nicht von den Finanzämtern, sondern von der Presse angesprochen worden.

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engen Grenzen des § 30 Abs. 4 AO 1977 aufgrund des Steuergeheimnisses offenbart werden. Man muß daher mit SCHULZE-OSTERLOH feststellen, daß das Instrumentarium des Steuerrechts nicht geeignet ist, das Geschäftsgebaren gemeinnütziger Körperschaften zu überwachen (SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 138 f.). Die Instrumente der Finanzbehörden sind also durchaus reichhaltig. Aber ihre Zielrichtung ist anders: Es gilt für das Finanzamt zu vermeiden, daß unter dem Deckmantel gemeinnütziger Tätigkeit in Wirklichkeit eigennützige wirtschaftliche Ziele verfolgt werden. Allenfalls soll daneben eine grobe persönliche Bereicherung an steuer- [Anm. d. Hrsg.: Wohl druckfehlerhaft folgen im Original nun zwei Zeilen, die sich drei Zeilen tiefer wiederholen (von „-lichung: Das ist …“ bis „alle Stimmen darüber einig, …“), anstatt der wohl vom Verf. intendierten Worte.] nungsgemäßen Geschäftsführung“ im Sinne einer möglichst optimalen Zielverwirklichung: Das ist weder die Aufgabe der Finanzbehörden noch entspricht es ihrer Denk- und Zielrichtung. Daher auch sind sich im Grunde alle Stimmen darüber einig, daß die hier angesprochenen Aufgaben weder de lege lata vom Finanzamt erfüllt werden oder auch nur erfüllt werden sollten und daß das auch für alle Überlegungen de lege ferenda gilt (SCHULZE-OSTERLOH 1982, S. 139). [248] 2. Nutzlosigkeit a) Der positive Einfluß im Sinne eines Optimierungsdruckes durch standardisierte Rechnungslegung, Prüfung und Publizität auf Wirtschaftsunternehmen wird heute nicht mehr bestritten (vgl. MOXTER 1962, S. 94 f.); das aber hängt in hohem Maße auch damit zusammen, daß der dort angesprochene Markt von Geld und Kredit, von Kapital und Anlage Einrichtungen schafft und erhält, die zwischen Unternehmen und Anleger treten, für ihn die Analyse und den Vergleich mit Alternativen leisten und dadurch mindestens mittelbar auch für ihn kontrollieren und kritisieren15. All’ das gibt es im Bereich der gemeinnützigen Vereine und Unternehmen nicht. Man könnte also durchaus fürchten, daß ihre Publizität ins Leere fällt und auch künftig fallen wird, eben weil es keinen zahlungskräftigen „Spendenmarkt“ gibt. Eine Aussage hierzu ist nicht ganz leicht; denn tatsächlich wäre die wie auch immer geartete Publizität von 40000-80000 gemeinnützigen Vereinen so für den potentiellen Spender und die Öffentlichkeit nutzlos – ein Datenfriedhof. Es bedarf also gewiß entsprechender Einrichtungen, die sich der Aufbereitung und Vermittlung dieser Zahlen annehmen – auch und gerade, um 15 Man denke nur an die jährlich von den Unternehmen sorgfältig vorbereiteten BilanzPressekonferenzen, in denen sie der Presse ein möglichst gutes und erfolgreiches Bild von sich zur Weitergabe an den Markt vermitteln wollen. Man denke weiter an die Bilanzanalysen in der Wirtschaftspresse und an die Berichte von den Hauptversammlungen.

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die gemeinnützigen Vereine zu engagierter und weitgehender Selbstdarstellung anzuregen und anzuhalten, sowie das von den Wirtschaftsunternehmen mit Können und Marketing heute gemacht wird16. Eine solche Einrichtung gibt es heute schon, nämlich das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen mit Sitz in Berlin17. Warum sollte es künftig nicht mehr Einrichtungen davon geben, wenn dann die Daten vorhanden sind und nicht mehr mühsam und stets unvollständig erst zusammengetragen werden müssen? b) Es mag auch sein, daß sich hier von vornherein andere Publizitätsformen empfehlen als die alte und klassische Veröffentlichung im Bundesanzeiger oder die Niederlegung bei einem der vielen örtlichen Vereinsregister. Morgen, wo man diese Fragen ganz neu und unbelastet lösen kann, wäre auch Gelegenheit zur Schaffung eines Zentralregisters (z. B. in Berlin), verbunden mit einer Evidenzzentrale und der Möglichkeit des Computerabrufs. 3. Kostenlast Die Aufstellung und Feststellung einer standardisierten Rechnungslegung läßt kaum zusätzliche Kosten entstehen; denn schon jetzt bestehen nach Vereins- und Steuerrecht diese Pflichten, mögen sie künftig auch etwas differenzierter zu erfüllen sein. Demgegenüber erwachsen aus der Prüfung der Rechnungslegung und ihrer Veröf- [249] fentlichung naturgemäß Kosten. Diese Kosten würden Kleinst-Vereinen mit wenigen 10.000 DM Spendenaufkommen pro Jahr ebenso treffen wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Kindernothilfe. Das wäre im Hinblick auf eine angemessene Kosten-Nutzen-Relation wohl unvernünftig. Daher könnte man hier durchaus den Gedanken des Publizitäts-Gesetzes18 sowie des Bilanzrichtlinien-Gesetzes19 aufnehmen und eine Differenzierung nach Größen vorsehen: Wer weniger als 50.000 DM jährlicher Spenden und spendenähnlicher Zuweisungen (z. B. steuerabzugsfähige Mitgliedsbeiträge oder Zuweisungen aus Bußgeldern) erhält, könnte jedenfalls vorerst und bis man entsprechende Erfahrung gesammelt hat, von allen Anforderungen solcher Art freigestellt bleiben. Wer weniger als 100.000 DM pro Jahr erhält, bräuchte nur seinen ungeprüften Abschluß der Evidenzzentrale zu übermitteln, und erst jenseits der 100.000 DM – Siehe oben Anm. 9. Jährlich werden über 14.000 Anfragen an das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) – Spenderberatungsabteilung – gerichtet, in denen sich spendenwillige Bürger nach der Seriosität und Effektivität gemeinnütziger Organisationen erkundigen, denen sie eine Spende zukommen lassen wollen (BORGMANN-QUADE 1982a, S. 15 f.). 18 § 1 PublG. 19 Vgl. Art. 11 und 27 der 4. Richtlinie (bei LUTTER 1984, S. 132, 136) und den darauf beruhenden § 267 HGB; dazu CHMIELEWICZ 1981, S. 23; HEMMERICH 1982, S. 115 f.; SCHWARK 1982, S. 1153. 16 17

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jeweils gerechnet im Mittel der letzten drei Jahre – unterfiele er der vollen Anwendung der neuen Ordnung. VIII. Struktur der standardisierten Rechnungslegung Rechnungslegung hat immer einen Adressaten. Hier geht es in erster Linie um die Spender und die Allgemeinheit. Diese beiden nun sind wenig an der Vermögenslage des gemeinnützigen Vereins interessiert – Überlegungen zum Gläubigerschutz haben uns hier nicht beschäftigt –, wohl aber an der jährlichen Mittelaufbringung und ihrer Verwendung. Daran hat sich dann auch die gesetzliche Ordnung zu orientieren. Das heißt: In der Regel ist eine Einnahmen-/Ausgabenrechnung zu erstellen und nur ausnahmsweise bei Vorhandensein eines größeren Vermögens eine Bilanz mit einer angepassten Gewinn- und Verlustrechnung. Darüber hinaus sollte ein Bericht die Zahlen erläutern. 1. Die Jahresrechnung Die Einnahmen-/Ausgabenrechnung muß so beschaffen sein, daß anhand der einzelnen Gliederungspunkte die Aktivitäten des Vereins an den Zahlen erkennbar und mit anderen gemeinnützigen Vereinen vergleichbar sind20. Die allgemeinen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung sind entsprechend anzuwenden. Insgesamt hätte die Jahresrechnung nicht einen getreuen und zuverlässigen Einblick in die Vermögens- und Ertragslage zu gewähren (so § 264 Abs. 2 HGB für die Rechnungslegung der Kapitalgesellschaften), sondern einen klaren Einblick in die Art und Struktur der Einnahmen und Ausgaben (vgl. den folgenden Vorschlag für die Gliederung der Jahresrechnung eines gemeinnützigen Vereins). [250]

20 Einen Gliederungsvorschlag für eine Einnahmen-/Ausgabenrechnung für gemeinnützige Vereine entwickelt auch BORGMANN-QUADE (1982b, S. 222 ff.)

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Vorschlag für die Gliederung der Jahresrechnung eines gemeinnützigen Vereins Einnahmen 1. Mitgliedsbeiträge ................................. 2. Spenden ............................................... a. Barspenden.................................... aa. zweckgebunden ...................... bb. nichtzweckgebunden ............. b. Sachspenden ................................. aa. zweckgebunden ...................... bb. nichtzweckgebunden ............. 3. Öffentliche Zuschüsse ....................... 4. Vermögensverwaltung ....................... 5. Vermietung, Verpachtung ................. 6. Erbschaften, Vermächtnisse ............. 7. Zuweisungen von über- und nachgeordneten Vereinen und Verbänden ........................................................ 8. Verkaufserlöse, Lotterien .................. 9. Bußgelder ............................................. 10. Einnahmen der wirtschaftlichen Nebenbetriebe..................................... 11. Sonstige Einnahmen ..........................

Ausgaben

1. Verwaltungskosten ............................. a. Allgemeiner Geschäftsbedarf ..... b. Personalkosten ............................. c. Aufwendungsersatz für ehrenamtliche Mitglieder ...................... d. Miet- und Pachtzinsen ................ e. Reisekosten ................................... f. Druckkosten ................................. g. Telefongebühren, Porto.............. h. Werbung........................................ aa. Anzeigen ................................. bb. PR-Veranstaltungen .............. 2. Vereins-/Verbandsbeiträge ............... 3. Ausgaben für Projekte ....................... a. Projekt I ........................................ b. Projekt II ....................................... c. Projekt III ..................................... d. Projekt IV ..................................... 4. Kosten der Mitgliederversammlung 5. Öffentliche Ausgaben ........................ 6. Ausgaben der wirtschaftlichen Nebenbetriebe .................................... 7. Sonstige Ausgaben ............................. zusammen: ................................................. zusammen:................................................. 12. Rücklagenauflösung ........................... 8. Rücklagenbildung............................... Summe: ....................................................... Summe: ...................................................... [251] Im einzelnen bedeutet das: a) Die Jahresrechnung müsste auf der Einnahmen-Seite Konten vorsehen, die Mitgliedsbeiträge, zweckgebundene und nichtzweckgebundene Bar- und Sachspenden, öffentliche Zuschüsse finanzielle Zuweisungen bzw. Beiträge von überoder nachgeordneten Vereinen und Verbänden, Einnahmen aus Vermögensverwaltung, Erbschaften, Vermächtnisse, Zinsen, Verkaufserlöse, Erlöse aus Lotte-

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rien, Bußgelder21, die Einnahmen aus wirtschaftlichen Nebenbetrieben, ggf. die Auflösung von Rücklagen und – als Auffangposten – die sonst. Einnahmen einzeln berücksichtigen. b) Auf der Ausgaben-Seite müssten einerseits die Verwaltungskosten und andererseits die Kosten der eigentlichen Projektverwirklichung gesondert ausgewiesen werden. Unter die allgemeinen Verwaltungsausgaben fallen Personalkosten, Aufwandsersatz für ehrenamtliche Mitarbeiter, Druckkosten, Telefongebühren, Porto, Geräteausstattung und Geräteerhaltung, Reisekosten, Miet- und Pachtzinsen, Kosten für Werbungszwecke, Vereins- und Verbandsumlagen, öffentliche Abgaben, Abgaben und Steuern für wirtschaftliche Nebenbetriebe sowie die Bildung von Rücklagen (zu den steuerrechtlichen Grenzen der Rücklagenbildung gemeinnütziger Körperschaften vgl. bereits Fn. 11 sowie HARDORP 1985; JOST 1986). Bei der Darlegung der Projektkosten ist es naheliegend, die Ausgaben für jedes einzelne Projekt gesondert aufzuführen, so daß man nachträglich erkennen kann, wo die Zuwendungen eingesetzt wurden und wie sich längerfristige Projekte weiterentwickelt haben. Dadurch gewinnt die Einnahmen-/Ausgabenrechnung an Übersichtlichkeit, und der interessierte Spender kann sich gezielter über den Stand der von ihm geförderten Aktion informieren. 2. Der Bericht des gemeinnützigen Vereins hätte auf der einen Seite die Funktion, die Einnahmen-/Ausgabenrechnung zu erläutern, auf der anderen Seite Angaben über die Mitgliederstruktur, die Zusammensetzung der Vereinsgremien, die Beziehung zu übergeordneten Verbänden und nachgeordneten Vereinen, die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, die Anzahl der Arbeitnehmer und der ehrenamtlichen Helfer und besondere Vereinsveranstaltungen zu verzeichnen und eine kurze Beschreibung der laufenden und zukünftigen Projekte zu geben. a) Die Erläuterungen zur Einnahme-/Ausgabenrechnung könnten sich auf die Höhe und Zusammensetzung der einzelnen Zuwendungen beziehen. Auf Abweichungen zum Vorjahr müsste besonders eingegangen werden. Die Notwendigkeit der Rücklagenbildung müsste begründet werden, da es den Mitgliedern und Spendern unverständlich sein könnte, daß ein Teil des zugewendeten Geldes nicht sofort eingesetzt wurde. Wichtig wären auch Ausführungen zur speziellen Kostenstruktur des Vereins und in bezug auf die geförderten Projekte. [252]

21 Es handelt sich hierbei um Geldbeträge, die aufgrund von Auflagen gemäß § 153a Abs. 1 Nr. 2 stopp oder von Bewährungsauflagen gemäß § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB an gemeinnützige Einrichtungen zu zahlen sind.

