Luthers religiöses Interesse an seiner Lehre von der Realpräsenz: Eine historisch-dogmatische Studie [Reprint 2019 ed.] 9783111549958, 9783111180700


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Einleitung
I.
II.
III.
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Luthers religiöses Interesse an seiner Lehre von der Realpräsenz: Eine historisch-dogmatische Studie [Reprint 2019 ed.]
 9783111549958, 9783111180700

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LUTHERS religiöses Interesse an seiner

h r e v o n der R e a l p r ä s e n z .

Eine historisch-dogmatische Studie von

Karl Jäger Lic. theol.

Giessen J. R i c k e r ' s c h e V e r l a g s b u c h h a n d l u n g (Alfred Töpelmann) 1900.

v . MONCHOW'SCHE H O F - U . U N I V . - D R U C K E R E I ,

GIESSEM.

Meinen Eltern in dankbarer Liebe und Verehrung zugeeignet.

Einleitung. Die A u f g a b e , die wir in unserem Thema stellen, ist genau begrenzt. Nicht mit der Exegese, durch die Luther im Streite mit den „Schwärmern" seine Abendmahlslehre als schriftgemäss zu erweisen suchte, auch nicht unmittelbar mit den Theorieen, durch welche er die zahlreichen dogmatischen Schwierigkeiten seiner Lehre beseitigen zu können glaubte, haben wir es im folgen den zu thun. Denn wie der Reformator erst von seinen Gegnern auf diese Schwierigkeiten aufmerksam gemacht wurde, so hat er auch für den speziellen Punkt seiner Lehre, um den es sich für uns allein handelt, erst in der Zeit des Kampfes einen ausführlicheren Schriftbeweis geliefert. Nur die eine Frage wollen wir zu beantworten suchen: Aus welchem religiösen Interesse hat Luther seine Lehre von der Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi im Sakrament nicht bloss aufgestellt, sondern auch mit einer fast an Fanatismus streifenden Zähigkeit festgehalten und verteidigt? Theologische Streitigkeiten von solcher Heftigkeit werden niemals um blosse dogmatische Formeln geführt. Wichtiger sind vielmehr die religiösen und sittlichen Interessen, welche durch die dogmatischen Formeln gedeckt werden sollen. Und erst wenn wir wissen, welches praktische Interesse bei Luther durch jene Lehre von der Realpräsenz befriedigt werden soll, ist uns ein Urteil über den Wert dieser Lehre für die Gegenwart und ihre Theologie möglich. Dabei J a g e r , Luthers Lehre von der Realprasenz.

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haben wir einmal kritisch zu prüfen, ob die Formel Luthers wirklich der zweckentsprechende Ausdruck dessen war, was e r für sein eigenes religiöses Leben im heiligen Abendmahl suchte und fand. Sodann werden wir zu untersuchen haben, ob das religiöse Interesse Luthers an der Realpräsenz in notwendigem, innerem Zusammenhang mit seinen grossen reformatorischen Grundgedanken steht, oder ob es sich vielleicht aus den besonderen geschichtlichen Verhältnissen seiner Zeit und aus den individuellen Führungen seines Lebens erklären lässt. Kommen wir dadurch zu einem Urteil über die Berechtigung dieses Interesses auch für unsere Zeit, so erhalten wir andererseits zugleich einen Massstab, nachdem wir ermessen können, inwiefern die modernen Lutheraner wirklich lutherisch denken und lehren. Denn es ist noch nicht lutherisch gelehrt, wenn man die Anschauung des Reformators von der realen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Sakrament reproduziert, dabei aber den Elementen vielleicht eine Heilsbedeutung beilegt, von der jener entweder überhaupt nichts gewusst, oder die er doch nur ganz vorübergehend vertreten hat. Meist wandeln die Vertreter der lutherischen Abendmahlslehre im 19. Jahrhundert in den t h e o s o p h i s c h e n Bahnen B e n g e l s und Ö t i n g e r s 1 ) . In dem Bestreben, dem im Sakrament real gegenwärtigen Leib und Blut des verklärten Christus eine möglichst selbständige Bedeutung neben den Einsetzungsworten zu geben, schreiben sie den konsekrierten Elementen, weil sie mit den Ewigkeitskräften der Gottheit durchtränkt seien, die Kraft und die Fähigkeit zu, unsrer Seele und unsrem Leib als Unsterblichkeitsspeise zu dienen und uns so zur Auferstehung zu prädisponieren. Mit dieser Ansicht ist leicht zu verwechseln und oft genug vermengt worden die m y s t i s c h e Anschauung vom h. Abendmahl, die ohne dem Realismus der lutherischen ') Vgl. die Obersicht über die Entwicklung der Abendmahlslehre im 19. Jahrhundert bei H. S c h u l t z , zur Lehre vom h. Abendmahl. Seite 18—82.

Lehre zu verfallen, doch zu einer tieferen Auffassung vorzudringen sucht. Auch sie erwartet von der irgendwie im Sakrament vorhandenen verklärten Leiblichkeit Christi geheimnisvolle und unkontrollierbare Wirkungen auf die Seele des Gläubigen. In der That stimmen beide Anschauungen, mögen sie im übrigen noch so verschieden sein, im Gegensatz zu der sogen, historischen Auffassung in einer Reihe von Punkten überein. Es ist für unseren Zweck von grosser Bedeutung, wenn wir von vornherein auf diese Punkte achten, weil wir so im Laufe der Untersuchung feststellen können, ob sich die Vertreter dieser Gedanken auf Luther berufen dürfen. Einmal sind die Früchte des Sakraments nicht Wirkungen des geschichtlichen, für uns am Kreuzesstamm in den T o d gegebenen Leibes und Blutes Christi, sondern der entsprechenden Substanzen des Verklärten, die eben erst kraft der Verklärung solche Wirkungen hervorbringen können. Sodann sind diese Gnadenwirkungen geheimnisvoller und zwar naturhafter Art. Denn sie sind beidemal psychologisch weder vermittelt noch verständlich. Die Einsetzungsworte endlich treten in ihrer Bedeutung völlig zurück, weil sie auf psychologisches Verständnis notwendigerweise rechnen müssen. Die eigentümliche Kraft und der Hauptnutzen des Sakraments haftet vielmehr gerade abgesehen von dem begleitenden W o r t an dem präsenten Leib (Fleisch) und Blut Christi. Man sieht, wie es sich hier stets um die Deutung der Elemente und ihrer W i r k u n g handelt, und gerade dieser Punkt in der Abendmahlslehre Luthers ist es, den wir im folgenden untersuchen wollen. W i r sind in der glücklichen Lage, dass wir von Luther eine Reihe von Schriften und Predigten über das Abendmahl und die Sakramente besitzen, die vor dem Abendmahlstreite liegen. Hier hat Luther einen neuen evangelischen Sakramentsbegriflfherausgearbeitetund diesen alsdann auch auf das Sakrament des Altars angewandt. Freilich dürfen wir nicht erwarten, dass er in dieser Zeit die Lehre von der Realpräsenz besonders betont; denn

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hierüber w a r zwischen ihm und der katholischen Kirche kein Streit. Dagegen ist Luther gerade in diesen Schriften der katholischen Lehre gegenüber von seinem neugewonnenen Glaubensbegriff aus zu einer neuen religiösen Schätzung und Wertung der Sakramente hindurchgedrungen und hat darnach auch seine Lehre vom h. Abendmahl ausgebildet. Andererseits ist die Lehre von der Realpräsenz noch nicht, wie es in der Zeit des Streites geschah, ungebührlich in den Vordergrund gerückt. Gerade die Unbefangenheit, mit der Luther in jener Zeit von Leib und Blut Christi im Sakrament spricht, bietet uns eine Gewähr dafür, dass seine religiösen Gedanken über das Abendmahl ungehemmt und ohne den Einfluss fremder Gedanken und Stimmungen zum Ausdruck kommen. Diese Lehre Luthers haben wir also zunächst, wenigstens in ihren allgemeinen Umrissen, darzustellen und zwar unter dem praktisch-religiösen Gesichtspunkt, der für Luther selbst massgebend war. Im Anschluss daran haben wir die F r a g e zu behandeln, welche religiöse Bedeutung dem in den Elementen real gegenwärtigen Leib und Blut Christi innerhalb des Rahmens der damaligen Lehre Luthers zukommt, bezw. zukommen kann. Schliesslich werden wir festzustellen haben, welche Auffassung der geweihten Elemente am besten dieser ihrer religiösen Bedeutung entspricht. Das Resultat unserer Untersuchung aber wird uns zugleich das Problem für den zweiten Teil unsrer Abhandlung liefern, der die Zeit des eigentlichen Abendmahlstreites zum Gegenstand hat. I. E s ist nicht nötig, dass wir in unsrer Untersuchung über das Jahr 1 5 1 7 zurückgreifen. Denn erst von diesem Jahre an tritt Luther in einen bewussten Gegensatz zur katholischen Kirche, wie sie sich ihm damals darstellte. Erst von da an macht sich auch sein Glaubensbegriff als ein neues religiöses Prinzip geltend, von dem aus nun in rascher Aufeinanderfolge die wichtigsten katholischen Lehren

kritisiert und im evangelischen Geiste umgebildet werden. Wir müssen etwas weiter ausholen und gewisse allgemeinere Momente berühren. Bekanntlich richtet sich Luthers Kritik zunächst gegen den Ablass und im Anschluss daran gegen das Sakrament der Busse. Z w a r tritt in den 95 Thesen die grundlegende Bedeutung der Lehre vom Glauben noch nicht hervor, weil sich Luther hier darauf beschränkt, der fleischlichen Sicherheit, die durch das Ablassunwesen genährt ward, den vollen sittlichen Ernst der Forderung: Thut Busse! gegenüberzustellen. 1 ) A b e r bald geht Luther weiter. In dem Sermon De poenitentia5) führt er aus, wie die wahre Contritio nicht aus Furcht vor der Sünde, sondern aus Liebe zum Guten hervorgehen müsse. Aber man werde, wenn man nach dieser Reue strebe, nur die Erfahrung machen, dass man eben ein solches bussfertiges Herz nicht besitzt. Da solle man sich zu Gott flüchten und von ihm ein neues Herz erflehen. Alsdann müsse man aber auch fest g l a u b e n , dass Gott dieses Gebet erhören werde. Glauben müsse man ferner dem Absolutionswort, das der Priester im Namen Christi und auf Grund seiner Verheissungen spricht. Dann sei man in Wahrheit absolviert. Nicht von dem Ernst oder der Gewissenhaftigkeit des Priesters, auch nicht von der Genügsamkeit der Reue (contritio) hängt die wirkende Kraft des Busssakramentes ab, sondern sie beruht ausschliesslich auf der Verheissung Christi. Subjektiv wirksam aber wird diese objektiv dargebotene Gnade nicht ex opere operato bei jedem, der keinen Riegel vorschiebt, sondern nur bei dem, der die Verheissung Christi gläubig annimmt und sich auf sie verlässt. S o rechtfertigt nicht das Sakrament, sondern der Glaube an das Sakrament, und der katholische Lehrsatz: sacramenta sunt efficacia signa gratiae ist dahin zu beschränken: si credis, et non amplius. 3 ) Welcher religiöse W e r t verbleibt nun noch ') Vgl. vor allem These 1, 30—37, 5 2 - 5 4 , 94 u. 95. *) Opp. var. arg. 1., 3 3 1 . ff. ') opp. var. arg. I. 340.

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dem Absolutionswort des Priesters, und wie verhält sich dasselbe zur göttlichen Vergebung? Luther antwortet uns auf diese F r a g e in den Resolutionen zu seinen Thesen 1 ) und in dem gleichzeitig erschienenen deutschen Sermon von der Busse.®) Schon in der Qual des bösen Gewissens, so führt er an erstgenannter Stelle aus, wirkt Gottes Gnade, so dass der Sünder, ohne es zu wissen, der Rechtfertigung nahe ist, während er der Verdammnis nahe zu sein glaubt. In dieser Not soll er sich zum Priester flüchten, der ihm durch Verkündigung der göttlichen Vergebung den Frieden des Gewissens schenkt. S o werden wir der Vergebung Gottes erst g e w i s s durch das Urteil des Priesters. Ja, diese Vergebung ist jetzt erst eigentlich eine solche, da sie vorher f ü r u n s ungewiss und insofern überhaupt nicht vorhanden war.' 1 ) S o wirkt Gottes Vergebung G n a d e , die Vergebung des Priesters aber F r i e d e ^ d. h. sie spendet dem durch sein Schuldbewusstsein beunruhigten Sünder den Trost der göttlichen Vergebung und macht ihn seines Heiles gewiss. 4 ) Darum ist die Wirkungskraft des priesterlichen Absolutionswortes so wenig durch irgend welche priesterliche Vollmacht bedingt, dass es vielmehr dazu gar nicht einmal eines Priesters bedarf. Auch jeder andere Christenmensch kann das Absolutionswort sprechen.*) Selbst vor der Konsequenz scheut Luther schon jetzt nicht mehr zurück, dass die priesterliche Absolution, da sie j a doch nur die Vergebung Gottes v e r k ü n d i g t , überhaupt nicht zum Heil n o t w e n d i g ist. Denn zur Teilnahme an den geistlichen Gütern Christi genügt prinzipiell der Glaube, und dieser kann von Menschen ') opp. var. arg. II. 1 3 7 ff., vgl. besonders die Resolutionen zu These 6 u. 7, 3 7 u. 38, II. 150—160, 237—243. ') E. A.» 16, 3 5 - 4 8 . ®) opp. var. arg. II. 154. Ideo ordine generali non est nobis certa remissio culpae, nisi per iudicium sacerdotis. Donee autem nobis incerta est, nec remissio quidem est, dum nondum n o b i s remissio est. Vgl. auch p. 241. 4 ) opp. var. arg. II. 155. s) E. A , J 16, 39.

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weder verliehen noch weggenommen werden. 1 ) Dennoch will Luther die Absolution keineswegs verachtet wissen, nicht bloss weil Christus sie angeordnet hat, sondern auch weil sie für ihn immer noch grossen religiösen W e r t hat. E s werde dem Sünder überaus schwer, auf die Barmherzigkeit Gottes zu vertrauen, weil er nach dem Urteil seines Gewissens unter Gottes Zorn steht. Darum soll das vom Priester gesprochene Wort der Absolution seinen schwachen Glauben stärken und stützen,2) und der Priester ist mit seiner Schlüsselgewalt nicht Herr, sondern Diener des Gläubigen in der Kirche.") S o bleibt für den Reformator trotz aller Einschränkungen das Sakrament der Busse in der That immer noch „ein Sakrament, ein heilig Zeichen, dass man die Wort höret äusserlich, die do bedeuten die geistlichen Guter innewendigk, davon das Merz getröstet wird und befriedet. Das dritte ist der Glaube, der do festiglich dafür hält, dass die Absolutio und Wort des Priester sein wahr, in der Kraft der Wort Christi: W a s du lösest, soll los sein u. s. w. Und an dem Glauben liegt es alls mit einander, der allein macht, dass die Sakrament wirken, was sie bedeuten, und alles wahr wird, was der Priester s a g t ; dann wie du glaubst, so geschieht dir." 4 ) Wie aus der letzten Stelle deutlich hervorgeht, hat der Reformator schon in diesem Kampfe um das richtige Verständnis und den heilsamen Gebrauch des Busssakramentes auch über die Sakramente im allgemeinen wichtige Sätze aufgestellt. Dem katholischen Lehrsatz, dass das Sakrament für sich positiv rechtfertigend wirke bei jedem der keinen Riegel vorschiebe, 8 ) ist er in doppelter Hinsiebt entgegengetreten. Einmal bindet er den heilsamen Empfang des Sakramentes an den Glauben des Empfängers. Damit ') opp. var. arg. II. 238. 2) a. a. O. 339. ff. 4 ') a. a. O. 243. ) E. A . 16, 37 f. ') Als solche obices galten nach H a r n a c k , Dogmengeschichte III1 481 Verachtung des. Sakraments, positiver Unglaube, unvergebene Todsünde.

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zieht er die Wirksamkeit des Sakramentes aus dem Gebiet des Magischen in das Religiös-Ethische, aus dem Bereich des Unbewussten und Dinglichen in das Bereich psychologischer Vermittlung, aus dem Unpersönlichen ins Persönliche. Dadurch ist nun die O b j e k t i v i t ä t des Sakramentes, auf die Luther von vornherein den grösstenWert legt, keineswegs beeinträchtigt. Denn nur der h e i l s a m e E m p f a n g des Sakramentes wird durch den Glaubendes Empfängers bedingt. Seine Wirklichkeit dagegen hängt weder von dem Empfänger noch von dem Spendenden ab, sondern besteht lediglich kraft des Verheissungswortes Christi. Sie ist also aller menschlichen Willkür und Unsicherheit entzogen. Wenn nun Luther in diesem Zusammenhang als den eigentlichen Gegenstand des rechtfertigenden Glaubens im Busssakrament nicht das Absolutionswort des Priesters, sondern eben das Verheissungswort Christi ansieht, stellt er das Busssakrament und mit ihm zugleich die Sakramente überhaupt in das richtige Verhältnis zum Versöhnungswerk Christi. Denn Christus kann die vergebende Gottesgnade den Gläubigen nur deshalb verheissen, weil er sie durch seinen Tod für uns erworben hat. Haec est fiducia Christianorum, quod per fidem fiunt peccata nostra non nostra, sed Christi, in quem deus posuit peccata omnium nostrum, et ipse tulit peccata nostra. Auf Grund dieser Thatsache hat jeder Christ, d. h. jeder, der durch den Glauben Christi Eigentum geworden •st, a n u n d f ü r s i c h Teil an allen Gnadengütern (merita), die Christus für uns erworben hat, auch ohne Absolution und Ablassbriefe. 1 ) In diesem Sinne spricht Luther an der angeführten Stelle von der remissio ante remissionem, absolutio ante absolutionem, participatio ante participationem. Damit ist die Heilsnotwendigkeit der Sakramente aufgegeben. Denn weder kann ihnen d i e Bedeutung zukommen, dass sie selbständig Gnade s c h a f f e n . Das würde der Allgenugsamkeit des Versöhnungswerkes widersprechen. ') Opp. var. arg. II. 238.

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Noch kann die Teilnahme des Gläubigen an den Gnadengütern Christi n o t w e n d i g an die sakramentale Vermittlung gebunden sein — damit würde Luthers Grundthese, dass der Mensch gerecht wird sola fide, eine wesentliche Einschränkung erfahren. Dennoch behält das Busssakrament für Luther hohen religiösen W e r t , weil es uns Gottes Gnade unter einem äusserlichen Zeichen darbietet. „Denn ist uns doch a h n d a s (d. h. ohne priesterliche Absolution) geboten, in Gottis Gnaden zu glauben, und hoffen, dass unser Sünd sei uns v e r g e b e n ; wieviel mehr solltu dann das glauben, wann er dir desselben e i n Z e i c h e n gibt durch einen Menschen 1 ). Und gerade j e schwerer es dem Sünder wird, bei einem lebhaften Bewusstsein seiner Schuld an Gottes Gnade zu glauben, desto wertvoller wird für ihn das Sakrament. Denn es bietet ihm unter äusserlich wahrnehmbaren Z e i c h e n (hier: den W o r t e n des Priesters) die von den Zeichen b e d e u t e t e n g e i s t l i c h e n G n a d e n g ü t e r und unterstützt so seinen schwachen G l a u b e n , indem er denselben zur G e w i s s h e i t führt. Genauere Bestimmungen über den Begriff des Sakramentes finden wir in diesen Schriften noch nicht, und wir dürfen uns darüber um so weniger wundern, als ja Luther späterhin das Bussinstitut auf Grund einer tiefergehenden Erörterung aus der Zahl der Sakramente gestrichen hat. S o hat Luther nicht bloss niedergerissen sondern zugleich auch aufgebaut. W o h l hat er, ohne dass es ihm recht zum Bewusstsein gekommen wäre, mit diesen Sätzen die katholische L e h r e von den Sakramenten angegriffen und dadurch der bevorzugten Stellung des Priesterstandes und der päpstlichen Hierarchie die prinzipielle Grundlage entzogen.- A b e r er hat das alles nur gethan, um den durch das Ablassunwesen verführten und getäuschten Seelen den einzig wahren W e g zum Frieden zu zeigen, den er selbst im Kloster unter so schweren Kämpfen gesucht und ge') E. A ' 16, 40.



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funden hatte. Darum ist es begreiflich, dass gegen Ende des Jahres 1 5 1 8 bei den Verhandlungen in Augsburg Cajetan von seinem römischen Standpunkt aus ebenso energisch von Luther den Widerruf seines grundlegenden Satzes von der fides iustificans et vivificans forderte, als Luther ihn von seiner Heilserkenntnis aus verweigern musste1). Aus durchaus praktischen Interessen ist auch Luthers ä l t e s t e S c h r i f t ü b e r d a s A b e n d m a h l selbst hervorgegangen : die Predigt von der würdigen Bereitung zum hochwürdigen Sakrament, aus dem Jahre 1518"). Im Anschluss an Johs. 6 begründet er die Notwendigkeit einer sorgfältigen Vorbereitung mit dem Hinweis auf die überaus grosse Wichtigkeit uud Bedeutung dieses Sakraments, in dem all unser Heil und unsere Seligkeit stehe. Zu solcher würdigen Vorbereitung gehört nun ausser der Beichte und der Versöhnung mit den Feinden vor allem, dass wir Gott eine „ledige und hungrige Seele opfern". Denn wer so hungert nach Gerechtigkeit, der wird im Sakrament gesättigt werden mit den Früchten des Geistes, wie sie Paulus Gal. 5, 22 aufzählt. So ist auch für dieses Sakrament die beste Vorbereitung der Glaube, der nicht Gott ein reines Herz oder irgend welche Werke darbringen will, vielmehr von ihm Vergebung und Reinigung erfleht und erwartet und sich auf die verheissenden Worte Christi (z. B. Mt. 5, 6; 1 1 , 28) fest und sicher verlässt. Das alles sind Ratschläge zur Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente ü b e r h a u p t 3 ) . Auf den speziellen Charakter des Abendmahls nimmt Luther in diesem Sermon nur insofern Rücksicht, als nach dem Gebote Christi und der Apostel auch die andächtige Betrachtung des Leidens Christi zu einer rechten Vorbereitung gehört. Denn Christus hat das Mahl zum Gedächtnis seines Todes ein') J . K ö s t l i n , Luthers Theologie, I, 227. *) E. A . 1 16. 18—32. *) Diess ist aber ein feine Bereitung, welche auch ein jeglich Mensch, so es beichten, oder ein jeglichs anders Sakrament empfahcn will, haben muss. E. A . 1 16, 22.

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gesetzt, und sein Leiden ist für uns nicht nur ein Exempel, dem wir nachfolgen sollen, sondern auch „ein Sakrament oder bedeutlich Zeichen, dass Christus durch sein zeitlich, leiblich Leiden unser geistlich, e w i g Leiden des alten Menschen hat überwunden und gekreuzigt" 1 ). A l s o nicht die vergebende Gottesgnade als das Gut, das uns im Abendmahl dargeboten wird, soll durch dieses „Zeichen" „bedeutet" werden, sondern lediglich das Leiden, das wir in Analogie zu Christi Leiden erfahren sollen 2 ). Nicht viel weiter führt uns die 2. Schrift Luthers über das Altarsakrament: D e r Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen, wahren Leichnams Christi und von den Bruderschaften aus dem Jahre 1519"). W e n n wir den Inhalt dieses merkwürdigen Sermons, der von theologischer Seite eine geradezu entgegengesetzte Beurteilung erfahren hat,4) richtig verstehen wollen, müssen wir die geschichtliche Veranlassung berücksichtigen, der die Schrift ihre Entstehung verdankt, und den Z w e c k , den sie verfolgt.') Sie ist, wie schon der Titel sagt, g e g e n die falschen Bruderschaften gerichtet und will ihnen g e g e n ü b e r von der rechten christlichen Gemeinschaft handeln, die durch den Empfang des Sakramentes begründet und genährt werden soll. S o überwiegt auch in dieser Schrift, wie in der oben behandelten Predigt, durchaus das e t h i s c h e Interesse am Sakrament, und es erklärt sich, wenn Luther in der Hauptsache nur von dem „Nutzen und Brauch", d. h. v o n den Früchten des Sakramentes spricht. Nachdem er wieder die drei bekannten Stücke des Sakramentes aufgezählt hat, wird als dessen „Bedeutung" die Gemeinschaft mit Christus und den Heiligen angenommen, in die wir durch den Genuss der „Zeichen" gesetzt werden. Diese Gemeinschaft ') E. A.» 16, 31. *) Vgl. auch D i e c k h o f f , die evang. Abendmahlslehre I, 195. 3) E. A . 27, 25 ff. 4) Vgl. D ¡ e c k h o f f , a. a. O. 197, G o e b e l , Luthers Abendmahlslehre ctc. Stud. u. Krit. 1843, I., 322, 327 ff. ') Vgl. K ö s t l i n , a. a. O., 291 ff.



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besteht sowohl in der Teilnahme an allen geistlichen Gütern Christi, wie auch umgekehrt darin, dass alle „Leiden und Sund auch gemein werden, und also Liebe gegen Liebe anzündet wird und vereinigt." 1 ) Das Sakrament ist nun für den Christen ein gewisses Zeichen dieser Gemeinschaft, das uns in allen Anfechtungen der Sünde und des Bösen Gewissens getrost macht. Denn wir fechten nicht allein gegen unsere Sünde und dürfen „allen Jammer, alle Anfechtung von uns legen auf die Gemein, und sonderlich auf Christo." 2 ) Andererseits verpflichtet uns der Genuss des Zeichens auch immer wieder zur Übung der Liebe innerhalb dieser Gemeinschaft. Darum kann das Abendmahl nur von solchen Personen mit Nutzen genossen werden, die Trost und Stärkung wider ihre Anfechtungen nötig haben und auch zur Erweisung herzlicher Liebe bereit sind. Fragen wir nun, inwiefern die Elemente eine solche Gemeinschaft bedeuten und uns vergewissern können, so antwortet uns Luther mit einer symbolischen Ausdeutung der Elemente, die er der Vergangenheit entnimmt. Ein Symbol der innigen Vereinigung und Einheit der Gemeinde der Heiligen sind die Elemente schon ihrer Bereitung nach: A u s vielen Körnern wird ein Brot, aus vielen Beeren ein Trank. Symbolisch ist auch der Genuss der Elemente, insofern kein „inniger, tiefer, unzutheiliger Voreinigung ist, ubir die Voreinigung der Speis, mit dem, der gespeiset wird." Zu den „Zeichen" gehören aber auch Leib und Blut Christi, und auch die Wandlung wird gedeutet als symbolische Darstellung unserer Verwandlung in den geistlichen Leib Christi. Das Blut Christi soll insbesondere anzeigen, dass auch sein Leiden und seine Marter uns gehört und wir „des niessen und brauchen mugen". S o wird uns also im Sakrament „zugesagt, gegeben und zugeeignet Christus, alle Heiligen, mit allen ihren Werken, Leiden, Vordiensten, Gnaden und Gutern, zu Trost und Stärk Allen, die in Ängsten und Betrubniss sein". 8 ) Zum ') E. A. 27, 30. ') E. A. 27, 32.

