400 16 8MB
German Pages 230 Year 1966
BRUNO
Gesammelte
VANDENHOECK
SNELL
Schriften
& RUPRECHT
IN GÖTTINGEN
Mit einem Vorwort von Hartmut Erbse
und einem Verzeichnis der Schriften des Verfassers
Library of Congress Catalog Card Number 66 — 23059
© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1966. — Printed in Germany. Ohne susdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile darsus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfültigen. — Gesamtherstellung: Hubert& Co., Göttingen. 8496
VORWORT Aus Bruno SNELLs umfangreichem Schrifttum enthält dieser Band die wichtigsten der kleineren Arbeiten, die in die Sammelwerke „Die Entdeckung des Geistes“, „Die alten Griechen und wir“, „Dichtung und Gesellschaft“ und „Scenes from Greek Drama‘ nicht aufgenommen werden konnten. Die vorliegende Auswahl hat der Verfasser selbst getroffen, er hat die einzelnen Aufsätze auch erneut durchgesehen, solche Partien gestrichen, die er heute
nicht mehr anerkennt und an einzelnen Stellen Zusätze angebracht.
Die
Schriften wollen also nicht als Dokumente einer geistigen Entwicklung angesehen werden. Bruno SNELL hat mit dieser Neubearbeitung eines Teiles seines Lebenswerkes dem
dringenden Wunsch
von Freunden
und
Schülern entsprochen,
bedeutungsvolle Entdeckungen und fruchtbare Formulierungen aus der Vereinzelung zu befreien und einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Wer das Buch zur Hand nimmt, wird nicht zögern, dem Verfasser Dank zu
wissen. Die Aufsätze erscheinen am 18. Juni 1966, dem 70. Geburtstag Bruno SNELLs. Zusammen mit dem Schriftenverzeichnis ermöglichen sie nun einen
Rückblick auf seine gesamte, so ungemein fruchtbare wissenschaftliche Tätigkeit. Sie wollen jedoch kein Abschluß sein: Mit diesem Buch verbindet sich
die Hoffnung, den hier versammelten Arbeiten mögen noch zahlreiche gleichwertige folgen. Daß dem Verfasser seine bewundernswerte Schaffenskraft noch lange Zeit erhalten bleibe, ist der herzliche Wunsch aller derer, die in
einer dem Humanismus entfremdeten Zeit die Bedeutung klassischer Bildung zu ermessen vermögen verehren.
und in BRUNO
SNELL einen Meister
seines Faches
HARTMUT
ERBSE
INHALT
1. Rez. Friedrich Zucker: Syneidesis-Conscientia Ein Versuch zur Geschichte des sittlichen Bewußtseins im griechischen und im griechisch-römischen Altertum (15)! .........
9
2. Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen im frühen Griechen-
tum (14) ....{ὖνὐννννν εκ κεν κεν εννν νιν εν νν
hh
nnn
18
3. Rez. Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Bd. 1 (35) ......... lesse
32
4. Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos (181)
55
5. Homerica (95) ..... 0. 0ὐν νιν νννν εν εν εν νκννν εν
n
62
6. ἅλιος (179) ......«νὐν νον νιν νννν νι ννεν κεν κγ νειν
hn
65
7. Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker (66)
hh
............
68
8. Alkman fr. 20P., 56D. (80) .....«.νὐνννννν κεν εν κεν κε κεννν
78
9. Stesichoros’ Συοϑῆραι (149)
.......{ὐνννννννννννν κεν εν νκννων
79
10. Sapphos Gedicht Φαίνεταί μοι κῆνος (17) ....00Ὁοὐν νιν νννννννννν
82
11. ἀϑρήματα. Zu Sappho 44 L.-P., 55 D., V. 8 (157) .............
98
12. Der Anfang eines äolischen Gedichts [Sappho fr. 99 L.-P.] (115)
100
13. Dionysos oder Hephaistos? Zu einem Hymnus des Alkaios (154)
102
14. Bakchylides’ Marpessa-Gedicht (Fr. 20A) (108)
105
15. Zur
Überlieferungsgeschichte
der
...............
Pindar-Scholien
(135)
.....
112
16. Zur Gescbichte vom Gastmahl der Sieben Weisen (123) .......
115
17. Die Nachrichten über die Lehren des Thales und die Anfänge der griechischen Philosophie- und Literaturgeschichte (65)
.....
119
18. Die Sprache Heraklits (4) ......«.ὐνν εν εν εν κεν εν νιν εν κννννν
129
1 Die in Klammern beigefügten Nummern beziehen sich auf das Schriftenverzeichnis unten 8. 213ff., das die näheren bibliographischen Angaben enthält.
8
Inhalt
19. Heraklits Fragment 10 (59)
...... {ων ν νιν νιν νιν κεν ενννεκνγννννον
20. παρίσταται Zu Parmenides Fr. 16,2 (158)
152
......«Ὁνννννννν κων
157
21. Hera als Erdgöttin (63) .......{.ννν νιν κεν εν εν εν εν κεν ενκνκννν
158
22. Rez. J. A. Schuursma: De Aeschylum (531). . . {ιν ν ν
poetica vocabulorum abusione apud κεν κν εκ εν κεν κεν κεν εκ εν ενεκεκννον
160
23. Aischylos’ Isthmiastai (137)
.....0.Ὁ{0{Ὁνν γε ννκγν εν γεν ννεννον
164
24. Zwei Töpfe mit Euripides-Papyri (33) ................Luuuuu.
176
25. Zu Euripides’ Phoenissen (163)
εννν
178
26. Das Eisvogelnest in der Muschel [zu Kallimachos’ 5. Epigramm] (67) ....ὐννν νιν εν κεν εν κεν εν εν κεν hehehe rn
184
27. Die Klangfiguren im 2. Epigramm des Kallimachos (155) ......
185
28. Antike Besucher des Tempels von Sunion (3)
189
..... {νὰν νιν κεν ν κε νν κεν
................
29. Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge (45)
.........
192
.......Ὁ «ον νι εν σον
199
31. Das I-ah des goldenen Esels [zu Apuleius, Metamorphosen 8, 29; 3,29 und 7,3] (34) ........... eese nne
200
32. Das Spielen mit dem Reim (38) ...............ulsslsuusuuun
202
33. Nachruf: Gerhard Krahmer (22) .........222cccesenenenseenn
204
34. Emil Wolff zum Gedächtnis (110)
206
30. Zum
Stemma der Tragödien Senecas (64)
.................LLuuuuuu.
35. Gilbert Murray (79) ......ὁ{0{νν νον κεν
ενννν κεν
nn
nnn
210
36. Philologie von heute und morgen. Die Arbeiten Hermann Fränkels
(170) ....0.νννκννε κεν T Schriftenverzeichnis
211
.......--creereeeeeereneneenennnn nun nenn
213
Personen- und Sachregister .........«-reseeeeerenenseenenneennnn
226
Griechische Wörter .
228
0. 0ννννννννννν σεν εν nennen onen en nnn
BESPRECHUNG F. ZUCKER,
VON
SYNEIDESIS — CONSCIENTIA*
Friedrich Zucker führt mit dieser Jenaer Rektoratsrede in das „Änfangs-
stadium‘ eines geplanten größeren Werkes ein, das offenbar vorwiegend die Entwicklung des Gewissens in der Zeit um den Beginn unserer Zeitrechnung behandeln soll. Er geht dabei, wie es das Gegebene ist, von der Geschichte des Wortes συνείδησις aus und versucht kurz die Entwicklung
dieses Wortes und die Geschichte seiner Bedeutung darzulegen. Soviel ich sehe, ist er dabei nicht hinausgekommen über das, was in der reichen theologischen Literatur über den Begriff des Gewissens schon festgestellt war!; allerdings hat Zucker seine Resultate anscheinend ohne deren Hilfe gewonnen. Und doch hätte die Wortgeschichte weitere Resultate gewinnen können, wenn Zucker über den Rahmen hinausgegangen wäre, den er gewählt hat. Denn Zucker beschränkt sich auf die Betrachtung des Wortes συνείδησις und der Wendung συνειδέναι ἑαυτῷ; aber, wie gleich kurz skizziert werden soll, ist es förderlich, verwandte Wendungen in die Erörterung
einzubeziehen. — Noch in einem anderen Sinne hätte Zucker den Rahmen
seiner
die Entstehung
des
Begriffs ‘Gewissen’ verständlich zu machen. Zucker fragt mit Recht, welche Form des 'sittlichen Bewußtseins’
sich
in
Untersuchung
dem
Begriff
der
weiter spannen
συνείδησις
können,
ausspricht,
und
um
damit
treten
die
beiden
Begriffe ‘Ethik’ und ‘Reflexion’ in den Mittelpunkt der Untersuchung. Diese beiden Begriffe werden nun aber von Zucker als starre Größen eingeführt, als ob es möglich wäre, eindeutig zu sagen, wo wir ‘Ethik’ und wo wir ‘Reflexion’ treffen — während zu fragen wäre, in welcher immer
veränderten Form ‘Ethik’ und ‘Reflexion’ im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung erscheinen. Ein Beispiel mag das erläutern. 5. 7 sagt Zucker: „Nun hat das Denken derselben Sophistik, gegen deren moralzerstörende Lehren sich Sophokles im Philoktetes ... wendet, auf den Weg der Ver* Friedrich Zucker, Syneidesis— Conscientia. Ein Versuch zur Geschichte des sittlichen Bewußtseins im griechischen und im griechisch-römischen Altertum. (Rede, gehalten zur Feier der akademischen Preisverteilung am 16. Juni 1928 im Volkshaus zu Jena.) Jena 1928. 26 5. (Jenaer akademische Reden 6). [Wieder Verweisen
abgedruckt: Semantica, auf neuere Literatur.]
Rhetorica,
Ethica.
Berlin
1963,
96—117,
mit
1 Literaturangaben s. in W. Bauers Wörterbuch z. NT. s. v. συνείδησις. Im wesentlichen gehen diese Forschungen
Halle 1878.
zurück auf das Buch von Kähler, Das Gewissen,
10
Besprechung von F. Zucker, 'Syneidesis — Conscientia'
innerlichung der Ethik geführt." Dies Paradoxon, daß das Denken offenbar moralzerstórend und zugleich moralaufbauend wirken kann, bleibt bei Zucker
unerklärt,
da
er nirgends
welche
bestimmte
Art
des
versucht,
Denkens
und
präzise
welche
zu
umschreiben,
besondere
Form
um
von
Moral und Ethik es sich hier handelt. Freilich hebt Zucker hervor (allerdings mehr in Zitaten anderer als in eigenen Formulierungen), daß dem Griechen der klassischen Zeit der Gewissenszwiespalt als innerer Konflikt fremd war, aber es fehlt joder Versuch, deutlich zu umschreiben, was unter Innerlichkeit verstanden werden soll. Weder macht er anschaulich, wie der
frühe Geist ohne ‘Innerlichkeit’ beschaffen ist, noch legt er mit bestimmten Zügen fest, was neu und charakteristisch an den ersten Äußerungen des Gewissens ist. Wenn etwa Zucker zu Euripides! Satz τί δ᾽ αἰσχρὸν ἣν μὴ τοῖσι χρωμένοις δοχῇ sagt: „Damit ist die Sittlichkeit ins Innere, in die Gesin-
nung verlegt, aber nicht die Aufspaltung des sittlichen Bewußtseins gegeben, die in dem Begriff des Gewissens liegt", so fragt man: Was ist daran ‘Gesinnung’? was fehlt zur ‘Aufspaltung’? — und erst mit dieser Frage öffnet sich die Aussicht, den Satz zu verstehen und historisch einzuordnen.
Die entscheidenden Begriffe, die Zucker einführt, wirken daher bei ihm wie
Schlagworte,
da
er sie verwendet,
als ob
sie etwas
allgemein
Fest-
stehendes bezeichneten, während es gilt, hinter diese Allgemeinheiten vorzudringen zu dem Konkreten und Typischen. Für Zucker löst sich denn auch die Geschichte auf in einzelne Punkte, an denen bald dies, bald jenes
Neue ‘auftaucht’ (die Reflexion, die Innerlichkeit, schließlich das Gewissen), ohne daß die Einheit der Entwicklung sichtbar würde. Rein äußerlich zeigt sich dieses Fehlen der geistigen Durchdringung und der gedanklichen Straffheit schon darin, daß Zucker sprunghaft von verschiedenen Seiten aus zu dem Begriff des Gewissens vorzudringen sucht, ohne daß der Zusammenhang der verschiedenen Wege angedeutet würde. Zuerst spricht er von dem Worte συνείδησις, dann von der mythischen Gestaltung der Gewissensqualen (den Erinyen) und ihrer Auflösung durch die Sophistik, von dem Auftreten der Wendung συνειδέναι ἑαυτῷ, von der Entwicklung der Zurechnungslehre im Recht, und schließlich führt er
einzelne Stellen hellenistischer und römischer Autoren an, die die spätere Verinnerlichung der Ethik zeigen. Diese gesondert aufgeführten Momente hätte es gegolten unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu rücken. Das wäre dadurch möglich geworden, daß die 'Ethik' und die ‘Reflexion’ aus ihrer Starrheit befreit und in ihrer prinzipiellen wechselseitigen Bezogenheit aufgefaßt wären. Zucker selbst spricht in dem eben angeführten Satz über die Sophistik davon, daß die Reflexion die Ethik beeinflußt. Noch allgemeiner gefaßt würde das heißen, daß das Wissen auf das Handeln wirkt (wir vermeiden so auch die Werte Ethik und Reflexion, die etwas erst
spät
dem
aus
Erscheinendes
sich
bezeichnen).
die einzelnen
Stationen
Damit
ist der
Punkt
der geschichtlichen
erreicht,
von
Entwicklung
Besprechung von F. Zucker, 'Syneidesis — Conscientia"
11
eindeutig beschreiben lassen und von dem aus sich die Einheit des geschichtlichen Verlaufs übersehen läßt. Denn das Verhältnis zwischen Wissen und Handeln ist kein konstantes, sondern die Spannung zwischen beiden ist in dauernder Umlagerung und Verschiebung begriffen. Geläufig ist uns das für die spátere Zeit, in der man schon über den Wert von Wissen und Handeln spekulierte und in der sich die jeweilige Umschichtung ihrer Relation zueinander in der veränderten Wertung des theoretischen und des praktischen Lebens aussprach — und da hat Werner Jaeger kürzlich in
seinem
Berliner
Akademiebericht
über
„Ursprung
und
Kreislauf
des
philosophischen Lebensideals' hingewiesen auf die „eigentümliche Gesetzmäßigkeit‘‘ dieses Wandels. Aber diese Spannungen liegen schon den
frühesten ÁuBerungen des Geistes zugrunde, und auch ihre Ánderungen lassen sich in ihrer Folgerichtigkeit klar aufweisen. Damit ist dann allerdings die Frage nach der Entstehung des Gewissens hinübergespielt in die allgemeinere Frage nach dem Bewußtwerden der Griechen überhaupt. Aber gerade die Arbeit Zuckers zeigt, daß es nicht möglich ist, die Geschichte eines so komplexen Gebildes wie des Gewissens zu erfassen, wenn man nicht energisch zurückgeht auf die allgemeineren dahinterliegenden Probleme. Der beste Teil von Zuckers Arbeit ist nicht zufällig der letzte. Nachdem es erst einmal so etwas wie ein Gewissen gibt, ist es sinnvoll, zu fragen, wie sich das Gewissen
weiterentwickelt
hat, und
da
kann mit
Erfolg eine Problemgeschichte ansetzen. Schon die Geschichte des Wortes συνείδησις kann dieser vertieften Frage dienstbar gemacht werden, indem
späte Wort
aufbaut,
nacheinander
man die Schichten, aus denen sich dies
abträgt. Als ersten Bestandteil
finden
wir darin das Verb εἰδέναι, das, von ἰδεῖν abgeleitet, vorzüglich das Wissen um Tatsachen bezeichnet (im Gegensatz etwa zu συνιέναι und ἐπίστασϑαι);
dieses Wissen ist gewonnen durch intellektuelles ‘Anschauen’; dadurch wird das Objekt des Wissens als ‘Gegenstand’ gefaßt. Dieser besondere Wissensbegriff ist in Ionien ausgebildet. Wenn Zucker in einer Anmerkung auf 5.4 sagt: „Offenbar ist συνείδησις ionisch“ (was er daraus schließt, daß das Wort zuerst bei Demokrit Fr. 297 vorkommt), so hätte sich diese Behauptung dadurch näher begründen lassen, daß auch das Wort εἴδησις und der sich darin aussprechende Begriff des Wissens ionisch ist! — wie sich überhaupt die eigentümliche intellektuelle Bildung der verschiedenen griechischen Stämme jeweils durch die besonderen Ausdrücke für das 1 Die Belege s. Philol. Unters. 29, 29f. Auch das Fut. εἰδήσειν und der Aor. εἰδῆσαι haben sich im Ionischen ausgebildet und sind belegt b. Hdt., Hippokr. v. εὐσχ. 4 (26, 11 Heib.) , Theophr. (s. den neuen Lidell-Scott 483 A u. B und Kühner-Bla 23, 409). DaB diese Formen von Aristoteles noch vermieden wurden, weist W. Jaeger, SBBerl. 1928, 404 nach, εἰδῆσαι steht allerdings außer an den von Jaeger angeführten Stellen auch in der Nikom. Eth. © 4, 1156b 27 (dazu s. jetzt auch H. v. Arnim, SBWien 209, 9) — dort ist es aber offenbar dem da zitierten Sprichwort entnommen.
12
Besprechung von F. Zucker, 'Syncidesis — Conscientia'
"Wissen' ausspricht!, Erkennen ausgehen, Wissen
um
und dabei sind die Begriffe, die vom typisch ionisches Gut. So bezeichnet
die Außenwelt,
das
sich in der ionischen
Sehen und εἴδησις das
Naturwissenschaft
entwickelt hat. Die spätere συνείδησις aber zielt nicht auf sichtbare Gegenstände, sondern auf einen geistigen Zustand, und nicht einmal auf den Zustand eines anderen Menschen, sondern auf das eigene Innere. An dem Verb συνειδέναι ver-
folgen wir, wie dieser Wandel im Gegenstand des Wissens sich allmählich volizieht und wie sich damit auch die Form dieses Wissens selber ändert. . Für συνειδέναι ἑαυτῷ führt Zucker (8) Beispiele seit der Zeit der Sophisten an. Aber schon bei Sappho 37, 11 D. lesen wir: ἔγω δ᾽ &u’ αὕτᾳ τοῦτο σύνοιδα. Der
Zusammenhang
ist allerdings
nicht
kenntlich, so daß
der Sinn der
Worte nicht deutlich wird. συνειδέναι erscheint aber auch ohne Dativ des
Reflexivums, und wenn die Belege dafür auch erst später sind, so liegt darin doch offenbar der ältere Gebrauch, und wir können die Entwicklung des Wortes mit einiger Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. συνειδέναι und das in der Bedeutung so naheliegende Verbum συγγιγνώσκειν werden zunächst bedeutet haben: etwas, das außerhalb von einem selbst ist, mitwissen, mit einem anderen etwas mitwissen. Aisch. Ch. 216 sagt Elektra, ! Vgl. die in der vorigen Anm. genannte Arbeit.— Daß μάϑημα dorisch-pythagoreisch ist, bestätigt jetzt Crönert, Gnomon
4, 1928, 573. — ἐπιστήμη habe ich für
das Attische in Anspruch genommen, daraufhin reklamierte es Burnet für das Ionische, jetzt sieht Crönert es wie μάϑημα für pythagoreisch an, obwohl die Gebiete, in denen die Worte zuerst vorkommen, ganz verschieden sind. Crönert glaubt, ἐπιστήμη dem Alkmaion zusprechen zu können, indem er diesen als “Quelle annimmt für einige spätere Belege des Wortes. Ich will hier nicht eingehen auf die Unsicherheit der Berichte über Alkmaion, will auch von Crönerts Rückführung des Hippokratischen Nomos auf Alkmaion absehen (man vgl. die Tendenz der von Crönert ausgeschriebenen Stellen mit den verglichenen Sätzen aus dem Phaidon und Phaidros!) — damit wäre doch immer noch nicht erwiesen, daß gerade das Wort ἐπιστήμη schon von Alkmaion verwandt wäre. Der Nomos zeigt eine schon reich entwickelte Terminologie (γνῶσις, ξύνεσις, φρόνησις, udßnars), und aus Phaid. 96 B ἐκ δὲ μνήμης καὶ δόξης λαβούσης τὸ ἠρεμεῖν, ... γίγνεσθαι ἐπιστήμην wage ich jedenfalls nicht zu schließen, daß in dem Referat über die Lehre Alkmaions auch das
Wort ἐπιστήμη übernommen ist. Denn Theophrast nennt in diesem Zusammenhang für Alkm. (14 A 4 Diels) die Worte συνιέναι und φρονεῖν, und daß Platon die Worte des Alkm. ins Attische umsetzt, zeigt das Verb. ἠρεμεῖν (statt ἀτρεμεῖν" vgl. Regen-
bogen, dem
Symb.
Hippocr. 52, 1). Die übrigen späten Zeugnisse,
Kranzschen
Index
zu
den
Vorsokratikern
die Crönert
nach
beweisen
nichts
zusammenstellt,
für die frühe Terminologie. Wenn man übersicht, in wie weiten Gebieten der frühen griechischen Literatur ἐπιστήμη nicht vorkommt, wo aber andere Worte für 'Wissen'
begegnen, so bleibt der Schluß unabweislich, daß das Wort attisch ist. Die Bildung ἐπιστήμη wird auch nicht, wie Crönert meint, alt sein; sie müßte sonst in weiten Sprachgebieten aufgegeben sein; das ältere Adjektiv ἐπιστήμων konnte die Bildung ἐπιστήμη auch noch in einer Zeit nahelegen, als das Suffix -un sonst nicht mehr zu neuen Wortschöpfungen verwandt wurde. — Daß σύνεσις nicht in Attika, sondern in Ionien entstanden ist, scheint Zucker 7 Anm. 10 zu übersehen.
Besprechung von F. Zucker, 'Syneidesis — Conscientia’
13
nachdem Orest ihr gesagt hat, ihr Gebet sei in Erfüllung gegangen, xal τίνα σύνοισϑά μοι καλουμένῃ βροτῶν; wörtlich: “Von wem weißt du mit mir, daß ich ihn rufe?’
Hier bezieht
sich das Wissen
auf eine Tatsache,
aber
trotzdem bezeichnet das συνειδέναι nicht lediglich, daß zwei Menschen das gleiche Wissen um eine Tatsache haben, denn ein Wissen hat lediglich Orest. Die besondere Tönung des Wortes wird klar, wenn wir daneben die Wendung stellen, die lediglich nach dem Wissen um das Tatsächliche fragen würde: τίνα οἶσϑά με καλουμένην; Da zeigt sich, daß bei der Frage: τίνα σύνοισϑά μοι καλουμένῃ; Momente des Affektes mitverstanden werden, wie das bei einem archaischen Wort leicht geschieht. Die Gemeinsamkeit
liegt hier in der ganzen geistigen Haltung, die Orest und Elektra haben. Elektra fragt, so können wir etwa umschreiben:
Wie
kommst
du dazu,
zu wissen, wen ich rufe, und wieso nimmst du Teil an mir? So geht denn
συνειδέναι τινὶ oft geradezu auf die Gesinnung: Hdt. 9, 60, 3: auvoldanev δὲ ὑμῖν... ἐοῦσι πολλὸν προϑυμοτάτοισι — wir können übersetzen ‘anerkennen’:
"wir geben zu, daß ihr die Bereitwilligsten seid’. Ähnlich heißt συγγιγνώσx£w (ebenfalls seit Aisch. und Hdt. belegt) “übereinstimmen, gnädig sein, verzeihen’. Es ist also ein Miterkennen, das nicht lediglich Tatsachen weiß,
sondern, wie wir sagen würden, mit den Augen des anderen sieht und damit Verständnis für den anderen hat. Die Vorstellung allerdings, die wir mit diesen deutschen Wendungen wachrufen, ist dem klassischen Griechen
fremd;
‘sich in den
Gedanke,
der bei allem
anderen
hineinversetzen’
ist ein moderner
Griechischen ferngehalten werden
muß.
In den
Worten συγγιγνώσκειν und συνειδέναι liegt nichts von einem Aufgeben des eigenen Ich zugunsten eines anderen individuellen Ich, kein Sichverwandeln oder Hineinkriechen in eine andere Haut, sondern die zugrunde liegende Vorstellung
ist durchaus,
daB
man
selber weiß
und
erkennt,
aber
man
tut es mit einem anderen zusammen. Dieser Gehalt der Worte συγγιγνώσxeıv und συνειδέναι geht schon in einem entscheidenden Punkt über das hinaus, was Homer denken und sagen kann; es ist daher auch nicht zufällig,
daß beide Worte bei Homer noch fehlen. Denn wenn Homer sagen will, daB zwei Menschen
übereinstimmen,
so kann er das nur, indem
er sagt:
sie denken (erkennen, wissen) ‘das gleiche’. Nicht durch die gleiche Haltung des Subjekts (wie bei συγγιγνώσκειν, συνειδέναι, aber etwa auch bei den nachhomerischen Worten συνασχαλᾶν usw. oder auch ὁμολογεῖν), sondern durch die Gleichheit des Gegenstandes, den man ‘im Auge hat’, wird also
die Übereinstimmung im Wissen bezeichnet. Das ist nicht lediglich etwas Äußerliches, das etwa nur in der zufälligen sprachlichen Wendung läge, sondern weist auf eine wichtige Eigenheit des homerischen Denkens. Alles Wissen wird bei Homer noch gedeutet von der Erkenntnis durch 1 Anders ist homerisches συμμητιάομαι, συμφράζομαι [darüber vgl. jetzt Dichtung und Gesellschaft, 48].
14
Besprechung von F. Zucker, 'Syneidesis — Conscientia’
das Auge aus, alles "Theoretische ist bei ihm ϑεωρία im strengen Sinn, da es als ein Anschauen gefaBt wird!. So stehen sich bei Homer erkennendes Ich und erkanntes Es immer klar gegenüber, und nur in der Richtung
auf den gleichen Gegenstand des Wissens kann ein theoretisches ' Übereinstimmen' herbeigeführt werden. Im συγγιγνώσκειν und συνειδέναι tritt als das wichtige Neue auf, daß der gleiche Standpunkt der Zusammenwissenden hervorgehoben wird. Damit ist die Spháre des Sehens verlassen, denn man kann nur in übertragener Bedeutung sagen, daB zwei Menschen etwas mit gleichen Augen ansehen. Damit lóst sich aber die starre Festigkeit in der Auffassung des erkennenden Ich, dies wird labiler, und so ist der erste Keim der Spaltung des Ich gegeben, die wir dann weiterhin an der Wendung συνειδέναι ἑαυτῷ verfolgen. σύνοιδα, συγγιγνώσκω ἐμαυτῷ oder auch (bei Hdt.) συγγιγνώσκομαι heißt: ich weiß oder erkenne mit mir selber, ich bin mir meiner eigenen Lage bewußt. Hdt. 5, 86: ἔσσονες συγγιγνωσκόμενοι εἶναι κατὰ τοῦτο εἶξαν. 3, 53: Περίανδρος παρηβήκεε χαὶ συνεγινώσκετο ἑωυτῷ οὐκέτι εἶναι δυνατὸς τὰ πρήγματα ἑἐπορᾶν καὶ διέπειν. Damit sagt Herodot nicht nur: er merkte, daß er schwach wurde, sondern: ‘er war in dem Zustand (Impf.), sich gegenüber mit zu erkennen, daß er ...', und das setzt eine ganz anders geartete Reflexion voraus. Wir können nur übersetzen: ‘er war sich bewußt, daß
er...’ Indem hier das Ich zugleich Subjekt und Objekt des Erkennens ist, ist eine Spaltung des Bewußtseins gegeben, die durch das Mit-sichErkennen ausgedrückt ist. So wird das Rückbiegen des Wissens auf das eigene Selbst begriffen, das man Reflexion nennt. Wo diese Reflexion über die eigene Lage zum
ersten Durchbruch
gekommen
ist, kann
nicht zweifelhaft sein.
Verse wie die des Archilochos ϑυμὲ ϑύμ᾽ ἀμηχάνοισι κήδεσιν κυκώμενε εν γίγνωσκε δ᾽ οἷος ῥυσμὸς ἀνθρώπους ἔχει
zeigen, daß dieses Bewußtsein in der alten Lyrik erreicht ist, ohne daß das hier näher ausgeführt werden könnte?, Sicher ist es daher auch kein Zufall, daß wir die Wendung συνειδέναι ἑαυτῷ zuerst in der archaischen Lyrik antreffen. Dieses συνειδέναι ἑαυτῷ bezeichnet aber noch keine Regung des Gewissens. Für die Bezeichnung des Gewissens wird die Wendung erst wichtig, wenn sie nicht bedeutet: sich einer Lage, sondern sich einer Tat bewußt sein.
Das begegnet
uns erst im 5. Jahrhundert.
Es ist zunächst nicht einmal
1 Philol. Unters. 29, 24 u. 47. Das συνιέναι ist nicht ‘theroetisch’, sondern immer
auch ein praktisches Folgen und Gehorchen (cbda. 408.) und das ἐπιστασϑαι ein ‘Können’ 3 Das
(ebda. 82). habe
ich
kurz
skizziert in meinem
Buch
über Aischylos.
Vgl.
dazu
jetzt
auch R. Pfeiffer, Philologus 84, 137. — Auf die Ausführungen E.Wolffs, Gnomon 1929, 386ff. werde ich an anderer Stelle erwidern [vgl. u. S. 18].
Besprechung von F. Zucker, 'Syneidesis — Conscientia’
15
nötig, daß dabei die Tat moralisch gewertet wird. Hdt. 5, 91, 2 συγγινώσ-
κομεν ἡμῖν αὐτοῖσιν οὐ ποιήσασιν ὀρθῶς kann in dem Zusammenhang nur heißen: ‘wir sind uns dessen bewußt, daß wir es falsch angestellt haben’. Wenn die moralische Wertung mit anklingt, so ist es üblicherweise die schlechte Tat,
deren
man
sich ‘bewußt’
wird (und
es ist anzumerken,
christlicher Zeit überhaupt nur das schlechte Gewissen
daß in vor-
vorkommt
und
daß niemals das Gewissen als etwas Gutes und Erstrebenswertes genannt wird) — und so ist es auch in dem Satz des Euripides Orest 396: ἡ σύνεσις, ὅτι σύνοιδα δείν᾽ εἰργασμένος, von dem Zucker ausgeht. Die Geschichte dieser Wendungen zeigt also (was wir auch sonst verfolgen können), wie die Selbstbesinnung allmählich wächst und wie sie sich erst im 5. Jahrhundert auf die eigene “Tat’ richtet. Damit erst mündet die Untersuchung ein in die Frage nach der Entwicklung des Schuldbewußtseins und der Ethik. An
dieser Stelle muß
die Untersuchung
zurückbiegen
und fragen,
in welcher Form das, was man später als Gewissen empfand, dem frühen Menschen bewußt geworden ist. Zucker gibt den Ansatz zu dieser Betrachtung, indem er von den Erinyen spricht. Doch bleibt er bei dem Negativen, indem er (zunächst mit Recht) hervorhebt, daß man das Grauen vor den Erinyen nicht einfach mit dem ‘Gewissen’
gleichsetzen dürfe: „Es ist entscheidend zu verstehen, daß die
Erinyen nicht etwa Verkörperung der Gewissensqualen sind, die die bildhafte Phantasie des mythischen Zeitalters geschaffen hätte“ (5). Denn damit wäre das Gewissen in eine Zeit zurückprojiziert, in der es noch kein Gewissen gab. Und Zucker hebt richtig immer wieder hervor, daß wir uns hüten müssen, unsere Vorstellungen von subjektiven Empfindungen in die Interpretation des klassischen Griechentums hineinzutragen. Aber mit diesen Feststellungen ist noch kein positives Verständnis gewonnen. Denn es gilt auch das andere, daß in den Erinyen das gleiche Phänomen begriffen ist, das wir heute als Gewissen auffassen. Im Hinblick auf diese tiefere
Identität
wird
man
doch,
ohne
Mißverständnisse
befürchten
zu
müssen, trotz der Bedenken Zuckers gegen diesen Terminus von einer "Objektivierung des Gewissens’ im frühen Denken sprechen können — und erst dadurch eröffnen wir uns den Weg, die Entwicklung vom mythischen zum reflektierenden Bewußtsein zu verstehen. Denn wir können fremde geistige Haltungen nur dadurch verstehen, daB wir uns zunächst vergegenwärtigen, welche eigene Haltung der fremden entspricht. Es ist eine notwendige Arbeitshypothese, vorauszusetzen, daß die zugrunde liegenden seelischen Möglichkeiten die gleichen sind, daß sich nur ihre Ausdeutung im Bewußtsein, der Aspekt, unter dem sie angeschaut werden, ändert. Zucker dagegen weist nur zögernd auf solche Momente, „die wir als Gewissenssituationen und Gewissensentscheidungen bezeichnen würden“, und sieht nur ein „heuristisches Prinzip" darin, bei dem die Gefahr schon entsteht, daß wir „unsere Begriffe und unsere Werturteile
16
Besprechung von F. Zucker, "Syneidesis — Conscientia'
in die Antike hineintragen‘‘. Aber damit weicht er dem Problem des histo-
zischen Verstehens überhaupt aus. Denn
bei ihm führt die Forderung,
keine modernen Begriffe in die Antike zu tragen, dazu, daß das, was wir verstehen möchten, in unerreichbare Ferne entschwebt und uns nichts
bleibt als die Erbauung an der Distanz — und das ist das Gegenteil vom Verstehen.
Es hilft da gar nichts, als daß mit aller begrifflichen Schärfe
eben diese Distanz erfaßt wird, daß ganz kühl und prägnant beschrieben wird, worin die Unterschiede in den geistigen Voraussetzungen bei den Griechen und bei uns liegen. Erst so wird es möglich, den Kontakt wieder herzustellen und jetzt die Erscheinungen lebendig zu erfassen. Große Schwierigkeiten treten da allerdings schon in der Terminologie auf. Wenn wir etwa die Erinyen als “Objektivierung des Gewissens’ begreifen wollen, so sieht das aus, als ob der späte Zustand
(das Gewissen)
schon
vorausläge und nun gar noch ein neuer Akt (das Objektivieren) an ihm vollzogen würde. Doch sind diese Schwierigkeiten unvermeidlich. Schon daß wir, um eine uns fremde geistige Haltung zu begreifen, Wendungen aufnehmen müssen, die eine Contradictio in adjecto enthalten (Gewissen ist für uns subjektiv, es kann nicht objektiv auftreten), zeigt, daß
wir mit diesen Schwierigkeiten an die Grenzen der Sprache stoßen. Wir müßten schon einen gemeinsamen Ausdruck erfinden für das, was sich uns als Gewissen, den frühen Griechen etwa als Erinyen darstellt. Dadurch, daß wir die beiden Phänomene in ihrer Einheitlichkeit fassen, also dadurch,
daß wir (unvollkommen genug) diese mythischen Figuren als Äußerungen des ‘Gewissens’
begreifen, gewinnen wir auch erst die Möglichkeit, von
einer Entwicklung des Gewissens bis zu dem ‘eigentlichen’ Gewissen zu sprechen (wobei natürlich die Verpflichtung entsteht, beschreibend die verschiedenen Stadien voneinander abzugrenzen)— während Zucker folge-
richtig nicht einmal den Versuch macht, hier eine Brücke zu finden, sondern einfach die beiden Stadien unverknüpft nebeneinanderstellt. Das an sich schöne Streben, den Abstand des griechischen Empfindens von unserem
eigenen zu betonen, führt hier dazu, daß eine historische Deutung unmöglich wird. — Eine Geschichte des Gewissens würde übrigens außer den Erinyen auch noch andere ‘objektive’ Äquivalente des Gewissens in der
frühen Zeit verfolgen müssen. Denn die Erinyen entstehen nur aus vergossenem Blut; aber auch bei kleineren Vergehen ließen sich Objektivie-
rungen des Gewissens feststellen: in der Schmach und der Schande, und es wäre zu untersuchen, wie allmählich subjektivere Formen der Besinnung auf eine schlechte Tat entstanden in der Scham und der Reue und wie
erst langsam im voll entwickelten reflektierenden Bewußtsein die συνείδησις auftrat!, Auf den tiefsten Punkt des ganzen Problems würden wir jedoch 1 [Dazu jetzt vor allem E. R. Dodds, The Greeks and the Irrational, 1951, Kap. 2: From Shame-Culture to Guilt-Culture. S. auch: Scenes from Greek Drama Kap. 1: Shame and Guilt.)
Besprechung von F. Zucker, 'Syneidesis — Conscientia’
17
auch hier erst mit der Frage stoßen, welche Verschiebung in dem Verháltnis zwischen Handeln und Reflexion dieser Wandel darstellt; so erst würde klar werden, warum es bei Homer kein Schuldbewußtsein und
damit kein Gewissen geben kann. An einem Beispiel sei das kurz illustriert: Als Agamemnon im I der Ilias von Nestor zur Rede gestellt wird, daß er den Zorn des Achill hervorgerufen hätte, antwortet er: 115
ὦ γέρον, οὔ τι ψεῦδος ἐμὰς ἄτας χατέλεξας.
ἀασάμην, οὐδ᾽ αὐτὸς ἀναίνομαι... 119 ἀλλ᾽ ἐπεὶ ἀασάμην φρεσὶ λευγαλέῃσι πιϑήσας, ἂψ ἐϑέλω ἀρέσαι δόμεναί τ᾽ ἀπερείσι᾽ ἄποινα. Agamemnon weiß, daß er falsch gehandelt hat, aber trotzdem gibt er nicht ‘sich’ die Schuld, sondern er ist seinem ‘kläglichen Herzen’ gefolgt. Eine nähere Untersuchung über ϑυμός, φρένες usw. und über ihr Verhältnis zum Ich bei Homer würde zeigen, daß niemals bei Homer das charakteristische Zurückbiegen des Gedankens erwähnt wird, das wir Reflexion nennen und das wir bei der Wendung συνειδέναι ἑαυτῷ gefunden haben. Wohl kann der Mensch auf seinen ϑυμός und auf seine φρένες 'reflektieren', aber nicht auf sich selbst, noch können natürlich der ϑυμός und die φρένες auf sich selbst reflektieren. Denn ϑυμός und φρένες sind nicht Teile eines
als Einheit gefaßten geistigen Ich, sondern Organe des Menschen, grob gesprochen: richten. — Agamemnon τιν᾽ ἄλλον fj
wie Hände, Augen usw., die An späteren Wendungen, die an anklingen (etwa an Arschilochos ἄτη κιχήσατο. Aisch. Pr. 266 ἑκὼν
bestimmte Funktionen verdie angeführten Worte des Fr. 73 Ὁ. ἤμβλακον, καὶ πού ἑκὼν ἥμαρτον, οὐκ ἀρνήσομαι),
ließe sich leicht der gleiche Wandel in der Besinnung des
Menschen über
sich selbst aufweisen,
verfolgt
den wir an dem
συνειδέναι
ἑαυτῷ
haben.
Auch hier würde sich zeigen, wie der Mensch erst allmählich bewußt den Blick auf sich selbst richtet und wie er erst im 5. Jahrhundert Handeln, auf die eigene Tat reflektiert.
2
8496
Snell, Ges. Schriften
auf sein
DAS
BEWUSSTSEIN IM
Gegen
VON
FRÜHEN
die Kritik kann
man
EIGENEN
ENTSCHEIDUNGEN
GRIECHENTUM sich nach Goethes
Wort weder schützen
noch wehren, und es bleibt nichts, als ihr zum Trutz zu handeln. Wenn ich deshalb hier, veranlaßt durch die Rezension, die meinem Versuch über
Aischylos
(Philol.
zuteil geworden
Suppl.
XX 1) durch
ist, noch einmal
E. Wolff im
auf die Frage
Gnomon
zurückkomme,
1929, 386 wann
die
Griechen ein Bewußtsein von eigenen Entscheidungen gewonnen haben, so will ich mich nicht darüber entrüsten, von der Verständnislosigkeit de haut en bas traktiert zu sein, sondern nehme die Mißverständnisse
nur
zum Relief, um die Grundfrage meiner Arbeit weiter zu behandeln, und nutze gern den Vorteil, der darin liegt, daß man die eigene Ansicht gegen eine andere setzen kann, anstatt nur von sich aus etwas hinstellen zu müssen.
Ich habe in meinem Buch zurückgegriffen auf Probleme, die unter dem deutlichen Einfluß Herders im Kreis der deutschen Romantik (bei Hegel und Schelling, aber auch bei Hölderlin etwa oder Kleist) aufgeworfen sind, die bei Nietzsche wieder eine zentrale Stellung einnahmen, die aber in der eigentlichen Philologie kaum angerührt sind. Es handelt sich kurz gesagt darum,
in welcher Relation das Bewußtsein
des Menschen,
die Reflexion,
zu seinem Handeln steht. Ich untersuche, was die Griechen jeweils am menschlichen Handeln bewußt gesehen haben und wie dieses Bewußtsein
auf das Handeln
zurückgewirkt
hat. Um
diese Untersuchung
historisch
fruchtbar zu machen, d.h. um exakte (beweisbare oder widerlegbare) Resultate zu gewinnen, bin ich von der negativen Fragestellung ausgegangen, welche Art des Bewußtseins vom eigenen Handeln die frühe Zeit noch nicht gehabt hat. Dabei stellte sich heraus, daß bei Homer niemals eine persönliche Entscheidung, eine bewußte Wahl, am handelnden Menschen bemerkt wird, daß also niemals ein Mensch, vor dem sich verschiedene
Möglichkeiten auftun, das Bewußtsein hat: es kommt
jetzt auf mich an,
wozu ich mich entschließe. Von einer ernsthaften Kritik wäre zu erwarten,
daß sie auf diese Frage eingeht. Anstatt dessen imputiert mir Wolff, ich behandelte die Entwicklung der „ethischen Entscheidungen''!; indem er so das Problem verengt und durch die Einführung des ,,Ethischen** moderne Begriffe hineinschiebt, zeigt er von vornherein, daß er nicht verstanden 1 388; „S. denkt offenbar (!) nicht an solche, verhältnismäßig reibungslos sich vollziehende Wahlen des Vorteilhafteren ..., sondern an große ethische Willenswahlen'' usw.
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
hat, wovon
ich spreche.
Er muß
sich dann
auch wundern,
19
daß
die von
mir behandelten Stellen aus Homer nicht zu dem Thema passen, das er mir unterschiebt!. Ich habe absichtlich die verschiedensten Beispiele gewählt, in denen ein Mensch ganz einfach im Zweifel ist, was er tun soll. Ob dieser Zweifel sich auf das Praktisch-Zweckmäßige bezieht oder auf „Ethisches“,
ob er durch eine äußere Situation hervorgerufen wird oder durch das, was wir „innere“ Regungen nennen, ist dabei gleichgültig. Das wichtige ist lediglich, daß solche Zweifel bei Homer nirgends mit dem Bewußtsein gelöst werden, daß der Zweifelnde selbst an der Lösung aktiv beteiligt ist. Wolff kommt
der
eigenen
gischen‘
zu seinem Mißverständnis dadurch, daß das Bewußtsein von
Entscheidung
Entscheidungen,
natürlich erwacht und
daß
die
an besonders
ersten
großen
Entscheidungen,
„tra-
die wir
feststellen können, um Fragen des Rechts gehen. So kommt ihm gar nicht in den Sinn, daß Entscheidungen tun zu haben brauchen, sondern
nicht notwendig etwas mit „Ethik“ zu daß sie eine bestimmte Form sind, in
der sich ein Mensch sein Handeln vorstellen kann, daß also mit der Frage nach den Entscheidungen nicht nach dem „Ethischen“, sondern nach dem
Bewußtsein vom Handeln überhaupt gefragt wird; und natürlich ist es umgekehrt nicht notwendig zu denken, die Menschen seien unmoralisch gewesen, als sie noch nicht das Bewußtsein eigener Entscheidungen hatten. Einer späten Zeit freilich ist es selbstverständlich, daß der sittliche Mensch als solcher sich bemüht, das Gute zu finden; darum kann aber doch Recht und Anstand herrschen, wenn auch beides nicht als frei wählbares Ziel
dem Menschen vor Augen steht, ja es kann sich sogar eine ernste Reflexion über das Recht entwickeln, ohne daß der Mensch das Bewußtsein eigener Entscheidungen hat. Diese vorläufigen Bemerkungen sollen nur das eine klarstellen, daß der Begriff der Entscheidung zunächst ferngehalten werden muß von allen Fragen der Ethik. Wenn Wolff beides vermengt, so ist schon der Ansatzpunkt seiner Kritik verfehlt. Trotzdem gehe ich gern auf die von ihm gewählten Beispiele aus Homer ein, um an konkreten Fällen zu zeigen, wie eine naive Interpretation immer gerade das von außen hineinträgt,
was in den homerischen Gedichten nicht steht. So werden, wodurch sich die homerischen Anschauungen ten unterscheiden. Daß sich eine „ethische Entscheidung‘ bei Homer vollzieht wie bei Aischylos, sucht Wolff zu beweisen
wird desto deutlicher von den uns gewohnin der gleichen Form durch einen Vergleich
1 392,1: „Die übrigen Beispiele, die S. beibringt, . . . scheiden für seine (I) Frage
nach der Gestaltung einer ethischen Entscheidung bei Homer von vornherein aus. Es dürfte schwer sein zu sagen, was ihnen gemeinsam ist, es sei denn, daß sie alle keine ethischen Entscheidungen sind.“ Das ist die Methode jenes Schützen, dessen Pfeil immer
mitten in der Scheibe saß, weil er jeweils
er getroffen hatte, sich selbst eine Scheibe malte. 2*
um
den Punkt herum, den
20
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
von A 401 mit schiede, die für und betrachtet allmáhlich die
Hik. 468 und Ag. 192. Wolff läßt hier die „feineren Unterdie ethische Beurteilung der Wahl wichtig sind‘, beiseite nur „den Grundriß des Aufbaues‘“, wie aus der Áporie Bestimmtheit hervorwáchst, und mit Recht betont er da
eine bestimmte Gleichartigkeit. Aber daß Aischylos in gewissen äußeren Formen der Schilderung mit Homer übereinstimmt, ist doch nicht merkwürdig. Was soll das überhaupt beweisen? Das Wichtige, das bei Aischylos neu ist, übersieht Wolff dafür ganz. In der Szene des Agamemnon wird die „Entscheidung“ folgendermaßen gedeutet: ἐπεὶ δ᾽ ἀνάγκας ἔδυ λέπαδνον φρενὸς πνέων δυσσεβῇ τροπαίαν ἄναγνον ἀνίερον, τόϑεν τὸ παντότολμον φρονεῖν μετέγνω. Damit wird der Entschluß des Agamemnon hingestellt als seine eigene Tat, er selbst hat das Joch der Notwendigkeit auf sich genommen, er hat seinen Geist umspringen lassen auf das Gottlose, er bat seinen Sinn geändert zum Frevel. Und weiter heißt es: ἔτλα δ᾽ οὖν ϑυτὴρ γενέσθαι". Diese eigene Leistung des Sich-Entschließens, die hier in immer neuen Wendungen bezeichnet wird, ist etwas, das Homer auch nicht ein einziges
Mal erwähnt. Ähnlich unterscheidet sich die Pelasgos-Szene der Hiketiden von
allem
Homerischen.
Ausführlich
ist dargestellt,
wie
der
König
„in
die Tiefe“ denkt (407)?, um mit „klarem Auge‘ das Rechte zu finden, wie es ihm eine schwere persönliche Aufgabe ist, zum Entschluß zu gelangen. Das leidende Ringen im Bewußtsein eigener Verantwortung, das schmerzende Wissen, daß von der eigenen persönlichen Entscheidung die Zukunft nach der einen oder der anderen Seite gewendet wird — all das ist Homer schlechthin fremd. Stellen wir daneben
den Odysseus
aus dem
A 404:
„& μοι ἐγώ, τί πάϑω; μέγα μὲν κακόν, al κε φέβωμαι πληϑὺν ταρβήσας, τὸ δὲ ῥίγιον, αἴ χεν ἁλώω μοῦνος" τοὺς δ᾽ ἄλλους Δαναοὺς ἐφόβησε
Κρονίων.
ἀλλὰ τί 3] μοι ταῦτα φίλος διελέξατο ϑυμός; οἷδα γάρ, ὅττι κακοὶ μὲν ἀποίχονται πολέμοιο, ὃς δέ x’ ἀριστεύῃσι μάχῃ ἔνι, τὸν δὲ μάλα χρεώ ἑστάμεναι κρατερῶς, ἢ τ᾽ ἔβλητ᾽ ἤ τ᾽ ἔβαλ᾽ ἄλλον.“ εἶος ὁ ταῦϑ᾽ ὥρμαινε κατὰ φρένα καὶ κατὰ ϑυμόν κτλ. 1 Vgl. mein Buch 24. 3 Es fehlt bei Homer überhaupt noch die Auffassung von der ,,Tiefe'* des Geistes
und des Wissens. Das Wissen geht auf die Fülle (vgl. darüber Philol. Unters. 29, 67. und mein Aischylos-Buch 49 u. 68). An Stelle der alten Worte πολύφρων, πολύkr, πολύιδρις usw. treten erst seit der Lyrik wie βαϑύφρων (Solon 23, 1 D., Pindar N. 7, 1), βαϑύβουλος (Aisch. Pers. 142), βαϑύνοος usw.— βυσσοδομεύω bei Homer
hat nur Objekte wie κακά, δόλον — die Tiefe ist hier also nur das Versteckende. — T 125 τὸν δ᾽ ἄχος ὀξὺ κατὰ φρένα τύψε Badelav „traf ihn tief ins Herz“ vergleiche man mit Pindar N 4, 8 ῥῆμα. . ὅτι κε σὺν Χαρίτων τύχᾳ γλῶσσα φρενὸς ἐξέλοι βαϑείας.
Vor allem Heraklit
spricht von der „Tiefe“ des Geistes. In klassischer Zeit tritt
diese Vorstellung wieder zurück. [Vgl. Entdeckung, 37.]
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
21
Hier wird geschildert, wie Odysseus zwei schlimme Möglichkeiten vor sich sieht. Von einem eigenen geistigen Bemühen, zur Lösung zu kommen, oder gar von der persönlichen Leistung des Entschlusses ist mit keinem Worte die Rede. Wolff freilich erklärt: „Indem Odysseus sich auf die eigene Arete besinnt, ist der Willensakt des Entschlusses bereits vollzogen, die
Wahl getroffen.“ Sicher, wir würden den Vorgang so deuten. Aber halten wir uns doch an die Worte Homers: Nichts steht davon da, daß Odysseus sich auf die eigene Arete besinnt; mit keinem Wort wird das auch nur angedeutet — und gerade darauf kommt alles an. Odysseus sagt: „Ich weiß,
daß die Schlechten
fliehen, daß es aber für den Edlen
Notwendig-
keit ist, auszuharren." Diese Sentenz gibt nicht eine Reflexion auf das persónliche Verhalten, sondern auf eine objektive Norm!. Diese objektive Norm hält den Odysseus. Uns ist es allerdings selbstverständlich, in solchen Situationen einen Willensakt oder eine Entscheidung zu sehen. Homer jedoch sieht nur das διάνδιχα μερμηρίζειν oder das ὁρμαίνειν κατὰ 9uuóv
usf., aber
niemals
führt
das
zu
einem
tieferen
Nachdenken,
zu
einem bohrenden Grübeln. Niemals spürt man etwas von einer Änstrengung, von einer Intensität des Denkens, sondern klar geschieden stehen die beiden Möglichkeiten vor dem Menschen, und er kann nur schwanken zwischen den beiden, er kann hin- und herdenken und zweierlei erwägen — das Gefühl, das dabei entsteht, ist immer nur das der peinlichen Unsicherheit —, aber nirgends, nicht an einer einzigen Stelle bei Homer wird dieses
Sinnen in die Tiefe getrieben, um eine eigene Entscheidung zu erzwingen, und nirgends lastet auf dem Helden das Bewußtsein, daß es auf seine Person bei der Wahl ankommt. Niemals ist also die Entscheidung bei Homer in das Innere des Menschen verlegt, und ich konnte darum mit Recht sagen, daß eine Entscheidung immer nur durch ein Außen herbeigeführt wird. Die Formen, in denen das geschehen kann, sind recht verschieden: die einfachste ist, daß der eine der zur Wahl stehenden Gegenstände den stärkeren Reiz ausübt, daß er ‚als der Bessere erscheint“ (es ist zu beachten, daß in den häufigen Formeln: δοάσσατο κέρδιον εἶναι, ἀρίστη φαίνετο βουλή, immer das Ding, das den Anreiz gibt, Subjekt ist, nicht aber der „Wählende‘‘)
— in der tieferen Erregung greift die Gottheit entscheidend ein?. An der 2 Schadewaldt,
Monolog
und
richtig „die archaische Form
Selbstgespräch,
des Wertedenkens'*.
1926,
205
nennt
die
Gnomen
Darin liegt eben, daß der Wert
der frühen Zeit etwas Feststehendes, Allgemeines, Objektives ist, nicht aber etwas vom eigenen Denken Gesuchtes. | 3 Darüber handelt jetzt sehr schón W. F. Otto, Die Gótter Griechenlands, 1929,
222fl. — Schon in meinem Aischylos-Buche konnte ich auf eine im Entstehen begriffene Dissertation hinweisen, die alle für diese Probleme wichtigen Stellen bei Homer ausführlich behandelt.
[Chr. Voigt,
Ich verzichte
Überlegung
und
daher auch hier auf eine weitere
Entscheidung,
Menschen bei Homer, Berlin 1933.]
Studien
zur
Darlegung.
Selbstauffassung
des
22
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
angeführten Stelle aus dem A wird mit keinem Wort erwähnt, daß Odysseus sich entschloß, daß er wählte, auszuharren. Es überrascht uns, daß 420 einfach erzählt wird, wie er „zuerst den trefflichen Deiopites mit der Lanze
traf“, und so geht es fort in der Schilderung. Wolff hätte mit seiner Beschreibung: „Der Willensakt des Entschlusses ist bereits vollzogen, die Wahl getroffen", vollkommen recht, wenn er damit nur meinte, daß das, was wir Willensakt nennen würden, rein passiv „vollzogen worden‘ ist, ohne
daß es ins Bewußtsein trat. Es ist dem Odysseus passiert, daB er entschlossen war,
als ihm
die Norm
der Arete
bewußt
wurde.
Auf
keinen
Fall aber
können wir sagen, daß Odysseus mit eigener Entscheidung, d. h. bewußter Entscheidung, den Konflikt gelöst hätte. Man darf sich nicht damit hinausreden, diese Lösungen des menschlichen Schwankens wären gleichbedeutend mit EntschlieBungen, diese seien damit „gemeint“. Das metaphysische Geschehen, das dahinterliegt, ist dem Erkennen unzugänglich. Aufweisbar sind nur die verschiedenen Formen, in denen diese transzendente Tatsache aufgefaßt und gedeutet wird: da haben wir auf der einen Seite die homerische Deutung als Eingriff der Gottheit usw. und auf der anderen Seite die moderne Deutung als Entscheidung. Wolff freilich steht in der ganzen Rezension auf dem Standpunkt eines naiven Realismus und hält sich an das, was er für feststehende Facta hält. Es erübrigt sich aber wohl, hier von Kant oder Humboldt zu sprechen. Nur auf die Ausdeutung der inneren Vorgänge und auf die Form, in der sie dem Menschen bewußt und sprachlich formulierbar werden,
Homer
kommt
es hier an. Und
die Tatsache,
eine wirkliche Entschließung
daß kein einziges Mal
bei
erwähnt wird, läßt sich schlechter-
dings nicht anders erklären, als daß sie dem Menschen noch nicht bewußt
geworden ist, daB er sie nicht gesehen hat. Man mag sagen, daß diese Form der Darstellung gefordert sei durch den „epischen Stil“. Nur hüte man
sich dann, diesen Begriff so eng zu fassen, wie es etwa in der Poetik
des 18. Jahrhunderts geschah, und ein bewußt gewähltes Kunstmittel darin zu erblicken. Für Homer ist dieser Stil vielmehr notwendiger Ausdruck einer bestimmten geistigen Form; erklärbar ist also nicht die Auffassung psychischer Vorgänge aus den Erfordernissen einer epischen Technik, sondern umgekehrt der epische Stil aus der besonderen Lage des Bewußtseins (— wozu übrigens noch mancherlei zu sagen wäre). Es bedarf freilich einiger Geduld, sich in den homerischen Geist einzufühlen, und — etwas guten Willens. 1410
erzählt Achill:
„Meine
Mutter
Thetis
sagt,
ich
trüge
ein
zwei-
faches Todeslos; wenn ich weiter um Troja kämpfe, geht mir die Heimkehr verloren, aber ich werde ewigen Ruhm haben. Kehre ich aber heim, geht mein Ruhm verloren, aber ich werde ein langes Leben haben.“ Wolff fragt: „Was hätte denn überhaupt das Aufstellen dieser Alternative für einen Sinn, wenn nicht eine Wahl daran geknüpft ist?“ Als ob nicht gerade
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen darin
das
Problem
läge.
Und
wenn
er meint:
23
„Sollte Achill
keine Wahl
haben, dann hätte die Weissagung nicht anders lauten können als: er werde vor Troja bleiben, sich unvergänglichen Ruhm erwerben, aber einen frühen Tod
finden“, so zeigt das nur, wie es dem
modernen
Denken
schwerfällt,
im Gegensatz zum starren Schicksal etwas anderes anzunehmen als den freien Willen. Aber eine tiefere Überlegung, die nachzufühlen versucht, was bei Homer wirklich steht, wird bald sehen, daß es sich hier nicht um eine
Freiheit der Wahl die
einerseits
handelt!, sondern um
offenstehen,
andererseits
die Möglichkeiten des Lebens, aber
doch
bestimmt
sind,
und
zwar bestimmt auf eine bedeutsame Weise: mit jedem Großen, das Achill zufällt (der Ruhm oder das lange Leben), ist ein großer Mangel gegeben (der frühe Tod oder die Ruhmlosigkeit). Gelingt dem Leben nach einer Seite hin etwas Besonderes, so muß es sich nach der anderen Seite hin schwächen. Ich dáchte, der Gedanke, der sich darin ausspricht, ist schön
und tief genug, auch ohne daß man spätere Gedanken von Wahl und Entscheidung hineintrágt. Und wenn die Geschichte sinnvoll ist, so wie wir sie bei Homer lesen, und wenn wir ihren Sinn gar mit der homerischen Sentenz umschreiben können: ἀλλ᾽ οὔ πως ἅμα πάντα ϑεοὶ δόσαν ἀνθρώποισι, so dächte ich, sollten wir es dabei bewenden lassen? Wenn Wolff behauptet (391f), die Wahl des Achill vollzóge sich später tatsächlich in zwei Etappen,
„im I (643 ff.) entschließt sich Achill unter dem
Eindruck der Reden des Phoinix und Aias freiwillig, vor Troja auszuharren, wenn
auch
nicht
selbst am
Kampfe
teilzunehmen,
obwohl
er weiß,
daß
damit sein früher Tod entschieden ist, und im Σ (96f.) tut er, ebenso freiwillig, den letzten Schritt‘ usw., so ist das wieder lediglich moderne Ausdeutung und damit Verfälschung dessen, was bei Homer steht. Davon, daß Achill bewußt seinen Tod wählt, deutet Homer aber auch nicht das Geringste an. Es stimmt auch nicht, daß Achill sich ‚freiwillig entschließt‘, in Troja zu bleiben; er wird überredet, „umgebogen“, von außen bestimmt. Phoinix spricht das deutlich aus: στρεπτοὶ δέ re καὶ ϑεοὶ αὐτοί (497), „auch die Götter lassen sich umstimmen“, so soll auch Achill sich umstimmen
lassen. (Das technische Wort dafür ἐπιγνάμπτειν steht 514.) Phoinix erzählt noch die Geschichte des Meleager, den man auch in seinem Zorn nicht „überreden“
konnte (587), der schließlich aber doch
nachgab.
Auch
hier
ist alles auf die Frage gestellt, ob sich Meleager bestimmen läßt oder nicht, ! [Weiteres über die „Wahl“ Achills s.Scenes from Greek Drama 1ff. und u. S. 56.] * Wer doch nach modernen Parallelen dieses Gedankens sucht, sei etwa an Goethes Gedicht „Metamorphose der Tiere‘ erinnert. Dadurch wird zugleich klar,
daß es sich hier um ein Gesetz des organischen Lebens, nicht aber um ein ethisches Problem handelt. —
Wolff meint S. 392, man
könnte
die genannte
Sentenz eben-
sogut wie auf den homerischen Achill so auf den aischyleischen Pelasgos und Agamemnon anwenden, die jeweils eins von zwei Übeln wählen müssen. Hört er nicht,
wieviel trivialer die Sentenz in solchem Zusammenhang wird?
24
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
aber nicht wird die Situation von der Aktivität des Meleager aus angeschen, nirgends
heißt
es,
daß
er sich
entschloß,
wählte
oder
dergleichen.
Die
Rede des Phoinix bewirkt, daß Achill sagt (619): ἅμα δ᾽ foi φαινομένηφι φρασσόμεϑ᾽,
$ xe νεώμεϑ᾽
ἐφ᾽ ἡμέτερ᾽, A κε μένωμεν.
Damit
ist wieder
der
Punkt erreicht, den wir auch oben in der Szene des A bei Odysseus getroffen haben und der so häufig bei Homer geschildert wird, daß die zwei Möglichkeiten zur Erwägung stehen: Achill beharrt nicht mehr fest auf seinem Standpunkt, sondern ist sich des doppelten Weges bewußt, der vor ihm liegt. Für unsere Frage das Entscheidende ist, in welcher Form dieser Zwiespalt gelöst wird: nach der kurzen Rede des Aias sagt Achill — für unser Empfinden recht unvermittelt 649: „Geht und meldet, ich werde
nicht eher am Kampfe teilnehmen, bis Hektor an den Zelten und Schiffen der Myrmidonen ist. Damit ist implicite der Entschluß zu bleiben kundgetan, aber auch hier ist der Akt des Sich-Entscheidens wieder unbemerkt
vorübergegangen,
genau wie in der Szene des A. Es wird nicht einmal
ausdrücklich erwähnt, daß Achill bleiben wird. Wir finden Achill lediglich in einer neuen Situation. Der psychologische Übergang von der früheren geistigen Haltung zur späteren ist mit keinem Wort gekennzeichnet. Dieser psychologische Vorgang interessiert gar nicht — und das heißt mit anderen Worten, daß er für den homerischen Menschen nicht da ist. Daß wir diesen
Vorgang dem
selbstverständlich als Entscheidung interpretieren, darf nicht zu
Einwand
verleiten, es hätte solche Vorgänge
wie „Entscheidungen“
doch selbstverständlich gegeben. Ich habe schon gesagt, daß das ein naiver Realismus wäre, der nicht bedenkt, daß psychische Vorgänge uns nur greifbar sind in den Formen, in denen wir sie denken. Welcher „Vorgang
an sich‘, wenn man so sagen darf, hinter den verschieden gearteten Aspekten steht, ist für unsere historische Frage belanglos. Hier kommt es nur darauf an, den Unterschied in der Auffassung, in der Interpretation dieser Vorgänge möglichst
scharf zu bestimmen:
der liegt darin, daB es für Homer
keine Entscheidungen gibt.
Ähnlich wie im I ist es im Σ an der zweiten Stelle, die Wolff zum Beweise heranzieht.
Nachdem
Achill vom Tode des Patroklos gehört hat, finden
wir ihn plötzlich in der Situation, daß es für ihn feststeht, zu kämpfen— und damit auch zu sterben. Davon,
daß er sich dazu entschlösse,
hören
wir wiederum nichts, und vollends von der Wahl, zu sterben, um Ruhm zu gewinnen oder um das Rechte zu tun, ist hier sowenig die Rede wie
irgendwo sonst. Dieses tragische Pathos des aischyleischen Eteokles oder Orest ist dem homerischen Achill fremd. Die Stelle ist charakteristisch genug, um sie ausführlicher zu besprechen. Achill sagt zu seiner Mutter 88: νῦν δ᾽, ἵνα καὶ σοὶ πένϑος ἐνὶ φρεσὶ μυρίον εἴη παιδὸς ἀποφϑιμένοιο, τὸν οὐχ ὑποδέξεαι αὖτις οἴκαδε νοστήσαντ᾽, ἐπεὶ οὐδ᾽ ἐμὲ ϑυμὸς ἄνωγεν
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
25
ζώειν οὐδ᾽ ἄνδρεσσι μετέμμεναι, at κε μὴ "Excop πρῶτος ἐμῷ ὑπὸ δουρὶ τυπεὶς ἀπὸ ϑυμὸν ὀλέσσῃ, Πατρόκλοιο δ᾽ ἔλωρα Μενοιτιάδεω ἀποτίσῃ. Für Achill ist es jetzt selbstverständlich, daß er den Patroklos rächen und Hektor
töten
muß.
Es
ist auch
deutlich,
daß
da nicht
ein „Entschluß“
oder eine „Entscheidung“ zugrunde liegt. Der Tod des Patroklos hat ihn unmittelbar umgestimmt; will man schon moderne psychologische Begriffe verwenden, so mag von einem spontanen Gefühl der Rache und der Freundestreue sprechen. Besonders wichtig aber ist, in welcher Form hier Achill auf die andere Möglichkeit, nämlich nicht zu kämpfen, sondern weiterzuleben,
reflektiert;
er sagt,
daß
sein ϑυμός
ihm
nicht befiehlt zu leben.
Er sieht also in der Lösung der Unsicherheit zwischen den beiden Möglichkeiten nicht die Wahl der einen Möglichkeit, sondern das Schwinden oder Nichtvorhandensein der anderen. Seiner festen und einheitlichen Haltung tritt der ϑυμός nicht mit etwas anderem entgegen. Auch hier ist es recht schwierig, sich ganz einzuleben in die homerischen Anschauungen!. Aber worauf es hier ankommt, ist auch so zu schen: daß wir keine Entscheidung Achills vor uns haben. Nach diesen ausführlichen Bemerkungen bietet die letzte Homerinterpretation von Wolff nur noch kurzen Stoff zu neuen Erörterungen, nämlich der
versuchte
Nachweis
(395f.),
daß
Hektor
in der Ilias ein „tragischer
Held‘ sei und durch „tragische Schuld" zugrunde gehe. Wolf gründet seine Behauptung darauf, daß der Seher Pulydamas nach dem Tode des Patroklos dem Hektor geraten hat, nicht vor der Stadt zu lagern. Am folgenden
Tag
sieht Hektor
ein, daß
es „besser
gewesen
wäre‘
(X 103),
dem Pulydamas zu folgen; durch seine ἀτασϑαλίαι hätte er jetzt das Volk ins Verderben gebracht und müßte sich nun vor den Troern schämen. Ich sehe
wirklich
nicht,
warum
es eine
,,tragische'"
Schuld
sein
soll
wenn
jemand durch seine Torheit Unglück über sich und seine Stadt gebracht hat?*. 1m allgemeinen nennt man das eine ganz gewöhnliche Schuld. Dagegen 1 Um sie ganz verständlich zu machen, wäre eine längere Erörterung darüber notwendig, in welchem Verhältnis der ϑυμός bei Homer zum Menschen steht. Und dies wieder würde nur zu klären sein von der Feststellung aus, daß bei Homer der Mensch noch nicht als geistige Einheit aufgefaßt wird, daß keine Einheit der Seele oder des Geistes besteht (wie etwa bei Platon die ψυχή verschiedene Teile hat), sondern daß die ,,Seelenteile bei Homer als verschiedenartige Organe gefaßt werden, nicht wesentlich anders als die leiblichen Organe: Hände, Füße usw. Daraus erklärt es sich, daß der Mensch zu seinem ϑυμός sprechen kann wie zu seiner Hand, daß
er von seinem ϑυμός getrieben werden
kann wie von etwas, das außerhalb
des
eigentlichen Ich steht. Eben daran liegt es auch im tieferen Grunde, daß es nicht zu wirklichen Konflikten und Spannungen und zu ihren Lösungen aus einem einheitlichen Geist heraus kommen kann. * Bei Wolff hört es sich τραγυκώτερον an, ist aber doch darum dasselbe: „Hektor
unterliegt einem Verhängnis, das er selbst durch seine ἀβουλία heraufbeschworen
26
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
habe ich, als ich Hektor die Tragik absprach, deutlich gesagt, was ich unter Tragik verstehe — und es ist ein eigentümliches Verfahren, in einer Kritik ein einzelnes Wort herauszugreifen und ihm nach eigener Willkür einen
neuen
Sinn
unterzuschieben.
S. 83 bei mir
steht:
„Hektor
hat nie
in einem Konflikt gestanden ... ihm fehlt jede Auflehnung gegen die Notwendigkeit“, und darum solle man seine Lage nicht tragisch nennen. Und wenn man sich daran hält, was im Deutschen seit Schiller unter Tragik verstanden wird, so gehórt dieses Moment des Konfliktes notwendig zum Tragischen. Der Konflikt fehlt aber auch an der von Wolff angeführten Stelle von Hektor und Pulydamas — und die rhetorische Frage: „Was ist tragische Schuld, wenn dies keine ist?“ ersetzt die fehlenden Argumente nicht. Aber man muß noch weiter gehen. Nicht einmal von einer Schuld Hektors darf man sprechen, denn Schuld fassen wir leicht zu eng moralisch!. Bei Hektor dagegen ist die Torheit hervorgehoben. Es ist wieder ein Hineintragen spáterer Gedanken, wenn wir diese Torheit ohne weiteres mit Schuld gleichsetzen. Nur an wenig Stellen Homers ist Torheit auch wirkliche Schuld, bei den leichtsinnigen Toren wie Aigisth oder den Gefährten des Odysseus?. In bezug auf diese habe ich gesagt, daß Homer die Rechnung von Schuld und Torheit bei den Großen nicht aufstellt, daB dies vielmehr erst in der Tragódie geschehe. Im allgemeinen ist man
sich heute gottlob einig, daß man Homer nicht mit ethischen Begriffen interpretieren soll — das führt nur zu Mißverständnissen. Oder fürchten wir um
Homers
Größe,
wenn
wir nichts „Ethisches“
an ihm
finden,
an
dem wir uns erbauen kónnen?
Die zweite Frage meines Buches war, wie sich die Auffassung des Handelns bei den Griechen in den Verben für Tun usw. ausdrückt. Wenn ich im Bestreben, die Besonderheiten des Verbums δρᾶν gegen πράττειν und ποιεῖν móglichst deutlich abzugrenzen, manches überspitzt habe, so sieht Wolff wieder nicht, in welcher Absicht das geschehen ist, und so trifft auch das,
was er dagegen vorbringt, wieder nicht die von mir aufgeworfenen Fragen. Zunächst die Verbreitung von δρᾶν: Wolff nennt es „nichts als eine vage Vermutung", daß ich skeptisch bin gegen die gewissen Dorer, von denen Aristoteles erzählt, sie hätten behauptet, die Dorer nennten die περιοικίδας hat; er muß leiden, weil er, platonisch gesprochen, nur aus θράσος, nicht aus ἀνδρεία μετὰ φρονήσεως gehandelt hat.'* Von einer so banalen und verwaschenen Auffassung des Tragischen aus tut Wolff dann stolz gegen „jenen naheliegenden, aber trotzdem
irrtümlichen Gedanken ... tragisches Geschehen und tragische Schuld sei erst in dem literarischen Genos gestaltet worden, von dem der Begriff des "Tragischen' abgeleitet ist“. 1 Daß Wolf das im besonderen Maße noch eine kurze Bemerkung.
tut, zeigt er 399f. Darüber
zum
Schluß
* Vgl. W. Jaeger, SBB 1926, 73, der nachweist, daß diese Gedanken zur spätesten Schicht des Epos gehören.
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen χώμας,
die Athener
aber δήμους,
und
die Dorer
bezeichneten
27 das
ποιεῖν
mit δρᾶν, die Athener aber mit πράττειν. Dabei sind beide Angaben in dieser Form notorisch unrichtig. Wir kennen δῆμοι im Peloponnes und κῶμαι in Attika (5. Swoboda RE. Suppl. ΙΝ 951, 20), wir finden πράττειν auf einer Fülle dorischer Inschriften und in dorischen Eigennamen. Dagegen fehlt δρᾶν auf allen dorischen Inschriften und in der immerhin ganz beträchtlichen
Literatur,
die zwar
dorisch,
aber nicht attisch beeinflußt ist!, sitzt
jedoch im Attischen von früh an fest. — Als unbestreitbares Zeugnis für das dorische Vorkommen bleibt jedoch, das sei gern zugegeben, die Skytale der Spartaner bei Xen. Hell. 1, 1, 23: ἀπορίομες τί χρὴ δρᾶν, und die andere, auf die mich E. Kapp aufmerksam macht, bei Plut. Lysander 14, 8, 441b mit den Friedensbedingungen der Spartaner am Ende des Peloponnesischen Krieges: καββαλόντες τὸν Πειραιᾶ καὶ τὰ μακρὰ σκέλη xal ἐκβάντες ἐκ πασῶν τῶν πολίων τὰν αὑτῶν γᾶν ἔχοντες, ταῦτά xa δρῶντες τὰν εἰράναν ἔχοιτε. Im Lakonischen ist das Wort also erhalten geblieben, räumliche und zeitliche Verbreitung ist leider nicht näher zu bestimmen. Auch die Bedeutung läßt sich nach den zwei Zeugnissen nicht genau fixieren; in dem zweiten entspricht jedoch der Gebrauch anscheinend nicht dem attischen: man würde da πράττειν erwarten. Wir können hier so wenig zur Klarheit kommen wie nach dem einen Beleg bei Alkaios über das Vorkommen im Äolischen. Jedenfalls fehlt es im Ionischen, und das ist wichtig genug. Bei der Bedeutung der griechischen Verben für „Tun“ gibt Wolff zu, πράττειν
und ποιεῖν seien ... auf das Ziel, das Objekt des Handelns,
die
Leistung gerichtet; gegen den Nachweis, „Späv weise dagegen mehr auf das Subjekt, den Urheber des Handelns und den Beginn der Aktion zurück“,
macht er jedoch geltend: „Der in der Tragödie so oft zitierte alte Rechtssatz δράσαντι παϑεῖν berücksichtigt doch gerade nicht die subjektive Seite des Handelns, sondern nur die objektive Täterschaft.‘“ Das ist erstens wieder das gleiche unexakte Handhaben der Begriffe, das wir bei den Worten Ethisch und Tragisch schon kennengelernt haben, wo durch eine unscharfe verallgemeinernde Verwendung der Worte das mißdeutet war, was ich gesagt hatte. Ich spreche nämlich von Objekt und Subjekt nur beim Objekt und Subjekt des Tuns, Handelns usw., so daß die Zusammenstellung
von
„objektiv“
und
„Täter-schaft‘‘
nur Verwirrung
stiftet
(„objektiv‘ wird dabei zum Gegenteil des bloß Gemutmaßten!). Zweitens ist es aber falsch, wenn Wolff meint, mit δρᾶν sei auf den objektiven „Tat-
bestand"
hingewiesen.
Das
zeigt
besonders
schön ein Fall, wo
ein Ver-
teidiger zwar zugibt, daß sein Klient die Tat „getan“ hat, aber die Verantwortung auf einen anderen schiebt: Gorgias Helena 6 ἢ γὰρ τύχης βουλή! Es ist unrichtig, wenn Wolff behauptet (397), ich schlösse lediglich „aus dem Fehlen des Wortes in den dorischen Inschriften‘, es sei nicht dorisch.
28
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
μασι καὶ ϑεῶν βουλεύμασι xal ἀνάγκης ψηφίσμασιν ἔπραξεν ἃ ἔπραξεν (sc. Helena) ...7 ὁ μὲν γὰρ ἔδρασε δεινά, j| δὲ ἔπαϑε ... 20 ἥτις... εἴτε βίᾳ ἁρπασϑεῖσα εἴτε ὑπὸ ϑείας ἀνάγκης ἀναγχασϑεῖσα ἔπραξεν ἃ ἔπραξεν, πάντως διαφεύγει τὴν αἰτίαν. Da wird das, was Wolff „objektive Täterschaft‘‘ nennt, gerade nicht durch ἔδρασε, sondern durch ἔπραξε bezeichnet, ἔδρασε von Helena gesagt würde die ganze Verteidigung umwerfen, eben weil δρᾶν das subjektive Moment der Verantwortung enthält!. Auch im δράσαντι παϑεῖν liegt bei δρᾶν der Akzent auf dem Subjekt, dem Urheber und seiner Aktivität.
Mir lag daran, möglichst scharf an dem Wort das zu bestimmen, was typisch griechisch daran ist, was sich also nicht durch eine einfache Übersetzung wiedergeben läßt, da dieses Typische den deutschen Worten fehlt;
das läßt sich nur durch eine etwas umständliche Umschreibung bestimmen. Dieses Grundproblem
der Untersuchung hat Wolff wieder
nicht gesehen
— jedenfalls geht er mit keinem Worte darauf ein. Das Charakteristische an dem attischen δρᾶν ist, daß es den Beginn der Aktion bezeichnet?, daB also damit das Handeln zusammengezogen ist auf den einen Punkt der beginnenden
Tat,
des
Darangehens.
Die Aktivität
des
Handelnden
(die,
wie gesagt, gerade durch δρᾶν im Gegensatz zu πράττειν und ποιεῖν bezeichnet wird) ist also nicht in ihrem Wirken durch eine längere Zeit hindurch begriffen, sondern
erscheint als einmaliger Ruck,
als Hinkehr.
Es ist also
hier das Handeln von dem Punkt aus begriffen, der der Reflexion als Entschluß, als ein Über-sich-Gewinnen erscheint. Wenn ich die Worte
Orests
Cho. 1010: ἔδρασεν ἣ οὐκ ἔδρασε; übersetzt habe (13): „Hat meine Mutter es getan, über sich gewonnen — ist sie schuldig?“ — so meint Wolff, mich belehren zu müssen,
daß der „klare Sinn der Stelle‘ sei: „Hat sie’s
getan, kommt die Tat auf ihre Rechnung, ist sie also schuldig?'** Mit den Worten „hat sie es über sich gewonnen?“ wollte ich gerade aus der trivialen Wendung heraus, um das Griechische prägnanter zu greifen. „Hat
sie es getan?“
kann auch heißen: ἔπραξεν; (hat sie es vollendet, die
1 Ich verdanke E. Kapp den Hinweis auf diese äußerst aufschlußreiche Stelle. Dieser juristische Gebrauch wird wichtig gewesen sein für die Herausbildung der spezifisch attischen Bedeutung des Wortes. * Belege dafür s. in meinem Buch 12f.— Die Bedeutung von δρᾶν ergab sich mir aus der Nachprüfung aller mir erreichbaren Stellen aus der Tragódie und durch viele Proben aus der übrigen attischen Literatur. Umzuwerfen ist dic Deutung mit jeder Stelle, an der nicht in dem von mir angegebenen Sinn interpretiert werden kann. Daß es an einzelnen Stellen „möglich“
ist, anders zu übersetzen, beweist natürlich
nichts. * Die Antithese zwischen Wolffs Übersetzung und meiner wirkt hier allerdings nicht so schlagkráftig wie in dem Aufsatz von Wolff. Denn ich habe im Text den vollen Wortlaut meiner Übersetzung gegeben. Wolff dagegen gibt sie gekürzt wieder:
„Hat
meine Mutter es über sich gewonnen?"
(398). Zwei
Drittel meiner
Übersetzung nimmt er mir also und stellt sie auf seiner Seite ein, um sie gegen das übriggebliebene Drittel ins Feld zu führen.
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
Tat
vollbracht?).
Wichtig
29
für das Griechische ist gerade
das „schuldige“ Tun bezeichnet werden soll, zu dem
dies, daß, wo
Wort gegriffen wird,
das den Beginn der Aktion bezeichnet. Auch hier verlangt es Geduld, guten Willen und Takt, sich langsam in das Griechische hineinzudenken. Ich habe das Reflektierte am δρᾶν, den Entschluß, gelegentlich sehr stark betont, um damit auf den Punkt hinzudeuten, der für das δρᾶν charakteristisch ist. „Sich zu einem Tun hinwenden“ ist vielleicht die beste Um-
schreibung, die man für das Verb geben könnte, damit wird das Punktuelle dieses Handelns am besten hervorgehoben!. (Der Aorist bezeichnet die aktuelle
Tun
Hinwendung,
hinwendet').
das
Präsens
bedeutet
„jemand
sein,
der
sich zum
Ich will hier im übrigen nicht noch einmal darlegen,
welche weitere Bedeutung
es hat, daß im Griechischen das Handeln nicht
in seiner Dynamik begriffen wird?. Ich habe dem Umstand große Bedeutung beigemessen, daß das Handeln im Drama als δρᾶν gefaßt wird, das heißt von dem Punkt der „Hinkehr“ aus, der der weiteren Reflexion als „Entscheidung“ bewußt wird, und es
war mir wichtig, daß das Wort δρᾶν nicht ionisch sei. Demgegenüber behauptet Wolff, daß die ionischen Worte ἔρδειν und ῥέζεινδ die gleiche Bedeutung hätten wie δρᾶν im Attischen. Das ist schnell widerlegt. Denn wenn diese Worte an noch so vielen Stellen erscheinen, wo wir im Attischen δρᾶν erwarten, so fehlt ihnen doch das Charakteristische des δρᾶν. ἔρδειν
und ῥέζειν gehören zu ἔργον, also in den gleichen Umkreis wie ἐργάζεσϑαι, ποιεῖν (und πράττειν). Das Handeln wird auch hier vom
Objekt aus ange-
sehen. Wenn Wolff drei Stellen aus Aischylos als beweisend anführt, an denen ἔρδειν und ῥέζειν angeblich die „gleiche‘‘ Bedeutung haben wie δρᾶν, so ist das ein Trugschluß, der häufig bei Bedeutungsuntersuchungen begegnet, der aber besonders nach den Untersuchungen von ]. Stenzel nicht mehr gemacht werden dürfte. An Hunderten von Stellen sind im Deutschen ‚tun‘ und „machen“ ,,gleich''bedeutend — darum ist „tun“ doch keineswegs dasselbe wie „machen“. Entscheidend für die Wortbe-
deutung
sind immer
die Stellen, an denen das Wort
nicht ersetzbar ist
1 Mit einem anderen Bild könnte man sagen: etwas anpacken, angreifen. Vielleicht kommt man damit der Bedeutung von δρᾶν sogar noch näher. [Vgl. H. Schreckenberg, APAMA, 1960, 1—73 und dazu die Rezensionen von W. Fauth, Gymn. 69, 1962, 80; A. Lesky, Anz. f. d. Altertumsk. 14, 1961, 4; H. Patzer, Gnomon 1965, 118.] * Daß dem Griechischen überhaupt die Dynamik unseres Verbs fehlt, da der Aorist ein Ereignis, das Prásens aber einen Zustand bezeichnet, habe ich inzwischen im Philos. Anzeiger 3 (1929) 256 behandelt [= Entdeckung?, 315]. 3 Über ῥέζειν stellt jetzt E. Kretschmer, Glotta 18, 85 fest: „Das Wort hat sich besonders in dorischen Dialekten erhalten, wáhrend es sonst nur auf die Dichtersprache beschränkt ist. " Dazu hätte noch die von Hesych bezeugte Form ῥέδδω angeführt werden können. — Nebenbei bemerke ich, daß im Lesbischen τίϑημι
sehr weit in den Bedeutungskreis von ποιεῖν gedrungen ist. Sappho 207 D: τί xs ϑεῖμεν;
und
die
bei
Alkaios
174
Lobel
zitierten
Grammatikerzeugnisse
Lobel XL). [Diese Bedeutung ist vielmehr alt: vgl. lat. feci.
(s. a.
30
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
durch ein anderes. So genügt es denn, einige Stellen herzusetzen, an denen ἔρδειν
auf keinen
Fall
bedeutet
„sich zu
einem
Tun
hinzuwenden‘,
was
δρᾶν im Attischen immer bedeutet. Ich wähle die Beispiele absichtlich aus verschiedenen literarischen Bezirken. α 293 αὐτὰρ ἐπὴν δὴ ταῦτα τελευτήσῃς τε καὶ ἔρξῃς (cf.
X 80). 9 147 οὐ μὲν γὰρ μεῖζον κλέος ἀνέρος, ὄφρα x” ἔῃσιν,
ἣ 6 τι ποσσίν τε ῥέξῃ καὶ χερσὶν ἑῇσιν. Hdt. 9, 103, 2 ἔρδον (sie leisteten) ὅσον ἐδυνέατο, προσωφελέειν ἐθέλοντες τοῖσι “Ἕλλησι. Aristoph. Vesp. 1431 ἔρδοι τις ἣν ἕκαστος εἰδείη τέχνην([). Es dürfte schwerfallen, für diese Stellen Parallelen aus dem Attischen mit δρᾶν zu finden, da δρᾶν nicht mit dem
ἔργον, dem Objekt des Tuns, so eng verbunden ist. Wenn man sagt ἔρδειν χακά, Schlechtes „wirken“, so liegt der Akzent mehr auf den xax ἔργα und nicht so sehr auf dem Täter wie bei δρᾶν κακά. Auch wenn es zu den
von Wolff beigebrachten Stellen jeweils nahe Parallelen gibt, an denen δρᾶν
gesagt ist, so zeigt das nur, daß die gleiche Situation bald mehr unter dem Aspekt des δρᾶν, bald unter dem des ἔρδειν angesehen werden kann. Man
würde wohl
daß an allen Stellen, wo
im Attischen
δρᾶν gesetzt ist, im Ionischen ἔρδειν an die Stelle träte —
d.h. daß die
Vorstellung,
die im
sagen δρᾶν
können, enthalten
ist, im
Ionischen
in die andere
Vor-
stellung des ἔρδειν überführt wird; es ist das letzten Endes genau so ein „Übersetzen“, wie wenn wir für öp&v „handeln“
sagen, wo dann auch die
beiden Worte sehr Verschiedenes bedeuten. Für den Hauptinhalt meines Buches, die Erörterungen darüber, wie sich bei Aischylos das Handeln darstellt und wie sich in seinen Dramen die Auffassung
vom
Handeln
entwickelt, bietet Wolff auf der einen Seite,
die er dafür übrig hat, nichts, was zu einer Vertiefung dieser Frage hinführen könnte. Er erwähnt diese Probleme nicht einmal, sondern kommt wieder mit dem „Ethischen‘“ und zeigt nur schnell, daß er auch hier wieder nicht verstanden hat, wovon ich rede!. Nur eine Bemerkung von ihm
möchte ich noch aufgreifen: er meint, die Erörterung der zentralen Frage nach der tragischen Schuld sei nicht denkbar „ohne eine Behandlung der Rechtsidee vor und bei Aischylos". Er glaubt also, daß von den Fragen
des Rechts und der Ethik aus sich das Wesentliche des Tragischen erschlösse. Ich will hier nicht untersuchen, ob damit nicht von vornherein das Tragische
in einen peinlich engen Rahmen gespannt wird. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang etwas anderes. Es hat sich gezeigt, daß in der Behandlung des sogenannten Ethischen außerordentlich leicht moderne Vorstellungen
in die Interpretation der Antike einfließen, daß es also nötig ist, einen 1 Ich spreche z. B. davon, welche Bedeutung die Dareios-Szene der Perser für den Aufbau der Handlung hat. — Wolff stellt demgegenüber fest, daß sie „das tragische
Geschehen
ethisch durchleuchte".
Was
hat das miteinander
zu tun? —
Wenn Wolff am Schluß darüber spottet, daß ich einmal von der Schuld im weiteren Sinne des Wortes
lustig macht.
spreche, so merkt er nicht, daß er sich damit über Schopenhauer
Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen
31
Punkt jenseits der „Ethik“ zu finden, von dem aus begriffen werden kann, in welchen Formen
sich das Denken über Gut und Böse, über Recht und
Unrecht vollzieht. Dies ist möglich von der allgemeineren Fragestellung ' aus, in welchen
Formen
sich der Mensch
seines Handelns
jeweils bewußt
gewesen ist. Eine weitere Frage wäre, welche philosophischen Konsequenzen sich aus der Tatsache ergeben, daß wir im Griechentum (und das heißt am Anfang des europäischen Denkens) eine Form des Bewußtseins des Menschen über sein eigenes Handeln treffen, die einen für spätere Zeiten wichtigen Punkt am Handeln des Menschen noch nicht bemerkt. Es würde das zu einer Auseinandersetzung mit Hegels Geschichtsphilosophie führen. Diese philosophische Seite der Probleme habe ich hier absichtlich ganz außer acht gelassen, um zunächst einmal den historischen Tatbestand unbeeinflu&t von einer philosophischen Theorie weiter zu klären. Eine Arbeit allerdings, die die Entwicklung des griechischen Geistes Schritt für Schritt verfolgen würde, die also die von mir vorläufig nur skizzierte Bedeutung von Hesiod und der archaischen Lyrik für das Werden des griechischen Bewußtseins ausführlich darlegen würde, kann nicht darum herumkommen, auch zu diesen philosophichen Fragen Stellung zu nehmen.
BESPRECHUNG
VON
W. JAEGER,
PAIDEIA*
Nach langer Zeit einmal wieder hat ein Berufener es unternommen, in einer Sprache, die sich an alle Gebildeten wendet, die geistige Entwicklung des Griechentums darzustellen. Das neue Buch von Werner Jaeger will aber nicht nur Erkenntnisse der Philologie hinaustragen in ein weiteres Publikum,
sondern es ist „ein Werk
wie es in der Vorrede
geschichtlicher Forschung", das sich,
heißt, eine „bisher
nicht in Angriff genommene
Aufgabe stellt‘‘, ja das sich heranwagt an das Problem, an dem ,,das tiefere
Verständnis jenes einzigartigen erzieherischen Schöpfertums hängt, von dem die unvergängliche Wirkung der Griechen für die Jahrtausende ausstrahlt“. Es will also auch der Wissenschaft neue Wege und Ziele weisen. Doch noch mehr hofft es zu leisten: Jaeger meint, der vornehmlich ästhetisch orientierte deutsche Klassizismus sei überwunden und es vollziehe sich eine neue Hinwendung zum Altertum, die vor allem am Politischen ausgerichtet sei. Das Buch stellt sich an den Anfang eines neuen, des „dritten“
Humanismus
(16).
Zwar
wird
man
es den
kommenden
Jahrhunderten
überlassen müssen, zu beurteilen, ob unsere Zeit sich den Ehrentitel eines neuen Humanismus verdient hat, und vollends eine Rezension wird sich
auf die Frage, welche säkulare Bedeutung ein Gedanke oder ein Buch hat, nicht gern einlassen, aber die wissenschaftlichen Urteile Jaegers sind so eng verknüpft mit seinem humanistischen Glauben, daß sich die beiden Bezirke nicht scheiden lassen. Gerade darin liegt das Imponierende dieses Werkcs, daß es von einem einheitlichen Willen beseelt ist: Jaeger versucht, die gesamte antike Geistesgeschichte von einem einzigen Prinzip aus zu
deuten, und hofft, dadurch auch den Geist unserer Zeit mit zu gestalten. So verpflichtet das Buch den Rezensenten, seinen Wert an einem sehr hohen Anspruch zu messen. Es ist unmöglich, auf die Fülle von Fragen einzugehen, die Jaeger aufwirft, denn er führt seine These von der Bedeutung der „Paideia‘‘ nicht schematisch durch, sondern sucht, z. B. in histotischen Exkursen, den Reichtum der lebendigen Erscheinung sichtbar zu machen, und oft geht er auf speziell philologische Probleme ein, wenn
sie zu
geistesgeschichtlich
stehungsgeschichte
der
wichtigen
Homerischen
Fragen
führen
(etwa
auf
die
Ent-
Gedichte, des Theognisbuches
oder
des Thukydideischen Geschichtswerkes). All dies muß hier unberücksichtigt bleiben. Ich will mich in dieser Anzeige beschränken auf das eigentliche Thema und fragen, ob von dem Problem der Paideia her in diesem Buch » Werner
aeger,
Paideia.
Die
Formung
des
griechischen
Berlin und Leipzig. W. de Gruyter & Co. 1933, VII, 513 8.
Mensch
tm
Bd. I,
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
33
ein tieferes Verständnis für das Griechentum erreicht sei. Es ist überflüssig zu sagen, daß in einer Arbeit von Werner Jaeger auch der sehr viel Wertvolles gelten läßt, der der Hauptthese kritisch gegenübersteht. Die Bedeutung des Jaegerschen Buches steht außer Frage, aber die in ihm aufgeworfenen Probleme werden durch eine bewußte Beschränkung auf die Hauptsache,
so hoffe ich, am ehesten geklärt.
