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German Pages 436 Year 1996
ABHANDLUNGEN ZUR SOZIALETHIK Herausgegeben von Anton Rauscher und Lothar Roos Band 39
1996
Ferdinand Schöningh Paderborn • München • Wien • Zürich
SIMONE RAPPEL
»Macht euch die Erde Untertan« Die ökologische Krise als Folge des Christentums?
1996
Ferdinand Schöningh Paderborn • München • Wien • Zürich
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rappel, Simone: „Macht euch die Erde untenan": die ökologische Krise als Folge des Christentums? / Simone Rappel. Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 1996 (Abhandlungen zur Sozialethik; Bd. 39) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-506-70239-4 NE: GT * ' \ f Bayerisch« \ I Staatsbibliothek I München J
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier © ISO 9706 © 1996 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 3-506-70239-4
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1995 von der KatholischTheologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. als Dissertation angenommen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die zu ihrem Gelingen mitgeholfen haben. Mein Dank gilt vor allem meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Eberhard Schockenhoff. Er hat diese Arbeit nicht nur mit großem Engagement begleitet, sondern auch durch seine Sachkompetenz und vielfältige Publikationstätigkeit mein Interesse für ethische Fragestellungen gefördert. Für das freundschaftliche Miteinander und die unkomplizierte Atmosphäre, die ich während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl erfahren habe, danke ich ihm herzlich. Herrn Professor Dr. Norbert Glatzel sage ich Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine wertvollen Hinweise. Frau Manuela Beer, Frau Irmgard Hopfner, Herrn DDr. habil. Klaus Müller und Schwester Mirjam Schambeck danke ich für das sorgfältige Korrekturlesen. Besonders möchte ich mich bei meiner Schwester Friederike Rappel bedanken, die immer gerne bereit war, die anstehenden Fragen kritisch mit mir zu diskutieren. Vielen Dank auch für ihre aufmunternden Worte. Ohne die Unterstützung von Herrn Markus Möhren hätten die Vorarbeiten zur Drucklegung nicht so rasch geschehen können. Ihm und allen, die mir bei der technischen Erstellung des Textes behilflich waren, gilt mein Dank. Für die Aufnahme in die Graduiertenförderung und das damit verbundene Stipendium bedanke ich mich bei der Hanns-Seidel-Stiftung. Herr Professor Dr. Anton Rauscher und Herr Professor Dr. Lothar Roos haben es ermöglicht, daß meine Dissertation in die Reihe "Abhandlungen zur Sozialethik" aufgenommen werden konnte. Vielen Dank dafür. Meinen Eltern und meiner Schwester ist dieses Buch in herzlichem Verbundensein gewidmet.
Freiburg, im Juli 1995
Simone Rappel
5
Inhaltsverzeichnis Vorwort
5
KAPITEL I
Die Suche nach den Ursachen Anschuldigungen wider das Christentum. Eine Hinführung
11
1.1 1.2
14 22
Schuldzuweisungen an die Adresse des Christentums Methode und Ziel der Arbeit
KAPITEL II
Macht euch die Erde Untertan Biblische Grundlegung des 'dominium terrae' 2.1 2.2 2.3
Die Welt als Schöpfung Der Mensch als Bild Gottes und die Erfüllung des Herrschaftsauftrages Weltgestaltung durch Arbeit
27 33 54 79
KAPITEL III
Das Arbeitsethos in der christlichen Tradition des Abendlandes
109
3.1
Mönchtum
114
3.1.1 3.12
117
3.1.4
Regula Benedicti: Müßiggang ist der Feind der Seele Klösterliche Ökonomie im Mittelalter am Beispiel der Zisterzienser ! 'Gott suchen in allen Dingen' als Grundformel ignatianischer Spiritualität Kulturprägung durch Askese
3.2
Protestantismus
144
32 1 3.2 2
Theozentrik des Berufsverständnisses bei Martin Luther Berufliches Engagement als Glaubensvollzug nach Johannes Calvin Erwählt durch Gottes Gnade - Puritanismus in Nordamerika Die Weber-These: Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
151
3 13
3.2.3 3.2 4
124 132 139
159 170 185
7
KAPITEL IV
Schöpfungsgestaltung durch Technik und Naturwissenschaft Eine philosophiegeschichtlich interessierte Analyse
205
4.1
Innovationsfreudiges Mittelalter?
211
4.1.1 4.1.2
213
4.1.5
Theophilus: Technik als Gabe Gottes zur Mitschöpferschaft Hugo von St Viktor: Technik im Horizont des 'opus reparationis' Roger Bacon Naturwissenschaftliche Experimente zur Erhellung der göttlichen Offenbarung Albertus Magnus: Naturwissenschaften als Bereicherung der Theologie Zusammenfassung: Synthese von Glauben und Wissen
4.2
Die Entdeckung des Menschen als Thema der Renaissance
233
4.2.1
42 5
Nikolaus von Kues 'homo enim deus est, sed non absolute, quoniam homo' Marsilio Ficino: Der Mensch als'deus in terris' Giovanni Pico della Mirandola: Mikrokosmos Mensch 'terrestrium et caelestium vinculum et nodus' Leonardo da Vinci: Erkenntnistheoretische Prämissen für die Entstehung der exakten Naturwissenschaften Zusammenfassung: Dichotomie von Geschaffen und Schaffen
4.3
Das Verhältnis von Mensch und Natur in derfrühenNeuzeit
274
4.3.1 4.3.2 4.3.3
Francis Bacon Funktionalisierung der Schöpfung Rene Descartes: Geometrisierung der Natur Zusammenfassung Trennung von Mensch und Natur
276 288 301
4.1.3 4.1.4
4.2 2 4.2.3 424
217 222 224 232
235 250 256 266 273
KAPITEL V
Die Idee des Fortschritts Zur Herkunft eines neuzeitlichen Leitbildes
307
5.1 5.2
Fortschritt als säkularisierte Vorsehung? Die linear-transzendente Gerichtetheit der Geschichte
309 316
5.2.1 5.2.2 5.2.3
Augustinus und die zyklische Kosmologie der Antike Chiliastische Interpretamente bei Joachim von Fiore Innergeschichtliche Vollkommenheit als Ideal der Neuzeit
317 322 330
8
5.3
Christentum als Fortschrittsprinzip?
335
5.3.1 5.3.2
Säkularisierung der Welt Texte des kirchlichen Lehramtes
340 350
KAPITEL VI
Abschied vom anthropozentrischen Denken Ein Weg aus der ökologischen Krise?
369
6.1 6.2
'Babylonische Sprachverwirrung' - Was meint Anthropozentrik?. 374 Die Unaufgebbarkeit der Anthropozentrik 386
6.2.1 6.2.2 6.2.3
Die Pflichtenlehre Kants und ihre Folgen für den Naturschutz Die Natur als Rechtssubjekt? Die Leitbild-Diskussion am Beispiel der Anhörung zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes
388 390
Ausblick
401
Abkürzungsverzeichnis
409
Literaturverzeichnis
413
Namenregister
435
6.3
394
9
Kapitel I
Die Suche nach den Ursachen Anschuldigungen wider das Christentum. Eine Hinführung
Zunehmend wird die globale Lebensbedrohung durch die Umweltzerstörung erkannt und die Kritik an den Fortschrittserrungenschaften des "endgültig entfesselten Prometheus" trifft auf breite Resonanz1. Hybridem Machbarkeitswahn hingegeben haben die Menschen in ungezügelter Ausübung ihrer "Herrschafts- und Unterwerfüngsgelüste"2 die "Verletzlichkeit der Natur"3 vergessen und damit die Krise des Überlebens heraufgeführt4. Nun stehen sie vor der Wahl, wie Arnold Toynbee formuliert, die "Mutter Erde" zu ermorden5. Dies würde gleichzeitig auch den kollektiven Selbstmord und, wie Bernhard Verbeek anfügt, in letzter Konsequenz den Mord am Tyrannen Menschen durch den Menschen selbst bedeuten.6 Insofern sich aber in der Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M 1984, 7. Klaus M Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft Holistisches Denken in ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung, München 1988, 18 Hans Jonas, 26. Diese Erfahrung spiegelt sich auch in den Buchtiteln besonders der siebziger Jahre wider So etwa bei Günter Altner, Schöpfung am Abgrund Die Theologie vor der Umweltfrage, Neukirchen-Vluyn 1974 Ders, An der Überlebensgrenze - Eine Bilanz zwischen Zerstörung und Fortschrittsbewältigung, in: Ders u.a. (Hg), Sind wir noch zu retten? Schöpfüngsglaube und Verantwortung für unsere Erde, Regensburg 1978, 9-13. Menschheit und Mutter Erde Die Geschichte der großen Zivilisationen, Düsseldorf 1988 Seit dem Beginn der Industrialisierung meint Toynbee das stete Anwachsen der menschlichen Macht über die Natur diagnostizieren zu können Diese "Aneignung der Macht" ist aber gerade die Fähigkeit, die gesamte Biosphäre und damit auch die Bedingungen seines eigenen Überlebens zu zerstören (vgl ebd, 476). Vor diesem Hintergrund schließt er sein Werk mit der kritischen Anfrage: "Wird der Mensch die Mutter Erde ermorden oder erlösen? Er kann sie vernichten, wenn er seine technische Macht vergrößert Auf der anderen Seite könnte er sie erlösen, wenn er die selbstmörderische aggressive Habgier überwindet Dies ist das Rätsel, vor dem der Mensch steht" (ebd, 503). Die Anthropologie der Umweltzerstörung Die Evolution und der Schatten der Zukunft, Darmstadt 1990, 3.
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Umweltkrise die Schadensbilanz des menschlichen Handelns an der Natur ausdrückt, gibt diese eine grundsätzliche Rückfrage an das Verständnis von Mensch und Natur auf. Als Maxime eines solchen destruktiven Verhaltens benennen die unterschiedlichen Ansätze der Begründung einer Umweltethik die dualistische Trennung von Subjekt Mensch und Objekt Natur. Gegen diese Entfremdung von der Natur, durch die sich der Mensch qua Vernunftwesen berechtigt weiß, die "Natur zu nötigen", auf seine Fragen zu antworten anstatt sich von ihr am "Leitbande gängeln" zu lassen7, müsse der Mensch sein Eingebundensein in die Natur wiederentdecken lernen. Zu dieser Verhaltenskorrektur gehöre ebenso wesentlich, die Natur nicht auf ihren bloß funktionalen Wert unter dem Diktat naturwissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Interessen zu begrenzen. Sie ist mehr als Ressource für menschliche Interessen. Bislang wurde im Gespräch über die Ursachen der Umweltkrise ein Konsens darüber erzielt, daß sie vom Menschen herbeigeführt ist. Deshalb sei auch als Gegenmaßnahme ein grundlegender Wandel im Verhältnis von Mensch und Natur anzustreben, der sich etwa unter dem Leitbild eines "Zeitalters der Ökologie"8, "ökologischer Zivilisierung"9 oder auch einer "globalen Verantwortungsethik"10 vollziehen könnte. Kontrovers bleibt, durch welche Kräfte die Sicht der Natur als den menschlichen Interessen dienstbares Objekt ihre Prägung erfahren hat. In diesem Zusammenhang wird seit Ende der sechziger Jahre die These vertreten, das Christentum habe eine historische Mitschuld an den Ausbeutungsstrategien des Menschen gegenüber der Natur. Doch ehe die Argumentationsschritte dieser Position im einzelnen vorgestellt werden, gilt es auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund ihres Entstehens zu blicken. Als der amerikanische Historiker Lynn White jr. 1967 erstmals diese Anschuldigung formulierte, war die Stimmung in der Öffentlichkeit noch überwiegend von einem technologischen Optimismus getragen. Naturwissenschaften und Technik galten als Fortschrittsgaranten, mittels derer sich
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9
10
12
Kant, Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft B XIII (zitiert wird nach der Ausgabe von Wilhelm Weischedel, Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, Darmstadt 1966 [II, 23]) Ernst U von Weizsäcker, Erdpolitik Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt, Darmstadt 21990, 9, Vittorio Hösle, Philosophie der ökologischen Krise Moskauer Vorträge, München 1991, bes 33 So die These von Walther Kösters, Ökologische Zivilisierung Verhalten in der Umweltkrise, Darmstadt 1993 Hans Jonas, 8f.
die Menschen eine grenzenlos bessere Zukunft aufzubauen glaubten. Unterstützt wurde diese Fortschrittseuphorie auch von einzelnen Konzepten der Theologie, welche die Erfolge im Sektor der Naturwissenschaften und Technik auf die Entmythisierung der Welt durch das Christentum zurückführten. Denn erst nachdem die Götter aus der Welt vertrieben waren, konnte diese werden, was sie eigentlich ist: weltliche Welt und damit auch Objekt des Forschungsinteresses. Allerdings erwies sich der Versuch, das Christentum als die Ermöglichungsbedingung des Fortschritts zu benennen, gewissermaßen als "Bumerang".11 In dem Maße, wie in der Umweltkrise die Negativfolgen des Fortschritts bewußt wurden, kehrte sich die Anschuldigung gegen das Christentum. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch zu verstehen, warum White im Vergleich zu den Rezipienten seiner These den Akzent seiner Untersuchung vornehmlich auf die Entstehungsgeschichte von Naturwissenschaft und Technik legt. Über die Grenzen akademischer Gesprächskreise hinaus rief sie großes Interesse hervor, als der Mitverfasser des Berichts "Grenzen des Wachstums" an den Club of Rome, Dennis Meadows, die Naturvergessenheit des Menschen der biblischen Weltdeutung anlastete. Populärwissenschaftlich aufgearbeitet wurde Whites Argumentation im deutschsprachigen Raum besonders durch Carl Amery mit seinem Bestseller "Die gnadenlosen Folgen des Christentums" und Eugen Drewermann, der den "tödlichen Fortschritt" in der Zerstörung der Erde als Erbe des Christentums erblickt.
Hans Halter, Theologie, Kirchen und Umweltproblematik Der Beitrag der Theologie zu einer ökologischen Ethik, in: Theologische Berichte XIV. Katholische Soziallehre in neuen Zusammenhängen, Zürich 1985, 165-211, hier: 167; vgl auch Hans Münk, Umweltkrise - Folge und Erbe des Christentums7 Historisch-systematische Überlegungen zu einer umstrittenen These im Vorfeld ökologischer Ethik, in: JCSW 28 (1987) 133-206, hier: 134.
13
1.1
Schuldzuweisungen an die Adresse des Christentums
Ihren Anfang nimmt die ökologische Krise nach White in der praktischen Umsetzung des "Baconschen Glaubensbekenntnisses, daß naturwissenschaftliches Wissen technische Macht über die Natur bedeute".12 Dabei erbrachte die Fusion von Naturwissenschaft und Technik, d.h. des theoretischen und empirischen Erkenntniszugangs zur natürlichen Umwelt in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen unverzichtbaren Beitrag zur Akzeptanz dieser Idee als selbstverständlicher Handlungsmaxime. Grundgelegt ist diese Weltsicht allerdings bereits im christlichen Glauben, dessen Sieg über das Heidentum er als die "größte geistige Revolution in der Geschichte unserer Kultur" apostrophiert". Denn im Gegensatz zur Antike ist diesem eine lineare Zeitvorstellung zu eigen, die lediglich am Heil des Menschen interessiert ist. Nach Gottes Ebenbild geschaffen und mit dem Herrschaftsauftrag betraut, sich die Erde Untertan zu machen, übernimmt der Mensch eine souveräne Stelle im Schöpfungsganzen, durch die er sich zu sclirankenloser Ausbeutung legitimiert weiß. Entsprechend diesem Programm der Alleinregentschaft des Menschen vertrieb das Christentum die Schutzgeister und riß die animistischen Barrieren nieder, welche einst die Ehrfurcht vor der Natur begründeten. Dies läßt White zu dem Schluß kommen, daß das Cliristentum besonders in seiner westlichen Ausprägung "die anthropozentrischste Religion (ist), die die Welt je kennengelernt hat".14 Ebenso gelten Amery die
Die historischen Ursachen unserer ökologischen Krise, in: Michael Lohmann (Hg ), Gefährdete Zukunft Prognosen anglo-amerikanischer Wissenschaftler, München 1970, 20-29, hier: 20 Ebd , 23 und ders , Die mittelalterliche Technik und der Wandel der Gesellschaft, München 1968, 71 Die historischen Ursachen, 24 White meint erkannt zu haben, daß der Okzident durch verstärkt angewandte Technik und Wissenschaft die im aktuellen Naturverständnis durchscheinende Wertestruktur förderte Dagegen habe die eher als introvertiert zu beschreibende Spiritualität der östlichen Kirchen sowie das in den Schriften der griechischen Kirchenväter überlieferte Verständnis der Natur als symbolisches System eine vergleichbare Entwicklung verhindert So prägten die je unterschiedlichen Frömmigkeitstypen nicht nur das entsprechend gewichtete Engagement des Christen in der Welt, sondern auch ihre Beziehungen zur Natur, wie es die nachstehende Formulierung pointiert zum Ausdruck bringt "der griechische Heilige meditiert, der westliche handelt" Diese Gedanken weiterführend zeigt die östliche Tradition mehr Interesse bezüglich des ästhetischen Aspekts im Umgang mit der natürlichen Umwelt In der Schönheit der Natur wird die unbegreifliche
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"qualitative Einzigartigkeit des Menschen" sowie der daraus abgeleitete "Auftrag zur totalen Herrschaft"15 unter der Zusage einer von Gott dem Menschen "glanzvoll angeordneten Zukunft" als die biblischen Aussagen, welche die "totale Profanität" der Natur und ihre "Verfügbarkeit als Ausbeutungsobjekt" bedingen16. Dadurch habe sich im Menschen die Vorstellung herausbilden können, daß ihm Gott trotz des Sündenfalls die Einlösung seines ehedem versprochenen Heiles nicht versagt. In Jesus Christus erkennt er schließlich Gottes Heilshandeln, das dem Menschen nicht nur in der Botschaft vom Reich Gottes eine Erfolgsgeschichte vor Augen stellt, sondern im Geschehen der Inkarnation die ausschließliche Erwählung des Menschen bestätigt.17 Drewermann nimmt den Anthropozentrismusvorwurf auf und lastet den biblischen Schriften ein "außerordentlich heikles Verhältnis" zur Natur an18. Ihr einzig wichtiges Thema ist die Geschichte Gottes mit den Menschen, die sich als "Herrscher über die Natur" und nicht als "Teil der Schöpfung" verstehen19. So bildete sich die Vorstellung, die gesamte Natur habe allein dem Wohl und Wehe des Menschen zu dienen, der seine "absolute Vorrangstellung" durch "uneingeschränkte Machtausübung in der
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18
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Majestät des guten Schöpfergottes hervorgehoben, die Anlaß zu freudigem Lobpreis bietet Ohne diese wertschätzende Dimension der Vergessenheit preiszugeben, behandelt die westliche Naturphilosophie seit dem 13. Jahrhundert bevorzugt die Funktionsweise der Schöpfung, indem sie sich mühte, Gottes Absichten in und mit der Schöpfung herauszufinden Probates Mittel dazu waren ihr die Methoden von Naturwissenschaft und Technik - Vgl ders., Technology in the Middle Ages, in: Melvin Kranzberg/Caroll W. Pursell jr (ed.), Technology in Western Civilisation. The Emergence of modern industrial Society. Earliest Times to 1900, New York 1967, 66-79, hier: 67, ders , Die historischen Ursachen, 25. Die ökologische Chance Das Ende der Vorsehung - Natur als Politik, München 1991, 14. In erster Fassung erschienen Amerys Ausführungen unter dem Titel "Das Ende der Vorsehung Die gnadenlosen Folgen des Christentums" (Reinbek 1972) Ebd, 96. Vgl ebd., 19f und 27 Erbe des Christentums ist es, "daß die ganze Schöpfung auf Verheißung angelegt ist, daß die Kreatürlichkeit des Menschen, sein Leid und sein Tod, ein Skandal ist, daß wir Menschen die einzigen Geschöpfe sind, zu denen der Schöpfer ein besonderes Verhältnis angebahnt hat, daß infolgedessen die Welt eine einzige Beute ist, die wir nach unserem Gutdünken verteilen können, solange wir die Spielregeln gegenüber unseren Mitchristen beachten" (ebd., 143). Der tödliche Fortschritt Von der Zerstörung der Erde und des Menschen im Erbe des Christentums, Freiburg 1991, 72 [Erstauflage: Regensburg 1981]. Ebd., 7.
15
Natur" demonstrieren soll20. Auch die schöpfungstheologischen Gedanken konnten dieses anthropozentrische Denken, daß die Natur "eine Art Feindin sei", nicht aufheben. Vielmehr sind die wenigen Passagen, die den Eindruck "einer autochthonen Poesie irdischer Schönheit" vermitteln, als Nachbildungen ägyptischer oder kanaanäischer Traditionen entlarvt worden21. In jedem Falle sind sie nicht Originale hebräischen Denkens, das allein daran festhält, "daß Gott dem Menschen die ganze Welt zu seiner Nutzung 'zu seinen Füßen gelegt' hat - ein Ausdruck, der im Grunde die Unterwerfung eines Feindes bezeichnet."22 Macht euch die Erde Untertan (Gen 1,28)! Dieser biblische Imperativ wurde nach Amery besonders erfolgreich durch die Mönche und später den Calvinismus rezipiert. Nie gab es effizientere Produktionskommunen als die Klöster, die durch ihre radikal gelebte Armut und strenge Arbeitsdisziplin zu großem Reichtum gelangten. Zugleich entwickelten sie mit dieser ökonomischen Erfolgsformel ein Prinzip, das erst im Zeitalter der Industrialisie20 21 22
16
Ebd., 79. Ebd., 73. Ebd., 74. Im Nachwort zur dritten Auflage betont Drewermann, die alttestamentlichen Schriften hätten ausnahmslos den Menschen "radikal aus der Natur herausgelöst" und sich stringent einer "mythischen Vergöttlichung der Welt" versagt (ebd., 189f). Allein an der Geschichte als Wirkstätte Gottes seien sie interessiert, nicht aber an der Welt als Ort der Gotteserfahrung, ist doch die "Geschichte Gottes mit den Menschen ... der Horizont, innerhalb dessen die Naturgeschichte zum entgötterten Ort des Machtanspruchs Jahwes erklärt wird" (ebd., 196) Selbst den Passagen, welche vom Lobpreis der Schöpfung erzählen, ist nicht am Aufweis der ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur gelegen, sondern am Machterweis Gottes, dem alles Eigentum geworden ist Im Grunde nähren alle Belegstellen (Ps 147, 148, Hld 2,11-14; Hab 2,17, Jes 14,8) nur den Verdacht einer rigoros anthropozentrischen Naturbetrachtung, die sich unter das Leitwort von Gen 1,28 stellt: Macht euch die Erde Untertan! (vgl ebd , 191) Schließlich werden Naturfremdheit und -feindschaft der Bibel als der "Kaufpreis" für die Lehre von der Transzendenz Gottes und der einmaligen Bedeutung seines Handelns in der Geschichte definiert. Was vom Alten Testament gesagt wird, muß erst recht für den neutestamentlichen Kanon gelten. Auch wenn sich der Einwand erhebt, die Schriften des Neuen Testaments vertreten einen dezidierten Christozentrismus (vgl Eph 1,19), muß dieser Augenschein sehr bald verblassen. Denn diese aus der Vorstellungswelt der Gnosis kommenden Bilder wurden zwar kurzweilig entlehnt, aber nicht auf den Kosmos, sondern auf die menschliche Geschichte hin umgedeutet: "Wie im Alten Testament blieb die Geschichte, die Menschenwelt, der eigentliche Ort der Gotteserfahrung, die Natur war nur die Bühne oder das mit der menschlichen Geschichte verwobene Instrument des göttlichen Heilswillens" (ebd., 201).
rung seinen Wirkkreis entfalten sollte: "das Prinzip der rationellen Tageseinteilung nach festgelegten Uhrzeiten, welche säuberlich Produktion, Kontemplation und Rekreation voneinander scheiden. Ohne Mönche gäbe es keine Stechuhr."23 Leistung durch Askese ist dann auch das Konzept calvinistischer Reformbemühungen, die nicht nur einen Zusammenhang von Christentum und Kapitalismus zu erkennen geben, sondern den "innengeleiteten Menschen" hervorbringen, "der die Gebote und Verbote wie einen Kreiselkompaß in der eigenen Brust trägt".24 Dieser Menschentypus versichert sich seines Heiles im ökonomischen Erfolg, woraus sich ableitet, daß Karriere und berufliches Prestige sowohl als Zeichen des Auserwähltseins gelten als auch unter Anstrengungen auf sich genommen werden. In gesteigertem Maße wirkt dieses Ideal bei den Puritanern, welche die monastische Arbeits- und Verzichtsethik zum Grundpfeiler ihrer Gemeinschaft machten und damit die "effektivste Basis für die industrielle Ausbeutung des Planeten aufgebaut" haben25. Sichtbares Beispiel ihrer weltverändernden Erfolgsgeschichte ist die Inbesitznahme Amerikas, die von den Siedlern parallel zur Heilsgeschichte Israels verstanden wurde.26 Reichen Lohn für die Mühen des Exodus bot ihnen dabei das verheißene Land, das keinen anderen Eigentümer als Gott hatte. Deshalb konnte es auch in seiner nahezu unerschöpflichen Fülle als Lebensraum und Rohstoffquelle benützt werden und war jederzeit, sollte die Fruchtbarkeit erschöpft sein, gegen andere Gebiete eintauschbar.27 "Ein Kontinent ohne alte Götter", so faßt Amery zusammen, "ein Naturgarten wird von Küste zu Küste durch Brudergemeinden besetzt, die den alten Ruf plötzlich machtvoll erneuert hörten. Wachset und vermehret euch, macht euch die Erde Untertan. Zum ersten Mal ist die Verheißung vom Endreich der Fülle in konkrete Nähe gerückt; und so entbrennt auch der Hunger nach dieser Fülle heller und heißer als irgendwo anders."28 Die mangelnde Umweltgerechtigkeit menschlichen Handelns verbunden mit dem weithin verbreiteten Glauben an Naturwissenschaft und Technik als Garanten des Fortschritts führt White auf die bereits im Hochmittelalter in 23 24 25 26 27 28
Die ökologische Chance, 54. Ebd., 60. Ebd., 73. Vgl. ebd., 75. Vgl. ebd., 79. Ebd., 86.
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einer Fülle von Erfindungen bezeugte Aufgeschlossenheit gegenüber der Technik zurück, die er als Umsetzung des biblischen Herrschaftsauftrages wertet. Um diese Aussage abzustützen, verweist er auf die Kunst, die ihm als unverdächtiger Zeuge gilt. Sie soll den Wandel im Verhältnis von Mensch und Natur, wie er durch das christliche Weltverständnis in Gang gesetzt wurde, unter deutlicher Akzentuierung der gegenläufigen Entwicklung in Ost und West illustrieren. Zunächst verdichtet er seine Erläuterungen auf die Ikonographie der Temperantia (1), die zum Inbegriff der Hochschätzung technischen Fortschritts wird. Unterstützung findet das darin zum Ausdruck gekommene neue Selbstbewußtsein des Menschen in zwei die Alltagserfahrung von Grund auf verändernden Erfindungen, zum einen die Einführung der Orgel (2) als dem Musikinstrument der römischen Liturgie und zum anderen der Turmuhr (3). Schließlich erkennt er auch in den Darstellungen des biblischen Herrschaftsauftrages (4) eine unterschiedliche Interpretation, die dem jeweiligen Spiritualitätstyp entspricht. (1) Als die Ethik des 13. Jahrhunderts in der Maßlosigkeit die Wurzel allen Übels zu erblicken begann, rückte die Temperantia in den Mittelpunkt der Tugenden. Dazu hat die Verknüpfung des höfischen Ideals der 'maßvollen Besonnenheit' mit der theologischen Begründung der Temperantia als spiritueller Grundhaltung einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Im Zuge dieser Akzentverlagerung erfahren auch die sie kennzeichnenden Attribute einen Wandel, so daß sich bald folgendes Bild präsentiert: "Auf ihrem Kopf trägt sie eine mechanische Uhr (erfunden in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts), das bedeutendste und zugleich komplizierteste Stück der Automation. In ihrer rechten Hand hält sie Augengläser (in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts erfunden), die größte Wohltat für die reiferen Intellektuellen. An ihren Absätzen trägt sie Sporenrädchen (um etwa 1290) und steht auf einer Turm-Windmühle (von etwa 1390), der spektakulärsten neuen Kraftmaschine dieses Zeitalters. Die Botschaft könnte kaum emphatischer sein: technischer Fortschritt ist in höchstem Maße tugendhaft."29 Hinter dieser Symbolik meint White Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Weitblick und ständige Beschäftigung als wesentliche Komponenten der bürger-
übersetzt nach der englischen Textfassung: Continuing the Conservation, in: Ian G. Barbour (ed.), Western Man and Environmental Ethics. Attitudes towards Nature and Technology, London 1973, 55-64, hier: 58.
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liehen Ethik zu erkennen, welche die neue Weltsicht transparent machen.30 Im Bewußtsein um die privilegierte Stellung des Menschen genügt es fortan nicht mehr, die Natur zu beobachten und durch Nachahmung arbeitserleichternde Geräte zu fertigen. Es erscheint vielmehr notwendig, sich ihrer als formales Objekt zu bedienen und ihr eine vom Menschen geschaffene Ordnung aufzuzwängen. Das Christentum bereitete also nicht nur den Boden für die technische Revolution im Westen, sondern unterstützte gerade durch die Billigung des neu verstandenen Tugendkataloges die Geburt eines Weltbildes, das die wechselseitige Verbundenheit von Gott, Mensch und Welt zugunsten des Wissens um die menschliche Dominanz verrückt. (2) Bei den christlichen Kirchen des Ostens konnte sich die Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen nicht durchsetzen, was schon die musikalische Gestaltung der liturgischen Feier zeigt. Während im römischen Ritus die Orgel allmählich zu dem gottesdienstlichen Instrument wurde, findet die Liturgie der östlichen Kirchen ausschließlich im Gesang ihre Stütze. Welches handwerkliche Geschick der Betrieb und die Instandhaltung der Orgel erforderte, verdeutlicht White an der Größe dieses Musikinstruments. So hatte die erste große Orgel, die gegen Ende des 10. Jahrhunderts von Benediktinern in Winchester gebaut wurde, 400 Pfeifen. Zum Klingen wurden diese durch 26 Blasebälge gebracht, die von 70 Männern gepumpt wurden.31 (3) Die mechanische Uhr ist ein weiteres Beispiel für die technische Innovationsleistung des Mittelalters, die der Kirche des Abendlandes das Monopol der Zeitrechnung übertrug. Zum ersten Mal erlebte der Mensch seine Verfügungsgewalt über das grenzenlose Kontinuum der Zeit, die er nun in eine feste Ordnung bringen konnte. Diese Erfindung bestätigt wiederum die geistesgeschichtliche Umorientierung, ist es doch allein der Mensch, der die mit dem Wechsel der Jahreszeiten sowie von Tag und Nacht gegebenen Unwägbarkeiten durch eine präzise Zeiteinteilung überwindet.32 (4) Schließlich bestätigt die künstlerische Darstellung des biblischen Herrschaftsauftrages dessen unterschiedliche Interpretation. Gemäß der auf Aktivität zielenden Einstellung des Westens faßt Gott in der Mehrzahl der 30
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The Iconography of Temperantia and the Virtuousness of Technology, in: T.K. Rabb/J.E. Seigel (ed ), Action and Conviction in the Early Modern Europe. Essays in the Memory of E.H. Harbison, Princeton 1969, 197-219, hier: 214. Vgl. Continuing the Conservation, 59. Vgl. ebd.
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Werke Adam am Handgelenk und gibt ilim mit erhobenem rechten Zeigefinger genaue Anweisungen, wie er seine Macht ausüben soll. Die hier empfohlene und in steter Dynamik aktualisierte Herrschaft über die Schöpfung steht im Gegensatz zu den eine idyllisch-entspannte Atmosphäre vermittelnden Kunstwerken aus Byzanz. Sie zeigen, wie Adam ohne Machtallüren inmitten der Natur lebt. Als beliebtes Motiv begegnet der im Paradies umherspazierende und sich in der Natur erholende Adam, wobei manchmal Gottes Hand aus einer Wolke über diesem Szenario erscheint. Eindrucksvoller könnte das divergierende Naturverständnis kaum zum Ausdruck gebracht werden. Im Hinblick auf die Tradition des Abendlandes hat Schöpfung keinen anderen Sinn, als dem zum Herrschen beauftragten Menschen zu dienen. Dagegen betont das östliche Christentum das Sein des Menschen in der Natur. Für White steht demnach jedenfalls fest, daß im Westen das Mittelalter geradezu einen "technologischen Eifer" erbrachte, "dessen lückenlose Fortsetzung unsere gegenwärtige technologische Bewegung mit ihren Begleiterscheinungen ist. Zu diesem Fortschritt mögen auch andere Faktoren beigetragen haben, aber die neue westliche Wertestruktur des Mittelalters ist zentral und unabdingbar für unser diesbezügliches Verständnis."33 Wie die von Amery vorgetragene These zum Arbeitsethos und die Ausführungen Whites zur naturwissenschaftlich-technischen Innovation aufzeigen wollen, ist die Umweltkrise eine direkte Folge des Christentums. In ihm wurzelt der "verhätschelte Zentralgedanke der aktiven Menschheit"34 mit ihrem Streben nach ständigem Wachstum und der Überzeugung, daß allein sie "Mittelpunkt und Maß der Welt" ist35. Um nun dieser in Ausbeutungsmentalität eskalierenden "Naturfremdheit und Weltvergessenheit" entgegenzuwirken36, bedarf es eines grundlegenden Wandels im Verständnis von Mensch und Welt. Allein durch eine religiöse Neubesinnung ist nach White diese Verhaltensänderung herbeizuführen, wobei er zunächst an die im ZenBuddhismus gelehrte Ganzheitlichkeit von Mensch und Natur denkt. Da er diesem aufgrund kulturgeschichtlicher Unterschiede im Westen jedoch 33
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Übersetzt nach der englischen Textfassung, ebd., 60; vgl. ders, Die Ausbreitung der Technik 500-1500, in: Carlo M. Cipolla/K. Borchard (Hg), Europäische Wirtschaftsgeschichte I, Stuttgart-New York 1978, 91-110, bes. 92-99. Carl Amery, 117. Eugen Drewermann, 64. Ebd., 128.
wenig Akzeptanz zurechnet, kommt er schließlich auf das westliche Christentum zurück, in dem der franziskanische Versuch beheimatet ist, die Herrschaft des Menschen über die Natur durch eine geschwisterliche Gleichstellung aller Kreaturen abzulösen.37 Ähnlich wie White die Anerkenntnis der Demokratie allen Seins für die Zukunft richtungsweisend gilt, empfiehlt Amery das Programm einer "Ethik der planetarischen Verantwortung".38 Sie versucht eine solidarische Partnerschaft mit der Welt zu leben in dem Wissen, daß die Welt nicht unter der absoluten Heilsgarantie steht und jeder Zeit der Gefahr "der Zerstörung" unterliegt: "Wir müssen lernen, die Welt und unseren Platz in ihr zu sehen - von Angesicht zu Angesicht. Die Welt, die unsere Heimat nicht werden wird, wenn wir nicht begreifen, daß sie die einzige Heimat ist, die wir je hatten, haben oder haben werden."39 Gegen die in Gen 1,28 festgeschriebene anthropozentrische Ausbeutungslegitimation fordert Drewermann die Wiedererinnerung eines naturmythischen Denkens, das die christliche Tradition jedoch als pantheistisch bekämpfte.40 Aufgegeben ist eine "umfassende Harmonie", mit der der Mensch als ein Liebender der Welt begegnet: "nicht die Veränderung, die Umgestaltung, der einseitige 'Fortschritt' wäre sein Ziel, sondern die immer neue Wiederholung des Gleichen, die 'Bewahrung' und 'Bedienung' der Schönheit der Dinge."41
37 38 39 40 41
Vgl Die historischen Ursachen, 28. Die ökologische Chance, 177 Ebd., 186. Vgl Der tödliche Fortschritt, 109. Ebd , 123 Wenigstens in drei Punkten muß sich die bisherige Weltdeutung ändern: "(1) In der Überzeugung, alies drehe sich um den Menschen und sei nur zu seinem Zweck und Nutzen da, (2) in der Überzeugung, die menschliche Geschichte habe ihren Sinn in einem ständigen Fortschritt und (3) in der Überzeugung, am Menschen seien ausschließlich die zweckrationalen Kräfte 'menschlich', sein Gefühl, sein Unbewußtes aber sei entweder etwas 'Pathologisches' oder es existiere überhaupt nicht" (ebd, 65)
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1.2
Methode und Ziel der Arbeit
Von Anfang an erfuhr die These der monokausalen Herleitung der Umweltkrise aus dem Christentum eine breite theologische Auseinandersetzung. Die ersten Reaktionen richteten sich auf die Deutung des Herrschaftsauftrages als eine Art Freibrief rigider Ausbeutung der Natur und wiesen sie als unvereinbar mit dem biblischen Schöpfüngsglauben zurück, der betont: Als Stellvertreter Gottes auf Erden soll der Mensch die Schöpfung gestalten. Dagegen stellt die im aktuellen Verhältnis von Mensch und Natur sichtbar gewordene Subjekt-Objekt-Trennung geradezu eine "Ungehorsamsgeschichte" dar42. Aus den Erkenntnissen der exegetischen Forschung entwickelt sich schon bald eine "Renaissance des Schöpfungsglaubens"43, die Gottes Welttranszendenz und -immanenz sowie die Mitkreatürlichkeit von Mensch und Natur neu zu bedenken gibt. Erforderlich scheint dazu die Ausweitung des "Gebots der Nächstenliebe auf die subhumane Wirklichkeit"44, die Rückbesinnung auf Albert Schweitzers Prinzip der Ehrfurcht vor allem Leben45 und die Anerkenntnis einer "qualitativen Kontinuität von Mensch und Natur"46. Diese ersten Ansätze einer theologischen Aufarbeitung der Schuldzuweisung regten nicht nur das interdisziplinäre Gespräch über mögliche Faktoren zur Entstehung der Umweltkrise an, sondern tragen auch wichtige Argumente zum Versuch der Begründung einer ökologischen Ethik bei.
Günter Altner, Schöpfung am Abgrund, 32. Ähnlich auch in seinem Buch "Die große Kollision Mensch und Natur, Graz u a 1987, 47: "Aus dem Ruf in die Verantwortung wurde eine permanente Sündenfallsgeschichte in dem Sinne, daß die ursprünglich gemeinte 'Haushalterschaft' in die Eigendynamik grenzenloser Herrschaft umgesetzt wurde" So urteilt etwa Hans Halter, 171. John B Cobb jr., Der Preis des Fortschritts. Umweltschutz als Problem der Sozialethik, München 1972, 74 Ebd., 71; Günter Altner, Zwischen Natur und Menschengeschichte. Anthropologische, biologische, ethische Perspektiven für eine neue Schöpfüngstheologie, München 1985, bes. 97 und 102, Günter Patzig, Ökologische Ethik, in: Hubert Markl (Hg), Natur und Geschichte, München 1983, 329-347, hier: 344 Gerhard Liedke, Im Bauch des Fisches Ökologische Theologie, Stuttgart 1979, 108.
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Mit den Studien von Udo Krolzik*1 und Hans Münfc* liegen zwei materialreiche Beiträge vor, die insbesonders nach der Entstehungsgeschichte der neuzeitlichen Allianz von Naturwissenschaften und Technik fragen. Auch wenn diese Beiträge aufzeigen, daß die Interpretation des biblischen Herrschaftsauftrages in der Kirche des Abendlandes eine Offenheit gegenüber technischen Errungenschaften förderte, geben sie zu bedenken, daß daraus nicht eine monokausale Herleitung schlußgefolgert werden kann. Denn solange das christliche Schöpfungsverständnis das Handeln der Menschen an und mit der Natur bestimmte, blieb die Gottbezogenheit der Natur gewahrt, die gerade aufgrund ihres Geschaffenseins durch Gott einen Wert jenseits der menschlichen Interessen hat. Erst als dieses Verständnis mit der beginnenden Neuzeit verloren ging, konnte sich eine dualistische Weltsicht ausbilden, die zwischen dem Subjekt Mensch als res cogitans und dem Objekt Natur als res extensae unterscheidet. Die Ausfulirungen von Krolzik und Münk bilden das Fundament, um die Anschuldigungen gegen das Christentum ihrem Grundzug nach zu entkräften. Allerdings reichen sie nicht für eine detaillierte Zurückweisung der vorgebrachten Kritik. Dies hängt hauptsächlich damit zusammen, daß sie sich zum einen nur sehr begrenzt auf die Sichtung der Quellen beziehen, die bereits im Mittelalter und der Renaissance über Technik und Naturwissenschaft vorliegen. Zum anderen aber konzentrieren sie sich in ihrer Argumentation nur auf den Aspekt der Technikgeschichte und deren möglichen Zusammenhang mit dem biblischen Herrschaftsauftrag, während sie andere Facetten der Anschuldigungen, besonders das Arbeitsethos und das Geschichtsverständnis im Christentum, weitgehend unbeachtet lassen. Die vorliegende Arbeit möchte diese Lücke schließen, indem sie die einzelnen Gedankenschritte der Schuldzuweisung auf ihre Stimmigkeit hin überprüft. Dazu fragt sie im nächsten Kapitel nach der Bedeutung der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seines Auftrages, sich die Erde Untertan zu machen. Insofern die Weltgestaltung durch die Arbeit des Menschen geschieht, ist damit zugleich auf die Wertung der Arbeit in den biblischen Schriften verwiesen: Hat der Herrschaftsauftrag von Gen 1,28 ein Arbeitsethos ausgebildet, das die Natur lediglich als Ressourcenlager zum Nutzen Umweltkrise, Folge des Christentums?, Stuttgart-Berlin 1979 Umweltkrise - Folge und Erbe des Christentums9 Historisch-systematische Überlegungen zu einer umstrittenen These im Vorfeld ökologischer Ethik, in: JCSW 28 (1987) 133-206.
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der Menschen gebraucht und ihr jeden Eigenwert abspricht? Nach dem Referat der Ergebnisse exegetischer Forschung beschäftigt sich Kapitel III mit der Rezeption des christlichen Arbeitsethos im westlichen Mönchtum und der Reformation im Kontext der Weber-These. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte Max Weber in seinem vielbeachteten Aufsatz die Frage nach dem eventuellen Zusammenhang zwischen der innerweltlichen Askese im Calvinismus und dem Geist des Kapitalismus. Er stellte fest, daß die im Protestantismus geübte Kombination von Arbeitseifer und Sparsamkeit ein Erbe des Mönchtums ist und sich unter den Bedingungen der Industrialisierung als Erfolgsformel finanziellen Reichtums erwies. Allerdings rezipierte man oft genug diesen komplexen Ansatz in sehr verkürzter Weise und interpretierte Weber dabei so, als wolle er eine monokausale Abhängigkeit des Kapitalismus vom Protestantismus und von dort wieder vom Mönchtum über das christliche Arbeitsethos behaupten. Diesen Fehler, so die hier vertretene These, begeht auch Amery, der diese popularisierende Darstellung noch um das Glied der Umweltkrise erweitert. Da in den bisherigen Publikationen zur ideengeschichtlichen Herleitung der Umweltkrise dem Arbeitsethos kaum Beachtung geschenkt wurde, setzt sich die vorliegende Untersuchung besonders ausführlich mit diesem Aspekt auseinander. Sie analysiert das Arbeitsverständnis der Benediktiner, Zisterzienser und schließlich der Jesuiten. Ebenso erfahrt das Berufsverständnis Luthers und Calvins eine sorgfältige, quellenbezogene Darstellung, wobei die Rückfrage nach dem Zusammenhang von Gnadenlehre und Beruf am Beispiel der Puritaner und ihrer Emigration in das auserwählte Land erörtert wird. Kapitel IV knüpft an die Beiträge von Krolzik und Münk an, wobei es allerdings stärker als diese den Akzent auf das Referat des technikgeschichtlichen Quellenmaterials legt. Beginnend mit der Blütezeit des Mittelalters wird das Technikverständnis gerade von solchen Denkern besprochen, die in ihrer Zeit als die großen Erfinder galten und denen deshalb nicht selten der Ruf anhaftete, sie stünden im Bund mit dem Teufel: Theophilus, Hugo von St. Viktor, Roger Bacon und Albertus Magnus. Wie diese werden auch die technikphilosophischen Beiträge der Renaissance danach befragt, in welchem Verhältnis das naturwissenschaftlich-technische Bemühen zum Glauben steht. Gerade in der von der "Entdeckung des Menschen" bewegten Renaissancephilosophie scheint das naturwissenschaftliche Forschen vom Glauben ermutigt, der den Menschen im Symbol des Mikrokosmos nicht nur
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als "menschlichen Gott" und "Gott auf Erden" bezeichnet, sondern auch von der Erkenntnis der Welt per analogiam auf Gott schließt. Die Beispiele von Cusanus, Ficino, Pico della Mirandola und da Vinci zeigen, daß sich in der Renaissance das Bewußtsein vom Geschaffensein des Menschen durch Gott und seinem eigenen schöpferischen und weltgestaltenden Handeln in Wissenschaft und Technik durch trägt. Obgleich diese Ansätze schon den Beginn der Neuzeit vorbereiten, ist es ein Anliegen dieser Arbeit, die Trennlinie der beiden Epochen exemplarisch am Verständnis von Naturwissenschaft und Technik herauszuarbeiten. Um diese Gegensätzlichkeiten zu verdeutlichen, sind zwei Positionen ausgewählt, auf die sich die spezifisch neuzeitliche Weltsicht gründet: Francis Bacon und Rene Descartes. Es wird im Horizont ihres Verständnisses von Gott, Mensch und Welt nach der Bedeutung der zwei Sätze gefragt, die zentral für diese Thematik erachtet und in der Literatur zur Begründung einer ökologischen Ethik immer wieder zitiert werden: Wissen ist Macht (Bacon) und der Mensch müsse zum Herrn und Meister der Natur werden (Descartes). Zum Leitbild der Neuzeit gehört es, Technik und Naturwissenschaft als Garanten des Fortschritts zu verstehen. Dabei soll nach den referierten Schuldzuschreibungen die Vorstellung einer stets besseren Zukunft vom linearen Zeitverständnis des Christentums geprägt und der Fortschritt sogar die säkulare Transformation der Vorsehung sein. Deshalb führt Kapitel V in das spezifisch christliche Geschichtsdenken ein, wozu zwei Modelle beispielhaft vorgestellt werden. Einmal ist mit Augustinus die Linearität der Geschichte gegen die zyklische Vorstellung der Antike zu betonen. Zum anderen ist gegen die chiliastischen Elemente im Denken Joachims die Ausrichtung auf eine jenseits der irdischen Geschichte liegende Heilszeit herauszustellen. Vor diesem Hintergrund ist schließlich die Mitte der sechziger Jahre in einigen theologischen Entwürfen vorgetragene Säkularisierungsthese zu diskutieren, die in apologetischem Interesse das Christentum als die Ermöglichungsbedingung der Fortschrittsgaranten Naturwissenschaft und Technik benennt. Überdies ist nach der Beurteilung des Fortschritts in den Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes zu fragen und dabei näher darauf zu achten, ob sich in den Texten, die zeitgeschichtlich parallel zur Säkularisierungsthese abgefaßt wurden, ähnliche Tendenzen finden lassen. Gibt es also Ansätze, die es a posteriori rechtfertigen, das Christentum in seiner offiziellen Lehre einer unkritischen Fortschrittssicht
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und damit der Schuld am ökologisch schädigenden und zerstörenden Handeln zu bezichtigen? Whites Vorwurf, das Christentum sei die anthropozentrischste Religion überhaupt, steht am Anfang einer naclilialtigen Reflexion über die möglichen Ursachen der Umweltkrise. Seitdem hat sich dieser Diskussion wie kaum ein zweiter der Topos 'Anthropozentrik' eingeprägt. Eine Durchsicht der Literatur zeigt allerdings das große Definitionsspektrum und die dadurch entstandenen Mißverständnisse. Aus diesem Grund leistet Kapitel VI in seinem ersten Teil eine Begriffsklärung, die sich auf die Unterscheidung von 'formaler' und 'materialer' Anthropozentrik stützt. Während erstere von der Unabhängigkeit des Menschen als Subjekt sittlichen Handelns und Denkens spricht, schließt erst eine materiale Anthropozentrik die dualistische Trennung von Subjekt Mensch und Objekt Natur ein. Daß diese aber überwunden werden muß, ist unstrittig, fraglich hingegen ist das Wie. Bislang werden zur Begründung einer ökologischen Ethik sowohl anthropozentrische als auch dezidiert anti-anthropozentrische Konzepte vorgetragen. Dabei versucht die vorliegende Arbeit die formale Anthropozentrik als prinzipiell unaufgebbar auszuweisen und von dort her auf die ökologische Ethik als integralen Bestandteil des christlichen Schöpfungsglaubens auszublicken.
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Kapitel II
Macht euch die Erde Untertan Biblische Grundlegung des 'dominium terrae' "Pan ist tot".1 Mit diesem Satz bezichtigt Amery das Christentum, die Welt entgöttert und sie dem Menschen zur 'totalen Herrschaft' übereignet zu haben. Die Welt ist für das Christentum in der Tat nur weltlich, sie ist, wie die biblischen Schriften gerade im Gegensatz zu naturmythologischem Denken betonen, weder 'göttlich' noch 'heilig' oder 'Wohnstätte der Götter'. Vielmehr ist sie die Schöpfung des einen Gottes, der alles, was überhaupt ist, geschaffen hat. Da aber Gott der Schöpfer und alles Sein seine Schöpfung ist, kann die Welt nur Welt sein. Als solche ist sie das geschaffene Gegenüber des Schöpfers, von ihm her (relational) und zugleich auf ihn hin (theozentrisch).2 Das eigentliche Ziel der biblischen Reflexion über Gott, Mensch und Welt ist es demnach, Gott als den Schöpfer, Mensch und Welt aber als seine Schöpfung zu verkündigen. Erst die 'Entdivinisierung' der Welt läßt diese Schöpfung und Gott Schöpfer sein. Daraus kann jedoch nicht per se gefolgert werden, daß eine solche Unterscheidung von Schöpfer und Schöpfung die Legitimation zu rigider Ausbeutung der Welt gibt, steht doch einer übermäßigen Akzentuierung des differenzierenden Moments der Transzendenz Gottes gegenüber der Welt seine Weltimmanenz entgegen. Beides gleicherweise zu betonen und als Vorgabe dessen anzuerkennen, wie die Ausübung des dominium terrae zu realisieren ist, gehört zum Erbe der biblischen Tradition, das im jeweiligen historischen Kontext neu zur Sprache zu bringen ist. Allerdings gestaltete es sich in der Theologiegeschichte immer wieder als schwierig, Gottes Welttranszendenz und Weltimmanenz, seine Unterschiedenheit von der Schöpfung und seine Gegenwart in ihr auszusagen, ohne einen Aspekt absolut zu setzen. Welche Bedeutung diesem Verständnis zukommt, macht gerade die ökologische Krise offenkundig. Demi um dem anthropozentrischen Utilitarismus entgegenzuwirken, soll die Welt in panCarl Amery, 213. Heike Baranzke, Ökologie - Natur - Schöpfung Zur Funktion einer Schöpfungstheologie im Rahmen der Umweltproblematik, in: StZ 116 (1991) 695-706, hier: 697.
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theistischer Deutung nach dem Vorbild der Naturvölker als 'heilig' empfunden und die 'Mutter Erde' ehrfürchtig verehrt werden. Bis hinein in die Theologie, so etwa bei den Publikationen von Matthew Fox3, wirken solche Ansätze der 'Re-mythologisierung'4, 'Resakralisierung'5 und 'Redivinisierung'6, die jedoch mit der Differenz von Schöpfer und Schöpfung auch die Unterschiedenheit von Mensch und Welt aufheben, die ebenso konstitutiv ist wie ihre solidarische Schicksalsgemeinschaft qua Geschöpflichkeit. Gegen diese Wiederbelebung pantheistischer Denkmodelle ist es vielmehr angebracht, an einen Aspekt zu erinnern, der in der Rede von Schöpfer und Schöpfung eingeschlossen ist: daß nämlich Gott als Vater durch den Sohn im Heiligen Geist schafft. Auch wenn es der Rückbesinnung auf eine trimtarische Schöpfungstheologie notwendig erscheint, der Weltimmanenz mehr Beachtung entgegenzubringen, wahrt sie doch Gottes Transzendenz als Schöpfer und grenzt sich gegen pantheistische Vorstellungen ab. Eigentümlich ist ihr, in der einseitigen Herauskehr der Transzendenz Gottes gegenüber der Welt ein Defizit der neuzeitlichen Theologie vor allem im Protestantismus zu erkennen.7 Jürgen Moltmann, dessen 'ökologische Schöpfungslehre' in der Trinitätstheologie gründet, merkt dazu an: "Solange Gott als das absolute Subjekt gedacht wurde, mußte die Welt als das Objekt seines Schaffens, Erhaltens und Erlösens angesehen werden. Je transzendenter Gott gedacht wurde, desto immanenter wurde seine Welt verstanden. ... Als Gottes Ebenbild auf der Erde mußte der Mensch sich infolge dessen als Subjekt von Erkenntnis und Wille verstehen und sich seine Welt als sein Objekt gegenüberstellen. Denn nur durch seine Herrschaft über die Erde konnte er seinem Gott, dem Herrn der Welt, entsprechen."8 Ähnlich kritisiert Sigurd Daecke das Dilemma der Theologie, wenn er feststellt, sie habe primär vom
Vgl. The Coming of the Cosmic Christ The Healing of Mother Earth and the Birth of a global Renaissance, San Francisco 1988 und Creation Spirituality Liberating Gifts for the Peoples of the Earth, New York 1991. Richard Schenk, Der Mensch als Krone der Schöpfung'?, in: IkaZ 21 (1992) 397418, bes. 403f. Sigurd Daecke, Säkulare Welt - sakrale Schöpfung - geistige Materie Vorüberlegungen zu einer trinitarisch begründeten Praktischen und Systematischen Theologie der Natur, in: EvTh 45 (1985) 261-276, hier: 264 Hans Kessler, Das Stöhnen der Natur Plädoyer für eine Schöpfungsspiritualität und Schöpfüngsethik, Düsseldorf 1990, 47 Vgl dazu Sigurd Daecke, Säkulare Welt, 265. Gott in der Schöpfung Ökologische Schöpfüngslehre, München 31987, 16
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"Schöpferglauben" gesprochen und dabei den "Schöpfungsglauben" vernachlässigt, infolge dessen alternativ zwischen "Säkularität" und "Sakralität" der Schöpfung unterschieden wurde9. Korrigiert könne diese Uberlastigkeit der Welttranszendenz Gottes allein durch die Verkündigung der trinitarischen Schöpfungslehre werden, die es erlaubt, "den Schöpfer auch sakral zu verstehen, ohne daß der eine Aspekt den anderen ausschließt".10 Den Grund für die spezifisch neuzeitliche Dominanz des transzendenten Gottes gegenüber einer bloß säkularen Welt sieht Kurt Koch in Anlehnung an Hans Blumenberg in der "Emanzipation der Naturwissenschaft von der weltanschaulichen Umklammerung der christlichen Theologie im Sinne der 'humanen Selbstbehauptung' gegen den 'theologischen Absolutismus'"11, wozu überdies in der Konzentration auf die göttliche Allmacht ein zweiter Faktor erschwerend hinzukommt. Gott ist vornehmlich das absolute Subjekt und die Welt das bloß passive Objekt seiner Herrschaft, Gott ist weit-los und die Welt gott-los gedacht.12 Dagegen ist es die Herausforderung der Theologie, diese Exklusivität, welche dem ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses in der Verkündigung der christlichen Schöpfungslehre zuteil wurde, durch die christologische und pneumatologische Aussage des Schöpfungsgeschehens zu ergänzen, um dadurch die "Präsenz Gottes in der Welt und die Präsenz der Welt in Gott" ins Gedächtnis zu bringen13. In seinem Sohn hat sich Gott der Welt inkarniert, er ist in seiner Schöpfung gegenwärtig. Darüber hinaus bezeugt jedoch nicht allein die Inkarnation, sondern auch die Aussendung des Heiligen Geistes, der in der Materie "einwohnt"14, Gottes In-der-Welt-Sein. In diesem Sinne hat die Aussage der 9 10 1
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Säkulare Welt, 261. Ebd., 276. Der Mensch und seine Mit-Welt als Schöpfungs-Ebenbild Gottes. Schöpfüngstheologische Aspekte der menschlichen Verantwortung für die Natur, in: ThJb(L) 1990, 305-326, hier: 31 Of Gisbert Greshake, Gott in allen Dingen finden. Schöpfung und Gotteserfahrung, Freiburg u.a. 1986, 24: "Einer Welt, die nicht mehr als Medium der Offenbarung Gottes erfahren wird, die also im wahrsten Sinne des Wortes gott-los ist, entspricht auf der anderen Seite ein weit-loser Gott Ein solcher aber erwies sich im Fortgang der neuzeitlichen Geschichte immer mehr und erweist sich heute vollends als ein unwirklicher, illusionärer Gott." Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, 27. Ebd., 107.
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"Sakramentalität der Welt", ihr Zeichen-Sein für Gottes Präsenz durchaus ihre Berechtigung." "Schöpfer und Schöpfung sind so verbunden und zugleich unterschieden", wie Daecke die Relevanz der trinitarischen Schöpfungstheologie zusammenfaßt, die das biblisch bezeugte Miteinander von Gottes Welttranszendenz und -immanenz angesichts der ökologischen Krise neu zu buchstabieren sucht. "Als Schöpfer des Himmels und der Erde im Anfang ist Gott über der Welt, in Christus ist er selber Geschöpf geworden und in die Schöpfung eingegangen und als Geist schafft und wirkt Gott weiter in den Strukturen der Materie und in den Prozessen der Evolution. Transzendenz und Immanenz Gottes sind keine Gegensätze, Säkularität und Sakralität der Schöpfung keine Widersprüche mehr."16 An die biblische Zusammenschau von Gottes Welttranszendenz und Weltimmanenz erinnert auch Michael Welker, der anhand der Schöpfungserzählungen von Gen P und Gen J zeigt, daß Schöpfung nicht ausschließlich als "unhintergehbare Hervorbringung durch eine transzendente Realität und als Sein in absoluter Dependenz von dieser Realität" zu fassen ist17. Diese gemeinhin übliche Vorstellung von Schöpfung als "Produktion" und "Machtausübung" muß vielmehr durch die Integration all der Momente korrigiert werden, die zum einen Gottes Reagieren und zum anderen die Eigenaktivität der Schöpfung betonen: Gottes schöpferisches Handeln entspricht keineswegs nur der "Figur des Verursachens, Hervorbringens und Produzierens", sondern wird erzählt als auf die Präsenz des Geschaffenen reaktives Handeln. "Der schaffende Gott ist nicht nur der agierende, sondern auch der reagierende, auf das Geschaffene eingehende Gott. Der schaffende Gott läßt sich mit der Eigenständigkeit, Neuartigkeit, sogar mit der Vervoll-
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Vgl. dazu auch das Desiderat von Anton Ziegenaus, Die Umweltproblematik in schöpfüngstheologischer Sicht, in: FKTh 8 (1992) 81-98, hier: 96, die "religiöse Dimension der Dinge", ihre "Sakramentalität" müsse wiederentdeckt werden. Vgl. auch die Zusammenschau der christologisch-sakramentalen Deutemodelle der Schöpfüngslehre bei Sigurd Daecke, Säkulare Welt, 271, der allerdings fragt, "ob der Gedanke der Inkarnation sakramental auf alle Materie ausgeweitet" werden dürfe (ebd., 272). Ebenso Christian Link, Schöpfung. Schöpfüngstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1991 (=HST 7/2), bes. 476-480. Säkulare Welt, 276. Was ist Schöpfung? Genesis 1 und 2 neu gelesen, in: EvTh 51 (1991) 208-224, hier: 211.
kommnungsbedürftigkeit des Geschaffenen konfrontieren."18 Überdies wird hier entgegen einer auf die Welttranszendenz Gottes begrenzten Schöpfungssicht die Schöpfung selbst als "eigenaktiv", "hervorbringend" und "verursachend" vorgestellt und geradezu parallel zu Gottes Handeln gedacht. Nach Welker findet die "konventionelle Leitkonzeption von Trennung und Hierarchie", die sich mit der Vorstellung von Schöpfer und Schöpfung verbindet auch in der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung keinen Anhalt, insofern sie in dieser Ausschließlichkeit behauptet wird. Vielmehr bedarf sie der Ergänzung durch den Hinweis auf das Verbundensein und Zusammenwirken des Schöpfers mit seiner Schöpfung.19 Im Kontext dieses Bekenntnisses Gottes als des Schöpfers und alles dessen, was ist, als seiner Schöpfung, ist die Erfüllung des Herrschaftsauftrages von Gen 1,28 zu verstehen. Wie nämlich das Verhältnis von Schöpfer und Schöpfung durch Differenz und Beziehung konstituiert ist, so gestaltet sich das Verhältnis zwischen Mensch und Welt ebenfalls unter den Kategorien von Unterschiedenheit und Zusammengehörigkeit. Gewiß ist die 'entdivinisierte Welt' dem gottebenbildlichen Menschen zur Herrschaft übertragen, doch schließt dies die 'mitkreatürliche Solidarität' von Mensch und Welt nicht aus.20 Die Ausführungen dieses Kapitels zielen darauf, die Implikationen darzulegen, die sich mit der Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes und ihrer Entfaltung in der Ausübung des Herrschaftsauftrages verbinden. Wie stark diese Aussage von Mißverständnissen und Fehlinterpretationen überlagert ist, bringen schon zwei Beispiele aus dem Gespräch über die Ursachen der ökologischen Krise zum Ausdruck: Bei einer 1973 in Frankfurt gehaltenen Rede lastete Dennis Meadows die Vergessenheit der solidarischen Verbundenheit alles Geschaffenen der biblischen Weltsicht an: "Das 18 19
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Ebd, 213. "Schöpfung heißt Aufbau und Erhalt eines Zusammenhangs von Interdependenzverhältnissen verschiedener Lebensbereiche Gott schafft, indem Gott verschiedene Lebensbereiche in fruchtbare, lebensfbrderliche Interdependenzzusammenhänge bringt. Und das Geschöpfliche wird in den Schöpfüngsprozeß einbezogen und eingebunden, indem es sich selbst entfaltend und sich selbst relativierend in diesem Zusammenhang von Interdependenzverhältnissen fruchtbar einbringt" (ebd., 216). Zum relationalen Moment des Schöpfüngsbegriffs sagt Wolfgang Huber: "Die Menschlichkeit des Menschen besteht gerade darin, daß er dem Schöpfer gegenübersteht und sich von ihm begrenzen läßt Seine Würde zeigt sich darin, daß er die Schöpfung denken kann, doch diese Würde bejaht er gerade so, daß er sich selbst als Teil der Schöpfung versteht." - Konflikt und Konsens. Studien zur Ethik der Verantwortung, München 1990, 202.
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eine Menschenbild, das von den Befürwortern eines unbegrenzten Wachstums getragen wird, ist der homo sapiens, ein ganz besonderes Geschöpf, dessen einzigartiges Gehirn ihm nicht nur die Fähigkeit, sondern auch das Recht gibt, alle anderen Geschöpfe und alles, was die Welt zu bieten hat, für seine kurzfristigen Zwecke auszubeuten. Dies ist ein uraltes Menschenbild, fest in der jüdisch-christlichen Tradition verankert und erst kürzlich bestärkt durch die großartigen technischen Errungenschaften der letzten wenigen Jahrhunderte. ... Diesem Glauben zufolge ist der Mensch allmächtig."21 Und ganz ähnlich Sir Frank Fraser-Darling: "Der westliche Mensch hat, indem er die jüdisch-christliche Religion übernahm, nicht nur alle anderen Lebewesen, die nicht seiner Art angehören, von der Gemeinschaft mit Gott und sich selbst ausgeschlossen, sondern auch die bequeme Überzeugung entwickelt, daß Gott den Rest der Lebewesen zum Gebrauch und Ergötzen des Menschen geschaffen habe."22 Daß solche Deutungen dem biblischen Verständnis der Gottebenbildlichkeit und ihrer Explikation in der Ausübung des Herrschaftsauftrages entgegenstehen, zeigen die Ergebnisse der exegetischen Studien, die im zweiten Teil dieses Kapitels vorgestellt werden. Die Ausführungen um die Interpretation des dominium terrae werden durch eine Reflexion auf die biblische Sicht der Arbeit beschlossen, die sie als von Gott gegebenen Auftrag zur Weltgestaltung ausweist.
Dieser Abschnitt der am 15. Oktober 1973 gehaltenen Rede ist zitiert bei: Norbert Lohfink, "Macht euch die Erde Untertan", in: Orien. 38 (1974) 137-142, hier: 137. Die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt, in. Dieter Birnbacher (Hg ), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1983, 9-19, hier: 12. Einer der ersten, die unter Verweis auf die Exegese von Gen 1,26-30 kritische Stellung gegenüber den Schuldzuweisungen an die Adresse des Christentums bezogen haben, war James Barr mit seinem Aufsatz "Man and Nature - The ecological Controversy and the Old Testament", in: BJRL 55 (1972) 9-32, hier: 30: "The Jewish-Christian doctrine of creation is ... much less responsible for the ecological crisis than is suggested by arguments such as those of Lynn White On the contrary, the biblical foundations of that doctrine would tend in the opposite direction, away from a licence to exploit and toward a duty to respect and to protect." Vgl auch die Kritik an White bei Robin Attfield, The Ethics of Environmental Concern, Oxford 1983, bes. 20-33 und William Dyress, Stewardship of the Earth in the Old Testament, in: Wesley Grandberg-Michaelson (ed.), Tending the Garden. Essays on the Gospel and the Earth, Michigan 1986, 50-65.
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2.1
Die Welt als Schöpjvng
Auf vielfache Weise bekennen die biblischen Schriften Gott als den "Schöpfer des Himmels und der Erde" (vgl. Gen 1,1; 2,4b; 14,19; Ps 115,15; Ps 124,8), sie preisen seine Herrlichkeit, mit der er schafft und erhält. Gott, der allem das Sein geschenkt hat, trägt Sorge dafür, daß seine Schöpfung nicht zugrunde geht, wie auch die beiden Schöpfungserzählungen Gen P (Gen 1,1-2,4a) und Gen J (Gen 2,4b-25) in ihrem Nachdenken über die Beziehung von Gott, Mensch und Welt aussagen: trotz der Verfehlungen des Menschen (vgl. Gen 3; 4,1-16; 6,1-8) nimmt Gott seine Segensverheißung nicht zurück (vgl. Gen 9,1-7; 12,1-3) und offenbart im Bundesschluß erneut sein Erbarmen (vgl. Gen 9, 8-17; 17; Ex 24). Der Lobpreis des Schöpfers will insbesonders vor dem Hintergrund der Exilserfahrung die Souveränität des einzigen Gottes Jahwe aufzeigen, der schon in der Vergangenheit seine Heilszusagen gegenüber Israel eingehalten hat und sich auch in Zukunft als Garant des Heils erweisen wird. Gerade Jes 45,18 bringt Jahwes überlegene Macht zum Ausdruck, die jede auch nur theoretische Existenzmöglichkeit anderer Götter leugnet: "Denn so spricht der Herr, der den Himmel erschuf, er ist der Gott, der die Erde geformt und gemacht hat - er ist es, der sie erhält, er hat sie nicht als Wüste geschaffen, er hat sie zum Wohnen gemacht: Ich bin der Herr, und sonst niemand." Aus der Erinnerung, daß Jahwe alles und jeden einzelnen geschaffen hat, ersteht die Hoffnung auf die Zukunft, die der "Heilige Israels", der "Gott der ganzen Erde" (vgl. Jes 51,1.4f) schenken wird, womit die Erfahrung des Geschaffenseins zum Grund des Erlösungsglaubens gemacht, also die Schöpfungsthematik mit der Soteriologie verknüpft ist: Jahwe hat uns erschaffen und er wird uns erretten. Zuversicht und Vertrauen in die Fürsorge des Schöpfers ist das Thema vieler Psalmen (vgl. Ps 8; 33,6-9; 95,1-5; 96; 125,5-7; 136,4-9; 148), so etwa auch Ps 154,15f: "Aller Augen warten auf dich, und Du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du streckst deine Hand aus und sättigst alles, was lebt nach deinem Gefallen" und Ps 93,16f, der den Fortbestand der Welt in Gott festmacht: "Der Erdkreis ist fest gegründet, nie wird er wanken. Dein Thron steht fest von Anbeginn, du bist seit Ewigkeit." Sie nehmen überdies die Schönheit und Wohlgeordnetheit der Welt zum Anlaß, Gottes Güte zu bedenken (vgl. Ps 8; 104), wobei der Rückschluß auf Gott aus der Naturbetrachtung nicht allein auf die Psalmenliteratur beschränkt ist. "Des Himmels Schönheit und Pracht sind die Sterne, ein strahlender Schmuck in den Höhen
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Gottes. Durch Gottes Wort stehen sie geordnet da und ermatten nicht bei ihrer Nachtwache. Schau den Regenbogen an, und preise seinen Schöpfer, denn überaus schön und herrlich ist er" - so ist in Sir 43,9-11 zu lesen (vgl. Sir 42,15-43,33; Weish 13,1-7). Im Buch Hiob kehrt dieses Motiv beispielsweise im Kontext der Theodizeeproblematik wieder, wobei in der literarischen Gestalt der Gottesrede dem klagenden Hiob die Wunder der Schöpfung vor Augen gestellt werden, die ihn Gottes Herrlichkeit bedenken lassen (vgl. Hiob 38f; 40,15-41,26). Aus dem Glauben an den Schöpfergott, der alles und jeden gemacht hat, folgert die Weisheitsliteratur den Einsatz für soziale Gerechtigkeit: "wer den Geringsten bedrückt, schmäht dessen Schöpfer, ihn ehrt, wer Erbarmen hat mit dem Bedürftigen" (Spr 14,31, vgl. 17,5) und mahnt die Gleichheit aller Menschen vor Gott an: "Reiche und Arme begegnen einander, doch der Herr hat sie alle erschaffen" (Spr 22,2). Die Apokalyptik bezieht sich schließlich auf die eschatologische Dimension der Schöpfungswirklichkeit und verheißt die Schöpfung eines "neuen Himmels" und einer "neuen Erde", die alle frühere Not vergessen läßt und unendliche Freude bringt (vgl. Jes 65,16-18). Umschrieben wird diese hoffnungsvolle Zukunftsvision mit verschiedenen Bildern, so etwa bei Jer 31,31-34 mit der Vorstellung eines "neuen Bundes" oder, daß Gott ein "neues Herz" und einen "neuen Geist" (Ez 11,19; 36,2228) schenken wird. Jesaja sieht die Zwietracht zwischen Mensch und Tier aufgehoben und deutet dies als ein Zeichen dafür, daß Bedrohlichkeit und Schrecken schwinden und stattdessen ein Reich des Friedens errichtet wird (vgl. Jes 11,1-10; 65,20-25). Übereinstimmend mit den alttestamentlichen Aussagen verkünden die Schriften des Neuen Testaments Gott als den, "der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ms Dasein ruft" (Rom 4,17), wobei sie außerdem daran erinnern, daß Gott in Jesus Christus die Heilszusage gegenüber seiner Schöpfung in vollkommener Weise einlöst Von der schöpfungstheologischen Relevanz des Christusereignisses erzählen die synoptischen Evangelien: Nicht allein, daß sich Jesu Gleichnisreden auf die seinen Zuhörern vertrauten Tätigkeiten des Säens, Bestellens des Ackers, die Arbeit im Wemberg, zu Hause beim Brotbacken oder die Aufgaben des Hirten und Fischers (vgl. Mt 13par) - allesamt Beispiele des Umgangs mit der Schöpfung - beziehen. Er stellt ihnen vielmehr den Gott Israels, der alles geschaffen hat und Sorge um das Wohlergehen seiner Schöpfung trägt, als ihren Vater vor, der um die Bedürfnisse der Menschen weiß, noch ehe sie diese an
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ihn herantragen (vgl. Mt 6,5-15par). Aufgrund dieser Zusicherung vermag der Mensch seine Sorgen um die existentielle Sicherheit zurückzustellen und sich zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit angelegen sein lassen (vgl. Mt 6,25-33). Wie sehr es der Botschaft Jesu um die Liebe und Fürsorge Gottes gegenüber seiner Schöpfung zu tun ist, deuten auch die Wundertaten an, die etwa im Zeichen der Krankenheilung und Dämonenaustreibung die gute Schöpfungsordnung sichtbar machen und damit anzeigen, daß Gott das Heil seiner Schöpfung will. Tod und Auferstehung Jesu werden nach Auskunft der Paulusbriefe zum Beginn der neuen Schöpfung, die aus der Macht der Sünde befreit (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15), wobei Christus selbst der "Erstgeborene von den Toten", der "neue Adam" ist: "Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden" (1 Kor 15,21f; vgl. Rom 5,14). Zur Verkündigung dieses Gedankens der Schöpfungsmittlerschaft konnte Paulus wohl auf mündlich tradierte Bekenntnisformeln zurückgreifen, von denen eine in 1 Kor 8,6 erkennbar ist: "So haben ... wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn" (vgl. auch Rom 11,36). Das soteriologische Interesse, das sich in einer solchen schöpfungstheologischen Ausgestaltung des Cliristusereignisses zu erkennen gibt, verbindet sich auch mit Rom 8,18-25, der Passage im Neuen Testament, die nicht selten in der Diskussion um eine ökologische Schöpfungslehre als "henneneutischer Schlüssel" des biblischen Schöpfungsverständnisses überhaupt ausgewiesen wird: Alle Schöpfung ist erlösungsbedürftig und hofft auf das Neuwerden durch das Heilsgeschehen in Jesus Christus. Für die Deuteropaulinen verbinden sich Schöpfungstheologie und Christologie vorab in dem Bekenntnis, Jesus Christus ist das "Ebenbild des unsichtbaren Gottes", der "Erstgeborene der ganzen Schöpfung", in dem "alles erschaffen (wurde) im Himmel und auf Erden" und der "vor aller Schöpfung ist" (Kol 1,15-17). Und Eph 1,10.20-22 fügt ergänzend an, daß Gott in Christus das All versammeln und in ihm Himmel und Erde vereinen werde. Ähnlich greift auch die Logostheologie des Johannesevangeliums den Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft auf, wenn über das Geschehen am Anfang gesagt wird: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts,
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was geworden ist" (Joh 1,1-3). Die protologische und eschatologische Bedeutung des Christusgeschehens im Blick auf den Kosmos bedenkt schließlich auch Offb 1,17. Dort wird die Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi betont, indem herausgehoben wird, er sei zugleich "der Erste und der Letzte", das "Alpha und das Omega", in dem der "neue Himmel" und die "neue Erde" errichtet werden (Offb 21,1-6). Trotz ihrer unterschiedlichen Akzentuierungen ist den biblischen Zeugnissen der Reflexion über die Herkunft und Zukunft allen Seins gemeinsam, Gott als den zu bekennen, der alles erschaffen hat und für das Heil seiner Geschöpfe Sorge trägt. In dieser Unterscheidung von Schöpfer und Schöpfung begründen sie das Eigentümliche im Gegenüber zu anderen Versuchen der Weltdeutung. Konnte es auch als religiöses Urmotiv ausgewiesen werden, das Leben des Menschen ebenso wie die Existenz der Welt auf ein schöpferisches Prinzip außerhalb seiner selbst zurückzuführen, behaupten solche Interpretamente nicht notwendigerweise die geschöpfliche Dependenz allen Seins von seinem göttlichen Schöpfer, wie dies die biblischen Schriften tun: Gott allein ist der Schöpfer, während alles andere, was ist, sein Sein von ihm empfangen hat, also geschöpfliches Sein ist. Geschöpfliches Sein, dessen Eigenheit es ist, hervorgebracht, abhängig, bedingt schlichtweg: nicht-göttlich zu sein. Die Welt ist Geschöpf, sie ist "entmythisiert", "entsakralisiert" und "entdivinisiert". In ihr kann es weder Dämonen noch andere Götter geben, weil Gott allein Gott ist, ein einziger womit sich das biblische Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer als die Konsequenz eines Lebens in der Achtung vor den Geboten und damit der Negation jeglicher Form von Idolatrie zeigt (vgl. Ex 20,1-4; Dtn 5,6-8).23 Als konstitutiv gilt daher: Gott und Welt stehen zueinander im Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf, Gott ist nicht weltlich und die Welt nicht göttlich. Welche Bedeutung dieser "Differenz von Gott und Welt"24, der programmatisch vollzogenen "Entgottlichung der Welt"25 oder der "progressiven Vgl. Johann Auer, Die Welt - Gottes Schöpfung, Regensburg 1979, 177 sieht in dem Bekenntnis Gottes als des Schöpfers und der Welt als der Schöpfung die "Begründung und Explikation des ersten Gebotes" Darauf verweist auch Christian Link, Schöpfung, 337. Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, 27f erkennt gerade in dieser Differenz das Bekenntnis zur absoluten Transzendenz Gottes im Gegenüber zur Welt, der zufolge die Natur entgöttert, die Politik profanisiert, die Geschichte defatalisiert und die Welt letztlich zur passiven Materie gemacht wird. Vgl. auch Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens I, Tübingen 31987, bes 279
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Entmythologisierung"26 zukommt, läßt sich am Beispiel der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung besonders gut darlegen. Herausgefordert durch die Konfrontation mit den Theogonien und Kosmogomen des Alten Orients denkt sie in der Krisenerfahrung des babylonischen Exils neu über das Gottesbild Israels nach und nimmt dabei in der Betonung des Schöpfungsglaubens deutliche Abgrenzungen zum Weltbild ihrer Umwelt vor.27 Primäres Interesse gilt den Versen 14-18 von Gen 1, in denen die Erschaffung der Gestirne gleichsam als Protest gegen ihre göttliche Verehrung bei den Nachbarkulturen Israels erzälilt wird.28 Mit Odil H. Steck läßt sich als Grundsequenz dieser Erzähleinheit folgende Aussage erkennen: "n*] Und Gott sprach: 'Es seien Leuchtkörper an der Himmelsfeste' ... PI ... Und dementsprechend geschah es [folgendermaßen]: i'6i Gott machte die beiden großen Leuchtkörper, den größeren Leuchtkörper ... und den kleineren Leuchtkörper ..., und die Sterne, i17' Und Gott setzte sie an die Himmelsfeste ... I'8' ... und Gott sah, daß es gut war."29 Charakteristisch für diese Sätze ist das geradezu "polemische" Bemühen um Abgrenzung gegenüber den Astral-
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Christian Link, 337 Walter Kern, Zur theologischen Auslegung des Schöpfüngsglaubens, in: MySal II, 464-545, hier: 510. Vgl. Claus Westermann, Schöpfung, Stuttgart 1983, 57f, der auf den interkulturellen Charakter der Schöpfüngserzählungen verweist, die im wesentlichen vier Motive erkennen lassen. Schöpfung durch ein Machen/Wirken, durch Zeugung und Geburt, durch einen Kampf oder durch ein Wort Vgl. auch Werner H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, Neukirchen-Vluyn 1964, bes. 21-48. Der Exegese bereitete insbesonders der stark überladene Aufbau dieser Verse erhebliche Schwierigkeiten, den Werner H. Schmidt (Die Schöpfungsgeschichte, 109-117) durch die Annahme einer Verknüpfung eines ursprünglich selbständigen Wortberichtes (Verse 14f) mit einem älteren Tatbericht (Verse 16-18) zu erklären suchte Seinen Ausführungen wurde eine breite Rezeption zuteil, so etwa durch Claus Westermann, Genesis I-IX, Neukirchen-Vluyn 21976 (=BK.AT 1/1) 175186, bes. 177-179. Gegen dieses "komplizierte" und "künstliche" Deutungsmuster betonte Odil H. Steck, daß ebenso wie der Schilderung der anderen Schöpfungswerke den Versen 14-18 das Gliederungsprinzip von Anordnung und Ausführung zugrundeliegt Dabei wird "in der Darstellung der Anordnung der Akzent auf die Dauer des Schöpfüngswerkes gesetzt .... während die Ausführung als grundlegende Erstausführung, die im Blick auf die angeordnete Dauerexistenz erfolgt, akzentuiert wird" (Der Schöpfüngsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Gen 1,1-2,4a, Göttingen 1975, 95-118, hier: 100) Der Schöpfüngsbericht der Priesterschrift, 100.
