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German Pages [397] Year 2021
MARAVIGLIA Rezeptionsgeschichte(n) von der Antike bis in die Moderne
Peter Bell, Antje Fehrmann, Rebecca Müller, Dominic Olariu (Hg.)
Studien zur Kunst 45
Peter Bell / Antje Fehrmann / Rebecca Müller / Dominic Olariu (Hg.)
Maraviglia. Rezeptionsgeschichte(n) von der Antike bis in die Moderne Festschrift für Ingo Herklotz
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN
Gedruckt mit Unterstützung der Philipps-Universität Marburg, der Richard Stury Stiftung und der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung (Kunstgeschichte), Marburg/Lahn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Lars Lempenauer, der Torso vom Belvedere (Kopie) und seine Nachzeichnungen, DH-Praxismodul, FAU Erlangen-Nürnberg 2019 Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52239-1
Inhalt
Tabula gratulatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Peter Bell / Antje Fehrmann / Rebecca Müller / Dominic Olariu
Zur Einführung: Rezeptionsgeschichte(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
I. Rezeptionen der Antike Valentino Pace
Ritorno alla “Trinità” di Venosa : dove l’antico diviene contemporaneo . . . . . .
19
Christian Freigang
Die Italian Connection ? Bau, Bild und Text bei Jean Lemaire de Belges. . . . . . .
33
David Jaffé
Taking Possession of the Ancient World : Mantegna and Rubens. . . . . . . . . .
49
Felix Thürlemann
Laokoons linker Arm. Eine verlorene Michelangelo-Zeichnung in ihrem vielfachen Gebrauch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
Elisabeth Kieven
“La sola antica potenza romana”. Pantheonreminiszenzen in der Cappella Corsini in San Giovanni in Laterano. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
II. Resonanzraum Byzanz Beat Brenk
The Program of the Cathedral of Cefalù . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
Mario D’Onofrio
Una chiesa inedita a Tremensuoli di Minturno. Ripresa di una tipologia bizantina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6 | Inhalt Karin Kirchhainer
Zur Ikonographie des heiligen Johannes Ogorodnik. Eine Rezeptionsgeschichte aus der russischen Ikonenmalerei des 19. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . 109 Peter Cornelius Claussen
Le Corbusier, die Griechen und S. Maria in Cosmedin in Rom . . . . . . . . . . 121 III. Lesarten – Intertextualität und M edienwechsel Walter Cupperi
“Kunstgeschichtliche Prinzipien darf man von dem Mann nicht fordern”. Samuel Quiccheberg’s Inscriptiones through the Lens of Julius von Schlosser. . . . 135 Marco Guardo
Riuso e ricezione epigrafica di un chiavistello rinvenuto a Manziana. . . . . . . . 145 Lucia Simonato
Un colosso a pezzi. Michelangelo Lualdi e un appunto tecnico sulla Veronica di Francesco Mochi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Marcus Kiefer / Claudia Hattendorff
Hugo von Hofmannsthal und das Wien des Canaletto. Zur Bildrezeption im Anatol-Prolog (1892). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 IV. Aneignungen des frühen Christentums und des Mittelalters Massimiliano Ghilardi
“Che bisognava andar serpendo col corpo disteso per terra”. Esplorando le catacombe romane nella prima età moderna.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Giuseppe Finocchiaro
Le antichità cristiane di Antonio Bosio nel Museo Nazionale Romano. . . . . . . 199 Jörg Martin Merz
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Lothar Sickel
Manifest in Vergangenheitsform. Der ehemalige Hauptaltar von Niccolò Circignani in Sant’Antonio Abate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Inhalt | 7
Sible de Blaauw
Mittelalterlicher als das Mittelalter. Die Restaurierung des Mainzer Doms durch den Architekten P. J. H. Cuypers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 V. Rezeption als Selbstvergewisserung Michael Thimann
Raphael’s Nature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Sheryl E. Reiss
A Note on Raphael and Gendered Viewing.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Christina Strunck
Zwischen politischer Freiheitsliebe und erotischer Libertinage. Stationen der Rezeption von Carlo Marattas Augustus schließt den Janustempel : Rom – Paris – Chatsworth. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Ulrich Pfisterer
Die Liga der großen Männer. Jean Varin erzieht Ludwig XIV. mit Münzen und Medaillen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 VI. Künstler und Bilder auf Reisen Peter Lüdemann
Venedig, Vicenza, Wittenberg. Randbemerkungen zu Jacopo de’ Barbari, Lucas Cranach d. Ä. und dem transalpinen Kulturtransfer um 1500. . . . . . . . 305 Hubert Locher
Der romantische Tourist und das Kunstwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Veronika Wiegartz
Gerhard Marcks auf bildhauerischen Pfaden zwischen Griechenland und Auguste Rodin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 VII. Rezeptionsverweigerung und Kritik Barbara Stoltz
Die Ausmalung der Florentiner Domkuppel und die Geschichte ihrer Rezeption zwischen den Parametern Technik, Qualität, Ikonographie und Kontroverse . . . 341
8 | Inhalt Ulrich Schütte
Alte und neue Schlösser der Fugger. Architektur und Konstruktionen familiärer Tradition im 16. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Anna Maria Voci
Kulturkritik ohne Griechensehnsucht. Zur Rezeption Winckelmanns im 19. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Julian Gardner
Ingo Herklotz : Portrait of a Young Art-Historian on his Way to Work.. . . . . . 377 Ingo Herklotz – Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
Tabula gratulatoria Stefan Bauer
Christa Gardner von Teuffel
Ingrid Baumgärtner
Massimiliano Ghilardi
Peter Bell
Marco Guardo
Martin Bertram
Valeska Hartmann
Sible de Blaauw
Claudia Hattendorff
Christian Bracht
Hildegard Herklotz
Beat Brenk
Sigrid Hofer
Martin Büchsel
David Jaffé
Peter Cornelius Claussen
Carola Jäggi
Birgitta Coers
Angela Kappeler-Meyer
Walter Cupperi
Markus Kiefer
Luc Deitz
Elisabeth Kieven
Katrin Dexheimer
Dale Kinney
Simon Ditchfield
Karin Kirchhainer
Mario D’Onofrio
Christian Klusemann
Lorenz Enderlein
Guntram und Heidemarie Koch
Arnold Esch
Jeanette Kohl
Marcello Fagiolo
Otfried Krafft
Antje Fehrmann
Katharina Krause
Giuseppe Finocchiaro
Jutta Kruse-Einwich
Birgit Franke
Hubert Locher
Christian Freigang
Peter Lüdemann
Angelika Fricke
Apostolos Mantas
Daniela Gallo
Hans-Rudolf Meier
Julian Gardner
Jörg Martin Merz
10 | Tabula gratulatoria
Tanja Michalsky
Lothar Sickel
Daniela Mondini
Lucia Simonato
Bettina Morlang-Schardon
Jörg Stabenow
Rebecca Müller
Barbara Stoltz
Alessandro Nova
Christoph Stolz
Dominic Olariu
Claudio Strinato
Valentino Pace
Christina Strunck
Ulrich Pfisterer
Michael Thimann
Sigrid Popp
Erik Thunø
Sheryl E. Reiss
Felix Thürlemann
Yvonne Rickert
Ute Verstegen
Johanna Scheel
Anna Maria Voci
Ludwig Schmugge
Barbara Welzel
Uta Schneikart
Veronika Wiegartz
Ulrich Schütte
Henning Wrede
Elizabeth Sears
Nino Zchomelidse
Philippe Sénéchal
Hendrik Ziegler
Peter Bell / Antje Fehrmann / Rebecca Müller / Dominic Olariu
Zur Einführung: Rezeptionsgeschichte(n)
Lässt sich Kunstgeschichte als Geschichte der Rezeption (oder ihrer Verweigerung) erzählen ? Wie ist Rezeption gegenüber den Konzepten von Wirkung und Einfluss zu positionieren ? In welchem Verhältnis stehen Rezeption und Innovation ? Wie trägt die Geschichte der Rezeption zur kunsthistorischen Methodik bei ? Ist nicht jede produktive Idee und jedes künstlerische Artefakt, die Architektur eingeschlossen, das Ergebnis von Rezeption oder Rezeptionsverweigerung ? Der in der Literaturwissenschaft seit den späten 1960er Jahren verbreitete Begriff der Rezeptionsgeschichte und der damit verbundene Ansatz sind für die Kunstgeschichte unabhängig von zeitlich-chronologischen und geographischen Schwerpunkten von großer Tragweite und wurden für diese Disziplin bereits vielfach fruchtbar gemacht. Ingo Herklotz sind hierzu entscheidende Beiträge zu verdanken, so etwa in der Dissertationsschrift, die als Studie zur Rezeption antiker Monumente, Texte und Konzepte in mittelalterlichen italienischen Grabmälern gelesen werden kann,1 in seiner breit angelegten Monographie zu Antiquaren des 16. und 17. Jahrhunderts,2 in zahlreichen Einzeluntersuchungen zu den Rezipienten mittelalterlicher Kunst, zur Wahrnehmung Roms, den römischen Antiken und Katakomben, aber auch Berninis Vierströmebrunnen und ebenso zur Wissenschaftsgeschichte.3 Seiner Feder entstammt schließlich auch das vielzitierte Lemma „Rezeptionsgeschichte“ in Metzlers Lexikon für Kunstwissenschaft.4 1
Herklotz, Ingo : “Sepulcra” e “monumenta” del Medioevo. Studi sull’arte sepolcrale in Italia, Rom 2001 (1985). – Die Bibliographie von Ingo Herklotz ist am Ende des vorliegenden Bandes aufgeführt. Herklotz, Ingo : La Roma degli antiquari : cultura e erudizione tra Cinquecento e Settecento, Rom 2012. Herklotz, Ingo : Grabmalsstiftungen und städtische Öffentlichkeit im spätmittelalterlichen Italien, in : Materielle Kultur und religiöse Stiftung im Mittelalter. Viertes internationales Round-TableGespräch des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs, hg. von Harry Kühnel, Wien 2 1997 (1990), 233–271 ; id.: Eine zeitgenössische Beschreibung von Berninis Vierströmebrunnen nebst einem Plädoyer für eine publikumsorientierte Kunstwissenschaft, in : Opus Tessellatum. Modi und Grenzgänge der Kunstwissenschaft, hg. von Katharina Corsepius et al., Hildesheim 2004, 411– 429 ; neu in ital. Übers.: La Fontana dei Quattro Fiumi di Bernini e il suo pubblico, in : Apes urbanae. Eruditi, mecenati e artisti nella Roma del Seicento, Castello 2017, 263–284 ; id.: Cassiano Dal Pozzo und die Archäologie des 17. Jahrhunderts, München 1999. S. für über die hier nur beispielhaft genannten Themen hinausgehende Aspekte u. a. den Aufsatz : id.: Lateinische Kruzifixe in der byzantinischen Polemik : Kultkritik als Papstkritik, in : Il potere dell’arte nel Medioevo. Studi in onore di Mario D’Onofrio, hg. v. Manuela Gianandrea et al., Rom 2015, 787–802. Herklotz, Ingo : Rezeptionsgeschichte, in : Metzler-Lexikon Kunstwissenschaft, hg. v. Ulrich Pfis terer, Stuttgart 22011 (2003), 391–394. 3
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12 | Peter Bell / Antje Fehrmann / Rebecca Müller / Dominic Olariu
Für uns als Herausgeberinnen und Herausgeber lag es damit sehr nah, einen Sammelband, der diese Herangehensweise in seiner ganzen Breite an Fallbeispielen erprobt, ihm als Festschrift zuzueignen.5 Die hier versammelten 28 Fallstudien folgen explizit oder implizit Herklotz’ Aufforderung, Kunstgeschichte (auch) als Rezeptionsgeschichte zu begreifen und zu schreiben : Sie fragen „nach dem Umgang und der Bewertung, die einzelnen Epochen, Kulturregionen, Künstlern, Kunstwerken und Artefakten außerhalb ihres unmittelbaren Entstehungsmilieus zuteilwerden“.6 Dem interdisziplinären Autorenkreis entsprechend wird auch die Rezeption von Texten analysiert. Mit d ieser Fragestellung, so breit sie im Einzelnen ausgelegt und auf ganz unterschiedlichen Wegen verfolgt wird, ist eine Grenze zum Ansatz der Rezeptionsästhetik gezogen, die das unmittelbare Verhältnis von Werk und Betrachtendem in den Blick nimmt und nach dem „Betrachter im Bild“ und den Rezeptionsvorgaben fragt. „Der Rezeptionsgeschichte geht es folglich nicht“, so Herklotz weiter, „um die Intentionen der jeweiligen Auftraggeber und Produzenten, sondern um die späterer, orts- oder mentalitätsfremder Rezi pienten, deren Erwartungen, Absichten, Kenntnisse, Fehl- und Vorurteile“, genauer „die vorwiegend intellektuell gesteuerte Aneignung und Ablehnung“.7 Anders als jüngste Sammelbände und Monographien zur Rezeptionsgeschichte, die bestimmte Gattungen, Epochen und Werke – etwa die antike Architektur,8 die antike Götterwelt,9 einzelne Texte,10 das Mittelalter11, American Art12 – innerhalb eines bestimmten zeitlichen oder kulturellen Rahmens13 befragen, auf einzelne Autoren14 oder Methoden15 fokussieren, geht der vorliegende Band epochenübergreifend vor und un 5 Vgl. die in Anm. 8 bis 14 angeführte Literatur, die nur eine Auswahl jüngst erschienener Publikationen darstellt. 6 So umreißt Herklotz die Fragestellungen der Rezeptionsgeschichte, vgl. Herklotz 2011, 391. 7 Herklotz 2011, 391. 8 Temple, Nicholas et al. (Hgg.) : The Routledge Handbook on the Reception of Classical Architecture, London u. a. 2020 ; zur Verwendung antiker Spolien sei hier exemplarisch genannt : Meier, Hans-Rudolf : Spolien. Phänomene der Wiederverwendung in der Architektur, Berlin 2020. 9 Rehm, Ulrich (Hg.) : Mittelalterliche Mythenrezeption : Paradigmen und Paradigmenwechsel, Wien 2018 ; id.: Klassische Mythologie im Mittelalter. Antikenrezeption in der bildenden Kunst, Wien 2019 ; Allan, Arlene et al. (Hgg.) : Herakles Inside and Outside the Church. From the First Apologists to the End of the Quattrocento, Leiden 2020. 10 Enenkel, Karl A.E./de Jong, Jan L. (Hgg.) : Re-inventing Ovid’s “Metamorphoses”. Pictorial and Literary Transformations in Various Media, 1400–1800, Leiden 2021. 11 Bushart, Magdalena : Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925, München 1990. 12 Hopkins, Claudia/Boyd Whyte, Iain (Hgg.) : Hot Art, Cold War – Southern and Eastern European Writing on American Art 1945–1990, New York/London 2021. 13 Effinger, Maria et al. (Hgg.) : Götterbilder und Götzendiener in der frühen Neuzeit. Europas Blick auf fremde Religionen (Ausst.Kat.), Heidelberg 2012. 14 Hurttig, Marcus Andrew et al. (Hgg.) : Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg, veränd., überarb. und erw. Neuaufl. Köln 2012. 15 Vgl. Maximilian Schich, Rezeption und Tradierung als komplexes Netzwerk : der CENSUS und visuelle Dokumente zu den Thermen in Rom, München 2009.
Zur Einführung: Rezeptionsgeschichte(n) | 13
terliegt keiner thematischen Einschränkung. Der Band ist nicht chronologisch oder nach Gattungen gegliedert, sondern systematisch nach Feldern, die für unterschiedliche Herangehensweisen und Fragestellungen im Rahmen der Rezeptionsgeschichte stehen : In einigen Kapiteln liegt das Verbindende in dem, was rezipiert wird, in anderen liegt der Schwerpunkt auf den Rezeptionsprozessen, ihren Akteuren sowie den mit ihnen verbundenen medialen Verschiebungen ; ein Kapitel fragt nach kritischen Auseinandersetzungen, die bis zu einer Verweigerung von Rezeption reichen. Damit eröffnet jedes Kapitel ein diachrones Spektrum an Fallbeispielen zu einer spezifischen Problemstellung der Rezeptionsgeschichte. Innerhalb der durch die Kapitel markierten Systematik folgen die Beiträge dann der zeitlichen Stellung der in ihnen behandelten Artefakte. Angesichts der Schwerpunkte von Ingo Herklotz’ eigener Forschung überrascht es nicht, dass viele Autorinnen und Autoren die Auseinandersetzung mit der Antike in den Mittelpunkt stellen. R ezeptionen der Antike stehen so auch am Anfang des Bandes. Hierbei wird die Stärke des Rezeptionsbegriffs besonders deutlich : Mit ihm können aktiv gestaltete Prozesse von Aneignung und Auswahl ebenso wie Rezipienten als handlungsmächtige Akteure beschrieben werden und damit Konzepte, die mit der Verwendung von Termini wie „Einfluss“, „Wirkung“ und „Nachleben“ bereits in der Wahl der Begrifflichkeit von vornherein ausgeschlossen erscheinen.16 In diesem ersten Kapitel, welches das Thema vom 11. bis zum 18. Jahrhundert verfolgt, steht zum einen der Umgang mit den materiellen Überresten zur Diskussion, der unter dem Stichwort der spolia ein mehr denn je aktuelles und sich weiter differenzierendes Forschungsgebiet markiert. Zwei Beiträge analysieren die Verwendung antiker Spolien in der Architektur und können sowohl für das Hochmittelalter als auch noch für die Neuzeit mit diesem „Gebrauch“ von Antike plausibel politische Konnotationen verbinden, ohne dass sie eine eindimensionale oder plakative Legitimationsstrategie postulieren. Zum anderen sind Aneignungen durch den zeichnenden, malenden und dichtenden Künstler behandelt. Zumal die dabei angesprochene aemulatio, der Versuch, einem Vorbild auf Augenhöhe zu begegnen oder dieses zu übertreffen, erweist, dass Rezeption und Innovation keine Gegenbegriffe sind. Unter der Fragestellung, wie byzantinische Kunst und Architektur – oder : was man für „Byzanz“ hielt – transkulturell rezipiert wurde, führt das dem R esonanzr aum Byzanz gewidmete zweite Kapitel bis in die Moderne. Die Beiträge widmen sich der Architektur, der Kirchenausstattung mit Mosaiken und der Ikonenmalerei. Sie erweisen in ihrer Zusammenschau ein besonders breites Spektrum von produktivem Missverständnis, manipulativer Veränderung und Aneignung als Vehikel für Neues. Die Frage, inwieweit Re-Lektüren und veränderte Textgattungen sowie mediale Sprünge zwischen Bild und Text als das eigentlich Bestimmende eines Aneignungspro16 Vgl. Baader, Hannah : Einfluß, in : Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, hg. von Ulrich P fisterer, Stuttgart/Weimar 22011 (2003), 96–99, und den Band : Pfisterer, Ulrich/Tauber, Christine (Hgg.), Einfluss, Strömung, Quelle. Aquatische Metaphern in der Kunstgeschichte, Bielefeld 2018.
14 | Zur Einführung: Rezeptionsgeschichte(n)
zesses wirken können, ist eine grundsätzliche Überlegung (auch) einer kunsthistorischen Rezeptionsgeschichte. Das folgende Kapitel III Lesarten. Intertextual ität und Medienwechsel setzt hier an. Prestigeträchtige Texte auf einem Gebrauchsgegenstand, literarische Auseinandersetzungen mit Werken der bildenden Kunst und ein Text über einen Text stehen hier exemplarisch für die „Sprünge“, die Rezeptionsprozesse als nicht gradlinig und teilweise ganz unvorhersehbar charakterisieren und umso mehr nach der Relevanz und Aufladung dessen fragen lassen, was rezipiert wird. Der neuzeitliche Blick auf die frühchristliche und mittelalterliche Kunst, der sich dieser Vergangenheit und ihrer Zeugnisse in vielfältiger Weise bemächtigte, bildet einen weiteren Schwerpunkt in den Forschungen von Ingo Herklotz, und Aneignungen des frühen Christentums und des Mittelalters sind auch Thema eines umfangreichen Kapitels (IV). Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der frühen Katakombenforschung und unterschiedlichen Formen ihrer legitimatorischen Vereinnahmung, aber auch Eingriffe in die materielle Überlieferung durch historisch interessierte Auftraggeber und Architekten werden diskutiert. Mit dem Kapitel V R ezeption als Selbst vergewisserung rücken dann die Ansprüche und Ziele ins Zentrum, die mittels Rezeption verfolgt wurden, beziehungsweise das Verständnis, das die Rezipierenden von einem Kunstwerk entwickelten. Erneut steht hier in zwei Beiträgen die Aneignung der Antike zur Diskussion, an dieser Stelle betont als die Indienstnahme spezifischer Bildinhalte und Medien. Dem Umgang mit dem „Künstlergenie“, in diesem Fall Raffael, widmen sich zwei Beiträge. Sie machen deutlich, inwieweit das Konzept von „Genie“ und „Einfluss“ neu zu denken ist, denn es ist das bewusste Aufgreifen durch die Rezipienten (hier auch : Sammlerinnen), das betont wird. Rezeption als künstlerischen Transfer untersucht Kapitel VI unter dem Titel Künstler und Bilder auf R eisen. Topischen Konzepten wie der inspirierenden Italienreise und einer auf Sehenswürdigkeiten ausgerichteten Grand Tour werden hier andere, individuelle Motivationen gegenübergestellt. Den Band beschließt ein Kapitel zu R ezeptionsverweigerung und Kritik, wie sie in ihrer bewussten Distanzierung zum Paradigma vielleicht die radikalsten Formen der Rezeption bilden. Die drei hier versammelten Beiträge thematisieren die öffentliche Kritik an Kunstwerken selbst und an der Idealisierung einer spezifischen Epoche ebenso wie die Abwendung von vermeintlich normativen antiken Vorbildern durch die Auftraggeber. Sie stellen damit Fallbeispiele dafür vor, wie Rezeption in Resistenz, Anfechtung und Protest um eines bestimmten Zweckes willen umgemünzt wird. Den unmittelbaren Anlass für diesen Band bilden der 65. Geburtstag von Ingo Herklotz und seine Emeritierung. Die Herausgeberinnen und Herausgeber möchten mit ihm ihre Verbundenheit mit dem Geehrten und ihren Dank an den Lehrer und Doktorvater ausdrücken. Das Erscheinen dieses Bandes verdankt sich der vielfältigen Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen. Dabei geht unser erster, besonderer Dank an die
Zur Einführung: Rezeptionsgeschichte(n) | 15
Autorinnen und Autoren, die in einer für viele schwierigen Situation an unserem gemeinsamen Vorhaben eines thematisch fokussierten Sammelbandes festgehalten haben. Wir freuen uns sehr darüber, dass Julian Gardner den Band um ein persönliches „Portrait“ bereichert hat, das die Widmung an Ingo Herklotz unterstreicht. Die tabula gratulatoria spiegelt darüber hinaus die Wertschätzung und Freundschaft wider, die dem Jubilar weit über die Disziplin der Kunstgeschichte hinaus entgegengebracht wird. Die dort Genannten haben durch ihre finanzielle Unterstützung die Drucklegung in der vorliegenden Form möglich gemacht. Dafür sind wir auch Hubert Locher, der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung (Kunstgeschichte), Marburg / Lahn, und der Richard Stury Stiftung verbunden. Für ihre Hilfe in der Planungsphase danken wir Bettina Morlang- Schardon sowie insbesondere Angelika Fricke, die uns ebenso wie Lara Frentrop, Maëva Lacotte und Dirk Suckow auch in der Redaktion intensiv unterstützt hat. Nicht zuletzt möchten wir uns bei dem Verlag und namentlich Kirsti Doepner für die gute Zusammenarbeit bedanken.
I. Rezeptionen der Antike
Valentino Pace
Ritorno alla “Trinità” di Venosa : dove l’antico diviene contemporaneo* Ho conosciuto Ingo, nella Bibliotheca Hertziana nel 1980, quando lui era da poco borsista e studiava per completare la sua Dissertation, che sarebbe poi rifluita nel suo fondamentale volume sui Sepulcra e monumenta. Ingo si accostò a me sui gradini dell’Alter Lesesaal della Biblioteca, dovendo aver saputo che mi occupavo di scultura romanica campana (il mio libro Zodiaque sulla Campania, scritto con Mario D’Onofrio, era in corso di stampa) e mi apostrofò : “Sind Sie Valentino Pace, der große Experte der campanischen Skulptur ?” Pronunciate con cortesia, ma, chi sa, quasi con un filo d’ironia (come talvolta gli capita quando esprime giudizi), quelle parole naturalmente mi colpirono e di certo mi lusingarono. Sta di fatto che così ci conoscemmo e, come è avvenuto per anni e anni con tanti altri visitatori della Biblioteca, divenimmo amici. Anni dopo, nel 1985, ambedue venimmo invitati al convegno su Roberto il Guiscardo, organizzato per la giovane Università della Basilicata di Potenza da Cosimo Damiano Fonseca.1 Sia Ingo che io rivolgemmo la nostra attenzione sulla Trinità di Venosa, lui per un approfondito studio sulla cosiddetta “foresteria” dell’abbazia, io su questioni della prima scultura normanna fra Puglia, Basilicata e Campania. Quest’occasione mi pare dunque adatta a riaffrontare questo monumento, da parte mia con un’ottica circoscritta al solo segmento cronologico di secondo XI secolo della sua facciata, per sottolinearne l’importanza soprattutto alla luce dei molteplici aspetti d’interesse, discussi per la prima volta così approfonditamente da Ingo.2 Non è più possibile oggi esperire dall’esterno la visione del blocco edilizio unitario di chiesa e palazzo abbaziale (espressione che mi pare più consona a quella di “foresteria”, derivata da un suo uso tardivo per tale funzione), quale essa era al tempo in cui ne venne costruita la facciata con la sequenza di arcatelle che doveva caratterizzare il prospetto così fortemente.3 Essa è stata infatti mascherata dalla parete duecentesca del *
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A conclusione di questo scritto mi fa piacere ringraziare Guglielmo Villa, la cui competenza di architetto mi è stata essenziale per addentrarmi nei quesiti strutturali e nelle modalità di studio del “palazzo abbaziale”, visitato insieme. Non meno preziosa la sua campagna fotografica, una piccola parte della quale correda queste pagine. Fonseca (a cura di) 1990. Rinvio ad Herklotz 1990 per la bibliografia a lui precedente, fatti salvi i due studi più importanti, di Bordenache 1937 e Bozzoni 1979 (oltre che il suo stesso del 1985, 49–84). In seguito solo Claussen 1996 e Bozzoni 2006 e 2008 hanno offerto nuove letture interpretative della facciata dell’edificio. Per una recente sintesi Bertelli 2015. Essenziale per il quadro storico-documentario Houben 1995. È merito di D’Onofrio 1997, 115, aver esplicitamente sostituito il termine corrente di “foreste-
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rinnovato palazzo duecentesco (Fig. 1) nella quale si apre l’odierno ingresso nell’atrio (il Vorbau di Herklotz) affiancato dai due possenti leoni romani, qui posti verosimilmente nel 1569 stando alla data iscritta su un sovrastante stemma, se non addirittura più di recente.4 Nell’intercapedine fra questa parete esterna e la facciata ad arcatelle sale la scala (Fig. 2) che, iniziando dall’atrio, conduce al piano superiore dell’edificio.5 Del tutto verosimilmente il 1287, data in cui Magister Palmerius firmò il maestoso portale che conduce dall’atrio alla chiesa, segna la conclusione di un’ampia fase di lavori che dovettero non solo coinvolgere la ricostruzione duecentesca di questo edificio (con la conseguente costruzione della scala), ma alterava anche quello spazio che poteva essere stato concepito in origine anche per ospitare alcune delle sepolture degli Altavilla.6 Nel sistema architettonico progettato e realizzato nell’XI secolo la facciata si doveva aprire con arconi alla quota dell’ingresso, sovrastati al piano alto da una serrata sequenza di arcatelle con retrostante muratura, che proseguiva sia a sinistra che a destra.7 Dev’essere stata una scelta, questa, che essendo sconosciuta nell’Italia meridionale prenormanna ed avendo trovato un’immediata anticipazione nella Sant’Eufemia di Robert de Grandmesnil, può ben essere stata suggerita da preesistenti modelli visti in Normandia.8 Ancor di più lo sarebbe per la presenza delle due torri, di cui si conria” con quello di “palazzo abbaziale”, come a tutti gli effetti dové essere, ma la sua importante annotazione attende ancora un adeguato sviluppo. 4 Sottolineato infatti che il disegno del selciato sottostante ai leoni ne evidenzia un’ancora recente rimessa in posa, non può escludersi che essi siano stati qui disposti sin dal tempo della costruzione del Palazzo abbaziale, per via della frequente presenza di leoni di spoglio in edifici normanni. La data del 1569, riferita dalla sovrastante iscrizione, sembra comunque più verosimile. Ambedue i leoni sono stati catalogati da Todisco 1996, 22–23 (Ba1) e 35–36 (Bf1). 5 Bozzoni 1979, 31, tav. III ; Herklotz 1990, figg. 2, 3, 4 e 6. I primi gradini, ruotati di 90 gradi rispetto alla scalinata sono moderni. 6 Per il portale di Palmerio v. Claussen 1996 ; Dietl 2009, Kat.Nr. A779, 1740–1742 ; Bertelli 2015, 206–235. Per qualche spunto di ulteriore riflessione sull’ambizioso progetto del “pantheon” degli Altavilla, v., dopo Herklotz 1985 e 1990 ; Aceto 2007, 410–411 ; Pistilli 2010, 392, nota 41. Sulle sepolture, di recente : Derosa 2014. 7 Herklotz 1990, 254–267, prevedeva invece arcatelle aperte per dare luce alla retrostante aula ; ma contra, per ragioni strutturali, v. Claussen 1996 e Bozzoni 2006 e 2008. Una risposta sicura a tale quesito potrà venire solo da un’accurata mappatura delle murature in alzato (inservibili purtroppo quelle rifatte dopo la loro distruzione col sisma del luglio 1930 : Galli 1932). Al di sopra delle arcatelle è presente una monofora che, a giudicare dagli stipiti, potrebbe essere stata nell’XI s. l’unica fonte di luce dalla facciata ; Herklotz 1990, figg. 4 e 6 la ritiene implicitamente di inserzione posteriore. 8 Per labili tracce delle arcatelle cieche a Sant’Eufemia : Tabanelli 2019, 29. Bozzoni 1979, 62 e 97–98, nota 156 cita per “il tema della loggetta ad arcate […] sulla facciata occidentale” le chiese di Meauvaines, Bieville, Mouen, Thaon e Ouistreham, aggiungendovi, quella di Maule (Seine et Oise) per il suo triforio cieco, dalla “analogia molto precisa, nelle proporzioni e nei ritmi”. Pur se in una diversa funzione spaziale (una cripta) mi pare comunque interessante anche il confronto delle arcatelle venosine con quelle di XI s. della cripta di Saint-Aignan a Orleans : Ottaway 1987, Martin 2001. Incidentalmente, mi sembra opportuno sottolineare e porre in parallelo, pur con la dovuta differenza fra il contesto francese e la specifica intrinsecità del proprio passato monumen-
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Fig. 1 Veduta dell’abbazia di Venosa
Fig. 2 Arcatelle di facciata della chiesa di XI secolo
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servano tracce, allineate all’attuale parete d’ingresso alla chiesa, se non sussistessero ragioni che inducono a una ragionevole prudenza : il quesito sulla loro progettazione e sull’avanzamento della loro costruzione, poi non completata, dovrà in futuro essere necessariamente discusso contestualmente all’approfondimento dei risultati di scavo e di mappatura delle murature.9 La facciata ad arcatelle, fortemente caratterizzata dall’utilizzazione di spolia e da imitazioni dall’Antico, doveva dunque imporsi come fronte rappresentativo del palazzo abbaziale e dell’adiacente chiesa, sede prestigiosa delle sepolture di Roberto e degli Altavilla. Nell’aula al piano superiore del palazzo è ben possibile che fossero previste cerimonie pubbliche legate alla presenza dell’abate e del duca. Le nove arcatelle superstiti poggiano in maggioranza su tozze colonne, ma anche su un cippo romano (oggi visto come se fosse al centro, ma non così in origine) e su due statuarie figure monumentali, sicuramente una (alla sinistra di chi guarda) di telamone (Fig. 3) e un’altra ritenuta anch’essa tale (Fig. 4), pur se frammentarietà e corrosione del tufo, su cui questa e l’altra sono state scolpite, possano lasciare adito a qualche motivato dubbio sull’identificazione della seconda. Dei capitelli sopra i fusti delle colonne uno rappresenta un bicorporato, ovvero due fiere convergenti sull’angolo con un’unica testa, mentre gli altri hanno il calato rivestito di semplici forme fogliate su cui poggiano pesanti abachi quadrangolari, rettilinei o sgusciati, sovrastati in un paio di casi da un’inconsueta scalettatura. Sottostante il piano di posa delle colonne corre una cornice figurata (Fig. 5) che reinterpreta inventivamente un fregio dorico, con metope quadrate o rettangolari, dalle immagini assai corrose fra le quali si possono riconoscere almeno un’ampia foglia, un bucranio, una triade di teste umane e due quadrupedi di profilo, testimonianza anch’esso di un’attenzione all’antico che è sporadicamente ribadita sulle murature del tale nella chiesa Lucana, l’attenzione verso l’antico alla Trinità di Venosa e nella cripta di Saint Aignan al cui proposito v. anche Barral i Altet 1987. Per Robert de Grandmesnil v. infra nel testo e alla nota 19. 9 Manca un’edizione sistematica degli scavi degli ultimi decenni del secolo scorso, in particolare del settore occidentale del complesso. Per alcuni riferimenti in merito v. Salvatore 1996 e 1997. Utilmente informativo sull’intera traiettoria dalla Tarda Antichità al Medioevo è lo studio di Cirsone 2011. Per una sintesi critica e un recente aggiornamento sulle preesistenze di età tardoantica v. Sogliani 2018 (studiosa adesso impegnata, assieme a M. L. Marchi, in uno studio sulle trasformazioni urbane di Venosa, dall’età romana al medioevo, comprensivo dell’area su cui insiste il complesso della Trinità). Pur nella loro insufficienza, i dati disponibili sono stati utilizzati con competenza da Bozzoni 2006 e 2008. Pistilli 2010, 386, nota 26, non ha esitato a riconoscere “la mano benedettina e normanna nelle due torri aggiunte in facciata”. L’indiscutibile mancanza di un allineamento con la facciata ad arcatelle potrebbe in linea teorica farle presumere vittime di una variante in corso d’opera, che avrebbe determinato la rinuncia alla loro costruzione. La presenza delle torri di facciata trova comunque nel meridione d’Italia un antico esempio nel “carolingio” Ostwerk (visto l’orientamento a occidente) dell’ecclesia maior di San Vincenzo al Volturno (su cui v. Hodges et al. [a cura di] 2011) : In età normanna ne sarebbero utili riferimenti gli esempi nella Normandia stessa, al cui proposito v. Musset 1987, Baylé 1997 e Chaix 2011. Per un più ampio spettro di XI s. v. anche Barral i Altet 1987.
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Fig. 3 Telamone della facciata
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Fig. 4 Personaggio seduto (telamone o Autorità ?)
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Fig. 5 Part. della facciata : cippo romano e imitazione di fregio “dorico”
palazzo e dell’atrio, all’esterno e all’interno, trovando soprattutto una precisa conferma di successiva continuità negli spolia sui muri della basilica “incompiuta” : fregi, lastre con ritratti funerari e sculture leonine, oltre al marmo di rivestimento parietale, tratto dagli edifici della romana Venusia.10 Le due figure di quadrupedi offrono un esempio di rielaborazione inventiva, senza riscontro nel vocabolario classico, ribadita significativamente nella scelta del capitello con il bicorporato, l’unico completamente privo di un pur semplificato fogliame. Tra i più antichi del suo “tipo” la sua presenza vale qui come ulteriore segnale di una precoce importazione da modelli del Nord, che fosse il ducato di Normandia o il regno di Francia, manifestandovisi l’apprezzamento per una forma figurativa scultorea prima del tutto sconosciuta in Italia meridionale. Entro il fine secolo i bicorporati, come ha ben osservato il Nostro (e come già allora insistevo anch’io e ancor di recente ho ribadito) appaiono infatti con forme vigorose e pienamente solidali alle superfici architettoniche da Salerno a Brindisi a Bari e altrove in Puglia, ma sempre sotto committenza nor manna.11
10 Lachenal 1996, ivi in part., alle figg. 49 e 72 per due esempi di fregio dorico inseriti sulle pareti esterne dell’“incompiuta”. V. anche Todisco 1996, sub “X”, 66–77. 11 Herklotz 1990, 247–248 ; Pace 2019 e anche 2020, per i casi brindisini di Sant’Andrea dell’Isola e di San Benedetto.
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Più isolate in una prospettiva genetica sono invece le due figure statuarie, ambedue le quali lasciano per diversi motivi tanto sorpresi quanto perplessi. La prima, sulla sinistra, il cui stato di conservazione ne permette ancora una valutazione non approssimativa, rappresenta, come detto, un telamone (Fig. 3) : seduto (come evidenziano le ginocchia frontali), ha ambedue le braccia stese in avanti (gomiti in vista) e alzate, con le palme delle mani aperte, oggi informi, nell’atto di sorreggere la tavoletta (sulla quale si scarica l’arco) cui aderisce anche la testa, dai capelli forse divisi da una scriminatura centrale e ricadenti sui lati all’altezza dell’orecchio ; il suo viso, pur se corroso, appare ben modellato, scorgendosene almeno la collocazione degli occhi, del naso e della bocca ; non nudo, come nell’antichità, il suo abbigliamento consiste in una veste lunga fin quasi alle caviglie, che lasciano in vista le calzature allineate frontalmente su una sorta di suppedaneo a tavoletta ; al di sopra della veste gira sul busto con una larga curva, ricadendo con dense pieghe dalla spalla sinistra, una sorta di manto forse di malintesa ispirazione da una toga, o in qualche modo di imitazione dell’abbigliamento maschile come nella stele funeraria posta all’incirca un paio di decenni dopo sopra il portale d’ingresso nel transetto settentrionale della chiesa “incompiuta” (Fig. 6).12 L’altra figura (Fig. 4) ha una impostazione del tutto diversa, dando l’impressione di volersi distaccare dal fondo, quasi come una figura dipinta su un fondale colorato ; seduta, con piena evidenza del sedile, il corroso blocco di ambedue le sue spalle non permette più di comprenderne l’articolazione delle braccia. Testa e corpo sono frantumati o corrosi e dell’abbigliamento resta solo la cintura che stringeva alla vita una sorta di gonnellino, che copre le ginocchia fin sotto al polpaccio. I piedi, nelle calzature frantumate e corrose anch’esse, poggiavano su una tavoletta, forse un suppedaneo. Per queste caratteristiche e con la prudenza dovuta ai limiti della sua leggibilità, è lecito almeno sospettare che, diversamente da quanto finora supposto, non si sia qui davanti a un telamone impegnato a sostenere il sovrastante peso, ma a un’Autorità “intronizzata”, forse addirittura nell’atto di impugnare un’asta, quasi fosse uno scettro, con tutta la conseguente difficoltà di maggiori precisazioni identificative.13 È indubbio comunque che queste due figure antropomorfe sembrano volersi riappropriare di un’antica dimensione di statuarietà monumentale, reinterpretata in termini creativi, affiancandola agli altri segni di antichità, veri (di reimpiego) o imitati. Sebbene venga infatti spontaneo di confrontare la prima delle due ai celebri e insigni telamoni di cattedrali come quelle di Cremona, Piacenza o Ferrara, bisogna anche ammettere che l’esito figurativo venosino non può che suggerirne una sorprendente in12 Lachenal 1996, 13 e figg. 14–15. 13 Alla singolarità di questa figura seduta non ha mancato di rivolgere l’attenzione Herklotz 1990, 251s., ben marcandone la differenza di “Hoheitsgeste” rispetto al motivo dell’“Unterdrückens” tipico degli Atlanti antichi e dunque del telamone di sinistra. Nell’eventualità di una (straordinaria) presenza di personaggio “storico” (Roberto il Guiscardo ? !) e dunque sull’“Ideologia e la rappresentazione del potere nel mezzogiorno medievale” v. Speciale 2014. Nei telamoni padani è stata supposta la possibilità di valenze politiche con allusioni imperiali da Verzár Bornstein 1988.
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Fig. 6 Portale sul lato ovest del transetto nord : stele funeraria e leoni di reimpiego
dipendenza genetica e autonomia.14 La precocità di data di queste sculture, che implica la loro anteriorità sugli esemplari padani, trova d’altronde conferma sia soprattutto nella datazione unanime della facciata stessa in un decennio di fine XI secolo, sia pure nel confronto con la scultura di fine XI sui capitelli del deambulatorio e, in primissimo luogo, con il noto capitello fuori opera trasformato in acquasantiera.15 14 Per gli esempi citati e altri v. Romanini 1985, 32–33 (Piacenza), 152–153, 158 (Ferrara) ; Poeschke 1998, pl. 42 (Piacenza), 54 (Ferrara), oltre alle monografie di Klein 1995 per Piacenza, di Calzona 2009 per Cremona, di Boscolo Marchi 2016 per Ferrara. Per la tradizione e ricezione di questo motivo antico, oltre a quanto ne scrive Herklotz 1990, 249–252 e alle voci enciclopediche, v. adesso Franzoni 2003 e soprattutto Klein 2018, importante per la traiettoria di XII e XIII s. Un telamone nudo “di età tardorepubblicana-primoaugustea” (Todisco) lo si vede ancor oggi inglobato nella muratura di palazzo Dardes a Venosa : Todisco 1996, XI.1 ; Salvatore 1997, 57, fig. 76. 15 Per Bozzoni 1979, 64 l’atrio è del 1070–1080 ; per Herklotz 1990, 254–255 il “Vorbau” con la facciata non va oltre il 1085 ; per Claussen 1996, 55, l’“Avancorpo” è “della seconda metà dell’XI secolo, forse degli anni ’70”. A loro volta i capitelli del tornacoro venosino vennero anche da me datati alla fine dell’XI secolo (Pace 1990), così pur in seguito, fra gli altri, da D’Onofrio 2001 e 2006, da Aceto 2007. Non solo dopo gli studi della Lachenal 1996 (con la sua sintesi del 1998) e D’Onofrio 1997, ma già da immediatamente prima per l’evidenza storica sottolineata da Houben (v. infra, nota 22), la datazione di XI s. della fase iniziale dell’“incompiuta”, è divenuta inoppugnabile ed ha acquistato unanime consenso. Per la foto del capitello-acquasantiera : D’Onofrio 2001, fig. 10
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Caratterizzato con diversa forza dalla bipolarità di modelli dalla Normandia e dall’Antichità, il progetto del rinnovamento architettonico dell’abbazia venosina r iflette una sicura convergenza delle volontà dei dinasti normanni e degli abati. Anche se nessun nome emerge dai documenti è comunque risaputo e non c’è dubbio che fossero il conte Drogone (morto già nel 1051) e l’abate Ingilberto a svolgervi inizialmente il ruolo-guida, come si deduce in sintesi dal documento emesso a Melfi il 25 agosto 1059, dove al destinatario “carissime fili Ingilberte” papa Nicola II scrive che il “monasterium Sanctae Trinitatis […] labore extructum a Dregone comite restaurari ceptum per te”.16 Pur se alla consacrazione della chiesa abbaziale, avvenuta il 17 agosto 1059, doveva essere già stato presente Roberto il Guiscardo che, succeduto al fratello Umfrido (“comes” dal 1051 al 1057) era stato da pochi giorni investito dal pontefice del titolo ducale sulla Puglia, Calabria e Sicilia, di lui non si fa cenno. È solo nell’ottobre 1069 che è documentariamente testimoniata la decisione del nuovo duca di traslare a Venosa le spoglie di Guglielmo “Braccio di ferro” e Drogone, segno concreto della realizzazione di quel pantheon degli Altavilla che poté allora essere concepito (se non lo era già stato prima).17 Ed è proprio a fine anni ’60 che l’abbazia, in florido stato economico per via delle numerose, ripetute donazioni dalla fine degli anni ’50 e lungo il decennio successivo, venne ad essere retta da un personaggio di tutto rilievo : l’abate Berengario. Eletto alla successione di Ingilberto durante il papato di Alessandro II (1061–1073) a una data comunque successiva al giugno del 1066 (quando Ingilberto è ancora documentato nel suo ruolo) e di sicuro anteriore al settembre 1071, Berengario era stato monaco a Saint-Evroul d’Ouche, in Normandia, da dove era partito al seguito del suo abate esiliato, Robert de Grandmesnil, che a sua volta lo nominò abate della Trinità di Venosa, affidatagli dal Guiscardo insieme con i monasteri calabresi di Sant’Eufemia e di Mileto. Di cultura solida, Orderico Vitale nella sua Historia Ecclesiastica non ne risparmia lodi così descrivendocelo : “Hic nobili parentela exortus […] peritiaque legendi et canendi, optimeque scribendi floruit.”18 Berengario sembra corrispondere perfettamente al modello dell’abate benedettino che, come stava avvenendo proprio negli stessi anni con lo stesso Robert de Grandmesnil, sa gestire i multiformi impegni del suo monastero, attendendo anche alle cure della nuova veste edilizia. La memoria dell’antico vissuta quotidianamente nella stessa Venusia combinata con la memoria della Normandia, attivata anche dall’associazione personale con l’esperienza progettuale e costruttiva di Grandmesnil in Calabria (Sant’Eufemia e Mileto in primis), poterono ben plasmare in Berengario l’idea di articolare questa facciata nel segno di questa bipolarità, sapendo farla di certo apprezzare al Guiscardo, sottolineandone gli aspetti trionfali degni del mausoleo di famiglia che
16 Houben 1995, 135–139 e doc. 8, 238–241. 17 Per Herklotz 1985, 50, le sepolture degli Altavilla iniziarono già negli anni ’50, ma per Houben 1995, 139–148 (in part. nota 31) il documento utilizzato nel merito da Herklotz è inattendibile. 18 Houben 1995, ibid., in part. 142, nota 46 per la citazione di Orderico.
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era di certo quel che gli stava più a cuore.19 La risonanza trionfale e imperiale della “romanità” a vantaggio del duca avrebbe d’altronde raggiunto il suo acme nelle ben note iscrizioni celebrative della cattedrale di Salerno.20 È sulla facciata venosina che inizia un percorso di recupero dell’Antico – “eine bemerkenswerte Empfänglichkeit für die Antike”, come ha ben scritto il Nostro.21 Esso assumerà ancora più evidenza sulla chiesa “incompiuta”, permettendo di accreditare a Berengario sin dagli inizi il progetto stesso, cui poté ancora dedicarsi fino alla morte (avvenuta dieci anni dopo quella del Guiscardo nel 1095) ancora nella carica di abate, ma nel frattempo divenuto anche vescovo della diocesi venosina.22 L’utilizzazione di “antichità”, come in primis il quadruplice gruppo sepolcrale, affiancato dai due leoni, posto in piena vista sopra l’ingresso del transetto settentrionale (Fig. 5) – qualunque sia stata l’identificazione dei suoi ritrattati e il decennio di XI secolo in cui ne avvennero collocazione e, verosimilmente, rilavorazione dei volti – testimonia esemplarmente una continuità di idee nella gestione progettuale delle due chiese : la chiesa “vecchia” con la sua “nuova” facciata e la chiesa “nuova” che il disordine dei tempi successivi avrebbe condannato a restare incompiuta.
19 In parallelo con quanto ne ha scritto la Falkenhausen (1975, 140) a proposito dell’amministrazione del suo ducato, si può infatti dire altrettanto dell’impossibilità del Guiscardo, qui e altrove, di un personale coinvolgimento progettuale negli edifici legati al suo nome, visti i suoi continui, ininterrotti impegni e spostamenti nei suoi territori apulo-calabresi e altrove. In merito e più ampiamente sulla figura del Duca v. la preziosa sintesi storiografica di Delogu 1984, in part. 87–114, oltre agli Atti del convegno del 1985 (Fonseca 1990). Per le fondazioni di Robert de Grandmesnil in Calabria v., dopo Bozzoni 1979, i saggi di Giuseppe Occhiato, confluiti adesso in Occhiato 2017 (in particolare il suo del 1987, pur se la sua piena equiparazione di Robert de Grandmesnil ad un “architetto”, lascia un tantino perplessi) ed adesso Tabanelli 2019. 20 Delogu 1977 ; Petrucci 1986 ; Pace 1997. Diversamente da quanto altrove scritto (Pistilli 2010, 411) non credo affatto che l’operazione venosina di recupero dell’antico vada inquadrata nella Renovatio della chiesa di Roma, bensì proprio nel contesto intellettuale e a suo modo ‘laico’ dell’ideologia guiscardiana del potere (a Salerno manovrata da Alfano sulla linea romana). 21 Herklotz 1990, 254. Resta aperta la questione delle conoscenze letterarie dei “classici” che poterono incrementare questo culto dell’antichità romana. Per quel che concerne l’ambiente italiano ancora oggi si deve rinviare ai pionieristici contributi di Cavallo e Bertelli, ambedue del 1975, integrato da Orofino 2019 ; per la Normandia utili spunti in Bauduin/Lucas-Avenel 2014, dove emerge con particolare rilievo l’interesse per Sallustio (per l’Italia meridionale Orosio e Ovidio). 22 Houben 1995, 128 : “Der Bau dieser Kirche kann […] nur während der letzten Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts begonnen worden sein, als die Abtei unter Abt Berengar eine hervorragende Rolle spielte und den Höhepunkt ihrer religiösen Ausstrahlung erreichte. Nur damals war das von Robert Guiscard zur Grablege der Hauteville-Dynastie bestimmte Kloster wirtschaftlich in der Lage, ein so aufwendiges Bauprojekt zu beginnen”.
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Christian Freigang
Die Italian Connection ? Bau, Bild und Text bei Jean Lemaire de Belges
I Die Entstehung der „französischen Renaissance“ wird zumeist als ein Transferprozess beschrieben, bei dem – wesentlich befördert durch die italienischen Kriege Frankreichs um 1500 – Protagonisten wie Künstler, Agenten und Mäzene, aber auch Werke und Materialien, schließlich auch Bildkonzeptionen (Perspektivkonstruktion) und künstlerische Wertschätzungen (antike Ruinen) in französische Kontexte integriert wurden.1 Außergewöhnlichen Einzelfiguren scheint hier eine wichtige Rolle zuzukommen : Fra Giocondo als italienischer Werkmeister in Paris, Jean Pélerin mit seinem Perspektivtraktat, Pierre Sala als früher „Antiquar“, Jean Perréal als ein Maler zwischen Paris, Lyon und Oberitalien, um nur einige Figuren zu nennen. Auch der Dichter Jean Lemaire de Belges gehört zu solchen Vermittlerfiguren, denn sein Werk gibt zahlreiche Hinweise auf die Rezeption antiker und italienischer Kunst und Literatur.2 In der Kunstgeschichte ist er vor allem dafür bekannt, dass er in bemerkenswerter Dichte die Namen von Künstlern der Antike, der italienischen Renaissance sowie der jüngeren und zeitgenössischen franko-flämischen und deutschen „Kunstszene“ nennt.3 Exemplarisch kann anhand von Lemaire deutlich gemacht werden, dass die Rezeption von italienischen und antiken Konzepten nicht als „Errungenschaften“ innerhalb einer weitgehend unsystematischen Flamboyantkunst ohne schriftliche Konzeptualisierung zu gelten hat. Lemaire schreibt vor dem Hintergrund einer Dichtungstheorie, die auf handwerklich-formalen Qualitätskriterien und ihrer virtuosen Beherrschung basiert und die dabei teilweise explizit architektonische und kunsthandwerkliche Verfahren als Vergleiche benennt. Der höfische Entstehungskontext dieser Texte deutet an, wie konstitutiv die hier vermittelte ‚spätgotische Kunsttheorie‘4 war, vor deren Hinter grund erst die zunehmenden Referenzen auf Antike und Italien zu bewerten sind. Grob vereinfachend beruhen die Konzeptionen der spätgotischen Architektur und Objektkunst – im Kontrast zu neuzeitlichen, komplexen Regularien der bildhaften Repräsen 1 2 3 4
Lévy 2017a ; Virassamynaïken 2015 ; Kavaler 2012 ; Hourihane 2011 ; Bresc-Bautier 2010 ; Zerner 2002. Hierzu zuletzt ausführlich Fontaine 2001, III–LXXXV ; Jodogne 1972 ; Stecher 1882–1891. Duverger/Duverger-Van de Velde 1967 ; zuletzt Hindriks 2019, 67f., 302f. Nicht gleichzusetzen mit der in der letzten Zeit oftmals behandelten, aber eben nicht schriftlich dokumentierten „gemalten Theorie“, die insbesondere für Bilder Jan van Eycks in Anspruch genommen wird.
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Abb. 1 Cambridge, University Library, ms. Nn. III. 2 : Les Douze Dames de Rhétorique, fol. 36v : Deduccion loable
tation folgenden Kunstauffassungen – auf produktionsästhetischen Bewertungen : Die virtuose Bearbeitung des Naturmaterials hebt nicht primär auf die Mimesis eines – konzeptuellen oder konkreten – Vorbilds ab, sondern intendiert, ein die Naturhaftigkeit transzendierendes, inkommensurables artificium bzw. merveille zu realisieren (nicht zu repräsentieren).5 Es ist diese Wertschätzung des technologisch vollendet erstellten Wunderwerks, die seit dem späten 15. Jahrhundert auch vermehrt Eingang in die literarische Fiktion von Kunst- und Bauwerken bzw. von deren Werkgenese und Wertschätzung findet. Kronzeugen dafür sind insbesondere die sogenannten „Rhétoriqueurs“, also höchst gebildete Hofchronisten, darunter Georges Chastellain (1405–1475), Jean Molinet (1435–1507), Octovien de Saint-Gelais (1468–1502) und auch Jean Lemaire de Belges.6 Das gelehrte, in formal virtuoser Dichtungsform ausgebreitete allegorische Material dieser Poeten umfasst nunmehr auch vielfältige Eigenschaften und Herstellungstechniken von Bauten und Kunstobjekten : kompositorische Ordnung, Materialität, Alter, Festigkeit, Stil oder Wunderhaftigkeit. In der Dichtung „Les Douze Dames de Rhétorique“, einer 1463 vom burgundischen Hofchronisten Georges Chastellain literarisch gefassten poetologischen Auseinandersetzung, ist zudem die komplexe und regelkonforme Anfertigung von Bauten als Metapher literarischer Produktion ausgeführt (Abb. 1).7 Wie zuletzt Karen Straub verdeutlicht hat, lehnt sich die Schrift zwar 5 6 7
Klein 2017 ; Carpo 2001 ; Van der Velden 2000 ; Randall 1988. Skenazi 2003 ; Febel 2001 ; Cowling 1998 ; Zumthor 1978a ; Zumthor 1978b. Cowling 2002 ; Straub 2016.
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eng an die antike Rhetoriklehre an, doch sind die Qualitätskriterien – etwa hinsichtlich der Stoff-Findung und seiner guten Anordnung – mit den produktionsästhetischhandwerklichen Kriterien des „gotischen“ Bauens parallelisiert. Die Miniaturen vermitteln diese konkret auch bildlich.8 Mühelos wären die vielschichtigen Kriterien der Douze Dames auf die virtuosen und überreichen Schöpfungen der Schatzkunst und Flamboyantarchitektur anzuwenden.9
II In origineller Form ist diese Überlagerung dichterischer Schöpfung, fürstlicher Panegyrik und gebildeter architektonischer bzw. bildlicher Ekphrase im Fall von Jean Lemaire zu fassen. Er wurde 1473 bei Valenciennes geboren und lernte sein Metier beim burgundischen Hofchronisten Jean Molinet. Seit 1498 bis vor 1524 war er als Indiciaire verschiedener Fürsten und Fürstinnen, u. a. für Erzherzogin Margarete von Österreich und Königin Anne de Bretagne, tätig.10 Seine Italian connection scheint klar : Seit seinen ersten Werken aus der Zeit kurz nach 1500 frequentierte er Lyon, damals der Kreuzungspunkt französisch-italienischen Austausches. In diesem Zusammenhang gab es hier Ansätze eines klar italienischen Moden folgenden antiquarischen Bewusstseins, wenn etwa Pierre Sala, ein Lyoneser Bürger in königlichen Diensten, im Antikenbezirk von Fourvières eine Art Villa, genannt Les Antiquailles, einrichtete.11 Ein gemeinsamer Bekannter von Sala und Lemaire war der Lyoneser Maler Jean Pérreal, der in Oberitalien die Fürstenhöfe frequentiert und dabei auch persönlichen Kontakt zu Leonardo aufgenommen hatte.12 Zudem unternahm Lemaire 1506 und 1508 diplomatisch bedingte kurze Reisen nach Rom, bei denen er auch antiquarische Werke exzerpierte.13 Und 1507 berichtete er aufmerksam von der ersten antiken „Grabung“ nördlich der Alpen, bei der nahe Brüssel eine umfangreiche gallo-römische Grabanlage freigelegt und sorgfältig dokumentiert wurde.14 Im Folgenden sollen seine Referenzen auf Italien und die Antike nicht in einen Gesamtkatalog seines humanistischen Wissens integriert, sondern vor allem daraufhin befragt werden, wie sie in die weiterhin maßgebliche spätgotische Produktionsästhetik integriert und dort funktionalisiert wurden. 8 Z. B. Cambridge, UL, Ms. Nn. III.2, fol. 34v u. 36v ; Straub 2016, 178–185, 196–207, 276, 278 u. Abb. 11, 13, 27, 29, 42, 44. 9 Darauf haben auch rezente Studien zur Schatzkunst hingewiesen, s. Van der Velden 2000, 278– 285. 10 Außer der in Anm. 6 genannten Literatur : Armstrong 2000, 91–156 ; Randall 1996, v. a. 72– 102 ; Jenkins 1980 ; Bergweiler 1976 ; Frappier 1955 ; Munn 1936 ; Doutrepont 1934 ; Becker 1893. 11 Fontaine 2001, XXI–LI ; Frappier 1955, XXX–XXXII. 12 Lévy 2017b ; Vecce 2003 ; Vecce 1997. 13 Jodogne 1972, 94–96 u. 104–108. 14 Fontaine 2001, VI–XXI.
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Seine erste größere Dichtung, Le Temple d’Honneur et de Vertus, stellt eine allegori sche Tempelbeschreibung dar, 1503 als Nekrolog für Herzog Pierre II de Bourbon verfasst und Graf Louis de Ligny gewidmet.15 Inmitten einer detailliert geschilderten pastoralen Landschaft wird ein „temple anticque en ouvraige“ imaginiert, der das Auge des Betrachters wegen der „excellence de sa beauté“ wie auch der „reflamboyance de l’or et des pierres precieuses dont il estoit garny“ entzücke.16 Am Tempelportal sind sechs hervorragend gearbeitete, mit Werken von Phidias und Praxiteles zu vergleichende Tugendstatuen zu verorten, deren Namensinitialen „PIERRE“ ergeben. Die perfekte composition des Tempels mache klar, dass jeder Tugendstatue ihr unverrückbarer Platz zukomme ; insoweit rekurrieren sie in ihrer akrostichonartigen Anordnung unmissverständlich allein auf den Verstorbenen und schreiben ihn unabweislich in das Bauwerk von Ehre und Tugend ein. Diesem Tempel wird auch eine imaginierte Chronologie zugeordnet, sei er doch die beständige Erinnerung an die Gründung eines Doppeltempels für Ehre und Tugend durch den römischen Feldherrn Marcus Marcellus. Wenn auch dieses weltliche Bauwerk untergegangen sei, so sei doch die Einrichtung des göttlichen Tempels schon immer zur Verehrung würdigster Personen bestimmt gewesen und werde nun dauerhaft durch die – literarisch evozierte ! – Erinnerung erneuert.17 Die, aus Valerius Maximus entlehnte, Gründungsanekdote und die Allusion von antiken Tempeln und vergänglichen Ruinen spiegelt dezent antiquarische Diskurse wider, doch mit den Tugendstatuen am Portal ist klar ein zeitgenössisches gotisches Figurenportal assoziiert, wie auch die geschilderten edelsteinleuchtenden Oberflächen zeitgenössische französische Architektur evozieren. Lemaire nutzt die antiquarische Notiz also, um das vergänglich irdische Alte mit der zeitresistenten, immer gegenwärtigen literarischen Erinnerung von Tugend und Ehre zu kontrastieren. Die Andeutungen auf die Antike sollten zudem dem Feldherren Graf Louis de Ligny schmeicheln, der aufgrund seiner langen Aufenthalte in italienischen Residenzstädten zu einem wichtigen Förderer italienischer Kunst geworden war. Perréal zeichnete sein Portrait (Chantilly, Musée Condé), und Jean Lemaire dichtete ihm, der schon 1503 verstarb, einen eigenen Nekrolog. Dieser lässt in bezeichnender Weise Dichtung (Rhétorique) und Malerei (Peinture) in einen Wettstreit darüber treten, wie übergroße Trauer auszudrücken und zu verewigen sei : La plainte du désiré.18 Malerei räsoniert darüber, wie die unbeschreiblich große Trauer von Dame Nature ob des Todes Lignys darzustel15 Hornik 1957 ; Cowling 1998, 170–202 ; Richter 1986 ; Jodogne 1972, 170–203 ; Morphos 1963 ; Stecher 1891, Bd. 4, 183–242. 16 Hornik 1957, 74. 17 Ibid., 83–84 : „Mais tel ouvraige transsitoire est esvanouy et tombé en ruyne, quelque materiel qu’il fust, tellement que ores n’en reste aucun vestige là où, au contraire, l’instauration de ce temple est sempiternellement instituée dès la création des hommes, voire par avant, pour y recevoir et inthroniser tous ceulx qui le meritent. Si n’envieillist jamais la structure de ce divin pourpris par temporelle decadence, ainçoys est tousjours refreschy son noble ediffice par nouvelle mémoire.“ (v. 941–950). 18 Yabsley 1932. – Jodogne 1972, 204–214 ; Stecher 1885, Bd. 3, 157–186.
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len sei. Dabei spielt Lemaire gleichermaßen auf literarische Strategien der beschreibenden „Ausmalung“ wie auf tatsächliche Malerei an, wenn etwa Atelierutensilien als Ausweis der malerischen Fertigkeiten genannt sind.19 In diesem Zusammenhang sind auch mehrere vorbildhafte Maler als Kronzeugen perfekter Malerei aufgeführt : zunächst die antiken Meister Parrhasios und Apelles, sodann eine Gruppe von franco-flämischen Meistern : Marmion, Fouquet, Poyer, Roger van der Weyden, Hugo van der Goes und Johannes – sicherlich Jan van Eyck – „qui fut tant elegant“.20 Davon abgesetzt erscheinen drei italienische Maler : Leonardo („qui a graces supernes“), Gentile Bellini und Perugino („qui si bien couleurs mesle“), gefolgt von Jean Hey und Jehan de Paris, alias Jean Perréal : „Et toy, Jean Hay, ta noble main chomme elle ? Vien voir Nature avec Jean de Paris pour luy donner umbraige et esperitz.“21 Die höchste Meisterschaft konkretisiert sich also – ein schmeichelndes Argument – in der Gegenwart, in der Person des lokalen Malers Perréal aus der Entourage Lignys. Auffällig ist die Kenntnis der drei genannten italienischen Maler, von denen Leonardo in dieser Zeit wohl allein im Mailänder Umfeld berühmt war, welches wiederum aber auch Perréal frequentiert hatte. Man muss annehmen, dass dieser auch die anderen Malernamen seinem Freund Lemaire als Kronzeugen der neueren italienischen Malerei genannt hat.22 Derartige sekundäre und fragmentarische Rezeptionen dürften auch für einige bemerkenswerte, bislang unbemerkt gebliebene kunsttheoretische Argumente gelten, die den Protagonisten in den Mund gelegt sind. Wenn Jean Hey in der eben zitierten Stelle in einer etwas enigmatischen Wendung aufgefordert wird, zusammen mit Perréal Dame Nature aufzusuchen, um ihr ‚Schatten und Geist‘ zu verleihen, erinnert dies auffällig an eine Sentenz Leonardos. Denn die Begriffskombination taucht in einem kurzen, chronologisch auf die Zeit um 1490 zurückzuführenden Abschnitt aus Leonardos theoretischen Erörterungen zum Schatten auf. Dieser sei, gemäß dem Codex Urbinatus als der Grundlage des posthumen Malereitraktats, das Resultat eines Schatten bildenden Körpers und des immateriellen, „geistigen“ Lichts : „l’ombra deriva da due dissimli cose l’una da l’altra impero che l’una è corporea e l’altra spirituale : corporea è il corpo ombroso, spirituale, è il lume ; adonque lume e corpo son cagione de l’ombra.“ [meine Hervorhebungen].23 Wenn bei Lemaire die Malerei der Natur Schatten und Geist geben soll, so ist das wohl als Schatten und Licht zu verstehen und hat insoweit als – wohl über Perréal vermittelter – Reflex von Leonardo zu gelten. Doch weiter geht der Bezug auf Leonardo nicht. Da Malerei bei Lemaire durchgehend lamentiert, in der Darstellung absoluter Trauer ihre Mittel zur Darstellung von Lebendigkeit zurücknehmen zu müssen, kontrastiert sie Dunkelheit und Schwarz mit Starkfarbigkeit, wie diese dem ymaige sacre bzw. dem 19 20 21 22
Yabsley 1932, 71, v. 105–112. Ibid., 71f., v. 113–120. Ibid., 72, v. 127f. ; die Stelle auch bei Hindriks 2019, 303. Jodogne 1972, 208–214. – Richter 1986, passim, extrapoliert hingegen Lemaires Kenntnis von Alberti, Vitruv und Colonna. 23 Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Urbinatus lat. 1270, fol. 175 ; Pedretti/Vecce 1995, Bd. 2, 361, Nr. 547 ; Pedretti 1962, 71.
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symulachre eigen sei.24 In diesem Zusammenhang muss man die Erwähnung des Schattens als Reduktion der lebensvoll-farbigen Natur begreifen. Dunkelheit bzw. Negation von Farbe wird auch in der Andeutung einer Farbperspektive evoziert : „tirez la moy fort brune,/loingtaine à l’oeil par bonne perspective“.25 Auch hier liegt der Vergleich zur Konzeptualisierung der Luftperspektive bei Leonardo nahe, der dies aber ganz anders ausführt.26 – In einer paradoxen Volte resigniert Malerei schließlich : Im Bestre ben, absolute Trauer darzustellen, hat sie konsequent alle Ausdrucksmittel negiert, mit denen die lebendige Nature auszudrücken wäre – on ne peut paindre une uimbre.27 Lemaires Konzept der Malerei beschränkt sich also auf Farbigkeit, welche in den Bogen von reichhaltiger, preziöser Pracht – genannt sind vor allem Gold und Azur – und einer unbelebten Unfarbigkeit, dem nicht malbaren unfarbigen Schatten, eingespannt erscheint. Dies nimmt nun Rhétorique am Beginn ihrer eigenen Rede auf, wo gar eine Art Definition der Malerei gegeben wird : Seit den Griechen und Römern verstehe sie sich als miroir der noble visaige von Nature, bestrebt, deren Werke (ouvraige) mit ihrem eigenen Werk (euvre) in Übereinstimmung zu bringen. Dadurch erhalten wir Kenntnis von Dingen, ohne diese selbst zu sehen.28 Aber weiterhin handelt es sich nur um Farbigkeit – eventuell ist eigentlich auf Fassmalerei angespielt – als Hypostase für Lebendigkeit : Eine in Trauer über den Helden defigurierte und inaktive Göttin Natur, dem Tod nahe, sei unmalbar. Ergo sei es umgekehrt an der Rhétorique, in der Rühmung des Verstorbenen diesen dauerhaft in den Himmel zu erheben. Diese Argumentation vermag also, die Größe Lignys schmeichelnd herauszustellen‚ da sein Tod selbst Natur zutiefst bewegt – selbst wenn das paradoxerweise zur Nichtdarstellbarkeit von Dame Nature führt. Diese Denkfigur geht aber nicht auf neuere Kunsttheorien, sondern auf den Kunstdiskurs im Rosenroman aus dem 13. Jahrhundert (v. 16165–16210) zurück : Dame Nature sei unfassbar, auch wenn sie unvollkommen von den großen antiken Philosophen ebenso wie von den berühmtesten Künstlern, Parrhasius, Apelles, Zeuxis oder Pygmalion, nachgeahmt werde. Auch Lemaires Motiv der trauernden Natur ist aus dieser Stelle des Rosenromans entnommen. Der Persistenz dieser mittelalterlichen Topik entspricht, dass grundsätzliche Auffassungen der neuzeitlich-italienischen Kunsttheorie, gerade eines Leonardo, eben nicht zu finden sind : Raumillusion, Körperrhetorik oder emotionale Mimesis, die die Repräsentation von Trauer hätten leisten können, sind keine Kriterien. Umso mehr müssen die Anleihen bei Leonardo als wohl oral vermittelte Fragmente neuen Bildungsgutes gesehen werden, die aber durchaus subtil in die Konzeptualisierung der Naturimitation integriert sind : Schatten und Farbper 24 Yabsley 1932, 72, v. 139f. und 153–160. 25 Ibid., 75, v. 217f. 26 Jodogne 1972, 213f. hat, mit Verweis auf andere Verwendungen von perspective im französischen Kontext, einen Bezug auf die optische Perspektivkonstruktion zurückgewiesen. 27 Yabsley 1932, 76, v. 248. 28 Ibid., 77, v. 29–35 : „Tu es et fuz de Nature l’ymaige,/Le vray miroir qui son noble visaige/Nous represente en ton riche scavoir,/Tu l’ensuis or par si propre estimaige/Que ton euvre est toute une a son ouvraige,/Dont par ta main industrieuse et saige/Notice avons des choses sans les veoir.“
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spektive sind Mittel der Negation von Farbe und sie rühren aus maltechnischen Fertigkeiten, für deren Beurteilung die Meisterschaft der evozierten Meister nötig ist. Dass der in der französischen Literatur in der Tat neuartige Paragone zwischen Poesie und Malerei ebenfalls gerade bei Leonardo prominent thematisiert wurde, kann – darauf hat die Forschung schon verwiesen29 – als weiteres Argument dafür aufgeführt werden, dass Lemaire Einzelheiten von Leonardos Theorie vermittelt bekam ; allerdings sind die inhaltlichen Ausführungen beider Autoren völlig unvergleichbar. Am intensivsten ist die Aufnahme italienischer Stilformen in französische Dichtungs traditionen in La Concorde de deux langages zu verfolgen, das als ein 1504–1511 entstandener, ursprünglich wohl Margarete von Österreich zugeeigneter politischer traicté zugunsten einer friedlichen Einigung zwischen Italien und Frankreich zu deuten ist, gleichermaßen aber auch einen literarischen Paragone zwischen höfischer Poesie und Historiographie darstellt.30 Das komposite Werk beginnt mit einem Wettstreit der italischen/toskanischen und der französischen Sprache. Anschließend wird die Ankunft des Acteurs, Verteidiger des Französischen, im Tempel der Venus geschildert. Diese Liebesallegorie, prunkvoll, anziehend und sexuell sinnlich, steht für Italien bzw. Florenz, im weiteren Sinne für die Zwist erzeugende Wollust und damit verbundene poetische Textgattungen. Als ein Novum in der französischen Literatur ist die Tempelbeschreibung in Terzinen „à la fasson ytallienne“ gefasst.31 Die äußere Gestalt des Baues, von edelstem Material, scheint nicht gotisch zu sein : „L’orde du comble, ordonné en croissant / Fait enlasser les beaux piliers ensemble“ deutet eher eine klassische Säulenfront an.32 Der nicht weiter im Text beschriebene Minervatempel hingegen liegt in einer paradiesischen Gegend inmitten des Palastes der Ehre. Ihm wendet sich Acteur zu, als sein Venusopfer in Form eines Bildchens als ungenügend erachtetet wird und er den Liebestempel verlassen muss. Nunmehr geleitet von Labeur historiien, bildet der Minervatempel, obwohl auf der Spitze eines steilen, mühselig zu ersteigenden Felsens gelegen, das zukünftige Ziel von Acteur. Dieser Ort vermittelt Vernunft und Kontemplation, ermöglicht die zeitüberdauernde Historiographie, versinnbildlicht sodann Frankreich und die dem Toskanischen gleichrangige französische Sprache. Entsprechend bedient sich Lemaire hier des Alexandriners. Am Schluss umarmen sich die Personifikationen der beiden Sprachen, einerseits Ausdruck der sich ausgleichenden Balance zwischen verschiedenen in der Dichtung benannten Gegensätzen, andererseits wohl auch Affirmation französischer Kultur in einem Umfeld, in dem italienischer
29 Vecce 2003, 22. 30 Stecher 1885, Bd. 3, 98–134. – Skenazi 2003, 50–84 ; Cowling 1998, 178–202 ; Randall 1988 ; Jodogne 1972, 443–462 ; Frappier 1947. 31 Frappier 1947, 6, v. 98. 32 Ibid., 13, v. 154f. Auffälligerweise wurde die einzige bebilderte, auf 1511 datierte Handschrift des Textes (Carpentras, Bibl. Inguimbertine, Ms. 412) von einem Buchmaler ausgemalt, der den Venustempel mit einigen Italianismen anreichert und auch ansonsten vielfältig für die Lyoneser Frühhumanisten tätig war (cf. Virassamynaïken 2015, Fig. 85).
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Einfluss modisch zu werden begann.33 Aus diesem Grund wohl deutet Lemaire an, dass der unmoralische Venustempel in Lyon stehe, da Venus ihre ehemaligen Tempel in Zypern oder Kythera zugunsten der Rhonestadt verlassen habe. Diese beiden Bauwerke, längst untergegangen, seien von korinthischer bzw. sizilianischer Ordnung.34 Die hier zu vermutende, isolierte und offenbar kontaminierte Referenz auf Vitruv – eine sizilia nische Ordnung gibt es nicht und ansonsten fehlen bei Lemaire weitere Verweise auf den Architekturtheoretiker35 – evoziert erneut eine in Ansätzen zu benennende archäologische Vergangenheit. Vor diesem Hintergrund erscheint nun literarisch der aktuelle Venustempel, der unauflösbar mit einer erotischen Frauenmetapher oszilliert. Doch dessen ephemere Existenz als momentaner Stätte der Lust bildet den Gegenpol zu dem zeitüberdauernden Minervatempel, den Acteur erst zukünftig dank mühevoller historiographischer Tätigkeit wird betreten können.
III Zwar verfügt Lemaire über zahlreiche, aber heterogene antiquarische Kenntnisse, die er in Bezug auf seine Adressaten auch subtil aktiviert. Dieses Bildungsgut zeigt aber keineswegs, dass Lemaire etwa frühneuzeitliche Kunstkonzeptionen vermitteln wollte, sondern es chiffriert mehrfach irdische Vergänglichkeit, die – immerhin – als weit zurückliegende, vergangene „Antike“ imaginiert ist. Damit kontrastiert die zukunftsgerichtete literarisch-historiographische Tätigkeit mit ihrem Anspruch, das ehrenhafte Angedenken an die fürstlichen Adressaten unvergänglich zu machen. Wenn aber Lemaire als Dichter gleichsam als Concepteur von spätgotischen Bauwerken mit antikisierenden Details auftritt, so war das nicht nur eine literarische Strategie, sondern wirkte bis in konkrete architektonische Planungen. Während seiner Anstellung am Hof von Margarete von Österreich war er nämlich von 1507 bis 1512 als Koordinator an der Bauplanung für deren berühmte Grablege, die Klosterkirche Saint-Nicolas-de-Tolentin in Brou bei Bourg-en-Bresse, beteiligt.36 Seine Korrespondenz zeigt, wie er dabei kunstvoll die Grenzen zwischen den Tätigkeiten der Auftraggeberin, des Bauplaners und des Panegyrikers aufhebt, so dass Margarete als die eigentliche, höchst tugendhafte Autorin und Bewohnerin des kostbaren Werks erscheint, welches in seiner baulichen Qualität auf immer von der Exzellenz der Fürstin künden wird. Allegorische Erläuterung und die konkrete Kreation oszillieren innerhalb eines Settings, in dem Lemaire, analog zu den Douze Dames de Rhetorique, sich als Werkmeister in einem Ateliergespräch inszeniert : Dichten ist metaphorisch gesprochen handwerklich gut bauen und architektonisches Entwerfen gleicht einer literarischen Invention wie auch planvoll33 34 35 36
Frappier 1947, XXXVI–XXXIX. – Jodogne 1972, 461f. Frappier 1947, 13f., v. 144–165. Anders Richter 1986, 317f. Gelfand 2007, 193–202 ; Freigang 2003 ; Hörsch 1994 ; Poiret 1994 ; Poiret 1990.
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tugendhaftem fürstlichen Handeln, mit dem Ziel, ein exquisites, virtuos überbordendes Palais d’honneur feminin zu errichten. Von diesem bleibt unklar, ob es sich auf eine bislang nicht ermittelte literarische Panegyrik oder das konkrete Bauwerk bezieht (das dann in Brou, allerdings nicht durch Lemaire, auch realisiert wurde).37 Wie wichtig bei alledem die auf technische Virtuosität insistierende Produktionsästhetik einzuschätzen ist, macht vor allem das Lobgedicht La Couronne margaritique von 1504–1505 deutlich, für Margarete von Österreich aus Anlass des Todes ihres Ehemanns Philibert von Savoyen verfasst.38 Der Autor beschreibt den tödlichen Jagdunfall des Fürsten, die Trauer Margaretes und sodann vor allem, wie die Göttin Vertu beim Goldschmied Merite eine Krone für die Fürstin anfertigen lässt. Die Krone erscheint im Text nicht als vollendetes Werk, sondern allein im Zusammenhang ihres Werkprozesses : Zehn schöne Jungfrauen aus dem Gefolge von Vertu, jede einen Edelstein tragend, der für eine der Tugenden der Fürstin steht, bilden hierfür einen Reigen anmutiger Modelle. Dieses scheinhaft konkrete Naturvorbild wird nun von der antiken, bei Boccaccio erwähnten Malerin Martia in eine präzise Visierung (patron, pourtrait) umgesetzt, so perfekt und virtuos, dass das Gemälde selbst schon die Eigenschaften kostbarster Goldschmiedearbeit anzunehmen scheint. Zahlreiche Philosophen und vor allem antike wie zeitgenössische Künstler – u. a. Donatello, Jan van Eyck, Fouquet, Simon Marmion, Martin Schongauer sowie zahlreiche Goldschmiede – besingen die überirdischen Qualitäten der politischen Tugenden der Fürstin bzw. der köstlichen Insignie.39 Die Tugenden bilden also nicht nur im allegorischen Sinn eine Krone, die die Fürstin auszeichnet, sondern sie sind in der überragenden künstlerischen Ausformung dauerhaft in eine wunderhafte ästhetische Schönheit transponiert, die die Fürstin wie auch ihr Werk erglänzen lässt. Wie Zeuxis aus fünf Frauen die Schönste gebildet habe, so übersteige Margarete in ihrer Tugendschönheit alle irdischen Tugenden.40 Diese Qualität ist, und hier gewinnt die Kunstwerkmetapher ihren belehrenden Sinn, durchaus nicht von vorne herein gegeben, sondern „gefertigt“, von Ehre und Verdienst, die ihrerseits von einer Reihe von politischen Tugenden geprägt sind. Die in der Couronne margaritique kleinteilig ausgemalte Gattungstranszendenz vom Naturvorbild – dem Mädchenreigen – über die Werkzeichnung der Krone zum zukünftig zu fertigenden Schmuckstück selbst enthält also eine wesentliche Sinnschicht : Denn die Wahrheit der vergänglichen Natur wird schrittweise ästhetisch veredelt und in den Bereich des Unsagbaren projiziert : die auszuführende Krone, symbolische Insignie der Fürstin, ist nach all den Lobeshymnen, die die Philosophen und Künstler geäußert hatten, in Worten nicht mehr angemessen zu würdigen, doch ist sie gleichwohl faktisch präsent zu denken, da sie doch aus preziösen Naturmaterialien wie Perlen, Gold, Edelsteinen, 37 U. a. Stecher 1891, Bd. 4, 396–409, v. a. 397, 399. – Cowling 1998, 167f. 38 Stecher 1891, Bd. 4, 10–167. – Freigang 2021 ; Blattes-Vial 2015 ; Armstrong 2000, 112–119 ; Jodogne 1972, 215–254. 39 Stecher 1891, Bd. 4, 161–166. 40 Ibid., 152.
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Abb. 2 Wien, ÖNB, Cod. 3441 : La Couronne margaritique, fol. 32v : Noble Penser erteilt dem Goldschmied Merite den Auftrag für eine Tugendkrone
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Abb. 3 Wien, ÖNB, Cod. 3441 : La Couronne margaritique, fol. 40v : Die Expertenrunde betritt das Atelier der Malerin Martia
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Abb. 4 Wien, ÖNB, Cod. 3441 : La Couronne margaritique, fol. 116v : Martias Bild der Tugendkrone für Margarete
Lorbeer und Palmzweigen gefertigt wird. Die literarische Evokation dieser Werkgenese sichert dabei ewiges Gedächtnis, denn die derart besungene Krone kann nicht wie eine konkrete Realie verloren gehen oder umgedeutet werden. Wenn unter den benannten Künstlern auch antike und italienische Namen auftauchen, so schafft dies einen zeitlich und räumlich unermesslichen Referenzrahmen für den Ruhm Margaretes, in dem im Übrigen subtil auf den gegenwärtigen burgundischen Kontext fokussiert ist. Ansonsten fehlen Referenzen auf neuzeitliche Kunstkonzeptionen, im Gegenteil, die produktionsästhetische, ein merveille aus der Natur kreierende Prozessualität bleibt konstitutiv. In bezeichnender Weise vermitteln das auch die Miniaturen in einer wohl von Lemaire selbst geschriebenen, heute in Wien verwahrten Handschrift des Textes. Detailliert sind hier die Ateliers des Goldschmieds und der Malerin – in dem sie gerade den Mädchenreigen abmalt – sowie ihr Entwurf der Tugendkrone als fiktive, in das Buch inserierte Realie zu sehen (Abb. 2–4).41 Der Leser/Betrachter hält gleichsam das köstliche Zwischenergebnis jenes perfekten Werkprozesses in den Händen, welches
41 Wien, ÖNB 3441, fol. 32v, 40v, 116v ; Pächt/Thoss 1977, Textbd., 87–91, Tafelbd., Abb. 194f. u. V ; Blattes-Vial 2015, passim.
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nur in der textgeleiteten Imagination, aber dafür immer erneut zur Insignie der Fürstin konkretisiert werden kann.
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David Jaffé
Taking Possession of the Ancient World : Mantegna and Rubens Reading Renaissance records of ancient art is not straightforward. The matter is complicated by the artists’ own involvement in imaginatively restoring and representing the originals. Andrea Mantegna, court artist to the Duke of Mantua in the late fifteenth century, is a case in point. Mantegna embraced the ethos of antiquity not only by attempting to reconstruct ancient triumphs, drawing on both literature and surviving reliefs, and evoking their costumes and customs, but by an effort to restore the past by understanding what the ancient remains represented. Other artists had a more pragmatic attitude as source hunters or restorers, merely amending missing pieces when needed, rather than creatively appropriating them into the Renaissance artistic language. Ingo Herklotz, the worthy subject of this Festschrift, has shared with me his puzzlement about the often cavalier attitudes revealed in the reproduction of ancient material, even when the intention is to produce documentary copies, as in the case of the works commissioned in the 1620’s and 1630’s by Cassiano dal Pozzo.1 If we understand the Renaissance as the rebirth of the antique style, it is useful therefore to survey its formation and early maturity. How did Renaissance artists scavenge the past for ideas ? More specifically, how did an artist like Mantegna colonize ancient sources by appropriating them into his own style and idiom ? He completed broken and missing parts resulting from the ravages of man and time, while animating them within his own compositions. These attempts to reverse engineer ancient sources deserve to be studied in the light of Herklotz’s cautions. What ancient art was available and in what state ? The survival of a number of sixteenth-century Renaissance drawing books after the antique, such as Maarten van Heemskerck’s, accurately record the find states of works, in contrast with a general tendency to publish restored versions in guide books and compendia which continues today. The Rome guide publications by Cavalieri are an exception, for here the amputated state of antiquities is sometimes recorded.2 The simple rule that noses and arms break, and often necks and legs too, when a statue is toppled, is worth remembering. There are numerous images of destruction of idols and Heemskerck’s own designs for engravings are usually populated with scattered broken statues. Pieces that were ex1 2
Herklotz 1999, 338–339, compares the “Early Christian” style of the relief on the Arch of Constantine with homogenous dal Pozzo treatment, fig. 10, 315, which can be usefully contrasted with the almost photographic accuracy of Peiresc’s tripod and mirror, fig. 31, 327. Haskell 1981, 22.
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posed to the weather were especially compromised.3 Marble carvers working in Rome, however, surrounded by the detritus of a fallen empire knew how marble was injured and their job was often to repair the damage and to present the pieces in their ‘new’, reconstituted form. Not all the surviving ancient art, even on a large scale, was compromised in this way. But almost intact marbles were exceptional. The spectacular Laocoon group survived reasonably intact bar a few digits and two arms. Marcus Aurelius, a magnificent Roman equestrian bronze, somehow hung around Rome in its original state. Hadrian’s column was simply too big to move. It supplied an impressive compendium of narrative devices if one was willing to be lowered down in a basket to study them closely, as Ripanda apparently did in 1500. Later the discovery of the Portland Vase, and the Borghese warrior must have been eye-stoppers. The Farnese Hercules, despite a broken leg, was another not to be passed over. The Apollo Belvedere may have had a broken arm but was impressive enough. Vasari’s claim that the discovery of such masterpieces of ancient art generated the culminating High Renaissance style, which his heroes Raphael, Michelangelo and Leonardo exemplified, is believable. Yet Michelangelo’s supposed comment that Guglielmo della Porta’s (1500–1577) replacement leg for the Farnese Hercules was better than the original when this latter was uncovered, gives cause for anxiety.4 The Horse Trainers, still on the Esquiline Hill, with their obvious patchwork of repairs and their fantasy inscriptions to Phidias, carried their own health warning.5 What these examples show is the extent to which the question of the limits between the status of the ancient original sources, and their Renaissance reconstructions, emendations, and appropriations, was not fully settled. What was the nature of this ancient fuel that drove the Renaissance revolution before it was processed into ‘finished’ items ? When looking at ancient art as the source of imagery, one should be alert to appreciate the struggle to first reassemble, then to emulate and imitate it. An acute example of this challenge is provided in Deucalion and Pyrrha, where the couple was told to repopulate the world by throwing bits of mother Earth over their shoulders. In the Florentine Picture Chronicle of c. 1475–1485 illustration of this scene (fig. 1)6 there is a wonderful sequence of the jettisoning of ovoid rocks evolving through egg like 3
Bober/Rubinstein 2010 ; Lion attacking a horse, 236, no. 185, Pasquino, 202, no. 155. Cavalieri 1585 for the torsos of The Wrestlers, no. 11 ; no. 79, Lion attacking a horse shows all that survived of the lion namely his head and front-paws, Pasqualino, no. 92. 4 Montagu 1992 is a good account of later attitudes to rebuilding. See her chapter VII “The influence of the Baroque on Classical antiquity”, 151–172. For the Farnese Hercules see ibid., 152–153. Haskell 1981, 230–231, records that Michelangelo defended the legs “in order to show that the works of modern sculpture can stand comparison with those of the ancients”. Bober/ Rubinstein 2010, 178, no. 129. 5 Haskell 1981, 136–141 for Alexander and Buccephalus, (The horse-trainers). Bober/Rubinstein 2010, 172, no. 125. 6 Circle of Maso Finiguerra, Baccio Baldini, Pyrrha and Deucalion repopulating the earth, 1470–75 or perhaps a decade later, British Museum 1889, 0527.42 ; Cf. Colvin 1898, Whitaker 1994, 181–196.
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Fig. 1 Circle of Maso Finiguerra, Baccio Baldini, Pyrrha and Deucalion repopulating the earth, 1470–75 or perhaps a decade later, London, British Museum
embryonic forms, then progressing into more completely formed sculptural shapes, before becoming mannequins and finally humans. There is a ‘preformationist’ naivety to this metaphor, but the sense of process is palpable and vital. A parallel process must have been happening in many Florentine and Roman sculptors’ workshops, in trying to reconstitute the missing parts, and to add their own imagination to offer a more coherent sculptural form. We could substitute the battered find-states of the Wrestlers, Dirce and Farnese Atlas for the flying objects in the drawing on their journey to flawless restoration to further illustrate how the now ‘authoritative’ Renaissance canon of the antique was being invented.7 7 Haskell 1981, 232–234, see Hercules and Antaeus, no. 47, fig. 119 found in 1509. Bober/Rubinstein 2010, 188, no. 137 ; Ariadne/Cleopatra, no. 24, fig. 96, 184 ; Wrestlers from Cavalieri, fig. 11, 22 ; Wrestlers, no. 94, fig. 179, 337–339.31 ; Antonio Sussini bronze after Farnese bull, no. 15, fig. 85, 165–167. For the Apollo Belvedere, ibid., fig. 77, 148–151, Bober/Rubinstein 2010, 76, no. 28 ; for the Laocoon, fig. 125, 243–47, Bober/Rubinstein 2010, 164, no. 122 ; Dying Gaul, cat. 44, fig. 116, 224–227 ; Marcus Aurelius, fig. 129, 252–255. Cf. Bober/Rubinstein 2010, 236, no. 185, Lion attacking a horse, 228, no. 178, Arch of Titus, 178, no. 129, Hercules standing (fig. 129c showing scattered marble feet), 179, no. 130, Farnese Hercules, 188, no. 137, Hercules and Antaeus, all examples of restorative interventions.
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Leonardo, in his recreation from ancient descriptions of scythe chariots, shows a parallel process in reverse in his drawing of the victims of his scythe machine, the gory harvest of severed torsos and adjacent body parts, which recall both the graveyards of broken statues and the early forms of the Titan’s thrown rocks !8 However, a more sophisticated antiquarian artist such as Andrea Mantegna (1431– 1506) is more clearly equipped to illustrate this ‘genesis’ process of sculptural and pictorial substantiation. Mantegna painted three images of the Martyrdom of Saint Sebastian,9 where this process is subtly captured. Kenneth Clark has succinctly categorised the painter as follows : “Mantegna was a romantic antiquarian, for whom every vestige of the Roman world was so precious that he felt bound to cram it into his reconstructions of early Christian history”.10 The ‘vestiges’ could actively inspire too. In the Vienna Mantegna Saint Sebastian (fig. 2) there is a dialogue between the sensitively rendered ancient putti fragments on the left, and the saint’s own immaculate limbs and torso rotated by a helix of arrows in the centre. The key to this dialogue is illustrated by the slightly uplifted toe in the severed stone foot, pointing up from the bottom left corner. The ancient foot might be communicating with the responding raised toe of the twisting saint, thereby blurring the line between the ancient source and its Renaissance version. This ‘Morse code toe tap’ connection between stone and illusionistic flesh can be easily overlooked. Above the saint’s head before the brick stacks, are two dismembered feet of a Victory relief on the left spandrel (recalling those on the spandrels of the Arch of Titus, one of which Mantegna has deliberately broken and rearranged),11 that resonate the effect of living sculpture as found in the Roman foot, and the sculpture-like horseman in the cloud. Mantegna is asking us to enter the spirit of the Roman world, instead of limiting his own work to a mere ‘petrified’ echo. It is an intimate invitation to join him in bringing life into the battered marble fragments. Like the cloud-formed horse, this enlivening illusion is by necessity ephemeral, and as with the archers disappearing over the hill, it will soon become a subliminal memory or a forgotten reading. But for Mantegna it is critical to be able to supply a vigorous pulse, as the one generated by the frolicking rabbits in the cartwheel ruts, or the wake of a boat skimming across the water. A tempting digital match has been proposed between the Vienna broken sandal and a marble foot in the Paduan museum, which has been identified with one in the collection of his Paduan teacher Francesco Squarcione (1397–1468), but one i magines 8 Bambach 2019, 483–487, 157–161, for the drawing in Turin [Bib Reale Dis It. 1/18 15583 DC]. 9 Agosti/Thiébaut 2009, 31, pl. 8, for Mantegna’s Sebastian in Ca’d’Oro, where the saint is stepping out from a stone niche with a fictive candle burning on the protruding ledge ; 215–217, cat. 76, for Saint Sebastian in Paris (Louvre, 1478–80]. For Mantegna’s Saint Sebastian from 1470 in Vienna Kunsthistorisches Museum see ibid., 202–203, cat. 71. 10 Clark 1969, 2–3. 11 DiFuria 2019, 319–21, cat. 16, Berlin, Kupferstichkabinett, 79D2a 56r. This drawing is summarized in his print Lot and his daughters leaving Sodom, DiFuria 2019, 279, fig. 8.11. Brown 2007.
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Fig. 2 Mantegna, Saint Sebastian, 68 x 30 cm, Wien, KHM Gemäldegalerie, Inv. 301 Fig. 3 Mantegna, Saint Sebastian, 255 x 140 cm, Paris, Louvre R.F. 1766
legless feet were not that rare on the Italian peninsula.12 The Mantegna message connecting painted flesh with ‘Roman’ stone is repeated more explicitly in the Louvre Sebastian, where a theatrical presentation of the left marble foot and shin is now more self-consciously lined up at eye-height with the saint’s own twitching left foot (fig. 3).13 Mantegna uses this life-indicating trick of toe movement in his Louvre Crucifixion.14 Antonio Teobaldeo of Ferrara (1463–1567), wrote about Mantegna, “Oh wonderous hand of the craftsman, which does not only give life to stone, but also the life-giving capacity itself. O Deucalion, your stones yield, for those were only animated while these are not only enlivened but enlivening”.15 This thaumaturgical power of antiquity adopted in Christian statues like Tino da Cambio’s bronze Saint Peter may even be 12 Lucco 2013, 164, fig. 220 ; 166, fig. 107. The foot now rests in Padua Museo di Scienze Archeologiche e d’arte. The imaginative leaf or fish-scale like chain mail on the Louvre foot is less convincingly ancient. Venetian painters sometimes inserted ancient fragments into painted walls, see Brown 2007, 73–105. 13 Campbell 2020, 107. 14 Agosti/Thiébaut 2009, 164–67, where Christ is dead but the thieves are alive. 15 Campbell 2020, 234, 272, apparently from Vat. Ottob. Lat. 2860, Agosti 1994, 72.
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underpinning Mantegna’s use of projecting feet in other paintings, such as that of the Baptist in Saint Zeno, and Saint Euphemia.16 The admiration of the vestiges of the supporting base of a statue is taken further by a visitor to Rome in the 1530’s with a similar toe fetish. Maarten van Heemskerck, champion of this Renaissance rehabilitation of the antique, draws a giant foot, which he then inserts in the foreground of various paintings and prints.17 In Heemskerck’s records, it is a right foot which would otherwise recall a giant Roman example, the Pie marmo in Via S. Stefano del Cacco. Perhaps the artist, who shows marbles being winched out of the ground and statues breaking at their shins when toppled, was dreaming of beginning the rebuilding process of the giant commander ?18 We can further trace the growing taste for perfected forms in cabinet bronzes by Antico (c. 1460–1528), in Willem Danielsz van Tetrode (c. 1525–1580), and much later in Massimo Soldani (c. 1656–1740). These sculptors became the designers of what now became resurrected flawless sculptures, erasing the damage of time and memory. One only has to think of the plethora of small Laocoon bronzes or the heroic efforts to complete the torso Belvedere. Antico would even gild the bronzes and supply silver eyes to his revised eroded models : better than new !19 Again, the discovery of Hercules and Antaeus in 1509, but not reconstituted until around 1568, now in the courtyard of Palazzo Pitti, challenged artists to add limbs and heads.20 Antonio Pollauiolo’s bronze version must be an influential early proposal but Antico’s treatment with Antaeus’s back to Hercules is close agreement with the battered torso.21 Mantegna designs a cycle including this scene, one of which lead to variant engravings.22 Rubens British Museum’s drawing of the Deeds of Hercules shows a certain obsession in trying to reconstruct this deeply compromised group. He even tried flipping legs and arms and rotating the giant’s body position.23 He also favoured Antaeus pushing Hercules down with his bent arm.24 16 Marinelli 2006, 72, fig. 1, showing a redrafting that moves John the Baptist’s foot towards the viewer. 17 Heemskerck draws A giant foot before Porticus Octaviae ; Berlin, Kupferstichkabinett, 79D2 32r, 13.4 × 21.1 cm ; no. 33 in DeFuria 2019, 349–351, cat. no. 33, and he paints this ancient foot front right in his Triumph of Bacchus (1536–1537), Kunsthistorisches Museum, ibid., 88, fig. 3.4, where it is noted that it is close to the ‘Pie di Marmo’, but the wrong foot ! 18 Heemskerck’s painting of the Good Samaritan (1550, Haarlem) shows the excavation in front of Julius II. His print Gideon destroying the idol of Baal shows the snapped legs still in the block, and a decapitated torso below, see DeFuria 2019, 101, fig. 3.8. 19 Allen 2012, 141–153. 20 Haskell 1981, 233. 21 Wright 2005, 334–340, and for the lost Hercules series, and small painted versions in the Uffizi see 75–86. Allen 2012, 145–148 pl. 43–44a. 22 Agosti/Thiébaut 2009, 337, no. 140. Cf. Allen 2012. 23 The British Museum, Prints and drawings, 1897,0615.12, 31.1 × 47.0 cm. https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1897-0615-12 [date of access 14/03/2021]. 24 Lorenzo Lotto, Andrea Odoni [1527], Royal Collection, Hampton Court, shows the collector
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Fig. 4 Mantegna, Triumph of Caesar 2, the Standard Bearers, Tempera on canvas, 270.3 x 281.1 cm, Hampton Court, Royal Collection Trust, RCIN 403959
Rubens’ sheet of Hercules’ Labours is a reminder that Baroque artists also devoured ancient culture. He must have taken most from Mantegna’s Triumphs of Caesar (fig. 4). Rubens made records of these.25 The challenge of moving a procession was to engage him in the Triumph of Henri IV (fig. 5). The format of these victory parades was to recreate the processions from classical reliefs and written sources, both artists succeeded in inserting backward glances and turning figures to enliven the parade. Mantegna even engages his sculptures in conversation (as Rubens’ own caryatid figures do in his templates for the Achilles tapestries) and conveys the sense of noise, and the clutter of booty, while both employ children to break the ranks. Perhaps something of the poise of the Gonzaga family at court gave gravity to the banqueting hall ceiling to James I, but in general, though they both shared an interest in the Greco-Roman culture, Rubens shows a much more practical response in trying to ignite the stories into gripping images. Both tackle the Old Testament subject of Samson and Delilah but Rubens increases the drama. It would be hard to think of a with a suitably damaged core of the Hercules and Antaeus torsos on the right of his portrait. His drawing for the sculpture also survives. 25 London National Gallery, Wood 2010, vol. 1, 75, 80–90.
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Fig. 5 Rubens, Entrance of Henri IV into Paris, oil on canvas, 48.6 x 66.4 cm, Bayonne, Musée Bonnat- Helleu, inv 998
Rubens’ Sebastian that could be placed against the Mantegna. No single leg loop would contain a Baroque artist’s saint. The stasis would be disrupted instead of asserting columnar verticality. Rather Rubens wants his figures to breakout, he is trying to harness the energy in a paradigm driven by Hellenistic art in the footsteps of Michelangelo. His homage to Vasari’s ‘seed’ antiquities sees Apollo in ‘Belvedere’ mode, running to vanquish the fury in the Medici Council of the Gods. For Rubens, the Farnese Hercules was too relaxed, he had to propel the muscle man forward and bend him to make his Antwerp Cathedral Saint Christopher. There is a sense that all of art, in the age of art prints, had something to contribute. It seems almost symbolic that the Laocoon was discovered in 1506, the year Mantegna died. Maybe when Rubens recommended that artists copy the antique, and even listed the best examples for them to follow, he added they should ‘avoid the smell of stone’ as a backhanded compliment to Mantegna who fleetingly fused the two.26
26 Recorded by Roger de Piles 1743, 86–92. In 1550, Vasari records that Mantegna’s teacher Squarcione was supposed to have made a similar criticism, see Campbell 2020, 10.
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Felix Thürlemann
Laokoons linker Arm Eine verlorene Michelangelo-Zeichnung in ihrem vielfachen Gebrauch
For our present purposes, let us say that it is necessary to look ever more closely at the historical machine that takes in the Laocoön at one end and extrudes the Sistine Ceiling at the other. Leonard Barkan1
Gegenstand der folgenden Überlegungen ist eine mit schwarzer Kreide realisierte, plastisch ausgearbeitete Wiedergabe des sehr muskulösen, leicht angewinkelten linken Arms eines Mannes. Bloß angedeutet sind die Brustpartie und der Kopf (Abb. 2). Die Darstellung – sie wurde nachträglich durch einen gemalten schwarzen Rahmen eingefasst und dabei teilweise überdeckt – ist im ersten Band der sogenannten „Skizzenbücher von Marten van Heemskerck“ in Berlin überliefert.2 Die Zeichnung besitzt eine interessante Überlieferungsgeschichte und hat schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Kunsthistoriker auf sich gezogen. Sie wurde bereits mit einem Gemälde von Cornelis van Haarlem (Abb. 3, 4) und mit einem Ignudo der Sixtinischen Decke (Abb. 5) in Beziehung gebracht. Wie im Folgenden gezeigt wird, kann sie als Kopie mit FaksimileQualität einer heute verlorenen Zeichnung Michelangelos nach dem linken Arm des Laokoon bestimmt werden. Dadurch erweist sie sich als ein wichtiges, wenn auch indirektes Zeugnis für die künstlerische Auseinandersetzung Michelangelos mit der am 14. Januar 1506 in Rom aufgefundenen antiken Figurengruppe. Das Blatt, das auf der Gegenseite eine Federzeichnung mit Bruchstücken vom Gebälk und einer Teilansicht des Tempels des Antoninus und der Faustina auf dem Forum Romanum zeigt (Abb. 1), gehörte ursprünglich zum sogenannten Römischen Skizzenbuch, das später aufgelöst wurde und heute mit seinen 67 erhaltenen Blättern den Hauptbestand des ersten, bislang Heemskerck zugeschriebenen Berliner Zeichnungsbandes ausmacht.3 1 2
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Barkan 1999, 11. Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-No. 79.D.2, fol. 22v, schwarze Kreide sowie schwarze, mit Feder und Pinsel aufgetragene Tinte (beim nachträglich ergänzten simulierten Bilderrahmen) ; 134 × 211 mm (sichtbare Fläche : 122 × 201 mm). S. Hülsen/Egger 1913, 13. Das Blatt ist zusammen mit den übrigen Heemskerck zugeschriebenen, in Rom entstandenen Blättern im Detail besprochen bei Bartsch 2019, 336 (Kat. 32 : „Detailstudie nach einem Ignudo der Sixtinischen Decke“). S. Hülsen/Egger 1913, IV–XI, für eine Rekonstruktion des Römischen Skizzenbuchs. Die beiden heute im Kupferstichkabinett Berlin unter den Inv.-No. 79.D.2 und 79.D.2a aufbewahrten Bände bildeten ursprünglich ein gemeinsames Konvolut von Zeichnungen, das einst im Besitz des Malers Pieter Saenredam war und vermutlich nach dessen Tod im Jahre 1665 in zwei Teile
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Abb. 1 Berlin, Kupferstichkabinett, 79.D.2., fol. 22v
Die Blätter des Römischen Skizzenbuches enthalten größtenteils Stadtansichten und Wiedergaben von meist antiken Skulpturen und Gebäuden, von Motiven, die der Zeichner während seiner Streifzüge durch Rom festgehalten hat. Nur wenige Seiten geben sich als Kopien nach fremden Vorlagen zu erkennen.4 Die meisten Zeichnungen sind mit der Feder ausgeführt, einige von ihnen wurden nachträglich laviert. Eine besondere Bedeutung hatten für den Zeichner die in Rötel realisierten Darstellungen von antiken Skulpturen und Skulpturenfragmenten. Diese nahmen im ursprünglichen Skizzenbuch fast ausnahmslos eine dominante Recto-Seite ein. Deutlich seltener ist die schwarze Kreide als Zeicheninstrument eingesetzt.5 Zusammen mit vier weiteren, ebenfalls in schwarzer Kreide ausgeführten Zeichnungen bildet jene mit dem linken
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aufgeteilt wurde. In einem kürzlich erschienenen Aufsatz vertrete ich die These, dass die Zeichnungen mit wenigen Ausnahmen von einem einzigen Zeichner stammen, dieser aber nicht mit Maarten van Heemskerck identisch sein kann. Der Autor der Zeichnungen, der sich zwischen spätestens Anfang 1536 und Sommer 1538 in Rom aufgehalten hat, wird hier provisorisch mit dem Notnamen „Meister der römischen Skizzenbücher“ bezeichnet. S. Thürlemann 2021, 63. Um Kopien nach fremden zeichnerischen Vorlagen handelt es sich zweifellos bei fol. I.55v : Aufriss der Fassade des Palazzo dell’Aquila, sowie fol. I.68r : perspektivische Aufrisse der Zecca (Banco di Santo Spirito) und des Palazzo Jacopo da Brescia (Palazzo Costa), beide in der Entwurfsphase. Die schwarze Kreide wurde neben fol. I.22v auch bei folgenden Blättern verwendet : I.23v (Partien des Laokoon und rechte Hüfte des Herkules mit dem Telephosknaben), I.45v (Bein- und Fußpartien einer unbekannten Standfigur, ergänzt durch einen in Rötel gezeichneten Torso der Sammlung Francipani), I.70r (Teilansicht des Kolosseums), I.74v (Rücken des Nil im Belvedere).