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b) Darüber hinaus könnte man erwägen, Angaben zu den SchwerpunktProjekten des Vereins oder zu den regionalen Schwerpunkten der Vereinstätigkeit vorzuschreiben. 3. Verbandsrechnungslegung Schließlich ist zu erwägen, ob in diesem Zusammenhang die Einführung einer gesonderten Rechnungslegung für Verbände mit einer Vielzahl von nachgeordneten gemeinnützigen Vereinen (wie etwa das Deutsche Rote Kreuz) nach dem Vorbild der Konzernrechnungslegung angebracht wäre. Dabei müßte der Verband gesetzlich verpflichtet werden, die Einzelergebnisse der nachgeordneten Vereine in einer Einnahmen-/Ausgabenrechnung zusammenzufassen und in einem Gesamtbericht zu erläutern. Nur die Zusammenführung der Jahresrechnungen aller Untergruppierungen kann in diesen Fällen einen umfassenden und realistischen Einblick in die Tätigkeit, die Finanzlage und das finanzielle Verhalten des gemeinnützigen Verbandes ermöglichen. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Dachverbands-Jahresrechnung, der Pflichtprüfung und der Publizität würde dann gleiches gelten wie für die Jahresrechnung des einzelnen Vereins. IX. Prüfung und Publizität 1. Hat man den Gedanken einer öffentlichen Rechnungslegung gemeinnütziger Spenden-Vereine akzeptiert, so ergibt sich die Notwendigkeit einer unabhängigen Prüfung dieser Rechnungslegung aus der Erfahrung mit den Wirtschaftsunternehmen nahezu von selbst; denn Fehlinformation der Öffentlichkeit ist schlechter als der Verzicht auf Information überhaupt. Hinsichtlich möglicher Abstufungen kann auf die obigen Ausführungen (oben S. 250), hinsichtlich der Person der Prüfer auf das HGB (§ 319) verwiesen werden. 2. Zur Art der Pflicht-Publizität wurden ebenfalls bereits Überlegungen vorgetragen. Da es nicht um Gläubigerschutz geht, sondern um Kontrolle durch Öffentlichkeit und um die Information von Spendern, kann man durchaus versuchen, neue Formen der Publizität zu entwickeln. Neben einem Zentralregister und einer – ggf. mit ihm verbundenen – Evidenzzentrale käme ein spezielles Amtsblatt dieses Zentralregisters als allgemeines Publizitätsorgan in Betracht. X. Ergebnis Dem Bundesgesetzgeber kann nachdrücklich empfohlen werden, anlässlich der bevorstehenden Reform des Gemeinnützigkeitsrechts verbindliche Regeln zur

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Art der Rechnungslegung gemeinnütziger Spenden-Vereine sowie deren Prüfung und Publizität zu schaffen. Das gleiche sollte für Dachverbände solcher gemeinnütziger Einrichtungen gelten. [253] Die Pflicht zur Rechnungslegung sollte alle Vereine und sonstigen juristischen Personen treffen, welche die Regeln der Gemeinnützigkeit für sich in Anspruch nehmen und nicht schon nach anderen gesetzlichen Vorschriften rechnungslegungspflichtig sind (z. B. gemeinnützige GmbH). Die Prüfung der Rechnungslegung und die Art ihrer Publizität sollte nach der Größe der Einrichtung unterschieden werden; maßgebliches Kriterium dafür sollte die Höhe des direkten Aufkommens an privaten Spenden, spendenähnlichen Zuwendungen und direkten öffentlichen Mitteln im Durchschnitt der letzten drei Jahre sein. Im übrigen sollte erwogen werden, statt der im Wirtschaftsrecht üblichen Publikation im Bundesanzeiger ein Zentralregister und eine Evidenzzentrale einzurichten mit der Möglichkeit eines jederzeitigen und ggf. computergestützten Zugriffs für jedermann. Literaturverzeichnis Baums, Theodor (Hrsg.): Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts, Bd. 5, Aalen 1981 Borgmann-Quade, Rainer (Hrsg.): Stichwort Spendenwesen, Berlin 1982a Borgmann-Quade, Rainer: „Pro Veritate e.V.“ – Ein Beispiel zum Verständnis einer Einnahmen- und Ausgabenrechnung, in: Stichwort Spendenwesen, hrsg. von Rainer BorgmannQuade, Berlin 1982b, S. 220-228 Brandmüller, Gerhard: Steuerliche Hemmnisse bei der Eigenkapitalbildung gemeinnütziger Körperschaften, in: BB 1978, S. 542-544 Bundesregierung: 10. Subventionsbericht der Bundesregierung, BundestagsDrucksache 10/3821 vom 12.9.85 Chmielewicz, Klaus: Zur Neuordnung der handelsrechtlichen Rechnungslegung, in: Zum Vorentwurf eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes gemäß 4. EG-Richtlinie, Stellungnahmen auf dem Betriebswirtschaftertag 1980, hrsg. von Walther Busse von Colbe und Gert Laßmann, Stuttgart 1981, S. 7-28 Claussen, Carsten P.: Vorbemerkungen vor § 153 AktG, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Wolfgang Zöllner, Bd. 2, Köln u. a. 1985 Claussen, Carsten P.: Kommentierung zu § 162 AktG, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. Von Wolfgang Zöllner, Bd. 2, Köln u. a. 1985 Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger: Jahrbuch 1986, Bremen 1986 Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger: Jahrbuch 1987, Bremen 1987 Deutsches Rotes Kreuz: Jahrbuch 1985, Bonn 1986 Döllerer, Georg: Zweck der aktienrechtlichen Publizität, in: BB 1958, S. 1281-1284

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Rechnungslegung als Rechenschaftslegung* IN: BERICHT ÜBER DIE FACHTAGUNG 1991 DES INSTITUTS DER WIRTSCHAFTSPRÜFER IN DEUTSCHLAND E.V., DÜSSELDORF

1992, S. 409-433

Inhaltsübersicht I. II.

Einleitung Rechnungslegung als Zahlenwerk und Instrument der Unternehmensleitung III. Rechenschaftslegung und das true-and-fair-view-Gebot 1. Überblick 2. Prinzip des true and fair view a) Sachverhaltsgestaltungen im Vorfeld der Bilanz aa) Sale-and-lease-back-Geschäfte bb) Pensionsgeschäfte cc) Annullierte Geschäfte b) Zulässige Bilanzkosmetik bei Ausübung des Ansatzwahlrechts für Aufwandsrückstellungen sowie die Problematik der Sonderabschreibungen aa) Überblick; Verhältnis zur 4. Richtlinie bb) Verhältnis zur Kompetenzverteilung nach § 58 AktG cc) Andere Formen der Rechenschaftslegung; der Anhang c) Umschlag der zulässigen Bilanzgestaltung in unzulässige Manipulation d) Gesellschafterdarlehen aa) In der GmbH bb) In der Aktiengesellschaft IV. Rechenschaftslegung und Publizitätspflicht V. Aufgaben des Abschlußprüfers VI. Zusammenfassung [410]

* Verf. dankt Frau Gabriela S. Goebel, wisse Mitarbeiterin am Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn herzlich für die Aufbereitung des verstreuten Materials und die sorgsame Betreuung des Manuskripts.

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Rechnungslegung als Rechenschaftslegung

I. Einleitung Von Goethe stammt die lobende Formulierung, daß „eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes“ die doppelte Buchführung sei1. Gewiß: der logische Reiz der Buchführung und Bilanzierung ist für den betriebswirtschaftlichen Denker pikante Prise. Lassen Sie mich das spannende und auch heikle Thema der Rechnungslegung aber heute von einer anderen Seite anpacken: Rechnungslegung als Rechenschaftslegung. Zu den ganz alten und fast ehrwürdigen Grundsätzen des Zivilrechts gehört die Pflicht des Mandatars, über die ihm anvertrauten Aufgaben, Gelder und sonstigen Vermögensgegenstände dem Mandanten oder Treugeber Rechenschaft zu legen2; das BGB sagt es in seinem § 6663. Kein Zweifel, daß unsere heutige Rechnungslegung ihren Ausgang mindestens auch von dieser Pflicht zur Rechenschaftslegung4 genommen hat. Aber die Rechnungslegung erfüllt heute zusätzliche Funktionen: sie ist über die Rechenschaftslegung hinaus unternehmensintern Kontrollinstrument5 und Entscheidungshilfe6, nach außen hin Kreditgrundlage und Grundlage der Besteuerung7. So wundert es nicht, daß die – aus meiner Sicht – noch immer eigentliche Zentralfunktion der Rechnungslegung, nämlich die Rechenschaftslegung gegenüber dem Eigner und Kapitalgeber8, gelegentlich aus dem Auge verloren wird oder, viel schwieriger, mit den anderen Funktionen in Konflikt gerät9. Den Weg hin zur Rechenschaftslegung sehe ich durch eine Trias gebildet: [411] Rechnungslegung als Zahlenwerk, true-and-fair-view-Gebot und schließlich Publizitätspflicht. 1 In Wilhelm Meisters Lehrjahre I, 10; siehe ebendort, 7, 39: „Welche Vorteile gewährt die doppelte Buchführung dem Kaufmanne.“ 2 Vgl. Ennecerus/Lehmann, Schuldrecht, 13. Aufl., 1950, § 20, S. 89. 3 Ennecerus/Lehmann, aaO., § 20, S. 89 sowie § 162, S. 643; Palandt/Thomas, Komm. z. BGB, 51. Aufl., 1992, § 261 Rn. 17 f., § 666 Rn. 1 und 4. 4 Vgl. Leffson, GoB, 5. Aufl., S. 53, 56. 5 Leffson, aaO., S. 51/52: „Rechenschaft des Kaufmanns vor sich selbst.“ 6 Leffson, aaO., S. 56. 7 Umfassend zu den vielfältigen Aufgaben der Rechnungslegung Clemm, FS Goerdeler, 1987, 93 ff., 96 f.; siehe auch Scholz/Crezelius, GmbHG, 7. Aufl., Anh. § 42a Rn. 37 f.; unter betriebswirtschaftlichen Aspekten siehe Eilenberger, Betriebliches Rechnungswesen, 5. Aufl., 1990, 1.2. 8 So auch Hachenburg/Goerdeler/Müller, GmbHG, 7. Aufl., § 42 Rn. 7; vgl. auch Leffson, GoB, 5. Aufl., S. 53. 9 Lutter, DB 1979, 1285 ff., 1292; Leffson, aaO., S. 53; ADS, § 264 HGB Rn. 88; Clemm, FS Goerdeler, 1987, 93 ff., 100; Schulze-Osterloh, ZHR 150 (1986), 532 ff., 542; Eilenberger, aaO., C.I.

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II. Rechnungslegung als Zahlenwerk und Instrument der Unternehmensleitung Das erste Element der Trias, die Rechnungslegung, läßt sich für den Juristen – ich bin geneigt zu sagen: Gottlob – kurz abhandeln; dies auf dem Hintergrund, daß moderne Rechnungslegung und Rechenschaftslegung nicht so einfach synonym zu verwenden sind. Rechnungslegung betrifft nämlich zunächst und vor allem das Zahlenwerk, ursprünglich die Aufstellung einer Ein- und Ausgabenrechnung samt Belegen: die nach GoB sortierte und angeordnete Datenhäufung. Als solche dient sie – so auch der Ursprung der doppelten Buchführung im Italien des 13. Jahrhunderts10 – zunächst als Gedächtnisstütze, heute weitergehend als Instrument der Übersicht, der Planung und der unternehmerischen Entscheidung im Betrieb und durch die Geschäftsleitung. III. Rechenschaftslegung und das true-and-fair-view-Gebot 1. Überblick Als Rechenschaftslegung aber genügt die betriebswirtschaftlich ausgefeilte Rechnungslegung noch nicht. „A true and fair view“ oder – wie das deutsche Gesetz es formuliert11 – „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild“ ist das fehlende Glied zwischen Rechnungslegung und Rechenschaftslegung. Die mit Hilfe des Jahresabschlusses angestrebte und anzustrebende Rechenschaftslegung gelingt nur, wenn über die Details hinaus12 eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Lage der Gesellschaft abgebildet wird13. Sehr zutreffend sagen Budde/Karig14, daß der Rechen- [412] schaftsfunktion des Jahresabschlusses durch das in § 264 Abs. 2 HGB umgesetzte true-and-fair-view-Prinzip gegenüber früherer Rechnungslegung ein größeres Gewicht gegeben wurde. Goerdeler hat kürzlich einen solchen Unterschied zwischen Rechnungslegung und Rechenschaftslegung geleugnet15. Ich bin da skeptisch, ja anderer Ansicht. 10 Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bd. 1, 9. Aufl., § 20 I, S. 318 sowie Müller-Erzbach, Deutsches Handelsrecht, 3. Aufl., 1928, S. 108 f. 11 §§ 264 Abs. 2, 297 Abs. 2 Satz 2, 336 Abs. 2 HGB § 55 Abs. 3 VAG; vgl. auch § 322 Abs. 1 HGB zum Wortlaut des Bestätigungsvermerks. 12 Vgl. Forster, ZGR Sonderheft 2/1980, S. 57 f., 58. 13 Ebenso Jonas, Die EG-Bilanzrichtlinie, S. 5. 14 In: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 264 HGB Rn. 35; vgl. auch Claussen, FS Goerdeler, 1987, 79 ff., 84/85. 15 FS Forster, 1992, II.4.