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kulten der Nachbarstaaten, die Sonne und Mond als Götter verehrten.30 Dagegen mußte der Glaube an den einen Schöpfer, der alles gemacht hat also auch die Gestirne, denen deshalb nicht Göttlichkeit, sondern Kreatürlichkeit eignet - behauptet werden, wozu folgende Argumentationsfiguren herausgearbeitet werden: Bereits die Ankündigung "Und Gott sprach: 'Es seien Leuchtkörper an der Himmelsfeste'" (Vers 14) macht deutlich, daß den Gestirnen von Gott ein Anfang gesetzt wurde und sie nicht schon vor aller Zeit existierten. Sie sind weder "eigenständig noch eigenmächtig"31, ihr Sein ist vielmehr Abhängigkeit. Überdies vermeidet Gen P die Benennungen "Sonne" und "Mond", mit deren Namensnennung die Astralkulte bereits die Vorstellung von Göttern assoziierten. Stattdessen ist von ihnen die Rede als bloße Leuchtkörper, das größere Licht für die Sonne, das kleinere für den Mond, womit nicht allein deren "Degradierung" zu Lampen erreicht ist, sondern gerade deren völlige Depotenzierung im Sinne von Aufhebung, d.h. der gesamte Bereich der Gestirne wird auf die Seite der Geschöpfe gestellt.32 Welcher Stellenwert den Astralgottheiten beigegeben war, klingt noch in Gen 1,16 nach, wo gesagt wird, es sei die Aufgabe der beiden großen Leuchtkörper, über den Tag und die Nacht zu herrschen. In doppelter Weise bricht jedoch die Priesterschrift diese Herrschaftsaufgabe, indem sie zum einen betont, daß dieses Herrschen lediglich eine abgeleitete, von Gott zugewiesene Funktion ist, die zudem von weiteren Aufgaben flankiert wird und zum anderen dem Herrschen ein Objekt hinzugibt, der Sonne den Tag und dem Mond die Nacht, wodurch der Herrschaftsbereich äußerst reduziert erscheint. Gott allein ist der Schöpfer, der sich von Sonne, Mond und Sternen wie überhaupt allem, was ist, in seinem Schöpfersein unterscheidet. Ihm gegenüber ist alles andere Geschöpf, dessen Sein sich in der ihm von Gott zugewiesenen Funktion beschränkt. "Jede religiös-mythische Deutung ist aufgegeben; die Gestirne werden nur als in der Welt vorfindliche Größen, rein
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Vgl. dazu den Exkurs zur Verehrung der Gestirne in: Werner H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte, 117f Ebd., 119. Claus Westermann, Genesis, 179 weist darauf hin, daß es nicht genügt, von einer "Degradierung" der Gestirne zu bloßen Lampen zu sprechen, weil schon mit dieser Umschreibung in Ägypten die Bezeichnung des Sonnengottes gemeint ist, der auch als die "lebendige Lampe" verehrt wird.
'weltlich' betrachtet."33 Im Blick auf das Gottesbild heißt dies, daß der "Schöpfer nur einer sein kann, während alles andere, alles, was es gibt und geben kann, Kreatur ist und nichts sonst."34 Insofern aber feststeht, daß der eine Gott die Welt geschaffen hat, bekundet eben diese Selbstunterscheidung Gottes von der Welt, daß er sie auch gewollt hat. Die Schöpfung ist Gottes "gutes Werk, an dem er Wohlgefallen hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger". Sie hat ihre Wirklichkeit aus der "Bejahung durch ihren Schöpfer".35
Theologiegeschichtliche Auslegung: "creatio ex nihilo" Den einen Gott als Schöpfer und alles, was ist, als seine Schöpfung zu verkünden,36 wie es der gegen die altorientalischen Naturmythologien polemisierende Beispieltext von Gen 1,14-18 tut, ist ein deutliches Bekenntnis zur Transzendenz Gottes, zu seiner souveränen Unterschiedenheit von allem Geschaffenen. Um diese Differenz von Schöpfer und Schöp-
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Werner H Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte, 120, vgl auch ebd , 179f Claus Westermann, Genesis, 176. Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, 85. Aus dem Bekenntnis einer entdivinisierten Welt ergaben sich wenigstens zwei Konsequenzen für Israels Gottesbild, an die Odil H. Steck im Anschluß an Gerhard von Rad erinnert Zum einen war Israel herausgefordert, das Unwägbare in der Welt, das sich nur partiell in die erkennbare Ordnung fügt, in die Gottesordnung zu integrieren, wozu man darauf verwies, daß Gott gegenüber der erkennbaren Ordnung völlig frei ist Bedeutsamer war allerdings ein zweites Moment: Israel mußte alle Negativerfahrungen mit der Vorstellung eines Gottes, der alles sehr gut gemacht hat, in Einklang bringen Nie aber hat Israel dieses Schlechte als ein eigenständiges Gegenüber zu oder neben Jahwe begriffen, sondern als Teil des unmittelbaren Handelns Jahwes an der Welt "Israel hat für seine Weigerung, sich auf irgendeine Form von metaphysischem Dualismus einzulassen, einen hohen Preis bezahlt, denn in demselben Maß, in dem es die Welt aus jedem theomachischen Dualismus heraushielt, war seinem Glauben die Last auferlegt, diesen "Dualismus" als ein innergöttliches Phänomen zu verstehen und zu tragen" (Gerhard von Rad, Gesammelte Studien zum Alten Testament I [=ThB 8] München "1971, 318). Allerdings kommt gerade mit dieser Argumentation dem Handeln des Menschen eine hohe Bedeutsamkeit zu, das er im Gegenüber zu Gott in der Welt zu verantworten hat (Odil H Steck, Welt und Umwelt, Stuttgart u.a. 1978, 137f)
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fung auszusagen, prägte die Patristik nun in Abgrenzung von der griechischen Kosmologie die Formel der "creatio ex nihilo", die angemessen weder als naturwissenschaftliche noch als metaphysische Kategorie, sondern allein als Rede über Gottes Gottsein verstanden werden kann. So schreibt der Hirt des Hermas in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts: "Erstes Gebot. Vor allem glaube zuerst, daß Gott einer ist, der alles schuf und gestaltete, der das All aus dem Nichtsein ins Dasein rief, der selbst unbegreiflich alles in sich begreift."37 Gottes Gottsein durch die Aussage der "creatio ex nihilo" zu umschreiben, widerspricht einer "Abhängigkeit des Schöpfungshandelns Gottes von etwas, was ihm vorgegeben ist" und zugleich "einer Abhängigkeit der Welt von anderem als von Gott oder einer Einschränkung der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott durch eine wesenhafte Selbständigkeit der Kreatur gegenüber Gott."38 Als biblischer Beleg für diese Deutung werden 2 Makk 7,28f und das Pauluswort von Rom 4,17 genannt. Sie preisen den Schöpfer, der das Nichtseiende ins Dasein ruft, aus der Erfahrung bereits zuteil gewordener Heilszuwendung und argumentieren von dort her in die Vergangenheit zurück. Gott hält treu an seiner Schöpfung fest, die er voraussetzungslos, ohne jegliche äußere Notwendigkeit und ohne inneren Zwang, aus freiem Willen geschaffen hat. Alles, was ist, unterscheidet sich gerade in seinem Geschaffensein von Gott, wobei jedoch in eben dieser Trennung die Beziehung von Schöpfer und Schöpfung sichtbar wird. Der Hirt des Hermas, Mandatum 1,1 ist im griechischen Original nachzulesen in GCS 48,23. Die hier verwendete Übersetzung ist entnommen aus: Georg Kraus, Schöpfüngslehre I (=TzT. D3 hg von Wolfgang Beinert u.a., Graz u a. 1992) 85f. Zur Wirkgeschichte der creatio ex nihilo-Argumentation gegen Marcion und gnostische Tendenzen im 2. Jh n.Chr. vgl. den Überblick bei Dorothea Sattler/Theodor Schneider, Schöpfüngslehre, in: Theodor Schneider (Hg), Handbuch der Dogmatik I, Düsseldorf 1992, 120-238, hier: 172-175. In Auseinandersetzung mit denen, die sich platonischem Denken verhaftet Gottes Schaffen gleich dem Tun eines Demiurgen vorstellen und deshalb behaupten: "die Gestalt der Welt wäre von der Weisheit des Weltenschöpfers gekommen, die Materie aber von außen her dem Schöpfer dargeboten und die Welt also zusammengesetzt worden", betont Basilius von Cäsarea (um 330-379) dezidiert eine 'creatio ex nihilo' (vgl Sechstagewerk 2,2 [=PG 29,32f] zit. nach Georg Kraus, 119f). Gerhard Ebeling I, 309 Vgl. Walter Kern, 508: "All dies: die Worthaftigkeit der Schöpfung, ihre trinitarische Gründung, ihr Sein als Liebesmitteilung, die göttliche Freiheit und Ausschließlichkeit - all dies schlägt sich nieder in das gewiß recht formale Aussage-Destillat 'creatio ex nihilo' 'Schöpfung aus nichts' ist dann denn doch so etwas wie eine Kurzformel, Merkwort, Extrakt der ganzen Schöpfüngstheologie, ein farblos-abstraktes Prisma sehr viel konkreter Glaubensmomente."
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Denn Gottes Gegenüber als Schöpfer zur Schöpfung, seine Transzendenz und souveräne Unterschiedenheit ist Beziehung in der Gabe des Seins. Keinesfalls ist daher die gegen jegliche Divinisierung der Natur akzentuierte Differenz von Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung als Beziehungslosigkeit zu denken. Sie kann vielmehr mit Hans Kessler als "wohltuender", "heilsamer" und "befreiender" Unterschied bezeichnet werden.39
Schöpfung durch das Wort Um diese im Schöpfiingsglauben implizierte Trennung und Beziehung von Gott und Welt auszusagen, der "Transzendenz [Gottes], der sich in der Welt zur Erfahrung bringt und doch nicht in der Welt aufgeht"40, erkennt die Tradition in der Rede: "Gott schaffe durch das Wort" eine biblische Verstehenshilfe. "Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen ... denn der Herr sprach und sogleich geschah es; er gebot, und alles war da", ist in Ps 33,6.9 zu lesen und ebenso direkt schildert Ps 147,15-18 die Schöpfung als ein Wort-Geschehen. Gottes schöpferisches Wort wird auch als "Rufen" (vgl. Jes 48,13; Ps 147,4; Rom 4,17: 'der das, was nicht ist, ins Dasein ruft'), "Sprechen" (vgl. Ps 33,8) und schließlich als "Befehlswort" gebraucht, wie etwa in der Schöpfüngserzählung von Gen P, wo jeder Schöpfungstag mit den Worten eingeleitet ist: "Und Gott sprach". Daß Gottes Wort nicht ohne Wirkung bleibt und alles erreicht, wozu es ausgesandt wurde, wie Jes 55,11 diesen aktiv-dynamischen Charakter beschreibt, ist eine Grunderkenntnis des glaubenden Menschen, der die Schöpfung als "Gabegeschehen" und "stetige Zukehr" Gottes erlebt41. Gerade die zuletzt genannte Erfahrung spiegelt wider, weshalb es naheliegt, die Schöpfung als ein Geschehen des Wortes vorzustellen: Worte erzeugen Wirkung, sie schaffen Beziehung. Schöpfung aber ist ein solches Beziehungsgeschehen, das Gott initiiert und in dem er sich zur Sprache bringt. Allerdings steht einer anthropomorphen Überstrapazierung dieser Metapher entgegen, daß Gottes Sich-zur-Sprache-Bringen in seiner Schöpfung "ohne Wort und Rede, mit nicht vernehmbarer Stimme" geschieht (vgl. Ps 19,2-5), womit seine Trans39 40 41
Das Stöhnen der Natur, 52. Odil H. Steck, Welt und Umwelt, 136. Ebd., 102.
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zendenz gewahrt bleibt. Aus dem selben Grund muß auch das Bemühen abgewiesen werden, gemäß der aristotelischen Ontotogie zwischen der Schöpfung als dem Hervorgerufenen und Gott, der durch sein Wort ins Sein ruft, ein Konkurrenzverhältnis zu folgern.42 Dagegen läßt es die Interpretation der Schöpfung als Wortgeschehen zu, das Hervorgerufene als Antwort auf Gottes schöpferisches Wort zu verstehen und damit den personalen Charakter der Schöpfung zu unterstreichen, wie dies insbesonders die theologischen Ansätze von Friedrich Gogarten43 und Emil Brunner44 sowie auf Seiten der katholischen Theologie zuerst Romano Guardini tun45. Unter Bezug auf die wesentlich von Martin Buber*6 Vgl Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, 89f Vgl Ich glaube an den dreieinigen Gott Eine Untersuchung über Glaube und Geschichte, Jena 1926, Glaube und Wirklichkeit, Jena 1928, Die Verkündigung Jesu Christi Grundlagen und Aufgabe, Heidelberg 1948, Der Mensch zwischen Gott und Welt, Stuttgart "1967 Die Grundbefindlichkeit eines jeden Menschen ist es, in einer bestimmten geschichtlichen Situation zu leben und sich zu entscheiden, wobei Gogarten die Geschichte "als Begegnung zwischen Du und Ich" versteht "Und zwar als deutungslose, voraussetzungsfreie und unbedingt verantwortliche Begegnung" (Ich glaube, 108) Solche Begegnung gründet im "Anruf des Nächsten und in unserer Verantwortung vor diesem Ruf (Verkündigung, 513), womit auf die Begegnung-schaffende Kraft des Wortes verwiesen ist, sei dies nun als Ablehnung oder antwortende Annahme (vgl Wirklichkeit, 123) Beziehung zwischen den Menschen geschieht also durch das Wort, über die Gogarten sagt, sie sei eine "verantwortliche Beziehung" "Jedem Wort, das ich zu einem Menschen sage, ist schon ein anderes, das er zu mir gesprochen hat, vorhergegangen, und zwar eines, dem ich antworten muß" (Wirklichkeit, 57) Wie die zwischenmenschliche Beziehung durch das Wort begründet ist, so ist auch das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ein Wortgeschehen, ist doch das "Wort Gottes das Wort, in dem sich Gott uns als unser Gott verspricht" (Welt, 255) Bezeichnend ist nun, daß das Wort Gabe wie zugleich Forderung ist: Gabe, insofern sich der Sprechende aussagt, "für den anderen da ist und sich ihm zu eigen gibt", Forderung aber, indem das Wort darauf ausgerichtet ist, "daß der andere, auf ihn hörend, für ihn dasei" (Welt, 233) Für die christologische Dimension des Wortes heißt dies, daß Gott sein Wort "unmittelbar in und mit dem Menschsein Jesu" spricht, daß sich Gottes Beziehung zu den Menschen im Zuspruch seines Wortes ereignet (Welt, 224f) Vgl Der Mensch im Widerspruch, Zürich 31941 [Ersterscheinung 1937], Wahrheit als Begegnung, Stuttgart 21963 [Ersterscheinung 1938], Die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung Dogmatik II, Zürich 1950. Welt und Person, Würzburg 51962 Personsein ist nach Guardini Antwortsein "auf den Anruf des Schöpfers", der alles durch sein Wort geschaffen hat, weshalb jedes Geschöpf "Wortcharakter" trägt "Die Welt ist nicht nur aus der Macht, aber auch nicht nur aus dem Denken, sondern aus der Rede hervorgegangen Ihre Gebilde sind Worte, durch die der schaftende Gott seine Sinnfülle in die Endlichkeit
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und Ferdinand Ebner47 inspirierte Philosophie des Wortes, versuchen sie die im Schaffen durch das Wort ausgesprochene Ich-Du-Beziehung zu reflektieren und stellen dabei in den Vordergrund, daß die Dinge als Gesprochensein durch Gott vom Menschen als dem Dialogpartner des göttlichen Schöpfungsgesprächs wieder gesprochen werden wollen. So habe der Mensch die Schöpfung zu Wort zu bringen, die als Gesprochensein durch Gott "unterwegs" ist, "den zu suchen, der sie versteht. Indem der Mensch die Dinge 'verantwortet', bringt er sie erst zu ihrer echten 'Dinghaftigkeit'. Der
hinausspricht" (ebd, 110). Wenn aber alles Geschaffene "Wortcharakter" trägt, impliziert dies ihr Geschaffensein "auf den hin, der sie versteht" (vgl. ebd ) Die Dinge sind "Worte des schaffend Redenden, an den gerichtet, der 'Ohren hat, zu hören' (ebd ) Die Welt ist von Gott zum Menschen hin gesprochen Alle Dinge sind Worte Gottes zu jenem Geschöpf hin, das vom Wesen bestimmt ist, im DuVerhältnis zu Gott zu stehen" (ebd., 113) Auf den Menschen als den Dialogpartner Gottes ist alles hin geschaffen, damit alles auch wieder zu Gott zurückkehrt: "Durch ihn sollen alle Dinge in der Form der Antwort zu Gott zurückkehren" (ebd, 114). Vgl besonders seine Arbeiten "Das Wort, das gesprochen wird" (1960), in: Werke I (München 1962) 442-453, Schwerpunkt: Dialogisches Prinzip Ich und Du [1923], in: Werke I, 77-170, 97: "Der Mensch wird am Du zum Ich". Das Wort und die geistigen Realitäten [1921], in: Schriften I (München 1963) 73342, Aphorismen [1931] Wort und Liebe, in ebd 909-1013. Gott schafft die menschliche Person durch sein Wort, wobei dieses Sprechen eine dialogische Beziehung zwischen dem Sprechenden und dem Angesprochenen konstituiert Ferdinand Ebner (1882-1931) schreibt dazu: "Gott schuf den Menschen, heißt nichts anderes: als er sprach zu ihm Er sprach ihn schaffend zu ihm: Ich bin und durch mich bist Du Indem Gott so zu ihm sprach und durch das Wort in der Göttlichkeit seines Ursprungs das Ich, es in seiner Beziehung zum Du schaffend in ihn hineinlegte, wurde der Mensch seiner Existenz und seines Verhältnisses zu Gott sich bewußt" (Realitäten, 96) Obgleich aber der Mensch als Angesprochener zu einer dialogischen Beziehung vom schaffenden Sprechen Gottes angerufen ist, versagt er sich in der Sünde dieser Antwort auf Gottes Wort. Deshalb muß sich Gott erneut zu Wort bringen, was in der Offenbarung seines Wortes - der Inkarnation des Logos - geschieht: "Durch das Wort Gottes im 'transzendenten' Sinne ist alles geschaffen, durch das Wort Gottes im 'menschlichen' Sinne - d h durch das Wort Jesu - das verloren gegangene ursprüngliche Verhältnis des Menschen zu Gott wiederhergestellt worden Dieses ist aus jenem, das 'im Anfang' war, hervorgegangen und führt in seinem Ursprung wieder zurück Das 'Wort' aber - sei es im transzendenten oder menschlichen Sinne verstanden - ist das 'Verhältnis des Ich zum Du'" (Wort und Liebe, 995), vgl Bernhard Langemeyer, Der dialogische Personalismus in der evangelischen und katholischen Theologie der Gegenwart, Paderborn 1963, bes 37-106
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Mensch allein vermag kraft seines Geistes die nicht-geistige Welt in sein Gott-Antworten hineinzuheben: auf den hin, von dem her sie ist."48
Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi Von der Schöpfungsmittlerschaft des Menschen kann aber nur deshalb gesprochen werden, weil Jesus Christus als der vollkommene Mensch die innigste Vermittlung von Gott und Welt ist. Ihn bezeugt die johanneische Theologie als das inkarnierte Wort Gottes und erschließt damit die Perspektive, das Schöpfungsgeschehen christologisch zu denken: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. - Alles ist durch das Wort geworden. ... Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,1-3.14). Gottes Schöpferwort ist sein Sohn Jesus Christus, über den das Neue Testament mehrfach sagt, durch ihn ist die Welt geschaffen. In 1 Kor 8,6 verkündet Paulus: "wir [haben] nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr, Jesus Christus. Durch ihn ist alles und wir sind durch ihn". Ebenso akzentuiert Eph 1,3-14: Gott der Vater habe die Welt in Christus, durch Christus und auf Christus hin" geschaffen (vgl. Kol 1,16; Hebr 1,2; Eph 2,14-22; 3,8-11). Dabei läßt das Bekenntnis des Schaffens Gottes durch seinen Sohn Jesus Christus nicht nur an den präexistenten Logos denken, sondern bezieht auch die eschatologische Dimension des "auf ihn hin" in der Erlösung und Vollendung der neuen Heilsgemeinde mit ein. In ihm, dem "Erstgeborenen von den Toten" (Kol 1,18), der zugleich der "Erstgeborene vor aller Kreatur" ist (Kol 1,15), sind die Menschen noch "vor der Erschaffung der Welt" erwählt (Eph 1,4), damit in ihm "alles, was im Himmel und auf Erden ist" vereint (Eph 1,10) und der "neue Mensch" geschaffen werde (Eph 2,15). Der Tendenz nach findet Moltmann diese neutestamentliche Vorstellung von Jesus Christus als dem Schöpfungsmittler, die nicht nur ein "kosmologisches Theologumenon", sondern auch ein "soteriologisches Kerygma" aussagt49, schon in der "Sophia-Christologie" angelegt, die Jesus 48 49
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Walter Kern, 474. Gerhard Gloege, Art "Schöpfung IV B. 'Dogmatisch'", in: RGG3 V, 1484-1490, hier: 1485.
als "Sohn und Weisheit" bekennt. Durch die Rezeption in der LogosChristologie habe die in den späten Schriften des Alten Testaments bezeugte Schöpfung durch Gottes Weisheit (vgl. Weis 7,26, 8,4) genauso wie die Schöpfung durch Gottes Wort einen "personalen und hypostatischen" Charakter erhalten. So vermag schließlich Hebr 1,2f die Allherrschaft Jesu Christi in Anlehnung an die Aussagen zu beschreiben, mit denen Spr 8,2231 die göttliche Weisheit auszeichnet: "In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat, er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens. Er trägt das All durch sein machtvolles Wort".»
Schöpfung als trinitarisches Geschehen Macht die Rede vom schöpferischen Wirken des Gotteswortes die Schöpfung als christologisches Geschehen offenbar, so ist dies dennoch nur der "Prolog" zur "Mitte christologischer heilsgeschichtlicher Auslegung des Schöpfüngsglaubens",51 der Aussage, daß alles vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist geschaffen ist. Schöpfung ist Wirkung der Trinität, in ihr entfaltet sich die innertrinitarische Liebesgemeinschaft nach Außen hin in der Gabe des Seins. Um die Bedeutung dieses im Zentrum der christlichen Schöpfüngslehre angesiedelten Bekenntnisses ermessen zu können, ist es 50
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Vgl Gott in der Schöpfung, 107. In diesem Sinn auch Walter Kern, 481, der anhand der alttestamentlichen Belege der Weisheit, die einerseits als geschaffen (vgl. Sir 1,4) und andererseits als schöpferisch wirkend, identisch mit Gott (Weish 7,1730; 7,32, 8,6, 14,2) vorgestellt wird - Weish 9,1 identifiziert Sophia und Logos, und ihre Einarbeitung etwa in Mt 23,34 und Lk 11,49, wo Jesus die "Weisheit Gottes" genannt wird, zu dem Ergebnis kommt: "Im Alten Testament beginnt das Wort 'die adäquate und vollkommenste Erscheinungsform Jahwes' sich zu zeigen als Wort und Person" Vgl. zur Logosspekulation der Patristik und ihrer Schwierigkeit, die Aufgabe der Schöpfüngsvermittlung durch den Sohn auszudrücken, ohne dem Subordinatianismus zu erliegen: Dorothea Sattler/Theodor Schneider, 175-177 Über Spr 8,22-31 sagt Wilhelm Vischer, sie brächten "das innigste, persönlichste und dynamischste gemeinsame Sein und Wirken des Herrn mit der Weisheit" zum Ausdruck. - Der Hymnus der Weisheit in des Sprüchen Salomos 8,22-31, in: EvTh 22 (1962) 309-326, hier: 312; Hartmut Gese, Zur biblischen Theologie Alttestamentliche Vorträge, München 1977, 152-201, bes. 173-181. Walter Kern, 494.
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hilfreich, die Kontur seiner Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen, ehe sich die Ausführungen dem biblisch ausgewiesenen Wirken des Heiligen Geistes in seiner Beziehung zur Schöpfung zukehren. Obgleich vollends erst die Theologie des vierten Jahrhunderts ein trinitarisches Schöpfungsverständnis ausbilden wird, finden sich dafür schon bei Irenäus von Lyon (gest. um 202) erste Zeichen. Er setzt den Sohn und den Geist mit dem Wort und der Weisheit ineins und interpretiert zudem den Plural von Gen 1,26 trinitarisch. Wenn es auch dem Menschen unmöglich ist, Gott den Vater, in seiner Größe zu messen, so läßt "seine Liebe, die uns durch das Wort zu Gott hinfuhrt ... immer besser verstehen, daß Gott so groß ist und durch sich selbst alles beschlossen, erwählt und ausgeschmückt hat und alles umfängt. Denn immer ist bei ihm das Wort und die Weisheit, der Sohn und der Geist, durch die und in denen er alles ausfreiemWillen und Entschluß geschaffen hat. Zu ihnen spricht er auch: 'Laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis'."52 Daß die Schöpfung vom Vater durch den Sohn im Geist gewirkt ist, stellt in dieser pointierten Formulierung vor allem Athanasius (295-373) heraus, die bald schon von den Kappadokiern aufgegriffen und weiterentwickelt wird,53 bis sie sich gegen Ende des vierten Jahrhunderts in der östlichen und westlichen Theologie einprägte. Athanasius schreibt in seinem Ersten Brief an Serapion: "Die Tnnität ist also heilig und vollkommen. ... Sie ist ganz schöpferische und bildende Kraft. Sie ist sich selbst gleich und ilirer Natur nach unteilbar, und ihre Wirksamkeit ist eine. Denn der Vater tut alles durch den Logos im Heiligen Geist. ... So wird in der Kirche ein Gott verkündet, der ... 'über allem' nämlich als Vater, als Anfang und Quelle, 'durch alles' aber durch den Logos und 'in allem' im Heiligen Geist ist."54
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Adversus haereses VI 20,1 [PG 7,1032 = BKV 4,61], vgl V 18,2 "Der Vater nämlich, der die Schöpfung und sein Wort tragt, und das Wort, das vom Vater getragen wird, gibt den Geist allen, wie der Vater es will. ..So ergibt sich ein Gott-Vater, der über alles und durch alles und in allen ist Über allem namlich ist der Vater, und er selbst ist das Haupt Christi, durch alles ist das Wort, und dies ist das Haupt der Kirche, in uns allen aber ist der Geist" [PG 7,1173 = BKV 4,200f] Vgl Basilius von Casarea, Liber de Spiritu Sancto 16,38 [PG 32,136], Epistolarum classis I 38,4 [PG 32,329 = BKV 46,72f], Gregor von Nazianz (gest um 390), Orationes theologicae 2,1 [PG 36,25], Gregor von Nyssa (um 343-394), Adversus Macedonianos c 13 [PG 45,1317], vgl Ad Ablabium [PG 45,125] Athanasius, Erster Brief an Serapion c 28 [PG 26,596 = BKV 13,4421]
Für das Abendland wird hauptsächlich die von Augustinus (354-430) erarbeitete Verknüpfung von Schopfiingstheologie und Trinitätsspekulation prägend, die entgegen den philosophischen Strömungen, welche sich die Schöpfung als Emanation vorstellen und pantheistischen Vorstellungen näherstehen, mehr die Innerlichkeit des göttlichen Schöpfungsaktes betont.55 Alles verdankt sein Geschaffensein dem dreieinigen Gott, dessen Wirken sich Augustinus als "Sein, Erkennen und Lieben" (mens, intellectus, Caritas) vorstellt.56 Da aber alles vom dreieinigen Gott geschaffen ist, trägt es auch die "vestigia trinitatis" in sich, die Spuren des ewigen Seins, des vollkommenen Erkennens in der innigsten Liebe. Wenngleich allen Geschöpfen die vestigia trinitatis inne sind, so zeichnet sich doch einzig der Mensch als "imago trinitatis" aus, weil er 'mens, notitia, amor' und 'memoria, intelligentia, voluntas' hat, die unter sich eins sind.57 Indem Augustinus herausstellt, daß der Schöpfung die vestigia trinitatis eingeprägt sind, knüpft er an eine Vielzahl patristischer Aussagen über Gottes Präsenz in der Schöpfung an, die in der mittelalterlichen Theologie neu reflektiert werden. Thomas von Aquin (1225-1274) bezeichnet die Schöpfung als 'verbum Verbi' und 'vox Verbi'58 und sagt im Sinne dieser Aussprache Gottes in die Welt über das trinitarische Schöpfungsgeschehen: "Wie daher der Vater sich und alle Geschöpfe ausspricht durch das Wort, das Er zeugte ... so ist Er sich selbst und allen Geschöpfen zugeneigt durch den Heiligen Geist."59 In seiner Schöpfung ist der dreifaltige Gott gegenwärtig, weshalb auch auf die Frage, ob das Erschaffen einer Person eigen sei (Sth I 45,6), zu antworten ist, daß die Schöpfung das gemeinsame Werk der Trinität ist. Dabei können allerdings Sohn und Geist als Wort und Liebe aufgrund ihres Hervorgehens spezielle Ursachen der Schöpfung sein: Gott der Vater hat "die Schöpfung gewirkt durch Sein Wort, das ist der Sohn, und Seine Liebe, das ist der Heilige Geist, und in diesem Sinne sind die Hervorgänge der Personen Gründe der Hervorbringung der Dinge, insofern sie die Wesensmerkmale in 55
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Vgl Contra Secundinum Manichaeum c 8 [PL 42,584], De civ Dei 7,30 [PL 41,219f=BKV l,377fj. Vgl De Trinitate VI, c 10-12 [PL 42,932f), De vera religione 7,13 [PL 34,128], De Genesi ad litteram I 6,12 [PL 34,250f] De Tnnitate IX und X [PL 42,959-984], vgl De civ Dei 11,24 [PL 41,337f], De trinitate VI 10,12, IX 3-10 [PL 42,932 962-972], De civ Dei 11,28 [PL 41,342] Vgl ScGlV,13 Sth 137,2 ad 3
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sich beschließen, das Wissen und den Willen."60 Da nun eine jede Wirkung ihre Ursache vergegenwärtigt, so folgt für alle Geschöpfe, daß sich in ihnen "die Vergegenwärtigung der Dreifaltigkeit in der Weite der Spur [findet], insofern sich in jedem Geschöpf einiges findet, was man notwendig auf die göttlichen Personen als auf die Ursache zurückführen muß." Für den Menschen als 'imago trinitatis' gilt aus der Betrachtung der "Hervorgänge der göttlichen Personen nach den Akten des Verstandes und des Willens" in besonderer Weise: "Der Sohn geht hervor als Wort des Verstandes, der Heilige Geist als Liebe des Willens. So findet sich denn in den vernunftbegabten Geschöpfen, in welchen Verstand und Wille ist, die Darstellung der Dreifaltigkeit nach der Weise des Bildes, insofern sich in ihnen das empfangene Wort findet und die ausgehende Liebe."61 Wie dieser Blick auf die Entstehungsgeschichte und Manifestation der trinitarischen Schöpfüngslehre aufzeigen konnte, deutet die Tradition innerhalb der Sequenz, Schöpfung geschehe vom Vater durch den Sohn im Geist, das Wirken durch den Sohn als Wortgeschehen, womit sowohl die alttestamentlichen Implikate der Schöpfung durch das Wort als auch die neutestamentlichen Bezeugungen der Logos-Christologie integriert sind. Außerdem bekennt sie das schöpferische Geschehen im Geist als Ausdruck der Liebe des Willens und bringt damit in Erinnerung, daß Gott für seine Schöpfung Sorge trägt, sie will und bejaht. Bereits die Schriften des Alten Testaments wissen um diese lebensschaffende und -erhaltende Kraft des Geistes (vgl. Koh 12,7; Hiob 27,3; 34,14), wenn etwa Gen P die Aussage, "Gottes Geist schwebte über den Wassern", an den Anfang der Schöpfungsgeschichte rückt (vgl. Gen 1,2) und sagt, daß es die "mach" Gottes sei, die lebendig macht (vgl. Gen 6,3). Gottes Geist ist das Symbol des "neuen Menschen", der Gott die Treue hält (vgl. Ez 36), er "erfüllt den Erdkreis" (Weish 1,7) und "erneuert das Antlitz der Erde" (Ps 104,30). Die Neuschöpfung aus der Gabe des Heiligen Geistes, der als der "erste Anteil am verheißenen Heil" (vgl. 2 Kor 1,22; 5,55; Eph 1,14) bezeugt wird, erfahren schließlich die christlichen Gemeinden. Der Geist ist es, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat (vgl. Rom 8,11; 1 Petr 3,18), der den Menschen von Neuem geboren werden läßt (vgl. Joh 3,5; 2 Kor 5,17) und Wohnung nimmt in ihm (vgl. 1 Kor 6,13-20; Offb 21,3). Als Gabe des gekreuzigt Auferstandenen
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Sth I 45,6 Sth I 45,7
(vgl. Joh 14,16f; 16,7-9) ist der Heilige Geist der Beistand der Menschen; von ihm soll sich der Glaubende auf seinem Weg leiten lassen (vgl. Gal 5,16 18), damit er auch die Früchte des Geistes erbringen kann (vgl. Gal 5,22). Im Geist ist Gott den Menschen gegenwärtig und kann vom Menschen nach Eph 4,30 "beleidigt" und sogar "ausgelöscht" (1 Thess 5,19) werden.
Gleichnishaftigkeit der Schöpfung Gerade der trinitarische Entwurf der Schöpfüngslehre stellt heraus, daß der Glaube an den weltüberlegenen Schöpfer zugleich die Präsenz Gottes in der Schöpfung einschließt. Im Kontext dieser Aussage interpretiert Karl Barth die Welt als Gleichnis des Reiches Gottes, wobei Gleichnis im zweifachen Sinn verstanden ist, als Gleichnisfähigkeit und als Gleichnisbedürftigkeit. Die Gleichnisreden der synoptischen Evangelien nehmen nach Barth Bezug auf die alltägliche Welterfahrung und machen diese zur Vergegenwärtigung des Reiches Gottes, womit zugleich der Verweischarakter der Welt aufgezeigt ist.62 Moltmann knüpft an diesen Grundgedanken Barths an und stellt deutlicher noch als dieser die "Schöpfung als Entwurf des Reiches Gottes" heraus63. In den Gleichnissen scheint die "verborgene Gegenwart der Zukunft" auf, die "eschatologische Zukunft des Reiches schafft sich in den Gleichnissen Entwürfe, Verbreitungen und Einübungen mitten in den Erfahrungen dieser Welt".64 Wenn aber Gleichnisse die verborgene Gegenwart einer "qualitativ neuen erlösenden Zukunft" verkünden, sind sie 62
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Vgl. KD IV/3, bes 126-175: "Wer ... von ... der Auferstehung [Jesu Christi] ... herkommt, wer ihn als den, der er war, ist und sein wird, erkennen und bekennen darf, der erkennt und bekennt eben damit, daß nicht nur er..., sondern de iure jeder Mensch, ja die ganze Kreatur, von seinem Kreuz, von der in ihm geschehenen Versöhnung herkommt, von ihr her zum Schauplatz seiner Herrschaft und so auch zum Empfänger und Träger seines Wortes bestimmt ist (ebd , 130) . Wir reden von der Schöpfung, von der von Gott verschiedenen, aber durch ihn verwirklichten Creatura, der Geschöpfwelt Sie ist der in der ewigen Erwählung Jesu Christi vorgesehene, im Anfang und selber als der Anfang aller Zeit in bestimmter Gestalt ins Dasein gerufene Schauplatz und Rahmen, Ort und Hintergrund der Geschichte" (ebd, 155, vgl. 157, 171). Gott in der Schöpfung, 76. Ebd., 75f.
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"Antizipationen des Verheißenen im inadäquaten Erfahrungsbereich dieser Zeit". Übertragen auf die Welterfahrung, die in den Gleichnissen erzählt wird, heißt dies, daß die Geschöpfe als Realverheißungen des Reiches anzusehen sind. Umgekehrt ist das Reich Gottes als Erfüllung nicht nur der Zeit der geschichtlichen, sondern auch der natürlichen Verheißungen der Welt zu verstehen. Gegen Barths Konzeption, die Schöpfung bloß als "Schauplatz und Hintergrund" der Heilserfüllung zu verstehen, betont Moltmann, daß die Welt selbst als Schöpfung die "Realverheißung des Reiches Gottes" ist und sich in ihr diese Verheißung erfüllen wird65. Damit ist es Moltmann gelungen, die Welt als Schöpfung von der neutestamentlichen Perspektive her zu denken, daß nämlich alles aus der vergegenwärtigten Zukunft lebt, dem mit Jesus Christus schon angebrochenen, in seiner Vollendung jedoch noch ausstehenden Reich Gottes. Die Welt als Schöpfung ist "Realchiffre"66 ilirer eigenen Zukunft und trägt den Entwurf des Reiches Gottes in sich "wie einen Schatz in irdenen Gefäßen" (2 Kor 4,7). Andernteils verweist sie in ihrer Gleichnisbedürftigkeit auch darauf, daß die Welt aus der verborgenen Gegenwart des Reiches Gottes lebt und gerade die Gewißheit künftiger Heilserfüllung für diese Zeit wichtig ist.67
Gottes Heilsverheißung an seine Schöpfung am Beispiel von Rom 8,19ff Die in Ps 104,30 erhoffte "Erneuerung des Antlitzes der Erde" wird im Neuen Testament unter die Verheißung der schon gegenwärtigen Zukunft des Reiches Gottes gestellt, von dem Rom 14,17 sagt, es sei "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist". Gottes Reich geschieht nicht an der Welt vorbei, sondern entwickelt sich antizipatorisch in ihr und läßt ihr die Verheißung der "Befreiung zur Kindschaft Gottes" (Rom 8,21) zuteil werden. Welche Bedeutung diese Heilszusage für die Schöpfung hat, reflektiert Paulus in Rom 8,19ff, dem Passus, der als "Magna Charta" eines ökologischen Schöpfungsverständnisses und darüber hinaus als "hermeneutischer Schlüssel" zur theologischen Wahrnehmung der Welt als Schöpfung
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Ebd., 77 Ebd., 76 Vgl. dazu Christian Link, 382f
bezeichnet wurde.68 Sehnsüchtig wartet die ganze Schöpfung, die durch den Menschen in Mitleidenschaft gezogen wurde, daß sie zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit wird (vgl. Verse 19-21). An ihr soll das geschehen, was Paulus gleichsam als Rahmenthema in Vers 17b formuliert und dann anhand von drei Beispielen, der Schöpfung (Verse 19-22), den Christen (Verse 23-25) und dem Seufzen des Geistes (Verse 26f) aufzeigt: das Mitleiden mit Christus, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. In den gegenwärtigen Leiden nimmt sich bereits die künftige Herrlichkeit vorweg; das sehnsüchtige Warten ist Hoffnung in der Gewißheit der Verheißungserfüllung. Wie eng Leiden und Hoffnung beieinander liegen, zeigt Vers 22, der die gegenwärtige Leidenserfahrung mit Geburtswehen vergleicht, welche die Nähe des neuen Lebens symbolisieren.69 Während Paulus übereinstimmend mit der apokalyptischen Tradition und der rabbinischen Theologie den Grund des Leidens im Menschen erkennt, welcher der Schöpfung ihre ursprüngliche Bestimmung verwehrt, "Spiegel und Gleichnis der Doxa des Reiches Gottes zu sein"70, verkündet er Gott als den, der allem Leiden ein Ende bereitet und Heil für seine Schöpfung will. Alle Schöpfung ist in das göttliche Heilsgeschehen einbezogen, die "Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes" (Vers 21) wird der Schöpfung als solcher zuteil. Die Schöpfung lebt unter der verborgen gegenwärtigen Zukunft, den Menschen wie dem nicht-menschlichen Sein gilt die Verheißung des Reiches Gottes.71 68
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Vgl ebd , 384, Oswald Bayer, Schöpfung als Anrede Zu einer Hermeneutik der Schöpfung, Tübingen 21990, 48f Vgl Luise Schottroff, Schöpfung im Neuen Testament, in: Günter Altner (Hg), Ökologische Theologie Perspektiven zur Orientierung, Stuttgart 1989, 130-148, bes 139-142. Christian Link, 390 Vgl dazu Wolfgang Schräge, Bibelarbeit über Rom 8,18-23, in Jürgen Moltmann (Hg), Versöhnung mit der Natur'', München 1986, 150-166, bes. 155, Horst R. Balz, Heilsvertrauen und Welterfahrung Strukturen der paulinischen Eschatologie nach Rom 8,19-39, München 1971, bes. 124-131, Peter von der Osten-Sacken, Römer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie, Göttingen 1975 (=FRLANT 112), bes 263-266, Odil H Steck, Welt und Umwelt, 187-189, Walther Bindemann, Die Hoffnung der Schöpfung Römer 8,18-27 und die Frage einer Theologie der Befreiung von Mensch und Natur, Neukirchen-Vluyn 1983 stellt insbesonders die christologische Ausrichtung von Rom 8,18-22 heraus: "in den Kontext der verschiedenen durch die theologische Frage aktuell gewordenen Texte bringt Rom 8,18ff tatsächlich etwas Spezifisches ein. Nicht etwa eine universalistische Heilshoffnung ..., sondern ein christologisch begründeter Zusammenhang zwischen der
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Rom 8,19-21 erinnert daran, daß Mensch und Natur als Schöpfung zu einer "unlösbaren Schicksalsgemeinschaft" verbunden sind72, der Gottes Heilsverheißung gilt. Damit ist die bereits im Alten Testament mehrfach bezeugte Grunderfahrung der "Lebensgemeinschaft"73 und der "unverfügten Gewährung des eigenen und anderen Am-Leben-Seins"74 ausgesprochen, die auf Gott als den Geber allen Lebens verweist. "Du liebst alles, was ist und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast, denn hättest du etwas gehaßt, so hättest du es nicht geschaffen. ... Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr du Freund des Lebens" (Weish 11,24.26). Gemeinsam mit allem, was ist, teilt der Mensch sein Geschaffensein durch Gott, sein Leben ist ebenso wie das allen Seins "Geschehen göttlicher Gabe".75 Dieses
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Erwartung einer neuen Welt und der solidarischen Teilnahme am gegenwärtigen Elend der Schöpfung ist der spezifische Beitrag von Rom 8,18ff" (ebd., 149). Vgl. dazu auch seine Ausführungen bes. 67-72. Christian Link, 389 Wolfgang Schräge notiert zum Verhältnis von Mensch und Natur: "Rom 8,18ff hält sich nämlich zwischen einer existentialistischen Engführung auf der einen und einer kosmischen Spekulation auf der anderen Seite, indem er die Soteriologie in kosmischer Weise darstellt ..., den Menschen dabei aber nicht einfach als ein Stück Natur versteht, ihn der Schöpfung nicht ein-, sondern zuordnet Gewiß sieht Paulus die Schöpfung nicht losgelöst vom Menschen Es ist aber mehr als fraglich, daß hier bloß Illustrationsmaterial oder kosmische Kulisse und Staffage für anthropologische Aussagen geliefert werden soll. So wenig der Kosmos ohne die Menschen in den Blick genommen wird, so wenig kann der Mensch offenbar ohne den Kosmos gesehen werden. Er ist und bleibt vielmehr Glied der Schöpfung" (ebd., 152). Deshalb kann die heilsgeschichtliche Verheißung auch nur lauten: "Freiheit mit der Schöpfung", nicht aber "Freiheit von der Schöpfung" (ebd., 158), vgl auch Gerhard Friedrich, Ökologie und Bibel. Neuer Mensch und alter Kosmos, Stuttgart u.a. 1982, 68: "Zwischen Mensch und Schöpfung besteht eine Solidarität der Not und Hoffnung Weder die Schöpfung noch der Mensch sind isoliert, für sich existierende Größen, sondern sie sind in Schuld und Erwartung des Neuwerdens miteinander verbunden Darum lassen sich Kosmologie und Anthropologie nicht auseinanderreißen." Hans Kessler, 54. Odil H Steck, Welt und Umwelt, 143. Ebd., 111 Über den für die Schöpfüngsaussagen des Alten Testaments konstitutiven "ganzheitlichen Zusammenhang" von Mensch und Natur schreibt Steck "Welt als Schöpfung ist Wahrnehmung ursprünglicher und grundlegender Ganzheit, Mensch und natürliche Welt sind aufgrund der Selbsterfahung der Angewiesenheit menschlichen Lebens in einer ursprünglichen, beide umschließenden Einheit gesehen Diese Einheit zeigt sich als Tat göttlicher Vergabe von Leben und weist Mensch und Natur im Verlauf des Schöpfüngsgeschehens an eine gemeinsame Zukunft Weil sich im Schöpfüngsgeschehen der
Wissen um den "ganzheitlichen Zusammenhang von Mensch und Natur", der in der primären Bezogenheit allen Seins auf Gott gründet, bringt die biblische Rede von der Schöpfung zum Ausdruck. Alles ist, weil es von Gott geschaffen ist, und wird sein, weil ihm Zukunft in der Verheißung des Reiches Gottes geschenkt ist. In diesem Sinne kann dann auch von der "elementaren Gleichwertigkeit aller Kreaturen"76 und der "Solidarität alles Geschaffenen"77 gesprochen werden. Gott als den Schöpfer und alles, was ist, als seine Schöpfung zu verkünden, hat für den Menschen die Konsequenz, daß er, wie Ebeling sagt, "ganz auf die Seite der Kreatur gestellt ist. Alles ist seine Mitkreatur und er ist die Mitkreatur von allem. Der Schöpfungsglaube weitet die Mitmenschlichkeit ... in die Mitgeschöpflichkeit".78 Mit allem Sein ist der Mensch Geschöpf Gottes79, aber er ist nicht wie die-
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Grundwert Leben für das Lebendige verwirklicht, ist der Mensch in seinem Einbezogenem in die Ganzheit des Schöpfüngsvorganges von vornherein an eine vorgegebene, übergreifende Sinnordung Gottes gewiesen, die sich weder auf ihn beschränkt noch sich allein zu seinen Gunsten ereignet, sondern sich auf alles Lebendige erstreckt" (ebd., 112) Günter Altner, Naturvergessenheit. Grundlagen einer umfassenden Bioethik, Darmstadt 1991, 88 Hans Kessler, 54. Dogmatik des christlichen Glaubens I, 308. Vgl Fritz Blanke, Unsere Verantwortlichkeit gegenüber der Schöpfung, in: Der Auftrag der Kirche in der modernen Welt (FS E Brunner) Zürich-Stuttgart 1958, 193-198 gebraucht vermutlich erstmals den Gedanken der "Mitgeschöpflichkeit" im Kontext bewußt gewordener Umweltschädigung und -Zerstörung Den Christen mangle es an einem "sittlichen Verhältnis zur Naturwirklichkeit", was sich allein schon darin bestätigt, daß die unter dem Bibelwort "Macht euch die Erde Untertan" stehende "Ich-Welt-Beziehung" lediglich unter dem Nutzen-Kalkül interpretiert wird: "Dieser christliche Gedanke ist profanisiert worden und es hat sich daraus eine eigentliche 'Herrenmoral' ergeben Der Mensch entwickelt sich im Weltall zum reinen Nutznießer" . . Daher muß "die Idee der Herrschaft des Menschen über die Erde" durch den Gedanken ergänzt werden, "daß der Mensch zum Verwalter, Helfer, Fürsorger der Natur berufen sei ... Wir müssen auch der Natur mit Humanität begegnen (ebd , 196) ... Ehrfurcht ist ein Grundpfeiler christlicher Begegnung mit der Natur Demut ist der andere Der Christ erhebt sich nicht hochmütig über die anderen Geschöpfe Denn er weiß, daß er mit ihnen verwandt ist. 'Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen' (Luther) Alles, was da lebt, ist vom selben Schöpfergeist durchwaltet. Wir sind, ob Mensch oder Nichtmensch, Glieder einer großen Familie Diese Mitgeschöpflichkeit ... verpflichtet. Sie auferlegt uns Verantwortung für die anderen 'Familienmitglieder'. Wir sollen uns teilnehmend um sie kümmern, uns ihnen in brüderlicher Gesinnung zuwenden" (ebd, 197f) Blanke verweist auf Hans L. Martensen zurück, der schon 1886 ein
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ses Geschöpf, insofern er allein um das Geschaffensein seiner selbst und alles anderen weiß. Er ist geschaffen als Ebenbild Gottes, ihm ähnlich.
2.2
Der Mensch als Bild Gottes und die Erfüllung des Herrschaftsauftrages
"Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild (saelaem), uns ähnlich (demut). Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. ... Gott segnete sie, und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen." (Gen 1,26.28). Kaum ein anderer Passus der Bibel prägte sich dem Bewußtsein so nachhaltig ein. Doch obgleich der Sinn dieser Aussage in der Proklamation des Menschen als Abbild Gottes schnell erfaßt scheint, bleibt klärungsbedürftig, welche Implikationen und Folgerungen dies zeitigt.80 Einen ersten Verständnisschlüssel
Kapitel seiner Ethik der "Liebe zu der unpersönlichen Creatur" widmete "Obgleich man allerdings von Liebe zu den unpersönlichen Geschöpfen nicht in demselben Sinne reden kann, wie von Liebe zu persönlichen Wesen, so wird dennoch niemand in Abrede stellen, daß von einer Liebe zur Natur die Rede sein kann, von einem sympathischen Umgange mit der Natur und von einer Freude an derselben, ohne daß man darum das Geschöpf mehr zu ehren braucht, als den Schöpfer (33 lf) ... Wenn von Pflichten gegen die Natur die Rede ist, so müssen dieselben, ihrem eigentlichen, tieferen Sinne nach, als Pflichten gegen den Schöpferwillen aufgefaßt werden, welcher den Menschen zum Herrn der Natur bestimmt, und hiermit verpflichtet hat, die Natur in Übereinstimmung mit dem Schöpfergedanken zu behandeln, teils als Mittel für die sittlichen Aufgaben des Menschen, teils als relativen Selbstzweck ... Der Mensch muß die Natur mit Humanität behandeln, das heißt, in der Weise, welche mit der eigenen Würde des Menschen, das heißt mit der Würde der menschlichen Natur übereinstimmt" (ebd , 333). - Hans L. Martensen, Die individuelle Ethik, Karlsruhe-Leipzig 31886, 331-338, vgl auch Gotthard M Teutsch, Der Mensch als Mitgeschöpf Aspekte einer neuen Ethik, in: Verkündigung im Gespräch mit der Gesellschaft (FS H.W Heidland), Karlsruhe 1977,98-109. Aus der Fülle von Veröffentlichungen sei besonders der von Leo Scheffczyk herausgegebene Sammelband erwähnt, Der Mensch als Bild Gottes (Darmstadt 1969 [=Wege der Forschung CXXIV]), der die wesentlichen Beiträge zur exege-
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geben die exegetischen Studien zur Struktur von Gen 1,26 im Kontext der sich anschließenden Verse 27-29, die folgende Gliederungsmerkmale erkennen lassen: feierliche Einleitung, Entschluß zur Erschaffung des Menschen, Schöpfung mit Angabe zweier Bestimmungen des Menschen, Segenswort und Auftrag, Versorgung81. Dabei wird ersichtlich, daß der Erzählung weniger am Faktum der Erschaffung des Menschen gelegen ist als an ihrem Wie und Wozu. Getragen wird diese Akzentuierung durch die Näherbestimmung des Menschen als 'Abbild Gottes' (saelaem) und 'uns ähnlich' (demut) in Vers 26 und ihrer Wiederholung in Vers 27, d.h. beim Entschluß Gottes zur Erschaffung des Menschen und nach der Ausführung dieser Schöpfungstat. Hinsichtlich des mit 'Entschluß Gottes' betitelten Elements bleibt die Nichtentsprechung im Vergleich zu den vorausliegenden Schöpfüngswerken bemerkenswert. Während nämlich die ersten fünf Schöpfungstage durch das Schema 'Gott sprach - und es geschah' bezeichnet und die Schöpfung als Schöpfung durch das Wort umschrieben sind, erzählt Vers 26 vom Entschluß Gottes, der folglich nur als Analogiebildung zu deuten ist. Parallel zu 'Gott sprach und es wurde' ist dann das Gefüge, 'laßt uns machen ... und Gott schuf gelagert, womit ein Indiz für die These gefunden ist, daß ursprünglich in der Erschaffung des Menschen eine selbständige Erzähleinheit vorlag, welche erst in einer späteren Redaktionsphase dem Bericht über die Weltschöpfüng angefügt wurde. Dafür spricht ebenso die abweichende Beurteilung der Schöpfung mit den Worten 'es war sehr gut' in Vers 31, die nicht allein für den Menschen reserviert ist, sondern die ganze Schöpfung umschließt. Die auch für die Erschaffung des Menschen erwartete Beurteilung 'es war gut' tritt also zugunsten des die ganze Schöpfung umfassenden 'sehr gut' zurück.82 tischen, geschichtlichen und systematischen Forschung der Imago-Dei-Lehre enthält. So gliedern die Fachkommentare von Claus Westermann, Genesis I-XI, 198, Werner H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte, 127-149. Die neueren Beiträge sind rezipiert bei Josef Scharbert, Der Mensch als Ebenbild Gottes in der neueren Auslegung von Gen 1,26, in: Walter Baier u.a. (Hg.), Weisheit Gottes - Weisheit der Welt I (FS J Ratzinger), St Ottilien 1987, 241-258 und Otto Kaiser, Der Mensch. Gottes Ebenbild und Statthalter, in: NZSTh 33 (1991) 99-111. Vgl. auch Lothar Ruppert, Genesis Ein kritischer und theologischer Kommentar 1. Teilband: Gen 1,1-11,26, Würzburg 1992, bes 88-94 Geraume Zeit beschäftigte sich die Forschung mit dem zur Formulierung des Entschlusses Gottes gebrauchten Plural, 'laßt uns Menschen machen', der wohl am
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Wichtiger noch für die Bestimmung des Menschen und seiner Aufgabe im Schöpfungsganzen ist es, die mit saelaem und demut als seiner zwei Typika verbundenen Deutungen zu kennen, saelaem ist durchaus treffend mit 'Abbild' oder 'Bild' übersetzt, wobei dies die Vorstellung eines realen Bildes, beispielsweise einer Statue oder auch eines Götzenbildes nahelegt, das repräsentativ für das Original ist, ohne ihm an Bedeutung nachzustehen. Wie mit dieser ersten Bedeutung das plastische Bild gemeint ist, so bezieht sich demut mehr auf ein Abstraktum und kann mit 'Ähnlichkeit', 'Aussehen' oder 'Entsprechung' wiedergegeben werden. Claus Westermann bemerkt dazu, daß Ähnlichkeit nicht als eine die Gleichheit abschwächende Bedeutung zu fassen ist, die zum Ausdruck bringen will, der Mensch sei Gott nur ähnlich, nicht aber gleich. Unstrittig ist jedenfalls der Bezug beider Substantive auf den Menschen als leib-seelische Einheit, weshalb solche Interpretationen abzulehnen sind, die ausschließlich die Seele als Abbild Gottes deuten möchten. Wenn im priesterschriftlichen Schöpfüngsbericht zu lesen ist, der Mensch müsse als Bild dem göttlichen Urbild entsprechen und ihm ähnlich sein, kann dies nur den "ganzen Menschen" meinen. Er ist gottebenbildlich, ohne daß es möglich ist, das "Leibliche und Geistige zu zerreißen"83, oder mit den Worten Barths: Die Gottebenbildliclikeit "besteht nicht in irgendetwas, was der Mensch ist oder tut. Sie besteht, indem der Mensch selber und als solcher als Gottes Geschöpf besteht. Er wäre nicht
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überzeugendsten als Pluralis deliberationis im Sinne eines Selbstgespräches Gottes gedeutet werden kann. Obgleich für die hier anstehenden Fragen eine nähere Beschäftigung vernachlässigbar ist, sei nur die Interpretation Moltmanns erwähnt, welche den heutigen Diskussionsstand wiedergibt: Dieses Selbstgespräch ist als "Beratung mit dem eigenen Herzen" zu verstehen und setzt dabei ein Selbstverhältnis des Subjekts voraus, ein solches aber wiederum eine "Selbstdifferenzierung" und die Möglichkeit der "Selbstidentifizierung" "Das Subjekt ist dann ein Singular im Plural, bzw ein Plural in einem Singular. Diese Wechsel von Singular und Plural sind an dieser Stelle wichtig 'Laßt uns Menschen machen - ein Bild, das uns gleich sei' Das Bild Gottes (Singular) soll mithin dem internen Plural Gottes entsprechen und doch ein Bild sein Umgekehrt sind Singular und Plural im nächsten Vers verteilt: Gott (Singular) schuf den Menschen (Singular), als Mann und Frau (Plural) schuf er sie (Plural) Hier soll der menschliche Plural dem Singular Gottes entsprechen. Ist der sich entschließende Gott ein Plural im Singular, so soll sein Bild auf Erden - die Menschen - offenbar ein Singular im Plural sein " - Gott in der Schöpfung, 224. Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose Genesis, Göttingen 91972 (=ATD IIV4), 37.
Mensch, wenn er nicht Gottes Ebenbild wäre. Er ist Gottes Ebenbild, indem er Mensch ist."84 Bezüglich der ideengeschichtlichen Herkunft, vom Menschen als Abbild Gottes zu sprechen, verweist die Exegese auf die altorientalische Königsideologie, speziell Ägyptens und Mesopotamiens, welche den König als Bild Gottes proklamiert. Er allein ist Stellvertreter Gottes auf Erden, geschaffen als sein Ebenbild. Israel nun habe diese Sonderstellung 'demokratisiert' und bezeichne jeden Menschen als königliches Abbild Gottes: "Als Bild repräsentieren Menschen Gott auf der Erde, als seine Ähnlichkeit reflektieren sie ihn."85 Neben Norbert Lohfink86 bestätigte Ernst Zenger durch seinen religionsgeschichtlichen Vergleich mit ägyptischem Quellenmaterial diese Einsicht: Bemerkenswert scheint ihm die Qualifizierung des Königs als Abbild des Gottes Re, dessen Schöpfüngstaten er als 'Sohn' auf der Erde fortwirkt. Angespielt ist stets auf die Herrschaftsfunktion des Pharaos, der Feinde 'niedertrampelt' und Fremde unter seine Sohlen zwingt. In Rekurs auf diese Momente bezeichnet Gen P den Menschen an sich als "König der Schöpfung", wobei in diesem Bild augenfällig ist, daß nach Auskunft der ägyptischen Texte allein der König die Autorität erhalten hat, die gesamte Lebensordnung in persona Dei zu schützen, d.h. nicht als deus creator, sondern wie der deus creator zu handeln. Weiterhin meint die Abbild-Rede Gottes Präsenz im Wirken eines jeden Menschen: "Wo der Mensch ist, da ist Gott. In und durch den Menschen soll Gottes Schöpferhandeln weiterwirken."87 Unmittelbar an diese Vorstellung knüpft sich die Deutung des Königs als lebendiges Kultbild an, welches die Gottheit und 84 85
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KDIII71,206f Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, 225 Vgl dazu auch die Kurzcharakteristik bei Erich Zenger, Der Mensch als Mitschöpfer. Bibeltheologische Überlegungen zur menschlichen Verantwortung für das Leben, in Volkmar Braun u a. (Hg), Ethische und rechtliche Fragen der Gentechnologie und Reproduktionsmedizin, München 1987, 305-317, vgl. ders., Gottes Bogen in den Wolken Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte, Stuttgart 1983, bes. 84-86 (=Stuttgarter Bibelstudien 112). Vgl ebenso Susan Power Bratton, Christian Ecotheology and the Old Testament, in: Eugene C Hargrove (ed ), Religion and Environmental Crisis, Athen-London 1986, 53-75, bes 62-67 "Macht euch die Erde untenan", wobei sich sein vergleichendes Quellenstudium hauptsächlich auf Mesopotamien richtet Vgl. auch Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose, 39. Erich Zenger, Gottes Bogen in den Wolken, 87.
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ihre Macht offenbart. Israel übernimmt in der Imago-Theologie eben diesen Aspekt und erkennt im Menschen die Offenbarung Gottes, der die Erde als Lebensraum für alle Lebewesen gestaltet hat. Endlich bildet Gen 5,1-3 einen weiteren "hermeneutischen Schlüssel" für die Interpretation der Gottebenbildlichkeit des Menschen, indem betont wird, der Mensch sei das einzige Geschöpf, das zu Gott in einer verwandtschaftlichen Beziehung steht. Wie diese Analyse zeigt, weist die Rede vom Abbild Gottes dem Menschen eine dreifache Aufgabe zu: "(1) Wie ein König die Lebensordnung der Schöpfung zu sichern und zu schützen; (2) wie ein Götterbild Erscheinungsweise und Offenbarungsmedium göttlicher Wirkmächtigkeit auf der Erde zu sein; (3) wie ein Verwandter/Sohn die Welt als das ihm zugewiesene Heimathaus/Vaterhaus zu verwalten und liebevoll zu gestalten."88 Erinnert sei noch einmal an die Feststellung, die Priesterschrift handle bei der Erschaffung des Menschen primär darüber, wozu der Mensch als Abbild Gottes geschaffen ist. "Von der Gabe selbst ist weniger die Rede als von der Aufgabe. Die ist nun klar umrissen: Herrschaft in der Welt, insbesondere über die Tierwelt. Es ist nicht so, daß diese Herrschaftbeauftragung noch zur Definition der Gottebenbildlichkeit gehöre; sie ist vielmehr die Folge, d.h. das, wozu der Mensch durch sie befähigt ist."89 Steht dies aber fest, kann die kritische Textbetrachtung einen Schritt weiter tun, indem sie erkennt: Die Gottebenbildlichkeit ist zuerst eine theologische Aussage. Nicht das Sein des Menschen wird berichtet, sondern das Tun Gottes. Gott entschließt sich, die Menschen nach seinem Bild zu schaffen. Zentrale Frage muß nach Westermann daher sein: "Was beabsichtigte der Schöpfergott, der den Entschluß faßte, Menschen nach seinem Bilde zu schaffen?"90 Darauf ist jedoch einzig die Antwort möglich, daß Gott etwas schaffen wollte, das mit ihm selbst zu tun hat, mit dem er in engster Beziehung steht. Ziel der Menschenschöpfung ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen, dessen Eigentlichkeit im Gegenüber Gottes gesehen wird.91 88 89 90 91
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Ebd., 90. Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose, 39. Genesis, 215. Dagegen stellen gerade die babylonischen Schöpfüngsmythen heraus, daß der Mensch allein deshalb geschaffen worden ist, um die Götter von ihrer Arbeit zu entlasten Eine solche Funktionalisierung ist Israel jedoch gänzlich fremd. Vgl dazu auch die Textbeispiele bei Hans-Dieter Müller, Bebauen - Bewahren - MitSinn-Erfüllen Von der Bestimmung des Menschen, in: ZThK 90 (1993) 231-250 und Udo Rüterswörden, dominium terrae Studien zur Genese einer alttestamentli-
Die Proklamation der Gottebenbildlichkeit verpflichtet den Menschen, sich in der Tat als Bild Gottes, ihm ähnlich, zu erweisen, wobei der Auftrag zur Schöpfungsgestaltung freilich keine Ausnahme bildet. Herrschaftsrechte sind untrennbar mit Herrscherpflichten verbunden.92 Wie sehr es aber den Menschen mit der ganzen Schöpfung verbindet, sich dem Bejahungswillen Gottes zu verdanken, transzendiert er aufgrund seiner Gottebenbildliclikeit diese Solidarität des Geschaffenseins. Um diese Auszeichnung mit der ihr inhärenten Verpflichtungskraft verdeutlichen zu können, verweist Hans Jorissen auf Ex 4,15f. In diesem Zusammenhang wird erzählt, wie Mose sich mit der Ausrede, kein Mann des Wortes zu sein, von Gottes Auftrag, das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei zu befreien, davonstehlen möchte. Gott aber duldet solche Ausflüchte nicht und gibt ihm den redegewandten Aaron an die Seite. Ihm soll Mose folgendes mitteilen: "Sprich mit ihm und lege ihm meine Worte in den Mund ... und er wird für dich zum Volk reden. Er wird für dich der Mund sein und du wirst für ihn Gott sein." Ebenso möge der gottebenbildlich geschaffene Mensch für die übrige Schöpfung Gottes Stelle einnehmen. "Er soll für sie gleichsam 'Gott' sein, d.h. Mittler der göttlichen Fürsorge, des göttlichen Segens. Er soll Gottes Bejahungswillen, Gottes gute Absicht mit der Schöpfung darstellen, repräsentieren, wahrnehmen, durchführen. Zugleich und in einem damit soll er aber auch ... Gottes 'Mund' sein, d.h. Gottes Heilszusage für die Schöpfung zur Geltung bringen, und auch umgekehrt: der Mund der Schöpfung zu Gott hin sein. ... Die Gottebenbildlichkeit behaftet ihn mit einer doppelten Verantwortung: gegenüber Gott als dem Urbild, an dessen Weltverhalten er Maß zu nehmen hat - und damit zugleich gegenüber seinen Mitgeschöpfen, die er vor Gott zu verantworten hat."93 In ihr Gegenteil verkehrt sich diese aufgegebene Verantwortung, sobald sie der Mensch von Gott abkoppelt und sein Geschaffensein als Bild vergißt. Dann wandelt sich seine Aufgabe zum "gottlosen Despotismus, zur zügellosen und gewaltlosen Tyrannei, ... aber
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chen Vorstellung, Berlin-New York 1993 (=BZAW 215), bes. 13-16. Vgl. Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, 226f; Manfred Görg, Das Menschenbild der Priesterschrift, in: BiKi 42 (1987) 21-29, bes. 25-27. Vgl. Otfried Hoffe, Moral als Preis der Moderne. Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt, Frankfürt a.M. 1993, 200. Die Welt als Schöpfung, in: JBTh 5 (1990) 205-218, hier: 216.