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Abb. 2 Berlin, Kupferstichkabinett, 79.D.2, fol. 22r
Arm (Abb. 2) – sie war im aufgelösten Skizzenbuch ebenfalls eine Recto-Seite – eine Ausnahme. In seinem 1891 erschienenen ersten vollständigen Inventar der Berliner Zeichnungs bände beschreibt Adolf Michaelis die Zeichnung wie folgt : „Linker Arm. Bleistiftzeichnung, anscheinend nach dem Leben.“6 Auch der von Christian Hülsen verfasste Kommentar in der von ihm 1913 und 1916 zusammen mit Hermann Egger herausgegebenen, noch heute maßgeblichen Faksimileausgabe ist durch Unsicherheiten geprägt.7 Als Titel wählt der Autor den mit einem Fragezeichen versehenen Begriff „AKTSTUDIE (?)“. Die anschließende Beschreibung lautet : „Kräftiger jugendlicher Mann, vom Rücken gesehen ; voll ausgeführt nur der linke Arm ; Kopf und Ende des Unterarms roh mit Tusche zugedeckt.“ Es folgt der Zusatz „Wie es scheint, Zeichnung nach einem Akt in ähnlicher Stellung wie der eine Dioskur von Monte Cavallo“. Durch diesen Vergleich mit einer Figur aus der antiken Skulpturengruppe auf dem Quirinal wird Michaelis’ Deutung als vermutete Aktstudie nach dem Leben präzisiert und
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Zur Verwendung der schwarzen Naturkreide s. Meder 1923, 109–116, sowie Mayhew/Ellis/Seraphin 2010. Michaelis 1891, 138. Hülsen/Egger 1913, 13.
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gleichzeitig relativiert. Hülsen klassifiziert die Zeichnung als „Eigenhändige Bleistiftzeichnung“, schreibt sie also Maarten van Heemskerck zu.8 Dieser habe sie wie alle Zeichnungen des aufgelösten Römischen Skizzenbuchs während seines Aufenthalts in Rom geschaffen, den die Herausgeber mit Berufung auf Karel van Mander auf die Zeit zwischen dem Sommer 1532 und spätestens 1535 festlegen.9 Im Jahre 1975 reichte George Keyes an der Universität Utrecht seine Dissertation zum holländischen Marine- und Landschaftsmaler Cornelis Vroom ein. Unter den Thesen, die er damals verteidigte, stellt die fünfte eine Verbindung zwischen der Zeichnung im Römischen Skizzenbuch und dem Soldaten am rechten Bildrand in dem von Cornelis van Haarlem 1591 gemalten Bethlehemitischen Kindermord her (Abb. 3, 4).10 Im Gemälde ist der Arm zwar schmaler, weniger gebeugt und hat stärker gestreckte Glieder als in der Zeichnung, doch sind die anatomischen Details beim Oberarm und der Brustpartie identisch. Die Annahme, dass die Kreidezeichnung des Römischen Skizzenbuchs als partielle Vorlage für das Gemälde mit dem Kindermord gedient habe, wird durch die Information gestützt, wonach der Maler Cornelis van Haarlem laut Saenredam nach Maarten van Heemskerck und Jacob Rauwaert der dritte Besitzer des heute in Berlin auf zwei Bände aufgeteilten Zeichnungskonvoluts war.11 Man kann davon ausgehen, dass es Cornelis van Haarlem war, der das Blatt mit dem heute fleckig wirkenden schwarzen Rahmen versehen hat.12 Dadurch hat er die Zeichnung aufgewertet, sich aber auch gleichzeitig ihrer bemächtigt. Der Rahmen fokussiert die zeichnerische Wiedergabe der Figur auf den Arm allein, den Körperteil, der in der Zeichnung bereits hervorgehoben ist und den der Maler für sein eigenes Gemälde als Vorlage benutzen sollte. 8 Die technische Bestimmung „Bleistiftzeichnung“ durch Michaelis und Hülsen ist nicht korrekt. Das Zeichenmaterial ist schwarze Naturkreide. 9 Hülsen/Egger 1913, IX. 10 Die These lautet : „V. Folio 22v of the first ‚Roman Sketchbook‘ of Maerten van Heemskerck is by Cornelis Conelisz. van Haarlem and is a preparatory study for the arm of the executioner in the Massacre of the Innocents, signed and dated 1591, Haarlem, Frans Hals Museum. The artist subsequently included this figure as the wine pourer in The Marriage Feast of Peleus and Thetis of 1593, also in the Frans Hals Museum.“ S. Keyes 1975 (Exemplar mit eingelegtem Blatt „Stellingen“ im Getty Research Institute, Los Angeles). Reznicek 1977, 79, hat George S. Keyes dahingehend korrigiert, dass die Zeichnung im Römischen Skizzenbuch nicht von Cornelis van Haarlem stammt und dieser die Heemskerck zugeschriebene Zeichnung für sein Gemälde nur verwendet hat. 11 Tatjana Bartsch legt überzeugende Argumente vor, wonach die in ein Exemplar der französischen Ausgabe von Hubert Goltz, Les images presque de tous les empereurs, Antwerpen 1557, eingeklebte Besitzerliste aus dem Zeichnungskonvolut stammte, das heute in Berlin aufbewahrt wird. S. Bartsch 2008, 120–133. Die entsprechende Vermutung hatten bereits Gary Schwartz und Marten Jan Bok geäußert. S. Schwartz/Bok 1990, 185, 298 (Kat.-No. 245 : Transkription und Übersetzung des Dokuments). Der von Saenredam in seiner Liste verwendete Wortlaut macht klar, dass er Heemskerck als den ersten Besitzer und nicht als Autor des Zeichnungskonvoluts angesehen hat, dessen Urheber er offenbar nicht kannte. 12 So bereits Bartsch 2008, 130.
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Abb. 3 Cornelis van Haarlem (Mitteltafel, 1591) und Maarten van Heemskerck (Flügel, 1546), Triptychon, Den Haag, Mauritshuis
2008 hat Tatjana Bartsch erkannt, dass die Zeichnung auch einen Bezug zu einem der Ignudi in Michelangelos Sixtinischer Decke hat. Der dargestellte Arm entspricht seitenverkehrt dem vorderen, abgestützten Arm des nackten Jünglings links über dem Propheten Joel (Abb. 5).13 Es ist vermutlich einer der ersten Ignudi, die Michelangelo zusammen mit seinem spiegelsymmetrisch ausgerichteten Gegenpart konzipiert hat. Da im Fresko der Kontur der Brust zusammen mit der Brustwarze so wiedergegeben ist wie in der Zeichnung, ist auch hier der Zusammenhang gesichert. Offen ist jedoch, wie dieser Bezug zwischen der Zeichnung und dem Deckengemälde zu interpretieren ist. Bartsch geht davon aus, dass es sich bei der Kreidezeichnung im Römischen Skizzenbuch um eine, möglicherweise nach vermittelnden Zeichnungen geschaffene, partielle Kopie nach dem Ignudo der Decke handelt.14 Doch wenn man die im Berliner Bestand erhaltene Zeichnung mit dem Fresko der Sixtina vergleicht, erscheint der Arm des Ignudo im Fresko sehr viel schlanker und weniger muskulös ausgeführt als jener der Zeichnung. Es ist schwer vorstellbar, dass die zeichnerische Darstellung des Arms mit all ihren anatomischen Feinheiten ausgehend von der Figur an der Sixtinischen Decke hätte entwickelt werden können.15 13 Bartsch 2008, 131. 14 Zuletzt Bartsch 2019, 336 (Kat. 32). 15 Auch die seitenverkehrte Ausrichtung des gezeichneten Arms spricht gegen eine Abhängigkeit vom gemalten. Pieter van Thiel, der den Zusammenhang mit dem Ignudo noch nicht erkannte,
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Abb. 4 Cornelis van Haarlem, Soldat aus dem Bethlehemitischen Kindermord, Detail aus Abb. 3 Abb. 5 Michelangelo, Ignudo aus der Decke der sixtinischen Kapelle, Vatikanstadt
Die Entfernung des schwarzen Rahmens mit digitalen Mitteln erlaubt eine neue Beurteilung der Zeichnung im Römischen Skizzenbuch (Abb. 6). Diese gibt sich jetzt als partielle Darstellung einer besonderen antiken Skulptur zu erkennen. Sie zeigt den Oberkörper des Vaters aus der Laokoon-Gruppe, wobei der linke Arm besonders aufwendig herausgearbeitet ist (vgl. Abb. 8). Jedes anatomische Detail, jeder Muskel des Arms ist präzise erfasst. Der Unterarm mit seinen stark hervortretenden Hautvenen ist nur bis zum Schlangenleib deutlich dargestellt. Dieser ist jedoch am Ende des Arms tiefer angesetzt als in der heutigen, rekonstruierten Fassung der Skulpturengruppe. Die mit feinen Strichen angezeigten Konturen des Schlangenkörpers im Rücken entsprechen der heutigen Situation jedoch genau.16 betrachtete die Zeichnung des Römischen Skizzenbuchs als „a drawing by Heemskerck from an antique sculpture”. S. Thiel 1999, 82. 16 Wie sich die Skulpturengruppe bei ihrer Entdeckung präsentiert hat, ist in keinem visuellen
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Abb. 6 Michelangelo (Kopie nach), Linker Arm des Laokoon (Abb. 2 ohne Rahmen), © Leonardo Pili
Am oberen Blattrand erkennt man den im Schmerz zurückgeworfenen Kopf des Laokoon mit der charakteristischen Binde. Das Fazit lautet : Die im Römischen SkizzenDokument überliefert. Die Angaben von Giovanni Sabadino degli Arienti in einem Brief vom 31. Januar 1506 zum Erhaltungszustand sind sehr allgemein gehalten und beziehen sich ausschließlich auf die drei Figuren ohne die Schlangen (s. Settis 1999, 105) : „Queste figure sono fragmentate, che al patre mancha uno braco in quo habebat telum, ad uno deli figliuoli mancha uno braco similiter, del resto sono assai integre et sane.“ Anders als dies Matthias Winner (Winner 1974, 101f.) angenommen hat und wie es seither regelmäßig wiederholt wird (etwa von Arnold Nesselrath, in : Kruse 1998, Kat. 234), zeigt die anonyme, meist entweder Giovanni Antonio da Brescia oder einem bolognesischen Künstler zugeschriebene, vor 1508 entstandene aquarellierte Zeichnung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, Inv.-Nr. KA (FP) 7032, die Skulpturengruppe vermutlich nach oder zumindest während einer ersten Restaurierungsphase. Denn zwar fehlt außer den Zehen noch der rechte Fuß des jüngeren Sohnes, gleichzeitig aber ist an der linken Hüfte des Laokoon bereits der nicht antike Schlangenkopf zu erkennen. Den gleichen Zustand, aber aus einer anderen Betrachterposition, zeigt der seitenverkehrte Kupferstich von Giovanni Antonio da Brescia. In ihrem Kommentar zum Kupferstich in Buranelli 2006, Kat. 12, hält Tatjana Bartsch fest : „[…] le prime integrazioni e i primi restauri ebbero luogo già nel periodo immediatamente successivo al ritrovamento.“ Die Autorin nimmt an, dass der Kupferstich gegenüber der Zeichnung, die sie in Kat. 12 bespricht, einen späteren Zustand zeige.
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Abb. 7 Laokoongruppe (3D Modell) in der für Abb. 6 gültigen Betrachterposition. Sketchfab
buch erhaltene Zeichnung gibt nicht den Ignudo wieder. Das Verhältnis ist komplexer und weist in die umgekehrte Richtung : Die Berliner Zeichnung reproduziert eine heute verlorene Zeichnung Michelangelos nach dem Laokoon, die er später für einen der Ignudi im Deckenfresko der Sixtina verwendet hat. Michelangelo hat für die Figur des Ignudo nur den Arm und die allgemeine Ausrichtung des Oberkörpers der Laokoon-Zeichnung entnehmen können. Die Vorlage wurde von ihm so weit gedreht, dass der Unterarm des Ignudo vertikal ausgerichtet war und so eine stützende Funktion übernehmen konnte. Die lockigen Haare des Jünglings und die Kopfbinde zeigen, dass Michelangelo sich auch bei diesen Details von der Laokoon-Zeichnung hat anregen lassen. In einem vermutlich späten Moment des Entwurfsprozesses muss er die Vorzeichnung oder den Karton für den vom Laokoon abgeleiteten Ignudo gewendet haben, sodass aus dem linken Arm der Vorlage ein rechter wurde. In der Darstellung der Muskeln, aber auch in der zeichnerischen Faktur ist die Kopie aus dem Römischen Skizzenbuch eng verwandt mit einer Gruppe von MichelangeloZeichnungen in schwarzer Kreide, die Paul Joannides um 1505 datiert hat.17 Ein charakteristisches Beispiel für diese Gruppe ist die im Louvre bewahrte Darstellung eines 17 Joannides 2003, Kat. 8.
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Abb. 8 Michelangelo, Ausschreitender in Rück ansicht, um 1505, Paris, Musée du Louvre
nackten Mannes (Abb. 8).18 Beim Vergleich der Berliner Zeichnungskopie mit diesem und verwandten Originalen Michelangelos kann eine überraschende Nähe festgestellt werden. Die Wahl der schwarzen Kreide, aber auch die vergleichbare Schraffurtechnik sprechen dafür, dass der Zeichner des Römischen Skizzenbuchs eine Art handwerklich hergestelltes Faksimile der heute verlorenen Vorlage Michelangelos schaffen wollte. Der Akt des Kopierens zielte nicht nur auf eine möglichst exakte Wiedergabe des dargestellten Motivs ; er war auch Anlass zur Einübung in den Gebrauch der schwarzen Kreide.19 18 Paris, Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-No. 707 ; schwarze Kreide, 290 × 196 mm. Die Zeichnung wurde früher meist um 1530 datiert, weil die Forscher eine gewisse Nähe zum Bogenschützen in Windsor erkannt hatten. Joannides legt, nachdem bereits de Tolnay an der späten Datierung Zweifel angemeldet hatte, überzeugende Argumente für eine Datierung des Blattes um 1505 vor. 19 Das Römische Skizzenbuch enthält auf fol. 67v eine weitere, in Feder ausgeführte Zeichnung mit dem linken Arm und dem linken Oberschenkel des Laokoon. Unterhalb des linken Arms, diesmal aus Augenhöhe gezeichnet, ist in ungeschickter, vermutlich missverstandener Weise ein Teil der Brustpartie wiedergegeben (Hülsen, in : Hülsen/Egger 1913, 35 : „nicht zu identifizierende Muskelstudie“). Man kann deshalb annehmen, dass es sich auch bei dieser Zeichnung um eine Kopie nach einer, freilich stilistisch sehr unterschiedlichen, fremden Vorlage – Baccio
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Die im Römischen Skizzenbuch überlieferte Kopie der Zeichnung nach dem Laokoon ist vor allem deshalb von Belang, weil bisher noch kaum Belege für die zeichnerische Auseinandersetzung Michelangelos mit der Laokoongruppe bekannt geworden sind, obwohl diese laut den überlieferten Textzeugnissen und den Spuren in seinem gemalten und bildhauerischen Werk für den Florentiner Meister von größter Bedeutung war.20 Michelangelo muss die Vorlage für die im Berliner Bestand erhaltene Zeichnung zwischen dem Tag der Entdeckung der Gruppe am 14. Januar 1506 und der Arbeit an den Ignudi, die auf das Jahr 1509 angesetzt werden kann, geschaffen haben.21 Diese Zeitspanne kann jedoch weiter eingegrenzt werden. Der Grund ist die ungewöhnliche Betrachterposition, die Michelangelo der Skulptur gegenüber beim Zeichnen eingenommen hat (vgl. Abb. 7). Er stand rechts von ihr in ihrem Rücken, und seine Augen müssen sich oberhalb der 1,80 Meter hohen Skulpturengruppe befunden haben. Wie aus einem Brief von Cesare Trivulzio hervorgeht, war die Gruppe, nachdem Papst Julius II. sie erworben hatte, bereits am 1. Juni 1506 in einer eigens für sie errichteten Nische (come una cappella) im Belvedere-Hof aufgestellt.22 Spätestens von diesem Zeitpunkt an hätte der Zeichner die von ihm für die Wiedergabe des linken Arms des Laokoon gewählte Position nicht mehr einnehmen können.23 Es ist nicht auszuschließen, dass der ungewöhnlich hohe Betrachterstandpunkt der Situation entsprochen hat, in der die Gruppe sich kurz nach ihrer Entdeckung in ei-
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Bandinelli oder ein Mitglied seiner Schule ? – handelt. Um eine originale Aufnahme des Meisters der römischen Skizzenbücher handelt es sich hingegen vermutlich bei der in schwarzer Kreide ausgeführten Zeichnung fol. 23v, die den Torso des Laokoon von links noch ohne den von Montorsoli ergänzten rechten Arm, Laokoons linken Fuß und die Hüftpartie des Herkules mit dem Telephosknaben zeigt. Die Verwendung der schwarzen Kreide in dieser Zeichnung könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Meister der römischen Skizzenbücher mit der Wahl des Zeichenmaterials auf die von ihm kopierte Michelangelo-Zeichnung antworten wollte. Noch wenig Echo hat die Entdeckung von Seymour Howard gefunden, der eine Zeichnung des British Museum in schwarzer Kreide (Inv.-Nr. 1859,0625.563), die bislang als Vorstudie für die Figur des Siegers in der 1532–1534 geschaffenen Skulpturengruppe Michelangelos im Palazzo Vecchio galt, als eine Zeichnung nach dem Oberkörper des Laokoon vor der Ergänzung des rechten Arms identifizieren konnte. S. Howard 2003, 50. Hingegen kann die in Kohle geschaffene, um 1530 entstandene Wandzeichnung mit dem Kopf des Laokoon im Keller der Sagrestia Nuova kaum als Original Michelangelos angesehen werden. Für die Authentizität der Zeichnung hat sich unter anderen Andreae 1988 stark gemacht, doch hat der Autor in einem Anhang, 36f., auch zahlreiche kritische Stimmen ausführlich zitiert. Zur Geschichte der Entdeckung s. van Essen 1955. Zum Fundort zuletzt Häuber 2007, 41–47. Die wichtigsten Texte des 16. Jahrhunderts, die sich auf die Laokoon-Gruppe beziehen, sind herausgegeben und kommentiert von Sonia Maffei in Settis 1999, 85–230, hier 108f. für den erwähnten Brief von Cesare Trivulzio. Es sei denn, man geht von der Annahme aus, die Skulpturengruppe wäre damals noch mit einer seitlichen Stellung des älteren Sohnes aufgestellt gewesen, dies entsprechend der angeblich ursprünglichen, von Howard rekonstruierten pyramidalen Anordnung der Figuren. S. Howard 1959, 365–369, pl. 94 für eine Rekonstruktionszeichnung.
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nem unterirdischen Raum bei den sogenannten Sette sale, dem einstigen Nutztrakt der Trajansthermen, darbot. In einem freilich erst 61 Jahre nach der Entdeckung verfassten Brief berichtet der mittlerweile greise Francesco da Sangallo, dass er als Zwölfjähriger zusammen mit seinem Vater Giuliano und dem herbeigerufenen Michelangelo zu den ersten gehört habe, die die Skulpturengruppe in Augenschein nehmen konnten. Am Fundort angekommen habe sein Vater sofort erkannt, dass es sich um das bereits von Plinius in der Naturalis historia gepriesene Werk dreier rhodischer Bildhauer handeln müsse.24 Danach habe man das Loch vergrößert (si fece crescere la buca), um das Bildhauerwerk herausziehen zu können (per poterlo tirar fuora). Beim anschließenden Mittagessen hätten sich Michelangelo und Giuliano da Sangallo die ganze Zeit über antike Dinge (cose antiche) unterhalten.25 Es kann nicht entschieden werden, ob Michelangelo die heute verlorene, im Berliner Konvolut in einer Kopie überlieferte Zeichnung mit dem Arm des Laokoon schon beim ersten Augenschein der neu aufgefundenen Skulpturengruppe oder erst bei einer späteren Besichtigung geschaffen hat. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die verlorene Originalzeichnung noch in der ersten Hälfte des Jahres 1506 oder gar in den ersten vierzehn Tagen nach der am 14. Januar erfolgten Entdeckung der Gruppe entstanden ist. Denn bereits Ende Januar soll der glückliche Entdecker, Felice de’ Fredis, seinen kostbaren Fund, um dessen Ankauf sich sofort mehrere römische Würdenträger bemüht hatten, zur sicheren Bewahrung in seinem Schlafzimmer aufgestellt haben.26 Die im Römischen Skizzenbuch kopierte Zeichnung wäre demnach das Zeugnis einer besonders frühen Reaktion Michelangelos auf die von ihm laut Francesco da Sangallo als „Wunder der Kunst“ (portento dell’arte) bezeichnete antike Skulptur. Im Zentrum der Zeichnung steht ein einziger Körperteil : Laokoons linker Arm. Man kann sich daher fragen, ob Michelangelo die anatomisch präzise Herausarbeitung gerade des linken Arms möglicherweise bereits im Hinblick auf eine Ergänzung des damals nicht mehr auffindbaren rechten Arms realisiert haben könnte.27 Es gibt freilich keinen 24 Plinius, Naturalis historia 36, 37. 25 Brief zitiert bei Settis 1999, 110. Es gibt meiner Ansicht nach trotz der großen zeitlichen Distanz zum berichteten Ereignis keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Michelangelo anwesend war, als Giuliano da Sangallo den Fund auf Bitten des Papstes in Augenschein nahm. Dagegen Ettlinger 1961, 121 : „[…] the appearance of Michelangelo himself on the site of the excavation is almost too good to be true.“ Heute rechnen fast alle Autoren mit der Präsenz Michelangelos am Fundort, so auch Barkan 1999, 3. Im Bericht von Francesco da Sangallo ist jedoch nicht davon die Rede, dass Michelangelo und die beiden Sangallo damals dort gezeichnet hätten, wie Barkan angibt. Der Satz „Et visto, ci tornamo a desinare et sempre si ragionò delle cose antiche […]“ muss übersetzt werden mit : „Und als wir sie [die Skulptur ; F.T.] gesehen hatten, begaben wir uns zum Mittagessen, und man sprach dabei beständig über antike Dinge.“ 26 Brief von Giovanni Sabadino an Isabella d’Este, datiert auf den 31. Januar 1506, abgedruckt bei Settis 1999, 103f. 27 Das genaue Studium des erhaltenen linken Arms war Voraussetzung für eine überzeugende Rekonstruktion des fehlenden rechten Arms. So lobt Vasari den Baccio Bandinelli in dessen Vita dafür, dass er ein Wachsmodell des rechten Arms geschaffen habe, „der mit den Muskeln, der
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Beleg dafür, dass Michelangelo an der Restaurierung der Skulpturengruppe direkt beteiligt war.28 Der laut Francesco da Sangallo von Michelangelo für die Laokoongruppe verwendete Ausdruck portento dell’arte ist von Jean-Jacques Boissard in seiner Romanae urbis topographia von 1597 mit miraculum artis übersetzt und auf eine aufschlussreiche Weise präzisiert worden : „Hanc Michael Angelus dicit esse miraculum artis singulare : in quo diuinum artificum debeamus suspicere ingenium, potius quam ad imitationem nos accingere“ (Michelangelo sagt, dass sie [die Statue des Laokoon ; F.T.] ein einzigartiges Wunder der Kunst sei. Bei ihr sollten wir eher die göttliche Inspiration der Künstler erspüren, als uns anheischig machen, sie nachzuahmen.).29 Der Wortlaut lässt offen, ob der zweite Satz bezüglich des Versuchs einer Imitation der Skulpturengruppe von Michelangelo stammt oder ob es sich dabei um Boissards eigenes ästhetisches Urteil handelt. Michelangelo selbst aber hat zweifellos nach dem hier formulierten Prinzip gehandelt. So haben die Kunsthistoriker in dem seit 1506 entstandenen malerischen und skulpturalen Werk des Künstlers zwar deutliche Spuren der Auseinandersetzung mit der Laokoongruppe feststellen können, doch handelt es sich dabei nie um eigentliche Nachahmungen.30 Das Beispiel der im Römischen Skizzenbuch überlieferten Zeichnungskopie zeigt, dass Michelangelo zumindest Teile der gefeierten Antike sehr genau festgehalten hatte, doch geschah dies im privaten Bereich. Als der Meister wenige Jahre später bei der Konzeption eines der Ignudi in der Sixtinischen Kapelle auf die Zeichnung mit Laokoons linkem Arm zurückgriff, hielt er sich keinesfalls sklavisch an die Vorlage. Im Übergang von der Zeichnung zum Fresko lässt sich ein radikaler Wandel des Ausdrucks beobachten : Aus dem extrem angespannten, muskulösen Arm des Mahners, der den tödlichen Biss der Schlange unter Aufbietung aller Kräfte abzuwehren versucht, wird im dekorativen Kontext der Decke der stützende Arm eines lässig dasitzenden, das Ende einer Girlande haltenden schönen Jünglings.
Kühnheit und der Manier dem alten entsprach und sich mit diesem zu einer Einheit zusammen fügte […]“ (che corrispondeva co’ muscoli, e con la fierezza, e maniera all’antico e con lui s’univa […]). S. Vasari 1881, 146. 28 Für eine Intervention Michelangelos in der Angelegenheit spricht allenfalls die Tatsache, dass schließlich der Michelangelo-Schüler Giovanni Angelo Montorsoli mit der Restaurierung beauftragt wurde. Zum sogenannten „braccio di Michelangelo“ s. Magi 1960, 46–48, Brummer 1970, 73–119, bes. 89, 103 (Anm. 39), 107, sowie Rebaudo 2007, 30–42, wo der „braccio di Michelangelo“ überzeugend Baccio Bandinelli zugeschrieben wird. 29 Boissard 1597, 13f. 30 Das Verhältnis Michelangelos zur Antike hat Frank Zöllner an einem frühen Beispiel untersucht. S. Zöllner 2015, 248 : „Die formalen Bezüge der Kentaurenschlacht zu den Drei Satyrn und Michelangelos Verarbeitung eines antike[n] Sujets belegen, dass er in seiner Übernahme antiker Formen schon sehr früh selbständig vorging, und sie setzen auch den Ton für sein Verhältnis zur Antike in späteren Jahren.“
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Dank Der vorliegende Text wurde angeregt durch die Gespräche, die der Autor im Sommer 2018 am Getty Research Institute, Los Angeles, mit Louis Marchesano und Mauro Mussolin führen konnte. Doch erst die digitale Bearbeitung der Zeichnung aus dem Römischen Skizzenbuch durch Leonardo Pili hat es erlaubt, ihre kunsthistorische Bedeutung richtig einzuschätzen.
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“La sola antica potenza romana” Pantheonreminiszenzen in der Cappella Corsini in San Giovanni in Laterano
Als „nobilissima Cappella“ beschrieb Ridolfino Venuti, Antiquar und Vorgänger Winckelmanns als römischer comissario delle antiquità, 1766 die Cappella Corsini in San Giovanni in Laterano, „[…] vestita tutta di varj marmi di valore, con bassorilievi, e colonne, due di verde, e 4 di porfido con basi, e capitelli di metallo dorato, con il proprio Deposito formato dalla famosa Urna antica di Porfido, che stava negletta sotto il portico della Rotonda“ (Abb. 1).1 Die vielgerühmte Marmorverkleidung der Kapelle bis zum Kuppelansatz mit einer für Rom ungewöhnlich subtilen Farbabstufung von Violett-, Grün-, Zartrot- und Porphyrtönen, darunter die raren antiken Sorten fior di Persico und alabastro fiorito sowie verde e giallo antico, läßt den Raum wie einen kostbaren Schrein erscheinen.2 Päpstliche Grabkapellen stellen eine Ausnahme dar. Die Initiative zum Bau der Cappella Corsini ging nicht auf den Florentiner Papst Clemens XII. Corsini (reg. 1730–40), sondern auf das Laterankapitel zurück, das dem neugewählten Papst ein Grundstück am östlichen Ende der Basilika schenkte, um dort eine Grabkapelle für sich und seine Familie zu errichten ; vorgeblich aus Dankbarkeit für die lang zurückliegende Finanzierung einer der Langhausstatuen, aber eigentlich in der dann auch erfüllten Hoffnung, den Papst damit zugleich zum Bau der seit langem beschlossenen Fassade der Lateranbasilika zu bewegen.3 Die Schenkung erfolgte offiziell im Oktober 1731 ; Gian Gastone, Großherzog der Toskana, bewilligte auf Bitten des Papstes die Freistellung seines Hofarchitekten Alessandro Galilei (1691–1737) für den Bau der Kapelle. Galilei, Hausarchitekt der Corsini in Florenz, traf im Dezember 1731 in Rom ein. Die Entwurfsplanung lief in kurzer Zeit ab : im Januar 1732 stand der Entwurf im Wesentlichen fest, im Mai desselben Jahres wurde der Grundstein gelegt und im Januar 1735 konnte der Bau geweiht werden. Im Januar 1732 begannen auch die Bestellungen von Marmor in Carrara und die Suche nach exquisiten antiken Spolien in Rom und im Kirchenstaat. Die von Venuti erwähnten zwei Säulen aus verde antico, die den Altar rahmen, wurden bei den Ausschachtungsarbeiten der Kapelle vor Ort gefunden und dem Papst vom Kapitel ge1 2 3
Venuti 1766, 15. Zur zeitgenössischen Beschreibung der Marmorsorten Caraffa 1974, 319–331. Zur Baugeschichte und Ausstattung Caraffa 1974 ; Kieven 1989 ; Napoleone 2001 ; für die Statue Desmas 2004.
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Abb. 1 Rom, San Giovanni in Late rano, Cappella Corsini, Grabmal Clemens XII.
schenkt. Die ebenfalls genannten vier antiken Porphyrsäulen, die das Grabmal des Papstes und das gegenüberliegende seines Onkels, des Kardinals Neri Corsini senior, rahmen, sind Spolien, die im Cortile del Belvedere des Vatikans lagerten. Sie stammten von einer sechssäuligen, 13 palmi (circa 3 m) hohen Pergula, die ursprünglich den mittelalterlichen Ziboriumsaltar des Pantheons, als Kirche Santa Maria ad Martyres, umgeben hatte.4 Die Porphyrsäulen des Altars und der Säulenschranke wurden während der von Clemens XI. (reg. 1700–1721) veranlaßten Renovierung des Pantheons ab 1711 entfernt. Der Papst hatte sie sich zum Dank für die Finanzierung eines neuen Hochaltars schenken lassen.5 Sie wurden in das vatikanische Belvedere verbracht und sollten für einen dann nicht realisierten Brunnen im Cortile del Belvedere verwendet werden.6 Zwei Säulen schenkte Clemens XI. dem Oratorio di San Giuseppe in seiner Heimatstadt Urbino als Altarrahmung.7 Nach dem Tod des Papstes hatte das Kapitel 4 5 6 7
Marder 1980, 30–40. Zur kaum bildlich dokumentierten Altaranlage s. de Blaauw 1994, 19f., Abb. 3 ; Pasquali 2015, 336, Abb. II.3, Stich von G. T. Vercelli, publ. 1692 ; 21773 ; Grundrißrekonstruktion ibid., 341, Abb. II.5 ; Nesselrath 2015, 265f., 268. Zur Renovierung unter Clemens XI. siehe Marder 1980 ; Pasquali 1996 ; Pasquali 2015. Jacob 1975, 88, Nr. 401 ; 143f., Nr. 746 ; Finocchi Ghersi 1994 ; Gasparri 2001, 56f. Gasparri, ibid.
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des Pantheons 1723 vergebens versucht, die Säulen gegen einen Verzicht auf den Bau des neuen Altars wieder in seinen Besitz zu bekommen.8 Vier der Porphyrsäulen müssen schon zu Beginn der ersten Entwürfe für die Grabkapelle Anfang 1732 als Bestandteil der beiden Hauptgrabmäler festgestanden haben, denn sie wurden bereits am 29. Februar 1732 mit einem päpstlichen Chirograph für die Cappella Corsini angewiesen (Dok. 1). Die Verwendung kostbarer antiker Marmorstücke war üblich. Ungewöhnlich ist dagegen die Übernahme der in der Vorhalle des Pantheons stehenden antiken Porphyrwanne als Sarkophagmotiv des Papstgrabmals, die offenbar im Februar 1732 noch nicht vorgesehen war. Entwürfe für das Grabmal Clemens XII. sind bislang nicht bekannt. Eine Skizze aus der Werkstatt des Bildhauers Giovanni Maini zeigt für das gegenüberliegende Monument von Kardinal Neri Corsini senior einen mit Voluten bekrönten Sarkophag, der in der Form ein wenig an Michelangelos Grabmäler in der Medicikapelle erinnert und der aus Symmetriegründen auch für das päpstliche Monument anzunehmen ist.9 Die wohl aus den Agrippathermen stammende Porphyrwanne des Pantheons galt volkstümlich als Grab des Agrippa, als kaiserlicher Sarkophag, und zählte als „maraviglia“ zu den berühmtesten antiken Stücken in Rom, europaweit bekannt durch unzählige Zeichnungen und Stiche.10 Zusammen mit zwei ägyptischen Löwenskulpturen und einer Porphyrschale stand sie als emblematisches antikes Schaustück auf dem Platz vor dem Pantheon.11 Leo X. ließ die Monumente zwischen 1517 und 1520 vor dem Portikus nebeneinander aufreihen, wie es Lafreris Stich von 1569 zeigt (Abb. 2) ; unter Papst Alexander VII. wurde die Wanne in die Vorhalle des Pantheons gebracht. Der Beschluß, den aus dem Pantheon stammenden Porphyrsäulen die Porphyrwanne hinzuzufügen, wurde, wie ein bislang unbekannter Brief des römischen Antiquars und Künstlers Girolamo Odam (1681–1741) an den Architekten Alessandro Galilei dokumentiert, erst im März 1732 gefaßt (Dok. 2).12 Odam war Antiquar, Künstler, Höfling und prominentes Mitglied der römischen Arcadia.13 Er gehörte als gentiluomo zur famiglia von Kardinal Pietro Ottoboni, war ebenso gentiluomo des Hofes in Parma und wurde 1730 ins römische Patriziat aufgenommen. Er besaß eine archäologische Sammlung, zumeist Fundstücke aus zeitgenössischen Grabungen, war mit Pier Leone Ghezzi befreundet und stand in engem Kontakt zu den römischen und florentinischen Antiquaren Alessandro Gregorio Capponi, Francesco Vettori, zum Etruskologen Antonio 8 9 10 11 12
Jacob 1975, 143f., Nr. 746. Privatsammlung, 289 × 431 mm, Graphit, Pinsel in Grau, graue Lavierung ; Kieven 1989, Abb. 7. Für eine Liste der Nachzeichnungen siehe Delbrück 1932, 160f. Nesselrath 2015, 261. Der Brief befindet sich im Nachlaß des florentinischen Monsignore (später Kardinal) Giuseppe Maria Feroni (1693–1746), Kanoniker des Lateran und von Seiten des Kapitels zuständig für den Bau der neuen Fassade. Er war mit Galilei seit 1725 bekannt. Mein Dank gilt Dott. Marco Cerrina Feroni und der Soprintendenza Archivistica della Lombardia für die Möglichkeit der Konsultation des Archivs. 13 Guerrieri Borsoi 2009 ; Ruysschaert 1965.
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Abb. 2 Antonio Lafreri, Ansicht des Pantheons, 1569
Francesco Gori und zu Baron von Stosch, dessen Gemmensammlung er zeichnete. Pellegrino Orlandi gibt in seinem Abecedario Pittorico eine Schilderung der umfangreichen Kenntnisse und Begabungen Odams als „Pittore, Scultore ed Architetto“ ; beschreibt seine „Prontezza di spirito vivace per apprendere ogni scienza ed arte, che si fusse prefissa nell’ idea. Dallo studio dunque delle belle lettere passò alla Filosofia, ed alla Matematica, sotto Vitale Giordani ; al disegno, ed alla Pittura diretto dal Cavalier Carlo Maratti, all’Architettura assistito dal Cavalier Carlo Fontana, al bel maneggio a disegnar da penna, ammaestrata dal cavalier Pier Leone Ghezzi, al dipingere paesi con i principi avuti da Domenico de Marchis, detto il Tempestino, ed in ogni scienza e arte qualificato si è resi.“14 Von seinen künstlerischen Arbeiten sind Entwürfe für Stiche ornamentaler Schaublätter mit antiken Fundstücken und Gemmen im Stil Pier Leone Ghezzis erhalten, er soll auch Pastellporträts angefertigt haben.15 Odam, ein hoch angesehenes Mitglied der römischen Gesellschaft, entsprach damit dem Idealbild eines „homo novus, 14 Zitiert nach Guerrieri Borsoi 2009, 162. 15 Guerrieri Borsoi 2009 ; Ruysschaert 1965.
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[…] che fosse al contempo artista, letterato e mondanissimo cortigiano“, den Kardinal Ottoboni 1703 in einer geplanten, nie realisierten Accademia Albana schaffen wollte.16 Odams wortreicher Brief vom März 1732 belegt ein früheres Treffen mit dem Architekten, zeigt sich über den Entwurf und die Verwendung der Porphyrsäulen für die Kapelle informiert und teilt dem offenbar noch ahnungslosen Galilei die päpstliche Absicht mit, die emblematische Porphyrwanne des Pantheons für die Grabkapelle zu requirieren. Auffällig ist das Drängen auf rasche Durchführung des Plans, da Odam sich des Konfliktpotentials dieses Vorschlags bewußt war. In einem historischen Abriß versucht er, das Besitzrecht der Päpste auf antike Schaustücke allgemein und daher auch die des Pantheons nachzuweisen. Zugleich war ihm bewußt, daß die Verwendung der Wanne als Sarkophag Probleme für die Symmetrie der Gestaltung der beiden Hauptgrabmäler nach sich ziehen würde. Daher schlug er vor, als Gegenstück „Sua Santità puol prendersi il bel Labro di Porfido che discorremmo ma facendosi ciò niente sarà fatto quando la Santità Sua non l’accompagna con quello che stà nel ingresso à mano destra della chiesa di S. Maria maggiore, che par fatto apposta p. accompagniar l’altro, […] farebbe una cosa degna di Principe, e da Sourano ed adornarebbe non dico solamente la sua cappella, ma la sua chiesa Patriarcale anzi Papale di S. Giouanni […], e poi anche quando fosse al Capo della Chiesa uniuersale è lecito far questo con un altro chirografo, ed una conuenienza usata col Card : Pico titolare Arciprete, et anche co’ Sig.i Canonici il tutto si terminarebbe benissimo, e poi Caro Sig.r Galilei chi uol rispondere di nò ad un Principe come è il nostro che è tutto amore p. noi, e che domanda con gentilezza quello che puol hauere con autorita di Sourano ? […] se Sua Santità non prende anche quell’urna che dissi della detta chiesa non occorre che lei metta quella della Rotonda pche sempre restarà sola, e niuna cosa l’accompagnerà come essa. A mè gia mi pare ueder che bell accordo faranno quelle quattro colonne di Porfido con quelle due urne dell’istesso marmo gireranno gli occhi di mezzo il mondo loderanno chi fece fare la Cappella, e Lei che le auerà cosi ben collocate. […] Ma à buon conto ella si porti alla sua Cappella gli due più belli monumenti della antichità che la sola antica potenza romana gli potrebbe auere.“
Die in der Vorhalle von Santa Maria Maggiore stehende Porphyrwanne glich derjenigen des Pantheons. Aber während der Papst trotz erbitterten Widerstands des Kapitels von Santa Maria ad Martyres, das der Stadtverwaltung unterstand, sich die Porphyrwanne aneignen konnte, wäre dies beim Kapitel von Santa Maria Maggiore wohl schwerer durchsetzbar gewesen.17 Der Chirograph Clemens XII. vom 10. April 1732 gab als Begründung für die entschädigungslose Entfernung der Wanne aus der Pantheonsvorhalle die bessere Konservierung des in der Vorhalle angeblich vernachlässigten antiken 16 Manfredi 2007, 117. 17 Die Wanne wurde bei der 1741–1744 unter Benedikt XIV. erfolgten Renovierung der Basilika durch Ferdinando Fuga als neue Hochaltarmensa verwendet.
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Monuments im Innenraum vor, und führt, gegen den Wissensstand der Zeit, an, sie würde in der Kapelle im Rahmen der Verschönerung des Laterans wieder ihrem alten Zweck als Sarkophag zugeführt.18 Die Wanne wurde bereits im Mai 1732 zum Lateran gebracht, obwohl sie in der Kapelle erst später aufgestellt werden konnte.19 Es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung, daß Odam als Höfling Kardinal Ottobonis Galilei informierte. Zeitgleich mit der Planung der Cappella Corsini lief unter der Leitung Ottobonis, der seit August 1730 Erzpriester der Lateranbasilika war, die Planung für die neue Fassade der Basilika, die von ihm zielstrebig verfolgt wurde. Im September 1731 gelang es ihm, den Papst zur Einsetzung einer Kommission für den Neubau zu gewinnen, deren Vorsitz er gemeinsam mit dem Papstnepoten Kardinal Neri Corsini junior übernahm.20 Die erste Sitzung fand Anfang Oktober 1731 statt, die zweite Ende November.21 Ottoboni, einer der größten Mäzene Roms, war als langjähriger Vizekanzler und Kardinalnepot Alexanders VIII. (1689–1691) in einer starken Position, allerdings trotz hoher Einkünfte immer in finanziellen Engpässen.22 Das Wohlwollen des neuen Regimes war für ihn wichtig, zumal er als Parteigänger der französischen Krone die Wahl Clemens XII. bis zuletzt bekämpft hatte.23 Nicht nur der von Odam angesprochene ästhetische Einklang von Porphyrsäulen und Porphyrwanne, sondern vor allem der Symbolwert, den die Präsenz des authentischen antiken Monuments besaß, gab der Grabkapelle eine außergewöhnliche Dignität. Dies ist in Übereinstimmung mit der von Clemens XII. geplanten renovatio magnificentiae, die die Kontinuität des antiken und des päpstlichen Roms belegen sollte.24 Der Vorschlag, eines der berühmtesten römischen antiken „maraviglia“ für das Corsinimausoleum zu verwenden, könnte auf Kardinal Ottoboni zurückgehen, motiviert als politische Geste und Ergebenheitsadresse im eigenen wie im Interesse des Laterankapitels und des geplanten Fassadenbaus.25 Porphyr diente hier als Beleg der „sola antica potenza romana“ der Kaiser wie der Päpste. Das Grabmal des Kardinals Neri Corsini senior mußte dafür ohne Sarkophagmotiv auskommen, zeigt den Kardinal indessen als Standfigur, auch dies eine Ausnahme in der römischen Grabmalskulptur (Abb. 3).26 18 Kieven 1989, 79. Venuti griff 1766 diese Begründung wieder auf. Als die Kanoniker des Pantheons unter Benedikt XIV. eine Entschädigung beantragten, verfaßte Venuti im Auftrag Kardinal Neri Corsinis eine Gegendarstellung. 19 Valesio 1979, V, 469f. 20 Valesio 1979, V, 408. 21 Kieven 1991, 80 f. 22 Olszewski 2002 ; De Rossi 2013 ; Weißmann 2016. 23 Pastor 1962, V, 656–58. 24 Kieven 2001. 25 Es wäre möglich, daß die vorgeschlagene Übernahme der Wanne aus Santa Maria Maggiore eine Idee Odams war. 26 Es handelt sich um ein Kenotaph des Kardinals, der Clemens XII. die kirchliche Laufbahn ermöglicht hatte und in Arezzo bestattet wurde.
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Abb. 3 Rom, San Giovanni in Laterano, Cappella Corsini, Grabmal Kardinal Neri Corsini senior
Dok.1 – Chirograph Papst Clemens XII., 29.2.1732, zur Übertragung von vier aus dem Pantheon stammenden Säulen in die Cappella Corsini in San Giovanni in Laterano. Delle otto Colonne di Porfido di palmi tredici di altezza l’una in circa, che dalla Sa. Mem. di Clemente XI. furono fatte trasportare dalla Chiesa della Rotonda al N.ro Patriarchio Vaticano, e fatte collocare nella Stanza detta del Torso a Tor de’ venti, ove presentemente si trovano, e sapendo Noi che la mente del sud.o Pontefice fosse per servirsene per usa sagro, al qual effetto le aveva comprate dal Capitolo della Rotonda : Quindi è, che volendocene servire per collocarle nell’ornato della N.ra nuova Cappella, che facciamo fare nelle N.ra Basilica di S. Giovanni in Laterano sotto l’invocazione di S. Andrea Corsini ; però ne farete trasportare quattro delle medesime per l’effetto sud.o in d.a Basilica di S. Giovanni in Laterano : Volendo Noi, e decretando che in virtù del presente Nostro Chirografo non vi sia da N.ri Successori in alcun tempo, ne per qualunque causa ricercato conto di dette quattro Colonne che come sopra dovete consegnare per N.ro servizio, essendo questa la Nostra Mente, e volontà espressa, nonostante qualsivoglia altra cosa, che facesse o potesse fare in contrario. Dato dal N.ro Palazzo Apostolico al Quirinale questo dì 29. Febbraro 1732. Clemens Papa XII. Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano, S. Pal. Apost. XIII, 1.
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Dok. 2 – Girolamo Odam an Alessandro Galilei, Rom, März 1732. Casa li – Marzo 1732 Ho stimato debito della stima che faccio tanto del mio riuerit.mo Sig.re Galilei quanto della sua gran uirtù di participarle mediante queste poche righe che le significheranno una notizia che ho cercato in sequela del discorso fatto con esso lei sopra la bellissima cappella p. la casa del nostro Sourano regnante che Iddio conserui per la quale ella sa quanto io m’interessi accioche ella facci un opera degna di questa gran Casa, e di lei, che come forestiere non puole hauere certe notizie, che da gli inuidiosi non uengono suggerite, ed è che nostro Sig.re e padrone assoluto di prendere l’antico Labro di porfido che hora si ritroua posto in uno delli nicchioni nel portico del Pantheon che anticam.te seruiua per bagnaruisi dentro che era collocato in una delle Therme e forse in quelle d’Agrippa atteso che da’ Papi è stato ritrouato e con ordine d’essi è stato messo al publico. Lei legga nelle ultime carte della ristampa del Nardini nelle notizie che dà Flaminio Vacca che trouerà al nu :o 35 che dice così Uno de due Leoni di Basalto, e la conca di Porfido che sin nel tempo di Sisto 4 sono stati auanti il portico della Rotonda furono al tempo di Eugenio 4 ritrouati quando fece la basilicata p[mo ? ?] detto (?) Campo Martio etc. e segue al tempo di Clemente 7 essendo Mastro delle Strade Ottauiano della Ualle uolendo accomodar la strada scoperse li detti leoni, e Conca di porfido, che un’altra uolta si erano ricoperti, e fece due piedi alla conca con sua inscrittione e gli leoni li solleuo di terra sopra due tronchi di colonne, e Sisto V poi gli trasporto alla sua fonte Felice alle Terme Diocleziane, e la conca è rimasta auanti il portico & qui finisce il Vacca, che doppo Alessandro 7° la pose nel portico della Rotonda quando abbasso, e scoperse il portico detto di essa si che il Principe è assoluto Sig.re di quello si ritroua di grande, e raro nelle case de sudditi, non consideri Lei poi quelle si ritroua nelle strade e per dare à Lei un esempio in faccia della mia casa paterno doue abito ui fù trouato quel gran Colosso di marmo di un Barbaro bragato à sedere, che il Papa di Casa Altieri lo prese, e lo pose nel primo ingresso della Scala del suo Palazzo al Gesù doue hora si uede si che con un suo Chirografo acciò costi all’auuenire che è il Principe che lo hà preso Sua Santità puol prendersi il bel Labro di Porfido che discorremmo ma facendosi ciò niente sarà fatto quando la Santità Sua non l’accompagna con quello che stà nel ingresso à mano destra della chiesa di S. Maria maggiore, che par fatto apposta p. accompagniar l’altro, e quando la Santità Sua riponga quelle ossa che ui sono dentro (se pur ui sono) di quell’antico Patrizio di nome che dicono p. tradizione che auesse la riuelazione etc. in un altro monumento di pietra moderna allora farebbe una cosa degna di Principe, e da Sourano ed adornarebbe non dico solamente la sua cappella, ma la sua chiesa Patriarcale anzi Papale di S. Giouanni esso Patrizio non è un Santo, e poi anche quando fosse al Capo della Chiesa uniuersale è lecito far questo con un altro chirografo, ed una conuenienza usata col Card : Pico titolare Arciprete, et anche co’ Sig.i Canonici il tutto si terminarebbe benissimo, e poi Caro Sig.r Galilei chi uol rispondere di nò ad un Principe come è il nostro che è tutto amore p. noi, e che domanda con gentilezza quello che puol hauere con autorita di Sourano ? e poi Le soggiungo che quando il Senato Romano auesse qualche ius sopra delle cose antiche essendogli restato
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questa poca ombra di quel grandissimo che possedeuano Io sò che uà cercando occasione di rendersi sempre più obbligato al nostro Sourano che benignamente lo accoglie due uolte la settimana il che seruira p. una delle memorie che eterneranno la gloria sua alle età future quando gli altri Papi (si contenti che lo dica) hanno cercato sempre più d’annichilarlo. Oh uorrei esser io conseruatore in simile occasione p. mostrare al mio Principe quanta gratitudine conserui il Senato p. tanto Principe. Ma torno à dire che se Sua Santità non prende anche quell’urna che dissi della detta chiesa non occorre che lei metta quella della Rotonda pche sempre restara sola, e niuna cosa l’accompagnerà come essa. A mè gia mi pare ueder che bell accordo faranno quelle quattro colonne di Porfido con quelle due urne dell’istesso marmo gireranno gli occhi di mezzo il mondo loderanno chi fece fare la Cappella, e Lei che le auerà cosi ben collocate. Mà p. tornare poi à quell’urna della Rotonda un Chirografo di Sua Beatitudine al Camerlingo il negozio è fatto, ma sollecitudine ci uuole, e quando Lei farà trasportare quella di S. Maria Maggiore come questa della Rotonda che dicemmo me lo auuisi acciò possa godere di si grata uista. Se poi gli Canonici mormorassero lasciateli dire pche si chiama abbaiare alla Luna, e poi quanto alli Canonici non si tocca la mesata poco si curano delle antichità anzi diro così con tutta confidenza si ridono di queste cose come Noi ci ridiamo di loro e questa gente secondo me passa fra la gente del uolgo ignorante, e se poi uolessi parlar latino con esso Lei potrei dire Odi prophanum vulgus et arceo, Ma à buon conto ella si porti alla sua Cappella gli due più belli monumenti della antichità che la sola antica potenza romana gli potrebbe auere con che scusandomi delle tante cose dette dal amor che hò per Lei mi dico suo Deu.o et Obb. Ser.re Odam Mailand, Archivio Cerrina Feroni, Lettere e Viglietti Diuersi.
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II. Resonanzraum Byzanz
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The Program of the Cathedral of Cefalù
The presbytery of the Cathedral of Cefalù has a unique mosaic decoration that was begun contemporaneously with that of the Cappella Palatina in Palermo during the 1130s, but was finished only in 1148 (fig. 1).1 Scholarly interest has focused exclusively on the figural mosaics of the cathedral, to the detriment of the mosaicked columns, capitals, and ribs, which have never been accurately described, much less photographed, resulting in a complete misunderstanding of the artistic value and content of the entire program. The point is that all the walls of the interior, including all the window jambs of the apse and of the choir bay including ribs, columns and capitals are densely covered, carpet-like, with mosaics. The only sculpted elements of the decoration are two capitals placed high up on the northern and southern choir bay walls. Made of a brown-red colored stone, they represent, on the north side, an acanthus scheme, and on the south side two wonderful figures of seated telamons (fig. 2, above). The carpeting with mosaics of the walls and architectural elements in Cefalù is absolutely unique and unprecedented ; it was executed in the same manner in both the apse and the choir bay, so that the mosaics in these two zones must have been realized contemporaneously. The comparison of the faces of the Virgin in the apse and of the seraphs in the choir vault leads to the same conclusion (fig. 3). As their technical execution is identical, they were most likely executed at the same time, on the same scaffold. The viewer’s general impression of the mosaics is determined by the many dignified gesticulating standing figures, isolated against an enormous gold ground spreading from the bottom of the mosaic surface up to the vaults (figs 1, 4). In contrast to the gold ground we find all columns, capitals, and ribs in vivid colors (fig. 1). The large columns flanking the apse are (as in the Palatine Chapel) covered with purple mosaics in imitation of porphyry (figs 1, 5). The slender columns are given a turquoise color, imitating the precious stone that was quarried in Antiquity in Iran and on Mount Sinai. The turquoise color conveys a highly pretentious, if implausible message, since the stone could only be quarried in tiny amounts. Since the production of a column in precious turquoise was simply impossible, this color in Cefalù asserts the pretense of royal feasibility or the unsurpassability of royal power. This coloristic combination is carefully orchestrated and reversed in the choir bays (fig. 6). There, the large columns are of a turquoise color and the accompanying slender columns are purple. Both the columns flanking the apse and the columns of the choir bays are arranged on two levels, the lower supporting columns being spiral-fluted. The subtle combined effect of the purple and turquoise colors extends to the capitals, bases (fig. 7) and – surprisingly – to 1
Demus 1949 ; Brenk 2003/2004, 83–100 ; idem 2018, 13–34.
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Fig. 1 Cefalù Cathedral. Apse and choir. Photomontage
some of the robes of the apostles and prophets as well (figs 5, 6). Here, and throughout the wall decoration in the apse and choir bay, purple columns have turquoise capitals and bases, and turquoise columns have purple capitals and bases. A careful inspection of the mosaics from the scaffold reveals that the ingenious combination of purple and turquoise also occurs in the garments of the prophet Jonas high up on the southern choir bay (fig. 6). His purple pallium and turquoise tunic conspicuously repeat the colors of the nearby column that is turquoise, with a purple capital. The same combination of purple and turquoise robes is found again on either side of the apse where, on the left, the evangelist Mark displays an absolutely unprecedented
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Fig. 2 Cefalù Cathedral. Capitals
Fig. 3 Cefalù Cathedral. Seraph on the choir vault (right). Virgin of the apse
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Fig. 4 Cefalù Cathedral. Apse, apostles
Fig. 5 Cefalù Cathedral. Apse, apostles Mark and Luke
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Fig. 6 Cefalù Cathedral. North and south wall of the choir
combination of a blue tunic and a turquoise pallium, and on the right, the evangelist Luke is clothed in a turquoise tunic and a purple pallium (fig. 5). Both Mark’s and Luke’s garments harmonize with the purple columns and their turquoise capitals flanking the apse. But there is more. The three columns that delimit the bay walls of the choir towards the west display a symmetrical combination of a central fluted turquoise column and two accompanying slender columns (that look like responds) in purple. This wonderfully thought-out orchestration of colors in the wall mosaics and architectural elements must be interpreted as a royal striving for prestige, and it demands our attention : it is unprecedented, incomparable, and unrepeated and it has gone unnoticed in the art literature on the cathedral up to the present. The capitals (fig. 2), with the exception of the afore-mentioned red stone elements (fig. 2, above), are limestone blocks covered with a thick layer of stucco into which the mosaics have been laid, creating an imaginary double zone acanthus. The massive imposts above the fluted turquoise columns on both sides of the apse are highly original : these imposts are ornamented with a pseudo-Islamic design reminiscent of silk patterns, consisting of golden trelliswork on a glossy red-brown background. The fluted columns of the choir bay appear from a distance uniformly mosaicked in turquoise, but at closer range reveal that the spacing between the flutes is rendered with delicate clear green tesserae. The ribs and moldings (fig. 8) of the vault are covered in
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Fig. 7 Cefalù Cathedral. South wall of the choir, mosaicked column base
mosaics as well. The particular ornamental motif on the molding below the Pantocrator in the apse is repeated on the massive ribs of the choir vault. This consists of a slender, flowering tendril in bright blue or purple, outlined in black ; of symmetrical design on the ribs, it is asymmetrical on the molding below the Pantocrator. The design of the imaginative blooms in this ornament is in both cases identical. Its main features are the white outlines, the bright blue or purple color, the black veins of the petals and, most conspicuously, the elongated tips of the flower that entwine around the tendril. The great similarity between all of these tendrils is due to the fact that they were executed from one and the same scaffold by the same workshop, since this was the highest point of the choir. The meaning of this highly elaborate ornament was to enhance both the figures of the Pantocrator in the apse and of the seraphim and cherubim on the choir vault (fig. 1). In light of the enormous height of the apse and choir vault at nearly 25 meters, the function of this refined and vibrant ornament was also to attract the viewers’ attention and invite them to admire the details of the Christ Pantocrator represented in the apse. Since the ornament separating the areas between the apostles in the apse is much more geometric, the designer aspired to a progression of artistic effort,
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Fig. 8 Cefalù Cathedral. Ornaments on the vault rib (above) and in the apse vault cornice
which reaches its climax in the apse and in the choir vault. Indeed, the ornament on the molding below the Pantocrator and on the ribs of the choir vault is repeated again between both patriarchs Abraham and Melchisedek and in the lower registers where the prophets appear on both choir bay walls (fig. 6). While this refined mosaic ornament in the apse and choir of Cefalù Cathedral is without precedent, one of its elements, i. e. the mosaicked columns, was found in earlier mosaics. These columns appear for instance in the Casa delle colonne a mosaico in Pompeii (fig. 9), where they are mosaicked with a multicolored scale pattern, flower ornament, and a hunting scene. There are, however, two problems with this comparison : first, the chronology, and second, the significant functional and artistic difference between the tiny Roman nymphaeum in Pompeii and the monumental medieval Cathedral of Cefalù. A detailed analysis of the mosaicked columns at Pompeii reveals not the slightest conformity with the columns in Cefalù. The columns in Pompeii are decorated with ornamental patterns that disguise the material of the columns and evoke the impression of a revetment with textiles, whereas the purple and turquoise colors of the columns in Cefalù simulate the materiality of porphyry and turquoise columns. The fact that more than a thousand years separate the Casa delle colonne a mosaico in Pompeii (which was furthermore not excavated until the modern period) from the Cathedral of Cefalù excludes any direct influence whatsoever. On the other hand, we cannot completely rule out the possibility that Roman mosaics of this kind were still visible somewhere in Sicily and that such decoration inspired the concepteur of the mosaics of Cefalù. This is, however, merely conjecture.
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Fig. 9 Naples, Museo nazio nale. Casa delle colonne a mosaico from Pompeii
The impulse of the royal rhetoric asserting that the kings were unsurpassable prompted not only the concepteur of the mosaics but also the designer of the architecture of the cathedral itself to launch many breath-taking innovations. The visitor experiences the deployment of royal magnificence. The apse and choir decoration were meant to convey to the viewer royal preciousness, costliness, festivity, and solemnity. The imagination of the churchgoer is steered from the religious and contemplative sphere into a fabulous illusion that evokes admiration, rapture, and delight. The dominant and overwhelming protagonist of the presbytery is the Pantocrator (fig. 1). He is the Creator, Redeemer and Judge of humankind. The mosaics uniquely represent Old and New Testament figures rather than narratives. What we see is a juxtaposition of biblical iconography on the walls and the regal sarcophagi, thrones, and an altar furnishing the choir (fig. 10). Both of these realms are subject to the Pantocrator’s rule. The bilingual inscriptions in the book held by the Pantocrator in the apse of the Cathedral of Cefalù and in the apse of the Cappella Palatina both quote John 8.12 : “I am the light of the world. He who follows Me shall not walk in darkness, but have the light of life.”2 Such a linguistic juxtaposition of the same text in Greek and Latin is unknown elsewhere in the Byzantine realm ; it is unique and must convey a very comprehensive 2
See the inscription transcribed by Stefano Riccione in : Brenk 2010, vol. Schede, 670.
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Fig. 10 Cefalù Cathedral. Reconstruction of the choir with Pantocrator, king’s seat and sarcophagi
idea. I do not think that these bilingual texts were addressed to the Greek and Latin canons or believers tout court. Their message is more extensive : Jesus Christ teaches in two languages (that He never used) in order to ‘harmonize’ the Greek and the Latin Christians of the Norman Empire. This was a Norman policy, though a conflicting one. The Cefalù Pantocrator has a monumental Latin inscription that explicates its message : factus homo factor hominis factique redemptor iudico corporeus corpora corda deus.3 It states that Christ Pantocrator is human (“homo”), but that simultaneously he is the creator and the Redeemer. What follows is absolutely unexpected : “I judge as a corporeal, physical God the bodies and hearts [of humanity].” The image of a Pantocrator in an apse combined with such a text is completely original and unique, and utterly un-Byzantine. This stunning and monumental combination of image and text was meant to impress the beholder with the sheer physicality of Christ, and the profound 3
“Made man, I the maker and Redeemer of the made, I judge bodies [i.e. humans] as an embodied God.” Translation after Borsook 1990, 8. The word “corda” is here not translated.
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solemnity of the rhetoric of gravitas. It is a vision of Christ and God in One. No central apse in any Byzantine church had ever been decorated with so large an image. The design of a bust figure on this scale and with this complexity required an experienced and highly gifted master. It is a most remarkable creation. The fine execution must have been Greek, but the concept is most certainly Norman. The expression is concerned and compassionate, and embodies the content of the inscription which invokes the “physical judge” at the Last Judgement. The merciful gaze of the Cefalù Pantocrator seems to point to the forgiving nature of the Redeemer. This very specific content and form of the face of Christ has no contemporary parallels in the Byzantine realm. Below the Pantocrator, the Virgin is flanked by four archangels (figs 1, 3). This iconography is unparalleled as well. The Maria orans normally appears in Byzantine iconography as a monumental apse figure, as for example in Saint Sophia Cathedral in Kiev4 where she receives the prayers of the believers and directs them to her son. Her principal function is intercessory. While normally the Virgin is shown flanked by two archangels, two extra angels were added because of the breadth of the register. This confers extreme solemnity to her presence. What follows on the two registers below is as innovative as the Pantocrator and the Virgin in the apse. Otto Demus correctly observed that the choice of the twelve apostles is typically Byzantine, insofar as the three Evangelists Matthew, Mark, and Luke as well as St Paul are included.5 “Another cycle of Apostle figures closely resembling the choice of the apse mosaics of Cefalù is the series in the Pentecost scene in the southern transept of the Cappella Palatina.”6 Thomas Creissen followed Demus’ interpretation and went so far as to suppose that the twelve apostles represent the Pentecost.7 The iconography of the apse of the Cathedral of Cefalù, however, has nothing to do with the Pentecost scene. The most important element of the Pentecost, the descent of the Holy Spirit upon the apostles via flames and doves, is not represented. An identical program with the Pantocrator above the central door of the narthex and an assembly of the same Apostles found in Cefalù is also present in the eleventh-century narthex of Hosios Loukas in Greece (fig. 11). In Cefalù, however, the Hosios Loukas program was thoroughly redesigned, or better reinvented. Each single element of the iconography of the apse in Cefalù (including the Virgin and archangels) was accessible in the narthex of Hosios Loukas. But how such a program was transmitted from Greece to Sicily remains obscure. Was the designer of the mosaic program of Cefalù a Greek who had the Hosios Loukas program stored in his mind’s eye, or could he have used an illustrated description ? Whichever the case, the Cefalù apse program represents the most prominent instance of importation from Greece to the West of a Byzantine narthex program. This remarkable transfer shows how daringly the Normans dealt with the Byzantine import ! The result is undeniably stunning. By comparison, 4 5 6 7
Logvin 1971, 24–25, figs 49–50. Demus 1949, 318. Ibid., 319. Creissen 2003.
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Fig. 11 Hosios Loukas. Narthex, Pantocrator and central vault
the program of the Hosios Loukas narthex seems a picture book filled with myriads of diminutive images. The only large image is the Pantocrator above the central door (fig. 11). All figures belonging to its immediate entourage are accommodated in tondi or on the transverse arches that necessarily reduce their physicality and movement. In Cefalù, however, the extended wall space and the arrangement of all the figures in groups of three on each side and on two levels ensures their full-figure status (figs 1–4). The apse in Cefalù serves for an immense and well-arranged presentation of the heavenly hierarchy dominated by the Pantocrator and the Maria orans flanked by four archangels (fig. 1). The twelve apostles are tall figures placed against the spacious gold ground, holding scrolls, books and in two cases scepters (Peter and Andrew, fig. 4). They are richly and heavily draped in tunics and pallia that sometimes display unprecedented color combinations. Their expressive portraits are of the highest quality. The apostle figures are conceived as important statues of classical authors, like uomini famosi, and the viewer is invited to admire their finely executed likenesses and exaggeratedly voluminous and flowing garments. It would seem that the approach to the figure drawing of the apostles in Cefalù was inspired by the apostles on the southern and northern barrel vaults of Santa Maria dell’Ammiraglio, also called the Martorana. The apostle Paul of the Martorana is repeated in the figure of Paul of Cefalù (fig. 12), and the costume of Bartholomeus of the Martorana is repeated in the figure of Peter of Cefalù. The concept of an artful ostentation of the heavenly uomini famosi is amplified on the southern and the northern walls of the choir bay with a selection of patriarchs,
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prophets, church fathers, and saints, all of whom are subjects of the Pantocrator. This gallery of famous authors is continued on both the northern and southern walls of the choir bay (fig. 6). The two registers at the top of the side walls were decorated uniquely with Old Testament prophets, monumental standing figures holding scrolls with Latin inscriptions. On the right (southern) side the praying Abraham is isolated in a huge medallion, and he is flanked by David and Solomon (fig. 6, top right). The addressee of Abraham’s prayer is the Pantocrator in the apse. Does his gesture express intercessio for mankind ? Or is it a thanksgiving to God, the Pantocrator, for being given the divine promises ? Abraham is the forerunner of Christ par excellence. With Abraham begins a new phase of the history of salvation. The scroll of Solomon reads : audi filii [mi] precepta patris tui. “Hear, my son, your father’s instruction” (Prov. 1.8). David’s scroll contains a quotation from Psalm 45.11 : audi filia et vide et inclina aurem tuam. “Hear, my daughter, and see and pay careful attention.” Since Augustine, the Psalms were understood in Christian exegesis as a prophecy of Christ and the Church.8 According to Augustine, Christ has established the City of God with the help of the patriarchs and the prophets.9 The three prophets on the lower register are Jonas, Micah, and Nahum. Jonas’ scroll says : “The word of Yahweh was addressed to Jonah” (Jon. 1.1). Micah’s scroll reads : audite populi omnes. “Hear, all ye people : and let the earth give ear” (Mic. 1.2). Nahum’s scroll says : infirmatus est. “He rebukes the sea and dries it up. He makes all the rivers run dry” (Nah. 1.4). Chapter one of the Book of Nahum shows the absolute majesty and might of God the Lord in his severity. All of these prophetic quotations refer to God, the Pantocrator, in the apse. The prophets belong to the immediate entourage of the Pantocrator, and establish the City of God. On the north wall of the choir the medallion corresponding to Abraham’s contains the figure of Melchizedek, king of Salem (Jerusalem), and high priest of God. He offers wine in a chalice, and we know that he blessed Abraham. This is a clear allusion to the liturgy that is celebrated at the altar in the choir. Melchizedek is flanked by the prophets Hosea and Moses. The text of Moses’ scroll is the famous quotation from Genesis 1.1 : in principio creavit deus coelum et terr am. It matches perfectly with the inscription of the Pantocrator in the apse that calls him factor hominis. This obvious reference has been overlooked in all the previous scholarship. Hosea’s scroll reads : vivificabit nos dns ds post duos dies (Hos. 6.3) : “After two days He will revive us.” God, the Pantocrator will bring back humanity to life from the dead when he appears as the judge. This is again a clear reference to the Pantocrator in the apse as a judex. In the lower register, Joel’s scroll (fig. 6, left) reads : effundam de spiritu meo super omnem carnem (Joel 2.29), “I will pour out my Spirit in those days”, 8 9
Augustinus, Enarrationes in psalmos 44.25. 11. PL.36.510 Augustinus, De civitate Dei, book 17, chap. 16 on Psalm 44 (Hebrew count 45) : “And thus Christ, who is God, before He became man through Mary in that City, Himself founded it by the patriarchs and the prophets.”
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Fig. 12 Comparison between the apostle Paul in Cefalù (left) and in the Martorana
and the prophet Amos’ scroll : ecce dies veniunt (Am. 9.13), “the days are coming”, depict the blessings of the kingdom of the Messiah, the Pantocrator. There can thus be no question that all the prophets in the choir, rather than a late addition and therefore an after-thought, as Lazarev, Demus, and Kitzinger10 considered them to be, are an inherent part of the original program, since all speak about the Lord, his power and his kingdom now and in the future, and all exalt the supremacy of the Pantocrator. The fact that all of the prophet’s scrolls refer to the Pantocrator either as creator or as judex makes it clear that we are confronted here with a unity of concept. To the concept of the ostentation of ‘Christ Pantocrator and his ‘uomini famosi’ in heaven’ belong, last but not least, the saints and the church fathers on the lowest two registers of the southern and northern choir bay walls (fig. 6). The choice of the saints and the church fathers, like that of the prophets, was not accidental but very carefully calibrated. The idea was to juxtapose Byzantine-Greek and Western-Catholic representatives of the Church on the southern and on the northern choir bay walls. On the southern wall we find Theodore, George, Demetrius, and Nestor on the upper level, and Basil, John Chrysostom, Gregory the Theologian, and the bishop Nicolaus of 10 Lazarev 1935 ; Demus 1949, 16 ; Kitzinger 2000.
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Myra (who was not a church father) on the lower level. On the northern wall we find Peter, Vincent, Lawrence, Stephen, and Martin on the upper level, and Gregory the Great, Augustine, Silvester, and Denis (Dionysius) on the lower level. The goal of such a contrasting juxtaposition was to evoke an ideal harmony between the two ecclesiastical worlds as imagined by the Norman king. King Roger II of Sicily was the only ruler of his period with the vision not only to strive for but to realize such a reconciliation, as is shown also by the fact that he was the only king in Western Europe to build and restore many Greek-Orthodox monasteries in Sicily and Calabria.11 The juxtaposition of Greek and Latin church fathers and saints in the iconographic program of the Cathedral of Cefalù could well express the desire to harmonize the Greek and the Latin churches in Sicily. This hypothesis is corroborated by the juxtaposition of Greek and Latin inscriptions. Harmonization was both wishful thinking and an attempt to minimize the aggressiveness of Roger’s policy of cultural conquest.
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11 Metcalfe 2003, 15 ; Falkenhausen 2010.
Mario D’Onofrio
Una chiesa inedita a Tremensuoli di Minturno Ripresa di una tipologia bizantina
Nell’ambito della produzione artistica maturata nel corso del Medioevo nelle estreme frange dell’attuale Lazio meridionale, ai confini tra lo Stato della Chiesa e il Regno angioino, non mancano opere di una certa importanza volte a ricreare un panorama critico di articolata consistenza. Per altri versi, non sono pochi quei manufatti che, pur dotati di spessore formale, diventano oggetto di radicali pregiudizi, con il rischio di rimanere sempre più avvolti in un progressivo disinteresse e degrado.1 Tra le costruzioni rimaste fino ad oggi ai margini della critica, ma diventate nel contempo oggetto di attenzione in virtù della loro indiscussa valenza storico artistica, si colloca anche la chiesa parrocchiale dedicata al santo martire Nicandro (Fig. 1), eretta in Tremensuoli di Minturno non lontano dalla storica Minturnae romana.2 Si tratta di una costruzione inedita, considerata parte integrante del tessuto urbano di Tremensuoli, di cui lambisce sul versante est la piazza principale chiamata Capo Trivio, mentre si apre con la facciata d’ingresso direttamente sulla cosiddetta Strada Maestra. L’edificio si caratterizza poi inaspettatamente per una pianta centrale a croce greca (Fig. 2) piuttosto inconsueta nel panorama geografico pontino-aurunca, con quattro bracci regolari tra loro ortogonali, tutti a terminazione rettilinea, di cui quello d estinato ad accogliere l’altare maggiore si presenta poco più corto.3 Appena entrati in chiesa, va segnalata la differenza di gusto che si percepisce tra la facciata lasciata alle spalle, frutto di una piatta e modesta impaginazione di elementi eterogenei e la più cadenzata copertura a botte, con sesto leggermente ribassato, su cui affiorano finte vele omogenee (Fig. 3). Così dicasi per la cupola considerata termine di raccordo e area di convergenza ideale di tutta la costruzione. 1
2 3
Segno di rinnovato interesse per la produzione artistica del territorio qui preso in considerazione è il volume a cura di Lefevre 1989. Nel caso specifico, segnalo qui la catena delle pubblicazioni, più recenti o meno, che pur citando sbrigativamente la chiesa di San Nicandro o pressoché ignorandola, ripercorrono a tratti il sentiero nostalgico delle rimembranze : Riccardelli 1873 ; Ciuffi 1977 ; Castrichino 1978 ; Marino 2001 ; Carlino 2013. Sappiamo da De Santis 1924, 389–393, che il mutamento medievale di Traetto in quello più antico di Minturno fu decretato nel 1879. La parziale riduzione dello spazio destinato al presbiterio si giustifica con la particolare situazione del terreno originariamente in forte pendenza su quel versante e quindi poco fruibile ai fini di una rigorosa simmetria delle parti ; oppure si deve a un rifacimento del braccio occidentale a seguito di un suo slittamento a valle o dello sbancamento creato per l’apertura della strada alle sue spalle. Indizio di tali fatti è dato dalla diversa esecuzione delle vele del vano presbiteriale, più esili ed eleganti, rispetto a quelle degli altri bracci.
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Fig. 1 Tremensuoli, chiesa di San Nicandro, veduta complessiva esterna
Occorre ora mettere a fuoco alcuni aspetti della costruzione in grado di ricostruirne il giusto contesto di appartenenza. Tra questi, da considerarsi punto di partenza inderogabile per uno studio mirato sui caratteri tipologici e stilistici della chiesa è dato da una notizia quanto mai utile riportata da Girolamo Gattola (1731–1807) nelle sue Memorie storiche di Gaeta, dove è detto che “nell’anno 1163 Riccardo dell’Aquila, conte di Fondi e padrone di Traetto donò a questo Monistero di S. Angiolo la chiesa di San Nicandro in territorio di Traetto ; e successivamente nello stesso anno gli fu conceduta la chiesa di San Pietro situata nel luogo denominato Triminzulo”.4 Per quanto preziosa, questa notizia necessita subito di una doverosa puntualizzazione, considerata l’approssimazione con cui Gattola riferisce in merito alla ubicazione delle rispettive chiese : una dedicata a San Nicandro, l’altra a San Pietro. Vale a dire, per quanto riguarda la chiesa in onore di san Nicandro, si ha motivo di credere, senza esitazione alcuna, che essa debba posizionarsi, oggi come allora, “nel luogo denominato Triminzulo”, cioè esattamente là dove si erge la chiesa parrocchiale odierna, dedicata, appunto, al santo martire Nicandro, e non altrove. Invece, per quanto concerne 4
Gattola MS sec. XVIII, f. 165v.
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Fig. 2 Tremensuoli, chiesa di San Nicandro, planimetria ipotetica della fase originaria (ca. 1163)
Fig. 3 Tremensuoli, chiesa di San Nicandro, veduta interna con cupola
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la chiesa dedicata a San Pietro, l’assenza di oggettive evidenze archeologiche orientative ci spinge ad avanzare l’ipotesi che si potesse trattare di una costruzione intitolata all’apostolo Pietro e relazionata territorialmente tanto a Scauri quanto a Tremensuoli. Saremmo cioè di fronte alla “Ecclesia Sancti Petri de Scaulis”, ovvero alla “Ecclesia Sancti Petri Apostoli […] in loco vocabulo Scauri”, come si riscontra sia nella raccolta documentaria compilata da Cardillo e Miranda5 sia nel rimando a una nota scritta, già conservata nell’Archivio di San Michele Arcangelo in Planciano, ora perduta, ma pubblicata nel Codex Diplomaticus Cajetanus,6 con una data fissata intorno al 1196, oggi però spostata criticamente dopo il 1433, come puntualizza Mariano Dell’Omo.7 Inoltre, a conferma del riconoscimento di Scauri come facente parte di Traetto subentrano sia l’Inventarium Honorati Gaietani (1491–1493), dove si registra un possedimento “intro la terra de Trayecto, in la parrocchia de Sancto Petro”,8 sia una carta notarile del 1581 appartenente al patrimonio documentario dell’abbazia di Sant’Erasmo a Formia, in cui si fa riferimento a una “terra … sita in territorio de Traetto, dove se dice Scauli”.9 Dunque, Riccardo dell’Aquila fa dono di due chiese di suo dominio ad altrettanti monasteri di Gaeta di osservanza benedettina, considerati tra i più importanti della diocesi. Rispettivamente, al polo monastico di Sant’Angelo in Planciano concede la chiesa di San Nicandro, il cui culto era già ampiamente diffuso in varie zone dell’Italia meridionale,10 mentre al polo monastico di san Teodoro quella dedicata all’apostolo Pietro in ricordo del viaggio di costui in direzione di Roma. A seguito del loro inserimento nel sistema monastico, non solo siamo informati sugli oneri che ciascuna delle chiese riccardiane era tenuta ad assolvere annualmente per il sostentamento della mensa vescovile in occasione di particolari festività, ma veniamo anche a conoscere i nomi delle singole chiese, cappelle ed oratori che facevano parte delle rispettive comunità monastiche.11 Le dimensioni del fenomeno erano piuttosto notevoli. Numerose erano le donazioni che, tra XI e XII secolo, si susseguivano favore non solo dei monasteri gaetani ma anche del prestigioso cenobio di Montecassino. Purtroppo, com’è noto, tutta la documentazione archivistica relativa a questi monasteri, che per ragioni di sicurezza, era stata portata a Napoli presso l’Archivio di Stato, è andata distrutta a causa di un incendio ivi appiccato nel settembre del 1943 dalle truppe tedesche in ritirata. Comunque, è necessario sottolineare come, sulla scia di una tendenza politico religiosa sviluppatasi già a partire dall’età paleocristiana, i monasteri di una certa importanza potevano accrescere la propria fortuna e il proprio prestigio non solo a ragione del fatto che spesso ricevevano in dono terreni, vigne, mulini, case o altri beni immobili, 5 6 7 8 9 10 11
Cardillo/Miranda 2013. Codex Diplomaticus Cajetanus 1891, vol. 2, parte 2, 319, nota 5. Dell’Omo 1995, 48. Inventarium Honorati Gaietani 1491–1493, 167. Frecentese et al. 1996, 183. Morra 2000, 182–185. In riferimento a tale vicenda, v. Houben 1999, 28–98.
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ma verosimilmente anche perché quei monasteri erano nelle mani delle famiglie locali più potenti da cui essi stessi dipendevano. Chiese e cappelle costituivano un utile strumento di risonanza con cui poter operare, messo in atto dai loro fondatori laici o dai loro eredi sulla spinta di ambizione politica, desiderio di prestigio e potere. Non solo siamo informati sugli oneri che ciascuna delle due chiese riccardiane era tenuta ad assolvere annualmente per il sostenimento della mensa vescovile in occasione di particolari festività, ma veniamo anche a conoscere i nomi delle singole chiese e cappelle facenti parte delle rispettive comunità monastiche.12 Numerose sono poi le donazioni che – tra l’XI e il XII secolo – si susseguono in favore non solo dei monasteri di Gaeta ma anche del prestigioso cenobio di Montecassino. I protagonisti di tali vicende nel farsi promotori o fondatori di quelle strutture religiose – chiese o cappelle che fossero – ne rivendicavano il giuspatronato, all’insegna di un diritto di proprietà o di dominium diretto. Molte chiese destinate ad essere oggetto di donazione o di trasmissione ereditaria finivano per configurarsi sul nascere come un chiaro esempio di proprietà privata, laica e padronale (la cosiddetta Eigenkirche) tramite la quale i donatori e i titolari intendevano vantare ed esibire il proprio stato sociale, implementare e propagandare le proprie ambizioni politiche, procurarsi notorietà e prestigio, rivendicare la trasmissione ereditaria attraverso la proprietà riservata ai laici, far valere il diritto di nominarvi un presbìtero a loro scelta, praticare il diritto di sepoltura e quant’altro. Da ciò la comparsa un po’ ovunque, tra i secoli XI e XII, di più chiese o cappelle di patronato, con la conseguente organizzazione socio politica ed economica del territorio.13 In tale contesto occupa una posizione di rilievo la figura di Riccardo (II) conte di Fondi, figlio di Goffredo De Aquila e Adelicia sua madre. Esponente del ramo di Fondi della nobile famiglia normanna dei Dell’Aquila imparentata con la casa reale degli Altavilla, Riccardo (II)14, che era succeduto al padre (morto nel 1148), è ricordato nel Catalogus Baronum come titolare della contea di Fondi, Sessa Aurunca e Itri, signore delle città di Traetto (ossia Minturno) e Pontecorvo.15 Muore poco prima dell’anno 1166, comunque dopo l’atto di donazione. La sua decisione politica di voler donare le chiese padronali di San Nicandro e San Pietro a due monasteri della diocesi di Gaeta rispecchiava la tendenza ancorata significativamente a una tradizione di famiglia, in virtù della quale Riccardo I, insieme ai consoli di Fondi, Leone e Girardo, avrebbe fatto 12 Dell’Omo 1995, 48. 13 Quanto alle forme di proprietà ecclesiastica e feudale, v. Falkenhausen 1983 ; quindi Delogu 1988, 198. Poi, circa la ripercussione di simili istituti nella zona tra Mola e Castellone (oggi Formia) e alla relativa gestione socio economica del territorio, v. Frecentese 2000, 181–202. Su quel genere di chiese di fondazione privata, con specifico riferimento al circondario gaetano, v. Merores 1911 ; Schupfer 1915, 3–180. 14 Jamison (a cura di) 1972, 136, n. 754, inoltre Cuozzo 1984 per il relativo Commentario 1984, 282–284, nn. 995–996. 15 Von Falkenhausen 1983, 251–364 ; Vitolo 1990, 73–151 ; Dell’Omo 1995, capitoli III e IV.
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dono all’abate Oderisio di Montecassino (1087–1105) della chiesa di Sant’Onofrio presso Campodimele e, poco tempo dopo, di quattro monasteri posti nella provincia di Frosinone.16 A questo punto, per quanto fosse accertata in Tremensuoli l’esistenza di una chiesa medievale del tipo padronale intitolata a San Nicandro martire,17 e si conosca anche il nome del suo committente, poco o nulla è possibile aggiungere. In tutta l’area della chiesa parrocchiale non si scorgono tracce, ancor minime, di una visibile e comprovata esistenza medievale. Se ne deduce, con tutte le riserve del caso, che il Medioevo sia stato obliterato, da una parte, nelle fondamenta della chiesa e riproposto scientemente nella configurazione dell’alzato, ovvero attraverso un’ambiziosa rivisitazione ispirata all’architettura bizantino ravennate, di cui costituisce esempio emblematico il mausoleo di Galla Placidia. In particolare, la chiesa presente a Tremensuoli, pur sussistendo come edificio di non facile lettura e di problematica datazione, si pone sicuramente in linea con la cultura bizantineggiante ancora persistente e affiorante nelle sue ramificazioni alcuni secoli dopo il Medioevo, compresa la fascia costiera della Campania con i centri quali Gaeta, Amalfi e Salerno, si avvertono i segni di tale tendenza, com’è dato riscontrare in alcune chiese ancora ben conservate. Tra queste, otre alla chiesa di San Nicandro, si segnalano la chiesa della Confraternita del SS. Rosario di Gaeta18 e quella scandita internamente da colonne di Santa Maria a Vico a Giffoni Vallepiana, in provincia di Salerno (Fig. 4). Sono edifici oscillanti dubitativamente intorno alla metà del XVIII secolo, in cui tuttavia si respira ancora una vaga aura di bizantinità filtrata alla luce di una oggettiva indagine storico critica centrata sul periodo aureo del Ducato.19 Sempre con diretto riferimento alla chiesa di Tremensuoli, il profilo sagomato delle finestre (del tipo a viella), che danno luce all’interno, ricalca una tendenza di gusto riconducibile al Settecento e non all’età medievale. Parimenti, vanno così intesi i listelli in stucco, esili ed essenziali, che consentono di disegnare finte vele lanceolate nelle volte di tutti i bracci ortogonali (Fig. 5). E ancora, risulta contestuale a un lucido criterio di razionale funzionalità lo spazio ricavato alla sinistra del corpo d’ingresso, ovvero la creazione di un’ampia arcata a tutto tondo, mediante lo sfondamento della parete preesistente. Di tutto ciò fornisce un utile riferimento cronologico la lastra tombale, datata 1739, di Gaetano Simeone, parroco benemerito compianto dai famigliari. Verso questa sepoltura convergono alcune linee tracciate contestualmente sul pavimento originario – per fortuna ancora superstite – del tipo ad opus signinum – disteso su tutta l’area di calpestio della chiesa. Concludendo, stando così le cose, non si può non riconoscere la peculiare importanza della chiesa di Tremensuoli, dedicata al martire orientale Nicandro, affrancata 16 Von Falkenhausen, Dell’Aquila, figlio di Riccardo, in : Dizionario Biografico degli Italiani, 37, Roma 1989, 217–219 ; Baaken, Dell’Aquila, padre, in : ibid., 220–224. 17 Morra 2000, 182–185. 18 Pimpinella 1902. 19 Venditti 1967, 560–562.
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Fig. 4 Giffoni Vallepiana, chiesa di Santa Maria a Vico
Fig. 5 Tremensuoli, chiesa di San Nicandro con planimetria odierna (già nel secolo XVIII)
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finalmente dal silenzio di lunghi secoli e ora calata doverosamente sul piano del dibattito critico, in virtù dei suoi caratteri tipologici e stilistici. Non è escluso che più dettagliate indagini letterarie e archeologiche possano svelarne nuovi aspetti chiarificatori. Comunque, anche al di là di ogni possibile risultato, rimane sempre viva e stimolante l’esigenza di dover restituire la giusta valenza storico artistica ad un edificio che, a dispetto del suo latente isolamento, si è comunque rivelato fino ad oggi ricco di spunti e suggestioni.
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Karin Kirchhainer
Zur Ikonographie des heiligen Johannes Ogorodnik Eine Rezeptionsgeschichte aus der russischen Ikonenmalerei des 19. Jahrhunderts
In den letzten Dezennien gelangten einige Ikonen mit Darstellungen eines kaum bekannten Heiligen in Umlauf. Gemeint ist der heilige Johannes Ogorodnik (Ішанни Огородник), der nur in Russland verehrt wird, und zwar als Schutzpatron der Gärtner (Огородник = [Gemüse]gärtner).1 Die bislang nachweisbaren Ikonen des Heiligen entstammen ausnahmslos der jüngeren Ikonenmalerei und werden dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert zugerechnet. Sie sind über den Kunsthandel in Erscheinung getreten und befinden sich vornehmlich in Privatsammlungen.2 Die am häufigsten illustrierte Szene aus der Vita des Heiligen ist die Heilung seines Beines durch einen Erzengel (Abb. 1–3). Sie ist betitelt mit der Beischrift „Der heilige Johannes Ogorodnik“ (Abb. 1),3 „Das Bild des alt[ehrwürdigen] Johannes Ogorodnik“ (Abb. 2)4 beziehungsweise „Der Engel des Herrn heilt das Bein des heiligen Johannes Ogor[odnik]“ (Abb. 3).5 Das Zentrum der Interieur-Darstellung nimmt jeweils der auf einer Bettstatt liegende Heilige ein, der als älterer Mann mit grau-braunem Haar und langem Bart charakterisiert ist. An das Bett ist der Engel herangetreten, der Johannes mit seiner Rechten segnet. Seine linke Hand legt der Himmelsbote in einigen Abbildungen an das entblößte Bein des Johannes, an dessen Unterschenkel Wundmale kenntlich gemacht sein können. Im Hintergrund öffnet sich eine dreigliedrig angelegte Innenarchitektur, in deren mittlerem Segment eine Christusikone erscheint. Visualisiert ist das Schlüsselmotiv aus der Lebensbeschreibung des Johannes Ogorodnik, die wie folgt überliefert ist : 1
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Eine erste Publikation zum Thema wurde in einem russischen Antiquitäten-Journal vorgelegt : Nečaeva/Černov 2012. Wesentliche Informationen zur Entstehung des Aufsatzes werden dem Ikonensammler Kurt Eberhard verdankt. Seine freundliche Bereitstellung von Bild- und Textmaterial boten mir die Basis für die Erarbeitung des Themas. Zusätzliche Beispiele bei Nečaeva/Černov 2012. Die Ikone (36 × 32 cm) aus dem späten 19. Jahrhundert befindet sich in der Sammlung Gerhard Pohl, Erfurt. Ich danke dem Besitzer für die Publikationserlaubnis. Die Tafel (36,5 × 31,3 cm) wird dem frühen 19. Jahrhundert zugeordnet : Hargersheimer Kunstauktionen, Düsseldorf, Auktion 80-II (2017), Lot Nr. 1207 : https://www.kunstauktionen-dues seldorf.de/product_info.php?products_id=84088 (07.08.2019). Zur Miniaturikone (17,5 × 14,5 cm) aus dem 19. Jahrhundert s. den Auktionskatalog Russische und griechische Ikonen, 2. Auktion Brenske Gallery München, 25. Oktober 2014, Lot. Nr. 109.
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Abb. 1 Privatbesitz Deutschland, Ikone Der Engel des Herrn heilt das Bein des heiligen Johannes Ogorodnik (spätes 19. Jh.)
Abb. 3 Privatbesitz Deutschland, Ikone Der Engel des Herrn heilt das Bein des heiligen Johannes Ogorodnik (19. Jh.)
Abb. 2 Privatbesitz Deutschland, Ikone Der Engel des Herrn heilt das Bein des heiligen Johannes Ogorodnik (frühes 19. Jh.)
Abb. 4 Privatbesitz Liechtenstein, Ikone Der Schutzengel beschützt den Schlafenden (19. Jh.)
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„Ein Gemüsegärtner namens Johannes war so barmherzig zu den Armen, dass er seine ganzen Einkünfte aus seinem Garten an die Bedürftigen verteilte und für sich selbst nur das Allernotwendigste zurückbehielt. Da geriet dieser Mann durch das Wirken des Teufels in Versuchung. Der Gemüsegärtner fing an, sich zu sorgen, dass er im Alter selbst ins Elend geraten könnte, besonders, wenn er Krankheit zu erdulden hätte, und da verringerte er seine Mildtätigkeit ; er legte für sich selbst mehr als nur das Notwendigste zurück und häufte auf diese Weise nicht wenig Silber an. Da erkrankte das Bein dieses Gemüsegärtners, und so viel Geld er auch ausgab und den Ärzten gab, er erlangte keine Heilung. Schließlich hielten die Ärzte es für unumgänglich, ihm das Bein abzunehmen. Am Vorabend dieser Operation entsann sich der kranke Gemüsegärtner dessen, was er getan, bereute vor Gott und klagte ihm unter Tränen : ‚Gedenke, oh Herr, meiner früheren Taten, wie ich den Armen geholfen habe !‘ Und als er das gesagt hatte, erschien ihm der Engel des Herrn und sprach : ‚Wo sind jetzt die Silberlinge, die du angehäuft hast ?‘ Da bereute er und sprach : ‚Ich habe gesündigt, oh Herr, vergib mir, ich will es nicht wieder tun !‘ Da berührte der Engel sein krankes Bein, und sogleich war die Krankheit fort. Am Morgen ging er, um in seinem Garten zu arbeiten. Unterdessen kam der Arzt, um ihm sein Bein abzunehmen, und als er erfuhr, dass er vollkommen gesund sein Land bestelle, staunte er sehr, pries Gott und sprach : ‚Selig sind die Barmherzigen, denn ihnen wird Gnade zuteil‘ (Mt 5,7).“6
Die parabelartige Geschichte bildet ein Exempel für die Irrungen eines frommen Menschen, der in eine Notlage gerät, weil er sich vom Teufel zur Geldgier verführen ließ. Erst durch Läuterung und Gebet erfährt er Heilung durch den Engel des Herrn und erreicht damit wieder das Ideal des Rechtgläubigen und schließlich die Gnade Gottes. Die Erzählung lehrt, dass wohltätiges Geben seliger ist als selbstsüchtiges Nehmen und gemahnt, dass nicht die Anhäufung von Reichtümern zur Rettung führt, sondern Barmherzigkeit und gute Taten. Stellvertretend für die ganze Legende des Johannes Ogorodnik wurde von den Malern hauptsächlich die Heilung des Beines bildlich umgesetzt. Die Szene veranschaulicht den Höhepunkt der Erzählung, an dem sich paradigmatisch die erlösende Kraft Gottes am bußfertigen Menschen offenbart. Sie begegnet meistens als Einzelthema auf kleineren Hausikonen, die der privaten Glaubenssphäre entstammen (Abb. 1–3). Auf ihren Außenrändern können – wie bei Hausikonen üblich – sogenannte Randheilige in kleinerem Maßstab aufgemalt sein. In der Regel steht links ein Weiß gewandeter Schutzengel mit Handkreuz und Schwert und rechts ein/eine Familienheilige/r nach den Vorgaben der Auftraggeber/innen. Bei den hier gezeigten Werken sind es die heilige Märtyrerin Nadeschda (Abb. 2) und der heilige Erzbischof Eutychios (Abb. 3). Die Szene tritt aber auch im Kontext anderer Themen auf, wie unter anderem auf Sammel 6
Den russischen Originaltext mit Quellenangabe geben Nečaeva/Černov 2012, 44. Die Übersetzung wird der freundlichen Hilfe von Erika Beermann verdankt ; sie übersetzte mit großem Engagement auch die weiter unten zitierten Beischriften auf Ikonen.
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ikonen mit mehreren Heiligen7 oder Mehrfelder-Ikonen mit diversen Darstellungen (Abb. 7).8 Für die bildliche Umsetzung der Heilung des Beines schufen die Maler keine neue Szene, sondern griffen auf ein tradiertes Bildmotiv der russischen Engel-Ikonographie zurück. Die Vorlage bot ihnen eine Darstellung, die veranschaulicht, wie ein Engel einen schlafenden Mann beschützt ; das Thema ist als „Der Schutzengel beschützt den Schlafenden“ oder „Schlaf des Gerechten“ bekannt.9 In der Szene steht ein Engel am Bett eines Mannes und vertreibt den Teufel, der dem Gerechten böse Absichten einreden will (Abb. 4). Bisweilen ist hinter dem Bett ein Sekretär oder zweiter Engel zugegen, der die guten Werke des frommen Mannes schriftlich festhält. Im Hintergrund öffnet sich eine Architekturkulisse, in deren Mitte eine Ikone der Deesis oder des Christus Pantokrator hängt, vor welcher der Gerechte in einem simultanen Handlungsstrang sein Abendgebet vor der Nachtruhe verrichtet. Das Sujet „Der Schutzengel beschützt den Schlafenden“ ist seit dem 17. Jahrhundert als Hauptthema auf russischen Ikonen bezeugt.10 Zur gleichen Zeit tritt es auch als Nebenszene auf Ikonen des Schutzengels und seiner wunderbaren Taten auf.11 Für die neu zu schaffende Darstellung der Heilung des Beines bot sich der Rückgriff auf Bildelemente aus dieser Szene an, wobei die künstlerische Adaption unter Beibehaltung und Auslassung bestimmter Kompositionselemente bzw. Bilddetails vonstattenging. Der Kern der Szene – der liegende Mann auf dem Bett, an dem der Engel steht, sowie die Architekturkulisse mit der aufgehängten Ikone – wurden leicht modifiziert beibehalten, und die für die Illustration der Legende des Johannes überflüssigen Figuren, wie der Teufel und der Sekretär/Engel, eliminiert. Infolge der ikonographischen Umdeutung der Vorlage treten die beiden Hauptfiguren nun leicht abgewandelt auf, so wurde z. B. ein Bein des Liegenden aufgedeckt und Haltung und Gestik des am Bett agierenden Engels verändert. An der neu kreierten Darstellung sticht der selektive Umgang mit der im Hintergrund befindlichen Christusikone ins Auge. Sie wurde aus der Szene des schlafenden Gerechten beibehalten, allerdings wird ein Gebet vor der Ikone wie beim rezipierten Motiv (Abb. 4) nicht als separater Handlungsstrang visualisiert. Dieser Vorgang ist in der Erzählung auch nicht ausdrücklich umschrieben, obgleich sich Johannes’ flehentliche Bitte um Hilfe des Herrn vor einer Ikone vollzogen haben mag und deren Wiedergabe von den Malern gleichsam als folgerichtig angesehen wurde. Außerdem ist das Abendgebet vor der Ikone Christi für jeden orthodoxen Christen ein unverzichtbares 7 So auf einer Miniaturikone aus dem Jahr 1894 : Eberhard 2010, 112. 8 Siehe eine Zweireihen-Ikone aus dem 19. Jahrhundert mit verschiedenen Themen : Hargersheimer Kunstauktionen, Düsseldorf, Auktion 75-III (2017), Lot Nr. 972 https://www.kunstaukt ionen-duesseldorf.de/product_info.php?products_id=72685 (07.08.2019). 9 Bentchev 1999, 212f. 10 Ibid. 213 mit Anm. 26. 11 So auf einer Schutzengel-Ikone aus dem Jahr 1688 : Bornheim 2002, 112f. ; ein Beispiel aus dem 19. Jh. gibt Bentchev 1999, 115.
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Abb. 5 Privatbesitz Deutschland, VierFelder-Ikone mit Marienbildnissen und dem heiligen Johannes Ogorodnik (1822)
Ritual,12 wodurch sich die Sinnhaftigkeit der Ikone im Schlafgemach des Johannes ergibt, ja schon fast zwingend erscheint, weil ins Schlafzimmer eines jeden frommen Russen gewiss eine Christusikone gehört. Die Beibehaltung dieses Bildelements zeugt also von einem bewussten Rezeptionsvorgang, der seinen Impetus aus der orthodoxen Glaubenspraxis erhielt. Das nicht ins Bild gesetzte Gebet des Johannes vor der Ikone wird dabei der Imagination des Betrachters überlassen. Der bereits beim Entwurf von Ikonen übliche Rezeptionsprozess, bei dem ikonographische Muster einem neuen Bildzusammenhang zugeführt werden, ist gängige Praxis in der ostkirchlichen Malerei. Entsprechend lässt sich der assimilierte Einsatz von tradierten Bildelementen auch in der Ikonographie anderer Szenen aus der Vita des Johannes Ogorodnik beobachten, die ebenfalls keine genuinen Neuschöpfungen sind, sondern Rezeptionen bereits existierender Bildschemata. So zeigt eine Vier-FelderIkone mit drei Gnadenbildern der Gottesmutter im Feld rechts unten eine Szene mit Johannes Ogorodnik (Abb. 5).13 Sie stellt den Heiligen mit einem langstieligen Spaten 12 Vgl. Bentchev 1999, 213. 13 Die großformatige Ikone (44,2 × 38,5 cm) ist laut der Inschrift am unteren Rand am 8. November 1822 fertiggestellt worden : Hargersheimer Kunstauktionen, Düsseldorf, Auktion 89-II (2018), Lot Nr. 513 : https://www.kunstauktionen-duesseldorf.de/produkt/grosse-datierte-vier
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stehend in einer Landschaft dar. Er wendet sich nach links oben und richtet seine geöffnete Rechte an den dort erscheinenden Christus, der ihm aus einem Wolkenkranz den Segen spendet. Zwischen Christus und Johannes erhebt sich im Hintergrund die Kulisse einer Kuppelkirche mit Zwiebeltürmen. Visualisiert ist der abschließende Teil der Legende, der zeigt, wie Johannes am Morgen nach seiner Heilung wieder im Garten arbeitet und die göttliche Gnade erhält. Als Vorbilder für die bildliche Umsetzung der Episode lassen sich unter anderem Ikonen von russischen Mönchsheiligen heranziehen, die regelmäßig vor der Kulisse ihres Klosters in einer Landschaft abgebildet sind und aus einem viertelkreisförmigen Himmelsegment Gottes Segen empfangen.14 Auch bei den Entwürfen anderer Szenen aus der Geschichte des Johannes Ogorodnik schöpften die Maler aus dem Fundus der vorhandenen Ikonographie, die sie bei der Erschaffung neuer Bildzusammenhänge einsetzten. Einige Ereignisse seiner Hagiographie sind auf den wenigen Vita-Ikonen des Heiligen illustriert. Auf ihnen nimmt der in Frontalansicht gezeigte Johannes das Zentrum ein, als Attribut hält er wieder einen Spaten. Voneinander abgetrennte, um seine Figur angeordnete Bildfelder schildern wichtige Episoden seines Wirkens. Die vorliegende Hausikone (Abb. 6) widmet sich in vier Szenen dem Leben des Heiligen.15 Sie sind von links nach rechts und von oben nach unten zu lesen, wobei Beischriften auf dem Rand das jeweils Dargestellte erläutern. Das erste Bild zeigt, wie Johannes die Erträge seiner Arbeit an mehrere Männer verschenkt (Beischrift : „Almosengeben des heiligen Johannes des Gemüsegärtners“). Die zweite Szene ist in zwei Teilbereiche gegliedert ; links ist zu sehen, wie Johannes vom Teufel dazu verführt wird, Geld für sein Gemüse zu verlangen, und rechts der Besuch des Arztes am Krankenbett des Johannes (Beischrift : „Der Teufel führt den heiligen Johannes den Gemüsegärtner in Versuchung“). Als dritte Szene folgt die Heilung des Johannes durch den Engel (Beischrift : „Der Engel des Herrn heilt den heiligen Johannes den Gemüsegärtner“). Den Abschluss der Sequenz bildet der Besuch des Arztes am nächsten Tag, der den gesundeten Johannes bei der Gartenarbeit antrifft (Beischrift : „Der Arzt kommt zum heiligen Johannes dem Gemüsegärtner und wundert sich“).16 felder-ikone-mit-gnadenbildern-der-gottesmutter-und-dem-heiligen-johannes-ogorodnik/ (08.09.2021). 14 Siehe die Beispiele bei Haustein 1988, 74f., 76f., 96f. 15 Zur Ikone (35,5 × 30,6 cm) aus dem Ende des 19. Jahrhunderts : Eberhard 2010, 116. 16 Neben der hier besprochenen existiert eine weitere verschollene Vita-Ikone des Johannes Ogorodnik mit zwölf Randszenen aus seinem Leben. Der ehemalige Besitzer (Kurt Eberhard) hat die Szenen aufgrund der Beischriften wie folgt benannt : 1. Johannes arbeitet im Gemüsegarten ; 2. Johannes verschenkt den Ertrag seiner Arbeit an Pilger ; 3. Der Teufel verleitet Johannes, Geld für sein Gemüse zu verlangen ; 4. Der geizige Johannes verschenkt keine Almosen mehr ; 5. Johannes erkrankt an seinem Bein ; 6. Johannes lässt den Arzt kommen, der ihm nicht helfen kann ; 7. Johannes wird daran erinnert, wie er früher war ; 8. Johannes bereut und bittet Gott um Vergebung ; 9. Der Engel erscheint dem sterbenden Johannes ; 10. Der Engel prophezeit Johannes Gesundung, wenn er sein Gemüse wieder verschenkt ; 11. Der Arzt kommt und erkundigt sich nach Johannes. Man erklärt ihm, dass Johannes im Garten sei ; 12. Der Arzt geht in den Garten und sieht Johannes graben. Als der Arzt dies vernimmt, preist er Gott.
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Abb. 6 Privatbesitz Deutschland, Vita-Ikone des heiligen Johannes Ogorodnik (Ende 19. Jh.)
Hinsichtlich der ersten Vita-Szene lässt sich eine Diskrepanz zwischen Wort und Bild feststellen. In der eingangs zitierten Geschichte wird geschildert, wie Johannes seine Erträge den Armen spendet. Als Adressaten der Almosen sind auf der Ikone aber keine Hilfsbedürftigen, sondern gut gekleidete Männer in Hosen und Tuniken mit umgehängten Beuteln zu sehen (vorbeiziehende Fremde/Pilger ?). Offenbar orientierte sich
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der Maler bei der Formulierung der Szene an einer anderen Variante des Textes mit einer divergierenden Benennung der Empfänger. Nunmehr lassen sich mehrere, leicht voneinander abweichende Viten-Fassungen des Johannes Ogorodnik nachweisen. Die oben zitierte Version entstammt dem ältesten, 1641 gedruckten russischen Prolog (Menologion) aus der Erzengel-Michael-Kathedrale in Moskau.17 Sie ist Gegenstand der Lesungen am 8. November, dem Festtag der „Engelfürsten Michael und Gabriel und der anderen körperlosen Mächte“. Der Text erschien im Jahr 1915 als Neuauflage in der Moskauer Buchdruckerei der Altgläubigen.18 Dagegen ist eine andere Version des Prologs zum 8. November aus dem Kirillo-Belozerskij-Kloster am russischen SiverskoeSee überliefert, die im Hinblick auf die erste Nebenszene relevant erscheint.19 Diese Fassung wird dem 16. oder 17. Jahrhundert zugeordnet, und in ihr beginnt die Geschichte mit den Worten „Es war ein [Gemüse]gärtner namens Johannes, der war sehr mildtätig zu den Fremden/Pilgern.“20 Offenbar folgte der Maler unserer Vita-Ikone (Abb. 6) diesem Strang der textlichen Überlieferung. Bemerkenswert ist, dass die erbauliche Gemüsegärtner-Erzählung nur verstreut in wenige Menologien am Festtag der „Engelfürsten Michael und Gabriel und der anderen körperlosen Mächte“ Aufnahme fand. Der offizielle Kalender der russisch-ortho doxen Kirche führt Johannes Ogorodnik nicht als Heiligen, ihm wurde darin kein eigenes Gedächtnis zuteil. Die Ursprünge der Heiligenlegende des nicht kanonisierten Johannes liegen im Dunklen. Auch im griechisch-orthodoxen Kalender kommt ein heiliger Johannes mit entsprechender Vita eines Gärtners nicht vor.21 Dass die Verehrung des Johannes Ogorodnik an den 8. November geknüpft ist, resul tiert offenbar aus der Gegebenheit, dass der „Engel des Herrn“, also ein Erzengel, die Heilung des Beines vollbrachte. In den meisten Szenen der Heilung ist dieser durch die Abbreviatur A Γ (A[рхaнгел] Г[аврiил]) im Nimbus als Erzengel Gabriel ausgewiesen (Abb. 1, 2). Da die Geschichte den Himmelsboten lediglich als den „Engel des Herrn“ bezeichnet, lag es wohl im Ermessen der Maler, ihm diese Identität zuzusprechen. Und da Gabriel als „Engel des Herrn“ in der Episode der Verkündigung Mariä die frohe Botschaft überbringt, übernimmt er auch bei der Heilung des Johannes die Rolle als Gesandter Gottes. Dass sein Auftreten auch einfach nur der Verkündigungs-Ikonographie entlehnt werden konnte, ohne sie durch Modifikation dem Sinnzusammenhang der 17 Nečaeva/Černov 2012, 44 mit Quellenangabe. 18 http://slovo.sobornik.ru/text/prolog/prolog09-11/prolog09-11.htm (02.09.2019). Nach Neča eva/Černov 2012, 44 sind die ersten neu gedruckten Ausgaben bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der „Moskauer Druckerei des Einen Glaubens“ hervorgegangen (mir nicht zugänglich). 19 Diese Version basiert auf der Moskauer Fassung des altslawischen Stishnoy-Prologs und befindet sich in der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg (Kirillo-Belozerskij-Edition Nr. 12.1251) : Čistjakova 2014, 41–54. 20 Čistjakova 2014, 50 : „Огородник бе некто именем Иоанн, вельми бяше милостив на странныя.“ 21 Nečaeva/Černov 2012, 44.