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Angenommen, die Satzung einer GmbH bestimme, der Jahresabschluß sei, soweit nach den Regeln des Handelsrechts irgend möglich, unter Ausnutzung aller steuerlichen Möglichkeiten und Gestaltungen zu erstellen16. Einer solchen Formulierung steht auch die bekannte Entscheidung des BayObLG17 nicht entgegen – nur der Ausschluß des Handelsrechts mit seinen zwingenden Bestimmungen ist nicht möglich. Ein solcher, strikt unter Steueroptimierungsgesichtspunkten erstellter Jahresabschluß erfüllt, so meine ich, nicht die Voraussetzungen einer korrekten Rechenschaftslegung18; denn die Funktion, in erster Linie Grundlage für eine möglichst günstige Besteuerung zu sein, verdrängt dann mindestens teilweise die Funktion der Rechenschaftslegung. Damit ist noch nichts zur rechtlichen Zulässigkeit gesagt: Die Gesellschafter einer GmbH können auf diese Form der Rechenschaftslegung vielleicht verzichten und sind jedenfalls durch § 51a GmbHG geschützt. Hier kommt es auf den Nachweis des Unterschiedes an. Diese Divergenz und die daraus ggf. erforderlichen Korrekturen sollen an einigen neuralgischen Stellen deutlich gemacht werden: 2. Prinzip des true and fair view Übrigens: Der deutsche Text – „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild“ – wirkt eher blaß. Daher möchte ich bei der englischen Herkunft bleiben. Das ist auch zulässig; denn die Auslegung der deutschen Norm muß, wie der EuGH sagt19, im Lichte der Richtlinie [413] geschehen. Und da kann man dann durchaus auf den englischen Text und seine historischen Bezüge zurückgreifen20. Und dieser Text besteht aus zwei Komponenten: true Sinne von ehrlich, frei von Betrug; die Sache wiedergeben, wie sie ist, eben wahr, und fair im Sinne von sauber, frei von Einseitigkeit, eben – wie wir es vielleicht nennen würden – redlich21. Hachenburg/Goerdeler/Müller, GmbHG, § 42 Rn. 13 a. E. AG 1989, 59. 18 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die berühmte Entscheidung des BFH vom 14.4.1985, BFHE 144, 14 ff.; in ihr sucht der BFH die Deformierung der Handelsbilanz und die daraus folgende Ausschüttungssperre zu verhindern, soweit sich handelsrechtliche Ansätze nicht aus GoB, sondern allein aus steuerlichen Lenkungszwecken ergeben. 19 EuGH RS 14/83 von Colson & Kamman ./. NRW, Slg. 1984, 1891 ff., 1909; EuGH RS 79/83 Harz ./. Deutsche Tradax, Slg. 1984, 1921 ff., 1942; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975, S. 258 ff., 275 sowie Lutter, FS Ferid, 1978, S. 599 ff., 617 f. 20 Ein identisches Verständnis von der Generalnorm des § 264 Abs. 2 HGB und dem englischen true and fair view postuliert mit Nachdruck Leffson, FS Goerdeler, 1987, S. 315 ff., 322: „Die 4. RL wurde mehrsprachig abgefaßt. Die Fassungen sind inhaltsgleich und damit auch die Termini der verschiedenen Sprachen. Nationale Auslegungskünste verfangen nicht.“ 21 Vgl. Tubbesing, AG 1979, 91 f., 95. 16 17

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Diese Komponenten nehmen als Begriffspaar gleichen Stellenwert ein. Und so gelangt man ohne weiteres zu einer ersten Fehlerquelle der Bilanz. Ein Bilanzmangel wird nämlich in aller Regel vorliegen, wenn das, was zwar wahr ist, dennoch nicht fair ist. Niehus hat dazu einen schönen Fall gebildet22: Der erste Offizier eines Frachters ist häufig betrunken. Der Kapitän, dem dies zu bunt wird, trägt in das Logbuch ein: „Der erste Offizier ist heute betrunken.“ Am darauffolgenden Tag – der erste Offizier ist wieder nüchtern – sieht dieser die Eintragung des Kapitäns; wütend schreibt er daraufhin ins Logbuch: „Der Kapitän ist heute nüchtern.“ Wohl wahr – aber fair? a) Sachverhaltsgestaltungen im Vorfeld der Bilanz Nicht mehr sehr spaßig hingegen sind Geschäfte, die im Rahmen der Bilanzpolitik zum Jahresende stattfinden und die ein zwar wahres, aber wohl kaum noch als fair oder redlich zu bezeichnendes Bild projizieren: Ich meine die Jahresendgeschäfte23, die vor dem Bilanzstichtag vorgenommen werden, um die Bilanz zu glätten und dem Bilanzleser gefälliger zu machen: Pensionsgeschäfte, der große Bereich des sale and lease back24 und der Aufsplittung eines einheitlichen Vertrages in mehrere, [414] anders abzuschreibende Teile etc.25 Kropff hat sich kürzlich eingehend mit ihnen beschäftigt26. Das Problem – ein Zuordnungsproblem – ist bekannt: Die Parteien machen sich die vom bürgerlichen Recht vorgenommene Zuordnung von Werten zunutze und instrumentalisieren sie für spezielle Zwecke und zur Überwindung der Zeit; sie vermischen oder verfremden Vertragstypen, um zu einem für sie günstigen und erwünschten Bilanzausweis zu gelangen. Dabei ist das, was entsprechend der Eigenqualifikation der Parteien zum Bilanzausweis gelangt, ja tatsächlich so geschehen, true. Aber eben nicht fair, nicht redlich, weil es das, was sich wirtschaftlich tatsächlich abspielt, eher verschleiert. DB 1979, 221 f., 222. „Geschäfte zum Geschäftsjahreswechsel“ formuliert Clemm, WPg 1970, 177 f., 180. 24 Zu den komplexen Zweifelsfragen bei Leasinggeschäften und deren Bilanzierung vgl. Crezelius, ZGR 1987, 1 ff., 23 f.; Clemm, WPg 1970, 1177 ff., 180 f.; Hutzler, WPg 1970, 14 f. sowie die Stellungnahme des IdW, WPg 1973, 101 f., die allerdings nach weitreichender Kritik aus der Wirtschaft wieder ausgesetzt worden ist, WPH I, 9. Aufl., S. 539; Knobbe-Keuk, Bilanzund Unternehmenssteuerrecht, 8. Aufl., 1991, § 4 III, S. 66 f. sowie ausführlich WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 135 Rn. 25 ff. 25 Weitere Fälle, bei denen geschickt die Rechnungslegungsspielregeln im Rahmen der Bilanzpolitik benutzt werden, sind die sog. Umsatzakte, die zur Umsatzverbuchung und zur Gewinnrealisation führen; diese werden beschleunigt oder verzögert, sei es, daß man die Auslieferung von Waren oder auch die Fertigstellung von Aufträgen entweder vor oder nach dem Bilanzstichtag legt; zutr. Clemm, DStR 1990, 781 f., 782; Bigge, DB 1983, 1529 f., 1533; zu dem diese Gestaltung erst ermöglichenden Realisationsprinzip Budde/Geißler, in: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 252 HGB Rn. 43. 26 In: Rechtliche Vorfragen im Jahresabschluß, Symposium, 1991, S. 9 ff. 22 23

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Das spricht für eine bilanzielle Umqualifikation, eine Änderung im Bilanzansatz. Aber selbst wenn ausreichende Hinweise für eine derartige unternehmerische Verschleierungstaktik vorhanden sind, so ist noch lange nicht klar, wie diese Umqualifikation auszusehen hat; obwohl also die gebotene bilanzrechtlichwirtschaftliche Betrachtungsweise an sich der Praxis – und insbesondere der Prüfungspraxis – ermöglicht, mit dem Phänomen der Bilanzpolitik durch Sachverhaltsgestaltung umzugehen, ist doch in jedem Einzelfall erneut die schwierige Zuordnungsfrage zu klären. aa) Sale-and-lease-back-Geschäfte Das wird besonders am Sale-and-lease-back-Geschäft27 deutlich: Unternehmen A plant den Ausbau und die Modernisierung seiner Produktion durch Kauf einer teuren automatisierten Anlage. Das hierfür benötigte Kapital besorgt es sich, indem es sein Betriebsgrundstück samt Gebäude [415] verkauft, um es dann unmittelbar darauf wieder zu mieten zu Bedingungen, die möglichst an den Voraussetzungen wirtschaftlichen Eigentums28 – und damit der Aktivierungspflicht – vorbeischrammen. Hier muß man dennoch besonders misstrauisch sein; denn es ist schwer einsichtig, daß bei diesem Verfahren der Leasinggeber irgendwelche anderen Interessen verfolgt als die, dem Leasingnehmer die bereits getätigte Investition zu finanzieren; primär ist die Beschaffung von Liquidität bezweckt, ohne daß sich nach dem Willen der Parteien an der tatsächlichen Sachherrschaft etwas ändern soll29. Hier jedenfalls ist der Leasinggegenstand bilanziell weiterhin dem Verkäufer und Leasingnehmer zuzurechnen, der ihn zu aktivieren hat. Dieses Ergebnis läßt sich übrigens auch mit dem Realisationsprinzip begründen, das beim Verkauf das eigene Risiko des Erwerbers und damit die Ernsthaftigkeit der Wertstellung als entscheidend ansieht30. Daran aber fehlt es hier gerade: Die Preisstellung das sale ist nur eine Funktion des zentralen Kreditwunsches. bb) Pensionsgeschäfte

27 Allgemein zu dieser Gestaltung Lüem, in: Neue Vertragsformen der Wirtschaft, 1985, S. 43 ff., 56 f. sowie v. Westphalen, Der Leasingvertrag, 3. Aufl., 1987, S. 12 m. w. N. 28 Hierzu im Zusammenhang mit Leasinggeschäften ausführlich Wöhe/Bilstein, Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, 5. Aufl., 1988, S. 191 f., 195; unter steuerlichen Gesichtspunkten vgl. BFH BStBl. II 1970, 264 ff. sowie BStBl. II 1984, 825 f.; siehe auch die Stellungnahmen des BMF BStBl. II 1971, 264 f. sowie BStBl. I 1972, 188 f.; vgl. auch mit Einzelfällen Nieland, in: Littmann/Bitz/Meincke, Einkommenssteuerrecht, 1989, §§ 4, 5 Rn. 91 f.; Knobbe-Keuk, aaO., § 4 III, S. 66 f.; WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 135 Rn. 21 f., 25 f. 29 Budde/Karig, aaO., § 246 HGB Rn. 29; Kropff, in: Rechtliche Vorfragen im Jahresabschluß, Symposium, 1991, S. 9 ff., 24 = ZGR 1992 Heft 4. 30 Vgl. Budde/Geißler, in: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 252 HGB Rn. 43; Kropff, aaO. (Fn. 29), S. 9 ff., 27 und 31: Schutz durch Marktmechanismus und Marktkontrolle.

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Das folgende Beispiel hat jüngst Kropff31 zum ebenfalls in diesem Zusammenhang problematischen Pensionsgeschäft gebildet: Unternehmen A möchte im Jahresabschluß höhere Liquidität zeigen und verkauft daher als Pensionsgeber Wertpapiere an B als Pensionsnehmer gegen Barzahlung mit der Abrede, daß B sie an A zu einem im voraus bestimmten Zeitpunkt gegen Zahlung eines im voraus bestimmten Entgeltes zurückübertragen kann, aber eben auch zurückübertragen muß. Wer hat das Pensionsgut zu bilanzieren? Wer hat welche Forderung? [416] Zivilrechtlich liegt ein Kauf mit Rückkaufverpflichtung32 vor, bei dem das in Erfüllung des Kaufvertrages „in Pension“ gegebene Wertpapier dem Pensionsnehmer zu vollem Eigentum übertragen wird. Der Pensionsgeber hätte damit die Möglichkeit, Liquidität und ggf. auch Erträge auszuweisen. Bei einem derartigen echten33 Pensionsgeschäft ist das Pensionsgut beim Pensionsgeber auszuweisen, da diesem das wirtschaftliche Eigentum zuzurechnen ist34. Der Pensionsgeber hat dann aber zugleich das vom Pensionsnehmer empfangene „Entgelt“ zu passivieren, da dieses wirtschaftlich nichts anderes als einen vom Pensionsnehmer an den Pensionsgeber gewährten Kredit darstellt. Trotz Verkauf vor und Rückkauf erst für einen Zeitpunkt nach dem Bilanzstichtag sind also die Papier weiterhin beim Pensionsgeber zu bilanzieren; auch ist das bei der Rückübertragung zu zahlende Entgelt vom Pensionsgeber als Verbindlichkeit, vom Pensionsnehmer als Forderung auszuweisen. Bilanziert wird folglich der richtige Vertragstyp: besichertes Darlehen35. Denn Causa des Geschäfts ist hier der Wunsch des Pensionsgebers, in seinem Jahresabschluß seine Vermögens- und insbesondere seine Finanzlage freundlicher abzubilden. cc) Annullierte Geschäfte

31 AaO., S. 21 f.; umfassend zu Pensionsgeschäften Häuselmann/Wiesenbart, DB 1990, 2129 ff. sowie Offerhaus, BB 1983, 870 f. 32 Westermann, in: Münchner Komm. z. BGB, Bd. 3 Halbbd. 1, 2. Aufl., 1988, § 607 Rn. 82; Palandt/Putzo, BGB, 51. Aufl., 1992, Einf. vor § 607 Anm. 4b dd., Rn. 23; Häuselmann/Wiesenbart, DB 1990, 2129 ff., 2130. 33 Die unechten Pensionsgeschäfte unterscheiden sich von den echten, bei denen der Pensionsnehmer zur Rückgabe verpflichtet ist, durch die Rückgabeberechtigung des Pensionsnehmers; die Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums beim Pensionsnehmer ist für das unechte Pensionsgeschäft nahezu unbestritten; Budde/Karig, in: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 246 HGB Rn. 21/23; WPH I, 10. Aufl. 1992, S. 141 Rn. 42 m. w. N.; Baumbach/Hueck/SchulzeOsterloh, GmbHG, 15. Aufl., 1988, § 42 Rn. 23. 34 Ebenso Budde/Karig, aaO., § 246 HGB Anm. 22; WPH I, 9. Aufl., S. 288; Crezelius, ZGR 1987, 1 ff., 23; Stobbe, Die Verknüpfung handels- und steuerrechtlicher Rechnungslegung, 1991, S. 115; vgl. auch BR-Beschluß, BR-Drs. 616/98, S. 4/5. Die Finanzrechtsprechung ist nicht einheitlich; vgl. nur Urteil des hessischen FG, EFG 1975, 533 (PN) gegenüber Urt. des FG Baden-Württemberg, EFG 1971, 43 (PG). 35 Zustimmend für den Fall des Pensionsgeschäfts mit Sicherungszweck auch Offerhaus, BB 1983, 870 f., 873/874.