„Paideia. Die Formung des griechischen Menschen“ lautet der Titel des Werkes. In diesem Doppeltitel liegt ein gewisser Zwidspalt, der uns schnell hineinführt in die Probleme — und in die Problematik des Werkes. παιδεία bedeutet eigentlich „Aufzucht von Kindern“ (Aesch. Sept. 18) und „Kindererziehung“. Es ist natürlich nicht die Absicht Jaegers, die Geschichte des Schulunterrichts zu schreiben, was man zunächst nach dem Titel erwarten könnte, sondern er verwendet das Wort in einer Bedeutung, die
an einen späteren Gebrauch anknüpft. Er selbst sagt 5. 384, daß erst in der Zeit der Sophisten das παιδεύειν sich nicht mehr ausschließlich dem παῖς zuwandte, und daß erst damals die Einsicht erwachte, „daß der erziehe-
rische Werdegang des Menschen keine fixierbare Zeitgrenze nach oben hätte‘. Zunächst wird aber auch dann noch bei der παιδεία durchaus an das absichtliche Lehren und Erziehen durch einen Lehrer gedacht. Aber „der Begriff, der ursprünglich nur den Prozeß der Erziehung als solchen bezeichnet hatte, erweiterte seine Bedeutungssphäre nach der objektiven, inhaltlichen Seite, genau wie unser Wort Bildung oder das gleichbedeutende lateinische cultura, das vom Bildungsvorgang zur Bezeichnung des Gebildetseins und dann zum Bildungsinhalt wird und schließlich die ganze geistige Bildungswelt umschließt, in die der einzelne Mensch als Angehöriger seines Volkes oder eines bestimmten sozialen Kreises hineingeboren wird. Der geschichtliche Aufbau dieser Bildungswelt gipfelt in dem Bewußtwerden der Bildungsidee. Es erscheint daher als ganz natürlich und selbstverständlich, daß die Griechen alle gewachsene Form und alles geistig Geschaffene, den gesamten Besitz und Inhalt ihrer Tradition seit dem 4. Jahrhundert, wo dieser Begriff erst seine endgültige Kristallisierung gefunden hat, als ihre Paideia — wir sagen 'Bildung' oder mit dem lateinischen Fremdwort ‘Kultur’ — bezeichnet haben“ (vgl. auch 25). Wenn Jaeger die Zeit von Homer bis zu den Sophisten, die er in dem ersten Band
seines
Werkes
darstellt,
unter
dem
Stichwort
,,Paideia'!
behandelt,
so wählt er also einen Terminus, der der besprochenen Zeit zunächst fremd ist, und er weitet den Begriff Paideia aus, um etwas, das einem modernen
Interesse entspricht, zu erfassen. Natürlich darf man mit modernen Fragen an das Altertum herantreten und etwa das Problem der Erziehung oder die Entstehung der „Bildung“ bei den Griechen verfolgen. Aber der Fall liegt hier etwas anders, da Jaeger sagt, es ginge ihm um das „tiefere Verstándnis'"
des
griechischen
Menschen"
3
8496
Griechentums
Snell, Ges, Schriften
sei der
überhaupt,
Gedanke
und
da
er meint,
der Erziehung
für
„den
„repräsentativ
34
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
für den Sinn alles menschlichen Ringens“ (5); „auch die gewaltigen Denk-
mäler ihrer Frühzeit erscheinen in diesem Licht betrachtet erst ganz verständlich‘‘ (6). Da erhebt sich die Frage, ob die späte Idee der „Bildung“ wirklich die Kraft besitzt, auch jene Jahrhunderte zu erhellen, die sich selbst dieses Licht noch nicht angezündet hatten, oder aber, ob spätere
Forderungen,
Probleme
und
Wertungen
unwillkürlich
ein
trügerisches
Licht auf die älteren Zeiten werfen, kurz ob das, was dem Autor am Herzen
liegt, seinen Blick klärt oder trübt.
Doch zunächst sei etwas Äußerliches erwähnt: Es droht Mode bei uns zu werden, kurzerhand griechische Worte zu verwenden, um griechische Erscheinungen zu begreifen; man spricht heute von Ethos und Pathos, von Hexis und Pragma, vom Politen, vom Paradeigma und so fort. Diese Worte geben ein Gefühl der Distanz; man wird sich hüten, sich brüderlich in eins zu setzen mit den Griechen, wenn man von ihrem Ethos und ihrer
Arete (oder gar ihrer Areta!) hört. Diese Distanzierung ist beabsichtigt in verständlicher Reaktion gegen eine Zeit, die diese Distanz allzuleicht überbrücken zu können glaubte. Doch schon taucht die Gefahr auf, daß diese griechischen Worte
nur
die Illusion
von
als schöne Versatzstücke
etwas
Griechischem
gebraucht werden,
hervorrufen.
Dem
die
Laien mag
ein so exquisites Vokabular imponieren, verstehen kann er es nicht. Der Philologe aber, der griechische Worte in unsere Sprache übernimmt, wendet sie zwangsläufig auf Dinge an, für die sie nicht passen, und er
verliert die Empfindlichkeit dafür, welcher historischen Situation die einzelnen
griechischen
Worte, wie
modernes
Wörter
die Erfahrung
Interesse
Die Fremdheit
angehören,
schnell
bestätigt, besonders
loskommen
möchte
des Griechischen
kann
von
so weit, dann
daß
einstellen,
seiner eigenen
nur dadurch
sich wenn
diese ein
Modernität.
überwunden
werden,
daß man in allem Ernst von unserer Sprache aus die Unterschiede zwischen
dem Alten und dem Neuen festlegt; beschreiben wir aber griechische Dinge durch eingestreute griechische Worte, so reden wir ein Pseudo-Deutsch und ein Pseudo-Griechisch, d.h.eine Sprache, die kein scharfes Denken zuläßt.
Jaeger weiß, daß er den Begriff Paideia ausweiten muß, damit er das Gemeinte bezeichnet. Deswegen gab er seinem Buch den Untertitel „Die Formung des griechischen Menschen“. Aber dieser Titel ist wieder zu weit,
um
den Inhalt
des Buches
anzugeben.
Denn
von
vielem, was
den
griechischen Menschen und seinen Geist geformt hat, wird in dem Buch nicht gesprochen: der Inhalt des Buches liegt sozusagen zwischen der ,Paideia^
und
der
geistigen
Formung
des
Menschen.
Erziehung
und
Bildung ist für Jaeger „der unmittelbare Ausfluß des lebendigen Normbewußtseins einer menschlichen Gemeinschaft, sei es der Familie, sei es des Berufes oder Standes, sei es der umfassenderen Verbände wie Stamm 1 Dieses Wort können wir bei Pindar nicht anders als in der strengen dorischen Lautform seiner Sprache schreiben‘ (Jaeger 277)._
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
und
Staat"
wird
das
(2);
darin
liegt
Erziehungsideal
das
Politische
in der frühen
der
35
Paideia.
Zeit vor
allem
Ausgesprochen „in
dem
idealen
Bild des Menschen“, das die Poesie formte (19); so wird die Geschichte der Bildung im wesentlichen aufgewiesen an der Geschichte der griechischen Literatur. Da nun aber nach Jaegers Meinung die Erziehung „durch bewußten Willen und Vernunft‘ geschieht (1), so werden nur die Elemente
der Bildung berücksichtigt, die auf pädagogische Absicht zurückgeführt werden können — und das entspricht der ursprünglichen Bedeutung von παιδεία— Kinderzucht. Es bleiben aber außer Betracht alle Faktoren geistiger Formung,
die (wenn
sie auch zum
späteren
Bezirk
der παιδεία = Kultur
gehören) doch nicht an Vorbild oder Lehre geknüpft sind. Schon die Frage, ob eine Dichtung nicht auch ohne erzieherische Absicht bildend wirken kann, bleibt für Jaeger außer Betracht. Vom Sachlichen aus gesehen heißt das, daß von der Formung des Menschen vorwiegend im Hinblick auf Staat, Recht und Ethik gesprochen wird, die übrigen Bereiche des Geistes aber diesem Interesse untergeordnet werden. Es sind die Platonischen Bezirke, die Jaeger vor allem wichtig sind, ja, die Geistesgeschichte der Frühzeit interpretiert er zum guten Teil von Platon aus. Doch schon bei den allgemeinen Bemerkungen, die das Buch einleiten, stellt sich die Frage, ob die Platonischen Begriffe auch im Sinne Platons verwandt sind. Jaeger sagt S.14: „Über dem Menschen als Herdenwesen wie über dem Menschen als angeblich autonomen Ich steht der Mensch als Idee, und so haben die Griechen als Erzieher wie als Dichter, Künstler und Forscher
ihn stets gesehen.‘ Aber wo hat je ein Grieche im Ernst von der „Idee des Menschen“ gesprochen? Gewiß nicht Platon. Die Idee des Menschen kommt nur einmal bei ihm vor, da ist sie verbunden mit der Idee des Feuers
und des Wassers — dann folgt die Idee des Haares, des Schmutzes und des Drecks (Parm. 130 C). Andere Griechen freilich, Zeitgenossen Platons und
spätere,
und
vortreffliche
Römer
haben
sich
daran
erbaut,
etwas
Besseres als das Tier (bestia oder pecus) sein zu können und sein zu wollen. Die Humanisten
„erzieherischen
müssen
Geist
der
diese als ihre Ahnherrn
platonischen
verehren,
Ideenphilosophie‘‘
aber mit dem
(285)
hat das
ebensoviel zu tun wie der Pindarische Satz: ,, Werde wer du bist!'** Menschen-
tum ist für Platon gerade nicht Norm
und Bildungsideal, und auf die
„Bekenntnis“-Frage, „ob Plato den ersten Humanismus, den die Geschichte
kennt, den der Sophisten, beendet oder vollendet hat' (383), gibt Plato selbst im Staat eine wohl eindeutige Antwort?, so daß der dritte Humanis! Die „Idee des Menschen‘ kehrt auch sonst bei Jaeger (153 und 384) und in den Programmschriften des 3. Humanismus wieder. ! Jaeger faßt darin das γενέσϑαι genauso in einem modernen prägnanten Sinn wie in dem Simonides-Skolion ἄνδρ᾽ ἀγαθὸν ἀλαϑέως γενέσθαι χαλεπόν (281). * 497 C und 500 B—D; ich führe nur den einen Satz an: οὐδὲ γάρ που... σχολὴ τῷ Ye ὡς ἀληϑῶς πρὸς τοῖς οὖσι τὴν διάνοιαν ἔχοντι κάτω βλέπειν εἰς ἀνθρώπων πραγ3%
36
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
mus besser zum mindesten seinen Sprachgebrauch revidierte, statt ihn durch Amphibolien zu decken. Denn die „hohe Idee der Bildung des Menschen‘‘ Humanismus zu nennen, hat nur solange einen ehrlichen Sinn, als der Genetiv „des Menschen“ nicht nur das affizierte, sondern auch
das effizierte Objekt bezeichnet. Daß der Mensch nicht nur Gegenstand, sondern auch Ziel der Erziehung sei, glaubt nicht Platon, sondern Isokrates! und, von diesem abhängig, Cicero?. Von den Sokrates-Schülern aber spricht Aristipp von ,,Humanitát und ,,Bildung"?, und über ihn erzählt Vitruv 6, 1, 1 die Geschichte:
als er schiffbrüchig an die rhodische Küste
verschlagen wurde, sah er im Sand geometrische Figuren; da rief er seinen Gefährten zu: „Getrost!
ich sehe die Spuren von Menschen."
Schon
vor
dem dritten Humanismus* fand freilich Cicero5 diese Geschichte charakteristisch für — Plato. »Die
Auffassung
des
Dichters
als Erzieher
(sic!) seines Volkes
—
im
weitesten und tiefsten Sinne des Wortes — ist den Griechen von Anfang an geläufig gewesen und hat stets ihre Bedeutung für sie bewahrt‘, schreibt Jaeger am Anfang des Abschnittes über „Homer als Erzieher“, und er führt außer einer Platonstelle* Xenophanes' Vers an: ἐξ ἀρχῆς xa9' Ὅμηρον ἐπεὶ μεμαϑήκασι πάντες... ματείας, καὶ μαχόμενον αὐτοῖς φϑόνου τε καὶ δυσμενείας ἐμπίμπλασϑαι, ἀλλ᾽ εἰς τεταγμένα ἄττα καὶ κατὰ ταὐτὰ ἀεὶ ἔχοντα ὁρῶντας καὶ ϑεωμένους οὔτ᾽ ἀδικοῦντα οὔτ᾽ ἀδικούμενα ὑπ᾽ ἀλλήλων, κόσμῳ δὲ πάντα καὶ κατὰ λόγον ἔχοντα, ταῦτα μιμεῖσϑαι τε καὶ ὅτι
μάλιστα ἀφομοιοῦσϑαι. Dazu gehört auch die von Jaeger selbst 5. 382 ohne Bedenken zitierte Stelle Legg. 716 C: ὁ δὴ ϑεὸς ἡμῖν πάντων χρημάτων μέτρον Av εἴη μάλιστα, xal πολὺ μᾶλλον f, πού τις, ὥς φασιν, ἄνθρωπος. 1 Isocr. 15, 253 (= 3, 5): τοῖς μὲν... ἄλλοις οἷς ἔχομεν...
οὐδὲν τῶν ζῴων δια-
φέρομεν usw., wo aus der Fähigkeit des πείθειν und des Redens die Entstehung der Städte, der Gesetze, der τέχναι δεινοὺς εἰπεῖν zu werden: καὶ γὰρ ἡ φύσις ἡ τῶν ἀνθρώπων τῶν ἄλλων τῷ καὶ πρὸς τὴν φρόνησιν καὶ πρὸς * Schon
de
inv.
abgeleitet wird. 293 in der Mahnung ἐκ παιδείας αὐτοὶ mpo£yeve ... τῶν ἄλλων ... τούτοις, οἷσπερ ζῴων καὶ τὸ γένος τὸ τῶν ᾿Ελλήνων τῶν βαρβάρων, τοὺς λόγους ἄμεινον πεπαιδεῦσϑαι τῶν ἄλλων.
1, 4, 5: ac mihi
quidem
videntur
homines
...
hac
re maxime
bestiis praestare, quod loqui possunt. quare praeclarum mihi quiddam videtur adeptus is, qui, qua re homines bestiis praestent, ea in re hominibus ipsis antecellat.
Vgl. de or. 1, 31; 32/33. * Diog. L. 2, 8, 70: ἄμεινον ἔφη ἐπαίτην ἣ ἀπαίδευτον clvac ol μὲν γὰρ χρημάτων, ol δ᾽ ἀνθϑρωπισμοῦ δέονται. 4 Die Antike 5, 300f. 5 de rep. 1, 29; Cicero sagt ,, Platonis illud, seu quis dixit alius'!; er hat also selber das Gefühl, es könnte ihm ein Gedächtnisfehler unterlaufen. Auch die Nennung des Lokals bei Vitruv zeigt, daß dieser die echte Fassung hat.— Die obigen Aus-
führungen über Platon, Isokrates, Cicero und Aristipp gehen auf E. Kapp zurück, dem ich auch sonst vielerlei für diesen Aufsatz verdanke. * Rep. 606 E von den Bewunderern Homers, die glauben ὡς τὴν ᾿Ελλάδα πεπαίdeuxev οὗτος ὁ ποιητῆς, und daß er höchst wertvoll sei πρὸς διοίκησίν τε καὶ παιδείαν
τῶν ἀνθρωπίνων πραγμάτων.
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
mit dem
leider nichts anzufangen
ist, da wir den
37
Zusammenhang
nicht
kennen, aus dem er stammt. Daß der Dichter den Menschen erziehe und bilde, ist, soviel wir sehen, ein Gedanke der Sophisten — und gerade von ihnen ist das Wort Erzieher bestimmt nicht immer „im weitesten
und tiefsten Sinne" gemeint. Aber wenn auch die frühen Griechen den Dichter nicht einen Erzieher genannt haben (und sie hätten es kaum tun können, ohne ihm damit eine pädagogische Absicht zuzuschieben), so soll das
nicht
heißen,
daß
nicht
tatsächlich
Homer
zu allen
Zeiten
eine
ungeheure bildende Wirkung gehabt hätte. Jaeger führt das im einzelnen oft glänzend aus — aber wer hätte das geleugnet? Goethe und Humboldt jedenfalls in ihrem angeblich „ästhetischen“ Humanismus würden Jaeger nicht widersprochen haben, wenn er sagt (15): „Erzieherisch im eigentlichen Sinne kann nur eine Poesie sein, deren Wurzeln in die tieferen Schichten menschlichen Seins hinabreichen, in der ... ein Menschen ver-
bindendes
und
verpflichtendes
Bild des Menschlichen
lebt. Gerade für
die hohe Poesie der Griechen gilt aber, daß sie nicht nur ein beliebiges Stück Wirklichkeit gibt, sondern den Ausschnitt des Daseins, den sie bildet, im
Hinblick
auf ein bestimmtes
Weit vom zweiten Humanismus weiter aus, daß „der Ruhm
Ideal auswählt
und
betrachtet.''?
entfernt ist das nicht. Richtig führt Jaeger
und seine Erhaltung und Mehrung
der eigent-
liche Sinn des Heldengesangs“ sei (69). Aber diesem Gedanken gibt er bald eine besondere Wendung (72f.: „Der Heldengesang ist seinem Wesen nach idealbildend, auf die Schaffung heroischer Vorbilder gerichtet. Er steht an erzieherischer Bedeutung in weitem Abstande allen anderen Arten der Poesie voran... In den Spuren des Epos wandelt das Lehrgedicht und die Elegie, die ihm beide auch der Form nach nahe verwandt sind. Der erzicherische Geist greift vom Epos auf sie über, später auch auf andere Arten wie den Jambus und das Chorlied ... Erwägt man noch, daß auch die großen als Bildungsmächte wirksamen Formen der Prosa wie Geschichtsschreibung und philosophische Abhandlung direkt aus der weltanschaulichen Auseinandersetzung mit dem Epos verwachsen sind, so darf man sagen, daß das Epos schlechthin die Wurzel aller höheren griechischen Bildung ist." Diese Deduktion ist außerordentlich charakteristisch: Zunächst wird, was sich durch Homerische Zitate auch belegen läßt, das Verkünden des Ruhms als „eigentlicher Sinn‘ der Homerischen Poesie hingestellt. Wenn es dann heißt, der Heldengesang schaffe „Vorbilder" und habe „erzieherische Bedeutung", so kann das nur heißen, daß in dem Streben, die alten Heroen zu feiern, Gestalten entstehen, die nun
auch Vorbilder sind (was seit Herder und dem jungen Goethe? nie jemand * Solch verschwommenes Ineinanderfließen der Bilder findet sich oft bei Jaeger. * Der schon 1772, als ihm alles Pädagogische noch sehr fernlag, in den Sitten der Homerischen Menschen „das höchste Ideal menschlicher Natur, die höchste
Würde
menschlicher Taten‘
gepriesen hat (Jub.-Ausg. 36, 13). Wenn
man
dem
38
Besprechung von W. Jaeger, Paideis
bestritten hat). „Erzieherische Bedeutung“ heißt also erzieherische Wirkung ohne erzicherische Absicht. Wenn es dann aber weitergeht: der erzieherische Geist greift vom Epos auf das Lehrgedicht und auf die Elegie über, so kann hier unter „erzieherischem Geist‘ nichts anderes verstanden werden als die Absicht, zu lehren und zu erziehen. Und wenn schließlich Historie und Philosophie aus der „weltanschaulichen Auseinandersetzung“
mit dem Epos entstehen, und wenn sich darin der bildende Wert des Epos erweist, so liegt das völlig abseits von dem, was man gemeinhin unter „Erziehung“ versteht. Offenbar liegen die Dinge so: Die Absicht der
Sänger ist das Rühmen. man
immerhin
von
einem
Das Rühmen
fordert Idealisierung —
„Bildungsideal‘“
sprechen.
Aber
da mag
die Tatsache,
daß die Homerische Welt großartig ist und vorbildhaft gewirkt hat, wird
dadurch nicht aufgehellt, daß man den „erzieherischen Geist“ einführt — denn das heißt nur, zu dem Großartigen einen hinzuzusetzen;
das
„tiefere Verständnis“
jedoch
Willen zum
Großartigen
für das, was
die große
Tat oder den großen Menschen ausmacht, geht gerade dadurch verloren, daß man die Paideia als das Wesentliche ansicht. Denn es ist der Fluch alles Pädagogischen, daß es aus sich heraus kein Ziel und keinen Inhalt setzen
kann;
wer
das
, Bildende
oder
‚„Formende‘“
in die Mitte
rückt,
verliert das Sachliche aus den Augen. Wenn man schlicht und einfach sagt, daß die homerischen Dichter die heroische Vergangenheit groß und vollkommen sahen, so óffnet sich ein weites Feld fruchtbarer Fragen: jetzt gilt es festzustellen, welche Dinge dem homerischen Dichter wesentlich sind, was er beobachtet, was er nicht sieht usw.!. Und sollte man nicht
auch dies, daß die homerischen Sänger auf die folgenden Zeiten so stark gewirkt haben, hinlänglich daraus erklären, daß sie den Sinn und Zusammenhang der ihnen überlieferten Geschichten móglichst vollkommen darstellten — und daß sie glaubten, es lohne sich das Nachsinnen über diese Geschichten, da im letzten Grund alles auf dieser Welt sinnvoll und schón
sei? Und weiter: Warum Achill die Helden anderer Völker und aufgeworfen werden, wenn man auf der Welt genug Dichter und
und Odysseus so aussehen und nicht wie Zeiten — diese Frage kann nicht einmal von ihrer Vorbildlichkeit ausgeht. Es hat Künstler— und viele andere Menschen —
zweiten Humanismus vorwirft, er sei ästhetisch, sollte man auch nicht Hölderlins Wort „Was bleibt aber, stiften die Dichter“ zitieren und dazu bemerken: „Der Vers drückt das Grundgesetz der griechischen Bildungsgeschichte aus“ (S. 68). ! Bei Jaeger kommen sich widersprechende Aussagen vor: S. 54 (bei der Rede des Phoinix) „der moderne (!) Begriff der freien Entscheidung ist hier ganz fern-
zuhalten*. Dagegen S. 53 (zu derselben Szene): „Jeder Leser muß die endgültige Entscheidung des Helden, an der das Schicksal der Griechen, seines nächsten Freundes Patrokles und schließlich sein eigenes Los hängt, innerlich in ihrer ganzen Schwere miterleben.“ S.78: „Der Heroismus des Achill gipfelt in der bewußt
vollzogenen
Wahl
eigenen Lebens.“
einer großen Tat um
den im voraus feststehenden
Preis des
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
39
gegeben, denen Erziehung und Bildung ein wesentliches Anliegen waren; aber wenn sie sonst nichts einzusetzen hatten Geist‘‘, so waren sie fruchtlose Gewächse.
als diesen
„erzieherischen
Tatsächlich begnügt sich denn auch Jaeger nicht damit, nur das Loblied des Pádagogen Homer zu singen — und je weiter er sich von den Problemen der Erziehung und Bildung entfernt, desto interessanter wird er. Aber gerade an den für ihn wichtigen Stellen wird er leicht durch das Interesse an der Paideia vom Einfachen und Natürlichen abgelenkt. Jaeger spricht z. B. ausführlich von der Rede des Phoinix an Achill, die zeigen soll, „daß
der alte kriegerische Aretebegriff den Dichtern einer jüngeren Zeit nicht mehr genügte, sondern daß sie ein neues Bild des vollkommenen Menschen in sich trugen, das neben dem Adel der Tat den Adel des Geistes anerkannte und in der Vereinigung beider das Ziel sah. Es ist bedeutungsvoll, daß dies Ideal der greise Phoinix verkündigt, der Achilleus, dem vorbildlichen Helden
der Griechen,
als Erzieher an die Seite gestellt wird‘
(30). Diese
Rede verkündet angeblich „das Ideal edelster menschlicher Bildung ... zu dem ... Phoinix ... seinen Zögling Achilleus erzogen hat und das der Dichter in diesem größten der Helden darstellen will“ (30). Es ist schon etwas merkwürdig, daß der Dichter dies neue und hohe pädagogische Ideal just in einer Rede des Phoinix verkündet, deren pädagogische Wirkung auf Achill gleich Null ist!. Aber welches sind die Worte, in denen sich dies „hohe erzieherische Bewuftsein'* (30) mit seinen „höheren geistigen Ansprüchen“ (31) kundtut, dem Achill es zu verdanken hat, daß er „in
sich die wahre Harmonie höchster Geist- und Tatkraft verwirklicht! (52)? Es
ist allein der Satz des
Phoinix,
Ilias 9, 442:
τοὔνεκά με προέηκε (sc. Peleus) διδασκέμεναι τάδε πάντα, μύϑων τε ῥητῆρ᾽ ἔμεναι πρηκτῆρά τε ἔργων. Hier soll die Beherrschung des Wortes als „Zeichen der Souveränität des Geistes“ gelten, und die Zusammenstellung „Sprecher der Rede und
Wirker der Tat“ soll „die älteste Formulierung des griechischen Bildungsideals
geben
„mit
seinem
Streben,
das
Menschliche
in seiner
Ganzheit
zu erfassen“ (30). Harmlose Interpretation hat das konkreter gefaßt und den Satz bezogen auf die doppelte Tüchtigkeit, die von Homerischen Helden erwartet wird— in den ältesten Schichten genau wiein den jüngeren—, in der Schlacht zu kämpfen und in der Versammlung guten Rat zu geben. Man würde berüchtigten theologischen Interpretationen nahe kommen,
wenn
man
sagte:
das
,,bedeutet
doch
aber,
daß
der
Mensch
körperlich und geistig tüchtig sein soll. Dagegen ist zu sagen, daß es das „Körperliche“ und das „Geistige“ als Einheiten überhaupt noch nicht bei ! An einer späteren Stelle des Buches (389) erwähnt Jaeger selbst gelegentlich diese Tatsache.
40
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
Homer gibt, und wenn Jaeger sogar von „Souveränität des Geistes“, dem „Menschlichen in seiner Ganzheit‘‘, von „höheren (1) geistigen Ansprüchen", von „höchster (!) Geist- und Tatkraft‘‘ spricht, so modernisiert er den
einfachen Homerischen Satz weit über das 5. vorchristliche Jahrhundert hinaus.
Phoinix
hat
den
Achill
etwas
sehr
Handfestes
und
Nützliches
gelehrt, etwas, das er gebrauchen konnte, sobald er in der Ratsversammlung auftreten mußte; hier die Vorstellungen von höherer Bildung und von einer allgemeinen, zeitlosen Geistigkeit einzuführen, ist rationalistischer Klassizismus; der Humanist ist mit dem Historiker in Konflikt geraten!. Jaeger wirft dem zweiten Humanismus
des Geistes
vor, er habe als „klassizistische Theologie
die Werte der Antike ‚als zeitlose Idole'* aufgerichtet (15);
aber er selbst ist nicht frei davon, genau das zu tun, was er dem zweiten
Humanismus ankreidet. Die ,,Formung*'
des Menschen
geschieht durch „Erziehung“, vor allem
in Zeiten gefestigter Kultur. Es hat daher Sinn, in der Adelsgesellschaft des älteren Griechentums
das Moment
der Erziehung
hervorzuheben,
wie
Jaeger es tut. Aber zur „Formung des griechischen Menschen“ gehören wesentlich auch die Zeiten, in denen Neues emporkommt. Bei den Kündern neuer Einsichten von „Paideia‘‘ zu sprechen hat schon seine Bedenken, da so das Wichtige, das Finden von etwas Neuem, leicht zurücktritt hinter dem Belehren. Immerhin sind viele Griechen der älteren Zeit, die Neues
zu sagen hatten, als Lehrer und Mahner aufgetreten, wie Hesiod, Tyrtaios, Solon usf., — und ihnen kann Jaeger deswegen vom Pädagogischen aus näherkommen. Auch hier faßt er allerdings gelegentlich das, was für eine bestimmte Lage gesagt ist, als allgemeingültig. Tyrtaios mahnte im Krieg die Spartaner zur Tapferkeit. Daraus wird bei Jaeger: „Was er schaffen will, ist ein Volk, ein ganzer Staat von Helden‘ (130), und das wird zum griechischen Ideal überhaupt: „Für das Griechentum und für die ganze
Antike ist der Held die höhere Form Sicher,
der
Krieg
1 29 umschreibt
höchsten
fordert
den
höchsten
des Menschen Einsatz
und
Jaeger das αἰὲν ἀριστεύειν mit den Worten
Mannestugend
zu ringen“.
Erst in dieser
schlechthin'* (133). das
größte
„um
Umschreibung
den
Opfer; Preis der
kommt
der
Gedanke vom „Ideal“ und vom „Vorbild“ in den Satz hinein, der für Jaeger seinen wesentlichen Inhalt ausmacht. In Wahrheit heißt ἀριστεύειν „der Beste sein“, und die Mahnung in dem berühmten Vers paßt auch innerhalb der Adelsethik nur für
besonders tüchtige junge Leute.— 48 preist Jaeger die Stellung der Frau in der Odyssee: „Sie ist die Trägerin und Hüterin aller höheren Sitte und Tradition. Diese ihre geistige Würde wirkt auch auf das erotische Verhalten des Mannes cin." Der Beweis dafür ist, daß Laertes die Eurykleia in seinem Hause hielt „in gleichen Ehren
wie seine edle Gemahlin, doch aus Rücksicht auf seine Gattin teilte er niemals mit
ihr das Lager‘. Im griechischen Text steht « 433: χόλον τ᾽ ἀλέεινε γυναικός --- er hatte also Angst, daß seine Frau wütend wurde. Gewiß, man kann hierin die „erzieherische Wirkung des weiblichen Elements für die alte Adelskultur' (47) sehen; aber darf man aus dieser Stelle ableiten, daß die Anschauungen der Ilias „weit natur-
hafter'* sind?
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
4
die Mahnung dazu findet sich von Homer an! überall, wo die Griechen Kriege geführt haben — aber auch sonst bei allen Völkern und Staaten. Wir wissen aus unseren eigenen Tagen, daß die tatsächlichen Leistungen im Krieg noch weit über das hinausgehen, was in solchen Ermahnungen zur Tapferkeit gefordert werden kann. Aber wo wird bei den Griechen dies Ideal gefordert, wenn nicht an den Krieg gedacht wird? Und wo hätte man in Griechenland immer nur an den Krieg gedacht — außer in Sparta? Eben daraus aber ergibt sich das Fragwürdige gerade der „Kultur“ und der „Bildung“ im spartanischen Staat, daB solche Forderungen, die „durch den besonderen Augenblick gerechtfertigt waren (Jaeger, 126), zur
absoluten
Gültigkeit
erhoben
werden.
Dadurch
wurde
die „Geistes-
armut'! Spartas (138) heraufgeführt?. Von den älteren Lyrikern bespricht Jaeger vor allem die Mahner und Lehrer, aber für die Formung des griechischen Geistes haben auch Dichter etwas
geleistet,
denen
Norm
sehr fernlagen.
(162),
daß
sich
jedes
Belehren
und
das
Berufen
auf Vorbild
und
Das größte Beispiel ist Archilochos. Jaeger betont
die „Individualität“
zum
ersten Male
in der
archaischen
Lyrik ausspricht. Er stellt diesen neuen Sinn für das Ich gegen die moderne „in sich selbst versenkte
Empfindung
des Ichs in seiner Weltverbunden-
heit oder Weltgelóstheit*', und sieht den Unterschied darin, daß das Denken und
Fühlen
der
alten
Dichter
„irgendwie (!) auf ein
Normatives,
Sein-
sollendes bezogen“ bleibt (163) — damit ist dann der Anschluß an den Paideia-Gedanken gefunden. Von Archilochos heißt es dementsprechend, man pflege zwar als das Entscheidende und Neue das kühne Selbstbewußtsein
dieses
Ichs
zu
empfinden,
„aber
wir
müssen
uns
dabei
doch
auch
erinnern, daß es ein Prozeß geistiger Selbstformung ist, wenn der Dichter seiner eigenen realen Person hier das heroische Gewand der epischen Aus1 Jaeger selbst spricht 129 von den Reden bei Homer, die zur Tapferkeit mahnen; „diese Paränesen brauchte man nur von dem mythischen Hintergrund abzulösen, vor den sie im Epos gestellt sind, und sie in die lebendige Gegenwart zu setzen", und 163 nennt er es „eine bildungsgeschichtlich denkwürdige Tatsache ..., daß
das spartanische Bürgerideal seine dichterische Ausprägung findet, indem die homerische Paränese, die die Helden zur Tapferkeit anfeuerte, aus dem Epos unmittelbar in die wirkliche erlebte Gegenwart versetzt wird“. Ob diese Ermahnungen wirklich zunächst nur vor dem mythischen Hintergrund vorhanden waren? Oder ob
sie nicht dort erscheinen, weil sie schon
in der „lebendigen
Gegenwart‘
der
homerischen Zeit existierten?— 136 spricht Jaeger im Anschluß an Tyrtaios von den Ermahnungen zur Tapferkeit bei Kallinos: „Hier erwächst in der gleichen Lage aus den gleichen gegebenen Voraussetzungen ein verwandtes dichterisches Erzeugnis. Wir finden bei Kallinos dieselbe Abhängigkeit in allem Formalen von
Homer und dieselbe Durchdringung der epischen Form mit dem Geiste städtischen Gemeinschaftsgefühls.‘“ Auch das zeigt, daß Jaeger den Tyrtaios zu absolut nimmt, wenn er ihn als den Schöpfer der spartanischen „Staatsethik“ preist. 1 Vgl. dazu etwa den Aufsatz von Schiller über ‚die Gesetzgebung des Lykurgus
und Solon", den aufzuschlagen noch heute lohnt.
42
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
drucksform überstreift‘‘ — nämlich da er sich „Diener des Herrschers Enyalios" nennt, der sich „zugleich auf die liebliche Gabe der Musen versteht‘“ (164). Mit einer kurzen Geste wird beiseitegeschoben, daB bei Archilochos neue Inhalte hervortreten; daß diese neuen Inhalte sich wie
in aller nachhomerischen Form
kleiden,
daß
Poesie so auch bei Archilochos
ferner
nicht
nur
homerische
in homerische
Worte,
sondern
auch
homerische Szenen die Selbstäußerung beeinflussen, wird als der entscheidende Wille zur „geistigen Selbstformung‘‘ und zum Heroischen gedeutet. Allerdings, auch Jaeger vermag nicht den ganzen Archilochos heroisch umzustilisieren.
„Nicht immer
... fühlt er sich freilich dieser anspruchs-
vollen Rolle völlig gewachsen. Die Individualität des Archilochos äußert sich nicht nur darin, daß er sein zufälliges Ich zu der idealen Norm emporhebt und in sie hinein bildet, die er von Homer übernimmt, sondern dieses
Sich selbst mit dem Ideal gleichen und an ihm messen führt notwendig dazu, mit dem scharfen, objektiven Blick des Griechen auch die Stellen
zu erspähen, wo diese schwere archaische Heldenrüstung um das schlotternde Gebein der eigenen unzulänglichen Menschlichkeit nicht paßt. Diese Selbsterkenntnis kann der unbesieglichen Munterkeit des Archilochos nicht einmal Abbruch
tun,
sie wird
umgekehrt
für ihn ein neues
Motiv
der Selbstäußerung und humorvollen Selbstbehauptung auch gegenüber den unerreichbaren Ansprüchen der herkömmlichen Ideale.“ Archilochos mit heroischer Selbstformung und humorigen Minderwertigkeitsgefühlen! Und
dieser Archilochos
mit
seiner
„Transformation
des
Heroischen
ins
Natürlich-Allzunatürliche wird dann noch in Parallele gesetzt zu Achill, der zu dem
gramerfüllten
Priamos
sagt: „Auch
Niobe mußte, als sie sich
an Tränen gesättigt, wieder der Speise gedenken.“
Darin soll Achill aus-
sprechen, daß ,,wir alle nur Menschen sind“ und daß „auch das Heroentum
seine Grenzen hat“. Das Homerische ist im allgemeinen heroisch. Etwas sehr Natürliches und Schlicht-Menschliches wie das, daß auch der Trauernde sich wieder in das Leben zurückfindet, ist ein Abfall von dem Heroischen.
Das Heroische steht also im Gegensatz zu diesem Schlicht-Menschlichen. Da nun Jaeger in dem Heroischen das eigentlich Bildende der Homerischen Gedichte und sogar das Wesentliche sieht, so müßte das „Natürliche“ etwas sein, das nicht „bildet‘ und nicht einmal zu den wesentlichen Zügen Homers gehört. Und weiter: Wenn Archilochos für die „Pormung des
griechischen findet
Geistes
sich darin,
daß
gerettet werden
soll, muß
er sich selbst in den
er heroisch
überkommenen
sein.
Das
Formen
des
Epos schildert und sieht. Das aber, was neu in seinen Gedichten hervorbricht, ist etwas „Natürlich-Allzunatürliches“ — und offenbar dürfte es deswegen nicht ,formend' und auch nicht wesentlich sein. Aber jetzt
schlägt die Beweisführung Jaegers einen überraschenden Haken;
er sagt:
wie in der Szene zwischen Priamos und Achill „die Tragik des Natürlichen,
so bricht bei Archilochos seine Komik die strenge heroische Norm. Doch
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
43
irgendwie (!) kreist das Denken der Griechen immer um die rechte Norm und setzt sich mit ihr auseinander, sei es, um sie gegenüber der Natur als das Hóhere zur Geltung zu bringen, sei es, um der Natur dem Ideal gegenüber
ihr Recht
zu wahren.“
Die
,,Natürlichkeit ^ des Archilochos
ist ein
wenn auch ferner Vorläufer der „philosophischen Revolution des sittlichen Denkens, die die ‘Natur’ als die wahre und allein gerechtfertigte Norm des Verhaltens verkündigen sollte". Jetzt erhält also auch das „Natürliche‘‘ die Kennmarke „Norm“. Diese Beweisführung wird nötig, weil alles „Bildende“ auf der ‚Norm‘ beruhen und jeder große Gedanke
des Griechentums sich nur von der „Bildung“ her verstehen lassen soll — und sie wird möglich, weil die verwandten Begriffe so vage sind. „Norm“
steht einmal auf der Seite des Heroischen gegen das Natürliche, dann auf der Seite der Natur gegen die Konvention; der Zwiespalt innerhalb des Archilochos wird ein Zwiespalt zwischen Norm und Norm; was nun aber unter Norm,
was unter Heroischem
und besonders
unter Natürlichem
zu
verstehen ist, bleibt ungeklärt.— Auch an den Schimpfgedichten des Archilochos sieht Jaeger vor allem das „Normhafte“. 170: wir können „nicht bezweifeln, daß in diesen kritischen Auseinandersetzungen mit Menschen,
Urteilen und Einflüssen, die aus irgendwelchen Gründen die öffentliche Aufmerksamkeit erregen, nicht belanglose Subjektivität das Maul aufreißt, sondern ein anerkannt Überlegener das Wort ergreift‘. 171: „Selbst jenes reine Haßgedicht ist doch, wie der wirkungsvolle Schluß überraschend zeigt, aus gerechtem Haß entsprungen, wenigstens hält Archilochos ihn dafür.‘ Archilochos als offiziöser Schimpfer — und als Künder der Gerechtigkeit (wo wäre jemals in der Welt geschimpft, ohne daß der Schimpfer glaubte, im Recht zu sein?) — dieser normbezogene Archilochos wird nicht viele Gläubige finden. Dabei ließe sich gerade an Archilochos zeigen, wie
in ihm
eine neue
Intensität
des
Fühlens
durchbricht,
die eine
neue
Auffassung des menschlichen Geistes bedingt, und man könnte davon sprechen, daß diese neue Selbstinterpretation, ja, Selbstentdeckung des Menschen die späteren Griechen geformt hätte; es ließe sich z. B. aufweisen,
daß Heraklit an Archilochos anknüpfte, um diese neuen inneren nungen philosophisch zu begreifen; man könnte insofern von einer herischen Bedeutung des Archilochos sprechen — aber es wäre Bildung ohne pädagogische Absicht und ohne Gedanken an eine Norm. Auch hier kann das Interesse an der Paideia das Wesentliche
Spanerzieeine feste nicht
entdecken, sondern nur verdecken.
Die übrigen archaischen Lyriker sind ebenfalls normbezogen, was immer sie singen. In dem 'carpe diem’ des Semonides steckt die „homerische Weisheit",
die bedenkt,
wie kurz
das Leben
ist, aber „aus
der Welt
des
Heroenmythos in die mehr naturhaft empfindende Gegenwart des Dichters übertragen, muß (1) diese Einsicht statt tragischen Heldentums glühenden Lebensdurst wirken“ (177). Die „hedonistische‘‘ Poesie des Mimnermos
44
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
ist „geistesgeschichtlich betrachtet ... einer der wichtigsten Wendepunkte in der griechischen Entwicklung‘; denn damit Sokrates und Platon das ἡδύ durch
das καλόν
überwinden
konnten,
„mußte
das
menschliche
Ver-
langen nach voller Lebensfreude und bewußtem Genuß gegenüber der Forderung des καλόν, wie das Epos und die ältere Elegie sie vertritt, erst einmal in grundsätzlicher Form seine Bejahung finden“ (179). So besteht Mimnermos vor den Augen Jaegers doch noch als einer, der stets das Böse will und stets die Normen schafft. Nur bei Sappho sieht Jaeger das Wesentliche in der „Empfindungsfülle'* (185); bei ihr ist „aus tiefstem eigenen Fühlen die Konvention des Stils und der Sprache zum reinen Ausdruck der Individualität umgeschmolzen" (186); aber, so meint Jaeger, dieser „Individualität“ sei nur die Frau fähig gewesen (186). Damit ist Sappho zu sehr isoliert, denn das Gefühl für das eigene Ich und seine Stellung in der Welt ist bei Sappho nicht prinzipiell anders als bei den übrigen archaischen Lyrikern; und Jaeger gibt jedenfalls keine schärfere Bestimmung dessen, was er unter „Individualität“ versteht und was Sapphos Ich-Bewußtsein unterscheidet von dem ihrer Zeitgenossen. Besonders belastet mit Erzieheraufgaben ist Pindar. Er erzieht durch direkte Ermahnung, selbst wenn er vor dem König steht: z. B. hat Hieron Pindar für einen schmähsüchtigen Archilochos gehalten; darauf weist Pindar „dem Könige, der sich nicht auf der Höhe seiner Würde gezeigt hat, als er Einflüsterungen sein Ohr lieh, ein Vorbild, dem er nacheifern
8011“ (285). Der
Sieger soll erzogen werden
durch den Hinweis auf die
Ahnen: „Vor allem liegt für Pindar in dem Gedanken an die Vorfahren ... der große erzieherische Antrieb des Vorbilds'* (284). Auch der Mythos
dient der Pädagogik: „Das ist der Sinn aller mythischen Vorbilder, die er den Menschen vorhält, daß sie sich durch sie ihr eigenes erhöhtes Wesensbild zeigen lassen‘ (285). Der Zusammenhang, in dem das steht, zeigt, daß auch wieder der Sieger, der mit den Heroen in Verbindung gesetzt wird, erzogen werden sollt. — Aber an anderer Stelle (280) heißt es: ,,Pindar 1 Nebenbei bemerkt: im allgemeinen bestellt der Sieger sich seinen Sänger; der Besungene wird da hoffentlich das „erzieherische Bewußtsein‘“ (286) des Sängers nicht verkannt haben. „Der agonale Mensch‘ (275), vom Faustkämpfer bis zum
sizilischen König, wußte bei seinem ethischen Streben offenbar nichts Schöneres für seine Siegesfeier, als sich von Pindar erziehen zu lassen.— „In der Erziehung der Könige sieht Pindar die letzte und höchste Aufgabe, die dem Adelsdichter in der neuen Zeit zufällt‘‘ (290). Ob es Hieron schließlich doch nicht mehr mochte, daß in seiner Erziehung die Hauptaufgabe Pindars lag? Ob er deswegen zuletzt
nur noch den Bakchylides heranzog? Jedenfalls wurde Pindar schon 30 Jahre vor seinem Tod um das Objekt seiner „letzten und höchsten Aufgabe‘ gebracht. Diese
Tragik umwittert auch sonst das Erziehertum; wir sahen schon den Mißerfolg der Phoinix-Rede; auch Aristophanes ist es schlecht ergangen: die Komödie erreicht in den 'Fróschen' „den Höhepunkt ihrer erzieherischen Sendung“ (478), aber leider
hat weiterhin Euripides und nicht Aischylos auf die Griechen gewirkt. Doch das
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
45
... formt aus seinen Siegern die Urbilder der Areta.“ Da sind die Sieger Vorbilder: sie sollen also nicht nur erzogen werden, sondern auch selbst wieder die anderen erziehen. Hier führt sich der Übereifer des Erziehens selbst ad absurdum, denn wenn das Siegeslied wie die Bildsäule des Siegers „der Prägung des höchsten menschlichen Ideals'* (280) dienen soll, wenn das Lied den Sieger ,besingt'" und „feiert“ als „Träger höchster Areta‘“
(280 u. 282), so kann der Sieger doch nicht außerdem noch ermahnt und erzogen werden sollen. Wieder ist der Begriff „Erziehung“ so vage gefaßt, daß die bloße Frage, wer jeweils als der Erzogene und als der Erziehende hingestellt wird, die Ausführungen Jaegers in sich zusammensinken läßt. Sicher hat Pindar viel darüber gesonnen, welches die eigentlichen Werte im Leben sind, aber so, wie er davon spricht, liegt, wenn man schon einen
modernen Ausdruck anwenden will, eher etwas Philosophisches darin als etwas Pädagogisches. Die besondere Form, wie gerade er über diese Dinge nachdenkt, ist für die geschichtliche Situation der Übergangszeit sehr charakteristisch: Noch glaubt Pindar an die alten festen Werte, aber sie gelten
nicht
mehr
selbstverständlich,
sondern
es ist nötig,
sie stets von
neuem zu zeigen und zu beweisen — eben das ist die Aufgabe des Dichters. Ein Widerspruch, der sich bei seiner Auffassung Pindars ergibt, wird von Jaeger klar erkannt: Pindar will erziehen, aber er glaubt, daß das Edle dem Menschen eingeboren ist und nicht gelehrt werden kann. Wie es möglich ist, daß
Pindar wirken möchte, aber nicht an das Lehren glaubt,
läßt sich verstehen, wenn
man fragt, wie Pindar den menschlichen Geist
auffaßt; der Vers γόνον τέ οἱ φέρτατον ἀτίταλλεν ἐν ἀρμένοισι πᾶσι ϑυμὸν αὔξων
(N. 3, 58), den Jaeger selbst anführt keit glaubt, den ϑυμός zu mehren, Menschen zu begeistern oder wie andere Stellen sprechen Ähnliches
(287), zeigt, wie Pindar an die Möglichdem Geist Schwungkraft zu geben, den wir das umschreiben wollen, und auch aus!. Diese wichtigen Dinge können
jedoch nicht zur Sprache kommen, wenn man nur von der Paideia, dem Formenden, handelt, aber den Geist, der geformt werden soll, nicht berück-
sichtigt, als ob er etwas ist grundverschieden, je Daß die Siegeslieder die Mythen den Glanz Wesentliche
und
Konstantes wäre. Denn Erziehung und Erziehung nachdem, auf welche Art von Geist man wirken will. Pindars zunächst einmal Festlieder sind und daß der Feier erhöhen sollen?, daß Pindar nicht nur
Großartige
bleibt:
das
erzieherische
Ethos,
die
erzieherische
Haltung, wenn auch der Zögling davonläuft. (Jaeger spricht selbst einmal S. 389 von der „inneren Ántinomie' zwischen dem griechischen Glauben an das Erziehen
und dem griechischen Zweifel daran. Schon das sollte davor schützen, das ganze Griechentum von der Paideia aus verstehen zu wollen.) 1 N.3, 42 übersetzt Jaeger: ,,Sondern von tausend hohen Dingen mit unreifem Sinn kostet er nur“; es heißt: „An tausend hohen Dingen beteiligt er sich ohne Erfolg.“ ! Man denke etwa an den Mythos in dem ältesten Pindargedicht P. 10, das die
Freude der Hyperboreer beim Festschmaus schildert; auch sonst gibt es genug Mythen bei Pindar, die mit pádagogischen Paradeigmata nichts zu tun haben.
46
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
Würde,
sondern
gehören
seine Enkomien),
Witz,
vom
freien
auch
viel Anmut
Spiel, von
all das
besaß
geht
(zu
den
schönsten
hier verloren.
der natürlichen
Gedichten
Überhaupt,
vom
Heiterkeit der Griechen
zu
reden, was uns so gut tun würde, verträgt sich wohl nicht mit unserer Moral.
Der Geist erweist seine Existenz nur im Erziehen, und nach Schopenhauer als Erzieher, Rembrandt als Erzieher, Platon als Erzieher tritt jetzt das Grie-
chentum in seiner Gesamtheit und in all seinen Einzelheiten als Erzieher auf!. Es gibt ein Urteil des Euripides über die archaische Lyrik, das schlechthin
unverständlich wird nach dem Bild, das Jaeger von ihr zeichnet. In der Medea 1908. sagt die Amme, die alten Dichter seien so töricht gewesen, ihre Hymnen nur für die Festfreude zu dichten, aber niemand wäre auf die Idee gekommen, durch Gesang und Saitenspiel Leid und Schmerz zu
heilen. Wenn die Griechen von jeher, wie Jaeger wiederholt sagt, in den Dichtern Erzieher gesehen hätten, wäre solches Urteil, das wohl an Debatten der Zeit anknüpft (vgl. Schadewaldt, Gnomon 1926, 355), unmöglich. Es zeigt vielmehr, daß es eine neue Entdeckung war, daß die Lyrik (ὕμνοι oder πολύχορδοι δαί — darunter ist Wort und Musik zu verstehen) psych-
agogische Wirkung hat. Die allgemeine Meinung der früheren Zeit war offenbar, daß die Lyrik wesentlich dem Schmuck der Feste diente — und das sollen wir uns durch spätere „geistige‘‘ Ansprüche nicht ganz wegreden lassen. Diese Stelle aus der Medea verrät, wie Euripides selbst an pädagogischen Fragen Interesse hat. Jaeger, der in der älteren Zeit überall Pädagogisches aufspürt, hat bei Euripides das Erzieherische nicht voll gewürdigt?. Denn ! Zum
Pindarkapitel hat das sonst so großzügige Buch auf 279 u. 282, um auf
moderne Literatur einzugehen, zwei etwas kleinliche Anmerkungen, von denen ich auf die erstere kurz eingehen möchte. Wilamowitz hat in seinem Pindarbuch bei der Besprechung des ersten Pindargedichts (also nicht „nebenbei“, wie Jaeger sagt) sich die prinzipielle Frage vorgelegt, was Pindar an den Wettkämpfen schildert, und gesagt, daß Pindar sich nicht für den Kampf als solchen interessiert, sondern daß er nur den Sieger „in seiner schlichten Würde und Schönheit‘ betrachtet. Wila-
mowitz nimmt dies zum Anlaß, sich über die konkreten Voraussetzungen
klarzu-
werden, wie jemand zu einem Siege kommen konnte, und von hier aus zeigt er dann an jedem einzelnen Gedicht, wie die besonderen Verhältnisse jeweils die beson-
dere Art des Preisens bestimmen. Für Wilamowitz ist dieser Gedanke also Ausgangspunkt zur fruchtbaren Interpretation. Jaeger dagegen will diesen Satz erst dadurch
„zum Ausgangspunkt des ganzen Pindarverstándnisses" machen, daß er den umgekehrten Weg geht: „Der Blick des Dichters ist ganz auf den Menschen gerichtet“ (das ist das, was Wilamowitz „klar gesehen“ hat); dann heißt es aber weiter: „Der Sieg ist ihm die Offenbarung der höchsten menschlichen Areta'* — „der Mensch“ wird also nicht wie bei Wilamowitz als der bestimmte Sieger gefaßt, sondern als die „Idee des Menschen“ —, „er formt aus seinen Siegern die Urbilder der Areta.“
Wie solch ein Urbild aussicht, wie eine Interpretation noch möglich wäre, wenn die Sieger nur als solche Urbilder aufträten — all das ist schwer zu sagen. 3 Vgl.
447
den einzigen
Satz über das Erziehertum
des Euripides:
„An
erzichc-
tischem Bewußtsein fchlt es ihm durchaus nicht, aber es wirkt nicht als geistiger
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
47
für Jaeger ist die Paideia wesentlich an die „Norm“ geknüpft, aber bei Euripides lösen sich diese Normen auf. Und ebenso unterschätzt Jaeger, weil ihm Moral und Ethik an den Staat gebunden sind, den ausgesprochen moralischen Impuls des Euripides. Euripides ist ihm charakterisiert durch bürgerlichen Realismus, Rhetorik und Philosophie (433). Jaeger sagt etwa über Medea (434): „Vor allem will der Dichter bewußt aus Medea die Heldin der bürgerlichen Ehetragik machen, wie sie sich im damaligen Athen schon nicht selten abgespielt haben wird."! Euripides hat alles darauf angelegt, in Medea einen Menschen zu schildern, der völlig herausgelöst ist aus allen Bindungen an Staat und Familie und der damit ohne Recht dasteht; sie ist ein Mensch, den die Rechtsnormen nicht schützen und der doch Recht hat, der dann aber, um das Unrecht zu rächen, die
grausigste Tat begeht. Die Normen höheren,
menschlicheren
Rechts,
und
erfüllen nicht die Forderungen eines so kommt
Euripides
zur Kritik an
den geltenden Institutionen; der Mythos und das Heroische werden entlarvt, und die Fragwürdigkeit des Rechts wird aufgewiesen an der wirklichen Welt: das ist der Grund für seinen „bürgerlichen Realismus“. Die Werte sind nicht mehr einfach vorhanden, auch nicht mehr aufweisbar
wie bei Pindar, sondern sie werden gefordert werden der geltenden Werte ändert auch die Bei Euripides begegnen uns zum ersten Male wie der moralische Enthusiasmus (bei Makaria Hemmungen (z.B. in dem großen Monolog
und gesucht. Dieses LabilStruktur des Moralischen. die moralischen Gefühle, usw.) oder die moralischen der Medea). Man mag dies
eine ,Subjektivierung" des Moralischen nennen — in einem Buch, das einem ethischen Humanismus dienen will, würde man erwarten, daß diese
Fragen des Moralbewußtseins schärfer analysiert und in ihrer prinzipiellen Bedeutung gewürdigt würden. Jaeger bezeichnet als die treibenden geschichtlichen Kräfte immer wieder die zunehmende Rationalisierung und Individualisierung und die Zersetzung der Normen, aber auch hier erweisen
sich Individualität und Norm eine geschichtliche
Situation
als zu vage Begriffe, um mit ihnen allein zu beschreiben?,
„Subjektive
Reflexion
und
Aufbau eines einheitlichen Kosmos, sondern spricht sich mehr in seiner immer wieder leidenschaftlich hervorbrechenden Anteilnahme an einzelnen Fragen der Öffentlichkeit und des geistigen Lebens aus.‘ Die erzieherische Absicht ist zweifellos größer bei Euripides als bei den älteren Tragikern; daß sie sich hauptsächlich auf Einzelfragen erstreckte, stimmt nicht, denn seine Kritik ist durchaus radikal und prinzi-
piell. Aber den festen Bau einer einheitlichen Weltanschauung nicht vorzuweisen. 1 Kurz vorher heißt
es allerdings
(sehr viel richtiger):
„Die
hat er allerdings damaligen
athe-
nischen Frauen waren keine Medeen, sie waren für diese Rolle entweder zu dumpf und unterdrückt oder zu kultiviert.‘ ! Die Wendung zum „Subjektiven‘“ bei Euripides wird von Jaeger in Parallele gesetzt zur alten Lyrik, ohne daß die beiden verschiedenen Erscheinungen gegeneinander abgegrenzt werden: ,,Mit Euripides setzt die Entwicklung mächtig wieder
ein, die in der jonisch-äolischen Lyrik
ihren
ersten Höhepunkt
gefunden hatte,
48
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
Empfindung‘, sagt Jaeger (444), lösen bei Euripides die vergangene Welt auf; aber daß er die kommende vorbereitet, schildert Jaeger so, als sei das Neue in erstaunlichem Maße von ihm vorgeahnt und ,,vorgefühlt'* (448). In Wahrheit ist eben seine Zersetzung eine in die Zukunft weisende moralische Tat, und die alten Normen gingen verloren auf der Suche nach neuen. Das Diskutieren und Räsonieren der Euripideischen Figuren würde standpunktloser Relativismus sein, wenn darin nur der „ungeheure Umschwung
zum Subjektiven‘ in die Erscheinung träte (441); aber sosehr Euripides bis hin zu den Bakchen die These und die Antithese zur Diskussion einander gegenüberstellt, der Sinn liegt nicht im blofien Diskutieren, sondern in der Frage nach einer Lósung. Zwar wehrt Jaeger Übertreibungen der Euripides-Kritik, wie sie von Aristophanes her über Aug. W. Schlegel und Nietzsche in unsere
Zeit gekommen
sind!, ab, aber da er selbst das
Moralische in der festen Ordnung sieht, verkennt er, daB hier eine Destruktion in moralischer Absicht geschieht, und wenn er zwar ófter erwähnt, daß Platon durch den spartanischen Staat und durch die Adelsgesellschaft bestimmt ist, so fände man gern auch einen Hinweis darauf, daß das Prinzi-
pielle und Abstrakte der Platonischen Forderungen aus dem Gedankenkreis stammt, den wir zuerst bei Euripides treffen. Ích breche hier ab mit der Besprechung von Einzelheiten, um abzuschließen
mit
allgemeineren
Bemerkungen,
die
das
am
Einzelnen
Aus-
geführte zusammenfassen und ergänzen sollen. Jaeger bringt, wenn er die Formung des griechischen Menschen beschreibt, durchweg die beharrenden anonymen Kräfte stärker zur Geltung als die persönlichen, revolutionären. Es hängt
dies nicht nur, worüber
sich allerdings
schwer
streiten läßt, an
einer Unterschátzung des vorwärtsstürmenden Tempos in der Geistesgeschichte des Griechentums?, sondern an der Art, wie Jaeger das Griechidann aber durch die Schaffung der Tragödie und die Wendung des geistigen Lebens ins Politische zum Stillstand gekommen war“ (441f.). Dem entspricht es, daß Jaeger Aischylos von Euripides fort- und an Solon heranrückt; er spricht von einer „Einigkeit des Aischylos und Solon“, über die man allerdings die „Verschiebung der Akzente‘ nicht überhóren dürfe (332). 1 Nicht erst Karl Otfried Müller hat, wie Jaeger S. 448 meint, dem Euripides Versündigung am Mythos vorgeworfen, sondern er ist abhängig von Schlegels berühmten Vorlesungen. Es gibt übrigens zu denken, daß der Haß gegen Euripides am schárfsten bei denen durchbricht, die sich in ihrer eigenen dichterischen Produktion durch ein überwaches Denken gehemmt fühlen. Es steckt immer viel Ressentiment gegen den Geist und Selbsthaß darin. 2 Jaeger rühmt des öfteren an den Griechen ihr Traditionsbewußtsein, ihre Scheu, überkommene Gestalten abzuwandeln. Besonders gern wird dieser Zug durch die Geschichte der griechischen Plastik illustriert. Mir scheint es unhistorisch, die Griechen darin nur an uns zu messen: man vergleiche, was es vor den Griechen
gab, etwa die Entwicklung der ägyptischen Plastik, und das dauernde Weiterdrängen der Griechen wird ungeheuer erscheinen. Einem Ägyptologen würde es besser anstehen, den „Zwang der Gattung“ usw. zu preisen.
Besprechung von W. Jaeger, Paideia sche vom
Politischen aus deutet. Die Normen
49
und Vorbilder,
die ihm so
wesentlich sind für den griechischen Geist, werden bezogen auf die politische Tradition und auf die jeweilige politische Autorität. Wenn aber Jaeger die Geschichte der griechischen Bildung so durch den Begriff der Norm an das Politische knüpft, so kann er nicht vordringen zur Substanz der Bildung, dem Geist und seiner Geschichtlichkeit. Jaeger sieht zwar in der griechischen Entwicklung eine bestimmte Richtung auf Rationalisierung und Individualisierung, aber diesen Prozeß in seinem procedere zu verfolgen, das Variable,
das eigentlich Geschichtliche darin aufzuweisen,
würde
ver-
langen, immer wieder zurückzugreifen auf die Struktur des Geistes!. Wer sieht, daß immer
die Norm
herrscht,
kann
an dem
treibenden Vorwärts-
drängen der Geschichte unmöglich Anteil nehmen. Der wesentlich philosophische Zug der griechischen Entwicklung, daß die Griechen ausgingen auf Erkenntnis und Bewältigung der Welt, geht in dieser Darstellung verloren. Es ist nur folgerichtig, daß Jaeger die Bedeutung der Sophisten stark unterstreicht und daß er in ihnen, die das Problem der Erziehung in den Mittelpunkt gerückt haben, die ersten Humanisten sieht (380 ff.). Jaeger erkennt, daß die Sophistik „‚wissenschaftsverdrängend‘“ gewirkt hat (378), und obwohl er ihnen eine Bedeutung für die Geschichte der Philosophie deswegen zuweist, weil sie den Bereich der
ionischen
Wissenschaft
„nach
der
ethisch-sozialen
Seite'
erweitert
haben (378), möchte er sie doch aus der Geschichte der Philosophie ganz herausnehmen (373)?. Er stellt sie vielmehr in die Tradition der Dichter (375); Jaeger kann dies tun, da er die Dichter als Erzieher betrachtet— aber der wesentliche Unterschied, daß die Dichter Gedichte gemacht haben, bleibt
dabei unberücksichtigt. Die Sophisten sind genau so „poesieverdrängend“ wie „wissenschaftsverdrängend“.
Zum
Dichter wie zum Philosophen oder
Historiker gehört der Wille, ein Stück Welt darzustellen; diese Hingabe an das Sachliche fehlt aber dem Sophisten eben dann, wenn ihm die Wirkung auf die Menschen, die Lehre und das Erziehen vor allem wichtig ist. Diese objektive Leistung wird, sei es Dichtung, Historie oder philosophisches 1 Jaeger sagt z. B. (437) „Der alte Schuldgedanke war ein objektiver, der Mensch konnte mit einem Fluch, mit einer Befleckung behaftet werden ohne eigenes Wissen und Wollen... Aischylos und Sophokles sind noch erfüllt von dieser alten religiösen Idee; sie suchen sie aber zu mildern, indem sie den Menschen, über den ein solcher
Fluch
kommt,
mehr
aktiv
an
seinem
Schicksal
mitwirken
lassen,
freilich
ohne
dadurch den objektiven Begriff dieser 'Ate' anzutasten.‘“ Also soll das Verantwortungsbewußtsein des Menschen und das Bewußtsein persönlichen Handelns entstanden sein, um die Vorstellung von der 'Ate' zu ,,mildern". In Wahrheit ist das neue Bewußtsein vom Handeln das Primäre, und daraus ergibt sich, wie vieles
andere, so auch eine Änderung in der „objektiven“ Auffassung der herrschenden ἄτη.
3 Ich sche hier ab von der Frage, ob die Deutung der Sophisten von der Paideia aus nicht auch einseitig ist und ob ihnen nicht doch auch sachlich-philosophische Leistungen zugesprochen werden müssen. 4
8496
Saell, Ges. Schriften
50
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
System, auch von dem dritten Humanismus nicht ins Auge gefaßt, wenn er den Blick ablenkt auf das Pädagogische. Die Auscinandersetzung zwischen Sophistik und Philosophie wird Jaeger erst im 2. Band seines Werkes behandeln — aber es zeigt sich schon hier, daß Jaeger dem pädagogischen Humanismus zuliebe für Isokrates gegen Platon Partei nehmen müßte. Jaeger wundert sich darüber, daß es bisher oft unternommen ist, „den Staat, die Gesellschaft, die Literatur, Religion oder Philosophie der Griechen
in ihrer Entwicklung Meinung
nach
zu schildern‘
(Vorwort),
daß
aber
nie die seiner
bedeutsamere Aufgabe angepackt ist, „den geschichtlichen
Bildungsprozeß des griechischen Menschen und den geistigen Aufbau des idealen Menschenbildes der Griechen in ihrer Wechselwirkung darzu-
stellen". Doch das ist gut so. Der Staat und die Gesellschaft sind bestimmt gestaltete
Realitäten,
ist; Literatur,
deren
Religion
Strukturwandel
und
geschichtlich zu beschreiben
Philosophie aber sind bestimmte
Formen,
in
denen der Mensch die Realität des Lebens und der Welt zu begreifen und darzustellen
einheitlicher Geschichte
sucht. Auch
Struktur
die Paideia
fassen,
und
könnte
man
als
Bildungsgeschichte
der erzieherischen Technik
sein
oder
solche Realität
könnte
mit
entweder
Geistesgeschichte
oder
auch eine Geschichte des Vorbildgedankens. Bei Jaeger dagegen wird die
Geschichte der bewußten erzicherischen Tätigkeit (der Technik) und — was etwas anderes ist — die Geschichte des pädagogisch Wirksamen (des Vorbildes usw.) einbezogen in eine Geistesgeschichte, ohne daß nun der
Geist zum Thema
der Geschichte würde.
durch das ganze Werk
Das hat zur Folge, daß sich
Jaegers eine zweideutige Verwendung
der Worte
Erziehung, Bildung, Paideia hindurchzicht: bald ist die erziehende Absicht, bald die erzieherische Wirkung
gemeint, und immer wieder wird aus der
bildenden Wirkung auf die pädagogische Absicht geschlossen; neutrale, schwer festlegbare Wendungen wie „erzieherisches Bewußtsein“, „erziehetisches Ethos“ und so fort erleichtern es oft, die logische Fixierung noch
mehr
in der Schwebe
zu lassen. Die fehlende sachliche und
Prágnanz führt dann dazu, die zuweiten, so daß als Träger des nungen auftreten: Die Dichter, die Frauen (48), die Polis (z. B.
begriffliche
Bedeutung des ,,Erzieherischen'^ stark ausErziehertums die mannigfaltigsten Erscheider Mythos (z. B. 285), die Vorfahren (284), 512f.), die Gesetze (z. B. 153), die Freund-
schaft (261), das Symposion (233) und so fort. Dies sonst so unbestimmt gefaßte Erziehertum ist nun aber festgelegt auf die „Norm“ und das ,,Vorbild“, so daß die feineren Wendungen des lebendigen Wortgebrauchs und die zarteren Biegungen eines besonderen Gedankens von einem so starren Begriff nicht erfaßt werden!. Die beiden gegeneinander wirkenden Ten1 Dafür noch zwei Beispiele: Kallikles sagt in Platons Gorgias 484 Cff., ein ernsthafter Mann sollte sich nicht mit Philosophie beschäftigen. φιλοσοφίας μὲν ὅσον παιδείας χάριν καλὸν μετέχειν, καὶ οὐκ αἰσχρὸν μειρακίῳ ὄντι φιλοσοφεῖν (458 A), ja zu einem ordentlichen, anständigen Menschen, der etwas auf sich hält, zu einem
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
51
denzen, die Paideia möglichst auszuweiten, ihr aber doch durch die Norm-
bezogenheit etwas Festes zu geben, bedrohen das Buch damit, daß gerade in den Hauptpunkten nach dem Schopenhauerschen Wort die Absicht die Einsicht verdirbt. Und wenn das unscharfe Denken beginnt, setzt oft eine isokratische Vorliebe für das Rhetorische ein. Auf die Gefahren des Jaegerschen Humanismus brauche ich nach dem Gesagten nur mit wenigen Worten einzugehen. Daß Jaegers Vorstellungen
von der „Bildung“ Züge eines blassen Klassizismus zeigen und daß das Ganze
in einer
etwas
dünnen
akademischen
Luft
steht, wo
einem
nicht
der Hauch lebendiger Natürlichkeit entgegenweht wie von dem Griechentum
Goethes,
Humboldts
oder
Hölderlins;
daß
ferner
das ‚Jahrhundert
geschichtlicher Forschung, die am Gegensatz zum Klassizismus großgeworden ist‘ (15), nicht wirklich eingegangen ist in diesen Humanismus und daß Jaegers Glaube an die Erziehung und seine Vorstellung von einer allgemein gültigen höheren Geistigkeit auch dadurch mit dem zweiten Humanismus verwandt ist, daß er „eine größere Ursprungsnähe zu dem Rationalismus der Aufklärung als zu dem ... historischen Denken“ (15) hat, all das ist an vielen Stellen deutlich geworden. Den Fortschritt über den zweiten Humanismus sieht Jaeger darin, daß das Vorbildliche der Griechen nicht mehr sosehr im Ästhetischen als im Politischen und Ethischen liegen soll. Hier erheben sich nun die schwersten Bedenken, ἐλεύϑερος (485 C) gehört es geradezu, in seiner Jugend zu philosophieren, aber als Erwachsener soll er diese Spielerei lassen und sich mit den politischen Dingen beschäftigen. Die Paideia, als „zwecklose‘“‘ Bildung, steht also im Gegensatz zu den „ernsthaften“ Aufgaben des Menschen. Jaeger (405) aber macht daraus: „Die
Beschäftigung mit der Forschung ‘nur um der Bildung willen’, und soweit sie dazu
notwendig
ist, war
die Formel
der
perikleischen
Kultur“,
und
weiter:
die Sophisten „waren dazu prädestiniert, Athen die Elemente des Geistes zu vermitteln, deren es für die großen und verwickelten Aufgaben seines Staates nicht entraten konnte, und das jonische Wissen der attischen Bildung dienstbar zu machen‘‘ (die Sperrungen von mir). Als ob Kallikles eine „Bildung“ für „notwendig“ gehalten hättel Nein, der Aristokrat sieht mit Vergnügen, daß die
jungen Leute Dinge treiben, die gar nicht notwendig sind — die er, heiter und frei, nicht anders beurteilen wird als andere jugendliche Leidenschaften. — Perikles nennt
in der Leichenrede
Thuk. 2, 41
die Stadt Athen
τῆς Ελλάδος
παίδευσιν.
Das
übersetzt Jaeger (513): „die hohe Schule griechischer Bildung‘; Perikles sagt: die anderen Staaten können von uns lernen, wir aber nichts von ihnen. Spricht man da von „Schule“, so wird wieder die erzieherische Absicht eingesetzt, wo von der
Wirkung die Rede ist. Aber auch diese Wirkung wird noch sublimiert: „Mit dieser Erkenntnis der geistigen Hegemonie Athens, die des großen Historikers würdig ist, erscheint vor seinem dynamischen (!) Blick zum ersten Mal die Tatsache und das Problem (!) der geschichtlichen Fernwirkung (!) der attischen Bildung." Die „Idee der Paideia‘“‘ (und nicht etwa die kulturelle Leistung) rechtfertigt „Athens
politischen
Geltungswillen“,
und
der Athener
ist der feurige
Liebhaber
seines
Staates, weil dieser den „Charakter der Norm“ besitzt (512) — wie sollte man sich wohl in etwas anderes verlieben können als in die Norm? 4*
52
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
Zweifellos ist es richtig, wenn Jaeger sagt, daß man die Griechen zeit-
weise allzu „individualistisch‘‘ gedeutet habe. Es hat sich aber gezeigt, daß
er zu starken
Übertreibungen
neigt, wenn
er das
„Normative‘“
zur
Geltung bringen will. Folgenreicher noch ist, daß die sehr vagen Begriffe »Individualismus" und „Norm“ nicht genügend geklärt werden. Wir sahen schon, daß Jaeger die verschiedenen Formen des „Individualismus“ und des „Normbewußtseins‘“ in der Antike nicht klar genug voneinander abhebt, aber auch der Unterschied vom Modernen wird nicht genügend geklärt. Jaeger sagt selbst, dieser Unterschied sei „gar nicht leicht begrifflich scharf zu erfassen“ (163), er gibt sogar einen Hinweis auf die Möglichkeit, diese Frage zu klären mit dem Satz (163): „Das griechische Individuum erlangt seine Freiheit und den Spielraum zu selbstbewußter Bewegung ... dadurch, daß es sich geistig objektiviert“ — aber wenn das Problem des griechischen Individualismus vom „humanistischen“ Gesichts-
punkt, d.h. von dem Gegensatz des Gesamtgriechentums zu uns, angesehen wird, ist eine sachliche Bestimmung noch weniger zu erwarten. Da bleibt dem
politischen Humanismus
nur eine schr allgemeine „Staats-
gesinnung‘ (16) als vorbildlich. Wenn Jaeger aber von der „Staatsgesinnung‘ und von der „Gebundenheit
an
den
Staat‘ spricht, läßt
er den
wesentlichen
Unterschied
außer
acht, ob es sich um den gegebenen wirklichen oder um einen geforderten und gedachten Staat handelt. „Unsere eigene geistige Bewegung zum Staat hin hat uns wieder die Augen geöffnet für die Tatsache, daß ein staatsfremder Geist dem Hellenen der besseren Zeit ebenso unbekannt war wie ein geistfremder Staat" (16). Was heißt hier „unbekannt‘‘? Zweifellos kannte doch Platon in der empirischen Welt seiner Zeit sowohl staatsfremden Geist wie geistfremden Staat!. Eben deswegen, weil es in der Realität nach Platons Meinung nur dies beides gab und keine Einheit von Staat und
Geist,
baute er seinen idealen Staat. Es hat sich auch gezeigt,
daß ohne diesen fundamentalen nicht
zu
verstehen
sind.
Jaeger
Gegensatz
schon
sagt weiter:
„Die
Pindar oder Euripides größten
Werke
des
Griechentums sind Monumente einer Staatsgesinnung von einzigartiger Großartigkeit, deren Ringen sich in einer lückenlosen Reihe durch alle Stufen der Entwicklung entfaltet vom Heroentum der Gedichte Homers bis zu Platons autoritärem Staat der herrschenden Wissenden.'* Was fordert nun dieser humanistische Hinweis auf die großartige Staatsgesinnung: Einfügung in die gegebene politische Welt oder schärfste Absage vom politischen Treiben des Tages und Hinkehr zu einem idealen Staat? Mögen im zweiten Humanismus die Leistungen der Griechen allzusehr als zeitlos, staatlos und volklos aufgefaßt sein — jedenfalls wirkten sie als ! Vgl etwa auch, was Jaeger selbst an der oben S. 41 zitierten Stelle über die Geistesarmut Spartas sagt.
Besprechung von W. Jaeger, Paideia
53
Verpflichtungen zu eigenen neuen Leistungen; mag das Griechentum allzu ästhetisch angesehen sein — jedenfalls sind im Nacheifern der Griechen große Leistungen entstanden. Erst dieser Leistungen wegen sprechen wir von einem zweiten Humanismus und einer deutschen Klassik. Wie sollen aber die Leistungen des dritten, des politischen und ethischen Humanismus aussehen? Staat und Volk sind schon deswegen heute etwas völlig anderes als in Griechenland,
weil es dort
Sklaven
gab,
aber auch
sonst
sind alle
wirtschaftlichen, sozialen und technischen Voraussetzungen so verschieden, daß keine politische Handlung und keine politische Institution jemals in dem Sinn vorbildlich für uns sein kann, wie es für Goethe ein griechisches Drama, für Schadow eine Plastik oder für Klenze ein Gebäude sein konnte.
Es ist demgegenüber belanglos, daß wir heute sehen, wie auch das klassizistische Werk, sozusagen wider seinen Willen, modern ist und daß der Glaube, antikisch zu sein, oft getrogen hat. Das Wesentliche ist, daß die
Antike unmittelbar zur Nachahmung begeisterte und zur eigenen Leistung verpflichtete. Wie der ästhetische Humanismus sich ausgewiesen hat durch künstlerische Leistungen, so müßte der politische und ethische Humanismus sich ausweisen durch den politischen Einsatz und durch die Tat. Man könnte einwenden: auch der deutsche Klassizismus ist eingeleitet durch ein
historisches
Werk,
durch
Winckelmanns
Geschichte
der
Kunst
des
Altertums. Aber nicht deswegen hat dieses den ästhetischen Humanismus eingeleitet, weilWinckelmann zum ersten Male das Griechentum „ästhetisch“ gesehen hat und weil er entdeckt hat, daß der Grieche ein „ästhetisches Wesen“ ist oder sich „ästhetisch verhalten‘ hat, sondern weil er Stellung
genommen
hat zur Kunst seiner Zeit, indem er die Antike gegen Bernini
setzte und indem er der Kunst selbst ein neues Vorbild wies; seine Bewun-
derung
der
griechischen
Kunst
ist kein
genügt
es nicht für einen Humanismus,
ästhetisches die Antike
Genießertum.
„politisch“
So
zu sehen
und festzustellen, daß der Grieche „politischer Mensch“ (16) ζῷον πολιτικόν (2) gewesen sei. Einem politischen und ethischen Humanismus ist es sogar ungleich verhängnisvoller, keiner sachlichen Leistung verpflichtet zu sein, denn zum Politischen und Ethischen gehört auf noch wesentlichere Art praktische Verantwortung und konkreter Einsatz. Den Ausführungen von Johannes Stroux über „Die Anschauungen vom Klassischen im Altertum“! ist, wenn man sie aufmerksam durchliest, zu entnehmen, daß in der
Antike selbst jeder neue Rückgriff auf das Klassische sich von dem vorigen dadurch
unterscheidet, daß er immer inhaltsleerer und formaler wird. Der
ästhetische Humanismus forderte eine klassische Kunst — was soll man sich unter einer klassischen Politik denken? Für ein philologisches Werk kann der Hinweis auf das politische Verhalten der Griechen wertvoll sein, das zeigt Jaegers Buch trotz allem, was dagegen einzuwenden ist. Aber ein 1 In dem Sammelband: Das Problem des Klassischen und die Antike, 1931, 19.
54 Humanismus
Besprechung von W. Jaeger, Paideia mit bloßer „Hexis‘“ und reinem „Ethos“
litisch, weil er nicht der Politik dient —
ist geradezu unpo-
oder weil er sich jeder Politik
dienstbar machen kann; das heißt aber, daß er ständig in Gefahr ist, Lite-
ratentum zu werden. Der zweite Humanismus ist für uns unwiderbringlich verloren; sein einseitiges Bild vom Griechentum sucht Jaeger zu korrigieren, indem er von der Paideia aus das Griechentum in seinem ganzen
Umfang, in seiner lebendigen Totalität zu begreifen hofft. Richtig war dabei die philologische Erkenntnis, daß die Kultur der Griechen nicht abzutrennen ist von ihrem politischen Leben, und berechtigt war auch die
schon vor zehn Jahren erhobene Forderung, das Politische nicht zu unterschätzen. Aber Jaeger hat seinen neuen Humanismus belastet mit dem rationalistisch-klassizistischen Vorbild-Gedanken des zweiten Humanismus.
Damit ist die wissenschaftliche Arbeit des 19. Jahrhunderts preisgegeben, und gerade für einen politisch-ethischen
Humanismus
muß der Gedanke
an die Vorbildlichkeit der Griechen ganz blaB werden. Aber uns Philologen ist auch nicht die Aufgabe gesetzt, einen neuen Humanismus zu schaffen, denn wir kónnen nicht mehr tun, als das Griechentum wahrhaft und rein zu erforschen und darzustellen. Daß es auch für uns noch Wert besitzt, glauben wir, und wir werden das Unsere tun, diesen Wert zur Geltung
zu bringen; aber ob es nötig oder förderlich ist, daß wir dazu eigene Theorien
und Programme schaffen, wird manchem Philologen zweifelhaft sein.
GÖTTLICHE
UND IM
MENSCHLICHE
HOMERISCHEN
MOTIVATION
EPOS
Albin Lesky sagt freundlicherweise in seiner Abhandlung, die den gleichen Titel trägt wie dieser Beitrag!, daß ich dem Nachdenken über dies Thema vor 35 Jahren einen neuen Anstoß gegeben hätte; aber obwohl ich seitdem mehrmals darauf zurückgekommen bin, allerdings nur kursorisch, nie systematisch und erschöpfend, ist es mir offenbar noch nicht gelungen, das, was ich meine, genügend klarzumachen. Die Sache ist wohl auch etwa spinös, oder scheint jedenfalls so, wenn man sich in der Terminologie nicht ganz einig ist. Gerade die Einwände Leskys machen es vielleicht leichter, sich doch zu verständigen. Ich gehe hier nicht ein auf die zahlreichen
Probleme,
die Lesky behandelt,
mit Recht behandelt,
da sie dem
Hauptthema eng verknüpft sind, und förderlich behandelt — vielmehr nur eine Frage diskutieren, die das Hauptthema angeht, eine der von Lesky herangezogenen Stellen besprechen —, das läßt sich dann vielleicht, auch ohne daß ich darauf eingehe, auf ausdehnen. Andererseits möchte ich zwei weitere Diskussionspartner
ich will und nur Gesagte Weiteres berück-
sichtigen, weil das, was sie vorbringen, es, wie mir scheint, verhältnismäßig
leicht macht, Mißverständnisse aufzuweisen — wie denn in diesen Dingen überhaupt
leichter
klarzumachen
ist, was
man
nicht meint, als zu sagen,
was man meint. Zweifellos ist man heute eher als vor dreieinhalb Jahrzehnten geneigt, das Eingreifen der Götter bei Homer als ernst gemeinte Motivation für das Handeln
der Menschen anzusehen; aber das liegt daran, da
das Ver-
ständnis für religiöses Verhalten überhaupt gewachsen ist. Mein Anliegen war spezieller: wie stehen menschliche und göttliche Motivation zueinander? Gibt ein echter Götterglaube Raum für eine menschliche (d.h. psychologische, seelische, geistige) Motivation? Läßt sich das, was den Göttern, gegen das, was den Menschen zukommt, vielleicht genauer abgrenzen? Hat sich der Anteil des Göttlichen und des Menschlichen für das Bewußtsein der Menschen im Lauf der Geschichte etwa verschoben? 1 Sitz.-Ber. Heidelb. Ak., Phil.-hist. Kl. 1961, 4. Abt. — Zu der von Lesky ange-
führten Literatur wäre vor allem nachzutragen K. Oehler, Die Lehre vom noetischen und dianoetischen Denken bei Platon und Aristoteles, Zetemata 29, 1962, 3ff., wo auch weitere Literatur genannt ist. — Ich selbst bin inzwischen erneut auf diese
Fragen, zumal auf den Unterschied zwischen Homer und Aischylos, eingegangen in meinen Sather Lectures, Scenes from Greek Drama, Berkeley and Los Angeles, 1964, 15ff. 3 Vgl. zu dem Methodischen: Entdeckung des Geistes* 10f.
56
Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos
Lesky meint, von Homer an bis zur Tragödie gäbe es immer eine doppelte Motivation: die Dichter erklären (oder können es tun) ein und dieselbe Handlung aus dem Zusammenwirken von göttlichen Kräften und persönlichen Motiven; gewiß nimmt er Unterschiede zwischen dem alten Epos und dem attischen Drama an, aber das Wichtige ist ihm doch die gleiche Grundhaltung. Das sehe ich nun freilich anders; meine Frage, nämlich ob Homer und Aischylos sich etwa grundsätzlich unterscheiden und wie solcher Unterschied allenfalls zu begreifen sei, tritt so zurück. Doch kommen wir zur Sache. Lesky
14 legt besonderen
Wert auf die Presbeia:
„In dem Verlauf des
Geschehens um Achilleus begegnen wir zu Beginn und am Ende ausgiebiger Einwirkung der Götter. Aber dort, wo die Entscheidung über das Schicksal des Patroklos und damit über sein eigenes fällt, da steht Achilleus allein. In dem großartigen Bau, den unsere Ilias darstellt ... ist die Presbeia die Partie, die über das Schicksal der Hauptgestalten entscheidet ... Das großartige Triptychon der Reden greift mit steigender Gewalt an sein (Achills) Herz. Auf die kürzeste und eindruckvollste, die des Aias, spricht er selber es aus (Il. 9, 645): so gut wie alles hast du mir aus der Seele geredet, aber mein Herz schwillt vor Grimm, wenn ich an das denke, was der Atride mir tat. Die Einsicht in das Richtige läßt den Grollenden noch nicht die Mauer überspringen, in die ihn sein Zorn eingeschlossen hat, alles folgende Unheil nimmt von hier seinen Ausgang. Was sich da vor unseren Augen abspielt, hat einen einzigen Schauplatz: das
Innere
des Achilleus,
der
erkennt
und
doch
nicht
anders
kann,
als
sein Groll ihn zu tun zwingt. Kein Wort davon, daß hier Götter mit im Spiele wären!“ Nach Leskys Meinung ist also Achill eine euripideische Phaidra, die sagt: τὰ χρήστ᾽ ἐπιστάμεσϑα καὶ γιγνώσκομεν, οὐκ ἐκπονοῦμεν δέ... (Hippol. 380f.) — nur daß Homer die entscheidenden Worte gerade nicht benutzt: er spricht weder von der „Einsicht in das Richtige" noch sagt er, daß Achill „erkennt“. Die Verse lauten vielmehr (645): πάντα τί μοι κατὰ ϑυμὸν ἐείσαο μυϑήσασϑαι" ἀλλά μοι οἰδάνεται κραδίη χόλῳ, „alles scheinst du in gewisser Weise mir nach dem 'Thymös
gesprochen
zu haben, aber mein Herz schwillt vor Grimm“. Wollen wir das modern umschreiben, dann etwa so: „ich kann dir weitgehend nachempfinden, was du sagst“. Von ,,Einsicht" und vollends von „Einsicht in das Rich-
tige" ist jedenfalls nicht die Rede.
Sucht man
aber in den Worten
des
Aias die, welche Achill mit solchem „Verständnis“ aufgenommen hat, so kann das, wie es schon bei Ameis-Hentze zu der Stelle steht, nur der Satz sein (V. 636f.): „Dir haben die Götter einen unablässigen und schlimmen
Zorn in die Brust gelegt — nur um
eines Mädchen willen." Homer
hat
Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos also seinen Achill nicht so verstanden,
daß er alleinsteht, daB
57 er nur
aus
seinem Inneren heraus eine Entscheidung fällt, und daß er das Richtige einsieht, aber nicht tut. Aber selbst wenn Homer
hier
nicht
darauf
verwiese,
daß
die
den
Zorn Achill in die Brust gelegt und ihn damit auf seinen
weg
gebracht hätten, würde
ich
Götter
Unheils-
mich scheuen, hier von einer „Entschei-
dung“ Achills zu sprechen. Vielleicht habe ich dies Wort in einer gar zu prägnanten Form verwandt (ich habe es bei der Interpretation nur dort gebraucht, wo ein einigermaßen entsprechendes Wort im Griechischen auftaucht), aber wenn Lesky von meinen Sätzen über Homer ausgeht:
»...
menschliches
Handeln
hat
keinen
wirklichen
und
eigenständigen
Anfang; was geplant und getan wird, ist Plan und Tat der Götter“, und „bei Homer fühlt sich der Mensch noch nicht als Urheber seiner eigenen Entscheidungen: das gibt es erst in der Tragödie‘, und „es gibt wohl
persönliche Schicksale, aber nicht persönliche Leistungen“ — so kann ich leider (amicus Plato ...) nichts davon zurücknehmen. Sieht Homer hier wirklich eine „Entscheidung“ des Achill, einen „Plan“, ein eigenes „Handeln“, eine „Leistung“, wenn er trotz der ihm zu Herzen
gehenden Reden der Bitt-Gesandten in seinem Zorn verharrt? Selbst wenn man
das
Wirken
des ϑυμός
als ein „Eigenes“
und
„Inneres“
ansetzt, ist
das aufgeworfene Problem offenbar noch nicht gelöst. Dieselbe Handlung wird hier das eine Mal, vom Täter selbst, damit motiviert, daß sein Herz vor Zorn schwillt (was doch offenbar keine „Tat“ oder „Leistung“ ist), das andere Mal, von dem, der dem Täter freundlich
zureden will, als Eingriff eines Gottes, der den Zorn veranlaßt hat. Zu dieser doppelten Motivation kann man offenbar nicht sagen: menschliche und góttliche Motivation stehen einfach nebeneinander, sondern sic unterscheiden sich dadurch, daß bei der zweiten, die die Gottheit einführt, weiter gefragt wird als bei der ersten. Man kann sagen: „jemand hat aus Zorn gchandelt"* — man kann dann weiter fragen: „wie ist es zu diesem
Zorn gekommen?“
und antworten: „ein Gott hat ihn bewirkt‘. Die Fest-
stellung: „ein Gott hat eingegriffen“ ist also die Antwort auf solch weiteres
Fragen nach einer Ursache. Es macht uns keine Schwierigkeit, das zu verstehen. Solche Motivationsreihe läßt sich aber nicht umkehren: die Antwort:
„er hat aus Zorn gehandelt“ kann nicht als Begründung dafür auftreten, daß ein Gott eingegriffen hat. Menschliche und göttliche Motivation stehen also nicht gleichrangig nebeneinander, sondern das Göttliche ist das Mächtigere, das Sinngebende, das Primäre. Selbstverständlich kann auch einmal ein Mensch einen Gott beeinflussen, wie etwa der Priester Chryses am Anfang der Ilias Apoll veranlaßt, die Pest zu senden (man hat das als Beweis gegen meine These auszuspielen gesucht!) — das Wichtige ist, daß solche Motivation durch äußeren Eingriff (in anderen Fällen: durch äußeren Reiz) bei Homer not-
58
Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos
wendig ist, denn die Reduktion auf das, was wir etwa ein „Inneres“ nennen, beschränkt sich darauf, daß es Reaktionen des ϑυμός gibt; diese selbst kann Homer aber nicht auf weiteres „Inneres“ zurückführen, etwa auf Psychisches, wie es Lesky tut, wenn er seine Achill-Deutung an der Phaidra orientiert, oder auf einen „Charakter“ oder dergleichen. Unterschiede
zwischen verschiedenen Menschen gibt es allerdings darin, wie schnell oder wie heftig der ϑυμός auf etwas reagiert, das von außen einen Menschen trifft. Die geheimnisvolle Tiefe des Gemüts, des Grübelns, der persónlichen Anlage,
die den Menschen
auf seine Bahn führt, gibt es bei Homer
noch
nicht. Diese Vorstellungen werden gleichsam abgefangen von dem lebendigen Glauben, daß Góttliches und Dämonisches im Menschen wirkt. Schon deswegen ist es keine „Tat“, kein „Handeln“, kein „Plan“, keine „Entscheidung“ Achills, wenn er in seinem Zorn verharrt. Wenn aber
der Mensch mit seiner Leidenschaft fertigwird, so gibt es als menschliche Motivation nur die Vorstellung, daß man den Yuu6s „zurückhalten‘“ oder ihn „bändigen“ kann!. Solches (negative) „Zurückhalten“ ist aber auch wieder nicht „Tat“ oder „Entscheidung“ — es fehlt ihm das positive Ziel. Wie Homer sich das „Zusammenwirken von göttlicher und menschlicher Motivation‘ denkt, wird am deutlichsten dort, wo er am ausführ-
lichsten solches Zusammenwirken schildert, in dem Prooimion der Odyssee (x 328.), das Werner Jaeger? besprochen hat — und viele nach ihm. Lesky geht nur kurz darauf ein: es sei ein Beispiel dafür, daß „ein weiteres Feld
für das Zusammenwirken von Gottheit und Mensch in Erfolg und Niederlage‘ offenstünde. Ist das Feld wirklich so weit? Jedenfalls nicht so weit, wie Walter Poetscher kurz vorher gemeint hatte?, als er diese Stelle behandelte.
Zeus
sagt:
„Die
Menschen
meinen,
das
Schlimme
käme
von
uns.
Aber sie haben auch ὑπὲρ μόρον Leiden durch ihre eigenen ἀτασϑαλίαι, so wie jetzt Aigisth ὑπὲρ μόρον die Frau des Agamemnon geheiratet und ihn selbst getötet hat. Dabei wußte er von dem Unheil, das über ihn kommen würde, denn wir haben ihn durch Hermes gewarnt: Orest würde seinen Vater rächen. Aber Hermes konnte die φρένες des Aigisth nicht bereden, obwohl er ihm Gutes zudachte. Jetzt hat er alles büßen müssen.“ Dazu meint Poetscher (12 Anm. 21): „Allein die Fügung ὑπὲρ μόρον, ὑπὲρ αἶσαν u.a. in Verbindung mit der Feststellung der Götter, sie hätten l1 ἐρύκειν oder δαμνᾶν. Beiden Verben liegt das Bild zugrunde, daß man cin sich wild gebärdendes Tier zurückhält oder bändigt. Zur ursprünglichen Bedeutung von dauväv „ins Joch binden“ s. H. Schreckenberg, Ananke, Zetemmata 36, 1964, 1fl. 1 Solons Eunomia, Sitz.-Ber. Berl. 1926, 69. Wichtig dazu ist vor allem R. Pfeiffers Rezension von W. Jaegers Paideia, DLZ.56, 1935, 12314. (leider nicht aufge-
nommen in seine ausgewählten Schriften). Vgl. auch E. R. Schwinge, mata 1, 1962, 103. * W. Poetscher, Wien. Stud. 73, 1960, 12.
Hypomne-
Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos
59
Aigisth die μοῖρα gekündet und somit ihre Übereinstimmung mit dieser bekundet (a 3284), läßt als die der μοῖρα zuwiderhandelnde Kraft nur den menschlichen Entschluß als Möglichkeit often.“ Wirklich? Wie Achill, der in seinem Zorn verharrt, geht auch Aigisth den Unheilsweg, da er einer Regung seines 'Thymos folgt. Aber bei Achill konnte es heißen, ein Gott habe ihm seinen Zorn gegeben, während die Götter dem Aigisth gerade umgekehrt die Einsicht verliehen haben, daß seine Leidenschaft ihn ins Verderben
ein
bringt. Ist er darum
Mensch
zu falschem
nun aber eher ein „Handelnder“?