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) E. A. 27, 36—38.

- 13 heilsamen Empfang aber gehört das 3. Stück; der Glaube, „da die Macht anliegt". E r wird uns auch hier beschrieben als die feste, unzweifelhafte Zuversicht zu dem, was uns im Sakrament geschenkt wird. Aus diesem Glauben muss sich in dem Gläubigen alsbald eine herzliche Liebe entwickeln, die er als Glied der Gemeinde Christi im täglichen Leben zu üben hat. Das allein ist der richtige und nützliche Gebrauch des Sakraments im Gegensatz zu der üblichen Praxis, in der mehr auf Christi natürlichen Leib Wert gelegt wird, als auf seinen geistlichen Körper, um dessentwillen er doch seinen natürlichen Leib in den Tod gegeben hat. Schon der Nachdruck, mit welchem auch in dieser Schrift neben der Liebe der Glaube an Christi Gerechtigkeit, die uns zuteil werden soll, als das Hauptstück im Sakrament bezeichnet wird, muss uns vor dem voreiligen Urteil bewahren, Luther habe hier an seine spätere Lehre von der Austeilung und Aneignung der Sündenvergebung im h. Abendmahl überhaupt nicht gedacht. 1 ) Die Gemeinschaft mit Christus und den Heiligen ist für den Reformator, wie Köstlin mit Recht betont,2) hier der Inbegriff alles Heils. Ihre religiöse Seite hat diese Gemeinschaft darin, dass der Christ durch seinen Glauben, also im Notfall auch ohne sakramentale Vermittlung 3 ) Teil hat an Christus und an allen seinen Gütern, demnach doch wohl auch an der Vergebung der Sünden. Eben diese Gnaden und Güter empfangen wir nun im Sakrament als in einem gewiss machenden Zeichen zum Trost und zur Stärkung unseres Glaubens. Daneben wird nun freilich auch die sittliche Seite dieser Gemeinschaft, die helfende und tragende Liebe, die ihre Glieder miteinander verbinden soll, aufs stärkste betont. Selbst die Einsetzungsworte werden in unserem Zusammenhang so ausgelegt, dass Christus uns in ihnen seinen Tod als Vorbild hinstellt, dem wir nachfolgen sollen. Mit der Stiftung des Gedächfnismahles aber ') G o e b e 1 a. a. O. 327. *) K ö s 11 i n a. o. O. 292. *) E. A. 27,28.

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hat er den Zweck verfolgt, uns durch die fortgesetzte Erinnerung an seinen Tod zur Übung derselben Liebe zu stärken und zu reizen. 1 ) Die Bedeutung des Sakraments für unsere Glaubensgewissheit ist also nicht etwa vergessen, und wenn sie im Vergleich zu Luthers späteren Schriften auffallend zurücktritt, so erklärt sich das aus der Tendenz dieses Sermons. Ebenso ist es eine Folge dieser Tendenz, dass Luther merkwürdigerweise neben den Verdiensten, Werken, Gnaden und Gütern Christi auch die der Heiligen uns im Sakrament geschenkt werden lässt, während doch eine solche versöhnende und Gnade schaffende Bedeutung ausschliesslich dem W e r k e Christi eignet. 2 ) Es kam ihm eben darauf an, den falschen Bruderschaften, wie der empirischen katholischen Kirche gegenüber, die im Begriffe war, ihn aus ihrer Mitte hinauszustossen, den ungemein grossen Segen des geistlichen Leibes Christi, der unsichtbaren Kirche hervorzuheben. Aus ihr konnte ihn kein Mensch ausschliessen, weil sie auch ohne sakramentale Gemeinschaft im Glauben allein bestehen kann. Aus dem Zweck der Schrift lässt sich endlich auch die Thatsache erklären, die wir wohl als ihren grössten Mangel bezeichnen dürfen. In dem Bestreben, den bedeutenden Zeichen eine innere Beziehung zu dem bedeuteten Inhalt zu geben, ist nämlich Luther nicht über eine symbolische Ausdeutung der Elemente und der Transsubstantiation hinausgekommen. 3 ) Für ihn war ja in dieser Schrift der bedeutete Inhalt zunächst nicht wie später die Vergebung der Sünden, sondern die Gemeinschaft der Heiligen. F ü r deren Innigkeit, für die Notwendigkeit, dass wir in diesen geistlichen Leib Christi verwandelt werden, endlich für die überaus gnaden>) E . A . 27, 3 3 . ') V g l . z. B . E . A . 27, 29. 30. 36. 3 8 etc. dass Luther stets nur von

Christi

uns geschenkt wird. a. a. O. 3 2 , 3 8 . ') Nur

in der bereits

Indes ist zu beachten,

Gerechtigkeit

spricht,

die

V g l . auch K o s t Ii n , a. a. O. 299 k

oben angef. Stelle (E. A . 2 7 , 38)

giebt

Luther d e m Blut Christi im S a k r a m e n t eine Beziehung auf sein Leiden und Sterben, aber ohne den Gedanken w e i t e r zu v e r w e r t e n .

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und segensreichen Folgen, die der Eintritt in diese Gemeinschaft für uns hat, suchte Luther in dem Sakramente veranschaulichende „Zeichen". Finden konnte er sie natürlich nur in der hergebrachten symbolischen Deutung der Elemente. Demnach sind die religiösen Gedanken Luthers über die Sakramente, die wir aus seinen früheren Schriften kennen, nicht vergessen, sondern nur hinter ethischen Gedankenreihen zurückgetreten. Die Kluft, die diesen Sermon von den beiden Abendmahlsschriften Luthers aus dem Jahr 1520 trennt, ist weitaus nicht so tief, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Freilich kann darüber auch kein Zweifel sein, dass der Reformator in jenen beiden Schriften, in dem Sermon vom neuen Testament, d i. von der heiligen Messe, und in der Schrift De captivitate babylonica seine reformatorischen Gedanken über Messe und Abendmahl weit reiner und zusammenhängender entwickelt hat. Die erstgenannte Schrift 1 ) stellt eine Kritik des katholischen Messopfers dar. Sie sucht, gegenüber der falschen katholischen Lehre und Praxis, den ursprünglichen Sinn der Messe festzustellen, macht von da aus Vorschläge zur Abänderung und giebt Anweisung zu ihrem richtigen Gebrauch. Uns interessiert der Sermon nur insofern, als in ihm Luthers Abendmahlslehre weitergebildet erscheint. Nach dem kritischen Massstab: „Je näher nun unsere Messe der ersten Mess Christi sein,, je besser sie ohn Zweifel sein, und je weiter davon, je fährlicher," 2 ) sucht Luther zunächst die ursprüngliche Bedeutung und den Zweck der Messe aus den E i n s e t z u n g s w o r t e n Christi zu eruieren. Wenn Gott mit den Menschen handelt, so kann nicht der Mensch anfangen und den ersten Stein legen, „sondern Gott allein muss zuvorkommen und ihm eine Zusagung thun". Diesem zusagenden Gotteswort hat der Mensch treulich zu glauben. Eine solche Zusagung hat uns nun auch Christus in seinem Abendmahl gegeben. ") E. A. 27, 139—173- *) E- A. 27, 143.

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Gestützt auf die Übersetzung von Sia&^joj = Testament, fasst Luther die Einsetzungsworte als ein Testament, d. h. als die letztwillige Verfügung Christi auf, die durch seinen T o d kräftig und gültig geworden ist. Weil er aber als ewige, göttliche Person zur Bestätigung seines Testamentes gestorben ist, hat dieses ewigen, unvergänglichen Wert, und es handelt sich in ihm um die Zusicherung ewiger Güter. Nach dem klaren Wortlaut der Einsetzungsworte hat uns Christus im Sakrament die Vergebung der Sünden testamentarisch zugesichert, und zum Beweis für die unwiderrufliche Gültigkeit ist er darauf gestorben, ja er hat uns seinen Leib und sein Blut als Zeichen und Siegel hinterlassen. Bei dem Genuss dieser Zeichen aber sollen wir seines Todes gedenken, „dadurch wir im Glauben gestärkt, in der Hoffnung befestigt, und in der Lieb erhitzt werden." Denn da wir nun einmal fort und fort mit den Anfechtungen des bösen Geistes zu kämpfen haben, „sein wir dieses Sakraments sehr notdürftig, daran wir uns wieder erholen mügen, wo wir etwas abnehmen . . . Dann wir arme Menschen, weil wir in den f ü n f S i n n e n l e b e n , müssen je zum wenigsten ein äusserlich Zeichen haben, neben den Worten, daran wir uns halten und zusammen kummen mugen; doch also, dass dasselb Zeichen ein S a c r a m e n t sei, das ist, dass es äusserlich sei, und doch geistlich Ding hab und bedeut", 1 ) das eine für die leiblichen Augen, das andere für die Augen des Herzens. Zum würdigen und heilsamen Empfang des Sakraments gehört ein starker, fröhlicher Glaube an die Worte des Testaments und ihren Inhalt.®) Darum „als viel mehr liegt an dem Testament, denn an dem Sacrament (das ja nur Zeichen, wenn auch heiliges Zeichen des Testaments ist), also liegt viel mehr an den Worten, denn an den Zeichen." Darum kann man zwar ohne Sakrament, nicht aber ohne Testament selig werden. 3 ) Aus diesen Sätzen folgt nun, ') E. A . 27, 146—148. *) a. a. O. 1 5 1 . *) a. a. O. 153. Vgl. auch 1 5 4 : Sakrament ohn Testament ist das Futter ohn das Kleinod behalten, gar mit ungleicher Hälft und Teilung.

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dass es ein arger Missbrauch der Messe ist, wenn sie in der katholischen Kirche zu einem Opfer, zu einem W e r k e und einer Leistung an Gott gemacht worden ist. Denn dadurch ist der Sinn und Zweck des Sakraments geradezu verkehrt worden. „Es ist hie nit officium, sed beneficium, kein W e r k oder Dienst; sondern allein Geniess und Gewinst." 1 ) Auf den Einwand aber, dass j a dann der Glaube an Gottes Wort genug und die Messe überflüssig sei, erwidert Luther, allerdings sei solcher Glaube genug, und man könne auch auf dem „Felde" das Sacrament geistlich empfahen, wie schon Augustin lehret. Darum sei jedoch das Sacrament ebenso wenig überflüssig als die Predigt. Diese ist j a auch nichts anderes als die „Verklärung" dieses Testaments. Die Predigt aber kann niemand entbehren, nicht nur wegen der kommenden Geschlechter die christlich getauft und erzogen werden müssen, vielmehr soll sie auch den Gläubigen zur Stärkung und zum Trost dienen wider die Anfechtungen des Teufels, der Welt und des Fleisches. S o ist es auch für uns zwar nicht notwendig im strengen Sinn, aber zweckmässig und heilsam, wenn wir „auf dieselben Wort oder Predigt auch ein leiblich Zeichen, das ist das Sacrament empfahen, auf dass damit unser Glaub mit göttlichen Worten und Zeichen vorsorgt und befestigt, stark werde wider alle Sund, Leiden, T o d und Hölle." 2 ) Aber auch deshalb ist eine solche g e m e i n s a m e Feier des Sakraments nützlich und heilsam, weil wir dadurch geübt werden in der Gemeinschaft, in der wir durch die Liebe miteinander verbunden sein sollen. S o kommt auch hier die ethische Bedeutung des Sakramentes zu ihrem Recht. 3 ) Diesen Gedanken stehen nun Luthers Ausführungen über Messe und Abendmahl in seiner grossen Reformationsschrift De captivitate babylonica zeitlich und sachlich sehr nahe, ja, sie stimmen zuweilen wörtlich damit überein. Im Gegensatz zu der katholischen Opfertheorie entwickelt ') E. A. 27, 155 f. ») E. A. 27, 166 f. J f t g e r , Luthers Lehre von der Realpräsenz.

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) a. a. O. 149, 160. 3

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Luther in beiden Schriften klar und bestimmt, dass das Abendmahl eine G a b e Gottes an die Menschen, ein G n a d e n m i t t e l ist. Mit aller Deutlichkeit wird die Sündenv e r g e b u n g als das G u t bezeichnet, das uns im Sakrament geschenkt wird (als res sacramenti). Zugesichert wird uns dieses G u t in den E i n s e t z u n g s W o r t e n , aber nicht bloss da. Vielmehr ist die Verheissung der Sündenv e r g e b u n g der Inhalt des göttlichen W o r t e s überhaupt, sodass die Einsetzungsworte als eine kurze Summe des Evangeliums erscheinen. 1 ) D e m g e m ä s s kann auch die Predigt nur V e r k ü n d i g u n g der remissio peccatorum sein. Predigt und Sakrament haben also denselben Inhalt. Darum ist prinzipiell das W o r t Gottes das einzige nothwendige Gnadenmittel, durch welches der Glaube als die einzige subjektive Bedingung zum Heil erzeugt und genährt wird. 2 ) A u c h im h. Abendmahl ist deshalb das testamentum, d. h. die Verheissung der Sündenvergebung, die durch den T o d des Testators gültig g e w o r d e n ist, weit höher und wichtiger als das sacramentum, das Z e i c h e n , das nach göttlicher Ordnung noch dazu kommt. 3 ) Z w e c k m ä s s i g aber und deshalb wertvoll ist für uns auch der Genuss des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein, weil sie sinnenfällige Zeichen der göttlichen Verheissung sind.4) Ihr Genuss soll uns z w a r nicht zur Erzeugung, wohl aber zur Ernährung und S t ä r k u n g unseres häufig noch schwachen und angefochtenen Glaubens dienen. Denn im Sakrament wird im Unterschied von der Predigt die V e r g e b u n g der Sünden in einer auch den leiblichen Sinnen zugänglichen W e i s e und zugleich an jeden einzelnen gespendet und

') V g l . aus de capt. bab. O p p . var. arg. V . 54. missa est pars evangelii, imo summa et compendium evangelii. *) De capt. bab. a. a. O. 38: V e r b u m Dei omnium primum est, quod sequitur fides, fidem Caritas, Caritas deinde facit omne bonum opus. V g l . auch S. 43. ') a. a. O . 25, 43 4) D e r Ausdruck Signum a. O. 39 u. 43.

memoriale promissionis findet sich a.

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ausgeteilt. 1 ) Übrigens ist auch hiermit die Objektivität des Sakraments keineswegs bedroht. W i e das W o r t Gottes solches bleibt, m a g es nun von Ungläubigen gepredigt oder von Unempfänglichen verachtet werden, so wird das Sakrament in seiner objektiven Wirklichkeit nicht alteriert, auch wenn es v o n Ungläubigen gespendet oder genossen wird. E s bleibt auch in diesem Fall als göttliches Gnadenmittel wirklich und wirksam, nur dass es bei den Gläubigen opus suum (Leben und Seligkeit), bei den Ungläubigen opus alienum (Gericht und Verdammnis) wirkt.") S o sehen wir hier Luthers religiöse Grundgedanken über die Sakramente, die wir schon aus seinen Schriften über A b l a s s und Busse kennen, aufs Abendmahl angewandt, bereichert und vertieft wiederkehren. Doch auch diese Ausgestaltung der Lehre Luthers ist in einem wichtigen Punkt noch unklar. W ä h r e n d er schon in den Resolutionen zu den 95 Thesen das Versöhnungswerk Christi als die objektive Grundlage unserer Heilsgewissheit bezeichnet, so hat der T o d Christi in den zuletzt behandelten Schriften nur d i e Bedeutung, dass erst durch ihn die Verheissung Christi zu einem Testament, zu einer letztwilligen, unwiderruflichen V e r f ü g u n g g e w o r d e n ist. Dabei kommt aber der versöhnende Charakter des T o d e s Christi, durch den er die objektiv-geschichtliche Voraussetzung unseres Glaubens wird, nicht genügend zur Geltung. Das hat zur Folge, dass Luther auch in diesen Schriften noch nicht recht ') D e capt. bab. a. a. O. 50: missa beneficium est promissionis divinae, per manum sacerdotum omnibus hominibus e x h i b i t u m . . . Christus in mensa sedens s i n g u 1 i s idem testamentum proposuit, et Signum exhibuit. *) Opp. var. arg. V . 54. Exegetisch findet Lnthers Interesse an der O b j e k t i v i t ä t des Sakraments darin seinen Ausdruck, dass er von jetzt an die Beziehung von Joh. 6 auf das Abendmahl entschieden ablehnt und zwar mit der Begründung, Christus rede dort nur von d e m Essen und Trinken, das lebendig mache. Das gilt aber nur von der manducatio fidei. Haec enim est vere spiritualis et viva manducatio. Sacramentalis enim non vivificat, c u m m u l t i m a n d u c e n t i n d i g n e . a. a. O. 22. Vgl. E. A . 27, 73.

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weiss, welche i n n e r e B e z i e h u n g zwischen den Zeichen (Leib und Blut) und dem Gut der S ü n d e n v e r g e b u n g besteht, das sie vergewissern sollen. Nur an einer Stelle') werden die Elemente als Erinnerungszeichen an Christi T o d gefasst. Sonst heissen sie ganz unbestimmt Erinnerungszeichen an C h r i s t i V e r h e i s s u n g und G o t t e s G n a d e . 2 ) Gerade in diesem Punkte nun bietet Luthers Schrift von dem Missbrauch der Messe aus dem Jahre 1522 eine klarere Auffassung. Ohne dass die eigentümliche Theorie von dem Testament aufgegeben wäre 3 ), wird doch weit nachdrücklicher dem katholischen Messopfer, das immer wiederholt werden muss, das einmalige, aber für alle Zeit genügsame Sühnopfer Christi gegenübergestellt. Hierdurch hat Christus uns d i e Gnade Gottes erworben, die er uns alsdann im Sakrament spendet und austeilt. „Dass wir dieser Z u s a g u n g Christi (in den Einsetzungsworten) gewiss sein, und uns eigentlich darauf verlassen mögen ohn allen Z w e i f e l : so hat er uns das edelste und theureste Siegel und Pfand, sein wahren Leichnam und Blut, unter Brod und W e i n gegeben, e b e n d a s s e l b , damit er erworben hat, dass uns dieser theure gnadenreiche Schatz geschankt und verheissen ist, und sein Leben dargestrackt, auf dass wir die verheissen Gnad nehmen und entpfangen. 4 )" Hiernach sind also Leib und Blut Christi im Sakrament deshalb geeignet, uns die vergebende Gottes1) E. A . 27, 149. s ) z. B. E. A . 27. 156, Opp. var. arg. V . 39. 43. 46. ") Sie wird vielmehr wiederholt E. A . 28, 83 fr. *) E. A . 28, 77, vgl. auch: S. 62, 80, 85, 87. W e n n nach einigen Stellen (a. a. O. 77. weniger deutlich auch 78) Gott gewissermassen verpflichtet ist, seine Verheissung zu halten, weil das Unterpfand so u n e r m e s s l i c h w e r t v o l l ist, so lässt sich diese W e n d u n g des Gedankens insofern ganz gut mit der obigen Stelle in Einklang setzen, als j a Leib und Blut Christi erst dadurch für uns so wertvoll geworden sind, dass er sie um unsertwillen in den T o d hinein g e g e b e n hat. Jede von dem Heilstode Christi absehende Schätzung seines Leibes und Blutes als s e l b s t ä n d i g e r Unterpfänder der göttlichen Gnade würde', die Allgenugsamkeit des V e r s ö h n u n g s w e r k e s beeinträchtigen.



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gnade gewiss zu machen, weil es dieselben Substanzen sind, durch deren Hingabe uns diese Gnade erworben worden ist. In der Identität des sakramentalen Leibes und Blutes mit dem für uns am Kreuzesstamm gebrochenen Leib und vergossenen Blut Christi liegt ihre versichernde und vergewissernde Kraft. Und indem wir die Elemente im Glauben geniessen, eignen wir uns damit zugleich die Frucht seines Todesleidens an, eben die Vergebung der Sünden. Darum wird jetzt auch weit stärker als zuvor hervorgehoben, dass wir bei der Feier in dankbarem Gedächtnis den T o d des Herrn verkündigen sollen. 1 ) Hiermit hat die Ausbildung der Abendmahlslehre Luthers im Gegensatz zum Katholicismus im wesentlichen ihren Abschluss erreicht. Denn in den beiden Schriften aus dem Jahre 1522, die noch auf das Abendmahl Bezug nehmen, in den acht Predigten, die Luther nach seiner Rückkehr von der Wartburg in Wittenberg hielt, und in der Schrift: Von beiderlei Gestalt des Sakraments zu nehmen und anderer Neuerung, behandelt Luther vorwiegend praktische Fragen, im Gegensatz zu den Reformbewegungen der Schwärmer. 2 ) Soweit aber diese Schriften Lchraussagen enthalten, stehen sie auf dem Standpunkt der Schrift vom Missbrauch der Messe. Auch hier wird mit aller Bestimmtheit der Glaube, der zum heilsamen Empfang des Sakraments nötig ist, auf die Gnade Gottes bezogen, die uns Christus durch sein Kreuzesopfer erworben hat. A l s versichernde Zeichen dieser Gnade geniessen wir den geschichtlichen Leib und das geschichtliche Blut, von Christus am Kreuz für uns dahingegeben. 3 ) Wiederum erscheint die Vergebung der Sünden, die uns das Wort Gottes überhaupt anbietet, auch als das spezifische Gnadengut des Sakraments. Um die Privatbeichte zu verteidigen, die von Karlstadt abgeschafft worden war, hebt der Reformator ausdrücklich hervor, dass wir aller') a. a. O. 75; 87. J) E. A. 23, 202—285; 286—318. 3 ) E. A. 28, 240; 251.



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dings im Sakrament dasselbe empfangen, wie in der priesterlichen Absolution. Doch sollen wir deshalb die Beichte nicht verachten, sondern die Mannigfaltigkeit der göttlichen Gnadenmittel preisen. „Unser Gott ist nicht so karg, dass er uns nur eine Absolution und nur einen Trostspruch gelassen hätte, zu Stärke und Tröstunge unseres Gewissens; sondern wir haben viel Absolution im Evangelio, und sind reichlich mit viel Tröstungen überschüttet." 1 ) Endlich unterscheidet Luther auch hier, um die Objektivität des Sakraments sicher zu stellen, zwischen dem äusserlichen Empfang der Sakramente „mit dem Munde", der noch keinen Christen macht, und dem geistlichen Empfang, der „nicht allein in dem leiblichen Empfahen des Leibs und Bluts Christi stehet, sondern in der Übung und in den Früchten; welche Empfahung geschieht im Glauben.-) Das Wesen des Sakramentes und damit natürlich auch die Gegenwart Christi ist völlig unabhängig vom Glauben oder Unglauben des Empfängers. Darum ist es für den Unwürdigen besser, wenn er vom Sakrament fernbleibt. Denn ihm bringt es Schaden. 3 ) Die Frucht aber besteht, abgesehen von dem Trost der Sündenvergebung, in der Liebe zum Nächsten als Gegenliebe für die uns zu Teil gewordene Liebe Gottes. 4 ) Mit den beiden letzten Schriften sind wir bereits an die Schwelle des grossen Abendmahlstreites gekommen. Blicken wir nun zurück, so sehen wir, wie in der That Luthers neuer Glaubensbegriff die Triebkraft war, die auch eine Umbildung und Neubildung der Abendmahlslehre bewirkte. In schweren inneren Kämpfen und Anfechtungen hatte sich der Reformator im Kloster zu einem fröhlichen und zuversichtlichen Glauben an Gottes Gnade und Treue hindurchringen müssen. Wegweiser zu dieser Heilsgewissheit war ihm die heilige Schrift, auf die er von Staupitz und anderen verwiesen worden war. S o wurde ihm die ') E. A . 28, 250 f ; vgl. auch 308 f. *) a. a. O. 240. «) a. n. O. 243; 315. 4) a. a. O. 245.

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Schrift zum Gnadenmittel im eigentlichsten Sinn. A b e r die Gewissheit der Sündenvergebung w a r für Luther, gerade weil er sie so überaus hoch schätzte, niemals, zumal nicht in der früheren Zeit, ein ruhender, bleibender Besitz. Vielmehr war er in dieser Beziehung immer wieder heftigen Zweifeln und Anfechtungen ausgesetzt, die sowohl aus seinem ungemein lebhaften Schuldbewusstsein, wie auch aus seinen nominalistischen Zweifeln an Gottes T r e u e hervorgingen. 1 ) Gegenüber solchen Anfechtungen, die ihn in der Gewissheit seines Gnadenstandes bedrohten, suchte nun Luther Hilfe und T r o s t nicht bloss in der Schrift und in der Predigt, sondern auch in den sakramentalen Gnadenmitteln seiner Kirche, zunächst in der priesterlichen Absolution, dann aber auch in dem Altarsakrament, dessen Bedeutung als Gnadenmittel er immer deutlicher erkannte. Und zwar erschienen ihm die Sakramente neben W o r t und Predigt deshalb so wertvoll, weil hier das Gut der S ü n d e n v e r g e b u n g dem E i n z e l n e n dargeboten und zugesichert wird, 2 ) und weil dies in einer b e s o n d e r e n , s i n n e n f ä l l i g e n W e i s e geschieht. Die äussere sinnliche Wahrnehmung (das Hören des Absolutionswortes und der leibliche Genuss der Zeichen) wird zur Stärkung und Unterstützung der religiösen Gewissheit von der Sündenv e r g e b u n g herangezogen. A b e r davon kann keine R e d e sein, dass Luther in den v o n uns besprochenen Schriften irgend einen anderen Inhalt und Gnadenschatz oder irgend eine andere W i r k u n g des Sakraments kennt, als w a s auch den Inhalt und die W i r k u n g des W o r t e s ausmacht: die V e r g e b u n g der Sünden und ihre V e r g e w i s s e r u n g im Herzen der Gläubigen. W i e ihm nach seinen eigensten persönlichen Erfahrungen die Schuld seiner Sünde die Feindin w a r , welche ihn von Gott trennte, und durch welche erst T o d und Hölle ihren furchtbaren Stachel erhielten, so ') V g l . Nominalismus ') V g l . Eintreten für

hierzu K ö s t l i n , Luthers L e b e n I. 66 f ; 73. A u f diesen w e r d e n w i r im folgenden noch zurückkommen. in den zuletzt besprochenen Schriften Luthers lebhaftes die Privatbcichte. E. A . 28, 247 ff; 2O1 ft"; 308.