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Abb. 7 Privatbesitz USA, VierFelder-Ikone mit dem heiligen Nikolaus, Marienbildnissen und der Heilung des heiligen Johannes Ogorodnik (19. Jh.)
neuen Szene anzupassen, zeigt eine der erwähnten Ikonen (Abb. 3). Hier tritt Gabriel in der gleichen Ikonographie auf wie bei der Verkündigung an Maria, nämlich mit Botenstab und mit zum Gruß erhobener Rechter.22 An diesem Beispiel wird ersichtlich, wie eklektizistisch und unreflektiert Maler aus dem Fundus der Vorlagen schöpfen konnten. Im vorliegenden Fall übte der Künstler keinen kreativen Akt aus, indem er durch das Zusammenspiel von Rezeption und Innovation etwas Neuartiges hervorbrachte, sondern adaptierte lediglich einen Figurentypus, der ihm für den neuen Bildentwurf als geeignet erschien. Obgleich der Maler die Ikone mit „Der Engel des Herrn heilt das Bein des heiligen Johannes Ogorodnik“ beschriftete, zeigt er keineswegs den Akt oder die Absicht der Heilung, denn der Engel legt weder seine linke Hand an das kranke Bein (Abb. 1), noch neigt er sie in diese Richtung (Abb. 2). Der Rückgriff auf den Verkündigungs-Engel offenbart auf prägnante Weise den Konservatismus der Ikonenkunst, die reproduktiv an den verbürgten Prototypen festhält.23 Aus dem etablierten Kanon wurden einzelne Bildelemente ebenso adaptiert wie ganze Kompositionen. 22 Zur Verkündigungs-Ikonographie auf Ikonen : Bentchev 1999, 136–139. 23 Vgl. Herklotz 2011, 392.
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Da sich Ikonen mit dieser oder anderen Szenen aus der Vita des Heiligen nicht früher als bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen, klafft eine beachtliche zeitliche Lücke zwischen der Entstehung der Erzählung und ihrer Verbildlichung. Selbst wenn die bildliche Darstellung schon früher entstanden sein sollte, lässt sich annehmen, dass sie im 19. Jahrhundert noch nicht geläufig war und keinesfalls zum Standard-Repertoire der Ikonenkunst zählte. Bestätigung findet diese Annahme durch Beischriften auf einer Vier-Felder-Ikone (Abb. 7).24 Sie zeigt den heiligen Nikolaus, die Gottesmutter „Freude aller Leidenden“, die Heilung des Johannes Ogorodnik und die Gottesmutter „Lindere meinen Kummer“. Während der heilige Nikolaus und die beiden Gnadenbilder der Gottesmutter nur mit dem üblichen etikettierenden Titulus versehen sind, gebot die Darstellung der Heilung offenbar eine detaillierte, vierzeilige Erläuterung, die mit „Das Leiden Johannes des Gärtners“ betitelt knapp den Höhepunkt der Geschichte darlegt : „Da kam der Engel des Herrn und sprach : ‚Wo sind nun deine Silberlinge ?‘ Der heilige Johannes sprach : ‚Ich habe sie gesammelt, aber dann habe ich begriffen‘, sprach Johannes, ‚ich habe gesündigt, oh Herr‘. Da berührte der Engel des Herrn sein Bein, und Johannes war geheilt. Und am Morgen erhob sich Johannes und ging in seinen Garten, um zu arbeiten.“
Die Ausführlichkeit des Textes lässt darauf schließen, dass die bildliche Umsetzung der Geschichte des Johannes Ogorodnik erst im beginnenden 19. Jahrhundert einsetzte. Ungeklärt bleibt, in welchem Umfeld die Ikonographie entstand und welche Faktoren für ihre Erschaffung ausschlaggebend waren. Worin lag der Anstoß für die Aufnahme der Szene der Heilung und anderer Vita-Szenen in das Repertoire der Ikonenmalerei, wo doch Johannes Ogorodnik nicht zu den kanonisierten Heiligen der russisch-orthodoxen Kirche zählt ? Ikonen des Johannes sind wiederholt Altgläubigen-Werkstätten zugeschrieben worden.25 Als Altgläubige (старообрядцы) gelten jene christlichen Gemeinschaften, die seit 1667 nicht mehr zur russisch-orthodoxen Kirche gehörten. Sie wandten sich gegen die Reformen des Patriarchen Nikon, der ab 1652 Texte und Riten der russisch-orthodoxen Gottesdienste reformierte. Im Zuge ihrer Abspaltung hielten die Altgläubigen an der altrussischen Kirchentradition fest und führten ein religiöses Eigenleben mit rituellen Besonderheiten. Sie verstanden sich als Beschützer des überlieferten Glaubens und Brauchtums, und damit einhergehend pflegten sie die Ikonenkunst in althergebrachter Weise.26 Unter den vielen 24 Die Hausikone (35,2 × 30,5 cm) wird ins 19. Jahrhundert datiert : Jackson’s Auctioneers, Cedar Falls (Iowa), Auktion 30.07.2019, Lot 91 : https://www.the-saleroom.com/en-gb/auction-catalo gues/jacksons-international-auctioneers-and-appraisers/catalogue-id-srjacks10016/lot-33942 efa-170f-46dc-a64a-aa87016a0f94 (10.09.2019). 25 S. unten Anm. 28. 26 Zur Entstehung der Altgläubigen-Gemeinschaften und ihrer Geschichte in Russland siehe Hauptmann 2005 und Salwinski 2010 (mit weiterführender Literatur).
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Altgläubigen-Werkstätten, die im 19. Jahrhundert auf ganz Russland verstreut waren, ist die Gegend um die ehemalige Ortschaft Guslicy (Гуслицы) im östlichen Teil der Oblast Moskau von besonderem Interesse, in deren Archiven etwa 120 Ikonenmaler namentlich belegt sind.27 Guslicy wird in einigen Katalogeinträgen als Herkunftsort von Ikonen des Johannes Ogorodnik angenommen.28 Tat’jana Nečaeva und Michael Černov bezeichnen in ihrem Aufsatz Johannes Ogorodnik sogar als „den Heiligen von Guslicy“.29 Sie verorten fast alle Ikonen des Gärtners dorthin und sehen in der Ortschaft die Wiege der Heilungsszene, von wo aus sie sich in andere Zentren der Altgläubigen verbreitet habe. In Guslicy hätten unter den Altgläubigen zahlreiche wohlhabende Kaufleute gelebt, denen Wohltätigkeit ein prinzipielles Anliegen gewesen sei. Unter ihnen hätte der Gedanke von der „Eitelkeit irdischer Bestrebungen“ im 19. Jahrhundert an Aktualität gewonnen, und dieses geistige Umfeld hätte die Erschaffung der Ikone jenes mildtätigen Heiligen begünstigt.30 Die Lokalisierung des Ikonenthemas nach Guslicy steht auf keiner sicheren Basis, da keine nachprüfbaren Quellen namhaft gemacht werden können. Es sei darauf hingewiesen, dass die Maler auf den Ikonen weder den Ort ihrer Werkstätten noch ihren Namen festgehalten haben. Auch Stilvergleiche führen zu keinem verlässlichen Ergebnis, denn Künstler konnten in verschiedenen Stilen malen und sich flexibel den Geschmacksvorstellungen ihrer Auftraggeber anpassen.31 Ob der Ursprung des Ikonenthemas in oder um Guslicy liegt, bleibt daher bis auf Weiteres hypothetisch. Eine Entstehung im kulturellen Umfeld der Altgläubigen scheint aber naheliegend, da alle bekannten Ikonen des Johannes Ogorodnik der traditionellen Malweise verhaftet sind, ohne Einflüsse des westeuropäischen Stils aufzunehmen, der die russische Ikonenkunst im 19. Jahrhundert tief erfasst hatte. Die meisten Altgläubigen akzeptierten nur Ikonen „im alten Stil“, westliche Einflüsse diverser Facetten konnten sich unter ihnen keinen Weg bahnen.32 Auch dass die Vita des Johannes seit dem frühen 19. Jahrhundert im Moskauer Altgläubigen Buchdruck neu aufgelegt wurde,33 spricht für einen Ursprung in diesem kulturellen Umfeld, in dem – im Gegensatz zur offiziellen Kirche Russlands – dem Heiligen eine besondere Verehrung zukommt. Vermutlich 27 Zu dem nicht mehr existenten Ort Guslicy, der ursprünglich Hauptort eines Bezirks war und heute nur noch für die Gegend um den Fluss Guslica (Гýслица) in Gebrauch ist, siehe Eberhard 2010, 61f. 28 Siehe Eberhard 2010, 112, 116 und den Katalogtext zur Vier-Felder-Ikone Abb. 5, s. o. Anm. 13. 29 Nečaeva/Černov 2012, 42. 30 Ibid. 46f. Erste Abbildungen der Szene vermuten die Autoren in Büchern bzw. Blättern mit Holzschnitten erbaulichen und belehrenden Inhalts, darunter auch Illustrationen zu Erzählungen aus dem Prolog ; allerdings ließen sich bislang keine graphischen Darstellungen nachweisen. 31 So umschrieben auf der Rückseite einer Metamorphosis-Ikone : „Ikonenmalerwerkstatt in verschiedenen Stilen auf Gold und auf Farbe und Produktion von Metallikonen, Markel Andeevič Želvakov (Altgläubiger) Adresse : Il’inskij Pogost, Gouvernement Moskau, Dorf Jakovlevskaja.“ Sie gilt als die bislang einzige in der Literatur bekannte Ikone eines Altgläubigen mit Werkstattund Ortsangabe : Eberhard 2010, 108. 32 Siehe dazu Eberhard 2005, 256. 33 S. oben Anm. 18.
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boten die von den Altgläubigen initiierten Neudrucke des hagiographischen Textes den Anstoß für die Verbildlichung.
Literatur Bentchev, Ivan : Engelikonen. Machtvolle Bilder himmlischer Boten, Freiburg i. Br. 1999. Bornheim, Bernhard : Die russische Haus-Ikone im Wandel der Zeit, Regenstauf 2002. Čistjakova, Marina : Novye dannye o rodstve moskovskoj i kirillo-belozerskoj redakcij Stišnogo prologa (sentjabr’-nojabr’), in : Slavistica Vilnensis 59 (2014), 41–54. Eberhard, Kurt : Werkstätten und Maler, in : Lebendige Zeugen. Datierte und signierte Ikonen aus Russland um 1900 (Ausst.-Kat.), hg. von Richard Zacharuk, Frankfurt a. M. 2005, 225– 279. Eberhard, Kurt : Die Werkstätten, in : Unbekanntes Russland. Ikonenmalerwerkstätten der Altgläubigen im 18. und 19. Jahrhundert : Vetka, Guslicy, Nev’jansk und die Werkstatt Frolov in Raja (Ausst.-Kat.), hg. von Alexandra Neubauer, Frankfurt a. M. 2010, 79–172. Hauptmann, Peter : Rußlands Altgläubige, Göttingen 2005. Haustein, Eva : Die russischen Heiligen und ihre Viten, in : 1000 Jahre orthodoxe Kirche in der Rus’ 988–1988. Russische Heilige in Ikonen (Ausst.-Kat.), hg. von Ferdinand Ullrich, Reck linghausen 1988, 11–145. Herklotz, Ingo : Rezeptionsgeschichte, in : Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart/Weimar 22011 (2003), 391–394. Nečaeva, Tat’jana/Černov, Michail : O “guslickom svjatom” Ioanne Ogorodnike, in : Antikvariat. Predmety iskusstva i kollekcionirovanija 98, Nr. 7–8 (2012), 42–47. Salwinski, Marius : Die Altgläubigen, Verteidiger der altrussischen Orthodoxie, in : U nbekanntes Russland. Ikonenmalerwerkstätten der Altgläubigen im 18. und 19. Jahrhundert : Vetka, Guslicy, Nev’jansk und die Werkstatt Frolov in Raja (Ausst.-Kat.), hg. von Alexandra Neubauer, Frankfurt a. M. 2010, 21–26.
Peter Cornelius Claussen
Le Corbusier, die Griechen und S. Maria in Cosmedin in Rom I Im Oktober 1911 streifte ein junger Schweizer mit dem Baedeker in der Hand durch Rom, machte Fotografien und Skizzen des Pantheon, verschiedener Thermen, der Westteile von St. Peter, des Kapitols und Forum Romanum ; zudem zeichnete er in S. Maria Maggiore und S. Maria in Cosmedin (Abb. 1). Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn dieser Charles-Eduard Jeanneret nicht zehn Jahre später als Le Corbu sier die Architektur revolutioniert hätte und bald weltberühmt geworden wäre. Wie er den ersten Eindruck der mittelalterlichen römischen Basilika S. Maria in Cosmedin erweiterte und für seine Lehrschriften nach dem Maßstab der Moderne modulierte, ist Gegenstand dieser Zeilen. Als künstlerischer Reflex, der innerhalb der Suche der frühen Moderne nach Ankerpunkten einen ganz eigenen Akzent setzt,1 steht diese punktuelle Mittelalterrezeption eines Wegbereiters der modernen Architektur vielleicht etwas am Rand einer Geschichte der gelehrten Rezeptionen, wie sie Ingo Herklotz aus den Quellen wieder ans Licht geführt hat. Vielleicht findet der Versuch über die Kuriosität hinaus dennoch Interesse.2
II Dem Romaufenthalt Jeannerets vorausgegangen war eine monatelange Orientreise,3 die ihn mit seinem Freund August Klipstein (1885–1951), einem Kunsthistoriker, der 1 2
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Der „Hang zu den Ursprüngen“ (Harald Szeemann) der frühen Moderne griff bekanntlich vor allem ins „Exotische“, im deutschen Expressionismus aber auch ins Mittelalter : Rubin 1984 ; Bushart 1990. In der uferlosen Literatur über Le Corbusier wird seine Neigung zu S. Maria in Cosmedin nahezu ausgeblendet. Ein Aufsatz über Le Corbusier und das Mittelalter erwähnt sie nicht einmal : Dynes 2006. Selbst in dem gründlich recherchierten Beitrag von Marida Talamona 2013 über Jeannerets Romaufenthalt ist über den Besuch in S. Maria in Cosmedin nichts zu finden. Kurze Erwähnungen bei von Moos/Rüegg 2002, 193 ; Cohen 2007, 20, 30 ; Wąs 2013, 23f. Über die Orientreise hat er einen literarisch ambitionierten Reisebericht geschrieben, den er zunächst nur in Fortsetzungen in Avis, einer Zeitschrift seiner Heimatstadt La Chaux-de-Fonds, publizieren konnte. Das Manuskript beendete er am 10. Oktober 1911 in Neapel ; Rom (und Pisa) kommen nicht mehr vor. Als Buch erscheint Voyage d’Orient erst 1966, ein Jahr nach Le Corbusiers Tod, aber noch von ihm redigiert und vorbereitet. Die wichtigste Literatur, auch mit Hinweisen auf den Einfluss des Schweizer Orientliebhabers William Ritter : Gresleri 1984 ;
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Abb. 1 L.-E. Jeanneret, Inneres von S. Maria in Cosmedin, Rom, Skizzenblock Nr. 5, 1911
als Kunsthändler bekannt wurde, in vielen Stationen durch den Balkan nach Istanbul und von dort nach Athen geführt hatte. Istanbul und die Akropolis hatten den jungen Architekten tief beeindruckt. Eigentlich wollten die beiden weiter nach Ägypten. Jeanneret erkrankte aber in Athen, wo gerade die Cholera grassierte. Die Freunde kürzten die Reise ab und Klipstein reiste schon voraus. Jeanneret entdeckte in der Architektur der Akropolis sein Ideal und setzte mit dieser Griechenbegeisterung allein nach Italien über, das ihn insgesamt enttäuschte. Nur in Pompeji skizziert er ausführlich und begeistert. Anders als bei seiner ersten Italienreise 1907, die ihn nach Venedig führte,4 scheint ihn das Mittelalter 1911 nicht sonderlich interessiert zu haben. In Rom standen die Antike und Michelangelos St. Peter im Fokus. Doch interessierte ihn auch der Typus der Basilika. S. Maria Maggiore, von deren Innenraum er drei Zeichnungen macht, nennt er eine der schönsten.5 S. Maria in Cosmedin bezeichnet er in einer Skizze (Abb. 1) als kleinere Basilika.6 Das klingt recht zufällig und keineswegs enthusiastisch ; doch notiert er immerhin den Rhythmus der Arkaden.7 Von der Innenausstattung und dem eindrucksvollen Paviment hält er nichts fest ; was ihn interessiert
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Gresleri 1991 ; von Moos/Rüegg 2002 ; L’invention 2013 ; Dumont 2013, 94–103 ; Brillart 2016 ; Žaknić 2019 (vor allem über das Reisetagebuch August Klipsteins). Vaisse 2002. Jeanneret, Ch.-E./Le Corbusier 2002 (ed. franç.) Carnet 5, fol. 1–3 (153). „St. Marie majeure/ La forme de basilique est l’une des plus belles“. Gute Abbildungen in Brillart 2016, 180f. Idem, fol. 9. „une basilique plus petite/30 m env.“ Idem, „3 groupes de 4 arcs“. Die Ansicht wird begleitet von einem schematischen Querschnitt durch eine Basilika.
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hat, war die hölzerne Flachdecke,8 deren Bretteranordnung er in einer winzigen Randzeichnung festzuhalten sucht. Aus heutiger Sicht erscheint es wie Ironie, dass das, was er skizzierte, so erst seit 15 Jahren zu sehen, also quasi zeitgenössisch war. Der hochrechteckige Raum (Abb. 2), die kahlen Wände und die Flachdecke sind der purifizierenden Erneuerung durch Giovanni Battista Giovenale in den Jahren 1896 bis 1899 zu verdanken, der die barocke Ausstattung mit ihren Gewölben beseitigte.9 Jeannerets Reise blieb für den Architekten ein wichtiger Stimulus. Sie folgte nicht der üblichen grand tour, sondern war bewusst anti-akademisch angelegt. So ist auch die Begeisterung für Moscheen und türkische Häuser zu erklären. Der Enthusiasmus für die Akropolis ist nicht das übliche Bildungserlebnis, sondern die Entdeckung eines eigenen Architekturideals der Klarheit und Rationalität. Die Griechen-Begeisterung begleitet ihn lebenslang und ist ein Leitmotiv seiner Lehrschriften.10
III Wie aber ist es zu erklären, dass der flüchtige Besuch des jungen Jeanneret in der römi schen Kirche gut zehn Jahre später (Oktober 1922) in Le Corbusiers Artikel Leçon de Rome der Zeitschrift L’Esprit Nouveau unter dem Titel Rome Byzantine plötzlich mehrere Seiten und Illustrationen (Abb. 3, 4, 6) einnimmt ?11 S. Maria in Cosmedin behauptet hier ihren Platz zwischen Pantheon und Michelangelo und ebenso in Le Corbusiers zur gleichen Zeit aus seinen Artikeln kompilierten Buch Vers une architecture (erschienen 1923) inmitten Flugmaschinen, Ozeanriesen und Automobilen, technischen Bauten und kühnen Architekturprojekten.12 Die Verwunderung wird noch größer, wenn man liest, mit welcher Emphase er die mittelalterliche Kirche beschreibt :
8 Idem, „plafonds très bon/200/200/liste“. 9 Giovenale 1927 ; Schmitz 2020, 136. Giovenales Flachdecke ist 2005/06 wieder entfernt worden. Bemerkenswert ist, dass S. Maria in Cosmedin als eine der ersten römischen Kirchen durch eine Monographie ausgezeichnet wurde : Crescimbeni 1715. Der Autor war als Poet und Gelehrter einer der führenden Akademiker, aber auch Erzpriester von S. Maria in Cosmedin. Seine Aktualisierung der Fassade und des Innenraums begleitet er ungewöhnlicherweise mit einer detaillierten Dokumentation des Zustandes vor der von ihm initiierten Erneuerung. 10 Siehe auch von Moos 1999, der konstatiert, der Klassizismus der Architektur Peter Behrens’, bei dem Jeanneret in seiner Berliner Zeit kurz vor der Reise 1911 zeitweise assistierte, habe ihm die Hinwendung zu den Griechen erleichtert. 11 Mit der Signatur Le Corbusier-Saugnier im Oktober 1922 erschienen in L’Esprit Nouveau 14 (1922), 1591–1607. Darin als Abschnitt II : Rome Byzantine, 1598–1601. Digitalisat, geöffnet am 15. 8. 2020 : http://arti.sba.uniroma3.it/esprit/viewer/web/viewer.html?&file=Li4vLi4vcGR mL0VzcHJpdE5vdXZlYXUtRlRfMTQucGRm. Weitere Aspekte in : von Moos 1987 ; von Moos/ Ruegg 2002, 192f. ; von Moos 2014, 56, Anm. 34. 12 Le Corbusier 1983 ; Le Corbusier 2007 ; Cohen 2007, 40, zur Entstehungsgeschichte des Buches,
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Abb. 2 Rom, S. Maria in Cosmedin, Innenraum nach Osten
« ROME BYZANTINE Choc en retour de la Grèce, par Byzance. Cette fois, ce n’est pas l’ébahissement d’un primaire devant l’enchevêtrement fleuri d’une acanthe : des Grecs d’origine viennent bâtir Sainte-Marie de Cosmédin. Une Grèce bien loin de Phidias, mais qui en a conservé la graine, c’est-à-dire les sens des rapports, la mathématique grâce à laquelle la perfection devient accessible. Cette toute petite église de Sainte-Marie, église de gens misérables, proclame, dans Rome bruyamment luxueuse, le faste insigne de la mathématique, la puissance imbattable de la proportion, l’éloquence souveraine des rapports. Le motif n’est qu’une basilique, c’est-à-dire cette forme d’architecture avec laquelle on fait les granges, les hangars. Les murs sont du crépi de chaux. Il n’y a qu’une couleur, le blanc : force certaine puisque l’absolu. Cette église minuscule vous cloue de respect. ‘Oh !’ ditesvous, vous qui veniez de Saint-Pierre ou du Palatin ou du Colisée. Messieurs les sensuels de l’art, les animalistes de l’art, seront gênés par Sainte-Marie de Cosmédin. Dire que cette église était dans Rome lorsque sévit la Grande Renaissance avec ses palais de dorures, d’horreurs ! das zunächst den Titel „Architecture et révolution“ tragen sollte. Das Manuskript soll schon Anfang 1922 beim Verlag gewesen sein.
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Abb. 3 Rom, S. Maria in Cosmedin, Innenraum nach Osten, retuschierte Ansicht aus Le Corbusiers Publikationen in „L’Esprit Nouveau“ und „Vers une Architecture“
La Grèce par Byzance, pure création de l’esprit. L’architecture n’est pas que d’ordonnance, de beaux prismes sous la lumière. Il est une chose qui nous ravit, c’est la mesure. Mesurer. Répartir en quantités rythmées, animées d’un souffle égal, faire passer partout le rapport unitaire et subtil, équilibrer, résoudre l’équation. Car, si l’expression bouscule lorsque l’on parle peinture, elle sied à l’architecture qui ne s’occupe d’aucune figuration, d’aucun élément touchant au visage de l’homme, l’architecture qui gère des quantités. Ces quantités font un amas de matériaux à pied d’œuvre ; mesurées, entrées dans l’équation, elles font des rythmes, elles parlent chiffres, elles parlent rapport, elles parlent esprit. Dans le silence d’équilibre de Sainte-Marie de Cosmédin, s’élève la rampe oblique d’une chaire, s’incline le livre de pierre d’un lutrin en une conjugaison silencieuse aussi comme un geste d’assentiment. Ces deux obliques modestes qui se conjuguent dans le rouage parfait d’une mécanique spirituelle, c’est la beauté pure et simple de l’architecture. »13 13 Wie Anm. 11. Die deutsche Übersetzung von Hans Hildebrandt erschien bereits 1926 (Le Corbusier 1926). Obwohl von Le Corbusier autorisiert, ändert und glättet sie den Ton der Kampfschrift und erlaubt sich kleine Änderungen. Cohen 2007, 45–48.
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Abb. 4 Rom, S. Maria in Cosmedin, Ambo, retuschierte Ansicht aus Le Corbusiers Publikationen in „L’Esprit Nouveau“ und „Vers une Architecture“
Die Begeisterung Le Corbusiers ist zweifellos genährt durch seine Überzeugung, hier ein im Kern griechisches Werk vor Augen zu haben. So hatte er es in seinem Baedeker gelesen.14 Und tatsächlich blieb die Tradition der griechischen Gründung mit unterschiedlichen Namensgebungen das ganze Mittelalter hindurch erhalten.15 Er sah hier „[l]a Grèce par Byzance, pure création de l’esprit“. Nur dass der Bau und seine ebenfalls abgebildeten Kanzeln (Abb. 4, 6) nichts Griechisches und auch nichts Byzantinisches an sich haben, sondern der stadtrömischen Formensprache der sog. Cosmaten des frühen 12. Jahrhunderts angehören,16 die durch die puristische Erneuerung Giovenales 14 Baedeker 1909, 296 : „La désignation ‚in Cosmedin‘ dérive d’une place de Constantinople […] et rappelle ainsi que l’église fut fondée, au Ve et VIe s., par des Grecs de Constantinople.“ Jeannerets Exemplar ist in der Fondation Le Corbusier erhalten : J.142. 15 Solche Namensvarianten bei Schmitz 2020, 135, 139f.: Ecclesia Graecorum, S. Maria de schola graeca, […] ad Scolam Graecam. Als Diakonie wohl um 600 in spätantiken Vorgängerarchitekturen gegründet, wurde die Basilika unter Hadrian I. (772–795) verändert und erweitert. Schmitz 2020, 141–155. 16 Ihre bis heute erlebbare Gestalt bekam die Kirche durch eine Grunderneuerung im frühen 12. Jahrhundert, 1123 geweiht unter Calixt II. ; Schmitz 2020, 155–261.
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Abb. 5 Le Corbusier, Skizze der drei Abbildungen zu „Rome Byzantine“ mit Anweisungen für die Retusche
Abb. 6 Rom, S. Maria in Cosmedin, Epistelkanzel, retuschierte Ansicht aus Le Corbusiers Publikationen in „L’Esprit Nouveau“ und „Vers une Architecture“
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noch betont wird. Der hohe Ton, den die Ekphrasis Le Corbusiers anschlägt, gipfelt im Reichtum mathematischer Klarheit, in ausbalancierten Maßverhältnissen und der absoluten Farbe Weiß.17 Seine Maschinenbegeisterung klingt an, wenn er in den anstei genden Schrägen des Ambo eine „mécanique spirituelle“ erkennt. Le Corbusier illustrierte den Text mit drei Fotos, die er möglicherweise schon 1911, sonst 1921 bei seinen mehrfachen Besuchen in den Räumen der Fratelli Alinari in Florenz (Abb. 2, 3, 4, 6) erstanden hatte.18 Um „la beauté pure et simple de l’architecture“ augenfällig zu machen, bedurfte es aber einiger Retuschen, für die er in erhaltenen, beschrifteten Skizzen (Abb. 5) genaue Anweisungen gab.19 Aus der Gesamtansicht (Abb. 3) mussten vor allem die kleinteilige Architektur des gotischen Altarziboriums und alle Spuren von Dekoration und Malerei getilgt werden, beim Ambo (Abb. 4) verschwand der reich dekorierte Osterleuchter und bei der Epistelkanzel (Abb. 6) die Arkaden.
IV Was also ist geschehen zwischen dem Kurzbesuch des jungen Jeanneret 1911 in der kleinen mittelalterlichen Basilika und den begeisterten Worten Le Corbusiers zehn Jahre später ? Eine einfache Antwort gibt es nicht, aber Indizien. Im Frühsommer 1921 schrieb Le Corbusier eine Postkarte an Amadée Ozenfant. Er erinnert darin an seine Romreise 1911 und fragt seinen Malerfreund, ob dieser nicht mit ihm nach Rom reisen wolle, um dieses Erlebnis aufzufrischen.20 Er endet mit einem erklärungsbedürftigen Satz, der dieser Aufforderung zu widersprechen scheint : Sie hätten die römische Lektion nicht nötig. Ich schließe daraus, dass er in dieser Zeit das Kapitel Leçon de Rome zumindest als Idee schon konzipiert hatte, ihm die Reise aber doch als eine Bekräftigung seines ersten Eindrucks notwendig erschien. Neues wurde offenbar nicht angestrebt. Die Freunde waren in ihrer Meinung gefestigt. Was Rom für sie zu bieten hatte, sollte nichts mit den Akademiereisen und -preisen französischer Künstler und Architekten zu tun haben. Im Schlussabschnitt der Leçon de Rome wird es ausgesprochen : 17 Man fragt sich, ob ihm bewusst war, dass die Kirche ursprünglich so vollständig ausgemalt war, wie er das auf seiner Orientreise, z. B. in Thessaloniki oder auf dem Athos, oft gesehen hatte. 18 Gresleri 1991, 15. Auch bei seiner Italienreise 1921 kaufte er bei Alinari und Anderson Fotos. Siehe Cohen 2007, 30. Innenraum : Alinari 26561, Ambo : Alinari 26562. Paris, Fondation Le Corbusier B2(15)87. 19 Colomina 1987, 12 ; Cohen 2007, 30, fig. 17. Auch andere der Illustrationen wurden in seinem Sinne retuschiert. Ich lese bei der Gesamtaufnahme : „enlever tabernacle, décor sous les arcs, les fenêtres blanches de bascôtes“. Beim Ambo : „enlever fenêtres blanches, derrière colonne, coussin cuir sur chaire“. Für die Epistelkanzel : „effaces 3 colonnes, fenêtres“. 20 „Vous savez qu’il y a dix ans Michel-Ange, pour moi mettait à la porte Raphael. J’aurais eu de grandes joues à vérifier avec vous cette loi implacable du monde, dans intimité que j’aurai tout fait pour rétablir. Pour cette fois voyons Rome pour soi-même. Il n’y aura pas eu pour nous la leçon de Rome“. Postkarte, Paris, Fondation Le Corbusier (1921), E2(17)483.
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Rom sei nur etwas für Wissende, Widerstandsfähige (also solche wie Le Corbusier und Ozenfant). Junge Architekten würden für ihr Leben geschädigt.21 Und : „Le Grand Prix de Rome et la Villa Médicis sont le cancer de l’architecture française.“ Die Romreise 1921 kann nur indirekt aus der Korrespondenz erschlossen werden. An William Ritter schreibt Le Corbusier am 21. Juli 1921, er wolle wieder den großen Hauch der Ruinen atmen und die Sixtinische Kapelle sehen.22 Die Reise fand im August statt,23 wie lange sie gedauert hat, ist unsicher, doch war sie wohl im September zu Ende.24 Eine Reihe von Fotos ist erhalten, die vor allem Ozenfant gemacht hat ; eines zeigt Le Corbusier auf dem Platz vor S. Maria in Cosmedin.25 Johan Linton hat in der Fondation Le Corbusier zwei Manuskripte für Leçon de Rome gefunden.26 Das erste repräsentiert offenbar ein Vorstadium : Unter dem Begriffspaar Byzantins/Esprit versammelt er nur wenige Stichworte, ohne S. Maria in Cosmedin zu erwähnen. Das zweite Manuskript führt dann S. Maria in Cosmedin mit den gleichen Termini ein, wie sie in der gedruckten Form erscheinen werden. Anzunehmen ist, dass zwischen beiden Versionen die Reise nach Rom mit einem neuerlichen, intensiveren Eindruck der Basilika liegt, der im Herbst 1921 in Worte gefasst wurde.27
V Mit seinem Namenswechsel 1920 von Jeanneret zu Le Corbusier tritt der Architekt als Vordenker in die Öffentlichkeit. Das Medium sind kurze, reich illustrierte Artikel, die ich Lehrschriften nennen möchte. Sein Fundus sind nicht zuletzt die Reisen seiner Jugend, deren Zeugnisse er sorgfältig bewahrte und immer wieder konsultierte. In seinen 21 „La leçon de Rome est pour les sages, ceux qui savent et peuvent apprécier, ceux qui peuvent résister, qui peuvent contrôler. Rome est la perdition de ceux qui ne savant beaucoup. Mettre dans Rome des étudiants architectes, c’est les meurtriers pour la vie. Le Grand Prix de Rome et la Villa Médicis sont le cancer de l’architecture française.“ Postkarte, Paris, Fondation Le Corbusier (1921), E2(17)483. 22 Von Moos/Rüegg 2002, 193, Anm. 100. Ich danke Stanislaus von Moos, der mich auf Le Corbusiers Faible für S. Maria in Cosmedin aufmerksam gemacht hat und vielerlei Anregungen für diesen Text gab, dabei den wichtigen Hinweis auf die Romreise 1921. S. auch Cohen 2007, 17f. 23 Am 21. August 1921 schreibt er eine Postkarte aus Rom an seine Eltern. Cohen 2013, 112, Anm. 14. 24 In der Korrespondenz gibt es offenbar Hinweise auf eine Missstimmung zwischen Le Corbusier und Ozenfant im September. Von Moos/Rüegg 2002, 193, Anm. 100. 25 Der Turm der Kirche ist im Hintergrund zu sehen. Dazu Linton in : Gresleri/Gresleri 2001, 156. Das Foto in der Fondation Le Corbusier, LI(16)4.5. Die beiden wurden begleitet von der ModeDesignerin und Galeristin Germaine Bongard-Poiret. 26 Linton 2001, 156. Ich konnte die Manuskripte nicht einsehen. Es wäre zu begrüßen, wenn sie veröffentlicht oder digital zugänglich gemacht würden. 27 Schon im Januar 1922 soll das Manuskript der 1923 erschienenen Buchausgabe vorgelegen haben. Im Oktober 1922 wurde Leçon de Rome in L’Esprit Nouveau publiziert.
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Artikeln für L’Esprit Nouveau, mit denen er den Purismus, die Rationalität, die klare technische Form propagierte, vergaß er aber selten darauf hinzuweisen, dass dazu esprit kommen müsse, der über die Banalität des Notwendigen hinausweise. Das Ideal einer mit ihm anbrechenden Zukunft der Architektur suchte Halt bei den alten Griechen, aber auch in der Schöpferkraft Michelangelos. Zusammen mit seinem Freund Ozenfant hatte er (noch unter dem Namen Jeanneret) schon in der ersten Nummer der Zeitschrift L’Esprit Nouveau (Okt. 1920) unter dem Titel Sur la plastique. 1. Examen des conditions primordiales eine Art Grundkurs für Künstler angeboten.28 Man könnte also von einer pädagogischen Absicht sprechen in einem Medium der Lehre fernab von Hochschulen und Akademien. In einem dreifachen Aufruf wandte er sich 1920/21 an die „Herren Architekten“ mit Bildern voluminöser Kornspeicher, Industrie- und Sakralbauten. Nachdem er unter dem irritierenden Titel Des yeux qui ne voient pas Ozeandampfer, Flugzeuge und Automobile (für heutige sehende Augen ziemlich altmodisch) als technische Leitformen vorgestellt hatte, folgte 1922 schließlich etwas gänzlich anderes : eine dreiteilige Unterrichtsstunde über Rom. Diese wiederum war der erste Teil einer Triade, die Architekten Lehren aus der Vergangenheit nahe bringen wollte, im zweiten Teil L’illusion de plans beruft er sich auf die klaren Linien antiker Architektur (besonders Pompeji) ; den Höhepunkt bringt Teil drei : Pure création de l’esprit – über den Parthenon und die Architektur der Griechen. In dieser Abfolge kommt der Leçon de Rome eine ambivalente Rolle zu. Die Archi tektur des antiken Rom steht für Ordnung, einfache geometrische Formen und Volumen, aber auch für einfache Materialien. Vom neuzeitlichen Rom lässt Le Corbusier nur Michelangelo gelten, alles Übrige verabscheut er. Die Brücke in der Mitte bildet für ihn „Rome Byzantine“ in Gestalt von S. Maria in Cosmedin. Hier mischen sich die einfachen Formen mit esprit, den er auf den griechischen Ursprung der Basilika zurückführt. Der kurze Abschnitt hat also eine wichtige Gelenkfunktion. Im rhetorischen Aufbau ermöglicht der Blick auf ein zugleich rationales wie spirituelles Mittelalter einen Ruhe- und Haltepunkt innerhalb der schlagwortartig polarisierenden Darstellungsweise.
VI Es ist, als habe Le Corbusier die Eindrücke der Reise 1911 immer wieder erneuern, bekräftigen und ausbauen wollen. Als er 1960 Rom besuchte und mit Pier Luigi Nervi über das olympische Dorf konferierte, wollte er dringend S. Maria in Cosmedin wiedersehen. Der junge Guillermo Jullian de la Fuente (Architekt und Schüler von LC) begleitete ihn und erfuhr, dass hier die Idee zum Innenraum der von Le Corbusier entworfenen Klosterkirche Sainte-Marie de la Tourette (1957 bis 1960) läge.29 28 L’Esprit Nouveau 1 (1. Oktober 1920), 38–48. 29 Linton 2001, 155 : „Qui ho preso l’idea per la chiesa de la Tourette. Letteralmente, l’idea è qui”.
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Sein Festhalten an S. Maria in Cosmedin mag zu der verbreiteten Rückhaltsuche moderner Kunst nach reinen Formen vermeintlicher Ursprünglichkeit gehören. Tatsächlich blickt Le Corbusier bei allem Bildungshunger nicht als Historiker zurück, sondern als Künstler, den Formen anspringen, wenn sie seine Ideen zu bestätigen scheinen. Die Zufälligkeit des Anfangseindrucks in der römischen Basilika 1911 wird später in einer für seine Lehrmission wichtigen Auswahl, die auf dem Studium seiner Skizzen und Fotos beruht, zu einer festen Ideenstruktur. Das ist ihm so wichtig, dass er das Fortschreiten seiner Ideen in einer neuerlichen Reise überprüft und bestätigt. Er entdeckte in der Architektur des Mittelschiffs, genauso aber im Design der Kanzeln (Abb. 4, 6) jene Einfachheit der Linienführung, die er selbst mit anderen weit ausgreifenden Mitteln zu verwirklichen sucht. Dass er dabei nicht Lehrmeinungen, sondern allein sich selbst und eigener Erfahrung vertraut, also Selbsterziehung (des ungeheuer fleißigen Autodidakten) als Selbstbewusstsein absolut setzt und ins Allgemeingültige eines Glücksversprechens der Moderne überführt, macht vermutlich einen wichtigen Teil seiner immensen Wirkkraft aus.
Literatur Baedeker, Karl : L’Italie des Alpes à Naples, Leipzig u. a. 1909. Brillart, Jacob : Voyage Le Corbusier. Drawing on the Road, London 2016. Bushart, Magdalena : Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925, München 1990. Cohen, Jean-Louis : Introduction, in : Le Corbusier 2007, 1–82. Cohen, Jean-Louis : Le Corbusier. An Atlas of Modern Landscapes, New York 2013. Cohen, Jean-Louis : Rome : A Lesson in Urban Landscape, in : Cohen 2013, 110–117. Colomina, Beatriz : Le Corbusier and Photography, in : Assemblage 4 (1987), 6–23. Colomina, Beatriz : Le Corbusier und die Fotografie, in : von Moos 1987, 32–43. Crescimbeni, Giovanni Mario : L’istoria della Basilica di Sta. Maria in Cosmedin, Rom 1715. Dumont, Marie-Jeanne : Bucharest to Istanbul. With William Ritter in the Balkans, in : Cohen 2013, 94–103. Dynes, Wayne R.: Medievalism and Le Corbusier, in : Gesta 45 (2006), 89–94. Gianantonio, Raffaele : Echi di Le Corbusier in Abruzzo. Vincenzo Monaco e la chiesa della Madonna della Neve in Roccaraso, Rom 2014. Giovenale, Giovanni Battista : La Basilica di S. Maria in Cosmedin, Rom 1927. Gresleri, Giuliano : Le Corbusier, Viaggio in Oriente, Venedig 1984. Gresleri, Giuliano : Le Corbusier, Reise nach dem Orient, Zürich 1991. Gresleri, Giuliano/Gresleri, Glauco : Le Corbusier. Il programma liturgico, Bologna 2001. Gresleri, Giuliano : L’Europe en zigzag et la dérive vers l’Orient : le défi de Jeanneret, in : L’invention 2013, 130–145. Diesen Bezug der schlichten, kubischen Innenräume haben Wąs 2013, 23f. und Gianantonio 2014, 71–83 vermutet.
132 | Peter Cornelius Claussen Gresleri, Giuliano : Disegni di Le Corbusier nel suo Viaggio in Oriente (1911), in : Il disegno di architettura 45 (2019), 47–53. Jeanneret, Ch.-E./Le Corbusier : Voyage d’Orient. Carnets, Mailand 2002 (ed. franç.) Carnet 5, fol. 1–3 SMM, fol. 9 SMinCosmedin. Le Corbusier : Kommende Baukunst, übers. u. hg. von Hans Hildebrandt, Stuttgart u. a. 1926. Le Corbusier : „Vers une architecture“ (Fonti sull’architettura e sull’urbanistica V), Turin 1983 (nach der erweiterten Ausgabe 1930, darin : Architecture – I. La leçon de Rome, II. Rome byzantine, 129–131). Le Corbusier : Toward an Architecture. Introduction by Jean-Louis Cohen, Translation by John Goodman (Getty Research Institute), Los Angeles 2007. L’invention d’un architecte : Le voyage en Orient de Le Corbusier, hg. von Roberta Amirante et al., Paris 2013. Linton, Johan : „Lumière de l’architecture“. Memorie di Santa Maria in Cosmedin. Conversazione con Guillermo Jullian de la Fuente, in : Gresleri/Gresleri 2001, 155–158. von Moos, Stanislaus : L’Esprit Nouveau. Le Corbusier und die Industrie 1920–1925, Zürich u. a. 1987. von Moos, Stanislaus : Le Corbusiers „Hellas“. Fünf Metamorphosen einer Konstruktion, in : Kunst und Architektur in der Schweiz 50 (1) (1999), 20–30. von Moos, Stanislaus/Rüegg, Arthur : Le Corbusier Before Le Corbusier. Applied Arts, Architecture, Painting and Photography, 1907–1922, New York 2002. von Moos, Stanislaus : Le Corbusier, Tourism, and the Myth of Venice, in : Liber amicorum Max Risselada : Looking at Architecture, hg. von Dick van Gameren und Dirk van den Heuvel, Delft 2014, 40–60. Pauly, Danièle : Le Corbusier. Catalogue raisonné des dessins I, Paris 2020. Rubin, William : „Primitivism“ in 20th Century Art. Affinity of the Tribal and the Modern, New York 1984. Schmitz, Michael : S. Maria in Cosmedin, in : Die Kirchen der Stadt Rom im Mittelalter 1050– 1300, Bd. 4 : Kirchen M–O (Corpus Cosmatorum II), hg. von Daniela Mondini, Carola Jäggi, Peter Cornelius Claussen, Stuttgart 2020, 135–272. Talamona, Marida : À Rome, dans les pas de Le Corbusier, in : L’invention 2013, 488–503. Vaisse, Pierre : Le Corbusier and the Gothic, in : von Moos/Rüegg 2002, 45–54. Wąs, Cezary : Inspirations by Old Art in Le Corbusier’s Ronchamp Chapel, Conference paper/ Polish Institute of World Art Studies, Wrocław 2013. https://www.academia.edu/11404139/ Inspirations_by_old_art_in_Le_Corbusier_s_Ronchamp_Chapel Žaknić, Ivan : Klip and Corb on the Road. The Dual Diaries and Legacies of August Klipstein and Le Corbusier on their Eastern Journey, 1911, Zürich 2019.
III. Lesarten – Intertextualität und M edienwechsel
Walter Cupperi
“Kunstgeschichtliche Prinzipien darf man von dem Mann nicht fordern” Samuel Quiccheberg’s Inscriptiones through the Lens of Julius von Schlosser
“Die Münchener Sammlungen […] sind vornehmlich dadurch interessant, daß ein niederländischer Arzt, Dr. Samuel von Quicheberg, gerade im Hinblick auf sie, die älteste bekannte Methodologie solcher Museen [der Kunst- und Wunderkammern] verfaßt hat, die in einem Quartheft 1565 in der Adam Bergschen Offizin zu München im Druck erschienen ist. […] Das Vorwiegen des inhaltlichen historischen Interesses macht sich aber in den einzelnen Inskriptionen [des Traktats] allsogleich geltend, wie denn überhaupt diese Museologie des Quicheberg ein merkwürdiges Denkmal für die eigentümliche, von gegensätzlichen Stimmungen beherrschte Sinnesweise der Nordländer ist.”1
In his book of 1908, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, Julius von Schlosser (1866–1938) interprets Samuel Quiccheberg’s (1529–67) Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi complectentis rerum universitatis singulas materias et imagines eximias (1565) as the oldest-known treatise on museology. Since then, Schlosser’s openended connection between the work of the physician and librarian from Antwerp (at the service of Duke Albert V of Bavaria from 1558–59) and the arrangement of the Munich Kunstkammer (set up from the late 1560s or 1570s) has been considerably downplayed.2 Recent interventions have also improved our understanding of the Inscriptiones and their ambitions.3 Nonetheless, Schlosser’s statement that they provide a “Methodologie solcher Museen” (namely of the collections that he called Kunst- und Wunderkammern) remains a leitmotiv of the history of museology.4 This leitmotiv raises several problems : first, it implies the intention to provide (in Mark Meadow’s words) an “organizational system” for the “collection” ;5 second, it links Quiccheberg’s advice to a specific type of accumulation (and its problematic definition) ; third, it suggests a significant continuity between Quiccheberg’s approach and that of modern museums (and between Kunstkammern and museums).6 1 2 3 4 5 6
I would like to thank Giovanna Targia for her remarks to a previous version of this contribution. Schlosser 1908, 73, 76. Jansen 1993 ; Seelig 2008 ; Diemer 2008 (fundamental for the ideas developed in this intervention). Falguières 1992 ; Smith 2008 ; Collet 2010, 342 ; Meadow 2013 ; Pilaski Kaliardos 2013 (with lit.). See e.g. Quiccheberg 2000 ; Felfe 2007 ; Meadow 2013. Meadow 2013, 1. On sixteenth-century Kunstkammern see also : Felfe 2014 and Fey 2017 (both with lit.).
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In fact, Schlosser’s interpretation deserves thorough historical re-consideration.7 This paper argues that his presentation of the Inscriptiones as the earliest-known treatise of museology reflects early twentieth-century pre-assumptions much more than it does Quiccheberg’s exploration of the world of collectibles. Discussing the conceptual framework in which the ‘history of collections’ originated more than one century ago is also fundamental to advance our understanding of Quiccheberg’s treatise and, more generally, of sixteenth-century attitudes towards rare media and objects.
1. Schlosser on Quiccheberg Schlosser’s book proposes a biased evaluation of Quiccheberg’s work. He argues that the Inscriptiones are chiefly of historical interest, because they demonstrate no rigorous scientific approach and reflect hybrid interests.8 In the fictional theatre in which Quiccheberg organizes his contents at the beginning of the book, collectibles are enumerated according to varying criteria, among which use, material, subject, and format play a significant role. In other passages, Schlosser characterizes the criteria of arrangement based on materials and techniques as “im Grunde recht äußerliche, vor allem moder nen Forderungen wenig entsprechende” – also because they do not focus on “die künst lerische Form als solche”.9 As the reader cannot expect art historical principles from Quiccheberg’s treatise, Schlosser classifies its approach as embryonic museology, suggesting that it also offers pleasing insights into “spezielle Landesgeschichte, Heimatsund Volkskunde”, and it deserves to be considered by museum curators.10 This second point needs particular attention. When discussing the fate of the Ambras Kunstkammer, Schlosser oscillates between personal nostalgia for its compromised integrity and his very moderate endorsement of the modernisation policies enacted by museums between the late nineteenth and the early twentieth century.11 From this perspective, he is so engrossed in his agenda as a curator that he evaluates the Inscriptiones based chiefly on the extent to which they can reveal a partition akin to those in use in the museums of his own time.12 7 Falguières 2012 (with lit.), contextualizes Schlosser’s book with respect to European museum practices. For a discussion of the pre-assumptions of his history of collections : Cirucci/Cupperi 2020. DaCosta Kaufmann 1978 was among the first ones to criticize Schlosser’s interpretation of sixteenth-century Kunstkammern ; see also DaCosta Kaufmann 1993, 175 and 294 ; DaCosta Kaufmann 2021. 8 Schlosser 1908, 74 (“Es ist lehrreich zu sehen, wie auch da [in den Inscriptiones der zweiten Klasse] noch wissenschaftliche und künstlerische Interessen neben- und ineinanderlaufen”), and 122. 9 Ibid., resp. 46 and 24. 10 Ibid., 73. 11 Ibid., 42 ; Falguières 2003, 112–115. 12 Cirucci/Cupperi 2020, 11.
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The first part of Quiccheberg’s treatise describes five classes of “inscriptions” : these are short texts (imagined as labels for different sections of a fictional theatre) whose themes can be used to group objects or justify their preservation. In Schlosser’s words, the Inscriptiones become “Unterabteilungen” (subdivisions) of a “theatrum sapientiae” understood as an organizational model : the theatre is not presented as a rhetorical figure, a humanistic device adopted to suggest keywords for collectibles, wherever they are kept ; it becomes a “methodology” that is reflected to some extent (or is meant to be reflected) in the Munich Kunstkammer.13 Schlosser describes the first of Quiccheberg’s classes as “rein historisch” and associates it to the person of the theatre’s founder ; the second one “entspricht ungefähr dem Inhalte der Kunstkammern” – that is small sculpture and the decorative arts, the field of Schlosser’s activity as director of the former Ambras collection ; the third one “ent hält das Naturalienkabinett”, an apparent ancestor of the k. k. Naturhistorisches Hofmuseum of Vienna (1889) ; the fourth one is “technologischer Art : im wesentlichen schlägt hier noch die alte scholastische Lehre von den artes mechanicae durch” ; the fifth one “entspricht ungefähr der modernen Kategorie der Bildergalerie nebst einem zugehörigen Kupferstichkabinett”.14 A closer reading of the Inscriptiones demonstrates Schlosser’s bias. The first class, for example, includes items meant to dignify the city of the founder, to sample the animals of its territory, and to highlight the activities and know-how of its inhabitants.15 It overlaps with all the other classes much more than Schlosser’s account of it as a “purely historical” section.16 The fourth class encompasses weapons, musical and mathematical instruments, i.e. tools which, in the sixteenth century, were not appreciated merely from a technological perspective, but also for their use, beauty, and luxury – and as reflections of the prince’s activities or the skills available at his court. Finally, the fifth class includes printed diagrams and chronologies that would hardly have been on display in nineteenth-century galleries and prints cabinets. Schlosser looks at the Inscriptiones as an imperfect system that can be applied to separate collectibles into different showcases and institutions, and overemphasizes their affinity with academic partitions. Quiccheberg, instead, seems more interested in how rare items can be thematized. He focuses on collectibles and how they can be adapted to different leitmotivs and places 13 Schlosser 1908, 73, emphasizes the “methodisches Bestreben” of the Ambras collection and introduces the Inscriptiones as further evidence of this effort. Moreover, the structure of his text and the word “Unterarbteilungen” establish an ambiguous correspondence with the previous description of the “Abteilungen” in Ambras (Schlosser 1908, 46–53), which were physical units. Braungart 1989, 106, goes further : “es geht […] darum, […] Sammlungsgebiete […] innerhalb eines räumlich geschlossenen Systems zu ordnen”. However, Quiccheberg 2000, 106, reminds the readers that some authors used the word theatrum “metaforice”, as emphasized by Falguières 1992, 100. 14 Schlosser 1908, 73–76 (the italics are my own). 15 Falguières 1992, 93 ; Jansen 1993, 66 ; Smith 2008, 118. 16 On this aspect of the Inscriptiones, see : Meadow 2005.
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(including court libraries and workshops), rather than providing a systematics for the Kunstkammern.17 Schlosser’s account (rather than Quiccheberg’s Latin) also gave birth to the scholarly topos that describes the dyad artificialia/naturalia as the “prinzipielle Konstellation in der Struktur der Kunstkammer” : such a division originated from Schlosser’s distinction between the second and third class of inscriptions.18 Actually, in Quiccheberg’s understanding, the “opera” described in the second class are worth collecting as “artificiosa”, not as artificialia : their artfulness does not simply stem from their craftsmanship and “praestabiles artifices”, but also from their “materiae diversissimae”.19 In his view, natural and human interventions constantly cooperate to enhance the fundamental quality of rarity. Moreover, Quiccheberg’s first and second classes would be better distinguished as follows : the latter gives priority to artefacts and materials that are uncommon in the territory of the theatre’s founder, and is complementary to the former, which represents the strengths of his/her land. For example, class 2 includes “mensurae, pondera, ulnae, pedes, et geodaetica omnia in diversis regnis et rebus publicis usitata”, showcasing social distinction through supraregional networks.20 Schlosser’s analysis, therefore, must be understood as an argumentation aiming to support and legitimate the classificatory practices of late nineteenth and early twentieth century museums by tracing their ideal genealogy back to Quiccheberg’s treatise. At the same time, Schlosser is making a plaidoyer for the specificity of art history, a discipline that he understands through a specific aesthetic lens.21
2. Schlosser and Burckhardt Schlosser’s concept of Renaissance as a “Bewegung” that made its way from Italy through the Alps is another key to understanding his approach to the Inscriptiones.22 17 On this point see Smith 2008, 118. Quiccheberg 2000, 88, specifies that his classes are also intended to be connected with the complete furbishing “aliorum […] museorum” (of other places devoted to the Muses). “Nec enim ita classes proponuntur, quasi omnes omnia debeant comportare, sed ut quisque de quibusdam, quae volet, aut de singulis, quae potest, conquirat” (the classes are not proposed based on the assumption that every collector must put together every kind of object, but so as to allow anyone to collect items that pertain to the classes that s/he wants, or to the single ones that s/he can afford). This statement challenges significantly the assumption that Quiccheberg fostered encyclopedic collections. 18 Schlosser 1908, 100 ; Scheicher 1979, 12 (from which I quote). 19 Quiccheberg 2000, 48 (the italics are my own). In particular, the meaning of Quiccheberg’s Inscriptio quinta (ibid.) is completely reversed by Schlosser (1908, 74). 20 Ibid., 50 (the italics are my own) and 92. With reference to the historical Kunstkammern, a similar approach is suggested by Collet 2010 (with lit.) and Findlen 2019. 21 On Schlosser’s position on this point see : Levi 2006, 62 ; Conte 2011 (with lit.). 22 Schlosser 1908, 43.
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His passage on Quiccheberg (together with several others) can be considered a response to Jacob Burckhardt’s understanding of early modern collectorship and geography of culture.23 Schlosser quotes Burckhardt’s Die Sammler, published posthumously in 1898, in the first note of Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, and consults it also while writing Die Kunstliteratur des Manierismus in 1919 : in detailing the artists whose works were collected in Bernardo Vecchietti’s (1514–90) villa off Florence, Il Riposo, the latter essay relies on the relevant list provided in Die Sammler much more than it does on Schlosser’s and Burckhardt’s explicit source, Raffaele Borghini’s Del riposo (1584).24 More generally, Burckhardt’s Die Sammler can be considered the starting point for the development of Schlosser’s evolutionary scheme in Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, particularly with regards to the following concepts : 1. the idea that the precious items gathered in princely and church treasures can to some extent be seen as ancestors of art collections ; 2. the thesis (already advanced in Die Cultur der Renaissance in Italien, 1860) that the Italian Renaissance saw the genesis of phenomena that became particularly meaningful for nineteenth-century Europe, such as the development of individual taste and its application to art (Kunstsinn) ; 3. the association between Kunstsinn and art collecting in fifteenth- and sixteenth-century Italy.25 With this respect, Burckhardt remarks that, in Florence and Venice, an unparalleled amount of masterpieces by famous artists was concentrated in private hands : Kunstliebhaber such as Vecchietti played a significant role in the development of Kunstgeschmack. Such observations certainly strengthened Schlosser’s belief that Italian habits, writings and collections demonstrated the emergence of “das formale Interesse an Kunstdingen” that he aimed to foster.26 However, Burckhardt is also ready to admit that the “[damalige Sammelgeist] sich im Süden und einigermaßen ähnlich auch in Norden ausbildete”, suggesting the existence of a significant connection and a nuanced distinction between the two areas of Europe divided by the Alps.27 He pays great attention to the diverse rarities and precious media described in another Florentine house, that of the sculptor Ridolfo Sirigatti (1553–1608), and draws continuous parallels between Florence and Venice, and between their collections and the German-speaking world : “Im zweiten Saal […] sah man […] jene aus Jaspis etc., auch aus Crystall geschliffenen Gefäße, welche damals auch bei den reichen Venezianern den Stolz einer Kunstkammer ausmachten […].”28 23 On Schlosser’s sources in gen.: Di Paolo 1974, 76 ; Levi 2006, 62–68. On his indebtedness to Burckhardt : Ghelardi/Müller 1995, X–XI. 24 Schlosser 1908, 138, note 1 ; Schlosser 1919, 3–10. Cf. Borghini 1584, 13f., and Burckhardt 2000, 451–453. On the collections described by Borghini : Pegazzano 2014, 147–151. 25 Burckhardt 2000, 450–455 ; Schlosser 1908, 22–30, 120–124. 26 Schlosser 1908, 123. 27 Burckhardt 2000, 455. See Ghelardi 2016, 196–206 (with lit.). 28 Burckhardt 2000, 453. Cf. Borghini 1584, 20.
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The use of the word Kunstkammer establishes here a bridge with the content of the Kunstkammern in Munich and Ambras (a connection present in several passages). In Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, instead, Schlosser argues that ‘North’ and ‘South’ expressed different forms of collecting, and confers a national character to this diversity : “Merkwürdig und bedeutungsvoll ist die Stellung Italiens zu diesen Dingen. Nicht als ob die Freude am Künstlichen und Kuriosen hier gänzlich gefehlt hätte, aber sie tritt auffal lend zurück, und der Begriff der Kunst- und Wunderkammern ist in Italien in der Ausdehnung und Bestimmtheit wie im deutschen Norden zumal eigentlich nicht vorhanden […]. Im übrigen spielen alle jene im Norden so beliebten Künstlichkeiten, zumal die den Italienern nie recht sympathischen Elfenbeinarbeiten, eine recht geringe Rolle […]. Dann ist dem klaren, bei allem Temperament nüchternen und praktischen Sinn des Volkes, bei dem die Mathematik als nationale Wissenschaft angesprochen werden darf, die romantische Hexen- und Teufelsküche, wie die ganze spukhafte Abenteuerlichkeit des Nordens immer in der Seele zuwider gewesen […]. Auch die Sammlung, die z. B. in Borghinis Riposo […] beschrieben wird, läßt sich nordländischen nicht ohne weiteres an die Seite stellen”.29
The comparison between the collectors considered by Borghini and the owners of Kunstkammern “in the North” aims to emphasize the art appreciation of the former as opposed to the interest in curiosities of the latter.30 In another passage, this interest is characterized as a “nordländisch-mittelalterliche Auffassung” : “[…] so haben auch die Menschen, die darin [im Norden] ihr Heim hatten, recht lange an ihren alten nationalen Gewohnheiten und Vorurteilen festgehalten. Einer der frühesten deutschen Humanisten, Hartmann Schedel aus Nürnberg, der Verfasser der berühmten Weltchronik, hat eine Menge schätzbarer Nachrichten über Kunstwerke in Oberitalien […] überliefert. Überall interessiert ihn jedoch ausschließlich der merkwürdige Inhalt, nirgends die Form, nirgends Name oder Persönlichkeit der Künstler […]”.31
According to Schlosser, a few “Privatkollektionen Deutschlands” can be compared to “wälschen Sammlungen”, but the princely Kunstkammern of the sixteenth century, as well as the sources that can cast a light on their methodology, have no real parallel in Italy.32 From this perspective, it is not surprising that he presents the Inscriptiones as “ein merkwürdiges Denkmal für die eigentümliche, von gegensätzlichen Stimmungen 29 Schlosser 1908, 104. 30 Ibid. 31 Ibid., 33. 32 Ibid., 34.
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beherrschte Sinnesweise der Nordländer” :33 this characterization is a consequence of his argumentation about the chiefly conservative nature of art collecting and understanding north of the Alps. A corollary of Schlosser’s way to present things was the complete exclusion of the Inscriptiones from the canon of sources included in Die Kunstliteratur (Vienna 1924). Although the latter handbook considers texts written by German-speaking authors, Quiccheberg is never mentioned, while Borghini plays a prominent role. The reason for this omission has to do with Schlosser’s specific understanding of art history and art literature,34 but also with the fact that the Inscriptiones did not provide materials for the “history of artists” that he envisaged. To sum up, Schlosser’s reading of Quiccheberg’s work must be understood as part of a broader discourse that developed Burckhardt’s ideas in a new direction : “Freilich streng wissenschaftliche, vor allem kunstgeschichtliche Prinzipien darf man von dem Mann nicht fordern, war man doch im Norden […] kaum erst zu einer Künstler geschichte, wie sie Italien schon fast seit zwei Jahrhunderten pflegte, gekommen”.35
Through such statements, in 1908 Schlosser applied the successful opposition between “North” and “South” to collections according to his own critical agenda.
3. A Look Forward A better historical understanding of Schlosser’s interests allows us to evaluate Quicche berg’s text with fresh eyes. First, unlike Schlosser, Quiccheberg does not focus on Kunstkammern : he considers libraries, workshops, typographies, pharmacies, chapels, bedrooms, conclavia, caena cula, repositoria and aviaries as places for the storage and accumulation of valuables, these facilities also pertain to the “instituto theatri nostri”.36 Second, Quiccheberg’s mainly aims to consider a broad spectrum (“theatrum amplissimum”) of objects and representations (“singulas materias et imagines”) that are worthy of the interest of Optimates because of their rarity (“artificiosarum miraculosarumque rerum, rari thesauri et pretiosae supellectilis, structurae atque picturae”), and has the aspiration to suggest why they should be acquired and how they should be kept. However, a promptuarium (as the subtitle of the Inscriptiones reads) is not an encyclopaedia with systematic and exhaustive ambitions.37 Universal collections would 33 34 35 36 37
Ibid., 74. Mambro Santos 1998, 14f. Schlosser 1908, 73. Quiccheberg 2000, 78–86 (quote : 102). Diemer 2008, X. See also Daston/Park 2001, 272.
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possibly have seemed trivial to an author who invited his readers to focus on selective excellence. Third, Quiccheberg’s classes summarize his autoptic experience of items that he had seen in buildings, “emporia” and “comitia” (markets and public halls) while traveling as far as Italy.38 Similarly, his survey of potential collectibles was not meant to focus on the German-speaking world, and his advice took into account accumulations of objects on both sides of the Alps.39 This descriptive, travel-related dimension of the Inscriptiones (especially evident in the second half of the book) has been dramatically downplayed in the wake of Schlosser’s interpretation (which considered only the first half ). Finally, Quiccheberg’s text can be considered a major (and still underrated) source on the appreciation of outstanding objects. He promptly records innovative trends, such as commissioning “turriculata armariola” (the massive pieces of furniture called studioli), collecting “formulae minuatae aurifabro” (plaquettes), acquiring “effigies monetis assimiles […] cereae” (wax medals), or moulding herbs and casting them in silver (a practice that seems to have come into fashion in the 1550s).40 In spite of their exclusion from the canon of Schlosser’s Kunstliteratur, the Inscriptiones offer criteria for assessing a broad range of artefacts, and would deserve an in-depth lexical study (a task that unfortunately goes far beyond the limits of these pages). “One cannot expect strictly scientific […] principles” from Quiccheberg, as Schlosser remarked ; nevertheless, an unprejudiced reading of the Inscriptiones can be an important starting point to rethink the practices of making, collecting and discussing artefacts in Central as well as in Mediterranean Europe.
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Marco Guardo
Riuso e ricezione epigrafica di un chiavistello rinvenuto a Manziana* 1. Il manufatto : il rinvenimento e le caratteristiche tecniche Il contributo muove dal rinvenimento di un chiavistello di ferro,1 che ebbe luogo nel 2005 nella cantina di una casa settecentesca di Manziana,2 una cittadina a nord di Roma, poco distante da Bracciano (Fig. 1). Il manufatto,3 oggetto di una puntuale indagine autoptica eseguita da Stefano Ferrari,4 è costituito dalla sola barra (mancano sia la piastra sia le staffe di scorrimento),5 dotata di una impugnatura centrale a forma di goccia pendente per agevolarne lo scorrimento.6 La superficie riporta quattro epigrafi in latino,7 disposte su tre righe, una superiore, una inferiore e una mediana (quest’ultima incisa su un piano più irregolare, ottenuto mediante uno “scasso” rettangolare)8 ed è perimetrata da una linea incisa. Questa, interrotta in corrispondenza dell’impugnatura, è da intendere come elemento decorativo del manufatto, qualora quest’ultimo non fosse in origine destinato alle epigrafi, oppure come perimetro dell’area destinata alle iscrizioni, qualora invece il chiavistello fosse * 1 2 3 4
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Ringrazio Flavio Fiorucci, che ha rinvenuto il chiavistello, per aver favorito le mie indagini a riguardo. Esprimo la mia gratitudine anche a Giuseppe Finocchiaro, che ha seguito con cura attenta lo sviluppo delle mie ricerche sin dal loro nascere. Per questo genere di manufatti Borali 2001, Guarry 2005. La casa, sita in via Pisa 44, nel cosiddetto rione del Vicinato, ha un portale in pietra sulla cui sommità è incisa la data 1726. Le misure sono le seguenti : 47,3 cm di lunghezza, 4,2 cm di altezza, 1 cm di spessore ; l’impugnatura misura 13,5 cm ; il foro sull’estremità destra ha un’altezza di 2,5 cm e una larghezza di 9 mm. Il peso è di kg 1,700. Stefano Ferrari è restauratore presso l’Istituto Centrale per il Restauro (sono grato a Tullia Carratù per aver favorito il nostro incontro). L’esame autoptico si è altresì avvalso della collaborazione di Angela Catalano (Soprintendenza Archeologica, Belle Arti e Paesaggio per l’area metropolitana di Roma, la provincia di Viterbo e l’Etruria meridionale), di Christian Seghetta e di Antonio Temperi. Le staffe di scorrimento erano con ogni probabilità tre-quattro. Poco dopo il suo rinvenimento il chiavistello è stato sottoposto a una serie di indagini (svoltesi presso il Laboratorio di Mineralogia dell’Università degli Studi Roma Tre e il Laboratorio dell’Istituto Nazionale di Fisica Nucleare di Frascati), dalle quali è emerso che il ferro del manufatto proviene dalle Alpi Orobiche (Val Trompia) e che la materia è stata ottenuta dalla fusione di siderite. Esprimo la mia gratitudine al Prof. Annibale Mottana, Accademico dei Lincei, per aver propiziato e seguito tali ricerche. Sulle iscrizioni ci soffermeremo nel secondo paragrafo del contributo. Lo “scasso” è profondo circa 3 mm.
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stato appositamente prodotto per attestare le epigrafi. Oltre all’incisione perimetrale, anche le lettere e lo “scasso” centrale si interrompono al centro della barra in corrispondenza dell’impugnatura. A sinistra, verso l’estremità smussata della barra, è presente una seconda linea, parallela a quella esterna. Infine, verso l’estremità di destra, chiusa dalla cosiddetta “battuta”,9 si rileva un foro praticato sul corpo della barra, di forma rettangolare e lati corti stondati, che riconduce a un sistema di chiusura a serratura. In considerazione delle dimensioni e dello spessore (entrambi considerevoli), il chiavistello era, in origine, verosimilmente associato a una porta o a scuri di una finestra.10 Evidentemente il foro fu realizzato in un momento successivo per assicurare il bloccaggio della barra in luogo esterno :11 lo prova anche il fatto che l’esecuzione del foro causò la distruzione dell’ultima lettera a destra sulle tre righe, totale nelle iscrizioni della prima e della seconda riga, parziale in quella della terza.12 Fatte salve queste osservazioni, riesce difficile stabilire se l’iscrizione superiore e quella inferiore siano o meno coeve di quella mediana, mentre è lecito affermare che tutte le iscrizioni sono riconducibili a una medesima mano. Le epigrafi della prima e della terza riga, grazie alla superficie metallica regolare, risultano più facilmente leggibili rispetto a quella della riga mediana, incisa su una superficie scabra e parzialmente interessata da depositi di polvere, ora più o meno aderenti. I caratteri della prima e della terza riga appaiono incisi con un cesello che colpì ortogonalmente la superficie in ferro.13 L’irregolarità del corpo dei caratteri delle suddette righe, che si adattano allo spazio risparmiato dallo scasso centrale, lascia infine supporre che quest’ultimo fosse stato eseguito precedentemente, anche perché l’incisione della parte sommitale di alcuni caratteri ha talvolta causato un sia pur lieve spostamento di metallo, che interferisce con l’andamento del margine dello scasso preesistente. Venendo, ora, alla datazione del manufatto e alla sua funzione d’uso, mette subito conto di rilevare che nessuna indagine scientifica riuscirebbe a datare con esattezza il 9 La “battuta”, ovvero il rialzo dell’estremità destra della barra, è propria di molti chiavistelli, la cui chiusura avviene per scorrimento orizzontale. Tale rialzo costituisce appunto una “battuta” d’arresto, senza la quale la barra uscirebbe dalla staffa posta all’estremità destra. Con ogni verosimiglianza la “battuta” è contemporanea alla realizzazione del gancio centrale, pur se non si può escludere che sia stata realizzata in un momento successivo. 10 L’assenza della piastra, o delle due piastre, non consente di affermare se il chiavistello bloccasse una singola anta in uno stipite o due ante fra loro. 11 Lo stato conservativo delle iscrizioni fa supporre che l’impiego del chiavistello successivamente alla realizzazione del foro non sia stato molto frequente, dal momento che il continuo scorrimento avrebbe sottoposto l’epigrafe a un notevole degrado. 12 Si veda, infra, la trascrizione delle epigrafi. 13 L’impiego del cesello, comportando ripetuti colpi di martello sulla sua testa, produsse non poche tensioni sul metallo. Per tale ragione è assai probabile che la barra sia stata più volte riscaldata. Nell’esecuzione di alcuni caratteri, inoltre, si osservano senza difficoltà sia lo schiacciamento del metallo sia il conseguente sollevamento lungo i margini, che non avrebbero potuto derivare dall’impiego del bulino, che asporta per taglio il metallo.
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Fig. 1 Chiavistello “Fiorucci”, Roma, collezione privata
Fig. 2 Chiavistello “Fiorucci”, particolare (estremità sinistra)
Fig. 3 Chiavistello “Fiorucci”, particolare (estremità destra)
materiale costitutivo e la tecnica esecutiva. Il chiavistello, a quanto ha congetturato per le vie brevi l’esperto Adalberto Biasiotti, potrebbe essere medievale (fine del XIII–inizio del XIV secolo), applicato in origine o a un armadio o a una porta con due ante. Ove si accolga tale ipotesi, il manufatto sarebbe stato smontato, con non lieve fatica, e nel XVII secolo14 fatto oggetto, a ragione del suo valore storico, di una ricezione epigrafica. D’altronde, qualora la sua esecuzione fosse coeva a quella delle epigrafi, risalirebbe alla seconda metà del XVII secolo : infatti l’iscrizione centrale attesta una fonte stampata con tre successive edizioni (avremo modo di illustrarla), dal 1655 al 1666, sicché l’editio princeps costituisce il terminus post quem per la datazione delle epigrafi. Riguardo al testo inciso sorge tuttavia un dubbio : la presenza delle staffe di scorrimento 14 Vedi infra.
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impediva la lettura integrale del testo iscritto, contravvenendo al principio di “scrittura esposta”, generalmente propria del testo epigrafico, teorizzato più volte da Armando Petrucci.15 Tale limitazione si potrebbe tuttavia agevolmente superare supponendo che il chiavistello con l’iscrizione cesellata fosse funzionale in via esclusiva al suo proprietario ed eventualmente a un ristretto milieu familiare :16 ciò giustificherebbe allora il rapporto non conflittuale tra le iscrizioni e il manufatto. In tal caso quest’ultimo si inserirebbe a pieno titolo nell’alveo millenario e consolidato dei materiali che recano incise scritte destinate a una fruizione personale, a cominciare dalla Cista Ficoroni e dalla Fibula prenestina.17 Riesce difficile, infine, ipotizzare che l’oggetto in questione fosse in origine non tanto un chiavistello quanto una barra avente la funzione originaria di vincolo e di chiusura in sicurezza, da applicare, ad esempio, a una cassa o a un forziere. Tale ipotesi avrebbe il vantaggio di sottendere un rapporto più proporzionato tra il manufatto e l’oggetto ad esso inerente, ma occorre ricordare che l’estremità sinistra della barra riporta una smussatura. Siamo dunque in presenza del cosiddetto “invito”, realizzato per favorire lo scorrimento del manufatto, che fa a ragione propendere per l’ipotesi della funzione originaria di chiavistello. A ciò si aggiunga che lo spessore considerevole del nostro oggetto mal si addice a quello proprio di un foglio di lamiera chiodato, usualmente di rinforzo al pannello metallico di un forziere, di un baule o, più in generale, di una cassa, con coperchio apribile verso l’alto.18
2. Le iscrizioni Come si è detto, il manufatto reca incise quattro iscrizioni disposte su tre righe (Figg. 2, 3). Per quanto riguarda l’aspetto paleografico la scrittura è una maiuscola che aspira a riprodurre la facies della capitale epigrafica classica,19 come attestano l’impiego dei punti mediani e le grazie ornamentali, nel nostro caso i trattini esornativi della maggior parte delle lettere.20 Tanto più meraviglia, allora, l’inattesa “q” minuscola, attestata nella parola “cuiquam” della terza riga. Più in generale, però, al di là del tentativo dell’artefice di rifarsi a un modello classico decisamente solenne, notiamo un’esecuzione in più tratti incerta, dovuta presumibilmente alla materia da incidere, che lascia rilevare assai
15 Petrucci 1985. 16 Sul genere di scrittura non “esposta” ma legata a una ristretta cerchia, si vedano Tedeschi 2012 e Frese et al. (a cura di) 2014. 17 Per le ciste e per gli specchi Jahn 1852 ; Foerst 1978 ; Bordenache Battaglia 1979 ; Adam 1980 ; Emiliozzi/Maggiani 2002 ; Meer 2016 ; idem 2016. 18 Per la cultura materiale nel XVII secolo Herklotz 2002. 19 Le prime osservazioni paleografiche furono condotte insieme con il compianto Giuseppe Scalia, mio Maestro, quelle più recenti con Nicoletta Giovè, che ringrazio. 20 Le epigrafi della terza riga presentano tre segni di abbreviazione costituiti da trattini orizzontali.
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spesso la diversità di modulo di una medesima lettera.21 A tale riguardo l’esempio più eloquente è la lettera “S”, che presenta forme differenti, indizio certo di esecuzione disordinata : si vedano a proposito, nella prima e nella seconda riga, le parole “Sunt” e “Sebastianus”, nelle quali la “S” ha un modulo che privilegia ora la dimensione verticale, ora, invece, quella orizzontale. Si riportano di seguito la trascrizione e l’edizione delle suddette quattro epigrafi :22
Trascrizione 1) magna· svnt· recte· agentibvs· / proposita· constit vta· pr aemi [.] 2) sebastianvs· et· petrvs· ziani· dvces· veneti / ex ioanne zittio de· mir ab· venetiar[.] 3) convicivm· cviqvm ¯ · facere· nō· debemus 4) ex vestr a· concordia· victoriā· spero
Edizione 1) Magna sunt recte agentibus / proposita, constituta praemi[a]. 2) Sebastianus et Petrus Ziani duces Veneti / ex Ioanne Zittio De mirab(ilibus) Vene tiar[u(m)]. 3) Convicium cuiqu(a)m facere no(n) debemus. 4) Ex vestra concordia victoria(m) spero. Occorre in primo luogo rilevare che le epigrafi sottendono due fonti e due ambiti tematici differenti. Ci soffermeremo inizialmente sulle iscrizioni della prima e della terza riga, il cui testo è tratto da uno stampato assai diffuso nei secoli XVI e XVII, le Eleganze insieme con la copia della lingua toscana e latina di Aldo Manuzio il Giovane,23 edite per la prima volta a Venezia nel 1556. Si tratta di un manuale di stilistica latina, il cui indice riporta in italiano un elenco di voci che rinviano a un nutrito corpus di exempla di “bello stile latino”. Tre di esse (“bontà”, “dir villania” e “sperare”) offrirono la materia testuale per le suddette iscrizioni. L’analisi comparata tra i testi epigrafici e quelli manuziani rivela che il committente delle epigrafi non ebbe sottomano la princeps, bensì un’edizione successiva.24 La prin21 La lettera dal modulo maggiore è alta 1 cm, quella dal modulo minore 5 mm. 22 La trascrizione adotta il maiuscoletto, l’edizione il minuscolo tondo, in ossequio alle norme sottese all’edizione critica di testi epigrafici. La barra indica l’interruzione del testo dovuta alla maniglia centrale. Per le lacune originate dall’esecuzione del foro vedi supra. 23 Sulle edizioni delle Eleganze nel XVI secolo Serrai 2007, 54–61 ; e Lalli 2019. 24 Ringrazio per avermi messo a disposizione i diversi esemplari la Biblioteca Alessandrina di Roma, la Biblioteca Comunale “Aurelio Saffi” di Forlì, la Biblioteca Civica di Feltre, la Biblioteca Civica
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ceps, infatti, da un lato attesta due lezioni diverse (“Gran premij possono sperare coloro che vivono da huomini da bene. Recte agentibus praemia proposita sunt” ; “Spero che la vostra concordia sarà cagione della vittoria. In vestra concordia spem maximam pono victoriae”),25 dall’altro, pur riportando la voce “dir villania”,26 non edita la frase trascritta dalla nostra epigrafe (“Convicium cuiquam facere non debemus”).27 In verità il testo epigrafico manuziano deriva dall’edizione accresciuta da Girolamo Capugnano, edita più volte a Venezia a cominciare dal 1606,28 sicché non siamo in grado di stabilire quale edizione avesse consultato il committente dell’iscrizione.29 Possiamo però affermare che l’artefice dell’epigrafe della prima riga non comprese, verosimilmente, che il testo manuziano di riferimento suggeriva al lettore la duplice traduzione di due lemmi ritenuti sinonimi, non casualmente editi separati da virgola, “proposita, constituta” ; tuttavia non possiamo escludere che l’intenzione di citare entrambi i termini fosse dettata dalla necessità di riempire tutto lo spazio disponibile della prima riga. La lettura delle Eleganze rende arduo indagare le ragioni della scelta di queste tre anziché di altre frasi manuziane,30 scelta che tuttavia sembra legata da un intento moraleggiante destinato a un ambito familiare. Ancor più difficile, poi, è comprendere il rapporto tra le suddette iscrizioni e quella mediana, la quale nomina Sebastiano e Pietro Ziani,31 dogi di Venezia, costituendo in tal senso un documento epigrafico di notevole rilievo, che si unisce a quelli registrati da Emanuele Antonio Cicogna nel XIX secolo.32 Non solo : il testo iscritto rafforza l’indicazione del titolo dogale33 con la citazione di una fonte documentaria, Le cose notabili, et meravigliose della città di Ve-
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di Padova, la Biblioteca dal Monte di Perugia, la Biblioteca del Seminario di Treviso, la Biblioteca Diocesana di Viterbo, la Biblioteca Malatestiana di Cesena, la Biblioteca Panizzi di Reggio Emilia, la Biblioteca Universitaria di Bologna e la Biblioteca Universitaria di Pavia. Ringrazio altresì Susanna Panetta per i ragguagli bibliografici. Manuzio il Giovane 1556, 8 e 59. Ibid. K3v. Manuzio il Giovane 1565, pur se edita i medesimi “Convicium cuiquam facere non debemus” e “Ex vestra concordia victoriam spero” (58 e 174[v]), stampa tuttavia due lezioni diverse : “Magna sunt recte agentibus proposita praemia” e “Magna sunt recte agentibus praemia constituta, proposita” (27[v] e 174[v]). Le edizioni del 1575 (46, 107 e 309), 1581 (41, 94 e 272s.), 1585 (41, 94 e 272s.), 1586 (23, 50, 140–140[v]) e 1594 (41, 94, e 272s.) stampano le lezioni sopra riportate. Manuzio il Giovane 1606, 69, 159, 467. Manuzio il Giovane 1616, 1625, 1638, 1654, 1658, 1665, 1672, 1675, 1682, 1689 per limitarci al XVII secolo. Il testo manuziano, infatti, riporta molte altre frasi inerenti al medesimo ambito tematico. Sui dogi Ziani, Fees 2005. Cicogna 1830, vol. 3, 528–547, 561–573, 609–610 ; idem 1834, vol. 4, 404s. Sulle tombe dei due dogi si veda Pincus 2000, 5–7, 14, 59, 62, 89, 167s., 179, 206, 210, 227. Per l’analisi del titolo professionale in ambito epigrafico, in relazione all’epoca medievale, si veda Guardo 2008.
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netia […] del canonico veneziano Giovanni Ziotti (anagramma di Zittio).34 Il volume fu stampato tre volte a Venezia nella seconda metà del XVII secolo,35 sicché anche in questo caso non possiamo stabilire quale edizione avesse consultato il committente, che appare personaggio di non lieve grado culturale, visto che sua biblioteca annovera un testo come quello manuziano. Ciò premesso, occorre ora investigare non tanto su chi possa essere stato il committente dell’epigrafe, destinato a rimanere ignoto stando agli attuali sostegni documentari, quanto invece sulle sue origini e sulla ragione che lo indusse a fare incidere su ferro, da un lato, tre frasi di stilistica latina, dall’altro il nome di due dogi medievali unitamente all’indicazione di una fonte veneziana del XVII secolo, appartenente al genere dei “Mirabilia”. In prima istanza viene spontaneo notare che la città di Venezia è la protagonista dell’intero dettato epigrafico, dal momento che essa subisce due esplicite occorrenze nella riga mediana (“duces Veneti” e “Venetiarum”) e inoltre è la città dove ebbero sede le tipografie che affidarono ai torchi sia tutte le edizioni delle Eleganze sopra menzionate, sia il testo dello Zittio. Tuttavia, in virtù della buona conoscenza umanistica che il committente sembra possedere, saremmo propensi a escludere che provenisse da Venezia : infatti un personaggio di tal fatta non avrebbe potuto, verosimilmente, ignorare il ruolo dogale degli Ziani e pertanto non avrebbe avuto necessità di confermarlo citando una fonte relativa ai “Mirabilia” della città lagunare. Il testo epigrafico della riga mediana, almeno a nostro credere, pare delineare la figura di un lettore che, imbattendosi nell’elenco dei dogi riportato in tutte le tre edizioni del volume dello Zittio, legge che due di essi si chiamano Ziani36 e successivamente vuole incidere, o far incidere sul ferro, il loro nome, il titolo e l’indicazione di una fonte a sostegno di quanto riferito. Si potrebbe allora supporre che il testo epigrafico assuma, per così dire, la valenza di una legittimazione familiare e che pertanto il committente potesse chiamarsi Ziani e vantare una discendenza dall’illustre famiglia.37 Muovendo dal luogo del ritrovamento, la cittadina di Manziana, che nel XVII secolo era sotto la protezione dell’Arcispedale di Santo Spirito in Saxia,38 le indagini si sono rivolte,39 finora con esito negativo, a verificare se nel XVII secolo il cognome Ziani ap34 35 36 37
Cicogna 1830, vol. 3, 82 e 488s. Zittio 1655, 1662 e 1666. Ibid. 80–106 e 90–92. La famiglia dogale si estinse nel 1375 (Cicogna 1830, vol. 3, 562), tuttavia il cognome Ziani seguita a registrare esponenti di un certo spicco già dal secolo XV : il teologo veneziano Andrea Ziani, morto nel 1431 (Arrighetti 1783, 34 e 36), Pietro Andrea Ziani, professore di musica, che dopo aver insegnato a Venezia si trasferì a Napoli, dove morì nel 1684 (Woyke 2008), il camaldolese Sebastiano Ziani, vivente ancora nell’anno 1687, “del quale varie cose registransi nella Biblioteca Sammicheliana” (Cicogna 1830, vol. 3, 565 ; Poesie degli Accademici Concordi di Ravenna 1687, ad indicem ; Merolla 2012, 773), Giambattista Ziani, nel 1678 vicario della scuola della Carità (Cicogna 1830, vol. 3, 565). 38 Si vedano Binarelli [1959], Vecchiarelli 1988–1989, idem 2019, Sturm 2014. Ringrazio Augusto Varo Vecchiarelli per avermi fornito utili ragguagli bibliografici e storici su Manziana. 39 Presso l’Archivio di Stato di Roma, Fondo “Ospedale del Santo Spirito” (ringrazio Angelo
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partenesse a qualche personaggio legato al suddetto Ordine ospedaliero.40 Le ricerche, parimenti infruttuose, hanno pure interessato la compagine sociale di Manziana,41 pur se ben difficilmente un cittadino manzianese del XVII poteva accedere alla lettura del testo di Manuzio il Giovane e di Zittio, dal momento che il nucleo manzianese a quel tempo era per lo più costituito da agricoltori immigrati, a cominciare dal XVI secolo, da alcune regioni, quali la Toscana, l’Umbria, la Romagna e le Marche. Pur nella consapevolezza di trovarsi difronte a un’aporia in apparenza insolubile, per giustificare la compresenza nel chiavistello di due testi epigrafici differenti per genere letterario, tematica ed epoca, saremmo inclini ad avanzare, pur con estrema cautela, una congettura che avrebbe il vantaggio di porre in relazione il dettato epigrafico con la presunta etimologia di Manziana, ancor oggi non chiara e oggetto di mere ipotesi.42 Il chiavistello potrebbe configurarsi come il supporto per un gioco erudito che, grazie all’attestazione di alcuni “dicta Manutiana” e dei dogi Ziani, rinvierebbe alla cittadina di Manziana, termine che peraltro nel XVII secolo aveva valore aggettivale (“Terra Mantiana”, o anche “Terra della Manziana”). In tal modo il committente, forse legato al contesto colto del suddetto Arcispedale, si sarebbe rivolto ai suoi lettori fornendo nel contempo una spia evidente (il nome degli Ziani) e una traccia da scoprire (Manuzio). Ciò avrebbe originato un ludus etimologico di notevole raffinatezza, che bene si inquadrerebbe in una certa temperie propria del XVII secolo, che conobbe il proliferare delle “genealogie incredibili”43 e di preziosi “calembour”.
Bibliografia Adam, Richard : Recherches sur les miroirs prénestins, Parigi 1980. Arrighetti, Giulio : Elogio di Giulio Arrighetti fiorentino LIX. Generale dell’Ordine de’ Servi di Maria fondatore del Collegio di San Giuseppe di Bologna detto da Luigi Bentivegni del medesimo Ordine nell’occasione di celebrarsi la prima Centenaria della Fondazione di detto Collegio, Bologna 1783. Binarelli, Pierina : Brevi cenni storici sul nome e sulle origini di Manziana, Roma [1959]. Bizzocchi, Roberto : Genealogie incredibili. Scritti di storia nell’Europa moderna, Bologna 2009. Borali, Roberto : Le antiche chiavi : tecnica, arte, simbologia, Bergamo 2001. Bordenache Battaglia, Gabriella : Le Ciste Prenestine, vol. 1, Corpus 1, Roma 1979.
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estaino per l’ausilio nelle ricerche) e presso l’Archivio Comunale di Manziana, Archivio Storico, R Consilio e Istrumenti della Comunità, 1661–1689. Per i Commendatori dell’Arcispedale di Santo Spirito in Saxia nel XVII secolo si veda Moroni 1842, vol. 15, 73s. Notiamo a riguardo che uno dei Commendatori all’incirca coevo rispetto alla data delle iscrizioni fu l’illustre Virgilio Spada, collezionista e antiquario (Finocchiaro 1999). Presso l’Archivio Storico della Diocesi di Civita Castellana, Archivio Parrocchiale di San Giovanni Battista di Manziana, registro dei Battesimi, dei Matrimoni e dei Morti (la documentazione è stata consultata per gli anni 1652–1700). Si veda Sturm 2014, 7–10. Si veda Bizzocchi 2009.
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Cicogna, Emmanuele Antonio : Delle iscrizioni veneziane, 6 voll., Venezia 1824–1853. Emiliozzi, Andrea/Maggiani, Adriano (a cura di) : Caelatores, incisori di specchi e ciste tra Lazio ed Etruria (Atti della Giornata di studio. Roma, 4 maggio 2001), Roma 2002. Fees, Irmgard : Ricchezza e potenza nella Venezia medioevale. La famiglia Ziani, Roma 2005. Finocchiaro, Giuseppe : Il Museo di curiosità di Virgilio Spada. Una raccolta romana del Seicento, Roma 1999. Foerst, Gabriele : Die Gravierungen der pränestinischen Cisten, Roma 1978. Frese, Tobias et al. (a cura di) : Verborgen, Unsichtbar, Unlesbar. Zur Problematik restringierter Schriftpräsenz, Berlino 2014. Guardo, Marco : Titulus e tumulus. Epitafi di pontefici e cardinali alla corte dei papi del XIII secolo, Roma 2008. Guarry, Jean-Pierre : 400 ans de serrures, Parigi 2005. Herklotz, Ingo : La Roma degli antiquari. Cultura e erudizione tra Cinquecento e Settecento, Roma 2012. Jahn, Otto : Die ficoronische Cista. Eine archäologische Abhandlung, Lipsia 1852. Lalli, Laura : Il progetto BAV-Aldus, in : Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae 25 (2019), 229–246. Manuzio il Giovane, Aldo : Eleganze della lingua toscana e latina […], Venezia 1556. Manuzio il Giovane, Aldo : Eleganze insieme con la copia della lingua toscana, e latina […], Venezia 1565 (vedi anche le edizioni del 1575, 1581, 1585, 1586, 1594). Manuzio il Giovane, Aldo : Eleganze insieme con la copia della lingua toscana, e latina […] di nuovo in gran numero sotto i loro Capi accresciute dal M. R. P. F. Girolamo Capugnano dell’Ordine de’ Predicatori, Venezia 1606. Manuzio il Giovane, Aldo : Eleganze scielte da Aldo Manutio con la copia della lingua toscana, e latina […], Venezia 1616 (vedi anche le edizioni del 1625 e del 1638). Manuzio il Giovane, Aldo : Eleganze scielte da Aldo Manutio insieme con la copia della lingua toscana, e latina […], Venezia 1654 (vedi anche le edizioni del 1658, 1665, 1672, 1675, 1682, 1689). Meer, Lammert Bouke van der : Reevaluating Etruscan Influences on the Engravings of Praenestine Pear-shaped Mirrors and Cistae, in : Etruscan Studies 19 (2016), 68–86. Meer, Lammert Bouke van der : Elite Ideology in Praeneste. On the Imagery of Pear-shaped Mirrors and Cistae, in : Babesch 91 (2016), 105–128. Merolla, Lucia : La Biblioteca di San Michele di Murano all’epoca dell’abate Giovanni Benedetto Mittarelli. I codici ritrovati, 2 voll., Manziana 2012, vol. 2. Moroni, Gaetano : Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica, 103 voll., Venezia 1842, vol. 15, 73s. Petrucci, Armando : Potere, spazi urbani, scritture esposte : proposte ed esempi, in : Culture et idéologie dans la genèse de l’État moderne. Actes de la table ronde de Rome (15–17 octobre 1984), Roma 1985, 85–97. Pincus, Debra : The Tombs of the Doges of Venice, Cambridge 2000. Poesie degli Accademici Concordi di Ravenna, Bologna 1687. Serrai, Alfredo : La biblioteca di Aldo Manuzio il Giovane, Roma 2007. Sturm, Saverio : Sulla fondazione di Manziana. Dal tenimentum castri Sanctae Pupae al piano ideale del Santo Spirito, Roma 2014.
154 | Marco Guardo Tedeschi, Carlo : Graffiti templari. Scritture e simboli medievali in una tomba etrusca di Tarquinia, Roma 2012. Vecchiarelli, Livio : Manziana. La terra, la gente, 2 voll., Roma 1988–1989. Vecchiarelli, Livio : Manziana da quando c’è Manziana. Dalla fondazione ai primi anni dell’Ottocento, Manziana 2019. Woyke, Saskia Maria : Pietro Andrea Ziani. Varietas und Artifizialität im Musiktheater des Seicento, Francoforte sul Meno 2008. Zittio, Giovanni : Le cose notabili, et meravigliose della città di Venetia […], Venezia 1655 (vedi anche le edizioni del 1662 e 1666).
Lucia Simonato
Un colosso a pezzi. Michelangelo Lualdi e un appunto tecnico sulla Veronica di Francesco Mochi Nonostante il recente fiorire di studi su Francesco Mochi (1580–1654), non mi risulta che sia mai stata posta in relazione con la sua Veronica vaticana, realizzata tra il 1629 e il 1640 (fig. 1),1 una fonte manoscritta redatta l’indomani della morte di Urbano VIII e ancora malnota, per quanto già citata in bibliografia : La nuova basilica di San Pietro nel Vaticano fondata dai pontefici romani di Michelangelo Lualdi. Canonico di San Marco, storico, teologo e poligrafo romano di medio Seicento, l’autore è oggi conosciuto soprattutto grazie a un prezioso articolo di Maarten Delbeke, edito una quindicina di anni fa su un’altra opera della ricca produzione letteraria di questo scrittore, la Galleria sacra.2 Nonostante questo generoso contributo, per molti aspetti Lualdi è rimasto però una figura sfuggente. Morto nel 1673, lasciò pochi testi pubblicati e molti appunti e brogliacci inediti, dispersi in varie biblioteche romane. Tra questi figura anche La nuova basilica di San Pietro, conservata presso la Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana e caratterizzata dall’intreccio di vari generi letterari :3 affondi eruditi, racconti aneddotici, descrizioni de visu, componimenti poetici. Iniziata con materiale raccolto nel corso del pontificato barberiniano, fu continuata dall’erudito anche dopo il decesso del pontefice (1644), come dimostra la menzione dell’incoronazione di Innocenzo X (cc. 280v ss.) nell’ultima sezione, sulle cerimonie che erano solite officiarsi in San Pietro. Appartenente a una trilogia dedicata da Lualdi al Vaticano, sulla quale si desidera tornare più estesamente in altri sedi,4 nel
Per vari suggerimenti e aiuti sono grata a Luca Annibali, Ebe Antetomaso, Vittoria Brunetti, Lucia Faedo, Andrea Lazzarini, Sante Guido. La foto della Veronica è pubblicata in questo saggio per gentile concessione della Fabbrica di San Pietro in Vaticano. 1 In particolare Spagnolo 2000a ; Favero 2008, 79–84, 228–243 (con la pubblicazione di documenti dall’Archivio della Fabbrica di San Pietro già in parte editi da Pollak 1931, vol. 2, 442– 452) ; Lingo 2017, 172–190. 2 Cfr. Delbeke 2004 sulla Galleria sacra architettata dalla pietà romana dall’anno 1610 sino al 1645 (Roma, Biblioteca Angelica, ms 1593), una raccolta di brevi descrizioni di luoghi e opere romane, e sul suo autore (sul quale si veda anche Delbeke 2006). 3 Roma, BANLC, ms 31.D.17, già il 274° manoscritto entrato nella Biblioteca Corsiniana probabilmente prima del 1738, ricevendo il titolo Memorie istoriche e curiose del Tempio e Palazzo Vaticano. Raccolte e confusamente manoscritte in tre volumi da Michelangelo Lualdi romano. Volume secondo, manoscritto di carte 300, con riferimento, come si dirà più avanti, alla trilogia a cui appartiene. Per la bibliografia si veda la nota successiva. 4 Roma, BANLC, ms 31.D.16 (la prima parte, dedicata alla vicenda paleocristiana della basilica) e ms 31.D.18 (la terza parte, sul Palazzo Vaticano). Autografi, i tre manoscritti saranno citati da me in un approfondimento di tema berniniano e in uno studio sul Palazzo Apostolico presso
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Fig. 1 Francesco Mochi, Veronica, Roma, San Pietro in Vaticano
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manoscritto non sono segnalati i lavori di decorazione dei pilastri della navata basilicale, e questo suggerisce di circoscrivere le fasi della sua redazione comunque entro la metà del secolo. Come già nella Galleria sacra, lo scrittore tradisce anche ne La nuova basilica di San Pietro una vivace curiosità per la scultura, in particolare nella sezione intitolata Statue vaticane (cc. 192r–232v), un excursus tra le opere monumentali, bronzee e marmoree, presenti nel tempio : dai sepolcri pontifici che vi erano stati ricollocati dopo lo smantellamento dell’edificio paleocristiano fino alla tomba della contessa Matilde appena ultimata (cc. 230v ss.). Non senza contrarre un debito con le Sacre grotte di Francesco Maria Torrigio e più in generale con gli scritti e gli interessi antiquari di questo informato agiografo barberiniano, ampio risalto è dato da Lualdi nel manoscritto soprattutto all’impresa urbaniana/berniniana della crociera quale nuovo imponente culmine sacro, ideologico e decorativo dell’intero complesso vaticano : tanto per i suoi coinvolgimenti architettonici (le cappelle sotterranee ; cc. 90r ss.), quanto per il suo articolato sistema iconografico (le nicchie reliquiarie nella parte superiore dei quattro piloni ; cc. 202r ss.), quanto per le sue gigantesche prove marmoree a tuttotondo affidate, oltre che a Mochi, anche ad Andrea Bolgi, François Duquesnoy e allo stesso Gian Lorenzo Bernini (cc. 193r ss.).5 Di tutti e quattro i colossi l’autore redige un breve medaglione con una descrizione in prosa dell’atto della statua, una selezione delle vicende storiche del personaggio effigiato e della reliquia ad esso connessa, e un componimento in versi (solo nel caso della Sant’Elena dedicato al cimelio sacro e non alla figura marmorea). Tra i dati che si possono indicare come più rilevanti c’è la lettura ‘emozionale’ e contrapposta del Longino e del Sant’Andrea, con una tendenza alla teatralizzazione del martirio già sottolineata in bibliografia per altre descrizioni di Lualdi :6 la prima statua, non priva di una certa complessità iconografica,7 avrebbe rappresentato secondo il poligrafo il centurione romano che “sta in atto di maraviglia e nel volto mostra segni vivaci di atrocissimo dolore”, con “la bocca aperta o chiedendo mercede o palesando la sua crudeltà in ferire il costato del Salvatore” (c. 197r) ; la seconda, opera “sublime” (c. 200v), avrebbe invece raffigurato il martire “appoggiato alla sua croce, che stromento è de’ dolori”, mentre
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San Pietro, di prossima pubblicazione. Si veda Frommel 2002 con la seguente descrizione : in 4°, parzialmente illustrati, databili entro la fine del pontificato di Innocenzo X (con riferimento soprattutto al primo volume), di dubbia originalità (giudizio condiviso con D’Onofrio 1986, 398 nota 6). Possono essere considerati una sorta di pendant della Galleria sacra, con alcune importanti sovrapposizioni : cfr. Delbeke 2004, 62 nota 5, 72s., 120, 217s., 250, che li indica complessivamente con il titolo di Istoria vaticana. Per ulteriori contributi moderni in cui i tre volumi sono citati si veda anche Gigli 1994, 24–29 ; Caglioti 1997, 50–52, 69 nota 104 ; Marder 1997, 29, 75, 236, 259 nota 66, 266 nota 49, 267s. nota 86. Sulla crociera si veda Preimesberger 1993 ; Spagnolo 2000 ; Dobler 2008 ; Lingo 2017, 157ss., con bibliografia precedente. Sulla menzione di sculture nella Galleria sacra cfr. Delbeke 2004, 185ss. Delbeke 2014, 146–151, 160. Spagnolo 2000, 371s., con bibliografia precedente.
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“nel volto giubila e contento aspira al compimento delle sue pene” (c. 200r). I due temi, rispettivamente il dolore di Longino per aver ferito Cristo sulla croce e la gioia di sant’Andrea nel soffrire un supplizio sulla croce in nome di Cristo, sono centrali anche nei componimenti poetici dedicati alle loro statue (cc. 199v e 201v). Merita però soprattutto di essere sottolineata la particolare attenzione rivolta da Lualdi alla Veronica. Il colosso di Mochi è il primo ad essere descritto tra quelli che animano ancora oggi la crociera : “(c. 193r) Rappresenta l’effiggiato marmo la pietosa hebrea in atto di caminare, piena di stupore caggionato (c. 193v) nel suo petto dalla dolente imagine del Salvatore penante impressa nel suo velo, che ella con ambe le mani stringe et aperto lo mostra alle turbe rimproverandogli la ferita nativa, che il misterioso lino, benché privo di senso, compassionando al Redentore mentre tormentato al Calvario ne andava, gli pone dinanzi agli occhi con mostrargli la deformata sembianza.”
La Veronica è inoltre l’unica statua per la quale Lualdi spenda considerazioni di tecnica scultorea. Dopo aver descritto la storia della santa, con il suo arrivo a Roma e la guarigione dell’imperatore Tiberio (due episodi inclusi anche nella decorazione della cappella sottostante, a lei dedicata), e le vicende della reliquia omonima, l’autore sottolinea infatti come Mochi avesse congiunto i tre enormi blocchi di marmo, ricevuti dalla Fabbrica per formare il colosso, senza ricorrere a perni o morsetti metallici, ma con un incastro a tenone e mortasa : “(c. 194v) questa statua oltre la grandezza et eccellenza del magistero ha di singolare che sendo di tre pezi non viene da piombo o da ferro congiunta. Una parte ha nel mezzo l’incavo, l’altra ha tanto marmo superfluo quanto riempie quella cavità ; per cui l’una poggiando sopra l’altra si incastrano insieme con tale artificio che non appare in modo alcuno la connessione, sembra un solo marmo e librato sopra della sua base a niuna cosa si appoggia.”
Non spiegata in modo così puntuale da altre fonti seicentesche, dove pure era già stata lodata l’unione impercettibile dei tre marmi (Orfeo Boselli e Giovan Battista Passeri), la notizia conferma la singolare maestria dello scultore, il quale proprio a questa prodezza tecnica aveva alluso, come è noto, in una lettera diretta alla Fabbrica il 12 marzo del 1640 : “le commissure dei tre soli gran pezzi difficilissime e non mai più vedute”.8 Il passo di Lualdi consente di mettere meglio a fuoco l’affermazione stessa di Mochi e il significato della soluzione da lui adottata nel più ampio contesto della commissione vaticana. 8
Favero 2008, 241. Ibid., 231ss., per la notizia fin dal 1635 dei tre pezzi di marmo destinati alla Veronica (cfr. anche Lingo 2017, 262 nota 131). Su Passeri e Boselli già Lingo 2013 e Cole 2014, 50s.