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auch zur tiefsten Störung, ja Zerstörung der Solidarität mit der Schöpfung".94 Konnten diese Aspekte belegen, daß die Gottebenbildlichkeit des Menschen mit ihrer bilateralen Verantwortung nicht auf Kosten der geschöpflichen Eigenwertigkeit geht95, suchen manche durch Verweis auf Ps 8 dieses Ergebnis anzuzweifeln, dem vor allem im Gegensatz zu Ps 104 unterstellt wird, er proklamiere die rigide Ausübung menschlicher Herrschaftsmacht.96 Entgegen einer solchen Behauptung ist vielmehrrichtigzustellen,daß der zur Gattung der Hymnen gehörige Ps 8 einen Lobpreis auf die Herrlichkeit Gottes darstellt, nicht aber auf die Größe des Menschen und seine Herrschaftsermächtigung. Dafür sprechen allein schon formale Kriterien, so etwa der feierliche Aufgesang in Vers 2 und dessen Wiederholung in Vers 10. Wie ein Rahmen fügen sich diese Worte um den im Stil des Wechselgesangs gestalteten Corpus (Verse 4-9) und benennen damit das refrainartige Motto: "Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!" Adressat dieses Hymnus ist Jaliwe, was auch von der Aussageabsicht des eigentlichen Hauptstückes unterstrichen wird, die Herrlichkeit Gottes Ebd. Vgl auch die Bemerkung von Karl Lehmann, Kreatürlichkeit des Menschen als Verantwortung für die Erde, in Philipp Schmitz (Hg), Macht euch die Erde untenan? Schöpfüngsglaube und Umweltkrise, Würzburg 1981, 65-88, bes 80: "Die Schöpfüngserzählungen wissen sehr genau, daß dieser Herrschaftsauftrag und seine sachgemäße Ausübung mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen stehen und fallen Nur wenn der Mensch nach der Weise Gottes seine 'Herrschaft' ausübt, bleibt diese im Lot." Vgl dazu auch Richard H Hiers, Ecology, Biblical Theology, and Methodology: Biblical Perspectives on the Environment, in Zygon 19 (1984) 43-60, Donald A Hay, Christians in the Global Greenhouse, in: TynB 41 (1990) 109-127, bes. 116118 und 125, Roger Nash, Adam's Place in Nature: Respect or Domination?, in: JAgr Ethics 3 (1990) 103-113, David E Engel, Elements in a Theology of Environment, in: Zygon 5 (1970) 216-228, der gegen Lynn White festhält: "It can be shown that the view of a Christian apostle and Hebrew Psalmist is not entirely man-centered. Indeed, in some destory ... is not to be taken in quite the simplistic terms that would imply that domination necessarily meant destructive exploitation" (ebd., 220) In diese Richtung zielt gerade auch der Beitrag von Erhard S Gerstenberger, Versöhnung mit der Natur? Anfragen an gottesdienstliche Texte des Alten Testaments (Ps 8 und 104), in: Jürgen Moltmann (Hg), Versöhnung mit der Natur9, 141-149 Er meint, daß in der Geschichte der westlichen Zivilisation das 'Integrationsmodell' von Ps 104 weitgehend in Vergessenheit geraten ist, während die Aneignung des 'verabsolutierenden Herrschaftsgedankens' von Ps 8 eine schrankenlose Ausbeutung heraufführte
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und, davon abgeleitet, die Herrlichkeit seiner Schöpfung. Auf eben dieser Linie liegt die hymnische Anrede 'Herr, unser Herrscher', die in den alttestamentlichen Schriften häufig die Anrede des Königs meint und im hier vorgegebenen Zusammenhang Jahwe als Herrscher Israels und Herrn der Schöpfung preist. So kann schlußgefolgert werden, daß Ps 8 "nicht etwa von der Herrlichkeit der Schöpfung, sondern von der Herrlichkeit des Herrschers Israels [handelt], der der Herr alles Geschaffenen ist".97 Die Exklusivität der göttlichen Herrlichkeit und das Bekanntwerden von Gottes majestätischer Größe ist das eigentliche Thema von Ps 8. Der Hauptteil erzälilt nun, wie der Sänger, angeregt durch die Betrachtung des nächtlichen Sternenhimmels, über die Schönheit und Geordnetheit der Schöpfung nachdenkt. Im Hintergrund steht, wie überhaupt im Alten Testament, die Überzeugung, daß von der Schöpfung angemessen nur dann gesprochen werden kann, wenn der Schöpfer mitbedacht wird. Deshalb steht jeder Vers von sich aus in Beziehung zum Refrain der Verse 2 und 10, die Gottes Herrlichkeit explizit gegenwärtig halten.98 Klimaktisch sich steigernd kommen die Verse 5-9 dazu, über die Situation des Menschen nachzusinnen, wobei zunächst dessen Unbedeutsamkeit im Kosmos in den Blick gerät, die umso schwerer wiegt, als der Vergleich zu Himmel, Mond und Sternen voransteht. Allerdings wäre seine Existenz damit nur recht ungenügend umschrieben, fehlte doch, daß die Welt als Medium göttlicher Offenbarung geschaffen und der Mensch dazu bestimmt ist, Gottes Selbstmitteilung zu erfassen. Von eben dieser Zuwendung Gottes künden die Verben, Gott gedenke stets des Menschen (zakar) und nehme sich unaufhörlich seiner an (pakad). Fortsetzung findet dieses göttliche Zugetansein in dem Ausdruck, der Mensch sei 'elohim-artig' geschaffen und habe seinen Platz unmittelbar unter den himmlischen Wesen, wobei die altorientalische Vorstellung vom Hans-Joachim Kraus, Psalmen. 1. Teilband, Psalmen 1-63, Neukirchen-Vluyn "1972 (=BK.AT XV/1), 67, vgl. dazu auch Erich Zenger, Mit meinem Gott überspringe ich Mauern. Einführung in das Psalmenbuch, Freiburg u.a. 1987, 201-211; Frank L. Hossfeld/Erich Zenger, Die Psalmen I. Psalm 1-50, Würzburg 1993 (=NEB.AT 29), 77-80. In diesem Sinn spricht Moltmann von der 'Schöpfüngsgemeinschaft', welche der Mensch wahrnimmt, wenn er die Welt als Schöpfung erkennt. "Die Schöpfüngsgemeinschaft wird zu einem Dialog vor dem gemeinsamen Schöpfer. Die Erkenntnis der Welt ist in ihrer ursprünglichen Form der Dank für das Geschenk der Schöpfung und der Gemeinschaft in ihr und der lobpreisende Ruhm des Schöpfers. Die 'Schöpfüngspsalmen' des Alten Testaments ... sind Danklieder und Lobpreisungen des Schöpfers." - Gott in der Schöpfung, 83f
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Hofstaat, der sich um Jahwes königlichen Thron versammelt, anklingt. Da nun der Mensch königliche Würde von Gott her bekommen hat, schließt sich folgerichtig die Herrschaftsermächtigung an. Sie spannt sich von der mehr allgemein gehaltenen Aussage in Vers 7: "Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk seiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt", zu deren Konkretion, die in konzentrischer Ausrichtung die Möglichkeiten menschlicher Herrschaftsbefugnis und damit den lebensweltlichen Horizont einer bäuerlichen Kultur zur Sprache bringt (Verse 8f). Menschliche Geringheit und Größe werden im Corpus der Verse 4-9 auf einzigartige Weise zusammengeschaut und vom Lobpreis der Herrlichkeit Gottes umrahmt, dem sich die faszinierende Geordnetheit der Schöpfung ebenso verdankt wie die Stellung des Menschen. Drei Aspekte formen so das Reden des Psalmisten über den Menschen: Zunächst seine Winzigkeit und Unbedeutsamkeit im Schöpfüngsganzen (1). Dann die ihm offenbar gewordene Zuwendung Gottes, die in dessen Gedenken und Sorge ausgedrückt werden (2). Und schließlich seine Beauftragung zum Herrscher über die Welt (3). Zu letzterem, das wohl im Bemühen um die Grundlegung einer ökologisch vertretbaren Ethik am ehesten mißverstanden werden könnte, notiert Georg Fohrer: "Wie Gott über die ganze Welt herrscht, so der Mensch über die Erde. Dies ist sein Auftrag. Er ist mit der eigentlich göttlichen Tätigkeit des Herrschens betraut und erhält Teilhabe an der Gottesherrschaft. Freilich handelt es sich um einen Auftrag und nicht um eine titanenhafte, prometheische Eroberung eines eigenen Bereichs. Nur als Beauftragter kann der Mensch herrschen, als Beauftragter soll er es auch."99 Näher besehen zeigt sich Ps 8 ebenso wie der im Gespräch über die Umweltkrise und ihre möglichen Ursachen im jüdisch-christlichen Menschenbild mit weit größeren Sympathien zitierte Ps 104 als Lobpreis des Schöpfers.100 Wenn daher vom Menschen gesagt wird, er sei nur wenig geringer gemacht als Gott und mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (Ps 8,6), woran sich der Herrschaftsauftrag in Vers 7 anschließt, wird nicht zu übersehen sein: Erstens, daß auch die Geringfügigkeit des Menschen Erwähnung findet und zweitens der Mensch wesentlich gottverdankt ist. Ohne Gott 99 100
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Psalmen, Berlin-New York 1993, 20f Zur Erläuterung von Ps 104 empfiehlt sich bes Hans-Joachim Kraus, Psalmen. 2. Teilband, Psalmen 60-150, Neukirchen-Vluyn 51978 (=BK AT XV/2), 879-887 und Georg Fohrer, 56-65.
wäre weder sein Sein, noch vermöchte er irgendetwas. Da es zum Menschen gehört, in eben diesem Sinne von Gott abhängig zu sein und mit der gesamten Schöpfung diese Geschöpflichkeit zu teilen, lastet die Auszeichnung des Menschen nicht auf der Schöpfung, so daß dieser ausschließlich Wertigkeit in bezug auf den Menschen konzediert werden könnte. Ps 8 begründet keinerlei Diskrepanz zu Ps 104, erzählen doch beide auf ihre Art die Herrlichkeit Gottes. Zweifellos umschreibt der Eröffhungsvers von Ps 104 auch das Motto von Ps 8: "Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, wie groß bist du!", wie umgekehrt Ps 104 unter der Überschrift: "Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!" stehen könnte. Gottes schöpferische Herrlichkeit wird in der Fülle alles Geschaffenen offenbar, weshalb die hymnische Preisung ausschließlich an ihn gerichtet sein muß. Wie sich die beiden Psalmen nicht widersprechen, so beziehen sie sich auf Gen P zurück, indem sie gleichsam ein innerbiblisches Deutemuster von Gen 1,26-28 vorstellen und damit zu erkennen geben, daß die Gottebenbildlichkeit des Menschen mit der ihr nachfolgenden Herrschaftsbeauftragung keinen Freibrief zur Schöpfüngszerstörung beinhaltet. Die Herrlichkeit des Menschen ist wie die Schönheit der Schöpfung überhaupt vielmehr Ausdruck der Herrlichkeit Jahwes. Wenn die bisherigen Ausführungen den Herrschaftsauftrag als 'Folge' der Gottebenbildliclikeit des Menschen ausgewiesen haben, bereiten die Wurzeln rdh (Gen 1,26b und 28b) und kbs (Gen 1,28a) Übersetzungsschwierigkeiten. Als zu aggressiv und den Fortschrittsglauben legitimierend wirken die bisherigen Formulierungen: "macht Untertan", "beherrscht" und "niedertreten/niedertrampeln". In diesem Sinn merkt Klaus Koch an: "Auf die Etymologie gestützt, hat ... die historisch-kritische Exegese bislang alles getan, um die von Bacon proklamierte Auswertung des Schöpfungsauftrags zu stützen."101 Bereits anfangs der siebziger Jahre stellte Norbert Lohfink fest, die Aufforderung kbs: 'macht euch (die Erde) Untertan!' in Gen 1,28 bringe die Besiedelung und Nutzbarmachung des Landes zum Ausdruck. Dem entsprechend müßte die in der deutschen Übersetzung 'macht Untertan' mitklingende Assoziation von gewaltsamer Ausbeutung oder Zerstörung einer undramatischen Wiedergabe weichen, etwa im Sinne von: 'nehmt die Erde in Besitz'. Eine solche Interpretation hätte die Substantiv"Gestaltet die Erde, doch heget das Leben!" Einige Klarstellungen zum dominium terrae in Genesis 1, in: Hans-Georg Geyer u.a. (Hg), "Wenn nicht jetzt, wann dann''" (FS HJ. Kraus), Neukirchen-Vluyn 1983, 23-36, hier: 24.
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form bei ägyptischen Ikonographien für sich, welche zeigen, wie die unterworfenen Völker den Fußschemel (kbs) des Pharaos bilden und damit ankündigen, sie sind nun in sein Eigentum übergegangen. Ebenso bestätigt die Überprüfung von kbs in der biblischen Literatur die Bedeutung: 'in Besitz nehmen', 'Eigentümer werden'. "Man wird deshalb auch den Text in Gen 1,28 am besten möglichst undramatisch übersetzen, etwa ...: "Nehmt sie (d.h. die Erde) in Besitz'. Und man wird das so verstehen, daß die Menschheit, wenn sie einmal so gewachsen ist, daß sie aus vielen Völkern besteht, sich über die ganze Erde verteilen und jedes Volk sein Territorium in Besitz nehmen soll."102 Koch verweist in diesem Kontext auf den Bericht über die beginnende Landnahme in Num 32,20-32, deren Schilderung sich in einem Dreischritt gliedert: erst wird das verheißene Land erobert, dann die dort ansässige Bevölkerung vertrieben, bis schließlich das Land frei verfügbar ist zu Ansiedelung und Nutzbarmachung, kbs ha'arez meine, wie Vers 24 sagt, das Land als Siedlungsraum tauglich zu machen. "Baut euch also Städte für eure Familien und Hürden für euer Kleinvieh!" Bestätigung finde diese Deutung auch in Jos 18,1, so daß für Gen 1,28 gefolgert werden dürfe: "Allen Menschen wird aufgetragen, den Boden bebaubar und verfügbar zu machen, also die Erde bewohnbar werden zu lassen, wie es hemach Israel mit dem verheißenen Land getan hat. Der Mensch wird angewiesen, zu Seßhaftigkeit überzugehen. Flächen urbar zu machen, Landwirtschaft zu betreiben, Städte zu bauen."103 Für die mit der babylonischen Mythologie und ihrem Verständnis vom menschlichen Daseinszweck konfrontierte Exilsgemeinde verbinde sich mit dem Signalwort kbs der ganze Deutehorizont der Landnahme, der sie daran erinnert, nicht als Sklave, sondern als Herr den Boden zu bereiten. Neuerdings gibt jedoch Udo Rüterswörden zu bedenken, daß Lohfinks Vorschlag, kbs mit dem weniger dramatischen 'in Besitz nehmen' zu übersetzen, zumindest angesichts der Septuaginta-Version unangemessen, weil zu schwach, erscheine. Stattdessen insistiere die Reihung von kbs und rdh in Gen 1,28 logisch konsequent, es gehe zunächst um die "Unterwerfung des Lebensraumes" und dann um die "Beherrschung der Lebewesen". Den 102
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"Macht euch die Erde untenan", 139 Vgl auch seinen Beitrag: "Der Schöpfergott und der Bestand von Himmel und Erde", in: Günter Altner u.a., Sind wir noch zu retten7 Schöpfüngsglaube und Verantwortung für unsere Erde, Regensburg 1979, 15-39. "Gestaltet die Erde", 30
Hintergrund bilde, wie Jer 27,5-7 zeigt, das aus der alttestamentlichen Königsideologie bekannte gestaffelte Abhängigkeitsverhältnis, daß Jahwe einen König als seinen Knecht (aebaed) einsetzt, wobei das Untertansein gegenüber diesem König wiederum mit derselben Wurzel ausgedrückt wird. Übertragen auf den Kontext von Gen 1,26-28 heißt dies, daß Gott den Menschen als ihm Untertan einsetzt, ebenso wie dem Menschen die Erde Untertan ist.104 An den Auftrag kbs: 'die Erde in Besitz zu nehmen' (Lohfink), 'das Land als Siedlungsraum tauglich zu machen' (Koch), die Welt zu einem 'Lebenshaus alles Lebendigen' zu formen (Zenger)105 oder den 'Lebensraum zu unterwerfen' (Rüterswörden) schließt sich der Imperativ an, über die Tiere zu herrschen (rdh). Entgegen der üblichen Vorstellung, sie mit Gewalt 'niederzutreten', wie Joel 4,13 nahelegt, schlägt Lohfink als Übersetzungsmöglichkeiten vor: 'regieren', 'leiten', 'kommandieren', 'anweisen' im Sinne von 'domestizieren'. Allein unter Berücksichtigung des semantischen Befundes können zwei Gründe für diese Lösung benannt werden: Zum einen sei hinsichtlich Joel 4,13 nicht sicher geklärt, ob überhaupt rdh und nicht jrd (hinabsteigen) die hebräische Wurzel ist, zum anderen hätten alle übrigen Belegstellen von rdh eine ausdrückliche Hinzufügung bei sich, wenn ein besonders gewaltsames Herrschen gemeint ist.106 Auch an Jagd oder Schlachtung der Tiere sei nicht zu denken, weil Gen 1,29 allein vegetarische Kost erlaubt. Erwägt man diese Indikatoren, stehe außer Zweifel, daß "universale KM 105 106
Vgl. dominium terrae, 103-105. Vgl. Gottes Bogen in den Wolken, 84. Rüterswörden greift die Unsicherheit auf, ob in Joel 4,13 nun jrd (hinabsteigen), wie die Vulgata annimmt, wenn sie mit descendere übersetzt, oder doch rdh - so auch die Septuaginta-Übersetzung - stehe und bringt einen klärenden Hinweis aus der Archäologie So hätten Funde von Keltern gezeigt, daß für den Tretplatz nur eine handbreite Vertiefung ausgehoben wurde, weshalb die Vorstellung vom Treten der Trauben, also rdh, angemessen scheint (dominium terrae, 85f). Ferner ergibt eine Übersicht der rdh-Belegstellen in den biblischen Schriften, daß mit der Wurzel rdh ein Abhängigkeitsverhältnis beschrieben wird entweder zwischen zwei unterschiedlich gestellten Personen, z.B. Herr und Sklave (zivilrechtlicher Gebrauch) oder zwei Staaten, wobei rdh im letzteren Fall ein Terminus technicus des Völkerrechts ist. Als Sonderfall ist auch der König als Repräsentant eines Gemeinwesens das Subjekt von rdh. Ein anderer Problemkreis tut sich in der Frage auf, ob rdh immer eine gewalttätige Konnotation einschließt. Tatsächlich lassen sich solche Stellen finden (z.B Lev 26,17, Jes 14,6; Ez 34,4), wobei jedoch nicht schlüssig beantwortet werden kann, ob Gewalttätigkeit notwendigerweise mit rdh verbunden ist (vgl. ebd., 95-102).
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Domestikation" gemeint und an das Bild eines paradiesischen Urfriedens zu denken ist: "Gen 1,28 ist in seinem ursprünglichen Sinn also alles andere als eine Rechtfertigung des Glaubens, demzufolge der Mensch allmächtig ist und ein Gehini besitzt, das ihm nicht nur die Fälligkeit, sondern auch das Recht gibt, alle anderen Geschöpfe und alles, was die Welt zu bieten hat, ohne Rücksicht auf die Folgen auszubeuten."107 Auch nach Koch ist es nicht mehr akzeptabel, rdh in die "Zwangsjacke 'niedertreten'" einzupressen. Allein schon deshalb nicht, weil die Speiseordnung von Gen 1,29 zu vegetarischer Ernährung anhält und es dann keinen Sinn habe, rdh entsprechend der bislang üblichen Etymologie als jagen', 'Beute machen' oder 'schlachten' zu definieren. Ein neues Verstehensmodell lasse sich hingegen ausgehend von Ez 34,4, Ps 49,15 und akk. redu(m), letzteres eingeengt auf die Bedeutung 'Tiere führen, treiben (etwa in einer Karawane)', gewinnen. Danach schließe sich "Gen 1 mit seiner Wortwahl an einen allgemein üblichen Ausdruck für leitendes, weidendes, hegendes Verhalten des Menschen zu seinen Tieren an."108 Während diese Hirten- und Domestikationshypothese den Umgang mit Haustieren beschreibt, erweise sie sich im Blick auf die wilden Tiere als unzureichend, die eine feindschaftlich-bedrohende Atmosphäre gegenüber dem Menschen anzeigen. Gerade diese Konkurrenz um den gemeinsamen Lebensraum zwischen Mensch und Tier reflektiere Gen 9,2, wobei jedoch auch die nachsintflutliche Situation dem Menschen keine uneingeschränkte Vollmacht überläßt, die Tiere nach Belieben zu töten. Dem widerstrebe die israelitische Tradition des Bluttabus, die den Verzehr von Blut als dem Symbol der von Gott geschenkten Lebenskraft verbietet. Dieser Sicht nach ist jedes Lebewesen in unmittelbarer Beziehung zu Gott, so daß derjenige, der fremdes Blut verspeist, nicht nur sein eigenes Leben verunreinigt, sondern auch Unheil über seine Umwelt bringt. Durch dieses kultische Speisegebot werde angezeigt, Gott allein ist der Souverän des Lebens, er hat es geschaffen und bestimmt über den Lebenszyklus. Überdies stehe die ganze Schöpfung, Menschen wie Tiere, unter der Bundeszusage des barmherzigen Gottes. So folgert Koch, daß die Tiere als "eigenständige Partner Gottes zu gelten" haben und ihnen
"Macht euch die Erde untenan", 139 "Gestaltet die Erde", 33 Zur Kritik an Kochs Rekurs auf Ez 34,4, Ps 49,15 und das akk redu(m) vgl Udo Rüterswörden, 89f
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ein "Eigenwert" zukommt, "der niemals im Nutzwert für die menschliche Gesellschaft aufgehen kann".109 Lohfinks Gedanken wurden ebenfalls von Zenger rezipiert, der rdh endlich von der aggressiven Bedeutung 'niedertrampeln' losgelöst wissen möchte, die alle Varianten der "triumphalistischen Siegeranthropologie der Neuzeit" in sich berge110. Gestützt auf die Semantik von rdh und die altorientalische Hirten- bzw. Königssymbolik kommt er zu dem Schluß, daß an die Szene eines umherziehenden Hirten zu denken sei, der seine Tiere vor allen Gefahren in Schutz nimmt und den geschwächten mit besonderer Sorgfalt begegnet. Auf den Kontext von Gen 1 übertragen, bedeute diese Bildrede: "der Schöpfergott befähigt ('Bild Gottes') und beauftragt ('seid Hirten') die Menschen, an seiner Stelle das Hirtenamt zum Schutz und zur Förderung des Lebens auszuüben."111 Wie ein König seinen Vasallen Land zu Lehen gibt, übereigne Gott den Lebewesen die Erde als ihr 'Lebenshaus', wobei Gen P darauf verweise, daß Menschen und Tieren ein je eigener Bereich zur Verfügung gestellt wird. Diese Notiz werde vermutlich erst vor dem lebensweltlichen Hintergrund des biblischen Schriftstellers verständlich, der die Tiere als Mitbewohner des Menschen in einem Lebenshaus kennt und sehr wohl um die Partnerschaft wie auch die Rivalität beider weiß. In Gen 1,29f greife er deshalb geschickt auf die urmenschliche Sehnsucht nach einem paradiesischen Zustand zurück, die er im Gegensatz zur eigenen Erfahrungswelt schildert. Die Erde als friedvoller Lebensraum aller Lebewesen zeichne sich auch in der Zuweisung vegetanscher Nahrung ab, denn: "Im 'Lebenshaus' des Schöpfergottes soll kein Lebewesen auf Kosten anderer Lebewesen leben. Die Erde soll nicht durch Gewalttat und Blut zu einem Haus des Todes werden. Das 'Haus des Friedens' soll nicht zu einem Platz von Kampfund Krieg werden."112 Nach der Sintflutgeschichte komme, wie Zenger herausstellt, mit Gen 9,13.7 das Pendant zu Gen 1,28-30 in den Blick, das den Schöpfiingssegen sowohl in der Relation von Mensch und Tier als auch die Übereignung der Erde als Lebensraum erneuert. Auch hier müsse eine kriegsideologische Interpretation, die dem Menschen alle Vollmacht zu rigider Ausbeutung an die
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"" 11 ll:
"Gestaltet die Erde", 36 Gottes Bogen in den Wolken, 90 Ebd, 95 Ebd, 98
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Hand geben möchte, abgewiesen werden. Ein Indiz dafür liege schon auf sprachlicher Ebene vor, sofern auf die Terminologie von Dtn 2,25 und 11,25 verwiesen ist, die an die kampflose Landnahme Israels erinnert. Selbst die möglicherweise an der Sprache des Kriegsorakels angelehnte Formulierung "in eure Hände sind sie gegeben" (Gen 9,2) sei kein zulässiges Kriterium, das Verhältnis von Mensch und Tier im Sinne eines 'struggle of life' zu deuten. Es gehe vielmehr um den Typos "Herr bzw. Held der Tiere", welcher "die Dimension der Abwehr des Bösen und der autoritativen Herrschaft" transparent macht. "Weil der 'Hirte' von Gen 1 nicht verhindern konnte, daß das Lebenshaus zu einem Ort des Todes wurde, wird in Gen 9,2 den Menschen ... die Befähigung gegeben, wie der 'Hen der Tiere' das bedrohte Leben zu schützen."113 Weiterhin spiegle sich in dieser Perikope die Erfahrung des biblischen Schriftstellers, daß der Lebensraum des Menschen von den Tieren bedroht sein könnte, weshalb der ausdrückliche Imperativ gegeben ist, Land um des Überlebens des Menschen willen gegen Reservatsansprüche der Tiere in Besitz zu nehmen. "Der nachsintflutliche' Schöpfüngssegen, der den Menschen die Vollmacht gibt, als 'Hen der Tiere' die Lebensordnung zu verteidigen und durchzusetzen, hebt den 'vorsintflutlichen' Schöpfungssegen nicht auf, der die Menschen als 'Hirten der Tiere' eingesetzt hat. Beide Metaphern entwerfen zusammen den Schöpfüngsauftrag, in dem der Mensch dafür sorgen soll (Gen 1) und dafür sorgen kann (Gen 9), daß die Erde nicht in den Zustand von Gen 6,11-12 absackt."114 Übereinstimmend betonen diese Interpretationen, denen Gerhard Liedke "Endgültigkeit" attestierte115, die Ausübung des Henschaftsauftrages habe nach dem Vorbild der Hirten- bzw. Königsideologie im weitesten Sinne von Fürsorge zu geschehen. Gegen die einzelnen Varianten, die jeweils eine "spezielle Herrschaftsmaßnahme" in den Vordergrund stellen, sei dies nun 'domestizieren' (Lohfink), 'umherziehen' (Zenger), 'leiten, weiden, hegen' (Koch), möchte Bernd Janowski die "universale Ordnungsfünktion" des Menschen betonen: "'Herrschaft' ist um der Schöpfung im ganzen und ihres
113 114 115
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Ebd., 118. Ebd., 123. "Tier-Ethik" - Biblische Perspektiven Ein Bericht (1985), in: Bernd Janowski u.a (Hg), Gefährten und Feinde des Menschen Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, Neukirchen-Vluyn 1993, 199-213, hier: 207.
Fortbestandes willen notwendig, sie definiert den Menschen, das 'Bild Gottes', als Sachwalter für das Ganze der natürlichen Schöpfungswelt."116 Rüterswörden distanziert sich von diesen Bedeutungsvaria für rdh und legt ein komplexes Deutungsmodell vor, das sich auf den im Alten Testament vielfach bezeugten völkerrechtlichen Gebrauch von rdh stützt. Sowohl in Gen 1,28 als auch in Gen 9,2 ist das Verhältnis von Mensch und Tier, beide verstanden als Kollektivgrößen, durch den völkerrechtlichen Terminus rdh beschrieben, der über die Ausübung des Herrschaftsauftrages sagt: "So wie ein siegreiches Volk über seinen Nachbarn die Oberhand hat, so soll die Menschheit insgesamt die Oberhand über die Tierwelt haben."117 Entscheidend für Israel ist die Übertragung dieser völkenechtlichen Konnotation auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, dessen königsideologischer Hintergrund in dreifacher Weise spezifiziert wird. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, daß sich Mensch und Tier einen gemeinsamen Lebensraum teilen, wodurch eine gewisse Konkunenzsituation entstanden ist, insofern die wilden Tiere die Existenz des Menschen gefalirden. Angesichts dieser Bedrohliclikeit kam es nach altorientalischem Verständnis dem König zu, die wilden Tiere zu 'jagen' oder zu 'fangen', wobei dies den Sinn eines rituellen Aktes hatte. In priesterlicher Funktion bezwang er gleichsam im Auftrag der Götter die wilden Tiere und sicherte dadurch den Lebensraum der Menschen. Eine so ausgeübte Henschaft über die Tiere bewirkte Sicherheit und die Wahrung der Ordnung, in welcher sich der Mensch angstfrei und geborgen wähnen konnte. Darüber hinaus symbolisierte das Bezwingen der Tiere im übertragenen Sinn auch das Bezwingen feindlicher Völker. Wie diese beiden Deutungen des Königs als 'Herr der wilden Tiere' zeigen, ist die in Gen l,26ff und Gen 9,2 verwendete Metaphorik zur Umschreibung des
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1,1
Herrschaft über die Tiere Gen 1,26-28 und die Semantik von rdh, in: Georg Braulik u.a (Hg), Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel (FS N. Lohfink), Freiburg u.a. 1993, 183-198, hier: 191. dominium terrae, 108. Für Gen 9,2 ist der völkerrechtliche Gebrauch von rdh durch die Terminologie des sogenannten Heiligen Krieges (Furcht und Schrecken) bezeugt und überdies die altorientalische Königsideologie in den Blick gebracht. So sagt etwa Amun-Re zu Pharao Ramses II: "Ich lege die Furcht vor dir auf ein jedes Fremdland, deinen Schrecken in die Herzen seiner Fürsten." Damit ist angezeigt, daß auch das in Gen 9,2 beschriebene Mensch-Tier Verhältnis im Sinne der Königsideologie zu verstehen ist.
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Herrschaftsverhältnisses des Menschen über die Tiere im Alten Orient, Rüterswörden nennt vorab Assyrien aber auch schon Ugarit, verbreitet.118 Ein nächster Gedankenschritt verweist mit Rüterswörden auf die Betrachtung ägyptischer Henschaftsdarstellungen, auf denen gezeigt wird, wie der Pharao zum Zeichen seines Triumphes auf die Waffen der bezwungenen Völker tritt oder seinen Fuß auf den Rücken seiner nunmehr besiegten Feinde stellt.119 Dieser Bildtypus ist nicht allein auf Ägypten begrenzt, sondern findet sich auch in Mesopotamien, womit überzeugend belegt ist, daß diese Herrschaftsgeste gelegentlich eine gewalttätige Konnotation in sich birgt. Allerdings findet gerade die gedankliche Verknüpfung von Gewalt in Gen l,28f keinerlei Anhalt, weil die Henschaft des Menschen über die Tiere nicht im Sinne von Schlachtung begriffen werden kann, ernährt sich der Mensch nach Auskunft von Vers 29 doch vegetarisch. Nach dieser Erkenntnis scheint der Vergleich mit der Königsideologie zur Interpretation des biblischen dominium tenae zu versagen. Dennoch bezeugt der als "archäologische Sensation" bezeichnete Fund einer Statue König Darius I in Susa (1972) die Ausnahme.120 Hier wird Darius I. in Siegerpose dargestellt, wobei jedoch die Unterworfenen nicht mit an den Rücken gefesselten Händen, sondern mit erhobenen Händen dargestellt sind, die die Haltung des Tragens ausdrücken. Aussage dieser Szene ist, daß die bezwungenen Völker nicht mehr als Feinde betrachtet werden, sie sind vielmehr die Stützen legitimer Herrschaft. Von Interesse ist weiterhin, daß die Idee einer solchen Triumphdarstellung von den Achämeniden weiterentwickelt wurde, deren Henschaft etwa zeitgleich zur Entstehung der Priesterschrift zu datieren ist. Deshalb liegt es nahe, der persischen Königsideologie nähere Aufmerksamkeit zu widmen. Ikonographische Funde, vor allem aus Persepolis, zeigen nicht nur den König auf einer Plattform, die von Repräsentanten unterlegener Völker getragen wird, sondern auch als 'Herrn der Tiere' Wenn damit die Kontinuität zu anderen orientalischen Bildern gesichert ist, die ebenso den Kampf 118 119
120
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Vgl ebd, 109-115. Zu dieser Überlegung gelangt Rüterswörden durch die Etymologie des Herrschaftsverbums rdh, welche auf eine Tätigkeit verweist, die mit dem Fuß ausgeführt wird. Da Fuß in Ägyptisch rd heißt, scheint hier eine Verbindung durchaus denkbar, die es angeraten sein läßt, sich näherhin mit ägyptischen Herrschaftsdarstellungen zu beschäftigen Vgl zu den ikonographisehen Belegen, ebd , 116-118. Ebd., 118.
gegen die Tiere und die Völker zusammensehen, wird außerdem eine für den Kontext von Gen 1,28 äußerst wichtige Umorientierung im Henschaftsverständnis erkennbar: Herrschaft ist nicht primär als Akt der Gewalttätigkeit definiert, vielmehr ist an eine Friedenshenschaft gedacht, welche aus dem niedergetretenen Gegner die Stütze legitimer Henschaft macht.121 Über die Achämeniden, die ägyptische Formulierungen wieder gebrauchen und Bildtraditionen im ganzen Reich verbreiten, also auch in Babylon, schließt sich der Kreis zu den ägyptischen Darstellungen, die den Pharao als Bild Gottes, als seinen Repräsentanten zeigen. Erst aufgrund einer solchen Vermittlerfunktion wird es möglich, die ägyptische Symbolik in Beziehung zu Gen 1,28 zu bnngen.122 Wie nämlich der Pharao Bild Gottes ist und auf Erden als sein Stellvertreter agiert, d.h. Henschaft über die Menschen ausübt, so kann in Gen 1,28 der gottebenbildlich geschaffene Mensch über die Erde henschen Da nun Mensch und Erde als Kollektivgrößen zu verstehen sind, wird der volkenechthche Gebrauch von rdh in engster Verknüpfung mit der Königsideologie erkennbar.123 Wenn aber gesichert feststeht, daß Gen 1,28 vor dem Hintergrund der Königsideologie zu interpretieren ist, stellt sich die Frage, an welche ilirer Ausprägungen zu denken ist. Rüterswörden sieht den Bezug zur persischen Königsideologie und führt dazu zusammenfassend an: "Der König als Hen der Tiere und des Landes, die Tenninologie der Gottebenbildliclikeit, die räumliche und zeitliche Nähe zur Priesterschrift. Die Pnesterschrift überträgt eine volkenechthche Vorstellung auf die Beziehimg zwischen Mensch und Tierwelt. Für diese Übertragimg gibt es sowohl in der Pnesterschrift als auch im Alten Onent Parallelen. Eine Interpretation des dominium tenae auf diesem Hintergrund ergibt eine Rechts- und Friedenshenschaft des Menschen über die Natur. Daß das Verbum rdh ursprünglich eine gewalthafte Henschaft im Sinne des Tretens bezeichnet, ist eine begriindbare Vennutung; doch wird in der persischen Ikonographie dieser
121 12:
12:
Vgl ebd , 123. Diese Vermittlungsfünktion der Achämeniden erlaubt es überhaupt erst, die ägyptische Königsideologie, welche allein den Pharao als Gottes Abbild preist, in Beziehung zur biblischen Prädikation des Menschen als Gottes Ebenbild zu bringen Immerhin gehören die ägyptischen Belege in die zweite Hälfte des 2 Jahrtausends, die babylonische Gefangenschaft aber in das 6 Jahrhundert v Chr. Auch die geographische Distanz hat in der achämenidischen Transmissionsleistung eine gute Erklärung gefunden (vgl ebd., 124). Vgl ebd , 125f
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Aspekt radikal umgedeutet, aus dem niedergetretenen Gegner wird eine Stütze legitimer Henschaft."124 Für die Interpretation des Henschaftsauftrages folgert Rüterswörden deshalb ein Zweifaches: Zunächst bedeutet der Imperativ in Gen 1,28 die "lückenlose vollständige Inbesitznahme der Natur durch den Menschen", wobei dies in räumlicher, nicht jedoch in zeitlicher Hinsicht zu verstehen sei. Es geht um ein angstfreies, gesichertes Leben, nicht um eine "Fortschrittsgeschichte, in deren Verlauf die Behenschung der Natur intensiviert wird."125 Wichtiger noch für das Wie der Henschaftsausübung ist indes der Verweis auf die Friedensherrschaft, deren Maxime das Gesetz ist, begriffen als kosmische Größe, die nach Gottes Willen dem Chaos der Welt entgegenwirkt und so als Garant von Sicherheit und Ordnung wirkt. Dem entsprechend zielt das persische Henschaftsverständnis auf die Wahrung der Verschiedenheit der bezwungenen Völker, um gerade dadurch die Reichseinheit zu fördern. Insofern das Gesetz als Handlungsanweisung anerkannt wird, gründet das Henschaftsideal im Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das eine Willkürhenschaft ablehnt. Bezüglich des dominium tenae leitet sich daraus ab, daß die Henschaft des Menschen über die Natur weder Willkür noch Belieben sein darf, sondern vor allem Schutz vor Mißbrauch sein muß.126 Ebenso wenig wie die persische Idealvorstellung duldet Gen 1,28 einen Verstoß gegen das göttliche Gesetz, der in der Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhangs damit sanktioniert wird, daß Gott die Erhaltung seiner Schöpfung aussetzt. Schon die ältere Prophetie und die vorpriesterschriftliche Urgeschichte deuteten, wie Rüterswörden im ersten Teil seiner Studie nachweisen kann, sowohl militärische Niederlagen als auch ökologische Katastrophen, zugespitzt dann in der Erfahrung, das Land fresse seine Bewohner (Num 13,32), als Strafe für das Nichtbefolgen des Gesetzes. Eine solche Krisensituation ist den Verfassern von Gen P in der Exilserfahrung vorgegeben, auf die sie unter Einarbeitung der Königsideologie zu antworten versuchen, indem sie betonen, daß Gott seine Zusage eines sicheren Lebensraumes als Existenzgrundlage nicht zurückgenommen hat.127 Rüterswörden 124 125 126 127
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Ebd., 126. Ebd., 128. Vgl. ebd., 129. So bezeugt die Schrift in vielfacher Weise Gott als den Bewahrer der Schöpfung, der seine Liebe zu den Menschen gerade darin erweist, daß er für ihre existentiellen Bedürfnisse Sorge trägt (z B Jer 5,24) In diesem Sinn ist auch das für den Fort-
schreibt: "Der ursprünglichen Absicht nach weisen die Verse dem Geschöpf Mensch seine Stellung in seinem Lebensraum zu, den er mit Tieren zu teilen hat. Die Henschaft bedeutet, daß die Menschheit nicht Sorge tragen muß, daß die Erde als Lebensgrundlage versagt, und daß die Menschheit nicht durch die Tierwelt dezimiert wird. Insofern läßt sie sich als Explikation der Fruchtbarkeits- und Nahrungszusage verstehen. Das Konzept des dominium terrae löst ein gravierendes Problem - der israelischen Antike."128 Mit Zenger läßt sich schließlich anmerken, daß das Weisheitsbuch im neunten Kapitel ein innerbiblisches Interpretationsmodell des dominium terrae anbietet.129 Danach ist zu unterstreichen, daß es den Menschen aufgetragen ist, als gute und gerechte Könige (Hirten) sorgend und ordnend die Welt zu gestalten, so wie es ihnen der Schöpfer selbst vorgemacht hat. Weish 12,15f.l8 beschreibt Gottes Handeln mit eindringlichen Worten und mahnt in Weish 9,2f den Menschen, Gottes Wirken nachzuahmen. Über Gottes Schöpfungshandeln heißt es: "Gerecht bist du, und auf gerechte Weise verwaltest du das All ... denn deine Macht ist der Anfang der Gerechtigkeit und (die Tatsache), daß du über ihn henschst, bewirkt (es), daß du alle schonend behandelst. ... Obgleich du Hen der Gewalt bist, richtest du in Lauterkeit und unter viel Schonung führst du uns".130 Vom Menschen wird deshalb gefordert, über die Geschöpfe zu henschen, d.h. die Welt "in Integrität und Gerechtigkeit" zu "verwalten" und Recht zu sprechen in "innerer Aufgerichtetheit". Gottes Tun hält dem Menschen den Spiegel
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bestand der Menschheit gute Ende der Sintfluterzählung zu verstehen, die sich damit gegen ihre mesopotamischen Parallelen abgrenzt Israel bekundet durch die Zeiten hindurch die Heilszusagen Gottes, die sich nicht zuletzt in der Erhaltung des Lebensraumes für den Menschen konkretisieren (vgl. ebd , 80) Ebd, 130. Den nachgeschobenen Satzteil, das dominium terrae sei eine Lösungsstrategie für ein Problem der israelischen Antike, akzentuiert Rüterswörden aus der Überzeugung, daß sich die "Dominium terrae Konzeption nicht für eine öko-ethische Vereinnahmung empfiehlt". Dazu zitiert er Christoph Uehlinger: "Kann sich der abendländische, aus biblischen Traditionen schöpfende Mensch nicht anders denn als König im Garten der Welt verstehen7 Eine Schöpfüngstheologie, die auch heute noch einseitig bei dominium terrae und (traditionsgeschichtlich aus der Königsideologie abgeleitetem) Verantwortungparadigma ansetzt, frönt einem illusorischen und letztlich unverantwortlichen, weil nicht verantwortbaren Idealismus " - Vom dominium terrae zu einem Ethos der Selbstbeschränkung'', in: BiLi 64 (1991) 59-74, hier: 65. "Du liebst alles, was ist" (Weish 11,24). Biblische Perspektiven für einen erneuerten Umgang mit der Schöpfung, in: BiKi 44 (1989) 138-147. Ebd., 141. 73
vor Augen, damit er sein Verhältnis zur Schöpfung nach dem göttlichen Vorbild richte, das als Leitbild vor ihm steht. Dieses Ideal gilt es anzustreben und als Maß der eigenen Haltung anzuerkennen. Somit dient besonders Gen 1 als "Leitbild-Utopie", die "unseren faktischen Umgang mit der Natur ständig in Frage stellt und uns permanent motivieren will, unsere Entscheidungen und unsere Taten, ... dieser Utopie anzunähern".131 Ähnlich hatte schon Lohfink die Sinnmitte des Henschaftsauftrages im abbildhaften Handeln des Menschen erkannt, das gleichsam die Fortfühning des göttlichen Schöpfungswerkes sein sollte, als er zur Illustration auf die Sinaiperikope in Ex 25 verwies. Dort wird erzälilt, daß ein Heiligtum in der Wüste errichtet werden sollte, damit Gott in der Mitte seines Volkes Wohnung nehmen könne. Für dieses Projekt werden Arbeiter gebraucht, die sich - und dies markiert den Unterschied zum ägyptischen Modell der Weltgestaltung -freiwilligzur Verfügung stellen. Wie die Weltschöpfung am Anfang im Prinzip der Freiheit Gottes gründet, so möge auch alles weltgestaltende Handeln des Menschen geschehen: Menschliches Wirken ist die Fortsetzung des göttlichen Schöpfungshandelns. Das, was der Mensch schafft, soll Ähnlichkeit haben mit dem im Himmel, bis schließlich Gottes Wesen selbst unter den Menschen Wirklichkeit wird.132 Die Prädikation als "Gottes Abbild" und der daraus abgeleitete Herrschaftsauftrag heben den Menschen aus der fundamentalen Schöpfungsgemeinschaft heraus, die er mit allem Geschaffenen hat und nehmen ihn in die Pflicht, sein schöpferisches Handeln in der Welt nach göttlichem Vorbild zu gestalten, das allein das Maß allen menschlichen Tuns ist: "Gott aber ist der Schöpfer, der sein und leben läßt. Deshalb muß auch die Herrschaft des Menschen als Mandatar Gottes sein und leben lassen. Von dieser theologischen Implikation wird die Dominanz des Menschen über die Schöpfung eingegrenzt. Wo immer sich seine Henschaft so auswirkt, daß er nicht mehr sein und leben läßt, verfehlt er seinen Herrschaftsauftrag."133 131
B2 133
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Ebd , 142 Vgl "Macht euch die Erde untenan", 141 Hans-Winfried Jüngling, "Macht euch die Erde Untertan" (Gen 1,28) Der geschaffene Mensch und die Schöpfung, in Philipp Schmitz (Hg ), Macht euch die Erde Untertan9, 9-38, hier 30, vgl Odil H Steck, Dominium terrae Zum Verhältnis von Mensch und Schöpfung in Genesis 1, in Fritz Stolz (Hg), Religiöse Wahrnehmung der Welt, Zürich 1988, 89-105, bes 103f, Günter Altner, Schöpfung am Abgrund, bes 58-65, Jürgen Ebach, Ursprung und Ziel Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit Biblische Exegesen, Reflexionen, Geschichten,
Wenn aber das dominium tenae in seiner biblischen Fundierung keinesfalls als Freibrief für die Ausbeutung der Schöpfung gedeutet werden kann, läßt sich doch nachfragen, ob sich nicht innerhalb seiner innerchristlichen Wirkgeschichte Indizien für eine Fehlinterpretation finden. Peter Stockmeier schreibt dazu in seinem Aufsatz 'Die Natur im Glaubensbewußtsein der frühen Christen'134, daß für die Christengemeinden der ersten Generationen mit ihrer stark eschatologischen Ausrichtung die alttestamentliche Weisung von Gen 1,28 lediglich "nachgeordnete Bedeutung" hatte. Erst der um 96 n.Chr. verfaßte Erste Klemcnsbrief spricht neben der henschaftlichen Macht Gottes auch die Größe des Menschen an, wobei er sich einer Kombination von Zitaten aus dem priesterscliriftlichen Schöpfüngsbericht bedient. Bemerkenswert ist daran, daß Gen 1,28 in diesem Zusammenhang nicht bedacht wird. Über die Erschaffung des Menschen heißt es: "Zu allem hinzu formte er mit seinen heiligen und untadeligen Händen das Hervonagendste und Großartigste, den Menschen, zum Abbild seiner Gestalt. ... Als er nun dies alles vollendet hatte, lobte und segnete er es und sprach: Wachset und mehret euch" (1 Klem 33,4-6). Im Bamabasbrief (ca. 130/140 n.Chr.) begegnet Gen 1,28 erstmals ausdrücklich, wobei dem Verfasser allerdings nicht daran gelegen ist, diesen Beleg als Rechtfertigung der Henschaft des Menschen über die Erde zu benützen, sondern in allegorischer Deutung auf die Zeit der Vollendung auszublicken, deren Charakteristikum in der Auflösung der gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen besteht und das in Jes 11,6-9 vorausgeschaute Heil verwirklicht wird. Gemeinsam ist der frühchristlichen Literatur selbst dort, wo von der Schöpfung als Tat Gottes um der Menschen willen die Rede ist, daß sie die im Henschaftsauftrag erzählte Einzigartigkeit des Menschen allein als von Gott ermächtigt betrachtet. Im Kontext dieser theozentrischen Deutung hat dann Neukirchen-Vluyn 1986, 16-47; Manfred Görg, Alles hast du gelegt unter seine Füße. Beobachtungen zu Ps 8,7b im Vergleich mit Gen 1,28, in: Ernst Haag/Frank L. Hossfeld (Hg), Freude an der Weisung des Herrn. Beiträge zur Theologie der Psalmen (FS H. Groß), Stuttgart 1986, 124-148; Wolfgang Trilling, Schöpfung, Gerechtigkeit und Frieden Eine biblisch-theologische Besinnung, in: ThJB(L) 1990, 165-177, bes 166; Martin LaBar, A Biblical Perspective on Nonhuman Organisms: Values, moral Considerability, and moral Agency, in Eugene C. Hargrove (ed ), 76-93; Robin Attfield, The Ethics of Environmental Concern, Oxford 1983, bes. 20-66; Alexandre Ganoczy, Liebe als Prinzip der Theologie Gesammelte Studien für eine "responsorische" Dogmatik, Würzburg 1994, bes. 157f Die Natur im Glaubensbewußtsein der frühen Christen. Herrschaftsauftrag und Entsakralisierung, in: MThZ 37 (1986) 149-161, hier: 151-156
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auch die von Justin (gest. um 165 n.Chr.) geprägte Vorstellung ihren Platz, der Mensch sei dazu bestimmt, mit Gott zu henschen: "Wir haben die Überlieferung, daß diese (Menschen), wenn sie sich nach seinem Ratschluß in Werken (Gottes) werterweisen, des Umgangs mit ihm gewürdigt werden und mit ihm gemeinsam henschen, nachdem sie unvergänglich und leidenlos geworden sind" (Apologia I 10,2). In den um 180 n.Chr. entstandenen Büchern 'Ad Autolycum' hebt Theophilus von Antiochien (gest. um 186 n.Chr.) die Gebietenolle des Menschen über die Schöpfung in Analogie zur Verantwortung des 'pater familias' hervor, wobei er ihm auch die Schuld an der gestörten Beziehung von Mensch und Tier anlastet. Wie nämlich der Mensch sündigte, zog er die ganze Umwelt in Mitleidenschaft, bis auch die Tiere der Sünde verfielen (Ad Autolycum II 17). Origenes gebraucht im dritten Jahrhundert noch die Auslegung, der Mensch sei zur Henschaft über die Tiere bestimmt, verweist aber in der anschließenden Allegorese auf die Tiere als Platzhalter der Lebewesen, welche von ihren Trieben regiert werden, während die Heiligen dem Willen des Geistes gehorchen und ihre Neigungen zu behenschen wissen (Hom. in Gen I 12.16). Bei den Kappadokiern wird ebenfalls der verantwortungsvolle Umgang des Menschen mit der Schöpfung betont, wobei Gregor von Nyssa (gest. 394) dem Menschen analog zur Herrschaft Gottes Vollmacht über die Kreaturen innerhalb der Schopfungsordnung zugesteht. Die Vätertradition sieht den Henschaftsauftrag stets unter dem theozentnschen Grundmuster ihrer Gesamtargumentation, die ihr die menschliche Größe von Gottes souveränem Schöpfersein her verständlich macht. "Als Gottes Bild hebt sich der Mensch von der übrigen Kreatur ab, und er ist darum berufen, über sie zu henschen,freilichin Abhängigkeit und Anerkenntnis des Schöpfers; insofern ist die Schöpfung nicht bloßes Instrument des Menschen und seines Geistes."'35 Krolzik unterscheidet bei den Kirchenvätern der ersten vier Jahrhunderte einerseits zwischen solchen Konzepten, die auch für die Zeit nach dem Sündenfall den Erhalt der menschlichen Henschaftsbefügnis annehmen und andererseits solchen, die von einem Verlust des dominium tenae sprechen.136 Charakteristisch für erstere, mögen sie den Henschaftsauftrag in der Form einer "anthropozentrischen Theologie" oder als "ontologische Über135 136
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Ebd., 156 Vgl Umweltkrise, 73
legenheit" fassen, scheint ihm dabei die Überzeugung, die Welt sei das Geschenk Gottes zum Dienstgebrauch für den Menschen. Den Repräsentanten des zweiten Modells ist eine äußerst skeptische Beurteilung der gegenwärtigen Welt gemeinsam, deren Diskrepanz zum paradiesischen Urzustand in Gen 1,26-30 besonderes Interesse findet. An beide Ansätze trägt Krolzik die Frage heran, wie sie aufgrund ihrer jeweiligen theologischen Akzentuierung die Kulturgeschichte als Erfüllung des Henschaftsauftrages wahrnehmen.137 Einige Quellen weisen durchaus Spuren einer innigen Verbindung zwischen einer positiven Kulturbewertung mit dem Herrschaftsauftrag auf, wie etwa die pseudoklementinischen Homilien, Eusebius (vgl. Theop. GCS II/2, 61ff) und Laktanz (ira Dei 13,2). Aus den pseudoklementinischen Homilien zitiert Krolzik 111,36: "Und wer ist der Hen über die Kreaturen, soweit es möglich ist? Ist es nicht der Mensch, der die Weisheit empfangen hat, die Erde zu bebauen, das Meer zu befahren; Fische, Vögel und Tiere zu seiner Speise zu machen; den Lauf der Sterne zu beobachten; die Erde auszubauen; Städte zu bauen, Königreiche zu errichten, Gesetze zu erlassen, Recht zu sprechen, den unsichtbaren Gott zu kennen, die Namen der Engel zu nennen, Dämonen zu vertreiben, zu versuchen, Kranhkeiten durch Medizin zu heilen." Dagegen betonen eine Vielzahl von Texten die im dominium tenae implizierte Begrenzung der menschlichen Henschaftsausübung, so etwa der von Origenes verfaßte Kommentar zum Buch Genesis, der darauf hinweist, daß dem Menschen keine Henschaftsvollmacht über die Fische, die Seeungeheuer und wilden Meerestiere aufgetragen wurde: "Und wenn nun gesagt wird, daß der Mensch Henschaft über die Fische des Meeres besitzt, so henscht Schweigen über die Gruppe der Seeungeheuer und wilden Tiere. ... So frage ich, ob man nicht aus dem Schweigen folgern muß, daß nicht alles Lebendige für den Menschen gemacht wurde, sondern nur das, über das ihm die Henschaft zugeteilt wurde" (PG 12,96C-97B). Die Quellenlage der patristischen Literatur veranlaßt Krolzik für die Spanne der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bis zur beginnenden Hochblüte des Mittelalters im zwölften Jahrhundert zu der Aussage, er habe trotz des offenkundigen Anthropozentrismus in Gen 1,28 nicht feststellen können, daß dieser Henschaftsauftrag die Ausbeutung der Natur begünstigt hätte.138 Dennoch scheint ihm das Christentum offen, die "Vollendung der
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Vgl. ebd., 74. Vgl ebd., 77.
77
Natur mit der eschatologischen Sicht des dominium tenae" zu verbinden, ist der Mensch doch zu "fortschreitender Mitarbeit an der Schöpfung aufgefordert".139 Augustinus sei es gewesen, der einen entscheidenden Schritt in diese Richtung wagte, indem er die technischen und kulturellen Leistungen als Konkretion des Henschaftsauftrages erkannte: "Bei Augustin" (vgl. De civ. Dei 22,24), resümiert Krolzik, "trafen dann das teilweise erhalten gebliebene dominium tenae, das sich in den technischen Errungenschaften manifestiert, und ein Ausblick auf ein eschatologisches dominium tenae zusammen, so daß das künftige dominium tenae als Steigerung der gegenwärtigen technischen Errungenschaften erscheinen konnte."140 Auch wenn Krolziks anthropozentrische Vereinnahmung der Kirchenvätertexte den Blick auf deren eigentümliche theozentrische Argumentationsführung verstellt, muß sie zugeben, daß die Rezeptionsgeschichte der ersten Jahrhunderte nicht einmal andeutungsweise folgern läßt, Gen 1,28 sanktioniere die Ausbeutung der Schöpfung. Vielmehr wird der Mensch als "Abbild Gottes" und "Krone der Schöpfung" betitelt, weil ihm seine Henschaftsbefähigung von Gott her übertragen ist. Sein Wirken in der Welt ist ermächtigt, seine kulturellen Leistungen sind Gabe Gottes. In dem Maße, wie das Henschaftsrecht des Menschen von Gott abgeleitet ist, werden auch seine Grenzen sichtbar. Freilich zeichnet sich der Mensch innerhalb der Schöpfung aus, wobei ihn diese Sonderstellung jedoch nicht aus der Verantwortung enthebt. Er bleibt aufgefordert, so über die Welt zu herrschen, wie Gott dies tut, sein Schaffen hat an Gottes Schöpfiingshandeln Ausrichtung zu nehmen und ist gleicherweise verpflichtet, Konekturen zu tätigen, wenn das eigene Handeln dem Willen Gottes entgegensteht.
139 140
78
Ebd , 76 Ebd., 80, wobei Krolzik allerdings darauf aufmerksam macht, daß Augustinus selbst diese Konsequenz nicht zieht, sondern die Technik noch ambivalent beurteilt In De civ Dei 11,16, 12,4f verweist Augustinus gegen die "anthropozentrische Theologie" auf die Eigenwertigkeit eines jeden Geschöpfes, wie Krolzik, 76 [Anmerkung 233] zu bedenken gibt.
2.3
Weltgestaltung durch A rbeit
Arbeit als existentielle Bestimmung Nach alttestamentlichem Verständnis gehört die Arbeit zur existentiellen Grundbefindlichkeit des Menschen, die ihre spezifische Würde im Gegenüber zu Gott erfahrt und damit immer schon die Interessen ökonomischer Funktionalität überschreitet. Hineingenommen in die Beziehungsgeschichte von Gott und Mensch steht sie unter dem Vorzeichen der Ruhe des siebten Schöpfungstages (vgl. Gen 2,2), von dem her sie "Richtung und Gericht" zugesprochen bekommt141. "Gemeinschaft mit Gott" und "Verantwortung vor Gott" sind deshalb auch die unerläßlichen Komponenten, welche die biblische Reflexion über den Sinn der Arbeit in ihrer konstitutiven Verwiesenheit auf das Ruhegebot als Ethos des "laborare ex oratione" qualifizieren142. Außerdem erzählen die alttestamentlichen Schriften, daß sowohl Gott als auch die Menschen arbeiten, wobei sich allerdings verschiedene Nuancierungen hinsichtlich des Arbeitsverständnisses ausmachen lassen, die zunächst mittels einer sprachlichen Analyse aufgezeigt werden sollen.143 Die Wortstatistik weist das Verb bara' als Schöpfungsterminus 141
142 143
Walther Bienert, Die Arbeit nach der Lehre der Bibel Ein Beitrag zur evangelischen Sozialethik, Stuttgart 21956, 21. "'Arbeit' ist innerhalb des AT kein besonders wichtiges Thema", meint Michael Brocke in seinem Artikel "Arbeit I Altes Testament", in: TREIII, 613-622, bes. 613 Vgl auch Werner Conze, Art. "Arbeit", in GGB I, 154-215, hier: 158-160. Friedrich Reiterer, Art "Arbeit I. Biblisch-theologisch", in: LThK3 I, 917f Jürgen Ebach hebt gerade die Selbstverständlichkeit hervor, mit der im Alten Testament gesagt wird, daß die Menschen arbeiten Daraus würden sich auch die seltenen Reflexionen über die prinzipielle Notwendigkeit der Arbeit erklären, weshalb es problematisch sei, wie Walther Bienert dies tut, von einer biblischen Lehre der Arbeit zu sprechen Allerdings wäre es ebenso ein Mißverständnis, daraus abzuleiten, die Arbeit sei für das Alte Testament gänzlich bedeutungslos - Zum Thema Arbeit und Ruhe im Alten Testament Eine utopische Erinnerung, in ZEE 24 (1980) 7-21, hier 8 In diesem Sinn ist auch Claus Westermanns Aussage zu verstehen "Arbeit und Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil des Redens von Schöpfer und Schöpfung im Alten Testament" - Arbeit und Kulturleistung in der Bibel, in: Conc 16 (1980) 45-50, hier 45 Walther Bienert, 39 Auf diesen Gegensatz macht Walther Bienert aufmerksam (vgl Die Arbeit, 40f), wenn er unter die Arbeit Gottes drei Momente rechnet, nämlich 'Schöpfung der Welt, Lenkung der Geschichte, Vollbringung der Erlösung', an die die menschliche Arbeit als 'Ver-Arbeiten von etwas Vor-Gegebenem' nicht heranreicht Obgleich
79
aus, der von 49 Belegen insgesamt lOmal in Gen P vorkommt und ausschließlich Gottes Handeln meint.144 Jahwe ist immer das schaffende Subjekt, wodurch die Unvergleichlichkeit seines Wirkens ins Blickfeld gerät, das voraussetzungslos Neues hervorbringt. Nie wird dabei ein Material erwähnt, das ihm als Grundlage seines Schaffens dienen würde, während andernteils die Objekte stets etwas Besonderes und Einmaliges aussagen, etwa die Entstehung von Himmel und Erde (Gen 1,1; 2,4), des Menschen (Gen 1,27; 5,1 f) oder aber die Erwählung Israels zum Bundesvolk (Jes 43,1.15) und andere wunderbare Taten, die ohne jegliche Parallele sind (vgl. Ex 34,10; Num 16,30; Ps 104,30). bara' wird einzig für "Gottes außerordentliches, souveränes, sowohl müheloses wie völlig freies, ungebundenes Schaffen" verwendet145, dem die menschliche Arbeit als sekundäres Machen aus der vorgegebenen Schöpfung entgegensteht. Wie sehr gerade der Priesterschrift am theologischen Gebrauch von bara' liegt, wird an der redaktionellen Umarbeitung eines älteren Schöpfüngsberichtes deutlich. Dieser kannte für die Gestaltung der einzelnen Schöpfungselemente nur das allgemein gebräuchliche Verb 'asah, was P veranlaßte, Gottes Tun durch einen vorangestellten Schöpfüngsbefehl mit bara' mehr Aussagekraft zu verleihen. Besondere Dichte erfährt diese Interpretation in Vers 27, wo von der Erschaffung des Menschen berichtet wird, deren Einzigartigkeit gleich 3mal mit bara' zum Ausdruck gelangt. Weiterhin präsentiert P die Erzählung des Sieben-Tage-Werkes als analogieloses Arbeiten Gottes, indem in Gen 1,1 wie auch in Gen 2,3 bara' gleichsam als Klammer des ganzen Berichtes gesetzt ist. Auf der Linie dieser Akzentuierung beginnt ferner die konsequente Verwendung des Schöpfüngsterminus bara' für die "Schöpfung am Anfang" wirksam zu werden, womit ihr Charakter als "endgültige Handlung, die keiner Ergänzung bedarf' aufscheint146.
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ein prinzipieller Unterschied hinsichtlich der Qualität der Arbeit besteht, bezieht sich das Analogon auf das 'Daß der Arbeit' von Gott und Mensch. Vgl auch Rolf Kramer, Arbeit. Theologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte, Göttingen 1982, 9f. Vgl. Karl H. Bernhardt, Art. "bara"', in: ThWAT I, 773f. Werner H Schmidt, Art "br" - schaffen", in: THAT, 336-339, bes. 338; vgl. Dietmar Mieth, Art. "Arbeit", in: Georges Enderle u.a. (Hg.), Lexikon der Wirtschaftsethik, Freiburg u.a. 1993, 17-25, bes. 20f ebenso in seinem Buch "Arbeit und Menschenwürde", Freiburg u.a. 1985, 17-21; Lothar Roos, Theologie und Ethik der Arbeit, in: IkaZ 13 (1984) 97-115, bes. 103. Werner H Schmidt, Art. "br' - schaffen", 338f
Anders als das mit bara' bezeichnete Schöpfungsverständnis, dessen Eigenheit es ist, ein Gefälle zwischen göttlichem und menschlichem Tun zu markieren, läßt 'asah an einen möglichen Vergleich denken. Von den 2627 Belegstellen, die vielfache Nuancen von 'tun/machen' umschreiben, hat die überwiegende Mehrheit den Menschen zum Subjekt, während etwa nur ein Sechstel explizit theologisch verwendet ist.147 Innerhalb der Bedeutungsfülle bezieht sich 'asah hauptsächlich auf die Herstellung von Gegenständen und meint allgemein den Bereich personaler Beziehungen, wo der Mensch sein Handeln in der Verantwortung vor seinen Mitmenschen und Gott zu überprüfen hat. Besonderes Interesse ziehen die Konstruktionen mit theologischem Gebrauch auf sich, wobei man zwischen impliziter (ein Tun des Menschen, das als Gebot oder Verbot von Gott an ihn herangetragen wird) und expliziter Verwendung unterscheidet. Daneben spielt 'asah auf jegliches Tun Gottes an, "sein Handeln in Geschichte und Natur, in der Menschenund Völkerwelt wie in der Schöpfung, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft".148 Indem dieses Verb sowohl zum Inbegriff des göttlichen Schöpfüngshandelns in allen Dimensionen geworden ist als auch gleicherweise das Wirken des Menschen zu fassen sucht, ist eine Analogielosigkeit, wie sie noch bara' behauptet, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Denn obgleich am qualitativen Unterschied zwischen Gottes voraussetzungslosem Wirken und dem verarbeitenden Tätigwerden des Menschen festzuhalten ist, gibt es Gemeinsamkeiten. So kann selbst das durch redaktionelle Überarbeitung entstandene Deutungsmuster von Gen P nicht darüber hinwegtäuschen, daß trotz der nachgetragenen bara -Belege Grundstrukturen mit anthropomorphem Sinngehalt vorhanden sind, die am Verbum 'asah festhalten. Am deutlichsten wird diese Spannung bei der Erschaffung des Menschen, die noch in Gen 1,26 erklärt, "laßt uns Menschen machen {'asah)", in Vers 27 allerdings von ihrer Erschaffung (3mal bara') berichtet.149 Ob es sich hierbei um bewußte theologische Akzente handelt, kann nicht entschieden werden. Feststellt jedoch, daß bara' und 'asah-Bdege ineinandergreifen und einmal mehr die Exklusivität göttlichen Schaffens, das andere Mal eher den Analogiecharakter von göttlichem und menschlichem Handeln betonen. Gemäß Gen 1,28; Ps 8,6f; 147
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Vgl. Jochen Vollmer, Art. "'sh - machen, tun", in: THAT II, 359-370, bes. 360f und Helmer Ringgren, Art. '"asah", in: ThWAT VI, 413-432, bes. 417-426. Jochen Vollmer, 365f Vgl. Helmer Ringgren, 417.
81
Sir 17,1-11 richtet sich die Arbeit des Menschen auf die von Gott gewirkte Schöpfung, die ihn keinesfalls zum "selbsthenlichen Behenscher" der Erde erhebt, weiß er doch sein Handeln als Auftrag Gottes. Dieser "bleibt als der Hen auch Hen über den Menschen, der sich durch Arbeit die Erde Untertan macht".150 Damit ist ins Bewußtsein gerufen, daß das Wesen der Arbeit von ihrer Herkunft aus Gott rührt und innerhalb der Schopfungsordnung im Dienst des Menschen steht. "Die Arbeit des Menschen ist zwar nicht identisch oder wertmäßig-gleichsetzbar mit der Arbeit Gottes; denn dann wäre der Mensch Gott; die Arbeit des Menschen ist aber auch nicht ohne Beziehung zu Gott ein bloßes Adiaphoron, dann wäre der Mensch nur Kreatur Die Arbeit des Menschen ist Abbild der Arbeit Gottes, nicht mehr, aber auch nicht weniger."151 Die Arbeit gehört zum "Grundauftrag des Schöpfers an sein Geschöpf'152, sie ist "göttliche Bestimmung" und "Schöpfüngsgesetz"153, worauf die jahwistische Schöpfungserzählung exemplarisch verweist In Gen 2,5 ist, noch ehe der Mensch überhaupt geschaffen ist, von seiner Aufgabe die Rede, nämlich den Acker zu bebauen ('abad), die in Gen 2,15 näher geschildert wird in dem Imperativ, er solle den Garten Eden nebauen' ('abad) und 'behüten', 'bewahren', 'bewachen' (samar). Nach dem Sündenfall jedoch tntt diese Doppelfunktion des "dienenden Bearbeitens und des hütenden Bewachens"154 auseinander, indem für den Menschen allein die Bearbeitung des Ackerbodens ('abad) bleibt, während die Aufgabe, den Garten Eden zu 'behüten', "bewahren' oder "bewachen', nun von den Kerubim zu erfüllen ist (vgl Gen 3,24). Voraussetzung der menschlichen Arbeit ist also Gottes Wirken, das dem Menschen seinen Lebens- und Gestaltungsraum erschafft. Gen J erzählt vom Geschenk Gottes an die Menschen, wobei sich mit der "Übereignung der Schöpfüngsgaben" für diesen die Aufgabe ableitet, die Gaben zu pflegen und zu schützen.155 Damit ist schon erkennbar, daß die 150 151 152
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Walther Bienert, 43 Ebd, 47 Hans W WolfF, Anthropologie des Alten Testaments, München "1984, 190, Gerhard Dautzenberg, Art "Arbeit und Eigentum", in HCE II, 343-362, hier 344 Walther Bienert, 48, vgl Walther Zimmerli, Mensch und Arbeit im Alten Testament, in Jürgen Moltmann (Hg), Recht auf Arbeit - Sinn der Arbeit, München 1979, 40-58, bes 43 HansW Wolff, 191 Ebd Vgl Odil H Steck, Die Paradieserzahlung Eine Auslegung von Genesis 2,4b - 3,24, Neukirchen-Vluyn 1970, 85 macht darauf aufmerksam, daß es dem bib-
Arbeit für den biblischen Schriftsteller nichts ist, was dem Menschen erst nach dem Sündenfall, gewissermaßen als Strafe, aufgegeben wäre. Vielmehr ist sie "Wesensbestandteil [seines] Menschseins"156, der ihm bereits im paradiesischen Urzustand eignet. Sie ist Ausdruck der Beziehung zwischen Gott und Mensch, Zeichen der Annahme der göttlichen Schöpfüngsgaben, weshalb gerade solche Interpretationen inen, welche die Arbeit als unter dem Fluch des Sündenfalls stehend erkennen (Jürgen Habermas)157, sie in Zusammenhang mit dem Sühnegedanken bringen (Marie D. Chenu)158 oder sich überhaupt nicht mit dem Gedanken abfinden können, daß der Mensch bereits im Garten Eden arbeiten müsse159. Die Arbeit gehört nach Auskunft der alttestamentlichen Texte von Anfang an zum Menschen, wobei sich allerdings mit dem Sündenfall eine neue Situation einstellt: dem Menschen, der noch im Garten Eden die Doppelfünktion des Bebauens und Bewahrens ausübte, bleibt nach seiner Vertreibung aus dem Paradies lediglich das Bebauen des Ackerbodens. Das Bewahren gehört fortan nicht mehr zur Aufgabe des Menschen, wie gerade die Geschichte von Kain und Abel (Gen 4) verdeutlicht, die das Wortpaar 'abad und samar wieder aufgreift, um die Konsequenzen dieses Auseinandertretens zu illustrieren: Kain, dessen Beruf als Ackerbauer genannt ist (abad), wird von Gott nach dem Mord an seinem Bruder Abel, der die Aufgabe des Behütens innehatte (samar), zur Rede gestellt, woraufhin er sich mit der Antwort: 'Bin ich denn der Hüter (samar) meines Bniders9' aus der Verantwortung zieht, "'abad und samar sind auseinandergetreten. Zuerst bei Adam, dem nach der Vertreibung aus dem Garten nunnelir das 'abad zukommt, während der somer, der Kenib, ihn von der vergangenen ausgewogenen Lebensordnung trennt. Dann noch einmal
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lischen Erzähler darauf ankomme, Gottes Fürsorge gegenüber dem Menschen herauszustellen Dazu schildere er im Gegensatz zur bäuerlichen Lebenswelt, so wie sie tatsächlich vorzufinden ist, den von Gott gegebenen Lebensraum als Paradies, als die vollkommene Fülle dessen, was ihm vorstellbar ist Claus Westermann, Genesis, 300f Vgl Erkenntnis und Interesse, Frankfurt aM 1968,80 Vgl Art "Arbeit", in HWP I, 480-482, hier: 481 Karl Budde fand die Vorstellung, daß der Mensch bereits im Paradies arbeiten müsse, so befremdlich, daß er in seinem Genesis-Kommentar sowohl Gen 2,15 als auch die Ankündigung über die Bestimmung des Menschen in Gen 2,5 als der ursprunglichen Textfolge nicht angehorig ausschied - Die biblische Urgeschichte (Gen 1-12,5) untersucht. Gießen 1883, 83
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und auf das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch ausgeweitet bei Kain: der 'obed ist kein somer."160 Wenn jedoch feststeht, daß die Arbeit des Menschen nach dem Sündenfall lediglich im Bebauen besteht, sind mit Friedrich W. Graf Bedenken gegen die in der Diskussion um die ökologische Krise schon inflationär gebrauchte Formulierung vom 'Bewahren der Schöpfung' anzumelden, welche die "Subjektivität Gottes mit der des Menschen" vertauscht: "Via negationis wird unterstellt, daß der neuzeitliche Mensch die Macht gewonnen habe, die Schöpfung sowohl zu zerstören als auch zu bewahren. Gerade die um die religiöse Begrenzung menschlicher Subjektivität bemühte Schopfiingstheologie vertritt damit ein Bild des Menschen, das sich theologisch gar nicht titanischer denken läßt. Denn nicht mehr Gott erscheint hier als das Subjekt der creatio continua, sondern der fromme Mensch."161 Mit der Erzählung über Kain und Abel gerät überdies ein weiterer Aspekt des alttestamentlichen Arbeitsverständnisses in den Blick, insofern mit Gen 4 eine "Genealogie der Arbeit" beginnt, welche die Entstehung der verschiedenen Berufsgruppen in das Schema der Generationenabfolge gliedert und so die Vielgestaltigkeit nachzeichnet, den Schöpfüngsauftrag zu erfüllen: Dem Bauern folgt der Kleinviehzüchter (Gen 4,2), Städte werden gegründet (Gen 4,17-20), die Berufsgruppen der Musiker und Metallverarbeiter entstehen (Gen 4,18-22). Noah führt den Weinbau ein (Gen 9,20f) und seine Nachfolger verstehen sich schließlich auf die Kunst, Tonziegel zu fertigen, womit sie riesige Gebäude herstellen können (Gen 1 l,3f). Auf die Kritik des biblischen Schriftstellers trifft erst die sich steigernde Machtausübung des Menschen, die ihn seine Henschaftsermächtigung durch Gott vergessen und nach grenzenlosem Tun drängen läßt, wie die Geschichte vom Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) erzählt, nicht jedoch die "Entwicklung des Kulturschaffens in Arbeitsteilung und Kulturfortschritten''162, die vielmehr als Konkretisierung des Herrschaftsauftrages an den Menschen verstanden wird. Die alttestamentliche Reflexion über die Arbeit weiß freilich auch um die mit ihr verbundenen Beschwernisse und Mühen. Ohne idealisierende Beschönigung bringt Gen 3 die mit der Arbeit gegebenen Negativerfahruni6o 161
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Jürgen Ebach, Zum Thema: Arbeit und Ruhe, 12. Von der creatio ex nihilo zur "Bewahrung der Schöpfung". Dogmatische Erwägungen zur Frage nach einer möglichen ethischen Relevanz der Schöpfüngslehre, in: ZThK 87 (1990) 206-223, hier: 220f Claus Westermann, Schöpfung, 41.
gen in Zusammenhang mit dem Sündenfall, der weder die Arbeit als solche noch ihre Bestimmung in Abrede stellt, wohl aber die veränderten Bedingungen anmerkt, unter denen die Arbeit nun verrichtet werden muß. Schuldig geworden zu sein, bedeutet eine grundlegende Beziehungsstörung des Menschen zu Gott, welche die Lebenssituation insgesamt infiziert und dem Menschen unabweisbar seine Kontingenz vor Augen führt. Als solches Zeichen wird die Beschwernis der Arbeit zu verstehen sein, die als indirekte Straffolge der Vertreibung aus dem Paradies gedeutet werden muß.163 Denn nach Gen 3,17 trifft der Fluch nicht den Mann selbst (adam), sondern die Ackererde (adamah) um seinetwillen. Bestreben der Verse 17-19 ist es, die Strafe plastisch auszugestalten und dabei die Frage zu klären, warum die Arbeit mit der Hypothek schwerer Anstrengung belastet ist. Erst die Schuld des Menschen, so die Interpretation der Urgeschichte, trägt der Arbeit Belastungen ein, die jedoch nichts daran ändern, daß sie ihrem Wesen nach die Erfüllung des Auftrags Gottes ist. Auch wenn der Arbeit nach dem Sündenfall Mühen anhaften, gilt weiterhin das Gebot: "Sechs Tage kannst du schaffen, aber am siebten Tag sollst du aufhören!" (Ex 24,21; vgl. 23,12), womit allem Tätigsein eine Grenze gesetzt ist. Die Ruhe des siebten Tages (sabbat) gebietet der Arbeit jedoch nicht nur Einhalt und widersteht damit der menschlichen Neigung, durch pausenloses Schaffen den Lebensunterhalt zu sichern (vgl. Ex 16), sondern vollendet die Arbeit. Denn wie Gott am siebten Tag ruhte, nachdem er die Welt und alles Sein geschaffen hatte, so darf auch der Mensch ausruhen und dadurch seine Arbeit zur Vollendung bringen (vgl. Gen 2,2).164 Die Ruhe Vgl. ders , Genesis, 350. Es ist das Verdienst Moltmanns, Gott in der Schöpfung, die Bedeutung des Sabbats als "Vollendung", "Fest" und "Krone der Schöpfung" herausgestellt zu haben: "Die Vollendung der Schöpfung durch den Sabbatfrieden unterscheidet die Auffassung der Welt als Schöpfung von der Auffassung der Welt als Natur. ... Erst der Sabbat [ist] die Vollendung und Krone der Schöpfung Erst in seiner Ruhe am Sabbat kommt der schöpferische Gott zu seinem Ziel, nämlich zu sich selbst, zu seiner Herrlichkeit" (ebd., 20). ... "Endlich 'ruht' Gott nicht nur 'von' seinen Werken und auch nicht nur im Angesicht seiner Werke, sondern er ruht auch in seinen Werken Er läßt sie in seiner Gegenwart existieren Und er ist in ihrer Existenz präsent Der Schöpfungssabbat Gottes enthält in sich schon das erlösende Geheimnis der Einwohnung Gottes in seiner Schöpfung, obwohl und gerade weil er ganz bei sich ist und in sich ruht Die Schöpfungswerke zeigen in den Tätigkeiten Gottes die ständige Welttranszendenz des Schöpfers über die Schöpfung Der Schöpfungssabbat aber weist auf die Weltimmanenz des Schöpfers in seiner Schöp-
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des siebten Tages erinnert neben dem Bericht über Gottes schöpferisches Tätigsein an sein Befreiungshandeln, das er seinem Volk in Ägypten zuteil werden ließ (vgl. Dtn 5,14ff; Ex 20,9f). So sind Begrenzung, Vollendung und Befreiung die konstitutiven Momente der Ruhe, die notwendig das Komplement zur Arbeit bilden und bekräftigen, daß die Arbeit des Menschen durch Gottes Schaffen ermöglicht ist. Denn Ausruhen von der Arbeit kann letztlich nur, wer darum weiß, daß Gott eine Welt geschaffen hat, die den Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgt (vgl. Dtn 16,15, 30,9; Psl28,lf;Koh3,13). Die Weisheitsliteratur bringt ergänzend zu den bisherigen Aspekten eine neue Überlegung, insofern sie die Arbeit in den Kontext von 'Tun und Ergehen' stellt. Danach darf sich der Fleißige der besonderen Zuwendung Gottes versichert sein, die sich im reichlichen Ertrag seiner Arbeit äußert, wohingegen der Faule arm bleibt: "Arm macht die lässige Hand, doch der Fleißigen Hand macht reich" (Spr 10,4; vgl. Spr 11,16; 12,27; 13,4; 24,30-34). Armut wird diesem Argumentationsmuster nach zurecht als Lohn des Müßiggangs empfunden, weil der Faule die Schöpfungsgaben nicht genützt hat (vgl. Spr 6,6-11). Schwierigkeiten bereitet diese Deutung des kausalen Verhältnisses von Tun und Ergehen allerdings überall dort, wo der zugesicherte und für gerecht befundene Ausgleich von Seiten Gottes ausbleibt, der Fleißige also arm ist, während es dem Faulen gut ergeht. Einen Antwortversuch auf diese Theodizee unternimmt die Weisheitsliteratur, indem sie auf die eschatologische Dimension verweist, die einmal die angemessene Vergeltung bringen wird. Zudem erinnert sie daran, daß alles menschliche Mühen vergeblich ist, wenn Gottes Segen nicht auf diesem Tun liegt: "Allein Jahwes Segen macht reich, die eigene Mühe fügt nichts hinzu" (Spr 10,22; vgl. Ps 127,1). Trotz allen menschlichen Einsatzes ist nicht der Mensch selbst der Garant seines Erfolgs, sondern Gottes segnendes Wirken, womit wieder die für das Alte Testament charakteristische Rückbeziehung der Arbeit auf Gottes Heilshandeln in den Blick gerät.165
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fung hin" (ebd., 282f, vgl. auch 279-292), vgl auch Hartmut Gese, 79 der zeigen konnte, daß die älteren Sabbatgebote (Ex 34,21, 35,3) nicht vom Aspekt der Arbeitsruhe her gedeutet werden können, sondern vielmehr auf eine kosmische Dimension verweisen. Ihnen geht es um die "Integrität der Lebenswelt, die restitutio in integrum der Schöpfung". Vgl. bes. Hans W. Wolf, 192-197, Gerhard Dautzenberg, 347f.