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Besonders problematisch unter den Aspekten getreuer Rechenschaftslegung sind die bilanzpolitisch attraktiven Jahresendgeschäfte, die nach dem Bilanzstichtag wieder rückgängig gemacht werden. [417] Hier muß ebenso und erst recht gelten: Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen können nur Auswirkungen auf den Jahresabschluß haben, wenn sie tatsächlich gewollt sind und daher mit allen Konsequenzen durchgeführt werden36. Auf der anderen Seite gelten die allgemeinen Regeln des Zivilrechts fort und sind bilanziell zu beachten, von der Anfechtung mit Rückwirkung (§ 142 BGB) bis zur Wandlung und zum Rücktritt ex nunc. Insgesamt betrachtet sind hier die Probleme des Geschäfts und die rechtlichen Regeln der Bilanzierung weniger problematisch, vielmehr handelt es sich um ein Problem der Sachverhaltsfeststellung37: keine einfache Aufgabe für den Wirtschaftsprüfer, der hier fraglos zu besonderen Nachfragen und Feststellungen verpflichtet ist. b) Zulässige Bilanzkosmetik bei Ausübung des Ansatzwahlrechts für Aufwandsrückstellungen sowie die Problematik der Sonderabschreibungen aa) Überblick; Verhältnis zur 4. Richtlinie (1) Die soeben dargestellte Problematik war durch den Sachverhalt gekennzeichnet: Bestimmte, an sich zulässige Sachverhaltsgestaltungen hatten ihr Motiv in der geplanten und insoweit problematischen Auswirkung auf den Jahresabschluß. Nunmehr geht es um Gestaltungen im Jahresabschluß selbst, bei denen die Rechenschaftslegung unmittelbar betroffen und geschmälert werden kann. Denn ein geradezu klassisches Beispiel für den Gegensatz zwischen Rechnungslegung und Rechenschaftslegung sind die berühmten Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB38. Und das gleiche gilt für den Durchschlag rein steuerlicher Aspekte, insbesondere der Sonderabschreibungen nach § 254 [418] HGB39. Die Einzelheiten sind hier und in diesem Kreise bekannt und müssen nicht wiederholt werden. Beide Fallgruppen aber zeichnen sich durch Inkonsequenz des GesetzEbenso Bigge, DB 1983, 2529 f., 2532. Vgl. Jonas, Die EG-Bilanzrichtlinie, 1980, S. 116; Kropff, aaO., S. 9 ff., 10. 38 Hierzu Wöhe, Bilanzierung und Bilanzpolitik, 7. Aufl., 1987, S. 587 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 29 Rn. 12 f. und § 42 Rn. 21; Dörner, WPg 1991, 225 ff., 264 ff.; Veit, DB 1991, 2045 f., der die Aufwandsrückstellungen als „Berücksichtigung eines exakt abgegrenzten Werteverzehrs ohne Schuldcharakter, der erst später zu einer – bzgl. Betrag und Zeitpunkt noch ungewissen – Ausgabe führt“ kennzeichnet; vgl. ähnlich BT-Drs. 10/4268, S. 99. Die praktische Relevanz und die zahlenmäßige Größenordnung der Aufwandsrückstellungen i. S. d. § 249 Abs. 2 HGB wird offenbar, wenn man sich nur einige der Anwendungsfälle vergegenwärtigt: vertagte Großreparaturen/Generalüberholungen; aufgeschobene Sicherheitsinspektionen; nachzuholender freiwilliger Sozialaufwand. Vgl. auch Großfeld, Bilanzrecht, 2. Aufl., 1990, Rn. 310. 39 Umfassend zur Problematik der umgekehrten Maßgeblichkeit: Stobbe, Die Verknüpfung handels- und steuerrechtlicher Rechnungslegung, 1991, S. 220 ff. 36 37

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gebers aus; denn es ist kaum noch umstritten, daß beide Gestaltungen den handelsrechtlichen Prinzipien getreuer Rechenschaftslegung widersprechen und einen true and fair view verhindern40. Hier gilt einerseits der von Döllerer41 erfundene Satz von den Grundsätzen ordnungswidriger Bilanzierung, andererseits die Erkenntnis, daß im modernen Verfassungsstaat der Gesetzgeber seine selbstverkündeten Prinzipien eben auch wieder aufheben oder einschränken darf und kann, soweit er in concreto nicht auch Grenzen unterliegt: Grenze der Verfassungswidrigkeit: Davon ist hier nicht die Rede. Grenze höherrangigen Rechts. Dafür aber kommt nur europäisches Recht in Betracht (2) Da aber gilt es zu unterscheiden: Die Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB übernehmen wörtlich das in Art. 20 Abs. 2 der 4. RL enthaltene Gesetzgebungswahlrecht: Hier war bereits der EG-Gesetzgeber seinen Prinzipien untreu geworden und jedenfalls von Rechts wegen kann man dem deutschen Gesetzgeber des § 249 Abs. 2 HGB keine Vorwürfe machen42. Ähnlich ist es mit den steuerlichen Sonderabschreibungen im Anlage- und Umlaufvermögen nach Art. 35 Abs. 1 (d) und 39 Abs. 1 (e): sie sind genau auf den heutigen § 254 HGB zugeschnitten und beruhen auf entsprechenden Interventionen der deutschen Delega- [419] tion43. Die Frage kann hier daher nur sein: Deckt die Pauschalverweisung der RL auf nationales und mithin vor allem deutsches Steuerrecht alles und jedes? Oder enthält die Richtlinienbestimmung immanente Schranken? Denkt man an den Obersatz von true and fair view, denkt man vor allem daran, daß der Jahresabschluß ja nicht nur die Vermögenslage korrekt wiedergeben soll – hier könnte man vielleicht sogar sagen: wem schadet es schon, wenn die

40 Im Zusammenhang mit der umgekehrten Maßgeblichkeit siehe nur Großfeld, aaO., S. 66, 165; Knobbe-Keuk, 8. Aufl., 1991, S. 24 f.; Krieger, FS Döllerer, 1988, 327 ff., 338; Schulze-Osterloh, StuW 1991, 284 ff., 293/296; Merker/Koths, BB 1985, 1765, die insbes. das unternehmerische Dilemma zwischen Steueroptimierung und Ausschüttungsinteressen herausarbeiten; vgl. auch BFH BStBl. II 1986, 324; für Aufwandsrückstellungen Clemm/Nonnenmacher, in Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 249 Rn. 303 (Manipulationsgefahr und eingeschränkte Nachprüfbarkeit) sowie Großfeld, aaO., Rn. 311; Dörner, WPg 1991, 264 f., 271; Döllerer, BB Beilage 12/1987, 1 f., 6. 41 BB 1982, 777 f. 42 Da solche Rückstellungen in anderen Ländern der EG zulässig und üblich waren, sollte im Hinblick auf den bilanzpolitischen Spielraum eine Gleichbehandlung sichergestellt werden; siehe BT-Drs. 10/4268, S. 99; vgl. auch Mayer-Wegelin in: Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 3. Aufl., 1990, § 249 HGB Rn. 70; Clemm/Nonnenmacher, aaO., § 249 HGB Rn. 302. 43 Vgl. Krieger, FS Döllerer, 1988, 327 ff., 336/346; Schulze-Osterloh, StuW 1991, 284 ff., 292; Biener, AG, KGaA, GmbH, Konzerne, 1979, S. 124; ebenso für Aufwandsrückstellungen Dörner, WPg 1991, 225.

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Gesellschaft ärmer erscheint als sie ist – sondern auch und gerade die Ertragslage44: Die nun wird energisch und gegen alle Intentionen des BiRiLiG verfälscht. Diese Verfälschungen wachsen derzeit wieder sprunghaft mit den vielfältigen Maßnahmen zur Förderung der Unternehmen in den östlichen Bundesländern. Man kann sich daher durchaus vorstellen, daß der Europäische Gerichtshof eines Tages bei der Auslegung des Art. 2 der 4. RL und seinem Verhältnis zu den Art. 35 und 39 die Notbremse zieht und von einer so nicht geplanten Umkehr des Verhältnisses von Regel und Ausnahme spricht. bb) Verhältnis zur Kompetenzverteilung nach § 58 AktG Das eigentliche Problem aber liegt in der Verfälschung dessen, was 1965 in das AktG geschrieben worden ist45; der damalige Kompromiß von 50% Verwaltungszuständigkeit zu 50% Hauptversammlungszuständigkeit hinsichtlich des Jahresüberschusses nach § 58 Abs. 2 AktG auf dem Hintergrund einer handelsrechtlich korrekt erstellten Bilanz und GuV46 trägt so nicht mehr. Auf diesem Hintergrund wird es daher auch schwer sein, für diesen Kompromiß des Jahres 1965 im Rahmen der EG-Rechtsangleichung zu kämpfen. Ohne den § 254 HGB und die umgekehrte [420] Maßgeblichkeit des § 5 EStG hätte ich das gerne getan; so aber müssen wir – sollte die 5. RL in ihrer jetzt vorliegenden, revidierten Form verabschiedet werden47 – mit einigem Schrecken einer künftigen Satzungsschlacht entgegensehen; denn Art. 50 Abs. 2 des revidierten Entwurfs einer 5. RL will den 50%-Kompromiß nicht per se, sondern nur als Öffnungsklausel der Satzung akzeptieren. cc) Andere Form der Rechenschaftslegung; der Anhang (1) Man könnte die hier vorgetragenen Bedenken zur Verfälschung der Rechenschaftslegung durch die gesetzlichen Regeln der Rechnungslegung leichter nehmen, wenn sie weitgehend ausgeglichen würden durch ergänzende Bestimmungen. Hier kommt es vor allem auf die Regeln zum Anhang an: Was in der Bilanz und GuV verfälscht wurde, könnte ja immerhin im Anhang korrigiert 44 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 29 Rn. 13; vgl. auch Scholz/Crezelius, GmbHG, 7. Aufl., Anh. § 42a Rn. 38; Mayer-Wegelin, aaO., § 249 HGB RN. 71; Schulze-Osterloh, StuW 1991, 284 ff., 293. 45 Für Aufwandsrückstellungen geschah dies insbes. auch, indem das BiRiLiG die streng statische Bilanzauffassung des AktG aufgeweicht hat, vgl. Groh, BB 1989, 1586 f., 1588; Siegel, DB 1986, 841 f., 843; Ordelheide/Hartle, GmbHR 1986, 9 f., 16 sowie Döllerer, BB Beilage 12/1987, 1 f., 6. 46 Das waren die gläsernen (!), wenn auch verschlossenen Taschen nach Kronstein und Claussen, die mit diesem Konzept Erfolg hatten, von dem jetzt aber nur noch das „verschlossen“ bleibt. 47 Zu ihrem Inhalt Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 3. Aufl., 1991, S. 46 ff. und S. 233 ff.