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w a r die Aufhebung dieser Schranke, die Vergebung der Schuld, das göttliche Gnadengeschenk xoT's^o^rjV, wodurch der Sünder zum Gotteskind und zum Erben aller übrigen Gnadengüter wird. Denn w o Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Von einer geheimnisvollen und psychologisch nicht vermittelten Gnadenwirkung, sei e s : des verklärten Christus auf das inwendige Leben des Gläubigen, oder auch des Leibes und Blutes Christi auf unser Naturleben, weiss dagegen Luther nichts. Auch auf den Sermon vom hochwürdigen Sakrament aus dem Jahre 1 5 1 9 , wo man eine solche Auffassung noch am ersten finden könnte, wird man sich nicht berufen dürfen. Denn wenn auch hier die Einverleibung in den geistlichen Leib Christi als eigentliche Frucht des Sakraments bezeichnet wird, so ist doch diese Gemeinschaft durchaus ethisch gedacht. Die Liebe, die in ihrer Mitte herrschen soll ist Nächstenliebe und Christus gegenüber dankbare Gegenliebe. Im übrigen spricht die ganze Entwicklung der Abendmahlslehre gegen die Möglichkeit, dass Luther eine solche Auffassung hatte. Schon sein erster Widerspruch gegen die katholische Sakramentslehre knüpft sich an den Punkt von der Wirksamkeit der Sakramente ex opere operato. Demgegenüber macht Luther den heilsamen Empfang der Sakramente abhängig vom G l a u b e n . Gegenstand des Glaubens aber ist das W o r t . Darum ist auch im Altarsakrament das Wort von der Vergebung der Sünden bei weitem die Hauptsache und viel wichtiger als die Zeichen. Predigt und Sakrament haben demnach denselben Inhalt. Die Sakramente sind nicht heilsnotwendig, ihre objektive Wirklichkeit und Wirkungskraft ist dieselbe, wie sie auch dem Worte Gottes eignet. Das Wort aber, auch das Wort Gottes rechnet immer und überall auf das p s y c h o l o g i s c h e Verständnis dessen, der es hört. Dargeboten und geschenkt wird uns nun im Worte Gottes n i c h t s a n d e r e s , als das e t h i s c h geartete Gut der Sündenvergebung, für uns erworben durch die g e s c h i e h tl i c h e Thatsache des Kreuzestodes Christi. A n einer

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Stelle protestiert der Reformator sogar mit aller Energie gegen die katholische Theorie von den Früchten, welche die Messe auch für unseren Leib und unser zeitliches Leben haben soll. 1 ) Darum dürfen wir wohl behaupten, dass vor dem Abendmahlstreit Luthers religiöses Interesse am Sakrament überhaupt weder mystischer noch theosophischer, sondern g e s c h i c h t l i c h - e t h i s c h e r Art ist. Ethisch ist das Gut, das das Abendmahl uns darbietet, ethisch gerichtet und psychologisch vermittelt der Glaube, den es von uns verlangt, ethisch auch die Liebe, die es in uns erweckt. Geschichtlich endlich ist die Thatsache, welche die Voraussetzung des Sakramentes bildet, und die wir bei seiner Feier verkündigen sollen: Der versöhnende Kreuzestod Christi. Welche Bedeutung kommt nun in diesem Rahmen der lutherischen Lehre von dem im Abendmahl real gegenwärtigen Leib und Blut Christi zu ? Zunächst dürfen wir als allgemein zugestanden ansehen, dass Luther niemals ernstlich an der Realpräsenz Christi im Sakrament irre geworden ist. Nichts ist dafür beweisender als seine Stellung gegenüber der katholischen Lehre von der Transsubstantiation. Während er 15x9 diese Lehre noch unbedenklich annimmt, ist sie ihm in dem Sermon von dem neuen Testament eine gleichgültige und nebensächliche Theorie. In der Schrift de captivitate babylonica bekämpft er die Lehre, aber nur als eine philosophische Meinung, die in der Schrift nicht begründet ist, und als einen Versuch der menschlichen Vernunft, sich die Realpräsenz zurecht zu legen — einen Versuch, der nicht bloss über') E. A*. 16, 246 (aus dem Jahre 1521): Es haben wohl etlich, solche Lust und Begierde zum Sakrament zu machen, erdichtet mancherlei Frucht der Messen; und so lang damit genarret, dass sie die Frucht der Messen allerdings leiblich und zeitlich gemacht haben, dess sie doch keinen Grund, denn ihre eigen Träum haben. Denn Christus am Abendessen nit mehr, denn diese Worte einsetzt, und dieselben nur zum geistlichen Nutz, als zu Vorgebung der Sund zu brauchen geben hat.

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flüssig ist, sondern auch zu einer unerträglichen Last für die Gewissen wird, wenn man ihn zu einem notwendigen Glaubensartikel stempelt. 1 ) Überall aber bildet für Luther die Anerkennung der Realpräsenz eine selbstverständliche Voraussetzung. Darum kann auch die Versuchung, von der Luther in dem bekannten Briefe an die Strassburger spricht, die Versuchung nämlich, mit der Transsubstantiation zugleich die Realpräsenz Christi im Sakrament aufzugeben und damit dem Papsttum „den grössten P u f f " zu versetzen, nur ganz vorübergehend gewesen sein.2) Dagegen hat Luther längere Zeit darüber geschwankt, welche r e l i g i ö s e B e d e u t u n g nun dem real gegenwärtigen Leib und Blut Christi im Sakrament zukomme. Nachdem er einmal zu der Erkenntnis gekommen war, dass das Heilsgut in den Einsetzungsworten dargeboten und im Glauben angenommen wird, so konnte er natürlich dem Leib und Blut Christi nicht mehr eine selbstständige Bedeutung neben den Worten beimessen. In der That hat er schon 1 5 1 9 die Elemente unter den Gesichtspunkt des Zeichens gestellt. Doch kommt er über eine symbolische Ausdeutuug der Elemente und der Transsubstantiation noch nicht hinaus. In der Schrift vom neuen Testament (1520) fasst er Leib und Blut Christi als die Siegel, die uns den Gnadeninhalt des Testaments vergewissern, ohne dass uns recht klar würde, worin eigentlich ihre vergewissernde Kraft besteht. Erst 1 5 2 2 gibt Luther dem Zeichen eine klare Beziehung zu dem Heilsgut der Sündenvergebung. Sie besteht, wie wir oben sahen, darin, dass die Elemente d i e s e l b e n Substanzen sind, mit denen uns Christus am Kreuz das Gut der Sündenvergebung erworben hat, das uns nun im W o r t zugeteilt wird. W i r würden also gänzlich aus dem Rahmen der Abendmahlslehre herausfallen, wenn wir die sakramentalen Zeichen als Leib und Blut des verklärten und erhöhten Christus ansehen und ihnen selbständige Gnadenwirkungen ') Opp. vnr. arg. V. 34 f.

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) D e W e t t e , Briefe II, 574.

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zuschreiben wollten. Vielmehr ist ihre vergewissernde Kraft geradezu abhängig davon, dass wir sie als den geschichtlichen Leib und das geschichtliche Blut Ghristi auffassen, für uns am Kreuzesstamm gebrochen und vergossen. Ebenso kann die vergewissernde Kraft der Zeichen nicht in dem selbständigen W e r t e gesehen werden, der ihnen als den Substanzen Christi eignet, sondern nur darin, dass wir durch ihren Genuss in besonders enge Beziehung zu dem Heilstode Christi treten und dadurch in besonders lebhafter und intensiver Weise von der Gnade Gottes überführt werden. Darum wird auch in den Schriften Luthers, die wir zuletzt besprochen haben, so stark betont, dass wir bei der Feier des heiligen Abendmahls den Tod des Herrn verkündigen sollen. Das also ist nach Luthers Uberzeugung die e i n z i g e r e l i g i ö s e B e d e u t u n g , die dem sakramentalen Leib und Blut Christi zukommt und zukommen kann. Nun ist der gläubige Genuss dieser „Zeichen" für uns n ö t i g , weil wir noch in der Sünde leben und unsere Heilsgewissheit immer wieder Anfechtungen ausgesetzt ist, und z w e c k m ä s s i g , weil hier die Gnade Gottes den einzelnen und zwar in sinnenfälliger Weise dargeboten wird. Die Gewissheit also, die der sinnlichen Wahrnehmung an sich innewohnt, soll zur Stärkung und Unterstützung der religiösen Heilsgewissheit dienen. Gewiss ist das kein unberechtigter Gedanke, sondern eine überaus wichtige W a h r h e i t . In ihr beruht die Berechtigung der sakramentalen Gnadenmittel neben dem W o r t . Aber jetzt müssen wir uns fragen, ob innerhalb der seither entwickelten Abendmahlslehre des Reformators zur Erfüllung dieser Aufgabe gerade d i e Vorstellung von der Präsenz des Leibes und Blutes Christi, die Luther hatte, notwendig oder auch nur zweckmässig ist. Es sei nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass wir es bei der Beantwortung der F r a g e weder mit den exegetischen, noch mit den dogmatischen Schwierigkeiten dieser Lehre zu thun haben. W i r wollen die F r a g e lediglich beantworten unter dem

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Gesichtspunkte des religiösen Interesses am Abendmahl, das wir in unserer Untersuchung als das Interesse Luthers gefunden haben. Schon allein unter diesem Gesichtspunkte werden wir die F r a g e verneinen müssen. Sollen uns nämlich die „Zeichen" die übersinnliche Gottesgnade in sinnenfälliger Weise vergewissern, so muss ihre Beziehung zu diesem Heilsgut ohne weiteres f ü r u n s e r e S i n n e klar und verständlich sein. Den leiblichen Sinnen aber wird im Sakrament zweifellos zunächst Brot und Wein dargeboten — sogar "nach katholischer Lehre, und erst der Glaube kann unter dem Brot und Wein Leib und Blut Christi wahrnehmen. W a s aber unseren Glauben an Gottes Gnade stärken soll, dari nicht selbst wieder Gegenstand dieses Glaubens sein, sondern muss sich offenbar unserem Geist, mit einer höheren oder besser gesagt: mit einer uns näher liegenden Gewissheit aufdrängen, wie sie der sinnlichen Wahrnehmung innewohnt. Man wird sich demgegegenüber nicht darauf berufen dürfen, dass uns die Realpräsenz Christi durch die Einsetzungsworte verbürgt sei. Denn selbst angenommen, die Einsetzungsworte hätten unbestritten und unbestreitbar jenen Sinn, so wird uns in diesen Worten ja auch das Gut der Sündenvergebung angeboten, das doch ebenso unsichtbar ist, als der real gegenwärtige Leib Christi. Und wenn es dem Schuldbewusstsein des Sünders schwer wird, an die Vergebung Gottes zu glauben, so ist es anderseits für unsern kritischen Verstand nicht leicht, unter Brot und Wein die realen Substanzen Christi zu erkennen. Eine Thatsache aber, die selbst eventuell der Vergewisserung bedarf, und die in jedem Fall nur dem Glauben zugänglich ist, kann füglich nichtjzur Vergewisserung einer anderen Thatsache dienen, die für unser Glaubensleben entscheidende Bedeutung hat. Bei Luther stand es freilich ganz anders, und deshalb hat sich ihm dieser Thatbestand verhüllt. E r war aufgewachsen in dem Gehorsam der Kirche, und der A u t o r i t ä t s g l a u b e war ihm anerzogen. Das änderte sich auch in späterer Zeit nur insofern, als die Autorität der Kirche



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und ihrer Überlieferung fiel und die Autorität des göttlichen Wortes an ihre Stelle trat. So stand für Luther die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi im Sakrament als eine selbstverständliche Thatsache von vornherein fest; selbst wenn er vorübergehend an dieser Lehre irre wurde, so wurden doch solche Zweifel alsbald und ohne sonderliche Mühe durch die Autorität der Einsetzungsworte, wie er sie auffasste, niedergeschlagen. Zum H e i l s g l a u b e n dagegen hatte sich der Reformator unter schweren Kämpfen hindurchringen müssen, und auch späterhin war er in seinem Glauben an Gottes Gnade immer wieder schweren Anfechtungen ausgesetzt. Darum hatte für ihn freilich die Thatsache der Realpräsenz einen weit höheren Grad der Gewissheit und konnte recht gut zur Vergewisserung des eigentlichen Heilsgutes der Sündenvergebung dienen. W i e aber, wenn von anderer Seite Widerspruch gegen diese Lehre erhoben, wenn die Thatsache der Realpräsenz ungewiss und unsicher wurde? In diesem Fall blieb Luther, wie wir sehen werden, nur übrig, von seinen Gegnern denselben Autoritätsglauben zu fordern, den zu leisten ihm nicht allzu schwer wurde. Man muss darnach zunächst auf dem W e g e des Autoritätsglaubens sich von der realen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi überzeugen, um sie alsdann im Genuss des Sakraments sich als vergewissernde Unterpfänder der Gottesgnade anzueignen. Sehen wir nun vorderhand von der Frage ganz ab, ob man in der evangelischen Kirche einen solchen Autoritätsglauben fordern darf, so ist es doch kaum glaublich, dass ein solches mit Mühe dem eignen Geistesleben abgerungenes Zugeständnis, das überdies fortwährend neuen Zweifeln ausgesetzt ist, wirklich geeignet erscheint, zur Vergewisserung der Gnade Gottes zu dienen. Niemals aber wird ein solcher Autoritätsglaube den Grad der Gewissheit erreichen, der einer sinnenfälligen Thatsache eo ipso innewohnt. Dagegen wird bei gar manchem dieses Verfahren lediglich die Folge haben, dass er in dem Abendmahl nur ein mysterium tremendum für den Glauben

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und eine unerträgliche Last für die Vernunft erblickt. Ein^, andere Erwägung kommt noch hinzu. Im Sinne der lutherischen Abendmahlslehre hängt die vergewissernde Kraft der Elemente davon ab, dass wir den für uns gebrochenen Leib und das für uns vergossene Blut Christi empfangen. Nun hat H. S c h u l t z in seiner gediegenen Schrift über das heilige Abendmahl mit Recht darauf hingewiesen, dass d i e s e r Leib und d i e s e s Blut als Substanzen genommen überhaupt nicht mehr existieren, höchstens noch als Substanzen des Verklärten kraft der Identität der Person. A b e r auch das wird sich wohl von dem Leib, nicht aber von dem Blut nachweisen lassen. Denn letzteres hat sich ja am Kreuzesstamm vom Leibe Jesu getrennt. Solange wir also Leib und Blut im Abendmahl als Substanzen auffassen, müssen wir sie als Substanzen des Verklärten ansehen, denn andere giebt es nicht.') Eben dadurch aber wird die geschichtliche Beziehung der Elemente auf den Kreuzestod undeutlich und unklar und ihre vergewissernde Kraft abgeschwächt. Das widerspricht der religiösen Tendenz der lutherischen Abendmahlslehre geradeswegs. S o fordert Luthers eigenstes Interesse am Abendmahl eine Korrektur seiner Lehre in diesem Punkt. Die konsekrierten Elemente müssen so gefasst und gedeutet werden, dass sie in wirklich sinnenfälliger Weise den Kreuzestod gewissermassen abbilden und uns so dessen versichern, was uns Christus durch seinen Tod erworben hat. Das wird erreicht, wenn wir mit H. S c h u l t z 2 ) Leib und Blut nicht als Substanzen, sondern als „geistige, der Geschichte angehörige Realitäten" fassen, die „geistig fortwirken und geistig mitgetheilt werden". Dabei liegt der Nachdruck nicht auf dem Stoff der Elemente, sondern auf der sakramentalen Handlung. Nicht was die Elemente s i n d , sondern was mit ihnen v o r g e n o m m e n w i r d , ist die l

) H. S c h u l t z , Zur Lehre vom h. Abendmahl. ') a. a. O. S. 104 fr.

S. 97ff.

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Hauptsache. Das Brot, das g e b r o c h e n wird, und der Wein, der in den Kelch g e s c h ü t t e t wird, stellen uns allerdings in symbolischer, aber deshalb doch in geistigrealer Weise den am Kreuzesstamm gebrochenen Leib und das vergossene Blut Christi dar. Durch den leiblichen Genuss dieser geweihten Elemente eignen wir uns geistig das an, was uns Christus durch seinen Opfertod erworben hat. Doch das ist hier nicht näher auszuführeu. Es genügt, noch darauf hinzuweisen, dass diese W e r t u n g der Elemente in allen Punkten der Bedeutung entspricht, die Luther selbst ihnen zuschreibt. Zunächst ist die sakramentale Handlung ein s i n n e n f ä l l i g e r V o r g a n g , der mit den leiblichen Sinnen aufgenommen wird und durch die begleitenden Einsetzungsworte seinen geistigen Inhalt erhält. Dadurch wird die Feier wirklich zu einer G e d ä c h t n i s f e i e r des Todes Jesu erhoben, und wir treten durch den geistig-leiblichen Genuss der Elemente in eine g e i s t i g e G e m e i n s c h a f t mit dem Gekreuzigten. Auch hier wird der geistige Inhalt der Feier bedingt durch die E i n s e t z u n g s w o r t e . Denn sie erst verleihen der Handlung ihren bedeutungsvollen Sinn und machen sie den Theilnehmern verständlich. Endlich erscheint auch die O b j e k t i v i t ä t uud s a k r a m e n t a l e H e i l i g k e i t des Mahles völlig gewahrt. Denn wo überhaupt ein Abendmahl gefeiert wird, sind die geweihten Elemente für jeden, der ein normales Geistesleben und die nötigen geschichtlichen Kenntnisse besitzt, nicht mehr schlecht Brot und Wein, sondern Leib und Blut Christi. W e r also unbussfertig und frivol dem Mahle naht, als ob es eine gewöhnliche Mahlzeit wäre, der versündigt sich allerdings an dem in geistig-realer Weise gegenwärtigen Leib und Blut des Herrn. Also nicht W e s e n und Inhalt, sondern nur die W i r k u n g des Sakramentes hängt von dem Glauben des Empfängers ab. So entspricht diese Auffassung des sakramentalen Leibes und Blutes Christi als geistiger und geschichtlicher Realitäten einerseits dem Zweck, den die Elemente nach Luthers Lehre haben, weit besser als die

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Lehre von der Realpräsenz, sie ist wirklich geeignet, das religiöse Interesse des Reformators am Abendmahl voll zu befriedigen. Andererseits bedeutet diese Auffassung der Elemente zweifellos eine Annäherung an die Lehre der Reformierten, und wenn sie überhaupt in den Gesichtskreis der streitenden Parteien getreten wäre, so hätte sich vielleicht — wenigstens zwischen Luther und den Schweizern — eine beide Teile befriedigende Verständigung erzielen lassen. Wir können die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen in folgende Sätze zusammenfassen: 1. Luthers religiöses Interesse am heiligen Abendmahl ist weder mystischer noch theosophischer A r t , sondern ein ethisches und geschichtliches Interesse. Das Abendmahl ist für ihn wie die Predigt Gnadenmittel, es hat denselben Inhalt und denselben Zweck, nämlich durch Verkündigung des Versöhnungstodes Christi in dem Herzen des bussfertigen und erschrockenen Sünders einen gewissen und zuversichtlichen Glauben an Gottes vergebende Gnade zu erzeugen und zu erhalten. Das Sakrament ist dabei ebenfalls wie die Predigt seinem Wesen und Inhalt nach unabhängig von dem Glauben des Empfängers, kann vielmehr von diesem im Glauben oder im Unglauben genossen werden und wirkt dann entsprechend Leben oder Tod. 2. Seinen Inhalt bekommt demnach das Abendmahl durch die Einsetzungsworte. Den „äusseren Zeichen," d. h. bei Luther: dem realiter in und unter dem Brot und Wein gegenwärtigen Leib und Blut Christi kann darum keine selbständige Bedeutung n e b e n den Worten zukommen, vielmehr nur die dienende Rolle, die in den Worten enthaltene Verheissung zu vergewissern. A b e r auch diesen Zweck können die Zeichen nicht etwa als s e l b s t ä n d i g e Unterpfänder der Gottesgnade erfüllen, weil sie dann mit dem Versöhnungswerk

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Christi in Konkurrenz treten würden. Vielmehr erfüllen sie ihre Aufgabe dadurch, dass sie den Empfänger in eine enge Verbindung mit dem Kreuzestode Jesu setzen. Als Gaben, die in s i n n e n f ä l l i g e r Weise an den Tod Christi erinnern und zu leiblichem Genuss dargeboten werden, dienen die „Zeichen" zur Vergewisserung des geistlichen Gutes der Sündenvergebung, von Christus am Kreuz erworben und im Sakrament ausgeteilt. 3. Nun sind die geweihten Elemente in der Deutung, die Luther ihnen giebt, nicht geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen. Zunächst ist die Realpräsenz des Leibes und Blutes k e i n e s i n n e n f ä l l i g e T h a t s a c h e , und für diesen Mangel bildet die V e r s t a n d e s ü b e r z e u g u n g von der Gegenwart Christi im Sakrament, die auf der Autorität der Einsetzungsworte beruht, einen durchaus ungenügenden Ersatz. Sodann wird durch Luthers Auffassung die Beziehung der Elemente auf den g e s c h i c h t l i c h e n Leib und auf das Blut, womit Christus uns das Heii erworben hat, lediglich verdunkelt und undeutlich gemacht, da nur die Substanzen d e s V e r k l ä r t e n gegenwärtig sein k ö n n e n . Dagegen kann Luthers religiöses Interesse am Abendmahl dann wirklich befriedigt werden, wenn wir Leib und Blut nicht als Substanzen, sondern als g e i s t i g - g e s c h i c h t l i c h e R e a l i t ä t e n fassen, die in der Feier und für die Feiernden unter Brot und Wein vorhanden sind. In der sakramentalen H a n d l u n g , die durch die Einsetzungsworte die notwendige Erläuterung erhält, wird uns in zwar symbolischer, aber doch realer Weise der am Kreuz gebrochene Leib und das vergossene Blut Christi dargestellt, und durch den G e n u s s der geweihten Elemente werden wir in besonders enge Beziehung zum Kreuzestod und seinen Früchten gesetzt. J ä g e r , Luthers Lehre von der Realprftsenz.

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II. Luther ist im Verlaufe des Abendmahlstreites trotz der mannigfachen Einwände der Gegner gegen seine Lehre von der Realpräsenz nicht zur Einsicht der Schwäche seiner Position gelangt. Vielmehr hat er bekanntlich in seinen Streitschriften — man darf das aussprechen — mit immer grösserer Heftigkeit und Hartnäckigkeit gerade an diesem Punkte seiner Lehre festgehalten und ihn mit allen Mitteln der Exegese und der Dogmatik zu verteidigen gesucht. Infolgedessen rückte der streitige Lehrpunkt von der Realpräsenz ganz ungebührlich in den Vordergrund. Um so wichtiger ist das Resultat des ersten Teils dieser Abhandlung, dass sich in Luthers Abendmahlslehre v o r dem Ausbruch des Streites kein spezifisches religiöses Interesse an der Realpräsenz nachweisen lässt, dass sie vielmehr der eigentümlichen religiösen Tendenz seiner Lehre geradezu widerspricht. Das Ergebnis hat aber für die Beurteilung der Abendmahlslehre des Reformators nur dann wirklichen Wert, wenn Luther auch in der Zeit des Streites im allgemeinen seine Abendmahlslehre und seinen Sakramentsbegrifif festgehalten hat. Dies nachzuweisen wird deshalb die erste Aufgabe der folgenden Untersuchung sein. Sodann werden wir zu fragen haben, aus welchen anderweitigen, ausserhalb des Rahmens seiner Abendmahlslehre gelegenen Gründen Luther mit solcher Energie an der bewussten Lehre festgehalten hat. Endlich ist zu prüfen, ob diese anderweitigen religiösen Interessen, die Luther zu schützen suchte, in der evangelischen Kirche ein dauerndes Heimatsrecht beanspruchen können, und w e n n dies der Fall ist, ob sie durch die Theorie von der Realpräsenz wirklich gedeckt und befriedigt werden. Zunächst hatte Luther seine Lehre gegen die böhmischen Brüder (auch Waldenser oder Pikarden genannt) zu verteidigen. 5 ) Hierbei handelte es sich im Grunde ') Über die Beziehungen Luthers zu den Böhmen vgl. K ö s t l i n , Luthers Leben. I., 664 ff.