Arbeit unter dem Anspruch der Gottes- und Nächstenliebe "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1,15) In diesen Worten erkennt die Theologie die Sinnmitte jesuanischen Wirkens, das auffordert, dieser Botschaft nachzufolgen. Dabei bedingt ihre Annahme eine von Grund auf umfassend vollzogene Neuorientierung, die selbst dem alttestamentlichen Arbeitsethos "einen neuen Geist, eine neue Stellung und einen neuen Akzent" überträgt166. Wurde die Arbeit in den Schriften des Alten Testaments als von Gott gegebene existentielle Bestimmung gedeutet, zeichnet sich nunmehr die Neuartigkeit ihrer Stniktur an der Entscheidung für Jesus Christus ab, die sich unter den Imperativ der Reich-Gottes-Botschaft stellt. Unmittelbare Resonanz erzielt dieser Anspruch in der Forderung zur Nachfolge, an welche die Aufgabe des bisherigen Wirkens geknüpft ist (vgl. Mt 19,16-30). Jesus selbst übt während seiner Verkündigungstätigkeit den ursprünglich erlernten Beruf (vgl. Mk 6,3; Mt 13,55) ebensowenig aus wie seine zur Lebensgemeinschaft mit ihm berufenen Apostel (Mk 1,16-20; 2,14). Nach Auskunft der Logienquelle Q führen die nachösterlichen Missionare diese Tradition weiter, verstehen sie sich doch als "Arbeiter" bei der endzeitlichen Ernte. Ihre Arbeit ist der Verkündigungsdienst, zu dem sie von Jesus berufen wurden, und für den sie in den Häusern, wo sie Aufnahme und Gehör gefunden haben, Versorgung erwarten dürfen. Denn "der Arbeiter hat ein Recht auf seinen Lohn" (Lk 10,2-7; Mt 9,37f; 10,10; 1 Kor 9,14).167
Walther Bienert, 187 Dennoch lassen gerade der Bezug auf den Schöpfüngsbericht (Mk 10,7f), die Erzählungen über die Sabbatkonflikte (Mk 2,23-27, 3,1-6) sowie die Gleichnisse Jesu erkennen, daß die alttestamentliche Deutung der Arbeit rezipiert wird Zur Lebensweise der urchristlichen Wandercharismatiker vgl. Gerd Theißen, Soziologie der Jesusbewegung Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Urchristentums, München 21978, 16-20, vgl ders, Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 1983 (2 erweiterte Auflage), hier 94 hält fest: "Man ging also von der Erwartung aus, daß sich immer wieder Menschen fanden, von denen man freiwillig unterstützt wurde Dabei appellierte man nicht an caritative Gesinnungen, sondern an Recht und Billigkeit: Arbeit ist ihres Lohnes wert. Welche Arbeit? Die Aussendungsrede nennt zwei Dinge: Heilung und eschatologische Verkündigung Heilungen für die Gegenwart, Verkündigungen für die Zukunft", die Schutz im Endgericht verliehen "Gegenwärtige Heilungen und eschatologischer Schutz das waren die 'Leistungen' der Wanderprediger, die ohne Entgelt gegeben werden sollten. 'Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt es' (Mt 10,8) Aber diese
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Während für Q die Verkündigung des Reiches Gottes mit der Ausübung einer Erwerbsarbeit gänzlich unvereinbar ist, schwächt bereits die MatthäusRedaktion diese Spannung ab, indem sie gewissermaßen eine Hierarchie der Werte einsetzt, innerhalb derer der Arbeit für das Reich Gottes die erste Stelle angewiesen wird, ohne ein gewisses Maß an Sorge für die tägliche Existenzsicherung auszusparen: "Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben" (Mt 6,33; vgl. 5,6.10.20; 6,1). Übertriebene Sorge um den nächsten Tag hingegen kennzeichnet ein mangelndes Vertrauen auf die Fürsorge Gottes und vertauscht den geforderten Dienst an der Verkündigung des Reiches Gottes mit dem Dienst am Mammon (vgl. Mt 6,24).168 Die Berufung durch Gott drängt auf den Bruch mit dem bisherigen Leben und erfordert eine Neuordnung der Werte, die sich zumindest in der Entscheidung darüber ausdrückt, was im Leben Priorität erhalten soll, wie schon die um einen Ausgleich zwischen der vorrangigen Ausrichtung auf das Reich Gottes und der notwendigen Sorge um den Lebensunterhalt bemühte und für alle Menschen akzeptable Matthäus-Version zeigt (vgl. Mt 4,2lf; 10,1; Mk 1,18-20; 6,7; Lk 9,lf).169 Mit der anläßlich der Bereitschaft für das Reich Gottes ausgesprochenen Warnung vor einer übergebülirlichen Wertschätzung der Arbeit, ist bereits ein wichtiges Indiz vorgelegt, daß sie wesenhaft in das Doppelgebot der Leistungen waren doch ihres Lohnes wert Ihre Honorierung durch Speise, Trank und Unterkunft verstand sich eigentlich von selbst Das ist zwar keine normale Bettelei, das ist Bettelei höherer Ordnung, charismatische Bettelei, die das Problem des Lebensunterhalts nur nebenbei thematisiert, die darauf vertraut, daß sich dieses Problem gewissermaßen von selbst erledigen wird " Vgl. auch Paul Hoffmann, Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 1972, bes. 30lf, Rudolf Schnackenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments I, Freiburg u a 1986, 136-138. Zum Gegensatz von "Sorge" und "Glaubensvertrauen" vgl. Walther Bienert, bes 216, wo es gerade als typisch für die Ungläubigen angesehen wird, sich bei der Suche nach Letztverbindlichkeiten auf "irdische Dinge" zu verlassen und sich dem Wagnis, Gott alles anzuvertrauen, zu versperren Martin Hengel spricht sogar davon, Mt 5,21 ff wurde das Hauptmotiv menschlicher Arbeit, nämlich die Sorge um den Lebensunterhalt verbieten - Die Arbeit im frühen Christentum, in: ThBeitr 17 (1986) 174-212, bes. 191, vgl ders., Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche Aspekte einer frühchristlichen Sozialgeschichte, Stuttgart 1973, 32f und 36f. Vgl Göran Agrell, Work, Toil and Sustenance An Examination of the View of Work in the New Testament, Taking into Consideration Views found in the Old Testament, Intertestamental and Early Rabbinics Writings, Lund 1976, 84.
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Gottes- und Nächstenliebe eingebunden ist (vgl. Mt 22,37-39). Erst im Licht dieser Erkenntnis wird sichtbar, "was Arbeit ist, was ihren Sinn ausmacht..., aus welchem Grunde sie geschieht und zu welchem Zweck und Ziel sie nach neutestamentlicher Anschauung geschehen soll".170 Arbeit unter dem Imperativ der Gottesliebe vermerkt zunächst die grundlegende Verwiesenheit des Menschen auf Gottes zuvorkommende Liebe, in der allein sein Streben zur Ruhe findet. Soweit Gottes und nicht des Menschen Handeln als an erster Stelle stehend anerkannt ist, vermag die aus Liebe zu Gott gewirkte Arbeit keinesfalls den Anspruch auf das Reich Gottes als Verdienst zu erwerben (vgl. Mt 20,1-16; Mk 10,17-31), sondern nimmt dieses als unhintergehbare Voraussetzung, auf die sie durch ihren T)ienst vor Gott' antwortet. Als Dank für das Geschenk der Berufung zum Reich Gottes wird eine eigennützige Existenzsicherung als ausschließliches Motiv von der Liebe zu Gott aufgehoben und damit die Grundmelodie, daß Arbeit Verwirklichung der Berufung ist, in neuer Weise vorgetragen. Arbeit unter dem Gebot der Gottesliebe verlangt von sich aus nach ihrer Ergänzung in der Nächstenliebe, welche die soziale Dimension als Handlungsmotiv bedenken lehrt (vgl. Mt 22,39). Im Blick auf die Solidargemeinschaft ist es aus Interesse an der Lebenserhaltung des Nächsten geboten, seinen Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten, sich andernteils aber auch in einer Notsituation ihrer Hilfe sicher zu wissen. Dabei reicht die Wurzel tätiger Nächstenliebe tiefer als eine bloß altruistische Gesinnung in die Gemeinschaft derer hinab, die ihr Leben aus der Kraft christlichen Glaubens gestalten und ihrer Berufung damit konkreten Ausdruck verleihen. Eine solche Grundlegung rechnet nicht mit den Kategorien von Leistung und Gegenleistung, sondern findet ihre spezifische Prägung gerade in einseitiger Großzügigkeit, die ungeachtet der Person Zeugnis von Gottes Liebe gibt (vgl. Lk 10,29-37; Mt 5,43-47). Schließt ihr Wirkradius prinzipiell keinen aus, wird ihr Inhalt wohl trefflich durch "Gutes tun" erfaßt (Mt7,12; Lk 6,27-36), wobei das jeweils Gute den aktuellen Bedürfnissen entsprechend ist. Um Gutes tun zu können, ist Arbeit nötig, die als Mittel zum Zweck, keinesfalls jedoch als absoluter Wert an sich gerechtfertigt scheint. Als soziales Handeln ist sie die "Antwort des Menschen auf die Liebe Gottes", so daß die Arbeit ihr Motiv in der "Gemeinschaft der Liebe mit Gott,
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Walther Bienert, 234
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die sich in der Gemeinschaft der Liebe zum Nächsten betätigt", findet und Gott wie den Nächsten in den Mittelpunkt rückt171. Die Ausrichtung des Arbeitsethos am Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe kehrt auch bei Paulus wieder, nun allerdings bezogen auf die veränderte Situation der nachösterlichen Gemeinde, deren Nachfolge nicht mehr in der Teilhabe an der unmittelbaren Lebensgemeinschaft mit Jesus bestehen kann, sondern im geistgewirkten Berufensein zur Gemeinschaft der Glaubenden, die den erhöhten Herrn als ihre Mitte weiß (vgl. Rom 12,lf.l 1, 1 Kor 1,9). Als Glieder des einen Leibes (vgl. 1 Kor 12,12; Rom 12,5) leben die Christen aus dem Geschenk der Liebe Gottes, die gleicherweise das zu verwirklichende Handlungsziel in der Bewährung des Alltags ist (vgl. Eph 5,lf; Kol 3,14). Sich seiner Berufung würdig zu erweisen (vgl. 2 Kor 5,1417; Eph 4,1-6.17-32) im Nachahmen der Liebe Gottes, ist die primäre Aufgabe des Christen, dessen Leben daher Güte, Bannherzigkeit und Vergebung erfahrbar machen soll (vgl. Eph 4,53-5,1). Kraft dazu gibt der Heilige Geist, der in den Glaubenden Wohnung genommen hat (vgl. Rom 8,9; 1 Kor 3,16; 6,19) und fortan ihr Wirken lenkt, indem er sie auch ennutigt, bewußte Abgrenzungen zum gemeinhin praktizierten Lebensstil vorzunehmen (vgl 1 Kor 12,8-11; Rom 8,1-17; 12,6-8; Eph 5,8-11). Als Beispiel, wie sich dieses Ideal des christlichen Lebensvollzugs konkretisieren sollte, ist Gal 5,19-21 zu nennen, wo Paulus einige solcher Gegensätze aufzeigt. Dabei gelten ihm als Frucht des Geistes: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundschaft, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbehenschung, während vielfache Nuancen von Schlechtigkeit dagegenstehen, die allesamt das Leben beschreiben, das sich dem Anspruch Gottes entzieht und stattdessen auf die "Werke des Fleisches" vertraut.172 In diesem Sinn kann Paulus den Christen sagen: "Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Heim Licht geworden Lebt als Kinder des Lichts! ... Laßt euch vom Geist erfüllen!" (Eph 5,8.18) Unter diesem Leitwort eines christlichen Lebens steht auch das Arbeitsethos, das zur 171 172
90
Ebd., 254 Ein christliches Leben hängt dem Begehren des Fleisches nicht mehr an, weil dieses mit Jesus Christus gekreuzigt wurde Aufgrund einer solchen erlösenden Erfahrung ist es möglich, aus dem Geist zu leben und die Berufung zum neuen Leben im Geist dann auch tatsächlich offenkundig zu machen (Gal 5,24-26) "Jetzt aber dienen [wir] in der neuen Wirklichkeit des Geistes, nicht mehr in der alten des Buchstabens" (Rom 7,6) und sind vom Geist entflammt gerufen, dem Herrn zu dienen (vgl Rom 12,11)
Bewährungsprobe für diejenigen wird, die sich durch den Geist zur Gliedschaft in der Gemeinde berufen wissen (vgl. 1 Kor 12,13), so daß sie Paulus konsequent zu rechtschaffener Arbeit ermahnt (vgl. bes. 1 Thess 4,1 lf; 2 Thess 3,10-12). Arbeit gehört konstitutiv zum christlichen Glaubensvollzug. Es würde der Berufung geradezu widersprechen, sich zu Müßiggang verleiten zu lassen und dadurch der Gemeinde unnötig Lasten aufzubürden. Neben dieser eher pragmatischen Überlegung, die Paulus durch den Hinweis auf seine eigene Arbeit abstützt, erhält die Forderung, "um der Gemeinde willen" zu arbeiten, gesteigerte Bedeutung, insofern die Außenstehenden sich anhand des Erscheinungsbildes der Glaubensgemeinschaft ihr Urteil über den Inhalt der christlichen Lehre bilden. Glaubwürdige Lebensführung, die Kritik und Ärgernis jegliche Angriffsfläche vorenthält, ist selbst das beste Mittel, um zu überzeugen und die Missionsarbeit voranzutreiben (vgl. 1 Kor 10,32; Kol 4,5). "Setzt eure Ehre darein, ruhig zu leben, euch um die eigenen Aufgaben zu kümmern und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen haben. So sollt ihr vor denen, die nicht zu euch gehören, ein rechtschaffenes Leben fuhren und auf niemand angewiesen sein" (1 Thess 4,1 lf).173 Nicht arbeiten zu wollen, schadet also der Gemeinde als ganzer und wirft ein schlechtes Licht auf den Glauben, woraus sich die gegen die Untätigen gerichteten Maßregelungen erklären (vgl. 2 Thess 3,614).17
V gi Aphorismus 1.
282
Ebd 64f, vgl. Aphorismus 3. Vgl. Aphorismus 129. Vgl Aphorismus 8 1 . y g i JJ2U Aphorismus 5 1 , Aphorismus 124 und die Ausführungen z u r Methodik: Aphorismus 99-106 y g i Einteilung des Werkes, 6 4 f
283 284
285 286 287
282
In metaphorischer Sprache zeichnet Bacon die Ablösung bisheriger Wissenschaftskonzepte nach, wenn er sagt "Die, welche die Wissenschaften betrieben haben, sind Empiriker oder Dogmatiker gewesen Die Empiriker, gleich den Ameisen, sammeln und verbrauchen nur, die aber, die Vernunft überbetonen, gleich den Spinnen, schaffen die N e t z e aus sich selbst. D a s Verfahren der Biene aber liegt in der Mitte, sie zieht den Saft aus den Blüten der Gärten u n d Felder, behandelt und verdaut ihn aber a u s eigener Kraft" (Aphorismus 95).
Brisant wird die Aneinanderknüpfüng von Scientia und Potentia vor allem hinsichtlich der Frage nach der sittlichen Erlaubtheit, das Verborgene der Natur überhaupt aufzudecken.288 Denn entgegen Vermutungen, die Erforschung der Wahrheit in den göttlichen Dingen würde vom Glauben an Gott entfernen und seiner Allmacht abträglich sein, stellt Bacon fest, daß Naturphilosophie "die sicherste Medizin gegen den Aberglauben und ebensosehr der erprobteste Nährboden für den Glauben" ist289. Naturwissenschaftliche Forschung will sich nämlich nicht, wie ihr fälschlich zum Vorwurf gemacht wird, der göttlichen Geheimnisse bemächtigen, sondern das Verborgene der Natur erkunden, womit sie der Religion als ihre "treueste Dienerin beigesellt" ist, "da die eine den Willen Gottes, die andere seine Macht offenbart".290 In der Tat gebietet Gott selbst das genaue Studium der Natur, liegt ihm doch daran, die Menschen von Tmgbildem zu befreien und ihnen den wahren Zugang zu seinen Spuren und Zeichen in den Geschöpfen zu eröffnen. Die gottgewirkte Erlaubnis zur Naturerforschung, in der Bacon das Proprium menschlicher Potentia erkennt291, wird auch an den Ehrerbietungen gegenüber um die Öffentlichkeit besonders verdienter Menschen ablesbar. So kommt den Erfindern, und als solche verstehen sich die modernen Wissenschaftler, höchste Anerkennung zu, weil ihre Wohltaten allen Menschen für alle Zeiten zugute kommen und ihre Resultate beglücken, ohne jemandem Unrecht oder Leid zuzufügen. "Erfindungen sind gleichsam neue Schöpfungen und ... Nachahmungen der göttlichen Werke", weshalb "der Mensch ... dem Menschen ein Gott" sein kann, indem er die Dinge, wie es die moderne Naturwissenschaft praktiziert, näherhin zu ergründen und innovativ zu nutzen sucht292. Alle Zweifel hinsichtlich der Ermächtigung zur induktiven Erforschung meint Bacon durch eine theologische Argumentationsfigur beseitigen zu können, indem er darauf verweist, daß der Mensch durch den Sündenfall seine ursprüngliche Unschuld und Henschaft über die Schöpfung verloren habe.293 Erstere könne durch Religion, das biblische dominium terrae aber durch Künste und Wissenschaften bereits in diesem Leben wenigstens teil288 289 290 291 292 293
Vgl. Aphorismus 89 Ebd Ebd. Vgl Val Term , 39. Aphorismus 129. Vgl. NO I. Vorrede, 33.
283
weise wiedergewonnen werden.294 Sichtbares Zeichen dieser mittels Naturwissenschaft erwirkten Reparation des Sündenfalls sind die als Hebung des allgemeinen Lebenstandards empfundenen Erfindungen.295 Um sie zu bewerkstelligen und Auskunft über die Formen der Dinge zu erhalten, erscheint es durchaus opportun, in einer Vielzahl von Experimenten in die Natur hineinzuwirken, steht doch beim Unterlassen ein unermeßliches Gut, beim Mißlingen lediglich ein geringer Aufwand menschlicher Arbeit auf dem Spiel.296 Bacon kleidet seine Vision der durch effizient betriebene Forschung errungenen Wohlfahrt aller in die utopische Erzählung rJova Atlantis', die ihren Höhepunkt in den Berichten über das Haus Salomo findet, das sich ganz der Betrachtung und Erforschung der Schöpfüngstaten Gottes widmet. Primäre Aufgabe ist es daher, die "Ursachen und Bewegungen sowie die verborgenen Kräfte in der Natur" zu ergründen und die "Grenzen der menschlichen Macht soweit wie möglich" zu erweitem297, wozu in einer Vielzahl von Laboratorien jeder Bereich der Biosphäre untersucht und die Ergebnisse dem Menschen nutzbar gemacht werden.298 Um dieses Pensum an wissenschaftlicher Tätigkeit zu bewältigen, arbeiten jeweils speziell ausgebildete Expertenteams.299 Der Großteil ist damit beschäftigt, andere Länder zu bereisen und von dort Bücher und Modelle von Experimenten mitzubringen, die dann von anderen Arbeitsgruppen genauestens ausgewertet werden. Freilich fehlen diejenigen nicht, die nach eigenem Gutdünken neue Versuchsreihen durchführen. Wieder andere beraten damber, wie aus den Experimenten nützliche Dinge des menschlichen Lebens gewonnen
294
295
296 297
298 299
284
Vgl ebd , 43, Moody E. Prior, Bacon's Man of Science, in: Brian Vickers (ed.), Essential Articles for the Study of Francis Bacon, Hamden 1968, 140-163, bes. 150-155. Erfindungen stehen am Ende eines Prozesses, den 'Scientia' und 'Potentia' (vgl NO II, Aphorismus 4) miteinander gegangen sind. "Werk und Ziel menschlicher Macht ist es, in einem gegebenen Körper eine neue Eigenschaft zu erzeugen und einzufuhren. Werk und Ziel der menschlichen Wissenschaft ist es aber, die Form einer gegebenen Eigenschaft, ihr wahres Wesen oder ihre wirkende Natur oder ihren Entstehungsgrund zu entdecken" (Aphorismus 1). Vgl. Aphorismus 114. Francis Bacon, Neu Atlantis (hg. von Deutsche Akademie der Wissenschaften), Berlin 1959,89. Vgl zu den einzelnen Forschungsgebieten: Ebd , 89-99. Vgl ebd, 99-101.
werden können. An diese Phasen der Überprüfung knüpft eine weitere Beratung an, welche neuen Versuche ausgehend vom bereits emierten Material zu tätigen sind, damit die Natur eindringlicher als bisher erkannt wird. Schließlich gilt es, diese neuen Tests durchzuführen und ihre Resultate aufzuzeichnen. Zweck dieses letzten Arbeitsgangs ist die Formulierung allgemeiner Grundsätze und Regeln, die Einblick in Strukturmuster und Funktionstypen der Natur vermitteln. Inmitten dieses Szenarios scheinbar grenzenloser Naturwissenschaften gewinnt der Hinweis auf die ethische Verpflichtung der Forscher besonderes Gewicht, die gerade darin besteht, abzuwägen, welche Erfindungen und Kennmisse publik gemacht werden sollen. Alle haben sich nämlich eidesstattlich verpflichtet, jene Entdeckungen zu verschweigen, deren Geheimhaltung vom Wissenschaftsgremium beschlossen wurde. Ebenso gehört es zum unabdingbaren Rimal des Hauses Salomo, daß sich die Wissenschaftler täglich zu Hymnen und Gesang versammeln, wodurch Gott für seine wunderbare Schöpfung gepriesen wird. Er ist es denn auch, der um Hilfe und Segen angerufen wird, damit die Arbeiten recht gelingen und einem guten wie heiligen Zweck dienen. Bei näherem Zusehen wird deutlich, daß die spezifische Atmosphäre der Forschungszentren unverständlich bleibt, sobald der religiöse Hintergrund ausgeblendet wird, der in verschiedenen Varianten als Grundduktus der ganzen Erzählung wiederkehrt. Schon die einleitenden Abschnitte stellen die Insel als das von Gott erflehte rettende Festland vor, das erst nach Bekundung des christlichen Glaubens betreten werden darf, als dessen sichtbares Zeichen die fürsorgliche Gastfreundschaft zu verstehen ist.300 Besonders intensiv sind die religiösen Anklänge in Verbindung mit dem Orden des Hauses Salomo.301 War es doch gerade ein Weiser dieser Gemeinschaft, dem es zuteil wurde, die göttliche Botschaft des Alten und Neuen Testaments in einer übernatürlichen Offenbarung zu empfangen, erinnert der biblisch gefärbte Name dieses Kollegiums an das Schöpfungswerk Gottes. Wie nämlich Gott die Welt in sechs Tagen schuf, so mögen die Wissenschaftler dieses Instituts die wahre Natur aller Dinge erforschen, "um dadurch den Ruhm Gottes wegen seiner Schöpfungen zu mehren und den Menschen größeren Nutzen aus dem Gebrauch derselben zu verschaffen".302 Effizient organisierte Naturerkenntnis geschieht in Übereinstimmung mit dem Willen 300 301 302
Vgl. ebd , 51-54. Vgl. ebd., 62-64. Ebd, 74.
285
Gottes, wollen die Experimente doch keinesfalls dem göttlichen Schöpfungshandeln vorgreifen oder den Glauben aushöhlen. Wie Gott, so der Mensch - allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, daß es Gott vorbehalten ist, das Werk der Schöpfung zu verhüllen, während der Mensch seinen eigentlichen Auftrag darin findet, es zu enträtseln. Moderne Naturerforschung, so wie sie Bacon als Mittel empfiehlt, die Stagnation der Wissenschaften aufzuheben, ist nicht in Kontrast zur Religion, vielmehr in deren Diensten und durch sie legitimiert.303 Naturwissenschaft und christlicher Glaube greifen also ineinander und zwar so, daß Gottes Segen das Tun der Menschen begleitet, zumal alles zum Lobpreis seiner Schöpfung und zum Wohlergehen der Menschen geschieht. Mag man sich auch nur bedingt dem Urteil anschließen, Bacon zähle zu den Begründern der neuen Naturwissenschaft, oder sei gar der "geistige Vater des modernen dynamischen Strebens nach technischem Fortschritt"304, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß er die Parolen einer tiefgreifenden Umwälzung durch eine dem Menschen dienstbar gemachte Naturerforschung dem Kulturideal seiner Zeit vorgibt. Denn das Programm der "Magna instauratio imperii humani in naturam" erwirkt eine grundlegende Änderung im Verhältnis des Menschen zur Natur. Bislang ging es der wesentlich von Aristoteles inspirierten Naturphilosophie um die Wahrnehmung der ersten Grundstrukturen der Dinge, wie sie sich im Betrachten zeigen. Ihre Ordnung und Schönheit rief beim Menschen Bewunderung hervor und ließ ihn die Abhängigkeit der Natur von göttlicher Allmacht erahnen. Die Welt als ganze machte sich dem Betrachter als Schöpfung offenbar, weshalb von ihr gesagt werden kann, sie trage Gottes Signatur und ist auf ihn hin transparent. Am besten läßt sich die Gmndstimmung, in welcher der Mensch der Schöpfung begegnet, als staunendes Betrachten und ehrfurchtsvolle Hinwendung zum Schöpfer nachzeichnen, so daß Schöpfung ein Medium der Gotteserkenntnis ist. Bacons Interesse schwächt jedoch diese motivische Prägung zunehmend und läßt Schöpfung zur Natur, 303 304
286
Vgl NO I Vorrede, 33 Johan H J van der Pot, Die Bewertung des technischen Fortschritts Eine systematische Übersicht der Theorien I, Assen-Maastricht, 1985, 83 Zum gegenteiligen Ergebnis kommt Paul Hossfeld in seinem Aufsatz 'Francis Bacon und die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methode', in: PhN 4 (1957) 140-150 Dort urteilt er angesichts eines Vergleichs zwischen Bacon und Gilbert, man könnte ersteren wohl eher als einen "Verbauer der Methodenentwicklung der Naturwissenschaften" bezeichnen (ebd, 150).
d.h. zum autonomen Gegenstand der Erforschung werden. Fortan hat die Natur einen lediglich funktionalen Wert, sofem sie Objekt menschlicher Machtdemonstration ist, die sich als gezieltes empirisches Hineinwirken in die Natur versteht, um ihr die Preisgabe der noch unbekannten Strukturen abzuzwingen und die Kennmisse innovativ zur Hebung der Wohlfahrt zu verwenden. In Bacons Schrift "De dignitate et augmentis scientiarum" (1623) ist in einem angesichts der ökologischen Krise umso befremdlicher wirkenden Vokabular zu lesen, die Natur müsse auf die Folter gespannt, unterdrückt und als Sklavin gefügig gemacht werden, damit sie ihre Geheimnisse preisgebe. "Denn wie die Haltung eines Menschen nicht gut bekannt oder erprobt ist, ehe er aufs Kreuz gelegt wurde ... so zeigt sich die Natur klarer unter den Verhören und Qualen der Kunst (d.h. experimentellen Anordnungen), als wenn sie sich selbst überlassen bliebe."305 Natur ist also bloßes Mittel zum Zweck und hat ihren Hinweischarakter auf Gott wesentlich eingebüßt. In dem Maße wie die einst konstitutive Beziehung zwischen Gott, Mensch und Schöpfung auf das Gegenüber von Mensch und Natur reduziert wird, kann ihr Wert nur nach Kriterien der Nützlichkeit im Blick auf den Menschen bemessen werden. Je mehr aber der Mensch auf sie einwirkt, desto mehr weiß er von ihr und kann sich diese Kenntnisse zunutze machen. Am Ende dieser sich selbst perperuierenden Entwicklung steht die Überzeugung, daß der Mensch sein Glück im Behenschen der Natur erwirkt, ohne auf Gottes Heilshandeln angewiesen zu sein. Der Reichweite dieser Genese, die er durch die anfängliche Funktionalisiemng der Schöpfung in Gang gesetzt hat, scheint sich Bacon allerdings nicht bewußt gewesen zu sein. Als ein Indiz dafür läßt sich seine Verhältnisbestimmung der Naturerforschung zur Religion anführen, insofern sie De dignitate et augmentis scientiarum 11,2, in: Works IV, 298 (Ed James Spedding, London 1860 [Stuttgart-Bad Cannstatt 1962]) Otfried Hoffe möchte allerdings diese Folter-Metapher im Kontext der ökologischen Krise nicht überbewerten und deutet sie lediglich als Bild für die Erforschung von Wahrheit: "Wer . auf die Grausamkeit der Methode abstellt, erliegt einem Mißverständnis Es kommt allein auf die Intention an, auf die Ermittlung der Wahrheit, wer ein Experiment durchfuhrt, will jemanden, der von sich aus nicht sprechen kann, trotzdem zum Reden bringen" (Moral als Preis der Moderne, 58) Allerdings vermag eine solche Interpretation nicht schlüssig zu erklären, warum Bacon, wenn es ihm allein um die bessere Erforschung der Natur, um ein Näherkommen an die Wahrheit geht, einen Vergleich wählt, der notwendigerweise an Gewalt denken läßt.
287
keinesfalls in deren Konkurrenz treten möchte, sondern sich als ihre Dienerin versteht mit der Aufgabe, die Macht Gottes zu erweisen, während es der Religion vorbehalten bleibt, seine Henlichkeit zur Sprache zu bringen. Überdies ist auf Bacons theologisch fundierte Begründung zur Erlaubtheit der Naturerforschung zu verweisen, die jedoch, sofem sie als das Mittel verstanden wird, um die Folgelasten des Sündenfalls wenigstens teilweise zu beheben, dem Menschen das leicht mißverständliche Gefühl vermittelt, er könne sich gleichsam selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Im 16. Jahrhundert ausgesprochen kann dieser Gedanke der durch Naturerforschung erwirkten Restitutio des paradiesischen dominium tenae den Strömen der Neuzeit letztlich nicht mehr standhalten und führt zur einseitigen Überbewertung menschlichen Leistungsvermögens, das sich auf die Rollenzuweisung an die Natur als ständiges Zu-Diensten-Sein für den Menschen gründet. Mensch und Natur haben in dieser Zuordnung ihre Rückverwiesenheit auf den Schöpfergott verloren, wozu die Funktionalisierung der Schöpfung im Konzept der "Instauratio magna imperii humani in naturam" wesentliche Impulse beigetragen hat. Zweckfreie Schöpfung, an deren Betrachtung keine Erwartungshaltung im Sinne der Nutzbarmachung für den Menschen geknüpft ist, gehört nicht mehr zum Verständnis der Naturphilosophie, die sich vom Betrachten zum Erforschen gewendet hat.
4.3.2 Rene Descartes: Geometrisierung der Natur Die Geschichte der neuzeitlichen Wissenschaftskultur nimmt ihren Anfang in der die Domäne des Menschen bezüglich der Natur begründenden Methode Rene Descartes (1596-1650). Im Gegensatz zur defizitären Gestalt des im akademischen Lehrpensum manifestierten Bildungsideals seiner Zeit entwickelt er eine auf die rechte Leitung der Vernunft und damber hinaus die Suche der Wahrheit in den Wissenschaften gerichtete Methode. Ihr Konstitutivum besteht in der Besinnung auf die von jeglichem Zweifel befreite Gewißheit des denkenden und also seienden Selbst. Anhand seiner eigenen Ausbildung weist Descartes die Untauglichkeit des enzyklopädischen, am Traditions- wie Autoritätsprinzip festgemachten Wissens aus und erteilt damit allem Bücherstudium eine polemische Absage.306 Um zu wis306
288
Vgl. Disc 1,6.15.
senschaftlichem Fortschritt zu gelangen, ist es vielmehr nötig, sich im Studium der Welt mit der praktischen Lebenswirklichkeit zu konfrontieren, die wesentlich näher an der Wahrheit ist als alle Überlegungen von Schreibtischgelehrten.307 So verspricht einzig der bewußt gewollte Bmch mit dem traditionellen Wissenschaftsverständnis ein Kurativ gegen dessen desolaten Zustand zu sein308, wodurch erst der angestrebten sicheren Erkennmis der ihr gebührende Raum gegeben werden kann.309 Wenn jedoch als legitime Erkenntnisquelle nur die reflektierte eigene Erfahrung im Horizont intellektueller Mündigkeit und der Forderung nach absoluten Wahrheitsgründen zugelassen ist,310 bleibt es stete Aufgabe, die bisher übernommenen und als Überzeugung akzeptierten Meinungen abzulegen, um sie nach ilirer kritischen Prüfung entweder wieder aufzunehmen oder durch bessere zu ersetzen.311 Mit dieser programmatischen Forderung erhebt sich allerdings ein tiefer liegendes Methodenproblem, wie nämlich Wissenschaft beschaffen sein müsse, damit sie "im strikten Sinn wahre, erkennende, geordnete, Neues entdeckende und technisch leicht zu handhabende Wissenschaft" sein kann312. Am trefflichsten scheinen diese Kriterien in der ob ihrer a priori gegebenen Evidenz und systematischen Form faszinierenden Mathematik verwirklicht,313 deren Grundstrukturen eines Transfers auf die übrigen Wissenschaftsdisziplinen bedürfen und insofern universalen Geltungsanspruch reklamieren, wie die 'Vier Regeln' der neuen Methode widerspiegeln: Indem erstere betont, "niemals eine Sache als wahr anzuerkennen, von der ich nicht evidentermaßen erkenne, daß sie wahr ist"314, mft sie die unaufhebbare Beziehung zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt in Erinnerung, innerhalb derer die subjektive Erkenntnis ausschließlicher Gradmesser für Wahrheit ist, womit die Konturen der Intuition als Erkenntnisprinzip ausgewiesen sind. Darunter versteht Descartes die klare und deutli307 308 309
3io 311 312
313 314
Vgl. Disc 1,14. Vgl. dazu Disc 1,15 und 11,2. Vgl Disc 1,6. ygi Disc 1,1 sowie die sola ratio-Argumentation in Disc 11,2. Vgl. Disc 11,2. Franz Bader, Die Ursprünge der Transzendentalphilosophie bei Descartes Erster Band: Genese und Systematik der Methodenreflexion, Bonn 1979, 66. Vgl Disc 11,6 Disc 11,7.
289
che Gegebenheit eines Gegenstandes für das Subjekt, die allein durch die Tätigkeit des 'bon sens' zustandekommt. Da der jeglicher Ungewißheit ein Ende bereitende Akt der Intuition wesenhaft die Signatur der Unmittelbarkeit von Subjekt und Objekt trägt, wird das Ich als absolute Instanz der Wahrheitsfindung in den Wissenschaften eingesetzt. Um in diesem Sinn autorisierter Maßstab sein zu können, stellt sich die Aufgabe, "jedes Problem ... in so viele Teile zu teilen, wie es angeht und wie es nötig ist, um es leichter zu lösen".315 Gerade dieser Grundsatz macht das Theorem der mathematischen Struktur der Gesamtwirklichkeit als Hintergrund des Erkenntnissubjektivismus bewußt,316 das die Entschlüsselung der Welt als möglich garantiert und gleichwie als einzulösende Fordemng aufgibt. Analog mathematischer Operationen gilt es, die im Gegenüber erfahrbare Wirklichkeit nach allen Seiten hin auszuleuchten und genaue Kenntnisse über sie zu entwickeln, wozu stete Division empfohlen wird. Je mehr Zerlegungsprozesse nämlich durchgeführt werden, desto eher verspricht die Erkenntnis, zu einem sicheren Ergebniswert zu kommen. Während soeben der mathematische Aufbau des Erkenntnisobjekts verhandelt wurde, thematisiert die dritte Methodenregel erneut das subjektive Moment, das vorab im Vernunftgebrauch zum Tragen kommt. In Rückbindung an die vielzähligen Erscheinungsbilder der Welt muß bei den "einfachsten und am leichtesten zu durchschauenden Dingen" begonnen werden, "um so nach und nach ... bis zur Erkenntnis der zusammengesetztesten aufzusteigen".317 Wenngleich diese Folgerung banal klingt und mit der gemeinhin zur Verknüpfung von Gedanken geübten Deduktion kongruent zu sein scheint,318 gründet darin ein weiterer Baustein der zum Subjekt vollzogenen Wende. Descartes lenkt sein Augenmerk nicht länger auf die Seinsordnung der Wirklichkeit, sondern auf die autonome menschliche Vernunft, deren Obliegenheit es ist, aus eigener Kraft die Ordnung der Phänomene zu erkennen und hernach neu zusammenzusetzen. Der menschliche Verstand setzt fortan die Reihungen, mittels derer die Erkenntnis zu sicheren und klaren Plausibilitäten voranschreitet. Allein maßgebend ist der Mensch, der als Subjekt die Erkerintnisordnung normiert, wodurch der ar315
3i6 317 318
290
Disc 11,8 ygi Gerhart Schmidt, Aufklärung und Metaphysik Die Neubegründung des Wissens durch Descartes, Tübingen 1965, 36f Disc 11,9 Vgl Gerhart Schmidt, 37-40
chimedische Punkt aller Erkenntnis im Maximum an Gewißheit und sicherer Erfahrung verankert ist, dem denkenden Subjekt. Rechenschaft über den erfolgreichen Erkennrnisfortschritt soll nunmehr die in der vierten Regel ausgesprochene Forderung liefern, "überall so vollständige Aufzählungen und so allgemeine Übersichten aufzustellen, daß ich versichert wäre, nichts zu vergessen".319 Dies aber unterstreicht noch einmal die Priorität des Erkenntnissubjekts, dem es anheimgestellt ist, die als Gegenüber erfahrene Wirklichkeit der Welt im Licht der Vernunft zu bestimmen. Entgegen dem traditionellen Wissenschaftsverständnis gleicht die Summe der in der neuen Methode implizit gegebenen Vorteile einer schonungslosen Demaskierung jener ihr anhaftenden prekären Unzulänglichkeiten.320 Nachhaltige Bedeutung erhält dabei der zur neuzeitlichen Gmndmelodie gewordene zentrale Standort des 'ego cogito'. Erst unter diesem Vorzeichen kann der einzelne seine eigenen Erkenntnisse bis zu ihren Prämissen zurückverfolgen und auf ihre innere Stimmigkeit hin überprüfen, womit die Transparenz der Erkenntnisse auf ein sicheres Fundament gestellt wird. Darüber hinaus ist das von der Knechtschaft der Autoritätsgläubigkeit befreite Wissen zur stringenten Selbstverantwortung gemfen, so daß es dringlich geboten ist, nicht nur aus der Distanz das objekthafte Gegenüber zu bedenken, sondern vielmehr auch sein unmittelbares Wissen damber. Vorzug erhält deshalb, was der eigenen verstandesmäßigen Prüfung einsichtig ist und Evidenz wie größtmögliche Wahrheitsnähe verbürgt, womit der Neubau der Wissenschaften im denkenden Ich begründet ist. Substanz und Absicht dieser im Discours dargelegten Regeln stecken allerdings auch ein Minimum an Gmndchiffren ab, das die Basis einer von Descartes als "mathesis universalis" bezeichneten Wissenschaft abgibt.321 Indem er damit an das im geistesgeschichtlichen Panorama des 17. Jahrhunderts tragende Ideal anknüpft, mathematische Denkformen der allgemeinen Wissenschaftspraxis zu implantieren, verfestigt er dieses
319 320 321
Disc 11,10. Vgl. Disc 11,13. Vgl dazu auch die Generalisierung der Methode, wie sie die Regulae ad directionem ingenii empfiehlt (Regel IV, in der Ausgabe von Arthur Buchenau "Regeln zur Leitung des Geistes Die Erforschung der Wahrheit durch das natürliche Licht, Hamburg 21966, 15-22)
291
Bemühen zum Programm der Mathematisierung der Naturwissenschaften.322 Dies bedeutet letztlich nicht nur eine Identifizierung von Mathematik und Naturwissenschaft, die ihren Ausdruck darin findet, daß alles wissenschaftliche Erforschen in Bahnen mathematischer Axiome zu verlaufen hat, sondern vielmehr die Mathematisierung der Außenwelt selbst meint. Kurzerhand wird das objekthafte Gegenüber aus der Perspektive von Ordnung und Maß bestimmt. Es muß "eine bestimmte allgemeine Wissenschaft geben ..., die all das erklären wird, was der Ordnung und dem Maße unterworfen, ohne Anwendung auf eine bestimmte Materie, als Problem auftreten kann. Dies kann man ... als Universalmathematik bezeichnen, weil in ihr der Grund dafür enthalten ist, weswegen man auch die übrigen Wissenschaften als mathematische Lehren bezeichnet."323 Wesentliche Komponente der zur Erkenntnis aufgegebenen Natur ist also das geometrische Moment der Extension324 , womit ihre Substanz auf Meßbares hin eingeengt und zu einer leicht handhabbaren Größe reduziert wird. Physische Qualitäten, die traditionell zum Erkenntnispotential der Naturerforschung gehörten, gelten Descartes lediglich als subjektive Reaktionen auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit und müssen, weil sie den direkten Zugang zu ihr erschweren, aus der nach mathematischen Prinzipien funktionierenden modernen Naturwissenschaft ausgeklammert werden, deren ausschließliches Interesse auf geometrische Typika gerichtet sein darf. Als Resultat der subjektbezogenen Form von Wissen stellt sich ein gewandeltes Profil der Naturerforschung ein, deren Hauptthema eben die an die mathematische Stringenz appellierende autonome Vernunft des Menschen ist, mit der Aufgabe, die Wirklichkeit anhand ihrer mathematischen Verfaßtheit zu erkennen.325 Der in der Mathematisiemng sichtbare epochale Methodenwechsel läßt sich im Zweifel näherhin fassen, der von seinem Anspruch her sowohl radikal als auch von universeller Reichweite ist.326 Nachdem in einer Vielzahl 322
323 324 325 326
292
Vgl. E.J. Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, Berlin u.a. 1956, 451453. Regulae IV. Vgl. Regulae XIV. Vgl. E.J. Dijksterhuis, 463. Vgl. Med 1,1 f. Die Wegbeschreibung der neuen Methode gibt Descartes in Med 11,1: "Alles will ich von mir fernhalten, was auch nur den geringsten Zweifel zuläßt. ... Und ich will so lange weiter vordringen, bis ich irgend etwas Gewisses oder wenn nichts anderes, so doch wenigstens das für gewiß erkenne, daß es nichts Gewisses gibt." Dem Zweifel haftet die totale Infragestellung der Wirklichkeit an,
von Reflexionsschritten aus der Erkenntnis der Wahrheit eben das ausgesondert worden war, was nicht zweifelsfrei zu ihr gehört, bleibt einzig das eigene Sein von Bewußtsein als evident zumck.327 Nur vom Zweifelnden selbst, der sich darin vom Licht seines Verstandes leiten läßt, kann gesagt werden, er ist: cogito, ergo sum1™ Die totale, um der Erkenntnis willen vollzogene Zweifelsbewegung setzt beim denkenden Ich einen Prozeß der Rückbesinnung auf sich selbst in Gang. Gleichzeitig aber wird mit dieser interiorisierten Selbstwahmehmung immer mehr die außerhalb seiner selbst seiende Wirklichkeit ausgeblendet. Wenngleich Descartes im Sein von Bewußtsein die Verankerung seiner philosophischen Neubegründung gefunden und damit der anthropologischen Kehre zum Subjekt eine Lanze gebrochen hat, eröffnet sich hierin ein die Neuzeit begleitendes Problem, nämlich die Erkenntnismöglichkeit der außerhalb des Subjekts gegebenen Wirklichkeit.329 Um der res extenso gewiß zu werden, muß erst die im methodischen Zweifel gesetzte Isolation des solipsistischen Subjektivismus aufgebrochen werden. Entgegen der scholastischen Tradition gilt es, die Weltdeutung vom Primat des denkenden Ich aus vorzunehmen, insofern doch im Akt der Reflexion immer schon gleichursprünglich der cogitans wie auch das cogitabile gegeben sind.330 Dem Bewußtsein ist die Existenz der in Frage gestellten res gewissermaßen immanent, womit sich die Aufgabe stellt, das Wie dieser Gegebenheit zu ergründen. Einsichtig ist diese im 'cogito ergo sum' mitgedachte Verwiesenheit auf anderes, außer dem Selbstbewußtsein gegebenes Seiendes, insbesonders in Gott, der zum Garanten der Weltwirklichkeit
327 328
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die allerdings nicht im Sinne des Skeptizismus inszeniert wird, sondern vielmehr auf dessen Überwindung zielt Vgl Disc IV, 1. Med 11,3 Selbst unter der Annahme eines Deus malignus gilt: "Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, daß ich bin. Er täusche mich, soviel er kann, niemals wird er doch fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei! Und so komme ich, nachdem ich nun alles mehr als genug hin und her erwogen habe, schließlich zu der Feststellung, daß dieser Satz: 'ego sum, ego existo', sooft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist." Vgl Hans Meyer, Geschichte der abendländischen Weltanschauung IV. Von der Renaissance bis zum deutschen Idealismus, Würzburg-Paderborn 1950, 108 "Ich bin ein denkendes Wesen, d.h. ein Wesen, das zweifelt, bejaht, verneint, wenig versteht, vieles nicht weiß, das will, nicht will, auch Einbildung und Empfindung hat" (Med 111,1).
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wird.331 Zur Existenz Gottes, mit welcher die Reduktion auf die Subjektivität überwunden wird, kommt Descartes aber gerade durch die Analyse des Selbstbewußtseins. So stellt er nämlich anhand erkenntnistheoretischer Schlußfolgerungen fest, daß Zweifeln die Signatur von Unvollkommenheit und Kontingenz trägt, der als positive Ermöglichungsbedingung absolute Vollkommenheit und Unendlichkeit vorgelagert sein müssen.332 Diese Vorstellung des 'ens summe perfectum' kann weder aus dem Nichts noch aus der Phantasie des Menschen hervorgebracht sein, sofem die in den Kategorien des Endlichen angezeigten Wirkungen einer Ursache bedürfen, deren Gehalt an formaler Realität mindestens ebensoviel betragen muß wie die objektive Realität der als Wirkung geformten Idee.333 Ergänzt wird die zur Beweisführung der Existenz Gottes beigebrachte Kompilation von 'ideae innatae' und Kausalbeweis durch das ontologische Argument, wonach die Existenz Gottes unbedingt zu seinem Wesen gehört.334 Wenn also die Gottesidee nicht aus dem Menschen selbst erzeugt werden kann, sondern nach einer Ursache außerhalb verlangt, muß notwendigerweise gelten, "daß ich nicht allein in der Welt bin, sondern daß noch irgendeine andere Sache, welche die Ursache dieser Vorstellung ist, existiert".335 331 332
333 334 335
294
Vgl Med 111,13. Die Unmöglichkeit, ausgehend von einer endlichen Substanz eine unendliche zu projizieren, ist dargestellt in Med III,23f Andemteils erkennt Descartes in Disc IV,4 die Unzulänglichkeit des Zweifeins und folgert daraus die Notwendigkeit eines a priori gegebenen vollkommenen Wesens Vgl. Med 111,14f Vgl. MedV,7-12. Med 111,16 Die Triade von res cogitans, res extensa und ens perfectissimum läßt Hartmut Rosenau zu der Aussage kommen, Descartes' Rationalismus begründe zwar eine "methodische", nicht aber eine "erkenntnistheoretische Anthropozentrik" Denn "Gottes- und Weltgewißheit gründen nicht in der Selbstgewißheit des Menschen, sondern Selbst- und Weltgewißheit gründen in der Gottesgewißheit Es handelt sich ... um eine erkenntnistheoretische, vor allem aber auch um eine ontologische Theozentrik." Trotz dieser "durchaus auch ökologiefreundlichen Implikationen", die Rosenau festzustellen meint, scheint ihm Descartes' Substanzmetaphysik nicht als Orientierungsrahmen für das heutige Natur- und Menschenbild geeignet Insofern nämlich Descartes eine 'distinctio realis' zwischen res cogitans und res extensa veranschlagt, bleibt das menschliche Erkennen und Handeln als res cogitans in bezug auf die res extensa unzureichend bestimmt So können weder die Vorstellungen in uns von der Körperwelt außer uns erklärt werden noch die Tatsache, daß wir nach unseren cogitationes handelnd auf die res extensa einwirken können. Geist ohne Natur und Natur ohne Geist gedacht zu haben, scheint Rosenau das Defizit bei Descartes zu sein, das allein damit überwunden werden
Zum Grundpfeiler der Weltdeutung gehört demnach die aus der zweifelsfreien Gewißheit des Selbstbewußtseins abgeleitete Existenz Gottes, der als Bürge der Transsubjektivität die konstitutive Verwiesenheit auf Anderes geltend macht. Denkendes Sein, das hat die Infragestellung jeglicher Wirklichkeit gezeigt, ist Dasein in Beziehungen und damit auf ein konespondierendes Gegenüber angelegt. Bei Descartes überwindet die Vorstellung Gottes den ichhaften Reduktionismus und gibt zugleich den Blick auf materielles Sein frei.336 Nicht die Welt, in der sich das denkende Subjekt vorfindet, garantiert dessen Sein, vielmehr wird die Welt als Gegenstand des Bewußtseins, d.h. als zuhanden seiendes Objekt erfahren. Fortan ist die Andersheit des Seins ausschließlich als ein Gegenüber erklärt, dessen Seinsbestimmung im 'cogito ergo sum' festgemacht ist. Allein daraus erschließt sich die Andersheit, deren vertikale Ausfaltung in der Gottesidee notwendige Voraussetzung ist337, um Aussagen über die Außenwelt bilden zu können. Mag auch eine "große moralische Gewißheit" für die Realität der res extensa sprechen, so bleibt trotzdem hinsichtlich ihrer letzten metaphysischen Gewißheit ein Vakuum zu verzeichnen, das erst mit der Anerkenntnis der Existenz Gottes beseitigt zu werden vermag338. Nachdem mit dieser Normierung sicherer Boden für weiterführende Erläuterungen zur Faktizität der objekthaften Wirklichkeit bereitet ist, bedenkt Descartes rekursorisch die Gründe, die ihn alle erfahrbaren Gegenstände in Zweifel haben ziehen lassen.339 Mißtrauisch stimmen ihn die leicht trügerischen Sinneswanrnehmungen, während er die als Gegenstand der Mathematik erkenntlich werdenden Quantitäten als Zeichen ihrer tatsächlichen Existenz zu werten weiß, weil diese im Moment sicherer Erkenntnis 'clare et distincte' konvergieren.340 "Wenigstens", so hält Descartes fest, ist "all das ... in ihnen wirklich vorhanden, was ich klar und deutlich denke, d.h. alles das, ... was zum Inbegriff eines Gegenstandes der reinen Mathematik ge-
kann, daß das Ding nicht mehr als Substanz, sondern 'relational' als Subjekt verstanden wird. - Das "Seufzen" der Kreatur. Das Problem der Anthropozentrik in einer Theologie des Natur, in: NZSTh 35 (1993) 57-70, hier: 61f 336
Vgl. Med V . l .
337
Vgl Med V, 16.
338
Disc IV,7 Vgl. Med VI.5-14. Vgl. Med VI, 1.
339 340
295
hört"341, womit die Extension der Dinge zum Typikum ihrer tatsächlichen Wirklichkeit gemacht ist und sich an die Leitidee der Geometrisierung der Welt anknüpfen läßt.342 Descartes macht sich allerdings des Dualismus verdächtig, sofem er auf die Außenwelt ebenso wie auf das Sein von Bewußtsein den Substanzbegriff anwendet, der absoluten Selbstand impliziert und damit nur für Gottes Existenz Gültigkeit hat.343 Autonomes Sein erkennt er im denkenden, sich als evident ausweisenden Ich, dem er substantialen Charakter zubilligt. Denn Überlegungen über das eigentliche Sein des cogitans lassen die Assoziation zu, es könne dieses Ich ohne Körper und ohne jegliche Form der Außenwelt existieren. Als Ergebnis dieses Erkenntnisprozesses wird festgehalten, "daß ich eine Substanz bin, deren ganzes Wesen oder deren Natur nur darin besteht, zu denken und die zum Sein keines Ortes bedarf, noch von irgendeinem materiellen Ding abhängt, so daß dieses Ich, d.h. die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, völlig verschieden ist vom Körper, ja daß sie sogar leichter zu erkennen ist als er, und daß sie, selbst wenn er nicht wäre, doch nicht aufhörte, alles das zu sein, was sie ist."344 Seele und Körper, deren Zueinander die Philosophie seit der Antike mit der Aussage 'anima est forma corporis' umschrieb, sind im cartesianischen Modell in eine antithetische Beziehung getreten. Dies zeigt sich um so deutlicher, als auch auf den Körper der Substanzbegriff übertragen wird.345 Gmnd dazu bietet die für ihn so bezeichnende Ausdehnung, die sichere und wahre Erkenntnis garantiert. In der wesenhaft mathematischen Struktur der res extensa hat Descartes eine vergleichbare Parallele zur cogitatio gefunden, die ihn zur Identifizierung von Körperwelt und Substanz veranlaßt, so daß folglich neben der unendlichen Substanz Gott zwei endliche Substanzen bestehen,346 das denkende Ich und die in mathematisch einsichtiger Ausdehnung gegebene körperhafte Wirklichkeit.
341 342
343 344 345
346
296
Med V, 10. Vgl zur Beschreibung des mit Extension Gemeinten etwa Med V,3 sowie die Begründung der Naturwissenschaft als der Wissenschaft der res extensa bei Carl Friedrich von Weizsäcker, Die Tragweite der Wissenschaft, Stuttgart 61990, 446f Vgl Princ 1,51 Disc IV,2. Princ 11,4 erklärt das Wesen des Körpers als "ausgedehnte Substanz", deren Charakteristikum die mathematische Signatur ist (Med 11,5). v g l Princ 1,52.
Als Gmndstimmung dieser dualistischen Konzeption von cogitatio und res lebt der exakt durchgeführte geometrische Mechanismus auf, der zum einen Inbegriff für die Erkenntnis absoluter Wahrheit ist, zum anderen jedoch Materie auf bloß geometrisch zu bemessende Qualitäten eingrenzt, nachdem sinnlich Wahrnehmbares von vorneherein ausgesondert worden war. Die damit gesetzte Trennung von Geist und Körper sei zuerst in ihrer Wirkung auf das Leben von Tieren veranschaulicht. Obgleich sie in der hierarchischen Schöpfüngsskala dem Menschen am nächsten plaziert sind, unterscheiden sie sich, sofem ihnen jeglicher Vernunftgebrauch mangelt.347 Da aber Descartes Vernunft mit cogitatio bzw. Seele gleichsetzt, ist das Dasein der Tiere lediglich auf die Substanz der res extensa begrenzt, weshalb Tiere nur als seelenlose Körper existieren. Anatomische Studien weisen sie als Automaten aus,348 deren Bewegungsablauf die Fortsetzung ihres Herz- und Kreislaufmechanismus darstellt. Gegenüber künstlich vom Menschen gefertigten mechanischen Apparaten zeichnen sie sich nur in ihrem unmittelbaren Geschaffensein vom göttlichen Baumeister aus, der ihnen einen höheren Grad an Präzision und Funktionalität mitgegeben hat. Im Grunde genommen besitzt der Mensch kein sicheres Kriterium, das ihm erlauben würde, eine in der Gestalt eines Tieres fabrizierte Maschine vom tatsächlichen Tier zu unterscheiden, weil die für das Wesen des Tieres maßgebliche Konstruktion des Mechanismus gleich wäre.349 "Wenn es Maschinen mit den Organen und der Gestalt eines Affen oder eines anderen vernunftlosen Tieres gäbe, so hätten wir kein Mittel, das uns nur den geringsten Unterschied erkennen ließe zwischen dem Mechanismus dieser Maschine und dem Lebensprinzip dieser Tiere."350
347 348
349 350
Vgl. Disc V,4.10f Vgl. Disc V.5-9. Einprägsam schreibt Milan Kundera in seinem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" (Frankfürt a.M. 1988, 276) über das Verständnis von Tieren bei Descartes: "Der Mensch ist der Besitzer und der Herr, das Tier hingegen ... nur ein Automat, eine belebte Maschine, eine 'machina animata' Wenn ein Tier wehklagt, so ist dies kein Wehklagen, sondern das Quietschen eines schlecht funktionierenden Mechanismus. Wenn ein Wagenrad quietscht, so bedeutet das nicht, daß der Leiterwagen leidet, sondern daß er nicht geschmiert ist. Genauso haben wir das Weinen eines Tieres zu verstehen und uns nicht zu grämen über den Hund, der im Versuchslabor lebendigen Leibes seziert wird." Vgl.DiscV.il. Disc V, 10.
297
Noch deutlichere Konturen erhält das mechanistische Denken, indem der Körper des Menschen selbst als Maschine betrachtet und dadurch die Diskussion um das Verhältnis von Leib und Seele neu in Gang gesetzt wird.351 Entgegen der traditionellen Position, die Seele mache den Leib lebendig352, stellt Descartes heraus, daß der im Aufhören von Körperwärme und dem Stillstand jeglicher Bewegung vernehmbare Tod "niemals durch das Fehlen der Seele eintritt, sondern allein, weil einige der wichtigsten Teile des Körpers zugrundegehen".353 Seele und Leib sind also ihrer Zusammengehörigkeit und Wechselwirkung entrissen. Um diese Trennung illustrativ vorzuführen, ist der Vergleich mit einer einmal aufgezogenen Uhr verwendet, die die Funktionalität des Körpers abbildet, dessen Lebensprinzip dann erlischt, wenn die Bewegung aufgehört hat. Die Bewegungen im menschlichen Körper werden als Kette von Reizreaktionen verstanden, die einmal angeregt, ohne Zutun der Seele ablaufen.354 "Derart hängen alle Bewegungen ... nur von der Zuordnung unserer Glieder und vom Strom der Lebensgeister ab, die durch die Erhitzung im Herzen ausgelöst in natürlicher Weise im Him und dann in den Nerven und den Muskeln erfolgen: in gleicher Weise, wie die Bewegung einer Uhr allein aus der Kraft ihrer Feder und der Gestaltung ihres Räderwerkes erzeugt wird."355 Allerdings erschöpft sich das Wesen des Menschen nicht in einer bloß mechanischen Qualifizierung, das den Primat seines Vernunftgebrauchs überhaupt nicht umspannt. Somit ist Descartes gezwungen, vom strengen Mechanismus abzuweichen und für den Menschen das wechselseitige Verwiesensein von Geist und Leib zu konzedieren, dessen Knotenpunkt er in der Zirbeldrüse lokalisiert.356 Von dort aus wirke die Seele auf den Körper und empfange umgekehrt auch dessen Reize. Eine solche Verbundenheit anzuerkennen, bringt Descartes in offenkundige Aporie zu seinem Substanzbegriff, dessen Verständnis die dualistische Sicht von res cogitans und res extensa auf den Weg 351 352 353
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298
Vgl De pass an 1,16 Vgl De pass an 1,5. De pass an 1,6. Weiter hält er fest, "daß der Körper eines lebenden Menschen sich derart von dem eines toten unterscheidet, als es eine Uhr oder ein anderer Automat tut ..., die, wenn sie aufgezogen ist, in sich das körperliche Prinzip der Bewegung hat ... und die gleiche Uhr oder eine andere Maschine, wenn sie zerbrochen ist, oder das Prinzip ihrer Bewegung zu wirken aufhört. Vgl. De pass an 1,7-11. De pass an 1,16 Vgl De pass an 1,31-41.
brachte. Letztlich vermag dieses schwache Zugeständnis keinen nachhaltigen Perspektivenwechsel auf die ausschließliche Charakterisierung der Materie als res extensa im Gegenüber zum Denken zu bewirken.357 Mit dieser dualistischen Konzeption ermißt Descartes die äußersten Konsequenzen seiner Neubegründung der Wissenschaften, die ein gänzlich gewandeltes Naturverständnis kennzeichnet.358 Gemäß der Forderung, mehr Nutzen für das Leben zu erwirken, muß sich der Mensch seiner Hoheitsermächtigung gewahr werden und diese in der geometrisch analysierenden Erkennmis der res extensa selbstbewußt zur Geltung bringen. Ihre Sinnspitze erreicht diese neue Methode in der praktischen Wissenschaft, "die uns die Kraft und Wirkungsweise des Feuers, des Wassers, der Luft, der Sterne, der Himmelsmaterie und aller anderen Körper, die uns umgeben, ebenso genau kennen lehrt, wie wir die verschiedenen Techniken unserer Handwerker kennen, so daß wir sie auf ebendieselbe Weise zu allen Zwecken, für die sie geeignet sind, verwenden und uns so zu Henen und Eigentümern der Natur machen könnten."359 In dem Maße, wie Natur zu einer bloß mechanisch funktionierenden und nach mathematischen Gesetzlichkeiten zu erkennenden Größe verkommt, schwindet das einst für Antike und Mittelalter tragende Gefühl der Ehrfurcht, das die Natur als Gottes gute Schöpfimg lobpreist und sich mit staunender Betrachtung zufrieden gibt. Descartes' Trennung von Form und Materie, res cogitans und res extensa reduziert die Beziehung des Menschen zur Welt auf ein bloß formales quantifizierendes Verhältnis,360 das den Menschen zum aktiv bestimmenden 357
Es ist unmöglich, daß die Seele aus materiellem Sein abgeleitet ist, ebenso wenig genügt es, "daß sie im menschlichen Körper wie der Kapitän an Bord eines Schiffes wohnt - außer vielleicht, um die Glieder des menschlichen Körpers zu bewegen -, sondern daß sie enger mit ihm verbunden und vereinigt sein müsse, um außerdem ähnliche Gefühle und Begierden zu haben wie wir und so ein wirklicher Mensch zu sein" (Disc V.12) Wenig später hält Descartes fest, daß zwischen Menschen- und Tierseele ein wesentlicher Unterschied besteht So scheint ihm die Seele des Menschen ihrer Natur nach unabhängig vom Leib und folglich nicht dazu bestimmt, wie dieser zu sterben
358
Vgl. Disc VI.2. Disc VI.2. Yg] jjg Ausfuhrungen von Hans Meyer, die Descartes als Begründer der Maschinentheorie des Lebens am Beginn der Neuzeit ausweisen (119f). Zum Siegeszug einer verabsolutierten Subjektivität, die sich zum archimedischen Punkt der Welt macht, notiert Vittorio Hösle: "Durch die Verwandlung der Natur in quantifizierbare und mathematisierbare res extensa wird die Physik zur paradigma-
359
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Subjekt erhebt und die Natur auf dessen stets zur herrschaftlichen Verfügung übereignetes Objekt festlegt. Natur ist nichts anderes als ein einmal in Dynamik gesetzter Automatismus, der vom Menschen in vielerlei Experimenten entschlüsselt und schließlich selbst nachgebaut werden kann. Hen und Eigentümer der Natur zu sein, stellt fortan die Aufgabe der Weltgestaltung des Menschen dar, dem die seelenlose res extensa ausnahmslos zuhanden sein muß. Descartes' neue Methode führt letztlich zur systematischen Indienstnahme der Natur durch den Menschen. Am Beginn dieser Entwicklung zu einem prinzipiellen Dualismus steht die radikale Zweifelsbewegung, die einzig das Sein von Bewußtsein im Akt der cogitatio als evidente Wahrheit zu erkennen vermag. Um diesen Reduktionismus auf das Subjekt zur Existenz von Außenwirklichkeit aufzusprengen, ist Gott als die a priori gegebene Ermöglichungsbedingung des Denkens selbst angeführt und zugleich zum Garanten dafür gemacht, daß Sein außerhalb von Bewußtsein überhaupt existiert. Diese Außenwelt ist jedoch nur aufgrund ihrer geometrischen Strukturierung wirklich, so daß sie fortan als res extensa bezeichnet wird. Damit aber ist Natur zum quantifizierbaren Objekt geworden, das sich als Gegenüber des Menschen definiert. Daß res extensa das Material menschlicher Zwecksetzung ist, leuchtet deutlich im Verständnis der Welt als Automatismus auf, innerhalb dessen alle Lebewesen wie Maschinen funktionieren. Sogar für den Menschen wird, was seine körperliche Verfaßtheit anbelangt, diese Charakterisierung als passend empfunden. Folgewirkungen prägt der Dualismus von res cogitans und res extensa, Subjekt und Objekt, insbesonders in der Geometrisierung der Welt, die nicht nur den Grundstein zur neuzeitlichen Verbindung von Technik und Naturwissenschaften legt, sondern auch die Inthronisierung des Menschen als 'maitre et possesseur de la nature' bedingt.
tischen Naturwissenschaft. ... Damit wird das intellektuelle und emotionale Verhältnis zur Natur, das der Mensch bis dahin gehabt hatte, beendet: Die Natur wird zum Anderen des Menschen, seiner absoluten Souveränität gnadenlos unterworfen" (Philosophie der ökologischen Krise, 55).
300
4.3.3 Zusammenfassung: Trennung von Mensch und Natur In exponierter Weise scheint die im cartesianischen Ansatz metaphysisch begründete Distinktion von res cogitans und res extensa geeignet, kennzeichnende Maximen neuzeitlicher Wissenschaft herauszustellen. Natur wird demzufolge als im Status absoluter Dinghaftigkeit und Relationalität auf ein dirigistisches Subjekt hin verstanden, womit Mensch und Natur nur noch im Gegenüber definiert werden können. Diese Abgrenzung beschreibt Werner Kutschmann zum einen als "Desanthropomorphisierung der Natur", der auf der anderen Seite die "Leibfreiheit der Naturerkenntnis" entspricht361. Angestrengt ist dabei, die "voreilig unterstellte Zugehörigkeit oder gar Zuständigkeit des Menschen für diese Natur" zu sprengen und zu versuchen, auf eine "Dispensierung des Menschen von Sym-Pathie und Teilhabe an der Natur" hinzuwirken362. So umschließt dieser Trennungsprozeß nicht nur die Aufkündigung der analogen Interpretation von Natur und Mensch, die zudem in der Überzeugung, die Welt sei von animistischen Kräften durchwaltet, Platz gegriffen hatte, sondern auch die Infragestellung der allem Seienden vorgegebenen entelechetischen Zweckhaftigkeit. Infolgedessen aber ist die allem Seienden an sich gegebene Ziel- und Sinnhaftigkeit ausgehöhlt und bedarf einer durch den Menschen gesetzten Definition. Natur fiinktioniert nach ihren eigenen Gesetzen, die nicht mehr dem als unabänderlich notwendigen Rhythmus des Immer-so-werden-müssens, wie noch im Argumentationskreis der Scholastik behauptet, unterliegen, gleichwohl vom menschlichen Denken entschlüsselt werden können. Die alle Ähnlichkeiten vernachlässigende Gegenüberstellung von Mensch und Natur zweifelt gerade auch die naturale Verfaßtheit des Menschen an, was sich in der Frage zuspitzt, ob denn die Sinne eine zuverlässige Erkenntnisquelle bieten und hinreichend sichere Informationen über die objekthafte Wirklichkeit übermitteln. Oder ist Erkenntnis nicht doch die ausschließliche Leistung menschlichen Denkvermögens, womit die Kluft zwischen res cogitans und res extensa, letzteres verstanden als Dimension der Leiblichkeit, die in Parallele zur körperlichen Konstitution der Natur gesetzt ist, mitten in das Erkenntnissubjekt selbst eingetragen ist. Für die neu361
362
Werner Kutschmann, Der Naturwissenschaftler und sein Körper. Die Rolle der 'inneren Natur' in der experimentellen Naturwissenschaft der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1986, 192. Ebd.
301
zeitlich analytisch-empirische Naturwissenschaft ergibt sich damit eine doppelte Gegenüberstellung und Festschreibung dualistischer Grundstrukturen von Subjekt und Objekt. Nämlich zunächst das Gegensatzpaar Mensch und Natur, das seine Fortführung im innermenschlichen Hiatus von geistiger Verfaßtheit und Körper findet. Ob dieser verschärften Grenzziehung entscheidet sich die Moderne, der Leiblichkeit, aktualisiert in der sinnlichen Erkenntnis, kaum Bedeutung beizumessen. Denn im Erkenntnisprozeß bildet allein die Ermittlung sicherer Daten den Interessenschwerpunkt, wozu die intellektuelle Konsumtion des Menschen in Dienst genommen ist. Während die Sinne die Möglichkeit der Täuschung in sich bergen, stellt die Wahrnehmung des Objekts nach Kriterien mathematischer Extension das Erkenntnisideal 'clare et distincte' zufrieden. Damit beginnt sich der Verzicht auf das sinnlich empathische Potential der menschlichen Erkenntnisfähigkeit als Paradigma neuzeitlicher Geschichte von Naturwissenschaft herauszubilden und die Distanz zwischen Subjekt und objekthafter Wirklichkeit zu bekräftigen. Die Kommunikation des Menschen mit der Natur bewegt sich in den Bahnen intellektueller Reflexion und meßbarer Körperhaftigkeit seitens des intendierten Erkenntnisgegenstandes, womit die Naturwissenschaft eine gänzliche Apathie im Gegenüber von res cogitans und res extensa fördert und die Fiktion 'reinen Denkens' zu stilisieren versucht.363 Besondere Dichte erfahrt die Dichotomie von "nicht-anthropomorpher Natur und nicht-naturhaftem menschlichen Wesen" im Diskurs über die Adäquatheit von Erkenntnis364. Stimmt der reale Gegenstand mit dem Bild überein, welches dem Erkenntnissubjekt tatsächlich übermittelt wird? Vermag der Mensch zu einer authentischen Wiedergabe der Wirklichkeit zu gelangen? Und worin ist schließlich die Möglichkeit verbürgt, zu sicherer Erkenntnis zu kommen? Als Antwort läßt sich vorweg bereits festhalten, daß im Verständnis der Neuzeit einzig die denkerische Leistung evidente Erkenntnisse übermittelt, sofem die eigentliche Wirklichkeit des Erkenntnisobjektes in seiner metrischen und kinematischen Größe ausgesagt ist. Descartes illustriert diese univoke Überzeugung neuzeitlicher Naturwissenschaft anhand der Lehre über die primären und sekundären Qualitäten, die 1690 in Lockes Ausfülimngen 'An Essay conceming Human Understanding' explizit
363 364
302
Vgl ebd., 210 Ebd, 213.
niedergelegt werden. Danach empfängt der Mensch im Akt der Wahrnehmung mechanisch-kinematische Signale, die gleichsam das Bild des tatsächlichen Gegenstandes repräsentativ halten. In diesem Prozeß wird deutlich angezeigt, daß fortan der Akzent auf der Aktivität des Menschen liegt, dessen geistige Fähigkeit es vermag, die Welt in ihren Stukturen zu entschlüsseln. Allerdings führen nur die Charakteristika eines Objekts zu dessen adäquater Erkenntnis, welche Daten von mathematischer Natur übermitteln. Sie werden im Gegensatz zur Sinneswahrnehmung als primäre Qualitäten benannt, weil sie dasjenige im Menschen ansprechen, was seine animalische Verfaßtheit transzendiert und ihn als vernunftbegabt auszeichnet. In diesem erkenntnistheoretischen Konzept offenbart sich die Wirklichkeit nicht mehr durch Anschauung, sondern in Form der Mathematik, welcher die geistige Leistung des Menschen konespondiert. Eine solche Reduktion der Wahrnehmung auf primäre Qualitäten steht beispielgebend für die dualistisch angelegte Anthropologie der Neuzeit, die Geist und Leiblichkeit in bisher ungekannter Weise auseinanderhält.365 Ebenso wie sich die Trennung im Menschen selbst auswirkt und der geistigen Aktivität der Primat zuerkannt wird, formt sie sich in der Beziehung von Mensch und Natur, mit der Einschränkung, daß beim Menschen lediglich seine geistige Leistung in bezug auf die Dechiffrierung der Welt von Bedeutung ist. Unter diesem Vorzeichen kann das Verhältnis von Mensch und Natur nur noch in den Kategorien der Geometrisierung verlaufen, die auf Seiten des Menschen rationale Anstrengung und auf Seiten der Objekte Ausgedehntheit einfordert. "Seit Descartes", so resümiert Kutschmann, "gibt es für die leibliche Erfahrung in der Wissenschaft keinen Platz mehr. ... Mit der Entthronung der Sinne, der Des-Anthropomorphisiemng der Natur und nicht zuletzt der Versagung der Verstehensbeziehungen in der sympathetischen sinnlichen Wahrnehmung ist der selbstverständliche Bezug des Forschers zur Narurhaftigkeit seiner selbst - wie auch zur Naturhaftigkeit seines Gegenstandes - gebrochen. ... Leibfreie Naturerkenntnis ist möglich geworden - in Gestalt instrumenteller Messung und Experimentation."366
365
Vg] Hansjürgen Staudinger, D a s Ich u n d die Welt. Cartesianischer Dualismus als ein W e g zu naturwissenschaftlichem Forschen, in: L e o Scheffczyk ( H g ) , Dualismus versus Dualität Aspekte neuzeitlicher Weltbetrachtung, Freiburg-München 1990, 13-34 (=Grenzfragen XVII).