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sein48. Aber auch das scheint nicht oder jedenfalls nicht vollständig der Fall zu sein. So formuliert § 285 Nr. 5 HGB, daß Angaben zu machen sind zum Ausmaß des Einflusses dieser steuerlich bedingten Maßnahmen auf das Jahresergebnis. Die Formulierung entspricht wörtlich dem Text der 4. Richtlinie (Art. 43 Nr. 10). Und vom Gesetzesmacher Biener49 bis zu den Spitzen des Berufsstandes, von ADS50 bis Csik im Küting/Weber51 und Clemm/Ellrott im Beck’schen Bilanzkommentar52 sind sich nahezu alle einig, daß damit nur eine Umschreibung der Größenordnung gemeint sei, nicht aber die Angabe von Beträgen verlangt werde53: Formulierungen wie „Das Jahresergeb- [421] nis sei davon nicht unerheblich“, „nicht wesentlich“ beeinflusst etc. seiend ausreichend, auch prozentuale Angaben gewiß zweckmäßig, aber nicht vorgeschrieben54. Diesem Verständnis widerspricht, soweit ersichtlich, nur Jonas55; und auch ich widerspreche. (2) Zunächst und vorweg: Endgültige Auswirkungen hat dieses Interpretationsproblem nur für die AG, nicht für die GmbH. Dort nämlich gilt § 51a GmbHG und bislang ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, § 285 Nr. 5 HGB als Einschränkung des Auskunftsanspruchs des GmbHGesellschafters zu interpretieren. Der GmbH-Gesellschafter kann also Ergänzung der Rechnungslegung bis zu einer korrekten Rechenschaftslegung erfragen – wenn er auch als Minderheitsgesellschafter im Zweifel und bis zur Grenze des Mißbrauchs nichts gegen die Bilanzansätze und nichts gegen die damit bewirkte Ausschüttungssperre unternehmen kann. (3) Anders ist es bei der AG. Dort besteht nur das Fragerecht in der Hauptversammlung nach § 131 AktG. Und dieses Fragerecht ist durch Abs. 3 Nr. 2 und 48 Lutter, DB 1979, 1285 ff., 1292; vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 42 Rn. 16; Claussen, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1989, § 264 HGB Rn. 42 f.; Moxter, ZIP 1987, 608 f., 610 sowie WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 370 Rn. 412. 49 ZGR Sonderheft 2/1980, 307 ff., 326 sowie Biener/Bernecke, Bilanzrichtliniengesetz, 1986, S. 260. 50 § 285 HGB Rn. 105. 51 §§ 284-288 HGB Rn. 189. 52 § 285 HGB Rn. 90. 53 Ähnlich verhält es sich mit § 285 Nr. 12 HGB: „… nicht unerheblicher Umfang …“, der Rückstellungen betrifft, die in der Bilanz nur unter „sonstige Rückstellungen“, mithin nicht gesondert in Erscheinung treten. Auch hierfür werden i. d. R. allenfalls Größenordnungsangaben verlangt; vgl. Dörner, WPg 1991, 264 ff., 270; andere halten eine verbale Umschreibung für ausreichend: Clemm/Ellrott, in: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 285 Rn. 231; Heuser, in: GmbH-Handbuch II, Rn. 857; vgl. auch Csik/Dörner, in: Küting/Weber, aaO., §§ 284-288 HGB Rn. 286. Weitergehend weist Veit, DB 1991, 2045 f., 2047 nach, daß selbst bei prozentualen Angaben ohne eine betragsmäßige Aufgliederung von Beständen nur geringe Transparenz gewährleistet ist; vgl. auch WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 394 Rn. 495. 54 Vgl. Schulze-Osterloh, StuW 1991, 284 ff., 293 m. w. N.; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 15. Aufl., § 42 GmbHG Rn. 417; WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 409 Rn. 552. 55 Die EG-Bilanzrichtlinie, 1980, S. 226 Rn. 5 sowie für Rückstellungen S. 118/121 und 202 f./207.

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3 der Vorschrift gerade in unserem Kontext ausgeschlossen. Zöllner56 hat das zu Recht als „patriarchalisch“ bezeichnet. Vor allem gilt das heute, wo eben zunehmend der steuerliche Aspekt in das Handelsrecht durchschlägt und § 131 Abs. 3 AktG damit eine Dimension erhält, die so vom Gesetzgeber des Jahres 1965 gerade nicht geplant war57. [422] Will man wenigstens zum Prinzip der zwar verschlossenen, aber doch gläsernen Taschen zurückkehren58, so muß man sich der Mühe einer systematischen Auslegung stellen. (4) „Ausmaß“ ist der typische Fall eines unbestimmte Rechtsbegriffs. Dieser muß, darüber sind sich die Juristen einig, aus seiner historischen Entwicklung, aus Funktion und Kontext verstanden werden59. Dabei spricht hier manches dafür, daß der Richtlinien-Gesetzgeber sowieso ratlos war60, während der Gesetzgeber des BiRiLiG tatsächlich von Zahlen absehen wollte. Aber die historische Auslegung ist nur ein Aspekt. In Wirklichkeit geht es doch darum, daß die Steuerregel eine Doppelfunktion hat: sie sperrt Erträge von der Verteilung ab, die sonst zur Verteilung stünden, ist also eine zusätzliche Finanzquelle für das Unternehmen und das Management; sie verhindert den Einblick in die wirkliche Ertragslage der Gesellschaft. Die Sperrwirkung steht nicht zur Debatte; sie ist zwar unsystematisch, aber vom Gesetz so gewollt und daher de lege lata hinzunehmen. Aber diese Sperrwirkung muß doch nicht gleichzeitig mit einer Verschleierung verbunden sein. Das Gesetz selbst tut schon eine ganze Menge zur Beseitigung dieser Verschleierung: Was in die Rein steuerliche Abschreibung gegangen ist, muß gesondert und auf Heller und Pfennig angegeben werden61; was an Zuschreibungen aus steuerlichen Gründen unterblieben ist, muß in Beträgen angegeben werden62. Es fehlt also eigentlich nicht viel – wenn ich richtig sehe, vor allem die Sonderposten In: Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., § 131 Rn. 37. Vgl. nur zu § 131 Abs. 3 Nr. 2 Begr. RegE, bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, § 131 S. 186: „Durch Auskünfte über die steuerlichen Wertansätze und die Höhe einzelner Steuern erhält der Aktionär ein falsches Bild und wird zu der Annahme verleitet, der steuerliche Gewinn sei auch der betriebswirtschaftlich erzielte und gegebenenfalls zur Ausschüttung zur Verfügung stehende Gewinn.“ Der Aktionär sollte also vor nicht sachgerechten Auskünften geschützt werden; ausführlich Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. III, 1973, § 131 Rn. 103 ff.; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., 1968, § 131 Rn. 12 f./14. 58 Oben Fn. 46. 59 Vgl. im einzelnen Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 1976, 657 ff. m. w. N. sowie Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 312 ff., insbes. 343 f. 60 Vgl. Krieger, FS Döllerer, 1988, 327 ff., 346. 61 § 281 Abs. 2 Satz 1 HGB; dazu Clemm/Ellrott, aaO., § 281 HGB Rn. 6 ff., sowie WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 410 Rn. 556. 62 § 280 Abs. 3 HGB; dazu Budde/Karig, aaO., § 280 HGB Rn. 33 ff. sowie WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 411 Rn. 558. 56 57

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mit Rücklagenanteil63. Wenn das aber so ist, ist das Beharren auf verbaler Umschreibung der Auswirkungen immer weniger verständlich. [423] (5) Erkennt man mithin die Funktion der Norm, jedenfalls und wenigstens die im Zahlenwerk enthaltene Verschleierung – nicht die Ausschüttungssperre – zu beseitigen; bedenkt man weiter meine These, daß die Rechenschaftslegung, wie § 264 Abs. 2 HGB auf dem Hintergrund von Art. 2 Abs. 3 und 4 der 4. Richtlinie deutlich zeigt, gerade nicht schon erfüllt ist mit der Einhaltung und Ausnutzung aller Möglichkeiten der technischen Rechnungslegung, sondern daß eben wirklich Rechnung zu legen ist durch Darstellung einer den wirklichen Verhältnissen entsprechenden Ertragslage, daß der Blick also hin- und hergehen muß zwischen der Summe der Einzelheiten und dem erzielten Gesamtbild. Wenn man das alles bedenkt, dann kann man gar nicht anders als feststellen: Mit einer allgemeinen Umschreibung wird diese Funktion der Rechenschaftslegung gegenüber dem Eigner und Kapitalgeber nicht erfüllt. Hier sind, wenn schon genaue Beträge verschwiegen werden sollen – warum eigentlich? – auf jeden Fall prozentuale Angaben erforderlich. c) Umschlag der zulässigen Bilanzgestaltung in unzulässige Manipulation (1) Ganz besonders heikel ist die Frage, in welcher Weise bei einer Potenzierung der Ausübung von Wahlrechten zu reagieren ist, wenn also Menge in Qualität umschlägt: „Das Gesamtbild ist mehr als die Summe der Teilaussagen“ – formulieren ADS zutreffend64. Richtlinie und Gesetz haben das Problem erkannt und in § 264 Abs. 2 HGB zu lösen versucht. Auch hier verweist das Gesetz auf den Anhang, betont also, daß die im einzelnen korrekt gewählten Ansätze nicht verändert werden müssen; es geht mithin auch allein von einer verbalen65 Korrektur aus: Die Information ist angesprochen, nicht ein anderer zahlenmäßiger Ausweis der Vermögens- und Ertragslage66. Das ist wichtig, weil ja Anschaffungswertprinzip und Steuerklausel, Aufwandsrückstellungen und Sonderabschreibungen zu Zwangseinbehalten von Erträgen, zur Reduzierung von Ausschüttungsmöglichkeiten führt. Das wird nicht geändert. [424]

WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 318 Rn. 209; ADS, § 273 HGB Rn. 19 m. w. N. ADS, § 264 HGB Rn. 100; vgl. auch Tubbesing, AG 1979, 91 f., 95; ähnlich Niehus, DB 1979, 221 ff., 223. 65 Vgl. Lutter, DB 1979, 1285 ff., 1291; WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 370 Rn. 412; SchulzeOsterloh, ZHR 150 (1986), 532 ff., 537 sowie umfassend Lange, WPg 1991, 369 ff., insbes. 374. 66 Zutr. ADS, § 264 HGB Rn. 89; hingegen zweifelnd an der Möglichkeit zu verbaler Informationsvermittlung im Anhang Steiner, Der Prüfungsbericht des Abschlußprüfers, 1991, S. 81 („Leerformelhaftigkeit“). 63 64

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(2) Hierher gehört – als Negativhinweis – spätestens das sale and lease back67 – wenn es nicht schon nach den oben erörterten Grundsätzen zur Aktivierung im Jahresabschluß geführt hat. Hierher gehört auch der Hinweis auf Risiken aus dem qualifizierten faktischen Konzern68 etwa mit dem Vermerk: Trotz enger konzernmäßiger Verbindung zur X-AG gehen wir davon aus, daß ein qualifizierter faktischer Konzern und mithin eine Haftung der Gesellschaft für die Schulden der X-AG nicht in Betracht kommt. Diese Hinweise sind vom true-and-fair-viewPrinzip verlangt. (3) Wie aber sieht es aus, wenn das Bild zu schlecht, die Ertragslage zu dürftig erscheint? Was ist, wenn die Gesellschaft alle handels- und steuerrechtlichen Möglichkeiten niedrigen Ansatzes, höchstmöglicher Abschreibung und Bildung aller möglichen Rückstellungen getätigt, auf Wertaufholung verzichtet und die dafür im Gesetz vorgeschriebenen Einzelhinweise korrekt gegeben hat? Muß das Unternehmen jetzt noch einen Globalhinweis nach § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB geben? Ich würde eine solche Lösung begrüßen69. Aber sie ist, so muß man zugeben, vom Gesetz nicht verlangt. Denn diese Einzeldinge sind im einzelnen geregelt und keine „besonderen Umstände“ im Sinne von Abs. 2 Satz 2. Daher lassen sich viele Einzelheiten eines Druckes auf die Erträge – und darum geht es ja hier – über die globale Korrektur aus dieser Bestimmung hinaus auch von der Information her nicht vollständig auffangen. [425] d) Gesellschafterdarlehen Gesellschafterdarlehen im Jahresabschluß lassen vielfältige fragen entstehen. Sie hängen sowohl mit Rechnungslegung intern, also in bezug auf die Unternehmensleitung, als auch mit Rechnungslegung extern und mit Rechenschaftslegung zusammen. Und das führt zu vielfältigen Missverständnissen bei den Aussagen über den richtigen Ausweis von Gesellschafterdarlehen, zumal man auch noch zwischen GmbH-Abschluß und AG-Abschluß unterscheiden muß. 67 Claussen, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1989, § 264 HGB Rn. 44; ADS, § 264 Rn. 117; WPH I, 10. Aufl., 1992, S. 428 Rn. 634. Im übrigen zählen die Leasingverbindlichkeiten nach allg. Ansicht zu den „sonstigen finanziellen Verpflichtungen“ i. S. d. § 285 Nr. 3; hier ist allerdings nur ein Gesamtbetrag ausweispflichtig; die einzelnen Verpflichtungen können höchstens freiwillig erläutert werden; Clemm/Ellrott, aaO., § 285 Rn. 40 und 27. 68 Weiterführend zum Konzernabschluß im Vertragskonzern vgl. Schildbach, WPg 1989, 199 f./207 f. („… Erfolge können verschoben und geschaffen werden …“). 69 Vgl. Lutter, DB 1979, 1285 ff., 1292. Bejahend wohl auch ADS, § 264 HGB Rn. 122 („… wenn anders die Ertragslage im Zeitablauf verzerrt dargestellt würde …“); ähnlich Claussen, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1989, § 264 HGB Rn. 44 („Generalangabepflicht zur Verwirklichung des true and fair view“). Vgl. ebenso zu langfristigen Fertigungen, die insbes. die Gefahr eines zu dürftigen Bildes in sich bergen: Niehus/Scholz, in: MeyerLandrut/Miller/Niehus, GmbHG, 1987, §§ 238-335 HGB Rn. 125; Ordelheide/Hartle, GmbHR 1986, 9 f., 12.