Handeln
trotz
des
besorgten
Wenn
Eingreifens
der
Götter kommt, so ist er darum doch genausowenig ein Handelnder im strengen Sinne des Wortes, wie wenn der Gott ein unheilvolles Handeln verursacht!. In beiden Fällen besteht das Falsch-Handeln nicht darin, daß man das, was als gut anerkannt ist, zwar sicht, sich aber (wie etwa Prome-
theus bei Aischylos) bewußt darüber hinwegsetzt, oder daB man (wie Euripides’ Phaidra) das Gute erkennt, sich aber gegen den inneren Affekt nicht wehren kann, sondern darin, daß man das Schlechte nicht wirklich als unheilvoll erkennt und es darum tut. Daran ändert auch der Warner nichts,
den Homer
dem Aigisth senden läßt. Im Gegenteil, der Dichter spricht
nur um so deutlicher aus, wie er sich die Sache denkt: „Die Menschen“, sagt Zeus, „behaupten, das Schlechte stamme von uns, aber auch sie selbst erhalten Leid über das hinaus, was ihnen eigentlich zugeteilt ist, durch ihre ἀτασϑαλίαι.“ Wie immer man das Wort übersetzen will, bestimmt ist es nicht „Entschluß“, auch nicht „Sünde“ oder „böser Wille“, sondern
es gehört in die Vorstellungen von der ἄτη, der verderblichen Verblendung. Hier, wo zweifellos gesagt wird, daß die Menschen auch selbst schuld sind (und nirgends sonst denkt Homer dem so ernsthaft nach), ist ihre Schuld, daß sie blind hineinstolpern ins Verderben — trotz der Warnung, die ein Gott
geben
mag?.
„Tat“,
„Handeln“,
„Plan“,
„Entscheidung“
ist das
gerade nicht. 1 Über solche Szenen handelt ausgezeichnet E. R. Dodds, The Greeks and the Irrational, 2ff. Aber das Eigentümlich-Homerische kommt erst richtig heraus, wenn man T 85ff., % 5538 I' 164 ff., T 409. mit Stellen aus der Tragödie vergleicht, etwa
Aisch. Ag.
1497—1504;
tive, im Vergleich mit dem
stellung gerecht.
Dodds
Eur. Her. 1310.
Erst
in dieser
historischen
Perspek-
Drama, wird man, wie ich schon sagte, dieser Frage-
daß Homer
keinen Willen
kennt, aber den kennt auch die klassische Zeit noch nicht, welche
hält für das Entscheidende,
zweifellos vom
echten, bewußten Handeln weiß. Vgl. dazu auch C. J. Classen, Zetemata 22, 1959, 150, 1 u. 156, 8. * Nicht anders ist es z. B. bei Aincias, der im Y der Ilias beinah „über das Schicksal hinaus“, „gegen die Bestimmung‘ gestorben wäre: Er war nicht bereit, gegen Achill zu kämpfen (87); Apoll in der Gestalt des Lykaon redet ihm zu (83ff.) und haucht ihm großes μένος ein (110, vgl. 80). Poseidon sieht, wie Aineias so töricht ist (νήπιος 296), gegen Achill loszugehen (ἀναίτιος ἄλγεα πάσχει 297). Es ist ihm aber μόριμον, davonzukommen
(302), und so rettet er ihn. Er sagt ihm: „Wer von den Göttern
hat dich Toren (ἀτέοντα) dazu gebracht, gegen Achill zu kämpfen? (332)... Weiche
60
Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos Auch
wer
sonst
„Entscheidungen“
bei Homer
zu finden
meint,
trägt
arglos Modernes in das Epos. Nachdem er das Bild vom wogenden Meer in der ,,Entscheidungsszene'" Nestors (Il. 14, 15ff.) besprochen hat, trium-
phiert G. Plamböck!: „Aber wohin geraten wir da? Nicht an eine — ,Entscheidung‘ im ursprünglichen Sinn? Da sagt uns wahrhaftig ... Homer, was eine Entscheidung denn eigentlich ist." Dabei übersetzt er im Gleichnis vom Wogenschwall richtig (109): „... und nicht daher vorwärts rollt es nach einer
Seite, ehe niederfährt von
Zeus her eine entschiedene Brise.“
Mir scheint, Homer sagt wahrhaftig, daß das Entscheidende von außen kommt, daß also eine eigentliche Entscheidung nicht vorliegt. Ich kann (und will) nicht auf weitere Einzelheiten der Polemik eingehen, obwohl ich über vieles (wenn nicht alles) Ähnliches vorzubringen hätte?. Jedenfalls meint Lesky zu Recht, Erörterungen über göttliche und menschliche Motivation ließen sich nicht führen, ohne darauf einzugehen, wie Homer das Verhältnis des Geistes zum Körper auffaßt. Was den Körper angeht, so billigt er das, was H. Herter mir eingewandt hat?. Auch da scheint mir das letzte Wort
noch
nicht gesprochen.
Herter
sagt (209, 3),
wenn es bei Homer (wie er annimmt) die „Gegenüberstellung von Körper und
mit ist die O.
Psyche‘
schon
gäbe,
so „braucht
dieser Gegensatz
noch
keineswegs
dem uns geläufigen von Leib und Seele zusammenfallen‘‘. Aber das gerade das Problem — dem weicht er mit diesem Satz aus. Wo Lesky homerische Auffassung von der Seele erörtert, akzeptiert er, was Regenbogen gegen mich geltend macht*. Aber wenn er sagt, ϑυμός,
zurück, wenn du auf ihn triffst, damit du nicht ὑπὲρ μοῖραν umkommst (336). Was das „Schicksal“ zu durchbrechen droht, ist also einerseits, daB Apoll eingreift, andrerseits, daß Aineias so töricht ist, ihm zu folgen. — Einmal bei Homer nennt
eine
Person
sich
selbst
als Grund
eines „Verfehlens“: x 154 sagt Telemach
zu
Odysseus: αὐτὸς ἐγὼ τόδε γ᾽ fjuBporov, οὐδέ τις ἄλλος αἴτιος (vgl. dazu H. Vos, LfrgrEp.
s. v. ἁμαρτάνω) — aber das liegt außerhalb des Moralischen. 1 G. Plamböck, Erfassen — Gegenwärtigen — Innesein, Diss. Kiel 1959, 110f. ® Ich bemerke nur, daß die von Lesky 14 erwähnten Szenen mit der Formel δοάσσατο κέρδιον εἶναι (außerdem die mit ἀρίστη φαίνετο βουλή) behandelt sind von
Chr. Voigt,
Überlegung
und
Entscheidung,
Studien
zur
Selbstauffassung
des
Menschen bei Homer, Berlin 1933. * H. Herter, in: Charites, Studien zur Altertumswissenschaft, Bonn 1957, 206f. Vgl. dazu jedoch H. Koller, Glotta 37, 1958, 276. [Solche Spekulationen tut M. L. West (Cl. Rev. NS. 15, 1965, 159 und 222) als „deutsch“ ab und macht,
um sie ad absurdum zu führen, den Witz (ich wollte, mit fiele dergleichen einmal ein)
Homer
spräche
nur
von
den γλουτοί,
erst Archilochos
habe
die gespannte
Einheit der πυγή entdeckt. Aber hat ες damit das Problem gelóst, das das Vorkommen
von γυῖα, μέλη, σῶμα bei Homer und später stellt? Dabei weiß ich mich
einig mit ihm, wenn er Nüchternheit und Exaktheit verlangt. Nur scheinen die Meinungen darüber auseinanderzugehen, was sich präzise feststellen läßt.] * O. Regenbogen, in: Synopsis, Festgabe für A. Weber, 1948, 361 ff. [Zu σῶμα ---ψυχὴ bei Homer s. jetzt vor allem Fr. Krafft, Vergleichende Untersuchungen zu Homer und Hesiod, Hypomnemata 6, 1963, 25—35.]
Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos
61
νόος und ψυχή stünden nicht als geistige „Organe“ nebeneinander, sondern die ψυχή sei umfassender, so liegt das doch wohl lediglich daran (wenn ich richtig verstehe, was er meint), daß die ψυχή den Menschen am Leben hält, daß also ϑυμός und νόος (wie auch die körperlichen Organe) nicht mehr funktionieren, wenn die ψυχή den Menschen verläßt. Worauf es mir ankam,
war,
daß
die Psyche
bei Homer
nichts
mit
Denken
und
Fühlen
zu tun hat (ein Gegenbeispiel ist mir bis heute nicht begegnet), und daß es
überhaupt
bei Homer
nichts
„Seelenhaftes“,
nichts
„Geistiges“
gibt,
das als echter Ursprung von Gedanken oder Gefühlen — und daher auch von Taten oder Entscheidungen — wirken könnte. Die
„klassische‘“
Philologie
zaudert
offenbar,
bei Homer
,,Primitives'*
anzuerkennen, denn darunter könnte seine Größe leiden. Auch Lesky läßt das spüren, wenn
er etwa das „Großartige‘‘
der Presbeia
beschreibt.
Mir
scheint umgekehrt die Größe Homers erst an den Tag zu kommen, wenn man ihn von seinen Voraussetzungen aus versteht. Das bedarf aber noch vieler und geduldiger Interpretation, bei der man sich immer wieder davor hüten
muß,
daß
man
nicht, ohne
es zu wollen
und
ohne
es zu merken,
Modernes einfließen läßt. Vor allem darf man sich nicht verfangen im Streit um Worte, ohne Rücksicht darauf, was der Gesprächspartner mit einem bestimmten Wort meint. Wenn Descartes vom Tier sagt: agifur, non agii, so ist der Satz falsch, wenn er meint, das Tier sei nur eine Maschine, enthält aber Richtiges, wenn man das Tier nicht mit einem Automaten, sondern mit dem Menschen
vergleicht. Er gilt auch für die Menschen bei Homer, wenn man sie mit denen des 5. Jahrhunderts vergleicht — es hängt nur alles daran, klar zu umreißen, was man unter agere versteht. Das ist aber nur möglich im geduldigen geschichtlichen Vergleich. So scheint es nötig, das Gespräch über diese Dinge fortzuführen. Möge es in Freundschaft zum Segen der Sache geschehen. Leider können wir uns in der Philologie nicht beruhigen bei dem in der Politik bisweilen so weisen Satz: we agree to disagree.
HOMERICA 1. κάλλει νικᾶν
In dem
neuen Alkaios-Gedicht 24c,
17 Diehl (Rhein. Mus.
92,17)
=
130 L.-P.! wird die Schónheitskonkurrenz der Frauen von Lesbos am Berge Pylaion erwähnt, die aus späteren Zeugnissen schon bekannt war?: ὅππᾳ Λεσβίαδες κριννόμεναι av πώλεντ᾽ ἐλχεσίπεπλοι. Die Homerscholien A und D zu I129 schreiben: παρὰ Λεσβίοις ἀγὼν ἄγεται κάλλους γυναικῶν Ev τῷ τῆς Ἥρας τεμένει λεγόμενος καλλιστεῖα.
Die Verse I 129f. (vgl. 272) heißen: Λέσβιδας, ἄς, ὅτε Λέσβον ἐυχτιμένην ἔλεν αὐτός,
ἐξελόμην, al κάλλει ἐνίκων φῦλα γυναικῶν. Man
hat
die Erklärung
des
Scholiasten
bezweifelt
und
gemeint,
die
Verse bedeuten nur, daß diese Frauen die anderen an Schönheit „überragten‘‘ oder „übertrafen‘, wie es etwa V 742 von dem κρατήρ heißt, den
Achill als Kampfpreis für den Wettlauf aussetzt: αὐτὰρ κάλλει ἐνίκα πᾶσαν ἐπ᾽ alav πολλόν. Nach dieser Stelle wird man vermuten, daß schon in früherer
Zeit die Stelle des I in so verblaßter Bedeutung verstanden ist (wenn sie nicht sogar selbst eben für Y 742 Vorbild war). Da aber sonst bei νικᾶν immer durchaus an einen Kampf oder eine Konkurrenz gedacht wird, auch wo unsere Lexika die Bedeutung „übertreffen“ angeben (etwa B 370 Agamemnon zu Nestor: ἢ μὰν αὖτ᾽ ἀγορῇ νικᾷς, γέρον, υἷας ᾿Αχαιῶν, 'Y 604 νῦν αὖτε νόον νίχησε νεοίη), wird man sich nicht scheuen, die Scholien-Erklärung für richtig zu halten und die Schönheitswettkämpfe auf Lesbos schon
für die homerische Zeit annehmen®. Dann gewinnt aber eine Vermutung von
Wilamowitz*
an
Wahrscheinlichkeit,
daß
solche
Schönheitskon-
kurrenzen das Vorbild waren für die Sage vom Paris-Urteil. 1 Offenbar beginnt mit V. 13 Diehl = 28 L.-P. ein neues Gedicht, wie Manfred Hausmann gesehen hat (Antike und Abendland 2, 169). * A. P. 9, 189; Theophr. fr. 112 = Athen. 13, 6102; Hesych., s. v. Πυλαιίδες.
Vgl. Nilsson, R. E., s. v. Kallisteia, [Luigi Alfonsi, Am. J. Phil. 71, 1950, 63.] * Auch
die Pferde, die Agamemnon
haben in Wettkämpfen Preise gewonnen. * Sappho und Simonides 42, 1.
kurz vorher
(v. 124)
dem Achill anbietet,
Homerica
63
2. γναμπτὰ μέλη Bei Homer kommt mehrfach die Wendung vor: ἐνὲ γνάμπτοισι μέλεσσι. Γναμπτός bedeutet an den übrigen Stellen, wo Homer es verwendet, entweder „gebogen“, „krumm“
(Σ 401 πόρπας τε γναμπτάς 9' ἕλικας, ὃ 369 —
u 332 γναμπτοῖς ἀγχίστροισιν; so sicher auch an der älteren Stelle A 416 vom Eber ϑήγων Aeuxdv ὀδόντα μετὰ γναπτοῖσι γένυσιν! oder aber ,,biegsam"', und zwar in übertragener Bedeutung: N 41: à οὔτ᾽ ἄρ φρένες εἰσὶν ἐναίσιμοι οὔτε vónua γναμπτὸν ἑνὶ στήϑεσσι. Die älteste Stelle für ἐνὶ γναμπτοῖσι μέλεσσι ist A 669, wo Nestor sagt: οὐ γὰρ ἐμὴ lc ἔσϑ᾽ οἴη πάρος ἔσκεν ἐνὶ γναμπτοῖσι μέλεσσι. --- Hier wird man die letzten Worte, wie schon der bei Homer übliche Bezug zum Nächstbenachbarten nahelegt, auf den jugendlichen Leib, wie er früher war, beziehen: in den „biegsamen
Gliedern“. An
der
einzigen anderen Stelle der Ilias, die diese Wendung bietet, handelt es sich aber um einen Greis, denn (0338 heißt es von Priamos: σὺν δὲ γέροντι νόος χύτο, δείδιε δ᾽ αἰνῶς, ὀρθαὶ δὲ τρίχες ἔσταν ἐνὶ γναμπτοῖσι μέλεσσι. Da es widersinnig ist, von den „biegsamen“
Gliedern des Priamos
zu sprechen,
da aber A 669 durch eine andere syntaktische Beziehung so gedeutet werden kann, daß die Wendung auch dort auf einen Greis geht, indem man ἐνὶ γναμπτοῖσι μέλεσσι zu dem Anfang οὐ γὰρ ἐμὴ Is ἔστι... ... zieht, wird Ω 358 auf A 669 zurückgehen: γναμπτὸς war dann aber als „krumm“, also wie A 416, nicht als „biegsam‘ verstanden. Von den μέλη wird in der
Ilias sonst gesagt, daß sie sich mit Kraft füllen (P 211), daß der Schweiß daraus hervorströmt (II 110, V. 688), daß der ϑυμός, die „Regung“, von ihnen fortgeht (N 672), daß die Sonne die Haut ausdörrt um Sehnen und μέλη
(P 190); die μέλη
sind also die muskulösen,
schwellenden Teile des
Körpers. Also nicht nur die syntaktische Verbindung des Satzes A 669 und die Bedeutung von γναμπτός ist (0 359 mißverstanden, sondern auch die eigentliche Bedeutung von μέλη ist diesem Dichter nicht mehr lebendig. In der Odyssee kommt die Wendung dreimal vor: A 393 heißt es von der Psyche des Agamemnon: ἀλλ᾽ οὐ γάρ οἱ ἔτ᾽ ἦν ἴς ἔμπεδος οὐδέ τι xixuc οἴη περ πάρος
ἔσκεν
ivi γναμπτοῖσι
μέλεσσι.
Das
ist ebenfalls
nach A 669
gebildet, aber richtig, denn hier sind die μέλη eindeutig die kräftigen Glieder des Lebenden im Gegensatz zu der Psyche, obwohl an der Iliasstelle das Wort γναμπτὸς sein besonderes
Gewicht
bekommt,
weil der Gegensatz zu
den steifen Gliedern des Greises vorschwebt. Die V-Scholien zu λ 393 erklären richtig κάμπτεσθαι δυναμένοις, während in B steht: περιφερέσι᾽" χεῖρες γὰρ καὶ τὸ λοιπὸν σῶμα περιφερές. Das ist offenbar ein Versuch, eine
einheitliche Deutung für das Wort bei Homer festzulegen, wobei dann nur der übertragene Gebrauch νόημα γναμπτόν draußen bleibt; aber an die 1 Zu dieser Lesart statt des Vulgat-Textes μετὰ γναμπτῇσι γένυσσιν, vgl. E. Schwyzer, Zeitschr. f. vergl. Sprachf., 67, 1942, 223.
64
Homerica
„runden“ Glieder oder gar an den runden Körper zu denken, ist natürlich abwegig. p 282 sagt Odysseus zu den Freiern: gebt mir den Bogen, damit ich euch meine Kräfte erprobe ἢ μοι Er’ ἔστιν Ic, οἴη πάρος ἔσκεν ἐνὶ γναμπτοῖσι μέλεσσιν, ἢ ἤδη μοι ὄλεσσεν ἄλη τ᾽ ἀκομιστίη τε. Da ist A 669 so genau nachgebildet, daß sich nicht entscheiden läßt, wie es verstanden ist — vermutlich doch
richtig.
Zweifelhaft
bleibt schließlich
auch v 430, wo
es heißt,
daß
Athena den Odysseus zum Greis werden läßt: χάρψεν μὲν χρόα καλὸν Evi γναμπτοῖσι μέλεσσιν. Da würde man auch an die jugendlich-biegsamen Glieder denken, aber im Vers darauf heißt es: ἀμφὶ δὲ δέρμα πάντεσσιν μελέεσσι παλαιοῦ ϑῆκε γέροντος, wo das kaum angeht.
ἍΛΙΟΣ Das Wort hat bei Homer zwei verschiedene Bedeutungen: ‘zum Meer gehörig’ (ἅλιος γέρων, ἐπὶ ψαμάϑοις ἁλίῃσι usw.) oder ‘vergeblich’. Es ist bisher nicht geglückt, diese letztere Bedeutung aus einer gesonderten Etymologie zu erklären, und so hat Schwyzer, Gr. Gr. 461, 5 (zitiert von Frisk S. V.) versucht, es an &Ac anzuknüpfen: „Zur Bedeutung ‘vergeblich’ vgl. εἰς ὕδωρ ypapeıv?“l Aber ‘ins Wasser schreiben’ kann keine sehr alte Vorstellung sein, die Belege dafür (s. u.) tauchen auch erst später auf, weichen auch in der Bedeutung etwas ab. Fest und alt dagegen ist die Verbindung ἅλιον
βέλος:
das ist ein Geschoß,
das
sein Ziel verfehlt,
das danebengeht
und insofern ‘vergeblich’ ist. Es gibt auch die Wendung N da βαρείης χειρὸς ἀφῆκεν (sc. ἔγχος), ἀλλ᾽ ἔβαλ᾽ "Innaclönv— phobos auf Idomeneus gezielt hatte. Die Lanze ging also nicht sondern traf zum mindesten einen anderen. Daß solche Wendungen alt sind, zeigt sich daran, daß
410: οὐδ᾽ ἅλιόν während Deiganz daneben, die Ableitung
ἁλιόω das eine Mal, das sie in der Ilias vorkommt, in ähnlichem Zusammen-
hang steht: N 737 (Patroklos im Kampf mit Hektor) οὐδ᾽ ἁλίωσε βέλος, βάλε δ᾽ “Ἕκτορος ἡνιοχῆα Κεβριόνην. ἅλιον βέλος könnte nun aber sehr wohl zu ἅλς — Meer gezogen werden: es wäre
dann
das βέλος,
das danebentrifft
und
ins Meerwasser
geht,
und
müßte aus der Sprache der Fischer stammen. Homer kennt freilich nur das Fischen mit Angel oder Netz, aber der Dreizack des Poseidon ist Beweis genug, daß es schon früh ἰχϑυβόλοι gab, ob ihre Waffen nun τρίαιναι, ἀκίδες, τριόδοντες, ἰχϑύκεντρα
oder
sonstwie
denen
bei
Homer
ἅλιος
—
'vergeblich'
hieBen?. Viele Wendungen, vorkommt,
lassen
sich
in
ohne
weiteres an das ἅλιον βέλος anschlieBen — das sind die Verbindungen mit ἔπος, μῦϑος, ὄρκιον, denn Wendungen wie ἔπος ἐκβάλλειν, ὅπα ἱέναι, νημερτὴς
βουλή usw. zeigen, wie leicht man Worte als Geschosse auffassen konnte? — dahin gehört z.B. auch die Wendung ἔπεα πτερόεντα “Worte wie gefiederte Pfeile, von denen der Hörer dann jeweils ‘betroffen’ ist. Andere Stellen 1 Auch
entfernen
sich
freilich weiter
die antiken Erklärungen
von
knüpfen
diesem
an Ds
Gebrauch,
obwohl
an, etwa Orion 7,16
er
ἅλιον τὸ
μάταιον, τὸ εἰς ϑάλασσαν ῥιπτόμενον καὶ ἀφανιζόμενον. Weiteres bei 5. Laser, LfgrE. 488, 128. ! Der
Dreizack
ϑηρῶν βέλος.
? Über ‘Dichten’ 1921, 58.
5
8496
heißt
als
Snell, Ges. Schriften
gelegentlich
Speerwurf
βέλος;
oder
Epikrates
Pfeilschuß
fr. 8 (2, 285 Kck.)
vgl. Dornseiff,
ἐναλίων
Pindars
Stil,
66
ἅλιος
meist noch durchklingt: ἅλιον ϑεῖναι πόνον ἦδ᾽ ἀτέλεστον (I) Δ 26, ἅλιον στρατὸν ἤγαγεν ἐνθάδε Δ 179, οὕτοι ἔπειθ᾽ ἁλίη ὁδὸς ἔσσεται οὐδ᾽ ἀτέλεστος
p 273 usw. Das Gemeinsame in diesem Gebrauch ist, daB jemand ein bestimmtes Ziel erstrebt, es aber gegen seine Absicht nicht erreicht — daß etwas “ins Wasser geht’. Sehr ähnlich der Vorstellung vom ἅλιον βέλος scheint es
also, wenn wir im Deutschen von einem ‘Schlag ins Wasser’ sprechen. Freilich, erklärt ist auch diese Wendung
nicht!, aber auch sie weist auf
frühe Zeit. Denn wenn Walther von der Vogelweide (124, 15 Lachmann) sagt: „als ich gedenke an manegen wuennelichen tac,
die mir sint enpfallen gar als in daz mer ein slac, iemer mére ouwe.“ so wird
er, der Binnenländer,
hochdeutschen
des
das nicht erfunden
13. Jahrhunderts
kommt
haben,
'slac in daz
und im
Mittel-
mer’,
'slac in
einen bach’, ‘wazzerslac’ auch sonst vor, und immer ist etwas Vergebliches,
Nichtiges
gemeint.
Auch
hier
könnte
eine Metapher
aus
der Fischerei
vorliegen (vgl. Robben schlagen) — aber darüber will ich nichts behaupten. Bedeutsam für eine weitere Entwicklung ist A 158 geworden: οὐ μέν πως ἅλιον πέλει ὄρχιον αἷμά τε ἀρνῶν σπονδαί τ᾽ ἄκρητοι καὶ δεξιαί, ἧς ἐπέπιϑμεν. Denn hieran schließen offenbar später Wendungen an, die davon sprechen, daß
ein Eid
‘ins Wasser
geschrieben’
ist, wie,
wenn
Lattes Vermutung
richtig ist, Alkaios' fr. 129, 256. L.-P. (5.18 Treu) und das SophoklesFragment 742 N. — 811 P. ὅρκους ἐγὼ γυναικὸς εἰς ὕδωρ γράφω und die bei Nauck und Pearson dazu angeführten Stellen. Darauf will ich nicht näher
eingehen und auch nicht auf das lange Nachleben, das das 'Schreiben im Wasser' gehabt hat, über Catulls (70, 4): mulier cupido quod dicit amanti in vento et rapida seribere oportet aqua, bis zu Keats' Grabschrift auf dem Friedhof bei der Cestius-Pyramide: Here lies One Whose Name was writ in Water*. Nur das eine sei bemerkt: Bei Homer sagt Ágamemnon zu Menelaos, den Pandaros auf Geheiß der Athena verwundet hat: Nicht sind Eid und Vertragsschlüsse 'daneben-
gegangen'; Zeus wird den Vertragsbruch ráchen, ... einst wird kommen 1. Freundliche Belehrung über Vorkommen und Bedeutung verdanke ich Walther Niekerken und Karl Stackmann.
* Vgl. 306, 3.
E. R. Curtius, Europäische
Literatur und lateinisches Mittelalter,
1948,
ἅλιος
67
der Tag ... In dem Sophokles-Vers spricht offenbar ein Mann, dem die ungetfeue Frau Liebe geschworen hat — er schreibt diesen Eid ins Wasser, wie wir etwa sagen, daß man etwas in den Schornstein schreibt. Das entfernt sich also von dem ἅλιον βέλος sehr viel weiter als das homerische ἅλιον Spxuov.
Wieder anders sind Wendungen, die, was ins Meer getan ist, als vertan und vergeblich bezeichnen, wie Alkaios 117 (b) 26£.: πόρνᾳ δ᾽ 6 χέ τις δίδῳ
ἴσα κἀς πολίας κῦμ᾽ ἅλος ἐσβάλην, oder Theogn. 105: δειλοὺς εὖ Epdovrı ματαιοτάτη χάρις ἐστίν, loov καὶ σπείρειν πόντον ἁλὸς πολιῆς.
An dergleichen knüpft die oben in der 1. Anmerkung gegebene Erklärung Orions an, ἅλιος bedeute “ins Sinn des homerischen Wortes.
δὰ
Meer
geworfen’;
aber das trifft nicht den
ZU
DEN
FRAGMENTEN
DER
GRIECHISCHEN
LYRIKER
1. Übersehene Stücke 1. fr. eleg. adesp. ap. Philod. rhet. 2, 61 Sudh.: ποιητῶν φασκόντων οὕτως ἀγαϑοῦ νοῦ καϑυστερεῖν ὡς τὸ χέρειον ἐλέσϑαι ἀμεινοτέρων παρεόντων.
... οὐδὲ γυναῖκα τῶν
Dies Fragment kann aus einer epischen oder elegischen Dichtung stammen, letzteres ist wohl wahrscheinlicher. ἀμεινότερος ist belegt bei Mimn. 13,9 D., wozu Diehl ähnliche doppelte Komparative anführt. Den vorher vorauszusetzenden Pentameter könnte man spielend so ergänzen: τόσσον γὰρ γνώμης Außporev οὐδὲ γυνή — ging aber ein Hexameter voraus,
könnte
Außporev ἐσθλοῦ, wenn
der gelautet haben:
οὐδὲ γυνὴ τοσσόνδε νοήματος
man so nahe einem Homervers
(n 292) folgen
darf. [Diehl? fr. eleg. adesp. 6a.] 2. fr. eleg. adesp. ap. Philod. rhet. 2, 133 Sudh.: οἱ ῥήτορες .... πρὸς τοὺς ἐπιφανεστάτους ἑκάστοτε διαμάχονται
xat
[779-7 99-9] σὺν αὐϑεντ[οῦ]σιν &v[aEcv].
Auch hier liegt wohl eher ein elegisches als ein episches Bruchstück vor. [Diehl? fr. eleg. adesp. 12a.] 3. fr. iamb. adesp. ap. Philod. rhet. 1, 369, 6 Sudh.: φυσικὸν γὰρ τούτου γ᾽ εἶναι τὸ πίλεϊσ͵]τον, ὅσον δ᾽ ἐξ ἐπιμελείας xal παρανγελμάτων, οὐκ
ἐν ἡμέρᾳς βραχεῖ μέρει. Das α in ἡμέρας gibt Sudhaus als sehr unsicher an — mir fehlt im Augenblick die Möglichkeit, die Angaben der voll. Herculanensia zu
prüfen. Die Worte stammen nicht aus Trimetern, da sich keine Zäsur ergibt. Sehr wohl können sie ein Dimeter aus einer Epode sein; dann
kämen als Autoren Archilochos, Hipponax oder Kallimachos in Frage (zu schreiben wäre dann ἡμέρης, selbst wenn Philodem ἡμέρας geschrieben haben sollte). Nicht ganz ausgeschlossen wäre es, daB die Worte aus einem lyrischen Gedicht stammten, etwa aus Daktyloepitriten (dann ἁμέρας). [Komödie scheint mir wegen des Stils nicht wahrscheinlich.] 4. Auf ein Anakreon-Fragment habe ich Hermes 73, 1938, 438 hingewiesen; nachträglich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß schon Bowra,
New
Chapters
3, 66 dieses Fragment
behandelt hat.
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
69
. fr. lyr. chor. adesp. ap. Clem. Alex. 1, 155, 17 Stählin: ὅσα τε χϑών,
πόντου τε βένθη κἀέρος ἀμέτρητον εὖρος ἐκτρέφει. Die Abteilung, die ich gegeben habe, soll zeigen, daß Daktyloepitriten
allenfalls möglich sind (D?-}-E||d!vev-...), aber es ließe sich auch anderes denken. fr. adesp.
lyr. chor. ap. Philod. rhet.
φορᾶς):
1, 179 Sudh.
(exemplum
pere-
σπιν]ϑῆρες ᾿Αφαίστου σταλαγμοί,
Möglicherweise Daktyloepitriten. Doch klingt die gezierte Metapher eher nach dem jüngeren Dithyrambus als nach der älteren Chorlyrik. σπινϑήρ und σταλαγμός sind zudem attische Wörter. [Vgl. Wilamowitz,
Gl. d. Hell. 1, 20, 1.
Ein spartanisches Lied in Anapästen hat Paul Maas auf dem StraDburger Tragödienlieder-Papyrus entdeckt (Hermes, Einzelschr. 5, 90f.
[PMC fr. 858]). εἶμι κω[μά]ζων ὑπ᾽ αὐ[λῶν Vaseninschr.,
Hartwig,
Meisterschalen
257
Anm.
(W.Schulze,
Kl.
Schr. 700f.). Sud. s. v. ἀμοιβός. πρὶν κακῶν ἔργων ἀμοιβὸν ἐκτίσαι τιμωρίαν τιμωρίαν ἐκτίσαι codd.:
Sn. Cf. Archil. fr. 66.
10. schol. Dion. Thr. 106,6 Hilg., Apollon. 251,6 Schn. σώφρων περ ὧν τοῦτό γε μοι χάρισαι Epode?
Wil. Hermes
11.
37, 1902, 324
—
Kl.
Schr. 4, 160.
τὰ πρῶτ᾽ ἀρίστους παῖδας Αἴγινα τ' ρέφει
O. Crusius, Anal. crit. (Suppl. Paroem. 1960 IT) 89 ἐκτρέφει Phot., Sud. 1109. 12.
τροχοῦ περιστείχοντος ἄλλοϑ᾽ ἡτέρα ἀψὶς ὕπερϑε γίνετ᾽ od”
[Plut.] mor. 13,
ἡτέρα
103 F (elisio verbi γίνεται certe non tragica). τοῖς Σαμίοις,
ὦ Μοῦσα, τίς ὁ φϑόνος;
Plut. non posse suav. 1095 E.
70
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
14.
τ]άδε πάσχειν ἐϑέλεις (Simonides?) metr. Oxyr. col. II (406, 16 Consb.), vgl. Mette zu Aisch. fr. 337.
15.
vv] παρϑένον χόρην
id. col. II (406, 23 C.). 16.
αἴϑωνι βελέμνῳ Sophron. (lo. Char.) = Gr. Gr. IV 2, 408, 27.
17.
τίς οὐ τὸ δύνασθαι κατὰ μοῦσαν] ὅταν τις οὕτως
τ[ὴν] γῆρυν ἐξ εἰλικρινο[ῦς Philod. x. ποιημ. 2 fr. 39, 21 p. 256 Hausr. 18.
καρδίῃ νήφοντος ἀργά auct. x. ὕψους 34, 4; vgl. D. Russell ad 1.
19. Mimnermus ap. Stob. 4, 57, 11 (5, 1139 W.-H.). Μιμνέρμου᾽
(
(de mortuis nil niri bene vel sim.) ) ἐκ Νεοπτολέμου κτλ.
lacunam indicavit Meineke, poetae tragici. 20. Mimnermus
cf. Hense
ad ].; supplendum
est nomen
ap. Stob. 4, 38, 3 (5, 898 W.-H.)
Μιμνέρμου Ναννοῦς (de medicis)
(
) οἷα δὴ φιλοῦσιν κτλ.
lacunam indicavit Bergk, cf. Hense ad l.: intercidit versus Mimnermi simul cum nomine poetae scaenici.] 2. Archilochos fr. 113 u. 114 Diehl
Diehl notiert zu diesen beiden Fragmenten, daß Elmsley sie miteinander
verbunden hätte und daß ich sie für einen Gedichtanfang hielte. Es scheint nicht nutzlos, nach etwa zehn Jahren die Begründung dafür auch óffentlich zu geben: Beide Fragmente werden von Hephaistion zitiert. Man hat bekanntlich die besten Erfahrungen mit der Annahme gemacht, daß die von ihm angeführten Verse im allgemeinen die ersten Erreichbaren, also
vom Gedichtanfang waren. Das Metrum von fr.113: #dalitb|| spricht nicht für stichische Verwendung, sondern für eine Epode und kehrt wieder nur in den Fragmenten 112, 116 und 117; aus fr. 112 wird der metrische Zusammenhang klar: es folgt ein katalektischer Trimeter, der seinerseits wieder bei Archilochos in keinem anderen metrischen Zusammenhang
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
erscheint. Fr. 114 ist das Beispiel Hephaistions
für
eben
71
diesen
katalek-
tischen Trimeter; dies wird also ebenfalls von einem Gedichtanfang stammen. Der Sinn zeigt, daß es aber nicht der erste Vers eines Gedichtes
gewesen sein kann, also wird es das zweite Kolon eines epodischen Systems
sein. Danach ist also schon recht wahrscheinlich, zusammenzurücken sammen,
und
das
sind. Tatsächlich fügen sie sich im Sinn tadellos zubeweist
mit
Sicherheit,
wir hätten sonst mit folgendem Archilochos hätte die Metren von bekannten Zusammenhang, wo sie jeweils noch einmal verwandt in 113 erster,
daß beide Fragmente
daß
sie
zusammengehören
—
unwahrscheinlichen Zufall zu rechnen: fr. 113 und 114 außer dem uns allein miteinander verbunden werden (fr. 112), einem anderen Zusammenhang, wobei
114 zweiter Epodenvers
war, aber so, da
nun der erste Vers
des einen Gedichtes mit dem zweiten Vers des anderen sich sinnvoll zusam-
menschlösse. Das glaube, wer mag. Wir bekommen
also den Anfang eines Archilochos-Gedichtes:
Οὐκέϑ᾽ ὅμως ϑάλλεις ἁπαλὸν χρόα, κάρφεται γὰρ ἤδη ὄγμος, κακοῦ δὲ γήραος καϑαιρεῖ...
Danach wäre also nicht, wie man bisher vermuten mußte, χρώς Subjekt zu κάρφεται (vgl. v 398 κάρψω μὲν χρόα καλόν), sondern ὄγμος. Eine ähnliche Stelle wüßte ich nicht anzuführen, aber κάρφειν ὄγμον mit effiziertem Objekt wäre wohl möglich und dazu das Passiv: die Runzel wird geschrumpelt. Doch ist statt ὄγμος eher ὄγμοις zu schreiben, vor allem auch, um den Plural zu gewinnen. Horaz benutzt dies Gedicht ia. 8,3; Heinze notiert dazu die Stellen, an denen wir die von Archilochos ausgehende literarische Tradition
greifen. Ob die Fragmente 112 und 115—117 des Archilochos zu dem gleichen Gedicht gehören, läßt sich nicht mit Bestimmtheit ausmachen. Jedenfalls aber sollte man fr. 113/114 vor 112 setzen.
3. Alkaios fr. 1 u. 4 [307 u. 328 L.-P.]
Die Regel,
daß Haphaistion im allgemeinen jeweils die ersten Verse
einer bestimmten Art, die er antrifft, zitiert, ist auch sonst noch nicht voll
von
Diehl
fr. 85 Gedicht
ausgenutzt,
Gedichtanfang stammt,
und
obwohl
und stand
er sie gelegentlich
gehört auch
zitiert. So ist Archil.
vor fr. 84, das wohl vor
fr. 79—83.
Fr. 105
aus demselben ist der
2. Vers
eines Gedichtes in Epodenform, voraus ging wohl ein Hexameter (vgl. Hor. ep. 12), ebenso fr. 118, dem wohl fr. el. adesp. 9 und vielleicht außerdem fr. 20 vorausging (s. Diehl ad 1). Alk. 12 ist wohl der zweite Vers eines Gedichts (auf Zeus?) — sa gl; dieser Vers kommt als erster Vers vor in fr. 43 (wo im metrischen Schema von Diehl allerdings zu korri-
gieren ist, daß an zweiter Stelle nicht ein Anceps, sondern ein Longum
.
72
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
steht). Etwas mehr und Sichereres ergibt sich für das erste Gedicht des ersten Buches des Alkaios. Hephaistion zitiert als dessen Anfang fr. 1: "QvaE Ἄπολλον, παῖ μεγάλω Aloc. Dieser
,alkaische Elfsilber‘“
tritt, soviel wir schen,
nur auf als der erste
Vers einer alkäischen Strophe. Als Muster für den vierten Vers der alkäischen Strophe zitiert er (es kann uns hier gleichgültig sein, ob diese Versabteilung richtig ist) fr. 4: καί τις ἐπ᾽ ἐσχατίαισιν olxeıc.
Der Name des Dichters wird von Hephaistion allerdings nicht genannt, aber niemand bezweifelt, daß die Worte dem Alkaios gehören. Das muß also der vierte Vers des ersten Gedichtes sein, und mit seinem Inhalt ist das auf das beste vereinbar, sei es nun, daß οἴκεις das Partizip zu oberg
ist, oder daß die 2. Pers. des Präsens gemeint ist, so daß olxng zu schreiben wäre; der Zusammenhang zwischen V.1 und 4 ist etwa folgendermaßen auszufüllen: „O Herr Apoll, Sohn des großen Zeus, (der du in Delphi dein
Haus hast) und der du am Rande (der Welt) wohnst‘ (zu diesem Gebrauch
von
ἐσχατιαί vgl
Hdt. 3, 106). Das
geht natürlich auf den Aufenthalt
Apolls bei den Hyperboreern. Das τις läßt sich bei dem verstümmelten Satz nicht sicher erklären; vielleicht gehört es zu einem Adj. ,,máchtig*', „glücklich“
oder dgl, das
den
erhaltenen Worten
folgte —
noch
lieber
würde man es darauf beziehen, daß Apoll nur im Winter bei den Hyperboreern ist, also etwa xeíuepoc, wie K. Latte vorschlägt. Diehl zieht zu diesem Vers allerdings die Bemerkung Strabons (9, 2, 23 p. 412), Alkaios hätte Onchestos πρὸς ταῖς ἐσχατιαῖς τοῦ ᾿Ελικῶνος verlegt
— aber ähnliche Wendungen können öfter bei Alkaios vorgekommen sein, wie
es jetzt
M. 92, 1943,
z.B.
in dem
neu
gefundenen
Alkaios-Gedicht
(Diehl,
Rh.
15) heißt ἀπελήλαμαι φεύγων ἐσχατίαις.
Wahrscheinlich ist das erste Gedicht des ersten Buches eben der ,,Paian'*
auf Apoll, den Himerios 14, 10 in seiner Prosa-Metaphrase mitteilt (fr. 2 Bergk*) und in dem der Aufenthalt Apolls bei den Hyperboreern solch große Rolle spielt. Das würde sich mit dem neu hinzugewonnenen Stück ausgezeichnet vertragen.
4. Anakreon Fr. 88 Diehl [417 P.] Der Dichter sagt zu dem „thrakischen Füllen‘: δοκεῖς δέ μ᾽ οὐδὲν εἰδέναι
σοφόν. ‘u’ est uot notiert Diehl, Wilamowitz folgend. Aber abgesehen von der Mißlichkeit, das οἱ zu elidieren: σοφός kann nach frühem Sprachgebrauch nicht das Pferd sein — sehr wohl aber der Reiter (cf. Alkm. fr. 2, Pind.
P. 5, 115;
Plat. Theag. 123 C). Der Sinn des Gedichts ist also: „Du
Füllen guckst mich scheel an und fliehst hartherzig:
du meinst, ich ver-
stände mich nicht auf Pferde. Doch ich könnte dich sehr wohl aufschirren;
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
73
jetzt springst du noch spielend auf der Wiese herum — du hast eben noch keinen geschulten Reiter." Anakreon meint also nicht, wie Wilamowitz möchte: „vertraue dich mir an, ich verstehe die Reitkunst", sondern: „du denkst, ich würde nicht fertig mit dir — warte nur ab!“!. Mit der Paideia ist es also nichts in diesem Gedicht, selbst nicht in der irdischen
Form,
die Wilamowitz vermutet. [Vgl. Leben und Meinungen der Sieben
Weisen 3121; Anacreon ed. B. Gentili fr. 78.]
5. Alkaios 44 [71 L.-P.] Das Scholion auf Pap. Ox. 1234 wird über Grenfell-Hunt und Lobel hinaus etwa folgendermaßen zu ergänzen sein (vgl. die Tafel IV in P. Oxyr. Bd. 10): ἔ[γρ]Ίαψε τί(οὔτο) κα]τὰ τὸν τοῦ ᾿Αλκαίου ipou(ev)ov: φίλον [σε &vóμιζ]ον, ὥστε σε καὶ ἐπὶ ἔριφον κ[αλεῖν, τί(οῦτ᾽}] (ἔστιν) εἰς τὰ παρασκευάσματία
καλά" τ]ῇοῖς γί(ὰρ) ξένοις μετὰ σπου[δ(ἧς) ποι(οῦμεν) τ(ὴν) εὐωχίαν. παροιμία δ᾽ (ἐστὶν) ἐπ᾽ Epıp[ov κ(αὶ) χοῖρ(ον) καλεῖ]ν. λέγει" οὕτω τοῦτο νομ(ίζεταυ). Das
Einzelne
stücke
nicht
bleibt freilich unsicher,
bekannt
ist und
da der Abstand
viele Abkürzungen
der beiden
geschrieben
Bruch-
sind.
Die
letzten Worte sind mit Lobel attisch, nicht mit Diehl äolisch zu schreiben,
da es sich offenbar um den Anfang einer Paraphrase handelt. 6. Sappho 38 [27 L.-P.] „Denn wir gehen zur Hochzeit .... Du [weißt] dies auch. Aber ... Schicke die Jungfrauen so schnell wie móglich fort. Die Gótter mógen [Glück bringen]. Dies der Inhalt der einigermaßen kenntlichen Strophe von
fr. 38.
Welche
Situation
liegt da
vor?
Der
Chor
„geht“,
er
redet
jemanden an, der das auch schon weiß, der aber nun auch (doch wohl: andere) Mädchen wegschicken soll. Dann folgt ein Segenswunsch. Mir scheint unverkennbar,
daß es sich um
ein Hochzeitslied handelt und
daß
der Chor das Brautpaar geleitet und einige Mädchen, die nicht zum Chor gehören, die Braut in das Brautgemach führen und der Torhüter (vgl. Sappho 124), vielleicht auch der Bräutigam angeredet wird. Ich möchte also etwa folgendermaßen ergänzen: σ]τείχομεν γὰρ ἐς γάμον, εὖ δ᾽ ἐ[πίστεαι χα]ὶ σὺ τοῦτ᾽, ἀλλ᾽ ὅττι τάχιστα [‚y&ußpe, ? 10 πα]ρ[ϑ]ένοις ἄπ[π]εμπε, ϑέοι [8(8)... ' 5 7]ev ἔχοιεν. [...] V. 8 ergänzt Diehl εὖ δέ [γ᾽ olo9a, wobei mir das ye nicht glücklich scheint — nicht als ob γε nicht bei Sappho vorkäme (Diehl, Suppl. p. 36), sondern weil es an dieser Stelle unpassend ist. Latte ergänzt den Schluß versuchsweise: ϑέοι δὲ χέρρας πρόσϑεν ἔχοιεν. 1 So hat offenbar auch Lucilius 1041f. das Gedicht verstanden.
74
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
In dem
Papyrus lauteten die nächsten beiden Zeilen:
-v-] 8805 μ[έ]γαν εἰς "OX[uumov
-νῷ ἀϊνϑρω[π
Ἰαίκε
Das läßt sich kaum mit dem Vorigen verbinden. Wahrscheinlich beginnt ein neues Gedicht, und zwar mit einer bekannten Sentenz (Parallelen bei Diehl, Suppl. p. 36), etwa: Οὐδάμως] ὄδος μ[έ]γαν εἰς "Ὄλ[ζυμπον -« ἀ]νθρώ[ποισιν (oder &]v9po[ro:).
7. Sappho 27a, 21 [16 L.-P.] 27a, 20 greift auf den Anfang
des Gedichtes
zurück, damit ist also, wie
Milne gesehen hat, die Ringkomposition geschlossen und V. 21 muß neuer Gedichtanfang sein. Zu ergänzen ist etwa im Anschluß an Lobel und Milne (s. Diehl, Suppl. 36): Ὀλρβίοις] μὲν οὐ δύνατον γένεσθϑαι πάμπ]αν ἀνθρώπίοις — oder auch ὄλβιον .... ἄνθρωπον. Hunt hat schon hervorgehoben, daB die Gedichte in diesem Teil des 1. Buches der Sappho anscheinend nach dem Anfangsbuchstaben des ersten Wortes geordnet sind (vgl. auch Diehl,
Suppl. 35). Da 27a mit Ol μὲν .... beginnt, würde als erstes Wort für das nächste Gedicht Ὀλβίοις (oder ”OAßıov) also ausgezeichnet passen. Außerdem bekämen wir dann auch für dies Gedicht die für Sappho so charakteristische Ringkomposition, denn es schloß mit den Worten τ᾽ ἐξ ἀδοκήτω,
was zu dem Gedanken zu ergänzen ist: oft trifft den Menschen Unglück wider Erwarten. [vgl. ἀπὸ τοῦ ἀδοκήτου Thuc. 6, 47 u. à.] 8. Alkaios fr. 123 D. [10 L.-P.] "Eus δείλαν, Éue παίσαν κακοτάτων πεδέχοισαν wird von Hephaistion als Beispiel für steigende Ionier angeführt. Lobel hat den Vers in einem Papyrus (P. Ox. 1789 fr. 29 u. 16) wiedererkannt und das trümmerhaft erhaltene Gedicht, dessen Anfang dies war, noch glücklich dadurch weiter ergänzt, daß er zwei weitere Zitate darin unterbrachte. (Er hat über dies Gedicht in dem Bodleian Quarterly Record 3, 289 gehandelt; leider ist mir dieser Aufsatz nicht zugänglich.) Diehl druckt die Reste des Gedichtes so, als ob es fortlaufend aus Zeilen zu je 4 Ionikern bestanden hätte. Hephaistion II. romp. 3,5 p. 65 C. sagt aber ausdrücklich, er teile die Verse dieses Gedichtes nach 10 Syzygien ein. Auf die gleiche Strophenteilung führt
auch die Nachahmung des Horaz c. 3, 12 — es fragt sich nur, wie diese
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
75
10 Ioniker auf dem Papyrus in Zeilen abgesetzt waren. Die handschriftliche Tradition
des
Horaz-Gedichtes
führt
auf
folgende
Verstrennung
3 i013 io14 io ||| (s. Keller-Holder 1,183 £.). Die Wortenden bei Horaz liegen folgendermaßen: io | jo | 2 jo | 3 io | i | 2 jo |||. Danach hat Christ (Verskunst des Horaz 38; Metrik, 2. Aufl. 504) die Zeilen so abgetrennt: 4 io) 4 i01 2 jo |||. Die Frage ist nun, ob die Zeilentrennung der Horaz-Handschriften oder die von Christ geforderte für den Papyrus vorauszusetzen ist!. Nach
der ersteren würde
das Gedicht
so aussehen:
"Eus δείλαν, E,ue παίσιαν κακοτάτων
πεδέχοισαν; δόμον οἱ -οὐ-ca. 8 Bet.
vv -]e μόρος αἴσχίρος vu--wu-ἐπὶ γὰρ πᾶριος ὀνίατον ιἰκζάνδνει" 5 ἐλάφω δὲ, βρόμος ἐν σ᾽) τήϑεσι φυίει
φόβερος, μ]αινόμενον [-vu--uu-"vu--] ἀυάταισ᾽ ὠ[υυ -! Heinze und Klingner drucken die Horaz-Verse jetzt, ohne die zehn Ioniker unterzuteilen. Daß im Papyrus jede Zeile mit einem neuen Ioniker begann, ergibt
sich zwingend aus der Länge der Lücken an den Zeilenanfängen. — Christ meint, die Zeugnisse der lateinischen Metriker widersprächen sich so, daß aus ihnen nichts zu gewinnen wäre, — zu Unrecht, 53,3; 64, 18; 91,13) vom Anfang er doch an anderen Stellen (VI 129, 3u.3u.4 Ionikern bestánde und
denn wenn auch Victorinus (Gramm. Lat. VI des Horaz-Gedichtes 4 Ioniker zitiert, so sagt 27; 169, 13) ausdrücklich, daß das Gedicht aus trennt danach die Zeilen ab. (Ebenso Atilius
Fortunat.
und
Atilius
Gramm.
Lat. VI 303, 1
(Gr. Lat. VI 289, 25)
und
Plotius
Terentianus (ib. 542, 12)
Gr. Lat. VI 387, 2067.) den Anfang
des
Daß
Gedichtes
mit 3 Ionikern zitieren, spricht, ohne daß man allerdings großes Gewicht darauf legen kann, ebenfalls für die hs. Überlieferung. Wie Victorinus sagen auch die Pseudoacronischen
Scholien ausdrücklich,
das Metrum
dieses Gedichtes
bestánde
aus zwei ionischen Trimetern und einem Tetrameter. All das bestätigt also die
Kolometrie der hs. Überlieferung durchaus. [Über 3-zeilige Strophen bei Alkaios s. u. S. 101].
3. Das überlieferte ἰκνεῖται beanstandet Lobel mit Recht, da die erste Silbe positione lang wäre. ἱκάνω mit langem « ist sicher ergänzt bei Sappho 55b, 6 D. Als Beispiel für ἱκάνω mit kurzem a bei Alkaios führt der neue Liddle-Scott zweifelnd fr. 57 D. == fr. 395 L.-P. an, sicher mit Unrecht. Am Anfang ist die Ergänzung von Wilamowitz στενώϑίεις)] nicht zu halten, da nach den Angaben von Lobel uf oder δ zu lesen ist. Ob nun στενώξδίεος) mit einer für die Frühzeit allerdings auffälligen Bildung
(vgl. Chantraine, Formation des noms 430f.) oder nach einem anderen Vorschlag von Wilamowitz στενώμ{ενος), was allerdings den Raum der Lücke überschreitet, oder sonstwie zu schreiben ist, es wird hier das Metrum
(da + bipp):
von
fr. 63 D. vorliegen
στενω.[.-Ἰ Ξάνθω ῥό[ος] ἐς ϑάλασσαν ἴχανε...
Zu ἐπὶ γὰρ πᾶρος ὀνίατον ἱκάνει vgl. λ 196 χαλεπὸν δ᾽ ἐπὶ γῆρας ἱκάνει usw. —Wer das unglückliche Mädchen unseres Gedichtes ist, das ‘das Haus’ (V. 2) entweder
76
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
Nach der zweiten, der Christschen, Kolometrie würde das Fragment so aussehen: "Eus δείλαν, ἔμε xaloav κακοτάτων πεδέχοισαν νυ
-- -ΟΑἨἸδόμον
o[-vu--vu--
vv-]e μόρος alox[poc: ᾿ἐπὶ γὰρ räp,og ὀνίατον ιἰκζάννει [vu--
5 ἐλάφω δὲ; βρόμος ἐν σιτήϑεσι φυίει φοβέροζι)σζιν) 1 vu- μ]αινόμενον[-vu--]
ἀυάταισ᾽
@[-vu--uu--
Für die erste Fassung würde folgendes sprechen: 1. Die durch die Metriker bestätigte Horaz-Überlieferung braucht nicht angetastet zu werden. (Wenn auch die Abschreiber leicht die Kolometrie ändern konnten, so zeigt doch z.B. die Pindar-Überlieferung, daß im allgemeinen die Zeilentrennung in der hs. Tradition bewahrt bleibt.) 2. φόβερος in V. 6 kann gehalten werden, so verlockend es ist, mit Lobel & ovfj9tot... φοβέροισιν zu schreiben, zumal dieser Vers (für φοβερός — furchtsam) von den Scholien zu Soph. Oed. R. 153 als Parallele zu ἐκτέταμαι φοβερὰν φρένα zitiert wird. (De Marcos Mitteilungen über die Hss. der Sophokles-Scholien [De Scholiis in Sophoclis Tragoedias veteribus, R. Acc. Naz. dei Lincei, Ser. VI, 6, fasc. 2, Rom
1937,
S. 147] bringen nichts Neues zur Überlieferung dieses Fragments.) 3. Nach ἱκάνει entsteht so keine Lücke von einem loniker, die Schwierigkeiten machen würde. 4. πεδέχοισαν in V. 2 und φόβερος in V. 6 füllen genau die durch die sicheren Ergánzungen der vorhergehenden Verse bestimmten Lücken aus (vgl. die Abschrift bei Grenfell-Hunt). Für die zweite Fassung ließe sich folgendes anführen: 1. Das Zitat von Hephaistion gibt so die erste Zeile des Gedichtes wieder, wie es das Gewóhnliche bei Hephaistion-Zitaten ist. Aber daß Hephaistion, auch wenn er nur Jio in der ersten Zeile seiner Aufgabe fand, das Wort πεδέχοισαν hinzunahm, ist verständlich, denn so wurden
die Worte halbwegs verständlich;
und da er die Einheit in den 10 Metren der ganzen Strophe sah, konnte
es ihm gleichgültig sein, ob er 3 oder 4 Ioniker anführte. Genauso zitiert auch Victorinus
(s. o. 75, 1) 4 Ioniker
vom Anfang
des
Horaz-Gedichtes,
verlassen oder, gerade umgekehrt, hüten muß (vgl. Bacchyl. fr. 20 A, 5) und das ein schlimmer Tod bedroht (V. 3; αἴσχρος ist wegen des erhaltenen Circumflex wohl sicher. Das Gedicht ist unter denen des Alkaios und der Sappho das einzige, das mit der direkten Rede ciner anderen Person beginnt, aber seit Archilochos fr. 22 kommt das vor (vgl. Wilamowitz, Sappho u. Sim. 305, 2 u. Kleine Schr. 2, 112, 2). Hier kónnte es sich sehr wohl um eine mythische Person handeln. 1 φοβέροισιν statt φόβερος Lobel. [Doch vgl. über die Richtigkeit von φόβερος Ed. Fraenkel, Horace 178, 4 und die von ihm zitierte Literatur.]
Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker
77
obwohl er nach 3 Ionikern abteilt. 2. Die von Christ beobachteten Wortgrenzen bei Horaz!. Alles in allem scheint mir entschieden für die erste Fassung zu sprechen, und man sollte bei Horaz die gleiche Kolometrie wieder einführen. 9. Ibykos’ Gedicht auf Polykrates [Vgl. jetzt „Dichtung und Gesellschaft“ S. 1196] 1 Soweit
das Alkaios-Gedicht erhalten ist, fällt bei den beiden Arten der Vers-
abteilung jedesmal Wortende
an das Zeilenende, so daß kein Argument
cine oder die andere daraus zu gewinnen ist.
für die
ZWEIFELHAFTER FRÜHLING (1946) Alkman fr. 56 D. [20 P.] Drei Jahreszeiten machte Zeus: den Sommer und den Winter und als dritte den Herbst; und viertens noch
den Frühling, da es blüht, da's aber nicht genug zu essen gibt.
STESICHOROS’
ZTOOHPAI!
[222 P.]
Den Papyrus 2359 im eben veröffentlichten 23. Band der OxyrhynchusPapyri spricht Lobel mit einleuchtenden Gründen den Συοϑῆραι des Stesichoros zu. Das bestätigt der metrische Aufbau: unter col. 2, 7 steht Para-
graphos; in col. 1 sind drei besonders kurze Zeilen: 1,5 und8;2und9 haben Zeilenenden der Form ]-vu-vu-uu; falls da Responsionen vorliegen, hätten wir Strophen von 7 Zeilen. Tatsächlich entsprechen nun ferner col. 2, 1 ἔνϑεν piv ... und 8 ἔνϑεν δ᾽ a5 ... einander nicht nur metrisch, sondern auch in den Worten, und auch 2 und 9 respondieren; col. 2, 7 ist ein Kurzvers, der ebenso endet wie col. 1,1, und der vorhergehende Vers endet wie 1,7; außerdem besteht Synaphie zwischen den respondierenden Versen col. 1, 2/3 » col. 2, 8/9 und col.1,4/5 » col. 2, 3/4.
Entsprechend der Paragraphos
vor col. 2, 8 ist also Strophenanfang auch
col 2, 1 sowie col. 1,2 und 9 anzusetzen. Das wird bestätigt durch die Interpunktionen hinter col 1,1, vor 2,1 (die sicher anzunehmen sind) und hinter 2, 7. Außerdem hebt sich durch ἔνϑεν μὲν in col. 2, 1 und ἔνϑεν
δὲ in col. 2, 8 die Strophe 2, 1—7 neue
Fragment
in
seinem
als Einheit ab. Danach
metrischen
Aufbau
ziemlich kurze Strophen mit einfachen, 10 da|*6 da, |*u 7 da, λων 2 da, , |] col. 1 B’?
z. T.
läßt sich das
herstellen;
wir
'steigenden'
υυθεσ]τιάδαι" 1---vJap ὀψιγόνοι τε καὶ ἀσπασίotv v ——-]v ἐν μεγάρ[ο]ισιν᾽ ἀτὰρ πόδας
10
8ὅ-αυ- ἸΙτ᾽ ἀγαϑοὶ Προκάων Κλυτί-
(5)
oqvv- ἠσϑαν. 8uu-uu ας δὲ μόλ᾽ [ΕἸὐρυτίων vu -οΟἰς τανυπ[έϊπλου
() tem es I'? 15 ---vv»]. Εἰλατίδαο
δαΐφρονος
desunt versus 6 -- x x 7?
A'?
25
ἔένϑεν uiv Aoxo[ot ζυ)υυπυνπυν ἰζάνον αἰχματαὶ [97-7 - v» τέχνα gua [v v - v v» -ἐρί"ptc ᾿Αχαιοὶ [
! Ernst Fraenkel gewidmet zu seinem 75. Geburtstag am 16. 10. 1956.
erhalten
Daktylen:
80
Stesichoros’ ΣΥΟΘΗΡΑΙ
(5)
[222 P.)
5xal ὑπερϑύμοι [vu-vu οἵ 9" ἰαρὰν Βοιωτίδ[α ν]αίον [
ἀχϑόνα πυροφόρί[ον. ] ἔνϑεν δ᾽ αὖ Δρύοπ[ές) τε κα[ὶ τυυ που λοι μενεχάρμαΪι-ωή͵ὐπυνπυν
30
Supplementa Lobeli sunt exc. V. 26 7]Tl AI- 8 ΓΟΝ CI 901Ν: 10 -ϑοῦ, --ϑὸν
longiora
spatio
essent;
marg. 23 ZÁN 26 0TM*-
In der ersten Kolumne einfinden,
&y. Snell 11 AN:
12 Δ EMOA'
ist beschrieben, wie die Jäger
in der zweiten,
wie
die um
das
Eberfell
pap., μόλ i.
sich
Streitenden
zur
Jagd
einander
gegenübersitzen?. Aus dem verlorenen unteren Teil der 1. Kolumne muß das einzige als Zitat bei Athenaios 3,95 D erhaltene Bruchstück aus den Συοϑῆραι (fr. 7 D. [221 P.]) stammen: κρύψε (κρύψαι: corr. Dindorf?) δὲ ῥύγχος ἄκρον γᾶς ὑπένερϑε, denn es wird zur Schilderung der Jagd gehóren. In die Strophen, wie sie sich oben ergeben haben, fügt sich das Fragment allerdings nicht ein. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Gedicht Epoden hatte und
daß etwa V. 7 oder V. 15 zur Epode gehörte; dann könnte das
Athenaios-Zitat Aufbau
der
Stück einer Epode
Chorlieder
von
sein. Das
Alkman,
wenige,
Stesichoros
und
das wir Ibykos
über den wissen*,
scheint dafür zu sprechen, daß die Epoden bei diesen Dichtern länger waren als die Strophen. Wir bekämen dann hier Triaden von mehr als ! *Dorisch' akzentuiert sind 8 ὀψιγόνοι, ἀσπασί[οι, 10 Κλυτί[ος, 23 ἱζάνον. Ohne Akzent geschrieben sind 9 μεγαρ[ο]ισιν und 29 Δρυοπες, wo Lobel normal akzentuiert, aber auch 27 v]atov, wo er wohl mit Recht keinen Zirkumflex, sondern Akut setzt. In 26 steht ὑπερϑύμοι[; da der Schreiber anscheinend nur Akzente setzt, wo er von der normalen Betonung abweichen móchte, ist also nom. plur. ὑπερϑύμοι gerneint,
nicht ὑπερϑύμοισ(ιν). — In V. 7 scheint nach der Tafel ein Gravis auf τὶ zu stehen, was Lobel aber nicht angibt. 3 Die Thestios-Sóhne (schol TI567) Prokaon und Klytios kehren wieder in dem Pap. Ashmol. inv. 20 (= Pind. fr. 343), der, wie Lobel jetzt wahrscheinlich gemacht hat, zu einem Dithyrambos (? c. 25) des Bakchylides gehört (P. Ox. X XIII
p. 30 u. 38; zu dem gleichen Buch gehórt, wie sich jetzt zeigt, auch Pind. fr. 336); auch dort war offenbar die Meleager-Jagd behandelt (Amphitryoniadas V. 24 ist dann entweder Iolaos [Paus. 8, 45, 6 usw.] oder Iphikles [Apollod. 1, 68]). — Die Verse 8—12 mögen etwa folgenden Sinn gehabt haben: ol δὲ τεκούσι π]άρ᾽ &deyóvot
τε καὶ ἀσπασί[οι μένον (dies schon Lobel) αὐτῶ]ν ἐν μεγάροισιν" ἀτὰρ πόδας [&vopéav] τ᾽ ἀγαϑοὶ Προκάων Κλυτί[ος τ᾽ ἀφυκέ]σθαν᾽ [ἀπὸ Θεσσαλί]ας δὲ μόλ᾽ Eöpuriov. Im folgenden könnte von Peleus (Θέτιδός τε πόσι]ς τανυπέπλου) und Kaineus (dem Elatiden:
καὶ Karveös γόνο]ς) die Rede sein, die auch beide aus Thessalien kamen. * Athenaios sagt: Στησίχορός τέ φησιν ἐν Συοθήραις᾽ κρύψαι δὲ κτλ. Offenbar ist, wie E. Kapp gesehen hat, der Infinitiv dadurch eingedrungen, daß ein Abschreiber Abhängigkeit von φησιν annahm. 4 Griechische Metrik 320, Dort Seite 19 u. 21 ist Responsion von Stesichoros fr. 12 und 14 angenommen.
Stesichoros’ ZTOOHPAI
[222 P.]
81
75 Daktylen. Das scheint für Stesichoros reichlich lang!. So ist wohl eher damit zu rechnen, daß das Zitat bei Athenaios verkürzt vorliegt und es etwa in der Form (-uu) κρύψε δὲ ῥύγχος ἄκρον (vu) γᾶς ὑπένερϑε oder κρύψε δὲ ῥύγχος ἄκρον (vu-uu) γᾶς ὑπένερϑε zur 2. Periode gehört — aber es gäbe auch noch andere Möglichkeiten, wenn man Responsion von zwei- und dreisilbigen Daktylen annimmt (die durchaus wahrscheinlich ist) und etwa kein Periodenende hinter der 3. Periode voraussetzt. Jedenfalls spricht das Zitat nicht dagegen, den Papyrus den Συοϑῆραι zuzusprechen. Und das Metrum spricht für keinen Dichter sosehr wie für Stesichoros. [Daß in dem 2. Teil des Papyrus Lokrer, Achaier, Boioter und Dryoper anwesend sind, stimmt zu Bacchyl. 5, 111, ᾿Ελλάνων ἄριστοι hätten an der Jagd teilgenommen.] 1 Erst bei Ibykos fr. 7 hátten wir, wenn das Gedicht triadisch gebaut war, solchen Umfang. Etwa 38 Metren umfassen die Strophen in P. Ox. 2360, von Lobel eben-
falls mit gutem Recht dem Stesichoros zugewiesen, und zwar den Νόστοι [209 P.]. Über das Metrum s. Griechische Metrik? 21, 2 und 42, 3; V. 1 ist wohl als 2. Zeile der Strophe und V. 8 Strophenende. V. 4 βαδ[ιζομένοις Ὁ
6
8496
Snell, Ges. Schriften
SAPPHOS
GEDICHT
ΦΑΙΝΕΤΑΙ
ΜΟΙ
ΚΗΝΟΣ
Als Catull das Gedicht der Sappho (2 D) φαίνεταί μοι κῆνος looc ϑέοισιν übersetzte, dachte er an die ungewisse Gunst seiner Lesbia-Clodia, die ihn oder einen andern beglücken konnte: „Der scheint mir ein Gott zu sein (d.h. glücklich wie ein Gott!), der neben dir sitzt, mit dir scherzt und
lacht." Wir verfolgen an den übrigen Gedichten, richtete,
das Auf und
Nieder
seiner
Stimmungen,
die Catull an Lesbia wie
er
sich
als
beafw:
oder miser fühlte, je nachdem er erhört oder nicht erhört wurde. Es mag fraglich sein, ob diese Sappho- Übersetzung, wie z. B. Wilamowitz annimmt?, in die Anfangszeit der Liebe zu Clodia gehórt, als sich Catull schüchtern der vielumworbenen Frau näherte, oder ob sie später entstanden ist, als sich Catull nicht mehr im sichern Besitz der Geliebten fühlte; jedenfalls
zeigt der Anfang des Gedichts, wie die Liebe Catulls zu Clodia entscheidend bestimmt
und
wird
durch
das Verhältnis
die Sappho-Übersetzung
der
Clodia
entstammt
der
zu anderen
Spannung
Liebhabern,
zwischen
dem
Glauben und dem Zweifel an Gegenliebe, zwischen Eifersucht und glücklicher Sicherheit. Daß Sapphos Gedicht von einer ganz anderen Art des Fühlens bestimmt ist, geht schon aus der einen Tatsache hervor, daß es ein Hochzeitsgedicht ist, wie Wilamowitz gesehen hat?, ein Glückwunsch und Abschied für eines der Mädchen, das in Sapphos Kreise gelebt hat. Wilamowitz hat auch gesehen, daB dann die ersten Verse des Gedichtes nicht wie bei Catull bedeuten
können:
„Wer
neben
dir sitzt und
mit dir scherzt, ist dadurch
glücklich." Aber doch wird man nicht, wie Wilamowitz mit Welcker tut, in der „Göttergleichheit“ die ‚„Götterkraft‘‘ sehen, die Selbstbeherrschung,
die der Bräutigam haben muß, daß er gelassen neben der schönen Braut sitzen kann, während Sappho durch ihren Anblick aufs tiefste erschüttert wird®. Die ersten Worte enthalten vielmehr ein konventionelles Motiv 1 So wird es meist richtig aufgefaßt. Daß hier par deo = beatus ist, zeigt schon zur Genüge
das im Gegensatz
dazu stehende misero (V. 5). Weiteres s. u.
3 Sappho u. Simonides, 1913, 58, 2 u. 75. * A.3.0. 58. — Der Text des Gedichtes
ist zuletzt umsichtig
behandelt
A. Turyn, Studia Sapphica, Eus Supplementa vol. 6, 1929, 68. * Das ist richtig ausgeführt von Turyn in seinem eingehenden
von
Kommentar
dieses Gedichtes a.a.O. Turyn selbst kehrt zu der herkömmlichen Anschauung zurück, ohne auf die berechtigten Einwände, die Wilamowitz vorgebracht hat, einzugehen.
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI
KHNOZ
83
des Hochzeitliedes!. Dadurch läßt sich erstens noch strikter erweisen, daß wir wirklich, wie Wilamowitz meint, ein Hochzeitslied vor uns haben,
dadurch lassen sich dann auch die ersten Worte sicher interpretieren. Zum festen Bestand
des
Hymenaios
gehört
das
zixaleıv?. Him.
or. 1, 16 sagt,
und diese Bemerkung bezieht sich auf Hochzeitsgedichte (vgl. auch 1, 4): Σαπφοῦς ἦν ἄρα μήλῳ μὲν εἰκάσαι τὴν κόρην (vgl Sappho 116 D)... τὸν γύμφιον δὲ ᾿Αχιλλεῖ παρομοιῶσαι καὶ εἰς ταὐτὸν ἀγαγεῖν τῷ ἥρῳ τὸν νεανίσκον ταῖς πράξεσιν (Sappho 93 Β)8, Wie üblich dies σχῆμα ist, zeigt die Frage aus dem Anfang eines Sapphischen Hochzeitsgedichtes (127 D): τίῳ σ᾽ à φίλε yaußpe, κάλως εικάσδω;
ópraxi βραδίνῳ σε μάλιστ᾽ εικάσδω.
Am häufigsten war anscheinend der Vergleich mit Góttern*: so bei Sappho 123,5 D:
γάμβρος T εἰσέρχεται ἰσος T ᾽Ἄρευι ἀνδρος μεγάλω πόλυ μείζων. Nicht auf einen bestimmten Gott bezogen, sondern wie in unserm Gedicht auf die Götter im allgemeinen ist der Vergleich in dem letzten Gedicht des 2. Buches, in dem die Hochzeit Hektors mit Andromache
ist (55 D. Das
Ergänzt
Gedicht
von
Lobel
klingt aus, indem
in dem
Nachtrag
es schildert,
beschrieben
seiner Ausgabe
wie alle Männer
S. 78).
laut riefen,
den Apoll anrufend, und sie priesen ’Exropa κἀνδρομάχαν ϑεοεικέλοις. Freilich werden hier die Gestalten der Sage als göttergleich bezeichnet, doch kann nicht bezweifelt werden, daß damit zugleich das Brautpaar verherrlicht werden soll, zu dessen Hochzeit Sappho von der mythischen Hochzeit erzählt. Denn die Hochzeit Hektors spiegelt im Mythos das irdische Ereignis®, und eben als Brautleute werden Hektor und Andro1 Einen Überblick über die antiken Hochzeitslieder gibt P. Maas in der RealEnzyklopädie s. v. Hymenaios. Einzelne Topoi verfolgt E. A. Mangelsdorff, Das lyrische Hochzeitsgedicht bei den Griechen und Römern, Diss. Gießen 1913. 3 Mangelsdortt 17f. * Himerios fährt fort: τοσοῦτον χαρισαμένην τοῖς πρὸ ὥρας δρέψασϑαι σπεύδουσιν, ὅσον οὐδ᾽ ἄκρῳ τοῦ δακτύλου γεύσασϑαι. Dieser Gedanke gehört nicht zu fr. 116 Ὁ, zu dem er gewöhnlich gestellt wird, wohl aber zu Alk. 117 D — 63L: dort wird ein Mädchen allerdings nicht mit einem Apfel verglichen, sondern mit einem Aäuue, und es heißt V. 15 τάρβημμι μὴ δρόπωσιν, αὐταῖς όμφακας ὠμοτέραις. Dies Motiv der jungen, zu früh gepflückten Traube hat in der späteren Literatur nachgewirkt (vgl. R. Pfeiffer, Gnomon 6, 318, Reitzenstein, Hermes 35, 1900, 96, 1). Ob erst Himerios das πρὸ ὥρας δρέψασϑαι mit dem Apfel zusammengebracht hat? Diese Parallele könnte erneut dafür sprechen, daß wir keinen Alkaios-, sondern einen SapphoPapyrus vor uns haben (vgl. H. Fränkel, GGA 1928, 274£.).
4 Ihn empfiehlt Menander bild der Poesie. 5 Vgl.
Wilamowitz,
NJbb
(9, 268 Walz) für die Hochzeitsrede 1914,
229.
Ähnliches
bei
Pindar:
Pind. Pyth. 1, 1—28. Dazu prinzipiell H. Fränkel, Gnomon 6*
nach dem VorO. Schroeder
zu
6, 7f. — Dionys. rhet.
84
Sapphos Gedicht DAINETAI
mache Auch
góttergleich genannt; im Vers 21, wo
MOI
bedeutungsvoll
nur die Worte
KHNOZ
steht das Wort
am
Schluß.
ίκελοι 9£ot; erhalten sind, wird
von
dem Brautpaar gesprochen sein; es muß dort gesagt sein, daß sie in Troja ankamen! — also auch bei ihrem Erscheinen wird der Vergleich mit den Góttern gesetzt. Freilich, wo ein Vergleich mit Góttern oder mythischen Personen sonst bei Sappho vorkommt, handelt es sich entweder bestimmt nicht um ein Hochzeitsgedicht?
oder
es
läßt
sich
nicht
ausmachen?;
aber
die
Spuren
von Hochzeitsliedern, die wir aus spáterer Zeit haben, beweisen zur Genüge, daß diese Vergleiche eine feste Stelle im Hymenaios haben“. Welche inhaltliche Bedeutung der Vergleich mit den Göttern in unserm Gedicht hat, wird ebenfalls aus den typischen Formen des Hymenaios klar. ὀλβιε yaußpe begrüßt Sappho (128 D) den Bräutigam (vgl. auch Theokr. 18, 16), und daß der Bräutigam (oder auch das Brautpaar) als ὄλβιος, μακάριος oder εὐδαίμων angesprochen wird, findet sich in den Hochzeitsliedern immer wieder*. Dann werden wir auch das φαίνεται bei Sappho nicht in p. 264,7 U—R gibt die Regel für den Hymenaios: παραϑετέον καὶ μνηστέον καὶ ἐνδόξων γάμων ἣ ἀρχαίων, und es ließen sich leicht die Beispiele dafür häufen. 1 Das
Gedicht
zerfällt, soweit es erhalten ist, in drei Teile.
Zunächst
schildert
ein Bote das Schiff, auf dem Hektor und Andromache mit den Hochzeitsgästen sich befinden (1—10). Im 2. Teil wird beschrieben, wie die Stadt sich zum Empfang rüstet (12—20), im 3. Teil, wie die Brautleute einziehen (22—34). Man hat, als dies Gedicht gefunden wurde, gemeint, sein Stil sei episch (dagegen schon mit Recht H. Fränkel NGG 1924, 64); schon diese Art, eine Erzählung in einzelne Beschrei-
bungen aufzulösen, ist unhomerisch. Allein die von Sappho verwandten Tempora sind charakteristisch: die erste Schilderung (1—10)
hungsweise Es
wird
ist im Präsens gegeben (bezie-
durch prädikatslose Aufzählung), die zweite und dritte im Imperfekt.
also
kein
fortschreitendes
Geschehen
erzählt, sondern
Zustände
werden
beschrieben, Bilder werden nebeneinandergestellt. Der Übergang vom ersten zum zweiten Teil ist möglichst ruckhaft vollzogen, um schnell zu dem neuen Bilde zu kommen: ὡς ein’. οτραλέως δ᾽ ἀνόρουσε πάτηρ φίλος. φάμα δ᾽ ἦλϑε κατὰ πτόλιν ευρύxopov φίλοις. αὐτιχ᾽ Diadar.... ἄγον κτλ. (Hier steht zu Recht der Aorist.) Der Über-
gang von der 2. zur 3. Szene ist nicht erhalten. Dahinein gehören aber die Worte ίκελοι ϑέοις. Dort war die Ankunft
von Hektor
und Andromache
erzählt, und zwar
auch nur mit ganz wenigen Strichen (vgl. Sappho 1, 13: αἶψα δ᾽ e&lxovro ..., und Ähnliches findet sich öfter in der archaischen Lyrik. Besonders ist an das schnelle Wechseln der Bilder bei Pindar zu erinnern). * 98, 4 an Atthis: „Arignota (an den Eigennamen wird trotz Lobel festzuhalten
sein) hielt dich 9éq ικέλαν.““ 3 35 D ἔάνϑᾳ δ᾽ Ελένᾳ σ᾽ εἰσκην. 71,3 D ἰσαν ϑέοισιν ᾿νδρομέδαν.
* Cat. 61,16. Namque Vinia Manlio Qualis Idalium colens Venit ad Phrygium Venus Judicem etc. Seneca Med. 56ff. Claudian 10, 16ff. u. ὃ. 5 Hes. fr. 81. Bei der Hochzeit des Peleus (vgl. dazu Reitzenstein, Hermes 1900, 80) τοῦτ᾽ ἔπος εἶπαν ἅπαντες᾽ τρὶς μάκαρ Αἰακίδη καὶ τέτρακις, ὄλβιε Πηλεῦ (Pind. P. 3, 88
spricht vom ὄλβος ὑπέρτατος des Peleus und des ἀντίϑεος([) Kadmos, Hochzeit erwähnt). Aristoph.
als er ihre
Pax 1333: ὦ τρίσμακαρ, ὡς δικαίως τἀγαϑὰ νῦν ἔχεις.
Eur. Phaet. fr. 781, 27: ὦ μακάρων βασιλεὺς μείζων ἔτ᾽ ὄλβον. Eur. Tro. 310 in dem Hochzeitslied,
das Kassandra
sich singt: μακάριος ὁ γαμέτας, μακαρία δ᾽ ἐγὼ
βασι-
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
85
der blassen Bedeutung des Catullschen videtur fassen: „er scheint mir ein Gott zu sein, er kommt mir vor wie ein Gott. Das würde im älteren
Griechisch δοκεῖ pot heißen. φαίνεσϑαι bedeutet vielmehr bis hinunter zu Platon „in die Erscheinung treten''!; Sappho sagt also: Jener erscheint mir, zeigt sich mir als einer, der góttergleich ist. Dem Sinne nach liegt das also ganz nahe bei dem traditionellen Anfang eines Makarismos: μακάριος (ὄλβιος), ὅστις... .3, wie wir ihn in verschiedenen Bezirken griechischer
Dichtung
treffen, im
Epinikos?,
im
religiösen
Hymnus*
und
so fort.
λικοῖς λέκτροις κατ᾽ "Ἄργος & vapougéva (vgl. 327, 336). Eur. Alk. 918: Bei der Hoch-
zeit elnero κῶμος τὴν ϑανοῦσαν κἄμ᾽ ὀλβίζων. Vgl. a. Eur. Hel. 640, Aristoph. Av. 1741 u. 1759, Ovid, Met. 12, 217 felicem diximus illa conjuge Piritboum.
! Wilamowitz zu Eur. Her. 804. [Diese Behauptung ist in den neueren Behandlungen dieses Gedichtes háufig bestritten worden, z. B. von A. Setti, Stud. ital. 16, 1939,
210, 1 u. 216,2;
1964, 6 —
Page,
Sappho
and Alc. 32;
Jachmann,
Rh. Mus.
107,
sehr zu Unrecht. φαίνομαι und δοκέω (oder auch δοάσσατο) mógen an
Stellen vorkommen,
die einander ähnlich sind, das heißt aber nicht, daß die Wörter
völlig gleiche Bedeutung haben. Es würde zu weit führen, das hier darzulegen. Ich bemerke nur, daß das von Page und Jachmann angeführte Sappho-Fragment 41 D. σμίκρα
μοι πάις ἐμμεν᾽ ἐφαίνεο κἄχαρις
nicht heißen
kann
„Du
schienst mir
klein und ohne Grazie zu sein, (in Wirklichkeit aber warst du groß und graziös)‘‘, was sinnlos wäre, sondern: „Du warst offenbar, (als du zu mit kamst,) ein kleines, ungraziöses Mädchen, (aber das änderte sich bald).“‘“ Wenn man von einem „immer
noch beliebten Verfahren" (Jachmann 7) sprechen will, so wäre es das, mit „Synonymen'' in der Sprache zu rechnen.] ! Vollkommen richtig hat schon O. Schröder, Sokrates I, 1913, 530 erklärt: „Was kann φαίνεται — ἔμμεν anderes heißen als μακαρίζω, ὀλβίζω, entsprechend dem Hochzeitsruf ὄλβιε yaußpe.““ * Pind. P. 10, 22 εὐδαίμων δὲ καὶ ὑμνητὸς οὗτος ἀνὴρ γίνεται σοφοῖς, ὃς dv... τὰ
μέγιστ᾽ ἀέϑλων ἕλῃ. 5,20 μάκαρ δὲ καὶ νῦν, κλεεννᾶς ὅτι εὖχος ἤδη παρὰ Πυϑιάδος ἵπποις ἑλὼν δέδεξαι τόνδε κῶμον ἀνέρων. 5, 46 μακάριος, ὃς ἔχεις καὶ πεδὰ μέγαν κάματον λόγων φερτάτων uvap ux. Ο. 7, 11 ὁ δ᾽ ὄλβιος, ὃν φᾶμαι κατέχοντ᾽ ἀγαϑαί. Bakch. 3, 10 ruft das Volk dem Sieger Hieron zu: & τρισευδαίμων [&v?p], ὃς παρὰ Ζηνὸς λαχὼν πλείσταρχον “Ἑλλάνων γέρας οἷδε πυργωϑέντα πλοῦτον μὴ μελαμφαρέϊ κρύπτειν σκότῳ, Vgl. auch Pind.
P.9,1. ΟἹ. 1, 11. 13, 1.
N 9,3 u. ὃ,
* Hier ist eine spezielle Form kenntlich, daß der Eingeweihte selig gepriesen wird, der in frommer Schau das reichste Wissen gewonnen hat: Hymn. Dem. 480
von
den Eleusinischen ὄργια: ὄλβιος ὃς τάδ᾽ ὅὄπωπεν ἐπιχϑονίων ἀνθρώπων.
ἀτελὴς ἱερῶν ... ὄλβιος ὅστις ἰδὼν Soph. fr. 753 N? δερχϑέντες τέλη
ὃς δ᾽
(vgl. 486). Pind. fr. 137 (περὶ τῶν ἐν ᾿Ελευσῖνι μυστηρίων λέγων): κεῖν᾽ εἴσ᾽ ὑπὸ χϑόν᾽" οἷδε μὲν βίου τελευτάν, οἶδεν δὲ διόσδοτον ἀρχάν. (περὶ τῶν μυστηρίων γράψας): τρισόλβιοι κεῖνοι βροτῶν, ol ταῦτα μόλωσ᾽ ἐς “Αιδου. (Weiteres bei E. Norden, Agnostos Theos, 1913,
100, 1.) Von dieser Form der Seligpreisung hángt Emped. fr. 132 und besonders das berühmte Lob des theoretischen Lebens bei Euripides (fr. 910) ab. Dieses wird seinerseits von Aristophanes Ran. 1482 aufgegriffen und verulkt: Eurip. sagt: »Glücklich, wer weites Wissen gewonnen hat; der wirkt nichts Bóses für die Bürger.'' Aristoph. travestiert das: ,,Er wirkt Gutes für die Bürger — und für seine Angegehörigen und für seine Freunde, weil er so gewitzigt ist." (Zu Eur. vgl. auch Verg. Georg. 2, 490.)
* Hes. Theog. 96 ὃ δ᾽ ὄλβιος, ὄντινα Μοῦσαι φίλωνται (vgl. 954). Alkman
1, 37 D
ὁ δ᾽ ὄλβιος ὅστις εὔφρων ἁμέραν διαλπλέκει ἄκλαυτος. Bakch. 5, 50 ὄλβιος ᾧτινι ϑεὸς
86
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOX
Nach diesen Erwägungen läßt sich präzise bestimmen, welche verschiedene Bedeutung die Wendung „göttergleich“ bei Sappho und bei Catull
hat. ἴσος ϑεοῖσιν wird bei Sappho der Bräutigam im feierlich-herkómmlichen Anruf am Tage der Hochzeit genannt. Daß damit gemeint ist „glücklich“ wie ein Gott, läßt schon der Plural ϑεοῖσιν vermuten!, der an die ῥεῖα ζῶντες
erinnert; es wird erwiesen dadurch, daß die Glücklichpreisung des Brautpaars ein fester Bestandteil des Hymenaios ist. Aber hier ist nicht wie bei Catull
die Gemütsstimmung
gemeint,
in der „der glückliche
Liebhaber“
ist. Der Bráutigam ist glücklich in einem objektiveren Sinn: seine ganze Existenz ist glückhaft, herrlich und selig, so wie ein Gott ὄλβιος und μακάριος ist. Wie sehr der ganze Glanz des góttlichen Seins hier mitzuverstehen ist, zeigt der Vergleich des γαμβρός mit Ares bei Sappho, wo die Schónheit und die Größe ausdrücklich genannt werden. Dieser Vergleich mit dem Gott ist, wie die übrigen Vergleiche des γαμβρός mit einem Gott bei Sappho erkennen lassen, noch mit vollem Ernst und Glauben gesagt. Catull dagegen erweitert i//e mi par esse deo. videtur mit den Worten si far est, superare divos. Damit wird eine allmählich abgegriffene Wendung etwas gewaltsam erhöht?; seinem Temperament genügt nicht die einfache Anschauung, sondern er sucht sich in der Steigerung bewegter auszudrücken, wobei dann zugleich das den Überschwang wieder hemmende Gefühl entsteht, ob es wohl erlaubt ist, so Kühnes zu sagen. Wie Verschiedenes die Anfangsworte des Sappho-Gedichtes und der Catull-Übersetzung besagen, wird noch deutlicher durch die verschiedene Beziehung, die sie zu dem folgenden Relativsatz (6rris ..., (d .. .) haben. Wenn Catull anhebt: Glücklich scheint mir jener zu sein, der ..., so ist
damit noch offen, wer glücklich, warum er glücklich ist. Der Gedanke bleibt in der Schwebe, und wir erhalten seine Erfüllung erst in dem Relativsatz. Wenn Sappho dagegen sagt: Glücklich ist der Mann ... („nicht ohne Grund steht ὠνηρ΄ [Wilamowitz 58], und nicht zufällig läßt Catull dies Wort aus), so ist das in der Situation, in der Sappho das Lied vorträgt, ein eindeutiger Makarismos des Bräutigams, und der anschließende Relativsatz dient nur der Ergänzung dessen, was in dem Hauptsatz gesagt ist: der bestimmte gegenwärtige Bräutigam wird bezeichnet, die Vorstellung von dem μακάριος wird vertieft durch das Bild der Liebenden, die beieinander sitzen, jedenfalls aber erhält nicht, wie bei Catull, der Hauptsatz μοῖράν τε καλῶν ἔπορεν. Ferner Hipponax 30, Alkman 11 D und die von Heinze zu Hor. Jamb. 2, 1 angeführten Lobpreisungen des geruhigen Lebens. Über den religiósen
Klang
von ὄλβιος
1930, 11. ! Vgl. Dornseiff, DLZ
und
εὐδαίμων
s. O. Regenbogen,
Das
Hum.
Gymn.
1930, 396.
5. E. Fraenkel, Plautinisches in Plautus, 8ff. weist zahlreiche derartige Aufhóhungen alter Wendungen im Rómischen nach (über unsere Stelle s. S. 15, 2). Auf Aisch. Cho. 59 τὸ δ᾽ εὐτυχεῖν, τόδ᾽ ἐν βροτοῖς ϑεός τε xal θεοῦ πλέον und Eur. Hipp. 360 verweist W. Kranz, Hermes 65, 1930, 237.
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI ΚΗΝΟΣ
87
erst nachträglich einen bestimmten Sinn: glücklich ist er dadurch, daß er ... Folgerichtig hat Catull diesen Relativsatz weiter umgeformt. Aus dem
ersten Verb όττις ενάντιός vot ἰσδάνει hat er ein Partizip gemacht:
qw
sedens adversus und dies untergeordnet unter das folgende ijde/idem fe specta? et audit; er sagt also: glücklich ist er dadurch, daß er dich hört und sieht; das Sitzen neben der Braut ist also nur die Voraussetzung ciner wesent-
licheren Beziehung, und das par esse deo videtur empfängt erst jetzt durch die letzten Worte des Relativsatzes seinen konkreten Inhalt. Bei Sappho dagegen erhält man, wenn man bis ἰσδάνει liest, einen geschlossenen Sinn und xal . . . αχούει bringt etwas
Neues,
das den Gedanken
weiterführt.
Dadurch wird
aber auch die Verbindung mit dem Nächsten bei Catull anders als bei Sappho. Das qwod in: misero quod ommis eripit sensus mibi, das die Beziehung herstellt zu der folgenden Schilderung der Symptome der Leidenschaft, bezieht sich zurück auf den zur Einheit zusammengefaßten Haupt- und Nebensatz: Dein Liebhaber ist glücklich, daß er dich aus der Nähe hören und sehen kann. Das raubt mir alle Sinne. Die Leidenschaft Catulls ist also erregt durch das Glück des Nebenbuhlers. Vor das qwod schiebt Catull zudem sisero, das bei Sappho fehlt; dadurch wird der Gegensatz des Unglücklich-Liebenden zu dem Glücklichen ausdrücklich betont. Wir haben also bei Catull ein Gedicht der Eifersucht!. Sappho dagegen sagt óvru; εἐνάντιός τοι ἰισδάνει xal πλάσιον ἄδυ φωνείσας υπακούει καὶ γελαίσας ıufpoev, τό μ᾽ Y, μὰν καρδίαν ev στήϑεσιν επτόαισεν. Das ὀττις ισδάνει hat dabei nach rückwärts die Beziehung, daß es ὦνηρ näher bestimmt (s.o.), nach vorwärts, werden kann: „er hört sie, und daß
daß daran der Gedanke gehängt so die Möglichkeit entsteht, von
dem Mädchen zu sprechen, das so süß spricht und lacht?. Das τό μ᾽ jj μάν... darf dann nur auf das unmittelbar vorhergehende καὶ γελαίσας (und ἄδυ φωνείσας) bezogen werden: das Lachen (und Sprechen) des Mädchens weckt Sapphos Leidenschaft, und diese Leidenschaft ist Liebe. τό auf ıodaver ... καὶ ὑπακούει zu beziehen ist sachlich unmöglich, denn das Hochzeitslied erhielte sonst den Inhalt, daß Sappho eifersüchtig auf den Bräutigam sei. Aber auch grammatisch ist die Beziehung des τό auf das letzte vorhergehende Wort das Gegebene: daß sich der Gedanke von ! Dies Moment der Eifersucht ist besonders hervorgehoben von Byron in der Nachdichtung, die er als Sechzehnjähriger in Harrow von dem Catull-Gedicht verfaßt hat.
* Catull, dem es auf das Glück des begünstigten Liebhabers ankommt, erweitert das axoóet zu specta? ef audit, und verkürzt das ἄδυ qovsloaq . . . καὶ γελαίσας ἱμέροεν zu dulce ridentem. Außerdem setzt Catull hinzu: identidem te spectat et audit; darin
zeigt sich besonders deutlich, wie verschieden die Situation ist, für die er dichtet: er ist eifersüchtig, daß sich die beiden des öfteren sehen und sprechen,
dagegen
hat eine einmalige
Szene
vor Augen
und
spricht
von einem
Sappho
einzigen
„Hören aus der Nähe“. Catull, der hiervon abweichen mußte, hat damit die sinnliche
Einheit der Vorstellung zersetzt.