366
Werner Kutschmann, 254f.
303
Mit der funktionellen Registratur der Natur als meßbares Objekt geht der zunehmende Ausfall des teleologischen Gehalts von Natur einher, der mit den unterschiedlichen Vorstellungen antiker Naturbegriffe verwoben ist. Piaton bestimmte Natur noch als das von einem Demiurgen geschaffene Seiende, während Aristoteles eher die Mächtigkeit der eigenen Formgebung und des Selbstandes herauskehrt.367 Natur ist ein Seinkönnen, das alle seine Möglichkeiten der Vervollkommnung selbst zuzuführen vermag und somit gleicherweise Sinn- und Zielbestimmung in sich trägt, d.h. "Wesensform, bewegende Ursache und Ziel/Zweck von natürlichen Prozessen fallen folglich ineinander".368 Wenn sich auch die Definition von Natur bei beiden Philosophen in die Spannungseinheit von Praxis und Poiesis fügt, gehen die Deutungen ins Gegenläufige auseinander. Für Plato ist Natur das Werk eines rationalen Herstellungsvorganges; bei Aristoteles hingegen ist sie die Grundlage, auf der sich Poiesis vollziehen kann. Die mittelalterliche Philosophie nimmt auf beide Traditionsstränge Bezug, wobei allerdings im 12. Jahrhundert der platonische Ansatz verstärkt Anklang findet. Es scheint nämlich gerade in der Argumentationsführung um die creatio ex nihilo hilfreich, darauf hinzuweisen, daß die Schöpfung nicht aus einem Willkürakt, sondern einer bewußten Entscheidung Gottes entspringt. Schöpfung verdankt sich der Poiesis, was umgekehrt zu der These führt, der sichtbaren Wirklichkeit liege eine intelligible Ordnung, der sogenannte 'mundus intelligibilis' zugrunde. Wirkung zeigt diese platonische Vorstellung insbesonders in der neuzeitlichen Naturwissenschaft, die am Bild der Natur als rationalem System festhält, aber doch einige Umbesetzungen vornimmt. "An die Stelle der Idee tritt das Gesetz, an die Stelle des apriorischen Ideenwissens die vom Menschen entworfene Gesetzeshypothese. Man liest nicht mehr im 'Buch der Natur', sondern zwingt die Natur, im Experiment auf die mit Hilfe der Hypothesen formulierten Fragen zu antworten."369 Je mehr sich aber die mechanistische Interpretation der als Systemordnung verstandenen Natur in der modernen Naturwissenschaft durchsetzen kann, desto stärker ist das aristotelische Verständnis der an sich der Natur innewohnenden Teleologie 367
368 369
304
Vgl die Ausführungen bei Ludger Honnefelder, Natur-Verhältnisse Natur als Gegenstand der Wissenschaften. Eine Einführung, in: Ders. (Hg.), Natur als Gegenstand der Wissenschaften, Freiburg-München 1992, 9-26, bes. 13f (=Grenzfragen XIX) Ebd. Ebd., 16
im Schwinden begriffen.370 Nicht mehr die in der Natur selbst verankerten Möglichkeiten zur Vervollkommnung beanspruchen den Primat, sondern die vom Menschen bewirkten technischen Veränderungen, erlaubt doch die Erkenntnis der Strukturgesetzlichkeiten manipulative Eingriffe. Somit bekommt die Natur ihre Zielbestimmung vom Menschen zugewiesen, in dessen Händen nach dem Ideal neuzeitlicher Naturwissenschaft ihre Vervollkommnung liegt. Descartes' Bestimmung des Menschen als Hen und Eigentümer der Natur ist genau auf der Linie dieser Interpretation und deshalb vortrefflich geeignet, die Schwachstellen einer derart einseitigen Entwicklung aufzuzeigen. Wenn nämlich Natur nur dazu dient, vom Menschen entschlüsselt und mittels des gewonnenen Datenmaterials analysiert zu werden, hat sie ihren Eigenwert eingebüßt. Sie ist lediglich zum dienstbaren Objekt geworden, das menschlichem Wirken stets zuhanden sein muß. An sich ist Natur jedoch nicht wertvoll, ihre Bestimmung gewinnt sie erst auf den Menschen hin und von ihm her. Teleologie im aristotelischen Sinn gehört nicht zum Naturverständnis, wie es für die Neuzeit maßgeblich geworden ist. Die Zurücknahme der teleologischen Deutung der Natur zeigt sich als Spielart der Trennung in Subjekt und Objekt, die sich zur grundlegenden Signatur modemer Naturwissenschaft formt. Mensch und Natur sind, wie die cartesianische Philosophie in den Begriffen res cogitans und res extensa zum Ausdmck bringt, in Distanz zueinander getreten, wobei es Angelegenheit des Menschen ist, diese Perspektive ursprünglicher Fremdheit im Hineinwirken in die Natur zu überwinden. Solches kann aber nur geschehen, wenn die Wirklichkeit als Gegenüber begriffen wird, dessen Wesensmerkmal in der dem Menschen zur Dechiffrierung aufgegebenen Extension besteht. Metrische Stukturen sind die Qualitäten, welche der intellekmellen Kompetenz des Menschen erkennbar sind. Umzirkelt diese im Experiment intersubjektiv nachprüfbare Bestimmung das Verhältnis von Mensch und Natur, so wird auch die einseitige Festschreibung der Erkenntnis offenkundig, die jegliche
370
ygi ebd., ]g unc j ferner Werner Kutschmann, 57: "Der neuzeitliche moderne Körper ... besitzt vorab keine Existenz, keine Sinnhaftigkeit und keinen Zweck. Er ist leer und disponibel, seine Existenz muß erst bewiesen werden , sein Sinn und Zweck erst bestimmt werden Er wird zum "Körper des Subjekts' erst dadurch, daß er mit Bedeutung gefüllt wird "
305
empathische Wahrnehmung von vomeherein ausklammert. Letztlich bleibt die Frontstellung von "inquisitorischem Subjekt und inquirierter Natur".371
371
306
Ebd, 412
Kapitel V
Die Idee des Fortschritts Zur Herkunft eines neuzeitlichen Leitbildes
Das säkularisierte christliche Geschichtsverständnis ist nach Reinhard Maurer die Triebkraft der am Entstehen der Umweltkrise beteiligten modernen Technik. Dabei denkt er vor allem an den darin als "eine problematische Möglichkeit angelegte[n] Chiliasmus", den er als "Ausrichtung auf einen geschichtsimmanenten Endzustand" versteht. In diesem erwirkt der Mensch selbst sein Heil, anstatt es von Gott im Jenseits zu erwarten. Als Inbegriff solcher "kollektiver Selbsterlösungsanstrengungen" gilt der in stets besserer Naturbehenschung manifestierte Fortschritt, der schon innerhalb der Geschichte die Verwirklichung des Reiches Gottes leistet und dadurch die "religiöse Erlösungshoffhung" nicht nur "ganz oder wenigstens teilweise einzulösen" verspricht, "sondern sie als solche überflüssig macht". Daß die Vorstellung einer besseren Zukunft das Bild des Reiches Gottes adaptiert, ist das Verdienst des Chiliasmus, der alle möglichen Heilshoffhungen auf diese Idee hin bündelte. Er schuf aus der "vergleichsweise amorphe[n] menschliche [n] Bedürfhisnatur das Bedürfnis" [=Errichtung des Reiches Gottes], "zu dem sich die moderne Technik, entlehnt aus der "Techne-Rationalität der griechischen Antike", als Weg der Befriedigung einfand1. Gerade mit dem Anspruch, die "alten Menschheitsträume von einem endgeschichtlichen Idealzustand" erfüllen zu können, verbindet sich eine Überforderung der Technik, die sich in ihrer Entwicklung zu "menschenfeindlichen Dimensionen" entlädt2. So droht die Gefahr, "im Streben nach dem Unmöglichen ... das gegenwärtig Mögliche ... zu zerstören. Alles gegenwärtig Bestehende, nicht nur [die] außermenschliche Natur soll verfügbar sein und wird instrumentalisiert zur Eneichung des überschwenglichen Ziels einer perfekten Bedürfnisbefriedigung, eines säku1
2
Reinhart Maurer, Warum in Europa? Geschichtsphilosophische Überlegungen zur Entstehung der modernen Technik, in: Gerhard Frey/Josef Zeiger (Hg), Der Mensch und die Wissenschaften vom Menschen. Die Beiträge des XII. Deutschen Kongresses fiir Philosophie in Innsbruck vom 29 September bis 3 Oktober 1981. I Anthropologie der Gegenwart, Innsbruck 1983, 463-476, hier: 470f. Ebd., 473.
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larisierten Reiches Gottes auf Erden".3 Sollen deshalb die vornehmlich in der ökologischen Krise sichtbar gewordenen Negativwirkungen nicht bloß symptomatisch kuriert werden, ist es nach Maurer zuerst notwendig, den Fortschritt in Technik und Wissenschaft als Resultat einer durch chiliastische Strömungen säkularisierten Erlösungssehnsucht zu erkennen, die selbst wiederum ein Ableger christlicher Geschichtsteleologie ist. Maurer bezieht sich bei seiner ideengeschichtlichen Herleitung der Technik aus dem Christentum auf Donald Brinkmann, der unter dem Eindmck des Zweiten Weltkriegs formulierte, in einer vom Säkularisierungsprozeß umgriffenen Atmosphäre würde die technische Gestaltung der Wirklichkeit zum Platzhalter der ursprünglich metahistorischen Erlösungssehnsucht. Anstatt auf die göttliche Gnade zu vertrauen, erhofften sich die Menschen, ihr Heil durch technisch-wissenschaftliche Innovationen selbst erwirken zu können. Mit dem Bewußtsein von Kontingenz und Erlösungsbedürftigkeit "verbindet sich beim technischen Menschen eine bestimmte Glaubenssehnsucht, die Erlösung durch werktätiges Gestalten der Wirklichkeit ... selbst herbeizuführen, ... ohne auf irgendeinen Gnadenakt Gottes angewiesen zu bleiben".4 Letztlich liege allem technischen Gestalten ein primär religiöses Ansinnen zugrunde, gibt sich doch im "werktätigen Gestalten eine spezifische Glaubenssehnsucht kund, eben die prometheisch-faustische Sehnsucht nach Erlösung des Menschen durch sich selbst".5 Das Postulat der Erlösungssehnsucht als Grundmotiv der modernen Wissenschaften mündet dann in die Feststellung: "Der ganze Enthusiasmus, der die moderne Welt der Technik erfüllt ..., läßt sich nur verstehen, wenn man zutiefst ein aus dem christlichen Glauben abgeleitetes, leidenschaftliches Streben nach aktiver Selbsterlösung am Werke sieht."6 3 4
6
308
Ebd. Mensch und Technik. Grundzüge einer Philosophie der Technik, Bern 1946, 105. Ebd., 108. Dabei möchte er Säkularisation in deskriptiv-geistesgeschichtlichem Sinne verstanden wissen, d.h. zur Kennzeichnung des für die Geistesgeschichte des Abendlandes prägenden Phänomens, "an Stelle des erschütterten Glaubens an eine transzendente Welt den sehnsüchtigen Blick auf innerweltliche Gegenstände treten zu lassen, die dadurch einen Absolutheitscharkter erhalten, der sie als Surrogate ursprünglicher Glaubensinhalte erscheinen läßt" (ebd., 109). Ebd., 140. Widerspruchslos ist diese These freilich nicht geblieben, wie die kritischen Anfragen bei Simon Moser zeigen: "Kann die ursprünglich religiöse Erlösungssehnsucht überhaupt in diesen Erlösungsdrang umschlagen und leitet sich aus dieser religiösen Triebkraft wirklich 'die beispiellose Entfaltung der Technik
5.7
Fortschritt als säkularisierte Vorsehung?
Technik als säkularisierte Erlösung zu verstehen, ist nur eine Facette der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts diskutierten geschichtsphilosophischen Modelle, welche die Originalität der Neuzeit leugnen, indem sie deren Entstehung auf die Säkularisierung des Christentums zurückführen. Ohne das Christentum sei die Neuzeit völlig undenkbar, sofem ihr im Fortschrittsbegriff konzentriertes Selbstverständnis in der Verweltlichung christlicher Heilserwartungen gründet.7 Diese Ableitung verweist zugleich schon darauf, daß das Fortschrittsdenken gegen seinen Ursprung gerichtet ist, an dessen Platz es selbst tritt. Treffend zum Ausdruck gebracht ist dieses dem Fortschritt anhaftende Paradox, der Herkunft nach christlich, im Ergebnis jedoch
seit der älteren Neuzeit im Abendland her' (Brinkmann, 149)? Und wenn ja, dann liegt in diesem Umschlag eine so wesentliche Pervertierung, daß von der alten Erlösungssehnsucht nichts mehr übrig bleibt. ... Kann sich überhaupt die ursprüngliche Glaubensenergie im Sinne des Christentums auf das technische Gestalten richten, ohne seinen dogmatischen und sittlichen Charakter vollständig zu verlieren? Und selbst wenn der Säkularisierungsprozeß des Offenbarungsglaubens eine historische Voraussetzung für die Entstehung der modernen Technik wäre, so ist damit noch keineswegs bewiesen, daß Erlösungssehnsucht ein inneres Merkmal der modernen Technik wäre" - Kritik der traditionellen Technikphilosophie, in: Hans Lenk/Simon Moser (Hg), Techne, Technik, Technologie. Philosophische Perspektiven, Pullach 1973, 11-81, bes 19. Christopher Dawson, Die wahre Einheit der europäischen Kultur. Eine geschichtliche Untersuchung, Regensburg 1935, 162f schreibt dazu: "Als die Philosophen des 18 Jahrhunderts versuchten, ihre neuen rationalistischen Theorien an die Stelle des alten Glaubens der Christenheit zu setzen, taten sie nichts anderes, als die Elemente aus ihm [zu] abstrahieren, die ihr eigenes Denken so durchdrungen hatten, daß sie ihren Ursprung nicht mehr erkennen konnten Der Deismus des 18. Jahrhunderts war nur das Gespenst oder der Schatten des Christentums, eine intellektuelle Abstraktion ... der geschichtlichen Religion. ... Bestimmte christliche Begriffe behielt er bei ..., aber sie alle wurden ihres übernatürlichen Charakters entkleidet und dem utilitaristischen rationalistischen Schema der zeitgeschichtlichen Philosophie angepaßt Vor allem aber geschah dies mit dem Gedanken des Fortschritts, denn während die neue Philosophie keinen Raum für den übernatürlichen Charakter der christlichen Eschatologie ließ, so konnte sie doch der christlich teleologischen Lebensauffassung nicht entbehren. So trat der Glaube an die sittliche Vervollkommnungsfähigkeit, an den unbegrenzten Fortschritt des Menschengeschlechts an die Stelle des christlichen Glaubens vom Leben im zukünftigen Reiche als dem Ziele alles menschlichen Strebens."
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gegen-christlich zu sein8, in solchen Bezeichnungen wie, er sei die "letzte große Häresie des Abendlandes"9, das "illegitime Kind des Christentums"10 oder gar dessen Parasit: "Der Fortschrittsglaube war nur im christlichen Abendland möglich - aber nur, indem der christliche Glaube verschwand, als dessen Umformung und Ersatz, ja als dessen Parasit. Denn von seinen Kräften lebte er, von denselben, die er zerstörte."11 Grundgelegt ist die Säkularisierung in der Veränderung des menschlichen Selbstverständnisses, der sogenannten "Wende zum Subjekt".12 Manifest wird diese neue Erfahrung insbesonders in der mit Bacon und Descartes theoretisch in die Wege geleiteten Neukonzeption der Wissenschaften und ihrer Hochschätzung der experimentellen Erforschung der Natur, die auf alle Bereiche ausstrahlt. Der Mensch ist zum Herrn der Welt geworden, wobei diese Sicht die Gefahr in sich birgt, dem hybriden Glauben an die grenzenlose Macht durch die Schaffung einer stets besseren Zukunft zu erliegen. "Die entscheidende Form des modernen Geschichtsirrtums ist der Glaube, daß sich die zwiegesichtige Stellung des Menschen als Geschöpf und Schöpfer der Geschichte allmählich ändert, bis er in absehbarer Zukunft zum unumschränkten Henscher über das historische Schicksal wird. Diese letzte und widersinnige Form der Hybris bringt die moderne Kultur dazu, alle Be-
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Vgl. Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart u.a. 51967, 184 Vgl. das Vorwort von Karlheinz Schmidthüs zur deutschen Übersetzung von Dawsons Werk, IX-XV, bes XI Emil Brunner, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, München-Hamburg 1965, 26 Ebd., 10. Als Motive dieser Wende zum Subjekt sind mit Klaus Müller zu bedenken: Die Pestepidemien in der Mitte des 14 Jahrhunderts, die den Schöpfungsglauben erschütterten (1). Etwa zeitgleich beginnt das abendländische Schisma die Verläßlichkeit der durch die kirchliche Hierarchie gesicherten gesellschaftlichen Ordnung zu zerbrechen und damit das Vertrauen in Autorität und Wahrheit in Frage zu stellen (2) Überdies ist an das mit dem Renaissancehumanismus verbundene Interesse an den (Natur-)Wissenschaften zu denken (3) Schließlich sind aber auch die Reformation und die nachfolgenden Religionskriege als Motiv der Wende zum Subjekt zu nennen (4). - Wenn ich "ich" sage Studien zur fundamentaltheologischen Relevanz selbstbewußter Subjektivität, Frankfurt a.M. u.a. 1994, bes. 35-45 (=Regensburger Studien zur Theologie 46).
griffe einer göttlichen Vorsehung zu verwerfen."13 Mit dieser Wende zum Subjekt entsteht ein anderes Gottesbild, das sich auch im Geschichtsverständnis ausdmckt: Immer mehr blickt der Mensch auf diese Geschichte und verliert sein Interesse an ihrer transzendenten Erfüllung. Alle Sehnsüchte, deren Erfüllung bislang von der ewigen Glückseligkeit des Menschen in der Gemeinschaft mit Gott erwartet wurden, scheinen nunmehr im Diesseits durch den Menschen selbst einlösbar. "An die Stelle des göttlichen Weltenlenkers tritt die Menschheit, die als Kollektivsubjekt ihre Geschichte selbst bestimmt. Dabei hat sich der Inhalt der Denkfigur gewandelt, mit der die Geschichte gedeutet wird, doch wesentliche Strukturelemente sind erhalten geblieben. Die Funktion, die früher der göttliche Heilsplan hatte, übernimmt nun die ... Selbstermächtigung zur 'fortschrittlichen' Umgestaltung der Welt. Das Vertrauen darauf, daß dieser Prozeß auch wirklich zu einem guten Ende geführt wird, gründet in einem affirmativen Fortschrittsbegriff, der sich damit als voluntaristisch übersteigertes, nunmehr ganz innerweltlich gedachtes Äquivalent für die göttliche Vorsehung erweist."14 Voraussetzung für die Hereinnahme der Transzendenz in die Immanenz, wodurch die Vorsehung zum Fortschritt wird, ist aber das lineare Geschichtsverständnis des Christentums, das eine solche Vorwärtsdynamik auf eine immer bessere Zukunft vorgibt. Karl Löwith verweist in diesem Zusammenhang insbesonders auf die Geschichtsentwürfe von Augustinus und Joachim von Fiore, die jeweils unter den spezifischen Bedingungen ihrer Zeit die Bedeutung der linearen Zeitvorstellung herausarbeiteten und damit dem Fortschrittsbegriff der Neuzeit entscheidende Impulse gaben. Augustinus habe mit seinem Werk 'De civitate Dei' eine umfassende Apologie wider das zyklische Denken der Antike vorgelegt und die Geschichte als Heilsgeschehen zwischen Gott und den Menschen gedeutet, das in der Weltschöpfung seinen Anfang nimmt und am Ende der Zeiten in der Henschaft des Reiches Gottes vollendet wird. Gerade die Gewißheit des einmaligen und unwiederholbar Neuen, das Gott an der Welt geschehen läßt, drängt danach, von einer zyklischen Kosmologie Abschied zu nehmen, die sich in einer Wiederkehr des immer Gleichen, in der Rotation von Glück und Leid Reinhold Niebuhr, Glaube und Geschichte. Eine Auseinandersetzung zwischen christlichen und modernen Geschichtsanschauungen, München 1951 (im englischen Original: 'Faith and History', New York 1949), 95. Friedrich Rapp, Fortschritt. Entwicklung und Sinngehalt einer philophischen Idee, Darmstadt 1992, 58f
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verschließt. Um die Bedeutung der Heilsgeschichte aufzuzeigen, verwende Augustinus die Metapher der im Kampf miteinander liegenden Reiche, der 'civitas Dei' und der 'civitas tenena', welche in mystischer Ausdrucksform die Entscheidung des Menschen für oder gegen Gott symbolisieren. Während die 'civitas terrena' im Brudermörder Kain grundgelegt ist, wird die 'civitas Dei' dem gerechten Bmder Abel zugewiesen, der die Ausrichtung des Menschen auf Gott, seine Pilgerschaft, beispielgebend vorlebt, womit schon die Sinnmitte des christlichen Fortschrittsbegriffs getroffen ist. Fortschritt ist nichts anderes als das menschliche Bemühtsein um ein Fortschreiten auf diesem Pilgerweg hin zur eschatologischen Erfüllung des Heils. Zentrales Thema ist demnach "die eschatologische Geschichte des Glaubens, die ein geheimes Geschehen innerhalb der Geschichte der Welt ist, unterirdisch und unsichtbar für jene, die nicht mit den Augen des Glaubens sehen. Der ganze Geschichtsverlauf wird nur fortschrittlich, sinnvoll und verständlich durch die Erwartung eines jenseits der geschichtlichen Zeit liegenden letzten Triumphes des Gottesstaates über das Reich des sündigen Menschen. ... Vom christlichen Standpunkt aus gibt es nur einen Fortschritt: das Fortschreiten zu einer immer entschiedeneren Scheidung von Glaube und Unglaube, von Christus und Antichrist."15 Ebenso sei auch das geschichtstrilogische Konzept Joachim von Fiores Wegbereiter des modernen Fortschrittsdenkens gewesen. Angeregt durch Offb 20, der Verheißung eines 1000jährigen Reiches auf Erden, in dem die Gerechten mit Christus herrschen werden, konstruierte er ein Modell der Geschichtsdeutung, das die sukzessive Aufeinanderfolge eines Reiches des Vaters, des Sohnes und schließlich des Geistes unterscheidet. Dabei gilt das jeweils spätere als das am weitesten fortgeschrittene, weil es näher an die endgültige Heilserfüllung heranreicht. Wenngleich ein zweifaches Eschaton in Aussicht gestellt ist, einmal die geschichtsimmanente Endphase des Heilsgeschehens und zum anderen die transzendente Heilsfülle, die mit der Wiederkunft Christi beginnt, überrasche die Eindringlichkeit, mit welcher die immanente Erfüllung der Geschichte betont wird. Hiermit sei bereits die Reduktion der Transzendenz aufgmnd der einseitigen Betonung der linearen Geschichtsgerichtetheit vorgezeichnet, wie sie sich dann vor allem im chili-
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Karl Löwith, Weltgeschichte, 158.
astischen Denken der Franziskanerspiritualen und ihrem Glauben an die weltgeschichtliche Erfüllung und Vollendung des Heilsgeschehens entlädt.16 Auf Kritik trifft die Herleitung des Fortschrittsbegriffs aus dem Christentum und die damit verbundene Leugnung der Originalität der Neuzeit bei Hans Blumenberg, der auf die Konsequenzen einer solchen Argumentation mit folgender Persiflage hinweist: "Hat man die Idee des Fortschritts einmal als Transformation der Vorsehung einer providentiell gelenkten Heilsgeschichte verstehen können, so wird entweder die Unendlichkeit dieses Fortschritts als das Säkularisat der zuvor über die Geschichte regierenden Allmacht ausgegeben werden müssen, oder ein in Aussicht genommener Endzustand des Fortschritts vom Typus 'goldenes Zeitalter', 'ewiger Friede' oder 'Gleichheit aller jenseits des Staates' wird nur so etwas wie eine Eschatologie ohne Gott sein können. Die Welt des Mittelalters sei endlich, ihr Gott aber unendlich gewesen; in der Neuzeit übernimmt die Welt dieses Attribut Gottes; die Unendlichkeit wird säkularisiert."17 Sollte die Neuzeit, so fragt Blumenberg, wirklich nur das Derivat des Christentums sein, die Fortschreibung seiner Wesenhaftigkeit unter Präsumtion eines gewandelten zeitgeschichtlichen Horizonts? Wo aber zeigt sich dann das spezifisch Neue, das dieser Epoche wohl mehr als nur ihren Namen gegeben hat? Aber gerade in der all diesen Theorien zugrundeliegenden Annahme eines Säkulari-
Vgl ebd., 136-147, bes. 141 Vgl. als zusammenfassende Darstellung seiner Position auch den Aufsatz "Das Verhängnis des Fortschritts", in: Erich Burck (Hg), Die Idee des Fortschritts Neun Vorträge über Wege und Grenzen des Fortschrittsglaubens, München 1963, 17-40. Vgl. zur Rezeption dieser These in Auswahl auch Georg Picht, Evolution in der Zeit. Zum Verständnis von Stabilität, in: Wolfgang Lienemann/Ilse Tödt (Hg), Fortschrittsglaube und Wirklichkeit. Arbeiten zu einer Frage unserer Zeit, München 1983, 95-108. Dort heißt es: "Fortschritt ist ... säkularisierte Heilsgeschichte" (ebd, 95) Ebenso optiert Heinz E. Tödt, Ambivalenz des Fortschritts Zur Urteilsfindung über das Wesen der Macht, in: Ebd, 143-156, bes. 148 Roland Baecker, Fortschrittseuphorie, Sinnverfinsterung und die Wiederentdeckung des Natürlichen Zur Geschichte des Begriffs Fortschritt und Diskussion seines Selbstverständnisses in der neuzeitlichen Philosophie, Oldenburg 1988, kommt in seinem Resümee über den neuzeitlichen Fortschrittsbegriff zu der Behauptung: "Der göttliche Heilsplan stirbt und feiert seine Auferstehung in der zielgerichteten von Menschen bestimmten Menschheitsentwicklung" (ebd , 92). Assen Ignatow, Anthropologische Geschichtsphilosophie Für eine Philosophie der Geschichte in der Zeit der Postmoderne, Sankt Augustin 1993, 11 bringt es auf die Formel: "Ohne Christentum kein Fortschrittsbegriff Der moderne Fortschrittsbegriff ist Resultat der Säkularisierung christlichen Glaubens." Säkularisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt a M. 1974, 21.
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sierungsbegriffes im Sinne von Umwandlung, Verformung und Überführung in neue Funktionen bei substantieller Identität des Neuen mit seinen Entstehungsbedingungen erweist sich die Überzeugungskraft ihrer Argumentationsführung von nur oberflächlicher Evidenz. Dem so prononciert vorgetragenen Theorem der Säkularisierung haftet die Bürde an, die Entstehung des Neuen lediglich aus der Umformung vorgängiger Anlagen zu erklären. Ein solches Verständnis gestattet jedoch dem "Resultat der Säkularisierung nicht, sich von ihrem Prozeß abzulösen und zu automatisieren. Die Illegitimität des Resultats der Säkularisierung steckt darin, daß es den Prozeß selbst, aus dem es hervorgegangen ist, nicht säkularisieren darf'.18 Unangemessen erscheinen Blumenberg daher alle Versuche, die Neuzeit als Säkularisat zu legitimieren und zu behaupten, die Fortschrittsidee sei lediglich die Hereinnahme der Eschatologie in die Immanenz. Obgleich er beipflichtend anerkennt, daß vieles an der Neuzeit ohne die christliche Antezedenz undenkbar wäre, prägt sich deren Eigentümlichkeit nicht darin aus, die Heilsgeschichte in die Weltgeschichte projiziert zu haben. "Für die Abhängigkeit der Fortschrittsidee von der christlichen Eschatologie bestehen Differenzen, die jede Umsetzung der einen in die andere blockiert haben müssen. Es ist ein formaler, aber gerade dämm manifester Unterschied, daß eine Eschatologie von einem in die Geschichte einbrechenden, dieser selbst transzendenten und heterogenen Ereignis spricht, während die Fortschrittsidee von einer jeder Gegenwart präsenten Struktur auf eine der Geschichte immanente Zukunft extrapoliert."19 Wie diese grundlegende Differenz anzeigt, muß die moderne Fortschrittsidee von einer anderen Ursache als dem christlichen Vorsehungsglauben Vgl ebd., 25, vgl. auch Dieter Hattrup, Eschatologie. Paderborn 1992, hier: 65-88; Ulrich HJ. Körtner, Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik, Göttingen 1988, bes 64-70 Hans Blumenberg, Säkularisierung und Selbstbehauptung, 39 Im Gegensatz zu Löwith betont er, daß eben die christliche Eschatologie nur für eine relativ kurze Zeit als Inbegriff der Hoffnung gegolten habe Als es "endlich so weit war, die Fortschrittsidee zutage zu fördern, war die Eschatologie aber ein Inbegriff von Schrecken und Furcht Wo Hoffnung entstehen sollte, mußte sie als ein neuer und originärer Inbegriff von diesseitigen Möglichkeiten gegen jene jenseitigen gesetzt und gesichert werden ... Es ist nicht zu sehen, wie aus der einen 'Erwartung' je die andere hervorgehen könnte, es sei denn, daß man die Enttäuschung an der transzendenten Erwartung als Agens der immanenten darstellt Dann aber müßte der Zeitpunkt für das erste Auftauchen der Fortschrittsidee und für ihre prägende Wirksamkeit weit mehr als ein Jahrtausend vorverlegt werden" (ebd., 40).
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ableitbar sein. Blumenberg meint, es seien "neuartige Erfahrungen" gewesen, die dem Fortschrittsdenken der Neuzeit förderlich waren. Solche Erfahrungen fügten sich nicht mehr in den Rahmen der Tradition und bedürfen neuer Erklärungsmuster. Wenn sie auch nachhaltig durch ihre spezifische geistesgeschichtliche Herkunft geprägt wurden, überwiegt die Unähnlichkeit, welche schließlich zur Ablösung führt und selbst aufgmnd ihrer Fülle an neuen Impulsen systemkonstitutiv wirkt.20 So läßt sich nach Blumenberg ein Schema ausmachen, wie sich epochale Wendungen in der Geschichte ausbilden: Neue Ideen gewinnen erst geschichtsprägenden Einfluß, nachdem die "durch jeweils homologe Ideen besetzten Stellen des aktualen geistigen Systems allererst frei wurden. Die Blockierung solcher Stellen determiniert die Geschichte, die Katalyse der blockierenden Vorstellungen gibt ihr ihre Möglichkeit und neue Entscheidbarkeit zumck. Solche Zersetzung und Entmachtung eingesessener Vorstellungen kann schon aus ihrem bloßen funktionalen Überflüssigwerden innerhalb eines erweiterten Erklärungszusammenhanges resultieren. Was derart entbehrlich geworden ist, gibt seine Stelle 'frei', in die dann weder Beliebiges noch eindeutig Definiertes, sondern funktional Passendes einrücken kann, wie immer es inhaltlich bereitsteht."21 Für die spezifisch neuzeitliche Kategorie des Fortschrittsdenkens bedeutet dies, daß die im Mittelalter vornehmlich auf das jenseitige Heil bedachte Frömmigkeit der Sorge um das irdische Wohlergehen dann Platz machte, als sich der Glaube an die göttliche Prädestination, auf welche der Mensch keinen Einfluß nehmen konnte, zu festigen begann. Das Leben im Diesseits war die Lücke, welche neuer Sinnerfüllung bedurfte. Gerade das aber versprach die Fortschrittsidee. "Die Konzentration der religiösen Energien auf die Punkrualität der Heilsentscheidung" zwang dem Menschen auf, "für die bis dahin dogmatisch und emotional gar nicht akute Frage nach dem Sinn des eigenen Daseins in der Welt ... selbst aufzukommen. Je weniger Gott 20
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Zur allgemeinen Charakterisierung der Neuzeit und ihrem erklärten Anliegen, tatsächlich auch die Zeit des Neuen zu sein, hebt Blumenberg hervor, daß dem Mittelalter allein das Datum der göttlichen Inkarnation als epochale Wende bewußt war. In der Neuzeit aber "sollte der Mensch die geschichtliche Inzision leisten, er sollte sich als Ursprung seiner eigenen Geschichte in ihrer endgültigen Verwirklichung erweisen. Der Mensch entlarvt sich als ein schöpferisches und originäres Wesen, und in der Geschichte suchte er die Bestätigung dieser Selbstdeutung." Die Vorbereitung der Neuzeit, in: PhR 9 (1961) 81-133, hier: 81. Ebd., 91f.
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'natürliche' Absichten mit dem Menschen zugeschrieben wurden, umso mehr war dem Menschen überlassen und auferlegt, seine Absichten mit sich selbst zu suchen, zu definieren und ihre Verwirklichung zu ermöglichen."22
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Die linear-transzendente Gerichtetheit der Geschichte
Heimatrecht beansprucht die Fortschrittsidee im Christentum, insofern diesem die Vorstellung einer linearen Zeitgerichtetheit und damit eines steten Fortschreitens der Geschichte eignet, die ihr endgültiges Ziel allerdings erst in der ewigen Gemeinschaft des Menschen mit Gott erlangt. Die Geschichte ist gleichsam der Weg dieser transzendenten Seinsbestimmung, auf dem es Fortschritte gibt, die bereits etwas von der ewigen Glückseligkeit transparent machen, ohne sie in die Immanenz hereinzuholen. Seine originäre Qualität erhält der Fortschritt also gerade dadurch, daß er sich nicht in der Geschichte erschöpft, sondern auf ein metahistorisches Ziel ausgreift, womit die lineare und transzendente Gerichtetheit aufeinander verwiesen sind. Dieser Fundierung gemäß wird der christliche Glaube gegen die zyklische Kosmologie der Antike mit ihrem Festhalten an der unaufhörlichen Wiederkehr des immer Gleichen die lineare Gerichtetheit der Geschichte betonen, während er gegen chiliastische Interpretamente ihre Ausrichtung auf die transzendente Erfüllung herausstellt.23
Ebd., 132. Ähnlich auch W. Warren Wagar in seinem Buch "Good Tidings. The Belief in Progress from Darwin to Marcuse, Bloomington-London 1972, bes. 13f Er möchte die Fortschrittsidee der Moderne weder aus dem christlichen Glauben noch aus dem Humanismus der Antike ableiten. Was die frühe Neuzeit charakterisiert, "was not only a revival of classical taste, or a revolution in science, but the growth of a destinctively modern religion. ... This new religion was a rational and liberal humanism, a celebration of the dignity of man through the cultivation of reason. It originated in the Italian Renaissance ... and reached its cultivation in the philosophies of Condorcet, Comte, and the German idealists. It borrowed much of its substance from the classical, Jewish, and Christian. The rational and liberal humanism of the modern era has always been at its roots, a religion of man, a faith in man and human possibility, which a faith in progress " Fortschritt in diesem Sinn ist, um mit Reinhart Koselleck zu sprechen, "kein geschichtlicher Begriff', insofern nämlich sein Ziel außerhalb der Geschichte liegt. Art. "'Fortschritt III. 'Profectus' im Mittelalter und 'Fortschritt' im religiösen Bereich der Neuzeit'", in: GGB II, 363-371, hier: 364.
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Gerade die linear-transzendente Finalität der Geschichte ist dann auch das Unterscheidungskriterium gegenüber der neuzeitlichen Fortschrittsidee und ihrer dogmatischen Bemfüng auf die Perfektibilität menschlicher Vernunft, die es allein vermag, die ursprünglich für das Jenseits erwartete Erfüllung des Heils innerhalb der Geschichte vorwegzunehmen. Konstituiert ist diese Zäsur zwischen dem christlichen Geschichtsverständnis und dem Ideal des neuzeitlichen Fortschritts demnach durch zwei Momente, die Reduktion auf die Immanenz einerseits und den Glauben an die Machbarkeit des Fortschritts durch den Menschen andererseits, der seine Zukunft in stets besserer Naturbehenschung selbst gestaltet, anstatt die Fülle des Heils von Gottes Gnade zu erhoffen.
5.2.1 Augustinus und die zyklische Kosmologie der Antike Fortschritt als säkular überformtes Erbe der Vorsehung zu deuten, stützt sich auf das lineare Geschichtsverständnis des Christentums, das literarisch aufgearbeitet erstmals bei Augustinus greifbar geworden ist.24 Gegen die antike Philosophie stellt er die im Offenbarungsgeschehen verbürgte Einmaligkeit der Geschichte als Geschehen zwischen Gott und den Menschen heraus. Ein zyklisches Weltbild sei, wenn auch der Augenschein dem Glauben an die stete Wiederkehr des Gleichen recht zu geben versucht ist, dem Christentum geradezu widersinnig, bringen doch Tod und Auferstehung Jesu Christi den geschichtlichen Neuanfang. Deshalb ist es nicht bloß töricht, sondern mit dem Christsein unvereinbar, einer Weltsicht anzuhängen, die den "ewigen Kreislauf der Weltzeiten" vorgibt, ... wonach in bestimmten Zeiträumen stets alles wieder auf den gleichen Stand und die gleiche Erscheinung zurückkehrt. ... Das ... dürfen wir ja nicht glauben. 'Denn einmal nur ist Christus gestorben für unsere Sünden; auferstanden
Darauf macht neben Löwith insbesonders J.B. Bury mit seiner grundlegenden Chronologie des neuzeitlichen Fortschrittsdenkens aufmerksam. Vgl. The Idea of Progress. An Inquiry into its Origin and Growth, New York 1932, 21 f. Vgl. zum Geschichtsdenken bei Augustinus den Aufsatz von Erich Frank, Die Bedeutung der Geschichte für das christliche Denken, in: Carl Andresen (Hg), Zum AugustinGespräch der Gegenwart, Darmstadt 1962, 381-396 (=Wege der Forschung V).
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aber von den Toten, stirbt er nicht mehr und der Tod wird nicht mehr henschen über ihn' (Rom 6,9)."25 Augustinus hat mit dieser Argumentationsfigur eine apologetische Spitze geschaffen, die eine Scheidelinie zur Antike ziehen konnte und zugleich für die mittelalterliche Theologie richtungweisend war. Dabei betont gerade dieses lineare Geschichtsverständnis, daß die Erfüllung der Geschichte ein metahistorisches Ereignis ist. Insofern aber das Ziel der Geschichte ein jenseitiges ist, macht auch die Geschichtsdeutung offenkundig, wie sehr sich der Mensch Gott verdankt. Geschaffen als sein Ebenbild, bedarf das Leben der unablässigen Ausrichtung auf den Heilswillen und erlangt seine vollkommene Glückseligkeit erst in der ewigen Gemeinschaft mit Gott.26 In diesem theologischen Rahmenwerk kann Fortschritt nur ein ständiges Bemühen um ein Fortschreiten auf dem Pilgerweg zur ewigen Gemeinschaft mit Gott meinen. Fortschritt ist dann aber ein Geschenk des gnädigen Heilswirken Gottes und nicht auf das eigeninitiative Handeln des Menschen zumckzuführen.27 Von welcher Bedeutung diese im Christentum beheimatete linear-transzendente Gerichtetheit der Geschichte ist, wird besonders im Gegensatz zur De civ Dei 12,14 Ebenfalls zur Argumentation gehören de civ. Dei 11,4-6 sowie 12,15-21 In de civ Dei 12,18 heißt es dazu: "Doch auch einleuchtende Vernunftgründe zerbrechen diese sich drehenden Kreise, die der Wahn erdichtet ... Der Hauptirrtum, der sie in einem falschen Zirkel statt auf der wahren und geraden Bahn sich bewegen läßt, ist darin gelegen, daß sie den göttlichen Geist an ihrem menschlichen, wandelbaren und beschränkten Geiste messen." Vgl. hier etwa De Genesi ad litteram VIII 12,25 "Neque enim tale aliquid est homo, ut factus deserente eo, qui fecit, possit aliquid agere bene tamquam ex se ipso: sed tota eius actio bona est ad eum converti, a quo factus est, et ab eo iustus, pius, sapiens beatusque semper fieri." Diese elementaren Unterschiede dürften auch Henri-Irenee Marrou nicht entgangen sein, der in euphorischem Überschwang die moderne Geschichtsphilosophie als "Übertragung der von der christlichen Theologie ererbten Grundbegriffe in den Bereich des Natürlichen" benennt Wenn er die durch Augustinus ins Abendland eingebrachte Geschichtsdeutung als Pilgerschaft, die einem 'Besseren' zustrebt, darstellt und betont: "Es handelt sich um nichts anders als die Durchfuhrung eines gewaltigen Planes, den Gottes Wille für die Schöpfung beschloß, und dessen Verwirklichung durch die Sünde in Frage gestellt wurde, von Neuem aber und wunderbarer gesichert ward durch das Eingreifen des fleischgewordenen Wortes mitten in das Gewebe der Geschichte, durch das Werk der Erlösung" - dann verwundert es um so mehr, als er hier ein Analogon zu modernen geschichtsphilosophischen Konzeptionen veranschlagt - Das Janusantlitz der historischen Zeit bei Augustin, in: Carl Andresen (Hg ), Zum Augustin-Gespräch, 349-380, bes 351f
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antiken Geschichtsphilosophie und der in ihr entwickelten Fortschrittsmetaphorik ansichtig. Dieser ist nämlich aufgrund ihres zyklischen Denkens jegliches Vorwärtsdrängen in Richtung eines Neuen und Besseren fremd. "Es gab nicht das für uns heute selbstverständlich gewordene Bewußtsein von der Geschichte als einem gerichteten Prozeß, als einem übergeordneten, von Menschen hervorgebrachten Geschehenszusammenhang, der grundsätzlich Neues zeitigt, Altes zerstört und jeder Generation einen besonderen, einmaligen Standort im Fluß des historischen Geschehens zuweist. ... Die Zeitauffassung ... orientiert sich an den gleichbleibenden, wiederkehrenden kosmischen Prozessen, und nicht an der Vorstellung eines einmaligen, geschichtlich ausgerichteten Fortschreitens der menschlichen Lebensverhältnisse."28 Dennoch ist festzuhalten, daß konkrete Fortschrittserfahrungen die Fortschrittserwartungen anregten. Je höher das kulturelle Niveau, desto intensiver werden die ihm zugrundeliegenden Fortschrittserfahrungen wahrgenommen und desto mehr Fortschritte erwarten sich die Menschen für die Zukunft. So ist dieses Schema bezeichnend für die Situation Griechenlands im 5. Jahrhundert vor Christus, einer Zeit der kulturellen Blüte, die dem Menschen ein gesteigertes Selbstbewußtsein durch die Anamnese all seiner Fähigkeiten vermittelte. Die nächsten Jahrhunderte waren allerdings überwiegend durch negative Lebenserfahrungen geprägt, infolge derer sich ebenso wie durch die philosophischen Schulen der Epikureer, Skeptiker und der Stoa die Fortschrittshoffhungen auf ein Minimum reduzierten. Auch die klassische Zeit Griechenlands gab sich eher zurückhaltend gegenüber Zukunftsspekulationen und wandte sich verstärkt dem Studium der Vergangenheit zu. Dagegen gilt der Hellenismus häufig als die Epoche der Geistesgeschichte, welche die größte Affinität zur Moderne zeigt.29 Überstrapaziert Friedrich Rapp, 104 Vgl auch Christian Meier, Art "II 'Fortschritt' in der Antike", in: GGB II, 353-363, JB Bury, 7-20, Ludger Oeing-Hanhoff, Zur Geschichte und Herkunft des Begriffs 'Fortschritt', in: Reinhard Low u a. (Hg), Fortschritt ohne Maß9 Eine Ortsbestimmung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, München 1981, 48-67, bes 49-52. Friedrich Rapp bezieht sich hier auf J G Droysen, Historik, Darmstadt 1974, 384, dem der Hellenismus als "die moderne Zeit des Altertums" gilt Auch Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften I, Stuttgart-Göttingen 1962, 381 meint, "die Alten" hätten schon "ein klares Bewußtsein des geschichtlichen Fortschritts der Menschheit in bezug auf Wissenschaft und Künste" besessen Dagegen schreibt Christian Meier: "in der heidnischen Antike hat man nie gemeint, daß die gesellschaftlichen und ethischen Bedingungen sich prozessual verbesserten, ja daß die Geschichte in einem umfassenden Veränderungsprozeß bestehe Man findet in
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sollte ein solches Urteil jedenfalls nicht werden, weil sich die einzelnen Interpretamente sowohl in ihren theoretischen Implikationen als auch in der konkreten Einlösung unterscheiden. Ein Beispiel, wie sehr der lebensweltliche Erfahrungshintergrund die Fortschrittsvorstellungen der Antike prägte, gibt der von Xenophanes stammende Vers: "Wahrlich nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles enthüllt, sondern mit der Zeit finden sie suchend das Bessere."30 Obgleich damit vom Repertoire üblicher Stereotype, die Geschichte sei gänzlich durch die Fügungen der Götter determiniert, abgerückt ist und das Vertrauen in die Fähigkeiten des Menschen Platz greift, die Welt durch Innovationen zum Besseren hin zu gestalten, wird Fortschritt nicht als kontinuierlich-endloses Fortschreiten begriffen. Vielmehr mt sich auch hier das zyklische Denken als umspannender Rahmen auf, sofem sich Xenophanes die Fortschrittserfahmngen seiner Epoche als Wiederkunft vergangener kultureller Blütezeiten vorstellt, wozu er an die Geschichte der Weltentstehung erinnert: Bei seinen naturkundlichen Studien fand er im Landesinneren Meeresfossilien und schloß darauf, daß die Erde einst vom Meer bedeckt war und daß sich dieses in Zukunft wiederholen werde. Dadurch werde für eine bestimmte Zeit das menschliche Leben ausgetilgt, bis es schließlich wiedererstehen könnte, nachdem die Fluten vom Festland zurückgewichen wären. Diese auf Anhieb der modernen Geschichtsdeutung so vertraute Fortschrittsmetaphorik erweist sich demnach abermals von der Zyklustheorie überlagert, die eine Linearität der Geschichte auf das noch nie dagewesene Neue als unzulässig und unmöglich diskreditiert. Fortschritt ist lediglich ein Fortschreiten unter Wiederkehr des stets Gleichen, wobei dieses Gesetz schwerer wiegt als die sich gelegentlich abzeichnenden Nuancen eines offenen Prozeßdenkens. Varianten sind innerhalb dieser zyklischen Denktradition allenfalls in der positiven oder negativen Bewertung der einzelnen Phasen wahrnehmbar, die sich in der Vorstellung des 'Goldenen Zeitalters' ausprägt. Zumeist wird ein
der Zeit keine einheitliche Richtung zum Besseren ... 'Fortschritt' bleibt eine rein deskriptive, sachgebundene Feststellung. Alle Fortschrittswahrnehmung bleibt eng an Empirie in einer nur beschränkt sich wandelnden Gesellschaft gebunden und bezieht sich in der Regel mehr auf Vergangenheit und Gegenwart als auf Zukunft" (ebd., 354). Xenophanes, Fragment 18, in: Hermann DielsAValther Kranz (Hg), Die Fragmente der Vorsokratiker I, Dublin-Zürich l21966, 133.
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paradiesischer Zustand am Anfang der Geschichte vermutet, der durch die moralische Dekadenz der Menschen zunichte gemacht wird, bis sich das goldene schließlich in ein ehernes Zeitalter verwandelt. Geschichte ist dieser Interpretation gemäß ein Fortschritt unter negativem Vorzeichen. Sie ist nicht etwa Fortschritt zum je Besseren, sondern Verfall und Niedergang, weshalb einzig die glücklichen Zeiten der Vergangenheit Orientierung versprechen. Erst Vergil vermag die motivische Prägung der Zyklentheorie positiv zu deuten, indem er in seiner Vierten Ekloge von der Wiederkunft des Goldenen Zeitalters spricht und damit ein Fortschreiten aus der sittlichen und kulturellen Verkommenheit anzeigt. Auch bei Aischylos klingt die Erwartung eines künftigen Goldenen Zeitalters an, wenn er im 'Gefesselten Prometheus' von den intellekmellen Fortschritten spricht und in den "Eumeniden' davon erzählt, daß Prometheus in der symbolischen Gabe des Feuers die Vernunftbegabung des Menschen herausstellt. Überdies habe die Göttin Athene den Menschen die Einsicht in die Rechtsordnungen verliehen, womit das Fundament für kulturelle Errungenschaften bereitet wurde. Verdanken sich in den Dichtungen Aischylos' die menschlichen Begabungen allesamt der göttlichen Vorsehung, so betont Sophokles im Chorlied der Antigone die Autonomie menschlichen Könnens. Schließlich beanspruchen sowohl die eher transzendent-theologische als auch die mehr immanentanthropologische Deutung der Kulturentwicklung nebeneinander Existenzrecht und bilden die Einflußfaktoren der Fortschrittsvorstellungen in der heidnischen Antike, die insgesamt jedoch vom zyklischen Denken bestimmt werden.31
Vgl Friedrich Rapp, bes 109-115 ebenso wie Christian Meier, 354-361 JB. Bury resümiert auf die Frage, warum die Griechen trotz gelegentlicher Ansätze offenen Prozeßdenkens so wenig aufgeschlossen gegenüber Fortschrittsideen waren, zwei Gründe: "In the first place, their limited historical experience did not easily suggest such a synthesis, and in the second place, the axioms of their thought, their suspiciousness of change, their theories of Moira, of degeneration and cycles suggested a view of the world which was the very antithesis of progressive development" (ebd., 19). Vgl. Roland Baecker, Fortschrittseuphorie, bes. 27-34.
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5.2.2 Chiliastische Interpretamente bei Joachim von Fiore Das Erfordernis, die Kontur des Geschichtsverständnisses deutlich herauszuarbeiten und damit Abgrenzungen zu schaffen, trug nicht nur die zyklische Kosmologie der Antike an das Christentum heran. Auch innerhalb seiner selbst brachen Strömungen auf, die unter Bemfüng auf die biblisch ausgewiesene Spanne eines 1000jährigen Reiches (Offb 20) die für das Jenseits verheißene Heilsfülle im Diesseits vorwegzunehmen suchten. Damit aber wird das in Jesus Christus verwirklichte Heilshandeln Gottes als Sinnmitte der Geschichte geleugnet und die Wahrheit des Evangeliums ebenso wie das kirchliche Selbstverständnis in Frage gestellt. Es wäre nämlich in diesem Interim die Offenbarung einer anderen Wahrheit denkbar, welche den Schatten der Vorläufigkeit auf die bisherigen Glaubensinhalte zurückwirft.32 Mit solchen Ideen war bereits Augustinus konfrontiert, der allerdings die vorgebrachte Argumentation so umgestaltet, daß sie mit dem christlichen Geschichtsbild vereinbar bleibt. In Rückbesinnung auf die biblische Rede eines Millenniums gibt er zu, daß die Gerechten, nachdem sie in der genannten 1000jährigen Zwischenzeit mit Christus gehenscht haben, der zweiten Auferstehung teilhaftig werden, der Auferstehung allen Fleisches und der ewigen Glückseligkeit in der Gemeinschaft mit Gott. Dagegen meint die erste Auferstehung ein Ereignis im Diesseits, nämlich die Entscheidung des Menschen für Jesus Christus, womit schon angezeigt ist, daß das verheißene Reich Gottes nicht bloß ein künftiges Geschehen ist. Es hat vielmehr mit Christus begonnen und ist verwirklicht in der Kirche, der civitas tenena, dem Vollkommensten, das die Welt überhaupt zu bieten hat.33 So gelingt es Augustinus, die biblisch ausgewiesenen Elemente chiliastischen Denkens umzudeuten, daß sie nunmehr bekräftigen, was sie ursprünglich zu 32
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Vgl. dazu bes. Herbert Grundmann, Studien über Joachim von Fiore, Darmstadt 1966, 82f. In de civ. Dei 20,6 bezeichnet er die erste Auferstehung als Yesurrectio animarum quae nunc est' und spricht von der zweiten Auferstehung am Ende der Zeiten: 'resurrectio corporum quae in fine futura est'. Noch deutlicher sagt er in de civ. Dei 20,5: es gebe einen 'adventus salvatoris quo per totum hoc tempus in ecclesia sua venit, hoc est in membris suis, particulatim atque paulatim, quoniam tota corpus est eius'. Daß die Kirche die Verwirklichung des mit Jesus Christus begonnenen Reiches ist, betont ausdrücklich de civ. Dei 20,9: 'ecclesia iam nunc est regnum Christi'.
leugnen suchten: die Unterscheidung von Diesseits und Jenseits, die gegenüber dem zyklischen Denken die Linearität und gegen chiliastische Strömungen die transzendente Finalität der Geschichte betont. Der Geltungskraft dieser in der Theologie des Mittelalters gewahrten linear-transzendenten Deutung, erwächst im Geschichtsverständnis Joachim von Fiores (1145-1202) eine bedeutende Herausforderung. Obwohl er in völligem Konsens zur kirchlichen Doktrin an der im göttlichen Heilsplan ausgesagten Dynamik der Geschichte festhält, höhlt er die Transzendenz des Eschaton aus, insofern sein geschichtstheologischer Entwurf chiliastisches Gedankengut aufnimmt. Doch ehe diese Kontroverse bedacht wird, soll wenigstens der Umriß seines Geschichtsverständnisses Darlegung finden. Vorab ist aber zu erwähnen, daß die Auseinandersetzung mit seinem Geschichtsdenken vor dem Mißverständnis gefeit sein muß, Joachim in das Klischee pressen zu wollen, der mittelalterliche 'Prophet des Weltendes' schlechthin zu sein. Es gelten vielmehr die programmatischen Sätze seines Concordienbuches, daß er wohl über die Zukunft nachsinnt, ohne sich dabei jedoch der Berechnung des 'finis saeculi' anheischig zu machen.34 Seine Methode stellt einzig darauf ab, vom Wissen über die Vergangenheit und der bei ihrem Studium erkannten strukturgesetzlichen Gleichheiten auf die Zukunft zu schließen. Seine in der Trinitätstheologie schematisch vorgezeichnete dreifache Geschichtsperiodik orientiert sich am Alten und Neuen Testament, wobei er dem ersten das Zeitalter des Vaters und dem zweiten das Zeitalter des Sohnes zuordnet. Während das erste Geschichtsstadium den alten Bund, beginnend mit Abraham, umfaßt und bis in die Zeit kurz vor Christus reicht, hebt die zweite Periode mit dem Kommen des Sohnes an, vorbereitet durch Zacharias und Johannes. Um Aussagen über das Ende dieses Reiches des Concordia V 22,71b: "Temerarium est finem mundi querere" Vgl. in dieser Absicht auch Concordia IV 39,60a: "Hucusque cucurrimus et pervenimus usque ad nos, quod autem reliquum est, ultra nos est, et magis opinioni subjacere censemus quam intellectui, expectantes potius quam exhibentes, et orantes dominum ut sit nobiscum" Concordia II l:17,12d: "Dum certos fines positos esse rebus agnoscimus, eo in eisdem rebus Dei sapientiam admiremur, quo eas sub certo numero et concordia ab eo, qui fecit omnia in sapientia, sapienter esse conditas usquequaque sentimus" Vgl. auch Gert Wendelborn, Gott und Geschichte Joachim von Fiore und die Hoffnung der Christenheit, Wien-Köln 1974, Medard Kehl, Eschatologie, Würzburg 1986, bes 183-191, Ernst Benz, Ecclesia Spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der fransziskanischen Reformation, Stuttgart 21964, bes. 4-48, Yves Congar, Der Heilige Geist, Freiburg u.a. 1982, 118-128.
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Sohnes machen zu können, verweist Joachim auf die vielfachen strukturellen Gleichförmigkeiten und Parallelen zwischen dem Alten und Neuen Testament. Als ein Indiz solcher analoger Gesetzlichkeit gilt ihm die Generationenzahl. Da die Bibel für die Spanne von Abraham bis in die Zeit vor dem ersten Kommen Christi 42 Generationen beziffert, muß das Reich des Sohnes ebenso lange dauern. Erst nach dieser zweiten Phase der 42 Generationen kann das dritte Stadium der Geschichte, das Reich des Geistes, seinen Anfang nehmen, in dessen Mitte kein schriftliches Testament mehr stehen wird, sondern eine noch unmittelbarere Manifestation Gottes in der 'intelligentia spiritualis'. Sobald dieses Reich zum Abschluß gelangt ist, folgt das eigentliche Ende der Welt.35 Vernachlässigt man die Ungereimtheiten und Abweichungen, die Joachim bei seinem Konzept der Geschichtsperiodisierung in Kauf nimmt oder auch gegenüber Anfragen mit der Begründung verteidigt, seine primäre Intention sei es, auf ein im Gesamtduktus stimmiges System zu drängen, fällt ein Charakteristikum auf. Bei aller pointiert herausgestellten Stmkturgleichheit überwiegt doch die sich von der ersten bis zur dritten Phase durchziehende Steigerung der Geschichtsphasen.36 Zweifellos scheint ihm das noch ausstehende dritte Reich als das vollkommenste, freilich auch deshalb, weil es unter dem Vorzeichen eines linear-progressiven 35
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Eine ausführliche Besprechung des Geschichtsbildes Joachims bietet Herbert Grundmann, 58-69. Vgl. Morton W. Bloomfield, Recent Scholarship on Joachim of Fiore and his Influence, in: Ann Williams (ed.), Prophecy and Millenniarism. Essays in Honour of Marjory Reeves, Bungay 1980, 23-52 Bernard McGinn, The Calabrian Abbot. Joachim of Fiore in the History of Western Thought, New YorkLondon 1985, 239-243; Marjory Reeves, Joachim of Fiore and the Prophetic Future, London 1976. Interessant ist auch die Lektüre der allerdings teilweise von neueren Forschungserkenntnissen überholten Werke von Wilhelm Kamiah, Apokalypse und Geschichtstheologie Die mittelalterliche Auslegung der Apokalypse vor Joachim von Fiore, Berlin 1935, bes 115-119 und Chrysostomus Huck, Joachim von Floris und die joachitische Literatur Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des hohenstaufischen Zeitalters, Freiburg 1938, bes. 227-265 Zur Frage der Zahlenspekulation bezüglich der Länge des zweiten Reiches sei vermerkt, daß wohl mehr die Gefolgschaft Joachims an solchen Berechnungen interessiert war. In der Tat ergibt sich dann auch bei einer Annahme von 30 Jahren pro Generation eine brisante Jahreszahl für das Ende des zweiten bzw den Anfang des dritten Reiches, nämlich das in unmittelbarer Nähe zur eigenen Biographie gelegene Jahr 1260. Als Beispiel für den steigenden Geschichtsverlauf sei etwa auf Concordia II 2:10,24d verwiesen: 'litteram secundi testamenti de littera primi ... miro modo esse pro genitam, et ex utraque procedere unum etsi multiplicem spiritalem ac misticum intellectum."
Geschichtsverständisses dem Weltende am nächsten, oder anders gesagt, am weitesten fortgeschritten ist. Von Interesse ist es überdies, was Joachim unter größerer Vollkommenheit und als ein Mehr an Fortschritt summiert. Nicht nur, daß die 'intelligentia spiritualis' der biblischen Botschaft vorzuziehen ist, sondern die aus der jüdischen Synagoge hervorgegangene und im Zeitalter des Sohnes geltende Kirche ist lediglich vorläufig und wird durch die 'ecclesia spiritualis' überboten. Fortgesetzt wird diese Reihung auch auf der Ebene der Ständelehre, indem den Verheirateten im Reich des Vaters, den Klerikern im Reich des Sohnes und schließlich den Mönchen im Reich des Geistes eine privilegierte Stellung angewiesen wird.37 Damit konespondiert wiederum die Zuordnung der vita activa zur zweiten Geschichtsperiode und der vita contemplativa zum Zeitalter des Geistes. Ohne die Zuordnungen im einzelnen beurteilen zu wollen, ist insbesonders die dem Christusgeschehen ebenso wie dem kirchlichen Selbstverständnis beigemessene Relativität und die damit gelockerte Bindekraft des Evangeliums eine Provokation gegenüber dem christlichen Glauben. Was könnte denn das dritte Zeitalter, das Reich des Geistes, noch künden, was nicht schon in Jesus Christus geoffenbart ist? Warum überhaupt bedarf es nach dem Reich des Sohnes eines dritten Reiches, das unmittelbar dem Weltende vorausliegen soll? Worin unterscheidet sich dann das dritte Reich vom verheißenen Wiederkommen des Gottesreiches am Ende der Zeiten? Mit diesen Fragen zeichnen sich bereits Endzeitspekulationen ab, welche die Differenzierung von Diesseits und Jenseits aufgeben. Wohin Joachims in der Drei-Reiche-Lehre zusammengefaßte These führt, die Geschichte sei ein unaufhörliches Fortschreiten zu einer innergeschichtlichen Vollkommenheit, kann beispielhaft am Gültigkeitsanspruch von Evangelium und Tradition illustriert werden. Eine auf die Geschichtsperiodik Joachims abgestimmte Parabel leistet dazu eine wertvolle Verständnishilfe: Die Geschichte ist in ihrem Lauf mit dem Bau einer Kirche zu vergleichen, zu deren Schmuck man nacheinander Erz, Silber und Gold gebraucht.38 Dieses Bild läßt auf die Frage nach der religiösen Bedeutung der biblischen Schriften nur die eine Antwort zu: je später, desto vollkommener, weil näher am endgültigen Offenbarwerden Gottes. Auf diese Konsequenz verweisen auch die Anklageschriften, die Joachims Position so verstehen, daß das 37 38
Vgl. Concordia II 1,5. Dieses Gleichnis findet sich nach Psalterium (256b) und dem Protokoll von Anagni (PA 128ff) zitiert bei Herbert Grundmann, 99f.
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Evangelium Christi seine Verpflichtung verliere, sobald das Reich des Geistes angebrochen ist.39 Gemäß dieser Symbiose von Fortschritt und Vervollkommnung kennt selbst der ethische Appell, nach einem höheren Maß an Sittlichkeit zu streben, einzig die Nuance, neu zu werden, sich zu ändern und dabei dem alten Evangelium den Rücken zu kehren.40 Von derselben Geschichtsdynamik wird auch die Kirche übenollt, die nicht wie bei Augustinus als auf Erden höchst mögliches Bild des Reiches Gottes, sondern als vorläufiges und ablösungsbedürftiges Stadium der Geschichte gilt.41 Ein grundlegender Wandel wird sich im Reich des Geistes an ihr vollziehen, der sowohl die Ablösung des Klems durch das Mönchtum als auch die Aufhebung der Sakramente bringt. Wo immer man hinblickt, überall wird das auf Erden schon wirklich, was die traditionelle kirchliche Lehre vom Jenseits erwartet.42 Eben dieser von Joachim durchgehaltene Anspmch der Einlösung 39
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Vgl bes. Concordia V 74,102b wo die Evangelien gleichsam als 'Jugendschriften' verstanden sind, die durch die patristische Literatur an Bedeutungsgehalt überboten werden. Ebenso selbstverständlich wird das Neue Testament als Ablösung des Alten Testaments erkannt, das lediglich ein 'locus tenebrosus et quasi celum obscurum1 sei (Concordia II 1,6b) Vgl dazu Herbert Grundmann, 103. Dabei wird man wohl nicht fehlgehen, dies als totale Umwertung von Mk l,15par zu verstehen: "oportet mutari vitam, quia mutari necesse est statum mundi" (Concordia II 2:5,21c) oder auch: "oportet illum (spiritum) immutare mentes nostras ... ut quodammodo non simus quod fuimus, sed alii esse incipiamus" (Psalterium 260a) Vgl. Concordia V 60,91d, V 78,106b und schließlich Concordia V 74,103abc. In dem letztgenannten Passus nennt Joachim die Mönche Repräsentanten der 'religio nova' und gibt zu bedenken, daß auch die Sakramente im Reich des Geistes keinen Fortbestand mehr haben werden. "Das entscheidende Faktum aber ist, daß Joachim eine Überwindung 'dieser Zeitlichkeit', der gegebenen Realitäten nicht in einem zeit- und raumtranszendenten Jenseits erwartet, sondern die gedankliche Kraft hat, an eine Vervollkommnung in zeitlich-irdischer Zukunft zu glauben, in der wir nicht mehr per speculum in aenigmate sehen, unser Wissen nicht mehr Stückwerk ist und unsere Beziehung zu Gott nicht mehr der Vermittlung von Priestertum, Sakramenten und Schriften bedarf." Herbert Grundmann, 117. Wichtig ist es in diesem Kontext, die Ausführungen Moltmanns zu bedenken, der das joachitische Geschichtsdenken seinem Grundzug nach geschichtlich, die durch Thomas von Aquin zur kirchlichen Lehre gewordene Anschauung hingegenfinalistischnennt. "Joachim denkt im Rahmen seiner typologischen Schriftauslegung geschichtlich: Verheißungen rufen Hoffnungen hervor, und diese Hoffnungen verlangen nach Erfüllung der Verheißungen Thomas aber denkt im Rahmen seiner Metaphysik der Vollkommenheit finalistisch: das Unvollkommene weist auf das Vollkommene hin. ... Das Ziel (finis) aller Vollkommenheit ist die ewige Glückseligkeit Sie liegt in der visio beatifica und ist deshalb transzen-
der Transzendenz in der Immanenz trennt ihn von der offiziellen Doktrin der linear-transzendenten Finalität der Geschichte, welche das entscheidend Unterscheidende am Geschichtsverständnis des Christentums bezeichnet. Fügten sich Paradigmen wie "Fortschritt' oder 'Vollkommenheit' gemäß kirchlicher Tradition in die antithetische Relation von Diesseits und Jenseits, so daß sie im Irdischen nie in ihrer höchsten Fülle eneicht werden können, verlagert sie Joachim in die Phase des dritten Reiches. Alle mit dem Perfektibilitätsstreben verbundenen Illusionen werden bereits auf Erden wirklich. Mit Blick auf die kirchliche Lehre ist dieses Leitbild eine par excellence vorgestellte conttadictio in adjecto, führt es doch die Prämisse ein, daß unter den Bedingungen der Kontingenz überhaupt Vollkommenheit eneichbar und zweitens, daß Geschichte eine sich ständig steigernde Entwicklung in Richtung eines besseren Offenbarwerdens Gottes ist. Während die Geschichtsdeutung seit Augustinus betonte, das Ziel, zu dem hin die Christen letztlich unterwegs sind, sei ein Ideal außerhalb der irdischen Geschichte, kündet Joachim dessen Einlösung innerhalb der Geschichte. Die 'perfectio contemplativa' sei das Zeichen der Geistzeit, wodurch das Jenseits zur Perspektive des Diesseits umgekehrt wird.43 Übertragen findet sich diese Transformierung femer auf die Vorstellung des Freiheitsbegriffs. Seine metaphysische Bedeutung tritt in den Hintergrund und läßt dabei eine Haltung der Hingabe an die Welt heraufziehen, die nun vom Verdikt gelöst ist, den Menschen unfrei zu machen und seiner eigentlichen, d.h. transzendenten Bestimmung zu entfremden. Neu an Joachims Denken ist, daß er die auf das Jenseits fixierte Ausrichtung der Menschen auf eine bald anbrechende Zukunft verkürzt, welche die Einlösung der ursprünglich transzendenten Hoffnungen bringt. "Die Ideen, Motive und Denkformen aus christlich katholischem Bereich hat Joachim so umgeschichtet, daß sie statt in die Diesseits-Jenseits-Beziehung in ein Zenbild mit aufsteigenden Graden der Vollkommenheit eingelagert sind. Die typologischen Beziehungen, die Geschichtsschemata und die Zentralideen,
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dent. Sie kann in Zeit und Geschichte nicht erfüllt werden. Die einzige und vollkommene Vermittlung der transzendenten, ewigen Glückseligkeit bietet die nova lex, die Kirche." - Christliche Hoffnung: Messianisch oder transzendent? Ein theologisches Gespräch mit Joachim von Fiore und Thomas von Aquin, in: MThZ 33 (1982) 241-260, hier: 245. Dazu in Kontroverse der Aufsatz von Hans Urs von Balthasar, Zu einer christlichen Theologie der Hoffnung, in: MThZ 32 (1981) 81102. Vgl. Concordia IV 33,57a; V 16,68 ab; V 67,96c.
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die für den Katholizismus letztlich alle das transzendente Reich der Wahrheit und Seligkeit intendieren, sind nun orientiert auf eine zukünftige irdische Endzeit hin. Aus religiösen Hoffnungen und Gewißheiten für das Jenseits können infolgedessen ethisch-geschichtliche Triebkräfte zu einem diesseitig erreichbaren Idealzustand werden; die Grundideen verlegten damit den Akzent ihrer Bedeutung aus dem Logosbereich der zeitlos-ewigen Wahrheit in den Fluß des geschichtlichen Ethos, der einer Vollkommenheit der Lebenszukunft zustrebt."44 Anfechtbar ist die von Joachim geprägte eschatologische Spielart mit ihrer wenigstens partiellen Antizipation transzendenter Heilserwartungen in der Geschichte und ihrer Offenheit für chiliastisches Ideengut hauptsächlich aufgrund der sich in ihr vollziehenden Relativierung des Christusgeschehens.45 Denn sobald Gottes Heilshandeln in Jesus Christus nicht mehr als Angelpunkt der Geschichte Anerkennung findet, wird die in ihm festgemachte Endgültigkeit des Heils aufgelöst oder bestenfalls zu einer Episode der Heilsgeschichte, die nicht mehr einmaliges Geschehen zwischen Gott und den Menschen ist. Immer wieder wäre einem solchen Verständnis nach eine neue Qualität der Offenbarung in der Geschichte zu erwarten, die sich zwischen das erste Kommen Jesu Christi und seiner endgültigen Parusie schiebt, und damit beide ihrer eigentlichen Sinnfulle entkleidet. Allein diese wenigen Verweise genügen, um die Reichweite der in der Propagierung chiliastischer Gedanken einschließlich eines in der Geschichte erreichbaren, Herbert Grundmann, 141f Huck gesteht zwar ein, daß Joachims Geschichtstraum die "Projektion des seligen Jenseits in die dunklen Tiefen des Diesseits' ist. Dennoch meint er, insgesamt bleibe seine Deutung "hineingestellt in das Licht der christlichen Offenbarung, wenn auch nicht immer in logischer Konsequenz, sondern in subjektiv visionärer Schau durchgeführt" (Joachim von Floris, 245). Wendelborn charakterisiert den Unterschied zum traditionellen Geschichtsdenken wohl treffend, wenn er sagt: "Der Sinn der Geschichte besteht nach Augustinus ... nur noch darin, die Bürger des Himmels zu sammeln. Jeder Lebende ist schon ein Sterbender. ... Was Augustinus indes mit Joachim verbindet ist der Gedanke der linearen Ausrichtung der Heilsgeschichte auf ein von Gott gesetztes Ziel. Doch ist dieses Ziel bei Augustin wie bei den meisten christlichen Denkern keine Gegebenheit innerhalb der Zeit, sondern das der Zeitlichkeit entnommene Zeit und Geschichte verneinende Reich Gottes" (ebd., 303). Vgl dazu auch Max Seckler, Das Heil in der Geschichte. Geschichtstheologisches Denken bei Thomas von Aquin, München 1964, bes 189-195. Zu verweisen ist besonders auf Günther List, Chiliastische Utopie und radikale Reformation. Die Erneuerung der Idee vom Tausendjährigen Reich im 16. Jahrhundert, München 1973, bes 81-85.
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immer höheren Maßes an Perfektibilität grundgelegten Aufweichung der Christologie aufzuzeigen. Dagegen hält die kirchliche Lehre an dem Miteinander des schon jetzt präsenten und in seiner Vollendung noch ausstehenden Heilsgeschehens fest. In Christus selbst ist das Heil wirklich erfahrbar geworden. Er ist Gottes Heilshandeln an der ganzen Schöpfung und dennoch wird das mit ihm bereits angebrochene Reich Gottes erst am Ende der Zeiten, in seiner henlichen Wiederkunft vollendet. Inbegriff dieser ambivalenten Signatur des christlichen Geschichtsverständnisses ist die Vorstellung vom Reich Gottes, das gleichsam die Kurzfassung der Botschaft Jesu ist. Mit ihm selbst ist dieses gegenwärtig geworden. Es schafft sich Raum, schlichtweg: es ereignet sich (vgl. Mk 1,15; 4,3032 par; Lk 7,22; 10,9 par). Gottes Heil ist da und, so interpretieren die nachösterlichen Gemeinden, in Jesu Tod und Auferweckung bekräftigt Gott, daß dieser Jesus der Christus, der "Erstling der Entschlafenen" (1 Kor 15,20) ist, der einst wiederkommen wird, um Gericht zu halten und die endgültige Fülle des Heils auszurufen. Damm wird jegliche Eschatologie, welche die biblischen Aussagen ernst nimmt, in der Christologie ihr Fundament finden und bemüht sein, die Ankunft des Reiches Gottes transparent zu machen, ohne zugleich die künftige Vollendung der Zeiten auszublenden. Kennzeichnend für die christliche Geschichtsdeutung ist daher eine präsentische und futurische Eschatologie, aufgrund welcher Vorstellungen abgewiesen werden müssen, die gerade die transzendente Komponente zugunsten eines vollkommen innerweltlichen Heilsgeschehens ausdünnen oder gar negieren.46
Vgl. in Auswahl: Hubert Frankemölle, Der Glaube an die Wiederkunft Christi als Vollendung des Gottesreiches Überlegungen zum Grund christlicher Hoffnung, in: Falaturi Abdoldjavad u a (Hg), Zukunftshoffhung und Heilserwartung in den monotheistischen Religionen, Freiburg u a 1983, 81-120, bes. 90-93; Helmut Merklein, Eschatologie im Neuen Testament, in: Heinz Althaus (Hg), Apokalyptik und Eschatologie. Sinn und Ziel der Geschichte, Freiburg u a 1987, 11-42, bes 12-18, Gerhard B Winkler, Chiliastische Idee und christliche Wirklichkeit, in: ThPQ 137 (1989) 360-368, Heinz Giesen, Eschatologie und Naherwartung im Neuen Testament, in: Ebd, 346-359, bes. 357ff, Medard Kehl, 135-163; Peter Hünermann, Reich Gottes - Sinn und Ziel der Geschichte, in: Heinz Althaus (Hg), 105-142, bes. 113-121. Vgl auch den Beitrag von Michael Clair in seinem Buch 'Millennarian Movements in Historical Context', New York-London 1992, 49-73, bes. 51-58.