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aa) In der GmbH § 42 Abs. 3 GmbHG enthält besondere Ausweispflichten: (1) Zunächst einmal sind Darlehen von Gesellschaftern an ihre GmbH Verbindlichkeiten. Sie sind im Zweifel unter „sonstigen Verbindlichkeiten“ mit Hinweis „davon gegenüber den Gesellschaftern…“ zu bilanzieren. Nach Auffassung von Hommelhoff und mir ist dieser „davon“-Vermerk die Regel70 und es kommt ein Hinweis allein im Anhang nur ausnahmsweise in Betracht. Damit ist zunächst jedem Interesse Genüge getan. (2) Schwierig ist es, wenn und soweit eine solche Verbindlichkeit mit einem Rangrücktritt des Gesellschafters gegenüber allen anderen Gläubigern versehen ist. Dann nämlich ist diese Forderung im wirtschaftlichen Zusammenbruch a priori nach allen anderen Gläubigern, aber immer noch vor den Kapitaleignern zu bedienen. Sie ist – trotz der Bedenken von Priester71 – funktionell Eigenkapital, aber den Mitgesellschaftern gegenüber vorrangige Forderung. Für diese Besonderheit dieses Ranges zwischen dem Kapital und den normalen Verbindlichkeiten enthält das Gesetz keine Position. Deshalb gibt es auch zwei Grund- und drei Detailansichten: Die beiden Grundansichten unterscheiden sich in der Frage, ob überhaupt zu passivieren ist. Vor allem Schulze-Osterloh72 lehnt das bei einer Rückzahlungspflicht nur aus dem Gewinn oder dem Liquidationsüberschuß ab. Ich kann dieser Auffassung nicht folgen, eben weil die Bilanz nicht nur für den Gläubiger zu erstellen ist, sondern auch für den Gesell- [426] schafter. Für den Gläubiger, das trifft zu, fehlt es jedenfalls vorerst bei solcher Gestaltung an einem Passivierungsinteresse, nicht aber für den Gesellschafter. Geht man von der Passivierungspflicht aus, so entstehen Darstellungsprobleme. Hier werden drei Lösungen vorgeschlagen: Es bleibt beim „davon“-Vermerk. Es ist zusätzlich der Vermerk „davon mit Rangrücktritt…“ anzubringen (so vor allem Fleck73 und Clemm/Nonnenmacher74) Es ist eine eigene Bilanzposition nach dem Eigenkapital zu bilden, etwa mit der Bezeichnung „Ersatzkapital“ (so Knobbe-Keuk75 und Karsten Schmidt76).

70 Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31 ff., 52 f./53; dies., GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 42 Rn. 34 f./40; a.A. ADS, § 42 GmbHG Rn. 35. 71 DB 1991, 1917 ff., 1919/1923; ders., DB 1977, 2429 f., 2434. 72 In: Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., 1988, § 42 Rn. 215, 126; ebenso Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 28. Aufl., § 266 HGB Rn. 13. 73 GmbHR, 1989, 313 ff., 316 f./317 sowie ders., FS Döllerer, 1988, S. 109 ff., 114, 120. 74 In: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 266 HGB Rn. 256. 75 ZIP 1983, 127 f., 131; dies., Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 8. Aufl., 1991, § 4 V d, S. 98 sowie Scholz/Crezelius, aaO., Anh. § 42a GmbHG Rn. 220; Peters, WM 1988, 685 ff., 692. 76 FS Goerdeler, 1987, 487 ff., 502/503.

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Ich neide im Prinzip weiterhin dieser letzten Auffassung zu77. Ernstnehmen muß man allerdings die Bedenken von Clemm/Nonnenmacher78, wonach ein solcher Ausweis der Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern widerspreche, den Rückzahlungsanspruch nur vorerst nicht geltend zu machen, also durchaus auf dem Rückzahlungsanspruch zu bestehen. Ein solches Missverständnis durch die Bezeichnung „Ersatzkapital“ muß natürlich vermieden werden; und das gilt sowohl im Verhältnis zu den Gläubigern wie zu den Gesellschaftern. Erstere müssen wissen, daß die fraglichen Mittel beim Wegfall der Gefährdung formlos abfließen können. Und die anderen Gesellschafter müssen wissen, daß ihrem Kapital diese Verbindlichkeiten noch vorgehen. Diesem Vorbehalt könnte durch eine Stellung dieser Bilanzposition nach dem Eigenkapital und vor den normalen Verbindlichkeiten unter der Bezeichnung „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern mit Rangrücktritt“ Rechnung getragen werden. Eine solche Handhabung entspräche meiner und Hommelhoffs Vorstellung aus 197979: jedenfalls vor den Fremdmitteln. [427] (3) Noch schwieriger wird es nach verbreiteter Meinung80, wenn nicht die Gesellschafter durch Rangrücktrittserklärung, sondern die Rechtsordnung selbst mit den §§ 32a/b GmbHG bzw. mit der BGH-Rechtsprechung eingreift und den Rangrücktritt de facto und de jure erzwingt, etwa weil die Gesellschaft eine Unterbilanz ausweist. Ich kann diese Schwierigkeiten nicht erkennen. Auch hier sollte klar sein, daß der Betrag des Gesellschafterdarlehens auf der Passivseite der regulären Erfolgsbilanz auszuweisen ist81 – im Gegensatz zum Überschuldensstatus, in dem diese Position entfällt82. Es handelt sich um einen verhaltenen Anspruch, der passivierungspflichtig ist. Allerdings: Der besondere Charakter als verhaltener Anspruch muß deutlich werden. Das verlangt – wenn man es nicht schon mittelbar aus § 42 Abs. 3 GmbHG entnehmen will – mindestens der Grundsatz von true and fair view gegenüber den betroffenen Gesellschaftern, aber auch gegenüber den Gläubigern, die damit wissen, daß sie diese Position bei Wertung ihrer Insolvenzsorgen streichen können83. Die Gegenargumente sind bekannt – vor allem: man Vgl. die Nachweise oben Fn. 67. AaO., § 266 HGB Rn. 256 und § 247 HGB Rn. 290. 79 ZGR 1979, 31 ff., 53/54; vgl. auch Lutter, DB 1979, 1285 ff., 1288. 80 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 8. Aufl., 1991, § 4 V d, S. 98; vgl. Clemm/Nonnenmacher, in: Beck’scher Bilanzkomm., 2. Aufl., 1990, § 266 HGB Rn. 257; SchulzeOsterloh, aaO., § 47 GmbHG Rn. 266; Fleck, FS Döllerer, 1988, 109 f., 114. 81 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 42 Rn. 37; dies., ZGR 1979, 31 ff., 53 f.; wohl ebenso K. Schmidt, FS Goerdeler, 1987, S. 487 ff., 508; Scholz/Crezelius, GmbHG, 7. Aufl., Anh. § 42a Rn. 221; Fleck, GmbHR 1989, 313 ff., 318. 82 Vgl. Lutter/Hommelhoff, aaO., § 63 GmbHG Rn. 7 und jetzt auch Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 63 Rn. 46a, je mit weiteren Nachweisen. 83 Deutlich ebenso Peters, WM 1988, 685 ff., 692. 77 78

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dürfe das Unternehmen nicht bloßstellen84 – und diese Argumente dürfen nicht gering geachtet werden. Aber die Wahrheit hat Vorrang vor der Verschleierung: Das verlangt das Gebot des true and fair view85. Daher gilt hier Gleiches wie beim Rangrücktritt: Eine eigene Bilanzposition ist erforderlich, der Ausweis im Anhang allein genügt nicht. [428] bb) In der Aktiengesellschaft Viel größer scheinen die Schwierigkeiten zu sein für eine korrekte Ordnung der gleichen Fragen in der AG. Denn hier fehlt eine Norm entsprechend § 42 GmbHG. Und hier, bei der AG, ist ja nicht jeder Gesellschafter als Gläubiger seiner Gesellschaft angesprochen, sondern nur der große, der bestimmende Aktionär86. Dennoch ergibt sich auch hier die Lösung klar: (1) Zunächst einmal handelt es sich um Verbindlichkeiten, die keiner besonderen Kennzeichnung bedürfen. Interessant wird es hier allenfalls, wenn die Mittel jetzt gegeben und demnächst – also etwa anlässlich der nächsten Hauptversammlung, aber nach dem Bilanzstichtag – in förmliches Kapital umgewandelt werden sollen. Ein endgültiger Verzicht auf Rückzahlung liegt nicht vor, sonst müsste der Betrag ja als Zuschuß in die Kapitalrücklage eingestellt werden; andererseits ist eine Rücklage derzeit auch nicht geplant. Handelt es sich dennoch um eine Verbindlichkeit, ggf. gegenüber verbundenen bzw. beteiligten Unternehmen? Das ist anzunehmen; denn scheitert die geplante Kapitalerhöhung – und dafür genügt jeder zwischenzeitlich eingetretene Sinneswandel – so sind die Mittel zurückzuzahlen87. (2) Was aber gilt, wenn der Kredit des bestimmenden Aktionärs88 mit einem vertraglichen Rangrücktritt versehen ist? Richtig gesehen kann nichts anderes als bei der GmbH gelten. Der besondere Charakter dieser Verbindlichkeit muß aus dem Jahresabschluß und der Bilanz deutlich werden. Auch hier ist also eine besondere Bilanzposition vorzusehen, mindestens aber ein „davon“-Vermerk bei den Verbindlichkeiten gegenüber diesem verbundenen bzw. beteiligten Unternehmen. (3) Wurde kein Rangrücktritt vereinbart, weist das Unternehmen aber eine Unterbilanz aus und kommen deshalb die BGH-Regeln auf den Kredit zur An84 Vgl. Priester, DB 1991, 1917 ff., 1923; vgl. auch Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 42 Rn. 38 m. w. N. 85 Ebenso Fleck, FS Döllerer, 1988, 109 ff., 116. 86 BGHZ 90, 381 f., 386; Lutter, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1988, § 57 Rn. 85 ff., 93 m.w.N. 87 Vgl. Lutter, FS Schilling, 1973, S. 207 ff.; ders., in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 189 Rn. 7 ff. 88 BGHZ 90, 381.

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Rechnungslegung als Rechenschaftslegung

wendung, so kann erneut nichts anderes als bei der GmbH gelten: Mindestens im Anhang und besser noch in einer eigenen Bilanzposition hat die AG auf den besonderen, auf Gesetz beruhenden Charakter dieser Verbindlichkeiten hinzuweisen. Will der bestimmende Aktionär, im Zweifel ein verbundenes oder beteiligtes Unternehmen, [429] diesen Ausweis vermeiden, so mag er auf die fortbestehende potentielle Rückzahlbarkeit des Kredits verzichten; dann nämlich wandert der Betrag gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 3 HGB als Zuschuß in die Kapitalrücklage, verbessert den Bilanzausweis der AG. Ein besonderer Hinweis entfällt naturgemäß. IV. Rechenschaftslegung und Publizitätspflicht Auch der vorbildlichste Jahresabschluß mit dem vorbildlichsten Anhang könnte die Aufgabe der Rechenschaftslegung nur beschränkt erfüllen, wird er nicht publiziert werden. Damit bin ich beim dritten und letzten Element der Rechenschaftstrias, der Publizitätspflicht89. 1. Erst die als Zahlenwerk korrekte und dem Gebot des true and fair view entsprechende Rechnungslegung und deren Veröffentlichung gemeinsam ermöglichen Transparenz und bewirken, daß sich die Leitungen publizitätspflichtiger Unternehmen ihrer Verantwortungen nicht entziehen können. Was die Unternehmensleitungen auch tun oder lassen: durch die Veröffentlichung im Jahresabschluß wird es Gegenstand der externen Kontrolle, der Beurteilung und unter Umständen der Verurteilung. So übt die Publizitätspflicht den erforderlichen Druck zu korrekter und möglichst erfolgreicher Unternehmensführung auf die Rechenschaftsleger aus90. Und so wird aus Rechnungslegung zugleich Rechenschaftslegung91. 2. Genau das aber gilt so im GmbH-Recht nicht. Dort ist dieser Druck durch Außenkontrolle nicht erforderlich; denn mit der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für alle Entscheidungen und ihrem kollektiven Informationsanspruch sowie zusätzlich dem individuellen Informationsrecht jedes Gesellschafters aus § 51a GmbHG92 sind die Informationen und mithin der Übergang zur Rechenschaftslegung jedem Gesellschafter gegenüber in vollen Umfange gesichert. Die von der 4. Richtlinie und dem HGB angeordnete Publizitätspflicht im GmbH-Recht93 läßt sich aus der Rechenschaftslegung also nicht begründen; ihre Lutter, DB 1979, 1285 ff., 1294 f. Vgl. Schulze-Osterloh, ZHR 150 (1986), 532 ff., 566. 91 Ähnlich Leffson, GoB, 5. Aufl., S. 53. 92 Hierzu nur Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 51a Rn. 2 f. m. w. N. sowie Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 15. Aufl., 1988, § 51a Rn. 1. 93 §§ 325 ff. HGB aufgrund von Art. 47 ff. der 4. Richtlinie. 89 90

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Grundlage kann nur das Interesse der Gläubiger und der [430] Öffentlichkeit sein. Deshalb, weil aus Rechenschaftslegung nicht begründbar, ist Publizität im GmbH-Recht nach wie vor so unbeliebt und so umstritten. Und daran wird sich auch durch die Umsetzung der sogenannten Mittelstands-Richtlinie94 nichts ändern. Man kann über den Sinn von Publizität kleiner und mittelgroßer GmbHs lange streiten; aber der Streit ist entschieden. Die Richtlinien sind da und die Bundesrepublik ist an sie gebunden: Dura lex, sed lex. Über diesen Tatbestand aber jetzt mit Gutachten und Publikationen eine Debatte zur Verfassungsmäßigkeit zu eröffnen95, ist ebenso nutzlos wie schädlich. Nutzlos, weil sich viele 100 000 GmbHs in anderen EG-Ländern an die Regeln halten, ohne daß die behaupteten Eingriffe in ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Berufsfreiheit feststellbar wären. Schädlich, weil damit erneut zur Nichtbefolgung geltenden Rechts aufgerufen wird: daran kann niemandem, aber zuletzt Wirtschaftsprüfern und Juristen gelegen sein. Wir alle und vor allem Sie, die Prüfer vieler mittelgroßer und großer GmbHs, sollten daher die Geschäftsführungen und die Gesellschafter von publizitätspflichtigen GmbHs zu Rechtstreue anhalten und so vermeiden, daß sich Fällte von Zwangsgeldverfahren nach Art der Entscheidung OLG Köln vom März des Jahres 199196 häufen. V. Aufgaben des Abschlußprüfers Und damit sind wir beim abschließenden Aspekt im Zusammenhang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Rechenschaftslegung und Rechnungslegung: den Aufgaben des Abschlussprüfers in diesem Zusammenhang. Meine Hochachtung vor diesem Stande ist bekannt; um so mehr neige ich dazu, ihn auch in Pflichten eingebunden zu sehen. Bilanz, GuV und Anhang bilden zusammen den Jahresabschluß; und dieser Jahresabschluß ist vom Abschlussprüfer zu prüfen, auch der Anhang; auch das ist bekannt und soll nur überleiten zu einer schon vorgetragenen These, daß es – leider – von Gesetzes wegen Grundsätze [431] – vielleicht besser: Regeln – ordnungswidriger Bilanzierung gibt97, daß aber Gesetz und Gesetzgeber darüber nicht die Rechenschaftslegung vergessen haben: Sie findet ihre Heimat insoweit im Anhang. Noch einmal: Das Gesetz schafft aus nicht immer überschaubaren Gründen Ausschüttungssperren: Wollt Ihr, die Unternehmer, Steuervorteile in An94 Richtlinie Nr. 90/604/EWG vom 8. November 1990, ABl. EG Nr. L 317 vom 16.11.1990, S. 57 ff. = Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 3. Aufl., 1991, S. 46 und 229 ff. 95 Friauf, GmbHR 1991, 397 ff. m. w. N. 96 GmbHR 1991, 423 f. 97 Döllerer, BB 1982, 777 f.