88
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
Punkt zu Punkt aus dem Nächstliegenden entwickelt, entspricht dem Stil der archaischen Zeit!. Umgekehrt wäre die Fügung des Gedankens, wie wir sie bei Catull gefunden haben, wo eine weitgespannte Einheit sich erst allmáhlich entwickelt, für die archaische Zeit unmóglich. Bei Catull dagegen herrscht das Prinzip, das wir eben in dem Verhältnis des ersten Hauptsatzes zu dem Relativsatz aufgewiesen haben, daß nämlich der Gedanke zunächst in der Schwebe bleibt und erst allmählich seine konkrete Erfüllung findet, bis in alle Einzelheiten der Wortfügung hinein: er beginnt mit dem
unbestimmten s/s, und die folgenden Worte sind so gesetzt, daß die konkrete Erfüllung des Sinnes möglichst hinausgezógert wird: ‚le mi par esse — damit wissen wir noch immer nicht, worauf der Gedanke hinausläuft, und auch die Worte deo videtur sollen ihre konkrete Bestimmtheit erst
in dem Folgenden erfahren. Diese wird aber weiter hinausgezögert durch das neue Anheben mit se und den Einschub » far est, superare divos, der die Anschaulichkeit
der Situation nicht bereichert,
sondern
uns weiter in
suspenso hält, und erst in dem /e spectat et audit erfüllt sich der Sinn der ersten Worte. Dagegen geht Sappho geradewegs auf das anschaulich Nächstliegende. Schon der Einsatz ist sinnlich-stark: φαίνεταί μοι χῆνος; besonders
charakteristisch aber ist, wie in dem
Relativsatz
sofort das die
ganze Situation klärende ev&vrióc τοι gesetzt ist, während Catull mit seinem fe bis an die Grenze des Móglichen wartet?. Diese verschiedene, für die archaische und die späte Zeit jeweils charakteristische Fügung der Worte findet sich auch weiterhin in der Übersetzung (τό μ᾽ 7 μὰν καρδίαν ev στήϑεσιν εἐπτόαισεν + misero quod ommis eripit sensus. mibi) und ließe sich 1 H. Fränkel, NGG 1924, 72ff. u. ὃ. — καὶ γελαίσας ἱμέροεν bildet einen für das Archaische typischen „gleitenden‘‘ Übergang: grammatisch und logisch gehört es ganz eng zu dem vorhergehenden ἄδυ φωνείσας, aber während bei dem „Sprechen“ noch an das Zusammensein mit dem Mann gedacht ist, ist bei dem „Lachen“ nur noch das Mädchen in der Vorstellung. Sehr kunstvoll wird von Wendung zu Wen-
dung das Bild des Mannes weiter in den Hintergrund gerückt, so daß in dem Satz: 16 u' Apdv...nicht mehr an ihn gedacht wird. Wichtig dabei ist, daß mit καὶ γελαίσας eine neue Strophe beginnt: in unserem Gedicht bietet genau wie in dem Gebet an
Aphrodite (D 1) jede einzelne Strophe ein einheitliches Bild, während die grammatisch-logischen Beziehungen über die Strophengrenzen übergreifen (vgl. z.B. in dem
Aphrodite-Gebet Strophe 1: Aphrodite, hilf mir, 2: komm, wie du früher auch kamst — daran angehängt ist das Partizipium ἀρμ᾽ ὑπασδεύξαισα, das die dritte Strophe einleitet und schon zum Bilde der Fahrt gehört, das die dritte Strophe ausfüllt. 4. Strophe: Du kamst und fragtest, warum ich dich rief, 5. Strophe: und was ich wünschte. 6. Strophe: „Ich will es erfüllen.“ 7. Strophe: Komm auch jetzt). In der 3. Strophe unseres Gedichts spricht Sappho nur noch von sich. [— —]
3 Man wende nicht ein, die Wortstellung Catulls sei durch die Eigenheit der lateinischen Sprache bestimmt. Sicher ist das Voranstellen des Verbums schon dadurch unmöglich, daß Catull das φαίνεται zum sidefwr umdeutet. Aber schon die wirkungsvolle Antithese i//e mí am Anfang weicht von der normalen prosaischen Fügung ab (etwa: se deo par esse mibi videtur).
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
89
durch viele Beispiele aus anderen Gedichten belegen!. Dieses zögernde Anheben gibt der Sprache eine innere Spannung, die erst langsam, aber dann desto wirkungsvoller ihre Entladung findet. In dem ersten Vers unseres Gedichts wird diese Spannung erhöht durch die Versanfänge: ie . dle ... qui ..., mit denen immer wieder auf den gewiesen wird, der gemeint, aber noch nicht deutlich gemacht ist?, und die starke Entladung bringen die letzten Worte der Strophe: /e spectat et audit. Bei Sappho dagegen geht ein starker Strom durch alle Verse, und sie eilt von einer kräftigen, erfüllten Anschauung zur andern. Dieser Gedankenführung entspricht die Art des Pathos, das sich bei Sappho und Catull ausspricht. Die Leidenschaft packt bei Sappho unmittelbar und schroff jeden einzelnen Sinn, und der Ausdruck ist einfach und hart. Von Catull wird das Jähe stark gemildert, und das UnmittelbarSinnliche ist an manchen
Stellen durch
Gedankliches
zersetzt. βρόχεα (7),
αὐτικα (10) wird fortgelassen. Der Vers, der die heftigsten Wirkungen auf den ganzen Körper schildert, bleibt unübersetzt. Aus dem Zerbrechen der Zunge (9) wird ein Gelähmtsein, also aus dem jähen Ereignis ein dumpfer Zustand. Allzu Schlichtes wird feierlich erhöht (11: mit den Augen sehe ich nichts » von doppelter Nacht werden die Augen bedeckt). Zu den Worten: „Die Ohren brausen“ fügt Catull reflektierend: von ihrem eigenen 1 Ein besonders deutliches Beispiel aus Catull (c. 76): 5 qua recordanti benefacta priora voluptas est bomini, cum se cogitat esse Dium, wo das sinnende Ritardando
der Verse besonders schón ist, die Phantasie wird móglichst lange im ungewissen gehalten
Melodik.
über die konkrete Situation, und dadurch entsteht die eigentümlich weiche
Am
besten macht
man
sich solche Dinge
einmal am
Deutschen
klar.
Man nehme etwa Hölderlins Gedicht: „Mit gelben Birnen hängt und voll mit wilden Rosen das Land in den See.“ Würden wir die Worte ordnen nach der Bedeu-
tung, die sie für die konkrete Anschaulichkeit haben, würde sich die Wortstellung gerade umkehren: In den See hängt das Land voll mit gelben Birnen und mit wilden Rosen, und man sieht, wie die Schönheit der Verse zum guten Teil auf der besonderen Führung des Gedankens beruht. — Daß die archaische Zeit es vermeidet, den Sinn eines Satzes in der Schwebe zu lassen, ist aus einer Eigentümlichkeit der Wortstellung bekannt, die W. Krause, KZ 52, 1924, 246 folgendermaßen beschreibt: „Man kann in manchen altertümlichen idg. Sprachen das Bestreben beobachten,
einen Satz in der Weise aufzubauen, daß man zunächst alles das bringt, was zu einem grammatisch vollständigen Satz oder Satzabschnitt unbedingt nötig ist, alles übrige am Schluß nachträgt.“ (K. spricht besonders über den Typus: ὃς Χρύσην ἀμφιβέβηκας Κίλλαν τε ζαϑέην, und führt weitere Literatur an.) [Weiteres: Aufbau
d. Sprache? 74f.] 3 Indem jeder Vers neu anhebt, werden die Verse zugleich auf eine der Sappho
fremde Art gegeneinander abgesetzt. Auch die folgenden Verse zeigen die Tendenz, betonte Worte an den Anfang zu stellen. Jeder Vers ist dann aber bei Catull noch in sich gespannt: bei ihm bildet sich schon die (von Horaz dann fast immer beobachtete) Zäsur nach der 5. Silbe des Elfsilblers heraus, und da bei dieser Zäsur die
4. Silbe lang ist, also den Wortton trägt (was ebenfalls dann durch Horaz Regel wird), so laufen, ähnlich wie beim lateinischen Hexameter,
einander.
die Vershälften gegen-
90
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
Geräusch. Die charakteristischste Änderung steht aber gleich am Anfang: τό μ᾽ 3j μὰν καρδίαν ev στήϑεσιν επτόαισεν übersetzt Catull: qwod ommis eripit
sensus mibi. Wo
Sappho
von
der Wirkung
auf ein bestimmtes
Organ
spricht, setzt Catull: alle Sinne. Damit erhält er einen einheitlichen Begriff,
unter dem die ganze folgende Beschreibung zusammengefaßt wird, denn es wird nun die Wirkung auf all die einzelnen Sinne beschrieben. Sehr richtig setzen die Herausgeber hinter diesen Satz einen Doppelpunkt. Alles Folgende, soweit es Sappho wiedergibt, ist mit diesem ommes semsus antizipiert und damit vorweg zu einer logischen Einheit zusammengefaßt!. Das Herz steht am Anfang als das wesentliche Organ, das zunächst affiziert wird; es steht aber nicht zu den weiterhin beschriebenen Organen in dem Verhältnis des Allgemeinen zu dem Besonderen?. Wie in dem ersten Vers hat
Catull
hier wieder
(und
zwar
offenbar
wieder
unbewußt)
das
Fort-
schreiten von Punkt zu Punkt ersetzt durch Zusammenfassung mehrerer Glieder unter einen einzigen Gedanken. Er hat das für den archaischen Stil charakteristische Nebeneinander sinnlich erfüllter Einzelheiten ersetzt durch Subordination?. Der Schluß des Sappho-Gedichts ist nicht erhalten, denn der Schrift περὶ ὕψους, die den griechischen Text unseres Gedichtes erhalten hat, kam
es nur auf die Schilderung des πάϑος an. Sie bringt eben noch einige Worte die zeigen, daß Sappho die Schilderung der Leidenschaft abbricht. Die letzten einwandfrei
erhaltenen
Worte
lauten:
αλλὰ πᾶν τολματόν, επεί ...,
aber alles ist erträglich, da... .*. Es istwohl am nächstliegenden, zu ergänzen: 1 Diese Abweichung
ergab sich um
so leichter, da Catull hier nicht wórtlich
übersetzen konnte. Das Wort cor konnte er nicht verwenden. ! Das γάρ ist mehr explizierend (,ja auch“) als begründend: am Herzen läßt sich kein Symptom aufweisen, obwohl es die stárkste Wirkung verspürt. Darum sagt Sappho: meine einzelnen Glieder zeigen „ja auch‘ die Symptome. Vgl. etwa Q 68, wo Zeus sagt: ἀλλὰ xal "Extop φίλτατος ἔσκε ϑεοῖσι βροτῶν, ot ἐν Ἰλίῳ εἰσίν. ὡς γὰρ ἐμοί γ᾽, ἐπεὶ οὔ τι φίλων ἡμάρτανε δώρων.
8 Über den archaischen „reihenden“ Stil vgl. H. Fränkel, Wege u. Formen 40ff. — Daß dieser reihende Stil nicht lediglich kunstvolles Mittel ist, um poetische „Absichten‘ zu erreichen, sondern der selbstverständliche Ausdruck archaischer Geistes-
haltung, geht schon daraus hervor, daß es für Sappho noch gar kein Wort gab, das alle „Sinne‘“ hätte zusarmmenfassen können. Das Wort αἴσϑησις kommt erst am Ende des 5. Jh.s vor (vgl. R. Schottländer, Hermes 62, 1927, 438, der das Wort
αἰσϑάνεσϑαι attisch nennt, aber das Vorkommen in den Hippokratischen Schriften außer
acht
läßt).
Noch
Demokrit
fr. 11
zählt
umständlich,
um
„sinnliche
Wahr-
nehmung“ zu bezeichnen, zweimal hintereinander alle einzelnen Sinne auf, wobei αἰσϑάνεσϑαι nur vom ψαύσει αἰσθάνεσθαι gebraucht wird. — Verstärkt wird die Subordination bei Catull durch das vor der Beschreibung der πάϑη eingeschobene
misero. Die kommenden Einzelheiten werden so zu Ausführungen des allgemeinen Themas: wie unglücklich bin ich. 4 Dahinter steht sinnlos καὶ ntwmra. Wilamowitz schreibt ἐπεί xev ἢ τά, „da es nun einmal so ist". Doch beruht diese Ergänzung auf der Annahme, πᾶν τολματόν hieße: alles muß man ertragen (= τολματέον), während es heißt: alles kann man
ertragen (vgl. H. Fränkel, GGN
1924, 74).
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
91
da das Mädchen eine glückliche Zukunft hat!, oder dergleichen. Jedenfalls muß das Gedicht wieder einbiegen in eine herkömmliche Form des Hymenaios und damit auf den Anfang zurückgreifen. Das erwarten wir in diesem
Stil?.
So ist auch
verständlich,
warum
Catull
den
SchluB
des
Gedichts unübersetzt gelassen hat. Ein Lebewohl an die Brautleute® oder die Aufforderung an die Mädchen, den Hymenaios zu singen* oder dergleichen,
erwarten wir als Abschluß
des Hochzeitsliedes,
so
daß die Ge-
schlossenheit des Gedichtes in Inhalt und Form größer war, als wir heute sehen können. Die Darstellung der eigenen Leidenschaft steht bei Sappho also gleichsam als Exkurs in einem Hochzeitslied. Angeredet wird in dem Gedicht das Mädchen, ihm ist also das Gedicht gewidmet und ihm gilt das ganze Gedicht als Huldigung; die Einheit des Gedichts liegt darin, daß sowohl der Rahmen wie der Mittelteil seinem Lobe dient®, Freilich berichtet wird kaum etwas von dem Mädchen, nur beiläufig wird mit einem einzigen Zug ihre Charis gezeichnet, wie sie spricht und lacht. In der Entwicklung des Gedankens dient dieser eine Zug dazu, den Übergang zu finden von der Seligpreisung des Bräutigams zu der Schilderung des Pathos, das durch das Lachen des Mádchens ausgelóst wird. Zugleich bildet aber diese Charis
die sachliche Einheit,
die das
Ganze
zusammen-
hält: das Glück des Bráutigams und die Liebe der Sappho zeugen gleichermaßen
von ihrem
Wert,
und zwar auf sehr zarte und mittelbare Art®. Es
1 Wir dürfen voraussetzen, daß Sappho die notwendige Vollendung des Mädchens darin sieht, daß es sich verheiratet.
* Das einzige Sapphogedicht, bei dem Anfang und Ende sicher kenntlich sind (1 D), ist am Anfang und am Ende in der traditionellen Form des Gebets gehalten (vgl. R. Pfeiffer, Ausgew. Schr. 48), und das Ende kehrt geradezu wörtlich zum Anfang zurück (V. 5 τύιδ᾽ He m 25 ἐλϑε). Ebenso verhält es sich wohl mit 25 D (5 L.-P.): V. 1 [Κύπρι καὶ] Νηρήιδες (sichere Ergänzung) » 18 σὺ δὲ Κύπρι σέμνα (so liest Milne, Cat. Lit. Pap. Br. Mus. Nr. 43, mit Recht, wie auf der Tafel in Ox.
Pap. I gerade noch kenntlich ist). Auch 27 D (16 L.-P.) biegt V. 19 in den Gedanken des Anfangs ein, und auch hier handelt es sich um einen festen Topos (H. Fränkel,
Wege
u. Formen 90ff). Noch bei Pindar ist diese Art deutlich kennbar.
* 'Theokr. 18, 49 χαίροις ὦ νύμφα, χαίροις εὐπένθϑερε γαμβρέ. Vgl. Sappho 128, 6D χαῖρε νύμφα, χαῖρε τίμιε γάμβρε, πόλλα, ferner 48, 3. 129. 150. * Die Bedeutung hatte wohl Sappho 54, 6 D αλλ’ ἀγιτ᾽ à φίλαι... ἄγχι γὰρ αμέρα *.
5 Der Inhalt ließe sich also durch eine im Hymenaios wiederum konventionelle Form umschreiben: ou γὰρ ατέρα νῦν πάϊς, ὦ γάμβρε, τεαύτα (130 D, vgl. 60. Dazu Kaibel, Hermes 27, 1892, 251). Für uns ist es befremdlich, daß Sappho vor den
Eheleuten
so offen von ihrer eigenen Liebe
spricht.
Offenbar empfand
Sappho
darin einen Preis des Mädchens.
* Diese zarte, nur indirekt von dem
Eigentlichen sprechenden Art findet sich
öfter bei Sappho. In dem Aphrodite-Gebet z. B. spricht nicht Sappho selbst von ihrer Liebe, sondern nur Aphrodite; in dem Fahrwohl an ihren Bruder (25 D)
spricht sie nicht direkt von ihrem
Schmerz, sondern gibt nur Wünsche
für die
Reise des Bruders. Am zartesten in dieser Weise sind die Verse über Arignota (98 D). Das Gedicht ist an Atthis gerichtet, von der wir wissen, wieviel Grund zur Eifersucht sie Sappho gegeben hat. Sappho erzählt, wie Arignota einst besondere Freude
92
Sapphos Gedicht ΦΑΙΝΕΤΑΙ MOI KHNOZ
entspricht also, soweit wir uns ein Bild von dem Gedicht machen können,
der strengen äußeren Form eine ebenso strenge sachliche Einheit. Catull hat das Ende des Gedichtes innerlich dadurch umgestaltet, daß er gerade umgekehrt wie Sappho das Gedicht am Schluß auf das Allerpersönlichste wendet:
Dein ofsw, Catull, bekommt
dir nicht, zu reichlich
ist dein ofium. Das otium hat früher schon Könige und verdorben!. Die Leidenschaft, deren Symptome das Gedicht damit zurückgeführt auf ein Leben ohne festen Plan, auf ein treibenlassen. Diese müde Resignation, mit der Catull auf sinnloses
Dasein
weist,
kennen
wir
auch
aus
anderen
reiche Städte aufzählt, wird lässiges Sichsein ziel- und
Gedichten,
z.B.
aus der letzten Strophe des 11. Gedichts mit dem Bilde von der Liebe, die wie eine Blume vom vorüberziehenden Pflug geknickt ist. Genau wie dort liegt auch hier der Reiz des Abschlusses darin, daß das Gedicht eine neue Wendung erhält?. Und zwar ist diese Wendung in beiden Gedichten noch etwas anderes als ein hellenistisches ἀπροσδόχητον. Der Gegensatz zu Sappho zeigt, wie Catull die Wendung zum Persönlichen hin sucht, die Sappho geradezu vermeidet. Während Sappho ihrem Empfinden eine Grenze setzt, sich wieder sammelt, stellt Catull gerade an das Ende das Bekenntnis, wie er sich treiben läßt. Während Sappho wieder fortbiegt
vom Subjektiven, gibt Catull dem Schluß eine neue entscheidende Wendung zum
Ich.
Mit diesem Ausblick
auf das Schwanken,
die
Unsicherheit
des
inneren Menschen steht das Gedicht am Schluß gewissermaßen offen da und weist über sich selbst hinaus. Es verschwebt ohne feste Grenze. Damit ist auch die Komposition fundamental geändert. Statt der archaischen Rückkehr zum Anfang und der Form des Exkurses in einem festen Rahmen erhalten wir hier etwas wie einen richtigen Gedankenfortschritt. Nacheinander spricht Catull von dem Glück des Nebenbuhlers, seiner eigenen Eifersucht, von der Hoffnungslosigkeit seines Lebens, so daß das ganze Gedicht eine Hinkehr zum Ungewissen des eigenen Ichs wird. Da aber dies nicht mehr im anschaulichen Bilde greifbar ist, klingt es aus in an Atthis gehabt hat, wie sie jetzt fern in Sardes unter den lydischen Frauen glänzt und wie sie zurückdenkt an Atthis und an das Leben im Kreis der Sappho. Verständlich wird das Gedicht erst, wie mir scheint, wenn man annimmt, daß Sappho damit um die Liebe der Atthis wirbt. Alles zielt darauf, auf das einzugehen, was der Atthis
lieb sein muß, und zugleich zeigt sich, wie eng Sappho und Atthis miteinander verbunden
sind in ihrem
Denken
an Arignota
und in deren Denken
an Sappho
und Atthis. 1 Zur Interpretation dieser Verse vgl. den Kommentar von Kroll und E. Rohde, Griech. Roman?, 1914, 71, 1. 3 Der Auftrag an seine „Freunde‘“ Furius und Aurelius, die bereit sind, in alle Welt mit ihm hinauszuziehen, ist natürlich bitter ironisch gemeint. Alle fernen
Länder werden genannt, die dem Catull offenstehen, nur damit am Schluß herausspringt, wie sinnlos diese Welt für ihn ist. Der Ernst der letzten Worte verführt immer
wieder
dazu,
auch
die ersten
Strophen
ernst
zu nehmen,
anstatt
prinzipiell die Zwiespältigkeit des Empfindens bei Catull anerkennt.
daß
man
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
93
Reflexion und allgemein gehaltenen Exempla!. Mit dieser Reflexion: o/ism, Catulle, tibi molestumst ... kommt auch insofern ein Bruch in das Gedicht, als Catull sich selbst anredet, während er im Anfang des Gedichts zu seiner
Geliebten spricht, deren Namen er auch v. 7 genannt hat. aus der am Anfang gegebenen Situation (die für ihn ja auch wesentlichen Bedeutung war wie für Sappho) heraus. Am gewissermaßen sich selbst als Arzt gegenüber? und stellt
Er tritt damit nicht von der Ende steht er sich selbst die
Diagnose. Wáhrend Sappho ganz aufgeht in dem Strom ihres Empfindens, steht Catull als sein eigener Beobachter neben sich selbst. Diese Reflexion hindert ein ungebrochenes starkes Empfinden, und so finden wir weder die ungespaltene Intensitát noch die Einheitlichkeit Sapphos bei ihm wieder. Die formale Einheit des Sappho-Gedichtes beruht, wie wir gesehen haben, darauf, daB das Gedicht getragen wird von der herkómmlichen Form
des
Hymenaios.
Und
an
diese
überkommene
Weise
schließt
sich
Sappho nicht zufällig an. Mit ihrem Gedicht fügt sie sich in eine feste Gemeinschaft und ihre Feier. Man neigt heute dazu, diese feste Verbundenheit des archaischen Menschen mit seiner Umwelt als ethischen Wert zu schätzen, da sie als Gegensatz empfunden wird zur modernen Subjektivität, zu eben der Subjektivität, die wir schon bei Catull gefunden haben. Gerade die τόλμα, mit der Sappho sich in unserem Gedicht zurückruft — formal aus der Selbstáuferung zum Hymenaios, inhaltlich aus der persónlichen Hilflosigkeit zur Existenz in der Gemeinschaft —, diese τόλμα, die in der
archaischen Lyrik häufig wie hier bei Sappho im Gegensatz zur lyrischen ἀμηχανία erscheint, ist letzthin verschiedentlich als das eigentliche Anliegen der alten Lyrik und als Zeugnis für die ethische Haltung einer gesunden, vom schlimmen Subjektivismus noch nicht angefressenen Zeit aufgeführt*. Sicher ist es sehr wichtig, sich immer vor Augen zu halten, daß der archaische Dichter sich nicht an seine Stimmung
verliert, daß er sich oft (aller-
dings nicht immer) aufrafft zur Selbstbehauptung, und daB seine Gedichte keine Herzensergüsse eines Einsamen sind, sondern Äußerungen im sozialen Leben. Doch entsteht, wenn man so einseitig die Gebundenheit des Archaischen betont, leicht die Gefahr,
daß man in sentimentalischer
Schätzung
uns verlorengegangener Werte übersieht, daß für den archaischen Dichter 1 Ein Grieche hätte hier wohl bestimmte Beispiele genannt. Dadurch, daß Catull nur von Kónigen und Städten spricht, tritt das oiu» deutlich in Gegensatz zum politischen negotium. 3 molestum est übersetzt Kroll richtig: macht dich krank. Vorbereitet wird dieser Schluß schon durch das V.5 eingeschobene misero. Ein ähnliches, zum Mitleid aufforderndes
miserum
schiebt
übrigens
Prop.1,1,1
ein,
das
seinem
Vorbild
Meleager fehlt. — Über die Entwicklung der Selbstanrede im lyrischen Gedicht vgl. W. Kroll zu Catull 8, 1. 8 W. Schadewaldt, Der Aufbau des Pindarischen Epinikiion, 1928, 279f., besonders 280, 1. F. Klingner, Die Antike 6, 1930, 71.
94
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ
selbst der Sinn seiner Gedichte unmóglich in diesen traditionellen Formen liegen
konnte,
sondern
gerade
in dem
Neuen
und
Eigenen,
das
er von
sich aus zu sagen hatte. Die neuen geistigen Eroberungen, die die alte Lyrik für die Entwicklung des Griechentums gemacht hat, liegen gerade in den Kräften, die gegen die Norm, gegen das Objektive und Feste andrängten. So steckt denn auch in unserem Sappho-Gedicht das Große und Neue nicht in dem Rahmen des Hymenaios; vielmehr ist die Schilderung des πάϑος und der ἀμηχανία das unmittelbar Packende, und in diesem Mittelteil steckt auch die geistige Leistung des Gedichts. Um
dies einzusehen,
kann
uns natürlich der bisher verfolgte Weg,
die
Eigenart des Gedichts gegen Catull und das Moderne abzugrenzen, nicht weiterhelfen,
sondern
wir
müssen
sehen,
wie
es in
seiner
eigenen
Zeit
steht, müssen es mit dem Vorhergehenden, also mit dem Epos vergleichen. Turyn (in seiner o. S. 82, 3 zitierten Arbeit S. 41ff.) hat reiches Material darüber gesammelt, wo in der griechischen Literatur die Symptome, die Sappho für ihre Leidenschaft nennt, in ähnlicher Weise genannt werden, und er zeigt, daß Sappho vielfach von Affektschilderungen Homers abhängig ist, daß aber nirgends vor ihr diese Symptome als Symptome der Liebe auftreten. Vielmehr sind sie vorwiegend Symptome der Furcht (in zweiter Linie der Trauer und des Staunens)!. Schon daraus geht hervor, daB das Wort Liebe bei Sappho einen ganz anderen Klang hat als bei Homer. Ich brauche die Stellen nicht zu häufen, an denen die Liebe süB und lieblich genannt wird, wo sie zusammen mit Tanz,
bei Homer Wein oder
Schlaf unter den angenehmen Dingen dieses Lebens erscheint. Das ist, soviel ich sehe, die einzige Wertung, die das Gefühl der Liebe im Epos erfährt. Etwas anderes ist es, wenn die Liebe als unheilbringende Verblendung erscheint, „die auch den Sinn der Verständigen betórt'! (= 217), denn dann wird nicht das Fühlen des Liebenden beschrieben, sondern
sein Zustand wird von dem Beobachter angesehen, der von außen die Folgen der Leidenschaft übersieht. Bei Sappho ist es offenbar etwas ganz Neues, daß dieses intensivste Gefühl des Glücks und des Lebens erscheint
mit den Symptomen der Angst vor dem Tode. Was einander diametral entgegengesetzt ist, wird damit in eine Einheit gefaßt: das „sehnsuchtweckende'
Diese ! Ich
Lachen
„Spannung“ entnehme
löst die Angst
aus,
des
die auch
Turyn
Gefühls?, nur
einige
bald
sterben
zu
müssen
(V. 15),
erst seine Intensität
charakteristische
Beispiele:
φώνας
schafft, οὔδεν
ὦ
P 696 ϑαλερὴ δέ ol ἔσχετο φωνή. οππάτεσσιν οὔδεν όρημμι “ἱ P 591 τὸν δ᾽ ἄχεος νεφέλη ἐκάλυψε μέλαινα. ίδρως κακχέεται m» Archil. 74, 4 D ὑγρὸν (λυγρὸν codd.) 8° ἦλϑ᾽ En’ ἀνθρώπους
δέος
(vgl.
Wilamowitz,
Menand.
Schiedsgericht
216).
τρόμος
Τρῶας δὲ τρόμος αἰνὸς ὑπήλυϑε γυῖα ἕκαστον δειδιότας. χλωροτέρα ποίας
m
“
Y 44
Καὶ 376
χλωρὸς oral δείους.
! Der Autor der Schrift vom Erhabenen hebt sehr richtig hervor, daß die Schönheit dieses Sapphogedichtes auf der „Spannung“ beruht, der Vereinigung von Gegensätzen. Die Begründung dafür ist allerdings nicht gerade glücklich, wenn
Sapphos Gedicht ΦΑΙΝΕΤΑΙ ΜΟΙ KHNOZ
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ist etwas, das uns vor der archaischen Lyrik nicht begegnet. Für Sapphos Liebe dagegen ist diese Spannung immer wieder charakteristisch; mit Recht hat man von einer gewissen Todesnähe ihrer Liebe gesprochen. Den bündigsten Ausdruck dafür hat Sappho gefunden, als sie von dem „bittersüßen Eros“ sprach (137 D). Auch diesem Topos der „Pathographie‘“ ist Turyn (Δ. ἃ. Ο. 56) nachgegangen, und er hat Stellen gesammelt, an denen geschildert wird, wie zwei einander entgegengesetzte Affekte zu gleicher Zeit auftreten. Das einzige homerische Beispiel, das er beibringt, ist ὃ 548 ὡς ἔφατ᾽, αὐτὰρ ἐμοὶ κραδίη καὶ ϑυμὸς ἀγήνωρ αὗτις Evi στήϑεσσι καὶ ἀχνυμένῳ περ ἰάνϑη. Von einer wirklichen „Spannung“ kann hier aber nicht gesprochen werden. Denn erstens ist die Rede davon, wie Menelaos von der Trauer wieder
zurückfindet zugleich da, geschildert, für Homer
zum Trost; es sind und es wird nicht ein und zweitens werden sehr charakteristische
also nicht eigentlich zwei Stimmungen gespannter Zustand, sondern ein Prozeß die beiden Empfindungen hier auf eine Weise verschieden lokalisiert: Menelaos
ist traurig, sein Herz und ϑυμός erwärmen
sich (daher Aor.!). Die Bedeu-
tung dieser Eigentümlichkeit kann ein anderes Beispiel zeigen, das allerdings nicht aus der Sphäre der Affekte stammt: Wenn Homer sagen will „halb freiwillig, halb unfreiwillig“, so sagt er das in der Form: ἑκὼν ἀέκοντί γε ϑυμῷ (A 43). Auch da wird also nicht ein Gegensatz im Gleichen angenommen, sondern die verschiedenen Kräfte (oder Strebungen usw.) werden verschieden lokalisiert. Die
Stelle bei Homer,
an
der,
soviel ich weiß,
noch
am
ehesten
von
einer Spannung gesprochen werden kann, ist die berühmte Beschreibung der Andromache: δακρυόεν γελάσασα (Z 484). Aber auch hier ist Freude und Trauer nicht als ‚innerer‘ Gegensatz gefaßt, sondern (physiognomisch) als Gegensatz von zwei nebeneinanderstehenden Erscheinungen, dem lächelnden Gesicht und den Tränen, obwohl dadurch, daß das δακρυόεν sehr kühn als innerer Akkusativ zu γελάσασα gesetzt ist, eine sehr enge Verbindung entsteht. Außer dieser Möglichkeit, die geistigen Regungen verschieden zu lokalisieren, kann Homer natürlich auch verschiedene Kräfte auf den Menschen er von Sappho sagt: ἅμα ψύχεται καίεται, ἀλογιστεῖ φρονεῖ (das Folgende ist korrupt).
Wie so oft hat der Autor ein sehr feines und richtiges Empfinden, versagt aber bei dem Versuch, dies Gefühl zu begründen und auf klare Begriffe zu bringen. 1 Anders ist Soph. El. 1231 γεγηϑὸς Sdxpuov „freudige Träne‘. Das ist wirkliche Spannung. — Wenn Dornseiff, Pindars Stil 38 das Fehlen des Oxymoron bei Homer aus seinem verhältnismäßig primitiven und naiven Stil zu erklären sucht, so liegt
wie bei so vielen Dingen, für die man den poetischen Stil Homers verantwortlich machen möchte, der Grund tiefer: es fehlt überhaupt noch das Bewußtsein von wirklichen Spannungen.
96
Sapphos Gedicht PAINETAI MOI KHNOZ
einwirken lassen: « 471 τὴν δ᾽ ἅμα χάρμα καὶ ἄλγος ἕλε φρένα. Aber auch da ist nicht zum Ausdruck gebracht, daß eine Einheit in sich gespannt ist, sondern Freude und Leid erscheinen als getrennte Mächte, die den Menschen „packen“. Natürlich führt eine solche Wendung schon nahe heran an das Phänomen, daß die φρήν zugleich traurig und freudig ist, aber wirklich
bezeichnet wird dies erst, wenn nicht lediglich das Resultat zweier entgegengesetzter Aktionen darin geschen wird, sondern ein einheitlicher Zustand, ein Dauerndes. Und das geschieht, soviel wir sehen können, erst in der Lyrik. Wesentlich abweichend von diesen homerischen Beispielen sind denn auch die zahlreichen Fälle, die Turyn aus der alten Lyrik und aus der späteren Zeit beibringen kann, z. B. Anakreon 79 ἐρέω re δηῦτε κοὐκ ἐρέω καὶ μαίνομαι κοὐ μαίνομαι.
Pind.
Nem. 1,55
ἔστα δὲ ϑάμβει
δυσφόρῳ
τερπνῷ τε μείχϑείς. Soph. Ant. 436 ἡδέως ἔμοιγε κἀλγεινῶς ἅμα. Hier wird immer das gleiche mit einander entgegengesetzten Prädikaten versehen, so daß man von wirklichen „Spannungen“ sprechen kann. Eine sehr viel schwierigere Frage wäre es, in welchem Sinne man bei Sappho von einer „inneren“ Spannung und überhaupt von Innerlichkeit sprechen kann. Das ganze behandelte Gedicht zeigt gerade im Gegensatz zu Catull, wie wenig es Sappho auf ihr „Inneres“ ankommt. Die Symptome ihrer Leidenschaft sind körperliche Symptome, und von ihrer Seele spricht sie nicht. Vollends fehlt bei ihr alles, was dem psychologisierenden und selbstanalytischen Schluß bei Catull entspräche. Wollte man das, was die Lyrik an Neuem in die Welt gebracht hat, so von der psychologischen Seite aus untersuchen, so würde man die feinen Abschattungen des seelischen Lebens analysieren müssen, die wir bei Sappho treffen. Dabei würde man sich allerdings all den schwanken seelischen Regungen gegenüber befinden, die mit wissenschaftlichen (das heißt notwendig abstrakten) Begriffen nicht greifbar sind und vor denen man immer der Gefahr subjektiven Interpretierens ausgesetzt ist. Aber damit würden wir eine Ebene betreten, von der sich dieser Versuch möglichst ferngehalten hat. Denn hier handelt es sich nicht um den seelischen Gehalt der lyrischen Gedichte, sondern um ihre geistige Form. So ist es denn verhältnismäßig belanglos für unsere Frage, in welche Tiefen des Empfindens Sappho eingedrungen ist, welche einzelnen seelischen Regungen sich bei ihr aussprechen, wieweit sich bei ihr die Innerlichkeit differenziert, sondern das Wesentliche in diesem Zusammenhang ist, daß sie überhaupt sich selbst als in einem bestimmten Zustand befindlich betrachten kann, und daß dieser eigene Zustand ihr selbst als so bedeutsam gilt, um ausgesprochen und festgehalten zu werden. Und wert, der Erinnerung bewahrt zu werden, ist dieser gegenwärtige Zustand offenbar deswegen, weil er in seiner Spannung und Intensität begriffen wird; damit begreift sich aber überhaupt der Mensch zum erstenmal in seiner lebendig-gegenwärtigen Existenz, ja, es wird zum erstenmal das
'
Sapphos Gedicht DAINETAI MOI KHNOZ Leben
nicht als Geschehen,
sondern
als Sein erfaßt.
Lernen
97 wir aber so
die ἀμηχανία der archaischen Lyriker verstehen als Ausdruck einer neu gewonnenen geistigen Position der Welt gegenüber, so bleibt noch die Frage, welche Gegenstände in dieser neuen Perspektive erscheinen und wie weit dieser neue geistige Horizont reicht. Nach dem, was über die Catullübersetzung gesagt ist, läßt sich im Gróbsten auch dafür von diesem einen Sappho-Gedicht aus eine Formulierung finden. Für Catull ist seine ganze Existenz hineingezogen in die ἀμηχανία, sein ganzes eigenes Leben und die ganze Welt sind ihm sinnlos geworden. Sapphos ἀμηχανία dagegen erstreckt sich nur auf die gegenwärtige Situation, und das Sich-Zurückrufen am Ende des Gedichts ist eben deswegen möglich, weil die umgebende Welt noch als sinnvoll aufgefaßt wird. Von hier aus geschen erscheint die Unkompliziertheit und Festigkeit des Lebens also eher wie eine feste Mauer, die den Horizont der Dichterin
abschließt. Daß auch jenseits dieser Mauer Fragwürdiges sein könnte, ist nicht in ihren Blick getreten. Durch dieselben festen Mauern ist sie auch nach innen geschützt: während für Catull die Leidenschaft selbst ihre sinnvolle Eindeutigkeit verloren hat, so daß er zugleich liebt und haßt, ist für Sappho das Bewußtsein zu lieben noch eindeutig und stark, wenn die Empfindungen bei dieser Liebe auch zweideutig sind; ihre Leidenschaft ist die Wirkung eines einzigen mächtigen Gottes. [Obwohl dem besprochenen Gedicht Sapphos der Makarismos des Hochzeitsliedes zugrunde liegt, möchte ich heute doch nicht mehr annehmen, daß
es bei der Hochzeit gesungen sein müßte.]
7
8496
Snell, Ges. Schriften
'AOPHMATA Aus Diogenian überliefert Hesych «1621: ἀϑρήματα᾽ δῶρα πεμπόμενα παρὰ τῶν συγγενῶν ταῖς γαμουμέναις παρϑένοις παρὰ Λεσβίοις. Daß ἀϑρήματα ein plausibles Wort ist, und daß Hesychs Erklärung zutrifft, geht aus ähnlichen Bezeichnungen hervor (s. F. Bechtel, Die griechischen Dialekte 1,1921, 116): Poll. 2, 59 εἴρηται δὲ καὶ ὀπτήρια τὰ δῶρα τὰ παρὰ τοῦ πρῶτον ἰδόντος τὴν νύμφην νυμφίου διδόμενα und 3, 36 τὰ δὲ παρὰ τοῦ ἀνδρὸς διδόμενα δῶρα ἕδνα καὶ ὀπτήρια καὶ ἀνακαλυπτήρια" οὐ γὰρ μόνον ἡ ἡμέρα ἐν ἢ ἐκκαλύπτει τὴν νύμφην οὕτω καλοῖτ᾽ ἄν, ἀλλὰ καὶ τὰ ἐπ᾽ αὐτῇ δῶρα. Harpokr. s. v. ἀνακαλυπτήρια᾽ ... ταῦτα δ᾽ εἰσὶ τὰ παρ᾽ ἡμῖν ϑεώρητρα (cf. Eust. 881, 32). Aus diesen Nachrichten geht soviel mit Sicherheit hervor!, daß der Bräutigam vor der eigentlichen Hochzeit in das Haus der Braut ging (wo ihr Vater,
wie wir aus anderen
Nachrichten
ergänzen
dürfen,
das
Hoch-
zeitsmahl ausrichtete)?*, daB er dort die Braut zum erstenmal entschleiert sah, und daß er ihr dazu „Anblicksgeschenke‘
brachte, die dann natürlich
mrit der Braut in das Haus des Bräutigams kamen. Wenn nach Hesych diese Geschenke bei den Lesbiern ἀϑρήματα hießen, so wird das Wort in einem Hochzeitslied Sapphos gestanden haben, und mit Recht bezeichnet es Latte als Fragment Sapphos. 1n den uns erhaltenen Sappho-Versen kommt das Wort bisher nicht vor. Wohl aber werden solche Geschenke beschrieben in dem Gedicht, das schildert, wie Hektor die Andromache heimholt (44 L.-P., 55 D). Da heißt
es: Hektor und seine Freunde führten Andromache von Theben auf Schiffen über das Meer (V. 8), πόλλα δ᾽ ἐλίγματα χρύσια κἄμματα πορφύρα καταύτί. .]va?, ποίκιλ᾽
ἀϑύρματα,
ἀργύρα
τ᾽ ἀνάριϑμα
ποτήρια
χκἀλέφαις.
Offenbar
sind
das
die Geschenke, die die Braut im Haus ihres Vaters bei den Anakalypteria bekommen hat, und die sie nun mit nach Troja bringt. Das Wort ἀϑύρματα ist hier nicht gerade sehr sinnvoll. Man verweist auf o 415, wo es von den Phönikern heißt, die dann später den kleinen Eumaios entführen: Φοίνικες ναυσίκλυτοι ἤλυϑον ἄνδρες ... μύρι᾽ ἄγοντες ἀϑύρματα. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, worin diese ἀϑύρματα bestanden, aber offenbar gehört das Halsband aus Gold und Bernstein dazu, das die Phöniker (V. 460) der Mutter des Eumaios anbieten. Das Wort, das sonst bei Homer ‘Kinderspielzeug’ bedeutet (Ὁ 363, σ 323), bezeichnet hier offenbar "Tand', ‘Putz’, ‘Schmuck’.
Bei Sappho
1 Vgl. Deubner, Arch. Jahrb. 15, 1900, 148f. 3 Deubner 149.
3 Wohl καταύτμενα, vgl. Treu, Sappho 198f.
passen dazu vielleicht die
'AOPMHATA Armbänder,
wohl
auch
noch
die
Silberbecher
nicht recht die gerade vor der Apposition
gewander,
man
und
das
ἀϑύρματα
Elfenbein,
genannten
und vollends ist hier der etwas abschátzige Klang,
‘Spielzeug’ anhattet, nicht am Platz. Wenn Sappho (und das wird man verwandte,
99
hier nun
annehmen,
daß
aber
ἀϑρήματα
sie das Wort
Latte glauben) als ἀϑύρματα
aus
aber
Purpur-
der dem
das Wort
ἀϑρήματα
bezeichnete,
so müßte
der Odyssee-Stelle
übernommen
hätte, veranlaßt durch die ähnliche Situation, da beide Male die zahlreichen
kostbaren Dinge zu Schiff übers Meer gebracht werden. Mir scheint sehr viel wahrscheinlicher,
daß sie, wie es ihre Art ist, mit präzisem Ausdruck
ἀϑρήματα sagte, das seltene Wort aber aus dem Text verschwand, als einem Schreiber das für diese Stelle viel vagere ἀϑύρματα aus der Odyssee in den Sinn kam!. ı Daß die erste Silbe von ἀϑρήματα hier trotz folgender Muta + Liquida kurz zu messen ist, bietet gerade in diesem Gedicht keinen Anstoß (V. 8 ἐλίγματα χρύσια, V.14 ὄχλος; dazu Page in seinem Kommentar zu Sappho und Alkaios, p. 66f.). [Frau Dr. Eva-Maria Voigt macht mich darauf aufmerksam, daß E. Lobel, Bod-
leian Quarterly Record 3, 1920/21, 192 und J. M. Edmonds in seiner Lyra Graeca schon vor mir ἀϑρήματα für ἀϑύρματα bei Sappho eingesetzt haben.]
7*
DER ANFANG
EINES
ÁOLISCHEN
GEDICHTS
Im 21. Band der Oxyrhynchos-Papyri veróffentlicht E. Lobel unter der Nr. 2291 Reste von zwei Kolumnen äolischer Lyrik, die er zweifelnd Sappho zuspricht, da im zweiten Teil der 1. Kolumne und in der 2. Kolumne Strophen von je drei Zeilen abgeteilt sind und bisher nur für Sappho dreizeilige Strophen belegt seien!. Der Anfang der 1. Kolumne bietet ein zweizeiliges Gedicht, und wie Lobel 11 ausführt, ist es nach dem
lich, daß in Kol. 1, Zeile
Metrum wahrschein-
10 das dreizeilige Gedicht anfängt. Auch
der
Inhalt von V. 10ff. spricht dafür, daß V. 10 einen Gedichtanfang bringt. Nach Lobels Lesung steht in dem Pap.:
10
]. εκᾳιδε..]παι[.]
J-.e... [- Jerı[]Bopyıav [
F-03990
13.
Jevge-[]r-ev
Nach Ausweis von V.24 τὸν μάργον ὄνδειξαι ϑέλω ist der 3. Vers der Strophe ein jamb. Dimeter, und auch der 1. Vers scheint dasselbe Metrum
zu zeigen — jedenfalls widerspricht dem keiner der sonst kenntlichen Verse. Nach λίπων in V. 12 erwartet man, in Übereinstimmung mit der bekannten Gebetsformel, daß ein Gott aufgefordert wird, seinen Kultplatz zu verlassen und zu kommen. Das vor λίπων stehende Wort kann, da das Trema über u Wortanfang kennzeichnet, kaum etwas anderes sein als ὑλώδη, und
nach der Tafel scheint ὦ den Spuren mir χρηστήριον sicher. Die Wohnung Orakelstátte zu sein. In V. 10 wird Namen seiner Eltern: }re x«i At[ocg]
gut des der mát
zu entsprechen. In V. 13 scheint Gottes scheint also eine waldige Gott offenbar angerufen mit den oder πάϊ[ς. Suchen wir nun eine
waldige Orakelstätte eines Zeus-Sohnes in der Nähe von Lesbos, so finden wir auf dem Festland das nemus Gryneum. Da dies Heiligtum später nur in der Literatur Bedeutung hat, ist anzunehmen, daß es in der frühen Dichtung eine Rolle gespielt hat — und bei wem sollte es eher vorgekommen sein als bei den so nahe wohnenden Dichtern von Lesbos? Daher schlage ich vor, die Verse folgendermaßen zu ergänzen:
10
Actros] re καὶ At[oc] nei ].. 6... [.] £m 9? ὀργίαν
Tpövna]v ὑλῴξη λίπων 13.
x --] ev χρη[σ]τήριον
1 Jetzt: Sappho 99 L.-P.
Der Anfang eines äolischen Gedichts
101
Ob der Vokativ πάϊ oder πάϊ[ς] einzusetzen ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen!. In V. 11 ein © statt des B zu lesen, ist, wie Lobel mir schreibt,
*not very attractive as a reading', aber nach dem Faksimile scheint es mir nicht ausgeschlossen. Jedenfalls wüßte ich mit βοργίαν nichts anzufangen. Ob ὀργίαν zum Subst. ὀργία gehört oder zum Adj. ὄργιος, läßt sich nicht
entscheiden. Belegt ist beides bisher nicht, aber nach τὰ ὄργια wird man zum mindesten ein Adj. ὄργιος getrost voraussetzen dürfen. Ob ἔπειμι mit dem
Akk.
konstruiert
war,
oder
ob
eine
Präposition
wie ἐπί oder πρός
mit einem Substantiv oder ob ein Partizip mit der Bedeutung 'besuchend' oder dgl. vorausging, läßt sich nicht sagen. Der Akk. ὑλώδη entspricht nicht den sonst bei den äolischen Dichtern belegten Formen, es wird also die vulgäre Form durch Konjektur (ὐλώδηςν») zu entfernen sein?. V. 13 mag etwas wie τέον χλύ]τον χρηστήριον gestanden haben. Ob das Gedicht Sappho oder Alkaios zuzusprechen ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen; mir scheint das Gebet an Apoll und vor allem der .V. 24 ΤΠ ωλυανακτίδαν τὸν u&pyov ὄνδειξαι ϑέλω eher für Alkaios zu sprechen?. 1 VgL dazu Lobel p. 23 zu 2293 fr. I (a) 25. 3 [Wie fr. inc. 23 L.-P. χρυσοφάηζν). — M. Treu, Sappho* 165 erwägt als Adressaten auch den Apoll der Orakelstátte von Nape.]
* [Dreizeilige L.-P.]
Strophen
bei Alkaios
10 L.-P. (dazu
oben S. 76) und 257,78.
DIONYSOS
ODER
HEPHAISTOS?
(Zu einem Hymnos des Alkaios) Unter dem
lungen
Namen
des Libanios ist in einer Reihe mythischer
die folgende mit dem Titel Περὶ Ἡφαίστου
Foerster):
Hera wirft Hephaistos
aus dem
Himmel,
Erzäh-
überliefert (VIII 38 weil sie sich schämt,
daß das Kind lahm ist. Als dieses herangewachsen ist und mancherlei Kunstfertigkeit gelernt hat, schickt es seiner Mutter einen Thron mit unsichtbaren Fesseln. Als Hera sich daraufsetzt, wird sie festgebunden, und keiner kann sie lösen. Die Götter beraten, wie man Hephaistos dazu bewegen kann, in den Himmel zu kommen, könne. Ares verspricht, ihn zu holen, kehrt
da er allein Hera befreien aber unverrichteter Dinge
zurück, da Hephaistos ihn mit Feuerwerk vertreibt. Dann geht Dionysos mit Wein hinunter, macht den Hephaistos betrunken und bringt ihn so dazu,
mitzukommen.
Dieser
befreit seine Mutter
und
macht ihr klar,
daß sie nur dem Dionysos ihre Befreiung zu danken hat. Hera beredet darauf die himmlischen Götter, daß auch Dionysos einer der himmlischen Götter sei. Wilamowitz (Hephaistos, NGG.
1895, 219ff. — Kleine Schriften V 2, 7 ff.)
hat gesehen, daB diese Geschichte einen Hymnos des Alkaios nacherzählt, und er hat diesem Gedichte die Fragmente zugewiesen, die jetzt als frr. 349, 349(a) und 349(b) in der Ausgabe von Lobel-Page stehen: 349:
349(1):
᾿Αλκαῖος Ἡφαίστου (γονὰς ὕμνησεν)
οο-ὖ - ὥστε ϑέων und ἕν᾽ ᾿Οολυμπίων λῦσί(αι) ἄτερ FEdev --οὐ- τυυ-υsc. Ἡφαίστου, cf. Lib. 1.1. μόνον γὰρ ἂν ἐκεῖνον καὶ λῦσαι.
349 (b): οο-- ὁ δ᾽ "Ἄρευς φαῖσί xev "Agatotov ἄγην βίαι
d. h. wenn er Aphrodite zur Frau bekäme (so Wilamowitz nach der Darstellung der Frangois-Vase). Lobel hat überzeugend noch hinzugezogen 349(c)
00-vu--uu εἷς τὼν δυοκαιδέκων cf. Lib. 1.1. (Ἥρα) πείϑει τοὺς οὐρανίους ϑεοὺς ἕνα τῶν οὐρανίων ϑεῶν καὶ Διόνυσον εἶναι
und Diehl mit Wahrscheinlichkeit
inc. auct. 8
00-uu--u γέλαν δ᾽ ἀϑάνατοι ϑέοι.
Dionysos oder Hephaistos?
Wilamowitz
103
sah in diesem Gedicht einen Hymnos
auf Hephaistos und
hat deswegen den Schluß der Libanios-Erzählung, Dionysos sei unter die Götter aufgenommen, dem Alkaios abgesprochen. Da nun aber das von Lobel herangezogene fr. 349(c) gerade mit diesem Schluß übereinstimmt, ist vielmehr anzunehmen, daß auch der Hymnos des Alkaios auf die Aufnahme des Dionysos hinauslief und also diesem Gott galt. Schon M. Treu, dem ich diesen Gedanken gelegentlich geäußert hatte, bemerkt dazu ergänzend
in
seiner
Alkaios-Ausgabe
von
1952,
139,
daß
man
in
einem
Hephaistos-Hymnos eher ἄτερ σέϑεν als ἄτερ Fidev in fr. 349(a) erwarten würde. Page in seinem Buch „Sappho and Alcaeus“, p. 260, 3 sagt dagegen, es bliebe unsicher, ob βέϑεν auf Hephaistos oder auf Dionysos zu beziehen sei; die oben dazu angeführten Libanios-Worte scheinen mir entschieden
für das erstere zu sprechen. Page 258 teilt die Verse wieder einem HephaistosHymnos zu.
An
einen Hephaistos-Hymnos
denkt man
natürlich, weil der Rhetor
Menander sagt, Alkaios (fr. 349 L.-P.) hätte die yoval des Hephaistos besungen, und weil bei Libanios die Geschichte „Über Hephaistos“ heißt. Aber die Geburt des Hephaistos mußte auch der behandeln, der die Aufnahme des Dionysos in den Olymp berichtete und dabei im Anschluß an das Σ der Ilias erzählte, warum Hera ihren Sohn Hephaistos verstoßen hatte; in der Geschichte war denn auch mehr über Hephaistos als über Dionysos mitzuteilen. Wer aber diese Sage in einem Götterhymnos behandelt, wird sich damit an den Gott wenden, von dem besonders Rühmenswertes darin vorkommt.
Hephaistos rächt sich an seiner Mutter und macht den Schaden wieder gut, weil er betrunken ist — das verdient sicher keinen besonderen Preis. Dionysos aber überlistet den Listigen und befreit Hera. Außerdem paßt der burleske Stoff eher zu einem Gedicht auf Dionysos als zu einem auf Hephaistos.
Aber wo gibt es überhaupt Hymnen auf Hephaistos? Gewiß, unter den homerischen Hymnen steht ein kurzes Gedicht von 8 Versen auf ihn (Nr. 20), das ihn preist, weil er zusammen mit Athene die Menschen das Handwerk
gelehrt hat. Das weist auf Athen, wo allein übrigens Hephaistos ein wirklich lebendiger Gott gewesen ist — aber auch dort nur für die Handwerker. In der archaischen Lyrik gibt es nichts Entsprechendes. Wie sollte vollends Alkaios dazu kommen, ihm einen Hymnos zu dichten? Auf Lesbos spielt
Hephaistos kaum eine Rolle! — und was hat der verkrüppelte Gott der Schmiede mit dem stolzen Aristokraten zu schaffen?? ! Wilamowitz, Kleine Schriften V 2,21 m. Anm. 1 nennt unser Gedicht ein Kultlied auf Hephaistos, gibt aber zu, daß kein anderes Zeugnis den HephaistosKult auf Lesbos für frühe Zeiten beweist (vgl. auch Malten, RE s. v. Hephaistos 315, 128.) — wie denn überhaupt ein Kult dort schlecht in das gerade von Wilamowitz gezeichnete Bild von der Verbreitung dieses Kultes paßt. * Eine andere Frage ist, ob in der von Wilamowitz erschlossenen 'homerischen' Burleske, auf die er den Alkaios-Hymnos zurückführt, Hephaistos oder Dionysos
104 Pausanias
Dionysos oder Hephaistos 1, 20, 3 erzählt,
in Athen
sei die
Szene,
wie
Dionysos
den
Hephaistos in den Himmel führte, auf einem Gemälde in einem Tempel
dargestellt, aber nicht etwa in einem Hephaistos-Tempel, sondern in einem der beiden Dionysos-Tempel am Theater. Auch hier diente also die Geschichte dem Ruhm des Dionysos, und genauso hat sie offenbar Alkaios verwandt. [Dementsprechend erwähnt auch Ailios Aristeides 41, 6 p. 331, 20 K. die Rückführung des Hephaistos zum Olymp in seinem Hymnos auf Dionysos. — Dr. H. Knell zeigt in einem Aufsatz, der bald erscheinen wird, daß auf früh-archaischen Vasenbildern Gótterversammlungen nur dargestellt wurden, wenn ein neuer Gott auf dem Olymp erscheint: bei der Geburt der Athena und beim Empfang des Herakles. Die einzige Ausnahme wäre die Darstellung der Frangois-Vase, wenn dort die Rückführung des Hephaistos das Thema wäre — es ist aber die Aufnahme des Dionysos.] Daß Alkaios, der weinfreudige, den Dionysos besingt, ist nicht merkwürdig!. Wir besitzen auch ein Fragment aus einem Dionysos-Hymnos von ihm (fr. 381 L.-P.), das sich sogar dem Metrum des besprochenen Gedichts leicht einfügt, womöglich also gar dazugehört: oo Ἑρραφέωτ᾽, οὐ γὰρ ἄναξ -vu-u-., Hauptperson war, wobei dann außerdem noch zu fragen wäre, ob die postulierte gemeinsame
Quelle für Alkaios und die Frangois-Vase ein 'Hymnos'
gewesen
sein
muß oder ob es auch eine epische Erzählung wie das Demodokos-Lied der Odyssee gewesen sein kann.
! [An ein Gedicht für den Dreiverein Zeus—Hera—Dionysos denkt Th. B. Webster, Greek Art and Literature 700—530 B. C., London 1959, 6241
BAKCHYLIDES’
MARPESSA-GEDICHT
(Fr. 20A)
Diese Zeilen möchten die Aufmerksamkeit auf ein Bakchylides-Gedicht lenken,
das,
obwohl
verhältnismäßig
viel
von
ihm
erhalten
ist und
es
manches Merkwürdige enthält, doch bisher unbeachtet blieb. Es ist erhalten durch den Oxyrhynchos-Papyrus 1361 (ergänzt durch 2081 e), zu dem auch die einfach gebauten Lieder auf Alexander von Makedonien (Fr. 20B) und Hieron von Syrakus (200) gehören. Kórte hat vorgeschlagen!, sie zu den Enkomien des Bakchylides zu ziehen, obwohl solcher Buchtitel nur für Pindar, nicht aber für Bakchylides belegt ist, und in der Tat scheint das das Annehmbarste. Aber inzwischen ist das Marpessa-Gedicht (Fr. 20A) durch das Anfügen kleinerer Fragmente gewachsen, und da stellen sich Schwierigkeiten heraus, wie man es zu den Enkomien rechnen kann. Das Gedicht unterscheidet sich von den übrigen des Bakchylides (auch von den anderen beiden Enkomien) durch seinen Dialekt insofern, als es nicht die Dorische Vokalisation aufweist: 4 καϑημένη, 11 μούνην, 15 κόρης
17 Μαρπήσσης, 20 ἀνάγκη 25
χώρην
ἤρ[πασεν,
28
(-TKHI pap.
χαλλικρηδέμνου
korrigiert allerdings zu -TKAI), (vgl.
c. 13, 222
φοινικοκραδέμνοις).
Diese auffallende Erscheinung weiß ich nicht zu erklären. Man könnte daran denken, daß unser Gedicht nicht zu der gleichen Rolle gehörte wie die auf Hieron und Alexandros, daß es vielleicht sogar Bakchylides abzusprechen und etwa Simonides zuzuschreiben wäre, für den die Scholien B zu Ilias 1557 zu bezeugen scheinen?, daß er die Geschichte von Idas und Marpessa genauso geschildert hat, wie sie hier erscheint (Fr. 216 Βρκ. Ὁ); aber das Aussehen des Papyrus, auch der Rückseite, macht das sehr unwahr-
scheinlich. Am Inhalt des Gedichts fällt der ausführliche Mythos auf, wie ihn die beiden anderen Lieder des Papyrus und auch die kenntlichen Enkomien Pindars nicht gehabt haben. Von den großen Mythen der Epinikien und Dithyramben unterscheidet sich der hier vorliegende aber wesentlich dadurch, daß er ein sehr einfaches metrisches Gewand trägt, und die kurzen
Strophen mit sehr unkomplizierten Perioden sprechen entscheidend dafür, daß dies Gedicht zu der gleichen Papyrusrolle gehört wie die Enkomien auf Hieron und Alexandros. Es gilt also, solche Nachbarschaft verständlich zu machen. Vom Raub der Marpessa hat Bakchylides auch in seinem Dithyrambus „Idas‘“ erzählt (c. 20), bei dem die Anfänge von 11 Zeilen erhalten sind. 1 Hermes 53, 1918, 137£.; RE Suppl. 4, 63. 3 Darüber siche unten S. 106, 1.
106
Bakchylides’ Marpessa-Gedicht (Fr. 20A)
Auch
die ist. (B*) sich den
dies
Gedicht
ist so trümmerhaft,
daß
seine Erklärung,
genau
wie
des Enkomions, auf die mythographische Überlieferung angewiesen Zwei Varianten der Erzählung geben die B-Scholien zu 1557; die eine kehrt wieder in den T-Scholien, die andere (Bb) fehlt dort, berührt aber mit Apollodor 1, 60 (7, 8). Der wesentliche Unterschied zwischen B- und T-Scholien für B* ist, daß in B am Ende steht: οὕτως δὴ Σιμω-
νίδης τὴν ἱστορίαν περιείργασται, und so hat Bergk die Geschichte als Nr. 216
unter die Simonides-Fragmente eingereiht. In den T-Scholien aber lautet die Unterschrift: ὡς διάσημον οὖν τὴν ἱστορίαν περιείργασται. Schon Carl Robert
(Griechische
Heldensage
1, 1920,
312, 2) sagt
mit Recht,
daß
δὴ
Σιμωνίδης aus διάσημον verderbt ist — die Bezeugung für Simonides ist also trügerisch!. Die Hauptpunkte dieser Erzählung (B®) sind: Der Lakedämonier Idas, der Sohn des Poseidon, kommt nach Ortygia in Chalkis® und raubt dort Marpessa, die Tochter des Euenos, mit Hilfe der Rosse
Poseidons. Euenos verfolgt ihn bis zum Fluß Lykormas; er stürzt sich in den Fluß, der seitdem Euenos heißt. Idas kommt nach Arene (in Triphylien); dort macht ihm Apoll die Gattin streitig, und Idas richtet seinen Bogen gegen den Gott. Zeus greift ein und läßt Marpessa zwischen den beiden Freiern wählen; sie entscheidet sich für ldas, aus sie verlassen könnte, wenn sie alt würde.
Furcht,
daß
der Gott
Die 2. Version der B-Scholien (Bb) gibt darüber hinaus folgenden Zug: Euenos forderte die Freier der Marpessa zu einem Wagenrennen heraus; wer ihm entkäme, solle die Tochter behalten, wer aber von ihm eingeholt
würde, solle den Kopf verlieren. Die Schädel der besiegten Freier stellte er auf der Mauer
seines
Hauses
auf,
um
weitere
Werber
abzuschrecken.
Dieser zweifellos aus der Oinomaos-Sage übertragene Zug wird ausdrücklich für Bakchylides bezeugt durch die Scholien zu Pind. I. 4, 92°. Statt dessen erzählt Apollodor, Apoll hätte um Marpessa geworben, aber Idas hätte sie auf einem Flügelwagen Poseidons geraubt. Diesen Flügelwagen wird man auch für die bei B& und BP zugrunde liegende Erzählung voraussetzen, da Euenos in beiden Versionen über den Lykormas und in B* übers Meer zur Peloponnes fährt. Die Werbung Apolls ist hier, wie es 1 Der Text ist, wie Robert ihn gibt, auch noch nicht in Ordnung; er schreibt: „as διάσημον οὖν τὴν ἱστορίαν περιείργασται“ (näml. Homer). Offenbar muß es heißen: ὡς διάσημον οὖν τὴν ἱστορίαν (οὐ) περιείργασται: Homer hat die Geschichte, da sie wohlbekannt ist, nicht ausführlich behandelt. [Auf den Rat von Paul Maas habe ich in meiner Ausgabe von 1961 die Stelle anders beurteilt.] % Gemeint
ist das
aitolische
Chalkis
am
Korinthischen
Golf,
so richtig
Robert,
a.2.O.; vgl. Höfer, Myth. Lex. 3, 1221f. Über dessen Lage vgl. Kirsten, Arch. Anz. 1941, 99f. * Wenn dort die Rede davon ist, daß die Schädel am Poseidon-Tempel angebracht werden, so bezicht sich das offenbar nur auf die Geschichte von Antaios, für die Pindar es an der betreffenden Stelle bezeugt, nicht aber auf die als Parallele
erwähnte Euenos-Geschichte.
Bakchylides’ Marpessa-Gedicht (Fr. 20A)
107
zunächst auch natürlich ist, nicht mit dem Wagenrennen vereint. Bb sagt weiter, Idas hätte Marpessa in einem Artemis-Heiligtum geraubt —, das paßt zu Ortygia in Chalkis. In BP und Apollod. heißt es dann, daß Euenos, ehe er sich in den Fluß
stürzt, seine Rosse schlachtet, und Apollodor
er-
zählt, daß Idas mit Marpessa nach Messenien kommt. Das Weitere ist in unserem Zusammenhang weniger wichtig. In dem Idas-Dithyrambos ist soviel kenntlich: Idas entführt mit Hilfe der
„windschnellen
Rosse‘“‘
Poseidons
die
Marpessa
nach
Pleuron
der Flucht vor?] dem Ares-Sohn [Euenos]. — Da Pleuron Euenos liegt und selbstverständlich der Sturz des Euenos erzählt sein muß, wird auch hier vorausgesetzt, daß Idas östlich von Euenos geraubt hat, also im Artemis-Heiligtum bei
Chalkis.
Da,
wie
die
für
die Lakedämonier
einst die lakonischen
Überschrift
gedichtet Mädchen
des
ist und
Dithyrambos
es beginnt:
ein solches Lied
westlich vom in den Fluß die Marpessa von Ortygia
angibt,
„In
[auf
das Lied
Sparta
sangen
...'', wird Idas hier wie
in B* Lakedämonier gewesen sein und seine Braut weiter nach Sparta entführt haben!. Ob hier das Wagenrennen erwähnt war, ist nicht ganz sicher,
aber V.7
Erzählung
vom
steht, daß Idas
Brautraub,
„dem
Tode
entfloh",
die offenbar in dem
und
die genauere
verlorenen Teil folgte,
begann anscheinend damit, daß Euenos „Sohn des Ares“ genannt wird (V. 11) —, beides scheint auf dieses Motiv zu weisen, und die Notiz, daß
Bakchylides
gerade
diese Erzählung
gehabt
hat,
ist jedenfalls
eher
auf
einen Dithyrambos mit dem Titel ,,Idas'' zu beziehen, als auf das Enkomion, in dem, wie sich gleich zeigen wird, die Idas-Geschichte nur in einem
Vergleich stand. Daß Idas hier mit Sparta verbunden wird, deutet darauf, daß die Freundschaft mit den Dioskuren schon vorausgesetzt ist —, was zudem
Pindar
für diese Zeit schon
bezeugt;
darum
hier die Dioskuren
aber nicht genannt zu haben.
nur
Heimführung
die
glückliche
der
Braut
braucht
Bakchylides
Wahrscheinlich hat er
besungen,
zumal
da
es am
Anfang heißt, daß die lakonischen Mädchen ein solches Lied sangen. Ob Bakchylides den Streit mit Apoll um die Braut, den schon Homer und die Kypselos-Lade (siehe unten 5. 108, Anm. 1) kennen, erzählt hat, bleibt ungewiß. [Hier folgte der Text von fr. 20A, wie er jetzt in meiner Ausgabe von 1961 steht. Daraus ergibt sich:] 1 Hier wird also offenbar der aitolische Idas schon mit dem Bruder des Lynkeus
identifiziert. Ich gehe hier nicht darauf ein, daß dies Brüderpaar in Messenien zu Haus und später nach Sparta versetzt ist. Daß der Raub der Marpessa ursprünglich
nichts mit der Peleponnes zu tun hatte, geht aus dem merkwürdigen Weg hervor, den
Idas einschlägt, um
von
Chalkis nach
Sparta (oder Messenien)
zu kommen:
das nächste wäre gewesen, von Chalkis nach Patrai zu gehen, aber mit der ursprünglichen aitolischen Sage war der Weg über den Euenos nach Pleuron gegeben.
108
Bakchylides’ Marpessa-Gedicht (Fr. 20A)
Euenos!, der Sohn des Ares, hielt
seine Tochter
zu Haus und ließ
sie
nicht heiraten. Euenos heißt 92257y&2 und μισιφόνος (V. 16): das kann sich nur auf das Wagenrennen mit den Freiern und deren Tötung beziehen. Diese Geschichte ist aber, wie gleich die weiteren Reste des Enkomions zeigen, hier nicht erzählt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Dann läßt
sich aber mit desto größerer Zuversicht behaupten, daß sie in dem Dithyrambos stand; dann ist wohl auch der Dithyrambos vor dem Enkomion entstanden.
Wenn den Euenos „die Zeit und die übermächtige, strafende Notwendigkeit gegen seinen Willen bezwang“ (V. 188.), so hat er vorher lange gewütet, und das geht ebenfalls auf die Ermordung der Freier. Von V.21 an läßt sich nicht mehr der Wortlaut, wohl aber der Sinn herstellen: Bei Sonnen-
aufgang? kam Idas mit den Poseidonpferden, den schnellen®, des Meerbeherrschers* glückseliges Kind (&8tos heißt Idas natürlich als der glückliche Bräutigam, wie wir es aus den Hochzeitsliedern kennen). Zweifellos ist Idas hier der Sohn des Poseidon; für Aphareus, der als sein menschlicher Vater genannt wird, ist im Papyrus kein Platz. V. 25—28 ist gesagt, daß Idas die Marpessa raubt; die Göttin (V. 28) ist Artemis, in deren Heiligtum Marpessa tanzt, wie das Homer-Scholion ΒΡ sagt. Das Lokal ist also, wie im Dithyrambos, das aitolische Chalkis. In V. 30ff. stand: Ein Bote [meldete], daß die schönfüßige® [Marpessa geraubt sei], und sobald der 1 Die ursprüngliche Form des Namens Eueanos ist erst durch diesen BakchylidesPapyros bekannt geworden. Sie ist nun auch auf der Inschrift der Kypseloslade (Paus. 5, 18,2) herzustellen, wo Fröhner ETANOT aus EKNAOT gebessert hat.
Tatsächlich liegt ETEANOT paläographisch ebenso nahe; genau wie bei Bakchylides ist der Name natürlich dreisilbig zu lesen: Ἴδας Μίάρπησσαν καλλίσφυρον, ἄν ol ᾿Απόλλων
3 Oder:
mit
dem Licht
der
Sonne — allenfalls auch:
nach oder bei Sonnen-
untergang, je nachdem, wie man den Reigentanz ansctzt, bei dem Marpessa geraubt wird; ἠ]ελίου scheint jedenfalls leidlich sicher, da das einzige andere herpassende Wort, alxeXioo, sich kaum sinnvoll einfügen läßt (Fr. 23, 1 hat außerdem die Form ἀειχελίου, die hier das Metrum
nicht zuläßt).
* Oder: den geflügelten, doch vgl. c. 20, 9 ἰσαν[έμους.
4 ϑεοῦ ποντομέδοντος etwa oder ϑεοῖ᾽ εὐρυμέδοντος (ϑεοῖσιν 13, 138; Fr. 4, 27; 8e Fr. 20 C 20), obwohl auch dies noch reichlich lang ist nach dem am Anfang zu ergänzenden
᾿Αφάρ]ητος. * Am
Rand
-wov oder von
-νεν. [P.
V.30
Maas hat inzwischen überzeugend
steht καλλισφύραν,
als Erklärung
ergänzt:
Ἴδας
oder Variante.
Hunt
meinte, τανίσφυρον hätte im Text gestanden, dann ist aber nicht einzuschen, warum das ungewöhnliche
Femininum
statt des
gewöhnlichen
xa@XXlopupov
(das
Beiwort
der Marpessa II. 9, 557 u. 560 und auf der Kypseloslade) zur Erklärung beigesetzt ist. Diehl setzt καλλίσφυρον in den Text; dann wäre χαλλισφύραν Variante, aber das
ist nicht möglich, da dies Wort wegen des Metrums in V. 29—31 bracht werden
nicht unterge-
kann. Vielleicht stand τανισφύραν im Text, das dann aber nur (wie
übrigens auch das von Hunt vorgeschlagene raviopupov) am Ende eine Zeile höher als das Scholion, gestanden haben kann.
von
29, also
Bakchylides’ Marpessa-Gedicht (Fr. 20A)
109
ankam, [machte sich der Vater an die Verfolgung]. Für 10 Verse ist die Erzählung nicht kenntlich!—, dann sind wir offenbar schon bei der Szene, daß Euenos sich in den Lykormas stürzt. Zwischendurch muß erzählt sein, daß Euenos den Idas nicht erreichen kann, da die göttlichen Pferde über den Fluß setzen, daß er verzweifelt die Verfolgung aufgibt (und vielleicht, daß er seine Pferde schlachtet). In V. 45—47 ist nur eben kenntlich,
daß
wieder
von
Marpessa
die Rede
ist—,
wohl,
daß
sie glücklich
(selbst gegen das Eingreifen Apolls?) in die Heimat des Idas gekommen ist, denn
das brauchen wir als Abschluß
der Geschichte,
die zeigen
soll,
wie der böse Vater gestraft ist. Weiteres ist nicht auszumachen. Es bleibt zu fragen, welchen Sinn die Geschichte Marpessas, die als Beispiel eingeführt ist, hier hatte. Ob das Gedicht mit V.1 begann, ob V.1—96 an ihrem richtigen Platz stehen, und ob die beiden Fragmente, aus denen die Verse 4—6 zusammengefügt sind, wirklich so zusammengehören,
Dann die
ist nicht vollkommen
sicher®, aber doch das Wahrscheinlichste.
war aber sehr nah am Beginn des Gedichtes von einem Mädchen
Rede,
das
(zu
Hause)
sitzt und
ihrem
Vater
zürnt;
sie verflucht
ihn,
weil er sie drinnen hält. Von V.13 an wird dieser Vater mit Euenos verglichen, der seine Tochter Marpessa nicht hat verheiraten wollen. Wer stellt diesen Vergleich mit Euenos an? Der Dichter oder eine der Personen, von denen anfangs die Rede ist? Robert Oehler* hat festgestellt, daß in der archaischen Lyrik mythologische Exempla nie in eine Rede eingelegt sind (was bei Homer das übliche ist), sondern daß der Dichter
selbst sie von sich aus einführt, und während der letzten 25 Jahre ist, 1 Vielleicht ist das Fr. 10 hierherzuzichen:
36
Jsovv[ vuy--uwvvVu—uv—wu Va
J*vovἸπόσιν ]
40 Ἰχαπί Das Aussehen des Papyrus würde stark dafür sprechen, auch die Zeilenlängen würden stimmen. In 38 würden wir allerdings an vorletzter Stelle eine Länge erwarten. ποσζσ)ίν zu schreiben, ist unmöglich, da über o ein Akut steht. Ob wir die metrische Freiheit vvvv- | hier einführen dürfen wie Pind. pac. 6, 131. 149. 176,
ist recht zweifelhaft. * V.43 etwa φρὴν] μαινόλις &xpo[U ἀπε[χρήμνισε]ν κατ᾽ [ὄχϑου.
ϑυγατ[ὴρ δὲ----
* Vgl. dazu den kritischen Apparat meiner Ausgabe.
4 Mythologische Exempla in der älteren griechischen Dichtung, Diss. Basel 1925. 5 Ausnahme wäre höchstens Pind. P. 4, 87 ff. — aber da liegt der Fall ganz anders:
Jason tritt auf den Markt von Jolkos und die Leute fragen einander: „Ist das etwa Apoll oder Ares? In Naxos, sagt man (pavrt), liegen Otos und Ephialtes begraben“ (d. h. die können
mit unserem
es also nicht sein). — Nicht recht kenntlich, aber jedenfalls nicht
Gedicht zu vergleichen
sind die Verhältnisse in Pindars 4. Pacan.
110
Baschrlides’ Marpessa-Gedicht /Fr. 204;
soviel ich weiß, nichts Widersprechendes aufgetaucht. Man wird also in dem Euenos-Beispiel eine Ausnahme von der an mehr als δῦ Fällen gewonnenen Regel nur dann schen, wenn zwingende Gründe es nóug machen. Spricht aber mit λέγουσι (14) Bakchvüdes selbst, so fragt sich weiter, ob die bis V. 12 erwähnten Personen mvtzische Figuren sind oder nicht. Zweimal in der archaischen
einen anderen
Dichtunz,
Mythos
einen kurzen Hinweis hinzu,
dal
5. 109),
genug
zwar bei
das
|O. 1, 43
unser Gedicht,
kaum
und
erläutert,
Gan: medes;
das anscheinend
Raum
τὰς
Pindar, wird ein Mythos
geschieht
einen
durch
aber jedesmal nur durch
P. 9, 111 Dazaos). Es kommt mit Vers
anderen
1 bezann
Mi:zos
am
(siehe oben
Antang
bot.
denn jedenti_s muüte dort noch gesagt sein, tur welche Situation da Lied besummt war. So drängt sich der Gedanke aur, da3 der Vater un.
die Tochter, von denen zunichst die Rede ist, lebende Personen aus de. Umkreis
des Bakchylides
sind,
und
das Gedicht
würde
verwandt werd.
mit der Epode des Arch:.schos gegen den Vater Lykambes. Wie dort « warnendes
Beispiel die Fabel vom
Fuchs
uzd Adier ist, so hier der Mrti.
von Euenos und Marpessa. Dann treilich war des Gedicht kein Enkomi kein Lobhed, sondern ein Scheirzedicht zegen einen Vater, der sc Tockter nicht verheiraten wollte!. Dis aber die Form des Enkomions
ein Rizelied passen konnte, zeigt gerade tür die Zeit des Bakchylides Gedicht Timokreons gegen Themistokles (5, 1437. Diehl), das in se metrischen Form keinen anderen Gedichten so nahe steht wie den Enko: von Pindar und Bakchylides. Die erhaltenen Reste des Anfangs fügen sich dem. In V. 7 hat P.
zunächst einleuchtend xaaízv-ov ergänzt; dann wäre der Vater an der. von bestimrrten Männern
schuld, und das würde wohl norwendig au.
Sage führen (tatsächlich haben wir alle wohl zunächst an ΓΠΡΡος und O:nomaos gedacht). Aber xa 201 wire ebentalls moglich: i Not
Seht sie zu den chc
oli
Alter ünder?. In V. 10. besten dem
Sinn
! Vielleicht
findet
entgeg.
00 500 -
auch
= .2. ^
des Gedichts ihre Erklärun:
-
lieds festgehalten werden x
—
® Daß, wie Paul Maas ρες.
>
-r
ἡ δ ἔτέρη ϑανάτοι
*
*
H
.
το
c.c “..-
„nu intog
-
Nm.
ae
cf à
τοὺ cus s 8 ESNaDPÓ
„2. „atzıarse
! 3.
den Geister der Erschliger . mussen. Wenn zu erginzer . so ist dabei nur an Wesen .elalut, die Krges hier mit dem el Parazele bei Mimn. Fr. 2, 5 Q:::: ὃς bit
nn
uch
ent
σὰ σας,
377
nıcht-dorische Vol
Chraraxter des „archilochischen
0x „hthonischen“ Wesen io V- 8 die ::
Bakchylides’ Marpessa-Gedicht (Fr. 20A)
111
χόρη]ν μούνην ἔνδον ἔχων γάμων (oder vielleicht umzustellen: εἴργει γάμων ... ἔχων κόρην) und dann, abschließend, über das Mädchen: λευκαὶ δ᾽ ἐν χεφαλ[ῆι μένουσί νιν τ]ρίχες}.
Ein Mythos Das
Präsens
am Anfang ἱκετεύει V.7
macht zudem ließe sich
kaum
noch weitere Schwierigkeiten. anders
erklären,
als daß
eine
Person erzählend eingeführt wird (etwa Myrsilos, der dem Oinomaos von Hippodameia erzählt, wie E. Kapp vorgeschlagen hat, um eine mögliche Situation zu nennen). Dann müßte auch V. 13ff. in diese Rede fallen, was,
wie wir sahen, in der frühen Lyrik ohne Parallele wäre. Außerdem kommen wir mit dem Anfang in Schwierigkeiten (immer vorausgesetzt, daß der
wirklich bei V. 1 liegt), denn in V. 4 ist schon von dem Mädchen dig Rede und
vorher
könnte
kaum
mehr
gestanden
haben
als:
„Myrsilos
kam
zu
Oinomaos und sagte...“, und das gäbe keinen Gedichtanfang für ein Enkomion. So mißlich es ist, über stark zerstörte Gedichte Hypothesen aufzustellen, so muß man doch die gegebenen Möglichkeiten durchprobieren, und dabei stellt sich bisweilen heraus, daß etwas auf den ersten Blick vielleicht Befremd-
liches das Wahrscheinlichste ist. Dies ,,Enkomion*', das die Sage von Marpessa erzáhlt, dürfte, scheint mir, noch am ehesten das Scheltgedicht auf einen Vater gewesen sein, der seine Tochter nicht heiraten ließ. Über den Anlaß des Gedichtes, zumal darüber, wieweit Bakchylides selbst an einer Ehe des Mädchens interessiert war, wird man allerdings keine Vermutungen wagen dürfen. 1 Oder, wenn der Satz noch auf den Vater geht: λευκαὶ δ᾽ ἐν κεφαλῆι γένοιντό ol τρίχες (od. γενήσονται).
ZUR
ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE DER
PINDAR-SCHOLIEN
Zum Gedächtnis von Giorgio Pasquali, dem großen Philologen und dem immer hilfsbereiten Freund, hätte ich gern einen größeren Beitrag zur „Storia della tradizione c critica del testo** Pindars beigesteuert. Aber
leider muß ich mich nun doch auf einige kurze Bemerkungen beschränken. Trotz aller dafür aufgewandten Mühe ist die Verwandtschaft der Pindar-
Handschriften noch nicht so geklärt, daß eine Einigkeit darüber hätte erzielt werden können. In neuerer Zeit sind drei verschiedene Stemmata vorgeschlagen: von A. Turyn!:
von
P. Maas?:
A
t
B
E
H
und von J. Irigoin?:
A
B
[4
E
H
1 De codicibus Pindaricis, Cracoviae 1932; Pindar-Ausgabe von 1944, 1948 und
1952. Ich gebe hier jeweils nur ein abgekürztes Stemma, das nur die im folgenden berücksichtigten Handschriften nennt, aus dem aber die Unterschiede der Auffassung genügend deutlich hervorgehen. Ich benutze die Sigel meiner Ausgabe von 1953 und 1955. 3 Gnomon 9, 1933, 166.
* Histoire du texte de Pindare, Paris 1952.
Zur Überlieferung der Pindar-Scholien
113
Da auf Grund des Pindar-Textes so verschiedene Meinungen vorgegetragen sind, wird es nützlich sein, die Scholien heranzuziehen. Ich gebe als Proben den Scholientext ©. 2, 1d + 4a und 2, 7b + c mit kritischem Apparat. ζ ist hier = C -- D. Die Hs. Q, die Drachmann heranzieht,
gibt für unsere Stelle nichts eigenes; ich habe sie deswegen nicht berücksichtigt. Da A und v anerkanntermaßen unabhängig voneinander sind, haben ihre Lesarten gleichen Wert!, und oft läßt sich nicht entscheiden, was in der Vorlage
gestanden
hat, —
da bleibt also der ,,rekonstruierte"'
Text unsicher?. In unserem Zusammenhang spielt das nur insofern eine Rolle, als es die Beurteilung der v-Lesearten beeinflußt. O. 2, 1c/d + 4a (p. 59, 12—18; 20—25 Dr.): BCDEF ABCDEH
ὡς ἐπιζητῶν γὰρ τίνα ὀφείλει ὑμνῆσαι εἶτα xaO ἑαυτὸν doxtμάζων | τὴν αἰτίαν αὐτὸς παρέστησε παρ᾽ ἣν τοὺς τρεῖς δεῖ
3.
ἐπαινεῖν Δία μὲν γὰρ ὅτι τούτου ἱερὸς ὁ τόπος" ᾿Ολυμπιάδα δ᾽ ἔστησεν 'HpoxAZc: διὸ ὑμνητέον αὐτὸν ὡς ἥρωα᾽ ἄνθρωπον δὲ Θήρωνα. τυποῖ δὲ ὁ Πίνδαρος ὅτι δεῖ xa9' ἕκαστον ἐπίνικον
6
τοὺς τρεῖς ὑμνεῖν: ϑεόν, ἥρωα, ἄνδρα. 154. post δοκιμάζων BEH add. ἄλλως: ἀναξιφόρμιγγες ὄμνοι (ὕμνοι om B) 2 αὐτὸς παρέστησε] δηλοῖ B αὐτὸς om. ἃ παρῆν A τοὺς τρεῖς] ὁ νοῦς xpla ΒΕΗ 24η. δεῖ ἐπαινεῖν] ἐπαινεῖ ἃ 3 μὲν yàp om. v
4 ἔστασεν Ἡρακλέης A 4 sq. διὸ---ΑΗ'ἥρωνα)] ὅτι τὰς μέμνηται ὡς ἥρωος" Θήρωνος δὲ ἀνθρώπου A 5 dei nad” ἕκαστον A, δεῖ καὶ (ΕΗ, δεῖ D, καὶ
B
6 ἄνδρα] ἄνθρωπον A
Ο. 2, 7b +c (p. 60, 9—13 Dr): BCDEH
ἀκρόϑινα
γὰρ 3
πολέμου:
πολεμήσας
τὸν
τὰς
ἀπαρχὰς
"Ἤλιδος
τῶν
A«püpov'
τύραννον
xal
πρὸς
νικήσας
Αὐγέαν
ἐκ
τῆς
λαφυραγωγίας τὸν ἀγῶνα διέϑηκεν. 1 τὰς --- λαφύρων
post λαφυραγωγίας (V. 3) ponunt
post λαφύρων add.
BEH
2yap om.
BEH
et προσαγαγὼν
33τὸν ἀγῶνα διέϑηχεν
C D H, ἔχτισε τὸν ἀγῶνα B, ἔκτισε τὸν ἀγῶνα διέϑηκεν E.
1 Wenn Turyn und Irigoin für den Pindar-Text A und v auf einen gemeinsamen Archetypus
zurückführen,
so
scheint
mir
das
unstatthaft.
Für
den
Scholientext
liegen die Dinge freilich anders. Darauf hoffe ich später einmal zurückzukommen. * Drachmann
hat, wie oft, die A-Scholien 4a von den ,,vatikanischen'* Scholien
getrennt gedruckt. Das hat den Vorteil, daß man leicht die Abweichungen blickt, aber den Nachteil, daß der Text belastet ist mit vielen Dubletten.
über-
Wo
sich
ein ursprünglicher Text aus den beiden Rezensionen mit großer Wahrscheinlichkeit gewinnen läßt, macht man es zumal dem gelegentlichen Benutzer sehr viel einfacher, wenn die im Grunde gleichen Scholien nicht zwei- oder gar dreimal
erscheinen. Der kritische Apparat schwillt aber natürlich an, kann aber wiederum von
manchen
gleichgültigen
Quisquilien
Sonderfehler
entlastet werden,
einzelner
Hss.
wie
unerwähnt
ständlich darf die Errungenschaft Drachmanns, woher die einzelnen Scholien stammen, dadurch 8
8496
Snell, Ges. Schriften
ich im
folgenden
gelassen
auch
habe.
manche
Selbstver-
daß man deutlich sehen kann, nicht aufgegeben werden.
114
Zur Überlieferung der Pindar-Scholien
Aus diesen Stellen geht mit Sicherheit hervor, daß BEH durch gemeinsame Fehler aneinandergeknüpft sind. In 1d, 1 stört ἄλλως ἀναξιφόρμιγγες ὕμνοι den klaren Textzusammenhang, der in T erhalten ist. Leider beginnt der Text
von
A
erst mit
dem,
was
auf diese
Interpolation
folgt.
Noch
deutlicher ist 1d,2, wo BEH das unsinnige ὁ νοῦς τρία, A und I dagegen das richtige τοὺς τρεῖς haben. Auch Drachmann beurteilt diese Stelle so. In Tb, 1f. dagegen erkennt Drachmann Ursprünglichkeit des einwandfreien Textes von
ζ so wenig
an wie in 1d,1, was
um
so befremdlicher
ist, da er das in BEH an dic falsche Stelle gerutschte τὰς ἀπαρχὰς τῶν λαφύρων sowieso als Interpolation streichen muß. Diese klaren Abhängigkeitsverhältnisse sind allerdings an zwei Stellen etwas getrübt.
1d,5
hat A das richtige δεῖ xa9' ἕχαστον; (ΕΗ
καὶ, D δεῖ, B καὶ. Da wird man in v und in der Vorlage in t 9. oder δεῖ voraussetzen.
haben
von BEH
δεῖ
und
In 7b, 3 hat in der Vorlage von ΕΗ Exrıoe
τὸν ἀγῶνα διέϑυρεεν gestanden, was in einem verständlichen Satz gemacht Richtige getroffen. Diese beiden Stellen sprechen also aufgestellte Stemma richtig ist, und
B durch Streichung von διέϑηκχεν zu ist. Die Korrektur von H hat das entschieden dafür, daß das von Maas das scheint sich mir auch sonst für
die Scholien zu bewähren!. ! [In einem Brief vom 5. 10. 1956 schreibt mir J. Irigoin, unter Verweis auf sein Buch (130—131 und 254 m. Anm. 1), daß zum mindesten für die Scholien der Pythien B und T deutlich zusammengehen gegen E und H. Für die Scholien zu
den Olympien sei ζ so sehr kontaminiert, daß für alle Stellen gesondert die Abhängigkeit zu prüfen sci. Mir lag vor allem daran, an einem Beispiel zu zeigen, daß trotz der so viel gerühmten Ausgabe von Drachmann an der Konstitution des Textes der Pindar-Scholien noch viel zu tun ist.]
ZUR
GESCHICHTE DER
VOM
SIEBEN
GASTMAHL
WEISEN
Den Text, den Medea Norsa und G. Vitelli als Nr. 1093 im 9. Band der PSI veróffentlicht haben, neu zu behandeln, lohnt sich vielleicht,
freilich nicht so sehr deswegen, weil einige Buchstabenspuren sich noch genauer bestimmen lassen, oder weil sich das Spiel, die Lücken mit unsicheren Ergänzungen auszufüllen, noch mehr nach den Spielregeln spielen läßt, die besagen, daß Ergänzungen möglichst genau der Größe der Lücken und der normalen Zeilenlänge entsprechen sollen, wohl aber, weil sich aus diesem Papyrus-Bruchstück, das bisher wenig beachtet zu sein scheint!, wohl etwas für die Literaturgeschichte Interessantes gewinnen läßt. Ich habe den Papyrus im Herbst 1952 auf der Biblioteca Laurenziana kollationieren dürfen, wofür ich auch hier Frau Professor Lodi herzlich danke.
Der Text mag etwa so gelautet haben: col. 1
ἀγ]ορεύειν, X[C]Xev Nloxe λόγου Ala]xedal3 uova πατρίδα volav, ὅς ποτε καὶ Πυ-
ϑοῖ τὸ σοφὸν ποτὶ 6 νη]ὸν ἔγραψεν του
ca. 12 Bst. ca. 11 Bst. 9
pe ]εν ]ο
pe
je 12—17
18 ...
desunt
... (.)] νη [-Ἰς
2 NEE ἔβυσ-
σοδόμε]ψσα φατίί-
21 ζω ...(.)] *[6] τε μηδὲν ἄγα]ν καὶ τὸ ἐγγύαί{ι), πάρα δ᾽ ἄτα. 1—6 suppl. N.-V. | 1 T nunc quidem non apparet | 2 δ᾽ ἦ]ρχε (N.-V.) longius lacuna | 18 NH vel THE? | 20 JYCA®ATI, ]TAV'AITI[, sim., suppl. Sn. | 21 med. — 30 suppl. N.-V. | 23 IITÁPAAAT | ! Pack? (No. 2292) verweist auf Page I No. 127. — den Papyrus ins 2. Jh. n. Chr. 8."
Die Herausgeber datieren
116
Zur Geschichte vom Gastmahl der Sieben Weisen
24 “ἘἜρ]μιππος δ᾽ iv τῶι πρ]ώτωι πεpl ᾿Αρ]ιστοτέλους 27 Λάβυν] Δελφὸν ebνοῦχ]όν φησιν εἰρηκένα]: αὐτὸ νε30 wxöpov] ὄν[τ]α τοῦ Πυϑίου, Χ]αμαιλίέὧν δὲ Θαλ]ῆν τὸγί 33 'Εξαμύο]υ, Κλέα[ρχος δ᾽ ἐν το]ῖς περὶ παροιμιῶ)]ν ἐρέ[36 σϑαι ποτὲ τὸν Χίλῳϊνα τὸν ϑε)όν, τί ἄρίιστον ἄν st], τὴγί 39 δὲ Πυϑίαν] ἀποκρί[νασϑαι ὅτι] τὸ γνῶ[ϑι σεαυτόν. ἔν])ιοι δ᾽ α[ὖ 42 .... Σωδά]μου τοῦ[ Τεγεάτου) φασὶν[
col. 2
τὸ [μηδὲν ἄγ]αν ὑποί
45 στατί. -.]e [-]αυτηνί ὧδ᾽ ἔλεγεν Σώδα!ί-
48 μοῖς ᾿ΕἸπηράτου ὅς μ᾽ &[v]é9gxev: un->> S[e]v ἄγαν" καιρῶι
51 m[&v]r& πάρεστι xoA[&. sequuntur alia 31 in. Sn., cet. N.-V. | fr. Cham. deest ap. Wehrli | 32/33 in. Sn. | 33 fin./34 N.-V.| cf. Clearch. fr. 69 W. | 35—43 N.-V,, Sn. | 44 Sn. | 47 in. Sn., cet. N.-V. | 48—50 N.-V. | 51 N.-V., sed πρόσεστι, quod scribunt, minus vestigiis respondere videtur quam πάρεστι.
Uns interessiert hier der Anfang, Z. 1—23. Schon die ersten Herausgeber haben gesehen, daß von Χίλων (Z. 1) an zwei Hexameter dastehen, daB das vorhergehende ἀγορεύειν Hexameterende zu sein scheint, haben
vermutet,
daß
diese Verse
einem
„Gastmahl
der
Sieben
und und
Weisen“
entstammen, bei dem jeder der Anwesenden seinen Kardinal-Spruch zum Besten gab. Kórte hat in einer Mitteilung an die Herausgeber (p. 155) die Vermutung geäußert, daß V. 21ff. ebenfalls noch zu den Hexametern gehörten: -]vó τε μηδὲν ἄγαν xal τὸ ἐγγύα, πάρα δ᾽ ἄτα, und hat sich auf Anthol. Pal. 9, 366, 8 für die metrische Dehnung der Mittelsilbe von ἐγγύα
Zur Geschichte vom Gastmahl der Sieben Weisen
117
berufen: ἐγγύην φεύγειν δὲ Θαλῆς Μιλήσιος ηὔδα. Später (Arch. 10, 224) hat er diesen Vorschlag allerdings als ,,verfchlt" wieder zurückgenommen. In der Tat ist der Vers alles andere als schön. Aber es wäre möglich, daß
wir in diesem Zusammenhang
mit schlechten Versen zu rechnen haben,
und die Spuren der Z. 18—20, hatten, führen darauf, daß die 2. 23 gehen. Jedenfalls scheint nichts anderes anzufangen zu und dieses epische Wort setzt
wo N.-V. nur in Z. 19 Jradeßu... gelesen Hexameter bis zu der Paragraphos unter mir in Z. 19£. mit den erhaltenen Spuren sein als τάδ᾽ ἐβυ[σσοδόμε]υσα zu ergänzen, Hexameter voraus!.