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L’assemblaggio di più blocchi di marmo per realizzare un’unica statua o un unico gruppo, con congiunzione a incastro o con supporti metallici, è una tecnica non estranea né alla produzione antica,9 né a quanto di essa era noto nel Seicento.10 Scelto da Urbano VIII per le statue della crociera, perché in grado di assicurare indubbi vantaggi economici (il risparmio del materiale e il suo trasporto più agile),11 il piecing era considerato una prassi scultorea contrapposta al più nobile (pliniano) ex uno lapide,12 ovvero la realizzazione di sculture monolitiche, dal Cinquecento accostata senza indugi al mito di Michelangelo. D’altra parte, come ha di recente ben rilevato Estelle Lingo,13 l’orgoglio ribadito da Mochi nel 1642 per aver realizzato la statua con i soli tre blocchi di marmo ricevuti dalla Fabbrica (a differenza ad esempio di Bernini, che ne aveva usati quattro),14 non si spiega solo con la volontà di competere idealmente con il Buonarroti, ma soprattutto con la novità dell’approccio ‘architettonico’ al problema dell’assemblaggio della pietra messo in campo dall’artista toscano : una novità che il passo di Lualdi conferma, insistendo proprio sulla capacità ‘autoreggente’ dell’“artificio” (tecnico dunque, e non solo stilistico o formale)15 realizzato dall’artista in San Pietro. In altri termini, Mochi aveva trasformato uno svilente svantaggio (operare con più marmi) in un geniale espediente per sfidare le leggi della statica e dare vita al movimento. Non solo. Il particolare aggiunto dal poligrafo, ovvero l’assenza di aiuti metallici, ci orienta verso un’altra non meno importante finalità dell’artista. La rinuncia all’uso di “perni e spranghe” rappresentò un atto di lungimirante conservazione preventiva da parte dello scultore toscano, che evitò in questo modo di affidare, in un ambiente umido come San Pietro, la sopravvivenza del proprio capolavoro a ferri facilmente corrodibili : un’attenzione conservativa, alla quale Mochi dimostrò di tenere ancora 9 Anguissola 2018, 120–126, 159–164, con bibliografia precedente. 10 Boselli 1994, 152s. (nel capitolo Come si dee procedere nella scartezza dei marmi, con riferimento ai resti colossali oggi nel Cortile del Palazzo dei Conservatori) : “né come fossero occultate le commissure, né come i pezzi stessero uniti insieme, non avendo anima bastante a rattenerli, né vedendosi indicazioni di perni e spranghe” ; citato anche in Cole 2014, 50s., 56. 11 Pollak 1931, vol. 2, 442s, per un documento della Fabbrica del marzo 1632, in cui si insiste sulla necessità che i marmi per i colossi vaticani fossero condotti da Carrara a Roma con “facilità” e sul fatto che la decisione di prevedere “due pezzi per statua” sarebbe stata presa dal pontefice stesso per questo motivo. Cfr. Lingo 2013, 134s. Mochi non dovette avere alcuna voce in capitolo su questa scelta. 12 Settis 1999, 79–81 : lo scultore poteva compensare il fatto di assemblare blocchi, senza lavorare ex uno lapide, con l’abilità nel nascondere le commessure. 13 Lingo 2013, 137–142, e ancora Lingo 2017, 180s. 14 Favero 2008, 241s. : “ancorché la statua non sia di più pezzi che delli tre dati dalle eminenze vostre”. Per i quattro pezzi del Longino cfr. Wittkower 1997, 250s. Sulle altre statue si veda anche Lingo 2013, 137–142. 15 Che problemi di statica fossero alla base di un ripensamento di Mochi sul modello da eseguire in marmo è suggerito in Montagu 1982, 735. Un Avviso ricorda la visita l’8 giugno 1640 di Urbano VIII alla Veronica (non ancora finita), “fatta con grande artifitio” : Pollak 1931, vol. 2, 450. L’utilizzo del medesimo termine di Lualdi (“artificio”) potrebbe confermare che si trattava proprio dell’opera di Mochi, nonostante le perplessità di Rice 2014, 738.
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nel 1642, quando chiese alla Fabbrica che la Veronica non fosse pulita settimanalmente, come era già stato stabilito per gli altri tre colossi. L’intervento avrebbe messo a rischio la stabilità (delicata) della statua e sarebbe stato soprattutto inutile, dal momento che in questa, “essendo finita in tutte le parti, la polvere non ha dove attaccarsi”.16 È difficile immaginare che la levigatezza della Veronica, tanto in debito con la tradizione plastica tardomanierista fiorentina (addirittura celliniana), fosse stata decisa a tavolino dallo scultore per questo solo motivo. Di certo, però, nella sua richiesta alla Fabbrica non si può non leggere un velato biasimo di nuovo nei confronti del Longino,17 la cui superficie era stata lasciata a gradina da Bernini e risulta ancora oggi proprio per questo tanto più vibrante, chiaroscurale e ‘barocca’ rispetto a quella del capolavoro di Mochi. Per avere un’idea così lucida del sistema a incastro adottato nella Veronica Lualdi deve aver visto i tre blocchi prima del loro montaggio, probabilmente nella bottega dello scultore presso Sant’Andrea delle Fratte : un dato che sembra trovare conferma nella Galleria sacra e non contrasta con quanto già sappiamo sulle sue visite da Algardi e Bernini.18 Che, d’altra parte, l’attenzione del poligrafo per l’opera vaticana fosse stata precoce e avesse preceduto la stesura de La nuova basilica di San Pietro ce lo confermano anche altri elementi. Come il Longino e il Sant’Andrea, il colosso di Mochi è celebrato dallo scrittore nel manoscritto corsiniano con un madrigale (c. 195r) introdotto dal titolo La Musa, osservando la vivacità degli atti della santa, espressi nel marmo e sopra tutto il dolore e la compassione espressi nel volto di Veronica, cantò : “Nel vel di donna hebrea l’Amor divino del suo Volto dolente stampa l’orma languente. S’impietra il bianco lino. Veronica in mirar caso sì strano apre le labra e mutola si rende. Si irrigidisce l’una e l’altra mano e mentre il piè distende, nela fuga si arresta. E dove il sole 16 Favero 2008, 241s. 17 Cfr. Siemer 1981, 198. Sulla raffinata finitura della Veronica cfr. De Luca Savelli 1981, 76. 18 Si veda il riferimento al San Giovanni Battista di Mochi ora a Dresda, ma probabilmente rimasto a lungo nella bottega dello scultore (Favero 2008, 70), con l’indicazione “appresso il med.” (barrata nel testo) nella Galleria sacra (Delbeke 2004, 199). Per la frequentazione di Algardi cfr. ibid., 68 nota 19, 101 nota 124, 196ss., 215ss. Per Bernini si veda Lualdi 1651, vol. 2, 432 : “Non è per ancora compito il lavoro [nella Fontana dei Quattro Fiumi]. Vi sudano gli artefici. Io però dal modello del cavaglier Bernino, ch’è l’ingegnero, ne trassi l’idea e nel modo narrato la rappresentai ne’ miei fogli.” Sul rapporto tra questa fontana e il poligrafo cfr. Wittkower 1997, 269s. ; più di recente Delbeke 2004, 64 nota 9, con bibliografia precedente, e Herklotz 2017, 275–277. Dei quattro scultori coinvolti nella crociera Mochi fu l’unico a lavorare nella propria bottega e non in un’officina accanto a San Pietro : cfr. Lingo 2013, 135.
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vide maggior portento, parla senza parole, si spande il lino e non vi spira il vento, fugge e non muove il passo, si duole e geme ed ella è pure un sasso.”
Giocando insistentemente sui paradossi generati dal contrasto tra la “vivacità” della figura e la sua sostanziale staticità, il componimento descrive la trasformazione “in sasso” della santa, dopo che ha visto diventare pietra il sacro lino che teneva in mano con l’impronta del volto di Cristo : di marmo ma viva, la figura vaticana è celebrata da Lualdi con una concettosità che sembra rimandare agli ossimori materici della Galeria mariniana, ma che lungi dall’essere un mero esercizio letterario si può invece ricondurre senza troppi indugi al programma stesso di Mochi. Lo dimostra l’assonanza dei versi di Lualdi con i temi che emersero il 4 novembre 1640 nel corso della visita di Urbano VIII alla Veronica, ormai completata. Stando a una preziosa testimonianza manoscritta trovata recentemente tra le carte di Torrigio, sarebbe stato infatti il medesimo scultore a mostrare al pontefice l’opera, da diversi punti di vista e forse anche con l’ausilio di un castello, spiegando “il suo concetto, che chi la guardava pareva che li volesse parlare, il movimento de’ panni pareva che vi finisse dentro il vento.”19 Erudito curioso, ma alquanto marginale nella Roma del Seicento, probabilmente anche perché mai entrato nel ‘corteggio’ di qualche potente,20 fatichiamo a credere che Lualdi avesse assistito personalmente al dialogo tra l’artista e il pontefice. Ma nemmeno possiamo immaginare che fosse molto distante dai luoghi in cui quel dialogo si svolse. Lo prova, oltre alla qualità delle informazioni riportate ne La nuova basilica di San Pietro, anche il suo coinvolgimento, di lì a qualche mese, nel volumetto corale edito nel 1641 dallo stampatore Lodovico Grignani in onore della statua di Mochi, contenente due madrigali del poligrafo.21 Il primo di questi, Dove, donna veloce, hor volgi il piede ?, 19 Rice 2014, 739s.: con la trascrizione del foglietto di Mochi stesso, consegnato a Torrigio l’8 dicembre 1640 e oggi conservato nel manoscritto di quest’ultimo con l’Historia del Sacro Sudario della beata Veronica, presso la Biblioteca Apostolica Vaticana (ACSP, H71). 20 Cfr. Delbeke 2004, 98s. 21 Già segnalato e studiato da Ferrari 1997, 153–155 (si veda anche Rice 2014, 740, e Lingo 2017, 188 e 263 nota 156) : La Veronica vaticana 1641. Dei due madrigali di Lualdi, ibid., 21s. (non menzionati tra le opere edite del poligrafo in Delbeke 2004, 111s.), si trascrive qui solo il secondo (“La Veronica del signor Mochi, in atto di mostrare il Volto Santo al popolo. La vostra crudeltade/ancor, turbe feroci, non scorgete/nel Volto di pietade ?/Se questo lino impresso/del sembiante d’un Dio/non vi move, hor vi mova il volto mio ;/che senza lingua parla e senza vita/ vive e la vostra ferità v’addita”). Il primo è già stato pubblicato di recente da Conte 2019, senza ulteriori indicazioni sul suo autore. Non credo sia necessario leggere nel verso (La Veronica vaticana 1641, 21) “e benché ella apra i lumi, il dì non mira” un’allusione all’assenza dell’iride nei bulbi oculari della statua (già messa in relazione in bibliografia con la momentanea cecità della santa : cfr. De Luca Savelli 1981, 76), quanto piuttosto un rimando poetico al contrasto tra la vita della figura e la sua trasformazione in marmo (pur aprendo gli occhi, la donna non può ve-
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apparve durante il medesimo anno anche nei Varii capricci e canzonette musicati del romano Pietro Paolo Sabbatini e pubblicati presso la stamperia di Vincenzo Bianchi, in realtà di proprietà dello stesso Grignani :22 una tangenza che ci addita quest’ultimo come il più probabile regista dell’impresa editoriale vaticana, la quale non si può escludere che fosse nata davvero in modo estemporaneo. È Torrigio, in particolare, a ricordare l’affissione in basilica, nei primi giorni del novembre 1640, di versi sulla Veronica da parte di più autori,23 e tutto concorre a suggerire che Lualdi fosse tra i letterati che si cimentarono nell’impresa. All’epoca probabilmente ancora molto giovane, si trattò forse della prima, timida, ‘uscita pubblica’ del poligrafo : una prova poetica, intorno alla quale, negli anni successivi, sarebbero stati costruiti più solidi interessi storici.
Bibliografia Anguissola, Anna : Supports in Roman Marble Sculpture. Workshop Practice and Modes of Viewing, Cambridge 2018. Boselli, Orfeo : Osservazioni sulla scultura antica. I manoscritti di Firenze e di Ferrara, a cura di Antonio P. Torresi, Ferrara 1994. Caglioti, Francesco : Da Alberti a Ligorio, da Maderno a Bernini e a Marchionni. Il ritrovamento del ‘San Pietro’ vaticano di Mino da Fiesole (e di Niccolò Longhi da Viggiù), in : Prospettiva 86 (1997), 37–70. Colantuono, Anthony/Ostrow, Steven F. (a cura di) : Critical Perspectives on Roman Baroque Sculpture, University Park (PA), 2014. Cole, Michael Wayne : Francesco Mochi. Size, Scale and Stone, in : Colantuono/Ostrow (a cura di) 2014, 41–62. Conte, Floriana : “Un modo nuovo di scolpire”. Fonti per la fama della Santa Veronica di Francesco Mochi (con la prima poesia a stampa di Salvator Rosa), in : Italique 22 (2019), [159]–189. D’Onofrio, Cesare : Le fontane di Roma, Roma 19863 (1957). De Luca Savelli, Maddalena : Le opere del Mochi, in : Francesco Mochi, 1580–1654, Firenze 1981, 35–87. Delbeke, Maarten : An Unknown Description of Baroque Rome : Michelangelo Lualdi’s Galleria dere, perché è di pietra), che torna nel componimento successivo (ibid., 22 : “senza lingua, parla”) e informa, come si è già scritto, il madrigale di Lualdi nel manoscritto corsiniano. Il tema appare poi frequentemente anche in altri componimenti editi ne La Veronica vaticana. 22 Per le notizie su Sabbatini 1641 (con a tav. 20 la poesia di Lualdi) mi attengo a quanto riporta Franchi 2006, 831–833, non avendo potuto ancora consultare l’operetta. Al suo interno è stato pubblicato un secondo componimento in comune con La Veronica vaticana, quello di Tommaso di Leva (Torno di nuovo). In Franchi 2006, 833, anche la notizia dei rapporti tra Bianchi e Grignani. 23 Per il passo di Torrigio si veda sempre Rice 2014, 740. Che fosse abituale attaccare nella basilica foglietti poetici (di elogio o di scherno) è suggerito anche dal caso presentato in Spagnolo 2010, 262s. Infine, il riferimento di Grignani in La Veronica vaticana 1641, 4, alle “tavole de’ naufraganti”, appese “n’ gran tempij”, costituisce un’allusione abbastanza esplicita alle modalità con cui dallo stampatore erano state “raccolte le memorie”, senza un programma preciso.
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Sacra architettata dalla Pietà Romana dall’anno 1610 sino al 1645, in : Bulletin de l’Institut Historique Belge de Rome 74 (2004), 61–271. Delbeke, Maarten : Lualdi, Michelangelo, in : Dizionario Biografico degli Italiani 66 (2006), 236–238. Delbeke, Maarten : “For we are made a spectacle unto the world, and to angels, and to men.” Alessandro Algardi’s Beheading of Saint Paul and the Theatricality of Martyrdom, in : Colantuono/Ostrow (a cura di) 2014, 141–164. Dobler, Ralph-Miklas : Die Vierungspfeiler von Neu-Sankt Peter und ihre Reliquien, in : Sankt Peter in Rom, 1506–2006, a cura di Georg Satzinger/Sebastian Schütze, Monaco 2008, 301– 323. Favero, Marcella : Francesco Mochi. Una carriera di scultore, Trento 2008. Ferrari, Oreste : Poeti e scultori nella Roma seicentesca. I difficili rapporti tra due culture, in : Storia dell’Arte 90 (1997), 151–161. Franchi, Saverio : Annali della stampa musicale romana dei secoli XVI–XVIII, Roma 2006. Frommel, Sabine : Michelangelo Lualdi, Memorie storiche e curiose del Tempio e Palazzo Vaticano, in : Il trionfo sul tempo. Manoscritti illustrati dell’Accademia Nazionale dei Lincei (cat. mostra), a cura di Antonio Cadei, Modena 2002, 305–308. Gigli, Laura : Borgo. Quarta parte, Roma 1994. Grignani, Ludovico (a cura di) : La Veronica vaticana del signor Francesco Mochi. Componimenti poetici, Roma 1641. Herklotz, Ingo : Apes urbanae. Eruditi, mecenati e artisti nella Roma del Seicento, trad. di Cristina Ruggero, Città di Castello 2017. Lingo, Estelle Cecile : Francesco Mochi’s Balancing Act and the Prehistory of Bernini’s Four Rivers Fountain, in : Matters of Weight. Force, Gravity, and Aesthetics in the Early Modern Period, a cura di David Young Kim, Emsdetten 2013, 129–150. Lingo, Estelle Cecile : Mochi’s Edge and Bernini’s Baroque, London 2017. Lualdi, Michelangelo : Istoria Ecclesiastica, 2 voll., Roma 1650–1651. Marder, Tod Allan : Bernini’s Scala Regia at the Vatican Palace, Cambridge 1997. Montagu Jennifer : A Model by Francesco Mochi for the ‘Saint Veronica’, in : The Burlington Magazine 124 (1982), 434–437. Pinelli, Antonio (a cura di) : La basilica di San Pietro in Vaticano, 4 voll., Modena 2000. Pollak, Oskar : Die Kunsttätigkeit unter Urban VIII., a cura di Dagobert Frey, 2 voll., Vienna 1928–1931. Preimesberger, Rudolf : Skulpturale Mimesis. Mochis Hl. Veronika, in : Künstlerischer Austausch, a cura di Thomas W. Gaehtgens, 3 voll., Berlino 1993, vol. 2, 473–482. Rice, Louise : The Unveiling of Mochi’s “Veronica”, in : The Burlington Magazine 156 (2014), 735–740. Sabbatini, Pietro Paolo : Varii capricci e canzonette a una e tre voci, da cantarsi sopra qualsivoglia istromento con l’alfabeto della chitarra spagnola. Libro settimo, opera decimaquarta, Roma 1641. Settis, Salvatore : Laocoonte. Fama e stile, Roma 1999. Siemer, Meinolf : Francesco Mochi (1580–1654). Beiträge zu einer Monographie, Diss. Würzburg 1981. Spagnolo, Maddalena : La crociera. Iconografia, simboli, significati, in : Pinelli 2000, vol. 1, 367– 373.
164 | Lucia Simonato Spagnolo (2000a), Maddalena : La crociera. Pilone sud-ovest (Pilone della Veronica). Francesco Mochi (1580–1654). Santa Veronica (1629–1640), in : Pinelli 2000, vol. 2, 773–776. Spagnolo, Maddalena : Barn-owl Painters in St Peter’s in the Vatican, 1604. Three Mocking Poems for Roncalli, Vanni and Passignano (and a Note on the Breeches-maker), in : Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 73 (2010), 257–296. Wittkower, Rudolf : Bernini. The Sculptor of the Roman Baroque, London 19974 (1955).
Marcus Kiefer / Claudia Hattendorff
Hugo von Hofmannsthal und das Wien des Canaletto Zur Bildrezeption im Anatol-Prolog (1892)
„Einleitung. Von Loris“ Im Mai 1891 hatte der Wiener Arzt und Autor Arthur Schnitzler den Entschluss gefasst, die lose verbundenen Einakter, deren gemeinsame Hauptfigur Anatol hieß, gesammelt zu publizieren.1 Als der Anatol-Zyklus nach langem Ringen im Oktober 1892 erschien, war den sieben einaktigen Dramen ein lyrischer Prolog vorangestellt, der aus fremder Feder stammte und spätestens im Juli 1892 vollendet war.2 Das Gedicht wurde im Inhaltsverzeichnis als „Einleitung. Von Loris“ ausgewiesen. Hinter dem Pseudonym Loris, abgeleitet vom lateinischen Namen Laurentius, verbarg sich der achtzehnjährige Hugo von Hofmannsthal, der mit zweitem Vornamen Laurenz hieß und bereits davon träumen mochte, eines fernen Tages als poeta laureatus das literarische Wien zu beherrschen. Schnitzler, zwölf Jahre älter als Hofmannsthal, gehörte zu dem kleinen Kreis früher Bewunderer und Mitstreiter, die aus nächster Nähe erlebt hatten, wie sich „Loris“ – sechzehnjährig – auf der Bühne der Literatur erstmalig Gehör verschaffte.3 Der Dichterjüngling hatte seine Maturitätsprüfungen noch vor sich, als Hermann Bahr, ein Wortführer der literarischen Debatten, im Frühjahr 1892 den Essay Loris publizierte, der den jungen Hofmannsthal erstmals einer größeren Öffentlichkeit vorstellte und ihn sogleich zur Leitfigur einer neuen Literaturepoche überhöhte.4 Der Anatol-Prolog umfasst 74 Verse, die im Erstdruck von 1892 ohne Strophengliederung in einem einzigen Textblock dargeboten werden (SW, Bd. 1, 24f.) : Einleitung.
Hohe Gitter, Taxushecken, Wappen, nimmermehr vergoldet
Im Kunsthistorischen Museum Wien sind die Verfasser auf viel Entgegenkommen gestoßen. Wir danken insbesondere Dr. Gudrun Swoboda, Dr. Cäcilia Bischoff und Dr. Susanne Hehenberger für wertvolle Hinweise. 1 Tagebuchaufzeichnung vom 5.5.1891 (Schnitzler 1987, 329). 2 Schnitzlers Anatol erschien im Herbst 1892, vorausdatiert auf 1893 (Schnitzler 1893 [1892], 2–6). Zur Publikationsgeschichte der Anatol-Szenen vgl. Rieckmann 1985, 79–81 ; Schnitzler 2012, Bd. 1, 10–12. 3 Hemecker/Österle 2014, 95 ; Österle 2019, 22. 4 Bahr 1892.
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Sphinxe, durch das Dickicht schimmernd … … Knarrend öffnen sich die Thore. – Mit verschlafenen Cascaden Und verschlafenen Tritonen, Rococco, verstaubt und lieblich Seht … das Wien des Canaletto, Wien von Siebzehnhundertsechzig … … Grüne, braune, stille Teiche, Glatt und marmorweiss umrandet, In dem Spiegelbild der Nixen Spielen Gold- und Silberfische … Auf dem glattgeschor’nen Rasen Liegen zierlich gleiche Schatten Schlanker Oleanderstämme ; Zweige wölben sich zur Kuppel, Zweige neigen sich zur Nische Für die steifen Liebespaare Heroinen und Heroen … Drei Delphine gießen murmelnd Fluthen in ein Muschelbecken … Duftige Kastanienblüten Gleiten, schwirren leuchtend nieder Und ertrinken in dem Becken … … Hinter einer Taxusmauer Tönen Geigen, Clarinetten …, Und sie scheinen den graziösen Amoretten zu entströmen, Die rings auf der Rampe sitzen Fiedelnd oder Blumen windend, Selbst von Blumen bunt umgeben Die aus Marmorvasen strömen : Goldlack und Jasmin und Flieder … … Auf der Rampe, zwischen ihnen Sitzen auch coquette Frauen, Violette Monsignori … Und im Gras, zu Ihren Füssen Und auf Polstern, auf den Stufen : Cavaliere und Abbati … And’re heben and’re Frauen Aus den parfümierten Sänften … … Durch die Zweige brechen Lichter, Flimmernd auf den blonden Köpfchen ;
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45 Scheinen auf den bunten Polstern, Gleiten über Kies und Rasen Gleiten über das Gerüste, Das wir flüchtig aufgeschlagen. Wein und Winde klettert aufwärts 50 Und umhüllt die lichten Balken. Und dazwischen, farbenüppig Flattert Teppich und Tapete, Schäferscenen, keck gewoben Zierlich von Watteau entworfen … 55 Eine Laube statt der Bühne, Sommersonne statt der Lampen, Also spielen wir Theater, Spielen uns’re eig’nen Stücke, Frühgereift und zart und traurig, 60 Die Komödie uns’rer Seele, Uns’res Fühlen’s Heut’ und Gestern, Böser Dinge hübsche Formel, Glatte Worte, bunte Bilder Halbes, heimliches Empfinden, 65 Agonien, Episoden … Manche hören zu, nicht Alle … Manche träumen, manche lachen, Manche essen Eis … und manche Sprechen sehr galante Dinge … 70 … Nelken wiegen sich im Winde, Hochgestielte, weisse Nelken Wie ein Schwarm von weißen Faltern … Und ein Bologneserhündchen Bellt verwundert einen Pfau an … Herbst 1892. Loris.
Das Einleitungsgedicht, das ein buntes Gartentreiben im „Wien des Canaletto“ vergegenwärtigt, und Schnitzlers Einakter-Zyklus, der den Liebesverstrickungen eines wohlhabenden Mannes im Wien des Fin de Siècle nachspürt, haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam.5 Dementsprechend ist nicht sicher festzustellen, ob Hofmannsthals Verse von vornherein als Prolog zu Schnitzlers Anatol-Szenen konzipiert 5
Dass Versprolog und Szenenfolge weder inhaltlich noch formal konvergieren, rief schon unmittelbar nach dem Erscheinen des Buches Kritik hervor : Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 2. Jänner 1893, 3.
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waren.6 Die traditionellen Funktionen des Prologs − etwa die Vorankündigung und konkrete Vorausdeutung auf die Bühnenhandlung − sind außer Kraft gesetzt, wie so oft bei Hofmannsthal.7 Selbst in ihren Echoräumen und Unterströmungen geben die einleitenden Verse kaum zu erkennen, dass Schnitzlers Anatol in der zeitgenössischen Boulevarddramatik verankert ist und daher vorwiegend Konflikte um außereheliche Sexualität thematisiert.8 Auch führt kein direkter Weg vom trochäischen Versmaß des Prologs zu Schnitzlers Konversationsstück, für das ein gewiss stilisiertes, aber alltagsnahes, mit Dialekttönen durchmischtes Sprechen charakteristisch ist.9 Die Brücke zwischen Vorrede und Szenenfolge besteht zuerst einmal nur darin, dass hier wie dort Wien als Schauplatz für die literarische Wirklichkeit dient. Ein zweites Moment, das Nebentext und Haupttext untereinander vermittelt, kommt hinzu : Die Doppelformel „Agonien, Episoden“ (V. 65), die den resignativen Höhepunkt des Prologs bildet, findet in Schnitzlers Textzyklus einen deutlichen Widerhall. Die dritte Szene, die Schnitzler im Spätherbst 1888 fertiggestellt hatte, trägt den Titel Episode ; die sechste Szene, die im November 1891 beendet wurde, heißt Agonie.10 Für die Thematik dieser Studie wird es sich als wichtig erweisen, dass die historische Situation, in der Hofmannsthal den Anatol-Prolog verfasste, durch die Neueröffnung des Kunsthistorischen Hofmuseums an der Wiener Ringstraße im Oktober 1891 bestimmt war. Die ereignishaft inszenierte Museumseröffnung, die in Hofmannsthals letztes Gymnasialjahr fiel, hatte zur Folge, dass die Wiener Veduten Canalettos in einem zuvor nie dagewesenen Ausmaß in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerieten. Dass sich der Anatol-Prolog von diesem Ereignis herleitet oder zumindest mit herleitet, wurde in der Hofmannsthal-Philologie stets übersehen. Das Gedicht wirft damit die Frage auf, in welchem Umfang und auf welche Weise es Resultat einer Auseinandersetzung des früh gereiften Dichterjünglings mit den großformatigen Ansichten innerstädtischer Plätze und kaiserlicher Lustschlösser ist, die der Venezianer Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, um 1760 im theresianischen Wien gefertigt hat.11 Als These sei formuliert, dass Hofmannsthal, der „immer eher ein Finder als ein Erfinder“ war,12 das Bild- und Vorstellungsmaterial, aus dem die spätbarocke Gartenwelt des Prologs besteht, nicht zuletzt aus Bellottos Gemälden bezog, ohne dass diese inter 6 7 8 9
Siehe dazu die Hinweise im Apparat der textkritischen Hofmannsthal-Ausgabe : SW, Bd. 1, 150. Vgl. Vogel 1993. Vgl. Sabler 2019, 89–98. Als Metrum des Anatol-Prologs dienen vierhebige Trochäen, deren melodisch-rhythmische Eigenschaften erst durch den mündlichen Vortrag zur vollen Wirkung gelangen. Vgl. Meyer-Kalkus 2020, Bd. 2, 585–588. 10 Informationen zur Entstehung der Szenen bietet die textkritische Ausgabe : Schnitzler 2012, Bd. 1, 189, 537. 11 Bei den Wiener Veduten des Bellotto handelt es sich um 13 Gemälde, die sich heute ohne Ausnahme in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien befinden. Zu den einzelnen Bildern siehe Seipel 2005, Kat.-Nrn. 17–29. 12 So formuliert Koch 2004, 105.
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medialen Bezüge als das alleinige Ausgangs- und Sinnzentrum des Prologs anzusehen wären. Die Referenzen auf Bilder werden in den hier angestellten Überlegungen daher nicht aus der Sicht einer positivistischen Einflussforschung fokussiert, sondern aus der Perspektive einer Rezeptionsforschung, die vor allem die Modifikationen in den Blick nimmt, denen das Aufgenommene unterliegt. Der Aufsatz untersucht die Aneignung und Bewertung der Gemälde Bellottos im Medium des lyrischen Textes und rekon struiert den historischen Kontext dieses Rezeptionsphänomens.
Rückblick in die Gegenwart Für das Literaturgeschehen im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist der AnatolProlog in mindestens drei Hinsichten ein exemplarischer Text. Zum einen repräsentiert der Prolog die bezwingende, schon früh als kanonisch bewertete Jugendlyrik, mit der Hofmannsthal als einer der Großen in die literarische Welt eintrat und begrüßt wurde. Zum anderen ist der Text ein Exempel für das hochentwickelte Formbewusstsein, das zum „Markenkern“ der Autorengruppe gehört, die sich ab 1891 im Café Griensteidl zusammenfand und später unter dem Etikett „Junges Wien“ Berühmtheit erlangte.13 Hinzu kommt, dass der geschmeidig dahinfließende, so leicht erscheinende Versprolog die ethische und existenzielle Problematik reflektiert, die immer dann eine literarische Gestaltung erfuhr, wenn die Jung-Wiener sich selbst auf den Grund zu kommen versuchten : die theatralische Selbstinszenierung im Zwischenraum von Lüge, Täuschung, Schein und Wahrheit (V. 57–65 : „Also spielen wir Theater […]“). Diese Verse, in deren „wir“ das Junge Wien sich selbst zu erkennen meinte,14 stellen den perspektivischen Fluchtpunkt des ganzen Prologs dar, sozusagen das Fazit. Aller dings führt die abgründige Zeile „Agonien, Episoden …“ das Gedicht noch nicht an die Grenze des Verstummens. Was folgt (V. 66–74), sind neun scheinbar leicht dahingeworfene Zeilen, die vorüberhuschende Bilder einer vom Glanz des Schönen überzogenen Rokokowelt aufscheinen lassen. So wird am Ende noch einmal der Bogen zu den Hauptinhalten des Prologs geschlagen, denn über weite Strecken wirft das Gedicht Schlaglichter in die Epoche Maria Theresias. Der Text evoziert damit einen Geschichtsraum, den Hofmannsthal in seinen späteren Dramen und Operndichtungen − vor allem im Rosenkavalier (1910) − wiederholt fiktional vergegenwärtigen und poetisch funktionalisieren sollte, ohne sich dadurch der Moderne entgegenzustemmen. Die nostalgische Begeisterung für ein historisch fernes, vormodernes Altwien spielt hier gewiss eine Rolle ; allerdings ist dieses Altwien ein Kunstwien, das von einem äs13 Dass für das Selbstverständnis der Jung-Wiener nicht die Auseinandersetzung mit einem fest umrissenen Gegenstandskomplex, sondern vor allem das literarische Form- und Traditionsbewusstsein von Wichtigkeit war, betont Rieckmann 1985, 59. 14 Siehe dazu Hermann Bahr : Das junge Oesterreich II, in : Hofmannsthal/Bahr 2013, Bd. 2, 785– 789 (zuerst in : Deutsche Zeitung, 27.9.1893). Vgl. Scheiffele 1999, 43f.
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thetischen Standpunkt aus wahrgenommen und nicht am Maßstab der Wirklichkeit gemessen werden will.15 Zu den Grundeigenschaften des Anatol-Prologs gehört, dass er Vergangenheit und Gegenwart − also Rokoko und Fin de Siècle − nahezu bruchlos miteinander verknüpft. In der Literatur der Wiener Jahrhundertwende ist Rokoko eine „Chiffre elitärer Geselligkeit“.16 Fest verbunden mit der Rokokothematik ist der Problemkomplex der Verkleidung, der Täuschung, der Schauspielerei.17 Man darf wohl an die Worte der Feldmarschallin im Rosenkavalier erinnern : „War eine wienerische Maskerad’ und weiter nichts.“18 Diese Feststellung ist zwar auf die fatale Verkleidungsgeschichte des dritten Akts gemünzt, kann aber auch ganz grundsätzlich auf das Karnevaleske in den Lebensverhältnissen der theresianischen Aristokratie bezogen werden. Das zeitperspektivische Verfahren des Anatol-Prologs besteht darin, dass er die gegenwartskritische Metaphorik des Schauspielens in eine Rokoko-Bildlichkeit einkleidet, und zwar dergestalt, dass sich die ständisch normierten Lebensvollzüge der oberen Klassen im Wien der Rokokozeit als eine einseitig ästhetisch orientierte Lebenspraxis darstellen. Deren falscher Schein kann bruchlos mit einem Gegenwartsbefund verknüpft werden, ohne dass dabei eine genuine Differenz zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem spürbar wird. Doch wer ist der lyrische Sprecher ? Die Sprecherinstanz bleibt im Anatol-Prolog eigentümlich unbestimmt. Erst zum Textende hin kleidet sich die Äußerungsinstanz in die Form des Personalpronomens „wir“ oder des Possessivpronomens „unser“. Es ist kein Zufall, dass diese Redeweisen, die ein kollektives Textsubjekt anzeigen, erst und ausschließlich dann auftreten, wenn von einer Gartenbühne und vom Theaterspielen die Rede ist (V. 47f., 57f.). Das lyrische Wir unterstreicht die Sozialität des Theaterspielens : Dieses Theater ist kollektiv-geselliger Natur. Aus der Perspektive des Gedichts gibt es keinen Unterschied zwischen Einst und Jetzt : Der ästhetisch-bürgerliche Raum, in dem sich die Fin-de-Siècle-Autoren bewegen und aufhalten, und der Raum gesellschaftlich-ständischer Repräsentation im theresianischen Wien entsprechen einander in ihrer Eigenschaft als „Spielräume“ der Selbstdarstellung, Selbstverbergung und halbbewussten Selbsttäuschung. Das ganze Gedicht ist auf diese Konvergenz hin geformt. Der Horizont der Zeitgenossenschaft öffnet sich somit zur Vergangenheit. Das Interesse der Gegenwart weitet sich und mündet – typisch für Hofmannsthal – in die Tiefe der Geschichte. Von daher wird verständlich, warum Hofmannsthal zeitlebens längst vorgeprägte poetische Materialien und Wirkungsmittel nutzte, um zu sich und zu seinem Werk zu kommen.19 Seit frühester Jugend hat dieser Autor gewusst, dass alles Gesagte und Geschriebene den Text der Überlieferung fortschreibt. Im Mitterwurzer15 16 17 18 19
Vgl. Klüger 2006, 128–133. Schönemann 2004, 51. Vgl. Bauer 1978. Hofmannsthal : Der Rosenkavalier (SW, Bd. 23, 93). Vgl. dazu bspw. Mayer 1993, 1f.
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Essay (1895) hat er diesen Grundgedanken auf eine knappe Formel gebracht : „Wenn wir den Mund aufmachen, reden immer zehntausend Todte mit.“20 Wie die Einleitungsverse zum Anatol zeigen, kann in einem Sprachwerk auch ein längst verstorbener Vedutenmaler „mitreden“ : Bernardo Bellotto, genannt Canaletto. Dass Hofmannsthal diesen Künstler in der Redevielfalt seines Jugendœuvres zur Geltung bringen konnte, beruht auf der scheinbar selbstverständlichen Voraussetzung, dass er Gelegenheit hatte, mit Bellottos Wiener Veduten bekannt zu werden. Die bisherige Hofmannsthal-Forschung legt nahe, dass der Anatol-Prolog im Motivischen insbesondere mit Bellottos Gemälde Wien, vom Belvedere aus gesehen (Abb. 1) verknüpft ist.21 Dass der junge Dichter diese – heute weithin berühmte – Vedute aus eigener Anschauung kannte, wird ohne weitere argumentative Fundierung vorausgesetzt. Mit Bellottos Öffentlichkeitswirkung in Wien hat es aber eine besondere Bewandtnis !
Hängung und Zugänglichkeit der Wiener Veduten des Bernardo Bellotto Die Forschung bietet überraschenderweise nur unzuverlässige Auskünfte, was die Aufbewahrung der insgesamt 13 Veduten Bellottos mit Ansichten der Reichshauptstadt Wien, der Schlösser Schönbrunn und Schloss Hof sowie der Ruine Theben zu der Zeit anbelangt, in der Hofmannsthal den Anatol-Prolog verfasste. Zur Provenienz der 1759/60 entstandenen Bilder, die schon früh in kaiserlichem Besitz waren, gibt auch rezente Literatur an, dass sie sich am Ende des 18. Jahrhunderts in der Burg von Bratislava befanden. Die beiden Ansichten der Freyung seien dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Wiener Hofburg nachzuweisen und ab 1849 in der kaiserlichen Gemäldesammlung im Oberen Belvedere ausgestellt gewesen. Die übrigen Bilder, im Jahr 1822 im Schloss von Laxenburg bezeugt, seien um 1880 in die Ausstellung im 20 Hofmannsthal : Eine Monographie (Friedrich Mitterwurzer […]) (SW, Bd. 32, 159). 21 Niefanger meint, der eingezäunte Garten, den der Anatol-Prolog schildert, sei „bis ins Detail“ der Belvedere-Garten, wie ihn Bellottos Gemälde im Kunsthistorischen Museum schildert (Niefanger 1993, 146). Sommerhage ist der Auffassung, die inhaltlich-thematischen Eigentümlichkeiten des Prologs speisten sich aus zwei Quellen : Neben Bellottos Bild Wien, vom Belvedere aus gesehen seien Hofmannsthals Motive in Joseph von Eichendorffs Schilderung eines versunkenen Rokoko-Parks in der autobiographischen Schrift Erlebtes vorgebildet, die zwischen 1849 und 1857 entstanden ist (Sommerhage 1993, 251 ; vgl. Eichendorff 2016, 4f.). Den „arg verwilderten, altfranzösischen Garten“, den Eichendorff schildert, wird man jedoch in keinem deutlichen intertextuellen Bezug zum Anatol-Prolog sehen können. Nur zwei Motive, die Hofmannsthal in sein Gedicht aufgenommen hat, besitzen eine gewisse Ähnlichkeit mit Eichendorffs Wandererlebnis : Die Nelken, die sich bei Hofmannsthal im Winde wiegen (V. 70–72), finden eine gegenbildliche Parallele in folgender Formulierung : „Päonien und Kaiserkronen, über denen bunte Schmetterlinge wie verwehte Blüten dahinschwebten“ (Eichendorff 2016, 4). Darüber hinaus ist in Eichendorffs altfranzösischem Garten auch ein Pfau anzutreffen, allerdings in einer Kontextualisierung, die keine Parallele zum Anatol-Prolog erkennen lässt.
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Belvedere aufgenommen und von dort 1890/91 in die Gemäldegalerie des neuen Hofmuseums, des heutigen Kunsthistorischen Museums, überführt worden.22 Die Behauptung, alle Wiener Veduten des Bellotto seien in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts im Oberen Belvedere allgemein zugänglich gewesen, stützt sich auf das Beschreibende Verzeichnis der im Besitz des Kaiserhauses befindlichen Gemälde, dessen Eröffnungsband der Maler Eduard von Engerth, seit 1871 Direktor der Gemäldegalerie im Belvedere (und nach 1890 auch des neuen Hofmuseums), 1881/82 vorgelegt hat.23 Dort ist zu erfahren, dass die beiden Ansichten der Freyung tatsächlich – wie oben erwähnt – im Belvedere hingen, und zwar im IV. Saal des Erdgeschosses.24 Bei allen anderen Bildern des Bellotto findet sich hingegen nur die Angabe „neu aufgestellt“, die in dem Katalog auch mit Bezug auf Werke anderer Künstler vielfach anzutreffen ist.25 Obwohl durchweg die Angabe fehlt, in welchem Saal die Werke gehangen haben sollen, nimmt die bisherige Forschung unkritisch an, dass Bellottos so gekennzeichnete Werke in der Belvedere-Galerie „neu aufgestellt“ und also ab den frühen achtziger Jahren öffentlich zu sehen gewesen seien. Doch diese Annahme ist falsch ! In seinem Vorwort zum Beschreibenden Verzeichnis (1882) erläutert Engerth die Voraussetzungen, unter denen sein Katalog entstand : 1871 erhielt er den Auftrag, „bis zur Zeit der Uebersiedlung der kaiserlichen Sammlungen in das neue Museum“ einen Bestandskatalog der Gemälde zu verfassen, der auch die im Depot des Belvedere und in anderen kaiserlichen Museen und Schlössern befindlichen Gemälde einbeziehen sollte.26 Verknüpft war diese Arbeit mit dem „Project der Neuaufstellung der Gemälde-Galerie“,27 also mit der Präsentation des erstmals vereinigten kaiserlichen Gemäldebestandes im neu erbauten Hofmuseum, mit dem Gottfried Semper und Carl von Hasenauer 1870 beauftragt worden waren und das 1881 in seiner äußeren Gestalt fertiggestellt war. In dem erwähnten Vorwort von 1882 spricht Engerth davon, dass die „Neugestaltung der kaiserlichen Galerie und das Project ihrer Aufstellung im neuen Museum jetzt im Wesentlichen als vollendet angesehen werden kann“.28 Kein Wunder also, dass in Engerths Bestandskatalog vor dem hinteren Buchdeckel bereits der Grundriss des ersten Obergeschosses des neuen Hofmuseums eingebunden ist, aus dem auch die genaue Verteilung der Gemälde nach Schulen auf die einzelnen Säle hervorgeht. Somit steht wohl außer Zweifel, dass sich die Formulierung „neu aufgestellt“, mit der Engerth elf der 13 Bilder des Bellotto kennzeichnet, nicht auf eine faktische Neupräsentation der Veduten im Belvedere, sondern auf die intendierte Hängung im neuen Hofmuseum bezieht. Dessen Eröffnung schien in den frühen achtziger Jahren in 22 Schütz 2005, 105, 108. Siehe auch Bowron 2001, Kat.-Nrn. 66–68, und Kräftner 2011, 170f. 23 Vom ersten Band des auf vier Bände angelegten Beschreibenden Verzeichnisses existieren Ausgaben mit den Publikationsjahren 1881 und 1882. 24 So schon Engert 1859, 183f. 25 Engerth 1882, 81–87. 26 Ebd., VII. 27 Ebd. 28 Ebd.
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erreichbarer zeitlicher Nähe zu liegen. Aufgrund des fast beispiellosen Ausstattungsluxus, der im Inneren des Museums betrieben wurde, konnte das Gebäude jedoch wider Erwarten erst 1891 fertiggestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (dazu später mehr). Waren bis 1891 also nur die Gemälde Freyung von Nordwesten aus und Freyung von Südosten aus öffentlich in Wien ausgestellt, so lässt sich der Aufenthalt der übrigen Wiener Veduten des Bellotto zwischen 1822 und 1891 über die Angaben in der neueren Literatur hinaus durchaus genauer bestimmen. Schon aus der ersten Monographie, die Rudolph Meyer 1878 zu Antonio Canal und Bernardo Bellotto vorgelegt hat, geht hervor, dass „neuerdings […] in Wien elf, bisher in den Gemächern des k. k. Obersthofmeister-Amtes befindlich gewesene Oelgemälde unseres Meisters wieder an’s Licht gezogen und behufs der Aufstellung in das k. k. kunsthistorische Museum restaurirt worden [sind] […].“29 Auch Julius Meyer, Direktor der Berliner Gemäldegalerie, weiß 1885 in seinem ausführlichen Artikel zu Bernardo Bellotto im Allgemeinen KünstlerLexikon Folgendes zu berichten : „Es sind dreizehn Gemälde von ansehnlicher Größe […], welche B. [Bellotto] in den J. [Jahren] 1758–1760 […] ausführte. Zwei davon, Die Freyung in Wien und Die Schottenkirche in Wien, haben schon seit längerer Zeit in der Galerie des Belvedere ihren Platz ; die übrigen elf, bisher in der Hofburg aufgestellt, werden in die neuen Museen übergeführt werden.“30 Im Lichte dieser Textzeugnisse zeigt sich, dass auch eine Formulierung Eduard von Engerths über Bellottos Wiener Veduten − „Eilf davon sind bisher in den Appartements der Hofburg verwendet gewesen, und nur zwei : die Freiung und die Schottenkirche in Wien, kamen in die Galerie“ − so zu verstehen ist, dass der größere Teil der Veduten direkt aus der Wiener Hofburg (Obersthofmeisteramt) bzw. aus der Restaurierungswerkstatt in das neue Kunstmuseum an der Ringstraße überführt wurde.31 Die Tatsache, dass Hofmannsthal das Gros der Wiener Veduten erst nach der Eröffnung des neuen Hofmuseums im Herbst 1891 mit eigenen Augen gesehen haben kann, falsifiziert keinesfalls die These, dass der Anatol-Prolog mit einer Seherfahrung operiert, die sich auf konkrete Gemälde bezog. Ganz im Gegenteil : Um den Vers „Seht … das Wien des Canaletto“ (V. 8) mit den Ohren von Hofmannsthals Wiener Erstrezipienten zu hören, muss man verstehen, dass in der gewählten Formulierung die durch die Museumseröffnung eben erst hergestellte neue Sichtbarkeit der Bellotto-Veduten mitschwingt. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Neupräsentation der Gemälde Bellottos im Museum gegenüber der Hofburg eine mächtige Anziehungskraft auf die bürgerliche Öffentlichkeit ausübte. Den gesellschaftlichen Charakter der Museumseröffnung rückte die in Wien erscheinende Neue Freie Presse in den Fokus ihrer Berichterstattung und prophezeite dabei schon im Juli 1891, also ein Vierteljahr vor dem 29 Meyer 1878, 32. 30 Meyer 1885, 441. 31 Engerth 1882, 82.
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Ereignis, dass die Gemälde Bellottos die vielleicht größte Attraktion darstellen würden : „Von den neu in die Galerie aufgenommenen Bildern dürften namentlich Canaletto’s Veduten von Wien, Schönbrunn und Schloßhof mit ihren charakteristischen Staffagen […] das Interesse des großen Publicums erregen.“32 Diese Ansicht teilte auch August Schaeffer, seines Zeichens Maler, bis 1892 Kustos und danach Direktor der Gemäldegalerie des Hofmuseums. In seinem 1891 publizierten Aufsatz zu den Landschaftsgemälden der kaiserlichen Sammlung heißt es, dass die Veduten Bellottos „unbedingt in ihrer Neuaufstellung in dem demnächst zu eröffnenden kunsthistorischen Hofmuseum eine besondere Sehenswürdigkeit bilden“ würden.33 Die besondere Wirkung, die von den Bellotto-Veduten ausging, bestätigt dann auch eine Bemerkung Carl von Lützows, der im Jahr 1882 das neu geschaffene Ordinariat für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Wien übernommen hatte. In einer ausführlichen Würdigung des Museumsneubaus hat der Kunstgeschichtsprofessor die Aufstellung der Gemäldesammlung mit scharfen Worten verrissen. In den Italien sälen schien ihm nur ein Maler wirkungsästhetisch befriedigend ausgestellt : „[…] unter den Italienern kommt eigentlich nur Canaletto durch die prächtige, neu aufgestellte Bilderfolge zu voller Wirkung […].“34 Die hier präsentierten Quellen lassen nur eine Schlussfolgerung zu : Die Konzeption des Anatol-Prologs steht in einem engen zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit der 1891 erfolgten Neueröffnung des Kunsthistorischen Hofmuseums in Wien. Die öffentliche Erstpräsentation von elf der insgesamt 13 Wiener Veduten des Bellotto war das rezeptionsauslösende Moment, das dem Prolog voraus- und in ihn eingegangen ist.
Kunsterlebnislyrik Über Hofmannsthals Beziehung zu den visuellen Künsten und seine Beobachtungsfähigkeit gehen die Urteile erstaunlich weit auseinander. Folgt man Manfred Hoppe, so hat sich die unmittelbare Anschauung visueller Kunstwerke bei Hofmannsthal so gut wie nie literarisch niedergeschlagen.35 Ursula Renner dagegen, die Form und Funktion der Bild-Text-Bezüge in Hofmannsthals Schriften mit seltener Tiefenschärfe analysiert hat, charakterisiert den Dichter als „hochsensiblen Augenmenschen, dessen libido videndi ergreift, was ihn umgibt.“36 Studiert man die Breite und Tiefe der BildText-Bezüge im Anatol-Prolog, so wird man Renners Urteil zustimmen müssen. Die Verbindungen zwischen dem Gedicht und den Wiener Veduten des Bernardo Bellotto sind zu eng und zu vielfältig, als dass Hofmannsthal mit der appellativen Formulierung 32 33 34 35 36
Aus dem Kunsthistorischen Hofmuseum 1891, 7. Schaeffer 1891, 277. Lützow 1892, 133. Hoppe 1968, 54. Renner 2000, 18. Vgl. Renner 2016. Zur Funktion der Bilder im Literatursystem um 1900 siehe Schneider 2006.
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Abb. 1 Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Wien, vom Belvedere aus gesehen, 1759/60, Öl auf Leinwand, 135 x 213 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie
„Seht … das Wien des Canaletto, // Wien von Siebzehnhundertsechzig …“ (V. 8f.) nur eine irgendwie inhaltlich oder temporal bestimmte Epoche der Wiener Stadtgeschichte gemeint haben kann. Vielmehr ist mit den Worten „das Wien des Canaletto“ zugleich ein Bezug auf konkrete Gemälde in der kaiserlichen Sammlung verbunden. Bellottos Ansichten von Schönbrunn und Schloss Hof (Abb. 2 und 3) sowie seine Belvedere-Vedute (Abb. 1) bieten sich schon aufs Ganze gesehen als Vergleichsobjekte für die Gartenarchitektur, die Parkskulpturen und die Staffagefiguren an, die Hofmannsthal im Anatol-Prolog vergegenwärtigt („Taxushecken“, „Cascaden“, „zierlich gleiche Schatten“, „steife Liebespaare“, „Heroinen und Heroen“ finden sich hier wie dort). Einzelne Motive des Gedichts, darunter auch vermeintlich belanglos-periphere, haben darüber hinaus sehr konkrete Pendants in den Wiener Veduten des Bellotto : Die „Sphinxe“ finden sich zu Seiten eines hohen „Thore[s]“ auf der Mittelachse des Gemäldes, das die Gartenseite des kaiserlichen Lustschlosses Schloss Hof vor Augen führt (Abb. 2). „Grüne, braune, stille Teiche, // Glatt und marmorweiss umrandet“ sind in unterschiedlicher Ausprägung in den Bildern Wien, vom Belvedere aus gesehen (Abb. 1) und Schloss Hof, Ehrenhofseite sowie dem erwähnten Gemälde Schloss Hof, Gartenseite (Abb. 2) dargestellt. Den „glattgeschor’nen Rasen“ machte Bellotto ausdrücklich zum Thema in seiner Belvedere-Vedute (Abb. 1) sowie in seinem Bild Schönbrunn, Gartenseite, in denen zwischen der lustwandelnden Herrschaft weitere Staffagefiguren zu sehen sind, die auf Knien den Rasen stutzen. In ähnlicher Weise wird bei Bellotto das Augen-
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Abb. 2 Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Schloss Hof, Gartenseite, 1759/60, Öl auf Leinwand, 136 x 234 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie
merk auch auf den „Kies“ gerichtet, der im Vordergrund des letztgenannten Gemäldes, aber auch in der Ansicht der Gartenseite von Schloss Hof (Abb. 2) durch gärtnerisches Personal gewalzt und geharkt wird. Schatten und Kühle spendende Heckenarchitekturen („Zweige wölben sich zur Kuppel, // Zweige neigen sich zur Nische“), „Stufen“ und „Gerüste“ präsentieren vor allem zwei der drei Schloss-Hof-Veduten − Gartenseite und Ansicht von Norden (Abb. 2 und 3) −, in denen die komplexe barocke Gartenanlage mit ihren verschiedenen durch Treppen verbundenen Niveaus, ihren aufwendigen Bosketten und umfangreichen Treillagen aus zwei Blickrichtungen gezeigt und für den Betrachter in ihrer räumlichen Wirkung veranschaulicht wird. Als Zeit- und Lokalkolorit des Anatol-Prologs fungiert also ein konkret beobachtetes Wien, das Hofmannsthal nicht zuletzt aus Canalettos Gemälden entgegentrat und das er für sein höchst eigenes Sprachspiel weiterentwickelte. Das Wien, das der Anatol-Prolog vergegenwärtigt, ist nicht das Wien der Ringstraßenbauten, in dem Hofmannsthal aufgewachsen war, sondern „das Wien des Canaletto“, ein stilisiertes, kunstverklärtes Wien von gestern, dem der Autor seine eigenen Perspektiven einschrieb. Es ist gewiss kein Zufall, dass die erste Notiz, die sich mit größter Wahrscheinlichkeit auf den Prolog bezieht, aus dem Spätherbst des Jahres 1891 datiert und damit aus jenen Tagen stammt, in denen das neu eröffnete Hofmuseum, das Bellottos Wien-Veduten aus kaiserlichem Besitz eine neue Heimstätte bot, für großes Aufsehen und massenhaften Zulauf sorgte. Als Ersterwähnung des Prologs muss eine Tagebuchaufzeichnung Schnitzlers vom 22. November 1891 gelten – ein Monat war vergangen, seit der Museumsneubau für
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Abb. 3 Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Schloss Hof, Ansicht von Norden, 1759/60, Öl auf Leinwand, 136 x 238 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie
das allgemeine Publikum geöffnet worden war.37 An diesem Tag, einem Sonntag, trafen sich Wiens literarische Newcomer in Schnitzlers Junggesellenwohnung. Bei solchen Sonntagstreffen wurden − wie im Kaffeehaus − literarische Projekte besprochen und Textentwürfe vorgestellt.38 Über die Nachmittagsstunden des 22. November 1891 hält das Tagebuch fest : „N[ach]m[ittag] B[eer]-H[ofmann] – Salten, Loris. ›Agonie‹, Ged[icht] Loris (Floh theater).“39 Es ist die „Clique“ junger und noch nicht etablierter Wiener Autoren, die Kerngruppe des Jungen Wien, die an diesem Nachmittag versammelt war : Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann, Felix Salten und Hugo von Hofmannsthal alias Loris.40 37 Ab dem 22.10.1891 stand das „K. k. Kunsthistorische Hofmuseum“ der Öffentlichkeit zur Besichtigung offen (Haupt 1991, 42). 38 Zu den Gruppensitzungen in Schnitzlers Wohnung siehe Rieckmann 1985, 62, 94–96 ; Österle 2019, 43, 52–55. 39 Tagebuchaufzeichnung vom 22.11.1891 (Schnitzler 1987, 355). Der Zusatz „Flohtheater“ bezieht sich auf Schnitzlers Wunsch nach einer intimen Bühne. Vgl. Schnitzlers Traumnotizen vom 27.9.1891 (Schnitzler 1987, 349) : „[…] ich lasse ein Theater baun – und es ist mir immer zu gross, ich lasse Ziegel auf Ziegel wegnehmen. […] (Flohtheater, nennens einige meiner Freunde spöttisch).“ 40 Der Begriff „Clique“ war zunächst eine Fremdbezeichnung, fand aber schon bald auch als Selbstbezeichnung der Kerngruppe des Jungen Wien Verwendung. Vgl. dazu Schnitzlers Tagebucheintragung vom 9.10.1891 (Schnitzler 1987, 351f.).
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Die zitierte Tagebucheintragung bietet klare Anhaltspunkte dafür, dass Schnitzler die noch unveröffentlichte Anatol-Szene Agonie vorlas, um ein Urteil über sein Werk zu erhalten.41 Der Eintrag im Tagebuch gibt ferner Anlass zu der Vermutung, dass der siebzehnjährige Hofmannsthal vor den versammelten Jungschriftstellern das neu entstandene oder im Entstehen begriffene Eingangsgedicht zum Anatol auf seine Vorlesbarkeit und Wirkung hin testete.42 Wenn also am 22. November 1891 eine erste Textfassung oder zumindest ein Entwurf zum Anatol-Prolog vorlag, liegt nahe, dass die Öffnung des neuen Kunstmuseums an der Ringstraße für den Publikumsverkehr am 22. Oktober 1891 und die Neupräsentation der Wiener Bilder des Bellotto die Veranlassung und den Stoff für das Gedicht hergaben. Der Prolog mit seiner Rokokothematik liefert somit ein vollgültiges Beispiel dafür, dass die Selbsteinschätzung des neunzehnjährigen Hofmannsthal, er habe schon früh „bei völligem Mangel an äußerer Begabung einen lebhaften receptiven Sinn für Malerei“ entwickelt,43 auch in produktionsästhetischer Hinsicht instruktiv ist. Für Hofmannsthal, dessen elterliche Wohnung sich in Laufweite zum Hofburgbezirk befand,44 wird das neue Kunsthistorische Hofmuseum schon deshalb von größtem Interesse gewesen sein, weil er als Kind und Jugendlicher die Errichtung dieser spektakulären Schauarchitektur mit eigenen Augen verfolgt haben muss. Der Bauprozess war im November 1871 in Gang gesetzt worden.45 In Hofmannsthals Geburtsjahr 1874 wurde das Hochparterre vollendet, 1877 die Dachhöhe des Außenbaues erreicht, 1880/81 die mächtige Kuppel fertiggestellt. Weitere zehn Jahre sollten vergehen, bis die Bau- und Einrichtungsarbeiten im Inneren abgeschlossen waren. Hofmannsthal, Sohn aus begütertem und bildungsorientiertem Elternhaus, wird nicht nur die Museums baustelle, sondern das gesamte Areal des Burgrings bis ins Einzelne gekannt haben. Die Ringstraße war ja die glanzvolle Bühne, auf der sich die neuen Eliten des Reiches präsentierten : eine großbürgerliche Wohn- und Flanierzone zwischen dem Stadtkern und den Außenbezirken. Tatsächlich erlebte das „k. k. Kunsthistorische Hofmuseum“ schon bald nach seiner Eröffnung einen gewaltigen Publikumsandrang.46 Vom 22. Oktober bis zum 31. Dezember 1891 verzeichnete das Haus einen Ansturm von 211.335 Besuchern. An den Sonntagen drängten bis zu 15.527 Personen ins Haus, in der Spitze also fast 4000 Museumsbesucher pro Stunde. Die äußerst zahlreiche Beteiligung an diesem Freizeitverhalten ist gleichermaßen Folge und Bekräftigung des Ereignischarakters, der nach 20-jähriger Bauzeit der Bauvollendung und Museumseröffnung zugesprochen wurde. 41 Den Beginn der Niederschrift der Agonie vermerkt Schnitzler im Tagebuch am 28.10.1891 (Schnitzler 1987, 354). 42 SW, Bd. 1, 150–153 (Kommentar des Hg.). 43 Hofmannsthal an Edgar Karg von Bebenburg, 10.10.1893 (Hofmannsthal/Karg 1966, 36). 44 Zu Hofmannsthals Geburts- und Elternhaus in der Salesianergasse vgl. Heumann 2014. 45 Zur Chronologie der Bau- und Ausstattungsarbeiten vgl. die ausführliche Darstellung von Haupt 1991, 23–31. Zusammenfassend : Bischoff 2008, 54, 66. 46 Im Folgenden stützen wir uns auf Haupt 1991, 53.
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Wenn der Eindruck nicht sehr täuscht, ging es den Besuchern des Museums um die Aneignung eines neuen urbanen Raumes, der die historistische Neuerfindung Wiens zu einem späten Höhepunkt führte und mit der Präsentation der Bellotto-Veduten einen zusätzlichen Beitrag zur Hervorbringung lokaler Identität leistete, indem er dem „neuen Wien“ das „alte Wien“ gegenüberstellte. Der historisch-topographische Informationswert von Bellottos Veduten wurde dabei gewiss hoch eingeschätzt. Dementsprechend stellte auch die zeitgenössische kunsthistorische Literatur in ihrer Bewertung Bellottos vor allem die Abbildtreue heraus. In einem Kunstführer, der 1890 im Vorfeld der Museumseröffnung publiziert wurde, charakterisiert Wilhelm Suida die Veduten des Bellotto als „treffliche Schilderungen der Kultur und des Lebens im XVIII. Jahrhundert“.47 Julius Meyer (1885) behauptet sogar, dass Bellottos Darstellungen die Differenz von Betrachter- und Bildrealität tendenziell aufhöben und die Beschauer dazu einlüden, in den Gemälden umherzuwandeln.48 Daraus folgt aber nicht, dass Meyer und seine Zeitgenossen naiv geglaubt hätten, durch die realitätsentsprechenden Veduten hindurch auf das Wien Maria Theresias schauen zu können wie durch Glas. Zwar stand in der kunsthistorischen Diskussion über die Vedutenkunst Antonio Canals und Bernardo Bellottos vor und um 1900 – vor dem Hintergrund neuer Bildmedien und moderner Seherfahrungen nicht überraschend − die Frage im Vordergrund, ob und wie die beiden Künstler bei der Bildherstellung die Camera obscura als Hilfsmittel eingesetzt hatten, doch wurde der „fotografische Charakter“ ihrer Gemälde durchaus differenziert beurteilt. Julius Meyer verneint im Falle Bellottos die vollständige Ableitbarkeit der zentralen Bildeigenschaften aus dem bildgebenden Verfahren der Camera obscura : Den Eindruck von Lebendigkeit habe der Künstler nicht durch den Gebrauch der „dunklen Kammer“ erzielt, sondern durch den Einsatz spezifisch malerischer Ausdrucksmittel. Bellottos Eigenart bestehe, so Meyer, in der Verschränkung einer Genauigkeit, die „der Bestimmtheit der Photographie nichts nachgiebt“, mit malerischer Verlebendigung : „In Beidem vereinigt aber, der exacten Bestimmtheit des Bildes und dem Schein freien Lebens, besteht der ganz eigentümliche Reiz der Gemälde Belotto’s.“49 Diese eigenartige Doppelgesichtigkeit – die quasi fotografische, gleichzeitig aber malerisch-freie Wirklichkeitsauffassung – erklärte auch August Schaeffer 1891 zum Hauptmerkmal der Kunst Bellottos : „Diese Bilder […] geben uns in ihrer Gesammtheit ein klares Bild seiner künstlerischen Intentionen, die vornehmlich nach Wahrheit der Erscheinung strebten und dieselbe, und zwar nachgerade spiegelbildartig erreichten, so dass wir bei Betrachtung derselben unwillkürlich an die Photographie erinnert werden. Diese Wahrnehmung bestätigt auch den Gebrauch der Camera obscura vollkommen, womit jedoch Canaletto nicht etwa 47 Suida 1890, 70f. 48 Meyer 1885, 440. 49 Ebd., 439f.
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in eine nüchterne Darstellung der Gegenstände verfiel, sondern durch Unmittelbarkeit und Frische der Mache die etwa allzustrenge Zeichnung malerisch paralysirte.“50
Nach Einschätzung der kunsthistorisch informierten Zeitgenossen Hofmannsthals sind Bellottos Veduten also zweierlei : getreue Zeugnisse vergangenen Lebens, aber auch Gegenstände von eigenem Kunstwert. Die Veduten scheinen transparent (wie vermeintlich die Fotografie), sind aber auch opak (als Gemälde in spezifischer materieller Verfasstheit). Derjenige, der die Bilder genauer betrachtet, nimmt nicht nur die Inhalte – das Wien von gestern – wahr, sondern auch die formalen Mittel, die der Maler gewählt hat, um diesen Bildinhalten den Schein der Lebensechtheit zu verleihen. In einer Zeit, in der fotografische Verfahren hinsichtlich ihres ästhetischen Werts noch umstritten sind, ist Letzteres für die angeführten Autoren wertentscheidend. Bellottos Veduten erfahren größte Wertschätzung, weil der Kunstcharakter in ihnen obsiegt. Aufgrund ihrer natürlich-künstlichen Doppelnatur und ihres dann doch dominanten Kunststatus dürfte der junge Hofmannsthal die Veduten Bellottos als lyriktaugliches Rohmaterial betrachtet haben. Dass Hofmannsthal zeit seines Lebens gern die Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität verwischte – auch und gerade, wenn es um die Literarisierung der Stadt Wien ging −, lässt sich vielfach belegen. Erinnert sei hier nur an einen Werkstattbericht, der aus der Rückschau des Jahres 1927 über die Entstehungsbedingungen der Rosenkavalier-Oper Auskunft gibt : Hinter seinem Textbuch (1909/10) stehe, so Hofmannsthal, der „geheime Wunsch, ein halb imaginäres, halb reales Ganzes entstehen zu lassen, dies Wien von 1740“.51 Mutatis mutandis dürfte dieser Wunsch schon für den Anatol-Prolog leitend gewesen sein. Das Wien Bellottos hat den Status einer halb imaginären, halb realen, kunstmäßig bezeichneten Vergangenheit. Der hohe Kunstwert mag einem unzulänglich vorunterrichteten Betrachter verborgen bleiben ; für die Bildrezeption im Anatol-Prolog war der Kunstcharakter aber sicher ausschlaggebend, denn der junge Hofmannsthal hätte jederzeit der Überzeugung beigepflichtet, dass die Kunst eine Realität für sich sei.52 Dies äußert sich schon darin, dass im Anatol-Prolog Wien zum Thema wird, die moderne Stadtwirklichkeit aber nicht vorkommt. Mit Großstadtlyrik – das Genre war eine Errungenschaft des Naturalismus – hatte Hofmannsthal nichts zu schaffen. Der junge Schriftsteller brachte, zumindest oberflächlich betrachtet, nicht das Wien seiner Zeit zur Darstellung, sondern „das Wien des Canaletto“, eine Kunstversion der Stadt. Es geht im Anatol-Prolog somit um Beobachtungen zweiter Ordnung und eine „Ästhetik des Künstlichen“, wie sie laut Annette Simonis auch für das ästhetizistische Textkorpus der Jahrhundertwende kennzeichnend ist, zu dem Hofmannsthal trotz aller Abgrenzungsbemühungen eine gewisse Nähe erkennen lässt.53 Die Bilder des Bellotto 50 51 52 53
Schaeffer 1891, 277f. Hofmannsthal : Der Rosenkavalier. Zum Geleit (SW, Bd. 23, 549). So z. B. Hofmannsthal : Poesie und Leben (SW, Bd. 32, 185). Simonis 2000, 175f.
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werden demgemäß von Hofmannsthal in einen Kunstdiskurs eingespannt und sind nur Vehikel für ein Sprachkunstwerk, das sich selbst genug ist. Wir wollen unter diesem Gesichtspunkt zunächst die Eingangsverse des Prologs bedenken. Das Gedicht beginnt mit sieben Versen, die in der Gegenwart des Autors angesiedelt sind und zugleich einen Zugang zur Vergangenheit erschließen. Es öffnet sich das Tor eines eingegitterten Rokokoparks, der verstaubt, verschlafen und – wie es scheint – nur als vergangener noch gegenwärtig ist. Doch dann belebt sich die Szene durch den Blick auf Canaletto, und die Kunstwelt des Gartens ist auf einmal verjüngt und lebendig. In diesem Zusammenhang sind die Eröffnungsworte des Gedichts − „Hohe Gitter, Taxushecken“ – mit Bedacht gewählt. Das Gartengitter ist nämlich ein zentral wichtiges Zeichenelement in den Landschaftsdarstellungen der Wiener Moderne : Es markiert den Status der Abgeschlossenheit von der Außenwelt, die Grenzen des ästhetischen Bezirks, der vermeintlich lebendigen Kunstwelt.54 In Hofmannsthals Versdrama Der Tor und der Tod (1894) bezeichnet der Ästhet Claudio die Schranken, die ihn von allen realen Erscheinungen und menschlichen Bindungen fernhalten, als „Lebensgitter“.55 Der erste Vers des Anatol-Prologs verweist dementsprechend auf die Abgeschlossenheit der im Folgenden beschriebenen ästhetischen Sphäre und signalisiert eine große Distanz zur gewöhnlichen Welt. Im Fortgang der Lektüre ist es dann vor allem der Vers „Also spielen wir Theater“ (V. 57), der dem Leser den Gedanken aufdrängt, die geschilderte Parkanlage qua Exklusionszone sei als Allegorie auf die Kunst der Wiener Moderne zu verstehen. David Österle formuliert es treffend : „Die fröhliche Weltabgewandtheit des Adels Mitte des 18. Jahrhunderts, die Hofmannsthal im Prolog darstellt, steht symbolisch für die Abgeschiedenheit der Kunsträume um 1900.“56
Ein jähes Ende Am Ende des Gedichts bündelt sich die Kunstwelt des spätbarocken Gartens im Motiv des Pfaus, der seine Pracht aber nicht unangefochten zur Schau tragen kann, sondern mit einem lästigen Kläffer konfrontiert ist (V. 67–74). Dass der Pfau als Sinnbild der Schönheit zu verstehen ist, bedarf keiner Beweisführung. Dagegen eröffnet das Bologneserhündchen einen weiten Auslegungsspielraum. Dazu nur eine Andeutung : Der Bologneser ist ein kleiner Gesellschaftshund, der als temperamentvoll gilt und in der Frühen Neuzeit im adeligen und höfischen Alltag häufig anzutreffen war. Als stetig wiederkehrendes Thema der Porzellanplastik besitzt er im gegenständlichen Erbe des Rokoko eine starke Präsenz (besonders prominent sind die Bologneserhündchen, die Johann Joachim Kändler für die Porzellanmanufaktur in Meißen modelliert hat). Auch 54 Niefanger 1993, 74–76. Weitere Belegstellen für die emphatische Entgegensetzung von Garten und Wirklichkeit bei Apel 1983, 21–23, 47–50. 55 Hofmannsthal : Der Tor und der Tod (SW, Bd. 3, 71). Vgl. Meyhöfer 1989, 127. 56 Österle 2019, 95f.
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in Bellottos Darstellung des Belvedere-Gartens (Abb. 1) ist der Bologneser zugegen. Interessanterweise verkörpert er im Anatol-Prolog aber eine besondere Rolle : die des Störenfrieds. Die Störung, die von ihm ausgeht, ist sogar im Versrhythmus zu verspüren. Die Melodie des Anatol-Prologs ist durch den trochäischen Vierheber geprägt. Den Trochäus verwendete der junge Hofmannsthal meist für weniger ernste Gegenstände.57 In einem Brief an Beer-Hofmann aus dem Erscheinungsjahr des Prologs betont der Achtzehnjährige, dass der vierhebige Trochäus nicht sein Versmaß sei, es aber manchmal durchaus Vergnügen bereite, einen „fremden Stil zu schreiben“.58 Diesen „fremden Stil“ wählte Hofmannsthal für den Anatol-Prolog. Warum ? Der Grund ist wohl darin zu erkennen, dass der Prolog, der das Wien von 1760 vor Augen führt, die Epoche des Rokoko auch in seiner Klanggestalt vergegenwärtigen sollte.59 Der trochäische Vierheber ist nämlich mit dem Rokoko insofern verbunden, als er in der deutschen Dichtung erstmals in Gottscheds Anakreon-Übersetzung anzutreffen war. In der deutschen Metrik ist der trochäische Achtsilber daher auch unter der Bezeichnung „anakreontischer Vers“ geläufig.60 Da die Schäfer-, Geselligkeits- und Liebesdichtung, die unter dem Titel des Anakreontischen zusammengefasst wird, als Erbe und wesentlicher Erinnerungsbestand der Rokokozeit anzusehen ist, lässt sich das Versmaß des Anatol-Prologs als Formzitat verstehen. Merkwürdig wenig Aufmerksamkeit hat die Tatsache gefunden, dass Hofmannsthal im Schlussvers – und nur dort – den alternierenden Wechsel betonter und unbetonter Silben ausgesetzt hat und das Gedicht mit einem Missklang enden lässt. Der Prolog schließt nämlich mit einer doppelten Hebung : „Béllt verwúndert éinen Pfáu án …“ (V. 74).61 Abweichend vom Metrum ist „an“ hier betont zu lesen. Die Vermutung drängt sich auf, dass Hofmannsthal mit diesem finalen Hebungsprall den Leser aus dem „Wien des Canaletto“, das durch den Pfau in seiner Schönheit verkörpert wird, unsanft herauskatapultieren wollte. So wie in den Schlussversen das Hundegebell die Gartenidylle stört, stört die irreguläre Hebung das Metrum und damit den Leser. Am Ende dringt das Leben mit seinen Dissonanzen in die vermeintlich geschlossene Welt der Kunst ein. Im aktuellen Argumentationszusammenhang darf der Hinweis nicht fehlen, dass vermutlich auch der Hund, der einen Pfau anbellt, ein Sprachbild darstellt, das durch ein Gemälde aus dem Kunstbesitz der Habsburgermonarchie angeregt wurde ; auch dies ist der bisherigen Forschung entgangen. Das Motiv, mit dem der Anatol-Prolog endet, findet nämlich eine frappante Parallele in Jan Fyts Stillleben mit einem Knaben (Abb. 4). Hofmannsthal wird dieses Bild von Kindheit an gekannt haben, da es als Teil der kaiserlichen Gemäldesammlung schon seit dem 18. Jahrhundert im Oberen 57 58 59 60 61
Keith-Smith 2000, 139. Hofmannsthal an Richard Beer-Hofmann, 22.7.1892 (Hofmannsthal/Beer-Hofmann 1972, 10). Behrmann 2002, 311f. ; Schönemann 2004, 51 ; Nörtemann et al. 2014, 46. Knörrich 2005, 11. Siehe dazu Scheiffele 1999, 45.
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Abb. 4 Jan Fyt, Stillleben mit einem Knaben, vor 1661, Öl auf Leinwand, 174 x 225 cm, Wien, Kunst historisches Museum, Gemäldegalerie
Belvedere ausgestellt war.62 Im Zentrum der Darstellung steht ein weißer Jagdhund, der einem prächtigen Pfau kläffend nachstellt. Der Hund bringt Unruhe in die stille Szenerie − auch im Anatol-Prolog fungiert der Hund als Unruhestifter. Für das kombinationsfreudige Spiel der Korrespondenzen mit vergangener Kunst, das Hofmannsthals Schreiben prägt, ist es mehr als bezeichnend, dass selbst noch der Kläffer, der die Kunstwelt stört, als Motiv durch ein Werk der Kunst vermittelt ist.
Literatur Die Werke Hugo von Hofmannsthals werden, soweit nicht anders vermerkt, nach der textkritischen Ausgabe zitiert : Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, hg. von Rudolf Hirsch u. a., 42 Bde., Frankfurt a. M. 1975 ff. (Abkürzung : SW).
62 Jan Fyts Stillleben mit einem Knaben hing damals im ersten Stock des Oberen Belvedere (Engert 1859, 53f.). Vgl. Swoboda 2013, 252.
184 | Marcus Kiefer / Claudia Hattendorff Apel, Friedmar : Die Kunst als Garten. Zur Sprachlichkeit der Welt in der deutschen Romantik und im Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts, Heidelberg 1983. Aus dem Kunsthistorischen Hofmuseum, in : Neue Freie Presse. Morgenblatt, 12. Juli 1891, 6f. Bahr, Hermann : Loris, in : Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit 3 (1892), 94–98. Bauer, Roger : Dernier voyage à Cythère. La redécouverte du rococo dans la littérature européenne du 19ème siècle, in : Festschrift für Rainer Gruenter, hg. von Bernhard Fabian, Heidelberg 1978, 178–200. Behrmann, Alfred : Rokoko im Fin de siècle. Hofmannsthals Prolog zu dem Buch „Anatol“, in : ders.: Wörterwelten. Kleine Schriften zur Sprache und Literatur, Berlin 2002, 309–319. Bischoff, Cäcilia : Das Kunsthistorische Museum. Baugeschichte, Architektur, Dekoration, Wien 2008. Bowron, Edgar Peters (Hg.) : Bernardo Bellotto and the Capitals of Europe, New Haven 2001. Eichendorff, Joseph von : Erlebtes, hg. von Karl-Maria Guth, Berlin 2016. Engert, Erasme [Engert, Erasmus von] : Catalogue de la Galerie de Tableaux Impériale-Royale au Belvédère à Vienne, Wien 1859. Engerth, Eduard von : Gemälde. Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. Beschreibendes Verzeichnis, Bd. 1, Wien 1882. Haupt, Herbert : Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring, Wien 1991. Hemecker, Wilhelm/Österle, David : Café S. Griensteidl. Loris und das Junge Wien, in : Hofmannsthal. Orte. 20 biographische Erkundungen, hg. von Wilhelm Hemecker und Konrad Heumann, Wien 2014, 92–116. Heumann, Konrad : Salesianergasse. Die Verwandlung der Welt, in : Hofmannsthal. Orte. 20 biographische Erkundungen, hg. von Wilhelm Hemecker und Konrad Heumann, Wien 2014, 13–31. Hofmannsthal, Hugo von/Karg von Bebenburg, Edgar : Briefwechsel, hg. von Mary E. Gilbert, Frankfurt a. M. 1966. Hofmannsthal, Hugo von/Beer-Hofmann, Richard : Briefwechsel, hg. von Eugene Weber, Frankfurt a. M. 1972. Hofmannsthal, Hugo und Gerty von/Bahr, Hermann : Briefwechsel 1891–1934, hg. und komm. von Elsbeth Dangel-Pelloquin, 2 Bde., Göttingen 2013. Hoppe, Manfred : Literatentum, Magie und Mystik im Frühwerk Hugo von Hofmannsthals, Berlin 1968. Keith-Smith, Brian : „Muss der Titel einer Thatsache entsprechen ?“ Hugo von Hofmannsthal’s „Prolog zu dem Buch Anatol“, in : ders.: From Hagedorn to Süskind − Essays on German Literature, Lewiston 2000, 137–153. Klüger, Ruth : Erlesenes Wien : wie seine Dichter es sahen und sehen, in : dies.: Gelesene Wirklichkeit. Fakten und Fiktionen in der Literatur, Göttingen 2006, 104–134. Knörrich, Otto : Lexikon lyrischer Formen, Stuttgart 22005. Koch, Hans-Albrecht : Hugo von Hofmannsthal, München 2004. Kräftner, Johann : Bernardo Bellotto detto Canaletto. L’intermezzo di Vienna e Monaco, in : Bernardo Bellotto. Il Canaletto delle corti europee (Ausst.-Kat.), hg. von Dario Succi, Venedig 2011, 156–185.
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IV. Aneignungen des frühen Christentums und des Mittelalters
Massimiliano Ghilardi
“Che bisognava andar serpendo col corpo disteso per terra” Esplorando le catacombe romane nella prima età moderna
“Inspiratamente”, ovvero in modo quasi soprannaturale e allo stesso tempo casuale, il 31 maggio del 1578, come testimoniato da un manoscritto del tempo di Gregorio XIII e confermato da diversi altri documenti del tempo,1 poco oltre la porta Salaria delle mura aureliane di Roma, operai impegnati a cavare la pozzolana rinvennero i resti perfettamente conservati di un antico cimitero cristiano ipogeo, dimenticato dai secoli della tarda antichità. La scoperta, come è noto, possiede un valore incipitario nella storia dell’archeologia cristiana che, secondo Giovanni Battista De Rossi, sarebbe nata proprio in quel giorno.2 Molti studiosi – e in particolare Ingo Herklotz – hanno analizzato a fondo i fermenti iniziali, tanto culturali che religiosi, seguiti al rinvenimento della catacomba della via Salaria soffermandosi a riflettere sui risvolti della Rezeptionsgeschichte di tale riscoperta, declinandone il valore, correttamente a mio avviso, nell’ottica della propaganda apologetica controriformista.3 È rimasta tuttavia nell’ombra, anche perché in effetti possiede il valore limitato della pura spigolatura erudita, una piccola parte di tale all’apparenza fortuita riscoperta e delle ricerche che ne seguirono, ovvero non ci si è mai interrogati sui modi materiali delle prime pionieristiche esplorazioni sotterranee. Eppure, dalla lettura di diverse fonti del tempo, manoscritte e a stampa, si possono cogliere numerose interessanti informazioni circa le modalità delle indagini condotte nelle viscere della campagna romana nella prima età moderna. È alla migliore conoscenza di tali aspetti che questo breve contributo intende mirare. Se la riscoperta del 1578 avvenne in modo “inspirato”, va al contrario sottolineato che le esplorazioni successive risposero in massima parte – penso almeno alle ricerche mature di Antonio Bosio – a criteri nient’affatto casuali, essendo piuttosto guidate da preliminari indagini documentarie a tavolino e preventive ricognizioni sul campo. In tal senso, come ebbe modo di sottolineare quasi venticinque anni fa Simon Ditchfield, è senza dubbio corretto sostenere che Bosio compisse le sue perlustrazioni “text before trowel”.4 L’interpretazione delle fonti antiche al suo tempo disponibili, cioè, rappresentò il momento preliminare delle ricerche sul campo. Bosio, tuttavia, come emerge da numerosi passi della sua monumentale Roma sotterranea, talora, piuttosto 1 2 3 4
Vat. Lat. 12214, f. 66. De Rossi 1864, vol. 1, 12. In ultimo, con bibliografia precedente, si veda Herklotz 2019. Ditchfield 1997.
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che ricorrere solo alle fonti letterarie, si affidò per le proprie indagini all’oralità, ovvero raccogliendo informazioni da contadini e possessori di vigne nella campagna romana. Ne sono prova eloquente le espressioni del tipo “per relatione de’ Vignaroli vecchi, e prattici di quei paesi, habbiamo hauuta relatione essere tutti quei luoghi voti, e concaui sotto”,5 “fui auuertito, che in vna Vigna del Collegio Inglese si era aperta vna bocca di grotta arenaria”,6 “interrogando i contadini”,7 “habbiamo inteso poi per relatione de’ Vecchi”,8 “hauendo noi hauuta notitia esserui Grotte sotterranee”,9 “hò inteso poi da alcuni Padri Giesuiti vecchi”,10 “hauendo notitia, che nella vigna de’ Frati Eremitani di S. Agostino vi erano bocche di grotte sotterranee”,11 che ricorrono con frequenza nelle pagine della sua opera. Raccolte più informazioni possibile, veniva il momento della vera e propria esplorazione delle gallerie sotterranee, circostanza allo stesso tempo di grande trasporto emotivo e di elevato rischio. Smarrirsi nei bui e labirintici anditi sotterranei, del resto, non era così impossibile e allo stesso Antonio Bosio era capitato di perdersi, assieme a Pompeo Ugonio, nel corso della prima rocambolesca esplorazione della sua carriera. Era il 10 dicembre del 1593 e il desiderio irrefrenabile di rinvenire iscrizioni paleocristiane integre aveva indotto il gruppo di esploratori inoltratisi nelle gallerie senza troppe precauzioni a smarrirsi nel cimitero di Domitilla.12 Numerose opere dell’epoca confermano la facilità con cui era possibile perdersi nelle catacombe, tanto che nel tempo lo smarrimento improvviso all’interno delle gallerie cimiteriali ipogee diventerà uno dei topoi più diffusi nella letteratura odeporica o nella narrativa di genere.13 Anche fonti di diversa natura, non solo letterarie intendo dire, contribuiscono a documentare la pericolosità dei cimiteri sotterranei della primitiva comunità cristiana di Roma : penetrare senza cautele nelle grotte che si aprivano nella campagna romana poteva rappresentare un pericolo mortale e solo l’intervento miracoloso di un santo poteva rivelarsi in alcuni casi liberatorio. È il caso, assai celebre, dello smarrimento di quattro amici, tra i quali l’abate Giacomo Crescenzi e l’incisore Leonardo Parasole, i cui racconti furono impiegati quali depositiones negli atti di canonizzazione di san Filippo Neri.14 Grazie alla miracolosa intercessione del santo fiorentino, frequentatore assiduo delle catacombe (fig. 1), infatti, gli improvvisati esploratori poterono riuscire stremati, dopo lungo e faticoso peregrinare “serpendo col corpo disteso per terra”, dal coemeterium Iordanorum sulla via Salaria nova all’interno del quale si erano incautamente addentrati. Anche 5 Bosio 1632, 125. 6 Ibid. 7 Bosio 1632, 170. 8 Bosio 1632, 534. 9 Bosio 1632, 559. 10 Bosio 1632, 560. 11 Bosio 1632, 576. 12 Bosio 1632, 195. 13 Ghilardi 2003. 14 Incisa della Rocchetta /Vian 1958, vol. 2, 213–215, 215–218 ; iidem 1960, vol. 3, 283s.
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Marcantonio Boldetti, recuperando la notizia dai Fasti senenses,15 ricorderà all’inizio del XVIII secolo l’episodio di un intervento divino per restituire la libertà ad un giovane senese, tale Filippo Mancini detto Pippo Quadro, smarritosi al principio del XV secolo nelle catacombe di San Sebastiano, nelle quali con eccessiva leggerezza si era addentrato “con una camerata di Giovanacci per darsi buon tempo”.16 Dopo tre giorni di disperato girovagare, la Vergine avrebbe indicato al giovane la via d’uscita. Lo spavento fu tale che, una volta tornato in superficie, il ragazzo mutò stile di vita dedicandosi senza sosta ad opere di bene e misericordia che addirittura gli valsero, dopo la morte, la beatificazione immediata. Al di là dei risvolti miracolistici dei racconti, che lo smarrirsi nelle catacombe fosse un’eventualità piuttosto frequente nel corso del Seicento viene anche da un passo di un’opera manoscritta, non destinata alle stampe ma limitata ad uso interno per le più alte cariche ecclesiastiche, la Pratica per estrarre li Corpi de’ Santi Martiri da Sagri Cimiteri di Roma dell’agostiniano senese Ambrogio Landucci. Spesso infatti, secondo il compilatore dell’opera, si erano verificati ai suoi tempi salvataggi rocamboleschi grazie in particolare all’utilizzo di richiami sonori, trombe o tamburi, fatti risuonare fragorosamente in prossimità delle uscite per guidare il percorso di risalita in superficie degli sventurati dispersi.17 E, proprio per limitare tali spiacevoli episodi, secondo Landucci erano stati murati gran parte degli anditi sotterranei e chiusi gli accessi alle gallerie. Circostanza, quest’ultima, confermata anche da Ottavio Panciroli nell’opera Tesori nascosti dell’alma città di Roma,18 oltre che da Antonio Bosio nella Roma sotterranea.19 Anche in un celebre manoscritto conservato presso la Biblioteca Ambrosiana, si tratta del ms. G. 116 inf, si possono cogliere le stesse indicazioni ; in più, dettaglio noir, Girolamo Bernardini, compilatore del manoscritto milanese, aggiunge che nelle catacombe era facile rinvenire i resti mortali di coloro che vi si erano avventurati incautamente e non ne erano mai riusciti ad uscire.20 Se, dunque, avventurarsi nelle catacombe costituiva un’attrattiva ad elevato tasso di pericolosità, chi decideva comunque di farlo doveva munirsi di un adeguato equipaggiamento e prendere le dovute precauzioni prima di intraprendere l’esplorazione. È Bosio stesso, a seguito della prima fallimentare perlustrazione sopra ricordata, che ci avverte della necessaria dotazione alla quale dover provvedere prima di intraprendere la 15 Fasti senenses 1660, 185–188 ; Gigli 1723, 47. 16 Boldetti 1720, 117. 17 Vat. Chig. G III 82, 14v : “e frà tanta moltiplicità di strade, facil cosa è di smarrire il sentiere, come à molti è occorso, non hauendo guida, che sicuram.te li riconduca all’entrata, e molte uolte è accaduto, che restandoui smarriti alcuni, è stato necess.o col suono di trombe, e tamburi richiamarli alle bocche, che però alcuni hanno usati d’entrarui colla bossola, e calamita, ò con gran quantità di sottili corde, ò con far segni ne Capistrade, per poterne uscire, per q.to in molti Luoghi, e quasi in tutti li Cimiteri sono state serrate, e murate molte strade, per secludere il passo à i troppo curiosi, ò all’indiscreti, e souerchi diuoti.” 18 Panciroli 1600, 80. 19 Bosio 1632, 177, 401. 20 Il Sacro Tesoro, vol. 1, 107.
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Fig. 1 San Filippo Neri prega nelle catacombe di San Sebastiano
discesa : candele in buona quantità, un acciarino ed esche infiammabili, zappe per rimuovere la terra che ostruiva le gallerie, chiodi e, soprattutto, un voluminoso gomitolo di spago da fissare all’ingresso e dipanare lungo il percorso.21 L’impiego, quasi teseico, delle corde per tracciare il cammino nel labirinto delle catacombe è ricordato da numerose altre fonti della prima età moderna. Oltre alla Pratica per estrarre li Corpi de’ Santi Martiri da Sagri Cimiteri di Roma e ai Tesori nascosti dell’alma città di Roma, parla di corde e di segni sulle pareti delle gallerie, proprio evocando l’allegoria teseica, anche l’arcivescovo milanese Federico Borromeo nel De actione contemplationis libri quatuor.22 E, ancora, ne ricorda l’utilizzo una lettera inviata nel 1612 dal gesuita Angelin Gazet al confratello Louis de Landres, Rettore del Collegio di Arras, in relazione alle esplorazioni che si conducevano in quei tempi all’interno del cimitero di Ermete.23 Le corde, ad ogni modo, non erano utilizzate solo per assicurare il percorso ma anche, come ci testimonia il Bosio, per calarsi, assieme a lunghe scale lignee a pioli, nei cimiteri sotterranei dall’alto della campagna romana attraverso antichi lucernari.24 21 Bosio 1632, 195. 22 Borromeo 1621, 106s. 23 Van Cutsem 1934, 341 : “La longeur et circuit de cet cimetier est incognu et il y a des allees de tous costez qui traversent et retraversent de sorte que c’est un vray labirinthe et de faict, en aucuns costez nous y avions des petites cordes tendues de peur de nous perdre. On y a mis aussi a certain coing des assellettes pour indice où il falloit tourner ; il y a de tels ambulachres ou allees trois l’une sur l’autre en beaucoup d’endroicts.” 24 Bosio 1632, 438.
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Fig. 2 Esplorazione di una galleria cimiteriale con torcia e lanterna, dettaglio dall’antiporta della Roma sotterranea di Antonio Bosio
Strumenti essenziali per le ricognizioni sotterranee erano inoltre, in aggiunta a bussole e calamite,25 le torce, anche quelle a vento – menzionate nel manoscritto ambrosiano – o quelle di fortuna, realizzate ad esempio con le camicie strappate – come si può dedurre dalle deposizioni al processo di canonizzazione di san Filippo Neri –, impiegate, assieme alle candele o alle lanterne, anche di grandi dimensioni, per rischiarare il cammino degli impavidi esploratori (fig. 2). Insostituibile era poi, al fianco degli esploratori, la presenza di robusti ed energici manovali impiegati per aprire il percorso e liberare le gallerie dalla terra che le occludeva. Bosio, in diverse occasioni, ne ricorda l’impiego (“huomini manuali con zappe, e picconi per farci aprir la strada, doue fosse stata serrata, e ripiena”26 – “luoghi così angusti, & impenetrabili, habbiamo fatto forza di passare, facendoci il più delle volte la strada con le zappe”27– “vn pertugio cauato nel tufo, che ritrovammo angustissimo ; di modo che (se bene con le zappe, e pale procurammo di farlo allargare)”28), confermato in modo unanime dalle deposizioni 25 26 27 28
Bosio 1632, 217. Bosio 1632, 126. Bosio 1632, 196. Bosio 1632, 533.
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rilasciate da tre gesuiti – Uberto de’ Fornari, Nicolò Bianchi e Giorgio Brustonio – interrogati il 23 novembre dell’anno 1628 dal Notaio del Tribunale del Cardinale Vicario nell’ambito di un’inchiesta volta a fare luce sui criteri che erano alla base delle estrazioni di reliquie commissionate dai generali della Compagnia di Gesù Claudio Acquaviva e Muzio Vitelleschi.29 Liberato, almeno parzialmente, il percorso, l’esplorazione vera e propria poteva avere inizio. Ciò che maggiormente colpisce leggendo i resoconti delle perlustrazioni è la costante difficoltà nell’avanzare : l’angustia e la labirinticità dei corridoi ipogei, i crolli repentini di roccia e terra e imprevisti di ogni genere costringevano quasi sempre gli avventurosi esploratori a procedere con passo malsicuro, molto spesso addirittura strisciando nelle gallerie per lunghi tratti. Già presente nel diario – Der Ablas und die Heiligen Stetzu Rom – di Nikolaus Muffel, delegato del Consiglio di Norimberga venuto a Roma nel marzo dell’anno 1452 per assistere all’incoronazione di Federico III,30 il topos dell’incedere in ginocchio o strisciando troverà la sua più ampia e ricca formulazione nell’opera postuma di Antonio Bosio, dove ricorre in numerose occasioni e varianti. Leggendo con attenzione la Roma sotterranea ci si accorge di come in effetti quasi tutte le scoperte dell’archeologo maltese siano avvenute a seguito di indagini impegnative condotte affrontando percorsi disagevoli. “Entrati dunque per questa bocca con il corpo chino”,31 “bisognò entrare serpendo, e col petto per terra”,32 “conuien’ andar’ inchinato ; & in altri bassissime, che bisogna andarui con il corpo per terra”,33 “doppo hauer caminato alquanto con il corpo prostrato”,34 “e poi con il petto per terra entrati in vn picciol buco”,35 “penetrammo per detto descenso l’anno di nostra salute 1594 (ancorche serpendo) al piano del Cimiterio ; il quale ritrovammo talmente serrato di terra, e pietre”,36 “fù necessario prostrarsi con tutto il corpo per terra ; e così parte serpendo, e parte in ginocchioni, ci conuenne andare alquanto innanzi”,37 “se bene vi bisognò andar con il corpo per terra, serpendo alquanto innanzi”,38 sono alcune delle espressioni utilizzate dal Bosio per descrivere le proprie scoperte nella Roma sotterranea. Tale opera, tuttavia, non è l’unica a riferire della difficoltà delle perlustrazioni sotterranee condotte soprattutto “serpendo”, ovvero strisciando. Ne parla, ad esempio, la biografia del vescovo di Novara Carlo Bascapè compilata dal barnabita Innocenzo Chiesa ; e lo fa in modo puntuale, narrando le gesta di
29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Boldetti 1720, 242–245. Vogt 1876, 34. Bosio 1632, 142. Bosio 1632, 195. Bosio 1632, 196. Bosio 1632, 401. Bosio 1632, 438. Bosio 1632, 488. Bosio 1632, 533. Bosio 1632, 563.
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“Gio[vanni] Angelo Santini dipintore Romano ; il quale, ottenuta facoltà dal pontefice di disegnare i cimiterj, e luoghi sotterranei di Roma, fu in estremo curioso di penetrare, e vedere ciascuna grotta, e ripostiglio di quegli : e con questo si condusse a parti rimotissime, oue niuno di gran tempo addietro non haueua hauuto animo di arriuare : conciosia cosa che bisognaua alcuna volta per certe rotture, e luoghi angusti, e stretti strisciaruisi ; e fatigarsi in modo, che poi gli era necessario starsene piu giorni in letto”.39
A lungo dimenticato dalla critica storico-artistica, l’operato del Santini, copista di Antonio Bosio almeno sino al 1599, è stato di recente rivalutato alla luce di una cospicua documentazione inedita d’archivio.40 È stato così possibile comprendere che tale pittore, conosciuto con il soprannome Toccafondo o con quello di Grottista, per lunghi anni monopolizzò il campo delle ricerche sotterranee, divenendo un punto di riferimento obbligato per chi volesse addentrarsi nelle buie gallerie cimiteriali allo scopo, soprattutto, di estrarne reliquie : “si diede à investigare grotte, Catecombe, et ogni luoco sotterraneo di Roma, cercando i Corpi de’ Santi Martiri, et venne così raro in questo, che fu amato da molti Prencipi, percio che non si trovava chi sapesse caminar per dette Grotte, più intrigate, che il laberinto di Dedalo, dove molti curiosi di andarvi vi morsero”.41
Della sua attività e del suo modo di esplorare le catacombe siamo informati da numerose fonti dell’epoca e, in particolare, dal già menzionato manoscritto ambrosiano. Apprendiamo così che, senza alcun timore e senza particolari premure, il Toccafondo si addentrava nelle viscere della campagna romana rimanendovi per più giorni, affidandosi solo alle piante dei cimiteri che lui stesso aveva redatto : “era stato in quei luoghi le settimane intiere in diuersi tempi ; portandosi in essi di uiueri seco a bastāza, et era così animoso, che si poneua à dormire oue si ritrouaua, senza verun timore ; et haueua in esse Catacombe fatto tal diligenza, che sicuram.te andaua per tutto senza alcuna guida ò di corda, ò di semola, ò d’altra cosa necessaria hauendone di esse fatta una bellissima descrittione, et poste puntualmente in dissegno, come esse Grotte stanno”.42
Dell’esistenza di planimetrie delle catacombe, alcune delle quali su più livelli poi riprodotte in scala nella Roma sotterranea (fig. 3),43 riferiscono anche altre fonti del tempo ; lo stesso Federico Borromeo, già menzionato, come documentato dal passo di una lettera del 2 aprile del 1607 indirizzata a Marc Welser, aveva iniziato a tracciarne una, 39 40 41 42 43
Chiesa 1636, 376. In ultimo, con bibliografia precedente, mi sia perdonato rimandare a Ghilardi 2019. Archivio di Stato di Roma, Archivio Cartari Febei 115, f. 234r. Il Sacro Tesoro, vol. 1, 92s. Ghilardi 2012.
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che però per motivi ignoti non portò mai a compimento.44 Ad ogni modo, nonostante le planimetrie da lui stesso tracciate, le esplorazioni toccafondiane non furono mai del tutto prive di pericoli. Emblematico in tal senso, a titolo di esempio, è il ben noto caso delle ricerche di reliquie condotte dal Santini – “huomo uirtuoso, mà fantastico, et capriccioso” – per conto del mercante milanese Giovanni Giacomo Castoldi. A riferire i dettagli dell’esplorazione, un vero e proprio “malageuole uiaggio”, è la più volta ricordata opera compilata dal Bernardini. Rassicurato il Castoldi e il suo seguito sul buon esito che avrebbero certamente conseguito se avessero seguito la sola prescrizione di non allontanarsi mai da lui, Toccafondo iniziò a percorrere le prime gallerie del cimitero di Ciriaca con grande sicurezza (“egli l’assicuraua sopra la sua vita di ricondurgli fuori salui, di doue gli leuaua quando però da lui non si fossero discostati et che non douessero in alcun modo dubitare perch’egli haueua così bene la prattica di queste oscure contrade, come delle opere della propria Città di Roma, sua patria”).45 Dopo un breve percorso abbastanza agevole, comparvero le prime difficoltà, ovvero gallerie molto strette e scoscese (“dopo essersi raggirati un pezzo si ridussero doue gli bisognaua calare un lungo spatio per un uicolo molto difficile e torto, et tanto stretto, quanto a pena ui poteua capire un sol’huomo”),46 per affrontare le quali il gruppo guidato dal pittore si dovette affidare alla bussola e alla planimetria già redatta dal Santini (“mà il detto Grottista quando fù tempo diede di mano alla calamita ; perche con quella s’assicuraua, et cauata fuori dal seno una gran carta delli dissegni di q.sti Cimiterij”).47 Qualcosa, tuttavia, era cambiato nella topografia ipogea rispetto alla pianta tracciata dal Toccafondo qualche tempo prima ; circostanza che sorprese non poco il pittore, secondo il quale era evidentemente avvenuta qualche frana che aveva modificato il percorso (“il Grottista restò fuori di modo merauigliato, perche quando egli ui andò non uitrouò, dall’entrata in poi, tanta strettezza, essendo che dentro esse Grotte un’huomo poteua honestamente caminare, del che s’accorse, che iui era dirupata quella materia, et haueua cagionato quella strettezza”).48 Gli imprevisti, tuttavia, non erano ancora terminati e una preoccupazione assai maggiore attendeva il gruppo di cercatori di reliquie : dall’estremità di una galleria, infatti, accompagnato da un fragore inarrestabile spirava un vento molto forte che smorzava le torce e le lanterne e, addirittura, respingeva il passo di chi tentava di proseguire tanta era la veemenza ; segnale, secondo il Toccafondo, che si era giunti in prossimità di un torrente sotterraneo impetuoso che rischiava di travolgerli da un momento all’altro. Non rimaneva altro, a detta del pittore, che accelerare il passo e tornare rapidamente in superficie : 44 “Dentro a cemeteri vi sono, come ella averà visto, strade longhissime delle quali fu da me incominciata una diligenza di uno esquisito disegno, a modo di una sacra carta di navigare per quei lochi sotterranei e quasi inacessibili, ma si tralasciò poi” ; la lettera del Borromeo al Welser è pubblicata in appendice al volume : Borromeo 1994, 135s. 45 Il Sacro Tesoro, vol. 1, 95s. 46 Il Sacro Tesoro, vol. 1, 96s. 47 Il Sacro Tesoro, vol. 1, 99. 48 Il Sacro Tesoro, vol. 1, 103.
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Fig. 3 Rappresentazione di tre piani di gallerie sovrapposte : il piano superiore è reso con linee non campite, il mediano con linee oblique parallele e l’inferiore con disegno puntinato
“mà accidentalm.te peruenuti doue sentirono un grandissimo rumore et strepito, restarono attoniti, et molto merauigliati ; et tanto più in loro cresceua lo stupore quanto che più s’approssimauano là, di doue ueniua lo strepito, tanto maggiormente cresceua, et d’indi usciua loro all’incontro un Vento tanto gagliardo, che molte uolte gli spense la Torcia, et gli Lanternoni, nè gli giouò l’animo et coraggio grande, nè la buona uoluntà di uedere onde tal cosa procedesse ; perche il Grottista gli auisò, ch’era uno affaticarsi in uano, non hauédo egli mai potuto sapere, nè uedere che cosa fosse, per il uento horribile, et uehemente, che non solo smorza, et spegne ogni sorte di lume, ma ribatte, et riporta in dietro chiunque tenta di approssimarsi ; ma per quanto quest’huomo gli riferì dicono che sia quel strepito un gran Fiume, ò Torrente precipitoso, che passi sotto Terra, et uenghi sino dal Mare, benche sij molto discosto et sottorerra più di ducento braccia ; onde non sapendo essi più che fare, poiche lo andare non era loro permesso, smarriti dal timore che non cadesse a basso qualche massa di Terra, che gli chiudesse l’uscita, accelerarono tanto più tosto il ritorno uerso il Conuento”.49
Toccafondo, con molta probabilità, coi suoi racconti incredibili e mirabolanti faceva leva sulle naturali paure dei suoi committenti per rendere più brevi e allo stesso tempo palpitanti le peregrinazioni sotterranee. Ma, certamente, la ricerca delle catacombe – per l’asperità naturale dei luoghi e per la presenza in esse di bande di malfattori, segnalate anche dal Bosio50 – rimase per lunghi decenni una delle tipologie di indagine più pericolose dell’archeologia della prima età moderna.
49 Il Sacro Tesoro, vol. 1, 104s. 50 Bosio 1632, 322.
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Giuseppe Finocchiaro
Le antichità cristiane di Antonio Bosio nel Museo Nazionale Romano A seguito della Legge italiana sulla soppressione delle corporazioni religiose, la Giunta liquidatrice dell’asse ecclesiastico incamerò i beni della Veneranda Biblioteca Vallicelliana dei Padri dell’Oratorio di Roma.1 Oltre agli antichi codici manoscritti e ai rari stampati l’Istituto possedeva anche un museo di curiosità che, come attestano i verbali di consegna della raccolta, stesi nel 1886, era appartenuto al filippino Virgilio Spada (1596–1662), e da lui poi legato per lascito testamentario alla Congregazione romana.2 Esso era assimilabile a una Wunderkammer e consisteva in monete e medaglie in oro, argento e piombo, minerali, fossili, conchiglie, maioliche, intagli, camei, strumenti fisici ed astronomici e, sempre secondo i verbali, conservava anche oggetti paleocristiani, quali lucerne in bronzo e terracotta, rilievi, balsamari, paste vitree e i rari e preziosi vetri dorati. Purtroppo nel momento del passaggio tra la corporazione filippina e lo Stato Italiano, di molti oggetti, tra i più pregevoli, si persero le tracce. Non furono più rinvenuti gli intagli, le monete e le medaglie (rimasero in Vallicelliana, dove ancora oggi sono conservati, soltanto i medaglieri vuoti – insieme a cere, gessi, rilievi e ad altri eterogenei e singolari oggetti) e vennero a mancare anche i vetri dorati.3 Quanto restava nella Biblioteca venne spartito, secondo gli intenti positivistici del tempo, in vari Istituti e Gabinetti romani, ossia suddiviso tra i musei Mineralogico, Geologico, Astronomico e Copernicano, Preistorico-Etnografico e di Storia naturale della Università La Sapienza, mentre duecentoundici oggetti di antichità furono dati in deposito al Museo delle Terme di Diocleziano.4
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Sulla vasta bibliografia relativa all’eversione dell’asse ecclesiastico si segnala Romanato 2007 e la relazione del medesimo, dal titolo “Le soppressioni degli enti ecclesiastici italiani (1848–1873)”, nell’ambito del seminario internazionale di studi “Le soppressioni delle istituzioni ecclesiastiche in Europa dalle riforme settecentesche agli stati nazionali : modelli storiografici in prospettiva comparativa”, Roma 28 febbraio–1 marzo 2011, tenutosi presso l’Istituto della Enciclopedia Italiana ; si veda anche il recente Campobello 2017. Per una storia della Biblioteca Vallicelliana, vedi Pinto 1932 e Finocchiaro 2011. Sul museo e una ipotesi d’inventario delle collezioni, vedi Finocchiaro 1999. Mentre su Virgilio Spada, vedi Aringhi 1788, e il recente Bianco 2018, con l’aggiornata bibliografia. Sulla Congregazione dell’Oratorio di Roma, vedi Cistellini 1989. Sulla vicenda dei vetri dorati, peraltro unici reperti del Museo Spada citati in repertori e studi Sette-Ottocenteschi, ovvero da Filippo Buonarroti a Raffaele Garrucci, vedi Finocchiaro 2004. Il Museo delle Terme di Diocleziano, insieme al Palazzo Massimo alle Terme, alla Crypta Balbi e al Palazzo Altemps, fa parte oggi del Museo Nazionale Romano.