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um die praktische Frage, ob man ferner noch das Sakrament anbeten sollte. Luther spricht sich darüber zunächst in einem Brief an Paulus Speratus 1 ) aus, durch dessen Vermittlung die Anfrage der Böhmen an ihn gelangt war. Nachdem er sich genauer über die Abendmahlslehre der Böhmen informiert hatte, schreibt er einen ausführlicheren „Brief an die Böhmen vom Anbeten des Sakraments des heiligen Leichnams Christi" (aus dem Jahr 1523). 2 ) Hier erörtert er die Frage im Zusammenhang einer kurzen Darstellung seiner Abendmahlslehre, da ihm die Auffassung der Böhmen vom Abendmahl, speziell von der Gegenwart Christi verdächtig war. Auch jetzt hören wir wieder im Anschluss an die Einsetzungsworte, wie es vor allem auf diese Worte ankomme, die für den Gläubigen Leben und Seligkeit enthielten. Darum sei an den Worten weit mehr gelegen, als an dein Sakrament. Die Güter, die uns das Wort verheisse, habe uns Christus mit seinem Leibe erworben, und dieser sei es denn auch, den wir im Sakrament geniessen. Neu aber ist daran, dass sich Luther mit diesem letzten Gedanken jetzt gegen gewisse exegetische Versuche wendet, die ihm bereits von „etlichen" Seiten begegnet sind, und die darauf hinauslaufen, dass man die Einsetzungsworte s y m b o l i s c h auffasst und den „Leib Christi" in den geistlichen Leib (die Gemeinschaft) Christi umdeuten will. Weiter zeigt sich schon hier die Einwirkung des neuen Gegensatzes auf Luthers Lehrweise, sofern er auf das W e s e n des Sakraments weit mehr Gewicht legt legt als bisher. Wohl sagt er in dem Brief an P. Speratus: Fides enim sie adorat, quod illum solum sibi proponit, cuius corpus et sanguinem (nicht etwa einfach quem) ibi esse non dubitat. Ähnlich erklärt er in dem Briefe an die Böhmen*), dass die Unrecht haben, „die wollen zwingen anzubeten, als wäre Christus herrlicher Stand da, wie im Himmel". Macht er also hier noch einen ganz bestimmten Unterschied zwischen dem verklärten ') De Wette. II., 208f. ») E. A. 28, 388fr.

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) E. A. 28, 410.

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Christus, dem unzweifelhaft Anbetung gebührt, und seinem geschichtlichen Leib und Blut im Sakrament, deren Anbetung nicht erzwungen werden dürfe, so bezeichnet er andrerseits wiederum als Inhalt des Sakramentes „Christum mit seinem Fleisch und Blut und alles, was er ist und hat". 1 ) E r meint darum auch dem sakramentalen Christus die Ehrerbietung nicht versagen zu dürfen, weil er bekennen muss, „dass Christus da sei, wenn sein Leib und Blut da ist; und er von seinem Leib und Blut nicht gescheiden ist". 2 ) Nur deshalb dürfe man die Anbetung nicht erzwingen, weil Christus nicht z u d e m Z w e c k im Sakrament sei, um sich anbeten zu lassen, sondern um uns zu helfen. Doch ist es deutlich, dass diese neuen Aussagen über die Gegenwart Christi im Sakrament nur durch die praktische F r a g e der Anbetung veranlasst sind und keine Änderung der Abendmahlslehre Luthers bedeuten. Denn er hat dem sakramentalen Christus auch hier keine neue, von den Einsetzungsworten unabhängige Heilswirkung zugeschrieben. Auf unsere F r a g e aber, welchen Wert Luther gerade auf die stoffliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi legt, erhalten wir nach wie vor keine Antwort. Die Thatsache ist ihm in der heiligen Schrift bezeugt, und das genügt ihm. Nur darauf kommt es ihm deshalb an, den Gegnern durch eine exegetische Erörterung zu beweisen, dass seine Lehre s c h r i f t g e m ä s s ist. Denn es erscheint ihm als ein Frevel, an dem natürlichen Sinn eines Schriftwortes zu rütteln, wenn nicht ein anderes Schriftwort dazu zwingt. 3 ) Eine solche Stelle aber können seine Gegner nicht für sich anführen, auch nicht i. Cor. 10, 4 und 10, 17 — Stellen, auf die sich schon damals seine Gegner berufen haben. Weil aber die Gegner keine Stelle anführen können, derentwegen man in den Einsetzungsworten von dem nächsten Sinne abweichen dürfe, so muss man bei diesem Sinne stehen bleiben. Denn „das ' ) a. a . O. 3 9 2 .

a. a. O. 409, ähnlich 4 1 3 .

') E . A . 28, 3 9 3 f f .

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heisst nicht christlich gelehret, wenn ich einen Sinn in die Schrift trage, und ziehe darnach die Schrift drauf; sondern wiederumb, wenn ich zuvor die Schrift klar habe, und darnach meinen Sinn drauf ziehe". Es sind dies ja nach Luther Sachen, die das Gewissen betreffen, und in denen man darum g e w i s s fahren muss. „Man darf nicht drauf stehen, und s a g e n : E s m a g also verstanden werden. Mügen und müssen ist nicht eins." 1 ) Darum giebt der Reformator gleich im A n f a n g der Erörterung dem L e s e r den guten R a t : „ D a hüte dich nu für (nämlich v o r einer solchen falschen A u s l e g u n g der Einsetzungsworte), lasse Vernunft und W i t z e fahren, die sich bekümmert vergeblich, wie Fleisch und Blut da sein rnüge, u n d w e i l s i e e s nicht greift, will sie es n i c h t glauben."2) Charakteristisch ist hier v o r allem Luthers tiefes Misstrauen g e g e n die menschliche Vernunft, die da begreifen will, w o göttlicher Befehl und göttliches W u n d e r vorliegt. Statt dessen verlangt Luther schlechthin Unterwerfung unter die Autorität der Schrift, die ihm gleichbedeutend ist mit der Autorität Gottes. Die menschliche Vernunft ist ungewiss, schwankend, willkürlich, mit einem W o r t : s u b j e k t i v . Sie darf deshalb nicht mitsprechen bei Fragen oder vielmehr bei Thatsachen, von denen unser Heil abhängt, wie dies etwa von der Gottmenschheit Christi, seiner jungfräulichen Geburt, oder auch von der Realpräsenz seines L e i b e s und Blutes im Sakrament gilt.3) Denn bei solchen Thatsachen, durch die wir unser Gewissen zufrieden stellen sollen, kommt es v o r allem auf ihre Gewissheit, ihre objektive, von allem menschlichen Fürwitz unabhängige Wirklichkeit an. Eben diese Objektivität der göttlichen Gnadenmittel wird in F r a g e gestellt, sobald man die Kritik der menschlichen Vernunft zulässt. A u c h in dem g e g e n ') E. A . 28, 398 f. V g l . dazu aus D e Capt. B a b y l . : Maior est verbi Dei autoritas, quam nostri ingenii capacitas. O p p . var. arg. s) E. A . 28, 393. V . 34f. s)

28, 394-

Vgl. die Nebcncinanderstellung dieser Ilcilsthatsachen.

E. A .

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Karlstadts Treiben gerichteten Sendschreiben an die Strassburger vom 1 7 . Dez. 1524 1 ) gesteht Luther ein, dass er die Versuchung, die L e h r e von der Realpräsenz fallen zu lassen, nur überwunden habe, weil er in der heiligen Schrift gefangen gewesen sei. „ D e r T e x t ist zu gewaltig da und will sich mit Worten nit lassen aus dem Sinn reissen." Dieselben Gedanken finden wir nun weiter ausgeführt in der ersten grossen Streitschrift Luthers wider die himmlischen Propheten, d. h. wider Karlstadt und seine Geistesverwandten, die nicht bloss das Sakrament angreifen, sondern „die ganze L e h r e des Evangelii verderben wollen."' 2 ) Auch hier wird der Reformator von dem Interesse an der Objektivität der Gnadenmittel geleitet. S o beginnt er seinen 2. Teil 3 ) mit einer Darlegung der göttlichen Heilsordnung. Gott handelt mit uns ä u s s e r 1 i c h durch W o r t und Sakrament und i n n e r l i c h „durch den heiligen Geist und Glauben sampt anderen Gaben," und zwar so, „dass ers beschlossen hat, keinem Menschen die innerlichen Stuck zu geben, ohn durch die äusserlichen S t u c k ; denn er will niemand den Geist noch Glauben geben ohn das äusserliche W o r t und Zeichen, so er dazu eingesetzt hat." Luther bindet also die W i r k u n g des Gottesgeistes an die von Gott geordneten Gnadenmittel des Wortes und des Sakraments. Karlstadt dagegen meint, man müsse zuerst den Geist haben, um die Gnadenmittel richtig empfangen zu können. Den Geistesempfang aber macht er nach der W e i s e der quietistischen Mystik abhängig von der Abtötung der Triebe und einer völligen Gelassenheit des Willens (bei Luther: Langeweile), in der man dann die himmlische Stimme und Gott selbst werde reden hören. S o geben die G e g n e r Luthers ihre subjektiven Eingebungen, die nach seiner Ansicht doch nichts als T r ä u m e sind, als Gottes W o r t aus, und da sie für den ') D e W e t t e , Briefe II., 574fr. *) Vgl. hierzu K ö s t l i n , Luthers Leben I., 702fr, Luthers Theologie IL, looft", E. A. 29, 208ff,

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W e r t der Gnadenmittel kein Verständnis haben, machen sie aus dem W o r t ein G e s e t z und aus dem S a k r a m e n t ein menschlich W e r k . D a s Gedächtnis an Christi T o d soll in uns „brünstige Hitze und ausgestrackte L u s t " erwecken, uns in ähnlicher W e i s e abzutöten. Damit a b e r werden die Einsetzungsworte verhüllt und die wirkliche Ordnung verkehrt, nach welcher Christus in erster Linie V e r s ö h n e r und Gnadenspender und erst in zweiter Linie sittliches Vorbild ist. A u s diesem Grundirrtum Karlstadts ergiebt sich dann als natürliche F o l g e , dass er auf die „äusserlichen" Gnadenmittel keinen W e r t legt, und deshalb, so meint Luther, leugnet er auch die Realpräsenz des L e i b e s und Blutes im S a k r a m e n t . D e m g e g e n ü b e r betont nun L u t h e r v o r allem die N o t w e n d i g k e i t solcher Gnadenmittel. 1 ) E r w o r b e n hat uns Christus G o t t e s G n a d e am K r e u z einmal. A b e r das allein würde uns nichts helfen, vielmehr: „Will ich nu meine S u n d e vergeben haben, so muss ich nicht zum K r e u z e laufen; denn da finde ich sie noch nicht ausgetheilet . . . . . sondern zum S a c r a m e n t o d e r Evangelio, da finde ich d a s W o r t , das mir solche e r w o r b e n e V e r g e b u n g e am Kreuz austheilet, schenkt, darbeut und giebt. D a r u m b hat der L u t h e r recht gelehret, dass w e r ein böse G e w i s s e n hat von Sunden, der solle zum S a c r a m e n t gehen und T r o s t holen, nicht am B r o t und W e i n , n i c h t a m L e i b e u n d B l u t C h r i s t i , sondern am W o r t , das im S a c r a m e n t mir den Leib und Blut Christi, a l s f ü r m i c h g e g e b e n u n d v e r g o s s e n , darbeut, schenkt und gibt." 2 ) J a , kurz vorher 3 ) hebt L u t h e r so stark die Notwendigkeit des vermittelnden W o r t e s hervor, dass e r sagt, „ob Christus tausendmal für uns g e g e b e n umbsonst, und gekreuziget w ü r d e , w ä r e e s a l l e s wenn nicht das W o r t G o t t e s käme, und teilets a u s . " D a s W e s e n t l i c h e an den Gnadenmitteln ist also das spendende W o r t , und darum werden auch hier W o r t und S a k r a m e n t inhaltlich gleich gesetzt. Nur darin liegt das B e s o n d e r e ') E. A. 29, 285ff.

') E. A. 29, 286.

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) a. a. O. 284.

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des Sakraments, dass uns in ihm durch das Wort Leib und Blut Christi als für uns in den T o d gegeben, dargeboten werden. A b e r Leib und Blut sind so wenig notwendig zur Vermittlung der Sündenvergebung, dass Luther vielmehr an der oben citierten Stelle selbst zugiebt, wenn auch nur Brot und Wein vorhanden wären und nur das Wort da wäre, so wäre doch des Worts halber Vergebung der Sünden im Sakrament. Ebenso ist j a auch die Taufe, trotzdem nur W a s s e r da ist, durch das W o r t ein Bad der Wiedergeburt. Wenn nun a. a. O. S . 288 hervorgehoben wird, dass allen, die noch Sünde haben, der Genuss des Leibes und Blutes Christi N o t t h u e , so wird auch damit nur die Nützlichkeit und Zweckmässigkeit des Sakramentes behauptet. S o stehen wir also auch in dieser Schrift noch auf dem Boden der lutherischen Abendmahlslehre vor dem grossen Abendmahlstreit. Nur hat der Reformator aus erklärlichen Gründen seine Terminologie geändert. Er vermeidet es jetzt, das Sakrament, bezw. Leib und Blut im Sakrament „Zeichen" zu nennen. Denn diesen Ausdruck gebrauchen seine Gegner in symbolischem Sinn von Brot und Wein. Vielmehr bezeichnet er jetzt gewöhnlich auch Leib und Blut als Inhalt des Sakraments und zwar als dessen W e s e n (objektive Wirklichkeit), während er die Sündenvergebung als die F r u c h t (subjektive Wirkung) ansieht. W a s speziell Luthers religiöses Interesse an Leib und Blut Christi im Sakrament anlangt, so legt er an vielen Stellen gerade darauf Gewicht, dass uns im Abendmahl Leib und Blut des geschichtlichen Christus zum Genuss dargeboten werden. 1 ) E r betrachtet sie also immer noch als Unterpfänder der göttlichen Gnade, sofern es dieselben Substanzen sind, mit denen uns Christus am Kreuz die Vergebung erworben hat. Nun haben wir oben dargelegt, dass Leib und Blut Christi im Abendmahl diese gewiss machende Kraft nur haben können, wenn ihre reale Gegenwart von vornherein ') z. B

a. a. 0 , 262, 276, 286, 2 8 7 f.

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als etwas Selbstverständliches feststeht und anerkannt ist. Hiergegen aber richtet sich Karlstadts und seiner Freunde heftiger und energischer Widerspruch. Luther kann sich jedoch die für seine Anschauung notwendige Beziehung zwischen Brot und Wein und Leib und Blut Christi nun einmal nicht anders vorstellen, als in der Form einer substanziellen oder stofflichen Verbindung und glaubt deshalb mit seiner Lehre von der Realpräsenz zugleich die ganze Lehre vom Abendmahl, ja von den Sakramenten überhaupt verteidigen zu müssen. In dieser Überzeugung wird er dadurch noch bestärkt, dass Karlstadt in seiner unklaren Mystik und in seinem schrankenlosen Subjektivismus in der That den W e r t der objektiven Gnadenmittel nicht zu würdigen imstande war. Denn nicht seine exegetischen Gründe gegen die Realpräsenz waren für ihn die entscheidenden. Sie sind sehr dürftig und zum Teil, wie die Auslegung des TOÜTO in den Einsetzungsworten, geradezu lächerlich, sodass Luther auf diesem Gebiet eine Widerlegung leicht ward. Vielmehr waren für Karlstadt die d o g m a t i s c h e n Gründe gegen Luther massgebend. Soweit diese religiöser Art waren, entsprangen sie seiner Mystik, und Luther verteidigte demgegenüber mit Recht den geschichtlichen und ethischen Charakter unsrer christlichen Religion, indem er zeigte, wie die Wirksamkeit des heiligen Geistes gebunden sei an die Person und das W e r k Christi und an die Vermittlung der Gnade durch das Wort. Im übrigen stammen Karlstadts Gründe aus seiner „Vernunft" oder, wie Luther es wenigstens auffasste, aus seinem Unglauben. Er kann das W u n d e r , das zweifellos nach Luthers Ansicht in jedem Abendmahl vorgeht, nicht anerkennen — ein Wunder, dessen N o t w e n d i g k e i t er nicht einzusehen vermag, und dessen M ö g l i c h k e i t er bestreitet. Mit diesen beiden Einwänden, dass die Realpräsenz weder notwendig noch möglich sei, hat sich Luther auch in den folgenden grossen Streitschriften immer wieder zu beschäftigen. Es wird deshalb empfehlenswert sein, wenn wir, um unnütze Wiederholungen zu ver-

— 42 — meiden, die Gedankenreihen Luthers, die sich an die beiden Einwände anschliessen, n a c h e i n a n d e r weiter verfolgen und besprechen. Wir haben schon oben gesehen, dass sich die Realpräsenz für Luthers Gesamtauffassung nicht nur nicht als notwendig, sondern nicht einmal als zweckmässig erweisen lässt. Das muss sich jetzt in der Weise zeigen, dass Luther in der That nicht imstande ist, einen dogmatischen Beweis für diesen Punkt seiner Lehre zu erbringen. Anders ausgedrückt: E r vermag nicht nachzuweisen, dass das religiöse Interesse, von dem er in seiner Abendmahlslehre geleitet wird, die reale oder substanzielle Gegenwart des Leibes und Blutes Christi erfordert. Nun bestreitet Karlstadt die Heilsnotwendigkeit oder -Zweckmässigkeit der Realpräsenz mit Berufung auf das bekannte Wort Joh. 6, 6 3 : Das Fleisch ist kein nütze. Weil also nach der Auffassung, die er in dieses Schriftwort hineinlegt, die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl nichts nützt, so lehnt er die Lehre überhaupt ab. Eine solche Schlussfolgerung weist Luther von vornherein als unberechtigt zurück. Man könne, so meint er, ebenso gut schliessen: Da Christi Fleisch nichts nütze ist, so ist es nirgends. Denn dass das Fleisch Christi nütze sei, dazu gehört Geist. 1 ) Wie aber kann man, das ist der Sinn der Entgegnung Luthers, die thatsächliche Gegenwart und Wirksamkeit des Leibes Christi, die ja auch schädlich sein kann, von dem Geistesbesitz des Empfängers abhängig machen? „Die Sonne scheinet immerdar, ob sie w o h l d e r Blinde nicht siehet; und das Wort Gottes ist immer heilsam, obs wohl den Gottlosen eine Gift und Gerücht des Tods zum T o d ist, 2. Cor. 2, 1 6 und Christus Leib ist immer im Sakrament, ob er wohl diesen tollen, blinden Geistern nicht drinnen ist." 2 ) Der Sinn dieses Vergleichs ist offenbar der, dass die Sonne als Lichtquelle eine ') E. A. 29, 272.

s

) a. a. 275.

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objektiv vorhandene Thatsache ist, auch wenn sie der Blinde nicht sieht und nur der Sehende Nutzen von ihr hat. Ganz ähnlich ist für Luther auch die Realpräsenz eine Thatsache, wenn auch „tolle und blinde Geister" nichts davon gewahren und keinen Nutzen davon haben, ebenso wie Gottes W o r t dieses bleibt, ob es nun auf Glauben oder Unglauben stösst. Nicht seine Wirklichkeit, sondern nur seine Wirkungsweise wird dadurch bestimmt. Luther verfolgt mit diesen Gedankengängen den alten Zweck, die Objektivität der Gnadenmittel zu wahren, während Karlstadt für den W e r t der Sakramente überhaupt kein Verständnis hat. Es ist daher nicht zufällig, wenn der Reformator beim Abschluss dieser Erörterung Karlstadt den Vorwurf macht, er habe mit allen seinen Gründen aus dem Sakrament, das doch eine Verheissung und ein Geschenk Gottes sei, „ein lauteres W e r k , eine fleischliche Andacht" machen wollen auf Kosten des Glaubens, der Gottes Gnade im Sakrament mit Demut annimmt. Dennnoch müssen wir sagen, dass der oben angeführte Vergleich im entscheidenden Punkt nicht zutreffend ist. W e n n wir nämlich die objektive Realität der Sonne behaupten, obgleich der Blinde nichts davon merkt, so thun wir dies auf Grund u n s e r e r sinnlichen Erfahrung, lind wenn Paulus die objektive Wirklichkeit des göttlichen W o r t e s behauptet, abgesehen davon, ob es im Glauben angenommen oder im Unglauben abgelehnt wird, so thut er es eben auf Grund der inneren Heilserfahrung, die e r an diesem W o r t e gemacht hat. A b e r welche äussere oder innere, sinnliche oder geistige Erfahrung haben wir denn von der Realpräsenz Christi gemacht, sodass wir allem Widerspruch gegenüber ihre Thatsächlichkeit behaupten müssen ? D a Luther hierauf keine Antwort geben kann, so lehnt er die Fragestellung überhaupt ab, und zwar als eine frevelhafte Empörung der menschlichen Vernunft gegen die Autorität des göttlichen W o r t e s . S o beruft er sich gegenüber dem rationalistischen Einwand, dass doch B r o t und W e i n durch „Zischen und Hauchen" nicht besser würden, kurzerhand



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auf „die göttliche, allmächtige, himmlische, heilige Wort, die Christus . . . selbst sprach und zu sprechen befahl". „Das sage ich, wenn dieselben Wort ein Esel . . ja wenn sie ein Teufel spräche, dennoch sind sie Gottes Wort und dafür zu halten in allen Ehren." 1 ) Wenn wir also unser Gewissen auf die Gnade Gottes s i c h e r s t e l l e n wollen, so müssen wir unsere „fürwitzige" Vernunft beugen unter Gottes Wort, ohne zu grübeln über das Warum und Wie. Z u welchen Konsequenzen dieser Standpunkt führt, zeigt der weitere Verlauf des Streites. Auch Zwingli und Ökolampad gegenüber wird Luther von dem Interesse an der Sicherheit und dem Wert der Gnadenmittel geleitet, die, wie es ihm schien, entwertet und unsicher gemacht wurden. In der ersten grösseren Schrift gegen die Schweizer, in dem Sermon vom Sakrament des Leibes und Blutes Christi aus dem Jahre 1526, unterscheidet Luther, um sogleich den richtigen Standpunkt zu gewinnen, in der Einleitung zwischen dem objectum fidei, das man glauben, oder daran man hangen solle, und dem Glauben selbst, oder dem „Brauch dessen, was man glaubt." 2 ) Der letztere Glaube ist zwar immer noch der bei weitem bessere. A b e r ihm muss als notwendige Vorstufe der Glaube im Sinne des Fürwahrhaltens vorausgehen. Zuerst muss man auf Grund der Autorität des Worts von dem Wesen des Sakraments (der Realpräsenz) überzeugt sein, dann darf man darnach fragen, wozu es da ist, und sich im Glauben seine Frucht aneignen. Denn das Wesen des Sakraments muss unabhängig sein von seiner Frucht und von dem Glauben des Empfängers. Sonst wird es aus einer Gnadengabe Gottes zu einem W e r k des Menschen/') Gerade an dieser Sicherheit, mit der wir an der Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Elementen festhalten, hängt der W e r t des Sakramentes. Denn — hiermit stehen wir immer noch auf dem Boden der genuinen Abendmahls') E. A. 29, 233.

2

) E. A. 29, 328 f. ') E. A. 29, 343 f.

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lehre Luthers — Leib und Blut sind uns zur Vergewisserung der Gottesgnade gegeben, die uns in den Worten verheissen wird. 1 ) D a s s aber Leib und Blut in Brot und Wein real gegenwartig sind, diese Überzeugung gewinnt eben Luther durch Unterwerfung unter die allgemeine Autorität des göttlichen Wortes. Wie sehr übrigens Luther auch jetzt noch Leib und Blut Christi in Brot und Wein nur als vergewissernde Unterpfänder der Gottesgnade ansieht, das zeigt auch eine Stelle aus der folgenden Schrift: „Dass diese Wort Christi (die Einsetzungsworte) noch fest stehen." (1527.) Da spricht Luther 5 ) von der Bedeutung der leiblichen d. h. sinnenfälligen Vermittlung für unser geistiges Leben und kommt in diesem Zusammenhang auf einen charakteristischen Einwand seiner Gegner zu sprechen. Sie weisen darauf hin, dass Maria, Simeon und die Hirten das Jesuskind mit ihren l e i b l i c h e n A u g e n gesehen hätten. Das soll doch auf das Abendmahl angewandt heissen: Leib und Blut können im Sakrament nicht zur Vergewisserung dienen, weil sie selbst unsichtbar und nicht sinnenfällig sind. Luther erwidert darauf, dass wir Gott nicht vorschreiben dürfen, wie er sich uns darbieten soll, sondern darauf trauen müssen, dass er es so gewollt hat, ohne nach dem Warum zu fragen. W a s also in der Beichte das gesprochene Wort, in der Taufe die Besprengung mit Wasser bewirkt, nämlich das unsichtbare Gnadengut dem Gläubigen zu vergewissern, das sollen hier Leib und Blut bewirken, deren reale Gegenwart uns aber auf dem W e g des Autoritätsglaubens gewiss werden muss. Die Gewissheit, die der sinnlichen Wahrnehmung inne wohnt, muss h i e r ersetzt werden durch die Gewissheit des Autoritätsglaubens. E s versteht sich darnach von selbst, dass auch hier wiederum diese formale Autorität der Schrift womöglich noch stärker betont wird als vorher. „Gotts Wort ist Gotts Wort, . . . W e r Gott in eim Wort lügenstraft und lästert, der lästert den ganzen ') E. A. 29, 350. ») E. A. 30, 94 f.

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Gott."') Aber dabei wird dem Reformator das Wort Gottes aus einem Gnadenmittel zu einem starren Lehrgesetz, das den menschlichen Verstand bricht und beugt. E r bezieht ja geradezu an jenem Ort die Stelle Jak. 2, 10 auf die Stellung des Christen zur Schrift. Ökolampacs Frage nach dem Zweck des Leibes und Blutes Christi im Sakrament ist ihm lediglich ein Zeugnis von teuflischem Hochmut und eine Gotteslästerung. „Denn wer so fragt, der will j a über Gott hin, klüger und besser denn Gott sein." Das demütige Herz dagegen spricht mit Furcht also: „ E s fragt am ersten, obs Gotts Wort sei; wenn es das höret, so dämpft es mit Händen und Fussen diese F r a g e : Wozu es nütz oder noth sei?" 2 ) Wie die Schrft zum Gesetz des Buchstabens, so wird der Glaube zum sacrificium intellectus, zur gehorsamen Unterwerfung unter eine unverstandene und unverständliche Autorität. Derselbe Standpunkt ist auch in dem sogenannten Grossen Bekenntnis vertreten. 3 ) Hier wird auch wieder einmal der religiöse Gegensatz deutlich, wenn der Reformator den Schwarmgeistern den ironischen Rat giebt, sie sollten einfach sprechen : „Das ä u s s e r l i c h e Wort Gottes sei kein Nütze und hätten genug am Zeugnis des Geis:s inwendig."4) Mit am deutlichsten aber spricht sich Luther über den in F r a g e stehenden Punkt aus in einem Brief an Karlstadt, geschrieben wahrscheinlich im November 1527. s ) Hier konstatiert er einen m e t h o d i s c h e n G e g e n s a t z , der ihn von seinen Gegnern trennt. Jene behanddn erst die res, dann die verba. D. h. sie ordnen den dogmatischen Beweis dem exegetischen über, sie deuten de Schrift nach ihren dogmatischen Anschauungen. Dagegen hält Luther für die einzig richtige und in der Sache begründete Methode, zuerst die Schriftworte nach ihrem schlichten natürlichen Sinn festzustellen, um dann die dogmatische Erörterung daran anzuschliessen und damit in ') E. A. 30, 28.