Es kommt noch etwas anderes hinzu: In den Zeilen 7—18 fehlen, wenn wir den Durchschnitt von 13 Buchstaben ansetzen, etwa 12x 13= 156
Buchstaben;
ganzen
dazu kommen
161 Buchstaben.
(Z. 1—6)
haben
fehlenden
Anfang
Die
eine Länge
der normalen Länge
5 Buchstaben am Anfang von Ζ. 19, also im
beiden kenntlichen Hexameter am Anfang von
37 und
eines Hexameters
des Hexameters,
36 Buchstaben,
entspricht.
dessen
was
Rechnen
auch
sonst
wir für den
2. Teil in Z. 19ff. erhalten ist,
16 Buchstaben (so viele haben die beiden erhaltenen Hexameter bis hinter den „3. Trochäus‘‘), und ziehen wir diese von den 161 ab, und rechnen wir die 3 Buchstaben von «ov in Z. 6, die einen neuen Hexameter beginnen, hinzu, so ergeben sich 148 Buchstaben für volle Hexameter, wenn denn
Hexameter in dem fehlenden Teil standen. 4 Hexameter von durchschnittlich je 37 Buchstaben würden also die Lücke ausfüllen. Diese Rechnung spricht also nicht gegen die Annahme, daß in dem Papyrus bis zu der Paragraphos unter Z. 23 ein langes Zitat aus einem hexametrischen Gedicht reichte,
im
Gegenteil,
es wäre
eher
ein
sonderbarer
Zufall,
wenn
diese
Rechnung so glatt aufginge und keine Hexameter dagestanden hätten. Danach
oo
1 2 3. 4
9
wären
die
Hexameter
etwa
so
herzustellen:
αὐτὰρ ἐπεί σφιν ἔδοξε μετ᾽ ἀλλήλων ἀγ]ορεύειν, Χίλων ἦρχε λόγου Λακεδαίμονα πατρίδα ναίων, ὅς ποτε καὶ Πυϑοῖ τὸ σοφὸν ποτὶ νηὸν ἔγραψεν «ow... ... ... Pe [. eese ]εν [ ca. 6 ca. 6 7οί ca. 11 ]λεί ca. 12 ]e[ desunt 6 et 7
Ἰγνη[-1ε[- - - -- ] τάδ᾽ ἐβυ[σσοδόμε]υσᾳ, φᾳτ[ζω(ν)
...(.)] τ[6] τε μη[δὲν ἄγα]ν καὶ τὸ ἐγγύα, πάρα δ᾽ ἄτα.
Dafür, daB ein ununterbrochenes Zitat von Z.1—23 reicht, spricht schließlich noch folgendes: In Z. 24 wird mit “Ἕρμιππος δὲ... eine Erórterung fortgesetzt über den Urheber des Spruches γνῶϑι σεαυτόν, ohne daß 1 Wenn Z. 20£., was unsicher bleibt, φατίζω stand, wäre gegen gute HexameterTechnik
wohl
Interpunktion
und φατίζω anzusetzen.
(zum
mindestens
Komma)
zwischen
ἐβυσσοδόμευσα
118
Zur Geschichte vom Gastmahl der Sieben Weisen
dieser Spruch von neuem angeführt wird, — detin mit Recht haben N.-V. angenommen, daß αὐτὸ in 2.29 auf diesen Spruch geht. Daraus folgt,
wie ebenfalls die ersten Herausgeber schon gesagt haben, daB in den verlorenen
Zeilen
11—18
(also in dem
Hexameter
5, 6 oder 7, wahrschein-
lich am Hexameter-Ende) γνῶϑι σεαυτόν vorgekommen ist. Es scheint also, als ob es noch Chilon war, der auch die Sprüche μηδὲν ἄγαν und ἐγγύα,
πάρα δ᾽ ἄτα angeführt hat. Ob das dann in der Form geschehen ist: „nachdem ich dies bedacht habe, sage ich, daß diese Sprüche nicht so wichtig sind“,
oder
„daß
sie nur auf dasselbe
sich nicht sagen. Page (a.a. O. S. 517) meint, die Geschichte
der
Sieben
hinauslaufen''
diese Hexameter
Weisen
zurück,
wie
oder
sonstwie,
läßt
gingen letzten Endes
auf
sie sich im Anschluß
an
Platon, Protagoras p. 343A gebildet hätte. Ohne auf die Entwicklung der Legende erneut einzugehen, möchte ich zur Erwägung stellen, ob diese Hexameter nicht erheblich älter sind. In einem gelehrten 'ITraktat mit Zitaten aus Hermipp, Chamaileon und Klearch und mit der Weihinschrift des
Sodamos
nelle Sprache
würde
und
etwas
Rares
nicht
überraschen,
und
der einfache Stil klingen nicht nach
Die Skolia der Sieben Weisen,
die Diogenes
die konventio-
Hellenistischem.
Laertius überliefert, und die
nach Metrum und Inhalt kaum später als ins 5. Jh. gesetzt werden können, zeigen, daß es eine volkstümliche Literatur über die Sieben schon früh gegeben hat. In diese Literatur, von der uns das Certamen Homeri et Hesiodi am ehesten eine Vorstellung vermitteln kann, gehóren wohl auch diese Hexameter.
DIE
NACHRICHTEN UND
DIE
ÜBER
ANFÄNGE
PHILOSOPHIE-
UND
DIE
LEHREN
DES
THALES
DER
GRIECHISCHEN
LITERATURGESCHICHTE
Die Nachrichten über die Philosophie des Thales, die Diels in die „Vor-
SOokratiker
aufgenommen
hat, sind von
W. Kranz in der 5. Aufl.
um
folgendes Stück aus Aétius 4,2,1 (Doxogr. 386a 10) bereichert: 22a Θαλῆς ἀπεφήνατο πρῶτος τὴν ψυχὴν ἀεικίνητον ἢ αὐτοκίνητον. Wer
bedenkt,
was ψυχή
im frühen
Griechisch
bedeutet,
wird
zweifeln,
ob dies etwas mit Thales zu tun hat. Kranz setzt hinter dies Fragment: „Vgl. 24A 12"; dort wird nicht nur die Fortsetzung dieses Aétius-Stückes
gegeben, sondern vor allem die Fortsetzung einer Aristoteles-Stelle, die unmittelbar vor dem eben genannten neuen Fragment angeführt ist. Dort (es handelt sich um die Lehren des Alkmeon) ist die Aétius-Stelle richtig mit der Aristoteles-Stelle unter einer Nummer vereint, — sie hätte sogar fortgelassen werden
kónnen,
denn was Aétius gibt, ist einfach aus Aristo-
teles herausgesponnen, woran auch niemand zweifelt. Genauso ist es auch bei dem neu eingefügten Fragment; Aristoteles de anima A2, 405a 19 sagt: ἔοικε δὲ xal Θαλῆς, ἐξ ὧν ἀπομνημονεύουσι, κινητικόν τι τὴν ψυχὴν ὕὑπολαβεῖν, εἴπερ τὸν λίϑον ἔφη ψυχὴν ἔχειν ὅτι τὸν σίδηρον χινεῖ. Aristoteles sagt mit aller Deutlichkeit, daß ihm der Satz des Thales vorliegt: τὸν λίϑον (gemeint ist der Magnetstein) ψυχὴν ἔχειν, und daß er daran Betrachtungen anknüpft, die ihm für sein eigenes Philosophieren interessant sind, ob nämlich hier an das γνωριστικόν oder das χινητικόν der Seele gedacht sei. Alle Spekulationen darüber, daß von Thales die Seele als ein „Bewegendes“
gefaßt sei, gehen also auf Aristoteles zurück, haben aber mit Thales selbst nichts zu schaffen. Auch die Termini ἀεικίνητος und αὐτοκίνητος bei Aétius entstammen natürlich der peripatischen Sprache!. Genau das gleiche wie für den nunmehr unter der Nummer 22a für die Lehre des Thales aufgeführten Satz des Aétius gilt nun aber auch für seinen Satz, den schon Diels als Nr. 23 druckt: Θαλῆς νοῦν τοῦ κόσμου τὸν ϑεόν, τὸ δὲ πᾶν ἔμψυχον ἅμα καὶ δαιμόνων πλῆρες. 1 [Oder vielmehr, worauf
mich
E. Kapp
aufmerksam
macht,
schon
aus
Plat.
Phdr. 245 c 5, wo die Hss. ἀεικίνητον, Hermias und Pap. Ox. 1017 αὐτοχίνητον haben.) ! Die Fortsetzung berücksichtige ich hier nicht; sie wird schon von Diels als „Poseidonios‘“
beiseitegelassen.
Vgl.
dazu
K. Reinhardt, Kosmos
und Sympathie,
1926, 209. — Diels hat übrigens in den Doxographi p. 128 im Anschlu an Zeller den Sachverhalt vollkommen richtig erklärt (auch Kranz in der kleinen Ausgabe
120
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
Hier ist wieder Aristoteles x. ψυχῆς die Quelle (A 5, 411a7 = Vors. 11 A 22): καὶ ἐν τῷ ὅλῳ δέ τινες αὐτὴν (τὴν ψυχὴν) μεμεῖχϑαί φασιν, ὅϑεν ἴσως καὶ Θαλῆς φήϑη πάντα πλήρη ϑεῶν εἶναι. Aristoteles stellt die Möglich-
keit hin, sich vorzustellen, daß die ψυχή dem „Ganzen“ beigemischt sei, und sagt, aus dieser Vorstellung heraus hätte Thales vielleicht(I) gesagt, alles sei voll von Göttern. Es ist offenbar, daß hier das dem Aristoteles vorliegende Thaleswort nur lautete: πάντα πλήρη ϑεῶν εἶναι, und daß alles
andere seine eigene Überlegung ist. Aus den Worten des Aristoteles ist dann aber herausgesponnen, was wir bei Aétius lesen, Thales hätte gelehrt, daB alles beseclt und Gott der νοῦς κόσμου sei. Auch das fr. 23 ist also wertlos
für unser Wissen über Thales. (Diels fügt noch eine Cicero-Stelle hinzu, die erst recht unsinnig ist.)
Für die philosophische Bedeutung des Thales geben die beiden Sätze, die Aristoteles ihm zuschreibt, höchstens etwas Negatives aus: Daß alles voll von Göttern sei, und daß der Magnet beseelt, d. ἢ. lebendig sei, — diese beiden Behauptungen zeigen, wie wenig „naturwissenschaftlich‘“
noch das Denken des Thales ist. — Für die Bezeugung dieser Sätze des Thales ist es wichtig, daß Aristoteles zum mindesten für den zweiten Satz ausdrücklich angibt, daß er ihn nicht etwa aus einer Schrift des Thales selbst entnommen hat (ἐξ ὧν ἀπομνημονεύουσὼ. Es bleibt nun noch ein einziger Satz des Thales in unserer Überlieferung, der philosophisch bedeutsam ist, wenn wir einmal absehen von dem, was ihm an mathematischen und astronomischen Entdeckungen zugeschrieben wird:
das ist der Satz, daB er das Wasser als die ἀρχή gesetzt hätte.
die Überlieferungsgeschichte dieses Satzes aufzuhellen, wird uns Erörterte gleich noch nützlich werden. Zuerst erwähnt wird er von Aristoteles Metaphys. A 3, 983b 11 A 12). Aristoteles knüpft daran eigene Vermutungen, wie dieser Lehre gekommen sei (λαβὼν ἴσως(1) τὴν ὑπόληψιν ταύτην
Um
das bisher 21 (Vors. Thales zu ἐκ. ..... )-
läßt richtig alles Abgeleitete fort) — doch in den Vorsokratikern hat er sich nicht entschließen können, konsequent danach zu verfahren. Völlig Wertloses sollte man viel entschlossener beiseitelassen, wie z. B. das törichte Epigramm des Diogenes Laertios, das einfach eine Legende voraussetzt, die Diogenes gerade erzählt hat: diese Legende selbst erscheint dreimal (I 72, 10; 72, 29; 73, 10) und so fort! Was
aber wichtig wäre, die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den verwandten Nachrichten klar zu bezeichnen — das fehlt in bei weitem den meisten Fällen. Dabei wäre es nicht einmal richtig, alle Nachrichten, die aus uns erhaltenen abgeleitet sind, einfach fortzulassen: die Mißdeutungen aus der Antike müßten in den A-Abschnitten (Leben und Lehre) aufgeführt werden, damit man das Nachleben der Philosophen überblickt. Aber immer muß angegeben werden, woran der Irrtum anknüpft. Häufig genügen da auch bloße Hinweise; allerdings müssen dann solche Hinweise auch mit in das Autoren-Register aufgenommen werden, — Was Kranz neu eingefügt hat, ist auch sonst nicht immer eine Verbesserung: was er 31 A 34 hinzusetzt, stand bei Diels schon unter 31 A 43 und steht nun bei Kranz zweimal.
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
121
Wieder finden wir, daß dies in die doxographische Tradition kurzerhand mit aufgenommen ist (A13 — Doxogr. 475,1). Für Aristoteles bleibt also als Grundlage für seine Vermutung nur wieder ein kurzer Satz: τὴν ἀρχὴν ὕδωρ εἶναι, woran er dann allerdings beiläufig noch einen anderen Satz knüpft, der ihm ebenfalls als thaletisch gilt: τὴν γῆν ἐφ᾽ ὕδατος εἶναι und den er in etwas anderer Form auch in der Schrift de caelo B 13, 294a 28
anführt: τὴν γῆν ἐφ᾽ ὕδατος κεῖσθαι. Wieder sagt Aristoteles deutlich, daß er den Satz τὴν ἀρχὴν ὕδωρ εἶναι nicht aus einer Schrift des Thales selbst kennt: Diese Bemerkung, die für die Beurteilung der Überlieferung des Satzes sehr wichtig ist, findet sich nun allerdings gerade nicht in den ,,Vorsokratikern", denn der Passus aus der Metaphysik ist nicht weit genug ausgeschrieben: 984b 3 heißt es weiter: Θαλῆς μὲν λέγεται οὕτως ἀποφήνασθαι περὶ τῆς πρώτης αἰτίας. Daß die Nachricht, Thales habe das Wasser für die ἀρχὴ gehalten, schon bei früheren
mündlicher
Autoren
stand,
Tradition
kennt,
daß
sie Aristoteles
geht
hervor
aus
also
nicht
983b 28
etwa
nur
(Vors.5
aus
177,7):
εἰσὶ δέ τινες ol xal τοὺς παμπαλαίους xal πολὺ πρὸ τῆς νῦν γενέσεως καὶ πρώτους
ϑεολογήσαντας οὕτως (d.h. wie Thales) οἴονται περὶ τῆς φύσεως ὑπολαβεῖν" Ὠκεανόν τε γὰρ καὶ Τηϑὺν ἐποίησαν τῆς γενέσεως πατέρας (womit auf & 201 angespielt ist) καὶ τὸν ὅρκον τῶν ϑεῶν ὕδωρ, τὴν καλουμένην ὑπ᾽ αὐτῶν Στύγα τῶν ποιητῶν" τιμιώτατον μὲν γὰρ τὸ πρεσβύτατον, ὅρκος δὲ τὸ τιμιώτατόν ἐστιν. Wer sind nun aber diese, die die Lehre des Thales so mit der mythologischen Spekulation verknüpft haben? Diels-Kranz schweigen darüber. Andere (z.B. Tredennick in der Loeb-Ausgabe der Metaphysik) weisen auf Platons Kratylos 402 B und Theätet 152E und 180 CD; vgl. auch 160 D. Nun sind die Theätet-Stellen nur eine Wiederaufnahme der KratylosStelle,
und
sie alle erwáhnen
nichts
von Thales. Aber
in der Tat berührt
sich die Kratylos-Stelle mit dem, was Aristoteles sagt. Es heißt da: Heraklit verkündet
mit
Rhea
und
dem
diese
Namen
seiner Fluß-Lehre
Kronos gegeben,
eine
ihre Namen um
damit
alte Weisheit;
gaben,
auf das
haben ,FlieBen''
diejenigen,
offenbar
die
der
mit Absicht
anzuspielen,
ὥσπερ
αὖ Ὅμηρος ᾿Ωχκεανόν τε ϑεῶν γένεσίν φησι, καὶ μητέρα Τηϑύν᾽ οἶμαι δὲ καὶ Ἡσίοδος. λέγει δέ που καὶ ᾿Ορφεὺς (fr. 15 Kern, vgl. auch fr. 16) ὅτι ᾿᾽Ωχεανὸς πρῶτος καλλίρροος ἦρξε γάμοιο,
ὅς da κασιγνήτην ὁμομήτορα Τηϑὺν ὄπυιεν. ταῦτ᾽ οὖν σκόπει ὅτι καὶ ἀλλήλοις συμφωνεῖ καὶ πρὸς τὰ τοῦ ἩΗραχλείτου πάντα τείνει. Hier also wird wie bei Aristoteles
der Homer-Satz,
Okeanos
sei γένεσις
ϑεῶν als Vorläufer philosophischer Lehren angesehen, und daß Aristoteles 1 Er wiederholt es de caelo B 13 = Vors.5 A 14: ... τόν λόγον, ὃν φασιν εἰπεῖν Θαλῆν.
122
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
nicht nur an Homer, sondern auch an die von Platon zitierten Hesiod und Orpheus denkt, wenn er die παμπαλαίους καὶ πρώτους ϑεολογήσαντας nennt, ist offenbar. Daß aber Aristoteles bei den τινές nicht (oder jedenfalls
nicht in der Hauptsache) an Platon denkt, ist schon deswegen sicher, da bei Platon nicht die Philosophie des Thales, sondern die Heraklits zum Richtpunkt genommen ist. Die Frage ist nun, ob die Verbindung dieser mythologischen Spekulation mit Thales oder die mit Heraklit das Ursprüngliche ist, das heißt also: entweder hat vor Platon jemand behauptet: Thales knüpft an Homer usw. an, und dann hat Platon im Kratylos diesen Gedanken abgewandelt und auf Heraklit angewandt, Aristoteles hat aber auf diese vorplatonische Behauptung zurückgegriffen; oder aber Platon hat zuerst Homer, Hesiod und Orpheus mit Heraklit verbunden, nach ihm hat jemand das auf Thales übertragen, und auf diesen bezieht sich Aristoteles. — Daß die erste Alternative richtig ist, wird schon dadurch nahegelegt, daß Platon nur ein scherzendes Spiel treibt. Es wäre merkwürdig, wenn ein Witz Platons später zurechtgebogen wäre zu einer sehr bemerkenswerten Feststellung über die Geschichte der frühen Philosophie, die Aristoteles aufnehmen konnte, und die bis in die moderne Philosophiegeschichte hinein ihre Bedeutung behalten hat. Und eine etwas genauere Interpretation bestätigt es, daß Aristoteles den ursprünglichen und sinnvolleren Zusammenhang gibt. Der Hinweis Platons auf Homer, Hesiod und Orpheus fällt dadurch aus dem Zusammenhang, daß ihre Verse keinen Stoff zu dem scherzhaften Etymologisieren geben,
das Platon
plötzlich nicht mehr um
kurz vorher und nachher treibt, daß es also
die Sprache, sondern um
die Sache geht. Aber
auch sachlich geben die Verse nicht ganz das her, was Platon mit ihnen beweisen möchte, denn er will hinaus auf Heraklits Lehre, daß alles fließt—
das läßt sich zwar dadurch als alte Lehre behaupten, daß die Namen Kronos und Rhea mit ῥέω in Verbindung gebracht werden, aber nur in indirekterer Weise
durch
den
Hinweis
darauf,
daß
der Okeanos
für die γένεσις ϑεῶν
gehalten sei. Mit gutem Grund zitiert deshalb Platon auch nur die OrpheusVerse ausführlich, in denen der Okeanos xadAlppoog genannt wird, — das
ist die einzige direkte Beziehung zu dem ῥεῖν, die Platon diesen Zitaten entnehmen kann. Für den Vergleich mit Thales, der das Wasser für die ἀρχὴ erklärt hat, gibt dagegen der Hinweis auf Homer (5 201), Hesiod (Theog. 337?) und Orpheus (Vors.5 1B 2 = 15 Kern), die alle von der
Stellung des Okeanos in ihrer mythischen Genealogie sprechen, das Einfache, Treffende und Richtige:
Okeanos
ist der „Anfang“,
wie für Thales
das Wasser. Es ist also klar, daß Platon einen ursprünglichen Zusammenhang, wie er bei Aristoteles getreu wiedergegeben ist, scherzhaft abgewandelt hat; das heißt also, daß es eine vorplatonische Schrift gegeben
hat, in der die philosophische Spekulation des Thales an die frühe theo-
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
123
gonische Dichtung geknüpft war, und es fragt sich nun, ob wir diese Schrift näher bestimmen können!. Da hilft uns eine Notiz bei Diogenes Laertius. Diese Notiz wird allerdings erst verständlich, wenn wir kurz betrachten, wie die doxographische Tradition über Thales eingegangen ist in die biographische Tradition. Wir besitzen zwei kurze Thales-Biographien, die beide aus dem Onomatologos des Hesych abgeleitet sind: eine bei dem sog. Suidas (Vors.® 11 A 2), die andere aus den Platon-Scholien (ebd. 3)%. Die gleiche biographische, Tradition liegt nun aber auch Diogenes Laertius zugrunde, obwohl dieser das Zusammengehörige oft durch Einschübe zerrissen hat. Wenn wir von rückwärts beginnen, so zeigen die drei Biographien ihre Zusammengehörigkeit schon dadurch, daß sie wörtlich übereinstimmend die Legende vom Tod des Thales erzählen: ἐτελεύτησε γηραιὸς γυμνικὸν ἀγῶνα ϑεώμενος ὑπὸ καύματος ἐκλυϑείς (mit kleinen Varianten, die ich übergehe); allerdings hat
nur das Platon-Scholion die Stellung ganz am Ende bewahrt, Suidas und Diog. Laert. haben die Nachricht vom Tode etwas nach vorn gerückt®. Noch auffallender ist, daß in allen drei Biographien gegen Endet gesagt wird, der Spruch des Thales sei γνῶϑι oauröv®. Davor stehen nun die uns interessierenden doxographischen Notizen: Der Platon-Scholiast, der sie reiner bewahrt hat als Suidas, gibt folgendes: ἀρχὴν δὲ τῶν στοιχείων τὸ ὕδωρ. τὸν δὲ κόσμον ἔμψυχον ἔφη καὶ δαιμόνων πλήρη. ἐπαιδεύϑη ἐν Αἰγύπτῳ ὑπὸ τῶν ἱερῶν. Dem entspricht genau der Anfang von Diog. Laert. 1, 27 (Vors.5 168 28f., nur ein kleiner Einschub ist dazwischengetreten):
ἀρχὴν
δὲ τῶν πάντων ὕδωρ ὑπεστήσατο, καὶ τὸν κόσμον ἔμψυχον καὶ δαιμόνων πλήρη . οὐδεὶς δὲ αὐτοῦ καϑηγήσατο, πλὴν ὅτι εἰς Αἴγυπτον ἐλθὼν τοῖς ἱερεῦσι συνέτριψεν.
Wichtig für uns ist, daB der Thales-Satz πάντα δαιμόνων πλήρη
hier zusammen erscheint mit der Erweiterung τὸν χόσμον ἔμψυχον, den wir als Deutung des Aristoteles kennengelernt haben: Aristoteles hatte dem Satz entnommen, Thales hätte gemeint τὴν ψυχὴν ἐν τῷ ὅλῳ μεμεῖχϑαι (de ı Von vornherein sei nachdrücklich betont, auf das kurze Stück des Kratylos beschränkt,
daß sich diese Untersuchung nur das deutlich als Einlage in einem
anderen Zusammenhang kenntlich ist, daß sich also gerade nicht von hier aus die so viel gesuchte „Quelle“ für Platons Etymologisieren finden läßt.
3 In den Vorsokratikern wird zwar behauptet, nur der erste Teil der Suidas-Vita stamme aus Hesych. Allein, im zweiten Teil sind die Beziehungen zu dem PlatonScholion ebenso nahe wie im ersten: in beiden Texten steht, Thales sei zuerst ,,weise'*
genannt, habe die Sonnenfinsternisse und die Tag- und Nachtgleiche berechnet, ihm gehöre der Spruch γνῶϑι σαυτόν. ® Daß die Stellung am Ende ursprünglich war, zeigt ein Vergleich mit den übrigen Hesych-Biographien
* der 5 tene
der
Sieben
Weisen,
auf die ich hier nicht eingehe.
Bei Suidas und Diog. Laert. ganz am Schluß, bei dem Platon-Scholion vor Erwähnung des Todes. Bei Suidas und Diog. Laert. treten dazu noch Bemerkungen über die umsttitUrheberschaft des Spruches. Daß jeweils der Hauptspruch gegen Ende erwähnt
wird, zeigen auch die Hesych-Viten der anderen Weisen.
124
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
anima 411a 7: Vors.5 11 A 22, s.o. δ. 120); das war dann aber in der doxo-
graphischen Tradition einfach als Lehre des Thales selbst aufgenommen, und zwar in der Form τὸ πᾶν ἔμψυχον (Akt. 1,7,11 = Vors 11 A 25). Diese entstellende doxographische Tradition ist also in die biographische Tradition eingegangen. Jetzt kommen wir zu dem Wichtigsten: Vor dem zuletzt Zitierten steht bei dem Platon-Scholiasten: ἀλλὰ καὶ ἄψυχα ψυχὴν ἔχειν ὁπωσοῦν ἐκ τῆς μαγνήτιδος καὶ τοῦ ἠλέκτρου. Hier ist wieder das, was Aristoteles als Wort des Thales fand, zusammengezogen mit einer Ausdeutung, die freilich anders ist als die bei Aristoteles: Der Thales-Satz besagte nur, daß der Magnetstein beseelt sei, daraus hatte Aristoteles geschlossen, daß Thales hier die Seele als ein κινητικόν gefaßt hatte. Hier
ist vorsichtiger gesagt: Thales lehrte, daß auch Unbeseeltes beseelt sei, — wogegen nicht einmal viel zu sagen ist, wenn man dabei an nichts anderes denkt, als eben nur an den Magnetstein und den Bernstein (den Bernstein erwähnt übrigens Aristoteles nicht). Genau das gleiche findet sich nun aber auch bei Diogenes vor dem zuletzt ausgeschriebenen Stück, allerdings durch einen größeren Einschub davon getrennt und dann um etwas Wichtiges erweitert (cap. 24): ᾿Δριστοτέλης δὲ καὶ ᾿ἱππίας φασὶν αὐτὸν καὶ τοῖς ἀψύχοις μεταδιδόναι ψυχῆς, τεχμαιρόμενον ἐκ τῆς λίϑου τῆς μαγνήτιδος καὶ τῆς ἠλέκτρου. Hier erscheint also Hippias neben Aristoteles als Zeuge. In einem Stück, das aus der doxographischen Tradition in die biographische Tradition aufgenommen ist (das stellt die Hesych-Vita in den Platon-Scholien sicher), erscheint also plötzlich ein Gewährsmann, der älter ist als Aristoteles. Man wird das am ehesten so erklären, daß Hippias von einem der doxographisch Interessierten, vielleicht von Theophrast selbst, nachgeschlagen und sein Name zu dem des Aristoteles gesetzt ist. Vollkommen deutlich ist aber, daß Hippias nun nicht etwa gesagt hat, was in den Vorsokratikern als fr. 7 des Hippias aus dieser Stelle gemacht wird (86B 7): er hätte gesprochen „über die Lehre des Thales von der Psyche des Alls“. Erstens steht bei Diog. Laert. überhaupt nichts von der „Psyche des Alls*; die Behauptung, Thales hätte von der Psyche des Alls gesprochen, stammt vielmehr aus der aristotelischen Ausdeutung des Satzes: alles ist voll von Göttern, hat also mit dem Satz vom Magneten nichts zu tun. Zweitens aber ist es höchst ungewiß, ob Hippias überhaupt mehr als Lehre des Thales gegeben hat als das, was Aristoteles gibt, nämlich den einfachen Satz, daß der Magnetstein eine ψυχή habe. Möglich ist es, daß Hippias auch den Bernstein erwähnt hat, möglich ist auch, daB er gesagt hat, T'hales hat
Unbeseeltes
als beseelt
bezeichnet
(denn
mehr
braucht
τοῖς
ἀψύχοις
μεταδιδόναι ψυχῆς nicht zu besagen), aber schon das ist dieser doxographischen Tradition, die so leichtfertig kompiliert, nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Wie dem auch sei, jedenfalls begegnet uns hier ein Satz des Thales,
den Aristoteles anführt,
bei einem
früheren
Schriftsteller,
und
da
Aristoteles selbst wiederholt angibt, er kenne die Worte des Thales nicht
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
mehr
aus einer Schrift des Thales
125
selbst, so haben wir hier einen Autor,
aus dem er den Satz über den Magnetstein entnehmen konnte. Da erhebt sich die Frage, ob Hippias vielleicht der zuvor von uns gesuchte vorplatonische Autor ist, der den Satz des Thales, das Wasser sei die ἀρχή, zusammengestellt hat mit den theogonischen Spekulationen von Homer, Hesiod und Orpheus. Diese Frage läßt sich mit aller wünschenswerten Wahrscheinlichkeit bejahen, denn Clemens Strom. 6, 15 zitiert die folgende Einleitung aus einem Werk des Hippias (Vors.® 86B 6 = FGrHlist. 6 F 4): τούτων ἴσως εἴρηται, τὰ μὲν Ὀρφεῖ, τὰ δὲ Μουσαίῳ κατὰ βραχὺ ἄλλῳ ἀλλαχοῦ, τὰ δὲ ᾿Ησιόδῳ τὰ δὲ .Ομήρῳ τὰ δὲ τοῖς ἄλλοις τῶν ποιητῶν, τὰ δὲ ἐν συγγραφαῖς τὰ μὲν “Ἕλλησι, τὰ δὲ βαρβάροις" ἐγὼ δὲ ἐκ πάντων τούτων τὰ μέγιστα xal ὁμόφυλα συνθεὶς τοῦτον καινὸν καὶ πολυειδῆ τὸν λόγον ποιήσομαι. Wenn Hippias hier verspricht, aus Orpheus, Musaios, Hesiod und Homer und ferner aus Prosaschriften das Wichtigste und Verwandte zusammenzustellen!, so paßt das so haargenau auf die Schrift, die Platon und Aristoteles benutzt haben, daB kein Zweifel möglich ist: es ist eben die Schrift des Hippias, aus deren Einleitung dieser Satz stammt. Damit
ist also bewiesen, daß zwei der Sätze, die Aristoteles von Thales
kennt, schon bei Hippias gestanden haben. Ob auch der dritte, daß alles voll von Góttern sei, bei Hippias vorkam, ist damit noch nicht gesagt. Auch ist unsicher, ob Hippias die einzige Quelle des Aristoteles für die beiden Sätze war?. Jedenfalls aber ergibt sich, daB jetzt die älteste Nachricht über den ältesten Satz der europäischen Philosophie etwa 100 Jahre hinaufrückt,
—
von
ihrem
Autor
bleibt
sie allerdings
auch
damit
noch
reichlich 150 Jahre entfernt. Mehr Interesse weckt es vielleicht noch, daß jetzt das im Kratylos erhaltene Orpheus-Zitat beträchtlich älter wird, ja zum ältesten wörtlichen Zitat aus orphischer Dichtung aufrückt, obwohl das fr. 6 von Hippias ja schon zeigte, daß der Sophist sich mit Versen des Orpheus beschäftigt hat*. Mehr gewinnen wir für Hippias selbst. Doch zunächst noch ein Wort über den Anfang des neuen Fragments. Aus Platon sehen wir, daß Hippias den Ilias-Vers Ξ 201, eine Hesiod-Stelle (was allerdings etwas zweifelhaft ist, s.u.) und die zwei Orpheus-Verse wórtlich angeführt haben muß. Wenn Hippias neben Platon die einzige Quelle für Aristoteles in der Metaphysik wäre, so müßte auch bei Hippias gestanden haben, Thales hätte gelehrt τὴν γῆν ἐφ᾽ ὕδατος εἶναι (oder κεῖσϑαι, wie Aristoteles in der Schrift de caelo zitiert). Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, 1 [Vgl.
Entdeckung
des
Geistes?*, 1955,
164.
—
Zu
Plat. Apol.
41 A verweist
E. Kapp auf die alberne Nachahmung des Kerkidas b. Aelian (FGr Hist. 1 T 8).] * Möglich ist immerhin, daß das τινές bei Aristoteles nur auf Hippias und Platons Kratylos geht, aber vielleicht kannte Aristoteles auch noch áltere Autoren, die die Lehren des Thales erwähnten. * Kern erwáhnt das Hippias-Zitat in seinen Orphicorum fragmenta weder bei den Zeugnissen für die Schriften des Orpheus (65) noch bei den Autoren, die über
Orpheus geschrieben haben (69).
126
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
daß Hippias auch diesen Satz mitgeteilt hat. Denn Aristoteles, dem es nur auf die Erörterung der ἀρχή ankommt, sagt mit einer zum mindesten nicht ganz klaren Begründung: Thales setzt das Wasser als &pyn, deswegen (1) behauptete er auch, daß die Erde auf dem Wasser ruhe. Für Hippias aber war diese Tatsache bedeutsamer: wenn er das Homer-Wort von dem Okeanos als γένεσις ϑεῶν anführte, um zu zeigen, wie es zusammenhing mit dem
Thales-Satz vom Wasser als ἀρχή, so konnte der vorhergehende Vers (Ξ 200) den Zusammenhang noch klarer erweisen: εἶμι γὰρ ὀψομένη πολυφόρβου πείρατα γαίης,
᾿Ωχεανόν τε, ϑεῶν γένεσιν, καὶ μητέρα Τηϑύν. Da zeigte sich, daß schon bei Homer die Erde vom Wasser umgeben ist!. Da so der Satz des Aristoteles, Thales hätte die Erde auf dem Wasser auf-
ruhen
lassen, in dem
für Hippias
erschlossenen
Gedankengang
bedeut-
samer ist als für Aristoteles selbst, so wird es nur desto wahrscheinlicher,
daB Hippias hier die Hauptquelle für Aristoteles ist. Aristoteles fährt fort, jene von ihm als τινές Bezeichneten darauf verwiesen,
daß
die
„ganz
Alten‘‘
beim Styx) schwören ließen; wobei man
die
Götter
beim
hätten auch Wasser
(d.h.
schwöre, sei aber das besonders
Ehrwürdige, besonders ehrwürdig sei aber das Älteste, — so sei das Wasser
für das Älteste gehalten. Da Aristoteles hiermit seinen vorigen Satz einfach fortsetzt, hat es wohl eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß auch hier Hippias zugrunde liegt, beweisen läßt es sich aber nicht. Danach würde also das neugewonnene Hippias-Fragment etwa so zu drucken sein, ohne daß natürlich der genaue Wortlaut herzustellen ist (in runde Klammern
setze ich dabei das, was sich nur mit Wahrscheinlichkeit
auf Hippias zurückführen läßt, in spitze das, was notwendig zu ergänzen ist, um den Zusammenhang zwischen dem bei Plat. Crat. 402 B und Aristot.
Metaph. 983b 21ff. Überlieferten herzustellen): Θαλῆς {μὲν εἶπεν ἀρχὴν τῶν πάντων ὕδωρ εἶναι (καὶ τὴν εἶναι), Ὅμηρος δὲ (Ξ 200)
γῆν ἐφ᾽ ὕδατος
(εἶμι γὰρ ὀψομένη πολυφόρβου πείρατα γαίης) ᾿Ωχεανόν τε ϑεῶν γένεσιν καὶ μητέρα Τηϑύν,
καὶ 'Hoío8oc (theog. 337) ( Τηϑὺς δ᾽ ᾿Ωκεανῷ ποταμοὺς τέκε divnevrac’)? ! Die
Wasser tungen Mallos 3 Die
Homer-Scholien
erinnern
nur
zu
dem
zweiten Vers
an
die
Lehre,
das
sei das Ur-Element. Porphyrius aber knüpft an den ersten Vers lange Betrachüber die πείρατα. [Vgl. die Genfer Ilias-Scholien zu ® 196 aus Krates von (32a Mette) mit Xenoph. fr. 30.] Erwähnung Hesiods im Kratylos bezieht man allgemein, soweit ich sche,
auf diesen Vers; das ist sehr unsicher, aber auch ich wüßte keine passendere Stelle
herbeizuziehen. Möglich wäre natürlich auch, daß Platon den Hesiod fälschlich hereingebracht hat. Noch eher könnte man daran denken, daß das dürre οἶμαι
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
127
καὶ 'Opotóc (fr. 15 Kern = Vors.^ 1 B 2) "Oxeavds πρῶτος καλλίρροος ἦρξε γάμοιο, ὅς $a κασιγνήτην ὁμομήτορα Τηϑὺν ὄπυιεν᾽. (ἐποίησαν δὲ καὶ (ol παμπάλαιοι) τὸν ὄρχον τῶν ϑεῶν ὕδωρ τὴν καλουμένην ὑπ᾽ αὐτῶν Στύγα τῶν ποιητῶν. τιμιώτατον μὲν γὰρ τὸ πρεσβύτατον, ὄρκος δὲ τὸ τιμιώτατόν ἐστιν). Damit gewinnt Hippias nun aber eine ganz neue Bedeutung. Zum ersten Mal wird hier eine philosophische Lehrmeinung zitiert, nicht um sachlich zu ihr Stellung
zu nehmen,
das heißt, um
sie aufzunehmen
oder um
sie
zu bekämpfen, sondern um etwas über ihren Ursprung zu sagen, nicht also aus philosophischem, sondern aus philosophiegeschichtlichem Interesse. Man war bisher geneigt, in dem 6. Fragment des Hippias nichts anderes zu sehen als ein Zeugnis dafür, daß die Schrift, aus deren Einleitung es stammte, eine bloße Kompilation aus fremden Werken war. Hippias hätte das wohl kaum so stolz angekündigt. Nein, wenn er sagt: „Was ich hier vorbringe, ist vielleicht kurz von dem oder jenem Schriftsteller gesagt, — ich stelle aus all dem das Wichtigste und Zusammengehörige zusammen und
mache
er nur dann
daraus dies neue vielgestaltige Buch‘,
ein Resümee sagen
können,
fremder
Darlegungen
daß es „kurz“
so meint
er nicht, daß
geben wolle, — wie hätte er
(κατὰ βραχύ)
von anderen
gesagt
sei,
da hätte es doch heißen müssen: was andere lang gesagt haben, will ich kurz sagen! Was er meint, wird überhaupt erst klar aus den Beispielen, die wir kennengelernt haben. Homer und Orpheus haben in den angeführten Versen wirklich nur „kurz“ etwas gesagt, dem Hippias erst dadurch, daß er es mit „Verwandtem‘‘ zusammenrückt, die rechte Bedeutung gibt. Das Buch war mehr eine Blumenlese als eine Kompilation, aber Hippias hat
die
Zitate
nicht
sinnlos
nebeneinandergereiht,
sondern
der
Witz
ist
gerade, daß das Nebeneinanderstellen wichtige Zusammenhänge offenbarte, die — das können wir allerdings nur vermuten — doch wohl von Hippias auch ausdrücklich hervorgehoben sind, und sei es auch nur in der Form: dieselbe Meinung hatte auch schon N. N., wenn er sagte ... Auf diese Form läßt οὕτως οἴονται ὑπολαβεῖν bei Aristoteles und λέγει δὲ xal ᾿Ορφεύς im Kratylos schließen. Damit ist aber die Grundform des doxographischen Berichts geschaffen. Hippias steht also am Anfang der Philosophiegeschichtsschreibung, und seine Entdeckung, daß Thales an mythische Spekulationen anknüpft, trifft etwas außerordentlich Wichtiges und durchaus
Richtiges, wenn er selbst vielleicht auch nur in aller Kürze gesagt hat: Thales hielt das Wasser für die &py?, Homer und Orpheus sagten dasselbe. Und da von den drei Nachrichten über die philosophischen Ansichten des δὲ xal 'Hoío8oc bei Platon interpoliert ist, obwohl damit eine Beziehung zu Hippias fr. 6 verlorenginge. Am ehesten handelt es sich um ein verlorenes Pseudo-Hesiodeum.
128
Die Nachrichten über die Lehren des Thales usw.
Thales zwei auf Hippias zurückgeführt werden können, hat er für die Doxographie über die frühesten Philosophen vielleicht eine noch größere
Rolle gespielt, als sich jetzt erkennen läßt. Über seine Quellen bleiben wir leider im Unsicheren. Nun beschränkte sich das Buch des Hippias gewiß nicht auf Beobachtungen über philosophisch interessante Dinge, und wenn er einzelne Stellen aus verschiedenen
Dichtern
oder
Prosaikern
zusammenstellte,
kam
dabei
sicher vor allem das zur Sprache, was wir zur Literaturgeschichte rechnen würden,
—
vielleicht auch
mancherlei
Grammatisches,
denn
wir wissen,
daß Hippias für dergleichen Interesse gehabt hat. Am ehesten darf man sich das Werk vielleicht in der Art der Noctes Atticae von Gellius vorstellen, wo
so oft einzelne
Stellen von
verschiedenen
Autoren
nebenein-
andergestellt und verglichen werden. Zu den Verdiensten, die dem Hippias immer für die Geschichtsforschung zugesprochen sind, tritt also hinzu, daB er als erster auch Philosophiegeschichtliches und Literaturgeschichtliches geschrieben hat und daß er damit am Anfang zweier wichtiger historischer Disziplinen steht!. 1 [Der Satz des Thales, das Wasser sei die Arché, und das Homer-Zitat erscheinen
nebeneinander auch in den Scholien zu Pindar OL 1, 1: ἄριστον μὲν ὕδωρ. Thales wird genannt in dem kurzen Scholion 1d; 1e zitiert Ξ 201, weist jedoch nicht auf Thales, sondern etórtert ausführlich die vier Elemente und ihre Entstehung aus dem Wasser (mit Anspielung auf die Lehre des Anaximenes). Das entspricht
der Art des Hippias, aber wir haben keinen Anhalt, es auf Hippias selbst zurückzuführen, zumal die spátere Doxographie dies Schema immer wieder variiert und erweitert. Ich verzichte darauf, die weiteren Stellen zu besprechen, wo OL. 1, 1 in ähnlichem Zusammenhang zitiert wird — cine genauere Analyse könnte
vielleicht noch weiter führen. Dabei hätte man auch auf Chrysipp und auf die von ihm abhängigen Gnomologien einzugehen. Daß Hippias für die Geschichte der Mathematik ein Vorläufer Eudems war, zeigt Eudems fr. 133 führlich von Thales, so u. 135 W.) steht, wohl Hippias die Meinung,
(p. 54,23 Wehrli, vgl. auch p. 114). Dabei spricht er ausdaß auch das, was unter 11 A 20 bei Diels aus Eudem (fr. 134 auf Hippias zurückgeht. Eudem fr. 150 W. übernimmt aus daß Homer an den Anfang aller Genealogie den Okeanos
und die Tethys gestellt hätte. Zu Hippias als Philosophie-Historiker vgl. jetzt C. ]. Classen, Philologus 1965, 175.]
DIE
SPRACHE
HERAKLITS
Geschichte der Philosophie ist im Altertum mit einem merkwürdigen Mangel an fruchtbaren Ideen getrieben worden. Aristoteles war der erste, dem die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Philosophierens als solche bedeutsam war, und in der Schule des Aristoteles hat die Philo-
sophiegeschichte dann gleich die für das spätere Altertum maßgebende Gestalt gewonnen. Dies schließt nicht aus, daß man auch gelegentlich das einmal gegebene Schema durchbrach, oder daß man sich des Schematisierens bewußt sein konnte — im großen und ganzen stand die Auffassung, die man in der Antike von der Entwicklung des griechischen Denkens hatte, durchaus unter dem Bann aristotelischer Anschauungsweise. Wie Aristoteles alles organische Wachsen aus einer inneren Entelechie heraus zu begreifen suchte, so sah er auch in dem Sich-Entwickeln der Philosophie bestimmten,
das allmähliche Heranreifen zu dem ihr eigenen τέλος, zur in ihr liegenden Vollendung, wobei sich ihm natürlich sein
‚ eigenes Denken als dieses Ziel darstellte. So überschaute Aristoteles die Geschichte der Philosophie von dem Problemkreis aus, der für ihn die Weltbetrachtung bestimmte — also aus naturwissenschaftlich-logisch geschultem Geist heraus, und die früheren Philosophen mußten als bloße Entwicklungsstufen zu diesem bestimmten τέλος der aristotelischen Philosophie erscheinen. Dadurch wurde der Eigenart der persönlichen Fragestellung Gewalt angetan. Noch stärker wirkte sich dies dadurch aus, daß die Auffassung von einer solchen Entelechie der Philosophiegeschichte den Akzent durchaus auf die Entwicklung der Probleme legte. So erschien die Philosophiegeschichte als eine Entwicklung von bestimmten Problemlösungen, z.B. von Ansichten über die ἀρχὴ des Seins, das Wesen der Materie usw., bei denen es auf den Philosophen, der diese Meinung geäußert hat, gar nicht ankam. — Diese Betrachtungsweise ist durchaus griechisch; sie ist tief verwurzelt in der Art, wie die Griechen die Persönlichkeit auf-
faßten. Wenn wir uns also nun ein Bild von Heraklit machen wollten und dabei nur die doxographische Literatur zur Verfügung hätten, so würden wir ihn zunächst nur als einen aristotelischen Wissenschaftler primitiver Stufe kennenlernen — aber auch dabei nur von bestimmten Lehrmeinungen hören, die er über ganz bestimmte, von Aristoteles für besonders wichtig geachtete Probleme geäußert hat. Um es einmal kraß zu sagen: Wir bekämen nur trockene Antworten auf Fragen, die er nicht einmal gestellt hatte. 9
8496
Snell, Ges. Schriften
130
Die Sprache Heraklits
Aber zum
Glück besitzen wir bei späteren Schriftstellern überlieferte
Sätze aus der Schrift des Heraklit. Es ist ein ungeheurer Gewinn, daß wir durch diese Zitate unmittelbar an die heraklitische Prägung des Gedankens herankommen — wenn es im Einzelfall auch nicht immer leicht sein mag, das wirklich Authentische
herauszuschälen.
Und
aus diesen
Bruch-
stücken echter heraklitischer Sprache können wir nun unsererseits versuchen, von neuem und in anderem Sinne als die antike Doxographie uns ein Bild von Heraklits Denken zu machen. Der wesentliche Unterschied unserer Betrachtung von der antiken ist dabei der, daß wir das Denken Heraklits nicht mehr auffassen als das Denken über irgendeinen feststehenden
oder
Problemkomplex,
weniger
Daseins,
gelungene
nicht als das
Umgehen,
Durchdringen
sondern daß wir sein Denken
eines
von
Abtasten
ihm
als eine Bewegung
oder mehr
unabhängigen zu begreifen
suchen, in der das Neue, das er zu sagen hat, erst entsteht — kurz, daß er nicht an etwas herumdenkt, sondern daß er wirklich etwas denkt.
Und diese Denkbewegung Das
ist uns eben in seiner Sprache gegeben.
erste, das wir nun aus der Sprache
Heraklits lernen, ist dies,
daß
die Art der Problemstellung, die ihm die alte Doxographie zumutet, und die auch bis in die jüngste Zeit hinein die üblichen Darstellungen der Lehre Heraklits bestimmt hat, durchaus nicht in seiner Gedankenrichtung liegt. Heraklit galt gewöhnlich als der Philosoph, der den ewigen Wandel und die ewige Bewegung gelehrt hat. Die Doxographie hat das in den vielzitierten Satz zusammengefaßt: (A 6 D) Ἡράκλειτος ἠρεμίαν μὲν καὶ στάσιν ἐκ τῶν ὅλων ἀνήρει" ἔστι γὰρ τοῦτο τῶν νεχρῶν᾽ κένησιν δὲ τοῖς πᾶσιν ἀπεδίδου, ἀίδιον μὲν τοῖς ἀιδίοις, φϑαρτὴν δὲ τοῖς pYaprois „Heraklit hat
Ruhe und Stillstand aus dem All fortgenommen. Denn die gehört den Toten. Bewegung hat er allen Dingen gegeben, ewige den ewigen, vergängliche den vergänglichen“. Es ist schon auffällig, daß Heraklit selbst niemals von Bewegung spricht. Das Wort xıveiv, das man doch erwarten würde bei einem, dessen Erkenntnis sich auf die Veränderung der Außenwelt richtet, fehlt bei ihm wie auch jede Ableitung von diesem Wort. Wir suchen auch vergeblich bei ihm die Worte ἠρεμία und στάσις oder μένειν im Sinne von beharren, verweilen — es bedeutet nur „erwarten‘“ bei ihm. Erst recht fehlen natürlich solche Worte wie πύχνωσις und ἀραίωσις, die
man
lange auf Grund
der stoischen Berichte für Heraklits eigene Worte
gehalten hat. Überhaupt fehlen alle solche Worte, die irgendwie in sozusagen naturwissenschaftlichem Sinne die Bewegung, Veränderung oder Ruhe der Dinge bezeichnen. Ja, selbst der berühmteste heraklitische Satz, das πάντα ῥεῖ, ist nicht authentisch, wie man längst erkannt hat — er umschließt vielmehr schon den Versuch, Heraklits Lehre als eine auf die nur physische Welt bezogene Theorie zu fassen und auf eine kurze Formel zu bringen und bedeutet schon ein Mißverstehen. Schon Platon, der als
Heraklits Lehre bezeichnet (Krat. 402 A) ὅτι πάντα χωρεῖ καὶ οὐδὲν
μένει,
Die Sprache Heraklits
131
steht ganz unter dem Eindruck dieser Heraklit-Auffassung; wir haben in dem πάντα ῥεῖ viel eher die Anschauungen der Herakliteer als die des echten Heraklit zu sehen!. Mit dieser Formel ist Heraklits Lehre zum Relativismus
weiterentwickelt,
der ihm
selbst in Wahrheit
durchaus
fremd
war?.
Wenn wir nun einmal den Worten Heraklits genau zuhören, mit denen er vom Fluß der Dinge spricht, so wird deutlich, daß ihm die Dinge nicht eigentlich als Objekte der Erkenntnis gegeben sind, daß er ihnen über-
haupt nicht gegenübersteht,
daß er nicht „Gegen-Stände‘
beobachtet.
fr. 12. ποταμοῖσι τοῖσιν αὐτοῖσιν ἐμβαίνουσιν ἕτερα καὶ ἕτερα ὕδατα ἐπιῤῥεῖ. fr. 49a. ποταμοῖσι τοῖσιν αὐτοῖσιν ἐμβαίνομέν τε xal οὐκ ἐμβαίνομεν, elu£v τε καὶ οὐχ εἶμεν. Schon der Klang dieser Worte verrät, wie sie auf eine eigene ganz inten-
sive Erfahrung zurückgehen, wie das Gefühl sich darin verdichtet hat von den immer neuen Nicht ein kühler ganze Körper hat in der Außenwelt
Wassermengen, die die Haut des Badenden streifen?. Beobachter hat diese Bewegung gesehen, sondern der sie gespürt. Und wo Heraklit sonst von der Veränderung spricht, hat er auch nie eine Bewegung beobachtet, liegt
! Mit dem Schlagwort χωρεῖ δὲ πάντα beginnt der heraklitisierende Passusin der hippokratischen Schrift x. διαιτ. (Diels 12 C 1). Die Art der Herakliteer können wir vortrefllich aus solchen Stücken
kennenlernen:
Heraklits
Sätze werden immer
wieder umgebogen und abgewandelt zu Aussagen über „Bewegungen“. * Wenn F. Lassalle, Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos?, 1892, 7, über sowenig wie dem Heraklit wie schon die
die Heraklit-Deutung Schleiermachers sagt: „Schleiermacher hat einer seiner Vorgänger übersehen können, daß der Gedanke, aus philosophiert, der des Werdens, der Bewegung ist. Aber er faßte, Stoiker, das Werden der Vorstellung nach, als die bloße indiffe-
rente Veränderung; ein
Bild
er faßte die Bewegung
zu gebrauchen,
die Bewegung
als bloße Fortbewegung,
der geraden
Linie.
Heraklit
als, um
dagegen
hat
das Werden seinem wahrhaften Begriffe nach gehabt, als die Einheit des absoluten Gegensatzes von Sein und Nichtsein und deren Übergang ineinander‘ — so hat dieser Vorwurf auch heute noch seine Geltung. Lassalle versuchte nun aber, von der Begrifflichkeit Hegels aus die Problematik Heraklits zu deuten.
Er ist sich klar darüber, daß er von außen etwas an Heraklit heranträgt, versucht auch
darzulegen, warum
Heraklit diese
Problematik
nur in sinnlicher Form
aus-
sprechen konnte — aber diese sinnliche Form bleibt darum doch immer etwas Unzulängliches für ihn, das ihn nur deswegen interessiert, weil es in der Sphäre des rein Logischen etwas bedeutet.
tung ja
des Heraklitischen
Systems
kaum die geschichtliche Frage,
Diese Frage nach der philosophischen
soll in diesem Versuch
Bedeu-
nicht berührt werden,
die uns noch mehr am Herzen liegt, wie sich
in dem Denken Heraklits das Bewußtsein von einer solchen zeitlosen Sphäre Bedeutung hindurchringt. Daß die Arbeit doch, wie ich hoffe, die Richtung das philosophische Problem ,,Heraklit" hin nicht vermissen läßt, danke ich allem den Anregungen, die ich durch Joseph König mündlich und brieflich, aber
auch durch sein Buch über den „Begriff
der Intuition“,
habe. [Vgl Aufbau d. Sprache? passim, s. Register.] * Vgl 9*
dic schöne
Bemerkung
bei
Herm. Fränkel,
Wege
der auf vor jetzt
Halle 1926, erhalten
und Formen? 78, 3.
132
Die Sprache Heraklits
ihm nie an der Feststellung eines physikalischen Vorgangs. Sagt er μεταβάλλειν „sich wandeln‘, so steht als Gegensatz dazu ἀναπαύεσθαι „sich ausruhn“, und der Wechsel ist ihm ein μεταπίπτειν — das Umschlagen einer Stimmung in die andere. Die Gegensätze, von denen er spricht, sind immer „lebendige“ Gegensätze. Sie heißen Lust und Tod, Wachen und Schlafen, Hunger und Sattheit, Kälte und Hitze, Alter und Jugend, Krankheit und Gesundheit,
Frieden und Streit — von diesen Gegensätzen, die er immer neu und lebend erfaßt, geht er aus, von hier erhält seine Sprache die Fülle der Bilder. Wenn man die Heraklitischen Fragmente aufmerksam durchliest, ist man überrascht, wie stark alles, was er sagt, wirklich auf eigener Empfindung beruht. Gar zu leicht überhören wir, wie sehr seine Worte von dem Erleben
ihre Kraft erhalten, und sind immer wieder versucht, seine Gegenüberstellungen als nur logische Gegensätze aufzufassen. So lautet ein Fragment (126): τὰ ψυχρὰ ϑέρεται, ϑερμὸν ψύχεται, ὑγρὸν abalverar, καρφαλέον νοτίζεται . Diels
übersetzt:
„Das
Kalte wird warm,
Warmes
kalt, Nasses
trocken, Dürres feucht." Da sind die Gegensätze auf tote physikalische Begriffe gebracht. Sehen wir uns aber die Sprache Heraklits genauer an, vergleichen wir, welcher Sphäre die von ihm hier gebrauchten griechischen Worte entstammen, so werden wir übersetzen müssen: „Das Kalte erwärmt sich, Warmes kühlt ab, Feuchtes vertrocknet, Dürres wird benetzt.“
Der Satz geht aus von der Empfindung für den Wandel in der Natur, von den ganz körperlich erlebten Gegensätzen. Die Worte sind durchaus nicht die des täglichen Lebens, sondern entstammen zum Teil der epischen Sprache?, stehen also der abstrakten Begrifflichkeit besonders fern, sind vielmehr stark gefühlsbetont. Wenn Heraklit sagt: Das Kalte erwärmt sich, so fühlt er sich gleichsam ein in die Wandlung, wie sie das Objekt erlebt, steht aber nicht vor ihm wie ein registrierender Beobachter, der das Naturgeschehen einspannt in die begriffliche Skala von konträren Gegensätzen, wie man nach Diels’ Übersetzung annehmen möchte. Und solche Beispiele zeigen, wie die „poetische‘‘
Sprache Heraklits
kein äußerlich aufgesetzter
Schmuck ist, sondern vielmehr der adäquate Ausdruck für dieses SichEinleben. Es gilt überhaupt für Heraklit, daß er die Sprache durchaus 1 [Der authentische Text ist vielmehr: ψυχρὰ ϑέρεται, ϑερμὰ ψύχεται, ὑγρὰ αὐαίνεται,
χαρφαλέα νοτίζεται, s. G. L. Calabró, Boll. Ediz. Naz. dei Class. Gr. e Lat. NS. 12, 1964, 68.] ! χκχαρφαλέος (N 409 u. € 369) ist der Prosa sonst ganz fremd, νοτίζω (unhomerisch, zuerst Aisch. fr. 44, dann Aristoph. Thesm. 857 in Euripides-Parodie u. Plat. Tim. 74 C) und ϑέρομαι (Homer, Aristoph. Pl. 953, Plat. Phil. 46 C) sind in
der Prosa selten. — Zu wenig prägnant wird auch fr. 41 übersetzt: „die Vernunft, die alles und jedes zu lenken weiß‘, γνώμη, ὁτέη ἐκυβέρνησε πάντα διὰ πάντων ist viel anschaulicher und bedeutungsvoller: ,,Der Wille (Philol. Unters. X XIX, 1924, 35 Anm. 1 u. 5; Ed. Schwartz, Gnomon 2, 1926, 68), der alles durch alles hindurch lenkt.“
Die Sprache Heraklits
133
als ein Empfindender handhabt, sie aber nicht so sehr nach der logischen Klarheit hin entwickelt. Es genügt, darauf hinzuweisen, wie er Teile von Versen in seine Rede einflicht!, wie er durch Gleichklänge auf das Gefühl
wirkt und dadurch ein gewisses Schweben der Sprache erreicht, das der begrifflichen Deutlichkeit, einer kalten Schärfe, geradezu entgegenarbeitet. Seine Antithesen? dienen nicht so sehr der Herausarbeitung der logischen Gegensätze, als vielmehr der Verstärkung des Empfindens, wie man schon daran sieht, daß er denselben Gegensatz häufig variiert, ohne ihn auf eine
abstrakte eigentlich beweiskräftige Formel zu bringen?. Aber wenn wir hier von Empfinden oder Erleben sprechen, so schleicht sich damit zugleich eine moderne subjektivistisch gefärbte Auffassung ein, die dem Antiken auch wieder grobe Gewalt antut. Wir könnten schon hier einfügen, daß Heraklits Stellung zur Welt am deutlichsten durch das Wort συνιέναι gekennzeichnet ist, wie wir es früher einmal zu beschreiben unternommen haben‘ — wenn nicht eben diese ganze Arbeit auch nur wieder darauf hinausginge, ebendies griechische συνιέναι in seiner Eigenart an dem einzelnen,
an
Heraklit,
gesagt, daB wo
hier von
verstehen
Erleben
zu
lernen.
So
sei
oder Empfinden
denn
vorläufig
nur
gesprochen wird, nie
etwas nur Persönliches gemeint ist, sondern überhaupt ein „als lebend Auf-
fassen" , das Heraklit von einer rein wissenschaftlichen Betrachtung scheidet. Nicht als Wissenschaftler, sondern viel eher als Künstler sagt er (fr. 74): „Man soll nicht handeln als Kind seiner Eltern.“ Das Erleben der Welt ist ihm das Wichtige, und das muß von jedem neu vollzogen werden; und so steht es auch mit der Lehre, die er verkündet — sie verliert ihre Kraft, wenn sie wie ein wissenschaftliches Gebäude weitervererbt wird,
an das jeder ein Stücklein anbauen kann. Seine Sätze bedeuten nur für den etwas, der sie ganz von sich aus nacherleben kann. Die ganze Kosmologie Heraklits beruht auf dem Anschauen lebender Gegensätze. Auch die Lehren, die wir nur als Theorien über die Veränderung der Materie in der Welt anzusehen gewohnt sind, und die uns als solche von der Doxographie überliefert werden, gewinnen ein ganz anderes Aussehen, sobald wir einmal ein Bruchstück davon in Heraklits eigenen Worten hören. Heraklit hat, so wird uns berichtet, gelehrt, daß die Materie in stetem Wechsel ist, daß die Erde zu Wasser wird, das Wasser zu Feuer
und das Feuer sich dann wieder auf dem Wege hinab über Wasser in Erde verwandelt. Und nun heißt das fr. 31: πυρὸς τροπαὶ πρῶτον ϑάλασσα, ϑαλάσσης 1 Z.B.
der
Hexameter-SchluB
am
Ende
von
fr.5
(cf. E. Norden,
Agnostos
Theos, 1913, 88). — Man vergleiche, wie dagegen in den heraklitisierenden Teilen der Schrift x. διαιτ, die Rhythmen und gorgianischen Figuren äußerlich aufgeklebt sind, um „heraklitisch‘‘ zu wirken. 3 Beispiele bei E. Norden, Kunstprosa I, 1923, 18. ® Vgl. E. Howald, Anfänge der europäischen Philosophie, 1925, 28.
* PhiloL Unters.
X XIX, 48ff.
134
Die Sprache Heraklits
δὲ τὸ μὲν ἥμισυ γῆ, τὸ δὲ ἥμισυ nonothp
„Des Feuers Wende ist zuerst das
Meer‘. Das Bild ist genommen von der Sonnenwende, den (ἡλίου) rporat!.
Wenn der eine Zielpunkt erreicht ist, muß das Feuer zurückbiegen zuerst zum Wasser — aber gesagt ist das, ohne diesen physikalischen Prozeß zu schildern als einen Ablauf in der Zeit. Er ist vielmehr ganz auf dem erregenden Moment der Spannung und des Widerstreits zusammengezogen: Des
Feuers
Wende
ist das Meer*.
Und
charakteristisch ist es dann,
wie
1 zporal heißt niemals ,,Wandlungen", wie Diels übersetzt. Bei Herod. VII 167 ist τροπῇ die Flucht, die Wende, und so ist rporal (stets Plural!) die Sonnenwende (zuerst o 404). Ebenso heißt τρέπεσϑαι nie „sich wandeln‘ — höchstens kann man
bei
plötzlichen
Veränderungen
„Wendungen“
sagen
—,
z. B.
νόος (P 546), φρήν (K 45), κραδίη (8 260) τρέπεται; dann ist es =
χρώς
(N 279),
μεταπίπτειν „um-
schlagen", vgl. auch τροπή = μεταβολὴ Aristot. Politic. 1316a 17. — Aristot. sagt allerdings auch
Phys. 17, 190b 7: γίγνεται
δὲ τὰ γιγνόμενα...
τὰ
μέν...
«à
δ᾽
ἀλλοιώσει, οἷον τὰ τρεπόμενα κατὰ τὴν ὕλην — aber auch das ist schon philosophische Fachsprache
(s. am
Ende
dieser Anm.
über
Demokrit).
Erst
in später
Literatur
kommt in ähnlicher Bedeutung auch τροπή vor; das bildet jedoch keine ,,Belegstellen‘ für unser Fragment, wir haben darin vielmehr eine späte Interpretation desselben zu sehen. Denn dieser Gebrauch geht anscheinend aus von Poseidonios, der wieder μεταπτώσεις erlebte: Schol. z. Arat (p. 546, 16 Maaß — Posid. p. 79 Bake): κατὰ δὲ τὰς ψαύσεις αὐτῶν καὶ πάλιν διαλύσεις τροπὰς γίνεσϑαι συμβαίνει τοῦ
ἀέρος. Plut. de fac. in orb. lunae 939 F: αὐξήσεις τε φυτῶν ... τροπαὶ καὶ ἀνέσεις οἴνων (vgl. K. Reinhardt,
Kosmos
und
Sympathie,
1926,
340).
Aétius
p. 320a 25
v. b 32 Diels: ἐκ γὰρ ἀλλοιώσεως στοιχείων καὶ τροπῆς xal ἀναλύσεως (cf. Reinhardt, 4.8.0. 8, Anm.).
Sext. adv. phys. 179
und
Kleomedes
p. 178
Ziegl.: τροπαὶ
ἀέρος
(Reinhardt, a.a. O. 49.) (cf. Kleomedes p. 112 Z: ὁδὸς ἄνω κάτω, φησὶν “Ἡράκλειτος «ον δι ὅλης (τῆς) οὐσίας τρέπεσϑαι καὶ μεταβάλλειν πεφυκυίας — nach Reinhardt, a. a. O. 107 u. 163 ebenfalls aus Poseid.). — Stob. Ecl. I 17, 3 p. 152, 21 W = Arius
Did. fr. 38 Diels über Zenon (Stoic. vet. fr. 128, 14): .. ὅταν ἐκ πυρὸς τροπὴ (Singular!) εἰς ὕδωρ δι᾽ ἀέρος γένηται... (deutliche Abhängigkeit vom heraklitischen Sprachgebrauch! Ebenso:) Stob. Ecl. I 10, 16cp. 130. 17 W — Arius Did. fr. 21 Diels über Chrysipp (Stoic. vet. fr. 11137, 2): ... ἢ ἀίδιος δύναμις φύσιν ἔχουσα τοιαύτην, ὥστε αὑτὴν τε κινεῖν κάτω πρὸς [γῆν] τὴν τροπὴν xal ἀπὸ τῆς τροπῆς ἄνω πάντῃ κύκλῳ. —
Diog.
L.
111 (=
Vors.
60 B 6): ὑετοὺς
κατὰ ἀέρος τροπὴν
ἀποτελεῖσϑαι.
Tim.
Locr. π. ψυχᾶς κόσμω 102 C: αἱ τῶ αἵματος τροπαὶ καὶ ἀλλοιώσιες. Das interessante Problem kann hier nicht weiterverfolgt werden. — τροπή ist bei Leukipp (A 6) und Demokrit (A 38) die „Wendung“ eines Buchstabens (von T zu HH). Auch in den compositis hat τροπὴ stets die Bedeutung Wende: rpootporh das Sich-Hinwenden
(zu den Göttern) Aisch.
Pers. 216; drorporh
Abwendung
Umstürzen id. Eum. 355; peratporn Wendung, ἐπιτροπὴ urspr. Zuwendung; ὑποτροπή Rückfall
rpoyv. usw.
400
3 Diese
(V 674 L); ἐναντιοτροπή (Ὁ) Diog. Erkenntnis
verstärkt die Argumente
id. 217; ἀνατροπῇ
das
Umschwung, Eur. Andr. 492; einer Krankheit Hipp. Κωακ.
L.IX 7 (Vors. K. Reinhardts
12 A 1); κατατροπή (Parmenides,
1916,
177£.), Heraklit habe die ἐκπύρωσις nicht gelehrt. Da uns hier das eigentliche System Heraklits nicht interessiert, kann auf diese Frage nicht weiter eingegangen werden. Das methodisch Wichtige und Fruchtbare an Reinhardts Darlegungen, das noch nicht genug Geltung gewonnen hat, ist, daß er von der Frage ausgeht: Was aus der doxographischen Literatur ist zweifellos abgeleitet aus uns erhaltenen Sätzen und hat daher für unsere Erkenntnis Heraklits als wertlos auszuscheiden?
Die Sprache Heraklits
Heraklit
den Gedanken
, 135
nicht logisch weiterführt: vom
Wasser geht es
wieder zur Erde und von da wieder zurück zum Wasser — sondern wie der Blick auf das Wasser gerichtet ist, sieht er den Doppelcharakter dieses Wassers, von dem die eine Hälfte auf dem Wege hinauf, die andere auf der Bahn hinab ist. „Des Meeres eine Hälfte Erde, die andere Hälfte leuch-
tendes
Wetter."
Das
Wasser wird
nicht in seiner Identität als Element
gefaßt (bezeichnend ist schon das anschauliche ϑάλασσα), sondern in seinem Doppelwesen als aufsteigendes und hinabgehendes. Und ein anderer Satz, in dem wir mit Heraklits eigenen Worten
dem „Der
von
ewigen Kreislauf hören, lautet (fr. 60): ὁδὸς ἄνω κάτω μία xal Gum Weg
hinauf hinab ist ein und
derselbe“. Auch
hier wird also nicht
der Vorgang in seinem Verlauf geschildert, sondern unabhängig von allem Physikalischen rein der Gegensatz in der Einheit hervorgehoben, dem Erlebnis gegenwärtig ist!. Und schließlich am deutlichsten wird dies, wenn er sagt (fr. 36): ϑάνατος ὕδωρ γενέσϑαι, ὅδατι δὲ ϑάνατος γῆν γενέσϑαι, ἐκ γῆς δὲ ὕδωρ ἐξ ὕδατος δὲ ψυχῆ „Für die Seele ist es Tod, Wasser zu werden“ heißt
aber zugleich, was für uns unübersetzbar ist: „Pür
wie er ψυχῇσιν γίνεται, —, das
die Seele ist es
Tod, daß das Wasser Leben annimmt — für das Wasser ist es Tod, Erde zu werden (auch wieder zugleich: daß die Erde zu leben beginnt) — aus Erde aber gewinnt das Wasser Leben, und aus Wasser die Seele.‘‘? Auf den ersten Blick muß es da merkwürdig scheinen, daß Heraklit, obwohl seine Anlage so sehr allem eigentlich Naturwissenschaftlichen
entgegengesetzt war, trotzdem so viel Denken an sein kosmologisches System gewandt hat. Viel weniger erstaunt sind wir, wenn wir Sätze bei ihm finden, wie (fr. 101) „Ich habe mich selbst gesucht“ und (fr. 45) „Der
Seele Grenzen kannst du nicht ausfinden, auch wenn du gehst und jede Straße abwanderst — Aber
wenn
wir
nun
so tiefen Sinn hat sie.“ zwischen
seinen
Sätzen
Umschau
halten,
was
er
auf der Suche nach sich selbst gefunden und was er auf dem weiten Feld der Seele entdeckt hat, so finden wir gar nichts. Wir stellen fest, daß seiner
Sprache noch durchaus die differenzierten Begriffe für die seelischen Dinge fehlen. Heraklit geht bei seinem Denken aus von den Zuständen des eigenen Ich, aber dies Ich ist nicht eigentlich Gegenstand seiner Reflexion, sondern
es wird hinausprojiziert und steht ihm dann als etwas Fremdes, als das 1 E. Cassirer, Die Philosophie der Griechen, 26 (im I. Bd. des von Dessoir herausgegebenen Lehrbuchs der Philosophie, 1925): „Die Maße des Werdens, von denen Heraklit spricht, sind im Grunde nur gefühlte Maße.“ — Auch fr. 12 καὶ ψυχαὶ
δὲ ἀπὸ τῶν ὑγρῶν ἀναϑυμιῶνται zeigt nicht den Prozeß, sondern gibt nur das Bild von dem Dunst, der zugleich Wasser und Seele ist. 3 In Diels’ Fragment 76 wird man nur eine stoische Umbildung und Kontamination von fr. 36 und 62 zu sehen haben, bei der der Gegensatz zwischen dem ϑάνατος und γενέσθαι, der dem späten Sprachempfinden nicht mehr recht lebendig
war, von neuem hervorgekehrt ist (vgl. Zeller*, 850).
136
Die Sprache Heraklits
Verhältnis von Dingen der Außenwelt zueinander gegenüber. Hieran wird uns
besonders
deutlich,
daB
das, was
wir
seine
Empfindung
bei ihm nicht etwas Nur-Subjektives ist, wie wir bei dem könnten.
Die
Erlebnisse,
von
denen
er spricht,
sind
nennen,
Wort
denken
für sein Bewußtsein
von außen an ihn herangetreten, und so ist denn für ihn das Denken über Erlebnisse fast ganz rein ein Denken über die Außenwelt. So stellt er nebeneinander
(fr. 67):
„Gott
Sattheit Hunger."
ist Tag
Nacht,
Winter
Sommer,
Krieg
Frieden,
Wie draußen Nacht ist, in die man hinausgehen kann,
die einen umgibt, wie Sommer ist oder Frieden herrscht, so daß man in Frieden leben kann, so ist auch der Hunger etwas, das einen quälen kann, unter dem man leidet — etwas, das von außen an den Menschen heran-
kommt. Anstatt von Spannungen des Erlebens muß man also bei Heraklit tichtiger — heraklitischer — von Spannungen des Kosmos reden. So verleugnet er denn auch nicht, obwohl ihm der unsichtbare Zusammenhang mehr gilt als der sichtbare (fr. 54), die Erkenntnis der Außenwelt. Er sagt sogar ausdrücklich (fr. 55): ὅσων ὄψις ἀκοὴ μάϑησις, ταῦτα ἐγὼ προτιμέω
„Was
man sehen, hören, erfahren kann, das gilt mir mehr‘!
— mehr offenbar als jede oder mathematische). Und ὥτων ἀκριβέστεροι μάρτυρες Ohren“. Dieser Satz ist nicht Es
reine Spekulation — (also etwa theologische dann heißt es (fr. 1014): ὀφθαλμοὶ γὰρ τῶν „Augen sind zuverlässigere Zeugen als die etwa gleichgültig für die Auffassung Heraklits.
liegt nicht nur der triviale Sinn
darin,
daB
man
das, was
man
selbst
gesehen hat, zuverlässiger weiß, als was man nur vom Hörensagen kennt?. Dem Ausgehen vom Erleben bei Heraklit hätte es durchaus gemäß sein können, den Augenschein zu verwerfen, und die Weiterentwicklung der Heraklitischen Logoslehre hat Beispiele genug dafür gebracht, wie man das ,,Wort'* höher achten kann als alles Sichtbare.
Und im letzten Grund
ist auch Heraklits Weltbild nicht bestimmt durch die Erkenntnis der Außenwelt (fr. 107): κακοὶ μάρτυρες ἀνθρώποισιν ὀφθαλμοὶ καὶ ὦτα βαρβάρους ψυχὰς &xövrav „Schlechte Zeugen sind den Menschen Augen und Ohren, wenn sie eine Barbaren-Seele haben." Barbar ist der, der das Griechische nicht
versteht — und so soll das hier heiBen: wenn die Seele nicht die Zeugenaussagen der Sinne versteht. Letzten Endes ist also die geistige Auseinandersetzung mit der Welt ein Verstehen — das συνιέναι ihrer Gegensätze. Das bloße Erkennen, γιγνώσκειν, kann bis zu diesen Tiefen nicht vordringen?*. 1 Wir haben daher auch fr. 35 zu zweifeln,
vom
Inhalt aus keinen
Grund,
an der Echtheit
von
1 Wie in den von Dicls ad. L herangezogenen Stellen. * Vgl. Philol. Unters. XXIX, 66f. „Erkennen“ kann für Heraklit höchstens eine göttliche γνώμη, menschliches γιγνώσκειν bleibt immer im Unzulänglichen stecken — aber darin zeigt sich, wie schwach in ihm der Impuls zum „Erkennen“ war und der Glaube, damit an ein wertvolles Ziel zu gelangen. Eine Resignation
gegenüber dem ihm wesentlichen Wissen liegt Heraklit durchaus fern.
Die Sprache Heraklits
137
Die Welt als Vorstellung — um einmal in Schopenhauers Sprache zu reden — interessiert Heraklit im Grunde nicht. Das Erkennen der Welt aber stand zu Heraklits Zeiten noch aüf der archaischen Stufe, sich vor allem der Fülle des Sichtbaren zu freuen. Gegen diese Vielwisserei, ἱστορίη und πολυμαϑίη, wendet sich Heraklit. Trotzdem achtet er als Grieche das sinnlich Gegebene, denn nur in diesem sinnlich Gegebenen erfaßt er sein Empfinden. Wie ihm der Zwiespalt des Erlebens als Spannung des Kosmos gegeben ist, so sucht er auch — wie weiter unten noch näher auszuführen ist — die Einheit als kosmisches Prinzip zu begreifen. Wieweit ist er aber nun doch zu dem Bewußtsein gelangt, in seiner
Seele
das
eigentlich
Tiefe
und
Entscheidende
zu
besitzen,
das
es zu „verstehen“ gilt? Die Seele hat für ihn einen Logos, der sich selbst mehrt (fr. 115) und im Erleben immer tiefer wird, so daB man seine Grenzen nicht aufspüren kann (fr. 45), der wie ein Orakelwort seine Deutung
(fr. 101).
Über
die Seele weiß
er nichts anderes auszusagen,
sucht
als daß sie
geheimnisvolle Tiefen hat — es ist kein Wissen da, das in dieses Dunkel ordnendes Licht trägt. Aber damit, daß das eigene Innere als ein Rätsel aufgefaßt wird, daß das Ich zum erstenmal als Problem erscheint, ist die alte mythische Auffassung überwunden. Die Gegensätze des Empfindens wurden von der alten Lyrik als Eingriff der Gottheit aufgefaßt, dem der Mensch willenlos preisgegeben war. Gegen diese Auffassung spricht Heraklit ausdrücklich fr. 119: ἦϑος ἀνθρώπῳ δαίμων „Dem Menschen ist sein Ethos Gott." Er wird nicht mehr durch den göttlichen Eingriff von außen
bestimmt,
sondern
durch
sein Ethos!.
Was
heißt
nun
Ethos
für
Heraklit? Das Wort kommt noch einmal in den uns überlieferten Sätzen vor (£r. 78): ἦϑος γὰρ ἀνθρώπειον οὐκ ἔχει γνώμας, 9etov δὲ Eyeı. „Denn das menschliche Ethos hat keine Einsichten, wohl aber das göttliche.“ Die Sätze scheinen einander zu widersprechen. Zunächst aber bezieht sich das zweite Fragment auf die γνῶμαι, die Erkenntnisse, und zeigt nur noch einmal, daß Heraklit das menschliche γιγνώσκειν, das eigentliche Erkennen der Außenwelt für unzulänglich hält. ἦϑος ist hier offenbar die menschliche
Eigenart.
„So
wie der
Mensch
nun
einmal
ist, kann
er die
Welt nicht erkennen.“ In welchem Sinne ist nun aber dies ἦϑος für den Menschen an Stelle des Göttlichen getreten? Man übersetzt ἦϑος hier gewöhnlich mit Charakter. Aber „Charakter“ betont im Deutschen immer den „Willen“. Von dem eigenen Wollen und
Handeln
des Menschen
spricht Heraklit aber nirgends.
Es hat sich für
1. Es ist außerordentlich lehrreich, Pindar Nem. VIL 35 zu vergleichen, worauf R. Pfeiffer mich hinweist. Pindar betet zu Zeus um ein bestimmtes Ethos. Das Ethos ist ihm noch etwas von außen, von Gott Verliehenes, aber dies Bewußtsein von dem Ethos des einzelnen reicht schon dicht an das Heraklitische heran. —
Über die weitere Entwicklung U. v. Wilamowitz, Menander:
des von Heraklit ausgesprochenen Das Schiedsgericht, 1925, 112f.
Gedankens
s.
138
Die Sprache Heraklits
‚ihn noch nicht in dem Sinn das Individuum herausgelöst, daB es ein spontan aus sich heraus handelndes Ich gäbe. Diesen Bezug zum Wollen und Handeln hat ἦἶϑος aber auch gar nicht. Auch in dem anderen Fragment könnten wit ἦϑος nicht mit Charakter wiedergeben. „Das Ethos hat keine Erkennt-
nisse." ἦϑος ist ursprünglich der gewohnte Aufenthaltsort für Menschen und Tiere, das Bewohnte und Gewohnte. Die ἤϑεα eines Volkes sind bei Herodot
das, was
bei einem Volk
Brauch ist, seine Kultur.
Hermes
soll
bei Hesiod Opp. 67 den Menschen κχύνεόν τε νόον καὶ ἐπίχλοπον ἦνϑϑος geben: Da ist auch nicht mehr gemeint, als was wir mit Abstrakten ausdrücken würden: Unverschämtheit und Schlauheit. #905 ist die Art. Die
Eigenart der einzelnen Menschen ist ihr Gott.
Und bei der „Eigen-
art " werden wir hier nicht über den Kreis dessen hinausgehen dürfen, was in der Sphäre des Erlebens liegt, von der aus, wie wir gesehen haben, die Weltauffassung Heraklits bestimmt ist. Aber mit dieser Einsicht sind wir Heraklits Sinn auch noch nicht nähergekommen. Wo Heraklit vom Handeln des Menschen spricht, ist dies immer an das λέγειν geknüpft!, also immer in der Sphäre des Logos — und in dieser Richtung werden wir nun doch über das bloße Erleben hinausgewiesen. Und wie verträgt es sich, daß des Menschen Ethos sein Daimon ist, damit,
daß Heraklits
Erleben
sich so wenig
als ein Innen,
sondern
ganz
als ein Außen darstellt? Ja, ist der Logos denn überhaupt etwas Menschliches oder Außermenschliches? Damit kommen wir an das meistumstrittene Problem der Heraklitinterpretation: Wie ist der Satz zu verstehen, der zu Anfang des heraklitischen Buches stand: diesen Logos verstehen die Menschen nicht. Die Frage:
Heißt Logos
hier „Wort“
oder
,,Weltgesetz*?
ist natürlich
ganz falsch gestellt. In Wahrheit hat Logos nur eine Bedeutung — die sich nur nicht mit dem Sinn irgendeines deutschen Wortes deckt. Bei einer Übersetzung sind wir also immer vor eine Wahl gestellt. Aber die Interpretation muß die Einheit dieses Wortes zu verdeutlichen suchen. Logos
ist das
Wort,
soweit
es sinnvoll
ist; λέγειν
ist:
etwas
meinen.
Und wie wir im Deutschen nicht nur sagen: ich meine etwas, z.B. über eine Tatsache oder ein Ding —, sondern auch: diese Tatsache meint dies oder das —
im Sinne von
„sie bedeutet‘ —,
so ist das λέγειν auch
lediglich das sinngebende Reden des Menschen.
nicht
λέγει: es bedeutet — ist
eine uns geläufige Übersetzung. Und ebenso ist Logos nicht nur die sinnvolle menschliche Rede, sondern auch der Sinn, der in den Dingen ruht, der zu uns spricht und uns die Dinge bedeutungsvoll macht. Man muß sich in diese Eigenart gerade der frühen griechischen Worte die so häufig Auffassendes und Aufgefaßtes umschlieBen, nur einmal 1 So richtig hervorgehoben von E. Hoffmann, 1925, 3, 1.
Sprache und archaische Logik,
Die Sprache Heraklits hineinfinden,
und
man
wird
verstehen,
wie
139
Logos
nicht
nur
das
Wort,
sondern auch den Sinn mitbegreift!. Und dieser Sinn gewinnt für den Griechen Realität wie ein sichtbares Ding. λόγον ἐόντα λέγειν sagt man im
Griechischen. Einen Sinn sagen, der da ist, der wirklich vorhanden ist (wir würden übersetzen: etwas Wahres sagen‘). Und so beginnt Heraklit sein Werk — wohl nach einer Einleitung wie ᾿Ἡράκλειτος τάδε λέγει" τοῦ λόγου τοῦδε ἐόντος del ἀξύνετοι ἄνθρωποι ylvovraı „Diesen
Logos, der Wirk-
lichkeit hat, werden
Dieser
die Menschen
nicht verstehen''?.
ı So im wesentlichen schon Zeller; dann Stenzel, NJ
Logos
ist
X XIV, 1921, 163; cf. Philol.
Unters. XXIX, 4886. 3 Es ist das gleiche Ineinanderfließen von Realität und Wahrheit (und das heißt nach Schopenhauer Wa WuV, Reclam 1920, 158: Verstand und Vernunft), von Υἱγνώσκειν und συνιέναι, wie wir es schon oben S. 136 gefunden haben — und zwar gewinnt die Schsphäre, wie regelmäßig im Griechischen, dabei den Einfluß über die Hörsphäre (cf. Philol. Unters. X XIX, 26, 1; zu der dort als dem Deutschen
fremde Übertragung von der Sehsphäre auf die Hörsphäre bezeichneten Wendung „eine helle Stimme“
bemerkt mir Hermann
Fränkel, daß hell überhaupt zu hallen
gehört und im Mhd. noch reines Klangwort ist. Wenn wir im Nhd. also „helles Licht sagen, so ist das die gleiche Übertragung, wie wenn z.B. Rilke sagt: „bis in ihren Schoß das polyphone Licht der lauten Himmel sich ergießt“. Und Ähnliches ist im Deutschen außerordentlich häufig [Typus „Farbton“], während sich im
Griechischen
die
umgekehrten
Fälle
[Typus
, Klangfarbe'],
wie
einige
a.a.O.
genannt sind, leicht háufen lassen).
* Die Frage, die schon Aristoteles nicht hat lósen kónnen, ob ἀεί zu ἐόντος gehórt G,der ewige Wirklichkeit hat') oder zu ἀξύνετοι, wage ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Doch neige ich eher der zweiten Auffassung zu (so jetzt auch K. Reinhardt, a.a. O. 195): das ἀεί scheint mit dem xal πρόσϑεν 7|... xal... wieder aufgenommen zu werden (bei der oben gegebenen Erklärung des ἐών fallen die Einwände von Capelle [Hermes 59, 1924, 192ff.] fort). Daß Arist. sich für die altertümliche Ausdrucksweise nicht mit Bestimmtheit entscheiden konnte, wäre gut zu verstehen.
Der ganze Bau des Fragments stellt sich dar als ein immer wiederholtes Zerfallen in Gegensätze und stets neues Zusammenschließen zur Einheit; so ungefähr ist das Schema:
Der Logos ist. ........... die Menschen stets tóricht vor dem Hóren nach dem Hören;
alles geht nach dem Logos .... die Menschen unerfahren trotz der Erfahrung in Worten und Taten.
Mecenas
hh nnn ich abet zerlegend
deutend...... ... . die andern aber wachend schlafend. [Über die futurische Bedeutung von γίνονται vgl. außer den von Kranz, Vors. I* DEDE wie es sich verhált,
S. 492, 19 angeführten Stellen auch Simon. 32, Soph. Tr. 455, Hdt. 1, 34, 1.]
140
Die Sprache Heraklits
natürlich zuerst die Lehre des Heraklit, die er vortragen will. Aber dieser
Logos
hat Wirklichkeit.
Er ist mehr als eine Meinung
des Heraklit.
Es
ist der Sinn, der in der Welt liegt, der der Welt erst ihren Gehalt gibt —
man mag immerhin mit späterer Terminologie etwas wie eine Weltvernunft darin sehen, muß dabei aber jeden Gedanken an eine gerechte Ordnung oder an die Gesetzlichkeit der Natur fernhalten!, Heraklit hat selbst die Spannung gespürt, die in dem Wort Logos liegt, indem er zunächst die ganz persönliche Äußerung, zugleich aber auch den überpersönlichen Sinn bezeichnet. Er sagt einmal (fr. 50): Nicht auf mich hört, sondern auf den Logos usw. Wir verderben die eigentümliche Prägung des
Gedankens,
die Weltvernunft.
wenn
wir übersetzen:
Nein, er will sagen:
nicht auf mich
Dieser Logos,
hört,
sondern
auf
den ihr verstehen
sollt, ist nicht etwas Willkürlich-Persönliches von mir, sondern er ,jist^ —
er ist Sinn, Bedeutung, das Tiefste und Eigentlichste der Welt. Und solch ein Satz zeigt, wie wenig Heraklit „Individualist‘ ist. Freilich, et sondert
sich stolz ab von den sich gerade gebunden gälte dem Allgemeinen privaten Welt zu. Die
übrigen — aber er will nicht sich, sondern fühlt an das Allgemeine. Immer wieder betont er ja, es zu folgen — die Toren nur wenden sich ihrer eigenen Legitimation seiner Wahrheit sucht er nicht darin,
daß er sagt, ich bin klüger, sondern darin, daß er sagt, das bin ich gar nicht,
das ist etwas Allgemeines. Die Scheidung von Ich und Nicht-Ich, zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt, ist von ihm gar nicht vollzogen. Diese eigentümliche Spannung, die wir in dem Wort Logos gefunden haben, kehrt nun auch sonst in der Sprache Heraklits wieder. Auch die übrigen Bezeichnungen, die Heraklit für dies einheitliche Prinzip in der Welt verwendet, an das er glaubt und das er lehrt, zeigen dies doppelte Gesicht. Die γνώμη, die Erkenntnis, oder τὸ σοφόν, das Weise, wie in anderen Sätzen die geistige Einheit der Dinge bezeichnet wird, setzen immer in der Welt ein Prinzip voraus, das nach dem menschlichen Geiste geformt ist. Sicher läßt sich dieser Anthropomorphismus nie überwinden, wo die Philosophie sich um ein Verstehen der Welt müht. Aber für Heraklit ist bezeichnend, daß dieser Anthropomorphismus noch ganz naiv und spontan vollzogen wird. Die ganze Welt lebt ihm noch — wenn auch nicht mehr in einzelnen mythologischen Figuren, so aber doch als eine gewaltige lebendige Einheit, ohne daß er sich über dies Erlebnis kritische Rechenschaft ablegte. Ein einziger Sinn umschließt den Menschen und die Außenwelt. Aber noch eine andere Spannung liegt in dem Logos des Heraklit, und
damit kommen wir auf das eigentümlichste Problem seiner Sprache. 1 Sehr richtig betont Th. Gomperz, Wiener Studien XLIII, 1924, 120 Anm., daß man keine Zweckmäßigkeit in der Planmäßigkeit bei H. schen darf; vgl. W. Theiler, Zur Geschichte der teleologischen Naturbetrachtung, 1925, 5, 2.
Die Sprache Heraklits
Wir
haben
gesehen,
wie Heraklit
Sollten all diese Gegensätze,
ausging
141
von
erlebten
Gegensätzen.
die der Welt erst das Leben gaben, in einem
einzigen Logos, einem einzigen Wort und Sinn gefaßt werden, so mußte dieser Logos in sich selbst diesen Widerspruch tragen, als Sinn, der zugleich seinen Gegensinn umschließt. Wenn wir mit der Sprache ein Ding benennen, es mit einem Namen bezeichnen, so heben wir es damit als ein Einzelnes heraus aus dem allgemeinen Zusammenhang und isolieren es. Wenn wir den Tag „Tag“ nennen, so zerschneiden wir den Zusammenhang mit der Nacht, in dem allein uns der Tag erst gegeben ist und durch den wir den Tag erst als Tag erleben. „Der Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden“, sagt Heraklit (fr. 67), „er wandelt sich wie [Öl]!; mischt sich dies mit Duftstoff, so gibt
man
ihm
einen
Namen
nach
der jeweiligen
Empfindung
—
(nach
dem
Geruch).“
Der Name hebt nur eine Erscheinung gesondert heraus? und zerstört darum das Wesentliche. Und darum ist der Gott sowenig in einem Namen zu fassen wie das Öl, wenn
man
es Rosen-
oder Moschus-Parfum
nennt.
Die religiösen Spekulationen der damaligen Zeit bemühten sich allerdings, gerade aus dem Namen des Gottes sein Wesen zu erfassen. So brachten sie den
Namen
des
Zeus,
Ζηνός,
mit ζῆν
„leben“
zusammen,
und
diese
Ausdeutung dient der Erhöhung des Namens?. Für Heraklit gilt es gerade, den Namen zu zerstören (und damit auch die enge Auffassung des Göttlichen,
die sich an den
Namen
knüpft).
„Das
Weise will und will nicht
mit dem Namen des Ζηνός genannt sein‘ (fr. 32), denn es ist Leben und Tod — „Hades und Dionysos ist ein und derselbe“ (fr. 15). So sucht denn Heraklit die Sprache als Namengeberin zu überwinden. τῷ οὖν τόξῳ ὄνομα ΒΙΟΣ, ἔργον δὲ ϑάνατος (fr. 48). „Des Bogens Name ist Leben, sein Werk (= die Wirklichkeit) aber Tod." Der Name sagt also das Gegenteil von dem aus, was das Wesentliche ist. 1 [Siehe H. Fränkel, Wege und Formen, 1955, 237 f.] 1 Stellt durchaus nicht das „Vereinigen im Logos‘ dar, wie E. Hoffmann, Die Sprache und die archaische Logik, 1925, 5 will. In dem Gegensatz des Logos zum ὄνομα liegt das fruchtbare Problem der Sprachbetrachtung Heraklits. Von einem bewußten Gegensatz zwischen Logos und ἔπος im fr. 1 darf man nicht sprechen. Das Problem, ob ein Wort „bloßer Schall‘ sein kann, hat Heraklit sich noch nicht
gestellt. Es handelt sich vielmehr um den Gegensatz zwischen ἴδιον und ξυνόν. Dabei ist die Bedeutung des λόγος — im Anschluß an E. Cassirer, Philosophie der symbolischen
gehoben. Mythos,
—
Formen I, 1923, 57ff. —
Über den Namen
von Hoffmann
durchaus
richtig hervor-
als das Isolierende vgl. E. Cassirer, Sprache und
1925, 47.
* Man vergleiche bei Aischylos die Ausdeutungen der Namen Apollon („er ist wirklich ein ἀπ-όλλων“ Ag. 1081) und Helena („sie ist wirklich eine £Aé-vauc'* Ag. 689); er sucht immer das ὀρθόν (Se. 405 u. 829) oder ἐτήτυμον des Namens (Ag. 681). — Weiteres bei W. Nestle, Philologus LXIV, 1905, 3825.