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spruch nehmen, so müsst auch Ihr Euch und zu Eurem Teil an diesem Vorgang beteiligen, dann muß das Geld im Unternehmen bleiben – so könnte man den Gesetzgeber interpretieren. Über eine solche Voraussetzung, ein solches Ansinnen läßt sich immerhin streiten. Aber das alles hat ja mit der anderen Funktion von Rechnungslegung, nämlich Rechenschaft zu legen über die Verwendung und Verwaltung der anvertrauten Gelder, nichts zu tun. Gerade das muß dem Wirtschaftsprüfer klar sein – und das ist es ihm auch, ich sage hier nichts Neues, sondern erinnere nur. Und weil es dem Wirtschaftsprüfer klar und weil das true-andfair-view-Gebot als Ausweisgebot nicht durch Ausschüttungssperren beseitigt ist, sondern nur modifiziert wird, ist er gefordert. Kurz: Als Rechtsanwender – das ist der Abschlussprüfer nämlich, denn er bestätigt die Legalität des Jahresabschlusses – als Rechtsanwender hat der Wirtschaftsprüfer seinen Blick in ganz typischer Weise zwischen Einzelheit und Ganzem, zwischen der einzelnen Maßnahme und dem gesamten Ergebnis hin- und hergehen zu lassen98 und sich zu fragen: Das alles mag in den Zahlen korrekt sein, aber stimmt es auch in der Gesamtaussage? Stimmt es aber nicht, wie und wie nachdrücklich muß es dann im Anhang erläutert und korrigiert werden? Ein schwieriges Amt ist das, aber beneidenswert: Als von den Anteilseignern gewählter Schiedsrichter99 zwischen den objektiven Unternehmensinteressen einerseits und den ganz und gar legitimen Interessen der Eigner andererseits, gilt es für ihn, den Prüfer des Jahresabschlusses, in der Rechnungslegung auch die Rechenschaftslegung wiederzufinden. [432] VI. Zusammenfassung 1. Vor 17 Jahren habe ich in einem Vortrag vor Ihnen auf der Hamburger Fachtagung des Jahres 1974 gesagt100: „Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung ist tendenziell darauf angelegt, daß der einzelne Marktteilnehmer seine Möglichkeiten aufs Energischste anspannt. Die Gefahr der Überspannung ist also immer gegeben. Dem hat die Rechtsordnung zu steuern und insgesamt ein Gleichgewicht zu garantieren: … zu seinem Teil wirkt der Wirtschaftsprüfer an der Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichtes mit.“

Das gilt unverändert heute wie gestern. Diesmal ging es nicht um das Gleichgewicht zwischen unternehmerischem Wagemut und Sicherheit des Wirtschafts98 Diese (berühmte) Formulierung stammt von Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 2. Aufl. 1960, S. 14. Vgl. auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, S. 76. 99 Vgl. § 318 HGB 100 Bericht über die Fachtagung 1974 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V., 1975, S. 227 ff., 247.

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verkehrs, diesmal ging es um das Gleichgewicht zwischen Rechnungslegung und Rechenschaftslegung. 2. In diesem Sinne fasse ich zusammen: Der Jahresabschluß ist heute ein hoch komplexes Instrument und die Gefahr liegt nahe, daß er deswegen zum Ding an sich wird und dadurch von seinem Funktionsbezug zur Rechenschaftslegung einbüßt. Daher: (1) Der Jahresabschluß hat in erster Linie Gläubigerschutzfunktion, sodann die Aufgabe der Rechenschaftslegung. (2) Beide Funktionen decken sich nur teilweise. Am Vorsichtsprinzip wird das besonders deutlich: Es besteht im Interesse der Gläubiger, in der Summe aber stört es die Rechenschaftslegung. (3) Infolge des sogenannten Maßgeblichkeitsprinzips ist der Jahresabschluß zusätzlich Grundlage der Besteuerung. Fast noch stärker als durch das Vorsichtsprinzip wird dadurch die Funktion der Rechenschaftslegung gestört. (4) Vorsichtsprinzip und Maßgeblichkeitsprinzip verwirklichen sich in den zahlen der Bilanz und der GuV. Den verbalen Möglichkeiten des Anhangs kommt daher für die Erfordernisse der Rechenschaftslegung und die dafür erforderlichen Korrekturen an den beiden anderen Prinzipien Vorsicht und Steuer entscheidendes Gewicht zu. Verbale Möglichkeit heißt aber nicht Verzicht auf Zahlen; am Problem der Auswirkun- [433] gen des Maßgeblichkeitsprinzips auf die Funktion der Rechenschaftslegung wurde versucht, das deutlich zu machen. (5) Window dressing widerspricht besonders nachdrücklich getreuer Rechenschaftslegung. Wo immer Grund für solche Vermutung besteht, trifft den Abschlussprüfer eine besondere Pflicht zur Feststellung des Sachverhalts. (6) Die Probleme korrekter Behandlung von Gesellschafterdarlehen sind mit den anderen Funktionen des Jahresabschlusses besonders stark verzahnt; ihr gesonderter Ausweis erfolgt daher vor allem und in erster Linie in der Bilanz. (7) Im Aktienrecht ist Publizität eine Funktion der Rechenschaftslegung. Das gilt so nicht für das GmbH-Recht. Dies ist der innere Grund für den Widerstand gegen die Publizität in diesem Bereich. Öffentlichkeit als Adressat von Unternehmensdaten ist für die Gesellschafter einer geschlossenen Gesellschaft, also typischerweise der GmbH, schwer zu ertragen. Um so mehr gilt der Satz: Dura lex, sed lex. (8) Der Abschlussprüfer wird von den Gesellschaftern gewählt. Bei aller Vielgestaltigkeit seiner Pflichten gegenüber Gläubigern, Arbeitnehmern und Öffentlichkeit mach das doch seine besondere Nähe und seine Verpflichtung zur Sicherstellung von Rechenschaftslegung gegenüber den Gesellschaftern deutlich.

Schriftenverzeichnis AB DEM 1. JANUAR

2001*

I. Selbständige Schriften Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Schriftenreihe AHW, Bd. 25, 3. neubearbeitete Auflage, Köln 2006, 342 S. Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (in Gemeinschaft mit Krieger) 4. Auflage Köln 2002 5. Auflage Köln 2008 GmbH-Gesetz, Kommentar 15. Auflage (in Gemeinschaft mit Hommelhoff), 2000 16. Auflage (in Gemeinschaft mit Hommelhoff), 2004 17. Auflage (in Gemeinschaft mit Hommelhoff), 2009 Kommentar zum Umwandlungsgesetz, Kommentierung der §§ 1-13 und 318; 2. Aufl. 2000, 3. Aufl. 2004, 4. Aufl. 2009 (zusammen mit Drygala) Kommentar zum Corporate Governance Kodex, 1. Aufl. 2003 (zusammen mit Ringleb, Kremer, v. Werder) 2. Aufl. 2005 3. Aufl. 2008 4. Aufl. 2010 Holding Handbuch, Kapitel: Begriff und Erscheinungsformen der Holding und Haftungsfragen in der Holding (zusammen mit Trölitzsch), 4. Aufl., Köln 2004 Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, ZGR-Sonderheft 17, Berlin 2006, 807 S. Legal Capital in Europe, ECFR Special Volume 1, Berlin 2006, 701 S. Aktiengesetz Kommentar (zusammen mit K. Schmidt), Köln 2008 2. Aufl. Köln 2010 SE-Kommentar (zusammen mit Hommelhoff), Köln 2008

* Die füheren Schriften sind verzeichnet in Schneider/Hommelhoff/Schmidt/Timm/Grunewald/ Drygala (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter, Köln 2000, S. 1649 ff.

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Schriftenverzeichnis

II. Abhandlungen und Besprechungsaufsätze Limited Liability Company and Private Company, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XIII, 1998, 199 S. Für eine Reform des Spruchverfahrens im Aktien- und Umwandlungsrecht, AG 2000, 433-480 (zusammen mit Tilmann Bezzenberger) Corporate Governance in Deutschland und den USA, in: Chanturia, Knieper, Semler (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme der Entwicklung des Gesellschaftsrechts in Georgien, Tbilissi 2000 Grenzen zulässiger Einflußnahme im faktischen Konzern – Nachbetrachtungen zum Mannesmann/Vodafone-Takeover, in: Lutter/Scholz/Siegle (Hrsg.), Festschrift für Martin Peltzer zum 70. Geburtstag, Köln 2001, S. 241-260 Vergleichende Corporate Governance, in: ZGR 2001, 224-237 = International and Comparative Corporate Law Journal, Vol. 2 Issue 4, 2001 Polen auf dem Weg zum gemeinsamen Europa – Entwicklung der polnischen Gesetzgebung (Verbraucherschutz und Schutz der Kapitalmarktinvestoren) gemäß der europäischen Standards, in: DPJZ 2001, 5-14 Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mitunternehmer?, in: Dieter Sadowski (Hrsg.) Entrepreneurial Spirits, Festschrift für Horst Albach zum 70. Geburtstag, Verlag Gabler 2001, S. 225-235 Aktiengesellschaft, in: Handwörterbuch des Bank- und Finanzwesens, Wolfgang Gerke, Manfred Steiner (Hrsg.), 3. Auflange, Schäfer-Pöschel, Stuttgart 2001 Noch einmal – Zum Vorerwerbsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochterunternehmen über die Börse, AG 2001, 349-353 Europäische Aktiengesellschaft – Rechtsfigur mit Zukunft?, BB 2002, 1-7 Die Kontrolle der gesellschaftsrechtlichen Organe: Corporate Governance – ein internationales Thema, JURA 2002, 83-88 Der Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001, Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), 2002, 4861 Aufsichtsrat, Prüfungsbefugnisse – Handwörterbuch der Rechnungslegung und Prüfung, Wolfgang Ballwieser, Adolf G. Coenenberg, Klaus v. Wysocki (Hrsg.), 3. Auflage, SchäferPöschel, Stuttgart 2002 Kodex guter Unternehmensführung und Vertrauenshaftung, FS Druey, Zürich 2002, 463-478 Mindestumfang der Kapitalerhöhung bei der Verschmelzung zur Aufnahme oder Neugründung in Aktiengesellschaften?, FS Wiedemann, München 2002, 1097–1112 Die Erklärung zum Corporate Governance Kodex gemäß § 161 AktG, ZHR 166 (2002), 523543 Die Sachdividende – Gesellschaftsrecht und Steuerrecht –, ZGR 2002, 204-240 (mit Magdalena Leinekugel)

ab dem 1. Januar 2001

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Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law zum Konsultationsdokument der High Level Group of Experts on Corporate Law, in ZIP 2002, 1310-1324 (zusammen mit Bayer, Fleischer u.a.) „Überseering“ und die Folgen, BB 2003, 7-10 Die besondere sachverständige Beratung des Aufsichtsrates durch seine Mitglieder, FS Ulmer, Berlin 2003, 381-399 (mit Drygala) Comparative Corporate Governance: A German Perspective, International and Comparative Corporate Law Journal, Vol. 2/ Issue 4 2001, 423-433 Auswahlpflichten und Auswahlverschulden bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, ZIP 2003, 417–426 Corporate Governance und ihre aktuellen Probleme, vor allem Vorstandsvergütung und ihre Schranken, ZIP 2003, 737-743 Der Deutsche Corporate Governance Kodex, FS Forstmoser, Zürich 2003, S. 287-299 Les experiences européennes des cogestion. L’experience allemande, in: La Société européenne, Verlag Dalloz, Paris 2003, 81-87 Deutscher Corporate Governance Kodex, in: Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung – KonTraG – Corporate Governance – TransPuG, 2. Auflage, Stuttgart 2003 Deutscher Corporate Governance Kodex, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance – Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen in der Rechts- und Wirtschaftspraxis, 2003, S. 737-747 Minderheiten- und Gläubigerschutz im Konzern: Regelungsansätze in der Europäischen Union, in: Hopt (Hrsg.), Unternehmensgruppen in mittel- und osteuropäischen Ländern – Entstehung, Verhalten und Steuerung aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, Tübingen 2003 Corporate governance w Niemczech i w Europie, Przeglad Prawa Handlowego 2003, 4-9 Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law zum Report of the High Level Group of Company Law Experts on a modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, in ZIP 2003, 863-880 (zusammen mit Bayer, Hoffmann-Becking u.a.) Die Haftung wegen Existenzvernichtung, ZGR 2003, 402-440 (mit R. Banerjea) Perspektiven des Gesellschaftsrechts in Deutschland und Europa, BB 2004, 1 Corporate Governance in Österreich und in Deutschland, Festschrift für Peter Doralt, Wien 2004, S. 377-389 Zur Zulässigkeit der Vergütung des Aufsichtsrats in Aktien der Gesellschaft, Festschrift für Walther Hadding, Berlin 2004, S. 561-573 Societas Europaea, in: Peter Nobel (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht einschließlich internationales Kapitalmarktrecht, Bern 2004, S. 19-45 Hauptversammlung und Aktionärseinfluss, in: Schreyögg/v. Werder (Hrsg.) Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4. Aufl., Stuttgart 2004, S. 400-407 Laudatio auf Peter Doralt, GesRZ 2004, S. 3 f. Zur überschießenden Umsetzung von Richtlinien der EU, Gedenkschrift für Meinhard Heinze, München 2005, S. 572-584