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Poiché taluni reperti, oggi conservati nel Museo Nazionale Romano, sono pubblicati nella Roma sotterranea di Antonio Bosio (1575–1629),5 libro che vide la luce sei anni dopo la morte dell’archeologo maltese, nel 1635,6 e proprio intorno agli anni in cui lo Spada aveva dato inizio alla sua raccolta museale, si intende verificare se essi appartenessero veramente all’oratoriano - come i verbali ottocenteschi registrano - o se invece facessero parte delle proprietà del Bosio. Alla morte improvvisa dell’archeologo, il monumentale manoscritto della Roma sotterranea, che riportava le più che trentennali esplorazioni nei cimiteri paleocristiani della Città eterna e composto da quasi mille carte, non era stato ancora ultimato ; ed era stata incisa per esso solo una parte delle duecento tavole e dei tanti disegni che corrono lungo il testo e che sono editi nell’opera a stampa.7 In effetti una volta che Carlo Aldobrandini, ambasciatore dell’Ordine Gerosolimitano, erede universale dell’archeologo, decise di far terminare la Roma sotterranea alla Congregazione dell’Oratorio, dove erano nati gli studi di archeologia cristiana, fece portare in Vallicelliana tutte le carte bosiane compreso l’incompleto manoscritto.8 Ed esso fu affidato alla curatela dell’oratoriano Giovanni Severano (1562–1640),9 l’autore delle Memorie sacre delle sette chiese di Roma,10 opera per la quale Bosio stesso aveva espresso parole lusinghiere poco prima di morire.11 Tra Bosio e Severano vi era un rapporto di stima reciproca, tanto che l’archeologo maltese scrive a proposito del manoscritto delle Memorie sacre del filippino, in una lettera del 28 febbraio del 1629, indirizzata all’abate Giacomo Crescenzi : “[…] nella mia opera de Roma subterranea havevo messe quasi l’istesse cose, quali con molto mio gusto levarò rimettendomi a lui […]” ;12 e in un’altra, non datata, indirizzata allo stesso Severano e pubblicata per la prima volta da Ingo Herklotz : “Rimando a sua Rev.za la seconda parte delle sacre memorie da me veduta con grande consolatione spirituale e compuntione, ne ho ritrovato in essa cosa alcuna d’aggiongervi ne levarvi […].”13 Di risposta Severano scriverà nella lettera dedicatoria a Carlo Aldobrandini nell’opera a stampa : “Intrapresi (come sà V. S. Ill.ma) prontamente la cura di compir l’Opera di Roma Sotterranea, lasciata imperfetta dalla cara mem. di Antonio Bosio ; essendomi 5 Per la biografia di Bosio, si veda Valeri 1900 e Parise 1971. 6 Sulla data della stampa del libro, che reca sul frontespizio la data 1632, ma che in realtà non vide la luce prima del gennaio del 1635, vedi Herklotz 1992 e Merz 2003. 7 Sulle tavole e gli incisori impiegati, vedi Finocchiaro 2004. 8 Bosio aveva pensato di affidare la sua opera al barnabita Cristoforo Giarda, ma sembrerebbe che Francesco Barberini, penitente del Severano, decidesse di affidare a quest’ultimo il manoscritto bosiano. Per Giarda, vedi Busolini 2000. I manoscritti del Bosio sono tutti conservati nella Biblioteca Vallicelliana, a cominciare dalla Roma sotterranea (ms. G 31), per proseguire con gli Acta (mss. G 3 e G 4), gli Opuscola (ms. G 5) e l’Index dei codici contenenti le vite dei santi (mss. H 24 e H 25). 9 Per Giovanni Severano, vedi Vaccaro 1961 ; Cistellini 1989, ad indicem. 10 Cfr. Severano 1630. 11 Sulle vicende del manoscritto bosiano, vedi De Rossi 1864, 26–39 ; Spigno 1975 ; Spigno 1976 ; Finocchiaro 1995 ; Ditchfield 1995 ; Fiocchi Nicolai 1998. 12 Vedi la lettera del Bosio in Finocchiaro 1995, 195s. 13 Vedi Herklotz 2008.
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così comandato dal Sig. Cardinal [Francesco] Barberino con particolar gusto di lei ; che perciò volle mandarmi subito li scritti, ch’ella havea dell’Autore, & esibirsi con somma liberalità à far’ogni spesa, accioche l’Opera si perfettionasse, e si godessero le fatiche così degne, & utili di tant’huomo”. E prosegue precisando che “nel primo libro hò mutato l’ordine de’ Capitoli ; levato dalla materia il superfluo ; & aggiunto quello, che mi è parso necessario : particolarmente il primo Capitolo de’ Cimiterij in genere. Si è fatto l’istesso nel secondo, e nel terzo libro ; ne’ quali hò posto alcune tavole, ò figure citate dall’Autore, che mancavano ; & altre Piante de’ Cimiterij, che hò fatto cavar da poi. Il quarto l’hò aggiunto io medesimo, servendomi in alcune cose d’una sua selva, & in altre di varij Autori, che perciò hò veduti”.14 In effetti l’oratoriano, non solo intervenne massicciamente negli scritti bosiani, lasciando inedite quasi cinquecento carte dell’archeologo, ormai sepolte nel manoscritto della Roma sotterranea, ma si prodigò per far stampare molte tavole e disegni relativi ai sarcofagi e ai dipinti dei cubicoli ipogei e a molti oggetti paleocristiani, già ritrovati dal Bosio nelle sue escursioni cimiteriali. Insieme alle carte bosiane con ogni evidenza furono portati in Vallicelliana molti reperti paleocristiani, quali lucerne fittili e bronzee, balsamari e vetri dorati, per essere disegnati ed incisi a corredo iconografico del libro. Se confrontiamo infatti lo stampato e il manoscritto della Roma sotterranea, che come è noto reca la mano del Bosio, del Severano e dei loro rispettivi copisti, emergono alcune diversità e singolarità. Accanto alla descrizione degli oggetti e del sito del loro rinvenimento, tanto nello stampato che nel manoscritto, è indicato frequentemente il luogo di conservazione : tuttavia quando l’archeologo maltese scrive che li “teniamo appresso di noi” intende far riferimento alla sua Villa Bosia, sita sul romano monte di san Valentino,15 mentre quando è Severano a scrivere “sono appresso di noi”, con tale luogo di conservazione allude invece alla romana Congregazione dell’Oratorio, dove al momento della stesura dell’opera tali reperti in effetti si trovavano.16 A parte i vetri dorati, che sembrano essere gli unici oggetti paleocristiani collezionati dallo Spada e dei quali ne troviamo – nella tavola della Roma sotterranea incisa da Sebastiano Fulcaro17 – tre in più di quanti indicati nel manoscritto, gli altri oggetti paleocristiani, ovvero le lucerne fittili e bronzee, i balsamari e i rilievi si ritengono oggetti trovati dal Bosio stesso nelle sue esplorazioni sotterranee e portati in Vallicelliana dai suoi eredi perché potessero essere disegnati, incisi e successivamente pubblicati nell’opera. Reperti che poi furono donati in segno di riconoscenza alla Biblioteca Vallicelliana e purtroppo confusi nel 1662, data della morte di Virgilio Spada, con gli altri oggetti museali spadiani. A dimostrazione di quanto detto bastino solo alcuni esempi. Nel Libro II del Cap. XXII, con il titolo Del Cimiterio de gli antichi Hebrei ritrovato dall’Autore nella Via Portuense, scrive Bosio di proprio pugno : “Ritrovammo quivi molte lucerne di 14 15 16 17
Bosio 1632 [1635]. Ibid., 143. Ibid., 201 e 509. Ibid., 509.
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Fig. 1 Lucerna co’l Candelabro nel Cimiterio de gli Hebrei, incisione tratta da A. Bosio, Roma sotterranea, 1632 [1635], 143 Fig. 2 Lucerna con candelabro ebraico (recto), fittile, n.i. 55264, Roma, Museo Nazionale Romano, Palazzo Massimo alle Terme Fig. 3 Vasetti di terra, e di vetro […], incisione tratta da A. Bosio, Roma sotterranea, 1632 [1635], 201
terra cotta rustiche, e rozze, e quasi tutte rotte : una solamente ritrovassimo intiera, ci ha figurato il sudetto candelabro quale habbiamo appresso di noi, et è della seguente forma […]”.18 L’archeologo lascia anche una riga per inserire un disegno di essa, che sarà diligentemente posto dal Severano, come si può vedere nell’opera a stampa,19 e tale lucerna è oggi conservata nelle raccolte del Museo Nazionale Romano, a Palazzo Massimo alle Terme (Figs. 1–2).20 Mentre quando si legge nel Libro III del Cap. XXIII della Roma sotterranea a stampa21 – recante il titolo Delli Cimiterij ritrovati dall’Autore nella via Appia, & Ardeatina – che “Si sono ancora trovati vasetti di terra, e di vetro in diverse forme, alcuni lunghi di collo, e di bocca stretta ; & alcuni altri larghi, e tondi, 18 Vedi Bosio, Roma sotterranea, ms. vall. G 31, c. 523r a matita. 19 Bosio 1632 [1635], 143. 20 Vedi Appendice documentaria [16]. 21 Vedi Bosio 1632 [1635], 201.
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Fig. 4 Lucernae aeneae in coemeteriis repertae, incisione tratta da A. Bosio, Roma sotterranea, 1632 [1635], 207 Fig. 5 Lucerna da sospensione, bronzo, n.i. 55274, Roma, Museo Nazionale Romano, Crypta Balbi
come bicchieri ; de’ quali ne habbiamo alcuni appresso di noi […]”, è il Severano ad asserire che tali oggetti sono conservati nella Vallicelliana, dato che il manoscritto non li menziona (Fig. 3).22 Ed è sempre l’oratoriano a far eseguire i disegni sia delle lucerne “che di terra cotta ne gl’istessi Monumenti” “si veggono murate […]”, sia delle lucerne “trovate ancora di bronzo in varie forme” per le quali farà stampare le rispettive incisioni (Figs. 4–5).23 Alla luce di quanto sopra scritto, i reperti paleocristiani pubblicati nella Roma sotterranea ed oggi conservati nel Museo Nazionale Romano assumono una veste nuova : essi non fanno più parte del collezionismo erudito della prima metà del Seicento, come quello, ad esempio, attribuito a Lelio Pasqualini, Claude Menestrier, Marzio Milesi o Francesco Gualdo, ma sono oggetti di scavo rinvenuti da Bosio stesso nelle sue esplorazioni nei cimiteri romani. Soltanto le monete e le medaglie collezionate dallo Spada, come anche i vetri dorati, rinvenuti dal raccoglitore nel commercio antiquario romano, erano stati acquistati “allo scopo di una documentazione erudita della vita antica”, e ricercati dunque come materiale di studio,24 se non per sé, per la Congregazione dell’Oratorio di cui faceva parte. Scrive infatti l’oratoriano nel suo testamento che vuole lasciare il suo museo di medaglie e curiosità alla Congregazione dell’Oratorio di 22 Vedi Appendice documentaria [20–21] e [22–26]. 23 Vedi Appendice documentaria [17] e [18]. 24 Vedi Scavi, collezionisti ed eruditi nella Roma del Seicento, in : Herklotz 2012, 122.
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Roma, dove sono nati gli Annales Ecclesiastici di Cesare Baronio, e dove, a riprova di quanto scritto da quest’ultimo, sono menzionate e stampate medaglie antiche. Tuttavia il resto della raccolta museale spadiana fa parte di quel collezionismo aristocratico e prelatizio molto radicato nella Roma seicentesca, che si colloca tra ostentazione sociale ed erudizione curiosa. Il suo museo di curiosità è più riconducibile, come detto, ad una Wunderkammer che vuole impressionare il visitatore per i suoi mirabilia e sorprendere per i suoi naturalia. Tornando invece agli oggetti paleocristiani inseriti nella Roma sotterranea, si comprende quanto tale testo sia emblematico per stabilire la ricezione dell’arte paleocristiana nella Roma del Cinque-Seicento e per la storia della cultura “materiale” : in quanto tutti gli oggetti pubblicati recano i segni tangibili della confessionalizzazione della nascente archeologia cristiana.25 Come è noto, si vogliono far coincidere apologeticamente le fonti letterarie antiche con tali manufatti rinvenuti nelle catacombe, per cui oranti, palme, ramoscelli d’olivo, àncore, navi, pavoni, fenici e ogni altro elemento iconografico rappresentano ed evocano non solo i mores e gli instituta dei primi cristiani, ma anche le loro lotte e i loro martirii che sono da equiparare alle persecuzioni e ai supplizi di cui erano oggetto anche i cristiani di fine Cinquecento. Le lucerne fittili e bronzee, i rilievi con l’Agnus Dei, i balsamari conservati oggi nel Museo Nazionale Romano diventano così uno specchio dell’Ecclesia Dei e fanno parte degli arsenali della fede di cui sono carichi i cimiteri paleocristiani “donde si pigliano le armi da combattere contra gli Eretici, e particolarmente contra gl’Iconoclasti, impugnatori delle sacre Imagini” di cui scrive il Severano nella dedica “Al benigno lettore”.26
Appendice documentaria Delle inedite schede otto-novecentesche, elaborate nel momento della inventariazione dei reperti archeologici nel Museo delle Terme Diocleziane, oggi Museo Nazionale Romano, si trascrivono soltanto quelli con ogni evidenza cristiani. Fa eccezione una lucerna fittile giudaica rinvenuta dal Bosio e inserita quale esempio funzionale al contributo. Tale inventariazione, come attestano i salti numerici legati agli oggetti, si protrasse per almeno un trentennio e a partire dal 1886. Si segnala che spesso fu dato un solo numero d’inventario per tipologie di oggetti tra loro simili, e poiché non tutti i reperti, già elencati nei Verbali di consegna, sono oggi riemersi dai fondi museali, si elencano solo quelli visionati da chi scrive. [1] Rozza lucernetta fittile a rozzo ovale allungato, con foglia di palma nel disco e ansa frammentata [n.i. 55253].
25 Vedi Herklotz 2012, 121–144. 26 Vedi Bosio 1632 [1635]. Per gli arsenali della fede, vedi Ghilardi 2006.
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[2–4] Tre lucerne fittili cristiane simili. Nel disco la figura del Buon Pastore, attorno al disco una serie di grappoli di una non resta che la parte superiore, le altre ben conservate [n.i. 55254]. [5] Lucerna fittile a corpo rotondo e con disco leggermente concavo nel quale è il monogramma [di Cristo] inserito in un cerchio formato da un fregio semplice e leggermente inciso. Con due beccucci appena accennati. Ben conservata [n.i. 55255]. [6] Lucerna fittile a corpo rotondo con un solo beccuccio accennato e un’ansa a fettuccia. Inserito in un cerchio è il monogramma cristiano inciso anch’esso. Il disco è leggermente convesso. Ben conservata [n.i. 55256]. [7] Lucerna di forma ovale con beccuccio appena accennato e ansa a fettuccia alle due estremità. Sul disco piatto e lungo gli orli sono disegnati schematicamente a linee incise tre rami di palma. Ben conservati [n.i. 55257]. [8–12] Cinque lucerne monolicne a corpo ovale con ansa massiccia e con monogramma cristiano o croce monogrammatica nel disco, molto rozze [n.i. 55258]. [13] Lucerna di forma simile alle precedenti. Nel disco ha rilevate e punteggiate una croce attorno al disco una serie di quadretti con cerchietti inseriti e centrati ; frammentato il beccuccio [n.i. 55259]. [14] Lucerna fittile a corpo frammentato leggermente ovale prolungato nella parte anteriore un grosso beccuccio di cui resta soltanto la base, ansa massiccia. Nel disco attorno a una palma sono due colombe laterali e simmetriche e nella parte superiore altri uccelli intenti a beccare. Intorno al disco un bel fregio di palmette e grappoli alternati. Lavoro tardo ma accurato [n.i. 55260. Lucerna pubblicata in : Bosio, 1632 [1635], 211 ; e in : Le lucerne, 1993, 185]. [15] Rozzissima lucerna di forma simile alle precedenti. Nel disco inserito in un cerchio di lunette è rilevata la figura di un pesce. Beccuccio frammentato [n.i. 55261]. [16] Lucerna fittile a corpo rotondo priva di ansa con candelabro a sette bracci nel disco. Rozza ma ben conservata [n.i. 55264. Lucerna conservata nel Museo Nazionale Romano, Palazzo Massimo alle Terme e pubblicata in : Bosio 1632 [1635], 143]. [17] Grande lucerna bilicne di bronzo a corpo rotondo dal quale oltre ai due beccucci molto grandi e robusti ambedue sul davanti e divergenti fra loro sporgono ai lati due appendici terminanti con globetto. L’ansa nella parte posteriore è costituita da un bustino muliebre sopra il quale è conservato l’attacco di cosa indeterminabile [n.i. 55273. Lucerna conservata nel Museo Nazionale Romano, Palazzo Massimo alle Terme e pubblicata in : Bosio 1632 [1635], 207]. [18] Lucerna di bronzo a navicella con catenella attaccata in un’ansa sorgente nel mezzo. Lavoro molto rozzo [n.i. 55274. Lucerna conservata nel Museo Nazionale Romano, Crypta Balbi e pubblicata in : Bosio 1632 [1635] 207 ; e Roma dall’antichità, 2001, 542]. [19] Piccola figura di agnello con nimbo sul quale restano tracce di doratura intorno alla testa in pasta vitrea bianca. Frammentato alle gambe e intorno alla testa [n.i. 55294. Rilievo pubblicato in : Finocchiaro, 1999, 133]. [20–21] Due balsamari di vetro chiaro a corpo conico e alto collo cilindrico [n.i. 55411].
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[22–26] Cinque balsamari di vetro chiaro a corpo ovale e collo cilindrico. Due sono frammentati nel collo [n.i. 55412. Balsamari conservati nel Museo Nazionale Romano, Palazzo Massimo alle Terme, uno dei quali pubblicato in : Finocchiaro 1999, 80].
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Jörg Martin Merz
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo 2013 tauchte im englischen Kunsthandel eine Zeichnung auf, die sogleich mein Augenmerk auf sich zog (Abb. 1).1 Als „Italian School, late 16th century“ klassifiziert, hatte sie zuvor als Werk von Avanzino Nucci gegolten. Diese Zuschreibung war vermutlich vom Vorbesitzer, Professor Raymond Edward Pahl (1935–2011), auf der Rückseite des Passepartouts notiert worden. Die als „The Baptism of a Pagan Princess“ bezeichnete Darstellung ließ sich unschwer als Entwurf für das Fresko Der heilige Petrus tauft die heilige Plautilla, ihre Tochter Domitilla und die heiligen Nereus und Achilleus bestimmen (Abb. 2), die erste Szene (vom Altar aus gesehen an der Epistelseite) des sechsteiligen Zyklus am Obergaden von Santi Nereo ed Achilleo in Rom. Den Zusammenhang der Zeichnung mit dem Fresko erkannte auch Alessandro Zuccari, der das Blatt dem aus Lucca stammenden Maler Girolamo Massei (um 1540/45– nach 1620) zuschrieb.2 Das Fresko hatte er schon 1981 in seinem grundlegenden Aufsatz über Santi Nereo ed Achilleo mit Massei in Verbindung gebracht.3 Diese frühchristliche Kirche war in den Jahren 1596 bis 1599 neu gestaltet worden, nachdem sie Cesare Baronio kurz nach seiner Erhebung zum Kardinal am 5. Juni 1596 von Papst Clemens VIII. Aldobrandini als Titelkirche erhalten hatte. Bereits am 25. Juni wurden Kalk und Puzzolane für die Restaurierung des Bauwerks geliefert.4 Nach Aussage des zeitgenössischen Biographen Giovanni Baglione stammt von Massei die Fassadengestaltung in Sgraffito und Fresko, und gemäß weiteren Quellen arbeitete der Künstler auch im Innenraum.5 Einen Beleg für seine Ausführung dieses Freskos (Abb. 2) gibt es allerdings nicht. Gleichwohl verdichtete sich dessen Zuschreibung an Massei in Zuccaris späteren Publikationen ohne weitere Evidenz zu scheinbarer Gewissheit.6 In seinen jüngsten Aufsätzen hat Zuccari die kurz zuvor erschienene Publikation über die Kirchen Roms von Michael Erwee nicht berücksichtigt.7 Erwee war es gelungen, im römischen Staatsarchiv an unerwarteter Stelle ein Rechnungsbuch zu finden, in dem Zahlungen verbucht sind, die zwischen Dezember 1596 und Juni 1599 an die 1 2 3 4 5 6 7
Für Hinweise und Anregungen danke ich Rhoda Eitel-Porter und Lothar Sickel. 262–259 × 340–345 mm, Feder und Lavierung in Braun, über Spuren von schwarzem Stift, auf bräunlichem Papier ; Riley-Smith 2013, Kat.-Nr. 110 mit Abb. Zuccari 2018a, 22, Farbabb. 6 ; Zuccari 2018b, 435, Abb. 2. Zuccari 1981, 181, Abb. 35. Racz 2020, 567. Baglione 1649, 104 ; Zuccari 1981, 181f. Zuccari 1984, 62f. ; Zuccari 1995, 86f., Abb. 80 ; Zuccari 2000, 157. Zuccari 2018 und 2018a ; Erwee 2014, Bd. 1, 521–523 ; idem 2015, Bd. 2, 282f.
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Abb. 1 Pietro Cesarei zugeschrieben, Der heilige Petrus tauft die heilige Plautilla, ihre Tochter Domitilla und die heiligen Nereus und Achilleus, lavierte Federzeichnung, Privatbesitz
in Santi Nereo ed Achilleo arbeitenden Künstler und Handwerker geleistet wurden. Da Erwee die Dokumente nur summarisch und unvollständig referiert, sind hier alle Zahlungen an die Maler exzerpiert und in einer chronologischen Tabelle zusammengestellt, sodass sich der Ablauf der Arbeiten klar erkennen lässt. Vor allen anderen Malern erhielt Massei am 12. Dezember 1596 eine Anzahlung von 25 Scudi und dann bis Juni 1597 in sechs Tranchen insgesamt 130 Scudi für verschiedene Malereien außerhalb und innerhalb der Kirche. Am 22. Februar 1597 schrieb Baronio an Antonio Talpa, seinen Mitbruder im Oratorium in Neapel, die Ausmalung der Apsis sei bereits vollendet und im Mittelschiff würden noch die Martyrien der betreffenden Heiligen gemalt werden, das heißt derjenigen Heiligen, die in der Apsiswölbung dargestellt sind.8 Da bis zu diesem Zeitpunkt außer Massei kein anderer Maler Zahlungen erhalten hatte, darf Zuccaris Zuschreibung der Fresken in der Apsis an den Maler aus Lucca nun als gesichert gelten. An der konkaven Wand ist die vielfigurige Szene Papst Gregor der Große hält seine 28. Homilie in Santi Nereo ed Achilleo dargestellt, und in der Wölbung darüber flankieren jeweils fünf Heilige das Gemmenkreuz.
8
Incisa della Rocchetta 1963, 325 ; Zuccari 1981, 180.
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo | 211
Abb. 2 Pietro Cesarei zugeschrieben, Der heilige Petrus tauft die heilige Plautilla, ihre Tochter Domitilla und die heiligen Nereus und Achilleus, Fresko, Santi Nereo ed Achilleo, Rom
Herwarth Röttgens Vorschlag, diese stehenden Figuren Avanzino Nucci zuzuschreiben, findet in den Dokumenten keinen Rückhalt.9 An der Freskierung des Obergadens war Massei anscheinend nicht beteiligt. Diese sechs quadri riportati mit Szenen aus dem Leben der heiligen Domitilla und ihrer Gefährten wurden gemäß den Dokumenten von sechs anderen Malern ausgeführt, von denen nur einer – Vespasiano Strada – schon einmal mit den Fresken in der Apsiswölbung und am Obergaden insgesamt in Verbindung gebracht worden ist.10 Alle anderen 9 Röttgen 2009, 34. 10 Coliva 1990, 41 ; dieser Vorschlag geht auf Strinati 1979, 13, zurück.
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Abb. 3 Nicolò Martinelli, Die Glorie der heiligen Caesarius, Nereus, Achilleus, Theodora, Euphrosina und Flavia Domitilla, Fresko, Santi Nereo ed Achilleo, Rom
früheren Zuschreibungsvorschläge sind unzutreffend.11 Leider geben die Dokumente keine Auskunft über die Zuordnung der Künstler zu den Szenen. Tabelle : Giornale di Entrata e uscita dell Ill.mo S.r Card.le Baronio maneggiata dal Billolatti et Giovanni Battista Picciolotti : 15 Giugno 1596 – 4 Luglio 1599 fol.
1596
19v
12.Dez.
21v
25 sc.
a Girolamo massei pittore abc del lavoro e pitture che fa nella Chiesa del Titolo
9.Jan.
25 sc.
a Girolamo massei pittore abc del lavoro che fa nella Chiesa
22v
24.Febr.
20 sc.
a Girolamo massei pittori abc del lavoro che fa nella Chiesa
24
27.März
10 sc.
a Prospero orsi pittore abc delli sc.25 del prezzo del quadro che fa nella Chiesa del Titolo
10 sc.
a Pietro perugino pittore abc delli sc.25 di un altro quadro che fa
10 sc.
a Ferdinando sermei pittore abc delli sc.25 della fattura di un altro quadro fatto in detta Chiesa
10 sc.
a Nicolo da Pesaro pittore abc del quadro che fa nella Chiesa sopra la porta
10 sc.
a Camillo Spallucci pittore abc della fattura d’un altro quadro
1597
25
10 sc.
a Vespasiano strada pittore abc della fattura d’un altro quadro
2.April
10 sc.
a Girolamo Massei pittore abc della pittura che fa
18.April
30 sc.
a Pietro [Contini] pittore e indoratore abc pitture et altre sorte di lavoro fatto nella Chiesa del Titolo
11 Siehe zuletzt Zuccari 2018b, 433–450.
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo | 213
25v
6.Mai
30 sc.
a Pietro [Contini] pittore et indoratore abc lavori fatti
13.Mai
15 sc.
a Pietro perugino pittore per resto di sc.25 p. la pittura del quadro
15 sc.
a Camillo spallucci per resto della pittura del quadro fatto
6.Mai
15 sc.
a Ferdinando sermei pittore per resto della pittura fatta
13.Mai
15 sc.
a Prospero Orsi per resto della pittura fatta
15 sc.
a Nicolo da Pesaro pittore per resto di pittura e lavori fatti
15 sc.
a Vespasiano strada pittore per resto della pittura fatta
26 26v
20 sc.
a Girolamo Massei pittore abc della pittura fatta nella Chiesa
28v
12.Juni
25 sc.
a Nicolo Martinelli per pitture fatte nella Chiesa del Titolo nella facciata sopra la porta di dentro oltre al quadro ch’era obligato
29
7.Juni
30 sc.
a Girolamo Massei pittore per resto, et integro pagamento d’ogni sorte di pitture e lavori ch’ha fatto dentro e fuori della Chiesa del Titolo sino al presente di
30v
3.Juli
95 sc.
a Pietro contini pittore et indoratore per resto di tutti lavori fatti sino al presente di
38v
2.März
100 sc.
a Cristofano pomo aranci per la fattura del quadro Timitilla Nereo et Achileo per la Chiesa del Titolo
48
27.April
50 sc.
a Pietro Contini pittore et indoratore per diverse sorte di lavori fatti nella Chiesa sino al presente
51
27.Juni
95 sc.
a Pietro Contini per indoratura del ciborio del Titolo
1598
1599
Die Buchungstexte sind in originaler Orthographie verkürzt wiedergegeben. Abkürzungen : abc = a buon conto ; sc. = scudi
Am 27. März 1597 erhielten die fünf Maler Prospero Orsi, Pietro Perugino, Ferdinando Sermei, Camillo Spallucci und Vespasiano Strada jeweils eine Anzahlung von 10 Scudi „a buon conto del quadro“. Die Schlusszahlung von 15 Scudi „per resto della pittura fatta“ erfolgte am 6. Mai für Sermei und für die anderen Maler am 13. Mai, dem Tag nach der feierlichen Einweihung der Kirche, dem die Prozession mit der Translation der Reliquien aus Sant’ Adriano vorangegangen war. Die gleichlautenden Buchungstexte und identischen Summen von 25 Scudi pro quadro können auf keine anderen Arbeiten in der Kirche als auf die quadri riportati am Obergaden bezogen werden. Außerdem ist den Buchungstexten der Zahlungen für den sechsten Maler, den als „Nicolò da Pesaro“ bezeichneten Nicolò Martinelli, zu entnehmen, dass weitere Aufgaben auch vermerkt wurden. Martinelli erhielt am 27. März 1597 gleichzeitig mit den genannten fünf Malern eine Anzahlung von 10 Scudi für ein „quadro che fa nella Chiesa sopra la porta“ und am 12. Juni die Schlusszahlung von 25 Scudi „per pitture fatte […] nella facciata sopra la porta di dentro oltre al quadro ch’era obligato“ – also insgesamt 35 Scudi für ein quadro riportato am Obergaden und das gerahmte Bildfeld über dem Portal an der Innenfassade mit dem Fresko Die Glorie der heiligen Caesarius,
214 | Jörg Martin Merz
Nereus, Achilleus, Theodora, Euphrosina und Flavia Domitilla (Abb. 3). Die Ausführung der Fresken muss allerdings nicht vollständig mit der Überlieferung in den Dokumenten identisch sein. So könnten einige der Maler als Zugabe die vier Nischenfiguren an der Eingangswand und die zehn Engel mit den Abzeichen des Martyriums (Palmwedel und Blumenkranz) in den Zwickeln der Arkaden des Mittelschiffes ausgeführt haben, die in den Dokumenten nicht eigens erwähnt werden. Ab dem 18. April 1597 erhielt der Maler und Vergolder Pietro Contini (um 1555– 1636) Zahlungen, die sich in drei Tranchen bis zum Juli zu 155 Scudi addierten. Hinzu kamen zwei weitere Zahlungen im April und Juni 1599 über 50 und 95 Scudi. Bei der letzten Zahlung heißt es, sie sei für die Vergoldung des Ziboriums geleistet worden, während bei den vorangegangenen Buchungen lediglich „per pitture et altre sorte di lavoro nella chiesa“ notiert ist. Die gegenüber den sechs vorgenannten Malern wesentlich höheren Beträge legen nahe, dass Contini den dreizehnteiligen Freskenzyklus mit den Martyrien der Apostel in den Seitenschiffen der Kirche ausführte oder ausführen ließ. Dieser Zyklus wird im oben genannten Brief Baronios an Talpa vom 22. Februar 1597 noch nicht erwähnt. Damals war Contini, der auch an anderen Projekten Baronios sowie für die Papstfamilie Aldobrandini und im Umkreis des Oratoriums arbeitete,12 noch nicht in Santi Nereo ed Achilleo engagiert. Hat er die groben Szenen in der kurzen Zeit bis zur Einweihung der Kirche am 12. Mai an die Wände geworfen ? Nicht fundiert ist jedenfalls ihre Zuschreibung an Niccolò Circignani, genannt Il Pomarancio, beziehungsweise dessen Schule, die auf eine Anmerkung Giovanni Gaetano Bottaris zur letzten, posthumen Ausgabe von Filippo Titis Romführer zurückgeht,13 oder an einen gewissen Domenico Cerroni da Arpino, der zwischen dem 7. Dezember 1599 und dem 4. März 1600 von Baronio Zahlungen für Farben und Zubrot für nicht spezifizierte Malereien erhielt.14 Die Altäre in den Seitenschiffen wurden erst am 15. März 1599 geweiht.15 Es ist nicht bekannt, wann die Aufträge für die Altarbilder vergeben wurden. Cristofano Roncalli (1552–1626), der nach seiner Heimatstadt Pomarance bei Volterra ebenfalls den Beinamen Il Pomarancio trägt und deswegen gelegentlich mit seinem oben genannten Landsmann verwechselt wird, erhielt am 2. März 1598 die einzige Zahlung von 100 Scudi für sein Ölgemälde Die heilige Domitilla mit Nereus und Achilleus auf dem Altar im linken Seitenschiff, das von Baglione erwähnt wird.16 Die Dokumente erlauben nicht den Schluss, er könne schon vorher oder in anderen Funktionen für die Kirche tätig gewesen sein. Ungewiss bleibt allerdings, ob die Dokumentation vollständig ist. Möglicherweise wurden nach Juni 1599 weitere Zahlungen geleistet, die im vorliegenden Rechnungsbuch nicht erfasst sind. Denn für das Ölgemälde auf dem 12 13 14 15 16
Zuccari 1981, 188 ; Hager 1983, 522f. ; Madonna 1993, 528. Titi 1763, ed. 1987, Bd. 1, 43. Zuccari 1984, 83f., Anm. 40 ; Bonadonna Russo 2014, 84f., Taf. XXXV–XLI. Zuccari 1981, 180. Baglione 1649, 290.
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo | 215
Altar im rechten Seitenschiff sind weder Zahlungen dokumentiert, noch wird es von Baglione erwähnt. Gemäß den um 1661 verfassten Notizen von Giovanni Antonio Bruzio gilt es als Werk Durante Albertis (um 1556–1623).17 Welche der Szenen am Obergaden von welchem Maler stammt, kann hier nicht im Einzelnen geklärt werden. Gleichwohl lässt sich die Zuschreibung der Taufszene (Abb. 1, 2) im Ausschlussverfahren eingrenzen. Von drei der genannten Maler hat Baglione Biographien verfasst, ohne ihre Fresken in Santi Nereo ed Achilleo zu erwähnen. Es sind dies Nicolò Martinelli, Il Trometta (um 1535–1611) aus Pesaro, sowie die beiden Römer Vespasiano Strada (um 1580–um 1622) und Prospero Orsi (um 1557– 1630). Die von ihnen bekannten Fresken und Zeichnungen lassen nicht darauf schließen, dass sie die Taufszene entworfen oder ausgeführt haben könnten. Das hinsichtlich Martinelli dokumentierte Fresko an der Innenfassade (Abb. 3) erlaubt den Vorschlag, ihm das Mittelbild des linken Obergadens (vom Eingang aus gesehen) mit der farblich und im Figurenstil vergleichbaren Szene Domitilla tauft Theodora und Euphrosyne zuzuschreiben. Martinellis Zeichenstil weicht deutlich vom vorliegenden Entwurf (Abb. 1) ab.18 Das gleiche gilt für die wenigen bisher bekannten Zeichnungen von Vespasiano Strada.19 Das von Baglione für Prospero Orsi verbürgte Fresko Isaak segnet Jakob in der Scala Santa lässt keinen stilistischen Zusammenhang mit der Taufszene in Santi Nereo ed Achilleo erkennen.20 In ähnlicher Weise schließen Camillo Spalluccis Fresken im Palazzo Mattei und im Palazzo Barberini ihn als Maler der Taufszene aus.21 Ferdinando Sermei aus Orvieto (dokumentiert 1579–1618) kommt ebenfalls nicht in Frage, wenn man seine Fresken der beiden Evangelisten Markus und Lukas in der Wölbung vor der Cappella del Presepio in Santa Maria Maggiore zum Vergleich heranzieht.22 Als Schüler und Mitarbeiter seines Landsmannes Cesare Nebbia wären von ihm Zeichnungen zu erwarten, die stilistisch denjenigen seines Lehrers ähneln und damit wohl kaum dem Entwurf zur Taufszene (Abb. 1) entsprechen würden. Als einziger Kandidat verbleibt somit ein gewisser Pietro perugino, der im römischen Ambiente ansonsten völlig unbekannt ist. In Lione Pascolis Biographien der Künstler aus Perugia findet sich im fraglichen Zeitraum genau ein Maler mit diesem Vornamen, nämlich Pietro Cesarei (um 1530–1602).23 Vorwiegend in Umbrien tätig, soll er in den 1580er Jahren längere Zeit in Rom gewesen sein, bevor er sich in Spoleto niederließ, wo Anfang der 1590er Jahre seine Hauptwerke in der Cappella della Resurrezione von San Gregorio Magno (1593) und im Chor von Santa Maria Assunta in Caso (1595) ent-
17 18 19 20 21 22
Toesca 1969, 24f., Kat. 17, Taf. 28 ; Rom 1995, 400, Abb. 502–504, Kat. 61. Siehe zuletzt Bolzoni 2014, 76–98, mit Verweisen auf frühere Literatur. Grisolia 2010, 21–23, 37, Anm. 86, Abb. 28–33 ; Fischer Pace 2014, 102f., unter Kat. 52. Baglione 1649, 299 ; Zuccari 1992, 142 ; Farbtaf. XXIV. Panofsky-Soergel 1967, 129f., Abb. 94 ; Scott 1991, 29f., Abb. 31, 32. Zuccari 1992, 25, Abb. 12 ; 86, Abb. 58 ; zu Sermeis Biographie s. Madonna 1993, 544 ; EitelPorter 2009, 90, 93, 156, 321f. 23 Pascoli 1732, 134–137.
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standen.24 Letztere scheinen – nach Fotos zu urteilen – stilistisch der Taufszene durchaus vergleichbar, sodass es gewagt werden kann, ihm diese Szene hier zuzuschreiben. Weiterführende Aspekte – und damit kommt Kardinal Baronio unmittelbar ins Spiel – ergeben sich beim Vergleich des Entwurfs der Taufszene mit der Ausführung (Abb. 1, 2). Insgesamt entspricht die Zeichnung weitgehend dem Fresko und ist folglich kein erster Entwurf, sondern eine Präsentationszeichnung. Petrus tauft in einem Pontifikalamt die vor ihm kniende Plautilla, der Legende nach die Schwester des mit Kaiser Domitian verwandten Konsuls Flavius Clemens. Ihre kleine Tochter Domitilla kniet betend rechts des Taufbeckens im Vordergrund, während die Eunuchen Nereus und Achilleus in Erwartung der Taufe hinter ihr stehen. Am rechten Bildrand erscheinen zwei Frauen aus dem Gefolge der Plautilla. Hinterfangen wird diese Figurengruppe von einer durch Pilaster und Kämpfergebälk gegliederten Architektur mit einer zentralen Apsis, die das Ambiente als sakralen Innenraum kennzeichnet. Am rechten Rand ist ein Ausblick auf ein Gebäude in der Ferne. Im Fresko wurden sowohl bei der Figurengruppe als auch bei der Architektur im Hintergrund kleine, aber signifikante Modifikationen vorgenommen. So erscheinen an beiden Seiten der Architektur Ausblicke, die links Ruinen des Forum Romanum und des Palatin, rechts dagegen die Säulen des Saturntempels und den Palast auf dem Kapitol darstellen. Die Apsiswölbung ist – schwach erkennbar – mit rautenförmigen Kassetten wie beim Tempel der Venus und Roma gegliedert. Diese Motive versetzen das Geschehen, das sich der Legende nach im Jahr 69 n. Chr. in Rom ereignete, in ein konkretes topographisch-historisches Ambiente.25 Bei der Figurengruppe wurden liturgisch und antiquarisch motivierte Veränderungen vorgenommen. Während auf der Zeichnung (Abb. 1) ein Akolyth mit brennender Kerze an zentraler Stelle hinter der Taufgruppe steht, hält er im Fresko (Abb. 2) ein Tragekreuz. Ein weiterer Akolyth mit Kerze steht im Fresko hinter Petrus. Ferner sind die Kopfbedeckungen modifiziert. Auf der Zeichnung tragen alle vier Kleriker Mitren, von denen diejenige des Papstes als mitra pretiosa mit Stickereien und Dekor versehen ist. Im Fresko tragen nur die beiden Bischöfe seitlich von Petrus weiterhin eine mitra simplex, während der Diakon mit dem Messbuch barhäuptig dargestellt ist. Petrus wird mit der päpstlichen Tiara hervorgehoben. Weitere Veränderungen bestehen darin, dass das Messbuch auf der Zeichnung geöffnet ist, im Fresko dagegen geschlossen, und dass Petrus die Taufschale nicht mehr aus großer Höhe, sondern unmittelbar über dem Kopf der Plautilla ausgießt. Die kleine Domitilla trägt statt des Schultermäntelchens ein Kleidchen mit Stickereien und statt des Wuschelkopfes ein kunstvoll gelocktes Haupthaar mit zwei Zöpfen. Solche spezifischen Veränderungen sind sicherlich nicht vom Künstler selbständig vorgenommen worden. Viel eher sind sie auf Baronios Korrekturen und Anregungen 24 Vasco Rocca 1980, 145f. 25 Zuccari 1981, 179f. ; die Legende hat Gallonio 1597 im Auftrag Baronios aus früheren Quellen zusammengetragen.
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo | 217
Abb. 4 Girolamo Massei, Entwurf zur Fassadengestaltung von Santi Nereo ed Achilleo, lavierte Federzeichnung, Nationalmuseum Stockholm
zurückzuführen. Der sorgfältige Umgang des Kardinals mit historischen Quellen bei diesen und anderen Projekten – San Cesareo de Appia und den Oratorien bei San Gregorio Magno – ist vielfach erwiesen.26 Ein direkter Beleg für sein Eingreifen zwischen Entwurf und Ausführung findet sich auf Masseis Zeichnung für die Fassade von Santi Nereo ed Achilleo (Abb. 4).27 Die teilweise abgeschnittene Beischrift „mi piace ogni cosa / eccetto questa porta / o nicchia che sia / […]“ links unten auf dem Blatt stammt wahrscheinlich von Baronios Hand. Allerdings ist nicht klar, ob die Rundnische über dem Portal oder die Wandgliederung des äußeren Erdgeschossjoches gemeint ist, die beide in der Ausführung verändert wurden. Aber in diesem Fall dürfte – wie beim vorliegenden Entwurf (Abb. 1) – die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Künstler mündlich erfolgt sein. Auffällig ist vor allem die Veränderung der Kopfbedeckung des Papstes. Seit wann trugen Päpste eine Tiara ? Nach heutiger Kenntnis entstand die dreigekrönte Tiara erst
26 Herz 1988, 590–620. 27 Stockholm, Nationalmuseum, NMH, CC 1476, 286 × 268 mm, Feder in braun, braun laviert, über schwarzem Stift ; Zuccari 1995b, 397, Abb., 499–501, Kat. 58.
218 | Jörg Martin Merz
unter Bonifaz VIII. um 1300.28 Gleichwohl ließen sich Päpste auf neuzeitlichen Fresken frühchristlicher Taufszenen mit dem triregnum darstellen, so an prominenter Stelle von Raffael und seiner Schule in der Sala di Costantino im Vatikanischen Palast. Auf der gleichen Szene im Querschiff der Laterankirche, die zwischen 1597 und 1601 von Roncalli freskiert wurde, sowie auf den anonymen Taufszenen in der Sala di Costantino des Lateranpalastes und dessen Benediktionsloggia aus der gleichen Zeit trägt Papst Silvester dagegen eine Mitra.29 Der Zeichner der Taufszene (Abb. 1) orientierte sich somit am aktuellen Stand historisch korrekter Einkleidung. Warum wurde im Fresko dennoch eine Tiara bevorzugt ? 1628 kritisierte Michele Lonigo, der Zeremonienmeister der päpstlichen Kapelle, die Darstellung einer dreigekrönten Tiara auf Andrea Sacchis kurz zuvor fertig gestelltem Altarbild Das Wunder Papst Gregors des Großen in Sankt Peter als groben Irrtum, und zwar nicht nur als anachronistische Kopfbedeckung, sondern auch weil sie auf dem Bild in widersinniger Weise auf dem Altar steht.30 Zu Baronios Zeit hatte Angelo Rocca allerdings noch geschrieben, die Tiara sei mindestens seit Papst Silvester in Gebrauch gewesen.31 Tatsächlich trägt dieser Papst auf Paris Nogaris Fresko Die Grundsteinlegung der Laterankirche im Querschiff dieser Kirche eine Tiara.32 Damit wurde zwischen dem signum temporalium auf dieser Szene und dem signum spiritualium bei der genannten Taufszene im gleichen Zyklus differenziert. In Santi Nereo ed Achilleo erfolgte dagegen keine Differenzierung. Dort tragen alle Päpste eine Tiara als Ausdruck der plentitudo potestatis – hinterfangen von einem Nimbus als Zeichen ihrer Heiligkeit. Abgesehen von Petrus auf der ersten Szene (Abb. 2) sind dies Clemens in der zweiten Szene Die heilige Domitilla erhält das Velum, Gregor der Große im Apsisfresko sowie die Nischenfiguren der Päpste Clemens und Gregor an der Innenfassade. Der dort im obersten Register erscheinende Apostel Petrus trägt allerdings weder Mitra noch Tiara, sondern – als Pendant zum Apostel Paulus – nur einen Nimbus.
Literatur Baglione, Giovanni : Le vite de’ pittori, scultori et architetti dal Pontificato di Gregorio XIII fino a tutto quello d’Urbano VIII, Rom 1642, Nachdruck 1649. Bolzoni, Marco Simone : Qualche aggiunta a Nicolò Trometta disegnatore, in : Horti Hesperidum 4.1 (2014), 76–98. Bonadonna Russo, Maria Teresa : Dal titolo di Fasciola alla chiesa dei SS. Nereo ed Achilleo, Rom 2014. 28 29 30 31 32
Zum Folgenden siehe Ladner 1984, 282–303. Freiberg 1995, 28, 35, 99, Abb. 15, 22, 78. Herklotz 2006, 419, 425. Rocca 1597 [unpaginiert, 6–7]. Freiberg 1995, 105, Abb. 80.
Kardinal Baronio korrigiert den Entwurf zu einem Fresko in Santi Nereo ed Achilleo | 219
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Lothar Sickel
Manifest in Vergangenheitsform Der ehemalige Hauptaltar von Niccolò Circignani in Sant’Antonio Abate
Wandelbare Triptychen sind vor allem aus Nordeuropa geläufig, wo sich der mechanische Grundtypus zu Retabeln von mitunter enormer Komplexität entfaltete.1 In Italien hingegen verlief die Entwicklung eher gegenläufig. Nach 1500 waren große Polyptychen in Kirchen kaum mehr auf die Abfolge unterschiedlicher Ansichten angelegt.2 Als Ausdruck eines spezifischen Traditionsverständnisses oder Ausweis einer institutionell engen Verbundenheit mit dem Norden konnten Triptychen aber durchaus noch zur Ausstattung von Kirchen mit entsprechender Dependenz dienen. So war etwa die Aufstellung eines Wandelaltars in Santa Maria della Pietà beim Campo Santo Teutonico in Rom ein beinahe obligatorischer Akt.3 Das von 1502 datierende Werk erscheint heute als Unikum. Am Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Rom aber wenigstens noch ein weiteres Triptychon ähnlichen Formats. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts befand es sich am Hauptaltar von Sant’Antonio Abate. In der Folge ging es wohl vollständig verloren, und mangels Reproduktionen verblasste auch die Erinnerung. Sie sei in diesem Beitrag erneuert. Mit dem von Gregor XIII. 1575 veranlassten Ausbau der von Santa Maria Mag giore zum Lateran führenden Via Merulana erlangte auch der an jener Achse gelegene Konvent von Sant’Antonio Abate eine neue Prominenz. Eine Klosteranlage bestand dort bereits seit dem 5. Jahrhundert, aber erst mit der Verfügung des Kardinals Pietro Capocci von 1259 zur Gründung eines Hospitals entstand eine karitativ bedeutsame Einrichtung.4 Nach Capoccis Willen sollte das Hospital von Angehörigen des Antoniter-Ordens mit Hauptsitz im südfranzösischen Vienne betreut werden.5 Die Antoniter galten weithin als Spezialisten in der Behandlung des „Antoniusfeuers“, Ergotismus, und auch in Rom sollten ihre Heilungsmethoden etabliert werden.6 Ab 1308 entstand der erste Kirchenbau mit Weihe an den Ordensheiligen Antonius, der als Eremit in der Wüste Ägyptens gewirkt hatte und dort 356 im hohen Alter von angeblich 105 Jahren verstorben war. Bis 1481 erhielt der Kirchenraum hinter dem romanischen Haupt1 2 3 4 5 6
Die einschlägige Literatur wird als bekannt vorausgesetzt. Kleinere Klappaltäre gab es vielfach im häuslichen Milieu. In Rom produzierte die Werkstatt des Antoniazzo Romano durchaus noch Flügelaltäre größeren Formats. Beispiele bei Cavallaro 1992, 62, Nr. 137, und 200, Nr. 25. Fischer Pace/Tönnesmann 1988, 56–74 (Fischer Pace). Zur Geschichte des Konvents siehe Wand 1933, Enking 1964, Tribout de Morembert 1965. Mischlewski 1976, 69–73. Zur Verbreitung in Italien zuletzt Fenelli 2006 und Ruffino 2006.
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portal jene erweiterte Gestalt, in der er sich wesentlich noch heute präsentiert.7 Zur frühen Ausstattung gehörte ein nicht erhaltenes Apsisfresko von Giovanni Piacere mit Christus in der Glorie.8 Eine erste Renovierung erfolgte unter Charles Anisson, einem Geistlichen adliger Herkunft, den der General-Abt des Ordens, Louis de Langeac, 1580 als Vikar nach Rom entsandt hatte.9 Im Juni 1581 nahm Anisson seine auch kirchenpolitisch bedeutsame Tätigkeit auf.10 Seine erste Ausstattungsmaßnahme in der Kirche war der Bau einer großen Kapelle zu Ehren des heiligen Antonius. Sie wurde ab Dezember 1583 durch Domenico Fontana errichtet und wohl noch 1584 von Niccolò Circignani mit Fresken dekoriert.11 In der Ausführung großer narrativer Bilderzyklen hatte sich der nach seinem Geburtsort Pomerance auch „il Pomaracio“ genannte Maler in früheren Kirchendekorationen nachdrücklich bewährt.12 Zwischen 1581 und 1583 schuf er nicht nur den umfangreichen Freskenzyklus mit Darstellungen frühchristlicher Martyrien in Santo Stefano Rotondo, sondern auch mehrere Bilder in der Kirche des Collegio Inglese, in denen, abermals im Geist der Gegenreformation, Verfolgung und Hinrichtung der Katholiken im England der Tudor vorgestellt waren.13 Wie die meisten damals in Rom aktiven Maler war Circignani als Künstler zwar keine herausragende Gestalt. Anisson schätzte aber seine Zuverlässigkeit und sein gestalterisches Geschick. Wohl zu Beginn des Pontifikats Sixtus’ V. im April 1585 beauftragte er Circignani, an den beiden Langhauswänden der Kirche das Leben der Eremiten Antonius und Paulus in einem monumentalen Freskenzyklus zu schildern. Da der betagte Circignani das umfangreiche Werk nicht allein ausführen konnte, erneuerte er seine Partnerschaft mit dem jüngeren Giovan Battista Lombardelli, mit dem er bereits in San Pietro in Montorio gearbeitet hatte.14 In Sant’Antonio Abate gelang ihnen ein beeindruckendes Werk religiöser Historienmalerei.15 Manche Szenen ent 7 Zum Portal siehe Barral i Altet 2012. Unbestätigt ist die Angabe bei Mellini 2010, 334, Baccio Pontelli habe den Neubau entworfen. Pontelli war von 1478 bis 1482 in Urbino tätig ; Meneses 2010, 14–18. 8 Merlo 2017, 104f. 9 Der etwa 1540 geborene Anisson war 1569 zum Vikar des Antonius-Ordens ernannt worden ; Enking 1961, 232. Zu Langeac siehe Maillet-Guy 1929, 29f. 10 Anissons Amtsvorgänger, Jean de Giou, verstarb im Januar 1581 ; Tribout de Morembert 1965, 189. Der Akt zur offiziellen Einsetzung Anissons als Vikar datiert vom 29. Juni 1581 ; Archivio di Stato di Roma (fortan ASR), 30 Notai Capitolini, uff. 33, Bd. 30, fol. 633–634. 11 Im Juni 1583 erhielt Anisson die Lizenz zum Bau der Kapelle und ließ zwei Gedenkmünzen prägen ; Maillet-Guy 1912, 11–15, und Enking 1964, 63f. 12 Eine neuere Gesamtdarstellung zum Werk Circignanis steht aus. Eine Übersicht bietet Nimmo 1984. Das Geburtsjahr ist ungesichert. Es wird um 1520 angesetzt. Circignani verstarb zwischen November 1597 und März 1599 in Città della Pieve. 13 Bacciolo 2015. 14 Belardinelli 1991. 15 Zu den jeweiligen Anteilen siehe Sapori 1980, 281 und Anm. 19, sowie Madonna 1993, 194– 198 (Giampaolo Belardinelli).
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Abb. 1 Niccolò Circignani und Giovanni Battista Lombardelli, Antonius durchquert den Nil (daneben die Wappen von Charles Anisson und Louis de Langeac), Rom, Sant’Antonio Abate
halten gewitzte Einlagen.16 Um den Malern für ihre Entwürfe konkrete Anregungen zu geben, hatte Langeac auf Wunsch Anissons eigens eine reich illuminierte AntoniusVita nach Rom geschickt.17 Der Vorgang verdeutlicht, wie genau die Ausstattung mit dem Ordenshauptsitz in Vienne abgestimmt war. Heute ist die Stifterrolle des Abtes Langeac und seines Vikars Anisson nur an ihren Wappen in den Fresken des Langhauses ablesbar (Abb. 1). Weitaus prominenter trat sie jedoch am Hauptaltar hervor. Schriftzeugnissen des 17. Jahrhunderts ist zu entnehmen, dass auch die beiden seitlich des Chores gelegenen Kapellen mit kleineren Triptychen von Lombardelli ausgestattet waren. Von Circignani aber stammte das große Werk im Zentrum der Apsis. Die bislang bekannten Quellen vermitteln eine nur vage Vorstellung von seiner Erscheinung. Gaspare Celio erwähnt 1638 allein das zentrale Hauptbild mit der Kreuzigung Christi, und wenige Jahre später ergänzte Giovanni Baglione nur, an den Seiten befänden sich außen wie innen bemalte Flügel (sportelli).
16 Der vor Antonius fliehende Drache (Abb. 1) erinnert deutlich an das Wappen des verstorbenen Gregor XIII. ; Pierguidi 2013. 17 Wand 1933, 95. Der 1426 entstandene Kodex wird heute in La Valletta bewahrt ; Graham 1937.
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Was sie zeigten, ließ er unerwähnt.18 Erst Benedetto Mellini gibt 1663 eine detailliertere Beschreibung : „L’altar maggiore ha un quadro grande ad olio con ornamento di legno finto di marmo con suo fregio e cornice. Christo Crocifisso, a pie della Croce la Madalena, dai lati la Vergine e S. Giovanni, S. Paolo primo eremita e S. Antonio e dalle bande, in due sportelli, S. Carlo Magno imperatore e S. Luigi IX re di Francia, pitture tutte del Pomarancio Vecchio [Niccolò Circignani]“.19 Der Unterschied zu den lakonischen Notizen bei Celio und Baglione ist zwar auffällig, aber auch Mellini benennt nicht alle Bildmotive. Offenbar sahen alle Autoren den Altar nur geöffnet und machten deshalb keine Angaben zur Bemalung der Flügelaußenseiten. Genaueren Aufschluss über das vollständige Programm gibt der bislang unbekannte Vertrag zur Ausführung des Retabels, den Circignani am 20. Juni 1589 mit Anisson als Vertreter des Abtes Langeac abschloss.20 Demnach sollte das Werk bis Ende September dieses Jahres, also in drei Monaten, für einen Lohn von 80 Scudi vollendet sein. Außerdem wurde Circignani und seinen Assistenten für die Dauer der Arbeit ein eigener Raum im Konvent einschließlich Verköstigung zur Verfügung gestellt. Eine solche Vorsorge war unüblich und kennzeichnet den besonderen Stellenwert des Projekts. Bei der Ausführung halfen wahrscheinlich die gleichen Mitarbeiter, mit denen Circignani kurz zuvor Malereien in der Klosterkirche von Valvisciolo vollendet hatte, darunter sein Sohn Antonio.21 Die Vorgaben zur Gestaltung des Hauptbildes mit der Kreuzigung entsprechen der Beschreibung Mellinis. Auf den Innenseiten der Flügel sollten aber nicht nur die Heiligen Ludwig und Karl der Große als Einzelfiguren dargestellt sein, sondern, vor Ludwig, auch die am Boden kniende Gestalt des Abtes Louis de Langeac in Gebetshaltung und im Ornat mit Mitra und Hirtenstab. Langeac erschien also als Stifter zu Füßen seines Namenspatrons in Verehrung des Gekreuzigten – auch dies ein überkommenes Schema. Offenbar hatte er vor Abschluss des Vertrages sein Porträt nach Rom geschickt, damit Circignani das Konterfei in das Gemälde einfügen konnte.22 Möglicherweise diente es auch als Vorlage für den Bildnisstich, den Anisson 1592 der Langeac gewidmeten Buchpublikation Officia propria ordinis Antoniani Viennensis apud Delphinates als Frontispiz voranstellen ließ (Abb. 2). Im Vertrag ist ferner festgehalten, dass auf den Außenseiten der Flügel zwei Szenen aus der Passion Christi abzubilden waren, nämlich einerseits die Geißelung und zum anderen die Dornenkrönung. Kurios ist der ausdrückliche Hinweis auf Wolken, Sonne und Mond. Die Angabe dürfte sich eher auf die Darstellung der Kreuzigung im Haupt18 19 20 21
Celio 1638, 23 ; Baglione 1642, 42. Mellini 2010, 334. Siehe in transkribierter Form im Anhang. Zwei Inschriften nennen noch Francesco Fazzuoli und Camillo Campani ; Nimmo 1984, 213 ; Farina/Vona 1998, 25–27 und 44f. 22 Die Gestalt des knienden Abtes Langeac könnte dem hl. Giusto in der Marienkrönung geähnelt haben (Holz, 300 × 217 cm), die Circignani 1585 für die Jakobus-Kapelle in San Pietro in Selci in Volterra schuf ; Moreschini 1997, 70f.
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Abb. 2 Anonym, Bildnis des Abtes Louis de Langeac, Frontispiz zu Officia propria ordinis Antoniani Viennensis apud Delphinates, Rom 1592
bild bezogen haben, denn nur diese Szene wird häufig von beiden Gestirnen flankiert.23 Wenn die Mitteltafel zu Seiten des zentralen Kruzifixes außer Magdalena noch vier weitere Figuren zeigte, nämlich Maria zusammen mit Antonius und Johannes mit dem Eremiten Paulus, müsste sie eher breit als hoch gewesen sein. Die im Vertrag gemachten Angaben zur Anordnung sind im Gegensinn zu verstehen ; traditionell steht Maria links und Johannes rechts neben dem Kreuz. Die Gestalten der beiden Eremiten Antonius und Paulus dürften denen der Fresken in der Kapelle geähnelt haben (Abb. 3). Wahrscheinlich war der obere Abschluss des Triptychons flach und nicht bogenförmig. Ein leichtes Querformat der Kastenanlage ist auch deshalb anzunehmen, weil die Darstellungen der Geißelung und der Dornenkrönung auf den Außenseiten eine gewisse Breite erforderten. Anders als die Malereien auf den Innenseiten sollten sie nicht in Öl, sondern als Gouache ausgeführt werden, und zwar, wie bei Baglione angedeutet, als Grisaille-Bilder. Dies entsprach der Tradition.24 Mit dem Wechsel von Werktag zu 23 Laneyrie-Dagen 2006. 24 „E li chiari oscuri, sopracoperte de’ quadri in tutte e due le cappelle, sono suoi [Circignani]“ ; Baglione 1642, 42. Zur Rezeption der niederländischen Grisaille-Malerei in Italien Blumenröder 2008, 194–209.
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Abb. 3 Niccolò Circignani, Der Eremit Paulus, Rom, Sant’Antonio Abate, Kapelle des heiligen Antonius
Festtag wandelte sich die Farbigkeit. Entsprechend dürfte Circignani die Geißelung und Dornenkrönung als fingierte Marmorgruppen aufgefasst haben. Nach Mellini erschien sogar die hölzerne Rahmung als Werk aus Marmor. In beiden Szenen trat die Gestalt Christi also wohl in monochrom hellem Marmorton aus dem dunklen Grund hervor.25 Passende Vergleichsbeispiele sind nicht leicht auszumachen. Außenflügel zeigen zumeist Einzelfiguren in verhaltener Aktion ; Bilder der Passion Christi waren selten dargestellt.26 Aus seiner Mitarbeit an der Wiederherstellung der Galerie gemalter Apostelstatuen in der Sala dei Palafrenieri des Vatikan im Jahr 1583 wusste Circignani aber sicherlich um die besonderen Effekte der Malerei in chiaroscuro.27 Die beiden Szenen der Passion dürften ebenso auf Fernwirkung angelegt gewesen sein wie die Heiligendarstellungen auf den Innenflügeln. Insbesondere die Figuren 25 Eine Circignani zugeschriebene Studie zu einer Geißelung lässt sich nur bedingt auf das Projekt beziehen ; Sotheby’s London, 8. Juli 2004, lot 100. 26 Häufig begegnet das Motiv der Verkündigung ; Grams-Thieme 1988. 27 Die unter Paul IV. teilweise zerstörten Fresken Raffaels und seiner Werkstatt wurden zunächst 1560 von Taddeo und Federico Zuccari, vollständig aber erst 1583 unter Gregor XIII. erneuert ; Weddigen 2006, 159–183. Eine Zahlung vom Dezember 1583 an „messer Nicolo fiorentino pitore“ wird auf Circignani bezogen ; Röttgen 2002, 230.
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Abb. 4 Girolamo Muziano, Karl der Große, Paris, Louvre
des heiligen Ludwig und Karls des Großen sollten etwa lebensgroß und entsprechend monumental erscheinen. Im Vertrag wird Circignani ausdrücklich angehalten, er solle sich möglichst eng am Vorbild des Hauptaltars in San Luigi dei Francesi orientieren.28 Dort war im November 1585 die monumentale Himmelfahrt Mariens von Francesco Bassano aufgestellt worden.29 Sie ersetzte ein älteres Altarbild von Girolamo Muziano, das nach San Paolo fuori le mura gelangte und dort verloren ging.30 Nicht erhalten sind auch Muzianos Darstellungen der heiligen Ludwig und Karl. Anders als gelegentlich vermutet wurde, müssen sie im Juni 1589 aber noch am Hauptaltar sichtbar gewesen sein. Nur eine Zeichnung im Louvre gibt eine Vorstellung von dem Modell, das Circignani in Sant’Antonio Abate nachbilden sollte (Abb. 4).31. Es ist bemerkenswert, dass die moderne Darstellung Muzianos als Vorbild präferiert wurde und nicht etwa das vermeintlich authentischere Bildnis des Frankenkönigs am Triclinium Leos III. beim 28 Die Vorgabe zur Nachbildung „al naturale“ bezog sich wahrscheinlich sowohl auf die Gestalt der Figuren als auch auf deren Größe. 29 Romano 2005, 131. 30 Tosini 2008, 204 und 477. 31 Tosini 2008, 207 und 478, Nr. D. 45.
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Lateran, damals Gegenstand kirchenhistorischer Forschung.32 Die Referenz zur Nationalkirche dominierte offenbar den sonst prägenden Hang zur Tradition, und obwohl er persönlich nicht als Stifter dargestellt war, konnte sich Anisson durch seinen Namenspatron, Charlemagne, im Retabel repräsentiert fühlen. Am Ende des 16. Jahrhunderts betraten Besucher von Sant’Antonio Abate einen für Rom eher ungewöhnlichen Kirchenraum. Die Wände waren über die gesamte Fläche wie ein Bilderbuch dekoriert, und in den Apsiden standen sonderbare Altäre mit beweglichen Flügeln, wie sie Pilger aus Nordeuropa aus ihrer Heimat kannten. Außer in der Form entwickelte der Hauptaltar zumal in der Auswahl der Heiligen die Programmatik einer Nationalkirche Frankreichs. Dies lag ganz im Sinn des Stifters Langeac. Auch sein Vikar Anisson zeigte sich wiederholt kirchenpolitisch aktiv. Im Dezember 1587 hatte er ein Haus nahe bei San Luigi dei Francesi erworben.33 Und im Mai 1590 war er angeklagt, in Rom heimlich Bildnisse des damals noch exkommunizierten Heinrich von Navarra in Umlauf gebracht zu haben.34 Mehrere Wochen verbrachte Anisson deswegen im Gefängnis.35 Nach spektakulären Wendungen wurde Navarra im Februar 1594 bekanntlich als Heinrich IV. doch zum König von Frankreich gekrönt und erhielt im September 1595 von Clemens VIII. die Absolution. Anisson mag dies als persönlichen Triumph erlebt haben. Jedenfalls ließ er im Mai 1596 gegenüber von Sant’Antonio Abate ein großes Kreuz aus Granit zur Erinnerung an das Ereignis aufstellen. Es war seine letzte öffentliche Kundgebung in Rom. Bald nach dem Tod seines Förderers Langeac im September 1597 wurde Anisson vom neuen Abt Antoine Tolosain nach Frankreich zurückbeordert und verstarb Anfang 1600 in Lyon. Seit März 1875 steht das Kreuz, etwas versteckt, in einem kleinen Hof neben Santa Maria Maggiore.36 Schon viel früher wurde Circignanis Triptychon vom Hauptaltar von Sant’Antonio Abate entfernt. Filippo Titi erwähnt es noch kurz in der Erstausgabe seines Studio di pittura von 1674.37 Möglicherweise stand es weitere 50 Jahre an seinem Platz. Noch im August 1725 erfolgte eine Restaurierung „del quadro del Crocifisso della tribuna“.38 Wenn sie Circignanis Gemälde galt, war dessen Erhaltungszustand offenbar schlecht. Spätestens 1727 wurde es durch ein knapp vier Meter hohes Fresko von Giovanni Odazzi ersetzt, das nur noch den gekreuzigten Christus und Magdalena zeigt (Abb. 5).39 Circignanis Werk wurde anscheinend zunächst im Konvent verwahrt.40 Über den s päteren 32 33 34 35 36 37 38 39 40
Herklotz 1995, 177 (2017, 75–77). Verkäufer war Stefano Periconi ; ASR, Segretari RCA, Bd. 1632 (10. Dezember 1587). Bodart 2004, 11, sowie Audisio 2006. Am 26. Juni und 18. Juli 1590 verfügte Anisson im Tor di Nona jeweils eine Prokura in Privatangelegenheiten ; ASR, 30 Notai Capitolini, uff. 33, Bd. 39, fol. 815 und 961. Das Kreuz hat eine Höhe von 3,5 Metern ; Tomassetti 1882 ; Maillet-Guy 1912. Titi 1674 [1987], 277f. Enking 1967, 83. Trimarchi 1979, 57f., Nr. 47. 1763 wird in Bezug auf ein Altarbild von Étienne Parrocel angemerkt : „Dove è quello, che rap-
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Abb. 5 Giovanni Odazzi, Kreuzigung, Rom, Sant’Antonio Abate
Verbleib ist nichts bekannt.41 Schon zum Zeitpunkt seiner Entstehung bezeichnete das Triptychon in Sant’Antonio Abate zwar einen sonderbaren Anachronismus, und im Laufe der Zeit dürfte man dies immer stärker empfunden haben.42 Für Anisson und Langeac aber war der aus der Zeit gefallene Hauptaltar gerade wegen seiner traditionell nordalpinen Aufmachung ein Manifest.
presenta S. Girolamo con S. Agostino era [quello] di Niccolò delle Pomarance : ora nel convento de’ Padri“ ; Titi 1763 [ed. 1987], Bd. 1, 134f., F1412. 41 1871 wurde die Kirche säkularisiert. Nach dem Rückkauf 1928 übertrug sie Pius XI. 1932 der Kirche der unierten Russen (Russische Griechisch-katholische Kirche). Angegliedert ist das Collegium Russicum. 42 Obwohl ein Werk italienischer Künstler, rubrizierte Giulio Mancini das Triptychon im Campo Santo leicht geringschätzig unter „maniera tedesca“ ; Fischer Pace/Tönnesmann 1988, 64f.
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Anhang Der Vertrag zwischen Charles Anisson und Niccolò Circignani vom 20. Juni 1589 zur Ausführung des Hauptaltars in Sant’Antonio Abbate ; ASR ; Segretari RCA, Bd. 1633, fol. 118 und 121 [einzelne Streichungen sind nicht transkribiert]. Die 20 Junij 1589 Dominus Nicolaus de Antonij Circiniani de le Pumerance Vulteranensis diocesis pictor in Urbe sponte etc. promisit et se obligavit reverendissimo domino abbati sancti Antonio [sic] viennensis [Louis de Langeac] absenti et pro eo reverendissimo domino Carolo Anisson eius vicario presente etc. pingere unum quadrum super altare maius in ecclesia sancti Antonij p.ti cum figuris videlicet con un Crucifisso, la Madonna e Santo Antonio a man dritta, et a man manca San Giovanni et San Paolo primo eremita. In piede [di] detto Crocefisso la Madalena ingenochiata a piede de la croce, et sopra li sportelli a man dritta San Carlo Magno, a man manca San Luigi vestiti et adornati di vestimenti reali et al naturale come sono alla chiesa di San Luigi nel altare magiore. Quali figure che detto ms. Nicolo fara, siano et esser debbano della grandezza secondo la proportione del quadro, et siano tanto apresso il naturale che sarà possibile. In piede di San Luigi la figura del reverendissimo Abbate di santo Antonio [Louis de Langeac] ingenochiato con le mani gionte ingenochiate inanzi al Crucifisso [am Rand : con vestito pontificale, la mitra intera et il bastone pastorale], et tutte queste cose siano fatte a olio, et di fuora di detti sportelli li misteri di Xptum [Cristo] quando fu frustato alla colonna à uno, et al altro quando gli si metteva la corona di spine con le nuvole et sole et luna necessarie. Et a tutte le sopradette [fol. 118v] figure debbano havere tutti li suoi ornamenti à proportione et secondo si ricava in simili quadri. Et viceversa il detto signore abbate et per lui il detto reverendissimo domino signor vicario [Charles Anisson] a nome come di sopra promette fare à spese sue il telaro, li punti, fornire tutte le sorti di colori necessari in ordine da mettere in opera, et pagar l’ottanta scudi di moneta a X jul. [giulii] pro scudo dui terzi d’argenti, et un terzo di quattrini da pagarsi ogni settimana di mano in mano che lavorerà. E di più una stantia in detto loco di santo Antonio per lui et chi lavorerà con lui, al qual ancora il detto signor vicario li giorni che lavoreranno dare a pranzo. Et il detto ms. Nicolo sia obligato fare tutte le pitture del quadro à olio, et quelle di fuora a guazzo, tutte ben fatte et ben proportionate a giuditio di persone esperte del arte. Et promette darle finite tutte le sopradette cose per tutto settembre prossimo […]. Actum Rome in offitio mei presentibus ibidem R.D. Ludovico Rivaldi et [fol. 121r] Amedeo Millet testibus.
Literatur Audisio, Gabriel : Procès pour un portrait. Henri IV et l’Inquisition (Rome, 1590), in : Mélanges de l’École Française de Rome, Italie et Méditerranée 118 (2006), 379–390.
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Sible de Blaauw
Mittelalterlicher als das Mittelalter Die Restaurierung des Mainzer Doms durch den Architekten P. J. H. Cuypers
1. Der Mainzer Dom als Herausforderung im 19. Jahrhundert Die romanische Kathedrale eines der größten Bistümer des mittelalterlichen Abendlandes überlebte die Koalitionskriege in beklagenswertem Zustand. Die Rettung des Mainzer Domes war seine Bestimmung als Bischofskirche einer neuen Diözese, die allerdings viel kleiner als die Vorgängerin war und praktisch das katholische Landesbistum des Großherzogtums Hessen-Darmstadt bildete. Die Restaurierungen seit 1822 konzentrierten sich zunächst auf die Wiederherstellung der Dächer und die Schließung des östlichen Chores mit einer zinkgedeckten Kuppel. Der Westchor war weniger in Mitleidenschaft gezogen und konnte mittels Ausbesserungen gesichert werden. Mit der Restaurierung des Kreuzganges und der Innenausstattung sowie der Neuausmalung des Interieurs durch Philipp Veit und seinen Kreis war die Wiederherstellung des Domes Mitte der sechziger Jahre vorläufig abgeschlossen.1 Das Ergebnis wurde von Theodor Fontane positiv beurteilt, der das „schöne[…] alte[…] Gebäude (romanisch)“ 1865 während seiner Rheinreise besuchte und mit seiner Bewunderung wohl repräsentativ war für die um die Mitte des 19. Jahrhunderts wachsende Wertschätzung der romanischen Denkmäler am Rhein.2 Damals stellte sich der statisch gefährdete Ostbau des Domes immer mehr als Problem dar. Seit jeher war das westliche Presbyterium, wo sich der Bischofs- und Kanonikerchor befand, der architektonische und liturgische Schwerpunkt des Domes. Der Ostchor hatte jedoch städtebaulich an Gewicht gewonnen wegen des Abrisses der zur Domkirchenfamilie gehörenden Liebfrauenkirche östlich der Apsis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dadurch war die für den Mainzer Dom bis heute so charakteristische Umbauung auf dieser Seite unterbrochen, und der Ostbau erhielt die niemals intendierte Bedeutung einer Schaufassade. Die zunehmenden Risse und Schäden in diesem Bauteil erklärte man damals hauptsächlich mit dem Gewicht des Kuppelbaus, aber später hat sich herausgestellt, dass die Senkung des Grundwasserniveaus durch die Rheinregulierung die Fundamente erheblich geschwächt hatte. Nicht nur die statischen 1 2
Durchhardt-Bösken 1975 (weiter zitiert als DB 1975), 439–486. Theodor Fontane, Tagebücher, 2.9.1865 (C1, 31v), bei Hinkel 2017, 144f. (Theodor Fontane : Notizbuch C7, in : Notizbücher. Digitale genetisch-kritische und kommentierte Edition, hg. von Gabriele Radecke, Blatt 31v. URL : https://fontane-nb.dariah.eu/index.html, abgerufen am 31.1.2021).
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Probleme, sondern auch wachsende ästhetische Bedenken lenkten die Restaurierungen im Laufe der sechziger Jahre auf den östlichen Teil der Kirche. In der Außenansicht irritierten die abgebrochenen Treppentürme, aber vor allem die zugespitzt-eiförmige Kuppel aus dem Jahr 1828 des seinerzeit gefeierten großherzoglichen Oberbaurats Georg Moller. Dieser zeitgenössische Zusatz entsprach 30 Jahre später keineswegs mehr den damaligen historistischen Auffassungen und wurde als „unpassend“ und „ganz und gar geschmacklos“ qualifiziert.3 Der Speyerer Dombaumeister Heinrich Hübsch betonte 1857, dass die hohe gotische Laterne und die „aller Gliederung entbehrende“ Kuppel des Mittelturmes die romanische Architektur entstelle.4 Als sich die konstruktive Gefährdung des Ostbaus immer mehr offenbarte und eine Entfernung der gesamten oberen Bauteile unabwendbar erschien, war das Schicksal der „halborientalischen Blechkuppel Mollers“ rasch entschieden (Abb. 1).5 Für das Innere beherrschten zwei andere Fragen die Überlegungen zur Restaurierung des Ostchores. Schon lange erregte der breite Pfeiler in der Längsachse, der den Blick in den östlichen Chor versperrte, arges Missfallen. Der Pfeiler war Teil einer im 14. Jahrhundert zur Sicherung des inzwischen erhöhten Mittelturmes eingebauten Stützmauer, welche die volle Breite und Höhe des Triumphbogens füllte und mittels zweier hoher Spitzbogenöffnungen nur noch einen beschränkten Durchblick in den Ostchor zuließ.6 Wenn aber der allgemeine Wunsch zur Abtragung dieses Einbaus erfüllt werden sollte, wäre man gezwungen gewesen, zunächst eine definitive Lösung für die strukturellen Probleme und die Gestaltung des Oberbaus zu finden. Ein anderes Thema kam hinzu, als Reste der verschwundenen Hallenkrypta unter dem Ostchor zutage kamen, von deren eventueller Rekonstruktion man sich auch statische Vorteile erhoffte.7 Mittlerweile gab es am Mainzer Dom nach kölnischem Vorbild einen Dombauverein und einen Dombaumeister.8 Diese Institutionen konnten sich entwickeln unter dem allgemeinen Aufschwung des kirchlichen Lebens der Diözese dank dem aktiven ‚Sozialbischof‘ Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler (Bischof von 1850 bis 1877). Im Programm des 1856 gegründeten Mainzer Dombauvereins standen an erster Stelle die Ausmalung des Inneren und die Beseitigung der raumstörenden Pfeiler unter dem östlichen Triumphbogen.9 Der leitende Architekt wurde zunächst vom Dombauverein berufen, war aber seit 1868 Leiter eines Baubüros, das der diözesanen Dotationsverwaltung unterstand.10 Von großer Bedeutung für den Dom war schließlich auch Prälat Friedrich Schneider (1836–1907), Dozent für Liturgik und Kunstgeschichte am Mainzer Priesterseminar und ab 1869 Dompräbendat und Subkustos, ein Amt, das er 3 4 5 6 7 8 9 10
Rheinische Blätter 272 (1858) bei DB 1975, 471. DB 1975, 469f. Mainzer Wochenblatt 167 (1868) bei DB 1975, 488. Kotzur 2011, 110f. Wessicken 1871 bei DB 1975, 489. Kotzur/Kreuzpaintner 2011, 348–355. DB 1975, 466–469. DB 1975, 487f.
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Abb. 1 Die östliche Turmgruppe des Mainzer Domes im Zustand um 1865 (links) und nach dem ersten Entwurf von P. J. H. Cuypers (rechts), aus : Deutsche Bauzeitung vom 4.7.1874
als influencer bei allen wichtigen Entscheidungen nutzte, die den Dom betrafen. Seine Talente als Kenner der christlichen Kunstgeschichte wurden weit und breit anerkannt, aber die Domherren hielten seine dynamische Persönlichkeit am liebsten außerhalb des eigenen Gremiums, sodass er erst 1891 zum Domkapitular ernannt wurde.11
2. Pläne zur Erneuerung des Ostchores Nach heutigen Kenntnissen datiert der Ostchor des im 12. und 13. Jahrhundert erbauten romanischen Domes St. Martin und St. Stephan aus den ersten Jahrzehnten nach 1100.12 Das wohl mit einem flach geneigten Pyramidendach gedeckte Oktogon im Osten bekam um 1200 ein höheres Gegenstück im Westen, erhielt jedoch im frühen 14. Jahrhundert einen gotischen Tambour mit steilem Spitzhelm. Bis 1480–1490 auch der westliche Vierungsturm aufgestockt wurde, lag der Akzent der Silhouette im Osten, danach endgültig wieder im Westen. Die ausgeprägten runden Treppentürme im Osten werden auch heute noch in den unteren vier Geschossen als Originalteile des Willigis-Bardo-Domes aus dem frühen 11. Jahrhundert angesehen, der kurz nach 1100 um die Querflügel des neuen Ostbaues erweitert wurde. Die Apsis gilt mit ihrer Zwerggalerie, den Blendbögen und drei Fenstern mit Speyer als frühes Musterbeispiel der Romanik im Rheinland. Die Hallenkrypta unter Chorquadrat und Apsis wurde bereits im 13. Jahrhundert entfernt. Der Ostbau diente als ‚Gegenchor‘ des Hauptchores im 11 Hinkel 2008. 12 Arens/Binding 1998, 20–24, 34 ; von Winterfeld 2011, 55. Für die weitere Baugeschichte : ebenda.
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Westen. In der Ostapsis stand der zweite Hochaltar, dem Hl. Stephanus gewidmet, und im Chorjoch stand ein zweites Chorgestühl für den Stiftsgottesdienst an bestimmten Festtagen. Seit dem Spätmittelalter galt das östliche Presbyterium primär als Pfarrchor.13 Der erste Schritt in der Wiederherstellung des gesamten Ostbaus machte schon klar, dass ab jetzt eine streng historistische Annäherung vorherrschte, wobei die Ablesbarkeit der Baugeschichte des Domes in ihren unterschiedlichen Stilepochen oberste Priorität hatte.14 Auf Bitten des Dombauvereins legte der Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner 1858 Pläne für die Erneuerung der Rundtürme „streng im Charakter der romanischen Architektur“ vor.15 Nur der obere Abschluss des nordöstlichen Seitenturms, von Kölner Beispielen inspiriert, wurde davon vorerst ausgeführt. In der Folge galt es zunächst, das Problem des gotischen Pfeilers zu beheben. Schneider wusste 1867 die Dombaumeister Friedrich Schmidt aus Wien und Franz Josef Denzinger aus Regensburg als Gutachter zu gewinnen. Nicht nur meinten sie, die Beseitigung des Pfeilereinbaus sei notwendig, sondern sie betonten auch, dass es wesentlich darum ginge, „die ursprüngliche Gestaltung dem Ostchor wieder zu geben“.16 Dazu gehöre die Wiederherstellung der Krypta und wohl auch die Rekonstruktion der Türme. Auf Vorschlag der Gutachter wurde 1867 der Architekt Joseph Wessicken aus Salzburg als Dombaumeister nach Mainz berufen. Seine Pläne für die Sicherung der tragenden Wände, die Rekonstruktion der Krypta und den vollständigen Abbruch nicht nur der Kuppel, sondern auch des brüchigen romanischen Unterbaus des Mittelturmes lösten in ihrer Radikalität Kritik aus. Der Bischof wich vor dem zukünftigen Vorwurf zurück, unter seiner Verantwortung sei „der altehrwürdige Dom zum Teil abgerissen worden“, und wollte zumindest das romanische Gewölbe des Chorquadrats retten.17 Anderseits gab es keine Einwände gegen die Entfernung der Zinkkappe und der gotischen Laterne.18 Die bautechnischen Argumente waren letztendlich ausschlaggebend. Trotz des deutsch-französischen Krieges waren offensichtlich Geld und Zeit vorhanden, um die Kuppel und ihren romanischen Sockel sowie den Giebel über der Apsis zu entfernen. Sehr umstritten war die Krypta. Schmidt und Denzinger hatten bereits ihre Wiederherstellung befürwortet mit dem Argument, „bis zum Ältesten“ zurückzugreifen.19 Als 1871 Reste der ursprünglichen Kryptenanlage entdeckt wurden, kam eine archäologisch vertretbare Rekonstruktion in Reichweite. Eine Mehrheit des Kapitels war anfänglich dagegen, sowohl wegen der Kosten als auch wegen der liturgischen Zweckmäßigkeit, und auch Bischof Ketteler meinte, „dass mehr ein antiquarisches Kunstinteresse für die Krypta spricht als ein Interesse der inneren Schönheit und der 13 14 15 16 17 18 19
Kosch 2011, 34–37. Kotzur/Kreuzpaintner 2011, 348. DB 1975, 471. DB 1975, 487. DB 1975, 488. DB 1975, 488f. DB 1975, 487.
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Abb. 2 P. J. H. Cuypers, Radierung, aus : Katholieke Illustratie 1874
Brauchbarkeit des Domes“.20 Subkustos Schneider brachte dagegen die Autorität des August Reichensperger ins Spiel, aber ausschlaggebend war doch seine eigene Broschüre über die Kryptafrage. Die wissenschaftliche Qualität seiner Darstellung und die historischen Argumente für die Krypta überzeugten schließlich fast alle Gegner, so dass 1872 die Wiederherstellung in Angriff genommen werden konnte.21 Zu entscheiden war noch die architektonische Gestaltung der Turmgruppe, wofür Wessicken einen Entwurf vorlegte bevor er im Frühjahr 1873 von der Dombauleitung zurücktrat.22
3. Dombaumeister Cuypers Obgleich nach der wohl nicht ganz freiwilligen Abdankung Wessickens das Dombaumeisteramt öffentlich ausgeschrieben wurde, ist es wahrscheinlich, dass im Hintergrund Friedrich Schneider den Ablauf nach seinen Vorstellungen steuerte. Aus neun 20 1.7.1871 bei DB 1975, 490. 21 Schneider 1871 ; DB 1975, 490–492. 22 DB 1975, 492.
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Kandidaten wählte das Domkapitel den niederländischen Architekten Petrus Josephus Hubertus (Rufname : Pierre) Cuypers als neuen Dombaumeister.23 Cuypers und Schneider kannten sich seit einigen Jahren und schätzten einander als Gleichgesinnte. Bereits im Oktober 1872 hatte Cuypers Schneider in Mainz besucht, mit ihm einige Tage in Würzburg verbracht und dank Schneiders Vermittlung mit den hohen kirchlichen Würdenträgern in Mainz gesprochen.24 Die Tatsache, dass sich Bischof Ketteler Cuypers’ Ansichten über die weitere Restaurierung des Domes persönlich anhören wollte, dürfte auf eine nicht allzu stabile Position Wessickens hinweisen. Jedenfalls wird Cuypers’ Bekanntheit in Mainz zu seiner Ernennung beigetragen haben (Abb. 2). In seiner rund zwanzigjährigen Karriere hatte sich Pierre Cuypers (1827–1921) in den Niederlanden mittlerweile als ein Experte in Kirchenbau und Restaurierung mittelalterlicher Bauten etabliert.25 Er war ein typischer Exponent der katholischen Emanzipationsbewegung seiner Heimat, der in Dörfern und Städten bemerkenswerte neugotische Kirchen mit hohem Symbolgehalt baute. Sein Architekturbüro verlegte er von seiner Geburtsstadt Roermond im Süden des Landes nach Amsterdam, während das Kunstatelier für Kirchenausstattungen in Roermond blieb. Seine öffentliche Anerkennung entwickelte sich rasch in den Jahren, in denen er auch in Mainz tätig war. So erhielt er 1875 die Aufträge für das Rijksmuseum und den Zentralbahnhof in Amsterdam. Von da an spielte er auch eine prominente – obwohl nicht immer unumstrittene – Rolle in der nationalen Denkmalpflege. Passionierter Architekt und Künstler sowie frommer Katholik an erster Stelle, wurde er dank seinen Talenten als Netzwerker und Unternehmer in den Niederlanden zu einer der produktivsten, einflussreichsten und international angesehensten Gestalten der Architektur und Denkmalpflege der zweiten Jahrhunderthälfte. Aufgewachsen im Maasland, im Schatten der spätromanischen Munsterkerk in Roermond, hatte Cuypers eine natürliche Affinität zu der mittelalterlichen Architektur des rheinischen Hinterlandes, das er schon früh bereiste. Trotz seiner schülerhaften Bewunderung für Viollet-le-Duc und der beständigen Inspiration durch Pugin und den hochviktorianischen Kirchenbau in England belegen seine eigenen Kirchenentwürfe immer wieder eine durchdachte Rezeption auch der rheinischen Bautradition. Er sah die Geschichte der Kirchenarchitektur als dynamischen Prozess :26 „[…] was wir als Romanisch bezeichnen, ist nicht sowohl ein in sich abgerundetes, lebensfähiges System, sondern es ist eine Vorstufe dessen, was das spätere Mittelalter, in Deutschland etwa von der Mitte des 13. Jahrhunderts zur vollen Reife entwickelte.“27 Gerade weil die Gotik für Cuypers die höchste Perfektion des „christlichen Stiles“ bildete, faszinierte ihn der Übergang vom romanischen zum gotischen Stil. Die Roermonder Munster23 24 25 26 27
DDAMZ Dotation I/75 b. CA CUYP g047.04 Briefe 10-1872. Biographie : van Leeuwen 2007. Van Leeuwen 2007, 197. Cuypers 1875, 13.
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kerk, die er zwischen 1866 und 1889 schrittweise restaurierte, verkörperte diese entscheidende Phase der Architekturgeschichte, zumal die Stilentwicklung in diesem Bau von Ost nach West wahrnehmbar war. Das war ebenfalls am Mainzer Dom der Fall, wo Cuypers im Westchor die „Unruhe der Formen“, ein „eigenthümliches suchen und tasten“ beobachtete, welche den Übergang zur Gotik bezeichneten.28 So kam Cuypers keineswegs als Fremder nach Mainz. Nicht zuletzt dank der Freundschaft mit Schneider fühlte er sich wohl und genoss während seiner – manchmal mehrwöchigen – Aufenthalte die Kontakte mit Persönlichkeiten des katholischen Adels, der Politik und der Kultur, alle selbstverständlich aus dem Anti-Kulturkampfkreis. Die höchste Intensität erreichte seine Arbeit am Mainzer Dom in den Jahren 1874 und 1875. 1879 betrachtete das Domkapitel seinen Auftrag als vollbracht ; Cuypers’ Schüler und langjähriger Assistent im Dombaubüro, Joseph Lucas aus Roermond, wurde in seiner Nachfolge als „Bischöflicher Baumeister“ angestellt.29
4. Die Wiederherstellung des Ostchores Als Cuypers im Juni 1873 antrat, war die Bandbreite seiner Tätigkeit schon weitgehend festgelegt : Die Wandgliederung der Krypta war größtenteils ausgeführt, und der Mittelturm war bis zur Bogenscheitelhöhe des Chorquadrats abgebrochen (Abb. 3).30 Einfach sei es nicht, so schrieb er sofort seiner Frau, eine Arbeit von einem „so nachlässigen und leichtsinnigen“ Vorgänger zu übernehmen. Zum Glück sei die Luft in Mainz gut und die Unterkunft angenehm.31 Cuypers sah es als seine erste Aufgabe, die Seitenmauern des Chorquadrats mittels Entlastungsbögen und neuen Quaderwerkes zu sichern, damit sie den neuen Turm tragen könnten.32 Nach diesen Maßnahmen konnte 1874 endlich der ungeliebte Pfeiler im Ostchorbogen entfernt werden.33 Die Krypta war für Cuypers ein „hochwichtiger“ Bestandteil des ganzen Restaurierungsprojektes. Sie wurde zwar weitgehend nach den von Wessicken gearbeiteten Plänen realisiert, doch erlaubte Cuypers sich Anpassungen, um dem archäologischen Befund und der Typologie romanischer Krypten in Rhein- und Maasland nach seiner Anschauung besser gerecht zu werden. Theoretisch war die ganze Rekonstruktion ziemlich einfach : Der Befund der Kryptenfenster, der Wandgliederung sowie der Sockelplatten der Säulen reichte für die getreue Nachbildung einer dreischiffigen Hallenkrypta
28 29 30 31
Cuypers 1875, 10. Schneider 1886, 138. DB 1975, 492f. CA CUYP g047.04 12.6.1873 : “’t is niet alles om nu zoo’n werk in vollen gang in te vullen en dan een zeer nalatig en lichtzinnig kunstenaar als voorganger gehad te hebben – maar in God’s naam !” Über Cuypers in Mainz : van Leeuwen 2007, 221–223. 32 Cuypers 1873, 1f. 33 Cuypers 1875, 15.
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aus.34 Als Kompromiss gegenüber den Beschwerden wegen der liturgischen Unzweckmäßigkeit hatte schon Wessicken das Niveau des erhöhten Fußbodens im Ostchor ein wenig niedriger als ursprünglich festgelegt, sodass die Innenproportionen der Krypta gedrungener wirken als im 12. Jahrhundert. Eine Konsequenz des Krypteneinbaus war die Verkürzung der drei Apsisfenster, die im 13. Jahrhundert fast bis zum Sockel der damaligen Wand verlängert worden waren. Die wichtigste architektonische Aufgabe war jedoch der Wiederaufbau des Mittelturmes des Ost-Querbaus, der sogar Thema einer öffentlichen Debatte wurde. Cuypers legte bereits Ende 1873 einen Entwurf vor, der in den folgenden Monaten in lokalen Zeitungen sowie in der Deutschen Bauzeitung kontrovers diskutiert wurde. Dabei brachte Wessicken rückwirkend einen eigenen Entwurf ins Spiel und versuchte, Cuypers zufolge, Architekten, Ingenieure und Freimaurer gegen den ausländischen Dombaumeister aufzubringen.35 Obwohl seine Opponenten sich vehement äußerten, entgegnete Cuypers der Kritik in der Bauzeitung äußerlich ruhig.36 Erfolgreich verlief sein Auftritt für die Kunstgenossenschaft Darmstadt, wo er die Gelegenheit bekam, seine Pläne vor einer Gesellschaft angesehener Architekten und Kunsthistoriker zu erörtern.37 Inzwischen wurde der Turmbau bereits ausgeführt, und es kam nur noch zu leichten Anpassungen des Entwurfes. Das Oktogon erhebt sich auf dem Chorquadrat, das an beiden Seiten durch Nebenräume in drei Geschossen flankiert wird. Von außen wirkt dieser Komplex als Querriegel, aus dem die Apsis unmittelbar vorspringt. Ihr Dach und der darüber aufragende Giebel wurden 1873 in alter Form und mit Wiederverwendung der profilierten Werkstücke der gestaffelten Nischen wiederaufgebaut.38 Für die Gestalt des Mittelturms konnte Cuypers den bis 1870 noch vorhandenen oktogonalen Unterbau aufgreifen, in dem man eindeutige Reste einer Zwerggalerie entdeckt hatte. Doch war eine plausible Rekonstruktion der Ursprungsform sowieso nicht möglich, weil die anschließenden Dächer im Laufe des Mittelalters steiler geworden waren.39 Deswegen plante Cuypers als „eine freiere Bewegung innerhalb gewisser Grenzen“ das steinerne Achteck in überhöhten Proportionen, mit einem mittels Lisenen und Bogenfries leicht gegliederten Fenstergeschoss, und darüber die Zwerggalerie.40 In der Detaillierung zurückhaltend, schließt der Neubau stilistisch direkt an die frühromanische Apsis an. Damit distanzierte Cuypers sich bewusst von der reicheren Gestaltung in spätromanischer Art, die sein Vorgänger vorgeschlagen hatte. Für die Spitze wählte er gotische Proportionen, in Anlehnung an den spätmittelalterlichen Helm, der den Turm alten Darstellungen zufolge einmal abgeschlossen hatte. Auch hier konzentrierte er sich allerdings auf die Hauptlinien ; einige Dachgauben mit 34 35 36 37 38 39 40
Über die ursprüngliche Krypta : von Winterfeld 2011, 56–58. CA CUYP g047.4 29.11.1874. Cuypers 1874, 209–212. CA CUYP g047.4 29.11.1874 ; van Leeuwen 2007, 223. Von Winterfeld 2011, 93f. Cuypers 1873, 4. Cuypers 1875, 15.
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Abb. 3 Gesamtansicht des Mainzer Domes von Norden, Bestandsplan um 1874, mit Skizze zur Gestaltung des Ostturmhelmes, CA CUBA t074
Kämmen, welche die Silhouette beleben sollten, blieben die einzigen Zutaten. „Gerade in der Schmucklosigkeit des Helmes“, so Cuypers, „liegt die Bürgschaft für eine große, wahrhaft monumentale Wirkung“.41 Wie umsichtig er verfuhr, zeigt seine Rücksprache mit Eugène Viollet-le-Duc, den er auch beim Ausbau der Munsterkerk in Roermond zu Rate gezogen hatte. Cuypers’ Idee, die Spitze unter dem blauen Schieferdach aus modernen Stahlprofilen zu konstruieren, begrüßte der französische „confrère“ ; wohl auch, weil damit eine Gewichtsreduktion erreicht werden konnte.42 Cuypers erwog offensichtlich die Verwendung von Dreiecksgiebeln am Fuß der Spitze, was auch in Roermond schon zur Diskussion gestanden hatte. Viollet-le-Duc überzeugte ihn, sie wegzulassen, weil sie „archéologiquement“ als Motive der Spätromanik nicht zu einem Bau des 12. Jahrhunderts gehörten und ohnehin ästhetisch problematisch seien. Die höchste Qualität sei „la simplicité“.43 Wie sein westliches Gegenstück bildet der Ostturm ein nach unten offenes, durchfenstertes Oktogon, das den darunterliegenden liturgischen Raum des Chorqua41 Cuypers 1873, 5. 42 Viollet-le-Duc 1901, 130f. (20.9.1873). 43 Viollet-le-Duc 1901, 144–146 (4.3.1874) ; DB 1975, 495.
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Abb. 4 Mainz, Dom, Kuppel des Ostchores (Aufnahme 2012)
drats beleuchtet. Der fast vollständige Verzicht auf Wandgliederung und Profilierung im Interieur zeigt, dass Cuypers sich in die Evolution der Romanik eingelebt hatte und damit auch im Vergleich zur Innengestaltung des späteren Westturmes die Baugeschichte des Domes betonen wollte (Abb. 4). In diese Konzeption passten nun die nur 14 Jahre alten Obergeschosse des zu hoch geratenen nördlichen Rundturmes mit den spätromanischen Wimpergen nicht mehr.44 Deswegen wurde Zwirners Aufbau bereits 1873 wieder abgetragen, und Cuypers plante Aufsätze für beide Türme in der Formensprache der Apsis. Dabei respektierte er die Unterschiede zwischen den Treppentürmen, und der südliche erhielt ein Arkadengeschoss mit vier breiten Zwillingsöffnungen, wie sie einige Jahre vorher in der darunterliegenden Etage aus der Zeit Bardos in der Mauer wiederentdeckt worden waren.45 Für den nördlichen Turm schlug Cuypers „eine etwas entwickeltere Bildung“ vor, wobei Säulen vom abgebrochenen Wormser Baptisterium Wiederverwendung finden sollten.46 Am 26. Juli 1875 vollzog Ketteler anlässlich seines 25jährigen Bischofsjubiläums die feierliche Segnung des Turmkreuzes für den neu gebauten Mittelturm.47 Cuypers hat das Ereignis auf der Außenseite des rechten Seitenflügels am von ihm entworfenen Altar in der Marienkapelle des Domes in Erinnerung bringen wollen, mit Ketteler als Spiegelbild von Willigis am linken Flügel : die beiden Bauherren des Domes.48 Gleichzeitig trug er mit einem Aufsatz über die Baugeschichte des Domes zur Festschrift zum Bi44 45 46 47 48
Für die Wiederherstellung der Seitentürme s. von Winterfeld 2011, 86f., 94. Cuypers 1873, 5. Cuypers 1873, 5 ; DB 1975, 493. Schneider 1886, 141f. Jung 1986, 11, 13.
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Abb. 5 Mainz, Dom, Ansicht von Osten (Aufnahme 2020)
schofsjubiläum bei.49 Mit einiger Verzögerung und teilweise abweichend von Cuypers’ Plänen kamen in den nächsten Jahren die oberen Teile der Seitentürme zustande.50 Obwohl er auch Vorschläge für die liturgische Einrichtung und dekorative Ausstattung des Ostchores machte, blieb seine Tätigkeit im Inneren des Domes in der Folge auf die Gestaltung der Marienkapelle beschränkt.51 Dort wurde der 1877 verstorbene Ketteler in einem von seinem niederländischen Dombaumeister entworfenen Grabmal beigesetzt.52
5. Die überdauernde Leistung Cuypers’ Restaurierung des Mainzer Domes exponiert sich vielleicht nur in Nuancen, aber in seiner Konsistenz doch bemerkenswert unter den zeitgenössischen großen Restaurierungsprojekten im Rheinland und übrigens auch im Restaurierungsœuvre des 49 50 51 52
Cuypers 1875. DB 1975, 498–499. DB 1975, 497–498 ; Jung 1986. Entwurfskizzen CA CUCO t 639.
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Baumeisters selbst (Abb. 5).53 Im Zentrum dieser Konsistenz steht die von Viollet-leDuc inspirierte „archäologische“ Annäherung, basierend auf gründlicher Kenntnis der Stil- und Bauchronologie und -topographie mittelalterlicher Architektur und auf der genauen bauhistorischen Untersuchung des betreffenden Denkmals.54 Sie zeigt sich in mehreren Aspekten, etwa in der Selbstdisziplin, mit welcher der Architekt sich den Gepflogenheiten der jeweiligen Stilphase unterworfen hat. Anderseits gehört auch die Akzeptanz der organischen Historizität des Gebäudes dazu : In den Proportionen und der Höhe seines Mittelturms griff Cuypers nicht auf ein niedriges romanisches Oktogon mit Steindach zurück, sondern introduzierte eine stilistisch spätere Silhouette, welche es auch einmal gegeben hatte, die jedoch außerdem in der Gesamtkomposition der Baumassen ein wirksames Pendant zum monumentalen Westturm bilden konnte. Damit kommt ein anderes Prinzip Viollet-le-Ducs ins Spiel : die Neuschöpfung eines Idealzustandes, auch wenn der als solcher in der historischen Wirklichkeit nie existiert hatte.55 Darüber hinaus frappiert die maximale Erhaltung oder Wiedereinsetzung von Originalsubstanz. Sogar die hölzernen Gerüstriegel in den Treppentürmen und die teilweise falsch versetzten und halbfertigen Kapitelle der Zwerggalerie blieben unberührt. Wie frühere künstlerische Eingriffe am Dom war auch die Tätigkeit Cuypers’ Thema der polemischen Auseinandersetzung in der örtlichen liberalen und katholischen Presse, jetzt aber vor dem spannungsgeladenen Hintergrund des Kulturkampfes. Bereits bei der Präsentation des Entwurfes der Ostturmgruppe legten mehrere Kritiker die Finger bissig, aber nicht ganz unzutreffend in die Wunden des Dilemmas, die auch der Architekt selber innerlich empfunden hatte. Es gehe um eine „antiquarische Vergewaltigung“,56 um eine „archäologische“ Lösung anstelle der „künstlerischen“ Erfindung der mittelalterlichen Meister,57 während man die „nackte Schmucklosigkeit“ des Mittelturmes tadelte.58 Der Autor der Deutschen Bauzeitung urteilt dagegen positiv, weil Cuypers das „Ursprüngliche und archäologisch richtige auf Grund des Vorhandenen“ will und das „wahre Urbild des alten Doms“ rekonstruiert.59 Die „Tüchtigkeit und gewissenhafte Umsicht“ des Dombaumeisters wurde zwar bemerkt,60 aber der bekannte Kunsthistoriker Wilhelm Lübke ironisierte dessen angebliche Neigung, „mittelalterlicher als das Mittelalter“ sein zu wollen.61 Cuypers wird diese Vorwürfe als Komplimente empfunden haben, mit dem Segen Viollet-le-Ducs und der Unterstützung des respektierten 53 54 55 56 57 58 59 60 61
Van Leeuwen 1995. Cuypers 1875. Viollet-le-Duc 1854–1868, VIII (1866), 14. Gemeinderat Mainz, 16.7.1874. Die Zitate dieser und in den folgenden Anmerkungen angeführten Medien und Institutionen bei DB 1975, 494–496. Deutsche Bauzeitung 7, Heft 100 (1873), 392f., Wiederabdruck aus der „Zeitschrift für bildende Kunst“. Beilage zur Allgemeinen Zeitung 174 (23.6.1874). Deutsche Bauzeitung 7, Heft 100 (1873), 392f., wie Anm. 57. Kreisamt Mainz 17.7.1874. Wilhelm Lübke in : Mainzer Zeitung 162 (15.7.1874).
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Friedrich Schneider, mit dem er bis zu dessen Tod in freundschaftlicher Verbindung blieb. Schneider ruft in seiner 1886 publizierten umfassenden Monographie über den Mainzer Dom die unerquickliche Polemik zum Turmbau in Erinnerung und schließt : „Zum Glück überragt und überdauert die Leistung das flüchtige Wort, das in der Erhitzung oft hart und unbillig wird.“62
Literatur Abkürzungen CA = Archiv der Architekten Cuypers, Het Nieuwe Instituut Rotterdam DB = Durchhardt-Bösken 1975 DDAMZ = Dom- und Diözesanarchiv Mainz Arens, Fritz/Binding Günther : Der Dom zu Mainz, Darmstadt 1998. Cuypers, P. J. H.: Zum Mainzer Dombau, Mainz 1873. URL : https://nbn-resolving.org/urn: nbn:de:hebis:77-vcol-4171 (14.11.2020). Cuypers, P. J. H.: Zum Ausbau des Ostchores des Mainzer Domes, in : Deutsche Bauzeitung 8, Heft 53 (1874), 209–212. Cuypers, P. J. H.: Der Dom zu Mainz, seine Gründung, Erweiterung und Herstellung. Eine Festschrift zur Jubelfeier des hochwürdigsten Herrn Wilhelm Emanuel Freiherrn von Ketteler, Mainz 1875. Duchhardt-Bösken, Sigrid : Der Mainzer Dom im 19. Jahrhundert, in : Willigis und sein Dom. Festschrift zur Jahrtausendfeier des Mainzer Domes 975–1975, Mainz 1975, 439–499. Hinkel, Helmut (Hg.) : Friedrich Schneider. Ein Mainzer Kulturprälat 1836–1907, Mainz 2008. Hinkel, Helmut : Dilettantin versus Kunstpapst. Ida Hahn-Hahn, Friedrich Schneider und die Muttergotteskapelle im Mainzer Dom, in : Mainzer Zeitschrift 112 (2017), 143–168. Jung, Wilhelm : Der Marienaltar im Mainzer Dom. Eine Stiftung des Bischofs Wilhelm Emmanuel Frhr. v. Ketteler zu seinem silbernen Jubiläum am 25. Juli 1875, in : Die Bischofskirche Sankt Martin zu Mainz, hg. von Friedhelm Jürgensmeier, Frankfurt/M. 1986. Kosch, Clemens : Die romanischen Dome von Mainz, Worms und Speyer, Regensburg 2010. Kotzur, Hans-Jürgen : Der Innenraum im Wandel. Gestaltung und Ausstattung des Mainzer Doms, in : Kotzur 2011, 98–153. Kotzur, Hans-Jürgen/Kreuzpaintner, Karin : ,Hütet euch vor der Purifikationswut !‘ : die Veränderungen des 19. Jahrhunderts, in : Kotzur 2011, 338–365. Kotzur, Hans-Jürgen (Hg.) : Der verschwundene Dom : Wahrnehmung und Wandel der Mainzer Kathedrale im Lauf der Jahrhunderte (Ausst.-Kat.), Mainz 2011. Leeuwen, A.J.C. van : De maakbaarheid van het verleden. P.J.H. Cuypers als restauratiearchitect 1850–1918, Zwolle 1995. Leeuwen, A.J.C. van : Pierre Cuypers architect (1827–1921), Zwolle 2007. Schneider, Friedrich : Die Krypta des Mainzer Domes und die Frage ihrer Wiederherstellung, Mainz 1871. 62 Schneider 1886, 141, Anm. 1.
246 | Sible de Blaauw Schneider, Friedrich : Der Dom zu Mainz. Geschichte und Beschreibung des Baues und seiner Wiederherstellung, Berlin 1886. Viollet-le-Duc, Eugène-E., Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle, Paris 1854–1868. Viollet-Le-Duc, Eugène-E.: Lettres Inédites de Viollet Le Duc. 6 Mai 1844–2 Septembre 1879 recueillies et annotées par son fils. Paris 1902. Winterfeld, Dethard von : Zur Baugeschichte des Mainzer Domes, in : Kotzur 2011, 44–97.