142
Die Sprache Heraklits
Und
dem
spürt Heraklit nun
nach, wo
in der Sprache
die Eindeutig-
keit des Namens aufgehoben erscheint und der Name so zum Logos hinüberweist, der Sinn und Gegensinn umspannt. Aus den vielen Wortspielen, die diesen Doppelcharakter der Sprache beleuchten, können wir entnehmen, wie sehr ihn die Entdeckung beglückte,
daß der Logos tatsächlich das Unmögliche leisten kann. Diese Wortspiele sind niemals leeres Spiel, sondern beleuchten immer diesen tiefen Punkt in
Heraklits Anschauungen!. So sagt er (fr. 28): δοχέοντα γὰρ ὁ δοκιμώτατος γινώσχει --- nur eine Än-
sicht ist auch die Erkenntnis des Angesehensten — auch der Glänzendste erkennt nur Schein. Im 3oxeiv liegt der Doppelsinn, daß die Geltung der Erkenntnis darauf beruht, daß sie „angenommen“
wird —
die Bedeutung
des Wortes kippt genau so um wie in dem Satz über den Bogen, und es springt dabei die Einsicht heraus, wie Kppisch das γιγνώσκειν der Menschen ist. Genauso in fr. 25: μόροι γὰρ μέζονες μέζονας μοίρας λαγχάνουσιν. Größerer Tod erlost größeren Lohn. Je größer der Untergang, desto größer ist die Erhebung. Großer Tod heißt großes Leben, diese Einheit spricht sich schon in der Sprache aus — in dem Stamm des Wortes μόρος, wenn man ein kaum hörbares Jota dazutut. Oder fr. 20: γενόμενοι ζώειν ἐθέλουσι μόρους τ᾽ ἔχειν, μᾶλλον δ᾽ ἀναπαύεσϑαι, καὶ παῖδας
καταλείπουσι
μόρους
γενέσθαι
„Da
sie geboren
sind,
nehmen
sie auf sich zu leben und den Tod zu haben — vielmehr auszuruhen — und Kinder hinterlassen sie, daß neuer Tod wird", — d.h. zugleich: ,,geboren wird“. Diese Vorstellung, daß die Toten nicht tot sein dürfen, höchstens etwas ausruhen können—, daß der Tod sogar „wird‘ und immer
neu
entsteht, wird
zu geradewegs
daß die beiden Worte,
Subjekt und
grotesker
Eindringlichkeit
die sich so widersprechen
und doch
gesteigert,
eins sind, als
Prädikat aneinandergekoppelt werden?.
Und weiter fr. 72: ᾧ μάλιστα διηνεχῶς ὁμιλοῦσι λόγῳ τούτῳ διαφέρονται —
„und dem sie ganz besonders nahe sind, dem Logos — von dem sondern sie sich ab“. Ihre Auffassung von dem Logos, mit dem sie ihr Leben lang verkehrt haben —, ist eben verkehrt. Das Allernächste erscheint ihnen als
etwas Fremdes. nach
Oder wie es im ersten Fragment
diesem Logos, und
1 E, Cassirer, man, daß auch
doch
sind
sie wie
heißt: Alles geschieht
Unerfahrene,
obwohl
sie
Philosophie der symbolischen FormenI, 1923, 60: „So begreift die meisten der ‚Etymologien‘, mit denen Heraklit spielt, diese
zwiefache Wendung in sich schließen: daß sie Wort und Sache, statt durch irgendeine Ähnlichkeit, mit Vorliebe per antiphrasin miteinander verbunden und aneinander gebunden sein lassen.“ 3 „Daß der Tod nicht ausstirbt", übersetzt Reinhardt mit richtigem Verständnis
für den Sinn des Fragments.
Die Sprache Heraklits
143
doch in ihrem Reden und Tun die Erfahrung haben! mit all dem, das ich behandle. Auch diese beiden Wortspiele gehen darauf aus, den eindeutigen Sinn des Wortes aufzuheben — die Nähe ist geradezu die Ferne, besondere Vertrautheit ist völliges Fremdsein?. Ein andermal sagt er fr. 114: ξὺν và? λέγοντας ἰσχυρίζεσϑαι χρὴ τῷ ξυνῷ. Wer
mit Verstand
reden will, der muß
sich an das
Gemeinsame
halten.
Hier könnte man versucht sein, anzunehmen, es läge ein Wortspiel vor, das nicht in dem sonst von uns festgestellten Umklappen der Bedeutung liegt, sondern vielmehr in einem neuen Verstärken der Bedeutung *. Aber der νοῦς ist bei Heraklit niemals (wie etwa bei Anaxagoras) das höchste Allgemeine. Das nennt er Logos, γνώμη oder σοφόν. νοῦς kehrt vielmehr zweimal wieder in höhnischen Angriffen auf die von ihm bekämpften „Vielwisser‘‘; fr. 104: τίς γὰρ αὐτῶν νόος ἢ φρήν; 40: πολυμαϑέη νόον ἔχειν οὐ διδάσκει. Beide Male scheint es, als ob die Gegner stolz wären auf ihren νοῦς, auf ihren Intellekt. νοῦς ist der Geist, sofern er sich etwas „vorstellt“
(auch um etwa danach zu handeln) — es ist also ein Begriff, »Vielwissern' wert sein mußte als Heraklit® — und nirgends daß er für Heraklits Erleben Bedeutung gewonnen hat. So Spannung in dem Wortspiel wohl größer, als man auf den annehmen möchte. Am deutlichsten vielleicht zeigt sich dieser Doppelsinn tischen Logos an dem Fragment 93: ὁ ἄναξ οὗ τὸ μαντεῖόν ἐστι
der eher den spüren wir, ist denn die ersten Blick des herakliτὸ ἐν Δελφοῖς
1 Nach Diels’ Übersetzung könnte man meinen, die Worte richteten sich nur gegen die, die sich mit der Welterklärung versucht hätten. Es geht aber offenbar auf alle Menschen,
die im Wachen
handeln, als schliefen sie: erst Heraklit zerlegt
jedes einzelne nach seinern Wesen und erklärt es. 1 Weitere Beispiele sind fr. 81: Die Rhetorik macht die Zungen scharf — wie ein Henkerbeil. Der Genitiv xorlöav „der Schwätzer“ springt um in die Bedeutung „der Schlachtmesser“, Aus dem wahrhaft Lebenden, dem Logos, machen sei ein tötendes Wort. — Fr. 26: Wie man ein Licht in der Berührung anzündet (doppelter Sinn von ἅπτεσθαι), so gehen auch die einander berührenden Zustände Tod — Schlaf, Schlaf — Wachen durch das Anzünden des Feuers auseinander her-
vor. Der Lebende ist angezündeter Toter im Schlaf, der Wachende ist angezündeter Schlafender. (Ich folge der Lesung von Wilamowitz.) Die Schranken, die man zu setzen gewohnt ist, werden durch das Feuer aufgehoben. Jede Grenze bedeutet
Wandlungsmöglichkeit
durch
das
Feuer.
—
Fr. 15:
Die
sogenannte
Scham lichster — den * So
ist das Allerschamloseste (aldolowsıy — ἀναιδέστατα); und als ungeheuerGegensatz ergibt sich in diesem Satz, daß die Menschen mit dem Phallos Hades feiern. hat Heraklit geschrieben, vgl. Diels Nachtr. XXV.
4 So spielen 5 Bei z.B. fr.
deutet es W. Gomperz (Wiener Studien XLIII, 1924, 128, 3), der den Wortbei Heraklit aufmerksam nachgegangen ist. Anaxagoras ist der νοῦς durchaus Organ wissenschaftlicher Erkenntnis, 12 xal τὰ συμμισγόμενά τε καὶ ἀποκρινόμενα καὶ διακρινόμενα πάντα ἔγνω νοῦς
— es ist der Verstand und nicht die Vernunft.
144
Die Sprache Heraklits
οὔτε λέγει οὔτε χρύπτει ἀλλὰ σημαίνει. Schon Schleiermacher übersetzt (sein fr. 10, S. 333):
„Der
König,
des
das Orakel
ist bei den
Delphiern
(sic),
erklärt nicht, noch verbirgt er, sondern deutet an. Und diese Übersetzung „er deutet an'* hat man seitdem beibehalten. Aber liegt dann nicht ein Widerspruch in dem Satz? Wenn Apoll nur ,,andeutet", so existiert für ihn doch offenbar eine wirkliche Eindeutigkeit, die er aus irgendeiner Rücksicht verschweigt, er verbirgt also etwas. Aber Heraklit sagt ausdrücklich, er verbirgt nicht. Und σημαίνω heißt auch nie ,,andeuten''!. Es heißt: ein Zeichen geben. Es wird auch sonst besonders in bezug auf Götterzeichen gebraucht®. Aber was soll das hier heißen: er gibt ein onu«? Man rufe sich nur ins Gedächtnis zurück, welcherart die Orakel waren, die Heraklit meinen kann. Bei Herodot lesen wir, dem Krösus sei, als
er sich in Delphi über den geplanten Feldzug gegen die Perser erkundigte, folgendes geweissagt (Her. 153): „Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören.‘ Das ist ein solcher χρησμὸς ἀμφήκης xai διπρόσωπος (wie Lukian einmal sagt Iupp. Trag. 43) der nicht klar ausspricht, aber auch nicht verbirgt, sondern — das ist das Entscheidende — der den Sinn und Gegensinn gibt. Des Gottes Antwort stellt ein σῆμα hin, ein Symbol, das einfach da ist. Und σημαίνειν ist das eigentliche Wort für ,,bedeuten*?. Da haben wir den Zusammenhang mit Heraklits Logos. Auch der Logos, der Sinn, σημαίνει, spricht nicht eindeutig wie der Name, verbirgt aber auch nichts, sondern ist da als σῆμα und „bedeutet“. Dieser Logos ist wirklich Symbol für die Welt‘,
da er auch
einfach
da ist, undifferenziert
und
einheitlich,
als das Allgemeine. So haben (fr. 56) die Fischerjungen, die sich die Läuse absuchten, dem Homer
zugerufen:
„Die wir gesehen
und
gefangen
haben,
die lassen wir
da, die wir aber nicht gesehen und nicht gefangen haben, die nehmen wir mit." Homer aber hat den Doppelsinn nicht durchschaut, wie Krósus die Doppeldeutigkeit des Orakels nicht verstanden hat. Und so lassen sich 1 Die
Lexika
bringen
als
Beispiele
für
σημαίνω = andeuten
Her. III 106:
Inder gewinnen Gold dadurch, daß sie es den Riesenameisen wegnehmen,
Die
ὥσπερ
ἐσήμηνα — nicht etwa „wie ich angedeutet habe“, denn die Geschichte ist ausführlich ,,kundgetan*. Ebenso VIII 62: σημαίνων δὲ ταῦτα τῷ λόγῳ διέβαινε ἐς Εὐρυ-
βιάδην, λέγων μᾶλλον ἐπεστραμμένα „nachdem
er dies kundgetan
hatte“. —
Xen.
Hell. V 4, 17: ἀπιόντι γε μὴν ἄνεμος αὐτῷ ἐξαίσιος ἐπεγένετο, ὃν καὶ οἰωνίζοντό τινες σημαίνειν πρὸ τῶν μελλόντων, wo ein Vorzeichen etwas „kundtut‘, „bedeutet“,
3 σῆμα ist das Götterzeichen schon bei Homer. Unserer Stelle besonders nahe kommt Pindar Paian VIII 23: καὶ τοιᾷδε xopupg σάμαινε λόγων (sc. Kassandra). — Bei den Medizinern ist σῆμα das Symptom, σημαίνειν Symptom sein für etwas (beides nebeneinander z. B. Κωακ. Προγν. 225 [V 634 L]). 3 Plat. Krat. 393 A: ὁ γὰρ ἄναξ καὶ ὁ ἔἕκτωρ σχεδόν τι ταὐτὸν σημαίνει. Gorg. 511 B:
ὡς ὁ λόγος σημαίνει. 4 Dieser Deutung
am nächsten
kommt
Lassalle I, 20ff., der auch nachweist,
man in der Antike den Ausdruck so verstanden hat.
daß
Die Sprache Heraklits
145
auch die Menschen täuschen in der γνῶσις τῶν φανερῶν. Sicher ist diese Geschichte nicht gerade sehr geistreich, die erzählt, Homer sei gestorben aus Verzweiflung über seine Ratlosigkeit bei diesem Satz. Heraklit aber greift sie auf, weil sie ein einfaches und wohlbekanntes Beispiel für das ist, was er als das Wesentliche des Logos ansieht!. Wer in der Sprache nichts weiter sieht als ein Werkzeug, bestimmte Erkenntnis festzuhalten und weiterzugeben, der wird von dem tiefen Sinn der Welt, wie er sich in der Sprache darstellt, von der eigentlichen Bedeutung des Logos, nie etwas verstehen?. So ist Heraklits Vorliebe für Wortspiele nie nur ein geistreicher Scherz, sondern ein ständiges Hinweisen auf dieses merkwürdige Doppelwesen des Logos, der eindeutig ist und doch doppeldeutig. Gerade dies war ein immer neuer Beweis dafür, daß der Logos das eigentliche Wesen der Welt
darstellte,
ihre
Einheit
im
Wechsel,
die
Gespanntheit
alles
Seins.
Auch für Heraklit noch wie für die alte religiöse Spekulation bewährt sich die Macht der Sprache. Aber indem er beginnt, sich seiner selbst bewußt zu werden, sucht er die Welt als Allgemeines in der Sprache zu fassen. Auch dieses Problem hatte der Logos zu lösen vermocht, wie er auch das Innen des Menschen mit dem Außen verbunden hatte. So stellt er denn
wirklich
ein höchstes
Euwöv,
ein letztes
Gemeinsames
dar,
das
alle Gegensätze der Welt umschließen und zusammenhalten kann. Stellen wir nun die Frage, in welcher Schicht der Logos liegt, so daß er das Subjektive und das Objektive gleichermaßen umspannen kann, daß er aber auch die Gegensätze
des Erlebens
umfaßt,
so können
wir zunächst
nur mit Heraklit antworten: ‚er ist ein von allem Getrenntes“, d. h. wórtlich sagt Heraklit: σοφόν ἐστι πάντων κεχωρισμένον (fr. 108). Das Weise ist 1 Wie er auch sonst Bekanntes aufgreift und neu deutet, z. B. fr. 80: εἰδέναι δὲ χρὴ τὸν πόλεμον ἐόντα ξυνόν — das soll man nur richtig „kapieren“, denn gesagt ist das schon früher: Σ 309: ξυνὸς ᾿Ενυάλιος, Archiloch. "Aena.
fr. 38 D: ξυνὸς ἀνθρώποισ᾽
* Bisher nicht gedeutet ist fr. 52: αἰὼν παῖς ἐστι παίζων, πεττεύων᾽ παιδὸς ἡ βασιAnt.
„Der Aion ein Kind
beim
Spiel, beim Brettspiel —
ein Kind
sitzt auf dem
Throne.“ Leisegang, Lit. Wochenschr. I, 1925, 51 denkt daran, daß das Kind die Steine der beiden Parteien spielte — eine sehr gezwungene Erklärung. Aber richtig muß sein, was Leisegang offenbar empfindet, daß nicht die bloße Willkür des Weltregiments mit dem Satz bezeichnet sein kann. Es wäre dann nicht einzusehen (ganz zu schweigen von sachlichen Bedenken), warum Heraklit von dem Bilde Homers (O 361 ff., von J. Bernays, Kleine Schriften I, 1885, 58 mit Recht herangezogen), dem Kind, das mit dem Sandhaufen spielt, abgewichen sei. In dem Brettspiel muß das Besondere liegen, auf das es Heraklit ankommt. Nun, man kann, glaube ich, nicht im Zweifel sein über die Meinung Heraklits, wenn man einmal einem Kinde beim Brettspiel, dessen Regeln es noch nicht versteht, zugesehen hat. Das Kind hat seine Freude daran, die Steine willkürlich-unsinnig zu setzen, aber trotzdem
gewinnt jeder Zug eine „Bedeutung“, indem er eine sinnvolle neue Stellung schafft. Gerade in dieser Mischung von Sinn und Unsinn liegt der Reiz für den Zuschauer — und das Aufreizende, das Heraklit betroffen hat. 10
8496
Snell, Ges. Schriften
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Die Sprache Heraklits
etwas von denes von sophie, ein Aus den
allem Getrenntes. Als Gedachtes ist der Logos etwas Verschieden Dingen. Mit diesem Bewußtsein konstituiert sich die PhiloReich der Bedeutung schält sich ab!. Synonymen, die Heraklit für seinen Logos gebraucht — wenn
wir zunächst einmal abseben von materiellen Bezeichnungen wie „Feuer“,
die sich aus der oben gekennzeichneten Identität von Innen und Außen ergeben —,
ist ersichtlich,
daß
die Tendenz
durchaus
auf das
Rationale
geht; γνώμη und τὸ σοφόν sind beides Bezeichnungen aus dem Bereich des Wissens. Nennt doch Heraklit auch das Denken die höchste Vollendung des Menschen (fr. 112). Die eigentliche Mythologie ist bei Heraklit überwunden — wir sahen oben schon, wie sich die Götter und ihre Namen als zu eng für sein Denken erweisen
—,
er sucht das allgemeine
„Göttliche“
und faßt das Göttliche
als Einheit. Und dieser Gott ist nicht mehr der Gott des Mythos, er hat nicht teil an einem mythischen Werden, weder als Figur einer göttlichen Gesellschaft noch als Schöpfer oder Erfinder, sondern er ist schlechthin das Wesen. So schr auch die Sprache Heraklits hervorwächst aus der Sprache des Mythos, so gibt er doch keine mythologische — etwa eine kosmogonische — Erzählung mehr. Er schreibt nicht mehr: „Es geschah“, sondern „es ist“. Das Werden, von dem er spricht, wird nicht aufgewiesen
als Geschichte, sondern es liegt als Prinzip im Zeitlosen, es ist geradezu
ein Sein. Über das Einmalige, Besondere hinausgehend betont er immer wieder das ἀεί (besonders fr. 30) und das ξυνόν in dem
Am meisten Aufhebens hat die Doxographie das Wesen der Welt im Feuer sah. Wo man Heraklit für die ἀρχή, lautete die Antwort: das durchaus nicht der Vorwurf des Materialismus
Werden.
davon gemacht, daß Heraklit die Frage stellte, was hielt Feuer. Daraus darf nun aber gegen ihn abgeleitet werden.
Für Heraklit war das Feuer nicht „Stoff“, aber auch nicht „Prozeß“,
über-
haupt hat er das Feuer nicht naturwissenschaftlich angesehen. Es ist ,,ewig lebendiges Feuer“ (fr. 30), als strafender Richter waltend (fr. 66), — der „Gegentausch‘“ für alle Dinge (fr. 90), aber auch für die Seele das Wertvolle (fr. 118, 117), das das Steuer des Alls führt (64). Das Feuer umspannt also das Innen und Außen genau wie der Logos?. Das Feuer ist ihm ,,er-
lebtes‘‘ Feuer — Welt
der Dinge
als das Lebendigste, ist es ihm
Einheitlich-Zwiespältigste in der
das Eigentliche,
das „Bedeutende“
—
als das
es in der metaphysischen Spekulation der verschiedensten Zeiten erscheint. In dieser sozusagen phänomenologischen Blickrichtung erhebt sich die 1 Vgl. besonders Cassirer, Die Philosophie der Griechen, 19.
3 K. Joel, Geschichte der antiken Philosophie 1, 1921, 299: „Ohne dies Ineinanderleben von Seele und Welt, ohne solche Durchdringung des Geistigen und Physischen ist Heraklits Lehre nimmermehr zu verstehen, ... da sie immer wieder die Welt nach der Seele deutet und immer wieder die Seele nach der Welt verbild-
licht.“
Die Sprache Heraklits
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Wesenheit des Feuers zum Allgemein-Wesenhaften. Genau wie in der Lehre vom Logos ist auch hier die Grundlage das Erleben — das spezifisch Heraklitische liegt aber erst in dem
Durchbruch zum Allgemeinen.
So stark vorhin betont war, daß die Sätze, in denen Heraklit von dem Fluß spricht, aus dem Empfinden hervorwachsen, so muß jetzt mit allem
Nachdruck hervorgehoben werden, daß sie bei Heraklit mehr sind als der lyrische Ausdruck eines Erlebens. Heraklit spricht von dem sich wandelnden
Fluß, weil er für ihn etwas bedeutet. In dem Fluß sieht er den ganzen Kosmos. Heraklit verharrt nicht wie der Lyriker in dem Moment der zwiespältigen Empfindung; wie er in den Gegensätzen die Einheit des Logos sucht, so ist auch der Fluß nicht nur augenblickliches Erleben, sondern
er wird
erhöht,
„abgetrennt“
als kosmisches
Prinzip.
Es ist bei
Heraklit eine prinzipiell andere Art, den Augenblick zu überwinden, als bei dem Lyriker. Der Lyriker formt den Augenblick in seiner Zwiespältigkeit; die Einheit liegt ausschließlich darin, daß dem Erleben einmal Doppeltes gegenwärtig war und in diesem Augenblick seine Gestalt gewonnen hat!. Heraklit aber sucht die dauernde Einheit im Metaphysischen?. Und der Fluß ist nicht etwa nur Gleichnis für ihn — er sagt nicht: „Wie für den Badenden
immer
immer
andere Fluten
da sind, so ist auch im Kosmos
jedes Ding neu“, sondern mit der Aussage über den Fluß ist die
ganze Welt gleich mitgemeint; es ist eine Aussage ganz direkt über das Allgemeine, das ξυνόν. Und nicht nur die ganze Außenwelt ist mitgemeint, sondern das eigene Ich ist auch in diesem Allgemeinen mitenthalten — denn das Allgemeine erhält ja aus dem eigenen Erleben seine Kraft, und wie wir immer wieder gesehen haben, ist das Innen und Außen für Heraklit noch auf eine sonderbare Weise ungeschieden. Erst jetzt wird ganz deutlich werden,
in welchem
Sinn
man
Heraklit
mißdeutet,
wenn
man
ihn
zum
Lehrer des πάντα ῥεῖ macht. Wir haben früher gesagt, daß er nicht Gegenstände beobachtet;
es gibt für ihn eben nur einen
Gegenstand,
der aber
auch kein Gegen-Stand im strengen Sinn ist, da er das Ich mit umfaßt — den Kosmos. Dieser Kosmos zeigt sich dem Auge — aber dem Auge ist er immer ein zwiespältiger — als sichtbarer ist er für Heraklit nicht rational zu fassen — als ein beobachteter, in seinen Bewegungszusammenhängen erforschbarer existiert er für ihn gar nicht. Das Wissen Heraklits erfaßt
die Einheit
des
Logos,
„die unsichtbare
Harmonie“;
nur als ver-
stehbares Wort wird die Welt dem Denken Heraklits zugänglich. In der sichtbaren Welt ist der Widerspruch zwischen dem Wechsel und der ihm 1 Über diese Eigenart der griechischen Lyrik werde ich demnächst näheres in einer Arbeit über die Aischyleische Tragödie ausführen. [Aischylos und das Handeln im Drama, 1928.] * Mit
Recht
hebt
daher
Cassirer,
a.a. O.
hervor,
daß
der
Unterschied
zu den
alten Theogonien in der Ewigkeit des Feuers liegt. Man vgl. jedoch Pherekydes v. Syros (Diels 71 B 1): Ζὰς μὲν καὶ Χρόνος ἦσαν del καὶ Χϑονίη. 10»
148
Die Sprache Heraklits
zugrunde liegenden Einheit nicht auflösbar— da ist die beständig wechselnde Flut und der gespannte Bogen ein letztes Phänomen, über das sich nichts weiter aussagen läßt — das eben ein Wesentliches darstellt. Und diese beiden Heraklitischen Bilder sind so wenig überbietbar oder weiterhin reduzierbar, daß sie noch heute in der Naturwissenschaft ihre zentrale Bedeutung haben. , Welle" und „Spannung“ sind phänomenologisch
irreduzible Wesenheiten. Um die logische Seite der Heraklitischen Weltauffassung noch deutlicher zu begreifen, kommen wir noch einmal auf den Satz zurück, an dem wir zuerst gerade das Hervortreten des Empfindens bei Heraklit aufgewiesen haben (fr. 126): τὰ ψυχρὰ ϑέρεται, ϑερμὸν ψύχεται, ὑγρὸν αὐαίνεται, καρφαλέον νοτίζεται. Wir haben gesehen, wie in der rein verbalen Wendung der verschiedenen Prädikate die noch ungeschwächte Kraft des Sicheinfühlens und Miterlebens sich ausspricht. — Diels hat in einer schönen Abhandlung! als ein Charakteristikum der allgemeinen Sprachentwicklung hervorgehoben, daß sich das Verbale allmählich immer weiter zum Substantivischen befestigt, und er hat gerade Heraklit als eine wichtige Etappe auf diesem Wege genannt. Diels denkt dabei besonders an die Nominalbildungen
auf -σις,
die
tatsächlich
am
deutlichsten
das Verbale
in das Nominale, Begriffliche umsetzen: Diese Bildungen dringen mit voller Kraft allerdings erst geraume Zeit nach Heraklit in das Griechische ein. Aber trotzdem
finden wir eine Reihe solcher Worte
bei Heraklit,
und
es ist interessant, welcher Art diese sind. Sie lauten μάϑησις (fr. 55), φρόνησις (2, cf. τὸ φρονεῖν
112,
113), γνῶσις
(56), ὄψις (26, 55), σύναψις
(10)2.
Zur
begrifflichen Festigkeit drängen bei Heraklit also die Verben, die sich auf die geistige Auseinandersetzung mit der Welt beziehen?, während Verben, die Verhältnisse der Außenwelt bezeichnen (mit Ausnahme von σύναψις), es nicht zu solcher Begrifflichkeit gebracht haben. Substantive vom Typus χίνησις oder πύκνωσις fehlen, wie schon vorhin erwähnt, bei Heraklit*. Und z.B. an dem Substantiv τροπή, das vom Verbum abgeleitet ist, haben
wir oben gesehen, daß es eben nicht zu dieser Gruppe gehört. Die Betrachtung der abstrakten Substantive bei Heraklit zeigt also auch nur wieder, daß sich sein Denken nicht auf die in Raum und Zeit gegebenen
Dinge
richtet, sondern
eher auf den auffassenden
Menschen.
Daß
die
1 — SBB 1901, IX, 190£., vgl. Philol. Unters. XXIX, 1924, 19f. 2 [Oder vielmehr σύλλαφις, s. u. S. 1528] * Aber Heraklit fragt nicht als Erkennungstheoretiker nach der Eigenart
der
Erkenntnisse — er wertet lediglich: ὅσων ὄψις ἀκοὴ μάϑησις, ταῦτα ἐγὼ προτιμέω (55), τὸ φρονεῖν ἀρετὴ μεγίστη (112), ἐξηπάτηνται οἱ ἄνθρωποι πρὸς τὴν γνῶσιν τῶν φανερῶν (56), ζώουσιν οἱ πολλοὶ ὡς ἰδίαν ἔχοντες φρόνησιν (2).
4 Man lese nur die Nachahmungen heraklitischen Stils bei den hippokratischen „Herakliteern‘‘ — dort begegnen uns sofort Worte wie πρόσϑεσις, ἀφαίρεσις, αὔξησις, μείωσις {π. διαιτ. 6), σύγκρησις (id. 7), κίνησις, διάπεμψις (id. 9), ἀπομίμησις, σύστασις, σχκέδασις, ἀπόκρισις, αὔξησις (id. 10).
Die Sprache Heraklits
149
Veränderung der Außenwelt von Heraklit nicht „erkannt“, sondern eher „erlebt‘“ wird, hat sozusagen sein grammatisches Korrelat in der noch
ursprünglichen Stärke des Verbalen: τὰ ψυχρὰ ϑέρεται —, und ähnliche Wendungen kehren häufig in den Fragmenten wieder!, die aber doch, wie gesagt, nicht mehr Erzählung, Geschichte geben, sondern ein Geschehen,
das zu jeder
Zeit so ist, was
seinen grammatischen Ausdruck
in
den präsentischen Prädikaten findet. Dieser Satz zeigt aber zugleich, daß die Abstraktion bei Heraklit an einer anderen Wortklasse ansetzt, am Adjektiv. Da ist zunächst einmal festzustellen, daß das Adjektiv in seiner eigentlichen Bedeutung als attributives „Eigenschaft‘‘-Wort bei Heraklit fehlt. Wenn man denkt, wie z.B. Empedokies die Adjektive so meisterhaft verwendet, um den Dingen eine besondere Farbe zu leihen, um sie von irgendeiner Eigenart aus lebhaft zu erfassen, so erscheint Heraklits Gebrauch der Adjektiva als geradezu tot. Adjektive kommen attributiv neben einem Substantiv ungefähr 25mal bei Heraklit vor — dagegen als Prädikatsnomen ungefähr 45 mal, substantiviert aber mehr als 60 mal. Ist es schon bemerkenswert, daß so wenig Fälle des attributiv verwandten Adjektivs in den Heraklitischen Fragmenten vorkommen, so ist noch auffallender, daß eigentlich in keinem einzigen Falle ein gefühlsbetontes Adjektiv irgendeine besondere Eigenschaft eines Gegenstandes sinnlich verdeutlicht. Von den 25 Fällen fallen 8 auf πολύς, πλέων, μείζων, μέγιστος, πᾶς, ἴδιος — und Fälle wie παιδὸς ἀνήβου, ὁ κάλλιστος κόσμος, κλέος ἀένναον
zeigen, daß das attributive Adjektiv bei Heraklit nicht einen besonderen Fall heraushebt und beschreibt, daß es vielmehr die Allgemeinheit des Substantivs
Die
noch
häufige
verstärkt —,
also auf die Abstraktion
Substantivierung
des Adjektivs
dient
hinwirkt.
Heraklit
dazu,
die
Eigenschaft von den Dingen „abzutrennen‘ — und das heißt, daß er nicht
nach den materiellen Voraussetzungen fragt, die eine Veränderung in den Eigenschaften eines Dinges hervorbringen kónnten—, wie etwa der Physiker fragen wird, wie Wärme oder Farbe entsteht. Indem Heraklit nicht nach der physikalischen „Wärme‘‘ oder „Feuchtigkeit“ fragt, die sich immer nur
empirisch am warmen oder feuchten Körper feststellen läßt, sondern nach „dem
Warmen'
oder
„dem
Feuchten‘‘
—
wobei
der griechische
Plural
neutr. auf eine für uns unnachahmliche Art das zerstreut gegebene einzelne Warme zur Einheit zusammenfaßt—,
hält er sich in der Schicht des Logos,
in der nicht ein beobachteter Gegenstand dem Beobachter gegenübertritt, sondern in der diese Zweiheit von Subjekt und Objekt unzerstórt ist, in der die Eigenschaft nur als Teil einer notwendigen Polaritát erscheint. Denn
‚das
Warme“
ist nicht die wahrgenommene
Wärme
und
nicht die
Wärmeempfindung, sondern ist überhaupt der Empirie entzogen, „losgelóst^ im Gedanken. Wo Heraklit der Natur gegenüber das Empfinden ı Vgl. z.B. fr. 84, 91 usw.
150
Die Sprache Heraklits
verläßt und zum Gedanklichen aufsteigt, gelangt es also auch hier nicht zur eigentlichen Naturwissenschaft. Der Logos, der die Bedeutung des Wortes meint, richtet sich auch bei
Tatsachen nur auf die dahinterliegende Bedeutung, auf den einheitlichen Sinn der zwiespältigen Erscheinung, bemüht sich aber nicht um eine rationale Verbindung der Tatsachen untereinander!. — Und in ähnlicher Weise wird auch das menschliche Handeln von Heraklit aufgefaBt. Das führt uns zurück auf die Frage, die wir vorhin schon berührt haben, als wir über die Bedeutung des Ethos bei Heraklit sprachen. Es war schon gesagt, wie sich mit ihm
das ποιεῖν, das Tun,
immer
mit dem λέγειν, mit
dem bedeutungsvollen Reden verbindet. Wie der Logos in der Welt etwas ewig Tätiges ist, so ist auch für den Menschen das Wissen um den Sinn ganz selbstverständlich mit dem Handeln verbunden. Bei der Beurteilung
des Handelns hält er sich auch ganz an den Logos, seine Ethik geht immer von der „Bedeutung“ des Handelns aus. Fr. 49: εἷς ἐμοὶ μύριοι, ἐὰν ἄριστος 7 „Einer gilt mir Tausende, wenn
er der beste ist“.
Er stellt die Frage nach dem Wert der Handlung, ohne aber die Frage nach
dem
Ziel
des
Handelns
aufzuwerfen.
„Wenn
er der
beste
ist!
—
dieser Satz birgt kein weiteres Problem für ihn. Er sagt (fr. 102): τῷ μὲν ϑεῷ καλὰ πάντα καὶ ἀγαθὰ καὶ δίχαια, ἄνθρωποι δὲ ἃ μὲν ἄδικα (ὑπειλήφασιν) ἃ δὲ δίκαια „Vor Gott ist alles schön und gut und gerecht, die Menschen aber halten das eine für unrecht, das andere für recht.“
Die Leidenschaft des Ethikers, den Menschen
ein Ziel vor Augen
zu
stellen, fehlt ihm also vollkommen. Die Gegensätze zwischen gerecht und ungerecht liegen für ihn auch nur im beschränkten Meinen der Menschen, sind nur Gegensätze des Empfindens, die im Göttlichen ihren Ausgleich finden (wobei allerdings die Inkonsequenz entsteht, daß das Gerechte, also die eine Seite des Gegensatzpaares, den Ausgleich schafft). Und so oft die δύκη bei ihm vorkommt, ist sie immer nur die einfach Geltende, die die Lügner faßt, deren Schergen die Erinyen sind. Niemals wird aber die Frage gestellt, wie der Mensch sich zu dieser Dike stellen könnte. So ist auch der νόμος der Stadt das, was seine Kraft aus dem Logos
hat,
und ,,durch alles hindurchgeht‘, was die Macht hat und gilt (κρατεῖ fr. 114), was der Stadt die Bedeutung gibt und darum verteidigt werden muß wie die Mauer (fr. 44). Nomos kann darum auch sein, einem einzelnen zu gehorchen (fr. 33). Mit eigentlicher Ethik hat das alles noch gar nichts
zu tun. Wenn
er einmal eine Norm
für das Handeln aufstellt, so lautet sie: δεῖ
ἔπεσϑαι τῷ ξυνῷ (fr. 2) — man soll dem Allgemeinen folgen, d. h. dem Logos. Sicher liegt ein Unterschied gegen die früheren Anschauungen 1 Kausale
Satzverbindungen
gehen bei ihm immer nur auf das Verhältnis
Grund zur Folge, nie auf das von der Ursache zur Wirkung.
vom
Die Sprache Heraklits
151
darin, daß auch das Handeln auf eine allgemeine Norm bezogen wird und nicht
mehr
nur
auf ein
besonderes
Standesideal,
daß
der
Wert
rational
begründet und nicht nur als gegeben hingenommen wird. Aber trotzdem ist das Denken nicht darauf gerichtet, dem Leben ein Ziel zu stecken, wie das stoische ὁμολογουμένως ζῆν dem Zweck eines glücklichen Lebens dient.
Heraklit
stellt nicht
die Frage
nach
dem
Ziel,
sondern
nach
dem
Wesen. Die Vernunft umschließt beidemal beides — sie ist theoretisch und praktisch—, aber Heraklit sucht keine Maxime, die Frage nach dem ποιεῖν wird wohl mitgestellt — sie stellt sich unwillkürlich ein—, aber Heraklits Interesse am Handeln beruht nur darauf, daß das Wissen für ihn zugleich auch das Tun bedeutet, daß der Logos für ihn noch nichts rein Theoretisches, sondern etwas lebendig Wirkendes ist, der tatsächlich „gilt“, wie das Gesetz, der νόμος auch gilt, „Bedeutung“ hat. Dies Gelten und Bedeuten!
verbindet Logos und Dike für Heraklit miteinander. Auch bei den anderen Substantiven, die er zur Bezeichnung des rationalen kosmischen Prinzips braucht, γνώμη und σοφόν — und ebenso bei φρονεῖν und φρόμησις ---, fällt auf, daß sie nicht nur theoretische Bedeutung haben, sondern auch das Handeln mitumfassen?. So richtet sich denn der Vorwurf, den er gegen die Menschen erhebt, dagegen, daß sie nicht ,,verstehen'', daß sie nicht wach sind, nicht denken
und den allgemeinen geltenden Sinn nicht erfassen. — Auch von hier aus zielt also alles auf den einen Zentralpunkt, den Logos. Heraklits Denken erweist sich als ein συνιέναι in ganz prägnantem Sinne. Heraklit war im Altertum als der Dunkle verschrien. Sicher mag es uns verhältnismäßig leicht gelingen, den Zusammenhang seines Systems zu durchschauen, seine vielfältigen Äußerungen auf einen einheitlichen Mittelpunkt zu reduzieren. Jedoch mit dem Erkennen des Zusammenhangs aller Teile in dem Denken Heraklits haben wir nicht etwa wie bei einem ausgesprochen naturwissenschaftlichen Denker das Wesentliche aufgedeckt. Dahinter steht das ungeheure Pathos des Erlebens und dessen Hinüberführen in die Schicht des Bedeutens und Geltens. Wie irgendein inhaltsschweres Wort ein durchaus kenntliches und allgemein greifbares ist — wie z.B. das „Leben‘‘ —, aber doch
für den Grübelnden
immer
neue und neue Tiefen auftut, wie solch
ein Logos so ist auch Heraklit selbst zunächst durchaus einfach, da all sein Denken nur immer wieder auf eine einzige Intuition bezogen ist — und doch bedarf es nach dem Wort, das Sokrates gesagt haben soll, als Euripides ihm die Schrift des Heraklit gab (Diog. II. 22), eines delischen Tauchers, um ihn zu ergründen. 1 Wie nah „Gelten, Wertsein‘ und „Bedeuten‘“ für die antiken Sprachen neben-
einanderliegen, Wortes featio.
zeigen
bezeichnen;
3 Philol.
Unters.
δύνασθαι
und
valere, die
beide
vgl. auch posestass — Bedeutung X XIX 586. u. 338.
auch
das
Bedeuten
eines
rhet. Her. 4, 67 statt vis, signi-
HERAKLITS
FRAGMENT
10
Dies Bruchstück bringen alle bisherigen Auflagen der “Vorsokratiker’ in der folgenden Form: συνάψιες ὅλα καὶ οὐχ ὅλα, συμφερόμενον διαφερόμενον, συνᾷδον διᾷδον, καὶ ἐκ πάντων ἕν καὶ ἐξ ἑνὸς πάντα. Hermann Diels hat (SBB
1901, 1886.) als erster für das Fragment eine eingehende Rezension der handschriftlichen Überlieferung gegeben und endgültig das bis dahin stets gedruckte συνάψειας aus dem Anfang des Bruchstücks entfernt. Er zeigte, daß vielmehr ein Substantiv das Fragment eröffnet, und schrieb, wie in einigen Hss. (5...) steht, συνάψιες. Nun hat O. Hoffmann (Griechische Dialekte 3, 1898, 240) gesehen, daß die Überlieferung dazu als Variante συλλάψιες zur Verfügung stellt, und daß dies eine einwandfreie jonische Form
ist; er empfiehlt
darauf und bemerken,
es in den Text
daß es „dem
zu
setzen.
Diels-Kranz
verweisen
Sinn weniger entspricht, aber formell
untadlig ist“. Da jetzt die Überlieferung des Fragments sehr viel besser bekannt ist, als aus den Angaben auch der neuesten Auflage der Vorsokratiker hervorgeht, und sich daraus ergibt, daB συλλάψιες mehr ist als eine bloße Variante, und da außerdem O. Gigon! sehr weitgehende Schlußfolgerungen aus seiner Interpretation des von ihm ohne weiteres angenommenen συνάψιες gezogen hat, lohnt es vielleicht, etwas näher auf das Fragment einzugehen. Es ist überliefert in der pseudo-aristotelischen Schrift π. χόσμου 396b 20. Nach der Ausgabe von W.L. Lorimer? hat Lp συλλάψιες, P συλλήψιες, Par 2494 σύλληψις, R 223 als Variante συλλήψεις, alle anderen Hss. irgendwelche Formen mit ovvadb..... Dazu tritt nun aber als gesondertes?, älteres Zeugnis das Exzerpt bei Stob. 1, 270, 15 W.; dort ist einheitlich in F u. P überliefert συλλάψει ἐς, also συλλάψιες.
Ein noch weit älteres Zeugnis ist die Bearbeitung dieser Schrift durch Apuleius (de mundo 20). Auch hier sind die Angaben in den Vorsokratikern 1 Untersuchungen zu Heraklit, 1935, 20 ff, u. ó.
* Paris 1933. Belles Lettres. — Dazu vgl. die beiden Bücher Lorimers zur Textgeschichte: The Text Tradition of Pseudo-Aristotle ‘De Mundo’, St. Andrews University Publications Nr. 18, 1924; Some Notes on the Text of Ps.-Ar. 'De Mundo’, ebendort Nr. 21, 1925. 3 Lorimer, Text Tradition 16.
* Die Lesart συλλάψει ἐς liegt auch der mittelalterlichen lateinischen Übersetzung des Nicolaus
Siculus zugrunde:
Text Tradition
conjunget in conversa et non conversa (Lorimer,
71 mit kritischem Apparat).
Die sog. Versio Manfrediana
gibt:
comptehendit omnia et non omnia (Lorimer 70). Hier ist zum mindesten deutlich
(deutlicher als bei Nicolaus), daß eine Form von συλλαμβάνω, nicht von συνάπτω übersetzt ist. — Die syrische Übersetzung hat ein Nomen, das König mit 'Vetsammlung’, Sachau mit ‘Vereinigung’ wiedergibt (Lorimer, krit. App. d. Ausgabe).
Heraklits Fragment 10 nicht genau, ungenauer noch als die bei Diels SBB
153 1901, 194, der im Fak-
simile das Heraklit-Fragment aus den beiden Apuleius-Hss. gibt, aber die Buchstaben nicht alle richtig deutet. Einwandfrei sind sie inzwischen wiedergegeben in der Ausgabe der philosophischen Schriften des Apuleius durch P. Thomas von 1908 (und 1921). Cod B hat XEYNAAIIVIAIZ, V dagegen ZYNATITIAIZ (mit A, nicht A nach dem Nfl). Diels hat eine techt komplizierte Theorie aufgestellt, um diese Lesarten zurückzuführen auf das von ihm vorausgesetzte συνάψιες. Ist aber erst einmal συλλάψιες als mögliche Leseart erkannt, so leuchtet sofort ein, daß dies auch bei
Apuleius Tujtat;
zugrunde statt
liegt. Der Archetypus
συνλαψιες:
die
etymologische
hatte συνλαπψιαις Schreibung
-vÀ-
oder συνλαkommt
auch
sonst in Hss. vor, — bei Kühner-Blass 1, 263 steht ein Beispiel gerade aus jonischer Literatur, nämlich aus den hippokratischen Schriften. Wie das II oder TI vor dem Y zu erklären ist, läßt sich nicht ganz sicher ausmachen. Wahrscheinlich ist es aus M verlesen. Formen wie λάμψομαι sind auch in unsere Herodot-Überlieferung eingedrungen, sind dort sogar die herrschenden, und ebenso Formen wie ἐλάμφϑην statt ἐλάφϑην. Es zeigt sich also, daß συλλάψιες bei weitem die bessere Überlieferung ist — es wird deshalb auch von Lorimer in den Text gesetzt — und daß συνάψιες nur in einem begrenzten Teil der hs. Tradition auftaucht. Darum
wäre es aber doch noch möglich, daß dies eine beachtenswerte antike Variante wäre, da sich die Hss. der Schrift π. κόσμου nicht auf einen Archetypus zurückführen lassen!. Aber selbst dann verdiente συλλάψιες schon aus dem ganz äußeren Grund den Vorzug, weil die ungewöhnliche jonische Form σύλλαψις viel eher in das seit Aristoteles gewöhnliche σύναψις geändert werden konnte, als umgekehrt. Sind doch die guten jonischen 1 Ungefähr übersieht man jetzt die hs. Überlieferung nach den Arbeiten Lorimers, aber er ist noch weit davon entfernt, die Hss. wirklich systematisch aufgearbeitet zu haben. Mehrere Hss. werden zwar als Abschriften erhaltener Hss. ausgeschieden, aber die vielen übrigbleibenden hat Lorimer sich recht vage nach 'Übereinstimmungen' in 5 'Klassen' eingeteilt; das Material, das zu dieser Einteilung geführt hat, teilt er aber nur unvollkommen mit, da es 'spatii angustiae vetant' (Ausgabe S. 8) — so weiß man nicht einmal, ob die 'Übereinstimmungen' auf Fehler gehen oder nicht. Daß Lorimers Verfahren nicht genügt, zeigt schlagend unser Fall: Das Echte ist rein nur in Lp. erhalten — Lorimer führt aber nicht einmal die sámtlichen Lesarten von Lp. an, während es bei einer Überlieferung, die man nicht in ein Stemma
bringen kann, doch gilt: wenn eine Hss. einmal als einzige eine richtige Lesart durch
Überlieferung hat (und daran kann hier nicht gezweifelt werden),
dann ist
jede Sonderlesart bei ihr 'Prásumptiv-Variante', muß also angeführt werden. — Nach den Ausführungen von Lorimer scheint es allerdings so, als ob man vielleicht doch mit der Annahme durchkommt, daß zwei antike Hss. ins Mittelalter gekommen sind: die würden den Klassen 1 und 3 Lorimers entsprechen, denn die übrigen 3 Klassen bezeichnet Lorimer selbst als Mischklassen. Diese beiden *Archetypi' müßten dann aber methodisch rekonstruiert werden. Dann würde συλλάψιες in dem Archetypus von Lp, P, Par 2494 und der Variante von R 223 gestanden haben (Lp, P und der Parisinus gehören zur 3. Klasse Lorimers).
154
Heraklits Fragment 10
Formen
wie
λάψομαι
auch
aus
unserer
Herodot-Überlieferung
bis
auf
geringe Spuren verschwunden, die erst der Scharfblick von W. Schulze! wieder zu
entdeckt
sein,
hat. Ja, σύναψις
sondern
kann
aus
den
braucht nicht einmal eine Interpolation Varianten
σύνλαψις
und
σύλλαψις
durch
bloßes Mißverständnis entstanden sein?. Entscheidend
ist aber natürlich, ob συλλάψιες vernünftigen
Sian ergibt.
O. Gigon sagt (20): , ,σύναψις bedeutet "Berührung, Verknüpfung’ ... Das an sich ganz triviale musikalische Beispiel (nämlich συνᾷδον διᾶδον) beweist, daB es sich bei σύναψις um eine Abfolge handelt." Gigon meint offenbar: Zusammenklang und Zwieklang kann nicht auf Akkorde gehen, denn die gab es in der alten Musik nicht, sondern nur auf die Abfolge verschiedener Töne in der Melodie (vgl. Kranz zu 22 B 8). Aber das könnten die Wörter συνᾷδον und διᾷδον unmöglich hergeben. συνάδειν ist ‘im Chor mitsingen’, ‘den gleichen Ton wie andere singen’ (oder ihn auf dem Instrument spielen). Daher hat es früh die übertragene Bedeutung: übereinstimmen. Zu ouvadov bildet
Heraklit
nach Analogie
des
vorhergehenden
συμφερόμενον
διαφερό-
μενον das Wort διᾷδον, das also dasselbe bedeutet, wofür man später ἀπᾷδον sagte: das 'Mifsingende'. Dann kann aber dies Gegensatzpaar gerade nicht auf zeitliche Abfolge zielen, sondern nur auf das Nebeneinander von übereinstimmenden und abweichenden Tönen. Damit fallen aber die weiteren Folgerungen, die Gigon aus unserm Bruchstück für die Kosmologie Heraklits zieht, von selber hin.
Diels-Kranz übersetzen das Fragment: „Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Einträchtiges Zwieträchtiges, Einklang Zwieklang, und aus Allem Eins und aus Einem Alles". Etwas genauer erklärt Diels συνάψιες SBB 1901, 189: „Verbindungen, d. h. innerlich zusammenhängende Gegen-
satzpaare ... Statt des gewöhnlichen συνάπτεται oder συνῆπται nant das Substantivum gesetzt." Er faBt also, und das hat Kranz akzeptiert, ‘Verbindungen’ als Prädikat und die Gegensatzpaare als Unmöglich kann aber z.B. συμφερόμενον διαφερόμενον in diesem σύναψις bezeichnet werden,
denn nach Heraklits Meinung
ist prägoffenbar Subjekt. Sinn als
‘verbindet’
sich
nicht das Einträchtige und das Zwieträchtige, sondern das Zwieträchtige verbindet sich, so daß Einträchtiges entsteht: 8 τὸ ἀντίξουν συμφέρον καὶ ἐκ τῶν διαφερόντων καλλίστην ἁρμονίην, 51 οὐ ξυνιᾶσιν ὅκως διαφερόμενον ἑωυτῷ συμφέρεται" παλίντονος ἁρμονίη ὅκωσπερ τόξου καὶ λύρης. 1 Festschrift
für
P. Kretschmer,
1926,
220
=
Kleine
Schriften,
1934,
412.
—
Leider hat sich Powell für sein sonst so ausgezeichnetes Herodot-Lexikon diesen wichtigen Aufsatz von Schulze entgehen lassen. — Danach wird man nun auch bei Heraklit fr. 28 und 66 καταλάψεται schreiben, wenn man sich überhaupt auf den Versuch einlassen will, überall den ursprünglichen Dialekt herzustellen. 3 So ist z. B. unsicher, ob der Korrektor von Lp, der v über λλ schrieb, συνλάψιες oder συνάψιες hat herstellen wollen. * συμφέρεται nehme ich jetzt mit Brieger und Gigon (22) anstatt des bei Hippo-
lytos offenbar aus dem Vorbergehenden eingedrungenen ὁμολογεῖν. --- παλίντονος
Heraklits Fragment 10
155
Das schließt nun aber überhaupt aus, daß das Wort σύναψις hier seinen Platz hat. Denn συνάπτειν ist das Zusammenknüpfen von zwei Dingen. Die Gegensätze, die hier aufgezählt werden, sind aber nicht so, daß Gleich-
geordnetes 'zusammengeknüpft' würde. Zumal das erste Paar zeigt, daß es sich vielmehr um das Verhältnis des Gesamten zum Einzelnen handelt: das Ganze und Nicht-Ganze; für das zweite συμφερόμενον διαφερόμενον haben wir dasselbe schon gesehen. Das dritte συνᾷδον διᾷδον ist also danach zu deuten: nicht an konkrete musikalische Verhältnisse wird gedacht, sondern das Einstimmig-Mißstimmige bezeichnet metaphorisch die höhere Einheit, in der das Abweichende aufgeht. Daß schließlich am Ende der Gegensatz ἕν πάντα nicht auf 'verknüpfbare' Gegensätze geht, ist vollends klar. Ob bei den Worten ἐκ πάντων ἕν καὶ ἐξ ἑνὸς πάντα als Verb eher 'ent-
stehen’ oder “bestehen? zu ergänzen ist, das zu beantworten müssen wir noch etwas hinausschieben. Jedenfalls zeigt sich, daß συνάψιες durchaus nicht
so
gut
dem
Sinn
entspricht,
wie
man
annimmt.
Andererseits
ver-
steht man das Eindringen von. συνάψιες statt συλλάψιες besonders gut, wenn man sich den Zusarnmenhang ansieht, in dem das Fragment in der Schrift π. κόσμου zitiert wird: da ist tatsächlich die Rede von Gegensätzen zwischen einander gleichgeordneten Einzelheiten: dem Männlichen und Weiblichen,
dem
Weißen
und
Schwarzen,
dem
Hohen
und
Tiefen
usw.
Da erscheint denn auch das Verb συνάπτειν: ἧ φύσις... τὴν ὁμόνοιαν διὰ τῶν ἐναντίων συνῆψεν, οὐ διὰ τῶν ὁμοίων 1. Wie fahren wir nun aber mit der besseren Überlieferung, mit συλλάψιες ἢ
Zunächst einmal werden wir die lästige Vorstellung los, daß zwei einander gleichwertige Dinge miteinander ‘verknüpft’ würden. 'Zusammenfassungen' entspricht dem Verhältnis dieser Gegensatzpaare Heraklits entschieden besser. Aber auch jetzt gibt es noch Schwierigkeiten: wenn wir συλλάψιες so, wie Diels es mit συνάψιες getan hatte, als Prädikat fassen, würde das Bruchstück etwa heißen: „Zusammenfassungen: Ganzes und NichtGanzes, Einträchtig-Zwieträchtiges, Einstimmend-Mißstimmendes, und
aus Allem Eins aud aus Einem Alles." Das ist, wenn es überhaupt Sinn hat, recht trivial. Aber schon der Satzbau legt es viel näher, συλλάψιες ist entschieden
das Richtige, und nicht παλίντροπος. παλίντροπος
ist “abgewandt’
(z. B. ὄμματα Aisch. Ag. 777), ‘sich umwendend’ (z. B. παλίντροπον ἕρπειν Soph. Phil. 1222), daher kann Parmenides B 6,9 vom 'umgekehrten Weg' sprechen, παλίντροπος κέλευθος. Weil man in dieser Stelle Polemik gegen Heraklit sieht, ist
man geneigt, das Wort bei Heraklit anzusetzen. 'Umgekehrte Vereinigung’ ist aber unsinnig. παλίντονος heißt schon der Bogen bei Homer, und daß auch die Leier ‘gespannt’ wird, sollte keiner Erklärung bedürfen. 1 Daß in den Vorsokratikern viel zuviel aus der Schrift x. κόσμου ausgehoben ist, geht schon daraus hervor, daß die Vereinigung der Gegensätze hier als 'Mischung' aufgefaßt wird, was unheraklitisch ist. Diese Interpretation beginnt allerdings schon bei den frühen Herakliteern (vgl. Diels, Vors.^ I 183, 6; 12; 19; 31; 184, 15f. usw.
Ansätze dazu bei Heraklit B 117£.).
156
Heraklits Fragment 10
als Subjekt zu fassen!. σύλλαψις muß dann bedeuten '*Zusammengesetztes', so wie συλλαβή eine ‘Zusammensetzung’ von Buchstaben ist, und das Fragment
würde
gesetzte
dann
Dinge?)
Zwieträchtiges,
bedeuten:
sind
zugleich
„Zusammensetzungen
Ganzes
und
Einstimmend-Mißstimmendes,
(d.h.
Nichtganzes, und
aus
zusammen-
Einträchtig-
Allem
Eins
und
aus Einem Alles.'* Worauf das in concreto ging, ist nicht mehr kenntlich. Aber deutlich ist, daß diese συλλάψιες als Gleichnis standen für die große σύλλαψις
des Kosmos,
der ‘aus Einem’
und ‘aus Allem’
besteht.
Bei dem
Schluß des Fragments ist also auch nicht γίνεται hinzuzudenken, sondern etwas wie ἔστι oder συνέστηκε: auch hier handelt es sich nicht um Kosmogonie, sondern um die Deutung der bestehenden Welt. ! Wie in dem gleichgebauten Satz B 67: ὁ ϑεὸς ἡμέρη εὐφρόνη, χειμὼν ϑέρος, πόλεμος εἰρήνη, κόρος λιμός (vgl dazu H. Fränkel, Trans. Am. Phil. Ass. 69, 1938, 2306).
ΠΑΡΙΣΤΑ͂ΤΑΙ» In Parmenides’ fr. 16,2 hat Kranz die Form παρίσταται aus Aristoteles aufgenommen, wobei des Verses wegen die 3. Silbe lang zu messen wäre. Daß vielmehr mit Theophrast παρέστηκεν zu lesen ist, ergibt sich auch
aus anderen Gründen!, aber auch raploraraı ist nicht zu verteidigen. Das scheint jedoch noch nicht klar zu sein?. Kranz verweist auf ἔρᾶσαι und ἔρᾶται bei Theokr. 1, 78 und 2, 149. Gow sieht (im Kommentar zu 1, 78) ‘a serious
difficulty, in diesen Formen?. Er weist aber selbst auf Sappho 16, 5 L.-P. ὅττω τις ἔρᾶται. Hier ist die Form als Konjunktiv zu fassent. Aber da solcher Konjunktiv ohne Modalpartikel später außer Gebrauch kam5, und da an der Sappho-Stelle schließlich auch der Indikativ hätte stehen können, nahm Theokrit ihn als solchen. Es liegt also einfach ein Mißverständnis älterer poetischer Sprache vor, wie es Leumann bei so vielen „Homerischen Wörtern‘ nachgewiesen hat. παρίσταται jedoch bei Parmenides läßt sich dadurch keinesfalls rechtfertigen. ı H. Fränkel, Wege und Formen, 1955, 175; Dichtung und Philosophie, 1951, 469, 26. 3 Vgl. z.B. W. 1. Verdenius, Parmenides, Groningen 1942, 6; Mnemosyne S. IV, 1949, 129 Anm. 60; H. Schwabl, Wiener Studien 66, 1953, 69. 3 Siehe auch E. Schwyzer, Griechische Grammatik 1, 1939, 681, 8. * E.-M. Hamm, Grammatik z. Sappho u. Alkaios, 1957, 169.
5 Schwyzer 2, 312.
HERA
ALS ERDGÖTTIN
Nilsson sagt (Geschichte der griechischen Religion 1, 1941, 401): „Die von Welcker verfochtene These, daß Hera eine Form der Erdgöttin war, und Roschers Ansicht, daß sie eine Mondgöttin war, hat man jetzt fallen
lassen, die entbehren in Wirklichkeit jeglicher Stütze und sind nur aus der Voreingenommenheit erklärlich, daß jeder Gott eine Naturbedeutung haben muß.“ Für Welckers These trifft das nicht zu; allerdings hat man ein sicheres Zeugnis des 5. Jahrhunderts dafür, daß Hera Erdgöttin ist, deswegen bisher nicht beachtet, weil die betreffende Stelle schon im Altertum umstritten war und bis heute noch keine Einigkeit über ihre Deutung besteht. Empedokles fr. 6 lautet: Ζεὺς ἀργὴς Ἥρη τε φερέσβιος ἠδ᾽ ᾿Αιδωνεύς Νῇῆστίς 97, ἢ δακρύοις τέγγει χρούνωμα βρότειον. Daß
Zeus
hier den Äther
vertritt und
Nestis
das Wasser,
ist unzweitel
haft. Die Frage ist, ob Hera auf die Luft oder auf die Erde, und dementsprechend der Hades umgekehrt auf die Erde oder auf die Luft zu beziehen ist. (Die antike Kontroverse bei Diels unter A 33; neuere Literatur bei Rathmann, Quaest. Pythag., Diss. Hal. 1933, 116 Anm. 424.) Entscheidend
ist das Beiwort
φερέσβιος.
ἀργής, das bei Homer
dem
So wie
Zeus
durch
Blitz zukommt,
das homerische
als Feuer-Äther
Adjektiv
bestimmt
ist,
so kann φερέσβιος nur Beiwort der Erde sein, denn es ist eine, allerdings auf einem Mißverständnis beruhende Umwandlung des homerischen Beiworts
φυσίζοος,
ähnlich
wie
von
Sophokles
das
homerische
ζείδωρος
zu
βιόδωρος umgewandelt ist: beidemal verstand man nicht mehr die eigentliche Bedeutung „Spelt hervorbringend", sondern deutete das unbekannt gewordene homerische Wort als ,, Leben schenkend''!, und so heißt es schon
Hes. Theog. 693 und Hom. hy. Ap. 341 γαῖα φερέσβιος. Darauf hat schon Kranz, Hermes
47, 1912, 23, 1 vollkommen
richtig hingewiesen.
diese Erkenntnis nicht durchgesetzt hat, liegt daran, daß man die Aidoneus — Luft bisher nicht hat plausibel machen kónnen. rechnet Empedokles damit, daß seinen Hörern die homerischen vertraut sind: er denkt an den Τάρταρον ἠερόεντα (Θ 13 usw.)
Daß
sich
Gleichung Auch hier Beiwörter und daran,
daß ᾿Αἰδὴης ἔλαχε ζόφον ἠερόεντα (Ὁ 191), — vor allem aber an die Stelle aus Hesiods Theogonie (736 — 807), wo die vier „Prinzipien“ genannt werden: ἔνϑα δὲ γῆς δνοφερῆς xal Ταρτάρου ἠερόεντος πόντου τ᾽ ἀτρυγέτοιο ! Dazu vgl. Gnomon 1934, 417 [s. u. S. 162].
Hera als Erdgöttin
καὶ οὐρανοῦ
159
ἀστερόεντος ἑξείης πάντων πηγαὶ καὶ πείρατ᾽ ἔασιν, ἀργαλέ᾽ εὐ-
ρώεντα χτλ.".
[Bestätigt wird diese Deutung jetzt durch den Orphiker-Kommentar aus Saloniki, den der Herausgeber Kapsomenos in die Mitte des 4. Jahrhunderts v.Chr. setzt. Da heißt es in col. 18 ('Apgy. Acır. 19, 1964, 24): Γῆ δὲ καὶ Μήτηρ καὶ ‘Pla καὶ "Hpn ἡ αὐτή, dann aber col. 19: ὮὨχεανός ἐστιν
ὁ ἀήρ, ἀὴρ δὲ Ζεύς.
1 Daß in dem lesbischen Dreiverein zusammen mit Zeus und Dionysos Hera als l'evé82a „Erzeugerin‘‘ verehrt wurde, zeigt das neue Alkaios-Gedicht aus P. Ox. 2165 [129,7 L.-P.]; vgl. dazu Deubner, Abh. Preuß. Ak. Wiss. 1943, 7, S. 7, der
weitere Zeugnisse anführt, wo Hera als die große Naturgottheit erscheint. [Vgl. ferner Ch. Picard, Bull. Corr. Hell. 70, 1946, 460 f.]
BESPRECHUNG DE
POETICA
VON
J.
AA SCHUURSMA,
VOCABULORUM
APUD
ABUSIONE
AESCHYLUM!
Schuursma behandelt die poetische 'Katachrese', d.h. die Verwendung von Worten in 'uneigentlicher' Bedeutung bei Aischylos. Er schließt sich dabei
an
die Göttinger
Dissertation
von
L. Kugler
„De
Sophoclis
quae
vocantur abusionibus‘ aus dem Jahre 1905 an. Es ist keine Frage, daß Sch. sein Thema noch gründlicher, vorsichtiger und feinsinniger behandelt als Kugler; seine Einzelinterpretationen verdienen durchweg Lob. Aber es ließe sich in mancher Beziehung doch weiterkommen. Schon der Ausgangspunkt der Untersuchung ist etwas bedenklich: mit den antiken Begriffen 'abusio', 'Katachrese' wird keine fest umrissene sprachliche Erscheinung bezeichnet, sondern sehr verschiedene Dinge werden
darunter
begriffen,
so daß wenig
damit
getan ist, wenn
man
nur
feststellt, daB ein Wort in “übertragener’ Bedeutung verwandt wird. Wenn Schuursma 16 und 126 z.B. davon spricht, daß Aisch. Cho. 355 δίπαις ϑρῆνος eine „traiectio ab homine
ad rem“
sei, so hätte er aus
E. Willigers
Buch über die Komposita der griechischen Dichter des 5. Jh.s (Göttingen 1928) sehen können, daß man sich mit einer so verwaschenen Erklärung nicht zu begnügen braucht; er hätte bei Williger 17 auch noch weitere Beispiele solcher zusammengesetzten Adjektive gefunden, die scheinbar durch “Übertragung’ zu einem ihnen eigentlich fremden Substantiv gezogen
sind, in Wahrheit
aber zu Recht
stehen, da ein Adj. nicht nur die
"Eigenschaft? eines Gegenstandes bezeichnet, sondern eine viel allgemeinere Beziehung. (Zu den bei Williger angeführten Beispielen ist noch hinzuzufügen Aesch. Pers. 415 ἐμβολαῖς χαλκοστόμοις, das zu Unrecht wegkonjiziert wird, vgl. vor allem Eur. Alc. 819 στολμοὺς μελαμπέπλους.) Oder, um ein anderes Beispiel anzuführen, es ist eine recht müßige Frage (33), ob bei ἄσπλαγχνος "mutlos’ eine “übertragene” Bedeutung anzunehmen sei oder nicht, denn σπλάγχνα ist in der attischen Poesie = φρήν und weiter-
hin = ϑυμός und deswegen ἄσπλαγχνος = ἄφρων oder ἄϑυμος. Bei all diesen Worten ist aber die Unterscheidung von körperlicher und geistiger Bedeutung nicht mit den Begriffen “eigentliche und 'uneigentliche' Bedeutung zu fassen
(vgl.
Gnomon
7, 1931,
76
und
78
mit Anm. 2). Nach
allerlei
theoretischen Erwägungen, deren Wert nicht sehr groß ist — willkommen 1 J. A. Schuursma: De poetica vocabulorum abusione apud Aeschylum. Amsterdam, H. J. Paris 1932. 185 S.
Besprechung von J. A. Schuursma
161
ist nur die Zusammenstellung der antiken Grammatikernotizen über Katachrese und abusio, ohne daß allerdings ihr historischer Zusammenhang geklärt würde —, unterscheidet Schuursma 49 im Anschluß an Kugler folgende drei Arten von abusio: 1. einem Wort wird eine Bedeutung beigelegt, die einem anderen Wort eigentümlich ist, das mit jenem Wort in einer Bedeutung übereinstimmt; 2. aus der Etymologie wird eine Bedeutung abgeleitet; 3. aktive Adjektive werden passiv verwandt. Diese Einteilung zeigt die Unklarheit des Begriffes abusio besonders deutlich. Schuursma selbst gibt zu, daß die 3. Gruppe nicht hierher gehöre, da deverbale Nomina und Adjektiva prinzipiell indifferent gegen den Unterschied
der
genera
verbi
sind;
immerhin
sind
seine
Zusammenstellungen
von den betreffenden Adjektiven S. 52ff. nützlich. Sein Hauptinteresse aber gilt mit Recht den beiden ersten Gruppen. Auch hier findet sich allerdings recht Verschiedenartiges zusammen. In der ersten Abteilung Ausdrücke
für Hieb-
und
behandelt Stichwaffen
Schuursma
z. B. die Erscheinung, daf die
(ἔγχος, δόρυ, λόγχη, ξίφος, πέλεκυς usw.)
recht
willkürlich untereinander ausgetauscht werden können (76ff.). In einer längeren Anmerkung wird richtig dargelegt, daß Agamemnon bei Aischylos nicht mit dem Beil,
wie Wilamowitz vermutet, sondern mit dem Schwert ermordet wird. — Daß λόγχη oft für δόρυ gesetzt wird, läßt sich nicht leugnen; aber Aisch. Pers. 147 ist die her-
kömmliche Auffassung unhaltbar: δορικράνου λόγχης ἰσχύς übersetzt man 'die Kraft der speerköpfigen Lanze’, und das soll heißen, daß die Lanze wie mit einem Kopf mit einer Lanzenspitze versehen sei; hier wäre also λόγχη = Lanze, obwohl es eigent-
lich Lanzenspitze heißt, und δόρυ, das eigentlich der Speerschaft ist, wäre der Speer, sofern er eine Spitze hat. Man müßte schon übersetzen: die Spitze, die der Schädel des Schaftes ist!. Daß solches "Bahuvrihi” ein appositionelles Verhältnis bezeichnet, findet sich häufiger in der griechischen poetischen Sprache (Aesch. Sept. 533 ἀνδρό-
mut; ἀνήρ ‘der ein manngleicher Jüngling ist’; weitere Beispiele bei Wilamowitz zu Eur. Her. 689 und Willinger 17). Aber auch so bleibt der Ausdruck anstößig, denn κρανίον ist der Totenschädel (Pind. Isthm. 3, 55) oder der kahle Schädel (Eur.
Cycl. 647. 683); das Wort hat alles andere als einen feierlichen Klang; zu schreiben ist vielmehr
δουρικρᾶνοῦς
λόγχης,
so
daß
das Adj.
nicht
von
κρανίον = Schädel,
sondern von χρᾶνος Helm abgeleitet ist: die Lanzenspitze, die der Helm des Schaftes ist. Das
ist eine Neubelebung
des Bildes aus Homer
A 43: δοῦρε δύω κεκορυϑμένα
χαλχῷ (zu κόρυς Helm).
Bei weitem das umfangreichste Kapitel beschäftigt sich mit der abusio, die einem Zurückgreifen auf die Etymologie entspricht; die interessantesten Fälle sind hier die, wo Aischylos homerischen Wörtern einen neuen Sinn gibt. Dabei wirken allerdings zwei sehr verschiedene Dinge mit, die sehr schóne Tendenz, einem Wort durch Zurückgreifen auf die ursprüngliche Bedeutung einen neuen kräftigen Sinn zu geben, und die sehr banale Tatsache, daß im 5. Jh. homerische Worte oft mißverstanden wurden. Leider hat Schuursma,
so treffend seine Beobachtungen im einzelnen sind,
diese beiden Momente
nicht in ihrer prinzipiellen Bedeutung
1 [So jetzt H. D. Broadhead in seinem Kommentar von 1960.] 11
8496
Snell, Ges, Schriften
gewürdigt,
162
Besprechung von J. A. Schuursma
denn er hat seinen Blick allzusehr eingeengt auf die Erscheinung der Katachrese. Mit Recht sagt Schuursma 100 z.B., daß das homerische Beiwort der Erde φυσίζοος von Aisch. nicht aufgefaßt wird als 'Spelt hervor-
bringend’,
sondern
als ‘Leben
spendend’,
wie
es auch in den
Scholien
erklärt wird. Es hätte hier nahegelegen, daran zu erinnern, daß auch ζείδω-
ρος im 5. Jh. als ‘Leben schenkend’ gedeutet wurde, wie das im Anschluß an dies Wort gebildete βιόδωρος (vgl. Soph. Phil. 1162 βιόδωρος ala) beweist!. Einer Bildung wie βιόδωρος liegt also die gleiche Umdeutung eines Homerwortes
vor wie der 'abusiven' Verwendung
von φυσίζοος, und diese
zusammengehörenden Erscheinungen sollten auch zusammen behandelt werden. Schon bei dem aischyleischen φυσίζοος kann man nicht eigentlich von Katachrese sprechen, denn das Auffällige liegt nicht im Sprach-"Gebrauch’ des Aischylos, sondern in der Homerdeutung. Schuursma selbst führt auch gelegentlich aischyleische Worte an, die entstanden sind durch Mißdeutung homerischer Worte, z.B. Prom. 723 ᾿Αμαζόνων στρατὸν στυγάvopa ist sicher abhängig von Γ 189 ᾿Αμαζόνες ἀντιάνειραι, wo Aischylos das
Adjektiv nicht als ‘männergleich’, sondern als “männerfeindlich’ verstand (so schon Groeneboom adl.); sehr einleuchtend ist auch die Vermutung von Schuursma 35, daß Aisch. Suppl. 33 ξὺν ὄχῳ ταχυήρει (von einem Schiff) und Eur. Iph. T. 1050 καὶ μὴν νεώς γε πίτυλος εὐήρης πάρα abhängig sind von dem homerischen εὐῆρες &peruöv, wobei die Endung -npng mit ἐρέττειν in Zusammenhang gebracht ist. (Die Adj. auf -Apns sammelt F. Dornseiff,
Die archaische Mythenerzählung,
1933, 62ff., ohne
die Ent-
stehung der einzelnen Formen genauer zu untersuchen.) Dergleichen findet sich häufiger als man gemeinhin annimmt, vor allem bei Pindar, Bakchylides (5, 112 wird ἐνδυκέως als συνεχέως erklärt; 17, 7 πελέμαιγις = hom.
αἰγίοχος; 11, 105 und 16, 20 ἄζυξ — hom. Axeoros) und in den Chorliedern der Tragödie?. Eine zusammenfassende Behandlung wäre nicht nur lohnend für die Interpretation der Stellen, an denen sich solche Erscheinungen 1 Auf Umdeutung von φυσίζοος wird beruhen, wenn Hes. Theog. 693 und ἢ. Apoll. Pyth. 163 gesprochen wird von der φερέσβιος Γαῖα oder wenn Nonnos die
Erde ζῳοτόκος nennt [vgl. auch o. S. 158]. ! Einige Proben gibt N. Wecklein, Über Mißverständnisse
älterer Wendungen
und Ausdrücke bei den griech. Dichtern, insbesondere bei den Tragikern, SBMünch. 1911, 3. Abh. — Entsprechende Beispiele aus Kallimachos gibt H. Herter, Xenia Bonnensia 1929, 51ff. [Weiteres der Art bei R. Stark, Rh. Mus. 98, 1955, 207f. und vor allem natürlich bei M. Leumann, Homerische Wörter, 1950. — Gelegentlich
läßt sich zeigen, daß die Kinder auf der Schule in Theben eine andere Bedeutung für ein homerisches Wort lernten als in Athen: μαλερὸν πῦρ versteht Pindar als „glänzendes“ Feuer (Ol. 9, 22 πόλιν μαλεραῖς ἐπιφλέγων ἀοιδαῖς), Aischylos dagegen als „wildes, schreckliches“ Feuer (Ag. 141 μαλερῶν λεόντων). Wenn beide Bedeutungen in späteren Scholien oder Lexika wiederkehren (vgl. etwa Sud. u 102), so
zeigt das, eine wie alte Schultradition hier vorliegt. — Darüber, daf Pindar gelernt hat, σῶμα
sei kein ,,poetisches'
Wort,
s. Entdeckung
des
Geistes*,
1955, 22, 2.]
Besprechung von J. A. Schuursma finden,
sondern
auch
für
die Geschichte
der
Homerinterpretation,
163 denn
es zeigt sich überraschend oft, daß die Homererklärungen der alexandrinischen Grammatiker auf alter Tradition beruhen, ja gelegentlich läßt sich zeigen, daß sich widersprechende Grammatikererklärungen auf sich widersprechende Deutungen des 5. Jh.s zurückgehen. Es war kein Glück für Schuursma, daß er einfach dem Schema der alten
Kuglerschen Dissertation gefolgt ist; hätte er sich von dem antiken Begriff der abusio freigemacht, so hätte er seine wertvollen sprachlichen Untersuchungen nach verschiedenen Seiten hin lebendiger ausgestalten können.
11*
AISCHYLOS’ISTHMIASTAT! Der erste Vorschlag, den ich zu den Isthmiastai des Aischylos machen möchte, ist, die beiden größeren Papyrus-Bruchstücke, die E. Lobel bekanntgemacht
hat,
so
aneinanderzurücken,
daß
die
erste Kolumne
von
fr.2 über der 2. Kolumne von fr.1 steht. Dann ergeben sich, wie der folgende Abdruck zeigt, drei aufeinanderfolgende Kolumnen: V. 1—36 = fr. 1 col. 1, V. 37—52
= fr. 2 col. 1, V. 61—72
= fr. 1 col. 2, V. 73—98
=
fr. 2 col. 25. col. 1 = fr. 1a col.1
(ZIETO.)
ὁρῶντες εἰκοὺ[ς] οὐ κατ᾽ ἀνθρώπους [ ὅπηι δ᾽ ἂν ἔ[ρ]δηις, πάντα σοι τάδ᾽ εὐσεβῆ. (exit)
5
(ZIA.)
3| κάρτ᾽ ὀφείλω τῶνδέ cov πρόφρων γὰρ el.
(XO)
ἄκουε δὴ πᾶς σῖγα O59 Aew[. .].
ἄϑρηφον el v. .]..[.-.]
εἴδωλον εἶναι τοῦτ᾽ ἐμῆι μορφῆι πλέον τὸ Δαιδάλου μίμημα" φωνῆς δεῖ μόνον. τάδ᾽ [ἄϑρ]ει,
ὅρα, ϑ[ε]ῴρε[ι} 10
χωρεῖ μάλα.
εὐκταῖα κόσμον ταῦτ[α] τῶι ϑεῶι φέρω, καλλίγραπτον εὐχάν.
15
τῆι μητρὶ τῆι ᾽μῆι πράγματ᾽ àv παρασχέϑοι᾽ ἰδοῦσα γάρ νιν ἂν σαφῶς τρέποιτ᾽ ἂν (ἄξι᾽) ἄζοιτό 9 ὡς δοκοῦσ᾽ ἔμ᾽ εἶναι τὸν ἐξ-
ἐϑρεψεν᾽ οὕτως ἐμφερὴς 88° ἐστίν. Supplementa Lobelii nisi aliud nomen affertur. 1 ex pot. qu. οὐκ Lobel, recte ut mihi vid.; οἴκους praef. Steffen. 4—7 non intellego. 8 s. Sn.; [&90]etc; Page. 12 para-
graphum sub 13 script. sub 12 posuit Lobel. 15 αἰάζοιτο Page, Cl. Rev. NS 7,1957, 191. 1 [Meinen Text von 1956 ändere ich stillschweigend, wo mich inzwischen Erschienenes dazu veranlaßt, von dem früher Gesagten abzuweichen. Ich setze die Ausgabe von Mette (1959) voraus und wiederhole nicht, was dort jetzt zu finden ist. Neuere Literatur bei Mette, Der verlorene Aischylos, 1963, 222; ferner A. Barigazzi,
Ann. Scuola Norm. Sup. di Pisa 22, 1954, 1—6; ΚΕ. P. Winnington-Ingram, Gnomon 32, 1960, 3168. — Die erste Publikation POx. 18, 2162 mit Taf. IV u. V.)
3 Nicht aufgenommen habe ich das schmale fr. 1 (b) von 12 Zeilen, das in die Mitte von col. 2 gehört, sich aber noch nicht einordnen läßt.
Aischylos’ Isthmiastai
(EIA)
165
εἴα δὴ σκοπεῖτε δῶμα Ποντίου Zetoty9o[voc, χκἀπιπασσάλευ᾽ ἕκαστος τῆς καλῆς μορφῆς τίύπον, ἄγγελον, κήρυχ᾽ [ἄ]ναυδον, ἐμπόρων χκωλύτορ[α, ὅ[ς] γ᾽ ἐπισχήσει κελεύϑου τοὺς ξένο[υς] φόβου πλέως. χαῖρ᾽ ἄναξ χαῖρ᾽ ὦ Πόσειδον, ἐπίτροποίς]. .[
20
(ΔΙΟΝΥ͂ΣΟΣ) 25
30
ἔμελλον εὑρήσειν ἄρ᾽ ὑμᾶς, ὠγαϑοίί. οὐτοὐτέρωσ᾽, οὔ, δῆλος ἦσϑ᾽ ὁδοιπο[ρῶν. αὐ[τὴ] κέλευϑος ταῦτά μοι προσεν[νέπει x- ] ὁρῶντα τούσδε πλησί[ι]οσφ[ύρους x-v] ταῦτα καὶ σαφῶς ἡγεῖτό μοίι ren Inra.dw[.]un-[.]dwı πατί ὁρῶν μύουρα καὶ βραχέα τὰ φί[αλλί]α, ὡς ἐξέτριβες ᾿Ισϑμιαστικὴν [- - . - ]v,
κοὐκ ἠμέλησας, ἀλλ᾽ ἐγυμνάζ[ου κα]λῶς. εἰ δ᾽ οὖν ἐσώζου τὴν πάλαι παρο[ιμία)]ν, τοὔρχημα μᾶλλον εἰκὸς ἦν σ᾽ ἐπί[ισκοπ]εῖν. σὺ δ᾽ Ισϑμιάζεις καὶ τρόπους και[νοὺς μ]αϑών
35
Beaxto[v' ἀ]σχεῖς, χρήματα φϑείρων ἐμά
χτεαί col. 2 = fr. 2a col. 1
40
(IA. 2)
Je ταῦτ᾽ ἐπηρανωΐ .Ϊπονωι
ἀλλ᾽ εἴγ᾽] ἔν[ο]ρκόν ἐστι σο[1] καζκῶς] φρονεῖν ἐμοί,] κακῶς ὅλοιο xal τρε...... εἰ ]u- -«χρηι σοὶ ve. ..[ ]. ..vegtv
Ἰονοντωσῆτί
ὡς δ]οῦλον A τρίδουλ[ον ---ἰ -ὖ ἄν]αξ δίκα[ιος] o[.]9eva[ αἰεὶ παλαιοῦ τοῦδ᾽ ἐν οἰκτίελ[στωι νομῶι.
45 (AIONYZOE?)
(X0) 50
ἐγ]ὼ δὲ τ[α]ύ[τ]ας πολύπ[ο]ξοίς δειλὰς τριβάς φ]εύγων [μεϑ]ἤκᾳ τόνδ᾽ [.].[ π]ότερα παϑών τι 8e[wóv — -- -xo]ó πολλὰ δράσας o[v— -»-; ejlx ϑαρσῶν A£E[ov: ἐν τ]ῶι ἱερῶι pev[o
19 Sn. 20 ἄναυλον pap. supra lin. EMIIOPON: corr. E. Fränkel, Dodds. 21 in. Lobel, fin. Kamerbeek. 22 ]ee[? 26 Ἰὸσφί suppl. Lloyd- Jones ap. Winn.-Ingr. 29 fin. P. Maas.
30 [πάλη]ν
Sn. 38 Mette. 39—46
Cantarella.
33 Sn. 37 &vopxov
Kamerbeek,
oofı] Lobel,
cetera
tetrametra postulat Reinhardt, sed cf. ‘Scenes from Greek
Drama’ p. 139, 1. 41 in. Sn. 42 Sn. 43 in. Cantarella. 44 Sn. 45 πίο)δο[ς Lobel, cetera
Sn. 46 in. Cantarella; ue97jxa . . ἀπόπτυστον βίον Mette. 47 Mette, ἐξέδρας τότε Winn.Ingr. 48 Sn. ó[v σ᾽ ἔδει δοῦναι δίκας; Winn.-Ingr. 49 Sn., Kamerbeek.
166
Aischylos’ Isthmiastai
Ἱντί (desunt vv. 53—60) fr. 1a col. 2
61 (AION.)
J.ouf Ἰντοί
... [ἡτάδ᾽ ἤδη δ.}
σάκει καλύψας [..
65
.]ev[
σπείρεις δὲ μῦϑον c[6]v8e.[-« - -xal ῥηματίζεις εἰς ἔμ᾽ ἐκτρέπ[ων ψόγους, ὡς οὐδέν εἶμι τὴν σιδηρῖτι[ν τέχνην,
γύννις δ᾽ ἄναλκις, οὐδὲν εἰμ. .[«-ὁ καὶ νῦν τάδ᾽ ἄλλα καὶ ποταίνίι--αἔχϑιστα πάντων τῶϊΪνυ— - » πλύνεις τ᾽ ἔμ᾽ αὐτὸν [xal χορείαν -- -ἐφ᾽ ἣν ἀγείρω πλ[ῆϑος ---ἴ -ὁ -
70
col.3 = fr. 22 col. 2. 75
(XO) 80
κοὐδεὶς παλαιῶν οὐδὲ τῶν νεωτέρω[ν ἑκὼν ἄπεστι τῶνδε διστοίχω[ν χορῶν. σὺ δ᾽ ἰσϑμιάζεις καὶ πίτυος ἐστί[εμμένος κλάδοισι, κισσοῦ δ᾽ οὐδ[α]μοῦ τιμὴ[ν ἔχων. ταῦτ᾽ οὖν δακχρύσεις οὐ καπνῶ[ι δηχϑεὶς μόνον. παρόντα δ᾽ ἐγγὺς οὐχ ὁρᾶις τἀ[κόντια; — — ἀλλ᾽ οὔποτ᾽ Kew! ἐγὼ τοῦ ἱεροῦ, xal τί μος [ ταῦτ᾽ ἀπειλεῖς Éy[ov;
Ἴσϑμιον ἀντε[τσέρχομαι Ποσειδᾶνος o[Ixov. σὺ δ᾽ ἄλλοις ταῦτ[α π]έμπε [δῶρα.
85 (ΣΙΣΥΦ.
(ZIA.) 90 (ΣΙΣ.) (ZIA.)
(ZIE.)
ἐπεὶ τ]ὰ καινὰ ταῦτα μα[νϑά]νειν φιλεῖς, ἐγὼ [φέϊρω σοι νεοχμὰ [ — ἀθύρματα ἀπὸ [σκεπάρνου κἄκμ[ονος ν]εόκτ[ιτα. τουτ[ϊ τὸ] πρῶτόν ἐστί σοι τῶ]ν παι[γνίω]ν. ἐμοὶ μὲν οὐχί" τῶν φίλων νζεδῖμόν τινι. μὴ ἄπειπε μηδ᾽ ὄρνιϑος οὔνεκ᾽, ὠγαϑέ --τί δὴ γανοῦσϑαι τοῦτο; καὶ τί χρήσομαι;
ἥνπερ μεϑεῖλ[ες τὴ]ν τέχνην ταὐτῃ[ι] πρέπίειν.
63 Sn. 66 Mette. 68 ΜΑΙ, ΜΟΙ pot. qu. MI.[ Lobel. 69 ποταίνι᾽ ὄργανα c. g. Sn. 70 τῶν ὅπλων ἕτοιμά σοι e. g. Sn. 71 Kamerbeck. 72 Kamerbeck ; ebppovtorarove. g. Sn. 76 καλ-
λοισι: cort. Lobel, fin. Sn., τιμὴν σέβεις Mette. 77 s. Sn. 79 Mette. 81 Kamerbeek,
82—85 Sn. 84—88 fin. = POx XX p. 167. 86 [ταῦτ᾿] 88 Siegmann.
Aischylos’ Isthmiastai
167
(ZIA.)
τί δ᾽ ἀντιποιεῖν [.. .Ἰτίπλουν μου. ]Ἰανδανί
{ΣΙΣ.)
ξυνισϑμιάζειν [πᾶσιν] ἐμμελέστατον.
95 (EIA.)
“φέρω
Ἰἐμβήσεται.
inc [ ..]Jet[ ..]σε [
98
Ἰβαδὴν ελ.ς ]P.pwv σφυρά
93 cf. D. van Ness, Maritime Bildsprache d. Aisch. 1963, 134 sqq. 94 Sn.
Diese Zusammenstellung wird, wie Lobel (14) sagt, durch das Aussehen des Papyrus nicht nahegelegt, aber auch nicht ausgeschlossen. So muß der Inhalt entscheiden. An drei Stellen haben wir einen Übergang von
dem
einen
Stück
zu dem
anderen:
von V. 36 zu 37, von
52 zu 61
und von 72 zu 73. An keiner dieser Stellen sind die Verse so gut erhalten, daB der Zusammenhang unmittelbar evident wäre, und vor allem ist zwischen 52 und 61 eine längere Lücke. Aber es wäre doch höchst sonderbar, wenn es auf bloßem Zufall beruhte, daß sich jedesmal ein glatter Zusammenhang anbietet. Beginnen wir mit dem Übergang von V. 72 zu 73. Von V. 64—78 haben wir,
wenn
wir
die
beiden
Stücke
zusammensetzen,
eine
zusammenhän-
gende Rede, denn keine Paragraphos zeigt einen Wechsel des Sprechers an. Jemand schilt die Satyrn, daß sie an den Isthmischen Spielen teilnehmen wollen, daß sie den Kranz aus Fichtenzweigen, das Zeichen des Isthmischen
Siegers, dem bakchischen Efeu vorziehen (75f.). In V.65ff. verteidigt sich dieselbe Person gegen den Vorwurf, sie sei schwach und nicht männlich genug, um an den Sportkämpfen teilzunehmen. Das setzt voraus, daß dies jemand sich auf ihr
ist, mit dem neues Leben
die Satyrn früher verbunden waren, bevor sie einließen. Es ist hóchstwahrscheinlich, daß es
entweder der Papposilen oder Dionysos ist. Für den letzteren, den schon Lobel 14 vorgeschlagen hatte, spricht wohl, worauf mich Miss M.L.
Cunningham
aufmerksam
macht, daß er für V.71f.
sehr viel eher der
geeignete Sprecher ist (darüber gleich), und daß der Vorwurf, γύννις zu sein (V. 68), in Aischylos' Edonoi ebenfalls gegen Dionysos erhoben wird, und zwar von Lykurg (fr. 61).! Dann wird man dem Papposilen die Rolle des Chorführers geben, und wenn er so zusammen mit dem Chor zum Schluß, wie sich noch zeigen wird, dahin gerät, eine recht wenig heldenhafte Rolle zu spielen, so würde das gut zu der Rolle passen, die der Silen z.B. in den Ichneutai spielt. Dionysos, wie wir also im folgenden den Gegenspieler des Chors nennen wollen, sagt V. 71£.: „Du tadelst mich [und die ...], zu der ich [das und 1. So Kamerbeck a. a. O. 7. Schon Lobel, der (14) an Dionysos für diese Rolle gedacht hat, verweist 21 auf fr. 61.
168
Aischylos’ Isthmiastai
das] versammle.'* Ich sehe nicht, wie das, wozu der Sprecher jemand versammelt,
etwas
anderes
sein könnte
als der Tanz
des Chors.
Tatsächlich
hat Kamerbeck καὶ χορείαν in V. 71 ergänzt —, aber man könnte natürlich auch an etwas wie χοροῦ κατάστασιν oder χορῶν ὁμήγυριν denken. Nun lesen wir V.73f.: „und keiner von den Alten oder von den Jungen bleibt fern von den διστοίχων . . .“, und die einzig mögliche Ergänzung scheint χορῶν, was Lobel auch gleich vorgeschlagen hat. Wenn wir also die beiden PapyrusBruchstücke in der angegebenen Weise zusammensetzen, erhalten wir am Ende von col. 2 und am Anfang von col. 3 eine durchlaufende Erörterung darüber, daß die Satyrn nicht mehr an den Chortänzen des Dionysos teilnehmen wollen!. Nur sehr starke Argumente, führen, dies für baren Zufall zu halten.
scheint mir,
könnten
dazu
Die beiden anderen Stellen, an denen nun der Text von dem einen Papyrusstück
zu
dem
anderen
hinüberwechselt,
sind weniger
beweiskräftig, aber
jedenfalls sprechen sie nicht gegen die Zusammenfügung. In V.23 tritt Dionysos auf und entdeckt, daß die Satyrn sich, ganz gegen ihre Natur, mit Gymnastik abgeben, und passendes eingelassen haben. ändert: sie tragen nicht die gehören. Dionysos sagt V. 29 los stand am
Ende des Verses ein Wort wie πόσϑια, das Kamerbeek
schlägt, oder φαλλία, wie P. auf dem Papyrus erhalten zu schwänzig“ offenbar wegen auf Vasenbildern bei Sport Psykter
des Duris
Robertson dieser
er schilt sie, daß sie sich so auf Neues, UnSelbst ihre äußere Erscheinung hat sich gePhalloi, die zum Bühnenkostüm der Satyrn ὁρῶν μύουρα καὶ βραχέα τὰ [-v-, und zweifel-
Maas vermutet, da das obere sein scheint. Die φαλλία sind der sogenannten Infibulation, treibenden jungen Männern
im Britischen
und Sir John
„Infibulation““
Museum
dargestellt,
aber mit
Ende des 9 noch kurz und ,,mausedie wir so häufig finden. Auf dem
sind, worauf mich
Beazley aufmerksam
machen,
vor-
Prof.
sogar
den Isthmiastai
D. S.
Satyrn
mit
hat dies
Bild
nichts zu tun?, ı Daß dann ἐφ᾽ ἦν ἀγείρω eher von Dionysos als von dem Silen gesprochen zu denken ist, hat, wie schon erwähnt, Miß Cunningham mit Recht hervorgehoben, sei es nun, daß man eher an den Dionysos der „Bakchen‘“ denkt, der den Chor ins Gebirge führt (V. 63, 114, 132, 140 usw.), oder, worauf διστοίχων eher weist, an eine geordnete Festvorführung. Die beiden Vorstellungen vermengen sich hier wohl. ^ 3 Furtwängler-Reichold, Griechische Vasenmalerei, 1900, Tafel 48; F. Brommer,
Satyrspiele, *1959, 79, Nr. 119 u. Abb. 68. [Vgl. E.-J. Dingwall, Male infibulation, London
1925.]
* Zur Deutung
s. Brommer
a.a. O. T. B. L. Webster,
1. Hell. St. 70, 1950,
85
bezieht das Bild auf Aischylos' Kerykes. — Bei Brommer 78 sind unter Nr. 108 bis 115 die Vasenbilder mit Sport treibenden Satyrn zusammengestellt; jedoch cine nähere Beziehung zu den Isthmiastai scheint kein Bild zu haben. Diese Darstel-
lungen setzen anscheinend bald nach 520 ein, also etwa in der Zeit, als vielleicht Pratinas schon seine ersten Satyrspiele aufführte. — Pratinas’ Satyrspiel Palaistai, in dem
Gymnastik
übende
Satyrn aufgetreten sein werden,
ist erst im Jahre 467,
Aischylos’ Isthmiastai
169
In V. 34£. heißt es: σὺ δ᾽ ἰσϑμιάζεις ... βραχίον᾽ ἀσκεῖς. Leider ist V. 36 zerstört, aber V. 37, die erste Zeile der 2. Kolumne, läßt sich etwa so ergänzen: ἀλλ᾽ ety! Évopxóv ἐστί cot κακῶς φρονεῖν / ϑεῶι (oder, mit Mette,
&uol) oder: καταφρονεῖν (so Steffen und Italie in seinem Lexikon, was mir allerdings
zu kurz für die Lücke
scheint) ϑεόν, κακῶς ὅλοιο. Das
schließt
also gut an, oder widerlegt jedenfalls nicht die Zusammenfügung. Die 3. Stelle, an der sich ein Sinnzusammenhang ergeben muß, ist zwischen V. 52 und 61, aber da klafft eine Lücke. Dionysos, der in V. 34 gesagt hat: σὺ δ᾽ ἰσϑμιάζεις, wiederholt dies in V. 75, und
es ist nicht unpassend,
daß
diese beiden Sätze möglichst nahe zueinander kommen, und das heißt, daß die beiden Fragmente in der angegebenen Weise zusammenrücken. Ich will nicht ausführlich den ganzen Text interpretieren, möchte aber eine Vermutung über den Inhalt äußern. Am Anfang finden wir die Satyrn damit beschäftigt, ihre Masken! als Votiv-Gaben am Poseidon-Tempel? anzunageln.
Um
zu verstehen, was
das für die Handlung
bedeutet, haben
wir von V. 13 τῇ μητρὶ τῇ "uf πράγματ᾽ ἂν παρασχέϑοι auszugehen. πράγματα παρέχειν war bisher erst seit Herodot und Aristophanes belegt; es bedeutet „Schwierigkeiten,
Unannehmlichkeiten
machen“.