*) E. A. 30, 353.

) E. A. 30, 139. 1 2 8 .

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') Vgl. E. A. 30, 2 7 2 ff.

) De Wette III. 2 3 1 f r .

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Einklang zu setzen. Dieser methodische G e g e n s a t z beruht im letzten G r u n d auf einer verschiedenartigen S c h ä t z u n g der h. Schrift als der Erkenntnisquelle für den T h e o l o g e n in ihrem Verhältnis zur menschlichen Vernunft. Und so hoch ordnet L u t h e r die Schrift ü b e r die Vernunft, dass er sich s o g a r bis zu dem S a t z e v e r s t e i g t : „ Nam et demus per impossibile, v o s r e m demonstrare, sciliect corpus Christi non dari in coena, quid facietis, cum c o n s c i e n t i a haec v e r b a opponit: Hoc est corpus m e u m ? ' ) D a s „Gewissen" ist seiner S a c h e w i d e r Karlstadt g e w i s s , da die v e r b a nach L u t h e r absolut klar sind. D a r u m gilt f ü r a l l e t h e o l o g i s c h e Arbeit, wenn sie nicht einem willkürlichen Subjektivismus verfallen w i l l : Praesertim in sacris literis necesse est, q u i d n o m i n i s primum et certissimum habere, quia de rebus i n c o g n i t i s et tantum f i d e p e r c e p t i s agitur. G e m ä s s diesem G r u n d s a t z g e h t L u t h e r auch in dem G r o s s e n Katechismus'-) von den Einsetzungsworten aus und begründet auf sie, und z w a r auf sie allein seine L e h r e von der Realpräsenz. S i e ist ihm g e n ü g e n d durch das W o r t v e r b ü r g t . Denn es ist eben G o t t e s W o r t . Nach dieser Seite hin deckt sich sein religiöses Interesse an der Realpräsenz mit dem allgemeinen Interesse an dem W o r t e G o t t e s und seiner unverbrüchlichen Gültigkeit. A u s den zuletzt behandelten Stellen geht nun v o r allem deutlich h e r v o r , dass es sich für den Reformator g a r nicht mehr ausschliesslich um die A b e n d m a h l s l e h r e handelt. D e r Streit b e w e g t sich vielmehr um die richtige theologische Methode überhaupt, insbesondere um die Stellung der h. Schrift. Die S c h w ä r m e r „ v e r a c h t e n " das äusserliche W o r t und dringen auf den „ G e i s t " , d. h. auf das inwendige, göttliche Z e u g n i s , das sie für sich in A n s p r u c h nehmen. Für sie g e n ü g t darum nicht die B e r u f u n g auf die h. Schrift, sondern sie wollen auch einen dogmatischen B e w e i s geführt sehen, d. h. sie wollen die N o t w e n d i g k e i t und Z w e c k mässigkeit d e r einzelnen Glaubenssätze im R a h m e n der ') a. a. O. 232.

J)

Cat. M. Rechenberg. S. 552. ff.

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christlichen Heilserkenntnis und Heilserfahrung einsehen und verstehen. Luther aber fürchtet, dass damit der subjektiven Willkür T h ü r und T h o r geöffnet würden, und meint deshalb, dass eine objektive und unfehlbare Instanz für Glaubensstreitigkeiten nötig sei. A l s solche kann aber nur die h. Schrift in Betracht kommen. Mit der. Abendmahlslehre hängt dieser Streit zunächst nur insofern zusammen, als sich die Differenzen in der theologischen Methode auch hier geltend machen. Doch ist nicht zu verkennen, dass Luther die Lehre von der bedingungslosen Autorität der h. Schrift erst im Verlauf des Abendmahlstreites ausgebildet und mit solchcr Energie vertreten hat, während er vorher v o r einer recht freimütigen Kritik der h. Schrift keineswegs zurückschreckte. Es muss sich also noch ein tieferer Zusammenhang nachweisen lassen. W i e wir sahen, hat Luther schon von Anfang an auf die objektive, von allem menschlichen Zuthun unabhängige Gültigkeit und Sicherheit des göttlichen W o r t e s das grösste Gewicht gelegt. A b e r damals verstand er darunter das Verheissungswort von Gottes vergebender Gnade in Predigt und Sakrament. Seine Gewissheit und Zuverlässigkeit galt es zu schützen gegen das Misstrauen und die Zweifel, die aus dem Schuldbewusstsein des Sünders entspringen, und der Glaube, der dem W o r t geschenkt werden soll, w a r ihm die vertrauensvolle und zuversichtliche Annahme der dargebotenen Gottesgnade. Das ist ein rein religiöses Interesse, dessen Berechtigung jedermann zugeben wird. Nun aber ward dem Reformator von Karlstadt und den Schweizern die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi im Sakrament unsicher und zweifelhaft gemacht, ohne dass ihm ein Ersatz in Gestalt einer richtigeren Deutung der Elemente geboten worden wäre. Vielmehr fand Luther bei allen diesen Gegnern neben der Bestreitung der Realpräsenz eine Geringschätzung der Gnadenmittel überhaupt. A u s dem Abendmahl speziell machten sie ein „ W e r k " , einen Bekenntnisakt. 1 ) Das kann ') Für Zwingli vgl. K ö s t l i n , Karlstadt ist es oben nachgewiesen.

Luthers Theologie II. 190.

Für

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aber Luther, der in heissen Gewissenskämpfen den W e r t der Gnadenmittel hatte schätzen lernen, seinen Gegnern lediglich als Mangel an religiöser Erfahrung und sittlichem Ernst auslegen. „Sie haben nicht mehr gelernt, denn die W o r t reden und predigen, Christus ist für uns gestorben u. s. w., im Herzen aber fühlen sie nichts davon." 1 ) Er ist deshalb auch geneigt, wie diesen Widerspruch g e g e n den sakramentalen Charakter des Abendmahls überhaupt, so auch den gegen die Realpräsenz insbesondere als Einwände einer rationalisierenden Vernunft zu betrachten, die a limine abzuweisen sind, weil sie nicht aus dem Glauben stammen. Dabei zeigt es sich aber, dass Luther wohl für das Abendmahl als Sakrament mit Gründen streiten kann, die der religiösen Erfahrung entnommen sind, nicht jedoch für seine L e h r e von der Realpräsenz — wenigstens nicht im Rahmen seiner Gesamtauffassung vom Abendmahl, wie er sie v o r dem grossen Streit ausgebildet und im Verlauf des Streites, wie wir sahen, festgehalten hatte. Und doch konnte Luther diese Lehre nicht aufgeben, ohne in seinem Sinn den sakramentalen Charakter des Abendmahls zugleich aufzugeben. Denn eine bessere Formel für das Verhältnis der geweihten Elemente zu Leib und Blut Christi fand er eben nicht. S o w a r der Reformator gezwungen, sich für seine L e h r e von der Realpräsenz ausschliesslich auf die Autorität der Schrift zu berufen und zu stützen. D a s hatte aber eine völlige Verschiebung aller Begriffe zur Folge, die hier in Betracht kommen. D a s W o r t Gottes ist in diesem Zusammenhang nicht mehr Verheissungswort und Gnadenmittel, sondern starres mechanisches L e h r g e s e t z ; seine Gültigkeit und Sicherheit gilt es nicht mehr zu schützen gegen die misstrauischen Zweifel, die aus dem ungelösten Schuldbewusstsein stammen, sondern g e g e n die hochmütigen und gotteslästerlichen F r a g e n und Einwände der Vernunft. D e r evangelische Heilsglaube endlich wird zwar nicht aufgehoben, aber doch ') E. A. 29, 339. J ä g e r , Luthers Lehre von der Realprasenz.

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verdunkelt und in den Hintergrund gedrängt durch den katholischen Glaubensbegriff im Sinne der bedingungslosen Unterwerfung unter eine rein formale Autorität. Doch reichen diese Darlegungen keineswegs aus, um jenen Frontwechsel Luthers zu erklären. Kämpfte der Reformator früher auf Grund seiner eigensten Erfahrungen gegen die Zweifel an Gottes Gnade und Treue, so ist jetzt die menschliche Vernunft mit ihren vorwitzigen F r a g e n die grosse Feindin, g e g e n die er streitet. W o h e r kommt dieses tief gegründete Misstrauen g e g e n die menschliche Vernunft, bei demselben Mann, der einst auf dem Reichstag zu W o r m s sich zum Widerruf bereit erklärte, wenn er durch Zeugnisse der h. Schrift o d e r durch helle Gründe der Vernunft überwunden w e r d e ? W i r werden nicht fehl gehen, wenn wir in jenem Misstrauen eine Nachwirkung der n o m i n a l i s t i s c h e n Anschauungen erkennen, 1 ) in denen Luther einst befangen war. Bekanntlich hatte Occam, den Luther auch in späterer Zeit immer noch als einen überaus scharfsinnigen Theologen schätzte, Gottes W e s e n in seinem Willen erblickt, diesen Willen aber als Willkür gedeutet. Die für den praktischen Glauben verhängnisvolle Konsequenz daraus war, dass der Gläubige alle Zuversicht zu Gottes Gnade und T r e u e verlieren musste. S o erklären sich auch Luthers Glaubenskämpfe im Kloster sicherlich zum Teil aus jenem Gottesbegriff. In der theologischen Wissenschaft aber machte es sich die nominalistische Scholastik geradezu zur Aufgabe, das D o g m a als irrational zu erweisen und es der Vernunft zu entziehen. D e r göttliche Ratschluss gegenüber der Menschheit s o l l t e gerade nicht den Charakter einer inneren, in der Sache begründeten Notwendigkeit haben, weil man das als eine Beeinträchtigung des souveränen göttlichen Willens empfand. Diese Sätze wurden in einer Zeit aufgestellt, als man bereits die Zuversicht zur menschlichen Vernunft, wie sie etwa bei Anselm vorhanden ') Vgl. oben S. 23.

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ist, in weiten Kreisen verloren hatte. Nicht etwa erschüttern wollte man das kirchliche Dogma, sondern es durch die Berufung auf die kirchliche Autorität um so fester begründen. Die Autorität der Kirche sollte nämlich dem Einzelnen die kirchliche Lehre als wahr verbürgen, für die er in seiner Vernunft einen zureichenden Grund nicht finden könne. Die Kirche allein gibt uns die Gewissheit, dass Gott wirklich alles so gewollt hat und will, wie sie es lehrt. So ruhte der ganze Bau des Dogmas auf der Autorität der Kirche. Wenn diese aber einmal fiel, so musste die nominalistische Dialektik, die an jedem einzelnen Punkt das Dogma als übervernünftig und widervernünftig zu erweisen suchte, ihren ganzen zersetzenden Einfluss ausüben. Nun hatte Luther, nachdem er einmal zur religiösen Gewissheit gelangt war und gegen eventuelle Anfechtungen im Sakrament einen wirksamen Schutz gefunden hatte, von seinem neuen evangelischen Glaubensbegriff aus in fröhlicher Zuversicht es unternommen, einen Neubau evangelischer Lehre aufzuführen. Dabei hatte er die Vernunft, freilich die im Glauben an Jesus Christus gebundene Vernunft, keineswegs verachtet. Als aber die Schwärmer mit ihrer Hochschätzung der menschlichen Vernunft und ihrer offenbaren Geringschätzung der h. Schrift hervortraten, als sie Luther gar an einem Punkte seiner Lehre angriffen, der ihm persönlich sehr wertvoll war, dessen sachliche Notwendigkeit er aber nicht zu erweisen vermochte, da erwachten wieder begreiflicherweise die alten nominalistischen Zweifel an der Zuständigkeit der Vernunft in Glaubenssachen, an der inneren Notwendigkeit und damit an der Begreiflichkeit des göttlichen Ratschlusses. In demselben Masse musste ihm der W e r t und die Notwendigkeit einer sicheren und unfehlbaren Autorität einleuchten, der sich die Vernunft im Gefühl ihrer Unzulänglichkeit zu unterwerfen habe. Als solche konnte aber nun nicht mehr die Kirche, sondern nur die h. Schrift in Betracht kommen. So erklärt es sich auch, dass Luther häufig, gerade wenn er die F r a g e nach der Notwendigkeit

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der Realpräsenz mit Berufung auf Gottes souveränen Willen zurückweist, auch auf die Konsequenzen jener Fragestellung aufmerksam macht. Lässt man nämlich die F r a g e der Gegner an diesem einen Punkt zu, so muss man sie auch an anderen wichtigen Punkten der Glaubenslehre zulassen, deren Notwendigkeit sich ebensowenig erweisen lässt. 1 ) Ja, er gefällt sich offenbar darin, den Schwärmern zu zeigen, wohin sie treiben, wenn sie sich nicht in den sicheren Hafen der Autorität flüchten, und er hat seine Freude an den Verlegenheiten, die das Dogma der menschlichen Vernunft bereitet, weil dadurch die Notwendigkeit eines Autoritätsglaubens in ein um so helleres Licht tritt. Aber wie die Schrift, so wird ihm hier auch das Dogma zum Gesetz, und statt der Einheit des christlichen Glaubens erhält er eine Reihe unzusammenhängender Stücke, den Paragraphen eines Gesetzbuches vergleichbar. Spricht es doch Luther in einem Gutachten über ein etwaiges Bündnis mit den Schweizern aus dem Jahr 1529 offen aus, dass jemand, der in diesem einen „Stück" ein Ketzer sei, „nicht weniger ein Unchrist ist denn Arius oder der einer". 2 ) Haben wir mit dieser Entwickelung und Erklärung der Gedanken Luthers das Richtige getroffen, so kann unser U r t e i l darüber kaum noch zweifelhaft sein. Den Nominalismus können wir eben nur als eine verhängnisvolle Verirrung der Theologie ansehen, die hauptsächlich daraus entsprungen ist, dass man nicht die geschichtliche Offenbarung in Christus als einzige und ausschliessliche Quelle für unsere Gotteserkenntnis geschätzt und benutzt hat. Denn in Christus hat sich Gott in keiner Weise als ein willkürliches und unberechenbares Wesen geoffenbart. Vielmehr hat sein heiliger Liebeswille dem Sünder gegen1

216f.

) V g l . ausser der oben (S. 37)

266. 34Ö;

30, 76.

138.

293)T.

angeführten Stelle: E . A .

V g l . dazu auch A .

29,

Harnack,

Dogmengeschichte III., 7 3 7 f. 2

) De Wette

in Marburg.

III., 466.

V g l . die bekannte

Haltung Luthers

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über d i e Mittel und W e g e gebraucht und gefunden, die n o t w e n d i g und z w e c k m ä s s i g waren, um ihn zu retten. Gerade die Stetigkeit und Zuverlässigkeit dieses göttlichen Willens ist eine unerlässliche Voraussetzung unserer Heilsgewissheit. Müssen wir also den Nominalismus Luthers und dessen Konsequenzen einfach ablehnen, so ist doch zugleich die Bemerkung am Platz, dass der Reformator selbst bei der Behandlung der Centrailehren des Christentums, die für ihn in das volle Licht des evangelischen Heilsglaubens getreten sind, von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht und einen anders gearteten Gottesbegriff zu Grund legt. Das Urteil über den offenbaren Gott, dass er die notwendigen und zweckmässigen Mittel zu unserer Beseligung ergreife, ist freilich nur für den Glauben, in dem wir uns das Heil in Christo aneignen, möglich. Denn die Offenbarung in Christo und der ihr korrespondierende Glaube eröffnet dem Menschen in ähnlicher Weise, wie es auch die sinnliche Wahrnehmung thut, ein neues Erkenntnisgebiet, das ihm sonst verschlossen bleibt. S o ist auf demselben natürlich auch nur der Gläubige zuständig. Das ist das Richtige an dem Gleichnis Luthers von der Sonne, das wir oben besprochen haben. 1 ) W i e nun aber die Vernunft die ihr durch die Sinne vermittelte Erfahrung denkend verarbeitet, ohne deshalb über diese Erfahrung hinaus zu kommen, so hat sie auf dem Gebiet, das ihr der Glaube erschliesst, eine ähnliche, natürlich nur formale Aufgabe zu erfüllen. Das ist eben die Aufgabe der theologischen Wissenschaft. Auch hier wird die Vernunft nicht über den Stoff hinaus kommen, der ihr durch die Offenbarung dargeboten wird. Diese aber ist durchweg in ihrem Inhalt bestimmt und begrenzt durch die praktische Zweckbeziehung auf unsere Versöhnung mit Gott und und unsere Beseligung im Gottesreich. Darum hat die ') Vgl. zum folgenden die ausgezeichneten J . K a f t a n s in § 3 seiner Dogmatik.

Ausführungen

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theologische Wissenschaft weder die Aufgabe, die letzten Gründe alles Geschehens aufzuweisen, noch hat sie die Bedingungen zu erklären, unter denen Gott mit Welt und Menschheit so handeln k a n n , wie er nach der Offenbarung handelt. Wohl aber können wir und sollen wir im Glauben den Zweck des göttlichen Handelns verstehen. Diesen praktischen Charakter des Christentums hat die Theologie überall durchzuführen, und jeder theologische Lehrsatz wird seine Berechtigung in der christlichen Glaubenslehre daran zu erweisen haben, dass ein sachlicher Zusammenhang mit den grossen, praktischen Grundgedanken der Versöhnung und des Reiches Gottes vorhanden ist. Wenden wir diese methodischen Grundsätze auf die vorliegende Streitfrage an, so werden wir imstande sein, das Problem richtig zu stellen und dann eine Antwort zu geben, die die berechtigten religiösen Interessen Luthers befriedigt, ohne dass wir seine sehr bedenklichen Sätze über die heilige Schrift und die menschliche Vernunft mit in den Kauf nehmen müssten. Es handelt sich dabei um die Frage, wie wir dem Interesse Luthers an der objektiven Gültigkeit des göttlichen W o r t e s und der Sakramente gerecht werden können, ohne die freie Überzeugung des Menschen zu vergewaltigen. Nun liegt die Offenbarung in der h. Schrift als eine abgeschlossene, geschichtliche Grösse vor uns, und Luther hat sicherlich recht, wenn er die Wirksamkeit des Gottesgeistes an diese geschichtliche Offenbarung, bezw. an ihre Vermittlung durch Predigt und Sakrament bindet. Diese Gnadenmittel, die ja keinen anderen Inhalt haben als den der Offenbarung, bleiben natürlich was sie sind, ob sie nun als solche anerkannt werden oder nicht, ob sie im Glauben angenommen oder im Unglauben abgelehnt werden. Aber wie die Offenbarung keine übernatürliche Lehrmitteilung ist, sondern die ausreichend verbürgte Kundgebung des Willens Gottes, so ist die heilige Schrift zwar als Urkunde der Offenbarung für uns die Quelle, aus der wir jene ausschliesslich zu erheben haben, und darum Gnadenmittel für den Gläubigen

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und Erkenntnisquelle für den Theologen. S i e darf aber niemals zum Lehrgesetz gestempelt werden. Ebenso ist der Glaube, der sich den Inhalt der Offenbarung aus der Schrift aneignet, die demütige und vertrauensvolle Annahme des göttlichen Heilsgutes, das ihm in den Gnadenmitteln dargeboten und vergewissert wird. D e r Gläubige wird dann, n a c h d e m er im Zusammenhang seiner per. sönlichen Heilserfahrung W o r t und Sakrament als die von Gott geordneten, zweckentsprechenden Gnadenmittel erkannt hat, sie mit Demut und Dank zur Vergewisserung seines Heilsstandes gebrauchen. S o gewinnt und behält der evangelische Glaube den Charakter einer freien persönlichen Überzeugung auf Grund innerer Erfahrung. Dagegen ist es katholisch gedacht, wenn man von den Gläubigen — Laien oder Theologen — die Unterwerfung der Vernunft unter eine gesetzliche Autorität verlangt. Denn das ist schliesslich dabei gleichgültig, ob man diese Autorität in dem Buchstaben der h. Schrift oder in dem unfehlbaren Lehramt der Kirche erblickt. Auf der anderen Seite erscheint die allerdings hochwichtige und notwendige geschichtliche Objektivität und Thatsächlichkeit der Offenbarung völlig hinreichend g e w a h r t . . Denn der Gläubige weiss sich gebunden an die Person J e s u Christi, die eine geschichtliche, ausser ihm liegende und von ihm völlig unabhäntjige Thatsache ist, und die Gnadenmittel werden weder in ihrem W e s e n noch in ihrem W e r t , sondern allein in ihrer Wirkungsweise dadurch berührt, ob sie im Glauben oder im Unglauben, „würdig" oder „unwürdig" empfangen werden. Auch der T h e o l o g e weiss sich in seiner Arbeit gebunden an die Offenbarung in der Schrift. Seine „Vernunft" darf ihm weder Quelle noch O r g a n der theologischen Erkenntnis sein, sondern sie hat lediglich die formale Aufgabe, den Inhalt der Offenbarung nach der dieser selbst innewohnenden L o g i k denkend zu bearbeiten und in Zusammenhang zu bringen. Freilich enthalten nun diese Sätze für die theologische Verwertung der h. Schrift einen kritischen Kanon. Denn

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w a s wir oben von den einzelnen theologischen Lehrsätzen gesagt haben, gilt in seiner Art ebenso sehr von den einzelnen Aussagen der h. Schrift. Auch sie dürfen nicht ohne weiteres als Offenbarungsinhalt und deshalb als massgebend für den Theologen angesehen werden. Vielmehr müssen sie diesen Anspruch durch den Zusammenhang mit den praktischen Grundgedanken der Offenbarung als berechtigt erweisen. Dieser Zusammenhang muss sich für unsere Glaubenserkenntnis ermitteln und feststellen lassen. Luther selbst hat den kritischen Massstab recht wohl gekannt und ihn der Kirchenlehre gegenüber allezeit gehandhabt, wenn auch vielleicht nicht gründlich und durchgreifend genug. Ja, er hat sich in früherer Zeit nicht gescheut, auch an der Schrift selbst solche Kritik zu üben. Nur so erklären sich seine bekannten Urteile über die Apokalypse und den Jakobusbrief in seiner „Vorrede auf das Neue Testament" vom Jahre 1522. Aber auch sonst ist Luther in seinem Schriftgebrauch von jenem Grundsatz geleitet worden, wie das z. B. auch die Entwicklung seines Sakramentsbegriffs deutlich zeigt. Im Abendmahlstreit wandten nun seine Gegner mit immer grösserer Deutlichkeit und Bestimmtheit denselben kritischen Massstab gegen ihn selbst an. Sie verlangten von ihm nicht bloss den Schriftbeweis, sondern auch den dogmatischen Beweis für seine Lehre von der Realpräsenz. Wenn nun Luther hier plötzlich auf allen dogmatischen Beweis verzichtet und lediglich hinter der formalen Autorität der heiligen Schrift Deckung sucht, so dürfen wir darin das stillschweigende Zugeständnis von seiner Seite erblicken, dass er eben einen dogmatischen Beweis für seine Lehre nicht führen konnte. Gerade die zuweilen masslose Heftigkeit, mit welcher er schon die F r a g e nach dem Nutzen und der Notwendigkeit der Realpräsenz als Gotteslästerung und teuflischen Hochmut ablehnt, verrät seine Schwäche. Dieser Sachverhalt ist für uns auch deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil er in der That der beste Beweis dafür ist, dass Luther auch während des Streites d e n g e s c h i e h t l i c h - e t h i s c h e n

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C h a r a k t e r s e i n e r A b e n d m a h l s l e h re nicht aufg e g e b e n , s o n d e r n f e s t g e h a l t e n h a t . W a r es das Resultat des ersten Teils unserer Untersuchung, dass sich bei dieser Auffassung k e i n spezifisches religiöses Interesse an der Realpräsenz nachweisen lässt, so bietet die Verlegenheit, in der sich Luther in jenem Punkt seinen Gegnern gegenüber befand, einen nachträglichen Beweis für die Richtigkeit unserer Behauptung. Zugleich aber zeigt sie, mit welcher Energie sich Luther gegen die Versuchung sträubte, von der geschichtlich-ethischen Deutung des Abendmahls abzugehen. Nur in einer Schrift ist Luther jener Versuchung erlegen, in der Schrift: „Dass diese Wort noch fest stehen" (1527). Hier trägt er die bekannte Auffassung vor, die wir als naturalistisch-theosophisch bezeichnen können, dass Leib und Blut Christi in ähnlicher Weise, wie das Wort der Seele, dem Leib zur Speise diene und ihn zur Auferstehung disponiere. Der Zusammenhang, in welchem die Lehre auftritt, zeigt deutlich, wie Luther hier unter dem Z w a n g steht, den die Gegner durch ihre Fragestellung auf ihn ausüben. Einmal entwickelt er seine Gedanken in der exegetischen Erörterung bei Gelegenheit der Besprechung von Joh. 6, 6 3 : „Das Fleisch ist kein nütze", dann begegnen uns ähnliche Ausführungen wieder als Antwort auf Ökolampads F r a g e : „Wozu es nütz oder noth sei, dass Christus Leib im Brod sei?" 1 ) Es wird nicht nötig sein, diese Anschauungen ausführlich zu besprechen. Sie decken sich bekanntlich mit der Auffassung und Schätzung des Abendmahls in der griechisch-orthodoxen Kirche. 2 ) Hier ist eine solche Schätzung des Abendmahls begreiflich; denn sie entspricht der griechischen Vorstellung vom Heilsgut, das vorwiegend in der Überwindung des Todesverhängnisses durch die Vergottung des natürlichen Wesens gesehen wird. Fasst man aber, wie Luther das ') E. A . 30, 93 ff; 127. 130 ff. Vgl. auch K ö s t l i n , Ls. Theologie II. 162ff. ') S. K a t t e n b u s c h . Vgl. Konfessionskunde I. 410 ff.