V. Rezeption als Selbstvergewisserung
Michael Thimann
Raphael’s Nature 1. A bronze medal on Raphael The following essay is only a small contribution to the gigantic panorama of research on the relationship between art and nature. It will be small in the literal sense as well, because the object of interest in this paper is distressingly small from a material standpoint, though it may have an intellectual greatness of its own, as I hope to show. The object in question is a medal made of tin bronze, as was predominately used for works of art in the early modern era (fig. 1). The front side shows a beardless young man in a cap whom we can easily recognise as Raphael, as the inscription makes clear : RAPHAEL · SANCTIVS · · · VRBINAS. As was common practice in the early modern era, both the typeface and the name itself follow ancient standards. Raffaello Sanzio becomes Raphael Sanctius Urbinas, and the three-part Roman name structure consisting of praenomen, nomen gentile and cognomen is imitated, with the Latinised place of origin serving as the cognomen. This kind of adaptation of the Roman tria nomina occurs frequently among humanists ; the goal was undoubtedly to ennoble the name. The reverse side, by contrast, features a figurative allegory, which we can recognise just as easily as the famed Diana of Ephesus, an exceptionally well-known cult image from antiquity. But rather than describe what is portrayed, the inscription seems extremely enigmatic at first glance : TIMVIT · QVO · · · SOSPITE · VINCI – “(she) feared he would conquer her while he lived”. This is a medal, not a coin. As Ulrich Pfisterer has shown, medals were a form of social currency whose value in terms of the cult of friendship, mutual exchange between scholars and political representation often exceeded that of money.1 They engendered memories and filled with life when held thanks to the conductive warmth of the metal. Consequently, we are dealing here with a transfer process that brings the commemorated person to life. Our medal is unique among commemorative medals of the early modern era, because it is dedicated not to a pope, a ruler or a great scholar, but to an artist – an artist, no less, who died a long time ago. This makes the situation both interesting and complicated at the same time. Why does one commemorate an artist, and what aspects of this artist are foregrounded in the commemoration ? Medals dedicated to artists are attested from as far back as the 15th and 16th centuries, and ancient ideas of fame are clearly taken up in this case. Medals commemorating artists in the early modern era, as in Dürer’s case, were often created around the time of the artist and
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Pfisterer 2008.
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Fig. 1 Anonymous, Medal commemorating Raphael, c. 1700
near where they lived.2 In some cases they also evince complex allegorical programmes that can be understood by reference to the artist and his way of life.3 But a posthumous medal of an artist who died long ago is a rarity. Our piece has thus far received only marginal attention in the history of art, and that is what motivates me to examine the piece a bit more closely. Previous research has primarily focused on the type of the portrait or on borrowings from ancient coins for the motif of Diana of Ephesus, which undoubtedly served as a basis for the design on the reverse side.4 However, there is still no answer to the question what role our medal played in the process of commemorating Raphael and what fragments of the history of ideas about artists attached themselves the piece as immaterial vibrations. My goal in what follows is to describe the intensities that set in motion contexts from the history of ideas which revolve around the figure of the artist in general and Raphael in particular.
2. Commemorations of Raphael circa 1700 Raphael was already considered an exceptional artist in the 16th century. Vasari’s acknowledgement of Raphael’s greatness was without reservation, even though his historical model of the development of art in Tuscany compelled him to rank the painter second behind Michelangelo as the greatest disegno artist of all time. Nevertheless, as Julian Kliemann and Patricia Rubin have vividly shown, Raphael came to occupy an 2 3 4
Mende 1983. Schumacher 2004. Rehberg 1824, 14, Nr. 25, pl. 1 ; Passavant 1839, vol. 2, 624, No. 13 ; Wagner 1969, 82 ; Shearman 2003, vol. 2, 645 ; Genovese 2016 ; Genovese 2019.
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equally high rank in Vasari’s historical model in the second, fully revised edition of the Vite from 1568.5 The artists who followed Michelangelo in the third phase of the development of art were to orient themselves primarily on Raphael, because he allegedly possessed a universality in the invention of histories that would make further development of the arts possible in the future. Raphael’s universality in invenzione, his facility for compositio, but also the sovereignty of his painterly elocutio, characterised by extraordinary grace and beauty, enabled him to become a role model. What’s more, hardly an artist’s biography from the early modern era is so closely linked with the feminine and the confrontation with nature as Raphael’s, and these are the two aspects I will focus on in what follows. To wit, the commemorative medal combines the two main strands of art and nature in an emblematically condensed way. The genesis of this rare medal can be traced with a high degree of probability to the intellectual circle around Carlo Maratta and Giovanni Pietro Bellori in late 17th century Rome. However, the medal is first depicted in 1733 in a Dutch publication,6 and then in 1761 in the catalogue of the Museum Mazzuchellianum in Brescia ;7 in 1790 both sides of the medal at the Casali Museum in Rome are reproduced on the frontispiece of the Vita inedita di Raffaello da Urbino by Angelo Comolli (1760–1794), a skilled forgery of an alleged handwritten Raphael biography by an Italian clergyman.8 The piece from the Casali Museum is currently found in the British Museum. There are two other copies, one in Brescia and the other at the Bargello in Florence.9 Another copy has also been preserved in the Hamburger Kunsthalle.10 The medal is clearly an object of exceptional value and rarity. There is a general consensus that the medal was produced in Rome around 1700 in the intellectual environment of the Accademia di S. Luca. From an iconographic standpoint, it is closely related to three projects by Carlo Maratta that were dedicated to the memory of Raphael : 1. The redesign of Raphael’s tomb in the Pantheon and its decoration with a bust by Pietro Paolo Naldini (1619–1691) from 1674. 2. The famed allegorical commemorative etching of 1675 dedicated to Raphael, which served as a frontispiece for the copperplate engravings of the Vatican loggias. 3. The engraved portrait of Raphael that prefaces Giovanni Pietro Bellori’s Descrizione delle immagini dipinte da Raffaelle d’Urbino nel Palazzo Vaticano of 1695, a Platonic interpretation of Raphael’s Roman frescos.11
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Kliemann 1991 ; Rubin 1995. Mieris 1733, 144. Museum Mazzuchellianum 1761, 231f., pl. 52. Comolli 1790. As early as 1792 this etching was used again in the Sienese edition of Vasari’s Vite, cf. Giorgio Vasari 1791–94, vol. 5, 227. 9 The locations of the known specimens in : Genovese 2016, 43. 10 I owe this information to Andreas Stolzenburg, Hamburg. 11 For these three projects see Ost 1965.
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In 1703, Maratta further organised a commemoration for three artists from Urbino : Donato Bramante (1444–1514), Filippo Santacroce (d. 1609) and Raphael.12 The fact that around 1700 in Rome intensive homage was rendered to the hero from Urbino and his compatriots has led to the legitimate conclusion that the medal may have originated in the environment of these initiatives, even though the piece itself makes no reference to a clearly defined occasion. A profile image of Raphael appears on the obverse with the inscription ‘RAPHAEL SANCTIVS VRBINAS’. The portrait is a free interpretation of the type of beardless Raphael that appears as a self portrait in The School of Athens and figures in the works of Maratta in several variations. His portraits are also linked to a painting of Saint Luke in the Roman academy that was found to contain a likeness of Raphael and has long been considered the work of the Urbinate.13 This type of portrait also served as the basis of the bust for Raphael’s tomb in the Pantheon, which was executed by Naldini in 1674 at Maratta’s behest and following his design.14 Together with Annibale Carracci, who also received a bust in the Pantheon, the normative classical canon of Roman painting was thus represented, with Maratta placing his own artistic creation under its constellation and Bellori following suite with his programme for the theory of art. According to Bellori’s model of history, Annibale Carracci marked the beginning of the regeneration of painting, a process oriented on Raphael’s ideal that ended in the Vite in 1672 with Nicolas Poussin after achieving perfection in Maratta, who is supposed to have restored Raphael’s frescos in the Stanze. As is often the case, the occasion for the genesis of the medal is therefore highly contextual. Why should someone commemorate Raphael ? Because he has a concrete link to contemporary art and his paintings serve as a model for religious history paintings of classical magnitude and ideal beauty, which guided Maratta’s programme for the reform of the Accademia di S. Luca. This emphatic commemoration of Raphael emphasises that the medal emerged around 1700 in the context of the Roman projects by Maratta designed to give expression to his programme for the renewal of art.
3. Raphael between nature and idea The reverse of the medal features a depiction of Diana of Ephesus that is understood as an allegory of nature. The many-breasted torso of the fertility goddess is positioned atop a herma, where she is in the process of feeding the two deer seated beside her with streams of milk.15It is a symbol of earth or nature, expressed in an ancient image type that melded different aspects of the goddesses Diana and Isis, as the late ancient au12 13 14 15
Missirini 1823, 161f. ; Ost 1965, 248. Wagner 1969, 72–78 ; Waźbiński 1985. Thimann/Hübner 2015, 200f., No. 29. It could also be chains that Diana uses to hold the deer, cf. Genovese 2016, 41.
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thor Macrobius and others report.16 Probably no one in the 16th century would have known exactly why Diana of Ephesus should serve as a symbol of nature had it not been for Raphael, who, inspired by an ancient work of art found in Rome, was the first to use this image type as a symbol and introduced it into the history of art. But more on that later. There’s another aspect to consider : The image of Diana of Ephesus is surrounded by an inscription, where word and image stand in a complementary relation ; the word is what lends spiritual meaning to the image ; the anima of the word is added to the corpus of the image. The image of Diana of Ephesus thus becomes a kind of ‘talking picture’. And this aspect, too, is exceptionally rich in premises : The inscription on the reverse, ‘TIMVIT QVO SOSPITE VINCI’ is a skilful ellipsis of the distich at the end of the epitaph composed by Pietro Bembo in the year 1520 for Raphael’s tomb in the Pantheon.17 It was inscribed on an inscription plate there and can still be read today, albeit in a modified form due to subsequent renovation : “Ille hic est Raffael timuit quo sospite vinci/ rerum magna parens et moriente mori” “Here lies that famous Raphael by whom Nature feared to be conquered/ while he lived, and when he was dying, feared herself to die.”
The subject of Bembo’s epigram, the great ‘progenitor’ (‘magna parens’), i.e. nature, is artfully withheld on the medal and replaced by the symbol of nature. She, nature, feared to be conquered by him, Raphael, whose portrait appears on the obverse of the medal. The medal therefore riffs on the old theme of art and nature. On the one hand, Raphael imitated nature so incomparably in his creations that she must have feared he would conquer her, while on the other, he was so rich in his productions that he surpassed the creative powers of nature in the sense of natura naturans. Viewed in this light, the medal’s message is less complex than the distich itself. That’s because the condensed version of the inscription focuses solely on the competition between Raphael and nature, whereas the original epitaph goes even further with a paradoxical turn : Eternally productive nature feared to be conquered by him within his lifetime. What’s more, when he died she even feared that she herself would have to die. The topos of the imitation of nature by art meets with a paradoxical outdoing here. With the death of Raphael, who embodied the whole of art, nature herself must have feared her own death. And so, art no longer imitates nature solely to the point of identity, but even creates nature and produces works on which nature bases her own productions. With the artful phrase ‘moriente mori’, the sphere of artistic discourse 16 For the iconography of nature see Goesch 1996. 17 For the epitaph, which was also attributed to Tebaldeo, and its various editors, see Shearman 2003, 640–647 ; Bartels 2004.
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and plausibility is exceeded and the point of the distich is opened up for a paradoxical turn, for it is clearly impossible that nature, the ‘great mother’, should die simply because the artist dies. What does it mean, then ? It presumably means that nature is threatened with the loss of her creative powers with the death of Raphael. But viewed in relation to Raphael the history painter it could also mean that he produced human beings in his paintings who were more beautiful and perfect than those that exist in nature. With his death, nature is forced to admit herself incapable of comparable achievements, because she now lacks the model that the fine arts had provided her of the perceived idea of the archetype. This reading rightly evokes echoes of Platonic interpretations of the inferiority of the shadowy likeness that every natural thing must be considered to be, in contrast to art that orients itself on the archetypes themselves and thereby attains the ideal.18 In Maratta’s circle, where the medal most likely emerged, this Neoplatonic idea-conception projected on Raphael by Bellori was an accepted truth. It was supported in turn by stylisations of Raphael as an artist of ideas, which had already been prepared in the 16th century with the topos of the ‘certa idea’.19 At a very early stage, Raphael was already considered an artist of ideas, whose paintings, however lifelike, were elevated above the tangible world. This made it possible for Raphael to long be considered an artist who had freed himself from nature and penetrated to the idea of the beautiful. Raphael had conquered nature in the sense that he was able to oppose her with the ideas of her productions that he had synthesised himself by contemplating reality (nature). So much for my initial remarks on the sentiments so artfully expressed in word and image on the medal to the effect that nature has been conquered by Raphael : TIMVIT QVO SOSPITE VINCI. A crucial notion pertaining to Raphael as an artist of ideas was singled out from the history of ideas revolving around Raphael, and out of it was formed an argument about dominance and submission. In a nutshell, material nature (conceived as feminine) is subordinate to the idea (the male artist).
4. Raphael and Mother Nature In addition to the death of nature inferred in Bembo’s epigram, there are echoes of a second. Nature dies of sorrow over the death of love, because her lover has vanished, or else ‘Mother Nature’ dies of grief over the death of her son. Nature is conceived here in her dual function as both Raphael’s lover and mother. Nature was represented as a woman in the image of Diana Polymastes, and Raphael had a particular passion for women, according to the legend, from the specific case of ‘la Fornarina’, who came to be considered his main mistress around 1800, to the generalisation of the feminine as
18 Panofsky 1924, 57–63. 19 Shearman 1994 ; Thielemann 2012.
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a category of mood and style in his art. Extensive reports of Raphael’s love of women and his penchant for the ‘piaceri amorosi’ are already found in Vasari.20 Maternal love, too, played a decisive role in his biography. Vasari specifically reports that as a child Raphael was breastfed not by a wet nurse, as was customary in his day, but by his natural mother.21 Even early on, Raphael was considered a ‘feminine’ artist, in contrast to the ‘masculine’ nature of Michelangelo’s genius. His style was repeatedly apostrophised as feminine. In the debate surrounding a ‘gendered style’, Raphael, whom we’ve just described as a ‘masculine’ artist of ideas, surprisingly must be assigned to the feminine side. This reveals inconsistencies in the schematic application of gender models. Raphael loved women and painted them especially beautifully. As a Madonna painter, he was more capable than any other painter of his day of lending female forms grazia – beauty, grace and, at the same time, a form of celestial soulfulness. But Raphael’s love of women was also the reason he died young. According to Vasari, his excessive love affairs caused him to catch a fever, to which he quickly succumbed on 6 April 1520 at the age of 37.22 The subject of Raphael and nature/Raphael and women is therefore fundamentally linked with the subject of death.
5. The image of nature Yet Raphael was especially attuned to visible nature as well. This was made clear to his contemporaries not only by his drawings and paintings, which reveal the highest level of detailed imitation of the natural world, but also by the fact that Raphael was the first artist around 1500 to specifically use Diana of Ephesus as a symbol of nature.23 In the Middle Ages, nature is usually represented as a non-specific female figure who can only be identified by an inscription.24 Not until the late 15th century did the first representations appear of nature as a nude woman spraying milk from her breasts ;25 a woodcut by Melchior Lorck from 1565 representing Opis and the allegory of ‘Natura’ from 1603 in Cesare Ripa’s Iconologia can be traced back to this conception. Surprisingly, Ripa did not use Diana of Ephesus for his allegory of ‘Natura’, but for the personification of ‘Invenzione’.26 Statues of Diana of Ephesus were clearly still unknown in the West during the Middle Ages.27 Raphael was the first to introduce Diana of Ephesus as an allegory of nature in the beginning of the 16th century (fig. 2). In his allegory of philosophy in the ceiling tondo of the Stanza della Segnatura, Philosophy 20 21 22 23 24 25 26 27
Vasari 1913, vol. 4, 247. Vasari 1913, vol. 4, 210. Vasari 1913, vol. 4, 247. Kemp 1973, 25–29 ; Goesch 1996, 17. Modersohn 1997. Kemp 1973, 14–25. Julia Bremer : Von Frauen und Erfindungen, in : Saß/Wenderholm 2017, 240–243. Goesch 1996.
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Fig. 2 Raphael, Philosophy, fresco painting, c. 1508, Vatican, Palazzo Apostolico Vaticano
is seated on a throne flanked by many-breasted Diana statues (presumably symbolizing natura naturata and natura naturans).28 The allegory of nature functions here as a clear symbol of the epistemological side of philosophy, which seeks to examine natural processes and their causes. The inscription written on two tablets in the allegory of philosophy reads “CAVSARUM · COGNITIO”, an allusion to Virgil’s “rerum cognoscere causas”.29 The figure leans on two books bearing the words “Naturalis” and “Moralis”, which suggests that ethics are based on the knowledge of causes and natural philosophy. The colourful robe of Philosophy is furnished with symbols of the four elements and thus references the all-embracing character of this science, which seeks to understand the basic principles of things : “causarum cognitio”. In painting the fresco, Raphael used as a model a statue of Diana of Ephesus that may have been discovered in Rome circa 1500 before being moved to the garden of antiquities of Cardinal Rodolfo Pio (fig. 3).30 Today the statue can be seen with subsequent additions at John Soane’s Mu28 For basic information on commission, dating and iconography of the fresco see Jones/Penny 1983, 49–80 ; Oberhuber 1999, 85–111. 29 Vergil, Georgica, II, 490 : “felix, qui potuit rerum cognoscere causas”. 30 Cf. www.collections.soane.org ; Thiersch 1935, 5–11 ; Hülsen 1917, 55, No. 2 ; there are sev-
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seum in London. Raphael only knew of the type in the fragmentary form in which it was found, and he freely added to it in the painting. But it bears mentioning that he was the first to exploit this image’s potential as an allegory of fertile nature. It is unclear whether he was advised to do so or recognised the potential himself. In the course of the 16th century, the image type caught on and established itself in allegories of art as well. In painting his artist residences in Arezzo and Florence, Vasari himself used Diana of Ephesus as a symbol of nature to represent the imitative relationship between art and nature.31 However, it should be strongly emphasised that Raphael’s personification of philosophy is the first work to use feminine symbols to illustrate both nature’s productive power and her ability to bring about knowledge by penetrating the mind.
Fig. 3 Diana of Ephesos, antique marble statue with restorations, London, Sir John Soane’s Museum
6. Natura – an impresa of Raphael’s ? These connections are worth noting when examining the history of the medal. For Maratta, too, took up this motif consciously or unconsciously when he designed the commemorative etching for Raphael that served as a frontispiece for the 1675 collection of engravings based on the Loggia frescos (fig. 4).32 The etching shows Raphael, crowned by Fame, in a portrait medallion ; below him is a compilation of epitaphs from the Pantheon. Female personifications of the three arts surround him. To the bottom left is an image of Diana of Ephesus on a panel held by a melancholic putto. The personification of Painting looks down at her and weeps. The aspect of melancholy remembrance of the artistic genius as a figure from the past therefore emerges here and should clearly be understood at least partly in the context of Maratta’s retrospective eral other Roman variations of the Artemis Ephesia discussed as models for Raphael, such as the Roman copy in the Museo Capitolino in Rome (inv. 159, Sala delle Colonne, 49), Bober/ Rubinstein 1986, 87, No. 48. 31 De Girolami Cheney 2006 ; De Girolami Cheney 1985. 32 Imagines Veteris ac Novi Testamenti a Raphaele Sanctio Urbinate in Vaticani Palatii Xystis mira picturae elegantia expressae, Rom : Giovanni Giacomo De Rossi, 1675 ; frontispiece.
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view of painting. At the same time, there are also echoes of the motif from Bembo’s epigram, which appears expressis verbis in the engraving. The word “IMITATIO” appears on the diadem worn by Painting, who mourns the death of the artist and of nature herself, who lost both her greatest imitator and surpasser. Her melancholy gaze at the picture of Diana of Ephesus seems wholly focused on a creative power that died with the artist. Consequently, there is more than sufficient reason to assume a specific intellectual connection between the commemorative etching and the medal. What’s more, traces of this link lead all the way back to the 16th century. The connection between Raphael’s portrait and Diana of Ephesus already appears in a drawing by Federico Zuccari from around 1600 (fig. 5). It shows Raphael as one of four artist heroes whom Zuccari assembled to serve as a canon for his artist residence in Rome.33 Only two copies of Zuccari’s lost original drawing survive, together with the oil painting, which today hangs in Macerata and is most likely a personal reproduction or realisation of the series, which probably was originally made for the Palazzo Zuccari. It is clear, however, that Raphael is supposed to have carried and exhibited nature as a personal coat of arms or symbol presumably meant to represent his untamed productive power. One can only speculate as to whether Raphael himself used the allegory of nature as a personal impresa, although this conclusion is supported by the considerable number of surviving works that combine his portrait with the allegory. The research on this head is rather subdued ; only John Shearman has taken this idea into consideration.34 I would like to second the notion, because the idea of seeing nature as Raphael’s personal symbol can be traced back to the 16th century. In the Early Modern period, artists were repeatedly portrayed together with the allegory of nature. With regard to the idea of competition between the artist and nature, the medal also evinces a great deal of thematic similarity to Titian’s famous impresa : “Natura potentior ars” (fig. 6).35 Battista Pittoni published it in 1562, during the painter’s lifetime.36 However, it cannot be proved that Titian actually used this device. Pittoni’s book of imprese commemorates not only kings, princes and princesses, but also several Venetian intellectuals and two artists, who appear at the end of the book : Titian and Pittoni himself. In Titian’s case, the pictura of the impresa is an image of a she-bear licking her cub into shape with her tongue. This image is based on an ancient natural-history tradition that we encounter in Aristotle, Plutarch and Pliny.37 It claims that the she-bear brings her cubs into the world in the form of shapeless lumps and then uses her tongue to lick them into their definitive shape. Pittoni sees an allegory of art in the idea that artistic work is what lends form to crude nature, and that it overcomes the natural material in the process. The motto Natura potentior 33 Brooks 2007, 36–40. The Drawing has survived in two copies, one of them in Florence, Galleria degli Uffizi, Gabinetto di Disegni e delle Stampe ; Pen and brown wash, 30,5 × 14,6 cm. 34 Shearman 2003, 645. 35 On this topic see Bohde 2002, 322–326 ; Garrard 2003 ; Bohde 2003 ; Saß 2016, 271–272 ; Florian Freimann : Naturbild einer Bärin, in : Saß/Wenderholm 2017, 252–255. 36 Pittoni 1562, s.p. 37 Most recently Freimann 2017, 252.
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Fig. 4 Carlo Maratta, Allegory on Raphael, engraving 1675, Amsterdam, Rijksmuseum
ars – “Art is mightier than nature” makes this claim explicitly, and the reader is meant to relate it to the painter Titian. Art is stronger than nature, because although the latter produces something, the material first obtains its form through artistic work, which in this case is performed with a tongue. The she-bear, who as a natural entity paradoxically produces herself while also providing the artful finishing touches, is therefore meant to symbolise the artist. But even here, the matter is plainly more complicated. Far from being unambiguous, the inscription admits of other, grammatically correct translations : Instead of “Art is stronger than nature”, it could be rendered as “Nature is a stronger art” or “Art becomes stronger through nature”. The semantics of the impresa text change decisively under these conditions, in that the topos of the conquest of nature by art is no longer the subject. In the case of “Nature is the stronger art”, the inscription postulates the superiority of nature. Not only does nature, the she-bear, produce, but she herself provides the artistic shaping and is therefore superior to human artistry, which can shape things, but never create them. Significantly, this interpretation can be traced back to the 16th century, to a book of natural history emblems by Joachim Camerarius from
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Fig. 5 Federico Zuccari, Raphael, c. 1600, drawing, Florence, Uffizi, Gabinetto de’ disegni e stampe
1595, which draws upon Titian’s impresa and vehemently refutes the claim that art is superior to nature.38 Recent research on Titian’s impresa favours this reading, partly from the standpoint of gender research, because it has Titian siding with nature in the debate over disegno and colorito. Venetian painting, with its sensual dominance of colour, famously favoured the orientation towards nature in this debate and was considered feminine, whereas Florentine disegno art focused on the idea and was codified as masculine. There is no need for us to explore the debate in detail here. The important thing is to recognise that the topos of art conquering nature was already a commonplace in the mid-16th century and may already have been conquered intellectually itself. At the same time, it should be pointed out that the opposition between art and nature had already intensified in the 16th century into a rhetoric of dominance and submission, which also applies to the concept behind the commemorative medal : Raphael, the masculine artist of ideas, conquers feminine nature. To conclude, the question of what nature was for Raphael is not easily answered. Using a hitherto little-known object as an example, I have attempted to show that Raphael’s relationship to nature was already reflected at an early stage in both stereotypes and ambitious ideas. My analysis was the archaeology of a possibly lost impresa 38 Camerarius 1697, 42–43, No. XXI.
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Fig. 6 Battista Pittoni, “Natura potentior ars” (Titian’s impresa), 1562
of the artist, which has become accessible to us through its reception. With regard to the medal as an object, I have attempted to show that a one-track analysis cannot lead to an understanding, but that aspects of the material, the function, and the history of ideas must be interwoven in the analysis. It cannot be proved that the image of nature had to do with an impresa of Raphael’s, but this strikes me as an attractive hypothesis for further research. At the very least, it can be said that the medal demonstrates the complex relationship between Raphael’s art and nature in brilliant brevity. It is a building block in the history of ideas about the early modern artist, whose real benchmark was probably always nature.
Bibliography Bartels, Klaus : Künstlerlatein im Pantheon, in : idem : Internet à la Scipio. Neue Streiflichter aus der Antike, Mainz 2004, 203–208. Bellori, Giovanni Pietro : Descrizzione delle imagini dipinte da Rafaelle d’Urbino nelle camere del Palazzo Apostolico Vaticano, Rom : Johann Jakob Komarek, 1695.
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A Note on Raphael and Gendered Viewing* Introduction : “sì come piacque a quelle semplici e venerende donne” In his 1568 vita of Raphael of Urbino, Giorgio Vasari wrote at some length about the altarpiece known today as the Pala Colonna (or Colonna Altarpiece), the main panel, the upper lunette of which, and a predella panel depicting the Agony in the Garden are now in the Metropolitan Museum of Art, New York (fig. 1).1 Other parts of the altarpiece are found in various museums, including the Lamentation over the Dead Christ from the predella (fig. 2), now in the Isabella Stewart Gardner Museum in Boston, a work to which I will return below. Raphael painted the Colonna Altarpiece, datable to ca. 1504/05, for the Franciscan nuns of Sant’Antonio of Padua in Perugia ; such convents typically housed daughters of the town’s leading families.2 The pala was commissioned for the chiesa interna (inner church, here the nuns’ choir) of the former convent and was intended for the eyes of San Antonio’s cloistered nuns.3 In the Raphael vita, Vasari makes an incisive observation about female patronage and gendered reception, saying that the infant Jesus in his mother’s lap was clothed “sì come piacque a quelle semplici e venerende donne”.4 This is a singular and telling variation from Raphael’s customary practice of depicting the Christ Child nude going back to his earliest works such as the Solly Madonna in Berlin (Gemäldegalerie).5 The figure’s garb, as often noted, is indebted to Pinturicchio, who painted the Christ Child both clothed and nude.6 Sometimes seen as constraining Raphael’s artistic freedom, it could also be argued that the painter did this as a marketing strategy of sorts, tailoring his work to its initial intended audience. *
For Ingo and in memory of Cornelia. My thanks to the editors for the invitation to contribute to this Festschrift. For discussions of Raphael, women, and gendered viewing I am grateful to Linda Wolk-Simon, Heather Graham, Daisy Adams, and Kim Butler Wingfield. Due to its brevity, the notes and bibliography in this essay are necessarily minimal. The material presented here forms part of a larger study. 1 Vasari 1981, vol. 4, 324. On the altarpiece see Meyer zur Capellen 2000, cat. no. 17 ; Wolk- Simon 2006. 2 Wolk-Simon 2006, 15. Daisy Adams, a doctoral candidate at the University of Texas, Austin, is preparing a dissertation titled “The Baglioni Family : Female Patronage and Agency in Sixteenth- Century Perugia” and hopes to be able to clarify the patronage of the Pala Colonna. 3 Wolk-Simon 2006, 5, 21. On Franciscan women as patrons and viewers, see Wood 1996. 4 Vasari 1981, vol. 4, 324. 5 Meyer zur Capellen 2000, cat. no. 4. 6 Wolk-Simon 2006, 18.
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Fig. 1 Raphael, Colonna Altarpiece (main panel and lunette), New York, Metropolitan Museum of Art
It is worth noting that the bambini or “holy dolls” representing the infant Jesus that were given in Renaissance Italy to both nuns and to secular women and girls were often richly dressed, like the Christ Child in Raphael’s altarpiece.7 Although Leo Steinberg’s seminal The Sexuality of Christ in Renaissance Art and in Modern Oblivion does not address how the response to what he calls the “provocation” of a “visibly sexed Christ” may have varied with male and female beholders, a number of studies in the past few decades have considered gendered viewing.8 It was not uncommon in sixteenth-century Italy for paintings that appealed to women to be gendered negatively. In a famous passage in his Diálogos de Roma published in Lisbon in 1548, Francisco de Hollanda narrates Michelangelo’s disparagement of Flemish painting for appealing to “women, especially the very old and the very young, and likewise to monks and nuns […]”.9 And in his life of Michelangelo (in both the 1550 and 1568 editions, with slight variations), Vasari tells of the falling out between 7 8 9
See Klapisch-Zuber 1985, 310–329, esp. 312f. Steinberg 1996, 225. Studies that address gendered reception include Baskins 1993 and Randolph 2004. Hollanda 2013, 179. On the gendering of Hollanda’s text beyond the misogynistic character of the passage on Flemish painting, see Agoston 2005.
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Fig. 2 Raphael, Lamentation over the Dead Christ, Boston, Isabella Stewart Gardner Museum
Michelangelo and Sebastiano del Piombo over the Venetian painter’s arguing that Michelangelo should paint the Sistine Chapel’s Last Judgment in oils, for which Sebastiano had prepared the wall.10 In the 1568 version Vasari wrote : “il colorire a olio era arte da donna.”11 Associated with both Flemish and Venetian painting, surely Michelangelo’s visceral loathing of Raphael (even decades after his untimely death), also figured in the construction of oil painting as “da donna”.12 The Colonna Altarpiece is but one instance when Raphael’s art was commissioned by women and, it would seem, expressly addressed to a female audience or primary viewer, whether in terms of the treatment of details such as the above-mentioned clothed Christ or in terms of style and facture. In this brief essay, I will consider just a few examples that can inform us about Raphael’s appeal to female viewers or patrons, both during the lifetime of the so-called “Prince of Painters” and after.13 The highly selective case studies include both religious and secular painting, from his early career in Perugia (as discussed above) and Urbino until, in an apocryphal example, near the end of his Roman years. In a coda, I will discuss women who collected paintings by Raphael in late sixteenth-century Rome 10 Vasari 1981, vol. 5, 584. On this episode and on the gendering of oil painting as female, see Sohm 1995, esp. 786f. and note 69. See also the discussion in Nagel 2000, 192. Both authors discuss Michelangelo’s gendering of oil painting (surely identified with Raphael), as “arte da donna”. 11 Vasari 1981, vol. 5, 584. 12 For the gendering of Raphael as female, see Sohm 1995, passim. 13 Raphael was already called “pictorum princeps” during his lifetime. See Shearman 2003, vol. 1, 546, 549, doc. 1519–20/1.
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and Gilded Age Boston. Here is not the place to debate the arguments concerning reception theory and history, nor the ideal vs. particularized beholder as defined by John Shearman in his Only Connect … of 1992.14 Early in his all-too-brief career, Raphael frequently benefited from the patronage of women and painted works intended for female viewers ranging from noblewomen to nuns. In Città di Castello, Perugia, and Urbino Raphael created large altarpieces and small, delicate paintings for women patrons and viewers ; and, in what is conventionally called his Florentine period (1504–8), many of his Madonnas were for young, wealthy couples and possibly associated with betrothals, marriages, or childbirth.15 Raphael’s women patrons and viewers came from different social classes and were often linked via bonds of kinship and friendship. I am particularly interested in how Raphael catered to women’s tastes in different locales and how he varied his style to suit different female patrons and viewers.
Urbino : “sottile e minuto” In his so-called Florentine years, Raphael is also documented in Urbino and was almost certainly there on more than one occasion.16 During this time he produced a number of works for the court of Duke Guidobaldo da Montefeltro and his wife Elisabetta Gonzaga, familiar to readers from Baldassare Castiglione’s Book of the Courtier, which is set in March 1507 (when Raphael may well have been in Urbino). These works include nowlost religious paintings, portraits (although a number of these attributions are disputed), and a number of small scale, secular subjects such as the Three Graces in Chantilly (Musée Condé) and the Vision of a Knight in London (National Gallery), once a diptych.17 While Giorgio Vasari says that the duke commissioned a lost Agony in the Garden, a letter of 14 For overviews with bibliography see Kaufmann 2003 ; Herklotz 2011. On the particularized beholder, see Shearman 1992, 127–128, and the critique in Kemp 1994, 365. 15 On Raphael’s female patrons in Perugia see Luchs 1983 ; Wood 1996 ; Cooper 2001 ; Cooper 2004 ; Reiss 2005, 41–43 ; Cooper 2006 ; Sartore 2008 ; Sartore 2011. Cf. n. 2 above for the dissertation-in-progress by Daisy Adams. In a forthcoming article titled “Woman’s Mourning at the Margins : Raphael’s Baglioni Entombment and the History of Affect”, Heather Graham elucidates the place of gendered expressions of mourning and grief in the Entombment. In her essay, Graham prioritizes “[…] the reception of the work – the way it likely communicated ideas about grief, gender, and decorous emotional comportment to its original audiences.” For a brief discussion of the domestic works produced for Florentine couples like the Doni, Nasi, Taddei, and Canigiani, see Reiss 2005, 46–47. Cf. Faietti/Lafranconi 2020, 19 and 429–431. 16 Shearman 1996, 201–207 ; Shearman 2003, vol. 1, docs. 1507/1 and 1507/2 ; Reiss 2005, 43–44 and n. 65 ; Wolk-Simon 2015, 12 and n. 7. 17 Meyer zur Capellen 2000, cat. nos. 14 and 15 ; Chapman et al. 2004, cat. no. 3 ; Faietti/Lafranconi 2020, cat. no. XI.8. It has recently been suggested (Ginzburg 2019, 106 and 117, n. 5) that the two panels were for the 1505 wedding of Francesco Maria della Rovere (son of Raphael’s patron Giovanna Feltria della Rovere) and Eleonora Gonzaga.
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Pietro Bembo’s dated 6 May 1507, tells us that the Duchess was the patron of the work by “a great master” that was intended as a gift and described as “sottile e minuto”.18 Thus the first viewer, who wished the painting, “in memoria di me,” would have been female. Raphael worked for another woman with numerous ties to Urbino : Giovanna Feltria della Rovere (1463–1514, sometimes identified as the sitter in Raphael’s La Muta).19 Daughter of Duke Federico da Montefeltro and Battista Sforza ; sister of Duke Guidobaldo ; widow of Pope Julius II’s brother, Giovanni della Rovere, the Prefect of Rome ; and mother of Francesco Maria della Rovere (who was adopted by the childless Guidobaldo and became Duke of Urbino in 1508), this formidable woman was known to contemporaries as the “Prefetessa”. Giovanna was a patron of architecture who had supported Raphael’s father Giovanni Santi in the early 1490s.20 Many accounts of Raphael’s so-called “Florentine period” open with a now-lost – and possibly forged – letter of recommendation to Piero Soderini, Gonfaloniere a vita of the Florentine Republic, dated in Urbino 1 October 1504 and signed “Joanna Feltria de Ruvere/Ducissa Sorae & Urbis Praefectissa”.21 The issues pertaining to the authenticity of this letter, both factual and linguistic, are far too vexed to consider here, but it is worth noting that the letter, which states that Raphael had determined to spend time in Florence “per imparare”, stresses that the young artist was “discrete, e gentile”.22 In his L’Aretino […] of 1557, Ludovico Dolce similarly stresses Raphael’s manners, saying that “[h]e was naturally fond of politeness and delicacy, as he was himself remarkably polite and gentle in his manners […]”.23 Were Raphael’s character and stylistic traits, gendered female in early modern art criticism, part of his appeal to women viewers ?24 Leaving aside the problematic letter noted above, we may turn our attention instead to an autograph missive of 21 April 1508 that Raphael, in Florence, wrote to his maternal uncle, Simone Ciarla, in Urbino.25 The letter expresses Raphael’s condolences 18 Shearman 2003, vol. 1, doc. 1507/1. Other correspondence suggests that the donor of the lost painting was the duke’s mother, Eleonora, adding another layer of gendered reception to the painting before it was gifted to the Camaldolite monk, Michele Fiorentino. 19 On Giovanna Feltria della Rovere, see Clough 1966, 48f. and 52–54 ; Borello 2012. 20 Clough 1966, 53, attributes the patronage the church of Sta. Maria delle Grazie outside Senigallia to Giovanna, along with Piero della Francesca’s Madonna di Senigallia (now in Urbino). She has also been identified as a patron of Giovanni Santi’s Annunciation for the church of Sta. Maria Maddalena in Senigallia, which is now in the Casa di Raffaello, Urbino. See also Borello 2012. 21 Bottari 1754, vol. 1, 2. For discussions of the authenticity, see Shearman 2003, vol. 2, 1457–1462, doc. F7 (as unequivocally false) ; Henry/Plazzotta 2004, 34 ; Elam 2003/2004, 30f. ; Henry 2006, 696. Recently, Alessandro Nova (Nova 2020, 423) has envisioned Giovanna handing her letter to Raphael and has written “Eppure quasi tutti gli studiosi moderni ne sottolineano, a ragione, la veridicità,” which goes farther than I am prepared to do in the absence of the original document. 22 Bottari 1754, vol. 1, 1. 23 Translation after Klein/Zerner 1966, 66. 24 Sohm 1995, esp. 784, n. 65, and 789. 25 Shearman 2003, vol. 1, 112f., doc. 1508/1, with extensive discussion and bibliography ; Reiss 2005, 44 and fig. 3.
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Fig. 3 Raphael, Madonna of the Pinks, London, National Gallery
for the death of Duke Guidobaldo da Montefeltro and mentions a “tavoleta” (or small panel) that served as a cover to “la Nostra Donna dela profetessa”, apparently a slip of the quill for “Prefetessa”.26 A number of candidates, among them the relatively large Small Cowper Madonna in the National Gallery of Art, Washington, D.C., which depicts the Montefeltro mausoleum of San Bernardino in the background, have been proposed as the Prefetessa’s madonna.27 I have suggested elsewhere, on the other hand, that the painting mentioned in the letter could be the tiny and delicate Madonna of the Pinks, now in the National Gallery, London (fig. 3).28 In addition to its scale and facture, another reason to support this identification is the inclusion of the Ionic order in the window colonette (a detail first noticed by Linda Wolk-Simon) ; the ancient 26 Shearman 2003, vol. 1, 114f. 27 For discussions of the identification of the Prefetessa’s Madonna see, inter alia, Clifford 1994, 15–16 (proposing the Holy Family of the Palm Tree, a tondo over a meter in diameter unlikely to have had a cover) ; Shearman 2003, vol. 1, 115 ; Chapman et al. 2004, n. 190 ; Reiss 2005, 327, n. 75. 28 Meyer zur Capellen 2000, cat. no. 25, and Meyer zur Capellen 2008, 217–219. I have suggested this identification in public lectures in San Diego, Rome, Worcester, MA, London, and Chicago. For the Madonna of the Pinks as the type of painting “highly prized at the court of Urbino”, Weston-Lewis 1994, cat. no. 16, 54 and 140, n. 7.
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Roman architectural theorist Vitruvius associated the Ionic with the female (and matrons), writing : “Thus in the invention of the two different kinds of columns, they borrowed manly beauty, naked and unadorned, for the one, and for the other the delicacy, adornment, and proportions characteristic of women.”29 At the time Raphael painted the Madonna of the Pinks Giovanna would have been in her forties. The inclusion of the Ionic colonette in the London painting may thus well signal a work created for a woman patron or viewer. Other paintings, such as the Louvre Saint Michael and Saint George and the Borghese Portrait of a Lady with a Unicorn have been associated with Giovanna Feltria della Rovere as well.30 The small-scale works produced for Urbino – precious and refined, with evocations of northern European art – appealed to tastes quite different from those of the female viewers and patrons of large (and, for the most part, artistically conservative) early altarpieces like the Pala Colonna. This raises the question of Raphael developing different styles for different audiences.
Rome : Paolo Giovio, Raphael, and “una bella gentil donna” I have suggested elsewhere that Giovanna Feltria della Rovere may have been responsible for introducing the young Raphael to her brother-in-law Pope Julius II, who brought the painter to Rome in the autumn of 1508.31 In the ostensibly celibate papal city, Raphael worked primarily for male patrons and many (but not all) of his viewers, especially in the Vatican Palace, would have been men. Thus far the case studies cited here have concerned religious works that would have been seen and reacted to by female viewers. My next example concerns a story about a female spectator described as “una bella gentil donna”, male nudity, and gendered viewing. In a letter of ca. 1534–5 addressed to a certain Girolamo Scannapeco, posthumously published in the Lettere volgari of 1560, Paolo Giovio tells a ribald (and almost certainly apocryphal) story that supposedly took place during Raphael’s lifetime in Agostino Chigi’s Villa Farnesina.32 One morning, this lady is said to have admired and praised the frescoes, which included representations of a young Mercury and a large Polyphemus (actually by Sebastiano del Piombo and in a different space). In Giovio’s telling, the woman said to Raphael : “Certamente tutte queste figure sono eccellentissime, ma desidererei che 29 Linda Wolk-Simon identified the colonette as Ionic in a lecture titled “‘God is in the Details’ : Backgrounds in Raphael’s Madonnas,” presented at the Timken Museum of Art, San Diego, in January 2015. I am grateful to her for allowing me to cite her identification here. For gendering of the Ionic order as female, see Vitruvius 1914, 104. 30 See Reiss 2005, n. 75 for proposals associating the Louvre panels with Giovanna Feltria della Rovere. For her possible connection to the Borghese Lady with a Unicorn, see Wolk-Simon 2015, 30. 31 Reiss 2005, 50. 32 Giovio 1560, 14v–15r ; Shearman 2003, vol. 1, 884–886, doc.1534–35/1 ; Wolk-Simon 2008, 43f. For a somewhat inaccurate English translation see Storer 1928, 159–160.
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per honesta faceste una bella rosa, overo una foglia di vite, sopra la vergogna di quel Mercurio.”33 Thus, as in Vasari’s account of the Pala Colonna above, female viewers are associated with modesty and discomfort – real or feigned – with nudity.34 But the joke here is on stereotypical Renaissance constructions of a modest female gaze, as Giovio then says that Raphael, smiling, replied to the lady apologizing for any offense but then quipping : “Ma perché non havete voi anchor detto ch’io faccia il simile a Polifemo, il quale dianzi tanto mi lodaste ?”35 Giovio says that everyone but the lady laughed and that Chigi had blue drapery painted on the Polyphemus “acciò l’altre donne non s’offendessero dello scoperto, se bene non haveva offeso dianzi quella gentil donna.”36 Although riddled with factual errors and almost certainly invented, this passage does paint an amusing picture of female response to Raphael’s erotic art that is diametrically opposed to Vasari’s passage on the nun viewers of the Pala Colonna.
Coda : From Cinquecento Rome to Gilded Age Boston As a coda, I would like to turn to a slightly different topic – women collectors of works by Raphael and how they might have regarded his works. I can discuss only two examples here, the first concerning another erotic work and its rather surprising owner. An inventory of 7 March 1595 of works of art in Roman collections lists a “nude woman portrayed from life, half length, by Raphael” in the house of Countess Caterina Nobili Sforza, a widowed noblewoman famed for her piety, who was an important patron of architecture in Rome.37 Her erotically-charged painting, surely the so-called Fornarina (or a copy ?, fig. 4), is also described in a letter of 22 February 1597 to the Duke of Mantua from one of his agents as “the half-length nude Venus, with black hair and eyes, on the left arm of which in a bracelet is written “RAPHAEL URBINAS”.38 The countess was, however, unwilling to sell this painting and another. Thus, despite her vaunted piety, the countess wished to keep the sexually explicit work, which we know was kept behind shutters, at least in the early seventeenth century and possibly before.39 For my final example we will cross the ocean and jump through time to Gilded Age Boston. The formidable Isabella Stewart Gardner, who modeled herself on Isabella 33 Giovio 1560, 14v. 34 On nudity in the Renaissance, see Kren et al. 2018 ; Burke 2018. Neither considers the Giovio passage. 35 Giovio 1560, 15r. The larger size of Polyphemus’s male member is implied rather than stated explicitly by Giovio. Cf. Storer 1928, 160, which says “[…] whose shame is so much larger.” 36 Giovio 1560, 15r. 37 Corsini Sforza 1898, 275. On Caterina Nobili Sforza’s architectural patronage in Rome, see Valone 1994, passim, and Valone 2001, passim. On Raphael’s Fornarina, see Nitti et al. 2001 ; Wolk-Simon 2008, 45f. ; Faietti/Lafranconi 2020, cat. no. VII.5. 38 Corsini Sforza 1898, 276. 39 On the shutters, see Brown/Oberhuber 1978, 48 ; Wolk-Simon 2008, 45.
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Fig. 4 Raphael, La Fornarina, Rome, Galleria Nazionale d’Arte Antica
d’Este, was assembling one of the earliest and most important collections of Old Masters in the United States.40 In 1898 she purchased the first Raphael to enter an American collection, the Portrait of Tommaso Inghirami now in the eponymous Fenway Court museum that she was planning, which opened in 1903.41 But what she passionately coveted was what she called in March 1901 “a heavenly Raphael Madonna” ; she especially desired the Small Cowper Madonna now in Washington.42 A series of letters exchanged with Bernard Berenson, advisor on her growing collection, documents her yearning for a Raphael Madonna. In one missive from April 1902 Gardner wrote that her “remaining pennies must go to the greatest Raphael […] Nothing short of that. I have tasted blood you see.”43 Although she never was able to acquire a Madonna by Raphael, in November 1900, on Berenson’s advice, she did buy the exquisite predella panel from the Colonna Altarpiece depicting the Lamentation (fig. 2), executed, as we
40 41 42 43
On Isabella Stewart Gardner and Isabella d’Este, see Brandt 1992, 12. See now Silver 2019. Hadley 1987, 251 ; Silver 2019, 13. Hadley 1987, 285 ; Silver 2019, 11.
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have seen, for the Franciscan nuns of San Antonio of Padua in Perugia ca. 1504/5.44 Nearly four centuries after it was painted for devout female religious viewers in Perugia, an American woman in Gilded Age Boston would come to gaze upon a panel by the “Prince of Painters”, whose work she so fervently craved. Not for its devotional function, but for its stature as a work of art by Raphael.
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Christina Strunck
Zwischen politischer Freiheitsliebe und erotischer Libertinage Stationen der Rezeption von Carlo Marattas Augustus schließt den Janustempel : Rom – Paris – Chatsworth
Das Thema dieses Beitrags reagiert in mehrfacher Hinsicht auf Anlass und Titel der vorliegenden Publikation. Wie von der Herausgebergruppe gewünscht, handelt es sich um eine rezeptionsgeschichtliche Betrachtung, die somit einen der Forschungsschwerpunkte von Ingo Herklotz aufgreift. Die bekannten, für Rom bzw. Paris bestimmten Versionen von Carlo Marattas Gemälde Augustus schließt den Janustempel werden mit einem monumentalen Wandbild in Verbindung gebracht, dessen Bezug zu Maratta bislang unbemerkt blieb. Dies ermöglicht eine Neudeutung der Painted Hall von Chatsworth House in Derbyshire. Die Grundlage dafür sind Recherchen, die ich zum Teil bereits während meines Doktorandenstipendiums in Rom durchgeführt habe, mithin zu der Zeit, als ich Ingo Herklotz an der Bibliotheca Hertziana kennenlernte. Indem der Aufsatz einen Bogen von der Dissertation zu meiner aktuellsten Monographie über britische Kunst schlägt, steht der Text für die über zwanzigjährige Zeitspanne, in der Ingo meine Forschungen mit wohlwollendem Interesse, vielfältigen Ratschlägen und zeitweise auch als Arbeitgeber begleitet hat. Last but not least kommt durch Ortensia Mancini ein gewisses erotisches Element ins Spiel, das der sinnlich grundierten Forschungshaltung des Empfängers dieser Festschrift in besonderer Weise entspricht.1 Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich auf Chatsworth House, den Landsitz der Familie Cavendish. Diese Familie zählte im 17. Jahrhundert zu den größten Grundbesitzern Englands und bezog immensen Reichtum aus Landwirtschaft, Kohleabbau, Eisen- und Glasproduktion.2 1618 hatte William Cavendish den Adelstitel Earl (Graf ) käuflich erworben.3 Sein Urenkel, der vierte Earl of Devonshire, ebenfalls William genannt, machte sich im Jahr 1687 daran, den elisabethanischen Landsitz Chatsworth House im barocken Stil zu modernisieren.4 Die sogenannte Painted Hall diente als das neue repräsentative Zentrum der Anlage (Abb. 1). Sie war der große Empfangsund Festsaal und bildete das Entrée für das imposante Treppenhaus, über das man die 1 2 3 4
Hiervon kündete bereits der Titel des internationalen Symposions, das wir zum 60. Geburtstag von Ingo Herklotz an der Philipps-Universität Marburg ausgerichtet haben : „La grande bellezza – vom Lateran bis Hollywood“ (https://arthist.net/archive/10563/view=pdf ). Pearson 2002, 17, 21–26, 28–30, 34f., 37. Pearson 2002, 44. Thompson 1949, 39.
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Abb. 1 Chatsworth House, Painted Hall, Blick nach Norden auf das Wandbild Ermordung Caesars
Gemächer des Hausherrn und das darüberliegende State Apartment erreichte, das für den Monarchen und seine Entourage bestimmt war. Zwischen 1692 und 1694 statteten Louis Laguerre und seine Werkstatt die Hall mit vier Wandgemälden und einem illusionistischen Deckenbild aus.5 Diese Gemälde zählen unbestritten zu den wichtigsten Werken des Barock in Großbritannien, sind aber kaum erforscht worden.6 Das zentrale Wandgemälde (Abb. 2), das die Ostwand gegenüber der Fensterseite einnimmt, wird in der Literatur als „Julius Caesar sacrificing before going to the senate“, „Caesar attending a sacrifice at the entrance of a Roman temple“ oder „Julius Caesar proceeding to the Capitol“ angesprochen.7 Dem liegt die in allen genannten Publikationen vertretene Annahme zugrunde, dass alle Elemente des Bildprogramms Episoden aus der Vita Caesars veranschaulichen.8 Aber stimmt das überhaupt ? 5 6
7 8
Thompson 1949, 112–114. Eine komplette Analyse des Raumes ist Teil meiner gerade abgeschlossenen Monographie zur politischen Monumentalmalerei in Großbritannien. Peterson 2020 befasst sich mit den State Apartments, wiederholt betreffs der Painted Hall jedoch nur die Meinung von Johns 2004. Hamlett 2020, 133f., beschränkt sich auf die Erwähnung des Sabine Room, ohne auf die Painted Hall einzugehen. Croft-Murray 1962, Bd. 1, 251 ; Cornforth 2000, 98 ; Johns 2004, 121 ; Ambrose et al. 2016, 27. Neben den bereits in Anm. 7 aufgeführten Titeln sind hier weiterhin zu nennen : Pearson 2002,
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Abb. 2 Louis Laguerre und Werkstatt, Augustus schließt den Janustempel, Wandgemälde an der Ostseite der Painted Hall, ca. 1692–1694
Ein signifikantes, bisher übersehenes Detail befindet sich über dem Eingang des Tempels auf der rechten Bildseite : Dort ist ein Relief des doppelköpfigen Gottes Janus angebracht. Bekanntlich war der römische Tempel des Janus in Kriegszeiten geöffnet, in Friedenszeiten jedoch geschlossen.9 Die Männer, die sich in Laguerres Gemälde an der Tür zu schaffen machen, zeigen durch ihre Gesten an, dass sie im Begriff sind, den Tempel zu schließen. Die Opferszene vor dem Gebäude ist folglich als ein Dankopfer zu verstehen, das sich auf einen Friedensschluss bezieht. Somit steht fest, dass der die linke Bildhälfte dominierende Feldherr nicht Julius Caesar sein kann. Schon allein wegen seiner Haarfülle entspricht dieser Mann nicht dem durch etliche Büsten überlieferten Bildnistyp Caesars, doch noch gewichtiger wiegt das Argument, dass unter Caesar keine Schließung des Janustempels erfolgte. Vielmehr war Augustus derjenige, der sich in den Res gestae divi Augusti rühmen konnte, den Janustempel dreimal geschlossen zu haben.10 Vor dem Zeitalter des Augustus war der Tempel Sueton zufolge nur zweimal geschlossen gewesen, nämlich unter Numa und nach dem ersten Punischen Krieg.11 79 ; Musson 2011, 70. Keinerlei Interpretation des Bildprogramms erfolgt bei Cavendish 1845 und Thompson 1949. 9 Vgl. Ogilby 1662, 66 : „The Temple of Janus [was] never shut, but in the time of Peace ; nor opened, but in time of War.“ 10 Manegold 2012, 161. 11 Suetonius 1998, 180.
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Abb. 3 Carlo Maratta, Augustus schließt den Janustempel, ca. 1653/1661. Öl auf Leinwand, 280 x 275 cm. Lille, Musée des Beaux-Arts
Die neue Deutung des Wandbilds kann durch einen Vergleich mit Carlo Marattas Gemälde gleichen Themas bestätigt werden (Abb. 3). Für dieses Werk ist dokumentarisch zweifelsfrei gesichert, dass es die Schließung des Janustempels durch Kaiser Augustus darstellt.12 Louis Laguerre scheint das Gemälde gekannt zu haben, denn der Nukleus seiner Komposition weist Maratta als Vorbild aus. In beiden Fällen wird der Janustempel nicht als ganzer gezeigt ; vielmehr füllt nur sein von kannelierten Säulen gerahmtes Portal die rechte Bildseite.13 Davor ist ein aufwendig geschmückter vergoldeter Dreifuß platziert, an dem eine weiß gewandete Figur das Opfer zelebriert. Diese Figur weist auf den Tempel und schaut dabei in entgegengesetzte Richtung. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass bei Maratta Augustus als Pontifex Maximus höchstpersönlich das Opfer vollzieht, während bei Laguerre Augustus derjenige ist, der das Opfer durch seinen weisenden Gestus anordnet. 12 Kühnmunch 1988, 271‒274 ; Rudolph 2000a, 202‒205 ; Rudolph 2000b, 459. 13 Antje Fehrmann wies mich bei der redaktionellen Durchsicht dieses Texts freundlicherweise darauf hin, dass die Darstellung der antikisierenden, aber „gänzlich unantiken“ Architektur auf beiden Gemälden sehr ähnlich ist : „In beiden Fällen perspektivisch ungenau und mit frei erfundenem Architrav bzw. seltsam vorstehendem Abakus und Türen/Giebeln ohne antikes Vorbild.“
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Abb. 4 Ursprünglicher Grundriss der Painted Hall (aus Vitruvius Britannicus) mit Einzeichnung der ortsfesten Gemälde (Identifizierung der Szenen nach C. Strunck). A = Westfassade der Painted Hall ; 1 = Haupteingang vom Hof ; 2 = Ermordung Caesars ; 3 = Caesar überquert den Rubicon ; 4 = Augustus schließt den Janus tempel ; 5 = Wilhelm von Oranien überquert den Ärmelkanal ; 6 = Apotheose Caesars (Deckengemälde)
Bedingt durch das sehr große und breite Bildformat, das Laguerre zu füllen hatte, musste er Marattas vertikal ausgerichtete Komposition um etliche zusätzliche Elemente erweitern. Während etwa bei Maratta nur ein Opfertier Platz hat, fügte Laguerre rechts im Vordergrund eine ganze Gruppe von Tieren und Assistenten des Priesters ein, die verschiedene Motive aus Raffaels Opfer von Lystra kombiniert.14 Die Platzierung von Augustus in der linken Bildhälfte mag ebenfalls durch das querrechteckige Format angeregt gewesen sein, ist aber auch inhaltlich bedeutsam, denn Augustus erscheint dadurch nicht in der Rolle des Priesters, sondern als Feldherr, prominent hervorgehoben durch seinen roten Umhang. Die Erkenntnis, dass der Protagonist des zentralen Wandbilds der Painted Hall nicht Caesar, sondern Augustus ist, hat weitreichende Konsequenzen für die Interpretation des gesamten Bildzyklus. Schon lange wurde vermutet, das Bildprogramm müsse einen Bezug zur „Glorious Revolution“ von 1688/89 besitzen, denn der Auftraggeber William Cavendish war einer der sogenannten „Immortal Seven“, die Wilhelm von Oranien 1688 dazu eingeladen hatten, England von dem als Tyrann wahrgenommenen König James II. zu befreien.15 In früheren Deutungen bestand aber eine unge14 Raffaels Teppichkartons, zu denen Das Opfer von Lystra zählt, waren von Charles I für die englische königliche Sammlung angekauft worden und wurden in den 1690er Jahren einer Restaurierung unterzogen, bevor sie in der „Cartoon Gallery“ von Hampton Court Palace zur Ausstellung gelangten (Thurley 2003, 185f.). Siehe auch https://collections.vam.ac.uk/item/O1069357/thesacrifice-at-lystra-act-cartoon-for-a-raphael/ (28.11.2020). 15 Hosford 2004, 667–669. Ambrose et al. 2016, 27, sowie Hartwell et al. 2016, 238, vermuten
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löste Schwierigkeit in der Frage, wie der Zusammenhang der Ermordung Caesars mit der Apotheose Caesars im Deckenbild zu verstehen sei (Abb. 1 und Abb. 4, Nr. 2 und 6). Wenn man – wie von Richard Johns vorgeschlagen16 ‒ die Ermordung Caesars als Anspielung auf den Sturz von James II. interpretiert, wie kann dann die Apotheose derselben Person (d. h. des exilierten „Tyrannen“) den krönenden Abschluss der Deko ration bilden ? Das Rätsels Lösung liegt in der Einsicht, dass der Bildzyklus zwei verschiedene Zeit ebenen thematisiert : Die meisten Episoden beziehen sich auf die Vita Caesars, aber das größte, zentrale Wandbild verherrlicht Augustus als Friedensstifter. Entsprechend steht Augustus für Wilhelm von Oranien (seit seiner Krönung im Jahr 1689 König William III.), der England eine Epoche des Friedens und ein neues Goldenes Zeitalter bringt – so zumindest die Hoffnung des Auftraggebers, der unter dem neuen Monarchen zum Lord Steward sowie Mitglied des Privy Council aufstieg und für seine Beteiligung an der „Glorious Revolution“ mit der Erhebung zum Herzog von Devonshire belohnt wurde.17 Die Identifikation von Augustus mit William III. wird bestätigt durch ein Gedicht, das Williams Poet Laureate Thomas Shadwell 1692 veröffentlichte ‒ d. h. genau in dem Jahr, in dem die Ausmalung der Painted Hall begann. Da der doppelköpfige Janus auch den Übergang vom alten ins neue Jahr symbolisieren konnte, nutzte Shadwell ein dem König gewidmetes Neujahrsgedicht dazu, William als den Friedensbringer zu feiern, der den Janustempel schließen werde : Now Janus in his Office does appear, To close the Last, and to unfold this Year ; His dreadful Temple now wide open stands, And Europe is Oppress’d by Warring Bands. For You Sir, ‘tis reserv’d to quell the Foes, And only You those Fatal Doors can close.18
Der Bezug des Bildprogramms der Painted Hall zur „Glorious Revolution“ besteht also nicht in der Ermordung Caesars, sondern in dem Wandbild Augustus schließt den Janus tempel. Wie aber hängen nun Caesars Ermordung und Apotheose damit zusammen ? Zunächst gilt, dass James II nicht ermordet wurde, sondern nur ins Exil ging, wodurch einen Bezug der Gemälde in Chatsworth zur „Glorious Revolution“, ohne dies aber näher auszuführen. 16 Johns 2004, 128–133. Johns’ These wurde aufgegriffen von Musson 2011, 70, und Peterson 2020, 7/25–8/25. 17 Hosford 2004, 669. 18 Dolan 2005, 172. Die im Text erwähnten „Warring Bands“ spielen auf den Pfälzischen Erbfolgekrieg (aus englischer Perspektive : Nine Years’ War) an. Als dieser 1697 durch den Frieden von Rijswijk beendet wurde, prägte man passenderweise eine Medaille, die die Schließung des Janustempels darstellte : Manegold 2012, 159‒162, Abb. 1.
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die bisherige Identifikation von James II. mit Caesar wenig überzeugend ist. Es gab jedoch einen englischen Monarchen, der tatsächlich hingerichtet worden war : Charles I., der Großvater Wilhelms von Oranien. Interpretiert man Caesar als alter ego Charles’ I., dann fügt sich die Apotheose Caesars sinnvoll in das Gesamtprogramm ein, denn der 1649 enthauptete König wurde nach der Restauration als Märtyrer verehrt.19 Wilhelms Abstammung von Charles I. legitimierte seine Machtübernahme, was die Verbindung beider antiker Protagonisten bzw. beider Könige in einem Bildzyklus erklärt. Da Louis Laguerre die Komposition seines Augustus-Wandbilds an Marattas Gemälde gleichen Themas orientierte, bleibt nun noch die Frage zu erörtern, wie er von diesem Werk Kenntnis gehabt haben kann. Von Marattas Staffeleibild existieren zwei fast identische Versionen, die sich heute im Palazzo Colonna in Rom bzw. im Musée des Beaux-Arts von Lille befinden. Das Gemälde in Lille war von Maratta für die Pariser Galerie La Vrillière geschaffen worden, in der der französische Staatssekretär Louis Phélypaux de La Vrillière ab 1635 Meisterwerke von führenden Malern seiner Zeit versammelte.20 Marattas Beitrag gelangte zu einem unbekannten Zeitpunkt nach 1655 in die Galerie. Stella Rudolph nimmt als Entstehungszeitraum 1653–1656 an, da sie die Friedensthematik auf das Ende der Fronde (1652) beziehen will.21 Marat tas Zeitgenosse Bellori schreibt jedoch, das Bild für La Vrillière sei erst nach Marattas Altarbild für Santa Croce in Gerusalemme entstanden, woraus Mezzetti, Briganti und Vitzthum eine Datierung auf ca. 1660 bzw. 1661 abgeleitet haben.22 In diesem Fall dürfte eine Beziehung zu dem für Frankreich höchst bedeutsamen Pyrenäenfrieden von 1659 bestehen.23 Ein weiteres Argument für die spätere Datierung könnte neben Belloris Zeugnis der Umstand sein, dass ausgerechnet Lorenzo Onofrio Colonna eine Kopie des Gemäldes für seinen römischen Palast bestellte. Im Sommer 1659, als gerade die Verhandlungen über den Pyrenäenfrieden zwischen Frankreich und Spanien im Gange waren, warb Kardinal Girolamo Colonna für seinen Neffen Lorenzo Onofrio um Maria Macini, eine Nichte des schwerreichen französischen Premierministers und ehemaligen Colonna-Familiaren Jules Mazarin. Girolamos Plan war als ebenso lukrativer wie diplomatisch geschickter Schachzug gedacht : Da Maria, die Favoritin von Louis XIV., von der Seite des „Sonnenkönigs“ entfernt werden musste, um ihn zur Ehe mit der spanischen Infantin Maria Teresa und damit zur Besiegelung des Pyrenäenfriedens zu bewegen, konnte Lorenzo Onofrio sich durch sein Heiratsversprechen sowohl Spanien als auch Frankreich verpflichten.24 Da er sich somit quasi als Mitautor des Pyrenäenfriedens betrachten durfte, war es nur folgerichtig, dass er die Kopie eines Gemäldes 19 20 21 22 23 24
Randall 1947 ; Stewart 1969 ; Stewart 1997 ; Niggemann 2017, 265. Vitzthum 1966 ; Cotté 1988 ; Barreau/Gady 1998. Rudolph 2000a, 202‒205 ; Rudolph 2000b, 459. Kühnmunch 1988, 272f. Strunck 2007, 166. Strunck 2007, 45f.
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bestellte, das auf ebenjenen Frieden anspielte.25 Interessanterweise feierte der Bildhauer Orfeo Boselli die 1661 erfolgte Vermählung von Lorenzo Onofrio Colonna und Maria Mancini durch ein Gedicht, das die Hochzeit in den Kontext des Pyrenäenfriedens stellte und dabei auch explizit die Schließung des Janustempels erwähnte.26 Welche Variante von Marattas Gemälde kannte nun Louis Laguerre, die römische oder die französische ? Da der 1663 in Versailles geborene Laguerre als Patensohn von Louis XIV. und Schüler Charles Le Bruns über gute gesellschaftliche Beziehungen verfügt haben dürfte,27 besteht die naheliegende und sicherlich plausibelste Annahme darin, er habe sich während oder nach seiner Ausbildung in Paris Zugang zur Galerie La Vrillière verschaffen können. Getreu der Devise „cherchez la femme“, die den Empfänger dieser Festschrift immer wieder umtreibt,28 soll aber nicht verschwiegen werden, dass auch vom Palazzo Colonna eine weibliche Fährte direkt nach England führt. Ortensia Mancini (Abb. 5), eine Schwester Maria Mancinis, besaß ein gewisses Talent dafür, die europäische High Society durcheinanderzuwirbeln.29 Sie zog viele Verehrer aus dem Hochadel an, doch entschied sich ihr mächtiger Onkel Kardinal Mazarin im Jahr 1661 dafür, die damals Vierzehnjährige mit Armand-Charles de La Porte, Marquis von La Meilleraye, dem Sohn eines politischen Weggefährten, zu verheiraten. Nach dem Tod Mazarins erbte das Paar 1661 die Titel und umfangreichen Besitzungen des Kardinals.30 Die Ehepartner passten jedoch so schlecht zueinander, dass ihre unglückliche Beziehung sogar Anlass zu „una delle prime manifestazioni della letteratura sull’emancipazione femminile“ gab : Mary Astells Some reflections upon marriage occasioned by the duke and duchess of Mazarine’s case.31 Bereits 1667 trennte Ortensia sich von ihrem Ehemann und flüchtete 1668 zu ihrer Schwester nach Rom, um seinen Versuchen zu entgehen, sie in ein Kloster einzusperren.32 Ortensia galt als große Schönheit und unterstrich dies, indem sie sich in Rom u. a. als Venus mit entblößter Brust porträtieren ließ.33 Ihr Benehmen war in den Augen der römischen Gesellschaft skandalös, zumal sie ein Verhältnis zu einem nicht standesge-
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Strunck 2007, 165–167. Strunck 2007, 475f. Zur Biographie und Karriere Laguerres vgl. Croft-Murray 1962, Bd. 1, 61–68, hier : 61. Man denke etwa an seine wiederholte Beschäftigung mit dem Libertin Jean-Jacques Bouchard : Herklotz 2002 und 2008. Zur Datierung von Abb. 5 auf 1693 vgl. https://artuk.org/discover/artworks/hortense-mancini16461699-duchess-of-mazarin-70948 (22.11.2020) und https://www.britishportraits.org.uk/ resources/bursaries/liz-waring-curator-of-visual-art-museums-sheffield/ (22.11.2020). Insgesamt haben sich etwa 40 bis 50 Porträts von Ortensia Mancini erhalten. Siehe dazu Shifrin/Walkling 2009, 90, und speziell Shifrin 1998. Tabacchi 2007, 534. Das Werk erschien 1700 (ein Jahr nach Ortensia Mancinis Tod) in London : Tabacchi 2007, 537. Goldsmith 2009, 25, datiert den Text bereits auf 1699. Dulong 1993, 157–163 ; Beckmann 2004, 104–111 ; Petrucci 2005, 13f. ; Tabacchi 2007, 534f. Petrucci 2005, 13f., 43, 190–193.
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Abb. 5 Godfrey Kneller, Hortense Mancini, Duchess of Mazarin, 1693. Öl auf Leinwand, 147,4 x 122,7 cm. Sheffield, Graves Gallery
mäßen Geliebten unterhielt.34 Gemeinsam rebellierten Ortensia und Maria Mancini gegen die Konventionen im Kirchenstaat, „wo Täuschung und Hass mehr als irgendwo sonst herrschen“.35 1672 half Ortensia ihrer Schwester dabei, in einer Nacht-undNebel-Aktion aus dem Palazzo Colonna zu entkommen, und begleitete sie auf ihrer Flucht nach Frankreich, wo Maria sich am Hof ihres einstigen Geliebten Louis XIV. etablieren wollte.36 Ortensia ließ sich derweil in Chambéry nieder und wurde von Herzog Carlo Emanuele II. von Savoyen protegiert, der um 1660 als Heiratskandidat für sie im Gespräch gewesen war.37 Nach dessen Tod im Jahr 1675 folgte sie Marias Vorbild und suchte einen weiteren früheren Verehrer wiederzugewinnen. Nach der Hinrichtung von Charles I. hatte dessen Sohn Charles II. einen Großteil der 1650er Jahre im Exil am französischen Königshof verbringen müssen. Dort hatte er Maria und Ortensia Mancini kennengelernt und sich in letztere verliebt. Angeblich wollte er sie sogar heiraten, doch scheiterte dies am Widerstand des Kardinals Maza34 35 36 37
Dulong 1993, 160, 163 ; Beckmann 2004, 92, 106f., 117 ; Tabacchi 2007, 535. Strunck 2016, 11–15, hier 12. Dulong 1993, 186–200 ; Graziosi 1999 ; Strunck 2007, 47f., 314–316 ; Tabacchi 2007, 535. Tabacchi 2007, 534f. ; Nelson 2008, 5.
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rin.38 1675 beschloss Ortensia, nochmals ihr Glück zu probieren, und begab sich auf die Reise nach London, wo Charles II. seit 1660 wieder residierte. Kurz nach ihrer Ankunft gelang es ihr, den englischen König erneut für sich zu begeistern und seine Favoritin zu werden.39 Möglicherweise nutzte Ortensia Mancini die königliche Gunst unter anderem dazu, den aus Lecce stammenden Maler Antonio Verrio zu protegieren, der nach Stationen in Neapel, Rom, Florenz und Paris spätestens 1676 in den Dienst des englischen Königs trat. Der sogenannte Sea Triumph, den Verrio für Charles II. schuf, besitzt keinerlei Vorläufer in der britischen Kunst, weist aber deutliche Bezüge zu Kunstwerken auf, die Ortensia aus dem Palazzo Colonna kannte.40 Wenn sie also im Fall des Sea Triumph künstlerische Ideen von Rom nach London vermittelte, könnte sie dann nicht auch bei der Rezeption von Marattas Augustus-Gemälde eine Rolle gespielt haben ? Als Louis Laguerre 1692 den Auftrag für die Painted Hall in Chatsworth erhielt, war Charles II. längst tot, doch seine deutlich jüngere ehemalige Geliebte lebte immer noch in London, umgeben von einem Kreis frankophiler Freunde.41 Ihr Bewunderer SaintÉvremond schrieb ihr „l’air, l’habit, l’équipage d’une Reine des Amazones“ zu,42 und ihr Salon galt als „the meeting-place of all that was illustrious and witty in London.43 Laguerre könnte also in der englischen Hauptstadt die Bekanntschaft Ortensia Mancinis gemacht und von ihr durch Gespräche oder graphisches Anschauungsmaterial Anregungen für die Gestaltung seines Wandbilds empfangen haben.44 Da Ortensia speziell durch William Cavendish, den Herzog Devonshire, protegiert wurde,45 mag sie vielleicht sogar daran beteiligt gewesen sein, Laguerre den Auftrag in Chatsworth zu verschaffen. Wenngleich es insgesamt plausibler erscheint, dass Laguerre Marattas Augustus-Gemälde aus Paris kannte, wäre es also durchaus möglich, dass Ortensia auch in dieser Sache – wie bei so vielen anderen Gelegenheiten – ihre Finger im Spiel hatte. 38 39 40 41 42 43 44
45
Tabacchi 2007, 534 ; Mancini 2008, 31 ; Potts 2009, 164. Nelson 2008, 5f. ; Potts 2009, 158, 164, 167, 169. Strunck 2019, 72–81. Tabacchi 2007, 536f. ; Potts 2009. 1692 wohnte sie am Kensington Square und zog dann Ende 1693 oder Anfang 1694 in das Haus Nr. 4 an der Paradise Row in Chelsea um : Potts 2009, 184. Shifrin/Walkling 2009, 62. Goldsmith 2009, 22. Siehe auch Shifrin/Walkling 2009, 65–82. Zu Laguerres künstlerischer Tätigkeit in London vgl. Croft-Murray 1962, Bd. 1, 61, 238f. (Kat. Nr. 17), 252f. (Kat. Nr. 10, 12–20). Carlo Marattas Gemälde Augustus schließt den Janustempel galt als so bedeutend, dass es mindestens einmal in einem Stich reproduziert wurde. Kühnmunch 1988, 273, datiert den von ihm abgebildeten Stich auf 1738, doch ist nicht auszuschließen, dass Ortensia Mancini eine früher entstandene zeichnerische oder druckgraphische Abbildung des Gemäldes besaß. Beispielsweise hat sich eine detaillierte Vorstudie Marattas erhalten, die 2002 und 2010 bei Auktionen den Besitzer wechselte : vgl. https://www.wikigallery.org/wiki/painting_368457/Carlo-Maratta-or-Maratti/The-Emperor-Augustus-Closing-The-Temple-Of-Janus (22.11.2020), http://www.artnet.com/artists/carlo-maratta/21 (22.11.2020) und http://www. artnet.com/artists/carlo-maratta/12 (22.11.2020). Potts 2009, 188.
Zwischen politischer Freiheitsliebe und erotischer Libertinage | 287
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Zwischen politischer Freiheitsliebe und erotischer Libertinage | 289
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Ulrich Pfisterer
Die Liga der großen Männer Jean Varin erzieht Ludwig XIV. mit Münzen und Medaillen
Während der an Wundern reichen Herrschaft Ludwigs XIV. kam den kleinsten Wunderwerken eine besonders wichtige Stellung zu : den Münzen und Medaillen. Zwar sind auf François Bonnemers siegreichem Bildentwurf für den Akademie-Wettbewerb 1665 – La renommée annonçant aux quatre parties du monde les merveilles du règne de Louis XIV – und dann auf dem ausgeführten, heute in Versailles befindlichen Gemälde keine Numismatica dargestellt.1 Aber spätestens mit der Publikation von Claude-François Ménestriers Histoire de Louis le Grand par les médailles (1689) war klar, daß dem Ruhm und einem ‚unverfälschten‘ historischen Gedächtnis durch eine histoire métallique mit am besten gedient war.2 In diesem Sinne hatte schon 1665 Charles Patin im ersten Handbuch für den dilettierenden Münzsammler betont, daß es ansonsten keine anderen „Beweise“ für die Richtigkeit der Geschichte gäbe – wobei seine Introduction à l’histoire par la connaissance des médailles mit dem Bildnis Ludwigs XIV. auf dem Frontispiz zugleich den steilen Zuwachs an gesellschaftlicher Bedeutung von numismatischen Grundkenntnissen signalisierte.3 Die 1663 gegründete Académie Royale des Inscriptions sollte dann eine Flut von médailles sur les principaux événements du règne de Louis le Grand verantworten, die 1702 als monumentale Publikation zusammengestellt wurden. Die numismatische Sammlung des Königs war bis dahin zu einer der führenden Europas ausgebaut. Die Forschung hat gerade in den letzten Jahren diese Zusammenhänge intensiv untersucht, dem Aufstieg der Münz- und Medaillenkunst in Frankreich in den Jahrzehnten zuvor allerdings weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Münzen und Medaillen wurden in Frankreich spätestens ab 1642 explizit zu den ‚Wundern der Kunst‘ gezählt.4 Hatte die Münz- und Medaillenproduktion doch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen seit Mitte des 16. Jahrhunderts eine solche Qualität erreicht, daß man sie mit den antiken Vorbildern mindestens gleichsetzen durfte : „Aux dernieres [médailles], partie frapées, partie mouslées sous les regnes de Henry II. & Charles IX. ie remarquay une si excellente beauté, qu’elles me semblerent en quelques choses, sinon surpasser, du moins égaler celle de l’Empire.”5 Dabei wurde das spektakulärste Beispiel 1 2 3 4 5
Duvivier 1857/58, 274. Wellington 2015 ; s. zuvor den ganzseitigen Stich mit Explications in : Extraordinaire du Mercure galant (quartier d’octobre 1678), 344–375 ; zu ‚Gegenmedaillen‘ Ziegler 2010. Jones 1990. Numismatica sind noch nicht erwähnt in Binet 1621/43, aber in Dan 1642, 84. Bie 1634/36 (Description), 4 ; vgl. Bie 1636, 5.
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Abb. 1 François Lemaire (?), Jean Varin und Ludwig XIV., Paris, Musée de la Monnaie
dafür, welches soziale Ansehen sich mit Münzen und Medaillen erreichen ließ, bislang zwar mehrfach besprochen, aber nicht wirklich als ein Schlüsselwerk erkannt : ein in zwei Etappen um 1645 und um 1665 entstandenes, nicht allzu großes Gemälde, das den 38- bis 39-jährigen Medailleur Jean Varin (oder Warin) zusammen mit dem 6- bis 7-jährigen Ludwig XIV. darstellt (Abb. 1).6 Hier wird nicht nur durch das gemeinsame Auftreten von ‚Hofkünstler‘ und Herrscher auf einer Bildfläche eine ganz neue Intimität vorgeführt, wie sie später selbst Charles Le Brun nie erreichen sollte. Das Gemälde behauptet, so die These, daß Medaillen nicht nur den (zukünftigen) Ruhm des Königs in einer Liga der großen Männer der Geschichte sichern, sondern auch als eine privilegierte Art des erziehendem ‚Fürstenspiegels‘ dienen können – wobei Varin selbst beide Behauptungen so erfolgreich vertrat, daß er die steilste Karriere durchlief, die ein Medailleur bis dahin erreicht hatte, zumindest in Frankreich. Mit Varin tritt so die Münz- und Medaillenkunst in Frankreich gleichwertig an die Seite von Malerei und Monumentalskulptur. Und daher markiert sein Doppelbildnis mit Ludwig XIV. auch einen Höhepunkt in der Geschichte aller Künstlerporträts.
6
Robert/Desnier 1992 ; Didier 2004 ; Wellington 2015 ; Jones 2016.
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Künstler und Herrscher Das Gemälde zeigt zwei Personen im Büstenausschnitt : Rechts den kleinen Ludwig XIV. in rotem Gewand mit Schwert in der Hand, der sich dem in Schwarz gekleideten Varin links zuwendet.7 Dieser blickt aus dem Bild und präsentiert eine inschriftlich bezeichnete Münze des Alkibiades. Die beiden stehen vor einem Landschaftsausblick mit einer Festung oder Turmarchitektur auf einer Anhöhe im Hintergrund. Die Szene wird von einem ungewöhnlich geschwungenen, aufgemalten Holzrahmen umfasst, in den sechs weitere, sehr präzise nachgeahmte Münzen beziehungsweise Medaillen eingelassen zu sein scheinen : In den Ecken finden sich Herkules, Alexander, Konstantin und Julius Cäsar, in der Mitte Heinrich IV. (Medaille von 1604) und darüber erneut Ludwig XIV., allerdings nun wesentlich älter.8 Außerdem prangt dort eine Signatur : „F. Marius pingebat“. Auf der Rückseite des Bildes klebt ein offenbar zeitgenössischer Zettel mit dem Datum 1645. Nicht zusammen geht mit diesem Zeitansatz, daß die fiktive Medaille Ludwigs sehr genau das Porträt nachbildet, das Jean Varin selbst ab 1663 für die Medaillen des dann 25-jährigen Königs verwendete (Abb. 2). Den Widerspruch zum kindlichen Bildnis haben die technischen Untersuchungen des Gemäldes geklärt : Der Rahmen mit seinen Medaillen wurde erst nachträglich aufgemalt, eben nach 1663.9 Dabei macht die Signatur des ‚Marius‘ eigentlich nur dann Sinn, wenn entweder der gleiche Maler, der für die Hauptszene verantwortlich war, auch die Übermalung tätigte, oder aber nachträglich seine Identität festgehalten werden sollte und es sich dann also gar nicht um eine eigenhändige Signatur handeln würde – die Übermalung mit dem Rahmen allein jedenfalls dürfte keine prominente eigene Namensnennung gerechtfertigt haben. Wer sich hinter dem „F. Marius“ verbirgt – etwa François Lemaire, genannt Petit Lemaire –, ist nicht definitiv geklärt. Unzweifelhaft ist jedenfalls, daß die Jahreszahl 1645, die sich auf der Rückseite des Gemäldes findet, plausibel die erste Version des Gemäldes datiert. Es geht im Folgenden also darum, zwei verschiedene Phasen des Bildes zu verstehen : Das Doppelporträt von Ludwig und Varin (mit bronzenem Konterfei des Alkibiades in der Hand) von um 1645, und die Zufügung des Rahmens mit sechs weiteren Münzen beziehungsweise Medaillen rund zwanzig Jahre später, wohl um oder kurz nach 1663. Dieser technische Befund muss deshalb so betont werden, da nichts weiter über das Gemälde bekannt ist – es taucht 1812 auf und wird von Dominique-Vivant Denon für den französischen Staat erworben. Eines scheint dennoch außer Frage : Daß es sich bei dem Dargestellten neben Ludwig wirklich um Jean Varin handelt. Zwar ist die erst im zweiten Schritt aufgemalte Ludwig-Medaille Varins kein starkes Argument für diese 7 8 9
Pergament auf Holz aufgeklebt, 70x40 cm, Paris, Musée de la Monnaie. Die präzisesten Identifikationen jetzt im Nachtrag 2018 von Wellington 2015. Robert/Desnier 1992 ; dort auch die wenig plausible Vermutung, der Rahmen sei seinerseits in zwei Phasen aufgemalt worden, erst die beiden großen Medaillen, dann die vier kleinen Stücke in den Ecken.
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Identifizierung, im Gegenteil könnte man sich wundern, warum auf der ursprünglichen Gemäldefassung Varin kein eigenes Produkt, sondern das Alkibiades-Stück vorzeigt. Eine posthume Medaille auf Varin von seinem Schüler Jean Baptiste Dufour (1684) und ein Porträtstich (um 1700)10 belegen jedoch Varins charakteristische Physiognomie mit einer sehr langen, schlanken Nase, wie sie auch auf dem Gemälde zu erkennen ist. Die gängige Identifizierung der Porträtierten als Varin scheint also zutreffend : Geboren 1607 in Lüttich, arbeitete er seit Mitte der 1620er Jahre in Paris. Seit 1629 ist Varin mit für die französische Münzpresse zuständig, seit 1639 alleinverAbb. 2 Jean Varin, Medaille auf Ludwig XIV. und antwortlich (eine Klage wegen Falschmündas Bündnis mit der Schweiz, 1663, Berzerei konnte er bis dahin erfolgreich abwehlin, Bode-Museum ren). 1640 entwirft er den neuen Louis d’Or Ludwigs XIII. – die erste Medaille Ludwigs XIII. hatte Varin im Übrigen bereits 1630 gefertigt. Im Laufe seines weiteren Lebens wird er über 210 Medaillen, Münzen und Siegel produzieren, die meisten für Ludwig XIII. und Ludwig XIV., daneben für den Hochadel und die wichtigsten Minister. 1672 stirbt Varin im Alter von 65 Jahren. Das Neue des Gemäldes kann nun gar nicht überbetont werden : Es gibt kein früheres Beispiel in Europa, bei dem ein Künstler in so exklusiver Nähe und (fast) gleichberechtigt neben seinem König porträtiert erscheint. Dafür liefern zwar die antiken Künstleranekdoten über das Verhältnis von Apelles und Alexander den Großen einen berühmten Präzedenzfall. Diese Apelles-Alexander-Szenen werden ab dem 16. Jahrhundert dargestellt und das Verhältnis von Dürer zu Karl V., von Bartholomäus Spranger zu Kaiser Rudolf IV. wie dann auch von Charles Le Brun zu Ludwig XIV. wird in diesen topischen Bahnen beschrieben, aber eben nicht unmittelbar in einem Gemälde dargestellt. Vielmehr erfordert eine solche Verbindung von König und Künstler, um im Bild akzeptabel zu sein, eine mediale Distanzierung : Federico Zuccari zeigt sich auf seinem Bildnis mit den verschiedenen goldenen Ehrenketten und -pfennigen, die er von europäischen Potentaten erhalten hatte. Auf ihren Bildnissen verweisen der Schotte George Jamesone und in Paris Charles Lebrun auf ihre Monarchen jeweils nur als ‚Bild im Bild‘. Velazquez macht in seinen berühmten Meninas 1656 die Präsenz des Königspaares in seinem Atelier bezeichnenderweise nur über das Spiegelbild sichtbar.11 10 Perrault 1700, Bd. 2, 85f. 11 Zur Darstellung von Kaiser Maximilian im Atelier Burgkmairs in einem um 1514 entstandenen Holzschnitt des Weisskunig s. Pfisterer 2010.
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Die wenigen sonst bekannten Konstellationen von Künstler und Herrscher auf einem Bildfeld lassen sich anders erklären : etwa Raffael als Träger des Papststuhls oder der Florentiner Herzog Cosimo im Kreis seiner Hofkünstler als Förderer der Künste. Die Selbstbildnisse des Tizian und Anthonis Mor durften in Spanien ab den 1550er Jahren immerhin in einer Reihe mit den Herrscherporträts hängen. In Van Dycks gedruckter Porträtserie der Icones von 1645 sind dann erstmals Herrscher und Künstler in einer druckgraphischen Serie vereint – genau gleichzeitig mit Varins Gemälde. Wie wichtig der Bezug auf Alexander und Apelles im Übrigen für unser Gemälde ist, auch ohne eine der bekannten Anekdoten ganz explizit aufzurufen, zeigen die demonstrativ im Bildvordergrund auf dem Degen aufgestützten Hände des kleinen Ludwig mit der scheinbar fast vertikal aus der Bildfläche ragenden Parierstange. Hier dürfte auf ein augentäuschendes Perspektiv-Element des von Plinius (nat. hist. 35, 92) überlieferten Bildnisses Alexanders des Großen angespielt sein, das im Frankreich der 1640er Jahre als künstlerische Meisterleistung gefeiert wurde : „La plus gra[n]de perfection, est faire paroistre ce qui est tout plat co[m]me s’il estoit de relief & se ietter comme hors d’œuvre. Comme la statuë d’Alexandre qui se[m]bloit avoir la main, & la foudre hors du Tableau fait par Apelles pour 120 mil escus.”12 Halten wir fest : Allein die Verbindung von Medailleur und König in einem Bild muss um 1645 als Sensation und ungeheurer Anspruch von Seiten Varins wahrgenommen worden sein. Es ist kein auch nur annähernd vergleichbares früheres Beispiel bekannt. Aber weshalb war die gemeinsame Darstellung von Varin und Ludwig überhaupt akzeptabel und welchem Zweck sollte sie dienen ?
Varin und Alkibiades Das Gemälde ruft noch eine zweite Bildtradition, die des ‚Lehrbildes‘, auf. In dieser erscheint das Nebeneinander von hochgestelltem Schüler und einem Lehrer in niedrigerer gesellschaftlicher Position gerechtfertigt. Das Giorgione zugeschriebene Doppelporträt des Giovanni Borgherini mit seinem Hauslehrer (um 1500) ist ein frühes Beispiel und weist neben dem Nahblick bereits das Hantieren mit einem Lehr-Objekt auf. Aber keine der nachfolgenden Darstellungen solcher Ausbildungssituationen im 16. und 17. Jahrhundert zeigt einen jungen Herrscher (in Rubens’ Maria-de-MediciZyklus erziehen bezeichnenderweise die Götter die junge Frau). Dabei umfaßt der neue Ausbildungskanon von Aristokratie und gehobenem Bürgertum, wie ihn diese Lehrbilder spiegeln, nicht nur die Freien Künste, sondern auch Zeichnen, Architektur und die Beschäftigung mit Antike und Numismatik. Für alle bisherigen Deutungsversuche des Gemäldes, die in die Richtung zielen : Varin unterrichtet Ludwig anhand von Münzen in Geschichte, stellt die Alkibiades-Münze im Zentrum die größte Schwierigkeit dar. Diese Münze ist – wie schon lange erkannt wurde – nicht nach einem antiken 12 Binet 1621/43, 326 (Kap. 40, §9).
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Original gebildet, sondern nach einem ‚Paduaner‘ des Valerio Belli aus den 1520er Jahren. Die im Vergleich zu heute vollkommen andere Beurteilung der Frühen Neuzeit von solchen fake images kann hier nur angedeutet werden : Ein ‚gut‘ erfundenes Porträt war allemal besser und aussagekräftiger als keines.13 Ein Vorschlag besagt, das Vorzeigen dieser Münze politisch zu verstehen : Alkibiades verweise auf Ludwigs Feldherrn, den Grand Condé, der 1645 24 Jahre zählte, unter der Fronde aber die falsche Partei unterstützte und in Ungnade fiel. Aber : Warum und für wen sollte mit dem intimen Gemälde gerade diese politische Warnung propagiert werden ? Und warum wurde das Gemälde dann nach 1663, als der Grand Condé zwar begnadigt war, aber keine Rolle mehr spielte, nochmals überarbeitet ? Dagegen wird jüngst argumentiert, daß auf der Münze gar nicht Alkibiades, sondern Alexander der Große dargestellt sei, da seit dem 16. Jahrhundert häufig Münzen mit Athena fälschlich für solche von Alexander gehalten wurden.14 Daß Alexander ab 1660 die Leitfigur für Ludwig XIV. werden sollte, steht außer Frage. Aber die Münze auf dem Gemälde ist nun einmal unzweideutig mit „Alkibiades“ beschriftet. Zudem wird eine Alexander-Münze auch noch auf dem Rahmen ergänzt – in den 1660er Jahren hätte man also zweimal Alexander dargestellt oder bereits nicht mehr verstanden, daß die Münze im Zentrum Alexander meinen sollte ? Es braucht eine andere Erklärung für Alkibiades. Der Grieche Alkibiades galt der Frühen Neuzeit als archetypische politische und militärische Führergestalt, die Jugend, strahlendes Aussehen und vielfältige Begabungen mit den Licht- und Schattenseiten der Macht verband. Und mehr noch : Alkibiades hatte Sokrates zum Lehrer gehabt. Dies ließ sich nicht nur aus der seit 1559 vorliegenden französischen Übersetzung von Plutarchs Vita entnehmen, wo zudem verheißungsvolle Begebenheiten aus der Kindheit und Jugend des Alkibiades berichtet wurden und sich so besonders enge Bezüge zum kindlichen Ludwig XIV. ergaben, von dem ebenfalls überliefert wird, daß alle seinem einnehmenden Verhalten verfallen waren. 1648 – also fast gleichzeitig mit dem Gemälde – publizierte etwa Virgilio Malvezzi seine Considerationi con occasione d’alcuni luoghi delle vite d’Alcibiade, in denen das Leben des griechischen Feldherrn auf das 17. Jahrhundert hin gelesen und kommentiert wurde. Im gleichen Jahr erschien auch Pietro Testas Stich zu Platons Gastmahl mit Sokrates und Alkibiades. Die Münze verweist also zunächst auf das einnehmende Wesen und die Begabung des jungen Königs, dann aber auch auf sein sich abzeichnende Geschick als Heerführer und Herrscher. Denn just in die Jahre um 1645 fallen die ersten militärischen Erfolge des Kinderkönigs : Zwei Medaillen von 1645 feiern seine Siege an der Ostgrenze Frankreichs. Plutarchs Vita schildert aber auch die Versuchungen und Verfehlungen des Alkibiades. Es geht nicht darum, Ludwig uneingeschränkt als ‚neuen Alkibiades‘ zu stilisieren, sondern an diesem berühmten antiken Beispiel darauf hinzuweisen, wie wichtig Erziehung für die Ausbildung der Tugenden selbst bei einem noch so begabten jungen Anführer ist. Alkibiades braucht Sokrates – mehr noch : Plutarch beginnt seine Vita 13 Bie 1636 (Description), 4, zu seiner Erfindung früher Königs-Medaillen. 14 Jones 2016, 55f. ; Wellington 2015 [Nachtrag 2018].
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sogar damit, daß die Verbindung zu Sokrates den Ruhm des Alkibiades noch gesteigert hat. Diese wechselseitige Dynamik des Ruhms ist ein auch anderweitig in der Antike zu findendes Argument : „Nicht zu Unrecht sagt man ferner, daß ihm [Alkibiades] die Liebe und Freundschaft des Sokrates nicht geringen Gewinn für seinen Ruhm eingetragen habe […].“ Auf unser Gemälde übertragen lautet das Argument : Die Beschäftigung mit der Geschichte zeigt, in welcher Liga großer Männer der kleine Ludwig XIV. zu spielen beginnt – wobei die Bild- und Textzeugnisse eben erst dafür sorgen, daß sein Ruhm wirklich dauerhaft bekannt wird. Zugleich erinnert das Beispiel Alkibiades aber auch daran, wie notwendig selbst für zukünftige große Männer die Erziehung der besten Eigenschaften und Tugenden an den historischen Beispielen der Geschichte ist. Allein die Alkibiades-Münze stellt das Gemälde in die Tradition sokratischer Lehrsituationen. Wobei Varin auch nicht nur Münzen und Medaillen als bildliche Erziehungsmittel und Zeugnisse für Geschichte und Ruhm propagiert, sondern sich selbst als ‚sokratischem‘ Münzmeister und Medailleur eine entscheidende Rolle zuspricht. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wie das Doppelporträt von Varin und Ludwig XIV. überhaupt akzeptiert werden konnte. Nicht beantwortet ist damit, für wen und warum es eigentlich gemacht wurde. Kaum vorzustellen ist, daß es für Ludwig XIV. bestimmt gewesen sein könnte, allein schon wegen des wenig repräsentativen Formats. Viel wahrscheinlicher scheint, daß Varin damit in seinen Räumen den eigenen gesellschaftlichen und künstlerischen Anspruch untermauern wollte – das würde auch erklären, warum das Gemälde nicht in einer der königlichen Sammlungen inventarisiert wurde, sondern erst Anfang des 19. Jahrhunderts wiederauftaucht. Dazu würde schließlich und vor allem auch passen, daß Varins Karriere genau in den Jahren um 1645 eine rasante Beschleunigung erfuhr : 1642 wird er zum „graveur et conducteur général des monnaies au Moulin de France“ ernannt, 1646 zum „graveur des sceaux et tailleur général“, 1647 zum „contrôleur et graveur général des monnaies de France“ und 1648 zum „contrôleur général des poinçons“. Das Gemälde, im Haus Varins präsentiert, hätte einen Anspruch vorgeführt, den die neuen Positionen unterstreichen.
Ludwig XIV. und die Großen der Geschichte Wie geht die Deutung des ersten Zustandes des Gemäldes von um 1645 nun mit den um oder nach 1663 ergänzten sechs Münzen und Medaillen auf dem Rahmen zusammen ? Für die Auswahl der antiken Heroen und Herrscher in den Ecken ist zunächst darauf zu verweisen, daß schon Ludwigs Vater, Ludwig XIII., auf dem Titelblatt der France metallique des Jacques de Bie (1634) zwischen Alexander dem Großen und Julius Cäsar gezeigt wird (Abb. 3). Dazu kommen auf dem Gemälde der Tugendheld Hercules (Gallicus) und Kaiser Konstantin als Begründer des Christentums, Vorbild des französischen Rex christianissimus. Vor allem aber ein weiterer Gedanke scheint alle sechs ausgewählten Dargestellten zu verbinden (und etwa auch zu erklären, warum Henri IV., nicht aber Ludwigs Vater in der Reihe erscheint) : Alle schmückt der
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Abb. 3 Jacques de Bie, La France Métallique, Paris 1634, Titelblatt
Ehrentitel ‚der Große‘. Dies trifft für Alexander, Konstantin, Henri IV. und Hercules zu, dessen einer Beiname in der antiken Mythologie ebenfalls magnus lautet. Cäsar schließlich wird von Plutarch als Pendant von Alexander dem Großen besprochen und reiht sich so in diese Reihe der größten Herrscher und Heerführer der Geschichte ein. Die Ergänzungen des Gemäldes um oder nach 1663 bezeugen einerseits, daß Ludwig die in ihn gesetzten Erwartungen eingelöst hat, formulieren andererseits eine noch weiterreichende Erwartung, die 1680 eingelöst wird, als auch Ludwig offiziell den Ehrentitel „Le Grand“ zugesprochen bekam. Zudem scheint die Gegenüberstellung von zwei modernen mit vier (pseudo)antiken Stücken für das Medium der Medaille zu bestätigen, was Pierre Bizot 1687 in seiner Medaillengeschichte Hollands so feststellen sollte : „[…] les [médailles] Modernes donnent plus de lumieres que les Antiques, & qu’elles sont plus capables de transmetre aux siecles futurs la gloire des Empires & des hommes illustres […].“15 Auch die ergänzte Fassung rühmt zugleich den Künstler Varin. Wieder steht die neue Fassung des Gemäldes in enger chronologischer Beziehung zu einer weiteren Karrierestufe Varins : Am 27. Sept. 1665 wurde Varin in die knapp 20 Jahre zuvor, 1648 gegründete Académie Royale de Peinture & Sculpture als 101. Mitglied aufgenommen, 15 Bizot 1687 [1688], A3v.
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Abb. 4 Jean Varin, Büste Ludwigs XIV., 1665– 66, Château de Versailles
nach Gianlorenzo Bernini als 100. Mitglied drei Wochen zuvor und als erster Medailleur überhaupt. Wenn es die Intention Varins war, mit dem Doppelbildnis von sich und dem jungen König seinen gesellschaftlichen Anspruch als Künstler zu festigen, dann scheint dies nun vollkommen gelungen. Dabei wurde Varin aufgrund seiner Leistungen in der Medaillenkunst aufgenommen, ohne umfangreiche Beweise seines Könnens in der Malerei oder Bildhauerei vorgelegt zu haben, wie es die Akademie eigentlich forderte – das wurde im Protokoll eigens festgehalten. Zwar hatte Varin eine Ausbildung in diesen beiden Künsten : Die erste, annähernd zeitgenössische Biographie erwähnt frühe Porträtmalereien von ihm, und möglicherweise sind auch zwei frühere Bronzebüsten erhalten. Daher wurde in der Forschung schon überlegt, ob es sich bei dem Gemälde nicht um ein Selbstbildnis Varins handeln könnte. Wichtiger scheint freilich, Varins 1665 erreichte Stellung mit seiner unmittelbar im Anschluß vollendeten Marmorbüste Ludwigs XIV. in Beziehung zu setzen : Damit lieferte Varin nach Aufnahme in die Académie sein Meisterstück quasi nach (auch wenn an der Ausführung in Marmor Gérard Leónard Hérard wohl als Mitarbeiter beteiligt war) (Abb. 4).16 Diese Büste ist zudem als explizites Konkur16 Berger 2015.
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Abb. 5 Gianlorenzo Bernini, Büste Ludwigs XIV., 1665, Château de Versailles
renzprodukt zu Berninis wenige Monate zuvor begonnener Marmorbüste Ludwigs zu verstehen (Abb. 5). Beide Werke entstehen dabei nicht nur aus einer Künstlerkonkurrenz heraus, sondern Varin ist bemüht, französische Kunst als wenigstens gleichwertig neben der italienischen und antiken auszuweisen. Mehrere Passagen im Journal des Paul Fréart de Chantelou lassen erahnen, wie kontrovers über entscheidende Qualitäten des Königsporträts – grandeur und noblesse – diskutiert wurde, wobei Berninis Zur-Schau-Stellen künstlerischer Virtuosität gegen Varins Zurücknahme des ‚eigenen‘ Stils zugunsten von Antike und ‚Naturtreue‘ stand.17 Dabei belegt der Erfolg von Varins Königsbüste, daß die meisten französischen Zeitgenossen und vor allem auch der König selbst die beiden Büsten zunächst offenbar anders beurteilten als die italienische Fraktion : Varin schuf das französische Gegenmodell zu Berninis italienischem Königsporträt – wobei er in gewisser Weise den (miniaturhaften) Porträtmodus der Medaille monumentalisiert. 1684, zwölf Jahre nach seinem Tod, erhielt Varin selbst eine Medaille von seinem Schüler Dubout. Auf dem Revers sind drei Frauengestalten zu sehen, die Personifikationen der Malerei und Skulptur sowie in der Mitte die Medaillenkunst. Diese hält eine Medaille hoch – man glaubt auf dem winzigen Rund die Porträtzüge und Frisur Ludwigs XIV. erahnen zu dürfen. Die Inschrift besagt : „VNE. SEVLE. SVFFISOIT. POVR. LE. RENDRE. IMMORTAL“. Das exzeptionelle Lob des Medailleurs Varin trifft sich hier mit dem Auftritt der ersten bekannten Personifikation der Medaillenkunst im Reigen 17 Chantelou 2001, v. a. 93f., 238f., 396f. ; vgl. Bonfait 2010 und Herklotz 2019.
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anderer Kunst-Personifikationen. In dem Moment, da die Académie royale de peinture & sculpture Medailleure zuließ, schien auch für die Medaillenkunst eine eigene Personifikation gerechtfertigt. Jean Varins Doppelbildnis mit dem jungen Ludwig XIV. und sein posthumes Medaillenporträt markieren aber nicht nur den Höhepunkt der gesellschaftlichen Anerkennung der Medaillenkunst in Frankreich. Daß sich Varin als ‚sokratischer Erzieher‘ direkt neben dem jungen König präsentieren konnte, markiert für die gesamte Frühe Neuzeit einen Ausnahmemoment im Selbstverständnis und in der Selbstdarstellung eines Künstlers.
Literatur Berger, Robert William : Les bustes de Louis XIV par Le Bernin et Warin. Marbres, bronzes et copies, in : Revue de l’art 190/4 (2015), 49–57. Bie, Jacques de : La France Métallique contenant les actions célèbres publiques et privées des Rois et Reines, remarquées en leur Médailles d’Or, Argent et Bronze, Paris 1634 [zit. 2. Aufl. 1636 ; die zugehörigen Erläuterungen mit eigenständigem Titel : Explication ou description sommaire des Médailles contenues en l’œuvre de La France Métallique, Paris 1636]. Bie, Jacques de : Les familles de la France illustrées par les monumens des médailles anciennes et modernes, Paris 1636. Binet, Étienne [unter Pseudonym René François] : Essay des merveilles de nature et des plus nobles artifices, Rouen 1621 [zit. Ausg. Lyon 1643]. Bizot, Pierre : Histoire Métallique de la République de Hollande, Amsterdam 1687 [zit. 21688/90, 3 Bde.]. Bonfait, Olivier : Raphaël, Poussin, Bernin : grandezza et grandeur entre Italie et France, du Cinquecento au Grand Siècle, in : La réception de modèles cinquecenteschi dans la théorie et les arts français du XVIIe siècle, hg. von Sabine Frommel und Flaminia Bardati, Genf 2010, 85–100. Chantelou, Paul Fréart de : Journal de voyage du chevalier Bernin en France, hg. von Milovan Stanić, Paris 2001. Dan, Pierre : Le Trésor des merveilles de la maison royale de Fontainebleau, Paris 1642. Desnier, Jean-Luc : „Rector Orbis“ ou le cardinal de Richelieu sur une médaille de Jean Varin, in : Mélanges de l’École Française de Rome, 106/2 (1994), 683–697. Didier, Jacquemin : Jean Varin (1607–1672). Un liégeois au service des rois de France. Essai pour une nouvelle biographie, in : Bulletin. Cercle Numismatique Liégeois, 33 (Nov. 2004), 1–52. Duvivier, Anatole : Liste des Élèves de l’ancienne École Académique et de l’École des BeauxArts qui ont remporté les grands prix […] depuis 1663 jusqu’en 1857, in : Archives de l’art français : recueil de documents inédits relatifs à l’histoire des arts en France 9 (Documents 5) (1857/58), 73–333 Archives de l’art français. Recueil de documents inédits relatifs à l’histoire des arts en France. Extraordinaire du Mercure galant (quartier d’octobre 1678), 344–375. Herklotz, Ingo : Ecfrasi e scultura a Roma all’ombra di Luigi XIV. Una nuova fonte per Domenico Guidi, in : Gli allievi di Algardi, hg. von Andrea Bacchi, Mailand 2019, 29–53.
302 | Ulrich Pfisterer Jones, Mark : Proof Stones of History. The Status of Medals as Historical Evidence in Seventeenth-Century France, in : Medals and Coins from Budé to Mommsen, hg. von Michael Crawford/Christopher Ligota/Joseph Trapp, London 1990, 53–72. Jones, Mark : L’histoire métallique de Louis XIV, in : Les Médailles du Louis XIV et leur livre, hg. von Yvan Loskoutoff, Mont-Saint-Aignan 2016, 53–67. Mazerolles, Fernand : Jean Varin. Conducteur de la Monnaie du Moulin, tailleur général des Monnaies, contrôleur général des Poinçons et Effigies. Sa vie. Sa famille. Son œuvre (1596– 1672), Paris 1932. La Médaille au temps de Louis XIV (Ausst.-Kat.), hg. von Yvonne Goldenberg, Paris 1970. Perrault, Charles : Les hommes illustres qui ont paru en France pendant ce siècle, 2 Bde., Paris 1700. Pfisterer, Ulrich : Apelles im Norden. Ausnahmekünstler, Selbstbildnisse und die Gunst der Mächtigen um 1500, in : Apelles am Fürstenhof. Facetten der Hofkunst um 1500 im Alten Reich (Ausst.-Kat.), hg. von Matthias Müller u. a., Berlin 2010, 8–21. Robert, Evelyne/Desnier, Jean-Luc : L’art de la médaille selon Jean Varin, in : Gazette des BeauxArts 120 (1992), 1–14. Veillon, Marie : Images savantes. Revers de médailles du règne de Louis XIV, in : The Medal 39 (2001), 3–11. Wellington, Robert : Antiquarianism and the Visual Histories of Louis XIV, Farnham/Burlington VT 2015 [Nachträge zum Gemälde unter : https://robertwellington.com/2018/11/02/ jean-warin-teaching-the-young-louis-xiv-history-by-medals/ zuletzt 1.12.2020]. Ziegler, Hendrik : Der Sonnenkönig und seine Feinde. Die Bildpropaganda Ludwigs XIV. in der Kritik, Petersberg 2010.