Wenn
die Satyrn sagen,
sie würden ihre Mutter in eine peinliche Lage bringen, so ist es unmöglich, wie vorgeschlagen ist, in V. 15 zu schreiben τέρποιτο — sie würde Freude
empfinden.
Wir haben vielmehr das überlieferte τρέποιτο zu halten: die
Satyrn sagen, durch das Aufhängen nach
seinem
Tod,
aufgeführt.
der Masken würden
[Mindestens
20 Jahre
sie ihrer Mutter
später führte Achaios
seine
"Ara (oder 'A92o)) auf. Da waren die Satyrn Böotier (also offenbar Diener des Thebaners Dionysos), von denen man zunächst nicht wußte, ob sie als ϑεωροί oder als ἀγωνισταί zu den Wettkämpfen kamen, vgl. fr. 3 N.] 1 So richtig Ed. Fraenkel (b. Lobel 14, 1), der auf die Silenkópfe hinweist, die an
Tempeldächern als Antefixe erscheinen, wie etwa das schöne archaische Stück vom Tempel in 'Thermos im Athener National-Museum. [Vgl. Fiehn, RE s. v. Thermos 2430, 96] Besonders häufig begegnen solche Silen-Antefixe zur Zeit des Aischylos (im 2. Viertel des 5. Jh.s) in Sizilien, vgl. (worauf mich E. Kunze verweist) P. Orlan-
dini, Archeologia Classica 6, 1954, 251—266 über die in Gela gefundenen Exemplare. Sollte Aischylos in Sizilien zu dieser Erfindung angeregt sein? 3 Der Platz des Tempels ist jetzt glücklich von Oscar Broneer wiedergefunden. Nach den bisherigen Ergebnissen seiner Ausgrabungen ist ein archaischer Tempel etwa zur Zeit der Perserkriege durch Feuer zerstört. Noch vor Mitte des 5. Jh.s wurde ein neuer prüchtiger Tempel an der Stelle des alten errichtet; s. Ὁ. Broncer, Hesperia 24, 1955, 110fl., bes. 112. — Broneer beschreibt (137 mit Anm. 36) eine kleine bronzene Satyr-Statuette (Tafel 55b), die er im Poseidon-Bezirk gefunden hat; wegen des maskenartigen Gesichts und der starken Bewegung vermutet er, daß es sich um den Schauspieler eines Satyrspiels handelt, und da das kleine Werk aus der Zeit des Aischylos stammt, weist er auf die ,,Isthmiastai* hin. Eine in der Nähe des Satyrs gefundene Bronze-Nymphe bildet, wie Broneer sagt, offenbar
mit dem Satyr ein Paar. Da, soweit wir sehen, in der Handlung der Isthmiastai eine Nymphe
keinen Platz hat, kann man die beiden Stücke leider nicht auf dieses
Satyrspiel beziehen.
170
Aischylos’ Isthmiastai
Peinlichkeiten bereiten: wenn sie die Masken sieht, wird sie kehrtmachen und fliehen, denn sie wird glauben, die Masken seien ihre Söhne —, so
ähnlich sind siel. Das heißt, sie wird meinen, ihre Köpfe seien abgeschlagen und dort aufgehängt. Das neben τρέποιτο stehende AZIAZOITO muß also etwas wie „sich entsetzen“ heißen, und Lobels Vorschlag, ἄζοιτο zu lesen,
ist durchaus überzeugend. Wenn nun aber die Satyrn erwarten,
daß ihre Mutter voll Schrecken
davonlaufen wird, ist es wahrscheinlich, daß ein ähnlicher Gedanke in V.21 in dem Satz über die ξένοι steckt. Jemand sagt 18££.: „Guckt euch
den Poseidon-Tempel genau an?, und jeder nagle das Bild seiner schönen Gestalt an, einen Boten,
einen stummen
hält.‘“2 Am Ende von V.21 zu φόβου πλέως zu ergänzen.
Herold,
der die Reisenden
fern-
ist φοί zu φοβουμένους oder mit Kamerbeek
Die „Fremden“, die „Reisenden“ sollen also denken, sie kämen zu einem Platz wie dem Palast des Oinomaos, wo die Schädel der Freier auf schaurige
Weise davor warnten, sich mit dem König von Pisa auf ein Wagenrennen einzulassen, um die Hand der Hippodameia zu gewinnen. Damit gewinnen wir etwas Wichtiges für die Handlung der Isthmiastai. Wenn die Satyrn in V.11 sagen, sie stifteten die Masken als Weihgaben und Schmuck für den Tempel, und wenn in V.2 jemand sagt: „Wie du es machst, ist all dies fromm“, so stellt sich nun heraus, daß diese Votive
einen ganz anderen Zweck haben, nämlich alle Fremden fortzuscheuchen. Es ist nicht schwer herauszufinden, welches Interesse die Satyrn daran haben, andre Leute aus dem Heiligtum Poseidons fernzuhalten: sie wollen sich an den Wettkämpfen beteiligen und wünschen, die Konkurrenten loszuwerden. Ihr Gebet an Poseidon V. 22 ἐπίτροπός 9' ἡμῖν γενοῦ o.à.* bittet also in Wahrheit um Hilfe bei einem recht schmierigen Handel. Wie gesagt, erklärt in V. 2 jemand den Satyrn, daß ihr Vorhaben fromm sei. Jemand von der Seite der Satyrn, also wohl der Silen, antwortet:
bin dir Dank Person,
dafür schuldig,
die V.2
du bist sehr gnàdig."
spricht, die Satyrn ermuntert
Das
zeigt, daß
„Ich
die
hat, ihre Porträts an dem
Tempel zu befestigen‘. Da die Satyrn offenbar mit ihr einverstanden sind und nicht sagen: jetzt tun wir aber ganz anderes, muß diese Person wissen, daB die Satyrn in Wahrheit gar nicht etwas so sehr Frommes mit ihren Weihgeschenken vorhaben. Sie scheint also mit den Satyrn unter einer I [φωνῆς
δεῖ μόνον (V. 7) besagt
nur: „wenn
sie auch
noch
sprechen
könnten,
wären sie es wirklich‘, vgl. Steffen, Stud. Aesch. 1958, 70.] * σκοπεῖτε scheint die Nuance zu haben: um dort den richtigen Platz herauszufinden. * Die Konjektur von Dodds und Ed. Fraenkel in V. 20 scheint mir evident. * Vgl. Pind. OL 1, 106 ϑεὸς ἐπίτροπος ἐών.
δ [Oft war es verboten, an Tempeln etwas anzunageln, vgl. J. u. L. Robert, Bull. épigr. 1955, 81 nr. 210, aber in früherer Zeit war es üblich bei λάφυρα (z. B. Aisch. Ag. 579; Ps.-Eur. Rhes. 180).]
Aischylos’ Isthmiastai
171
Decke zu stecken und muß sich also wohl auch einen Vorteil von diesem Geschäft versprechen. Außerdem scheint es jemand zu sein, der etwas zu erlauben oder zu verbieten hat; auch daß die Satyrn sie πρόφρων nennen, weist auf eine angesehene Person. Wer kann es sein? Wenn in diesem Stück die Satyrn an den Isthmischen Spielen teilnehmen, muß ein Mythos zugrunde liegen, der mit diesem Agon zu tun hat. Da
wüßte ich nur die Sagen von der Gründung der Isthmia. Deren gab es nach den Hypotheseis zu Pindars Isthmien zwei: entweder sollte Theseus die Spiele gestiftet haben (das scheint bei Sophokles vorgekommen zu sein, fr. 905 P.), oder aber Sisyphos, und das stand bei Pindar (fr. 5 und 6
aus dem
verlorenen Schluß der Isthmien!). Sisyphos, der schlaue König
von Korinth, ist nun tatsächlich eine beliebte Figur des Satyrspiels. Aischylos hat im Σίσυφος Δραπέτης die Geschichte dargestellt, wie er den Hades betrog und nach seinem Tod noch einmal auf die Erde zurückkehrte; ein anderes Satyrdrama von ihm war anscheinend der Σίσυφος Πετροκυλιστής. Ebenso wird ein Sisyphos des Sophokles zitiert, und Euripides schloß seine troische Trilogie mit einem Satyrspiel Sisyphos. Auch in Euripides’ Satyrspiel Autolykos trat er auf. Als Sprecher des Verses 2 in unserem Papyrus ist niemand geeigneter als dieser Sisyphos: als König von Korinth hat er ein Wort zu sagen über das, was an dem Poseidon-Tempel geschehen darf —, und vollends paßt zu ihm, daß er sich auf das anrüchige Geschäft mit den Satyrn einläßt. Aber es spricht noch weiteres dafür, daß wir es hier mit Sisyphos zu
tun haben. er brächte
Mit V.85
scheint er wieder aufzutreten. Dort sagt jemand,
„Spielzeuge“:
„Da
ihr euch in dem
neuen
Sport üben wollt,
bringe ich frischgefertigte Spielgeräte, eben hergestellt von Axt und Amboß.“
Wenn Axt und Amboß mitwirken, muß es sich um Gegenstände aus Holz und Metall handeln, und da diese bei den Isthmischen Spielen gebraucht werden, mögen es ἀκόντια sein, die man im Fünfkampf verwendet, und so habe ich dies Wort in V. 78 versuchsweise eingesetzt*. Es handelt sich
bei diesen Übungen um ποταίνια (V. 69) und καινά (V. 85), und vollends die Geräte sind νεοχμά (V. 86) und νεόκτιτα (V. 87). Das sicht nicht so aus, als ob es sich nur um eben hergestellte, sondern vielmehr um neu erfun1 Es heißt schol. Pind. hyp. Isthm. a (3, 192, 13 Dr.): αἱ Νηρεΐίδες ἐπεφάνησαν τῷ Σισύφῳ καὶ ἐκέλευσαν εἰς τιμὴν τοῦ Μελικέρτου ἄγειν τὰ Ἴσϑμια, vorher aber:ó δὲ Μελικέρτης μετεβλήϑη εἰς δαίμονα ἔστι δὲ οὗτος Παλαίμων. So hatte denn Palaimon
innerhalb des Poseidonbezirks sein eigenes Heiligtum, das Palaimonion (vgl. Paus. 2,2, 1 und veranstaltet 3 Dafür, wüßte ich Kratin. fr.
Hitzig-Bluemner z. St.). Aber wenn auch die Spiele zu seinen Ehren wurden, so scheint er doch nicht als ihr Gründer erwähnt zu werden. daß man beim Sport von ἀϑύρματα (V. 86) oder παίγνια (V. 88) spricht, nur Plat. legg. 796 B anzuführen: Κουρήτων ἐνόπλια παίγνια. (Worauf 145 K. — 136 Edm. νεοχμὸν παρῆχϑαι ἄϑυρμα geht, ist nicht kenntlich.)
Sisyphos wählt hier offenbar Ausdrücke, die den Satyrn das damit Bezeichnete schmackhaft machen sollen — mit gutem Grund, wie sich zeigen wird.
172
Aischylos’ Isthmiastai
dene Spielzeuge handelte, und vielleicht auch um neu erfundene Übungen; vor allem νεόχτιτος spricht dafür. Nun ist Sisyphos nach Diod. Sic. 6 fr. 6, 3 ausgezeichnet durch πανουργία und φιλοτεχνία, und Ael. de nat. anim. 6, 58 nennt ihn zusammen mit den Kerkopen und Telchinen. So war er offenbar ein echter Korinther, von denen die Scholien zu Pind. Ol. 13, 21a sagen:
πολλὰ οἱ Κορίνθιοι ἐτεχνήσαντο x«l εὗρον. Als solchen hat ihn Aischylos hier offenbar bei der Stiftung der Isthmischen Spiele dargestellt. In den Satyrspielen ist es auch sonst ein häufiges Motiv, daß die Satyrn mit neuen Erfindungen zusammengebracht werden, wie z.B. in Sophokles’ Ichneutai mit der Lyra oder in Aischylos’ Prometheus Pyrkaeus mit dem Feuer!. Verschiedene bezeugte Motive des Satyrspiels fügen sich also sinnvoll zusammen. Auf die neu erfundenen Sportgeräte reagieren die Satyrn hier nicht unähnlich wie die Satyrn in Sophokles’ Ichneutai auf die Töne der neu erfundenen Leier (V. 137): ἐκπλαγέντες ψόφῳ τὸν οὐδεὶς πώποτ᾽ ἤκουσεν βροτῶν. Und wie sie dort zuerst viel Mut zeigen, als sie den Spuren der gestohlenen
Kühe
nachgehen,
dann aber sofort voll Schrecken ausreißen,
als die neue Musik ertönt, so geht es auch hier den Satyrn; ja, ihre Angst
ist sogar noch mehr gerechtfertigt, denn hier ist die neue Erfindung eine Waffe,
die immerhin
gefährlich werden
die Satyrn vorher mit ihrem Kampfmut
kann.
Selbstverständlich
müssen
geprahlt haben —, mit dem ist
es aus, sobald es ernst wird. Als Dionysos Sisyphos mit den Specren kommen sieht, fragt er die Satyrn (V. 78): παρόντα δ᾽ οὐχ ὁρᾷς τἀ[κόντια; sie antworten sofort: „Ich gehe nicht aus dem Heiligtum. Warum bedrohst du mich ständig? Ich gehe lieber in den Poseidon-Tempel. Schick du diese Geschenke sonst jemandem.‘ Sisyphos versucht trotzdem noch, die neuen Geräte an den Mann zu bringen, aber die Satyrn antworten voll Angst: „Nicht
für mich!
Verteil
sie
an jemanden,
der
zu dir gehört!“?
Noch
mehr als an die Ichneutai erinnert dieser Wechsel von Mut zur Feigheit
an die Satyrn in Euripides’ Kyklops. Auch die sind in Worten zunächst sehr tapfer, aber sobald es zu Diese Szene zeigt, daß über verhandelt ist. Jetzt mag der reichlich plötzlich scheinen —,
Taten kommt, ist das völlig dahin. die neuen Waffen schon vorher ausführlich Umschwung in der Stimmung der Satyrn und man mag das als Argument gegen das
Zusammenrücken der beiden Papyrus-Stücke benutzen. Aber wenn z.B. Dionysos in V. 78 über die Speere genau Bescheid weiß und die Satyrn etwas höhnisch
darauf hinweist,
daß es nun
ernst wird, so muß
die Ver-
handlung über die Waffen schon vor dem Aufhängen der Masken liegen, 1 Vgl. W.SuB, De Graecorum fabulis satyricis, Dorpat günther, ΠΡΩ͂ΤΟΣ ETPETHZ, Philol. Suppl. 26, 1, 92.
1924,
3f.; A. Klein-
3. [V. 95 ἐμβήσεται hat zu der Vermutung geführt, die Satyrn müßten irgendwo „einsteigen“. Ich vermute eher etwas wie φέρω[ν τάδ᾽ οὐδεὶς (so Barigazzi) εἰς ἀγῶν᾽]
ἐμβήσεται.)
Aischylos’ Isthmiastai
173
denn dies setzt ja schon voraus, daß der Handel mit Sisyphos abgeschlossen ist. Und in diese frühere Diskussion gehört auch, daß die Satyrn dem Dionysos
muß
vorgeworfen
Dionysos
den
haben,
Satyrn
er
sei γύννις
und
ἄναλκις
(V.68):
die Gefährlichkeit ihres neuen
damals
Sportes
klar-
gemacht haben. Offenbar hat Aischylos alles so vorbereitet, daß er nun eine starke dramatische Wirkung dadurch erreichen kann, daß die Satyrn
auf einen Hieb umschwenken. Die Satyrn befinden sich V. 79ff. noch in dem Poseidon-Tempel, also an derselben Stelle, wo sie die Masken befestigt haben. Aber wenn sie sagen, sie wollten dort bleiben oder gar als eine Art Schutzflehende in den Tempel gehen, so kann das nicht ihr letztes Wort sein; natürlich mußten sie am Ende des Stückes zu Dionysos zurückkehren. Aber bevor wir auf das Ende eingehen, müssen wir versuchen, das ganze Stück zu überblicken;
womóglich
hilft da ein anderes Bruchstück auch noch etwas weiter.
Zum Anfang gehört vielleicht! P Ox. 2250 (Bd. 20, 12): ἄ]γε
δὴ
βασιλεῦ
x«i ξύμπασαν
[συπυυ-
μίσυ --Οαὐὅ
--
τοῦ βαϑυπλούτο[υ vu-vuπενίας ναίων x[v»- o» 5 ..]vpenv σκηπτρί
χμεῖ..1.φ.}
Je προί Ἱνάζομ! κτλ.
In diesen Anapästen grüßt offenbar der Chor einen König, und zwar König eines besonders reichen Landes (V. 3): τοῦ βαϑυπλούτο[υ... vielleicht deutet der Chor mit πενίας ναίων auf seine eigene Armut. ist Korinth berühmt für seinen Reichtum (vgl. etwa Pind. fr. 122, 2),
den und Nun und
den Satyrn der Isthmiastai ist es ein beosnderes Anliegen, von ihrem arm-
seligen Leben
befreit zu werden?.
Es kommt
noch etwas hinzu: in V.8
stand offenbar ein Verbum auf -νάζω. Von den Verben auf -νάζω, die Locker
in dem Rückläufigen Wörterbuch verzeichnet, entsprechen aber nur 10 den Anforderungen, die hier der Ergänzung gestellt werden: daß der Zeilenanfang genau ausgefüllt wird, daß am Zeilenanfang auch Wort-
anfang ist, und daß sich das Wort den Anapästen fügt; von diesen 10 wird 1 Siehe Gnomon
25, 1953, 436, wo ich schon kurz diese Möglichkeit erwähnt habe.
Der Schreiber ist derselbe wie der der 2 größeren Fragmente. Die Zugehörigkeit zur selben Rolle läßt sich durch äußere Indizien nicht feststellen. » Siehe V. 43ff. Das ,,Polypen-Leben'* geht darauf, daß man von dem Polypen erzählte, wie Athen. 7, 102 p. 316 E sagt, ὡς dv ἀπορήσῃ τροφῆῇς αὐτὸν κατεσϑίει, nämlich sich die Füße abnagt. Vgl. Hes. op. 524; Aristot. h. a. 5912 4.
174
Aischylos’ Isthmiastai
man 4, die nur in Lexicis aufgeführt werden, nicht in ernste Erwähnung ziehen
(καχνάζω,
νεννάζω,
πυχνάζω,
συχνάζω);
μιμνάζω
ist
ein
episches
Wort, τεχνάζω prosaisch, ϑυννάζω paßt sachlich nicht har. Es bleiben dann δακνάζω, das bei Aisch. einmal belegt ist (Pers. 571), δεννάζω, das nicht bei Aisch. vorkommt, aber bei Soph. und im Rhesos, und schließlich das
bei Aisch. noch 5mal vorkommende γυμνάζω. Schon nach diesem äußerlichen Befund hat also γυμνάζω die beste Aussicht, das richtige Wort zu sein!. Sollte es wirklich hier gestanden haben, so würde das natürlich stark dafür sprechen, daß das Bruchstück den Isthmiastai gehört, und man könnte sich denken, daß Sisyphos zunächst zur Teilnahme an den Isth-
mischen Spielen aufgerufen hat und daß der Chor mit diesen Anapästen auftritt. Zunächst muß
Sisyphos natürlich berichtet haben, daß er den Auftrag
bekommen hat, die Isthmischen Spiele zu stiften. Ob die Satyrn von vornherein gekommen sind, um aktiv an den Wettkämpfen teilzunehmen, ist deswegen zweifelhaft, weil der Titel des Stückes Θεωροὶ 4% ᾿Ισϑμιασταί lautet. Da liegt nahe, anzunehmen, daß sie zunächst nur als Zuschauer oder als Festgesandtschaft gekommen sind!. Dafür spricht auch, daß es für
Dionysos
offenbar
zieren‘. Dann muß
eine
unliebsame
Wendung
ist, daß
sie „isthmia-
sie aber Sisyphos beredet haben, sich auf die Sport-
übungen einzulassen, obwohl Dionysos davon abriet, und muß sie vor allem veranlaßt haben, mit den Masken die Fremden fernzuhalten. Er hat ihnen
dabei versprochen, sie von dem unzivilisierten Leben im Dienst des Dionysos zu erlösen —,
und
dies Motiv
der „Befreiung“
kehrt in den Satyrspielen
ja immer wieder. Wahrscheinlich hat Sisyphos auch dafür gesorgt, daB die Masken hergestellt würden, und hat sie in der Szene, die dem Erhaltenen unmittelbar vorausging, den Satyrn überreicht. Zwischen der Anfangsszene und dem Erhaltenen scheinen die Satyrn sich von der Orchestra zu der im Hintergrund aufgebauten Tempelfront begeben zu haben, denn
als Dionysos wieder auftritt, haben sie einen Weg zurückgelegt, und er hat sie suchen müssen (V. 23—26). Warum bleibt unkenntlich. Auch die Satyrn müssen
Dionysos fortgegangen ist, die Bühne verlassen haben,
denn als Dionysos wiederkommt, bemerkt er, daß sie ihr Kostüm gewechselt
haben: sie tragen nicht mehr die Phalloi, sondern sind infibuliert. Viel- leicht sind die Satyrn mit Dionysos abgetreten und ihm dann entwischt. Ob während ihrer Abwesenheit ein zweiter Chor aufgetreten ist? oder ob nur die eine Hälfte des Chors sich auf den Sport einläßt, wissen wir nicht. 1 [Wegen des Akzents sind die Formen γυμνάζομεν und γυμνάζομαι möglich, die letztere nur mit Hiatkürzung, da die Elision von -k(ar) nicht statthaft ist; etwa
γυμ]νάζομίεν οὖν]
* Doch s. die folgende Anmerkung. 3 Der Titel Bewpot könnte auch darauf gehen.
Aischylos’ Isthmiastai
175
Als Sisyphos dann zum zweitenmal am Poseidon-Tempel zu den Satyrn kommt und ihnen nun die Waffen geben will, bricht ihre eingeborene Feigheit, wie Dionysos schon vorausgeschen hat, elementar hervor. Sisyphos wird sich dann ja wohl von ihnen lossagen und sie aus dem Heiligtum vertreiben. So kehren sie zu Dionysos zurück. Soweit wir das
Stück überblicken,
brauchen wir neben
dem
Silen, der
als Chorführer figuriert, nur zwei Schauspieler: Dionysos und Sisyphos. Wie Mette mir bemerkt, kónnten die Isthmiastai das Satyrspiel zu der Trilogie gewesen sein, zu der der Athamas gehörte, denn die Isthmischen
Spiele werden ja zu Ehren von Athamas’
Sohn gestiftet.
ZWEI
TÖPFE
MIT
EURIPIDES-PAPYRI
Irgendwann in frühbyzantinischer Zeit müssen irgendwo einmal aus einer Papyrusausgabe von Euripides, die alle Dramen, alphabetisch zu je fünf in einem τεῦχος geordnet, enthielt, zwei solcher Töpfe übriggeblieben sein; ein literarisch Interessierter stöberte sie auf: sie wurden abgeschrieben, und so sind uns neun sonst verlorene Euripideische Tragödien in dem
Codex L! erhalten. Daß diese neun Tragödien aus einer alphabetisch geordneten Ausgabe stammen, ist allgemein anerkannt. Sie zerfallen in zwei Gruppen: vier fangen mit den Buchstaben E und H, fünf mit I oder K an; es gab kein Euripideisches Stück, dessen Namen mit Z anfing, deswegen konnten, da auf strenge alphabetische Ordnung innerhalb der einzelnen Buchstaben nicht geachtet wurde, die Dramen mit
H dirckt auf das cine Drama mit € folgen: € A€ NH HA€ KTPA HPAKAHZ HPA KA€IAAI Andere
Dramen,
die mit H anfangen,
existierten nicht. Die mit © fehlen,
ebenso einige mit I: [DG € PIEZTAI] eHzETrTx OrezxTHEZ IND ἹΠΠΟΛΥ͂ΤΟΣ IHNOATTOZ Da
die Theristai
schon
KAA. ZT69*
in Alexandrien
verloren
waren,
fehlen
von
der
alphabetisch geordneten Gesamtausgabe also fünf Stücke. Die mit I und K anfangenden, erhaltenen Dramen sind wieder fünf: ΚΥΚΛΩΨ ΙΩΝ IKETIAEZ IOITENEIA IPOITENEIA
TATP. ATA.
1 Darüber, daß L (geschrieben um 1300) Vorlage von P ist, zuletzt P. Maas, Gnomon 1926, 156 und Textkritik $ 27. [G. Zuntz, An Inquiry into the Trans-
mission of the Plays of Euripides 1965, 1.) 3 [Paul Maas hat mich seinerzeit darauf aufmerksam gemacht, daß ich versehentlich den
Ixion
ausgelassen
habe. Vgl.
jetzt W. S. Barrett, Euripides’
Hippolytos,
Zwei Töpfe mit Euripides-Papyri
177
Die erste Gruppe hat nur vier Dramen, also eins weniger als die beiden andern; das wird sich daraus erklären, daß die € K A ΒΗ zu dieser Gruppe gehórte: als die alphabetisch geordneten Stücke hinter die kommentierten Stücke in einen Codex geschrieben wurden, fand sich die Hekabe dort schon und brauchte nicht noch einmal abgeschrieben zu werden.! Wir wissen, daB man im Altertum Papyri zu fünft in einem τεῦχος aufzubewahren
pflegte
(Th. Birt,
Kritik
und
Hermeneutik,
1913,
333f.
und
341). Daß demzufolge in antiken Werken leicht jeweils fünf Bücher erhalten bleiben oder verlorengehen konnten, zeigt unsere Überlieferung noch
öfter, z.B.
bei Livius
und
Diodor.
Aber könnte die Gesamtausgabe des Euripides nicht auch aus Codices mit je fünf Tragödien bestanden haben? Das ist unwahrscheinlich, und daß die Reihenfolge der Tragödien nicht aus einem Codex, sondern aus einer Papyrus-Ausgabe stammt, läßt sich beweisen: der Kyklops ist vor die Dramen mit I geraten. Das kann in codices nicht gut passieren, aber innerhalb des einzelnen τεῦχος läßt sich keine alphabetische Reihenfolge festhalten. Eben deswegen konnte man auch sonst eine genaue alphabetische Reihenfolge bei der Anordnung von Papyrusbüchern nicht durchführen. Oxford 1964, 51,2; H. Erbse, Geschichte der Textüberlieferung I, Zürich 1961, 278,
der erwägt, der Theseus habe zu der ersten Gruppe gehört und sei nachträglich verloren gegangen; H. van Looy, Zes verloren tragedies van Euripides, Brüssel 1964,
10f.; G. Zuntz, a.a.O. 277.] ! Vor der Hekabe müßten eigentlich 16 Dramen gestanden haben. Es ist müßig zu raten, welches Drama in dieser Gesamtausgabe gefehlt hat, etwa der einc Alkmeon. 3 [Zuntz 183ff. vermutet, daß Eustathius diese Papyrus-Rollen oder einen aus ihnen abgeschriebenen Kodex entdeckte und abschreiben ließ, und daß später Triclinius diese Abschrift wieder ans Licht zog.]
12
8496 Sncll, Ges. Schriften
ZU EURIPIDES’
PHOENISSEN
In Euripides’ Phoenissen verkündet Teiresias dem Kreon, die Stadt könne nur gerettet werden, wenn Kreon seinen Sohn Menoikeus opfere (911—914). Darauf fragt Kreon den Teiresias: τί φῇς; τίν᾽ εἴπας τόνδε μῦϑον, ὦ γέρον; die Scholien in V (bei Schwartz A) und B geben dazu als Variante an: τί φής; ἐμὸν παῖδ᾽ ἕνεκα γῆς σφάξαι ϑέλεις; Ich bezeichne sie im folgenden als Vers 915a. In den Handschriften folgt eine Stichomythie zwischen Teiresias und Kreon: Teiresias betont, das Opfer sei für das Wohl der Stadt notwendig, Kreon aber weigert sich, den Sohn herzugeben, fällt vor Teiresias auf die Knie und fleht ihn an, diese Wahrsagung geheimzuhalten, damit er seinen Sohn retten kann. In 927 fragt dann Kreon: τί δή με δράσεις; παῖδά μου κατακτενεῖς; das entspricht inhaltlich der zweiten Frage,
die Kreon
in Vers
195a
stellt, und
die Antwort,
die Teiresias
in
Ν. 928 gibt: ἄλλοις μελήσει ταῦτ᾽, ἐμοὶ δ᾽ εἰρήσεται, schließt an den V. 915a genau so gut an wie an den V. 927. Man hat, soviel ich sehe, den V. 915a bisher kaum beachtet!, da er sich als bloßer Ersatz von 915 nicht in den
Zusammenhang einfügt; aber er wird sinnvoll wenn er an Stele von 915—927 tritt —, er gibt ja den Anfang von 915 und das Ende von 927 wieder. Wenn der Vers überhaupt je Sinn hatte, stehen also zwei Fassungen nebeneinander: eine längere, die die Handschriften geben, und eine kürzere,
in der 914, 915a und 928 aufeinander folgten. Wäre die längere Fassung die ursprüngliche, so wäre 915a das, was W.-H. Friedrich in seinem Aufsatz über die Interpolationen in den Phoenissen (Hermes 74, 1939, 2668.) einen „Überbrückungsvers“ genannt hat: wollte ein Bearbeiter kürzen, so war er oft gezwungen, einen Vers zu erfinden, um die entstandene Lücke zu überbrücken. Einige der Verse, die Friedrich als so interpoliert erklärt, werden in den Scholien als unecht
oder als in den meisten oder in einigen Hss. fehlend aufgeführt (428. 1075. 375)*. Dazu würde der Befund von 915a ausgezeichnet passen. ! Nur H. L. Timm hat ihn zwischen 913 und 914 eingeschoben, wie ich Weckleins Appendix zu seiner Ausgabe von 1901 entnehme; das zerreißt aber den Satz des Teiresias und führt zu unerquicklicher Wiederholung. 2 Selbstverständlich ist in unseren Scholien nicht alles enthalten, was die gelehrten
Vorlagen über die Bezeugung von Varianten usw. notieren, selbst Verse, die schon die antiken Philologen als Interpolationen erkannt haben müssen, bleiben ohne Anmerkung. Wenn man sagt, unser Text der Phoenissen sei arg verwahrlost, so
trifft das
eigentlich
nicht
zu.
Ihm
liegt eine Ausgabe
zugrunde,
die möglichst
alles brachte, was zu finden war, wobei kritische Zeichen angaben, was der Herausgeber für unecht hielt. Die Hauptaufgabe ist also, die verlorenen kritischen Zeichen
Zu Euripides’ Phoenissen
179
Trotzdem scheint es mir lohnend, auch die andere Möglichkeit durchzudenken, daß die kürzere Fassung die echte und die längere eine Interpolation ist. Selbst wenn sich dabei herausstellen sollte, daß der echte Euripides-Text unseren Ausgaben entspricht, wird das Abwägen der beiden Varianten uns die Intentionen einer jeden besser verstehen lehren —, so wird hoffentlich jedenfalls etwas für das Verständnis des Euripides dabei herausspringen. ᾿ In der längeren Fassung weichen sowohl Teiresias wie Kreon von dem ab, wie der umgebende Text sie darstellt. Als Kreon den Teiresias bittet, er möge den Seherspruch verschweigen, antwortet dieser 926: ἀδικεῖν χελεύεις μ᾽" οὐ σιωπήσαιμεν ἄν. Kurz vorher aber, 889ff., spricht Teiresias ganz anders: nachdem er in dunklen Worten das Schicksal Thebens und die einzig mögliche Rettung angedeutet hat, sagt er 891: ἀλλ᾽ οὐ γὰρ εἰπεῖν οὔτ᾽ ἐμοὶ τόδ᾽ ἀσφαλές πικρόν τε τοῖσι τὴν τύχην κεκτημένοις πόλει παρασχεῖν φάρμακον σωτηρίας, ἄπειμι. χαίρεϑ᾽" εἷς γὰρ ὧν πολλῶν μέτα τὸ μέλλον, εἰ χρῇ, πείσομαι" τί γὰρ πάϑω; Da will er schweigend das Schicksal der Stadt teilen —, nur auf Drängen Kreons gibt er das Geheimnis preis. Er sieht also kein Unrecht darin, es für sich zu bewahren. Von Kreon wird in dieser längeren Fassung sogar ausdrücklich gesagt, daß er plötzlich ein anderer ist (V. 920 ἁνὴρ ὅδ᾽ οὐκέϑ᾽ αὐτός), er, der sich sonst immer mit dem Staat und seinem Herrscher identifiziert, sagt 919: οὐκ ÉxAuov, οὐκ ἤκουσα᾽ χαιρέτω πόλις, er, der sonst auf die Orakelsprüche bedacht ist (V. 1590), den eben deswegen Eteokles zu Teiresias geschickt hatte, weil er die Wahrsager nicht mißachtet (771), sagt 921: οὐ γὰρ σῶν με δεῖ μαντευμάτων,
(zumal in dem
Gespräch
wieder einzusetzen. in unserem
er, der sonst ruhige
Überlegung
und Einsicht vertritt
mit Eteokles V. 707 8.1, erregt sich so, daß er
Ein Vers, der einmal in einer alten Ausgabe
Text aber nicht erscheint, wäre
höchstens
aus Schol.
gestanden hat, Pind. Ο, 2, 72c
zu erschließen, wo auf V. 18 folgt: εἰς γὰρ κακόν σου τοῦτ᾽ ἔσται, woraus durch roür(o Λάν γέσσεται leicht ein Trimeter zu machen wäre. (Der Vokativ ist nach der Hexameter-Fassung des Orakels Adle Λαβδακίδα dem Vers 18 eingeschoben. [Die Vermischung der hexametrischen Fassung, die Schol. Pind. O.2, 70d vorliegt, mit der trimetrischen der Phoenissen findet sich ähnlich wie Schol. Pind. O. 72b auch bei Zenob. 2, 68.]) Eine Interpolation wäre es jedenfalls. Aber das bleibt unsicher. — Nebenbei bemerkt: nach der schönen Abschiedsrede, die Menoikeus mit den Worten (1012) beschließt: εἴρηται λόγος (vgl. Or. 1203; Aesch. Eum. 710), steht (und zwar schon in dem Pap. Ox. 224 aus dem 2.—3. Jh. n. Chr.) eine häßliche
Interpolation: 1013—1014 wiederholen 997—999, und 1015—1018 Geschwátz; vgl. Wecklein in seinem Kommentar von 1894. 1 M, Pohlenz,
dem Kreon. 12*
Die
Griechische
Tragódie,
1930,
II, 153f.
gibt mit
sind altkluges Recht
782f.
180
Zu Euripides’ Phoenissen
sich dem
Seher zu Füßen wirft (9231): ὦ πρός σε γονάτων καὶ γερασμίου
τριχός... — und solcher Kniefall gilt als unedel, sklavisch und barbarisch (vgl. V. 1622 und 293f.; Or. 1507 u.ä.). Wie anders vor allem erscheint er kurz darauf in der Rede 962ff., in der er sich mit seiner furchtbaren Situation auseinandersetzt: kein Wort, daf
ihm der Staat gleichgültig sei, kein Wort, daß ihn der Seherspruch nichts anginge, kein Wort vor Allem des Jammerns. Gewiß, er will seinen Sohn nicht dem Staat opfern, er will versuchen, ihn zu retten, indem er ihn in die Verbannung schickt, aber er wäre bereit, selbst sein Leben für den
Staat zu geben (968f.): αὐτὸς δ᾽, ἐν ὡραίῳ γὰρ ἕσταμεν βίου, ϑνήσκειν ἕτοιμος πατρίδος ἐκλυτήριον. Und wenn er auch seinem Sohn empfiehlt, sich nicht um die Wahrsagungen zu kümmern (971 ἀκόλαστ᾽ ἐάσας μαντέων ϑεσπίσματα), so ist das doch nicht die barsche Abweisung von 921: „Ich habe deine Orakelsprüche
nicht nötig.“ Solche Widersprüche könnten vermuten lassen, daB die längere Fassung interpoliert ist. Doch ist dagegen einzuwenden: Das
Grauenvolle,
das
der
Seherspruch
dem
Kreon
zumutet,
nämlich
seinen eigenen Sohn zu opfern, durchdringt uns nur dadurch, daß Kreon leidenschaftlich darauf reagiert —, und
desto mehr, je besonnener
sonst
der greise Kreon ist. Und daß der weise Teiresias sich nun ebenfalls ereifert, ist nur natürlich und menschlich.
Hinzu
kommt
folgendes:
wenn
er es
nun für Unrecht erklärt, das Orakel zu verschweigen, so gibt das Kreon den Anlaß, seinen Sohn zur eiligen Flucht zu mahnen, bevor ‚die ganze
Stadt erfährt‘
(V. 970), was Teiresias gesagt hat. Setzt man
die kürzere
Fassung als echt, so wird man es zwar hinnehmen, daß Kreon damit rechnet, das Orakel würde ruchbar werden, wenn Teiresias es erst einmal aus-
gesprochen hat; denn wenn
er seine Worte auch nur für Kreons
Ohren
bestimmt, so behandelt er sie doch nicht als Geheimnis, er verpflichtet z.B. nicht den Chor, wie es theaterüblich ist, zum Schweigen. Aber wenn,
wie gesagt, der Satz σίγα" πόλει δὲ τούσδε μὴ λέγῃς λόγους (925) die dramatische Funktion hat, die folgende Handlung einzuleiten und zu beschleunigen, wird man ihn nicht gern einer Interpolation zuweisen. Ein anderer Punkt, der zunächst daran denken lassen könnte, die kürzere
Fassung für echt zu halten, ist der folgende: zum Abschluß der Stichomythie fragt Kreon (929): ἐκ τοῦ δ᾽ ἐμοὶ τόδ᾽ ἦλϑε καὶ τέκνῳ κακόν; Als dann Teiresias in längerer Rede (930—959) auseinandergesetzt hat, warum Menoikeus allein die Stadt retten kann, sagt der Chor (960£.): Κρέον, τί σιγᾷς γῆρυν ἄφϑογγον σχάσας; κἀμοὶ γὰρ οὐδὲν ἧσσον ἔκπληξις πάρα.
Zu Euripides’ Phoenissen Das
ist bedeutungsvoller,
gejammert und um
wenn
Kreon
181
nicht in den Versen
917—927
das Leben seines Sohnes gebettelt hat; scheidet man
sie aus, so läßt Kreon
sich nur eben sachlich informieren
und steht dann
schweigend da. In der Szene dagegen, wie wir sie jetzt in den Handschriften lesen, stellt sich die ἔκπληξις des Kreon in einer aufgeregten und wortreichen Stichomythie dar. Auch der Anfang seiner Rede (V. 962) τί δ᾽ ἄν τις εἴποι... würde gut dazu passen, daß er vorher noch nichts gesagt hat. Dann hätte Euripides hier einen würdigeren und sympathischeren Kreon dargestellt als in der längeren Fassung. Und tatsächlich ist Kreon in dem ganzen Stück eine sympathische Figur, ein Gegenbild zu Eteokles —, mit Ausnahme allerdings der Schlußszenen. Und das könnte den Gedanken nahelegen, die Verse 915—927 mit dieser interpolierten Schlußszene zu verbinden. Seit
Valckenaer
ist
bekannt,
daß
die
Phoenissen
ganz
durch Interpolation entstellt sind!, und W.-H. Friedrich (a.a. hat gezeigt, indem er Beobachtungen anderer fortsetzte, daß zwischen Kreon und Ántigone um das Begräbnis des Polyneikes des Stückes interpoliert ist?, und daß erst dadurch Kreon die
besonders
O. 280.) der Streit am Ende unsympa-
1 Vgl. etwa Ed. Fraenkel, Eranos 44, 1946, 818. [= Kleine Beiträge 1, 4158], der im übrigen eine ganz andere Art von Interpolation bespricht, die sich im gesamten Euripides-Text findet: daß Sentenzen erweitert werden durch andere Sentenzen, und zwar besonders durch solche aus anderen Euripides-Stücken. Ob man dabei vornehmlich an Einfluß von Anthologien denken muß (was Fraenkel für sein Bei-
spiel annimmt) oder ob auch zitatenfreudige Schauspieler hier gesündigt haben, wird sich kaum grundsätzlich entscheiden lassen. Jedenfalls sind uns auf diese Weise auch manche Fragmente aus verlorenen Tragódien erhalten, die wir nur nicht immer mit Sicherheit erkennen können. — Die Interpolationen, die auf echte Bühnenbearbeitungen der Phoenissen zurückgehen, gehóren übrigens nicht nur einer Bearbeitung an, was natürlich eine Deutung der einzelnen Interpolationen erschwert. — Leider reichen sprachliche Indizien nur selten aus, um zu entscheiden, was inter-
poliert und was echt ist; auch in dem vorliegenden Fall wüßte ich nichts, was für die eine oder die andere Lösung entscheidend wäre. 3 Von der Bestattung des Polyneikes ist vor dem Schluß an drei Stellen die Rede: T14—T18 ist von Wecklein und Friedrich mit Recht ausgeschieden, denn Eteokles leitet 766 mit den Worten ἕν δ᾽ ἐστὶν ἡμῖν ἀργόν offenbar den letzten Teil seiner Rede
ein (anders Pohlenz II 154). 1447—1450 lassen sich nicht ausscheiden, da Antigone in V. 1442 offenbar nur erwähnt wird in Hinblick auf die Bestattung und überhaupt nur deshalb von lokaste mitgenommen wird, um dem sterbenden Bruder
zu begegnen. Dagegen können 1631—1634
ohne Schaden fortfallen: dann würde
Kreon 1629f. nur sagen, daß Polyneikes unbestattet bleiben soll, aber nicht, daß, wet ihn dort bestattet, dem Tode verfällt, und dies allein zielt ja deutlich auf Antigone. Aber wenn 1447—1450 im Text bleiben, wird man auch diese Verse belassen. Dann ist es aber eine gewisse Schwäche des euripideischen Stückes, daß dies Motiv in
der Luft hängenbleibt, und
es ist verständlich, daß
ein späterer Bearbeiter hier
ergänzen wollte, was er vermißte — freilich nicht, ohne sich in noch sehr viel schwerere Unzulänglichkeiten zu verstricken. Ich kann hier nicht näher auf die Diskussion eingehen, dic sich an Friedrichs Aufsatz geknüpft hat; vgl. Pohlenz II
155f. [und Ed. Fraenkel, Sitzungsber. Bayer. Akad., Philos.-hist. Klasse, 1963, Heft 1].
182
Zu Euripides’ Phoenissen
tischen Züge bekommen hat: für eine spätere Aufführung suchte man die Handlung zu bereichern durch die Motive aus Sophokles’ Antigone; vollends dadurch, daß man
sie vergröberte, machte man Kreon zum Theater-
Tyrannen. Soviel (man mag über Weiteres streiten) hat Friedrich in seinem grundlegenden Aufsatz, scheint mir, überzeugend aufgewiesen. Da liegt der Gedanke nahe, auch in der Doppelfassung von 915—927 den edleren und würdigeren Kreon dem Euripides zuzuweisen, also die kürzere Version für echt und die längere für interpoliert zu halten. Jedoch die weniger ansprechenden Züge Kreons sind beide Male zu verschieden,
als
daß
man
viel
Zutrauen
zu
dieser
Kombination
fassen
könnte: am Schluß ist er grausam, in der Streitszene mit Teiresias verliert er seine Haltung. Aber auch sonst ist einem nicht ganz wohl bei dieser Lösung. Denn wenn der Chor 960 zu Kreon sagt: τί σιγᾷς γῆρυν ἄφϑογγον
σχάσας, so paßt das Wort γῆρυς besser zu den leidenschaftlichen Worten, die er zu Teiresias gesagt hat, als zu seinen sachlichen Fragen, die allein übrigbleiben, wenn man 915—927
streicht, und σχάσας legt den Gedanken
nah, daß er angespannte Worte „gelockert‘ hat, und auch das weist auf den Disput mit dem Seher. Und wenn Kreon dann 962 nach dem τί δ᾽ ἄν τις εἴποι; fortfährt: δῆλον ol γ᾽ ἐμοὶ λόγοι, so versteht sich das leichter nach den Worten, die er vorher gegen Teiresias gerichtet hat, als wenn es sich nur auf das bezicht, was er nun zu sagen sich anschickt, worauf es
allein gehen müßte, wenn die Worte gegen Teiresias fortfallen. Alles in allem wird man also zu dem Schlusse kommen: die Handschriften (und danach unsere Ausgaben) geben den originalen Euripides-Text, und der von
den
Scholien
zitierte V. 915a
ist ein
„Überbrückungsvers“
aus
einer gekürzten Bühnenversion. Seit dem Buch von Tycho von Wilamowitz stellt uns jede Tragödie von neuem
das Problem, wieweit
der Dichter
auf einheitliche Charaktere
zielt
oder wieweit er die Situationen ausschöpft, selbst auf Kosten von strenger innerer Folgerichtigkeit in allen Äußerungen der Personen. Wenn nun die längere Fassung echt ist, so ist Euripides sich selbst sogar darüber klar gewesen,
daß Kreon
hier ein anderer ist als sonst, denn
er läßt Teiresias
sagen (920): ἀνὴρ ὅδ᾽ οὐκέθ᾽ αὑτός —, sollte diese Szene eine Interpolation sein, so müßte der Interpolator im Hinblick auf den von ihm verfertigten Schluß des Stückes schon hier dem Kreon bewußt etwas von seiner Würde genommen und durch die Worte des Teiresias ausdrücklich darauf ver-
wiesen haben. Auch diese Überlegung führt darauf, daß die längere Fassung eher die echte ist. Dann ergibt sich aber für Euripides folgendes. Sehr bewußt hat er die Reaktion des Kreon auf den Spruch des Teiresias in zwei Teile zerlegt; zuerst empört er sich leidenschaftlich gegen das Verhängte — so kommt das Ungeheuerliche seiner Situation zu voller dramatischer Wirkung —, dann hört er sich schweigend an, was Teiresias des Näheren ausführt, und
Zu Euripides’ Phoenissen
183
hat nun seine Fassung und Würde wiedergewonnen; das alles ist schließlich, so werden wir zugeben müssen, natürlich und groß, auch ohne daß die einzelnen Äußerungen auf einen einheitlichen Charakter bezogen und durch ihn begründet würden, wie wir das in modernen Dramen oder auch schon bei Shakespeare erwarten. Als „menschliche Natur‘ können wir den Kreon
voll begreifen.! Warum der Bearbeiter in dieser Szene eingegriffen hat, läßt sich nicht mit Bestimmtheit ausmachen. Wahrscheinlich wollte er nur ein Dutzend Verse einsparen — wie Friedrich es für andere Stellen annimmt, wo ,, Über-
brückungsverse“ über eine Streichung hinweghelfen sollen; möglich wäre aber auch, daß in einer Zeit, da die Schauspieler schon darauf aus waren,
„Charaktere“
zu spielen, sich Schwierigkeiten bei der Szene ergaben.
1 Wenn Kreon in dem interpolierten Schluß plötzlich ein grausamer Tyrann ist, so bringt das einen unerträglichen Widerspruch in die Figur. Denn selbst wenn Oidipus 1620 zu ihm sagt: τί u’ ἄρδην ὧδ᾽ ἀποκτείνεις ; so klingt doch sein Satz 1592 ff. überzeugend: καὶ τάδ᾽ οὐχ ὕβρει λέγω οὐδ᾽ ἐχϑρὸς ὧν σός, διὰ δὲ τοὺς ἀλάστορας τοὺς
σοὺς δεδοικὼς μὴ τι γῆ πάϑῃ κακόν. Genauso bekommt auch Antigone falsche Züge durch diese Interpolationen. Selbst wenn sie kühn und hart damit droht, sie werde
Haimon in der Hochzeitsnacht umbringen (1675), so ist sie doch in dem unverfälschten Stück — wie Menoikeus — eine der reinen jugendlichen Figuren, wie Euripides sie öfters auf die Bühne bringt, die durch ihr Opfer die verworrene Welt heilen. Darum betont Euripides ihre Schüchternheit und ihr jungfräuliches Behütetsein (103f., 193 #., 1265 ff., 1275£., 1485 ff.), aber in dem interpolierten Stück 1639
1672 läßt sie sich auf eine handfeste Schimpferei mit Kreon ein.
DAS
EISVOGELNEST
IN
DER
MUSCHEL
In Kallimachos’ 5. Epigramm sagt die Nautilos-Muschel — oder NautilosSchale, wie es zoologisch richtiger heißen müßte —, die das Mädchen Selenaie der Arsinoe-Aphrodite im Alexandrischen Zephyrion! geweiht hat: „Ich bin bei Iulis ans Land geworfen... und nun soll nicht mehr in meiner feuchten Kammer wie früher, denn jetzt bin ich ja leblos, der Eis-
vogel ein Ei legen.“ Wilamowitz (Hellenistische Dichtung 1, 1924, 194) meint, das Besondere dieser Muschel sei gewesen, daß ein Seevogel in ihr genistet habe. Aber wie merkwürdig, daß die Muschel damit rechnet, daß fernerhin
kein Eisvogel mehr in ihr nistet, weil sie jetzt leblos sei. Ein richtiges Vogelnest kommt doch eher in die Schale, wenn sie leer und leblos am Strande liegt. „Eisvogelnest‘‘, ἀλκυόνειον, hießen nun aber Zoophyten, die auch heute noch von den Zoologen Alcyonea genannt werden, Korkoder Lederkorallen (vgl. Otto Keller, Die antike Tierwelt 2, 1913, 568. ---
das Kallimachosepigramm ebd. 518), und offenbar hat die junge Selenaie eine Nautilos-Schale geweiht, die mit solchem schwammähnlichen Gebilde, das wie ein Vogelnest aussah, bewachsen war?. Berthold Klatt, den ich um den fachmännischen Rat des Zoologen bat, sagt mir, es wäre sicher eine Seltenheit, wenn eine zerbrechliche Nautilos-Schale mit solchem Bewuchs gefunden würde, aber daß es sich um etwas Rares handelt, setzt
das Kallimachos-Gedicht voraus. Ob Kallimachos selbst geglaubt hat, ein wirkliches Eisvogelnest vor sich zu haben oder ob er nur mit dem Namen geistreich spielt? Hoffen wir zu seinen Gunsten das Letztere. ! (Vgl. L. Robert, Hellenica XI/ XII. 1960, 153—5; 165.] 3 by ϑαλάμηισιν... νοτερῆισ(ι), von Kaibel evident richtig hergestellt, könnte daran
denken
lassen,
daß
der
Eisvogel
in der
„Höhlung“
der
Schale
genistet
hätte — aber wenn der Nautilos lebt, ist die ja gar nicht frei; es muß also an die Höhlung des Eisvogelnestes gedacht sein, wie Arist. hist. an. 548a 28 von den ϑαλάμαι des Schwamnmces spricht.
DIE KLANGFIGUREN IM 2. EPIGRAMM
DES
KALLIMACHOS
Eln£ τις, ἩΗράκλειτε, τεὸν μόρον, ἐς δέ με δάκρυ ἤγαγεν" ἐμνήσϑην δ᾽ ὄσσακις ἀμφότεροι ἥλιον ἐν λέσχῃ κατεδύσαμεν. ἀλλὰ σὺ μέν που, ξεῖν᾽ ᾿Αλικαρνησεῦ, τετράπαλαι σποδίη, αἱ δὲ τεαὶ ζώουσιν ἀηδόνες, ἧσιν ὁ πάντων ἁρπακχτὴς "Aldng οὐκ ἐπὶ χεῖρα βαλεῖ.
4
Dieses Gedicht ist schön zunächst durch seine schlichte Sprache. Nur wenige Stellen sind durch epische Diktion leicht aufgehöht: V.1 und 5 durch die Formen von «sóc statt von σός, V. 6 durch die ’Tmesis ἐπὶ χεῖρα βαλεῖ; nur zweimal (in V. 5) steht der bestimmte Artikel; ungewöhnlich
ist nur τετράπαλαι (V.4), das das umgangssprachliche τρίπαλαι3. etwas steigert, und die Metapher ἀηδόνες = Gedichte?. Das prosaische εἰς δάκρυα ἄγειν wird durch den Singular ἐς δέ με δάκρυ ἤγαγεν (V. 1) gehoben. ἥλιον ἐν λέσχῃ κατεδύσαμεν (V. 3) scheint gebildete Umgangssprache zu sein®. μόρος
— Tod (V. 1) ist zwar episch, findet sich aber auch bei Herodot oft
(fehlt aber, wie die Hippokrates-Verzettelungen des Thesaurus linguae Graecae zeigen, bei Hippokrates). Auch die syntaktische Fügung ist einfach: dreimaliges δέ knüpft die Sätze
aneinander,
nur
in V. 3 markiert
ἀλλά
einen
stärkeren
Einschnitt,
und den Schluß bildet ein Relativsatz. 1 τὴν χεῖρα ἐπιβάλλειν ist gewöhnlich, z. B. Aristoph. Lys. 439f., auch τὰς χεῖρας. Kallim. läßt den Artikel fort. ! Aristoph. eq. 1153, wo es dann komisch überboten wird durch δεκάπαλαι, δωδεκάπαλαι, χιλιόπαλαι, προπαλαιπαλαίπαλαι und τρισμυριόπαλαι. 3 Wilamowitz, Hellenistische Dichtung 2, 1924, 122; Pfeiffer zu Callim. fr. 1, 16
[Nachahmung der Kallimachosverse 5f.: Versinschr. I nr. 1924, 52f. Peek]. * Euripides
dagegen
pathetisiert die Wendung
einmal
Or. 1032: ἐς δάκρυα πορ-
ϑμεύουσ(α).
5 Aristain. 1, 24 καταδύσειν μοι δοκῶ τὸν ἥλιον ἐπὶ τῷ μήχει τοῦ λόγου. Dio Chrys. 10. 21 ἀκούοντα καταδῦσαι τὸν ἥλιον. Acl. n. an. 6,58 τὸν... ἥλιον ἐν ταῖς λέσχαις καταδύειν. — ἥλιον ἐν λέσχῃ steht in der Anthol. Pal., ἠέλιον ἐν λέσχῃ bei Diogenes und Planudes. Bentley konjizierte ἠέλιον λέσχγ, aber ἐν ist gutes Griechisch: E. Kapp vergleicht dazu Wendungen wie ἀνὴρ... ἐν φιλοσοφίᾳ διατρίψας τὸν βίον Plat. Phaid. 63 E, ol ἐν ταῖς φιλοσοφίαις πολὺν χρόνον διατρίψαντες Theaet. 172 C (cf. 173 C), ὅσοι
ἐν φιλοσοφίᾳ διάγουσιν Theaet. 174 A (cf. Phdr. 259 D), ὡς ἐν φιλοσοφίᾳ διατρίβων fep. 561 D usw.
186
Die Klangfiguren im 2, Epigramm des Kallimachos
Die Gedanken halten sich weitgehend an das im Grabepigramm übliche. Die Anrede an den Toten, die Nennung von Namen und Heimat, die Tränen, der grausame Hades, der Gedanke: du bist tot, aber die Erinnerung an dich lebt!, — all das findet sich oft auf den Steinen. Das Allzu-Sachliche der Angaben ist verwischt durch Wörter wie τις, ὁσσάκις, που, τετράπαλαι,
und in diesem sfumato entfaltet sich die Stimmung. Aber
daß das Gedicht vollkommen
dem Vers fügen, und,
j
ist, liegt darin, wie sich die Worte
vor allem, wie sich ihr Klang
dem
Sinn anpaßt.
Daß Kallimachos ein Meister ist in den akustischen Qualitäten Verse, läßt sich an vielen Gedichten zeigen, aber man wird es am mit Dionys von Halikarnaß halten, da er von der „Schönheit der staben“ spricht: χρήσομαι δ᾽ ὀλίγοις παραδείγμασι τοῦ λόγου τοῦδε τῆς
seiner besten Buchσαφὴ-
νείας ἕνεκα᾽ τὰ γὰρ ἄλλα πολλὰ ὄντα ἐπὶ σεαυτοῦ συμβαλλόμενος εὑρήσεις3. Grundsätzlich verfehlt wäre es jedenfalls, solche Beobachtungen zu systematisieren oder Regeln aus ihnen abzuleiten. Denn wenn auch die Laute bestimmte Qualitäten haben, etwa Länge oder Kürze,
so hängt es doch vom
Sinn ab, ob etwa eine Länge Trauer oder Feierlichkeit oder Stumpfsinn bedeutet. Nur in der Einzelinterpretation läßt sich also etwas über den Wert der Laute sagen?.
Das
Epigramm
hat vorwiegend
dreisilbige Daktylen,
in jedem Vers
erscheint jeweils nur ein einziger Spondeus. Das ergibt einen flüssigen Rhythmus, der doch leicht variiert ist. Die Spondeen stehen jeweils im 2. Metron: der Vers läuft normal an, verzögert sich dann aber, und zwar immer in Wörtern, denen dies leichte Zögern einen besonderen Gefühlston leiht: Ἣράκλειτε ... ἐμνήσϑην ... ἐν λέσχῃ ... ᾿Αλικαρνησεῦ ... ζώουσιν. Nur im letzen Vers steht der Spondeus im 1. Metron, wo das grausame ἁρπαχτής den gewohnten Fluß unterbricht. Die Haupteinschnitte der Hexameter liegen immer (wie so oft bei Kallimachos) in der bukolischen Dihärese; dort ist stets Interpunktion. Dadurch werden die letzten beiden Daktylen stärker zu dem folgenden Pentameter gezogen, und zumal im Übergang von V.1 zu 2 und von 5 zu 6 ist das Enjambement deutlich, wodurch die starre metrische Gliederung aufgehoben wird. Auch der Pentameter V. 2 geht zum Hexameter V. 3 leicht hinüber.
Desto
deutlicher hebt sich dann das letzte Distichon,
der Trost,
von den beiden vorhergehenden ab. Der erste und der letzte Hexameter haben die Zäsur nach dem ,,dritten Trocháus", die in den Distichen über1 Vgl. etwa Callim. ep. 9; Peek 1388. 1415. — Der Gedanke, daß die Gedichte fortleben, kommt bei Kallimachos auch ep. 7 vor. 3 Comp. verb. 16, 97. Wieweit wir uns mit den Lautanalysen abfinden können, die Dionys im letzen Teil seines Buches gibt — diese Frage will ich hier nicht auf-
greifen. Allerdings glaube ich, daß wir auch heute noch mit Nutzen verwerten können, was scit Theophrast bis zu den spáten Rhetoren auf diesem Feld beobachtet ist. * Vgl. dazu: Aufbau der Sprache?, 1961, 47.
Die Klangfiguren im 2. Epigramm des Kallimachos
187
wiegt, da sie den Hexameter von dem Pentameter abhebt. Aber es herrscht da kein starrer Schematismus: der 2. Hexameter hat die für den Pentameter charakteristische Zäsur nach dem 3. longum, er klingt sogar lautlich an den vorhergehenden Pentameter an: Ayayev' ἐμνήσϑην ... ἥλιον Ev λέσχῃ (darüber s.u.). Der 1. und 2. Vers haben nicht nur Wortende, sondern sogar Interpunktion nach dem 1. Daktylos (der 3. ebenfalls Wortende). Dadurch bekommen sie etwas Stockendes, — wie denn auch die ersten beiden Sätze mit der Nachricht vom Tod des Freundes und der ersten Reaktion kurz sind, erst mit dem dritten Satz, da die Erinnerung wach wird, schwingen Vers und Gedanke weiter aus!. Erstaunlich sind die ersten Worte des Gedichts aber vor allem durch ihre Laute: Wie nach den feinen e-, v- und eı-Lauten? von εἶπέ τις, ᾿Ηράκλειτε
und nach dem hüpfenden mx, r und x es plötzlich absinkt zu τεὸν μόρον, zu den dunklen o-Lauten und zum dumpfen v und u, das läßt uns die plötzliche Todesnachticht und den jähen Einbruch der Trauer geradezu körperlich fühlen. Daß dabei die vor der Zäsur stehende Endsilbe von ᾿Ηράκλειτε nach der Zäsur als Anfangssilbe von reöv noch einmal erscheint, zögert diesen Bruch noch hinaus und macht ihn vollends überraschend und effektvoll?. Die drei e im Ende des 1. Hexameters ἐς δέ με δάκρυ klingen monoton; dagegen hebt sich dann das harte δάκρυ ab, als ob aus bedrückter Stille die Tränen hervorbrächen. In ἤγαγεν" ἐμνήσϑην überwiegen dann weichere Konsonanten,
und die n malen das sehnsuchtsvolle Gedenken;
das findet
dann ein Echo in dem folgenden Vers: ἥλιον ἐν λέσχῃ". Im übrigen wird nun in der Erinnerung an die schöne Vergangenheit das Lautbild reicher: ὅσσακις ἀμφότεροι... κατεδύσαμεν. Weiter fällt vor allem der Wechsel der Konsonanten ins Ohr: in ἀλλὰ σὺ μέν που, ξεῖν᾽ ᾿Αλικαρνησεῦ überwiegen die „langen“
Konsonanten
2, o, u, v, p (dagegen
treten
je einmaliges
x
und x zurück), hingegen hat τεράπαλαι σποδίη zwei τ, zwei x, ein 8 neben je einem p, À und c, und malt das Zerbrechliche und Hinfällige. Im folgenden Vers heben sich die dunklen Vokale von ζώουσιν stark heraus: ὦ kommt sonst in dem Gedicht nur noch am Ende dieser Zeile vor in πάντων, ov
nur noch am Ende von V. 3 in που und V. 6 in οὐκ — sie stehen auch in 1 Der
kurze,
sachliche Vokativ
Ἡράκλειτε
zerhackt
den
Satz εἶπέ τις...
τεὸν
μόρον, während die zweite gefühlvollere Anrede ξεῖν᾽ ᾿Αλικαρνησεῦ dadurch, daß sie die erste Pentameterhälfte ausfüllt, viel stärker vom Rhythmus getragen wird. * Das
,Sonore"
der Vokale
(das εὔφωνον,
εὔμορφον)
nähme
ab in
der
Reihe
&--o-U-1, meint Dionysios 14, 75f. * Diese Art schwacher „Epanastrophe“ findet sich öfter bei Kallimachos, beson-
ders eindrucksvoll etwa in der Hekale fr. 260, 11: οὐχὶ νότος τόσσην γε χύσιν κατεχεύατο φύλλων. * Zum Text s. o. 185,5.
188
M
lebhaftem
Die Klangfiguren im 2. Epigramm des Kallimachos Gegensatz zu den beiden αἱ des vorhergehenden
αἱ δὲ τεαί;
so
kommt dies Trostwort ζώουσιν schön zur Geltung. Am Anfang des Schlußverses hebt sich das Wort ἁρπαχτῆς nicht nur durch den Spondeus (s.o.), sondern auch durch den harten, grausamen Klang hervor!. Die jüngere, nur hier belegte Form ἁρπαχτῆς statt homerischem ἁρπαχτήρ verwendet Kallimachos offenbar, um den Reim zu ’Alöng zu gewinnen, wie auch sonst die Worte ὁ πάντων ἁρπακτὴς ᾿Αίδης durch gleiche Laute verbunden sind. In den Schlußworten χεῖρα βαλεῖ klingen die glatten und gefälligen Laute des Anfangs εἶπέ τις, Ἡράκλειτε wieder an, so daß das Gedicht
sich leicht und versóhnlich rundet.
Solche Klanganalyse ließe sich noch weitertreiben, aber ich möchte nicht in Spitzfindigkeiten geraten (mit dem Gesagten bin ich hoffentlich nicht über das Plausible hinausgegangen). Strikt beweisen läßt sich auf diesem Felde sowieso nichts; man kann nur suchen, sich bewußt zu machen,
worauf es beruht, daß ein Gedicht schön klingt. Gerade bei Kallimachos lohnt dies, denn er hat sehr sorgsam und feinfühlig den Klang seiner Verse behandelt, aber dabei alle auffälligen Effekte vermieden. Die Tragödie kennt
Lautmalereien
und
Assonanzen,
die sehr viel stärker in die Ohren
fallen, und vollends manche modernen Dichter sind mit Klangspielereien sehr viel weitergegangen; Kallimachos ist auch in diesen Dingen diskret und delikat. So erschließt er sich denn auch in diesen Dingen erst in einiger Geduld. 1 Solcher Konsonantenreichtum ist τραχύς nach Demetr. x. ἑρμ. 176.
ANTIKE
BESUCHER
DES
TEMPELS
VON
SUNION
IG DI 38241 steht als Inschrift vom “promunturio Sunio in epistylio': Ὀνήσιμον ἐμνήσϑη τῆς ἀδελφῆς Χρήστης. Der Sinn ist einfach, — man könnte höchstens
schwanken,
ob,
wie
die
Herausgeber
angenommen
haben,
Χρήστη der Name der Schwester ist (Χρῆστα kommt als Name einer Sklavin in Larissa vor IG IX 2, 415,4), oder ob ἀδελφῆς χρηστῆς gemeint war in der besonders von Grabinschriften bekannten Wendung (Beispiele bei W. Larfeld, Handbuch der griechischen Epigraphik II, 1898—1902, 857).
Die Inschrift steht nicht ‘in epistylio', sondern auf der Vorderseite der südlichen Ante des Poseidontempels, wie schon Orlandos richtig angegeben hat?. Onesimos war offenbar im Schreiben nicht sehr gewandt, denn dreimal hat er sich in den wenigen Worten verbessern müssen: er hatte zunächst ἐμνήϑη geschrieben (der Stein zeigt daher folgende Zeichen: C Ib H.. Das N ist übrigens deutlich zu lesen), — dann hatte er das Sigma von τῆς und das Lambda von ἀδελφῆς ausgelassen. Diese Inschrift hat schon Lebas publiziert, — in seinen attischen Inschriften ist sie als Nr. 668 mit anderen 'souvenirs pieux' aufgeführt. Die vorhergehende Inschrift (667) ist von der heiligen Straße nach Eleusis (IG III 3823), Nr. 672 von einem Felsen der Turkowuni (IG III 3826), — aber die Nummern 669—671 waren für die Herausgeber des Corpus verschollen. Nr. 669: ἐμνή]σϑη Zuotpog|... στον Πειραιεύς ist unter die Tituli Memoriales gesetzt (1G III 3827, wobei statt — στὸν konjiziert wurde —
στοῦ), die anderen
beiden dagegen
sind davon
abgerissen und an ver-
schiedene Stellen der Fragmenta incerta geraten, IG IIT 3916: Av. . .|...oc 'Avrloxoc]. .. «νιος und
3966:
...ov υἱὸ[ς]
WKAEICTH
TOAUTTEA Auch diese Inschriften sind aus Sunion, sie stehen auf der Vorderseite der anderen, der nördlichen Ante?. Die Antiochos-Inschrift veröffentlichte
Orlandos ’Epnp. 1917, 213, 3 mit richtiger Angabe des Platzes, aber im ungenauen Wortlaut des Corpus. Die letzte Zeile ist jetzt bis auf Spuren des Ny und Sigma durch eine 1863 darüber gesetzte Inschrift zerstört. Deutlich ist jedoch das Sigma von υἱὸς zu lesen; darauf folgt eine waagerechte Hasta unten und eine Lücke für einen weiteren Buchstaben. Hinter 1 [Konkordanz der hier besprochenen Inschriften: IG III 3822 = IG* II/III 13230,
3824 = 13232, 3826 — 13235, 3827 — 13237, 3916 — 13239, 3966 -- 13237.] s 5, Ἔφημ. 1917, 222 Abb. 15. * Beim ersten Entziffern der Inschriften half mir Ernst Buschor, beim Abklatschen
stud. phil. Züchner. Beiden sei auch hier herzlich gedankt.
190
Antike Besucher des Tempels von Sunion
AHA glaube ich (auch auf dem Abklatsch) Spuren von ΟΥ̓ zu erkennen. Dahinter ist der Stein glatt. Die in kurzem Abstand folgenden Buchstaben HX sind also nicht zugehörig. Vorn sind 26 cm fortgebrochen, es können dort noch 20 Buchstaben gestanden haben. Auf dem Stein war also geschrieben:
Weiter werden Die einzige
ὁ δεῖνα 00. ..... jov υἱὸς
[ἐκ] Andfou
| [πλεύσας
oder ähnlich].
unten wird diese Ergänzung noch etwas wahrscheinlicher gemacht können!. beiden Nummern 669 und 671 von Lebas bilden in Wahrheit eine Inschrift. Man liest auf dem Stein
ICOHZWCILOCHWKAEYCTH TONNEIPAHYN. Die
Buchstaben
sind 2—2,5 cm
hoch,
TOAUNEL die
senkrechten
Hasten
von
K
und ® etwas länger. Die erste Zeile ist sicher zu ergänzen: ἐμν]ήσϑη Ζώσιμος Φωχαεὺς τῆ[ς... es folgte hier wie in der Onesimos-Inschrift die Frau, derer sich Zosimos der Phokäer erinnerte. In der zweiten Zeile stand hinter der Lücke T oder am Ende A, wahrscheinlicher AU. Am Anfang hat Lebas noch Sigma gelesen. Auffallend ist der Akkusativ Πειραῆ. Πειραεὺς
(ohne ı wie vorher Φωκαεὺς) des Orts bezeichnen,
gänzen ist?. Denn Raum
muß
hier den Ort, nicht den Angehörigen
so daß εἰς τὸν Ileıpan, nicht
...oröv
es bleibt auch so zur Bezeichnung
von höchstens
3 Buchstaben
Ileıpan
zu er-
der Frau nur ein
in der ersten und höchstens
7 in der
zweiten Zeile. Hier wie in der Antiochos-Inschrift wird etwas über die Schiffsreise gesagt sein, die den Schreiber an das Kap Sunion geführt hatte. Den Rest der Zeile zu ergänzen ist mir nicht gelungen; die Vermutung, ob
Αμπελος,
der
Name
mehrerer
Vorgebirge,
erwähnt
war,
bleibt
sehr
unsicher; eine Form von duntureıv wäre hier sehr auffallend.? Von diesen drei antiken Besuchern ist Antiochos offenbar der früheste. Seine Schrift ist
sehr ähnlich der von Graindor, Album d’inscriptions Attiques Pl. VII, N.8 gegebenen Probe aus der Zeit um Christi Geburt. Zosimos und Onesimos * Oder zu ergänzen nach Analogie von IG XII auch einer solchen Erinnerungsschrift, auf die mich freundlich aufmerksam macht. Die Ergänzung ist (v. IG ad 1.). 3 E, Schweizer, Grammatik der pergamenischen hält diesen gelegentlich auf kleinasiatischem Boden ein dorisches Residuurn.
5, 592: καλὴ ἐν At [ov] ψάλτρια, Herr Prof. Hiller v. Gaertringen freilich auch hier nicht sicher Inschriften, Zürich 1898, 148f. vorkommenden Akkusativ für
3 ὕπ[α]το(ν) ἀμπέμ[πωνΡ Über den Schwund des auslautenden Ny vgl. E. Mayset, Grammatik der griechischen Papyri aus der Ptolemäerzeit I, 1923, 191. ἀμπέμπων mit der dem Ionisch-Attischen fremden Apokope (Rüsch, Grammatik der delphischen Inschriften I, 1914, 182) oder mit hellenistischer Synkope des unbetonten kurzen Vokals nach Nasal bei gleichem Vokal in der Nachsilbe (P. Kretschmet,
Woch. f. Klass. Phil. 1899, 5).
Antike Besucher des Tempels von Sunion
191
erinnern sich entfernter Personen. Sie bedienen sich einer durchaus formelhaften Wendung, um ihrem Sentiment Ausdruck zu geben, die wir auf Inschriften an schönen
Plätzen des öfteren finden, wie im
Quellhaus
der
Peirene auf Akrokorinth (IGIV 375—383) oder an der Heiligen Straße beim Aphroditeheiligtum, wo sich das Tal zur eleusinischen Bucht hin öffnet (IG III 2, 3823; weitere
Beispiele
bei W. Larfeld,
Griechische
Epi-
graphik?, 1914, 453 und Handbuch II 866). Plutarch erwähnt einmal (in der Schrift x. πολυπραγμ. 11, 520 E, — M. Fränkel zitiert die Stelle zu den Graffiti von Akrokorinth), — daß man zu seiner Zeit ‘auf Spaziergángen' an den Mauern häufig Inschriften von dem Typus ἐμνήσϑη ὁ δεῖνα τοῦ δεῖνος ἐπ’ ἀγαθῷ oder φίλων ἄριστος ὅδε τις fand. Und unsere beiden Inschriften können den Buchstabenformen nach sehr wohl aus der Zeit Plutarchs stammen (ähnlich, nur viel sorgfältiger geschrieben ist Graindor' Pl. XIX, N. 26 aus der Zeit von 75—88 n.Chr.). Wir haben also Zeugen eines weitverbreiteten sentimentalen Naturempfindens aus dem späten Altertum vor uns. Heute ist die Tempelruine von Sunion übersät von Namen derer, die seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts den Tempel besucht haben!. Über ihre Empfindungen sagen die Schreiber dieser Namen viel weniger aus als Zosimos und Onesimos. Die häufig beigefügte Jahreszahl zeigt nur, daß die Namen in erster Linie als eine Art historischen Dokuments eingegraben sind: Zu der und der Zeit bin ich wirklich hier gewesen. Aber von einem dieser Besucher wissen wir, mit welchen Empfindungen er hier am Kap Attikas gestanden hat. Unter der Inschrift des Zosimos steht in schöner klarer Kursive der Name Byron. Aus dem Child Harold kennen wir sein durchaus modernes Naturempfinden. Oder denken wir an das sublimste Beispiel solcher von der Weihe eines schönen Platzes hervor-
gerufenen Graffiti, an Goethes ‘Über allen Gipfeln ist Ruh’ —, so wird deutlich, wie fremdartig für uns die antike Form eines sentimentalen Naturerlebnisses ist. Dem Modernen ist die Landschaft Spiegel der eigenen Seele und ihrer Empfindungen, — dem antiken Besucher war die Ergriffenheit Erinnerung an einen Menschen‘. ı Man
findet
auch
noch
einzelne
andere
antike
Buchstaben.
Einen
sinnvollen
Zusammenhang geben sie aber, soviel ich sehen konnte, nicht. 3. [Zu Inschriften dieser Art vgl. auch: Dichtung und Gesellschaft, 1965, 98, 70; J. u. L. Robert, Bull. ép. 1964 nr. 618.)
DIE
16. EPODE
VON
HORAZ
UND
VERGILS
4. EKLOGE
Die nahen Beziehungen zwischen dem horazischen Jugendgedicht und Vergils berühmter Weissagungs-Ekloge sind seit langem beobachtet, aber bis heute auf das verschiedenste beurteilt. Heinze läßt die Frage unentschieden, ob Horaz oder Vergil die Priorität zukommt!. H. Drexler, der das Problem zuletzt ausführlich behandelt hat, und der einige wichtige neue Gesichtspunkte geltend macht, tritt zuversichtlich dafür ein, daß Vergil abhängig von Horaz sei?. Aber gerade die Momente, die Drexler in die Diskussion trägt, bringen, wie ich glaube, die Entscheidung im umgekehrten Sinn. Drexler (133) weist mit Recht auf die Verwandtschaft zwischen dem Horazgedicht und einer älteren Ekloge Vergils, der achten. Buc. 8, 26ff. heißt es: Mopso Nysa datur : quid non speremus amantes? iungeniur iam grypes equis, aevoque sequenti
eum canibus timidi venient ad pocula dammae. Damon singt klagend und eifersüchtig: Nysa wird dem Mopsus vermählt, — da müssen wir Liebenden auf das Ungeheuerlichste gefaßt sein: Greifen? werden sich mit Pferden paaren, Damhirsche und Hunde werden gemeinsam zur Tränke gehen. Diese Adynata (die in 52 —56 fortgesetzt werden) sind, wie die Kommentatoren hervorheben, von Theokr. 1, 132ff. abhängig. Theokrit sagt: jetzt, da Daphnis gestorben ist, mag sich alles in der Welt verkehren, da mag, so heißt es unter anderem (135), der Hirsch die Hunde zausen. Daraus macht Vergil, da er von der unerhörten Ehe Nysas mit Mopsus spricht: Hirsch und Hund werden gemeinsam zur Tränke gehen, und vorher sagt er — und damit wird die unmögliche Liebe zwischen beiden noch stärker getroffen —: Greifen und Pferde werden sich gatten. Hier ist klar, wie Vergil von Theokrit abhängt und wie er die Gedanken für seinen Zusammenhang sinnvoll weiter entwickelt. Bei Horaz in der 16. Epode heißt es: wir wollen wie die Phokäer unser Land
verlassen, wir wollen nicht heimkehren,
ehe nicht die Steine wieder
aus dem Meer auftauchen (das ist Herodot-Reminiszenz), ehe nicht der Po ı Oden und Epoden?,
1930, 547.
2 Studi Italiani di fil. cl. N. S. 12, 1935, 132. (vgl. jetzt auch A. Kurfess, Philologus
91, 1936, 412—422,
weitere Literatur verzeichnet
der für die Georg
Priorität der vierten Ekloge
Schörner,
Sallust und
Horaz
eintritt). Die
über den
Sitten-
verfall und die sittliche Erneuerung Roms, Diss. Erlangen 1934, 44, 1. [Ed. Fraenkel, Horace 1957, 51; H. Drexler, Maia 16, 1964, 1766]
8 [So H. Drexler, a.a.O. 193,44 —
ich hatte fälschlich „Geier“
geschrieben.]
Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4, Ekloge
bergauf fließt (Euripides-Reminiszenz) — und dann folgt (306)
und der Appennin
193
ins Meer kommt
movaque monstra iunxerit libidite mirus amor, iuvet ut Higris subsidere cervis adulteretur et columba miluo. Horaz benutzt das von Vergil für seine achte Ekloge passend erfundene Motiv von der absonderlichen Liebe verschiedener Tiere zueinander!, aber er sucht Beispiele, mit denen er Vergil noch überbieten kann: nicht nur,
daB Tiger und Hirsch sich paaren: der Tiger spielt dabei sogar die Rolle des Weibchens! nicht nur, daß einander feindliche Vögel sich vereinen: sogar die treue Taube treibt Ehebruch (beides richtig erklärt von Heinze)!
Dies Bedürfnis, das Einfache zu übertrumpfen, verrát vollends die Abhángigkeit. Der nächste Vers bei Horaz ist der entscheidende,
da er fast wörtlich in
der 4. Ekloge wiederkehrt. Er lautet bei Horaz 33: eredula nec ravos timeant armenta leones.
bei Vergil ecl. 4. 22: "ec magnos metuent armenta leones. Heinze (551) faßt den horazischen Vers mit dem darauffolgenden ame/que salsa levis bircus aequora unter dem Stichwort zusammen: „Die Tiere sollen ihre angeborene Art verleugnen, die Lówen ihre Wildheit und Raublust ablegen, der struppige Bock im Wasser wohnen, glatt wie ein Fisch." Dagegen sagt Drexler mit Recht, daß in unserem Vers nicht etwas über die Löwen, sondern über die Herden ausgesagt wird, und er zieht diesen zu den vorigen und nennt als ihren Inhalt: „Die Rinder werden gutgläubig, vertrauensvoll
und
fürchten
nicht die Löwen,
d.h.
sie nähern
sich ihnen
ohne Angst." Gerade das steht aber nicht in dem Vers, während Vergil in der 8. Ekloge ausdrücklich sagt: die Hirsche kommen mit den Hunden ad pocula: dort ist wirklich die Rede davon, daß sie sich nähern und sich gesellen. Eben der Vers, der so nahe an Vergil anklingt, gibt also weder den Sinn her, den 1 Man
Aristoph.
Heinze
noch
den Drexler ihm
geben
móchte;
das heiBt aber, er
sage nicht, das sei ein τόπος; das ist es erst durch Vergil geworden,
Pac. 1076 πρίν xev λύκος olv ὑμεναιοῖ ist anders. —
ἀδύνατα bei Walter Króhling,
denn
Beispiele für solche
Greifswalder Beitráge 10, 1935, 23ff. und vor allem
bei E. Dutoit, Le théme de l'adynaton dans la poésie antique, Paris 1936. * Dies letztere wohl nach Verg. 1, 59£.: ante jeves ergo pascentur in aequore cervi ei freta destitwent nudos in litore pisces. Das liegt näher als Archilochos Fr. 74 D (von Heinze angeführt): .. . μηδ᾽ ἐὰν δελφῖσι ϑῆρες ἀνταμείψωνται νομὸν ἐνάλιον usw. Außerdem beteuern Vergil und Horaz mit dem Beispiel einen Schwur: eher soll dies geschehen, als daß ich ..., während bei Archilochos der Zusammenhang
ganz anders ist. 13
8596
Snell, Ges. Schriften
194
Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge
läßt sich weder mit dem folgenden, wie Heinze wollte, noch mit dem vorhergehenden, wie Drexler möchte, harmlos verbinden. Schon dadurch ent-
steht der Verdacht, daß Horaz ihn aus Vergil entlehnt hat. Tatsächlich wird
diese Entlehnung
sehr verständlich:
In der 8. Ekloge fand Horaz:
‘die
Greifen werden sich mit den Pferden paaren’; daraus machte er die Liebe zwischen Tigerin und Hirsch, zwischen Taube und Falken, dann hieß es: ‘die furchtsamen Hirsche gehen mit den Hunden zur Tränke’, cum canibus timidi venient ad bocula dammae. Da fiel ihm der Vers aus der 4. Ekloge ein, der einen ganz ähnlichen Sinn hat: sec magt10s metuent armenta leones, und er schrieb: :
eredula nec ravos timeant armenta leones,
ohne zu merken, daß sich der Satz nun nicht ganz in den Zusammenhang fügt!. Unvermerkt ist Horaz von den Beispielen für die ἀδύνατα und ἄτοπα in die Beispiele für den Frieden des goldenen Zeitalters hineingeraten, und das liegt an dem Zufall, daß sein Vorbild, Vergil in der 8. Ekloge, ebenfalls mit einem seiner Exempel für ein &rorov in die Nähe solcher Szenen aus der goldenen Urzeit geraten war. Aber bei Vergil war das in besonderer Weise sachlich berechtigt, weil er ein Beispiel suchte für die Vereinigung zweier einander fremder Menschen: dies konnte sehr wohl illustriert werden durch die gemeinsame Tränke von Hirsch und Hund, obwohl da schon der unpassende Ton mitklingt, daß das eigentlich ein recht erfreulicher Zustand ist. Horaz hat dann die Liebe von Greif und Pferd, die er bei Vergil fand, übertragen auf Tiere, die einander natürlicherweise feindlich sind — das gaben ihm Hirsch und Hund bei Vergil an die Hand —, und wenn er auch das Idyllisch-Friedliche dadurch vermied, daß er die Liebe zwischen den feindlichen Tieren wie etwas Sündhaftes schilderte (30 Jibidine, 32 adulterefur), so ist er doch, als er mit 33 den Vergilvers übernahm, in die Schilde-
rung der goldenen Zeit hinübergeglitten. Hätte Drexler recht, daß Vergil in diesem Vers Horaz übernahm, so bekämen wir die recht lästige Konstruktion, daß Horaz zunächst von der ! So erklärt sich auch zwanglos, warum bei Vergil we/wn/, bei Horaz #imeant steht, was Drexler 135 (im Anschluß an Skutsch) für die Priorität des Horaz ausdeuten möchte: aus dem Vers der 8. Ekloge lag Horaz das Wort fimidi im Ohr
— so schrieb er credula nec timeant, — Das einfache, aber ausdrucksvolle »ragmor ersetzte Horaz durch das etwas gewaltsame ravor. — Der Ausweg, den man auch versucht hat, für Horaz und Vergil eine gemeinsame griechische Quelie zu suchen,
ist nicht gangbar, da die lateinischen Worte und der lateinische Versbau übereinstimmen.
Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge
195
8. Ekloge abhinge (denn daran ist doch nicht zu zweifeln), und daß dann Vergil in der 4. Ekloge seinerseits auf Horaz zurückgriffe. Für Drexler wird die Abhängigkeit Vergils von Horaz zwingend bewiesen durch die Tatsache, daß der in Frage stehende v. 22 der 4. Ekloge nicht fest in seinem Zusammen-
hang steht. Und tatsächlich hat Drexler hier wieder auf eine echte Schwierigkeit hingewiesen.
Ich will die Anstöße, die Drexler aufzählt, nicht wieder-
holen. Ich glaube, daß hier ein Eingriff in den Text nötig ist, und zwar muß, wie Klougek vorgeschlagen hat, 23 hinter 20 rücken. Es genügt wohl, die Verse so herzusetzen: 18
4: ribi prima, puer, nullo munuscula cultu errantis bederas passim cum baccare tellus, mixtaque ridenti colocasia fundet acantbo, ipsa tibi blandos fundent cunabula flores. ipsae lacte domum referent distenta capellae ubera nec magnos metuent armenta leones. occidet et serpens et fallax berba veneni
20 23 21 24
occidet; Assyrium volgo nascetur amomum.
ipsa in 23 und ipsae in 21 erhält so erst seinen Sinn; das erste e£ in 24 weist jetzt auf Jeones in dem vorhergehenden Vers; der Schluß von 25 biegt jetzt schön zurück zu dem einheitlich gewordenen Anfang; fundet in 20 und fundent in 23 entsprechen erst jetzt einander wie die beiden occidet in 24 (Pasquali hat in seiner Anmerkung bei Drexler die Entsprechung schon gefordert); so — und das ist das wichtigste in unserem Zusammenhang — enthält der gescholtene Satz sec magnos metuent armenta leones seinen natürlichen Platz in der Rede,
wenn
er überleitet von
dem
Gedanken:
Blumen
und
Milch
werden reichlich und von selbst für dich da sein, zu dem folgenden: wilde Tiere und Giftpflanzen wird es nicht geben. Der Grund, warum 23 an eine falsche Stelle geriet, ist leicht anzugeben: ein Schreiber sprang versehentlich über das ipsa am Anfang von 23 hinweg zu dem ;p:sae des nächsten Verses; der Vers wurde am Rand nachgetragen und drang, wie das so geht, an falscher Stelle ein!. Schon oben ist gesagt, daß Horaz in den Versen 25—32 nur traditionelles Gut
verwendet;
auch
das
Folgende
hat
er, wie
die Kommentare
richtig
anmerken, von anderen übernommen: 39 von Archilochos (das ist von Drexler 139 besonders gut im einzelnen ausgeführt); 41f. von Sallust(?); 43 und 44 von Vergil, ecl. 4, 28 und 29; 47 von Vergil ecl. 4, 30; 48 von 1 Die 4. Ekloge ist bekanntlich besonders schlecht überliefert; von alten Hss. steht uns hier nur R zur Verfügung. [Inzwischen ist Klougeks Umstellung ein-
gehender von Karl Büchner verteidigt in einem kleinen Privatdruck, den ich der Liebenswürdigkeit des Verf. verdanke. Unabhängig von Büchner wie von Klougek schlägt dieselbe Umstellung jetzt vor J. F. Mountford, ClRev. 52, 1938, Maiheft S. 54£.] 13*
196
Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge
einer Schilderung der Inseln der Seligen (vgl. Diodor 5, 19, 3). 49 klingt
wieder an die schon ausgeschriebenen Verse der 4. Ekloge an. Vergil schreibt 21: ipsae lacte domm referent distenta capellae nbera Horaz 49f.: illic iniussae senium! ad malctra capellae referíque texía grex amicus schera. Hier ist weder aus dem Zusammenhang (beidemal fügen sich die Verse glatt ein) noch aus einzelnen Worten cin entscheidendes Argument für die Priorität des einen oder des anderen Dichters zu gewinnen, solange man wieder nur dabei stehenbleibt, diese eine Horazstelle mit dieser einen Vergilstelle zu vergleichen. Aber eine sichere Entscheidung, einfacher sogar und klarer noch als für das vorige Beispiel, gibt Theokrit 11, 12: πολλάκι ταὶ ὄϊες ποτὶ τωὐλίον αὐταὶ ἀπῆνϑον χλωρᾶς Ex βοτάνας. Von vornherein schon ist wahrscheinlicher, daß Vergil und nicht Horaz auf diesen Theokritvers zurückgegriffen hat. Das wird denn auch bewiesen durch zwei Einzelheiten: Vergil hat aus Theoktrit ipsae — αὐταί übernommen und den Gedanken, daß die Ziegen nach Haus (zum Gehöft) gehen. Beides findet sich bei Horaz nicht. Die Abhängigkeit des Horaz von Vergil zeigt sich dann aber darin, daß Horaz die ἐσεῖς distenta ubera übernimmt, die Vergil für seine Schilderung des Goldenen Zeitalters selbständig eingeführt hat. Und tatsächlich läßt sich nun auch Wort für Wort aufspüren, wie Vergil und Horaz nachdichtend verfuhren. Bei Theokrit ist der Gedanke: Polyphem kümmert sich nicht mehr um seine Herde, deswegen geht sie selbständig von der Weide nach Haus. Daß sie nach Haus geht, gehört hier notwendig zu der Erzählung. Vergil übernimmt diesen Zug, obwohl er bei ihm nicht unbedingt erforderlich ist; er läßt aber aus, daß die Tiere von der Weide kommen. Dagegen fügt er ein, daß sie reich mit Milch heimkehren. Da er die Szene umsetzt in ein Bild des goldenen Zeitalters, ist dieser neue Zug entscheidend; er bringt
ihn hinein in das Gedicht, indem er aus einer früheren Ekloge die Beschreibung prächtiger arkadischer Ziegen einsetzt: ecl. 7,3 distentas lacte capellas. So sind aus den Schafen Polyphems Ziegen geworden. Es ist sehr charakteristisch für Vergil, wie er hier einen Theokritvers aus einem schlichten, sach-
lichen Zusammenhang herauslöst und ihn empfindsam umdeutet. Der Vers war ihm im Gedächtnis geblieben: ‘die Schafe kehrten von selber heim’, und hat für ihn einen ganz neuen, gemütvollen Sinn gewonnen. Horaz hat dann den Gedanken, den Vergil gar nicht ausspricht, den sein Vers nur durch
den Zusammenhang erhält, in ausdrückliche Worte gefaßt: daß nämlich die Ziegen es gut meinen mit den Menschen (grex amicus), und daß sie auch ohne Aufforderung (iniussae) ihre Milch zum Melken darbieten (veniunt ad mulctra).
Die entscheidende Umbildung, daß der sachliche Satz gefühlvoll genommen
Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge wird, daß aus den Schafen, die abends
allein heimkehren
197 müssen,
weil ihr
verliebter Hirt sie vernachlässigt, menschenfreundliche Tiere in einer seligen Landschaft werden, stammt also von Vergil, obwohl er weniger an dem Vers
Theokrits ändert, als kurz darauf Horaz an dem
seinen.
Auch an dieser Stelle ist es also sicher, daß Horaz den Vergil nachahmt. Und es zeigt sich, daß dies Ergebnis auch gut zu Erwägungen allgemeiner Art paßt: Vergil ist fünf Jahre älter als Horaz; da beide zur Zeit der in Frage stehenden Gedichte noch jung waren (etwa 25 und 30 Jahre alt), ist von vornherein glaublicher, daß der Jüngere dem Älteren foigt. Zudem erweist sich das Gedicht des Horaz nicht nur durch seine Unselbständigkeit, sondern auch durch mancherlei Härten wie in der nicht recht durchgeformten Häufung von Beispielen und in der Gedankenführung, die gerade Drexler hervorgehoben hat, als ausgesprochenes Jugendgedicht. Geradezu entscheidend aber ist, daß die Schilderung des goldenen Zeitalters das ganze Vergilgedicht beherrscht, nicht nur ihrer Mittelstellung wegen, sondern vor allem durch den Eifer, mit dem Vergil sie vorträgt, während die Beschreibung der seligen
Inseln in Horazens Epode viel mehr an den Rand rückt, wie denn bei Vergil mehr
die Sehnsucht
nach dem
Besseren,
bei Horaz
mehr
der Ekel an der
Gegenwart zum Ausdruck kommt. Doch das soll hier unbesprochen bleiben, da wir sonst in eine neue Interpretation der viel behandelten Gedichte geraten würden. Nur sei noch kurz darauf hingewiesen, wie große Bedeutung die hier erörterte Prioritätsfrage für die Geschichte der lateinischen Literatur
hat. Es
handelt
sich
darum,
festzustellen,
wer
zuerst
ein
Gedicht
auf dem
Wunsch aufbaute, aus dem Jammer dieser Erde hinüber zu gelangen in ein Reich
des Friedens,
der Ordnung
und
des Wohlergehens;
wer zuerst, als
eine freie, politische Betätigung im Staat nicht mehr möglich war, politische Hoffnungen, Mahnungen, Wunschbilder in Gedichten aussprach; wer zuerst
nach dem Zusammenbruch der alten politischen Formen (der in Griechenland zum Philosophieren über den Staat geführt hatte) in lateinischen Poesien von einem sinnvolleren Leben träumte. Denn damit ist ein Motiv in die Welt gekommen, das die römische Literatur der Folgezeit, ja die ganze weitere Entwicklung des Abendlandes wesentlich bestimmt hat. Und, um noch einmal auf das Thema dieser Bemerkungen zurückzukommen, auch von hier aus ergibt sich die Priorität Vergils vor Horaz; denn Vergils Konzeption (man könnte geradezu sagen: Entdeckung) des bukolischen Arkadiens! nimmt schon in der sicher früheren 7. Ekloge wesentliche Züge seines gol1 Vgl. dazu Panofsky,
Philosophy and History, Essays presented to E. Cassirer,
Et in Arcadia ego 224ff. [= Meaning in the Visual Arts 1955, 2958], wo auch wichtige Beobachtungen von E. Kapp mitgeteilt werden, die beweisen, daß Vergil in seiner Schilderung Arkadiens von Polybius abhángt (Polyb. 4, 20 — ecl. 10, 32;
4, 588. ; 7, 41.; 8, 218...