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stets gethan hat, das Heilsgut ethisch auf, sodass in der Vergebung der Sünden zugleich Leben und Seligkeit gesucht und gefunden wird,') so bleibt innerhalb dieser Gesamtauffassung des Christentums für eine derartige Deutung des Abendmahls kein Raum. Gewiss wird auch unsere Leiblichkeit in irgend einem Sinn, sofern und soweit sie nämlich notwendiges Organ des Geistes ist, an dessen ewigem und seligem Leben teilnehmen. Aber die Annahme, dass unser Leib dazu einer besonderen Speise bedürfe, stellt ihn einerseits als selbständige Grösse neben den Geist, was in einer geistig-sittlichen Religion keinesfalls angeht — andrerseits wird durch eine solche Annahme das Gut der Sündenvergebung entwertet. Dem entspricht es nun auch, dass Luther diese Deutung erst so spät vorgetragen und sie alsbald wieder aufgegeben hat. 2 ) Zum Beweis für diese letzte Behauptung sei auf den Gr. Katechismus verwiesen, der als symbolisches Buch besondere Bedeutung beanspruchen darf.^) Hier finden wir im allgemeinen die alten Sätze. Besonders wird die Sündenvergebung als das Gnadengut angesehen, das wir im Sakrament empfangen. Zwar wird ausdrücklich hervorgehoben, dass Christi Leib nicht ein unfruchtbar vergeblich Ding sein könne, das nichts schaffe und nütze. Aber diese heilschaffende Kraft besteht in nichts anderem, als dass der Leib Christi uns zur Vergewisserung der Sündenvergebung dienen soll, weil „er der Schatz und kein ander ist, dadurch solche Vergebung erworben ist". Die Theorie von der Ernährung des Leibes zur Auferstehung wird nicht erneuert. W i r dürfen sie deshalb, wenn wir die ganze Entwicklung der Abendmahlslehre Luthers überschauen, als eine vorübergehende Episode ansehen. Zugleich müssen wir daran festhalten, dass diese Deutung der Elemente nicht nur aus dem Rahmen der *) Eine sehr schöne Belegstelle hierfür z. B. E. A* n , 178. J ) Abgesehen von einer Stelle aus der Hauspostille, die K ö s t l i n , a. a. O. anzieht. *) R e c h e n b e r g 552fr.

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sonstigen Abendmahlslehre Luthers herausfällt, sondern sogar an einer anderen, nicht-evangelischen Auffassung vom christlichen Heilsgut orientiert ist. Es ist also weder e v a n g e l i s c h e noch l u t h e r i s c h e Lehre, wenn moderne „Lutheraner" gerade an diese Lehre anknüpfen und auf sie ihre Abendmahlslehre aufbauen. Fassen wir wiederum die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung in einige Sätze zusammen, so können wir 1 . zunächst feststellen, dass Luther, von einer vorübergehenden Ausnahme abgesehen, auch im Verlauf des Abendmahlstreites an der geschichtlichethischen Auffassung und Würdigung des Abendmahls festgehalten hat. E r musste deshalb darauf verzichten, im Zusammenhang seiner Abendmahlslehre die Notwendigkeit und Zweckmässigkeit seiner Lehre von der Realpräsenz nachzuweisen. 2. Während nun seine Gegner die N o t w e n d i g k e i t der Realpräsenz bestritten, erschien ihm trotzdem ihre T h a t s ä c h l i c h k e i t genügend verbürgt durch den Wortlaut der h. Schrift, und er sah deshalb schon in der Frage nach der Notwendigkeit der Realpräsenz eine lästerliche Empörung der menschlichen Vernunft wider die Autorität des göttlichen Wortes. Nach dieser Seite hin stritt also Luther in seinem Kampf um die reale Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Sakrament t h a t s ä c h l i c h f ü r d i e o b j e c t i v e und g e s e t z liche A u t o r i t ä t des göttlichen W o r t e s . Diese Autorität der Schrift wurde ihm noch wichtiger und notwendiger, weil bei ihm noch immer sein nominalistischer Gottesbegriff und ein daraus entspringendes tiefes Misstrauen gegen die menschliche Vernunft in Geltung und in Wirksamkeit war. 3. Diese Positionen Luthers sind aber - auch von seinem eigenen Standpunkt vor 1524 aus beurteilt — entweder geradezu unberechtigt, wie sein

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Nominalismus, oder wenigstens schief wie die Aussagen über die Schrift, und das berechtigte religiöse Interesse, das ihnen zu Grunde liegt, muss und kann, wie oben gezeigt worden ist, auf andere Weise befriedigt werden. In der Thatsache endlich, dass sich Luther nur deshalb für seine Lehre auf die Autorität der Schrift zurückzog, weil er keinen dogmatischen Beweis dafür führen k o n n t e , erkennen wir eine nachträgliche Bestätigung unserer Behauptung, d a s s d i e L e h r e v o n d e r R e a l präsenz keinen sachlich notwendigen oder auch nur wesentlichen Bestandteil d e r l u t h e r i s c h e n A b e n d m a h 1 s 1 e h r e bildet. III. Ehe wir jedoch aus diesen Ergebnissen die praktischen Folgerungen ziehen, haben wir unsere Untersuchung noch nach einer anderen Seite zu ergänzen. Schon Karlstadt hat sich ja nicht darauf beschränkt, die Heilsnotwendigkeit der Realpräsenz zu bestreiten, sondern hat auch an der Vorstellung selbst Anstoss genommen und ihre Möglichkeit in Abrede gestellt. Und zwar sind es in der Hauptsache zwei Gründe, die Luthers Gegner immer wieder gegen die Vollziehbarkeit jener Vorstellung geltend machen. Erstens bezeichnen sie die F o r m , unter der sich Luther die Realpräsenz des näheren vorstellt, als widersinnig und unannehmbar. Sodann behaupten sie, dass die reale Gegenwart Christi in Brot und Wein m i t d e m W e s e n u n d d e r W ü r d e d e s e r h ö h t e n H e r r n im Widerspruch stünde. Der erste Grund der „Schwärmer" bestreitet also d i e M ö g l i c h k e i t d e r K o n s u b s t a n t i a t i o n überhaupt. Luther hat diese Lehre zum erstenmale entwickelt in seiner Schrift de captivitate babylonica, wo er die katholische Lehre von der Transsubstantiation als eine müssige Spekulation ablehnt, die zudem in der Schrift nicht begründet sei.1) Die Worte, die Christus über Brot ') Opp. var. arg. V, 34.

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und Wein spricht, scheinen ihm am natürlichsten und schlichtesten so gedeutet zu werden, dass die konsekrierten Elemente zugleich Brot und Leib, bezw. Wein und Blut sind. Damit werde man dem Wortlaut der Schrift gerecht und man habe, worauf es allein ankommt, in den Elementen den wahren Leib und das wahre Blut Christi. Aber sich weiter darüber Gedanken zu machen, wie man sich nun das Verhältnis zwischen Leib und Blut und Brod und Wein zu denken habe, sei unnötig und unnütz, da es lediglich von der Hauptsache ablenke. Diese neue Lehre erläutert und verdeutlicht nun Luther seinen Lesern, indem er sie mit der alten und längst bekannten Lehre von der Vereinigung der beiden Naturen in der einen Person Jesu Christi in Parallele stellt. In der That sind beide Lehren insofern ganz analog, als sie beide besagen: Zwei Naturen oder Substanzen vereinigen sich in einem konkreten Ding. Es ist darum sehr begreiflich, dass der Reformator diese Analogie hier sogleich verwertet und sie später immer wieder geltend macht. S o erwidert er Karlstadt, der nicht begreifeu kann, wie Christus zu dem Brot sagen könne: „Das ist mein Leib," und wie das Brot könne Leib sein, dass man nicht nur im gewöhnlichen Leben denselben Sprachgebrauch habe, sondern dass man vor allem in der Christologie ebenso spräche. 1 ) Denn auch hier sage man von dem Menschen Christus, er sei Gott, und wiederum: Gott sei Mensch, trotzdem man recht gut wisse, dass Gottheit und Menschheit zwei unterschiedliche Naturen sind. In der Person Christi wie im Sakrament vereinigen sich eben zwei Substanzen zu einem Ding, ohne doch miteinander vermengt oder ineinander verwandelt zu werden. Beides ist ein geheimnisvoller V o r g a n g und Zustand, beides geht gleichmässig über und wider die Vernunft. Will man also, so schliesst Luther weiter, wie es Karlstadt und seine ') E. A. 29, 265 f. Karlstadt hatte bekanntlich das xoü-o der Einsetzungsworte nicht anf das Brot bezogen, sondern so gedeutet, dass er annahm, Christus habe bei der Einsetzung mit dem Finger auf sich, bezw. seine leibhafte Erscheinung gewiesen.

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Rotten thun, im Sakrament die Möglichkeit der Konsubstantiation aus der Vernunft leugnen, so muss man konsequenterweise dasselbe bei der Person Christi thun. Thatsächlich erwartet er auch, dass Karlstadt von der L e u g n u n g der Realpräsenz zur Leugnung der Gott-Menschheit Christi fortschreiten werde. Damit sind wir auf den Zusammenhang zwischen der Abendmahlslehre und der Christologie Luthers geführt worden. Aber bis jetzt beruht dieser Zusammenhang lediglich auf einem formalen Parallelismus, und nur die logische Konsequenz erfordert es, dass man mit der einen Lehre auch die andere leugnen muss. Tiefer aber hat Luther diesen Zusammenhang bereits in dem Briefwechsel mit den Böhmen aufgefasst. 1 ) Hier betont er ausdrücklich, zunächst um das Recht der Anbetung des sakramentalen Christus zu verteidigen, die Identität der Substanzen des geschichtlichen Christus, die wir im Abendmahl empfangen, mit dem Leib und Blut des erhöhten Herrn, dem unzweifelhaft Anbetung gebührt. Wenn er alsdann gegenüber den spitzigen Sophisten schreibt 2 ): „Den Leib, den du nimpst, das Wort, das du hörest, ist dess, der alle Welt in seiner Hand begreift und an allen Enden ist," so soll diese Stelle doch auch wohl schon eine E r k l ä r u n g für die Möglichkeit der Realpräsenz bieten, und Luther bezieht sich schon hier zu diesem Zweck auf die Allmacht und Allgegenwart des erhöhten Christus. An jenen Eigenschaften haben auch Leib und Blut im Sakrament teil, obgleich sie die Substanzen des geschichtlichen Christus sind, eben kraft der Identität des geschichtlichen mit dem erhöhten Christus. Diese Gleichartigkeit des erhöhten Christus mit dem geschichtlichen wurde nun von Karlstadt bestritten. Er weist darauf hin,3) dass Christi Leib auf Erden sterblich gewesen, jetzt aber unsterblich sei. Da er nun j e t z t als unsterblicher Leib nicht für uns in den T o d gegeben werden könne, so könnte das ') E. A . 28, 389 fr, vgl. die Ausführungen oben S. 35 f. ) E. A. 28, 413. ») E. A. 29, 287.

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auch nicht im e r s t e n Abendmahl geschehen sein; denn wir feierten doch jetzt dasselbe Abendmahl. Luther entgegnet darauf, dass jener Unterschied die Identität nicht anfhebe. Christi Blut sei nicht Gabriels oder Michaels Blut worden, da es unsterblich ward, sondern das Blut desselben Christus geblieben. Christi Blut, das nun im Himmel zur Rechten Gottes sitzt, ist e i n m a l für uns vergossen worden und wird j e t z t an uns ausgeteilt zur Vergewisserung dessen, was es uns einmal erworben hat, nämlich der Vergebung der Sünden. 1 ) Auf die Identität des geschichtlichen Christus mit dem Erhöhten muss also Luther schon deshalb das grösste Gewicht legen, weil die Substanzen des geschichtlichen Christus, die wir nach seiner Grundanschauung im Abendmahl empfangen, nur noch als Substanzen des Verklärten vorhanden sind. Aber auch die M ö g l i c h k e i t , dass Leib und Blut Christi im S a k r a m e n t a u s g e t e i l t w e r d e n k ö n n e n , beruht darauf, dass sie als Substanzen des verklärten Christus an dessen göttlichen Eigenschaften, besonders an seiner Allgegenwart partizipieren. Auf derselben Linie liegen die Gedanken, mit denen Luther einem weiteren Einwand Karlstadts begegnet. Karlstadt hatte auch behauptet, dass Christus nicht ins Brot kriechen könne, weil er im Himmel sitze. Darauf antwortet Luther 2 ): „ W a s Karlstadt spottet auf den Leib im Sakrament, muss er auch spotten auf die Gottheit Christi im Fleisch, wie er auch noch thun wird mit der Zeit." Denn so wenig Gottes Sohn den Himmel verlassen musste, da er in seiner Mutter Leibe Mensch ward, weil er allgegenwärtig ist, so wenig muss Christus den Himmel verlassen, um im Sakrament gegenwärtig zu sein, weil er eben auch allgegenwärtig ist. Denn das ist der Sinn von der Rechten Gottes, „wie er ist an allen Orten und erfüllet alles." Dieser Stelle liegt also folgende Schlusskette zu Grunde: Die Allgegenwart des dreieinigen ') Dabei übersieht Luther, dass diese Identität sich nur für den Leib, nicht aber für das Blut Christi behaupten lässt. Vgl. oben S . 30. *) E. A . 29, 288 f. V g l . auch E. A . 30, 62.

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Gottes ermöglicht es, dass der Sohn, ohne den Himmel zu verlassen, im Mutterleib beschlossen und Mensch werden konnte. Kraft der Menschwerdung und Erhöhung — auf den Unterschied zwischen dem geschichtlichen und dem erhöhten Christus wird hier noch nicht reflektiert — gewinnt nun auch die menschliche Natur teil an der göttlichen Natur, also auch an der Allgegenwart. Folglich kann auch der Leib Christi zugleich im Sakrament und im Himmel sein. A l s Parallele erscheinen'hier die Allgegenwart des dreieinigen Gottes und die Allgegenwart des erhöhten Christus. Dagegen ist die Gott-Menschheit Christi nicht mehr bloss Parallele zur Konsubstantiation, sondern zugleich Ursache und Möglichkeitsgrund dafür, dass auch Leib und Blut Christi an dessen Ubiquität teilnehmen. In dem Sermon vom Sakrament wider die Schwarmgeister hat sich Luther wieder mit dem Einwand der Gegner zu beschäftigen, es schicke sich nicht, dass Christus im Sakrament sei, und wieder weist er auf die Menschwerdung Gottes und auf die Kreuzigung des Gott-Menschen hin als auf parallele Vorgänge, gegen die man deshalb denselben Grund geltend machen könne und müsse. W a s aber die Thatsache anlangt, dass der einige Leib Christi an „hunterttausend Enden" sei, so viel Brod gebrochen wird, so Iässt sich diese sakramentale Gegenwart des einen Christus vergleichen mit der Einwohnung Christi in den Herzen aller Gläubigen. J a , so führt Luther im folgenden aus, 1 ) diese Einwohnung Christi in den Herzen ist das grössere Wunder. Denn das Herz ist viel subtiler als das leiblich Ding. „ E s ist viel grosser, dass er durch den Glauben ins Herz kumpt, denn dass er im Brod ist: er braucht eben des Brods oder Sakramentes umb des Glaubens willen." Die sakramentale Gegenwart Christi ist dienendes Mittel für seine Gegenwart in den Herzen. E s ist hier besonders deutlich, wie realistisch, gleichsam wie massiv Luther überhaupt denkt. E r kann sich weder ') E. A. 29, 339.

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die Präsenz des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein, noch auch die Einwohnung Christi in den Herzen anders denken als stofflich oder substanziell. Einen anderen Begriff von Realität kennt er nicht. D a s zeigt sich denn auch in den Ausführungen, die der Reformator in dieser und den folgenden Schriften darüber giebt, w a s es heisse: zur Rechten Gottes sitzen. In überaus starken Ausdrücken, die ganz pantheistisch klingen, lehnt er die Meinung der S c h w ä r m e r ab, die den erhöhten Herrn oder wenigstens seinen Leib localiter an einen bestimmten O r t im Himmel binden wollen. V o n einem solchen Christus hat er nichts. „ W e n n Christus nicht bei mir w ä r e in Kerker, Marter und T o d , w o wollt ich bleiben?" 1 ) Darum legt er auch abgesehen vom Sakrament solchen W e r t auf die Gegenwart Christi. A b e r er kann sich diese A l l g e g e n w a r t nur so vorstellen, dass Christus mit seinem W e s e n alle irdischen Dinge erfüllt. Christus ist überall, auch im Stein, im Feuer, im W a s s e r und im Strick, j a im geringsten Baumblatt. „Himmel und Erde ist sein S a c k : W i e das Korn den S a c k füllet, also füllet er alle Ding." 2 ) „Ursach ist die: denn G o t t ist's, der alle Ding schafft, wirkt und enthält, durch seine allmächtige G e w a l t und rechte Hand, . . . . Soll ers aber schaffen und erhalten, so muss er daselbst sein." 1 ) Mit Recht machen jedoch die G e g n e r Luther darauf aufmerksam, dass die w i r k s a m e A l l g e g e n w a r t Christi, die sie natürlich anerkennen, noch nicht seine s t o f f l i c h e A l l g e g e n w a r t bedingt. Demgegenüber hegt Luther den Verdacht, dass die „ S c h w ä r m e r " trotz ihrer Versicherung im Grund ihres Herzens w e d e r von Gott noch von Gottes Gewalt etwas glauben. „ W i r wissen aber, dass Gotts Gewalt, A r m , Hand, W e s e n , Angesicht, Geist, Weisheit u. s. w . alles e i n D i n g sei. Denn ausser der Creatur ist nichts, denn die einige einfältige Gottheit selbs." 4 ) Bald d a r a u f s a g t Luther kurz und bündig : „Sitzen aber zur Rechten ist so viel als, regieren und Macht haben ') E. A . 29, 338.

J)

ibidem.

3)

J a g e r , Luthers Lehre von der Realprflsenz.

E. A . 30, 58.

*) a. a. O. 62. 5

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über alles. Soll er Macht haben und regieren, muss e r freilich auch da sein gegenwärtig und wesentlich, durch die rechte Hand Gotts, die allenthalben ist." 1 ) Man sieht, wie es Luther r e l i g i ö s darauf ankommt, dass der erhöhte Christus als Herr der W e l t und seines Reiches überall herrscht und regiert. Diese wirksame Allgegenwart Christi ist ihm aber seiner ganzen Vorstellungsweise nach nur durch eine substanzielle Allgegenwart garantiert und sichergestellt. W i e nun die Omnipräsenz Gottes zugleich Möglichkeitsgrund für die Menschwerdung ist, so ist die Ubiquität Christi zugleich Möglichkeitsgrund für seine Realpräsenz im Sakrament. Thatsächlich zieht Luther ausdrücklich diese F o l g e r u n g : „ W e n n Christus im Abendmahl diese W o r t „ „ D a s ist mein L e i b " " gleich nie hätte gesagt noch gesetzt, so erzwingens doch diese W o r t „„Christus sitzt zur Rechten Gotts"", dass sein Leib und Blut da müge sein, w i e a n a l l e n a n d e r n O e r t e r n . " 2 ) Doch beweisen die Sätze von der Allgegenwart Christi zuviel und darum nichts. Denn wie Luther in der Christologie selbstverständlich daran festgehalten hat, dass die Verbindung zwischen Gottheit und Menschheit Christi e i n z i g in ihrer A r t ist,:J) so konnte er sich in seiner Abendmahlslehre der Erkenntnis nicht verschliessen, dass auch die Präsenz Christi im Sakrament von b e s o n d e r e r A r t sein müsse, anders als seine Gegenwart in Stein und Baum. In der That aber konnte er in den beiden Schriften von 1526 und 1527 jene Besonderheit nicht der Art, sondern nur dem Z w e c k nach festhalten. „Uberall ist er, er will aber nicht, dass du uberall nach ihm tappest, sondern w o das W o r t ist, da tappe nach, so ergreifest du ihn recht, sonst versuchst du Gott und richtest Abgotterei an." 4 ) Diese Unterscheidung erledigt aber die Sache keineswegs. Denn Luther sieht die Besonderheit Christi im Sakrament, die ihm durch das W o r t angedeutet wird, nur in i h r e m Z w e c k und in ihrer i) a. a. O. 65. a) E. A . 30, 65. ») E. A . 30, 63 f. E. A . 29, 338. V g l . auch E. A . 30, 68 f.

4)

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Wirkung, während es sich hier allein um die Substanz, um d a s W e s e n des Abendmahls handelt, das ja gerade nach Luthers Ansicht von seiner W i r k u n g auf den Empfänger völlig unabhängig sein soll. Erst durch die Lehre von der dreifachen Gegenwart Christi, die der Reformator in dem Gr. Bekenntnis vom Abendmahl im Anschluss an die nominalistische Scholastik vorträgt, 1 ) ist es ihm in seiner Art gelungen, die Schwierigkeit zu beseitigen. Doch haben wir keine Veranlassung, hierauf weiter einzugehen. 2 ) Uns galt es nur an einem besonders deutlichen Punkt zu zeigen, wie realistisch und massiv Luthers ganze Denkweise ist, und wie er deshalb von ganz richtigen religiösen Gesichtspunkten aus zu recht bedenklichen Konsequenzen geführt wird. In den letzten Ausführungen handelte es sich um die Auslegung dessen, was es heisse: zur Rechtcn Gottes sitzen. Luther hat also hier die Ubiquität Christi wesentlich als ein Attribut des E r h ö h t e n angesehen. Leib und Blut Christi gewinnen an dieser Ubiquität teil, sofern sie durch die Verklärung auch an der Erhöhung teilgenommen haben. Es scheint, als ob sich Luther selbst im letzten Stadium des Streites davon überzeugt hätte, dass die Theorie ungenügend ist. Wenigstens findet sich im Grossen Bekenntnis eine Stelle, die wie eine Entschuldigung klingt. 3 ) In der That versagt diese Anschauung, sobald man auf das erste Abendmahl reflektiert. Denn wenn die Ubiquität erst dem verklärten Leib und Blut eignet, so konnte Christus selbst den Jüngern seinen Leib und sein Blut nicht zum Genuss darbieten, da diese Substanzen damals eben noch nicht verklärt waren. Wollte also der Reformator das erste Abendmahl als ein wirkliches Abendmahl festhalten, — und er musste es, weil ihm auf die Einsetzungsworte alles ankam — so konnte er nicht um') Vgl. dazu R e t t b e r g , Luther und Occam. Studien und Kritiken 1839, I., S. 69—136. J ) E. A. 30, 207fr. Vgl. Jul. M ü l l e r , Dogm. Abhandlungen S. 452fr., K ö s t l i n , Luthers Theologie II. 174fr. ') E. A. 30, 200.

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hin, auch dem geschichtlichen Christus, bezw. seinem Leib und Blut das Majestätsattribut der A l l g e g e n w a r t beizulegen. Z u m erstenmal b e g e g n e t uns diese A n s c h a u u n g in der Schrift: „ D a s s diese W o r t noch fest stehen," in einer beiläufigen Bemerkung zu Joh. 3, 13.') Die Stelle, meint Luther, handelt klar von dem Menschen Jesus und besagt demnach, dass sein Leib auch schon während seines irdischen Wandels „zugleich im Himmel und auf Erden, j a schon bereit an allen Enden ist." Luther ist sich aber nicht bewusst, dass er damit einen anderen W e g eingeschlagen hat. „Denn," so fährt er fort, ,,er ist durch seine Verklärung nicht ein ander Person w o r d e n ; sondern wie vorhin, so auch hernach, allenthalben gegenwärtig." W a s aber hier nur gelegentlich bemerkt wird, bildet in der folgenden Schrift die Grundlage der Auseinandersetzung mit den Gegnern. W i e d e r u m handelt es sich um den alten Einwand der „ S c h w ä r m e r , " dass der Sitz Christi zur Rechten Gottes seine G e g e n w a r t im Sakrament ausschliesse. A b e r Zwingli hatte dem Satz in seiner letzten Schrift eine neue Begründung gegeben. 2 ) E s war ihm ebenso widersinnig, dass in Christus die Menschheit teilgewinnen solle an den Majestätsattributen der Gottheit, wie es ihm als anstössig und Gottes unwürdig erschien, dass die Gottheit an den Handlungen und damit bis zu einem gewissen Grad auch an den Eigenschaften der Menschheit, an ihrer Kreatürlichkeit, Endlichkeit, Schwachheit u. s. w . partizipieren solle. Stimmt er also mit Luther in der Annahme der zwei Naturen in der Einheit der Person überein, so ist doch andererseits sein Interesse, die beiden Naturen nach Möglichkeit zu trennen und auseinanderzuhalten, damit der W ü r d e Gottes, seiner Ewigkeit, Unwandelbarkeit u. s. w\ nicht zu nahe getreten werde. A u c h das geschichtliche Interesse dürfen wir bei ihm voraussetzen, dass er die Menschheit Christi im wirk') E. A . 30, 67 f. ! ) Vgl. zum folgenden: T h o m a s i u s , 2 . Aufl. von S e e b e r g , S. 5 8 0 f r .

Dogmengeschichte

II.,

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liehen und wahren Sinn festhalten will, so wie sie uns in den ersten drei Evangelien entgegentritt. Um nun diese seine Christologie, die zugleich die Stütze seiner Abendmahlslehre ist, mit den Aussagen der Schrift über die Person Christi in Übereinstimmung zu bringen, wendet Zwingli auf die Stellen die rhetorische F i g u r der Allöosis an, d. h. er behauptet, dass die Vermischung der beiden Naturen, die sich häufig in der Schrift findet, nicht eine sachliche, sondern nur eine figürliche Vermischung sei. E s w e r d e in der Schrift manchmal etwas der ganzen Person zugeschrieben, w a s nur der einen Natur zukomme, oder es werde etwas von der einen Natur ausgesagt, w a s thatsächlich der andern zugeschrieben werden müsse. S o führt Luther an, 5 ) dass nach Zwingiis Anschauung die Stelle Joh. i , 1 4 : „ D a s W o r t ward Fleisch" eher heissen müsse: „ D a s Fleisch ist W o r t w o r d e n " oder: „Der Mensch ist Gott worden". Denn die Gottheit kann sich nicht verändern, kann nicht Fleisch werden. Oder wenn es von Christus heisst, dass er zur Rechten Gottes sitzt, so soll nach Zwingli damit nur gesagt sein, dass er seiner Gottheit nach Himmel und E r d e allgegenwärtig erfüllt, während sein Leib auch nach der Verklärung an einen bestimmten Raum im Himmel gebunden bleibt. Hier ist die Beziehung auf die Abendmahlslehre deutlich. Die Ubiquität des Leibes Christi, die für Luther die notwendige Voraussetzung seiner Abendmahlslehre bildet, wird dadurch ausgeschlossen. Darum wirft Zwingli von seinem Standpunkt aus Luther vor, dass er mit seiner Christologie und seiner Abendmahlslehre die beiden Naturen miteinander vermenge und vermische und so g e g e n die altkirchliche Christologie Verstösse. Demgegenüber entfaltet Luther seine Christologie in vollem Masse. W a s er längst vermutet und gefürchtet hatte, nämlich dass bei seinen G e g n e r n der letzte Grund, weshalb sie die Möglichkeit der Realpräsenz leugnen, in ') E . A. 30, 199 fr.