VI. Künstler und Bilder auf Reisen
Peter Lüdemann
Venedig, Vicenza, Wittenberg Randbemerkungen zu Jacopo de’ Barbari, Lucas Cranach d. Ä. und dem t ransalpinen Kulturtransfer um 1500
Fragt man sich, worauf neben einem erwachenden Interesse für antik-mythologische Themen das auffällige, weil relativ unvermittelte, gehäufte Auftreten oberitalienischer und vor allem venezianischer Schmuckformen und Kompositionsmuster zurückzuführen sein mag, das ab etwa 1505 in sämtlichen Gattungen der nordalpinen Kunst und besonders derjenigen Süd- und Mitteldeutschlands festzustellen ist,1 stößt man in der Forschungsliteratur sogar noch in relativ rezenten Beiträgen auf die Tendenz, eine zentrale Rolle für diesen Kulturtransfer den vermeintlichen Italienaufenthalten von Malern und Graphikern wie etwa Hans Burgkmair, Hans Holbein (Vater und Sohn) oder Lucas Cranach d. Ä. zuzuschreiben. Dass aber, selbst abgesehen von den begründeten Zweifeln an der lange Zeit als eine unumstößliche Tatsache akzeptierten sogenannten ersten Venedig-Reise Albrecht Dürers,2 mit einigen wenigen Ausnahmen, wie der des Nürnberger Bronzebildners Peter Vischer d. J.,3 die gemutmaßten transalpinen Ausflüge der meisten deutschen Renaissancekünstler jeglicher dokumentarischer Grundlage entbehren, wird dabei entweder geflissentlich übergangen4 oder mit einer indirekten, methodisch fragwürdigen Argumentation e silentio zu umschiffen versucht : zunächst betont man, die (per se unstrittigen) italianisierenden Gestaltungselemente diverser Werke ließen sich nur dadurch erklären, dass deren Urheber ihre Vorbilder unmittelbar vor Ort rezipiert hätten, während in einem zweiten Schritt nach einem Zeitfenster gesucht wird, in dem in Ermangelung von Belegen über den Verbleib der fraglichen Akteure die angeblich unabdingbare Reise stattgefunden haben könne und, angesichts der vorangehend genannten Prämisse, auch tatsächlich erfolgt sein müsse.5 1 2
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Vgl. dazu zusammenfassend Aikema/Martin 1999 sowie die Beispiele in Aikema/Brown 1999, 284f., Kat. 47 (Isolde Lübbeke), 344–358, Kat. 71–78 (Bernard Aikema). Vgl. die berechtigte Skepsis von Aikema 2001, 429–431, und Luber 2005, 40–76. Wie zuletzt Eser 2012, 27, betont, legen Dürers Landschaftsaquarelle nahe, dass dieser 1494/95 zwar die Alpen überquert hat, aber nicht über die habsburgischen Besitzungen im Trentino hinausgelangt ist : „Von der später so genannten »Venezianischen Reise« gibt es keine einzige in Venedig oder zumindest im Veneto angefertigte Topographie ! Die Bildchronik dieser Reise endet exakt an der Grenze Süd- und Welschtirols, dort, wo auch der Sprachwechsel stattfand.“ Aikema/Martin 1999, 334 ; Aikema/Brown 1999, 392, Kat. 95 (Bernard Aikema). Vgl. z. B. Krause 1998, 118, die, so als handele es sich um eine sicher belegte Tatsache, mit Bezug auf Burgkmair von „seiner Italienreise“ spricht. Vgl. zu Burgkmair Falk 1968, 59–65, gefolgt z. B. von Isolde Lübbeke in Aikema/Brown 1999, 284, Kat. 47. Zu Cranach vgl. Evans 2007, bes. 57.
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Dagegen ist nun völlig zu Recht eingewandt worden, dass mitteleuropäische Künstler zwar in Einzelfällen auf Geheiß und dank der materiellen Unterstützung eines höfischen Mäzens sich mit dem Ziel eines stilistischen Updates nach Italien begeben haben mögen,6 aber schon allein aus wirtschaftlichen Gründen kaum ein oberdeutscher Maler, Bildhauer oder Graphiker aus eigener Initiative und auf eigene Kosten zum Zweck der puren individuellen Horizonterweiterung ein derartiges Unternehmen in Angriff genommen haben dürfte und die Assimilation eines innovativen antikisierenden Formenkanons etwa in den Reichsstädten Augsburg und Nürnberg oder in dem Neuerungen gegenüber aufgeschlossenen Umfeld des sächsischen Kurfürsten wohl vor allem dem Import von Zeichnungen, Drucken und sicher auch von einigen Gemälden zu verdanken sein wird, welche die Alpen in umgekehrter Richtung, von Süd nach Nord, überquert haben müssen.7 Ja selbst Jan Gossaert, der 1508/09 seinen Dienstherrn Phi lipp von Burgund auf dessen diplomatischer Mission nach Rom begleitet, greift etliche Jahre später in seinem 1517 datierten Neptun und Amphitrite (Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz – Gemäldegalerie), einem der ersten Beispiele außerhalb Italiens für die Umsetzung eines mythologischen Themas in Form einer lebensgroßen Aktdarstellung, in der Gestaltung der beiden Götterfiguren weit mehr auf druckgraphische Vorlagen wie Jacopo de’ Barbaris Kupferstich Venus und Mars oder Dürers Sündenfall als auf seine direkte Kenntnis antiker Bildwerke zurück.8 Im Folgenden soll daher anhand zweier Beispiele der Frage nachgegangen werden, ob mit den Aufenthalten italienischer Künstler im deutschsprachigen Raum eine weitere Vermittlungsinstanz für den Formenschatz wie auch das thematische Repertoire der Renaissance in der wissenschaftlichen Diskussion nicht zu Unrecht eher ein Schattendasein fristet. In einigen Fällen ist letzteres sicher nicht unverständlich : der Mailänder Maler Zanetto Bugatto etwa, der zwischen 1460 und 1463 offenbar auf eigenen Wunsch, aber signifikanterweise dank der Unterstützung Herzog Francescos I. Sforza in der Brüsseler Werkstatt Rogier van der Weydens Aufnahme gefunden hatte, scheint eher ein Nehmender als ein Gebender gewesen zu sein und vor allem danach getrachtet zu haben, auf diese Weise mit der neuartigen Technik der Ölmalerei vertraut zu werden,9 während von dem Bronzebildner Adriano Fiorentino, der 1498 eine 6
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Zu erwähnen wäre in diesem Kontext etwa der Antwerpener Maler Jan, dem sich zwar keine erhaltenen Werke zuschreiben lassen, von dem aber überliefert ist, dass er 1493 gemeinsam mit Friedrich III., dem Weisen, eine Pilgerfahrt unternimmt, die den sächsischen Kurfürsten über Venedig ins Heilige Land führt, und der im darauffolgenden Jahr erneut in die Lagunenstadt entsandt wird. Martin 2010, 51. Allgemein zu Auslandsstipendien und -reisen (nicht nur, aber vor allem nach Italien) von Malern, Bildhauern und Architekten der frühen Neuzeit als Instrument höfischer Kunstpatronage, vgl. Warnke 1991, 174–177. Vgl. Aikema 2001, 427–429. Vgl. dazu sowie generell zu Gossaerts Reiseerfahrung und seiner Rezeption antiker und italienischer Vorbilder, Mensger 2002, Kap. V, v. a. 73–75, 78–80 und Bass 2016, 50–51, die, ähnlich wie bereits Schrader 2008, 41–43, sogar nur dem Kupferstich Dürers eine maßgebliche Rolle für die Formfindung des Berliner Gemäldes einräumen. Vgl. Cavalieri 1991, 68–72 sowie zuletzt Id. 2014, 23–26.
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Portraitbüste Kurfürst Friedrichs III. des Weisen (Dresden, Staatliche Kunstsammlungen – Skulpturenabteilung) signiert, durch nichts bezeugt ist, dass er diese wirklich vor Ort ausgeführt und nicht vielleicht doch nur das Gussmodell an den sächsischen Hof geschickt hat.10 Ganz anders liegen die Dinge hingegen bei Jacopo de’ Barbari, der als Person überhaupt erst mit seiner Anstellung als „contrafeter und illiminist“11 durch Maximilian I. urkundlich greifbar wird, in der Folgezeit bis 1504 von Nürnberg aus als eine Art Hoflieferant des Habsburgerkaisers gewirkt zu haben scheint12 und nach Tätigkeiten für Kurfürst Friedrich III., den Weisen, von Sachsen (1504/05), den Herzog von Mecklenburg, Heinrich V., den Friedfertigen, sowie den Markgrafen Joachim I. von Brandenburg-Hohenzollern und seinen jüngeren Bruder Albrecht, dessen Porträt von 1508 (Kreuzlingen, Sammlung Heinz Kisters)13 zu den wenigen datierten Arbeiten in Jacopos schmalem Œuvrekatalog zählt, ab 1510/11 und bis zu seinem wohl frühzeitigen Tod im Jahr 1516 in den Dienst der Statthalterin der Niederlande Margarete von Österreich tritt.14 Obwohl sich also de’ Barbaris Karriere lediglich im Rahmen seiner Engagements an verschiedenen nordalpinen Fürstenhöfen, dort allerdings fast lückenlos dokumentarisch nachvollziehen lässt, ist seine Bedeutung als Bindeglied zwischen der künstlerischen Tradition der letzteren und seines Herkunftslandes noch in der neuesten Literatur bisweilen als eher gering eingestuft worden,15 was man vielleicht nicht zuletzt auf den Einfluss der ambivalenten Position Dürers zurückführen darf, der sich nach anfänglicher Bewunderung, die noch im Tagebuch seiner niederländischen Reise nachklingt,16 in einem viel zitierten Brief aus Venedig an Willibald Pirckheimer eher abfällig über die seines Erachtens bei weitem überschätzten Fähigkeiten des Malerkollegen äußert.17 Festzuhalten bleibt aber vor allem die Beobachtung, wonach 10 Vgl. von Fabriczy 1903, 87f. Eher skeptisch hinsichtlich der Ausführung durch einen nordalpinen Gießer hingegen zuletzt Caglioti 1992, 114. Insofern Adriano spätestens im Frühjahr 1499 nach Italien zurückgekehrt war, wo er am 24. Mai in Florenz als Zeuge fungiert und am 12. Juni als bereits verstorben registriert wird (von Fabriczy 1903, 98), kann sein mutmaßlicher Aufenthalt in Sachsen in jedem Fall nur von kurzer Dauer gewesen sein und sich kaum in nennenswertem Maß auf die künstlerische Tradition des Kurfürstentums ausgewirkt haben. 11 Die Bestallungsurkunde Jacopos publiziert Ferrari 2006, 173f., Dok. 3a. 12 Böckem 2016, 88–91. Allgemein zum Typus des Hoflieferanten, vgl. Warnke 1991, 116–121. 13 Zum Bildnis Albrechts, vgl. neben Ferrari 2006, 107f., Kat. 16, und Böckem 2016, 253–255, v. a. Dal Pozzolo, in : Aikema/Brown 1999, 370, Kat. 84. 14 Zu den genannten biographischen Etappen Jacopos und den hierüber Aufschluss bietenden Quellen vgl. Böckem 2016, 160–168, 249–257, 271–285 sowie die Zeittafel und den Quellenanhang bei Ferrari 2006, 171–186. 15 Vgl. Bass 2016, 51 : „Jacopo de’ Barbari’s importance to Gossaert ultimately seems overstated in the light of the visual evidence, as is perhaps his perceived influence on early sixteenth century art in Germany and the Nederlands at the large.“ 16 Vgl. Rupprich 1956, Bd. 1, 173. 17 Ebd., Bd. 1, 44. Explizit mit dem Verweis auf diese Quelle tendiert z. B. Evans 2007, 57, dazu, die Bedeutung de’ Barbaris zu minimisieren : „Es ist unwahrscheinlich, dass Barbari […] als Vermittler solcher »moderner« Vorstellungen infrage kommt, zumal Dürer in einem Brief aus
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selbst seitens jener Autoren, die bereit sind, dem Grenzgänger Jacopo eine zentrale Vermittlerrolle zwischen Nord und Süd einzuräumen,18 das Hauptaugenmerk meist auf dessen Druckgraphik liegt, während seinen Gemälden weit weniger Interesse zuteil geworden ist.19 Dass diese Fokussierung zwar zu dem Erosionsprozess passt, dem de’ Barbaris malerisches Œeuvre derzeit (unseres Erachtens zu Unrecht) ausgesetzt ist,20 jedoch die Gefahr birgt, wichtige aufschlussreiche, wenn auch hypothetische Zusammenhänge auszublenden, suggeriert mit dem sogenannten Ungleichen Paar21 des Phila delphia Museum of Art (Abb. 1) ein weiteres seiner seltenen signierten und datierten Tafelbilder. In der Forschung ist das Werk der amerikanischen Sammlung, von dem sein Autor möglicherweise mehrere Versionen angefertigt hat,22 gewöhnlich als ein frühes Beispiel eines Sujets angeführt, das auf der Grundlage einiger druckgraphischer Vorläufer aus der Zeit um 1470 vor allem in der mitteleuropäischen Malerei des fortgeschrittenen 16. Jahrhunderts zu großer Popularität gelangen sollte und dessen Vertreter, meist nicht ohne einen gewissen moralisierenden Unterton, eine junge Frau oder, seltener, einen jungen Mann zeigen, die von ihren weitaus älteren Partnern des jeweils anderen Geschlechts umworben und in der Regel mittels der Gabe von Geld oder wertvollem Schmuck zu amourösen Gunstbezeugungen gedrängt werden.23 Auf Basis der absolut überzeugend hervorgehobenen nachdenklich-melancholischen Atmosphäre von Jacopos Gemälde, die sich markant von der bissigen Ironie der nordalpinen Umsetzungen des vermeintlich gleichen Themas unterscheidet, haben aber in jüngerer Zeit Enrico Maria Dal Pozzolo und Ulrich Pfisterer weitaus plausiblere allegorisch-mythologische
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Venedig erwähnt, dass die dortigen Künstler Barbari verspotteten, weil er dort geblieben wäre, wenn er gut gewesen wäre.“ Vgl. z. B. Martin 2010, 51–53 ; Angelini 2014, 132, sowie zuletzt Ferrari 2011 und v. a. Böckem 2012, 62–64 ; Ead. 2016, 114–121, 134–152, 227–229, 268f. Anregende und vielversprechende Ansätze für eine Würdigung des Einflusses auch der Malerei Jacopos auf die Dürers und Cranachs bietet aber jüngst Böckem 2016, 111–113, 236–240. Während etwa Baader 2003, 179, 197, Anm. 9, im Hinblick auf das Porträt des Mathematikers Fra Luca Pacioli mit einem Schüler (Neapel, Museo Nazionale di Capodimonte) die Urheberschaft Jacopo de’ Barbaris noch als „unproblematisch“ erachtet, hat jüngst Angelini 2014 erneut auf die bereits vielfach diskutierten Unstimmigkeiten der Künstlersignatur und ihrer vorangehenden Deutungen hingewiesen und auf der Basis einer stilistischen Argumentation das Gemälde Jacometto Veneziano zugeschrieben, dessen Œeuvre Mazzotta 2019, 78–82, zuletzt auch das doppelseitig bemalte Porträt eines Mannes der Berliner Staatlichen Museen zuschlagen möchte (zu dem Berliner Bildnis auch Lüdemann 2010 und Schmidt Arcangeli 2015, 81–87). Bei aller Berechtigung ihres Ausgangspunktes kann die Alternative aber ebenso wenig überzeugen wie die waghalsige Spekulation von Cortesi Bosco 2016, 56–58, das Porträt in Neapel sei vielleicht das Werk eines komplett hypothetischen Jacopo Barovier aus der gleichnamigen venezianischen Glasbläserfamilie, dessen Existenz sich womöglich nur deshalb durch nichts belegen lasse, weil er praktisch im Moment der Vollendung des Gemäldes verstorben sei. Vgl. Ferrari 2006, 99f., Kat. 12 ; Böckem 2016, 152–159. Vgl. Ferrari 2006, 99, Kat. 12 ; Böckem 2016, 153. Vgl. neben Ferrari 2006, 99f., Kat. 12, z. B. Pellini 2010 ; Böckem 2016, 155–157.
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Abb. 1 Jacopo de’ Barbari, Ungleiches Paar. Philadelphia, Philadelphia Museum of Art
Deutungen der Szene formuliert, wobei die vorsichtig skizzierte Interpretation des ersteren als Enthüllung der Reize der Virtus durch die Personifikation des Tempus24 vielleicht etwas kohärenter sein mag als der ausführlich und größtenteils auch sehr schlüssig begründete, in einzelnen Punkten allerdings nicht unproblematische Ansatz des letzteren, die Protagonistin als eine trauernde Muse aufzufassen.25 Abgesehen von dem Problem einer präzisen Definition des Darstellungsgegenstands bleibt aber ebenso die bislang nur flüchtig aufgeworfene Frage zu vertiefen, ob sich de’ Barbari wirklich ein noch kaum verbreitetes Thema seiner Wahlheimat angeeignet hat oder nicht vielmehr einer oberitalienischen Tradition treu geblieben ist.26 So spräche für die letztgenannte Erwägung nicht nur die Tatsache, dass bereits wenig später, ab 24 Dal Pozzolo 2008, 51f. 25 Pfisterer 2014, v. a. 80–85. Fragwürdig bleibt u. E. insbesondere die Implikation, de’ Barbari formuliere in seinem Gemälde eine ironische Kritik an der von Maximilian I. und einem Humanistenkreis um Konrad Celtis propagierte Idee einer translatio studi von Italien nach Deutschland (ebd., 85–90) : dass sich der erfolgreiche und weltgewandte Hofkünstler über ein kulturelles Prestigeprojekt seines Dienstherrn mokiert habe, von dem er noch 1504 eine größere Zahlung erhält (Ferrari 2006, 174, Dok. 3d, sowie Böckem 2016, 90–91), erscheint wenig glaubhaft. 26 Eine flüchtige Andeutung dieser Möglichkeit bei Ferrari 2006, 99, Kat. 12.
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dem zweiten Jahrzehnt des Cinquecento, einige Halbfigurenbilder venezianischer Maler (bzw. der venezianischen Terraferma) Männer reiferen Alters wiedergeben, die sich anschicken, auf ganz ähnliche Weise wie in dem Bild in Philadelphia die Brüste einer jungen Frau zu betasten und/oder zu entblößen, wobei die scheinbare Laszivität dieser Geste durch den Kontext einer Eheschließung gerechtfertigt sein dürfte, sondern auch die Möglichkeit, dass ein verlorener und nur literarisch überlieferter Prototyp dieser diskret sinnlichen Kompositionen, die (ganz ähnlich wie die Jacopos) auf eigentümliche Weise zwischen Porträt, Mythos und Allegorie oszillieren, von der Hand Giovanni Bellinis stammen könnte.27 Wenn somit nicht auszuschließen ist, dass de’ Barbaris sogenanntes Ungleiches Paar den ikonographischen Stammbaum einer auf den ersten Blick rein nordalpinen Gattung um ein spezifisch italienisches Element bereichert hat, bleibt gleichwohl hervorzuheben, dass dieser Beitrag in den Händen seiner mitteleuropäischen Kollegen (wie vor allem Cranachs, der das Thema ab den 1520er Jahren in zahlreichen Varianten behandelt) eine doppelte Metamorphose durchläuft, indem einerseits seine zurückhaltende Erotik einer expliziten, moralisierenden und humoristisch zugespitzten Schlüpfrigkeit weichen muss und andererseits symbolisch-allegorische Überzeitlichkeit durch eine anekdotisch-genrehafte Bilderzählung ersetzt wird. Zumindest die letztgenannte Transformation lässt sich aber auch in unserem zweiten Beispiel feststellen, bei dem darüber hinaus der Möglichkeit einer außeritalienischen Rezeption eine zentrale Rolle in der Bestätigung einer hypothetischen Zuschreibung zufallen könnte. So ist im Fall des Toten Christus im Depot des Museo Civico in Vicenza (Abb. 2) zweifellos nicht unumstritten, ob es sich, wie erstmals 1980 von Mauro Lucco angenommen und zuletzt wieder verstärkt in Betracht gezogen,28 tatsächlich um ein Werk de’ Barbaris handelt. Dagegen scheint vor allem die lokale Provenienz des Gemäldes aus der Anfang des 19. Jahrhunderts profanierten Kirche San Bartolomeo zu sprechen, da eine Tätigkeit des Künstlers in Vicenza bislang nicht belegbar ist.29 Hinzu kommt, dass eine stilistische Beurteilung des Bildes auf Grund seines ruinösen Erhaltungszustandes nur mit äußerster Vorsicht vorgenommen werden kann. Unter Beschränkung auf allgemeine anatomische und kompositorische Charakteristika der Gestalt des leblosen, aber ohne stützende Assistenzfiguren auf dem Rand eines mutmaßlichen Sarko27 Vgl. Lüdemann 2008, 255–261. Quelle für die Existenz von Bellinis Gemälde sind die Selvette (1513) des Venezianers Nicolò Liburnio, der mit dem Künstler persönlich bekannt war und so als vertrauenswürdiger Gewährsmann gelten darf. Lüdemann 2008, 258f. 28 Vgl. Lucco 1980, 64, Anm. 64, gefolgt von Villa 2003 und Avagnina 2008. Skeptisch dagegen Ferrari 2006, 161, während Böckem 2016 das Vicentiner Gemälde komplett ignoriert. 29 Die Hypothese, in dem (umstrittenen) Porträt des Mathematikers Fra’ Luca Pacioli mit einem Schüler in Neapel (s. o., Anm. 20) stehe das Adjektiv „vigennis“ in der Künstlersignatur auf dem cartellino für „vicentinus“ (Ciardi Dupré dal Poggetto 1983, 182), ist selbst dort, wo man diese nicht, wie weithin angenommen, als eine Altersangabe, sondern als eine Herkunftsbezeichnung gedeutet hat, zu Recht als haltlos abgelehnt worden. Vgl. Angelini 2014, 127 ; zudem Ferrari 2006, 81, Kat. 1.
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Abb. 2 Jacopo de’ Barbari (?), Toter Christus. Vicenza, Museo Civico di Palazzo Chiericati
phags sitzenden Erlösers ist jedoch unverkennbar, dass Merkmale wie die abfallenden Schultern, das pathetisch zur Seite geneigte Haupt, der allzu klobige, unorganisch gebildete Hals oder die wenig plastische, etwas teigige Modellierung der Körperformen eindeutige Parallelen sowohl in etlichen Druckgraphiken (Abb. 3) als auch in diversen signierten Gemälden de’ Barbaris finden.30 Vor allem aber erscheint, was bislang völlig unbemerkt geblieben ist, praktisch unumgänglich, dass Lucas Cranach d. Ä., der zwischen April und Dezember 1505 gleichzeitig mit letzterem am Hof Friedrichs des Weisen angestellt war und so seinen italienischen Kollegen mit Sicherheit persön-
30 Besonders aussagekräftig etwa der charakteristische massive Hals und die abfallenden Schultern in dem Porträt eines jungen Mannes des Wiener Kunsthistorischen Museums (Ferrari 2006, 103f., Kat. 14). Zu letzteren und der nicht weniger typischen Kopfneigung, beide geradezu ein Markenzeichen de’ Barbaris, vgl. außer dem sogenannten Ungleichen Paar in Philadelphia, v. a. etliche Beispiele aus seinem druckgraphischen Œuvre : Judith mit dem Haupt des Holofernes, die Madonna der Heiligen Familie, die Heilige Katharina von Alexandrien, die Nackte junge Frau mit Handspiegel – Vanitas/Prudentia sowie die vorbereitende Zeichnung (London, British Museum) und der darauf basierende Kupferstich der Cleopatra. Vgl. ebd., 117f., 122f., 129f., 136f., 159f., 140f. Kat. 7, 10, 16, 22, 5 (Abteilung „Disegni“), 24.
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Abb. 3 Jacopo de’ Barbari, Schlafende Frau mit Schlange (Cleopatra ?). Staatliche Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett, Inv. 124–24
lich gekannt hat,31 insofern zumindest mit einer verschollenen zweiten Fassung oder Variante des Toten Christus in Vicenza vertraut gewesen sein muss, als sein auf etwa 1515 datierter Schmerzensmann (Wörlitz, Gotisches Haus, Leihgabe der Evangelischen Kirchengemeinde Wörlitz ; Abb. 4)32 beginnend mit der Wahl eines undifferenzierten schwarzen Hintergrundes über den Bildausschnitt, die Sitzposition und den Kontur besonders der rechten Seite des leidenden Jesus bis hin zu dessen fahlem, leicht grünlichen Inkarnat oder der ziemlich unbestimmten Modellierung seiner Muskulatur so eklatante Gemeinsamkeiten mit dem thematisch verwandten italienischen Gemälde aufweist, dass sich diese schwerlich mit der Hypothese einer zufälligen Konvergenz erklären lassen. Von besonderem Interesse ist dabei, dass, analog zu der vorangehend betrachteten Komposition Jacopos in Philadelphia und den „ungleichen Paaren“ seiner nordalpinen Künstlerkollegen, mit der Übernahme inhaltlicher Anregungen und nun vor allem gestalterischer Merkmale auch erneut eine thematisch-atmosphärische Umdeutung von einem zurückhaltend elegischen Pathos hin zu einer Akzentuierung narrativer Elemente, einer dramatischen Emphase und einem direkten Appell an den Betrachter zu dessen emotionaler Involvierung einhergeht : Denn während de’ Bar31 Vgl. Böckem 2016, 162–164, 226. 32 Vgl. Horký 2017.
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Abb. 4 Lucas Cranach d. Ä., Schmerzensmann. Wörlitz, Gotisches Haus ; Leihgabe der Evangelischen Kirchengemeinde Wörlitz
baris Toter Christus mit der Gestik seiner herabhängenden Arme lediglich eine diskrete Anspielung auf die Szene der Kreuzabnahme artikuliert,33 sucht bzw. erwidert Cranachs Schmerzensmann den Blick des Rezipienten, verdichtet mit den Stigmata und den verschiedenen Marterwerkzeugen die Hinweise auf zentrale Momente des Passionsgeschehens und fordert uns, obwohl offenkundig bereits auferstanden, mit seiner immer noch leidgeprägten Physiognomie aktiv zur empathischen Einfühlung auf. Ob es sich aber bei dieser anhand unserer beiden Beispiele beobachteten Mischung aus Assimilation und Modifikation nur um ein singuläres Phänomen oder, wie etwa die gleichermaßen signifikanten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen venezianischen (Landschafts)Darstellungen wie Giorgiones bukolisch-idyllischer Tempesta (Venedig, Gallerie dell’Accademia) einerseits und andererseits den formal ähnlichen, aber von weitaus weniger friedfertigen Akteuren bevölkerten Szenarien ihrer nordalpinen Kollegen wie z. B. Albrecht Altdorfers Satyrfamilie (Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz – Gemäldegalerie) bestätigen könnten,34 um eine generelle Tendenz in der Auseinandersetzung mitteleuropäischer Maler und Graphiker mit den Werken 33 Vgl. dazu Belting 1981, 110–121. 34 Zu einer vergleichenden Analyse dieser und weiterer, thematisch und kompositorischer affiner
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der venezianischen Renaissance handelt, muss an dieser Stelle aus naheliegenden Platzgründen bis auf weiteres eine offene Frage bleiben.
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oberitalienischer und nordalpiner Gemälde und Zeichnungen mit meist rätselhaften Sujets vgl. neben Aikema 2001, 433f., v. a. Id. 2003, 81–84.
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Cavalieri, Federico : Ancora su Zanetto Bugatto : alcune riflessioni e una nuova proposta, in : Studi lombardi 7 (2014), 23–54. Ciardi Dupré Dal Poggetto, Maria Grazia : Ritratto di Fra’ Luca Pacioli e del Duca Guidubaldo da Montefeltro, in : Urbino e le Marche prima e dopo Raffaello (Ausst.-Kat.), hg. von Ead. und Paolo Dal Poggetto, Florenz 1983, 181–183, Kat. 38. Cortesi Bosco, Francesca : Viaggio nell’Ermetismo del Rinascimento. Lotto, Dürer, Giorgione, Padua 2016. Dal Pozzolo, Enrico Maria : Colori d’amore. Parole, gesti e carezze nella pittura veneziana del Cinquecento, Treviso 2008. Der frühe Dürer (Ausst.-Kat.), hg. von Thomas Eser und Daniel Hess, Nürnberg 2012. Eser, Thomas : Ein anderer »Früher Dürer«. Drei Vorschläge, in : Eser/Hess 2012, 18–28. Evans, Mark : »Die Italiener, sonst so ruhmsüchtig, bieten Dir die Hand«. Lucas Cranach und die Kunst des Humanismus, in : Cranach der Ältere (Ausst.-Kat.), hg. von Bodo Brinkmann, Ostfildern 2007, 49–61. Falk, Tilman : Hans Burgkmair. Studien zu Leben und Werk des Augsburger Malers, München 1968. Ferrari, Simone : Jacopo de’ Barbari. Un protagonista del Rinascimento tra Venezia e Dürer, Mailand 2006. Ferrari, Simone : Dürer e Jacopo de’ Barbari : persistenza di un rapporto, in : Dürer, l’Italia e l’Europa. Contributi in occasione della giornata internazionale di studi, Roma 23–25 aprile 2007, hg. von Sybille Ebert-Schifferer und Kristina Herrmann-Fiore, Cinisello Balsamo (Milano) 2011, 39–46. Horký, Mila : Schmerzensmann, in : Lucas Cranach d. Ä.: Meister – Marke – Moderne (Ausst.Kat.), hg. von Gunnar Heydenreich, Daniel Görres und Beat Wismer, München 2017, 171f., Kat. 79. Krause, Katharina : Hans Holbein d. Ä. und Hans Burgkmair : Alternativen in der Augsburger Malerei um 1500, in : Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 55 (1998), 111–122. Luber, Catherine Crawford : Albrecht Dürer and the Venetian Renaissance, Cambridge 2005. Lucco 1980 : Lucco, Mauro : Riflessi lombardi nel Veneto (un abbozzo di ricerca sui precedenti culturali del Lotto), in : Lorenzo Lotto a Treviso. Ricerche e Restauri (Ausst.-Kat.), hg. von Gianvittorio Dillon, Treviso 1980, 33–66. Lüdemann, Peter : Virtus und Voluptas. Beobachtungen zur Ikonographie weiblicher Aktfiguren in der venezianischen Malerei des frühen Cinquecento, Berlin 2008. Lüdemann, Peter : Ikonographische Beobachtungen zur Rückseite von Jacopo de’ Barbaris Porträt eines Mannes [»Bildnis eines Deutschen«] in den Staatlichen Museen, in : Jahrbuch der Berliner Museen 52 (2010), 7–17. Martin, Andrew John : Lucas Cranach e l’arte delle corti del Nord, in : Aikema/Coliva 2010, 49–61. Mazzotta, Antonio : Altri ‘ritratti’ veneziani per Antonello, Jacometto e Andrea Previtali, in : Prospettiva. Rivista di storia dell’Arte antica e moderna 165/166 (2017 [2019]), 69–91. Mensger, Ariane : Jan Gossaert. Die niederländische Kunst zu Beginn der Neuzeit, Berlin 2002. Pellini, Giorgia : Coppie mal assortite, in : Aikema/Coliva 2010, 234–239. Pfisterer, Ulrich : The Muses’ Grief : Jacopo de’ Barbari on Painting, Poetry and Cultural Transfer
316 | Peter Lüdemann in the North, in : The Muses and their Afterlife in Post-Classical Europe, hg. von Kathleen W. Christian, Clare E. L. Guest und Claudia Wedepohl, London 2014, 75–91. Rupprich, Hans : Dürers schriftlicher Nachlaß, 3 Bde., Berlin 1956–1969. Schmidt Arcangeli, Catarina : Giovanni Bellini e la pittura veneta a Berlino. Le collezioni James Simon & Edward Solly alla Gemäldegalerie, Verona 2015. Schrader, Stephanie : Gossaert’s Neptune and Amphitrite and the Body of the Patron, in : Nederlands kunsthistorisch Jaarboek 58 (2007/08 [2008]), 40–57. Villa, Giovanni Carlo Federico : Cristo morto, in : Pinacoteca civica di Vicenza. Dipinti dal XIV al XVI secolo, hg. von Maria Elisa Avagnina, Margaret Binotto und Giovanni Carlo Federico Villa, Cinisello Balsamo (Milano), 2003, 201–203, Kat. 56. von Fabriczy, Cornelius : Adriano Fiorentino, in : Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 24 (1903), 71–98. Warnke, Martin : Artisti di corte. Preistoria dell’artista moderno [1985], Rom 1991.
Hubert Locher
Der romantische Tourist und das Kunstwerk
Die Reise als Gang aus der Heimat in die weite Welt, als Weg zu sich selbst ist gewiss einer der bedeutendsten – bis heute nachwirkenden – Topoi romantischer Kunst und Literatur. Besonders reich ausgestaltet ist er in Joseph von Eichendorffs Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts1 – hier illustriert durch Moritz von Schwinds kleines Reisebild Auf der Wanderschaft in Gestalt der Reproduktion auf einer Postkarte, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts kursierte, im vorliegenden Fall für die Einlage in einen Briefumschlag rückseitig ganz beschriftet und datiert vom 15. August 1922 (Abb. 1).2 Eichendorffs novellistisch-poetische Darstellung der Reise des namenlosen Taugenichts ist eine Parabel über die ebenso durch innere Sehnsucht wie äußeren Zwang bedingte Notwendigkeit, die Heimat zu verlassen, um sie überhaupt finden zu können. Anlass zur Reise ist die empfundene Sinnlosigkeit des Bleibens am angestammten Ort. Ein bestimmtes Ziel gibt es nicht. Der Geige spielende, in den Tag hinein lebende Jüngling wird vom Vater, einem Müller, ebenso wie vom lieben Gott „in die weite Welt“ geschickt (566), um „sein Glück [zu] machen“ (565). Der Weg führt ihn dabei typischerweise „gen Italien hinunter“, „wo die Pomeranzen wachsen“ (584), ohne dass er irgend Genaues von diesem schönen Land wüsste, von dem es aber heißt, dass „der liebe Gott für alles“ sorgt (585). Er kommt weit, auch gar bis in die „berühmte Stadt Rom“ (614). Da allerdings weiß er nicht recht, was er soll, abgesehen von einigen Vergnügungen im Kreis geselliger Kunstfreunde und – vor allem – junger Damen. So kehrt er dem „falsche[n] Italien“ (630) den Rücken und die Reise führt ihn alsbald zurück, wenn nicht in das väterliche Haus, so doch in die Heimat an die Donau, „und es war alles, alles gut“ (647). Gegenstand von Eichendorfs Novelle ist jene charakteristische romantische Figur des Wanderers auf der Reise, die ihn in der Konfrontation und Auseinandersetzung mit
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Eichendorff 1826 (Erstdruck, entstanden 1817–1823). Ich zitiere nach der Werkausgabe Berlin 2013. Anstelle von vielerlei hierzu möglichen Literaturverweisen und Textausgaben sei an dieser Stelle nur verwiesen auf die enzyklopädische Studie von Eberhardt 2000. Ehemals München, Schack-Galerie, Inv. Nr. 11696, auf Holz 36 × 22 cm. Das Gemälde wurde beim Brand des Münchner Glaspalastes am 6. Juni 1931 zerstört. Hier ist kein expliziter Bezug zu Eichendorff gegeben, jedoch sind dessen Gedichte häufig Motive für Postkarten. Siehe dazu die Sammlung Historische Bildpostkarten der Universität Osnabrück : https://bildpostkarten.uniosnabrueck.de/frontend/index.php/Detail/entities/joseph_von_eichendorff (16.9.2020). Zur Bildpostkarte auch die Ausstellung bzw. Sammlung im Museum für Kommunikation Berlin, Mehr als Worte. 150 Jahre Postkartengrüße, 21.8.2019–2.2.2020 : https://www.ausstellung-postkarte.de (16.9.2020).
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Abb. 1 a, b „Wie freue ich mich, daß Du soviel Schönheit in Dir aufnehmen darfst.“ Postkarte F. A. Ackermanns Kunstverlag, M. von Schwind, Auf der Wanderschaft – Jeune homme en voyage – Travelling youth (Schackgalerie, München). Schriftseite datiert 15. August 1922
Fremdheit schließlich zur Selbstfindung führt, in der das eigentliche Glück besteht.3 Der Reisende steht zwar unter dem Verdacht eitlen „in der Welt herumvagieren[s]“ (6), doch beinhaltet die Reise Erfahrung, Erkenntnis der eigenen Identität, nicht bloß durch Vernunft, sondern mittels der Kräfte der Seele, die in der Konfrontation mit dem Fremden erst geweckt werden. So resultiert sie in der nun erst möglichen freien Annahme der eigenen Herkunft und also in der Bestimmung von Heimat als Ort, der von allem Fremden unterschieden ist. Was von Eichendorff in märchenhafter Form kunstvoll ausgearbeitet wird, ist als ideale, geistige Bewegung zu verstehen. Das poetische Bild setzt sich jedoch aus Motiven zusammen, die aus der Realität gegriffen sind, insofern auf die Praxis dessen Bezug genommen wird, was derjenige sucht und erfährt, den ich hier als romantischen Touristen bezeichne und der sich tatsächlich auf die Reise macht. Nicht von ungefähr wird das von Schwind kongenial zu Eichendorff ins Bild gesetzte Motiv der Sehnsuchtsreise 3
Siehe z. B. Gish 1964, 225–239 ; sowie Cusack 2008.
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später lange Jahre auf Postkarten verwendet, die man bekanntlich nach Hause schickt. Fernweh ist nur die Kehrseite von Heimweh. *** Die romantische Reise steht in markanter Differenz zu jenem touristischen Reisen, das im 18. Jahrhundert zur Konvention geworden ist, der Grand Tour, unternommen vom jugendlichen englischen Kavalier in der Absicht, sich zu bilden und buchstäblich Weltläufigkeit zu erwerben, bald imitiert auch von Reisenden anderer Nationen. Italien als Land der Antike und ihrer Wiedergeburt in der neuzeitlichen Kunst steht dabei im Mittelpunkt,4 und auch in Eichendorffs poetischer Reiseerzählung sind Italien und Rom bald das Ziel, aber doch eher eine Zwischenstation. Auch die Große Tour beinhaltete schon seit der ersten Verwendung des Begriffs Ende des 18. Jahrhunderts nicht ein Land oder eine Kultur, sondern typischerweise einen Verlauf, „den Besuch bestimmter Teile einiger europäischer Länder von Flandern über Deutschland, die Schweiz und Frankreich bis Italien“.5 Der Reiseweg zeichnet demnach die buchstäbliche Annäherung an die aus der Schulliteratur bekannte römisch-antike Kultur nach, die nun anhand der Überreste und Lokalitäten, vorbei auch an Sehenswürdigkeiten und mirabilia anderer Gegenden erfahrbar werden sollte. Dabei ist die Grand Tour keine Kunstreise, das Bildungsziel ist umfassender und allgemeiner, wie Laurence Sterne in einer seiner Predigten (The Prodigal Son, 1766) erläutert, die das Reisen, dem sich der biblische verlorene Sohn – zunächst lasterhafterweise – hingibt, schließlich aber doch rechtfertigt. Das Reisen, wenn es mit Maß und Ziel betrieben wird, bietet nicht nur Gefahren, sondern auch Vorzüge und Chancen. Es eröffnet besonders die Möglichkeit, „Sprachen zu lernen und die Gesetze und Sitten, die Interessen und die Regierungen anderer Nationen zu verstehen – damit man Weltgewandtheit [urbanity] und Sicherheit im Benehmen erwirbt und den Geist zur Geschmeidigkeit bei Konversation und menschlichem Umgang erzieht […] Werden uns auf Reisen neue Gegenstände oder alte in einem neuen Licht vor Augen geführt, so können wir Urteile revidieren – wer fortwährend von der ganzen Vielfalt der Natur kostet, wird lernen, was gut ist – wer die Kenntnisse und Künste der Menschen beobachtet, wird begreifen, was ernst und aufrichtig ist – wer so viele unterschiedliche Charaktere und Verhaltensweisen erlebt, wird in sich selbst hineinblicken und seinen eigenen ausbilden.“6 Diese Beschreibung klingt aufgeklärt und modern, zumal im letzten Satz, der auf die Möglichkeit der Selbsterkenntnis durch Reflexion im Vergleich hinweist. Dabei ist Sternes Vorstellung zutiefst dem Weltbild der englischen Standesgesellschaft verhaftet. Es geht letztlich darum, den jungen Menschen zu ermächtigen, in dieser Gesellschaft 4 5 6
Der Klassiker zur Italienreise und zur Reiseführerliteratur ist Schudt 1959. Siehe weiter Brilli 1997. Wilton/Bignamini 1996. Vgl. außerdem mit breiterer Perspektive Jäger 1992. Laurence Sterne, The Sermons of Mr Yorick, Nr. 20, The Prodigal Son (Luke 15, 13). Zitiert nach Brilli 1997, 22. Sterne, Sermons, nach Brilli 1997, 23.
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bestehen zu können. Bezeichnend ist auch, dass sich die Reise selbst nach Auffassung des Gelehrten, Predigers und Literaten ausdrücklich nicht durch das Wissen der Bücher ersetzen lässt. Gelehrsamkeit ist gut und nützlich, im Fall der Fälle hilft aber nur eigene Erfahrung, wie er in derselben Predigt ausführt. Der junge Reisende soll allerdings nicht ohne Begleitung unterwegs sein, er wird geführt und beschützt von einem, der die guten und schlechten Orte schon kennt, der die Tour durch Europa bereits dreimal heil überstanden hat, der weiß, welche Stationen anzulaufen sind und welche Sehenswürdigkeiten es zu besichtigen gilt. Sterne selbst, der in seinem Leben mehrfach nach Frankreich und auch nach Italien gereist ist, lenkt in seinem letzten zu Lebzeiten erschienenen literarischen Werk, jener Reisebeschreibung, die unter dem Titel A Sentimental Journey through France and Italy. By Mr. Yorick erschien, die Aufmerksamkeit entschieden von jeglichen konventionellen Bildungsinhalten weg auf Ereignisse, die man in der Sprache der Zeit als „Regungen“ des „Herzens“ zu bezeichnen hätte.7 Zwar handelt es sich durchaus um einen Reisebericht und es werden die Namen von Orten genannt, die auf dem Weg passiert werden, doch findet sich im Text kaum je eine Schilderung dieses Weges oder gar von Objekten, sondern vorzugsweise die Beschreibung von Gedanken und Empfindungen, die sich auf die Begegnung mit Menschen, zumeist Frauen, beziehen oder diesen entspringen. Dabei wird auch der Unterschied zwischen England und Frankreich thematisiert – so etwa wenn Sterne die Verwendung der Ausdrücke „tant pis“ und „tant mieux“ erklärt (Bd. 1, 78–80) oder pointiert die Differenzen zwischen einem englischen und einem französischen Perückenmacher erläutert : Während der Franzose sagt, man könne die neue Perücke, deren Wasserfestigkeit der Reisende bezweifelt, „in den Ocean tauchen“, würde der Engländer allenfalls sagen, „stecken Sie sie in einen Eimer Wasser“. Sterne kommentiert : „Welch ein Unterschied ! – es verhält sich wie die Zeit zur Ewigkeit“. (Bd. 1, 131). Für die zu seiner Zeit konventionelle Bildungsreise als Sammeln von Sehenswürdigkeiten hat Sterne nur Verachtung übrig. Die Autoren zweier gerade eben erschienener Reisebücher, Tobias Smollet8 und Dr. Samuel Sharp,9 letzterer ein berühmter Chirurg, werden unter den Namen eines Herrn „Smelfungus“, was soviel wie „Pilzgeruch“ heißt, und „Mundungus“ angesprochen, ein Ausdruck für schlechten, nach Dung riechenden Tabak (Bd. 1, 73–76). Beide Bücher kritisiert Sterne, weil sie vor allem Schlechtes zu berichten wüssten, über den Schmutz in Italien, besonders in Rom, die Kulturlosigkeit der Gegenwart und den Sittenverfall, während sie allerdings die Kunst- und Kulturschätze der Vergangenheit loben und preisen. Sterne dagegen interessiert sich für die Eigentümlichkeiten des fremden Landes, die er aus den Begegnungen mit Menschen 7
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Sterne 1768. Ich zitiere deutsch nach der Erstübersetzung von Johann Joachim Christoph Bode, Bode 1770–1772. Hier z. B. Bd. 2, 59 : „es ist eine ruhige Reise des Herzens, nach Natur und nach solchen Regungen, welche aus ihr entspringen, und uns treiben, einander zu lieben … ja die ganze Welt, mehr, als wir pflegen.“ Smollet 1766. Sharp 1766.
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erlebt. Er zieht diese daher entschieden der Begegnung mit Kunstwerken vor : „Aus dieser Ursache“, so bekennt er gegenüber einem seiner Gastgeber, dem Grafen von B., „hab’ ich weder den Palais Royal … noch Luxembourg … noch die Façade des Louvre besehen … noch mich bemühet, die Verzeichnisse, die wir von Gemählden, Statuen und Kirchen haben, anzuschwellen … ich denke mir jedes schöne Wesen, als einen Tempel, in den ich lieber gehn, / und wo ich die darin aufgehangenen original Gemählde und leichten Skizzen lieber betrachten möchte, als selbst die Verklärung vom Raphael. Der Durst nach diesem […] eben so ungeduldig, als der, welcher die Brust des Raritätensammlers entzündet, hat mich von meiner Heymath nach Frankreich geführt, … und wird mich von Frankreich durch Italien führen … es ist eine ruhige Reise des Herzens, nach Natur und nach solchen Regungen, welche aus ihr entspringen, und uns treiben, einander zu lieben … ja die ganze Welt, mehr, als wir pflegen.“ (Bd. 2, 56–57).
*** Sternes Buch war bei seinem Erscheinen im Todesjahr des Autors sogleich Erfolg beschieden und wurde auch in der deutschen Übersetzung schnell populär. In seiner Art, von den großen Sehenswürdigkeiten abzusehen und Bildung als eine Angelegenheit der Seele zu verstehen, die von Ironie gebrochen, aber nicht entwürdigt werden kann, ist es in Deutschland besonders von Heinrich Heine bewundert und in eigenständiger Weise nachgeahmt worden.10 Heine selbst hat in dem zuerst in französischer, 1836 in deutscher Sprache erschienenen Essay Die romantische Schule Sterne gegenüber der Kritik eines Friedrich Schlegel mit tiefsinnigen und treffenden Worten verteidigt und ihn nachgerade auf eine Stufe mit Shakespeare gestellt.11 Was hier aber von besonderem Belang sein mag, er hat Sternes pointiert indirekte Form des Reiseberichts, sein Prinzip des Assoziationssprungs und der Abschweifung auf eigene Art in seinen Reisebildern nachempfunden, besonders in den Texten, die anlässlich einer 1828 unternommenen Italienreise entstanden sind, darunter als eigentlicher Reisebericht die Reise von München nach Genua.12 Sowohl Sterne wie auch Heine bilden in ihren Reisebüchern wesentliche Aspekte der Idee des romantischen Reisens aus, in jeweils sehr spezifischer Form, aber gleichermaßen in größtmöglicher Distanzierung von der zu ihrer Zeit gängigen Reiseliteratur. Ebenso wie Sterne die jüngsten englischen Grand Tour-Berichte mit Verachtung betrachtet, blickt Heine auf etliche in der Zwischenzeit erschienene, mehr oder weniger lesenswerte und bedingt nützliche Italienbücher. So karikiert er in der Reise von München nach Genua die praktische Verwendung eines „Guide des voyageurs“ durch einen englischen Gentleman, der mit seiner Gattin und einem Diener das Grab Kai10 Vgl. dazu Lennartz 2005, 1–25. Dort heißt es, Heine habe ein Exemplar von Sternes Sentimental Journey in englischer Sprache auf seiner Reise bei sich getragen. Die kritische Edition von Heines sämtlichen Werken führt ein direktes Zitat bzw. eine Motivübernahme im dritten Teil, Die Stadt Lukka, an, Kap. 4. Heine 1986, 165, bzw. Kommentar, 1583. 11 Heine 1980, 220. 12 Erschienen als Reisebilder von H. Heine. Dritter Theil. Hamburg 1830. Zit. nach Heine 1986.
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ser Maximilians in Innsbruck besucht und bei der Identifikation der Figuren mithilfe des Textbuches die Reihenfolge verdreht (Kap. 8, 30). Auch an anderer Stelle verspottet Heine, ganz in der Linie Sternes, den englischen Touristen, der sich nur über die Schlitzohrigkeiten und Prellereien der Italiener aufhalte, ansonsten sich durch massenhaftes Auftreten auszeichne und überhaupt im Vergleich mit den Italienern als „civilisirter Barbar“ erscheine (Kap. 27, 65).13 Sein eigenes Reisebild ironisch kontextualisierend kommentiert Heine auch eine Reihe der verfügbaren Reisebücher für Italien. Mit großem Respekt setzt er Goethes Italienische Reise an die erste Stelle, lobt sie ausführlich und aufrichtig, wenngleich nicht ohne ironischen Unterton. Das entsprechende Kapitel 26 beginnt schon mit den ersten Zeilen von Mignons Lied aus Goethes Wilhelm Meister : „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen“, woraufhin Heine rhetorisch den Leser fragt : „Kennst du das Lied ? Ganz Italien ist darin geschildert, aber mit den seufzenden Farben der Sehnsucht. In der italienischen Reise hat es Goethe etwas ausführlicher besungen, und wo er malt, hat er das Original immer vor Augen und man kann sich auf die Treue der Umrisse und der Farbengebung ganz verlassen. Ich finde es daher bequem, hier ein für allemal auf Goethes italienische Reise hinzudeuten, um so mehr da er, bis Verona, dieselbe Tour, durch Tyrol, gemacht hat.“ (Kap. 26, 61) Mehr aus Höflichkeit gegenüber seinen Lesern, so scheint es, gibt Heine dann ein Resümee zu einigen seither erschienenen Italienreisebüchern, wobei er der Einfachheit und Bequemlichkeit halber auf eine, in der Tat umfassende, Sammelrezension des eben erst verstorbenen Wilhelm Müller, selbst Autor eines Reisebuches, in der Zeitschrift Hermes der Jahre 1820 und 1821 verweist, da deren Zahl „Legion“ sei.14 Die beiläufige Auflistung zeigt an, dass sich Heine für diese Literaturgattung eigentlich nicht interessierte und zwar, ironischerweise, trotz seines vorliegenden Reisebuches. Im zweiten Teil der Reisebilder Italiens, »Die Bäder von Lukka«, wird dies auch ausgesprochen. Hier heißt es : „Es giebt nichts Langweiligeres auf dieser Erde, als die Lektüre einer italienischen Reisebeschreibung – außer etwa das Schreiben derselben – und nur dadurch kann der Verfasser sie einigermaßen erträglich machen, daß er von Italien selbst so wenig als möglich darin redet.“ (Kap. 9, 113). Man darf sich also fragen, was nun überhaupt der Gehalt und Sinn eines solchen Versuches sein mag. Tatsächlich ist weder der erste Teil der Reisebilder aus Italien, noch der zweite oder der dritte in irgendeiner Weise informativ, was die konkreten Orte und Sehenswürdigkeiten betrifft. Wie schon Sterne hält auch Heine wenig vom Besuch von Orten der Kunst und insbesondere von Gemäldegalerien. Die Gelegenheit, dem „lieben Leser“ „bei Erwähnung der Brera und Ambrosiana“ seine „Kunsturtheile aufzutischen“, lässt er aus und erklärt : „[Ich will] diesen Kelch an dir vorüber gehen lassen, und mich mit der Bemerkung begnügen, daß ich das spitze Kinn, das den Bildern der 13 Zu den Beschwerlichkeiten und häufigen Ärgernissen des Reisens in Italien siehe die Beiträge in Wegerhoff/Imorde 2012. 14 Müller 1820 und 1821.
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Abb. 2 „Magdalena […] ist so schön, daß man fürchten sollte, sie werde gewiß noch einmal verführt werden.“ Turin, Galleria Sabauda. Paolo Veronese, Gastmahl im Hause des Simon, Öl auf Leinwand, 411,6 x 474 cm ; Variante / Wiederholung des Gemäldes im ehemaligen Palazzo Durazzo, heute Palazzo Reale, Genua
lombardischen Schule einen Anstrich von Sentimentalität giebt, auch auf den Straßen von Mayland bey mancher schönen Lombardinn gesehen habe“ (Reise von München nach Genua, Kap. 28, 66). Die Kernaussage dieser Passage ist, dass das Leben die Kunst verständlich mache und nicht umgekehrt. So findet man in den Reisebildern aus Italien anstelle von eigentlichen Informationen über Kunstwerke vielerlei Überlegungen Heines, die diese Verbindung zum Leben herstellen, wie etwa seine geistreichen Bemerkungen zum Weiterbau des Mailänder Doms, der von Napoleon als einer seiner „Lieblingsgedanken“ selbst betrieben worden sei, nun aber – Ironie des Schicksals – von den Österreichern vollendet werde (Kap. 28, 67). Immer wieder wird auf diese indirekte Weise auch auf die politische Situation Bezug genommen, auf die Trauer der Italiener über das nationale Unglück, den unbefriedigten, sich zumal in der Musik Raum schaffenden Patriotismus. Wenn auch kaum Sehenswürdigkeiten beschrieben werden, so ist Heine die Begegnung mit Werken der Kunst doch keineswegs gleichgültig. Nicht von ungefähr endet sein erstes Italienisches Reisebild mit zwei Kapiteln, in denen es zur Schilderung eines Galerieerlebnisses kommt. Heine besichtigt die Gemäldegalerie im Palazzo Durazzo
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in Genua und wird hier von der Betrachtung eines Gemäldes von Paolo Veronese – dargestellt ist Maria Magdalena – so hingerissen, dass er sich wünscht, sie würde zu ihm aufsehen : „Diese ist so schön, daß man fürchten sollte, sie werde gewiß noch einmal verführt werden : Ich stand lange vor ihr – ach, sie schaute nicht auf“ (Kap. 33, 77) (Abb. 2).15 Besonders aufschlussreich ist aber Heines Begegnung mit Rubens, den er, vielleicht auch aufgrund der Darstellung seiner schönen Frauen, bewundert. Diese Begegnung führt ihn weiter zu einer Reflexion über einen deutschen Maler, den er sehr gut kennt – Peter Cornelius. Und so kommt es zu einem höchst unerwarteten Vergleich : Ausgerechnet der üppige Rubens lenkt Heine auf den kärglichen Cornelius, beide aber verweisen ihn auf seine eigene Person : „Ich kann dem kleinsten Bilde dieses großen Malers nicht vorübergehen ohne den Zoll meiner Bewunderung zu entrichten. Um so mehr, da es jetzt Mode wird, ihn, ob seines Mangels an Idealität, nur mit Achselzucken zu betrachten. Die historische Schule zu München zeigt sich besonders groß in solcher Betrachtung. Man sehe nur mit welcher vornehmen Geringschätzung der langhaarige Cornelianer durch den Rubenssaal wandelt ! Vielleicht aber ist der Irrthum der Jünger erklärlich, wenn man den großen Gegensatz betrachtet, den Peter Cornelius zu Peter Paul Rubens bildet. Es läßt sich fast kein größerer Gegensatz ersinnen und nichts destoweniger ist mir bisweilen zu Sinn, als hätten beide dennoch Aehnlichkeiten, die ich mehr ahnen als anschauen könne. Vielleicht sind landsmannschaftliche Eigenheiten in ihnen verborgen, die den dritten Landsmann, nemlich mich, wie leise heimische Laute ansprechen.“ (Kap. 33, 77)
Was Heine als Gemeinsamkeit erkennen will, ist beider Produktivität, ihre „Schöpfungs kühnheit“, ihre „geniale Ursprünglichkeit“ – und natürlich wünscht er selbst sich diese auch. Gleichermaßen düster muten sie ihn in ihrer Unzeitgemäßheit an : „Trotz ihrer Heiterkeit erregen die Gestalten des Rubens ein ähnliches Gefühl in unserer Seele, diese scheinen ebenfalls den Todeskeim in sich zu tragen, und es ist uns, als müßten sie eben durch ihre Lebensüberfülle, durch ihre rothe Vollblütigkeit, plötzlich vom Schlage gerührt werden. Das ist sie vielleicht, die geheime Verwandtschaft, die wir in der Vergleichung beider Meister so wundersam ahnen. Die höchste Lust in einigen Bildern des Rubens und der tiefste Trübsinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht dasselbe Gefühl. Woher aber dieser Trübsinn bey einem Niederländer ? Es ist vielleicht eben das schaurige Bewußtseyn, daß er einer längst verklungenen Zeit angehört […].“ (Kap. 33, 78)
Die melancholische Meditation führt Heine schließlich zu einer ganz persönlichen Erinnerung, denn er selbst, „ein kleines Bübchen“, hatte bei Cornelius in Düsseldorf – 15 Vgl. dazu den Stellenkommentar Heine 1986, 927. Bezeichnenderweise handelt es sich um ein Gemälde, das in verschiedenen Italienführern erwähnt und gelobt wurde.
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allerdings nicht bei Peter, sondern bei dessen Bruder Lambert – 16 einst Zeichenunterricht erhalten. *** Die hier kursorisch nachgezeichnete Bewegung ist charakteristisch für den romantischen Touristen. Geht es dem klassischen Reisenden um Aneignung und Spiegelung, so zielt der romantische Reisende auf die Erfahrung von Fremdheit, nicht etwa um diese verstehend zu neutralisieren, sondern um aus der Differenz die eigene Position bestimmen zu können. Voraussetzung hierzu ist eine kritische Einstellung. Sie ist bei Heine als explizite Ablehnung der Reiseliteratur, der Reisekonvention und der politischen Zustände ausgebildet, zeigt sich aber schließlich auch in Reflexionen, die ihren Ausgangspunkt in der Betrachtung konkreter Kunstwerke haben. Bei allen Differenzen liegt eine Gemeinsamkeit der besprochenen Texte – und mancher späterer Reiseliteratur bis in die jüngste Zeit – in der Negation, in der Ablehnung des touristischen Reisens im Sinne des Bildungstourismus nach dem Abklatsch der Grand Tour und in der Folge auch des Reisens im Sinne des seit den 1820er Jahren massiv einsetzenden modernen Tourismus. Dessen Breviere werden jene praktischen Reiseführer, die seit 1835 in Deutschland massenweise von Karl Baedeker, in England von John Murray auf den Markt gebracht werden. Wie schon manche ältere und auch noch jüngste Reiseliteratur bereiten diese Reiseführer das touristische Pflichtprogramm, das heißt die jeweilige Reisekonvention, rationell und informativ auf, um ganz im Sinne dieser Übereinkunft zum „richtig Reisen“ anzuleiten.17 Dass sie auch die vorhandene Literatur beiziehen, sogar hier und da ein Gedicht oder eine Beschreibung zitieren, bestätigt dies nur ; eine solche poetische Geste dient ebenso der Einholung der Konvention wie die Beteuerung der entsprechenden jüngeren Reiseliteratur, dass man hier zum „individuell Reisen !“ angeleitet werde. In der Abwehr dieses rationalisierten, vernünftigen, in der älteren englischen Tradition nachgerade der Karriere dienenden Reisens18 verbinden sich bezeichnenderweise die Positionen des empfindsamen Sterne mit dem romantischen Heine, die beide in zeitlicher und auch in formaler Hinsicht Eckpunkte markieren. Ihre Negation der Bildungskonventionen dient als kritische Geste der demonstra tiven Freilegung jenes Aspektes, der das wahrhaftige Bildungserlebnis auszeichnen würde : Als dieser Kern lässt sich jene Erfahrung herausschälen, die man nicht anders als ästhetisch nennen kann, ein Erlebnis, das in der sinnlichen Erfahrung des konkreten Gegenstandes am authentischen Ort seinen Ausgangspunkt nimmt und sich in 16 Dazu Heine 1986, 929. 17 „Richtig Reisen !“ ist ein Reihentitel des DuMont Verlages, der, 2006 neu aufgelegt, mit dem Statement „Individuell reisen !“ (mit Ausrufezeichen) auf dem Titel versehen wurde. 18 Vgl. dazu die klarsichtige Bemerkung Wilhelm Müllers im Jahr 1820 : „Gegenwärtig läßt sich ohne Übertreibung behaupten, daß die Anforderung : Have you made your tour ? wenigstens in London, für die gebildete Gesellschaft so viel gilt, als bei uns unter dem gelehrten Stande die Frage nach dem vollendeten Cursus academicus.“ Müller 1820, 267.
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der Imagination entfaltet. Hier liegt der Grund, weswegen sowohl in den literarischen Überformungen der romantischen Reise eines Eichendorff wie auch in den späteren Reiseberichten die Kunst eine zentrale Rolle einnimmt. Das Kunstwerk, sei es nun das Gedicht, wie im Falle Eichendorffs oder auch Heines, oder das tatsächlich aufgesuchte, dann aber verbal vergegenwärtigte konkrete Objekt bietet den Anlass für dieses Erlebnis, insofern man sich von diesem Objekt einen Zugang zur Transzendenz erhofft. So lässt sich der Zweck der romantischen Reise als die ästhetische Erfahrung selbst bestimmen. Die Reise wird unternommen, um sich der eigenen Existenz im ästheti schen Erlebnis gewahr zu werden. Ziel des romantischen Touristen ist die Selbsterfahrung, die nur anhand der Konfrontation mit dem Anderen, dem Fremden sich ereignen kann. Das Kunstwerk vertritt dieses Fremde exemplarisch – es können aber auch die Landschaft, die kulturellen Erzeugnisse eines anderen Volkes, der Anblick und die Begegnung mit den Menschen sein. In der ästhetischen Erfahrung verbindet sich das Ich des Betrachters mit diesem Fremden bis hin zur imaginären Verschmelzung, ein Erlebnis, das im romantischen Reisebericht – beispielhaft in den Reisebildern Heinrich Heines – in einem eigenen, nun literarischen Kunstwerk Gestalt annimmt, in dem Dargestelltes und Darstellung einander unlösbar durchdringen. So lässt sich pointiert auch sagen, dass der romantische Reisende reist, um sein Erlebnis in ein Kunstwerk, in den Reisebericht umzusetzen. In diesem Werk gewinnt der Zweck der Reise Gestalt.
Literatur Brilli, Attilio : Als Reisen eine Kunst war. Vom Beginn des modernen Tourismus : Die „Grand Tour“, Berlin 1997. Cusack, Andrew : The Wanderer in Nineteenth-Century German Literature. Intellectual History and Cultural Criticism, Rochester (NY) 2008. Eberhardt, Otto : Eichendorffs Taugenichts. Quellen und Bedeutungshintergrund. Untersuchungen zum poetischen Verfahren, Würzburg 2000. Eichendorff, Joseph Freiherr von : Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Zwei Novellen nebst einem Anhange von Liedern und Romanzen, Berlin 1826. Eichendorff, Joseph Freiherr von : Aus dem Leben eines Taugenichts, in : ders., Werke, 2 Bde., mit einer Einführung, einer Zeittafel und Anmerkungen von Ansgar Hillach, Berlin 42013 (1996), Bd. 2, Romane, Erzählungen, 565–647. Gish, Theodor : Wanderlust and Wanderleid. The Motif of the Wandering Hero in German Romanticism, in : Studies in Romanticism 3.4 (1964), 225–239. Heine, Heinrich : Die romantische Schule (1836), in : ders., Sämtliche Werke. Düsseldorfer Ausgabe, hg. von Manfred Windfuhr, Bd. 8,1/8,2, Hamburg 1980. Heine, Heinrich : Italien 1828 (= Reisebilder von H. Heine. Dritter Theil, Hamburg 1830), in : ders., Sämtliche Werke. Düsseldorfer Ausgabe, hg. von Manfred Windfuhr, Reisebilder 3/4, Bd. 7,1/7,2, Hamburg 1986. Jäger, Hans-Wolf (Hg.) : Europäische Reisen im Zeitalter der Aufklärung, Heidelberg 1992.
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Lennartz, Rita : Marias Epitaph. Eine poetologische Überlegung zu Heines „Reise von München nach Genua“ mit Blick auf Sterne, in : Heine-Jahrbuch 44 (2005), 1–25. Müller, Wilhelm : Reisebeschreibungen über Italien, in : Hermes. Kritisches Jahrbuch der Literatur 7, drittes Stück (1820), 265–290 (englische und französische Literatur) ; 9, erstes Stück (1821), 247–264 (deutsche Literatur). Schudt, Ludwig : Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert, München 1959. Sharp, Samuel : Letters from Italy, Describing the Customs and Manners of that Country, in the Years 1765 and 1766, London 1766. Smollet, Tobias : Travels through France and Italy, London 1766. Sterne, Laurence : A Sentimental Journey through France and Italy. By Mr. Yorick, London 1768. Sterne, Laurence : Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, übers. v. Johann Joachim Christoph Bode, 4 Bde., Hamburg/Bremen 31770–1772 (1768). Wegerhoff, Erik/Imorde, Joseph (Hg.) : Dreckige Laken : Die Kehrseite der „Grand Tour“, Berlin 2012. Wilton, Andrew/Bignamini, Ilaria (Hg.) : Grand Tour. The Lure of Italy in the Eighteenth Century (Ausst.-Kat.), London 1996.
Veronika Wiegartz
Gerhard Marcks auf bildhauerischen Pfaden zwischen Griechenland und Auguste Rodin Im Frühling 1928 reiste Gerhard Marcks (1889–1981) nach Griechenland, erkundete die weitere Umgebung Athens, fuhr nach Delphi und Olympia. Für ihn war es der vorläufige Höhepunkt einer andauernden Griechenlandbegeisterung, die um 1924 ihren Anfang nahm. Marcks hatte sich seit 1907 in Berlin auf autodidaktischem Wege der Bildhauerei zugewandt und entwickelte sich zu einem Vertreter der modernen figürlichen Plastik, die sich unter dem Einfluss Adolf von Hildebrands (1847–1921) auf die Form (und nicht auf den Inhalt) fokussierte.1 Nach einer Phase maximaler Formvereinfachung seit 1916 verschob sich das Verhältnis zwischen Naturbeobachtung und Abstraktion in Marcks’ Werken ab 1924 wieder stärker in Richtung Natur, ohne dabei die Grundsätze einer auf stereometrischen Körpern basierenden und auf Linienbezüge achtenden Komposition aufzugeben. Einen wichtigen Bezugspunkt im Nachdenken über das Verhältnis zwischen Abstraktionsgrad und Naturnähe bildete für Marcks (und eine ganze Gruppe von Kollegen) die archaische Plastik, die im beginnenden 20. Jahrhundert zu großer Popularität gelangt war. In ihr empfand man Formwillen einerseits und Naturbezug anderseits im Sinne von „belebt sein“ als optimal ausgewogen.2 Marcks selbst verkehrte in den 1920er-Jahren mit dem Althistoriker Woldemar Graf Uxkull-Gyllenband (1898–1939), der 1920 einen Band über die archaische Plastik herausgegeben hatte, mit dem zunächst in Berlin und ab 1925 in Dresden tätigen Archäologen Bruno Schröder (1878–1934), der 1923 einen kleinen Führer über die archaischen Plastiken in den Berliner Museen verfasst hatte, und mit dem Jenaer Archäologen Herbert Koch (1880–1962), der sich ebenfalls mit archaischen Jünglingsstatuen beschäftigte.3 Die Reise von Marcks fand nicht zuletzt auf dessen Anregung statt. Koch hatte bereits 1925 den mit beiden befreundeten Maler Charles Crodel (1894–1973) nach Griechenland begleitet und schickte Marcks aus dem archäologischen Nationalmuseum in Athen eine Postkarte vom Kouros Sounion A (um 600 v. Chr.) mit den Worten : „Aber an einem Tag Ihres Lebens werden Sie auch dieses sehn müssen.“4 Drei Jahre später war es soweit. 1 2 3 4
1893 war die erste Ausgabe von Hildebrands Das Problem der Form in den bildenden Künsten erschienen, Hildebrand/Bock 1969, 17. Vgl. Hartog 2009. Vgl. exemplarisch Hillert 2017, 145–171 und Most 2001. Uxkull-Gyllenband [1920] ; Schröder 1923 ; Koch 1930, der anlässlich seiner Berufung nach Leipzig 1930 eine Rede über Apollo-Statuen seit dem 7. Jh. v. Chr. hielt. Kouros Sounion A, um 600 v. Chr., Athen, Archäologisches Nationalmuseum. Inv. Nr. 2720. Postkarte Herbert Koch an Marcks, Athen (Poststempel) 22.3.1925, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, Fotosammlung.
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Während der Reise durch das als unterentwickelt empfundene, aber als äußerst gastfreundlich erlebte Land zeichnete Marcks überwiegend Landschaften und Menschen.5 Er verarbeitete damit eine idealisierte Arkadien-Vorstellung, die auf die Werke Friedrich Hölderlins (1770–1843) zurückging.6 Was Marcks dagegen nur sehr sporadisch zeichnete, waren die Kunsterzeugnisse Griechenlands. Er war zu überwältigt von ihrer Fülle, wie aus einem Brief an den Maler Johannes Driesch (1901–1930) deutlich wird : „[…] was mir die Reise geholfen hat, das werden nur die Musen wissen – ich habe die Augen aufgemacht soviel ich konnte, – zu eigner Arbeit langte es garnicht. Mindestens muß sich ja der Maaßstab verfeinern, wenn man diese unendliche Fülle plastischer Vorstellung am Ort ihrer Geburt sieht ; ich glaube jetzt, die Antike hat überhaupt nichts andres empfunden wie Plastik.“7 Einige Wochen nach seiner Rückkehr notierte sich Marcks ein kurzes persönliches Resümee über die auf der Reise gewonnenen Eindrücke, das es lohnt, in Gänze wiedergegeben zu werden, da es auch von der Suche nach dem richtigen bildhauerischen Weg erzählt, die den Künstler in den späten 1920er-Jahren beschäftigte : „Reise nach Griechenland. Klephtengesänge | Schließlich und trotz guten Willens zur ‚Klassik‘ bei den Archaischen hängen geblieben : Olympia, Theseus (Chalkis) Aristion etc. in Athen und die alten Tempel mit den Gummikapitälen voller Bewegung (Herakles und Triton, Gorgones etc !) | Phidias (Gruppe Kekrops am Parthenon) wirkt wie Rodin, Michelangelo, gewaltig, unzeitgemäß, Torso. | Theseion und Erechteion feines Maaß aber leblos. | Das Maaß (zwischen Berg und See) | Das Archaische (oft manieriert) atmet bei aller Strenge, Phidias lastet wie Gewitterwolken, der Hermes von Praxiteles (Kopie !) raffinierte Akademie. | Delphi, Korykische Dionysosgrotte, Alk mäoniden – Fries u. Giebel. | Jetzt : das Maaß ! nicht im ‚Lebendigen‘ allein hängen bleiben.“8 Sein Urteil über den Vorzug der archaischen Skulptur hatte sich bestätigt. Er kannte vieles aus Büchern und einiges wohl auch als Gipsabguss aus den Berliner Museen,9 er erwarb auf der Reise verschiedene Postkarten und Fotos nach Antiken, aber nichts von dem, was er aus der Frühzeit der griechischen Kunst aufzählte, zeichnete er auch, mit einer Ausnahme : Herakles im Kampf mit einem Triton vom Ostgiebel des ältesten Ringhallentempels der Akropolis (2. Viertel 6. Jh. v. Chr., Abb. 1) und sein „Gegenstück“, den Dreileibigen Nereus, die er als Abgüsse aus den Berliner Museen ebenfalls kennen 5
6 7 8 9
Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, Inv. Nr. D3718, D3721, D3722, D3723, D4261, D4491, D5323 ; Landschaften : D2163–D2166, D3714–D3717, D3719, D3720, E0030–E0033 ; einzusehen unter Eingabe der Inventarnummer unter : https://marcks.de/de/sammlungen/sammlungonline/ (Abruf am 15. 9.2020). Vgl. Wiegartz 2017, 137–139 und Hartog 2014. Marcks an Johannes Driesch, Halle 28.4.1928, Frenzel 1988, 55. Carlosalbum, Gerhard-Marcks-Stiftung Bremen, Eintrag vom 28.6.1928. In das zwischen 1923 und 1944 geführte Album notierte Marcks Wendepunkte, Eindrücke und Maximen seiner künstlerischen Entwicklung. Vgl. Hiller von Gaertringen 2019.
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Abb. 1 Gerhard Marcks, TritonGruppe, 1928, Bleistift auf Papier, 137 x 197 mm, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, Inv. Nr. D2428
Abb. 2 Gerhard Marcks, Kekrops und Aglauros, 1928, Bleistift auf Papier, 116 x 198 mm, GerhardMarcks-Stiftung, Bremen, Inv. Nr. D2427
musste.10 Warum aber zeichnete er stattdessen mit der Gruppe von Kekrops und seiner Tochter Aglauros aus dem Westgiebel des Parthenon (439–433 v. Chr., Abb. 2) und der Nike des Paionios (um 420 v. Chr., Abb. 3) zwei Werke der (ausgehenden) Hochklassik, einer Epoche, der er doch eigentlich nichts abgewinnen konnte ?11 Noch Anfang 1926 10 Dreileibiger Nereus, Porosgestein, 580–570 v. Chr., wohl aus dem Giebel des alten Athena-Tempels, Athen, Akropolismuseum, Inv. Nr. 35. Die Zeichnung von Marcks : Bleistift auf Papier, 125 × 217 mm, Gerhard Marcks, Marcks Stiftung Bremen, Inv. Nr. D2582. Die beiden Fragmente waren in Athen seinerzeit gemeinsam in einer modernen Giebelrekonstruktion ausgestellt gewesen. Schröder 1923, 5, erwähnt „in unserer Sammlung […] die vortrefflichen Nachbildungen der Kalksteingiebelskulpturen von der Akropolis“. 11 Wohl auf Wunsch von Herbert Koch, den er in Athen getroffen hatte, fertigte er außerdem Ergänzungszeichnungen zum Theseion an. Vgl. Hartog 2014, 11. Die Originale sind verschollen.
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Abb. 3 Gerhard Marcks, Nike des Paionios, 1928, Bleistift auf Papier, 195 x 116 mm, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, Inv. Nr. D5145
hatte er sich darüber mokiert, er wolle sich seine „Freude an den Griechen nicht immer durch die Autorität von Phidias verekeln lassen“,12 nun neigte er dazu, dem Bildhauer doch eine gewisse Sonderstellung zuzubilligen. Marcks kannte die Elgin Marbles nicht im Original, er besuchte London erstmals 1954, daher mag es verständlich sein, dass er die spärlichen Reste der Giebelfiguren in situ zeichnete. Tatsächlich ist es aber Auguste Rodin (1840–1917), der hier den Schlüssel zum Verständnis liefert. Marcks hatte sich während einer Parisreise im Sommer 1926 erneut intensiv mit dem französischen Bildhauer auseinandergesetzt. Eine wichtige Grundlage hierfür war das 1921 erschienene Buch Rodin und das plastische Problem des Schweizer Bildhauers Carl Burckhardt (1878–1923). Dieser bescheinigte dem großen Franzosen, in seinem Spätwerk L’homme qui marche (1907) ein „übersichtliches Raumgebilde“ mit architektonischen Qualitäten geschaffen zu haben, in dem das Interesse des Betrachters weg von psychologischen Inhalten hin auf die Bewegung des Körpers gelenkt werde.13 Die Phänomene, die er an der Plastik beobachtete, erläuterte er an Beispielen aus der Antike : die Torsierung als Mittel der Konzentration an 12 Marcks an Johannes Driesch, Halle 2.1.1926, Frenzel 1988, 50. 13 Burckhardt 1921, 61–77, hier 64 und für die folgende Zitate des Abschnitts : 68, 73, 75, 67. Vgl. Hartog 2009, 116–119.
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den Göttinnen Aphrodite und Dione vom Parthenon-Ostgiebel im British Museum, die Vereinfachung des Naturvorbildes zu „kubisch faßlichen Formen“ an einem der Ägineten in der Glyptothek in München (die Marcks ebenfalls intensiv studiert hatte) und eine „dynamische Energie“, die den „großen Eindruck […] von Leben“ evoziere, an der oben genannten Herakles-Triton Gruppe. „[…] weniger die getreue Wiedergabe eines besonders starken athletischen Köpers“ sei die Absicht des antiken Künstlers gewesen, „als vielmehr die Sichtbarmachung eines kraftvoll anschwellenden Bewegungsrhythmus“, der den Körper von den aufgestützten Zehen bis zu den Schultern durchströme. Marcks hatte also Antiken gezeichnet, auf die Burckhardt seinen Blick gelenkt hatte. Diese Rezeptionslinie erklärt auch, warum Marcks die Linie von rechtem Oberschenkel und Gesäß des Herakles auf seiner Zeichnung durch eine dickere Linie betonte. Burckhardts Feststellung, dass das „plastische Problem“ immer vom „Kampf um die Annäherung der komplizierten Naturformen an die einfacheren räumlichen Formen“ geprägt sei, ohne die Verbindung zum Naturvorbild, das Gefühle hervorrufe, ganz aufgeben zu wollen, war genau das Anliegen von Marcks, das er auch in der archaischen Plastik verwirklicht sah. Als künstlerisches Mittel kam die Torsierung für Marcks nicht in Frage. Phidias (um 500/490–430/420 v. Chr.) allerdings war ihm von Rodin selbst anempfohlen worden. Sein 1918 posthum publiziertes Testament, in dem Rodin programmatisch künstlerische Maximen zusammengefasst hatte, die er einer jüngeren Generation mit auf den Weg zu geben wünschte, begann er mit den Sätzen : „Aimez dévotement les maîtres qui vous précédèrent. Inclinez-vous devant Phidias et devant Michel-Ange. Admirez la divine sérénité de l’un, la farouche angoisse de l’autre.”14 Diese kurze Aufforderung fasst Gedanken zusammen, die Rodin ausführlicher in seinen Gesprächen mit dem Kunstkritiker Paul Gsell (1870–1947) formuliert hatte. Anhand von zwei Statuetten, die Rodin vor dessen Augen aus Ton modellierte, erläuterte er ihm die Gestaltungsprinzipien der Antike, „deren erhabenster Vertreter Phidias’ Genie war“ (er erklärte den ruhigen Ausdruck des Kontraposts), und von Michelangelo (1475–1564), dessen gebundene, auf den Boden und an den Körper gedrückten Gliedmaßen Anstrengung verkörperten.15 Phidias wurde von Rodin auch bemüht, als er das Mysterium, das in jedem künstlerischen Meisterwerk enthalten sei, thematisierte. Neben anderen kunsthistorischen Beispielen führt er die oben genannten Göttinnen aus dem Giebel des Parthenon auf. In der ersten, 1911 herausgegebenen Ausgabe der Gespräche zwischen Rodin und Gesell ebenso wie in der ersten deutschen Ausgabe von 1912 sind die Göttinnen abgebildet – und auch die beiden Sklaven von Michelangelo im Louvre.16 Für Marcks waren beide literarischen Zeugnisse Rodins wesentliche Referenzen : Das Testament ließ er 1932 während seiner Lehrtätigkeit und als kommissarischer Direktor an 14 Rodin 1918, 42. Rodin hatte den Text Paul Gsell 1911 mit der Verfügung diktiert, ihn erst nach seinem Tod zu veröffentlichen. 15 Rodin 1911, 255–268 ; deutsche Ausgabe 1912, 273–287. 16 Rodin 1911, 244, 263, 282 ; deutsche Ausgabe 1912, 263, 282, 302.
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den Werkstätten der Stadt Halle, Staatlich-städtische Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein im Eigenverlag drucken, von den Gesprächen besaß er am Ende seines Lebens mindestens drei Exemplare, darunter auch die deutsche Erstausgabe. Die Bewunderung, die Rodin Michelangelo gezollt hatte, führte dazu, dass Marcks während seiner Parisreise 1926 nicht nur die Werke von Rodin selbst in Augenschein nahm, sondern (neben ägyptischer und französischer, gotischer Skulptur) auch die beiden Sklaven im Louvre ausführlich studierte. Er sah das bildhauerische Ringen und den enthaltenen Anspruch : „[…] alles verkracht ! Über alle Konventionen gestolpert, […] mit nichts fertig geworden, beunruhigend und beinah quälend, aber die Ewigkeit irgendwo berührt. Und nur das lohnt die Arbeit, lohnt das Leben !“17 Die geschilderte Verquickung von Phidias, Michelangelo und Rodin, die gesehenen und gelesenen Eindrücke waren es, die Marcks 1928 in Athen angesichts der Kekrops und AglaurosGruppe, die den beiden Londoner Göttinnen in Haltung, Gewandbildung und Fragmentierungszustand ähnlich ist, zum Stift greifen ließen und auch in seiner Erinnerung an die Reise die drei Namen heraufbeschworen. Olympia war für Marcks ein weiterer Höhepunkt der Reise und bot ihm mit den Skulpturen des Zeustempels Meisterwerke der Frühklassik. Ebenfalls dort zu sehen waren die Nike des Paionios (tätig 2. Hälfte 5. Jhs. v. Chr.) sowie der Hermes mit dem Dionysosknaben von Praxiteles (tätig um 370–330 v. Chr.). Diese zunächst als spätklassisches Original gerühmte Figur verlor in der Mitte der 1920er-Jahre hinsichtlich ihrer künstlerischen Würdigung an Reputation. Der zum Bildhauer ausgebildete Berliner Archäologe Carl Blümel (1893–1976) hatte just, 1927, anhand von technischen Aspekten dargelegt, warum es sich seiner Ansicht nach nicht um das Original, sondern nur um eine römische Kopie handeln konnte, eine Auffassung, die Marcks offensichtlich teilte.18 Auch mit dem Verdikt einer „raffinierten Akademiearbeit“ stand er nicht allein : der polierte, luzide Marmor galt als seifig, sprich die Form verschleiernd, und der Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe (1867–1935) fühlte sich 1927 „an manche Werke des […] Meisters Reinhold Begas [(1831–1911) erinnert]“.19 Hinter dem Verweis auf den wichtigsten Vertreter des Berliner Neubarock verbirgt sich der Vorwurf einer (zu) stark empfundenen Naturnähe. Das hatte 1909 bereits der französische Bildhauer Aristide Maillol (1861–1944) so gesehen. Den Westgiebel des Zeustempels und den Hermes gleichzeitig im Blick, kommentierte er : „Eh bien, c’est là l’ombre (der Hermès), et, ici, c’est la lumière, c’est là l’Enfer, et ici le Paradis ! …. Celui-là (Praxiteles), c’est l’homme qui a copié la nature sans penser, don’t tout l’art était dans les doigts : 17 Marcks an Maria Marcks, Paris 18.7.1926 und Bericht über meine Studienreise nach Paris, Halle 14.12.1926, Frenzel 1988, 52f. 18 Blümel 1927, 37–48. Ob der ebenfalls in Berlin geborene, aufgewachsene und mit der Kunstszene der Stadt immer in engem Kontakt stehende Marcks das Buch oder den Autor 1928 bereits kannte, lässt sich nicht nachweisen. Nur die Nachfolgepublikation zum Hermes, Blümel 1948, befindet sich mit Geburtstagswidmung vom 18.2.1951 in der Bibliothek von Marcks. 19 Meier-Graefe 1927, 369.
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tandisque cet art ci (Giebel) est tout ici (sich auf die Stirn klopfend), tout cerveau.“20 In den Giebelfiguren waren die Formen geistig sublimiert, es herrschte „Maaß“, um den Begriff von Marcks zu gebrauchen, während Praxiteles gedankenlos der Natur gefolgt und „im ‚Lebendigen‘ allein hängen“ geblieben war, also Marcks’ größter Sorge entsprochen hatte. Die beiden modernen Bildhauer waren sich einig. Was aber interessierte Marcks an der dem Reichen Stil angehörenden, um 420 v. Chr. datierten Nike des Paionios ? Generell fand sie bei den Besuchern ein freundliches Echo, auch Maillol zeichnete sie während seines Besuchs.21 In der Zeichnung von Marcks fällt das Licht – aus Sicht des Betrachters – von links auf die Figur und akzentuiert dadurch den Chiton auf der rechten Körperseite sowie das vorgesetzte linke Bein, wodurch Tiefenausdehnung und Räumlichkeit innerhalb der Figur betont werden. Stärker noch als im Original arbeitete Marcks die leichte, seitliche Neigung des Körpers heraus, die gemeinsam mit dem eng an den Körper geschmiegten, sich nach hinten aufblähenden Gewand und einem minimalen Bodenkontakt der Füße den Eindruck des Fliegens evoziert. Der Körper als solcher und besonders der Rumpf aber strahlt Ruhe aus : Hüft-, Gürtel-, Brust- und Schulterlinie einschließlich des linken Armstumpfs verhalten sich parallel zueinander und befinden sich (nahezu) im rechten Winkel zur Neigungslinie. Diese Verbindung aus Ruhe und Bewegung, aus geometrischer Fügung und natürlicher Lebendigkeit muss es gewesen sein, die Marcks an der Figur beobachtet und die ihn beeindruckt hatte. In einem Artikel, Mikon und Paionios, der sich als Sonderdruck im Nachlass von Marcks befindet, hatte Bruno Schröder 1914 auf die Herkunft der Nike sowie generell des Reichen Stils aus der Malerei verwiesen und vom „malerischen Gewandstil zur Darstellung von Bewegung“ gesprochen.22 Das waren Themen, die Marcks in den späten 1920er-Jahren beschäftigten. Er kämpfte um eine strenge Ordnung in seinen Werken, fühlte aber eine deutliche Neigung zum Expressiven, mit der es umzugehen galt. Eineinhalb Jahre nach der Griechenlandreise konstatierte er : „Die Leute mit den vereinfachten Formen dekorativer Art kommen offenbar rascher zu ihrem Ziel als ich. Wolff via Maillol. Ich scheine mehr von Rodin, Corinth, Kokoschka zu kommen. […] Gewandfigur, als welche den Ausdruck der Geste und des Geistes mehr ermöglicht“.23 Marcks hat die kubische Vereinfachung der Formensprache nie so weit wie Gustav Heinrich Wolff (1886–1934) vorangetrieben, folgte aber auch nicht den Pfaden der Maler Lovis Corinth (1858–1925) und Oskar Kokoschka (1886–1980), deren impulsiver Duktus ihn berührte. In der Mitte der 1930er-Jahre war seine bildhauerische Handschrift ausgereift. Noch einmal trug die Auseinandersetzung mit der Nike des 20 Kessler 2004–2018, Bd. 4, 1906–1914 (2005), 473 ; Eintrag vom 16.5.1908. Maillol hatte Olympia gemeinsam mit Harry Graf Kessler (1868–1937) besucht, der die Äußerungen des Bildhauers notierte. 21 Meier-Graefe 1927, 386f ; Die Zeichnung von Maillol aufgeführt in Schuster/Pehle ³1996, 240. 22 Schröder 1914, 160. 23 Carlos-Album, wie Anm. 8, Eintrag vom 15.12.29.
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Abb. 4 Gerhard Marcks, Eirene, 1940, Gips, Höhe 200 cm, zerstört
Paionios Früchte. 1937 schuf er eine 50 cm hohe Eirene,24 die er 1940 auf zwei Meter Höhe vergrößerte (Abb. 4). Die Komposition folgt der Nike des Paionios, auch wenn das hemdartige Gewand sehr viel beruhigter ist : Es schmiegt sich vollständig und eng an den Körper, die Füße ruhen nur auf den Zehenspitzen und die Arme sind ausgebreitet. Damals beschäftigte er sich auch mit Säulenmonumenten.25 In seinem Tagebuch, in dem er seine Werke chronologisch notierte, nannte Marcks diese Figur 1937 zunächst Nike und änderte den Namen erst im Laufe des Jahres 1940 während der Arbeit an der großen Fassung zu Eirene.26 Aus der Sieges- war eine Friedensgöttin geworden, 24 Marcks mag einen zusätzlichen Impuls zum Thema durch eine kleine Nike-Statuette in der Villa Giulia in Rom erhalten haben, von der er eine Fotografie besaß, die er vermutlich während seines Romaufenthalts 1935 als Stipendiat in der Villa Massimo erworben hatte. Statue einer Nike, etruskisch, Terrakotta, Maße unbekannt, Museo Nazionale Etrusco di Villa Giulia, Rom ; vgl. http://arachne.uni-koeln.de/item/objekt/212687 (Abruf am 15.9.2020). Fotoabzug, 1930erJahre, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, Fotosammlung. 25 Architekturentwurf mit einer Säulenfigur, um 1935–1940, Bleistift auf Papier, 175 × 209 mm, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, Inv. Nr. D4864. 26 Tagebuch Gyps und Bronze, 1935–1969, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen : 1937, Nr. 191 „Nike“, durchgestrichen und darüber neu „Eirene“ notiert ; 1940, Nr. 221 : „Große Eirene mit Flügeln“.
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der Triumph hatte sich in einen Appell zur Versöhnung verwandelt. Dahinter steckt der begonnene Krieg, zudem gedachte er mit der Figur seiner kurz zuvor verstorbenen Schwester Käthe (um 1884/85–vor Mai 1940), an der er hing.27 Aber auch die widerstreitenden künstlerischen Einflüsse, denen sich Marcks in den späten 1920er-Jahren ausgesetzt sah, hatten ihre Bahnen gefunden.
Literatur Blümel, Carl : Griechische Bildhauerarbeit, Berlin/Leipzig 1927. Blümel, Carl : Hermes eines Praxiteles, Baden-Baden 1948. Burckhardt, Carl : Rodin und das plastische Problem, Basel 1921. Frenzel, Ursula (Hg.) : Gerhard Marcks 1889–1981. Briefe und Werke, München 1988. Hartog, Arie : Moderne deutsche figürliche Bildhauerei. Umrisse einer Tradition, Pulsnitz 2009. Hartog, Arie : Einbruch der Antike ? Beobachtungen zu Gerhard Marcks’ „Kastalia“, in : Gerhard Marcks, Kastalia, 1930–1932, hg. von Kulturstiftung der Länder Berlin und GerhardMarcks-Stiftung, Bremen, Bremen 2014. Heise, Carl Georg : Zu neueren Arbeiten von Gerhard Marcks, in : Die Kunst 83 (1941) Heft 7, 156–161. Hildebrand, Adolf von : Gesammelte Schriften. Bearbeitet von Henning Bock, Köln/Opladen 1969. Hiller von Gaertringen, Hans Georg : „Berlin schickt Götter in die Welt.“ Zur Geschichte der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin 1819–2019, in : Nah am Leben. 200 Jahre Gipsformerei (Ausst.-Kat.), hg. von Christina Haak, Miguel Helfrich und Veronika Tocha, München/London/New York 2019, 216–224. Hillert, Regina Maria : „Gebaute Figur“. Studien zu Leben und Werk des Bildhauers Ludwig Kasper (1893–1945), Hamburg 2017. Kessler, Harry Graf : Das Tagebuch 1880–1937, hg. von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott, 9 Bde., Stuttgart 2004–2018. Koch, Herbert : Apollo und „Apollines“. Akademische Antrittsrede gehalten in Leipzig am 11. Januar 1930, Stuttgart 1930. Meier-Graefe, Julius : Pyramide und Tempel. Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul, Berlin 1927. Most, Glenn W.: Die Entdeckung der Archaik. Von Ägina nach Naumburg, in : Urgeschichten der Moderne. Die Antike im 20. Jahrhundert, hg. von Bernd Seidensticker und Martin Vöhler, Stuttgart/Weimar 2001, 20–39. Schröder, Bruno : Mikon und Paionios, in : Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 29 (1914), 123–168. Schröder, Bruno : Archaische griechische Skulpturen, Berlin 1923.
27 Heise 1941, 158 ; vgl. Brief Marcks an Richard Fromme, 17.5.40, Deutsches Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Nachlass Marcks, II,C-10 ; dort auch die in Arbeit befindliche große Fassung noch als „Nike“ bezeichnet.
338 | Veronika Wiegartz Schuster, Gerhard/Pehle, Margot : Harry Graf Kessler. Tagebuch eines Weltmannes (Ausst.Kat.), Marbach am Neckar ³1996. Rodin, Auguste : L’Art. Entretiens réunis par Paul Gsell, Paris 1911. In deutscher Übersetzung : Die Kunst. Gespräche des Meisters gesammelt von Paul Gsell, Leipzig 1912. Rodin, Auguste : Aux jeunes artistes (pages posthumes), in : La Revue 122, 1–2, 1.–15. Januar 1918, 25–29 ; unter dem Titel : Testament, Halle o.J. [1932]. Uxkull-Gyllenband, Woldemar Graf : Archaische Plastik der Griechen, Berlin o. J. [1920]. Wiegartz, Veronika : Mensch und Maß – Antike und Gegenwart, Die Freundschaft zwischen Gerhard Marcks, Werner Gilles und Oskar Schlemmer, in : Wege aus dem Bauhaus. Gerhard Marcks und sein Freundeskreis (Ausst.-Kat.), hg. von Anke Blümm, Ulrike Bestgen, Yvette Deseyve und Arie Hartog, Weimar 2017, 124–139.
VII. Rezeptionsverweigerung und Kritik
Barbara Stoltz
Die Ausmalung der Florentiner Domkuppel und die Geschichte ihrer Rezeption zwischen den Parametern Technik, Qualität, Ikonographie und Kontroverse Der florentinische Kleriker Agostino Lapini schrieb in seinem Diario di Firenze zur Enthüllung des Jüngsten Gerichts (Abb. 1) in der Domkuppel von Santa Maria del Fiore : „Am neunzehnten Tag des besagten Augusts 1579, am Samstag, wurde die bemalte Kuppel enthüllt, man entfernte das große Tuch, so dass jeder die besagte Malerei sehen konnte ; man sagte dies und jenes : dass die Kuppel nun flach wirke und dass sie ohne die Malereien schöner gewesen sei und weit erhabener und geräumiger gewirkt habe und manch anderer widersprach sich selbst, so unterschiedlich waren die Meinungen, wie es bei solchen Angelegenheiten eben immer der Fall ist. Dennoch, die einsichtigen Personen, die nicht schreiend herumlaufen, beurteilten sie als eine prächtige Sache und von bewundernswerter Größe.“1
Die Beobachtungen Lapinis hinterlassen den Eindruck einer üblichen kontroversen Reaktion der Öffentlichkeit auf ein ihr vorgeführtes Werk. Der Kleriker unterscheidet außerdem das Verhalten der ,streitsüchtigen‘ Menschen von denjenigen, die – dies ist wohl bei Lapini gemeint – belesen und kunstverständig sind. Keinesfalls lässt Lapinis Bericht auf den prominent gewordenen Misserfolg der Ausmalungen schließen, welcher sich in der Kunstgeschichte überliefert hat.2 Gemeint sind die jahrhundertelangen Forderungen, die Malereien zu entfernen und eine neue Ausmalung in Auftrag zu geben oder die originären Flächen der Kuppel nach ihrem Bau nach den Plänen von Brunelleschi freizulegen. Noch in den 1970er Jahren wurde eine Abtragung der Fresken in Erwägung gezogen.3 Erst die aufwendige Restaurierung der Fresken zwischen den Jahren 1980 und 1995, die zahlreiche Studien veranlasste, ließ jedweden Zweifel an ihrer Erhaltung ausräumen.4 1
2 3 4
Übers. der Autorin : „A’ di 19 di detto agosto 1579, in sabato, si scoperse la cupola dipinta, e si levò la tela grande, e talmente che si vedde detta pittura per ognuno ; e chi diceva una cosa e chi un’altra : e la cupola apparisce più bassa ; e l’era più bella senza pittura et appariva più alta e maggiore ; e chi da se medesimo si contradiceva ; e vari erano i pareri, come interviene quasi in tutte le cose. Niente di meno da le persone sensate, che non se ne vanno presi alle grida, fu tenuta cosa splendida e di maravigliosa grandezza.“ Zitiert nach Corazzini 1900, 201. Siehe beispielsweise Heikamp 1997 und 2009, insbes. 67–70. Siehe Heikamp 1997, 154 mit weiteren Literaturangaben. Opera del Duomo 1995.
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Abb. 1 Giorgio Vasari und Federico Zuccari, Das Jüngste Gericht, 1572–1579, Florenz, Dom Santa Maria del Fiore
Die Entstehung des Jüngsten Gerichts : Vasari und Zuccari als Antagonisten Vor den Malern Giorgio Vasari und später Federico Zuccari stand die Aufgabe der bildlichen Gestaltung einer konvexen Fläche von circa 3.600 m2, die in acht Laibungen gegliedert ist. Das vorgeschriebene und detaillierte Bildprogramm, das ohne Zweifel der Didaktik der Gegenreformation verpflichtet ist, lieferte der Philosoph und Kle-
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riker Vincenzo Borghini.5 Bereits seit ihrer partiellen Realisierung erfreuten sich die Ausmalungen keines ausgesprochen positiven Urteils. Nach Vasaris Tod und später dem des Großherzogs Cosimo I. de’ Medici lag dem Nachfolger Francesco I. daran, einen Maler zu wählen, der nicht der toskanischen Schule angehörte.6 Die Dissonanz zwischen dem begonnenen Werk, das Vasaris Werkstatt von 1572 bis 1574 realisiert hatte, und demjenigen, das Zuccari mit seinen Mitarbeitern zwischen 1576 und 1579 ausgeführt hatte, war also absehbar, auch wenn womöglich von den Auftraggebern Medici und den Verantwortlichen der Dombauhütte nicht erwartet :7 Vasari konnte vor seinem Tod ein Drittel der Kuppelfläche ausgestalten.8 Zuccari folgte den Entwürfen des Vorgängers jedoch nicht, auch wenn er das Borghini-Programm beibehielt. Er musste außerdem die Vorarbeiten Vasaris aufgrund der kompositorischen Änderungen teilweise übermalen.9 Cristina Acidini stellt fest, an der Kuppel stünden sich die künstlerisch solide Malerei in der Tradition des florentinischen Werkstattbetriebes des Tre- und Quattrocento, unter der stilistischen Schirmherrschaft von Michelangelo, und die unternehmerische, leistungsorientierte Malerei unter dem römischen Einfluss der 5
Das Bildprogramm wurde von Borghini in einem Brief an Vasari verfasst und ist in einer Kopie mit eigenhändigen Anmerkungen Borghinis überliefert (Uffizi, ms. 9, fasc. 2), siehe aktuell Cecchi et al. 2011, 199–201. Über das Programm des Jüngsten Gerichts siehe etwa Cioli 2018, hier vor allem im Kontext der Gegenreformation. Das Jüngste Gericht von Vasari und Zuccari ist folgendermaßen angeordnet : Am Sockel der Laterne sind die Vierundzwanzig Wächter der Apokalypse dargestellt. Darunter offenbaren sich dem Betrachter vier Ringe. Die höchste Sphäre beheimatet die himmlischen und darunter die weltlichen Glaubenshüter, gefolgt nach unten hin von den Repräsentanten der Sieben Tugenden und endend mit den Darstellungen der Sieben Laster und Sünden der infernalischen Welt. Die achte Laibung, die sich über dem Altar befindet, präsentiert von oben nach unten die Himmlische Sphäre, den richtenden Christus, die theologischen Tugenden und schließlich die symbolische Darstellung der Kirche und die Personifikation der Zeit und Vergänglichkeit. 6 Siehe Heikamp 1997, 139–140, und zur Dokumentation des Auftrags an Federico Zuccari im Jahre 1575 Acidini Luchinat 1999, Bd. 2, 76. 7 Die Forschung hat sich die Frage gestellt, ob die Medici mit den Leistungen Zuccaris zufrieden waren. Waźbiński urteilt aus den Dokumenten, dass das Medici-Haus recht bald bemüht war, Zuccari mit einer Empfehlung nach Rom wegzuschicken ; Heikamp sieht in dieser Empfehlung ganz im Gegenteil die Zufriedenheit des Großherzogs Francesco I. und außerdem den eigentlichen Grund für die ,plötzliche‘ Abreise Zuccaris nach Rom. Für Heikamp sah Zuccari ein, dass nur noch kleine oder bereits begonnene Projekte in Florenz für ihn möglich waren, Rom hingegen einen vielversprechenden Auftragsort darstellte. Vgl. Heikamp 1997, 144, und Waźbiński 1993. Eine weitere unbeantwortete Frage ist, ob die Medici sich mit Zuccari eine stilistische Verbesserung der Ausmalungen erhofften, aber gleichzeitig erwarteten, dass dieser sich an die bereits fertiggestellte Vorarbeit anlehnte. 8 Vasaris Werkstatt führte die Wächter der Apokalypse aus und gestaltete ohne den Höllischen Ring und nur partiell die nördliche, nordöstliche sowie die südliche und südöstliche Laibung. 9 Zu den jeweiligen Arbeiten und Entwürfen Vasaris und Zuccaris siehe Cecchi et al. 2011 und Acidini Luchinat 1998 sowie Acidini Luchinat 1999, Bd. 2, 76–97. Eine wesentliche Differenz besteht etwa in der Darstellung von Christus als einem ,milden Herrn‘ und nicht, wie von Vasari geplant, als zornigem ,Rächer‘.
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Schule Raffaels, mit venezianischen Anklängen und der Vorliebe für Affekte, gegenüber.10 Diese etwas klischeehafte Gegenüberstellung bestätigt allerdings der Befund der technischen Modi und der Qualität des Farbauftrags beider Werkstätten : Vasari arbeitete ausschließlich nach dem sogenannten Verfahren des buon fresco, demnach mit dem Auftragen von recht flüssiger Farbe auf einen nass präparierten Putz.11 Zuccari hingegen arbeitete a secco, das heißt mit zwei Farbschichten auf einem trockenen Grund. Die zweitgenannte Technik hatte mehrere Vorteile, so konnte Zuccaris Werkstatt ihre Arbeiten auch im Winter fortführen, außerdem ließen sich Fehler schneller und einfacher überarbeiten.12 Im Gegensatz zu buon fresco hält sich a secco jedoch weit schlechter, was tatsächlich einen höheren Restaurierungsaufwand der Malereien von Zuccari an der Kuppel erforderte.13 Während aber die einwandfreie Technik des buon fresco von Vasari in den Restaurierungsanalysen bestätigt werden konnte, wurde in der Forschung in Bezug auf die Problematik des a secco aus der Werkstatt Zuccaris angedeutet, diese läge auch daran, dass viele Mitarbeiter an der Ausführung beteiligt gewesen seien.14 Die innovative Technik Zuccaris und die damit verbundene dynamische Anwendung des Pinsels hätten außerdem die effektvolle Inszenierung vor allem derjenigen Bereiche erlaubt, die trotz des vorgegebenen Bildprogramms und der Vorarbeiten Vasaris freier gestaltet werden konnten,15 namentlich die Darstellungen der Hölle am untersten Ring der Kuppel.16 Der technisch-stilistische Antagonismus zwischen Vasari und Zuccari wurde noch während der Entstehung der Arbeiten wahrgenommen : Die bereits bestehende, kritische Haltung gegenüber Zuccari mündete aufgrund der a secco-Technik in eine konkrete Beschwerde, mit welcher sich der Direktor der Dombauhütte, Benedetto Busini, an Francesco I. de’ Medici im Jahre 1577 wandte. Nach einer Inspektion, bei der Vincenzo Borghini und der florentinische Maler Cristofano dell’Altissimo zugegen waren, wurden die Zweifel an der Qualität der Malerei von Zuccari jedoch zerstreut und die Angelegenheit ad acta gelegt. Allerdings vermerkte Borghini im Bericht der Begehung den Ratschlag, dass eigentlich buon fresco sicherer gewesen sei und dass möglichst keine Änderungen an den von Vasari ausgeführten Bereichen gemacht werden sollten.17
10 Acidini Luchinat 1995, 11. 11 Allerdings hat Vasaris Mitarbeiter Lorenzo Sabatini die Darstellungen der Vierundzwanzig Wächter der Apokalypse mit der Technik des a secco realisiert. Acidini Luchinat 1995, 14–15. 12 Acidini Luchinat 1995, 17. 13 Opera del Duomo 1995, 52–53. 14 Acidini Luchinat 1995, 17–18. Ausführliche technische Analyse der Techniken von Vasari und Zuccari bei Lanfranchi 2004. 15 Heikamp 1997, 140–142. 16 Die Farbschichten der Höllendarstellungen sind sehr dünn, der Pinselduktus erfasst hier recht grob die Körperumrisse, an einigen Stellen ist der Kohlestift der Vorzeichnungen sichtbar. 17 Brief von Benedetto Busini an Francesco I. de’ Medici, 13. Oktober 1577. Siehe Heikamp 1997, 140, und Waźbiński 1999, 209.