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5.2.3 Innergeschichtliche Vollkommenheit als Ideal der Neuzeit War trotz aller chiliastischen Interpretamente über das Mittelalter hinweg das linear-transzendente Geschichtsverständnis des Christentums akzeptiert, verschaffte sich mit der im Renaissancehumanismus beginnenden Neukonzeption der Wissenschaften das Bedürfnis nach seiner inhaltlichen Umformung immer mehr Resonanz. Geschichte gilt nun als eine dem menschlichen Reifeprozeß analoge, sich von der Vergangenheit über die Gegenwart bis hin zur Zukunft kontinuierlich verbessernde Entwicklung. Gebrauchte noch Francis Bacon diese Art der 'Lebensaltermetapher', um den Autoritätsglauben zu entkräften, indem er betonte, die eigentlich 'Alten' seien im Grunde die 'Jungen', weil sie über weniger Wissen und Erfahrung verfügten,47 kann schon Blaise Pascal (1632-1662) pointiert festhalten: Der Mensch ist gerade darin ausgezeichnet, daß er unaufhörlich Fortschritte hervorbringe, weil seine Vernunft steter Perfektionierung zustrebt.48 Ein nicht weniger eindrucksvolles Zeugnis dieses unerschütterlichen Glaubens an die menschliche Vernunft gibt Condorcet (1743-1794) in seinem Werk 'Esquisse d' un tableau historique des progres de 1' esprit humain' aus dem Jahr 1794.49 Tragender Gedanke dieser als Genealogie des Fortschritts konzipierten Schrift ist, daß die Perfektibilität des Menschen unbegrenzt und die Geschichte ein stetes Fortschreiten zum Besseren sei. "Dies ist die Absicht des Werkes ... und sein Ergebnis wird sein, durch Ver47 48
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Vgl. NO 1,84. Vgl. Preface sur le traite du vide zitiert nach der Ausgabe Oeuvres de Blaise Pascal II (ed. Leon Brunschvicg/Pierre Boutoux, Paris 1908) 138f: "II (= 1' homme) est dans 1' ignorance au premier aage de sa vie; mais il s' instruit sans cesse dans son progrez: car il tire advantage non-seulement de sa propre experience, mais encore de celle de ses predecesseurs, par ce qu' il garde toujours dans sa memoire les cognaissances qu' il s' est une fois acquises, et que celles des anciens luy sont toujours presentes dans les livres qu' ils en ont laisses. Et comme il conserve ces cognaissances, il peut aussy les augmenter facilement;... De lä vient que, par une prerogative particuliere, non seulement chacun des hommes s' advance de jour en jour dans les sciences, mais que tous les hommes ensemble y fönt un continuel progrez ä mesure que 1' univers vieillit, parce que la mesme chose arrive dans la succession des hommes que dans les aages differentes d' un particulier." Eine Bibliographie der wichtigsten Schriften, die sich dem Fortschrittsdenken Condorcets widmen, findet sich bei Rolf Reichardt, Reform und Revolution bei Condorcet. Ein Beitrag zur späten Aufklärung in Frankreich, Bonn 1973, 11 (=Pariser historische Studien 10).
nunftschlüsse und den historischen Fakten gemäß darzutun, daß die Natur der Vervollkommnung der menschlichen Fähigkeiten keine Grenze gesetzt hat; daß die Fähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung tatsächlich unabsehbar ist; daß die Fortschritte dieser Fähigkeit zur Vervollkommnung, die inskünftig von keiner Macht, die sie aufhalten wollte, mehr abhängig sind, ihre Grenze allein im zeitlichen Bestand des Planeten haben."50 Für die Zukunft erwartet er schließlich die "Beseitigung der Ungleichheit zwischen den Nationen; die Fortschritte in der Gleichheit bei ein und demselben Volke, ... die wirkliche Vervollkommnung des Menschen"51, wobei es für ihn völlig außer Zweifel steht, daß alle diese Hoffnungen tatsächlich Wirklichkeit werden. "Sie wird also kommen, die Zeit, da die Sonne hienieden nur noch auf freie Menschen scheint, Menschen, die nichts über sich anerkennen als ihre Vernunft"52... und tüchtig auf dem "Wege der Wahrheit, der Tugend und des Glücks vorwärtsschreiten."53 Wie sehr sich dieses Bekenntnis zum unbegrenzten, allein durch die souveräne Vervollkommnungsfähigkeit menschlicher Vernunft machbaren Fortschritt als Konstante neuzeitlichen Denkens verfestigen konnte54, belegt 50
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Esquisse, 29 Zitiert wird nach der von Wilhelm Alff bearbeiteten Ausgabe, Condorcet. Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes (Frankfurt a.M. 1963). Joachim K. Niedlich umschreibt gerade als das Charakteristische des Fortschrittsverständnisses bei Condorcet, daß dieser die immanente Vernunft an die Stelle des transzendenten Schöpfers treten läßt "Als Leugner jeder göttlichen Existenz hat er das Hauptstück der christlichen Anschauung, das Jenseits, abgebrochen und allein das Diesseits behalten und zum Gegenstand der Geschichtsbetrachtung gemacht. Der Fortschritt wird durch kein Gericht, kein Aufhören des Erdenlebens beendigt." - Condorcets 'Esquisse d' un tableau historique' und seine Stellung zur Geschichtsphilosophie, Erlangen 1907, 58 Esquisse, 345. Esquisse, 355 Esquisse, 399 Vgl die Ausführungen zum Fortschrittsglauben des 19 Jahrhunderts bei Wolfgang Huber, Fortschritt Ein Lexikonartikel, in: Wolfgang Lienemann/Ilse Tödt (Hg), 16-21, bes. 19f Er zitiert als Beleg Heinrich Heines Wort, der Fortschritt sei "eine Religion dem Wissen entsprungen" und Joseph Görres' Bekenntnis von 1789: "Ich glaube an ein immerwährendes Fortschreiten der Menschheit zum Ideale der Kultur und Humanität." Vgl. dazu auch Wolfgang Drost, Du Progres ä rebours. Fortschrittsglaube und Dekadenzbewußtsein im 19 Jahrhundert. Das Beispiel Frankreich, in: Ders (Hg), Fortschrittsglaube und Dekadenzbewußtsein im Europa des 19. Jahrhunderts. Literatur - Kunst - Kulturgeschichte, Heidelberg 1986, 13-29, bes 13-15.
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auch das von Comte (1798-1857) formulierte Drei-Stadien-Gesetz. Strukturell an die bekannte Lebensaltermetapher angelehnt, heißt es im 'Discours sur 1' esprit positif: "Gemäß dieser grundlegenden Lehre müssen alle unsere Theorien ... beim Individuum wie bei der Gattung notwendig nacheinander drei verschiedene theoretische Stadien durchlaufen, die durch die üblichen Benennungen als theologisches, metaphysisches und positives (Stadium) ... hinlänglich genau bezeichnet sein können. Obgleich zunächst in jeder Hinsicht entbehrlich, muß das erste Stadium hinfort stets als provisorisch und vorbereitend aufgefaßt werden; dem zweiten, das tatsächlich nur eine auflösende Abart des ersten darstellt, kommt stets nur eine vorübergehende Bestimmung zu, um schrittweise zum dritten hinzuführen; in dem ... in jeder Beziehung die endgültige Henschaft der menschlichen Vernunft besteht."55 Ziel ist allein die stete Fortentwicklung zum Besseren und die Hervorbringung neuer, dem menschlichen Wohlbefinden mehr nützlichen Fortschritte. Eben diese "ständige Befriedigung der Bedürfhisse unseres theoretischen und praktischen Lebens" gewährt der positive Geist am vollkommensten56, dessen Wesen es ist, "zu sehen, um vorauszusehen, zu erforschen was ist, um daraus aufgrund des allgemeinen Lehrsatzes von der Unwandelbarkeit der Naturgesetze - das zu erschließen, was sein wird".57 Damit sich jedoch der Fortschrittsbegriff der Aufklärung zu einer geschichtsphilosophischen Kategorie entwickeln konnte, brauchte es die InDiscours, 362. Zum Gesamtwerk Comtes vgl. Mary Pickering, Auguste Comte An Intellectual Biography I, Cambridge 1993, vgl ebenso die von Iring Fetscher verfaßte Einleitung zur zweisprachigen Ausgabe "Auguste Comte, Rede über den Geist des Positivismus", Hamburg 1956, XV-XLIV, bes XX-XXXIII, wobei diese Ausgabe nachfolgend zur Zitation gebraucht wird Vgl auch Georg Maag, Fortschrittsidee und Historismus bei Saint-Simon und Comte, in Wolfgang Drost (Hg.), 35-43 Discours, 17 Discours, 15 Während Theologie und Philosophie, die nach dem Absoluten fragen, was für Comte ein absurdes, obgleich im Fortgang der Geschichte notwendiges Unterfangen ist, der Kindheit zuzuordnen sind, bezeichnet die "echte Beobachtung" das Reifestadium, das allein dem Positivismus vorbehalten ist "Nachdem derartige vorbereitende Überlegungen von selbst die völlige Nichtigkeit der der anfänglichen Philosophie . eigenen unklaren und willkürlichen Erklärungen bewiesen haben, verzichtet der menschliche Geist fortan auf absolute Forschungen, wie sie nur seiner Kindheit angemessen waren, und beschränkt seine Bemühungen auf das von da an rasch sich entwickelnde Gebiet der echten Beobachtung, der einzig möglichen Grundlage der wirklich erreichbaren und unseren tatsächlichen Bedürfhissen weise angemessenen Erkenntnisse" (Discours, 12).
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tegration der bislang sowohl in der Lebensaltermetaphorik als auch in den Geschichtsentwürfen Condorcets und Comtes vernachlässigten Degenerationssymptome und Regresserfahmngen. Schließlich ist es die Leistung Kants, einen Fortschrittsbegriff herauszuarbeiten, der auch diese gegenläufigen geschichtlichen Erfahrungen integrieren kann. Er sah im Fortschritt nicht eine Vorgabe der Natur, sondern begriff ihn als die Aufgabe der Menschen.58 Ihnen obliege es, für die stets bessere Zukunft Sorge zu tragen. Die Machbarkeit des Fortschritts ist zur Pflicht für den autonom gewordenen Menschen erwachsen. Liegt aber der Fortschritt beim Menschen, so kann dieser nicht nur die Ziele der Entwicklung vom Schlechteren zum Besseren bestimmen und auf deren Realisierung drängen. Vielmehr wird er die Geschichte als Fortschritt verstehen, weil er annehmen muß, daß es immer Menschen gegeben hat und künftig auch geben wird, die an der Verwandlung vom Schlechteren zum Besseren interessiert sind. Erst unter dieser Prämisse ist die Geschichte als ein unumkehrbarer Optimierungsprozeß zu verstehen und der Fortschritt als spezifischer Geschichtsterminus anzuerkennen. Drei Komponenten mußten allerdings zusammentreffen, um den Fortschritt als 'Kollektivsingular' hervorzubringen, d.h. als die Summe aller Einzelfortschritte einer Epoche, wie er bezeichnend für die Neuzeit ist. Zunächst war es notwendig, das Subjekt des Fortschritts zu universalisieren, etwa in der Art: "Fortschritt der Menschheit ..., des Glücks ..., der Moral, des Geistes, der Kultur, der Gesellschaft ..., der Zeit und ... der Geschichte". Dadurch "wird aus den Geschichten der (einzelnen) Fortschritte der Fortschritt der Geschichte. Im Zuge der Universalisierung tauschen Subjekt und Vgl. Reinhart Koselleck, 382. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es denn auch Kant, der 1754 das deutsche Wort 'Fortschritt' prägte und es seit den achtziger Jahren in geschichtsphilosophischem Zusammenhang gebrauchte. Vgl. zur Begriffsgeschichte und den Übersetzungsbemühungen der französischen Termini ebd., 378-381. In seinem Werk 'Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte' benennt Kant den Fortschritt als Tortschreiten zur Vollkommenheit', als 'Fortschritt vom Schlechteren zum Besseren' (Weischedel VI, 92) und schreibt zusammenfassend: Geschichte sei "Zufriedenheit mit der Vorsehung und dem Gange menschlicher Dinge im Ganzen, der nicht vom Guten anhebend zum Bösen fortgeht, sondern sich vom Schlechtem zum Besseren allmählich entwickelt; zu welchem Fortschritt denn ein jeder an seinem Teile, so viel in seinen Kräften steht, beizutragen durch die Natur selbst berufen ist" (Weischedel VI, 102). Vgl. auch seine Schrift, 'Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolfs Zeiten in Deutschland gemacht hat?', wo er festhält, daß der Mensch wohl nicht aufgrund einer Theorie berechtigt sei anzunehmen, die Welt schreite zum Besseren fort, wohl aber aufgrund der praktischen Vernunft (Weischedel III, 647).
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Objekt ihre Rolle. Dies ist die zweite Phase. ... Der Fortschritt übernimmt den führenden Part, er wird selbst zum geschichtlichen Agens. ... In der dritten Etappe verselbständigt sich der 'Fortschritt' zum Fortschritt schlechthin, der zum Subjekt seiner selbst wird."59 Nun erst konnten die Zielvorstellungen, die bislang transzendente Erwartungen waren, der Geschichte immanent werden. In diesem Kontext ist dann auch der berühmte Aphorismus Schlegels situiert: "Der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisieren, ist der elastische Punkt der progressiven Bildung und der Anfang der modernen Geschichte."60 Hegel (1770-1831) sucht dann die verschiedenen Facetten des Fortschrittsbegriffs zusammenzudenken, indem er das Grundprinzip der Geschichte, die aus sich selbst entstehende und sich in die Geschichte inkarnierende Bewegung des Geistes, mit der Idee des Fortschritts vereinigt. Die so aneinander gebundenen Kategorien von Geschichte und Fortschritt bilden damit nicht nur im Begriff des 'Prozesses' eine gemeinsame Schnittmenge. Vielmehr wird der Fortschritt durch seine Aufnahme in das Geschichtsdenken auf die 'Freiheit' bezogen. Fortschritt ist dann eine kontinuierliche Entfaltung zur Freiheit hin, deren Verwirklichung die Geschichte entgegenstrebt. Die Folgen dieser Rückbindung werden insbesonders erkennbar, wenn mitbedacht wird, daß Freiheit für Hegel ein Geschichtsterminus ist, d.h. Freiheit ist in der Geschichte verwirklicht und nicht eine in Aussicht gestellte transzendente Kategorie. Insofern aber Freiheit prinzipiell realisiert ist, muß der an sie zurückgebundene Fortschritt seine eschatologische Dimension aufgeben. Entscheidende Wirklichkeit ist die auf die Dynamik des Geistes gegründete Weltgeschichte, deren Strukturmerkmal fraglos im Fortschritt besteht. Geschichte ist demnach Fortschritt, naherhin der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit.61 So kann Hegel formulieren: Im Geist, der sich die Weltgeschichte zu seinem Schauplatz macht, "ist jede Veränderung Fortschritt".62
59 60 61
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Reinhart Koselleck, 388f Athenäumsfragment, Nr. 222. Vgl Die Vernunft in der Geschichte (hg. von Johannes Hoffmeister, Hamburg 5 1955, 63) Ebd., 153 "Das Ziel der Weltgeschichte ist also, daß der Geist zum Wissen dessen gelange, was er wahrhaft ist ... Der Geist ist dies, daß er sich hervorbringt, sich zu dem macht, was er ist. ... Sein Sein ist Aktuosität, kein ruhendes Dasein, sondern dies, sich hervorgebracht zu haben, für sich geworden zu sein, durch sich selbst
Unter der neuzeitlichen Konstellation eines szientistischen Glaubens wird der Fortschritt schließlich zum Programm: Fortschritt ist Geschichte und Geschichte ist Fortschritt, erwirkt durch den Menschen.63 Ausgezeichnet durch den Anspmch, die unbegrenzte menschliche Vervollkommnungsfähigkeit in der Geschichte immer besser zu realisieren, umschreibt er die Metamorphose menschlichen Selbstbewußtseins, von der Kant sagt, sie sei der "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit".64 In diese Interpretation des neuzeitlichen Fortschrittsbegriffs fügt sich auch das von Emilie Saisset stammende Wort, es werde dem Menschen die Anbetung eines neuen Gottes empfohlen, nämlich die des Menschengeschlechtes.65
5.3
Christentum als Fortschrittsprinzip?
Die Vorstellung eines universal sich verwirklichenden evolutionären Fortschritts prägt die Leitidee der Neuzeit. Von ihm wird behauptet, er sei
63
64 65
sich gemacht zu haben. Daß er wahrhaft sei, dazu gehört, daß er sich hervorgebracht habe; sein Sein ist der absolute Prozeß" (ebd , 74) Wird gemeinhin anerkannt, daß die im Renaissancehumanismus in die Wege geleitete Neukonzeption der Wissenschaften mit ihren vielfältigen Auswirkungen auf die Geistesgeschichte den neuzeitlichen Fortschrittsbegriff prägte, so reklamieren vornehmlich Historiker des englischsprachigen Raums den Anteil chiliastischen Denkens Stellvertretend sei die Position von Theodore Olson genannt, der in Anlehnung an Ernest L Tuveson (Millennium and Utopia A Study in the Background of the Idea of Progress, New York 1964) die Idee der Perfektibilität und Innergeschichtlichkeit des Heilsgeschehens durch Utopie und Millenniumsvorstellung zu deuten sucht Obgleich diese beiden Komponenten ihrem originären Gehalt nach gegensätzlich sind, komme es bei ihrem Zusammentreffen zu einer ganz neuen Formation, die sich im Begriff des Fortschritts ausdrückt. Dabei fließe in die Fortschrittsidee aus der Utopie das Leitwort der Perfektibilität ein, während aus der Hoffnung auf ein 1 OOOjähriges Reich die Vorstellung einer geschichtsimmanenten Heilszeit sowie die damit bereits implizit gesetzte Entsakralisierung der Welt entlehnt ist, die sie dem Menschen als Objekt der Selbsterlösung übergibt (Millennialism, Utopianism and Progress, Toronto u a 1982, bes 229-235) Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung9 (1783), zit. nach Weischedel VI, 53. Dieses auf Feuerbach und Comte bezogene Urteil aus dem Jahr 1850 ist zitiert bei: Ulrich Schöndorfer, Der Fortschrittsglaube des Liberalismus und Positivismus, in: Ders. (Hg), Der Fortschrittsglaube Sinn und Gefahren (FS Kardinal F. König), Graz u.a. 1965, 25-34, hier: 30. Eine gute Zusammenfassung des neuzeitlichen Fortschrittsbegriffs bietet Max Seckler, Tradition und Fortschritt, in: CGG XXIII, 6-53, bes.24-31.
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seinem Ursprung nach das säkularisierte Erbe des Christentums. Um jedoch diese These der Herleitung des modernen Fortschrittsbegriffs aus dem christlichen Geschichtsverständnis zu überprüfen, ist zu fragen, wie Theologie und Lehramt eine solche Entwicklung bewerten. Dazu werden die säkularisierungsgeschichtlichen Entwürfe von Gogarten und Metz vorgestellt, welche die Errungenschaften der Moderne mit Stolz auf die im Christentum gewirkte 'Verweltlichung der Welt' zurückführen. In einem zweiten Schritt sind die Dokumente des kirchlichen Lehramtes zur Bewertung des Fortschrittsdenkens vor ihrem jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund zu untersuchen, wobei insbesonders die Stellungnahmen interessieren, die zeitlich parallel zu den Säkularisierungsthesen entstanden. Zuvor jedoch sollen hinführend die Positionen zweier Theologen portraitiert werden, Friedrich Schleiermacher stellvertretend für den Protestantismus und auf katholischer Seite Franz Hettinger. Beide vermitteln auf den ersten Blick den Eindmck, als vereinnahme das Christentum die Idee des Fortschritts für sich, indem es die Erfolge der Neuzeit als Ergebnis seiner selbst deutet. Besondere Affinität zum neuzeitlichen Fortschrittsoptimismus scheint die Theologie Friedrich Schleiermachers (1768-1834) aufzuweisen, insofern sie, wie sich als Vorurteil durchträgt", alles Handeln des Menschen an der Welt unterschiedslos mit der Verwirklichung des Reiches Gottes ineinssetzt. Wenn auch der Nachweis erbracht wurde67, daß gerade diese Behauptung seinem Reich Gottes-Begriff widerstrebt, läßt sich die Rezeption der neuzeitlichen Fortschrittsidee in seinem theologischen Denken damit nicht ausschließen. So heißt es beispielsweise in der vierten Rede über die Religion: "Jetzt seufzen Millionen von Menschen beider Geschlechter und aller Stände unter dem Dmck mechanischer und unwürdiger Arbeiten. Die ältere Karl Barth merkt dazu an: "Seine Theologie ist ... in ihrem innersten Heiligtum Kulturtheologie. ... Kultur als Triumph des Geistes über die Natur ist das eigenste Werk des Christentums, wie Christlichkeit ihrerseits die Spitze eines durchkultivierten Bewußtseins ist. Das Reich Gottes ist nach Schleiermacher mit dem Fortschritt der Kultur schlechterdings und eindeutig identisch" (Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert Ihre Vorgeschichte und Geschichte II, Hamburg 1975, 368) Ganz ähnlich auch Christian Walther, der Schleiermacher unterstellt, das Reich Gottes sei der "Endzustand einer fortschreitenden Entwicklung der Menschheit" (Typen des Reich-Gottes-Verständnisses Studien zur Eschatologie und Ethik im 19. Jahrhundert, München 1961, 89) Vgl dazu die Studie von Marlin E. Miller, Der Übergang. Schleiermachers Theologie des Reiches Gottes im Zusammenhang seines Gesamtdenkens, Gütersloh 1970.
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Generation erliegt unmutig und überläßt mit verzeihlicher Trägheit die jüngere in allen Dingen fast dem Zufall, nur darin nicht, daß sie gleich nachahmen und lernen muß dieselbe Erniedrigung. Das ist die Ursach, warum sie den feinen und offenen Blick nicht gewinnen mit dem allein man das Universum findet. Es gibt kein größeres Hindernis der Religion als dieses, daß wir unsere eigenen Sklaven sein müssen, denn ein Sklave ist Jeder, der etwas verrichten muß, was durch tote Kräfte sollte bewirkt werden können. Das hoffen wir von der Vollendung der Wissenschaften und Künste daß sie uns diese toten Kräfte werden dienstbar machen, daß sie die körperliche Welt, und alles von der geistigen was sich regieren läßt in einen Feenpalast verwandeln werde, wo der Gott der Erde nur ein Zauberwort auszusprechen und nur eine Feder zu drücken braucht, wenn geschehen soll, was er gebeut. Dann erst wird jeder Mensch ein Freigeborener sein."68 Fehlt auch in diesem Passus der ausdrückliche Gebrauch des Wortes 'Fortschritt', spielt Schleiermacher doch auf die neuzeitliche Vorstellung eines vom Menschen machbaren Besseren innerhalb der Geschichte an. Wie nun aller Fortschritt darin gründet, daß der vollkommene Zustand wenigstens der Idee nach schon vorhanden sei, postuliert er das beständige Fortschreiten als Grundsignatur christlichen Lebens, das in zweifacher Weise zum Ausdmck gelangt. Einmal ist es dem Menschen gleichsam als "äußerer Bemf aufgegeben, Hen der Erde zu sein, zum anderen aber als "innerer Bemf, immer mehr Gottes Ebenbild zu werden. Indem das dominium tenae und die Gottebenbildlichkeit als Zielbestimmungen des Fortschritts eingeführt sind, bringt Schleiermacher das seit Bacon und Descartes geforderte Fortschreiten in der Naturerkenntnis wie auch die in der christlichen Spiritualität bekannte Aufgabe, Gottes Ebenbild zu sein, zusammen.» Wie dieses Miteinander von fortschreitender Naturerkenntnis und Gottebenbildlichkeit zu denken ist, illustriert er dabei anhand einiger Regeln, welche von der Überzeugung getragen sind, daß der Fortschritt im Sinne der Naturbeherrschung niemals bloß Selbstzweck sein dürfe, sondern immer auf die Wirksamkeit des christlichen Geistes ausgerichtet sein müsse. "Das Christenthum sezt den Naturbildungsprozeß als einen unbegrenzten. ... jede ErÜber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (hg. von HansJoachim Rothert), Hamburg 1961, 128. Vgl. Wolfgang Huber, Identität im Zeichen des Fortschritts. Das Beispiel Friedrich Schleiermachers, in: Gerhard Grohs u.a. (Hg), Kulturelle Identität im Wandel (FS D. Goldschmidt), Stuttgart 1980, 84-96, bes. 88f.
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Weiterung der Herrschaft über die Natur ist eine Erweiterung der Verbindung unter den Menschen selbst, als notwendige Bedingung für die Verbreitung des christlichen Geistes. ... Ebenso sezt das Christenthum keine Grenzen für die Naturwahmehmung. ... Es duldet nicht, daß der Ausbildung des Erkenntnisvermögens Schranken gesezt werden. ... So ist beständiges Fortschreiten und fortwährende Berichtigung der gesammelten Begriffs- und Urtheilsbildung aufgegeben."70 Revisionsbedürftig ist demnach jede Behauptung, die Schleiermacher eine unkritische Rezeption des Fortschrittsoptimismus unterstellt. Sein Anliegen war es indes, dieses Denken für die Theologie fruchtbar zu machen, wobei er die Eigendynamik des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts nicht akzeptieren konnte und ihre Bedeutung durch die Rückbindung an den Fortschritt des christlichen Geistes entscheidend veränderte. Die Apologetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist dagegen interessiert, das Christentum, mehr noch die katholische Kirche im besonderen, als Wirkursache des neuzeitlichen Fortschrittsdenkens zu bezeichnen. Ganz in diesem Sinne benennt Herman Schell den Katholizismus als "Prinzip des Fortschritts"7', und Franz Hettmger schreibt: "Die Idee des Fortschritts" ist gerade "eine spezifisch christliche, katholische Idee. ... Es war das Christenthum, das die Idee des Fortschritts concipierte; in der Kirche wurde diese Forderung zuerst und immerfort ausgesprochen."72 Allerdings betont diese Aussage eine Nuance, welche dem neuzeitlichen Verständnis von Fortschritt eigentlich fremd ist. Wenn Hettinger nämlich feststellt, daß dem Fortschrittsdenken "ein Ideal gegeben" ist, "ein unendliches, ja die Unendlichkeit selbst", dann veranschlagt er die transzendente Gerichtetheit der Geschichte, "die Vollkommenheit Gottes und Christi". Das neuzeitliche Leitbild des Fortschritts blickt jedoch gerade nicht "hinüber in ein anderes Leben ohne Schranken, in ein Leben der Erkennmiß des unendlich Erkennbaren".75 Es gründet vielmehr im Glauben an die Realisierbarkeit des stets Vollkomme-
Die christliche Sitte nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (hg. von Ludwig Jonas), Berlin 1843, 472f. "Der Katholicismus als Princip des Fortschritts" - so der Titel des von Herman Schell 1897 in Würzburg veröffentlichen Werkes. Apologie des Christenthums 11/2, Freiburg 1867, 551 Max Seckler prägte für diese Art, die Kirche als Erfinderin des Fortschritts auszuzeichnen, die süffisante Bezeichnung 'Swinegel-Apologetik' (Der Fortschrittsglaube in der Theologie, 43). Apologie des Christenthums, 552.
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neren in der Geschichte. Überdies gilt es, auf eine zweite Implikation hinzuweisen, die für das neuzeitliche Fortschrittsverständnis nicht mehr trifft. Hettingers Fortschrittsideal läßt keinen autonomen Fortschritt in den Wissenschaften zu, sondern sieht diesen unlösbar verknüpft mit dem sittlichen Fortschritt, womit er an die augustinische 'Progressus-Vorstellung' anknüpft und übersieht, daß sich die Neuzeit davon abgrenzt. Von diesen ungleichen Prämissen aus ist freilich Hettingers These vom Christentum als Bedingung des neuzeitlichen Fortschritts in Frage gestellt, was aber nicht hindern soll, seine Motivation in den Blick zu nehmen. Es ist der Zeitgeist des 19. Jahrhunderts, welcher den christlichen Glauben als Hindernis aller Neuerungen apostrophiert, woraufhin sich die Apologetik gefordert sieht, den Gegenbeweis zu führen. Hettinger merkt dazu an: "Es ist ... ein schlechtes ... Verfahren, wenn man im Hinblick auf den Glanz und die colossale Entfaltung unseres industriellen und commerziellen Lebens trotz der Abschwächung christlicher Principien diese für indifferent, ja selbst als Hemmschuh des erwähnten Fortschritts bezeichnen möchte."7* Um der Verteidigung der christlichen Religion willen wird daher die Stoßrichtimg der Argumentation umgekehrt und der Fortschritt auf die Kirche zurückgeführt, so daß gilt: Der Fortschritt ist "in und durch die Kirche auf allen Gebieten".75 Unter den Bedingung des 20. Jahrhunderts lebt dieses Motiv erneut auf, und mit Stolz wird das Christentum als das Fortschrittsprinzip benannt. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Mitte der fünfziger Jahre von Friedrich Gogarten (1887-1967) formulierte These, die "Säkularisierung der Welt" sei die grandiose Leistung des Christentums, welches damit die geistesgeschichtlichen Bedingungen der Naturwissenschaften hervorbrachte. Die Naturwissenschaften hätten erst entstehen können, nachdem die Welt als Gottes Schöpfung und nicht mehr als göttlich zu glauben gelehrt wurde, weshalb es nur konsequent sei, ihr gegenüber keinerlei Ehrfurcht zu empfinden und sie zum Erkenntnisobjekt menschlichen Forschungsdrängens zu machen. Einer solchen Perspektive gilt dann auch jeder Fortschritt in Naturwissenschaft und Technik als Verdienst des Christentums. Damals "galt es noch nicht als Schande", so resümiert Sigurd Daecke, "die Herkunft der modernen Naturwissenschaft und Technik aus dem jüdisch-christlichen Schöpferglauben abzuleiten; und damals war ein Theologe noch stolz darauf, den
74 75
Ebd., 552f Ebd., 553.
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schlechten Ruf der Rückständigkeit, der Fortschritts- und Wissenschaftsfeindlichkeit, der dogmatischen Voreingenommenheit gegen die Naturwissenschaft und ihre empirischen Forschungsergebnisse ... mit einer frappierenden Gegenthese überwinden zu können."7«
5.3.1 Säkularisierung der Welt Eine Zeit der bewußt gewordenen Umweltkrise tut sich schwer, die Selbstverständlichkeit zu billigen, mit der kaum dreißig Jahre zuvor die 'Säkularisierung der Welt' als das Verbindende zwischen Christentum und dem Fortschritt der modernen Naturwissenschaften betrachtet wurde. Dennoch ist zu überlegen, was das viel zitierte Wort von der Säkularisierung der Welt durch das Christentum aussagen will und ob daraus tatsächlich ein Anschuldigungsgrund konstruiert werden kann. Ganz im Sinne dieser notwendigen Klärung nimmt Gogarten eine begriffliche Differenzierung vor und benennt die Säkularisierung als etwas wesensmäßig zum christlichen Glauben gehöriges: Sie ist die Anerkenntnis des Weltseins der Welt, ihres Geschaffenseins durch Gott. Die Welt ist aus Gott, nicht aber selbst göttlich. Säkularisierung als Gottes Gottsein und der Welt Weltsein zu deuten, erinnert nicht nur an die Unterscheidung von Gott als Schöpfer und der Welt als Geschöpf, sondern impliziert für den Menschen, sich seines Geschaffenseins durch Gott und seiner Aufgabe als Hen der Welt' bewußt zu werden. Bereits diese knappe Begriffsklärung weist die Säkularisierung als Versuch aus, das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch im Horizont des christlichen Glaubens auszuleuchten, so daß als Definition letztlich stehen bleibt: Säkularisierung ist die "Verweltlichung der Welt", das heißt, "daß diese unter allen Umständen und in jeder Hinsicht und in allem, was zu ihr gehört, ist und bleibt, was sie ist, eben Welt".77
Auf dem Weg zu einer Praktischen Theologie der Natur, in Klaus M. MeyerAbich (Hg), Frieden mit der Natur, Freiburg u.a. 1979, 262-285, hier: 263f Friedrich Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit. Die Säkularisierung als theologisches Problem, München-Hamburg 1966 (Erstausgabe: Stuttgart 1958) 12. Vgl. auch ders., Der Mensch zwischen Gott und Welt, Stuttgart "1967, 139 unterstreicht die Erkenntnis der Säkularisierung als legitime Folge des Christentums, insofern damit die "rechte Stellung des Menschen zwischen Gott und Welt" ausgesagt ist.
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Als Eigentümlichkeit des christlichen Glaubens gegenüber mythischem Denken wird die "Weltlichkeit der Welt", das Festhalten an ihrem Nichtgöttlich-Sein vornehmlich in der Aussage erkennbar, der Mensch sei, weil er sich Gottes Schöpfungshandeln verdanke, frei von der Welt. Um die Tragweite dieses anthropologischen Grundbekenntnisses ermessen zu können, verweist Gogarten auf die paulinische Theologie, welcher die Freiheit des Menschen von der Welt gleichbedeutend mit der im Evangelium geschehenen Befreiung aus der Verpflichtungskraft des Gesetzes ist, dem Symbol aller im Kosmos wirkenden götterhaften Mächte. Die Welt ist nicht göttlich, sondern von Gott geschaffen. Wird aber diese Weltlichkeit der Welt mißachtet, spricht Paulus von Sünde. Die Welt zu vergöttlichen, bedeutet die grundlegende Pervertierung der Schopfungsordnung, indem die allein Gott eigene Göttlichkeit auf das geschaffene Sein, die Welt, übertragen wird. Die Welt ist dann nicht mehr Welt und Gott nicht mehr Gott, Geschöpflichkeit und Göttlichkeit sind vertauscht. In dieser sündhaften Vergöttlichung der Welt entscheidet sich der durch seine Herkunft aus Gottes Gottsein ausgezeichnete Mensch für die Welt, die bloß Geschöpf ist, und gegen Gott, womit er sich auch gegen sein eigenes Sein richtet - sein eigenes Sein, das "nicht in dem Umschlossensein von der Welt und dem Eingefügtsein in ihre Ordnungen" besteht, "sondern in seinem Nicht-aus-der-Welt-sein".78 Gerade diese seinsmäßige Andersartigkeit des Menschen gegenüber der Welt macht seine Überlegenheit aus, die in der besonderen Verantwortung für die Welt zum Ausdruck gelangen soll. Sünde ist es also, die Welt zu vergöttlichen und dadurch Gottes Gottsein zu negieren wie auch das eigene Sein als 'AusGott-Sein' für das 'Aus-der-Welt-Sein' einzutauschen.79 Konsequent ergibt sich dann die Formulierung, Sünde als Nicht-Säkularisierung der Welt zu umschreiben. Bezeichnend für das Christentum ist hingegen die Säkularisierung der Welt, während es einen Rückfall in die pagane Frömmigkeit bedeutet, die Welt göttlich zu glauben. Nachdem das Geschaffensein des Menschen durch Gott und seine Freiheit von der Welt als anthropologisches Grunddatum ausgewiesen ist, stellt sich die Frage, wie der damit gegebene Auftrag, Henschaft über die Welt auszuüben, realisiert werden soll. Gogarten merkt dazu zweierlei an: Herr über die Welt kann nur sein, wer nicht aus der Welt ist, d.h. wer Gottes
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Ebd., 17. Vgl. ebd., 20f.
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Gottsein nicht durch die Vergöttlichung der Welt leugnet. Ebenso wichtig ist die zweite Feststellung, die Auskunft über den Inhalt des Henschaftsauftrages gibt, daß nämlich Verantwortung für den Fortbestand der Schöpfung als Schöpfung zu tragen ist.80 Hensein über die Welt bedeutet damit die Anerkenntnis des Gottseins Gottes wie des Weltseins der Welt, die der Mensch nur im Bewußtsein leisten kann, sein Sein von Gott empfangen zu haben. "Wenn das Hensein über die Welt ... das des Sohnes ist, dann bedeutet es, daß er mit seiner Henschaft das, was an der Welt des Vaters ist, wahren soll. Das ist Gottes Schöpfersein und damit das Schöpfungssein der Welt: ihre Einheit und Ganzheit."81 Die Akzentuierung der Henschaftsausübung des Menschen über die Welt darf jedoch die konstitutive Gemeinsamkeit nicht ausklammem, nämlich ihr Geschaffensein durch Gott. Mensch und Welt sind, wenn auch nicht gleicher Art, Geschöpfe Gottes, wobei sich die besondere Geschöpflichkeit des Menschen insofern äußert, als die Welt zu ihm gehört. Ohne die Welt gibt es den Menschen nicht, der allerdings nicht zu ihr gehört, als hätte er sein Sein aus ihr. Vielmehr ist ihm die Welt und seine besondere Art der Geschöpflichkeit in der Sohnschaft vom Schöpfer gegeben. Als Sohn steht der Mensch in Beziehung zu seinem göttlichen Schöpfer und zur Welt, deren Geschaffensein er verantwortungsvoll zu bewahren hat.82 "Es geht in der Säkularisierung", wie Gogarten zusammenfassend notiert, "um die Forderung des Freiseins des Menschen der Welt gegenüber und des Henseins über sie, die eine Folge der im Glauben ergriffenen Freiheit des Sohnes für den Vater ist und durch die die mythische Welt abgelöst wird durch die geschichtliche. Mit dieser Forderung wird die Welt säkularisiert. Das heißt: sie ist für den, der diese Forderung vernimmt ... nicht mehr die von den 'vielen Göttern und Henen' (1 Kor 8,5) durchwaltete und beherrschte Welt. Diese Götter und Henen sind für ihn entmächtigt. ... Die Welt und alles, was in ihr ist, ist nun etwas ... Natürliches. Sie ist nur Welt, säkulare Welt."83 Ursprung dieser Entmythologisierung der Welt wie auch der seit Beginn der Neuzeit entstandenen 'nachchristlichen' Säkularisierung ist das Christentum, wobei Gogarten meint, diese zwei Phasen der Säkularisierung verhielten sich zueinander wie Keim und Pflanze. Wenn im Allgemeinen 80 81 82 83
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Vgl. ebd , 33. Ebd., 33f Vgl. ebd., 74f. Ebd., 103.
auch nur die Säkularisierung der Neuzeit wahrgenommen und zumeist im Sinn einer Gegenbewegung zum christlichen Glauben interpretiert wird, nimmt Gogarten an dieser Stelle eine entscheidende Änderung vor: Die Säkularisierung der Neuzeit ist legitime Folge des Christentums und kann deshalb als 'nachchristliche', d.h. "durch den christlichen Glauben hervorgegangene Erscheinung" bezeichnet werden84. Charakterisiert es die im Christentum geschehene Säkularisierung, Gottes Gottsein und der Welt Weltsein anzuerkennen, so ist es für die Neuzeit typisch, die säkulare Welt zum Objekt von Naturwissenschaft und Technik zu machen Rückführbar ist aber die Fluktuation der empirischen Wissenschaften letztlich auf das Christentum und die in ihm erwirkte Säkularisierung der Welt. In der Säkularisierung der Neuzeit habe der christliche Glaube sogar die "umfassendste Wirkung auf das menschliche Leben" entfaltet, insofern nicht nur Christen, sondern alle Menschen betroffen sind85.
Die Rezeption der Säkularisierungsthese Gogartens Über diese säkular gewordene Welt kann und darf der Mensch verfugen. Sie gilt ihm, da sie nicht mehr numinös verbrämt ist, als Material seines Wollens
84 85
Ebd., 106 Ebd. Anzumerken bleibt, daß dieser alle Lebensbereiche umfassende neuzeitliche Säkularisierungsprozeß bisweilen nicht in der Säkularität, als legitime Folge des Christentums, geblieben ist, sondern sich dem Säkularismus anheim gegeben hat. Es ist daher von zwei verschiedenen Typen der Säkularisierung auszugehen. Die erste bleibt im Säkularen: "in ihr hält man es aus, daß die Welt nur Welt ist, man erkennt in ihr nicht nur die Grenze der Vernunft, die dieser damit gesteckt ist, daß ihr zwar der Gedanke des Ganzen als der höchste ihr mögliche zu denken aufgegeben ist, daß sie aber die Frage, vor die sie damit gestellt ist, nicht zu beantworten vermag und daß sie mit diesem Gedanken über ein fragendes Nichtwissen nicht hinauskommt." Der Säkularismus hingegen entsteht, "wenn jedes fragende Nichtwissen dem Gedanken der Ganzheit gegenüber nicht durchgehalten wird. Man gibt dann entweder das Nichtwissen" (Ideologien) "oder die Frage" (Nihilismus) "preis" (Verhängnis und Hoffnung, 143). Die Versuchung des Säkularismus ist nach Gogarten dann auch das Verhängnis der Neuzeit, dem sie immer mehr nachgegeben hat (vgl ebd., 147). Vgl. dazu auch ders., Der Mensch zwischen Gott und Welt, bes 147-149. Ebenso Alfred Dubach, Glauben in säkularer Gesellschaft. Zum Thema Glaube und Säkularisierung in der neueren Theologie, besonders bei Friedrich Gogarten, Bern-Frankfurt a.M. 1973, 38-48
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und Handelns. In dem Maße aber, wie der Mensch die Welt gestaltet und zum "Täter der Wirklichkeit" wird'6, erlebt er die Möglichkeiten seiner Autonomie, die sich nicht zuletzt im Glauben an die Machbarkeit der Dinge durch steten Fortschritt äußert. Allein er vermag es, der Welt eine neue Ordnung zu geben und so Geschichte zu schaffen.87 Der Mensch als Weltgestalter und der Fortschritt in den empirischen Wissenschaften sind legitime Folge der im Christentum gewirkten Säkularisierung. Erst nach der "Entzauberung der Welt"88, um Max Webers berühmte Formulierung zu gebrauchen, konnte die Weltgestaltung zur Aufgabe des Menschen werden. 'Säkularisierung', 'Entmythologisierung' oder auch 'Entzauberung' der Welt sind austauschbare Termini für das Weltverständnis des Christentums, in welchem die modernen Naturwissenschaften und die Technik wurzeln. Carl Friedrich von Weizsäcker schreibt dazu: "Die Freiheit von den Göttern, die Entmythisierung des Denkens durch den Glauben befähigt den Menschen zur gestaltenden Herrschaft inmitten der Natur."8' Und weiter: "Sogar der technische Fortschritt kann . . a n das Christentum angeknüpft werden; die Technik kann ihr Tun als Erfüllung des Gebots 'macht euch die Erde Untertan' verstehen."90 Norbert Greinacher, Grundzüge der Gegenwartssituation, in: HPTh 11/1, 188-221, hier: 199. Vgl. bes. Eugen Wiesnet, Säkularisierung. Pro und Contra. Ihre Diagnose, Interpretation und Wertungsimplikationen in der heutigen Religionssoziologie, Innsbruck 1973, 19f und Alfred Dubach, 24-27. Max Weber in seinem Vortrag 'Wissenschaft als Beruf (1919) veröffentlicht in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre (hg. von Johannes Winckelmann), Tübingen31968, 582-613, hier: 594. Die Tragweite der Wissenschaft I. Schöpfung und Weltentstehung, Stuttgart 5 1976, 47 In diesem Sinne nennt er die biblische Schöpfungsgeschichte einen 'antimythischen Mythos' (ebd, 46) Ebd., 190 Konsequent ist dabei Gogartens Säkularisierungsthese weitergedacht, als deren Rezeptor er sich ausdrücklich bekennt (ebd , 196) So auch Christian Duquoc, Kirche und Fortschritt, Wien 1967, 26f "Durch seine Schöpfungstheorie, ... durch seine Idee von der absoluten Transzendenz Gottes ... hat das Christentum der experimentellen und wissenschaftlichen Erforschung des Weltalls freie Bahn gelassen. Die Götter wurden verdrängt, die Dämonen ausgetrieben, das Göttliche ist nicht von dieser Welt Das Weltall gehört also dem Menschen. ... Wenn das Heilige doch in der Welt geschieht, so nur durch das Handeln des Menschen, der zwischen einem Ding oder einer Tat und dem transzendenten Göttlichen eine bewußte Beziehung herstellt Diese totale Rückerstattung der Welt an den Menschen und an sein Handeln, die das Christentum durch seine Behauptung der göttlichen Transzendenz bewirkt, hat die Autonomie der Vernunft begünstigt"
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Harvey Cox anerkennt ebenfalls die Säkularisierung als Wirkung der biblischen Weltdeutung, wenn er Gogartens Ansatz weiter differenziert: "Das Entstehen der Naturwissenschaft, demokratischer politischer Institutionen und des kulturellen Pluralismus ... das alles kann kaum ohne den ursprünglichen Antrieb der Bibel begriffen werden. Die bewußte Verbindung mag schon lange außer Sicht gekommen sein, die Beziehungen sind immer noch da."" Während Cox die für das Abendland prägende 'Entsakralisierung der Politik' auf das Exodusgeschehen und die 'Entheiligung der Werte' auf das Verbot, sich Götzenbilder anzufertigen, zurückführt, interessieren besonders seine Anmerkungen zum biblischen Schöpfiingsverständnis: Im Gegensatz zu seinen Nachbarkulturen verkündet Israel, daß Gott die Welt und den Menschen geschaffen habe. Diese Trennung von Schöpfer und Schöpfung mußte als "atheistische Propaganda" verstanden werden, die jeglicher Magie den Nährboden entzieht. Nunmehr kann der Mensch zum Subjekt der Welt werden und ihr, nachdem er alle Ehrfurcht vor ihr abgelegt hat, "furchtlos ins Auge fassen"92. Auf den bisweilen geäußerten Einwand, der moderne Mensch reize seine weltgestaltende Vollmacht über alle Maßen aus, indem er rachsüchtig gegen sie vorgehe, sie bmtalisiere und zerstöre, entgegnet Cox: "Mag sein, daß dies eine Art Racheakt ist, wie ihn ein früherer Gefangener gegen seinen Wärter vollziehen mag, aber seinem Wesen nach handelt es sich um eine kindliche Reaktion, und sie ist fraglos eine Durchgangsphase. Der reife säkulare Mensch empfindet weder Ehrerbietung noch Haßgefühle gegen die Natur. Er hat die Aufgabe, sie zu ergreifen, von ihr Gebrauch zu machen, die Verantwortung zu übernehmen, die dem Menschen Adam zugesprochen ist."93 Auf katholischer Seite bemühte sich insbesonders Johann B. Metz in Anlehnung an das säkularisiemngsgeschichtliche Denken, den positiven Charakter der 'Weltlichkeit der Welt' in einem christologischen Ansatz auszuleuchten. Dabei zieht er den Schluß: "Die Weltlichkeit der Welt, wie sie im neuzeitlichen Verweltlichungsprozeß entstand und in global verschärfter Form uns heute anblickt, ist in ihrem Gmnde ... nicht gegen, 91
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Stadt ohne Gott?, Stuttgart-Berlin 1966, 27; vgl. ders., Warum das Christentum säkularisiert werden muß, in: Heinz-Horst Schrey (Hg), Säkularisierung, Darmstadt 1981, 217-236, bes. 221 f. Ebd., 35. Ebd., 33f.
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sondern durch das Christentum entstanden; sie ist ursprünglich ein christliches Ereignis."94 Der Grund, weshalb es höchst legitim ist, das in der Kurzformel der 'weltlichen Welt' konzentrierte Profil der Neuzeit als von genuin christlicher Herkunft zu deuten, liegt darin, daß Gott in Jesus Christus die Welt in endzeitlicher Definität angenommen hat.95 Gottes endgültige Weltannahme im Geschehen der Inkarnation impliziert unter bloß formalem Aspekt sein Handeln "in geschichtlicher Tat" an der Welt und meint darüber hinaus inhaltlich, Gott handle so an der Welt, "daß er sie in seinem Sohn unwiderruflich annimmt".96 Sucht man zunächst die formalen Implikationen auszufalten, wird Gott als ein Gott der Geschichte erkennbar, indem er der Welt "zum Ereignis geworden" ist. Er herrscht nicht bloß "über" der Geschichte, sondern "durchherrscht" diese, insofern er ihr in der Gabe seines Sohnes ihren Grund verleiht. Hinzu kommt, daß im Handeln Gottes in der Welt, die immer schon die Welt als Dasein für den Menschen ist, deren anthropologische Spitze in den Blick gerät. Schließlich enthüllt Gottes Geschichtshandeln an der Welt deren eschatologischen Charakter, der es ihr aufgegeben sein läßt, das zu werden, was sie durch Jesus Christus bereits ist, nämlich der neue Himmel und die neue Erde.97 Gottes geschichtliches Handeln in und an der Welt meint inhaltlich die endgültige und unwiderrufliche Annahme des Menschen und seiner Welt in Jesus Christus. Gott bejaht die Menschlichkeit des Menschen und die Weltlichkeit der Welt, ohne sie zu vergöttlichen. Vielmehr geschieht dies gerade als Annahme des Nicht-Göttlichseins von Mensch und Welt, was deren Freigabe in ihre je gesonderte Eigentlichkeit ist: "Gott hebt ... das andere von sich in seiner Differenz zu ihm nicht auf, er nimmt das andere ... als das andere von sich an. Er kann und will es ... in dem annehmen, wodurch es von ihm verschieden ist, in seiner Nicht-Göttlichkeit, in seiner Menschlichkeit und Weltlichkeit als solcher. ... Die Annahme durch Gott ist deshalb ursprünglich eine Freigabe ... ins Selbständige des Nicht-Göttlichen, als das er es annehmen will."98 Damit erst erscheint die Welt ganz weltlich und Gott ganz göttlich.
94 93 96 97 98
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Zur Theologie der Welt, Mainz-München 1968, 16f. Vgl. ebd., 18. Ebd Vgl. ebd., 20. Ebd., 23.
Im Gegensatz zu dieser für das Christentum signifikanten 'Weltlichkeit der Welt' und 'Göttlichkeit Gottes' steht die mythische Weltdeutung der griechischen Antike. Sie ließ, weil ihr die Vorstellung eines transzendenten Schöpfergottes fehlte und ihre Götter niemals göttlich waren, die Welt nicht weltlich sein. Das Göttliche selbst war "immanentes Regulativ des Kosmos", "Element der Welt-Anschauung", nicht aber das schöpferische Gegenüber der Welt. Gegen diese divinisierte Natur und die ihr entsprechende unvermittelte Weltfrömmigkeit setzte das Christentum die entzauberte Welt. Fruchtbar wurde diese Freisetzung der Welt in ihre eigentliche Weltlichkeit nach Metz erst in der neuzeitlichen Säkularisierung. "Die Welt wird nun universal in das eingesetzt, als was sie durch die Inkarnation verschärft erscheint: in Weltlichkeit."99 Für den zu diskutierenden Zusammenhang ist es besonders von Interesse, den christlich initiierten Verweltlichungsprozeß der Welt in der Neuzeit am Beispiel der Versachlichung der Natur nachzuzeichnen. Die Entzauberung der "Mutter Erde" hat die Tabus menschlichen Eingreifens aufgehoben und sie zum Experimentierfeld werden lassen. Mit dieser Freigabe in ihre weltliche Weltlichkeit ist sie frei für den Erkenntnisdrang des Menschen, sie ist, was sie ist: "eben nicht Gott, sondern von Gott geschaffene Natur, in eigene Gesetzlichkeiten hinein ... entlassen, die dem methodisch-forschenden Zugriff des Menschen und seiner aktiven Manipulation offenstehen. ... Das Christentum hat aus sich selbst auch ... den sachlich-zweckhaften Hinblick auf die Natur ermöglicht und so eigentlich erst jenes Abenteuer des neuzeitlichen Geistes in Gang gebracht, in dem die Natur zum 'Werk' wird, in welchem der Mensch die Welt universal besetzt und sie ganz erscheint als Material seiner Hände, so daß gleichsam alles im Welthorizont Gegenwärtige mehr und mehr unter der totalen Überblendung vom Menschen her steht und alles sich als unmittelbar von ihm abkünftig zeigt."100 In der eben beschriebenen Erfahrung der weltlichen Welt wird der Umschlag von ihrer Divinisierung zu ihrer Hominisierung ansichtig. Die Welt ist dem Menschen verfügbar, sie ist das Material seines freien Selbstvollzugs vor Gott. Bewußt wird diese im Christentum angelegte "anthropologische Spitze" der Welt erst mit der Neuzeit101, in welcher der Mensch sich als "Welt-Subjekt" verstehen lernt. Eingebunden ist der Wan99 100 101
Ebd., 31. Ebd., 33f. Ebd., 48.
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dei im Selbstverständnis des Menschen in eine grundlegende Umorientierung des Denkens "von der Welt zum Menschen, von der Natur zur Geschichte, von der Substanz zum Subjekt und seiner freien Subjektivität,... von einer mehr "kosmozentrischen' zu einer mehr 'anthropozentrischen' Denkform".102 Seitdem die undurchschaubare Souveränität der Welt entzaubert, sie also weltlich geworden ist, erlebt der Mensch die reale Tat seiner Weltgestaltung, sein wirkmächtiges Geschichtshandeln an der ihm unterworfenen Natur. "Der Mensch ... weiß sich immer mehr der umschließenden Einheit einer vorgegebenen Natur entnommen, erfährt sich als ihr gegenüberstehendes aktives Natur-Subjekt, das nun planend und verändernd in diese Natur eingreift, um aus ihr allererst Welt aufzubauen. Der Mensch versteht sich im Verhältnis zur Natur gleichsam als Demiurg, als Weltbaumeister, der aus dem Stoff dieser Natur sich seine Welt schafft, Welt des Menschen, hominisierte Welt. ... Was uns heute zunächst und unvermittelt aus der Welt entgegenleuchtet, sind nicht die vestigia Dei, ... sondern die vestigia hominis."1" Die Weltlichkeit der Welt als Folge des Christentums zu bewerten, hat für Metz iliren Gmnd in der Menschwerdung Gottes. Dadurch nimmt Gott die Welt in ihrer Nicht-Göttlichkeit an und befreit sie zu ihrem eigentümlichen Weltsein. Allerdings geschieht die Weltwerdung der Welt durch die Mensch-Werdung Gottes in Jesus Christus, womit die anthropologische Hinkehr der Welt sichtbar wird. Gott wird nicht Welt, sondern Mensch, um dadurch die Welt in ihrer Weltlichkeit anzunehmen. Unterscheiden sich die theologischen Entwürfe von Gogarten und Metz nicht nur, aber vor allem in dem Gmnd, den sie jeweils für eine positive Bewertung der Säkularisiemng durch das Christentum angeben, so ist ihr Grundanliegen doch ein gemein102 103
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Ebd., 52. Ebd., 55 Die Zuversicht, daß der Mensch in rechter Verantwortung von seinen Zugriffsmöglichkeiten auf die 'weltliche Welt' Gebrauch macht, durchstimmt auch die in die Form rhetorischer Fragen gekleideten möglichen Gefahren "Ist dies aber eine legitime Interpretation der neuen Welterfahrung? Zeigt sie im Grunde nicht auch etwas ganz anderes..., die Erfahrung, daß dem Menschen die von ihm verfügte Welt immer auch wieder ins Unverfügbare einer dunklen Zukunft verschwindet? Öffnet sich nicht im Hintergrund der hominisierten, scheinbar schicksallos gewordenen Welt der Technik ein je neues Land des Schicksals, die Unheimlichkeit einer Weltzukunft, die für uns um so bedrängender und unentrinnbarer geworden ist, als uns aus ihr nicht eigentlich die unberechenbare Willkür der Natur, sondern die Unüberschaubarkeit unserer eigenen Freiheit anblickt, die sich an dieser hominisierten Welt universal ins Werk gesetzt hat?" (ebd , 67).
sames, die Weltlichkeit der Welt als genuin christlichen Gedanken zu prägen.104 Resümierend stellt Metz fest: Der "Umschlag von der divinisierten zur hominisierten Welt, von der Welterfahrung im Horizont einer umgreifenden "Natur' zur Welterfahrung im Horizont einer schöpferischen Freiheit des Menschen und die mit der Auslieferung der Welt an die menschliche Freiheit verbundene Verweltlichung der Welt" ist "nicht einfach gegen, sondern ursprünglich gerade auch durch das Christentum entstanden".105 Allerdings weisen die vor allem in der ökologischen Krise erkennbaren Negativfolgen der neuzeitlichen Fortschrittsgaranten Naturwissenschaft und Technik auf die Grenzen dieses apologetischen Bemühens hin. Wenn nämlich die im Christentum begründete 'Weltlichkeit der Welt' als die Prämisse der Fortschritts angegeben wird, läßt sich im Umkehrschluß leicht auf das Christentum als die eigentliche Ursache der ökologischen Krise folgern. Während noch vor kurzem der Vorwurf, das Christentum blockiere die modernen Entwicklungstendenzen und sei fortschrittsfeindlich, durch die Säkularisierungsthese widerlegt wurde, ist nun die Anschuldigung zu hören, es sei unkritisch der Fortschrittseuphorie erlegen. Es habe die möglichen Risiken ausgeblendet und die hybride Weltaneignung durch den Menschen begünstigt. Dagegen zeigt aber die Analyse der Fortschrittsbewertung, daß der Vorwurf nur an einige theologische Positionen, nicht jedoch an das Christentum überhaupt herangetragen werden kann. Allerdings wäre es ebenso unangemessen, daraus ableiten zu wollen, Gogarten und Metz hätten mit der Rückführung des neuzeitlichen Fortschritts auf die im Christentum gewirkte säkularisierte Welt eine Rechtfertigungsstrategie für die Ausbeutung der Natur erarbeitet.
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Einen guten Überblick über die Ausfaltung der Säkularisierungsthese bietet Manfred Kessler, 'Kritik des säkularisierungsgeschichtlichen Denkmodells. Auseinandersetzung mit der Säkularisierungstheorie Friedrich Gogartens und ihrer sozialethischen Rezeption', Erlangen 1972, bes. 12-50. Vgl. ebenso Hermann Ringeling, Wenn die Kirche weltlich wird. Die sogenannte Säkularisierung des Christentums, Gütersloh 1970, bes. 22-47. Ebd., 58.
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5.3.2 Texte des kirchlichen Lehramtes Vermitteln sowohl die Apologetik des 19. Jahrhunderts als auch die hauptsächlich in den sechziger Jaliren des 20. Jahrhunderts diskutierten Säkularisierungsthesen je auf ihre Weise den Eindmck, daß es dem Christentum wesenseigen sei, sich als Fortschrittsprinzip zu verstehen, bleibt zu prüfen, ob die Texte des kirchlichen Lehramtes dieses Bewußtsein widerspiegeln. Entsprechend den beiden Vorgaben, Apologetik einerseits und Säkularisierungsthesen andererseits, hat die Durchsicht der lehramtlichen Dokumente zwei Akzentuierungen vorzunehmen. Zunächst interessiert die kirchliche Reaktion auf das Fortschrittsdenken im vorigen Jahrhundert, das wenigstens dem Grundempfinden nach vom Glauben an den unbegrenzten Fortschritt menschlicher Perfektibilität bestimmt war. Dabei scheint eine eher fortschrittsbejahende Position ebenso denkbar wie eine kritische oder gar ablehnende. Während erstere sowohl das Bemühen, die moderne Fortschrittsidee in theologische Konzepte zu integrieren wie auch das ausdrückliche Bekenntnis für sich hat, das Christentum, naherhin die katholische Kirche, sei das Prinzip des Fortschritts, läßt sich aus der Apologetik auch das Gegenteil folgern. In diesem Sinne kann man das Fortschrittsbekenntnis des Christentums als Abwehrreaktion gegen Vorurteile deuten, welche das Christentum als Hemmnis des Fortschritts benennen. Darüber hinaus konzentriert sich ein nächster Gedankenkomplex auf die Aussagen des Lehramtes, die zeitlich parallel zur Diskussion um die Säkularisierungsthesen gemacht wurden, und sucht nachzufragen, ob sich darin Spuren eines solchen Argumentierens finden.106 Bezeichnend für die Auseinandersetzung des kirchlichen Lehramtes mit dem Fortschrittsdenken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der kritische Verweis auf den liberalen Zeitgeist und seine Gefährdungen. 1831 faßt Papst Gregor XVI. in der Enzyklika 'Mirari vos' diese Ablehnung programmatisch in den Satz: "Unrecht, unverschämte Wissenschaft, zügellose
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Als Textgrundlage hierzu eignen sich die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums 'Gaudium et spes' (GS 1965) und die Sozialenzyklika 'Populorum Progressio' (PP 1967). Neben diesen Schwerpunkten werden weitere lehramtliche Dokumente kommentiert, sofern sich in ihnen eine neue Facette des kirchlichen Verständnisses vom Fortschrittsdenken der Neuzeit findet, so daß sich auch ein Blick auf mögliche Veränderungen und Differenzierungen in der jeweiligen Bewertung des Fortschritts eröffnet
Freiheit feiern Siege."'07 Obgleich damit der Liberalismus überhaupt und insbesonders die vorausgegangenen Bestrebungen ultramontaner Gmppen, die Kirche mit den Prinzipien der französischen Revolution auszusöhnen und den Forderungen nach Anerkennung der Gewissens- und Kulmsfreiheit, der Pressefreiheit, der Erziehungsfreiheit sowie dem Recht auf freien intellekmellen, moralischen und industriellen Zusammenschluß Durchsetzung zu verschaffen, verurteilt wurden, trifft dies indirekt auch den modernen Fortschrittsbegriff.108 Alle Neuerungen, besonders im Bereich der Naturwissenschaften und Technik, wo die Kirche am ehesten wahrnimmt, daß sie ihre ursprüngliche Wissenschaftsautorität verliert, stehen zunächst unter dem Verdikt, Resultat des verwerflichen Zeitgeistes zu sein und die kirchlich gesicherte Ordnung auszuhöhlen, weshalb ihnen ablehnend begegnet wird. Freilich will das Lehramt, daß die Menschen an stets besseren Lebensbedingungen partizipieren und sie in "wahrem und dauerhaftem und ruhigem Wohlstand" leben können1». Dennoch vertraut das Lehramt darauf, daß dieses Ziel durch Festhalten an der traditionellen statischen Ordnung zu erreichen sein wird und nicht durch Annäherung an den Zeitgeist. Ist damit bereits die Richtung angedeutet, in welcher sich das Urteil über den modernen Fortschrittsbegriff bewegt, ist es notwendig, auf zwei weitere Faktoren aufmerksam zu machen, die unter dem Pontifikat Pius' IX. (18461878) Einfluß auf die Bewertung nehmen. Neben den mit zunehmender Heftigkeit ausgetragenen Querelen um liberale Strömungen in der Kirche, die sich mit den Namen Montalembert und Döllinger verbinden, weiß sich das Lehramt durch die evolutionsbiologischen Erkenntnisse in seiner wissenschaftlichen Kompetenz untergraben. Dies sucht es durch die Herauskehr seiner theologischen und philosophischen Autorität zu kompensieren. Außerdem prägt das Erleben der modemen Fortschrittsidee als politisches Programm zur gewaltsamen Einigung Italiens, das sich unter anderem auch in Klosterauflösungen und Schließung kirchlicher Schulen konkretisierte, die Position des Lehramtes. Unter diesem Eindmck heißt es in dem Rundschreiben 'Qui pluribus' aus dem Jahr 1846: "Jene Feinde der göttlichen Offen-
Emil Marmy, Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau - Dokumente, Freiburg 1945, Nr. 6. Vgl dazu die Ausführungen bei Pius Karpf, Fortschritt und Kirche Die Stellung des kirchlichen Lehramtes zum wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Fortschritt, Köln-Bonn 1974, 29 Mirari vos, zit. nach Emil Marmy, Nr. 24.
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barung, die den menschlichen Fortschritt so hoch anschlagen, wollen nun versteckterweise diesen Fortschrittfrevelhaftin die katholische Religion einfuhren, als ob die Religion selbst nicht Gottes-, sondern Menschenwerk oder ein philosophisch Erdachtes wäre, das sich auf menschliche Weise vervollkommnen läßt.""0 Wie bereits dies ein Schritt zum 'Syllabus' ist, so erst recht die Ansprache im geheimen Konsistorium (1862), welche die dem liberalen Zeitgeist und der modernen Fortschrittsidee zugewandten theologisch-philosophischen Irrtümer verurteilte."1 Der 'Syllabus errorum' (1864) selbst bündelt diese in den Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeist gewonnenen Negativeindrücke und präsentiert sich so, daß diejenigen, welche die Kirche schon längst als fortschrittsfeindlich bezichtigten, endlich den Beweis dafür hatten. Daß eine solche Schlußfolgerung gezogen werden konnte, hat wohl zwei Gründe: Zum einen ist der Syllabus seiner Form nach eine Zusammenstellung von kirchlichen Dokumenten, die zu verschiedenen Anlässen gegen die Irrtümer des Zeitgeistes Stellung bezogen haben. Verzerrt bereits diese kontextlose Aneinanderreihung, so kommt zweitens erschwerend hinzu, daß sich keine begriffliche Differenzierung findet, was denn eigentlich unter Fortschritt verstanden werden soll. Unbedacht bleibt femer, daß sich mit diesem Programmwort jeweils auch spezifische Assoziationen in den verschiedenen Ländern Europas verbinden. Dies hat zweifellos dazu beigetragen, "daß es die herrschende Ansicht wurde, Fortschritt ganz allgemein, und damit auch der technische Fortschritt, sei unter das Verdikt des Lehramts gefallen"."2 Indirekte Wirkung auf das lehramtliche Verständnis des Fortschrittsbegriffs hat die Konstitution 'Dei Filius' des Ersten Vatikanums, die zum Verhältnis von Glauben und Wissen erklärte, der Glaube stehe über der Vernunft, wobei sich beide nicht widersprechen, sondern sich gegenseitig ergänzen und befruchten."3 Problematisch ist allerdings die unspezifische Nennung von 'Wissenschaft', so daß offenbleibt, ob damit auch die Naturwissenschaften gemeint sind oder nur solche Disziplinen, welche dasselbe Materialobjekt haben wie die Theologie. Jedenfalls bleibt nach diesem Überblick festzuhalten: "Das Lehramt hat immer den Vorwurf zurückgewie-
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Zit. nach NR, Nr. 8. Vgl. dazu Pius Karpf, 33. Ebd., 36f. Vgl. NR, Nr. 31-44.
sen, daß es dem Fortschritt feindlich gegenüberstehe ..., es hat für sich beansprucht, daß die Kirche, die Trägerin des 'wahren' Fortschritts war und immer noch ist. Auf der anderen Seite verurteilte es die falschen Fortschrittstheorien, die allenthalben gepredigt wurden. ... Hätte das Lehramt immer genügend spezifiziert, wo es den berechtigten Fortschritt sieht ..., hätten das Ja und das Nein gut nebeneinander stehen können."1" Ambivalente Folgen zeigte die Fortschrittsdynamik vornehmlich im Bereich der Wirtschaft. Während einerseits hohe Wachstumsraten, Kapazitätssteigerung und effiziente Maschinisierung die Menschen von der Machbarkeit des Fortschritts überzeugten, führte diese Entwicklung andemteils zum Pauperismus. Das liberalistische Wirtschaftssystem hatte keinen Platz für Marktschwache, die ohne jegliche soziale Absicherung in die Armut absackten, so daß sich eine tiefe Kluft zwischen Armen und Reichen auftat. Auf eindringliche Weise machten diese in der 'sozialen Frage' zentrierten gesellschaftspolitischen Konflikte sichtbar, daß der Fortschritt nur dann zu einer gesamtgesellschaftlichen Verbesserung führt, wenn er durch soziale Gerechtigkeit abgestützt wird, wie es sowohl die sozialistischen Bewegung als auch engagierte Vertreter der Kirche forderten. In diesem sozial problematischen Kontext ist das Rundschreiben Papst Leo XIII. über die rechte Staatsordnung 'Immortale Dei' (1885) angesiedelt, das zur Bewertung des Fortschritts festhält: "Die Haltung der Kirche bleibt sich also immer gleich, wenn sie einerseits maßlose Freiheit zurückweist, ... andererseits aber bereitwillig jeden Fortschritt freudig begrüßt, falls dieser das irdische Leben wirklich zu fördern vermag, das gleichsam nur eine Zwischenstufe zu einem anderen, und zwar ewigen Leben ist. ... Was ... durch Forscherarbeit an Wahrheit errungen wird, das anerkennt die Kirche als Spur des göttlichen Geistes, weil ja alles Wahre notwendigerweise von Gott ausgeht. Und da es keine natürliche Wahrheit gibt, die den göttlich geoffenbarten Lehren widerspricht ..., da femer jeder Fortschritt in der Erforschung der Wahrheit uns anspornt, Gott selbst zu erkennen und zu loben: deshalb wird die Kirche alles, was irgendwie beiträgt zur Erweiterung unseres Wissens, stets mit Beifall und Freuden aufnehmen. Und wie die anderen Zweige der Wissenschaft, so wird sie auch jene begünstigen ..., deren Zweck die Erforschung der Natur ist. Findet der Verstand bei diesen Studien etwas Neues, so hat die Kirche
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Pius Karpf, 39.
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nichts dagegen. Sie verhindert nicht die Forschungen, welche die Verfeinerungen und Bequemlichkeit des Lebens zum Ziele haben.""5 Entscheidendes Gewicht kommt der Herauskehr des 'wahren Fortschritts' zu, dessen Kennzeichen es ist, das irdische Leben in seiner Vorläufigkeit und eschatologischen Ausrichtung anzuerkennen und mit dieser Perspektive für eine umfassende Verbesserung der Lebensbedingungen zu sorgen. Papst Leo XIII. deutet gegenüber seinen Vorgängern erstmals die Vielfältigkeit des Fortschrittsbegriffs auf den Ebenen der Naturwissenschaften, der Technik und auch der Wirtschaft an und bringt sie in Beziehung zu Gott, von dem alles Wahre ausgeht. Das Prinzip des Fortschritts ist Gott, der sich in der Erforschung der Wahrheit selbst zu erkennen gibt, wenngleich diese Gedanken nicht schon als theologische Interpretation des modernen Fortschrittsbegriffs bewertet werden sollten."6 Wie wenig die Eigenwertigkeit des Fortschritts akzeptiert war, zeigen gerade die lehramtlichen Dokumente unter Papst Pius X. (1903-1914). Wenn er gemäß seinem Leitwort, alles in Christus wiederherzustellen (Instaurare omnia in Christo), auch das Engagement der Christen in der Welt fordert, so sind diese Bemühungen um den Fortschritt lediglich von geringer Bedeutung im Vergleich zum Nutzen für die Kirche, die allein das eigentliche Prinzip des Fortschritts genannt werden kann. Fortgesetzt wird diese restriktive Position in der Bewertung des Fortschritts auch bei Papst Benedikt XV., dessen Pontifikat in die schwierige Zeit des Ersten Weltkrieges und die Jahre des Wiederaufbaus bis hin zur wirtschaftlichen Rezession der zwanziger Jahre reicht. Haben diese Erfahmngen an sich schon den Glauben an den Fortschritt desillusioniert, benennt das Lehramt die Machtanmaßung und stete Begierlichkeit des Menschen als Wurzeln
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Zit. nach Emil Marmy, Nr. 895 In der mit der sozialen Frage befaßten Enzyklika 'Rerum Novarum' (1891) ist zum Verständnis des Fortschritts gesagt: "Es war der Einfluß und das Walten der Kirche, wodurch die bürgerliche Gesellschaft von Grund auf erneuert wurde, die höheren sozialen Kräfte, die ihr eigen sind, haben die Menschheit auf die Bahn des wahren Fortschritts erhoben, ... sie haben durch die christliche Erziehung der Völker eine Entwicklung herbeigeführt, welche alle früheren Kulturformen weit übertrifft und in alle Zukunft nicht durch eine andere übertroffen werden wird" (RN 22).
dieses Übels, womit indirekt auch das Fortschrittsverständnis getroffen ist."7 Lediglich peripheres Interesse an der Auseinandersetzung mit den Errungenschaften des Fortschritts in den Bereichen Wissenschaft, Technik und Wirtschaft bringt Papst Pius XI. (1922-1939) auf, der in seinem Schreiben 'Caritate Christi compulsi' (1932) ähnlich wie Papst Leo XIII. sagt: "Der Schöpfer des Weltalls selbst hat ja in die Herzen der Sterblichen einen sehr starken Trieb nach einer gewissen der Würde des Menschen entsprechenden Glückseligkeit hineingelegt, die sie auch auf der Erde erreichen möchten. Deshalb hat das Christentum rechtmäßige Bestrebungen für den Fortschritt wahrer Wissenschaft und für die Vervollkommnung des Menschen auf gottgewolltem Wege stets wohlwollend anerkannt und sehr tatkräftig unterstützt.""8 Zu einer Anerkenntnis des Eigenwertes modernen Fortschritts konnte auch er sich nicht durchringen. Sich auf diesem Weg voranzutasten, wird erst das Denken seines Nachfolgers, Papst Pius XII. (1939-1958), bestimmen. Bei ihm kommt der Fortschritt als wirkmächtige Konstante des modernen Lebens in den Blick, wie seine Osterbotschaft aus dem Jahr 1957 exemplarisch belegt. Dort schreibt er: Es "mehren sich in der Welt segenbringend die Mittel zu einer volleren freieren Entfaltung des Lebens. Während die Entdeckungen der Wissenschaft die Grenzen menschlicher Möglichkeiten erweitem, machen Technik und Organisation jene Errungenschaften wirksam und stellen sie in den unmittelbaren Dienst des Menschen.""9 Fortschritt ist nicht bloß ein in der Wirklichkeit vorkommendes Faktum, das als solches von der Kirche zur Kenntnis genommen werden muß. Vielmehr wird der Fortschritt in seinem Eigenwert für gut geheißen. "Die wissenschaftliche Erkenntnis hat ... ihren Eigenwert, und zwar einen solchen, der nicht gering anzuschlagen ist, und dies ganz abgesehen von der Verwendbarkeit und Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse."120 Diese Berechtigung des Fortschritts an sich wird auch nicht zurückgenommen, wenn Pius XII. an-
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Vgl hierzu die Enzyklika 'Ad Beatissimi' aus dem Jahr 1914, in: AAS VI (1914) 630-646, bes. 638f, wobei der irdischen Wirklichkeit als ganzer das Prägezeichen der Nichtigkeit anhaftet Zit nach Emil Marmy, Nr. 738 Zit. nach: Arthur F. Utz/Franz Groner (Hg), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens - Soziale Summe Pius' XII, Freiburg 1954 (3 Bde), Nr. 4688 Ansprache von Papst Pius XII vor dem Internationalen Kongreß für Histopathologie des Nervensystems vom 13.9 1952, in: Ebd., Nr 2257.