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einer fehlerhaften Christologie liege, das war jetzt klar zu T a g e getreten. E r selbst hat nun mit seiner Abendmahlslehre zugleich seine Christologie als ihren Unterbau zu verteidigen. Schon in der Schrift: „Dass diese Wort noch fest stehen", betrachtet er seine Lehre vom Abendmahl geradezu als ein Stück der Lehre von Christi P e r s o n : ,,Es hilft sie auch nicht, dass sie rühmen, wie sie Christum sonst in andern Stucken recht lehren und preisen. Denn wer Christum in einem Stuck oder Artikel mit Ernst leuget, lästert und schändet, der kann ihn an keinem andern Ort recht lehren oder ehren, sondern es ist eitel Heuchelei und Trügerei, es gleisse wie es wolle. Denn so heissts, Christum ganz verloren oder ganz behalten." 1 ) Die Leugnung der Realpräsenz bedeutet für Luther zugleich die Leugnung der vollen Gott-Menschheit Christi. Denn das Zugeständnis, dass die Realpräsenz möglich sei, ist ihm der Erkenntnisgrund dafür, dass man in der Person Christi Gottheit und Menschheit zu einer w i r k l i c h e n E i n h e i t zusammenfasst. Kraft dieser Einheit gewinnt die menschliche Natur Anteil an den Eigenschaften der göttlichen Natur und umgekehrt. Luther geht also hier von der M e n s c h w e r d u n g Christi aus. Nicht erst die Erhöhung, sondern schon die Inkarnation giebt der menschlichen Natur Anteil an der Gottheit, sie ist die grundlegende Thatsache, welche die Ubiquität des Leibes Christi zur notwendigen und selbstverständlichen Folge hat. Natürlich gilt dies jetzt ebenso gut von Leib und Blut des geschichtlichen, wie von den Substanzen des erhöhten Christus. Die Erhöhung hat an der Thatsache der GottMenschheit nichts geändert, sie fügt aber auch nichts neues hinzu.2) Dass Luther von diesem Standpunkt aus gegen Zwingiis Christologie aufs schärfste protestieren musste, >) E. A . 30, 1 3 1 . ') Vgl. hierzu, wie Luther im Gr. Bekenntnis geradezu von der Ubiquität des geschichtlichen Christus auf die des Erhöhten schliesst. E. A . 30, 198 fr.

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ist selbstverständlich. Denn von dem Schweizer Reformator wird j a gerade die innige Vereinigung der beiden Naturen in der Einheit der Person Christi geleugnet und als eine Vermischung der Naturen bezeichnet. S o muss sich Luther in einem Briefe an den Kurfürsten vom 9. Jan. 1528') gegen den Vorwurf verteidigen, dass er mit seiner Lehre von der Realpräsenz die Kreatur zum Schöpfer mache. E r entgegnet, sie machten aus Brot und Leib nicht ein Wesen und Natur, sondern behaupteten nur, dass beide zugleich da seien. Doch giebt er zu, dass man zwar nicht von den konsekrierten Elementen, wohl aber von dem Gott-Menschen sagen könne, hier werde die Kreatur zum Schöpfer, da man doch von dem Menschen, der Kreatur ist, zugleich sagen müsse, dass er Gott, also Schöpfer sei. Während demnach bei den konsekrierten Elementen die Vereinigung von Brot und Leib und Wein und Blut in einem blossen Beieinandersein zweier Substanzen besteht, ist die Vereinigung der beiden Naturen in Christus insofern weit enger und inniger, als die eine Natur ihre Eigenschaften der anderen mitteilt. Der Unterschied ist darin begründet, dass in Christus die beiden Naturen zur Einheit einer Person verbunden sind. Diese Gedanken von dem Verhältnis beider Naturen in Christus finden nun ihre weitere Ausführung in dem Grossen Bekenntnis. Hier antwortet Luther auf den Vorwurf der Vermengung der beiden Natur, dass er und seine Anhänger die Naturen nicht untereinander, sondern in eine einige Person mengten. Seinen Gegnern aber weist er nach, dass sie mit ihrer Theorie den entgegengesetzten Fehler machen, nämlich dass sie die Person Christi zertrennen und zwei Personen daraus machen. In der That dürfte sich bei Zwingiis Anschauung die Einheit der Person nicht aufrecht erhalten lassen. Denn Zwingli verteilt auch die W e r k e Christi dergestalt auf die beiden Naturen, dass er bald nach seiner Gottheit, bald nach seiner Menschheit ') De Wette III., 257.

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handelt. Ein eigentliches Handeln des Gott-Menschen giebt es darnach nicht, sondern alles, was Christus thut, thut entweder die Gottheit oder die Menschheit in ihm. Dagegen macht Luther mit Recht geltend, dass die Werke doch sicherlich nicht den Naturen, sondern nur der Person zugeeignet werden können, so dass Zwingli konsequenterweise zwei handelnde Personen in Christus annehmen müsste. Jedenfalls verliert bei dem Schweizer Reformator die Einheit der Person, die er ja festhalten will, jeden realen Inhalt und Wert, sie besteht nur in einem äusserlichen und mechanischen Nebeneinander der beiden im übrigen selbständigen Naturen. Für Luther aber ist die Einheit der Person Christi kein Nebeneinander, sondern ein Ineinander, in welchem die beiden Naturen sich gegenseitig zu einem einzigartigen Wesen aneignen und durchdringen. Diese Einheit aber, schliesst Luther weiter, findet eben lediglich darin ihren Ausdruck, dass die beiden Naturen sich ihre Eigenschaften mitteilen, und dass bei dem Thun und Leiden des Gott-Menschen immer zugleich beide Naturen aktiv oder passiv beteiligt sind. Das zeigt der Reformator in wiederholten, tiefsinnigen und geistvollen Ausführungen. 1 ) Die Ubiquität des Leibes Christi, des geschichtlichen wie des erhöhten Herrn, und damit die Möglichkeit der Realpräsenz ist nur die selbstverständliche Folge, ja nur ein besonderer Ausdruck der innigen Vereinigung der beiden Naturen kraft der Menschwerdung. Jeder Versuch der Gegner, den Leib Christi an einen bestimmten Ort auf Erden oder im Himmel zu binden, während sie ihm nach seiner Gottheit Allgegenwart zuschreiben, ist nichts anderes, als eine unerlaubte Trennung der e i n e n Person des Heilandes, eine Bestreitung seiner vollen und wahren Gott-Menschheit. „Wo diese Person ist, da ist sie die einige unzurtrennete Person." „Und wo du einen Ort zeigen wurdest, da Gott wäre und nicht der Mensch, so wäre die Person schon zurtrennet." „ W o du ') E. A. 30, 199f., 2 0 3 ^ , 206, 211 f., 223f. u. öfters.

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mir Gott hinsetzest, da musst du mir die Menschheit mit hinsetzen: sie lassen sich nicht sondern und v o n einander trennen." Abschliessend führt Luther an der zuletzt angeführten Stelle aus: „ W o l l e n wir Christen sein und recht von Christo denken und reden, so müssen wir j a also von ihm denken, dass die Gottheit sei ausser und über allen Creaturen. Zum andern müssen wir denken, dass die Menschheit (wiewohl sie auch eine Creatur ist) aber weil sie alleine, und sonst keine, also an Gott klebet, dass sie eine Person mit der Gottheit ist, so muss sie auch höher, über und ausser allen andern Creaturen sein, doch unter Gott alleine S o muss sie sein, da Gott ist und also auch an allem Ort sein, da Gott ist." 1 ) A u c h mit diesen Gedankengängen haben wir uns von dem Boden der Abendmahlslehre im engeren Sinne längst entfernt. Nicht sowohl um ihrer selbst willen, als vielmehr als Prüfstein für die richtige Christologie ist hier für Luther die Lehre von der Realpräsenz von Wichtigkeit. W i e der Streit um die Notwendigkeit der Realpräsenz zu einem Streit über die Autorität der h. Schrift wurde, so hat sich die F r a g e nach der Möglichkeit dieser Vorstellung erweitert und vertieft zu einem Streit um die richtige Christologie. Und zwar stehen beide Lehren, um dies noch einmal zu betonen, in doppelter Beziehung zu ein') Neben dieser Theorie, nach welcher die Ubiquität des Leibes Christi auf der Menschwerdung beruht, findet sich allerdings im Gr. Bekenntnis auch die ältere Ansicht, dass die A l l g e g e n w a r t des Leibes Christi eine Folge seiner Erhöhung zur Rechten Gottes sei. Vgl. E. A . 30, 207. D e r Widerspruch zwischen beiden Anschauungen ist Luther nicht zum Bewusstsein gekommen. W e n n H. S c h u l t z (Die L e h r e von der Gottheit Christi, S. 203) behauptet, dass Luther die sakramentale G e g e n w a r t Christi nicht mit der aus der Gott-Menschheit folgenden A l l g e g e n w a r t zusammengestellt, sondern sie stets auf die Thatsache der Verklärung begründet habe, so ist darauf zu erwidern, dass dann g a r nicht abzusehen ist, warum Luther g e r a d e in den Abendmahlsschriften mit solchem Nachdruck seine Auffassung von der Gott-Menschheit entwickelt hat. Vgl. besonders die Stelle über das erste A b e n d m a h l E. A . 30, 198 f.

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ander. Einmal in der, dass die Gott-Menschheit Christi und die sakramentale G e g e n w a r t seines Leibes und Blutes in den Elementen als parallele V o r g ä n g e erscheinen, sofern beidesmal z w e i Substanzen zu einem Ding, bezw. zu einer Person vereinigt sind. Sodann bietet das Verhältnis der beiden Naturen zueinander innerhalb der Einheit der Person den zureichenden Grund dar für die Ubiquität des Leibes Christi als der notwendigen Voraussetzung der Realpräsenz. Nach beiden Seiten hin ist das Zugeständnis, dass die Realpräsenz möglich ist, lediglich der Erkenntnisgrund für die richtige Christologie. W i r müssen also auch hier zunächst wieder die F r a g e stellen, welche religiösen Interessen Luther mit der eigentümlichen Ausgestaltung seiner Christologie verfolgt. Dabei wird es für den Z w e c k dieser Arbeit genügen, wenn wir uns auf die Andeutungen beschränken, die Luther gerade in dem Grossen Bekenntnis über seine Christologie giebt, und wenn wir zur Ergänzung etwa noch auf die Ausführungen des Gr. Katechismus Rücksicht nehmen. 1 ) Nun ist es das allerwichtigste religiöse Interesse im Christentum, das für den Reformator hier auf dem Spiele steht. Denn durch Zwingiis Theorieen über die zwei Naturen in Christus erscheint ihm geradezu der Offenbarungscharakter Christi und der Heilswert seines Versöhnungswerkes in F r a g e gestellt. S o sagt Luther, dass Zwingli mit seiner Allöosis Christus rein verloren habe und ihn auch uns rauben wolle. Darum warnt er seine L e s e r v o r der Lehre Zwingiis als v o r des höllischen Satans Gift. 2 ) D e r Heilswert des W e r k e s Christi hängt ja davon ab, dass G o t t dabei das eigentliche Subjekt ist: „Alle W e r k , W o r t , Leiden, und w a s Christus thut, das thut, wirkt, redet, leidet der wahrhaftige Gottes Sohn." Offenbarung und Versöhnung hängen aufs engste mit einander ') Vgl. zu dem folgenden: T h o m a s i u s - S e e b e r g , 580ff. —

H.Schultz,

Theologie, II, 170 ff. 385

a. a. O. ff.

182—2x5. — K ö s t l i n , *) E. A . 30, 199 f.

a. z. O. Luthers

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zusammen. Denn gerade in seinem Versöhnungstod zeigt sich Christus zugleich im höchsten Masse als T r ä g e r der Offenbarung. Darum handelt es sich zwischen Luther und Zwingli im letzten Grund um die Kardinalfrage, ob die Gottheit in Christus habe leiden können. Nein, sagt Zwingli, denn damit würde Gott in die Kreatürlichkeit, Endlichkeit und Schwachheit der menschlichen Natur hineingezogen werden. J a , antwortet L u t h e r ; „denn wenn ich das glaube, dass allein die menschliche Natur für mich gelitten hat, so ist mir der Christus ein schlechter Heiland, so bedarf er wohl selbs eines Heilands." Dann thut Christus hinfort mit seinem Leiden und Sterben nicht mehr „denn ein ander schlechter Heilige." 1 ) D e r Gegensatz ist klar. Während Zwingli nach dem V o r g a n g der mittelalterlichen Scholastik von dem metaphysischen Gegensatz zwischen Schöpfer und Geschöpf ausgeht und das Interesse hat, den Schöpfer nicht in das Creatürliche hineinzuziehen, oder umgekehrt, die Creatur nicht zum Schöpfer zu machen, geht Luther von dem religiösen Gegensatz zwischen dem heiligen Gott und dem Sünder aus. E s kommt ihm alles darauf an, dass der Sünder in Christus, in seinen W o r t e n und Thaten, in seinem Leiden und Sterben d e n Gott findet, der sich als die Liebe offenbart und die W e l t mit sich versöhnt hat. Dabei kann es dahin gestellt bleiben, wie Luther sich das Versöhnungswerk des näheren vorgestellt hat. D e r Heilswert, der das Leiden des Menschen Jesus zu einem einzigartigen Leiden macht, hängt für ihn zweifellos davon ab, dass dieser Mensch in der unzertrennlichen Einheit der Person zugleich Gott war. S o schliesst Luther von dem W e r k Christi auf seine Person zurück. Und wie einst die orientalische Kirche die Zweinaturenlehre, die ihr vom Abendland aufgezwungen war, in monophysitischem Sinn unwirksam zu machen wusste durch die L e h r e von der communicatio idiomatum, so finden wir hier bei Luther etwas Ähnliches. Auch er weiss das an sich >) E. A. 30, 303.

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abstrakte und unlebendige christologische Schema mit lebensvollem religiösem Gehalt zu erfüllen durch die Art, wie er Zvvingli gegenüber die Einheit der Person fasst. Die Werke Christi dürfen eben nicht den Naturen, sondern müssen der Person zugeschrieben werden. Darum sind an ihnen immer zugleich Gottheit und Menschheit beteiligt. In diesem Sinne kann man sagen: „der Sohn Gottes ist für uns gekreuzigt", obgleich es der Reformator seinen Gegnern in abstracto zugiebt, dass die Gottheit nicht leiden kann. Aber „die Person, die Gottheit ist, ist gekreuzigt nach der Menschheit".1) Darum konnte eben nur der Gott-Mensch dieses Versöhnungswerk vollbringen. „Christus rnusste Gott sein, denn ein Mensch kann uns nicht versöhnen, er musste Mensch sein, denn die Gottheit an sich kann nicht leiden." Auch im Gr. Katechismus ist es der S o h n G o t t e s , der vom Himmel kam, uns zu helfen. E r hat die Stockmeister, Teufel, Sünde und Tod vertrieben und uns Leben und Seligkeit gebracht dadurch, dass e r Mensch geworden ist, dazu gelitten hat, gestorben und begraben worden ist.2) Wie hiernach der Sohn Gottes durchaus als das handelnde und leidende Subjekt im Versöhnungswerk gedacht ist, so wird am Schluss des dritten Artikels3) hervorgehoben, wie alle Welt ausser Christus nach der Erkenntnis Gottes und seiner Gesinnung gegen uns getrachtet, sie aber nicht erlangt habe. „Hie aber hast du es alles aufs allerreichste; denn da hat er selbst offenbaret und aufgethan den tiefsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechDenn wir licher Liebe in allen dreien Artikeln künnten (wie droben erklärt) nimmermehr dazu kommen, dass wir des Vaters Hulde und Gnade erkenneten, ohne durch den Herrn Christum, der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens, ausser welchem wir nichts sehen, denn einen zornigen und schrecklichen Richter." Diesen „Spiegel des väterlichen Herzens Gottes" haben wir aber nur in >) E. A. 30, 204.

*) R. 493

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) R. 502 f.

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dem Lebensbild des M e n s c h e n Jesus, der für uns eben zum Christus wird, sobald wir sein ganzes Personleben als die Offenbarung des göttlichen Personlebens erkennen und anerkennen. S o sehen wir, wie für den Reformator alles davon abhängt, dass Gottheit und Menschheit in Christus nicht nebeneinander in reinlicher Scheidung, sondern ineinander in inniger Durchdringung gedacht werden. Denn gerade in der Hülle der Menschheit Jesu müssen wir Gott suchen und finden, sonst finden wir ihn niemals. Dass die Gottheit teilgewinnt an der Menschheit und an dem, was diese redet, thut und leidet, das ist das religiöse Interesse Luthers an seiner Lehre von der communicatio idiomatum, durch die er die Zweinaturcnlchre e r k l ä r e n will, in Wahrheit aber sie e r g ä n z t und u m b i l d e t . Mehr bloss eine l o g i s c h e Folgerung daraus ist es, wenn er kraft der Einheit der Person auch der menschlichen Natur teilgiebt an den Eigenschaften der göttlichen Natur und damit die Ubiquität des Leibes Christi begründet. Das erste ist dem Reformator durchaus die Hauptsache, und nur um der Wichtigkeit dieser Interessen willen zieht er rücksichtslos alle Konsequenzen, so schwer sie auch der menschlichen Vernunft eingehen mochten. Ist aber die altkirchliche Christologie mit ihrer Zweinaturenlehre und der Theorie von der communicatio idiomatum wirklich der notwendige und zweckentsprechende Ausdruck für Luthers religiöse Gedanken und Interessen ? Auch S e e b e r g giebt in seiner Dogmengeschichte den bedeutungsvollen Fortschritt zu, den Luther über die altkirchliche Christologie hinaus gemacht hat, und sieht ihn darin, dass Luther die beiden Naturen zu einer lebensvollen Einheit zusammengefasst und so zugleich der menschlichen Seite Christi erst zu ihrem vollen Rechte verholfen habe. Andrerseits behauptet er, die altkirchliche Formel habe eben damit ihre Brauchbarkeit erwiesen, dass sich der vielfach neue Inhalt in die alten Formen einfügte, ohne sie zu sprengen. 1 ) In schroffstem Gegensatz hierzu führt ') a. a. O. S. 600 u. 572.

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H. S c h u l t z aus, dass Luther mit seinen reformatorischen Gedanken die altkirchliche Christologie der A b s i c h t nach aufgegeben und sie nur der A n s i c h t nach festgehalten habe als ein Erbe der Vergangenheit, das er als selbstverständliche Wahrheit übernommen habe. 1 ) Nun liegt sicherlich der chalcedonensischen Formel zumal in ihrer letzten Ausgestaltung, die sie durch Johannes Damascenus erhalten hat, eine Vorstellung von dem Heilsgut zugrunde, die Luther nicht geteilt hat. Die Teilnahme an dem e w i g e n Leben der Gottheit war das zu erreichende Heilsgut, und die T o d e s h a f t i g k ei t der menschlichen Natur galt es zu beseitigen und zu überwinden. Darum ist in dieser Christologie von der göttlichen und menschlichen N a t u r die Rede, und die Einigung der Gottheit und Menschheit in Christus ist dementsprechend rein p h y s i s c h vorgestellt worden. Ist aber diese Durchdringung der menschlichen Natur mit den Ewigkeitskräften der göttlichen Natur in der Person Christi prinzipiell vollzogen und erreicht, so bekommen die Gläubigen an dieser Heilsthatsache teil, indem sie im Abendmahl auf geheimnisvolle Weise den vergotteten Leib Christi erhalten als eine Speise des sterblichen Leibes zur Auferstehung. Diese letzte Theorie von dem Heilswert des Leibes Christi haben wir ja auch bei Luther in der grossen Streitschrift des Jahres 1527 gefunden. Es liegt also nahe, seine Christologie mit dieser Anschauung in Zusammenhang zu bringen. 2 ) Wenn jedoch jenes Zurückgreifen Luthers auf Vorstellungen der griechischen Kirche lediglich eine Folge seiner Verlegenheit den Schwärmern gegenüber und nur eine vorübergehende Episode gewesen ist, so müssen wir hier von jenen Gedanken absehen. Luther selbst kommt im Gr. Bekenntnis in der christologischen Auseinandersetzung mit Zwingli mit keinem Wort auf die erwähnten Anschauungen seiner vorigen Schrift zurück, trotzdem er doch seine ') a. a. O. S. 210. ') Vgl. z. B. auch bei K a f t a n , Dogmatik S. 389.

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Christologie damit wesentlich unterstützen konnte. Wohl steht auch ihm in diesem Streit das Heil in Christus auf dem Spiel. Aber für ihn ist die eigentliche Heilsthatsache nicht die Menschwerdung, sondern das Leiden Christi, jene kommt nur als notwendige Voraussetzung des Versöhnungswerkes in Betracht. Es handelt sich auch nicht um die Mitteilung der Unsterblichkeit Gottes an die sterbliche Natur des Menschen, sondern um die Versöhnung des Sünders mit dem heiligen Gott. Kurz gesagt: sein Heilsgut ist nicht physisch, sondern ethisch geartet. Darum ist auch sein religiöses Interesse in der Christologie nicht auf die Natur, sondern auf Person und W e r k Christi gerichtet. Dieses ethische Interesse an Christus und seinem W e r k war ja im Grunde schon seit Augustin und Anselm in der abendländischen Kirche herrschend. Daher wurde den abendländischen Theologen die Zweinaturenlehre, soweit sie nicht als Unterbau der Abendmahlslehre in Betracht kam, allmählich religiös gleichgültig und zu einem Gegenstand metaphysischer Spekulationen. Eine Neubelebung oder Umgestaltung der Lehre von der P e r s o n C h r i s t i , die von dem W e r k e C h r i s t i ihren Ausgangspunkt nahm, ward nicht versucht. Man fasste das Versöhnungswerk selbst zu mechanisch und juristisch auf und sah dabei Gott mehr als Objekt denn als Subjekt des Versöhnungswerkes an. Auch trat das täglich vom Priester vollzogene Messopfer in eine verhängnisvolle Konkurrenz mit dem Versöhnungswerk und war geeignet, dessen W e r t in dem religiösen Bewusstsein der Kirche herabzumindern. Man hatte deshalb kein Interesse daran, die Einheit von Gottheit und Menschheit in Christus mehr zu betonen und schärfer zu fassen. Indem aber Luther in ganz anderer, religiös lebendiger Weise in Christus Offenbarung und Versöhnung zusammenfasste und nach beiden Seiten hin Gott als handelndes Subjekt ansah, indem er allen W e r t darauf legte, dass der schuldbewusste Sünder in Christi Reden, Thun und Leiden Gottes vergebende Liebe anschaue, musste in ihm wieder

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ein lebendiges Interesse an der Einigung von Gott und Mensch in Christus erwachen, freilich in einer ganz anderen und viel höheren Form, als es in der orientalischen Kirche vorhanden war. Z w a r hat auch er keinen Neubau der Christologie unternommen, sondern sich aus Gründen, die wir sogleich betrachten werden, einfach an die altkirchliche Christologie angelehnt. A b e r man merkt es seinen Ausführungen lebhaft an, wie er in die alten Formeln einen neuen Inhalt hineinlegte. E r redet v o n einer göttlichen und menschlichen N a t u r und meint das P e r s o n l e b e n Gottes und Jesu. E r gebraucht die altkirchlichen Ausdrücke von der w e s e n h a f t e n E i n i g u n g der beiden Naturen, und er meint damit jene völlige W i l l e n s e i n h e i t Gottes und Jesu, kraft deren man in dem Personleben Jesu zugleich die Persönlichkeit Gottes anschaut und erkennt. W e n n er ferner im Anschluss an Joh. 3, 6 seinen G e g n e r n beweist, dass Christi Fleisch, d. h. seine Leiblichkeit und Menschheit, eitel Heiligkeit, Reinigkeit und Unschuld und darum eitel „ G e i s t " sei, so hat er offenbar die s i t t l i c h e E i n z i g a r t i g k e i t des Menschen Jesus, v o r allem also seine Sündlosigkeit als die praktische Bewährung seiner Gottheit angesehen. 1 ) Mit allen diesen A u s s a g e n über Christus hält sich Luther wenigstens „der Absicht nach" auf der Linie geistig-sittlicher Kategorieen. D a s bewährt sich daran, dass es ihm gelingt, bei seiner Auffassung von der Gottheit Christi auch die wahre und wirkliche Menschheit Jesu festzuhalten. Er ist imstande, dem Bilde, das uns die Evangelien von dem geschichtlichen Christus und seiner E n t w i c k l u n g entwerfen, durchaus gerecht zu werden. Ja, er hat ohne Zweifel in seinen Predigten die Menschheit Jesu mit Vorliebe hervorgehoben. Besonders ausführlich hat dies S e e b e r g nachgewiesen. 2 ) A u f der andern Seite aber finden sich in der Christologie Luthers auch Sätze, welche die wahre Menschheit ') E. A . 30, 231. ') a. a. O. 5 7 3 f r .

Vgl. auch H. S c h u l t z , a. a. O. 2 0 7 f.