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Nach der Vollendung der Ausmalungen ist in den zeitgenössischen Quellen von einem Antagonismus der beiden Künstler nichts zu spüren. Die Dissonanz zwischen den beiden Stilen und Techniken wurde nicht mehr thematisiert und nun die mangelhafte Ausführung insgesamt beklagt : In zwei um 1579 entstandenen Schmähgedichten des florentinischen Dichters Anton Francesco Grazzini alias Lasca wird nicht etwa Zuccaris schlechte Ausführung einer guten von Vasari gegenübergestellt, sondern beide werden für die „carestia“ ihrer Arbeit als verantwortlich gesehen. Insbesondere heißt es sogar über Vasari : „lavoro […] con poco senno e men giudizio“.18 Lasca betont hierbei mehrmals die eigentliche Kunstfertigkeit der beiden Künstler.19 Sie hätten sich jedoch überschätzt und aus Geldgier und Übermut gehandelt.20 Eigentlich könne man gar Zuccari nicht tadeln, heißt es im zweiten Madrigal, denn er musste das bereits mangelhafte Werk beenden ; aber, anstatt die Kuppel zu verschönern, habe er sie „hässlich gemacht, gesenkt und verdorben“.21 Lasca beschließt sein satirisches Gedicht mit den Worten : „Das florentinische Volk wird des Lamentierens nicht überdrüssig bis die Kuppel weiß gestrichen ist.“22 Diese Forderung wird folgenreich sein für die spätere Rezeption der Kuppel-Ausmalung.23
Die Kuppel-Ausmalung in den kunstliterarischen Schriften und öffentlichen Debatten In den ersten Äußerungen der Kunstliteratur zu Vasaris und Zuccaris Jüngstem Gericht wurde der Rumor nach seiner Vollendung zunächst außer Acht gelassen.24 Das Augenmerk galt hingegen der enormen Fläche, die ausgestaltet wurde : Raffaello Borghini 18 Sopra la dipintura della cupola, 1, Verse 38–40. Zitiert nach Verzone 1882, siehe die beiden Madrigale (1 u. 2), ibid., 325–328. 19 Über Zuccari heißt es beispielsweise : „Il qual, per dirne il vero, nel disegnare e maneggiar colori, ha pochi oggi, o nessun che gli sia pari.“ Ibid. 1, Verse 48–50. 20 Zu Vasari schreibt er : „Giorgin fece il peccato, che del guadagno troppo innamorato, o dall’invidia, o dall’onor tirato, e come architettor poco intendente, prosontuosamente il primo è stato la cupola a dipingere […]“ Zuccari sei wiederum ohne Scham und Skrupel ans Werk gegangen. Ibid. 2, Verse 26–31 und 1, Verse 45–47. 21 Ibid. 2, Verse 16–21. 22 Ibid. 2, Verse 83–85. 23 Heikamp nimmt an, diese Kritiken seien gegen die Medici gerichtet gewesen und vermutet, es habe noch mehr Schmähgedichte politischer Art gegeben, die allerdings von der MediciRegierung unterbunden wurden. Liest man jedoch die Madrigale, dürfte es sich eher um ein satirisches Werk des Dichters handeln, der die momentane Aufregung nach der Enthüllung der Kuppelmalerei zum Einlass für eine lyrische Burleske nimmt. Grazzini, Dichter und Autor zahlreicher Komödien, war eine wichtige florentinische Persönlichkeit, die sich sowohl in den Medici- als auch in den studiosi-Kreisen, etwa um die Accademia Fiorentina, bewegte. Er war unter anderen mit Benedetto Varchi befreundet. Siehe zu Grazzini insbes. Trovato 1996. Vgl. Heikamp 1997, 145–146. 24 Siehe hierzu die Synthese der italienischen Texte bei Heikamp 1997, 148–150.
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(Riposo, 1584) erkennt etwa die Leistung Zuccaris im Umfang und in der Qualität der Malereien an, kritisiert jedoch die „unanständige“ Darstellung der Verdammten.25 Armenini (De’ veri precetti, 1587) stellt in ähnlicher Weise fest, die Ausmalung solle aufgrund ihrer Größe und Menge an Figuren bewundert werden.26 Francesco Scannelli (Microcosmo della pittura, 1657) würdigt die Gestaltung einer derart großen Fläche, bemängelt jedoch insgesamt ihre inferiore Qualität.27 In der Kunstliteratur außerhalb Italiens lassen sich hingegen folgende Aussagen festhalten : Sandrart schreibt in Teutsche Akademie (1675), in Anlehnung an van Manders Schilder-Boeck (1604), Vasari habe noch als wohlhabend gewordener und betuchter Mann die Aufgabe der KuppelAusmalung übernommen und gar bei Nacht gearbeitet. Seinem Fleiß und seiner „Fürtrefflichkeit“ habe jedoch der Tod ein jähes Ende gesetzt.28 An dieses Thema schließt Sandrart die Vita von Federico Zuccari an, vermerkt jedoch zur Kuppel nur kurz, dass Zuccari die Ausmalungen beendet habe.29 Félibien erwähnt in den Entretiens (1666– 1688) Zuccaris Tätigkeit in Florenz, ohne weitere konkrete Angaben.30 Roger de Piles (Abregé, 1699) lässt wie Sandrart die Vita Zuccaris auf die von Vasari folgen, in beiden Texten wird die Kuppel-Ausmalung jedoch nicht thematisiert.31 Ausführliche Besprechungen der Kuppelmalereien und Diskussionen hinsichtlich ihrer Qualität wurden demnach vorrangig in der italienischen Literatur geführt. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts werden außerdem die vergangenen Kontoversen wieder aufgerollt. In der Neuauflage des Florentiner Stadtführers vermerkt der Herausgeber Giovanni Cinelli – die Malereien der Kuppel als „schön und geistreich“ lobend –, es sei bekannt, dass seit jeher, und zwar seit Lascas Madrigalen, gefordert wurde, die Malereien mit Weiß zu überstreichen.32 Einige Jahre später äußert sich Ferdinando Del Migliore (Firenze nobilissima, 1684) zu dieser Angelegenheit : Die Kuppel, ob sie nun gefalle oder nicht, sollte in ihrem gegenwärtigen Zustand belassen werden, vor allem aus Rücksicht auf die „valent’uomini“ Vasari und Zuccari.33 Giovanni Richa (Notizie storiche 1757) verteidigt die Kuppelmalereien gerade gegen die Argumentationen von Lasca.34 Es ist aber der Leitsatz des Dichters, die Kuppel zu übermalen, die im 19. Jahrhundert in einer öffentlich ausgetragenen Debatte zum Tragen kommt. In diesen Diskussionen, vorangetrieben vom toskanischen Maler Nicola Monti35 und ausgefochten teilweise in Zeitungen, ging es auch um die prinzipielle Frage nach dem ,wie und ob‘ 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35
Borghini 1584, 84–85 u. 573–574, bes. 85. Armenini 1587, 156. Scannelli 1657, 189. Van Mander 1604, 180v–185r, und Sandrart 1675, Bd. 2, Buch 2, 181. Sandrart 1675, Bd. 2, Buch 2, 181f. Félibien 1705, Bd.2, 190–196, insbes. 196. De Piles 1699, 236–240. Cinelli 1678, 572–573, und zur Beschreibung der Kuppel 55–58. Del Migliore 1684, 39–40. Richa 1757, 154–163. Eine seiner Schriften ist Del Duomo di Firenze, Montepulciano 1845.
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der Modernisierungen von Kirchen, vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskurse um die Bewertung bestimmter Künstler, Werke und Stile. Die Forderung, die Kuppel weiß zu streichen, um ihre architektonische Schönheit wieder hervorzubringen, lehnte sich oberflächlich an einen ,paragone‘ zwischen Malerei und Architektur an und mündete in Polemik und Dogmatismus, forciert durch neue Gedichte nach der Art der Madrigale von Lasca.36 Damit endete diese laute und ergebnislose Debatte, auch wenn ihr Echo bis zu der letzten Restaurierungskampagne (1980–1995) hörbar blieb.
Resümee : Der abwesende Vasari, der ,unschuldige‘ Zuccari und Borghinis ,Gedanke‘ Die Rezeption der Kuppel-Ausmalungen stellt keine kohärente Entwicklung eines Diskurses um ihren Stil und Qualität dar. Vielmehr zog sich die prominent gewordene Reaktion von Lasca in einem internen Streit bis ins 19. Jahrhundert hinein, während die Malereien eigentlich keinen bemerkenswerten Widerhall im Rezeptionsraum außerhalb von Florenz fanden. Spielten wiederum Vasaris Vorarbeit und seine Position für den Nachfolger Zuccari eine gewichtige Rolle, galten sie später kaum als ein Reibungsmoment innerhalb der Kritiken : Es ist ein Werk von Vasari und Zuccari, oder schlicht von Zuccari.37 Das Erbe der ,s-fortuna‘ der Kuppelmalereien ist aber der kunstwissenschaftliche Fokus auf Zuccari, der Vasaris Rolle ins Abseits stellt und die Aufregung nach der Enthüllung der Malereien nach wie vor als eines der zahlreichen Zerwürfnisse in der Karriere des Malers Zuccari interpretiert, die er mit theorisierenden und provokativen Bildern in der Rolle des „innocente calunniato“ abwehren musste.38 Das eigentliche Erbe der Kuppelmalereien ist aber ein anderes : Ihr Schlüsselmoment sind die Höllendarstellungen, die den heutigen wie damaligen Blick des Betrachters anziehen und bereits nach der Entstehung eine Attraktion darstellten, zumal sie auch aus der Nähe, dank der Galerie am Fuße der Kuppel, betrachtet werden können.39 Sie sind auch ein Wegweiser für das Verständnis der Gesamtikonographie, denn letztendlich ist das, was sich dem Betrachter offenbart, nicht nur das Jüngste Gericht, sondern auch das dantische Jenseits, mit dem sich an den Laibungen erstreckenden Empyreum und der unter ihm liegenden Hölle, und zwar so, wie Vincenzo Borghini es unter dem Einfluss seiner Studien zu Dante Alighieris Commedia in dem von ihm verfassten Programm darlegte.40 Insbesondere die Teilung der Bereiche der Kuppel nach dem System der Sieben Laster und Tugenden und die Darstellung der Vierundzwanzig Apokalypse36 37 38 39
Heikamp 1997, 150–154. Für Cinelli 1678, 55, stammen nur die Figuren an der Kuppel-Laterne von Vasari. Acidini Luchinat/Capretti 2009. Aus der Nähe betrachtet offenbart sich auch der evidente Stilbruch zwischen Vasari und Zuccari. Quellen zum Dom wurden in Bezug auf die Begehungen der Kuppel und auf die Kritik der Malereien bisher nicht ausgewertet. 40 Cioli stellt fest, dass, bei allen Änderungen gegenüber Vasari, Zuccari nicht nur alles in Kon-
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Wächter an der Kuppellaterne sind der Lektüre Dantes verpflichtet.41 Für Federico Zuccari hingegen bedeuteten die Begegnung mit Borghini und die Beschäftigung mit dem Kuppel-Programm den Beginn seiner eigenen jahrelangen Auseinandersetzung mit Dantes Schriften. Es folgten etwa die prominenten Dante-Zeichnungen, die Zuccari bereits während des Aufenthalts in Florenz vorbereitete.42 Vor allen Dingen aber führte seine Dante-Lektüre ihn zu den Studien diverser philosophischer Texte, vorrangig von Thomas Aquin und Aristoteles, die wiederum in der prominenten Schrift Idea von 1607 mündeten.43 Der heutige Betrachter, der unter der Kuppel steht und den Blick zu ihr erhebt, ist, wie in den Jahrhunderten zuvor, mit einer Darstellungsdichte konfrontiert, welche negativ wie positiv beeindrucken kann, aber so oder so recht schnell ermüden lässt. Es ist aus heutiger Sicht ein objektiv kritischer Aspekt, den auch die Initiatoren der Ausmalungen nach ihrer Fertigung erkannt hatten : Um 1579 entstand ein Text, der sich als Descrizione della cupola del Duomo überliefert hat und von Borghini selbst oder von einem Literaten aus seinem Umkreis stammt. Die Schrift, die sicherlich zur Veröffentlichung geplant war, erklärt ausführlich das bereits realisierte Programm, sie reagiert auf die Änderungen im Verlauf seiner Ausführung gegenüber dem ursprünglichen Text und sucht den Bezug zu Dantes Jenseitsvorstellung deutlicher darzulegen.44 Natürlich liegt auch hier eine Reaktion auf die unmittelbaren Kritiken nach der Enthüllung der Malereien vor : Der Text lässt keinen Zweifel an der „lobenswerten“ Ausführung des „weisen“ Künstlers, nimmt aber vor allem den „glorreichen“ Inventor in Schutz. So seien zwar viele Figuren dargestellt, ihre Anordnung sei aber höchst geordnet und keineswegs zufällig.45 Dieser Text offenbart aber auch gleichzeitig eine hintergründige Vision, die innerhalb der Polemik des 19. Jahrhunderts wohl endgültig entrückte : die Rezeption des Jüngsten Gerichts als ein Werk von Vincenzo Borghini. Ohne die Maler Vasari und Zuccari zu nennen, stellt die Descrizione die Leistung des „grandioso Inventore“ heraus. Cinelli pointiert konkret dieses Verständnis später in seinem Florenz-Führer von 1678, dem er ebenfalls eine lange Erklärung des Bildprogramms beifügt, um die „Mühe“ zu mindern, über die Bedeutung der gesamten Malereien nachzudenken :46
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kordanz mit Borghini ausgeführt, sondern teilweise Borghinis Konzepte besser verstanden und realisiert habe. Cioli 2018, 26–28. Zu Borghinis Dante-Studien s. Chiecci 2009. S. das Kuppel-Bildprogramm Borghinis in Opera del Duomo 1995, bes. 59 u. 62. Dante historiato da Federigo Zuccaro, Zeichnungsreihe und Abschrift der Commedia, entstanden zwischen 1585–88, heute in Gabinetto Disegno e Stampe degli Ufizzi, Inv. 3474F – 3560F. Siehe Stoltz 2009 u. 2011. Die Dante-Ikonographie begleitete das gesamte bildliche wie schriftliche Œuvre des Malers, Stoltz 2011, bes. 211–221. Belloni/Drusi 2002, 144–148. […] significato di gran numero di figure, le quali ordinatamente e non […] a caso da […] saggio Artefice sono state effigiate à luoghi loro […] eseguite da un grandioso Inventore. Descrizione della cupola del duomo, Magliabechiano XVII, 21, 2r, Biblioteca Nazionale, Florenz. Cinelli 1678, 59.
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„Nicht weniger schön und geistreich als die Malerei ist aber der Gedanke, der nicht von Zuccari, sondern von Don Vincenzo Borghini stammt, und daher bitte ich den höfflichen Leser um Geduld, dass ich ihn hier kurz beschreibe.“47
Literatur Acidini Luchinat, Cristina : Traccia per la storia delle pitture murali e degli artisti, in : Opera del duomo 1995, 11–23. Acidini Luchinat, Cristina : Vasari’s last paintings. The cupola of Florence cathedral, in : Vasari’s Florence. Artists and literati at the Medicean Court, hg. v. Philip Jacks, Cambridge 1998, 238–252. Acidini Luchinat, Cristina : Taddeo e Federico Zuccari. Fratelli pittori del Cinquecento, 2 Bde., Mailand 1998–1999. Acidini Luchinat, Cristina/Capretti, Elena (Hg.) : Innocente e calunniato. Federico Zuccari (1539/40–1609) e le vendette d’artista (Ausst.-Kat.), Florenz 2009. Armenini, Giovan Battista : De’ Veri Precetti Della Pittura di M. Gio. Battista Armenini da Faenza. Libri Tre, Ravenna 1587. Belloni, Gino/Drusi, Riccardo (Hg.) : Vincenzio Borghini. Filologia e invenzione nella Firenze del Cosimo I (Ausst.-Kat.), Florenz 2002. Bocchi, Francesco : Le Bellezze della città di Fiorenza, Florenz 1591. Borghini, Raffaello : Il riposo. In cui della pittura, e della scultura si favella …, Florenz 1584. Borghini, Vincenzo (zugeschrieben) : Descrizione della cupola del duomo, Magliabechiano XVII, 21 Biblioteca Nazionale, Florenz, um 1579. Cecchi, Alessandro et. al. (Hg.) : Giorgio Vasari, disegnatore e pittore. „Istudio, diligenza et amorevole fatica“ (Ausst.-Kat.), Mailand 2011. Chiecci, Giuseppe (Hg.) : Vincenzio Borghini. Scritti su Dante, Rom 2009. Cinelli, Giovanni : Le bellezze della città di Firenze […] Scritte già da M. Franscesco Bocchi, ed ora da M. Giovanni Cinelli, Pistoia 16783 (1677). Cioli, Gianni : Vincenzio Borghini, Giorgio Vasari, Federico Zuccari e l’„inventione per la pittura della cupola“ del Duomo di Firenze, in : Giornale di Bordo, 3a, 39/40, 2018, 19–52. Del Migliore, Ferdinando Leopoldo : Firenze, città nobilissima, Florenz 1684. Félibien, André. Entretiens sur le vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes, 5. Bde., London 1705. Heikamp, Detlef : Federico Zuccari e la cupola di Santa Maria del Fiore. La fortuna critica dei suoi affreschi, in : Federico Zuccari. Le idee, gli scritti, hg. v. Bonita Cleri, Mailand 1997, 139–157. Heikamp, Detlef : Federico scandalista, in : Acidini/Capretti 2009, 46–77. Lanfranchi, Maria Rosa : Federico Zuccari per il completamento della decorazione della cupola
47 Übers. der Autorin. „Ma perché non meno della pittura è bello, e spiritoso il pensiero, che non del Zuccheri, ma ben sí, di D. Vincenzio Borghini, non rincresa al cortese Lettore ch’io qui brevemente il racconti.“ Cinelli 1678, 55.
350 | Barbara Stoltz del Duomo di Firenze, in : Dipinti murali dell’estremo Oriente, hg. v. Rocco Mazzeo, Ravenna 2006, 97–104. Lapini, Agostino : Diario Fiorentino di Agostino Lapini dal 252 al 1596, hg. von Giuseppe Odoardo Corazzini, Florenz 1900. Mander, Karel van : Het Schilder-Boeck, Haarlem 1604. Opera del duomo di Santa Maria del Fiore (Hg.) : Il „Giudizio“ ritrovato. Il restauro degli affreschi della Cupola di Santa Maria del Fiore, Florenz 1995. Piles, Roger de : Abregé de la vie des peintres, Paris 1699. Richa, Giovanni : Notizie storiche delle chiese fiorentine, 10 Bde., Florenz 1754–1762, Bd. 6, 1757. Sandrart, Johannes : Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild-, und Mahlerey-Künste, 3. Bde., Nürnberg 1675–1680. Scannelli, Francesco : Microcosmo della pittura, Cesena 1657. Stoltz, Barbara : La filosofia dantesca e la metafora del „cammino della virtù“ nel Dante historiato da Federico Zuccaro (1585–1588 circa), in : Acidini/Capretti 2009, 198–211. Stoltz, Barbara : Gesetz der Kunst. Ordo der Welt. Federico Zuccaros Dante-Zeichnungen, Hildesheim 2011. Trovato, Roberto : Anton Francesco Grazzini. Un commediografo fra tradizione e modernità, Genova 1996. Verzone, Carlo (Hg.), Le rime burlesche edite ed inedite di Anton Francesco Grazzini, detto il Lasca, Florenz 1882. Waźbiński, Zygmunt : Federico Zuccari nell’anno 1579 : il contributo al mecenatismo di Francesco Maria II Della Rovere duca di Urbino, in : Der Maler Federico Zuccari. Ein römischer Virtuoso von europäischem Ruhm, hg. v. Matthias Winner/Detlef Heikamp, München 1999, 207–213.
Ulrich Schütte
Alte und neue Schlösser der Fugger Architektur und Konstruktionen familiärer Tradition im 16. Jahrhundert
„Burger zu Augspurg und stend des Römischen Reichs“1, so die Selbstbezeichnung der Brüder Philipp Eduard (1546–1618) und Octavian Secundus Fugger (1549–1600) in einem Brief aus dem Jahre 1592. Dem wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg der Familie Fugger entsprach demnach eine doppelte Orientierung : Sie wollten Bürger bleiben und Adelige werden. Ihr Aufstieg war gleichbedeutend mit einer Distanzierung gegenüber ihrem hergebrachten reichsstädtischen Milieu, dem sie gleichwohl verbunden bleiben wollten, und einer sozialen, rechtlichen und kulturellen Neuausrichtung, die zunächst eine Adaption adeliger Vorrechte und Verhaltensweisen erzwang ; später dann – als Reichsgrafen – eine Abgrenzung gegenüber dem niederen Adel. Um dieser doppelten Zielsetzung zu entsprechen, griffen einzelne Mitglieder der Familie gleichermaßen auf alte wie auf neue künstlerische und architektonische Muster zurück. Das Alte wie das Neue waren für die Fugger keine alternativen Rezeptionsmodi, mit deren Hilfe die Familie ihre jeweils neue Position markierte ; vielmehr wurden sowohl traditionelle wie ästhetisch innovative Zeichensetzungen bei der Planung und Realisierung einzelner Werke wichtig, um auf unterschiedliche Interessen, Erwartungshaltungen und Wahrnehmungseinstellungen zu reagieren. Die folgenden Überlegungen versuchen, den semantischen Gehalt dieser divergierenden Normen und Rezeptionsweisen zu bestimmen, der den Aufstieg der Familie Fugger aus dem zünftischen Augsburger Bürgertum in den Stand der Reichsgrafen bestimmte. Dabei wurde die Rezeption traditioneller Lebensformen zur demonstrativen Behauptung neuer, adeliger und reichsgräflicher Positionen im Wahrnehmungshorizont des Heiligen Römischen Reiches entscheidend, während sich die Orientierung an innovativen ästhetischen Normen antiker und italienischer Provenienz an ein humanistisch gebildetes und zugleich höfisch geprägtes Publikum wandte. Die Bauaufgabe Schloss wurde also von den Fuggern an verschiedenen Rezeptionshorizonten ausgerichtet. Damit ist ein Problemfeld benannt, das durch zahlreiche ältere und neuere Arbeiten zu den Fuggern gut vorbereitet ist. Dass die Bauten und Bilder Teil eines phänomenalen ökonomischen Reichtums und sozialen Aufstiegs waren, gehört zum Topos der Forschung. Allerdings wurden Architekturen und Bildwerke wie auch Feste und andere ephemere kulturelle Ereignisse zumeist eher als äußere Indikatoren grundlegen-
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Zitat bei Hildebrandt 1966, 184. Ganz herzlich danke ich Katharina Saul für die kritische Lektüre meines Textes.
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der ökonomischer und sozialer Entwicklungen verstanden denn als Teil einer sozialen und politischen Praxis, in der und mit der die Familie Fugger sich zu behaupten hatte.2 *** Der soziale Aufstieg der Familie Fugger kann nicht als typisch für die Geschichte der Patrizier angesehen werden. Nur den Fuggern gelang es innerhalb weniger Generatio nen durch größten Kapitaleinsatz, durch politische Verbindungen zum Kaiserhaus und trotz aller Kritik von Seiten des niederen Adels (Hutten) und der Reformatoren (Luther), das soziale Milieu der Augsburger Kauf- und Handelsbürger zu verlassen.3 Der Erwerb von Land ging seit der Standeserhöhung Jakob Fuggers im Jahre 1511 einher mit einer intensiven Schlossbautätigkeit, die die Interessen des Kaisers an einer zeitweiligen Unterkunft ebenso zu berücksichtigen hatte wie die Ansprüche der geadelten Familie auf eine angemessene Architektur in den Herrschaftsorten ihrer neuen Besitzungen. Die Bauten in Kirchberg und Weißenhorn folgten einem Architekturtypus wie er „bei einfacheren Schlössern des Landadels“ anzutreffen war. Für sie war eine „betonte architektonische Anspruchslosigkeit nach außen hin“ typisch.4 Die Fugger veränderten in dieser Zeit den Charakter bestehender kompakter, hoch aufragender Bauten ebenso wenig wie deren fortifikatorische Elemente. Die Schlösser glichen sich dem Hergebrachten vollständig an. In der Zeit Anton Fuggers, des Neffen Jakob Fuggers, wurden ab den 1530er Jahren die Schlossbauten anspruchsvoller, ohne jedoch ihren traditionellen Gestus aufzugeben ; so etwa beim Schloss in Oberndorf (1535ff., Abb. 1). Auch beim neu errichtet Schloss in Babenhausen (1541ff., Abb. 2) erfüllte die Architektur in demonstrativer Weise ihre traditionelle fortifikatorische Aufgabe. Auffällig ist, dass bei allen Schlössern dieser und auch späterer Zeit keine modernen Befestigungswerke ausgeführt wurden, wie sie die Fugger ab 1537 im ungarischen Bibersburg errichteten. In Oberndorf wie in Babenhausen kann man die Symmetrie der Gesamtanlage als Referenz auf neuere Gestaltungsprinzipien verstehen. Zwar bestimmte auch in früheren Jahrhunderten und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der regelmäßige Grundriss einzelne Schlossarchitekturen ; doch hier in Schwaben und gegenüber den früheren Bauten der Fugger war dies neu. Neu war auch, dass Anton Fugger sich in der dem Schloss angegliederten Pfarrkirche von Babenhausen begraben ließ. Damit wählte erstmals ein führendes Mitglied der Familie nicht Augsburg zum Begräbnisort, sondern eine Kirche, die außerhalb der Reichsstadt und in Nachbarschaft eines neu errichteten Schlosses lag. 2
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Zu Beginn des 17. Jahrhunderts besaßen die verschiedenen Zweige der Fugger über 40 Schlösser, die von der Forschung bislang weder zusammengestellt, noch vergleichend analysiert wurden. Ansätze dazu liefert Merten 1981. Zur Bestimmung von Bürgertum und Adel s. Stollberg-Rilinger 1996, zu den Fragen nach dem Selbst-Bild der Fugger und nach ihren Strategien visueller Statusbehauptungen Koutná-Karg 1996 und Kagerer 2019. Zur Fugger-Kritik bei Hutten und Luther s. Häberlein 2006, 172. Merten 1981, 66.
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Abb. 1 Oberndorf, Schloss, Zeichnung von Jost Amman, um 1570. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5379(3)
Unter Anton Fugger, dem „eigentlichen Begründer des Adelsgeschlechts“5 der Fugger, zeichnete sich deutlich ab, dass die schon unter Jakob Fugger erstmals erreichten und immer wieder vom Kaiser bestätigten Rangerhöhungen einen entsprechenden Lebensstil dort erzwangen, wo der Status eines Herrn und eines Grafen sein rechtliches Fundament hatte : nicht in der Stadt, sondern auf dem Land. Damit traten die Fugger erstmals nicht nur in Differenz zur Welt der städtischen Kaufleute, sondern auch zu den Vertretern des niederen Adels. Die Muster und Vorbilder für Schlossbauten mit regelmäßigen Grundrissformen waren reichsweit bekannt. Die Schlösser bezogen sich als immer nur zeitweilig genutzte Landsitze jedoch nicht auf aktuelle Villenarchitekturen Italiens, sondern auf Bauten mit den typischen Merkmalen eines Schlosses (kompakte Baukörper, Türme, Wehranlagen). Sie verwiesen damit auf einen architektonischen und sozialen Rezeptionshorizont, der hierarchisch organisiert und von traditionellen Normen geprägt war. In ihn fügte sich Babenhausen als Ort familiärer Memoria und dauerhafter, adeliger Repräsentation ein. Wenn Schloss und Stadt immer mehr den Charakter einer gräflichen Residenz annahmen, so verlief dies doch nicht immer konfliktfrei, wie die heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Bürgerschaft von Babenhausen und den Fuggern im 17. Jahrhundert zeigen sollten. Nach dem Tod Anton Fuggers initiierten seine drei Söhne Markus (1529–1597), Hans (1531–1598) und Jakob III. Fugger (1542–1598) in ihren jeweiligen Herrschaftsgebieten nach 1575 verschiedene neue Schlossbauprojekte. Dabei nahmen sie die bestehende Architektur auf und verwandelten sie in Bauwerke mit neuen architektonischen und visuellen Repräsentationsmustern. Erst jetzt, im letzten Viertel des 5
Burkhardt 1994, 148.
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Abb. 2 Schloss Babenhausen, Gouache von Andreas Gramlich d. Ä., 1671. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek
16. Jahrhunderts, verbanden die Fugger ihren rechtlichen, politischen und sozialen Rang, der 1583 mit der Reichsstandschaft im Schwäbischen Reichsgrafenkollegium seinen Höhepunkt erreichte, mit innovativen und prestigeträchtigen Statuszuschreibungen. In Niederalfingen, das von Markus Fugger offensichtlich als Jagdschloss genutzt wurde, kam es beim Neubau zwischen 1573 und 1577 zur Wiederverwendung älterer Fundamente (Abb. 3). Erhalten blieb der große Turm, der die Gesamtanlage mit drei einzelnen Bauten, einer Zwingeranlage mit Rundtürmen und einem vorgelagerten Graben überhöhte. Im Außenbau verweist einzig die Rahmung des Eingangsportals mit toskanischen Säulen und Gebälk auf zeitgenössische Architekturformen. Durch die alten Wehrelemente wie auch durch die asymmetrische Form der Gesamtanlage unterschied sich das Schloss grundsätzlich von den bisher üblichen ländlichen Herrschaftsarchitekturen der Fugger. Der erneuerte Turm kann als „Signal für das Traditionsbewusstsein des Bauherrn“ verstanden werden und die Buckelquader als ein „konnotationsreiches Adelsattribut“.6 Allerdings sind dies allgemeine Hinweise auf eine Tradition adeligen Bauens, über die die Familie Fugger selbst nicht verfügte. Überdeutlich wird damit der Charakter einer Aneignung eines alten architektonischen Erschei6
Wölfle 2009, 43f.
Alte und neue Schlösser der Fugger | 355
Abb. 3 Schloss Nieder alfingen
nungsbildes, verbunden mit knappen Verweisen auf zeitgenössische Bauformen. Eine solche habituelle Angleichung an alt-adelige Standesgewohnheiten bediente sich dabei verschiedener Architekturmuster, die der Familie mit ihrer städtisch-kaufmännischen Vergangenheit und Gegenwart bislang fremd geblieben waren. Für Bauherrn und Architekten war darum die Wahl der Formen für das Schloss in Niederalfingen keine Frage eines Stils oder einer subjektiven Geschmacksentscheidung. Ein derartiges, auf vergangene Jahrhunderte verweisendes neues Schloss ist nur im Kontext von adeligen Legitimitätsbemühungen einer Familie ohne dynastische Tradition plausibel. Familiäre Geschichte konnte durch das neue Schloss nicht verbürgt werden. Letztlich blieb Markus Fugger hier in Niederalfingen nur die Möglichkeit, durch eine als alt erscheinende Architektur das zu kompensieren, was der Familie an Alter und damit an dynastischer Substanz fehlte. In Babenhausen erweiterte Jakob III. Fugger zwischen 1579 und 1591 die Schlossanlage, ohne dass sich die Gesamtdisposition veränderte. Jetzt wurden erstmals neue, europaweit aktuelle Bauformen verwendet wie Innenhofarkaden, streng symmetrische Anlage von Fenstern und Rustikaformen am Torbau. Die Kirche wurde vollständig in das Schlossareal integriert. Auch wenn keine komplette Vierflügelanlage entstand, zur Stadt hin präsentierte sich das neue Schloss als ein mit Türmen und Giebelbauten
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akzentuierter großer Riegelbau, dem weiterhin Mauerzüge einer Zwingeranlage und Gräben vorgelagert waren (Abb. 2). Klaus Merten spricht von „Kargheit und außerordentlich abweisende[r], fast martialische[r] Strenge“, von „Schmucklosigkeit, ja beinahe Formlosigkeit des Äußeren“. Er weist auch darauf hin, dass im Gegensatz dazu einige Räume des Inneren prächtig ausgestattet waren.7 Erst mit diesem Bau setzten sich die Fugger hinsichtlich Größe des Gesamtbaues und Opulenz der inneren Ausstattung in Differenz zu den zeitüblichen adeligen Landsitzen. Erst dieses Schloss darf als Versuch verstanden werden, den Reichsgrafenstand in zugleich demonstrativer wie angemessener Weise darzustellen. Übertroffen wurden diese Intentionen durch das neue Schloss in Kirchheim an der Mindel. Hier realisierte Hans Fugger ein architektonisches Konzept, wie es die Familie zuvor bei keinem Profanbau mit einem vergleichbaren Aufwand an künstlerischer Ambition und Prachtentfaltung intendiert und umgesetzt hatte. Das zwischen 1578 und 1585 ausgebaute Schloss dominiert die kleine Stadt durch seine erhöhte Lage. Diese Wirkung verstärken große, mehrgeschossige Flügelbauten und der erhöhte Turm der Pfarrkirche, die von nun an auch als Schlosskirche diente und in den Schlosskörper integriert wurde. Die regelmäßige Vierflügelanlage mit ihren Ecktürmen war von Gräben umgeben. Zusätzliche Mauern umzogen das Schlossareal und ebenso den im Osten angefügten Garten. Der Bau war also befestigt, jedoch in einer für diese Zeit äußerst zurückhaltenden, geradezu altertümlichen Weise. Eine ähnliche Verweigerung gegenüber einer Rezeption aktueller Schmuckformen betrifft die äußeren Fassaden des Schlosses. Abgesehen von einer Pilaster- und Giebelrahmung sowie Nischenfiguren (Minerva, Herkules und Mars) am Portal blieben die großen Außenwände ohne Schmuck. Offensichtlich bewusst wurde auf den Einsatz architektonischer Gliederungselemente (Säulenordnungen) am Außenbau und auch an den Innenhoffassaden verzichtet. Architekturikonographisch bedeutsam war hingegen die typologische Orientierung des Baues. Eine Vierflügelanlage mit ihrer politischen Semantik war von den Fuggern bislang nie in derart konsequenter Weise realisiert worden. Dies musste als demonstratives Zeichen herrschaftlicher Ansprüche und als Intention zur Etablierung einer regelrechten Residenz gewertet werden. Die Ausgestaltung der Räume im Schlossinneren zählt „zu den bedeutendsten Ausstattungsensembles deutscher Schlösser im 16. Jahrhundert“8 und ist als eine Rezeption neuster höfischer Kunst zu verstehen. Darauf verweist auch die Verpflichtung von Künstlern, die zuvor an den Höfen in Florenz und München tätig gewesen waren (Carlo di Cesare del Palagio, Hubert Gerhard). Terrakottastatuen an den Wänden des sogenannten Zedernsaals (1582–1587) verkörpern eine königlich-kaiserliche Amtsgenealogie und dürfen zugleich als Tugendallegorien verstanden werden (Abb. 4). Die Ikonographie war auf ein ideelles Fundament herrschaftlicher und ethischer Normen 7 8
Merten 1981, 70 mit Hinweis auf das befestigte, gegen die Osmanen gerichtete Schloss der Fugger in Bibersburg (Burg Červený Kameň bei Častá), heute in der Slowakei. Wölfle 2009, 138.
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Abb. 4 Schloss Kirchheim (Schwaben), Zedernsaal, Aufnahme 2013
ausgerichtet, denen die Fugger ihre Statuserhöhung verdankten. „Der Tugendadel der Fugger bedurfte des Altersadels des Kaiserhauses. Er erwuchs nicht etwa aus eigener Leistung, sondern aus Demut vor Gott und Treue zum Herrscher.“9 Auch der Kamin mit seinen Figuren von Vulkan, Mars und Venus spielte auf adelig-fürstliche Standestugenden an. Bilder von Papst und Kaiser – „der geistlichen Standt“ und „der weltlichen Standt“10 – repräsentierten jene kirchlichen und weltlichen Mächte, die die Herrschaft der Fugger letztlich garantierten. Die Kassettendecke setzt durch ihre Dimensionierung, ihr starkes Relief sowie durch die Bearbeitung unterschiedlicher Holzarten raumbestimmende ästhetische Akzente. Sie artikuliert damit Pracht im Sinne eines ästhetischen Aufwandes, der sich auf Kennerschaft und familiäre Statusansprüche, nicht jedoch auf eine einzelne Person (etwa die des Bauherrn) bezog. Ikonographische Verweise und Pracht der Raumausstattung wandten sich hier im Kirchheimer Schloss an hochadelige Standesgenossen, die bereit und in der Lage waren, solche Ansprüche einer höfischen Kultur zuzuordnen. Die Person des Auftraggebers und seine Familie waren explizites Thema der neuen Grablege für Hans Fugger in der Pfarr- und Schlosskirche von Kirchheim. Nach der 9 Rohmann 2004, 287. 10 Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel am 19.10.1598 zur Ausstattung des Saales in Kirchheim ; s. ders : Ephemerides. Sive Diarium (1594–1635), Cod. Guelf. 42.19 Aug. 2°, fol. 5v, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek. http://selbstzeugnisse.hab.de/edition/diarium/ 1598#E1598-10-18 (27.05.2020)
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Abb. 5 Hubert Gerhard und Alexander Colin, Grabmal Hans Fuggers, 1584–1587. Kirchheim (Schwaben), Pfarr- und Schlosskirche
Grablege des Vaters in Babenhausen war dies der zweite Bestattungsort der Fugger außerhalb von Augsburg. Allerdings übertraf das Grabmal im Chor der Pfarr- und Schlosskirche von Kirchheim an ästhetischem Aufwand und semantischer Ausrichtung die Grabstätte seines Vaters in Babenhausen sowie alle Begräbnisorte der Familie außerhalb von Augsburg (Abb. 5). Wieder waren es Hofkünstler, die das Hochgrab zwischen 1584 und 1587 verwirklichten (Alexander Colin, Hubert Gerhard). Hans Fugger ließ sich von ihnen als reichsgräflicher Ritter darstellen ; fern aller kaufmännisch-städtischen und auch jenseits aller humanistischen Ikonographie. Keiner der Fugger, auch Hans Fugger nicht, war jemals adeliger Ritter im Sinne eines Akteurs in kriegerischen Auseinandersetzungen gewesen. Für sie hatte es allenfalls die Möglichkeit zu Turnieren, zu „Ritterspilen“, in Augsburg gegeben.11 Auch das Kirchheimer Grabmal artikuliert damit eine Standesbehauptung, der keine reale Geschichte entsprach. Hans Fugger trägt eine Prunkrüstung mit Schwert und Helm. Die Rüstung sollte den erworbenen, hohen Rang des Geschlechts der Fugger repräsentieren. Es entsprach den Konventionen adelig-gräflicher Begräbnisorte, durch skulpturale Werke, Wappen und Inschriften 11 Jachmann 2008.
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den Verstorbenen in die Kette der familiären Verflechtungen einzubinden oder ihn, wie hier in Kirchheim, zum Stammvater eines Geschlechtes an einem neuen Begräbnisort werden zu lassen. Das Potential der Zeichen aktivierte dabei zwar alte adelige Topoi (Rüstung, Helm, Typus des Grabmals) und bezog sich auf den verstorbenen Hans Fugger ; doch sollten diese Zeichen als Signifikanten aktueller und künftiger Ansprüche verstanden und sichtbar gemacht werden. Schloss und Grablege in Babenhausen verbanden im Kontext sozialer Dynamik (Statuserhöhung und Statusanerkennung) skulpturale Darstellungsmodi, die sich an den Ansprüchen moderner höfischer Kunst orientierten und gleichzeitig eine Semantik alter Zeichen entfalteten. Damit wird ein generelles Muster politischer und kultureller Orientierung der Fugger deutlich. Für die meisten Mitglieder der Familie war trotz aller Widersprüche eine doppelte soziale und politische Ausrichtung an reichsstädtisch-kaufmännischen wie ständisch-adeligen Normen typisch. Gleichwohl kamen die Einrichtungen neuer Grabanlagen außerhalb der Reichsstadt einer „Loslösung von Augsburg“ gleich.12 Vor allem aber sind sie als ein Zeichen dafür zu werten, wie einem Ort, den die Fugger bislang nur gelegentlich genutzt hatten, allmählich Funktionen zugewiesen wurde, wie sie in der Frühen Neuzeit charakteristisch für gräfliche Residenzen waren. So lassen sich die neuen Grablegen und die neuen Schlossbauten in Babenhausen und Kirchheim als anregende Maßnahmen für das verstehen, was 1600 mit der kontinuierlichen Nutzung der Schlossarchitekturen als herrschaftliche Wohnorte und damit als Residenzen eines gräflichen Herrschaftsraumes Wirklichkeit wurde. *** Was sich erst im Rückblick als eine Entwicklung hin zu einer reichsgräflichen Residenzbildung darstellt, war keine Intention, die den ersten Landerwerbungen und Schlossneubauten zu Grunde lag. Jakob Fugger war an einer Statusbehauptung interessiert, die ihm das Wohlwollen des Kaisers sicherte und ihm eine sichere Kapitalanlage ermöglichte. Erst die im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts verwirklichten Schlossbauten ließen hinsichtlich Dimension, architektonischer Ansprüche und innerer Ausstattung jedwedes Niveau niederadeliger (und natürlich reichsstädtischer) Kultur hinter sich. Sie erzwangen innerhalb ihrer topographischen Gegebenheiten eine zumindest kleinstädtische Infrastruktur. Zugleich waren die Herrschaftssitze Teil einer höfisch geprägten Lebenskultur, die sich in deutliche Distanz zu benachbarten Herrschaften setzte. Für alle Schlossbauten war eine Verschränkung alter architektonischer Muster (im Äußeren) und ästhetischer Innovation (im Inneren) charakteristisch, die unterschiedliche Rezeptionsfelder (Reich und Italien) als Voraussetzung hatten und unterschiedlichen Rezipienten (Untertanen und Landadel sowie Hochadel und Gebildete) ansprechen sollten. Der Hinwendung zum Adel entsprach keine Abkehr vom Handel und vom Finanzgeschäft. Die Fugger blieben Bürger von Augsburg und nahmen hier nach der kaiserli12 Koutná-Karg 1996, 103.
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chen, gegen die Zünfte gerichteten neuen Verfassung von 1548 höchste städtische Ämter ein, nachdem sie 1538 (und damit sehr spät) in das Patriziat aufgenommen worden waren. In der Reichsstadt blieb weiterhin das weitläufige und prächtig ausgestattete Augsburger Stadthaus als Wohngebäude der Familie und Logis für hohe Gäste von Bedeutung. Hingegen war die Rezeption neuer Zeichen für die Fugger seit dem frühen 16. Jahrhundert immer dann wichtig, wenn es galt, Distanz zu artikulieren ; zunächst gegenüber der reichsstädtischen Umwelt (mit der Grablege bei St. Anna 1509–1512, die im Ehrenbuch 1546 als „auf welsche art, der zeit gar new erfunden“ beschrieben wurde, und dem Ausbau der Fuggerhäuser ab 1512), später gegenüber dem schwäbischen Landadel (mit den Schlossbauten und Grablegen ab 1540).13 Zur Distinktion konnte auch das zählen, was die Forschung üblicherweise als Interesse an Sammlungen und Kunstkammern, an Musik und humanistischer Literatur hervorgehoben hat. Eine solche kulturelle Praxis ließ sich im reichsstädtischen Milieu einem aristokratischen Gestus zurechnen, nicht jedoch einer Kultur der Handwerker. Reichtum und eine Statusrepräsentation, die sich an neuen, aus Italien stammenden kulturellen Mustern orientierte und die damit in Augsburg die Patrizier übertrumpfte, waren auch die Grundlage für die beschriebene Angleichung an höfische Ansprüche im Inneren der Fuggerschlösser auf dem Lande. Hinsichtlich Habitus und kultureller Codierung war für die Fugger der Weg lang vom Weberhandwerk des mittleren 14. Jahrhunderts, denen weder Ländereien aus adeligem Besitz noch Schlösser zustanden, bis zu den Reichsgrafen am Ende des 16. Jahrhunderts. Erst als Adelige nahmen sie Teil an der aristokratischen Kultur mit ihren Schlössern, Festen und Turnieren. Für die Fugger des 16. Jahrhunderts gab es damit keine adelig-dynastische Tradition, in die sie sich hätten einfügen können. Eine solche mussten sie erst erschaffen. Darin haben die verschiedenen Generationen der Fugger massiv investiert, um spätestens gegen Ende des 16. Jahrhunderts über ein weithin anerkanntes symbolisches Kapital von Adel und Ehre zu verfügen, das sich jetzt nicht mehr als anmaßend und neu verstehen musste, sondern als durch Alter und Tradition legitimiert. Unter Einsatz ihrer immensen finanziellen Ressourcen (und mit massiver, politischer Unterstützung der Habsburger) gelang es der Familie, sich dem Stand der Adeligen und schließlich der Reichsgrafen zuzurechnen. Dies geschah nicht in einem einzigen Akt, sondern durch eine allmähliche Angleichung an adelig-ritterliche Verhaltensmuster und durch eine Rezeption entsprechender Zeichen (Wappen, Waffen, Pferde, Rüstungen). Die Aneignung neuer wie alter Kulturmuster folgte dabei einer „Logik affektiver Investition“.14 Sie war damit weniger von einem rationalen Kalkül bestimmt, war also nicht Ergebnis stringenter Planung, sondern Konsequenz einer langfristigen, sich erst allmählich artikulierenden symbolischen Praxis. Damit verknüpft blieb eine Strategie sozialer und ethischer Rechtfertigung, die den Adel der Fugger als durch Tugend 13 Zum Ehrenbuch s. Fn. 15. 14 Bourdieu 2015, 78.
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erworben verstand und die sich an der Ehre (und eben weniger am Alter) ausrichtete. Reichtum konnte damit als Ergebnis eines tugendhaften und gottgefälligen Lebens verstanden werden, wie es sich vor allem in den zahlreichen Stiftungen (etwa der Fuggerei) darstellen sollte. Dem diente auch die Deklaration von der Ehre der Tugend als eine für erfolgreiche Kaufleute und geachtete Adelige gemeinsame ethische Norm. Dazu ließen die Fugger ein Ehrenbuch (ab 1545) zusammenstellen, um die Generationenfolge der Familie festzuhalten, wie auch einen Ehrenspiegel des Hauses Österreich (1559), um ihre Verbindung zum Kaiserhaus zu demonstrieren.15 Beide Codices dienten im Sinne dynastischer Konstruktion der familiären Selbstbestätigung. Bilder zeigen unter anderem die Besitzungen der Fugger als Grundlage ihrer Standeserhöhungen wie auch die ersten von Jakob Fugger erworbenen und sogleich umgebauten Schlösser in Kirchberg, Schmiechen und Weißenhorn. So konnten schon um 1550 die Schlossbauten als Architekturen mit aktuellen Ansprüchen verstanden werden, die zugleich „Vergangenheit [waren], akkumulierte, angehäufte, kristallisierte Geschichte“. Den späteren Generationen sollten sie als „Beispiel[e] einer in familiären Mustern realisierten Kultur und Bildung“ dienen, die sich nun als eine Kultur der Anciennität verstand.16 Sie war von den Nachgeborenen anzuerkennen und fortzusetzen.
Literatur Bourdieu, Pierre : Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 71994 (1982). Bourdieu, Pierre : Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in : Die verborgenen Mechanismen der Macht, hg. von dems., Neuauflage der Erstauflage von 1992, Hamburg 2015, 49–79. Bubenik, Claudia (Hg.) : Die Fugger im Bild. Selbstdarstellung einer Familiendynastie der Renaissance (Ausst.-Kat.), Darmstadt 2010. Burkhardt, Johannes : Jubiläumsvortrag Anton Fugger, in : Anton Fugger, hg. von dems., Weißenhorn 1994, 137–149. Häberlein, Mark : Die Fugger. Geschichte einer Augsburger Familie (1367–1650), Stuttgart 2006. Hildebrandt, Reinhard : Die „Georg Fuggerischen Erben“. Kaufmännische Tätigkeit und sozialer Status 1555–1600, Berlin 1966. Jachmann, Julian : „… in Ritterspilen und hohem Gebreng frembder Nationen erfaren“. Feste und Turniere der Fugger im frühneuzeitlichen Augsburg, in : Herrschaft – Architektur – Raum. Festschrift für Ulrich Schütte zum 60. Geburtstag, hg. von Stephanie Hahn und Michael H. Sprenger, Berlin 2008, 261–275.
15 Zum Ehrenbuch und zum Ehrenspiegel s. Bubenik 2010, Kagerer 2019 und Rohmann 2004. 16 Bourdieu 1994, 129. Bourdieu diskutiert hier die „in familiären Mustern realisierte Kultur und Bildung“.
362 | Ulrich Schütte Kagerer, Alexander : Macht und Medien um 1500. Selbstinszenierungen und Legitimationsstrategien von Habsburgern und Fuggern, Berlin 2019. Koutná-Karg, Dana : Die Ehre der Fugger. Zum Selbstverständnis einer Familie, in : Augsburger Handelshäuser im Wandel des historischen Urteils, hg. von Johannes Burkhardt, Berlin 1996, 87–106. Merten, Klaus : Die Landschlösser der Familie Fugger im 16. Jahrhundert, in : Welt im U mbruch (Ausst.-Kat.), hg. v. Bruno Bushart, Augsburg 1981, Bd. 3, Beiträge, 66–81. Rohmann, Gregor : Das Ehrenbuch der Fugger. 1. Darstellung – Kommentar – Transkription, Augsburg 2004. Stollberg-Rilinger, Barbara : Gut vor Ehre oder Ehre vor Gut ? Zur sozialen Distinktion zwischen Adels- und Kaufmannsstand in der Ständeliteratur der Frühen Neuzeit, in : Augsburger Handelshäuser im Wandel des historischen Urteils, hg. von Johannes Burkhardt, Berlin 1996, 31–45. Wölfle, Sylvia : Die Kunstpatronage der Fugger 1560–1618, Augsburg 2009.
Anna Maria Voci
Kulturkritik ohne Griechensehnsucht Zur Rezeption Winckelmanns im 19. Jahrhundert*
Ende 1873 erschien in Berlin eine anonyme Schrift, die den Titel Zwölf Briefe eines ästhetischen Ketzers und das Datum 1874 trug. Dieses kleine, 118 Seiten umfassende Werk, das sich kritisch mit der Kunst der Zeit, insbesondere des jungen deutschen Kaiserreichs befasste, rief eine allgemeine Aufmerksamkeit hervor,1 verkaufte sich sehr gut2 und erfuhr gleich im selben Jahr eine zweite Auflage. Auch ihr Autor wurde sofort identifiziert : Es war der Literaturhistoriker, Historiker, berühmte Essayist und Kulturvermittler Karl Hillebrand (1829–1884), der in Florenz lebte und einer der wichtigsten Vertreter nicht nur der deutschen Kolonie, sondern generell der Ausländer in der Arnostadt war.3 Seine Zwölf Briefe waren das Ergebnis von Kunstgesprächen zwischen ihm, dem Maler Hans von Marées und dessen Schüler, dem Bildhauer Adolf Hildebrand.4 Die Anonymität diente nicht so sehr dem Schutz von Hillebrands Ruf, vielmehr sollte sie ein Stilmittel sein, „dem ‚häretischen‘ Charakter seines Anliegens geheimnisvoll Nachdruck zu verleihen – als könne er für seine Ansichten verfolgt werden.“5 Was war so häretisch an Hillebrands fiktiven Briefen ? Es war „seine Fundamentalkritik an den Errungenschaften des bürgerlichen Staates : an den Einrichtungen von staatlichen Museen mit der Folge einer Ästhetisierung und Dekontextualisierung der Kunst, an der Industrialisierung des Kunstbetriebs, etwa in Form von
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Verzeichnis der Abkürzungen : NL = Nachgelassene Fragmente ; KSA : Friedrich Nietzsche 1988, Bde. 3, 8, 9. – Ich möchte Frau Rotraut Fischer (Darmstadt) meinen herzlichsten Dank für ihre Hilfe bei der Anschaffung eines Teils des zu diesem Aufsatz herangezogenen Materials sowie für die sprachliche Revision dieses Textes aussprechen. Für wertvolle Hinweise bin ich auch Herrn Max Kunze (Stendal) sehr dankbar. Vgl. den Brief Hillebrands an den Herausgeber der Wochenschrift Die Gegenwart, Paul Lindau, dort abgedruckt in Nr. 31, Bd. 8 (31.07.1875), 75. Der Brief trägt die Unterschrift : „Aesthetischer Ketzer“. Meyer 1905, 335, behauptete, diese Schrift habe seinerzeit „wie ein Blitz eingeschlagen“. Gaier 2013, 168, Anm. 7, verzeichnet einige Besprechungen. Dies behauptete Hillebrand selbst in einem Brief (19.02.1875) an Julius Rodenberg, den Heraus geber der Deutschen Rundschau. Vgl. Gaier 2013, 177. Zu Hillebrand s. Voci 2015, mit weiterer Bibliographie. Gaier 2013, 173. Zu dieser Schrift Hillebrands und zu ihren Quellen s. ibid., 167–177, und Voci 2015, 562–568. Gaier 2013, 168.
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Weltausstellungen, sowie an der Verwissenschaftlichung der Kunstbetrachtung durch die Institutionalisierung der Kunstgeschichte.“6
Diese „Fundamentalkritik“, die Hillebrand als sein „ketzerisches Murren“ bezeichnet,7 ist eine Folge der zentralen Feststellung der Schrift, dass nämlich seit hundert Jahren die Kunst, insbesondere die deutsche Kunst, „um ihre Jugendfrische gebracht“ worden und von Gedankenblässe angekränkelt sei. Die Ursachen dieses Verlustes seien, wie immer in der Geschichte, viele und komplexe, doch glaubt Hillebrand, der ein elitäres Verständnis der Kunst vertritt,8 diesen Verfall auf einige Hauptursachen zurückführen zu können : „die Theorien Winckelmanns und ihr Gefolge“ ; die französische Revolution mit ihren sozialen und geistigen Nachwirkungen und der Zerstörung der Tradition ; die Museomanie, das heißt die Gepflogenheit, die Kunstwerke aus der Umgebung, für die sie geschaffen wurden, herauszulösen, um sie an einen leblosen Ort, inmitten vieler anderer aufzustellen, mit denen sie in keinem organischen Zusammenhang stehen ; endlich die Demokratisierung der Kunst, das heißt die Vermassung und Verflachung in Dingen des Geschmacks und der Kunst.9 Wie man sieht, stellt Hillebrand Winckelmann und sein Erbe an die erste Stelle seines cahier des doléances. In der Tat widmet er ihnen den gesamten zweiten Brief, den längsten der ganzen Sammlung. Wohl verehrt Hillebrand in Winckelmann den Gelehrten, der als erster, und zwar vor Johann Gottfried Herder, Friedrich August Wolf, Friedrich Schlegel, Wilhelm von Humboldt, Barthold Georg Niebuhr und Friedrich Carl von Savigny „den Begriff der geschichtlichen Entwicklung in die Weltbetrachtung eingeführt und so die Grundlage der deutschen Bildung […] gelegt“ habe. Winckelmann sei darüber hinaus „der oberste Theoretiker der Kunst für Deutschland und für Europa gewesen und zum Teil geblieben“.10 Er behauptet aber, Winckelmann habe als Reaktion gegen die zu seiner Zeit herrschende Kunstrichtung einen Irrweg eingeschlagen und sei in ein antihistorisches oder unhistorisches Extrem verfallen, das das grundlegende Prinzip des Historismus, die ständige Entwicklung der historischen Individualität, verneinte, indem er, Winckelmann, die griechische Kunst als das einzig nachzuahmende Absolute, Ewige, allein Wahre statuiert habe. Auf diese Weise habe er nur der einseitigen, konventionellsten Akademie Platz gemacht. Hillebrand war einer der wenigen frühen Kritiker gegen die Übernahme von Winckelmanns Postulat einer antik-griechischen Kunst als ewiggültiger ästhetischer Norm. Gleichzeitig verneinte er das Prinzip und die Förderung ihrer Nachahmung in der zeitgenössischen künstlerischen Produktion. Denn die Generation von Winckelmann bis Burckhardt hatte 6 Ibid., 169. 7 Hillebrand 1874, 65. 8 Ibid., 53 : die Kunst beruhe „auf einem Sinne, der nur Wenigen angeboren, bei noch Wenigern entwickelt worden ist“. 9 Ibid., 8. 10 Ibid., 11–12.
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„auf die Vorbildlichkeit der griechischen Klassik gesetzt […], einer Kunstepoche, die, nach Burckhardt, zur absoluten Kunst tendiere, ‚weltgültig‘ sei und das ‚Vorbild einer völlig rein aufgegangenen organischen Belebung in ihren Schöpfungen aufgestellt‘ habe, besonders die griechische Skulptur, die ,lauter Leben und Schönheit an sich‘ verkörpere und die Gesetze für jede spätere Skulptur begründet habe.“11
Zwar hatte sich bereits vor Hillebrand hier und da eine Stimme erhoben, die, obwohl überzeugt, dass die Griechen die Kunst auf eine nie wieder zu erreichende Höhe gebracht hätten, dennoch feststellen musste, dass Deutschland „die Fesseln seiner Künstler und die engen Grenzen ihrer Ziele“ Winckelmann verdankte.12 In Hillebrand aber verband sich diese ästhetische Kritik mit einem Argument, das seine Herkunft aus Herders Historismus verrät. Auf Herders Winckelmann-Kritik spielt er zwar in seinen Zwölf Briefen nur indirekt an, aber in seinem zwischen Juli 1872 und April 1873 publizierten langen Essay über Herder hatte er ausdrücklich gerade an jene Kritik angeknüpft. Denn im Herder-Aufsatz hob er hervor, dass „die ewige und absolute Bestimmung des Ideals, wie es von Winckelmann festgesetzt worden war“,13 von Herder aufgehoben worden sei, aus dessen Schriften er folgendermaßen paraphrasiert : „Das Erkennen des Ideals, das hoch über einer besonderen Zeit oder Rasse steht, wird jedem fremd und fern bleiben, der sich an eine einzelne Zeitperiode bindet, sei sie in Griechenland oder in Frankreich, und wer den Wert dieser Formen für ewig anspricht, gibt sein eigentliches natürliches Empfinden für ein an die Erde gebundenes Nichts auf.“14
„Das sind goldene Worte“, kommentiert Hillebrand, „die wenig Gehör gefunden haben.“ Denn alle Zeitperioden und ihre Stile sind als gleichwertig zu erachten unter der Voraussetzung, dass sie „ursprünglich und frei gewachsen sind“.15 Tatsächlich war durch Herders Erkenntnis des individuellen und einmaligen Charakters der griechischen Kultur und Kunst sowie ihres Wandels „das Klassizitätsideal durchbrochen, das Winckelmann für sie beansprucht hatte“.16 Seit Herders Tagen war diese Erkenntnis dennoch ziemlich isoliert geblieben, denn Winckelmanns Griechenideal, die Griechensehnsucht, sowie das damit einhergehende Nachahmungsprinzip übten das ganze 11 Kunze 1998, 78, der aus Burckhardts Die Kunst des Altertums zitiert. Zum Bild der Griechen bei Burckhardt, das mehrfach an die Vorstellungen Winckelmanns erinnert, vgl. Noll 1997, bes. 270–300. Die Meinung, wonach Hillebrand ein erster Kritiker von Winckelmanns Theorien war, auch bei Heinßen 2007, 136–138. Zur Winkelmann-Rezeption s. Sünderhauf 2014, bes. 1–138, sowie Disselkamp/Testa 2017, beide mit weiterer Literatur. 12 So der Maler Johann Heinrich Füssli, dessen Behauptung von Gaehtgens 1986, 6–7, aus dem Ausstellungskatalog Johann Heinrich Füssli 1974, 37–38, zitiert wird. 13 Hillebrand 1955, 169–170. 14 Ibid. 15 Ibid. 16 Meinecke 1965, 403. Zu Herders Winckelmann-Kritik vgl. Locher 2010, 123–126.
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19. Jahrhundert über und sogar darüber hinaus weiter großen Einfluss auf die deutsche Kultur und die Kunst aus, wenn auch zum Teil für politische oder kulturpolitische Zwecke instrumentalisiert.17 Diese Dominanz bildete ihrerseits einen Aspekt der „Tyrannei“ Griechenlands über Deutschland18 oder der in Winckelmanns Zeit aufgekommenen „cultural obsession“ der Deutschen für die klassisch-griechische Kultur.19 Im zweiten seiner häretischen Briefe erklärt Hillebrand dann, indem er Herders Ansatz weiterführt, man habe sich seit Winckelmann eingebildet, „die griechischen Formen seien die einzig gültigen, sie müsse man nachahmen, während es doch nur darauf ankam, einen geistigen, gesellschaftlichen und sittlichen Zustand, wie der griechische war, herbeizuführen oder abzuwarten, der dann nothwendig ebenso vollendete, obwohl von den griechischen ganz verschiedene Kunstwerke hervorbringen würde als jene antiken Zustände ; wie denn das XV. Jahrhundert in Italien unter ähnlichen Bedingungen wirklich Ähnliches leistete.“20
Mit anderen Worten : Kunst ist ein Produkt der geistigen und gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit und entwickelt sich mit ihnen. Das war die grundlegende Auffassung des Historismus, die Hillebrand wichtig erscheint. Aber Hillebrand wirft Winckelmann nicht nur die Loslösung der künstlerischen von der geistig-gesellschaftlichen Entwicklung vor. Ganz im Sinne der ästhetischen Theorie Schillers behauptet er, Winckelmann „und sein Freund Mengs haben es auf dem Gewissen, wenn das Geschlecht der Stürmer und Dränger vom rechten Wege abgelenkt wurde, der zu einem naiveren Standpunkte der Natur gegenüber hätte führen können, wenn Goethe, der noch 1771 bewundernd vor dem Straßburger Münster stand, fünfzehn Jahre später in Italien dem ausschließlichsten Classicismus huldigte […]. Es ist Winckelmanns Schuld, wenn in Frankreich so eminente Talente wie David und sein Schüler Ingres sich dazu verleiten ließen, unfruchtbare Felder zu bebauen, wenn in Italien ein Canova und Bartolini die lebensvollen Meister des XVII. und XVIII. Jahrhunderts verdrängten und die angebliche ‚Reinheit‘ akademischer Formen an die Stelle der bewegten, wenn auch incorrecten Wiedergabe der Empfindung setzten.“21
Dieses Festhalten an einem vergangenen und absolut gesetzten künstlerischen Ideal habe zur Folge gehabt, dass dem einseitigen antiken Idealismus der einseitige moderne Realismus gegenübergetreten sei. Beide Auffassungen lehnt Hillebrand ab und zeichnet 17 18 19 20
Sünderhauf 2014. Butler 2002. Marchand 1996, dessen 1. Kapitel „The Making of a Cultural Obsession“ betitelt ist. Hillebrand 1874, 12. Ähnliches auch in Hillebrand 1955, 168–169. Hillebrands ideale Auffassung der Renaissance ist eindeutig vom Renaissancebild Jacob Burckhardts beeinflusst. 21 Hillebrand 1874, 13.
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folgendermaßen seine Ansicht über die wahre Kunst, der offenbar Goethes Ästhetik mit ihrer Betonung der Wechselwirkung zwischen Natur und Kunst (die Kunst als Auslegerin der Natur) zugrunde liegt, ihrerseits in nuce auf der aristotelischen Ästhetik beruhend : „Eine Kunst, die nicht realistisch wäre, d. h. nicht von der Wirklichkeit ausginge […], ist geradezu undenkbar. […] Wiederum, eine Kunst, die nicht idealistisch wäre, würde aufhören eine Kunst zu sein, denn das Ideal ist ja der Kunstbegriff selber. Wenn ein Kunstwerk nicht zugleich die volle Individualität des Gegenstandes und die platonische Idee desselben, vor allem, wenn es nicht zugleich die Individualität und die Idee des Künstlers selber vor den Augen des Beschauenden heraufzaubert, so ist’s eben kein wahres Kunstwerk. […] Das Kunstwerk ist ja nichts als die Wirklichkeit, wie sie sich einem Künstlerauge darbietet, wie sie die Künstlerhand dem Beschauer erklärend vorführt, durchaus aber keine Illustration einer abstracten Idee. Das scheint unser Jahrhundert ganz vergessen zu haben ; indeß hat natürlich kein Land der Welt jenen Winckelmann’schen Idealismus und Classicismus so gründlich, so consequent, so gewissenhaft und andächtig, so lange namentlich betrieben, als unser liebes Vaterland, wo es heute noch hochgelehrte Kenner gibt, die da meinen, Peter Cornelius sei der Messias einer modernen Kunst, die es derjenigen des cinquecento kaum nachgäbe […].“22
Darüber hinaus sei Winckelmann, freilich unabsichtlich, der Haupturheber der modernen deutschen Ästhetik und Kunstgeschichte gewesen. Mit ihren unfruchtbaren Abstraktionen und a priori ersonnenen sowie deduktiv ausgesponnenen Systemen, welche auf allzu unvollkommenen Anschauungen beruhten, habe die Ästhetik den Sinn der Künstler vollständig verwirrt. In diesem Zusammenhang erwähnt Hillebrand Hegels „geistreiche und doch für den Künstler so ganz unbrauchbare, ja irreleitende Ästhetik“, denn sie habe das Primat der Unmittelbarkeit der Anschauung und der Einfühlung in der künstlerischen Erfahrung abgelehnt und eine spekulative Reflexion über die Kunst bevorzugt.23 Und was die Kunstgeschichte angehe, deren Spezialisten oft selbst alle ihre Weisheit nur aus Büchern speisten, so meint Hillebrand, dass der wahre Kunstverstand, das echte Kunsturteil, in erster Linie aus der unmittelbaren, lebendigen, andächtigen Beschauung des Kunstwerks selbst, aus dem freien Blick bestehe und nicht aus dem einseitigen Studium der Theorie mit ihrem ganzen Wust abstrakter Ideen.24 Damit war er, zusammen mit Heinrich Ludwig, einer der seltenen frühen Kritiker der wissenschaftlichen Ausrichtung der Kunstbetrachtung und des Kunstgenusses sowie der Kunstgeschichte als eigenem Wissenschaftszweig, die damals gerade anfing, sich als universitäre Disziplin zu etablieren.25 22 23 24 25
Ibid., 14–16. Ibid., 16. Ibid., 16–18. Gaier 2013, 202.
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Wie bereits oben hervorgehoben fand Hillebrands Schrift einen beträchtlichen Widerhall, einen vom Autor nicht erwarteten Anklang im deutschen geistigen Milieu. Die vielleicht berühmteste Persönlichkeit, die von ihr sofort begeistert war, war Friedrich Nietzsche. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es Hillebrand selbst war, der im Dezember 1873 seine Zwölf Briefe gleich nach ihrem Erscheinen Nietzsche zukommen ließ, oder vielleicht beauftragte er seinen Berliner Verleger, Oppenheim, Nietzsche ein Exemplar zuzuschicken.26 Fest steht jedenfalls, dass Nietzsche einer der ersten Empfänger der Schrift war. Dass Hillebrand daran gelegen sein musste, Nietzsche über seine neueste Publikation zu informieren, ist nachvollziehbar, denn der Deutsch-Florentiner dürfte sich mit seiner Kritik am Status der Kultur im jungen Kaiserreich ebenfalls wie Nietzsche als einen Ketzer, das heißt einen unzeitgemäßen Betrachter und daher als dessen Geistesgenossen empfunden haben. Ob sich beide damals bereits persönlich kannten, ist nicht mit Sicherheit auszumachen.27 Sicher ist indessen, dass der eine jeweils die Schriften des anderen gut kannte. Hillebrands erster Kontakt mit Nietzsches Werken dürfte auf das Jahr 1869 zurückgehen. Damals gelangte er in den Besitz eines Exemplars von Nietzsches Antrittsvorlesung Über die Persönlichkeit Homers, die dieser am 28. Mai 1869 in Basel gehalten hatte und die im selben Jahr privat unter dem Titel Homer und die klassische Philologie in einer Auflage von nur circa 30 Exemplaren gedruckt worden war. Natürlich las er auch gleich nach ihrer Publikation Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, die im Januar 1872 erschien. Am 22. und 23. September 1873 publizierte dann Hille brand in der Allgemeinen Zeitung eine Besprechung von Nietzsches erster Unzeitgemäßen Betrachtung. Diese Rezension hebt sich von den anderen Stellungnahmen durch ihre überwiegende Zustimmung zu den von Nietzsche vertretenen Meinungen ab.28 Aller Wahrscheinlichkeit nach nahm Nietzsche Hillebrands Geist, Gedankenwelt und stilistische Begabung zum ersten Mal im Spätsommer 1872 wahr, als er dessen acht Artikel über Frankreich und die Franzosen in der Allgemeinen Zeitung las, welche im darauffolgenden Jahr in Frankreich und die Franzosen in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Eindrücke und Erfahrungen vereint erschienen. In seinem am 5. Oktober 1872 geschriebenen Brief an Carl von Gersdorff bezeichnete Nietzsche diese Beiträge als „höchst merkwürdige Artikel, die zu schreiben wenig Deutsche befähigt gewesen wären.“29 Kein anderes Werk Hillebrands gefiel aber Nietzsche so sehr wie die Zwölf Briefe. Er las Hillebrands Pamphlet sofort nach dessen Erscheinen und schrieb am 26. Dezember 1873 an Carl von Gersdorff :
26 Zu den Beziehungen zwischen Hillebrand und Nietzsche s. Voci 2015, 530–572, sowie die Ausführungen von Montinari 1986. 27 Dazu Voci 2015, 531. 28 Ibid., 533–534. 29 Nietzsche 1978, 58.
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„[…] nun gleich eine herrliche Neuigkeit ! Schaffe Dir doch gleich aus Görlitz an ‚Zwölf Briefe eines ästhetischen Ketzers’ Berlin Verlag von Robert Oppenheim 1874. Du wirst eine unbändige Freude haben, ich überlasse Dir zu errathen, wer der Autor ist. Es giebt immer wieder neue Hoffnungen, und unsre ‚Gesellschaft der Hoffenden‘ wächst heran.“30
Und am 31. Dezember 1873 jubilierte er in einem Brief an Erwin Rohde : „Unbändige Freude hatte ich über Karl Hillebrand’s ‚Zwölf Briefe eines ästhetischen Ketzers‘ […] ; welches Labsal ! Lies und staune, es ist einer der Unsrigen, einer von der ‚Gesellschaft der Hoffenden‘“.31 Diese „Gesellschaft“ war die Gemeinde, die durch ihre Wagnerverehrung zusammengehalten wurde und im Gesamtkunstwerk des Meisters den Weg zu einer Erneuerung der deutschen Kultur und Kunst sah. Cosima Wagner, die Hille brands Schrift auch las, dämpfte Nietzsches Begeisterung, indem sie darauf hinwies, dass Hillebrand seine Hoffnungen auf eine Erneuerung der Kultur in Deutschland nicht aus der Musik Wagners, sondern eher aus der bildenden Kunst schöpfte, und bezeichnete sie daher als „kleinlich“.32 Trotz der Vorbehalte der Wagners, die seit April 1874 nicht müde wurden, „Nietzsche – ob seiner Überschätzung der Kenntnisse und der Lebensart jenes – wie sie meinten – oberflächlichen Talentes in Florenz freundliche Vorwürfe zu machen“,33 ließ Nietzsche alle seine nach der ersten Unzeitgemäßen Betrachtung erschienenen Publikationen bis hin zum ersten Teil des Anfang 1883 veröffentlichten Zarathustra an Hille brand schicken. Wie an Gersdorff und Rohde, so muss Nietzsche die Lektüre der Zwölf Briefe auch an Schüler, andere Freunde und Bekannte weiterempfohlen haben. Davon ist mindestens ein Zeugnis auf uns gekommen : Viele Jahre später, 1901, erinnerte sich einer seiner Basler Schüler, Louis Kelterborn, dass der Philosoph ihm für einige Tage die Schrift Hillebrands lieh und sie „als eine der geistvollsten ihm bekannten Streitschriften rühmte“.34 Alles in allem war das Verhältnis zwischen Hillebrand und Nietzsche unbeständig, diskontinuierlich und ebenso durch Übereinstimmungen wie durch Meinungsverschie denheiten geprägt.35 Hillebrand nahm zu der 1874 erschienenen zweiten und dritten Unzeitgemäßen Betrachtung durch zwei weitere Rezensionen Stellung, in denen Worte einer anerkennen den Zustimmung und Äußerungen einer leisen, höflichen Kritik alternieren. Seine Bedenken betrafen Nietzsches rebellischen, impulsiven, kompromiss- und erbarmungslosen Eifer gegen den neuen deutschen Staat, gegen das geistige Erbe des deutschen Idealismus, gegen eine nur als epigonal empfundene Kultur, und für die Überzeugung, in Schopenhauer und Wagner sei die einzige Hoffnung für das Entstehen einer neuen 30 Ibid., 184–185. 31 Ibid., 188. 32 Montinari 1986, 200. 33 Ibid. 34 Nietzsche 1998, 592. 35 Voci 2015, 530–572.
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Kultur in Deutschland zu erkennen. Hillebrands Historismus sah dagegen diese neue Kultur aus der Begegnung zwischen der großartigen geistigen Tradition der Vergangenheit und den politischen Errungenschaften der Gegenwart entstehen. Die neue, einheitliche und nationale Kultur des Kaiserreichs sollte die alte in den neuen Staat hinüberretten und sie gleichzeitig erneuern. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Stellungnahmen Hillebrands Nietzsche enttäusch ten und vielleicht auch ein wenig irritierten. Denn tatsächlich gibt es einige aus den Jahren 1875 bis 1878 stammende, schriftliche Zeugnisse, die darauf hinweisen, dass Nietzsche Hillebrand eher als einen Zeitungsschreiber betrachtete, der in sich so viel Geist und Klugheit habe, „um der öffentlichen Meinung der nächsten zehn Jahre vorauszueilen.“36 Die Beziehung Nietzsches zu Hillebrand scheint also in dieser Zeit eher von einer kühlen Zurückhaltung gekennzeichnet gewesen zu sein. Das hat ideologische Gründe, auf die ich bereits hingewiesen habe : Während Hillebrand ein Vertreter des Herder’schen Historismus war, indem er 1874 in seiner Besprechung von Nietzsches dritter Unzeitgemäßen behauptet hatte, der Grundgedanke der deutschen Bildung liege im Begriff der historischen Entwicklung, der von Hegel in ein System gebracht worden sei, meinte dagegen Nietzsche in diesen Jahren, der optimistische Historismus Hillebrands sei reaktionär und lügnerisch, weil er „eine a posteriori Rechtfertigung des Erfolgs und des Bestehenden“ war.37 Ein weiteres Fragment aus dem Sommer 1875, als Nietzsche an seiner vierten Unzeitgemäßen Betrachtung arbeitete, zeigt uns, wie Nietzsche über die Schrift des ästhetischen Ketzers weiterdachte, denn er meinte, „die Welt des Scheins [d. h. die bildende Kunst] unfruchtbar, Hillebrand mit seinen Hoffnungen lächerlich.“38 Damit bezog sich Nietzsche offenbar auf die am Schluss der Zwölf Briefe von Hillebrand formulierte Hoffnung auf eine Erneuerung der zeitgenössischen Kunst durch einige deutsche Künstler, vor allem durch die Werke des Bildhauers Adolf Hildebrand. Ab dem Sommer 1876 stellte sich langsam eine Wende ein : Nietzsche distanzierte sich Schritt für Schritt von dem in seinen Augen viel zu „verdeutschten“ und „fromm“ gewordenen, mit dem Kaiserreich Frieden schließenden Wagner und „näherte sich immer mehr einer konservativ-aufklärerischen, historistischen Geisteshaltung, die in vieler Hinsicht derjenigen Hillebrands ähnelte“, und die er nicht mehr verlassen sollte.39 Das musste ihn Hillebrand näherbringen. Im Hinblick auf den Gegenstand dieses Beitrags erscheint daher die Frage zulässig : Haben Hillebrands Zwölf Briefe einen Einfluss auf Nietzsches Stellung zu Winckelmann und zu dessen ästhetischer Theorie gehabt ? Es lässt sich zunächst festhalten, dass der Altphilologe Nietzsche sich zu Winckelmanns klassischem, apollinischem Idealismus als Ausdruck kat’ exochén der griechi36 37 38 39
Montinari 1986, 198. Ibid. Vgl. auch Voci 2015, 538–544. NL 12 [28], KSA, 8, 265. Montinari 2014, ohne Seitenangaben ; Voci 2015, 557.
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schen Kultur geäußert und ihn vor allem „unter dem Aspekt des Mangels“ kritisiert hat, weil er, Winckelmann, die dionysische Seite der Griechen nicht gesehen habe.40 Winckelmann und die Anspruch auf die alleinige Verwaltung seines Erbes erhebenden Klassizisten und Altphilologen hätten wenig getan, um die Antike „in ihrem widersprüchlichen und untergründigen Wesen kenntlicher zu machen“.41 „Nietzsches Polemik richtet sich vor allem gegen die klassizistisch-idealisierende Interpretation des griechischen Altertums als einer harmonischen und heiteren Welt mit einer durch ‚edle Einfalt‘ und ‚stille Größe‘ charakterisierten Kunst. […] Statt dessen sah Nietzsche die griechische Antike als eine Welt der Leiden und der tragischen Konflikte.“42
Nach 1873–74 kommt jedoch, wie mir scheint, bei Nietzsche ein anderes, wichtiges Element hinzu, die Vorstellung, dass die Idealisierung der zum alleinigen ästhetischen Maßstab erhobenen Antike und das sich in ihrer Folge etablierende Prinzip der Nachahmung die zeitgenössische deutsche Kultur unproduktiv gemacht hätten. Gleichzeitig mehren sich die Erwähnungen des Begriffs der Nachahmung des Altertums. Im März 1875 behauptete er, dass das Altertum nichts zur direkten Nachahmung sei, jedoch lehre, auf welchem Wege die höchste Ausbildung der Kunst erreicht worden sei ;43 in der deutschen Kultur stecke zu viel an unwahrer Begeisterung für das Altertum, welche eine fatale Wirkung auf die Moderne und ihre Kunst zur Folge habe : „Wo zeigt sich die Wirkung des Alterthums ? Unsre Museen füllen sich ; ich empfinde immer Ekel, wenn ich reine nackte Figuren griechischen Stils sehe : vor der gedankenlosen Philisterei, die alles auffressen will.“44 Dieses letzte Fragment kommentiert Renate Reschke : „Der künstlerische Klassizismus mit seinem Hang zu tötendem Gips und Marmor und seiner Kopiersucht habe die Unproduktivität der Winckelmann’schen Vorgabe ans Licht gebracht.“ Winckelmann „trage die Verantwortung für die kulturelle Misere der Moderne“.45 Mit diesen Vorstellungen hängen drei kurz danach, im Frühling bis Sommer 1875 niedergeschriebene Fragmente eng zusammen : „Eine Nachahmung des Alterthums eine falsche Tendenz“,46 „Unsre Stellung zum klassischen Alterthum ist im Grunde die tiefe Ursache der Unproduktivität der modernen Cultur“47 und :
40 Reschke 2017, 73. 41 Ibid. 42 Riedel 2017, 252. 43 NL 3 [74], KSA, 8, 35. Vgl. auch das Fragment vom März 1875 : „Nachahmung des Alterthums : ob nicht endlich ein widerlegtes Princip ?“ (NL 3 [16], KSA, 8, 19), sowie das Fragment vom Frühling–Sommer 1875 : „Eine Nachahmung des Alterthums eine falsche Tendenz.“ (NL 5 [15], KSA, 8, 43). 44 NL 3 [40], KSA, 8, 25. 45 Reschke 2004, 146. 46 NL 5 [15], KSA, 8, 43. 47 NL 5 [47], KSA, 8, 53.
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„Alles Nachahmen ist nur ein künstlerisches Phänomen, also auf den Schein gerichtet ; etwas Lebendiges kann Manieren, Gedanken usw. annehmen durch Nachahmung, aber sie kann nichts erzeugen. Eine Kultur, welche der griechischen nachläuft, kann nichts erzeugen.“48
Gerade diese Überzeugung der Sterilität einer Kultur und einer bildenden Kunst, die einer anderen, vergangenen „nachläuft“, hört sich wie ein Echo von Hillebrands „ästhetischen Ketzereien“ an. Nietzsches Wahl des Begriffs Unproduktivität resümiert Hille brands Meinung in einem einzigen Wort, dass nämlich die Kunst seiner Zeit auch und vor allem durch „die Theorien Winckelmanns und ihr Gefolge“ „um ihre Jugendfrische gebracht“, von Gedankenblässe angekränkelt sei.49 Eben in diesem Rahmen, so liegt nahe, sind die Worte über den auch von Hillebrand wegen seiner akademischen und leblosen Formen gescholtenen Canova zu lesen, die Nietzsche im Juli 1879 schrieb : „Das Ideale bei Schiller Humboldt – eine falsche Antike wie die Canova’s, etwas zu glasirt, weich, durchaus der harten und häßlichen Wahrheit nicht in’s Angesicht zu sehen wagend, tugendstolz, vornehmen Tones, affektvoller Gebärde, aber kein Leben, kein ächtes Blut.“50
Man darf also vermuten, dass die Lektüre von Hillebrands Briefen, die in ihm begeis terte Zustimmung auslöste, eine Spur bei Nietzsche hinterlassen hat, soweit es überhaupt möglich und gestattet ist, bei der so genial vielfältigen, unbeständigen, zerrissenen, gequälten, zum Teil auch widersprüchlichen Persönlichkeit Nietzsches und ihrer „geistigen Peripetie“51 von Einwirkungen oder gar von dauernden Einflüssen zu reden. Man sollte vielleicht eher von Anregungen, von vorübergehenden Suggestionen reden oder vielleicht auch von Sprachanleihen, von „brillanten Umformulierungen angelesener Gedanken“, von „Anleihen an Ideen und Sprache, die als wesentliche Arbeitsimpulse das Bild des ‚unvergleichlichen Sprachvirtuosen Nietzsche‘ provokativ auszeichnen“.52 Was insbesondere das Verhältnis Hillebrand − Nietzsche und die möglichen Anregungen anbelangt, die Nietzsche aus den Schriften des 15 Jahre älteren DeutschFlorentiners Hillebrand erhalten haben könnte, so kann man sehr wohl, wie ich andernorts an einigen Beispielen versucht habe zu zeigen, gedankliche und sprachliche Assonanzen, gleichsam auf Distanz geführte Gespräche, wie auch gegenseitige Anregungen in ihren Schriften feststellen.53 48 49 50 51 52 53
NL 7 [1], KSA, 8, 121. Hillebrand 1874, 8. NL 41 [67], KSA, 8, 593–594. Dieser Ausdruck geht auf Montinari 2014, ohne Seitenangaben, zurück. Reschke 2017, 79, mit Zitaten aus Eger 2001, 297, 15. Voci 2015, 530–572, passim.
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Im Zusammenhang dieses kurzen Beitrags ist bei Nietzsche ein weiterer Schritt in Richtung Historisierung der Kunst, das heißt zum Gedanken, dass die Kunst Ausdruck ihrer Zeit, ihres Zeitgeistes ist, ab 1880 zu finden. Das ist genau das, was Hillebrand in seinen Zwölf Briefen in der Nachfolge Herders behauptet hatte. Denn in einem nachgelassenen Fragment zur Morgenröthe (Ende 1880) lesen wir in Bezug auf den vatikanischen Apollo im Belvedere : „So lange ihr die Schönheit im Apollo findet, müßt ihr die dazu gehörige Moral suchen : jene Schönheit paßt nicht zur christlichen.“54 Das heißt : Jede historische Epoche hat ihre eigenen ethischen und ihre damit zusammenhängenden ästhetischen Grundsätze. Auch im Aphorismus 161 der Morgenröthe, deren Reinschrift im Winter 1880/81 entstand, übernimmt Nietzsche eine Auffassung der Historisierung der Kunst, die er aus Hillebrands Schrift kannte und die in völligem Einklang mit seiner oben bereits erwähnten historistischen Wende steht : „Schönheit gemäss dem Zeitalter. – Wenn unsere Bildhauer, Maler und Musiker den Sinn der Zeit treffen wollen, so müssen sie die Schönheit gedunsen, riesenhaft und nervös bilden : so wie die Griechen, im Banne ihrer Moral des Maasses, die Schönheit als Apollo vom Belvedere sahen und bildeten. Wir sollten ihn eigentlich hässlich nennen ! Aber die albernen ,Classicisten‘ haben uns um alle Ehrlichkeit gebracht !“55
Später wird Nietzsche in der Genealogie der Moral (1887) diesen Gedanken der Histo risierung der Kunst weiter bearbeiten, und zwar auch, wie Renate Reschke hervorgehoben hat,56 unter dem Einfluss von Stendhal, mit dessen Schriften er erst nach Niederlegung seiner Professur in Basel (1879) in Kontakt kam. Aber mir scheint, dass der Ursprung dieses Gedankens sowie Nietzsches Kritik an der Verabsolutierung des antiken, in der griechisch-klassischen Kunst verkörperten und durch Winckelmann als zeitloses Kunstideal postulierten Schönheitsideals auch Hillebrand und seinen ketzerischen Briefen einiges zu verdanken hat.
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54 NL 7 [150], KSA 9, 348. 55 KSA, 3, 145–146. 56 Reschke 2014. Vgl. auch Reschke 2017, 60.
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Julian Gardner
Ingo Herklotz : Portrait of a Young Art-Historian on his Way to Work Early in 1979 a letter from Otto von Simson arrived on my desk at the University of Warwick. I had got to know von Simson slightly, through my wife Christa von Teuffel. She, in 1967 newly in Berlin from Freiburg im Breisgau, was nominated by von Simson as the student representative on the so-called Berliner Modell, a student present at university staff committees. He believed that as a newcomer to the department she would be immune from influence by the various Berlin student factions. They got on well and she admired his openness and evident sense of social responsibility. Before von Simson wrote to me we had talked a few months earlier, as he wanted me to spend a year at the Freie Universität. This was, unfortunately, impossible as I had a prior invitation to spend 1983 – 1985 at the Bibliotheca Hertziana, a research institute of the Max-Planck-Gesellschaft in Rome. Otto von Simson had returned to Berlin from the University of Chicago, with a few interludes. He was an extremely well-known and influential art historian in the United States, not least for having written the Sacred Fortress : Byzantine Art and Statecraft – a mesmerizing synthesis which inspired many to study Byzantium.1 To me, a young scholar, he was immensely courteous and forthcoming. He recounted that the day on which he received the call to Berlin he was also offered the vacant chair of the History of Art at Oxford. Unfortunately for Oxford he chose to return to his native Berlin, feeling that because of the large-scale emigration of Jewish scholars to America and Great Britain, German students had suffered the absence of the great tradition of German art history. He therefore wanted to keep the chair of Art History in Berlin open for the next generation of scholars.2 Oxford, in consequence, had Edgar Wind from the Warburg Institute, a charismatic lecturer but deeply unwilling to take on any graduate teaching. As the correspondence of Hugh Trevor Roper with Bernard Berenson shows Wind was deeply mistrusted in some Oxford circles.3 Von Simson’s letter concerned a young, and obviously very promising student, a certain Ingo Herklotz. Apparently, this young man wished to study tomb-sculpture in Rome in the later thirteenth century. This was a subject on which, in the preceding years, I had published numerous papers. Would I have any objection to Herklotz studying in this field ? Believing, as I always have, that the more investigators the merrier – and the more productive, I welcomed the enquiry and wrote back to say that I 1 2 3
Jäggi 2019, 125–142. Gaehtgens 2019, 264. I learnt much from this valuable essay. Davenport-Hines 2006, 192f.
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should be delighted if he were to begin a doctoral thesis in that area. Shortly afterward I received an extremely polite letter from the young Herklotz formally asking me what I felt and outlining what he intended to research. I hope that I answered him in an encouraging manner : in any event the die was cast and the new thesis was begun. A few months later I was to meet the aspirant author in Rome for an initial discussion. Before that however, it is perhaps helpful to describe what Rome was like circa 1980, and how the vista of mediaeval Rome then differed from our current understanding of the period. The Bibliotheca Hertziana was still the stately, rather gloomy building inherited from Henrietta Hertz. One entered at the upper door presided over, Gorgon-like, by Ottone, its custode. As at the Kunsthistorische Institut in Florence the director was a German who had worked for a substantial period in the United States. Ulrich Middeldorf unforgettably in Florence, and the brilliant, mercurial and humorous Wolfgang Lotz in Rome. The assistants were Matthias Winner and Luitpold Frommel. Richard Krautheimer later termed them the Krieger and the Dichter – which was true, but ultimately in the wrong order. The real intellectual dynamism was provided by the young American scholars Howard Hibbard, Irving Lavin and Kathy Garris-Weill. In the background, although a less frequent visitor to Rome, was the great Raphael scholar John Shearman. The mediaevalists, with the exception of the underrated Hellmut Hager, simply could not compete. Herklotz gained his MA in 1978, and like a number of other young Germans including Arnold Nesselrath and Rolf Quednau he spent a formative period at the Courtauld Institute in London before arriving in Italy. The Vatican library still insisted on a strict dress code for men and women, and was flooded with scholarly clergy. Important scholars such as Michele Maccarone, Giulio Battelli and the Jesuit liturgical scholar Marc Dykmans could be observed there daily. The enlightened prefecture of Father Leonard Boyle was yet to come. Rome in 1980 was profoundly different. Restoration and recuperation of the Sancta Sanctorum under the energetic aegis of Fabrizio Mancinelli was in the future : the astonishing mid-thirteenth century murals in SS. Quattro Coronati remained undreamt of. The Sistine ceiling was smoke encrusted and in need of cleaning. The American pupils of Richard Krautheimer at the Institute of Fine Arts were beginning to write about Roman mediaeval churches, Ronald Malmstrom on Aracoeli (1973) and Dale Kinney on Santa Maria in Trastevere (1985). His own luminous Rome Profile of a City appeared in 1980. It was immensely successful and swiftly translated. Krautheimer himself was deeply dissatisfied with the German title – as he correctly pointed out Schicksal meant something entirely different from Profile. However his introduction to the German edition was the nearest thing he ever produced to a biographical memoir. I like to think that this was written at my persistent urging. The intellectual view of mediaeval Rome was also unimaginably different. Robert Brentano’s incomparable, impressionistic Rome before Avignon was a chink of light. But for mosaic and painting there were only the gloomy tomes of Guglielmo Matthiae, and Hans Belting’s Die Oberkirche von San Francesco in Assisi had just appeared. The great
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corpora of Krautheimer and Ladner were complete or virtually so, and had yet to make their full impact. Prosopographical studies such as those by Norbert Kamp and Gerd Nüske, which adumbrated a new approach to the period lay in the future as did Agostino Paravicini Bagliani’s splendid collection of cardinals’ wills.4 Almost needless to say there was no mention, let alone discussion of the agency of women. The ambient academic climate differed profoundly. Angiola Maria Romanini, who had succeeded the distinguished Geza de Francovich at the Sapienza, was systematically establishing a new order. Francovich’s assistants were replaced by her own and she began her drive to dominate the artistic history of mediaeval Rome. I, who was utterly independent of her favour, and a marked dissident from her view of Arnolfo di Cambio, was hardly popular. Inducements like membership of the scientific committee of the Enciclopedia dell’Arte Medievale, or the editorial board of Arte Medievale I flatly declined, preferring my own scholarly autonomy. Like other foreign scholars I regarded her attempt to classify the sculptor Arnolfo as a “rayonnant” artist as entirely preposterous, and was never forgiven. Into this milieu stepped the young Herklotz, clear-sighted, determined and ambitious. I remember being impressed by the way he arranged to contribute to the major conference Roma Anno 1300 in Rome 1980.5 His paper on the Savelli was characteristically bold, demonstrating how this papal family, previously known for its transept chapel in the Franciscan church of Aracoeli, on the Capitol, should also be seen in the context of an important lost chapel commission at SS. Bonifacio e Alessio. It is a paper which retains its value. Much more significantly, he made a brilliant discovery. He demonstrated that Arnolfo’s tomb effigy of a cleric in the Lateran cloister was not, as was universally thought, the effigy of cardinal Riccardo Annibaldi della Molara († 1276), but a homonymous relation, the papal notary Riccardo Annibaldi who died only in 1289. This discovery was immediately plagiarized by Romanini, who later admitted that it was Herklotz’s discovery. This re-identification required a complete rethinking of Arnolfo’s artistic career and Ingo was in the forefront of this reconsideration. It required a more diplomatic relationship to Professor Romanini than others were capable of. Herklotz’s findings resulted in his first book ,“Sepulcra” e “Monumenta” del Medioevo. Under this modest title, published in 1985 in the series Rari Nantes by Mario d’Ono frio, one of de Francovich’s assistants, appeared in essence his Ph.D. thesis. It was a fundamental contribution of enduring importance, which still awaits a proper publication in either German or English. Whereas other scholars had attempted to locate the Roman monuments within the discourse of European tomb sculpture, Herklotz perceptively saw it within a longue durée, with far wider and more ancient resonances. It was a path-breaking contribution. 4 5
Kamp 1973, vol. 1. – Nüske 1974, 39–240 ; 1975, 249–431. – Paravicini Bagliani 1980. Herklotz 1983, 567–583.
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This book established him as a major contributor to the mediaeval landscape of Rome. Independent-minded, splendidly familiar with the sources, and original. He turned, characteristically in the German tradition, to themes related to Empire and Reich. In a notable series of articles, largely published in the Römisches Jahrbuch of the Hertziana, he elucidated the early topography and history of the Campus Late ranensis, and the twelfth-century façade portico of Constantine’s basilica. For this he used a source previously under-utilized by Roman investigators – the writings of Giraldus Cambrensis. For this he was indebted to Richard Krautheimer : earlier I, a native Welshman, had alerted Krautheimer to its value as source. With characteristic generosity Richard had immediately passed it on, a signal demonstration of the climate of lively and fruitful intellectual interchange current among foreign scholars in Rome. Mediaeval studies were becoming truly international. Apart from his seminal discovery about the Annibaldi effigy, he wrote a significant contribution on the baldachin tombs at San Lorenzo fuori le mura, and, with a more narrowly historical viewpoint, a paper on the Chronicon Venusinum which was eventually published in the Rivista di Storia della Chiesa in Italia (1984). The 1980s were a fruitful decade for the mediaevalist Herklotz. In 1990 he published a novel discussion of Paris de Grassis : it was on a later period and thus in a sense prophetic.6 To the deep regret of many he began a Habilitation, more antico, in a different field and medium. He began to transform himself into a scholar of the Seicento, and a brilliant nascent career as mediaevalist in effect came, most regrettably, to an end. To say that is in no way to minimize his wide-ranging and influential contributions to later periods, rather it emphasizes that his incisively original approach to the study of mediaeval Rome was much missed by his many friends and colleagues, both German and international.
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Herklotz 1990, 217–248.
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384 | Ingo Herklotz – Bibliographie Kultur und religiöse Stiftung im Mittelalter. Internationales Round-Table-Gespräch (Krems an der Donau 1988), hg. von Harry Kühnel, Wien 21997 (1990), 233–271. Die sogenannte Foresteria der Abteikirche zu Venosa, in : Roberto il Guiscardo tra Europa, Oriente e Mezzogiorno. Atti del convegno internazionale di studio (Potenza-Melfi-Venosa 1985), hg. von Cosimo Damiano Fonseca, Galatina 1990, 243–282. Paris de Grassis Tractatus de funeribus et exequiis und die Bestattungsfeiern von Päpsten und Kardinälen in Spätmittelalter und Renaissance, in : Skulptur und Grabmal des Spätmittelalters in Rom und Italien. Akten des Kongresses „Scultura e monumento septolcrale del Tardo medioevo a Roma e in Italia“ (Rom 1985), hg. von Jörg Garms und Angiola Maria Romanini, Wien 1990, 217–248. Cassiano and the Christian Tradition, in : Cassiano dal Pozzo’s Paper Museum, hg. von Ian Jenkins et al., 2 Bde., Mailand 1992, Bd. 1, 31–48. Cassiano Dal Pozzos Museo cartaceo und seine Stellung in der antiquarischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, in : Documentary Culture. Florence and Rome from Grand-Duke Ferdinand I to Pope Alexander VII. Papers from a colloquium held at the Villa Spelman (Florence 1990), hg. von Elizabeth Cropper, Giovanna Perini und Francesco Solinas, Bologna 1992, 81–125. Cassiano dal Pozzo. London (Exhibition review), in : The Burlington Magazine 135 (1993), 573–574. Lo spazio della morte e lo spazio della sovranità, in : I Normanni. Popolo d’Europa 1030–1200, hg. von Mario D’Onofrio, Venedig 1994, 321–326. Neue Literatur zur Sammlungsgeschichte, in : Kunstchronik 47 (1994), 117–135. Rezension von Julian Gardner : The Tomb and the Tiara. Curial Tomb Sculpture in Rome and Avignon in the Later Middle Ages, Oxford 1992, in : Zeitschrift für Kunstgeschichte 57 (1994), 134–141. Zur Ikonographie der Papstsiegel im 11. und 12. Jahrhundert, in : Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst, hg. von HansRudolf Meier, Carola Jäggi und Philippe Büttner, Berlin 1995, 116–130. Francesco Barberini, Nicolò Alemanni, and the Lateran Triclinium of Leo III : An Episode in Restoration and Seicento Medieval Studies, in : Memoirs of the American Academy in Rome 40 (1995), 175–196. Rezension von Emanuele Casamassima/Ruth Rubinstein : Antiquarian Drawings from Dosio’s Roman Workshop. Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze, N. A. 1159, Mailand 1993, in : The Burlington Magazine 137 (1995), 189–190. Rezension von Margaret Daly Davis : Archäologie der Antike : aus den Beständen der Herzog August Bibliothek, 1500–1700, Wiesbaden 1994, in : Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 19 (1995), 86–89. Michele Lonigo als Kunstkritiker. Zu einer historistischen Rezeption der Altarbilder von Sacchi und Passignano in St. Peter, in : Ars naturam adiuvans. Festschrift für Matthias Winner zum 65. Geburtstag, hg. von Victoria von Flemming und Sebastian Schütze, Mainz 1996, 413–429. Poussin et Pline l’Ancien : à propos des monocromata, in : Poussin et Rome. Actes du colloque à l’Académie de France à Rome et à la Bibliotheca Hertziana (1994), hg. von Olivier Bonfait et al., Paris 1996, 13–29.
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392 | Ingo Herklotz – Bibliographie Peter Paul Rubens zwischen Geistesgeschichte und politischer Ikonographie. Die Münchener Dissertation von 1936, in : Otto von Simson 1912–1993. Zwischen Kunstwissenschaft und Kulturpolitik, hg. von Ingeborg Becker und Ingo Herklotz, Köln 2019, 79–111. Chicago und das Abendland. Schritte zur Remigration, in : Otto von Simson 1912–1993. Zwischen Kunstwissenschaft und Kulturpolitik, hg. von Ingeborg Becker und Ingo Herklotz, Köln 2019, 175–239. Concluding Remarks, in : Incontri mediterranei. Arte e artisti tra Bisanzio e l’Occidente dopo la Quarta Crociata (1204–1430). Convegno internazionale (Roma 2019), hg. von Manuel Castiñeras et al., Rom 2020 (= Arte medievale, ser. 4, 10 (2020)), 379–384. Kontroversen um mittelalterliche Skulpturen. Erwin Panofsky im Austausch mit Richard Hamann, in : Museum als Resonanzraum. Kunst, Wissenschaft, Inszenierung. Festschrift für Christoph Stiegemann, hg. von Christiane Ruhmann und Petra Koch-Lütke Westhues, Petersberg 2020, 29–57. Rezension von Galit Noga-Banai : Sacred Stimulus. Jerusalem in the Visual Christianization of Rome, New York 2018, in : Journal für Kunstgeschichte 24 (2020), 17–23. Rezension von Kaspar Zollikofer : Die Cappella Gregoriana. Der erste Innenraum von NeuSankt-Peter in Rom und seine Genese, Basel 2016, in : Journal für Kunstgeschichte 24 (2020), 169–177. Rezension von Maya Maskarinec : City of Saints. Rebuilding Rome in the Early Middle Ages, Philadelphia 2018, in : Journal für Kunstgeschichte 24 (2020), 246–252. Rezension von Thomas W. Gaehtgens : Die brennende Kathedrale. Eine Geschichte aus dem ersten Weltkrieg, München 2018, in : 21 : Inquiries into Art, History, and the Visual 1 (2020), 219–226. Rezension von Giuseppe Finocchiaro : Antonio Gallonio, scrittore di santi. Agiografia nella Roma di Clemente VIII, Florenz 2019, in : Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 100, 1 (2020), 757–758. Richard Krautheimer in Deutschland. Aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere 1925–1933 (Academia Marburgensis 17), Münster/New York 2021.
Abbildungsnachweis Porträt Ingo Herklotz : Tanja Herklotz Blaauw : 1 Deutsche Bauzeitung, 4.7.1874 ; 2 Katholieke Illustratie, 1874 ; 3 Rotterdam, Het Nieuwe Instituut, Archiv der Architekten Cuypers, CA CUBA t074 ; 4, 5 Autor. Brenk : 1–12 Autor. Claussen : 1 nach : Jeanneret/Le Corbusier 2002 ; 2 nach : Le Corbusier 1926 (Alinari 26561) ; 3, 4, 6 nach : Le Corbusier 1926 ; 5 nach : Cohen 2007. D’Onofrio : 1, 3 : per il autore ; 2, 4, 5 Grafici di Curuni-Costantini. Finocchiaro : 1, 3, 4 Bosio, Roma sotterranea, 1632 [1635], 143 ; 201 ; 207 ; 2 Ministero per i beni e le attività culturali. Italia ; 5 Roma dall’antichità al Medioevo, 2001, 542 Ministero per i beni e le attività culturali. Italia. Freigang : 1 Cambridge, University Library (Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License, CC BY-NC 3.0) ; 2, 3, 4 ÖNB Wien : Cod. 3441, fol. 32v/40v/116v. Ghilardi : 1 Aringhi 1651, I, 465 ; 2 Bosio 1632, Schmutztitel ; 3 Bosio 1632, 591d. Guardo : 1, 2, 3 Roma, collezione privata. Jaffé : 1 © London, British Museum 1889, 0527.42 ; 2 Wien, KHM, Inv. 301 ; 3, 5 RMNGrand Palais (Paris, Louvre R.F. 1766/Bayonne, musée Bonnat-Helleu)/René-Gabriel Ojeda ; 4 Hampton Court, Royal Collection Trust, by kind permission of Her Majesty Queen Eliza beth II. Kiefer/Hattendorff : 1, 2, 3, 4 © KHM-Museumsverband, Wien. Kieven : 1–3 Bibliotheca Hertziana, Rom. Kirchhainer : 1 © Angermuseum Erfurt, Foto Dirk Urban ; 2, 5 © Hargersheimer K unstauktionen Düsseldorf ; 3 © Brenske Gallery München ; 4 © Repro nach Bentchev 1999, 212 ; 6 © Repro nach Eberhard 2010, 116 ; 7 © Courtesy of Jackson’s Auctioneers, Cedar Falls, Iowa. Locher : 1a, 1b Autor ; 2 Wikimedia commons (Never covered). Lüdemann : 1 Philadelphia Museum of Art, Johnson G. Johnson Collection, 1917, Cat. 167 ; 2 Musei Civici di Vicenza - Museo Civico di Palazzo Chiericati ; 3 © bpk/Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin/Volker-H. Schneider ; 4 Evangelische Kirchengemeinde Wörlitz. Merz : 1 Autor ; 2, 3 Mauro Coen/Rom ; 4 Cecilia Heisser/Nationalmuseum Stockholm. Pace : 1–6 Prof. Arch. Guglielmo Villa. Pfisterer : 1 nach : Robert Wellington : Antiquarianism and the Visual Histories of Louis XIV, Farnham/Burlington VT 2015, Taf. 1 ; 2 Berlin, Münzkabinett der Staatlichen Museen, https://commons.wikimedia.org/wiki/File :Louis_XIV,_Alliance_with_the_Swiss,_by_Jean_ Warin,_1663_-_Bode-Museum_-_DSC02790.JPG ; 3 Jacques de Bie, La France m etallique, Paris 1634, Titelblatt 4 aus : Hélène Delalex (Hg.) : Le Château de Versailles en 100 Chefs- d’Œuvres, Cinisello Balsamo (MI) 2014, S. 27 ; 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Datei: Ch%C3%A2teau_de_Versailles,_salon_de_Diane,_buste_de_Louis_XIV,_Bernin(1665)_03. jpg. Reiss : 1 Open Access, Courtesy Metropolitan Museum of Art, New York, Gift of J. Pierpont
394 | Abbildungsnachweis Morgan, 1916 ; 2 Courtesy Isabella Stewart Gardner Museum, Boston ; 3 © National Gallery, London/Art Resource, NY ; 4 Scala/Art Resource, NY. Schütte : 1 München, BSB, Cgm 5379(3) ; 2 Burgen – Schlösser – Häuser, 2019, 41 ; 3 Merten, Schlösser in Baden-Württemberg, 1987, 77 ; 4 Klaus Graf, 2013 https://upload.wikimedia. org/wikipedia/commons/0/0f/Schloss_kirchheim_schwaben_2013_0012.JPG?uselang=de (04.07.2020) ; 5 Diemer et al. 2004, Bd. 1, 46. Sickel : 1, 3, 5 Autor ; 2 Paris, Bibliothèque Nationale ; 4 © Paris, Louvre, Inv. 10850. Simonato : 1 Per gentile concessione della Fabbrica di San Pietro in Vaticano. Stoltz : 1 Opera di Santa Maria del Fiore, Florenz. Su gentile concessione di Opera di Santa Maria del Fiore. Strunck : 1 aus Freeman-Mitford Cavendish 2000, 37 ; 2 Autorin ; 3 Lille, Musée des Beaux-Arts. Aus Rudolph 2000b, 459, Kat. 1 ; 4 Graphik : © Christina Strunck/Tatjana Sperling ; 5 © Museums Sheffield. Thimann : 1 Private collection ; 2 Vatican, Palazzo Apostolico Vaticano, Stanza della Segnatura ; 3 H. Thiersch : Artemis Ephesia, Vol. 1, Berlin 1935, Abb. 13.2 ; 4 Amsterdam, Rijksmuseum ; 5 Florenz, Uffizi, Gabinetto de’ disegni e stampe ; 6 Autor. Thürlemann : 1, 2 © bpk/Kupferstichkabinett, SMB/Jörg P. Anders ; 3, 4 Wikipedia Commons ; 5 Vatikanstadt ; 6, 7 © Leonardo Pili ; 8 © Paris, Musée du Louvre. Wiegartz : 1–3 Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen ; © für die Werke von Gerhard Marcks : VG Bild-Kunst, Bonn 2020 ; 4 Photo Schuch, Berlin (Archiv Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen) ; © für die Werke von Gerhard Marcks : VG Bild-Kunst, Bonn 2020.