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demteils darauf aufmerksam macht, daß zur Beurteilung seines Wertes bedacht werden muß, welche Motivation und Zielsetzung sich mit ihm verbinden. Jede Errungenschaft des Fortschritts kann freilich zum Segen oder Fluch verwendet werden, wie am Beispiel der Technik erläutert wird: "Von Natur ein Geschenk Gottes, wird die übermächtige heutige Technik in den Händen von gewalttätigen Menschen ... ein furchtbares Werkzeug von Ungerechtigkeit. ... Wird sie dagegen von einer menschlichen Gesellschaft, die Gott fürchtet, seine Gebote erfüllt und die geistigen, sittlichen und ewigen Werte unvergleichlich höher als die materiellen schätzt, gehalten und geleitet, so kann sie jene Wohltaten spenden, zu denen sie nach den Plänen des Schöpfers bemfen ist."121 Überdies darf nicht in Vergessenheit geraten, daß der Fortschritt selbst sowohl positiven wie negativen Einfluß auf den Menschen haben kann, indem er ihn entweder zu Gott führt, von dem er ursprünglich kommt, oder aber zu Mißbrauch verführt.122 Kriterium dafür, ob der Fortschritt nun in die eine oder andere Richtung beurteilt werden soll, ist der Mensch: "In jeder geschichtlichen Wende und Wandlung bleibt das Ziel alles gesellschaftlichen Lebens stets in unveränderter, heiliger Verbindlichkeit: Entfaltung der Persönlichkeitswerte des Menschen als des Ebenbildes Gottes."125 Herausforderung des Christen ist es in der Linie dieser Gedankenführung, am Fortschritt so mitzuwirken, daß dieser tatsächlich dem Menschen dient und seine Herkunft und Zukunft in Gott offenkundig wird.'" Gerade die Bewußtmachung dieses Kriteriums läßt dann auch nicht blind gegenüber den Gefährdungen des Fortschritts werden, redet sich der Mensch doch nur allzu leicht ein, er allein könne den Fortschritt ins Unermeßliche steigern. "Dieser Mensch neigt unter dem Eindmck des Wachsens seiner Macht dazu, seine eigene Größe an der Macht seiner Instrumente, seiner Organisationen, seiner Waffen, an der Genauigkeit seiner Berechnungen, an der Zahl seiner Produkte, an der Entfernung, die er mit seinem Wort, seinem Blick, seinem Einfluß erreichen kann, zu messen: dieser Mensch, der ... alles wagt; den seine schrankenlose Kühnheit
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Ansprache vom 12.9 1948 an die Katholische Aktion Italiens, in: Ebd., Nr. 339. Vgl. dazu etwa die Weihnachtsbotschaft 1953, in: Ebd., Nr. 658. Weihnachtsbotschaft 1942, in: Ebd., Nr. 234. Vgl dazu die Ansprache an das Patriziat von Rom am 19.1.1944, in: Ebd., Nr. 1241 oder seine Rede an das Kardinalskollegium vom 2.6.1947, in: Ebd., Nr. 548.
treibt, der Natur ihr letztes Geheimnis zu entreißen, ihre Kräfte seinem Willen zu unterwerfen."125 Bemaß sich schon bei Papst Pius XII. die Beurteilung des Fortschritts danach, inwiefern er auf die Entfaltung der Personwürde des Menschen als Ebenbild Gottes ausgerichtet ist, präzisiert Papst Johannes XXIII. (19581963) dies in der Option, der Fortschritt müsse in dierichtigeWerthierarchie eingeordnet sein.'26 Ein Hinweis, was unter der richtigen Hierarchie der Werte zu verstehen sei, läßt sich aus "Mater et Magistra' (MM 215) entnehmen. Dort ist ausgesagt, daß der technische und wirtschaftliche Fortschritt nur dann Frieden und Gerechtigkeit herbeiführen kann, wenn die Menschen ihre "Würde als Geschöpfe ... und Kinder Gottes" anerkennen. "Losgelöst von Gott, wird der Mensch sich selbst und den Mitmenschen zum Ungeheuer", denn allein in Gott hat die sittliche Ordnung ihren Bestand (MM 208). Der Mensch muß "Träger, Schöpfer und das Ziel" sein, damit der Fortschritt gutgeheißen werden kann. "Und zwar der Mensch, sofem er von Natur aus auf das Mit-sein angelegt und zugleich zu einer höheren Ordnung bemfen ist, die die Natur übersteigt und diese zugleich überwindet" (MM 219). Gerät diese Rückbindung des Fortschritts an die Anerkenntnis der "Autorität Gottes, des Schöpfers und Lenkers des Menschen und der ganzen Welt" aus dem Lot (MM 209), kehrt sich der Fortschritt zum Verderben. "Und mit Schrecken nehmen die Menschen wahr, wie die durch technische Mittel freigelegten Kräfte zwar dem Fortschritt dienen, nicht minder aber auch zum Verderben der Menschen fuhren können. Darum mögen sie beherzigen, daß geistige und sittliche Werte vor allem anderen den Vonang haben müssen, soll der wissenschaftliche und technische Fortschritt nicht zur Vernichtung des Menschen fuhren, sondern dem kulturellen Aufstieg dienen" (MM 210). Von einer umfassenden theologischen Reflexion auf das Phänomen des Fortschritts zu sprechen127, berechtigt erst die Pastoralkonstitution des
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Weihnachtsbotschaft des Jahres 1955, in: Ebd., Nr. 6340-6374, hier: 6342. Sowohl 'Mater et Magistra' als auch 'Pacem in terris' gehen in ihrer Bewertung des Fortschritts nicht über die Ausfuhrungen von Papst Pius XII hinaus Sie sind lediglich Ergänzungen, ohne jedoch einen neuen Akzent zu setzen. Pius Karpf hält es sogar für angebracht, von einer "Theologie des Fortschritts" zu sprechen, vgl dazu seine bereits zitierte Studie, Fortschritt und Kirche, 99 Ursula Nothelle-Wildfeuer meint eine "Theologisierung des Fortschrittsdenkens" zu erkennen, vgl. Kirchliche Sozialverkündigung und Moderne. Vernunft - Freiheit -
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Zweiten Vatikanums, 'Gaudium et Spes' (GS) - Über die Kirche in der Welt von heute (1965). Herausgefordert durch die in nahezu allen Bereichen erfahrbare Realität des Fortschntts sucht die Konstitution im Dialog mit der Welt zu einer differenzierten Sicht der "Gesamtheit der Wirklichkeiten" zu kommen (GS 2) und demgemäß die Vielgestaltigkeit des Fortschritts zu registrieren.128 Nach den "Zeichen der Zeit" forschend wird die Dynamik der gesamten Wirklichkeit als Konstitutivum der Welt von heute anerkannt (GS 4), das auch in die Bewertung des Fortschritts hineinwirkt. "Mit ungewöhnlichem Erfolg" habe der Mensch "besonders die materielle Welt erforscht und sich dienstbar gemacht", heißt es in GS 15 über den Fortschritt der Wissenschaften. Doch der Mensch konnte nicht nur sein Wissen um die Welt steigern und Nutzen daraus ziehen, sondern ebenso auch die Kenntnis von sich selbst: "In ihrem Fortschritt geben Biologie, Psychologie und Sozialwissenschaften dem Menschen nicht nur ein besseres Wissen um sich selbst; sie helfen ihm auch, in methodisch gesteuerter Weise das gesellschaftliche Leben unmittelbar zu beeinflussen" (GS 5). Der technische Fortschritt wird vorab in seiner stets wachsenden Bemächtigung der Natur und in seiner Wirkung, das "Antlitz der Erde" umzuformen thematisiert (GS 5), während der wirtschaftliche Fortschritt die "steigende Dichte und Gewichtigkeit der Beziehungen und wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen, der Gmppen und der Völker sowie ... das immer häufigere Eingreifen der öffentlichen Gewalt" zu bedenken gibt (GS 63). Wenn diese knappe Bestandsaufnahme des Fortschritts zwar eingesteht, daß die Menschheit noch niemals "über so viel Reichtum, Möglichkeiten und wirtschaftliche Macht" verfügte, und die Errungenschaften des Fortschritts würdigt (GS 4), so wird andemteils das Unbehagen, das sich mit dieser Entwicklung verbindet, nicht geleugnet: "Betroffen von einer so komplexen Situation, tun sich viele unserer Zeitgenossen schwer, die ewigen Werte recht zu erkennen und mit dem
Fortschritt, in: Thomas Hausmanninger (Hg), Christliche Sozialethik zwischen Moderne und Postmoderne, Paderborn ua 1993, 17-42, 22. Zum Gebrauch des Fortschrittsbegriffs in 'Gaudium et Spes' notiert Franz-Josef Bäumer, Fortschritt und Theologie. Philosophische und theologische Überlegungen zum Fortschrittsglauben, Frankfurt a.M 1985, 80: "Die Konstitution verwendet einen Fortschrittsbegriff, der sich auf alle Bereiche menschlichen Handelns bezieht: Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sowie auf das spezielle Problem der Entwicklungshilfe. Er wird gesehen als zunehmende Befreiung von der äußeren und inneren Natur ... des Menschen. Er wird als vom Subjekt Mensch initiierter gedacht, aber auch als dynamische Eigenbewegung gesehen."
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neuen ... zu einerrichtigenSynthese zu bringen; so sind sie, zwischen Hoffnung und Angst hin und her getrieben, durch die Frage nach dem heutigen Lauf der Dinge zutiefst beunruhigt" (GS 4). Hoffnung und Angst sind demnach die Stimmungen, die sich mit dem Fortschritt verbinden und es aufgeben, ein Kriterium für seine Berechtigung zu finden. In der Reflexion, daß der Fortschritt immer schon Ausdruck menschlichen Schaffens ist und ihm damit ein positiver Wertbezug auf den Menschen hin eignet, wird er gutgeheißen. Denn "das persönliche und gemeinsame menschliche Schaffen, dieses gewaltige Bemühen der Menschen im Lauf der Jahrhunderte, ihre Lebensbedingungen stets zu verbessern, entspricht als solches der Absicht Gottes. Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkenntnis Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen" (GS 34). Obgleich der Fortschritt ein "großes Gut für den Menschen" ist (GS 37) und ihm neue Wege zur Wahrheit erschließt (GS 44), kann er sich ins Gegenteil verkehren, sobald ihm die irdischen Wirklichkeiten sein eigentliches Ziel, die Hinordnung auf den Menschen, verstellen (vgl. GS 19). Dann vergißt der Mensch auf seine transzendente Bestimmung (vgl. GS 57), bis er schließlich dem Diktat seiner eigenen Macht verfallen ist (vgl. GS 63). Wie der Fortschritt bewertet werden soll, hängt davon ab, auf welche Weise der Mensch von seiner Macht Gebrauch macht, womit erneut die Frage nach der rechten Hierarchie der Werte tangiert ist. In Übereinstimmung sowohl mit Pius XII. als auch mit 'Mater et Magistra' formuliert die Pastoralkonstirution: "Alles auf Erden" muß "auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hingeordnet werden" (GS 12), die "Ordnung der Dinge muß der Ordnung der Personen dienstbar gemacht werden und nicht umgekehrt" (GS 26). Dieser Zusammenhang, daß der Fortschritt nur vom Menschen her seinen Sinn bekommt, läßt sich auf den Nenner bringen: Immer dann, wenn der Mensch "Urheber, Mittelpunkt und Ziel allen Geschehens" ist (GS 63), wird der Fortschritt gutgeheißen. Mag es bisweilen irritieren, den Menschen als Kriterium des Fortschritts zu bezeichnen, so ist zu bedenken, daß der Mensch im Licht der biblischen Anthropologie als Ebenbild Gottes und als solches mit der Henschaft über
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die Welt betraut gesehen wird.129 Das schöpferische Handeln des Menschen spiegelt seine Anteilhabe an Gottes Schöpfungsvollmacht wider und läßt den Fortschritt, dessen unbedingte Voraussetzung es ist, zur Verwirklichung des dominium tenae werden (vgl. GS 53). Damber hinaus ist die Freiheit des Menschen wichtigstes Implikat seiner Gottebenbildlichkeit, woraus in bezug auf den Fortschritt folgt, daß der Mensch über seinen rechten Gebrauch entscheidet. Ebenso wie der Fortschritt ein dem Menschen förderliches Gut sein kann, besteht die Möglichkeit zur Sünde, was den Gegenpart zu einer einseitig optimistischen Wertschätzung bildet (vgl. GS 13; 37). Dieser Versuch einer anthropologischen Annäherung findet seine Bestätigung in Jesus Christus, der in vollkommener Weise das Bild Gottes ist (vgl. GS 12). Mit ihm ist die Fülle der Erlösung geschenkt und die Gabe, die Welt im Gebot der Liebe umzugestalten: "Durch seine Auferstehung zum Herrn bestellt, wirkt Christus ... schon durch die Kraft seines Geistes in den Herzen der Menschen dadurch, daß er nicht nur das Verlangen nach der zukünftigen Welt in ihnen weckt, sondern dadurch eben auch jene selbstlosen Bestrebungen belebt, reinigt und stärkt, durch die die Menschheitsfamilie sich bemüht, ihr eigenes Leben humaner zu gestalten und die ganze Erde diesem Ziel dienstbar zu machen" (GS 38). Alles in Christus, dem Mittelpunkt der Menschheit, zusammenzufassen, ist dann auch Aufgabe, welcher der Fortschritt zugetan sein muß (vgl. GS 45). Die Welt ist aber nicht nur der Ort der Menschwerdung Gottes und der Erfüllung des Henschaftsauftrages des Menschen als Ebenbild Gottes, sie ist auch der Ort, in dem die Kirche lebt und wirkt (vgl. GS 4). Allein darum ist der Fortschritt nicht belanglos für die Kirche, die sich nicht nur zu einer wertenden Stellungnahme herausgefordert weiß, sondern sich seiner auch als Mittel ihres Auftrages bedient (vgl. GS 44). Wesentlicher hingegen ist die in die Eschatologie hineinreichende Frage, in welchem Verhältnis der irdische Fortschritt zum Reich Gottes steht. Dazu sagt GS 39: "Obschon der irdische Fortschritt eindeutig vom Wachstum des Reiches Christi zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann." Ohne von einer Identität sprechen zu können, vermag der irdische Fortschritt eine "umrißhafte Vorstellung der künftigen Welt" zu geben, in welcher der Mensch seine Werke "gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt" wiederfinden wird. "Die Erwartung der neuen Erde darf die Sorge für die Gestaltung dieser Erde 129
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Vgl dazu ebd, 81-88
nicht abschwächen", sie darf keine Legitimation dafür sein, sich dem Fortschritt zu verschließen, dessen "Urheber, Mittelpunkt und Ziel" der Mensch als Ebenbild Gottes ist. Welche Aufmerksamkeit das kirchliche Lehramt dem Fortschritt widmet, verdeutlicht die nur zwei Jahre nach der Pastoralkonstitution von Papst Paul VI. veröffentlichte Enzyklika 'Populorum Progressio' (1967).,5° Noch einmal wird die Anerkenntnis der "wahren Hierarchie der Werte" als Beurteilungskriterium des Fortschritts genannt (PP 18), der elementarer Baustein jeder umfassenden Entwicklung des ganzen Menschen wie der gesamten Menschheit ist (vgl. PP 14) und der erwirkt, daß "der Mensch mehr Mensch werde" (PP 19). Diese Menschwerdung des Menschen kann ausschließlich durch den wahren Humanismus erwirkt werden, "der sich zum Absoluten hin öffnet". So gewiß es auch ist, daß der Mensch ohne Gott die Erde zu gestalten vermag, so gewiß ist es, daß er sie "letzten Endes nur gegen den Menschen" formt. Denn der "in sich verschlossene Humanismus ist ein unmenschlicher Humanismus" (PP 42).,51 Richtungsweisend heißt es dann im Blick auf den Fortschritt in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft: "Jedes Programm zur Steigerung der Produktion hat nur so weit Berechtigung, als es dem Menschen dient. Es soll die Ungleichheiten abtragen, Diskriminierungen beseitigen, den Menschen aus Versklavungen befreien und ihn so fähig machen, in eigener Verantwortung sein materielles Wohl, seinen sittlichen Fortschritt, seine geistige Entfaltung in die Hand zu nehmen. Entwicklung besagt, sich den sozialen Fortschritt ebenso angelegen sein zu lassen wie den wirtschaftlichen. Es reicht nicht, den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen, um alle in angemessener Weise daran teilnehmen zu lassen. Es reicht nicht, die Technik auszubauen, damit die Erde menschlicher zu bewohnen sei. ... Wirtschaft und Technik erhalten ihren Sinn erst durch den Menschen, dem sie zu dienen haben. Und der Mensch ist nur in 130
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In einer sprachlichen Analyse von 'Fortschritt' und 'Entwicklung' ist bei der lateinischen, französischen und deutschen Textfassung festzustellen, daß innerhalb derselben Sprache für den gleichen Sachverhalt verschiedene Termini gewählt sind und daß bei einem Vergleich der einzelnen Texte zusätzlich Begriffsvertauschungen vorliegen. Das jeweils Gemeinte läßt sich daher nur im Kontext herausfinden 'Progressio' wird z.B. ab Ziff 20 als developpement/Entwicklung übersetzt, insofern der Text von der Problematik der Entwicklungsländer handelt, die den zweiten Teil der Enzyklika thematisch bestimmt. Vgl die Anmerkungen bei Pius Karpf, 84f Vgl Franz-Josef Bäumer, 103f
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dem Maß wahrer Mensch, als er, Hen seiner Handlungen und Richter über ihren Wert, selbst der Meister seines Fortschritts ist, in Übereinstimmung mit seiner Natur, die ihm der Schöpfer gegeben hat" (PP 34). Die Teilhabe des einzelnen am Fortschritt muß jedoch, wie Papst Paul VI. besonders herausstellt, rückgebunden sein an den Fortschritt der ganzen Menschheit. Es kann nicht angehen, daß infolge des Fortschritts die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden (vgl. PP 57). Alle Menschen sind zur Entfaltung ihrer Personwürde aufgerufen (vgl. PP 17), wozu ihnen die Errungenschaften des Fortschritts Hilfestellung zu leisten haben. Besonders dringlich wird die Entwicklung, daß der Fortschritt auf Kosten einzelner wie ganzer Völker geht, im Verhältnis der Industrie- und Entwicklungsländer. Diese Kluft zwischen Reich und Arm stellt für Papst Paul VI. allerdings nicht den Fortschritt an sich in Frage, sondern den Modus seiner Realisiemng, weshalb alles zu tun sei, damit der Fortschritt in Technik und Wirtschaft auf die "solidarische Entwicklung der Menschheit" hinwirke (PP 43). Nicht die Abschaffung des Fortschritts, sondern sein besseres Wirken als Ermöglichungsbedingung für das Menschsein des Menschen ist gefordert: "Manche mögen solche Hoffnungen für utopisch halten. Es könnte aber sein, daß sich ihr Realismus als irrig erweist, daß sie die Dynamik einer Welt nicht erkannt haben, die brüderlich leben will, die sich trotz ihrer Unwissenheit, ihrer Irrtümer, ihrer Fehler, ihrer Rückfalle in die Barbarei, ihres Abschweifens vom Weg des Heils, langsam, ohne sich damber klar zu sein, ihrem Schöpfer nähert. Dieser Weg zu einer größeren Menschlichkeit verlangt Anstrengungen und Opfer" (PP 79). Um dieses Programm der "größeren Menschlichkeit" zu realisieren, unterbreitet 'Populorum Progressio' eine Reihe konkreter Vorschläge, die sich in drei Leitgedanken zusammenfassen lassen: Die solidarische Hilfe für die Schwachen (PP 45-55), Recht und Billigkeit in den Handelsbeziehungen (PP 56-65) und schließlich die Liebe zu allen (PP 66-75). Für den Fortschritt läßt sich daraus folgern, daß er, orientiert an diesen Vorgaben und als unteilbares Gut aller, ein unverzichtbarer Beitrag zur größeren Menschlichkeit sein kann und im Sinne der umfassenden Entwicklung des einzelnen wie der ganzen Menschheit der "neue Name für Friede" ist (PP 76).132 132
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Wertend merkt Bäumer im Blick auf GS und PP an: Beiden Dokumenten haftet "kein blinder Fortschrittsoptimismus" an. Es geht ihnen vielmehr darum, den Menschen über die Kategorie des Fortschritts als "Subjekt seiner Geschichte in der absoluten Transzendenz Gottes begründet zu konstituieren" (ebd., 109)
Die Hoffnung auf den Fortschritt kehrt sich im Apostolischen Schreiben 'Octogesima Adveniens' (OA) aus dem Jahr 1971 in Sorge, mehren sich doch die Zeichen, daß der Mensch zum Sklaven seiner eigenen schöpferischen Kraft wird. "Mit gutem Recht kann man daher die Frage stellen, ob der Mensch nicht trotz aller Errungenschaften den Erfolg seiner Arbeit ... gegen sich selbst kehrt. Wird er nicht - nachdem er sich, wie nur recht und billig, die Naturschätze dienstbar gemacht hat, zum Sklaven seiner eigenen Erzeugnisse?" (OA 9). Anlaß zu solcher Skepsis gibt vor allem die zunehmend erfahrbar gewordene Bedrohung des Lebensraums, worüber es in OA 21 heißt: "Plötzlich wird der Mensch sich heute bewußt, infolge seiner unbedachten Ausbeutung der Natur laufe er Gefahr, diese zu zerstören und selbst zum Opfer ihrer auf ihn selbst zurückschlagenden Schändung zu werden. Aber nicht nur die stoffliche Umwelt wird zu einer Bedrohung für den Menschen, die Verschmutzung, die Abfälle, neue Krankheiten, die absolute Zerstömngsgewalt. Dasselbe gilt auch von seiner menschlichen Umgebung, die er nicht mehr meistert und die darum in Kürze zu Lebensbedingungen fuhren kann, die ihm unerträglich werden." Kritische Anmerkungen treffen auch den technischen Fortschritt, von dem gesagt wird, er beherrsche in Form eines technizistischen Positivismus schon lange das Tun des Menschen, ohne daß einmal die Frage nach seinem Sinn aufgekommen wäre (vgl. OA 29). Eine ausführliche Reflexion auf den Begriff des Fortschritts gibt OA 41, wo der Fortschritt, definiert als "Ringen des Menschen um Befreiung von naturgesetzlichen Schranken und sozialen Zwängen", eingebunden in rhetorische Fragen als "allgemeingültige Ideologie" apostrophiert wird: "Welchen Wert hat er denn eigentlich und worauf läuft er hinaus? Was bedeutet letztendlich dieses unersättliche Streben nach einem Fortschritt, der jedesmal wieder entschlüpft, wenn man ihn eneicht glaubt? Ein ungezügelter Fortschritt schenkt dem Menschen keine wahre Zufriedenheit." Noch im gleichen Jahr fordert die Römische Bischofssynode in ihrem Dokument 'De justitia in mundo' (JM) ein für alle Menschen geltendes "Recht auf Fortschritt" (JM 15), das die umfassende Entwicklung des einzelnen wie der gesamten Menschheit gewähren soll. "Echter Fortschritt ist undenkbar ohne eine Entwicklung, die ... zugleich wirtschaftliches Wachstum und Partnerschaft umfaßt, eine Wohlstandsmehrung, die zugleich sozialen Fortschritt der ganzen Volksgemeinschaft besagt" (JM 18). In diesem Sinn wird Fortschritt als Entwicklung zur größeren Menschlichkeit verstanden, die unabdingbar rückgebunden ist an ein Hinwirken auf mehr
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Gerechtigkeit in der Welt, worin die Kirche ihre besondere Herausforderung erkennt (vgl. JM 40ff) Trotz der komplexen Beschäftigung des kirchlichen Lehramtes mit der Bewertung des Fortschritts bleibt die Aussage in GS 39 interpretationsbedürftig, die es zwar nahelegt, im Fortschritt eine antizipative Verwirklichung des Reiches Gottes zu sehen, aber offen läßt, wie dieses Verhältnis zu bestimmen sei. Rückgebunden an die Aussage, daß "die Erwartung der neuen Erde die Sorge für die Gestaltung dieser Erde nicht abschwächen" dürfe, heißt es über den irdischen Fortschritt, er sei "eindeutig vom Wachstum des Reiches Christi zu unterscheiden", habe aber doch "große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann." Diese offene Lücke, wie Profan- und Heilsgeschichte, irdischer Fortschritt und Reich Gottes zueinander stehen, sucht die unter dem Titel 'Menschliches Wohl und christliches Heil' veröffentlichte Stellungnahme der Internationalen Theologenkomission vom Herbst 1976 zu schließen.135 Als Gesprächsbeitrag zur Theologie der Befreiung macht sie dieser gerade den Vorwurf, die "integrale Einheit" von Geschichte und Heil einseitig aufzulösen134. Entgegen einem solchen Mißverständnis muß in Rekurs auf die biblischen Zeugnisse des Befreiungshandelns Gottes festgehalten werden, daß die "volle Befreiung" nicht "im Verlauf der Geschichte" erfolgt. Obgleich die irdische Geschichte zu einer "neuen Erde" und zur "Stadt Gottes" hinführt, bleibt alles befreiende Tun bis zur Vollendung vorläufiges Geschick135. Und dennoch stehen menschliches Wohl und göttliches Heil, Weltgestaltung und eschatologische Vollendung, Profangeschichte und Heilsgeschichte in einem untrennbaren Zusammenhang, so daß für ihre Verhältnisbestimmung weder völlige Differenz noch völlige Identität behauptet werden kann. "Humane Aktivität und christliche Hoffnung lassen sich ... weder im Sinn einer völligen Trennung (mit einen reinen 'Diesseits' und einem ebenso abgeschlossenen 'Jenseits') noch als evolutionärer Optimismus begreifen, der Gotteshenschaft und menschliche Weltgestaltung in ihrem faktischen Verlauf einfach zur Deckung bringt."136 Vielmehr ist von einer wechselseitigen Durchdringung 133
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Menschliches Wohl und christliches Heil. Ein Dokument der Internationalen Theologenkomission zur Theologie der Befreiung, in: HerKorr 32 (1978) 24-30. Ebd., 25f Vgl. ebd., 28. Ebd.
auszugehen, die zugleich Unterscheidung und Harmonie bedeutet, wie das Dekret über das Laienapostolat des Zweiten Vatikanums 'Apostolicam actuositatem' in Ziff. 5 zum Ausdruck bringt: "Beide Ordnungen (die geistliche und die zeitliche), die man gewiß unterscheiden muß, sind in dem einzigen Plan Gottes so verbunden, daß Gott selbst in Christus die ganze Welt als neue Schöpfung wiederaufnehmen will, im Keim hier auf Erden, vollendet am Ende der Tage." Vor diesem Hintergrund kann das Weltengagement der Christen "gewissermaßen eine 'ratio constitutiva' der Verkündigung des Evangeliums" genannt werden137, wobei diese Interpretation allerdings nicht unumstritten geblieben ist und sowohl in Richtung eines integrierenden Bestandteils (pars integrans) als auch im Sinne eines wesenskonstitutiven Moments (pars essentialis) gedeutet wurde. Entscheidend ist jedoch, daß die Theologenkommission meint, in der Verhältnisbewertung von Geschichte und Heil sei die Übereinstimmung beider viel zu stark betont worden, weshalb nun ein Ausgleich geschaffen werden müsse, welcher die Differenz innerhalb der Zusammengehörigkeit herausstellt. Unabhängig davon, ob die Akzentuierung der Differenz Zustimmung findet, können irdischer Fortschritt und Reich Gottes in der Synchronität von Einheit und Differenz gedacht werden. "Einerseits ist nämlich die konkrete Geschichte in gewissem Sinne der Ort, wo die Welt so von innen her und radikal transformiert wird, daß sie bis in das Geheimnis Gottes selbst hinabreicht. ... Aber es gibt keine volle Zusammengehörigkeit, weil die eschatologische Vollendung die konkrete Geschichte auch 'aufhebt'. Andererseits kommt das Reich Gottes, welches die Geschichte führt und alle innergeschichtlichen Vollendungsmöglichkeiten absolut überschreitet, als Tat Gottes selbst. Dies schafft einen Bmch zu unserer Welt - auch wenn sie noch so vollkommen wäre."138 Daß der Fortschritt den Menschen zu wahrem Menschsein befähigen müsse, fordert auch Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika 'Redemptor hominis' (RH) aus dem Jahr 1979. In Rückbezug auf die Aussagen des Konzils (LG 10; 35) sieht er die "Königswürde des Menschen" nur dann gewahrt, wenn "der Ethik vor der Technik" Vonang gebührt, der "Primat der Person über die Dinge" und schließlich die "Überordnung des Geistes über
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Ebd. Ebd., 29.
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die Materie" anerkannt werden (RH 16).139 Kriterium und zugleich Konektiv des Fortschritts ist demnach wiederum seine Ausrichtung auf das Humanuni. Welche Konsequenzen daraus abzuleiten sind, sucht die Enzyklika 'Laborem exercens' (LE) aus dem Jahr 1982 im Blick auf Wirtschaft und Technik zu konkretisieren. Gleich zu Beginn nennt "Laborem exercens' die Arbeit eine notwendige Vorbedingung des ständigen Fortschritts von Wissen und Können ebenso wie des sittlichen und kulturellen Aufstiegs der Gemeinschaft, womit der Fortschritt in den Zusammenhang des dominium tenae gestellt wird. Denn als Gottes Ebenbild ist der Mensch beauftragt, sich die Erde Untertan zu machen, was durch Arbeit geschieht. Dieser Bemfüng immer besser gerecht zu werden, ist dann aber Fortschritt (vgl. LE 4,4). Insofern nun der Fortschritt als Wirkung der Arbeit unter dem Zeichen der Erfüllung des Schöpfungsauftrags steht, ist es nur folgerichtig, wenn das gesamte sozio-ökonomische System auf die Fordemng verpflichtet wird, dem Humanuni zu dienen: "Man muß den Primat des Menschen im Produktionsprozeß, den Primat des Menschen gegenüber den Dingen unterstreichen. ... Der Mensch als Subjekt der Arbeit und unabhängig von der Arbeit, die er verrichtet, der Mensch und er allein ist Person" (LE 12,6). Vor diesem Hintergrund, und dies ist der spezifisch neue Aspekt, den 'Laborem exercens' in die Bewertung des Fortschritts einbringt, heißt es in Ziff. 18,4: "Kernstück und gleichzeitig überzeugendster Prüfstein eines solchen Fortschritts im Geist der Gerechtigkeit und des Friedens, wie die Kirche ihn verkündet und unaufhörlich vom Vater aller Menschen und Völker erbittet, ist der neue und ständig steigende Wert der menschlichen Arbeit, sowohl unter der Rücksicht ihrer objektiven Zielsetzung, als auch in Hinblick auf die Würde des Subjekts jeder Arbeit, das ist des Menschen. Der Fortschritt, um den es sich hier handelt, muß um des Menschen willen und durch den Menschen bewerkstelligt werden und im Menschen seine Früchte tragen."140
Die Enzyklika 'Redemptor hominis' ist zitiert nach der Ausgabe des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr 6. Papst Johannes Paul II thematisiert in ganz unterschiedlichem Zusammenhang den Fortschritt und stellt ihm dabei immer das Kriterium, er habe Hilfestellung zu mehr Menschsein des Menschen zu sein, an die Seite Allerdings ist es sinnvoll, die Ausfuhrungen allein auf 'Laborem exercens' zu beschränken, weil damit ein neuer Akzent des Fortschrittsverständnisses herausgearbeitet wird, während die Aussagen in 'Sollicitudo rei socialis' (SRS) nicht wesentlich über das in 'Populorum Progressio' Gesagte hinausreichen und 'Centesimus annus' (CA) zum einen eine an-
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Untersucht man die lehramtlichen Aussagen zum Fortschritt in einer zusammenfassenden Würdigung, fällt seit Papst Pius XII. das Ringen um einen neuen Humanismus auf, an welchem sich die Bewertung des Fortschritts bemißt. Fortschritt findet immer dann Billigung, wenn er dem Menschen zur Entfaltung seines Menschseins als Gottes Ebenbild dient. Insofern aber der Mensch als das Maß des Fortschritts gilt, ist damit nicht bloß ein Bewertungskriterium gewonnen, sondern auch ein Korrektiv, in welche Richtung sich der Fortschritt entwickeln soll, um seinem Anspmch gerecht zu werden, mit dem ihn die Fortschrittstheoretiker des 18. Jahrhunderts ausstatteten.141 Die Erarbeitung eines solchen Konektivs zeigt zugleich, daß das kirchliche Lehramt auch die im Fortschritt implizierten Gefährdungen zur Kenntnis nimmt und damit weder der Euphorie noch der Skepsis erliegt. Damber hinaus ist bezeichnend, wie sich die lehramtlichen Dokumente zu einer differenzierteren Sicht des Fortschritts vorantasten, die sicher in den Aussagen des Konzils einen Höhepunkt gefunden haben, hinter den nicht mehr zumck gegangen werden kann. Tendieren die im Überblick vorgestellten Texte des vorigen Jahrhunderts dazu, den Fortschritt in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft in der Nähe des liberalen Zeitgeistes anzusiedeln und dementsprechend eher skeptisch oder gar verurteilend zu reagieren, nimmt sich die Anerkenntnis der Autonomie der Kultursachbereiche in GS 36 geradezu revolutionär aus. Damit ist nämlich den einzelnen Disziplinen eine eigene Sachkompetenz zugestanden und der Weg eröffnet, die erbrachten Fortschritte unvoreingenommen einer Bewertung zu unterziehen. Förderte die lange Phase der lehramtlichen Auseinandersetzung mit dem Fortschrittsbegriff neben der Bereitstellung eines Bewertungskriteriums eine immer differenziertere Sichtweise, fallt auf, daß die Impulse der Säkularisierungsthesen nur insoweit rezipiert wurden, als sie die Stellung des Menschen als Ebenbild Gottes bedenken, das mit dem Auftrag betraut ist, sich die Erde Untertan zu machen. Allein diese theologische Entfaltung, die sich schließlich im 'Kriterium humanuni' konzentriert, scheint der Gmnd für eine vorwiegend fortschrittsfreundliche Deutung zu sein. Es finden sich jedoch
dere Schwerpunktsetzung auszeichnet, sich zum anderen aber ganz auf der Linie von 'Laborem exercens' bewegt Es bleibt auf die Ausfuhrungen von Ursula Nothelle-Wildfeuer zu verweisen, die sich hauptsächlich mit der Enzyklika 'Sollicitudo rei socialis' beschäftigt (vgl Kirchliche Sozialverkündigung, 25-29). Vgl zum Leitbild eines 'integralen Humanismus' auch die Ausführungen bei Lothar Roos, Humanität und Fortschritt am Ende der Neuzeit, Köln 1984, bes. 50-55.
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keine Aussagen, welche das Christentum aufgmnd der ihm inhärenten 'Entzauberung der Welt' als Prinzip des Fortschritts benennen. Einer nahezu uneingeschränkten Positivbewertung der 'Verweltlichung der Welt' und des neuzeitlichen Programmwortes Fortschritt, wie sie die Vertreter der Säkularisierungsthesen wenigstens ihrem Grundtenor nach postulieren, stellen die lehramtlichen Dokumente außerdem zahlreiche Verweise auf die Gefahren des Fortschritts entgegen. Sie geben zu bedenken, daß der Fortschritt nur dann wahrer Fortschritt ist, wenn er dem Menschen zu mehr Menschsein verhilft und zur Entfaltung seiner Personwürde als Ebenbild Gottes dient.
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Kapitel VI
Abschied vom anthropozentrischen Denken Ein Weg aus der ökologischen Krise?
Umdenken mt not angesichts der stets fortschreitenden Umweltzerstörung. Dieses Programmwort macht sich eine ökologische Ethik zu eigen, die es als ihre Aufgabe erkennt, auf einen Paradigmenwechsel hinzuwirken, indem die Grenzen einer anthropozentrisch verengten Perspektive durch eine Moral erweitert werden, die den Respekt vor der Natur als sittliche Pflicht einfordert. Das unheilvolle Menetekel der 'Anthropozentrik', welche die Natur lediglich als Mittel zur Realisierung des grenzenlosen wissenschaftlich-technischen Fortschritts gebraucht und deshalb auch den 'Naturschutz' zu 'Menschenschutz' degeneriert, müsse durch Besinnung auf den Eigenwert der Natur beseitigt werden. Moralische Verpflichtungen sollen nicht mehr ausschließlich auf den zwischenmenschlichen Bereich eingeschränkt, sondern auf die natürliche Mitwelt ausgeweitet werden, was schließlich dazu führt, menschliche Interessen gegenüber den Rechten der Natur zu reduzieren. Wenngleich die einzelnen Konzepte einer ökologischen Ethik in diesem Ziel übereinstimmen, gibt es erhebliche Differenzen hinsichtlich der Träger subjektiver Rechte:1 Pathozentrische Ethikmodelle fordern die Erweiterung sittlicher Verpflichtungen auf alle leidensfähigen Lebewesen, wobei ihnen in Rekurs auf David Hume (1711-1776)2 und Arthur Schopenhauer (1788-1860}> das
Vgl zu den unterschiedlichen Klassifikationsmodellen einer ökologischen Ethik William K. Frankena, Ethics and Environment, in: Kenneth E. Goodpaster/Kenneth M Sayre (ed)., Ethics and Problems of the 21st Century, Notre Dame 1979, 3-20, bes. 4-6, Otfried Höfte, Sittlich-politische Diskurse. Philosophische Grundlagen. Politische Ethik. Biomedizinische Ethik, Frankfurt 1981, bes. 146-149, Gotthard M Teutsch, Schöpfung ist mehr als Umwelt, in: Kurt Bayertz (Hg), Ökologische Ethik, München-Zürich 1988, 55-65, bes. 59-61, Klaus M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur. Praktische Naturphilosophie für die Umweltpolitik, München 1984, bes. 22f, Michael Schutt, Umweltethik. Philosophisch-ethische Reflexionen - Theologische Grundlagen - Kriterien, Paderborn u.a. 1992, bes. 25, 64-122. Vgl. Ein Traktat über die menschliche Natur II. Buch: Über die Affekte § 7 (hg. von Reinhard Brandt), Hamburg 1978, II, 103-106.
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Mitleid als die primäre ethische Haltung gilt, auf die sich schlechthin alle moralischen Handlungen zurückführen lassen. Damber hinaus betont eine biozentrische Umweltethik, daß der Mensch gegenüber allen Lebewesen unmittelbare Pflichten hat: Leben überhaupt ist ein Grundwert, der um seiner selbst willen geschützt werden muß. Als Vorbild wirkt Albert Schweitzers (1875-1965) Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, welche die nunmehr als "unvollständig" zu bezeichnende sittliche Verpflichtung gegenüber anderen Menschen zu einem "geistigen Verhältnis zum Universum" hin aufbricht: "Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will."4 Allem Willen zum Leben hat der Mensch mit Ehrfurcht zu begegnen, insofern seine Verantwortung ins Grenzenlose erweitert ist gegen alles, was lebt. Während die biozentrische Grundlegung einer ökologischen Ethik in der Haltung der "Ehrfurcht" die Unverfügbarkeit alles Lebendigen zum Ausdmck bringt, fordern physiozentrische Ethikkonzepte für die Natur als solche den Status als Rechtssubjekt. Statt des Primates menschlicher Subjektivität erachten sie die Natur als normative Letztinstanz, weil sie sowohl die Ermöglichungsbedingung für Vernunft und freien Willen als auch das größere Ganze ist, an dem auch der Mensch partizipiert. Mit der Anerkenntnis der Natur als des umfassenden Ganzen verbindet sich eine teleologische Weltdeutung5, welcher die Mitleid gilt Schopenhauer als "ganz unmittelbare, von allen anderweitigen Rücksichten unabhängige Teilnahme" am Leiden eines anderen, wobei allein das Mitleid die "wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und echten Menschenliebe" sein kann. Deshalb sind auch nur solche Handlungen als moralisch zu qualifizieren, die sich auf das Mitleid zurückführen. Vgl. dazu seine Preisschrift über die Grundlage der Moral (1840) §16 in der Ausgabe von Ludger Lütkehaus, Arthur Schopenhauers Werke in fünf Bänden III, Zürich 1988, bes. 565-568 Unter dem Eindruck der utilitaristischen Forderung nach umfassender Glücksmaximierung stellte erstmals Jeremy Bentham (1748-1832) die Leidensfähigkeit als das Gemeinsame zwischen Mensch und Tier fest und sprach mit Verweis auf das Prinzip bedingter Gleichbehandlung den Tieren Rechte zu. - Vgl dazu An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (ed. James H. Burns/Herbert LA Hart), London 1970, bes. 57f, 282f Wie wir überleben können Eine Ethik für die Zukunft (hg. von Harald Schützeichel), Freiburg u.a. 1994, 52. Anliegen ist es dabei, die anti-teleologische Stoßrichtung der neuzeitlichen Naturwissenschaft und ihrer Festsetzung des Menschen als erkennendem Subjekt im Gegenüber zum Objekt Natur aufzuheben. Vgl. dazu Kurt Bayertz, Naturphilosophie als Ethik. Zur Vereinigung von Natur- und Moralphilosophie im Zeichen der ökologischen Krise, in: PhN 24 (1987) 157-185, bes. 164-172; Eberhard Schockenhoff, Ethik des Lebens Ein theologischer Grundriß, Mainz 1993, bes. 5965.
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Natur jenseits ihres Wertes für den Menschen als Wert an sich gilt, die wiederum gestützt sein kann auf die Vorstellung der Heiligkeit der Natur. Dabei ist die Bemfüng darauf - sei es, daß diese durch die Wiedererinnerung der Magna-Mater-Tradition, New Age, pantheistische Deutungen oder durch sogenannte Naturreligionen gestützt wird6 - für eine ökologische Ethik deshalb so attraktiv, weil die Heiligkeit den unbedingten Respekt vor der Natur garantiert. Da jedoch eine solche Deutung zwangsläufig zur Kollision mit den menschlichen Interessen führt, sind physiozentrische Ansätze zu einer Relativierung veranlaßt, so daß das Prinzip der Heiligkeit der Natur mit den menschlichen Ansprüchen auf Selbsterhaltung vereinbar bleibt. Obgleich das Anliegen, die dualistische Weltsicht mit ihrer grundsätzlichen Trennung in Subjekt Mensch und Objekt Natur zu überwinden, in seiner Berechtigung zu unterstreichen ist, muß andererseits doch auf die Schwierigkeiten hingewiesen werden, die sich diese nicht-anthropozentrischen Begründungsmodelle einer ökologischen Ethik aufbürden.7 Indem sie das Leben oder die Natur als normativen Letztwert postulieren, begehen sie erstens einen naturalistischen Fehlschluß, den sie gerade bei der traditionellen Anthropozentrik-Position festzustellen glaubten.8 Denn weder das Apriori des Lebens noch das der Natur berechtigen zu der Folgemng, daraus Maximen moralischen Handelns abzuleiten. In dieses unzulässige Verfahren, vom Sein auf das Sollen zu schließen, geraten anti-anthropozentrische Vgl. etwa den Bestseller von Rupert Sheldrake, Die Wiedergeburt der Natur. Wissenschaftliche Grundlagen eines neuen Verständnisses der Lebendigkeit und Heiligkeit der Natur, Bern u.a. 1993, bes. 15-91; 175-257. Einen guten Überblick über das Interesse mancher Physiker am Ganzheitlichkeitsdenken der östlichen Religionen bietet Alexandre Ganoczy, Suche nach Gott auf den Wegen der Natur. Theologie, Mystik, Naturwissenschaften - ein kritischer Versuch, Düsseldorf 1992, bes. 52-143. Vgl. auch den Beitrag von Hans Sebald, New-Age-Spiritualität. Religiöse Synthese in der westlichen Welt von heute, in: Hans-Peter DürrAValther Ch. Zimmerli (Hg), Geist und Natur. Über den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung, Bern u.a. 1991, 313-341 und Christoph Schorsch, Versöhnung von Geist und Natur? Eine Kritik, in: Ebd., 342-354. Eine umfangreiche Kritik der einzelnen Positionen findet sich bei Michael Schlitt, bes. 73-76; 108-110; 118-121; vgl. auch Schockenhoffs Würdigung und Kritik von Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, bes. 69-73, Johannes Reiter, Umwelt und Ethik. Bleibende Kriterien zur aktuellen Diskussion, in: StZ 114 (1989) 193-204, bes. 193-195. Vgl. dazu Manon Andreas-Grisebach, Eine Ethik für die Natur Dem Weg einen neue Richtung geben, Frankfurt a.M. 1994, 20.
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Ethikentwürfe aber deshalb, weil sie die durch Vernunftbegabung und freien Willen ausgewiesene Sonderstellung des Menschen innerhalb der Natur zugunsten einer starken Betonung des menschlichen Eingebundenseins in das größere Ganze der Natur oder dem allem Sein gemeinsamen Willen zum Leben vernachlässigen. Damit ist jedoch nicht nur die Möglichkeit der Normbegründung durch den Menschen verstellt, sondern auch zweitens auf ein verengtes Menschenbild hingewiesen. Sollte eigentlich einer mit der neuzeitlichen Wende zum Subjekt einseitigen Ausrichtung an der Ratio durch die Hinkehr zum Anderen der Vernunft ausgleichend entgegengewirkt werden, wiederholt sich der Fehler der Einseitigkeit in genau umgekehrter Richtung. Nunmehr wird der Mensch primär unter der Perspektive seiner evolutionsgeschichtlichen Gemeinsamkeit mit allem Sein betrachtet oder auf seine Emotionalität sowie Lust und Unlust-Motivation eingeschränkt, wie dies etwa in der Option des Mitleids als ausschließliche sittliche Instanz geschieht. Für die Wahrnehmung der Transzendenzfähigkeit des Menschen gegenüber seiner natürlichen Disposition bleibt in einem Modell der nivellierten Unterschiede von Mensch und Natur kein Platz. Daß sich diese Ausblendung einer hierarchischen Strukturierung jedoch als kontraproduktiv erweist, wird drittens im Defizit an Kriterien für die Formulierung von Vorzugsregeln erkennbar. Hat nämlich die Natur jenseits ihres Wertes für den Menschen einen spezifischen Eigenwert, den es unbedingt zu achten gilt, kommt es unvermeidbar zur Kollision zwischen den Interessen des Menschen und der Natur. Für diese Situation bedarf es allerdings Vorzugsregeln der Güterabwägung, die eine ökologische Ethik nicht beibringen kann, die zuvor für die absolute Gleichwertigkeit allen Seins eingetreten ist und die Grenzen einer hierarchischen Verfaßtheit der Welt ebenso aufgegeben hat wie die prinzipielle Priorität menschlicher Interessen. Mitleid, Ehrfurcht vor dem Leben oder die Heiligkeit der Natur leisten so keinen hinreichenden Beitrag, der auch nicht mit dem Hinweis aufgebessert wird, das unvermeidliche Eingreifen in die Natur sei wenigstens mit schlechtem Gewissen zu tun.9
Daß die allem gleich geschuldete Ehrfurcht bald an ihre Grenzen stößt, erkannte bereits Albert Schweitzer, der deshalb folgert: "Es ist ... jedem von uns auferlegt, im Einzelfall zu entscheiden, ob wir vor der unausweichlichen Notwendigkeit stehen, Leiden zu verursachen, zu töten und uns damit abfinden, daß wir eben aus Notwendigkeit, schuldig werden" (Wie wir überleben können, 71). Allerdings ist mit Schockenhoff darauf hinzuweisen, daß das ständig neue Schuldigwerden durch
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Gerade diese Einwände verweisen auf die Grenze nicht-anthropozentrischer Konzeptionen einer ökologischen Ethik. Aufgrund der Gleichsetzung von Mensch und Natur wird es ihnen unmöglich, sowohl Kriterien für eine Vorzugswahl im Falle der Interessenkollision zu erarbeiten als auch den Menschen als Verantwortungsträger für die Gewährleistung von Schutzgarantien zu benennen. Damber hinaus verstricken sich solche Entwürfe dadurch in einen Selbstwiderspruch, daß sie entsprechend dem Gleichheitsgrundsatz die Idee einer Rechtsgemeinschaft konstmieren, wobei jedoch dieser nicht eingelöst werden kann, wie die Situation der Interessenkonflikte anzeigt. Letztlich heißt dies, daß die Konzepte einer ökologischen Ethik, die sich als nicht-anthropozentrisch verstehen, ohne eine gewisse Anthropozentrik überhaupt nicht auskommen, nämlich der Anerkennung des Menschen als Subjekt von Erkennen und Handeln. Wenn indes ein Rest von Anthropozentrik unaufgebbar scheint, könnte dies bereits als ein Indiz dafür befrachtet werden, die im Gespräch um die Grundlegung einer ökologischen Ethik thematisierte Gegensätzlichkeit von Anthropozentrik einerseits und Pathozentrik, Biozentrik und Physiozentrik andererseits zu überwinden. Dazu erbringen die Ausfülimngen dieses Kapitels zunächst eine Klärung dessen, was unter Anthropozentrik zu verstehen ist. Zurecht hat Bernhard Ingang den Streit um die Anthropozentrik als "neuestes Produkt babylonischer Sprachverwirrung" bezeichnet10, gewinnt man doch bei der Lektüre um die ideengeschichtlichen Ursachen der ökologischen Krise sowie im besonderen der Versuche zur Grundlegung einer ökologischen Ethik den Eindmck, Anthropozentrik verkomme zu einer medienwirksamen Worthülse, deren Inhalt jeder anders definiert. Innerhalb der vielen Interpretamente verdient die Unterscheidung zwischen formaler' und 'materialer' Anthropounabwendbare Eingriffe den "erhofften Aufrüttelungseffekt" verfehlt und zu einer "desillusionierten Gleichgültigkeit" verkommt (Ethik des Lebens, 73). Christliche Umweltethik Eine Einfuhrung, München-Basel 1992, 175. Mit Blick auf den ökologischen Grundsatzstreit gibt Otfried Hoffe, Moral als Preis der Moderne, 196 zu bedenken: "Auf dem Spiel steht nicht weniger als ein Paradigmawechsel, eine revolutionäre Veränderung, die sich zudem nicht nur auf die Wissenschaft richtet, sondern unmittelbar auf die Praxis Andererseits darf man die Tragweite nicht überschätzen. Da die ökologischen Kardinaltugenden dem anthropologischen Denken verhaftet bleiben und die Umweltkrise trotzdem im wesentlichen lösen, bleiben nur einige Restprobleme übrig. Wer für die Umweltkrise das anthropozentrische Denken verantwortlich macht, unterschätzt dessen Problemlösungskapazität bei weitem."
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zentrik den Vorzug. Sie verweist zum einen darauf, daß nicht jede Anthropozentrik eine despotische Naturbeherrschung nach sich zieht, insofern nämlich die formale Anthropozentrik das unaufgebbare Moment der Anerkenntnis des Menschen als Subjekt der Sittlichkeit meint. Ein solches Anthropozentrikverständinis ist aber ebenso wie dezidiert nicht-anthropozentrische Ethikkonzepte daran interessiert, die Subjekt-Objekt-Spaltung von Mensch und Natur zu überwinden, wie sie eine materiale Anthropozentrik festgeschrieben hat. Überdies ist im Blick auf das Christentum allein von einer formalen Anthropozentrik zu sprechen, die material theozentrisch ist. Damit können pauschalisierende Schuldzuschreibungen als ungerechtfertigt abgewiesen werden. Welchen Wirkradius die Debatte um die Grundlegung einer ökologischen Ethik mit ilirem Streit um Anthropozentrik und NichtAnthropozentrik hat, zeigt schließlich das Beispiel der Auseinandersetzung um die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes. Diese gibt nicht nur Gelegenheit, sich der Mißverständnisse aufgrund der verschiedenen Interpretationen bewußt zu werden, sondern zeigt außerdem, welche Schwierigkeiten die Forderung auf sich lädt, Schutzgarantien in Analogie zur menschlichen Gemeinschaft auf die Natur als solche hin auszusprechen.
6.1
Babylonische Sprachverwirrung - Was meint Anthropozentrik7
Erhoffte man sich von der Durchsicht wichtiger philosophischer und theologischer Nachschlagewerke eine klare Begriffsbestimmung von Anthropozentrik, fällt das Resultat eher spärlich aus. Denn in nicht wenigen fehlt ein Schlagwort 'anthropozentrisch' oder 'Anthropozentrik' ganz.11 Andere geben sich mit einer knappen etymologischen Herleitung zufrieden, etwa derart: Anthropozentrik ist jene "Auffassung, nach der der Mensch und sein
Ohne eine vollständige Auflistung anstreben zu wollen, seien hierzu genannt: Wilhelm T Krug (Hg), Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften nebst ihrer Literatur und Geschichte, Leipzig 1832, Hermann Krings u.a. (Hg), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, München 1973, Walter Brugger (Hg), Philosophisches Wörterbuch, Freiburg u.a. 141976, Heinrich Fries (Hg), Handbuch theologischer Grundbegriffe I, München 1962. Ebenso findet sich weder im TRE noch RAC ein Eintrag, während RGG einen dürftigen Querverweis bietet.
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Geschick Mittelpunkt und Zweck des Weltganzen ist"12, oder etwas erweitert, "anthropozentrisch ist jene Anschauung, nach welcher der Mensch das Zentrum, das Ziel, der Zweck der Welt, des Weltgeschehens ist".13 Hilfreicher ist hingegen schon der Artikel von Hans J. Birkner, der die je nach Sachzusammenhang oder dem mitgedachten Gegenbegriff divergierende Bedeutung dieses in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im allgemeinen Sprachgebrauch beheimateten Topos angibt: "Während etwa der protestantische Theologe K.B. Hundeshagen 'die theozentrische Weltanschauung des Christentums' der anthropozentrischen des 'Rousseauismus' entgegengestellt hatte, konnte W. Wendelband gerade der 'christlichen Weltansicht' einen 'anthropozentrischen Charakter' zuschreiben, da in ihr anders als im griechischen Denken der Mensch und seine Geschichte zum Mittelpunkt des Universums werde."14 Breiter könnte fürwahr das Bedeutungsspektrum nicht sein. Eine ausführlichere systematische Darstellung findet sich im LThK2, wo Karl Rahner zwei Kategorien des Begriffs 'Anthropozentrik' unterscheidet: Zum einen kann Anthropozentrik Gott als den Schöpfer und das Ziel allen Seins leugnen, indem sie den Menschen in angemaßter Autonomie zum 'Maß aller Dinge' erklärt, zum anderen gibt es eine Anthropozentrik, die gerade die im christlichen Glauben bekannte konstitutive Theozentrik des Menschen meint, seine Herkunft von Gott und seine Zukunft in Gott. "Von da aus ergibt sich, daß Anthropozentrik und Theozentrik (beide richtig verstanden) gar keine echten Gegensätze sind. Beide bedingen sich gegenseitig. Das dem Menschen wahrhaft Gemäße, das er als solches in der Selbstverfugung wissend einnimmt, ist in seinem formalen notwendig Anthropozentrik und in seinem materialen Inhalt notwendig Theozentrik."15 12
Johannes Hoffmeister (Hg), Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Hamburg 1955, 59 Rudolf Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe I, Berlin 41927, 67f Art. "Anthropozentrisch", in: HWP I, 380. Art. "Anthropozentrik", in: LThK21, 632-634, hier: 633 Von der Spannung einer doppelten Zentrik spricht Jörg Splett und bringt damit zum Ausdruck, daß Theozentrik ohne ihre komplementäre Figur der Anthropozentrik gänzlich undenkbar wäre: "Gott als Schöpfer ist zugleich Ziel alles dessen, was er ins Dasein gerufen hat Diese Theozentrik der Schöpfung findet in der sichtbaren Welt ihre Spitze und höchste Ausdrücklichkeit im Menschen Dem Menschen geht es um Gott nur so, daß es ihm um sich (als auf Gott Zugehenden) geht, und wenn es ihm um sich geht, muß es ihm um Sinn und Ziel seines Wesens und Daseins gehen, um Gott. Theozentrik und Anthropozentrik sind, recht verstanden, zwei Seiten eines einzigen Grundakts, in jener Weise, die die Einheit der beiden Hauptgebote ausspricht, der 2
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Den akmellen Diskussionsstand um die Anthropozentrik geben die Ausführungen im LThK3 wieder, die in zwei Problemkreise untergliedern, in die grundlegende theologische Hermeneutik und die Schopfiingstheologie im besonderen. Erstere ist bestimmt von der im Protestantismus an der Wende zum 20. Jahrhundert erhobenen Forderung einer theozentrischen Theologie, die sich als Reaktion auf die von den Thesen Darwins beeinflußten und daher wesentlich vom Menschen und seiner Selbsterfahrung her argumentierenden Philosophie verstand. Allerdings ist einer solchen Alternative von philosophischer Anthropozentrik und theologischer Theozentrik entgegenzuhalten, daß eine "Theologie, die sich rein theozentrisch gibt", nur das "menschliche Selbstverständnis" verdreht, "das unweigerlich in sie eingeht. ... Es gehört zur wissenschaftlichen Redlichkeit der Theologie, den menschlich begrenzten Standort zu reflektieren, von dem aus sie die christliche Botschaft hört und auslegt." Unangebracht scheint es, eine solche Standortbezogenheit schon mit 'Anthropozentrik' zu belegen, von der hingegen erst und ausdrücklich gesprochen werden soll, "wenn die theologische Auslegung des christlichen Glaubens lediglich der Bestätigung oder gar ideologischen Überhöhung dieses Standortes dient." Dies meint nichts anderes, als daß "das theozentrische Heil auf partikuläre menschliche Heilsvorstellungen oder -wünsche reduziert wird".16 Im Kontext der Schöpfungslehre sind mit Ingang drei Bedeutungsebenen von Anthropozentrik festzustellen und gegen den Anthropozentrismus der Moderne abzugrenzen: Eine "christliche Anthropozentrik begreift inhaltlichmaterial den Menschen als Spitzengeschöpf, ausgestattet mit einem Gestaltungs- und Herrschaftsauftrag. Anthropozentrik impliziert daneben bereits in den Schöpfungsberichten ein Ethos der Verantwortung vor Gott für die Mitmenschen und für die Schöpfung. Davon ist drittens die methodische Anthropozentrik zu unterscheiden. Sie artikuliert sich in der Unhintergehbarkeit des Menschen im Offenbarungsvorgang wie im Erkennen und Handeln. Davon zu unterscheiden ist jedoch der moderne Anthropozentrismus, wie er sich im 19. Jahrhundert insbesonders im Positivismus herausgebildet
Liebe zu Gott aus allen Kräften und der Liebe zum Menschen nach dem Maß der Selbstliebe." - Art. "Anthropozentrik", in: SM(D) I, 189-191, hier: 189f Georg Langemeyer, Art "Anthropozentrik I Anthropozentrik und Theozentrik", in: LThK3 I, 741-743, hier: 742, vgl auch seinen Art. "Anthropozentrik", in: Wolfgang Beinert (Hg.), Lexikon der katholischen Dogmatik, Freiburg u.a. 1987, 17f.
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hat. Dort sind die Bedürfhisse des Menschen letzter Maßstab der Wissenschafts- und Technologieentwicklung." Noch klarere Konturen gewinnt die Divergenz von Anthropozentrik und Anthropozentrismus, wenn festgestellt wird, daß gerade der Abschied von der Anthropozentrik dem Einzug des Anthropozentrismus die Tür geöffnet hat: Nicht die Anthropozentrik, "sondern ihre Abschaffung hat in die üistrumentelle Rationalität des modernen Anthropozentrismus ... geführt."17 Um das Wesen des modernen Anthropozentrismus im Gegensatz zur christlichen Anthropozentrik ermessen zu können, verweist Ingang auf die Kritik am Autonomie-Projekt der Neuzeit durch Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Martin Heidegger und Edmund Husserl. Diese stimmen trotz der Eigenständigkeit ihrer Positionen darin überein, den Positivismus als Wurzel der gegenwärtigen Krise anzuführen, sofem dieser den Versuch unternimmt, durch Rationalisierung und Naturwissenschaft die Natur zu behenschen. Sein Anliegen findet sich programmatisch zusammengefaßt in der "Rede über den Geist des Positivismus", welche dafür eintritt, daß die Erkenntnis unbedingt den Bedürfhissen der Menschen angemessen werden müsse. Nur das in den Wissenschaften sei relevant, was dem Menschen dienlich ist. Damit aber definiert sich die Wissenschaft einzig vom Menschen her. Ingang bringt dies auf den Punkt, wenn er den Positivismus als Inbegriff des modernen Anthropozentrismus bezeichnet und diesen "eine Form von Ratiozentrik" nennt, "die auf die Bedürfnisse des Menschen zugeschnitten ist".18 Das Maß des Positivismus wie des Anthropozentrismus ist die menschliche Bedürfnisskala, wobei dieses jedoch in der Gefahr steht, sich zur Maßlosigkeit zu verkehren, falls die Bedürfnisse des Menschen ihres sittlichen Interpretamentes entleert werden. Unübersehbar eng stehen die Aussagen beieinander, die vom Menschen als Maß und der Maßlosigkeit des Menschen reden und so den Inhalt des modernen Anthropozentrismus formen. Mit ihm aber hat die christliche Anthropozentrik nichts gemein, weil sie weder einer Ratiozentrik anhängt noch ausschließlich die menschlichen Bedürfhisse in ihre Sinnmitte rückt. Neben der lexikalen Bedeutungsregistratur ist, um eine auch für die ökologische Debatte präzise Begriffsklärung vornehmen zu können, das von Johann B. Metz veröffentlichte Werk "Christliche Anthropozentrik. Über die 17
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Art "Anthropozentrik II. Ethisch", in: LThK31, 743; vgl. auch seine Monographie Christliche Umweltethik, bes. 17; 192f. Christliche Umweltethik, 251.
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Denkform des Thomas von Aquin" geradezu Pflichtlektüre. Es versteht sich als ein Versuch, die genuin 'anthropozentrische Denkform' des Aquinaten im Unterschied zur kosmozentrischen Denkform der griechischen Philosophie auszuweisen, wobei Karl Rahner im Vorwort die Leser mahnt, anthropozentrisch nicht als pejorativen Gegensatz zu theozentrisch oder kosmozentrisch mißzuverstehen. Anthropozentrik will vielmehr ein Begriff sein, "der eine bloße leere Subjektivität und eine kosmische Selbstinterpretation des Menschen als eines Stückes einer sachhaften Natur aufhebt".19 Was aber kennzeichnet diese neue, als 'anthropozentrisch' benannte Denkform bei Thomas von Aquin? "Das griechische Denken ist inhaltlich ... anthropozentrisch (=materiale Anthropozentrik), formal jedoch ... ist es kosmozentrisch-objektivistisch (=formale Kosmozentrik). Das thomanische Denken hingegen ist inhaltlich ... theozentrisch (=materiale Theozentrik), formal jedoch ... ist es anthropozentrisch, also am eigentümlichen Seinsmodus des Menschen, d.h. an der 'Subjektivität' orientiert (=formale Anthropozentrik). Kurz: die griechische Denkform ist kosmozentrisch, die thomanische anthropozentrisch".20 Bezeichnend für die Anthropozentrik der Denkform ist, daß die Subjektivität des Menschen die leitende Seinsvorstellung prägt, von der her alle anderen Seinsweisen abgeleitet werden. "Das menschliche Sein kommt in seiner Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit, in seiner originalen Phänomenalität ontologisch zur Geltung. ... Das Sein der Seienden wird ... von dieser Subjektivität her angeblickt und bestimmt." Eine solche Anthropozentrik des Seinsverständnisses geht freilich nicht konform mit einer materialen Anthropozentrik, ist sie doch nur das Modell, "innerhalb dessen die Ordnung und Bestimmung der einzelnen Seienden und Seinsbereiche untereinander getroffen und angesagt wird".21 Bei Thomas kann allein von einer formalen Anthropozentrik gesprochen werden, die ihrem Inhalt nach theozentrisch ist, so daß es der Sachlage völlig unangemessen wäre, einen Widerspmch zwischen formaler Anthropozentrik und materialer Theozentrik zu konstruieren. Ebensowenig entspricht die Anthropozentrik der Denkform der gemeinhin unter dem Begriff Humanismus summierten Primärstellung des Menschen in der Hierarchie alles Seienden noch bestätigt sie den Verdacht 19
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Vorwort zu Johannes B. Metz, Christliche Anthropozentrik. Über die Denkform des Thomas von Aquin, München 1962, 16. Ebd., 47. Ebd., 49.
eines stringenten Subjektivismus. Sofem nämlich das Menschsein kraft der dem Menschen eigenen anima, in der menschliches Sein qua definitione mit allem Seiendem übereinkommt, einen sachlichen Vonang als Modell des Seinsverständnisses hat, wird es zur Erschließungsbasis für das Sein überhaupt und begründet keine Reduktion der universalen Seinswirklichkeit.22 Wenn daher feststeht, daß Thomas die formale Anthropozentrik im abendländischen Denken verankert hat23, stellt sich die Frage, woher der geistesgeschichtliche Impuls rührte, sich prinzipiell von der griechischen Kosmozentrik abzugrenzen. Der Grund dafür ist die christliche Offenbarungsbotschaft selbst, besiegeln doch Inkarnation und Kenosis die im Alten Bund vorgezeichnete Partnerschaft zwischen Gott und Mensch, die sich auf die absolute Nähe 'von Angesicht zu Angesicht' und die Teilhabe an der göttlichen Natur in der Fülle der Zeiten öffnet. Die Offenbarung macht den Menschen "wirklich zu einem Seienden, das im letzten nicht Teilstück eines größeren Ganzen (Welt), sondern das Ganze in je einmaliger Weise selbst... ist; so sehr, daß im letzten Verstand die echt geschichtliche ... Geschichte des Kosmos Moment an dieser Geschichte zwischen Gott und Mensch von Anfang an bis zum Ende ist und nicht umgekehrt die Geschichte des Menschen Moment einer umfassenden Kosmogonie".24 Aus der anthropozentrischen Spitze der Offenbarung folgt unvermittelt die anthropozentrische Wende des Denkens, die dem Menschen die qualitative Eigenart seines unvergleichlichen Selbstseins gewahr werden läßt und die Relevanz des Kosmos im Alphabet der Offenbarung buchstabieren lernt. Schließlich aber entspricht die bei Thomas "erstmals wirksame 'anthropozentrische Denkform'... der inneren Dynamik des Offenbarungswortes. Sie bezeugt sich damit als jene 'christliche Denkform', die dieses Offenbarungswort auf dem geschicht-
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Vgl ebd., 50f. Der zugestandenermaßen mühsame Nachweis, die anthropozentrische Denkform des Aquinaten zu isolieren, findet sich bei Metz anhand der Stichworte: Sein, Individualität (Freiheit), Substanz, Welt, Gott, Gnade (vgl. 52-89) Freilich bleibt diese epochale Neueinschätzung gelegentlich noch der durch griechisches Denken inspirierten Tradition verhaftet, so daß es zu Überlappungen und Unscharfen kommt. Allerdings ist es nicht von ungefähr, daß sich "die Ansätze für die neue Denkform gerade nicht primär in den rein philosophischen, sondern vor allem in den materialtheologischen Werken des Thomas finden" (ebd., 92). Als Ursache hierfür wird die anthropozentrische Spitze der Offenbarung benannt. Metz bedient sich zur Argumentation des Artikels 'Anthropologie Theologische Anthropologie' von Karl Rahner, in: LThK21, 618-627, bes. 619.
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liehen Weg seiner theologischen Vermittlung aus sich selbst hervortreibt und epochal erzwingt".25 Es ist die Leistung von Metz, die bei Thomas von Aquin aufbrechende Denkform als Entsprechung zur Offenbarungsbotschaft und damit als Spezifikum des Christentums ausgewiesen zu haben.26 Strittig bleibt dabei allerdings, was Anthropozentrik naherhin meint. So stellt Hans Meyer die Metz'sche These, die griechische Philosophie könne als kosmozentrisch, das thomanische Denken hingegen als anthropozentrisch verstanden werden, gerade durch ein bei Metz nicht gedecktes Vorverständnis von Anthropozentrik in Frage. Er meint in Rekurs auf die Sophisten, Sokrates, besonders aber Plato und den Neupiatonismus den 'Homo-Mensura-Satz' als Inbegriff anthropozentrischen Denkens fassen und also die Philosophie der Griechen als anthropozentrisch klassifizieren zu müssen.27 Den Menschen als Maß aller Dinge zu benennen, ist jedoch gerade nicht Anthropozentrik in dem von Metz vorgeschlagenen Sinn, der zwischen einer formalen und materialen Ebene unterscheidet und die 'anthropozentrische Denkform' ausschließlich für den formalen Aspekt reserviert. Ein solches Mißverständnis gibt Gelegenheit, sich noch einmal Klarheit über den Sinngehalt von christlicher Anthropozentrik zu verschaffen. "Wenn man ... 'anthropozentrisch' ständig und ausdrücklich 'formal' gebraucht, nicht als Aussageinhalt, sondern als Aussageform, die unscheinbar ... aber nachhaltig jede inhaltliche Aussage und jede kategoriale Auslegung bestimmt, dann ist diese 'Anthropozentrik' für eine Denkperiode oder für einen Denker nicht schon dadurch angezeigt, daß eine vorherrschende inhaltliche Beschäftigung mit dem Menschen, ja - wie im Homo-Mensura-Satz - eine Verabsolutierung des Menschen in den Aussagen solchen Denkens nachgewiesen wird. Die Frage ist ja, ob das Denken selbst, das 'Seinsverständnis' ... 'anthropozentrisch' und nicht 'kosmozentrisch' ist."28 Legt diese Interpretation schon nahe, Anthropozentrik nicht einfachhin mit der Vorstellung eines autonomen Menschen inhaltlich zu füllen, kehrt Metz prononciert gegen den Vorwurf, das anthropozentrische Seinsverständnis sei eine unerlaubte Engführung der universalen Wirklichkeit, deren Bedeutung heraus. Kann es etwa ein vom Men25 26
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Ebd., 113. Vgl. zur Wirkgeschichte des thomanischen Ansatzes der anthropozentrischen Denkform im Mittelalter und der Neuzeit die Ausfuhrungen bei Metz, 117-134 Vgl. Zur christlichen Anthropozentrik, in: ThRv 61 (1961) 10-12. Johann B Metz, Nochmals: Christliche Anthropozentrik, in: Ebd., 13-16, hier: 13f
sehen separates Verständnis des Seienden geben? Wie sonst sollte der Mensch überhaupt zu Einsicht und Verstehen gelangen, wenn er nicht immer schon sein Sein mitdenkt? "'Sein' und 'Seinsverständnis' können nicht noch einmal objektivistisch voneinander gelöst werden, als zwei 'Sachen'. Damit ist jedoch der Mensch nicht zum "Maß aller Dinge' erhoben, da menschliches Seinsverstehen ... gerade nicht ursprünglich verfügend-überschauende, bemächtigende Erkennmis, sondern ... 'Anerkenntnis' ist".29 Aus der bisherigen Kommentierung zum Begriff Anthropozentrik läßt sich zumindest folgende Erkenntnis gewinnen: Anthropozentrik und Theozentrik sind nicht notwendigerweise ein Widerspmch. Denn wie die Unterscheidung von formaler und materialer Anthropozentrik zeigt, ist Anthropozentrik in ihrem formalen Aspekt durchaus material theozentrisch zu begründen, womit das spezifisch christliche Verständnis von Anthropozentrik angesprochen ist. Überdies konnten die Ausführungen von Metz verdeutlichen, daß gerade diese Sicht der 'anthropozentrischen Spitze' der christlichen Offenbarung entspricht, ohne eine materiale Anthropozentrik behaupten zu müssen. Die Rezeption dieser Erkennmis ist unverzichtbar bei der Analyse des Anthropozentrikverständnisses im Bemühen um die Grundlegung einer ökologischen Ethik: Während nämlich einerseits die an das Christentum herangetragenen Schuldzuweisungen im Vorwurf der Anthropozentrik kulminieren und dementsprechend eine 'postanthropozentrische Ethik'30, eine 'geläuterte Anthropozentrik'31 und 'schwache Anthropozentrik'32 sowie 29 30
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Ebd., 15. Vgl. Philipp Schmitz, Schöpfungsauftrag und Weltgestaltung, in Johannes Gründet (Hg), Leben aus christlicher Verantwortung Ein Grundkurs der Moral II, Düsseldorf 1992, 14-30, bes 18f, ders, Ist die Schöpfung noch zu retten? Umweltkrise und christliche Verantwortung, Würzburg 1985, 92. Vgl Klaus M Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, 66f Bryan G Norton, Environmental Ethics and Weak Anthropocentrism, in: Environmental Ethics 6 (1984) 131-148 In diesem Beitrag wird zur Begründung einer Umweltethik zwischen einem 'starken' und 'schwachen' Anthropozentrismus unterschieden, wobei letzterer die Sonderstellung des Menschen nicht als Absolutum, sondern in ihrem Eingebundensein in die Natur anerkennt Die Position eines 'schwachen Anthropozentrismus' ist naherhin damit charakterisiert: "It requires no radical, difficult-to justify claims about the intrinsic value of nonhuman objeets and ... it provides a framework for stating obligations that goes beyond concern for satisfying human preferences It allows the development of arguments to the effect that current, largely consumptive attitudes rationally defensible in terms not implying intrinsic value for nonhumans It can also emphasize the value of nature in
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pathozenfrische, biozentrische und physiozentrische Begründungskonzepte diskutiert werden, ist andererseits die Forderung nach einer Rückbesinnung auf die spezifisch christliche Konzeption von Anthropozentrik zu hören. Auffallend sind dabei die höchst unterschiedlichen Inhalte, für die der Begriff Anthropozentrik in Anspmch genommen wird. Als White Ende der sechziger Jahre mit seiner These, das Christentum sei die anthropozentrischste Religion, dem Gesprächsforum um die ideengeschichtlichen Prämissen der ökologischen Krise den Leitgedanken vorgab, meinte er damit im wesentlichen die Transzendenzanmaßung des Menschen als Ebenbild Gottes, die Förderung des Dualismus von Mensch und Natur sowie die Rechtfertigung despotischer Ausbeutung durch den biblischen Henschaftsauftrag. Knapp ein Vierteljahrhundert später faßt Daecke die Debatte um die Formulierung einer Umweltethik in der Formel zusammen: "Anthropozentrik oder Eigenwert der Natur?"33 Dazwischen stehen viele Bemühungen, das genauer auszufalten, was in Whites Anschuldigungen noch verdeckt angeklungen war. So ist etwa für Amery der in Gen 1,28 ausgesprochene Auftrag zur 'totalen Herrschaft' die Kurzfassung der Anthropozentrik. Erich Gräßer lastet einer "theologisch übersteigerten, einseitigen Anthropozentrik bei gleichzeitiger Entwertung alles Mitgeschöpflichen" die Verantwortung an der ökologischen Krise zu: "Theologie und Philosophie sind gleicherweise der Versuchung dieses dualistischen Denkschemas - hier der Mensch als höchstes Wesen, dort die Natur als frei disponibles Objekt - erlegen. Ja, die Theologie vor allem hat mit ihrer bibeltheologisch begründeten Entdämonisierung der Natur dem schöpfüngsmäßi-
forming, rather than in satisfying human preferences, as preferences can be motified in the process of striving toward a consistent and rationally defensible world view" (ebd, 138) Anthropozentrik oder Eigenwert der Natur?, in: Günter Altner (Hg ), Ökologische Theologie. Perspektiven zur Orientierung, Stuttgart 1989, 277-299, hier: 277 Auf die Alternative Anthropozentrik oder eine nicht-anthropozentrische Werttheorie bringt J Baird Callicott, Non-Anthropocentric Value Theory and Environmanetal Ethics, in: APQ 21 (1984) 299-309das Bemühen um die Grundlegung einer Umweltethik, wobei er folgende Klassifizierung vornimmt: "An anthropocentric value theory ... confers intrinsic value on human beings and regards all other things, including other forms of life, as being only instrumentally valuable ... A non-anthropocentric value theory on the other hand, would confer intrinsic value on some non-human beings" (ebd., 29) Vgl auch Henryk Skolimowski, The Dogma of Anti-Anthropocentrism and Ecophilosophy, in: Environmental Ethics 6 (1984) 283-288, bes 283f
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gen Henschaftsauftrag über die subhumane Natur, der aus der Gottebenbildliclikeit abgeleiteten Einzigartigkeit des Menschen und der im Noahbund noch einmal ausdrücklich bekräftigten Hinordnung der gesamten Biosphäre auf den Menschen diesen Dualismus in einer langen Auslegungsfradition ausdrücklich gerechtfertigt."34 In der Logik dieses Denkens ist es daher nur konsequent, den Wert der Natur nach dem ausschließlichen Kriterium menschlicher Zweckdienlichkeit zu beurteilen. Einhalt könne diesem 'Hominisierungsprozeß' nur dann geboten werden, wenn die Maxime einer anthropozentrischen Ethik, alle ökologisch relevanten Entscheidungen nach dem Maßstab der menschlichen Lebensqualität zu beurteilen, aufgegeben und die Partnerschaft von Mensch und Welt als Mitgeschöpf anerkannt wird. Nach Drewermann hat erst das säkularisierte Erbe des Christentums in einer unzulässig verengten Sicht den Menschen zum Maß aller Dinge gemacht, wobei ihm dieser Verlust einzig durch die Wiedererinnerung der kosmologischen Beziehungen des Menschen therapierbar scheint. Ahnlich sprechen die meisten Vertreter einer ökologischen Ethik erst im Blick auf die sich in der Neuzeit herausbildende Trennung von Subjekt Mensch und Objekt Natur von den 'gnadenlosen' Folgen der Anthropozentrik, die sie jedoch nicht monokausal dem Christentum zuschreiben.35 Klaus M. Meyer-Abich etwa führt den in den Industriegesellschaften praktizierten Gebrauch der Natur als bloßes Ressourcenlager auf das anthropozentrische Weltbild zumck, das den Menschen allem um seiner Vorteile willen denken und handeln läßt, ohne daß er sich seiner "Verantwortung vor dem Ganzen der Welt", die ihm "natürliche Mitwelt" ist, bewußt wird.36 "Angelpunkt unseres Verhaltens zu allem, was nicht Mensch ist", ist ausschließlich das menschliche Interesse, das heißt, "im anthropozentrischen Weltbild sehen wir alles, was mit uns ist, nur von uns aus, so daß die Mitwelt zur bloßen Umwelt des Menschen schrumpft."37 Gemeinsam ist der Kritik an der Anthropozentrik, diese als verabsolutierte Tfenschafts-Hybris' und infolge dessen als Ausblendung der Mitkreatürlichkeit des Menschen und des 34 35
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Die falsche Anthropozentrik, in: DtPfrBl 78 (1978) 263-266, bes. 263f. Günter Altner, Schöpfung am Abgrund, 32 erkennt die 'gnadenlosen Folgen' der Anthropozentrik als "Ungehorsamsgeschichte" gegenüber der biblischen Weisungen und Klaus M. Meyer-Abich betont, daß sich aus der Bibel kein anthropozentrisches Ethikkonzept herleiten läßt (vgl. Wege zum Frieden mit der Natur, 103). Wissenschaft für die Zukunft, 20. Wege zum Frieden mit der Natur, 52 und 69.