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Jesu aufs schwerste bedrohen, j a sie fast verschwinden lassen. Denn nur in r e l i g i ö s - s i t t l i c h e r Beziehung konnte der M e n s c h Jesus die in ihm sich offenbarende Gottheit vollkommen und ohne Rest zur Erscheinung bringen. A l s Mensch konnte er zwar durch seine Sündlosigkeit eine einzigartige Stellung einnehmen, in allen übrigen Beziehungen aber musste er den natürlichen Schranken der Menschheit unterworfen bleiben. Sobald man also meint, dem geschichtlichen Christus, weil er die vollkommene Gottesoffenbarung ist, auch die o n t o l o g i s c h e n Attribute der Gottheit, ihre Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart, Leidensunfähigkeit u. s. w. beilegen zu müssen, so muss man e n t w e d e r , um die M e n s c h h e i t Jesu festhalten zu können, dem D u a l i s m u s verfallen, welcher der Zweinaturenlehre zugrunde liegt, und den wir bei Zwingli gefunden haben, o d e r man wird, wenn man die E i n h e i t des Gott-Menschen festhalten will, die Menschheit Jesu in demselben Masse sprengen und aufheben. 1 ) Thatsächlich ist Luther bald der einen, bald der anderen Gefahr erlegen. S o legt er die bekannte Stelle Mark. 13, 32 so aus, dass er sie auf die Menschheit Jesu bezieht, trotzdem er für Christus nach seiner Gottheit Allwissenheit in Anspruch nimmt. Er konstatiert so einen Dualismus, der sich mit der Einheit des Personlebens Christi kaum verträgt. 2 ) Bei der Betrachtung des Leidens Christi quält er sich mit dem abstrakten metaphysischen Satz, dass die Gottheit nicht leiden könne, und kommt so kaum über den Dualismus hinaus, trotzdem er gerade hier das allerlebhafteste Interesse an ') Die kenotische Theorie, durch welche die modernen Lutheraner dieser Alternative zu entgehen suchen, ist Luther fremd. Sie bietet auch keine Lösung des Problems. Denn wenn Christus zur Ausübung seines irdischen Berufslebens der wesenhaften Gottheit nicht bedurfte, so ist kein A n l ^ s da, sie überhaupt vorauszusetzen. Jene Theorie stellt sich vielmehr dar als ein Kompromiss zwischen dem geschichtlichen Bild von Christus, dem man gerecht werden wollte, und der kirchlichen Christologie, die man nicht aufzugeben wagte. *) S e e b e r g , a. a. O. 575, 577. J a g e r , Luthers Lehre von der Realpricenz.

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der Einheit des Gott-Menschen hat. Soweit aber der Reformator den Dualismus der Zweinaturenlehre durch die communicatio idiomatum überwindet, verfällt er dem anderen Extrem. W e n n er teils um der logischen Konsequenz willen, teils mit Rücksicht auf seine Abendmahlslehre die Ubiquität des Leibes Christi behauptet und zwar auch für den geschichtlichen Christus, so hebt er mit dieser doppelten Seinsweise, die er dem geschichtlichen Jesus zuschreibt, dessen Menschheit doch thatsächlich auf. Denn eine derartige doppelte Existenz sprengt nicht nur alle räumlich-zeitliche Schranken, die dem menschlichen Körper und dem menschlichen Bewusstsein von Natur gesetzt sind, sie widerspricht auch ebenso sehr dem Bild, das uns die Evangelien entwerfen. Eine solche Aufhebung der wahren Menschheit Jesu widerstrebt aber Luthers religiösem Interesse an Christus in demselben Masse wie der Dualismus, den er vermeiden wollte. Denn dass es ein wahrer und wirklicher M e n s c h war, in dem Gott sich uns offenbarte, und der für uns litt und starb, davon ist die Verständlichkeit der Offenbarung und die Wirklichkeit des Leidens Christi schlechthin abhängig. Diesen Thatbestand giebt auch S e e b e r g am Schlüsse seiner Ausführungen über Luthers Christologie zu, er sieht aber den Fehler lediglich darin, dass der Reformator nicht genügend zwischen den beiden Ständen des Erlösers unterschieden und schon dem geschichtlichen Christus zugeschrieben habe, was erst dem erhöhten zusteht. Wir werden den Fehler tiefer zu suchen haben. Luther hat sich trotz seiner richtigen religiösen Erkenntnis in seinen Aussagen über die Gottheit Christi von der Linie ethischer Kategorieen abdrängen und in ontologische und physische Kategorieen hineinziehen lassen. Das hängt wiederum aufs engste mit der Beibehaltung der altkirchlichen Christologie zusammen. Denn in dieser Formel ist alles physisch orientiert. Auf diesem Boden erwächst aber auch erst das unlösbare Problem, zwei selbständige Wesenheiten von solcher naturhafter Verschiedenheit wie „Gottheit" und „Menschheit" so

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zu einer Einheit der Person zusammenzudenken, dass weder die eine noch die andere ein wesentliches Stück einbüsst. Es darf also wohl gesagt werden, dass die altkirchliche Christologie keineswegs der zweckmässige Ausdruck der religiösen Gedanken Luthers ist. Vielmehr verwickelt sich der Reformator dadurch, dass er den neuen Inhalt in die alten Formeln hineintragen will, in unlösliche Schwierigkeiten und kommt thatsächlich nicht zu einer befriedigenden Formulierung seiner religiösen Gedanken. So erhebt sich die Frage, warum Luther trotzdem an der altkirchlichen Christologie festgehalten, bzw. wodurch sich ihm der eben festgestellte Thatbestand verhüllt hat. Auch hier ist zunächst daran zu erinnern, dass Luther sich nur ungern von der katholischen Kirche und ihrer Lehre trennte. Er hat es immer nur unter dem Z w a n g wichtiger religiöser Interessen gethan. Wenn er in diesem oder jenem Dogma auch nur einigermassen einen Ausdruck seiner religiösen Gedanken fand, so war er froh, daran festhalten zu können. Hier handelte es sich aber nicht um eine beliebige Lehre der katholischen Kirche, sondern um ein Grunddogma der Christenheit, das schon seit tausend Jahren symbolische Gültigkeit hatte. Luthers Wertschätzung der altkirchlichen Christologie hängt wesentlich zusammen mit seiner Stellung zu den öcumenischen Symbolen, in denen sie niedergelegt und fixiert ist.1) Es war für den Reformator von grossem Interesse, mit der Lehre der Symbole in Übereinstimmung zu bleiben und diese Übereinstimmung ausdrücklich zu betonen. Das war ein starkes Band, das ihn mit der alten Kirche verknüpfte, und auf diesen Zusammenhang legte er grossen W e r t . In der That hat Luther bei seinen Gegnern die Übereinstimmung ihrer Lehre mit den Symbolen als Prüfstein für ihre katholische Rechtgläubigkeit verwertet. So fällt er über Zwingli das vernichtend scharfe Urteil: „Insonderheit ist der Zwingel hinfurt nicht wert, dass man ihm mehr ') Vgl. K a t t e n b u s c h : Luthers Stellg.zu d. öcumen. Symbolen.

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antworten solle, er widerrufe denn seine lästerliche Allöosin. Denn wie man spricht: Ein öffentliche Lügen ist keiner Antwort werth; also ist auch der als ein ö f f e n t l i c h e r K e t z e r zu m e i d e n , d e r e i n e n ö f f e n t l i c h e n A r t i k e l des Glaubens leuget."') Rein religiös betrachtet konnte Luther freilich den Symbolen keine selbständige Autorität neben der Schrift zugestehen. A b e r da er sie einmal als altehrwürdige Formeln ansah, die den Inhalt der Schrift auf einen klaren, kurzen und mustergültigen Ausdruck brachten und ihn gegen Missverständnisse schützten, so standen sie bei ihm thatsächlich doch in hohem Ansehen. Beides — die Überzeugung, dass jene Formeln mit der Schrift übereinstimmten, wie ihr ehrwürdiges Alter und ihr symbolischer Charakter — wirkte eben dahin zusammen, dass Luther mit seiner sonst so scharfen und eindringenden Kritik vor den Dogmen der Trinität und der Christologie Halt machte und sie als reinen Ausdruck des christlichen Glaubens in die evangelische Lehre herübernahm. Wenn aber der Reformator nicht imstande war, den weiten Abstand zwischen jenen alten christlichen Formeln und der biblischen Christologie, bzw. seinen eignen, aus der Schrift geschöpften Gedanken über Christus zu erkennen, so beweist dies doch, dass er zwar nicht in seiner religiösen, wohl aber in seiner theologischen und philosophischen Denkweise jenen Formeln noch nahe stand. Es ist sein eigentümliches massiv-realistisches Denken, das gleichmässig die theologische Gestaltung der Christologie, wie die der Abendmahlslehre bestimmt hat. W i e er sich die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Sakrament nicht anders als eine stoffliche, substanzielle vorstellen konnte, so wurde ihm auch der Offenbarungscharakter Christi, sobald er ihn theologisch zu bestimmen suchte, zu einer Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur. Dabei zeigt die ganze Art, wie Luther in ') E. A. 30, 224.

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Übereinstimmung mit dem mittelalterlichen Katholizismus die Realpräsenz als eine vollkommene Parallele, ja fast als eine wiederholende Bürgschaft der Menschwerdung ansah, dass er für den grossen Unterschied zwischen Stoff und Person, zwischen der Vereinigung zweier Substanzen und dem eigentümlichen religiös-ethisch gearteten Verhältnis zwischen Gott und Christus kein rechtes Verständnis hat. Insofern hängt sicherlich nicht bloss die Abendmahlslehre von der Christologie, sondern auch die Christologie von der Abendmahlslehre ab. Denn der Zwang, die Möglichkeit der Realpräsenz durch die Christologie begründen zu müssen, veranlasste Luther, die Konsequenzen der Zweinaturenlehre im realistischen Sinne weiter zu ziehen, als sein religiöses Interesse es erfordert hätte. So hat er sich nicht darauf beschränkt zu lehren, dass die göttliche Natur kraft der Einheit der Person auch an den Werken der Person teilbekomme, die an sich der menschlichen Natur eigneten. Damit wäre seinem religiösen Interesse an Christus auch in dem Sinne der altkirchlichen Christologie Genüge geschehen. Vielmehr lehrt er, wie wir gesehen haben, auch die Teilnahme der menschlichen Natur an den Herrlichkeitsattributen der Gottheit, um damit die Ubiquität des Leibes Christi zu begründen. Denselben Zweck hat es, wenn Luther mit der wirksamen Allgegenwart des Erhöhten in pantheistischer Weise zugleich seine stoffliche und leibliche Allgegenwart lehrt. Selbst die Einwohnung Christi in den Herzen der Gläubigen hat er sich, weil sie eine r e a l e Gegenwart sein soll, zugleich als eine s t o f f l i c h e und s u b s t a n z i e l l e Gegenwart vorgestellt und sie deshalb mit der sakramentalen Gegenwart Christi gleichgesetzt. Auf allen diesen Punkten der Theologie Luthers zeigt sich dieselbe Thatsache: Luther kennt nur e i n e Realität, die der Substanz, der Materie. Obgleich er an der Geistigkeit Gottes und des erhöhten Herrn selbstverständlich festhält, so kann er sich darum Gottes und Christi Gegenwart und Wirksamkeit doch immer nur stofflich denken. Das ist schliesslich der Grund

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der Inkongruenz zwischen den religiösen Interessen des Reformators und seinen theologischen Formulierungen. Jeder Versuch, die hier in Betracht kommenden Realitäten als geistig-sittliche und geschichtliche Realitäten zu fassen, wäre ihm, da er das Bedürfnis nach möglichst massiven Garantieen des Heils hatte, lediglich als eine Verflüchtigung der Heilsthatsachen erschienen, die uns das Heil in Christus unsicher und ungewiss machen würde. Trotzdem entspricht nur ein solches Verfahren dem geistig sittlichen Charakter unserer christlichen Religion. Eben deswegen werden die evangelischen Grundgedanken des Reformators, die uns wieder das volle und richtige Verständnis des Christentums eröffnet haben, bei diesem theologischen Verfahren einen sach- und zweckentsprechenden Ausdruck finden. Fassen wir im Sinne der religiösen Bedeutung, die Luther selbst den konsekrierten Elementen zugeschrieben hat, den Leib und das Blut Christi im Sakrament nicht als Substanzen, sondern als ewige, geschichtliche Realitäten auf, durch deren Genuss wir mit dem gekreuzigten Christus in Gemeinschaft treten, so fällt damit für uns jeder Anlass hinweg, in der Christologie einen Unterbau für die Abendmahlslehre zu schaffen. W i r haben alsdann kein Interesse mehr an so realistischen Vorstellungen, wie der Lehre von der Ubiquität des Leibes Christi. W i r haben auch keinen Grund mehr, uns Spekulationen über die Seins- und Wirkungsweise des erhöhten Herrn in seiner verklärten Leiblichkeit hinzugeben. Vielmehr sind für unser Glaubensleben die Thatsachen hinreichend, dass Christus kraft seiner Auferstehung und Himmelfahrt als Herr der Welt und König seiner Kirche zur Rechten des Vaters lebt, dass er mit seinem Geist in den Herzen der Gläubigen wohnt und waltet, sie vor dem Vater hohepriesterlich vertritt und durch seine gottheitliche Stellung die dereinstige Vollendung der Kirche verbürgt. In allen diesen Beziehungen ist der Glaube an den Erhöhten völlig unabhängig von unserer Vorstellung oder Kenntnis der Art und Weise, w i e Christus zur Rechten des Vaters lebt und wirkt.

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Doch auch was den geschichtlichen Christus anlangt, werden wir durch Luthers eigente Gedanken in ganz andere christologische Bahnen gew/iesen, als die es sind, welche er selbst gewandelt ist. W i e wir schon sahen, kommt für den Reformator alles (darauf an, dass wir in dem M e n s c h e n Jesus die volle .sich uns offenbarende Gottheit suchen und finden. Die 'Gottheit Christi muss also so gefasst werden, dass sie siclh mit der wahren und wirklichen Menschheit Jesu verträgt;. Darum müssen wir gerade in Luthers Sinn die Gottheit »Christi in der E i n z i g a r t i g k e i t der Menschheit Jesu finden. Einzigartig aber ist Jesus unter der gesamten Mensclhheit vor allem durch seine Sündlosigkeit, dann durch de:n einzigartigen messianischen Beruf und durch seine vollkommene Berufstreue bis zum Kreuzestod, endlich in der ihm dafür zuteil gewordenen Erhöhung und Verherrlichung. In allen diesen Beziehungen nimmt Jesus in der konkreten Menschheit eine Ausnahmestellung ein, ohne deshalb die natürlichen Schranken der Menschheit zu durchbrechen. Hierin hat er auch selbst stets seinen Offenbariungscharakter erkannt und sich als Vollstrecker des göttlichen Heilswillens gefühlt. (Matth, i i , 2 5 — 3 0 ; Joh. 7, 17. 8, 46. 10, 3 0 = 10, 37 f.). Dem entspricht aber auch unser Heilsbedürfnis. Denn wenn wir infolge unseres Schuldbewusstseins von Gott „ausser Christus nichts sehen, denn einen zornigen und schrecklichen Richter," so haben wir eine Offenbarung nötig, die uns von Gottes h e i l i g e r L i e b e überführt und uns einen frohen und zuversichtlichen Glauben an seine Gnade abgewinnt. Dagegen die Eigenschaften der Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit u. s. w. hat Jesus nie für sich in Anspruch genommen, j a bekanntlich nicht einmal die ruhende sittliche Vollkommenheit des Vaters (Mc. 10, 18). Diese Eigenschaften würden aber auch die wahre Menschheit Jesu aufheben. Selbst auf die Wunder Jesu wird man sich hierbei nicht berufen dürfen. Wohl bilden sie meines Erachtens ein wesentliches Stück des Offenbarungscharakters Jesu, sofern sie den Gott der Liebe

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zugleich als allmächtigen Herrn über Übel und Tod erweisen. Aber Jesus hat sie niemals als Ausfluss seiner Gottheit, sondern stets als besondere Gnadengaben seines Vaters, als eine b e s o n d e r e Berufsausstattung angesehen, die nicht einmal ausschliesslich ihn zu eignen braucht. (Mc. 6, 4 1 ; Joh. 1 1 , 41 f ; Joh. 5, 1 9 f r . ) Gerade diese Auffassung Jesu von seinen Wundern ist ein ausgezeichneter Beweis für die Thatsache, dass er sich in allen Beziehungen des natürlichen Lebens durchaus als Mensch gefühlt und gewusst hat. Um so heller und deutlicher aber treten seine religiös-sittlichen Qualitäten hervor, durch die er wiederum aus dem Rahmen der Menschheit herausgehoben und in ein einzigartiges Verhältnis zum Vater gesetzt wird als Offenbarer Gottes und Versöhner der Welt. Sicherlich entspricht diese Auffassung von der Gottheit Christi mehr den praktischen religiösen Gedanken Luthers als seine Lehre von den zwei Naturen und der communicatio idiomatum. Denn so kommt der Offenbarungscharakter Christi zur vollen Geltung, ohne dass der Menschheit Jesu damit zu nahe getreten würde. Nun kann man ja freilich auch von hier aus zu der Behauptung einer wesenhaften Gottheit Christi gelangen, indem man sie als den notwendigen E r k l ä r u n g s g r u n d für die Einzigartigkeit seiner Menschheit ansieht. Dann tritt wiederum das Problem auf, wie man die Einheit von Gottheit und Menschheit zu fassen hat.1) Aber diese Frage hat dann kein religiöses, sondern nur ein theologisches Interesse. Man wird sich deshalb bei ihrer Beantwortung, zumal da man von der Menschheit Jesu ausgeht und auf seine Gottheit zurückschliesst, immer vor Augen halten müssen, dass es sich hier um einen theologischen Grenzbegriff handelt — dazu bestimmt, den Offenbarungscharakter Christi zu sichern und festzustellen, aber nicht geeignet zu weiteren theologischen Spekulationen. Jedenfalls fallen bei dieser Christologie gerade die Vorstellungen hinweg, in denen *) Vgl. K a h l e r , Wissenschaft der christl. Lehre, §§ 383 bis 392.

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Luther teils eine Parallele, teils; die Voraussetzung seiner Lehre von der Realpräsenz gesehen hat. Jene christologischen Anschauungen also, dlie Luther mit seiner Lehre von der realen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi hat decken wollen, stehen einerseits mit seiner Abendmahlslehre in keinem sachlichen Zusammenhang, andererseits sind sie der irrigen Meinung entsprungen, die Schemata der altkirchlichen Christologie emtsprächen wirklich seinen religiösen Gedanken über Chriistus und sein Heilswerk. Somit fällt für uns jeglicher AnLass hinweg, bei dem Aufbau der Abendmahlslehre auf diese Christologie irgend welche Rücksicht zu nehmen. W i r formulieren also die folgenden Resultate: i . Sofern die Gegner Luthers auch die Möglichkeit der Realpräsenz bestritten, sah Luther damit zugleich seine Christologie bedroht. Denn wenn die Gegner behaupteten, der Gedanke der Konsubstantiation sei absurd und unvollziehbar, so meint Luther, mit diesem Argument werde auch die Menschwerdung des L o g o s und damit die volle Gott-Menschheit Christi in Frage gestellt, weil die Realpräsenz nur eine Wiederholung, ein Abbild der Inkarnation sei. — Behaupteten die Gegner weiter, die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi im Sakrament lasse sich weder mit der W ü r d e des Erhöhten, noch mit der Seinsweise seiner verklärten Leiblichkeit im Himmel vereinigen, s o sah Luther darin eine Bestreitung der vollen Gottheit Christi, weil man ihm die Allgegenwart absprach, und für den Fall, dass man diese zugab, eine unzulässige Trennung der beiden Naturen in dem Gott-Menschen, weil man der Leiblichkeit Christi nicht vollen Anteil an den Attributen der Gottheit gewährte. Die Ubiquität des Leibes Christi in specie begründete Luther im letzten Stadium des Streites nicht sowohl auf die Verklärung, als vielmehr auf die Menschwerdung. E r betrachtete sie also schon als Eigenschaft des geschichtlichen Christus und sah in ihr die eigentliche Probe auf die wahre und wirkliche Einheit der zwei

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Naturen in der Person Christi. Nach beiden Seiten hin ist das Zugeständnis, dass die Realpräsenz m ö g l i c h sei, lediglich der spezifische Erkenntnisgrund für die richtige Christologie. 2. Sind nun auch diese christologischen Anschauungen Luthers gänzlich abhängig von den Formeln der altkirchlichen Christologie, so sind doch seine r e l i g i ö s e n G e d a n k e n über die Person Christi durchaus ethischer und geistiger Art. Die Person Christi verliert ihren Oflenbarungscharakter und das Versöhnungswerk seinen Heilswert, wenn man nicht Christi gesamtes Thun und Lassen, vor allem auch sein Leiden und Sterben als ein einheitliches W e r k des Gott-Menschen ansieht, sodass man aus dem Thun und Leiden des Menschen Jesus ein zuverlässiges und wahrheitsgetreues Bild von dem väterlichen Herzen Gottes gewinnt. Da also Luther die Gottheit Christi in der Menschheit Jesu und nur in ihr finden will und kann, so muss es ihm ebensosehr auf die wahre Gottheit wie auf die wahre Menschheit ankommen, endlich auf die innige Vereinigung und Durchdringung beider in der einheitlichen Person des Gott-Menschen. 3. Eine Befriedigung dieses religiösen Interesses aber ist auf dem Boden und mit den Mitteln der alten Christologie nicht möglich. Denn sobald man mit der göttlichen N a t u r in Christus Ernst macht, muss man ihr a l l e Prädikate der Gottheit beilegen, und man wird dann entweder dem Dualismus verfallen, oder die Menschheit Christi in Wirklichkeit aufheben. Anders ist es dagegen, wenn man die Gottheit Christi in der Einzigartigkeit seiner Menschheit findet, d. h. aber in den religiös-sittlichen Qualitäten seines Person- und Berufslebens. Diese Auffassung entspricht nicht nur dem ethischen Charakter unserer Religion, sie ermöglicht es auch, in der wahren Menschheit Jesu die vollkommene Offenbarung der Gottheit zu sehen, wie sie unserem Heilsbedürfnis entspricht und es befriedigt. Denn sie verleiht endlich gerade auch dem Leiden und Sterben Jesu im höchsten Mass den



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Charakter einer offenbarenden und versöhnenden Liebesthat unseres Gottes. Iinsofern ist diese Auffassung der Person Christi ein zweckentsprechender Ausdruck für Luthers religiöse Geda:nken. Mit dem Verzicht auf die altkirchliche Christolog.ie aber fällt zugleich der von Luther behauptete Zusammenhang zwischen Christologie und Abendmahlslehre hinweg, so dass wir weder die Christologie als einen Unterbau der Abendmahlslehre, noch diese als eine P r o b e auf die Richtigkeit jener Lehre anzusehen habem.

Ein Doppeltes ist meines Erachtens das Ergebnis dieser Untersuchung. G e s c h i c h t l i c h haben wir zu verstehen gcsucht, dass es kein blinder Fanatismus war, wenn Luther mit solcher Zähigkeit an der Lehre von der Realpräsenz festhielt, vielmehr die ehrliche,. wTenn auch irrige Überzeugung, dass er mit seiner Lehre überaus wichtige Interessen des Glaubens verteidige und schütze. Das d o g m a t i s c h e Ergebnis aber ist, dass wir mit dem offenen Verzicht auf diese Lehre die wahrhaft evangelischen Interessen des Reformators nicht verkümmern oder gar vergewaltigen, sondern dass wir durch eine andere Deutung der Elemente den Gedanken Luthers einen richtigeren theologischen Ausdruck verleihen können, als dies ihm selbst unter den geschichtlichen Bedingungen, unter denen er stand, möglich war. Es war der Zweck der vorstehenden Arbeit, einen bescheidenen Beitrag zu der Erkenntnis zu liefern, dass die Theologie nicht in der Lage ist, den „ g a n z e n " Luther festzuhalten, weil er selbst nicht zu einer einheitlichen theologischen Ausgestaltung seiner religiösen Anschauungen gelangt ist. Es bleibt uns nur die Wahl, e n t w e d e r uns an die reformatorischen Prinzipien Luthers anzuschliessen und sie sachentsprechend weiter auszubauen, auch wenn wir dabei einzelne seiner Theologumene aufgeben oder umgestalten müssen, o d e r uns die Theologie Luthers in ihrem ganzen Umfang anzueignen; aber dabei

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besteht die Gefahr, dass gerade das Reformatorische an ihm nicht zu seinem vollen Recht kommt. Die lutherische Kirche hat zunächst den zweiten W e g eingeschlagen. Infolgedessen sah man Luthers Lehre von der Realpräsenz als das wesentlichste Merkmal seiner Abendmahlslehre an und machte sie sogar zu einer trennenden Schranke zweier Kirchengemeinschaften, die im übrigen nahe verwandt sind. Folgerichtig musste man auf den real gegenwärtigen Leib Christi immer grösseren W e r t legen und geriet so in die theosophische Richtung der Bengelschen Schule. Aber indem man an diesen e i n e n Punkt anknüpfte, gab man d a s G a n z e der Abendmahlslehre Luthers preis. Man verzichtete vor allem auch auf ihre exegetische Grundlage. Denn in den E i n s e t z u n g s W o r t e n , von denen Luther seit 1520 immer ausgegangen ist, steht von einer solchen Wirkung des Leibes Christi auf unsere leibliche Natur nicht ein Wort. Orientiert man dagegen nach Luthers Vorgang seine Auffassung vom Abendmahl an den Einsetzungsworten, so wird man sich auf der Linie einer ethisch-geschichtlichen Betrachtungsweise halten müssen, die wir auch als die prinzipielle Anschauung Luthers erkannt haben. Dann aber werden wir uns konsequenterweise dazu entschliessen müssen, den Leib Christi, der für uns gebrochen, und das Blut, das für uns vergossen worden ist, in sinnbildlicher und geistig-realer Weise gegenwärtig zu denken, sodass wir im gläubigen Genuss des Sakraments den T o d des Herrn verkündigen und seine Frucht uns aneignen. Indem wir so Luthers eigenstem religiösem Interesse am Abendmahl im vollen Masse Rechnung tragen, wird zugleich die Abendmahlslehre L u t h e r s zu einer wirkich e v a n g e l i s c h e n Abendmahlslehre, auf deren Boden Lutheraner und Reformierte in brüderlicher Gemeinschaft dem Tisch des Herrn nahen können, um hier mit Christi Leib und Blut Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit zu empfangen.