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Schriftenverzeichnis

Die Rückabwicklung fehlerhafter Kapitalübernahmen, Festschrift für Volker Röhricht, Köln 2005, S. 369-382 Zur Entwicklung der GmbH in Europa und der Welt, GmbHR 2005, S. 1-4 Volker Röhricht zum 65. Geburtstag, ZIP 2005, S. 831 Das neue Bilanz-Kontrollsystem in Deutschland, in: Festschrift für Peter Nobel, Bern 2005, S. 213-224 Mitbestimmung und Schadensabwehr, Festschrift für Thomas Raiser, Berlin 2005, S. 259-271 (mit Karlheinz Quack) Zum Wettbewerber im Aufsichtsrat, ZIP 2005, S. 103-105 (mit Tom Kirschbaum) Bruno Kropff zum 80. Geburtstag, NJW 2005, S. 2905 Corporate Governance: Kodex oder Gesetz?, in: Festschrift für Stanislaw Soltysinski, Poznan 2005, S. 461-470 Die Verbrauchsstiftung – Stiftung auf Zeit, in: Walz/Kötz/Rawert/Schmidt (Hrsg.), Non Profit Law Yearbook 2004, Köln 2005, S. 43-58 Die europäische Aktiengesellschaft – Satzungsgestaltung bei der mittelständischen SE, BetriebsBerater 2005, S. 2473-2484 (mit A. Kollmorgen und H. Feldhaus) Haftung von Vorständen, Verwaltungs- und Aufsichtsräten, Abschlussprüfern und Aktionären, Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Band 124 (2005) II, S. 415-463 (Gutachten zum 3. Europäischen Juristentag, Genf 2004) Der Deutsche Juristentag und das Wirtschaftsrecht 1970-1992, in: Rechtspolitik und Berufspolitik – Festschrift für Felix Busse zum 65. Geburtstag, München 2005, S. 247-252 Die Eintragung von EU-Auslandsgesellschaften im deutschen Handelsregister, in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005, S. 1-14 Aktienrechtliche Aspekte der angemessenen Vorstandsvergütung, ZIP 2006, S. 733-737 Besprechung von Andrea Lohse, Unternehmerisches Ermessen. Zu den Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat. Tübingen 2005, in: JZ 2006, S. 462 Zustimmungspflichtige Geschäfte im Konzern, in: Liber amicorum Wilhelm Happ zum 70. Geburtstag, Köln 2006, S. 143-149 Deutscher Corporate Governance Kodex und die Erklärung nach § 161 AktG, in: Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2006, S. 871-883 Der Aufsichtsrat im Konzern, in: AG 2006, S. 517-521 Internationale Verschmelzungen in Europa, in: JZ 2006, S. 770-776 (mit Tim Drygala) Besprechung von Jack Beatson and Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted. Germanspeaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain, Oxford 2004, in: RabelsZ Bd. 70 (2006), S. 579-583 Das (feste Grund-)Kapital der Aktiengesellschaft in Europa – Zusammenfassung der Überlegungen des Arbeitskreises „Kapital in Europa“, in: Lutter (Hrsg.), Das Kapial der Aktiengesellschaft in Europa, ZGR Sonderheft 17, 2006, S. 1-14 Für eine Unternehmer-Gesellschaft (UG) – Zur notwendigen Erweiterung der geplanten GmbH-Reform, in: Betriebs-Berater 2006, BB-Special 7, S. 2-4 Perspektiven einer GmbH-Reform, in: Die GmbH-Reform in der Diskussion, Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Bd. 11, 2006, S. 211-223

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Europa und das Unternehmensrecht, in: Riesenhuber (Hrsg.), Die Europäisierung des Privatrechts, 2006, S. 21-32 Legal Capital of public companies in Europe – Executive summary of considerations by the expert group on „Legal Capital in Europe“, in: Lutter (Ed.), Legal Capital in Europe, ECFR Special Volume 1, 2006, S. 1-14 Kommentierung von § 161 AktG, in Zöllner/Noack (Hrsg.), Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2006 Legal Capital of public companies in Europe, in: La Società per Azioni Oggi, Mailand 2oo7, Bd.1, S. 319-332 Muster-Geschäftsordnung für den Verwaltungsrat einer SE, Betriebs-Berater 2007, S. 509-516 (mit A. Kollmorgen und H. Feldhaus) Nutzen oder Un-Nutzen eines festen Grund- und Stammkapitals?, GmbHR 2007, S. R97 Die Business Judgment Rule und ihre praktische Anwendung, ZIP 2007, S. 841-848 Die Business Judgment Rule in Deutschland und Österreich, Der Gesellschafter 2007, S. 79-88 Besprechung von Jan Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, Jena 2006, in: AG 2007, S. 420 Anwendbarkeit der Altersbestimmungen des AGG auf Organpersonen, BB 2007, S. 725-731 Das Unglück Mannesmann, Myops 1/2007, S. 8-12 Die Mannesmann-Affäre, in: Skandale in Deutschland nach 1945, hrsg. von: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2007, S. 180-185 Interessenkonflikte und Business Jugdement Rule, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, Band II, München 2007, S. 245-256 Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten, in: Festschrift für HansJoachim Priester, Köln 2007, S. 417-426 Der Regierungsentwurf eines Reformgesetzes zum deutschen GmbH-Gesetz, GesRZ 2007, 365-374 Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern in Gesellschaft und Konzern, in: Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, Köln 2008, S. 1171-1189 Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung, in: Festschrift für Jörg Baetge, 2007, S. 1003-1032 = AG 2008, 1-11 Der Aufsichtsrat der AG – ein Organ im Umbruch, StudZR 2008, S. 203-210. Reforma GmbH w Niemczeck, Monitor Prawniczy 2008, S. 1266 ff. Kommentierung der §§ 1-3 AktG in: K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), Kommentar zum AktG, Köln 2008, 2. Aufl. 2010 Kommentierung der Einleitung und des Art. 1 SE-VO, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Kommentar zur SE, Köln 2008 Differenzhaftung und Stimmrecht, in Kley/Leven/Rudolph/U.H. Schneider (Hrsg.), Aktie und Kapitalmarkt, Festschrift für Rüdiger v. Rosen zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2008, S. 567576 Bankenkrise und Organhaftung, in: ZIP 2009, 197-201 = Grundmann/Hofmann/Möslein (Hrsg.), Finanzkrise und Wirtschaftsordnung, 2009, S. 77-86 Karsten Schmidt zum Siebzigsten, in: GmbHR 2009, S. 113.

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Jak dzialaja spolki w Niemczcech, Interview in der polnischen Zeitung Prawo co dnia, 20. Januar 2009 Das unvollendete Konzernrecht, in: Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, Köln 2009, S. 1065-1076. Zur Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern, in: BB 2009, M 16. Zur Rechtmäßigkeit von internationalen Risikogeschäften durch Banken der öffentlichen Hand, in: BB 2009, 786-791 Corporate Governance in Deutschland – der große Sprung, in: Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, S. 1307-1316 Professionalisierung des Aufsichtsrats, in: DB 2009, 775-779 Auslaufmodell AG ? Reform der unternehmerischen Mitbestimmung – Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats, in: ZIP 2009, 885-899 (mit Gregor Bachmann, Theodor Baums, Mathias Habersack, Martin Henssler, Hartmut Oetker, Peter Ulmer) Das Abfindungs-Cap in Ziff. 4.2.3 Abs. 3 und 4 des Deutschen Corporate Governance-Kodex, in: BB 2009, 1874-1876 Ein halbes Jahrhundert Unternehmensrecht, Lectio Aurea am 15.11.2007 vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i.Br., in chinesischer Sprache erschienen in: Yuanshi Bu (Hrsg.), Overseas Chinese Law Review, 2009 Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglieds, in: Der Aufsichtsrat 2009, S. 97 Verhandlungen sind kein trojanisches Pferd, in: Der Aufsichtsrat 2009, S. 153 (mit Th. Baums) The Commission Recommendations of 14 December 2004 and of 15 February 2005 and their implementation in Germany, in: Michel Tison et al. (ed.), Perspectives in Company Law and Financial Regulation, Essays in Honour of Eddy Wymeersch, Cambridge 2009, S. 132-144 = in überarbeiteter Fassung: Die Empfehlungen der Kommission vom 14.12.2004 und vom 15.02.2005 und ihre Umsetzung in Deutschland, in: EuZW 2009, 799-8o6 Aufsichtsrat und Sicherung der Legalität in Unternehmen, in: Festschrift für Uwe Hüffer zum 70. Geburtstag, München 2009, S. 617-625 Deutscher Corporate Governance Kodex, in: Hommelhoff/Hopt/ v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 123-136 Die personelle Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern – die rechtliche Sicht, in: Hommelhoff/ Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl., 2009, S. 321-330 Odpowiedzialnoœý rady nadzorczej wobec spóâki, in: Monitor Prawniczy 2010, Beilage zu Heft 1, S. 16-18 Kommentierung der §§ 67-75 AktG, in: Zöllner/Noack (Hrsg.), Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., 2009 (zusammen mit Drygala) Entwicklung der Organpflichten und der Organhaftung, in: Krieger/U.H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl., Köln 2010, S. 1-14 Zivilrechtlich korrekt und doch strafbar? Das kann nicht sein, NZG 2010, 601-603 Corporate Governance in Germany – the Big Leap, in: The Journal of Interdisciplinary Economics, Vol. 22, S. 17-27 (2010)

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Fehler schaffen neue Fehler – gegen die Divergenztheorie bei §§ 5 Abs. 3, 34 GmbHG, in FS Meilicke, 2010

III. Urteilsanmerkungen und Urteilsbesprechungen Anmerkung zum Urteil des BGH v. 7.12.2000, VII ZR 360/98, WuB IV A. § 276 BGB 2.02 (Haftung aus cic beim Abbruch von Vertragsverhandlungen) Anmerkung zum Urteil des BGH v. 25.11.2002, II ZR 49/01, JZ 2003, 566-567 (Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers) Anmerkung zum Urteil des BGH v. 25.11.2002, II ZR 133/01, JZ 2003, 684-687 (Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen) Anmerkung zum Urteil des BGH vom 10.10.2006 – II ZR 90/03, Zu den Klagemöglichkeiten des Aktionärs bei einer pflichtwidrigen, kompetenzüberschreitenden Ausnutzung des genehmigten Kapitals, in: JZ 2007, S. 371-372 Anmerkung zum Urteil des BGH vom 20.11.2006 – II ZR 176/05, DStR 2007, 239 Anmerkung zum Urteil des VG Arnsberg v. 13.7.2007 – 12 K 3965/06, Zur Weisungsbefugnis eines Gemeinderates gegenüber ratsangehörigen Aufsichtratsmitgliedern im Aufsichtsrat einer kommunalen GmbH, in: ZIP 2007, S. 1991-1992 Anmerkung zum Urteil des LG Bonn vom 8.1.2008 – 11 O 132/06, ZIP 2008, 835-837 Anmerkung zum Urteil des LG München vom 27.08.2009 – 5 HK O 21656/08, Stimmverbot des Alleinaktionärs bei Abberufung des besonderen Vertreters, der auch Ansprüche gegen ihn verfolgen soll („HVB/Unicredit“), in: ZIP 2009, S. 2203 Anmerkung zum Urteil des LG München I v. 27.8.2009, 5 HK O 2156/08, ZIP 2009, 2198 – 2203 (Stimmverbot des Alleinaktionärs bei der Abberufung des besonderen Vertreters – HVB/Unicredit)

IV. Herausgeber Wandel- und Optionsanleihen in Europa, Berlin-New York 2000 (ZGR-Sonderheft 16; in Gemeinschaft mit Heribert Hirte) Festschrift für Martin Peltzer, Köln 2001 (zusammen mit Manfred Scholz, Walter Sigle) Der Wirtschaftprüfer als Element der Corporate Governance, Düsseldorf 2001 (IDW-Verlag) Corporate Governance – Gemeinschaftssymposion der Zeitschriften ZHR/ZGR, Beihefte der ZHR H. 71, 2002 Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005 Die Europäische Gesellschaft, Köln 2005 (zusammen mit Peter Hommelhoff) Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, ZGR Sonderheft 17, 2006 Legal Capital in Europe, ECFR Special Volume 1, 2006 Festschrift für Karsten Schmidt, Köln 2009 (zusammen mit Georg Bitter, Hans-Joachim Priester, Wolfgang Schön und Peter Ulmer)