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Eigenwertes der nicht-menschlichen Schöpfung zu verstehen.38 Strittig ist allerdings, ob bereits im Blick auf die Bibel oder erst unter Herausbildung der spezifisch neuzeitlichen Konstellation von einer anthropozentrischen Weltdeutung gesprochen werden kann. Auffallend ist ebenso die mangelnde Differenzierung zwischen dem formalen und materialen Aspekt von Anthropozentrik, was dazu führt, daß sich die vorgetragene Kritik de facto bloß auf den materialen Aspekt richtet, während der formale Aspekt der Anthropozentrik, an dem das Christentum festhält, nicht getroffen ist. Indem aber diese Unterscheidung fehlt, entsteht der Eindruck, das Christentum sei anthropozentrisch im Sinne einer materialen Anthropozentrik und müsse deshalb auch als (Mit)Ursache an der ökologischen Krise benannt werden. Unspezifisch von der 'Anthropozentrik' zu sprechen, erzeugt also vielfache Mißverständnisse und Falschanschuldigungen, welche das Bemühen um die Grundlegung einer ökologischen Ethik jedenfalls nachhaltig erschweren. Daß Anthropozentrik im formalen Sinn unaufgebbar, in ihrem materialen Aspekt jedoch als schrankenlose Henschaftsanmaßung des Menschen abzulehnen ist, macht insbesonders Alfons Auer bewußt. Er glaubt die Ursache der ökologischen Krise in einer veränderten Werthaltung zu erkennen, das heißt der Hinkehr zu einer materialen Anthropozentrik, welche die "Rationalität der Welt einseitig oder gar ausschließlich auf Zweckhaftigkeit, Nutzbarkeit und Brauchbarkeit" festgelegt hat. "Wo die Natur zum Nutzen der Menschen rücksichtslos ausgebeutet wird, muß man in der Tat von einer 'schrankenlosen Anthropozentrik' sprechen. Anthropozentrik ist überall dort mißverstanden, wo die Natur ausschließlich als Mittel für die Zwecke des Menschen bewertet und ausgenützt wird."39 Gegenüber diesem Anthropozentrikverständnis fordert Auer die Rückbesinnung auf eine formale Anthropozentrik, die zum Ausdruck bringt: "Die Natur kommt zu sich selbst nur im Menschen, nur in ihm erfüllt sich ihr Sinn."40 Allein der Mensch hat Verantwortung für die Schöpfung und ist in die Pflicht gerufen, "die ganze 38
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Nach Gotthard M. Teutsch versteht eine anthropozentrische Ethik die Welt einzig auf den Menschen hingeordnet, dem schlechterdings alles zu seinen Zwecken dienstbar ist. Als Grund dafür benennt er eine den "historischen Humanismus mißverstehende und den Menschen maßlos überschätzende Sichtweise, nach der die Natur zur bloßen Mitwelt des Menschen wird". - Lexikon der Umweltethik, Göttingen-Düsseldorf 1985, 8-10, hier: 8. Umweltethik. Ein theologischer Beitrag zur ökologischen Diskussion, Düsseldorf 3 1989, 54. Ebd., 55.
außermenschliche Natur ... in den Sinnkreis des Humanen" einzubeziehen. Wenngleich also die einen Dualismus von Mensch und Natur propagierende materiale Anthropozentrik aufzugeben ist, wird "man an der Vorstellung der Anthropozentrik der Welt festhalten müssen. Der Mensch allein ist 'Zweck an sich selbst', er darf nie bloß als Mittel verwendet werden. Die Ehrfurcht vor der Natur ist kein in sich selber geltendes Prinzip, sondern muß 'als eine im Personprinzip selbst mitangelegte Forderung verstanden werden' ".41 Anthropozentrik meint jedoch nicht die Maßlosigkeit und Willkür des Menschen gegenüber der Natur, sondern sieht den Menschen im Zusammenhang mit ihr, wobei gilt, daß die Natur auf den Menschen hin angelegt und von ihm her interpretierbar ist. Recht verstandener Anthropozentrik ist es zu eigen, allem menschlichen Handeln an der Natur ein Maß zu setzen und dabei die Sondenolle des Menschen nicht gegen den Eigenwert der Natur auszuspielen. Wird jedoch dieses gesetzte Maß überschritten, fallen die zerstörerischen Folgen menschlichen Tuns auf den Menschen selbst zurück. Daher kann der Schluß gezogen werden, daß überall dort, "wo der Mensch das Maß der Natur mißachtet, ... sein Handeln nicht nur unnatürlich und widernatürlich, sondern auch unmenschlich und widermenschlich" sein wird42. Durch den Beitrag von Auer ist eine die Unterscheidung zwischen dem formalen und materialen Aspekt bestätigende Verständnisweise der Anthropozentrik eröffnet, welche diese nicht pauschal mit willkürlich-despotischer Narurausbeutung gleichsetzt oder unterstellt, sie würde die Natur nur als ein um der Menschen willen schützenswertes Gut anerkennen. Vielmehr ist sie als fragfähiges Fundament einer Ethik ausgewiesen, die sich nicht auf die zwischenmenschlichen Beziehungen begrenzt, sondern die Umwelt in ihren Verantwortungsbereich integriert, weil sie sich der Kreatürlichkeit von Mensch und Natur, ihrer gemeinsamen Herkunft von und Zukunft in Gott, bewußt geworden ist.43 Will man daher von einem Zusammenhang zwischen Anthropozentrik 41 42 43
Ebd., 56. Ebd., 64. "Dem Menschen, der als Gottes Bild dessen Herrschaft irdisch darstellen und durchsetzen soll, ist die Natur keineswegs als Objekt willkürlicher Ausbeutung überlassen. Sie erscheint allerdings auch nicht als Subjekt, das dem Menschen als gleichwertiger oder gar übergeordneter Partner gegenübertritt. Sie ist ihm vielmehr verantwortlich übergeben als das Haus, in dem er wohnen, als der Aufenthaltsort, an dem er seine Bestimmung als Mensch durch die Geschichte hindurch einlösen soll" (ebd., 236).
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und ökologischer Krise sprechen, so kann nur die materiale Anthropozentrik, wie im Anschluß an Rahner und Metz die Verabsolutierung des menschlichen Herrschaftsanspruchs bezeichnet wird, bzw. nach der von Irrgang gewählten Terminologie der Anthropozentrismus gemeint sein.
6.2
Die Unaufgebbarkeit der Anthropozentrik
Die Kontroverse um die Begründung einer ökologischen Ethik läßt erkennen, daß Anthropozentrik prinzipiell unverzichtbar ist und gerade auch in den Entwürfen vorausgesetzt wird, die sich dezidiert als nicht-anthropozentrisch verstehen. Gemeint ist die formale Anthropozentrik, welche den Sonderstatus des Menschen gegenüber der nicht-menschlichen Natur feststellt, ohne jedoch den Menschen und seine Interessen als das Maß aller Dinge zu behaupten. Auch eine verkürzte Sichtweise, die den Menschen als Produkt der Evolution hinreichend zu beschreiben glaubt und in der Anerkenntnis des Menschen als eines 'Teils der Natur' die Prämisse eines um der Eigenwertigkeit der Natur willen geschehenden Naturschutzkonzeptes vermutet, wird die Unhintergehbarkeit der Anthropozentrik zugeben müssen. Denn der Mensch kann sich nur deshalb als Teil der Natur verstehen, weil er mehr ist, als diese Bestimmung über ihn aussagt. Ohne Anthropozentrik wäre also nicht nur jeder Ethik das Fundament entzogen, sondern zugleich auch das Postulat einer ökologischen Ethik ad absurdum geführt.44 Das Umweltgutachten 1994 bezieht entschieden Position für eine Anthropozentrik, die "den moralischen Unverfügbarkeitsstatus des Menschen, seine Würde als Person, überzeugend zu begründen" erlaubt (Umweltgutachten 1994, Stuttgart 1994, Ziff 31) Diese Stellungnahme unterscheidet sich grundsätzlich von der noch vagen Aussage des Gutachtens von 1987 Dort heißt es in Ziff 1607: "Der Rat hält es weder für möglich noch für sinnvoll, zwischen unterschiedlichen ethischen Positionen, denen jeweils auch ein bestimmtes Menschenbild entspricht, Stellung zu beziehen " Hans J. Münk merkt kommentierend zu der Entscheidung für eine anthropozentrische Begründnung der Umweltethik an "Diese wohlbegründete Option für eine intergenerationell erweiterte anthropozentrische Grundkonzeption vermag die Vorzüge des Menschen, die Erkenntnis-, Vernunft- und Moralfähigkeit, ohne Nivellierungsverluste zugunsten einer Sustainability-Verantwortung einzusetzen. Sie hat den im Blick auf die Konsensfrage wesentlich weiteren Vorzug, für die von der Wertestruktur der Verfassung überzeugten Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar zu sein und auf dem großen Potential 'klassischer' Ethiktraditionen widerspruchsfrei aufbauen zu können Sie dürfte auch den Zugang zu zeitmächti-
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Es genügt dazu, sich bewußt zu machen, was das Verständnis des Menschen als Teil der Natur impliziert. Schon auf bloß phänomenologischdeskriptiver Ebene ist als Grundsignatur allen Lebens zu erkennen, daß es auf die Erhaltung der eigenen Art und die Maximierung der eigenen Lebensbedingungen drängt, ohne auf die Bestrebungen anderer Lebensformen Rücksicht zu nehmen. Einzig der Mensch vermag das Leben aus anderer Perspektive zu betrachten und sich selbst zu Begrenzung, Askese und Fürsorge zu verpflichten, womit er seine naturale Anlage transzendiert. Überdies ist bei allen Ethikkonzepten, welche die Natur als harmonische Ordnung begreifen und sie schließlich als Normative einfordern, daran zu erinnern, daß es nicht immer nur der Mensch ist, der Naturzerstömngen bewirkt. Obgleich sein despotisches Handeln nicht zu verschweigen ist, müssen die von der Natur selbst aufgmnd ihres überzogenen Artinteresses verursachten Zerstörungen ins Kalkül gezogen werden. Das Paradox einer jeden nicht-anthropozentrischen Umweltethik ist es daher, vorauszusetzen, was sie in ilirem Verständnis des Menschen leugnet: seine Sonderstellung in der Natur. Alles bloß Naturhafte ist hingegen nicht in der Lage, das geforderte Ethos der Ehrfiicht vor allem Leben, der Rücksicht und Selbstbescheidung zu vollziehen. "Die Aufforderung, die anthropozentrische Perspektive zu verlassen und die (gleichen) Rechte anderer Naturwesen anzuerkennen und zur Maßgabe des eigenen Handelns werden zu lassen, macht Sinn nur als Appell an die Vernunft und/oder Moral des Menschen und unterstellt damit genau jene Sonderstellung in der Natur, gegen die sie polemisiert."45 Allerdings können die Kritiker einer Anthropozentrik erwidern, die eben skizzierte Argumentation verfehle ihre Sicht vom Menschen, weil sie ihn weder als beliebiges Naturwesen verstehen noch seine Vernunft- und Moralbefähigung negieren. Ziel der Aufforderung zum Verzicht auf Anthropozentrik ist es vielmehr, den Menschen zu der Einsicht zu bringen, seine Privilegien zugunsten anderer Lebensformen zurückzunehmen, indem er diese zum Träger subjektiver Rechte erklärt. Wo es aber zu einer Kollision zwischen den Rechten der Menschen und denen der Natur kommt, folgt daraus: menschliche Interessen verdienen nicht in jedem Fall allein schon deshalb, weil sie menschliche Interessen sind, den
45
gen philosophisch-ethischen Theorien ... offenhalten." - Für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung. Anmerkungen zum Umweltgutachten 1994, in: StZ 120 (1995) 55-66, hier: 62. Kurt Bayertz, Naturphilosophie als Ethik, 176.
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Vorzug vor den Interessen der Naturobjekte. Gerade diese Notwendigkeit einer Abwägung verdeutlicht aber, daß nach dem Abschied vom anthropozentrischen Denken der Wert des Menschen prinzipiell und a prion nicht mehr höher wiegt als die Interessen anderen Lebens.
6.2.1 Die Pflichtenlehre Kants und ihre Folgen für den Naturschutz Kants Wort über den Menschen als "betitelter Hen der Natur" trifft genau dieses Moment der Unaufgebbarkeit formaler Anthropozentrik, indem es den Menschen gleichsam als Bürger zweier Welten ausweist, der zwar 'Teil der Natur' ist, die er aber immer schon als 'Subjekt der Moral' transzendiert. Betitelter Hen der Natur ist der Mensch, insofern "er das einzige Wesen auf Erden [ist], welches Verstand, mithin ein Vermögen hat, sich selbst willkürlich Zwecke zu setzen".46 Nicht seine natürliche Disposition macht den Menschen zum Herrn der Natur, sondern allein sein Sein als Subjekt der Moralität, die Ausrichtung seines Handelns am Sittengesetz: "Nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjekt der Moralität, ist die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht, ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist."47 Dabei wäre die Unterordnung der Natur unter den Menschen im Sinne einer rigiden Ausbeutungssfrategie jedoch mißverstanden, weil eine solche Deutung gänzlich unvereinbar mit der Maxime sittlichen Handelns ist. Überdies enthält die Qualifizierung des Menschen als "Subjekt der Moralität" und "Endzweck der Natur" die Folgerung, daß der Mensch sittliche Verpflichtungen nur gegen sich selbst und andere haben kann, die selbst wiedemm "Subjekt der Moralität" und "Endzweck der Natur" sind, während er der Natur gegenüber nur indirekt (= in Ansehung von) verpflichtet ist.48 46 47
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Kritik der Urteilskraft § 83 A 386 (zit. nach Weischedel V, 553). Kritik der Urteilskraft § 84 A 395 (zit. nach Weischedel V, 559). Andreas Brenner bezeichnet die Kant'sche Position als einen "logozentrischen Anthropozentrismus" im Gegensatz zu Schopenhauers "affektivem Anthropozentrismus", der an die Stelle der Vernunft das Mitleid als Begründungsinstanz einsetzt, ohne damit das anthropozentrische Denken als solches in Frage zu stellen - Streit um die ökologische Zukunft Neue Ethik und Kulturalisierungskritik, Würzburg 1994, 128 "Nach der bloßen Vernunft zu urteilen, hat der Mensch sonst keine Pflicht, als bloß gegen den Menschen (sich selber oder einen anderen), ... und seine vermeinte
Während die Befürworter einer anthropozentrischen Grundlegung der ökologischen Ethik den von Kant formulierten Entwurf einer sittlichen Verpflichtung als Legitimation des Naturschutzes um der Menschen willen interpretieren und neben den Interessen der gegenwärtigen auch die der nachfolgenden Generationen miteinbeziehen49, fordert Meyer-Abich, daß die Natur aufgrund ihrer Eigenwertigkeit geschützt wird. Eine grundsätzliche Entscheidung darüber, ob der Natur um ihrer selbst willen als direkte Verpflichtung (Pflicht gegen etwas) oder nur indirekt, um der Menschen willen (Pflichten in Ansehen von etwas) Achtung entgegengebracht werden soll, scheint ihm unerläßlich. Warum diese für ein Schutzkonzept zugunsten der Eigenwertigkeit der Natur ausfallen müsse, begründet Meyer-Abich in Rekurs auf Kant. Denn unter den Pflichten gegen sich selbst verstehe Kant solche Bestimmungen, die unseren Willen durch die praktische Vernunft dazu bringen, das sittlich Gesollte auch tatsächlich zu erstreben. Was indes den Willen lenkt, ist das allgemeine Sittengesetz, der kategorische Imperativ, dem zu folgen wir uns verpflichtet wissen, weil wir es uns selbst geben und aus praktischer Vernunft so wollen. Ein nach dem Sittengesetz selbstbestimmter Wille ist ein guter Wille, den hervorzubringen aber in der Absicht der Natur lag: "Kant gibt sich also in der Begründung der Ethik noch nicht damit zufrieden, daß wir das Sittengesetz deshalb anerkennen, weil wir es uns selber geben, sondern er bestimmt dasjenige Vermögen, aus dem wir uns dieses Gesetz geben (die praktische Vernunft), obendrein als eine Gabe der Natur. Danach hat die Natur den Menschen mit der Vernunft ausgestattet, damit er seinen Willen von dieser bestimmen lasse. Vernünftig
Pflicht gegen andere Wesen ist bloß Pflicht gegen sich selbst." - Metaphysik der Sitten, Tugendlehre § 17 A 106f, vgl ebd., A 108f: "In Ansehung des Schönen obgleich Leblosen in der Natur ist ein Hang zum bloßen Zerstören der Pflicht des Menschen gegen sich selbst zuwider. ... In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst weit inniglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität, im Verhältnisse zu anderen Menschen, sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird. ... Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes ... gehört indirekt zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Tiere, direkt aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst." Vgl dazu etwa das Konzept von Dieter Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, Stuttgart 1988, bes. 9-27.
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zu handeln ist eine im Menschen lebendige Absicht der Natur."50 Wenn dem so ist, erhebt sich um so drängender die Frage, weshalb das Sittengesetz nur in bezug auf den Menschen direkt und nur mittelbar, über die menschlichen Interessen, in Ansehen der nichtmenschlichen Welt gelten soll. Es darf der Ansatz Kants allerdings nicht dahingehend mißverstanden werden, als seien die Pflichten des Menschen gegen sich selbst als Pflichten der Menschen gegeneinander definiert. Im Gegenteil ist davon die Rede, daß die Vemunftbestimmtheit des freien Willens nur eine "Pflicht gegenüber der in dieser Weise gesetzgebenden Vernunft begründet, sowie im weiteren Sinn gegenüber der Natur, welche sie mir in einer bestimmten Absicht beigegeben hat". Sofem daher an einer Unterscheidung zwischen der 'Pflicht gegen' Natur und Vernunft einerseits und den 'Pflichten in Ansehen von' andererseits festzuhalten ist, verläuft diese Trennlinie nicht zwischen den Menschen und der natürlichen Mitwelt, "denn die Pflicht gegenüber der Vernunft ist etwas anderes als die Pflichten gegenüber denen, die ihr ebenfalls verpflichtet sind".51 Von Kant her läßt sich nach Meyer-Abich gerade nicht behaupten, der Mensch sei ausschließlich seinem Mitmenschen verpflichtet und die Natur sei einzig der menschlichen Interessen wegen zu schützen.
6.2.2 Die Natur als Rechtssubjekt? Nachdem die Anerkennmis des Menschen als Subjekt der Moralität im Sinne einer formalen Anthropozentrik als unaufgebbar ausgewiesen werden konnte, ist zugleich die darin eingeschlossene Kritik an der materialen Anthropozentrik zu betonen. Als sittliches Wesen steht der Mensch nämlich unter dem Imperativ, so zu handeln, daß sein Tun universalisierbar ist und von jedem beliebigen Standpunkt aus Zustimmung erhalten kann. Plausibel erscheint diese Forderung eines überparteilichen Standpunktes bereits von der Warte einer konfraktualistischen Position aus, insoweit ein unbegrenzt egoistisches Verhalten die Bedingungen für ein humanes Zusammenleben der Menschen untereinander und in der Natur zerstört und damit die Ermöglichungsbedingung der Sittlichkeit überhaupt gefährdet. Formale Anthropozentrik ist also zufreffend beschrieben, wenn von ihr gesagt wird, sie sei eine 50 51
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Wege zum Frieden mit der Natur, 74. Ebd.
"eingeschränkte Anthropozentrik in sittlicher Hinsicht",52 die dem evolutiven Programm des Artegoismus entgegenwirkt. Für den Umgang des Menschen mit der Natur folgt deshalb, daß von einem überparteilichen Standpunkt aus nicht mehr bloß die Interessen des Menschen das Handlungskriterium sein dürfen. Vielmehr gilt es, die bislang auf den zwischenmenschlichen Bereich eingegrenzte Solidarität in abgestufter Weise auszuweiten, zunächst auf die nachfolgenden Generationen, dann auf die Bedürfnisse der Tiere als leidensfähige Wesen entsprechend ihrer Nähe zum Menschen und der Entwicklung ihres zentralen Nervensystems und schließlich auf die Natur, die Bedingung für die Ausprägung der Sittlichkeit ist.53 Dabei ist diese gestufte Rücksichtnahme einer "geläuterten Anthropozentrik" auf die Interessen außermenschlichen Lebens durch die Entscheidung des Menschen als sittlichem Wesen begründet, wodurch die Natur oder Teile von ihr zu Objekten sittlicher Verpflichtung werden, ohne sie aufgrund ihres Naturseins zum Rechtssubjekt zu erklären54. Im Gegensatz dazu meint Meyer-Abich, daß es ein "Gebot der Menschenwürde" sei, "die natürliche Mitwelt um ihrer selbst willen zu respektieren, wie es zur persönlichen Menschenwürde gehört, auch die Mitmenschen zu achten".55 Eine anthropozentrische Weltdeutung, welche den Naturschutz primär aus Eigennutz empfehle, mache jedes wahrhaft menschliche Leben unmöglich: "Wir verfehlen den Sinn unserer Existenz und damit die Menschenwürde, wenn wir so leben, als sei der Rest der Welt nichts als für uns da. So zu leben ist unmenschlich."56 Mit diesem Vorbehalt lehnt er schließlich auch eine "geläuterte Anthropozentrik" ab, worunter er jene Grundlegung einer ökologischen Ethik versteht, die die natürliche Mitwelt zwar "in unserem Handeln nur um unseretwillen berücksichtigt", aber zugleich erkennt, "daß wir es uns schuldig sind, auf sie auch in ihrem Eigenwert Rücksicht zu nehmen".57 Gewiß ist ihrer Forderung zuzustimmen, "es sei um unseretwillen notwendig, nicht alles nur um unseretwillen gelten zu lassen".58 Andemteils manövriert sie sich allein durch die Begriffswahl in 52
n 54 55 56 57 5X
Bernhard Irrgang, 66. Vgl. ebd., 70. Ebd Wege zum Frieden mit der Natur, 65. Ebd., 66. Ebd. Ebd., 67.
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eine mißliche Situation, sofem man unter dieser Nomenklatur den Umweltschutz als subtilste Form menschlichen Egoismus verstehen kann, der die Natur allein seiner Interessen wegen schützen will. Für eine "geläuterte Anthropozentrik" als politischen Kompromiß einzutreten, scheint Meyer-Abich daher aus zwei Gründen wenig zufriedenstellend. Einmal, weil im politischen Alltagsgeschäft die "geläuterte Anthropozentrik, um unseretwillen nicht immer alles nur um unseretwillen gelten zu lassen zu der ungeläuterten der bisherigen Politik zusammenschnurrt, daß alle Ästhetik nichts gilt und der Rest der Welt nichts als für uns bzw. die industrielle Wirtschaft da ist." Außerdem komme seiner Erfahrung nach das "lebensnotwendige Bedürfnis, nicht alles nur immer von uns aus zu sehen, politisch nicht zum Tragen."59 Vielmehr sei es nötig, die Natur überhaupt um ihrer Eigenwertigkeit willen zu schützen, wozu sie als Trägerin von Rechten, d.h. als Rechtssubjekt postuliert wird. Entsprechend der bisherigen Rechtspraxis, die neben 'natürlichen Personen' auch 'juristischen Personen' Klagerecht zuerkennt, sollten die Interessen der Natur vor Gericht eingeklagt werden können. Dabei versteht er mit Christopher Stone unter der Anerkenntnis von Eigenrechten der natürlichen Mitwelt, nicht "allen Wesen alle denkbaren Rechte oder auch nur dieselben Rechte" zuzusprechen, "die ein Mensch hat".60 Begmndet ist die Option nach Eigenrechten der Natur mit dem Gleichheitsgrundsatz, der es aufgibt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Diesem Prinzip folgend erweitert sich, wie ein Blick auf die Geschichte der bürgerlichen Emanzipationsbewegungen zeigt, die Gemeinschaft der Rechtssubjekte kontinuierlich, in die es nun die Natur aufzunehmen gelte. Gerechtfertigt ist dies nach Meyer-Abich, weil der Mensch mit der Natur evolutionsgeschichtlich verwandt ist; er ist 'Teil der Natur', die mit ihm das Empfin59 60
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Ebd., 68 Wege zum Frieden mit der Natur, 166. Für eine säkularisierte christliche Gesellschaft würde die Anerkenntnis der Natur als Rechtssubjekt nach Meyer-Abich ihre Geschöpflichkeit zum Ausdruck bringen Eigenrechte der Natur hätten die Funktion, die vormals den Naturgottheiten zukam, den Schutz der Natur zu gewährleisten und damit ein religiöses Naturverhältnis zu schaffen, das ihm ähnlich wie Robert Spaemann unerläßlich erscheint (vgl ebd, 66) Spaemanns Forderung nach Überwindung der anthropozentrischen Perspektive durch ein religiöses Verhältnis zur Natur (vgl. Technische Eingriffe in die Natur als Problem der politischen Ethik, in: Dieter Birnbacher [Hg], Ökologie und Ethik, Stuttgart 1980, 180-206, hier: 198) trug diesem jüngst allerdings den Vorwurf der "Nähe zum religiösen Fundamentalismus" ein, ist doch der Rekurs auf die religiöse Dimension nicht allgemein plausibel Vgl dazu Andreas Brenner, 108.
dungsvermögen und - noch allgemeiner gesprochen - die Interessen gemeinsam hat, wobei er die These vertritt, daß immer dort Rechte anzuerkennen sind, wo Interessen vorliegen. Denn "Subjekte von Rechten sind gemäß dem Inhalt des Sittengesetzes alle Wesen, die Interessen haben".61 Grundsätzlich stehen sich damit zwei Begründungstypen einer ökologischen Ethik gegenüber. Dabei anerkennt eine formale Anthropozentrik den Menschen als 'Subjekt der Moralität', weshalb er zur Einnahme eines überparteilichen Standpunktes angehalten ist. Während die Natur diesem Konzept zufolge als Objekt sittlicher Verpflichtung gilt, wird andererseits die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt gefordert. Allerdings kommt gerade auch dieser anti-anthropozentrische Begründungsansatz nicht ohne die Anerkennmis der formalen Anthropozentrik aus, wie die Ausführungen zu Beginn dieses Abschnittes verdeutlichen konnten. Abschließend soll an einem Beispiel aus der Praxis des Umweltschutzes gezeigt werden, welche rechtlichen Konsequenzen die Diskussion um die Begründung einer ökologischen Ethik nach sich zieht. Dabei ist auf die Tragweite der einzelnen Argumente anthropozentrischer und nicht-anthropozentrischer Positionen ebenso zu verweisen, wie auf die ungenügende begriffliche Differenzierung von Anthropozentrik. Wege zum Frieden mit der Natur, 180. Vgl. zur Kritik an Meyer-Abich insbesonders den Aufsatz von Reinhard Low, Naturschutz versus Menschenschutz? Zur Begründungsdebatte von Schutzpflichten in der säkularisierten Gesellschaft, in: IKaZ 21 (1992) 419-431, bes. 425f Er macht darauf aufmerksam, daß das Postulat des Naturschutzes unter Berufung auf die Eigenwertigkeit der Natur zwei Mißverständnissen erliegt: Zum einen verhält sich der Mensch zu Werten im Sinne der Anerkennung und nicht der Setzung durch positives Recht. Zum anderen aber kommt hinzu, daß es im Fall von Interessenkollisionen zwischen Mensch und Natur einer Entscheidungsinstanz bedarf, die nur der Mensch sein kann, womit gerade wieder die Unaufgebbarkeit der formalen Anthropozentrik in den Blick gerät Die theologische Rezeption des Naturschutzes um der Eigenwertigkeit der Natur willen dokumentiert das Themenheft 'Rechte künftiger Generationen - Rechte der Natur' EvTh 50 (1990); vgl. darin besonders die Beiträge von Jürgen und Elisabeth Moltmann, Menschenrechte, Rechte der Menschheit und Rechte der Natur, 437444, bes. 442f und Jörg Leimbacher, Die Rechte der Natur, 450-459, der zusammenfassend sagt: "Rechte der Natur sollen die Einseitigkeit der Natur statuieren, sie sollen die Natur vom bloßen Ding zum Rechtssubjekt befördern. ... So wie uns allen absolut klar ist, daß wir unseren Nachbar nicht erschießen dürfen, nur weil er unsere Nachtruhe stört, so sollen Rechte der Natur dazu beitragen, die Gewißheit in uns zu verankern, daß wir auch die Schöpfung nicht auslöschen dürfen Beiden - Mensch und Natur - kommt ein eigener Wert zu. Und so wie wir nur Mensch werden und sein können in der Achtung unseres Mit-Menschens, so verfehlen wir uns auch, wenn wir die Natur verachten" (ebd., 459).
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Ausgewählt wurde dazu die umfangreich dokumentierte Anhörung zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG).
6.2.3 Die Leitbild-Diskussion am Beispiel der Anhörung zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes Im Bundesnaturschutzgesetz vom 20. Dezember 1976 steht unter § 1 Abs. 1 zu lesen: "Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, daß 1. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, 2. die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, 3. die Pflanzen- und Tierwelt sowie 4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlagen des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft nachhaltig gesichert sind."62 Der Gmnd für das Bestreben zur Novellierung ist das anthropozentrische Leitbild, das insofern als revisionsbedürftig erachtet wird, als es die Natur lediglich als schützenswertes Gut um des Menschen und seiner Interessen willen anerkennt. Diese rein instrumenteile Zwecksetzung des Naturschutzes spreche der Natur jeglichen Eigenwert ab, infolge dessen schon per definitionem ausscheide, eine Schutzgarantie vor den zerstörerischen Eingriffen der Menschen auszusprechen: "Anders als bei den Eingriffen in die Freiheitssphäre der Mitmenschen steht der natürlichen Mitwelt kein eigenes Schutzinstmment gegen Eingriffe zur Verfügung. Ihr Schutz ist immer nur derivativ, d.h. davon abhängig, daß der Mensch seine Nutzungsinteressen nicht exzessiv durchsetzt. Das anthropozentrisch konzipierte Recht kennt kein juristisches Konektiv und muß darauf vertrauen, daß der Mensch seine Eingriffsrechte aufgrund freiwilliger Selbstbescheidungen nicht voll ausnutzt. ... Vor diesem Hintergrund muß der Schluß gezogen werden, daß im anthropozentrischen Recht nur das als "Nachteil' gilt, was die Nutzbarkeit, Erholungsfunktion und Ästhetik von Natur und Landschaft mindert. Ob die Natur selbst einen Nachteil erleidet, ist unerheblich."63 In die gleiche Rich62 63
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Bundesgesetzblatt (1976) Teil I, 3574. Klaus Bosselmann in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Hearing über die Neufassung des BNatSchG unter Bezug auf Teil A des Fragenkataloges: "Was ist warum am geltenden Recht verkehrt?", veröffentlicht in: Neue Leitbilder im Naturschutzrecht? Anhörung des Arbeitskreises für Umweltrecht zur Anthropozentrik und Ökozentrik, Berlin 1988, 95f (=Beiträge zur Umweltgestaltung A 107). Vgl.
tung weist auch die Stellungnahme von Gotthard M. Teutsch, der meint, das dem BNatSchG zugrundeliegende Leitbild verstehe den Menschen "entweder im naturalistischen Sinne als Endprodukt der Evolution oder im humanistischen Sinne als Tvlaß aller Dinge' bzw. als Zweck und Ziel der Schöpfung. Beide Konzepte führen zu einem die übrige Natur zur 'Lebensgrundlage des Menschen' abwertenden Anthropozentrismus."64 Allerdings trifft diese Beurteilung nicht auf einhellige Zustimmung, lassen sich doch in dem kritisierten §1 Abs. 1 BNatSchG sowohl Indizien für die angeprangerte 'enge' Anthropozentrik als auch die 'weite' Anthropozentrik ausfindig machen.65 Aufgrund eines solchen Nebeneinanders sei es keineswegs zwingend anzunehmen, das Gesetz schütze die Natur nur der menschlichen Interessen wegen, ohne ihre Eigenwertigkeit zu respektieren. Mag auch das anthropozentrische Leitbild des BNatSchG offen sein für eine 'ganzheitliche' Sichtweise des Menschen, finden de facto lediglich die 'wirtschaftlichen' Interessen des Menschen Beachtung, so daß in der Praxis allein die 'enge' Anthropozentrik evident und Umweltschutz daher nicht originär, sondern vom Menschen abgeleitet ist.66 Unter Bezugnahme auf die grundgesetzlichen Vorgaben, welche die Würde des Menschen und sein Wohlergehen als staatliche wie gesellschaftliche Handlungsmaxime konsti-
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ferner die Überlegungen zur Verankerung des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung im Grundgesetz: Josef Isensee, Zwischen Volkskatechese und Juridifizierung: Staatsziel Umweltschutz Ein Streit um Begriffe?, in: NOrd 47 (1993) 256-260, Wolfgang Thüne, Vom "Naturschutz' zum Schutz der Natur, in: Ebd., 355-366 Vgl ebenso Christopher D Stone, Umwelt vor Gericht Die Eigenrechte der Natur, Darmstadt 1992, der bereits anfangs der siebziger Jahre im Zusammenhang der geplanten Bebauung des wegen seiner Naturschönheiten bekannten Tals von Mineral King in Kalifornien die Anerkennung von Eigenrechten für die Natur forderte Eigenrechte und die damit implizierte Klagebefugnis bedeuten aber nicht, daß die Natur jedes nur denkbare Recht oder dieselbe Rechtsstellung wie der Mensch oder ein anderes Ding haben sollte (vgl ebd, 30) Vielmehr soll sie als "Inhaber eines subjektiven Rechts" behandelt werden, d h sie soll einen "rechtlich anerkannten Wert sowie eine irgendwie geartete Würde aus eigenem Recht" zugesprochen bekommen und nicht wie bislang allein Mittel zum Zweck für die Menschen sein (vgl ebd , 3lf) Neue Leitbilder im Naturschutzrecht, 108 Eine 'enge Anthropozentrik' scheint etwa bei der 'Erholungseignung', der Landwirtschaftsklauser oder der vielfältigen Abwägungsgebote durch, während 'Schönheit, Vielfalt, Eigenart der Natur1 eine weit gefaßte Anthropozentrik anklingen lassen So Rolf Pramel in seinem Statement, in: Ebd , 101 Vgl. dazu Wilfried Erguth, in: Ebd., 112.
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tuieren, wird schließlich erinnert, daß die Anthropozentrik nicht zwangsläufig eine Schutzlosstellung der Natur nach sich zieht: "Durch die Präambel des Grundgesetzes sind die natürlichen Lebensgrundlagen ... in die Verantwortung des Menschen gestellt, der sie im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und der Schöpfung angemessen zu schützen und zu pflegen hat." Für die Deutung des BNatSchG folgt daraus: "Wegen des anthropozentrischen Charakters der Zielbestimmung ... sind die einzelnen Aspekte des Zielobjekts ... ausschließlich auf den Menschen bezogen zu interpretieren, ohne daß damit die Anerkennung des Eigenwerts von Natur und Landschaft ... völlig als rechtsrelevantes Motiv ausgeschlossen ist."67 Konvergenz eneichen die referierten Deutungen in der Annahme, dem geltenden Recht liege ein anthropozentrisches Leitbild voraus, das die Eigenwertigkeit der Natur mißachte. Wenn nun aber feststeht, daß ein bloß um der Menschen willen betriebener Naturschutz das eigentliche Anliegen verfehlt, die Natur vor ungerechtfertigten Eingriffen des Menschen zu schützen, kann der Novellierungsansatz des BNatSchG auf das Postulat eines nicht-anthropozentrischen, bestenfalls 'weiten' anthropozentrischen Leitbildes zumckgreifen. Die sich anschließenden Fragen zielen daher auf die Gestalt solcher Alternativen und ihre rechtlichen Wirkungen. Ehe diese Diskussion vorgestellt wird, ist es jedoch nicht uninteressant anzumerken, daß in einem vorab erarbeiteten Leitfaden zu den Problemstellungen des Hearings unter Teil B: "Welche alternativen Leitbilder könnten einer Rechtsänderung zugrunde gelegt werden?", folgende Möglichkeiten aufgelistet sind: Andere anthropozentrische Leitbilder oder, alternativ dazu bio-, öko- oder p/iys/ozentrische Leitbilder. Erstere werden nochmals untergliedert in anthropozentrische Leitbilder unter dem Gesichtspunkt des Nachweltschutzes (a), ethischer Verantwortung (b) sowie ästhetischen (c) und religiösen (d) Aspekten, während für die zweite Gruppe die Unterscheidung vorgenommen ist: Eine Rechtsgemeinschaft der Natur, welche die Menschheit und die natürliche Mitwelt umfaßt (a) die Anerkennung des Eigenwertes der Natur ohne (b) und mit (c) Rechtssubjektivität.68
Albert von Mutius, in: Ebd., 115. Zusammengetragen sind in diesem Katalog die in der Debatte um die Grundlegung einer ökologisch verantwortbaren Ethik vorgeschlagenen Modelle. Dabei unterläßt die vorliegende Arbeit eine Bewertung, inwieweit die Erstellung eines solchen Diskussions-Leitfadens suggestiv ist. Nachzulesen sind die einzelnen Punkte, in: Ebd., 4f.
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Erwägt man die seit der Neuzeit für die westliche Kultur prägende Entfremdung des Menschen von der Natur, so ein erstes Votum, "sollte Einigkeit darüber bestehen, daß die Forderung nach Anerkennung eines Eigenwertes der Natur, nach Schutz der natürlichen Mitwelt um ihrer selbst willen und nach Anerkennung einer Rechtssubjektivität der natürlichen Mitwelt nur auf dem Boden einer wc/iNanthropozentrischen Ethik Sinn machen."69 In einer Zeit, in der die Naturwissenschaften die Relationalst von Subjekt und Objekt erkannt haben, könne es unmöglich angehen, ein nur auf den Menschen und sein Nutzenkalkül bezogenes Leitbild zu formulieren. Nicht von utilitaristischen Abwägungen sei auszugehen, welche eine Privilegierung umweltzerstörenden Handelns begünstigen, sondern vom Wert der natürlichen Mitwelt an sich. Folge einer solchen ökozentrischen Perspektive wäre die Akzeptanz einer prinzipiellen Gleichrangigkeit menschlicher und natürlicher Interessen, deren Spannung dadurch entkräftet wird, daß sich die Zulässigkeit eines Eingriffs in die Natur nach den Kriterien der Erforderlichkeit und Intensität bemißt.70 Ähnlich vermutet Teutsch eine günstige Konstellation für den Respekt vor der Schutzwürde der Natur, ist erst einmal die Bastion der engen Anthropozentrik erstürmt, wozu ihm insbesonders die im Fragenkatalog vorgeschlagenen bio-, öko- oder physiozentrischen Leitbilder geeignet erscheinen: "Je mehr das Gesetz von der traditionellen Anthropozentrik abrückt und den Schutz der Natur um ihrer selbst willen fordert, desto größer ist die Chance, die individual- und kollektivegoistischen Interessen des Menschen so zu begrenzen, daß die Natur in ihrer Vielfalt und Selbsterneuerung gestärkt wird und erhalten bleibt."71 Kennzeichnet es die bisherigen Stellungnahmen, nicht-anthropozentrische Leitbilder für den einzigen oder zumindest erstrebenswerten Weg zu halten, So Klaus Bosselmann in seiner Stellungnahme, in: Ebd , 97f. "Mit Anerkennung eines Eigenwertes der natürlichen Mitwelt wird den Nutzungsinteressen des Menschen ein im Prinzip gleichrangiges Regulativ gegenübergestellt. ... Während bei der Abwägungsentscheidung bzw Güterabwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bisher die grundrechtsgesicherten Nutzungs- und Prosperitätsinteressen gegenüber bloßen Belangen des Naturschutzes klar dominieren, könnte eine ökozentrische Wertschätzung den Rang altruistischer Naturschutzinteressen entscheidend anheben" (ebd , 99). Ebd., 110. Eine ausführliche Darlegung der "ökozentrischen Ethik", die allein den "Systemfehler der Anthropozentrik" im BNatSchG zu korrigieren vermag, die als "Ausdruck kollektiv-egoistischer Eigenliebe" (vgl. 292) gewertet wird, findet sich bei Klaus Bosselmann, Im Namen der Natur. Der Weg zum ökologischen Rechtsstaat, Darmstadt 1992.
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so findet andemteils auch das Spektrum der sogenannten 'weiten', 'geläuterten', 'kritischen' oder 'gemäßigten' Anthropozentrik Zuspruch. Ein neu formulierter § 1 Abs. 1 des BNatSchG könnte sich etwa an der ethischen Verantwortung als zentralem Topos ausrichten, die in gleichem Maße wie der technisch-naturwissenschaftliche Fortschritt steigen würde. Nicht-anthropozentrische Leitbilder müßten jedoch gerade deshalb abgelehnt werden, weil sie den Menschen als alleinige Instanz sittlicher Verantwortung ignorieren. Im Grunde genommen kann nur er die Anerkennung der Rechtsgemeinschaft mit der Natur oder von Eigenwerten der Natur gewähren. Schlägt mit der eben genannten Position das Pendel zugunsten einer 'weit' gefaßten Anthropozentrik aus, so ist zunächst zu bedenken, daß dieser Typus bereits im Anthropozentrik-Konzept des BNatSchG enthalten ist, das seinem ursprünglichen Sinn nach den Menschen nicht bloß in dessen despotischer Beziehung zur Natur umschließt. Außerdem stehen anthropozentrische und nicht-anthropozentrische Leitbilder keineswegs im Gegensatz zueinander, sofem sich die "anthropozentrische Betrachtungsweise nicht auf den (primär ökonomischen) Nutzen für den Menschen verkürzen läßt".72 Damit beginnt sich bereits der kleinste gemeinsame Nenner dieses Diskussionsforums bei der Suche nach einem neuen Paradigma im Naturschutzdenken abzuzeichnen. Notwendig wäre die Abkehr von der sogenannten 'engen' Anthropozentrik zu einem anthropozentrischen Leitbild, das wenigstens dem Nachweltschutz, der ethischen Verantwortung des Menschen und seiner Grundempfindung, sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen, Achtung schenkt. Ein 'kritischer Anthropozentrismus', wie Albert von Mutius im Anschluß an das Umweltgutachten 1987 fordert, hätte demnach die größte Chance auf Akzeptanz bei der Mehrheit der Bevölkemng und bewirkte mehr Schutz für die Umwelt "als die Bemfüng auf eine Ethik, deren materielle und ideelle Grundlagen in einem Prozeß der Säkularisiemng vielfach gebrochen sind".73 So gibt Albert von Mutius zu bedenken, in: Neue Leitbilder im Naturschutzrecht'', 114 Ebd., 118. Auffallend ist am Gesamtverlauf dieses Hearings die anklingende Skepsis gegenüber einer Anthropozentrik unter Berufung auf die Religion, also die Verantwortung gegenüber der Schöpfung Gottes, wie sie Teil Bl (d) vorschlägt. Es scheint ebenso bedeutsam, daß im Fragenkatalog ein Begriffswechsel festzustellen ist. Dominiert ansonsten die Rede vom Eigenwert der zu schützenden Natur, so ist in Bl (c) und (d) von Schöpfung die Rede Die Gesamtheit der Schöpfung ist in (c) als ästhetische Vollkommenheit benannt und unter (d) die
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Die Bemühungen um die Novellierung des BNatSchG vermochten aufzuzeigen, daß die Debatte um die Grundlegung einer Ethik unter dem Anspruch ökologischer Verantwortbarkeit nicht bloß der Diskutierfreudigkeit akademischer Kreise obliegt, sondern konkrete Wirkungen auf das Verhältnis einer Rechtsgemeinschaft und ihrer Naturschutzoption hat. Indiz dafür ist allein schon die einvemehmlich vorgetragene Meinung, ein Paradigmenwechsel - etwa von 'enger' zu 'weiter' Anthropozentrik - bedeute in jedem Fall eine Optimierung des Naturschutzes. Natur würde dann nicht mehr aufgrund der Nützlichkeit für den Menschen geschützt, womit von der Rechtsordnung her ein gesamtgesellschaftlicher Umdenkprozeß initiiert wäre. Dennoch ist die hinter dem favorisierten Leitbildwechsel verborgene Begriffsunschärfe nicht zu übersehen. Anthropozentrik wird unachtsam mit Anthropozentrismus gleichgesetzt und folglich so verstanden, als gehe sie zu Lasten des Eigenwertes der Natur. Damber hinaus mutet die behelfsmäßig konstruierte Differenz von 'enger' und 'weiter' Anthropozentrik befremdlich an, zumal durch die philosophisch-theologische Reflexion eine präzise Begrifflichkeit erarbeitet wurde. Auf wenig Verständnis trifft es, daß die von Auer in das Gespräch eingebrachten Hinweise, die anthropozentrische Option sei weder mit dem schrankenlosen Anthropozentrismus ineins zu setzen noch ignoriere sie den Eigenwert der Natur, kaum Berücksichtigung fanden. Wenn es auch zu den Grundmanifesten der Neuzeit gehört, eine dualistische Trennung von Subjekt Mensch und Objekt Natur eingeführt und die rigorose Ausbeutung der Natur begünstigt und mit eben dieser Vorstellung den Begriff Anthropozen-
Verantwortung vor Gottes Schöpfung angesprochen. Auch der vom Bundesministerium für Umwelt (BMU) eingebrachte Novellierungspassus geht von der Idee der Verantwortung des Menschen für seine Schöpfung aus (vgl. ebd., 78). Bedauerlich ist jedoch, daß in den kommentierenden Worten zur vorgeschlagenen Neufassung des BNatSchG durch das BMU dazu lediglich ein Begriffswechsel deklariert und nicht der Mut gefunden wird, verstärkt auf der spezifisch religiösen Dimension zu insistieren: "Wenn Sie 'Verantwortung des Menschen für die Schöpfung' nehmen, dann haben Sie nur ein anderes Wort für 'natürliche Mitwelt' genommen. Nach meinem Verständnis ist all das mit abgedeckt, was wir unter den Begriffen 'Schutz der Natur an sich' und 'Schutz der Natur um ihrer selbst willen' verstehen " - Alfons Bobbert, in: Ebd , 78. Dezidiert erklärt etwa Georges Fulgraff in seinem Plädoyer für einen aufgeklärten, kritischen und weit gefaßten Anthropozentrismus, er verstehe darunter die im Fragenkatalog Teil B 1 a-c skizzierten Implikate. Eine Verantwortung vor Gottes Schöpfung (d) ist damit ganz bewußt ausgeklammert (vgl ebd , 18)
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frik geprägt zu haben, rechtfertigt dies keinesfalls, die im Christentum beheimatete Grundlegung einer formalen Anthropozentrik auszublenden. Anthropozentrik meint in ihrer biblischen Fundierung die Sonderstellung des Menschen als Abbild Gottes mit der ihm übertragenen Verantwortung im Umgang mit der Schöpfung, die nach dem Bild göttlichen Handelns zu gestalten ist. Vor diesem Hintergrund entschlüsselt sich ihr Sinngehalt, der gleicherweise die menschliche Privilegiertheit mit seiner spezifischen Verantwortung und der solidarischen Verbundenheit mit der Schöpfung qua Geschaffensein durch Gott widerspiegelt. "Niemand außer dem Menschen vermag sich selbst zu vertreten. Aber der Mensch steht eben nicht nur für sich selbst und seine eigene Sache, vielmehr ist ihm die Verantwortung für seine ganze Umwelt aufgegeben. ... Die Natur kommt zu sich selbst letztlich nur im Menschen. ... Außer dem Menschen ist kein Geschöpf fähig, das vielfältige Wechselspiel im ökologischen Haushalt zu verstehen, zu respektieren oder zu zerstören."74 Vernünftigerweise wird man dieser Beobachtung beipflichten und die theologischen Konstitutiva der Anthropozentrik in ihrer originären Bedeutung heraushören: die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Wissen um seine Zugehörigkeit zur Schöpfung, womit ausgeklammert ist, sie in Widerspmch zur Eigenwertigkeit der Schöpfimg zu setzen. Eine philosophische Argumentation wird dieser Feststellung kaum ihre Zustimmung verweigern, muß doch jede Anthropologie folgende drei Charakteristika für den Menschen anerkennen: Der Mensch ist Glied der Natur, Mitte der Natur und schließlich auch der Hen der Welt.75 Um den totalitär-schrankenlosen Anthropozentrismus zu überwinden, ist eine Rückbesinnung auf die Grundbedeutung von Anthropozentrik unerläßlich, welcher somit die Priorität bei der Entscheidung zur Fundierung einer ökologisch verantwortbaren Ethik gebührt. Denn im Gegensatz zu nicht-anthropozentrischen Leitbildern eignet ihr erstens die "höhere sachliche Plausibihtät", sofem sie sich bewußt macht, daß die Interessen der natürlichen Mitwelt immer nur vom Menschen abgeleitet und damit keine Gleichwertigkeit oder Gleichberechtigung von Mensch und Natur konstituiert werden kann. Zweitens vermag sie es eher, den "Wahrheitsgehalt" nicht-anthropozentrischer Interpretamente zu integrieren, etwa das Moment des Einsseins mit 74
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Alfons Auer, Anthropozentrik oder Physiozentrik? Vom Wert eines Interpretaments, in: Kurt Bayertz (Hg), Ökologische Ethik, München-Zürich 1988, 31-54, hier: 33. Vgl. ebd., 34f.
der Natur, das selbst zum Grundpfeiler der Anthropozentrik gehört. Vorzug muß die anthropozentrische Option aber auch deshalb erhalten, weil sie das menschliche "Selbstverständnis von seiner spezifischen Eigenart her erfaßt und in seiner Verbindlichkeit vermittelt". Schließlich läßt sich noch ein vierter Aspekt geltend machen, verspricht sie doch "für die Gegenwart und die überschaubare Zukunft die stärkere Effektivität" und die größere Akzeptanz76.
6.3 Ausblick Anliegen einer ökologischen Ethik ist die Forderung nach einem grundlegenden Wandel des menschlichen Umgangs mit der Natur, der "die Herauswindung des Subjekts aus der Natur" überwindet77, indem er die Naturabhängigkeit des Menschen berücksichtigt und die Welterfahrung nicht auf das selektive Moment der Nützlichkeit für den Menschen begrenzt. Solange die Ästhetik der Natur aus der Wahrnehmung ausgeblendet und der Interaktionszusammenhang von Mensch und Natur einzig unter der Kategorie der Aneignung der Natur durch den Menschen definiert wird, scheint der Weg aus der ökologischen Krise verstellt. Ausdmck verschafft sich die Fordemng nach einer neuen Sicht der Natur im Bewußtsein "ganzheitlichen Denkens"78, mit dem sich ein Paradigmenwechsel von der Ökonomie zur Ökologie eröffnet79, der Mensch und Natur in ihrer Zusammengehörigkeit erkennt. Die Option der Ganzheitlichkeit bezieht sich auch auf das Menschenbild, insofern die naturale Konstiruiertheit des Menschen als das Andere der Vernunft beachtet werden müsse. So unterschiedlich die Konzepte im einzelnen auch sind, ist ihnen doch die Kritik an der menschlichen Subjektivität gemeinsam. Dabei glauben dezidiert anti-anthropozentrische Positionen der Ausbeutung der Natur dadurch entgegenzuwirken, daß sie dem menschlichen Handeln im Primat der Natursubjektivität eine neue 76 77 78
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Ebd., 49f Vittorio Hösle, 49. Vgl. Klaus M. Meyer-Abich, Wissenschaft für die Zukunft, bes 83f, vgl. Caroly Merchant, Entwurf einer ökologischen Ethik, in: Hans-Peter DürrAValther Zimmerli (Hg), Geist und Natur, 135-144, bes. 139-142, Manon Andreas-Grisebach, bes. 128f Vgl. Vittorio Hösle, bes. 20-34
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Maxime vorgeben. Wenn jedoch geradezu übereinstimmend die Mittelpunktstellung des Menschen, dessen Interessen im Sinne einer materialen Anthropozentrik das alleinige Maß sind, als Grund für den bislang geübten und in die ökologische Krise steuernden Umgang mit der Natur benannt wird, ist es von Belang, seit wann von der Herausbildung dieser utilitaristischen Naturperspektive gesprochen werden kann. Zwei Deutungsmodelle lassen sich unterscheiden: Dem ersten zufolge entwickelt sich die privilegierte Stellung des Menschen gegenüber der Natur aus der geistesgeschichtlichen Neuausrichtung im Zeitalter der Aufklärung, während nach der zweiten These das Christentum auf die Trennung von Subjekt Mensch und Objekt Natur hingewirkt habe. Erstere sehen in der Etabliemng und Emanzipation des Subjekts Mensch, die sich insbesonders seit Descartes' Grundlegung des Denkens im 'cogito ergo sum' ausbildete und später von Kant als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit bezeichnet wird, den hybriden Versuch der Aufklärung, die Naturabhängigkeit des Menschen auszublenden und im Gegenzug einseitig die Vernunft herauszukehren. Die ökologische Krise mache gerade dieses in der Aufklärung immanente Defizit dadurch sichtbar, daß sich die Ignoranz gegenüber dem Anderen der Vernunft gleichsam in dialektischem Umschlag gegen den Menschen selbst kehrt.80 Richtungweisend scheint ihnen Albert Schweitzer diesen kritischen Vorbehalt formuliert zu haben, der seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben dem Gmndpostulat cartesianischen Philosophierens gegenüberstellt: '"Ich denke, also bin ich'. Andreas Brenner kritisiert an diesen Entwürfen einer neuen Ethik und ihrem Ansinnen, die Aufklärung als gescheitertes Projekt zu desavouieren, daß die diagnostizierten Vereinseitigungstendenzen nicht die Aufklärung als solche treffen, sondern nur ihren theoretisch-emanzipativen Anteil. Insofern aber treffen die erhobenen Bedenken nicht die Aufklärung als solche, sondern lassen sich nur als Kritik an der Aufklärungswirklichkeit verstehen, welche das emanzipatorische Grundanliegen der Aufklärung nur unvollständig durchgesetzt habe: "Die Berücksichtigung des Anderen der Vernunft, seine Anerkennung als nicht per se auszuschließende Größe, diskreditiert nicht die Aufklärung, sondern setzt sie zuallererst durch. Die Vemunft, die das Andere ihrer selbst als für den Prozeß der Aufklärung relevant betrachtet, hebt sich nicht auf, sie bleibt als Metakriterium in Geltung. ... Ein solcher Wandel stünde insofern weiterhin unter dem Zeichen der Aufklärung, als er die Erkenntnis umsetze, daß eine nicht grundsätzliche Ausblendung aller nicht-rationalen Weltzugangsweisen emanzipatorisch wirken kann. ... Der Aufklärungsprozeß wird solchermaßen nicht einer auf Revision drängenden Totalkritik unterzogen, ... sondern vielmehr reformiert" (Streit um die ökologische Zukunft, 190f).
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Mit diesem armseligen, willkürlich gewählten Anfang kommt es [das Denken Descartes', Anm. d. Verf.] unrettbar in die Bahn des Abstrakten. Es findet den Zugang zur Ethik nicht und bleibt in toter Welt- und Lebensanschauung gefangen. Wahre Philosophie muß von der unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache des Bewußtseins ausgehen. Diese lautet: 'Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will'."81 Dagegen ist dem zweiten Modell zufolge die Dominanz des menschlichen Subjekts nicht erst in der Neuzeit begründet, sondern bereits im Christentum selbst. Denn dieses benennt den Menschen als Ebenbild Gottes und teilt ihm damit eine Sonderstellung im Schöpfüngsganzen zu, die er in der Erfüllung des Henschaftsauftrages einlöst. Macht euch die Erde Untertan! Dieser Imperativ gilt als Legitimation zu rigider Ausbeutung, der sich in einem rigorosen Arbeitsideal sowie dem verstärkten Interesse an Naturwissenschaft und Technik ausgeprägt habe. Die Welt ist entgöttert und dem Menschen zum Objekt seiner Herrschaft geworden, derer er sich, wie es das lineare Verständnis einer stets besseren Geschichte unter dem Gnadenzuspruch Gottes verbürgt, uneingeschränkt zu seinen Nutzen bedienen darf. Die Ausführungen dieser Untersuchung zeigen allerdings, daß das Konstrukt einer solchen monokausalen Schuldzuweisung an die Adresse des Christentums unhaltbar ist. Zunächst ist mit den Ergebnissen der exegetischen Forschung die Prädikation des Menschen als Abbild Gottes (saelem/demut) und der sich daraus ableitende Herrschaftsauftrag (rdh/kbs) als Beziehungsgefüge zu interpretieren, das Gott, Mensch und Welt miteinander verbindet. Als Abbild Gottes, dessen Handeln sein und leben läßt, hat der Mensch sein Tun am göttlichen Vorbild auszurichten, d.h. auch die Erfüllung des Imperativs, sich die Erde Untertan zu machen, steht unter der Maxime, Sein und Leben zu ermöglichen. Ebenso verwehrt es die Geschichte des christlichen Arbeitsethos, sowohl von ihren biblischen Aussagen als auch von ihrer Rezeption im Mönchtum und Protestantismus, die durch Arbeit geschehende Konkretion von Gen 1,28 als Freibrief der Narurausbeutung zu verstehen. Arbeit ist vielmehr als existentielle Bestimmung des Menschseins ausgewiesen, die unter dem Leitbild der Gottes- und Nächstenliebe nach Auskunft der neutestamentlichen Schriften sogar als Berufensein zur Mitarbeit am Aufbau des Reiches Gottes qualifiziert ist. Welche Bedeutung der Arbeit als theologischer Begriff im Sinne des Be-
Wie wir überleben können, 76f
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rufenseins durch Gott zukommt, bringt gerade das Berufsverständnis der Reformatoren zu Bewußtsein: Luther fordert vor dem Hintergrund der Ablehnung der Zwei-Wege-Lehre, der einzelne müsse ein 'weltlicher Mönch' werden, indem er seine Bemfüng durch Gott im weltlichen Bemf einlöst. Diese Gedankenführung nimmt Calvin auf und verbindet die theologische Interpretation des Bemfs mit der Gnadenlehre, so daß sich im Fortgang der Reformation das Verständnis herausbildet, beruflicher Erfolg sei ein Zeichen des göttlichen Erwähltseins. Die Reduktion der Arbeit auf Produktivität und damit die Ablösung von ihrem theologischen Verständnishintergrund vollzieht sich erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit John Lockes Versuch einer Eigentumsbegründung durch den Wert der Arbeit, in welcher der Rekurs auf Gen 1,28 einen ganz neuen Akzent in der Auseinanderdividierung von Boden/Natur als Ressource einerseits und der Mehrwert schaffenden Arbeit andererseits erhält.82 Ähnlich wie die Homogenität des christlichen Arbeitsethos erst unter den ideengeschichtlichen Weichenstellungen des 17. Jahrhunderts zerbrochen ist, hat auch das Verständnis von Naturwissenschaft und Technik in dieser Epoche einen grundlegenden Bedeutungswandel erfahren. Obgleich für die Hochblüte des Mittelalters ein zunehmendes Interesse an naturkundlichen Studien feststellbar ist, bleiben diese von spektakulärer Naturbetrachtung motiviert, welcher in der Schönheit und Geordnetheit der Welt die Henlichkeit Gottes transparent wird. Vonangig um der Gotteserkenntnis willen wird das Studium der Natur betrieben. Das Wissen steht gleichsam im Dienst des Glaubens. Vorbereitet ist die für die Neuzeit signifikante Allianz von Naturwissenschaft und Technik in der Renaissance, die den Menschen als die Mitte von Gott und Welt entdeckt und diese Beziehungsstmkmr bevorzugt im Bild des Menschen als Mikrokosmos veranschaulicht. Im In seinem 1690 in erster Auflage erschienen Werk "Zwei Abhandlungen über die Regierung" unternimmt er den Versuch, den Rechtsanspruch auf das Eigentum durch die Arbeit zu begründen. Gott habe dem Menschen im Herrschaftsauftrag die Verfügungsgewalt über die Erde erteilt, wobei jeder einzelne sich durch seine Arbeit Eigentum erwerbe (vgl. Kap V § 32, 36) Wenn "Eigentum aus Arbeit" (Kap. V § 40) entsteht, ist es gerade die Arbeit des Menschen, die einen Mehrwert gegenüber den Vorgaben der Natur schafft (vgl. Kap. V § 40). Es ist die Arbeit, die "den weitaus größten Anteil des Wertes der Dinge ausmacht, an denen wir uns in dieser Welt erfreuen. Der Boden, der die Rohstoffe liefert, ist dabei in dieser Rechnung kaum zu berücksichtigen, und wenn überhaupt, so bildet er höchstens einen sehr kleinen Anteil" (Kap. V § 42; zit. nach Walter Eucher, Frankfurt a.M. 4 1989).
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Zusammenhang dieser Metaphorik verstehen sich auch die Bezeichnungen des Menschen als "menschlicher Gott", als "Gott auf der Erde" oder als "Verbindung von Himmel und Erde", die jedoch an der sich im Menschen konzentrierenden Gleichzeitigkeit von Geschaffensein und schöpferischem Vermögen festhalten. Nachfolgend löst sich allerdings diese Dichotomie auf, indem das Bewußtsein des geschaffenen Schaffens zugunsten der Autonomie des menschlichen Subjekts preisgegeben wird. Für Naturwissenschaft und Technik ist diese Wende mit Francis Bacons Postulat der Funktionalisierung der Schöpfung, der im Experiment gleichsam unter Folter die Preisgabe ihrer letzten Geheimnisse abgerungen werden soll und Rene Descartes Begründung der Philosophie im denkenden Subjekt markiert, welchem die nach den geometrischen Kategorien von Maß, Zahl und Gewicht analysierte Welt als res extensa gegenübersteht. Erst unter dieser einen Entfremdungsprozeß zum Christentum bezeichnenden Konstellation kann zu Recht von einer Trennimg zwischen dem Menschen als Subjekt und der Natur als Objekt gesprochen werden. Schließlich ist darauf zu verweisen, daß sich das lineare Geschichtsverständnis des Christentums nicht eignet, um die Entwicklung des neuzeitlichen Fortschrittsideals zu erklären, mit dem sich eine gänzlich unkritische Euphorie gegenüber den Errungenschaften von Naturwissenschaft und Technik verbindet. Das als Glauben an eine vom Menschen selbst machbare, stets bessere Zukunft ausgewiesene Fortschrittspathos unterscheidet sich vom christlichen Geschichtsverständnis gerade dadurch, daß letzteres die Geschichte als Geschehen Gottes mit seiner Schöpfung deutet, die in Jesus Christus zur Fülle gelangt ist und deren Ende mit seinem Wiederkommen in Henlichkeit erwartet wird. Unter diesem eschatologischen Vorbehalt ist jeglicher Fortschritt in der Geschichte als bloß vorletzter ausgewiesen, was den Christen indes nicht entpflichtet, für eine stets bessere Zukunft Sorge zu tragen. Wenn auch das Geschichtsverständnis des Christentums nicht als Ursache der ökologischen Krise zu benennen ist, kann den theologischen Deutemustern, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts voller Stolz die Neuzeit als säkulare Transformation des Christentums apostrophierten, zum Vorwurf gemacht werden, sie hätten vorschnell auf die Ambivalenz des Fortschritts vergessen. Unkritisch haben sie sich dem Trend der Fortschrittseuphorie angedient und glaubten, endlich den Beweis dafür erbringen zu können, daß das Chnstentum nicht der Bremsklotz der modernen Errungenschaften ist, sondern im Gegenteil dessen eigentliche Ermöglichungsbedin-
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gung. Allerdings erwies sich diese apologetische Strategie schon bald als äußerst kurzschlüssig. Denn Ende der sechziger Jahre kehrte White als erster die emphatisch vorgetragene These, das Christentum habe durch die Entgötterung der Welt den Erfolg von Naturwissenschaften und Technik ermöglicht, gegen das Christentum: Die ökologische Krise mache die negativen Folgen des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts ansichtig, wobei es im Umkehrschluß der Säkularierungsthese nur konsequent sei, das Christentum als Ursache der ökologischen Krise zu benennen. Einst als Ermöglichungsbedingung des neuzeitlichen Fortschritts gefeiert, wird das Christentum nunmehr auf die Anklagebank zitiert. Das Bemühen um eine differenzierte Wertung dieser Schuldzuschreibung widerlegt diese nicht nur, sondern zeigt damber hinaus, daß gerade die als Kritik am Christentum vorgebrachten Argumente das Fundament einer ökologischen Ethik bilden. Aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seinem Henschaftsauftrag läßt sich nicht auf eine dem Christentum implizite despotische Anthropozentrik schließen, insofern sich in diesen Aussagen der Schöpfungsglaube widerspiegelt. Gott als den Schöpfer und alles, was ist, als seine Schöpfung zu bekennen, macht es aber gerade unmöglich, eine Trennlinie zwischen Subjekt Mensch und Objekt Natur zu ziehen. Mensch und Natur stehen sich also nicht als res cogitans und res extensa gegenüber, sondern sind gleicherweise Geschöpfe Gottes. Dieses geschöpfliche Miteinander von Mensch und Welt betont die Theologie in der Aussage der 'Mitkreatürlichkeit' sowie der Anerkenntnis eines Eigenwertes der Welt, der ihr deshalb zukommt, weil sie von Gott geschaffen und in ihrem Sein unabhängig von den Nutzungsinteressen des Menschen gewollt ist. Daß Mensch und Welt nicht gefrennt voneinander bestehen können, wird im Menschen selbst bewußt, von dem die theologische Anthropologie als leib-seelische Einheit spricht, womit sie auf das Zugleich seiner natürlichen Disposition und seiner Fähigkeit verweist, diese zufranszendieren.Der Mensch ist immer schon mehr als ihn evolutionsgeschichtlich mit der natürlichen Mitwelt verbindet, und doch kann er dieses Andere der Vernunft nicht ausblenden. Wenn der Schöpfungsglaube die gemeinsame Geschöpflichkeit von Mensch und Welt betont und dabei das Geschaffensein vom Schaffen Gottes unterscheidet, meint dies keine Beziehungslosigkeit des Schöpfers von seiner Schöpfung. Gottes Transzendenz, mit der er seiner Schöpfung gegenübersteht, ist zugleich auch seine Schöpfungsimmanenz, durch welche er seiner Schöpfung gegenwärtig ist. In der Rede von Schöpfer und Geschöpf, dem
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Menschen und der Welt als Gottes Schöpfung ist ein Modell vorgegeben, das Gott, Mensch und Welt miteinander in Beziehung denkt. Deshalb kann die Theologie nicht nur den Forderungen einer ökologischen Ethik nach der Wahrnehmung des Anderen der Vernunft, der Reflexion auf die Mitgeschöpflichkeit von Mensch und Natur zustimmen, sondern diese als integralen Bestand des Christentums selbst ausweisen. Ihm ist nämlich die Haltung wesenseigen, die seit Albert Schweitzer im Bemühen um die Grundlegung einer ökologischen Ethik immer wieder gefordert wird:83 die Ehrfurcht vor dem Leben als Gottes guter Schöpfung.
Vgl. Wolfgang Huber, Konflikt und Konsens, 232f; Eberhard Schockenhoff, bes. 428-435; Gerhard Marschütz, Die verlorene Ehrfurcht. Über das Wesen der Ehrfurcht und ihre Bedeutung für unsere Zeit, Würzburg 1992, bes. 214f; Karl Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einfuhrung in den Begriff des Christentums, Freiburg 5 1989, bes. 70-73.
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Abkürzungsverzeichnis Zeitschriften, wissenschaftliche Reihen und andere gebräuchliche Hilfsmittel sind entsprechend der allgemein üblichen Praxis nach Siegfried M. Schwertner (TRE Abkürzungsverzeichnis, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 1994) abgekürzt. Damber hinaus werden für Quellentexte mit häufiger Bezugnahme die nachstehenden Abkürzungen verwendet. Schriften aus der Reihe "Bibliothek der Kirchenväter (BKV)" werden unter Angabe der Bandzahl ihres Erscheinens genannt. Die Texte des Zweiten Vatikanums sind nach Karl Rahner/Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, Freiburg "1986, die Sozialenzykliken nach KAB (Hg)., Texte zur katholischen Soziallehre, Kevelaer 71991 zitiert.
CO. Comp. Concordia confessiones Const.
De beryl De civ Dei
De coni De dign hom De div art
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Steck, OH. 37, 39, 41, 51f, 74, 82 Stone, Ch. 392, 395
Perry, R B . 172f, 178f, 182-184 Pico della Mirandola, G 25, 234, 255f, 258-265 Piaton 100, 102, 233, 303f
Teutsch, G. 54, 369, 384, 395 Theißen, G 87, 92f Theophilus 24, 213-216 Thomas von Aquin 47, 326f, 378-380 Troeltsch, E. 140, 149, 163, 166f, 200
Rad, G. von 39, 56-58 Rahner, K. 375, 378f, 386, 407 Rapp, F. 311,319,321 Rüterswörden, U. 58, 64f, 68f, 71f Schleiermacher, F. 336-338 Schutt, M. 365, 371 Schmidt, WH. 37-39, 54, 80 Schockenhoff, E. 370-372, 407 Schopenhauer, A. 365f, 388 Schweitzer, A. 22, 370, 372, 402, 407 Seckler, M. 328, 335, 338
f
Weber, M. 24, 109f, 112f, 163, 1722, 185-187, 190, 193, 197-199, 202ff, 344 Weizsäcker, CF. von 295, 344 Westermann, G. 37-39, 54, 79, 82, 84 White, L. 13f, 17, 20f, 26, 32, 60, 2077, 211,382 Wingren, G 152-157 Winthrop,! 174-176 Zenger, E. 57, 60f, 65-68, 73
Bayerische J öuu. .jiollothelt I I München 1
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ABHANDLUNGEN ZUR SOZIALETHIK Herausgegeben von Anton Rauscher und Lothar Roos LOTHAR ROOS Demokratie als Lebensform 1969. 380 Seiten, kart. ISBN 3-506-70201-7 ANTON RAUSCHER Die soziale Rechtsidee und die Überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens Hermann Roesler und sein Beitrag zum Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft 1969. 313 Seiten, kart. ISBN 3-506-70202-5 FRIEDRICH BEUTTER Die Eigentumsbegründung in der Moraltheologie des 19. Jahrhunderts 1971. 176 Seiten, kart. ISBN 3-506-70203-3 THEODOR HERR Zur Frage nach dem Naturrecht im deutschen Protestantismus der Gegenwart 1972. 240 Seiten, kart. ISBN 3-506-70204-1 GISELBERT DEUSSEN Ethik der Massenkommunikation bei Papst Paul VI. 1973. 355 Seiten, kart. ISBN 3-506-70205-X FRIEDRICH BAERWALD Lebenserwartung von Lehrlingen und Jungarbeitnehmern in Großbetrieben Bericht über eine Gesprächsaktion 1973. 158 Seiten, kart. ISBN 3-506-70206-8 MANFRED SPIEKER Neomarxismus und Christentum Zur Problematik des Dialogs 2. Aufl., 1976. 292 S., kart. ISBN 3-506-70207-6 WOLFGANG KLEIN Teilhard de Chardin und das Zweite Vatikanische Konzil Ein Vergleich der Pastoral-Konstitution über die Kirche in der Welt von heute mit Aspekten der Weltschau Pierre Teilhards de Chardin 1974. 328 Seiten, kart. ISBN 3-506-70208-4
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