198
Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge
denen Zeitalters vorweg!. Das Bild des bukolischen Arkadiens und das des goldenen Zeitalters entstammt der Sehnsucht eines und desselben Dichters. Und der junge Horaz, der vom Schlachtfeld bei Philippi bitter enttäuscht heimgekehrt war, hat in diesen Bildern Vergils Trost gesucht. — Leider ist nicht auszumachen, ob die Eklogen Vergils zur Zeit, als Horaz die 16. Epode schrieb, schon gerade eben veröffentlicht waren, oder ob Horaz die
Gedichte etwa schon vor ihrer Publikation im Jahre 39 kennengelernt hat. Denn dies würde bedeuten, daß die beiden Dichter schon persönlich miteinander in Verbindung standen. Aber soviel läßt sich jetzt doch mit Bestimmtheit sagen, daß die Freundschaft beider, die später auch für das äußere Leben des Horaz, für seine Stellung zu Mäcenas und damit für sein Verhältnis zu Augustus entscheidend wurde, daß diese Freundschaft davon ausging, daß der junge Horaz die eben entstandenen Gedichte Vergils tief bewunderte. 1 Ich führe hier nur zwei Wendungen aus der 7. Ekloge an, die in dem oben ausgeschriebenen Vers der 4. Ekloge wieder anklingen: 3 distentas lacte capellas. 11 bu ipsi polum venient per prata iuvenci. Schon dies zeigt, daß wir hier inmitten vergilischer (und nicht horazischer) Vorstellungen sind.
ZUM
STEMMA
DER
TRAGÖDIEN
SENECAS
Gelegentlich genügt ein einziges Wort, um an ihm die Abhängigkeitsverhältnisse von Handschriften aufzuzeigen. In Senecas Phaedra, V. 1030, ist in E richtig physeter überliefert; P schreibt physent, C philet, b phyleni, n phyleus (ich entnehme dies den Kollationen von Düring, die auf der Göttinger Bibliothek liegen und deren Kenntnis ich Max Pohlenz verdanke). Daraus ergibt sich mit Sicherheit das folgende Stemma:
A physef (statt physet") x phylet y phylent
P
C
b
n
physent
philet
phyleni
phyleus
Dies Stemma bestátigt sich für die Phaedra, deren Lesearten allein ich besitze, durchaus. Zu bemerken ist nur, daß C an einigen Stellen von E aus beeinflußt ist (V. 300, 305, 339 und 461); für V. 339 bezeugt die Hs.
ausdrücklich, daß sie eine Variante aufgenommen
hat.
DASI-AH
DES
GOLDENEN
ESELS
Als in den Metamorphosen des Apulejus die Diener der syrischen Göttin gar zu wüst werden, will der arme Esel, der das unanständige Treiben mit ansehen muß, ‘porro Quirites’ rufen, er bringt aber nur ein *O' hervor, und
dieses Ὃ᾽ nennt Apulejus asimo proprium (Met. 8, 29). In dieser etwas zerfahrenen Erzählung steckt ein Witz der griechischen Vorlage, der in der lateinischen Bearbeitung verlorengegangen ist. Dieser Witz ist erhalten an
der entsprechenden Stelle des im Lukian-Corpus überlieferten Λούκιος ἣ ὄνος (c. 37 p. 606, 10) ἀναβοῆσαι ᾿ὦ σχέτλιε᾽ ἠθέλησα, ἀλλ᾽ ἡ μὲν φωνὴ οὐκ ἀνέβη μοι ἡ ἐμή, ἀλλ᾽ ἡ τοῦ ὄνου ἐκ τοῦ φάρυγγος, καὶ μέγα ὠγκησάμην. Der Esel will in menschlicher Sprache einen Satz sagen, der mit 'Oh..' anfangen soll, aber als Esel bringt er nichts anderes hervor als diesen ersten Laut, und der Witz ist, daß dieses ‘Oh’ ‘dem Esel eigentümlich ist’, also unserm
deutschen
“I-ah’ entspricht. Schon das Wort ὀγκᾶσϑαι (das die Sprachvergleicher mit lat. sncare verbinden) legt es nahe, daß die Griechen das Rufen des Esels als ‘O-o’ interpretierten, womit sicher die Klangfarbe des unmelodischen Schreiens zumindest ebensogut getroffen war wie mit unserm 'I-ah'. Derselbe Witz steckte noch an zwei weiteren Stellen des ursprünglichen Eselromans. Im Lukios
16 p. 584, 7 erzählt der Esel, er habe rufen wollen,
als er besonders geprügelt und geschunden sei: “ὦ Kaicap’ — aber οὐδὲν ἄλλο N ὠγκώμην, καὶ τὸ μὲν ᾿ὧ᾽ μέγιστον καὶ εὐφωνότατον ἐβόων, τὸ δὲ Kaicap’ οὐκ ἐπηκολούϑει. Apulejus 3, 29 schreibt: nomen augustum Caesaris invocare temptavi; et ‘O’ quidem tantum disertum ac validum clamitavi, reliquum autem. Caesaris nomen enuntiare non potwi. Dem Griechen war dieser Witz ohne weiteres klar, aber der
Römer wird ihn kaum ganz glatt verstanden haben. Zwar weiß ich nicht, ob uns irgendwie überliefert ist, wie die Rómer den Eselsruf artikulierten, die Worte rudere und rugire jedenfalls, die das I-ahen bezeichnen, liegen von dem O-Rufen recht weit entfernt. Die interessanteste Stelle ist die dritte, die uns zudem ein Musterbeispiel dafür liefert, wie die griechische und die lateinische Bearbeitung sich zu
dem ursprünglichen Eselsroman verhalten. Diese Stelle fehlt nämlich bei Pseudo-Lukian; trotzdem müssen wir sie in dem Vorbild voraussetzen, da die Geschichte, wie sie bei Apulejus steht, nur im Griechischen ihren Witz
gehabt hat. Die griechische Bearbeitung ist hier also gekürzt. Bei Apulejus steht (7, 3): Als der Esel hört, daß er beschuldigt wird, den Geizhals ermordet
zu haben, will er rufen ‘non feci! et verbum quidem praecedens. semel ac
Jaepius immodice clamitavi, sequens. vero nullo pacto disserere. potui, sed in prima remansi voce ef identidem boavi ‘non, non’, quamquam nimia rutunditate pendulas
Das I-ah des goldenen Esels
201
vibrassem labias. Der Witz ist griechisch: Der Esel will rufen: οὐ τοῦτο ἐποίησα oder dergleichen, bringt aber nur das wiederholte οὐ — οὐ hervor. Daß hier das I-ah nicht wie an den beiden anderen Stellen als Oh —Oh,
sondern als
Uh—Uh erscheint, ist nur eine geringe Abweichung, die dem Griechen noch weniger auffiel als uns, da er den Anfangsbuchstaben von ὀγκᾶσϑαι οὗ nannte. Es stellt sich also heraus, daß das einzige wirkliche Wort, das ein griechischer Esel sprechen konnte, das Wort für ‘nein’ war, während kurioserweise die deutschen Esel gerade umgekehrt immer nur ‘ja’ sagen!, 1 [Um
die Situation zu illustrieren, derentwegen ich den letzten Satz (und den
ganzen Aufsatz) schrieb, füge ich eine Photographie bei, die ich der Liebenswürdigkeit von Herrn Dr. Werner Jochmann verdanke, dem Leiter der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg. Sie gibt ein Plakat wieder,
das zur Volksabstimmung am 19. August 1934 aufforderte (man sollte dem Gesetz vom 2. August 1934 zustimmen).]
DAS
SPIELEN
MIT
DEM
REIM
Ein kleiner Einwand
Rudolf G. Binding hat den neuen Jahrgang dieser Zeitschrift mit einem ausgezeichneten Aufsatz über Wesen und Wert des Reims eingeleitet. Was er über die „Notwendigkeit“ des Reims, den Reim bei Goethe und Claudius,
was er über eine bedenkliche Kühnheit Georges und — das Schönste vielleicht — über die Reimlosigkeit Hölderlins sagt, all das ist unmittelbar erhellend. Nur wo Binding auf Rilke zu sprechen kommt, wird ihm mancher vielleicht nicht folgen. Wenn der Dichter „unbetonte Worte‘ an die Reimstellen
setzt,
„reine
Endsilben,
die
sich
auf ein
Stammwort
zu
reimen
haben, Vorwörter oder sogar Bindewörter und die gleichgültigsten Wortbestandteile",
dann, so
meint Binding, „muß
man
Rilke
anklagen“.
Zu-
gestanden, hier bekommt der Reim etwas Spiclerisches. Aber muß man deswegen den Dichter vor Gericht ziehen? Gibt es nicht ein erlaubtes Spiel mit den dichterischen Formen? „Das Spiel mit dem Reim, nicht ohne Reiz und oft zu einer Art von Gefunkel wie von einem Feuerwerk führend,
wie es bei Rückert und Platen etwa zu beobachten ist, enthielt zugleich das Verhängnis der Schwächung und der Unfruchtbarkeit“, sagt Binding an anderer
Stelle, und
über Rückert
und
Platen hat er damit
recht.
Binding läßt immerhin das freche Spielen mit dem Reim gelten; er zitiert die Jobsiade. Er hätte auch zeigen können, daß die deutsche Sprache das witzige Spiel mit dem Reim offenbar erst mühsam hat lernen müssen. Goethe etwa macht ausgezeichnete Bemerkungen zu den übermütigen
Reimen in Byrons Don Juan, zeigt sich aber bei seinem Übersetzungsversuch völlig außerstande, solche Reime nachzubilden. Das gelingt erst Heine und Liliencron in seiner Byroniade, dem Poggfred. — Dies wäre eine Art, mit dem Reim zu spielen; sie ist durch ihren Witz gerechtfertigt.
Sollte es aber nicht möglich sein, dem Reim-Spiel auch tiefere Bedeutung
zu geben? An den Rilkeschen Beispielen, die Binding gibt, fällt eine Äußerlichkeit auf. Die Verse, die er aus den „Neuen Gedichten“ anführt, lauten: Und das was war, das wäre irre und raste in dir herum, den lieben Mund, der niemals lachte, schäumend vor Gelächter.
... hingetragen als wáre von Sprüngen jeder Lauf geladen
und schósse nur nicht ab, solang der Hals usw.
Das Spielen mit dem Reim Denn
203
seit es nicht mehr war, schien es ihm so
seltsam: phantastischer als Pharao. Das sind gereimte Blankverse. Aber jedesmal tritt nach dem von Binding gerügten schwachen Reimwort eine merkwürdige Verletzung des normalen Rhythmus ein. Man erwartet, daß am Anfang der nächsten Zeile der Wortton nicht auf der ersten, sondern auf der zweiten Silbe liegt, alle dreimal
geschieht es aber gerade umgekehrt. Schon das zeigt, daß Rilke nicht aus bloBer Laune ein unbetontes Wort zum Träger des Reimes macht, sondern daß
er einen besonderen
Klang
sucht.
Es ist, scheint mir,
nicht schwer,
im lauten Sprechen dieser Verse dem tonlosen Reimwort und der darauf folgenden Akzentverschiebung gerecht zu werden: man kann diese Verse nur sprechen, indem man eine leichte Pause hinter dem Reimwort eintreten läßt, und dann springt auch der Sinn hervor, den Rilke diesen eigentümlichen Reimen gibt. Dies Zógern an einer im gewóhnlichen Satzgefüge nicht üblichen Stelle leiht dem Folgenden einen besonderen Ton; es wirkt nachdenklich, ein wenig überraschend; das Kühne und Fremde der Wendung erhält seinen treffenden Klang. Durchaus nicht wird, wie Binding meint, der natürliche Einschnitt hinter dem Versende aufgehoben — es ist dort ein Einschnitt, nur ein zarterer, als wir ihn sonst gewohnt sind — ein spielerischer, wenn man so will, da mit leichter Hand das feste Gefüge
der Rede
gelockert ist. Es ist ein besinnliches,
Spiel, das Rilke mit diesen „schwebenden“
könnte, für
treibt. Binding
die Dichtkunst
selbst verwahrt
aufstellt. Auch
das
oft fast melancholisches
Reimen,
wie man
sich dagegen, Gesetz,
sie nennen
daß man
ein tonloses
Wort
Gesetze dürfe
nicht den Reim tragen, wird man nicht gelten lassen. Denn ein Dichter durchbricht die gewöhnliche Norm und gibt dem Fehler Sinn und Schönheit. Für solche neuen Schönheiten sollten wir gerade beim Reim empfänglich sein. Denn der Reim ist nachgerade gefährlich geworden. Wenn erst einmal ganze Bücher in dem mühlosen und heiteren Geklapper dahinziehen: „Max und Moritz ihrerseits fanden darin keinen Reiz“, „Jeder weiß, was
so ein Mai-
käfer für ein Vogel sei“, —
dann ist es wie eine Befreiung, wenn innigere Beziehungen
tere Pausen der Rede sich durch den Reim offenbaren.
und gefühl-
GERHARD
KRAHMERT
Am 19. September [1931] ist Gerhard Krahmer im Alter von 40 Jahren in Berlin an den Folgen einer Nierenoperation gestorben. Wenige Monate vorher wat er von einem jahrelangen Aufenthalt in Ágypten, Griechen-
land und Italien heimgekehrt, wo er gehofft hatte, von seinem schweren Leiden
geheilt
zu
werden;
bei
seiner
Rückkehr
war
er
überzeugt,
im
wesentlichen wieder gesund zu sein und nahm leidenschaftlich seine Arbeiten wieder auf; aus vielen großen Plänen ist er plötzlich herausgerissen. Krahmer
war,
nachdem
er den
Krieg
über
im
Feld
gewesen
war,
im
Jahre 1919, noch nicht vollkommen genesen von einer schweren Verwundung, die spáter noch die Amputation des einen Beines nótig machte, nach Halle zurückgekehrt, wo er schon vor dem Kriege Carl Robert nahegestanden hatte. 1920 promovierte er mit seiner in glänzendem Latein geschriebenen Dissertation „De tabula mundi ab Ioanne Gazaeo descripta““,
einer halb philologischen, halb archäologischen Arbeit, die in eingehender Interpretation eine neue Rekonstruktion des von Johannes von Gaza be-
schriebenen Kuppelgemäldes mit der Darstellung des Kosmos
erreichte.
Die späteren Arbeiten Krahmers unterscheiden sich stark von dieser durch Carl Robert angeregten und in seinem Geist verfaßten Dissertation. Denn von nun an beschäftigte ihn immer nur ein Problem: der Stil; und zwar verstand er unter Stil nicht nur die ästhetische Erscheinungsform des Kunstwerks, sondern im Stil suchte er das ganze geistige Sein des Künstlers und seiner Zeit. Nachdem Krahmer als Stipendiat längere Zeit in Griechenland und Italien gewesen war, habilitierte er sich in Göttingen mit seiner Arbeit über „Stilphasen der hellenistischen Plastik“ (RM. 38/39, 1923/24, 138—184). Mit dieser Schrift scheint ihm der große Wurf gelungen zu sein, die Chronologie der Plastik des 3. und 2. vorchristlichen Jahrhunderts auf eine sichere Grundlage zu stellen (vgl. z.B. E. Pfuhl, JdI. 45, 1930, 2),
und zwar wesentlich durch stilkritisches Vergleichen. Seine Arbeiten über hellenistische Kunst hat er fortgesetzt in einigen kleineren Aufsätzen; jetzt war er dabei, sie in größerem
Rahmen
zusammenzufassen,
zunächst
in einer Arbeit über hellenistische Köpfe, von der große Teile noch herausgegeben werden können, und dann in einer Gesamtdarstellung des . Hellenismus. Die letzte Arbeit, die er fertiggestellt hat, behandelte „Figur und Raum in der ägyptischen und griechisch-archaischen Kunst“ (28. Hallisches Winckelmannsprogr. 1931). In großer Eindringlichkeit und
Tiefe zeigt er hier, wie sich den Griechen der Mensch und der Raum neu
Gerhard Krahmer T
darstellen und wie damit eine neue, Welt und Mensch gewonnen ist. Die
Stärke Krahmers
205
die europäische,
Auffassung
von
war, daß er sehen konnte. Vor allem an Werken
der Plastik sah er unmittelbar das Spezifische einer Zeit oder eines Künstlers, und so sehr dieser Blick geschárft war in langer Schulung, das Wichtige war stets, daß sein Temperament im guten Augenblick durchstieß zum künstlerisch Wesentlichen. Dann aber begann das Ringen mit Begriff und Wort; nur mühsam und schwerfällig folgten die Beweise und Explikationen. Er hat oft betont, daß mit dem bloßen ‘Sehen’ und mit dem Neben-
einanderstellen zusarmmengehöriger Werke noch keine wissenschaftliche Arbeit getan ist, daß alles daran liegt, das Gesehene auch begrifflich darzulegen. Aber so sehr es ihn drängte, das, was er mit dem Temperament des Künstlers erfaßt hatte, auch schriftlich festzulegen, so war ihm das Schreiben
eine quälende Mühe, und seine Schriften zeigen denn auch eine gewisse Schwere des Ausdrucks. Viel lebendiger bewegte er sich in mündlicher Rede, vor allem in der Diskussion. Nicht eigentlich geistreich oder witzig, noch geneigt, fremden Gedankengängen nachzuspüren, faszinierte er durch seine unmittelbaren und eindringlichen Urteile, durch sein bedingungsloses Ja oder Nein. Kompromisse und Konventionen waren ihm zuwider. Er lebte bald untätig in Zweifel und Unsicherheit, bald gepackt und gebannt von
einer Arbeit,
oft in schweren
Depressionen,
dann
wieder
in einem
großzügigen Überschwang. Der Grund seines Wesens war eine schlichte Menschlichkeit. Am wohlsten fühlte er sich unter den einfachen Bauern Griechenlands, die ihrerseits rührend an ihm hingen. Wie in seinem ganzen
Leben war er auch in seiner Freundschaft unbedingt, und bei vielen wird er weiterleben als der, der am treusten für andere eintrat.
EMIL
WOLFF
ZUM
GEDÄCHTNIS!
Ein Großer ist von uns gegangen,
einer der Größten,
die an unserer
Universität gelehrt haben. Er hat sich aufgezehrt in der übergroßen Arbeit, die er nach dem Ende des Krieges auf sich genommen hat, obwohl sein Körper durch Krankheit geschwächt war. In den mühseligen und schwierigen Lebensverhältnissen der ersten Nachkriegsjahre, in einer Zeit, als alle Kräfte zu erlahmen drohten, hat er zwei Jahre hindurch an der Spitze unserer Universität gestanden, hat er Aufgaben übernommen, von denen er selbst wußte, daß sie eigentlich unerfüllbar waren, hat er für uns alle mit seiner ganzen geistigen und moralischen Kraft gewirkt und erreicht, daß unsere Universität nach all den schweren und dunklen Jahren wiedererstehen konnte. Obwohl alle, die in diesen beiden Jahren um ihn waren, voll Sorgen mit ansahen, wie er, da er seine Pflichten bis in alle Einzelheiten hinein ernst nahm, von der Last der Plagen erdrückt zu werden drohte, so war doch niemand da, der an seine Stelle hätte treten können, und so
hat er sich für seine Universität geopfert. Emil Wolff hat das Rektorat zum erstenmal im Jahre 1923 übernommen. Er war der fünfte Rektor der neugegründeten Universität Hamburg, und daraus, daß er als Dreiundvierziger gewählt wurde, ging hervor, wie sehr man ihn schon damals achtete. Schon vor der Gründung der Universität war er 1918 an das Hamburger Kolonialinstitut berufen, und daß damit für den Aufbau der Philosophischen Fakultät neben den hervorragenden Sprachforschern, die das Kolonialinstitut an sich zu ziehen gewußt hatte,
und und
neben dem Historiker Erich Marcks eine so vielseitig interessierte philosophisch so tief gebildete Persönlichkeit wie Emil Wolff tätig
sein konnte, hat dazu geführt, daß die Hamburger Philosophische Fakultät gleich in ihren Anfängen sich eindrucksvoll und glänzend darbot. Zumal mit
einem
anderen
bereits
Verstorbenen,
mit
Ernst
Cassirer,
den
Emil
Wolff nach Hamburg holte, hat er die geistigen Züge seiner Fakultät weitgehend festgelegt. Liberale Humanität und auf philosophische Einsichten gegründete demokratische Gesinnung hatten damals hier ihre Heimstätte wie kaum
an einer anderen deutschen
Hochschule.
Mit Emil
Wolf,
dem
letzten Überlebenden unter den Gründern der Philosophischen Fakultät, geht nun die lebendige Erinnerung an diese große Zeit dahin. An den Kämpfen, die dem Heraufziehen neuer Gewalten vorangingen, hat Emil Wolff wie kein anderer als mutiger und unablässiger Streiter teilgenommen. 1 Rede anläßlich der Gedenkfeier am 1. März 1952 in der Universität Hamburg.
Emil Wolff zum Gedächtnis
207
Wo immer er die voraussetzungslose Forschung und die Freiheit bedroht sah, trat er auf den Plan, und oft haben selbst die ihn damals nicht verstanden, die im Grunde seine Anschauungen teilten, weil sie nicht sahen, wie sehr das bedroht war, wofür die Universität ihrem Wesen nach ein-
stehen mußte. Als dann die Katastrophe hereinbrach, als die dem neuen Regime unliebsamen Kollegen, zumal die jüdischen, von der Universität vertrieben wurden,
als von
oben
Richtsätze verkündet wurden,
denen
er
sich nicht fügen konnte, war er vor die Frage gestellt, ob er an seinem alten Platz bleiben sollte oder nicht. Er hat sich damals entschieden, zu bleiben, und dieser Entschluß wurde ihm dadurch erleichtert, daß manche
darauf hinarbeiteten, ihn zu entfernen. Wir können es heute getrost sagen: es war richtig und gut, daß er blieb. Während all der dunklen Jahre, die folgten, unter denen er seelisch tief litt, hat er kein einziges Wort gesagt oder geschrieben, hat er nichts getan, was auch nur den Schatten eines Verdachtes hätte aufkommen lassen, als ob er seine Überzeugung preisgegeben hätte. Im Gegenteil: in seinen Vorlesungen und in seinen auch weiterhin viel besuchten Vorträgen sprach er immer mit aller damals nur
möglichen Offenheit aus, was er meinte. So hat er durch lange Jahre unser Gewissen wachgehalten,
so war er eine Stütze für die, die zu schwanken
drohten, so hat er zumal seinen vielen Schülern ein lebendiges Beispiel gegeben, auf daß Wahrheit und Aufrichtigkeit, Charakter und Geist auch
in einer unseligen Zeit fortwirken konnten. Als dann der grausige Spuk über rauchenden Trümmern verwehte, wußten wir, daß Emil Wolff die Aufgabe übernehmen müsse, von unserer Universität zu retten, was zu retten sei — und das schien damals wenig genug. Ich erinnere mich noch des sonnigen Mai-Nachmittags 1945, als sich einige Mitglieder verschiedener Fakultäten, die durch ein schwieriges System von Boten zusammengeholt waren, auf der südlichen Terrasse eines Hauses am
Harvestehuder
Weg
trafen, zu einer Zeit, als man
telephonieren und als man nur zu Fuß durch Hamburg
kommen
nicht
konnte,
und wo wir Emil Wolff zuredeten, wieder das Rektorat zu übernehmen. Er wußte, wie schwer es sein würde, ein von Haß und Leidenschaften
entstelltes Leben wieder in sachlich ruhige Bahnen zu führen; er wußte vor allem, welch undankbares Geschäft es wieder einmal für die freiheitlich und europäisch Gesonnenen war, ein Boot zu übernehemen, das von
den
anderen
Er war
davon
zuschanden überzeugt,
gefahren daß
war.
niemand
Aber ihm
er verweigerte sich nicht. für das danken
würde,
was
er nun zu tun hatte, um möglichst schnell einen arbeitsfähigen Lehrkörper zu schaffen, daß er den einen zu mild, den anderen zu hart scheinen würde, kurzum, daß er es keinem würde recht machen können, zumal da die Zeit
drängte und die aus dem Krieg heimkehrenden Studenten ihr Studium wieder aufnehmen mußten, und da die juristischen und politischen Voraussetzungen für die nötigen Maßnahmen so wenig geklärt waren. Ich sehe
208
Emil Wolf zum Gedächtnis
ihn noch mit leidvollem Gesicht vor den Bergen von Fragebogen sitzen, tagaus tagein bemüht, diese schwere und verantwortungsvolle Arbeit hinter
sich zu bringen. Gegen seine Erwartung wurde sie ihm doch gedankt, denn er wurde gleich erneut zum Rektor gewählt, und wir haben allen Grund, ihm auch heute noch einmal zu danken, daß er damals die schwie-
rigste Aufgabe, die je einem Hamburger Rektor gestellt wurde, so gelöst hat, daß unsere Universität ohne schwere innere Erschütterung daraus hervorgegangen ist. Emil Wolff war in dieser Zeit freilich nicht mehr der gleiche wie in den zwanziger Jahren. Die schweren Enttäuschungen und bitteren Erfahrungen konnte er nicht mehr abschütteln. Seine Kinder waren in alle Welt zerstreut, auch viele Freunde hatten das Land verlassen müssen; wohin Deutschland seit 1933 trieb, sah er klar voraus, und es war ihm unbegreiflich, da
andere es nicht ebenso und fühlte es um
klar sahen. Er fühlte sich in einer fremden Welt
so bitterer, als sein lebendiger
Geist zum
Wirken
und
zum Mitteilen geschaffen war. Das heitere, gesellige Leben, das cinst sein
Haus erfüllt hatte, war den Zeiten zum Opfer gefallen, und dem Zurücksinnenden will scheinen, als ob das das Element war, in dem allein er ganz
er selbst war. Im kleinen Kreis hielt er damals seine ausgewählten und vertrauten Gäste bis tief in die Nacht hinein, und das sprühende Gespräch, bei dem ihm immer die Führung zufiel, ging um Politik und Geschichte, um Literatur und Philosophie, um Universitätsangelegenheiten und Gelehrte
und vor allem immer wieder um Hegel und Shakespeare. Sein Geist wurzelte tief in der europäischen Aufklärung,
zumal
des
18. Jh.s, und er besaß noch viel von der Universalität französischer Enzyklopádisten; zumal war er ein durchgebildeter klassischer Philologe, Indogermanist, Mathematiker und Philosoph, war auch in der Medizin wohlbeschlagen — ganz zu schweigen von seinem Fach. Schon als Schüler, als primus perpetuus seines Münchner Gymnasiums, hat er den Grund gelegt zu seinem weiten Wissen und zu seiner Achtung vor der Vernunft.
Alles Dunkelmánnertum und alles tiefsinnige Gedösel, das seit dem beginnenden 19. Jh. so reichlich gerade bei uns in das Denken eingeflossen ist, war ihm wesensfremd,
ja geradezu verhaßt, wenn
das nicht schon
ein zu
starkes Wort für ihn ist. Denn starke Affekte und Leidenschaften waren seinem hellen Geist eigentlich fremd. Er verachtete einfach alles, was sich nicht zur Klarheit bekannte, er begegnete ihm höchstens mit funkelndem Spott und ironischem Witz. Früher stand bei ihm zu Haus über seinem Sessel ein Abguß von Houdons Voltaire, und wenn er seine geistreichen Angriffe auf Modegrößen ritt, konnte er auf frappante Weise dem alten Spötter von Ferney ähnlich schen. Und doch hatte er eine geradezu kindliche Güte, wie denn auch der Onkel
Toby aus dem Tristram Shandy eine seiner Lieblingsfiguren war. Es war ein rührender Anblick, ihn mit Kindern
sprechen zu sehen, mit denen er
Emil Wolff zum Gedächtnis
einen
unmittelbaren
Kontakt
hatte, denen
209
er aber doch etwas hilflos und
scheu gegenüberstand. Das Weiche und Zarte seines Wesens prägte in ihm merkwürdigerweise desto stärker aus, je mehr er dem Lauf Welt verbittert oder jedenfalls skeptisch zuschaute, so daß man ihm gungen des Herzens leichter anmerkte als früher. Das Kindliche in schützte
Naive monie,
seinen
und
Rationalismus
davor,
Geistreiche verbanden
daß man
starr und
kalt zu werden,
und
sich der Reihm das
sich in ihm zu so bezaubernder Har-
unmittelbar verstand, warum
er unter den Musikern
vor
allem Mozart liebte. Alles
Grobe
und
Gemeine
war
ihm
derart fremd,
daß
es nicht in ihn
eindringen konnte. Wenn es ihm begegnete, flog wohl ein dunkler Schatten über seine hellen blauen Augen,
aber man
hatte den Eindruck,
daß er es
gar nicht verstand.
Nur selten sprach Emil Wolff von dem, was ihn am tiefsten bewegte, denn er hielt sich an die Goethesche Maxime, das Erkennbare zu erkennen
und das nicht Erkennbare still zu verehren, und die Sprache war ihm dazu da, das Erkennbare auszusprechen. So entschieden er im Politischen Stellung bezog, und so sehr er klaren politischen Grundsätzen folgte, so hielt er sich doch immer frei, alle Fragen nicht nach einer Doktrin, sondern sachlich zu entscheiden, so daß er etwa in der Diskussion über die Schulreform als Reaktionär, oder, wo er sich
ebenfalls deutlich äußerte, in der Frage der Korporationen als Radikaler erscheinen konnte. Am ehesten charakterisiert es wohl seine politischen Überzeugungen, daß er geneigt war, das Wort liberal als Synonym für anständig zu gebrauchen. In vielem war Emil Wolff bewußt unmodern, und zumal einem Jüngeren fiel es zuweilen schwer, ihm verständlich zu machen, warum man dies oder
jenes doch nicht so beiseite schob, wie er es tat. Aber dadurch war er davor bewahrt, das Ephemere ernst zu nehmen, und er war ein leuchtendes Beispiel dafür, wie ein anscheinend so weltfremder Gelehrter über dem Tage steht und gerade dadurch dem Tage am meisten dient. Sein Bestes hat er als Lehrer gegeben. Aber, was er in seiner Wissenschaft und in seinem akademischen Amt war, werden uns gleich berufenere Lippen sagen. Mir bleibt nur, ihm den Dank seiner Universität nachzurufen und die Klage seiner Freunde.
14
8496
Snell, Ges. Schriften
GILBERT Gilbert
Murray
gebührt
heute
MURRAY
die Stellung
innerhalb
der Altertums-
wissenschaft, die Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff bis zu seinem Tode im
Jahre 1932 innehatte, und, wie dieser, hat er sein Ansehen stets dafür eingesetzt, den Zusammenhalt
der internationalen Wissenschaft
auch
über
die
schweren Krisen der letzten Jahrzehnte zu bewahren. Für Murray steht allerdings nicht wie für Wilamowitz die Aufgabe gemeinsamer Forschung, die übernationale Zusammenarbeit zumal bei großen wissenschaftlichen Unternehmungen und der Austausch der Forschungsergebnisse an erster Stelle, sondern er hat immer diehumanistischen Aufgaben der Altertumswissenschaft in den Vordergrund gestellt. Wie er durch seine Schriften den klassischen Dichtern hat helfen wollen — durch seine maBgebenden Tragödienausgaben und durch die weitverbreiteten Übersetzungen von Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes und Menander, — so hat er auch über seine philologische Tätigkeit hinaus sich sein Leben lang darum bemüht, die Tradition des antik-abendländischen Geistes wachzuhalten,
und wurde dadurch zu einer
intensiven politischen Tätigkeit geführt. An maßgebender Völkerbund für die internationale geistige Zusammenarbeit Als Sohn eines hohen britischen Beamten ist Gilbert Januar 1866 in Sydney geboren. Mit 11 Jahren verließ er suchte die Schule in London
und
studierte in Oxford,
Stelle hat er im gewirkt. Murray am 2. Australien, be-
war zunächst
seit
1889 Professor in Glasgow und bekam 1908 den angesehensten Lehrstuhl für Griechisch in England, die „Königliche“ Professur zu Oxford. Schon im Herbst 1945 suchte Sir Gilbert Murray die Verbindung mit den deutschen Philologen wiederherzustellen!. Zu seinem 80. Geburtstag schickte ihm dann das Seminar für Klassische Philologie durch die Militärregierung eine Glückwunschadresse, die mit den Namen der etwa 50 Dozenten und
Studenten
der Altertumswissenschaft
unterzeichnet war,
mit fol-
gendem Wortlaut: „Humanitatis atque libertatis fautori philologo huius temporis clarissimo, qui poetas Atticos ad novam vitam revocavit, Guilberto Murray, octogenario congratulantur Seminarium Philologicum Hamburgense et Archivum Lexicographiae Graecae.*' Erantwortete darauf noch am Tage seines Geburtstages: „When I think of your sufferings in Hamburg and the hard feelings which war must inevitably leave behind it, it gives me heartful hope for the prospects of European civilization that you und your cosignatories should be able, in the pure air of science, to remember old friendships and the delight of common interests and studies.“ 1 [D. h. durch einen Soldaten der englischen Besatzung, noch ehe das direkte Schreiben wieder móglich war.]
PHILOLOGIE
VON
DIE ARBEITEN
HEUTE
UND
HERMANN
MORGEN
FRÄNKELS
Als ich Anfang der zwanziger Jahre mein Studium in Göttingen abschloß, tließ mich mein Lehrer Max
mit abfinden, - forscht
Pohlenz mit den Worten, wir müßten
daß die wichtigen
seien und
daß
Dinge
in der Klassischen
uns
Philologie
uns nichts anderes bliebe, als eine Art Ährenlese
iter den Großen wie Wilamowitz einzubringen. Daß wir dieses beklemmende Gefühl des Epigonentums auf dem Felde des alten Griechentums überwunden
haben,
verdanken
wir
in Deutschland
vor
allem
drei
etwa
gleichaltrigen Männern, Karl Reinhardt, Werner Jaeger und Hermann Fränkel, die uns Jüngeren schon damals mit ihren ersten Werken das Gefühl gegeben hatten, daß die Philologie an einem neuen Anfang stünde — ja, daß es sich erst jetzt lohne, Philologe zu werden. Ich hatte das Glück,
einem
dieser drei
schon
früh
zu begegnen,
Hermann
Fränkel,
der sich
damals gerade in Göttingen habilitiert hatte. Er galt bei den Alten nicht sonderlich
pretation eine
viel.
Gewiß,
der Fragmente
saubere,
zuverlässige
seine
Dissertation,
eine
des hellenistischen Arbeit;
seine
Sammlung
Dichters
Simias
Habilitations-Schrift
und
Inter-
(1915)
war
über
die
homerischen Gleichnisse (1921) galt als ‚„feinsinnig‘“, — was aber mehr abschätzig als lobend gemeint war; er hatte sich gründlich mit vielen Dingen beschäftigt, die außerhalb des Faches lagen, mit Sanskrit, Mittelhochdeutsch und
so weiter;
man
hielt ihn eigentlich für träge, und was
er dann weiter-
hin veröffentlichte, schienen preziöse Kleinigkeiten, abseits der eigentlichen Aufgaben des klassischen Philologen. So wurde er denn auch auf keinen Lehrstuhl berufen. Unter Hitler mußte er das Land verlassen und wurde Professor im kalifornischen Stanford, wo er heute noch wirkt. Wir Studen-
ten dagegen, zum mindesten einige von uns, fanden in ihm unseren eigent-
lichen Lehrer und einen nahen Freund. Das allgemeine Urteil über ihn war uns ein Skandal. UnvergeBlich, wie er mit uns in seiner Wohnung die „Schrift
vom Erhabenen‘ las und uns zeigte, wie hier sich jemand frei gemacht hatte von den konventionellen Schemata der Poetik und Rhetorik und mit unmittelbarem Gefühl das Große der Dichtung begriff. Seine Abhandlung von 1924 „Eine Stileigenheit der frühgriechischen Literatur“ (jetzt ein Kernstück seiner gesammelten Aufsätze) schien uns zum ersten Mal wirklich Ernst zu machen mit der alten aristarchischen Forderung, daß man einen Dichter „aus ihm selbst‘ zu verstehen hätte. Was er hier unter „Stil“ verstand, war nicht ein
Rezept, die äußerliche Mache, sondern die notwendige Form eines geistigen
14%
212
Philologie von heute und morgen.
Die Arbeiten H. Fränkels
Gehalts, und damit erschloß er uns vieles, das zunächst fremd schien, nun
aber zu seinem ursprünglichen Leben erwachte. Mit unbeirrbarer Bedachtsamkeit hat Hermann Fränkel sein Lebenswerk aufgebaut, und es liegt uns seit einiger Zeit im wesentlichen leicht überschaubar vor, in den beiden Bänden „Dichtung und Philosophie des frühen
Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Literatur von Homer bis Pindar" (New York 1951) und „Wege und Formen frühgriechischen Denkens. Literarische und philosophiegeschichtliche Studien“ (München 1955). Dafür, wie Hermann Fränkel sich jetzt durchgesetzt hat, ist ein erfreuliches Zeichen, daß beide Bände schnell eine neue Auflage nötig hattent. Zumal die heutigen Studenten finden hier offenbar das, was ihnen die Freude an den großen Alten weckt und ihnen die Gewißheit gibt, es lohne sich auch heute noch, sich ihnen zu widmen. Sie finden hier nicht nur eine Fülle der Belehrung, sondern sind, da das Buch sich sehr undogmatisch
gibt, unmittelbar aufgefordert, den aufgeworfenen Fragen selbständig nachzudenken. Hermann Fränkel hat seine Texte immer wieder von neuem erwogen, ihrer Bedeutung nachgesonnen und sie behutsam interpretiert, und daß er diese Arbeit immer weiterführt, davon zeugt zumal die neue Auflage des Buches
über
„Dichtung
und
Philosophie“
(während
die „Wege
und
Formen“ anastatisch neu gedruckt sind; aber den 12 Studien der ersten Auflage sind vier weitere, ebenfalls schon früher veröffentlichte, über Homer, Hesiod, Xenophanes und Pindar hinzugefügt). Ein
Werk
des
Überblicks
wie
die
„Dichtung
und
Philosophie",
das
sich nicht nur an die zünftigen Philologen, sondern auch an die Allgemeinheit der Gebildeten wendet (daher es auch die Texte in Übersetzungen gibt und das Griechische in die Anmerkungen verbannt), muß sich notwendigerweise auf einzelne Text-Beispiele beschränken. H. Fränkel trifft diese Auswahl nicht so, daß nur hervortritt, was als großer Zug der Entwicklung durch diese so überaus fruchtbare und ideenreiche Zeit etwa vom ausgehenden 8. bis zur Mitte des 5. Jh.s hindurchgeht, sondern ihm kommt es, wie er selbst im Vorwort
sagt, „auf den Inhalt und die Gedankenwelt,
auf die Kunstform und die Funktion der Werke im Leben‘ an. Und von dieser Fülle lebt in der Tat all das, was
er schreibt.
Die Klassische Philologie ist wahrhaftig noch nicht tot, wenn sie solche Werke hervorbringen kann. 1 H. Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte
der Griechischen Literatur von Homer bis Pindar. 640 S. München (Beck) *1962. Lw.
Ders.,
Wege
und
sophiegeschichtliche
21960. Lw.
Formen
frühgriechischen
Studien. Hrsg.
Denkens.
von F. Tietze. XXII,
Literarische
und
philo-
376 S. München
(Beck)
VERZEICHNIS der Schriften von Bruno Snell, zusammengestellt von Inge Müller. Die mit einem Stern (*) versehenen Titel sind in den vorliegenden Band aufgenommen worden; Ergänzungen und Auslassungen sind dabei in der Regel durch eckige Klammern gekennzeichnet.
1922 1 Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie (σοφία, γνώμη, σύνεσις, ἱστορία, μάϑημα, ἐπιστήμη), Berlin 1924 (Philologische
Untersuchungen 29), VIII, 100 5. (Dissertation, Göttingen 1922). 1925 2 Aischylos und das Handeln im Drama, Leipzig 20, 1), 164 S. (Habilitationsschrift Hamburg 1925).
1928
(Philologus,
Suppl.
1926 *3 Antike
Besucher
des
Tempels
von
Sunion,
Mitteilungen
des
Deutschen
Archäologischen Instituts in Athen 51, 1926, 159—162.
*4 Die Sprache Heraklits, Hermes 61, 1926, 353—381. 5 Heraklit, Fragmente. Griechisch Bücher 11). — 2., vetb. Aufl. München 1940.
u.
deutsch,
München
1926
(Tusculum-
— 3. Aufl. 1944. — 4. Aufl. 1944. — 5. Aufl. 1966. 6 [Rez.] G. B. Lorenzo Colosio: Aristippo di Cirene, filosofo socratico, Torino 1925. — In: Gnomon 2, 1926, 621.
1927 7 [Rez.] Theodorus Hopfner: Orient und griechische Philosophie. Leipzig 1925 (Der alte Orient, Beih. 4). — In: DLZ 48, 1927, 500—502.
1928 8 Wilamowitz-Moellendorff, Hannoverscher Kurier vom 22. 12. 1928. 9 [Rez] The Loeb Classical Library, ed. by E. Capps, T. E. Page, W. R. D. Rouse, London 1925—1927. — In: Gnomon 4, 1928, 21—26.
Aischylos und das Handeln im Drama, Leipzig 1928. Vgl. Nr. 2. 1929 10 Zur naturwissenschaftlichen Begriffsbildung im Griechischen, Philosophischer Anzeiger 3, 1929, 243—260; Ausz. abgedr. in: Forschungen u. Fortschritte 5,
1929, 16; der vollst. Text abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes (s. Nr. 74).
214
Schriftenverzeichnis
11 Bericht
über
Herodot,
1921—1927,
Jahresbericht
über
die Fortschritte
der
klassischen Altertumswissenschaft 220, Jg. 55, 1929, 1—36. 12 [Rez.] Herbert Weir Smyth: Aeschylean Tragedy, classical lectures 2). — In: Gnomon 5, 1929, 287.
Berkeley
1924
(Sather
13 (Rez.] M. Matthäa Vock: Bedeutung und Verwendung von ἀνήρ und ἄνθρωπος und der stammverwandten Derivata und Komposita in der älteren griechischen Literatur (bis nach 350 v. Chr.), Freiburg (Schweiz) 1928 (Diss. Phil. Freiburg/ Schweiz). — In: Gnomon 5, 1929, 522—523.
1930 *14 Das Bewufitsein von eigenen Entscheidungen im frühen Griechentum, Philologus 85, 1930, 141—158. *15 [Rez.] Friedrich Zucker: Syneidesis — Conscientia. Ein Versuch zur Geschichte des sittlichen Bewufitseins im griechischen und griechisch-rómischen Altertum, Jena 1928 (Jenaer akademische Reden 6). — In: Gnomon 6, 1930, 21—30. 16 [Rez.] Tragödien des Euripides. Übers. von Hans von Arnim. Helena, Iphigenie im Taurerlande, Phoenikerinnen, Wien 1926. — In: Gnomon 6, 1930, 191— 198. 1931 *17 Sapphos Gedicht Φαίνεταί μοι κῆνος, Hermes zu S. 73, 1 ebd. S. 368.
66, 1931, 17—90;
Berichtigung
18 [Rez.] Joachim Böhme: Die Seele und das Ich im homerischen Epos. Mit einem Anh.: Vergleich mit dem Glauben der Primitiven, Leipzig 1929. — In: Gnomon
7, 1931,
74—86.
Im wesentlichen
aufgenommen
in: Die Ent-
deckung des Geistes, Kap. 1 (s. Nr. 74). 19 [Rez.] Alexander Turyn: Studia Sapphica, Leopoli 1929 (Eus Supplementa 6). — In: Gnomon 7, 1931, 282.
20 [Rez.] Zwólf Tragódien des Euripides. Übers. von Hans von Arnim, 2 Bde., Wien 1931. — In: Gnomon 7, 1931, 556.
1932 21 Das Bruchstück eines Paians von Bakchylides, Hermes 67, 1932, 1—13. *22 [Nachruf] Gerhard Krahmer, Gnomon 8, 1932, 62—63. 23 [Rez] Pindari carmina cum fragmentis selectis tertium ed. O. Schroeder,
Leipzig 1930 (Bibliotheca Teubneriana). — In: Gnomon 8, 1932, 329—330. 24 [Rez.) Walter Müri: ZYIMBOAON. Wort- u. sachgeschichtliche Studie. Beilage zum Jahresbericht über das Städtische Gymnasium in Bern, Bern 1931. — In: Gnomon 6, 1932, 388—389.
1933 25 Der Glaube an die olympischen Götter. Vortrag, gehalten in der Religionswiss. Ges., Hamburg. — Ausz. abgedr. in: Archiv für Religionswissenschaft 30, 1933, 398; der vollst. Text, der dem Vortrag zugrunde
lag, wurde
1942
veröffentlicht. Vgl. Nr. 61. 26 [Rez.] The Loeb Classical Library, ed. by T. E. Page, E. Chapps, W. H. D. Rouse, London 1928—1932. — In: Gnomon 9, 1933, 521 —525. 27 [Rez.] Julius Gerlach: ᾿Ανὴρ ἀγαθός, München 1932 (München, Phil. Diss.
vom 11. 3. 1933). — In: Gnomon 9, 1933, 614—615.
Schriftenverzeichnis
215
1934 28 Humanismus heute, Berliner Tageblatt vom 16. 9. 1934. 29 [Hrsg.] Bacchylides carmina cum fragmentis post Fridericum Blass et Guilelmum Suess, ed. B. S. 5. Ed. Lipsiae 1934 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), 55, 153 S. — 6. Ed. Lipsiae 1949, 54, 141 S.
— 7. Ed. Lipsiae 1958, — 8. Ed. Lipsiae 1961, 30 [Rez.] Albert Severyns: théque de la Faculté de In: Gnomon 10, 1934, *31 [Rez.] J. A. Schuursma: Amstelodami
1932.
—
61, 132 S. 61, 160 S. Bacchylide. Essai biographique, Liege 1933 (Bibliophilosophie et lettres de l'Université de Liége 56). — 113—117. De poetica vocabulorum abusione apud Aeschylum, In: Gnomon
10, 1934, 415—418.
1935 32 Probleme des Euripides, Die Literatur 37, 1935, 32.
*33 Zwei Töpfe mit Euripides-Papyri, Hermes 70, 1935, 119—120. *34 Das I-ah des goldenen Esels (zu Apuleius, Metamorphosen 8, 29; 3, 29 u. 7, 3), Hermes 70, 1935, 355—356. *35
[Rez.] Werner
Jaeger:
Paideia. Die Formung
des griechischen Menschen
1,
Berlin 1934. — In: Göttingische Gelehrte Anzeigen 197, 1935, 329—352. 36 [Rez.] Herbert Meyer: Hymnische Stilelemente in der frühgriechischen Dichtung, Würzburg 1933 (Köln. Phil. Diss. vom 13. 11. 1933). — In: Gnomon 11, 1935, 109. 1936 37 Neue Bakchylides-Lesungen, Hermes 71, 1936, 124—126. *38 Das Spielen mit dem Reim. Ein kleiner Einwand, Die Literatur 39, 1936/37, 146. 39 [Rez.] Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Kleine Schriften, Bd. 1: Klassische griechische Poesie, Berlin 1935. — In: Gnomon 12, 1936, 102—103.
1937 40 Aristophanes und die Ásthetik, Die Antike 13, 1937, 249—271; Form abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes (s. Nr. 74).
in überarb.
41 Vor hundert Jahren. Ein Brief Droysens. Mitgeteilt von B. S., Die Antike 13, 1937, 247—248. 42 Euripides’ Alexandros und andere Straßburger Papyri mit Fragmenten griechischer Dichter, hrsg. von B. S., Berlin 1937 (Hermes. Einzelschriften 5),
VI, 111 S. 43 [Rez.] The Rendel Harris Papyri of Woodbrooke College, Birmingham, ed. with transl. and notes by J. Enoch Powell, Cambridge 1936. — In: Gnomon 13, 1937, 577—586. 1938 44 Leben und Meinungen der Sieben Weisen. Griechische und lateinische Quellen aus 2000 Jahren. Mit der deutschen Übertr., München 1938 (TusculumBücher), 180 5. — —
2,, verm. Aufl. München 3., verm. Aufl. München
1943, 184 S. 1952, 184 S.
216
Schriftenverzeichnis
*45 Die 16. Epode von Horaz und Vergils 4. Ekloge, Hermes 73, 1938, 237—242. 46 Neues aus den Pindar-Papyri (= Zusammenfassung der Ergebnisse des 5. Internationalen Kongresses für Papyrologie). — In: Actes du V® Congrös international de papyrologie, Oxford 1937. Bruxelles 1938, 452. 47 Identifikationen
von
Pindarbruchstücken,
Hermes
73, 1938, 424—439.
48 [Rez.] Alcée, Sapho. Texte établi et traduit par Théodore collaboration
de Aimé
Puech,
Paris
1937.
—
In:
Reinach
Gnomon
14,
avec la
1938,
660.
1939 49 Zwei Historien aus Herodot [3, 50—53 und 6, 126—129] in der Übersetzung von
Georg
Schwartzkopff (1593), Die Antike
15, 1939,
139—144.
50 Vom Übersetzen aus den alten Sprachen. Bemerkungen zu einigen Neuerscheinungen, Neue Jahrbücher für Antike u. deutsche Bildung 2, 1939, 315—331. 51 Die Sprache Homers als Ausdruck seiner Gedankenwelt, für Antike u. deutsche Bildung 2, 1939, 393—410.
Neue
Jahrbücher
52 Klassische Philologie (Bücherschau), Italien-Jahrbuch 2, 1939. 53 [Rez.] 1. Papiri della Università di Milano. Vol. 1 edito da Achille Vogliano, Milano 1957 (Pubblicazioni della Reale Università di Milano 1).— 2. Catalogue of the Greek and Latin Papyri in the John Rylands Library, Manchester. Vol. 3: Theological and literary texts (Nos. 457—551), ed. by C. H. Roberts. Manchester 1938. — In: Gnomon 15, 1939, 529—543.
1940 54 Drei Berliner Papyri mit Stücken alter Chorlyrik, Hermes 75, 1940, 177—191. 55 Etrusco-latina, Studi italiani di filologia classica 17, 1940, 215—216. 56 [Mithrsg.] Hamburger Arbeiten zur Altertumswissenschaft, hrsg. von Ulrich
τὰ
Knoche, Hans Rudolph u. B. S., Bd. 1—7, Hamburg 1940—1950. erschienen. Friedrich Mehmel, Virgil und Apollonius Rhodius, 1940.
Karl Dursteler, Die Doppelfassungen in Ovids Metamorphosen, Ernst
Siegmann,
Untersuchungen
zu Sophokles’
Ichneutai,
Hartmut Erbse, Fragmente griechischer Theosophien,
πριν
Mehr nicht
1940.
1941.
1941.
Emil Wolff, Die goldene Kette, 1947.
Hansjakob Seiler, Die primáren griechischen Steigerungsformen, 1950. . Werner Winter, Studien zum prothetischen Vokal im Griechischen, 1950. Heraklit, Fragmente. Griechisch u. deutsch. 2. Aufl. 1940. Vgl. Nr. 5. 1941
57 Das Erwachen der Persönlichkeit in der frühgriechischen Lyrik, Die Antike 17, 1941, 5—34; (s. Nr. 74).
in überarb. Form
abgedr.
in: Die Entdeckung
des Geistes
58 Neues von Aischylos. Hinweis auf Fragmente zu dem Satyrspiel „Diktyulkoi“, Die Antike 17, 1941, 187—188. *59 Heraklits Fragment 10, Hermes 76, 1941, 60 Die neuen Bakchylides-Bruchstücke
84— 87.
in Florenz, Hermes
76, 1941, 208—219.
Schriftenverzeichnis
217
1942 61 Der Glaube an die olympischen Götter. —
In: Das neue Bild der Antike, hrsg. von Helmut Berve, 1: Hellas, 1942, 100—129; in überarb. Form abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes (s. Nr. 74). Vgl. Nr. 25.
1943 62 [Rez.] Wilhelm Nestle: Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik u. Sokrates, Stuttgart 1940. — In: Gnomon
19, 1943, 65—76.
Leben und Meinungen der Sieben Weisen, 2. Aufl. 1943. Vgl. Nr. 44. 1944 *63 Hera als Erdgóttin, Philologus 96, 1944, 159—160. *64 Stemmatologie zu Senecas Tragödien, Philologus 96, 1944, 160. *65 Die Nachrichten über die Lehren des Thales und die Anfänge der griechischen Philosophie- und Literaturgeschichte, Philologus 96, 1944, 170—182. *66 Zu den Fragmenten der griechischen Lyriker, Philologus 96, 1944, 282—292. *67 Das Eisvogelnest in der Muschel [zu Kallimachos’ 5. Epigramm], Philologus 96, 1944, 293.
68 Mythos und Wirklichkeit in der griechischen Tragödie, Die Antike 20, 1944, 115—133; abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes (s. Nr. 74). 69 [Mithrsg.] Philologus. Zeitschrift für das klassische Altertum, hrsg. von Johannes Stroux, Bd. 96fl.: J.S., B. S. und Hans Ulrich Instinsky, Leipzig (Bd. 97: Wiesbaden) 1944— 1948. (Dort mehrere kurze Rezensionen.) 70 [Übers.] Platon, Das Gastmahl, deutsche Übersetzung mit Nachwort und Anmerkungen von B. S., Hamburg 1944. — 2. Aufl. Hamburg 1946.
— 3. Aufl. Hamburg 1949. Abgedruckt in Nr. 118. 71 [Rez.] Georg Christ: Simonidesstudien, Freiburg/Schweiz 1941 (Diss. Phil. Zürich 1941). — In: Gnomon 20, 1944, 175. [Hrsg. u. Übers.] Heraklit. Fragmente, griechisch u. deutsch, 3. und 4. Aufl. 1944. Vgl. Nr. 5. 1945 72 Arkadien, die Entdeckung einer geistigen Landschaft, Antike u. Abendland 1, 1945,
26—41;
in überarb.
Form
(s. Nr. 74). 73 [Hrsg.] Antike und Abendland.
abgedr.
in:
Die
Entdeckung
Beitráge zum Verstándnis
des
Geistes
der Griechen u.
Römer u. ihres Nachlebens, hrsg. von B. S. (Bd. 48.: B. S. u. Ulrich Fleischer),
1f.: Hamburg 1945ff. Ab Bd. 12: Berlin 1966. 1946
74
Die
Entdeckung
des
Geistes.
Studien
Denkens bei den Griechen, Hamburg
zur
Entstehung
des
europáischen
1946, 264 S.
— 2. erw. Aufl. Hamburg 1948, 300 S. [Ital. Übers. u. d. T.:] La cultura e le origini del pensiero europeo, trad. di Vera Degli Alberti, Einaudi, Torino
1951, 353 S. 2. Aufl. Torino
1963.
218
Schriftenverzeichnis
[Engl. Übers. — unter Hinzufügung von „Human Knowledge and Divine Knowledge among the Early Greeks" = Übers. des in „Die Entdeckung des
Geistes"
31955
erschienenen
Aufsatzes
„Menschliches
und
Göttliches
Wissen‘ — u. d. T.:] Discovery of the mind. The Greek Origins of European thought, transl. by T. G. Rosenmeyer, Oxford 1953, 323 5. [Neudr. der Ausg. von 1953:] New York 1960, 323 S. 8° (Harper Torchbook). — 3. Aufl, neu durchges. u. abermals erw., Hamburg 1955, 447 S.
[Span. Übers. u. d. T.) Las Fuentes del Pensamiento Europeo, trad. por Jose Vives SJ. Madrid 1965. 75 Geistesgeschichte
als Wissenschaft.
—
In: Gottfried Wilhelm
Leibniz. Vor-
träge der aus Anlaß seines 300. Geburtstages in Hamburg abgehaltenen wiss. Tagung, Hamburg 1946, 263—282; abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes 31955. Vgl. Nr. 74. 76 Auch Achill hat geweint, Nordwestdeutsche Hefte 1, 1946, Nr. 7, 10—12. 77 Pindars Hymnos auf Zeus, Antike u. Abendland 2, 1946, 180—192; abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes *1948 (s. Nr. 74). 78 Humanismus heute? Diogenes 1946, Nr. 1, 5—7. *79 Gilbert Murray, Hamburger Akademische Rundschau 1, 1946/47, 106. *80 Alkman fr. 56, Dic Zeit 1, Mai 1946.
1947 81 Die
Griechen
und wir. Ausz.
aus einem
Referat.
—
In: Marburger
Hoch-
schulgespráche. 12.—15. Juni 1946. Referate u. Diskussionen, Frankfurt a. M. 1947, 144—145. 82 Griechischer Gótterglaube im Spiegel der Dichtung Homers, Sapphos und Aeschylus',
Nordwestdeutsche
Hefte 2, 1947, Nr. 3, 18—28.
83 Die Entdeckung der Menschlichkeit und unsere Stellung zu den Griechen, Geistige Welt 2, 1947, 1—9; abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes 21948, in überarb. Form: *1955 (s. Nr. 74).
84 [Hrsg.] Platon, Die Apologie des Sokrates in der Übertr. des Matthias Claudius, hrsg. von Bruno Snell, Hamburg 1947, 62 S. Abgedr. in Nr. 118. 1948 85 Über den Satz.— In: Feestbundel, aangeboden door vrienden en leerlingen aan Prof. Dr. J. H. Pos ter gelegenheid van het bereiken van de 50jarige leeftyd op 11 juli 1948, Amsterdam 1948, 107—115. 86 Das früheste Zeugnis über Sokrates, Philologus 97, 1948, 125—134; erweitert aufgenommen in: Scenes from Greek Drama ch. 3 (s. Nr. 179).
87 Ein Archiv für griechische Lexikographie,
Philologus 97, 1948, 320.
88 Ein neues Archilochos-Fragment? Philologus 97, 1948, 336. 89 Die neue Antigone [Brechtsche Bearbeitung], Die Zeit 3, 1948, Nr. 10, 6. 90 [Hrsg.] Handbuch der griechischen und lateinischen Philologie, hrsg. von B. S. u. Hartmut Erbse. A. C. E., Berlin 1948—1949. [Mehr nicht erschienen.] 1. Rud. Helm, Der antike Roman, 1948.
2. Franz Dölger, Die byzantinische Literatur in der Reinsprache, 1948. 3. Vorklassische und klassische Zeit: 1. Dichtung. — Ulrich Knoche, Die römische Satire, 1949.
Schriftenverzeichnis
219
91 [Hrsg.] Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Platon 1: Sein Leben und seine Werke. Nach der 3., vom Verf. hrsg. Aufl. durchges. von B. S. — 4. Aufl. Berlin 1948, XV, 613 S. — 5. Aufl. 1959, 92 [Übers.] Plutarch. Von der Ruhe des Gemütes und andere philosophische Schriften. Übertr. u. eingel. von B. S., Zürich 1948 (Die Bibliothek der alten Welt. Griech. Reihe), XVI, 311 S. 95 [Rez.] Ernst Jünger: Sprache und Kórperbau, Zürich 1947. — In: Hamburger Akademische Rundschau 3, 1948, 60.
Die Entdeckung
des Geistes, 2. Aufl. 1948. Vgl. Nr. 74. 1949
94 Die Ordnung im Aufbau der Sprache. — In: Das Problem der Gesetzlichkeit, hrsg. von der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg, Bd. 1, Hamburg 1949, 209—222. *95 Homerica. — In: Παγκάρπεια. Mélanges Henri Grégoire 1, Bruxelles 1949, 547—549 (Annuaire de l'Institut de philologic et d'histoire orientales et slaves 9). [Hrsg.] Bacchylides catmina cum fragmentis post Fridericum Blass et Guilelmum Suess, ed. B. S., 6. ed. 1949. Vgl. Nr.. 29.
[Übers.] Platon. Das Gastmahl, 3. Aufl. 1949. Vgl. Nr. 70. 1950 96 [Rez.]
Konrad
Zucker:
Vom
Wandel
des Erlebens.
Eine
Seclengeschichte
des Abendlandes. Bd. 1: Vorchristliche Welt, Heidelberg 1950. — In: Gnomon
22, 1950, 176. 97
[Rez.]
Manu
Leumann:
Homerische
Wörter,
Basel
1950
(Schweizerische
Beiträge zur Altertumswissenschaft 3). — In: Neue Schweizer Rundschau 18, 1950/51, 183—185. 1951 98 Theorie und Praxis im Denken des Abendlandes.
wechsels
am
14. November
1951.
Hamburg,
Rede anläßlich des Rektor-
Selbstverl
der
Univ.
1951,
(Hamburger Universitätsreden 13), 34 S.; in überarb. Form abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes ?1955 u.d. T. „Theorie und Praxis" (s. Nr. 74). (Ital. Übers. u. d. T.:] Teoria e prassi nel pensiero occidentale, trad. U. Piacentini. — In: Atene e Roma, 1954, 41—55. 99 Tradition und Geistesgeschichte (Vom
Wandel der Symbole), Studium gene-
rale 4, 1951, 339—345. 100 Antike Philosophie 1951, Nr. 2, 1.
101 Anfänge gehalten
im
modernen
Denken,
Das
der griechischen
Geschichtsschreibung
auf der
der
Tagung
literarische
[Ausz.
Klassisch-Philologischen
Deutschland
aus einem Ges.
2,
Referat,
Hamburg
am
29. u. 30. September 1950], Gymnasium 58, 1951, 90. Vgl. Nr. 106. 102 [Rez.] Hans Strohm: Tyche. Zur Schicksalsauffassung bei Pindar und den frühgriechischen Dichtern, Stuttgart 1944. — In: Gnomon 23, 1951, 354—355. 103 [Rez.] Edouard Des Places S. J.: Pindare et Platon, Paris 1949 (Bibliothéque des Archives de Philosophie. Section 4, 1). — In: Gnomon 23, 1951, 455.
220
Schriftenverzeichnis
104 [Rez.] Georg Misch:
Geschichte der Autobiographie. Bd. 1: Das Altertum, 3. Aufl. Bern 1949—1950. — In: Archiv für Philosophie 3, 1951, 181—184. La cultura greca e le origini del pensiero europeo [Die Entdeckung des Geistes,
ital.], Torino 1951. Vgl. Nr. 74. 1952 105 Der Aufbau
der Sprache, Hamburg
1952, 219 S.
— 2., durchges. u. erw. Aufl. Hamburg 1961. 106 Homer und die Entstehung des geschichtlichen Bewußtseins bei den Griechen. —
In:
überarb,
Varia
variorum.
Form
Festgabe
u.d. T.:
Die
abgedr. in: Die Entdeckung
für
K. Reinhardt,
Entstehung
Köln
1952,
des geschichtlichen
2—12;
in
Bewuftseins
des Geistes ?1955 (s. Nr. 74).
107 Studium generale im Verhältnis zur Philosophischen Fakultät. — In: Studium generale.
Bericht
über
2 Weilburger
Arbeitstagungen
30. Aug.
bis
1. Sept.
u. 3. bis 15. Sept. 1951, o. O. 1952, 92. *108 Bakchylides' Marpessa-Gedicht (Fr. 20 A), Hermes 80, 1952, 156—162. 109 Marburger Tagungen für Altertumswissenschaften, Universitas 7, 1952, 996. *110 Emil Wolff zum Gedächtnis, Universität Hamburg 1952, 7—13. 111 [Nachwort] Thukydides, Die Rede des Perikles für die Gefallenen von Athen. Deutsche Übertr. von Rudolf G. Binding. Nachw. von B. S., Hamburg 1952. 112 [Rez.] Bruno Gentili: Metrica greca arcaica, Messina 1950. — In: Gnomon 24, 1952, 46—47. [Rez.] Walter Porzig: Das Wunder der Sprache. Probleme, Methoden u. 113 Ergebnisse der modernen Sprachwissenschaft, Gnomon 24, 1952, 105—106.
Bern,
München
1950.
—
In:
Leben und Meinungen der Sieben Weisen, 3. Aufl. 1952. Vgl. Nr. 44. 1953 114 Thesaurus Linguae Graecae, Glotta 32, 1953, 160. *115 Der Anfang eines äolischen Gedichts [Sappho fr. 99 L.-P.], Hermes 81, 1953, 118—119. 116 Dogmatismus und Wissenschaft. Von der Freiheit des Geistes gegenüber jeder Orthodoxie. Vortrag, gehalten auf dem Internationalen Kongreß ,, Wissenschaft und Freiheit‘ in Hamburg 23.—26. Juli 1953, veranstaltet vom Kongreß für die Freiheit der Kultur, Hamburg, Deutsche Universitätszeitung 8, 1953, Nr. 16—17, 6—8; Nachdruck: Die neue Rundschau 64, 1953, 475—481; in
Teilen abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes #1955 u. d. T. „Wissenschaft und Dogmatik“
(s. Nr. 74).
[Engl. Übers. u. d. T.:] Science and Dogma, 1955, 134—140.
Science and Freedom, London
117 Die Vorstellungen von Kórper und Seele im frühen Griechentum, Verhand-
lungen der Deutschen Gesellschaft für innere Medizin. 59. Kongreß, München 1953, 81—83; Nachdruck: Deutsche Zeitschrift für Verdauungs- u. Stoff wechselkrankheiten 13, 1953, 239. 118 [Hrsg. u. Übers.] Platon, Sokrates im Gespräch. 4 Dialoge (1. Die Apologie des Sokrates — 2. Kriton — 3. Phaidon — 4. Das Gastmahl) mit Nachwort und Anmerkungen, Frankfurt a. M. u. Hamburg 1953 (Fischer-Bücherei 24),
212 S. [Übers.: Dialog 4, s. Nr. 70].
Schriftenverzeichnis
221
119 [Hrsg.] Pindari carmina cum fragmentis, ed. B. S., Lipsiae 1953 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), VIII, 375 S. — 2. Ed. Lipsiae 1955, VIII, 375 S. — 3. Ed. P. 1: Epinicia, Lipsiae 1959, X, 190 S. — 3. Ed. P. 2: Fragmenta. Indices, Lipsiae 1964, VII, 234 S. — 4. Ed. P. 1: Epinicia, Lipsiae 1964, X, 190 S.
120 [Mithrsg.] Glotta. Zeitschrift für griechische und lateinische Sprache, Bd. 32f., hrsg. von Paul Kretschmer u. B. S.; Bd. 36/37: Kurt Latte, Hansjakob Seiler u. B. 5.; Bd. 38: H. Seiler u. B. S.; Bd. 39ff.: Hartmut Erbse, H. Seiler u.
B S., Göttingen 1953 ff. 121 [Rez.] The Oxyrhynchus
Papyri, Part 20, ed. with notes by E. Lobel, E. P. Wegener, C. H. Roberts, London 1952. — In: Gnomon 25, 1953, 433—440. Discovery of the mind [Die Entdeckung des Geistes, engl], Oxford 1953.
Vgl. Nr. 74. 1954 122 Ernüchterte Altertumswissenschaft. — In: Deutscher Gest zwischen gestern und morgen. Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945, Stuttgart 1954, 289—297. *123 Zur Geschichte vom Gastmahl der Sieben Weisen. — In: Thesaurismata, Festschrift für Ida Kapp zum 70. Geburtstag, München 1954, 105—111. 124 Die Welt der Götter bei Hesiod. — In: La notion du divin depuis Homére jusqu'à Platon, Genéve 1954, 97—117 (Fondation Hardt. Entretiens sur l'antiquité classique 1); abgedr. in: Die Entdeckung des Geistes *1955 (s. Nr. 74). 125 [Vorwort u. Mithrsg.] Griechische Papyri der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek mit einigen Stücken aus der Sammlung Hugo Ibscher, hrsg.
vom
Seminar
für Klassische
Philologie
von B. 5. Mit 15 Taf. Hamburg
der
Universität
Hamburg,
eingel.
1954 (Veröffentlichungen aus der Hamburger
Staats- und Universitätsbibliothek 4), XII, 206 5. Teoria e prassi nel pensiero occidentale [Theorie und Praxis im Denken des Abendlandes, ital.]. — In: Atene e Roma 1954. Vgl. Nr. 98. 1955 126 Neun Tage Latein. Plaudereien, Göttingen 1955 (Die kleine VandenhoeckReihe 10), 69 S. — 2. Aufl. 1955. — 3. Aufl. 1956. — 4. Aufl. 1959. — 5. Aufl. 1962. 127 Griechische Metrik, Göttingen 1955 (Studienhefte zur Altertumswissenschaft 1), VI, 51 5. — 2., verb. Aufl. 1957, VI, 52 S. — 3., erweit. Aufl. 1962, IV, 61 5. 128 Das Studium der klassischen Philologie. — In: Universitát Hamburg. Studienführer, Hamburg
1955, 131—133.
— 2. Aufl. 1958, 137—138. — 3. Aufl. 1965, 131—132. 129 [Hrsg.] Platon. Mit den Augen des Geistes. Protagoras. Eutyphron. Lysis. Menon. Der 7. Brief. Nachw. u. Anm. von B. S., Frankfurt a. M. u. Hamburg 1955 (Fischer-Bücherei 97), 229 S.
222
Schriftenverzeichnis
130 [Mithrsg.] Studienhefte zur Altertumswissenschaft, hrsg. von B. S. u. Hartmut Erbse, H. 1ff., Göttingen 19554.
— 2. Aufl. 1956ff. 131 [Hrsg.] Lexikon des frühgriechischen Epos, Göttingen 1955£. 1. α--ἀεικής. Vorber. und hrsg. von B. S., verantwortl. Redaktor H. J. Mette, 1955, XV S., 160 Sp. 2. ἀεικής---αἱρέω 1956, Sp. 161—352. 3. αἰἱρέω---ἀλλά 1959, Sp. 353—512. 4. ἀλλά--ἄν. Begründet von B. S., fortges. von Hartmut Erbse, Redaktorin
Gerda Knebel, 1965, Sp. 513—704. Die Entdeckung des Geistes, 3. Aufl. 1955. Vgl. Nr. 74. Science and Dogma
[Dogmatismus
und Wissenschaft, engl.]. —
In: Science
and Freedom, London 1955. Vgl. Nr. 116. [Hrsg.] Pindari carmina cum fragmentis, 2. Ed. 1955. Vgl. Nr. 119. 1956 132 Euripides-Fragmente.
—
In: Festschrift Albin Lesky zum 7. Juli 1956, dar-
gebracht von Freunden und Schülern, Wien 1956 (Wiener Studien 69), 86—95;
in erweiterter Form: Supplementum zu Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta. Vgl. Nr. 176. 133 Hochschulreform, Colloquium 10, 1956, Nr. 5, 3—5. 134 Die Sprache als gesellschaftliches Kriterium, Deutsche Universitätszeitung 11, 1956, Nr. 11, 9—13. Vgl. Nr. 145. *135 Zur Übetlieferungsgeschichte der Pindar-Scholien, Studi Italiani di filologia classica 27/28, 1956, 541—543.
136 Vom Gerede loszukommen. Regel und Freiheit in Zeitung und Wirtschaftszeitung 11, 1956, Nr. 44, 4. *137 Aischylos' Isthmiastai, Hermes 84, 1956, 1—11. 138 [Hrsg.] Homer. Ilias. Griech u. deutsch. Der griech. Eduard Schwartz. Die Übers. von Johann Heinrich
der Sprache, Deutsche Vgl. Nr. 145. Text wurde hrsg. von Voss wurde von Hans
Rupé bearb. Die Texte wurden von Martin Bertheau revidiert. B. S. besorgte
die Neuausg. u. schrieb das Nachw., Berlin, Darmstadt 1956, 440 Doppel-S., VI S. (Tempel-Klassiker). 139 [Hrsg.] Homer. Odyssee. Griech. u. deutsch. Der griech. Text wurde hrsg. von Eduard Schwartz. Die Übers. von Johann Heinrich Voss wurde von E. R. Weiß bearb. Die Texte wurden von Martin Bertheau revidiert. B. S. besorgte
die Neuausg.
u. schrieb das Nachw.,
Berlin, Darmstadt
1956,
354
Doppel-S., S. 347—354 (Tempel-Klassiker). 140 [Mithrsg.] Gedanken zur Hochschulreform. Neugliederung des Lehrkórpers. Hofgeismarer Kreis [hrsg. von Mitgliedern des Hofgeismarer Kreises, u.a. B. S.], Góttingen 1956, 53 S. 141 [Rez.] 1. Gabriel Italie: Index Aeschyleus, Leiden 1954— 1955. — 2. James T. Allen and Gabriel Italie: A concordance to Euripides, Berkeley 1954. — In: Gnomon 28, 1956, 102—105. Neun Tage Latein. 3. Aufl. 1956. Vgl. Nr. 126. [Hrsg.] Studienhefte zur Altertumswissenschaft, 2. Aufl. 1956ff. Vgl. Nr. 130.
[Hrsg.] Lexikon des frühgriechischen Epos, 2. Lfg. 1956. Vgl. Nr. 131.
Schriftenverzeichnis
223
1957 142 Die klassische Dichtung der Antike. — In: Europa, Vermächtnis und Verpflichtung, hrsg. von Hansgeorg Loebel, Frankfurt/M. 1957, 223—235. 143 Bemerkungen zu Theorien des Stils. — In: Wesen und Wirklichkeit des Menschen. Festschrift für Helmuth Plessner, Góttingen 1957, abgedr. in: Die alten Griechen und wir, 19—26 (s. Nr. 169).
144 Was ist Europa? — In: Probleme der Einigung (Schriftenreihe zur europäischen Integration 1), alten Griechen und wir, 63—74 (s. Nr. 169). 145 Regel und Freiheit in der Sprache, Jahrbuch der Sprache und Dichtung in Darmstadt 1956, 1957, alten Griechen und wir, 7—19
333—339;
Europas, Düsseldorf 1957 23—30; abgedr. in: Die Deutschen Akademie für 13—27; abgedr. in: Die
(s. Nr. 169).
146 Die ältesten europäischen Urkunden von Kreta und vom Peloponnes, Merkur 11, 1957, Nr. 4, 375—380. 147 Das Heitere im frühen Griechentum (zu einigen neugefundenen Literaturwerken), Antike und Abendland 6, 1957, 149—155.
148 Allgemeine
Bildung
und
Naturwissenschaft,
Die
Naturwissenschaften
44,
1957, Nr. 4, 80—83; abgedr. in: Die alten Griechen und wir, 32---41 (s. Nr. 169). *149 Stesichoros’ Συοθῆραι, Hermes 85, 1957, 249—251. 150 [Mithrsg.] Schriftenreihe zur europäischen Integration. Organ des EuropaKollegs in Hamburg, [hrsg.] von B. S. u. Dimitri S. Constantopoulos, Bd. 1ff.,
Düsseldorf 1957 ff. 151
[Rez.] Pierre Lévéque: Agathon, Paris 1955 (Annales de l'Université Lyon. Sér. 3, Fasc. 26). — In: Gnomon 29, 1957, 553—554.
de
152 [Rez.] Leif Bergson: L'épithéte ornementale dans Eschyle, Sophocle et Euripide, Lund 1956 (Thése pour le doctorat, Université de Upsala). — In: Gnomon
29, 1957, 625. Griechische Metrik, 2. Aufl. 1957. Vgl. Nr. 127. 1958 153 Von der Bedeutung der griechischen Denkformen für das Abendland. — In: Acta Congressus Madvigiani Hafniae 1954. Proceedings of the 2. International Congress of Classical Studies 2, Kobenhavn 1958, 47—55. *154 Dionysos oder Hephaistos? Zu einem Hymnus des Alkaios. — In: Festschrift Ernst Kapp, Hamburg
1958, 15—17.
*155 Die Klangfiguren im 2. Epigramm des Kallimachos, Glotta 37, 1958, 1—4. 156 Muta cum liquida, Glotta 37, 1958, 160. *157 ἀθρήματα. Zu Sappho 44, L.-P., 55 D, Vers 8, Glotta 37, 283—285.
*158 παρίστᾶται. Zu Parmenides Fr. 16, 2, Glotta 37, 1958, 316. 159
Zur Soziologie des atchaischen Griechentums. Der Einzelne und die Gruppe,
Gymnasium 65, 1958, 48—58; aufgenommen in: Dichtung und Gesellschaft (s. Nr. 166). 160
Karl
Reinhardt.
Zum
Tode
des
bedeutenden
Gräzisten,
Rheinische
Post
vom 18. 1. 1958. Das Studium der klassischen Philologie. — In: Universität Hamburg. Studienführer, 2. Aufl. 1958. Vgl. Nr. 128. [Hrsg.] Bacchylides carmina cum fragmentis post Fridericum Blass er Guilelmum Suess, ed. B. S., 7. Ed. 1958. Vgl. Nr. 29.
224
Schriftenverzeichnis
1959 161
Gedenkwort für Karl Reinhardt, Jahrbuch der Deutschen Sprache und Dichtung in Darmstadt 1958, 1959, 134—135.
Akademie
für
162 Gedenkwort auf Walter Friedrich Otto, Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt 1958, 1959, 153—154. *163 Zu Euripides’ Phoenissen, Hermes 87, 1959, 7—12. Neun Tage Latein, 4. Aufl. 1959. Vgl. Nr. 126. [Hrsg.] Pindari carmina cum fragmenti, P.1: Epinicia, 3. Ed. 1959. Vgl. Nr. 119. [Hrsg.] Lexikon des frühgriechischen Epos, 3. Lfg. 1959. Vgl. Nr. 131.
1960 164 Entwicklung einer wissenschaftlichen Sprache in Griechenland. — In: Sprache und Wissenschaft. Vorträge, gehalten auf der Tagung der Joachim- JungiusGesellschaft
der
Göttingen
Wissenschaften,
1960, 73—84;
Hamburg,
am
29.
u.
30.
Oktober
1959,
abgedr. in: Die alten Griechen und wir, 41—56
(s. Nr. 169).
[Engl.
Übers.
u. d. T.:] The forging of a language for science in ancient
Greece, Classical Journal 56, 1960, Nr. 50—60. Discovery of the mind [Die Entdeckung des Geistes, engl], New York 1960.
Vgl. Nr. 74. 165 The contribution tnodern
of the classical humanities
to a better understanding
thinking, especially in the field of science. —
In: The
of
interplay of
scientific and cultural values in higher education to-day. International Association
of
Universities,
Paper
5,
International
Universities
Bureau,
Paris
1960. Franzósische Ausgabe ebenda. Abgeänderte Fassung von Nr. 148.
1961 Der Aufbau der Sprache, 2. Aufl. 1961. Vgl. Nr. 105.
166 Poetry and
Society. The role of poetry Indiana University Press, 1961, 116 S.
[Deutsche
(erweiterte) Ausgabe:]
Dichtung
in ancient
und
Greece.
Gesellschaft.
Bloomington,
Studien
zum
Einfluß der Dichter auf das soziale Denken und Verhalten im alten Griechenland, Hamburg 1965, 199 S. [Hrsg.] Bacchylides catmina cum fragmentis post Fridericum Blass et Guilelmum Suess, ed. Bruno Snell, 8. Ed. 1961. Vgl. Nr. 29. 1962
167 Pindars 8. Paean, Hermes 90, 1962, 1—6. 168 [Nachwort:] Pindar, Siegeslieder. Deutsche Übertragungen, zusammengestellt von Uvo Hólscher. Mit einem Nachwort von B. S., Frankfurt a. M., Hamburg 1962 (Fischer-Bücherei). Gricchische Metrik, 3. Aufl. 1962. Vgl. Nr. 127. 169 Die alten Griechen und wir, Göttingen 1962 (Die kleine Vandenhoeck-Reihe),
71 S. Neun Tage Latein, 5. Aufl. 1962. Vgl. Nr. 126.
Schriftenverzeichnis
225
1963 *170
Philologie von heute und morgen. Die Arbeiten Hermann Fränkels, BodenseeBuch 1963, Kreuzlingen/Schweiz 1963, 125f.
171 Der Anfang von Euripides’ Oedipus, Hermes 91, 1963, 120. 172 [Rez.] P. Maas: Greek Metre. — In: Gnomon 35, 1963, 418—420. 173 Dichtung und Gesellschaft im Griechenland der spätarchaischen Zeit, Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1961, Göttingen 1963 (s. Nr. 166 Kap. 4).
174 Der Anfang von Euripides’ Busiris, Hermes 175 Nachwort
zu:
Oskar
Kokoschka,
91, 1963, 495.
Bekenntnis
zu
Hellas II (Mappe
Lithographien von einer Reise nach Griechenland 1961), London
mit
13
1963.
1964 [Hrsg.]
Pindari
carmina
cum
fragmentis,
3. Ed.
1964,
P.II:
Fragmenta.
Indices. Vgl. Nr. 119. 176 Supplementum ad A. Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Hildesheim 1964, 1025—1068 (vgl. Nr. 132). 177 Begabtenauslese und Begabtenpflege, Die Fridericiana 1963, hrsg. im Auftrag der Technischen Hochschule Fridericiana, Karlsruhe 1964, 128—132.
178 Diskussionsbeitráge in: Entretiens sur l'Antiquité classique 10: Archiloque, Vandauvres-Genéve 1963. [Hrsg.] Pindari carmina cum fragmentis, 4. Ed. 1964, p. I: Epinicia. Vgl. Nr. 119. *179 ἅλιος. Festschrift Eugen v. Mercklin, 1964, 172f. 180 Scenes from Greek Drama, Berkeley and Los Angeles 1964 (Sather Classical Lectures 34), IX, 147 S.
*181 Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos. — In: Argumentationen, Festschrift für Josef König, Göttingen 1964, 249—255. 1965 [Hrsg.] Lexikon des frühgriechischen Epos, 4. Lfg. 1965. Vgl. Nr. 131. Dichtung und Gesellschaft, Hamburg 1965. Vgl. Nr. 166. 182 Griechische Metrik. — In: Lexikon der Alten Welt, Zürich 1965.
183 Der sprachliche Ausdruck des Befindens. Diskussionsbeitrag zu einem Referat H. Plügges auf der 8. Wanderversammlung Südwestdeutscher Neurologen und Psychiater, Psyche 19, 1965, 286—289. Las fuentes del Pensamiento Europeo [Die Entdeckung
des Geistes, span.].
Madrid 1965. Vgl. Nr. 74. 1966 Heraklit. Fragmente, 5. Aufl. 1966. Vgl. Nr. 5. 184 Zu den Urkunden dramatischer Aufführungen, Nachrichten d. Akad. d. Wissenschaften in Góttingen, I. Philol.-histor. Klasse, Jahrg. 1966, Nr. 2, 11—37.
15
8496
Snell, Ges. Schriften
SACHREGISTER abusio: 160
Aischylos, Ag. 192: 20 — Hik. 407: 20 — Isthmiastai: 164. — Pers. 147: 161 — — 415: 160 Alkaios, fr. 10 L.-P.: 746. — — 71:73 — — 130: 62 — — 307: 71 — — 3238: 71 — — 349: 102f. — -— 395: 75 Alkman, fr. 20 P.: 78 Anakreon, fr. 417 P.: 72 Apollodor 1,60: 106 Apuleius, met. 3,29; 7,3; 8,29: 200f. Archilochos: 41 ff. — fr. 113£.: 70 Aristipp: 36 auct. x. ὕψους 34,4: 70
Bacchyl. 5,111: 81 — fr. 20A: 105ff. Catull 51: 828. Cicero, de inv. 1,4,5: 36 Clem. Alex. 1, 155, 17 St.: 69
— -— — —
fr. — — —
1: 1388. 10: 1526. 93: 143f. 126: 132
Hesiod, Theog. 337: 122 —
—
736: 150
Hippias: 124ff. — fr. 6: 125ff. — fr.7: 1248. Homer, Il. 9, 115£.: 17 — — 9,410f.: 22 — — 9,442: 39 — — 9,636: 56 — — 9,6431.: 23; 56 — — 11,404ft.: 20 — — 14, 158: 60 — — 14, 201: 1216, — — 18, 88f.: 24 — — 18, I6ff.: 23 — — 22, 103: 25 — Od. 1, 32ff.: 58 Horaz, c. 3,12: 74. — ep. 16: 1921. IG II* 13 230—39: 189ff. Inscr. vas., Hartw. Meistersch. 257: 69 Isokrates 15, 253: 36,1
Jaeger, Werner: 32ff. Descartes: 61 Diog. L.. 2, 8, 70: 36,3 Dion. Hal, Comp. verb. 16, 97: 186
Empedokles, fr. 6: 158f. *Entscheidung': 57ff. Erinyen: 15; 46ff. Euripides, Überlieferung: 176f. — Or. 396: 15 — Phoen. 915—927: 1788. Fränkel, Herm.: 211f. Gorgias, Helena 6: 27 Hera: 158f, Heraklit: 129 ff.
Kallimachos, ep.2: 185 — ep. 5: 184 Kapp, Ernst: 27f.; 35f.; 185,5 Katachrese: 160 Keats: 66 Krahmer, Gerh.: 204f.
Lesky, A.: 558. Makarismos: 85ff. metr. Oxyrh. col. 2: 70 Mimnermos: 43f. Murray, Gilbert: 210 Nietzsche:
48
110f.;
119,1;
Sachregister Orphic. fr. 15K.: 122; 127 — — novum: 125,3
*Schlag ins Wasser’: 66 Schlegel, A. W.: 48
Parmenides
Schol. Dion. Thr. 106: 69 — Hom. Il. 9,129: 62
fr. 16,2:
157
227
Paus. 5, 18, 2: 108 Philod. poem. 2 p. 256 Hausr.: 70 — rhet. 1,179 Sudh.: 69
— — — 9,557: 106 — Pind. O. 2,1d; 4a; 2,7b u. c: 113f. Schuursma, J. A.: 160f.
— — — —
Seneca, Phaedr. 1030: 199 Sieben Weisen, die: 115ff.
1,369: 68 2,61: 68
— — 2,133: 68 Pindar: 44f.
Sisyphos: 171f. Sophisten: 49
— Nr. 3,42: 45,1 Plambóck, G.: 60 Platon apol. 41 A: 125,1 — Gorg. 448Cff.: 50,1
Sophist. Patriarch. Gr. Gr. IV 2, 408,27: 70 Stesichoros fr. 222 P.: 79ff. Stob. 4, 38,3: 70
— —
— 4,57,11: 70 Sud. ἀμοιβός: 69
Parm. 130C: 35 Phaidr. 245C: 119,1
— rep. 497C; 500 Bf.: 35 — — 606E: 36,6 Plut., Lysander 14,8: 27
Thales: 1196. Theokr. 1,78; 2,149: 157
— mor. 103F: 69 PSI 9,1093: 1158
— 2,12: 196 Tyrtaios: 40f.
Poetscher, W.: 586.
Poseidonios: 134,1
Vergil, ecl. 4: 1928.
Rilke: 202f.
Wolff, Emil: 206ff. Wolf, Erwin: 18ff.
Sappo fr. 16 L.-P.: 74
Wortstellung: 89,1
—— — — — —
Xenoph. Hell. 1,1,23: 27 — mem. 1, 2,20: 69
27: 73 31: 828. 96: 91,6
— —99: 100f. Scham: 16 Schiller: 41,2
15"
Zucker, Fr.: 9ff.
GRIECHISCHE ἀεικίνητος ἀένναος
119
WÖRTER
γάρ 90,2
γελᾶν (δακρυόεν γελάσασα)
149
ἄζεσϑαι 170 ἄζυξ 162
Γενέθϑλα 159,1 yn 121. 135
ἄϑρημα 98
γήϑω (γεγηϑὸς δάκρυον)
ἄϑυρμα 98. 171,2 αἰδοῖος 143,2 αἰδώς 16 αἷσα 58 αἰσϑάνεσϑαι 90,3 αἴσϑησις 90,3 αἰτία (πρώτη αἰτία) alóv 145,2 ἀκοή 136 ἀλγεινός 96 ἄλγος 96 ἅλιος 65 ἀλκυόνειον 184 ἁμαρτάνω 60,0 ἀμεινότερος 68 ἀναιδὴς 143,2 ἄναλκις
γῆρυς 182
νονται fut.) γλουτός
121
ἀνδρόπαις 161 ἄνηβος 149 ἄνθρωπος 150 ἀντιάνειρα 162 ᾿Απόλλων 100. 141,3 dnorponn 134,1 ἅπτεσϑαι 143,2 ἀργῆς 158 ἁρμονίη 154 ἁρπακτῆς 188 ἀρχή 121.
160
ἀτασϑαλία 58f. ἄτη 17. 49,1 αὐτοκίνητος 119 ἄψυχος 124
60,3
Ὑναμπτός
63
γνώμη 132,3. 136,3. 137. 140. 143. 146. 151 γνῶσις 12. 148 γράφειν εἰς ὕδωρ Γρύνειος 100
γυμνάζω γύννις
173
βαϑύφρων 20,2. 117 βιόδωρος 158. 162 BIOX 141 βυσσοδομεύω 20,2. 117
66
174
167. 173
δαίμων 1198. 137 δαμνᾶν 58,1 διάδειν 154 διάνδιχα 21 διάσημος 106 δίκη 150 δίπαις 160
δίστοιχος 168 δοκεῖν 85. 142 δουρικρανῆς (δορίκρανος)
161
δρᾶν 26—30 εἰδέναι (εἰδήσειν, εἰδῆσαι) εἴδησις 11 εἰκάζειν 83 ἐκβάλλειν (ἔπος ἐκβ.) 65 ἐκπύρωσις 134,2
Ἑλένη
141,3
ἔμψυχος
123
ἐν 185,5 βαϑύπλουτος
(γνῶϑι
γίγνεσϑαι 35,2 (γενέσθαν); 139,2 a. Ε. (γί-
134,1
ἄσπλαγχνος
95,1
γιγνώσκειν 56. 136. 137. 142; 123 σαυτόν)
173
ἀνατροπὴ
95
ἐνδυκέως 162 ἐπιβάλλειν 185,1 ἐπίστασϑαι 56
ἐπιστήμη
12,1
ἐπιτροπὴ
134,1
11
Griechische Wörter ἐργάζεσϑαι ἔρδειν 29
229
μέγας 149 μελάμπεπλος
29
μέλος (μέλη) 63
ἐρύκειν 58,1
μερμηρίζειν 21 μετατροπή 134,1
ἐσχάτιαι 72 εὐδαίμων 84.
εὐήρης 162
μοῖρα 59. 142
ζείδωρος 158. 162 Ζεύς (Ζηνός) 141 ζῳοτόκος 162,1
μύουρος
μόρος 58. 142. 185
νημερτής 65 νικᾶν
ϑάλασσα 133 ϑεοείκελος 83
ϑεός 1198, 150 ϑέρομαι 132,2 ϑυμός 17. 21. 24. 25. 56. 58. 60. 95 149
ἱέναι (ὅπα) 65 Ἱππίας 124 ἰσϑμιάζειν
62
νόμος 150f. νοτίζω 132,2 νοῦς (νόος) 61. 119. 143
158
-ἥρης 162
ἴδιος
168
ναυτίλος 184 νεόκτιτος 171 veoxuös 171
ἡδύς 96 ἦϑος 137 ἤλεκτρον 124 Ἥρη
160
ὁδός 135 ὄλβιος 84. ὄνομα 141,2 ὄργιος 101 ὅρκος
καινός 171 κάλλος (ἀγὼν κάλλους)
149
χοπίς 143,2 χόσμος 119. 123
121. 127
οὗς 136
169. 174
ὀφθαλμός 136 ὄψις 136. 148
ἱστορίη 137 ἰχϑυβόλος 65
καλός (κάλλιστος) καρφαλέος 132,2 κάρφειν 71 xararporn 134,1
Euvóv, τό 143. 145. 147. 150 ξυνός 145,1
62
παίγνιον 171,2 παιδεία 35ff. παίδευσις 50,1 παλίντονος 154,3
πᾶς 149; πάντα (bet) 130. 147 πελέμαιγις 162 περιεργάζεσϑαι 106
χραδίη 95
ποιεῖν 26—30. 150f. πολυμαϑίη 137. 143
xpavlov
πολύς
161
149
ποταίνιος
λέγειν λέσχη λίϑος λόγος λόγχη
138. 150 185 (Maritus) 124 138. 141,2. 142 161
Μαγνῆτις (λίϑος) 124 μάϑησις μαίνομαι μακάριος μαλερός
12. 136. 148 96 BAf. 162,2
171
πράττειν 26—30 πτερόεις
65
ruyn 60,3 πῦρ 33. 146 ῥέζειν 29 ; ῥεῖν (πάντα dei) 130. 147 σῆμα 144,2 σημαίνειν 144 «σις 148,4
e 230
Griechische Wörter
σοφόν, τό 140. 143. 145. 146. 151
τιϑέναι 29,3
σοφός 72
τρέπεσϑαι 134,1. 170
σπινϑήρ 69
tporal 134,1. 148
σταλαγμός 69 στυγάνωρ 162 συγγιγνώσχειν 13
ὑποτροπὴ
134,1
φαίνεσϑαι
85
φερέσβιος
158
σύλλαψις 152
συμφέρομαι 154,3 συνάπτειν σύναψις
155 148
συνείδησις Ὶ 9—17 συνειδέναι ἑαυτῷ f. ^— σύνεσις
12,1
συνιέναι 133, 136. 151 σχάζειν
182
ὕδωρ
121ff. 135
φρένες 17. 58
φρὴν 143 φρόνησις 12. 148. 151 φυσίζοος
158. 162
σῶμα 60. 162,2
χαίρειν 91,3 χαλκόστομος
τανίσφυρος
χάρμα 96
108,5
ταχυήρης 162
160
τετράπαλαι 185 τεῦχος 177
ψυχή 60. 119—127. 135
Τηϑύς 121. 126
'Qxsxvóc
121. 126